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Full text of "Zeitschrift für deutsche Philologie"

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ZEITSCHRIFT 


FÜR 


DEUTSCHE  PHILOLOGIE 


BEGRÜNDET  von  JULIUS   ZACHER 


HERAUSGEGEBEN 


HUGO  GERING    UND   FRIEDRICH  KAUFFMÄNN 


SIEBENUNDDREISSIGSTER   BAND 


HALLE   A.  S.  ^     \ 

VERLAG    DER    BUCHHANDLUNG    DES    WAISENHAUSES. 
190  5. 


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INHALT. 

Seite 

Zur  quelle  von  Cynewulfs  Eleiie.     Von  F.  Holthausen 1 

Zur  Vglsunga  saga  und  den  Eddaliedern  der  lücke.     Von  G.  Neckel  .     .     .     .  19 

Die  fränkischen  psalnienfragmente.     Von  "W.  F.  Gombault. 29 

Pamplülus   Gengenbaeli    als   Verfasser  der  Totenfresser    und  der  Novella.     Von 

H.König 40.  207 

Urban  Rhegius  als  Satiriker.     Von  A.  Götze 66 

Beiträge  zur  erkläning  des  altengl.  epos.     Von  F.  Holthausen 11.^) 

Die  übersetzuugstechnik  des  Wulfila  unteisucht  auf  grund   der  bibclfragmente 

des  Codex  argenteus.     Von  H.  Stolzen  bürg 14.5.  352 

Vom  pfründmarkt  der  curtisanen.     Von  A.  Götze 19'*> 

Untersuchungen   über  den    Ursprung   und   die   entwicklung    der  Nibeiungensage. 

Von  R.  C.  Boer :     •     ■     •      2^9-  4:^S 

Die  Ochsenfurter   fragmente   der  Alexandreis  dos  Ulrich  von  Esehenbach.     Von 

J.  Hefner 348 

Zur  friesischen  volksepik.     Von  H.J aekel    . 433 

Richard  Heinzel  (nekrolog).     Von  M.  H.  Jellinek -  .     .  506 


Miscelleii. 

Zur  gotischen  bibelübersetzung.     Von  R.  Trautmann 253 

Schüttelformen.     Von  H.  Schröder 256 

Nhd.  puter  'truthahn'.     Von  H.  Schröder 259 

Xhd.  nd.  schuft,  nl.  schoft  -schurke'.     Von  H.  Schröder 261 

Beiträge  zur  deutschen  wortforscliung.     Von  H.  Schröd.er      .     .     .     .     .     .     .  393 

Die  Zeitschrift  für  schwedische  nuuidarten  und  Volkskunde    Vfui  H.  K.  H.dood- 

win  Buergel 399 

Die  Darmstädter  handschrift  nf.  1213.     Von  Ä.  Kopp 569 


Litteratur. 
Henrik  Bertelsen,  Gm  Didrik  af  Borns  sagas  oprindelige  skikkclse,  omarbei- 

delse  og  händskrifter;  von  R.  C.  Boer 126 

N.  van  Wijk,  Der  nominale  geuetiv  sing,  im  indogermanischen  in  seinem  vur- 

hältnis  zum  nominativ;  von  H.  Hirt 201 

Veit  Valentin,  Die  klassische  Walpurgisnacht;  von  G.  Witkowski  ....     262 
Beruh.  Salin,  Die  altgermanische  tierornamentik;  von  F.  Kauffmann  .     .     .     264 


IV  INHALT 

Seite 

Alb.  Fries,  Platenforschungen ;  von  R.  M.  Meyer 272 

R.  Brandstetter,  Der  genetiv  der  Luzerner  nnindart;  von  L.  Sütterlin  .     .  273 

Nordiska  studier  tillegnade  Ad.  Nor een;  von  A.  Gebhardt 275 

K.  Marbe,  Über  den  rhythmus  der  prosa;  von  'R.  M.  Meyer 282 

H.  J.  E.  Endepols,  Het  decoratief  en  de  opvoering  van  het  mnl.  drama;  von 

J.  Franck 283 

J.  Czerny,  Sterne,  Hippel  und  Jean  Paul;  von  R.  M.  Meyer 286 

L.F.Anderson,  The  Anglo-Saxon  scop;  von  G.  Binz 410 

Carl  Voretzsch,  Epische  Studien;  von  G.Schläger 410 

Leo    "Wolf,    Der    groteske    und    hyperbolische    stil    de.s    nihd.    voiksepos;    von 

G.  Ehrismann 421 

Jos.  Klapper,  Das  St.  Galler  spiel  von  der  kindheit  Jesu;  von  G.  Ehrismann  423 

Herrn.  Jantzen,  Litteraturdenkmäler  des  14.  u.  15.  jahrh.;  von  G.  Ehrisnianu  426 

J.P.Hebels  Alemann,  gedichte  herausg.  von  0.  Heilig;  von  G.  Ehrisnianu  427 

Osk.  Vogt,  Der  goldene  Spiegel  und  Wielands  politische  ansichten;  von  A.Wahl  427 

Carl  Behrens,  En  ty.sk  digter,  Chr.  Dietr.  Grabbe;  von  H.  Jantzen       .     .     .  429 

P.Landau,  Sari  von  Holteis  romaue;  von  R.  M.  Meyei' 430 

Friedr.  Panzer,  Hilde-Gudrun;  von  G.  Ehrismann 515 

Ludw.  Goldstein,  Moses  Mendelssohn  u.  die  deutsche  ästhetik;  vonTh.A.  Meyer  527 

Mor.  Trautmann,  Fiun  und  Hildobrand;  von  G.  Binz 529 

P.  H.  van  Moerkerken  jr.,    De  satire  in  de  nederlandsche  kunst  der  middel- 

eeuwen;  von  J.  Franck 536 

Fr.  M.  Kircheisen,  Die  geschichte  des  litterari.schen  portraits;  von  R.  M.  Meyer  540 
Wilh.  Meyer-Lübke,    Romanische   namenstudien.      I.    Die  altportugiesischen 

Personennamen  germanischen  Ursprungs;  von  Th.  v.  Gricnberger     .     .     .  541 

Fr.  Hebbel,  Sämtliche  werke,  herausg.  von  R.M.Werner;  von  H.  Krumm.  5(11 


Berichtigung 570 

Neue  erscheinungeu 144.  287.  431.  570 

Nachrichten 144.  288.  432.  572 

Register  von  W.  Beese 573 


ZUR  QUELLE  VON  CYNEWÜLFS  ELENE. 

Nachdem  zuerst  Glöde  iu  der  Anglia  IX,  271fgg.  das  Verhältnis 
von  Cj'newulfs  Elene  zu  den  in  den  Acta  Sanctorum  gedruckten  latei- 
nischen fassungen  der  legende  genauer  untersucht  hatte,  wies  Golther 
in  einer  besprechung  dieser  arbeit  (Literaturbl.  f.  germ.  u.  rom.  phil.  VIII, 
261fgg.)  auf  die  altisländ.  Übersetzung  der  legende  von  der  kreuzauf- 
findung  in  den  Heilagra  iiianna  sqgur  ed.  Unger  und  die  vier  griechi- 
schen von  Gretser  herausgegebenen  texte  hin,  wobei  er  zugleich  eine 
anzahl  wichtiger  und  schlagender  parallelstellen  aus  diesen  quellen  an- 
führte, die  dem  ae.  gedichte  oft  näher  stehen  als  die  lateinischen.  Ferner 
machte  dann  Brenner  in  einer  anzeige  der  dritten  aufläge  von  Zupitzas 
ausgäbe  (Engl.  stad.  XIII,  480 fgg.)  auf  weitere  Übereinstimmungen  auf- 
merksam und  lenkte  zugleich  die  aufmerksamkeit  der  anglisten  auf  die 
publication  A.  Holders:  Inientio  s.  crucis  (Leipzig  1889),.  in  der  wichtige 
neue  lateinische  texte  nach  mehreren  hss.  gedruckt  waren.  In  die  dritte 
aufläge  seiner  ausgäbe  hatte  Zupitza  den  lat.  text  der  A.SS.  mit  mehr- 
fachen Verweisungen  auch  noch  auf  andere  Versionen,  als  die  schon 
genannten  (z.  b.  die  von  Morris  für  die  E.E.T.S.  herausgegebenen  Legends 
of  Üie  Holij  Rood)  aufgenommen,  ohne  freilich  eine  erschöpfende  ver- 
gleichung  aller  parallelstellen  zu  bringen  (vgl.  Koeppel  im  Lit.bl.  XI,  60). 
Da  inzwischen  wider  wichtiges  und  reiches  quellenmaterial  erschlossen 
ist  und  viele,  schon  früher  gedruckte  fassungen  der  kreuzlegende  über- 
haupt noch  nicht  berücksichtigt  worden  sind,  schien  es  mir  als  Vor- 
arbeit zu  einer  neuen  ausgäbe  der  ae.  dichtung  zunächst  nötig,  die 
gesamte  mir  bekannte  und  erreichbare  Überlieferung  heranzuziehen,  und 
auf  grund  einer  genauen  vergloichung  jedes  einzelnen  textes  mit  Cyne- 
wulfs  Elene  dessen  vorläge'  nach  möglichkeit  zu  reconstruieren.  Ge- 
funden ist  diese  ja  leider  noch  nicht,  und  wird  vielleicht  auch  nie  wider 
gefunden  werden.  Aber  ihre  form  lässt  sich  doch  ziemlich  sicher  er- 
schliessen,  wenn  wir  nur  alles  einschlägige  material  zu  hülfe  nehmen. 
Zwar  mögen  manche  wörtliche  Übereinstimmungen  zwischen  Cynewulfs 
und  anderen  fassungen  auf  zufall  beruhen,  aber  in  den  meisten  fällen 
ist  dieser  offenbar  ausgeschlossen,  besonders  wenn  mehrere  texte  ganz 
dasselbe  bieten. 

ZBITSCHRIFT    F.    DEUTSCHK    I'HILOI.OOIK.       BD.    XXXVII.  1 


2  HOLTHAUSEN 

Ehe  wir  mit  der  vergleichung-  der  verschiedenen  fassungen  be- 
ginnen, wird  es  nötig  sein,  die  einzelnen  texte,  nach  sprachen  geordnet, 
übersichtlich  vorzuführen  und  die  jedesmaligen  ausgaben  zu  nennen. 
Das  Verhältnis  aller  texte  untereinander  jedoch  genau  zu  bestimmen 
ist  nicht  möglich,  so  lange  wir  nicht  mindestens  eine  kritische  ausgäbe 
des  griechischen  Originals  der  legende  auf  grund  der  ältesten  und 
besten  hss.  haben. 

Die  einzelnen  texte  sind: 

a)  syrische, 
herausg.  von  E.  Nestle,  De  sancta  cruce,  Berlin  1889  ^  Die  schrift  ent- 
hält ausser  drei  syr.  texten  und  deren  deutscher  Übersetzung  wichtige 
litteraturangaben  und  anmerkungen.  Für  unsere  zwecke  kommen  nur 
der  erste  und  der  dritte  text  in  betracht,  die  ich  A  und  B  nenne  und 
nach  der  Übersetzung  N.s  mit  angäbe  der  selten  (s.  43fgg.  und  s.  51fgg.) 
eitlere. 

b)  griechische. 

1.  Zwei  texte,  herausgegeben  von  J.  Gretser  in  dem  werke  De 
cruce  Christi,  Ingolstadt  1600,  tom.  II,  s.  526  fgg.,  der  erste  mit  einer 
lat.  Übersetzung  zur  seite.  Ich  citiere  text  I  nach  dieser  ausgäbe,  von 
der  unsre  bibliothek  ein  exemplar  besitzt. 

2.  Dieselben,  mit  zwei  anderen  zusammen  in  desselben  Opera 
omnia,  tom.  II,  Ratisbonae  1734,  s.  417 fgg.  gedruckt.  Hiernach  citiere 
ich  die  texte  II — IV. 

3.  Der  erste  dieser  vier  texte,  wider  veröffentlicht  von  A.  Holder, 
Inventio  s.  Crucis'^,  Lipsiae  1889,  s.  30 fgg.; 

4.  ein  neuer  text,  nach  dem  cod.  Vatic.  gr.  866  herausg.  von  Wotke, 
AViener  Studien  XIII,  300 fgg.; 

5.  ebenfalls  ein  neuer,  nach  dem  cod.  Angel.  108  gedruckt  von 
Olivieri  in  den  Analecta  Bollandiana  XVII,  414  fgg. 

Wir  kennen  den  griech.  text  also  jetzt  aus  sechs  hss. 

c)  lateinische. 

1.  Nach  vier  hss.  in  den  A.  SS.  Mail,  445  fgg.,  wobei  auch  die 
fassung  des  Mombritius  berücksichtigt  ist. 

2.  Bei  Mombritius,  Vitae  sanetorum,  Mediolani  1479,  tom.  I, 
fol.  212fgg. 

1)  Vgl.  Bonwetsch,  Theol.  litbl.  1890,  381. 

2)  Vgl.  dazu  "Wotke,  Zsclir.  f.  österi'.  gymn.  1891,  845;  Petschenig,  Berl.  philol. 
Wochenschrift  1889,  lG2lfg.;  Manitius,  Wochenschr.  f.  klass.  philol.  1889,  1402  fg.; 
Kühler,  I).  lit.ztg.  1890,  öGfg.;  Lit.  centralbl.  1890,  119. 


ZUR    QUKLLK    VON'    CYNKAVULFS    KLENK  ö 

3.  Nach  einer  Pariser  hs.  (A)  mit  den  lesarten  von  vier  anderen 
herausg.  von  A.  Holder,  Inventio  s.  enteis  (s.  oben). 

4.  Einen  Pfae verschen  cod.  nr.  X  erwähnt  Wotke  a.  a.  o.,  s.  301, 
den  ich  aber  nicht  weiter  kenne. 

5.  In  der  Legeiida  aurea  des  Jacobus  a  Voragine  ed.  Graesse, 
p.  303  fgg. 

6.  Einen  Ynnins  de  s.  cruce  aus  dem  5.  jht.  druckt  Holder  a.a.O., 
40fgg.  (vgl.  Einleitung  s.  XI). 

d)   altisläudische. 
Nach  zwei  hss.  herausgegeben  von  Unger,  HeUagra  manna  sggur, 
Christiania  1877,  I,  s.  301  fgg. 

e)   altschwedische. 
Gedruckt    in   EU   forn  -  svenskt    legendarium^,    Stockholm    1847, 
I,  SOfgg.  und  563fg.  von  G.  Stephens.    Die  quelle  der  sehr  kurzen  dar- 
stellung  ist  die  Leg.  aurea. 

f)   altenglische. 
Eine  ae.  prosalegende,  die  viele  Übereinstimmungen  mit  der  dichtung 
aufweist,  steht  als  nr.  1  in  dem  buche  von  Morris:  Legends  of  ihe  Holy 
Bood,  London   1871  (E.E.T.S.,  O.S.  4G).  "    . 

g)  mittelenglische. 

1.  Eine  fassung  (A)  in  gereimten  septenarparen,  herausg.  von 
Horstmann  in  Tke  Earhj  Souili-English  Legendary  I,  London  1887 
(E.E.T.S.,  O.S.  87)  s.  Ifgg.,  nach  ms.  Laud  108,  ferner  von  Morris  in 
den  Legends  of  the  Holy  Bood  s.  36  fgg.  nach  den  hss.  Harley  2277, 
Ashm.  43  und  Vernon  der  Bodl.  Library.  Die  verse  205  —  228  der  drei 
letztgenannten  hss.  entsprechen  den  versen  335  —  356  des  ms.  Laud, 
während  v.  229  —  362  bei  Morris  den  versen  1 — 134  bei  Horstmann 
entsprechen,  d.  h.  die  geschichte  von  Konstantins  vision  und  siege  folgt 
im  ras.  Laud  der  erzählung  von  der  auffindung  des'kreuzes  durch  Helena, 
in  den  hss.  Harley,  Ashmole  und  Vernon  geht  sie  derselben  voran.  Ich 
eitlere  nach  Morris.  —  Yerbunden  damit  ist  die  wunderbare  geschichte 
des  kreuzes  und  dessen  spätere  Schicksale,  worüber  man  Napier,  Hist. 
of  ihe  Holy  Bood-tree-,  p.  Xfgg.  (spec.  XXXIV)  vergleiche. 

2.  Ein  gedieht  (B)  in  paarweise  gereimten  kurzversen,  herausg. 
von  Morris  a.a.O.,  s.  87fgg.  nach  der  hs.  Harleian  4196  und  von  Horst- 

1)  Vierter  teil  des  grossen  werkes:  Samlingar  utgifna  nf  svenska  fornskrift' 
süllskapet. 

2)  Early  Engl.  Text  Soc,  O.S.  103,  London  1894. 

1* 


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mann  in  AUenglische  legenden,  neue  folge,  Heilbronn  1881,  s.  56  nach 
derselben  hs.  mit ,  beifügungen  der  lesarten  der  hs.  Tib.  E  VII.  Ich 
eitlere  nach  der  letzteren  ausgäbe.  Wegen  der  quelle  vgl.  Ilorstmann 
s.  LXXXIX  oben. 

3.  In  kurzen  reimpaaren  im  Cursor  mnndi  v.  21,  879  —  21,  406 
und  in  Morris'  Legends  (nach  ms.  Fairfax  14  der  Bodl.  Eibl.)  s.  109, 
V.  33 — 60.  Der  rest  der  erzählung  weicht  ab  und  beruht  auf  einem 
afrz.  gedichte,  vgl.  Napier  a.a.O.,  XXIII fgg. 

4.  Caxtons  prosa Übersetzung  der  Legenda  aurea,  gedr.  bei 
Morris  a.a.O.,  s.  154  —158.  Sie  geht  zunächst  auf  die  französische  Über- 
tragung von  Jean  de  Yignay  zurück,  vgl.  Horstmann,  Altengl.  leg., 
n.  f.,  CXXXIII  und  Binz,  Beibl.  z.  Anglia  XIV,  360 fgg. 

h)  mittelhochdeutsche. 
1.  Das  bruchstück  einer  Übersetzung  der  legende  in  kurzen  reim- 
paaren findet  sich  in  dem  von  Busch  in  der  Zeitschr.  10,  129 fgg.  und 
11,  12  fgg.  herausgegebenen  und  ausführlich  behandelten  Mittelfränk. 
legendär  des  12.  jhts.  v.  529  —  583  (10,  152  fgg.).  Der  herausgeber 
hat  in  bd.  11,  21  fgg.  die  quellenfrage  erörtert  und  die  erhaltenen  reste 
mit  dem  lat.  texte  der  A.SS.  auf  s.  26  fgg.  zusammengestellt. 

2.  Ein  späteres  mhd.  gedieht  in  demselben  versmasse  nach  der 
Wiener  hs.  rec.  2259  gedruckt  von  Massmann  in  Eraelins,  Quedlinburg 
und  Leipzig  1842  (Bibl.  der  ges.  deutsch,  nat.-lit.  6.bd.)  s.  194 fgg.  Nach 
J.  Haupt,  Sitzungsber.  der  Wiener  acad.,  phil.-hist.  classe,  69.  bd.,  Wien 
1871,  s.  111  fg.  stammt  dieses  gedieht  aus  dem  Buch  der  märterer 
(1.  hälfte  des  XIV.  jhts.),  das  auf  der  Leg.  mir.  beruht,  vgl.  bd.  70, 101  fg. 

3.  Der  betreffende  abschnitt  (s.  270  —  278,  v.  16)  des  Passion  als, 
herausg.  von  Köpke  als  bd.  32  der  ebengenannten  Sammlung,  Quedlin- 
burg und  Leipzig  1852.  Die  quelle  desselben  ist  ebenfalls  die  Leg. 
aurea  des  Jacobus  a  Voragine,  vgl.  Haupt  a.  a.  o.  und  Wichner,  Zschr. 
10,  255  fgg.,  der  gegenüber  die  dichtung  aber  manche  freiheiten  und 
besonderheiten  zeigt. 


Ich  gehe  nunmehr  zu  einer  vergleichung  von  Cynewulfs  Elene 
mit  den  aufgezählten  fassungen  und  bearbeitungen  der  legende  von  der 
auffindung  des  h.  kreuzes  über. 

Gyn.  V.  20:   Hüna  leode,   vgl.  das  mhd.  B.  d.  m.  v.  3:  die  Unger. 

37 — 39:  on  Dunnbie  |  .  .  .  ymh  pces  wceteres  ivyhn,  vgl.  Mombr. 
und  Leg.  aurea  s.  305:  super  (iiixta)  Banuhium  fluviimi. 

40  —  41:  woldon  Römwara  rice  gejjringan  j  hergum  ähyhan,  vgl. 
Gr.  425a  und  540:  L7jiovvicov  öimctQäaai  ymi  jtoqd'fiOai  /läoav  lijv  xwqav. 


ZUR    QUELLE    VON'    CTKEWÜLFS    KI.ENR  5 

42:  pd  sc  cdscre  hehl.  Hierzu  stimmen  imperatori  Mombr.,  im- 
prralor  Jjeg.  aar.,  der  Jceiser  Pass.  (stets),  während  die  A.SS.  regi  bieten. 

48:  oiigean  granmm,  vgl.  obviam  ipsis  Mom. 

48fg. :  pe'ah  hie  tverod  Icesse  j  licpfdon  tö  hilde,  ponf/ije  Ili'ina 
einim/.  Vgl.  das  B.  d.  m.  v.  9fgg.:  Er  gewan  ein  her  gröz  unde  starc, 
Doch  ex  gein  disme  iiiht  emvac:  Sl  heten  drtxec  an  einen  man,  und 
das  Pass.  270.  HOfg. :  So  vant  er  ie  der  viende  xal  Vil  gröxer  danne 
die  sinen. 

56 fg.:  cyning  ivces  äfyrhted ,  j  egsari  gedclad.  Schon  Brenner  ver- 
wies auf  Holders  hs.  A:  liinnit  vehementer  und  Ungers  cegM  honum. 
Ähnliches  bieten  das  mhd.  und  das  me.  gedieht,  vgl.  B.  d.m.  v.  12:  der 
heiser  sorgen  begau  und  v,  24 fg.:  der  heiser  z' allen  xMen  Gröxxer  sorgen 
fiej  phlac,  das  me.  gedieht  (B)  bei  Horstm.  v.  21:  In  his  hert  he  had 
grete  drede. 

65  —  67:  here  ivicode,  j  eorlas  ymh  ce^eling  egstreame  neah,  vgl. 
Gr.  425  b:  xa/  yi/f^ac:  tö  cptoodvor  icagd  zag  oxd-ag  tov  7COTaiiov,  Leg. 
aur.  805:  castra  movil  et  contra  Vanubium  se  cum  suo  exercitu  col- 
locavit. 

69  —  70:  Jid  wearh  on  sldpc  sglfnni  cetfjwed  j  päm  cdsere,  pur 
he  0)1  corhre  sivcef,  vgl.  dazu  die  ae.  prosa  (Morris  3):  pd  on  prnre  ylcan 
nihte  pe  Const.  slep  and  hhie  gereste,  ferner  den  lat.  hymnus  v.  21fgg. : 
Äst  ubi  fessa  quiete  forens  Corpora  straverat  umbra  silens,  Tum  sopor 
arrijnens  animuni  Principis  obti/mit  tumidum,  das  me.  gedieht  (B) 
v.  27  (Horstm.  s.  57):  And  als  he  lag  opoii  a  nigld,  die  me.  prosa 
Caxtons  (Morris  156):  And  in  the  ngght  as  he  slepte  in  his  bedde,  das 
mhd.  gedieht  v.  26:  eins  nahtes  er  an  släfe  lac,  das  Pass.  270,  39fg. : 
darinne  er  lac  nnd  hu  in  entslief;  In  der  nacht  im  dd  rief  Ein  enget. 

91 — 92:  Wfcs  se  bldca  beam  böc.stafum.  dwriten  j  beoi'hte  and 
Irohte  scheint  dem  litteris  aureis  bei  Mombr.  und  in  der  Leg.  aurea 
805  zu  entsprechen,  das  auch  das  aschwed.  leg.  s.  563  bietet:  med 
gulstavuni,  ferner  das  Pass.  270,  47:  mit  guldmen  biiocJistabeti. 

92  —  93:  mid  pys  beacne  Öw  /  on  pdm  frecnan  fccre  feond 
ofersivihesb.  Ausser  den  bei  Zup.  angeführten  parallelen  aus  Mombr., 
Unger  und  Morris  (ae.  prosa)  vgl.  noch  Nestle  A.  p.  43:  'In  diesem 
xeichen  wirst  du  siegen',  Holder:  '/?^  hoc  signo  vince  BC,  Leg.  aur. 
305:  'In  hoc  signo  vinces',  Caxton  p.  156:  '/«  this  sygiie  thou  shatt 
ouerconie  the  batayle',  das  septenarische  me.  gedieht  (A)  v.  212  fg. 
(Morris  37):  'WiJ)  pis  signc  Jwu  schalt  mayster  be,  ....  And  wite  pe 
from  py  fon\  desgl.  (B)  v.  34  fg.  (Horstm.  57):  pa)i  sal  pon  ouercum  pine 
cnmise,  j  And  in   (fehlt  ms.  Tib.)  pis  figure  fully  [Luke  ms.  Tib.)  pou 


HOLTIIAUSKN 


traijst^  das  mhd.  B.  d.  m.  v.  37:  mit  dem  xeichen  gesigestu,  das  aschwed. 
leg.  s.  563:  med  thesso  tekne  sJcal  thu  sigher  stridha,  das  Pass.  270,  49: 
an  diseme  zeichene  gesigef 

96  —  98 :  cyning  tcces  Jyy  bUhrä  /  ond  pe  sorgUasra  .  .  .  .  j  on 
fgrhhsefcm  pmh  pä  fdgeran  gesyJib,  vgl.  Leg.  aur.  305:  Qiä  coelesti 
visione  confortatas,  ae.  prosa  (Morris  3):  he  äivuc  pä  blipeliee  for  päre 
fccgeran  gesih^e,  Caxton  156:  Thenne  tvas  he  alle  comforted  of  this 
lyisyon,  me.  gedieht  B  v.  39fgg.  (Horstm.  57):  He  tcakkend  pan  and  ivas 
ful  glad,  P'or  he  so  giide  {nohill  Tib.)  Jterting  pan  (fehlt  Tib.)  had,  Up 
he  rase  tvith  hert  ful  light,  Pass.  270,  50 fg.:  In  ivelche  freude  im  dö 
stige  Sin  herze/  die  was  harte  groz.  Der  hymnus  bietet  v.  29 fg.: 
Denique  spe  redeunte  sibi  Mox  opc  non  dabiae  fdei. 

99  —  104:  Heht  pä  onlice  cphelinga  hleo  j sivd  he  pcet  beacen 

geseah,! iäcen  geivyrcan,  vgl.  Nestle  A,  s.  43:  Uiid  befahl,  dass  sie 

(etivas)  in  der  gestalt  dieses  Zeichens  machten. 

105  —  7:  Heht  pä  on  ühtan  mid  drdcegc  /  ■  ■  ■  ■  p«'t  hälige  treo, 
vgl.  Caxton,  p.  156:  And  on  the  morne  he  put  in  his  banere  the  Crosse, 
das  mhd.  B.  d.  ra.  v.  38  fg.:  der  heiser  smorgens  fruo  Machte  ein  kriuze 
a?i  sineti  vanen,  Pass.  270,  54fg.:  Zu  hant,  als  der  morgen  quam,  Dö 
Hex  er  nach  den  sachen  Ein  schäme  kriuze  machen. 

108:  him  beforan  ferian  on  feonda  gemang  =  Nestle  A,  s.  43: 
und  dass  es  vor  iJmen  liergehe  in  den  kämpf,  ae.  prosa  (Morris  s.  5): 
and  heo  beforan  him  beran  het  ongean  pä  hdpenan,  das  me.  gedieht  B, 
V.  51  (Horstm.  s.  57):  Byfore  him  in  batayle  to  bere. 

136fg.':  sume  drenc  fornam  j  on  lagostreame,  vgl.  dazu  die  ae. 
prosa  (Morris  s.  5):  and  hi  cac  sume  on  pcerc  ea  wurdon  ädrcencic. 

144 — 147:  pcet  sige  forgeaf  j  ....  dömiveorhunga,  /  rice  könnte 
durch  ein  victoriam  magnam  der  vorläge,  wie  es  Mombr.  bietet,  ver- 
anlasst sein. 

153  fg.:  heht  pä  ivigena  tveard  pä  icisestan  /  snnde  tö  sionohe, 
vgl.  das  me.  gedieht  v.  221  (Morris  37):  pe  luiseste  men  of  al  his  lond 
bifore  him  he  leite  bringe. 

161 — 162:  hivfct  sc  god  u'dre,  /  .  .  .  'pe  pis  his  beacen  wces\ 
Vgl.  hierüber  Brenner,  Engl.  stud.  XIII,  480,  ferner  Mombr.  und  Leg. 
aur.  305:  cirius  Dei  hoc  signum  esset  =  Caxton  156:  to  ichat  god  the 
sygne  of  the  Crosse  apperteyned,  obwol  dies  weniger  genau  stimmt.  Das 
Pass.  270,  80 fg.  übersetzt:  Von  ivelcheme  gote  we^'e  Des  kriuzes  zeichen 
bekumen. 

173 fg.:  Irim  tvccs  Icoht  sefa,  /  ferlib  gefeonde,  vgl.  die  ae.  prosa 
(Morris  s.  5):  and  sunpe  blipum  möde  him  bodedon. 


ZUK    QUELLE    VON    CVNF.WULFS    ELEXE  7 

181:  (ilf/sdc  Ic'oda  hearn  of  locan  deofla,  findet  scino  parallele  in 
der  ae.  prosa  (Morris  5):  hröwode  for  manhjnnes  hcclo  and  älc'sednesse . . . 
and  kelle  gehergode. 

187:  of  dcahe  äräs,  vgl.  resurrexü  a  niortnis  Holder  A  und  Mombr., 
of  deahe  äräs  ao.  prosa  (Morris  5). 

188:  aiid  tö  heofonum  ästäh,  \g\.  die  prosa  ib.:  atul  scoppcu  16 
hcofennm  ästäh. 

190 fg.:  swä  fröm  Siluestrc  /  Iccrde  ivceron.  Ausser  den  von  Zup. 
angeführten  stellen  vgl.  noch  Holder  B^:  Siluestrlum  und  Leg.  aurea 
306:  et  sacro  baptismate  per  Siluestnun  pajyam  renatus,  wobei  sich 
Jacobus  de  Voragine  auf  die  „Historia  tripartita"  beruft.  Ihm  folgt 
auch  das  Pass.  s.  270,  8fgg. 

194 — 196:  £)ä  ivces  on  s(kUim  siitccs  hrytta,  ] . . .  ivrrs  hiin  niice 
gefea  I  befolen  in  fyrh^e.  Hierzu  stimmt  die  ae.  prosa  (Morris  5):  pd 
wearh  he  sivibe  hUbe  on  mode. 

214fgg.:  ond  pä  hls  mödor  hrt  /  fera/i  foldivcgc  folca  preate  /  tö 
Jndeimi,  vgl.  Nestle  A,  s.  44:  inä  —  einem  grossen  heer  vor^  Römern, 
Gr.  426a:  dTXtoxei'ke  rrjv  iöiav  (.ir^ztQa  iv  rfi  dvazoXfi  clna  oincaojred(>>, 
ae.  prosa  (Morris  7):  77iid  mycliim  werode. 

216:  georne  =  mit  Fdfer,  Nestle  A.  s.  44.  ■ 

221:  vgl.  hierzu  Engl.  stud.  XHI,  480  fg. 

264 fg.:  p(er  ivces  gesyne  sincgiiii  locen  /  o7i  päm  herepreate, 
Idäfordes  gifu.  Das  mhd.  B.  d.  m.  v.  90  fg.  bietet  entsprechend:  manec 
gäbe  riche  Truoc  man  der  keiserinne  für. 

276  fgg.:  Hellt  Öa  gebeodan  .  .  .  päm  snoterestum  on  gemöt  ciiman, 
vgl.  Nestle  A,  44:  und  befahl,  dass  sich  alle  juden  versammeln  sollten; 
die  Leg.  aurea  s.  307  liest:  omnes  Judaeoritm  sapientes  .  .  .  ad  se  con- 
gregari  praecepit. 

290:  geärdaguni  entspricht  dem  syr.  von,  alters  her,  Nestle  B,  56. 

Zu  3(32  vgl.  Engl.  stud.  XHI,  481. 

315  fg.:  J)ä  he  eowre  ce  rehehnn  fgudej  1  on  ferhbscfan  fgr niest 
hcebben,  vgl.  xovt;  doy.ovvvdg  eldivai  töv  voj-iov  YMliög,  W.  st.  303. 

320 fgg.:  rconigmöde / . . .  egesan  gej)re'ade,  /  gehbum  geömre  scheint 
tisid  ffoßov  7Co)lov  W.  st.  303  =  cum  tiniore  multo  Mombr.  voraus- 
zusetzen. 

323:  pä,  wiscstan  irordgcryna  {-no  hs.),  vgl.  W.  st.  30.3:  zo/'v 
roLiiLovrag  elde.vai  -/.ahog  zup  vÖj-lov  und  Holder  A,  s.  3:  cos  qui  dicc- 
Ijant  sc  legem  bene  «osse  =  Mombr. :  invenerunt  qni  dicrbant  se  legem 
bene  nosse  viros  mimero  millc. 


HOLTHAUSEN 


329 fg.:  prungon  pä  on  preate,  pcer  on  prymme  bäd  j in  cynestöle 
cäseres  mc'eg,  vgl.  /mi  7vaQayivovzai  6f.io&vf.iaödv  /tQog  rijv  ßaoi'Uooar, 
W.  stiid.  303  statt  des  odduxeriint  eos  der  A.8S. 

331:  gealoUc  gühciven  könnte  durch  ein  ad  bealaut  Hclenani 
(Mombr.)  veranlasst  sein. 

334fg. :  hwoit,  ge  lüitgcna  j  Iure  oiifengon,  vgl.  Gr.  '430b:  €v% 
rfAovoazE  rd)V  äyliov  7CQ0(pr^x(x)v,  TtCJg  ■/MTi'jyyei'kav  v/lUv,  ferner  ib.  426b: 
ovyi  TjAOVoavE  ra.  Q^f.iava  tüv  ayuov  7CQocprjrCjv,  Tcaig  /MirjyyeiXav  Ttegl 
xov  Xqioiov,  desgl.  526  (Holder  s.  31,  11  fg.):  ova  rfAüvoate  iwv  ayicov 
ygaffidv,  Ttwg  Ttqor^yyuXav  o\  ycQOff^zai ,  desgl.  A.  Bell.  41 5  und  W.  st. 
303:  ovÄ.  7f/iovoaze  hcl  (fehlt  A.  B.)  zwj'  ayi'iov  TtQOipr^TCov,  7cCJg  -/.airf/- 
yEikav  {7TQoyMr/jyy£iXov  W.  st.)  /regi  xov  ocoifjoog,  wozu  Holder  A,  4: 
7ion  enivi  inielligitis,  Mombr.:  no)i  inlellexisüs  sermones  prophetarum, 
die  ae.  prosa  (Morris  7)  Id,  hü  ne  liornodon  ge  on  eMwriun  ivitegung- 
böcum  und  endlich  das  nihd.  B.  d.  m.  v.  102  fg. :  ir  habet  dax  von  der 
Schrift  vernomen,  Dax  Got  nach  sfner  zit  etc.  stimmen. 

337:  be  pdm  Moyses  sang.  Ausser  dem  von  Zup.  beigebrachten 
vgl.  noch  Holder  BD:  qnia  jorior  Moyses  dixit,  qnia  .  .  .  .,  C:  de  eo 
prior  M.  dixit,  was  am  besten  zu  Gyn.  stimmt. 

339:  eow  dcenned  bih  cniht  on  degle;  dasselbe  bieten  W.  st.  303 
und  Gr.  430b:  ovi  7Ccaöiov  yevvrjd)](J8iai  vj^uv  =  Holder  A  und  Mom- 
britius:  qnia  piier  vobis  nascetur  {nasccretur  Mora.),  während  die 
A.  BoU.  415,  38  oti  7caidLov  lyevvtjd-vj  fjf^uv  lesen.  Den  zusatz  on  degle 
entnahm  Cynewulf  einem  in  secretis  der  vorläge,  das  Holders  hss.  BC 
haben. 

340 fg.:  sivd  pa;s  niödor  ne  bih  j  tvcestmum  geeacnod  purh  ireres 
frige.     Die  A.SS.  bieten  agnoscet,  Holder  C  dagegen  cognovit. 

342  fg. :  be  Mm  Däuid  cyning  dryhtleotS  ägol,  j  fröd  fyrmueoia. 
Vgl.  hierzu  Zupitza  (ausg.),  ausserdem  Nestle  A,  45:  und,  uiderum  David 
sagt,  B,  56:  der  selige  D.  sagt  ja,  W.  st.  303:  Aal  frdliv  6  i\uroX6yog 
Javid  Itycoj;  Holder  A:  Et  Herum  laudat  dominum  scriptor  David, 
dicens,  B:  laudationern  conscribit^  C:  laudationnm  ronscriptor.  B:  dicit 
de  iUu,  was  gut  zu  be  hdm  bei  Gyn.  stimmt. 

347:  min  on  pd  sivi^7ri7i,  vgl.  Holder  A:  a,  dextris  meis  est  = 
Nestle  B,  56:  er  ist  xu  meiner  rechten. 

350 fg.:  swä  hit  eft  be  eow  Essdias,!  mHga  for  nrorodmii  uvrdnm 
mdide,  vgl.  Nestle  A,  45:  und  Jesaja  iricder  sagt  über  euch,  Gr.  426b: 
/mI  7cdXii'  ^Hoatag  dracpcorel  7teQl  v/luTd',  ib.  431a:  7CQ0OE(pwPEi  tceqI 
vuCjv   "ktyiov,    528:   7vaUv  'Ho.   7C()oaveqiörEi    7Ceqi    vuojv,    A.  BoH.  415: 


ZUR    QUFXLE   VON    CYNKWÜLFS    EIENK  "J 

Actl  Ttahv  6  rf.iv(t)dü^  ^Ha.  (dann  lücke),  Holder  4:  de  vohis  (alle  hss. 
ausser  E)  wie  Mombr. 

355:  vgl.  dazu  Engl.  stud.  XIII,  482. 

364:  Hivcet,  ive  pcet  gehijrdon  purh  hcUige  hec,  vgl.  Unger  304, 11: 
ek  reit,  hverso  heigar  ritningar  hafa  fyrir  sagt. 

370:  onsciiuedori pone  sciran  scippend  eallra,  vgl.  Unger  13:  hverso 
fehr  gbrir  dulbox  rib  hann,  pd  er  hann  kom. 

373:  ond  findaj)  gen  =  Gr.  431a:  litiXt^ao^ai  7t(xhv  tS,  if.mv, 
vgl.  E.  St.  XIII,  481. 

374:  seiest  =  Unger  304.  15:  baxi,  gegenüber  dem  schwachen 
diligenter  der  A.SS.  A''gl.  aucli  das  mhd.  ß.  d.  m.  v.  107:  ir  ivelt  die 
leisten  iiz  in  gar. 

375  fg. :  p(et  me  atidsivare  j  .  .  .  secgan  cunnen,,  vgl.  Mombr.: 
dent  mihi  responsn)ii,  das  mhd.  B.  d.  m.  v.  109:  U7it  mich  bescheiden 
mijier  frag. 

377:  eodan  M  inkl  moigo,  vgl.  Gr.  528  und  W.  st.  303:  ol  de 
TiaXiv  aTield-övieg.  Das  m6d[e]  civdnige  entspricht  dem  vorhien  der 
fron-en  xorn  v.  111  des  miid.  gedichtes. 

384  fg.:  hio  s/o  cwen  ongan  j  wordnm  genegan  entspricht  eher 
dem  text  bei  Mombr.:  et  coepil  itermn  ad  eos  heata  Helena  regina 
dicere,  als  dem  et  coepit  iterurn  dicere  ad  eos  der  A.SS. 

399:  ne  ive  [gjeare  cnnno)i  findet  seine  entsprechung  in  dem 
domina,  nescimiis  bei  Mombr. 

407:  sundor  äsecap.  Schon  Brenner^  und  Zupitza  verweisen  auf 
Gretser,  dazu  kommen  noch  W.  st.  304:  TtogsvO^ivreg  xar'  löiav  am- 
ke'E.aoi^E  ycdhr  und  die  ae.  prosa  (Morris  7):  geceosah  eoiv  of  pisum. 

407  fgg.:  pd  he  sngttro  mid  eoiv,  j  mcegn  ond  mödcrccft  mceste 
hcebben,  vgl.  Nestle  B,  57:  diejenigen,  die  besonders  unterrichtet  sind 
über  die  bedentung  des  gesetxes,  W.  st.  304:  xovg  öovMvvrag  eldtvai  ri, 
ferner  die  ae.  prosa  (Morris  7 fg.):  pd  tveras  pe  betst  gelccrede  bion.,  das 
mhd.  B.  d.  m.  v.  126:  die  nü  haben  den  besten  sin. 

409  fg. :  peef  me  Jringa  .gehrvglc  J)riste  gecyhan  j  untrdgUce,  pe  ic 
him  16  se'ce,  vgl.  Gr.  528:   /mi   (j/.tihacfd^e,   brciog,  dv.QißöaveQOv   eoiDi/pio 

vuccg,  ae.  prosa  (Morris  9):  p>cr't  hio  me ealle  pd  pinc  gecijf)an 

inagan,  pe  ic  heoni  desian  iville. 

411  fgg.:  eodon  pd  fram  rüne  .  .  .  geömormöde,  vgl.  Nestle  A,  45: 
sie  gingen  hinans  von  ihr  mit  fnrcht,  ferner  die  ae.  prosa  s.  9:  hio 
fid  mid  n/gcelnm  ege  nteodon  fratn  pa-ra  ciucna,  die  Leg.  aurca  s.  307 : 

1)  Vor  seiner  beiuerkung  über  sundur  (s.  481j  fohlt  ib'r  verwois  auf  v.  407. 


10  HOLTHAUSEN 

ludaei  igitur  nimium  formidantes,  das  mhd.  B.  d.  m.  v.  131:  die  Judeii 
ivurdeii  cd  unfrö,  st  vorhten  sere  der  frowen  drö,  ähnlich  das  Pass. 
s.  273,  2:  des  was  in  angest  genuoc. 

413 fg.:  georne  smeadon,  j  söhton  searojmjiciim ,  hivret  sio  syu 
ivcere,  vgl.  die  ae.  prosa  ib.:  and  geornlice  pöhtan,  hivret  sc'o  dximg 
beon  mihtc. 

417;  for  eorJuiii,  vgl.  Nestle  A,  45:  xu  seinen  genossen  und  das 
mfrk.  leg.  v.  544:  in  allen. 

418:  gidda  gearosnotor,  vgl.  das  B.  d.  m.  v.  139:  der  was  tvlse  und 
das  Pass.  s.  273,  5  dax  er  von  tiefen  sinnen  ums. 

435:  .gif  "^is  j  ffppe  Mb  ==  Unger  305,  3:   ef  (rr  pat  kcmr  iipp. 

441:  gif  pe  pcet  gelimpe  on  Ufdagiim,  vgl.  das  nie.  gedieht  B 
V.  183  (Horstm.  s.  59):  If  it  hifall,  sun,  in  pi  liiie  (nach  ms.  Tib.:  Jf 
euer  it  bifall  in  fri  liiie). 

442:  ymh  pcet  hälige  treo  =  ae.  prosa  (Morris  9):  [puhc  pd  hdl- 
gan  rode. 

450fg. :  Vgl.  hierzu  Brenner  a.a.O. 

451  fg.:  ond  hira  dryhtscipe  ....  in  'ii-oruld  weorulda.  Auch  bei 
Nestle  A,  46  wird  das  verbum  so  bezogen:  und  das  (sc.  Reich)  ivird  in 
ewigkeit  regieren. 

454  fg. :  pd  ic  .  .  .  fcederfe]  minum  /  .  .  .  .  dgeaf  andstvare,  vgl. 
Nestle  A,  46:  'X^l  meinem  vater,  Unger  305,  11:  vib  fqbor  minn,  ae. 
prosa  (Morris  9):  fm  andsivarode  ic  minum  fceder  and  civceb. 

461:  söh  sunu  meotudes,  vgl.  "W.  st.  304:  6  viög  xov  d-eov  zov 
twvTog,  Leg.  aurea:  esse  Dei  filium,  ae.  prosa  (Morris  9):  Crist.,  pces 
lifigendan  Godes  sunu,  Caxton  157:  sythen  it  was  knoiven  that  he  ivas 
the  sone  of  God. 

462 fg.:  bä  nie  yldra  min  dgeaf  andsioare,  j  .  .  .  fceder  reordode, 
vgl.  Unger  305,  12:  fabir  minn  svarahi,  die  ae.  prosa  (Morris  9):  pd 
civceh  min  fceder  tö  me,  das  Pass.  273,  53:  sprach  min  vater  ivider  mich. 

464fg.:  godes  heahmcegen ,  j nergendes  naman,  vgl.  Unger  305, 13: 
at  mikill  kraptr  fylgir  nafni  hans. 

413i'g.:  fmnne  ü^iveotan  ceht  bisceton,  /  on  sefan  söhton,  scheint 
dem  lat.  sed  qnia  arguebcmt  seniores  et  pontifices,  ideo  comlemnaverunt, 
wie  es  Holder  A  bietet,  besser  zu  entsprechen,  als  dem  text  der  A.SS. 
■  47 9 fg.:  J)eah  he  sume  hwile  j  on  galgan  his  gast  onsoide.  Dazu 
lässt  sich  vielleicht  Gr.  530  vergleichen:  onen  vxd  7;/~  arD-our/toTr^zi  e&a- 
vdviüoav  avTov. 

491  fg.:  P)d  for  lufan  dryhtnes  /  Stephanus  ivces  stdnum  ivorpod, 
vgl.  Unger  305,  20:  fyrir  P)at  leto  Gybingar  Stephanum  beria  griöti. 


ZUR    QUELLE    VON    CYNEWULFS    ELENK  11 

497:  Säivlcs  Idrum.  Auch  Nestle  B,  58  bietet  Said,  desgleichen 
W.  st.  305:  ^avlog,  Holder  s.  6:  Saulus. 

522:  fortan  ic  pe  Ichx  piirh  leohrüne,  /  hijsc  Uofesia,  vgl.  die 
ae.  prosa  (Morris  9):  ic  leere  pe,  min  liofa  bearn,  pect  pü. 

531  fgg.:  nü  ge  geare  ciinnon  j  i^vioko)  hivcet  eoiv  pces  on  sefan 
seiest  pince  /  to  gecy^anne,  gif  beos  cwen  üsic  j  frigneb  ymb  pcet  [fyrn]- 
treo,  etc.  Ursprünglich  wird  der  dichter  etwa  gesagt  haben:  'min  wisst 
ihr  genau,  (was  ich  weiss  und  ich  frage  euch)  was .  .  .  .'  Man  vgl. 
Nestle  A,  46:  und  siehe,  alles  habe  ich  vor  euch  erzählt,  und  tvenn 
die  kaiserin  u)is  fragt,  was  ivollt  ihr  ihr  sagen?  resp.  ß,  58:  tvelche 
anticort  sollen  ivir  ihr  geben?  Gr.  530  bietet:  ti  v(.iiv  öoyiü  tzeqI  tov- 
tiov;  läv  ovv  locorrjOi]  /;//ac  tceql  toü  ocavQOv  fj  ßaaiXiooa,  ri  i^oviiiEv 
avrfj;  Unger  hat  305,  31  nach  A:  nn  megit  per  cetla,  hver  svgr,  — 
nach  B:  7m  megit  per  veita  her  um  svqr  Jmu  sem  —  fmr  vilit  hafa 
fyrir  yhr,  ef  Elena  drötning  ....  Vgl.  Pass.  273,  79  fg.:  Des  schowef 
selbe  und  seht  dar  xuo,  Wie  icir  ivollen  tverben  iiti  (ohne  entsprechung 
in  der  Leg.  aurea). 

536  fg. :  him  Jxi  tögenes  ....  ivordum  mceldon,  ebenso  Nestle  A, 
46:  sie  sprachen  aber  xu  ihm,  und  B,  58:  und  sprachen  xu  ihm. 

541  fg. :  dö,  sivd  J)e  pynce,  j  .  .  .  gif  pü  frugnen  sie.  Naher,  als 
der  text  der  A.SS.,  kommt  diesen  versen  Gr.  427  b:  oh  d/ro-AQivov  rceql 
j-tärciov.     Nestle  A,  471  hat:  So  iveisst  du  es  besser,  als  luir  alle. 

555 fgg.:  lieo  icceroyi  gearive,  geöjnormode  j  leodgebyrgean,  pd  hie 
labod  tcceroti  /  .  .  .  16  hofe  eodon,  vgl.  Pass.  273,  94fg. :  Sus  quämen  si 
>.ur  kunigtn  Mit  gröxen  vorchten  genuoc  (nicht  in  der  Leg.  aurea). 

558  —  63:  pci  sie  cwen  ongan  j  iveras  ebresce  ivordum  negan,  / 
fricggan  ....  htvä,r  se  peoden  geprowade.  Hierzu  bietet  nur  die  Leg. 
aurea  s.  308  ein  gegenstück:  et  illa  eos  interrogasset  de  loco,  ubi  fuerit 
dominus  crucißxus,  vgl.  Caxton  157:  and  demaunded  theym  the  place 
where  our  lord  Jesus  Cryst  had  be  crucefyed. 

573:  Elene  mapelade  ond  him  yrre  oncivceb^  vgl.  A.  Boll.  416,  19: 
ögyiodeioa  i)  ßaaihaaa. 

574  —  79:  'ic  eow  tö  söhe  secgan  tville,  .  .  .  .  gif  ge  Jyissum  lease 

leng  gefylgah  j pcet  eow  in  beorge  bcelfyr  nimeh,  /  hattest  heaboivelma, 

vgl.  die  ae.  prosa  (Morris  11):  söblice  ic  secge,  pcet  ic  eoiv  ealle  on  fyre 
häte  forbcernan,  biiton  ge  me  söplice  gecypan  pd  hdlgan  Cristes  rode. 
Auch  das  Pass.  hat  274,  16 fgg.  eine  längere  directe  rede. 

584fg.:  Öa  ivurdon  hie  deabes  on  ivenan,  /  cides  ond  endelifes, 
vgl.  asohwed.  legendär  s.  871:  tha  gafuo  the  wt  Judam,  redde  for 
ellenom  (eldhinC).    Cynewulf  hat  wol  in  seiner  quelle  qui  cum  iimuissent 


12  HOLTHArSKN 

ignem  gefunden.  Vgl.  auch  Pass.  274,  28fgg.:  Seht,  9vä  des  hekcn 
vinres  lAn  An  den  Juden  ivorchte,  Dax  ieglich  sich  ervorchte. 

585 fg.:  ond  fickr  fid  cenne  heUehton  j ])dm  ivces  Judas  nania  j 

.  .  .])one  hie  Jtcere  cwene  dgefon,  stimmt  ziemlicli  genau  zu  Nestle  B,  58: 
lieferten  ih?'  einen  von.  ihnen  aus,  dessen  nanic  Judas  irar,  sowie  zur 
ae.  prosa  (Morris  11):  and  sealdon  hire  pd  minc  Jte  Judas  tvccs  gehdten. 

598  fg.:  Mo  on  sybbe  forlet  secati  gchivglcne  /  dgenne  eard,  vgl. 
Leg.  aurea  308:  omnes  dimittens. 

608:  hivcet  bü  pces  tö  pinge  pafian  iville.  Da  der  sinn  dieser 
stelle  nicht  ganz  klar  ist,  mag  es  nützlich  sein,  den  Wortlaut  von  Gr.  530 
hier  anzuführen:  o  d^eleig  zwv  ovo  hriXs^ai. 

613 fg.:  o?id  hiui  hldf  ond  stdn  /  on  gesihhe  bü  [saviod]  gcwcorhah. 
Näher  als  der  text  der  A.SS.  steht  diesem  passus  die  fassung  der  ae. 
prosa  (Morris  11):  and  man  htm  leege  töforan  stdnas  and  hldfas. 

615  fg. :  p(Bt  he  pone  stdn  nime  j  2vib  hungres  hleo,  hldfes  ne  ginie. 
Hier  gilt  dasselbe,  vgl.  die  prosa  a.a.O.:  pect  iville  ctan  Jm  stdnas  and 
Icetan  pd  hldfas. 

619:  Hini  p)d  SCO  eadige  andwyrdc  dgeaf,  vgl.  Gr.  530:  ?)  de  rcobg 
avTÖv  ecpr],  die  ae.  prosa  (Morris  11):  hini  Jm  töcukeh. 

624fg. :  hnwr  seo  röd  ivnnige  radorcyninges ,  j  hdlig  ander  hrüsan, 
vgl.  6  GTavQÖg  ToC  y^Qiovov  Gr.  532.  427b.  432a,  A.  BoU.  416,  28,  hvar 
kross  Krists  er  {folginn  B)  Unger  306,  16,  hwdr  sio  hdlige  rode  Crisies 
gehealden  sg  ae.  prosa  (Morris  11). 

642:  ^lene  mäkelnde  him  on  andsivare,  vgl.  W.  st.  306:  cltvo- 
yiQi&sToa  de  f]  f.iay.aqia  'EXevtj  llyei ,  ae.  prosa  (Morris  11):  him  and- 
ivyrde  seo  mdra  cwen  Elene. 

645 fg.:  sivd  Troidna  j  Jnirh  gefeoht  frcmedon  =  Unger  306,  19: 
fyrir  myldo  lengra  var  orrosta  i  Tröia. 

656 fg.:  WC  pces  hereiveorces, . . . .  j  for  nydpearfc  ncah  ('f'J  uiyndgiaj), 
vgl.  Unger  306,  22:  af  pvi  er  pat  vifat,  drötning,  at  pat  er  alt  d 
bökom  skrifat. 

662:  him  seo  regele  cwen  dgeaf  andsware,  vgl.  Gr.  432  a:  djte- 
y.Qid^t^  fj  ßaoilioaa  und  532:  efptj  avvio  i)  ßaalliaace. 

669:  him  oncivceh  hrahe  cdseres  nrng^  vgl.  Gr.  532:  "klyu  aviot 
Yj  i.ia'A.aQta  '^EXevrj. 

670 fgg.:  hivcet,  ive  J)cet  hyrdon  purh  hdlige  bcc  /  hrelehum  cyhan, 
Juet  ähangen  luces  /  on  Caluarie  cyninges  freobearn.  Vgl.  dazu  Nestle 
B,  59:  ich  habe  cnis  dem  heil,  cvangelium  gelernt,  dass  er  an  einem 
ort,  der  schädelstätte  genannt  icird,  gekreuxigt  ivnrde,  und  die  ae.  prosa 


ZDR    QUKLLK    VON    CYNEWULFS    ELENE  13 

(Morris  11):   ic  hcebbe  gerckl  on  Jnhn  hülguni   Crisles  höcum,  Ixet  seo 
stöiv  hätte  Caluarie  locmn,  pe  üre  hcelendes  röd  on  gehealden  is. 
675:  Jnvär  seo  stöiv  sie  =  ae.  prosa  ib.:  hiccer  s/'o  slow  stf. 

079  fgg.:  pcet  nie  heilig  god  /  gefylle  ....  feores  ingepanc,  /  •  ■  ■ 
ivillan  minne,  vgl.  Gr.  532:  'Avqiog  6  Oeög  Ttoirjoei  (.lov  xiiv  e7ridvf.iiav^ 
oder  A.  Boll.  417,  5:  y.al  ovrcog  TtXi^qwaco  f.tov  irjv  srcid^vfxiav. 

682:  Jiire  Judas  oncwceh  =  ae.  prosa  (Morris  1 1):  hire  midswarode 
pd  Judas  eft  and  civceb. 

685:  Elene  ma^elode  Jjurh  eorne  hgge,  iihnlich  hat  ünger  806,28: 
pd  reiddix  Elena  ok  mcelti,  und  das  mbd.  gedieht  v.  189:  doch  diu 
frou-e  in  xorne  spracli. 

686 fg.:  ic  ptcct  geswerige  purh  sunu  meotodes,  j  pone  dhangnan 
god,  vgl.  Xestle  B,  59:  Bei  Cliristus  schivöre  ich,  der  gekreuzigt  wurde, 
Pass.  274,  86:  bt  dein  gekriuzegeten  ic/i  siver. 

690:  o)id  ine  .  .  .  sab  gecyhe  =-  Leg.  auroa  308:  nisi  mihi  dixeris 
reritatem. 

693;  in  drygne  seah  entspricht  dem  tv  cp^eazi  ^ijqm  W.  st.  307, 
Gr.  427  b  und  532,  in  puteuni  siccum  der  Leg.  aur.  und  seah  der  ae. 
prosa  (Morris  11),  iiito  a  drye  jjytte  Cax.ton ,  j  diuiMstan  therran  brun 
aschwed.  leg.  s.  87,  6,  ertgrübe  mfrk.  leg.  v.  573,  cysterne  Pass.  274,93. 
Vgl.  dazu  Golther  im  Lit.bl.  sp.  62. 

695:  hungre  gepweatod  und  698:  meteleas  entsprechen  dem  uoliov 
avid%>  diaueh'ai  von  Gr.  532  und  W.  st.  307  (ohne  avtbv).,  sine  cibo 
uianentem  ^lombv.  und  Holder  A,  sine  cibo  ...et  ibidem  famis  molestia 
cruciari  (=  and  there  tourmented  hym  by  himgre  Caxton)  Leg.  aurea, 
ok  var  hann  par  matlauss  Unger  306,  31,  büton  mte  ae.  prosa  (M.  11), 
während  es  in  dem  me.  gedichte  A,  v.  282  (Morris  43)  heisst:  P'or  strong 
luinger  loude  he  criecle  pene  senepe  dag  und  B  (Horstm.  s.  60)  v.  223 fg.: 
Ärul  pore  Jie  lay  in  mirknes  grete  Seuyn  dayes  tvith- outen  drink  or 
mete.  Das  aschvved.  leg.  s.  87,  7  liest:  swelia  til  cUdh  .  .  .  .  simtta  dagh 
ncer  (dedh)  suitin,  das  mhd.  ged.  v.  198 fgg.:  unt  niemen  liez  im  xezzen 
geben,  dar  in  er  siben  tage  'lac,  Daz  er  ezxens  nicht  enphlac,  das  Pass. 
s.  275,  1:  liez  man  in  wesen  imgexxen.  Auch  der  lat.  hymilus  bei 
Holder  s.  42,  v.  75  darf  wol  verglichen  werden:  Pmcis  amore  cibique 
ßagrans. 

700:  ofbyssum  earfehum,  vgl.  W.  st.  307,  4:  l/.  cov  Aa//ot',  Unger 
300,  32:  ör  grqfinni,  Mombr. :  educite  me  hincf 

701 :  J)cet  hdlige  treo  entspricht  dem  pd  hdlgan  Oristes  rode  der 
ae.  prosa  (Morris  11). 


14  HOLTHÄUSEN 

709:  J)d  hcet  gelifp'de  sio  pcer  hcele^um  scead,  vgl.  das  rahd.  ged. 
V.  205:  Do  diu  frqwe  daz  erhört. 

710 fg.:  hio  hebead  hrahe,  j  J)cet  hine  man  .  .  .  üp  forlete,  vgl. 
Nestle  A,  48:  da  befahl  die  kaiserin  ii.  man  brachte  ihn  herauf,  Gr.  432  b: 
tövs  ly.iXevo€v  avibv  ij  ßaoiliaaa  dvevey&Tp'aL ,  das  mhd.  ged.  v.  206:  si 
hiez  in  h'ingen  an  den  bort. 

714fg. :  ond  hine  .  .  .  üp  gelceddon  /  of  carcerne,  vgl.  das  me.  ged. 
B,  V.  231  (bei  Horstm.):  fro  prisun  pan  was  Judas  tone,  Pass.  275,  15: 
dö  huob  man  in  zu  hant  hervür,  den  hymnus  v.  Slfgg.:  Post  ea  dicta 
manus  iuvenum  Funibus  exhibitis  miserum  Faecibus  eripiendo  luii 
Exposuit  super  ora  lad. 

716fg.:  stöpon  pä  tö  p)cere  stöive . . . .  j  on  pä  dune  üp,  Öe  dryhten 
dr  I  ähangen  ivcßs  .  .  .  .  on  galgan,  vgl.  Gr.  532:  ilS^iov  av  toj  xotim 
£vd-a  loTavQcoS^iq  6  xqigtoq^  die  ae.  prosa  (M.  11):  J)e  üre  hcelend  on 
ähangen  wces,  Pass.  275,  18tg. :  Judas  ginc  vor  an  die  stat  Calvarie 
üf  den  hübet. 

726:  dryhten  hdlend=i\e.  prosa  ib.:  min  drihten  hcelend. 

121 :  purh  pines  tvuldres  mihi,  vgl.  Nestle  A,  48:  durch  seinen  tvink. 

728  fg.:  ond  holmjwcece,  j  sa's  sidne  fcchm,  samod  ealle  gesceaft, 
vgl.  die  ae.  prosa  ib.:  ond  sce  and  ealle  gesccefta. 

732  fgg.:  ond  pü  sylf  sitest  .  .  .  .  j  ofer  päm  cebelestati  engelcynne, 
vgl.  hvl  Tüv  ysQovßlu  Gr.  428  a  =  yfir  Cherubin  Unger  307,  5;  das 
mhd.  gedieht  bietet  v^.  215:  ivan  du  sizzest  üf  cherubin. 

734:  pe  geond  lyft  fa?'a^,  vgl.  Mombr.:  in  aera  currentia. 

751  fgg.:  hälig  is  se  hdlga  heahengla  god,/weoroda  ivealdend!  is 
hces  tvuldres  fulj  heofun  ond  eor^e  .  .  .  .,  vgl.  heilig,  heilig,  heilig  ist 
der  herr  der  heer schar en ,  von  dessen  ehren  die  erde  voll  ist  Nestle  B,  60, 
äyiog,  ä.,  a.  6  ■/.vQiog  oaßßaiod-  (soweit  auch  Gr.  432b),  Tth'jQtjQ  ö  ovqavbq 
yicti  r)  yfj  ifjg  do^tjg  oov,  Gr.  428a  (cf.  Is.  VI,3:  Sanctus,  s.,  s.  Dominus 
Deus  exercituum,  ple7ia  est  omnis  terra  gloria  ejus,  oder  wie  es  in 
der  kathol.  messliturgie  heisst:  S.  s.  s.  Dominus  Dcus  Sabaoih!  Pleni 
sunt  coeli  et  terra  gloria  tua,  wie  bei  Gretser). 

755 fgg.:  pe  man  seraphin  /  be  narnan  heilet.  H[i]e  sceolfon] 
neorxnawang  j  ond  lifes  treo  legene  sweorde  j  hälig  liecddan.  Heardecg 
cwacap,  I  beofa^  brogdenmcel  ond  bleom  wrixleh  /  gräpum  gnjrefcest. 
In  Cynewulfs  quelle  stand  gewiss  die  bekannte  stelle  aus  Gen.  III,  24: 
et  coUocavit  ante  paradisum  volupiatis  Cherubim,  et  flammeimi  gladium, 
atque  versatilem,  ad  custodiendam  viam  ligni  vitae  —  oder  er  hat 
diesen  passus  selbst  auf  grund  seiner  bibelkenntnis  hinzugefügt. 


ZUR    QURLLR    VON    CYNEWDLFS    ELENR  15 

TGlfgg.:  womfulle  j  scyldwyrcende  .  .  .  wotihydige  entspricht  eher 
dem  toiig  d/teid-r]oavTag  dyytloig  bei  Gr.  532  und  W.  st.  307,  als  dem 
incredibües  der  A.SS. 

76 5 fg.:  pdr  hie  ...-./  dreogap  deahcivale  in  dracati  fcebvie,  vg]. 
vjCÖ  dQay.övran'  '/.oXaLÖfievoL  Gr.  428a,  432b  und  A.  Boll.  417,  28,  et  ibi 
sunt  siih  profundinn  ahyssi  a  draconis  foetore  cruciandi  Mombr. 

784:  gedönä,  fceder,  \g\.  et  nunc,  domine,  /ac  ?ioöz5  etc.,  Mombr. 

788:  unde)'  beorJihlixSe,  vgl.  ovra  iv  /.Qv/tvß  Gr.  534  und  A.  Boll. 
418,  3,  während  die  W.  st.  308,  5:  y.£yiQVf.ijLi8va  ev  np  jvoiaf-iü  bieten. 
Zur  saeho  vgl.  Holders  anmerkung  zu  z.  253  auf  s.  24  und  O.F.  Emerson 
in  den  Mod.  Lang.  Notes  XIV,  6.  —  Ib.  bdn  Josephes  ist  =  ossa  Joseph 
Mombr.  und  die  Gebeine  Josephs  Nestle  A,  48;  B,  60. 

789:  lueroda  wfynj  ==  i/ivQiE  Gr.  534. 

799:  sdivla  nergend,  vgl.  oioTtjQ  rüfj  -/.ÖGf-iou  Gr.534  u.  A.  Boll.  418,  6. 

801:  walde  ividan  ferh^,  vgl.  Nestle  B,  60:  dass  er  herrscht  in 
alle  ewigkeiten,  ünger  307,  16:  ok  hefir  eilift  veldi  um  allar  aldir. 

81 7 fg. :  J>at  hu  md  ne  sie  ininra  gylta,  /  .  .  .  .  gemyndig,  vgl. 
Nestle  B,  61:  gedenk  nicht  gegen  mich  an  meine  sünden,  Gr.  534.  428a, 
W.  st.  308,  A.  Boll.  418,  12:  dnrriaivA/.i^oov  [rw  dovX(o  oov  Gr.  433a) 
tVci  (fehlt  Gr.  534,  W.  st.)  rcug  auaqviaig  f,iov,  Holder:  [imjjnemor  sis 
peccatorwn  meoriini  A,  meorum  pecc.  B,  esto  peccata  mea  C,  Mombr.: 
imm.  esto  mei  peccati,  Unger  307,22:  mun  pü  eigi  syn^ir  minar. 

819 fgg.:  Icet  mec  .  .  .  .  /  on  rimtcde  rices  pines  .  .  .  ivunigan  /  .  .  . 
pccr  is  bröhor  min  /  •  •  •  Stephanns,  vgl.  die  ae.  prosa  (Morris  13):  and 
ic  möte  bion  on  pchn  gerimtccle  mid  minum  bröper  Steffane. 

823:  geweorhod  in  ivuldre,  vielleicht  ist  zu  vergleichen  Nestle 
B,  61:  der  heute  triumphirl  und  W.  st.  308:  iievd  xov  d^iov  aov  yeva- 
fiivov  ^T€g)dvov. 

826  fg. :  sint  in  böcum  his  j  ivundor  pd  he  tvorhte,  on  geivritum 
cißed,  vgl.  die  ae.  prosa  (Morr.  13):  pe  fiola  goddra  dckla  siond  be  hini 
divritene  gernang  pära  apostola  umndorgetvurcum.' 

829:  eines  anhydig,  vgl.  Unger  307,  24:  af  qllo  afli. 

831  fg.:  behelede,  j under  neolum  niher  ncfsse  gehydde  j in  peostor- 
cofan,  vgl.  Unger  307,  25:  folgna  i  iqr'60. 

840:  l)d  ivces  mödgcmynd  mychim  geblissod,  vgl.  die  ae.  prosa 
(Morris  13):  pid  ivces  he  söna  sivipe  blipe. 

847 :  dsetton  pd  on  gesyhbe  sigebeamas  111/  eorlas  .  .  .  fore  FAenan 
cneo,  vgl.  Nestle  A,  49:  und  brachte  sie  zu  der  gläubigen  (fehlt  B,  61) 
kaiserin,  A.  Boll.  418,  19:  jcqooif/uyEv  ^lovöag  rovg  rqelg  OTavQovg  tTj 
ßaoilioor]   (=  Gr.  422),    Leg.  aurea   308:    quas    ad    reginant    protinns 


16  HOLTHADSEN 

deportavit,  Unger  307,26:  ok  v{)ro  bornir  {bar  B)  at  Eleno,  nie.  ge- 
dieht A,  V.  307  fg.  (MoiT.  45):  Ac  noßeles  heo  nomen  alle  preo,  and  to- 
ward  toune  hem  bere,  To  Eleyne,  pe  goode  qweene,  ivip  ivel  glade  chere, 
Pass.  276,  9:  die  brächter  hin  der  vroiveii..    Im  übrigen  vgl.  Zapitza. 

849fg.:  civen  iveorces  gefeah  j  on  ferhhsefan,  vgl.  Gr.  534:  /)  de 
d/volaßoüaa  xovg  oravQOvg  (.levä  yaqäg  i-isyaki^g,  Pass.  276,  13  fgg.: 
Mit  ganxen  vreüden  miioste  sfti  Helena  din  hünigin  Um  denselben 
riehen  vunt. 

851  fg. :  on  hivylcum  pära  beama  bearn  wealdendes  /  .  .  .  .  hangen 
ivcere,  vgl.  Nestle  B,  61:  ivelches  von  ihnen  dasjenige  sei,  an  dem 
Christus  gekreuzigt  ivurde,  ae.  prosa  (Morr.  11):  on  hivylc  piosse  röda 
üre  hcelend  dhangen  ivcere,  Pass.  276,  16fgg. :  iedoch  so  ivas  ir  imkiint 
An  endehaftem  mere  Welch  dax  kriuxe  luere  Dar  üffe  unser  herre 
starb,  lat.  hymnus  r.  102:   Quae  foret  illa  ferens  dominum. 

853  fgg. :  hiva-t,  we  pcet  hyrdon  Jyurlt,  hälige  bec  /  •  •  ■  pc^t  t wegen 
mid  hini  j  gepröwedon,    ond  he  u'ces   pridda   sylf  /  on  rode   treo,  vgl. 

Gr.  534:  oXöaf.iev  ydq  oct  GureocavQdjd-r^aav  toj  xqiotcü  ovo  h^oval 

'Aad-dig  o\  evayyeliovat  yQcccpovaiv. 

860 fgg. :  ne  meahte  hire  Judas,  ne  fiil  gere  wiste ,  j  siceotole  gecypan 
be  harn  sigebcame,,  on  hivylcne  se  hcelend  ähafen  wcere^  vgl.  Nestle  A, 
49:  er  sprach:  'ich  weiss  es  nicht',  Unger  307,28  B:  Judas  kvex  eigi 
vita,  hverr  sä  kross  var,  sem  Kristr  var  pindr  ä,  die  ae.  prosa  (M.  13): 
pd  nyste  Jiidas  hire  pcet  tö  secgenne,  me.  ged.  v.  305  (Morr.  43):  ac  he 
nuste  ivlmch  of  pe  preo,  Jie  holy  crois  pat  heo  souhten^  whuch  of  pe 
preo  hit  mihte  beo,  Caxton  p.  158:  and  by  cause  he  knewe  not  ivkiche 
was  the  Crosse  of  our  lord,  das  mhd.  ged.  v.  237  fg. :  du  weste  niht 
Judas,  Welhx  under  in  dax  rehte  tvas. 

863fgg.:  ckr  he  asettan  heht  /  on  pone  middel,  vgl.  Gr.  534:  rove 
Ti^TjOiv  avTovg  {.doov,  Mombr. :  et  poneiis  (sc.  ÄeZ.),  ae.  prosa  (Morr.  13): 
ac  genam  pd  Öa  prio  röda  and  gesette  heo. 

864:  pcere  uiceran  byrig,  vgl.  die  ae.  prosa  ib.:  Juerc  waldorfallan 
byrig. 

865 fg. :  ond  gebidan  Juer,  !  oö  ^Scet  him  gecybdc  cyning  celmihtig  j 
luundor  for  weorodum,  vgl.  Unger  307,  29  (B):  Juir  stöhn  menn  yfir 
uppi  ok  bibu  iartegna  af  gu^i. 

880:  pära  röda  tivä,  vgl.  Unger  308,  2:  tvd  krossa. 

900 :  on  lyft  ästäh  könnte  durch  eine  mit  Holder  A ,  288  gleich- 
lautende vorläge:  cum  furore  vocis  ferebatur  in  aera  wol  veran- 
lasst sein. 


ZUR   QUELLE   VON   CYNEWDLFS   ELRNB  17 

91 8 fg. :  min  is  geswihrod  j  rcvd  imder  roderiim.  ic  pd  rode  ne 
pearf  j  hlcahtre  lierigean,  vgl.  Gr.  433a:  /.ai  ölo.  xod  oravQOd  y.atelv&i] 
tö  ejitdv  v.QccvoQ  Y.al  t)  e^ovoia. 

92'2fgg. :  ic  Jmrh  Judas  dr  /  hyhtfnl  geicear^,  vgl.  Unger  308,9: 
J)at  rar  /'y)'r,  er  Jiidas  veiiti  mer  li6  at  pri ,  sem  (ek)  vilda  fram  koma. 

924:  purh  Judas  eft,  vgl.  Gr.  433a:  /mI  Ttdliv  tö  öevxEQov  did 
^loiöa,  Unger  308,  10:  enn  ml  kemr  Judas  annarr. 

925 fg.:  gen  ic  findan  can  /  .  .  .  ivibercyr  sibhan,  vgl.  Leg.  aurea 
309:  verumtamen  tibi  vicem  rependam. 

927  fg.:  ic  äivecce  tvih  he  j  oherne  cyning,  vgl.  Gr.  433a  und 
W.  st.  309,  ß:  /Mxa  oov,  Leg.  aurea  309:  et  co7itra  te  regem  aliimi 
suscitaho. 

929:  ond  he  forldte^  Idre  pine,  vgl.  die  Leg.  aurea  ib.:  qui  ßdem 
deserens  crndßxi. 

930:  07id  mdnpeawum  mtnum  folgaj),  vgl.  Holder  296:  et  meis 
sequatur  cousiUis  A,  während  BC  exequitur  (-quetur)  consiliis  lesen. 
A'gl.  Zupitza  zur  stelle.  Das  rahd.  ged.  v.  260  hat:  der  tnot  ouch  gar 
den  lüillen  mtn. 

931  fg. :  ond  pec  ponne  sendet  in  pd  stveartesta?i  j  ond  pd  ivyr- 
resian  witehrögan,  vgl.  A.  Boll.  419,  2:  deivalg  'Aal  Tror/Jlaig  Tif.i(OQiaig, 
Holder  297:  immittet  te  {mittet  te  in  DE)  iniquis  tormentis  B. 

934:  J)dm  hü  Ju/rdest  är,  vgl.  Nestle  ß,  62:  deii  du  jetzt  be- 
kannt hast. 

938:  iveallende  gewitt  passt  besser  zu  Holders  fervens  298  ABC, 
als  zum  fremens  der  A.SS. 

949  fg. :  ond.  on  fyrbcehe  /  siislum  beprungen  syhhafi  tvunodest, 
vgl.   A.   Boll.   419,  5:    elg   ttjv    iayavtjv   yial   öeivtjv  '/.olaoiv  slg    zu   oöv 

oi'ATjtrjQlOV. 

962:  gode  pancode ,  vgl.  Gr.  536:  ttjv  (.liv  övvaf^iv  tov  xqLOioi) 
sdo^aoe. 

1007  fg. :  heht  hire  P)d  dras  eac  gebeodan  j  Constantinus ,  p(Bt  hio 
cirican  pdr  /  on  pdm  beorhhUhe  ....  getimbrede  .  .  .  .  on  Caluarie  .... 
pdr  sio  hdlige  röd  j  gemeted  tvces,  vgl.  die  ae.  prosa  (Morr.  15):  aiid 
cirican  het  getimbriaii  on  pckre  ilcan  stowe,  pe  seo  röd  on  dfiinden 
ivcps,  sied  hire  sunu  Const.  dr  beboden  hcefde. 

1029fgg.:  pdr  bih  d  gearu  /  ivrahu  wannhdlum  mlta  gehwylces,  j 
scece  and  sorge,  hie  söna  pdr  j  purh  pd  hdlgan  gesceaft  helpe  findap,  / 
godcunde  gife,  vgl.  das  me.  ged.  B  (Horstm.  s.  62)  v.  343  —  46:  And 
sone  when  it  ivas  peder  broght,   Fro  sere  sides  men  peder  soght  (.  .  . 

ZKITSCHRIFT    F.  DF.UTSCHE    PHILOLOGIK.       BD.  XXXVII.  2 


IS  HOLTHAUSEN,    7.VH    QUEIJ.K    VON    OYNKWULVS    ELEXE 

inanij  wonders   uns  ßare  wroght   ms.  Tib.);   And  fnl  grete  grace   iva 
pore  schewd  And  grete  releue  to  lerd  and  Iciide  (345  fg.  fehlen  ms.  Tib. 

1065  fg.:  J)e  "^ces  nergendes  j  fet  purhtvudoii  ond  his  folme  siVi 
some,  vgl.  i^estle  B,  62:  die-  in  seine  hände  und  fiisse  eingeschlage 
waren,  die  ae.  prosa  (Morris  15):  pe  üres  hmlendes  handa  and  Ms  f( 
Jjiirh  üdrifene  wceron,  das  mhd.  ged.  v.  277fg. :  die  Jesu,  hl  den  tage 
Durch  hende  vnt  füexe  icurden  geslagen,  das  Pass.  277,  47fgg.:  di. 
xfio  des  hriu.\es  aste  Waren  geslagen  vaste  Durch  den  heiligen  lih. 

1067fg. :  mid  püm  071  rode  ivces  rodera  ivealdend  j  gefcestnod,  vgl 
das  me.  gedieht  A  (Morris  47)  v.  348:  lühencitli  anr  lord  uns  inylei 
to  pe  ireo. 

1068 fg.:  Ije  hdm  frignan  ongan  j  cristenra  civen  /  Ogriacus  hcea 
vgl.  W.  st.  310,5:  devTi-Qag  ovv  LTjT/joscüg  ye.rof.itvtjg  tcpiq  t)  ^iu/mqu 
'^EXivri  TiQog  tov  ^foi'dav  zbv  /.al  KvQicr/.di'  '/TQoaovo^iaod^lvva. 

1078  fg.:  mec  pcera  rufgla  gen  /  on  fgrhhsefan  fyrwet  mgngap 
vgl.  A.  Boll.  419,  28:  iyvMxca  Xncri  xfj  ipvyjj  fiov. 

1082 fg:  d  min  läge  sorga<S  j  . . .  ond  gereste()  nö,  vgl.  Nestle  B,  62 
u)u.l  nicht  ruht  mein  herz. 

1086:  purh  pära  nregla  cgme,  vgl.  A.  Boll.  419,  29:  /.al  (pavEovjGi 
fiül  avtoi'g. 

1095:  glccdmud  eode,  vgl.  das  mhd.  gedieht  v.  281:  mit  andäht 
Pass.  277,  53:  mit  gröxer  andächt. 

1106:  pxer  lite  to  sdgon,  vgl.  (ir.  536  und  A.  Boll.  420,  7:  u  /.ai 
o'i  nuQttyEvöf^iEvoL  eldov.     Die  A.SS.  haben  adcrainus,  vidinms! 

1115  fg. :  ncEglas  of  nearive  neo^an  scinende  j  leohte  Uxtou,  vgl. 
W.  st.  310:  l'la!.n],iav ,  Leg.  aurea  309:  fulgentes  in  to'ra,  ae.  prosa 
(Morris  Ib):  .  .  .  on  pdre  eorpan  scinan  and  hlican  sivd  pcet  seloste 
gold,  Caxton  s.  158:  he  founde  them  shynyng  as  golde,  aschwed.  leg. 
87,  27:  ok  fem  them  sJcinandhe  som  gut,  Pass.  277,  60fg. :  sach  er  dort 
in  der  erde  Die  nagele  gllxen  alle.  Cynewulf  las  offenbar  auch  fulgentes 
in  seiner  quelle. 

11 26 fg.:  Öa  wccs  geblissod  ....  hisceop  .  .  .  he  päni  nccgluni  on- 
feng  /  egesan ,  gedclod ,  vgl.  ae.  prosa  (Morris  17):  J)ä  se  biscop  .  .  .  . 
mid  mycelre  Misse  and  mid  gefean  genani  ]m  nceglas.-,  das  mhd.  gedieht 
V.  292:  mit  ßntiden  kom  er  gegän. 

1129fg. :  jKcre  ärivyr^an  j civeiie ,  vgl.  ae.  prosa  ib.:  to  pdre  drwurpan 
civene  El,  Pass.  277,  65:  xuo  der  edelen  vroiven. 

1138:  J)e  hire  brungen  ivces,  vgl.  W.  st.  310:  ovotceq  de^a/iuvi^. 

1139:  gode  pancode,  vgl.  Nestle  B,  Q>^:  pries  sie  Christus,  Gr.  538 
und   A.  Boll.  420,  13:  EvyaQiair^Ge  reo  y.rQiio. 


NKCKKI,,  ZUR  V()LSU.N"liA  SAGA  UND  DKN  KDDALIKDKHN  l)Ki;  LÜCKE  19 

11 58 fg.:  to  hicaii  h/o  J)d  na'f/Ias  srlost  j  ond  drorfko.st  .ycdon 
nieahte,  vgl.  Nestle  B,  Oo:  ans  diesen  inUjehi,  Gr.  588:  t/  7roii]oei  lohc, 
hfii'oi'C,  ib.  428  b:  zu  il  ar  yioi/^aoi  rov^  ijloi\:,  die  ao.  prosa  (Morr.  17): 
////  J/Io  yuibe  J>d  nceglns  beist  gedön  miliic. 

llTHfg. :  pH  hds  nceglas  hat  /  pdm  .  .  .  .  oii  Itis  bridcls  dun,  vgl. 
Mombi'. :  fac  eos  fahricari  in  frcnol 

llM^tg.:  ]hcs  cgnhigen  sceal  j  niearh  ....  tnidlinn  f/eweor(Sod ,  vgl. 
A.  Boll.  120,  22:  tu  i/ci  toj  xalirto  tov  HjcjCOv  vov  ßaailloQ  li/iov, 
Monibr.:  quod  est  in  freno  equi  regis. 

1194fg.:  bi^  pect  bmcen  gode  j  hälig  nenmed,  vgl.  A.  Boll.  420,  22: 
|/.(.'/  a)'io\'\  /.'Lri^l^Gtim  kTj  /.vQii'j,   Mombr.:    snnctuui  doviino  vocabiiiir. 

1197 fg.:  pd  pect  ofsilice  ecdl  gekesfe  /  FAene,  vgl.  ae.  prosa  (Morr. 
17):  and  hco  J)d  sird  dydc,  "währeud  Gr.  538  bietet:  o  v.ai  "kaßwv 
jce/cohj/.ei'. 

1219:  pd  hfo  ures  stbes  füs  /  eß  tu  eNe,  vgl.  Nestle  B,  64:  und 
mit  grosser  ehre  and  im  frieden  schied  sie,  das  mhd.  B.  d.  m.  v.  300: 
die  l.ünegin  gein  Bnme  l.ert,  aschwed.  log.  s.  87,  29:  Helena  for  hem. 
Im  übrigen  vgl.  Zupitza  zur  stelle. 

ICIEI,.  F.  HOLTHAUSEN. 


ZUE  VQLSUNOA  SAGxV  UND  DEN  EDDALIEDEEN 
DER  LÜCKE. 

Die  frage,  wie  die  VQlsunga  saga  für  die  reconstruction  des  ver- 
lorenen teils  des  cod.  reg.  der  Eddalieder  zn  verwerten  sei,  haben  in 
den  letzten  jähren  Hensler  (Germanistische  abhandlungen  1  fgg.)  nnd 
nach  ihm  Boer  (Zeitschr.  35,  464  fgg.)  untersucht.  Boer  findet  in  der 
methode  seines  Vorgängers  ein  subjectives  dement,  das  er  seinerseits 
ausschalten  möchte.  Er  gelangt  indes  zu  aufstell ungen,  die  an  kühn- 
heit  m.  e.  beträchtlich  über  Heusler  hinausgehn.  Sie  bedürfen  einer 
rovision  umso  dringender,  als  wir  uns  darüber  entscheiden  müssen,  wie 
weit  das  bild  der  Br3-nliilddichtung,  das  Heusler  auf  grund  seiner 
kritik  so  feinsinnig  entworfen  hat,  als  durch  Boer  zerstört  gelten  soll. 
Ich  glaube  zur  Verständigung  über  diese  dinge  einiges  beitragen  zu 
können  und  gebe  im  folgenden  meine  ansieht  über  die  entscheiden- 
den punkte  von  Boers  aigumentation  und  damit  über  einen  teil  der 
Probleme  selbst. 

2* 


20  NECKEL 

1. 

Dass  bei  t3.  28,  16  (Ranisch)  und  weiter  bei  29,  144  mit  Heusler 
nähte  anzunehmen  sind,  kann  nicht  geleugnet  werden,  am  wenigsten 
bei  der  ersten  stelle.  Auch  Boer  leugnet  es  nicht.  Er  geht  aber  noch 
einen  schritt  weiter.  Wenn  sein  Vorgänger  das  ganze  zwischenliegende 
stück  einem  und  demselben  gedichte,  der  Siguröar  kvicSa  meiri,  zu- 
gewiesen hatte,  so  erkennt  er  innerhalb  desselben  noch  einen  fremden 
bestandteil  in  29,  4  — 48. 

Der  Widerspruch,  den  Boer  hier  ins  feld  führt,  ist  nicht  hinweg- 
zudisputieren.  Im  gegenteil,  betrachtet  man  den  Zusammenhang  auf- 
merksam, so  kann  der  anstoss,  den  man  bei  29,  48  nimmt,  nur  grösser 
werden.  Alles  zusammengenommen,  geben  folgende  tatsachen  bedenken 
ab  gegen  die  partie  vor  29,  48.  1.  Die  dienerinnen  benehmen  sich  wie 
unsinnige,  und  eine  namens  SvafrloÖ  gibt  auf  GuÖrüus  frage  die  ant- 
wort:  vär  kqll  er  füll  af  harmi.  Das  kann  doch  wol  nur  auf  den  lauten 
auftritt  gehn,  den  Brynhild  verursacht  hat.  Wenn  GuÖrün  von  dem 
lärm  nichts  gehört  hat,  so  heisst  das,  dass  sie  eben  hinzutritt.  Eine 
zeile  weiter  aber  liegen  die  frauen  in  den  betten,  Guörüu  erwacht  am 
morgen  und  richtet  an  ihre  vi7ikona  eine  aufforderung.  2.  Brynhild 
hat  sich  eben  noch  sehr  wach  gezeigt,  und  doch  soll  sie  29,  51  und  73 
geweckt  werden.  3.  Gunnar  und  Hggni,  die  sich  29,  56fgg.  zu  Brynhild 
begeben,  sind  nach  dem  context  schon  vorher  bei  ihr  gewesen.  Der 
erstere  kommt  sogar  z.  144  zum  dritten  mal.  4.  Nachdem  eben  eine 
hirhko7ia  Svafrlqh  namhaft  gemacht  ist,  heisst  es  z.  48:  pä  mcelti  Ouhrun 
tu  sinnar  vinkonu. 

Für  solche  Widersprüche  und  widerholungen  wird  niemand  den 
sagaschreiber  verantwortlich  machen  wollen.  Er  hat  sie,  wie  es  scheint, 
selbst  bemerkt  und  versucht,  ihnen  die  spitze  abzubrechen.  Die  ant- 
woit  der  SvafrloÖ  dürfte  im  original,  nachdem  sie  etwa  so  allgemein 
angehoben  wie  in  der  saga,  doch  auf  eine  wirkliche  auskunft  hinaus- 
gelaufen sein.  Und  die  art,  wie  Gunnarr  und  HQgni  z.  57 fg.  abgetan 
werden,  sieht  ganz  danach  aus,  als  hätte  der  sagaschreiber  auch  hier 
gekürzt,  um  nicht  ähnliche  Situationen  dicht  hinter  einander  doppelt 
auszumalen. 

Aus  dem  vorliegenden  Sachverhalt  zieht  Boer  den  schluss,  dass 
auch  bei  29,  48  die  quelle  wechsle.  Den  anfang  des  fremden  Stückes 
sucht  er  bei  29,  4.  Er  zögert  nicht,  die  so  ausgeschiedene  partie  an 
28,  16  anzuschliessen.  Dass  dies  richtig  sei,  beweise  sofort  der  erste 
satz.     Denn  die  frage,   die  Brynhild   hier  an  ihren  mann  richtet,  'was 


ZUR    VOLSÜNGA    SAGA    UND    DEN    EDDALIEDERN    DER    I,UCKE  Jl 

hast  du  mit  dem  ring  gemacht,  den  ich  dir  gab?'  weise  iiuf  die  öcene 
am  fluss  zurück. 

Jedoch  auf  diese  beobachtung  etwas  zu  bauen,  geht  nicht  an. 
Brynhild  schweift  nämlich  unmittelbar  nach  jener  frage,  ohne  die  ant- 
wort  abzuwarten,  auf  ein  ganz  anderes  thema  ab.  Sie  erzählt  umständ- 
lich, wie  es  gekommen  sei,  dass  sie  Sigurd  zum  manne  wählte.  Dass 
hier  die  'strenge  logik'  fehlt,  hat  auch  Beer  gesehn.  Aber  bei  dem 
versuch,  sich  damit  abzuünden,  berücksichtigt  er  eine  möglichkeit  nicht, 
die  m.  e.  sehr  zu  erwägen  ist.  Der  sagaschreiber  kann  jene  frage  der 
Brynhild  aus  eigner  erfindung,  in  erinnerung  an  die  senna,  hinzugefügt 
haben,  um  dem  eingang  ihrer  rede  einen  einigerraassen  lebenswahren 
anstrich  zu  geben. 

Dass  in  einer  intakten  poetischen  quelle  die  frage  nicht  die  ein- 
leitung  zu  dem  folgenden  gebildet  haben  kann,  ist  leicht  zu  zeigen. 
Brynhild  ist,  indem  sie  diese  frage  stellt,  des  unerschütterten  glaubens, 
Gunnarr  und  kein  anderer  habe  seinerzeit  den  ring  von  ihr  empfangen, 
und  dieser  müsse  auf  unrechtmässige  weise,  jedenfalls  durch  die  schuld 
Gunnars,  in  Sigurds  bände  gekommen  sein.  Im  folgenden  dagegen 
zeigt  sie  offene  Verachtung  für  ihren  mann,  schmäht  ihn  wegen  seiner 
feigheit  und  spricht  es  unverhohlen  aus,  dass  sie  den  kühnen  Sigurd 
zum  gemahl  erkoren  hatte.  Offenbar  würde  sie  jetzt  nicht  mehr  daran 
zweifeln,  dass  der,  der  den  ring  von  ihr  empfangen,  Sigurd  gewesen  ist. 
Ein  so  plötzlicher  Umschwung  der  Überzeugung,  wie  wir  ihn  hier  dem 
sagaschreiber  glauben  sollen,  bedeutet  einen  der  grellsten  Widersprüche 
in  dieser  ganzen  mit  Widersprüchen  so  reich  gesegneten  partie.  Der 
abrupte  Übergang  29,  6  ist  nur  das  signal  dafür,  dass  hier  inhalts- 
gruppen  zusammengefügt  sind,  die  von  hause  aus  nichts  mit  einander 
zu  schaffen  haben. 

Nun  erlaubt  aber  der  gedanke,  der  der  frage  zu  gründe  liegt, 
nirgends  eine  anknüpfung,  und  ebensowenig  die  notiz,  dass  B.uÖli  der 
Brynhild  beim  abschiede  einen  ring  geschenkt  habe.  Man  kann  sich 
auch  schwer  vorstellen,  wie  in  der  poetischen  darstellung  Brynhild 
noch  nach  der  senna  an  ihren  mann  geglaubt  haben  sollte.  So  lässt 
sich  die  stelle  garnicht  anders  deuten  denn  als  erfindung  des  saga- 
schreibers.  Als  solche  betrachtet,  gibt  sie  nach  allem,  was  wir  sonst 
über  seine  redactortätigkeit  wissen,  nicht  den  geringsten  anstoss. 

Der  Satz  also,  für  den  man  nicht  nach  der  vorläge  fragen  darf, 
]autet:  livat  gerbir  pi'i  af  hriny,  peim  er  ek  selda  per,  er  Bubli  konungr 
(jaf  vier  ai  efsta  skilncuSi  (29,  5 — 7).  Was  folgt,  bildet  einen  rückblick, 
der  die  handlung  nicht  weiterschiebt  und  sich  also  besser  mit  dem  stil 


der  ÖigiirÖar  kviöa  meiri  verträgt  als  etwa  mit  der  seuna.    Wie  kommt 
dieses  stilistisch   imanstössige  stück  zu  den  inhaltlichen  Widersprüchen 

gegen  das  na- hfolgende? 

2. 

Für  die  beantwortung  dieser  frage  scheint  mir  Eoer  noch  nicht 
das  ganze  material  beigebracht  zu  haben.  Der  abschnitt  leidet  über- 
haupt an  einer  gewissen  Unklarheit.  Brynhilds  erzählung  läuft  darauf 
hinaus,  dass  Sigurd  kühner  und  ihrer  würdiger  sei  als  Gunnarr,  der 
bleich  geworden  wäre  wie  eine  leiche.  Sie  fügt  hinzu,  sie  sei  eid- 
brüchig, weil  sie  sich  dem  herrlichsten  beiden  gelobt  habe  und  jetzt 
doch  eines  andern  weib  sei.  Endlich  fällt  noch  ein  böses  wort  über 
Grimhild.  Hier  befremdet  verschiedenes.  Zunächst  die  häufung  der 
klagen  und  vorwürfe,  die  Brynhild  nach  einander  ausstösst,  um  so  mehr, 
als  die  einzelnen  einander  zuwiderlaufen.  Wem  hat  Brynhild  sich  denn 
gelobt?  dem  Graniritter  (z.  17),  dem  manne,  der  ihre  bedingungen  er- 
füllte (r^5^  Diinn  vapioga  ok  drcepi  .  .  menii  .  .),  oder  endlich  dem, 
der  ügcextr  vceri  alinn  (z.  24)?  Wenn  hier  kein  Widerspruch  vorliegt, 
so  doch  arge  Verwirrung.  Auch  vermisst  man  die  eigentliche  haupt- 
anklage, die  Br3mhild  auf  dem  herzen  haben  musste:  den  betrug.  Kein 
wort  davon.  Die  klage  über  den  eidbruch  folgt  unvermittelt  auf  die 
erzählung  von  Sigurds  unerschrockenheit  und  Gunnars  feigheit. 

Einiges  licht  bringt  hier  die  längst  constatierte,  auch  von  Beer  in 
anderm  zusammenhange  gewürdigte  tatsache,  dass  der  in  rede  stehende 
abschnitt  nahe  berührungen  aufweist  mit  der  Siguröar  kviöa  skamma. 
Strophe  35  —  39  dieses  gedichtes  gehen  parallel  mit  z.  7 — 18  unseres 
capitels.  Noch  die  gegenüberstellung  Gunnars  und  Sigurds  z.  20  —  22 
klingt  an  str.  39,  5 — 8  an,  ebenso  der  ausdruck  ek  munda peini  eimiui 
Unna  z.  23  —  24  an  str.  40,  1:  unna  einum  \  ne  ymissuiu.  Der  saga- 
abschnitt verdankt  seine  mangelhafte  anpassung  an  den  Zusammenhang 
augenscheinlich  der  aufnähme  von  Strophen,  die  Sig.  sk.  35fgg.  sehr 
ähnlich  waren  und  ursprünglich  nicht  in  die  Sig.  meiri  hineingehörten. 
—  Bemerkt  sei  dabei  noch,  dass  auch  Boer  (a.  a.  o.  478  f.)  auf  audenn 
wege  dazu  gelangt  ist,  z.  7 — 22  für  interpoliert  zu  halten. 

Ehe  wir  aus  dem  bisher  vorgebrachten  einen  schluss  ziehen, 
können  wir  an  unserm  verdächtigen  abschnitt  noch  eine  beobachtung 
machen,  die  für  seine  bcurteilung  wichtig  ist.  Z.  26  fg.  klagt  Brynhild 
die  Grimhild  an  und  wird  von  Gunnarr  zurechtgewiesen.  Ebenso  wollte 
Brynhild  28,  60  'kein  hehl  daraus  machen,  dass  sie  der  Grimhild  nicht 
wol  gesonnen  sei';  und  damals  hatte  GuÖrün  daran  anstoss  genommen 
und  ihr  solche  reden  verwiesen.    Eine  ähnliche  widerholung  liegt  29,  32 


ZVIt    VOLSUNGA    SAGA     CNH     HKN     KIMiAl.IKDEltN     HKI;    LirKF.  23 

vt)i',  uü  Bryuhild  erkläi't:  ckkl  linfimi  rrr  latutpiny  liaft  nc  üddhlr.  gqrt. 
Die  zweite  beteuerimg  ist  die  antwort  auf  einen  vorwarf  Gunnars,  die 
erste  dagegen  schwebt  in  der  luft,  wenn  man  nicht  bei  z.  30  fg.  der 
quelle  die  lesart  zutrauen  will:  'nicht  liebte  sie  ihren  mann  so  wie  du 
den  deinen',  d.  h.  sie  war  ihm  nicht  untreu.  Launping  haß  kehrt  aber 
fast  wörtlich  wider  28,  40  fg.,  wo  ebenfalls  Brynhild  sagt:  eklci  hr>fum 
n'r  laiinmali  liaft. 

Diese  widerholuugen  sehen  ganz  danach  aus,  als  verdankten  sie 
ihr  dasein  lediglich  dem  sagaschreiber.  Er  hilft  ja  auch  sonst  gelegent- 
lich seiner  phantasie  mit  reminiscenzen  nach.  So  zeigt  der  kämpf  gegen 
Lvngvi  c.  17  berührungen  mit  der  paraphrase  des  ersten  Helgiliedes 
in  c.  0.^  Der  grund  dieser  anleihen  ist  wol  der,  dass  bei  c.  17  die 
quelle  dem  autor  zu  dürftig  floss.  Meinte  er  sie  doch  auch  durch  eine 
schablonenhafte  kampfschilderung  ergänzen  zu  sollen,  wie  er  sie  ganz 
ähnlich  schon  in  c.  11  angebracht  hatte.'  Möglicherweise  lag  ihm  für 
den  kämpf  mit  Lvngvi  noch  eine  strophe  mehr  vor  (aus  der  dann  die 
schöne  formel  Mla  geisa  eld  ok  isarn  z.  33  geflossen  wäre),  als  der 
Cod.  reg.  uns  bewahrt  hat.  Aber  die  Überlieferung  war  doch  wol  frag- 
mentarisch, und  so  wurde  sie  nach  der  Schablone  vervollständigt. 

Ganz  ähnlich  lag  die  sache  bei  c.  29.  Auch  hier  befand  sich  die 
quelle  in  zerrüttetem  zustande.  Sie  hob  unvermittelt  mit  einem  rück- 
blick  der  Brynhild  an,  der  w^ahrscheinlich  sehr  mangelhaft  in  den 
dialog  verwebt  war.  Man  darf  annehmen,  dass  auch  das  folgende  keinen 
befriedigenden  Zusammenhang  ergab.  Ist  es  da  zu  kühn,  wenn  man 
auch  die  widerspräche,  die  bei  29,  48  auf  einander  prallen,  aus  dem 
stark  verderbten  zustande  des  gedichtes  erklärt?  Einiges  spricht  sogar 
direkt  dafür,  dass  auch  die  quelle  von  z.  22  —  48  interpohcrt  war.  Hier 
finden  sich  nämlich  ebenso  wie  in  dem  vorhergehenden  stück  berüh- 
rungen mit  Sig.  sk.  Man  vergleiche  Brynhilds  klage:  'nie  siehst  du 
mich  wider  froh  in  deiner  halle'  usw.  (z.  37  fg.)  mit  str.  10,  7  — S  {man 
ek  itna  aldri  meb  r/Mngi)  und  11,  5  —  6  {par  miink  sitja  ok  sofa  Ufi). 
Ferner  erinnern  das  zerreissen  des  gewebes  und  die  weithin  hörbaren 
harmreden  an  Gudruns  händeschlagon ,  das  die  gänse  kreischen  macht, 
und  an  ihr  lautes  weinen  Sig.  sk.  29  tg.  Die.se  ähnlichkeiten,  zusammen 
mit  dem  Widerspruch,  in  dem   diese  stellen  gegen  das  folgende  stehn, 

1)  17,  13CV.9,  1)6;  17,  13-14cvj0,  12  fg. 

2)  Vergl.  dio  gegen übenstclhiug  bei  Sijnious  JJoitr.  3,  229.    Diese  kaiiipfsuhilde- 
rung  weist  ihrerseits  nicht  direkt  auf  poeti.scbe  vorlagen,   sondern  gehört  demjenigen  . 
)>rosaiscIien  stil  an,  der  durcli  die  fiöreks  saga  vertreten  wird.     Vergl.   Edzardi,  cinl. 
zu  seiner  übers.  XXXllI,  XXXVII. 


24  NECKEL 

machen  secimdären  Ursprung  der  ganzen  partie  wahrscheinlich.  Endlich 
lassen  sich  auch  die  reminiscenzen,  die  der  sagaschreiber  angebracht 
hat,  dafür  anführen,  dass  in  der  quelle  nicht  alles  in  Ordnung  war. 

Wie  weit  diese  Unordnung  gieng,  können  wir  nicht  genau  sagen, 
da  sie  sicher  durch  den  bearbeiter  noch  verschlimmert  wurde.  Er  hat 
z.  b.  die  forderungen  der  Brynhild  an  ihren  freier  aus  c.  27,  52  fg. 
widerholt.  Dieselbe  stelle  verrät  auch  durch  die  anordnung  der  motive, 
dass  die  vorläge  hier  nicht  treu  festgehalten  ist.  Nachdem  nämlich 
Brynhild  z.  17  von  ihrem  gelübde  gesprochen  hat,  schweift  sie  plötzlich 
ab,  um  z.  22  wider  darauf  zurückzukommen.  Diese  art,  sich  zu  wider- 
holen, begegnet  unserm  autor  auch  sonst,  sobald  er  sich  nicht  an  eine 
unmittelbare  vorläge  bindet,  z.  b.  48,  61  fg.;  43,  66 — 71;  Ragnars  saga 
c.  12  [Vißlsborg)  und  ebd.  c.  15  {gityhja  mundii  grisir). 

Je  länger  wir  diese  partie  prüfen,  um  so  niedriger  müssen  wir 
ihren  quellenwert  veranschlagen.  Wäre  sie  nicht  verhältnismässig  zu 
reich  an  echt  aussehenden  einzelheiten,  so  müsste  die  möglichkeit  er- 
wogen werden,  dass  wir  hier  überhaupt  keinen  eddischen  boden  unter 

den  füssen  haben. 

3. 

Zu  fragen  bleibt,  ob  nicht  doch  am  beginn  von  29  die  vorläge 
wechselt.  Es  unbedingt  zu  verneinen,  ist  bedenklich.  Offenbar  hatte 
die  Variante  zu  Sig.  sk.  35fgg.,  womit  Brynhild  z.  7  anhebt,  nach  vorne 
hin  keine  anknüpfung.  Eine  solche  hat  erst  der  sagaschreiber  notdürftig 
hergestellt.  Dadurch  wird  es  recht  fragwürdig,  wie  die  ihm  vorliegende 
handschrift  ausgesehen  haben  mag.  Auch  der  schlusssatz  von  28  lässt 
vermuten,  dass  hier  die  quelle  abbrach.  War  es  nun  eine  lücke  vor 
der  Interpolation,  oder  fehlte  die  fortsetzung  ganz? 

Ersteres  ist  m.  e.  wahrscheinlicher.  Denn  wie  Heusler  a.  a.  o.  70 
hervorhebt,  zeigt  die  ganze  reihe  der  gespräche  von  28,  16  bis  29,  144 
dieselbe  physiognomie:  sie  sollen  die  seelenstimmung  der  heldin  be- 
leuchten, dienen  also  einem  ähnlichen  zweck  wie  die  langen  Unter- 
redungen zwischen  GuÖrün  und  Atli  in  den  Atlamäl.  Sieht  man  von 
dem  anfangsstück  des  c.  29  ab,  so  ergeben  diese  auftritte  einen  mannig- 
faltigen Wechsel  der  personen  und  motive,  ohne  störende  widerholungen 
und  Widersprüche.  Sie  enthalten  eine  kunstvolle  Steigerung  bis  zu  der 
grossen  scene  zwischen  den  beiden  zunächst  beteiligten  29,  71  fgg. 
GuSrün  hat  mit  ihrem  manne  über  das  seltsame  wesen  der  Schwägerin 
gesprochen  (28,  16  —  26).  Sie  hat  selbst  vergebens  versucht  sie  zu  be- 
ruhigen (28,  26 — 78).  Wie  jene  fortgesetzt  schmerz  und  groll  zur 
schau  trägt,  will  sie  eine  freundin  zu  ihr  schicken.     Dann  schickt  sie 


ZOK    VOLSÜNGA    SAGA    UND    DEN    EDDALIEDERN    DER    LÜCKE  25 

Gunnarr,  nach  ihm  HQgni  (29,48  —  61).  SchHesslich  spricht  sie  noch 
einmal  mit  Sigurd  und  bewegt  ihn  zu  der  trauernden  hineinzugehen 
(29,  61 — 71).  Und  Sigurd  ist  es  vorbehalten,  diese  zum  sprechen  zu 
bringen. 

Der  gang  der  iiandlung  von  29,  48  an  zeigt  Verwandtschaft  mit 
der  anläge  des  ersten  Gudrunliedes.  Dort  versuchen  jarlar  und  jarla 
bruhir  die  stumm  an  Sigurds  leicho  sitzende  GuÖrün  zum  weinen  und 

—  was  für  die  zwecke  des  gedichts  wichtiger  ist  —  zum  reden  zu 
bringen,  bis  es  endlich  der  GullrQnd  gelingt.  Aber  dieser  parallelismus 
spricht  keineswegs  dafür,  dass  bei  29,  48  der  anfang  eines  gedichtes 
anzusetzen  sei.  Die  grosse  scene  zwischen  Sigurd  und  Brynhild  ist 
keine  Situationspoesie  wie  das  Gudrunlied.  Letzteres  beschränkt  wie 
alle  Vertreter  seiner  gattung  den  direkt  vorgeführten  abschnitt  der  hand- 
lung  auf  ein  minimum.  Die  einleitung  und  so  etwas  wie  einen  schluss 
fügt  es  der  klage  der  GuÖrün  nur  deshalb  an,  weil  sich  dadurch  ge- 
legenheit  bietet,  um  den  rückblick  der  heldin  noch  eine  anzahl  kürzerer 
tregrof  zu  gruppieren.  Die  einleitung  ist  wol  durch  anlehnung  an  das 
Sigurdslied  von  c.  29  zustande  gekommen. 

Dieses  lied  seinerseits  war  aber  aus  anderem  stoff  geschnitzt.  Seine 
redescenen  sind  dramatisch  belebt.  Die  Charaktere  der  auftretenden 
personen  sind  ihm  die  hauptsache.  Die  klimax  von  der  Weigerung  der 
vinkona  bis  zu  Brynhilds  geständnis:  per  skal  ek  segja  mina  reihi  (z.  78) 
fliesst  aus  dem  einen  grundmotiv:  Brynhild  liebt  Sigurd.  In  all  dem 
rasenden  schmerz  und  groll  ist  dies  gefühl  für  sie  noch  bestimmend. 
In  dem  Wortwechsel,  der  nun  folgt,  entfaltet  sich  Brynhilds  Charakter 
zu  imposanter  grosse.  Vorher  stand  mehr  GuÖrün  im  Vordergründe. 
So  wie  GuÖrün  sich  in  den  gesprächen  von  c.  28  zeigt,  ängstlich  und 
versöhnlich,  so  tritt  sie  später  auch  dem  von  der  jagd  zurückkehrenden 
Sigurd  gegenüber.  Durch  ihre  tränen  bewogen,  betritt  Sigurd  den  saal 
der  Brynhild.  An  dieser  stelle  stehn  die  drei  hauptcharaktere  des  ge- 
dichts in  schärfster  beleuchtung  neben  einander.  C.  28  ist  deutlich  die 
Vorbereitung  zu  der  hier  beginnenden  grossen  scene. 

Ich  glaube  demnach  mit  Heusler  die  hauptmasse  der  beiden  ca- 
pitcl  einem  und  demselben  gedichte  zuweisen  zu  sollen.  Die  anstösse, 
die  der  erste  teil  von  29  gibt,  erkläre  ich  aus  dem  mangelhaften  zu- 
stande der  quelle,  die  hier  eine  durch  jüngere  zusätze  unvollkommen 
ausgefüllte  lücke  enthielt. 

4. 

Boers  anknüpfung  des  verdächtigen  Stückes  von  29  an  die  senna 

—  um    darauf  noch   einmal   zurückzukojnmen   —   ist  schon  deswegen 


unannehmbar,  weil  keine  genügenden  gründe  dafür  ungefülirt  sind. 
Es  dürfte  sich  überhaupt  kein  einigcriuassen  gewichtiges  factum  finden 
lassen,  das  dafür  spräche,  wol  aber  solche,  welche  dagegen  sprechen. 
Beer  selbst  hat  beobachtet  (a.  a.  o.  477fg.),  dass  die  hvot  (29,  144fgg.) 
sich  Avol  an  die  senna,  nicht  aber  an  29,  4  —  48  anschliessen  lässt. 
Seiner  annähme  von  der  einheit  der  letztgenannten  abschnitte  zuliebe 
zerreisst  er  den  Zusammenhang  zwischen  senna  und  hvot.  Dieser  Zu- 
sammenhang ist  aber  so  evident  (Heusler  60 fg.),  dass  er  den  besten 
beweis  gegen  Boers  verfahren  abgibt.  Die  hvQt  ist  mit  dem,  was  ihr 
in  der  saga  vorangeht,  unvereinbar.  Dagegen  schliesst  sie  sich  vor- 
trefflich an  28,  16  an,  wo  eine  evidente  naht  liegt.  Der  so  hergestellte 
Zusammenhang  wird  nicht  nur  durch  die  deutschen  quellen  als  alt  er- 
wiesen, er  ist  auch  der  natürlichste,  der  nur  gewünscht  werden  kann. 
Bringt  doch  die  hvot  genau  das,  was  wir  nach  der  senna  erwarten 
müssen:  Brynhild  hat  den  betrug  durchschaut  und  beschreitet  nun  den 
einzig  gegebenen  weg,  um  Sigurd  fallen  zu  sehn.  Die  entscheidung 
kann  nicht  lange  zweifelhaft  sein,  soll  man  zwischen  dieser  Fortsetzung 
und  der  von  Boer  angenommenen  wählen.  Denn  der  einzige  punkt, 
der  für  letztere  zu  sprechen  scheint,  geht,  wie  wir  oben  gesehen  haben, 
gar  nicht  auf  die  quelle  zurück.  Da  die  hvQt  die  senna  voraussetzt 
und  fortsetzt,  so  beruhen  beide  auf  demselben  gedichte.  Wenn  Boer 
s.  477  dagegen  anführt,  dies  erkläre  sich  auch  durch  die  annähme,  der 
dichter  der  hvot  habe  die  senna  aus  der  tradition  gekannt,  so  könnte 
das  ebenso  gut  auf  seine  eigenen  aufstellungeh  angewandt  werden,  Nie- 
mand wird  aber  so  leicht  an  den  sonderbaren  zufall  glauben  wollen, 
dass  der  sagaschreiber  gerade  das,  was  der  h votdichter  durch  tradition 
gekannt  haben  soll,  ein  paar  Seiten  vorher  nach  poetischer  vorläge 
paraphrasiert.  Diese  vorläge  ist  eben  mit  dem  gedieht,  das  die  hvot  ent- 
hielt, identisch. 

5. 

Die  fortsotzung  der  hvot  erblickt  auch  Boer  in  der  hinter  der 
lückc  des  regius  einsetzenden  strophenreihe,  dem  sogen.  Brot.  Zu  der 
art,  wie  er  diese  frage  entscheidet,  kann  ich  nicht  umhin,  eine  be- 
merkung  zu  machen.  Ausschlaggebend  ist  für  ihn  der  umstand,  dass 
Brynhild  die  anklage,  die  sie  29,  147fg.  gegen  Sigurd  erhoben  hat,  in 
den  beiden  letzten  Strophen  des  fragments  zurücknimmt.  Also  eine  ge- 
wisse Symmetrie  im  bau  des  gedichtes  wird  angenommen.  Boer  ist 
der  ansieht:  was  ein  wahrer  dichter  anfieng,  wird  er  zu  ende  geführt 
haben.  Trotzdem  leugnet  er,  dass,  wie  Heusler  behauptet  hatte,  im 
Brot  ursprünglich  auch  der  tod  der  heldin  dargestellt  war.    Ebenso  gut 


ZÜK    VOLSrNCiA    SAGA    UND    HKN    KltDALlK.UKKN    VEH    UCKK  J^ 

könne  man  verlangen,  die  geschichte  bis  zum  Untergang  der  Nibelungen 
oder  gar  des  liamöir  und  Sgrli  fortgeführt  zu  sehn.  Aber  wie  grund- 
verschieden diese  beiden  forderungen  von  der  Heuslerschen  sind,  ist 
leicht  zu  sehn.  Das  Interesse  des  heldendichters  ist  vorwiegend  bei 
seelischen  vergangen.  Er  muss  den  stium  in  der  socio  der  Brynhild 
bis  zur  katastrophe  austoben  lassen.  Ihr  eutschluss,  der  Wahrheit  die 
ehre  zu  geben,  ist  der  entschluss  einer  sterbenden.^  Das  ist  sicherlich 
auch  die  auffassung  des  dichters  gewesen.  Sein  gedieht  wäre  eine  kühle 
Studie,  hätte  es  ihn  nicht  fortgerissen,  das  in  verse  zu  giessen,  was 
seiner  phantasie  vorschwebte,  und  dadurch  seinem  werke  erst  den 
künstlerischen  abschluss  zu  geben.  Ein  dichter,  der  auf  der  tradition 
fussend,  einen  alten  sagenstoff  neu  gestaltet,  definiert  doch  nicht  sein 
thema  mit  logischen  distinctionen  und  befleissigt  sich,  da  aufzuhören, 
wo  die  immer  im  äuge  behaltene  definition  es  verlangt.  Das  thema, 
oder  vielmehr  der  stoff  war  in  seinen  grundzügeu  ja  gegeben.  Der 
dichter,  der  sich  auf  seine  weise  in  ihn  hineingelebt  hatte,  reproducierte 
ihn  l)is  zu  einer  stelle,  wo  das  nachlassen  der  Spannung  bei  ihm  und 
den  hörern  ein  aufhören  gestattete  oder  forderte.  Davon  legt  der  ganze 
habitus  der  eddischen  dichtung  beredtes  zeugnis  ab.  Es  ist  ganz  un- 
denkbar, dass  eins  dieser  gedichte  eine  lösung  der  aufgäbe  darstelle, 
die  'weise'  zu  besingen,  'wie  Brynhild  Gunnar  dazu  brachte,  Sigurd 
zu  töten'. 

6. 
Das  gedieht,  das  mit  den  Brotstropheu  und  dem  tode  der  Biyn- 
hild  abschloss,  —  man  vergleiche  das  scenarium  bei  Heusler  62 fg.  — 
lässt  sich  nach  vorne  bis  in  c.  26  verfolgen.  Wir  verdanken  diese  ein- 
sieht Beer,  der  s.  472  zeigt,  wie  in  c.  2()  zwei  darstellungen  nach  ein- 
ander aufgenommen  sind.  Was  er  im  übrigen  zur  Zweiteilung  der 
quellen  in  c.  26.  27  beibringt,  fällt  zum  grossen  teil  mit  seiner  kritik 
von  29.  Einige  seiner  argumente  sind  überdies  solcher  art,  dass  ihnen 
keine  bewciskraft  zugestanden  werden  kann.  Mögen  immerhin  Wider- 
sprüche, vorsichtig  verwertet;  nach  der  negativen  seite  beweisend  sein, 
so  sind  doch  Übereinstimmungen  es  noch  nicht  nach  der  positiven. 
Angenommen,  teile  von  27  gehörten  wirklich  mit  dem  anfangsstück  von 
29  zusammen,  so  enthielte  das  gedieht  unerträgliche  widerholungen. 
Mir  scheinen  die  .s.  470  aufgofühiien  fälle  nur  die  beobachtung  zu  be- 

i)  VL'rgleiclii)ar  i.st  tSigny-s  aiifklävendc  redo  vor  ciein  tode,  VqIs.  S,  1 16  — 125. 
Mit  ihrem  ausruf:  skol  ck  nä  dcijja  mal  Slyfjelri  kunitngi  hdig,  er  ck  dlld  liatiii 
naiidifi,  scbliesst  doch  wol  das  Sigoylied. 


28  NECKEL,  ZUR  VOLSÜNGA  SAGA  UND  DEN  EDDÄUEDERN  DER  LÜCKE 

stätigeD,  dass  die  paraphrase  im  anfangsstück  von  29  viele  rerainis- 
cenzen  birgt.  Ähnlich  erwägt  Boer  weiter  unten  die  möglichkeit,  dass 
ein  satz  der  hvot  —  vil  ek  eigi  tvd  menn  eiga  senn  i  einni  h(ßl  — 
aus  der  mein'  stamme,  weil  eine  kurze  strecke  zurück  mit  etwas  andern 
Avorten  genau  dasselbe  steht.  Aus  dieser  beobachtung  würde  aber  eher 
die  Unmöglichkeit  als  die  möglichkeit  folgen,  läge  es  nicht  auf  der  iiand, 
dass  es  nur  der  sagaschreiber  ist,  der  sich  hier  widerholt.  Wir  sehen 
aus  der  stelle,  wie  sorglos  er  mit  dem  Wortlaut  seiner  quellen  umgeht. 

Das  lehrt  ja  nicht  nur  diese  stelle.  Es  ergibt  sich  aber  daraus 
die  Warnung,  es  mit  dem  prosawortlaut  der  VqIs.  s.  nicht  allzu  genau 
zu  nehmen.  In  dieser  beziehung  hat  Boer  m.  e.  widerholt  fehlgegriffen. 
Allerdings  ist  es  unwahrscheinlich,  dass  ein  einzelner  satz  aus  einer 
besonderen  vorläge  entnommen  sein  sollte,  wie  er  s.  466  bemerkt,  aber 
keineswegs,  dass  ein  solcher  satz  nach  der  erinnerung  an  eine  andere 
quelle  hinzugetan  ist.  Der  sagaschreiber  hat  aber  nicht  bloss  zwei 
quellen  mit  einander  verquickt,  auch  sein  eigner  gesunder  menschen- 
verstand  hat  ihm  streiche  gespielt. 

Dies  ist  die  auf  der  band  liegende  folgerung,  wenn  man  str.  22.  23 
mit  der  umgebenden  prosa  vergleicht.  Die  Widersprüche,  die  Boer  hier 
herausfindet  (Zeitschr.  35,  310  fg.),  laufen  z.  t.  darauf  hinaus,  dass  der 
autor  den  poetischen  text  nicht  scharf  ins  äuge  fasst,  sondern  einzel- 
heiten,  die  ihm  der  Zusammenhang  mit  sich  zu  bringen  scheint,  arglos 
hinschreibt,  auch  wenn  sie  dem  vielleicht  gerade  hier  von  ihm  citierten 
gedichte  zuwiderlaufen.  Überdies  ist  der  zweimalige  versuch  Gunnars, 
durch  das  feuer  zu  reiten,  wol  in  einer  strophe  erzählt  gewesen,  die 
vor  22  stand  und  nicht  mitgeteilt  wird.  Wenn  Boer  sich  darüber 
wundert,  dass  das  feuer  bei  annäherung  der  freunde  zu  lodern  und 
die  erde  zu  beben  anfängt,  so  scheint  mir  die  sache  einfach  so  zu 
liegen:  es  geschieht,  damit  Sigurd  seine  furchtlosigkeit  zeigen  kann. 
Die  Strophen  sind  von  begeisterung  für  Sigurds  heldentum  getragen; 
daher  auch  die  mit  fdr  treystisk  anhebende  antithese.  Die  phantasie 
des  dichters  wird  von  der  Vorstellung  des  flammenwalls  in  dem  augen- 
blick  ergriffen,  wo  Sigurd  sich  anschickt,  ihn  zu  durchreiten.  Und  der 
flammenwall  erscheint  nun  als  ein  gegner,  der  sich  zum  tödlichen 
streiche  aufreckt,  aber  wehrlos  vor  dem  Graniritter  zu  boden  fällt. 
Ähnlich  ist  Oddrünargrätr  17,  5  (Bugge)  zu  beurteilen.  Machen  wir  uns 
das  ethos  der  scene  klar,  so  werden  die  reflexionen,  die  Boer  an  das 
erlöschen  des  feuers  geknüpft  hat,  sämtlich  hinfällig.  Der  sagaschreiber 
stellt  mit  der  notiz,  Sigurd  sei  durch  dasselbe  feuer  zu  seinen  freunden 
zurückgeritten  (27,  66 fg.),  seiner  genauigkeit  ein  ebenso  empfehlendes 


GOJtBAULT,    DIE   FRÄNTvISCHK.N'   PSALMRNFRAGMENTE  29 

Zeugnis  aus  wie  kurz  vorher  seiner  ungenauigkcit.  Beide  qualitäteu 
entspriessen  derselben  wurzel:  dem  nüchternen  bestreben,  den  äussern 
apparat  und  das  kostüni  möglichst  erschöpfend  und  vernünftig  aus- 
zumalen. 

Es  liegt  also  kein  grund  vor,  str.  22.  23  von  ihrer  stelle  zu  ent- 
fernen. Wie  aber  iiaben  wir  über  ihre  hcrkunft  und  damit  über  die 
quelle  von  c.  27  zu  urteilen?  Der  grund,  der  Heusler  bestimmte, 
dieses  capitel  von  den  klagereden  zu  trennen  (a.  a.  o.  54),  ist  durch  Boer 
wankend  geworden:  Brynhilds  rückblick  29,  7fgg.  kann  nicht  als  voll- 
giltiger  zeuge  für  die  sagenform  des  Grossen  Sigurdsliedes  aufgerufen 
werden.  Trotzdem  besteht  jene  trennung  ra.  e.  zu  recht.  Einmal  wegen 
der  Gripi.'^spa,  die  dafür  spricht,  dass  im  Grossen  Sigurdsliede  der 
werbungsritt  ohne  erwähnung  der  waberlohe  berichtet  war.  Ferner  ist 
es  wegen  der  stilistischen  Verwandtschaft  wahrscheinlich,  dass  str.  22.  23 
aus  demselben  gedichte  stammen  wie  die  Brotstrophen,  und  das  ver- 
bietet Zugehörigkeit  zu  den  klagereden.  Die  frage  ist  von  geringerer 
tragweite,  weil  eine  besonders  charakteristische  abweichung  dem  Grossen 
Sigurdsliede  bei  dieser  scene  kaum  zuzutrauen  ist.  Auch  darf  man 
hier  wie  sonst  auf  den  Wortlaut  der  saga  nicht  allzu  viel  geben.  Bryn- 
hilds antwort  z.  51 — 55  steht  im  dringenden  verdacht,  der  sehr  ähn- 
lichen scene  in  c.  24  mehr  oder  weniger  zu  verdanken.  Der  dialog 
daselbst  von  z.  54  an  trägt  entschieden  ein  echteres  poetisches  gepräge 
als  die  reden  an  unserer  stelle.  Gewiss  erst  vom  sagaschreiber  stilisiert 
ist  die  höfliche  einräumung  des  freiers:  m^7'g  stöi'virki  hafl  per  unnit. 
Man  vergleiche  damit  im  selben  capitel  z.  15,  femer  c.  40,  8  und  be- 
sonders die  art,  wie  das  gespräch  zwischen  Sigurd  und  der  erweckten 
walkyrje  verfälscht  ist,  20,27—30  und  21,1—4. 

WISMAR.  G.  NECKEL. 


DIE  FEMKISCHEX  PSALIVIENFEAGMENTE. 

I. 
Die  handschriften  dieser  Psalmenreste  sind  von  mir  in  den  jähren 
1901  und  1902  nach  der  zweiten  ausgäbe  von  Heyne  unter  berück- 
sichtigung  der  coUationen  von  P.  Tack  (Tydschrift  v.  N.  T.  en  L.  XY, 
s.  140  fgg.)  und  van  Helten  (Tydschrift  XVI,  s.  77.  78)  neu  verglichen 
worden.  Ich  gebe  hier  meine  von  van  Helten  abweichenden  lesungen 
und  füge  dazu  einige  bemerkungen,  die  ich  bei  der  lektüre  seiner  aus- 
gäbe aufgezeichnet  habe. 


Bö  GOMBÄ.ULT 

|Pss.  I  — III,  5.] 

Am  rande  xler  liandsclirift  stehen  glosson  von  derselben  band, 
die  den  text  geschrieben  hat,  als  Verbesserungen  gemeint.  Heyne  und 
V.  Helten  erwähnen  diese  glossen  nicht,  wol  aber  Halbertsma  (Hulde 
aan  Gysbert  Japiks,  II,  s.  264  fgg.). 

1.  1.  hs.  sandifjero,  rgl.  suml-. 

Für  unfpnethero  muss  mit  rücksicht  auf  imf/enrthegc  1,  5,  /ni- 
geiwthero  1 ,  6  und  die  häufig  vorkommende  Verlesung  von  o  für  e  in 
dieser  hs.  wol  imge-  gelesen  werden;  nu  gonet  here  nohe  hat  m.  e. 
keine  beweiskraft,  da  auch  in  re  nohe  (für  idu(ii)eht)  o  für  e  steht. 

2.  hs.  mulle,  rgl.  miüle;  hs.  siuro,  rgl.  sinro;  hs.  thrkeu,  Halb., 
H.,  V.  H.  thenken;  hs.  nachtts  wie  Halb.,  H.  und  v.  H.  nahtts. 

Die  änderung  von  emin  in  eiiuen  scheint  mir  mit  rücksicht  auf 
enum  1,2,  ejam  206  (1,  2)  und  Ep.  nicht  gerechtfertigt. 

3.  hs.  nuahsemo  sinay,  rgl.  nnachsemo  sinan;  hs.  ninncld,  rgl. 
niucht;  hs.  uit  hrrimllan  sau  wie  H.,  v.  H.  ni  thervallan  san,  rgl.  nit 
ucruallcin  sal. 

4.  Im  facsimile  deutlich  anlncce,  so  auch  Halb.,  Gl.  26  und  Ep.; 
H.  und  V.  H.  a/itlucce,  vgl.  bemcrkung  Gl.  26. 

5.  Gl.  96  hat  bethiit  proptorea  (1,  !")),  so  auch  Ep.;  also  muss  nicht 
ideo  (V.),  sondern  die  Variante  propterea  angenommen  werden. 

6.  hs.  niioz  wie  H.,  oder  miox  wie  v.  H.,  rgl.  iiffox ;  hs.  geuerthe 
wie  351  (1 ,  6)  und  H.,  v.  H.  geuuerthe. 

n,  2.  iiiuthar  zweimal  deutlich,   wie  H.,   v.  H.  zweimal  uudÜiar. 

3.  hs.  cehreran  miir,  rgl.  cebrecan  uuir;  hs.  neruiierfon  mur,  rgl. 
ner-  uuir. 

5.  Deutlich  steht  in  hs.  ohne  den  lat.  text  sal  her  si  von  derselben 
band  geschrieben. 

8.  gevmi  wie  H.,  v.  H.  geiian. 

9.  sirnero  deutlich  n,  Halb.,  H.  v.  H.  sirucro. 

11.  vorton  wie  H.,  v.  H.  uorto7i. 

mendicot,  Gl.  510  mediiot;  v.  H.  ändert  in  mendiot,  Steinmeyer  ^ 
in  mendüot.    ISTatürlich  können  beide  formen  hier  angenommen  werden. 

12.  inauiumne,  wol  zu  ändern  in  nieimanne  (vgl.  salethu  592). 
V.  H.  ändert  in  niniianne  das  in  graphischer  wie  Steinmeyers  niauuanne 
in  formeller  hinsieht  nicht  zu  empfehlen  ist. 

13.  liur  tuuriste  wie  Halb,  und  H.,  Gl.  154  hirtiir  urisie,  v.  H. 
kur  tuurste. 

]|  Aiiz.  f.d.  alt.  XXIX,  .")3fgg. 


UTK    FRÄNKlSniF.X    rSAl.MKNTK'ArfMKNTK  31 

)ion  cum,  H.  und  v.  H.  ändern  in  tlidu,  aber  itati  für  iiuati(ne) 
(vgl.  benmjon  für  bemiugon  2,  11)  ist  m.  e.  eher  graphiscli  vax  roclit- 
fertigen,  vgl.  für  o  statt  a  unten  Gl.  403. 

III,  1.  deutlieii  hs.  (icmcuiohfeldeide,  nicht  wie  Halb.  H.  v.  IL 
(/('i//((///ioh-. 

f).  /mar;  statt  y  kann  auch  it  gelesen  werden. 


[LTIT,  7-LXXIII,0.1 

LIII,  9.  arhiidin  wie  H.,  v.  H.  arbeidin.  Für  '^sconiwda  kann 
natürlich  desnexit  (V.)  und  respexit  (var.)  angesetzt  werden. 

LIV,  2.  bida  wie  H.,  v.  H.  -e-.  )>.  in  mistrot  wie  H.,  v.  IL  ai. 
').  liirta  wie  IL,  v.  H.  -e-. 

ö.  coutexeni/it  ine  tenebrae  (V.)  braucht  nicht  durch  die  Variante 
contexit  nie  tenebra  ersetzt  zu  werden,  vgl.  19  crant  mccum  he  iiuas 
mit  nii  (sing,  des  verb.  für  plur.). 

7.  flingon  sac,  H.  v.  H.  sal    10.  unriht  wie  H.,  v.  H.    Tack  -e-. 
13.  Iholodit,  vielleicht  mit  Kern^  aufzulösen  in  ihnlodi  iL 

IG.  libbinda  wie  H.,  v.  H.   -enda:   selethc  wie  IL,   v.  H.  seiet hen. 
17.  s(dnanit  verlesen  für  salvabif,   vgl.   noto   zu  gloss.  )}23;   man 
braucht  nicht  saluanil  (var.)  anzusetzen. 

23.  (jiuon,  iuuon  wie  H.  und  Tack,  v.  IL  (jeiio)i,  euuon. 

24.  sin  wie  H.  Tack,  deutlich  so  im  facsimile;  v.  H.  sia. 

LV,  7.  bergin  wie  H. ,  v.  IL  -in  oder  -on.  Vininini  wiüe  besser 
zu  ändern  in  uuannn,  vgl.  07,  7;  68,30. 

8.  sila  wie  H.  und  Tack,  so  auch  13;  v.  H.  scla. 

LVI,  2.  sHa  wie  LI.  und  Tack,  v.  LI.  sela.  3.  dida  wie  LI.  Tack; 
V.  H.  deda. 

5.  .s-/i/j  //,;  (dormiui)  bleibt  besser  unverändert,  vgl.  qnad  ih  (dixi) 
72,  13,  beltal  ik  (abscondij  Gl.  79;  das  von  Kern  .beigeholto  .sY/y^/rt  got 
ist  nicht  beweiskräftig,  da  die  lat.  vorläge  hier  auch  das  subject  hinter 
dem  verbum  hatte  (misit  deusj. 

0.  irtlion  wie  H.  und  Tack,  v.  H.  -e-;  guolilüieide,  H.  -kli-, 
v.  H.  -/.//-  oder  -Jih-. 

12.  guoliheide  wie  H.,  aus  verschriebenem  guoUieide,  nicht  guo- 
licJieide  (v.  H.),  corrigiert. 

LVII.  2.  rihmissi,  3.  iinrUit,  4.  riiie  wie  H.,  v.  IL.  -e-. 

0.  touferis  wie  H.,  719  und  Ep.  -eres,  v.  LI.  -eres  oder  -eris. 

1 1  Iiiilogerm.  foisrli.  XVI.  aiiz.  1.  2.  3,  .s.  2(3 fgg. 


32  GOMBATTLT 

7.  Das  erste  mal  tibrican,  H.  tehrican,  das  zweite  mal  tehrican 
wie  H.,  V.  H.  beide  tehrecan. 

12.  rihlico  wie  H.,  v.  H.  o-eh-. 

LYIII,  2.  an  nie,  v.  H.  wie  H.  cm  mi.    4.  icco,  sila  wie  H.,  v.  H.  c. 

6.  crifto,  ni  genatho  wie  H.,  v.  H.  -e-  und  ??e.  12.  rislag  wie  H., 
V.  H.  re-.  17,  morge  wie  H.  das  -e  ist  geschrieben  wie  das  -e  von 
spreke  LIV,  13,  v.  H.  -en;  ^wÄi^  wie  H.,  c  radiert,  v.  H.  flucht. 

LIX,  4.  «'r^Äa  wie  H.  oder  ertha,  v.  H.  er'tha.  6.  teikon  wie  H.,  v.  H. 
-/'??.    7.  behaldä  wie  H.,  v.  H.  -a?i.    12.  (/oi  wie  H.  und  Tack,  v.  H.  r/e^. 

LX,  3.  erihe  wie  H.,  v.  H.  -en.     7.  jar,  v.  H.  wie  H.  iar. 

9.  qiiUhmi  wie  H.,  v.  H.  quethmi;  an  dage  braucht  nicht  in  an 
dag  geändert  zu  werden,  vgl.  18,  10  Gl.  774  an  uuerildi  uuerildis  in 
saeculum  saeculi  (Steinm.). 

LXI,  3.  movebor  nicht  7novear,  denn  das  fut.  wird  auch  durch 
den  conjunctiv  praes.  widergegeben,  vgl.  72,  10  coniiertetnr  (Steinm.). 

5.  in  an  hertin  iro,  V.  et  corde  suo,  vielleicht  besser  eine  Variante 
et  in  corde  siio. 

6.  herrin,  besser  ist  gode  (deo). 

7.  salc  ic,  V.  H.  wie  H.  sal  ic. 

11.  giotruoni,  nicht  zu  ändern  m  gi  to  truo7ii  (v.  H.),  sondern  mit 
Steinm.  in  to  gitriioni,  denn  sperare  wird  ausnahmslos  mit  dem  compos. 
verdeutscht  und  das  pron.  2  pl.  folgt  anderwärts  nie  einem  imperativ. 
thiunt  oder  wie  H.  thinat,  v.  H.  Tack  thiunt;  die  lesung  affluant  (A^) 
kann  bleiben  und  man  braucht  nicht  eine  Variante  affluxerint  anzu- 
nehmen, w^eil  das  fut.  öfter  durch  ein  praes.  übersetzt  wird,  vgl.  uuerihint 
fuerint  58,  16,  uuerthint  irhauan  65,  7,  mejidint  66,  5;  67,  4,  gouma 
mdrkint  67,  4,  fiient  67,  2,  blitltent  66,  5,  gangint  68,  28  (Steinm.), 
V.  H.  (Gr.  I,  §  92,  /9)  bringt  diese  formen  unter  dem  conjunctiv,  mit  aus 
dem  indicativ  entlehntem  -nt.     -unriht  wie  H.,  v.  H.  unreht;   in  H., 

V.  H.  inde'^  rouas  wie  H.,  v.  H.  rouas. 

LXII,  2.  uuaconi  kann  stehen  für  uuacon  oder  uuacon  ic. 

6.  uuerthe  oder  -i,  H.  -i,  v.  H.  -e.  11.  unrihta  wie  H.,  v. H.  -e-. 
LXIII,  2.  forhtan,  a  undeutlich,  H.  forhiun?,  v.  H.  -U7i  oder  -an. 
3.  unriht  wie  H.,  v.  H.  -e-. 

5.  gefestoda  sig  uuort  (firmauerunt  sibi  sermonem);  Steinm.  scheint 
mit  V.  H.  änderung  zu  gefestodon  geboten,  denn  sing,  widergabe  plura- 
lischer verba  komme  sonst  nicht  vor,  vgl.  aber  LIV,  19  erant  mecum. 

7.  scriäinio  kann  bleiben  (Steinm.). 

10.  godes  H.,  v.  H.  -is. 


DIR    FRÄN'KISCllKN    I'SALMKNKKAOMKVrF;  3?i 

LXTV,  4.  (lenalhon  H.,  v.  H.  gi-.  6.  (m  rchli  wie  H.,  v.  IT.  -e. 
7.  crifle  wie  IL  oder  crrfie  wie  v.  H.;  (j/r//i)-<//l  wie  H.,  v.  H.  (je-. 

LXV,  l  k  (liherta  H..  v.  H.  geherta. 

LXVII,  4.  gelicuent  (delectentur).  Es  scheint  mir  mit  Kern  iiiüg- 
lieli,  (Uiss  der  glossator  deJectent  gelesen  hat  für  ddecleiilttr. 

G.  fadera.  v.  H.:  ,dein  fadera  zufolge  hat  dem  Übersetzer  nicht 
pdf  r/'s  der  Vulg.,  sondern  die  var.  patres  vorgelegen,  docii  hatte  dieser 
text  dem  scepenin  geoiäss  nicht  das  mit  patres  correspondierende  indices, 
sondern  iudicis  der  Vulg.'  Möglich  ist  es,  dass  fadera  verlesen  ist  für 
fader  {miiodir  ps.  68,  9;  70,  6),  vgl.  iriüianan  63,  8  für  irka/tav. 

15.  sne  snene,  H.  v.  IL  sneiie.  11.  uualnt  wie  H.,  Tack  unainl 
odei-  iiuanit,  v.  H.  uuanit. 

IS.  redinitagon.  v.  H.  ändert  -au;  vgl.  aber  savfou  mit  anorgan.  o, 
welche  form  v.  IL.  erklären  will  aus  analogic  nach  (im  nfV.  ms.  nicht 
vorkommenden)  temp.  dativen  plur.  wie  ahd.  hw/loiu  (olim)  usw. 

22.  ftando,  IL  v.  H.  ftundo.    30.  sali))i  wie  H.  v.  IL,  oder  s(dini. 

36.  Vndirlic,  IL.  v.  H.    UundirUc. 

LXVIII,4.  deutlich  gitraoii,  H.  v.  IL  ge-;  tefuoroii,  IT.  v.  H.  -u)). 
18.  gehör I ,  H.  v.  H.  gi-. 

20.  reuerentiam  der  Vulg.  kann  bleiben  (Steinm.). 
32.  liorni  kann  für  ho7m  ohne  epenthetischen  vocal  stehen  (Steinm.) 
oder  für  liorhi  (H.  und  v.  H.),  vgl.  LXII,  2. 

37.  uuonon  sid/iiii  an  iaio  (habitabunt  in  ea).  Heyne  bemerkte, 
dass  der  Übersetzer,  indem  er  i)7.  ea  auf  haereditate  von  36  l)ezüg,  mit 
rücksicht  auf  eriii  „ea"  durch  imo  widergab.  Die  Wahrscheinlichkeit 
ist  m.  e.  nicht  gross,  denn  warum  hätte  er  „eam"  in  possidebit  eaiii 
das  in  37  vorhergeht  auch  nicht  auf  liaereditate  bezogen?  Wahrschein- 
lich nniss  hier  gelesen  w^erden  iro  (67,  11),  vgl.  ir  für  inr  73,  4  und  >• 
für  /.•  grdaii  68,  11,  g/herta  65,  14,  tmert  72,  11. 

LXIX,4.  scaarinda  als  part.  praes.  in  bekerda  uiterfJmi  in  scaniinda 
(auertantur  et  erubescant)  befriedigt  nicht.  Möglich,  dass  hier  ^mv/^/v/^/a 
steht  für  .^^camada  (scamoda),  -vgl.  70,  24  gescamoda  irnänm,  und  für 
das  part.  praes.  ohne  ge(gi) :  fnndona,  brald,  gnolicoda,  streuot. 

LXX,  2.  rohimsse  wie  Tack,  H.  und  v.  IL  rehnussi. 

20.  ogostu  (ostendisti).  Heyne  ändert  in  ögdostit,  v.  IL  in  ügodos 
la  (warum  hier  tu  vom  verbum  abgesondert  und  nicht  73,  1?).  Sehr 
wahrscheinlich  ist  es  m.  e.,  dass  der  glossator  hier  für  das  praet.  ein 
praesens  gesetzt  hat,  wie  dies  auch  der  fall  gewesen  ist  bei  upstigis 
67,  19  (ascendisti)  und  73,  1   beauirpistu  (repulisti).     Ein  sicheres  bei- 

ZEITSCHRIFT    F.  DKUTSCHE    PHILOI.OOIK.       BD.  XXXVII.  3 


34  QO^rBAULT 

spiel  dafür,  dass  lat.  praet.  diircli  deutsches  praes.  übersetzt  wurde,  haben 
wir  auch  in  fnrmielliuü  prophanauerunt,  -rint  Gloss.  228;  Kp.  liai  nur 
])roj)Jmnmieriint,  vgl.  zu  22S,  LXXIII,  1  und  323. 

LXXI,  5.  a)i  cimni  in  aumo'  (in  generatione  et  generationem). 
V.  H.  meint:  ^dem  cunno  zufolge  lag  dem  Übersetzer  nicht  die  lesung 
der  V.  vor,  sondern  etwa  die  Variante  in  (jenercdione  genercdionitm ,  in 
welchem  fall  vor  cunno  überliefertes  in  als  umgestellte  dittographie  von 
-ni  zu  gelten  hätte.'  Wahrscheinlich  muss  hier  cunno  in  cumii,  bezw. 
cunne  geändert  werden,  in  welchem  fall  in  bleiben  kann. 

12.  Eine  Variante  poieiitia,  welche  form  H.  angesetzt  hat  und 
Kern  annehmen  will,  kommt  nicht  vor. 

16.  Vuesmi,  H.  v.  H.  Uuesen;  der  infinitiv  uuesen  ist  nur  18,  14 
belegt.  Für  an  höi  kann  sehr  gut  snmmis  der  V.  angesetzt  werden, 
vgl.  fan  höon  hiniili  (a  summo  coelo)  18,  6,  te  höi  smro  (ad  summum 
eins)  18,  7. 

LXXII,  9.  lief  (transiuit),  so  auch  Gloss.  482.  transire  wird  stets 
durch  lithon  oder  farlithon  widergegeben  und  da  die  überlieferte  form  drei 
buchstaben  von  leith  hat,  würde  man  zunächst  geneigt  sein,  mit  Cosyn 
und  Holthausen  an  leiih  zu  denken,  v.  H.  meint,  dass  leitJi  sich  nicht 
empfiehlt  in  graphischer  hinsieht  und  setzt  eine  Variante  deambulavit 
an,  so  auch  482.  lief  füv  leit  oder  lief^  (vielleicht  praes.  für  praet.  vgl. 
oben  LXX,  20)  kann  aber  graphisch  sehr  gut  erklärt  werden:  ausl.  / 
konnte  sehr  leicht  als  f  gelesen  werden,  wenn  der  verticale  strich  des 
t  ein  wenig  unter  der  linie  geschrieben  war,  vgl.  lef  485  für  Ict  {leih). 
Diese  forin  lef  ändert  v.  H.  in  leih:  .f  entstand  für  Ih  indem  der 
Schreiber  der  glossenhs.  seine  vorläge  gleichsam  nach  voranstehendem 
lief  (transiuit)  corrigierte.'  Aber  lief  steht  ziemlich  weit  ab  und  llfhon 
sal  (transibo)  geht  gerade  vorher. 

13.  heincli,  H.  v.  H.  liencli. 

14.  kestigata  (castigatio);  das  t  von  kestigata  statt  d  kann  ent- 
standen sein  unter  einfluss  von  dem  t  von  castigatio,  vgl.  scdnti  (psalmi) 
70,  22,  thende  (intende)  68,  19,  beuuie  (benedicat)  66,  7. 

16.  Existimabam  ut  cogiioscereni  hoc  labor  usw.  ik  uuanda  dal 
ik  it  kende,  that  arbeit.  Das  ms.  hat  wie  Notkers  hs.  ein  komma  vor 
that.  Es  ist  möglich,  dass  in  der  lat.  vorläge,  wenn  auch  solch  eine 
Variante  nicht  vorkommt,  hoc  vor  und  hinter  dem  komma  gestanden 
und  dass  der  glossator  das  erste  durch  it,  das  zweite  durch  that  widei- 

1)  Vgl.  farliet  56,  2,  Gl.  228  und  Ep.,  und  ie  für  ei:  sciethhi  67,  31.  Lipsius 
hat  iu  der  glossenlis.  neben  lief  (transiuit)  die  note  ,1.  lief  geschrieben. 


DIE    FRÄNKISCHEN    PSAl.MENFRACMEN'TK  35 

gegeben  hat  Vgl.  aber  auch  LIV,  13.  v.  H.  meint,  class  ü  durch  Ver- 
lesung von  (littographischein  ic  entstanden  ist. 

18.  mi ,  H.  hii  ,kann  auch  mi  gelesen  werden',  v.  H.  im. 

22.  ut  iumentum  kann  bleiben  (Steinm.). 

LXXIII,  1.  benuirpisia  (repuiisti),  vgl.  oben  LXX,  20  und  für  den 
entgegengesetzten  Vorgang,  praet  für  praes.  ftrrodon  (elongant)  72,  27. 

4.  hs.  hatodon,  H.  v.  H.  hatedon.  firingon  iro  (solomnitatis  tuae); 
V.  H.  ändert  iro  in  thinro,  aber  es  ist  zu  empfehlen  mit  Ciarisse  an- 
zunehmen, dass  der  glossator  suae  für  Urne  las. 

7.  hs.  namon  wie  Tack,  H.  v.  H.  nainin. 

V.  H.  hat  bei  pss.  18  und  1 — 3  angegeben  wo  ii,  iv,  v,  oder  in(, 
vv  geschrieben  ist,  aber  dies  versäumt  bei  pss.  53—73  und  Gl.  Lips. 
53 — 73  ist  gewöhnlich  u  und  uu  geschrieben,  aber  am  anfang  eines 
Satzes  steht  oft  T^und  Vu:  Vnder  63,7,  VnreJit  65,  18,  Vntes  70,  18,  19; 
72,  17,  Vpsta  56,  9,  Vpstandi  67,  2,  Vpstigis  67,  19,  Vtguit  68,  25, 
Vudirlic  67,  36,  Vuad  72,25,  Viianda  53,9;  54,4,13,16;  55,13;  56,  11; 
58,  4,  17;  60,  6;  61,  3,  7;  62,  4;  63,  4;  65,  10;  68,  8,  10,  27,  34,  36; 

70,  5,  10,  15,  22;  71,  12;  72,  3,  4,21,  27,    Vuahson  11,1,   Vuesan 

71,  16,  Vuerlhe  68,  23,  26,  Vui  65,  12,  VuUlico  53,  8,  Vuirp  54,  23, 
Vno  61,  4,   Viiumin  55,  7;  weiter  findet  man  noch  v:  ovirmiiodi  58,  13, 

gai-i  60,  6,  gidruovis  64,  8,  vns,  vnsig  66,  2,  vnser  66,  7,  vns  vnsero 
()7,  20,  vnera  68,  20,  vnrehta  72,  3.  In  den  Gl.  Lips.  steht  am  anfang 
des  Wortes  stets  V,  Vu  (nur  U:  Urkimdun  750),  im  inlaut  u  und  un. 
In  Ep.  am  anfang  V,  VV  oder  Vu,  im  inlaut  u,  uu;  nur  mit  vv: 
hivrie,  hescedicvit,  gaienvverde,  -vveierde,  getuvviiig,  horvve,  nenvvüd, 
staßivert,  tliuvve,  thuvvon  und  thiuvvon. 

G^ll.  Lips. 

1.  ahulgl.  wie  H.  und  Tack,  Ep.  ahalgi,  v.  H.  wie  2,5  od.  13  abuJge 
('nicht  (ijjulgl,  wie  Heyne  las"). 

5.  afiirthinsiiuli  wie  Tack,  afler-  C.  und  v.  H.,  Ep.  afintlnuisuiidi, 
7(1,  13  aflritliinsinde. 

8.  ahtldon  (persecuti),  Ep.  persecuti  sunt,  v.  IL  '•su}U  fehlt'. 
14.  aiiastmulüt ,  v.  H.  Ep.  3,  1  -unt. 

26.  anlucce.  v.  H.  ändert  in  antlucce  nach  dem  text  1,  4,  aber 
<lei-  toxt  hat  anlucce,  vgl.  oben  I,  4. 

31.  In  hs.  antheban  (prohibebo)  wie  v.  H.,  vgl.  Kern. 

57.  annimendelikon ,  v.  H.  wie  H.  -en  (intolerabilem);  v.  H.  ändert 
in  an  iinendeliken  nach  einer  Variante  immensam  und  meint,  dass 
Ilolthausens  unannemendeliken  (PBß.  10,  576)  sich  in  formeller  hinsieht 


:!0  GOMBAUI.T 

nicht  rechtfertigen  htsse.  Hier  wäre  eine  nähere  begründung  gewünscht 
gewesen.  Ks  scheint  mir  noch  innner  möglich,  vgl.  ii>iarmio)iüntdiUhe 
(unvermutet)  Par.  Prurl,  {u)il)eii)uHa}idlondelik  (nnveränderlich)  J's.  ])r., 
ahd.  ungitholenlMh  (intolerabilis),  unirfaranilih  (impenetrahilis)  ii.  a. 

95.  beluken  (conclndere)  30.  v.  H.  ändert  in  behike  jni  nach  30,  9 
(conclnsisti).  Ep.  hat  helucon  (conchiserunt  aus  16.10):  es  ist  m.  e. 
mügUch,  dass  concli(dcre  steht  für  concliisere  nnd  der  glossator  30  ge- 
schrieben hat  statt  16  (vgl.  für  die  Schreibung  3  statt  1,  Gl.  779). 

97.  betlntdon  absconderunt,  Ep.  hethadon ,  alibi  hehaton  (nicht, 
wie  v.  H..,  alibi  hethaion).  v.  H.  ändert  mit  H.  in  hethnchton.  'abscon- 
dere'  wiril  anderswo  übersetzt  durch  hehelan,  henjan  oder  gehercja/t, 
während  hetheccan  durch  operire  oder  contegei'e  widergegeben  wird. 
Kern  sieht  hier  einen  unterschied  im  Wortschatz  zwischen  pss.  1 — 9 
und  den  folgenden.  Ich  möchte  hier  ändern  in  hehälou  (wie  Gl.  77), 
worauf  die  form  hehaton  in  Ep.  auch  hinweist,  vgl.  u  od.  n  für  a:  sin 
LIV, 24,  himiln  18,1  und  a  für  ?/  oder  n:  iuc/iade  70,5,  ariieildat  36, 
halon  58,  bra  119,  nuanda  764,  /  für  d:  scounnola  53,  9,  //  für  ilr. 
forhfou  72,7;  225,  frihof  253. 

102.  heuuoUen  id.  uart  (interfecta)  wie  H.,  v.  H.  beuuoUau  uuarl, 
Ep.  bhmoUon  (infecta). 

127.  bnokcstaf,  Ep.  hwhesiaf,  70,  15  bnohcstaf;  v.  H.  ändert  in 
buochstaf. 

148.  criedon  (cognoverunt).  v.  H.  ändert  in  eufdoii  mit  Holt- 
hausen.  'cognoscere'  wird  stets  durch  ke/ittan,  bikennan  oder  anl- 
ke/nian  übersetzt;  möglich,  dass  candü)i  (r  für  n,  k,  a  und  ie  oder  ii 
für  )i)  gelesen  werden  muss,  vgl.  vrderschid  820,  tliierof  2,11. 

159.  dnihten,  Ep.  druhtin. 

173.  ebrenlari  wie  H.,  v.  H.  hat  ebenlari:  'wegen  Holtliausens 
ebrengari  ist  zu  beachten,  dass  in  der  hs.  zwischen  b  und  e  ein  durch- 
stricheues  o  zu  stehen  scheint,  keinenfalls  aber  ein  r\ 

181.  echt,  Ep.  eht. 

192.  cllendiga  aduenä,  aduenas,  Ep.  ellendiga  aduenam. 

193.  elelendig  incola.  v.  H.  ändert  in  eine  Variante  odnena,  aber 
incola  kommt  auch  als  fremdling  vor  z.  b.  bei  Cicero. 

206.  euim,  vgl.  oben  I,  2. 

228.  fnrtmellüt  prophanauerunt,  -rint,  vgl.  oben  LXX,  20. 

234.  fehton  proelium  138,  143.  v.  H.  hat  in  den  text  nui'  ein- 
getragen 143,1.  Für  138  muss  139(3)  gelesen  werden  (proolia),  vgl. 
167,  172  u.  a. 


DIK    FRANKISCHKX    rSAI.MKNI'RAClMKNTF, 


2()0  u.  2(31.  freison  interitionibus,  interitu,  v.  H.  f raison  interitii, 
Kp.  frci.so/i  iDtcritii  et  interitionibus,  alibi  froison. 

263.  friJiof  atriuni  27.  Die  belegstelle  kann  v.  II.  nicht  ausfindig 
Miaoiien:  'in  dem  in  der  hs.  angegebenen  Fs.  27  begegnet  kein  alrümi 
und  dem  von  Heyne  angesetzten  i)i  atrio  28, 2  kann  frihof  nicht  ent- 
sprechen'. In  27,  2  steht  ad  templion  sanctinii.  das  ni.  e.  das  loiunia 
für  fnthof  war,  aber  der  glossator  hat  templum  geändert  in  atrium 
nach  dem  folgenden  atria,  vgl.  449. 

275.  fnorUda  (pauit);  v.  H.  ändert  in  fiiotrlda  und  meint,  dass 
Holthausens  fuodida  sich  in  graphischer  hinsieht  nicht  empfehle.  Aber 
r  kommt  statt  ü  vor  und  et  ist  sehr  leicht  als  d  zu  lesen  (vgl.  v.  H.'s 
bcmerkuug  bei  97:  'aus  c  und  dem  ersten  schaff  von  h  wurde  d  ver- 
lesen'). 

286.  (jehalton\  die  form  (jebalthon  in  Ep.,  von  v.  H,  nicht  beige- 
bracht, deutet  auf  verschreibung  von  /  für  ih  od.  ///,  vgl.  unten  zu  703. 

305.  (jdhiore^  v.  H.  gclicofe. 

323.  gequickeda  (uiuiticet).  v.  H.  setzt  ein  nicht  überliefertes  riui- 
ficauii  an.  Möglich  ist,  dass  der  glossator  hier  ein  praes.  durch  ein 
deutsches  praet.  übersetzt  hat,  vgl.  ^>vw/o«  (olongaut)  72,  27  undLXX,  20. 

325.  (/erchlo  (forte);  v,  H,  ändert  in  rite,  denn  gerchtu  könnte 
schworlicli  lat.  forte  entsprechen,  vgl.  aber  mit  Kern  mhd.  bilUchfc). 

336.  (jeruuii,  so  auch  Ep. ;  v.  H.  meint:  'der  fehler  rührt  offenbar 
vom  Schreiber  der  glossenhs.  her,  den  die  voranstehenden  formen  mit 
genm-  irreführten'  —  in  Ep.  steht  gernuit  nach  geheridcs. 

350.  te  geuuanne;  zu  ändern  mit  Steinm.  in  Ic  gethiaunc:  die 
oberen  schaffe  von  th  waren  in  der  vorläge  undeutlich. 

351.  deutlich  gc?(uerthe,  Ep.  1,  ()  und  v.  H.  gencrtlic. 

354.  geuualtit  für  geq/iahl/t,  vgl.  auch  2,7  cmacc  für  fpiai  cc.'^ 

357.  gcuucinoda  mi  (educauit);  v.  H.  ändert  in  gcmtoda.  Mit 
Ilohhausen  und  Steinm.  wol  zu  lesen  als  gcaucitlioda,  vgl.  350. 

371.  gcnithcrit  in  (cxinanite);  v.  H.  ändert  in  gcnicuiiitJiit,  vgl. 
mit  Kern  Diefenbachs  Gloss.  s.  217. 

382.  gier  Uli  sal;  v.  H.  ändert  in  gicrnait  sal,  'denkbar  wäre  auch 
-Kcn  oder  -aoii  bez.  -uun\  In  Ep.  steht  giernuu;  also  soll  angesetzt 
werden  gierinin. 

381.  giltcila  so  auch  E[).;  55,12  gelicH<i\  v.  IL  ändert  in  gchcifa. 

392.  aucii  Ep.  hat  glidcri,  vgl.  note  bei  v.  II.  zu  392. 

398.  gailike,   corrigiert   in  hs.  aus  gnolikheidc,  vgl.  v.  II.  zu  39S. 

h  K|p.  in  vuce  sucnot  (Cüagiüaliisj  •viele  ijcqual/it'. 


38  GOMRAUI.T 

403.  haheda  (obtinuerunt).  v.  H.  nimmt  eino  Variante  ohiinuit 
an,  aber  leicht  möglich  ist  es,  dass  hier  gelesen  werden  muss  habedö, 
vgl.  a  für  o:  hlasina  118,  ouita  556,  und  o  für  a:  nuando  68,  36,  be- 
ceignedo  67,  bolalico  124,  restido  581. 

423.  heribergo  (castrorum);  v.  H.  ändert  in  hrribcryon^  aber  sing. 
kann  bleiben  (Steinm.). 

440.  Auch  Bp.  hat  behoscodon. 

460.  irferron  (obstupefacies)  ohne  sali,  in  Ep.  mit  ml  (in  der  vor- 
läge wahrscheinlich  saltu).  Die  änderung  in  irfirrou  und  die  annähme 
einer  Variante  deduccs  befriedigt  nicht;  zu  ändern  in  irfcron^  vgl.  Teuth. 
ervären,  ervcren  und  mit  Kern  ae.  afcp-ran. 

465.  irrol  (commouebitur),  466  irrnort  mierthe  (commouear),  467 
irrot  Kuciilian  (mouebor),  468  roduuerthait  (mouebitur)  bringt  v.  H.  zu 
verschiedenen  stammen,  irrot  465,  467  und  rod  468  zu  *irrohrn  (zu 
an.  röffa  'heben').  Aber  rod^  das  v.  H.  ändert  in  irrod,  lässt  sich  leicht 
in  irrort  ändern,  vgl.  oben  275,  und  irrot  kann  sich  verhalten  zu  irrört 
wie  forJifrior,  frihof  sich  verhalten  zu  forthfuor,  frithof  oder  nndi- 
tkudiija  zu  iindirtJmdiga. 

482.  lief  und  485  lef,  vgl.  LXXII,  9. 

501.  inegincrefti,  über  p  steht  ein  /V  also  zu  lesen  /";  auch  Ep. 
megincrcfti^  v.  H.  -crepfti. 

545.  nortitaliion  kann  gen.  sg.  sein  (Steinm.). 

551.  öginon  (ostendit);  v.  H.  ändert  in  ogiiiot.  Möglicherweise  hat 
der  glossator  ostendet  statt  -it  gelesen. 

569.  rntut  wie  C,  der  Schnörkel  über  dem  /<  hat  viel  vom  c  oder 
0,  Ep.  ratuot^  v.  H.  '^ ratet ^  nicht  ratut,  Avic  C.  las'. 

571.  reidiimagon,  vgl.  oben  LXVII,  18. 

582.  ruecont  (fumigabunt)  143,  über  dem  c  steht  der  Schnörkel 
für  das  u^  Ep.  ruecont,  v.  H.  rrecont,  'über  dem  c  steht  noch  ein  rät- 
selhaftes zeichen',  v.  H.  setzt  an  famigant  103,  32.  fuDiigabunt  ist 
hier  wol  durch  praesens  widergegeben,  vgl.  oben  LXI,  11. 

594.  san  oder  hcui. 

597.  saniniing,  so  auch  Ep.,  (in)  sinagoga.  v.  II.  ändert  in  min- 
niingun,  aber  -e  ist  auch  möglich  (a-stamm),  vgl.  alid.  .sninn/ü/g. 

601.  scachon  (pudore);  v.  H.  ändert  in  scaniithon;  mit  Holthausen 
und  Steinm.  in  scamon  zu  ändern. 

602.  scaphon.  (ouili);  v.  H.  ändert  mit  IL  in  scäphfise^  das  zu  alul. 
scäfhüs  stimmen  würde,  Holthausen  zieht  Imrt  hci'an,  das  aber  nur  in 
der   bedeutung   cratis   belegt    ist  (v.  H.),    Cosyn   Jionc^  doch   wäre  für 


niE  1  nÄNKisrnEN  tsalmenfuagmentk  39 

sccqjhonc  als  niederfr.  form  scäphunke  anzusetzen  (v.  H.).  In  gia- 
phischor  bcziehung  scheint  mir  scäpkoiiun  besser,  vgi.  nl,  srhm/ps-, 
.scf/apcjikoo/,  mnl.  co/iirc,  mhd.  kouwe,  köiace,  mlat.  cavia,  cavca  und 
houuue  71,  16. 

t)16.  seedeuHon  (obumbrabit),  Ep.  scecletmoii  sal. 

617.  smatio  (cito);  v.  H.  iindert  in  scliumo,  aber  siiut))to  ist  auch 
inöglicli. 

650.  stoHunyon,  655  stounuinyoti ,  Ep.  nur  stouniiKjüit. 

664.  'nach  67  steht  nocii  vide  gequalhit  (vgl.  354)',  in  Ep.  vide 
gequallit,  vgl.  oben  354. 

667.  deutlich  sinerenne,  so  auch  Ep.,  v.  H.  -eiuic  od.  -eutie. 

703.  thurtJnc  so  auch  Ep.  v.  H.  ändert  in  tkurtich,  denn  'mit 
rücksicht  auf  704  {thnriegin  egeno)  ist  nicht  in  thurhtiy  sondern  in 
eine  form  mit  syncopiertem  f  zu  ändern'.  Man  kann  nutürlich  ebenso 
gut  das  h  von  tliurthic  behalten  und  das  t  von  tlnirtcgin  in  th  ändern, 
vgl.  /  für  th:  tu  59,5;  64,10,  aruH  65,11,  ensetUc  211,  farliel  56,2; 
228.  fortgangande  18,5,  gehortoir  297,  geuuerie  355,  }ioimntoh  67,22, 
ripeton  584,  scethu  610,  andetringoid  817.^ 

706.  tliurue  propter  (5).  Vor  thurne  steht  auf  derselben  linie 
Ihdituc;  es  ist  daher  möglich,  dass  tkurue  sein  ne  von  thauiic  über- 
nommen hat. 

724.  trilou  (fimbriis);  v.  H.  ändert  in  tretkilon  (zu  ahd.  tirldö). 
IhrädiloiL  oder  ihrcdilon  ist  m.  e.  auch  möglich:  tkrä  oder  ihre  kann  aus- 
gefallen und  (Z  als  tr  gelesen  sein,  vgl.  ti  für  d  uueldait-  63,3,  n  für  ti 
gi/twda  372. 

733.  reucrentimn  braucht  nicht  in  eine  Variante  ignominiam  ge- 
ändert zu  werden  (Stein m.). 

736.  undithudiga ,  so  auch  59,  10.  Ep.  hat  hier  die  gute  form 
tDidirtlnidiga  (von  v.  H.  nicht  beigebracht). 

770.  uneUnio  (für  Hucl/kcmo)  'singulos';  diclesart  des  V.  kann 
bleiben  (Steinm.) 

774.  iiHcrildi  kann  dat.  ^sg.  sein,  vgl.  775  naeroUi  (Steinm.). 

776.  luieron  (fucro).  Natürlich  kann  hier  iincroH,  1  sg.  praes. 
sein  als  Übersetzung  des  fut.  cxact.,  aber  es  ist  wahrscheinlicher,  dass 
hier  sdl  weggefallen  ist. 

\)  Audi  in  alten  iiicdcrd.  cigeniiainon  kommt  öfters  t  statt  th  vur,  z.  b.  in  Weid. 
Hell.  1,  !.")■•  Latamiähon,  ü8''  Wiltorjic^  in  Egmond  Cart.  z.  b.  O/irrlc/a  nebon  Lcijt/ien, 
Al(i>rp  neben  Ahlcidlturpc,  vgl.  J.  JI.  Gallöc,  VoistudicM  zu  (Miieni  allnied.  würtei- 
buclic  s.  X. 


10  KÖNIG 

784.  vuirscapondis  exultautis,  Ep.  vvirscapandis  epiilantis  (nicht 
von  V.  H.  beigebracht). 

798.  vuitute  (nicht  21I-)  lex  323,  Ep.  vvitnle  (lege),  v.  H.  uitntc 
lege)  und  fügt  dazu,  dass  323  zu   797  steht. 

799.  Ep.  VVihitdra(/kere,  nicht  UUultutdrcKjhcrc.  Mit  rücksicht 
auf  die  anderen  formen  mit  t  wird  Wül  nicht  uuittnt-  in  der  vorläge 
gestanden  haben,  sondern  die  form  uiiUnt-  der  Ep. 

A.MSTEEDAM.  W.  F.  GO.AlüAUi.T. 


PAMPHILUS  GENCtENBACH  ALS  VERFASSER  DER 
TOTENFRESSER  UND  DER  NOVELLA.^ 

Litteratiu*. 

J.  Baechtold,  Geschichte  der  deutschen  littcratvir  in  der  Schweiz.     1887 — 92. 

K.  V.  Bahder,  Die  griuidlagen  des  iihd.  laiitsystems.     Strassburg  1890. 

"VV.  Creizenach,  Geschichte  des  neueren  drauias.     '.]  bde.     Halle  1893. 

A.  Englert,  Die  rhythmili;  Fischarts.     München  19():!. 

A.  Gessler,  Beiträge  zur  geschichte  der  entwicklung  der  uhd.  Schriftsprache  in  Basel. 

Baseler  dissert.  1890. 
K.  Goedeke,  Pamphilus  Gcngoibach.     Hannover  185G. 

K.  Helm,  Zur  rhythmik  der  kurzen  reimpaare  des  Iti.  Jahrhunderts.    Karlsruhe  189.1. 
A.  Heusler,  Der  aleman.  consouautismus  in    der  mutidart  von  Basel-stadt.     Strass- 

burg  1888. 
M.  Herrmanu,   Stichi'einr   und   dreireim    bei  Hans  Sachs.     Hans   Sachs -forschungen 

herausg.  von  Stiefel.     Nürnberg  1891. 

E.  Hoffmaijn,  Der  mundartliche  vokalismus  von  Bascl-stadt.     Basel  ]89(». 

F.  Kauffmann,    Deutsche    metrik    nach    ihrer    geschichtlichen    entwicklung.     Mar- 

burg 1897. 
E.V.  Liliencron,  Historische  Volkslieder   der  Deutschen  vom    1.3.  — 16.  Jahrhundert. 

1865  —  69. 
R.  Priebsch,  Deutsche  haudschriften  in  England.     Band  II.     Erlangen    1901. 

F.  Saran,  Der  rhythmus  des  französischen  verses.     Halle   1904. 

G.  A.  Seiler,  Basler  mundart.     Basel  1879. 

K.  Stehlin,  Regesten  zur  geschichte  des  Baseler  buchdrucks.    Archiv  für  geschichte 

des  deutschen  buchhandels.     Band  12. 
F.  Zarnckc,  Sebastian  Brants  Narrensehiff.     Tjei[»zig  1854. 

1)  Die  anregung  zu  der  vorliegendou  arbeit  habe  ich  von  meinem  verehrten 
lehrer,  herrn  prof.  dr.  l'h.  Sti'auch,  erhalten.  Dafür  sowie  für  die  teilnähme,  mit 
der  er  mich  bei  der  ausarbcitung  unterstützt  hat,  werde  ich  mich  ihm  stets  zu  danke 
verpflichtet  fühlen.  Auch  drängt  es  mich  allen  den  herreu,  die  mir  bei  der  abfassung 
tätiges  intercssc  entgegengebracht  haben,  vor  allem  herru  dr.  Saran  zu  Halle,  herrn 
prof.  dr.  John  Meier  und  herrn  Staatsarchivar  di.  A\\ackeruagel  zu  Basel  noch  einmal 
aufrichtigen  dank  zu  sagen. 


TAMPHILUS    GENGENBACH  43 

Eiiileituiig'.  >j2 

Eigenartig  ist  das  Schicksal  des  dichters  und  druckers  Pamphiliis 
Gongenbach.  Seine  Fastnachtsspiele  hatten  bei  ihrem  erscheinen  einen 
grossen  erfolg,  von  dem  zahlreiche  aufführimgen  und  spätere  drucke 
künde  geben.  Aber  schon  im  anfang  des  1.7.  Jahrhunderts  kennt  man 
ihn  kaum  noch  und  in  den  wirren  des  30jährigen  krieges  versinkt  auch 
er,  wie  die  ganze  litteratur  seiner  zeit,  in  dunkle  Vergessenheit.  Lange 
hat  er  so  geschlummert,  bis  man  nach  den  gewaltigen  geistigen  be- 
wegungen,  welche  die  klassiker  der  zweiten  blütezeit  hervorriefen, 
auch  wider  müsse  fand  den  kleineren  geistern  vergangener  jaiirhundcrte 
das  Interesse  zu  widmen,  das  sie  verdienen.  Gengenbachs  andenken 
belebte  Goedeke  durch  eine  ausgäbe  seiner  dichtungen  1856,  imd  seit- 
dem hat  sich  die  forschung  öfter  auch  mit  ilun  beschäftigt.  Xach  eigner 
angäbe  hatte  Goedeke  einige  sicher  nicht  von  Gengenbach  herrührende 
gedichte  aufgenommen,  dazu  andere,  bei  denen  er  Gengenbach  als 
autor  nur  vermutete.  Auf  der  Goedekischen  ansieht  fusst  Bartsch  in 
seinem  artikel  über  Gengenbach  in  der  Allgem.  deutschen  biographie, 
dagegen  erwähnt  Gervinus  2'\  G04  die  Novella  nicht  unter  Gengenbaciis 
werken,  betont  aber  im  übrigen  die  reformatorische  tendenz  Gengen- 
bachs durchaus:  ..Gengenbach  erscheint  in  seiner  polemik  gegen  papst 
bez.  Rom  als  ein  Vorläufer  Luth.ers,  als  ein  mann  der  reformation", 
Baechtold,  der  in  seiner  Geschichte  der  deutschen  litteratur  in  der 
Schweiz  Gengenbacii  einen  längeren  abschnitt  widmet,  geht  Aveiter  und 
spricht  ihm  ausser  der  Xovella  aucli  die  prosaischen  Schriften  roforma- 
torischen  Inhalts  ab,  hält  ihn  aber  wie  Gervinus  für  den  Verfasser  der 
Totenfresser,  mit  denen  Gengenbach  ..von  der  deutlichen,  wenn  auch 
massvollen  polemik  gegen  papst  und  kicrus''  zu  den  gegncrn  Roms 
offen  übergeht  (s.  281).  Neuerdings  hat  nun  S.  Singer  in  einem  auf- 
satze,  betitelt:  ,, Die  werke  des  Pamphilus  Gengenbach"  (Zs.f.d.a.  45,  153), 
dem  dichter  auch  das  letzte  werk  reformatorischer  tendenz,  die  Toten- 
tresser,  und  damit  jede  Parteinahme  für  Luthers  werk  abgesprochen. 
So  ist  aus  dem  „vorlauter  Luthers"  ein  für  reformatorischc  ideen  nicht 
sonderlich  interessierter  fastnacütsspieldichter  geworden. 

Singers  ausführungen  nun  haben  mir  golcgenheit  gegeben  auf  die 
frage  nach  der  Stellung  Gengenbachs  zur  reformation,  'speciell  narli 
seinem   Verhältnis   zu   den   beiden   reformationssatiren   Totenfresscr  (T)i 

\)  "Was  (Jas  veiliälluis  zu  Manuels  S[»ioI  anlangt,  so  kann  darüber  wol  kein 
zweifei  sein,  dass  ihinuel  durch  das  bei  ('>.  gedruckte  werk  zu  seiner  Satire  veranlasst 
wurde.  Vgl.  A.  Kaiser,  Die  fastnaelilspiele  von  der  actio  de  spunsu,  s.  i)8  und  Vetter, 
Beitr.  29,  116. 


40 


.ifl  Novella  (Na)  näher  einzugehen.  In  dem  bestreben  nämlich  den 
wahren  Verfasser  der  beiden  genannten  gedichte  zu  ermitteln,  wurde 
ich  darauf  geführt,  die  frage  nach  der  möglichkeit  der  Verfasserschaft 
Gengenbachs  noch  einmal  zu  prüfön.  Denn  es  konnte  niemand  ein 
grösseres  interesse  als  gerade  Gengenbach  an  der  abfassung  einer  er- 
Aviderung  auf  Murners  Grossen  lutherischen  narren  haben.  Er  hatte  die 
XV  bundsgeuossen  des  Johann  Eberlin  von  Günzburg  gedruckt,  gegen 
die  Murner  seine  geistreiche  satire  schrieb.  Da  Eberlin  aus  sprach- 
lichen gründen  nicht  in  betracht  kommt,  so  musste  in  der  tat  Gengen- 
bach am  meisten  an  einer  Widerlegung  Murners  liegen.  Da  nun  Singer 
für  T  und  Na  einen  Verfasser  vermutete,  so  zog  ich  auch  T^  mit  in 
die  Untersuchung.  Ich  werde  also  im  folgenden  darzulegen  suchen,  ob 
G.  nicht  der  Verfasser  der  beiden  w^erke  sein  kann,  und  gebe  deshalb 
zunächst  ein  bild  von  seiner  persönlichkeit,  um  dann  seine  gedichte 
mit  T  und  Na  auf  spräche,  syntax,  stil  und  mctrik  zu  vergleichen. 
Der  Untersuchung  lege  ich  die  sicher  Gengenbachschen  werke  zu  gründe. 
Es  sind: 

1.  Der  welsch  Fluss  (w.F)  und  seine  fortsct/ung  bei  Friebsch  (Fr) 
s.  263  (vgl.  Zeitschrift  29,  STfgg.),  dazu  das  im  Anz.  f.  k.  d.  d.vorz.  1859, 
s.  127  von  Bube  mitgeteilte  gedieht-  (Bocksp.  I). 

2.  Der  Buudtschu  (B)  1514. 

3.  Die  X  Alter  (xAlt.)  1515. 

4.  Der  Nollhart  (N)  1516. 

5.  Tod,  Teufel  und  Engel  (TTE)  1517. 

6.  Fünf  Juden  (Jud.). 

7.  Lied  von  Carolo  erweiter  römscher  küng(C  Liliencron  3,234)  1519. 

8.  Der  Buler  Gouchmat  (G)  zwischen   1521—24. 

9.  Practica  Grundr.  (Goedeke)  2,  148  (weil  prosaisch  jedoch  weniger 
zu  verwerten). 

1)  Sckou  Baechlüld  Latte  in  seiner  ausgäbe  des  Nik.  Manuel  s.  OXXXV  darauf 
hingewiesen,  dass  der  von  Goedeke  mitgeteilte  tcxt  der  Totenfresser  nicht  auf  dem 
originaldruek  herulien  könne.  Ich  I>enutzte  einen  -oJ'fcnhar  älteren  auf  der  kgl.  hof- 
und  Staatsbibliothek  zu  Münclien  bclindlichen  druck.  Abgesehen  von  einigen  «iieciell 
süddeutschen  orthographischen  eigentümlichkeiten  («  für  e  s.  unten)  stellt  er  vor  allem 
einen  druckfehler  des  Goedekischen  textes,  der  für  die  frage  der  Verfasserschaft  nicht 
unwichtig  ist,  richtig,  .s.  unten.  —  Sign.  4"  Po.  germ.  228/41  Klag.  4  blätter  am 
schluss  P.  G. 

2)  Bocksiiiol  11  u.  a.  0.  s.  105  kontite,  obwol  vieles  für  Gengenbach  «[nicht,  nicht 
verwertet  werden,  weil  nicht  sicher  genug  bezeugt.  Merkwürdig  ist  bei  Bocksp.  I 
die  sonst  nicht  belegte  i'oi'in  „ i'ainphilius-'. 


FAMrillLUS    GENGKNBACH  48 

Dazu  stelle  ich  noch  10.  Der  alt  Eydgenoss  (a.  E),  einmal  wogen 
der  überoinstimniiing,  mit  der  man  das  gedieht  Gengenbach  zuschreibt, 
sodann  wegen  einer  reihe  auffälliger  parallelen  zwischen  a.  E  und  dem 
sicher  Gengeiibachschen  Xollhart,  die  ich  im  folgenden  aufführe.  Es 
entspricht  N  1 106  :  a.E  49;  N  1108  :  a.E  46;  N  1109  :  a.E  71 :  N  1 1  16  : 
a.E41;  NU  10:  a.E  52;  i\M120  :  a.E  36;  X  1188:  a.E  94;  N  1194:  a.E 
92:  X  1213:  a.E  37:  X  1215:  a.E  38;  N  1216:  a.E  98;  X  1228  :  a.E  205. 


Capitel  L 

Pas  leben  des  Painpliiliis  fieiiffenbaoli. 

Die  drucke  (iengenbachs  sowie  seine  spräche  weisen  nach  Basel. 
Ob  er  aber  auch  aus  Basel  stammte,  ist  eine  andere,  von  (iocdeko  nicht 
mit  bestimmtheit  beantwortete  frage.  Darüber  hatte  man  lange  keine 
sicheren  aufschlüsse  gewinnen  können  und  deshalb  mit  Goedeke  Basel 
auch  für  die  heimat  des  dichters  angesehen.  Erst  Baechtold  gelang  es 
auf  grund  eines  von  dem  Nürnberger  buchdrucker  Koberger  an  seinen 
Baseler  berufsgenossen  Johann  Amerbach  gerichteten  briefes  Xürnberg 
als  heimat  Gengenbachs  Avahrscheinlich  zu  machen.  In  dem  genannten 
schreiben  nämlich  findet  sich  der  folgende  satz:  .^T.aiyer  discs  briefes 
beklagt  sich,  ivie  im  schuldig  sei  einer,  heisst  Panfidus,  ist  ein  set.\er 
irol/et  i>n  bcholfcn  sein,  das  er  bexalt  werde}'' ^ 

Diese  beobachtung  zusammen  mit  der  tatsache,  dass  Gcugenbach 
im  jähre  1511  in  Basel  das  bürgerrecht  erwirbt,  und  mit  der  anderen, 
dass  er  meisterlieder  gedichtet  hat,  könnten  für  seine  Nürnberger  her- 
kunft  sprechen  und  so  nimmt  es  denn  auch  Singer  a.a.O.  s.  155  nach 
dem  Vorgang  Baechtolds  an.  Dennoch  möchte  ich  sie  bezweifeln.  "Wie 
ich  im  weiteren  verlauf  meiner  arbeit  nachweisen  zu  können  hoffe,  weist 
sprachlich  nichts  unbedingt  nach  Nürnberg,  alles  dagegen  nach  Basel. 
Diese  tatsache,  die  auch  Singer  nicht  entgangen  ist-,  war  für  mich  so 
schwerwiegend,  dass  ich  mich  nach  der  möglichkeit  einer  crklärung  des 
briefes  Kobergers  fragte  auch  .unter  der  Voraussetzung,  dass  Gengen- 
bach aus  Basel  stamme.  Andere  bedenken  kamen  hinzu.  Zwar  klingt 
in  Gengenbachs  dichtuugen  wol  hie  und  da  eine  deutsche  (besser  anti- 
französische) gesinnung  durch,  im  mittelpunkt  des  Interesses  aber  steht 
ddch  stets  der  'Eydgnoss'.  Wenn  der  dichter  in  seinen  politischen  licdern 

1)  Dciechtoltl,  Schweiz.  liUor.  s.  274. 

-)  „Wir  seilen  also,  dass  der  Nüruburger  Imclidriicker  sich  iliu  spräche  seiner 
neuen  heimat  in  sehr  vollkommener  weise  zu  eigen  gemacht  hat." 


44  KÖNIG 

auf  ilm  zu  sprechen  kommt,  wird  er  erst  recht  Avarm.  Am  stärksten 
tritt  das  im  Alt  Eydgnossi  (Goedeke  12fgg.  436fg.  548fg-g.)  hervor. 

Hier  ermahnt  der  alte  eidgenoss,  den  der  dichter  zum  dolmetscher 
seiner  eigenen  anschauungen  macht,  seine  jüngeren  landsleute  zur 
jückkehr  zum  schlichten,  frommen,  häuslichen  leben  der  vorfahren, 
indem  er  ihnen  in  färben,  denen  man  die  lebhafte  sorge  um  das 
wohl  der  ermahnten  ansieht,  ein  bild  von  der  väter  treiben  malt. 
Ist  CS  nun  wahrscheinlich,  dass  Gengenbach  es  als  eingewanderter,  als 
ausländer  gewagt  haben  sollte,  seinen  neuen  landsleuten  ein  politisches 
Sündenregister  aufzustellen,  auf  das  leben  der  vorfahren,  das  er  ja  gar 
nicht  kennen  konnte,  hinzuweisen?  Konnte  er  sich,  zumal  bei  der  be- 
kannten empfindlichkeit  der  Baseler  gegenüber  ausländischen  einflüssen, 
auch  nur  den  allergeringsten  erfolg  versprechen?  Zudem  spricht  aus 
dem  ganzen  gedieht  eine  so  warme  anteilnahme  an  dem  ergehen  der 
eidgenossen,  der  dichter  malt  das  leben  der  väter  {unser  furdercn 
a.  E  7)  mit  so  viel  liebe  und  wärme,  wie  sie  nur  einer  empfinden  konnte, 
dem  die  stadt  Basel  mehr  als  adoptivheimat,  dem  sie  Vaterstadt  und 
Vaterland  war^. 

Aber  der  brief  Kobergers!  Er  ist  nicht  weniger  verständlich,  wenn 
Pamphilus  Gengenbach  auf  der  Wanderschaft  vorübergehend  in  Nürn- 
berg gearbeitet  und  bei  der  rückkehr  nach  Basel  gewisse  Verpflichtungen 
nicht  erfüllt  hatte.  Denn  nicht  nur  jener  brief  Kobergers  weiss  davon 
zu  erzählen,  noch  im  jähre  1505  findet  sich  im  ' vergichtbuch  der  meh- 
reren Stadt  (Grossbasel)'  folgender  eintrag: 

Ilfüins  Brttnit,  der  amtmann,  vermittelt  einen  vergleich  zwischen 
..Fanvalus  Gengoibacli ,  dem  Trucker  gesellen  und  Krharlen  Honig  ron 
Xnrrenbcrg'',  betreffend  8  gülden,  welche  Gengenbach  der  mutter  Er- 
härtens schuldig  ist^. 

AVarum  Avandte  sich  jener  von  Koberger  erwähnte  gläubiger  und 
die  mutter  jenes  Honig  nicht  an  die  angehörigen  Gengenbachs  in  Nürn- 
berg, wenn  er  doch  von  dort  stammte?  Gerade  die  letzte  schuld  machte 
nicht  unwahrscheinlich,  dass  Gengenbach  nur  vorübergehend  in  Nürn- 
berg war  und  vielleicht  bei  der  mutter  Honigs  wohnte. 

Es  ])lcibt  der  kauf  des  bürgerrechts.  Dieser  einwand  will  wenig 
besagen,  da  Gengenbachs  vater  höriger  gewesen  sein  könnte,  während  er 
selbst  das  bürgerrecht  erworben  hätte.    Dass  dem  so  ist,  lässt  sich  zeigen. 

1)  S.  unten. 

2)  Vgl.  dazu  auch  Creizenach,  Geschidite  d.  neuer,  drani.  3,  239 fg. 
3j  ötehlin,  Kegeston  s.  21.  nr.  1719. 


I'AMPHILUS    GENGF.NBACH  45 

Das  gesclilecht  Gengenbach  ist  in  Basel  seit  langem  ansässig ^  Es 
ist  nicht,  wie  Ooedeke  s.  TX  sagt,  „schon  in  der  mitte  des  vorigon  (18.) 
jahrhundevts  ausgestoiben'',  sondern  existiert  noch  heute  und  stannnt 
vielleicht  aus  dem  Städtchen  Gengenbach  an  der  Einzig  bei  Oftenburg. 
Eine  einwanderung  von  dort  nach  Basel  scheint  um  die  zeit  unseres 
dichters  stattgefunden  zu  haben,  wenigstens  wird  im  'urteilsbuch  der 
mehrei-en  stadt'  von  1521  eine  Katherine  Kellerin  von  Gengenbach  er- 
wähnt. Um  die  wende  des  lö./lG.  Jahrhunderts  ist  der  name  Gengen- 
bach in  Basel  ziemlich  häufig  zu  belegen'-. 

Es  erübrigt  noch  einen  Ulrich  Gengenbach  zu  nennen''.  Diesen 
Ulrich  Gengenbach  möchte  ich  für  den  vater  unseres  Pamphilus  halten. 

1)  Baseler  bürgerlnich :  Gengeubach  oin  alt  geschleclit  unbekannter  herkiint't. 

2)  Den  von  Baechtold  (anm.  s.  61))  für  das  jähr  ]ö3.")  aufgestellten  stanimbauni 
dei'  faniilie  Gengenbach  habe  ich  nach  den  acten  der  Saffianzunft  und  der  universitäts- 
inatrikeln  vervollständigen  können. 

Schon  1469  erscheint  Ludwig  Gengenbach  „der  apotheker"  al.s  Baseler  bürger 
(Baseler  bürgerbuch).  Jeuer  ältere  von  Baechtold  genannte  Chrysostonius  wird  1500 
niitgliod  der  Saffranzunft,  ist  mitglied  des  grossen  rats,  stirbt  1526.  1509  lässt  er 
den  zunftbrief  seines  ,,  sohnes  Ludwig  des  apothekers"  erneuern.  Die  widerkehr  des 
namens  Ludwig  beim  enkel  und  der  gleiche  beruf  lassen  mit  Sicherheit  vermuten, 
dass  dei'  erste  um  1469  belegte  Ludwig  Geugenbach  der  vater  des  älteren  Chrj'sostomus 
ist.  Danach  lässt  sich  Baechtolds  Stammbaum  in  folgender  weise  veivollständigeii : 
Ludwig  der  apotheker  14(39 

Chrysostonius  der  apotheker  (f  1526) 

\ 

I  I  I  I  I 

Ludwig  der  apothekei'  Chrysostonius       Zacharias         Adrian         Baptista 

1519  mitglied  der  Saffianzuuft        der  apotheker 

Ausserdem  wies  Goedeke  s.  X,   anm.  2  nacii  Athenae   Raurieac  einen  Johann 

[Matth.]  de  Geugenbach  nach:  J.  d.  0.  arthim  liberaliuni  mayister,  sanctae  thenlo(fiitr 

hof'calniireus  et  juris  pontiliei  interpres,  dlvinae  poi'ticae  fuit  Ordinarius,  nee  non 

academiae  rector  a.  14S1.     Des  weiteren  sind  nach  dem  Baseler  bürgerbuch  noch  zu 

nennen:  1.  Christian  Gengenbach  y  1529  als  mitglied  des  kleinen.,  2.  Balthasar  f  1539 

als  mitglied  des  grossen  rates.    Das  verwandtschaftÜGhe  Verhältnis  dieser  drei  per.sonen 

zu  den  im  Stammbaum  aufgeführten  mit  Sicherheit  festzustellen,  ist  mir  nicht  gelungen. 

3)  Von  ihm  wissen  die  Stehlinschen  regesten  folgendes  zu  berichten:  Am 
10.  februar  1480  liegt  Michel  "Wenssler.  der  huchdrucker,  in  einer  iujurionklage  mit 
seinem  „diener"  (d.  i.  gesellen)  Ulrich  von  Gengenbach.  Michel  Wenssler  wird  ver- 
urteilt siebenfache  busse  zu  zalilen  (Stehlin  bd.  11  des  Archivs  für  geschiciite  des 
deutschen  buchhandels  nr.  124,  s.  28).  Aber  er  macht  Schwierigkeiten,  es  kommt  am 
13.märz  desselben  jahres  zu  einer  neuen  klage:  Michel  Wenssler  wird  verurteilt  60  pfund 
Baseler  pfennige  zu  zahlen  (ib.  nr.  133,  s.  29).  Wahrscheinlich  um  dieselbe  schuld  wird 
es  sich  handeln,  wenn  in  demselben  jähre  1  180 Ulrich  von  Gengenbach,  der  buclidrucker, 
an  Anna  Kessleriu,  seine  ehefrau,  vollmacht  gibt,  seine  guthaben  au  meister  Michel 
Wenssler,  wenn  dieselben  verfallen   sein  werden,  einzuziehen  (ib.  nr.  136,  s.  30). 


: 


46  KÖMO 

Dafür  spricht  der  gleiche  beruf,  das  alter  des  dichters  würde  da/,ii 
stimmen,  und  endlich  würde  damit  auch  die  tatsache  seines  bürger- 
rechtskaufes  ihre  erkläruug  finden.  Jener  Ulrich  Gengenbach  wird  nie 
als  bürger  bezeichnet,  dagegen  einmal  Ulrich  von  Gengenbach  genannt. 
Jedesfalls  war  er  aus  Gengenbach  nach  Basel  eingewandert,  hatte  aber 
selbst  das  bürgerrecht  nicht  erworben,  erst  sein  söhn  Pamphilus  kauft 
es.  Ob  zwischen  jener  obengenannten  apothekerfamilie  und  den  beiden 
letztgenannten  Gengenbach  irgend  welche  Verwandtschaft  besteht,  worauf 
die  Seltenheit  der  namen  Pamphilus  und  Chrj^sostomus  führen  könnte 
(ich  habe  sie  in  den  Baseler  acten  zwischen  1500—1525  nicht  wider 
gefunden)  und  wie  es  auch  Baechtold  (anm.  s.  69)  trotz  seiner  annähme 
von  der  Nürnberger  herkunft  des  dichters  als  sicher  hinstellt,  war  trotz 
eifriger  nachforschung  nicht  zu  ermitteln.  Soviel  jedoch  scheint  sicher, 
dass  Ulrich  Gengenbach  und  unser  dichter  zusammengehören. 

Ich  nehme  an,  dass  Pamphilus  Gengenbach  als  söhn  des  buch- 
druckers  Ulrich  Gengenbach  und  seiner  ehefrau  Anna  Kessleriu  um 
1480  in  Basel  geboren  ist.  Er  erlernt  das  gewerbe  seines  vaters,  gelit 
dann  auf  die  Wanderschaft  und  kommt  dabei  auch  nach  Nürnberg.  Der 
brief  Kobergers  wirft  auf  seinen  aufenthalt  in  dieser  stadt  ein  nicht 
gerade  günstiges  licht,  ebenso  jene  Schuldforderung,  die  E^rhart  Honig 
geltend  macht.  Auch  dieser  kommt  Pamphilus  noch  nicht  nach,  so 
lässt  ihn  denn  der  gläubiger  am  19.  märz  1505  in  arrest  legend  Er 
scheint  in  seiner  Jugend  eine  leicht  erregbare,  hitzige  nnd  etwas  leicht- 
sinnige natur  gewesen  zu  sein,  und  wir  können  uns  nicht  wundern, 
wenn  wir  unter  dem  24.  juli  1507  von  einer  neuen  berührung  mit  den 
gerichten  lesen:  Cunrat  Koch  von  Bioburen,  Panfulus  Gengenbach  und 
Adam  Howenschilt,  alle  drei  truckergesellen,  schwören  Hannsen  Werker 
wegen  der  Verwundung,  so  ihm  zu  dem  Achstein  begegnet  ist,  gerecht 
zu  werden  und  nicht  aus  der  stadt  zu  weichen,  bevor  sie  dem  urteil 
nachgekommen  sind  -. 

Goedeke  vermutet,  Gengenbach  habe  wegen  seiner  genauen  kenntnis 
der  begebenheiten  als  landsknecht  an  den  französisch -italienischen  kriegen, 
wie  sie  nach  dem  tode  Karls  VIII.  (f  7.  april  1498)  ausbrachen,  teil- 
genommen, vgl,  z.  b.  die  gedieh te  Der  welsch  tlusz  und  Die  schlacht 
an  der  Adda^.    Dagegen  dürfen  avoI  psychologische  gründe  geltend  ge- 

1)  Stehlin  s.  21,  nr.  1718;  Baechtold,  anm.  s.  68. 

2)  Stehlin  s.  30,  nr.  1778;  Baechtold,  ebenda. 

3)  Das  letztgenannte  gedieht  wird  Gengeulxach  von  Singer  a.  a.  o.  abgesprochen 
auf  grund  von  reinifreiheiten,  die  sich  Gengeubacli  nicht  gestattet  haben  soll.  Diese 
begründung  halte  ich  nicht  für  ausreichend,  da  dem  subjectiven  empilnden  liier  zuviel 


i'AMPHIT.US    QKNaR>JBAOH  47 

macht  wordon.  Donn  gerade^  riengonbacli  eiiint  ganz  besonders  lebliaft 
gegen  das  reislauten  seiner  Schweizer  hmdsleute.  Man  vergleiche  nur 
stellen  wie  alt  Eydgnoss  34.  73.  82.  91.  300.  365;  Noilhart  1251  fgg. 
Freilich  es  steckt  etwas  vom  landsknecht  in  ihm;  wir  sahen  schon  wie 
ihn  sein  heisses  blut  nebst  einigen  borufsgcnossen  in  contlict  mit  den 
gerichten  gebracht  hatte.  Etwas  ähnliches  lesen  wir  auch  unter  dem 
27.  mal  1500  im  urteilsbuch:  Es  erscheinen  vor  gericht  die  'ehrsamen, 
wol  bescheidenen'  Nicolaus  Lamparter,  der  buchdrucker  und  Pamphilus 
Geugenbacli,  auch  der  trucker,  bürgere  zu  Basel  (Gengenbach  kauft  das 
bürgerrecht  erst  2  jähre  später).  Lamparter  klagt  gegen  „friden  und 
frevel",  Gengenbach  habe  ihn  in  seinem  hause  beleidigt.  Das  gericht 
erkennt:  beide  teile  sollen  ihre  beweise  bringen.  Lamparter  beruft  sich 
auf  das  Zeugnis  des  ehrsamen  Joliann  Beliem,  buchfiirer  zu  Veltkircli 
und  erhält  vom  gericht  behufs  einholung  der  aussage  desselben  eine 
Urkunde  über  das  obige  urteilt 

Um  diese  zeit  wird  Gengenbach  auch  selbständig  geworden  sein, 
wenigstens  wird  er  von  jetzt  an  nie  mehr  als  geselle,  sondern  innner 
als  buchdrucker  bezeichnet.  1509  tritt  er  als  bürge  für  eine  schuld 
eines  seiner  ,, truckergeselleu",  Johann  Schotts,  auf'-.  Li  dasselbe  jähr 
fällt  seine  Verheiratung  mit  Enele  Renkin.  Zeugen  dabei  sind  junkher 
Velti  Murer  und  der  bekannte  drucker  Michel  Furter,  bürgere  zu  Basel. 
Den  ehesteuerbrief  lassen  die  gatten  10  jähre  später  erneuern-'.  Nach- 
dem er  dann  1511  auch  das  bürgerrecht  erworben  \  scheint  für 
l'amphilus  eine  ruhigere'  zeit  anzubrechen,  die  berührungen  mit  dem 
gericht  sind  jetzt  nicht  mehr  so  verfänglicher  art.  Am  29.  Januar  1511 
sollen  Pamphilus  und  seine  ehefrau  einen  ihnen  verpfändeten  mantel 
auslösen''.  Aus  dem  früheren  Schuldner  ist  also  jetzt  ein  gläubiger  ge- 
worden. Dafür  auch  noch  die  folgenden  Urkunden.  Am  17.  raai  1511 
vorspricht  Michel  Furter,  der  buchdrucker,  Pamphilus  Gengenbach 
8  gülden  zu  bezahlen''',  desgleichen  am  1.  September  Nicolaus  Lam- 
parter, der  buchdrucker,  gemäss  ergangenem  urteil  Panfulus  dem  trucker 

überlassen  bleibt.     Zu  dem  wäre  die  Sclilaclit  a.  d.  Adda  das  älteste  Gengenbachsche 
gedieht,  in  dem  eine  grössere  zaiil  ungenauer  reime  selion  verstiindlieli  wäre.    Tmnier 
Iiin   möolite  auch   ich    aus   den   oben    genannten   gründen   riengenbach    nicht    für  den 
Verfasser  halten. 

1)  Stehlin  s.  41 ,  nr.  1847. 

2)  ebenda  nr.  1849. 

3)  ebenda  s.  78,  nr.  201)2. 

4)  Baeclitold  anm.  s.  ü8. 

.'))  Stehlin  s.  44,  nr.  1870;  Baeclitold  ebenda, 
ü)  ebenda  8.4"),  nr.  187:"). 


48  KÖNIG 

in  monatsfrist  By.,  pfnnd  färb  zu  g'obon^  ebenso  am  9.  jnniinr  IHIO 
Caromellis  (bekannter  Baseler  apotheker)  „3  duggateu"'-.  Am  19.  oc- 
tober  1511  leistet  er  bürgschaft  dafiir,  dass  meister  Hanns  Suter,  caplan 
des  hohen  Stiftes,  einige  leute  von  Mulberg,  welche  ihm  kornzins 
schuldig  sind,  nicht  zu  onpüHch.en  cos/e??  bringen  werde 2.  Seit  ] 508/9 
besitzt  er  seine  eigene  officin.  Daneben  hat  er  auch  einen  la<lon  im 
hause  zum  roten  kleinen  löwen  in  der  freien  Strasse  (nr.  31)  neben 
dem  zunfthaus  zum  himmel.  1513  hatte  er  dieses  haus  von  dem  ])o- 
kannten  Thomas  Schwarz  für  00  gülden  bei  barzahlung  gekauft^.  Ein 
streit  mit  einem  angestellten  führt  ihn  am  24.  october  1519  wider  vor 
gericht.  Er  klagt  gegen  Melchior  Leider.  Er  habe  demselben  ein  werk 
zu  drucken  verdingt,  derselbe  sei  ihm  aber  aus  dem  verding  und  zu 
einem  andern  herrn  gegangen.  Er  schiebt  demselben  den  eid  darüber 
zu,  dass  er  ihm  dies  zugesagt  habe.  L.  will  den  eid  nicht  schwören, 
und  wird  daher  gemäss  dem  klagebegehren  verfällt''.  1519  wiid  ^\Qn 
buchdruckern  Ad.  Petri,  Nicolaus  Lamprecht,  Pamphilus,  welche  wider 
ergangenes  verbot  lassbriefe  publiciert  haben,  aufgegeben,  diese  Uiss- 
briefe  dem  stadtarzt  einzuliefern^'.  1520  wird  Pamphilus  Gengenbach 
als  mitglied  der  bruderschaft  der  schildknechte  aufgeführt^,  einer  Ver- 
einigung, die  sicii  besonders  dem  Marienkultus  widmete.  Für  Gengen- 
bachs Marienverehrung  zeugen  gelegentliche  ausrufe  und  das  gedieht 
Fünf  Juden,  ivelche  History  ich  Pamphilus  Gengenbach  xn  lob  und 
err  der  jimckfrau  Marie  in  ein  New  lied  gesetzt  hob  (Goedeke  s.  39). 

In  das  Jahr  1521  fällt  ein  process  unseres  dichters,  der  uns 
einen  interessanten  blick  in  seinen  geschäftsbetrieb  tun  lässt.  Mittwoch 
nach  martiny  (d.  i.  am  13.  november)  1521  beginnt  der  process^  Nach 
dem  protocoU  im  urteilsbuche  vom  1521  hat  Heinrich  Peyger  als  an- 
walt  des  Hans  Rüger,  des  altbürgermeisters  von  llotvvyl,  eine  schuld- 
forderung  an  Pamphilus  Gongenbach.  Dieser  erkennt  jedoch  die  voll- 
macht des  Pejger  nicht  als  vollgiltig  an,  und  Peyger  wird  bis  auf 
weiteres  abgewiesen.  In  einem  weiteren  eintrag  unter  dem  datuin 
donnerstag  nach  Ilylary  (IG.  jan.  1522)  erfahren  wir  (len  weiteren  fort- 

1)  Stehlin  s.  öl,  nr.  1909. 

2)  ebenda  s.  Ol,  nr.  1984. 

3)  ebenda  s.  (58,  nr.  2017 

■l)  Siebe  die  Urkunde  im  anliang. 

5)  Stebliu  s.  82,  nr.  2082. 

6)  Stehlin  s.  86  nr.  2094;  ]>aecliti»ld  anni.  s.  G8. 

7)  Baecbtold  aum.  s.  69. 

8)  Siebe  die  Urkunde  iiu  anbang. 


PAMPHItUS   OENGKNBAOH  49 

gang  des  processes  nnrl  seino  entstehiing^.  Pampliilus  Oengonbacli  or- 
klürt  von  den  erben  dos  bekannten  Haseler  reohtsgelelirteii  dr.  Helmut 
(f  1510)  dessen  büchernachlass  unter  der  bedingung  erstanden  zu  haben, 
dass  ihm  alle  l)üclier  ausgeliefert  werden.  Nachdem  er  den  kaut'preis 
von  227  gülden  bis  auf  20  gülden  bezahlt  hat,  behauptet  er  ertahi-en 
zu  haben,  dass  Hanns  Ruger  zu  Rotwyl  gegen  den  vertrag  unter  der 
band  ihm  zum  schaden  einige  bücher  verkauft  habe.  Er  fordert  des- 
halb die  ungiltigkeitserkliirung  des  kaufes.  Schliesslich  wird  die  Ver- 
handlung vertagt,  damit  Gengenbach  seinen  zeugen  beibringen  kann. 
Ein  zeugenverhör  hat  auch  tatsächlich  stattgefunden.  Unter  mittwoch 
nach  Cathedra  Petri  (26.  februar)  1522  erklärt  nach  der  aufzeichnung 
in  den  'kundschaften  der  mehreren  stadt'  Nicolaus  Lamparter,  der 
hnrhtriicker^  er  habe  in  gegenwart  des  Gengenbach  nnd  eines  caplans 
zu  St.  Theodor  die  bücher  coUacionieret  und  gexellt.  Die  zahl  der 
bücher  liabe  Oö  yantxe  nnd  380  defeci  betragen-.  Über  den  wich- 
tigsten punkt,  das  versprechen  Rugers,  dem  Pamphilus  den  ganzen 
Vorrat  zu  überlassen  und  über  den  bruch  dieses  Versprechens  bringt 
diese  aussage  nichts,  möglicherweise  wusste  jener  caplan  etwas  davon. 
Der  ist  aber  wie  wir  aus  dem  endurteil  vom  montag  vor  judica 
(30.  März)  1522  ersehen,  tot.  Es  heisst  da'^  .  .  .  und  sich  pamphilus 
Gengenbach  solichs  furbringens  imderivunden ,  ein  xugen  verfasst^  in- 
gericht  verhören  lassen,  sich  daby  das  jm  ein  xug  todes  abgangen  ist, 
beklagt  und  doch  geivont  hat  ettvas  fnrbracht  haben  und  aber  Hein- 
rich Pegger  die  nechst  ergangenen  urtel  und  des  xugen  sag  und  das 
er  ein  xug  sye  erklärt  und  gemeint  hat,  dass  p.  nütxit  furbracht  hab, 
sondern  das  er  jm  lut  siner  ha?idtsch7'iff't  usrichten  solle, 

da  ist  nach  verher  beider  teil,  dag,  antivurt,  red,  widerred,  der 
xugen  sag  und  allem  der  par'tyen  furivenden  xurecht  erkant,  das  pam- 
philus Oengenbach  lut  siner  liandtgeschrifft  heinrichen  peyger  als  eim 
yeralthaber  herr  llannsen  Rugers  sins  siuehers  umb  verfallnen  20 
gülden  usrichten  solle. 

Bei  diesem  urteil  hat  sich  Gengenbach  beruhigt.  Wir  werden 
gut  tun,  Schlüsse  auf  seinen  Charakter  aus  diesem  process  nicht  zu 
ziehen,  weil  wir  kaum  noch  den  rechten  einblick  in  diesen  handel 
gewinnen  können.  Man  kann  dem  dichter  schwer  zutrauen,  dass  er, 
weil  ihn  der  kauf  später  reute,  ein  lügengewebe  ersonnen  habe.  Kaum 
gegen  etwas  eifert  er  so  Avie  gegen  die  habsuclit  und  das  unfertig  gut. 

1)  Siehe  die  urkundu  im  anliaug. 

2)  ebenda. 

3j  Urteilsbuch  der  mehreren  stadt  1522. 

2KIT8CHRIFT   F.  DEUTSCHE   PHILOLOGIE.      BD.  XXXVII.  4 


50  KÖNIG 

Man  vei'gloiche  nur  die  betreffenden  verse  im  Nollhart,  vor  allem  aber 
in  den  x  Altern.  Abei-  jener  process  lässt  uns  einen  einblick  in  sein 
geschäft  gewinnen.  Sein  handel  kann  nicht  klein  gewesen  sein,  wenn 
er  in  einem  kauf  für  227  gülden  bücher  ersteht,  eine  für  damalige 
Verhältnisse  doch  inmierhin  recht  beträchtliche  summe.  Sicherlich 
ist  dies  auch  nicht  der  einzige  derartige  kauf  gewesen;  so  wird  er  einen 
schwunghaften  bnchhandel  neben  seiner  drnckerei  gehabt  haben.  Dieser 
buchhandel  scheint  ihm  zu  einer  gewissen  wolhabenheit  verhelfen  zu 
haben.  1522  verkauft  er  ein  zweites  haus,  dem  alten  ungefähr  gegen- 
über gelegen  (in  der  stat  Basel  linder  dm  Bechern  gegen  dem  1ms  ximt 
liermelm  über  zwischen  den  husern  %ur  schmalen  simnen  und  nideren 
maystait  gelegen  und  obere  magstatt  genant  ist).  In  demselben  jähre 
erscheint  er  als  Vertreter  der  Eisbeta,  Hannsen  Liebenberg  von  Len?.- 
burg  selig,  dohter.  Noch  einmal  am  ende  seines  lebens  kommt  er  in 
berührung  mit  den  gerichten,  aber  dieser  conflict  macht  ihm  mehr 
ehre  als  schände.  Er  hat  seine  deutsch -patriotische  politische  anschau- 
ung  offenbar  zu  dentlich  geäussert  und  die  zweideutige  politik  des 
Baseler  rates  gegeisselt,  wie  ja  seine  werke  so  oft  zeigen.  Am  1.  Ja- 
nuar 1522  muss  er  urfehde  schwören,  mit  ihm  zwei  freunde  der 
mengerly  lichtfertigen  ivort  wegen  .so  sie  uf  der  kürsener  hus  getriben, 
des  kaisers  oder  bobstes  ouch  des  kuniges  von  frankreich  Jialb^.  In 
demselben  jähre  am  19.  november  verwendet  sich  der  Baseler  rat  für 
Famphilus  Gengenbach  beim  Strassburger  magistrat  um  eilich  geld- 
schidden,  die  Fainphilus  Gengenbach  unser  burger  von  Wolffen  buch- 
dr uckern  zu  fordern  hat-.  1524  liegt  er  im  streit  mit  einem  caplau 
vom  münster  wegen  ' Zinsen  ab  reben  vor  Kleinbasei''  und  nicht  lange 
nach  Ostern  1525  wird  er  —  offenbar  im  besten  alter  —  gestorben 
sein.  Im  urteilsbuche  des  Jahres  finden  wir  unter  montag  vor  der 
uffart  Christi  (22.  mai)  folgenden  eintrag:  Do  ist  Anna  ivilent  Bam- 
philus  Gengenbach  sei.  ivittwe  mit  Heinrichen  grebly,  dem  yremper, 
vervogtet  worden  jr  hus  imd  hofstatt  zu  verkoufen  und  sollichs  jr 
recht,  wie  recht  ist,  zu  vertigen  gunnen,  ut  moris  est^. 

Versucht  mau  nun  auf  grund  der  äusseren  daten  aus  Gengen- 
bachs leben  sich  ein  bild  von  der  persönlichkeit  des  dichters  zu  machen, 
so  wird  man  nicht  eben  weit  kommen.  Die  wichtigste  quelle  müssen 
immer  seine  werke  bleiben.    Da  fällt  nun  zunächst  ein  gewisser  gegen- 

1)  Baechtold  anm.  s.  69. 

2)  Eoethe  Anz.  f.  d.  A.  24,  220. 

3)  Baechtold  a.  a.  o. 

4)  Ebeuda. 


PAMPHILUS    GKNGKNBACH  51 

satz  auf  zwischen  dem  etwas  leichtsinnigen  Pampliilus,  wie  er  uns  aus 
den  (hiten  seiner  Jugend,  und  dem  gewaltig  ernsten  nioralisten,  wie  er 
uns  aus  den  gedichten  entgegentritt.  Er  war  in  seiner  Jugend,  wie  so 
mancher  seiner  Zeitgenossen,  durch  das  Wanderleben  etwas  verwildert, 
ist  aber  doch  ein  ehiiichor,  trefflicher  Charakter,  dessen  guten  grund 
geordnete  lebous Verhältnisse  hervortreten  lassen.  Mit  überraschender 
klarheit  erkennt  er  die  schaden  der  zeit,  die  unsittlichkeit,  die  habsucht 
und  untreue,  die  kriegslust  der  Jugend  und  wird  nicht  müde,  sie  in 
seinen  gedichten  immer  aufs  neue  zu  tadeln.  Hinter  dem  strengen 
tadler,  dem  pedantischen  nioralprediger  aber  steckt  der  warme  patriot, 
dem  es  mit  all  seinem  schelten  im  letzten  gründe  doch  nur  um  die 
wolfahrt,  das  glück  seines  Vaterlandes  zu  tun  ist.  Mit  diesem  ziel  im 
augo  scheut  er  vor  nichts  zurück,  keine  rücksicht  auf  das  eigene  wohl 
luilt  ihn  ab,  was  er  als  wahr  erkannt,  offen  auszusprechen.  Das  gilt 
VDi-  allem  von  der  politik.  Sie  behei'rscht  die  erste  zeit  seinei-  dich- 
terischen tätigkeit  ganz.  Seine  politische  anschauung  mochte  ich  seinem 
vaterlande  gegenüber  eine  conservative,  dem  reiche  gegenüber  eine 
deutsche  nennen.  Immer  wider  im  'alt  Eydgnoss'  und  später  im 'Noll- 
hart'  weist  er  zurück  auf  die  fugenden  der  väter,  auf  das  schlichte, 
fromme  leben  der  alten  Schweizer.  Darin,  so  erkennt  er  klar,  ruht 
das  wohl  des  Vaterlandes.  Man  merkt  es  ihm  an,  wie  er  in  der  Schil- 
derung der  glücklichen,  goldenen  zeit,  da  die  Schweizer  nur  sich  selbst 
und  Gott  vertrauten,  warm  wird;  in  solchen  augenblicken  wird  aus  dem 
pedanten  der  seines  Vaterlandes  frohe  patriot,  und  die  Strophen,  die  er 
dann  dichtet,  sind  ^  was  wärme  des  gefühls  anlangt  —  zu  seinen  besten 
zu  zählen  (alt  Eydgnoss  1 — 110.  369  —  75).  Eben  diese  Vaterlandsliebe 
ist  eine  der  schönsten  seiten  seines  Charakters. 

Und  nach  Deutschland  geht  sein  blick.  Nicht  ohne  grund.  Er 
hatte  gesehen,  wohin  das  fortwährende  liebäugeln  mit  Frankreich  und 
seinem  klingenden  gokle  geführt  hatte.  Gerade  seine  zeit  hatte  ihm 
ein  bild  schlimmster  corruption  entrollt.  Um  1517  hatte  man  in  Basel 
entdeckt,  dass  die  vornehmen  der  stadt,  unter  ihnen  sogar  der  bürger- 
meister  Jacob  Meyer,  der  freund  des  jüngeren  Holbein,  von  Frankreich 
heimliche  pensionen  angenommen  hatten.  Gengenbach  hatte  in  seinen 
gedichten  (vgl.  welsch  Fluss  99—110,  x  Alter  öOOfgg.,  XoUhart  1185/7. 
119G)  schon  seit  langem  darauf  hingewiesen.  Wir  sahen  bereits,  dass 
ihn  dieser  unerschrockene  wahrheitsniut  noch  am  ende  seines  lebens 
ins  gefängnis  brachte.  Von  der  begeisterung  für  die  ritterliche  gestalt 
des  kaisers  Maximilian,  die  in  Baseler  humanistenkreisen  herrschte, 
wissen   wir  schon   aus   den  gedichten   Sebastian  Brauts,  auch   Gengen- 


!!>2  KÖN'ia 

bach  noch  blickt  voll  Verehrung  zu  ihm  auf,  ihm  gehören  alle  seine 
s3'inpathion,  und  im  Nollhart  weist  er  ihm  eine  grosse  religiöse  und 
politische  aufgäbe  zu.  Er  soll  eine  gründliche  'reformation'  der  kirche 
vornehmen,  das  heilige  land  widererobern  und  eine  Weltherrschaft 
antreten,  wie  sie  einst  nur  die  römischen  Imperatoren  gehabt  hatten. 
Und  als  Maximilian  gestorben,  da  erhofft  er  das  gleiche  von  kaiser 
'Carole':  einigung  Deutschlands  in  politischer  und  religiöser  beziehung. 
Ihm  widmet  er  nicht  nur  sein  Lied  von  Carolo  erivelter  römscher  käny, 
auf  ihn  bezieht  sich  wol  auch  noch  1520  sein  Wiener  prognosticoni. 

Aber  bei  all  seiner  deutschen  gesinnung  geht  er  doch  nicht  soweit 
etwa  für  einen  völUgen  anschluss  seines  Vaterlandes  an  Deutschhmd 
Propaganda  zu  machen:  das  heil  seines  Vaterlandes  beruht  für  ihn  in 
der  neutralität.  Daheim  soll  man  bleiben,  sich  nur  um  die  eigenen 
Interessen,  nicht  um  die  fremder  länder  und  fürsten  kümmern: 

Wan  man  wolt  folgen  minem  rot, 

So  behielten  wir  den  alten  stot 

Liessen  fürsten,  herrcn  hlibeti 

Und  hliben  dn  heiin  in  unserni  land 

By  landen  und  by  wyben.  a.  E  96 — 100. 

Über  seiner  deutschen  gesinnung  steht  ihm  sein  Schweizer  national- 
gefühl-.  Nicht  Nürnberg,  sondern  Basel  war  seine  Vaterstadt,  nicht 
Deutschland,  sondern  die  Schweiz  sein  Vaterland. 

Hier  wird  er  also  auch  seine  bildung  empfangen  haben.  Sie  ist 
durchaus  nicht  gering,  wenn  auch  den  Zeitverhältnissen  entsprechend 
vorwiegend  theologisch -scholastisch.  Ein  blick  in  seine  dichtungen  lehrt 
das  sofort.  Seine  ermahnungen  erhärtet  er  ähnlich  wie  Sebastian  Brant 
stets  durch  eine  ermüdende,  den  frischen  fluss  der  gedanken  störende 
fülle  biblischer  citate.  Daneben  citiert  er  auch  die  kirchenväter,  letztere 
vor  allem  in  dem  spätesten  der  unter  seinem  nanien  überlieferten  ge- 
dichte,  der  Gouchmat:  Augustin  (Gouchmat  58.  64),  Anselm(189),  Gregor 
von  Nazianz  (242.  1314),  Papias  (1031),  Hieronymus  (1315).  Doch  weiss 
er  auch  besoheid  in  den  sagen  des  classischen  altertums  (x  Alter  378;  Noll- 
hart 297),  in  der  griechischen  und  römischen  geschichte  (Nollhart  358. 
361.  363.  364.  593.  594.  753.  754.  758  —  60.  849;  G.  417.  425.  429), 
und  kennt  einiges  von  älterer  deutscher  geschichte  (Nollhart  658.  662.  716. 
983.  986.  1043).    Hier  leistet  er  sich  freilich  manche  Ungeheuerlichkeit"'. 

1)  Vgl.  Jos.  Maria  Wagaer  im  Aüz.  f.  k.  d.  d.  vorz.  1860,  s.  5  fg. 

2)  Vgl.  auch  Creizenach  3,  239 fg. 

3)  So  ist  nach  ihm  Karl  der  grosse  ein  fürst  von  östereich  (Nollhart  658) ,  Noll- 
hart 663 fg.  ist  er  ein  hüng  von  Franckenreich  und  dess  geblüts  von  ostereicli.  Aus- 
gezeichnet ist  er  dagegen  in  der  Zeitgeschichte  bewandert  (welsch  Fluss,  Bockspiel, 
Nollhart  an  vielen  stellen). 


l'AMPHILCS    (iENGKNnACH  53 

Er  citiert  ferner  (diese  kenntnis  ist  vielleicht  erst  das  resultat 
späterer  Studien)  Cicero  de  senectutc  und  de  officiis  (Gouchmat  )>7.  1035) 
Valerius  Maximus,  de  fidc  uxoriali  1.  4,  VII,  5  (G.  420.  199),  Sencca 
cp.  38.  78.  90  (G.  201.  1038.  1316),  alles  mit  genauer  angäbe  der 
stellend  Es  muss  dahingestellt  bleiben,  ob  or  diese  kenntnis  eigener 
lectüre  verdankt  oder  sie  einem  citatenschatz  entnahm.  Jedenfalls  lässt 
sich  in  seinen  werken  eine  gewisse  Steigerung  der  bildung  wahrnehmen. 
AVährond  er  sich  in  den  früheren  citaten  durchaus  auf  das  alte  und 
neue  testament  beschränkt,  finden  wir  in  der  Gouchmat  auch  solche 
aus  lateinischen  Schriftstellern  und  aus  den  kirchenvätern.  Die  Univer- 
sität scheint  er  nicht  besucht  zu  haben,  wenigstens  finde  ich  in  den 
Baseler  matrikeln  seineu  namen  nicht,  doch  zeigt  er  sich  mit  acado- 
mischen  brauchen  vertraut-. 

Er  macht  mit  seinem  wissen  mehr  den  eindruck  eines  autodidakten, 
daher  auch  die  Selbstgefälligkeit,  mit  der  er  seine  citato  anbringt.  Von 
einem  eindringen  in  den  geist  des  classischen  altertums  ist  nach  seinen 
werken  wenigstens  bei  ihm  nichts  zu  spüren,  er  sieht  alles  nur  mit 
dem  äuge  des  moralisten  an;  unter  den  humanisten  der  zeit  finden  Avir 
ihn  nicht  genannt.  Ob  freilich  der  eindruck  von  seiner  Stellung  zum 
hiuiianismus  der  richtige  ist,  lässt  sich  schwer  sagen.  Wenn  wir 
s<,4i.  Brants  humanistische  bildung  nur  nach  dem  'Narrenschiff'  be- 
messen wollten,  dürften  wir  ihm  kaum  gerecht  werden.  Da  wir  von 
den  sonstigen  kenntnissen  Gengenbachs  nichts  wissen,  abgesehen  von 
einigen  lateinischen  brocken  und  richtiger  declination  lateinischer  eigen- 
namen,  die  in  seinen  werken  vorkommen,  muss  unser  urteil  dahin- 
gestellt bleiben.  Es  wäre  wol  möglich,  dass  er  die  genannten  citatc 
f'igener  lectüre  verdankt.  Dem  jüngeren  humanismus  freilich  mit  seiner 
Ireicn  lebensanschauuug  und  seiner  fast  atheistischen  Weltanschauung  ist 
er  durchaus  abhold  und  lässt  ihm  in  der  Gouchmat  885 fgg.  eine  derbe 
abfertigung  zukommen.  Solche  leute,  meint  er,  solle  man  gehörig  durch- 
prügeln. Ihm,  mit  seinem  sittlichen  ernst,  seiner  etwas  pedantischen 
lebensauffassung,  musste  jenes  ^reiben  zuwider  sein.  Luther  dachte 
nicht  anders. 

Haben  wir  als  den  grundzug  der  politischen  gesinnung  (Jengen- 
l»achs  ein  festhalten  am  altbewährten  kennen  gelernt,  so  finden  wir 
denselben  zug  zunächst  auch    in   seiner    religiösen  anschauung  wider. 

1)  Gocdcko  K.  501. 

2)  Vf,'!.  (jouchmat  70'S  uini  dazu  das  Manuale  Sculariuin  bei  Zariickc,  Die 
■loutschcu  uuiveisitäten  im  ina.  1,3  fgg. 


5-1  KÖNIG 

Es  ist  für  ihn   selbstverständlich,    dass   der  Schweizer  den  papst  ver- 
teidigt, wo  er  nur  kann: 

Helger  vatter,  es  dunckt  midi  uni/ehört, 

Das  ir  an  mich  ein  hunät  begert: 

Freygss  tvillens  hin  ich  geneiget 

Zu  beschirmen  den  helgen  stäl  %ü  Rom.     a.  E  128 fgg. 

Er  ist  empört  über  den  ungehorsam,  die  nichtachtung  den  geist- 
lichen gegenüber  (B.  28  —  69)  und  mahnt,  ihnen  die  gottgewollte  ehre 
7A\  geben.  Noch  in  der  Gouchmat  verteidigt  er  die  geistlichen  gegen 
die  übergriffe  der  jüngeren  humanisten.  Aber  seine  Verehrung  ist  keine 
blinde:  er  hat  offene  äugen  für  die  schaden  der  kirche  und  schon  durch 
seine  ersten  gedichte  klingt  das  verlangen  nach  beseitigung  dieser  mängel 
hindurch.    Er  weiss,  dass  manches  in  Rom  faul  ist,  und  schon  w.  F.  192 

sagt  er: 

Und  tvirt  die  gross  syinony  ab  gton. 

Diese  simonie  ist  ihm  der  grösste  greuel,  er  erwähnt  sie  immer 
und  immer  wider.  Er  weiss  auch,  dass  es  mit  der  Sittlichkeit  vieler 
mönche  und  geistlichen  nicht  allzugut  bestellt  ist  und  scheut  sich  nicht, 
öffentlich  in  seinen  gedichten  darauf  hinzuweisen,  auf  abänderung  zu 
dringen  (xAlt.  829).  Die  pflichtvergessenen  kleriker,  stehende  figuren 
in  allen  satiren  der  zeit,  fehlen  auch  bei  ihm  nicht.  Auf  der  Gauchmatt 
befinden  sich  mütich,  pfaffen,  minnen  (Gouchmat  108.  1159.  1293), 
speciell  werden  die  Franziskaner,  die  „gugelfräntze"  genannt.  Er  findet 
für  ihr  gebahren  recht  scharfe  töne.    Im  beschluss  der  Gouchmat  heisst 

es  1303  fgg.: 

Der  lass  vom  eebruch,  ist  mein  rot, 

Jjig  nit  dinn  wie  ein  su  jm  kot 

Wie  icol  es  jetx,  ist  gantx  gemein, 

Es  thüntx  die  leien  nit  allein. 

Sunder  ouch  die  geistlichen  in  den  orden 

Siiuf  also  unverschampt  jetx  tcordcn. 

Doch  Aveist  er  noch  im  Bundtschu  alle  Selbsthilfe  als  unberufen 
zurück.  Er  hat  die  feste  Zuversicht,  dass  die  geistlichen  behörden  selbst 
Wandel  schaffen  Averden  (Bundtschu  57  fgg.). 

Wie  aber,  wenn  diese  erwartung  getäuscht  wird?  Schon  im 
Noilhart  hat  er  diese  Zuversicht  verloren.  Dringend  fordert  er  die  re- 
formation  der  geistlichkeit.  Er  verlangt  in  Rom  selbst  eine  änderung 
der  dinge.  Rom  ist  ihm  ein  acker,  der  gereutet  werden  muss  (Noilhart 
170 — 73).  Die  aufgäbe,  die  priesterschaft  zu  reformieren  und  die  kirche 
wider  zu  zieren,  weist  er,  wie  schon  oben  gesagt,  dem  deutschen  kaiser 
Maximilian  zu,  er  ist  von  Gott  dazu  ausersehen  (Noilhart  315 fgg.),  von 


PAMPIIILCS    OKNGKNIJACII 


iliDi  wild  der  siiil  xü  Rom  durcluicJä  (230)  and  eine  einrede  des  papstes 
weist  er  mit  einem  hinweis  auf  das  gotteswerk  (V.  418)  bestimmt  zurück: 
Helger  vatter  die  red  ist  ein  apot. 

Sicherlich  hat  Gengenbach  eine  reformation  innerhalb  der  kirclie 
erwartet  und  für  möglich  gehalten.  Luther  selbst  glaubte  ja  zunächst 
auch  nicht  anders.  Luthers  fromme,  vom  tiefsten  sittlichen  ernst  durch- 
drungene persönlichkeit  wird  ihm  sicherlich  sympathisch  gewesen  sein, 
fand  er  in  ihm  doch  manches  eigene  wider.  Wenn  er  nun  aber  sieht, 
mit  welcher  hinterlist  man  von  Rom  aus  gegen  den  reformator  arbeitet, 
wie  wenig  man  geneigt  ist,  Minderungen  eintreten  zu  lassen,  ob  sich 
dann  nicht  sein  gerader,  offener  sinn  dagegen  auflehnt,  ob  er  dann 
nicht  Luther  auf  die  bahnen  folgt,  auf  die  man  ihn  drängt?  Ob  er 
nicht  wie  überall,  wo  es  gilt  schaden  aufzudecken  und  zu  heilen,  mit 
seiner  kunst  für  die  neue  grosse,  gewaltige  bewegung  eintritt,  er,  als 
dessen  eigenart  wir  die  dichterische  Stellungnahme  zu  allen  ereignissen 
seiner  zeit  kennen  gelernt  haben? 

Dass  er  mit  seinem  berufe  dafür  eintrat,  wissen  wir  bestimmt. 
Er  druckt  die  15  bundsgenossen  des  Eberlin  von  Günzburg,  „jenen 
flammenden  über  Luther  und  Hütten  hinausgehenden  protesf'  gegen 
römische  übergriffe',  er  druckt  den  Sermo  de  poenitentia  Luthers  nach, 
bei  ihm  erscheint  eine  Übersetzung  des  Neuen  testamentes,  eine  reihe 
anderer  reformationsschriften ,  bei  ihm  sind  endlich  auch  die  satiren 
Die  todtenfresser  und  Xovella  gedruckt.  An  der  letzteren  musste  er 
ein  ganz  besonderes  Interesse  nehmen,  denn  sie  war  die  antwort  auf 
die  angriffe  Murners  gegen  die  15  bundsgenossen.  Murner  konnte  ihm 
nicht  sonderlich  sympathisch  sein,  gehörte  er  doch  in  gewissem  sinne 
auch  zu  den  „greci'%  die  in  der  Gouchmat  (887)  so  hart  mitgenommen 
werden.  Dass  Gengenbach  unter  solchen  umständen  nicht  auch  persön- 
lich ein  anhänger  der  reformation  gewesen  sein,  sondern  all  jene  drucke 
nur  aus  geschäftsinteresse  besorgt  haben  soll,  erscheint  doch  nicht 
gerade  wahrscheinlich.  Wir  haben  aber  sogar  ein  directes  zeugnis  für 
Gengenbachs  reformationsfreundliche  bestrebungen  in  einem  vorwurf, 
den  ihm  dei-  damals  sehr  bekannte  astrologe  Laurentius  Fries  macht. 
(Jengenbach  hatte  ihm  in  der  (iouchmat  sehr  deutlich  zu  verstehen 
gegeben,  was  er  von  ihm  und  seiner  kunst  halte  (830).  Darauf  ant- 
wortete Fries  in  der  vorrede  zu  einem  prognosticon  auf  das  jähr  15l'l" : 

1)  Liicke,  iJio  entsteüuny-  dur  X\'.  bumlsgeuossou  des  Joli.  Ebciliu  von  Güiiz-    - 
bürg,  s.  3J  fg.     Hall,  dissert.  1902. 

2)  Baecbtold  auiii.  s.  71. 


56  KÖNIG 

....  Als  dann  vergangner  jar  (auff'das  ich  offenlich  rede)  in  einer 
statt  am  Ryn  gelegen,  ein  ölschencklige  hundsmuck  getlion  hat,  in  dem 
subtilen  spil  der  Gauchmatten ,  Niemants  xürns  an  mich,  der  schuldig 
merckt  mich  wol,  warnt  er  übt  sich  tag  und  nacht  in  diser  kunst, 
dichtet,  verkaufft  seine  gedieht,  und  spricht  dennocht,  es  sy  wider 
gott.  Doch  so  ist  kegn  andre  ursach,  dann  das  er  im  grund  ungelert 
ist,  und  weder  xälcn  noch  messen  kan,  des  gleychen  auch  seyn  schul- 
meyster,  ivclcher  nii  lesen  kann.  Doch  so  ich  mich  bedenk,  so  hat  er  die 
rechten  bucher  durchlesen,  nemlich  den  todtcn  frcsser'^,  das  teütsch 
Bcnedicitc,  den  Dannhüser^  2md  Dietrick  von  Bern  und  der  gleichen. 
Er  macht  ihm  also  unter  andern  auch  seine  reformatorische  gesinnung 
zum  Vorwurf.  Denn  Totenfresser  und  das  Teütsch  benedicite^  sind 
beides  satiren  im  reformatorischen  interesse,  letztere  ganz  besonders 
ausfallend.  Und  schliesslich  möchte  ich  noch  auf  die  reformationsschrift 
Der  pfaffenspiegol *  hinweisen.  Sie  trägt  die  Unterschrift'':  Pamphilus 
Oengenbach  xü  lob  dem  edlen  Grafen  von  Hapkspurk.  Singer,  der 
G.  alle  reformationsschriften  abspricht,  weist  wie  schon  Baechtold''  auch 
diese  schrift  einem  andern  Verfasser  zu.  Die  widmung  aber,  die  ihm 
offenbar  unbequem  ist,  nennt  er  „eine  verlegerdedication".''  Ich  muss 
gestehen,  dass  mir  diese  art  von  dedication  ziemlich  ungewöhnlich  vor- 
kommt, und  ich  möchte  die  schrift  eben  wegen  dieser  widnumg  und 
der  echt  Gengenbachschen  schlussverse  G.  zusprechen.  Soviel  aber  kann 
nach  dem  gesagten  als  sicher  gelten :  Gengenbach  war  ein  anhänger  der 
reformation. 

Ich  komme  zu  Gengenbachs  künstlerischer  bedeutung.  Er  dichtet 
strophische  lieder  (Meistergesänge,  Lied  von  Carolo,  alter  Eydgnoss) 
und  unstrophische  gedichte,  spruchgedichte  (welsch  Fluss,  Bundtschu, 
Bockspiel,  Fastnachtsspiele).  Es  ist  möglich,  wenn  auch  nicht  notwendig, 
dass  in  seinen  meistergesängen  Nürnberger  reminiscenzen  vorliegen,  es 
lässt  sich  ja  auch  sonst  bei  ihm  z.  b.  in  der  Gauchmatt  (sie  setzt  das 
„Hofgesind  Veneris"   voraus)  H.  Sachsischer   einfluss  nicht  verkennen. 

1)  Beachte  den  singular:  vielleicht  ist  hier  die  Gengenbacli  und  Manuel  zu 
gründe  liegende  quelle  gemeint.    Vgl.  "Vetter,  Beitr.  29,  81  anm.  1. 

2)  Gemeint  ist  das  nd.  Volkslied,  vgl.  Goedeke  1,  459:  diente  es  Gengenbach 
als  quelle  für  die  Gouchmat? 

3)  Schade,  Satiren  2,  270,  7fgg. 

4)  Goedeke  s.  1G7. 

5)  ebenda  s.  185. 

6)  ebenda  s.  282. 

7)  Singer  a.  a.  o.  s.  156. 


PAMPHILUS    GENQENBArn  57 

Seine    stoffc    sind    hier    tagesbegebenheitcn,    die    er    nicht    ungeschickt 
erzählt. 

Seine  fastnachtsspiele  sind  sehr  ernst,  und  darin  beruht  Gengen- 
bachs bedeutung.  Gervinus^  sagt  von  ihnen:  „Seltsam  sind  von  den 
schnurren  des  15.  jahriiunderts  die  stücke  verschieden,  die  im  anfang 
des  16.  Jahrhunderts  der  Baseler  drucker  Pamphil  Gengenbach  aufführen 
Hess.  .  .  .  Obwol  zu  fastnacht  gespielt,  tragen  sie  alle  einen  tiefernsten 
Charakter."-  Gengenbach  gibt  also  mit  seinen  x Altern,  seinem  Noll- 
hart,  seiner  Gauchmatt  der  fastnachtspieldichtung  einen  andern  Charakter. 
Es  ist,  als  sollte  der  boden  für  die  probleme  der  reformation  vorbereitet, 
der  mensch  zur  Selbsterkenntnis  gebracht  werden.  Dass  Gengenbach 
zur  rechteji  zeit  auftrat,  zeigt  die  grosse  beliebtheit,  der  sich  seine 
stücke  trotz  ihrer  stark  moralisierenden  tcndenz,  die  sich  durch  fast 
alle  seine  dichtungen  hindurchzieht,  erfreuten.  Er  dichtet  mit  dem 
offenbaren  zweck  zustände  und  menschen  zu  bessern.  Unter  dieser 
moralischen  tendenz  leidet  das  ästhetische,  künstlerische  moment;  was 
aber  schlimmer  ist,  es  geht  dabei  zuweilen  auch  die  psychologische 
Wahrheit  verloren.  Durch  die  endlosen  citate,  mit  denen  er  seinen 
Warnungen  ein-  und  nachdruck  zu  geben  sucht,  langweilt  er  den  Icser, 
schadet  er  dem  raschen  fluss  der  handlung.  Durchaus  unwahr  wirkt 
es  auf  der  anderen  seite,  wenn  die  lockende,  verführerische  Venns  den 
kriegsmann  durch  den  hinweis  auf  alle  die  zu  gewinnen  sucht,  denen 
sie  schon  leben  und  ehre  genommen  hat  (Gauchmatt  651  —  671).  Oder 
wenn  sie  ihrer  aufforderung  an  den  kriegsmann  ihr  zu  folgen  dadurch 
gehör  zu  schaffen  sucht,  dass  sie  sagt: 

Sobald  iclt  ein  Land  besitz,  mit  (jwall, 

Thün  ick  vergifftcn  jung  und  alt, 

Miinch,  pf äffen  itnd  auch  leyen. 

Das  sie  alle  spr/nycn  »tinen  regen. 

Vernunfft  und  ivitr^  farl  ir  do  hin. 

Darunib  usw.  (Goucbmat  ü^)2  —667.) 

Man  darf  ihm  diesen  fehler  nicht  zu  schwer  anrechnen,  charakteri- 
siert doch  jene  moralisierende  tendenz  die  gesamte  dichtung  des  16.  Jahr- 
hunderts, und  teilt  doch  ein  grösserer  als  er,  Hans  Sachs,  diese  schwäche. 
Wo  das  moralisierende  dement  nicht  so  in  den  Vordergrund  tritt,  wie 
in  den  Meisterliedern,  vor  allem  in  Tod,  teufcl  und  cngel  zeigt  er 
eine  gewisse  gcwandtheit  des  erzählens:  ein  einzelner,  kurzer  satz  führt 
die  handlung  rasch  weiter  (v.  102fgg.  158.  170.  180  fgg.).    Er  wirkt  durch 

1)  Ce.scli.d.d.  dicht.  2,  OOl. 

2)  Vgl.  auch  CreiisoDatü  a.a.O.  3,230, 


58  KÖNI3 

unvermittelte  nebeneinanderstelliing  von  gegensätzen  (v.  48  —  4i)).^  So 
glücken  ihm  auch  einzelne  lyrische  partieen  ganz  gut  (z.  b.  die  schon 
erwähnte  einleitung  des  alt  Eydgnoss).  Hier  kann  er  seiner  warmen 
empfindung  unmittelbaren  ausdruck' geben  und  wirkt  darum  auch. 

In  den  dramatischen  gedichten  ist  ein  fortschritt  des  künstlerischen 
könuens  nicht  zu  verkennen.  Ein  vergleich  zwischen  den  x Altern  und 
der  Gauchmatt  lehrt  das  deutlich.  Dort  typen,  fast  ohne  ansatz  zur 
Charakterisierung,  schemenhafte  gestalten,  die  zum  teil  die  rollen  ruhig 
wechseln  könnten:  was  der  vierzigjährige  sagt,  könnte  ebensogut  der 
50,  (50  oder  70jährige  mann  sprechen  und  umgekehrt.  Dazu  das  lang- 
weilige einerlei  des  aufbaus:  rede  des  einsiedlers,  antwort  des  gefragten, 
Warnung  des  einsiedlers  und  abschlägiges  schlusswort  des  ermahnten. 
Dem  gegenüber  ist  die  Gauchmatt  weit  lebendiger,  dramatischer.  Schon 
die  anzahl  der  personen  ist  eine  grössere,  mehrere  treten  zu  gleicher 
zeit  auf.  Daneben  haben  wir  gut  gelungene  ansätze  zur  Charakteri- 
sierung, zum  teil  mit  gutem  humor  gewürzt.  So  ist  dem  dichter  der 
bramarbasierende,  grosssprecherische  laudsknecht,  der  nachher  so  klein 
abgeht,  ganz  gut  gelungen,  nicht  minder  der  hochgelehrte,  wissensstolze 
doctor,  der  allwissende  astrologe,  der  aber,  wie  G.  mit  gutem  witz 
sagt,  doch  nicht  in  den  Sternen  lesen  konnte,  dass  siner  Venus  ecmaii 
kam,  dazu  der  alte,  auf  die  macht  seines  geldbeutels  vertrauende  gauch 
mit  seinem  schlotternden  köpf,  seinem  „gumpelnden"  herzen  und  seiner 
„rumpelnden"  liebe  und  endlich  die  köstliche  gestalt  des  bauern,  der 
ebensoviel  ergebung  und  liebe  zu  Venus  als  angst  vor  seiner  frau  be- 
sitzt, nebst  der  bäuerin,  die  dem  ganzen  mit  ihrer  tragikomischen  scene 
einen  humorvollen  abschluss  geben:  alles  lebenswahre,  gut  gezeichnete 
figuren.  Trotz  der  eben  gekennzeichneten  schwächen  in  den  x  Altern  be- 
steht Creizenachs  ausspruch  a. a. o,  3,288  zu  recht,  wenn  er  von  diesem 
werke  sagt:  „In  diesen  reden  findet  sich  manches  hübsch  beobachtete, 
sie  sind  belebt  durch  anschauliche  redewendungen  aus  dem  volkstüm- 
lichen Sprachschatz  und  durch  beziehungen  auf  die  besonderen  Verhält- 
nisse der  eidgenossenschaft." 

Was  den  Nollhart  anlangt,  der  uns  allerdings  nur  wenig  zu  fesseln 
vermag,  so  gilt  von  ihm  wol,  was  Baechtold  a.  a.  o.  s.  278  sagt:  „Der 
Nollhart  konnte  zu  einer  zeit,  da  kaisor  und  könig  um  Italien  stritten, 
im  inneren  der  verfall  des  reiches  eine  gewaltige  nationale  (und  liigen 
wir  hinzu  religiöse)  Umgestaltung  verkündete,  im  ostcn  die  Türken  die 
Christenheit   beunruhigten,    in    der    eidgenossenschaft   selbst    ein    neuer 

])  Im  eiuzelnen  s.  unten  ca[».  3. 


PAMPHILUS   GBNQEMBACH  59 

zustand  der  dinge  autkani,  in  einer  solclien  zeit  konnte  der  X.  mit 
seinen  vielfachen  historischen  anspielungen  und  sibyllinischen  Prophe- 
zeiungen nachhaltigen  eindruck  nicht  verfehlen."  ^ 

So  ist  Gengenbach  gewiss  kein  grosser  dichter,  aber  er  ist  doch 
ein  dichter,  er  versteht  das  leben  seiner  zeit  und  ist  voll  von  ihm. 
Was  uns  seine  gedieh te,  so  fern  sie  uns  heute  auch  liegen  mögen, 
dennoch  wert  macht,  das  ist  der  tiefe,  sittliche  ernst,  die  grosse,  un- 
erschrockene Wahrheitsliebe,  die  aus  allen  seinen  liedorn  herausklingt. 
Es  ist  seine  art,  zu  allen  ereignissen,  die  in  sein  leben  hineingreifen, 
dichterisch  Stellung  zu  nehmen.  SolKo  ihn  die  grösste  bcwegung,  die 
seine  zeit  durchbrauste  und  auch  seine  Vaterstadt  nuichtvoU  ergriff, 
unberührt  gelassen  haben? 


Capitol  11. 

Die  spräche  Geiigeubaohs,  verjsrliclien  mit  den  Toteiifressern  und  der  Novella. 

Wie  Sebastian  Braut  in  seinem  Xarrenschift".  so  bedient  sich  auch 
Gengenbach  in  seinen  werken  „jener  oberrheinischen  Schriftsprache,  wie 
sie  von  Basel  bis  Strassburg  üblich  war.""-  Diese  spräche  ist  mehr  als 
unsere  neuhochdeutsche  eine  litteratursprache  und  doch  zugleich  mehr 
mundartlich  gefärbt  als  diese,  sie  ist  die  alemannische  Schriftsprache. 
Ihre  grundlage  ist  durchaus  der  alemannische  dialekt,  aber  sie  ist  mit 
zahlreichen  dementen  durchsetzt,  die  aus  der  litterarischen  tradition 
übernommen  wurden.  Zwischen  diesen  beiden  bestaudteilen  werden 
wir  namentlich  bei  der  Untersuchung  der  reime  immer  zu  scheiden 
haben.  Diese  Zusammensetzung  hat  nun  aber  nicht  nur  ihre  historische 
grundlage,  sie  kam  auch  einem  praktischen  bedürfnis  entgegen:  man 
wollte  dadurch  litterarischen  erzeugnissen  ein  grösseres  absatzgebiet  ge- 
winnen. Wie  sehr  trotzdem  in  dieser  spräche  das  dialektische  element 
überwog,  das  zeigt  die  tatsachc,  dass  man  es  z.  b.  in  Nürnberg  für 
nötig  hielt,  das  Narrenschiff  in  die  heimische  mundart  umzusetzen. 
AVir  begreifen  das  verfahren  -  bei  der  einschneidenden  Verschiedenheit, 
wie  sie  durch  die  neuhochdeutsche  diphthongierung  zwischen  beiden 
dialekten  geschaffen  war:  der  Nürnberger  dialekt  hatte  sie  durchgeführt, 
die  oberrheinische  Schriftsprache  war  streng  auf  dem  alten  lautstand 
stehen  geblieben.  Das  gilt  zunächst  für  Sebastian  Brant,  es  gilt  auch 
noch  für  Pamphilus  Gengenbach. 

1)  Vgl.  auch  Creizeuacli  3,230. 

2)  Singer  a.  a.  o.  s.  154. 


60  KÖNIG 

Zwar  scheint  ein  flüchtiger  blick  in  seine  dichtungen  das  gegen- 
teil  zu  beweisen:  ein  buntes  durcheinander  diphthongierter  und  un- 
diphthungiorter  formen  tritt  uns  entgegen.  Das  ergebnis  der  roimunter- 
suchung  zeigt  jedoch,  dass  der  dichter  keinen  einzigen  reim  von  neuem 
auf  alten  diphthongen  kennt. ^  Das  gilt  in  gleicher  weise  von  der 
diphthongierung  des  i>ei,  wie  von  der  des  ü>-cm,  m>eu.  Wir 
haben,  wo  wir  solche  neuen  diphthonge  und  cd  für  ei  oder  aa  für  ok 
gedruckt  finden,  mit  willkürlichkeiten  des  setzers  zu  rechnen.  Gengen- 
bach sowol  wie  der  Verfasser  der  Totenfresser  und  der  Novella  kennt 
keinen  reim  von  mhd.  i :  cf^,  il:ou,  iu:öu.  Vergleichen  wir  nun  vom 
mhd.  ausgehend  Gengenbachs  spräche  mit  der  von  T.  und  Na. 

Es  läge  vielleicht  näher  die  beiden  fraglichen  gedichte  in  den 
Vordergrund  zu  stellen  und  zu  zeigen,  dass  ihre  spräche  genau  die 
Gengenbachs  ist.  Allein  dies  verfahren  schlage  ich  deshalb  nicht  ein, 
weil  die  darstellung  dann  unter  zwei  missständen  zu  leiden  hätte.  Ein- 
mal ist  die  summe  der  verse  von  T  und  Na  bedeutend  kleiner  als  die  der 
als  Gengenbachisch  anerkannten  stücke^.  Zum  andern  aber  liegt  es  mir 
daran,  einen  genauen  nach  weis  aus  der  spräche  für  meine  behauptung^ 
zu  erbringen,  dass  Gengenbach  aus  Basel  und  nicht  aus  Nürnberg 
stamme.  Es  liegt  auf  der  band,  dass  dieser  zweck  bei  dem  umgekehrten 
verfahren  nur  schlecht  erreicht  werden  könnte''. 


1.   Lautlehre. 

A.   Vo  c  a  1  i  s  m  u  s. 

1.  Kurze  vocale. 

1.  mhd.  a  ist  bei  Gerigenbacli  und  iu  T  und  Na  widergegeben  durch 
ü:  beispiele  unnötig-, 

o:  stodt  X  Alt.  813,  a.  E  365  (vgl.  Zarucke,  Narrenschiff  s.  26S): 
c:  hert  N  749,  vgl.  zu  dieser  specifiseh  alemannischen   (im  Nürnhergischen 
auffälligen)  form  Schw.  Id.  2,  1041. 

1)  Vgl.  Gessler  a.a.O.  s.S. 

2)  Singer  s.  15J,  z.  10  'einmal  i  :  ci'  ist  Anz.  27,  284  von  ihm  selbst  in  'nie- 
mals' gebessert  worden. 

3)  Ich  scheide  Gengenbachs  stücke  und  T  und  Na,  verstehe  also  uutoi'  Gengen- 
bachs gedichten  im  laufe  der  darstellung  nur  die  ihm  allgemein  zugeschriebenen. 

4)  Vgl.  oben  s.  52. 

5)  Ähnliche  erwäguugen  bestimmten  mich  auch  sjjäter  für  die  metrik  (cap.  4) 
und  um  dci'  cinheitlichkcit  der  darstellung  willen  auch  bei  der  behandlung  der  syn- 
taktischen und  stilistischen  eigentümlichkeitcn  (cap.  3),  das  gleiche  verfahicn  ein- 
zuschlagen. 


PAMPH1LD8    QKSQKNBAOH  61 

2.  nilul.  e-'  =  e, 

=  (?.  In  (Ion  Gengenbachschen  stücken  sehr  häufig,  aber  auch  in 
T  und  Xa  nit'lit  selten:  T  /äfjcn  23,  ijüben  24,  widerstrüben  28,  u-nll  30.  '^C.  G5.  OG. 
U4;  Xa  hr.gärt  1,  (jsuhen  9,  ///^r  12,  M6<e«  40.  131.  193/4  i;sw. 

Es  ist  das  deutliche  bestreben  vorhanden  die  beiden  im  dialekt  geschiedenen 
*'-hiuto  auch  durcli  den  druck  zu  trennen.  Es  ist  aucli  nicht  blosser  zufali,  dass 
dieser  laut  v  durch  (i  widergegeben  wird,  d.  h.  durch  dieselbe  type,  die  auch  für  den 
umlaut  des  laugen  a  angewendet  wird.  Denn  in  Basel  spricht  man  heute  e=^ä(vgl. 
Hotfmana  §  165.  lOG),  vor  lenis  sogar  genau  so  wie  den  a- umlaut.  Es  ist  dalier 
bemerkenswert,  dass  die  widergabe  des  e  durch  ä  sich  in  beiden  gruppen  besonders 
häuflg  in  dem  worte  leben  findet.  Auf  der  andern  seite  möchte  ich  darauf  hinweisen, 
dass  diese  ä  bei  Hans  Sachs  selten  sind  (vgl.  v.  Bahder  s.  116). 

=  a.  Sehr  häufig  in  har;  bei  Gengenbach  findet  sich  ein  schwanken  zwischen 
dieser  ecbt  alemannischen  form  (AG  §11)  und  der  form  her:  her  Jud.  480,  TTE  41. 
190,  X  Alt.  652.  833,  G  1115.  11S7;  /««r  B  90,  TTE  148,  X  1382.  Dasselbe  schwanken 
siehe  auch  Xa:  her  643.  678.  766.  890;  hur  658.  690.  701.  884.  961. 

3.  mhd.  e  =  e. 

=  «,  doch  sehr  selten,  nuitz.  G  736,  häncken  G  1120,  pfärd  G  724, 
tuschen  :  mischen  G  1018,  müntel  G  463.  —  Xa  schwünck  59,  kätzer :  Schwätzer  91, 
stuckt  598,  siittel  641.  Vor  n  -\-  consonant  fällt  heute  in  Basel  e  mit  e  (ausser  vor 
lenis)  zusammen,  desgleichen  hat  der  heutige  dialect  in  mätx^  kcdxer^  schwätxer^  sowie 
in  tuschen  und  mischen  ü  für  c  (Hoffmaun  s.  49).  Wir  haben  also  in  diesen  werten 
ein  nicht  zu  unterschätzendes  criterium  für  die  heimat  des  dichters. 

=  0  vor  r  durchaus  erklärlich  (Hoffmann  §  156.  192):  mar  N  130,  fast  N  799, 
wurt  X  825,  gefurt  X  389.  10G9;  T  büßfurtiy  15;  Xa  host  63,  mit  beabsichtigtem 
Wortspiel  673.  376. 

4.  mhd.  i  ist  durch  i  und  y  ohne  erkennbaren  unterschied  widergegeben,  doch 
so,  dass  y  im  auslaut  überwiegt. 

=  «:  würstu  X  Alt.  80,  eiäpfündt  x  Alt.  249  und  öfter;  Xa  87  u/f'wüschst  {\g[. 
Stirius  s.  24«;  vor  nasal  si)ecifisch  schweizerisch,  vgl.  v.  Bahder  s.  183). 

•').  mhd.  0  =  0. 

=  0:  dort  Jud.  521  und  öfter;  auch  Xa  383.  437.508.  Vgl.  Strauch. 
ME,  s.  LXXXl. 

=  «  in  ran  w.  F  215.  254;  Jud.  92.  Diese  formen  sind  auch  alom.  nicht  uu~ 
erholt  (AG  §  11;  Zarncke  s.  277). 

6.  mhd.  0  =  6,  selten  ö. 

7.  u  =  u. 

=  0  in  son  (:  Mithon)  G  ^3  und  so  immer  im  reim.  Diese  mitteldeutsche 
form  ist  um  die  zeit  Gengenbachs  auch  in  Nürnberg  noch  selten,  im  Alem.  gewinnt 
sie  nie  völlig  eingang.  Es  kann  nicht  geleugnet  werden ,  dass  diese  rein  mitteld.  form 
für  einen  oberd.  dichter  auffällig  ist.  Im  übrigen  hat  Gengenbach  auch  die  form  snn^ 
vgl.  B  G7  siin. 

Über  das  aus  u  gebrochene  0  s.  unter  brechung. 

5.  mhd.  ü  =  ü. 

=  ü:  fürter  w.  F  58;  iümjer  B  52  u.  ö.  —  Xa  wüst  418. 
=  6:  fürchten,  furcht  a.  E  79;  w.  F  208  usw.  —  Xa  143.811.883. 
993.    Vgl.  Hoffmann  §  195;  Schw.  Id.  1,  993. 


62  KiJNIG 

2.   Lange  vocale. 

1.  rahd.  u^=a  uud  damit  im  Wechsel  die  durcliaus  dialektische  Schreibung  o: 
■wogen  N  1194;  j/or  :  c/or  x  Alt.  18,  Imi  23,  slon  64.  —  T  somen  179,  iorxyt  ;"),">.  — 
Na  oheMlhür  3,  /ror  297,  verston  333. 

2.  mhd.  <-<■  = «.  Diese  widergabe  ist  die  gewöhnliche  uud  drückt  die  offene 
tiualittit  dieses  lautes  aus.  krüen  w.  F  45,  gestrult  167,  fürsäch  147;  schwur  Jud. 
407;  säien  mäien  G  1133  (baslerisch,  vgl,  Schw.  Id.  4,  1.35).  —  T  mär  75;  Na  mär 
1.  13  und  öfter. 

=  e:  vor  ;•  berechtigte  widergabe,  in  der  heutigen  Baseler  mundait  fallen  hier 
e  und  r«  fast  zusammen  (Hoifmaun  §153.  163;  AG  §  39).  Es  ist  verständlich,  dass 
diese  type  von  hier  aus  auch  sonst  für  a'  gebraucht  wurde. 

n-er  w.  F  146.  278;  B  149;  erhleren  w,  F  173;  tveren  B25;  kern  w.  F  6,  spen 
227;  gschexh  G  47.  —  T  iceren  58.  59;  Na  wer  211.  588.  947.  1009,  nem  3(il. 

3.  }iihd.  ll  =■'  e. 

=  ee:  leer  G  35.  1028  u.  ö.;  meer  w.  F  59,  eer  w.  F  180;  x  Alt.  457; 
Eeman  G  .375.  391.  477.  482,  Ee  390,  eclich  431.  Auf  dieselben  worte  beschränkt 
sich  mit  einer  {eer(is)  Na  590)  sicher  auf  ein  versehen  des  setzers  zurückzufühi-enden 
ausnähme  die  doppelschreibung  des  e  auch  in  T  und  Na:  T  leer  67.  78,  meer  68; 
Na  leer  110.  178.  342.  450.  466.  476.  492.  628,  meer  111.  179.  493,  eer  281,  eer- 
lich  328.  .349,  ee-wiher  317. 

=  o:  kör  x  Alt.  691;  G  940;  rerkört  x  Alt.  829;  korl  N  826.  —  Na  kort  673. 
Vor  r  haben  (p  und  e  im  heutigen  dialekt  gleichen  lautwert,  vgl.  Zarucke  s.  271; 
Stirius  s.  12. 

4.  mhd.  ?  ^  «';  daneben  im  auslaut  y. 

=  ü  in  schüßkachel  G  284;  vgl.  s.  61. 

5.  mhd.  0  =  0. 

=  a:  lern  w.  F  53.  216;  Jud.  70  neben  ebenso  häufigem  km. 

6.  mhd. '^'=61:  zerstört  N  110;  T  erlösen  7;  Na  Römer  232. 

=  0:  döster  G  879;  böhem  N  55. 
=  0:  vgl.  ' Umlaut'. 

7.  mhd.ü  =  u:  buwt  G  1285;  spuwten  Jud.  34.  —  Na  bwrt  100. 

=  au:  s.  oben  s.  60. 

3.  Diphthonge. 

1.  mhd.  ei  =  ei  resp.  e?/:  gschrey  :  mancherley  w.  F  13.  —  Na  sehrey  :  ou-ey  703. 

=  «i  geht  auf  den  setzer  zurück,  s.  oben  s.  60. 
=  e  im   Worte  hdg  der  synkopierten  form  von  heilig:,  das  Basel- 
deutsche hat  diese  form   noch  heute  (Schw.  Id.  2,  1151).     Dagegen  zeigen  die  vollen 
formen  den  diphthoug,  also:  helge  stat  N  154,  helger  vater  N  150,  heltumb  N  954, 
aber  heilig  erd  N  1018.  1025;  —  ebenso  Na  helgen  146,  aber  heilig  347. 

=  ^  in  myd  Jud.  157  im  reim  auf  gleit  ist  wol  druckfehler. 

=  öi  in  fröidig  G  740.  Im  heutigen  alem.  dialekt  fallen  die  laute  öa  uud  ei 
in  einem  ai  zusammen  (Stirius  §  12,  Zarncke  278,  24).  Für  denselben  laut  werden 
dann  die  beiden  typen  willkürlich  verwendet. 

=  e2<:  geneugt  N  35. 

2.  mhd.  QU  =  ou. 

=  au  vgl.  oben  s.  60. 


PAMPHH.US  oj;n(iknbach  Ö3 

3.  inlul.  IJif.  Das  schwaiikeu,  das  in  der  wideigabe  dieses  laute«  seliou  In 
»ibd.  zeit  heiTRclit,  deliiit  sich  bei  Geügenbacli  wit;  scliou  bei  Braut  (Zarucke  s.  270) 
wf'itiM'  aus.     Er  wird  bezeichnet  durch : 

6ü :  l/(jüj)te)\  tröiini ,  goüchisc/i ,  oüijUn  —  froüden  w.  F  2154.  —  Na  yoückel- 
infw  290. 

=  6i:  fr6id(en)  G  164.  277.  —  T  frmd(cn)  9:5. 

=  Oll :  Troijlus  G  655. 

=  eu:  nicht  nur  da,  wo  es  etymologisch  berechtigt  wäre,  wie  in  freüd^  sondern 
für  (■/■//,  und  hier  besonders  beliebt  in  (jruch  G  75.  147.  213.  256.  263  usw. 

=  ??:  guchery  G  399.  —  Na  ()nch  876,  vgl.  AG  s.  59. 

=  eiv:  etymologisch  richtig  ist  Jieic  x  Alt.  782  gegenüber  sonstige)'  Schreibung  oiv. 

=  ei:jeichen  G  537,  727  (gegenüber  eu  G  1289). 

4.  nihd.  «/,  sowol  alter  diphthong  wie  ??-unilaut  ist  widergegeben  durch  ü 
{tatsche,  htrügt,  lügt;  Na  fräntlieli  usw.).  Die  ziemlich  zahlreichen  eW^  sind  wie  ai 
und  au  zu  beurteilen,  s.  oben  s.  60. 

ir.  hfä  B  3,  bedüt  N  203,  Jifden  G  275;  Na  crütx  452. 

5.  mhd.  ip=zic\  tliier^  rniet  rieff^  liegen -.btr legen  Jud.  452. 

=  ?' .  Im  praet.  der  red.  verba  gmigan  ^  fulian^  Itfihaii  -.genug  :  fing  w.  F  21 
(vgl.  Zarucke  s.  270;  s.  unten). 

=  ü:  Mi  ff  Jud.  299.  -  Na  758  (AG  s.  332). 

=  ü\  rüffe  Jud.  164;  noch  im  heutigen  Baseler  dialekt  gehen  raffe  und  rieffe 
nebeneinander  her,  s.  Seiler  s.  242. 

6.  ü  =  ü  mi'(tei\  bri'idor\  T  güt\  Na  beschicür. 

=  ä:  a.  E  1;  B  78;  Jud.  85  usw.  Na  89  usw.  In  dieser  widergabe  haben 
wir  das  bestreben  zu  erblicken,  die  lieute  vollzogene  s<,'hwächung  von  n<>  zu  na  aus- 
zudiückeu  (Hoffmann  §  208,  vgl.  auch  Zarncke  s.  270). 

=  u:  Jud.  91.  115  reimen  die  präteritalformen  von  stau  auf  u:  abstund:  kund., 
gefunden :  stunden;  sie  begegnen  nur  in  diesem  einen  Geugenbachscheu  gedieht;  vgl. 
Weinhold,  Mhd.  gr.  §  353. 

=  «,  o:  thon,  than  =  tun  x  Alt.  78.  789;  a.  E  290.  Im  Nürnb.  sind  diese 
fi»rnion  allerdings  die  gewöhnlichen.  Sie  sind  aber  auch  auf  aiemannischem  bodeu 
nicht  unerhört  (AG  §41.  44.  91.  354-). 

7.  üe  =  ü  {niüssig,  demiltig). 

=-^■e:  /;e/-eM  G  889  (Hoffmanu  §209). 
Als  druckfehler  sind  wol  anzusehen: 
J  für  6  B  121;  Jud.  31;  x  Alt.  681.  SU. 
(l  für  a  X  Alt.  290.  337.  588.  756. 
il  für  n  Jud.  68.  76. 
n  für  ü  X  Alt.  755  (gegenüber  O  1083). 

4.  Der  umlaut. 
In  vielen  fällen  ist  der  umlaut  durchgeführt  auch  da,  wo  er  im  alera.  dialekt 
sonst  unterblieben   ist;   hell  x  Alt.  66,  gefeit  190;  —  Na  holt  342,  gschendt  (:  f.eut) 

1)  U'ugen  Jud.  453  ist  nicht  etwa  'leugnen',  sondern  'lügen',  vgl.  Deutsches 
Wörterbuch  6,  1276. 

2)  Auch  hier  sind  wie  oben  bei  stunt  formen  aus  T  und  Na  nicht  zu  belegen, 
es  ist  aber  darauf  hinzuweisen,  dass  sie  in  einem  so  umfangreichen  gedieht  wie  N, 
das  mehr  vcrse  zählt  als  T  und  Na  zusammen,  gleichfalls  nicht  vorkoznmen. 


64  KÖNIÖ 

019,  gschändt  IIA.  Daneben  stehen  aber  zahheiclie  unnmgelantete  formen,  namenl- 
licli  vor  den  consopantverbinclungen  r/,  //,  ■)!-{-  consonant  und  vor  den  affricateu  ^j/', 
/;,  f/l-,  ganz  wie  es  der  dialekt  fordert. 

1.  ft-umlaut.  Er  fehlt  in:  halt  x  Alt.  ISO.  G98;  (jfall  x  Alt.Gll;  G  529,  1259; 
fart  G  976;  wider fart  Jud.  360;  gschändt  N  23;  schandtiich  360  (Seiler  s.  250  zu 
Schund).  —  T  gschant  38,  schandtiich  143;  Jfa  halt  599.  982,  gschändt  487, 
schandtiich  338.  445. 

2.  ?f- Umlaut.  Er  fehlt  in:  fult  G  IGl;  mrnickt  w.  E  148;  trucken  G  140; 
hucken  139;  ?<j9j;?^/  G  44.  46;  burger  G  32  und  öfter,  immer  in  icnrd.  —  Na  ver- 
guckt 760.  1075;  tvurd  172,  315.  361.  567  592;  T  71.  Der  umlaut  ist  graphisch 
nicht  immer  ausgedrückt  in  über  und  iihel\  auch  Na  uber  44.  193.  434;  nbel  191. 

3.  o-umlaut.  Er  fehlt  in:  betört  x  Alt.  235;  dorecht  G  650;  hört  430;  doten 
X  Alt.  310;  erlost  541  und  öfter;  —  Na  hört  301.  441.  508.  571.  816;  torecht  377. 

4.  aet- umlaut.     Er  fehlt  in  rauher  x  Alt.  315. 

5.  Rückumlaut  liegt  vor  in:  xerxart  Jud.  39;  gesalzt  491;  xertrant  x  Alt.  4(i9; 
erxalt  490;  —  Na  schankt  633;  nach  Paul  (Mhd.  gramm.  §  169  a.  3)  auch  in:  larten 
xAlt.  88.  112;  kart  w.  F  94;  art  x  Alt.  223;  —  Na  kart  932.  Diese  formen  sind 
auch  im  Alem.  nicht  unerhört  (AG  §34).  Für  das  10.  jh.  weist  sie  Schw.  Id.  3,  436. 
1368  nach  (vgl.  noch  D.  wb.  5,409.  6,  554.  561). 

Jüngeren  rein  dialektischen  umlaut  haben  wir  in  tuschen  :  niische?/  G  1017;  — 
Na  laschen  768.    Vgl.  Stirius  s.  10 fg. 

5.  Brechung. 
Die  „brechung"  von  ic  zu  o  ist  bei  Gengenbach  erst  in  den  anfangen,  er  hat  zwar 
gebrochene  formen  wie  fromm .,  genommen  (:  schonen  a.  E  237),  doch  sind  diese  durch- 
aus in  der  minderzahl.  Dazu  kommt,  dass  wir,  da  sich  die  ungebroclienen  formen 
vor  allem  im  reim  finden,  juehrere  der  gebrochenen  fonnen  vielleicht  dem  setzer  zu- 
schreiben dürfen.  So  ist  z.  b.  ein  reim  wie  kommen  :  stommen  x  Alt.  599 ,  natüiiich 
als  kummen :  sttommen  aufzufassen.  Die  ungebrochenen  formen  sind  dagegen  ge- 
sichert durch  reime  wie  frummen  :  gerungen  N  335  und  drumh  —  kum  G  1023. 
Beispiele  für: 

a)  gebrochene  formen:  a.  E  54;  B  70.  90;  Jud.  13.  364;  x  Alt.  94.  248.  317. 
438;  N  402.  1434;  G  842;  —  T  90.  95. 

b)  ungebrochene  formen:  a.  E  4.  151.  153.  179.  181.  268;  B  02.  09;  Jud.  37. 
41.  302.  306.  499.  500;  x  Alt.  197.  435.  490.  824.  834;  N  42.  43.  64.  89.  138.  334. 
336.  346.  590.  669.  723.  769.  901.  976.  1045.  1270/1.  1289.  1309.  1339.  1439/40; 
G  108.  114.  127.  336.  378.  569.  750.  7,58.  797.  1022/3.  1125/6.  1127.  1248/9.  1274/5;  — 
T  76.  81.  104.  113.  225;  Na  12.  117.  477.  582.  010.  081.  814.  834.  890.  961. 
987.  1071. 

Zu  erwähnen  sind  die  noch  heute  in  Basel  gebräuchlichen  (vgl.  Seiler  s.  318, 
auch  Auz.  20,  222)  formen  uorgen  (trans.)  N  1303;  erworgen  (intrans.)  G  5itl;  — 
erworgen  (intrans.)  auch  Na  254. 

B.   C  0  n  s  0  n  a  n  t  i  s  m  u  s. 
1.  Liquiden,     tn  wird  im  auslaut  dem  dialekt  gemäss  zu  n  in  hein  G  300;  — 
Na  kein  501  (AG  s.  172).     Der  grammatische  Wechsel  ist  bei  Gengenbach  wie  in  T 
und  Na  in  dem  werte  verlieren  völlig  ausgeglichen,  bei  u-csan  gehen  nur  und  was 
nebeneinander  her. 


PAMPHILUS    GKNOKNBACII  (>."> 

2.  Mutae.  a)  Labiale.  Die  auch  sonst  verbreitete  ueiguug,  den  y.wisclien  -»i 
uud  folgendem  dental  auftretenden  y.wischenlaut  graphisch  auszudrücken,  beobachten 
wir  auch  bei  Gengeubaeh:  Iietnbd  N  8ü4;  ijenenipt  C  88;  heschinupten  a.  E  08; 
frembd  80;  kutupt  B  99;  mwibt  Jud.  79;  desgleichen  T  hinniinpt  17,  bcstivqd  18, 
kioiipt  70;  Na  hiuirpst  12,  abniinpf  97,  nempt  400.  —  Beachtenswert  ist  noch  die 
sehärfuug  des  ju  in  sc/tar^/f  N  079.  b)  Dentale.  Unorganisches  ^  liegt  vor  lü.  damtoht 
G  631.  1007;  dienentivülen  G  042;  —  Na  dannoht  19.   190.  829. 

;:t  und  §  werden  streng  auseinander  gehalten.  Die  affricata  wird  aus-  und 
inlautend  stets  durch /^  gegeben :  gantx^  kürt/Jich,  scliert>\,en  ^  frantxoscir,  —  T  schütx 
22,  crütx.  35,  sltxen  100;  Na  hurix,  062,  härtxen  710,  sehii/nrhen  717  usw. 

Der  mhd.  Spirant  :t  wird  bezeichnet  mit: 

1.  .>.•  nicht  mir  im  pronomcn  und  der  neutralen  adjectivendung,  sondern  auch 
im  wortinuern  und  zwar  zwischen  vocalen  ebenso  wie  vor  t:  das  w.  F  11;  was  bas 
fticas  Jud.  47.  48.  49;  —  u-yse  (albus)  w.  F  110;  eutbloset  B  75;  dreysig  N  119. 
411;  —  last  X  Alt.  324;  grost  G  935;  mäst  G  988.  994  usw.;  iveist  G  222;  — 
T  das  50,  geivissers  47;  must  02.  82.  99.  118;  Na  das  715,  es  530,  —  wyse  (albus) 
438,  mfist  101.  107.  314. 1026,  gröst  414,  iveist  272.  340.  Auch  hierin  haben  wir  einen 
versuch,  die  dialektische  ausspräche  widerzugeben.  Vgl.  Heusler  §  24;  für  mäst  auch 
Seiler  s.  211.  Erwähnt  sei  auch,  dass  ahd.  /rixago  mit  einer  ausnähme  (icissagin  N210) 
stets  mit  einfachem  s  erscheint:  w.  F  113:  N  30.  158.  470.  712.  1084.  1093.  1318.  1378. 

2.  X  gewöhnlich  nur  am  pronomen  in  der  abkürzung  dx  w.F  111'  149.  T  182.  224. 

3.  ß  im  auslaut  fkiß  w.  F  III,  groß  38,  ließ  98,  daß  lOO,  baß  \39;—  Na  daß 
719,  »wß  420;  T  baß  214.  216. 

4.  i's  gewöhnlich  im  wortinnern  zwischen  vocalen:  grosse  a.  E  93;  heissen 
S  ÖOC)  u.  ö.     Die  geniinierte  fricativa  wird  stets  durch  ss  widergegeben. 

5.  mhd.  s  ^^  ß  gewöhnlich  im  wort-  und  Silbenauslaut,  sogar  in  fallen ,  wo  s 
der  rest  des  angeschleiften  pronomens  oder  neutralsuf fixes  ist.  syß  a.  E  74;  keinß 
IX.  E  139;  thanß  a.  E  244;  daß  N  1339;  sieß  N  1481.  —  Na  dieß  90;  T  imß  24.  32.  39. 

ts  wird  bald  durch  ts,  bald  durch  tx  gegeben,  a)  ts:  gelts  a.  E203;  Na  gots- 
dienst  120;  b)  tx:  gütx  a.  E  147;  sogar  thüntx  G  130(J;  Na  ylendtx  003.  749.  758. 

Die  Verbindung  tst  ist  einmal  in  anlehuung  an  den  dialekt  höchst  charakteristisch 
durch  /sc7/.  gegeben:  tödtsch  x  Alt.  472.  Ebenso  durch  dialektischen  zusammenfall  von 
st  uud  seht  bedingt  ist  die  widergabe  dss  seht  durch  st  in  geinist  w.  F  219;  myst  222; 
gemist  {:  ist)  w.F  128;  vgl.  auch  den  reim  Christen:  mischen  Jud.  389  und  Na  ent- 
riisi  :  ufftrüschst  87. 

c)  Gutturale.  Gleichfalls  alemannisch  ist  g  als  übergangslaut  zwischen  vocalen: 
figend  a.  E  44;  sigst  N  715;  sigen  G  148;  —  Na  sigst  1084,  ebenso  die  präfigierung 
eines  h  in  herman  x  Alt.  841  (AG  230). 

1)  Mit  röm.  Ziffern  bezeichne  ich  die  ausserhalb  der  verszählung  stehenden 
eingangsverso. 

(Schluss  folgt.) 

HECKLIXGEX    (aNHAI.t).  HANS    KÜNIÜ. 


ZBITSCHRIFT    F.    DEUTSCHK    PIIILOLOÜIK.       KD.   XXXVII. 


6ü 


URBAN  RHEGIUS  ALS  SATIRIKER 

Schade  druckt  im  dritten  bände  der  Satiren  und  pasquillo  aus  der 
reformatiouszeit  die  'Klag  und  Antwort  von  lutherisclien  und  piipstischen 
Pfaffen  über  die  lleforynation ,  so  neulich  xu  Begenshurg  der  Priester 
halben  ausgegangen  ist'  ab.  Strobel,  Planck,  Christoph  von  Scliniid  und 
Baur  halten  mit  mehr  oder  weniger  bestimmt heit  Johann  Eberlin  von 
Günzburg  für  den  Verfasser  der  anonymen  tlugschrift,  hauptsächlich 
deshalb,  weil  auf  einem  exemplar  Eberlins  name  von  alter  band  bei- 
geschrieben ist  (vgl.  Gott.  gel.  anz.  1897,  I,  4).  Wie  der  alte  leser  zu 
seiner  ansieht  gekommen  ist,  ob  er  bescheid  wissen  konnte,  ist  nicht 
bekannt,  seine  Vermutung  bedarf  in  jedem  falle  der  nachprüfang,  die 
sich  in  ermanglung  directer  Zeugnisse  auf  Charakter  und  stil  der  tlug- 
schrift richten  muss. 

Die  Schrift  fällt  in  den  Spätsommer  1524,  zwischen  den  7.  juü, 
von  dem  die  Constitution  des  Regensburger  conventes  datiert  ist,  und 
den  12.  September,  an  dem  der  Nürnberger  rat  strafen  wegen  des  Ver- 
triebs von  Pamphleten  über  die  reformation  der  'Fladenweiher'  be- 
schloss,  also  in  eine  zeit,  in  der  sich  Eberlin,  der  in  Erfurt  lebte  und 
von  dem  Regensburger  convent  äusserlich  nicht  berührt  wurde,  von 
der  zeitsatire  schon  völlig  abgewendet  und  auf  die  theologische  schrift- 
stellerei  zurückgezogen  hatte.  Unter  dem  einfluss  der  Wittenberger 
reformatoren ,  namentlich  Melanchthons,  war  er  massiger  und  milder  ge- 
worden, seine  reformatorische  tätigkeit  hatte  sich  verinnerlicht  und 
vertieft.  Die  stellen  mehren  sich  in  seinen  Schriften,  in  denen  er  die 
evangelischen  prediger  tadelt,  die  schroff  gegen  die  äusseren  formen  des 
papstturas  vorgehen,  statt  den  nachdruck  allein  auf  den  positiven  teil 
der  predigt  zu  legen.  Der  kämpf  gegen  die  äusseren  formen  des  katho- 
lischen gottesdienstes  scheint  seinem  Optimismus  gar  nicht  mehr  nötig, 
sonderlich  in  disen  tagen  in  imsern  landen,  so  das  ceremotiisch 
Bapsthumb  schier  gar  ist  zu  spot  worden,  vnrul  das  vberig  nit  vil 
schaden  ihon  mag  (3,  266). 

Die  anonyme  flugschrift  spottet  aber  vorwiegend  über  diese  formen. 
Eberlin  schreibt  3,  209  gegen  die,  die  das  volk  reizen  tüidder  Pfaffen 
vnd  Manche,  sagen,  yhr  iveßen  sey  boß  vnd  gottloß,  yhre  lere  seg 
falsch,  yhre  beywohnung  sey  schedlich,  das  getvohnlich  fasten,  beycliten, 
meßhören,  saerame^it  empfahen,  betten,  kyrchgang,  fcyertag,  gellte 
nichts  XU  der  seligkeyt,  die  werck  thuens  nicht,  der  glawbe  mache  alleyn 
selig,  denn,  fallen  die  xuhorer  drauff,  nemens  an,  nicht  den  glaicben 
ari  Christtim,  sondern  den  wahn  vnd  gefallen   vher  dieser  rede,   man 


ÜRBAN    nilKGIÜS  07 

kann  aber   den    Inhalt   dor   lhii;schritt   kaum    bessor  bezoicliiuMi    als   init 
diesen  worten. 

Dass  sich  Eberlin  und  die  flugschrift  in  ihrem  gegenständ  öfters 
berühren,  kann  nichts  beweisen,  denn  diese  folgt  pnnkt  fin-  punkt  dem 
'Kurtzen  außzug  einer  Reformation,  wie  es  hynfürter  die  Priester  halten 
sollen,  zu  Regenßpurgk  nechster  versamlung  betracht,  berathschlagt, 
vnd  beschlossen,  im  Jar  .M.D.XXiiij'i.  Anklänge  im  einzelnen  bleiben 
dabei  nicht  aus:  die  pfaffen  beklagen  sich  Sat.  3,  186,  dass  ihnen  alle 
schuld  zugeschoben  wird,  die  die  prälaten  tragen,  dieselbe  klage  spricht 
Eberlin  3,272  aus.  Sat.  3,138  lehrt  den  grundsatz,  schrift  mit  schrift 
zu  erläutern,  wie  Eberlin  1,  203fg.  2,  167.  3,  17,  aber  dieser  grundsatz 
war  damals  durch  Luther  gemeingut  geworden.  Auch  in  seiner  litteratur- 
kountnis  trifft  der  anonymus  gelegentlieh  mit  Eberlin  zusammen, 
Sat.  3,138  weist  er  auf  Augustins  libri  retractationum  hin  wie  Eberlin 
1,202.  3,  76,  auch  von  den  scholastischen  lehrbüchern,  die  er  Sat.  3, 139 
aufzählt,  kehren  einige  bei  Eberlin  2,69  wider.  Die  papistischen  pfaffen 
fürchten  Sat.  3,141,  daß  si  uns  eben  dariimh  in  die  ee  xu  greifen  nit 
lüollen  vergünnen ,  daß  si  fürchten,  inen  werde  ain  (lies  an)  jarlicher 
hürenzins  ahgeen,  ähnlich  spricht  Eberlin  2, 30 fg.  von  bischöfen,  die 
ei/i  freiid  haben  ob  dem  bubischen  geivyn,  den  sie  von  i^f äffen  huren 
haben,  vnd  lieber  eynem  xehen  huren  xidiessen,  dan  das  sie  eynen 
Hessen  EeUchen  stand  annemen.  Die  papistischen  pfaffen  loben  Sat.  3, 155, 
dass  man  widerspänstigen  bauern  droht,  man  werde  sie  einst  nicht  auf 
dem  kirchhof  begraben,  sondern  in  ungeweihter  erde,  und  sie  damit 
schreckt,  entsprechend  sagt  Eberlin  3,175  das  kirckoff  iveyhen  ist  sunst 
\ii  nicJite  gut  dan  die  paurn  doniit  xuer  sehr  ecken,  man  woll  si  nit 
darauff  begraben,  ivan  sie  nit  thun  wollen,  ivie  der  pfaff  luil.  Mit 
wolfeilem  witz  schreibt  die  Satire  3,  158  Papistische  äffen  statt  Pfaffen, 
Eberlin  3,  154  leitet  den  Ursprung  der  pfaffen  von  den  äffen  her.  Die 
Satire  gibt  vor,  xü  Lumbitscli  auf  dem  federmark  gedruckt  zu  sein, 
ähnliche  scherzhafte  datierungen    hat  Eberlin    1,  119.  131.   3,  124.  148. 

Diesen  anklängen  steht  aber  eine  ganze  reihe  inhaltlicher  ab- 
weichungen  gegenüber,  die  zumeist  der  radicaleren  anschauung  des  Ver- 
fassers der  flugschrift  entspringen.  Diese  wendet  sich  3,  137  fgg.  sehr 
scharf  gegen  die  berücksichtigung  der  kirchenlehrer  Augustin,  Gregorius, 
Hieronymus  in  der  predigt,  Eberlin  hat  aber  diese  lehrer,  namentlich 
Augustin,  hochgeschätzt  und  stets  mit  achtung  genannt,  sie  auch 
1,  29.  51.  202fg.  2,23.  3,200.230  zur  auslegung  dunkler  schriftstellen 

1)  Neudruck  bei  Strobel,  ^Miscellaneen  litterarischen  Inhalts  2,129 — 133. 
Nennenswerte  abweichuugen  hat  die  Satire  nur  145,  4.  147,  25.  151,  23. 

5* 


(j8  GÖTZE 

und  den  geistlichen  zur  lectüre  empfohlen.  Unter  hinweis  auf  Matth.  G,  31 
schilt  die  Satire  3,  140:  Was  kümmert  rr  euch,  was  die  priester  sollen 
anlegen,  ähnlich  klingt  ihr  spott  3,  157,  Eberlin  verschmäht  es  dagegen 
nicht,  darüber  2,  131  ausdrücklich'  Vorschriften  zu  geben:  blei/be  da 
auch  im  Münchs  klayde,  im  da  onn  eryermis  nit  magst  ahweychen, 
also  tregt  auch  der  Lutherus  vnd  Johannes  Langus  jre  kutten,  Also 
trage  ich  auch  ain  pfaffen  klaijd  vnd  blatten.  Ihm  ist  also  die  tracht 
der  geistlichen  des  nachdenkens  wert,  auch  2,  147  geht  er  darauf  ein. 
Sat.  3,  151  wird  über  die  bestimmung  des  Regensburger  convents  ge- 
spottet,, die  heiligenfeste  einzuschränken,  ausser  wo  ein  ort  einen  be- 
sondern. Schutzpatron  habe.  Genau  dieses  verfahren  empfiehlt  aber 
Eberlin  1,  108.  Dem  verböte  des  convents,  vom  glauben  nicht  frevent- 
lich hinterm  wein  zu  reden,  setzt  Sat.  3, 156  den  spott  entgegen:  Ja 
tvarlich ,  es  ist  halt  rast  not,  dann  kinder,  narren  und  die  trunken 
reden  gern  die  warhait,  dagegen  stimmt  Eberlin  3,  144  zu  den  be- 
stimmungen  des  convents:  laji  dir  das  wort  gots  kostlich,  nit  wolfegl 
sein,  sonderlich  bey  guttem  weyn. 

Erwägt  man,  dass  in  den  evangelischen  lehren  und  ansichten,  in 
denen  die  anonyme  flugschrift  zu  Eberlin  stimmt,  damals  mindestens 
Ys  aller  deutschen  schriftsteiler  einig  sein  mochten,  so  wird  man  sie 
nicht  so  hoch  anschlagen,  wie  die  unverkennbaren  unterschiede.  Ent- 
sprechende auffassung  verlangen  die  formellen  gieichheiten  und  ab- 
weichungen.  Zunächst  sind  hier  alle  die  merkmale  auszuschliessen,  die 
auf  den  drucker  der  schriften  zurückgeführt  werden  können.  Es  wird 
z.  b.  kaum  gewicht  darauf  zu  legen  sein,  dass  in  der  Satire  das  parti- 
cipium  praeteriti  von  sein  gewesen  lautet,  während  bei  Eberlin  gesein 
die  herrschende  form  ist,  oder  dass  in  der  Satire  die  formen  geen  und 
steen  vorwiegen,  während  Eberlin  1,  119  kou  {kommen)  auf  ^o»  reimt. 
Sichere  argumente  werden  dagegen  Wortwahl  und  ausdruck  der  schriften 
ergeben. 

Eine  gewisse  Übereinstimmung  zwischen  Eberlin  und  dem  ano- 
nymus  ist  auch  hier  unverkennbar,  vgl.  Sat.  3, 146  so  hett  ir  inen  ain 
feder  xohen  mit  Eberlin  1, 195  xiehen  den  klostern  vnd  thummen  (Domen) 
etlich  feder  «;/j,  und  3,  132  got  hat  angesetzt,  wil  dein  Antichrist  ey)i 
feder  oder  zivu  rupffen,  Sat.  3,  147  ir  sclilaJioi  in  uns  (Pfaffen)  ivie 
171  die  hund  mit  Eberlin  1,  195  sie  schlahen  die  pfaffen  nyder  als  die 
hundt,  Sat.  3,  148  am  narrensail  umbgefurt  mit  Eberlin  1,  10  Vnser 
vernunfft,  sagt  man,  für  vnfi  an  der  kantxel  amnarren  seil,  und  1,81 
den  er  am  narren  seil  füret  ivie  er  wolt,  Sat.  3,  153  das  ivorl  gots  euch 
flugs  under  die  meuler  stoßen  mit  Eberlin  1,  64  man  wirt  euch  vnder 


URBAN    RHEGIUS  69 

die  nasen  faren,  und  1,  86  so  muß  man  in  die  ivarlieii  vnder  die  uascn 
stossen,  Sat.  3,  154  es  iviri  sielt  alles  on  eucrn  dank  von  im  sclhs  fein 
schicken  mit  Eberlio  3,202  der  teuffei...  ivirt  euch  lre//ben.  cttivas 
schedlich.s  xn reden  o??  ewren  danck,  Sat.  3, 155  maii  muß  si  mores  lernen 
mit  Eberlin  2,  129  ma.n  solle  sie  in  der  weit  mores  leeren. 

Treten  schon   hier  in   den  festen  Wendungen    gelegentlich    kleine 
unterschiede   zu    tage,   so    häufen    sie    sich,    sobald  wir   das  eigentlich 
individuelle  gebiet  des  wortgebrauchs   betreten.     Zwar  dass   die  Satire 
59  Worte  braucht,  die  bei  Eberlin   nie  vorkommen,   darunter  ganz  ge- 
läufige,   auch  gut  schwäbische    ausdrücke   wie  aiisbündicj,    bis   in    der 
Verbindung  biß  sontag  =  nächsten  sonntag  Sat.  3, 149,  hiß,  jar  =  übers 
Jahr  3,  155,  f/?//\s7/^  =  kühn ,  ehrung,  gaukelicerk,  liausen,  knüttel,  lallen, 
lebtag,   nachteilig,  pur,  scheußlich,    schinderei,   taberne,   tropf  beweist 
nicht  viel,  nicht  kleiner  ist  die  zahl  der  worte,  die  bei  Eberlin  nur  in 
dem  noch  dazu  viel  kürzeren  Glockenturm   stehen,   an   dessen  echtheit 
doch  nicht  zu   zweifeln   ist  —  übrigens  ein   deutlicher  beweis  für  die 
'lexicalische  wolhabenheit'  des  reformators.    Wichtig  ist  dagegen  manche 
abweiclumg  im  einzelnen.    Sat.  3,  138  wird  von  schriftstellen  gesprochen, 
die  uns  des  ersten   anlaufs   tuiikel  sind.     Eberlin   gebraucht  das   Avort 
anlauf,  das  seine  mundart  nur  als  schriftsprachliche  entlehnung  kennt. 
1,  28  in  anderer  Übertragung:    Wer  weißt  aber  nit  die  mcinig fettigen 
liste  vnd  anleüff  der  bösen  geist,  im  sinne  der  Satire  hat  er  dagegen  3,  90 
das  wort  xukiuf:    Du  glaubst  es  nit,   aber  bi/1  .so  keck  V7id  glaub  es, 
tigm  einen  xülauff  vnd  glaubs.    Sat.  3, 146  wird  außgericht  für  absol- 
viert   gebraucht,     Eberlin    1,  92    übersetzt    absolvieren    mit    auflösen. 
Sat.  3,  140  daß  wir  uns  des  bißher  redlich  beflißen  haben,  stehen  bei 
Eberlin  zehn  stellen  gegenüber,   an  denen   er  immer  das   simpIex  sich 
flcisscn,  geflissen  braucht.    Eine  eigentümlichkeit  Eberlins  ist  das  adverb 
fürhin  =  künftig,  in  der  Satire  fehlt  es,  statt  dessen  steht  elfmal  hinfilr, 
hinfüro.  hinfürder.     Eberlin  hat  nirgends  die  p^|-tikel  halt,  Sat.  3, 156 
wird  sie  zweimal  hintereinander  gebraucht.    Die  Satire  schilt  die  weih- 
bischöfe  fünfmal  fladcniceihcr.   Eberlin   hätte   reichlich  gelegenheit,  das 
wort  anzuwenden,  zieht  aber   den  besseren  witz   weitibischof  vor.     Die 
Satire    entwickelt    eine    grosse  verliebe    für  das   wort   tuanier,    Eberlin 
hat  es  nie. 

Ben  auffallendsten  unterschied  bildet  endlich  der  gebrauch  des 
Wortes  lutherisch,  der  schon  Zeitschrift  für  deutsche  Wortforschung  3, 198 
bciiihrt  worden  ist.  Die  Satire  Ijraucht  das  wort  auf  23  seifen  52 mal, 
Eberlin  auf  626  Seiten  nur  20 mal.  Noch  grösser  wird  die  diflerenz 
bei  prüfung  der  einzelneu  stellen.     Dcgrciflicherweise   hat  sich   Luther 


gegen  den  gebrauch  seines  namens  zur  bezeichnung  der  partei  verwahrt, 
bei  seinen  schillern  ist  er  damit  auch  durchgedrungen:  sie  sprechen 
zwar  in  possessivem  sinne  von  lutherschen  büchern,  aber  nicht  von 
den  Lutherischen  als  partei.  Das  gilt  auch  für  Eberlin,  der  2,144,8 
die  Verwahrung  des  reformators  ausdrücklich  widerholt:  Sollen  jr  sollich 
lere,  dadurch  jr  alle  ding  gelcrnct  vnd  cntpfangen  liapt^  nyemandt 
änderst  xuschregben,  dann  goi^  vnd  nit  sagen,  dise  leer  ist  Lutherisch. 
Carlstadisch,  Philippisch  usiv.  Er  ersetzt  den  ausdruck  durch  evan- 
gelisch 3,  234:  wider  Lutherische,  ga  Eiiangelische  leer  xu  Irnndcln, 
oder  christlich  3,  248:  also  vnbillicht  Christus  nit  der  Lutherischen, 
das  ist,  der  Christen  leere.,  und  wo  er  das  wort  doch  gebraucht,  ge- 
schieht es  im  citat,  also  im  namen  eines  anderen:  1,  195.  2,  71.  3,  160 
(zweimal).  170.  179  (zweimal).  205.  206.  228,  oder  in  den  allgemeiu 
verbreiteten  possessivischen  Verbindungen  lutherische  bücher  2,  92.  3, 161. 
169,  schritt  3.  220,  lehre  2,  92.  3,  234  und  lutherischer  handel  2,  91. 
Dagegen  braucht  die  Satire  das  wort  lutherisch  nicht  nur  70  mal  so  oft 
als  Eberlin,  sondern  auch  ganz  unbefangen  in  der  von  diesem  ver- 
pönten Verwendung,  z.  b.  Sat.  3, 150  die  pauren,  die  nit  lutherisch  und 
des  Worts  gotes  noch  nit  underricht  sind. 

Nach  alledem  bleibt  kein  zweifei,  dass  die  anonyme  flugschrift 
Eberlin  nicht  zugeschrieben  Averden  darf.  Ihr  unbekannter  Verfasser  ist 
streitbarer  und  wortkühner  als  Eberlin,  noch  nicht  erhaben  über  den 
kämpf  gegen  äusserlichkeiten  der  katholischen  kirche  und  schärfer  in 
seiner  kampfesweise. 

Demselben  unbekannten  Verfasser  ist  mit  Sicherheit  eine  zweite 
flugschrift  zuzuschreiben,  das  'Wcgspräch  gen  litigcnspurg  zu  ins  Con- 
cilium  ztvischen  einem  Bi.schof,  Huremvirt  und  Kunzen  seinem  Knecht', 
das  Schade  Satiren  3,  159—195  herausgegeben  hat'.  Nicht  nur  in 
ihrem  gegenständ,  sondern  auch  in  wesentlichen  grundgedanken  stimmt 
die  flugschrift  zu  der  Klag  und  antwort.  Wie  in  dieser  die  Regens- 
burger Constitution,  so  werden  im  Wegspräch  die  bestimraungen  der 
bibel  und  des  geistlichen  rechts  über  pflichten  und  amt  der  bischöfe 
fortlaufend  commentiert,  im  mittelpunkt  des  interesses  steht  beidemale 
der  cölibat:  entweder  muss  den  geistlichen  ihr  unkeusches  leben   oder 

1)  Voin  Wegspräch  ist  nach  Canuneiiauders  bcaibeitung,  die  Schade  3,  271  fgg. 
abdruckt,  uoch  1077  eine  ausgäbe  erschienen:  Der  Entlarvte  Bischoff,  Ein  Gespräch 
Darinnen  der  Papistischen  Bischoffe  und  Pfaffen  üppiges  Lelicn  entdeckt  und  ge- 
straffet wird,  Im  vorigen  Seculo  Zur  Zeit  des  Concilii  Trideutini  erstmals  gehalten, 
Anitzo  zum  Druck  befördert  und  mit  sondorbahreu  Anmerkungen  vermeinet.  Dem 
curieuseu  Leser  zu  Gefallen.     Vorhanden  in  der  uuiversitäts-bibliothek  zu  Freiburg. 


URBAN    RHF.GIUP  71 

die  ehe  erlaubt  werden,  lieisst  es  Sat.  3,  141,3  und  153,  2  wie  LS8,  19, 
aber  die  bischöfe  streichen  lieber  den  hurenzins  ein  und  lassen  es  beim 
alten  (141,12.  153,34  wie  164,15.  182,11.  192,30),  während  doch 
anzuerkennen  ist,  dass  eheleute,  die  ihre  ehe  nicht  brechen,  keusch 
leben  (153,  17  wie  190,  33).  Aber  dann  müssten  ja  die  bischöfe  selbst 
ihr  bisheriges  leben  verlassen  (153,  10  wie  166,  12),  also  sind  die  kirchen- 
fürsten,  nicht  die  dorfpfaffen  an  der  Verderbnis  schuld  (136,4.  143,32 
wie  165,16),  dass  pfarrer  in  oöuer  unehe  sitzen  (141,7  wie  194,35). 
Aus  dem  'geistlosen  recht'  wird  137,  30  wie  167,  26  bewiesen,  dass 
der  Untertan  die  geistliche  obrigkeit  belehren  darf  und  soll,  der  zehnte 
wird  154,8  wie  182,3  hingestellt  als  etwas,  worüber  zu  predigen  sich 
nicht  lohnt,  das  glockenseil  141,  33  wie  181,  33  als  etwas  sprichwörtlich 
geringfügiges  angeführt,  das  treiben  der  weihbischöfe  und  ihre  gewinn- 
sucht  149,  34  wie  172, 10  verspottet.  Die  feindseligen  bischöfe  werden 
157,  18 -wie  160,3  als  Annas  und  Caiphas,  der  convent  137,21  wie 
159,  15  als  Conciliahnlum  bezeichnet. 

Damit  kommen  wir  zu  ausdruck  und  Wortwahl  in  beiden  Schriften. 
Was  hierin  die  Klag  und  antwort  von  Eborliu  trennte,  verbindet  sie  mit 
dem  Wegspräch,  das  wort  Jutherisch  wird  auch  hier  oft  gebraucht,  wobei 
das  gefühl,  dass  man  sich  den  parteinamen  vom  gegner,  nicht  auf- 
drängen lassen  sollte,  auch  in  der  wendung  lutherisch  oder  evangelisch 
143,11.  145,8.  154,27  wie  161,23  durchschimmert.  Absolvieren  wird 
146,8  wie  177,23  mit  ausricliten  übersetzt,  das  wort  schinderei,  das 
Eberlin  fehlt,  ist  aus  dem  Wegspräch  siebenmal  zu  belegen,  das  Präte- 
ritum zu  seiu  lautet  gewesen,  die  formen  go)i  und  stoii  wechseln  mit 
gc)i  und  steii.  Die  verliebe  für  volkswendungen,  die  in  der  Klag  und 
antwort  154,  39  und  156,  17  zwei  volksliedversen  eingang  verschafft  hat, 
tritt  auch  an  zwei  stellen  des  Wegsprächs  zu  tage:  172,  37  Rat  ba/l, 
du  hast  das  erraten,  und  174,30  verschwind  als  der  wind,  daß  keiner 
wider  find.  Wie  nach  148,2  die  stationierer  in  ainem  ieden  dorf  ain 
huren,  am  baren  haben,  sn  hat  nach  166,10  der  hischof  alhveg  für.  sei  ff. 
leih  auch  aiii  rößlin  am  baren,  wie  die  papistischen  pfafien  154,  35 
die  bibel  ablehnen:  nain  uns  nit,  unser  katzen ,  weit  hindan  mit  der 
bibel,  so  176,  16  der  huronwirt  eine  teure  suppe:  Mir  nit,  der  Jcatzen, 
solich  Ihcure  suppen  eßen.  Die  scherzhafte  datierung  158,  19  findet  ihr 
gegen bild  in  dem  Schlüsse  195,21:  xii  Regenspurg  beim  hüremvirt  im 
kranx,,  da  man  säur  hier  schenkt,  kommen  ivir  wider  xüsamen. 

Dem  einwand,  dass  der  Verfasser  der  einen  schrift  die  andere 
nat^hahmen  krmne.  ist  damit  zu  begegnen,  dass  die  Übereinstimmung 
^'u-h   doch   auch   auf  dinge  erstreckt,  die    sich    bewusster    uachahmuug 


entziehen  und  dass  in  diesem  falle  der  meister  den  schüler  copiert  hätte. 
Denn  die  Klag  und  antwort  ist  nach  dem  erscheinen  der  Regensburger 
Constitution  verfasst,  die  sie  yerhöhnt,  das  Wegspräch  gibt,  trotzdem 
sein  ältester  erhaltener  druck  die  jahrzahl  1525  trägt,  an,  vor  dem 
zusammentreten  des  convents  geschrieben  zu  sein  und  wir  haben  keinen 
grund,  dieser  angäbe  zu  misstrauen.  Denn  von  einem  decret,  das  der 
convent  Avürde  ausgehen  lassen,  konnte  man  doch  nur  vor  dem  convent 
reden.  Schliesslich  hat  dieser  gar  kein  decret  veröffentlicht,  sondern 
sein  abschied  erschien  als  edict  oder  einung  und  verbündnis,  die  consti- 
tutio  unter  diesem  titel  oder  deutsch  als  Ordnung  und  reformation. 
Eine  erwähnung  hätte  der  Verfasser  neben  Eck  und  Fabri  wol  auch 
Cochläus  gegönnt,  wenn  er  gewusst  hätte,  welche  wichtige  rolle  dieser 
auf  dem  convent  spielen  sollte.  Auch  eine  Wirkung  auf  die  beschlüsse 
des  convents  konnte  der  Verfasser  nur  dann  erhoffen,  wenn  er  seine 
Schrift  vor  dem  zusammentritt  ausgab,  und  dass  eine  solche  ein  Wirkung 
sein  ziel  war,  zeigt  deutlich  der  letzte  abschnitt  des  Wegsprächs,  der 
mit  sittlichem  ernste  und  scharfer  logik  die  folgen  darstellt,  die  die 
conventsbeschlüsse  für  die  Sittlichkeit  weiter  volkskreise  haben  müssten. 
Danach  ist  die  Klag  und  antwort  jünger  als  das  Wegspräch,  sie  steht 
aber  als  satire  in  anläge  und  durohführung,  in  characteristik  der  par- 
teien  und  Überlegenheit  des  tons,  in  wähl  und  handhabung  der  sati- 
rischen Waffen  viel  höher  als  das  zwar  gleichfalls  witzige  und  originelle, 
dabei  aber  recht  grobkörnige,  wenig  durchgearbeitete,  weitschweifige 
Wegspräch,  so  dass  man  in  ihr  sehr  wol  das  besser  gelungene,  jüngere 
werk  desselben  Schriftstellers,  aber  nicht  eine  bewusste  nachahmung 
des  Wegsprächs  sehen  kann. 

Das  Wegspräch  will  beweisen,  dass  ein  huren  wirf  mit  seinem 
schändlichen  gewerbe  sittlich  nicht  tiefer  steht  als  ein  bischof,  der 
seinen  priestern  die  ehe  verbietet  und  den  concubinat  gegen  geld  er- 
laubt. Ein  ganz  verwandtes  thema  behandelt,  gleichfalls  in  form  eines 
dialogs,  das  'Gespräch  zwischen  einem  edelraann,  raönch  und  curtisan', 
das  Schade  Satiren  und  pasquille  3,  101 — 111  abdruckt.  Ich  bin  chi 
großer  iiöswicht,  so  fasst  108,  37  der  edeJmann  das  ergebnis  der  Unter- 
haltung zusammen,  der  curtisan  noch  ein  größerer,  und  du,  münch, 
der  (liier  grösl.  Sagt  der  Verfasser  des  Wegsprächs  179,  6  von  den 
geistlichen:  Es  seind  in  der  warheit  die  keibenschindcr  und  die  hiiren- 
wirt  und  straßräuber  frömmer  und  heßer  dann  die  leut  seiud,  so  wirft 
der  mönch  104,  14  dem  'strassenräuber'  vor:  //•  habts  mit  geivaU  gr- 
nomen  auf  freier  straßen ,  worauf  dieser  entgegnet:  So  habt  irs  den 
leuteii  heimlich  gestolen:  des   sind  tvir  bcßer  dann  ir.     Dem   henker 


URBAN    RHKGIUS  73 

sollte  man  die  pfaffen  befehlen,  vgl.  103,  10:  Ließ  man  melstcr  Gihjeii 
über  eucJi ,  der  küud  euch  die  floi/e  ahkeren  mit  164,  33:  Nun  so  ijeseync 
es  in  mein  nachbaur  der  henker.  An  beiden  gesprächen  beteiligen  sich 
drei  personen,  wie  Kunz  im  Wegspräch  eine  Zeitlang  ciioralis  im  stift, 
des  bischoFs  kämmerling  und  Substitut  einer  geistlichen  behörde  ge- 
wesen ist  (162,30.  177,35)  und  daher  die  entartung  der  geistlichen 
und  des  canonischen  processes  kennt,  so  ist  der  curtisan  ein  eopist  zu 
Rom  gewesen  (103,26)  und  kann  darum  über  die  römische  büborci  mit 
Sachkenntnis  berichten.  Auf  den  einwand  des  geistlichen:  iDiser  reget 
und  Statut  wiJs  nii  leiden  (102,  11),  117/-  ntußen.  geston  bi  geistlichem 
recht  (105,27)  wird  im  gespräch  erwidert:  So  hör  ich  wol.  euer  Statut 
ist  rner  dann  die  U'ort,  so  Christus  geredt  hat,  wie  im  Wegspräch: 
der  brauch,  der  der  ivarheit  uidrig  ist,  sol  abgcthon  u-erden ,  daß  mau, 
sol  achten  das  der  her r  spricht  'ich  bin  die  warheit'.  hat  nit  gesprochen 
'ich  bin  die  geivo)iheit'.  Die  seelsoi-ger  werden  seelmörder  genannt 
105.  12  wie  188,  1  und  191.  10,  die  wendung  'stocken  und  pliJcken,' 
tritt  auf  104.33  wie  161,14  und  187,24.  Auf  den  ausdruck  kowhel- 
u-erk  im  Wegspräch  173,6  fällt  licht  durch  106,27  wie  man  dann  itxt 
die  sondcrsicclicnkoliel  macht:  kobel  ist  ein  dürftiges  haus,  kobelwerk 
geringe,  unbrauchbare  arbeit.  Am  Schlüsse  beider  dialoge  verabreden  die 
drei  teilnehmer  einen  ort,  an  dem  sie  sich  wider  treffen  wollen,  110,  18 
im  Xobishaus,   195.21  ah  Regeuspurg  beim  hüremvirt  im,  kranx. 

Auch  zwischen  der  Klag  und  autwort  und  dem  Gespräch  finden 
manche  berührungen  statt.  Der  terminierende  mönch  im  Gespräch  er- 
hält keinen  käse  und  schmalz,  weil  die  bauern  aufgereizt  sind  (101,4), 
er  fürchtet  von  ihnen  erschlagen  zu  werden  (103,  13),  entsprechend 
droht  die  Klag  und  antwort  147,35:  der  paaren  kolben  .  .  .  tverdens 
den  Streichern  fein  lueren,  luid  148,5:  unsere  küchin  werden  si  hin  für 
auch  mit  waßerstcuigcn  auß  unsern  pfarrhöfen,  bringen.  Der  mönch 
im  Gespräch  gesteht  108,18,  dass  er  nicht  besser  sei,  als  der  raubrittor 
mit  den  wortcn:  Ei,  lieber  Junker,  laßt  uns  gleich  umßer  an  einer 
Stangen  tragoi,  also  auch  hier  die  anspielung  auf  die  sitte,  die  wasser- 
eimer  an  einer  stange  zu  tragen.  Der  harten  klosterzucht  gedenkt  das 
Gespräch  mit  den  Avorten:  So  haut  n/an  uns  (mönche)  mit  ruthen,  die 
Klag  und  antwort  fragt  147,6:  wie  wann  aber  ain  münch  verspert 
n-iirde,  daß)  er  die  selbe  nacht  in  sein  dosier  nit  kommen  macht,  must 
nnin  im  dpritschen  schlahen'r'  Der  mönch  lehnt  103,19  den  V(U'schlag 
des  ]-it(ers,  mit  ihm  den  curlisan  zu  ermcuden,  ab:  ((<■!/  Junker,  das 
urrc  X7I  rit .  daran  klingt  an  157,32:  itnr  dllain  mit  dem  thut  ir  in 
'JX   rit,    du/;   ir   inen   die  hürcn   vcrpict.      Mit  ganz   ähnlichen   werten 


74  GÖTZE 

erwähnen  beide  Schriften  die  hohen  gebühren,  die  die  kirche  für  ihre 
leistungen  verlangt,  vgl.  so  vil  kosten  darauf  geiveid  104,  38  mit  150,  10 
ir  schlagt  tvol  so  vil  zerung  und  unkostens  darauf,  und  150,  13  so 
tvolt  ich  so  vil  luikostens  darauf  s'chlahen,  in  beiden  Schriften  findet 
sich  der  eigentümliche  gebrauch  des  unflectierten  adjectivs^j?^;-:p«r  lauter 
iiarroi  102,28,  auf  dcn>.  pur  gottes  lüort  wollen  wir  hesteen  139,13. 

Endlich  teilt  das  Gespräch  auch  eigenheiten,  die  das  Wegspräch 
mit  der  Klag  und  antwort  verbinden,  so  den  unbefangenen  gebrauch 
des  Wortes  lutherisch  {wieivol  ich  bös  lutherisch  bin,  d.  h.  ein  schlechter 
Lutheraner  102, 14)  oder  die  wendung  huren  am  paren  halteti  (vgl.  106,  21. 
109,  11  mit  148,3.  166,10).  Ganz  gleich  ist  in  allen  drei  Schriften 
die  missachtung  des  kirchenbanns.  Im  Gespräch  101,  18  wird  die  frage: 
Warumh  vcrtverft  ir  in  nit  die  geschrift  oder  thut  sie  in  bau  oder  in 
die  acJit?  beantwortet:  die  acht  und  der  bau  ist  umb  sie,  als  pfiffs  ein 
gans  an.  Noch  gröber  spottet  das  Wegspräch  173,  8  der  mahnung: 
M  red  nit  also,  du  fallest  änderst  i7is  bapsts  han:  Man  hofiert  dem 
bnpst  ein  kübel  vol  uf  seinen  falschen  ban.  selig  sind  alle,  die  ins 
bapsts  ban  seind  und  drinnen  sterbe^i.  Sachlicher  behandelt  die  Klag 
und  antwort  145,  26  die  frage:  ztvar  ir  hettent  den  ban  mit  ceroi  auch 
uol  laßen  fallen:  er  gilt  nichs  mer ,  wie  er  von  euch  biflher  übel 
praucht  worden  ist. 

Unterzeichnet  ist  das  Gespräch  Es  ist  assun.  I.  M.,  die  worto  Es 
i.st  assunn^  finden  sich  aber  auch  in  der  vorrede  und  am  Schlüsse  der 
flugschrift  'Ein  Unterred  des  Papsts  und  s6iner  Cardinäle',  die  Schade 
Satiren  3,  74 — 100  herausgegeben  hat.  Schon  Schade  ist  geneigt,  die 
beiden  stücke  demselben  Verfasser  zuzuschreiben,  eine  reihe  stilistischer 
gleichlieiten  bestätigt  seine  Vermutung.  Statt  keineswegs  lautet  die 
negation  Unterred  75,  17  und  81,  15  in  keinen  iveg,  108,  20  in  keinem 
weg;  zu  86,  5  mer  denn  uns  ^m  au I Isprechen  ist  vgl.  102,  3  die  lernen 
und  einbilden  de)i  bauren  das  wort  gottes.  Die  beweisführung,  in 
der  94,  9  fgg.  Christus  dem  papste  gegenübergestellt  wird  (das)  creuz, 
das  Christus  getragen  hat,  hat  Christus  wol  mußeu  thün  hat  ähnlichkeit 
mit  108,  15  /;•  müßt  das  thun  und  seits  genöt.  Zahlreicher  sind  die 
Übereinstimmungen,  die  die  Unterred  mit  dei-  Klag  und  antwort  und 
dem  Wegspräch  verbinden,  vgl.  sam.  wer  unser  sacli  nie  falsch  gc- 
tresen  87,  32  und  gleicJt  satu.  sollen  ivir  die  gotheit  nicld  angrcifoi  88,  33 
mit  auf  die  nieinung  sam  soll  dir  einer  kes  oder  scinnah  geben  101, 11 

1)  Assun  könnte  particip  zu  licbr.  asä  '•tun'  sein,  das  auslautende  n  auf  nu- 
nierung  bcriihcn.  'Es  ist  vollbracht'  hat  i;eiade  als  bchlussibrniel  seinen  guten  sinn, 
bei  dein  Verfasser  der  stücke  wäre  dann  einige  kenntnis  des  hebräischen  vorauszusetzen. 


URBAN    RHEOIÜS  75 

und  (jleich  aani  seiot  irir  schuldifj  daran  186,4:  c/'/ls  schenxlichen 
Icbcns  (jcstorhcn  78,  1(5  mit  in  der  beicht  gar  scheuxlich  ansehen  155,21 
und  so  reden  ivarlicli  die  yauren  auch  scheiixlich  von  Sachen  156,  18; 
CS  ist  auch  lantcrs  in  uiisenn  vermügcn  )/ichi  79,  29  und  ?/ns  ivil 
auch  auf  das  kürzest  au /Freden  lantcrs  nicht  (jeximen  91,  14  mit  das 
könden  si  lauters  nit  halten  157,  34;  Daruuib  ist  er  ein  scltsanier  kun 
(statt  kui/d  im  reime  auf  ass/nnt)  100,  ol  mit  iJu  bist  doch  tuir  aiu.  selt- 
samer kund  174,  25.  80,  10  planen  die  päpstlichen  Vergiftung  gegen 
lutherische  Schriftsteller,  das  gleiche  mittel  brauchen  nach  1()9,  2  die 
Dominikaner  gegen  ihre  feinde. 

Widerum  an  das  Gespräch  lässt  sich  eine  fünfte  tlugschrift  an- 
knüpfen, die  unter  dem  titel  'Ayn  freuntlich  gesprech,  zwyschen 
aiuem  H  Barfüsser  Müuch,  auß  der  Prouyntz  Oster-  ||  reych,  der  Oh- 
scruanl/.,  vnd  ainc  Löffel  II  macher,  mit  namen  Hans  Stösser  ||  gar  lustig 
VAX  Iccsen.  vnnd  ist  ||  der  recht  grundt.  |'  erschienen  ist.  Der  druck  um- 
fasst  15  blätter  in  quart,  vielleicht  fehlt  dem  exemplar  der  Freiburger 
Universitätsbibliothek,  das  benutzt  wurde,  ein  16.  leeres  blatt,  titelrück- 
seite  und  letzte  seite  sind  leer.  Nach  ausweis  der  typen  stammt  der 
druck  von  Simprecht  Ruff  in  Augsburg,  ein  holzschnitt  auf  dem  titel- 
hlatt  (128:114  mm)  zeigt  im  Vordergrund  einen  terminierenden  mönch, 
der  an  einen  tisch  tritt,  an  dem  ein  löffelmacher  und  eine  frau  sitzen, 
im  hintergrund  einen  zweiten  mönch  mit  beladenem  esol,  dem  eine 
bäuerin  mit  erhobenem  besen  entgegentritt.  Die  schritt  beginnt  damit, 
dass  der  barfüsser  den  löffelmacher  begrüsst  und  über  die  geringen  er- 
folge seines  bettelns  klagt.  Ganz  wie  zu  beginn  des  Gesprächs  101,4 
<ler  mönch  klagt:  ich  bin  außganycn,  kes  und  schmalz  xii  sammeln, 
aber  es  hat  mir  weit  gefeit,  schildert  der  barfüsser  seinen  misserfolg: 
Ich  bin  au  ff  dem  käf]  geiadt  gewesen,  hab  aber  nit  ril  außgericht. 
(iot  gel)  dc))i  ke/!  jogen  ain  gnts  jar.  Ain  kejl  jcger  soll  ee  gut  stragch 
eriagcn  au  ff  disem  geiadt  dann  groß»  fayßt  keß ,  ich  denck  sein  nge 
so  schlecht,  ich  bin  doch  XV.  jar  auff  diss  geiecl  außxogen.  Dort  fragt 
ilfT  litter:  Ei,  ivie  kumpt  dasf  hier  der  löffelmacher:  Ey  Igeher  brüder, 
u-ie  kiimpt  es  dann,  luollen  dann,  die  faistcu,  kefl  nit  mer  jnfl  grirn 
grcn'f  Und  beidemale  folgt  dieselbe  erklärung,  dort:  es  hat  der  teufet  eleu 
L/iIhrr  in  alle  laut  gefurt.  sie  haben  i)i  mit  haut  und  luir  (jar  freß>en  . . . 
sie  küuden  vou  der  schrift  reden,  sie  sind  mir  xu  geschickt,  lüo  ich 
hin  koium,  hier:  ich  wolt  das  der  Luther,  ich  iraijt  nit  wa  wcre,  er 
11/11(1//  dir  grnbrii  bau-rcii  aiiff  hoiie)!,  bergen  n/d  lalrrii  also  geirrt, 
U(i  ich  :.H  aim  lunrreu  hau/1  ku})nu .  bilt  jn  ru//»  ain  ahunscn,  ist 
das  erst  wort :  der  J^uthcr  rcrbctrl,  man  soll  kagm  müuch  ain  ahnüscu 


76  GÖTZK 

gebe}i,  sy  solle)}  arbaiten  usw.  Im  weiteren  verlauf  zeigt  die  Unter- 
redung mannigfache  berührung  mit  den  andern  satiren.  Der  löffel- 
macher  fragt  den  möncli,  ob  er  lutherisch  sei,  dieser  weist  den  namen 
lutherisch  ab  und  nennt  sich  einen'  Christen,  trotzdem  wird  im  verlauf 
des  gesprächs  die  bezeichnung  lutheriscli  mehrfach  ganz  unbefangen 
gebraucht,  ganz  wie  in  Wegspräch,  Klag  und  antwort  usw.  Weiter 
befragt,  was  er  über  Luther  denke,  sagt  der  mönch  nach  Zusicherung 
der  tiefsten  Verschwiegenheit,  er  und  seine  Ordensbrüder  hielten  Luther 
für  einen  gottesfürchtigen,  erleuchteten  propheten,  der  die  verführten 
schäflein  zu  Christus  zurückführe.  Der  löffelmacher  vergleicht  das  arme 
volk  dem  baren,  der  nach  der  pfeife  tanzen  muss:  u-olten,  ivir  uit 
hupffcji  nach  eweru  meiisdilicheH  landt  meren,  so  hrcuni  das  fewr  in 
allen  gasscn.  Er  wundert  sich,  warum  dann  die  mönche  änsserlich 
Luther  so  feind  sind,  der  mönch  verweist  auf  das  gebot  des  papstes. 
Der  löffelmacher  erkennt  darauf  in  Luther  und  den  seinen  Christi 
wahre  nachfolger,  die  ungerecht  verfolgt  werden  wie  der  herr,  in  den 
mönchen  gottes  feinde:  Ir  wist  haß  xitsagen  von  herr  Dietrich  von 
Bern,  ivie  er  mit  her  Signot  strit  vnd  mit  Knnig  Laurein  im  Boscn- 
garten  ^ü  Worms,  vnd  von  ewerm  Haydnischen  maister  Narresloteli, 
mer,  dann  in  der  Bibel  geschriben  steet.  Die  bibel  wird  im  kloster 
höchstens  bei  tisch  gelesen,  wo  jeder  nur  darauf  achtet,  welcher  das 
(jvost  stuck  visch^  oder  das  besser  stuck  flaisch  oder  ain  grosser)!  becher 
u-ei)/  trenn  der  a)i)ider  hab.  Viel  mehr  gewicht  wird  auf  die  ordens- 
satzungen  gelegt,  zu  ihrer  ausbildung  oft  und  mit  grossem  aufwand 
capitel  gehalten.  Die  Schilderung  dieses  aufwands  (b2b)  erinnert  stark 
an  das  Wegspräch,  hier  redet  der  wirt  163,17  den  zum  convent 
ziehenden  bischof  als  hauptmann  an  und  fragt  ihn  163,  30  Wo  nril  euer 
gnad  hin  mit  so  vil  ])fe}-den?  dort  erzählt  der  mönch:  Es  ziehe))  etu-an 
rj.  oder  viij.  miuich  i)is  Capitel,  haboi  ai)is,  xivay  oder  drey  roß  V)td 
tti}te)t  k)techt.  Hier  schätzt  der  bischof  die  kosten  seines  zuges  auf 
Nit  7ni))der  denn  xwei  tausent  guldin  (164,6),  dort  berichtet  der  mönch: 
Jmm  jar  M.D.XXiij.  xoch  der  oberst  der  Proui)ilz  Osterreich  in  ai)i 
Capitel  ge)i  Burgis  in  Hispcuiia  selbs  sechst,  mit  ayne))i  htccht,  trüg 
mit  j)n  rierthalb  hundert  gülden  Reinisch,  und  der  löffelmacher  urteilt': 
Das  werc  aim  g)-osse)i  herrot  cd))  ecrliche  xerujig  geiveset).  Die  strengen 
gosetze,  so  fährt  der  mönch  fort,  gelten  nur  für  die  armen  brüdur.  die 
grossen  Hansen  sorgen  schon  für  sich  in  ihren  capitcln,  die  der  tcufcl 
regiert.  Den  goist,  der  hier  herrscht,  schildert  ein  satz,  der  durchaus 
an  die  tcndenz  des  Wegspräehs  gemalint:  /;/  ay)ier  of()te)i  Toner ))cn, 
ich  troll  gcr))  sp)xchc)/^  so   ich  dür/j't,   ///   ai))C))i  offtioi  ß-(uve)ihauß, 


ÜHBiN   RHEfllüS  77 

uirt  bess-ere  xncht  yeltaUcn ,  dann  in  der  MüiicJi  n/d  Nunneii  Capitel 
(b3a).  Die  Statuten  sind  gottes  wort  zuwider  und  verleiden  dem 
niederen  clerus  das  leben.  Sie  könnten  die  kneeb tschaft  wol  abschütteln, 
halten  aber  nicht  zusammen,  dann  so  xerget  am  solche  gemayn  die 
xertailt  ist  .  .  .  als  Crisias  sagt  'Ein  yeglichs  reich  das  in  jm  xertailt 
ist,  ivirtt  xerstort'  (ganz  entsprechend  fiilut  der  niedere  clerus  Klag 
und  antwort  143,24  Luc.  11,17  an:  otnne  regnwn  in  se  divlsum  de- 
solabitnr).  Viehnelir  herrscht  unter  den  niünchen  der  ärgste  neid  und 
hass,  der  loffelmacher  schildert  ihn  64a  mit  den  werten:  tco  ainer  den 
andern  in  aim  leffel  ertrencken  macht,  so  thet  ers  gern ,  genau  wie  der 
mönch  des  Gesprächs  101,  S  von  den  bauern  sagt:  luenti  sie  ans  in 
eini  leffel  kanten  ertrenken,  sie  thetens  gern.  In  schreiendem  Wider- 
spruch zu  dieser  Verkommenheit  steht  der  geistliche  hochmut  der  münche: 
Wir  ivollen  durch  vnsere  aigne  icerk  xü  hymel  faren,  ja  wie  cän  küw 
in  ain  tneü/jloch.  Ihre  Seligkeit  widerspricht  dem  evangelium,  denn 
das  lehrt  die  gerechtigkeit  aus  dem  glauben,  ihm  hängt  aber  jetzt  wie 
zu  Christi  zeit  nur  das  gemeine  volk  an,  nicht  die  gelehrte  geistlichkeit. 
Predigt  und  glaube  ist  der  wahre  gottesdienst,  der  der  mönche  ist 
wertlos  und  auf  den  schein  gerichtet,  ihr  gebet  ohne  andacht,  ihr  dienst 
im  chor  leichtfertig:  wir  ivir  hinein  lauffen,  kalt  vnd  dürr  in  der  an- 
dacht iinl  lieb  gottes,  also  lauffen  wir  ividerumb  herauf >',  lab  (lau) 
rnd  kalt,  das  haissen  nur  got  gelopt  (c3b).  Die  messe  ist  ein  teufels- 
gottesdienst,  bezahlt  von  dem  blutigen  seh  weisse  der  armen,  das  fasten, 
von  gott  nicht  geboten,  wird  zur  schlemmerei,  ihre  wahren  Christen- 
pflichten, die  werke  der  barmherzigkeit,  vernachlässigen  sie.  Darauf 
erzählt  der  mönch  die  geschichte  seines  eintritts  ins  kloster,  die  er  auf 
die  forniel  bringt:  warlich  vor  got  bin  ich  kain  Profefi.  Darum  will 
er  mit  dem  mönchtum  brechen,  die  kutten  an  ain  xaunn  hencken  und 
die  gelübde  ablegen,  die  doch  nicht  gehalten  werden,  weder  armut  noch 
keuschheit  noch  gehorsam:  die  kutte  deckt  manchen  buben.  Damit 
Inicht  die  Unterhaltung  ab,  ein  anderer  bettelmönch  kommt  dazu  ge- 
huifen,  auf  der  flucht  vor  einer  alten  bäuerin,  die  ihn,  statt  ihm  einen 
Icäse  zu  schenken,  mit  einem  besen  übel  zugerichtet  hat.  Auch  er  klagt 
über  den  schlechten  erfolg  des  terminierens  und  erinnert  damit  wider 
an  den  eingang  der  Unterhaltung,  während  das  verhalten  der  bäuerin 
an  die  stelle  der  Klag  und  antwort  gemahnt,  an  der  den  stationiereru 
in  aussieht  gestellt  wird,  unsere  küchin  werden  si  hin  für  auch  mit 
waflerstangen  aufj  tinsern  pfarhöfen  bringen  (148,  5). 

Das  Gespräch  ist  nicht  frei  von  längen,  namentlich  wird  die  bibel 
so  ausgiebig  angeführt,  dass  die  darstellung  leidet  und  der  zusammen- 


78  GÖTZE 

hang  oft  unterbrochen  wird,  es  fehlt  zum  teil  der  frische  schwung  und 
die  warme  begeisterung,  die  sonst  den  satiren  der  frülien  reformations- 
zeit  kraft  und  färbe  gibt,  aber  die  flugsehrift  ist  gewandt  und  aus  einem 
gusse  geschrieben,  voll  treffender  urteile,  klar  und  straff  in  ihrer  beweis- 
iÜhrung.  In  stil  und  ausdruck  erinnert  sie  auf  schritt  und  tritt  an  die 
vorigen  flugschriften ,  nur  ein  teil  der  anklänge  kann  hier  aufgeführt 
werden.  Klag  und  antwort  139,  1  werfen  die  lutherischen  pfaffen  den 
papisten  vor:  iceJcl/e  leer  euerm  geivalt,  eer  und  herligkeü  mcr  dienet 
und  fugliclter  ist,  .  .  .  die  nempt  ir  an,  der  Lüffelmacher  spottet  b  2a 
ir  Jiet  kain  fugliclter  zeit  Jcünden  erivolen ,  die  Bibel  ■xüleseu ,  als  die 
weil  man  ysset.  Unterred  86,  10  spendet  die  hölle  dem  papste  das 
lob:  uns  ist  auch  von  vileii  und  langwiriger  zeit  gefellig  gewesen  die 
groß  hoffart,  geitigkeit,  unkeuscheit  .  .  .  so  bei  euch  teglichen  geu-onl 
ist,  der  Löffelmacher  zweifelt  b  4b  an  derartiger  frömmigkeit:  0  got 
von  Idmel,  ivie  fast  ist  dir  solche  geystliciiait  angeneme  v//d  gefellig. 
Die  kardinale  erscheinen  Unterred  77,  12  in  aller  geflißener  gehorsam, 
der  Löffelmacher  rühmt  b  Ib,  ivie  eiver  Fraucisciis  das  hail  der  seien 
so  fleysig  gesiiclit  hab,  vnd  darumb  so  geflissen  sey  gewesen  in  ver- 
kündung des  Reicii  gottes.  Mehrfach  brauchen  die  satiren  das  verbum 
handhaben  wie  Wegspräch  191,  13:  die  bischof,  die  solich.  teufelsche 
leer  und  satximg  umb  sehen tlichs  gewins  tvillen,  lianthaben,  ebenso 
Löffelmacher  a  4b:  xü  bedencken,  wie  sy  jre  Frouinixen  vnd  Regel, 
auch  Statuten  in  steiffer  obsernantz  behielten  vnd  die  handthabten. 
Gespräch  108,  15  äussert  der  mönch:  /;•  müßt  das  thun  uttd  seits  ge- 
)iöt,  Löffelmacher  c  3  b  Oenotte  freüd  thüt  selten  gut.  Plerren  bedeutet 
Klag  und  antwort  152,  11  nicht  weinen  sondern  schreien:  icann  wir 
ain  feir-  oder  f asttag  beim  bau  pieten ,  so  pfeift  nuin  und  plerret  über 
uns  ivie  über  die  Juden,  ebenso  Löffelmacher  b  3a  ivelcher  xur  selben 
zeyt  schhfft,  höret  jr  heülert  vnd  lüerren  nit.  Der  oben  angeführte 
gebrauch  von  sam,  der  Klag  und  antwort  und  Unterred  verbindet, 
findet  sich  auch  Löffelmacher  c  3b:  Lauffen  also  in  aller  leychtfertig- 
kait  gen  Chor,  sam  färt  oder  jaget  vns  der  Teüffel  hinein.  Schalkheit 
hat  noch  einen  bösen  sinn  Löffelmacher  b  4  a  ivie  sy  jre  gleißnerey 
vnd  schalckhait  vor  den  Lagen  verbergen  wie  Gespräch  109,  1  da/>  der 
gemein  man  vnser  schalkeit  aller  innen  tvorden  ist.  Wie  im  Wegspräch 
188,  1.  191,  10  selmördisch ,  so  begegnet  Löffelmacher  a  3b  seimörderisch. 
Der  Vorwurf,  dass  sie  das  wort  gottes  wider  fechten  wird  Unterred  99, 18 
den  fürsten  und  herren,  Löffelmacher  b  4b  den  barfüssern  gemacht: 
Was  dürfft  jr  Barfusser  euch  des  Eucmgelischen  namens  rumen,  so  jr 
für  alle  ander  der  weit  auffs  höchst  darwider  fecht,   der  blitz  heisst 


URBAN    RHEQIUS  79 

Klag  und  antwort  147,  20  das  will  feuer,  ebenso  Lüfielmacher  d  *Jb* 
Wir  halten  die  keuschaii,  das  i/it  ivuiider  icär,  das  irild  fear  i-erprent 
1-//S  mit  sanipi  dein  Closter. 

Daran  schliesst  sich  der  gleichmässige  gebrauch  einiger  fester 
Wendungen,  vgl.  si  solten  yrüßern  ernst  erxci()e)i  luid  flei/i  ankeren 
Wcgspräoh  188,  10  mit:  der  frumm  Luther  kerrt  allen  initgliehen  /lei/j 
an  Löft'ehnaclier  a  3a,  und  solclis  xüthün.  jren  predigern  vnd  brüdern 
festigklirh  gebieten,  vnd  grossen  /ley/j  ankeren  b  la;  ir  keret  eben  das 
hinder  herfär  Klag  und  antwort  145,  30  mit  So  keret  jr  münch  vnd 
pfaffen  das  hynder  her  für  c  4  b.  Der  mönch  äussert  d3a  grosse  furcht 
vor  entdeckung:  so  man  es  aiiff  mich  jnnen  ivurd,  legt  man  mich  von 
stund  an  in  die  Pressaun ,  ebenso  <\qy  mönch  im  Gespräch  109,  35 
Warlich  es  ivere  ein  gute  ineinung,  wenn  mans  idt  innen  ivirt.  Ge- 
spräch ICH,  22  wünscht  der  edelmann  dem  curtisanen  ein  Guts  jar, 
zweimal  braucht  der  Löffelmacher  diesen  wünsch:  Oot  geb  dem  keß 
jagen  ain  giits  jar  a  2a  und  Eg  so  hab  im  glegch  ain  gut  jar  d  3a. 
Ei  Junker,  ir  spart  die  warheit,  wirft  im  Gespräch  107,  1  der  mönch 
dem  edelmann  vor,  Löffelmacher  c  2a  wird  einem  prediger  nachgesagt 
Datin  da  hat  er  die  warhait  gar  seer  gespart.  Es  bleibt  nach  alledem 
kein  zweifel,  dass  das  Gespräch  zwischen  dem  mönch  und  löffelmacher 
demselben  Verfasser  zuzuschreiben  ist,  wie  unsere  vier  Satiren. 

In  denselben  kreis  scheint  endlich  das  folgende  gedieht  vom 
almosen  zu  gehören,  das  ohne  angäbe  von  ort  und  jähr,  jedoch  nach  aus- 
weis  der  typen  bei  Jobst  Gutknecht  in  Nürnberg  und  sicher  zu  anfang  der 
zwanziger  jähre  erschienen  ist.  Der  druck  umfasst  vier  blätter  in  quart, 
titelrückseite  und  letzte  seite  sind  leer,  die  verse  sind  rechts  und  links 
von  Zierleisten  eingefasst.  Zwischen  zeile  4  und  5  des  titeis  steht  ein 
holzschnitt,  121mm  hoch,  107  mm  breit,  auf  dem  ein  bürger  aus  einem 
vor  ihm  stehenden  korbe  einem  mönche  nach  rechts  und  einem  geist- 
lichen nach  links  brote  spendet.  Über  dem  mönche  ist'  eine  teufelsfrutze 
sichtbar. 

Was  nutzung  von  dem  Allmüsen 

kompt,  das  mau  den  Pfaffeu,  München, 

vnd  andern  vunottüi-fftigen 

niittailet. 

Almusen  haiß  ich 

Wer  mich  kaufft  der  leß  micli. 

AfErck  Iiie  ain  ycder  bidermau  Almusen  raubet,  uymjit  vud  stilt, 

\Va.s  das  ahnnson  siudeu '  kan.       .Vlmösen  stichst  vnd  turniert,  6 

Allnuisen  dopelt-  vnd  auch  spiU,  Ahnns<in  herrscbet  vud  regiert, 

li  Druck:  linden.  2)  wüi-felt. 


80 


Almüseu  lebt  in  fresseroy, 
Treibt  vil  boßbait  vnd  büberey, 
Alinfisen  macliot  reichlich  prassen, 

u>  Schreyet  vnd  juchtzt  in  allen  t'jasseu, 
Alinuseu  reytot  schone  pferd 
Vnd  hat  ain  vndücbtigs  geberd. 
Almüsen  lasset  sich  nit  zemen 
Noch  von  der  buberey  sich  nemen, 

15  Almusen  hat  kain  rechten  orden. 
Ist  offt  zfi  ainem  sclialck  geworden. 
Almiisen  lasset  sich  auch  weyhen, 
Man  mfiß  jm  offt  die  weiber  leyhen, 
Almüsen  ist  gantz  worden  blind, 

20  Verfuret  vnser  w^eib  vnd  kind, 
Es  seit  vus  wirckeu  vusei'  liail, 
So  ist  es  laider  vil  zügail. 
Alnii^seu  stecket  in  der  kutten, 
Tregt  guten  wein  haim  in  den  butt^n, 

25  Almüsen  wandert  weit  vnd  brait 
Bringt  irrung  in  die  Christenhait. 
Almtisen  bawet  Fest  vnd  heüser, 
Wirt  zu  aim  hüben  vnd  verweiser, 
Almüsen  vns  arm  leüt  offt  schendt 

ao  Vnd  mit  ir  gleichßnerey  verblendt. 
Almusen  tregt  den  ablaß  fall, 
Dardurch  entspringt  vus  groß  vnhail, 
Almüsen  geet  in  hohen  hauben, 
Tregt  mäderin '  vnd  füchsiu  schauhen, 

35  Almüsen  wirdt  reiehei'  dann  wir, 
Das  kan  man  nymmer  leiden  schier 
Noch  in  die  lenge  nit  meer  dulden, 
Ob  Juans  schon  nit  behalt  bey  hulden. 
So  thü  ich  auch  daran  nit  liegen: 

40  Almüsen  thüt  all  weit  betrigen. 
Almüsen  mainet  fromm  zusein, 
So  ist  es  nur  ain  falscher  schein. 
Almüsen  muß  mau  fron  vnd  Zinsen. 
War  gut  man  gab  im  nit  ain  linsen, 

45  Almüsen  wil  all  s.chätz  außwülen 
Vnd  alle  schone  weiber  bülen. 
Almfisen  solt  vns  selig  macheu 
So  gibt  es  zu  der  sünd  vrsacheu, 
Almuseu  geet  in  kutten,  rocken, 

50  Auff  das  es  vns  müg  gelt  abschrecken. 


Vom  almüseu  nocli  aius  vovmerck: 
Es  tregt  fall  alle  gute  werk. 
Die  müssen  wir  dann  theür  eikauffen 
Und  thüt  vns  da  mit  überlauft'eu. 
Almüsen  zeucht  nit  gern  im  karren        55 
Vnd  machet  in  der  schi'ifft  vil  narren, 
Almüsen  ligt  nit  gern  auff  henken 
Vnd  thüt  dem  Bapst  vil  gülden  schencken. 
Almüsen  wil  groß  herschafft  pflegen. 
Kau  sich  doch  betlens  nit  verwegen       co 
Vnd  wil  sich  nit  benügen  lassen, 
Es  lauft't  durch  alle  land  vnd  Strassen, 
Ir  sack  der  wil  nit  werden  vol. 
Wie  fast  man  fült  so  bleibt  er  hol. 
Almusen  bschetzet  alle  land,  t3ö 

Sol  maus  lang  leiden  ist  ain  S(:hand, 
Er  wäre  dann  wol  angelegt 
Vud  nit  als  gar  im  geitz  ersteckt. 
Almüsen  solt  sicii  willig  leiden 
Vnd  alle  schand  vnd  laster  meiden,        7ü 
Auff'  das  es  auch  mocht  frucht  gebereu. 
So  fand  man  leüt  die  gebens  gereu. 
Almüsen  machet  faul  vnd  treg 
Das  man  nit  geet  den  rechten  weg, 
Der  Jesus  Christus  selbert  ist,,  75 

Es  ligt  stäts  auff  beschiß  vnd  list 
Vnd  gibt  vrsach  zu  bösen  dingen 
Das  man  sunstnymmer  mocht  volbriugeu. 
Das  macht:  der  pfenning  hat  es  vil 
Vnd  bringt  zuwegen  was  es  wil.  so 

Der  woUust  mag  jm  nit  entgeen 
Vnd  darff  auch  nit  in  sorgen  steeu. 
So  wirdt  denn  aller  ding  vergessen, 
Des  man  sich  zu  jm  hat  vermessen, 
Nemlich:  es  solt  vns  nutzung  bringen    85 
Für  vnser  sünd  in  vilen  dingeu. 
Das  sy  bißher  versäumet  hat. 
Woll  got  das  yetz  nit  sey  zuspat, 
Das  wir  es  noch  mügen  erlangen 
Darumb  es  dann  ist  angefangen.  90 

Almüsen  arbait  auch  nit  gereu-, 
Vnkeüschait  mag  sy  nit  emberen 
Vnd  ander  bösen  sünd  auch  vil, 
Die  ich  nit  all  erzeleu  wil. 


1)  Von  marderpelz,  vgl.  Liliencron,  Die  historischen  Volkslieder  der  Deutschen 
1,  417.     Verhandlungen  über  Thomas  von  Absberg,  hg.  v.  Baader  298,  2. 

2)  Druck:  gern. 


URBAN    RHEniUR 


81 


Almuseii  ist  gaiitz  gwallig  wnideii. 
AA'il  nymmer  halten  seinen  oiden, 
Hat  }i;ar  genommen  überhand. 
Kriegt  Fürsten,  horren,  luül  vmi  laiid. 
Derhalben  hüt  sich  yoderman 
Wer  almüsen  vei'leylien  kan. 
Dann  es  gebürt  vil  seltzam  bossen, 
Man  solt  sich  billich  daran  stossen. 
Das  siciit  man  an  den  priestersg-sellen, 
Wie sy  nach  weltlich  prachttliünd stellen. 
Alniusen  bringt  vns  offt  in  not 
Mit  fewr  vnd  bau  vnd  anderm  spot. 
Nein  man  darfür  ain  grossen  schlegel 
Odei-  ain  gi'iten  starcken  pflegel 
Vnd  legts  dem  betler  auff  den  rucken. 
Das  er  sich  zii  der  erd  thdt  bücken 
Vnd  gab  jm  kain  almüsen  meer, 
So  blib  vermitten  vil  vneer, 
Dann  pfaffeu,  Aiclihorn,  Affen,  Raben 
Sol  kain  weiß  man  in  scim  hauß  haben. 
Dann  man  ir  .selten  nutzung  hat: 
Vermeids  ain  yeder,  ist  mein  rat. 
Der  disen  sprach  hat  zugeriolit 
Der  liat  nit  alle  ding  bericht. 
Sonder  ain  wenig  daruon  gschriben, 
Dann  vil  ist  in  der  feder  bliben. 
Den  krancken  vnd  ha\iß  armen  leüton 
Gib  almusen  zu  allen  zelten. 
Dein  almüsen  solt  du  regieren 
Mit  pfaffen,  münchen  nit  partiereu, 
Dann  sy  thünd  zinß  auff  dSrffer  leihen. 


135 


140 


Es  wirdt  jn  zu  der  hell  godeylien. 

Sy  riimen  sieh  vil  gelt  vnd  gfit, 

Mit  vns  zürechten  ist  ir  müt. 

Mit  büchsen  woU  wii'  jn   vortraben. 

Den  selben  bosen  betlers  knabeii. 

Es  ist  fürwar  ain  grosse  schand. 

Das  mans  sol  leiden  in  dem  land, 

Das  souil  vnkeüsch  münch  vnd  pfaft'en 

So  groß  vnrecht  vnd  laster  schaffen. 

Die  weder  üben,  beeten,  fasten, 

Oedencken  nur  an  ireu  kästen, 

Das  dei'  selbig  erfüllet  werd, 

Vnd  reiten  mügen  hohe  pferd, 

Mit  schonen  frawen  trincken  vnd  essen, 

Der  gotsdieust  wirdt  von  jn  vergessen. 

Das  macht  das  übei'flüssig  gut. 

Das  man  jn  täglich  raichen  thüt. 

Wir  intiineii  es  komm  vns  zum  frommen 

Das  sy  uns  haben  abgenommen, 

So  sy  doch  huren  darmit  neren  u 

Ich  wolt  schier  zti  den  haiigen  schweren, 

Sy  beeten  mit  dem  stül  zu  Rom, 

Der  nye  kain  beet  in  syn  hat  gnom, 

Vnd  das  sy  nichts  gefastet  heften. 

Sy  ligen  lieber  in  deu  betten 

Bey  iren  motzen  biß  an  morgen 

Ynd  thünd  nit  vmb  das  gotswort  sorgen 

Ir  fürnemen  ist  Simoney 

Vnd  noch  vil  erger  büberey. 

Almüsen  geben  ist  wol  gut. 

Wenn  man  jm  änderst  auch  recht  thüt 


150 


Metrisch  ist  dieses  gedieht  vom  Almosen  den  versen,  die  die 
Unterred  beschliessen,  durchaus  gleich:  hier  wie  dort  vierhebige  kurz- 
zeileu  mit  steigendem,  monopodischem  rhythmus,  paarweise  gereimt, 
ganz  selten  begegnen  gebrochene  reime,  fast  immer  bildet  ein  reimpaar 
aucii  einen  satz.  Die  reimtechnik  ist  die  denkbar  anspruchsloseste, 
meistens  .stehen  allerweltsworte  im  reim,  dann  und  wann  aus  Verlegen- 
heit ein  seltner  ausdruck  oder  ein  fremdwort,  z.  b.  and  98,  15,  breit 
(^  braut)  100,  14  turniert  Almosen  v.  5,  linsen  v.  44,  pai'tieren  124, 
zur  not  wird  eine  wortform  verstümmelt:  kun  statt  kund  im  reim  auf 
assnnn  100,  81  wie  (jnom  statt  genonnnot  im  reim  auf  Bom  Almosen 
v.  Mn.     Ein  ungewöhnlicher  reim  ist  beiden  gedichten  gemeinsam: 

Auf  erden  ist  nichts  das  sie  bewegt, 
Der  teufel  hat  sie  all  ersteckt     98,  lüfg. 


ZKITSCHRIFT    F.    DEUTSCHE    PHILOLOGIE.       BD.  XXXVII. 


82  GÖTZE 

und  Kr  wäre  dann  wol  angelegt 

Ynd  nit  als  gar  im  geitz  ersteckt.     Almosen  67 fg. 

Der  Pingang  jonor  verse: 

Vergebens  bin  ich  ziigericht. 

Mich  bat  ein  scbleebter  doctor  dicbt     üS.  11  fg. 

erinnert  in  luisdriiok  und  reim  an  das  vorspaar,   das   im  Almosen   den 

schkissabschnitt  einleitet: 

Der  diseu  sprach  hat  zugericbt 

Der  hat  nit  alle  ding  bericht.     Y.  11  "fg. 

.  Auch  von  dem  metrischen  abgesehen  finden  sich  genug  Über- 
einstimmungen zwischen  unserm  gedichte  und  den  fünf  besprociienen 
tlugschriften.  Das  wort  abschreckrn  steht  v.  50  wie  LriffelniiU'her  cob: 
Es  muß  iicmlicli  aiii  ainfcUiger  jiaiger  teüffel  sein,  de))}  trir  mit 
vnserm  (jehet  aiii  seien  ahscl >r ecken ;  huherey  begegnet  v.  8.  14  und  154 
wie  108,  29.  106,  10,  schalck  bedeutet  schurke  v.  16  wie  108,  21,  das 
verbum  /)-ow  =  frohnden  v.  43  stellt  sich  neben  frönen  105,9,  fast  be- 
deutet sehr  V.  64  wie  9H,  10  und  fehlt  in  der  bedeutung  beinahe,  die 
Wendung  >,u  ivegen  bringen  erscheint  v.  80  wie  77,  11.  81,  12,  der 
dreschflegel  wird  v.  108  als  Strafwerkzeug  verwendet  wie  178,  5  und 
hat,  worauf  namentlich  wert  zu  legen  ist,  beidemale  die  form  pflege!, 
den  geistlichen  wird  v.  138  vorgeworfen,  sie  trachteten  allein  danach, 
wie  sie  reile)i  mügen  hohe  pferd,  106,  20  wird  der  mönch  gefragt,  ob 
denn  die  klöster  allein  dazu  gestiftet  seien  daf]  ir  mif  iiohen  rossen 
reite}!.  An  die  vielen  juristischen  kunstworte,  die  die  flugschriften 
bieten,  reiht  sich  bidernmn  an,  das  v.  1  wie  107,  18  begegnet  (vgl. 
Herrn.  Fischer,  Schwäbisches  Wörterbuch  1,  1096),  theologisch  ist  die 
Wendung  Es  soll  vns  tvircke)/  vnser  hail  v.  21,  der  sich  195,  18  nmb 
vergmigjie  silnd  bfif^  mit  mir  ivürken  vergleicht,  vielleicht  auch  <ler 
ausdruck  irrung,  der  v.  26  und  139,  8.  9  widerkehrt.  Die  fordernng, 
liaiisarrnen  leiden  almosen  zu  geben  (v.  121)  begegnet  auch  Löffelmacher 
a2b:  Man  sol  haiißarmen  leütten  helffen  vnd  rathen. 

Dass  Inhalt  und  richtung  des  gedichts  keinerlei  Widerspruch  zu 
den  fünf  flugschriften  zeigt,  bedarf  keines  beweises:  überall  die  gleiche 
i'oformatorische  begeisterung,  die  mit  demselben  eifer  und  gesciiick, 
aber  auch  mit  denselben  waffen  gegen  päpstUche  missbräuche  ankämpft, 
klar  und  scharf  in  der  abwehr,  witzig  und  glücklich  im  ausdruck,  stets 
den  blick  auf  das  praktische  und  erreichbare  gerichtet. 

Sind  damit  die  sechs  stücke  als  werke  desselben  mannes  erwiesen, 
so  ist  damit  zugleich  eine  hinreichend  breite  grundlage  geschaffen,  um 
ihren  Ursprung  zu  l)estinHnen.    Zunächst  steht  fest,  dass  sich  die  zweite 


ÜRBAN   RrfF.r.IUS  83 

Satire  hanptsäeblich  gegen  den  erzbischof  von  Salzburg  richtet.  Drei 
hisehöfe  nalimen  am  Regonsbiirger  oonvent  teil,  der  Regensbnrger,  der 
Trienter  und  der  Sal/burger.  Der  Vertreter  von  Regensbui-g  war  genau 
genommen  nicht  hisehof  sondern  administrator,  er  brauchte  auch  nicht 
über  hnid  zum  convent  zu  reiten,  biscliof  Bernhard  von  Trient  kam 
mit  erzherzog  Ferdinand  zu  schiffe  nach  Regensburg \  also  passt  die 
beschreibung  nur  auf  den  cardinal  erzbischof  Matthäus  Lang  von  Salz- 
burg. Dass  immer  nur  von  einem  biscliof,  nicht  von  einem  erzbischof 
gesprochen  wird,  darf  dabei  nicht  irre  machen,  spricht  doch  auch  Hans 
von  der  Planitz  in  seinen  berichten  s.  138,  25.  144,  8  u.  ö.  oder  Rem 
in  seiner  chronik  (Städtechroniken  25,  IIH  u.  ö.)  vom  bischof  von  Salz- 
burg. Die  beschi-eibung  passt,  so  sehr  sie  übertreiben  mag,  treft'lich 
auf  Matthäus  Lang.-  Seine  liederlichkoit  Avar  bei  den  gegnern  sprich- 
wörtlich. Als  152.3  das  gerücht  ging,  er  solle  papst  werden,  schrieb 
Hans  von  der  Planitz  (Berichte  s.  583),  der  keineswegs  in  gereiztem 
tdue  über  ihn  zu  berichten  pflegte  und  an  andrer  stelle  der  diploma- 
tischen kunst  des  cardinals  völlig  gerecht  wird  (306  fg.)  nach  hause: 
Wue  (Ja.s  geschee,  /!o  stunden  alle  Sachen  recht;  verJioffet  ich,  hübsch 
frauen  und  jtmcjfranen  lib  xu  hahoi  etc.,  wnrde  kein  ßunde  nicht 
sein,  lind  do  niusten  sich  alle  Lutherische  drnfjkoi  und  leiden.  Noch 
schärfei-  drückt  sich  Eberlin  3,  163  aus:  solich  lenth  iröllen  gots  wort 
beschirmen ,  rnd  icissent  sie  minder  von  gotis  2Vort,  dan  der  Cardinal 
Laug  von  xuchtiger  keuscher  erberkeit.  Dass  ihm  die  geistlichen  ge- 
schäfte  seines  erzbistums  völlig  nebensache  waren,  dass  er  viel  und 
lange  in  diplomatischen  geschaffen  von  seinem  bistum  ab-\vesend  war 
und  nie  eingehendere  theologisfhe  Studien  geti'ieben  hat,  missbilligt 
auch  sein  gewiss  wol wollender  biograph  Hauthaler.''  Dass  er  mit  un- 
gewohnter prachtentfaltung  aufzutreten  pflegte,  erzählen  die  Zeitgenossen 
teils  mir  kopfschütteln  teils  mit  bewunderung.'^ 

Matthäus  Lang  stammte  aus  einer  Augsburger  familie,  war  seit 
1500  domprobst  in  Augsburg  und  besass  seit  1507  schloss  Wellenburg 
bei  Augsburg.     Die  Augsburger  Chronisten   beschäftigen    sich   mit   vor- 

1)  Chrouiken  deutscher  städte  15,  .'»0. 

2)  Vgl.  über  ihn  uanieiitheh  Jo.sef  Sohmid,  Des  oardiuals  uud  erzbischof.s  vuu 
Salzburg  Matthäus  Lang  verhalten  zur  reformation.  Phil.  diss.  München  1901.  Über 
Längs  Weltfreude  s.  7,  über  das  Tributnm  coucubinarium  s.  28.  über  die  sittlit'hen 
Inisstände  in  seinem  bistum  s.  100. 

3)  Mitteilungen  der  gesellschaft  für  Salzburger  landeskunde  3;"),  154.  102.  lüG. 
173.  198. 

4)  Das.  154fg.  Ulmann,  Allg.  deutsche  biographie  20,  GIG.  Chroniken  deut- 
scher Städte  1.'),  57.  23,  UG.  2.5,231.     Zinunerische  chronik,  hg.  von  Barack  2,419. 

6* 


84  GnTZK 

li(;l)e  mit  doni  herühnit  gowordenon  kinde  ihrer  stadt.  Dass  das  Wog- 
^^priich  seine  persüulichkeit  in  den  niittolpiinkt  der  betraciitung  stolH, 
beweist  darnni  nicht,  dass  die  flugschrift  vom  erzbistum  Salzburg-  aus- 
gegangen sein  müsste.  wir  dürfen  vielnielir  den  mancherlei  spui'en 
folgen,  die  sie  und  die  fünf  andern  sohriften  nach  Augsburg  weisen. 
Alle  stellen  der  flugschriften ,  die  auf  Ortskenntnis  und  örtliche  Inter- 
essen schliessen  lassen,  betreffen  Baiern,  nur  in  der  schritt  vom  I.riflel- 
macher  treten  daneben  einige  örtliche  beziehungen  auf,  die  ins  Tnntal 
weisen.  Da  wird  a4a  ein  prediger  zu  Schw^atz  mit  namen  Bernardinus 
genannt,  der  dem  teufel  seine  seele  verpfändet  haben  soll,  dass  alle 
lutherischen  ewiglich  verdammt  wären,  ferner  ein  scholastikei'  Michael 
von  Prauneck,  der  sich  in  Graetz,  Schwatz  und  Bozen  unmöglich  ge- 
macht hat,  dann  auf  seite  bla  zwei  evangelische  prediger,  die  kürzlich 
aus  Schwatz  vertrieben  worden  sind  und  d2b  wird  zweimal  Jacob  von 
Stuttgart  als  gardian  des  am  Gespräch  beteiligten  mönches  genannt. 
Alle  andern  beziehungen  Aveisen  auf  Baiern:  der  convent,  über  üon 
die  Klag  und  antwort  und  das  Wegspräch  handeln,  wird  in  Regensburg 
gehalten,  vor  dieser  stadt  spielt  das  Wegspräch,  voi'  Nürnberg  das 
Gespräch,  der  curtisan  erzählt  108,  2(),  er  sei  v?/  liegenspiny  (Jahchneu, 
bei  fjfdeiu  Frankenwein  begehen  176,37  die  geistlichen  die  Jahrzeiten, 
das  einzige  Schriftwerk,  das  neben  der  Regensburger  Constitution  er- 
wähnt wird,  ist  das  breve  papst  Adrians  an  die  von  Bamberg  (186,  8). 
Die  Schilderung  des  raubritterwesens  im  Gespräch  passt  am  besten  aut 
die  fränkische  ritterschaft,  Hans  Thomas  von  Absberg  und  seinen  kreis, 
die  mit  den  städten  lange  in  fehde  lagen,  bis  im  juni  und  juli  152;» 
die  expedition  des  schwäbischen  l)undes  dem  unwesen  ein  ende  zu 
machen  suchte  und  für  die  verfolgten,  geächteten  raubritter  die  zeit 
der  not  anbrach,  über  die  der  ritter  im  (xespräche  klagt.  Der  Verfasser 
nimmt  gegen  die  ritter  partei,  wenn  er  sie  auch  für  besser  als  die 
geistlichen  erklärt,  er  ist  selbst  kein  edelmann,  sonst  könnte  er  nicht 
sagen,  dass  jetzt  büberei,  mord  und  alle  laster  den  edelmann  ausmachten 
(106,  10).  Dabei  versetzt  er  sich  aber  doch  mehr,  als  es  die  quellen 
der  zeit  sonst  versuchen,  in  die  Stimmung  des  stegreifritters,  erkennt 
die  not  seiner  läge  an  und  weiss  von  hier  aus  sogar  einige  s^'mpnthio 
für  ihn  zu  gewinnen.  Wir  dürfen  wol  in  dieser  auffallenden  mittei- 
stellung  eine  folge  von  Luthers  sendbrief  an  den  adel  erkennen,  dei- 
in  dem  sinkenden  stände  noch  einen  wertvollen  bundesgenossen  zu  ge- 
winnen hoft'te  und  damit  wol  auch  seine  anhänger  in  süddeutschen 
Städten  voi-übergehend  zu  einiger  Zurückhaltung  gegen  die  ritterlichen 
feinde  veranlasste. 


URBAN    KHKOIUS  85 

All  cinzelheiten  weiss  unser  aiitor  über  das  raubritteilebcn  nicht 
melir,  als  man  hinter  den  mauern  der  städtc  erfahren  icünnte.  JJass 
/.  1).  die  ritter  unter  umstünden  vierzig  stunden  im  sattel  geblieben 
waren  und  (hihei  nichts  als  hrot  zu  essen  hatten,  dass  gelegentlich  auch 
ein  mönch  zu  ihnen  hielt,  hatten  gefangene  und  heiter  Absbergs  zu 
Nürnberg  im  verhör  ausgesagt,  vgl.  Verhandlungen  über  Thomas  von 
Absberg  hg.  von  Baader,  s.  21.  24.  58.  122.  131.  Auch  sonst  ist  der 
Verfasser  mit  seinen  Interessen  und  kenntnissen  städter.  Zur  erapfehlung 
der  priesterehe  sagt  er  188,  3(),  man  brauche  zunächst  den  söhnen  der 
geistlichen  keine  ämter  einzuräumen,  dil'>  slat  tu  (jewaU  der  oberkeU, 
(jleich  wie  man  in  etliche//  stette/i  kein  freinhden  in  rat  evipfacht.  Die 
regelung  des  alinosenwesens  wav  eine  frage,  die  bei  durehführung  der 
rcforination  an  die  städtischen  Verwaltungen  herantrat,  nicht  die  miss- 
hräuche  der  landstreicherei  stellt  das  gedieht  Vom  almosen  dar,  sondern 
(Ion  von  der  alten  kirche  organisierten  städtischen  bettel,  der  in  Autrs- 
bürg  durch  die  städtische  almosenordnung  vom  21.  märz  1522  beseitigt 
wurde.  Und  Jin  das  litterarische  leben  gerade  dieser  stadt  lässt  sich 
•las  gedieht  anknüpfen.  Unter  dem  namen  'Das  almosen'  verspottet 
ein  gedieht  von  Ulrich  Wiest,  das  während  des  markgrafenkrieges  144!» 
aus  der  Augsburger  singschule  hervorgegangen  ist,  die  herren  vom 
Augsburger  domcapitel.     Da  heisst  es^: 

ilen  gaistlichen  ist  almusen  nit  gegeben  Das  almdseii  diu  beste  pfeite  reilt. 

dal)  si  der  cristculiait  söhi  wideistrebeu;  das  ahnfisen  im  lindsten  bette  leit 

si  füren  unordenlicheu  ir  leben:  es  hat  den  grösten  woUust  in  der  zeit. 

das  almusen  durnieret  unde  sticht,  das  almiisen  das  tregt  die  besten  wat. 

das  alnuisen  das  hadert  unde  ficlit,  das  almusen  die  beste  klaiuet  hat, 

das  almusen  treibt  alle  ungeschicht.  icli  kan  nit  vindeu  wa  es  gsehribcii  slat; 

_        ,  ,      ,    ,  ,        •,  '-1'^-'^  almusen  das  zeucht  die  zartste  leib. 

I)a.s  almusen  das  ludert  unde  suilt,  ,        ,     -         ,       «-  ,  ,         i  ••     ^  -i 

,  ,  ,  ,       .,  das  almusen  das  pfligt  der  schönsten  weib, 

das  almusen  das  raubet  uudc  stilt.  ■  ,  •       i  o     i    •      ■  ,  , 

ich    main    daßs    kam    lerer   zum   rechten 
da.s  almusen  kamer  buberei  bevilt.  ,     ., 

11  1       ,        .       ,  .  schreib. 

ua.s  almusen  das  danzet  unde  sprmgt. 

das  almusen  hovieret  unde  sing-t,  Uas  almusen  vermag  guldin  und  gelt. 

da.s  alimisen  alle  unrecht  verbringt.  das  almi'.seu  das  hat  das  reichste  gezelt, 

da.s  almusen  das  jaget  unde  baist.  es  treibt  die  höchste  lioffart  in  der  weit. 

das  almusen  das  krieget  unde  raist. 

das  almüscu  wittwen  und  waisen  naist. 

Das  alte  meisterlicd  ist  zweifellos  dem  vei'fasser  unseres  gedichts 
Vom  (dnnjscn  bekannt  gewesen  und  hat  ihn  vielfältig,  nicht  nui'  an 
der  ausgohobenen  stelle  zur  nachbildung  angeregt.  Dass  sich  aber  da> 
Augsburger  meisterlied  so  lebendig  gehalten  hätte  ausserhalb  der  Stadt. 

D  Lilieucioii.  Die  historischeu  Volkslieder  der  Deutschen  1.  41(i. 


8(j  GÖTZE 

in  der  es  entstanden  ist   und   deren   zustände   es   zum   ziele    hat,  ^ist 
unwahrscheinlich. 

Es  liegt  nahe,  nun  auch  für  die  andern  flugschriften  litterarische 
Vorbilder  zu  suchen.  Die  Klag  und  antwort  will  ja  nichts  anderes 
bieten  als  eine  fortlaufende  kritik  der  Regensburger  Constitution  und 
ist  ohne  diese  nicht  denkbar.  Aber  auch  die  Unterred  lässt  sich  auf 
eine  litterarische  anregung  zurückführen.  Der  patriarch  erzählt  hier 
81,  30:  man  findt  klerlich  in  der  lügend  des  heiligen  sanci  Brandons, 
wie  er  etliche  jar  auf  de^n  niör  gefareu  luid  ganx  seltsame  wunder 
erfaren.  nemlich  ist  er  vor  dem  paradeis  gewese)t  und  xeigt  an  alle 
gelegenheit,  ivie  es  gestalt  sei.  Die  sage  von  Sant  Brandan  war  zu 
anfang  des  16.  Jahrhunderts  aus  dem  vielgedruckten  Volksbuch  ^  wol- 
bekannt,  von  ihr  aus  ist  unserm  autor  der  gedanke  des  gewaft'neten 
zuges  vor  das  paradies  gekommen,  das  mit  seiner  mauer,  seinen  zinnen, 
toren  und  dem  hangenden  wege,  der  hinaufführt,  im  Volksbuch  eine 
grosse  rolle  spielt  (vgl.  Schröders  ausgäbe   170,  10.  25.  183,  1  fgg.). 

Nur  flüchtig  sind  einige  berührungen,  die  Klag  und  antwort  und 
Wegspräch  mit  einigen  fastnachtspielen  vom  ende  des  15.  Jahrhunderts 
zu  verbinden  scheinen.  Die  scherzhafte  erweiteruug  des  Amen  158,  17 
zu  gramen,  dti  ril  dürrer  gaul  erinnert  an  die  Fastnachtspiele,  hg.  von 
Keller  850,  26:  Amen.  Katx  sitxt  uff  dem  tramcn,  die  wendung  so 
fegt  des  bischofs  kämerUng  der  kellerin  das  hindcr  kcmmicht  182,  8 
au  Fastn.,  Nachlese  258,  17: 

Du  muest  nocli  als  ain  alte  ainen  haben, 

Der  dir  den  rauchfankh  thuet,  keren. 

Wie  machstus  dann  deiner  tocliter  werenV 

Und  ähnlich  deutet  vielleicht  die  Verwendung  von  Streichholz 
150,  4  zurück  auf  Fastn.  347,  17,  ein  warms  irinkgelt  177,  36  auf 
Fastn.  660,  2  oder  auch  auf  den  schwank  vom  Warmen  almosen 
(v.  d.  Hagen,  Gesamtabenteuer  2  nr.  36),  so  dass  wir  für  diese  gröb- 
lichen spässe  nicht  den  Verfasser  unserer  satiren,  sondern  die  derbe 
komik  früherer  Jahrhunderte  verantwortlich  zu  machen  hätten. 

Durchweg  ist  Augsburg  die  stadt,  in  der  der  Verfasser  am  besten 
bescheid  weiss.  Er  erzählt  106,  33,  Augsburg  habe  elf  klöster  und 
brüderhäuser,  von  denen  das  kleinste  su  viel  einkünfte  habe,  dass  man 
die  armen  der  ganzen  stadt  davon  unterhalten  könnte.  Und  kurz  vorher 
erläutert  er  den  Ursprung  des  mönchswcsens  an  der  fürsorge  für  kranke: 
man   habe   einst  alten    leuton   zollen   zum   gottesdicnst  gebaut  wie  nuiii 

1)  Hg.  von  Carl  Schröder:  Sanct  Krandan.  Em  lateinischer  und  ilrei  deutsche 
texte  s.  161  —  192. 


URBAK    RIIKQIUS  87 

(kin)i  äxi  die  sondersiecheii  hohe/  »mc/tl.  Von  Regensbiirg  und  Bam- 
berg wird  hierüber  nichts  erzählt,  Nürnberg  hatte  schon  1450  seine 
siechenkobel  (Monumenta  boica  25,  64),  dagegen  berichten  Sender  und 
Rem  (Chroniken  deutsche«  städte  23,  151  und  25,  163),  dass  der  Augs- 
burger rat  bei  der  pest  im  juli  1521  zwei  siechenhäuser  vor  der  stadt 
bauen  Hess.  Auch  dass  im  Wegspräch  die  'gemeinen  frauen'  gegen- 
über den  pfaft'en  so  günstig  dargestellt  werden,  passt  zu  der  in  Augs- 
burg hervortretenden  auffassung,  man  vergleiche  damit,  was  Rem  über 
ihren  kirchenbesuch  zum  jähre  1520  berichtet  (Chroniken  deutscher 
Städte  25,  123;  Roth,  Augsburgs  reformationsgeschichte -'  122). 

In  der  ausdrucksw'eise  der  flugschriften  ist  nichts  enthalten,  was 
der  Augsburger  herkunft  widerspräche,  für  einige  ausdrücke,  bei  denen 
das  nicht  selbstverständlich  ist,  mögen  die  parallelen  in  Augsburger 
Chroniken  hier  angedeutet  w-erden:  an<jemttt  146,  5  wie  Chr.  4,  144. 
5,  34;  au  fliehen^  106,  34  wie  Chr.  23,  22.  75;  anßrichtcn  für  absolvieren 
146,  8  wie  Chr.  22.  325.  25,  144;  badreiberin  155.  36  wie  Chr.  23,  174. 
:>35;  besh?gnf(s  141,  36.  144,  35.  156,  35  wie  Chr.  25,  144;  conmbin 
162,  22  wie  Chr.  23,  36;  donistag  170,  20  wie  Chr.  4,  31  u.  o.;  cigent- 
Uch  110,  16  wie  Chr.  4,  180.  5,  358  u.  o.:  genants  gelt  158,  11  wie  Chr. 

22,  497;  geivcliigeii  87,  26  wie  Chr.  22,  309;  gnindel  178,  33  wie  Chr. 

23,  328.  465:  babit  für  priesterkleid  139,  37.  140,  14fgg.  wie  Chr.  23,  65. 
79.  298:  knoden  für  knöchel  140,  19  wie  Chr.  25,  243;  lipriesier  für 
Icutpriestcr  177,25.  27  wie  liupricster  Chr.  5,59.  82.  86.  214,  Icuprieslcr 
Chr.  5,  59.  214;  die  roiea  purgieren  190,  1  wie  Chr.  23,  177;  scheuxlick 
155.21.  156,18  wie  Chr.  23,128:  sprach/ms  171,19  wie  Chr.  5,71; 
siöekcn  und  placken  104,  33.  161,14.  187,24  wie  Chr.  5,228.  363; 
;/;?/c/-=vesper  107,38  wie  Chr.  23,  122.  124;  wilt  ßuer  147,20  wie 
<  'hr.  22,  75.  23,  70. 

Dass  das  in  unsorn  flugschriften  vorherrschende  intercsse  das 
religiöse  ist,  bedarf  keines  beweises,  dem  kämpfe  gegen  die  missbräiiche 
der  kirche  verdanken  sie  samt  und  sonders  ihre  entstehuug,  ihr  Ver- 
fasser steht  in  den  reihen  der  kiimpfer  für  die  reformation  der  kirche. 
Er  versteht,  wenn  die  oben  versuchte  deutung  des  wortes  assun  richtig 
ist.  auch  etwas  hebräisch.  Daneben  zieht  sich  leicht  erkennbar  und 
überall  stark  hervortretend  ein  juristisches  in teresse  durch  die  schriftchen: 
überall  ausser  im  Gespräch  und  in  dem  gcdichte  Vom  almosen,  wo 
dazu  keine  gelegenhcit  ist,  werden  die  dccretalien  angetührt.  Sehr 
Avitzig  ist  in  der  Unterred  die  l)eleluung.  die  ;ler  patriarch  dem  cngcl 
über  das  papsUiim  gibt:  alles  was  darin  vom  cvangelium  abweicht,  wird 
dabei  mit  decrctstellen  gerechtfertigt  und  damit  zugleich  diese  lächerlicli 


88  GÖTZ  F. 

gemacht.  So  erklärt  der  patriarcli  dem  engel,  dass  alle  kaiser  dem 
papste  die  füsse  küssen  müssen,  ivo  du  xiveifelsi,  so  lis  das  dccrctal 
C.  Cum  olini  iwi.ele.  Si  smnmus  po')itifex,  de  sententia  excommuni- 
catiouh  (94,  20).  Aber  auch  im  umgekehrten  sinne  weiss  unser  ge- 
wandter Satiriker  die  decretalien  anzuwenden:  sie  enthalten  ganz  ver- 
nünftige grundsätzc,  aber  die  entartete  kirche  befolgt  nur  die  verkehrten. 
In  diesem  sinne  wendet  namentlich  Kunz  im  Wegspräch  die  decretalien 
gegen  den  bischof  an,  aber  auch  die  Klag  und  antwort  weist  137,  30 
darauf  hin:  seit  ir  recht  bischoff,  so  wcrdt  ir  euch  von  uns  armen 
pfaffeu  nlt  Schemen  zu  lernen,  wie  dann  i}i  euern  gaisflosen  rechten 
heyrilfen  ist,  da  es  spricht  'nullus  episcopus  propter  opprobrium  senee- 
tntis  rel  nobilitatem  (jencris  a  parimUs  vel  niinimis  eruditis  inquirere 
et  discere  negligat\  und  ebenso  ists  zu  verstehen,  wenn  die  vorrede 
zur  Unterred  versichert,  die  folgende  schritt  sei  durchaus  l)epsllichcn 
rechtcji  gemeß.  Daneben  treten,  namentlich  im  Wegspräch,  überall 
Juristenworte  hervor:  irregularis  164, 19,  jurament  1()5,  20;  ad  cautelam 
absolvieren  u)ul  .  .  .  dispensieren  170,  17;  nwnitoria,  citaciones,  ex- 
communicaciones  pri-mum,  secuiulum,  tertium,  monitoria,  interdict 
und  ahsoluciones  173,33  u.v.a.  Man  wird  sich  darum  der  annähme 
nicht  verschliessen  können,  dass  der  Verfasser  der  tlugschriften  neben 
der  theologie  auch  die  rechte  studiert  hat;  dass  er  ein  gelehrter  war, 
darauf  Aveist  ja  ohnehin  der  schluss  der  Unterred  Midi  hat  ein  scJilccliter 
doctor  dicht  98,  12.  Einige  scholastische  grundsätze  und  büchertitel, 
die  144,  34.  189,  88,  139,  22fgg.  genannt  werden,  lassen  vielleicht  den 
schluss  zu,  dass  der  Verfasser  nicht  erst  in  den  zwanziger  jähren  studiert 
hat,  sondern  dass  sein  Studium  in  die  zeit  vor  der  reformation  zurück- 
reicht. Aber  in  dem  grossen  kämpf  der  geister  hat  er  gewiss  nicht  auf 
der  scholastischen  seite  gekämpft:  die  schärfe  seines  spottes,  die  überall 
bevorzugte  form  des  dialogs,  die  oft  hervortretende  kenntnis  des  clas- 
sischen  altertums  verraten  den  humanisten.  Wiesen  sachliche  gründe 
unsere  flugschriften  übereinstimmend  nach  Augsburg,  so  verbietet  doch 
ein  formelles  bedenken,  in  ihrem  Verfasser  einen  gebornen  Augsburger 
zu  sehen:  der  nordosten  von  Schwaben  bis  südlich  von  Augsburg  spricht 
nach  Fischers  Atlas  zur  geographie  der  schwäbischen  mundart,  karte  19, 
flegel,  nur  dem  westen  und  süden  gehört  die  form  pfleget,  die  Wegspräch 
178,  5  und  Almosen  v.  108  bieten:  dort  also  muss  die  lieimat  des  un- 
bekannten Verfassers  sein.  Von  Augsburger  reformaturcn  aber,  die  aus 
dem  südlichen  Schwaben  stammen  und  bczichungen  zum  IJnterinntal 
haben,  hiunaiiistisch  gebildet  sind,  neben  der  theolugic  auch  die  rechte 
studiert  haben,  den  titel  doctor  führen  und  über  so  viel  geist  und  heitre 


URBAN    RHKGIUS  89 

launc  verfügen,  um  neben  dem  kämpf  und  der  arbeit  des  tagcs  tliig- 
schriften  wie  die  unsern  zu  schreiben,  gibt  es  schlechterdings  nur  einen, 
das  al)er  ist  der  bedeutendste  von  allen:  Urban  Kiiegius.  Er  war  llcSi) 
in  Tiangonargen  am  Bodensee  geboren,  studierte  seit  1508  juiisprudenz 
bei  Zasius  in  Freiburg,  ward  in  Ingolstadt  professor  der  rhctorik  und 
poesie,  dann  in  Konstanz  priester,  1520  in  Basel  doctor  der  theologie. 
Schon  vorbei'  war  er  für  Luthers  lehre  gewonnen  worden,  noch  im 
gleichen  jähre  gieng  er  als  doniprediger  nach  Augsburg  und  wirkte  bis 
September  1521  und  dann  wider  seit  august  1524  bis  151)0  als  refor- 
nuitor  dieser  stadt.  Die  drei  jähre,  die  seine  Wirksamkeit  in  Augsburg 
unterlu'echen,  verbrachte  er  teils  in  seiner  heimat,  teils  als  prediger  von 
Hall  im  luntal.  teils  als  Privatmann  in  Augsburg. 

Am  eingang  seines  lebens  steht  ein  oft  erzähltes  ereignis:  als  er 
zur  taufe  getragen  wurde,  hatten  die  pathen  den  von  den  eitern  be- 
stimmten namen  vergessen  und  der  taufende  priester  gab  ihm.  da  er 
den  heiligeniuunen  des  tages  nicht  wusste,  den  namen  des  heiligen 
Urbanus,  dessen  tag  nahe  war.  Fü]-  einen  numn,  der  auf  diese  un- 
gewöhnliche weise  zu  seinem  ve)rnanien  gekommen  war,  hatte  die  im 
Wcgspräch  150,  16  erzahlte  geschichte  eine  besondere  bedeutung:  der 
patlie  bringt  ein  kind  zum  weihbischof,  der  fragt  ihn  'wie  liaisls' ,  der 
pathe  nennt  statt  des  namens  des  kindes  Jörg  seinen  namen  Hans  und 
nun  soll  das  kind  Hansjörg  heissen,  wenn  seine  eitern  nicht  zwanzig 
und  nach  einigem  handeln  zehn  gülden  daran  wagen  wollen.  Daneben 
verdient  auch  beachtung,  dass  der  mönch  im  Gespräch  110,  .'U.  83  den 
namen  Urban  führt.  "Weiter  trifft  es  sich  gut,  dass  die  schrift  vom 
löiTelmacher  mit  ihren  starken  boziehungcn  zum  Unterinntal  nach- 
weislich im  jähre  1524  entstanden  ist,  also  kurz  nach  der  zeit,  da 
Rhegius  prediger  in  Hall  war.  Die  schrift  enthält  nämlich  mehrere 
anklänge  an  Eberlin  von  Günzburg,  am  greifbarsten  in  der  bemerkung, 
dasi^  alliceg  ain  arbcUtcr  wol  xelieii  mnssig()ä)igcr  enteren  muss  (a2a). 
Das  ist  der  zusammenfassende  und  etwas  gemilderte  ausdruck  dessen, 
was  Eberlin  in  seiner  schrift 'Mich  wundejt,  dass  kein  geld  im  land  ist' 
(Werke  hrg.  von  Enders  3,  107)  ausführt:  auf  einen  menschen,  der 
arbeitet,  kommen  immer  vierzehn  müssiggänger,  denn  von  fünfzehn 
menschen  sind  vier  zu  jung  und  vier  zu  alt  um  arbeiten  zu  können, 
von  den  übrigen  sieben  sind  sechs  krank  oder  pfaften  und  nonneu  oder 
gassenjunkcr  oder  sonst  welche  dröhnen,  und  nur  einer  arbeitet.  Nun 
ist  Kberlins  schrift  nicht  vor  dem  frühjahi'  1524  erschienen,  das  (tc- 
-piiiili  \iiiii  lrilT('lin;ii'hci'  also  l'rühestens  damals  entstanden.  A  iidi'ci'soits 
liegt   CS   gewiss    vor   dem    ausljrucii    des    baueinkriegs.    denn    b  Ja   sagt 


90  GÖTZE 

der  löffelmacher:  Ich  (jlaiih  aber,  euch  sey  gleijch  als  vns  iveltlichen, 
die  uir  tausetfeltig  hladen  sein  mit  bösen  liauptcrn  vnd  tyrannischen 
regierern,  di  vns  aufs  hockst  trucken,  wir  wollen  inis-jr  ivol  entladen., 
so  nir  ainandcr  recht  treic  hielten,  ivolten  vns  jrtr  harten  steirer  vnd 
des  grossen  scliadens  des  gnrilts  leicht  cnveren ,  es  tvill  aber  kagncr 
der  katxcn  die  schell  anhoigen.  Im  bauernkrieg  fanden  sich  ja  die 
leute,  die  'der  katze  die  schelle  anhängten',  aber  auch  kurz  vor  seinem 
ausbruch  wird  keiner  diese  so  nahe  an  die  forderungen  der  bauern  an- 
klingenden Worte  niedergeschrieben  haben,  wenn  er  nicht  der  aufreizuug 
zur  revolution  verdächtig  scheinen  wollte,  also  gehört  die  flugschrift 
gewiss  noch  ins  jahi'  1524.  Ferner  ist  es  vielleicht  kein  zufall,  dass 
in  eir.em  aUen  sammelbande  der  Universitätsbibliothek  zu  Freiburg  das 
gedieht  Vom  almosen  mit  vielen  schritten  des  XJrbanus  Rhegius  zu- 
sammengebunden ist. 

Nehmen  wir  diese  beziehuugen  zum  guten  zeichen,  wenn  wir  nun 
daran  gehen,  die  Vermutung,  Urban  Rliegius  sei  der  Verfasser  der  sechs 
flugschriften,  durch  ihre  vergleichung  mit  sicheren  schritten  des  Rhegius 
zu  beweisen.  Verglichen  sind  folgende  schritten,  sämtlich  nach  den 
originaldrucken  in  der  universitäts-bibliothck  zu  Freiburg: 

1.  Vnderncht  wie  sich  Ilain  Chjisten  mensch  halten  II  sol  das  er 
frucht  der  Mefz  II  erlang  vnd  Ch?ist'^  II  lieh  zu  gotz  tisch  11  ganng.  II  D.  V.  R.  li 
Mit  titeleinfassung.    Druck  wol  von  Simprecht  Ruff  in  Augsburg. 

2.  Von  volkomenhait  vnd  II  frucht  des  Icidcns  Chnsti,  II  8ampt 
erklärung  der  II  wo:t  Pauli  Colos.  1.  II  Ich  erfüll,  das  I!  abgeet  den  II  leydenll 
Chn=  II  sti  :c.  il .-.  II  Durch  D.  Vrbanum  Regium.  11  31it  titeleinfassung.  Druck 
von  Alexander  Weissenhorn  in  Augsburg. 

3.  Underricht  II  Wie  ain  ChMstenmensch  got  seinem  II  herren  teg- 
lich  beichten  soll  Docto  II  ris  Vrbani  Regij  Thümp?e=  II  digers  zu  Augs- 
purg  >c.  II  M.D.XXI.  il  Mit  titeleinfassung.  Am  ende:  C  (Jed?uckt  zu 
Augspurg  durch  Siluanu  Ottmar  II  bey  sant  A'rsuUi  closter  am  Lech. 
M.D.XXI.  II 

4.  Ain  Sermu.  Von  der  kyrchweyche  il  Docto:  Vrbani  Regij. 
Predi.  II  ger  zii  Hall  jm  Intal.  II  M.D.XXII.  II  Jar.  II  Mit  titelointassung. 
Druck   von  Melchior  Ramminger  in  Augsburg. 

5.  Ain  8ermö.  vö  il  Dem  d:itten  Cfebot.  Wie  II  Man  Cli:istlich 
feyren  sol  il  Mit  anzaygung  ettlicher  myl)-  II  b:eych,  (iep:ediget,  Durch 
.D.  I!  Vrbanum  Regium,  Pjc-  II  diger  Zu  Hall  jm  Intal.  II  M.D.XXII.  Jar. II 
Vier  Blattstiicke.  II  Mit  titeleinfassung.  Druck  von  Melchior  Ramminger 
in  Augsburg. 


G.  Von 


Rezv. 

Beicht. 
Bufz. 


URBAH   RHEOIÜS  91 


Beschluß.  II  Von  ReüW  II  Beicht.   Büfz.   kiirtzer 


heschUiß  aiili  gegrünter  schritt  II  nit  au  IS  nicsclien  leer.  Durch  II  Doc. 
Vrl)anum  Regi  ii  um  zu  Hall  jm  In=  II  tal  gepredigt.  11  Im  Jar.  MDXXiij.  II 
Mit  titolcint'assung.     Druck  von  Melchior  Ramniinger  in  Augsburg. 

7.  Vom  hochwürdigen  Sacraraent  II  des  altars.  vnderricht,  was 
man  auß  hay-  II  liger  geschryfFt  wissen  mag,  durch  ||  D.  Vrbanum  Regium 
zu  Aug-  II  spurg  gepredigt,  co:po:is  II  Ch:isti  biß  auff  den  II  achtenden. !! 
M.D.XXiij.  II  wer  (jottcs  (j)iad  predigt,  muß  sich  der  ivelt  (jnad  verxeijhoi,  l| 
Gottes  iril  ijescheli.  A.  II  Blattstück  li .  Druck  von  Simprecht  Ruft'  in 
Augsburg. 

8.  Kurtze  verandt-  I  wo:tung  aut!"  zwu  gotß  II  lestcruugen,  wider 
die  1!  feynd  der  hayligen  II  schafft,  Durch  ii  D.  Vrbanü  il  Regi.  II  M.D.XXIII.  11 
Drei  Blattstücke,  i!  Mit  titoleinfassung.  Drurk  von  Simprecht  RufF  in 
Augsburg. 

9.  Wider  den  newe  II  irrsal  Doctor  Andres  II  von  Carlstadt,  des!! 
Saoraments  II  halb,  war  ,'  nung.  il  D.  V:bani  Regij.  II  Mit  titeleinfassung. 
Druck  von  Simprecht  Ruff  in  Augsburg. 

10.  Znon  ;vundersel  il  tzam  sendbrietl',  zweyer  \Vi=  Il  dcrtauifer, 
an  ire  Rot=  II  ten  gen  Augspurg  il  gesandt.  I!  llerant:vurtung  II  aller  irriknm, 
diser  oh-  II  genante  brieff.  durch  II  Vrbanum  Rhe  il  gium.  II  Blattstück  II . 
Mit  titeleinfassung.  Am  ende:  Getruckt  zu  Augspurg,  durch  Alexander II 
"Weyssenho:n,  bey  S.  Vrsula.  II 

11.  Verant'  il  wortung  dreyer  il  gegen wurff  der  Papisten  il  zu  Braun- 
swig,  dar  jnn  fast  ll  jr  groster  grund  ligt,  zu  il  dienst  dem  Ersamen  II  Heisen 
Oschersleuen,  II  D.  Vrbanum  Regium,  II  Celle  Saxonum.  il  15.36.  il  2.  Thi- 
mot.  3.  W  Inipostores  proficirt  in  peius ,  du  et  W  in  errore  adducurd,  S 
errani  ipsi.  II  Ucee  A})ostolus  de  Papistis  t&  il  eoram  similibus.  II  Mit  titel- 
einfassung. Am  ende:  Gedruckt  zu  Wittemberg  durch  llJoseph  Klug.  II 
1536.11 

\'l.  Ein  Scndl):lctf  '  an  das.  gantz  Conuent  il  des  Jungkfrawen  Olo- 
sters  II  Wynhuscn,  wider  das  II  vnchnstlich  ge^  II  sang.  II  Salue  Regina.  II 
Durch  V:hanum  Rhegium.  ii  D.  L.  S.  '  PSAL.  16.  '!  Psnllile  De.o  )iostro. 
l'sfillitc  Jicf/i  ii  noslroy  sed  sapicnter.  !  Von  newem  widurumb  getruckt,  il 
im  Jar  1558.  ll  Am  ende:  (ietruckt  zu  Tiil)ingen.  !  bey  Virich  Morharts 
sei i=  II  gen  Witwen,  Anno  II  1558.  i, 

Mit  vorsieht  wird  die  übereinstimnuuig  in  cinz«!lli(MteM  der  sprach- 
lichen form,  die  alle  diese  Schriften  mit  unsern  fimf  llugschriflen  auf- 
weisen, zu  l)curteilen  sein,   denn   sie   braucht    blfss  vun   den    druckern 


\ 


92  OÖTZE 

herzurühren.  Aber  wenn  80.10.  93,10.  94,  23u.  ö.  das  dialectischo  .v/c 
l'ür  üicJt  in  den  drucken  steht,  ganz  wie  haben  sy  doch  die  blmdcn 
Juden  ah  Christo  geerfjcrt  Von  Reu  alb  und  ai/uer  armen  tochtter  sy 
.\n  verheyrattcn  Kirch  weih  a2b,  so  wird  es  auch  iiu  manuscript  des 
Verfassers  gestanden  haben.  Ebenso  wird  es  mit  den  mundartlichen 
formen  beirist  84,7  für  bewusst  und  fürsatx  94,35.  96,10  für  vorsatz 
stellen,  auch  sie  kehren  bei  Rhegius  wider:  Die  xcyt  su  yul  mit  den 
yoUoscn,  vnd  der  weit  ain  end  /rill  machen^  ist  freylich  keinem  Enycl 
heirißt  Widertäufer  hla;  tro  Jemandt  mit  fürsatx,  das  Saliie  Beyiiia 
singet  Sendbrief  a7b;  fre)in  er  solchs  mit  fürsatx  ihltt,  so  ist  er  ein 
fi'ind  Christi  a  8  b. 

Weniger  zugänglich  ist  der  willkür  der  drucker  das  gebiet  der 
Wortbildungslehre,  bei  der  hier  sich  zeigenden  ähnlichkeit  wird  darum 
langei'  zu  verweilen  sein.  Die  Zusammensetzung  u-underiverk  begegnet 
l.'^7,  17  wie  bei  Rhegius:  sollen  ivir  den  ivuuderxayclicn  ylanbcn':' 
}^eyn,  es  ist  inisicher  diny,  die  iveil  die  scltrifft  sayt,  des  Entcltrists 
iiViini/ft  habe  ivimderwerck  Widertäufer  g4a.  Mönchsiverk  ist  im  D.wb. 
nicht  belegt,  also  gewiss  nicht  häufig,  so  dass  die  Übereinstimmung  des 
(rcsprächs  106,5  So  ist  das  münchirerk  mit  den  werten  des  Rhegiv.s 
menschen  iverk  rnd  scheyn  mag  rerfurcii,  wie  man  denn  in  nionchs- 
■iirrckcn  vnd  leben  jetx  crfert  Widertäufer  f  3a  beachtung  verdient.  In 
derselben  schritt  m3b  heisst  es:  au  ff  das  si  mechfiy  seyen  xü  ermanen 
durch  die  haylsamcn  leere,  vnd  xü  straffen  die  widcrsprecher ,  mit  fast 
denselben  werten  sagt  das  Wegspräch  171,15  ein  bischof  sol  lerhaftiy 
sein,  sol  mechtig  sein  xü  ermanen,  durch  die  heilsame  ler  xü  strafen 
die  widcrsprecher.  Die  ableitungen  bewegnus  83,  25  und  verstentnus 
74,  (i.  90,  20  finden  sich  in  entsprechender  Verwendung  bei  Rhegius: 
darinu  (in  der  Sinnlichkeit)  sollen  böß  bewegnus  entsprynyen  Drittes 
gebot  a4b;  das  sc ind  grosse  ding,  übertreffen  weyt  allen  gewalt  vnd 
rerstänlnüß  der  natur  Sacrament  a3a;  möchts  vnser  blöde  gefangne 
vcrstentnüß  kains  wegs  erleyden  Verantwortung  cla.  Daran  reihen 
sich  einige  ableitungen  auf  -ung,  underhaltung  94,  7,  Übung  95,  18, 
l.ödung  79,11,  vcrwilligung  S7,  22,  aufcnthaltung  Tl/S.  161,9  und 
Löffel m acher  dla,  die  ebenfalls  bei  Rhegius  ihr  gegenbild  finden:  ]Vir 
müssen  je  gecsscn  haben^  so  Jiaben  wir  macht.  1.  Cor.  9.  das  uir  vndcr- 
hiiltuug  von  der  kirchen  nemenl  Widertäufer  k4a;  Nun  hinfüro  ligls 
<in  der  ubung  alles  gats,  das  des  tauffs  wcrck...  volbracht  werd  b4b; 
ain  sollyche  todttiing  vnsers  flaischs  Von  Keu  a2b;  wicwol  ich  laider 
deine  gebot  alle  ...hah  übcrtrcUcn  .  . .  mitt  bösen  gedancken.  meines  herlxen, 
mit  vcricilliyung  meines  willens,  mit  dem  mund,  vnd  mit  den  werckcn 


URBA>f    RHKCIÜS  93 

Roielito  aHn;  U(  sterclcr  (niffenlhallinifi  dit'.  glaubcns  eDipfaclii  er 
dfirxn  das  hocJ/irirdifj  sacravte))!  dei<  Irihs  r//d  hJhls  Warmiiic,'  a3b. 
Nobon  aufp])lhü]hi)Hf  hioton  Uiitorrod  75,8  iiiul  Löffolmacher  d2b  auf- 
enthall  in  dem  sinno  'schütz,  stütze',  auch  das  kehrt  bei  Rhogius  wider: 
Diaii  luujl  predig  huren,  da  im  ftottes  frort  i.^t  rnser  l/'rcht,  spei/l  riid 
iiujfenflHilt  der  scelen  Volkomenhait  a2a.  Das  adjectiv  qe/dsürhfig  be- 
gegnet zweimal  in  d(^n  iUigschi-iften  (175.  9.  188,  7),  zweimal  bei  Rhegius: 
rnd  muß  das  lieb  liailtluDiJ)  ijetx  der  geUsiicIitigeii  pfnrrer  kaiäx  sein 
(vgl.  damit  auch  Wegspräch  185, 35  die  ItciUgcn  haben  bi/jJier  müßeu 
in  uf  d(  n  hohen  stiften  Jind  allenthalh  im  bistumb  gelt  kiitxen  und 
in  die  büchse  geltsamler  sein)  Drittes  gebot  b4b;  das  die  Papisten  jrn 
geltsüclitigen  ablaß  (der  in  grossem  zicegfel  stat)  mit  brachtliehem 
gesrhrag  aiiffbliessen  Sacrament  f  2  b.  Oro/!merhfig  findet  sich  wie  85,  15 
auch  bei  Rhegius:  rar  dem  af  Irr  gro/1  mächtigsten  Kayser  Saciament  d2b; 
irir  haben  im  neiven  testamcnt  ain  grofimechtig  irort  der  rcrhaisstmg 
Warnung  c3b,  ebenso  begirlich  85,37  und  tätlich  93,36.  95,22:  das 
jr  xü  dem  Eivangelio  inn  rechtem,  verstand  gepredygt  So  begirlich  lauffen 
Drittes  gebot  a  2  b ;  Da  Ayn  Holdtschüch  [so  !J  münnieh  xü  ainem 
Tndtlych  krancken  mensclien  kommen  ist  Drittes  gebot  c2b.  Beliebt 
ist  bei  dem  Verfasser  der  flugschriften  die  Zusammensetzung  mit  erx-, 
er  bildet  erxgleisner  171,1,  erxpriester  177,28,  erxnequam  178,25, 
erxphariseier  179,23,  dem  entsprechen  bei  Rhegius:  Welcher  ivi II  mm 
agn  söllicher  ertx  gleichßner  sein  vnd  sagen  ich  bin  an  sünd?  Sacra- 
ment  fla:  falsch  hirten  seind,  die  ain  frembde  stymm  bringen,  vnd 
des  ertxJiirten  Christi  stymm  verschiveygen  Widertäufer  c2a.  Noch 
auffälliger  ist  eine  Vorliebe  für  die  vorsilbe  ge-,  diese  wäre  entbeiu'lich 
in  abgeschnitlieh  107,6,  gedaten  75.30.  78,8,  gexeit  139,27,  ange- 
hengig  78,  8,  begtüeltigen  79,  15.  33,  gedulden  84,  27,  gehören  189,  30, 
gelachen  177,27,  geleben  194,8.  195,13,  gelieben  74,16,  gesammehi 
186,4,  geschiceigen  94,7.  19,  getrauen  91,18,  getrösten  83,25,  ge- 
icarien  90,6.  96,30.  183,12.  187,13.  Dagegen  fehlt  ge-  in  dar, 
das  98,  22.  99,  38  für  häufigeres  getar  steht,  und  auch  Rhegius  bevor- 
zugt hier  die  kürzere  form:  Man  darr  onn  forchtt  Frelycli  euch  für- 
halten das  Eivangelium  Drittes  gebot  a2b;  Xun  greyff  yetx,  Christ' 
Hoher  leser,  icas  diser  geyst  sey:  Er  timr  freiielich  got  hegssen  liegen 
Widei'täufer  hla;  0  du  armer  geyst,  n-ol  ain  seltxams  Euangclium 
hastu,  das  sich  nitl  thar  überal  sehen  lassen  daselbst;  0  ivie  ain  feins 
Enangelium  das  sich  rtitt  dar  sehen  lassen  in  der  gantxen  tvelt  k  1  a. 
Sonst  wendet  auch  er  das  ge-  reichlicher  an  als  die  Zeitgenossen,  völlige 
Übereinstimmung  mit  den  flugschriften  besteht  in  folgenden  stellen:  der 


94  GÖTZE 

('//risten  menscli  sol  .  .  .  gotfs  irerck  iu  jm  splbrr  gc(hildpn  Drittes 
gebot  a8b;  das  dann  aiii  Oherhit  uit  ycdiddcii  kav  Widertäufer  dla; 
aber  des  reelitcH  guten  icercks  gesclnveygt  er  fein  f2b;  Ba  Irltret 
Augustinus,  wer  mit  Gott  wolle  versonet  sein,  der  künde  es  nicht  durch 
einen  Engel  aiißrichten ,  will  geschiveigen  durch  einen  pur  läutern 
me/f sehen  Sendbricf  bGb;  mci)/  soll  allein  inn  jren  liehen  Son,  den 
ehrenkouig,  glaube/)  vnd  lioffen ,  alle)!  trost  viu.l  liülff'e  von  jm  ge- 
u-arten  aGb;  uns  wir  von  Sacrrenienteji  des  newen  Testaments  sollen 
geuxirten  Sacranient  c4a.  Statt  beflissen  steht  77,  12  geflisseji,  statt 
entraten  92,  9  geraten,  statt  begründen  80,  18  gründen;  ebenso  bei 
Rhegius:  Ilierumb  seyt geflissoi  auff  sollicti  gmain  gepet  Kirchweihe  b2a; 
ngenwint  glaubt,  dann  er  hör  das  wort  gotes,  des  wir  kains  fvegs 
in  Ligen  gerrulten  Verantwortung  a2a/b;  aber  dein  leer  ist  so  übel  ge- 
gründt ,  das  sie  vnser  warheit  nit  nntg  leiden   Widertäufer  f  Ib. 

Die  letzten  drei  beispiele  geiiörten  schon  zu  der  grossen  gruppe 
von  fällen,  wo  der  Schriftsteller  die  wähl  hat  zwischen  zwei  oder  mehr 
Wertformen  oder  werten,  die  seinem  zweck  gleich  gut  dienen.  Über- 
raschend oft  entscheidet  sich  in  fällen  dieser  art  der  Verfasser  der  fünf 
tlugschriften  wie  Rhegius.  Und  solche  Übereinstimmungen  sind,  selbst- 
verständlich nur  in  ihrer  gesamtheit,  auch  beweisend,  wenn  das  ein- 
zelne wort  gieichgiltig  ist,  denn  gera<lo  in  dem  reflexionslos  gebrauchten 
teile  seines  Wortschatzes  lässt  sich  die  eigenart  eines  Schriftstellers  am 
besten  belauschen,  ist  sie  am  wenigsten  getrübt  durch  sachliche  er- 
wägungen,  die  er  ja  von  andern  entlehnt  haben,  mit  andern  teilen  kann. 

Unser  autor  hat  die  wähl  zwischen  hesteien  und  bestetigen,  iiidern 
und  erniedrigen,  noten.  und  nötigen,  versünden  und  vcrsihwligen ,  er 
wählt  102,17.18.  74,23.  92,29.  93,19.  108,15.  102,33  Löffelmacher 
c3b  die  zuerst  genannten  formen,  ganz  wie  Rhegius:  (Christus)  hat  die 
verhayssung  mit  aggnem  tod  bestett  Unterricht  a  2a;  Ich  Jutb  dge 
xiisagung  mit  meinem  aygen  tod  bestellet  a4a;  versigeltt  vnd  bestett 
mit  dem  .  .  .  Sacrccment  b  1  b ;  er  ist  geschlagen  von  Got  vtul  gengdert 
Warnung  d3a;  Das  y etlicher  von  jm  selbs  hinlxu  gany,  ob  gleich  nie- 
mants  in  nodtet  Von  Reu  bla;  etiva  iverden  die  Vicari  oder  vertve/der 
der  pfarren  auß  mangel  genöt,  sollich  fynantz  xü  treybe?i  Drittes 
gebot  b4b;  darnach  so  nuin  strafft,  so  sagt  ir,  es  geschech  euch  vmb 
der  warhait  willen.,  ivie  den  Aposteln,  vnd  versündet  euch  nocli  iner 
Widertäufer  da.  Er  hat  die  wähl  zwischen  einwolmer  und  bewohner, 
auskommen  und  einkommen,  hinlüssig  und  nachlässig,  vergebens  und 
vergeblich,  vorlängst  und  längst,  fürkommen  und  xuvorkojnmen,  lieim- 
suchen  nnd    besuchen,   xertrennen    und   trennen,    und   er   wählt  80,  IG 


TTRBAiV    RHEOmS  95 

(iiuro)/P)\  142,  7  aif/lkomcnfi,  108,  10  h/n/e/Jiglic//^  98,  11  und  180,  0 
reir/ebens,  ^Q,  29  vorlaiif/sf ,  81,  6.  149,28.  189,4  fürkommeu^  181,  17 
heimsuchen ,  98,  26  xcrtrontcn.  Ganz  ebenso  iiiitte  sich  an  seiner  stelle 
Rhogiiis  entseiiieden,  wie  folgende  stellen  beweisen:  urldien  tempel  der 
hailiy  gaist  als  (tin  eimroner  hatjlt/fjt  Kirciiweilic  b2b;  Tr  thüts  euch 
allem  ^ti  gut,  Das  jr  ain  schrme/l  au/>  kommen  habt  Drittes  gebot  cla; 
das  seind  bischoff,  die  sririd  hinlessyg  Diittes  gebot  clb;  aw//  vn- 
irissenhait  der  gesclrriifft,  vnd  hinlessir/h/it  der  leerer  Sacranient  b2a; 
so  wer  doch  Crisiiis  schyer  vergebe ns  gstorbei/  Drittes  gebot  blb;  der 
haglig  gaist  durch  Srinii  erweit tei/  Werk  zeug  Paulu7n^  Hat  Sollychs 
vor  len)igst  frey/lgesagt  clb;  Die  /reit  ist  eirers  holtxs,  heic  vnd  stro 
vorlanyst  rberdritssiy  worden  Gegenwürf  ela;  Der  yayst  hat  dise  leüt 
vorlengst  aiexayyt,  ee  sie  nriren  auß  der  sclialen  gesclUoffen  Verant- 
wortung blb  u.  ö.;  das  er  sich  7nit  solcher  demütiger  anklag  teglich 
rainige  vnd  fürkomm  das  gerecht  rrtail  gots  Beichte  a4a;  Got  der  herr 
hat  eäcli  .  .  .  übergnedyklicJi  haymyschacht  Drittes  gebot  a2b;  Haym- 
snclien  ainandern  vncl  iielffcn  i.st  ain  gutsn-erck  "Widertäufer  d3a;  do 
erhebt  sich  als  bald  ha/1  vnd  n-ideru-ill,  das  ayniykeit  xertrent  nirt  a  Ib; 
trcr  trider  den  bcfelch  Christi  Unit,  vml  des  u-eltlichen  Regiments  fr  yd 
vnd  aynigkeyt  xertronien  will  bHb.  Inder  entstehungszeit  der  satiren 
beginnt  mörderisch  älteres  mördisch  zu  verdrängen,  wie  in  den  Beitr. 
24,  506  bewiesen  ist,  ihr  Verfasser  greift  in  seelmordisch  188, 1.  191, 10 
zu  der  älteren  form,  kennt  aber  in  mörderisch  105,  3  selmörderischen 
Löffelmacher  a3b  auch  schon  die  neue,  die  auch  Rhegius  anwendet: 
Wie  ain  greuliche  mörderische  teuflische  Gottes  lesterung  das  sey  Vol- 
konienheit  bla.  Zu  seelmordisch  vgl.  0  seelenmorder^  Wer  hat  dich 
gehcyssen  von  ain  ander  scheyden^  das  Gott  veraynigt  halt?  Wider- 
täufer hlb;  Aber  die  Ohr  ist  lieh  Kirch  hat  keine  schuld,  daran,  somlern 
hat  solche  seel  tyraniiey  von  Papisten  leidoi  müssen  Gegen  würfe  e2b. 
Für  unsern  zweck  ist  es  gleichgiltig,  ob  die  beiden  ausdrücke, 
zwischen  denen  der  Schriftsteller  im  einzelnen  falle  zu  wählen  hat,  ein- 
ander ganz  nahe  liegen,  wie  in  den  bisherigen  beispielen,  oder  weiter 
Von  einander  entfernt  sind.  Im  griinde  noch  um  dieselben  Wörter 
handelt  es  sich  bei  obersten  und  obrigkeit,  ungexa-eifelt  und  xiveifellos, 
urdrüix  und  überdi'üssig,  sich  verzeihen  und  verzichte?!.  Unsere  Satiren 
Wählen  142,  27  die  obersten,  82,  25.  83,  15  u.  ö.  ungexweifelt,  87,  33 
vrderitx,  107,  16.  17.  18  sich  verzeihen,  und  sind  darin  eines  sinnes 
mit  Rhegius:  11?/////  nir  die  obersten  des  volks  iveren,  vnd  solche  oberkeit 
begcrten  Widertäufer  f3b;  nir  geben  vns  aucli  nit  für  obersten  uufi, 
sonder  für  diener  des  Eitangeliiims  f  4a;  Nim  will  ich  jnn  bitten  vmb 


96  GÖTZR 

(lin  rechten  willen  znm  f/esatx,  viid  (Iruiiach  Got  iralteu  lassen,  vn- 
yt'xwcyfelt  iver  in  Christum  (/Imibi,  der  ivürt  bcliaUrn  Verantwortung  c  3b; 
wie  man  iet%  die  geschrifft  haben  wil  vnnd  aller  menschen  leer  vrtrutx 
worden  ist  a2b;  nrr  f/otfes  guad  'predigt,  mü/j  sich  der  icelt  gnad  ver- 
xeyhen  Sacrament  ala.  Gehen  die  beiden  mögiichkeiten  weiter  aus- 
einander, so  können  unter  umständen  sachliche  gründe  die  wähl  der 
einen  vor  der  andern  bestimmt  haben,  wenn  also  das  Wogspräch  1G2,  3 
und  181,81  von  ningärten  spricht  und  nicht  von  iveinbergen,  so  wird 
sein  Verfasser  in  einer  landschaft  herangewachsen  sein,  w^o  der  wein 
reif  wird,  auch  wenn  man  ihn  nicht  auf  berghängen  pflanzt,  etwa  im 
südlichsten  Schwaben,  von  woher  Rhegius  die  Weingärten  kennt:  //' 
liobt  mein  Weyngart  xertrendt  Drittes  gebot  cla.  Der  rohraffe  war 
eine  figur  an  der  Strassburger  orgel  und  Wahrzeichen  Strassburgs,  wenn 
er  im  Wegspräch  169,  36  in  übertragener  bedeutung  vorkommt,  etwa 
wie  sonst  Ölgötze,  so  ist  das  bei  dem  schwäbischen  Ursprung  des  Weg- 
sprächs  befremdlich,  erklärt  sich  aber,  wenn  wir  in  seinem  Verfasser 
den  am  Oberrheiu  wolbekannten  Rhegius  sehen,  der  überdies  das  wort 
genau  so  braucht:  Sn  sytxenn  mir  da  Wye  die  Boraffen  Drittes 
gebot  c2a.  Das  wort  behcr^Agen  hat  Luther  bekanntlich  als  kanzlei- 
mässig  abgelehnt,  der  Verfasser  der  Uuterred  stand  der  kanzlei  nahe 
genug  oder  war  so  fortschrittlich  in  seiner  spräche,  dass  er  75,22  Jie- 
herxigt,  76,  37  ljeher.\ig?nig  gebraucht.  Ganz  wie  er  dachte  Urban 
Rhegius,  vgl.  Hie  merck,  wie  vil  leüt  den?i  artickel  ' geniainscliaffl  der 
hailigen'  teglich  mit  7nund  sprechen ,  vnd  irie  icenig  in  recht  bchertrjigen 
Sacrament  e2a.  Es  ist  nicht  möglich,  im  folgenden  jeder  derartigen 
beziehung  nachzugehen,  jedesfalls  ist  die  Wortwahl  der  Satiren  und  des 
Rhegius  jedesmal  dialectisch  bestimmt,  wenn  sie  anschlag  und  nicht 
lylmi,  seckel  statt  bentel,  aufklauben,  statt  auflesen,  et'frayen  statt  er- 
kundigen, losen  statt  hören,  Ingen  statt  selten ,  strafen  statt  tadeln  sagen, 
vgl.  cmschleg  85,  1.  87,  7.  90,  9.  97,  9,  seckel  105,  4.  7,  blitzen  und  sfil 
aufklauben  146,30,  erfragen  109,19,  losen  193,38,  lagen,  110,24. 
111,  3.  167,  25,  strafen  98,  1  mit  Der  schri/ft  icort,  anschleg  vnd  ge- 
schieht seind  gleich  wider  den  gayst  der  ivelt  Verantwortung  aob;  also 
verstehet  man  nun,  was  diser  geist  für  ain  annschlag  halt  Wider- 
täufer  b2b  u.  ö.;  Nuti  siecht  man,  wo  die  grausamen  trom  hinau/J 
wollen:  sie  wollen  der  reichen  brüder  vnd  Schwestern  seckel  in  steten 
erschrecketi  ila;  was  da  für  schrifft  zamen  klaubest  wider  vns,  gehet 
stracks  ivider  dich  mla:  Welicher  nun  an  ai?iem  ort  etu'as  herauf 
klaubt,  vnd  mit  stucku;erck  vmbgeet  Yolkomenhait  d3a;  ersuche  vnd 
erfrcuj  dich  selbs  wol  mit  ernst  Unterricht  a3b;    vtDul   wie  es  ihr  ge- 


rnnAN  rhkgius  9? 

lütten  ist,  also  geradt  es  allen,  so  den  irrenden  fjaystem  xfdosen 
Widertiiiifer  dlb;  gedencken,  das  vns  Christus  vor  falschen  lerem  ge- 
irarnet  hat ,  So  initssen  wir  ye  nit  gleich  ainem  jegllicJten  a^iffloßen 
Volkomenhait  a3b;  Bitten  ist  recht,  lugt  nun  das  es  euch  ernst  seg 
Widertiiufer  d3a;  da  ist  ain  lag  zh  gegen  gestanden,  vnd  hat  den 
manch  gestrafft  Drittes  e^ebot  c2b.  Ein  kämpf  zwischen  alten  und 
neuen  Wörtern  spielt  hinein,  wenn  es  sich  um  die  wähl  zwischen  durstig 
luid  küh)i,  nindert  und  nirgends,  schier  und  bald,  weger  und  besser 
handelt,  die  Satiren  und  Rhegius  wählen  die  alten  werter,  vgl.  durstig 
153,23,  nindert  148,21,  Loffelmacher  a3b.  c4b  u.  ö.,  schier  102,15. 
Almosen  36,  weger  190,7  mit  vnd  vil  bruder  auf)  meinen  banden  T.tt- 
uersicht  an  den  hcrren  geivonnen,  dester  dürstiger  ivorden  seind,  das 
u-ori  on  scheuch  xf/  reden  Volkomenhait  d2b;  Alan  liset  nierulert  in 
der  gesell rift  Von  Reu  b3a;  wann  er  gefragt  wilrd  wa  es  geschriben 
stund,  so  Sprech  er:  niendert  Sacrament  ca3;  sicli  also  halten  gegen 
yederman,  das  die  leer  Christi  nyenndert  geschmecht  werde  Wider- 
tiiufer c2a  u.  ö.;  Nun  soltestu  schier  sehen,  wer  billich  der  schlangen 
im  Paradeyß  xu  vergleichen  sey  dla;  das  ainer  schier  lieber  solle 
ainem  teufel  begegnen,  dann  einem  Widertau/fer  dSa,;  wa  die  gaystlich 
spei/j  nit  Clin  Imngerigen  magcn  findt,  ain  seel  die  hungert  nacii  from- 
kait,  ist  weger  sie  heraussen  gelassen  Sacrament  e3a. 

Dagegen  gehört  es  schon  in  das  gebiet  der  individuellen  Wort- 
wahl, wenn  die  flugschriften  die  worte  gemfit  11^  17.  89,  28.  96,  25, 
frölich  107,8.  109.26,  schmal  156,38,  vndüchtig  Almosen  12,  auß- 
schreien  74,17.  76,4,  erheischen  188,33,  erkalten  176,19,  fart  schon 
102,  11,  verschidden  86,32.  192,  13  bevorzugen,  neben  denen  überall 
mehr  als  ein  gleichwertiger  ausdruck  zu  geböte  gestanden  hätte  und  es 
ist  unmöglich  ein  zufall,  dass  Rhegius  hier  stets  den  gleichen  neigungen 
folgt:  daselbst  thet  jn  Christus  jr  gemät  auff,  das  sie  erst  anfiengen 
xfiuersten  die  schrifft  Verantwortung  a4a;  Ich  besorg-  mein  Carlstadt, 
dein  gemut  sei  mit  neid  oder  eitel  eer  hie  verhindert  Warnung  a3a; 
da  magstu  jm  mit  frölicher  gewissny  helffen  Drittes  gebot  c  4  a ;  Wer 
des  ividertauffers  Offenbarung  ainn  stuck  vom  Euangelio,  so  soll  es 
sich  frolich  sehen  lassen  Widertäufer  h  1  b ;  dise  leer  vnd  disen  glauben 
Ican  der  teufel  nicht  leyden,  sie  macht  ghm  seyn  reich  schmcd  b2a; 
rnluchtige  böse  lere  Gegenwürfe  d3b;  Also  lyeß  Moyßes  durch  ain 
pyttel  außschreyen  Kirchweihe  a3a;  7nan  stoldt  nit  allein  yetx  Pyttel 
(luff,  die  applaß  auß  schreyen  das. ;  Es  erhayschete  ewer  grosse  gütthät 
mir  reilich  beivysen,  aucli  ain  grosse  iridergeltung  Volkomenhait  alb; 
die   schrifft  erhagschet  glitte   werck,   vnd   verbeut   die    bösen  b3a;    die 

ZKIISCIIRIFT    F.    DKUTSCHK    I'lIII.OLOOnC.       »U.  XXXVII.  7 


98  GÖTZR 

liebe  würl  erkalden^  ho ßliaii  überhand  y?eme?^  Sacrament  e2b;  icif  ivelt 
(lennocht  in  der  bcycJd  gar  freündtlich  mit  jm  faren  Drittes  gebot  c4a; 
dem  vwvw'd.igeii  süi/der^  der  hellische  gefencknü/j  wol  verschidt  Jtetl 
Unterricht  a4b;  vil  seind  der  Widertau  ff  er ,  die  kunnen  das  vrtail  trol 
versclmldeii  Widertäiifer  e3b. 

Mitten  in  das  gebiet  des  individuellen  wortgebranchs  gelangen 
wir,  wenn  wir  uns  den  lieblingsausdrücken  zuwenden,  die  den  Satiren 
und  Rhegius  gemeinsam  sind.  Das  wort  büherei  steht  im  Gespräch 
108,29.  106,10,  Löffelmacher  b  4a,  d  2b,  d  3a,  Almosen  8.  14.  154, 
bei  Rhegius  Drittes  gebot  cla,  Widertäufer  dla,  d3b,  h3a,  k4b, 
gespenst  begegnet  in  mannichfaltiger  anwendung  162,  17.  175,  27.  28. 
187,11,  ebenso  Widertäufer  cla,  c2b,  dlb,  d3b,  eSa,  g3b,  hla, 
fürnemen  75,  1.  81,  4.  84,  6.  85,  36.  88,  3.  10.  89,  9.  19.  91,  8.  95,  22. 
96,9.  175,37,  Almosen  153  und  Yerantwortung  a2b,  Widertäufer  a 2 b, 
IcichÜich  83,16.27.  89, 13  und  Warnung  a  4a,  Gegenwürfe  fla,  Unter- 
richt a4b,  Verantwortung  b4b,  Widertäufer  a3a,  klb,  ividericertig 
und  ividerwertigkeit  75,30.  79,8.  78,38,  Löffelmacher  b4a  und  Von 
Reu  a2b,  b8a,  Volkomenheit  a2a,  Kirchweihe  b2a,  Drittes  gebot 
b3b  u.  ö.,  entlich  80,88.  82,20.29.  84,6.26.  86,33.  92,13.  94,31. 
98,21  und  Sacrament  c3a,  Beichte  a3a,  Verantwortung  a3b,  lauter 
79,29.  87,25.  91,14.  102,28.  104,24.  157,34  und  Sacrament  b  2a, 
b3b,  cla,  c3b,  d2a,  Beichte  a3b,  VonReubla,  Drittes  gebot  b  1  a, 
clb  u.  ö.,  pur  lauter  102,28  (139,13)  und  Sacrament  a3a,  c2a, 
Sendbrief  b6b,  Volkomenheit  b2a,  Drittes  gebot  b2a,  hiderman  Al- 
mosen 1, 107,  18  und  Widertäufer  d  3b,  i  la.  Einige  weitere  ausdrücke, 
meist  lieblings Worte  des  Rhegius,  werden  in  den  flugschriften  nicht  so 
oft  gebraucht  wie  die  bisher  genannten,  aber  doch  unverkennbar  in 
derselben  art  wie  bei  jenem.  Man  vergleiche:  wir  sein  auch  %fi  gleich 
größlich  loben  den  fvolbedachten  rath  91,  32  mit  wann  du  aber  nit  ain 
wolbedachtenn  fürsatz  hast  xu  sünden  Sacrament  flb;  wie  mans  mit 
der  ivarhait  beipringen  (d.i.  beweisen)  mag  138,27  mit  der  gütlichen 
schrifft  ist  sie  (die  stimme)  nit  frembd,  wie  ivir  vns  erbieten  bey  zü- 
bringen  Widertäufer  c2a  und  daxh  haben  noch  die  Widertauffer  nit 
beibrachte  das  kinder  nit  glauben  mögen  e3a;  du  taubst  mich  mit 
disem  narremverk  178,37  mit  die  kinder  glauben  7iit,  man  sey  noch 
nit  getaufft  vnd  vil  des  narremvercks  Widertäufer  a2b;  Ich  bin  nie 
bei  solichem  affenspil  gewesen  172, 18  mit  ist  das  nicht  schön  diug^ 
vnnd  billich  das  vmb  sollichs  affenspils  ivillen  so  vil  leüt  vom  Euangelio 
fallen?  Widertäufer  e4a  und  Wann  ichs  nit  hette  gelesen,  gehört  vnd  gesehen, 
so  het  icJis  nymmer  gelaubt  das  die  weit  so  taub  ist^  vnd  solchem  äffen- 


URBAN    RHEGIÜS  99 

spil  glaubt  li3l).  Hierher  gehören  noch  die  Wörter  ahiilgen  160.22 
und  Drittes  gebot  h3b,  Gogenwürfe  b2b,  Unterricht  a4a,  Warnung 
a3a,  c3a,  d2a;  ahvcg  102,31.  Löffelmacher  a2a,  bla,  b2a,  b2b 
und  Sendbrief  b7b,  Kirchweihe  a2a,  Drittes  gebot  bla,  bob,  c2b, 
c  3a;  begaben  80,9.  85,6.  90,27  und  Verantwortung  b  2a;  beiveren 
(d.  i.  beweisen)  95,31  und  Sendbrief  a5a,  b3b,  Von  Reu  blb,  Gegen- 
würfe  e2a,  Widertäufer  boa;  eigentlich  110,16  und  Sacrament  c4a, 
Drittes  gebot  c3a,  Verantwortung  blb;  einbilden  102,3  und  Gegen- 
wiirfe  dla,  Sacrament  a3a,  "Warnung  e3b;  erstatte? t  97,15,  Löffel- 
macher b3a  und  Sacrament  a3b,  Volkomenheit  alb,  dlb;  geverlig- 
keit  87,3  und  Kirchweihe  b  2  a,  Drittes  gebot  c  3  a,  Von  Reu  blb, 
Volkomenheit  a4a,  d2b,  Widertäufer  a  3  a;  hundschlacJiter  \1^^\^  \\\u\ 
linndschlacher  Warnung  a2a;  überschivenklich  94,26  und  Warnung 
c3b,  d4a,  Sacrament  b3a,  Beichte  aSa;  verdfücken  84,12  und  Vei- 
antwortung  a2a,  a4b,  Verantwortung  bla;  vergiß  70,9  und  Sacra- 
ment e4b.  Gegenwürfe  a4a,  Widertäufer  f2b,  Volkomenheit  blb; 
irerhneister  96,21  und  Kirchweilie  a3a,  Widertäufer  f2b;  xiere7i 
78,32.  93,2  und  Volkomenheit  a2a/b;  uxmnen  her  103,22  und  Wider- 
täufer dlb. 

Daran  schliesst  sich  wider  eine  reihe  fester  Wendungen,  die  in 
den  Satiren  und  bei  Rhegius  gleiciimässig  vorkommen  und  w^o  widerum 
die  Übereinstimmung  weit  über  das  mass  dessen  hinausgeht,  was  zufall 
und  ähnliche  disposition  zweier  Verfasser  an  anklängen  aufbringen 
können.  Im  Gespräch  begrttsst  103, 22  der  edelmann  den  curtisanen 
mit  dem  wünsche  guis  jar,  Löffelmacher  a2a  seufzt  der  mönch:  Got 
geb  dem  Keß  jagen  ain  gfits  jar.  dao:  Eg  so  hab  im  glegch  ain  gfit 
jar,  Rhegius  beginnt  die  schrift  Von  Volkomenheit:  ander  leid  ivinschen 
ain  gfits  jar.  Ich  kein  nicli  niclds  grössers  in  meyneni  gebet  xü  Gol 
u'inschen,  dann  Gottes  hidd.  Der  himmel  wird  83,  23.  25  das  Vater- 
land der  verstossenen  engel  genannt,  daran  klingen  zwei  stellen  bei 
Rhegius  an:  das  dit  jn  krafft  der  säligen  speiß  mögest  sieher  wandle n 
durch  die  vnsichnyi  abiveg  diser'  ivelt  ins  etvig,  das  sicher  vatterland 
Sacrament  f2a  und  Augustinus...  spricht,  Das  wir  das  Gebot,  von 
der  liebe  Gotts  hie  zeitlich  nicht  er  füllen  .^  sondern  erst  im  Vaterland 
nach  diesem  leben  Gegenwürfe  bla.  Das  Wegspräch  spricht  168,14 
von  unserem  heiser  Cliristiis,  damit  vgl.  Es  naygt  sichs  haiibt,  als  vor 
dem  aller  großmächtigsten  Kayser  Idmmels  vnd  erden  vnd  aller  ge- 
scliepfft  Sacrament  d2b.  Die  Übereinstimmung  ist  unverkennbar,  da- 
neben bleibt  aber  in  jeder  einzelnen  anwendung  so  viel  Selbständigkeit, 
dass  an  eine  entlehnung  von  der  einen   auf  die  andere  seite  nicht  zu 


100  oi'lTZF. 

(lenken  ist.  Feste  Wendungen,  die  beiderseits  unverändert  auftreten, 
sind  die  folgenden:  auf  die  bahn  bringen^  ridden,  führen  11^  28. 
161,24.  173,23  und  AVidertäufer  a3a,  c4b,  dSa;  es  ist  'XU  erbarmen 
105,17.26,  Löff einlacher  b2a,  c4a  und  Drittes  gebot  c2a,  Wider- 
täufer  m  2a,  Volkomenheit  b  2a;  das  hinder  herfür  keren,  setzen  145,  30, 
Löffelraacher  c4b  und  Widertäufer  k3b;  am  narreriseil  umführen 
148,23  und  Sacrament  c3a  (vgl.  äffen  .sr//// Drittes  gebot  a2b);  in  den 
sinn  fichmen  Almosen  148  und  Volkomenheit  d3a;  zu  wegen  bringen 
77,  11.  81,  12,  Löffelmacher  c4a,  Almosen  80  und  Widertäufer  alb; 
Intsse  irirken  195, 18  und  Volkomenheit  b  la.  Mit  kleinen  abweichungen 
entsprechen  sich  die  folgenden  stellen:  nain ,  uns  nit,  unser  katxen, 
veit  hindan  mit  der  bibel  154,36,  Mir  nit,  der  katxen  solich  iheure 
snppen  176,16  und  Mir  des  glaiibens  nit  der  auff  tromen  vnd  solchem 
geilstem  steet  Widertäufer  h3a;  auf  der  alten  geigen  bleiben  138,22. 
140,  26  und  Ilye  kompt  aber  vnscr  vorsteer  auff  sein  alte  geygen 
Widertäufer  d4a,  Du  abrr  kumst  mit  ainer  naren  geigen  AVarnung  a2a: 
es  irirt  sich  alles  on  rnern  dank  V07i  im  selbs  fein  schicken  154,9  und 
u:as  machen  die  Papisten  viel  mit  diesem  spruch  ?  sie  müssen  jhe  aucli 
u-ider  jren  danck  selbs  bekennen .  Erstlich  das  die  schrifft  Gottes  wort 
sey  Gegen  würfe  flb;  es  möcJtt  unrat  in  allen  landen  erwachsen  79,16 
und  was  vnrats  darauß  an  vil  orten  erfolgt  Wideviänier  d  la.  Endlich 
wird  an  einer  stelle  die  Übereinstimmung  durch  conjectur  herzustellen 
sein:  wie  es  im  Wegspräch  178,3  heisst  Nun  für  der  wündig  teufet 
des  biscJ/ofs  casus  larvatos  hin.,  muss  man  wol  auch  Sacrament  f2b 
statt  umtige?i  lesen  Trutz  dem  u-iindigen  teüfel,  das  er  mir  denn  abla/1 
vtnbstoß.,  der  drucker  hat  das  dialectwort  n-innig  =  wütend  (8chmeller 
2,929.949)  beseitigte 

Ein  letztes  gebiet  des  individuellen  Sprachschatzes  sind  die  fremd- 
worter,  soweit  sie  nicht  zur  masse  der  von  allen  sprachgenossen  gleich- 
massig  gebrauchten  gehören.  Jedes  derartige  fremdwort,  das  in  den 
Sprachschatz   eines  gebildeten   mannes  aufgenommen   ist,    ist    die    spur 

1)  Umgekehrt  verlangt  Schades  text  an  folgenden  stellen  besseruugen:  77,21 
lies  selbigen;  80,24  vor  gesagt;  84,28  n-ie]  wa;  86,27  ■ivas\  ira;  88,33  erstreeken\ 
ersrlirecken;  93,6  den  drittail]  die  decretcü;  97,14  schaut']  soll;  105,20  gehabt  hat, 
liahf ;  106,10  aller  liand;  109,3  leiden  vil  ühcrlcomen;  110,1  custor;  142,10  seit] 
feit;  28  unsinnig;  144,36  bstimmen;  149,29  den]  dem;  150,34  Jörg]  Hans  Jörg; 
155,  18  so  würden;  159,  14  maister  zu  streichen;  162,  8  als]  al;  14  ligt]  lüclit; 
166,221  und  siner  underthan  sünd  und  lasier;  170,26  }»tiß  er  dem;  173,22  die] 
dis;  30f.  affencial;  176,24  i«  ortis]  mortis;  181,23  auslaufen;  35  unser;  182,15 
tierlic/ien:  183,25  ists]  ist;  184,37  christenliclien;  185,6  Seelsorger;  186,  12 /e«f?e«- 
liclier;  36  ists\  189,34  der]  den. 


URBAN    RHKGIUS  101 

eines  geistigen  erlebnisses,   seine  aufnehme    eine  selbständige   tat   des 
einzelnen.    Auch  hierin  zeigen  die  Satiren  dieselbe  erfaliriing  und  den- 
selben geschmack.    Zum  grossen  teil  stammen  die  ihnen  eigentümlichen 
frenidwörter  aus  der  theologie   oder    dem   canonischen   rechte.      Neben 
(/eiri/h/e  194,25   und  Von  Reu  a2a,   b.  blb   ist  beiden   der  gelehrte 
ausdruck  conscieiix  geläufig,  vgl.  194,  o  mit  Warnung  a4a,  Volkomen- 
heit  aob;  wie  164,22  die  nonne  so  wird  AVidertäufer  d4a  die  kirchc 
t/ctipoNS   Christi   genannt.      (rlori   ist    bei   Rhegius   ein   sehr   geläufiger 
ausdruck,   der  z.  b.  Kirchweihe  aob.   Drittes  gebot  blb,   b2a,  Sacra- 
mentc4b,  Unterricht  b  la,  Widertäufer  h2b,  i3b,  mob  begegnet,  der 
Verbindung  (/lori   und  dier  83,  4   entspricht    cer   ind  glori  Yolkomen- 
heit  a2b.    Ein  rechtes  kirchenwort  ist  ponip,  das  sich  77,21  und  Drittes 
gebot  c2a,  Sacrament   a4b,   d4a  findet,  ebenso  krisaui   179,21,   das 
anzAiweuden   die   verglichenen   Schriften   des  Rhegius   keine  gelegenheit 
bieten,    doch   vgl.  Keinoi   zum   Predig  ampt  ui   lassen,    er  seij   denn 
("hrisomirUi   vom    Wcybisch'off  Gegenwürfe   olb.     Das  AVort   Secie  ist 
hier  wie  dort  gleich  beliebt,  vgl.  84,11.  92,12.  102,20.26  mit  Gegen- 
würfe e4b,    Widertäufer    a2a,    d3b.    Volkonienheit   a4a.      Aus    dem 
cultus   entnommen   ist   das   bild   ein  placcbo   sive  dilexi  singen    183,  9. 
den  ausdruck  Placcbo  kennt  auch  Rhegius:  wal [arten,  Kcrtxeh  brennen. 
Heiligen  anruffen.  Seelmessen,    Vigilien^  rnd  Plac.ebo  Ice äffen,  rnd  Jnn 
Irr  Kirch  irci/ntng  den  Ablas  lösen  Gegen  würfe  d4b.     Pension  als  bc- 
/.eiclmung    des    einkommens    der   pfarrer  begegnet    154,3    wie   Gegen- 
würfe b2b.    Drittes   gebot  cla.   glosiere)i    138,18,    Löffelmacher  b3a 
kehrt  bei  Rhegius  nicht  wider,    doch  spielt   auch  bei  ihm  die  finstere, 
menschliche  glosse  zum   klaren   wort  gottes  eine  rolle,   vgl.  Sacrament 
b2a,   b4a,  cla.   Drittes  i^ebot  c  1  b.      Genau   entsprechen    sich    wider 
wollet  mit  niis  dispensiern   139,21   und  Dann  so  inn.  don  fal  mit  den 
Juden  dispensiert  ?r«6' Drittes  gebot  c3b.    Fremdwörter  von  weltlichem 
klänge,  die  in  den    Satiren   wie    bei    Rhegius   begegnen,   sind    alefanx 
186,33  [alefantxer  Löffelmacher  a4a.  b  1  a)  und  AVidertäufer  b2b,  c  1  b, 
Drittes  gebot  cla,    artikel   90,11'    und    A'erantwortung    a4a,  fantasei 
104,24    und    fantisey    Sacrament    b2a,    //oftercji    100,14.    173,9    und 
Sacrament  d4a,  regieren  Almosen  6.  123  und  Widertäufer  alb,  Send- 
brief b  6b,  jnobiern   93,4.  101,23  und  Sacrament  b3b,  d  1  a,  e3a,  f  1  b, 
A'erantwortung  c2a,  AVarnunga2b.  Widertäufer  h'dä,  pnrgierot  190,1.4 
und  Drittes  gebot  b3b.    Ito/i  steht  zur  anreihung  eines  neuen  punktes 
wie  192,11    und    Löffelmacher  cla    auch  Unterricht  a3a.    Kirchweihe 
alb.   Drittes  gebot  bla,  c3b,   c4a,   Sacrament  l)2b  u.  o.      Die  cuiti- 
sauen,    denen    es  im  Gespräch   so    schlecht   ergeht,    werden    auch    vuii 


102  GÖTZK 

Rhegius  verhöhnt:  es  ist  ain  volck  auff  erden,  die  heissen  Curtison, 
ist  geschivynd  iva  gelt  stai,  vnnütx  iva  man  predigen  soll,  die  selben 
fallen  die  grossen  pfarren  an,  vnd  so  ayne  ledyg  rvirt,  so  schmeckens 
Sil,  ivie  agil  gegr  ein  aß ,  über  vil  megl  wegs  Drittes  gebot  b  4b. 

Diese  stelle  zeigt  wie  manche  der  vorher  angeführten,  dass  Rhe- 
gius auch  den  humor  und  die  kraft  der  anschaulichen  darstellung  hatte, 
die  uns  an  dem  Verfasser  der  satiren  erfreuen.  Dass  er  die  Sachkenntnis 
besass,  die  diesen  charakterisiert,  und  in  der  polemischen  Stimmung 
war,  die  alte  kirche  mit  waffen  des  spottes  anzugreifen,  wird  niemand 
bestreiten.  Dagegen  bleibt  der  einwand  möglich,  dass  die  Schriften 
anonym  erschienen  sind,  während  Rhegius  (Widertäufer  k  1  b)  an  seinem 
widertäuferischen  gegner  tadelt,  dass  er  seine  schritt  nur  mit  seinen 
anfangsbuchstaben  unterzeichnet  hat:  gehest  du  mit  rechten  saclieii  vmb, 
sollest  billich  dein  namen  vnd  ort  setxen.  Aber  hier  handelt  es  sich 
um  eine  lehrschrift,  die  normen  aufstellen  und  eine  ganze  stadt  be- 
kehren will,  für  die  also  der  Verfasser  auch  äusserlich  die  volle  Ver- 
antwortung auf  sich  nehmen  musste,  darum  ist  die  Verweisung  auf 
Paulus,  Petrus  und  Johannes,  die  ihre  briefe  unter  ihrem  namen  haben 
ausgehen  lassen,  durchaus  am  platze.  Dagegen  hat  in  leichter  pole- 
mischer litteratur  der  jüngere  Rhegius  die  verschweigung  des  namens 
nicht  verschmäht,  und  er  hatte  seine  gründe  dazu,  wie  Uhlhorn  (Urban 
Rhegius  s.  29)  gezeigt  hat. 

Otto  Giemen  hat  im  Centralblatt  für  bibliothekswesen  17,  öHBfgg. 
nachgewiesen,  dass  unter  dem  pseudonym  Simon  Hessus  kein  anderer 
als  Rhegius  verborgen  ist;  entscheidend  dafür  ist,  dass  er  sich  nach 
einem  briefe  Hetzers  an  Zwingli^  selbst  zu  den  schritten  bekannt  hat, 
die  luitcr  dem  namen  Simon  Hessus  ausgegangen  sind.  Wir  haben 
für  unsere  beweisführung  die  Schriften  des  Hessus  nicht  herangezogen, 
um  jede  giundlage  zu  vermeiden,  die  etwa  noch  iiypothetisch  scheinen 
könnte;  wenn  wir  im  folgenden  die  auffälligsten  Übereinstimmungen 
zwischen  zwei  Hessussch ritten  und  unsern  satiren  aufführen,  so  können 
diese  zugleich  als  eine  V)estätigung  für  Clemens  beweis  gelten,  wenn 
dieser  noch  einer  bcstätigung  bedarf.  Angeführt  wird  das  „Argument 
disses  biechleins  II  Symon  Hessus  zeygt  an  Doctori  Martine  Luther  vrs  II 
.  sach,  warumb  die  Lutherischen  bucher  vö  den  Coloni::  I!  ensern  vnd 
Louaniensern  verbrent  werde  sein  .  .  ."  nach  dem  exemplar  der  Baseler 
Universitätsbibliothek,  der  „Dyalogus  nit  vnlus  II  tig  zulesen.  newlich 
von  Martino  II  Luther,    vnd    Simone  Hesse,    zu  AVorms  geschehen..." 

])  vom  14.  scptoiabor  1525,  Zwiiigli  Epistolae  1,  40G. 


URBAN   RHEGIUS  103 

nach  dem  neudruck  in  Böckings  ausgäbe  von  Huttens  werken  band '4, 
603  fgg. 

Einige  sachliche  beziehungen  zwischen  der  ersten  schrift  und 
unsern  satircn  stehen  billig  voran.  Klag  und  antwort  187,  21  und 
Wegspräch  159,  15  nennen  den  Kegensburger  convent  ein  coiicüia- 
biihim,  mit  gleichem  höhne  heissts  hier  e4b:  ein  concüium ,  das  ivider 
den  Bapst  ctivas  fmmempt,  soll  nit  ein  Concilium,  sonder  schmeich- 
lich  ein  Conciliahuhim  geneni  iverdeii.  Dem  spott  über  Bigam  saluHs, 
Donni  seciire  usw.  in  Klag  und  antwort  139,  17  und  155,  3  und  über 
die  darauf  gestellte  bildung  der  altgläubigen  geistlichkeit  schliesst  sich 
Hessus  b3a  an:  teeren  sie  bliben  beyin  Alexander  in  der  Grammatick, 
bei  dem  Colnischen  Copiilat  inn  der  Logick,  bey  dem  Thoma  jnn  der 
hcyligen  gescJirifft,  bey  dem  Carolo,  cnd  Pontio  Pilato  jnn  der  Retho- 
rick,  rnd  hellen  sich  der  Kriechischen  sprach,  des  heyligen  Euangc- 
lianis,  Pauli,  Ilieronymi  vnnd  der  edlen  herren  sich  [so]  nichts  an- 
yenomcn,  so  weren  sie  noch  frumm,  schlecht,  vnd  gehorsam  sün  des 
Pabsts,  und  ebenso  deutlich  cla:  da  halt  mancher  nichts  geler nel, 
dann  Scoti  Quodlibeta  vnd  Sente?itx,  eyner  Thomce  Summam  alleyn 
gelernet,  etlich  künnen  nichts,  dann  den  Lyram  vnd  Carensevi.  Die 
zwei  hörner  an  der  bischofsinfel  bedeuten  nach  dem  Wegspräch  169,  25, 
dass  ein  bischof  im  alten  und  neuen  testaraent  bescheid  wissen  soll, 
darauf  deutet  aucii  Hessus  b3b:  rf«//  xuni  dicker  mal  eyn  ley  meer 
rechter  grüntlicher  geschrifft  kann,  dan  die  leiht  die  Infelenn  vff  dem 
haupt  tragen,  als  ob  sye  das  alt  vnd  neive  Testament  können,  das  sie 
ufft  nit  ansehen  jnn  dryen  moJteten.  Auch  die  häufige  und  sachgomässc 
anführung  des  päpstlichen  rechtes  verbindet  diese  schrift  des  Hessus 
mit  dem  Wegspräch.  Eine  spur  hebräischer  bildung  bei  Simon  Hessus, 
die  sich  an  die  oben  gegebene  deutung  von  assun  anschliesst,  bietet 
das  wort  parnosen  Dialogus  605,  43,  das  von  Schmoller  1,  -105  und 
Knders,  Eberlin  3,  377  von  hebr.  parnos  =  Vorsteher  der  judenschulo 
abgeleitet  wird. 

Noch  häufiger  stimmt  Simon  Hessus  in  stil  und  ausdruck  zu 
unsern  satiren.  Von  ausdrücken,  die  diese  mit  Schriften  des  Urban 
Khegius  verbinden,  kehren  bei  Hessus  wider:  alefanx,  alweg,  anschlag, 
bestclen,  bäberei,  dispensiei'en ,  fürkommen,  fiuiiemen,  geige,  geltsüch- 
tty,  gonül,  geraten,  grossmächtig,  heimsuchen,  das  Jiindcr  her  für  kehren, 
Hein,  klauben,  pomp,  probieren^  seckel,  sich  verxeihen,  vorlüngst, 
icainirn  iicr,  wider ivertigkeil,  Weingarten  und  zertrennen.  Wir  reihen 
hier  die  nachweise  nur  kur/>  aneinandei',  da  die  Übereinstimmung  in 
diesen  ausdrücken  schon  oben  auf  ihre  bcweiskraft  geprüft   ist:    welche 


104  GÖTZE 

alleyn  iveltweijß  hie  iu)t  diser  xeyt  seincl,  an  küniijs  hoffen  erzogen, 
nllen  alefantz,  finmitx  vnnd  bescheysserey  gelernct,  die  seind  xu  geyst- 
licheni  lieginient  des  glauben^  keyn  niltx  Dialogus  606,  36;  Ich  hab  die 
feilt  nlliveg  gehasset  603,  3;  Also  haben  die  Apostlen  zuletzt  alliveg 
jre  leer  mit  jrem  bUtt  besiat  (lies  bestet)  604,20;  (got)  zertrennt  die 
aiischleg  der  bofihafftigen  604,  38;  Aber  sein  anschlag  feiet  jm  609,  26; 
sie  .  .  .  helffen,  raten  vnd  fürdern  Römische  büberey  607,  36,  vgl. 
608,  7.  609,  42.  614,  29;  oder  man  dispensiert  mit  jui,  sie  seyn  xfr 
Rom  j mm  dispensiern  trefflich  geschickt  Arg.  e  2b;  darmit  er  gleych 
am  anfang  furkeme  vil  viigemacli  a2a;  lafi  dich  von  deinem  Chrisl- 
lichen  fürnemen  nit  abschrecken  Dialogus  614,  7;  Aber  dannoch  ge- 
fallest du  dinemi  gesellen  nit,  dem  sie  verlassen  jre  geygen  vngern 
Arg.  eöa;  vnd  ivann  den  Papisten  der  geltsüchtig  Ixmch  soll  zer- 
springen Dialogus  614,  34;  ye  baf]  er  sieht  daf!)  dein  schrift  von  eivon 
Christlichen  gemüed  gat  605,  22;  ivcinn  her  knmpt  den,  Teütschen  die 
bestentlicheyt ,  das  imüberwintlich  gemüet?  605,25;  aber  der  Mitrnarr 
mnst  seiner  pfeyffer  geraten  609,  30;  als  ivenn  kunst  eynem  sollichen 
großfnechtigen  Fürsten  ein  schand  ivere  606,  24;  ein  vatter  hat  sein 
sun  lieb,  den  er  offt  heymsacht  Arg.  d2a;  Darnmb  kerestu  das  hinder 
her  für  cla;  daß  ich  .  .  .  etivar  das  hinder  her  für  gekert  c6a;  itetn. 
zur  anreihung  eines  neuen  beweisgliedes  Dialogus  604,  31.  613.  30fgg.; 
(Eck)  hat  etlichs  vngegründs  fetxiverck  cdso  znscunen  geklaupt  613,  16: 
giddin  stuck,  hoch  Met,  vnd  andre  weltliche  pomp  604,  24;  da  mit  er 
ein  herlichen  pomp  vnd  gepreng  haben  möcht  609,  22.  27;  Es  volgl 
auch  vß  meynem  schreybeu  nit  daß  das  Coiicilinm  inn  edlen  dingen 
hab  geirrt,  wann  ich  probier,  daß  es  inn  etlichen  dingen,  geirret  hab 
608,  40;  Man  lanrct  nitt  vff  dein  seckel,  sonder  vff  dein  leyp  vnd 
leben  614,  16;  Der  sich  nit  verxeycht  alle  seiner  hab,  mag  nit  mein 
j?mger  sein  613,  40;  Ich  hab  dir  vor  lengst  inn  einem  biechle  getroinet 
603,  13;  die  tceyl  catch  die  Romanisten  dich  vnd  deine  sclirifften  ror- 
lengst  dem  fewer  xvgeurteyU  haben  603,  29;  Wann  her  iveystu  das':' 
610,  24;  wider  wert  ickeyl  diser  xeyti  604,  34;  den  iveyngarten  des  Chrisi- 
lichen,  glauhens  den  jm  der  herr  Christus  selber  gebawen  605,  17; 
daiui  dein  leer  teilt  inn  dem  geystliche?i  stand  die  Ordnung  xer- 
trennen  605,  41. 

Dazu  kommt  eine  neue  reihe  von  anklängen  zwischen  unsern 
ilugschrit'ten  und  Hessus,  die  bei  Rhegius  zufällig  ohne  paralleJo  sind. 
Das  wort  schütter  fehlt  dem  schwäbischen,  darum  steht  94,  13  aclisel 
statt  dessen;  dasselbe  wort  setzt  Hessus  im  Dialogus  603,  11,  avo  ein 
anderer  schütter  gesagt  hätte.     Die  badreiberinnen  werden  in  der  Klag 


URBAN    RHEGIDS  105 

und  antwort  155,  86  nicht  eben  rühmend  genannt,  entsprechend  Arg. 
cob:  Ich  wolt  midi  lieber  rei/.'>sen  viit  einer  sechtxi;!  jerigen  haclrei- 
berin,  oder  mit  einem  hippenbfibcn,  dann  )nit  den  herlichen  (jesel/cn. 
Das  wort  schmieren  begegnet  im  Wegsprjich  172,  31  in  der  furni 
schinirben,  dem  entspricht  schtnirben  Dialogus  611,  22,  beschmirben 
()05,  35,  (jcsclimirbt  607,  13.  607,48,  (jeschmerbet  Arg.  d4a.  Nach  in 
der  bedeutiing  beinahe  hat  das  Wegspräch  162,  26,  ebenso  Dialogus 
606,  26:  Wie  ivol  ich  inn  so  vil  irrsäl  menschlicher  (jesatx.  yar  nach 
nit  weyß,  ivas  doch  et/n  Bischoff  thfin  soll.  IJnterred  80,  19  wollen 
die  papisten  drucker  bestellen,  die  die  bibel  auf  päpstliche  weise  drucken 
und  verbreiten  sollen,  das  erinnert  in  der  sache  wie  im  ausdruck  an 
Dialogus  604,  45:  dan7i  sie  (die  papisten)  haben  niemants  r/I  den  yc- 
lerten  gefnnden,  der  sich  mit  <jcld  hab  lassen  wollen  besteclien,  vnd 
bestellen,  daf>  er  mit  dir  disputier  oder  schreib,  und  611,  24:  Die 
Romanisten  haheti  ein.  gefunden  rndter  den  gelerten ,  haben  jn  n-ollen. 
bestellen,  daß  er  die  warlieijl  wider  dich  anfechtet.  Yon  einem  plane. 
Luther  heimlich  zu  ertöten^  spricht  die  Unterrod  78,  14,  vor  einem 
gleichen  anschlag  wird  T.uther  im  Dialogus  gewarnt,  er  aber  antwortet 
unbesorgt:  es  ist  kegn  groß)  ding  ein  armen  manch  ertodten  614,  29. 
Die  in  ihrem  Ursprung  unaufgeklärte  redensart  durch  die  fingcr  sehen 
begegnet  Wegspräch  166,  18  und  Arg.  o5b,  beide  male  wird  sie  von 
der  kirchlichen  obrigkeit  gebraucht.  Der  vergleich  des  Wegsprächs 
171,8  eid  und  gelübl  thün  und  nit  hcdten,  ist  bei  pfaffen,  niünch 
und  nonnen  als  gemein  als  leus  und  flech  im  augstoi  findet  sein 
gegenstück  Arg.  c3a  da  )nit  du  hörest  Martine  daß  ein  Thomist  als 
voller  Corollarij  steckt,  als  ein  hund  mit  flohen  jmm  Aug.stcn.  Beide 
Schriften  brauchen  das  adverb  thorlich,  vgl.  du  fragst  so  thorlich  Weg- 
spräch 164,  26  mit  Dar  zn  beklagest  du  dich  thorlich  Arg.  a4b.  Die 
drei  stellen  Wen?i  aber  das  schlecht  volck  von  den  vngelerten  plerei'n 
gee/ft  wirt  Arg.  d  Ib,  noch  blerren  sie  öffentlich ,  du  habest  jrn  glaube)/ 
gcirt  d4b,  ■'iein  Thomisten  geplerr  c2a  treten  neben  den  ausdruck  der 
Klag  und  antwort  152,  11  so  pfeift  man  nnd  plerret  über  n)is  n-ic 
über  die  Juden.  Das  wort  nachteilig  brauchen  beide  schritten  mit  be/ug 
auf  die  römische  geistlichkeit:  so  ist  es  uns  auch  nachtallig  Klag  und 
antwort  146,  5  und  Den  Sybenden  artickel  verdainpt  der  Romisch  hoff 
als  ein  nachteyligen  der  rennt  vnd  gillt  xu  Rom  Arg.  b2b.  Mit  dem 
rufe  iveit  hindan  weisen  dort  die  priester  die  bibel  zurück.  Arg.  l)2a 
^^ir(l  der  weg  gewiesen  xia  rechter,  lautier  er,  vnuermischtrr,  cuangr- 
lischer  warheyt,  da  vonn  vns  die  gesellen  Scotus  cnd  Thoums,  Ockaui 
vnnd  der  gleych  cttwu  weyt  hyndan  ycfürt  liat/eu. 


106  ÖÖTZE 

Endlich  ist  es  eine  anzahl  von  fremchvorten ,  deren  gebrauch  Simon 
Hessiis  mit  unsern  Satiren  teilt.  Die  alten  Beginen  erscheinen  103,  5. 
161,  37  und  173,  6  als  sinn-  und  sittenlose  betschwestern,  ähnlich 
Arg.  b4a:  damit  die  herlichen  gesellen  ein  ewigen  rfim  erlangen  mögen 
heg  den  alten  beggegnen.  Bestie  ist  in  Unterred  und  Wegspräch  öfters 
das  Schimpfwort  des  Italieners  für  die  Deutschen,  s.  76,  3.  77,  23.  78, 
11.  79,  25.  80,  33.  191,  21,  einen  schritt  weiter  in  der  einbürgerung 
des  der  mundart  stets  fremd  gebliebenen  wortes  geht  Hessus  im  Dia- 
logus  605,  19,  wo  er  Luthers  gegner  die  wilden  Bestien  vnd  Tgrannen 
schilt.  Der  mönch  im  Gespräch  110,  1  ist  custor  in  seinem  kloster, 
dieser  titel  kehrt  Arg.  d  4a  wider:  es  lanffen  ^ti  alle  oberste  haupter 
der  kirchen,  die  kein  verstandt  haben  der  gcsclirifft  nmider  dann  ein 
lege',  custor,  presentxmegster,  dechant^  probst.  Der  kirchendiener  heisst 
Klag  und  antwort  157,8.  11  pedell^  Arg.  e  3a:  aller  Bischoff  hoff,  ver- 
stand, alle  Official,  alle  Vicarij,  Notari,  Citatz  schregber,  Pedellen  . . . 
so  baldt  der  Notari  oder  Pedell  den  ban  brieff  verkündet  halt.  Ganz 
nahe  kommen  sich  die  folgenden  beiden  stellen  im  ausdruck:  so  ein 
pfaff  kompt  und  schon  ein  großer  esel  inid  idiot  ist  175,  2  und  Dar- 
nach lanff'en  xu  vil  vngelerte  Pfaffen,  groß  ideoien,  die  haben  wider 
dich  xusamen  geschivoren  Arg.  d4a.  Der  im  16.  Jahrhundert  nicht 
ganz  seltene  witz,  dass  das  canonischc  recht  das  verbrent  recht  genannt 
wird,  ist  ursprünglich  nur  bei  Schriftstellern  möglich,  die  des  latei- 
nischen mächtig  sind,  denn  er  beruht  ja  auf  dem  Wortspiel  zwischen 
decreium  und  decrematum .,  er  begegnet  im  Wegspräch  184,  6  ich  hett 
nimmer  gemeint,  daß  so  gfit  Ordnung  ins  bapst  verbrent  recht  ivereti 
qestanden,  und  im  Dialogus  607,  15:  er  würde  icidcr  erwecken  das 
verbrennt  Deere t. 

Nach  alledem  ist  kein  zweifei,  dass  Urban  ßhegius,  Simon  Hessus 
und  der  Verfasser  der  sechs  tlugschriften  ein  und  dieselbe  pcrson  sind: 
damit,  dass  sich  die  Übereinstimmungen  auch  auf  den  inhalt  der  Hessus- 
schriften  erstrecken,  ist  zugleich  bestätigt,  dass  auch  ihr  lateinischer 
text,  der  ja  nach  Clemens  beweis  älter  ist  als  der  deutsche,  von  Rhegius 
stammt.  Mit  diesen  erkenntnissen  ausgerüstet,  können  Avir  noch  auf  eine 
weitere  eroberung  ausgehen.  Es  ist  längst  bemerkt  worden,  dass  der 
Dialogus  zwischen  Kunz  und  Fritz,  den  Schade  in  den  Satiren 
und  pasquillen  2,  119  — 127  neu  herausgegeben  hat,  Augsburger  Ver- 
hältnisse zum  hintergrund  hat,  auch  ist  anerkannt,  dass  dieser  Dialogus 
von  den  Hessusschriften  kaum  zu  trennen  ist.  Endlich  zeugt  ein  brief 
Michael  Hummelbergs  vom  1.  august  1521,  auf  den  schon  Strobel  (Neue 
beyträge  5,  265)  aufmerksam  gemacht  hat,  dafür,  dass  Zeitgenossen  den 


URBAN   RHEGIÜS  107 

Khcgius  für  seinen  Verfasser  gehalten  haben:  Dialogum  Contxi  et  Friixi 
necdum  iiidi:  sl  lii  habes,  mild  legendi  copiani  facilo.  No)i  facilc 
iUoriim  scntentiac  accesserini,  qui  hunc  Rhegio  ascribind  auton.  Auf 
diesen  zweifei  Hiinimelbergs  ist,  wie  schon  Horawitz  in  seiner  ausgäbe 
des  briefes  bemerkt  hat^,  nicht  viel  wert  zu  legen,  da  er  sich  alle  mühe 
gibt,  Johann  Faber,  an  den  der  brief  gerichtet  ist,  mit  Rhegius  aus- 
zusöhnen. 

Dass  sich  die  Unterhaltung  in  Augsburg  abspielt,  geht  schon  aus 
der  erwähnung  hervor,  die  122,  36fgg.  dem  j^^'lor  von  den  Cannelitoi 
mit  sanipt  seinen  )nünche)h  zu  teil  wird.  Gemeint  ist  Luthers  freund 
.[oliann  Frosch,  unter  dessen  leitung  das  Augsburger  carnieliterkloster 
herd  und  mittelpunkt  der  reformatorischen  bcwegung  in  der  stadt 
wurde.-  Nach  veröü'entlichung  der  bannbulle  unternahm  Eck  den  in 
unserer  flugs^'lirift  g(\schildcrten  vergeblichen  versuch.  Frosch  aus  dem 
amte  zu  drängen.  Der  123,  10  gerühmte  lutherische  prediger  ist 
dr.  Johann  Speiser,  prediger  zu  Sanct  Moritz,  die  feinde  der  beiden, 
deren  namen  die  flugschrift  121,  22  und  37  aus  vorsieht  nicht  nennen 
will,  müssen  hochgestellte  katholiken  sein,  die  band  in  band  mitein- 
ander arbeiten  (122,  2).  Die  Schilderung  des  einen,  der  von  ampls 
iregcn  wider  den  Luther  vinll  sein,  ob  ers  schon  nit  gern  thät^  passt 
am  besten  auf  den  bischof  von  Augsburg,  Christoph  von  Stadion.  Der 
klug  zurückhaltende  kirchenfürst,  dem  die  lutherische  bcwegung  und 
Ecks  ungestüm  gleich  unliebsame  und  unbequeme  störimgcn  seiner 
politik  waren,  kann  im  stile  einer  derartigen  satire  gar  nicht  besser 
gezeichnet  werden  als  mit  den  werten:  doch  gcb  er  (fern  den  Ecken 
dem  teufet,  daß  der  Luther  am  galgen  hicng.  des  sell)en  halb  ist  er 
unparteisch  122,  5.  Sein  gefährte.  entschlossener  in  der  feindschaft 
gegen  Luther  und  darum  von  der  flugschrift  hiirter  mitgenommen,  ist 
dr.  Jacob  Heinrichmann,  der  kluge,  tatkräftige  geneialvicar  des  bischofs, 
der  es  offener  mit  Eck  hielt,  an  der  Veröffentlichung  der  bulle  gegen 
Luther  wesentlich  beteiligt  und  schon  darum  in  der  Stadt  verhasst  war. 
Als  domprediger  in  Augsburg  wird  123,  20fgg.  Ockolampad  genannt, 
auch  bei  seiner  erwähnung  tritt  die  beziehung  auf  Augsburg  stark 
hervor.  Uns  leitet  das.  was  die  flugschrift  über  Ockolampad  sagt,  hin- 
über zu  ihrer  zeitlichen  bestimmung.  Denn  sie  weiss,  dass  er  im  kloster 
Altomünster  inönch  geworden  (23.  april  1520)  und  die  schritt  'Quod 
nun  Sit  onerosa  Christianis  confessio  paradoxon'  verfasst  hat,  deren  druck 

1)  Wieuur  Sitzungsberichte,  |»liil.-lii.st.  classe  89,  1')!. 

2)  Vgl.  hierzu  und  zum  folgondou  Friedrich  Koth,  Aug.sljuig.s  loformatioijs- 
goschichtc  s.  53  fgg. 


lOS  GÖTZE 

hat  aber  Cratander  in  Basel  im  jimi  1521  volleudet.  Eine  weitere 
Sicherung  der  abfassungszeit  ergibt  die  schnöde  bemerkung  unsrer  flug- 
schrift  über  Eck:  er  luurcl  Bolliiigeii,  da  er  iez  ist,  das  ganz  dosier 
mit  narren  besetzen  124,  36.  In  kloster  Fölling  weilte  Eck  im  Jahre 
1521,  während  in  Ingolstadt  die  pest  Avütete,  von  hier  aus  trat  er  gegen 
ende  des  Jahres  seine  zweite  Romreise  an,  die  durch  den  tod  Leos  X. 
am  21.  dezember  1521  gehemmt  wurde. ^ 

Fällt  somit  die  Satire  in  den  juni  oder  juli  1521,  so  rückt  sie 
zeitlich  nahe  an  den  Dialogus  zwischen  Simon  Hessus  und  Martin  Luther: 
die  beiden  schritten  müssen  also,  wenn  sie  demselben  Verfasser  gehören, 
zahlreiche  berührungen  zeigen.  Das  ist  auch  tatsächlich  der  fall.  Das 
stärkste  band,  das  die  beiden  verknüpft,  ist  die  erwähnung  des  sonst 
in  der  reformationsHtteratur  kaum  genannten  Dr.  Lemp  in  Tübingen. 
Beide  schritten  nehmen  den  ungelehrten  decretisten  hart  mit:  der  Dia- 
logus 612,  31  fgg.  schilt  über  seine  bemerkung,  Luther  habe  unter  dk^w 
rechtsgelehrten  noch  keine  anhänger  gefunden,  allein  'Foeten'  hätten 
für  ihn  geschrieben,  Kunz  und  Fritz  entstellen  zu  beginn  ihrer  Unter- 
redung seinen  namen  zu  Fetz  und  Hader  und  tadeln  sein  auftreten 
gegen  einen  Tübinger  docenten,  der  angefangen  habe  Pauluin  zä  ksoi 
nach  des  Erasmus  Schreibung  120,  17.  Auch  hier  wird  also  Lemp  in 
gegensatz  zu  den  humanisten  gestellt,  über  seine  eignen  leistungon 
urteilen  beide  schritten  gleich  mitleidig:  Aber  sich  selber  hat  er  hoch 
rnd  groß,  vermegnet,  er  seg  ein  Jurist,  vnnd  zum  teyl  ein  Theologist, 
kami  begd^s  nit  vil  übrigs  Dialogus  612,  45  und  aber  die  alten  rützigen 
geid  verstond  nit  so  vil  latein  Kunz  und  Fritz  121.  6.  Weitere  feinde 
des  Luthertums,  die  in  beiden  fl ugschrif ten  angegriffen  werden,  sind 
Eck,  Murncr  und  Aleander.  Dabei  könnte  es  zufall  sein,  dass  Eck 
Dialogus  605,11  wie  Kunz  und  Fritz  124.26.  126,26  gcck,  Murncr 
609.  7.  14  u.  0.  (auch  Löifelraacher  a4a)  wie  126,  26  Murnarr  genannt, 
dass  Aleander  610,  18  wie  126,  24  sein  Judentum  vorgeworfen  wird, 
mindestens  teilen  die  schritten  diese  Wendungen,  so  recht  satirische 
spitzen  nach  dem  sinne  des  16.  Jahrhunderts,  mit  vielen  ihresgleichen. 
Aber  über  das  durch  zufall  mögliche  geht  es  wider  hinaus,  Avenn  Eck 
hier  wie  dort  in  einem  atem  ein  verräter  seines  Vaterlands  genannt 
und  mit  Judas  verglichen  wird:  (Eck)  ist  worden  ein  verratlcr  seines 
eggen  vatterlands  ...  0  Juda  ich  schetz  dich  vil  frümmer,  dann  vß 
deiner  verrättereg  ist  vns  entsprungen  all  vnser  gnad  vnd  suligkait 
Dialogus  605,  12;  Ich  irawe  jm  zu,  wenn  GoU  v  ff  er  dir  ich  noch  tvere, 

1)  Tli.  "Wicdeinaiiu,  Joliaua  Eck  s.  37  fg. 


URRAN    RHF.niUS  109 

et'  neme  gelt  vnd  vernd  jn  613,  20;  Mainst  nit,  ob  er  mich  Crisiinn 
verkaufet,  der  sein  aigen  volle  und  vaterlcmd  also  auf  die  hahilnniscli 
jlaisclihank  geben  dar?  Er  ist  dannoclit  frümer  dann  Judas,  er  hat 
den  Luther  umb  ril  gold  verkaufen  wollen:  so  hat  Judas  Christum 
nur  umb  drei/iig  pfeuuiug  verkauft  Kunz  und  Fritz  125,  12  (vgl.  Judas 
verriet  rnd  verkaufft  Cliristuin  den  Jiulen  vmb.  xxx.  silbren  jyfenniug. 
So  verkauffen  wir  miinch  vnd  pfaffeu  Christtnu  j/och  vm  ain  schlechters 
gelt,  eturi  rmb  vij.  pfenniug.  Ja  xu  xegtten  nur  rmb  ain  stuck  brat, 
oder  cmb  agnen  truuck  icein  Löffelmacher  c4a).  Der  im  jähre  1521 
f5chon  halb  vergessnen  dispiitation  zu  gunsten  der  Fugger,  mit  der  Eck 
1515  in  Bologna  seine  lauf  bahn  eröffnet  hatte,  gedenken  Dialogus  612,  7 
wie  Kunz  und  Fritz  124,  27.  Wo  der  neuen  reinen  lehre  die  über- 
wundene, scholastische  entgegentritt,  wird  diese  in  beiden  Schriften 
gleichmässig  illustriert:  im  Dialogus  613,  10  durch  Scotum,  Ockam, 
Thomam,  Kunz  und  Fritz  120,  21  durch  Scotum,  TJiomam,  Tartaretum. 
Der  canonist  Lemp  wird  vom  Dialogus  613,  2  verhöhnt  als  Doctor  inu 
de)i  sendbrieffen  des  Bapsts,  Fritz  spricht  122,  33  vom  großen  neid 
des  obgemelten  bäpstlicher  vnd  codidscher  epistel  doctor  (Heinrichmann). 
Derselbe  erzählt  123,  29,  Ökolampad  sei  i)n  hohen  stift  xa  Augsburg 
prediger  gewesen,  der  Dialogus  spricht  610,  25  von  Ökolampads  nach- 
folger  Vrbano  Regio,  dein  prediger  xn  Äitgspurg  im  hohoi  Oestifft. 
Die  kanzlei  des  papstes  heisst  Dialogus  606,  5.  608,  9  mit  einem  aus- 
druck  der  Dunkelmännerbriefe  (hg.  von  Böcking  196,  31)  Copistrey, 
das  übermütige  wort  kehrt  nirgends  wider,  nur  Kunz  und  Fritz  122,20: 
so  man  die  decretales,  decret,  copistei'ei  und  der  gleichen  lugenschfden 
u)id  bäpstlich  iröm  abthfit. 

Neben  solchen  zwingenden  Übereinstimmungen  in  der  sache  können 
stilistische  anklänge,  die  es  gleichfalls  in  grosser  zahl  gibt,  zurücktreten, 
nur  einige  seien  kurz  angedeutet.  Seltsam  bedeutet  in  beiden  flug- 
.sehriften  'was  man,  wie  man  es  selten  sieht',  vgl.  Martine  du  bist  ein 
seltxam  man,  daß  du  das  nit  verstast  Dialogus  606,4  mit  Verden  hing! 
da  sich  ich  ain  seltsamen  gesellen  Kunz  und  Fritz  118,  2.  Vorhanden 
bedeutet  hier  wie  dort  bevorstehend,  vgl.  du  siclist  wol,  was  getz  vor- 
banden, wie  sorgfelticklich  ich  bin,  oder  doch  sein  soll  603,  16  mit  so 
ist  grofler  hagel  von  in  vorhanden  über  den  I^uiher  und  all  sein  an- 
henger  125,  81.  Gepränge  erscheint  beidemale  in  ungünstigem  sinne, 
vgl.  da  mit  er  ein  iierlichen  pomp  vnd  gepreng  haben  macht  609,  22 
mit  so  hat  er  doch  die  weit  mit  irem  geprenk  und  neid  veracht  123,  30. 
Statt  leiden  bevorzugen  beide  flugschriften  je  zweimal  die  Zusammen- 
setzung erleiden,  vgl.  das  ivürd  dir  ein  Widerwillen  gegen  den  Fürsten 


110  GÖTZE 

bringen,  sie  m6chte7i  villeycht  haß  erleyden,  daß  man  die  Concilia  olle 
vei'acliiet,  dann  daß  man  Sprech ,  jre  vorfaren  ketten  .  .  .  geirret  608,  31 
imd  Der  Römer  sach  ist  nii  so  redlicli ,  daß  si  vil  disimtierens  möge 
erleyden  613,  24  mit  Es  mag  nit  wol  erlitten  tverden  122,  24  und  das 
mag  der  doctor  nit  erleiden  imd  ander  mer  128,  13.  Statt  7iicJit  eben 
sagen  beide  nit  fast,  vgl.  Der  Murnarr  halt  seinen  kampff  mit  mir 
nitt  fast  glücklieh  aiigefangen  609,  31  mit  Fetz  und  Lemp  ist  nit  fast 
ungleich  120,  8  und  Ja  es  ist  mer  dann  ainer  hie,  und  besunder  ainer 
fast  gescliwollen  in  oren,  dem  Lumpen  2ind  Lempen  nit  rast  ungleich 
121,19.  Das  wort  büberei  begegnet  Dialogus  607,36.  609,42.  014,29 
wie  Kunz  und  Fritz  122,  16. 

Dem  schliesst  sich  als  willkommene  bestätignng  eine  lange  reihe 
von  stellen  an,  in  denen  die  flugschrift  von  Kunz  und  Fritz  im  aiis- 
druck  zu  den  oben  dem  Rhegius  zugewiesenen  Schriften  stimmt,  wir 
geben  auch  davon  nur  einige  proben.  Wir  haben  oben  gesehen,  wie 
die  Satiren  ich  dar  stait  getar,  fürkommen  statt  xuvorko7nmen ,  fürnemen 
statt  vornehmen,  losen  statt  hören,  subtil  statt  fein,  stattet  statt  gesetx 
sagen.  Dazu  fügen  sich  die  folgenden  stellen  der  Unterredung  zwischen 
Kunz  und  Fritz:  ich  dar  in  ?iit  neniien:  ich  furcht,  man  hör  uns 
121,  21;  der  sein  aigen  volk  und  Vaterland  also  auf  die  babilonisch 
/laiscJfbank  geben  dar  125,  12;  man  muß  oft,  umb  args  und  Übels  %ü 
fürkumen,  ain  weil  ain  aug  zu  thun  126,  1  (zu  der  Verbindung  args 
und  Übels  vgl.  ma)t  macht  nur  Übels  nocii  übler  und  args  noch  ärger 
182,  20);  die  beschornen  hfiben  des  unrechten  für)iemen  gestraft  126,  12; 
los  her  121,37;  du  cdter  ta7ihausischer  eself uhrer  mit  deinem  subtilen 
narrenkopf  120,  26;  das  liat  nu)i  den  Lempen  verdroßen  und  hat  ain 
Statut  gemacht  120,  20.  Dazu  kommen  aber  auch  neue  anklänge.  Dei- 
papst  klagt  Unterred  75,  23  all  frum  ere-  imd  gelt  liebend  vernünftig 
geistlich  menschen  tragen  solchs  überscharpfen  andastens  von  Teutschen 
kein  gefallen ,  Fritz  erzählt  124,  6  darmnb  aber  daß  er  den  decretalischen 
junkherren  zu  hart  anlast,  hat  der  obberiirt  Jurist  sein  blast  außgelaßen., 
die  Übereinstimmung  ist  um  so  bemerkenswerter,  als  tasten  ein  der 
schwäbischen  raundart  fremdes  wort  ist.^  Die  päpstlichen  aufsetzungen 
werden  von  Fritz  und  Kunz  122,  14  getadelt  wie  Unterred  86,  18, 
Schelm  von  ihnen  121,  13  als  Scheltwort  verwendet  wie  Gespräch  105,  23 
und  Löffelmacher  c  4a,  als  abstractum  dazu  dient  schalkeit  122,  16  wie 
Gespräch  109,  1.  Statt  geiz  steht  geitigkeit  126,33  wie  Unterred  86,11, 
statt  ividerstehen    oder  ividerstand  leisten;     widerfechten  126,  23    wie 

1)  Fischer,  Schwäbisches  Wörterbuch  1,  274. 


URRAK   RHEQIÜS  111 

Untorrod  00,18  und  Löffelmachor  b4b,  statt  von  freunden  wird  123;  10 
von  lifhliabern  götlicher  ler  gesprochen  wie  Unterred  74,15:  hau,  stich, 
IC  arg,  preini  und  schlag  tot  alle  Uebhaber  des  ivorts  Christi.  Von 
festen  Wendungen  steht  überhand  neltmen  Almosen  97  wie  Kunz  und 
Kritz  122,80.  123,18.  124,31,  inneii  iverden  Gespräch  109,1.  3(>, 
Löffelmacher  d3a  wie  Kunz  121,  36,  fleiß  ankere)/  Wegspräch  188,10, 
Löffelmacher  a3a.  b  la  wie  Kunz  124,  16.  Mit  dem  von  Kunz  120,  3 
gebrauchten  bilde:  daiin  da  waist  U'ol,  iva)ni  man  H'il  füeJ/s  falten, 
was  man  in  die  luchen  stellen  muß  vgl.  Klag  und  antwort  142,  10: 
ir  feit  an  euch  selbs  und  n-ölt  nns  armen  pfaffen  für  die  liicken  stellen. 
Fritz  wünscht  dem  doctor  Lemp  120,  12  daß  dichs  gicht  cmknm  in 
groben  bilffel,  nicht  höflicher  ist  der  Löffelmacher  c3a:  Ich  ivolt  das 
vorgedachter  grob  imffelßkopff  solcher  sprüch  anß  der  hailigen  geschrifft 
an  eil  lese. 

So  bleibt  kein  zweifei,  dass  auch  der  Dialog  zwischen  Kunz  und 
Fritz  von  Urbanus  Rhegius  verfasst  ist.  Wir  erkennen  demnach,  dass 
er  die  folgenden  zehn  flugschriften  verfasst  hat:  im  januar  1521  die 
rechtfertigung  der  Löwener  usw.  gegen  Luther,  im  mal  1521  das  Ge- 
spräch zwischen  Simon  Hessus  und  Luther,  im  juni^  oder  juli  1521  den 
Dialog  zwischen  Kunz  und  Fritz,  etwa  im  frühling  1522  das  gedieht 
Vom  almosen,  im  juli  1523  den  brief  des  Hessus  an  bischof  Fischer 
von  Rochester,  im  herbst  1523  das  Gespräch  zwischen  edelmann,  mönch 
und  curtisan,  im  jähre  1524,  wol  noch  im  sommer,  die  schritt  Vom 
Löffelmacher,  im  juni  und  juli  1524  die  Unten-ed  des  papsts  und  seiner 
cardiuäle,  ^eit  juni  1524  das  Wegspräch  gen  Regensburg  zu  ins  con- 
cilium,  bakl  nach  dem  juli  1524  die  Klag  und  antwort  von  lutherisclien 
und  päpstischen  pfaffen  über  die  Regensburger  reformation.  Drei  dieser 
Schriften  fallen  in  die  erste  Augsburger  zeit  des  Rhegius,  vier  in  die 
in  der  heimat  und  zu  Hall  verbrachten  jähre,  die  drei  wichtigsten  in 
die  kurzen  raonate,  die  er  amtlos  wider  in  Augsburg  .verlebte.  Die  in 
Augsburg  geschriebenen  Satiren  sind  im  ton  viel  kecker  und  übermütiger, 
als  die  der  Zwischenzeit,  sie  atmen  die  luft  der  lebensfrohen  Weltstadt, 
in  der  sich  Rhegius  stets  so  wol  fühlte,  und  manches  witzwort  von  der 
gasse  hat  darin  eine  stelle  gefunden,  namentlich  von  den  derben  spässen 

1)  Vom  24.  juni  ir>21  datiert  ist  des  Henncus  Phoeniceus  'Anzaygung,  dali 
die  Romisch  Bult  merklichen  schaden  in  gewissin  mauiclier  menschen  gebracht  hab, 
vnd  nit  Doctor  lAithers  leer',  die  mit  guten  gründen  für  Rhegius  in  anspruch  ge- 
nommen worden  ist,  zuletzt  von  Otto  Giemen,  Beiträge  zur  bayerischen  kircheu- 
geschichte  9,  72fgg.  Die  Stellung  dieser  Schrift  in  des  Rhegius  Wirksamkeit  umschreibt 
schon  Roth.  Augsburgs  reformationsgoschichte  -  G7fg. 


112  GÜTZK,    TTRBAN    RHEGIUS 

des  Wegspräclis  wird  mancher  nicht  im  hirn  des  humanisten  Rhegius 
seinen  Ursprung  haben.  Einigermassen  wird  man  danach  wol  das  ur- 
teil über  den  geschmeidigen  gelehrten,  der  es  bei  der  sicheren  Vor- 
nehmheit seines  auftretens  nicht  recht  verstand,  die  Sympathien  des 
gemeinen  mannes  zu  erwerben'^,  einschränken  müssen.  Anderseits  be- 
stätigen die  flugschriften  der  Zwischenzeit  mit  ihrem  ernsteren  tone  das 
urteil  ühlhorns-,  der  in  diesen  wenig  bekannten  wanderjahren  eine 
schule  der  leiden  sieht,  sie  zeigen  aber  doch,  dass  es  dem  reformator 
aucii  in  den  monaten,  die  er  in  feindseliger  Umgebung,  unverstanden 
und  ?iratlos  verbringen  musste,  nicht  an  schaffensfrohen  stunden  gefehlt 
hat.  Vielleicht  ist  mit  der  Zuweisung  der  zehn  flugschriften  an  Rhegius 
der  umfang  seiner  anonymen  schriftstellerei  noch  nicht  vollständig  er- 
kannt, so  dass  ein  abschliessendes  urteil  noch  nicht  gefällt  werden 
darf,  soviel  kann  man  aber  schon  jetzt  sagen,  dass  mit  dieser  Zuweisung 
dem,  der  da  hat,  gegeben  wird,  dass  er  die  fülle  habe.  In  ein  reiches 
leben  voll  der  schönsten  erfolge,  erfüllt  von  einer  gesegneten  prediger- 
und bekennertätigkeit,  von  unerschöpflicher  humanistischer  und  theo- 
logischer productivität  strömt  damit  eine  neue  fülle  von  lebenskraft 
und  sieghafter  kämpf esfreude,  von  frischer  beredsamkeit  und  kernigem 
humor,  wie  sie  nur  w^enige  in  jener  reichen  zeit  besassen. 

Es  ist  etwas  grosses  und  wunderbares  um  jene  litteratur  der  flug- 
schriften, die  mit  der  reformation  emporsprosste,  getragen  von  der 
Stimmung  der  zeit  und  widerum  ihre  zeit  bestimmend  so  stark  wie 
selten  wider  im  Wechsel  der  Jahrhunderte  eine  litteratur  die  öffentliche 
meinung  beeinflusst  hat.  Kraftvoll  und  geistesstark  stellt  sich  das  beer 
dieser  flugschriften  in  den  dienst  der  reformation,  mit  logischer  beweis- 
führung  und  spottender  laune  nimmt  es  den  widerstrebenden  gefangen, 
kein  gefühl  des  menschenherzens  ist  ihnen  fremd  und  jedes  herz  wissen 
sie  darum  zu  gewinnen.  Und  zehn  der  tüchtigsten  und  originellsten 
aus  der  zahl  dieser  flugschriften  lassen  sich  als  eigentum  des  Urban 
Rhegius  erweisen. 

Nicht  geringer  ist  der  gewinn,  der  aus  dieser  Zuweisung  den 
Satiren  erwächst.  Es  ist  nicht  gleichgiltig,  ob  ein  beliebiger  anonymus 
oder  der  berühmte  reformator  von  Augsburg  es  ist,  der  dem  Regens- 
burger convent  mit  so  geringen  erwartangen  entgegensieht  wie  das 
Wegspräch,  der  seine  beschlüsse  in  ihrer  halbheit  und  mit  ihren  inneren 
Widersprüchen   so   vernichtend  beurteilt  wie  die  Klag  und  antw'ort  es 

1)  Roth,  Augsburgs  refoimationsgeschichte  -  59. 

2)  Urban  Rhegius  4r)fgg.  350  fg. 


HOLTHAUSEN,    BEITRÄGK    ZDK    ERKLÄRUNG    DES    ALTKNGL.  EPOS  113 

tut.  Der  dialog  zwischen  Kuuz  und  Fritz  gewinnt  für  die  geschichte 
Augsburgs  eine  höhere  bedeutung,  wenn  der  domprediger  es  ist,  der 
da  über  die  katholischen  führer  zu  gericht  sitzt  und  nicht  irgend  ein 
missvergnügtes  schreiberlciu,  die  vielen  kirchengeschichtlichen  mit- 
teilungen  des  gesprächs  Vom  löffelmacher  gewinnen  an  glaub  Würdigkeit 
und  färbe,  wenn  ihr  verantwortlicher  urheber  bekannt  ist.  Endlich  ist 
die  püicht  litterarhistorischer  gerechtigkeit ,  jedem  das  seine  zu  geben, 
in  diesem  punkte  erfüllt  und  zugleich  von  dieser  seite  her  einer  aus- 
gäbe der  deutschen  Schriften  des  Rhegius  vorgearbeitet,  die  immer 
noch  aussteht. 

FREIBURQ    I.  B.  ALFRED    GÖTZE. 

BEITEÄGE  ZÜE  EEKLÄEUNG  DES  ALTENGL.  EPOS. 

1.   Zum  Beowulf. 

Die  mehrfach  widerholte  durcharbeitung  des  textes  und  der  um- 
fangreichen Beowulf litteratur,  die  zum  zweck  einer  neuen  ausgäbe  des 
gedichtes  von  mir  vorgenommen  wurde,  hat  eine  anzahl  neuer  con- 
jecturen  ergeben,  die  ich  mit  kurzer  begründung  hier  zusammenstelle. 
Ich  eitlere  nach  Holder  2  und  befolge  die  von  Bülbring  im  Beiblatt  zur 
Anglia  XIV,  nr.  1,  2  vorgeschlagene  quantitätsbezeichnung. 
V.  242  fg.    p[cett]e'^  on  land[e\  JDena      lähra  nänig 

viid  scip-herge  scebpmi  7ie-meahte. 

So  ist  offenbar  zu  lesen,  da  der  accusativ  land  keinen  sinn  gibt. 
V.  252fgg.  (hr  ge  fyr  heonan, 

leas  -  sceaweras  on  laiid  Dena 

furjmr  feran. 
Die  stelle  ist  öfters  erörtert  worden  (zuletzt  von  Sievers,  Bei- 
träge 29,  329fgg.),  aber  ohne  dass  eine  befriedigende  erklärung  gegeben 
wäre.  Ich  ergänze  einfach  swä^ox  leas  -  sceaweras ,  wobei  also  nur  ein 
vergleich,  keine  direkte  beschimpf ung  herauskommt.  Vgl.  Sievers,  der 
a.a.O.  s.  331  übersetzt:   „wie  listige  späher". 

V.  262.         Wces  min  fceder       -  folcum  gecijped. 

Trautmann  in  seiner  neuen  Beowulfausgabe  ergänzt  foldan  nach 
fader;  ich  ziehe  nach  v.  1196:  pära  pe  ic  on  foldan  gefrcegen  Itcebbe 
vor,  on  foldan  einzusetzen.  Vgl.  auch  on  eorhauY.  1822;  2855;  3138, 
ofer  eorban  v.  248;  802,  geond  eor^an  266. 

v.  305  fg.  ferh  -  ivearde  heold 

güp-möd  grnmmon;  guman  önetton. 

1)  Eckige  klammera  bedeuten  ergänzungen. 

ZÖTSCURITT   F.  DEUTSCHE   PHILOLOGIE.       BD.  XXXVII.  8 


114  HOLTHAUSEN 

Diese  oft  besprochene  stelle  ist  wol  am  einfachsten  zu  heilen,  wenn 
man  zunächst  mit  Lübke  fcer  für  ferh  liest,  dann  gru?n-mon  in  gär- 
geirum  'schar'  bessert. 

V.  328 fg.    güb-searo  gumena;  '        gäras  stödon, 
sm-manna  searo. 
Die  widerholung  von  searo  ist  unschön  und  verdächtig;  in  v.  828 
wird  dafür  das  in  v.  2660  belegte  scrUd  zu  setzen  sein. 
V.  886 fg.    Beo  Ö?7  on  ofesie,  hat  in  gan[gan'\ 

seon  sihbe-geclriht  samod  cBtgcedere. 

In  seon  erblicke  ich  einen  fehler  für  sOna,  das  auch  in  v.  1591. 
1618.  1794  im  ersten  halbverse  mit  allitteriert.  Dann  ist  auch  keine 
ergänzung  von  hie  nach  hat  nötig. 

V.  457fgg.  Fere  fyhtum  ^ü,  ivine  min  Beowulf, 

07id  for  är-stafum  üsic  söhtest. 

Geslöh  ]nn  fceder  fechte  mäste. 

Die  ersten  worte  verbessere  ich  in  for  locelslyhtum .,  das  im  Finn- 
fragment V.  28  vorkommt;  geslöh  pin  fceder  wird  durch  einfache  Um- 
stellung: Inn   fcsder  geslöh  ein  tadelloser  vers. 

V.  489  fg.     Site  nü  tö  symle  ond  ons<^l  meoto 

sigehreh  secgum,  swä  pm  sefa  hivette! 

Die  beliebte  Übersetzung  von  V.  489b:  'und  entseile  die  gedanken' 
u.  ä.  ist  schon  deshalb  unmöglich,  weil  sie  gegen  die  grundregeln  der 
metrik  verstösst!  Im  zweiten  halbvers  kann  bekanntlich  das  verbum 
nur  dann  vor  dem  nomen  allitterieren,  wenn  eine  Schilderung  vor- 
liegt. Oji  sad  ist  offenbar  mit  Kemble  in  das  häufige  on  scfdiim  'im 
glück'  zu  bessern  und  in  meoto  —  oder  eoto,  wenn  man  das  m  zum 
vorhergehenden  zieht,  dürfte  der  imperativ  iveota  von  ivitian,  tceotian 
'bestimmen,  festsetzen'  stecken.  Sigehreh  endlich  wird  aus  -hrehgum 
entstellt  sein.  Ich  übersetze  das  ganze:  'und  im  glück  (wohlsein)  be- 
stimme den  siegberühmten  männern,  wie  dich  dein  sinn  treibt'.  Hröögär 
fordert  also  Beowulf  gewissermassen  auf,  jetzt  beim  geselligen  treiben 
den  ton  anzugeben! 

V.  522 fg.    freoho-hurh  fcegere,  pcer  he  folc  ähte, 

burh  ond  beagas. 
Das  zweite  bürg,  eine   widerholung  des  unachtsamen  Schreibers, 
bessere  ich  in  bold. 

V.  574.        Hivcepere  me  gesälde,        pcet  ic  mid  siveorde  ofslöh. 

Schon  mehrfach,  von  Eieger  und  Bugge,  ist  darauf  hingewiesen 
worden,  dass  ofslöh  regelwidrig  an  der  allitteration  teilnimmt.  Es  ist 
wol  dafür  äbreat  einzusetzen. 


BEITRAGE    ZUR    ERKLÄRUNG    DES    ALTENQL.    EPOS  115 

V.  668  b.  eoton  iveard  abead. 

Die  verschiedensten  besserungsvorschläge  sind  zu  dieser  stelle  ge- 
macht worden,  aber  kein  überzeugender.  Man  lese  einfach  ivean  statt 
iceard:  vgl.  fela  ic  weana  gebäd  Finnfrgni.  v.  25.  Diese  bemerkung 
ist  natürlich  als  vorwegnähme  der  folgenden  erzählung  zu  verstehen  und 
iveard  dürfte  sich  als  widerholung  aus  dem  vorhergehenden  verse  leicht 
als  Schreibfehler  erklären. 

V.  681.        Nät  he  päi-a  göda,  ])<xt  lie  me  ongean  slea. 

Lies  gü^a  statt  des  sinnlosen  goda  (Thorpe  schlägt  pcere  gii6e  vor) 
und  vgl.   dieselbe    besserung    von   Grundtvig  zu   v.  299.     Über   ivitan 
c.  gen.  vgl.  Wülfing,  Synt.  Alfreds  II,  81  und  den  aisl.  gebrauch. 
V.  693.        Folc  ophe  freo-hurh,         pcer  he  äfeded,  ivces. 

Dieses  bloss  hier  vorkommende  freo-burh  wird  nichts  anders  sein, 
als  das  v.  522  belegte  freoho-burh.  —  Vgl.  den  nachtrag  zu  v.  1451. 
V.  728fgg.   Geseah  he  in  recede  rmca  mcmige 

swefan  sibbc  -  gedriht        samod  cetgcedere, 
mago-rinca  heap. 
Für  riiica  v.  728  lies  rincas,   da  Grendel  ja  nicht  viele  von  den 
männern,  sondern  viele  männer  schlafen  sieht!     Das  zweite  rinca  in 
V.  730  hat  schon  Möller  ansprechend  in  pegna  gebessert. 
V.  739.        Ne  pcet  se  äglmca  ylda7i  pöhte. 

Da  nach  Mourek,  Zur  negation  im  agerm.  s.  37  ne  hier  ganz  aus- 
nahmsweise   steht,    ist    es    offenbar    für    nö    verschrieben,    wie    schon 
Grundtvig  annahm,  ohne  diesen  grund  zu  kennen! 
V.  779.        pcet  hit  ä  mid  gemete        manna  cbnig. 

Die  metrische  härte  der  ersten  halbzeile,  wo  die  allitteration  im 
typus  B  allein  auf  der  zweiten  hebung  ruht,  ist  leicht  zu  beseitigen, 
wenn  man  schreibt:  pcet  hü  mid  gemete  äfre. 

V.  844fgg.  Hü  ht  iverig-möd  on  iveg  Jjcmon, 

7iiöa  ofe?'cumen,  on  nicern  mere  ■ 

fäige  ond  geflgmed  feorh-lästas  beer. 

Die  feorh-lästas  sind  gewis^s  in  forp-lästas  zu  bessern,  vgl.  aus- 
drücke wie  forji-cyme,  -faru,  -fering,   -för,   -fromung,   -gang,  -ge- 
witenes^   -l^dnes,   -ryne,   -scipe,   -stb,    -spell,   -weg.     Der    ausdruck 
bedeutet  natürlich:  'er  ging  fort'.     Grein  schlug  feor-lästas  vor. 
V.  850.        Deah  -  fcege  deog,  slhban  dreama  leas 

in  fen-frcobo  feorh  älegde. 

Die  mannigfaltigen  versuche,  die  ersten  drei  worte  zu  erklären  [deop 
Sievers,  deag  Cosijn,  deaf  Zupitza,  vgl.  auch  Bugge,  Beiträge  XII,  90) 
sind  unbefriedigend.    Vor  v.  850  ist  offenbar  eine  zeile  ausgefallen  und 


116  HOLTHAUSEN 

deog  mag  ursprünglich  dreog ,  dreag  (prät.  von  dreogan)  gewesen  sein, 
Tgl.  stellen  wie  v.  131  (pegn- sorge  di'eah)  und  422  (neuro -pearfe  dreah). 
V.  1002  fg.  Nö  pcet  ße  biß 

to  befleonne^  fremme  se  Öe  willef 

Mit  recht  nimmt  Kieger  Zeitschr.  III,  391  an  der  ersten  hälfte  von 
V.  1003  anstoss,  da  ein  object  zu  befleonne  fehlt.     Dies  ist  aber  leicht 
als  fyll  'fall,  Untergang,  tod'  vor  tö  zu  ergänzen. 
V.  1014fgg.  fcegere  gepöegon 

medo-ful  manig  mägas  pära^ 

sivi^hicgende,  on  sele  päm  hean^ 

Hröbgär  ond  Hröptdf. 
Das  sinnlose /)ära  v.  1015  wird  verschrieben  sein  für  gepivcere  'will- 
fährig', vgl.  V.  1230:  pegnas  syndon  gepivcere.     Trautmann  schlägt  ein 
unsicheres  pwcere  vor. 

V.  1119fg.     Wand  tö  ivolcnum,  wcel-fyra  mcest 

hlynode  for  hläive;  hafelan  midton. 

Was  soll  for  hläwe^  'vor  dem  grabhügel'  heissen?     Ich  vermute 
in  hläive  einen  Schreibfehler  für  liräwe  'leiche'  und  for  ist  dann  causal 
zu  fassen:  das  feuer  prasselte  von  dem  leichnam,  den  es  ergriflen  hatte. 
V.  1151  fg.  Da  W(BS  heal  hroden 

feonda  feorum^  sivilce  Fin  slcegen. 

Da  feorum  natürlich  nicht  'leichen'  bedeuten  kann  (v.  1210  ist 
statt  feorh  mit  Sievers  feoh  zu  lesen),  wird  es  wol  für  dreore  'blut' 
verschrieben  sein,  vgl.  dreore  fühne  v.  447,  blöde  besiymed,  ||  heall 
Moru- dreore  v.  486,  he  gehlödegod  wearh  \\  säivul-driore  v.  2693,  ivcel- 
dreore  fäg  v.  1631,  ferner  das  adj.  dreor-fäh  v.  485,  brynegield  onkreadj 
rommes  blöde  Gen.  2931,  d^'eore  druncne  deahwang  rudon  Andr.  1003. 
V.  1171fgg.  ond  tö   Geatum  sjjrcec 

fnildum  wordumf  Sivä  sceal  man  dö[a^n. 

Beo  ivi^   Geatas  glced,      geofena  gemyndig. 
Statt  des    Geatas  der  letzten  zeile   ist   gewiss   gestas  zu    setzen; 
ersteres  ist  offenbar  nur  durch  das  Geatum  von  v.  1171  hervorgerufen. 
Trautmann  nimmt  das   umgekehrte  an,  was  mich   weniger  wahrschein- 
lich dünkt. 

V.  1174.        nean  ond  feorran.,  J)ü  n€i  ha  fast. 

Das  von  Ettmüller  ergänzte  freobo  ist  metrisch  falsch,  Eiegers  nyd 
metrisch  richtig,  aber  nach  v.  2317:  nearo-fäges  nih  nean  ond  feorran 
möchte  ich  7?'ZÖ  einfügen.  Darnach  ist  aber  jedenfalls  eine  zeile  aus- 
gelassen,   denn  mit  dem   folgenden   verse  besteht  kein   Zusammenhang. 

1)  Grundtvigs  und  Trautnianns  froin  Idäive  ist  sinnlos. 


BEITKÄGK    ZUR    ERKLÄKUNO    DES    AM'KNGL.    EPOS  1  ]  7 

y.  1177fgg.  brüc,  pe?ide7i  pü  möte, 

manigra  medo  ond  pJmim  mägum  Uef 

folc  ond  rice. 
Kemble  bessert  medo  in  meda  —  aber  kann  der  könig  belohnungen 
geniessen?  Heyne-Socins  'belohne  gut'  ist  vollends  unmöglich!  Medo 
ist  m.  e.  einfach  der  rest  eines  ursprünglichen  inedo-dreama,  das  v.2016 
im  Sgl.  erscheint  und  Botsch.  des  gem.  v.  44  in  eben  der  pluralform, 
die  ich  hier  einsetzen  möchte. 

V.  1280  f.  J5ä  Ö«;r  söna  wear^ 

ed-hivyrft  eorlum, 
Cosijn  will  söna  in  söra  =  sära  'wunden'  bessern,  näher  liegt  aber 
offenbar  söcna   'Verfolgungen,  nachstelkmgen'.     Weiter  ab   liegt  sorga. 
V.  128.Ö.       ponne  J/eoru  hunden  hcDnere  gepuren. 

Da  ]ieo7'u  (=  got.  limrus,  aisl.  hiqrr)  im  altengl.  wie  im  as.  nur 
in  Zusammensetzungen  und  dann  mit  der  bedeutung  'kämpf,  verderben' 
erscheint,  kann  es  in  diesem  verse  natürlich  nicht  allein  und  in  der 
bedeutung  'schwort'  gestanden  haben.  Es  wird  zu  heÖ7-u-iücspn  zu 
ergänzen  sein,  das  in  Jud.  v.  263  vorkommt. 

137 8 fg.  hm'  pü  findan  medht 

fela-smnigne  secg. 
Ob  fela  mit  Heyne  und  Holder-Kiuge   einfach  zu  streichen  ist? 
Vielleicht  ist  es  doch  das  letzte  wort  einer  zwischen  1378  und  79  aus- 
gefallenen langzeile! 

V,  1514.       pcer  hitn  nmiig  ivceter     ivihte  ne  scepede. 

Die  Unregelmässigkeit  des  ersten  halbverses  ist  leicht  durch  Um- 
stellung zu  heben:  ivceter  nmnig. 

V.  1604 fg.     iüis\c^on  ond  ne  wendon,  pat  hie  heora  wi?iedrihteti 
selfne  gesäwon. 
Für  ond  —  die  hs.  bietet  hier  das  zeichen  7  —  ist  wol  besser 
ac  'aber'    zu  lesen,    da    offenbar   ein  gegensatz   der   Stimmungen    aus- 
gedrückt werden  soll. 

V.  1624 fg.  .  sce-läce  gefeah 

mcegen  -  hyrpenne,  pära  pe  he  him  mid  hcefde. 

Bugge  ändert  pära  in  pöere,   aber  gerade  so  gut  kann  man  läca 
für  läce  lesen  (abhängig  von  byrpemie)^  wobei  weitere  besserungen  über- 
flüssig werden.     Auch  1652  erscheint  der  plural  päs  sceläc. 
V.  1728  fg.     Hwllum  he  on  lufan       keieh  hivorfan 
monnes  möd-gepo?ic^         mceran  cynnes. 
An  der  ersten    halbzeile    hat  schon   Sievers,   Beiträge  X,  289  an- 
stoss  genommen,  an   der  zweiten   Rieger,  da  sie  gegen   das   metrische 


118  HOLTHAUSEN 

grundgesetz  verstösst,  dass  immer  das  regierte  verb  stärker  betont  ist 
—  also  auch  die  allitteration  trägt  —  als  das  regierende.  Lc/'teb  gehört 
gewiss  noch  zur  ersten  vershälftq  und  vor  htvorfan  dürfte  das  lustum 
ausgefallen  sein,  das  Tr.  für  lufan  einsetzen  will.  Der  vers  würde 
demnach  lauten:  Jnvllnm  he  on  lufan  läteh  [lustum]  hivorfan.  Dazu 
paßt  auch  das  folgende  vorzüglich. 

V.  1755fgg.  fi'hh  Oper  tö, 

se  pe  unmurnlice  mädmas  dSlep, 

eorles  ^rgestreon,  egesan  ne  gjjme^. 

In  egesan  vermag  ich  keinen  sinn  zu  finden  und  vermute  darin 
ursprüngliches  eaforan:  der  neue  herr  denkt  an  keinen  nachkommen 
und  erben,  sondern  verteilt  alles:  apres  nous  ledeluge!  Ygl.  v.  2451: 
eaforan  ellor-sih,  öh-es  ne  ggme^,  wo  auch  beide  Wörter  im  selben 
verse  erscheinen,     Tr.  will  in  fehta  bessern. 

V.  1832  fg.  P(et  he  mec  fremman  ivile 

tvordiim  and  tvorcum,     pcet  ic  'pe  ivcl  herige. 
Das  zweite  pcet  scheint  blosse  widerholung  des  ersten  zu  sein  und 
dürfte  wol  zur  besserung  des  ausdrucks  in   gif  geändert  werden;  für 
herige  hat  schon  Lübke  ansprechend  nerige  vorgeschlagen. 
V.  1903  fg.    yrfe-läfe.  Gewät  Mm  on  nacan 

drefan  deop  ivceter. 
Die  zweite  halbzeile  von  v.  1903  ermangelt  der  allitteration.     Ich 
nehme  den    ausfall  von  eorpne  'dunkelbraun,   schwärzlich'   vor  nacan 
an,    vgl.    nnv -  tyrivydne    nacan    v.  295    und    Homers    vfja    i-dlaLvav 
Od.  VIII,  34. 

V.  1925 fg.    Bold  tvres  hetlic,  brego  röf  cyning, 

hea  healle,  Hygd  sivi^e  geong. 

Kluge  bessert  v.  1926:  [on]  hea[n]  healle,  aber  graphisch  näher 
liegt  heah  healreced,  wodurch  auch  eine  grössere  Symmetrie  des  aus- 
drucks erzielt  wird. 

V.  1931  fg.  Möd  pryho  wceg, 

fremu  folces  civen. 
Man  erblickt  jetzt  wol  allgemein  in  pry^o  den  namen  einer  königin, 
welche  die  spätere  sage  Thrida  nennt.  Aber  ist  pryho  im  altengl.  eine 
mögliche  namensform?  Auch  der  plötzliche  Übergang  von  Hygd  auf  eine 
ganz  andere  frau  wäre  seltsam  und  deshalb  glaube  ich,  dass  möd- 
pryfie,  ac.  pl.  von  möd-prß  (==  möd-p7'acu)  'geisteskühnheit'  zu  lesen 
ist,  vgl.  higepry^e  wceg  Gen.  2238  (von  Agar  gesagt),  was  genau  unserm 
ausdrucke  entspricht.  Fremu  hat  schon  Bugge  ansprechend  in  fromu 
gebessert.  —  Ygl.  den  nachtrag! 


BEITRÄGE    ZUR    ERKLÄRUNG    DES    ALTENGL.    EPOS  1  1  !) 

V.  1935.       pcet  hire  an  dceges    eagiim  starede. 

Diese  viel  besprochene  stelle  ist  vielleicht  so  herzustellen:  pet 
[hc  on]  hire  and[uiitan\  eagum  starede,  obwol  ich  die  kühnheit  dieser 
emendation  zugebe;  ceges  könnte  bei  auslassung  von  uiitan  durch  das 
folgende  eagum  veranlasst  sein.  Bugge  bemerkte  längst,  dass  es  min- 
destens hie  statt  hire  heissen  müsste;  dceges  ist  überflüssig,  weil  man 
sie  ja  bei  nacht  doch  nicht  zu  sehen  bekam! 

v.  1955fgg.  ealles  mon-cynnes  mme  gefrcege 

pone  selestan  bi  sä'm  hveoniim, 

eormen-  cynnes. 
Die  ungeschickte  widerholung  von  cynnes  hat  schon  Möller  be- 
merkt.    Das  zweite  mal   dürfte  es  für  ursprüngliches  peoda  stehn,   das 
Menol.  V.  139  und  im  Heliand  so  vorkommt. 

V.  1980  fg.  Meodu  -  scencum  hivearf 

geond  pect  side  reced         Hcerebes  dohtor. 
Kemble  änderte  side  reced  in  hcalreced;  könnten  nicht  aber  zwischen 
reced  und  Hcerehes  zwei  halbverse  ausgefallen  sein?     Sicherer  wäre   es 
doch,  eine  lücke  hier  anzunehmen. 

V.  2035.        dryht-bearn  Dena  dugu^a  bi  werede. 

Wenn   man  mit  Grein    so    statt  des   überlieferten   biwenede  liest, 
muss    man    doch   auch  dugu^a  in   den  gen.  singl.  dugu^e    verwandeln, 
wie  Thorpe  liest  (allerdings  mit  folgendem  bepenede). 
V.  2041.        ponne  civih  cet  beore,       se  he  beah  gesyhh. 

Von  einem  ring  ist  vorher  (v.  2036 fg.)  und  nachher  (v.  2047  fgg.) 
nicht  die  rede  und  daher  ist  gewiss  beah  in  bearn  =  beorn  (wie  in 
V.  2035)  zu  bessern.  Es  ist  der  byre,  wie  er  v.  2053  genannt  wird, 
den  der  alte  krieger  erblickt. 

V.  2048.       po7ie  pln  fceder  iö  geßohte  beer. 

Nach  fceder  könnte  etwa  ofta  ausgelassen  sein. 
V.  2226  fg.    secg  synbysig.  Sana  mivatide  , 

pcet  pFer  bäm  gyste  gryrebröga  stöd. 

Das  sinnlose  7nwatide  ist  erst  von  zweiter  hand  durch  auffrischung 
eines  verblichenen  wertes  hergestellt  worden.  Ich  vermute,  dass  ur- 
sprünglich he  ivagode  'er  bewegte  sich'  (nämlich  der  drache)  dagestanden 
hat,  was  die  schriftzüge  m.  e.  auch  gestatten. 

V.  2239  fg.    ivearh  ivinegeömor,  wende  pces  yldan. 

Im  zweiten  halbverse  steckt  ein  metrischer  fehler,  da  das  regie- 
rende, also  schwächer  betonte,  verbum  hier  die  allitteration  trägt.  Durch 
Umstellung  und  zwei  kleine  Veränderungen  lässt  sich  der  vers  bessern: 
wende  vnnegeömor  \  iveard  päd  yldan.  Auch  v.  739  ist  yldan  mit  dem 
acc.  Pect  verbunden;  der  weard  ist  der  frühere  besitzer  des  Schatzes. 


120  ■  HOLTHAUSEN 

V.  2251  fg.    leoda  mmra,  pära  he  pis  [Uf]  ofgcaf, 

gesäivon  seledream.  Näh,  hwä  siveord  ivege. 

Für  sele  hat  schon  Rieger  swegl  vorgeschlagen;  aus  metrischen 
gründen  möchte  ich  ferner  dreamas  lesen.  Oesäivon  passt  nicht  zum 
vorhergehenden  und  ist  gewiss  irrtümlich  für  gesegon  aus  gesecon  (inf.) 
gesetzt.  Am  ende  der  seite,  nach  dream^  sind  zwei  buchstaben  un- 
leserlich: gewiss  ic.  [Correcturnote.  Besser:  slpa  seledream.] 
V.  2283 fg.  Bä  wcp,s  kord  räsod, 

onhoren  heaga  hord,         bcne  getihad. 
.  Statt  des  ersten  hord  ist  wol  hld-w  zu  schreiben. 
V.  2337fgg.  Heht  him  pä  geivyrcean     tvigendra  hleo 
ealltre7i?ie  eorla  dryhten, 

ivigbo7'd  wrcetlic. 
Wenn  wir  mit  Bugge  scyld  nach  trenne  ergänzen,  so  ist  das  vor 
letzterem  stehende  eall  natürlich  zu  streichen! 

V.  2395.  he  gewrccc  syh^an 

cealdimi  cearslhum,  cyning  ealdre  bineat. 

Yor  gewrcec  fehlt  offenbar  ^ce/,  vgl.  v.  2005b:  ic  pcet  eall  gewrcec. 
V.  2430  fg.    lieold  mec  ond  hc^fde;      Hrehel  cyning 
geaf  me  sine  ond  symbel,  sibbe  gemunde. 
Um  dem  mangelhaften  2.  halbverse  2430  aufzuhelfen,  braucht  man  nur 
geaf  me  aus  der  folgenden  zeile  davor  zu  stellen:  geaf  me  Hrebel  cyning. 
V.  2441  fg.    p(st  tüces  feohleas  gefeoht,    fyre7ium  gesyngad, 

hre'hre  hygemehe;  sceolde  hivcehre  sivä  peah. 

Für  hrehre  hat  schon  Grein  HreUe  vorgeschlagen,  aber  dann 
müssen  wir  auch  meho  statt  mehe  schreiben.  Das  Substantiv  ist  zwar 
im  altengl.  nicht  belegt,  aber  nach  abd.  muodi  wol  zu  erschliessen. 
Tr.  schlcägt  -me^^o  vor. 

V.  2456  fg.    ivmsele  ivestne,  witidge  reste 

reote  berofene;  ridend  sivefab. 

Das  sinnlose  reote  bessere  ich  in  reowe  'decke';  er  sieht  das  un- 
bereitete  lager. 

V.  2464 fgg.  weallimde  tumg;  ivihte  ne  meahte 

on  häm  feorhbonan  fceghhe  gebetati: 

nö  hy  cer  hepone  heahorinc   katian  ne  meahte 
Uibnm  dädimi,  peak  him  leof  ne  ivces. 

Das  zweimalige  meahte  am   schluss  der  verse  64   und   66  wirkt 
sehr  unpoetisch;    man    darf  wol  statt  des  ersteren    ein    ursprüngliches 
pöhte  vermuten.  —  Vor  lähiim  aber  ist  offenbar  for  zu  ergänzen. 
V.  2486.        p(^r  Ongenpeow  Eofores  niosab. 

Da  sonst  überall  das  praeteritum  steht,  setze  ich  niosde.  Greins 
niosade  ist  metrisch  falsch! 


BEITRAGE    ZUR    ERKI.ARUNO    DES    ALTENGL.    EPOS  121 

T.  2489.        fc7'h^o  genüge,  ßorhsireng  ne  ofteah. 

Da  ofteon  sonst  mit  dem  gen.  verbunden  wird  (vgl.  besonders 
V.  1520:  hond  swenge  ne  ofteah)  ist  auch  hier  strenge  zu  setzen.  Natür- 
lich gehört  ofteah  nicht  zu  as.  tiohan  'ziehen',  sondern  ist  gleich  as. 
aftlhan,  lat.  abdlcere^  bei  Heyne- Socin  steht  es  aber  immer  noch  unter 
teon  'ziehen'!!  (vgl.  jetzt  auch  Sievers,  Beitr.  29,  307). 
V.  2556fgg.  From  mrest  civöni 

ornb  äglcecean  üt  of  stäne, 

hat  hildeswät;  hrüse  dynede. 

Da  der  drache  weder  blutet  noch  schwitzt,  ist  sivät  wol  in  sieam 
'dampf  zu  bessern. 

V.  2573.        Beer  he  py  fyrste  forman  dögore 

ivealdan  moste,  swä  him  wyrd  ne  gescräf, 

hreb  cet  hilde. 
Vor  77iösfe  schiebe  ich   mit  Tr.  ne  ein   und   lasse  hreh  als  alten 
endungslosen    dat.  instr.    eines    neutralen    .s- Stammes    davon    abhängen. 
Swä  —  gescräf  ist  eine  eingeschobene  Zwischenbemerkung,   worin  ne 
auch  entbehrt  Averden  könnte. 

V.  2645  fg.    fortan  he  manna  mcest     mcer^a  gefremede, 
dceda  dolUcra. 
Sollte  dollicra  nicht  für  deo^iicra  verschrieben   sein?     Tr.  schlägt 
dömlicra  vor. 

v.  2659  fg.    gesigan  cet  scecce:  ürum  sceal  siveord  ond  heim, 

hyrne  ond  byrdnscrüd      bäm  gemcene. 
Schon  Thorpe  bessert  byrda  in  beadn,  aber  auch  byrne  kann  niciit 
richtig  sein,  da  es  ja  dasselbe  ist  wie  beadnscrüdl    Zur  rüstung  des  beiden 
gehört  doch  noch  der  schild,  und  so  wird  bord  für  byrne  zu  setzen  sein. 
v.  2661  fg.     Wöd pä  purh  p07ie  tvcelrec,     wig  heafolan  beer 
freaji  on  fultum,  fea  ivorda  czvce^. 

Man  fasst  ivig  heafolan  gewöhnlich  als  composituoi:  ting-hmfolan 
'kampfhaupt',  das  'heim'  bedeuten  soll!    Aber  Beowulf  hat  doch  keinen 
heim  nötig!    Ich  lese:  wig[a]  heafolan   bcer^   'der  krieger  (=  Wthstän) 
brachte  dem  herrn  seinen  köpf  (d.  h.  sein  leben,  sich  selbst)  zur  hülfe^ 
V,  2724  fg.    Biowidf  mapelode,  he  ofer  benne  sprcec, 

ivunde  wcelbleate,  ivisse  he  gearive. 

l\Ian  lese:  tvnndnm  tvcHbleat  'von  wunden  erschöpft',  vgl.  ivundum 
äwyrdcd  1113,  stille  2830,  iverge  2937,  heard  2687,  feorh-benmtm  seoc 
2740.     Der  Schreibfehler  ist  wol  durch  anschluss  an  benne  entstanden. 

11)  So  las  bereits,  wie  ich  nachträglich  sehe,  Grundtvig  und  übersetzte: 
'kampen  vovede  sin  hals'.] 


122  HOLTHAUSEN 

V.  2764fgg.  Smc  eabe  mceg, 

gold  on  grund[e],  giimcynnes  gehivone 

oferhl\d]gian:  .  hgde,  se  Öe  icylle! 

Hyde  'verberge'  gibt  kaum  sinn  und  so   vermute  ich   darin  um- 
gekehrte Schreibung  des  kentischen  copisten  für  hede  'hüte  sich'.    Vgl. 
hede,  se  Öe  scire  healde,  h(st  he  wüe  ä  usw.  L.  K.  S.  4  (Bosworth- Toller). 
V.  2783.        A7'  wcES  on  ofoste,  eftsl^es  georn, 

fi'o'.hcum  gefyrhred:  hyne  fyrivet  brcee. 

Sollte  gefyrtSred  'gefördert'  nicht  für  ^'c/eörerf  'beladen'  (zu  fö^or) 
verschrieben  sein?     Allerdings  ist  das  verbum  erst  im  me.  belegt. 
V.  2930  fg.  äbreot  bnmwisan,  bryd  äheorde, 

gomela  io  -  meoivlmi,         golde  berofene. 
Das  unverständliche  äheorde  ist  einfach  in  äfeorde  'entfernte'  zu 
bessern,  vgl.  v.  2955 fg. 

V.  3055 fg.  sigora  sö^cyning,  sealde  ]>mn  he  he  wolde, 

hc  is  manna  gehyld,         hord  openian. 
Die  bisherigen  besserungsversuche  sind   nicht  überzeugend.     Ich 
schlage  vor,   v.  3056a   zu   lesen:   heah-mäpma  gehyld.    Zwar   ist   dies 
compositum  nicht  überliefert,  aber  wol  nach  heah-gestreon  als  mögUch 
zu  erschli essen. 

V.  3069  fg.  Swä  hit  oö  dOmes  dceg       diope  benemdon, 

peodnas  7ncere,  pä  hcet  pär  dydon. 

Sollte  für  diope  nicht  diore  'kühne'  (adj.)  zu  lesen  sein? 
V.  3071  fg.  ^«^  se  secg  w~re  synnum  scildig, 

hergum  geheaterod,  hellbendum  fcsst. 

Man   lese   hefgum,    dat.-instr,   von    *hefgu  'Schwierigkeit' =  ahd. 
hebigt  oder  adverbialer  dat.-instr.  des  adj.  hefig^  statt  hergum. 
V.  3073 fg.  ivomynum  gewltnad,         se  bona  tvotig  strude, 
7ices  he  gold  htvcele,  gearivor  hcefde. 

Die  erste  hälfte  von  v.  3074  möchte  ich  bessern:  neosde  gold- cehte, 
was  eine  Variation  des  vorhergehenden  se  Xsone  ivong  strude  {strade  hs.) 
sein  würde. 

V.  3 118  fg.  scöc  ofer  scild-weall,       sceft  nytte  heold, 
fceder  -  gearivum  füs         fläne  fulleode. 
Schon  Kemble  hat  fceder  in  feher  gebessert,  aber  fläiie  gibt  keinen 
sinn.    Offenbar  ist  es  aus  flihte  =  flyhte  'flug'  entstellt  (Tr.  schlägt  flyge 
vor),  denn  flyhte  fulleode  bedeutet  einfach:  'er  vollzog  flug '  =  ' er  flog ', 
vgl.  gares  flihi  1765. 

V.  3126.      Nces  Öä  on  hlytme,  htvä  pcet  hord,  strude. 

Für  onhlytme  ist  wol  unhlytme  =  unhlitme  v.  1129  zu  lesen. 


BEITRÄGE    ZUR    ERKLÄRUNG    DES    ALTENGL.    El'OS  123 

V.  3181.  dracan  cc  scufun, 

wi/rm  ofer  weallclif,         Irton  icrg  niman. 
Das  ec  scheint  mir  hier  sinnlos,  da  sie  ja  sonst  nichts  wegschieben; 
ich  halte  es  für  entstellt  aus  lic  'leiche'.    Natürlich  raiiss  es  dann  auch 
ivijrmes  heissen. 

V.  3 180 fg.  cwmdon,  pcet  he  ivcere      iüyruldcyning[a\ 
manna  mildust  ond  mon^ivä'rust. 

Das  zweimalige  vorkommen  von  man  in  derselben  zeile  ist  ver- 
dächtig, weshalb  ich  statt  manna  nach  v.  1229  mödes  zu  lesen  vor- 
schlage. 

2.  Zum  Fiiinsburgfragmeut. 

V.  Ifg.         [hor]nas  byrna^  nmfre. 

Illeoprode  M  heapogeong  cyning. 

Dass  die  zweite  halbzeile  von  v.  1  metrisch  falsch  ist,  behauptet 
Trautmann,  Bonner  beitr.  VII,  37  mit  unrecht,  da  die  cäsur  offenbar 
vor  hyrnah  anzusetzen  ist  und  vor  [hor'\nas  ein  mit  h  allitterierendes 
wort  gestanden  haben  wird.  Die  in  der  zweiten  zeile  von  ihm  vor- 
genommene Umstellung:  hä  hleoprode  ist  ohne  zweifei  richtig  und  ent- 
spricht genau  Andr.  v.  1360a.  Ein  Hnoif  davor  ist  aber  überflüssig! 
V.  13.  gold-hladen  hegn,  dU^^^ß  /^^ne  his  sivurde. 

Der  erste  halbvers  enthält  einen  metrischen  fehler,  da  nach  Sievers, 
Beiträge  29,  565  fg.,  das  zweite  wort  des  verses  nach  dreisilbigem  com- 
positum mit  kurzer  Wurzelsilbe  des  zweiten  gliedes  {j.  \  ox)  im  ersten 
halbverse  meistens  ein  zweisilbiges  mit  langer  Stammsilbe,  seltener  ein 
dreisilbiges  mit  kurzer  Stammsilbe  ist.  Die  einfachste  besserung  ist  die 
einsetzung  des  Be  monna  crmfte  v.  83  überlieferten  gumpegn  für  hegn. 
V.  19fg.       ^cet  he  swä  freoUc  feorh    formon  sipe 

tö  b(ere  Malle  durum  hyrsta  ne  bS?'e. 
Die  hs.  hat  bceran,  ich  bessere  zu  b<^7'e  mit  Kemble.  Merkwürdiger- 
weise  hat  aber  noch  niemand  gesehen,  dass  in  feorh'  v.  19a  derselbe 
fehler  steckt,  wie  in  Beow.  v.  1210,  wo  Sievers  evident  feoh  dafür  vor- 
schlägt! "Wenn  wir  dies  hier  einsets^en,  wird  der  Zusammenhang  klar,  denn 
hyrsta\. 20h  ist  natürlich  nur  die  poetische  Variation  dav^on.  In  der  folgen- 
den zeile:  nü  hyt  nipa  heard  änyman  ivokle  braucht  dann  auch  hyt  nicht 
mit  Thorpe  in  hie  geändert  zu  werden,  da  es  sich  eben  auf  feoh  bezieht. 
V.  29fg.       sceolde  celces  bord  cenum  on  handa, 

bünhehn  berstan. 
Das  unverständliche  celces  hat  Grein  nach  Byrhtn.283  in  das  ebenfalls 
unerklärte  cellod  geändert  —  aber  liegt  nicht  ceoi'lccs  'des  mannes'  viel 
näher?    Über  den  coUektiven  singular  vgl.  Sievers,  Beitr.  29,  569  fgg. 


124  HOLTHAUSEN 

V.  34 fg.       hivearfiicra  liränv  hrcefen  ivandrode, 

stveart  and  sealobrün. 
Die  besserung  der  ersten  l?eiden  worte   aus  Hickes'  hivearflacra 
hrcer    mit  Grundtvig    annehmend,    möchte    ich   ivandrode  in  iveardode 
'bewachte'  bessern,  wozu  krcciv  das  object  ist. 

V,  41.  Hig  fuhtoii  fif  dagas,      sivä  hyra  nän  ne  feol. 

Man  hat  allerlei  ergänzt,  um  die  fehlende  allitteration  herzustellen. 
Aber  vielleicht  hat  ursprünglich  niht  fife  dagestanden  (vgl  scofo7i  niht 
B.  V.  517a),  und  dagas  ist  erst  später  bei  auslassung  von  niht  von  einem 
Schreiber  eingesetzt  worden? 

Nachtrag   zum    Beowulf. 
V.  788.        helle  hcefton.  Heold  hine  fceste. 

Diese  bezeichnung  Grendels  als  helle  hcefton  [qc.  gehyrdon  ivänigean) 

ist  verdächtig,  da  ein  subst.  hcefta  sonst  m.  w^  nicht  belegt  ist,  sondern 

nur  das  st.  m.  h<xft  (=  aisl.  haptr).    Es  liegt  nahe,  nach  Andr.  v.  1342,  wo 

der  teufel  helle  hcsftling  genannt  wird,  hcpfüing  für  hcefton  einzusetzen. 

V.  941.        Öe  we  ealle  cer  ne-meaMon. 

Die  metrik  scheint  mirÖä-Öß  zu  verlangen;  das  relativum  bezieht 
sich  auf  vorhergehendes  d^d. 

V.  1333 fg.  Heo  pä  fceh^e  wrcec, 

pe  pü  gystran  niht  Grendel  cwealdest. 

Lies  pcette  für  pe. 
v.  1382.        ivundini  golde,  gyf  P'^^  on  weg  cymest. 

Für  ivimdini  ist  gewiss  die  instrumental  form  wundne  zu  schreiben. 
V.  1393.        ne  on  foldan  fcepm,         no  on  fyrgenholt, 

ne  on  gyfenes  grund,       gä  pdr  he[o\  iville! 
no  in   V.  1393b   ist  wol   widerholung    des  7io  von  v.  1392b   und 
offenbar  für  ne  verschrieben. 

V.  1408.        Ofereode  pä  apelinga  bearn. 

Da  bearfi  hier  nicht  bloss  Hröhgar  (oder  Beoivulf?)^  sondern  die 
ganze  schar  der  beiden  ist  —  vgl.  v.  1412:  he  feara  sum  beforan  gengde, 
tvisra  niorma  —  dürfte  eodon  das  richtigere  sein. 

V.  1451.        befongen  frea-wräsniini 
wird  der  heim  genannt.     Gewiss  sind  hier  'schutzketten'  gemeint,  also 
ist  freoto  für  frea  zu  lesen,  vgl.  oben  zu  v.  693. 

V.  1506 fg.    Beer päseobrim-ivyl[f],    J)ä  heo  tö  botme  com, 
hringa  Jjengel  tö  hofe  smum. 

Für  heo  'sie'  ist  wol  he  'er'  zu  schreiben,  da  ja  Beowulf,  als  er 
den  grund  erreicht,  in  den  hof  geschleppt  wird! 


BEITRÄGE  ZUR  ERKLÄRUNG  DES  ALTBN9L.  EPOS  125 

V.  1840.        Hröbgär  maJ)elode  him  on  oiulsivare. 

Dass  dieser  vers  der  allitteration  ermangelt,  scheint  noch  niemand 
bemerkt  zu  haben;  im  zweiten  halbverse  kann  doch  nur  ond,  nicht  etwa 
hi)n,  die  erste  hebung  tragen!  Offenbar  sind  zwei  halbverse  ausgefallen 
und  man  könnte  wol  ergcänzen: 

Hröhgär  mapelode,  [heim  ScykU7iga, 

eorl  cEpelmn  göd\  him  on  ondsware, 

vgl.  V.456  U.1870.  Aber  es  kann  ja  auch  etwas  anderes  dagestanden  haben. 
V.  1860 fg.  7?iamg  öpetme 

gödum  gegrettan  ofer  ganotes  bcefif 

Gegrettau  wird  gewöhnlich  in  den  opt.  pl.  gegreian  gebessert;  eben 
so  gut  kann  es  natürlich  aus  dem  Sgl.  gegrete  entstellt  sein. 
V.  1931  fg.  Mud-prijho  ivccg 

fremii  folces  civeii,  ßren  ondrysne. 

Oben  habe  ich  bereits  -prg^o  in  -prijbe  gebessert  und  Bugges  fromu 
angenommen.  Aber  auch  der  ac.  sgl.  f.  ßreii  für  firene  (resp.  firne) 
kann  nicht  richtig  sein  und  wird  wol  in  das  einsilbige  neutr.  fäcen  ge- 
bessert werden  müssen.  Formen  wie  wen  ic  gehen  natürlich  auf  *wän{n) 
ic  mit  lautgesetzlicher  synkope  zurück  und  können  hier  nicht  angezogen 
werden,  firene  aber  ergäbe  einen  metrischen  fehler! 
V.  1982  fg.  lib-tvcsge  beer 

hce  num  tö  handa. 
Man  schreibt  jetzt  gewöhnlich  mit  ßugge  Kä^num,  worin  er  die 
anord.  Rei^)nir  sieht,  vgl.  Beiträge  XII,  9fgg.  Aber  wie  können  die 
Geatas,  die  &.\^\.Gauiar,  schv.'e(\.Västgöfar,  zugleich  norwegische  i7e/Ört?V, 
be wohner  der  Heihmqrk  sein?  Hinter  hce  ist  in  der  hs.  ein  Ö  aus- 
radiert; ich  vermute,  dass  der  Schreiber  ein  ursprüngliches  hcehnnm  in 
hcelehum  bessern  wollte,  aber  seinen  plan  nur  halb  ausgeführt  hat. 
v.  2152.        Ret  Öä  in  heran  eafor  heafod  segn. 

Die  zweite  vershälfte  ist  oft  besprochen  worden,  aber  jedesfalls  ist 
das  angenommene  eofor- heafod -segn  'eberhauptzeichen'  ein  unding.  In 
eafor  könnte  ein  ursprüngliches  eodor  'schütz'  stecken  und  heafod  aus 
dem  heafod- mäga  des  vorhergehenden  verses  stammen.  Sollte  nicht  hcele^a 
in  der  vorläge  gestanden  haben?  Also:  eodor  hceleha  segn  (typus  E). 
V. 2280fgg.  oh-}Scet  hy?ie  an  äbealch 

mon  on  möde:  rnan-dryhtne  brP7' 

fceted  wcege  etc. 
Die  widerholung  von  man  in  derselben  zeile  ist  unschön  und  ver- 
dächtig, weshalb  ich  in  dem  ersten  eine  entstellung  aus  maga  vermute. 

KTEL.  F.  HOLTHAUSEN. 


126  BOER 

LITTEEATUE. 

Henrik  Bertelsen.  Om  Didrik  af  Berns  sagas  oprindelige  skikkelse,  omar- 
beidelse  og  händskrifter.  K0benhava  1902.  (Kopenhagener doctordissertation.) 
Vni,  195  s.    4  kr. 

ßertelsen  bat  sich  die  aufgäbe  gestellt,  durch  eine  analyse  der  PS  zu  einer 
Vorstellung  von  ihrer  composition  zu  gelangen,  sodann  auf  grund  des  gewonnenen 
bildes  des  sagaschreibers  die  interpolationen  auszuscheiden;  darauf  versucht  er  nach- 
zuweisen, dass  das  Verhältnis  der  hss.  den  auf  diesem  wege  von  ihm  gewonnenen 
resultaten  nicht  widerspricht,  und  für  die  entstehung  der  pergamenths.  sowie  für  das 
handschriftenverhältnis  überhaupt  eine  neue  theorie  aufzustellen.  Diese  methode,  die 
im  allgemeinen  als  die  weniger  sichere  gelten  muss,  da  sie  den  Verfasser  nötigte,  über 
die  absiebten  des  sagaschreibers  ein  urteil  auszusprechen,  bevor  er  sich  von  dem 
ursprünglichen  Inhalt  der  saga  eine  Vorstellung  gebildet  hatte ,  ist  doch  sehr  berechtigt. 
Denn  einmal  lässt  sich  die  ausscheidung  der  interpolationen  auf  mechanischem  wege 
nur  für  einen  teil  des  Werkes  durchführen,  und  ferner  hat  es  ein  Interesse  zu  sehen, 
inwiefern  die  resultate  von  verschiedenen  forschern  auf  vollständig  entgegengesetzten 
wegen  geführter  Untersuchungen  einander  bestätigen. 

Der  verf.  hat  auf  seine  arbeit  grosse  Sorgfalt  verwendet.  Zwar  regt  die  schrift  zu 
vielem  Widerspruch  an,  aber  sie  ist  wol  geordnet,  sie  zeugt  für  das  kritische  taleut  des 
Verfassers  und  sie  führt  zu  erneuter  prüfun^  eigener  ansichten.  An  mehreren  stellen 
bietet  sie  eine  genügende  erklärung  bisher  nicht  vollständig  verstandener  einzelheiten. 

B.s  ansichten  stimmen  in  den  wichtigsten  punkten  mit  den  früher  von  mir 
(Arkiv  7 ,  205  fgg. ,  Ztschr.  25,  433  fgg.)  ausgesprochenen  überein.  Auch  er  glaubt, 
dass  in  der  erhaltenen  pergamenths.  zwei  redactioneu  der  saga  miteinander  verbunden 
sind,  die  nach  den  hauptredactoren  der  beiden  partien  als  M^  und  M^  unter- 
schieden werden.  Auch  er  sieht  in  M  *  die  relativ  ursprüngliche  redaction ,  in  M  ^  eine 
ausführliche  Umarbeitung.  Die  von  ihm  anerkannten  interpolationen  decken  sich  mit 
den  von  mir  als  solche  bezeichneten  nicht  vollständig,  indem  er  einige  dieser  abschnitte 
für  —  allerdings  stark  überarbeitete  —  teile  der  ursprünglichen  saga  ansieht;  in  den 
fällen,  wo  der  nämliche  abschnitt  in  doppelter  redaction  vorliegt,  nimmt  auch  er  an, 
dass  die  in  M^  erhaltene  den  vorzug  verdient.  Die  wichtigste  abweichung,  von 
der  die  übrigen  abhängig  sind,  besteht  darin,  dass  nach  B.s  auffassung  der  text 
von  M*  nicht  eine  nahezu  unveränderte  fortsetzung  des  ursprünglichen  textes  ist, 
sondern  dass  er  glaubt,  dass  derselbe,  obgleich  dem  urtexte  viel  näher  stehend 
als  M^,  doch  eine  gekürzte  ausgäbe  repräsentiere,  welche  mehrere  abschnitte  aus- 
geschieden habe.  Das  musste  zu  einer  neuen  auffassung  des  Verhältnisses  der  hss. 
führen.  Denn  wenn  M-  und  M^  auf  zwei  unabhängige  Umarbeitungen  der  saga  zurück- 
gehen, wie  ist  es  dann  möglich,  dass  die  übrigen  hss.,  sowol  AB  wie  die  schwedische 
Übersetzung  S,  in  ihrer  ersten  hälfte  mit  M^  in  der  fortsetzung  aber  mit  M^  über- 
einstimmen? Für  den,  der  M^  für  einen  guten  repräsentanten  der  urspr.  saga  hält, 
ist  diese  Schwierigkeit  nicht  vorhanden;  er  braucht  bloss  anzunehmen,  dass  der  mit 
M^  correspondierende  teil  der  zweiten  redaction,  soweit  die  Übereinstimmung  reicht, 
von  der  Umarbeitung  nicht  betroffen  wurde.  Für  B.  aber  stellen  sich  auch  AB 
und  S  als  producte  derselben  contamination,  die  in  M  vorliegt,  dar.  Dieses  sonder- 
bare Verhältnis  erheischt  eine  erklärung.  B.  denkt  einen  augenblick  daran,  S  und 
AB  aus  M  abzuleiten;  doch  sieht  er  die  Unmöglichkeit  einer  solchen  auffassung  ein 
und  versucht  es  dann  nachzuweisen,  dass  M  zusammen  mit  S  und  AB  auf  eine  hs. 
zurückgeht,  die  vollständig  denselben  Inhalt  wie  M  hatte. 


ÜBER    BERTELSEN,    DIDRIKS    SAGA  127 

Bevor  ich  diese  hypotliese  prüfe,  wird  es  mir  erlaubt  sein,  auf  die  einwände 
einzugehen,  die  B.  s.  170 — 71  wider  meine  auffassung  erhebt.  Durch  diese  wird 
nach  ihm  nicht  erklärt:  1.  weshalb  alle  Interpolationen  in  dem  späteren  teil  der  hss. 
vorkommen;  2.  weshalb  alle  hss.  doppelte  redactionen  enthalten;  3.  weshalb  mehrere 
abschnitte  in  den  hss.  an  einer  stelle  stehen,  wo  sie  nicht  hin  gehören.  Ich 
glaube,  dass  B.,  so  genau  er  sonst  verfährt,  doch  eine  stelle  übersehen  hat,  welche 
zeigt,  dass  ich  diese  Schwierigkeiten  in  einer  ähnlichen  weise  wie  er  zu  lösen 
versucht  habe.  Zeitschr.  25,  473  bemerke  ich  über  den  ersten  umarbeiter:  „Als 
die  ansprechendste  (erklärung  der  tatsachc,  dass  er  verschiedene  teile  der  saga,  die 
er  doch  in  derselben  weise  beurteilte,  auf  so  verschiedene  art  behandelte)  erscheint 
diese,  dass  er  sich  in  einer  ähnlichen  läge  befand  wie  der  Schreiber  ur.  3  von  membr, 
dass  nämlich  ein  teil  der  handschrift,  die  er  bearbeitete,  und  zwar  mindestens  bis 
c.  144,  höchstens  bis  c.  171,  schon  von  ihm  oder  einem  andern  geschrieben  war,  ehe 
er  sich  vornahm  die  saga  umzuarbeiten.  "Was  vor  c.  144  schon  erzählt  war,  musste 
somit,  wenn  es  dem  umarbeiter  unrichtig  erschien,  widerholt  werden,  was  nach  c.  171 
(wo  die  erste  Interpolation  von  seiner  hand  anfängt)  folgt,  wurde  in  solchem  fall  nur 
umgearbeitet."  Ich  glaube  auch  jetzt,  dass  diese  hypothese  für  die  erklärung  des 
eigentümlichen  Verhaltens  von  SAB  vollständig  denselben  dienst  erweist  wie  die  von 
B.  aufgestellte'.  Diese  lässt  die  gemeinschaftliche  stammhs.  für  SAB  dadurch  ent- 
standen sein,  dass  zuerst  eine  hs.  der  red.  I  bis  c.  196  mechanisch  copiert  wurde; 
sodann  sei  der  schluss  der  saga  nach  einer  hs.  der  red.  II  hinzugefügt  worden.  Die 
doppelten  redactionen,  die  in  jüngeren  hss.  die  Versetzung  einzelner  abschnitte  zur 
folge  hatten,  und  die  interpolationen  in  der  foiisetzung  erklärt  der  verf.  also  wie 
ich  daraus,  dass  die  anfangspartie  der  hs. ,  die  dem  texte  von  SAB  zu  gründe 
liegt,  schon  geschrieben  war,  bevor  ein  fortsetzer  sich  entschloss  die  saga  anders 
mitzuteilen.  Nur  besteht  darin  ein  unterschied,  dass  während  nach  meiner  ansieht 
jener  fortsetzer  der  umarbeiter  war,  B.  ihn  für  einen  abschreiber  hält,  der  eine 
jetzt  verschollene  auch  in  der  anfangspartie  umgearbeitete  vorläge  mechanisch  copierte. 
Wie  durch  diese  annähme  Versetzungen,  interpolationen  und  doppelte  redactionen 
besser  erklärt  werden  als  duixh  jene,  verstehe  ich  nicht.     Die  frage  bleibt  demnach 

1)  B.  wundert  sich  darüber,  dass  eine  zweimalige  Umarbeitung,  wie  sie  von 
mir  angenommen  wird,  gerade  den  in  M^  enthaltenen  teil  der  saga,  nichts  mehr 
und  nichts  weniger,  verschont  haben  würde.  Das  ist  nicht  vollständig  richtig.  M- 
enthält,  abgesehen  von  dem  von  M^  eingeschalteten  abschnitte,  e.  21  —  (incl.)  196. 
An  welchem  punkte  der  erste  umarbeiter  einsetzte,  lässt  sich  nicht  genau  bestimmen; 
weon  aber  die  oben  citierte  stelle  das  richtige  trifft,  so  fieng  er  an  einer  stelle  z\yischen 
c.  144  und  171  an,  also  vor  dem  Schlüsse  des  in  M'-'  enthaltenen  teiles  der  saga;  er  hat 
auch  keineswegs  diesen  teil  geschont;  ist  ja  doch  der  grösste  teil  von  dem  was  zwischen 
c.  171  und  196  steht,  eine  von  ihm  herrührende  Interpolation.  —  Die  von  mir  an- 
genommene zweite  Umarbeitung  aber  erstreckt  sich  über  die  ganze  saga;  schon  mit 
c.  152  hebt  eine  grössere  Interpolation  dieses  umarbeiters  an,  und  in  c.  1 — 20  findet 
sich  mehr  als  eine  spur  seiner  tätigkcit.  Mau  kann  aber  nicht  einmal  sagen,  dass 
c.  21  — 144  ganz  von  der  Umarbeitung  verschont  wurden,  denn  c.  21  —  56  sind  ja  um- 
gearbeitet —  und  an  eine  andere  stelle  versetzt  —  worden,  sogar  c.  57—59  sind 
wenigstens  in  AB  umgearbeitet.  Also  besteht  das  wunderbare  nur  darin,  dass  die 
doppelte  Umarbeitung  einen  abschnitt  von  72  capiteln  (80  —  151)  verschont  hat.  Dass 
der  zweite  umarbeiter  seine  dem  Stoffe  der  t'S  durchaus  fremden  zusätze  lieber 
später  als  in  J*iöreks  Jugendgeschichte  einschaltete,  beruht  wol  auf  der  geschlossenheit 
der  compositiou  dieses  teiles  der  saga,  die  um  so  deutlicher  hervortreten  musste, 
"  nachdem  der  Zusammenhang  der  fortsetzung  durch  die  erste  Umarbeitung  gelockert 
worden  war. 


128  ßOER 

nur  diese,  welche  hypothese  die  giössore  inuere  Wahrscheinlichkeit  für  sich   hat  uud 
sich  mit  den  übrigen  tatsachen  am  besten  verträgt. 

B.  glaubt  nun,  dass  jene  von  ihm  angenommene  mischhandschrift,  die  er  X 
nennt  —  ihre  hauptteile  unterschaidet  ■  er  als  X  ^  und  X '  —  auch  die  quelle  von  M 
ist,  und  er  stellt  den  folgenden  Stammbaum  auf: 

S* 


1 

1 

s 

1 

x^ 

+ 

1 

X 

1 

- 

M^  +  M«  Sv  J 
_!_ 
AB 

Dieser  Stammbaum  wird  auf  folgende  weise  erklärt:  X^  reicht  bis  c.  196,  10 
(wo  M"  aufhört).  Davon  wurde  eine  abschrift  angefertigt  (=M-).  Dann  wurde  die 
fortsetzung  von  X^,  also  X-  nach  einer  abweichenden  vorläge  (S^  d.  i.  eine  Um- 
arbeitung der  ganzen  saga)  geschrieben.  Aus  X  (d.i.  X'  +  X'^)  wurden  darauf  die 
quellenhss.  von  Sv  und  J  (^AB)  abgeschrieben  und  gleichfalls  M^ 

Eine  bestechende  eiafachheit  kann  mau  dieser  hypothese  nicht  nachrühmen. 
Etwas  anderes  wäre  es,  wenn  M  als  ganzes  sich  auf  eme  fertige  hs.  X^  -f-  X-  zurück- 
führen liesse.  Das  ist  aber  nicht  möglich  wegen  des  zustandes  der  Überlieferung  in 
dem  abschnitt  c.  152  —  196.  —  C.  152  —  169.  172—188  wurden  von  M^  in  M-  ein- 
geschaltet. Wenn  M-  und  M^  auf  dieselbe  vorläge  zurückgehen,  so  fragt  es  sich, 
ob  die  betreffenden  capitel  in  jener  vorläge  standen  oder  nicht.  Falls  sie  dort  nicht 
vorhanden  waren,  wo  hat  sie  dann  M^  her  geholt?  Falls  sie  dort  standen,  weshalb 
lies  M- sie  aus?  Um  auf  diese  fragen  die  antwort  nicht  schuldig  zubleiben,  schliesst 
B.,  dass  sie  nicht  dort  standen,  als  M-  geschrieben  wurde,  aber  in  die  vorläge  auf- 
genommen waren,  als  M^  entstand.  So  sieht  er,  sich  zu  der  verzweifelten  annähme 
genötigt,  dass  der  Verfasser  von  X'-,  nachdem  M^  aus  X^  abgeschrieben  worden  war, 
in  X\  auf  dieselbe  weise  wie  M^  in  M^  c.  151 — 169.  172  —  188  eingeschaltet  habe; 
und  da  c.  170 — 171  wol  nicht  auf  einem  besonderen  blatte  gestanden  haben,  muss 
auch  X'-  wie  M^  die  beiden  capitel  da  wo  sie  standen  durchgestrichen  und  nach  c.  169 
widerholt  haben.  Also  wird  die  geschichte  von  M  zu  einer  vollständigen  widerholung 
der  geschichte  von  X;  nicht  nur  war  der  Inhalt  derselbe,  sondern  die  arbeit  war  in 
vollständig  ähnlicher  weise  auf  zwei  redactoren  verteilt,  und  in  beiden  hss.  wurden 
in  der  arbeit  des  ersten  redactors  durch  den  zweiten  genau  an  derselben  stelle  die- 
selben änderungen  vorgenommen.  Ich  glaube  kaum,  dass  diese  hypothese  viel  an- 
hang  finden  wird^. 

Diese  complicierte  hypothese  soll  also  erklären,  dass,  obgleich  B.  zugibt, 
dass  M^  M^  nach  einer  zu  einer  anderen  redaction  gehörenden  vorläge  geändert  hat, 
dennoch  die  vorlagen  von  M^  und  M^  zusammen    eine  handschrift    bildeten.     Eme 

*)  Mit  S  bezeichnet  B.  das  original,  während  er  die  schwedische  Übersetzung 
Sv  nennt.  Ich  benutze  die  von  mir  auch  früher  äuge  wendete  bezeichnung,  nach  der 
die  Übersetzung  S  heisst. 

1)  B.  glaubt  (s.  181)  für  seine  meinung  eine  stütze  zu  finden  in  einer  nach- 
richt  über  eine  hs.  der  J*S,  welche  nach  Gödels  annähme  zugleich  mit  M  dem 
bischof  Arne  in  Bergen  (1302  —  14)  gehört  haben  und  später  nach  Vadsteua  gebracht 
worden  sein  soll.   Wir  wissen  aber  über  die  beschaffen heit  jener  hs.  nicht  das  geringste. 


ÜBEK    BKKTELSEN,    DIDJtlKS    SAGA  129 

solche  hs.  köunte  dann  auch  die  grundlage  des  in  AB  und  S  erhaltenen  textes  sein. 
Von  dieser  auffassung  aus  liesse  sich  dann  ferner  die  ansieht  verfechten,  dass  auch 
in  S  und  AB  eine  gekürzte  und  eine  interpolierte  recension  miteinander  contamiiiiert 
seien.  Die  Übereinstimmung  zwischen  dem  iuhalt  von  SAß  und  M-  würde  dann 
nicht  länger  beweisen,  dass  M'-  die  ursprüngliche  recension  darstellt. 

"Wenn  das  richtig  ist,  so  ist  ein  näheres  Verhältnis  entweder  zwischen  M  und 
S  oder  zwischen  M  und  AB  ausgeschlossen.  Denn  da  die  hypothese  die  möglichkeit 
eines  Zwischengliedes  zwischen  X  und  M  ausschliesst,  ist  die  einzig  mögliche  gemein- 
same quelle  von  M  und  S  resp.  AB  die  mischhandschrift,  welche  allen  erhaltenen 
hss.  zu  gründe  liegt.  Auch  ist  die  möglichkeit  ausgeschlossen,  dass  M*  sich  den 
übrigen  Iiss.  gegenüber  anders  verhalte  als  M-'.  B.  versucht  nun  weiter  zu  be- 
weisen, dass  in  der  tat  für  eine  gruppierung  der  hss.,  die  seiner  abstammungs- 
hypothese  widerspricht,  kein  grund  vorhanden  ist.  Er  hat  mit  grossem  geschick  alles 
angeführt,  was  für  seine  auffassung  zu  reden  scheint.  Zu  beachten  ist  seine  warnung 
vor  einem  allzu  grossen  vertrauen  auf  die  beweiskraft  gemeinsamer  fehler.  Er  führt 
z.  b.  s.  6fg.  mehrere  Übereinstimmungen  zwischen  S  und  B  (resp.  A)  an,  wo  A  (i'esp. 
B)  zu  M  steht;  die  stellen  zeigen,  dass  bei  einem  werke  von  dem  umfange  der  f*S 
der  Zufall  stets  eine  bedeutende  rolle  spielt.  Man  kann  nur  dankbar  sein  für  die 
sehr  brauchbare  illustration  einer  allbekannten,  aber  leider  nur  Zu  oft  vergessenen 
Wahrheit.  Indessen  hat  doch  seine  beweisführung  mich  nicht  davon  überzeugt,  dass 
man  berechtigt,  viel  weniger,  dass  mau  genötigt  ist,  auf  eine  nähere  gruppierung 
■  einzelner  hss.  zu  verzichten  ^ 

Auf  die  beweiskraft  einzelner  stellen  gehe  ich  diesmal  nicht  ein,  um,  nicht  der 
Versuchung  zu  erliegen,  den  wert  einer  stelle  zu  hoch  anzuschlagen;  es  ist  auch 
weniger  notwendig,  da  ich  die  für  mich  beweisenden  stellen  schon  einmal  ausführlich 
besprochen  habe.  Aber  ich  glaube,  dass  auch  den  zahlen  Verhältnissen  ein  Zeugnis 
abzugewinnen  ist.  Zwar  liegt  keine  vollständige  Statistik  der  fehler  vor,  aber  aus 
dem,  was  bekannt  ist,  lassen  sich  einige  Schlüsse  ziehen.    Zunächst  betrachte  ich  das 

X^ 
Verhältnis  von  M^  zu  AB   und  S.     Der  .Stammbaum  ist  nach  B.  |       |        |.      Wenn 

M^ABS 
das  richtig  ist,  so  wird  man  erwarten,  dass  die  zahl  der  Übereinstimmungen  zwischen 
je  zwei  Untergruppen  zu  der  zahl  der  stellen,  die  den  gedauken  an  einen  gemein- 
samen fehler  aufkommen  lassen,  in  einem  bestimmten  Verhältnis  stehen  wird.  Nun 
ist  es  bekannt,  dass  S  im  ganzen  viel  näher  zu  M-  als  zu  AB  stimmt.  Man  wird 
also  mit  recht  erwarten ,  dass  die  zahl  der  verdächtigen  stellen  in  M  -  -1-  S  grösser 
sein  wird  als  die  entsprechende  zahl  für  S  -|-  AB.  Auch  für  M  ^  +  AB  wird  man  aus 
ähnlichen  gründen  —  da  S  ja  durchgehend  kürzt  und  dadurch  selbständig  abweicht  — 

1)  Ich  muss  hier  bemerken,  dass  die  möglichkeit  der  gruppierung  M- >  M^SAB 

nicht  abhängig  ist  von  der  grös.seren  oder  geringeren  Sicherheit,  mit  der  .sich  die  von 

mir  gemachten   untergruppierungen  M"^>yAB  und  M''S>AB  als  richtig  erweisen 

lassen;  ihre  bedeutung  in  meiner  Untersuchung  Arkiv  7,  217  war  diese,  dass  dadurch 

bestätigt  wurde,   was  B.  ja  als   richtig  anerkennt,    dass  M-   und   M''   verschiedenen 

redactionen   angehören.     Das   zugegeben,    ist  es  für    das    Verhältnis   von   M-   zu  den 

übrigen  hss.  einerlei,   ob   diese   gruppe   sich  teilen   lässt  in  SAB>M''  oder  SM^> 

AB  odiT  in   drei   unabhängige  gruppen  S  AB  M^     Aber  für  B.s   hypothese   ist  das 

t^iuo  lebensfrage.     Denn  wenn  es  sich  erweisen  lässt,  das  M'' einer  der  beiden  anderen 

iteigruppen  (S  oder  AB)  näher  steht  als  der  anderen,  oder  dass  M'- sich  S  resp.  AB 

■geuüber  anders  als   M-'  verhält,   so   ist  davon   die  unmittelbare  folge,   dass   M  als 

inzes  nicht  mit  S  und  AB  auf  eine  und  dieselbe  vorläge  zurückgeführt  worden  kann. 

ZKITUCHKUT    F.    DEUTSCHE    PHILOLOUIE.      Ül).  XXXVII.  Ü 


130  BOKR 

eine  grössere  zahl  erwarten  als  für  S -j- AB.     Es  fragt  sich  nun,  ob  die  zahlen  diese 
erwartung  bestätigen. 

Für  eine  gruppieriing  M^  +  AB  >  S  ist  die  zahl  1 '.  Sie  beruht  auf  B.s  nach 
seiner  eigenen  aussage^  erschöpfender  angäbe. 

Für  eine  gruppierung  M-'-|-S>AB  schwankt  die  zahl  zwischen  1  und  4. 
Die  stellen  wurden  von  mir  Arkiv  7,  219  fgg.  angeführt.  Von  diesen  kommt  meiner 
ansieht  nach  nur  eine  (c.  80,  10)  in  betraeht^;  dass  an  den  drei  übrigen  M^S  das 
allein  richtige  haben,  daran  zweifelt  auch  B.  nicht;  da  aber  früher  von  anderen 
zweifei  über  die  stellen  ausgesprochen  ist,  lasse  ich  die  zahl  4  gelten.  Soviel  ich 
urteilen  kann,  ist  die  zahl  erschöpfend.  (B.  fügt  s.  185  zwei  stellen  58,2.  99,17 
hinzu,  denen  er  jedoch  keine  bewoiskraft  beimisst.  Doch  dürfte  erstere  einige  be- 
deutuug  haben.    Wenn  wir  beide  mitzählen,  steigt  die  zahl  bis  6). 

Für  die  gruppierung  S  +  AB>M-  wurden  von  mir  Arkiv  7,  219 fgg.  9  stellen 
angeführt.  Die  zahl  ist  vielleicht  nicht  erschöpfend;  es  wurde  damals  von  mir  in  dieser 
hinsieht  keine  Vollständigkeit  angestrebt,  da  es  mir  bloss  um  einige  beweisende  bei- 
spiele  zu  tun  war.  Diese  9  stellen  beurteilt  B.  so,  dass  er  in  einigen  fällen  an 
eine  zufällige  Übereinstimmung  denkt,  während  er  glaubt,  dass  man  in  den  übrigen 
fällen  die  lesart  von  S -j- AB  auch  für  die  richtige  halten  kann,  —  nirgends  aber 
halten  muss*.  Demnach  ist  die  zahl  9  für  die  verdächtigen  stellen,  die  für  diese 
gruppierung  zu  reden  scheinen,  keinesfalls  zu  hoch. 

Bei  durchgehender  Übereinstimmung  von  S  mit  M^  sprechen  also: 
für  M^S>AB  im  besten  fall  1—4  (5.  6?)  unbedeutende  stellen, 
für  M-AB  >  S  1  stelle, 
für  M->  SAB9  stellen. 
Die  handschriften  sprechen  demnach  für  die  gruppierung  M->SAB. 

1)  Die  stelle  ist  c.  98,1  wo  M-AB  en  haben,  während  er  (S  är)  das  richtige 
zu  sein  seheint.  Wenn  B.  behauptet,  dieses  beispiel  zeige,  wie  vorsichtig  man  bei 
der  gruppierung  von  hss.  auf  gruud  gemeinschaftlicher  fehler  verfahren  müsse,  so 
ist  das  mindestens  übertrieben;  ein  fehler  wie  dieser  gehört,  wie  die  vom  Verfasser 
gegebene  erklärung  erweist,  zu  denen,  die  am  leichtesten  entstehen.  —  Übrigens  ist 
auch  hier  eine  correetur  in  S  nicht  ausgeschlossen. 

2)  S.  189.  'Jeg  har  kun  kunnet  finde  et  tilfgelde,  som  kau  tale  for  en  sädan 
gruppering'. 

.3)  Die  stelle  wurde  jedoch  von  mir  a.  a.  o.  anders  erklärt  und  auch  B.  lässt 
sie  nicht  als  einen  fehler  in  M-S  gelten. 

4)  C.  99,  8,  wo   der  umarbeiter  an  dröttningar   als   bezeichnung  für  Prinzes- 
sinnen anstoss  genommen  und  an  die  stelle  konungs  dcetra  oder  wol  wie  B  hat  k.  d.  ok 
dröttningar  geschrieben  hat,  was  weiter  in  B  und  S  an  zwei  folgenden  stellen  99,  12 
und    100,   13   eine    ähnliche    äuderuug    veranlasst    hat,    lässt    B.    nicht    gelten.      Er 
glaubt,  dass  auf  grund  von  c.  98,  1,  wo  auch  in  M'-  konongs  datr  steht,  unabhängig 
voneinander  A  einmal,  B  zweimal  (nicht  ganz  richtig:    B  hat  auch  c.  100  k.  dcetrum  ■, 
ok  drottningu)  ^   S   dreimal   dröttningar  in  komings   datr  geändert   hat.     Dass  99,  8  \ 
konongs  dcbtr  aus  c.  98  stammt,    bestreitet  niemand;   aber  die   bezeichnung  ist  nicht 
einfach  aus  c.  98  weitergeschleppt;  denn  einmal  steht  die  stelle  ziemlich  weit  von  den  | 
drei  anderen  entfernt  (49  z.;   der  abstand   zwischen   den   drei   folgenden   stellen  ist  4 
resp.  22  z.);   sodann  zeigt  die  lesart  in  B,   dass   die  änderung  absichtlich  geschehen! 
ist.    Es  ist  nun  weniger  wahrscheinlich,  dass  drei  Schreiber  unabhängig  auf  grund  der- 
selben ziemlich  weit  zurückstehenden   stelle  dieselbe  besserung  voigenommen  haben, 
als  dass  die  correetur  einmal,  und  dann  von  dem  schi'eiber  einer  hs.,  von  der  AB  und  \ 
S  stammen,  angebracht  worden  ist.     Die  änderung  der  beiden  folgenden  stellen  in  B| 
und  S  war  nur  eine  weitere   consequenz,   die  sich   namentlich  von  der  lesart  von  B| 
(k.  d.  okdr.)  aus  leicht  verstehen  lässt.  —  Unsere  stelle  muss  also  unter  denen,  die 
einen  gerechten  verdacht  erregen,  mitgezählt  werden. 


ÜBER   BERTELSEN,    DIDRIKS    SAGA  131 

Betrachten  wir  nun  den   zweiten  teil   der  saga.     Nacli   B.s  bypothese  ist  das 
X 
bss.verbältnis  widerum  j       |        |.      An    verdächtigen   Übereinstimmungen  finden   sich: 
M»  AB  S 
zwischen  M^AB>S  nach  B.  (s.  189)  keine  einzige, 
zwischen  ABS>M*  nach  B.  (s.  188)  keine  einzige. 

An  auch  von  berrn  B.  arrerkannten  aber  für  zufällig  erklärten  fehlem  in  M^S> 
AB  4.  —  Eine  fünfte  stelle,  c.  219,9fgg.  (vgl.  Arkiv  7,  223),  deren  bedeutung 
B.  nicht  anerkennt,  zähle  ich  nicht  mit.  —  Auch  für  diese  zahl  gilt  das  oben  über 
die  zahl  der  fehler  in  SAB>M-  bemerkte,  dass  sie  vielleicht  nicht  erschöpfend  ist; 
von  den  fünf  fällen  wurden  zwei  von  ünger  beispielsweise  angeführt,  die  drei  übrigen 
wurden  von  mir  gleichfalls  als  beispiele  aus  dem  sehr  beschränkten  abschnitte  c.  196 
bis  240  hinzugefügt.     Doch  lege  ich  darauf  keinen  wert. 

Diese  zahlen  weisen   auf  eine   gruppierung  M'^S>AB.^ 

Dem  möglichen  einwände,  dass  hier  mit  verdächtigen  stellen  operiert  wird, 
während  doch  für  die  verdäclitigkeit  einer  stelle  kein  bestimmtes  kriterium  existiert, 
glaube  ich  dadurch  begegnen  zu  können,  dass  ich  bei  der  Zusammenstellung  der 
zahlen  für  den  ersten  teil  der  saga  für  verdächtig  zum  vorteil  meiner  bypothese  nur 
solche  stellen  gelten  lasse,  die  früher  von  mir  für  offenkundige  fehler  angesehen,  aber 
von  B,  nicht  als  solche  anerkannt  wurden,  während  für  die  entgegengesetzte  ansieht 
alle  stellen  mitgezählt  worden  sind,  welche  B.  nur  der  erwähnung  wert  geachtet 
hat,  obgleich  er  ihnen  selbst  nicht  die  geringste  beweiskraft  beilegt.  Für  den  zweiten 
teil  der  saga  zählen  für  meine  auffassung  nur  die  stellen  mit,  wo  B.  zugibt,  dass 
gemeinschaftliche  fehler  vorliegen,  wider  dieselbe  alle  solche,  denen  B.  auch  nur  die 
geringste  bedeutung  beilegt  (d.  h.  keine  einzige).  Ein  mögliches  zu  viel  oder  zu 
wenig  wird  also  auch  hier  nur  B.  zu  gute  kommen. 

Bei  dem  zustande  der  in  AB  und  namentlich  in  S  vorliegenden  Überlieferung 
ist  es  eine  sonderbare  forderung,  die  der  verf.  s.  187  aufstellt,  dass  man  in  ABS> 
M''  und  M^S>  AB  eine  grosse  anzahl  gemeinschaftlicher  fehler  oder  sogar  fehler  von 
einer  bestimmten  beschaffenheit  nachweisen  soll.  Die  überwiegende  mehrzahl  solcher 
fehler  sind  nicht  als  gemeinsame  widerzuerkennen,  aus  dem  einfachen  gründe,  dass 
entweder  S  oder  AB  oder  beide  selbständig  abweichen-.  Es  hat  denn  auch  gar 
keinen  sinn,  wenn  B.  der  dürftigkeit  dieses  materials  gegenüber  die  lange  fehlerliste 
lobt,  die  er  angeführt  hat,  um  zu  beweisen,  dass  SAB  nicht  von  M  abhängig  sind. 
Dazu  braucht  er  nur  offenbare   fehler  einer  einzigen  hs.  (M)  zusammenzusuchen,  die 

1)  Zum  rechton  ver.stäudnis  der  tatsachen  führe  ich  die  zahlen  noch  in  anderer 
gnippierung  vor.  Betrachtet  man  die  saga  als  ganzes,  so  erhält  man  die  folgenden 
verdächtigen  Übereinstimmungen:  M>  ABS:  nur  in  der  anfangspartie.  Dort  aber  die 
grösste  der  angeführten  zahlen,  9.  MS>  AB  (bei  durchgehender  Übereinstimmung): 
in  der  anfangspartie  1  —  6  leichte  fälle,  von  denen  jedoch  mindestens  3  (fall  2  —  4) 
anerkanntermassen  auf  falscher  beurteilung  der  lesart  beruhen.  In  der  Schlusspartie 
4  anerkannte  fehler  auf  ziemlich  beschränktem  räume.  MAB>S:  eine  stelle  in  der 
ersten  partie. 

2)  Wo  z.  b.  die  vorläge  von  M^S  einen  fehler  enthielt,  ist  die  stelle  nur 
dann  für  die  beurteilung  des  hss.verhältuisses  brauchbar,  wenn  1.  der  fehler  als  ein 
solcher  deutlich  erkennbar  ist,  2.  S  nicht  die  stelle  ausgelassen  oder  auf  eine  andere 
radicale  weise  geändert  hat,  3.  AB  das  richtige  bewahrt  hal)eu.  Nur  in  seltenen  fällen 
sind  diese  drei  bedingungen  zu  gleicher  zeit  erfüllt.  .Ähnlich  liegen  die  Verhältnisse 
bei  gemein.samen  fehlem  von  ABS>M*. 


132  BOER 

natürlich  auf  jeder  seite  zu  finden  sind,  wie   man  deren  auch   in  A  oder  B  oder  S 
eiue  beliebige  anzabi  nachweisen  kann. 

Die  oben  angeführten  und  beleuchteten  Zahlenverhältnisse  scheinen  mir  zu 
beweisen,  dass  B.s  ohnehin  unwahrscheinliche  hypothese  unhaltbar  ist,  und  dass 
man  nicht  M  auf  eine  schon  aus  zwei  redactionen  combinierte  vorläge  zurückführen 
kann.  Daraus  folgt  aber,  dass  die  beiden  hälften  vgn  SAB  dieselbe  redactiou,  d.  i. 
die  grosse  Umarbeitung,  repräsentieren.  Wo  nun  der  iuhalt  der  ersten  hälfte  mit  dem 
iuhalte  von  M^  durchaus  übereinstimmt,  da  lässt  sich  diese  gleichheit  nur  dadurch 
erklären,  dass  dieser  teil,  soweit  die  übereiilstimmung  reicht,  keine  redactionellen 
änderungen  erfahren  hat.  Also  ist  M'-  nicht  eine  gekürzte  ausgäbe  der  saga.  Es 
ist  demnach  nicht  erlaubt,  solche  abschnitte,  die  in  der  zweiten  hälfte  in  einem 
wunderlichen  zusammenhange  überliefert  sind,  an  eine  beliebige  stelle  in  die  erste 
hälfte  der  saga  zu  versetzen,  wie  das  B.  mehr  als  einmal  tut.  Ich  gehe  jetzt  auf 
die  einzelnen  fälle  ein. 

B.  glaubt,  dass  die  erzählung  von  SigurSs  Jugend  vom  Verfasser  der  kür- 
zeren redaction  ausgelassen  worden  ist.  Der  grund  für  diese  annähme  ist  der  von 
Jiriczek  beobachtete  scheinbare  Zusammenhang  mit  c.  57  (Velents  saga).  Wo  die 
Velents  saga  erzählt,  VaSi  habe  seinen  söhn  bei  MImir  in  die  lehre  getan,  aber  ihn 
später  zurückgeholt,  weil  SigurSr  ihn  geschlagen  habe,  und  wo  SigurSs  Jugendgeschichte 
gleichfalls  berichtet,  dass  der  junge  held  die  lehrbuben  zu  prügeln  gewohnt  war  — 
doch  ohne  Yelent  zu  nennen ;  im  gegenteil  heisst  der  geprügelte  lehrbube  JEckiharS,  — 
da  wird  man  in  der  tat  zunächst  geneigt  sein,  beide  stellen  demselben  Verfasser  zu- 
zuschreiben. Man  kann  auch  sagen,  dass  die  handlung  durch  Velents  aufenthalt  bei 
Mimir  keinen  foiigang  hat,  denn  nachher  wird  er  bei  zwergen  in  die  lehre  getan. 
Der  sagaschreiber  hätte  demnach  c.  57  ersonnen,  um  zwischen  Velents  und  SigurSs 
geschichte  eine  Verbindung  zu  stände  zu  bringen.  —  Ich  gebe  zu,  dass  man  die  sache 
so  auffassen  kann,  wenn  die  Überlieferung  diese  auffassung  zulässt.  Aber  es  lässt  sich 
auch  viel  dagegen  sagen.  Es  wäre  das  einzige  beispiel,  dass  der  sagaschreiber  eine 
selbsterfundene  erzählung  aufnahm,  um  einen  Zusammenhang  zuwege  zu  bringen 
zwischen  personen,  die  in  der  saga  nirgends  miteinander  in  berührung  kommen.  Nicht 
allein  stehen  Velent  und  SigurSr  einander  durchaus  fern;  Velent  spielt  auch  in  der 
saga,  soweit  sie  von  fiSrekr  und  seinen  beiden  handelt,  gar  keine  rolle,  er  gehört 
einer  anderen  generation  an.  Das  führt  zu  dem  chronologischen  einwände,  mit  dem 
B.  es  allzu  leicht  nimmt,  wo  er  von  'denne  lille  unoiagtighed'  redet.  Allerdings 
enthält  der  berioht,  dass  SigurSr  zusammen  mit  Velent  bei  Mimir  sich  aufhält,  auch 
sonst  vom  Standpunkte  des  sagaschreibers  einen  anachronismus  (vgl.  unten),  aber  der 
geringe  irrtum  wird  zu  einem  bedeutenden  fehler,  wenn  man  den  sagaschreiber  wider 
die  Überlieferung  unmittelbar  vorher  erzählen  lässt,  dass  SigurSr  als  erwachsener  held 
zu  könig  Isung  fuhr,  bei  dem  er  sich  aufhält,  wenn  Velents  söhn  erwachsen  ist; 
und  —  was  von  bedeutung  ist  —  der  fehler  war  absolut  unnötig;  durch  die  Ver- 
bindung der  beiden  beiden  in  c.  57  wird  für  die  erzählung  nichts  erreicht.  Die  sache 
lässt  sich  auch  leicht  anders  erklären.  Auch  ich  halte  es  für  möglich,  dass  der  saga- 
schreiber Velents  aufenthalt  bei  Mimir  ersonnen  hat.  Dazu  könnte  er  dadurch  veranlasst 
worden  sein,  dass  Mimir  der  berühmte  schmied  der  sage  ist;  mit  diesem  wünschte 
er  Velent,  der  ja  auch  der  schmiedekunst  seinen  rühm  verdankt,  zu  verbinden.  Ein 
weiterer  grund  war  der,  dass  Velent  ein  Schwert  schmiedet,  welches  Mimungr 
heisst;  es  war  ganz,  natürlich,  dass  er  den  namen  des  Schwertes  mit  dem  des  Schmiedes 


i'-HKIi    BEKTELSKX.     ni!)l>'lKS    SA(1A  133 

iu  verbimluDg  setzte*.  Die  quelle  aber  berichtete,  dass  Velent  vou  zwergen  seine 
kunst  lernte.  Also  musste  VaSi  den  knaben  wider  zurückholen.  Der  sagaschreiber 
kannte  ferner  die  durch  die  erzählung  von  SigurSs  Jugend  und  die  eioleitung  des 
Sigfridsliedes  bestätigte  erzählung  von  den  lehrbuben,  die  SigurSr  prügelt.  Dieses 
motiv  benutzte  er  um  zu  erklären,  dass  Yelent  Miinir  widerum  verlässt.  D?.  SigurSr 
für  ihn  keine  hauptperson  war,  konnte  er  hier  leicht  einen  in  diesem  fall  geringen 
anachronismus  begehen;  vielleicht  hat  er  den  fehler  nicht  einmal  bemeikt  (was  un- 
möglich ist,  wenn  er  unmittelbar  vorher  SigurSs  jugendgeschichte  ei'zählt  hat).  Der 
interpolator,  der  später  die  jugendgeschichte  Sigur5s  schrieb,  berichtete  natürlich 
gleichfalls,  aber  unabhängig  von  c.  57,  das  rohe  auftreten  des  jungen  beiden.  C.  57 
und  c.  Kiö  sind  demnach  zwei  unabhängige  Zeugnisse  für  denselben  sagenzug. 

Mehr  gründe  für  die  ursprünglichkeit  von  SigurSs  jugendgeschichte  hat  B.  nicht 
angeführt".  Er  wirft  mir  s.  152  vor,  ich  sehe  darin,  dass  SigurSr  in  Bertangalaud 
auf  der  seite  von  Dietrichs  feinden  steht,  einen  beweis,  dass  die  jugendgeschichte  nicht 
ursprünglich  sei.  Das  ist  unrichtig.  Der  umstand  beweist  nicht,  dass  die  geschichte 
vom  sagaschreiber  nicht  mitgeteilt  werden  konnte,  sondern  er  erklärt,  dass  sie  von  ihm 
nicht  mitgeteilt  worden  ist  —  auch  vou  könig  Isungr  und  seinen  söhnen  wird  eine 
Vorgeschichte  nicht  erzählt  —  und  er  beweist,  dass  sie  da  wo  sie  steht  nicht  am 
platze  ist.  Die  für  den  Zusammenhang  notwendige  auskunft  über  SigurSr  wird  c.  190 
kurz  gegeben ^ 

Aber  das  ist  nicht  zu  übeisehen,  dass  B.  um  die  geschichte  behalten  zu 
können  genötigt  wird  sie  zu  versetzen  (vgl.  oben)  und  sie  für  eine  Umarbeitung  zu 
erklären.  Und  dasselbe  gilt  mit  einer  einzigen  geringen  ausnähme  (der  erwerbung 
des  pferdes  Falka,  die  er  zwar  versetzt,  aber  gegen  deren  form  und  inhalt  er 
keinen  einwand  erhebt)  für  alle  erzäblungen ,  welche  red.  I  nach  B.  ausgelassen 
hat,  also  für  die  Walters  saga  (B.  s.  153),  einen  abschnitt  über  Sifka  (s.  154),  die 
zweite  redaction   von  Osanctrix  tode  (s.  156)   und   die   heldenbeschreibung^.     Es  wäre 

1)  Doch  ist  die  möglichkeit  gar  nicht  ausgeschlossen,  dass  Velents  auf  enthalt 
bei  Mimir  auf  einer  tradition  beruht. 

2)  B.  hält  es  mit  recht  für  unwahrscheinlich  (s.  78  —  79),  dass  nachdem 
Mimir  c.  57  mit  den  werten:  Spurt  hmvir  kann  tu  ceins  smiÖs  i  Hunalande  sa 
hceitir  Mimir  ok  er  kann  allra  manna  hagaxtr  eingeführt  worden  ist,  darauf  ur- 
sprünglich c.  163  berichten  konnte:  Einn  maör  het  Mimir.  hann  er  sniidr  sva 
frcegr  oe  sva  hagr  at  nalega  var  angi  hans  maki  at  peirri  iÖn.  Doch  ist  dazu 
zu  l3emerken:  1.  dass  c.  163  ziemlich  weit  von  c.  57  entfernt  steht;  2.  dass  die  un- 
wahrscheinlichkeit  nicht  länger  besteht,  wenn  c.  163  von  einem  anderen  Verfasser 
heri-ührt  als  c.  57.  Wenn  nun  aber  B.  c.  152  — 168  au  den  anfang  der  saga  ver- 
setzt, so  kommt  nicht  nur  der  aus  c.  163  citierte  satz,  sonder'n  eine  ganze  er- 
zählung von  dem  schmiede  unmittelbar  vor  die  einführung  des  Mimir  in  c.  57  zu 
stehen,  was  nach  demselben  principe  doppelt  unmöglich  ist.  Also  würde  man,  wenn 
B.  recht  hätte,  die  einführung  des  Mimiiv  c.  57  streiciien  müssen;  damit  würde  aber 
der  einzige  grund  für  die  Versetzung  von  c.  152—168  hinfällig  werden. 

3)  Übrigens  werden  auch  nicht  alle  beiden,  welche  J'iSrekr  nach  Bertangaland 
begleiten,  durch  eine  längere  erzählung  eingeführt;  die  burgundischen  brüder  werden 
in  einem  einzigen  kurzen  capitel  abgetan  (vgl.  die  folgende  anmerkuug). 

4)  Die  ansichten  des  verf.  über  c.  169.  170  sind  ziemlich  compliciert.  C.  169 
ist  die  arbeit  des  uniarbeiters  II,  es  setzt  c.  170  voraus.  Aber  auch  c.  170  ist  in  der 
vorliegeoden  form  nicht  ursprünglich.  In  der  saga  wurde  die  herkunft  der  Niflungar 
'vielleicht'  nicht  in,  sondern  vor  der  erzählung  von  Dietrichs  fest  mitgeteilt,  und  I 
wird   sie  gekürzt  haben.     Das    scheint  B.    bloss    aus    der    analogie    der    erzählungen 

OD  J'ibreks  kämpen  i\x  schliessen;   die  Überlieferung  bietet  dafür  niclit  die  geringste 
^'.'währ;  sie  widerspricht  sogar  dieser  bypothese  aufs  bestimmteste,  indem  c.  169  nichts 


134  BOER 

wenigstens  ein  seltsamer  zufall,  wenn  der  redactor  der  version  I  gerade  alle  die' 
partien  und"  keine  andern  ausgelassen  hätte,  die  in  der  ihm  nicht  bekannten  version  I] 
umgearbeitet  worden  sind. 

Über  die  erzählung  von  W.llter  handelt  B.  s.  150.  153,  vgl.  166.  105.  Ei 
führt  zunächst  die  gründe  au.  welche  beweisen:  1.  dass  die  episode  da,  wo  sit 
steht,  nicht  ursprünglich  ist;  2.  dass  sie  in  der  vorliegenden  form  nicht  zu  de) 
saga  gehört  haben  kann.  Offenbare  Widersprüche  mit  echten  teilen  der  saga  unc 
berühruugen  mit  von  B.  anerkannten  Interpolationen  beweisen  das  zur  genüge 
S.  153  redet  der  verf.  dann  der  ursprünglichkeit  einer  älteren  nicht  umgearbeiteter 
"Walters  saga  das  wort,  c.  128  heisst  es:  Nu  mmlti  einn  riddari.  sa  het  Valtari  a 
Vaskansteini,  hann  er  systorsvnr  Erminries  konongs  oc  Petmars  oc  allra  kappe 
mestr  i  konongs  hirS  at  afli-  oc  atgorvi.  B.  meint,  dieser  satz  genüge  nicht  un 
Walter  einzuführen;  wenn  der  sagaschreiber  seine  jugendgeschichte  nicht  kannte 
so  müsste  er  den  beiden  früher  erwähnt  haben,  da  wo  er  die  genealogie  von  Ernünrek 
geschlecht  mitteilt.  Ich  verstehe  nicht,  weshalb  der  sagaschreiber  "Walter  nur  a 
der  von  B.  postulierten  stelle  hätte  einführen  können;  die  einführung  c.  153  genüg 
für  die  unbedeutende  rolle,  die  Walter  zufällt;  sie  wird  aber  zu  einer  unnütze 
widerholung  von  der  art,  wie  sie  B.  s.  78  —  79  aus  anlass  von  c.  163  für  unmög 
lieh  hält,  wenn  eine  ausführliche  erzählung  von  Walter  unmittelbar  vorhergel: 
(B.  setzt  nämlich  die  episode  vor  c.  128).  —  Ferner  soll  die  saga  von  Walter,  di 
erzählt,  dass  Attila  und  Erminrekr  freundschaft  schliessen,  erklären,  dass  c.  129  di 
beiden  köuige  freunde  sind.  Mir  scheint  es,  dass  die  stelle  gerade  das  gegenteil  bt, 
weist.  Wenn  dort  gesagt  wii'd:  Attila  konungr,  er  vErmmrik  konongr  hafÖi  pingc 
bodit  tu  sinnar  veixlv,  firir  ßvi  at  par  var  goS  vinatta  müli  ßeirra,  so  gel 
daraus  hervor,  dass  der  sagaschreiber  nicht  unmittelbar  vorher  von  dieser  freunc; 
Schaft  erzählt  haben  kann.  Er  nimmt  die  möglichkeit  an,  dass  der  leser  sich  übf 
ein  intimeres  Verhältnis  zwischen  Attila  und  Ermenrik  wundert,  und  fügt  dem  berichll 
seiner  quelle,  dass  die  merkistqng  von  der  die  rede  ist,  Attilas  eigentum  war 
die  erläuternde  bemerkung  hinzu:  'denn  es  herrschte  damals  zwischen  ihnen  gut 
freundschaft'.  Mir  ist  es  nicht  unwahrscheinlich,  dass  der  interpolator  der  Walte:, 
sage  für  die  einleitung  seiner  erzählung  an  diese  phrase  angeknüpft  hat.  I 

Für  die  ursprünglichkeit  eines  c.  186  entsprechenden  aber  damit  im  einzelnci 
nicht  übereinstimmenden  abschnittes  über  Sifka,  deren  platz  im  anfang  der  saga  g« 
wesen  sei,  führt  B.  als  einzigen  beweis  an,  dass  Sifka  c.  127  'noget  uforberedt'  eii| 
geführt  wird.  Dass  eine  längere  erzählung  von  Sifka  unentbehrlich  sei,  ist  wideru 
ein  aprioristisches  postulat.  tJbrigens  ist  der  Inhalt  von  c.  186,  das  Sifkas  ausser! 
beschreibt,  dazu  durchaus  ungeeignet,  Sifka  in  einer  den  erzählungen  von  Dietricll 
beiden  entsprechenden   weise   einzuführen.     C-  186  schliesst  sich  vielmehr  nicht  mj 

enthält,  was  c.  170  könnte  ausgelassen  haben  (hat  also  an  dieser  stelle  gegen  seiij 
gewohnheit  auch  11  gekürzt,  sogar  auf  eine  mit  l  vollständig  übereinstimmende  weise 'i 
Die  argumentation  beruht  hier  auf  einem  voreih'gen  urteil  über  die  composition  d 
saga.  Wenn  von  Dettleif,  ViSga  und  anderen  eine  längere  jugendgeschichte  erzäll 
wird,  so  beruht  das  darauf,  dass  sie  Dietrichs  mannen  sind;  die  Niflungar  sind  nie 
seine  mannen,  sondern  seine  gaste;  der  sagaschreiber  braucht  sie  nur,  um  die  zwöJ 
zahl  voll  zu  machen;  gerade  die  kürze  der  einführung  zeigt,  dass  ihnen  in  der  sa' 
keine  bedeutende  rolle  zufällt  (vgl.  au<  h  unten  s.  138  fgg.). 

1)  Auch  B.  nimmt  s.  70  an,  dass  die  quelle  ein  gedieht  über  eine  zusamnie! 
kunft  der  beiden  könige  in  Rom  war. 


I 


ÜBER    BERTELSEN,    DIDRIKS    SAGA  135 

der  reihenfolge  nach,  sondern  auch  inhaltlich  der  heldeiibcschreibung  an,  in  deren 
Zusammenhang  es  steht  ^ 

Für  die  ursprünglichkoit  —  in  einer  älteren  gcstalt  —  der  zweiten  redaction 
von  Osancti-ix  tode  (c.  191 — 2)  spricht  nach  B.  (s.  löO):  1.  dass  die  geschichte  nach 
Storm  (Aarböger  1877,  341  f gg.)  sagenhistorisch  mit  der  auf  c.  192  folgenden  erzählung 
von  den  kriegen  mit  Valdemar  (c.  293  —  31G)  zusammengehört;  2.  dass  c.  292  er- 
zählt, wer  nach  Osanctrix  in  Willdnaland  könig  wurde,  c.  144  aber  nicht.  Beide 
gründe  sind  überaus  schwach.  Auch  wenn  c.  293  —  316  einen  mit  c.  291 — 2  ver- 
wandten Stoff  behandeln,  so  folgt  daraus  nicht,  dass  die  beiden  abschnitte  in  der  saga 
zusammengehören.  (Übrigens  ist  auch  ein  wichtiger  teil  von  c.  293  —  31(5  unecht). 
Per  einzige  Zusammenhang  ist  der,  dass  Valdemar  Osanctrix"  bruder  genannt  wird  und 
nach  seinem  tode  einen  einfall  in  Iliinaland  macht.  Wenn  das  absolut  ein  rachezug 
sein  muss.  so  kann  er  denselben  auch  unternommen  haben,  wenn  Osanctrix  c.  144 
umgekommen  ist.  AVer  aber  nach  Osanctrix  in  AVilkinaland  regierte,  brauchte  schon 
deshalb  nicht  mitgeteilt  zn  werden,  weil  der  sagaschreiber  c.  144  für  immer  von 
Wilkinalaud  abschied  nimmt  Nur  eine  auch  von  B.  anerkannte  interpolation  (c.  349 
bis  355  erwähnt  später  könig  Hertmt. 

Am  wenigsten  befriedigend  aber  ist  die  erklärung,  die  in  diesem  zusammen- 
hange für  die  erste  redaction  von  Osanctrix  tode  (c.  144)  gegeben  wird.  Der  redactor  I 
wollte  kürzen,  um  aber  später  c.  191  —  2  fortlassen  zu  können,  redigierte  er  c.  144 
uni  und  fügte  c.  134  und  145  hinzu.  C.  134  nimmt  in  Ungers  ausgäbe  38 V2  z.  ein, 
c.  145  15'/4  z.,  zusammen  537^  z. ;  c.  191  8^4  z.,  c.  192  13'/,  z.,  zusammen  2274  z. 
Also  um  später  2274  z.  fortlassen  zu  können,  hat  dieser  redactor  5374  z.  hinzugefügt 
und  ein  capitel  umgearbeitet.  B.  glaubt  zwar,  dass  redactor  I  auch  die  absieht 
hatte,  c.  293  —  316  auszulassen;  aber  wie  beweist  er  das?  Wenn  aber  eine  solche 
absieht  bewiesen  wäre,  so  konnte  sie  auch  mit  beibehaltung  von  c.  291  —  2  zur  aus- 
führung  kommen.  Mir  scheint  die  annähme,  dass  c.  144  echt,  c.  191  —  2,  die 
auch  B.  in  der  vorliegenden  gestalt  nicht  acceptiert,  interpoliert  sind,  weit  ein- 
facher -. 

S.  149  erklärt  B.  es  für  unmöglich,  dass  derselbe  mann,  der  die  Wilkina 
saga  umgearbeitet  hat,  sie  auch  an  die  stelle  versetzt  habe,  wo  die  umgearbeitete 
redaction  steht,  nach  c.  240;  der  ursprüngliche  platz  der  zweiton  Wilkinasaga  muss 
nach  ihm  da  sein,  wo  in  M'  die  erste  steht.  Das  geht  von  der  unbewiesenen  Voraus- 
setzung aus,  dass  die  quelle  der  zweiten  hälfte  der  saga  nur  eine  hs.  sein  kann,  in 
der  auch  die  erste  hälfte  vollständig  umgearbeitet  war.  Wenn  es  aber  richtig  ist, 
dass  die  Umarbeitung  zuerst  in  einer  handschrift  entstanden  ist,  von  der  schon  ein 
teil  geschrieben  war,  ehe  mit  der  neuen  redaction  ein  anfang  geinacht  wurde,  so  ist 
es  sehr  begreiflich,  dass  der  umarbeiter  die  zweite  Wilkinasaga,  welche  er  an  der 
schon  von  der  ersten  Wilkinasaga  eingenommenen  stelle  nicht  mehr  unterbringen 
konnte,  an  einer  späteren  stelle  niederschrieb;   die  einzige  stelle,  welche  sich  dazu 

Ij  Ich  halte  es  nicht  für  unmöglich,  dass  am  anfang  von  c.  284  eine  bemerkung, 
dass  Sifka  Erminreks  räöcjjafi  war  (vgl.  c.  276;  c.  127  wird  er  nur  des  königs  fchirSir 
genannt)  durch  die  Interpolation  von  c.  276  —  283  in  Wegfall  gekommen  ist. 

2)  In  AB  kommt  Osanctrix  c.  144  mit  dem  leben  davon.  Doch  kann  das  auch 
nach  B's.  hypothese  nicht  das  ursprüngliche  sein;  diese  hss.gruppe  soll  auf  grund 
von  c.  191-  2  das  lichtige  widerhergestellt  haben.  Allerdings  steht  der  ausgang  von 
c.  144  in  AB  unter  dem  einfluss  von  c.  191  —  2,  aber  das  i.st  kaum  eine  widerher- 
stelluog  des  ursprünglichen. 


136  BOKR 

eignete,   war   aber   die   zwischen   c.  240  und  275 \   denn   c.  276fgg.   liess   er  eine  er- 
zählung  folgen-,   welche  die  Wilkinasaga  voraussetzt*.     Da  ferner  c.  276  —  283  mit 
c.  284 — 290  unmittelbar  zusammenhängen,   war  für  die   durch  diese   Zusätze  unent- | 
behrlich  gewordene  zweite  erzählung  von  Osanctrix  tod  der  einzig  mögliche  platz  der 
zwischen  c.  290  und  293,  denn  aus  c.  293  geht  hervor,  dass  der  köuig  tot  ist.  j 

Über  die  heldenheschreibung  bemerkt  B.  nur  (s.  157),  dass  sie  zwar  in  der 
vorliegenden  form  nicht  urspi'ünglich  sein  kann ,  aber  dass  nichts  der  annähme 
widerspreche,  dass  die  ursprüngliche  saga  im  zusammenhange  von  c.  171  eine  ähn- 
liche beschreibung  enthalten  habe;  das  wäre  für  die  reise  nach  Beiiangaland  eine 
passende  einleitung.  Das  ist  nun  geschmackssache;  der  versuch,  einen  positiven 
nachweis  zu  führen,  wird  nicht  gemacht,  v^^as  mich  der  aufgäbe  überhebt,  die  gründe, 
die  gegen  die  lieldenbeschreibung  sprechen,  zu  widerholen. 

Die  erwerbung  des  pferdes  Falka  durch  Heimir  wird  s.  149.  152  besprochen. 
B. 'glaubt,  dass  diese  erzählung,  und  zwar  'ved  et  heldigt  greb'*,  ursprünglich  dal 
stand,  wo  sie  in  S.  überliefert  ist.  Die  combination  von  Brynhildr,  Heimir  und  j 
den  berühmten  pferden  hält  er  für  das  eigentum  des  sagaschreibers.  Daraus  würde  i 
dann  folgen,  dass  c.  188  echt  ist,  denn  ein  interpolator  konnte  nicht  diese  combination : 
des  Verfassers  ganz  in  demselben  geiste  fortsetzen;  in  der  saga  bekommt  Heimir 
Eispa,  Velent  und  später  Viöga  Skemming,  Dietrich  Falka  und  Sigardr  Grani. 

Ich  glaube  nicht,  dass  die  Verbindung  von  Brynhild  mit  Heimir  (c.  18)  vom^ 
sagaschreiber  herrührt,  aber  das  ist  für  die  frage,  die  uns  beschäftigt,  von  unter- j 
geordneter  bedeutung.  Die  Verbindung  von  Heimir  mit  dem  gestüte  ist  in  der  saga 
ursprüngUch.  C  70  wird  berichtet,  woher  Skemmingr  stammt,  aber  nicht,  wie  das 
pferd  in  Velents  besitz  kam.  C.  91  wird  in  gleicher  weise  Falkas  abstammung  mit-i 
geteilt :  kann  var  brodir  Slcenimings  er  ViSga  atti  oe  broSir  Rispa  er  Heimir  atti. 
Das  ist  der  stil  des  sagaverfassers.  Es  wäre  aber  ganz  gegen  seine  gewohnheit,  wennj 
er,  nachdem  er  vorher  über  die  herkunft  des  pferdes  ausführlich  berichtet  hatte,  an 
dieser  stelle  die  bekannten  data  widerholt  hätte.  Er  hätte  dadurch  eine  tautologie! 
begangen,  welche  B.  an  anderer  stelle  (vgl.  oben  s.  133  anm.  2)  für  unmöglich' 
erklart.  Also  beweist  c.  91,  dass  c.  188  nicht  in  der  ursprünglichen  saga  vor  c.  21 
gestanden  hat.  C.  188  aber  ist  aus  c.  18  und  91  abstrahiert.  —  Ferner  liefert  c.  91 1 
einen  neuen  beweis  dafür,  dass  nicht  eine  kürzere  ausgäbe  von  Sigurös  jugend- 
geschichte  im  anfange  der  saga  gestanden  hat.  Denn  der  Verfasser  nennt  unter  Falkas' 
brüdern  nicht  Grani.  Der  wünsch,  auch  Grani  zu  einem  bruder  der  berühmten 
pferde  zu  machen,  hat  einen  interpolator  auf  den  wunderlichen  gedanken  geführt,} 
Sigurö  bei  Brynhild,  die  er  nach  der  skandinavischen  tradition  mit  Heimir  verband,! 
ein  pferd  holen  zu  lassen. 

1)  Über  c.  241 — 4,  die  saga  von  Walter  von  Aquitanien,  vgl.  oben;  c.  245 — 274 
sind  auch  nach  B.  ein  zusatz. 

2)  Auch  nach  herrn  B.  rührt  dieser  abschnitt  von  dem  umarbeiter  her. 

3)  C.  278  beruht  auf  der  Voraussetzung,  dass  zwischen  Ermiurekr  und  Osanctrix 
ein  feindliches  Verhältnis  besteht. 

4)  In  einem  fall  wie  der  vorliegende  wäre  das  allerdings  denkbar,  aber 
man  muss  mit  dergleichen  annahmen  sehr  vorsichtig  sein.  B.  glaubt  auch  an  'et 
heldigt  greb',  wodurch  die  Walterssaga  in  AB  an  ihre  ursprüngliche  stelle  geraten 
sei;  und  die  widerherstellung  des  —  supponierten  ^  ursprünglichen  in  c.  144  (vgl. 
oben  s.  135  anm.  2)  beruht  auf  demselben  principe.  —  Da  wird  der  ieser  am  ende  doch! 
stutzig.  ' 


I 


ÜBKU    mCKTlXSK.N  ,    DIDKIKS    SÄCIA  137 

Das  siud  die  stellen,  an  deueu  B.  in  I  kürzung  des  uispiüuglichen  textes 
annimmt.  Aus  dem  vorhergehenden  wird  deutlich  sein,  weshalb  ich  von  diesem  teile 
seiner  resultate  nichts  accepticren  kann.  Über  die  fortsetzung  gehen  des  verf.  und 
des  ref.  ansichten  nicht  so  vollständig  auseinander.  Auch  B.  glaubt,  dass  sie  eine 
Umarbeitung  in  grossem  massstabe  repräsentiert.  Als  intcii)üliert  werden  auch  von 
ihm  die  folgenden  episoden  anerkannt: 

c.  231  —  39  Herburt  und  Hilde, 

c.  245  —  274  Iron  jarls  saga, 

c.  303  —  307  i'iörelvs  kämpf  mit  l'iörekr  Valdeniarsson, 

c.  349  —  355  Hertnils  krieg  mit  Isungi', 

c.  416  —  422  fiöreks  drachenkämpfü  und  dritte  ehe, 

c.  437  l'iöreks  räche  für  Heimir, 

c.  438  die  erste  redaction  von  I'iöreks  tod, 
und  er  neigt  zu  der  annähme,  dass  auch  die   von   mir  ausgeschiedeneu   c.  27C)  —  83 
Eruienriks  tod  und  Harlungensage, 

c.  398  — 400  klage  über  Roöingeirr  und  kämpf  mit  Eisung 
unecht  sind. 

Als  umgearbeitet  betrachtet  er  mit  mir 

c.  284  —  90  Dietrichs  flucht  (darin  mindestens  c.  289  unecht), 

c.  293  —  315  Dietrichs  kriege  mit  Waldemar, 

c.  316  —  339  Dietrichs  krieg  wider  Ermenrik, 

c.  395  —  416  I'iöreks  rückkehr;  darin  grössere  Interpolationen;  eine  abweichung 
ist  hier,  dass  B.  den  bericht  über  Hildebrands  tod  (c.  415)  bestehen  lässt. 

Die  zweite  nur  in  S  erhaltene  erzählung  von  fiöreks  tode  hält  .er  mit  mir 
für  echt. 

Als  interpoliert,  wo  ich  eine  Umarbeitung  vermutet  habe,  sieht  B.  c.  429 
(s.  141  steht  428,  wol  ein  dnickfehler)  —  43G,  die  erzählung  von  Heimes  letzten 
heldentaten,  an.    Unmöglich  ist  das  nicht,  aber  doch  imsicher;  auch  der  verf.  zweifelt. 

Ein  gegensatz  besteht  nur  in  der  beurteiluug  der  Niflungasaga  (c.  340  —  48. 
356  —  94)  und  der  damit  zusammenhängenden  erzählungen  von  Sigurös  und  Gunnars 
hochzeit  (c.  226  —  30)  und  von  Attilas  tode  (c.  423  —  28).  Diese  abschnitte  habe 
ich  für  Interpolationen  angesehen;  B.  glaubt,  dass  es  Umarbeitungen  sind.  Das 
urteil  über  diese  stücke  kann  sich  nicht  direct  auf  das  verhältniss  der  hss.  stützen. 
Sie  stehen  sämtlich  in  dem  teile  der  saga,  den  wir  nui-  in  der  erweiterten  gestalt 
kennen,  und  da  diese  receusion  so  wol  intei'ijolationen  als  umgearbeitete  abschnitte  ent- 
hält, ist  a  priori  beides  möglich.  Die  inneren  kriteria  müssen  die  frage  entscheiden. 
Doch  ist  das  urteil  über  den  ersten  teil  der  saga  auch  für  den  zweiten  teil  nicht  ohne 
bedeutung.  Wenn  Sigurös  Jugendgeschichte  nicht  ursprünglich  ist,  wenn  die  Nibe- 
loDgen  0.  170  nur  gelegentlich  eingeführt  werden,  so  ist  es  auch  von  vornherein 
wahrscheinlicher,  dass  diese  iielden  nicht  die  hauptpersonen  eines  sehr  wichtigen  teiles 
der  ursprünglichen  1*8  waren,  als  im  entgegengesetzten  falle. 

Über  das  verhältniss  der  einzelnen  abschnitte  ist  zunächst  das  zu  sagen,  dass 
sie  nicht  notwendig  auf  dieselbe  weise  beurteilt  werden  müssen.  Es  wäre  au  und  für 
sich  denkbar,  dass  die  saga  eine  erzählung  ähnlichen  inhaltes  wie  die  Niflungasaga 
enthalten  hätte,  und  dass  doch  die  erzählung  von  Gunnars  hochzeit  ein  zusatz  wäre. 
Die  Niflungasaga  berichtet  von  ereignissen,  die  wählend  Dietrichs  aufenthalt  an 
Attila.s  liofe  sich  dort  zugetragen  haben;  Gunnars  hochzeit  .steht  mit  Dietrichs  ge- 
schichte  in  keinem  zusammenhange.     Die  möglichkeit  aber,  dass  umgekehrt  Gunnars 


I 


138  BOER 

hochzeit  in  einer  älteren  form  echt,  die  NS  aber  unecht  sei,  ist  wol  ausgeschlossen; 
ohne  diese  erzählung  steht  jene,  die  nur  für  die  fortsetzung  bedeutung  hat,  haltlos 
da.  Es  ist  wol  auf  grund  solcher  erwägungen,  dass  B.  der  von  ihm  supponierten 
echtheit  von  c.  22ö  —  230  eine  stütze  für  die  echtheit  der  NS  im  engeren  sinne  ab- 
zugewinnen sucht.     Was  aber  bringt  er  für  c.  226  —  230  vor? 

Seine  beweisführung  umfasst  1 :  eine  einwendung  gegen  meine  auffassung  von 
226  —  30;  2:  zwei  positive  gründe  für  seine  meinung,  dass  die  saga  von  anfang  an 
eine  diesem  abschnitt  ähnliche  erzählung  enthielt. 

Die  einwendung  ist  die,  dass  ich  genötigt  sei,  in  c.  224  die  Interpolation 
eines  kurzen  Satzteiles  anzunehmen,  wo  mitgeteilt  wird,  dass  Sigurör  fiörekr  auf 
der  heimreise  begleitet.  B. ,  der  selbst  in  der  saga  massenhaft  interpolierte  sätze 
annimmt,  und  c.  226  —  230  für  eine  vollständige  Umarbeitung  erklärt,  wird  diesen 
einwand  kaum  hoch  anschlagen.  Übrigens  beurteile  ich  jetzt,  wie  sich  unten  zeigen 
wird,  c.  224  auf  eine  andere  weise  und  lasse  die  früher  von  mir  beanstandete  mit- 
teilung  stehen.  Als  positive  beweise  für  die  echtheit  von  c.  226  —  30  führt  B. 
das  folgende  an:  1.  alle  personen,  die  in  c.  226  —  30  auftreten,  wurden  im  vorher- 
gehenden schon  erwähnt.  Das  kann  nur  auf  Brynhild  und  Grlmhild  gehen.  Da  ich 
in  bezug  auf  Brynhild  die  ansieht  des  Verfassers  nicht  teile,  gehe  ich  nur  auf  die 
erwähnung  der  Grimhild  ein.  C.  170  nennt  die  kinder  des  königs  Isungr  in  Niflunga- 
land;  er  hat  vier  söhne  oc  eina  dottur,  oc  heitir  su  Grimhildr;  dann  werden  die 
namen  der  söhne  genannt.  Soll  das  beweisen,  dass  Grimhild  dazu  berufen  war, 
in  der  saga  eine  rolle  zu  spielen?  Ist  denn  B.  die  passion  der  sagaschreiber 
für  genealogien  nicht  bekannt,  und  glaubt  er  ernsthaft,  dass  ein  solcher  nicht  im 
stände  war,  den  namen  der  Schwester  aus  keinem  andern  giiinde  mitzuteilen,  als 
weil  er  nun  einmal  die  namen  der  brüder  aufzählte?  Wie  ist  es  dann  zu  erklären, 
dass  er  auch  Guttorm  nennt,  dessen  doch  später  auch  in  den  Interpolationen  nirgends 
mehr  gedacht  wird? 

2.  Das  hauptargument  ist  das,  dass  die  saga  vou  dem  geschicke  eines 
jeden  beiden  näheres  .berichtet;  weshalb,  so  fragt  B. ,  sollen  gerade  Gunnarr  und 
H(jghi  unmotiviert  verschwinden?  Ja,  wie  verhält  es  sich  denn  mit  jenen  beiden? 
Ausser  Gunnarr  und  HQgni  begleiten  noch  zehn  kämpen  den  könig.  Von  diesen  be- 
gegnen nur  Heimir,  Viöga,  Vildifer  und  Hildibrandr  später  in  der  saga;  mit  nicht 
weniger  als  sechs  beiden  rechnet  der  sagaschreiber  in  c.  225  und  dem  damit  zu- 
sammenhängenden c.  240  zusammen  in  ca.  10  zeilen  auf  immer  ab.  Hornbogi  und 
Amlungr  reisen  heim,  dieser  mit  seiner  frau,  nach  Vinland  und  regieren  lange  in^ 
ehren.  Sintram  reist  nach  Venedig  und  wird  ein  berühmter  herzog.  Herbrandr  wird| 
gleichfalls  ein  berühmter  herzog  in  seinem  lande  (der  Verfasser  gibt  sich  nicht  einmal 
die  mühe,  den  namen  des  landes  mitzuteilen).  Fasold  und  fettleifr  bekommen  je 
eine  Schwägerin  Dietrichs  zur  frau  und  regieren  zusammen  das  land  am  Drachenfels.^ 
Damit  sind  sie  6r  sqgunni;  die  beiden  zuletzt  genannten  beiden  begegnen  später 
noch  in  einer  episode,  die  auch  B.  für  interpoliert  hält.  Da  der  sagaschrei  bei] 
sich  so  wenig  daraus  macht,  die  beiden,  die  ihre  Schuldigkeit  getan,  gehen  zu' 
lassen,  obgleich  er  von  ihnen  früher  viel  erzählt  hat,  wird  man  eher  fragen  müssen., 
weshalb  er  dazu  genötigt  gewesen  sein  soll,  gerade  Gunnarr  und  HQgni,  die  nichl 
Dietrichs  mannen,  sondern  nur  seine  gaste  waren,  und  die  er  c.  170  behufs  der 
reise  nach  Bertangaland  nur  gelegentlich  eingeführt  hat,  eine  längere  erzählung  zi;| 
widmen.  Höchstens  könnte  man  verlangen,  dass  er  sie  wie  die  sechs  beiden  mi' 
einer    kurzen   bemerkung    heimsenden    würde.      Eine    solche    aber    konnte    bei   dei 


CBKR    BERAKLSEN,    DIDRIKS    SAGA  139 

interpolation  von  c.  226  —  230  leicht  ausfallen  oder  in  die  eizählung  aufgenommen 
werden. 

Eine  erneute  prüfung  des  Zusammenhanges  hat  es  mir  wahrscheinlich  gemacht. 
dass  letzteres  tatsächlich  geschehen  ist.  Ich  glaube  jetzt,  dass  der  sagaschreiber  nicht 
nur  kurz  angedeutet  hat,  was  aus  Gunnarr  und  IlQgni,  sondern  auch  was  aus  SigurÖr 
wird,  der  ja  c.  221:  f'iöreks  mann  geworden  ist,  und  dass  sogar  der  Wortlaut  der  darauf 
bezüglichen  bemerkungon  erhalten  ist.  Der  anfang  von  c.  226  berichtet  darüber  in 
demselben  Stile,  in  dem  c.  225  die  heimfahrt  der  übrigen  holden  erzählt.  Diese 
4Vo  Zeilen  können  echt  sein.  Sie  berichten  namentlich  von  SigurÖr.  Da  er  später 
in  Dietrichs  geschichte  nicht  eingreift,  lässt  der  sagaschreiber  ihn  wie  Amlungr,  Fasold 
und  fettleifr  sich  verheiraten  und  wie  die  sechse  ein  reich  erwerben  und  ver- 
schwinden. Eine  bessere  gelegenheit  als  Gunnars  abschied  konnte  sich  nicht  dar- 
bieten; SigurÖr  wird  dem  Gunnarr  mit  auf  den  weg  gegeben;  heimreise  und  hochzeit 
werden  wie  gesagt  in  4'/2  zeilen  abgetan.  Diese  kürze  unterscheidet  sich  in  auffallender 
weise  von  der  breite,  mit  der  darauf  Gunnars  hochzeit  erzählt  wird^  Letztere  er- 
zählung  wurde  später  von  einem  interpolator  an  c.  226,  1  —  5  geknüpfte 

Gerade  das,  was  der  sagaschreiber  von  den  übrigen  beiden  Dietrichs  erzählt, 
ist  für  mich  im  vollständigen  gegensatze  zu  B.  ein  beweis,  dass  der  abschnitt 
c.  -26,  .0  —  230  nicht  ursprünglich  sein  kann.  Denn  er  unterbricht  den  Zusammen- 
hang der  erzählung.  C.  225  und  240  gehören  deutlich  zusammen  (auch  B. 
scheidet  231  —  239  aus);  225  gibt  das  programm  an:  fiörekr  und  seine  beiden  wollen 
setia  sin  riki  oc  borgir  storhof8iv(jiuin  til  forrada  oe  stiornar;  darauf  folgt  die 
aufzählung  der  beiden,  die  ein  reich  bekommen,  während  einige  zu  gleicher  zeit 
sich  verheiraten.  Die  augenscheinlich  den  ersten  teil  der  saga  abschliessende  er- 
örterung  erstreckt  sich  über  die  zusammenhängenden  c.  225.  226,  1  —  5.  240.  275  (wo 
ViSga  durch  f*iöreks  fürsorge  ein  weib  und  ein  reich  gewinnt;  auch  B.  streicht 
c.  241 — 274  aus  diesem  zusammenhange);  sie  wird  aber  in  der  mitte  durch  diese 
fünf  capitel  lange  erzählung  von  der  hochzeit  eines  fremden  fürsten  unterbrochen. 
Mir  scheint  es,  dass  die  composition  der  saga  die  annähme,  dass  eine  solche  episodo 
echt  ist,  aufs  bestimmteste  verbietet. 

Auch  in  bezug  auf  die  NS  im  engeren  sinne  kann  ich  den  ansichten  des  verf. 
nicht  beitreten.     Seine  innere  kritik  der  partie  enthält  manches  gute,   obgleich  wenig 

1)  Die  stelle  lautot:  Nu  riör  Pidrekr  konunyr  oc  med  honiim  allir  peir  er 
fBptir  vom  hans  knppar  heim  med  Gunnari  konungi  til  Niflimgalandx.  oc  er  nu 
ßat  raS  gort,  er  nidan  er  orÖit  hardla  fragt,  at  SigurSr  sueinn  skal  ganga  at 
mga  Grimilldi  sijstur  Gunnars  konungs  oe  Hmgna.  oc  taca  meS  henni  halft  riki 
Ounmirs  konungs.  -  Beachtung  verdier)en  hier  die  werte  er  siSau  er  oröit  hardla 
fragt.  Die  hochzeit  des  Sigurör  mit  Grinihildr  ist  an  sich  gar  nicht  berühmt,  sondern 
nur  durch  ihren  Zusammenhang  mit  späteiTuereignissen.  Darauf  beziehtsichdiebemerkung 
auch,  wenn  jene  oreignisse  nicht  unmittelbar  darauf  mitgeteilt  werden;  die  werte  sind 
dann  ein  hinweis  auf  den  nicht  mitgeteilten  wichtigeren  teil  der  geschichte.  Im  zu- 
sammenhange einer  fortlaufenden  erzählung  können  die  worte  aber  nur  auf  die 
hochzeit.sfeier,  oder  höchstens  auf  die  ehe  Sigurös  bezogen  werden  und  sind  dann 
mindestens  übertrieben. 

2)  Dass  f'iörekr  der  hochzeit  beiwohnt,  ist  damit  ganz  analog,  dass  er  auch 
Fa.solds  und  l^ettleifs  sowie  Viögas  ehe  schliessen  hilft,  und  erklärt  sich  daraus,  dass 
SigurÖr  I'iöreks  n)ann  ist.  Erst  der  interpolator  ist  auf  den  veizweifelten  einfall  go- 
komnu'n,  Dietrich  als  Statisten  die  fahrt  nach  Brynhilds  bürg  mitmachen  zu  lassen. 
Der  Schlusssatz  von  c.  230,  wo  abschied  genommen  wird  und  Dietrich  heimreist,  wird 
alt  sein. 


140  KOKK 

neues;  mit  recht  weist  er  auf  mehrere  Widersprüche,  die  dafür  angeführt  werden 
können,  dass  in  der  erzälilung  mehrere  schichten  übereinander  liegen,  aber  zum  teil 
wenigstens  auch  auf  dem  mangel  an  einheitlichlieit  der  quellen  beruhen  können '. 
Auch  ich  hahe  früher  vermutet,  dass  , die  NS  au  einigen  stellen  umgearbeitet  worden 
ist^  ich  glaube  aber  auch  jetzt  noch,  dass  die  änderungeu  und  zusätze  dem  zweiten 
inteipolator  zugesehrieben  werden  müssen.  Über  B.'s  gründe  für  die  relative 
ursprüüglichkeit  der  NS  fasse  ich  mich  so  kurz  wie  möglich.  Wenn  der  verf. ,  ob- 
gleich er  anerkennt,  dass  die  urs])iüngliche  saga  frau  Heraö  als  I'iöreks  gemahHn 
nicht  kannte,  doch  c.  340  behalten  zu  können  glaubt,  da  das  capitel  zwar  mitteile, 
dass  Erka  Heraö  dem  könige  empfiehlt,  aber  nicht,  dass  er  sich  mit  ihr  vermählt, 
so  sieht  das  fast  aus  wie  eine  ausrede,  denn  was  soll:  hana  vil  elc  ySr  gefa  denn 
sonst  bedeuten,  und  wozu  soll  der  bericht  überhaupt  dienen,  wenn  nicht  um  zu  er- 
klären, dass  später  Heraö  Dietriclis  gemahlin  ist?  B.  setzt  die  stelle  mit  c.  393 
in  Verbindung,  wo  gesagt  wird,  dass  Heraö  eine  frcenkona  Dietrichs  ist,  aber  c.  340 
ist  sie  eine  frcenkona  der  Erka;  wenn  sie  durch  blutsverwandtschaft  auch  Dietrich 
nahe  gestanden  hätte,  so  wäre  gar  kein  grund  vorhanden  gewesen,  weshalb  Erka, 
sogar  ohne  die  geringste  anspielung  auf  ein  solches  Verhältnis,  ihre  gemeinschaftliche 
verwandte  ihm  zu  übergeben  brauchte,  es  sei  denn,  dass  gcfa  zur  ehe  geben  be- 
deutet, was  B.  leugnet.  Auf  den  zweifelsohne  auf  einer  fälschung  beruhenden 
bericht  des  c.  393  einzugehen,  sehe  ich  um  so  weniger  grund,  als  in  kurzem  eine 
Studie  von  meiner  band  über  frau  HeraÖ  und  ihren  söhn  anderswo  erscheinen  wird^ 
Es  wird  daraus  auch  klar  werden,  weshalb  ich  B.'s  behauptungen  über  das 
gegenseitige  Verhältnis  der  fS,  des  Högniliedes  und  der  Hveuschen  chronik  für  voll- 
ständig verfehlt  ansehe.  Aber  auf  die  unwahrscheinlichkeit  weise  ich  schon  jetzt 
hin,  dass,  wenn  die  geschichte  von  Attilas  tode  ursprünglich  von  Grimhildr  erzählt 
worden  wäre,  der  Widersprüche  glättende  sagaschreiber,  den  B.  sich  vorstellt, 
sie  auf  Attila  übertragen  und  selbst  gegen  die  übeilieferung  in  willkürlichster  weise 
den  vorhandenen  absoluten  widersprach  mit  der  ,N  S  geschaffen  haben  sollte.  Übrigens 
wird  diese  annähme  durch  die  bekannte  stelle  der  Klage,  die  auf  die  sage  von 
Attilas  tode  anspielt,  eudgiltig  widerlegt.  B.  nimmt  an,  dass  in  der  ursprüng- 
lichen saga  Grimhildr  Attila  als  Werkzeug  ihrer  räche  benutzte;  von  einer  solchen 
darstellung  der  begebenheiten  sollen  die  paar  sätze,  in  denen  Attila  sagt,  dass  die 
schätze   der  Niflungar  ihm   bekannt   sind,   ein   versprengter    rest  sein*.      Wenn  das 

1)  Ein  Widerspruch  ist  es  nicht,  aber  es  fällt  doch  auf,  dass  c.  357  OsiÖ  und 
nicht  Roöingeirr  für  Attila  um  Grimhildr  wirbt.  B.  sieht  ^darin  eine  willkür- 
lichkeit des  Sagaschreibers  und  weist  auf  c.  41 ,  wo  gleichfalls  OsiS  in  M-  als  braut- 
werber  für  Attila  auftritt.  Ich  glaube,  dass  gerade  c.  41fgg.  lehrt,  dass  der  parallel- 
lismus  zwischen  Roöingeirr  und  Oslo  aus  den  quellen  der  saga  stammt.  Denn  dort 
treten  in  der  ursprünglichen  saga  Osiö  und  Eoddolfr,  der  niemand  anders  ist  als 
Roöingeirr  (Zschr.  25,  443,  vgl.  Arkiv  7,  233)  beide  als  brautwerber  für  Attila  auf. 
Der  umarbeiter  lässt  zwar  von  c.  43  an  Roöingeirr  an  Roöolfs  stelle  treten,  aber  Oslo 
behält  er  bei  (c.  42).  Man  sieht  deshalb  nicht  ein,  weshalb  er  nicht  auch  in  der  NS 
ÖsiS  in  dieser  function  auftreten  lassen  konnte.  Die  quellen  der  NS  sind  ja  mit 
denen  des  NL  nicht  vollständig  identisch. 

2)  Ich  benutze  die  gelegeuheit,  einen  druckfehler  in  meinem  letzten  aufsatz 
über  diese  fragen  zu  bessern.  Arkiv  17,  354  fussnote  steht:  Donau  und  Main.  Es  ist 
zu  lesen:  Donau  und  Rhein. 

3)  Ist  inzwischen  erschienen,  Arkiv  f.  n.  fil.  20,  185 fg. 

4)  B.  glaubt  (s.  130),  die  erzählung  von  Attilas  tode  sei  deshalb  unent- 
behrlich, weil  der  sagaschreiber  gegen  den  schluss  der  saga  von  allen  beiden,  mit 
denen  Dietrich  in  Verbindung  gewesen,  abschied  nehme.     Dass  das  nicht  richtig  ist, 


L 


ÜBER    BERTELRRN,    DIDRIKS    SAGA  141 

richtig  ist,  so  kann  man  die  NS  kaum  mehr  eine  Umarbeitung  nennen;  über- 
haupt, wenn  man  alles  das,  was  B.  für  jünger  erklären  muss,  ausscheidet  oder  durch 
etwas  anderes  ersetzt,  so  bleibt  für  die  ältere  NS  kaum  ein  wort  des  überlieferten 
textes  stehen;  ich  sehe  nicht,  was  unter  solchen  umständen  durch  die  annähme  einer 
ursprünglichen  NS  gewonnen  wird'. 

Über  des  verf.  versuch  zu  beweisen,  dass  der  prolog  in  M  gestanden  habe, 
bemerke  ich  folgendes.  Er  rechnet  aus,  dass  für  die  in  M  verlorenen  c.  1 — 20  auf 
7  blättern  kein  räum  gewesen  sein  kann,  und  glaubt,  dass  zwei  lagen,  also  15  be- 
schriebene blätter  —  das  erhaltene  erste  blatt  ist  unbeschrieben  —  verloren  sind. 
Er  hält  es  ferner  für  sicher,  dass  die  zweite  band  die  verlorene  partie  geschrieben 
habe.  Nach  seiner  berechnung  würden  c.  1  —  20,  wie  sie  überliefert  sind,  in  M'' 
ca.  10  blätter  einnehmen,  zusamaieu  mit  dem  jirolog  ca.  12  blätter.  Es  bleiben  dann 
noch  drei  blätter  übrig,  die  so  erklärt  werden,  dass  der  text  von  M  ausführlicher 
als  der  von  AB  gewesen  sei.  Da  aber  gerade  AB  die  längere  redaction  der  saga 
repräsentieren,  ist  es  von  vornherein  unwahrscheinlich,  dass  in  der  anfangspartie  das 

dürfte  aus  dem,  was  oben  über  Horubogi,  Amlungr,  Sintram,  LIerbrandr,  Fasold  und 
fettleifr  bemerkt  wurde,  hervorgehen.  Aber  auch  für  die  übrigen  beiden  ist  das  imr 
eine  petitio  principii.  C.  415  berichtet  Hildebrands  tod.  Ich  habe  Zschr.  25,  449  ver- 
mutet, dass  dieses  capitel  unecht  ist;  es  erwähnt  Roöingeirr,  es  berichtet  die  Ver- 
urteilung von  Arius  ketzerei;  es  erzählt  den  tod  der  Heraö.  Auch  B.  verwirft 
aus  denselben  gründen  das  ganze  capitel  zusammen  mit  der  folgenden  erzählung 
c.  416  —  422;  nur  mit  dem  berichte  von  Hildebninds  tode.  der  mitten  in  jenem  aus 
lauter  jüngeren  zu.sätzeu  bestehenden  capitel  steht,  macht  er  ohne  spur  eines  beweises 
eine  ausnähme  und  erklärt  (s.  138):  'Beretningen  i.  k.  415  om  Hildebrands  dod  er 
sikkert  tegte,  om  Herads  dod  interpoleret'  (also  wie  der  anfang  des  capitels).  Wie 
dieser  bericht  sich  an  das  echte  c.  414  sehliesst,  vernehmen  wir  nicht.  —  Und  wo 
nimmt  der  sagaschi'eiber  abschied  von  Heimir?  Die  erzählung  von  seinem  tode  ist 
nach  B.  eine  interpolatiou. 

Einen  weiteren  beweis  für  die  echtheit  der  episode  von  Attilas  tode  sieht  der 
verf.  darin,  dass  dadurch  Dietrich  köuig  in  Hünalaud  wird,  indem  nach  dem  plane 
der  saga  der  held  'skal  ende  som  konge  over  alle  kendte  lande'.  Aber  was  beweist, 
dass  das  der  plan  der  saga  ist?  Es  widerspricht  wenigstens  jeder  bekannten  Über- 
lieferung und  wäre  eine  willliürlichkeit,  die  man  dem  sagaschreiber  nicht  aufdrängen 
sollte.  Ich  sehe  also  gerade  in  diesem  berichte  über  die  thronfolge  in  Himaland  einen 
weiteren  beweis  für  die  unechtheit  der  erzählung. 

1)  Weshalb  es  unmöglich  ist,  dass  I'iörekr  bald  nach  seinem  unglücklichen 
feldzuge  nach  Bern  zurückkehrte  (B.  s.  124),  verstehe  ich  nicht.  Wenn  f'iörekr 
zu  Attila  sagt,  er  wolle  des  königs  beiden  nicht  von  neuem  der  gefahr  aussetzen,  so 
setzt  zwar  eine  solche  bemerkung  nicht  voraus,  dass  die  Rabensehlacht  unmittelbar 
vorhergeht,  aber  im  unmittelbaren  anschluss  an  die  NS,  die  damit  sehliesst,  dass 
Attila  keinen  einzigen  beiden  mehr  zu  seiner  Verfügung  hat,  ist  das  doch  ein  barer 
unsinn.  —  Über  die  zahlen,  welche  die  dauer  von  f'iöreks  landesflüchtigkeit  angeben, 
ist  zu  bemerken,  dass  allerdings  zwanzig  jähre  c.  413  nur  in  S  steht  und  c.  429 
nur  in  A  (in  M^  fallen  beide  stellen  in  eine  lücke),  aber  B.  übersieht  1.  dass 
allein  die  zahl  20  an  beiden  stellen  überliefert  ist,  und  zwar  in  voneinander  durchaus 
unabhängigen  haudschiiften;  2.  dass  die  abweichenden  zahlen  c.  413  AIX,  B  XI  nach- 
weislich unrichtig  sind,  da  nach  c.  31ü  J'iörekr  schon  zur  zeit  der  Schlacht  bei 
Gronsport  20  jähre  bei  Attila  war,  während  in  B  c.  429  XXX  allein  steht  und  desiialb 
keine  gewähr  hat;  3.  dass,  wenn  XXXII  (c.  39ü)  richtig  ist,  man  nicht  versteht,  wie 
zwei  Schreiber  unabhängig  auf  den  gedankcn  kommen  konnten  —  an  verschiedenen 
stellen  —  XX  zu  schreiben;  dass  aber  XXX  und  XXXII  unabhängige  bcssei-ungen 
auf  grund  der  Interpolation  der  NS  sein  können  (XXXII  eine  besserung  des  uin- 
arbeiters,  der  die  beiden  anderen  stellen  stehen  Hess;  XXX  besserung  in  B,  vielleicht 
auf  grund  alter  tradition,  vgl.  Ilild.  50;  IX  und  XI  können  entstellungeu  von  XX  sein). 


142  BOER 

Verhältnis  das  umgekehrte  sein  und  M^  sogar  um  ein  drittel  länger  als  AB  gewesen 
sein  sollte. 

Ich  glaube,  dass  die  von  B.  angeführten  zahlen  etwas  ganz  anderes  be- 
weisen. "Wenn  c.  1—20,  wie  sie  in  AB  überliefert  sind,  ca.  10  blätter  einnehmen 
würden,  so  geht  schon  aus  dem  umstand,  dass  c.  18  interpoliert  ist,  hervor,  dass  der 
verlorene  abschnitt  weniger  als  10  blätter  eingenommen  hat.  Nach  dem  grössten  teil 
des  von  M-  geschriebenen  abschnittes  (von  s.  67, 12  bis  zu  der  ersten  lücke  s.  135,  22) 
zu  urteilen,  enthält  ein  von  diesem  Schreiber  geschriebenes  blatt  66  druckzeilen^ 
C.  1—20  enthalten  657  zeilen,  c.  18  35  zeilen,  für  c.  1—17.  19.  20  bleiben  also 
622  Zeilen,  d.  i.  9  blätter  und  28  zeilen.  Aber  es  ist  nicht  unwahrscheinlich,  dass 
die  längere  redaction  auch  andere  kleinere  zusätze  enthielt,  spuren  einer  Umarbeitung 
von  0.13  wurden  von  mir  Zschr.  25,  460  nachgewiesen.  Die  annähme,  dass  solche 
Zusätze  zusammen  28  druckzeileu  umfassten,  ist  kaum  zu  kühn.  Es  wären  dann  am 
anfang  von  M  neun  blätter  verloren.  Das  wäre  etwa  so  zu  erklären.  Zwei  Schreiber 
setzten  sich  zu  gleicher  zeit  an  die  arbeit.  Der  hauptredactor  (M-)  fieng  mit  dem  an- 
fang der  saga  an;  er  berechnete  den  ersten  abschnitt  auf  eine  läge,  —  möglicherweise 
den  räum,  den  derselbe  in  der  vorläge  einnahm,  —  und  liess  seinen  helfer  (M^)  bei 
dem  zweiten  hauptabschnitt,  der  Vilkinasaga,  anfangen.  Er  hatte  aber  für  sich  die 
berechnung  zu  knapp  gemacht  und  musste,  als  die  läge  voll  war,  ein  blatt  hinzu- 
fügen. Er  nahm  nun  ein  doppelblatt,  in  welches  er  die  schon  fertige  läge  von  8  blättern 
legte,  und  benutzte  die  zweite  hälfte  für  die  fortsetzung  der  saga;  die  ei'ste  hälfte 
musste  auf  diese  weise  unbeschrieben  bleiben;  das  ist  das  erhaltene  leere  blatt  am 
anfang.  Es  lässt  sich  gegen  diese  erklärung  der  einwand  nicht  erheben,  dass  keine 
der  übrigen  lagen  10  blätter  enthält,  denn  die  siebente  der  erhaltenen  lagen  enthält 
deren  18;  gerade  die  behandlung,  die  diese  durch  M'*  erfahren  hat,  zeigt,  dass 
man,  wie  auch  natürlich,  kein  bedenken  hegte,  aus  practischen  rücksichten  von  der 
achtzahl  abzuweichen. 

Auch  der  inhalt  des  prologs  lässt  sich  für  seine  echtheit  nicht  anführen. 
B.  vermutet  s.  193,  dass  bei  der  reihenfolge  der  aufzählung  von  länderu  im  prolog 
nicht  oder  nicht  ausschliesslich  die  reihenfolge,  in  der  die  länder  in  der  saga  er- 
wähnt werden,  massgebend  gewesen  sei,  sondern  dass  dabei  die  rücksicht  auf  die 
geographische  läge  dieser  länder  eine  rolle  gespielt  habe.  Das  scheint  mir  nicht  un- 
möglich. Wenn  aber  damit  vielleicht  eine  einzelne  einwendung,  die  man  wider 
den  prolog  machen  könnte,  hinfällig  wird,  so  folgt  daraus  zu  gleicher  zeit,  dass  eben- 
sowenig aus  dieser  reihenfolge  Schlüsse  für  seine  ursprünglichkeit  gezogen  w^erden 
können.  Wider  den  prolog  aber  spricht,  auch  abgesehen  von  seinem  fehlen  in  M  und 
von  dem  stile,  auf  den  ich  hier  nicht  eingehe,  dass  er  die  geschichte  von  Sigurör 
Fäfnisbani  (man  beachte  auch  diese  in  der  saga  nicht  vorkommende  bezeichnung)  und 
den  Nibelungen  als  einen  teil  des  hauptinhalts  der  saga  hinstellt.  Wenn  nun  hinzu- 
kommt, dass  er  auch  in  S  nicht  steht,  so  scheint  es  mir,  dass  kein  gruud  vorhanden 
ist,  ihn  dem  sagaschreiber  aufzudrängen.  i 

Abgesehen  von  den  erörterungen  über  die  hss. ,  den  ursprünglichen  inhalt  und 
die  Umarbeitungen  der  saga  enthält  die  Schrift  auch  ausführungen  über  die  quellen 
der  einzelnen  abschnitte  und  das  Verhältnis  der  Überlieferung  zu  anderen  quellen. 
Im  allgemeinen  schliesst  der  verf.  sich  hier  den  von   anderen  gewonnenen  resultaten] 

1)  Dieser  teil  der  hs-partie  enthält  26  blätter;  darauf  gehen  1717  druckzeilen, 
der  Ungerschen  ausgäbe. 


L 


ÜBER   BKRTEL8EN,    DIDRIKS    SAOA  148 

an;  er  bat  aber  die  litteratur  über  den  gegenständ  vollständig  verwertet  und  gut  ver- 
arbeitet. Das  buch  könnte  daher,  auch  wegen  der  citate,  als  nachschlagebuch  ge- 
braucht werden;  schade  nur,  dass  ein  register  fehlt.  Nicht  ohne  wert  ist  der  ver- 
such, den  anteil  des  sagaschreibers  an  der  erfindung  zu  bestimmen;  das  resultat 
ist.  dass  der  Verfasser  der  saga  namentlich  bei  der  anordnuug  des  Stoffes  und  bei 
der  herstelluug  chronologischer  und  genealogischer  Verbindungen  ziemlich  frei  ver- 
falnx-u  ist. 

Zum  schlu.sse  bemerke  ich.  dass,  wenn  die  grosse  bedeutung  der  von  B.  be- 
sprochenen fragen  mich  dazu  geführt  hat,  die  punkte,  in  bezug  auf  welche  ich  seine 
ausichten  nicht  als  richtig  anerkennen  kann,  besonders  stark  zu  betonen,  wie  denn 
überhaupt  Zustimmung  in  zwei  werten  ausgedrückt  werden  kann,  während  eine  ab- 
weichende ansieht  stets  begründet  werden  muss,  damit  nicht  gesagt  sein  soll,  dass 
das  buch  nicht  in  mancher  hinsieht  fördernd  wirken  kann.  Aber  es  muss  mit  vor- 
sieht benutzt  werden.  Denn  zu  einer  richtigen  Würdigung  der  einzelnen  tatsacheu 
scheint  der  verf.  mir  an  manchen  stellen  nicht  gelangt  zu  sein.  Der  eindnick,  den 
ich  bei  der  ersten  oberflächlichen  kenntnisnahme  empfieng,  war  der,  dass  der  verf. 
vielleicht  in  seiner  auffassung  der  Überlieferung  recht  haben  könnte;  erst  seine 
wunderliche  handschriftenhypothese  machte  mich  stutzig;  die  nachprüfung  der  einzel- 
heiten  hat  mich  dann  zu  der  Überzeugung  geführt,  dass  dieser  versuch,  die  ent- 
stehung  der  PS  zu  erklären,  verfehlt  ist.  Dieselbe  nachprüfung  empfehle  ich  solchen 
forschem,  die  über  diese  fragen  noch  kein  urteil  sich  gebildet  haben  und  denselben 
deshalb  vielleicht  vorurteilsfreier  gegenüberstehen  als  ich. 

AMSTERDAM,    MÄRZ    1903.  K.  C.  BOER. 


Nachschrift. 
In  seiner  vor  kurzem  erschienenen  recension  von  Berteisens  buch  (Arkiv  21, 
81fgg.)  versucht  Mogk  die  alte  hypothese,  dass  die  hss.  AB  und  S  von  M  stammen, 
deren  unhaltbarkeit  Klockhoff  vor  24  jähren  überzeugend  dargetan  hat,  wider  zu  ehren 
zu  bringen.  Weshalb  ich  ihm  nicht  beistimmen  kann,  wird  aus  dem  vorhergehenden 
erhellen.  Ein  hauptfehler  Mogks  ist,  dass  er  daraus,  dass  wie  natürlich  die  fassungen 
von  0.  170.  171  in  M-  und  M'''  untereinander  keine  grosse  abweichungen  aufweisen 
[den  6  von  Mogk  genannten  fällen  sind  freilich  die  acht  folgenden  hinzuzufügen: 
172,  3  drottningarennar  M^]  drottningar  M-'.  172,  4.  8  en  M^J  oe  M".  172,  13 
Hogna  brceör  hans  W-]  brodur  hans  HoggnaM.^.  178,  1  ErM.^]  Oe  er  M-l  173,2 
no  M-]  fehlt  M^.  173,  5  ok  (zweimal)  M^]  fehlt  M*],  schliesse;n  zu  dürfen  glaubt, 
dass  M^  diesen  abschnitt  direct  aus  M'-'  abgeschrieben  habe,  und  darauf  weitere 
hypothesen  baut.  Die  Übereinstimmung  erklärt  sich  aus  dem  für  beide  ledactionen 
gemeinsamen  originale,  das  die  directe  vorläge  von  M^  sein  kann  und  von  M'' 
vielleicht  durch  nicht  mehr  als  ein  Zwischenglied  getrennt  ist.  Nur  dann,  wenn  aus 
M-'inM*  übergegangene  fehler  sich  nachweisen  Hessen,  könnte  von  einer  abhängigkeit 
dieser  hs.  von  jener  die  rede  sein. 

A.MSTERDAM,    OCTOBKR    1904.  R.  C.  BOER. 


144  NEUE  ERSCHEINUNGEN  —  NACHRICHTEN 

NEUE  ERSCHEINUNGEN. 

(Die  redaotion  ist  bemüht,   für  alle  zur  bosprechung  geeie;neten  werke  aus  dem  gebiete  der  german. 

Philologie  sachkundige  referenten  zu  gewinnen,   übernimmt  jedoch   keine  verpflicntung ,   unverlangt 

eingesendete  bücher  zu  recensieren.     Eine  zurücklieferung  der  recensions- exemplare  au 

die  herren  Verleger  findet  unier  keinen  umständen  statt.) 

Achim  von  Arnim   und  Jacob  und  Wilhelm  Grimm.     Bearbeitet  von  Reinhold 

Steig.     Stuttgart  und  Berlin,  Cotta  1904.    (VIII),  633  s.  und  2  porträts.    12  m. 
Braune,  Willielm,  Über  die  einigung  der  deutschen  ausspräche.    Akad.  rede.    Heidel- 
berg 1904.     32  s.    4. 
Delbrück,  B.,  Einleitung  in  das  Studium  der  indogerm.  sprachen.     4.  aufl.     Leipzig, 

Breitkopf  &  Härtel  1904.     XVI,  175  s.     3  m. 
Epistolae  obscurorum  virorum.  —  Brecht,  Walther,  Die  Verfasser  der  Epistolae 

obscurorum  virorum.     Strassburg,  Trübuer  1904.    [QF.  93.]    XXV,  383  s.     10  m. 
Ooethe.  —  Goethes   fragmente  vom   ewigen  Juden  und  vom  widerkehrenden  heiland. 

Ein  beitrag  zur  gesch.  der  religiösen   fragen   in   der  zeit  Goethes  von  J.  Minor. 

Stuttgart  und  Berlin,  Cotta  1901.    VIII,  224  s.     3,50  m. 
Grrillparzer.  —  Hock,  Stefan,  Der  träum  einleben.  Eine  litterarhistor.  Untersuchung. 

Stuttgart  und  Berlin,  Cotta  1904.    VIII,  214  s.     5  m. 
Hebbel.  —  Friedr.  Hebbel,  Briefe.    1.  band  (1829—1839).   Besorgt  von  Rieh.  Maria 

Werner.  [Hebbels  sämtl.  werke,  3.  abteil.]  Berlin,  B.  Behr  1904.  VIII,  414  s.  3  m. 
—  Ziukernagel,  Franz,  Die  grundlagen  der  Hebbelscheu  tragödie.  Berlin,  G.  Reimer 

1904.     XXXIV,  188  s.     3  m. 
Jespersen,  Otto,  Phonetische  Streitfragen.    Leipzig  u.  Berlin,  Teubner  1904.   IV,  186  s. 
Holtei.  —  Landau,  Paul,  Karl  von  Holteis  romane.     Ein  beitrag  zur  geschichte  der 

deutschen  unterhaltungs-litteratur.  [A.u.d.t. :  Breslauer  beitrage  zur  littgesch.,  hrg. 

von  M.  Koch  und  G.  Sarrazin.  L]    Leipzig,  Max  Hesse  1904.   (X),  168  s.  4,f)0m. 
Kircheisen,  Friedr.  31.,  Die  geschichte  des  literarischen  portiäts  in  Deutschland.  1.  bd. 

Von  den   ältesten    zeiten   bis   zur  mitte  des  12.  jhs.     Leipzig,  Hiersemann  1904. 

VIII,  170  s.     5  m. 
Kleist,  Heinr.  von,  Briefe  an  seine  Schwester  Ulrike.    Mit  einleitung,  anmerkungen, 

photogrammen  und  einem  anhang:  Aus  dem  tagebuche  Ludw.  von  Brocke's.  [Kleist- 
bibliothek, hrg.  von  S.  Rahiner.  I.]     Berlin,  B.  Behr  1904.     XI,  228  s.  2,50  m. 
Mitzschke,   Ellen   und  Paul,   Sagenschatz    der  stadt  Weimar   und  ihrer  umgegend. 

Weimar,  H.  Böhlau  nachf.  1904.     XVIII,  152  s.     2,40  m. 
van  Moerkerken  jr.,  P.  H.,  De  satire  in  de  nederlandsche  kunst  der  middeleeuwen. 

Amsterdam,  S.  L.  van  Looy  1904.     X,  243- s. 
Oswald  von  Wolkeiistein.  —  Die  gedichte  Oswalds  v.  Wolkenstein,  hrg.  von  ,1.  Schatz. 

2.  ausg.     Göttingen,  Vandenhoeck  u.  Ruprecht  1904.     II,  312  s.     6  m. 
Bevue,  Die  deutsche,   von  Karl  Gutzkow  und  Lud.  AVienburg  (1835)   hrg.  von 

J.  Dresch.     Berlin,  B.  Behr  1904.     XLIII,  39  s.     1,50  m. 
Bolandslied.  —  Jacobi,  Joh. ,   Über  die  bezeichuung  der  verschobenen  verschluss - 

und  reibelaute  in  den  hss.  des  Rolandsliedes.    Erlangen  1904.    (IV),  70  s.   (Dissert). 
Bozwadowski,   Jan  v.,    Wortbildung  und   Wortbedeutung.     Eine  Untersuchung  ihrer 

grundgesetze.     Heidelberg,  Carl  AVinter  1904.    VIII,  109  s.     3  m. 
Settegast,  Franz,  Quellenstudien  zur  galloromanischen  epik.    Leipzig,  0.  Harrassowitz 

1904.    (VIII),  395  s.     9  m. 
Stricker.  —  Wilhelm,  Friedr.,  Die  geschichte  der  handschriftl.  Überlieferung  von 

Strickers  Karl  dem  grossen.     Amberg,  Böes  1904.    VIII,  290  s.     8  m. 


NACHRICHTEN. 

Geh.  hofrat  professor  dr.  AVilh.  Braune  in  Heidelberg  wurde  zum  correspon- 
dierenden  mitgliede  der  kgl.  bayer.  akademie  gewählt. 

Der  ao.  professor  dr.  Samuel  Singer  in  Bern  ist  zum  Ordinarius,  der  privat- 
docent  professor  dr.  A.  v.  Weilen  in  Wien  zum  extraordinarius  ernannt  worden. 

Der  privatdocent  dr.  Robert  Petsch  in  AA'ürzburg  ist  nach  Heidelberg  über- 
gesiedelt. 

Professor  dr.  Friedrich  Panzer  in  Freiburg  hat  einen  ruf  au  die  akademie 
für  social-  und  handelswissenschaft  in  Frankfurt  a.  M.  erhalten  und  angenommen. 

Buchdruckerei  des  Waisenhauses  in  Halle  a.  S. 


i 


DIE  ÜBERSETZUNGSTECHNIK  DES  WULFILA 

untersucht 
auf  gi'iind   der    l)ibelfragmente   des   Codex   argontoiis. 

Wer  sich  mit  der  Wiiltilanischcii  bibel Übersetzung  beschäftigte, 
musste  sich  einmal  die  frage  stellen,  wie  weit  denn  eigentlich  das 
vorliegende  gotisch  wirklich  echtes  gotisch  sei,  wie  gross  die  abhäugig- 
keit  vom  griechischen  text,  d.  i.  die  frage  mich  der  Übersetzungs- 
technik. Vor  allem  aber  konnten  alle  diejenigen  diese  frage  nicht 
unbeantwortet  lassen,  die  syntaktische  Untersuchungen  irgendwelcher 
art  an  der  bibel  des  Wulfila  anstellten.  Sie  mussten  sich  erst  darüber 
klar  werden,  ob  in  dem  bouutzton  material  nicht  griechische  syntax 
.sich  darstelle,  und  mussten  dieses  material  auf  seine  abhängigkeit  vom 
griechischen  original  prüfen. 

So  haben  sich  in  der  tat  fast  alle  herausgeber  der  gotischen  denk- 
mäler  und  die  meisten  bearbeiter  gotischer  syntax  mit  der  frage  nach 
der  Übersetzungstechnik  beschäftigt  und  sie  zu  lösen  gesucht. 

Es  wird  bei  den  verschiedenen,  ganz  entgegengesetzten  ansichten 
notwendig  sein,  zunächst  diese  urteile  über  die  Übersetzungstechnik  in 
chronologischer  reihenfolge  vorzuführen. 

Einleitung. 
Die  bislierijft'ii  urteile  über  die  übersetzuiigstechnik  des  Codex  jirg:enteus. 

Die  ersten  erwähnenswerten  benierkungen  über  die  Übersetzungs- 
technik der  gotischen  bibel  finden  sich  in  der  von  J.  Chr.  Zahn  be- 
sorgten ausgäbe  des  Ihreschen  textest  Dort  heisst  es  in  der  von  Zahn 
verfassten  historisch-kritischen  einleitung  (s.  36):  „Ullilas  folgt  seinem 
griechischen  original  von  wort  zu  wort  nach,  und  behält  sogar  treu  die 
eriechische  wortfolgo  bei,  so  lange  es,  ohne  die  regeln  seiner  Sprach- 
lehre und  seinen  wollaut  zu  verletzen,  geschehen  kann,  so  dass  zu- 
weilen bei  seiner  treue  die  deutlichkeit  leidet.  Er  umschreibt  oder  über- 
setzt mit  gewissenhafter  ängstlichkeit  jedes  wort  richtig  und  genau,  und 
da,  wo  er  fehlt,  welches  jedoch  selten  geschieht,  verstand  er  entweder 
sein  original  nicht  und  las  falsch,  oder  seine  spiache  wollte  sich  dem- 
selben nicht  anschmiegen." 

1)  Ulfilas  gotische  bibelübersetzuug  nach  Ihres  text,  horausg.  von  J.  Chr.  Zahn, 
Weissenfeis  1805. 

ZKJTSCIIRIFT    y.    DKUTSCHK    PIIILOI.OOIK.       HD.  XXXVU.  10 


140  STOI-ZENRURG 

Zahn  spricht  also  der  Übersetzung  syntaktisch  jedesfalis  keine 
selbstcändigkeit  zu.  Noch  schärfer  spricht  sich  Castiglione  in  der  ein- 
leitung  zu  den  von  Angelo  Mai  aufgefundenen  Ambrosianischen  bruch- 
stückeni  {\}ßQ^.  ^[q  Unselbständigkeit  der  gotischen  Übersetzung  aus: 
„Tanta  vero  religiouc  usus  est  Ulphilas,  quae  numquam  eum  sineret 
sacri  autographi  oblivisci.  Graecum  ergo  exemplar  totidem  saepe  verbis 
interpretatus  est,  obscurum  obscure  vertit,  ambiguum  in  ambiguitate 
reliqnit,.  syntaxim  ipsam  collocationemque  verborum  servavit;  ita  ut 
in  ulphilano  libro  graecum  habeas  textum  gothicis  quidem  voca- 
bulis  convestitum,  borealibus  tarnen  idiotismis  phme  carentem.  Quare 
et  nostra  gothici  exeniplaris  latiua  interpretatio,  minus  fere  ad  Ulphilam 
accedit  quam  ipse  graecus  contextus."  Aber  diese  art  der  Übersetzung, 
heisst  es  dann  weiter,  hatte  ihren  grund,  ihre  berechtiguug,  "sveil  es 
sich  eben  nicht  um  irgend  ein  buch,  sondern  um  das  wort  gottes 
handelte.     Da  war  grösste  treue  und  gewissenhaftigkeit  am  platze. 

Ganz  in  dieselbe  richtung  fällt  auch  das  urteil,  das  Ribbeck'^ 
abgibt:  „Eine  hauptschwierigkeit  für  die  auffassung  des  der  gotischen 
spräche  eigenen  syntaktischen  gebrauchs  entsteht  begreiflicher  weise  aus 
der  knechtischen  treue,  mit  welcher  Ulfila  seinem  griechischen  texte  folgt. 
Wo  er  daher  in  auffallenden  constructionen  mit  den  griechischen  über- 
einstimmt, wird  man  immer  zweifelhaft  sein  können,  ob  man  es  nur 
mit  einer  gräcisierenden  sprachverrenkung  oder  mit  einer  Avirklich  deut- 
schen ausdrucksweise  zu  tun  hat,  so  lange  nicht  das  vorkommen  der- 
selben satzform  in  völliger  Unabhängigkeit  vom  griechischen  ihr  das 
deutsche  bürgerrecht  sichert.  So  viel  als  möglich  werde  ich  im  folgen- 
den nach  diesem  beurteiluugsgrunde  das,  was  sich  als  blosser  gräcismus 
verdächtig  macht,  von  dem  zu  sondern  versuchen,  was  wir  als  echt 
deutsche  eigentümlichkeit  der  alten  spräche  mögen  gelten  lassen.  Weniger 
nötig  hätten  wir  freilich  diese  sonderung,  wäre  ülfila  wirklich,  wie  Zahn 
behauptet,  nur  in  soweit  dem  griechischen  muster  treu  geblieben,  als 
es  die  gesetze  der  eignen  (got.)  spräche  erlaubten:  aber  wenigstens 
meinem  gefühle  hat  sich  das  nicht  bewähren  wollen."  Von  der  Wort- 
stellung des  Goten  sagt  Ribbeck  im  weiteren:  „Er  folgt  hier  dem  grie- 
chischen vorbilde  so  durchaus  knechtisch  wort  für  wort,  dass  es  in  der 
tat  mit  einem  wunder  hätte  zugehen  müssen,  wenn  die  gut  griechische 

1)  Ulphilae  partium  ineditarum  in  Ambrosiariis  palinipsestis  ab  Angelo  Maio 
repertarnm  specimen  coniunctis  curis  eiusdem  Mail  et  Caroli  Octavii  Castillionaei 
editum.     Mediolani  1819,  s.  XX. 

2)  Syntax  des  Ulfila,  v.  d.  Hagens  Gennania  bd.  I,  40  (1836). 


DTK    VBERSETZXNGSTKCIINIK    DES    WULKILA  147 

Wortfolge  auch  eine  gut  gotische  geblieben  und  nicht  die  ärgsten  Ver- 
renkungen auch  für  das  gefühl  damaliger  leser  entstanden  wären." 

Gegen  diese  urteile  wendet  sich  nun  Lobe  und  bemüht  sich,  durch 
eine  umfassende  bearbeitung  der  gotischen  laut-  und  formen  lehre  und 
der  gotischen  syntax  hierzu  in  den  stand  gesetzt,  seine  meinung  über 
die  Übersetzungstechnik  eingehender  zu  begründen. 

Vorher  ist  jedoch  noch  eine  bemerkung  von  J.  Grimm  zu  er- 
wähnen i,  die  sich  gleichfalls  von  den  obigen  urteilen  entfernt:  „Ulfilas 
Übersetzung  ist  gelehrt  und  treu,  aber  mit  rücksicht  auf  die  eigentüm- 
lichkeit  des  gotischen,  wie  sich  leicht  beweisen  lässt;  sie  weiss  feine 
beziehungen  des  urtextes  zu  unterscheiden  und  glücklich  zu  bezeichnen; 
selbst  abstracte  sätze  (man  sehe  den  brief  an  die  Römer)  fügen  sich 
ohne  zwang  in  die  gotische  rede." 

Das  urteil  Lobes,  das  in  ausdrücklichem  gegensatz  zu  Zahn  und 
Castiglione  aufgestellt  ist,  findet  sich  im  ersten  bände  seiner  Ulfilas- 
ausgabe-: „Ulfilam  religiosissime  sequentem  textus  graeci  auctoritatem 
verbum  de  verbo  reddidisse  omnes  fere  consentiunt,  sed  eam  fidem 
servilem  plerique  tamque  superstitiosam  cogitaverunt,  ut  vituperandane 
sit  magis  quam  laudanda,  in  incerto  relinquatur.  Nam  qui  ita  graecos 
secutum  eum  dicunt,  ut  vel  formis  passivis  pro  mediis  graecis,  male 
intellectis,  utatur,  quid  aliud  agunt,  quam  ut  Gothum  imperitiae  lin- 
guae  graecae  atque  adeo  suae  ipsius  accusent?  Sed  iidem  tamen  Gothum 
modo  accuratiorem  graeci  textus  imitationem  oblitum  esse  dicunt,  modo 
graecorum  auctoritatem  deseruisse,  id  ubi  aut  soni  suavitas  aut  ser- 
monis  gothici  ingenium  postulaverit.  Si  vero  ita  convertit  de  graecis, 
ut  suae  etiam  linguae  leges  observaret,  quis  eum,  cuius  sola  fides  lau- 
danda Sit,  servilem  in  modura  interpretatum  esse  contendat?  Neque 
verum  est,  quod  alii  viri  docti  Ulfilam  graecum  exemplar  totidem  saepe 
verbis  interpretatum  esse,  obscura  obscure  vertisse,  ambigua  in  ambi- 
guitate  reliquisse,  syntaxin  graecorum  collocationemque  verborum  ser- 
vavisse  aiunt,  ut  in  eins  libro  graecum  habeamus  textum  gothicis  qui- 
dem  vocabulis  convestitum,  borealibus  tamen  idiotismis  plane  carentem. 
Sed  non  solura  per  se  incredibile  est,  hominem  sapientem  suo  se  sensu 
ita  privasse,  ut  librorum  sacrorum  Interpretationen!  faceret  ita  com- 
paratam,  ut  eius  verba  legentes  neque  intelligerent,  nee  ullum  inde  fru- 
ctum  perciperent,  quum  tamen  spectasset  id,  ut  cives  doctrina  christiana 
e  bibliis  haurienda  imbuercntur  atque  confirmarentur;  sed  etiam  demon- 

1)  Deutsche  graininatik,  I.  ausgäbe  1819,  .s.  XL  VI. 

2)  Ulfilas  .  .  .  coniunclis  cuiis  edd.  H.  C.  de  Gabelentz  et  dr.  J.  Lobe.  Lipsiae 
1843.    Yol.  I,  XXV. 

10* 


148  STOLZKNBUKO 

strari  perfacile  potest,  Gothum  siiae  linguae  copiis  ita  usum  esse  oius- 
que  leges  ita  observasse,  ut  translationem  vere  gothicani,  non  graecam 
verbis  gothicis  vestitam  exhibuisse  tlici  possit.  Nain  neque  articuluni 
ponit,  nisi  iibi  sermo  gotbicus  eum  admittit,  neque  niorem  graecum 
cum  subiecto  neutro  pluralis  verbuni  singularis  numeri  coniungeudi  imi- 
tatur;  duali  numero  saepius,  quam  in  graecis  fit,  et  loco  genitivorum  a 
substantivis  pendentium  saepissime  dativis  utitur  (cf.  ad  J.  VIII,  34); 
praedicatum  non  casu  cum  subiecto  congruo  ponit,  sed  addita  du  prae- 
positione  reddit;  duobus  veibi  temporibus  contentus  neque  ad  redden- 
dum  futurum,  iieque  ad  praeterita  distingueuda  novas  forraas  inducit; 
tempora  non  computat  annorum,  sed  biemum  spatiis  (vid.  ad  Mt.  IX,  20 
et  Lc.  II,  42),  non  noviluniis,  sed  pleniluniis  (vid.  ad  Coloss.  II,  16),  et 
quis  enumerare  potest,  quoties  verba  transponit,  neque  negationem  quidem 
solura,  de  qua  re  supra  diximus,  sed  etiam  alia;  quoties  nullam  aucto- 
i'itatem  secutus  verba  quaedam  addit;  quoties  alia  omittit;  quoties  rerum 
ac  notionum  amplificationes  admittit;  quoties  verba  graeca,  saepius  posita, 
variis  gotbicis  reddit;  ex  quibus  omnibus,  nee  solum  in  Mattbaeo  in- 
ventis,  verum  in  reliquis  etiam  evangeliis  et  in  epistolis,  Ulfilam  non 
inepte  graecissare,  sed  sermonis  gotbici  et  morum  indolem  fideliter  ser- 
vare  apparet.  Neque  in  altera  illa  recensione,  quam  posteriore  tempore 
factam  et  stylo  graecis  accuratius  respondente  elaboratam  esse  supra 
diximus \  proprietates  linguae  gothicae  ita  interierunt,  ut  pro  graeca 
verbis  gotbicis  vestita  haberi  possit.  Quae  qui  considerant,  Ulfilam, 
quantum  pro  intelligentia  fieri  poterat,  graecorum  vestigia  religiöse 
persequutum,  ubi  autem  linguae  iudoles  sie  postularet,  illorum  aucto- 
ritate  contemta  sensum  tarnen  probe  atque  recte  reddidisse  sentient." 

Hiermit  ist  das  urteil  über  die  Übersetzungstechnik  im  wesent- 
lichen beendet.  Im  weiteren  werden  noch  die  fehler  erwähnt,  die  Wulfila 
unterlaufen  sind,  teils  weil  er  gewisse  griechische  ausdrücke  nicht  ver- 
stand, teils  weil  er  falsch  las;  aber  das  ändert  nichts  an  dem  ersten 
urteil,  auch  nicht  die  fälle  (s.  XXVIII),  wo  Lobe  zeigt,  dass  Wulfila 
vom  gotischen  Sprachgebrauch  abgewichen  sein  rauss. 

S.  XXVIII  fasst  Lobe  sein  urteil  über  die  leistung  des  Wuifila 
nochmals  in  folgenden  werten  zusammen:  „Quamquam  enim  non  pauca 
enumeravimus  loca,  in  quibus  Ulfilas  sive  per  errorem,  sive  de  con- 
sulto  a  graecis  discessit,  et  permulta  etiam  alia  sunt,  ubi  eum  sermonis 
gotbici  Ingenium  a  diligentiore  graecorum  imitatione  avocavit;  tarnen 
Versionen!  nostram  primo  omnium  loco  ponere  non  dubitamus,  propterea 
quod   non  solum  fidissime  graeca  reddidit,    sed   etiam   quia  nulla  alia 

1)  Prolegomena  s.  XIX. 


DIE    ÜBERSKTZUNQSTKCHNIK    OKK    WULFILA  149 

linojua  graecao  propius  cof^nata,  nulla  niagis  idonea  est,  quae  textus 
graeci  tanquam  imaginem  expriniat,  quam  gothica." 

Dieses  urteil  musste  notwendig  grossen  eindruck  machen.  So 
sehen  wir  denn  auch,  dass  man  sicli  in  den  nächsten  jähren  entweder 
an  dasselbe  anschliesst  oder  in  der  Wertschätzung  der  Übersetzung  sogar 
noch  über  das  von  Lobe  gesagte  hinausgeht. 

Wackernagel  schreibt  in  seiner  Geschichte  der  deutschen  litte- 
ratur^:  „Er  übertrug  mit  geziemender  gewissenhaftigkeit,  knechtisch 
aber  nicht:  die  beschaffenheit  seiner  spräche  gestattete  ihm  noch  einen 
näheren  anschluss  an  die  der  Urschrift,  als  im  späteren  deutschen  mög- 
Hch  war:  doch  wich  er  auch  ab,  wo  die  eigene  spräche  es  verlangte, 
Hess  z.  b.  den  artikel  weg  oder  setzte  den  pluralis  in  den  dualis  um 
oder  begann  adjectivsätze  nicht  mit  den  relativen,  sondern  mit  persön- 
lichen pronominibus.  Eine  fast  durchaus  wolgelungene  arbeit,  und  zu- 
gleich die  erste  bibel  in  germanischer  zunge,  die  erste  germanische  prosa, 
überhaupt  die  erste  noch  erhaltene  schrift  und  der  erste  narae  unsrer 
ganzen  grossen  litteraturgeschichte:  das  werk  ist  in  mehr  als  einem  be- 
zug  aller  auszeichnung  wert." 

Xoch  deutlicher  ist  der  einfluss  Lobes  bei  dem  theologen  W.  Krafft-, 
der  eine  eingehende  besprechung  der  gotischen  bibel  gibt  und  es  zum 
ersten  mal  unternimmt,  nun  auch  ästhetische  Vorzüge  an  der  Über- 
setzung zu  betonen.  Seine  angaben  sind  zunächst  im  wesentlichen  nur 
eine  Übersetzung  des  Lob  eschen  urteils.  S.  260  heisst  es  dann  weiter: 
^Manches,  was  als  graecisraen  in  der  Übersetzung  erscheinen  könnte, 
ist  doch  im  geiste  der  spräche  gewesen,  da  constructionen,  wie  z.  b. 
die  attraction,  auch  ohne  den  griechischen  Vorgang  vorkommen;  über- 
haupt kam  dem  Ulfila  bei  seiner  arbeit  der  umstand  zur  hilfe,  dass  die 
gotische  spräche  sich  äusserst  leicht  an  fremde  idiome  anschliessen  und 
selbst  abstracto  sätze  in  sich  übertragen  Hess.  In  der  Wortstellung  ferner 
weicht  er,  dem  Charakter  der  gotischen  spräche  entsprechend,  vom 
griechischen  ab,  wie  z.  b.  in  der  Stellung  der  negation  beim  v.erbum 
und  in  der  Stellung  gewisser  partikeln  (wie  ij)  für  dt)  und  des  pro- 
n(»men  demonstr.,  das  er  dem  substantivum  voraussetzt;  und  sonst  in 
fällen,  wo  es  die  gotische  spräche  erforderte,  zeigt  er  sieh  freier  in  der 
Stellung  der  Wörter,  oder  er  erlaubt  sich  kleine  zusätze,  die  sich  nirgend- 
wo sonst  finden.  Auch  einzelne  auslassungen  sind  vorhanden.  Zu 
dieser  freiheit,  die  sich  Ulfila  vom   buchstaben  des  griechischen  textes 

1)  Basel  1848,  bd.  I,  §  S. 

2)  Die  kirchengeschichtc  der  geniianischen  völker,  I.  baud,  1.  abt. ,  1854, 
s.  259fgg. 


150  STOLZENBÜRU 

erlaubt,  ist  auch  das  zu  rechnen,  dass  Ulfila  dieselben  griechischen 
Wörter,  die  mehrmals  widerkehren,  mit  verschiedenen  gotischen  Wörtern 
übersetzt. 

Sodann  erlaubt  sich  Ulfihi  manche  erweiterungen  der  Wörter  und 
begriffe,  um  die  sache  den  Goten  anschaulicher  zu  machen  und  zugleich 
den  eindruck  der  erzählung,  besonders  für  die  Vorlesung  in  der  volks- 
gemeinde,  zu  erhöhen.  Daher  diese  erweiterungen  meist  bei  wunder- 
erzählungen  sich  finden,  um  das  erstaunen  recht  auszudrücken,  oder 
bei  gewaltsamen  vergangen,  um  den  eindruck  zu  erhöhen  oder  um 
etwas  recht  nachdrücklich  zu  sagen.  Ulfila  geht  weiter  und  wagt  es, 
um  nicht  gegen  gotische  sitte  zu  Verstössen,  die  Zeitabschnitte  nicht 
nach  jähren  in  jüdischer  weise,  sondern  nach  wintern  zu  zählen. 

Von  ganz  anderer  art  als  die  bisher  angeführten  abweichungen 
vom  griechischen  text  sind  diejenigen,  zu  denen  Ulfila  durch  irrtura 
veranlasst  worden  ist,  die  eigentlichen  fehler  in  der  Übersetzung." 

Krafft  spricht  ganz  wie  Lobe  von  den  verschiedenen  arten  dieser 
fehler  und  fährt  dann  fort:  „Es  lässt  sich  von  der  Übersetzung  im  ganzen 
sagen,  dass  sie  treu  an  das  griechische  sich  hält  und  das  original  genau 
widerzugeben  bemüht  ist,  ohne  deshalb  sich  knechtisch  daran  zu  halten 
und  dem  geist  der  gotischen  spräche  eintrag  zu  tun^" 

1)  S.  264  finden  sich  folgende  bemeikungen :  „Die  Übersetzung  niusste  den 
Goten  dadurch  besonders  sich  empfehlen,  dass  sie  in  formeller  und  materieller  be- 
ziehung  durchaus  volkstümlich,  eine  echt  gotische  Übersetzung  war.  Ulfila  hat  es 
mit  wahrer  meisterschaft  verstanden,  den  grossen  wolklang  und  die  anmut  der  goti- 
schen Sprache  recht  hervortreten  zu  lassen."     Es  folgen  nun  die  beispiele: 

1.  Hebung  und  Senkung  der  vocale  («,  o,  u  und  e,  ?"). 

2.  Häufung  gleichtöuender  vocale  oder  diphthonge. 

3.  Allitteration. 

Am  schluss  heisst  es.  „Sodann  weiss  Ulfila  den  grossen  reichtum  der  spräche 
an  Präpositionen  geschickt  zu  verwenden,  um  durch  composita  neben  grösserer  deut- 
lichkeit  auch  den  wolklang  zu  erhöhen,  besonders,  wenn  er  gleiche  wurzel werte  zu 
den  composita  wählt,  während  im  griechischen  wörter  von  ganz  abweichendem  stamme 
stehen.  Ferner  liebt  es  Ulfila,  in  demselben  satze  als  object  ein  wort  von  gleichem 
stamm  mit  dem  regierenden  verb  zu  setzen,  wenn  es  im  griechischen  auch  nicht  so 
ist.  Zuweilen  wendet  Ulfiia  vielfach  volltönende  pleonasmen  an,  welche  die  gotische 
spräche  besonders  geliebt  zu  haben  scheint.  Was  aber  mehr  noch  als  alles  dies  die 
meisterschaft  des  Übersetzers  bekundet,  sind  die  gelungenen  versuche  durch  den  ton 
der  Worte  dem  sinn  zu  entsprechen." 

Das  ist  ein  noch  weit  günstigeres  urteil,  als  selbst  Lobe  es  gefällt  hat.  Man 
kann  sagen,  dass  Krafft  in  der  Übersetzung  des  Wulfila  eine  art  gotischer  kunst- 
prosa  sieht,  die  noch  weit  mehr  leistet,  als  nur  eine  widergabe  des  griechischen 
Originals. 


DIE    ÜBEKSKTZUNÜSTKCIINIK    DES    WULKILA.  151 

In  den  fusstapfen  von  Krafft  l)e\vogt  sich  Massmunn^:  „Wie 
sehr  wir  die  zum  teil  früheren  syrischen,  ägyptischen  ....  und  arme- 
nischen Übersetzungen  der  heiligen  schrift  für  herstellung  des  ursprüng- 
lichen griechischen  textes  zu  schätzen  wissen,  so  dürfte  doch  an  an- 
schmiegender treue,  an  verständiger  gewissenhaftigkeit  keine  der  gotischen 
Übersetzung  gleichkommen. 

Es  bedurfte  daher  .  .  .  noch  einer  andern  spräche,  welche  gleich- 
zeitig und  mit  tieferen  mittein  der  wortableitung,  des  wurzolzusammen- 
hangs  und  des  satzbaus  begabt,  ohne  sich  selbst  gewalt  antun  zu  müssen 
und  somit  ihren  zweck  zu  verfehlen,  wort  für  wort  den  griechischen 
text  der  h.  Schriften  treu  zu  begleiten  und  wahrhaft  widerzugeben  ver- 
mochte.    Dies  ist  unbedingt  die  gotische  oder  deutsche  spräche." 

Endlich  heisst  es  (s.  LXXXVII):  .,Das  aber  darf  jetzt  schon,  nach 
genauester  prüfung  jeder  stelle  und  lesart,  gesagt  w-erden,  dass  keine 
stelle  der  gotischen  Übersetzung,  wird  dabei  in  anschlag  gebracht,  was 
Ulfilas  der  treue  gegen  seine  eigene  muttersprache  schuldete,  sowol  in 
anwendung  von  lesarten,  als  auch  in  Stellung  und  Umstellung  der 
Worte  usw^,  auch  jetzt  schon  irgend  einer  griechischen  handschrift  als 
vorläge  oder  vorbild  entbehre.  Von  der  treue  des  ehrwürdigen  goti- 
schen Übersetzers  gegen  den  griechischen  text,  wie  er  ihm  vorlag,  haben 
schon  Lobe,  Grimm  und  andere,  zuletzt  Krafft  zusammenfassend  ge- 
handelt. Es  bleibt  uns  hier  daher  nur  noch  eine  anzahl  eigentümlicher 
stellen  zusammenzufassen  übrig,  welche  dort  weniger  berührt  worden 
und  der  beleuchtung  avoI  wert  sind,  um  teils  auf  den  geist  der  goti- 
schen Übersetzung,  teils  auf  die  beschaffenheit  der  gotischen  hand- 
schriften  noch  ein  bestimmteres  licht  zu  werfen." 

Die  stellen,  welche  Massmann  bespricht,  sind  vor  allem  bei- 
spiele  dafür,  in  wie  hohem  masse  Wulfila  die  alliteration  als  künst- 
lerisches mittel  in  seiner  Übersetzung  angewandt  habe.  In  diesem 
punkte  sucht  er  also  das  von  Krafft  aufgestellte  urteil  noch  zu  vertiefen. 

Die  nächsten  bemerkungen  über  die  Übersetzungstechnik  finden 
sich  erst  fast  zwanzig  Jahre  später,  und  es  ist  nun  eine  deutliche 
reaction  gegen  die  hohe  Avertschätzung  der  Übersetzungskunst  des  Wul- 
fila zu  bemerken. 

Im  jähre  1874  haben  K.  Schirmer  in  einer  Marburger  disser- 
tation  über  den  syntaktischen  gebrauch  des  Optativs  im  gotischen, 
0.  Apelt  in  einem  aufsatz  über  den  accusativ  cum  infinitivo  im  goti- 

1)  Ulfilas.  Die  heiligen  Schriften  alten  und  neuen  bundes  in  gotischer  spräche, 
ii erausgegeben  von  H-  F.  Massniann,  Stuttgart  1857,  s.  Ifg. 


152  STOLZEN  Rur.n 

sehen  und  H.  Gering  in  seiner  arbeit  über  den  syntaktischen  gebrauch 
der  participien  im  gotischen  auch  die  frage  nach  der  Übersetzungs- 
technik berührt. 

Schirmer  sagt  (s.  1  fgg.):  ;,Aucli  dürfte  das  als  ein  allgemeiner 
mangel  der  Köhlerschen  schrift^  anz.usehen  sein,  dass  sie  zu  wenig 
den  Übersetzungscharakter  der  gotischen  quellen  berücksichtigt  und  so 
alle  sprachlichen  erscheinungen  als  selbständige  Schöpfungen  des  goti- 
schen Sprachgeistes  auffasst,  während  eine  vorurteilslose  betrachtnng 
doch  oft  sich  bescheiden  muss,  den  bestimmenden  einfluss  des  Originals 
auf  den  gotischen  ausdruck  anzuerkennen  und  demgemäss  auf  eine 
eigentliche  erklärung  aus  dem  gotischen  allein  zu  verzichten. 

Die  quellen  des  gotischen  sind  äusserst  wenig  umfangreich,  und 
obendrein  sind  sicher  die  meisten,  wahrscheinlich  alle,  Übersetzungen. 
Darum  liegt  die  befürchtung  allerdings  nahe,  dass  eine  syntaktische  Unter- 
suchung des  gotischen,  ganz  besonders  eine  auf  die  syntax  des  verbums 
bezügliche,  nicht  gotische,  sondern  griechische  syntax  zu  tage  fördere 
—  wie  denn  Burckhardt-  nicht  viel  anderes  gesucht  hat.  Doch  kann 
dagegen  zunächst  auf  das  massgebende  urteil  Lobes  verwiesen  werden; 
vieles,  besonders  auch  das,  wie  entschieden  die  freiheit  der  spräche  in 
beziehung  auf  die  modi  gewahrt  worden  ist,  wird  noch  im  verlaufe  der 
Untersuchung  ersichtlich  werden,  man  denke  hier  nur  beispielsweise 
daran,  welch  verschiedene  functionen  bei  der  Übersetzung  der  gotische 
Optativ  in  sich  vereinigt,  wenn  er  bald  für  den  griechischen  optativ, 
bald  für  conjunctiv  oder  indicativ  (bes.  futuri)  steht.  Vor  einem  allzu 
grossen  vertrauen  auf  die  eigenartigkeit  der  vorliegenden  gotischen 
prosa  freilich,  wie  es  Köhler  zuweilen  zeigt,  ist  schon  oben  gewarnt 
worden." 

Bei  Apelt  (Germania  19,  28.3)  lesen  wir:  „Darüber  ist  man  jetzt 
einverstanden,  dass  kaum  jemals  ein  Übersetzer  treuer,  um  nicht  zu 
sagen  ängstlicher  in  widergabe  seines  Originals  verfahren  ist,  als  der 
Gote."  Und  (s.  289):  „Bei  der  grossen  gewissenhaftigkeit  der  gotischen 
Übersetzer  ist  es  kaum  denkbar,  dass  dieselben  ohne  not,  d.  h.  ohne 
durch  die  gesetze  ihrer  spräche  gezwungen  zu  werden,  dem  griechischen 
untreu  wurden;  wol  aber  hat  man  grund  anzunehmen,  dass  der  trieb 
nach  genauigkeit  zuweilen  lebhafter  und  stärker  war  als  derjenige,  die 
eigentüralichkeit   der   gotischen    spräche    überall   zu    wahren."     S.  297 

1)  Der  syntaktische  gebrauch  des  optativs  im  gotischen.  (Bartsch,  Germa- 
nistische Studien  I,  77—133.) 

2)  Der  got.  conjunctiv  verglichen  mit  den  entsprechenden  modis  des  neutesta- 
mentlichen  griechisch.     Zschopau  1872. 


DIK    ÜBERSKTZUNOSTKCIINIK     HKS    Wl'Ll'II.A  153 

wini  liiiizugefiigt:  .,lni  allgeiiioiiicu  jedüch  scheint  mir  soviel  fost/.u- 
stelien,  dass  der  Gote  aus  übergrosser  treue  gegen  das  griechische  ori- 
ginal nicht  selten  über  das  seiner  spräche  geläufige  hinausging." 

Etwas  anders  drückt  sich  Gering  aus,  der  in  seinem  urteil  Lobe 
näher  steht  (Zeitschr.  5,  431):  „Was  die  anwendung  der  participia  be- 
trilTt,  so  hat  sich  Yulfila  im  allgemeinen  seiner  vorläge  mit  gnisster 
treue  angeschlossen,  so  dass  häufig,  wie  in  einer  interlinearversion, 
wort  für  Avort  dem  griechischen  texte  genau  entspricht.  Es  ist  jedoch 
in  diesem  umstände  kein  beweis  für  sklavische  abhängigkeit  des  Über- 
setzers von  seinem  original  zu  erblicken,  vielmehr  ist  der  einfache 
gruiul  davon  der,  dass  die  griechische  und  gotische  spräche,  wie  sie 
zeitlich  neben  einander  bestanden,  so  auch  in  ihrem  ganzen  Charakter 
eine  grosse  ähnlichkeit  hatten."  Ferner  (s.  432):  „Dass  Yulfila  den  sinn 
des  Originals  meist  richtig  widergegeben  und  mit  geschmack  übersetzt 
hat,  ist  von  allen  kennern  des  gotischen  anerkannt.  Die  wenigen  Un- 
richtigkeiten, die  ihm  nachgewiesen  werden  können,  kommen  dagegen 
gar  nicht  in  betracht:  man  darf  nicht  vergessen,  dass  er  als  der  erste, 
so  viel  wir  wissen,  germanische  prosa  schrieb.  Mitunter  hat  Vulfila 
sogar  den  sinn  der  Schrift  in  seiner  Übersetzung  zu  vertiefen   gesucht." 

"Wie  wenig  es  nach  allen  diesen  Untersuchungen  und  urteilen  zu 
klarheit  und  einigkeit  gekommen  war,  zeigen  uns  besonders  deutlich 
zwei  kurze  bemerkungen  aus  dem  folgenden  jähre,  die  von  K.  Marold 
imd  A.  Lichtenheld  herrühren. 

I\.  Marold  sagt^:  „Dass  Ulfilas  bei  der  Übersetzung  der  bibel  in 
seine  muttersprache  trotz  des  genauen,  oft  sklavisch  erscheinenden  an- 
schlusses  an  seine  vorlagen  nichts  weniger  als  unselbständig  gewesen 
ist,  zeigt  aufs  deutlichste  seine  Umschreibung  des  der  eigenen  spräche 
mangelnden  futurs." 

Bei  Lichtenheld  heisst  es-:  ,,Dass  der  spräche  nicht  nur  über- 
haupt, sondern  sogar  in  hohem  masse  zwang  angetan  ist,  und  dass  wir 
in  der  bibel  Übersetzung  nichts  weniger  als  ein,  einem  Goten  mund- 
gerechtes gotisch  vor  uns  haben,  ist  zwar  nicht  stets  zugestanden  worden, 
doch  führt  von  selbst  darauf  die  örwägung,  dass  wir  hier  einen  höchst 
wahrscheinlich  allerersten  Übersetzungsversuch  einer  für  prosalitteratur 
noch  ganz  unausgebildeten  spräche  vor  uns  iiaben,  und  dass  dieser 
versuch  noch  dazu  an  der  bibel  gemacht  wurde,  deren  worte  ein  un- 
antastbares heiligtum  sind." 

1)  Futurum  und  fiiturische  ausdrücke  im  gotischen.  Wissenschaftliche  nionats- 
^'lätter  187.5,  s.  1G9. 

2)  Das  schwache  adjectiv  im  gotischen.     Z.  f.  d.  a.  bd.  18,  2.'5. 


154  STOLZENBURG 

Eine  klärung  der  frage  war  auf  diesem  wege  nictit  zu  erreichen. 
Sie  konnte  nur  herbeigeführt  werden  durch  eine  gründlichere  Unter- 
suchung des  materials.  In  dieser  beziehung  tut  nun  Bernhardt^  einen 
schritt  weiter,  indem  er  die  frage  nach  der  Übersetzungstechnik  auf 
grund  einer  eingehenden  vergleichung  des  gotischen  und  griechischen 
textes  behandelt:  „Die  gotische  spräche  gestattete  durch  die  fülle  und 
klarheit  ihrer  flexiou  dem  Übersetzer  einen  sehr  genauen  anschluss  an 
seine  vorläge.  Die  Wortstellung  ist  meist  übereinstimmend,  unter  den 
abweichungen  sind  manche  ziemlich  regelmässig  oder  doch  häufig,  wie 
die  Voranstellung  des  objects  vor  das  verb  (zu  Joh.  Y,  46),  die  Stellung 
der  possessiva  hinter  dem  nomen  (zu  Mt.  VIII,  3),  der  negation  un- 
mittelbar vor  dem  verb.  Eigentümlich  griechische  partikeln  wie  av,  (.liv, 
ye,  7ciQ  werden  nicht  übergangen,  wenngleich  nicht  immer  ganz  sinn- 
getreu widergegeben.  Selbst  den  mangeln  seiner  conjugation,  gegen- 
über der  griechischen,  versteht  der  Gote  in  mancherlei  weise  abzuhelfen; 
das  futurum  z.  b.,  das  meist  durch  den  indicativ  oder  conjunctiv  des 
präsens  übersetzt  wird,  kann  doch  auch  durch  Umschreibungen  mit 
skulan,  dugiiian,  haban,  auch  durch  Zusammensetzungen  mit  ga  ge- 
geben werden,-  und  diese  partikel  muss  auch  andere  lücken  der  goti- 
schen conjugation  ausfüllen,  vgl.  meine  abhandlung  in  Zachers  Zeit- 
schrift IL  Dem  griechischen  imperativ  aoristi  entspricht  gewöhnlich 
gotischer  imperativ,  dem  des  griechischen  präsens  der  conjunctiv.  Auf 
unmittelbare  nachahmung  griechischer  redeweise  mögen  manche  an- 
wendungen  des  artikels,  die  des  Infinitivs  in  folgesätzen,  der  accu- 
sativ  der  näheren  bestimmung  beruhen.  Hebraisierende  formein  wie 
lyivExo  'Aal  (zu  Lc.  VI,  12)  oder  a^//)f  llyti)  {/.ilv  el  öod^joeiai  ö7^f.ieL0v 
(Mc.VIII,  12)  pflegt Vulfila  unverändert  widerzugeben,  ebenso  Rö. XIV,  11 
liba  ik,  qipip  fraiija,  J>atei,  die  ellipse  des  nachsatzes  Mc.  VII,  11, 
das  OTi  vor  directer  rede  {patei,  selten  el  oder  'unie),  pleonasmen  wie 
Mt.  VI,  26  mals  wulprlxans  sljiij),  f.iäXkov  diacpeQere]  vgl.  Mc.  V,  26, 
anakoluthe  wie  Mc.  VII,  2,  Lc.  IX,  3  ...  . 

Daneben  weiss  jedoch  Vultila  die  eigentümlichkeiten  seiner  spräche 
entschieden  zu  wahren;  wie  z.  b.  die  sparsame  anwendung  des  artikels 
vor  Substantiven,  die  des  duals,  des  conjunctivs,  der  casus,  der  häutige 
Übergang  zum  natürlichen  geschlecht  und  numerus  (sogar  beim  artikel: 
J)ai  fadreiii)^  das  vermeiden  des  praesens  historicum,  die  bezeichnung 
von  ländern  durch  den  volksnamen  beweisen.  Die  genauigkeit  ist  nicht 
so  gross,  dass  nicht  von  dem  reichtum  griechischer  partikeln  ein  oiv, 
•Aal,   yccQ,   Idoc,  f.iev,  äqa,   ye  ab  und  zu  weggelassen,  oder  umgekehrt 

1)  Vulfila  oder  die  gotische  bibel,  Halle  1875,  s.  XXXI fgg. 


DIE    ÜBERSETZUNGSTECHNIK    DES    WULl'ILA  155 

das  asyndetoii  durch  ein  zu^-esetztes  ip,  panuli,  pariih,  iiunti  besoitigt, 
ein  demonstrativ  (namentlich  vor  dem  relativ),  ein  persönliches  prono- 
men,  und  besonders  häufig  das  verbum  tvisan  zugefügt  würde. 

Nicht  selten  ist  der  gotische  satzbau,  besonders  im  modus,  rich- 
tiger und  bedeutsamer  als  der  des  griechischen,  der  gotische  ausdruck 
reichhaltiger  als  der  griechische. 

Besonders  schön  ist  Mc.V,  2fgg.  die  erzählung  von  dem  besessenen 
übersetzt.  Damit  ist  zuweilen  eine  erweiterung  dos  grieciiischen  aus- 
drucks,  ein  zusatz,  verbunden.  Bisweilen  genügte  schon  der  zusatz  des 
artikels,  um  dem  gedanken  erhöhte  bedeutsamkeit  zu  geben.  Nicht 
minder  ^virksam  ist  oft  ein  dem  verbum  zugesetztes  ga,  vgl.  meine  ab- 
handhmg    in  Zachers  Zeitschr.  2,  158 fgg. 

Griechische  Wortspiele  und  gleichklänge,  wie  sie  besonders  Paulus 
liebt,  pflegt  auch  Yulfila  widerzugeben. 

Aber  auch  ohne  Vorgang  des  griechischen  liebt  Vulfila  solchen 
schmuck  der  rede  und  stellt  gern  verschiedne  derivata  von  gleichem 
stamme,  namentlich  nomen  und  verbum,  neben  einander. 

Andererseits  zeigt  sich  eine  entschiedene  neigung  des  Goten  im 
ausdruck,  in  der  structur,  in  den  wortformen  abzuwechseln.  Lobe  hat 
hierfür  in  seiner  Grammatik  p.  284  fgg.  viele  beispiele  gesammelt,  die 
freilich  starker  kritischer  sichtung  bedürfen,  vgl.  auch  meine  Kritischen 
Untersuchungen  II,  p.  18  und  meine  anmerkung  zu  Mt.  V,  23.  Man 
kann  ohne  Übertreibung  sagen,  dass  ein  hauch  dichterischer  be- 
geisterung  durch  Vulfilas  werk  geht;  auch  das  häufige  vorkommen 
der  allitteration  beweist  dies.  Zahlreiche  beispiele  hierzu  hat  Mass- 
inann,  Got.  Sprachdenkmäler,  p.  LXXXIX  gesammelt. 

Von  dem  soeben  geschilderten  verfahren,  das  sich  über  evangelien 
und  episteln  gleichmässig  erstreckt  und  entschieden  auf  einen  Über- 
setzer hinweist,  unterscheidet  sich  höchst  auffallend  die  willkür,  mit 
welcher  in  den  büchern  Esra  und  Nehemia  der  text  behandelt  ist." 

Endlich  spricht  Bernhardt  noch  über  die  fehler,  die  dem  Über- 
setzer unterlaufen  sind:  „Bei  aller' Sorgfalt  hat  freilich  Vulfila  doch  zu- 
weilen eine  stelle  missverstanden  oder  auch  gar  nichts  damit  anzufangen 
gewusst.  In  letzterem  falle  pflegt  er  sich  w^ol  mit  wörtlicher  widergabe 
zu  begnügen." 

Auch  diese  zweite  eingehendere  prüfung  des  materials  hatte,  wie 
schon  einmal  bei  Lobe,  den  erfolg,  dass  die  Übersetzung  wider  höher 
eingeschätzt  wurde  als  vorher.  Doch  erfuhr  das  urteil  Bernhardts  so- 
i;leich  Widerspruch. 


lÖÜ  STOLZKNBURG 

0.  Lücke  sclireibt  nämlich  in  seiner  1876  erschienenen  disser- 
tation\  nachdem  er  sowol  das  urteil  von  Lobe  wie  das  von  Castiglione 
als  übertrieben  abgelehnt  hat:  ,,Vulfilas  Übersetzung  war  für  ihre  zeit 
gewiss  ein  meisterwerk,  das  nicht  nur  durch  die  grossartigkeit  des 
gedankens,  sondern  auch  durch  die  art  der  ausführung  auf  einsamer 
höhe  dasteht;  aber  Vulfila  blieb  doch  immer  ein  mensch  und  ein  — 
Übersetzer.  An  eine  Übersetzung  jener  zeit  darf  man  obenoin  nicht 
dieselben  anforderungen  stellen,  wie  heutzutage,  wo  wir  auf  unzählige 
Vorbilder  zurückblicken  und  von  klein  auf  uns  selbst  eine  übersetznngs- 
routine  aneignen.  Der  einflass  des  Originals  musste  sich  daher  noch 
ganz  anders  geltend  machen,  als  heute;  dazu  kam,  dass  der  Gote  einen 
heiligen  text  vor  sich  hatte  und  um  so  gewissenhafter  mit  ihm  um- 
ging. Das  bestätigt  sich  denn  auch  im  einzelnen  auf  jeder  seite  des 
Vulfila.  Hebraisierende  Wendungen  finden  sich  durch  das  medium  des 
griechischen  hindurch  noch  im  texte  des  Vulfila;  griechische  anakoluthe, 
die  dem  Goten  unmöglich  geläufig  sein  konnten,  werden  wörtlich  über- 
tragen; ja,  wenn  der  Gote  gezwungen  ist,  die  griechische  construction 
etwas  anders  zu  wenden,  überträgt  er  oft  attribute  oder  andere  Satz- 
glieder genau  so,  wie  sie  nur  in  die  construction  seiner  vorläge,  die 
er  verlassen  hat,  nicht  in  seine  eigene  hineinpassen  würden.  Die  mehr- 
zahl  derartiger  beeinflussungen  durch  das  original  gestehen  natürlich 
auch  die  gegner  an  den  einzelnen  stellen  ein;  selbstverständlich  muss 
aber  dadurch  auch  unsere  gesamtansicht  von  der  Übersetzungsart  des 
Vulfila  bedeutend  geändert  werden.  Da  Avir  den  unebenen  einfluss 
von«  aussen  her  an  jenen  stellen  nicht  leugnen  können,  so  werden  wir 
jetzt,  -wenn  gewisse  gründe  uns  veranlassen  sollten,  auch  das  indigenat 
einiger  andern  gotischen  constructionen  stark  zu  bezweifeln,  in  jenen 
allgemeinen  ästhetischen  rücksichten  kein  hindernis  mehr  vor  uns  haben. 
Wir  können  überhaupt  bei  der  grossartigen  gewissenhaftigkeit  unseres 
Übersetzers  die  regel  aufstellen,  dass  eine  construction  nicht  echt  gotisch 
sein  kann,  die  Vulfila  bald  dem  Originaltexte  gemäss  widergibt,  bald 
aber,  ohne  dass  ein  besonderer  gi-und  erkennbar  wäre,  verändert.  Eine 
zweite  frage  wird  dann  natürlich  die  sein,  ob  wir  die  fragliche  structur 
Überhaupt  als  undeutsch  oder  nur  als  in  bestimmten  fällen  undeutsch 
bezeichnen  müssen." 

Die  folgenden  urteile  bewegen  sicii  auf  einer  mittellinie.  Ohne 
auf  die  von  Bernhardt  nochmals  besonders  betonte  ästhetische  seite  der 
Übersetzung  einzugehen,  geben  sie  eine  grosse  Übereinstimmung  zwischen 

J)  Absolute  participia  im  gotischen.    Magdeburg  1876.    Göttinger  diss.  s.  54. 


DIK    VBF.USKTZUNGSTKCIIMK    DKS    WUI.FIl.A  157 

U-otiselieiu  und  gTieehischeiii  text  zu,  schreiben  diese  aber,  wie  auch 
sclion  vorher  geschehen,  der  iilnilichkeit  beider  sprachen  zu  und  be- 
tonen die  abweichungen  zwischen  beiden  texten. 

So  schreibt  Ed.  Weiskeri;  „In  den  Überresten  der  gotischen 
bibel  liegt  uns  nicht  ein  original  werk,  sondern  nur  eine  Übersetzung 
aus  dem  griechischen  vor.  Dies  ist  bei  jeder  Untersuchung  über  die 
svntax  des  gotischen  zu  berücksichtigen.  Die  gotische  spräche  ist  in- 
folge ihrer  reichhaltigen  tlexion  und  durch  ihre  biegsanikeit  im  aus- 
druck  und  satzbau  dem  streben  Yultilas,  den  text  des  griechischen 
Originals  so  genau  als  möglich  widerzugeben,  so  günstig,  dass  man 
gar  oft  im  zweifei  sein  muss,  ob  wirklich  ein  bestimmter  gotischer 
Sprachgebrauch  oder  einfach  nur  nachahmung  des  griechischen  vorliegt. 
Andererseits  finden  sich  aber  auch  in  jeder  hinsieht  viele  abweichungen 
vom  griechischen  text,  welche  teils  die  eigentümlichkeiten  der  gotischen 
spräche  uns  zeigen,  teils  von  dem  streben  dos  Übersetzers  nach  klar- 
heit  und  deutlichkeit  des  ausdrucks  herrühren." 

0.  Erdmann  äussert  sich  folgendermassen-:  „Die  gotische  bibel- 
übersetzung  zeigt  im  allgemeinen  beAvusste  Selbständigkeit,  gegenüber 
dem  griechischen  original.  Namentlich  sind  die  modusformen  des  ver- 
bums oft  ohne  rücksicht  auf  die  des  neutestamentlichen  grieciiisch  nach 
eigener  und  feiner  Überlegung  angewandt;  und  wo  der  Übersetzer  durch 
die  reicheren  genus-  und  tempusformationen  des  griechischen  zur  Um- 
schreibung angeregt  sein  mag,  da  hat  er  dieselbe  mit  richtiger  Schätzung 
der  mittel  seiner  spräche  ausgeführt.  Dennoch  lässt  sicii  vermuten, 
dass  er  durch  den  griechischen,  ja  auch  durch  den  ihm  wol- 
bekannten  lateinischen  Sprachgebrauch  geleitet,  in  manchen 
lallen  weitergegangen  ist,  als  es  seine  muttersprache  bis  dahin  gewöhnt 
war.  Es  zeigt  sich  dies  z.  b.  bei  manchen  Verwendungen  des  artikels, 
in  der  Stellung  der  worte,  bei  einigen  in  auffallender  weise  absolut 
gesetzten  participien,  sowie  namentlich  bei  der  Verbindung  des  accu- 
sativs  und  Infinitivs  mit  einem  verbum.'' 

In  seiner  Geschichte  der  deutschen  litteratur'^  macht  Scherer 
folgende  bemerkung:  „Er  brachte'  die  Übersetzung  zu  stände,  indem  er 
möglichst  wortgetreu  den  griechischen  text  ins  gotische  übertrug,  aber 
doch  mit  dem  äussersten  respect  vor  dem  heiligen  buch  auch  die  achtung 

1)  Über  die  bedinguiigssätze  im  gotischen  (Programm)  s.  3.  Freiburg  in 
Schlesien  1880. 

2)  Zur  geschichtlichen  betrachtung  der  deutschen  syntax.  Zeitschiift  für  viilker- 
|i.sychologie ,  bd.  15,  410. 

3)  Berlin  1885,  s.  .34. 


1 58  STOLZENBURG 

vor  dem  einheimischen  Sprachgesetze  verband.  Die  spräche  selbst  kam 
ihm  dabei  entgegen,  die  gotische  syntax  stand  der  griechischen  damals 
noch  näher,  als  etwa  die  neudeutsche  oder  selbst  die  altdeutsche  der 
gotischen." 

Allein  steht  demgegenüber  mit  seiner  ansieht  E.  Friedrichs^ 
der  jede  abhängigkeit  des  Goten  vom  griechischen  text  zu  leugnen 
sucht.  Er  sagt  nämlich,  nachdem  er  auf  die  urteile,  die  Erdmann 
und  Eckardt-  über  die  gotische  Avortfolge  gefällt  haben,  eingegangen 
ist:  „Unleugbar  ist  die  grosse  Übereinstimmung  zwischen  original  und 
Übersetzung.  Dass  aber  trotzdem  beide  vorwürfe,  der  der  Unselbständig- 
keit und  auch  der  der  regellosigkeit  in  der  Wortstellung,  ungerechtfertigt 
sind,  wird  sich  deutlich  ergeben.  Auf  welche  weise  werden  nun  die 
ausgesprochenen  vorwürfe  zu  widerlegen  sein?  Widerspricht  ihnen  zu- 
nächst nicht  schon  die  logik?  Wenn  Vulfila  seinen  untergebenen  geist- 
lichen und  der  gemeinde  die  heilige  schrift  in  der  ihnen  bekannten 
und  geläufigen  spräche  zugänglich  machen  wollte,  wäre  da  nicht  der 
zweck  des  ganzen  Unternehmens  hinfällig  gewesen,  wenn  nun  der  zu- 
hörenden gemeinde  eine  ungewöhnliche  Wortfolge  entgegen  trat?  Stört 
doch  nichts  den  sinn  so  leicht  als  gerade  diese!  Es  ist  also  anzu- 
nehmen, dass,  da  die  gotische  Wortfolge  sich  äusserst  häufig  mit  der  des 
griechischen  textes  deckt,  die  regeln  über  wortfolge  für  beide 
sprachen  gemeinsame  sind."  Er  spricht  dann  über  das  Verhältnis 
der  got.  Wortfolge  zur  nhd.  und  ahd.  und  fährt  fort:  „Sollte  nun  in  den 
punkten,  wo  sich  zwischen  der  gotischen  und  unserer  spräche  ein  so 
tiefgehender  unterschied  herausstellt,  zwischen  Vulfilas  bibelübersetzung 
und  diesen  denkmälern  keine  so  breite  kluft  liegen,  bisweilen  sogar 
genaueste  Übereinstimmung  herrschen,  so  muss  daraus  gefolgert  werden, 
dass,  wenn  Vulfila  sich  dem  griechischen  anschloss,  er  damit  seiner 
spräche  keinen  zwang,  keine  gewalt  antat,  dass  in  jener  zeit  die  ger- 
manische Wortstellung  noch  dieselbe  war  wie  die  griechische,  wie  die 
indogermanische.  Oben  ist  gesagt,  dass  sich  Vulfilas  wortfolge  äusserst 
häufig  mit  dem  griechischen  texte  deckt  —  also  nicht  immer.  Führt 
er  hier  und  dort  regeln  auch  gegen  die  griechische  vorläge  durch,  so 
ist  dies  ein  neuer  beweis  für  seine  Selbständigkeit." 

S.  49fgg.  sucht  er  endlich  den  accusativ  cum  infinitivo  gegen  die 
ansieht  von  Erdmann  und  Apelt  als  dem  gotischen  Sprachgebrauch 
geläufig  zu  erweisen:  „Apelt  bemerkt,  dass  Vulfila  ziemlich  häufig  den 

1)  Die  Stellung  des  pronomen  personale  im  gotischen.  Leipziger  diss.  s.  2  fgg. 
Jena  1891. 

2)  Über  die  syntax  des  got.  relativpronomens.     Diss.,  Halle  1875,  s.  7  fgg. 


DIB    VBERSETZUNGSTKCHNIK    DKS    WULKII.A  159 

üriecliischen  accusativ  ciiin  intinitivu  durch  die  constructioii  mit  ei  um- 
schrieben  hat.  A^ulfihx  war  also  seinem  orif2;inale  gegenüber  nicht  so 
peinlich,  dass  er  vor  jeder  Umänderung  des  accusativs  cum  infitivo  zurück- 
sciireckte:  im  gegenteil,  er  gab  diese  construction  'ziemlich  häufig'  auf. 
und  da  sollte  er,  wenn  er  von  dieser  froiheit  /.iemlich  häuhg  gebrauch 
machte,  bedenken  getragen  haben,  falls  der  accusativ  cum  infinitivo 
wirklich  seinen  Sprachgesetzen  zuwiderlief",  ihn  auch  in  den  übrigen 
fällen  über  bord  zu  Averfen?  Noch  mehr.  Apelt  fügt  hinzu,  dass  der 
Güte  einen  accusativ  cum  infinitivo  gewählt  hat,  wo  griechisch  der 
nominativ  cum  infinitivo  vorlag  (Jh.  VII,  4).  Dass  Vulfila,  der  wört- 
lichen widergabe  halber  seiner  spräche  zwang  antat,  ist  der  so  oft  gegen 
ihn  erhobene  Vorwurf;  aber  nun  soll  er  gar,  avo  kein  zwang  vorlag, 
doch  die  ihm  fremde  und  dabei-  sicherlich  nicht  zusagende  construction 
gewählt  haben!  Eine  annähme,  die  nicht  wahrscheinlich  aussieht.  Wenn 
er  den  accusativ  cum  infinitivo  hier  wählte,  so  zeigt  er  damit,  dass  er 
ihm  von  seiner  muttersprache  her  geläufig  war,  und  dass  er  ein  gleiches 
von  seinen  lesern  wusstc." 

Auch  fehlte  es  nicht  an  stimmen,  die  wie  Bernhardt  der  Über- 
setzung besondere  ästhetische  Vorzüge  oder  andere  feinheiten  nach- 
rühmen. 

Zum  beispiel  sagt  Fr.  Streitberg':  „Bei  der  gewissenhaftigkeit 
und  fcinfühligkoit,  mit  der  Wulfila  seiner  aufgäbe  gerecht  zu  werden 
sucht,  sind  wir  zu  der  annähme  berechtigt,  dass  eine  solche  abweichung 
(er  spricht  von  den  fällen,  wo  griechischem  simplex  im  gotischen  ein 
compositum  entspricht)  vom  Wortlaut  der  vorläge  nicht  blosser  willkür 
zuzuschreiben  sei,  und  sind  zugleich  verpflichtet,  den  gründen  des  Unter- 
schiedes nachzuforschen.  Die  Übersetzungskunst  des  Wulfila  hat  sich 
mehr  als  einmal  nicht  damit  begnügt,  die  äussere  form  des  originales 
mit  möglichster  treue  widerzuspiegeln,  sondern  sie  hat  oft  den  haupt- 
accent  auf  die  treue  in  der  reproduction  des  gedankens  gelegt,  jene 
dieser  zum  opfer  gebracht." 

Ähnlich  äussert  sich  J.  Kelle^:  „Auch  Wulfila  hat  wol  manchmal 
den  Urtext  nicht  richtig  verstanden  oder  nicht  richtig  übertragen.  Ab- 
gesehen aber  hiervon  hat  er  ausserordentliches  geleistet.  Er  beherrschte 
die  griechische  spräche  nicht  minder  wie  die  gotische.  Die  bildsamkeit 
der  gotischen  spräche  ermöglichte  engen  anschluss  an  die  griechische. 
Einzelnes  der  Übersetzung  darf  auch  gewiss  als  direkte  nachahmung 
derselben    aufgefasst  werden.     Im    allgemeinen  jedoch  hat  Wulfila  die 

1)  Perfective  und  imperfective  actionsart  im  germanischea.  PBB  15,  81  fg. 

2)  Geschichte  der  deutschen  literatur,  Id.  1,30,  Berlin  1892. 


160  STOLZENBÜKG 

eigenart  der  gotischen  spräche  allseitig  gewahrt.  Schöpferisch  greift  er  in 
seine  nmttersprache  ein.  Um  den  begriffen  der  neuen  lehre  leichter  ein- 
gang  zu  verschaffen,  bediente  er  sich  der  ausdrücke,  die  im  recht  und 
im  gesetz  seines  volkes  vorhand&n  waren.  Er  erstrebt  abwechselung  des 
ausdruckes  und  der  constructiou.  Überall  zeigt  sich  schmuck  der  rede. 
Eine  art  dichterischer  begeisterung  geht  durch  das  ganze 
werk,  durch  welches  wir  den  ersten  direkten  einbhck  in  die  germa- 
nischen sprachen  gewinnen." 

Noch  weiter  geht  in  der  angedeuteten  beziehung  R.  Kögel':  „Der 
Übersetzer  schliesst  sich  mit  sichtlicher  absieht  so  enge  als  möglich  an 
das  heilige  original  an,  das  er  auf  das  genaueste  durchforscht  hat.  Trotz 
seiner  scheu  vor  abweichungen  tut  er  doch  nirgends  der  spräche  gewalt 
an,  er  handhabt  sie  vielmehr  mit  künstlerischer  freiheit,  und  diese 
steigert  sich  an  nicht  wenigen  stellen  bis  zu  poetischem  schwunge. 
Vgl.  Bernhardt,  Einleitung  s.  XXXV,  der  eine  menge  alliterierende 
Avenduugen  nachgewiesen  hat.  Missverständnisse  des  griechischen  textes 
bleiben  nicht  ganz  aus,  sind  aber  nii'gends  von  erheblicher  bedeutung. 
Mit  recht  sagt  Bernhardt,  dass  ein  hauch  dichterischer  begeisterung 
durch  "Wulfilas  Übersetzung  wehe.  Man  fühlt,  dass  er  seinem  grossen 
werke,  nicht  nur  mit  dem  vollen  aufgebote  seines  scharfen  Verstandes, 
sondern  mit  dem  ganzen  gemüte  eines  frommen,  ja  begeisterten  Christen 
oblag,  einem  werke,  das  seinesgleichen  nur  in  der  Lutheri- 
schen Übersetzung  hat.  Beiden  männern  war  ihre  aufgäbe  eine 
heilige  glaubenssache,  sie  wollten  ihrem  volke  das  wort  gottes  in  so 
treuer  und  des  Originals  würdiger  form  vermitteln,  dass  sie  vor  dem 
höchsten  richter  mit  ihrem  tun  bestehen  konnten.  Und  der  erfolg  blieb 
ihrem  gewaltigen  wollen  nicht  versagt." 

Wider  in  ganz  anderer  richtung  liegt  eine  kurze  bemerkung  aus 
demselben  jähre  von  R.  HeinzeP:  „Die  (von  Mourek)  als  perfecta  prae- 
sentiae  gefassten  fälle  sind  recht  unsicher,  da  sie  fast  alle  wörtlich  dem 
griechischen  entsprechen.  Das  hängt  mit  einer  das  ganze  buch  durch- 
ziehenden Überschätzung  Ulfilas  zusammen.  Weil  Ulfilas  oft  dem  griechi- 
schen text  selbständig  gegenüber  steht,  müsse  seine  Übersetzung,  auch  wo 
sie  mit  dem  griechischen  text  übereinstimmt,  immer  gutes  gotisch  sein. 
So  cousequent  ist  der  menschliche  geist  bei  einer  länger  andauernden 
arbeit  nicht.  Festen  boden  haben  wir  nur  bei  den  abweichungen  vom 
griechischen:  von  diesen  wäre  überall  auszugehen  gewesen." 

1)  GescLichte  der  deutschen  literatur  bis  zum  ausgange  des  mittelalteis ,  bd.  1, 1, 
s.  187,  Strassburg  1894. 

2)  Moiu'ek,  Syntax  des  got.  zusammengesetzten  satzes.    Rec.,  A.f.d.a.  XX,  144. 


WE   ÜBERSETZUNGSTKCHNIK    I)KS    WULFiLA  161 

Hier  sei  gleich  eine  bemerkung  aus  dorn  jähre  1898  von  Monrek,^ 
mit  angeführt,  die  sich  gegen  die  vorwürfe  Heinzeis  wendet  und  zu- 
gleich auch  Behaghel  zurückzuweisen  sucht:  „Behaghol  sagt  hier 
f  mit  deutlicher  anspieking  auf  des  ref.  syntaktische  arbeiten:  'bei  der 
gütischen  bibel  hat  mau  überall  mit  der  möglichkeit  fremden  einfliisses 
zu  rechnen,  und  man  muss  dies,  glaube  ich,  viel  mehr  tun,  als  es  zur 
zeit  geschieht.'  Denselben  Vorwurf  der  'Überschätzung  ülfilas'  macht 
mir  auch  Heinzel  (s.  Anz.  XX,  s.  144).  Ich  kann  nur  bemerken,  dass 
ich  genau  dieselbe  meinung  von  dem  gotischen  texte  hatte,  als  ich  an 
die  arbeit  ging;  aber  eben  das  eingehende  Studium  desselben  hat  mich 
eines  andern  belehrt." 

Mourek  hatte  schon  vorher-'  folgendes  gegen  Bernhardt  vor- 
gebracht: „Er  (Bernhardt)  sagt  nämlich:  'Wulfila  fand  keine  litterarisch 
durchgebildete  und  gefestigte  spräche  vor;  wenn  er  nicht  überall  mit 
strenger  folgerichtigkeit  verfährt,  so  ist  sein  werk  im  ganzen  darum 
nicht  weniger  der  bewunderung  wert'  Dazu  habe  ich  zu  bemerken: 
Wulfilas  spräche  folgt  äusserst  biegsam  jeder  psychologisch  veranlassten 
nüancierung  des  gedankens  und  ist  in  diesem  psychologischen  sinne 
sehr  strenge  folgerichtig." 

Im  gegensatz  hierzu  fällt  nun  Mc  Knighf  wider  ein  urteil,  das 
noch  schärfer  ist,  als  das  von  Heinzel:  „Für  the  study  of  word-order, 
Wulfila  is  of  little  value,  owing  to  the  slavish  way  in  which  he  foUowed 
the  Greek  order.  Friedrichs,  in  bis  investigation  of  the  word-order  in 
Wulfila,  explains  the  exact  correspondence  of  the  Gothic  order  with  that 
of  the  Greek  original,  as  resulting  not  from  slavish  imitation  on  the  part  of 
the  translator,  but  from  the  natural  similarity  of  word-order  in  the  two 
languages.  But  so  exact  a  coincidence  in  every  phrase  is  hardly  to  be  ex- 
plained  in  this  simple  manuer.  Although  many  of  the  Greek  idioms  belong 
also  to  Teutonic,  and  actually  do  occur  in  other  ancient  Teutonic  monu- 
raents,  it  is  absurd  to  assume  between  any  two  languages  a  natural 
similarity  in  word-order  as  striking  as  that  between  the  Gothic  trans- 
lation  of  the  Bible  and  the  Greek  original.  Consequently  the  statistics 
gathered  by  Friedrichs  show  not  the  word-order  of  the  Gothic  of 
that  period,  but  that  of  New  Testament  Greek,  and  the  only  evidence 
afForded  by  the  translation  of  AVulfila  is  that  offered  by  those  passages 

1)  Behaghel,  Die  syntax  des  Heliand.    Rec,  A.f.d.a.  XXIV,  341  anm. 

2)  Nochmals  über  den  eiofluss  des  hauptsatzes  auf  den  modus  des  nebensatzes 
im  gotischen.     (Sitzungsber.  der  k.  böhm.  ges.  d.  wiss.  1895,  XVII,  5). 

3)  Piimitive  Teutonic  Order  of  "VVords.  The  Journal  of  germanic  Pbilology. 
1897.    Vol.  I,  147. 

ZKITSCURIFT    F.  DI'XTSCHE    PHII.OLOGIK.       BD.  XXXVII.  11 


162  STOLZENRURG 

1)  in  which  tlie  Gothic  employs  more  words  than  tlie  Greek  does  and, 
tlierefore,  necessarily  has  an  independent  arrangeraent,  or  2)  in  which 
the  word-order  of  the  tran&lation  differs  from  that  of  the  original.  Such 
passages  are  not  numerous.  lü  the  fragraentary  transhition  of  Matthew, 
if  we  leave  out  of  consideration  differences  in  the  position  of  the  par- 
ticles,  we  find  less  than  a  hiindred.    Of  these  passages  three-fourths  are 

1)  instances  of  Gothic  circamlocution,  and  only   about  one-fonrth  are 

2)  instances  of  departure  from  the  Greek  order." 

In  demselben  jähre  hat  auch  Vogt^  ein  urteil  über  die  gotische 
bibelübersetzung  formuliert:  ,,Das  wirklich  bewundernswerte  an  Wulfilas 
leistung  aber  ist,  wie  er  die  spräche  dieses  aller  speculation  fremden, 
heidnischen  kriegervolkes  nicht  nur  den  erzählungen,  sondern  auch  den 
ethischen  und  dogmatischen  erörterungen  der  bibel  anzupassen  wusste. 
Selten  läuft  ihm  dabei  ein  missverständnis  unter;  selten  auch  hat  er  sich 
genötigt  gesehen,  einen  biblischen  ausdruck  als  unübersetzbar  beizu- 
behalten; eher  bedient  er  sich  eines  griechischen  oder  lateinischen  fremd- 
w^orts,  das  seinem  volke  durch  die  berührungen  mit  dem  Römerreiche 
schon  damals  geläufig  war;  sonst  hat  er  durchaus  seine  griechische  vor- 
läge getreu  aber  nicht  sklavisch  in  ein  unverfälschtes  gotisch  übersetzt, 
und  der  guten  form  wandte  er  genug  aufmerksamkeit  zu,  um  gelegent- 
lich auch  gegen  die  quelle  abwechslung  im  ausdruck  einzuführen." 

In  der  neusten  zeit  scheint  sich  wenigstens  das  eine  immer  mehr 
durchzusetzen,  dass  bei  benutzung  der  gotischen  bibel  zu  syntaktischen 
zwecken  jedesfalls  grösste  vorsieht  walten  muss,  w^enn  man  zu  sicheren 
resultaten  gelangen  will.  Die  grosse  Übereinstimmung  zwischen  dem 
gotischen  und  griechischen  text  ist  besonders  dadurch  noch  evidenter 
geworden,  dass  es  Fr.  Kauffmann  gelungen  ist,  diejenige  bibelrecension 
festzulegen,  die  der  Gote  bei  seiner  Übersetzung  vor  sich  hatte  (vgl. 
Zeitschr.  30.  31  und  32).  Bei  diesen  Untersuchungen 2  kommt  er  auch 
auf  die  Übersetzungstechnik  zu  sprechen:  ,.Als  hauptresultat  der  quellen- 
kritischen Untersuchung  darf  schon  an  dieser  stelle  ausgesprochen 
werden,  dass  wir  bei  den  bisher  behandelten  alttestamentlichen  frag- 
menten  und  bei  dem  Matthäusevangelium  eine  und  dieselbe  Übersetzungs- 
technik gefunden  haben  und  dass  diese  technik  durchaus  derjenigen 
verwandt  erscheint,  die  wir  aus  der  althochdeutschen  Evangelienüber- 
setzung zur  genüge  kennen.     Die  schriftstellerische  leistung  des 

1)  Vogt  und  Koch,  Geschichte  der  deutschen  literatur.  Leipzig  und  Wien  1897. 
(2.  auü.  1904  s.  11). 

2)  Beiträge  zur  quellenkritik  der  gotischen  bibelübersetzung.  II.  Das  neue 
testament.     Zeitschr.  30,  183. 


DIK    ÜBERSETZÜNGSTECUNIK    DK8    W'b'LFILA  163 

Übersetzers   ist   nicht    so    hoch    anzuschlagen,    wie    sie    bisher 
veranschlagt  worden   ist." 

Auch  Koppit/J  drückt  sich  in  ähnlichem  sinne  aus:  „Wie  stellt 
sich  nun  aber  Wulfila  zu  seiner  vorläge?  Übersetzt  er  frei  oder  schliesst 
er  sich  eng  an  die  vorläge  an?  Gibt  er  nur  in  einzelnen  partien  der 
gotischen  bibel  eine  genaue  Übersetzung  oder  durchweg?  Nach  meiner 
meinung  hält  sich  Wulfila  (trotz  gegenteiliger  ansieht  z.  b.  Friedrichs, 
Moureks  u.  a.)  geradezu  ängstlich  genau  an  die  vorläge;  in  der  Wort- 
stellung mindestens  ist  dies  zur  gewissheit  zu  erheben.  Es  soll  damit 
keineswegs  behauptet  werden,  dass  die  Stellungen,  wie  wir  sie  vorfinden, 
griechisch  und  daher  ungotisch  wären;  es  war  wol  der  usus  überhaupt 
ein  freierer,  aber  ob  der  Übersetzer  die  worte  auch  so  gefügt  hätte, 
■wenn  er  ohne  vorläge  geschrieben  hätte,  ist  wol  mehr  als  fraglich.  Wir 
können  oft  mehrere  selten  lesen,  ohne  dass  (ausser  ip  oder  pan  und 
dergl.)  auch  nur  ein  einziges  wort  seinen  platz  gegenüber  dem  griechi- 
schen geändert  hätte.'* 

In  dem  abschnitt  über  gotische  litteratur,  der  von  W.  Streitberg 
in  Pauls  Grundrisse  verfa.sst  ist,  steht  das  urteil  über  die  Übersetzungs- 
technik  der  bibel  der  von  Heinzel,  Behaghel,  Ka  uff  mann  und 
Koppitz  vertretenen  ansieht  nicht  mehr  sehr  fern:  „Ein  abschliessen- 
des urteil  wird  man  freilich  erst  dann  fällen  können,  wenn  die  über- 
setzungstechnik  der  neutestamentlichen,  wie  der  alttestamentlichen  texte 
bis  ins  einzelne  untersucht  worden  ist.  Bis  jetzt  fehlt  noch  jede  unter- 
läge zu  einer  definitiven  entscheidung. 

Die  absieht  des  Übersetzers  ist,  das  griechische  original  so  treu 
als  möglich  widerzugeben.  Es  lässt  sich  nicht  leugnen,  dass  diesem 
bestreben  nicht  selten  die  eigenart  des  germanischen  Sprachgebrauchs 
zum  opfer  gefallen  ist.  Xamentlich  in  syntaktischer  beziehung  macht 
sich  der  einfluss  des  urtextes  deutlich  bemerkbar.  Auf  der  andern  seite 
muss  jedoch  anerkannt  werden,  dass  es  dem  Übersetzer'  niclit  nur  ge- 
lungen ist,  in  zahlreichen  fällen  seine  Selbständigkeit  zu  wahren,  son- 
dern dass  er  auch  ein  überraschendes  Verständnis  für  die  widergabe 
feiner  nüancierungen  bekundet.  Am  glänzendsten  vielleicht  offenbart 
sich  seine  kunst  in  der  Verwertung  der  perfectiven  actionsart.  Im  all- 
gemeinen wird  man,  ohne  sich  der  gefahr  einer  Überschätzung  aus- 
zusetzen, sagen  dürfen,  dass  die  gotische  bibel  den  ahd.  Übersetzungen 

1)  Gotische  Wortstellung.     Zeitschr.  32,  433. 

2)  II.  bd.,  2.  auf!.,  VI.  abschnitt:  Litteraturgeschichte.  1.  Gotische  litteratur. 
Strassburg  1901,  s.  26. 

11* 


164  STOLZENBURG 

—  abgesehen  vom  Isidor  —  überlegen  ist,  mag  sich  auch  ihre  technik 
nicht  allzuweit  von  der  unsrer  ahd.  Evangelienübertragungen  ent- 
fernen." 

Am  schluss  dieser  chronologischen  Übersicht  mag  eine  bemerkung 
von  H.  Reisi  platz  finden:  „Jede  Untersuchung  über  gotische  syntax 
muss  die  tatsache  beherzigen,  dass  wir  die  gotische  spräche  nur  aus 
Übersetzungen  kennen,  und  dass  der  satzbau  bei  Übersetzungen  nur  gar 
zu  leicht  durch  den  satzbau  der  vorläge  beeinflusst  werden  kann.  Daraus 
ergibt  sich  die  folgerung,  dass  für  die  syntaktische  forschung  nur  die- 
jenigen stellen  in  betracht  kommen,  in  denen  die  Übersetzung  von  der 
vorläge  abweicht.  Denn  wo  das  gotische  mit  dem  griechischen  text 
übereinstimmt,  ist  immer  die  möglichkeit  vorhanden,  dass  wir  es  nicht 
mit  einer  gotischen,  sondern  mit  einer  griechischen  spracherscheinuiig 
zu  tun  haben.  Allerdings  werden  eigentümlichkeiten  der  einen  spräche, 
die  dem  Sprachgefühl  des  übersetzenden  ganz  grell  widerstreiten,  unter 
allen  umständen  eine  änderung  erfahren,  es  müsste  denn  eine  inter- 
linearversion  vorliegen,  und  eine  solche  ist  die  bibelübersetzung  des 
Ulfilas  nicht.  Andere  Spracherscheinungen  des  einen  volkes  werden  von 
dem  Sprachgefühl  des  andern  zwar  fremdartig  empfunden,  aber  sie  er- 
innern doch,  wenn  auch  manchmal  nur  entfernt,  an  diesen  oder  jenen 
gebrauch  der  eigenen  spräche,  sie  finden  in  dieser  irgend  eine  analogie 
und  werden  alsdann  übernommen,  ohne  erbgut  der  spräche  zu  sein. 
Für  die  Sprachgeschichte  kann  eine  solche  herübernahme  sehr  wichtig 
werden  —  aber  nur  dann,  wenn  die  spräche  noch  eine  bedeutende 
entwicklung  später  durchmacht,  was  beim  gotischen  bekanntlich  nicht 
der  fall  gewesen  ist. 

In  einer  gotischen  casussyntax  müssten  daher  in  jedem  abschnitt 
zuerst  die  fälle  ausgeschieden  werden,  die  von  der  griechischen  vorläge 
abweichen.  Diese  allein  sind  zunächst  von  bedeutung  für  die  histo- 
rische Sprachwissenschaft.  Die  fälle,  wo  vorläge  und  Übersetzung  über- 
einstimmen, dürfen  ja  nicht  ohne  weiteres  übersehen  werden,  da  die 
beiden  sprachen  gewiss  auch  gemeinsame  eigentümlichkeiten  besitzen 
können,  und  es  mag  sich  durch  Sprachvergleichung  manches  hiervon 
als  gemeingermanisch  erweisen.  So  lange  man  sich  jedoch  hier  auf 
einem  noch  nicht  hinreichend  geebneten  boden  befindet,  werden  solche 
fälle  lediglich  für  den  descriptiven  teil  der  grammatik  in  betracht  kommen 
können." 

1)  Dr.  M.  J.  van  der  Meer,  Gotische  casussyiitaxis  I.  Leiden  1901.  Rec, 
Zeitschr.  35,  120. 


DIE   ÜBERSETZÜNGSTECHN'IK    DES    WÜLKILA  165 

Damit  wäre  die  reihe  der  bemerkenswerten  urteile  über  die  über- 
setzimgstet'linik  der  gotischen  bibel  erschöpft.  Es  sind  so  ziemlich  alle 
Schattierungen  der  Avertschätzung  vertreten,  eine  entwicklung  aber  und 
kiärung  des  problems  ist,  abgesehen  vielleicht  von  der  allerjüngsten  zeit, 
nicht  zu  entdecken.  Es  würde  folglich  von  geringem  werte  sein,  wollte 
man  den  vielen  urteilen,  die  es  schon  gibt,  noch  ein  weiteres  hinzu- 
fügen. Vielmehr  kommt  es  darauf  an,  eine  gesicherte  basis  für  die 
Untersuchung  zu  schaffen,  und  dies  kann  offenbar  nur  dadurch  ge- 
schehen, dass  man  das  material,  aus  dem  sich  das  urteil  über  die  über- 
setzungstechnik  aufbauen  soll,  zunächst  lediglich  aus  den  zwischen  dem 
gotischen  und  griechischen  text  bestehenden  abweichungen  sich  zu- 
sammensetzen lässt,  diese  aber  möglichst  vollständig  sammelt.  Aus  den 
Übereinstimmungen  lässt  sich,  von  wenigen  fällen  abgesehen,  zunächst 
weder  für  die  gotische  syntax,  noch  für  die  Übersetzungstechnik  etwas 
schliessen. 

Mit  dieser  Umgrenzung  des  zu  verwendenden  materials  ist  gleich- 
zeitig die  disposition  der  Untersuchung  gegeben.  Wir  müssen  offenbar 
zwei  grosse  klassen  von  abweichungen  unterscheiden  i.  Die  eine  klasse 
umfasst  alle  diejenigen  abweichungen,  die  rein  grammatischer  natur 
sind,  und  die  der  gotischen  bibel  überhaupt  den  Charakter  einer  Über- 
setzung verleihen.  Die  zweite  klasse  umfasst  die  abweichungen  stilisti- 
scher art,  diejenigen,  zu  denen  der  Übersetzer  nicht  durch  die  gesetze 
seiner  spräche  gedrängt  wurde,  sondern  die  seiner  persönlichen  neigung, 
seinem  persönlichen  geschmack  und  Stilgefühl  entsprungen  sind.  An 
ihnen  wird  also  der  eigentliche  Charakter  der  Übersetzung  abzuschätzen 
sein,  sie  bilden  das  bei  weitem  wichtigste  material  für  die  beurteilung 
der  Übersetzungstechnik.  Natürlicherweise  ist  die  grenzlinie  zwischen 
beiden  gruppen  nicht  immer  leicht  zu  ziehen. 

1)  Bei  feststellung  der  abweichungea  ist  für  das  gotische  der  Uppsti  ömsche 
tfxt  massgebend  gewesen,  abgesehen  von  einigen  allgemein  gebilligten  conjecturen. 
Für  das  griechische  konnte  ich  mich  in  bezug  auf  das  Matthäus-  und  Johannes- 
evangelium  an  die  recension  EFGHSüV  beziehungsweise  den  text  des  Clirysostoraus 
halten  und  zwar  an  der  band  der  Beiträge  zur  quellenkritik  der  got.  bibelübersotzung 
von  Fr.  Kauffmann  (Zeitschr.  30  und  31).  Für  das  Lucas-  und  Marcusevangelium 
war  ich  betreffs  der  feststellung  der  gr.  lesarten  auf  Tischendorffs  Editio  octava 
angewiesen  und  habe  versucht  mit  ihrer  hilfe  die  recension  EFGHSÜV  auch  für 
sie  zu  gründe  zu  legen. 


J 


1(56  STOLZENBÜKü 

C  a  p  i  t  e  1  I. 
Die  abweiclmngeu  rein  giammatisclier  art. 

Es  liegt  in  der  natur  dieser  abweichimgen,  dass  sich  unter  ihnen 
sehr  viele  einzelfälle  zu  grösseren  gruppen  ziisammenschliessen ,  und  es 
würde  ein  unnötiger  aufwand  sein,  wollte  ich  jeden  einzelfall  eitleren. 
Zudem  sind  auf  diesem  gebiete  schon,  nanientlich  in  der  syntax  von 
Lobe,  Stellensammlungen  mannigfacher  art  vorhanden,  so  dass  es  im 
allgemeinen  genügt,  bei  den  regelmässigen  ab  weichungen,  auf  diese 
Sammlungen  zu  verweisen.  Die  griippierung  ist  bedingt  durch  die  syn- 
taktischen kategorien. 

1.  Verl)um, 
A.  Genus. 

1.   Medium. 
Regelmässig  gibt  der  Gote  das  gr.  medium   durch   die   reflexive 
form   des  verbums  widert     Daneben  linden   sich   aber  fälle,   in   denen 
das  blosse  activ  zur  widergabe  verwandt  wird  (vgl.  G. L.  §  178,  2b). 

2.  Passiv. 

Das  gr.  passiv,  soweit  es  nicht  im  gotischen  wörtlich  widerzugeben 
war,  wird  durch  andere  formen  des  verbums  ersetzt.  Dazu  dient  1.  das 
reflexivum  (doch  kann  auch  hier  das  reflexivpronomen  gelegentlich 
fehlen)   2.  das  activ  von  intransitiven  verben. 

In  beiden  fällen  wird  durch  die  bedeutung  des  reflexiven  oder 
intransitiven  verbs  die  passivische  function  widergegeben-. 

3.  Die  verba  auf  -nan^. 

Auch  sucht  der  Gote  das  gr.  passiv  durch  Umschreibungen 
widerzugeben.  Hierzu  werden  verwandt  die  hilfsverben  im,  ivas  und 
ivarJ)K  Dem  Infinitiv  passivi  entspricht  im  got.  in  der  regel  der 
Infinitiv  activi,  doch  tritt  auch  Umschreibung  mit  hilfsverben  und 
dem  participium  praeteriti  oder  adjectiven  ein  5. 

1)  Es  lindet  sich  auch  für  gr.  iatransitivuui  got.  reflexivum  bei  bestimmten 
verben;  doch  fehlt  das  reflexivpronomen  auch  widerura  in  einigen  fällen  (G. L.  §  176,4). 

2)  So  steht  z.  b.  ufhausjan  für  mt'd-ia&nt  oder  ushafjan  sik  für  al'QtaO^at  (vgl. 
G.L.  §  177,  4  und  5). 

3)  Belege  hat  ausführlich  gesammelt  A.  Skladny  (Über  das  got.  passiv.  Pro- 
gramm.   Neisse  1873,  s.  15). 

4)  Vgl.  H.  Gering,  Über  den  syntaktischen  gebrauch  der  participia  im  gotischen, 
Zeitschr.  5,  411  und  412  und  Skladny  s.  8.  9  und  10.  .  Statt  der  participia  finden  sich 
aucli  adjectiva  mit  hilfsverben  (Gering  s.  415). 

5)  Vgl.  G.L.  §  177,  anm.  4;  Gering  s.  419fg.  und  Skladny  s.  10  und  11. 


DIE    tJBEBSETZUNOSTECHNIK    DKS    WULFILA  167 

B.  Tempus. 
«)  In    hauplsiitzcii. 

1.  Futui'iini. 

-Das  gr.  fiituriini  wird  gewöhnlich  durch  den  indicativ  oder 
Optativ  praesentis  ersetzt;  es  finden  sich  aber  auch  Umschreibungen 
mit  sknlan,  dugimian,  haban  u.a.  mit  dem  infinitiv^  Endlich  kann 
der  Gote  das  gr.  futur  durch  Verwertung  der  perfectiven  actio nsart 
zum  ausdruck  bringen  -. 

2.  Praesens. 

Für  das  gr.  praesens  historicum  tritt  regelmässig,  soweit  der 
Gote  es  nicht  nachbildet  (G. L.  §  180,  3),  das  praeteritum  ein  (vgl. 
ebenda).  Auch  für  einige  fälle,  in  denen  das  gr.  praesens  perfectivo 
bedeutung  hat,  findet  sich  regelmässig  im  got.  das  praeteritum^. 

3.   Perfect. 
Das  gr.  perfect  wird    durch    das  got.   praesens    gegeben,    wenn 
eine  nocli  in  der  gegenwart  fortdauernde  handlang  ausgedrückt  ist  (G.  L. 
!   §  180,  4b).     Es   kann  aber  auch  das  praesens  eines  den  praesentialen 
sinn  des  gr.  perfects  ausdrückenden  got.  verbums  eintreten*. 

ß)  In  abhängigen  sätzen. 
In  abhängigen  sätzen  (optativ)  zeigt  der  Gote  sich  wie  im  modus 
so  auch  im  tempus  vom  gr.  text  unabhängig  ^ 

y)  Participia*^. 

Besonders  frei  in  bezug  auf  genus  wie  tempus  zeigt  sich  der  Gote 
bei  der  widergabe   der  gr.  participien.     Got.  partic.   praes.   act.   steht 

1)  G.L.  §  182,  2  und  Marold,  Futur  uud  futurisohe  ausdrücke  im  got.  (Wisseu- 
schaftl.  nionatsblätter  1875,  s.  170fgg.). 

2)  Eine  genaue  Untersuchung  dieser  fälle  gibt  Streitberg  in  PBB  l.ö:  Perfective 
und  impeifective  actionsart  im  germanischen,  s.  119 — 137,  wo  insbesondere  auch  fest- 
gestellt ist,  unter  welchen  bedingungen  eine  perfective  präsensform  die  fehlende  futur- 
form zu  ei"setzen  im  stände  ist. 

3)  Z.  b.  J.  XI,  28  laisareis  qani,  6  Siöüaxukog  mintoTiv  u.  a.  Vgl.  G.L. 
§  180,  4a. 

4)  Z.  b.  Mc.  IV,  29  unte  atist  asans  oit  nao^airiy.tv  6  lJ-foiain6g.  G.L.  §  180.  4a. 
.0)  So  steht  z.  b.  für  ^«v  c.  coni.  aoristi  jabai  c.  coni.  praes.  Vgl.  Schulze,  Glossar 

8. 178  (3c);    ebenso  nach  gr.  tva  und  got.  ci,  vgl.  Bernhardt,  Der  got.  optativ  (Zeit- 
schrift 8,  20 fg.). 

H)  Vgl.  H.  Gering,   Zeitschr.  5,  s.  295  fgg.  und  s.  299  f gg.,   wo  sich  auch  die 
ntsprcchungen  der  gr.  verbaladjectiva  auf  -tos  finden. 


168  STOLZENBDRO 

ausser  für  gr.  partic.  praes.  act.  auch  für  gr.  partic.  perf.  und  aorist 

act.     Auch  kommt  es  vor,  dass  für  gr.  partic.  perf.  und  aorist.  pass. 

sinnverwandte  got.   participia    act.   eintreten ^     Ferner    steht    das   got. 

particip.  pass.  ausser  für  die  gr.  particip.  praet.  pass.,  auch  für  das  gr. 

part.  praes.  pass.     Auch  fälle,  in   denen   es   das  gr.  participium  aorist. 

med.  vertritt,  kommen  vor.    Die  verba  auf  -nan  nehmen  auch  hier  ihre 

besondere  Stellung  ein. 

C.   Numerus. 

Steht  im  gr.  ein  subject  im  neutrum  pluralis  mit  dem  praedicat 
im  Singular,  so  wird  dies  im  got.  nicht  nachgebildet  (G.  L.  §  209, 
anm.  2). 

An  einigen  stellen  kommt  eine  abweichung  im  numerus  dadurch 
zu  stände,  dass  der  Gote  /.aiä  ovveoiv  construiert,  der  Grieche  nicht^. 

D.   Modus. 

In  der  widergabe  des  modus  zeigt  der  gote  eine  vreit  grössere 
Unabhängigkeit  von  seiner  vorläge'^. 

Der  got.  Optativ  steht  für  gr.  indicativ  (besonders  um  das 
futurum  widerzugeben),  conjunctiv,  imperativ,  optativund  modus 
Irrealis  (belege  bei  Burckhardt  s.  30fgg.).  „Das  resultat  dieser  ver- 
gleichung  ist",  sagt  Erdmann  in  der  recension  der  Burckhardtschen 
abhandlung  Zeitschr.  4,  455,  „dass  der  got.  conjunctiv  gelegentlich  allen 
modis  des  gr.  textes  entspricht. 

Dieses  resultat  kann  man  nach  den  vom  Verfasser  selbst  sowie 
von  G.L.  öfters  gemachten  andeutungen  dadurch  vervollständigen,  dass 
anderseits  auch  got.  indicativ  häufig  allen  diesen  gr.  formen  ent- 
spricht; so  namentlich  der  indicativ  praesent.  dem  futur  (s.  4.  5),  der 
auffordernden  1.  pl.  des  conjunctivs  (s.  6),  dem  conjunctiv  in  zweifeln- 
der frage  (s.  7;  Mc.  IV,  30  und  Mt.  VI,  31),  öfters  dem  conjunctiv  in 
conditionalsätzen  (s.  15.  16)."  Dann  kommt  Erdmann  auf  den  Wechsel 
im  modus  zu  sprechen  und  schliesst:  „Aus  alledem  ergibt  sich,  dass 
sich  Ulfilas  eben  nicht,  wie  z.  b.  meistens  die  ahd.  prosaiker,  an  den 
gr.  text  in  der  weise  band,  dass  er  bestimmten  gr.  tempus-  oder  modus- 

1)  Z.  b.  Lc.  IX,  55  gaivandjands ,  OTQCiffei'g  u.  a. 

2)  J.  VII,  49  so  nianagei  ßaiei  ni  kunnun,  6  ö/Xog  omog  6  ^mt]  yiyvwaxcov. 
Mt.  VIII,  32  run  gmvaurhtedun  sis,  ÜQfDjaev  bezogen  auf  hairda  siveine.  Ähnlich 
J.  XVI,  32  ei  distahjada  Jvarjixuh,  'iva  axoQuia'hfiTi  'ixuOTog,  wo  der  Gote  das  verbum 
sich  auf  harjixuh  beziehen  lässt. 

3)  Eine  Zusammenstellung  der  gesamten  entsprechungen  des  got.  optativs  im 
griechischen  gibt  F.  Burkhardt,  Der  got.  conjunctiv,  verglichen  mit  den  entsprechen- 
den modis  des  neutestamenthchen  griechisch,  Zschopau  1872,  s.  26. 


DIK    ÜBERSETZÜNQSTKCHNIK    DKS    WULFILA  169 

formen  bestimmte  got.  regelmässig  entsprechen  liess,  sondern  dass  er 
die  allerdings  beschränkte  zahl  der  verbalformationen,  die  ihm  zu  geböte 
stand,  in  freier  auswahl  nach  dem  sinne,  in  dem  er  jede  schrift- 
stelle aiiffasste,  verwandte.  Wir  sind  daher  berechtigt  mit  berück- 
sichtigung  des  gr.  textes  den  modusgebrauch  des  Ulfilas  als  seiner  eigenen 
spräche  angehörig  zu  betrachten  und  zu  untersuchen." 

In  der  tat  ist  soviel  klar,  dass  der  Gote  hier  seinen  eigenen  Sprach- 
gebrauch gegenüber  dem  griechischen  durchgesetzt  hat.  Aber  sollte  er 
wirklich  bei  jeder  einzelnen  schriftstelle  auf  grund  einer  Überlegung 
eine  auswahl  aus  seinen  got.  verbalformationen  getroffen  haben? 

Ähnlich  wie  Erdmann  sagt  Köhler  in  seinem  aufsatz:  Der  syn- 
taktische gebrauch  des  optativs  im  got.  (Germanist.  Studien  I,  s.  77):  „Es 
wird  sich  im  verlaufe  der  Untersuchung  zeigen,  dass  der  got.  optativ 
durchaus  nicht  willkürlich  neben  dem  indicativ  zur  widergabe  des  gr. 
futururas  verwendet  wird,  sondern  dass  der  Übersetzer  überall  mit  gutem 
bedacht  verfuhr  und  ein  unterschied  der  bedeutung  obwaltet,  je  nach- 
dem Vultila  den  indicativ  oder  den  optativ  dafür  setzte." 

Auch  bei  Bernhardt  (Über  den  got.  optativ,  Zeitschr.  8,  12) 
heisst  es:  „Das  griechische  ist  bei  der  wähl  des  modus  fast  nie  be- 
stimmend gewesen;  es  beweisen  also  solche  sätze,  wie  sorgsam  Vulfila 
bei  seiner  Übersetzung  sich  den  Zusammenhang  gegenwärtig  hielt." 

Beweisen  sie  das  wirklich?  Ist  denn  zur  erklärung  einer  gewissen 
sinngemässheit  und  innerlichen  gesetzlichkeit  des  got.  modusgebrauchs 
unabhängig  vom  griechischen  die  annähme  nötig,  Wulfila  habe  jedesmal 
den  Zusammenhang  sich  genau  überlegt  und  dann  sorgsam  ausgewählt 
und  so  oft  noch  feinheiten  zum  aUsdruck  gebracht,  die  nicht  einmal  im 
gr.  text  standen?  In  vielen  fällen  genügen  zur  erklärung  die  gebrauchs- 
formen  seiner  eigenen  spräche,  die  der  Übersetzer  naturgemäss  anwandtet 

II.  Nomen. 
A.  Casus. 

1.   Dativ. 

Von  den  got.  casus  ist  es  besonders  der  dativ,  welcher  vielfach 
unabhängig  vom   gr.   verwandt  wird  2.     Einige  got.  verben   haben   bald 

1)  Andere  wenige  fälle  lassen  allerdings  eine  deutliche  Überlegung  des  Über- 
setzers ertennen.  Diese  sind  unter  den  stilistischen  abweichungen  behandelt.  Vgl. 
auch  die  anm.  zum  Wechsel  im  modus,  s.  unten. 

2)  Genaueres  vgl.  bei  Köhler,  Über  den  syntaktischen  gebrauch  des  dativs  im 
gotiachen  (Germania  11,  s.  261  —  305). 


170  STOLZENUURG 

den  accusativ,  bald  den  dativ  nach  sich.  Oft  handelt  es  sich  hierbei 
um  einen  instrumentalen  dativ,  z.  b.  nach  ativairpan,  usdreiban,  saian, 
straujan.  Steht  dem  Goten  ein  Instrumentalis  zu  geböte,  so  setzt 
er  diesen  ein  (z.  b.  Mt.  VI,  25  Jve  ivasjaip,  ti  tvövGrjoO^e.  J.  XVI,  2  hansla 
saljaii  guda,  laTQet'av  nQooq)tQeiv  zat  ^eoj^).  Auch  für  gr.  genitiv  nach 
verben  findet  sich  der  got.  dativ  (z.  b.  bei  teJain  und  attekan). 

Ferner  für  gr.  accusativ  des  inneren  objects  (vgl.  Lc.  II,  8.  9, 
Mc.  IX,  41  und  im  passiv  Lc.  VII,  29,  Mc.  X,  38). 

Der  gegenständ,  mit  welchem  ein  anderer  verglichen  werden  soll, 
wird  im  got.  mit  dem  dativ,  im  gr.  mit  dem  genitiv  widergegeben 
(G. L.  §  250,4b);  so  steht  Lc. XVI,  8  frodoxans  sumim  für  (fQovi^noTEQoi 
VTrio  jovg  vwvg  (obwol  sonst  im  got.  tifar  angewandt  wird  G.  L.  §  197,4). 

Auch  auf  die  frage  um  wie  viel?  steht  im  got.  der  dativ,  be- 
ziehungsweise der  Instrumentalis  für  gr.  accusativ  (z.  b.  Lc.  IV,  35  wi 
icaihtai  gaskopjands  inima,  i^njdtv  ßlaxpav  avrov.  Mt.  V,  47  Ive  ma- 
nagixo  taujip,  vi  jceqiooöv  yroieiie,  G.L.  §  250,  4a*^). 

Ebenso  wird  der  accusativ,  der  den  gegenständ  bezeichnet,  an 
dem  etwas  geschieht  (der  näheren  bestimmung)  im  got.  nicht  nach- 
gebildet, sondern  durch  den  instrumentalen  oder  lokalen  dativ  wider- 
gegeben (z.  b.  Lc.  IV,  18  pa?is  gamalicidans  hairtin,  lovg  ovvistqiix- 
[.lärovg  rrjv  yia^diav.  Mc.  VIII,  36  gasleipeip  sik  saiivalai  seinai,  ^rn-iuo- 
d^fi  Ttjv  ipvyjjv  avcov.  G.L.  §  243.  Doch  steht  im  got.  auch  nach  dem 
gr.  gebrauch  der  accusativ,  G.L.  §  220,  4). 

Sehr  häufig  tritt  auch  dadurch  für  den  gr.  genitiv  im  got.  der 
dativ  ein,  dass  der  Gote  das  betreffende  wort  in  abhängigkeit  bringt 
vom  verbum,  während  es  im  gr.  von  einem  Substantiv  abhängt  (z.  b. 
Lc.  I,  76  nianivjan  wigans  hiima,  tToif-idaai  ödovg  avvov.  Ebenso 
Mc.  VII,  33  (sicf),  V,  30;  J.  XII,  3,  XIX,  2,  XVIII,  10,  X,21,  IX,  32, 
IX,  6.  21;  Mt.  IX,  30;  Lc.  XVI,  6 2.  Häufig  ist  diese  abweichung  auch 
dann,  wenn  an  statt  eines  verbums  wisan  oder  ivairpan  mit  einem  Sub- 
stantiv auftreten  (z.  b.  J.  VIII,  34  skalks  ist  fraicmirktai ,  öovXog  toiiv 
zfjg  df.iaQTiag^). 

1)  hiinsla  wird  von  Bernhardt  als  instrumental,  dativ  gefasst  (Zeitschr.  13, 
s.  18),  während  Schulze  die  form  für  einen  acc.  pl.  hält  (Got.  glossar,  s.  145  b). 

2)  Lc.  II,  6  usftdhiodcdun  dagos  du  bairan  izai,  inl^a&t]Oav  tu  rj/ie'o((i, 
lov  TfxiTv  ccvTTjv  ist  ixai  gleichfalls  zum  praedicat  gezogen. 

3)  Im  griechischen  hängt  d/urcortug  vom  dem  Substantiv  &ovXog  ab,  im  got. 
von  dem  ganzen  praedicat  skalks  ist;  vgl.  Meli,  28,  X,  44;  J.  IX,  27.  28,  XVIII,  13; 
Lc.  IV,  20,  X,  29.     Hierher  gehört  auch  die  steile  Lc.  II,  32  Uuhap  du  andhuleinai 


Olli    ÜBEKSETZUNüSTKCHNlK    UKS    WULFILA  171 

Endlich  wird  auch  der  preis  im  got.  durch  den  dativ  gegeben, 
während  im  gr.  der  genitiv  steht  (z.  b.  J.  VI,  7  iwaim  hundam  skatte; 
öia/.ooüov  ötjraoi'wr.    J.  XII,  5  steht  dafür  in  .t.  skatte,  G.L.  §  250,  8a). 

2.   Genitiv. 

Der  genitivus  partitivus  hat  im  got.  eine  selbständige  Ver- 
wendung gefunden.  Er  steht  nach  indefinitem  pronomen  abweichend 
vom  gr.  (G.L.  §  205,  anm.  2.  7.  9.  11,  und  V,  2b).  Sodann  wird  er  im  got. 
gesetzt  nach  f'dn,  welches  adjeetivisches  7colvc.  widergibt,  aber  substan- 
tivisch gebraucht  wird  (z.  b.  Lc.  V,  6  manageins  fiske  fil/t,  7tlfjd-og 
lyßiiüv  7ioh',  ebenso  Mc.  IV,  1,  y,21.  24,  IX,  14  u.  ö.). 

Ganz  ebenso  verhält  es  sich  mit  dem  genitiv  nach  sivaland  {tooov- 
rog):  J.  XIV,  9  swalaiid  melis,  rooovrov  xqÖvov.  Genitivus  partitivus 
findet  sich  auch  nach  dem  fragepronomen  has  (z.  b.  Mt.  V,  46  Ivo  mix- 
dono,  iha  fiia!}6v,  G.L.  §  204,  anm.  1). 

Bei  zahlen  setzt  der  Gote  ebenfalls  abweichend  vom  griechischen 
den  genitivus  partitivus  (z.  b.  Lc.  IX,  14  fimf  pusimdjos  tvaire,  ävögeg 
TtBvtavAoyJhoL,  ebenso  Lc.  lY,  2).  Ferner  steht  genitivus  part.  ab- 
weichend vom  gr.  nach  ivisan  c.  dat.  und  Imhan  (z.  b.  Lc.  II,  7  ni  uns 
im  riimis,  ov/,  fjv  aiioig  xoTcog,  ebenso  Lc.  I,  7.  J.  XV,  22  indons 
ni  hahand,  TiQocpaaiv  ov/,  i'xoiaiv,  vgl.  J.  IX,  41;  Mt.  IX,  36). 

Aber  auch  sonst  findet  sich  abweichend  vom  gr.  ein  genitiv  im 
got.  nach  verben  (z.  b.  Mc.  V^III,12  jabai  (jibaidau  kunja  pam^ua  taikne, 
ei  öod^rjoerai  t^  yevsä  Tavif]  orjuEiov  und  Lc.  XX,  31  id  hüipiin  harne, 
ov  /.aiiluiov  Ti/.va\  Mc.  XIV,  51  (j)ipun  is,  y.Qctrovoiv  acvöv,  G.L.  i^  236). 
Endlich  setzt  der  Gote  dreimal  nach  seinem  Sprachgebrauch  genitiv 
für  gr.  dativ  ein:  Lc.  II,  23  iveihs  fraujins  haitada,  ayiov  rw  xi-^/'/' 
/Ir^d-r^oEicci^  Lc.  I,  27  pixei  namo  Josef,  (■>  ovof.ia  ^hoat^fp  und  Lc.  1,45 
ustauhts  pixe  rodidane,  TelEuoaig  rolg  ?.Elalrjuh'0ig. 

'S.  Präpositionale  casus. 
Es  kommen  sowol  fälle  vor,  in  denen  ein  gr.  casus  mit  präpo- 
sition  im  got.  durch  einen  casus  ohne  präposition  gegeben  wird,  als 
auch  umgekehrt.  So  steht  nach  galauhjan  im  got.  dat.  (für  gr.  nqog, 
elg  c.  acc).  Für  gr.  t/,  c.  part.  genit.  steht  im  got.  der  partitive  genitiv 
ohne  präposition,  desgl.  nach  ImiJjan  und  lekinon  für  gr.  ditö  u.  a. 

piudom  jah  umlpu  managein  peinai  Israela,  f/O?  elg  ttnoxülvipiv  Id-vCjv  y.iu  döiav 
htov  aou  'loQui]).  (Bernhardt  zieht  die  dative  piudom  und  managein  peinai  zu 
ifin  vorhergebenden  manwides). 


172  STOLZENBUR& 

Andererseits  findet  sich   nach  qipan  oft  du  c.  dat.  für  gr.  datie  ohne 
Präposition^ 

Gr.  doppelten  accusativ  vermeidet  der  Gote  bisweilen  dadurch, 
dass  er  den  einen  accusativ  durch  du  c.  dat.  widergibt  (z.  b.  J.  X,  33 
tavjis  Jmk  silban  du  guda,  nouig  asavröp  d-eov,  so  noch  Mc.  XI,  17, 
XII,  23,  vgl.  G.L.  §  220,  anm.  1).  Oder  er  verwendet  für  den  einen 
accusativ  den  dativ  oder  den  genitiv  (z.  b.  Mc.  XV,  17  jah  gaicasidedim 
ina  paurpw'ai,  /ml  ivöcovoiv  avibv  TtOQCfvqav^  vgl.  Lc.  XVI,  19,  VII,  29; 
Mc.  X,  38;  J.  XIX,  2;  G.L.  §  220,  4.  Der  genitiv  steht  Mc.  IV,  10 
freJiun  ina  .  .  .  ßixos  gajukons,  ijQiovwv  aviöv  .  .  .  xhv  TtaqaßoXrjv. 
J.  XIV,  26  gamaudeip  ixtvis  cdlis,  v/coi-ivrjGet  vuäg  /cavia). 

4.   Orts-  und   Zeitangaben. 

Hier  gehen  got.  und  gr.  Sprachgebrauch  ziemlich  auseinander.  Der 
Gote  ist  häufiger  seinem  eigenen  usus  treu  geblieben  ^  und  gebraucht 
für  gr.  Eig  c.  acc,  welches  die  richtung  bezeichnet,  in  c.  dat.,  womit  die 
ruhe  bezeichnet  wird  (z.  b.  Lc.  IV,  1  in  aupidai,  elq  xrjv  eqrj^ov]  stets 
bei  miduma  und  midjis  Lc.  VI,  8;  Mc.  III,  3,  XIV,  60  u.  ö.).  Eine 
ähnliche  Verschiedenheit  liegt  vor,  wenn  fram  für  gr.  7iaQ(x  steht  (Mc. 
X,  27  fram  mannani  unmahteig  ist,  fcagä  dvd^Qioftoig  döuvarov  u.  a.). 
Auf  die  frage  wohin?  setzt  der  Gote  den  genitiv  für  gr.  elg  c.  acc. 
(z.  b.  Lc.  XV,  15  insandida  ina  haipjos  seinaizos,  ucef.i\liEv  uvvbv  elg 
Tobg  dygobg  aviov;  ebenso  Lc.  XIX,  12;  Mc.  IV,  35).  Ein  scheinbar 
umgekehrter  fall  (Lc.  XIX,  4  unte  is  and  pata  munaida  pairhgaggan, 
OTL  SÄEipr^g  rjf.isllev  diaQx^od^ai)  ist  nicht  vergleichbar,  da  hier  im  gr. 
der  gen.  von  dem  öid  in  ditQxead^ai  regiert  wird. 

Auch  bei  den  Zeitangaben  begegnen  wir  vielfachen  abweichungen. 
Für  gr.  casus  mit  praeposition  steht  im  got.  einfacher  casus  und  um- 
gekehrt (Lc.  I,  7  dage  seinaixe,  iv  ralg  7)}.i€Qaig  aviLov.  Lc.  V,  5  alla 
naht,  öl'  3^g  vv^Tog,  ähnlich  Lc.  VIII,  27.  43;  J.  VIII,  51 ;  Lc.  XVIII,  4). 
Gr.  /.avd  c.  acc.  zur  angäbe  eines  sich  widerholenden  Zeitpunktes  gibt 
der  Gote  durch  acc.  oder  dat.  mit  dem  pronomen  haxuh  (vgl.  Mc. 
XIV,  49;  Lc.  II,  41,  IX,  23,  XVI,  19,  XIX,  47).  Es  kommt  auch  die 
praeposition  and  zur  Verwendung:  Mt.  XXVII,  15  and  dulp  pan  Jvarjoh, 

1)  Auffälliger  ist  Lc.  II,  38  rodida  bi  ina  in  allaivi  paini  tisheidandam, 
fkciXit  tkqI  avTov  nüaiv  rolg  7iQoa^(;(Ofitvoig ,  da  rodjan  sonst  nie  mit  in  c.  dat.  ge- 
braucht wird,  doch  liegt  hier  die  annähme  eines  Schreibfehlers  nahe  (vgl.  ina  in 
allaim)  und  in  ist  vielleicht  zu  streichen. 

2)  Vgl.  J.  Borrmann,  Ruhe  und  richtung  in  den  gotischen  verbalbegriffen. 
Di.ss.    Halle  1892. 


DIE    l'BKRSKTZUNGSTECHNIK    DES    WÜLI'ILA  173 

■/Laict  dt  eoQci]i';  ebenso  Mc.  XV,  6i.  Unigekchit  findet  sich  auch  im  got. 
die  praeposition  gegen  das  gr.:  J.  VII,  50  in  nahi^  vc/.iog.  J.  VII,  14 
aiia  nüdjai  didp,  rfj^;  fOQif]^;  f.i€Oovorjg.  Mc.  XII,  2  at  mel,  tö  /Migw. 
Endlich  bleiben  die  fälle,  wo  gr.  und  got.  sich  nur  im  casus  unter- 
scheiden (z.  b.  Lc.  II,  1  hl  dagans  jainatis,  Iv  zaig  tii.uQaig  iAelvaig; 
so  Mc.  XIII,  24;  J.  XI,  9;  vgl.  Bernh.  anm.  zu  Ephes.  VI,  18;  ferner 
Lc.  VIII,  29  manag  mel,  itokXolc,  xqÖvoic^  Lc.  II,  37  nahtani  jah  dagam, 
vr/.Ta  /Ml  i^utQav:  so  Mc  IV,  27.  Lc  XVIIl,  7  iialUani  jah  dagam, 
^^ugag  /.cd  rr/.Tog.     Mc.  XIII,  18  fvintrau,  yut.uovog)'^. 

B.  Numerus. 
Gr.  näg  =  jeder  übersetzt  der  Gote  meist  durch  aus  mit  dem  zu- 
gehörigen wort  im  plural  (z.  b.  Mi.  IX^So  jah  haüja)nls  allos  sanhfhts 
jah  aUa  unhaiija,  v.al  O-eQarceixov  näoav  vöoov  v.al  7cäoav  i.iaKa/Jav. 
Mt.  VI1.17  all  bagme  näv  dtvöqov).  Auch  sonst  steht  häutig-  im  got. 
der  plural  für  gr.  Singular,  indem  der  Gote  eine  mehrzahl  als  solche 
bezeichnet  oder  xara  avveoiv  construiert  (z.  b.  Lc.  II,  37  nahtam  jah 
dagam,  vv/xa  zctl  fjf.ieQav,  ebenso  Mc.  V,  5,  Lc  XVIII,  7)-^. 

Das  umgekehrte  gr.  plural  =  got.  Singular  findet  sich  seltener 
(G.L.  §  192,  1):  Lc.  VIII,  29  manag  mel,  Ttolloig  xQovoig.  Lc  VII,  24 
du  managein,  7cqbg  xovg  oylovg^.  J.  XII,  3  skufta,  xaig  S^qi^Iv-  vgl. 
J.  Vn,12,  XI,  2,  Lc  VII,  38.445. 

Es  bleibt  noch  der  dual  zu  besprechen.  Bemerkenswert  ist, 
dass  im  gr.  neuen  testament  überhaupt  kein  dual  vorkommt.  Wo  wir 
also  im  got.  dualformen  treffen,  haben  wir  es  mit  grammatischen  ab- 
weichungen  zu  tun  (belege  bei  G.L.  §18711).  Plural,  obwol  von 
zweien  die  rede  ist,  findet  sich  Lc  11,48.49. 

1)  Mc.  V,  5  beisst  es  sinteino  nahtam  jah  dagam,  Sui  nuvrbg  vvy.jog  y.ul  f)u^(>i(;. 

2)  Vgl.  zu  dem  ganzen  absatz  G.L.  §  246.  247.  249. 

3)  Ferner  J.  XVI,  33  aglons  habaip,  &Ui})iv  fyjn.  J.  XIV,  27  ixtcara  hairtona, 
ifißp  ^  y.uoSiu\  ebenso  J.  XII,  40.  Mc.  VI,  8  faurbaup  im  ei  tvaiht  ni  nemeina  in 
icig  . . .  nih  in  gairdos  aiz,  fitj  efg  rrjv  Ctiivw X^'^^öv.  Lc.  V,  6  tiatja  dislinupnodedun 
txe,  SifooriyvvTo  Si  tu  SIxtiov  ultQv.  J.  XVII,  20  Jjairh  uaurda  ixe,  cft«  toü  löyov 
avzCji',  aber  auch  Lc.  XX,  20  ei  gafaifaheina  is  tvaurde,  'Iva  inikdßiovKci  kvtov 
Xöyov.  Mc.  IV,  6  unte  ni  habaida  waurtins,  Siu  tö  /xij  i/tiv  (ji'Cav.  Lc.  VIII,  25 
vatnam,  rc5  vSurt,.  Lc.  VI,23  in  himinam^  fv  laj  ovouvgü.  So  wird  auch  Lc.  IV,  21 
yQtufri  durch  mela  übersetzt. 

4)  Vgl.  Bernhardt,  anm.:  „Vielleicht  ist  managehu  zu  lesen  wie  Lc.  111,7 
und  Mt.  XI,  7." 

5j  Ferner  heis.st  es  Lc.  III,  8  akran  wairpata,  xnqnovg  ukiovg,  wo  vielleicht 
i^auh  Mt.  III,  8  geändert  ist.  Lc.  XV,  15  haipjos  seinaixos,  lig  lovg  uyQovg  avTov. 
Mc.  V,  26  allamma  seinamma,  t«  tiiiq    KUTfjg  nciviu. 


174  stolzknburct 

C.  Genus. 

Selbstverständlich  ist,  dass  der  Gote  sich  durch  das  gr.  nicht  zu 
abweichungen  im  genus  der  nomina  bestimmen  lässt.  Zu  erwähnen 
ist  aber,  dass  er  bisweilen  zum'  natürlichen  geschlecht  übergeht  (z.  b. 
Lc.  11,40  ip  J)aia  harn  ivohs  jah  sivinpnoda  ahmins  fullnands,  zö  de 
7caidiov  7fv'E.avEv  'Aal  syigaiaiovco  7tvevf.iaTi  7tl7]QOvi.i£vov^). 

Beziehen  sich  attribute  im  got.  auf  Wörter  verschiedenen  ge- 
schlechts,  so  stehen  sie  auch  gegen  das  gr.  im  neutrum  (z.  b.  Mc.  111,31 
jah  qemiin  pan  aipei  is  jah  hrojrrjus  i's,  jah  ufa  skoidandona  insandl- 
dedun  du  imma  haitandona  ina,  wo  gr.  Iokütec.  und  '/.uXovvvEg,  steht; 
vgl.  Lc.  I,  6  11.  ö.). 

III.   Der  einzelne  satz. 

In  der  fügung  des  einzelnen  satzes  sind  es  vur  allem  Infinitiv 
und  participiura,  bei  deren  widergabe  der  Gote  vom  gr.  abweicht. 
Gr.  accusativ  c.  infinitivo  pflegt  der  Gote,  soweit  er  ihn  nicht 
nachbildet,  mit  dem  dativ  c.  inf.  widerzugeben  (so  nach  ivaiipan 
Mc,  11,  23  jah  ivarp  J)airhga(jgan  imma,  -/.al  lyivExo  TtaQa/coQsveo&ai 
aviöv-  vgl.  noch  Lc.  YI,1.6,  Lc.  XVI, 22)2. 

Statt  des  dat.  c.  inf.  kann  auch  einfacher  infinitiv  eintreten 
(z.  b.  Lc.  I,  57  7}iel  du  bairan,  6  XQovog  rov  te/Mv  avc/jv  oder  nach 
sladan  Lc.  XV11,25  appan  fampis  skal  manag  gäpidan,  iCQioiov  öe  dei 
noXkä  nad^Eiv  aviovY. 

Für  grammatische,  nicht  für  stilistische  abweichungen  möchte  ich 
es  auch  halten,  wenn  der  Gote  für  gr.  participium  in  bestimmten 
fällen  den  infinitiv  einsetzt  nach  gasaihan  (Mc.  XIll,  29  pan  gasaihip 
pata  zvairßan,  brav  xavra  l'dtjZE  yEvoi-iEva.  J.  VI,  62  jabai  nu  gasaihip 
siinu  maus  ussteigan,  mv  ovv  d^EtoQfjie  rov  viov  xov  dvd^QcoTtov  dva- 
ßaivovTa).      Andere   fälle    sind  Lc.  VII,  45   ni   swaif  bikukjan   fotuns 

1)  Ebenso  mit  bezug  auf  barn  Lc.  I,  59,  Lc.  II,  27.  28.  Mt.  VIII,  31  po  skoJisla 
.  .  .  qipandans,  ol  Satfxovsg  .  .  .  XiyovTtg,  wo  im  gr.  ein  solcher  Übergang  nicht  in 
frage  kam.  Mt.  IX,  33  hijje  usdribans  ivarp  tmhulpo,  ixßXr]0-^vTos  rov  &uiuoviov^ 
vgl.  Bernhardts  anm. 

2)  Aber  auch  sonst,  z.  b.  Mc.  X,  25  axetixo  ist  ulbandau  . . .  galeipan,  ivxo- 
nwreQÖv  iari,  y.äfxi]lov  .  .  .  ^ukü^ilv;  ebenso  Lc.  XVIII,  25.  Mc.  X,  24  haiwa  aglu 
ist  paim  hugjandam  .  . .  galeißcm,  ndg  &vaxo).6v  iari,  rovg  nfnoiihÖTag  . . .  ffaik&itv. 
Mc.  IX,43  gop  pus  ist  hamfainma  in  libain  galeipan,  y.alöv  aoC  iariv  xiOlov  tfg 
ri]v  C(OT]v  eiaakO^iiv.  Mc.  IX,  5  und  Lc.  IX,  33  ist  nicht  zu  entscheiden,  ob  dativ 
oder  accusativ  c.  inf.  vorliegt. 

3)  Auffällig  ist  J.  VII.  4  sokei/j  sik  uskiinpana  tvisan,  C^iieT  (uirög  iv  TrnQQrjai'a 
elvKi,  wo  gegen  das  gr.  ein  acc.  c.  inf.  gesetzt  ist,  indem  der  Gute  das  reflexiv- 
pronomen  zum  infinitiv  gezogen  hat. 


niK    ÜBKRSKTZUNRSTKCIINIK    DKS    WUl.FII.A  175 

meinans,  ov  ddXucev  •/.aiacpilovoa  /.lOc  Toi\:  Ttodag.  Mt.  XX VII,  4^) 
saüvnm  qimaiii  Ilclias  iiasjdii  itia,  1'öojf.ier  el  l'^yszai  'Hli'ag  oioacov 
avcöv,      Lc.  XIX,  48    licüiaida    du    haiisjcni    iunna,    lS.E'AQhncao    avcov 

Zweifeln  kann  man,  ol)  die  iinigekelirton  fälle,  in  denen  got. 
participiuni  für  gr.  Infinitiv  steht,  unter  die  grammatischen  ab- 
weichimgen  zu  rechnen  sind-'. 

Zur  bezeichnung  der  absieht  steht  im  got.  auch  der  inf.  mit  d/r, 
wo  im  gr.  der  blosse  Infinitiv  vorliegt  (G.L.  §  254,  12). 

Endlich  ist  noch  an/.uführen  J.  VI,  35  pana  gaggaudan  du  mis 
ni  huggreip  jalt.  pana  galauhjaiidaii  d,u  mis  7ii  pain'seip  hanhun, 
b  IqyönivoQ  rcQog  /ne  ov  f.u)  7ceivdorj,  xa/  u  7Ciötevmv  elg.  01.18  od  f.irj 
duf'/joei  7cdjTore,  wo  der  Gote  unpersönlich  construiert  hat. 

IV.  Satzverbindungen. 

Mourek  sagt  in  seiner  Syntax  der  mehrfachen  sätze  im  got., 
Prag  1893:  ,,In  bezug  auf  die  Verteilung  der  parataxis  und  hypotaxis 
stimmt  der  got.  rext  im  ganzen  mit  dem  originale  überein,  indem  bei- 
geordnete Sätze  treu  wider  durch  beigeordnete,  untergeordnete  durch 
untergeordnete  übersetzt  sind.  Doch  gibt  es  auch  ziemlich  zahlreiche 
abweichungen." 

Hier  handelt  es  sich  im  wesentlichen  um  griech.  infinitiv  und 
participium,  die  den  Goten  veranlassten,  einfachen  gr.  satz  durch 
haupt-  und  nebensatz  widerzugeben,  während  der  umgekehrte  fall, 
dass  der  Gote  ein  gr.  Satzgefüge  in  einen  satz  zusammenfasst,  viel 
seltener  ist  und  zumeist  auf  stilistische  motive  zurückgehen  dürfte. 

1.  Infinitiv. 
In  einer  grossen  zahl  von  fällen  macht  der  Gote  einen  gr.  ein- 
fachen satz  zu  einem  zusammengesetzten  dadurch,  dass  er  gr.  inf.  mit 
praeposition  in  einen  nebensatz  verwandelt.  Es  sind  zumeist  rein 
grammatische  abweichungen,  veranlasst  durch  den  vom  gr.  abweichen- 
den got.  Sprachgebrauch. 

1)  Hierher  gehört  wol  auch  Mc.  X,  46  blinda  sat  faur  ivig  du  aihtron.  jv<iX6i 
ixHiyt]-to  nuou  jrjv  öSov  TiQooaiTCiv,  ebeuso  Lc.  XVIII,  35;  J.  IX,8  dagegen  steht 
aihtronds. 

2)  Fälle  wie  Mc.  IV,  9  saei  hahai  ausona  hausjandona ,  og  fx^i  wiu  ic/.ovtiv\ 
ebenso  Mc.  IV,  23,  VII,  IG,  Lc.  XIV,  35.  Lc.  VIII,  8  steht  dagegen  du  hausjan. 
Lc.  I,  54  hleibida  Israela  piumagau  seinamma,  gamunands  armahairteins ,  f^vrj- 
a»^tu  tk^ovg  (vgl.  zu  diesem  abschnitt  G.L.  §  254,  I,  2  und  Apelt,  Genn.  19,  280 
bis  297). 


176  STOLKENBURO 

a)  gr.  inf.  mit  £J'  tw  =  got.  temporal,  nebensatz  mit  mippanei, 
hipe  oder  m  pammei^. 

b)  gr.  inf.  mit  i^terä  xb  =  got.  temporal,  nebensatz  mit  afar  patei^. 

c)  gr.  inf.  mit  Tiqiv,  7tQÖ  rov  =  got.  temporal,  nebensatz  mit  faiir- 
pixei  '^. 

d)  gr.  inf.  mit  diä  tb  =  got.  nebensatz  mit  unie,  d?tj)e  ei,  in  pizei^. 

e)  gr.  inf.  mit  jtQoq  xb  =  got.  nebensatz  mit  du  pamrnei^. 

f)  gr.  inf.  mit  «g  xb  =  got.  nebensatz  mit  ei^. 

So  ist  endlich  auch  üaxe  mit  acc.  c.  inf.  durch  einen  got.  neben- 
satz mit  sivaei,  sivasive  oder  S2ve  vertretend 

Dagegen  ist  die  gr.  construction  nachgebildet:  Mt.VIII,  24,  Mc. IV,1, 
Lc.  IX,  52. 

Blosser  Infinitiv  wird  häufig  im  got.  in  einen  nebensatz  ver- 
wandelt, ein  finaler  Infinitiv  in  einen  finalen  nebensatz:  Mc.  VIII,  7  qap 
ei  atlagidedeina  jah  Jmns,  eirtev  TtaQavEd^fjvai  Aal  avtd^. 

Um  einen  aussagesatz  handelt  es  sich  Lc.  XX,  7  jah  andhofun  ei 
ni  wissedei?ia  Jvapro,  y.al  d7TE/.Qidrjaar  f.u)  eldevai  ftoS^ev  und  Lc.  1,73 
aijns  panei  sivor  . . .  ei  gebi  tinsis,  oqvmv  ov  cü/.iooei'  . . .  xov  dovrai  f]f.uv. 

Wie  schon  wäre  mit  acc.  c.  inf.  durch  einen  nebensatz  vertreten  war, 
so  auch  der  blosse  acc.  c.  inf.  (z.  b.  Lc.  IX,  54  ivileixii,  ei  qipaima, 
fon  atgaggai,  d^lXeig  ti7tcoi.iEv  7c€q  vMiaßfjvai  oder  J.  XII,  18  hausidedun 
ei  gaiaividedi  po  taikn,  ^xovaav  xovio  avrbv  TttTtoirfAtvai  xb  ar^i^ieiov); 
besonders  aber  der  gr.  Infinitiv  passivi.  Sehen  wir  von  den  fällen 
mit  praepositionen  ab,  die  schon  erwähnt  sind,  so  bleiben  noch  folgende 

1)  Mt.  XXVII,  12  j'nh  mippanei  wrohips  was,  xcu  Iv  tc!>  y.uri]yoQtTa!)ia 
ttvTÖv.  (Weitere  zahh'eiche  beispiele  für  tnippanei  s.  G.L.  Glossars.  71.)  Lc.  111,21 
bipe  daupida  alla  managein,  iv  tc3  ßanTtaOfjvcii  (inavTct  tov  Xc(6v\  so  noch  Lc. 
XIX,  15;  Mc.  II,  15;  Lc.  IX,  51  in  pammei  usfullnodedun ,  iv  tm  av^TilrjQova&ai. 

2)  Mc.  I,  14  afar  patei  atgibans  tcarp  Johannes,  fAtTit  rb  naQu&oSfjvcu 
TOV  'Icodvvrjv. 

3)  Z.  b.  Mt.  VI,  8  faiirpixei  jus  bidjaip  ina,  ttqö  tov  iifußg  ahfjaai.  avröv. 

4)  Beispiele  für  nnte  Mc.  IV,  6,  V,4,  für  dupe  ei  Lc.  II,  4,  für  in  pixei 
Lc.  VIII ,  6 ,  XVIII ,  5 ,  Mc.  I V,  5. 

5)  Lc.  XVIII,  1  d  II  /ja  mm  ei  sinieino  skulun,  ngui  t6  &fiv  7iüvtot(. 

6)  Lc.  XX,  20  ei  gafaifaheina  is  ivaurde  jah  atgebeina  ina  reikja,  i'va  ini- 
käßojvTta  uvtoD  Xöyov  8fg  rö  nuQaSovvni  nvTov  Trj  uoy^ ,  indem  der  Gote  an  den 
ersten  fioalsatz  den  zweiten  copulativ  mit  jah,  aaschliesst. 

7)  Beispiele  bei  Apelt,  Germ.  19,  290.  Die  conjunction  ei  steht  Mt.  XXVII,  1 
ei  afdanpidedeina ,  ügts  &avKTüiaav  kvtov. 

8)  Ebenso  Lc.  V,7  bandtvidedun  gamanam  . . .  ei  atiddjedeina  hilpan  ixe,  xuTi- 
vevauv  ToTg  fifTÖ^oig  .  .  .  tov  iXd^üviag  avXXußtaü^ca  fWTotg,  indem  ausserdem  noch 
im  got.  das  participium  zum  hauptverb  gemacht  worden  ist.    (Stilistische  abweichung.) 


DIE    i'BKRSKTZUNGSTECHNIK    DüS    WULFILA  177 

beispiele:  Lc.  XV,  19  wairps  ei  haitaidau  sunus  peius,  a^iog  /.hjOfji'on 
vwg  (70V.  Mc.  X,38  magutsii  drigglmn  stikl  .  .  .  jah  dauiieinai  .  .  .  ei 
da?tpjaindau,  övvao^e  nifiv  tu  ycoi/^gior  .  .  .  y.cd  ib  ßa7cri(Tf.ia  .  .  . 
ßa/TTiod^fjrai.  J.  III,  4  ihai  nuig  .  .  .  galeij)ati  jag  gahairaidau,  (.ii) 
dvvaiai  .  .  .  «tatA^fi/»'  /.al  yEvvrjOTjvai  '. 

Wird  mm  umgekehrt  ein  gr.  satzg-efiige  im  got.  durch  einen 
Infinitiv  gegeben,  so  haben  wir  hierin  jedesfalls  eine  stilistische  ab- 
weichung  zu  sehen.  Allein  ein  bestimmter  fall  tritt  mit  solcher  regel- 
mässigkeit auf  und  betrifft  eine  so  eigentümlich  gr  construction,  dass 
wol  eine  rein  grammatische  abweichung  zu  statuieren  ist.  Es  ist 
der  fall,  wo  im  gr.  zwei  imperative  asyndetisch  nebeneinander  stehen, 
und  der  Gote  das  asjndeton  dadurch  beseitigt,  dass  er  den  einen  im- 
perativ in  einen  Infinitiv  verwandelt:  J.  IX,  11  gagg  afpwahnn,  v/taye 
viij'ai ;  ebenso  J.  IX,  7.  Mt.  V,  24  gagg  . . .  gasihjon,  vuaye  . . .  diaXlayr^d^i. 
Mo.  1^,44:  gagg  Jmk  silban  ataugjmi,  i'/tays  aeavibv  del^ov.  Mc.  X,21 
hiri  laistjan,  öevgo  aKoXovd^ei-. 

2.    Participium. 

Eine  der  häufigsten  erscheinungen  ist  es,  dass  der  Göte  ein  gr. 
participium  in  einen  relativsatz  verwandelt  (z.  b.  J.  V,  45  ist  saei 
icruh/da  izivis  Moses.,  toiiv  6  v.axiqyoQÜJV  v(.itdv  Mcoofjg  oder  Lc.  IX,  17 
ja!/  ushafan  ivarp)  patei  aflifnoda  im,  -Kai  /y^i^ry  lö  j-cEQioaevoar  avToJg)'^. 

Für  grammatische  abweichungen  halte  ich  es  auch,  wenn  der  Gote 
die  eigentümlich  substantivierten  praepositionalen  ausdrücke  mit 
artikel  in  einen  relativsatz  verwandelt:  Lc.  V,  7  gamanam  poei  tvesun 
in  anparama  skipa ,  zolg  /.isröxotg  zolg  h' xw  ezfQU)  ttIoiuk  Lc.  XVII,  31 
jah  saei  ana  haipjai,  '/.al  6  Iv  tw  dygü.  Lc.  IX,  61  paim,  paiei  sind 
in  garda  meinamma.^  xolg  slg  röv  oIaop  [.lov^. 

1)  So  scheint  mir  auch  Lc  XVII,  25  nur  eine  grammatische  abweichung  vor- 
zuh'egen,  durch  die  der  Gote  den  infinitiv  passivi  widergeben  wollte:  appan  faurpis 
skal  manag  gapulan  jah  uskiusada ,  tiqüitov  St  Sil  nolXu  tiu'HTv  (fVTov  xcd  anoSoxi- 
(laa&Tjvcu: 

2)  Ebenso  Lc.  XVIII,  22.  Allerdings  findet  sich  Mt.  VIII,  4.  IX,  13;  Mc.  X,  21 
auch  die  gr.  con.struction  nachgeahmt;  Mt-.  XXVII,  6.5  das  asyndeton  beseitigt. 

3)  Lc.  XVIII,  9  qap)  Jjan  du  sumaini,  Jjaiei  silbans  trauaidedun  sis,  tlntv  Sh 
nooi  Tivag  rovg  TKnoiOörag  i'f'  tccvroTg.  J.  VIII,  16  ak  ik  jah  saei  sandida  mik 
atta.,  fUA'  iyu)  xul  u  nt'fxxpug  ut  nart]Q.  Mt.  V,  32  haxuh  saei  afletip,  nag  6  u7ioXvü)v. 
Die  vielen  einzelnen  fälle  hier  aufzuführen,  ist  nicht  erforderlich.  Sie  finden  sich 
gesammelt  bei  Gering,  Zeitschr.  5,  313.  317fgg. 

4)  Hierher  gehören  auch  fälle  wie  J.  IX,  13  ina  .  .  .,  pana  saei  uas  hlinds, 
ttVTov  .  .  .  TÖv  7ioTt  Ti(fXöv.  Mt.  X,32.  33  attins  meinis,  saei  in  himinaiii  ist,  toD 
nuTnüg  /xov  toD  Iv  oviiavoTg.  Lc.  XVI,  10  saei  triggtvs  ist  in  leitilamma,  6  niarog 
(v  ÜM/taio).    Lc.  11,24  swasive  qipan  ist,  xarä  xo  efQrj^e'vov.     Man  kann  jedoch  im 

ZEITSCHRIFT   F.  DEUTSCHE   PHILOLOGIE.      BD.  XXXVII.  12 


1 78  STOLZKNBUR& 

Eine  besondere  besprechung  verlangt  der  gr.  genitivus  absolutiis, 
da  er  im  got.  die  allermannigfachsten  übersetzAingen  erfahren  hat^ 
Es  findet  sich  nämlich  als  entsprechung  im  gotischen: 

a)  ein  dativ,  der  als  apposition  zum  dativobject  des  haupt- 
satzes  steht;-  oder  ein  accusativ  in  derselben  eigenschaft^. 

b)  dativiis  absolutus'^. 

c)  dativus  absolutus  mit  at^. 

d)  nominativus  absolutus^. 

e)  genitivus  absolutus ''. 

f)  acciisativus  absolutus*. 

einzelnen  fall  schwanken,  ob  nicht  stilistische  gründe  die  abweichiing  bewirkt  haben, 
so  dass  fälle,  die  von  den  hier  erwähnten  nicht  weit  abweichen,  unter  den  stili- 
stischen abweichungen  aufgeführt  sind. 

1)  Vgl.  Gering,  Zeitschr.  5,  403  fgg.  und  0.  Lücke,  Absolute  participia  im  got. 
Götting.    Diss.  1876. 

2)  Z.  b.  Mt.  XXVII,  17  gaqumanaim  pan  im,  qaß  im  Peüatus,  avvrjyfAe'vojv 
ovf  avTwv  slnfv  avTotg  ö  TJ.     (Belege  Zeitschr.  5,  403). 

3)  Mo.  V,  18  y«/c  inngaygandan  ina  in  skip  hap  ina,  xuC  ifißca'vovTog  ccvtoD 
ifg  To  TiXoi'ov  nct()t>;c(Xfe,  ccvtöv.  Lc.  XV,  20  nauhpamih  pan  fairra  wisandan  gasah 
ina  atta,  m  St  ctvToD  fxay.ouv  nni)(^ovTOi,  Mav  avTov  6  ttutijq,  wo  der  ganze  acc. 
von  denn  hauptverb  abhängt,  da  das  pronomen  nur  einmal  gesetzt  ist. 

4)  Z.  b.  Mc.  V,  35  nauhpamih  imma  rodjandin  qemun  fram  panima  syna- 
gogafada,  hi  uvtoC  kaXovvrog  fo)(ovrtu  änb  tov  oLQ/iavvaycjyoi'.  Lc.  III,  1  liegt 
wol  got.  dativ  der  zeit  vor.     (Belege  Zeitschr.  ö ,  404.) 

5)  Z.b.  Lc.XX,  1  at  laisjandin  imma  po  managein  in  alh  jah  tvailamerjandin, 
atstopun  pai  gudjans ,  Si,Säoy.ovTog  uvioü  tov  labv  iv  tw  ieo<i>  y.ul  tvayythCoutvov , 
iniaTijaav  ot  ItQeTg.    (Belege  bei  Grimm  IV,  1083  n.  a.  und  Zeitschr.  5,  405.) 

6)  Mc  VI,  21  jah  waurpans  dags  gatils,  pan  Herodis  .  .  .  nahfamat  iraurhta, 
x(d  yfvofA.£vr]g   ri/j.fQKg  avy.aiQOv ,  OTf  'IlQCü&rjg  .  .  .   Stlnvov  inoi'ei. 

7)  Mc.  XVI,  1  jah  imvisandins  sabhate  dagis  Matja  so  Magdahne  jah  Marja 
so  lakobis  jah  Salome  usbauhteditn  aromaia,  yai  dutytvo^tvov  tov  aaßßi'aov 
MetQi'a  .  .  .  riyÖQuaav  ccqw^uutk.  Grimm  und)  G.L.  setzen  hier  temporalen  genitiv 
an,  da  dagis  auch  sonst  z.b.  Mc.  XVI,  2  temporal  steht  und  ein  absoluter  genitiv  sich  im 
got.  sonst  nirgends  findet.    Dieser  auffassung  schliesst  sich  auch  Bernh.  an  (vgl.  anm.). 

8)  Mt.  VI,  3  ip  pnk  tanjandan  arinaion,  ni  tviti  hleidumei  peina,  aov  dt 
jioioDvTog  iltrj/j.oaL'VTjv  fxrj  ypwTco  rj  tcQtOTeQÜ  aov.  Mc.  VI,  22  jah  atgaggandein  inn 
dauhtar  Herodiadins  jah  plinsjandein  jah  galeikandein  Heroda  jah  paim  viip- 
anakumbjandam ,  qap  piudans  du  pixai  maujai,  xkI  iicuX&ovarjg  Trjg  x)vyaT()ug  .  .  . 
ilntv  ö  ßuatXfvg  tm  y.oQuaio).  Gering  (Zeitschr.  5,  397)  lässt  Mt.  (5tS  puk  taujandan 
von  u'iti  abhängen;  ebenso  Köhler.  Mc.  VI,  22  ist  von  Uppström  dauhtar  in  dauli.tr 
geändert  und  so  ein  dat.  absolutus  liei'gestellt  worden.  Dieser  conjectur  schliessen 
sich  Gering,  Heyne  und  Köhler  an  (vgl.  Zeitschr.  5,  406).  Als  accusativ  der  zeit 
wird  gewöhnlich  aufgefasst  Mt.  XXVII,  1  at  maurgin  pan  ivaurjjanana  runa  ne)rmn 
allai  gudjans,  nQonag  St  ytvo^utviqg  av^ußovhov  tXaßov  nuvTtg  ol  ««/«^(«rf ;  vgl. 
G.L  §247  anm.  4,  Zeitschr.  5,  407  und  Bernh.  anm. 


DIE    ÜBERSETZÜNGSTECHNIK    DES    WULFILA  179 

g)  temporaler  nebensatz^ 

Ob  man  in  dieser  mannigtaltigkeit  nur  den  bald  mehr  bald  weniger 
gelungenen  versuch  sehen  soll,  die  dem  Goten  fremde  construction  wider- 
/Aigeben,  wie  0.  Lücke  es  in  seiner  Diss.  s.  38  getan  hat,  oder  mit 
Winkler  (Got.  casnssyntax  I,  s.  137)  besondere  feinheiten  des  Über- 
setzers, ist  nicht  zu  entscheiden-. 

V.  Wortstellung. 

Es  ist  allgemein  bekannt  und  zugegeben,  wie  genau  der  Gote  sich 
in  der  Wortstellung  an  den  gr.  text  angeschlossen  hat.  Dennoch 
lassen  sich  einige  regelmässig  auftretende  abweichungen  verzeichnen. 

1.  Subject. 

Die  im  gr.  ziemlich  häufige  Stellung  des  subjects  hinter  dem 
praedicat  wird  im  gotischen  oft  vermieden  (z.  b.  Lc.  VI,3  ivipra  ins 
lesus  qnj),  rtQÖg  avvovg  eijiev  6  ^lrjaovQ\  ebenso  für  euvev  6  ^[rjoovg 
lesus  qoj):  Lc.  IV,  8  J.VI,10)3. 

In  anderm  Zusammenhang  steht  diese  abweichung  Lc.  V,  6  sire 
natja  diskmipnodedim  ize,  öiEQQt'jyrvTO  de  tö  ör/.zvov  aviCJv.  Lc.  III,  23 
sivaei  siinus  munds  ivas  losefis,  tüv  wg  hvoj^iiCevo  vibg  ^hoai'icp.  Lc. 
VIII,  38  pos  unhidpoiis  usiddjedun,  s^eX7]lv d-ei  xa  dai^iövia.  J.  XVI,  19 
ip  lesus  ivissiih,  tyvio  oiv  6  'b]Oovg.  ^Mc.  1,42  pata  Jyrutsfill  aflaip  af 
imma,  d/tfjXS-ev  d/t^  avrov  t)  ItJtqa*. 

1)  Z.  b.  Mt.  IX,  10  biße  is  anakuuibida  in  garda,  avroD  (tvaxfiuivov  Iv  n* 
olxhi.     (Belege  Zeitschr.  5,  407  fg.). 

2)  Doch  meine  ich,  dass  es  Winkler  nicht  gelungen  ist,  die  Schlussfolgerungen 
Lückes  zu  widerlegen.  Lücke  stellt  (s.  32)  zunächst  fest,  dass  sich  die  constructionen 
mit  at  von  denen  ohne  at  nicht  unterscheiden.  Auch  sei  es  nicht  gelungen,  die  rein 
absoluten  constructionen  in  ihrer  mannigfaltigkeit  zu  begründen  S.  33  fährt  er  dann 
fort:  „Dazu  kommt,  dass  der  Gote  einerseits  niemals  eine  absohite  structur  selb- 
ständig gebraucht,  ohne  dass  sein  original  ihn  deckte,  dass  er  aber  andrerseits  die 
gr.  absolute  structur  vielfach  umschreibt  oder  umgeht.  —  Irgend  ein  gruud  muss  doch 
nun  aber  vorliegen,  warum  der  Gote,  wäiirond  er  bei  nicht  absoluter  construction 
im  griechischen  so  consequent  dem  texte  der  vorläge  folgt,  die  absoluten  casus  des 
Originals  willkürlich  bald  ändert,  bald  beibehält.  Ich  komme  aus  dieser  klemme  nicht 
anders  heraus,  als  durch  die  annähme,  dass  Vulfila  im  falle  der  änderung  seiner 
spräche  zu  liebe  die  treue  anlehnung  an  sein  original  aufgab,  während  im  andern 
falle  die  scheue  ehrfurcht  vor  demselben  doch  den  sieg  behielt." 

3)  Ähnlich  J.  XIV,  8  ip  Filippus  qapuh  du  imma,  Xiy(t  avrcp  ^'t'hnnos. 
.1.  XIII,  37  Jjariüi  Paitrus  qaj)  du  i)n))ia,  l^yn  avToö  ITiToog.  Auffällig  ist,  dass  es 
sich  in  den  angeführten  fällen  gerade  um  einleitungen  der  directen  rede  handelt, 
die  auch  sonst  eine  besondere  Stellung  einzunehmen  scheinen  (vgl.  s.  18G  anm.). 

4)  In  einigen  fällen  haben  wir  auch  das  umgekehrte,  dass  im  got.  gegen  das 
gr.  Inversion  vorliegt.     Doch  handelt  es  sich  hier  wol  um  stilistische  motive. 

12* 


180  STOLZENBURG 

2.  Object. 
Abweichend  vom  gr.  stellt  der  Gote  das  object  vor  das  prae- 
dicat:  J.  V,  46  Mose  galaubidedeip>  ETtiarevere  Miooei.    Mc.  VI,  5  han- 
duns  gnlagjands ,   hcid^dg   rag,  ydQag.     Mc.  XV,  15  Ies?i  atgaf,   -jcaQt- 
Stoyiev  töv  ^ItjGovvK 

3.  Formwörter^. 
a)  Pronomina. 

Das  possesivpronomen  steht  im  got.  oft  gegen  das  gr.  nach 
seinem  Substantiv:  Mt.  VI,  17  salbo  hauhip  pein,  äXeixliai  oov  Tt]v 
■/.ecpalyv  u.  ö.  (vgl.  Koppitz,  Zeitschr.  32,  444(5)^.  So  stehen  auch  is, 
ixos,  ixe,  ixo  abweichend  vom  gr.  nach  ihrem  regens  (vgl.  Zeitschr.  32, 446). 
Näher  an  das  regens  herangerückt  als  im  gr.  ist  ixe  Lc.  IX,  46  pala 
harjis  pau  ixe  maists  ivesi,  tö  zig  av  Eiiq  /.lelCwr  ccöitov.  Auffällig  ist 
danach  die  Stellung  von  ixivara  Lc.  XIV,  28  ixwara  Jvas  raihiis,  ri'g 
yccQ  i^  vf.Hov,  zumal  sonst  das  fragepronomen  immer  an  der  spitze  des 
Satzes  steht. 

Das  demonstrativpronomen  sa,  so,  pata  finden  wir  auch  gegen 
das  gr.  vor  seinem  beziehungswort  (vgl.  Zeitschr.  32,  446). 

Auch  die  Stellung  von  jains,  sama  und  silba  ist  im  got.  ziemlich 
unabhängig  vom  gr.  text  (vgl.  Zeitschr.  32,  448  —  51). 

Ebenso  die  Stellung  der  pronomina  indefinita:  J.  IX,  16  sitmai 
pixe  Fareisaie,  i/i  tojv  Oagioaicov  rivag.  Lc.  VIII,  39  and  haurg  alla, 
yiad-^  oXr]v  trjv  Ttoliv.  Mc.  XIV,  53  anhumistans  gudjmis  allai,  jcdvieg 
o\  dQxiSQslg  u.  a. 

Das  subjectpronomen  steht  bisweilen  abweichend  vom  gr.  hinter 
dem  verbum:  J.  VIII,  53  hatia  puk  silban  taujis  Jni,  riva  aeavTÖv 
ab  TtoiBig,  ebenso  J.  VIII,  58,  XVIII,  26,  Ferner  J.  VI,  46  ni  patei 
attan  seJvi  Jvas^  ov%  bxi  zöv  Tcariqa  xig  etoQay.Ev.     Mt.  IX,  32    bijje  nt 

1)  Hier  sei  auch  Mc.  XV,  17  erwähnt,  eine  stelle,  die  wol  wegen  der  eigen- 
tümlich gr.  structur  im  got.  eine  abweichung  hervorgerufen  hat:  jah  atlagidedun  ana 
ina  paurneina  wipja  Kswindandans,  acd  naQiTti'^i'aaiv  «troJ  nXeiuvTig  ("cyävOivov 
m^ifavov.  In  der  stelle  Mc.  111,2  jah  tvitaidedun  imma,  hailidediu  sahhnto  daga, 
xid  7TC(Q(Tr]QovvTo  uvtöv ,  i!  roTg  oäßßaaiv  O^eQctntvait,  ist  die  änderung  der  Wort- 
stellung im  got.  durch  das  angehängte  -u  veranlasst. 

2)  Um  alle  abweichungen  in  der  -Wortstellung  zusammenzufassen,  ist  die  Stellung 
der  formwörter,  über  die  im  übrigen  cap.  II  (s.  183)  zu  vergleichen  ist,  hier  behandelt 
■worden.  "Was  dort  von  den  formwörtern  im  allgemeinen  gesagt  wird,  ist  auch  bei 
diesen  abweichungen  in  betracht  zu  ziehen. 

3)  Die  Statistiken  in  der  arbeit  von  Koppitz  sind  so  vollständig,  dass  ein  ver- 
weis auf  sie  auch  im  folgenden  meist  genügt. 


DIE    ÜUERSETZÜNGSTECHNIK    I)ES    "WULFILA.  181 

iisiddjedun  eis,  avciov  di  i^eQxoi-iivwi:  J.  VI,  7  pei  nimai  harjixnh 
Icitil,  'iva  i-yMOiog  ßqccxv  ti  ^ccßij,  wo  man  auch  aimehmen  kann,  dass 
}iimai  seine  Stellung  geändert  hat.  In  participialconstructionen  findet 
sich  Umstellung  von  verb  und  pronomen  ebenfalls:  Mo.  XIV, 58  qipan- 
dan  hia,  avtov  l^.yovcog.  Lc.  VII,  6  ni  fairra  ivisand'm  imma  avvoC 
ov  fiaz-gth'  d/ceyorvog. 

Got  subjectpronomen  steht  gegen  das  gr.  ^  vor  dem  verb  um: 
J.XVIII,25  ip  IS  nfaiaik,  ijQvt'joaio  ovv  i/ie7rog.  J.  XI,  4  ij)  is  galiarisjands 
qap,  a./.ovoag  di  u  'lijoovg  d/csv.  Mc.  11, 15  bipe  is  anakunibida,  h  xu) 
vMvct/.eiod^ai  avcov.    Lc.IX,13  tveis  gaggandans,  ^coQSvd-svieg  rji.istg. 

Das  übjectpronomen  steht  oft  abvs^eichend  vom  gr.  hinter  dem 
verbum:  Mt.  V,  25  ibal  htm  atgibai  pnk  sa  midastmia  stauin,  ^it)rcoiE 
ae  7taQad(7)  ö  dvvidi/.og  rw  /.Qiffj-.  Nicht  selten  findet  sich  auch  das 
objectpronomen  gegen  das  gr.  vor  dem  verbum:  Lc.  I,  22  du  im 
rodjan,  ?^alfjOai  aviolg'^. 

Noch  zu  erwähnen  bleiben  zwei  fälle  von  präpositionalen 
casus:  J.  XIX,  6  iJ)  ilc  fairina  in  imma  ni  bigita^  tyCo  ydg  ovx  £VQi07.o} 
iv  avrcTj  aiviav.     Lc.  XV,  17  qimands  J)an  in  sis,  elg  tavzbv  ös  il&wv. 

Pronomina,  die  im  gr.  zusammenstehen,  werden  im  got.  bisweilen 
getrennt:  ,1.  XVIII,  26  puk  sah  ilc,  iyco  os  slSov.  J.  XVni,22  ip  pata 
qipandin  imma,  ravia  di  aviov  ehioviog.  J.  XVII,  6  mis  atgaft  ins, 
if.Wi  avTOvg  tdioKag.  J.  VIII,  51^  silban  iaujis  pu,  oeavTov  ab  jcoieig. 
Lc.  VIII,  30  Iva  ist  namo  pein,  il  ooi  ioiiv  orof-ia"^. 

In  anderen  fällen  zeigt  sich  eine  neigung  des  Goten,  das  pro- 
nomen näher  an  das  verbum  zu  ziehen:  Lc.  11,44  hugjandona  in 
gasinpjam  ina  wisan,  vof-iiaavveg  öi  avibv  iv  xfj  ovvodia  eivai.  Lc.  1, 14 
umrjrip  piis  faheds,  torai  xccQo:  ooi.  Mc.  XIV,  44  gaf  .  .  .  im  bandtvon. 
ÖEdioy.eL  .  .  .  Gvaorji.iov  adioig. 

Bisweilen  ist  die  negation  dergrund  zur  Veränderung  der  Stellung: 

J.  XV,  24  anjja?'  ainshun  ni  gataivida^  ovöetg  ällog  S7Voii]GEv. 
Lc.  VIII,  51  ni  fralailot  ainohnn  inngaggan^  ovv.  dfffj/.£v  elaeld-eiv 
ovdiva.  Lc.  X V,  1 6  y«//  manna  imma  ni  gaf,  /mI  ovöeig  idiöov  avccp. 
Mc.  XVI,8  7ii  qepun  mannhim  ivaiht,  ovöerl  ovdiv  elrcor. 

1)  Unter  der  Voraussetzung,  dass  die  betreffenden  codd.  die  got.  vorläge  bildeten! 

2)  Die  fälle  .sind  recht  zahlreich:  Mt.  VI,  24.  IX,  18;  Lc.  VIII,  28,  X,  16, 
XIV,  12.  XIX,  48;  Mc.  11,8,  V1II,27,  IX,  18,  X,49,  XII,5,  XIV,65;  J.  XII,4,  XVIII,30. 

3)  Vgl.  ferner  J.  XII,  0,  XIII,  38,  XIV,  15,  XVI,  25;  Lc.  IV,  11,  XX, 8; 
Mc.VII,:,  VIII,  2.  26. 

4)  Auch  kommt  es  vor,  dass  sie  im  got.  nur  den  platz  tauschen:  Lc.  VII,  36 
baß  pan  itui  sums,  fjQo'na  ^t  rtg  uvtui'.    .).  XVI,  3U  ßiik  Ivas  fraihnai,  n'g  ae  ^^wr«. 


182  STOLZENBÜRG 

Die  Verwandlung  des  gr.  participiums  oder  Infinitivs  in  einen 
nebensatz  hat  die  änderung  in  der  Stellung  bewirkt:  J.  XI,33  ludaiuns 
paiei  qemun  mip  ixai  gretandcmSy  zovg  avvsXd^övtag  avrfj  ^lovdaiovg 
•/.lalovrag.  J.  XVII,  5  paiiei  hahaida  at  pus,  faurpixei  sa  fairJviis  ivesi, 
j]  eiyßv  7CQb  rov  tov  ■aöouov  drai  ycaQo.  ooi. 

b)  Partikeln. 

Es  bleibt  besonders  auch  bei  diesen  abweichungen  stets  zu  berück- 
sichtigen, dass  wir  die  vorläge  des  Goten  nicht  kennen,  sondern  nur 
annähernd  zu  reconstruieren  vermögen:  J.  VII,  51  nihai  faurpis  hauseip 
fram  imma,  edv  /.irj  dyiovot]  7t(xq'  avrov  tiqÖteqov.  Mc.  I,  19  jah  jain- 
pro  inngaggands  framis,  y.al  7tQoßdg  e/.eid^ev.  J.  XI,  17  jupan  fidivor 
dagans,  veoaaqag  ^f-ii^ag  Vjdrj.  Mt.  tX,  27  lesua  jainpro,  i/.eid^€v  tö 
^Irjaov.  Mt.  IX,  33  swa  uskiinp  tvas ,  ecpürrj  ovtiog.  Mc.  XV,  12  aftra 
andhafjands ,  aftoy-gid-elg  Ttaliv. 

Über  die  Stellung  der  conjunctionen  im  got,  die  häufig  vom 
gr.  abweicht,  vgl.  Eoppitz,  Zeitschr.  33,  25  —  44.  Die  wichtigsten  fälle 
sind:  Gegen  das  gr.  an  erster  stelle  steht  aippau,  ak  (J.  XVI,  27), 
allis  (Mc.  XII,  25),  appmi,  aiik  (J.  IX,30),  ip,  jah,  swepcmh  (Mc.  X,  39), 
panuh,  paruh,  unte.  Gegen  das  gr.  an  zweiter  stelle  steht  pan,  pcm 
(J.  VIII,  19),  -uh.  Gegen  das  gr.  an  dritter  stelle  steht  auk,  raihtis, 
pmi,  nu  (bei  negationen).  Gegen  das  gr.  an  vierter  stelle  steht  nu 
(Lc.  XX,  33). 

Andere  abweichungen  in  der  Stellung  treten  besonders  da  ein,  wo 
im  got.  zwei  partikeln  zusammentrefl'en:  ip  hipe,  oze  dt  (Mc.  IV,  10); 
ip  jabai,  edv  ovv\  nu  jahai,  tdv  ydo^  jah  jabai,  el  /.al.  J.  XVIII,  7 
paproh  pan  ins  aftra,  Tvdliv  ovv  adzovg.  J.  XVI,  16  leüil  naiih  jah  ni, 
fiii/iQÖv  Aal  ov/Jzi  u.  ö. 

c)  Negation. 

Die  Stellung  der  uegation  im  got.  weicht  darin  häufig  von  der  gr. 
ab,  dass  die  negation  enger  an  das  praedicat  gezogen  wird:  Mc.  1,45 
sivaswe  is  jupan  ni  mahta,  üavs  (.irj/iicL  avcbv  dvvaad^ai^. 

Besonders  zu  beachten  ist  auch  die  Stellung  der  negation  bei 
hashun,  mannahim  u.  a  ,  wo  die  gr.  vorläge  stärker  eingewirkt  hat 
(Zeitschr.  33,  16fg.)2. 

1)  Eine  genaue  aufstellimg  aller  abweichungen  vom  gr.  toxt  in  dieser  beziehung 
findet  sich  Zeitschr.  33,  12fgg. 

2)  Lc.  VIII,  12  ist  durch  die  Stellung  der  negation  beim  verbuni  ein  ganz 
falscher  sinn  herausgekommen:  ei,  galatibjandans  ni  ganisaina^  Xvn  fxrj  ntarfv- 
ottvTig  o(oi)G}atv.  Vielleicht  um  die  negation  besonders  hervorzuheben,  ist  sie  J.  XIV,  22 
umgestellt:  ip  pixai  manasedai  ni,  xtü  ov^l  to3  xöofiq). 


\\ 


DIK    ÜBERSETZUNüSTKCHNIK    DES    WULFILA  183 

d)   Verbum  substantivuni. 

Häufig  steht  im  got  das  verbum  substantivum  gegen  das  gr.  vor 
dorn  subject  oder  praedicatsnomen,  z.  b.  Mc.  11,19  und  patei  mip  im 
ist  bnipfaps,  Iv  o)  u  vri.icpiog  f.iec'  avTiöv  sotiv.  Mc.  XIII,  28  neba  ist 
asans,  t^yyvc:  lö  ^<^qoij;  :ailv.  Lc.  X,  7  ivairps  at<k  ist  ivaurstivja  mix- 
dons  seinaixos,  u'ito^  yaQ  ö  ^Qyaciqg  lov  /.(lad^ov  arioü  eoriv.  Lc.  XVIII,  3 
tvasitp  pan  jah  widutvo,  XVQ^  ^'^^  ']''•  Lc.  IX,  18  qijmnd  wisan  Pos 
mariageins,  "ktyovaiv  oJ  oy}.oi  eivai.  Lc.  XIX,  17  in  leitilamma  ivast 
trigyivs,  tv  slaxiGno  Ttioiög  tytvov.    Mc.YIl^  4  ist  manag,  rcolld  toziv. 

Vorgestellt  ist  das  verbum  subst. :  Lc.  IX,  48  nute  sa  minnista 
wisands  in  allaim  i.)tv/s,  6  yaQ  f.nAQ6TEQ0Q  h>  7cdaiv  vf-uv  vtcccqxcov^. 

In  einigen  fällen  steht  auch  das  verbum  subst.  im  got.  hinter 
dem  subject  oder  pi'aedicatsnomen:  Mc.Xll^Sl  imnia  simi(s  ist,  loxiv 
viög  aviov.  J.  XVIII,  25  ip  Seimon  Paitrus  was,  -/jv  de  ^i'f,t(ov  THxqoq. 
Lc.  VIII,  11  appan  pata  ist,  eoiiv  ds  avvtj.  Lc.  II,  25  ahrna  iveihs  tvas, 
7tvEvi.ia  fjv  äyiov.     Lc.  VI,  47  galeiks  ist,  iaziv  b^oiog^. 

Capitel  IL 
Schwank iingen  der  Übersetzung'  im  gebrauch  der  fornnvörter. 

Eine  besondere  Stellung  nehmen  in  der  Übersetzungstechnik  natur- 
gemäss  die  form  Wörter  ein  (artikel,  pronomina,  partikeln).  Sie  stellen 
das  gebiet  dar,  auf  dem  sich  abweichungen  auch  bei  der  treusten  Über- 
setzung ergeben  müssen,  so  dass  es  kaum  möglich  ist  zu  entscheiden, 
in  welchen  fällen  stilistische  motive  gewirkt  haben.  Dazu  kommt  noch, 
dass  wir  nie  mit  Sicherheit  die  gr.  vorläge  des  Goten  in  diesem  punkt 
bestimmen  können.  Fr.  Kauffmann  sagt  in  seinen  Beiträgen  zur  quellen- 
kritik  der  got.  bibelübersetzung,  Zschr.  31,  187:  „Für  jede  bibelhandschrift 
muss  ein  gewisser  Spielraum  gelassen  werden  im  gebrauch  der  form- 
wörter  (artikel,  pronomina.  partikeln).  Es  ist  unmöglich,  eine  feste  richt- 
schnur  des  usus  zu  finden;  es  ist  also  unbillig,  an,  die  gotische  fassung 
strengere  anforderungen  zu  stellen  wie  an  die  übiigen  bibeltexte.  Man 
wird  im  allgemeinen  ohne  weiteres  voraussetzen  dürfen,  dass  dem  Über- 
setzer der  ihm  eigene  bestand  von  seiner  unmittelbaren  griechischen 
vorläge  geliefert  worden  ist." 

Lateinischer  einfluss  und  der  von  parallelstcllen  wird  gewiss  auch  oft 
anzusetzen  sein,  doch  lässt  sich  hierüber  schwer  bestimmtes  ausmaciien. 

1)  Violleicht  nicht  um  Umstellung  des  verbum  subst.,  sondern  dos  pronomons 
liandclt  OS  sich  J.  X1I,2  ivas  sums,   tlg  »;i'.     Lc.  XVIII,  2  staua  was  sums,   y.Qui}^ 

2)  Vorlesen  ist  der  gr.  text  Mc.  XIII,  29  sijnp,  faiw  (gcles.  faii). 


184  STOLZKNBURG 

1.  Artikel. 

Der  got.  arfikel  ist  viel  seltener  als  der  gr.  Eine  Sammlung  der 
stellen,  an  denen  im  got.  gegen  das  gr.  kein  artikel  steht,  findet  sich 
bei  Eckhardt,  Über  die  syutax  des  got.  relativpronomens,  Diss.,  Halle 
1875,  s.  45fgg.  Vgl.  im  übrigen  Bernhardt,  Der  artikel  im  got.,  Progr., 
Erfurt  1874. 

Im  allgemeinen  erhält  (z.  b.  bei  einer  Verbindung  von  nomen  und 
attribut)  im  got.  nur  das  attribut  den  artikel,  während  im  gr.  der  artikel 
auch  vor  das  nomen  gesetzt  wird;   vgl.  Gering,  Zeitschr.  5,  311  ^ 

Got,  sa  übersetzt  demgemäss  gr.  avrög—6,  ö  —  aviög,  6  —  e/M- 
vog,  EAeivog  —  6;  vgl.  Schulze,  Glossar  s.  355  und  356. 

Nur  in  ganz  wenigen  fällen  steht  im  got.  der  artikel  gegen  das 
gr.:  hclll,  14:  frehun  J)a}i  ina  jah  pai  militondans  qipcmdans,  STcrjqdj- 
Tiüv  di  aviöv  xal  aiQatEc6f.i£voi  leyovreg,  um  das  participium  zu  sub- 
stantivieren. Lc.  XX,20  insamlidedun  ferjans  paus  us  Uuieiri  taikiijan- 
dans  sik  garaihtans  iviscui,  d/ceoieilav  tyy.ad-eiovg  v/co'/iQivof.iivovg  kav- 
Tovg  öiYMiovg  dvai,  wo  das  nachfolgende  attribut  im  got.  gewohnheits- 
mässig  den  artikel  erhält.  Mc.  I,  7  q/'inip  sivinpoxa  mis  sa  afar  mis, 
eQxezai  6  loxvQÖveQog  f^iov  orcioco  ^lov-. 

Sonst  ist  noch  an  abweichungen  in  bezug  auf  den  artikel  zu  er- 
wähnen, dass  im  got.  attribute,  die  einer  person  in  der  directen  anrede 
beigelegt  werden,  durch  das  persönliche  pronomen,  im  gr.  durch 
den  artikel  angefügt  werden;  z.  b.  Lc.  VI,  25  ivai  ixivis  jus  sadans  nu, 
oval  vf.iiv  dl  8}.i7te7iXrjOuivoi.  Lc.  VI,  20.  21  aiidagai  jus  unledans, 
(.la/MQLOL  o\  rcvioxoi,  audagai  jus  gredagans ,  f.iaA,(XQLOL  ol  Tieivcoweg, 
aiidagai  jus  gretandafis ,  (.iay.äQiOi  o\  xlai'ovreg.  Lc.  X,  15  jah  pu  K. 
pu  U7id  himiu  ushauhido,  xal  ab  K.  fj  tiog  rov  oögavoü  vif.iiü&eiaa. 
Mt.  VI,  9  atta  unsar  pu  in  himinam,   /tdveQ  vf-iüv  ö  hv  lolg  ovQavoig. 

2.  Pronomina. 

a)  Personalpronomina. 

aa)   Gegen  das  gr.  zugesetzt. 

Besonders  das  Personalpronomen  als  subject  findet  sich  im  got. 

zugesetzt.     Für  die  erste   und  zweite  person  sind  es  folgende   stellen: 

ik  zugesetzt:  Mc.  I,  7,  XII,  36;  Lc.  III,  16,  VI,  42,  XIX,  13,  XX, 43; 

1)  Ausnahmen  kommen  auch  hier  vor,  z.  b.  Mc.  III,  3  jah  qap  du  pamma 
mann  pamma  gapaur Sana  habandin  handu,  xcü  Xiyn  riß  dvd-Qwnq)  tgj  lit]()c<f4i^t'vt]v 
f/ovji  Ttjv  /ji^Qu;  SO  noch  Lc.  IV,  22;  J.  VI,  27  u.  ö. 

2)  Die  abweichung  im  got.  ist  vielleicht  durch  Mt.  III,  11  6  dt  ottiow  juou 
i(j/6fAivos  oder  J.  I,  27  6  dnt'aoj  [.lov  iQ/ö^tvog  hervorgerufen;  vgl.  ßernh.  anm. 


IHK    ÜüERSKTZUNGSTECIINllC    DES    WöLFlLA  185 

J.  IX,  11.  25,  XIII,  20.  34,  XIY,  28.  31,  XV,  12.  15,  XVI,  16.  pu 
zugesetzt:  Mc.  I,  24;  J.  XIII,  38  (wo  Wulfila  für  gr.  ov  vielleicht  av  las), 
J.  XVI,  30.  weis  zugesetzt:  Mc.  XIV,  63;  J.  XVIII,  30.  jus  zugesetzt: 
Mt.  XXV,  41;  Lc.  X,  23,  XVII,  6;  J.  XIV,  28. 

Weit  häufiger  ist  es,  dass  der  Gote  das  personalpronomen  der 
dritten  person  einführt;  vgl.  G.L.  §  199b. 

Oft  kommt  es  aber  auch  vor,  dass  das  personalpronomen  als  ob- 
ject  (im  weitereu  sinne)  zugesetzt  ist^  ixe  findet  sich  gegen  das  gr.: 
J.  XVI,  4;   Mc.V,  37. 

bb)  Gegen  das  gr.  fortgelassen. 

Hier  handelt  es  sich  um  weit  Aveniger  fälle. 

Als  subject  ist  das  personalpronomen  in  folgenden  fällen  fort- 
gelassen: f;w  Lc.  XIX,  23;  J.  XIII,  14;  i^ielq  J.VIII,  46;  aviög  Lc. 
XIX,  2. 

Ausserdem  pflegt  der  Gote  die  phrase  6  dt  eIttev  durch  paruJi  qap 
widerzugeben:  Mc.  X,  20,  XVI,  6;  Lc.  III,  13,  A^ll,  30.  52,  X,  26, 
XIV,  16,  XV,  31 ,  XVI,  6.    Dagegen  J.  VI,  20  paruh  is  qap,  6  ös  Xsyei. 

In  participialconstructionen  fehlt  das  personalpronomen  Lc. 
A^n,42  7ii  habcüidcnn  pan,  j^iij  ty6vvu)v  ök  avvcov  (sonst  wird  avziov  durch 
im  gegeben)  und  Lc.  XV,  20  fairra  ivisandan  gasaJv  ina  atta,  avzov 
ua/.odv  d/iiyorTog  l'öev  avibv  6  jraTrjQ,  da  hier  im  got.  eine  andere 
construction  gewählt  ist. 

Als  object  bleibt  das  personalpronomen  häufiger  fort,  doch  nur 
in  der  dritten  person:  avvo)  Mt.  IX,  14;  J.  VI,  8,  IX,  26,  XIII,  36.  38, 
XVI,  29,  XVin,  23;  Lc.  XIV,  18;  Mc.  XI,  7.  ahfi  J.  XI,  25.  avrdv 
Mc.  1,40,  X,  17,  XIV, 44.  aviö  Lc.IX,  47.  al>colg  Mc.  X,  3;  J.VI,20, 
VII,  16,  X,  25;  Lc.  III,  11.     aviovg  Mc.  X,  6-'. 

Selbstverständlich  ist,  dass  der  Gote,  wenn  er  gr.  unpersönliche 
verba  durch  persönliche  oder  infinitivconstructionen  durch  verba  finita 
übersetzt,  die  im  gr.  stehenden  personalpronomina  nicht  besonders  durch 
got.  widergibt;  vgl.  G.L.  §  199  anm.  3. 

1)  Da  diese  fälle  bei  G.L.  triebt  gesammelt  sind,  finden  sie  sich  hier  zu- 
sammengestellt. Für  die  erste  und  zweite  person  sind  es  folgende:  mik  Lc.  FV,  7-, 
J.  XV,  24.  mis  Lc.  VII,  44,  XV,  12.  ßits  Lc.  VII,  48.  unsis  Mc.  X,  4.  Für  die 
dritte  person  sind  die  fälle  sehr  zahlreich:  ivima  Lc.  V,  14,  VII,  11,  XVIII,  40;  Mc. 
VII,  28,  XIV,  47;  J.  IX,  ü.  ina  Mc.  XII,  1,  XV,  31;  Lc.  VI,  16.  im  Mc.  X,  29; 
Lc.  IV,  41.  ins  Lc.  VII,  19.  du  imma  Lc.IX,  12.  13.  du  im  Lc.  IX,  55.  ana 
im  J.  VII,  39. 

2)  Nach  Kaufifmann  (Zeitschr.  31 ,  189)  ist  zu  lesen:  J.  VI,  15  jali  wilwan  ina, 
y.ui  iitmiiCtiv  uvTÖr.  ,T.  VII,  12  jali  birodeinti  mikila  was  bi  ina,  y.iu  yoyyvcsfMos 
nokug  fiv  TifQi  uiiioO. 


186  STOLZKNBUKG 

Fortgelassen  ist  das  gr.  Personalpronomen  im  genitiv  Mt.  IX,  16; 
J.  XVI,  17   (arröP);  Mc.  VII,  25  {avifjg)\ 

cc)  Pronomen  reciprocum,  sama  und  silba. 

Gr.  fcauoC  gibt  der  Gote  an  verschiedenen  stellen  durch  das  pro- 
uomen  reciprocum  ^^'.s-  misso);  z.  b.  Mc.  I,  27  sivaei  solädediui  mip  sis 
misso  qipandmis ,  wove  avv'Cr^relv  jcqöq  taurobg  liyovzag;  so  noch  Mc. 
IX,  10,  XI,  31,  XVI,  3;  J.VII,  35,  XII,  19.  Vgl.  G.L.  §  200,  anm.  7. 
Mt.  XI,  16  wird  /mI  rcQüOcpiorovOL  Tolg  ezfQoig  gegeben  durch  anpar 
anpa[rana]. 

Während  das  gr.  reflexivum  eavxov  gewöhnlich  durch  das  got. 
Personalpronomen  verbunden  mit  silba  übersetzt  wird,  ist  an  einigen 
stellen  silba  fortgelassen:  Lc.  XVI,  9,  XVII,  14;  J.  XII,  8.  32;  vgl.  G.L. 
§  200  anm.  6. 

Sama  übersetzt  auch  gr.  sig,  z.  b.  Lc.  XVII,  34  ana  ligra  saviin, 
hcl  Tilivyg  i-iiäg,  ebenso  Mc.  X,  8  (vgl.  G.L.  §  198  anm.  2b). 

b)  Relativ-  und  demonstrativpronomina. 
aa)  Gegen  das  gr.  zugesetzt. 
Wenn  adverbiale  ausdrücke  und  participien  mit  artikel  im  got. 
durch  relativsätze  widergegeben  werden,  so  tritt  gegen  das  gr.  oft  das 
demonstrativpronoraen  sa  vor  den  relativsatz  (z.  b.  Mc.  V,  15  pana 
saei  habaida,  xbv  la%rj'A6ia.  Lc.  IX,  61  Jmim  J)aiei  sind  in  garda  mei- 
namma,  xoig  elg  röv  or/.öv  /.lov)^. 

Seltener  wird  das  demonstrativ  zugesetzt,  wenn  schon  im  gr.  ein 
relativsatz    steht   (z.  b.   Mt.  V,  32  jah  sa  ixei  afsatida   liugaij),   /.ai   dg 

1)  Schon  bei  der  Stellung  von  subject  und  praedikat  kam  es  vor,  dass  die 
formelhaften  sätze,  welche  eine  directe  rede  einleiten,  besonders  oft  abweichuugen 
zeigen.  Noch  deutlicher  tritt  dies  beim  zusetzen  und  fortlassen  der  personalpronomina 
hervor.  Von  den  angeführten  stellen  handelt  es  sich,  sehen  wir  von  dem  schon  er- 
wähnten paruh  qap  ab,  noch  in  17  fällen  um  solche  einleitungsformeln  der  directen 
rede.  Es  sind  dies  unter  den  Zusätzen:  Mc.  VII,  28  {i?/ima);  Mc.  X,  29  (m);  Lc. 
IX,  13  {du  imma)\  Lc.  1X,55  {du  im).  Unter  den  auslassungen :  J.  VI,  8,  IX,  26, 
XIII,  36.  38,  XVI,  29,  XVIII,  23;  Lc.  XIV,1S  (««Vo5);  J.  XI,25  («i'-r;l);  Mc.  X,  3, 
J.  VI,  20,  VII,  16,  X.  25;  Lc.  III,  11  {uinoTi).,  so  dass  z.  b.  von  amÜ)  alle  stellen 
aus  dem  Johannesevangelium  hierunter  fallen,  von  avTotg  überhaupt  alle  fälle.  Eine 
Zusammenstellung  solcher  abweichenden  einführungsformeln  gibt  Kauffmann  für  das 
.lohannesevangelium  Zeitschr.  31,  186  („Bas  wesentliche  dieser  gruppe  ist  die  formel- 
haftigkeit  und  diese  erklärt  und  entschuldigt  zugleich  das  verhalten  des  einzelnen 
autors"). 

2)  Andere  fälle  bei  Schulze,  Glossar  s.  369. 


DIK    tJBKUSCTZUNGSTKCHNlK    UES    WIILKILA  187 

idv  d7i:olelv!.ifVip'  yafD^or].  J.  XVII,  9  ak  bi  paus  panxei  atgaft  nds, 
dllä  negl  d)v  d6dcüy.dg  f.ioi.  Lc.  I,  4  ci  gaktmnais  pixe  bi  poei  galaisips 
is  wauj'de  asiap,  iva  htiyvwg  tceqI  &v  '/.arr^x^^^S  löycov  docfäXeiav. 
Le.  Vn,  48  l)ana  gawenja  Jmniniei  vianagixo  fragaf,  vycoXcif-tßdvw  üti 
V    zö  /tXeiov  lyaoioaco)  ^. 

Um  einen  conjanctionalsatz  handelt  es  sich  J.  XVI,  9  bi  frawaurJd 
raihtis   J)ata,   Jmtei   iil   galaubjand,    yte^i    di.iaQviag   für,    du    ov    7Ci- 

OTEiOVGlV-. 

Einfluss  des  nebensatzes  liegt  auch  wol  vor  J.  XVIII,  18  sa  was 
ank  sicailira  .  .  .  saei,  ^v  ydg  Tcevd-EQog  .  .  .  og.  Mc.  XI,  23  ak  galaubjai 
pafa,  ci  J)afei  qipip  gagaggip,  dlld  7tiaTEvarj  ba  a  X^yei  yivetai. 

bb)   Gegen  das  gr.  fortgelassen. 
Lc.  XV,  32  bropar  Jjeins,   6  döehpög  oov.  o^zog.     Mc.  IV,  16  jah 
sind,  '/.ai  oZ'ioi  eloiv. 

cc)  Sonstige  abweichungen. 
Gr.  relativpron omen  ist  im  got.  durch  demonstrativum  ver- 
treten (ohne  relativpartikel),  z.  b.  Lc.  XVII,  12  taihiai  pridsfillai  mmis, 
paih  gastopmn  fairrapro,  dey.a  XetcqoI  ävögeg,  oi  ioxr^oav  jcöqqioS-ev. 
Lc.  XVI,  20  Laxarus,  sah  ativaurpans  was  du  daura  is-  banjo  fidls, 
ytdCccQog,  og  eßeßlvjto  Ttqbg  xbv  jcvlCJva  avrov  eih/iiopUvog.  Lc.  II,  37 
soll  pan  ividuivo  jere  ahtantehund  jah  fidwor,  soh  ni  afiddja  fairra 
alh,  ymI  ttvitj  X'^JQ^  iiibv  dydo/f/.oyra  xeoodQVJv ,  fj  om  dcpiorato  «ttö 
rOV    'lEQOV   u.  ö. 'l 

Umgekehrt  tritt  bisweilen  got.  relativpronomen  für  gr.  demon- 
strativum ein  (z.  b.  Mt.  XXVII,  46  pjatei  ist,  roCr'  h'onv). 

In  andern  fällen  steht  got.  relativpronomen  für  gr.  interroga- 
tivum:   J.VI,  6  wissa  patei   habaida   taujan,    Jjöei   r/  tf-iellev  ycoielv 

1)  Lc.  Vlil,  15  P(d  sind,  pai  ixei  in  hairlin  godamnia  .  .  .  ovroi  tlaiv  o'iji- 
vfg  fv  y.aoSiu  y.i().>j^  ist  das  zweite  pai  \or  ixei  zugesetzt,  um  gr.  o'hirtg  widerzugeben. 
Ebenso  Mc.  IX,  1  pai  ixei  ni  kausjand  daupaus,  o'tTtveg  od  /nr)  yivawvjta  OurÜTov. 
So  übersetzt  got.  sahaxuh  saei  gis  nü;  IJaiig.  z.  b.  Mt.  X,  32  sahaxuh  nu  saei 
andhaitip  mis,  nug  ovv  oaitg  öf.io).oyriOti  iv  iiuot,  ferner  got.  patahah  pei  gr. 
ö  iäv,  z.  b.  J.  XV,  7  patahah  Pei  tvileip,  o  iav  x^^krire  (vgl.  auch  J.  XV,  16)  und 
ähnliches. 

2)  G.L.  hat  pf da  angezweifelt  und  liernhardt  lässt  es  mit  berufung  auf  G.L. 
fort.  Vgl.  dazu  die  ausführung  bei  Klinghardt  (Die  syntax  der  got.  partikel  e/,  Zeit- 
schrift 8,  293fg.),  der  pata  verteidigt  und  seine  syntaktische  bedeutung  erklärt. 

3)  Um  den  ersatz  einer  relativen  conjunction  durch  eine  got.  demonstrative 
handelt  es  sich  J.  XVI,  25  Jjanuh  ixtvis  ni  panascips  in  gajukovi  rodja ,  me  ovyt'ii. 
if  ncdwifit'uig  kuf.ijao)   vfxiv. 


188  STOLZRNBURG 

oder  auch  für  gr.  indefinitum:  J.  III,  3  7iiba  saei,  edv  (.ir^  Tig,  (ebenso 
J.  III,  5,  XV,  6).  Eigentümlich  got.  ist  die  form  des  relativums,  das 
sich  auf  eine  erste  oder  zweite  person  bezieht  (z.  b.  Mc.  1,11  in  puxei, 
h'  ij,  ebenso  Lc.  III,  22.  Lc.  XVI,  15  jus  sijiip,  juxet,  v\.i£iq,  Igie  o\\ 
vgl.  G.L.  §203,2)1. 

c)   Possessivpronomen. 

Das  got.  Possessivpronomen  gibt  in  einigen  fällen  den  dat.  des  gr. 
persönlichen  pronomens  wider,  z.  b.  Mc.  V,  9  ha  nmno  pein?  jah 
qap  du  imnia  :  namo  mein  laigaion,  ri  ovof.id  aoi;  vmI  kiyti  aurtp 
yieyELov  uvof.ici  «o<;  ebenso  Lc.  VIII,  30.  Hierher  gehört  auch  Mc.  V,  26 
allamma  sei)iaui'})ia,   cä  tt«^'  avvfjg  Txävia-. 

Oft  steht  im  got.  das  pos.sessivpronomen,  wo  sich  im  gr.  nur  der 
artikel  findet:  Mt.  V,  24  afJet  jahiar  po  giba  peina,  acpeg  stiei  tö  ömqov. 
So  noch  Lc.VII,44,  X,22.23,  XV,  12,  XVni,13;  J.  XI,16,  XIV,  31 
(vgl.  G.L.  §  201,3). 

Fortgelassen  ist  das  possessivum  J.  VII,3  7j«i  sipunjos,  ol  fia- 
d^tjvai  aov.  Lc.  V,  23  pus  fraivaurhteis ,  ooi  ai  df.iaqzlai  oov.  Mt.  V,  31 
Jvaxiih  saei  afleiai  qeii,  dg  av  d/roXvoij  tijv  ywaiAa  aiiov. 

d)  Interrogativpronomen. 

Die  gr.  doppelfrage  wird  nicht  nachgeahmt:  Mc.  XV,  24  Ivarjixuh 
ha  nemi,  x'ig  x'i  aq-t].  Lc.  XIX,15  Iva  hatjixuh  gairaurhtedi,  ri'g  ri 
SiSTtQayi^iaTevGaro  ^. 

e)  Pronomen  indefinitum. 

Gr,  Tig  ist  fortgelassen:  Lc.  1,5  giidja,  \sQsvg  vtg.  Lc.  X,  30 
manna,  avd^qcoytog  ng.  Lc.  VIII,  2  qinons,  yvvmyJg  riveg.  Lc.  VII,  19 
tivans  siponje,  ovo  rivdg  xiov  jLiad-tjTiov^. 

1)  Surdeiks  scheint  ausgefallen  zu  seiu:  Mc.  X,  14  uiite  pixe  ist,  iGiv  yäo 
ToiovTOiv  iöTiv,  da  ToiovTcov  soust  dui'ch  pixe  sioaleikaixe  gegeben  wird,  z.  b. 
Lc.  XVIII,  16. 

2)  Auch  gr.  iStog  übersetzt  der  Gote  mit  dem  Possessivpronomen:  Mt.  IX,  1 
jah  qmn  in  seinai  baury,  /.cd  PjkOtv  tfg  tIjv  Idiav  nultv;  so  Lc.  II,  3,  VI,  41; 
J.  VII,  18. 

3)  Nicht  ganz  genau  ist  übersetzt:  J.  XVIII,  21  his  niik  fraihnis,  ti  ue 
ioanug.  J.  XIII,  18  wird  gr.  relativpronomen  durch  got.  Interrogativpronomen  ge- 
geben: wait  harjans  gawalida,   o^Sa  ovg  i^eXt^(i/ut]v. 

4)  Eigentümlich  ist  die  Übersetzung  von  Ti,g  durch  sums  mrouie:  Lc.  VIII,  49; 
Mc.  XV,  21. 


niK    ÜBERSETZUNQSTECHNIK    DKS    WUI.FILA  189 

f)    Genus,  numerus,  casus  und  person  des  pronomens. 

Ein  demonstrativ-,  interrogativ-  oder  relativpronomen  als  subject, 
das  im  gr.  im  genus  des  praedikatsnomens  steht,  ist  im  got. 
neutriim:  Mc.  VI,  3  niu  pata  ist  sa  timrja,  odx  o^voc:  ^ativ  6  Tk/.xMv 
(vgl.  G.L.  §208,2)1. 

Ferner  stehen  got.  pronomina,  die  zwei  personen  verschiedenen 
geschlechts  bezeichnen,  nicht  wie  im  gr.  im  masculinum,  sondern  im 
neutrum:  Lc.  11,6  mippanei  po  icesun  jainar,  Iv  np  eIvcci  aviovg  IaeI 
(vgl.  G.L.  §  208,3).  Das  genus  der  pronomina  richtet  sich  im  übrigen 
natürlich  nach  dem  beziehungswort  und  ist  im  got.  selbständig 2. 

Im  numerus  der  pronomina  sind  folgende  abweichungen  zu  ver- 
zeichnen: Im.  11^34:  jah  piNjrida  ina  Si/n/aioii,  /.al  Ev'köyr^Gtv  airovg 
—ifinov^.     Lc.  I,  G5  pahn   bisitandani    iua,   lobg  icEQiOLXOVvcag,   airovc,. 

Die  gr.  attraction  des  relativums  vermeidet  der  Gote  in  seiner 
Übersetzung;  z.  b.  J.  X^V/20'  gar)i7nieip  pis  ivaiirdis  patei  ik  qap,  f.ivr]- 
iiovEVEiE  Tov  löyov  ol  tyco  aijiov.  Die  fälle  sind  ziemlich  zahlreich: 
J.  XVII,  5.  9;  Lc.  I,  20,  XV,  IG,  XVII,  30;  Mc.  XIII,  19  (vgl.  G.L. 
§  266  anm.  1)^. 

In  casus  und  numerus  sinngemäss  übersetzt  ist  Lc.  IV,  G  Jmla 
ualdufni  pixe  allaia,  rrjv  i^ovalav  tavcrjv  a/caoav^. 

3.  Partikeln. 

Behandelt  werden  im  folgenden  nur  die  beiden  fälle,  dass  im  got. 
Partikeln  zugesetzt  oder  fortgelassen  sind,  da  über  änderungen  in 
der  Stellung  schon  s.  182  gehandelt  ist. 

1)  Doch  kommt  auch  der  anschluss  an  den  gr.  Sprachgebrauch  vor:  Mc.  IX,  7 
sa  ist  sumis  nieins  sa  liuba,   ovrög  iariv  6  vlög  /nov  ö  uyayirjrög. 

2)  Auffällig  sind  demgegenüber  Mc.  XV,  16  ip  gadrauhteis  gatauhim  ina 
i)i7ia)ia  ijardis,  patei  ist  'praitoriaun,  01  (Tt  arQuiiioTui  anriyayov  atiov  'iaca  Tfjg 
fcvXfjg,  ö  lariv  niyanu'yQiov  und  Mc.  XV,  42  unte  was  paraskaitve,  saei  ist  friima 
sabbato,  intiSt]  fjv  naoaa/.tvi],  Ö  lariv  nQoaüßßujov,  wo  sicli  das  genus  des  relativs 
nicht  nach  dem  beziehungswort,  sondern  nach  dorn  praedicatsnomcn  des  relativ- 
satzes  richtet. 

3)  Massmann  vermutete  ija. 

4)  Auch  sonst  umgeht  der  Gotc  gr.  attj-action :  Lc.  I,  72.  73  gamunan  triggiros 
weihaixos  seinaixos ,  ai/jis  Jmnei  swor.,  /uvtjoO^ijvui,  Siadtixtig  ityiug  avTov,  oqxov  ov 
üuootv.    Mc.  X.II,  10  stains  Jjammei  .  .  .  sah,  Xt'Oov,  ov  . . .  obrog,  ebenso  Lc.  XX,  17. 

.5)  Um  Verlesungen  oder  coriumpicrungcn  des  gr.  textes  handelt  es  sich  Lc.  XV,  8 
siinia.,  ji'g  (für  rig).  Lc.  VIll,  14  paiei  gahausjandans ,  ot  ir/.ovauvjtg  {o'i)  vgl. 
Bernh.  anm.  Lc.  IX,  31  pai  gasaihana7is ,  ot  dtf&^vng  (oi).  J.  XIII,  38  pu, 
oii  (av).  Mc.  IV,  8  ain,  iv,  dreimal  (fV),  vgl.  itvg..^  ebenso  Mc.  IV,  20.  Mc.  XII,  13 
sumai,  nvug,  wo  wahrscheinlich  riv^g  gelesen  wurde. 


190  STOLZENBURG 

1.  Partikeln  sind  gegen  das  gr.  zugesetzt: 

jah:  Mc.XIV,66{pleonast.);  Mt.XXV,40;  Mc.III,35;  J.  VIII,  25, 
IX,  15,  XI,  35;  Lc.VI,38,  VIII,  2,  IX,  59,  XVIII,  3. 12. 

uh:  Mt.  XXVII, 05;  Mc.  XVI,7;  J.  VII, 41,  IX,9.  16.  17.  X,21. 
In  doppelfragen:  Mt.  XI,  3;  J.  VII,  17;  Mc.  XI,  30;  Lc.  XX,  4.  Pleo- 
nastisch:  Mc.  VIII,  1;  Lc.  XV,  26;  J.  XI,  31  \ 

Patei:  Lc.  XVII,  34,  IV,  25,  VIII,  20. 

pei:  J.  XIII,  38. 

ei:  J.  XIII,  29  (pleonast.).  Lc.  VI,  12  (=  /.«/).  Zwischen  zwei 
imperativen  ebenfalls  im  sinne  von  xat:  Mt.  XXVII,  49;  Mc.  VIII,  15, 
XV,  36.  .  Im  sinne  von  ovi:  Mt.  X,  23.  42.  Im  sinne  von  o/tcog:  Mt. 
VIII,  4,  IX,  30;  Mc.  I,  44.  Nach  tviljan:  Mt.  XXVII,  17;  Lc.  IX, 54, 
XVIII,  41;    Mc.  X,  51,  XIV,  12,  XV,  12. 

ip:  Mt.V,  19;  Mc.  XV,31;  Lc.  XVIII,  8;  J.VI,58,  VII,  8.23.29; 
VIII,  15.23,  IX,  12.  25,  XI,  29,  XIV,  8.  24,  XV,  5. 

appa7i:  Lc.  XVII,  22,  XVIII,  8;  J.  XV,  7. 

allis:  Mt.V,  39  (nach  V,  34?). 

pan:  Mc.  X,  28;  J.  XI,  25;  Lc.  II,  2.  37,  VII, 8,  Vm,8,  IX,  3, 
XVII,  32. 

panuh:  Lc.  I,  26;  J.  IX,28,  XIII,  36,  XVIII,  24.  38. 

im:  J.  XIII,  32. 

pannu:  Mc.  XIV,  6. 

pariih:  J.  XIII,  37,  XIV,  5.  9.  22,  XVI,  29,  XVIII,  5. 

sai:  J.  VII,  48;  Mc.  X,23. 

Sehr  oft  stehen  nun  zwei  got.  partikeln  tautologisch  für  eine 
gr.,  so  dass  man  von  einem  wirklichen  zusatz  nicht  reden  kann.  Be- 
sonders ^ö7^  verbindet  sich  gerne  mit  andern  partikeln  (vgl.  G.L.  §  284, 2)^. 

1)  Ausserdem  tritt  iili  sehr  häufig  in  Verbindung  mit  andern  partikeln  auf; 
vgl.  Zeitschr.  33,27. 

2)  Temporal:  Mc.  IV,  85;  J.  VII,  33;  Lc.  11,42,  HI,  16;  XVI,  23. 

3)  jah  pan  =  (ff  J.  XI,  42,  XIV,  21,  XVIII,  18 

=  7.1U  J.  XIV,  3.  7. 
ei  jah  =  y.al  Lc.  VIII,  1. 

iß  pan  =  äf  Mt.  XXVII,  46;  Lc.  VII,  50,  XVII,  15;  J.  VIII ,  59. 

ßan  auk  =  &e  J.  XII,  10. 

paproh  pan       =  (neira  Mc.  VII,  5;  Lc.  XVI,  7;  J.  XI,  7. 

=  ovv  J.  III,  25,  XVIII,  7. 
pariih  pan         =  St  Lc.  VIII,  23. 
ip  sivepauh       =  nktjv  Lc.  XVIII ,  8. 
appan  swepauh=  nXriv  Lc.  XIX ,  27. 


DIE    l'BERSETZUNGSTECIINIK    DK.S    WUI.FILA  191 

Drei  got.  paitikeln  für  eine  gr.  stehen  J.  XII,  10  imniaidedunup 
pcüi  Ciuk,  fßovXevaario  d^^. 

2.  Partikeln  sind  gegen  das  gr.  fortgelassen: 

de:  Mc.VII,36,  X,  27,  XI,  8;  Lc.  IT,  44,  X,  5;  J.  VTTI,  46.  50, 
XII, 37,  XVI, 20. 

I.av:  Lc.  111,18,  X,2. 

■mi:  Mc.  11,22;  Lc.  1,35,  11,4,  VI,  4.  35,  VII,  49,  X,  4;  J.  VI,  36, 
VIII,  16,  XI,  31,  XII,  26,  XIII,  13,  XVII,  1. 11.  20. 

it:  Mc.  XV,  36;  Lc.II,16  u.  ö.  (vgl.  G.L.  §258  anni.3). 

7C.^q:  J.  XII,  43. 

«V:  Mt.V,  19. 

ydQ:  J.  111,24,  XIII,  29,  XIV,  30;  Mc.  IX,  34. 

ort:  Lc.VII,43,  Mc.  XL 23. 

ovv:  Mc.  XII,  23,  XX,  44;  J.  VI,  30,  VIII,  12,  IX,  7.  19,  X,  31, 
XI,  6,  XII,  21,  XIII,  30,  XVIII,  33,  XIX,  4.  8. 

cV:  Mc.  IV,  41;  Lei,  66,  VIII,  25. 

wg:  Lc.  II,  37. 

oiciog:  J.  VII,  46.  ' 

7cdlip:  Mc.  111,20  2. 

Mc.  VII,  12  ()ü  =  ov/.hi)  ist  -tti  unübersetzt  geblieben. 

Gr.  I6üi'  ist  fortgelassen  Lc.  I.  20  jnh  sijais,  /mI  idov  l'orj.  Lc  II,  9 
ip  aggihis,  /ml  Idöv  ay/slog. 

Auch  hier  kann  man  nicht  von  eigentlichen  auslassungen  reden, 
wo  mehrere  gr.  partikeln  durch  eine  got.  widergegeben  werden.  So 
steht  Lc.  XV,  32  tvaila  wisan  jah  fagmon,  £v(fQav9fjvai  ds  '/.al  yaqTjvai. 
Mc.  VI,  14  dit]>])ß,  /Mi  diu  tovto.  Lc.  III,  9  appan  j/i ,  i]drj  di  /.ai. 
Lc.  XIV",  26  naiümp  pan,  I'tl  de  vmL  Lc.  XVIII,  11  aip)J)aii,  )]  /.ai. 
Lc  XVI,  13  andixuh,  ^  ydq.  Mt.  IX,  3  pnruh,  /ai  Idor;  ebenso  Lc  II,  25, 
^It.  IX,  2  pannh,  '/ai  Idov. 

So  gibt  der  Gote  gr.  el  «//,  welches  den  irrealen  bedingungssatz 
einleitet,  nur  durch  m,  nih  wider,  indem  er  die  bedingung  durch  den 
modus  ausdrückt:  J.  IX,33,  XV,  22  u.  ö^. 

Partikeln,  die  im  gr.  widerholt  sind,  werden  im  got.  oft  nur 
einmal    gesetzt:   J.  XVII,  23   ei  sijaiiia  .  .  .  jah   Jcininei,   'iva   claiv  ... 

1)  Bijjeh  pan  ist  zugesetzt  Mt.  IX,  17  hipeh  pjan  Jah  nein  usgulitip,  y.ui  6 
oivog  iy.ytijai. 

2)  Nach  Kauffmann  (Zeitschr.  31,  18ü)  ist  zu  lesen  J.  XVIII,  'iS  jah  f>ata 
qipands  aftra  galaip  ut,  y.ut  Toi}ro  thiwv  nüXiv  i^rjlO^sv  (vgl.  XIX,  4). 

3)  So  auch  Mc.  XIII,  2U  jah  ni,  xui  tl  /li/j.    Ferner  Mt.  VI,  1  aipßait,  ti  (f^  f^'iye. 


192  STOLZENBDRG,    DIE   ÜBERSETZONQSTECHNIK    DES    WÜLFILA 

■/.al  ha  yirwo7.i].    Lc.  VI,22  audagui  sjmp  Jjuii  .  .  .  jah,  (.la/MQioi  iors 
ovav  ...  '/.al  otav. 

Es  kommt  freilich  auch  vor,  dass  der  Gote  gegen  das  gr.  die 
Partikel  wie  die  praeposition  widei'holt:  J.  XIIT,  29  siimai  mundedun 
ei,  unte  .  .  .  patei,  Tiveg  yclcQ  iöö/.ovv,  e/tel  .  .  .,  ort.  Mt.  V,45  aua 
garaihtans  jah  ana  inwidcms,  ircl  dLy.aiovg  /.al  ddi/.ovg^. 

4.  Negation. 

Die  doppelte  negation  im  gr.  bildet  der  Gote  im  allgemeinen 
nicht  nach,  vgl.  G.L.  §  213,4:  Mc.1,44,  XII, 14.34,  XIV,60,  XV,  5, 
XVI,  8;  Lc.  IV,2,  VIII,  43.  51  ;J.  VI,  63,  XII,  19,  XIV,  30,  XVI,  23, 
XIX,  112. 

Einmal  hat  der  Gote  gegen  das  gr.  doppelte  negation :  J.  VIII,  42 
nih  pan  auk  fram  mis  silbui  ni  qam,  ovds  ydg  dyc'  lf.iavcov  shjXv&a'^. 

Mo.  XVI,  11  hat  der  Gote  gr.  d/tioTeiv  mit  7ii  galaubjan  übersetzt. 

Zu  erwcähnen  bleibt  noch,  dass  der  Gote  ol're  .  .  .  oirce  durch 
ni  .  .  .  ni  widerzugeben  pflegt:  Lc.  XX,  35;  Mc.  XII,  25,  XIV,  68.  Ähn- 
lich Mc.  VI,  11  ni  .  .  .  ni,  f.u)  .  .  .  /urjöe.  Mc.  VIII,  26  ni  .  .  .  m,  fxyds 
.  .  .  f.irjde.  Mc.  XIV,  68  7ii,  ovde.  Lc.  III,  14  ni  mannanhun  .  .  .  ni 
mannanhun,  {.irjöeva  .  .  .  f^trjde'^. 

5.  Das  verbum  substantivum. 

Das  verbum  substantivum  schliesst  sich  seinem  ganzen  Charakter 
nach  übersetzungstechnisch  eng  an  die  formwörter  an. 

a)  Es  ist  gegen  das  gr.  zugesetzt. 

Hier  handelt  es  sich  um  fälle,  bei  denen  meist  im  gr.  eine  ellipse 
des  hilfsverbs  vorliegt,  die  im  got.  nicht  nachgebildet  ist:   Mc.  IX,  34 

1)  Auffällig  ist  Mc.  VI,56  in  haimos  aippau  haiirgs  aippau  in  wcihsa,  dg 
■jtiüuug  tj  sts  nöliig  f]  äyQOvg  (gr.  text  nach  F.). 

2)  Doch  sind  die  ausnahmen  recht  zahlreich:  Mt.  XXVII,  14;  Mc.  II,  2,  III,  20, 
YII,12,  XV,4;  Lc.  IX,36,  XVIII, 13,  XX, 40;  J.V,22,  IX,  33,  XV,5,  XVI, 24. 

3)  Denselben  fall  hätten  wir  J.  XVI,  21,  wenn  das  zweite  ni,  welches  radiert 
ist,  gelten  soll:  ni  panaseips  ni  gaman,  ovyjTi  /nvrjuovevti. 

4)  An  einigen  stellen  liegen  fehler  oder  ungenauigkeiten  in  den  got.  Par- 
tikeln vor.  Lc.  Y,  34  wird  die  gr.  frage  nicht  wie  sonst  durch  ibai  widergegeben: 
ni  magup  sununs  . .  .  gataujan  fastan,  /j-ij  Svi'aaiha  lovg  vlovg  . . .  noifjaut.  vqaitvttv. 
Mt.  XXV,  40  sieht  jah  panei  für  gr.  !(/>'  öaov.  Lc.  V,  6  wird  im  got.  durch  sice,  im 
gr.  durch  St  angeknüpft.  Lc.  IX,  26  steht  für  gr.  xcu  aippau.  J.  XII,  35  in  ixwis, 
fit&'  v^Cjv.  Mc.  IX,  \Zju  =  y.tti.  Mt.  VI,  24:  jabai,  ^  (wol  als  d  verlesen).  Mc.  VlII,  17 
unte,  ht  (wol  als  6tc  verlesen).  Mc.  IV,  12  nibai  Jean,  /x^nors,  statt  ibai  han,  das 
sonst  (xi^noTt  übersetzt  (vgl.  Bernh.  anm.).  Verlesen  ist  der  gr.  text  vermutlich  aach 
Mt.  VIII ,  33  all  be  paus  daimonarjans,  ndviu  y.al  tu  tG)p  SHiuoviCou-ivwv  (vgl. 
Bernh.  anm.). 


GÖTZE,    VOM    PFRVNDMAIiKT    DKH    CURTISANEN  193 

h'Cirjis  maists  2cesi ,  i:i\:  //f/L'wr.  ]\[c.  X,  27  iiiimalitcig  ist,  uövraiov. 
31c.  Xni,  22  jabai  mahing  sijai,  ei  öivacöv.  J.  XIV,  2  aßpan  niha 
teesei )ia ,  el  ds  fi/j.  J.  XIX,  5  sai  ist  sa  manna,  /'Je  6  ävOgojycog. 
Lq.  11^20  jah  sa  mannet  was  gareiihfs,  vxd  ö  l'(vi)^oo)7coQ  oicog  dl/.aiog. 
Lc.  Yin,  29  fastaips  tras,  cfcXaaaof^ievog.  Lc.Xl^i  paiin  miß  sis  ivi- 
saiuhnii,  ro/c  j.iei''  avcoc. 

b)  Es  ist  gegen  das  gr.  fortgelassen. 

Mt.  XXV,  43  gasls  jein  ni  galapodeelxp  n/i/,-,  iVroc:  V^iiyv  vmi  od 
orvT^ydyevt  f.ie^.  Mc.  X,  1  sirc  hiuhts,  cog,  elwO^ei.  Me.  X,  82  fanrhi- 
gaggcmds,  i)v  Ttqoäyiov.  Lc.  III,  23  siceiei  sunus  irmnds  ivas  Josefis, 
iov  lüQ  h'Of.iiLETo  v'ibg  ^Iioat[(p.  J.  XI,44yr//^  urrcmn  sei  deaipa  gabnndeiiis 
linnduns  jah  fohins  fasljanf,  jeüi  wlits  is  avraJjei.  bibiendans,  yjü 
t^Fp^dei'  ö  T£>)r7f/.wg  deöeuh'og  tc)g  x^loag  y.ai  robg  7c6öag  /.siQiaig,  v.ai 
i)  oif'ig  avTOv  (Joidaoi'o)  ^leondi-dETO'-. 

1)  Kauffniaun,  Zeitschr.  31,  179  liest  gasts  ivas. 

2)  Während  Gering  hier  noiiiinativus  absolutus  ansetzt,  Lücke  ghiubt,  dass  ein 
anakoluth  vorliege,  indem  der  Gotc  in  dieselbe  construction  wie  vorher  verfiel  und 
iclita  dann  doch  als  iiominativ  stehen  Hess,  nehmen  Grimm,  Schuke,  Massmann, 
Köhler  und  Rückert  ellipse  von  icas  an  (vgl.  hierzu  auch  Dietrich,  Die  bruclistücke 
der  Skeireins  s.  LXIYfgg.). 

(Schluss  folgt.) 
KIEL.  HANS    STOLZENBÜRG. 


VOM  PFEÜNDMAEKT  DEE  CÜETISANEN. 

Im  dritten  bände  der  Satiren  und  pasquille  aus  der  reformationszeit 
hat  Oskar  Schade  die  flugschrift  'Von  dem  pfrimdmarkt  der  curtisanen 
und  tempelknechte'  herausgegeben^,  die  ohne  nennung  des  druckers  im 
September  1521  bei  Adam  Petri  in  Basel  erschienen,  ist.  Der  Verfasser 
ist  nicht  genannt  und  es  gibt  kein  diroctes  zeugnis,  aus  dem  er  sich 
feststellen  Hesse.  Goedeke  vermutet  im  Grundriss-  2,  279  in  dem  Strass- 
burger  ritter  Wurm  von  Geudertheim-  den  Verfasser,   doch   verrät  der 

1)  An  einigen  stellen  bedarf  sein  text  der  besserung:  60,33  lies  erireck  statt 
ei-iceckt]  62,4  oueh  statt  euch;  64,  13  envaehst  statt  ei-ivachi]  64,14  meriing  statt 
uerung\  64,25  inlier  statt  mer\  66,3  mess  nit  statt  messner;  70,25  halb  statt  hah. 

2)  Über  ihn  vgl.  Brants  Narrenschiff  hrg.  von  Zarucke  CXLI;  Pamphilus 
Geugenbach  hrg.  von  Goedeke  678  fg. ;  Röhrich,  Mitteilungen  zur  kircheugeschichte 
der  Stadt  Strassburg  3,8;  Jung,  Geschichte  der  reformation  in  Strassburg  1,231; 
Claussen,  Historisch -topographisches  Verzeichnis  des  Elsass,  unter  Geudertheim. 

ZEITSCHRIFT   F.  DEUTSCHE   PHILOLOOIK.      ED.  XXXVII.  13 


194  GÖTZE 

imgenanntG  autor  mehr  gelehrsamkeit,  als  man  diesem  ritter  zutrauen 
darf.  Er  beginnt  die  schrift  mit  dem  blick  auf  die  historien  nnd  gc~ 
sckichteti  der  concilien  und  berichtet  66, 3fgg.  mit  guter  Sachkenntnis 
über  die  massregeln  des  concils  von  Konstanz  gegen  die  concubinarii 
unter  den  priestern.  Den  Schlussabschnitt  leitet  er  ein  mit  der  berner- 
kung:  dis  hab  ich  geschriben  und  dem  lese?-  xü  gilt  all  geschn'ß  iiiid 
gemelter  dingen  beiveruiig  abgcsundert ,  do  mit  der  gemein  man  im 
lesen  durch  das  latin  nit  xerstreuei  werd:  er  ist  also  des  lateinischen 
kundig  und  kann  sich  die  belege  für  seine  behauptungen  sowie  bibel- 
citate  nur  in  lateinischer  spräche  vorstellen.  Auf  eine  lateinische 
parallelschrift  scheinen  die  schlussworte  hinzudeuten:  obgemelter  ding 
hab  ich  xiven  gleich  lutend  xedel  gemacht  und  uß  ein  ander  ge- 
schniten,  den  geistlichen  und  iveltUchen,  ieder  parthi  einen,  sich 
wißen  darnach  xü  richte7i,  das  datum  setzt  er  in  lateinischer  spräche 
unter  die  flugschrift. 

Danach  möchte  man  in  dem  unbekannten  Verfasser  eher  einen 
theologen  als  den  federfertigen  ritter  sehen,  doch  sind  die  anhaltspunkte 
zu  schwach,  um  einen  sichern  schluss  zu  erlauben.  Auch  was  sich 
sonst  aus  dem  inhalt  der  schrift  über  ihren  Verfasser  ergibt,  ist  dürftig: 
nach  71,9  nnd  kompt  einer  von  Schivoben,  von  Niderland  oder  anders 
ivo  har,  den  nimpt  man  an  und  fromer  lands  Idnder  hat  man  kein 
acht,  ist  sie  nicht  in  Schwaben  geschrieben,  nach  70,  37  ivie  hübsch 
ist  es,  daß  einer  xü  Costnitz  und  hie  und  anders  wo  thümherr  ist 
und  hat  nit  me  dann  an  einem  ort  sin  wesen,  stammt  sie  aus  einer 
Stadt  mit  domstift,  die  nicht  Konstanz  ist.  Die  mundart  der  flugschrift 
ist  alemannisch:  numen  für  nur  60,  9  gilt  im  südlichen  und  westlichen 
Schwaben,  im  Schwarzwald,  dem  Elsass  und  der  Schweiz,  etwa  denselben 
bereich  haben  lügen  für  sehen  60,9.  63,  14.  67,  13;  üherkomen  für  be- 
kommen 60,  10.  67,  13;  kleben  für  klecken  {daß  si  sich  köstlichen  be- 
kleiden witer  dan  in  zimpt,  das  macht  daß  si  ein  pfründ  7iit  klebet 
60,29);  wiler  für  dorfOl,  6;  kilchwie  und  nachkihvie  &3/d3fgg.-^  haltet 
statt  hält  64,  33;  got  ivilkom  65,  6;  ungeschaffen  für  hässlich  68,  28; 
libpriester  für  leutpriester  68,  35;  anrncks  für  sofort  69,  23  ist  nur  aus 
Geiler  von  Kaisersberg  belegt;  mütmassen  69,  24  ist  von  haus  aus  ein 
elsässisches  wort,  das  jedoch  im  16.  Jahrhundert  schon  über  den  kreis 
seiner  heimat  hinauszudringen  beginnt.  Von  den  alemannischen  städten 
mit  domcapitel  waren  im  jähre  1521,  von  Konstanz  abgesehen,  wol  nur 
Strassburg  und  Basel  der  reformation  soweit  zugängUch,  dass  sie  einem 
so  entschiedenen  anhänger  der  neuen  lehre  wie  unserm  autor  zum  auf- 
enthalt  dienen   konnten.     Dass  die  schrift  bei  Petri  gedruckt  ist,  lässt 


VOM    PFRÜN'DiMARKT    DER    CÜRTISANEN  195 

die  wage  zu  gunsten  Basels  sinken  und  so  ist  alles,  was  sich  aus  dem 
Inhalt  der  flugschrift  über  ihren  Verfasser  vermuten  lässt,  der  annähme 
Stricklers  günstig,  der  sie  in  seinem  Neuen  versuch  eines  litteratur- 
verzeichnisses  zur  schweizerischen  reformationsgeschichte,  nr.  21,  ohne 
näliere  begründung  Sebastian  Meyer  ausNeueul)urg  am  Riiein^  zuschreibt. 
Seh.  Clever  war  als  lesmeister  des  Strassburger  Franciscanerklosters  früh- 
zeitig Luthers  anhänger  geworden  und  doshalb  von  anfang  an  manchen 
anfeindungen  ausgesetzt  gewesen.  Am  19.  october  1521  erscheint  er 
urkundlich  in  Bern,  in  den  monaten  vorher,  also  zur  zeit  da  unsere 
flugschrift  entstand,  war  er  custos  der  custodv  in  Basel.  Als  prediger 
in  Bern  hat  er  lange  jähre  die  reiche,  volkstümliche  beredsamkeit  be- 
währt, die  wir  bei  dem  Verfasser  unserer  flugschrift  voraussetzen  müssen, 
als  Verfasser  von  commentaren  zur  Offenbarung  Johannis,  den  Corinther- 
briefen  und  dem  briefe  an  die  Galater  die  gelehrsamkeit  bewiesen,  die 
in  einigen  stellen  des  Pfründmarkts  durchscheint.  Dass  er  auch  neigung 
und  talent  zu  volkstümlicher  schriftstellerei  besass,  zeigt  die  satirische 
'Auslegung  und  erklärung  zu  dem  hirtenbrief  bischof  Hugos  von  Kon- 
stanz', die  im  juli  1522  ohne  nennung  des  druckers  bei  Wolf  Köpfel 
in  Strassburg  erschienen  ist-.  Auch  hier  hat  sich  der  Verfasser  nicht 
genannt,  doch  darf  man  die  schritt  Sebastian  Meyer  zuschreiben  nach 
seinem  briefe  von  Bern,  11.  november  1522  (Zwingli,  Opera  7,  242), 
in  dem  er  nach  humanistenart  das  Schicksal  der  eben  vollendeten 
Schrift  in  Zwingiis  bände  legt  und  sie  seinem  urteil  unterwirft,  das 
heisst  mit  andern  Worten  ihn  bittet,  die  schrift  zum  druck  zu  be- 
fördern. Dass  er  dabei  im  plural  vom  Verfasser  redet,  wird  man 
nicht  auf  eine  eigentliche  mitarbeiterschaft  des  kurz  zuvor  erwähnten 
Berthold  Haller  zu  deuten  haben,  sondern  allgemeiner  auf  einen  freund- 
schaftlichen anteil  und  beirat  Hallers  am  Zustandekommen  der  Aus- 
legung. 

Durch  den  vergleich  mit  der  Auslegung  wird  Sebastian  Meyers 
anrocht  an  den  Pfründmarkt  vor  allen  dingen  festzustellen  sein,  daneben 
bietet  sich  zum  vergleich  Meyers  1524  bei  Jörg  Gastel  in  Zwickau  er- 

1)  Siehe  über  ihn  Blöschs  artikel  in  der  Allgemeinen  deutschen  biographie  und 
die  dort  angeführte  litteratur. 

2)  „Ernstliche  erinanung  des  Fridens  |1  vnd  Chjistenlicher  einigkeit  des  durchs || 
lüchtigen  Fürsten  vnnd  genädigen  ||  herjen,  Hugonis  vö  Landenberg  ||  Bischoff  tzü  Costantz 
mitt  II  Schöner  vßlegung  vnnd  ||  erklärung,  vast  trost=  ||  lieh  vnnd  nutzlich  ||  zu  laßen, 
nüws  II  lieh  vßgan;  ||  gen.  ||  • . "  ||  "•  Mit  titoleinfassung,  38  blätter  in  quart,  letztes 
leer.  Am  ende:  „Oediuckt  zu  Hohensteyn,  durch  ||  Hanns  Fürwitzig."  Vorhanden 
in  Berlin  und  Zürich  St. 

13* 


196  GÖTZE 

schienene  Widerrufung ^  dar,  die  jedoch  nach  inhalt  und  ton  nur  wenig 
berührungen  mit  dem  Pfründmarkt  erwarten  lassen  kann,  endlich  Des 
Bapsts  und  seiner  geistlichen  Jarmarkt-,  der  zeitlich  weiter  ab,  inhalt- 
lich aber  um  so  näher  liegt. 

Die  flugschrift  vom  Pfründ markt  ist  keine  satire,  sondern  eine  in 
directer  polemik  gegen  die  pfründenhäufung  gerichtete  abhandlung.  Sie 
steht  damit  durchaus  auf  der  seite  Luthers  und  seiner  anhänger  und 
folgt  mit  ihrer  grundidee,  die  reform  der  geistlichkeit  dem  weltlichen 
Stande  anzuvertrauen,  die  namentlich  60,  19.  68,  21.  71,  14.  34  hervor- 
tritt, gänzlich  Luthers  Sendbrief  an  den  adel,  sondert  sich  aber  dadurch 
scharf  von  den  hunderten  von  flugschriften  jener  jähre  ab,  dass  sie  den 
namen  Luthers  nirgends  nennt.  Die  einzige  beziehung  auf  gleich- 
gesinnte  66,  15:  so  teere  es  tuseni  mal  götlicher,  die  i^faffen  ketten 
eewiber  (wie  einer  onlang  ouch  treffenUch  und  christenlichen  darvon 
geschribcn  hat),  ist  so  allgemein  gehalten,  dass  sie  auf  Luthers  Send- 
brief an  den  adel,  aber  auch  etwa  auf  Eberlins  von  Günzburg  Bunds- 
genossen (hrg.  von  Enders  1,  13.  HO)  gehen  kann.  Denn  dass  ihm  die 
Bundsgenossen  bekannt  sind,  beweist  der  Aufruf  60,  33:  darumb  erweck 
ich  ücJi  fromcn  iveltlichen  Christen,  ir  sigen  kilnig,  fürsten ,  lands- 
herren...,  der  sich  dort  mehrfach  fast  mit  den  gleichen  werten  findet, 
und  auch  den  ausdruck  tempelknechte  im  titel  wird  er  aus  Eberlin 
1,  72.  73  kennen.  Es  sind  also  beziehungen  zu  den  grossen  Vorkämpfern 
der  reformation  vorhanden,  der  Verfasser  vermeidet  aber,  sich  offen  zu 
ihnen  zu  bekennen,  und  da  der  inhalt  der  flugschrift  keinen  zweifei  an 
der  festigkeit  seiner  eigenen  gesinnung  erlaubt  und  ihr  anonymes  er- 
scheinen auch  unvorsichtige  Offenheiten  ermöglicht  hätte,  so  ist  wol  die 
Zurückhaltung  durch  die  rücksicht  auf  ein  publikum  geboten,  das  für 
das  offne  Luthertum  noch  nicht  reif  war,  sondern  erst  durch  eindringende 
und  witzige  kritik  der  bestehenden  kirche  für  die  neue  lehre  gewonnen 

1)  ,,D.  Sebasti  ||  an  Meyers:  etwan  ||  Pjedicät  zun  Barfussen  ||  zu  Straßburg, 
\Yid'  II  rfiffüg,  An  eyn  lob  |1  liehe  Freystadt  ||  Straßburg.  ||  Anno.  1524.  ||  ".  Mit  titel- 
einfassung.  Titelriickseite  bedruckt.  24  blätter  in  quart,  die  drei  letzten  seiten  leer. 
Am  ende:  „Gedmckt  auff  den  6.  tag  Decembiis  Anno  1524."  Vorhanden  in  Berlin. 
Zwei  andere  ausgaben  bei  Weiler  3068  fg. 

2)  „Des  Bapsts  ||  vnd  seiner  Geistlichen  ||  Jarniarckt.  ||  Durch  Sebastianum  Mayer-  || 
der  heyligen  Schaifft  Docto-  ||  rem,  beschnben.  ||  Das  Christen  volck  was  froüi  vnnd 
schlecht,  II  Deß  hast  du  Bapst  dein  gwallt  vnd  recht.  1|  So  es  würdt  klug,  verständig, 
weyß,  II  Dein  gwallt  bleibt  stehn  gleich  wie  das  eyß.  ||  2.  Timoth.  3.  |!  Es  würt  jnen 
nit  weyter  gelingen:  dann  ||  jr  Thojheit  wirt  allen  Menschen  ||  offenbar  werden.  ||  lun- 
halt  dises  Buchs,  findest  ||  am  nächsten  Blat.  ||  M.D.Lviij.  1  '•'•.  Titelrückseite  bedruckt, 
104  blätter  in  quart,  letzte  seite  leer.  Yorhanden  in  Berlin.  Die  ausgäbe  von  1535, 
die  Graesse  Tresor  de  livres  4,  342  aufführt,  ist  mir  unzugänglich  geblieben. 


VOM    FFRÜNDMARKT    DKK    CUKTISANKN  197 

werden  musste.  Im  gleichen  sinne  ist  dann  auch  eine  zweite  gleich 
auffällige  eigentümlichkeit  der  schrift  zu  deuten,  nämlich  dass  sie  mit 
keinem  worte  an  einem  dogma  der  römischen  kirche  kritik  übt.  Ab- 
gesehen von  der  betonung  des  schriftprincips  68,36  und  69,  11,  mit 
der  ein  hauptpunkt  von  Luth.ers  lehre  wenigstens  angedeutet  wird,  nimmt 
der  Verfasser  nur  äussere  missstände  der  kirchenverfassung  zum  ziele 
seiner  kritik.  Er  schont  einrichtungen  der  römischen  kirche,  mit  denen 
Luther  längst  gebrochen  hatte,  bedauert  61,  26,  dass  viele  pfründen- 
krämer  nie  priester  werden  und  nie  das  amt  der  heiligen  messe  voll- 
ziehen, 62,  4  dass  die  seelmessen  nicht  mit  der  von  den  Stiftern  ge- 
wollten Sorgfalt  gelesen  werden,  63,  1  dass  die  priester  nicht  nüchtern 
und  keusch  sind,  wenn  sie  messe  halten,  63,  22  dass  der  kirchen- 
schmuck verfällt,  66,  26  und  38  dass  frauen-  und  männerklöster  un- 
beschlossen und  darum  sittenlos  sind,  aber  nirgends  benutzt  er  die 
gelegenheit,  für  reform  oder  aufhebung  der  messe,  der  seelgebete,  des 
kirchengepränges  oder  der  klöster  einzutreten. 

Beide  eigentümlichkeiten,  die  die  schrift  vom  Pfründmarkt  von 
der  masse  der  flugschriften  scheiden,  verbinden  sie  mit  Sebastian  Meyers 
auslegung.  Auch  hier  ist,  obwol  sich  die  ansichten  des  Verfassers  mit 
denen  Luthers  und  seiner  mitreformatoren  decken,  Luthers  name  nie 
genannt  und  alles  vermieden,  was  die  kritik  an  bischof  Hugos  hirten- 
brief  irgendwie  als  ansieht  seiner  partei  erscheinen  lassen  könnte.  Und 
ebenso  zurückhaltend  wie  der  Pfründmarkt  ist  die  Auslegung  gegen  die 
dogmen  der  kirche,  gegen  die  sich  nur  zwei  bemerkungen  richten:  Sic^i 
ivie  sie  die  kilchen  in  xwey  geteijlt,  ge//stlich  vnnd  leyeii,  viid  rinnen 
sich  allein  (jeivijcht,  heylig  vnd  (jegstlicli,  so  doch  Paulus  alle  Christen 
geivycht,  geystlich  vnd  heylig  nent  A4b  und  Sie  machen  ein  Sacrament 
vß  der  ee  .  .  .  vnd  schelten  vns,  ivir  syen  Ketxer,  redend  icider  die 
Sacrament.  Der  zeitliche  abstand  zwischen  beiden  Schriften  genügt, 
gerade  bei  der  oben  versuchten  erklärung,  völlig,  um,  den  fortschritt  in 
der  kritik  zu  erklären.  Obgleich  die  Auslegung  den  Konstanzer  hirten- 
brief  fortlaufend  commentiert  und  dadurch  ihr  gedankengang  schritt  für 
schritt  vorgeschrieben  ist,  finden  sich  viele  sachliche  berührungen  mit 
dem  weit  abgelegenen  thema  dos  Pfründmarkts.  Auch  Sebastian  Meyer 
ist  die  pfründenhäufung  ein  ärgernis:  sprechen  denn  sie,  das  Bistumh 
sie  XU  ivyt,  sie  künnen  nit  da)n)nendam  syn,  ivarumb  wollen  sie  denn 
mit  geualt  ivyte  Bistiunb  besitzen  vnd  etico  einer  xiven  oder  dry,  do 
er  htm  einem  eintxigen  dorff  im  golts  wort  gnügsam  möchte  vor  syn  ? 
Also  wer  iveger  es  iverend  in  einer  stat  vil  Bischoff,  ich  mein  recht 
bischoff,  nit  lariien,  denn  das  vil  Stell,  Flecken,  dorff  er  vnder  einem 


198  GÖTZE 

Bischoff:  do  Paulus  nitt  kund  selbs  syii,  macht  er  ander  Bischoff  D  3  a. 
Das  aus  Luthers  Sendbrief  an  den  adel  entnommene  grundprincip  des 
Pfründmarkts,  dass  die  weltliche  obrigkeit  die  geistlichkeit  zu  reformieren 
habe,  wird  73,  Ifgg.  durch  das  bild  vom  erblindeten  weisen  gerecht- 
fertigt, den  ein  unweiser  vom  abgrund  wegführen  dürfe.  Die  Auslegung 
stellt  H2a  den  gleichen  grundsatz  auf  und  erläutert  ihn  gleichfalls  durch 
ein  bild:  ^vers  denn  ivunder,  oh  die  hand.  dem  haubt  die  lüß  ahläß, 
vnd  so  das  haupt  im  hott  steckt,  das  denn  die  hend  vnd  fiiß  im  iieruß- 
hulffen?  Wie  der  Pfründraarkt  61,  25.  68,  37.  69,  11  betont  auch  die 
Auslegung  mehrfach  die  Wichtigkeit  evangelischer  predigt,  sie  wirft 
Hugo  vor,  er  nenne  sich  Bischoff  xü  Costentx,  da  er  noch  nie  vff 
die  kcmt-xel  komen  A4a,  als  ob  er  sie  in  Christo  Jesu,  wie  Paidus  die 
Corinther,  geboren  hett,  von  dem  sie  doch  allsand  kein  gots  ivort  noch 
Sacrament  nie  empfangen  A4b,  gegen  die  Verlesung  des  hirtenbriefes 
wendet  sie  ein:  Ich  gedacht  er  solle  gebotten  hon,  das  nieinan  durch 
syn  gantx.  Bistumb  a)iders  denn  das  heilig  Euangelium,  das  ist  die 
heglig  geschrifft,  nach  jrem  eygnen  vnd  klare?i  verstand,  vnd  nit  einer 
disen,  jhejier  ein  a7idren  leerer,  die  einander  gantz  widerivertig ,  pre- 
digen sollte  B2a,  statt  dessen  verhindert  die  kirche  die  evangelische 
predigt:  Die  geschrifft  flyssig  handien  vnd  die  jren  Satzungen,  brachten 
vnd  schinden  entgegen  halten,  heyssend  sie  ein  fürwitz  B3b.  Beide 
Schriften  verurteilen  die  einmischung  der  kirchenfürsten  in  die  politik, 
vgl.  das  sind  die  die  alles  übel  stiften  xivischen  keisern^  künigen,  landen 
und  täten,  si  enveckefi  nfrür  und  tragen  botschaft  hin  und  wider,  heut 
sin  si  frcf,7izÖsisch ,  lyiorn  keiserisch  und  tragen  ivaßer  uf  beiden  achseln. 
si  sind  dem  babst  mit  großen  eiden  verpflicht.  darumb  aller  fürsten 
heifnligkeit  erlernen  si,  und  das  offnen  si  dem  babst  und  verraten 
dütsch  land  siner  heiligkeit  67,  27  mit:  fio  hab  ich  oben  gesagt,  ivie 
sie  fryd  vnder  den  Fürsten  machen,  vß  gunst  eim  fürsten  mit  hors 
krafft  zu  ziehen  vnd  auch  ander  fürsten  vber  den  selben  hetzen  Ausl. 
F3b,  beides  stellen,  in  denen  das  unheil  ultramontaner  politik  mit  einer 
für  jene  frühen  jähre  bemerkenswerten  schärfe  ans  licht  gestellt  wird. 
Mit  der  concilgeschichte  zeigt  sich  die  Auslegung  C2a  ebenso  vertraut 
wie  der  Pfründmarkt  59,  8  und  66,  3,  über  die  unsittlichen  einnahmen, 
die  sich  die  bischöfe  aus  dem  concubinat  ihrer  geistlichen  verschaffen, 
entrüstet  sich  Meyer  Ausl.  D3b/4a  nicht  weniger  als  der  Verfasser  des 
Pfründmarkts  66,  10,  beide  sehen  in  diesem  unfug  einen  hauptgrund 
zur  beseitigung  des  coelibats. 

An  diese  reihe  sachlicher  berührungen  zwischen  beiden  Schriften 
schliesst  sich  eine  menge  von  gleichheiten  und  anklängen  im  ausdruck 


VOM    PFRÜXDMARKT    DEU    CURTISANEX  199 

und  Stil.  Nach  dieser  seite  wird  man  auch  von  Meyers  Widerrufung 
ähnlichkeit  erwarten  dürfen.  Mehrfach  hat  der  autor  die  wähl  zwischen 
niein-oren  ausdrücken,  die  seinem  zwecke  gh^ich  gut  entsprechen,  in 
solchen  fällen  triff't  der  Pfründmarkt  regelmässig  dieselbe  wähl  wie  Meyer. 
Beide  sagen  abziehen,  nicht  entziehen:  da  werden  dem  üb  lieüger 
kircheji  so  vä  glider  abgezogen,  als  vü  diser  mer  dan  ein  pfründ  be- 
sitzt 61,  36,  vnd  Itelffen  all  den  legen  abziehen,  das  sie  dem  Bapst 
xü  tragen  Ausl.  F3a;  angesicht,  nicht  gesicht  oder  antlitz:  ivo  ein 
offner  brest  ist  an  einem  Hb,  als  an  dem  haupt  oder  angesicht  71,  24 
vnd  sind  doch  mit  denn  schedlich  wolff,  wie  sie  gmmer  angsicht,  st  gm, 
klegder  endrent  Ausl.  A  4b;  hernach,  nicht  nachher,  darauf:  durch 
mittel,  wie  hernacii  geschriben  68,  33,  Ich  dacht  ivol  es  kern  ettwas 
treffenliclis  liernacli  Ausl.  E  2b;  nemlich,  nicht  namentlich:  so  7iun 
ander  allen  menschen,  nemlich  bi  den  Christoi,  der  letzt  will  hoch 
und  für  nemlich  geeicht  72,  24,  sind  ye  vnd  ye  schlecht,  arm,  nidre, 
verachte  Hit  gesyn  gegen  der  ivelt,  nämlich  gegen  den  fürsten  Ausl. 
C3a,  die  Apostlen,  nämlich  Paulum,  umbzebiingen  Ausl.  CSb;  sack, 
nicht  tasche:  da/l  numen  ir  sack  vol  werd  GO^  9,  hcdtcn  dar  zu  dasselb 
eben  cds  ivenig,  als  das  Euangelium ,  denn  ivo  es  in  üiueren  sack  dient 
Ausl.  Hla;  sömlich,  nicht  solch:  wie  lang  muß  mans  liden,  sem- 
lichen offenlichen  misbruch  62,  14,  Dariimb  sollent  billich  sömlich 
Bischoff  huren  wü?'t  genannt  werden  Ausl.  D4a;  sorglich,  nicht  ge- 
fährlich: tcenn  ein  iviser  blind  ist  imd  in  siner  blindheit  an  ein  sorg- 
lich ort  gat  73,  2,  er  muß  in  den  schicdren,  sorgklichen,  vorbehaltenen 
fällen,  in  casibus  reseruatis,  selbert  verhören  Ausl.  B  la,  ey  so  ist  es 
ein  sorgkliche  zytt  Ausl.  D  3b;  taglöhn  er,  nicht  tagwerker  oder 
arbeiter:  die  selben  taglUner  müßen  in  forcht  stan  63,  27,  ttiid  so  die 
selben  tagWner  arm  sind  63,  31,  Vnd  die  Christus  nennet  taglöner, 
dieb  vnd  mörder  Ausl.  A4  b;  Ursachen,  nicht  verursachen  oder  ver- 
anlassen: das  Ursachen  die  die  kirchen  haben  63,  38,  die  ivyl  wir  doch 
von  der  oberkeit  geursacht  xü  sagen  Ausl.  G3a;  widerfechten,  nicht 
bekämpfen,  widerstreiten:  mit  tröu Worten  des  tots  die  gütlichen  ivarheit 
ividerfechten  59,  17,  ivider  götliche  geschrifft  handlend,  vnd  offenlich 
warheit  widerfechlendt  Ausl.  D  3  a/ b,  ivölt  ich  hett  solchen  jren  betrug 
baß  vnd  ee  verstanden,  vnd  hett  jn  dapffer  wider focliten  Widerrufung 
B  2b.  Mehrfach  mag  die  Wortwahl  dialektisch  begründet  sein,  so  ganz 
deutlich  lugen  und  überkommen  für  sehen  und  bekommen,  die  in 
den  folgenden  beispielen  verbunden  auftreten  —  ein  seltsamer  zufall, 
wenn  wir  es  mit  Schriften  verschiedener  Verfasser  zu  tun  hätten:  darumb 
so  lugt  ein   ieg liehe r,  wie  er  vil  pfründen  überkom  60,  9,    die  lugen 


200  GÖTZE 

onch,  ivie  si  mer  dann  ein  pfründ  mögen  überJwmrnen  67,  13,  Er 
77m ß  lügen  das  er  gut  ampllütt,  schinder  vbei'Jmm  Ausl.  Bla;  ebenso 
bei  h  oll  er  donnerstag  für  gründonnerstag:  hicJdest  du  dem  pf äffen 
am  holten  donsfag  65,  32,  hab  ich  offt  durch  den  achtenden  des  selbigen 
Fests  vnd  au  ff  den  hohen  Dornstng  zu  Latein  vnd  Teutsch  gepredigt 
Widerrufang  A  2  b. 

Besondere  beachtung  verdient  der  gebrauch  von  freradwörtern  und 
auch  auf  diesem  gebiete  individuellen  wortgebrauchs  zeigen  Meyer  und 
der  Verfasser  des  Pfründmarlfts  unverkennbare  ähnlichkeit,  beide  brauchen 
verhältnismässig  viel  fromdwörter  und  pflegen  einige  ungewöhnliche  aus- 
drücke anzuwenden,  die  sie  der,  beiden  gleichmässig  bekannten,  spräche 
der  theoiogie  und  des  kirchenrechts  entlehnen.  Sie  geben  dem  fremd- 
wort  commune  den  Vorzug  vor  dem  deutschen  gemeinde:  üch  für- 
sichtigen weisen  rate  in  stetten  und  allen  communeu  60,35,  Das  haben 
byßher  lang  tryben  Bdpst,  Cardinal,  Bischoff  den  Künigen,  Fürsten, 
Sielten,  Comniun  Ausl.  B  3b,  das  die  Christen  Kiinig,  Fürsten  vnd 
Coimnun  onch  vnder  einander  vnib  landt  vnd  herrscliafft  kriegen  Ausl. 
a3a;  dem  fremden  conscienz  vor  gewissen:  /nit  ivas  consciem  und 
gotsforcht  nemen  si  galt  61,  23,  die  conscientxen  also  beschiveren,  das 
die  armen  seelen  darunder  verderben  Ausl.  E2b,  jre  conscienizen  von 
solcJ/en  vnträglichen  burdinen  entladen  a  4a,  haltend  heimlicheit  des 
gloubens  mit  rcyner  Conscientx  b2b.  Das  kein  mensch  hat  vber  die 
Conscientt  xü  regiern  Widerrufung  B  2a,  alle  friimkeyt,  sicherhegt 
der  conscientx  D  4a.  Bei  beiden  spielt  unter  den  untergebenen  des 
bischofs  der  dechant  seine  rolle:  do  ist  einer  ein  dechend  und  darxü 
liat  er  xwo  oder  dri  jifarren  67,  8,  Latores,  rätscher,  Dechand,  Camerer, 
Viscäl,  Commissarien  Ausl.  Bla,  jre  Juristen,  Dechand,  Camerer  a4a, 
hier  wie  dort  wird  das  weitherzige  dispensieren  der  geistlichen  obrig- 
keit  bekämpft:  ich  sag  dir,  daß  iveder  der  babst,  der  mit  einem  solchen 
pfaffen  dispensiert  itnd  im  nachlaßt  pfründen  xü  besitxen,  noch  auch 
der  selb  pfaff,  der  solche  pfründ  xü  Rom  erlangt,  mögen  sölichs  er- 
lauben und  besitxen  mit  heil  irer  seien  64,  1,  das  der  Bapst  hab  vber 
die  Apostlen  xü  dispensieren  Ausl.  F2a,  vnd  nympt  mich  hart  wunder, 
das  sie  nit  lengst  auch  dispensiert ,  das  ein  Priester  altag  .  .  .  sechs 
Meffx  hielte  F4b,  Warumb  disjJensiern  sie  mit  denen  vmb  gelts  ivillen 
von  solichen  notwendigst  gelübden?  ....  da  geivinnen  sie  groß  gelt 
mit  Dispensiern  vnd  Commutiern  Widerrufung  E  4a;  die  gerichtliche 
strafe  heisst  hier  wie  dort  pen:  imd  man  in  allen  rechten  bi  großer 
penen  gehütet  den  letzten  ivillen  eins  jnenschen  xü  volstrecken  72,  26, 
das  kost  xvj.  guldin  oder  etiuo  mer,  allein  xü  pen  dem  Bischoff  Ausl. 


VOM  pkründmarkt  der  cürtisanen  201 

D4a,  das  weder  Bähst  noch  Bischoff  macht  haben,  alle  penen  vmb  der 
Sünde  willen  hijnxünemen,  dann  das  heijst  Gott  freuenUch  in  sein 
ampt  greiffcn:  die  sünd  hett  er  licijssen  verxeijhen,  der  peen  geschiv igen 
Widerrufung  B2b;  zu  dem  häutig  gebrauchten  regieren  bihien  beide 
das  ungewöhnliche  regierer:  ivil  domit  all  regierer  des  n-elÜichen 
Stands  bi  dem  heil  irer  seien  er  man  t  haben  71,  34,  dennocht  sijnd  sie 
heilig  vnd  regierer  der  kilchen  Ausl.  H2a. 

Weiter  findet  sich  zwischen  Meyers  Schriften  und  dem  Pfründ- 
markt gleichheit  im  gebrauch  einiger  seltner  werter,  beide  sprechen 
von  altfordern:  unser  alt  fordern,  künig,  heiser,  edlen,  bürger  61,  38, 
lueUend  sie  ms  rff  die  alt  vordren  vnd  alten  langen  brach  tringen . . . 
sollen  wir  ye  thfin  nie  vnser  altfordren,  so  müssen  wir  ividcr  Heyden 
iverden  Aus).  a4b;  einbriich:  man  sieht  icx  an  den  erxbiscltoffen  und 
andern  bisclioffen,  die  ivöllen  nun  inbriich  in  dütscJien  lunden  machen 
67,  24,  sie  müst  daruon,  es  hett  jnen  sunst  ein  bösen  einbruch  ge- 
macht Ausl.  D4b;  fördern:  hielten  die  pfaffen  ein  erber  leben,  so  ivurd 
die  ganz  tvelt  durch  si  xü  beßerung  gefürdert  66,  37,  das  ich  sölichen 
Romischen  Ablaß  leyder  xüuii  gefürdert  Widerrufung  B.2b,  Es  mag 
auch  vnsern  schaden  niemand  baß  wenden  vnd  nutz  filrdern,  denn 
er  C2a;  gotsgabe:  ivo  sin  gotsgab  nnd  Stiftung  xü  Idein  ist  70,  20, 
dan  es  wider  der  seien  heil  ist,  daß  von  gots  gaben  und  Stiftungen 
frommer  menschen  pension  .  .  .  geben  iverden  72,  18,  daß  denen  die  da 
verdienen  und  arbeit  haben,  die  gots  gaben  ganz  bliben  72,  29,  jnen 
jr  narung  entxugen  durch  gots  gaben  an  den  iempel  A\\s\.  D2a;  götz 
als  Scheltwort  für  einen  pfaf!en:  der  selb  pfründeii  götz  thüt  ivie  ein 
mor  62,  30,  so  mocht  ein  schaff  mercken,  das  dise  gehürnten  götxen 
nit  bischof,  sunder  vaßnacht  laruen  Ausl.  C  4b;  hipponbuben:  si 
raßeln  und  spilen  ivie  die  hippenbüben  64,  19,  ruf  foul  einander  den 
ivyn  vß  vngebetten,  ivie  die  bader  mugt,  vnd  wie  die  huppen  büben 
Ausl.  F3a;  hochfart  neben  häufigerem  hoffart:  denn  so  si  füruß  zu 
hochfart  und  zu  unküscheit  geneigt  sind  60,  1,  Ist  das  nit  ein  tilfel- 
sche  hochffart  Ausl.  Hla;  pfaffheit:  Die  teil  nun  die  bischöff  und  ir 
pfaffheit  an  inen  selbs  so  oiimächtig  66,  22,  daruff  pfeif heit  vnd 
Müncheit  ein  vnzalbar  meruji  müssig  Ausl.  F4b;  prangen:  ivann  si 
uß  und  in  riten,  so  brangen  si  nit  anders  dan  soll  si  iederman 
fürchten  64,  26,  Auch  müssend  die  nüwen  Fürsten  vnd  Edellüt  vil 
me  brangeji  denn  die  von  alter  her  Ausl.  A4a,  Aber  der  Tüfel  hat 
uns  der  hochfertigen  knecht  beratten,  die  nilt  anders  künden,  denn 
herschen,  bochen,  trutxcu^  brangen,  schetzen,  schinden  C  la;  seellos: 
ivo   findt    man  ietx   verruchtere   seelloscre   wiber  dan   in   etlichen   un- 


202  GÖTZE 

beschlo/inen  fromvenldöstern  66,  29,  mit  jrem  mer  denn  verruchten 
seellosen  leben  Awsl.  B2ii,  üiver  bübisch  verrucht  seelloß  leben  C4b; 
seelsorge(r):  daj)  keiner  xico  oder  dri  seelsorg  iif  sich  neine  60,  24, 
die  caplanien  und  tlmniherren  i)fründen  haben  doch  gemeinlich  kein 
seelsorg  70,  28,  das  heyssend  ye  recht  hgrten,  Seelsorger,  wie  ein  tu  fei 
ein  zivölffbot  Aus),  b  2a. 

Noch  beweiskräftiger  ist  die  Übereinstimmung  in  festen  Wortver- 
bindungen, die  sich  zwischen  Meyer  und  dem  Verfasser  des  Pfründ- 
markts beobachten  liisst.  Beide  sprechen  vom  blutigen  seh  weisse 
der  armen:  dennocJd  wil  man  den  armen  zinsman  wise?i  uf  tödlich 
siuid  und  hell,  daß  si  nach  irem  blutigen  schweiß  und  surer  arbeit 
berauben' sollen  sich  selbs  irer  bloßen  notturft  62,  14,  mit  heres  krafft 
vß  armer  lütt  blüttigen  schwei/ß  wider  Keyser,  Kimig,  Fib'sten  ziehen 
Ausl.  Cla,  die  haben  gut  voll  ful  leben  von  dem  feyßden  hrott  Christi 
vnd  der  armen  Christen  bliätigen  schweyß  E  1  b ,  dorumb  jnen  gi'oß 
pfriinden  vß  armer  lüt  schiveyß  erstyfj't  a  ob.  Die  formet  gott  geb 
ist  bei  beiden  zur  conjunction  mit  der  bedeutung  'gleichviel'  erstarrt: 
es  ist  luider  der  seelen  heil  daß  einer  vil  'pf runden  hab,  gott  geb  es 
sigen  caplanien  oder  chorhern  pf  runden  70,  21,  gott  geh  ivas  Christus 
geheyssen^  der  Bapst  ist  yetx  vber  Christum  Ausl.  Flb,  Got  geb  ivie 
man  die  selben  mitt  namen  möcht  nennen  Widerrufung  B  3  a.  Für 
meist  tritt  bei  beiden  die  Verbindung  den  mehre(r)n  teil  ein:  da  hat 
irer  der  merentheil  ein  eigen  inetxen  am  barren  65,  19,  .so  hett  ich 
funden,  das  sie  (die  Sprüche)  den  merern  teryl  zu  aller  forderst  auff 
glauben  /rt?///e«  Widerrufung  D  4a;  beiden  ist  die  seltene  wendung  sein 
amt  verbringen  eigen:  der  vil  pfrimden  hat,  dem  ist  unmüglich,  daß 
er  da  und  da  gnng  thü  und  an  iedem  ort  sin  gots  die?ist  verbring 
61,  11,  und  also  nit  das  ampt  der  heiligen  meß  verbringen  61,  26, 
synd  aber  jnen  ander  Sachen  näher  angelegen  denn  das  bischoflich  ampit 
verbringen  Ausl.  D3a,  vnd  ivolten  nit  lieber  tusent  mal  des  tüfels  syn, 
denn  üivern  tüf eischen  jyracht  lassen,  vnd  das  recht  ivar  Bischoflich 
ampt  verbringen  b  la;  statt  dermassen  sagen  beide  disen  weg:  und 
würd  ouch  getrüwlicher  den  seien  nachgebetet  dann  disen  iveg  62,  5, 
So  sie  disen  iveg  die  wäli  haben,  muß  es  den  weg  gen  Ausl.  El a. 

Der  stilistischen  anklänge  zwischen  den  bisher  verglichenen  Schriften 
Meyers  und  dem  Pfründmarkt  sind  so  viele,  dass  wir  sie  nicht  noch  um 
beispiele  aus  der  dritten,  umfangreichsten  schrift,  Des  Bapsts  Jarraarkt, 
zu  vermehren  brauchen.  Dagegen  dürfen  wir  an  einigen  sachlichen 
beziehungen  dieser  schrift  zum  Pfründmarkt  nicht  vorübergehen.  Zu- 
näclist  prägt  sich  im  titel  beider  Schriften  eine  unverkennbare  verwandt- 


VOM   PFRÜSDMARKT   DER   CURTISANEN  203 

Schaft  aus,  die  ihre  tiefere  Ursache  in  der  gemeinsamen  grundvorstellung 
hat,  dass  die  Verderbnis  der  kirehe  der  geldgier  des  klerus  entspringe. 
Im  Pfründ markt  wird  dieser  satz  am  capitel  dos  pfründenerworbs  durch- 
geführt, im  Jarmarkt  auf  das  ganze  grosse  System  kirchlicher  einrich- 
tungen  und  lehren  erweitert.  Bei  jeder  einrichtung,  den  concilien,  den 
sacramenten,  den  festen,  dem  ablass  usw.  stellt  Meyer  zuerst  den  ur- 
sprünglichen sinn  und  unverdorbenen  gebrauch  dar,  dann  begründet  er 
sie  aus  der  schrift,  weiter  zeigt  er  ihre  cntartung,  wie  sie  aus  der  geld- 
sucht der  päpste  und  ihrer  geistlichen  gefolgt  ist,  endlich  beweist  er 
mit  vieler  gelehrsamkeit,  dass  diese  entartung  auch  einen  ab  fall  vom 
kanonischen  rechte  bedeutet.  Es  ist  klar,  dass  diese  gelehrte  arbeit 
nicht  viel  gemeinsames  mit  dem  leichten  wurf  des  Pfründmarkts  haben 
kann,  um  so  bemerkenswerter  sind  die  sachlichen  Übereinstimmungen, 
die  sich  dennoch  ünden. 

Der  Verfasser  des  Pfründmarkts  zeigt  sich  mit  der  concilgeschichte 
gut  vertraut,  besonders  wo  er  die  bestiraraungen  des  Kostnitzer  concils 
über  die  concubinarii  darlegt.  Viel  mehr  gelegenheit,  solche  kenntnisse 
zu  zeigen,  hat  Meyer  im  Jahrmarkt  s.  17fgg.,  er  geht  auf  viele  einzel- 
heiten  ein  und  teilt  bemerkenswerter  weise  s.  24 fg.  auch  jene  Kostnitzer 
bestimmuug  mit:  man  soll  keinen  Priester  sekeüJien,  die  Sacrament 
von  jm  xünemen,  er  seij  icie  boß  er  ymmer  wolle,  ob  er  sci/o/t  an  der 
that  des  Ehbrucks  begriffen,  Er  iverde  denn  durch  den  Sententx  der 
Bischoff'en  vericorffen.  Und  auch  hier  Avird  diese  bestimmung,  die  aus 
den  concubinariern  die  besten  iuelkkniv,  die  die  bischöf  habent  macht 
(66,  11)  und  auf  die  Meyer  s.  54  und  167  zurückkommt,  boshaft  glos- 
siert: Das  werden  sie  aber  thün,  wann  der  Pfaff  iiit  mehr  gnlden, 
Habern,  Caponen  zusehencken  hat  vnd  die  Bischof  nit  selbert  in  detn- 
selbem  Spital  siech  ligend.  Noch  beweiskräftiger  ist  es,  dass  Sebastian 
Meyer  im  Jahrmarkt  in  einem  eigenen  capitel,  dessen  Überschrift  aus 
der  reihe  der  andern,  ernsten  titel  herausfällt,  vom  Pfründen  marekt 
spricht,  dass  er  darin  (s.  106)  klagt,  das  einer  der  nit  einer  halben 
Pfrund  iverdt,  icol  vber  24.  l^frandoi  kan  besitzen  vnd  ye  eine  mit 
der  andern  gewiiuien.  Auch  über  die  notwendige  folge  der  pfründen- 
häufung,  die  einsetzung  schlecht  bezahlter  verweser,  denkt  Meyer  wäe 
der  Pfründmarkt,  vgl.  lesend  darui  cinoi  armen,  eilenden,  vnkünnen- 
den  Bachanten  au  ff,  schicken  jn  au  ff  die  Pfarr,  heyssen  jn  vom  Opffer 
leben,  Der  dringet  daiin  häfftig  auff  das  Opffer  in  der  predigt  vnd  in 
der  Beicht  (s.  110)  mit  butxen  imd  stil  nemen  si  daniien  und  lond 
dem  armen  schäbigen  pfaffen  nicid .^  der  si  venveset:  er  mag  sich  koum 
des  hungers  eriveren  63,  17.    Auch  die  einwände  der  gegner  sucht  der 


204  GÖTZE 

Jarmarkt  im  voraus  zu  entkräften;  wie  im  Pfründmarkt  gegen  den 
schluss  hin  den  laien  mehrfach  das  recht  gewahrt  wird,  die  reformatiou 
der  geistlichen  vorzunehmen,  so  begegnet  auch  der  Jarmarkt  s.  194 
mit  guten  biblischen  gründen  der  einrede,  icer  vns  beuolhen  hab,  ob 
sie  gleich  ivol  jrren  in  der  lehr  vnd  ein  ärgerlich  leben  füren,  sie  xii 
lehren  oder  xiislraffen?  dann  sie  sollen  yederman  lehren  vnd  straffen, 
von  7iyemands  iveder  gelehrt  7ioch  gestrafft  iverden.  AVo  sich  also  die 
beiden  schritten  sachlich  berühren,  stossen  wir  auf  dieselben  ansichten 
und  gründe;  obgleich  vierzehn  entscheidungsvolle  jähre  zwischen  beiden 
liegen,  stellt  sich  der  Jarmarkt  wesentlich  als  eine  reife  allseitige  aus- 
führung  der  im  Pfründmarkt  skizzierten  gedanken  dar. 

Die  "zahl  der  Übereinstimmungen  ist  so  gross,  dass  man  ohne  be- 
denken in  Sebastian  Meyer  von  Neuenburg  den  Verfasser  der  flugschrift 
vom  Pfriindmarkt  sehen  darf.  Damit  rückt  dieser  in  die  erste  reihe 
der  litterarischen  kämpfer  jener  tage.  Yon  seinen  bisher  bekannten 
flugschriften  macht  die  Widerrufung  keine  litterarischen  ansprüche,  sie 
dient  schlicht  und  nüchtern  ihrem  sachlichen  zwecke,  die  Strassburger 
gemeinde  mit  dem  neuen  glauben  ihres  ehemaligen  predigers  bekannt 
zu  machen,  indem  sie  mit  einleuchtender  begründung  die  neue  lehre 
rechtfertigt.  Einige  drastische  bilder  und  ironische  glossen  verraten  auch 
hier  den  geborenen  Satiriker,  so  spottet  er  über  den  reliquiencultus: 
Es  seind  aucli  nicht  drcy  beivm  so  groß  in  dem  Schivarlxivald,  sie 
geben  nit  so  vil  stuck,  alß  vil  man  deren  von  dem  Heyligen  Creülx 
xeygt  allenthalben,  dieweil  es  solchen  nutz  tregt  C  2b,  oder  er  weist 
die  theorie  der  gegner  über  die  freiheit  des  menschen  vor  dem  sünden- 
fall  zurück:  gewesen,  leyhet  eyn  jud  nit  vil  «?//fD2a,  oder  er  ver- 
höhnt das  armutsgelübde  der  mönche:  So  seind  ivir  so  arm.  Wo  man 
eyn  xehen  tausent  oder  18.  tausent  gülden  will  vmb  xinß  auffnemen, 
so  findet  man  es  kaum  eer,  denn  etivan  in  eynem  'armen'  gey  st  liehen 
Closter  E  8a.  Litterarisch  viel  höher  steht  die  Auslegung,  sie  durch- 
leuchtet mit  scharfem  blick  und  treffender  kritik  das  ganze  gebäude  der 
geistlichen  und  weltlichen  herrlichkeit  des  bischofs  und  kommt  mit 
steigender  kraft  zu  einem  vernichtenden  endurteil,  sie  ist  an  schlagen- 
den witzworten  wol  eine  der  reichsten  Satiren  der  zeit,  viel  zu  reich, 
als  dass  man  ihr  mit  einigen  proben  gerecht  werden  könnte,  und  ver- 
diente sehr  eine  weitere  bekann  tschaft  und  Würdigung,  als  sie  bisher 
geniesst.  Aber  ihre  form  lässt  sie  sich  von  aussen  vorschreiben,  von 
dem  Konstanzer  hirtenbrief,  den  sie  satz  für  satz  commentiert,  und  das 
nimmt  ihr  den  einheitlichen  wurf  und  die  frische  kraft  eigener  orfindung. 
Widerum  der  Jarmarkt  ist  gelehrte  theologische  arbeit.    Wol  blirkt  auch 


VOM   PFRrNDMARKT   DKR   CÜRTISANKN  205 

hier  der  huraor  des  Verfassers  zuweilen  hindurch,  so  wenn  er  s.  127 
dem  papste  und  den  seinen  das  prädicat  'apostolisch'  zugesteht  in  dem 
sinne,  dass  sie  stehlen  unter  dem  scheine  den  armen  zu  helfen,  wie 
nach  Joh.  12,  5 fg.  Judas,  der  ja  auch  ein  apostel  war,  oder  w^enn  er 
s.  65  dem  papste  den  i-at  gibt,  er  möge  doch  den  Türken  in  seinen 
bann  tun,  dass  er  verschmore  und  umkomme,  statt  den  ablass  gegen 
ihn  zu  predigen,  Aber  es  ist  jm  ein  gutter  Türck,  er  hat  vmler  dem 
schein  dem  Türeken  xu  icohren  imsdr/lich  gut  von  deii  Christen  anff- 
xithehen.  Und  auch  ein  kräftiges  Sprichwort  findet  bei  gelegenheit  seine 
stelle,  z.  b.  s.  Tö  Da  muß  einem  yeden  des  Geistlichen  hanffens  ein 
fäder  von  der  Gavß  ivcrden.  Aber  das  ist  alles  nur  gelegentliche  zu- 
tat, bestimmt,  das  Interesse  des  lesers  festzuhalten,  also  dem  zwecke 
der  schritt  nur  mittelbar  dienend.  An  kraft  und  frische  und  litterari- 
schem werte  steht  der  Pfründmarkt  am  höchsten  unter  Meyers  flug- 
schrifton.  Hier  wird  in  straffer  disposition  ein  reiches  gedankenmaterial 
kunstmässig  gegliedert,  ein  für  jene  tage  hochwichtiges  feld  der  kritik 
planmässig  ausgemessen,  durch  die  mehrfach  angewendete  einführung 
eines  fingierten  gegners  wird  die  darstellung  glücklich  belebt,  jeder  ein- 
wand witzig  und  überzeugend  abgetan,  die  spräche  ist  frisch,  klar  und 
gedrängt,  das  ganze  frei  von  bitterkeit  und  höhn,  kurz  die  flugschrift 
kann  sich  den  besten  ihrer  zeit  getrost  an  die  seite  stellen. 

In  ihrem  Verfasser  vereinigen  sich  alle  eigenschaften ,  die  einer 
flugschrift  kraft  und  schwuug  geben:  in  der  woldurchdachten  einleitung 
werden  klar  und  scharf  die  Ursachen  des  Übels  aufgedeckt,  ein  gedanke 
stützt  den  andern,  kein  wort  zu  viel,  aber  auch  nicht  der  kleinste  sprung 
in  der  entwicklung.  Mit  unerbittlicher  logik  wird  der  gegner  in  die 
enge  getrieben:  icJi  frag  dich,  du  pfründen  jäger:  den  veriveser  den 
du  an  din  siat  setzen  wilt,  entweders  er  ist  minder  gut  dann  du,  oder 
als  gut  als  du,  oder  heßer  dann  du.  ist  er  minder  gilt  dann  du,  so 
sagt  die  vermmft,  daß  er  nit  ist  dahin  xü  setxen.  ist  er  aber  als  gut 
oder  beßer  und  gelerter  dann  du,  ivarumb  hast  du  dayni  vil  pfründen 
und  er  kein?  Dann  folgt  die  eingehende,  drastische  Schilderung  der 
misstände,  mit  realistischer  krlift  wird  das  bild  des  pfründenjägers  ent- 
worfen: Der  selb  pfründen  göix  thüt  ivie  ein  mor,  die  sich  in  einen 
treckt  sperret  und  uf  allen  vieren  gradlet:  ob  si  schon  nit  ißet,  so  laßt 
si  doch  di  andern  süw  nit  darxü  kommen.  Man  sieht  die  stolzen  prä- 
laten  einhergehn:  si  haben  pater  noster  in  den  henden  ivie  die  laioi, 
das  sind  ire  betbucher.  kein  fromme  dochter  blipt  una7igespre)igt  von 
inen,  uf  der  gaßen  treten  si  inher  mit  iren  knechten,  das  federspil 
tragen  si  uf  den  henden.  ivann  si  uß  und  in  ritcn,  so  brangcn  si  nit 


206  GÖTZE,  VOM  PFRÜNDIIARKT  DER  CÜRTISANEN 

anders  dan  soll  si  iederman  förchten.  Mit  lustiger  schlagfertigkeit  wird 
jeder  einwand  abgewiesen:  es  spricht  ein  solcher  pfrilnden  freßer  'ich 
bin  ein  edelman  und  ein  thu7nherr,  ich  muß  zu  mines  redlichen  Stands 
erhaltung  mer  dan  ein  jj  fr  und  haben' .  bis  goi  ivilkom,  lieber  Joannes! 
du  möchtest  din  redlichen  stand  so  groß  iißmefien,  es  ivere  ein  ganz 
land  nit  gnüg  zu  diner  enthaltung!  Auch  vor  der  caricatur  schreckt 
der  Verfasser  nicht  zurück,  mit  der  er  die  lacher  auf  seine  seite  bringt: 
morgens  striclicn  die  lieben  herrlin  herfür  mit  ungeiveschen  henden 
tind  gond  mit  großer  andacht  über  cdtar,  machen  große  kreuz,  zer- 
denen  ire  arm  und  reißen  die  selzamisten  bossen  über  altar,  als  2völten 
si  den  morischken  danz  springen.  Die  volksmässige  kraft  des  aus- 
drucks,  die  hier  den  gegner  verniciitet,  hilft  an  andern  stellen  die  eigne 
beweisführung  aufbauen,  ungesucht  und  mit  bester  Wirkung  stellt  sich 
dabei,  wo  es  nötig  ist,  ein  kräftiges  Sprichwort  ein:  ivann  edles  das 
obgemelt  ist  kujitlich  allen  7nensclien  und  offenbar  wie  der  buer  an 
der  sonnen.  Und  durch  all  die  sonnige  lustigkeit,  den  leichten  spott, 
die  behagliche  Sicherheit  der  darstellung  leuchtet  ein  sittlicher  ernst  der 
auffassung  hindurch,  der  für  den  Verfasser  das  beste  zeugnis  ablegt,  der 
ihm  schöne,  tiefe  werte  in  den  mund  gibt,  wenn  er  im  bilde  seine  Zu- 
versicht auf  den  endlichen  sieg  ausdrückt:  es  ward  nie  kein  hiis  so 
buwfellig,  schickt  man  sich  darxü  mit  viler  lüten  hilf  es  ivürd  in 
kurzer  frist  ein  schön  lustlich  hus  ufgericht  an  ort  und  end,  da  vor- 
maln  ein  ungeschaffen  hus  ist  gestanden. 

So  fällt  durch  die  feststellung  des  Verfassers  der  flugschrift  vom 
Pfründmarkt  das  günstigste  licht  auf  Sebastian  Meyer  und  die  Baseler 
kreise,  in  denen  er  zur  zeit  ihrer  abfassung  lebte,  auf  die  gründe,  die 
ihn  in  das  lager  der  reformation  trieben,  und  die  reife  und  festigkeit, 
mit  der  er  den  eben  gewonnenen  Standpunkt  sogleich  behauptete,  ohne 
den  Übereifer  des  neubekehrten  und  mit  taktvoller  rücksicht  auf  eine 
noch  zurückhaltende,  schwankende  hörerschaft. 

FREIBURG    I.  BR.  ALFRED    GÖTZE. 


KÖ^^G,    PAMPHILUS   GENGENBACH  207 

PAMPHILUS  GENGENBACH  ALS  VERFASSER  DER. 
TOTENFRESSER  UNI)  DER  NOYELLA. 

(Schlllss^) 

2.   Einiges  aus  der  flexionslehre. 

a)   Substantivum. 

Zalilreiche  vom  nihd.  spracligebrauch  abweichende  formen  erklären  sich  sofort, 
wenn  man  bedenkt,  dass  die  spräche  des  16.  jhs.  und  besonders  der  oberdeutsche 
dialekt  eine  grosse  neigung  zu  Synkopen  und  apokopen  liat,  die  sich  naturgemäss  be- 
sonders auf  die  flexionsendungen  erstrecken.  Abgesehen  davon  findet  sich  an  be- 
mei"kenswerten  formen : 

Die  schon  im  ahd.  beginnende  Vorliebe  für  die  schwache  flexion  setzt  sich  fort. 
Beispiele:  eren  w.  F82,  karfen  w.  F  164.  202.  210,  thüren  279;  erden  Alt.  170, 
Icüchen  202,  gasscn  (wol  nur  schwach)  192  und  öfter.  T  gigen  132.  Na  uncIien'äiS^ 
kappen  103,  grüben  259,  ürten  364,  knttcn  633,  karren  877,  pfarren  983. 

Bei  der  «-deciiuation  ist  der  gen.  plur  der  frühten  N  167  bemerkenswert,  der 
offenbar  auf  doppelter  analogie  —  zunächst  einer  anglcichung  an  die  o-declination, 
dann  an  die  schwache  —  beruht. 

Zu  den  für  Geugenbach  und  die  beurteilung  seines  dialektes  charakteristischen 
formen  gehört  die  erhaltung  des  i  bei  abstractis,  die  besonders  in  alem.  gegenden  zu 
constatieren  ist:  by  :  tmghorsami  N  1146,  weshalb  auch  dem  dichter  formen  wie 
unghorsami  B  187;  gehorsami  G  196;  keliij  G  833;  Ueby  G  280.  421.  621.  640.  1211 
zugewiesen  werden  dürfen;  doch  s.  unghorsajne  B  127.  Hierher  stelle  ich  auch  die 
noch  heute  in  Basel  gebräuchliche  form  kuchi  G  1082,  vgl.  Seiler  s.  65. 

Schwanken  in  der  flexion  herrscht  auch  bei  den  starken  neutris:  bald  bildet  G. 
den  plural  durch  anhängung  von  -er,  bald  lässt  er  ihn  unbezeichnet:  ding  w.  F  20; 
Na  uort  218;  kind  x  Alt.  105;  aber  kinder  B  162;  iryber  G  80;  Xa  ee-wiber  317 
dat.  plur.  tcyben  x  Alt.  206 ;  aber  ivybern  G  420. 

Auch  hier  haben  wir  übergreifen  des  gen.  plur.  in  die  schw.  flexion:  joren  {der 
joren  alt  x  Alt.  571)  und  ähnlich  auch  Na  der  listen  798,  das  besonders  stark  im 
alem.  Sprachgebiet  auftritt.     Belege. siehe  AG  §395. 

Bemerkenswert  ist  die  gemischte  form  fridens  w.  F  97  (vgl.  Molz,  Boitr.  27,  303). 

b)  Adjectivum. 

Über  die  nachstellung  des  adj.  attributes  in  der  unflecticrten  form  s.  unten: 
Syntax. 

Sehr  bemerkenswert  ist  die  erhaltung  der  alten  femininendung  in  in  eitii  G  60(), 
die  specifisch  alem.  ist. 

Denselben  wert  für  die  dialektbcstimmung  haben  Superlative  mit  erhaltung  des 
alten  o  in  großmechtigost  C.  Überschrift  und  großmechtigosten ,  durehleüchtigosten 
Bocksp.  I. 

c)  Der  artikel. 

Es  entspricht  durchaus  dem  heutigen  alem.  Sprachgebrauch,  dass  der  artikel 
häufig  mit  dem  durch  ihn  detei-minierten  substantivum  verschliffeo  wird:  djugent  G  38; 
T  dselen  105;  Na  duült  143;  geht  eine  präposition  voraus,  so  tritt  er  im  Schriftbild 
an  diese:  tifft  Gouchmat  G  267,  ind  ivinkel  1295,  itid  sach  G  298;  Na  ind  sack  230. 

1)  Vgl.  oben  s.  65. 


208  KÖNIG 

Undialektiscli '  ist  diese  augliederuug  des  artikels,  weim  vor  dem  Substantiv  noch  ein 
adj.  attribnt  steht:  dschön  Helena  xart  x  Alt.  379;  dheih'g  erd  N  1018.  Weitere  belege 
finden  sich  nicht.  Ich  glaube  aber,  dass  diese  ausnahmen  sich  leicht  dadurch  erklären 
lassen,  dass  'Helena'  \;o\  nie  ohne  das  prädieat  'schön'  gebraucht  wurde,  und  dass 
'heilig'  vor  'erd'  zur  bezeichnung  Palästinas  selbstverständlich  war,  dass  also  in 
beiden  fällen  Substantiv  und  attribut  als  ein  begriff,  als  ein  compositum  empfunden 
wurden.  Desgleichen  ist  die  zusammeuziehung  von  hi  und  den  zu  hin  in  x  Alt.  200 
dialektgemäss. 

d)  Verbum. 

Im  allgemeinen  ist  zu  bemerken:  in  echt  alcm.  weise  finden  sich  in  der  1.  sing, 
präs.  formen  -en:ieh  erVnajen  .lud.  356;  ich  leren  x  Alt.  166;  ich  füren  x  Alt.  528; 
ich  hoffieren  G  283;  —  T  ich  klagen  228;  Na  ich  danken  56. 

Die  2.  plur.  ind.  und  imp.  präs.  hautet  neben  -ef,  -t  häufiger  in  alem.  weise  auf 
-ent  und  -en  aus:  schivert  Jud.  395;  hörend  Jud.  77;  näntendt  x  Alt.  13;  sähen 
X  Alt.  68;  yähcn  Jud.  130;  merken  Jud.  174.  Dasselbe  schwanken  auch  in  T  und  Na. 
Na  merckt  53.  215,  irissend  928;  T  prassen,  tcoliehen  9,  keren  10,  ivisseti  19; 
Na  sagen  73,  nänien  131,  mcrcken  174,  müssen  253. 

Die  3.  plur.  weist  zahlreiche  formen  mit  t  neben  solchen  ohne  t  auf:  dienend 
G487;  gond  w.  F  79.  T  tühd  169,  efxend  179.  tagend  135,  thünd  311,  ebenso 
unorganisch  in  wend  w.  F136;  sölent  G392;  Na  sond  120. 

Dieses  t  dringt  nun  auch  in  die  1.  plur.  ein,  während,  wie  oben  gezeigt,  das 
71  aus  der  3.  oder  1.  plur.  auch  in  die  2.  eingang  findet,  so  dass  der  gesamte  plural 
dann  gleiclimässig  auf  -end  ausgeht.  1.  \A\\v.  tcend  W.F17;  hand  Jud.  36;  T  hegond 
123;  Na  gond  691. 

Hinsichtlich  der  einzelnen  ablautreihen  ist  zu  bemerken: 

I.  classe.  Die  mhd.  ablautreihe  besteht  noch.  Scheinbare  ausnahmen  (nur  im 
versinnern)  sind  durch  den  setzer  verschuldet. 

II.  classe.  Erhalten:  in  im  Singular,  ie  im  plural  erlingen  Jud.  356;  liegen 
T  102;  htriegen  Na  457.  Plural  prät. :  zugen  a.E  57  aber  xogen  a.  E  47.  Imper. : 
miß  xAlt.  266.  Infin.  auf  ie  wie  im  heutigen  dialekt,  liegen  :  htriegen  xAlt.  039; 
Jud.  452;  vgl.  oben:  Vocalismus. 

III.  classe.  Der  plur.  prät.  hat  zum  teil  noch  die  alten,  zum  teil  nach  dem 
sing,  ausgeglichene  formen:  drnncken  B  148;  getncnnen  a.E  51;  —  Na  funden  899, 
aber  storhen  x Alt.  ,543.     Für  die  participialformen  s.  oben:  Brechung. 

IV.  classe.  Der  mhd.  stand  hat  sich  erhalten:  ich  irijff  G  150.  Na  ich  gijb 
25.  712. 

VI.  classe.  Dem  alem.  dialekt  gemäss  zeigen  formen  wie  sehiahen  xAlt.  252, 
G  1238;  anschlecht  w.F2ö  den  alten  Wechsel  h — g  erhalten. 

Voealkürzung  ist'  im  prät.  der  red.  verb.  durch  den  reim  gering :  fing  w.F  21 
gesichert,  die  drucke  haben  meistens  ieifieng  w.F  119,  gieng  w.F  27. 

ö  der  schwachen  verba  ist  erhalten  in:  gesegnölen  N  1469;  vgl.  auch  oben: 
Adjectivum. 

Eigentümlich,  weil  ohne  rückumlaut  gebildet,  ist  die  form  genempt  G  prosa 
zwischen  85  —  90.     Na  grient  667,  spec.  alem.  s.  Lexer  2,  54,  Schw.  Id.  4,  748.    End- 

1)  Nach  erwägungen,  die  im  german.  .seminar  in  Basel  (sommersemester  1903) 
angestellt  wurden. 


PAMPHILUS    GENGENBACH  209 

Jicli  verdient  das  stark  gobikietc  pt.  prät.  verspotten  Jud.  158  erwähnt  zu  werden 
(druckfebler?). 

Das  part.  prät.  ist  zuweilen  nach  Weinhold,  Rlhd.  gram.  s.  398.  43G  ohne  das 
perfectivische  ge  gebildet;  vgl.  troffen,  braeht  N  1046,  kutnmen  kon  (sehr  häufig) 
geben  N  955;  gen  G  550;  gangen  Jud.  28ü;  worden  w.F  13;  klaget  Jud.  39ü;  tränt 
X  790.  —  Na  bracht  110.  219,  kuinnten  Xa  370,  gangen  Xa  4.  21.  04.  299.  1008; 
T  geben  44;  Na  157.  275    294. 

Dialektisch  und  zwar  alem.- schweizerisch  sind  die  bei  Gengeubach  wie  in  Na 
und  T  häufig  belegten  contrahierten  infinitiv-  und  participialfornien  kon,  nen,  vernon, 
gen  für  kamen,  iiemen,  rernomcn,  geben;  vgl.  Seiler  s.  59.  220.  132  und  unten 
die  einzelnen  verba. 

Verba  anomala. 

1.  haben.  1.  ind.  präs.  ich  lian  xAlt.  1Ü2;  T  han  5,  Na  93;  ich  hab  w.F  9, 
Na  246.     2.   du  hast  xAlt.  217.     3.   er   hot  w.F  7;    er  hat  G  24,    T  11,    Na  152. 

1.  plur.  wir  band  Jud.  36,  T  1C7,  Na  446;  hend  N89,  Na  880.  2.  hand  w.F  162, 
Na  719;  ihr  hend  Na  50;  ihr  haben  G  1272,  T  142.  3.  sie  hand  w^  F  82,  T  61, 
Na  215;  sie  hend  N  712,  G  280,  Na  880.  Tniper.  2.  sing,  hab  Jud.  66,  Na  32.  62. 
Conj.  imperf.  3.  s.  het  w.F  5,  hett  36,  —  T  hat  69.  Im  ind.  piät.  setzt  sich  das  nihd. 
schwanken  zwischen  a-  und  e- formen  bei  Gengenbach  fort:  hat  x  Alt.  628,  Na  10- 
41.  68;  het  w.F  150,  Na  685.  Inf.  han  w.  F  175;  —  T  118,  Na  229  {d  zu  streichen). 
Part,  gehan  xAlt.  307;  —  Na  175. 

Das  verbum  haben  zeigt  also  sowol  bei  Gengeubach  als  auch  in  T  und  Na 
durchaus  den  alem.  lautstand;  die  umgelauteten  formen  für  den  plui'.  Iiend  erklären 
sich  aus  dem  schwanken  des  verbums  zwischen  3.  und  1.  schwacher  corljugation  und 
sind  nur  in  schwäbisch -schweizer,  quellen  belegt,  das  part.  gehan  ist  dem  Uaselcr 
dialekt  gemäss  (Seiler  s.  158)  und  findet  sich  nur  in  Schweiz.- elsässisch.  quellen  (D.W.). 

2.  sein.  Ind.  präs.  ich  bim  x  Alt.  247,  er  ist  häufig  2.  plur.  ir  sind  xAlt. 
104,  G  764,  Na  377.  Imper.  2.  sing,  biß  Jud.  278.  466.  2  plur.  sind  N  100, 
Na  476.  Conj.  2.  sigst  N  715,  Na  1084;  3.  plur.  sigen  G  148;  3.  plur.  sgendt  mit 
analog,  herübernahme  des  -t  des  indicativs  ü  152. 

Prät.  was  B  135,  Na  55;  tcar  B  139,  Na  895;  pt.  gsin  N  406,  Na  327, 
geuesen  N  716,  Na  292.  950;  inf.  sm  häufig.  Beachte  die  spec.  alem.  formen:  2.  plur. 
sind.,  die  ^-formen  des  conjunctivs,  part.  gsin  (D.W);  vgl.  AG.  s  351. 

3.  tcollen.  Ind  präs.  1.  s.  ich  rvil  w.F  3,  T  83,  Na  .33;  2  tviltu  xAlt.  170, 
wilt  G  243,  Na  468;  3.  wil  w.F  32,  T  6S.  1  plur.  uend  w.F  17,  Na  815,  ivellen 
G  337,  T  43.  111,  Na  859;  2  icend  Jud  11 ;  3.  tvend  w.F  136,  T  74  Conj.  2.  s. 
weist  Jud.  252,  Na  30  31;  3.  icell  w.F  139  (wöll  N  531,  wöl  G  587),  T230,  Na  163. 
Prät.  ind.  3.  wolt  w.F  238,  Na  205,  avot  a.E  44,  B  133  (:  gbot).  Conj.  1  Jud.  69; 
3.  weit  T  81,  wollen  T  236;    pt.  gewöt  N  456. 

Die  formen  sind  widerum  in  beiden  gruppen  durchaus  alem.,  assimiiation  des 
l  in  wot  beschränkt  sich  auf  das  schweizerische,  das  Baseldeutscho  hat  die  form  noch 
heute;  vgl.  AG  s.  409;  Seiler  s.  313.  Das  gleiche  gilt  von  dem  part.  geiröt.  Für 
einen  Nürnberger  wären  die.se  belege  jedesfalls  sehr  auffällig. 

4.  luon.     Ind.  präs.  1.  s.  tän  xAlt.  74,  Na  841  (AG  s.  355);  3.  thilt  sehr  häufig; 

2.  plur.  lünd  G  601;  8.  tioid  xAlt.  131,  T  109,  Na  144.  311.  Imp.  2.  tän  Jud.  149, 
Na  231.  256.  Prät.  tet  Jud.  223,  Na  209;  3.  plur.  detletit  x  Alt.  623,  T  149  (AG  s.  357). 
Inf.  thünw.Y  117,  thon  xAlt.  78.  789,  than  a.E  290;  vgl.  oben:  Vocalismus. 

ZEITSCHRIFT    F.    DEUTSCHE    PllILOLOGIK.       BD.  XXXVII.  14 


210  KÖNIG 

Praeteritopraesentia. 

1.  u-issen.     Pt.  Na  gen- ißt  541  (vgl.  Seiler  s.  320). 

2.  gan.     1.  s.  gan  a.E  171;  pt.  vergundt  Jud.  443. 

3.  darf.  Ind.  präs.  2.  s.  darffst  x  Alt.  274.  311,  N  892.  1058/60,  Na  darffst 
688.  1007;  3.  darff  w.F  H,  a.E  22,  Jud.  436,  xAlt.  501.  604,  T  dar  ff  12^.  2.  plur. 
dörffen  G  614.  617,  dorfft  G  590;    3.  plur.  dörffen  T  87. 

Prät.  3.  sing,  dorfft  a.E  45;  Na  hdorfften  352.  Conj.  prät.  1.  s.  dorfft  xAlt. 
739;  2.  d(5/#s<  N  1216;  3.  dorfft  xAlt.  312;  Na  bdSrfft  871.  1000.  2.  plur.  f/or//Ve?j 
G  600;    3.  plur.  dörfften  xAlt.  427;   Na  dÖrfften  1038. 

Die  bedeutung  des  Wortes  zeigt  ein  ziemliches  schwanken.  Es  findet  sich 
a)  im  alten  sinne  =  bedürfen  a.E  22,  w.F  II.  147;  braucheti  a.E  45,  xAlt.  108.  311. 
739,  N  1216.  1222,  G  523,  T  87,  Na  357;  b)  ich  habe  ein  Recht  Jud.  436,  xAlt. 
482;  c)  Umschreibung  des  potentialis  xAlt.  312.  427.  591;  d)  =■- dürfen  xAlt.  274. 
501.  604-  N892.  1058/60,  G  614.  617,  T  129,  Na  688.  871.  1000.  1007.  1038. 

4.  tar.     thar  xAlt.  336. 

5.  sollen.  Ind.  präs.  1.  s.  soll  Jud.  245;  2.  soltu  Na  191,  w.F  256,  saltii 
B105,  N893,  G319;  3.  S($«  w.F  108,  Na  247,  so/  w.F  185,  Na  707.  1.  plur. 
sollen  w.F  68,  T  25.  34,  Na  276,  send  (AG  s.  395)  N  803;  2.  plur.  sollen  G  72, 
Na  454,  solt  B  60,  sölt  xAlt.  117;  3.  sollen  G  126.  892,  Na  233,  söhnt  G  392, 
sond  G  127,  Na  120,  send  (AG  395)  N  1362.  Prät.  3.  s.  sot  ß  44,  Na  373  (beide- 
mal im  reim,  vgl.  AG  s  395);  solt  Jud.  196. 

6.  7nag  (bedeutung  meistens  =  können).  Ind.  präs.  1.  s.  mag  w.F  86;  2.  magst 
Jud.  82;  3.  mag  w.F  25.  1.  plur.  mögen  B  117,  T  16.  40;  2.  mögen  G  267.  Conj.  3. 
müg  w.F  252,  7nög  Jud.  244,  Na  252,  möge  Jud.  101.  Prät.  3.  s.  mocht  Jud.  297. 
Conj.  möcht  w.F  145;  T  3.  plur.  möchten  216.  Infin.  mögen  w.F  175;  pt.  gemocht 
N787;    adj.  verb.  unmüglich  G  235;  Na  müglich  277.  527. 

Besonders  müssen  noch  die  folgenden  verba  erwähnt  werden: 

1.  gan.  Ind.  präs.  1.  s.  gang  xAlt.  195,  G  798,  Na  ich  began  118;  3.  s.  gat 
w.F  131.  170,  Na  umbgodt  80.  3.  plur.  gond  w.F' 79;  T  1.  plur.  wir  begond  123, 
Na  691;  3.  pl.  T  gond  197.  Imper.  gang  Jud.  278,  N  720,  G  532.  Conj.  3.  s.  gang 
w.F  109;  2.  gangest  G  1014.  Prät.  ging  und  gieng  (vgl.  oben).  Inf.  gon,  gan 
w.F  12,  T  153,  Na  303;    pt.  gan  Jud.  109,  gangen  Jud.  286,  Na  4.  21.  64. 

2.  stan.  Ind.  präs.  1.  s.  ston  x  Alt.  799,  stan  667,  unterstand  x  Alt.  408; 
Na  2.  s.  verstost  837;  3.  s.  entstot  w.F  69,  Na  verstot  271.  2.  plur.  ston  G  266; 
3.  plui".  sten  w.F  161.  Imper.  verstand  N  968.  Conj.  1.  s.  verstände  N  1004.  Prät. 
3.  s.  stünt  Jud.  16,  abstund  Jud.  91;  3.  plur.  stunden  Jud.  116.  Infin.  sto«  Jud.  289, 
T  verston  157,  Na  ston  209,  vgl.  zu  den  vollen  foi'men  AG  s.  324. 

3.  lan.  Ind.  präs.  1.  s.  ich  /a/?  w.F  172;  2.]A\xy.  lond  Jud.  441,  /o>*  xAlt.  121; 
3.  plur.  lond  xAlt.  105,  T  lond  73.  180,  Na  1029.  Imper.  laß  w.F  254,  T  158; 
2.  plur.  lond  xAlt.  284,  Na  598;  cohortat.  1.  plur.  lond  T  89,  Na  813.  Conj.  prät. 
last  Jud.  344.  Imperf.  ließ  w.F  98.  Infin.  Ion  w.F  69,  Na  verlon  223.  Part,  glan 
G  733,  T  glon  212. 

4.  geben.  Ind.  präs.  3.  s.  gydt  w.F  186,  gidt  G  497;  2.  plur.  gend  Jud.  ]2(), 
T  141;  3.  plui-.  Na  gend  135.  Inf.  geben  w.F  169,  Na  34,  gen  w.F  226,  Na  234. 
421.  687.  983.  Part,  geben  N  955,  T  44.  209,  Na  157;  gen  xAlt.  231,  T  84.  193, 
Na  51. 

5.  nemen.  Im  plur.  contrahierte  formen:  3.  plur.  vernend(e)  Jud.  180,  iietid 
xÄlt.  503.     Inf.  nen  w.F  43.  275.  228,  T  nen  194  (weidnen  bei  Goedeke  ist  in  beid 


PAMPHII.US    GENGENIiACH  211 

ncn   zu  bessern^),    Xa  422.   G86.      Part,  genommen  Jud.  13,    vernummen  Jud.  41, 
genon  w.F99,  G  30  (Schw.  Id.  4,  725.  731,  Seiler  s.  132.  220). 

6.  konnnen  zeigt  dem  alem.  dialekt  gemäss  in  fast  alleu  formen  ti.  1.  s.  laim 
Na  477;  2.  kiimpst  x Alt.  734,  Na  12;  3.  küpt  w.V  lö\  'i.  \A\jiV.  kuvicn  B  62.  Imper. 
2.  pliir.  kummen  Na  970;  2.  plur.  körnen  1469  (Na  263),  kumen  G  335.  Im  infm. 
imd  part.  findet  sich  sehr  häufig  die  coiitrahierte  form  kon:  w.F  142.  185.  235.  239. 
264  —  w.F  278,  BSG,  x  Alt.  579,  N  830,  G  82  —  Na  370.  427.  757  —  320; 
daneben  auch  kwnmcn:  Jud.  300,  N  142,  G127;  Na  532.  681,  T225;  w.F  105.  127, 
Jud.  500;  Na  987;    kommen  als  pt.  B90,  xAlt.  248;  vgl.  auch  oben:  Brechung. 

3.   Dialektische  reime. 

Die  nachfolgende  Zusammenstellung  hat  wider  den  doppelten  zweck,  einmal  zu 
zeigen,  dass  Geugenbach  durchaus  dem  Baseler  dialekt  gemäss  reimt  und  dadurch  die 
behauptung  seiner  Baseler  herkunft  weiter  zu  stützen,  und  zum  andern  durch  ver- 
gleichung  seiner  reime  und  reimwörter  mit  denen  aus  Na  und  T  darzutun,  dass  sich 
hier  im  wesentlichen  dieselben  dialektischen  reime,  oft  sogar  dieselben  reimwörter  wie 
bei  Gengenbach  wiederfinden. 

A.    Verhalten  der  vocale  zu  einander. 
A  -  laute. 

Gerade  bei  den  reimen  mit  ä  als  charakteristischem  vocal  zeigt  sich  deutlich 
die  weitgehende  ausgleichung  der  mhd.  vocalquantitäten.  Es  wird  fast  ausnahmslos 
ä  mit  u  gebunden.     Unter  den  reimsilben  stehen  die  auf  an  bei  weitem  voran: 

man:gtan  w.  F  64,  N847;  -.han  (wobei  allerdings  zu  berücksichtigen  ist,  dass 
in  den  contraliierten  formen  des  hilfsverbums  han  der  alem.  dialekt  nach  Schw.  Id. 
2,  870,  AG  373  auch  die  kurzen  vocale  kennt)  x  Alt.  282.  670,  T  117,  Na  92.  608  usw. 
im  ganzen  73  mal  bei  Gengenbach  und  17  mal  in  T  N«.  Die  ausgleichung  ist  hier 
jedesfalls  auf  die  nasalierung  der  vocale  zurückzuführen.  Da  diese  zugleich  die  Ver- 
dunklung der  betr.  vocale  nach  sich  zieht,  so  sind  hier  auch  gleich  die  bindungen 
man:  van  {von  im  reim  auf  Ion  G  372)  x  Alt.  237;  ane:darvone  TTE183;  man: 
Samson  G650;  biderman:Dission  w.  F  36.  51;  gton:darvon  x  Alt.  783;  gan:von 
G  242  hinzuzunehmen.  Alle  diese  reime  sind  durchaus  dialektisch  und  weisen,  was 
Singer  für  die  reime  von  a:o  {man:  van)  behauptete,  durchaus  nicht  nach  Nürnberg 
(vgl.  AG  11,  Zarncke  a.a.O.  s.  277/8). 

Aber  auch  vor  anderen  consonanten  ist  die  kürzung  ursprüngl.  mhd.  längen 
weit  vorgedrungen: 

acht:  acht,  gedacht  :veracht  x  Alt.  703;  veracht :  gebracht  G  97 .  117;  anfacht: 
macht  {s.)  N  701,  Na  macht  {\.)  :  bracht  452  (vgl.  N  1325)  usw.  Im  ganzen  13  mal 
Gengenbach,  3 mal  Na.  Ein  reim  auf  sicheres  ä  i.st  bei  diesen  verben  nicht  zu 
belegen. 

Sehr  häufig  sind  auch  bindungen  von  ar :  är.  har:war  (adj.)  B  89,  N  76, 
Na  846.  884  usw.  Im  ganzen  15 mal  bei  Gengenbach,  6 mal  in  Na.  art :  ärt  x  Alt. 223, 
N  145.  481,  Na  931.  Vgl.  noch  die  reime  gach  :  ersach  TTE  176;  bschach  :  nach  G  411. 
423;  gschach  \  daj-nach  N  593. 

Des  weiteren  sind  nur  zu  erwähnen  eine  reihe  von  bindungen  von  äffen  :  äffen 
TTE  57;  ag:äg  TTE  8;  alien:ühen  G  1237;  alt:  alt  TTE  64;  and:änd  (ev.  kürze) 
N979.  1024.  1167;    ast:äst  G  .542.  569,  Na  806  (ev.  kürze);    at :  ät  B  20.  26.   177 

1)  So  der  ältere  druck. 

14* 


212  KÖNIG 

(ev.  kürze),  x  Alt.  G28.  813,  N  469.  921,  Xa  108.  176.  194.  238.  293.  636.  994  (ev. 
kürze),  G105;  ax,:clx  w.  F152. 

Mhd.  verschiedene,  aber  dialektisch  fast  gleiche  vocalqualität  liegt  vor  in  den 
zahlreichen  bindungen  von  cl :  ö.  jjlog  :  btrog  G  605.  Sehr  beliebt  sind  auch  hier  die 
binduügen  von  än:ön.  gon  :  kon  N  52,  Na  756;  '.schon  w.  F  178  usw.  Gengenbach 
39mal,  T  Imal,  Na  4mal. 

Häufig  sind  bindungen  är  :  ör  x  Alt.  578,  Na  122.  Gengenbach  6  mal,  Na  linal. 
Ebenso  at:öt  w.  F66,  T  185,  Na  16.     Gengenbach  11  mal,  T  3nial,  Na  Imal. 

Hierhin  gehören  auch  reime  wie  gon:thün  G387;  thon :  Ion  x  Alt.  78;  hon: 
thon  X  Alt.  788;  than:han  a.  E  290.  Zu  dem  reim  son:gon  G  56  vgl.  oben:  Diph- 
thonge, auch  die  reime  von  mhd.  tio  :  ä  sind  alem.  nicht  unerhört,  Seb.  Brant  hat  sie 
ebenfalls  (Zarncke  277, 17).  Sie  brauchen  also  durchaus  nicht,  wie  Singer  will,  nach 
Nürnberg  zu  weisen. 

Im  dialekt  geschieden,  aber  unter  berücksichtigung  der  trübung  von  a :«  nicht 
undialektisch  sind  die  reime  von  «  :  o.  Schivab  :  ob  TTE215;  mocht :  erdocht  G432; 
tvogen  :  betrogen  N1194;  mol:ivol  w.  F  146,  Na  27;  mol:sol  N  595;  jar  :  vor  N  30. 
459;  -.thor  Na  8;  icorwor  Na  297;  hor:enbor  x  Alt.  664,  G  1073;  hosen  :  blosen 
G  352;  ußgelossen  :  beschlossen  N  1413.  cit :  ot.  Spot :  hot  w.  F  6,  x  Alt  713  (ev. 
kürze,  ebenso  B119,  N993);  sot :  rot  B44;  gbot :  stot  x  Alt.  225. 

Eine  bequeme  Übersicht  über  die  bei  den  a- lauten  und  ihren  schattieiungen 
möglichen  reimverbindungen  gewähren  die  dreireime,   die  ich  deshalb  hier  aufführe: 

1.  ä:  ö  :  ä.     nach  :  floch  :  goch  Jud.  54  —  56. 

2.  ö  ■.ä:  ä.     lan  :  gethan  :  ran  Jud.  70  — 72. 

3.  ö-.ä-.ä.  von  :  Ion  :  ston  Jud.  134  — 136;  gethon  :  ußgon  :  von  Jud.  342—344; 
van  :  lan  :  han  w.  F  254  —  256;  rat :  stot :  spot  Jud.  246  —  248. 

4.  ä:ö:ä.     an  :  van  :  lan  w.  F.  214  —  216. 

5.  ä :  ö  :  ä.     man  :  van  :  man  x  Alt.  237. 

6.  ä:ö:  ö.  hon  :  kon  :  Ion  w.  F  238  —  240;  ko7i  :  schon  :  glon  w.  F  278  —  280; 
hodt :  todt :  not  Jud.  518  —  520;  not :  todt :  lot  B  185  — 187. 

7.  ä:  ö:  ö.  glon  :  umbkon  :  von  w.  F  234  —  236;  thoren  :  gschoren  .joren  G  1123 
bis  1125. 

8.  ä:  ö  :  ö.    got :  rot :  spot  Jud.  86  —  88;  gbot :  sot :  rot  Jud.  171  — 173. 

i^- laute. 
I.  e  :  e. 

1.  eben,  eben -.heben  N  268;  erheben  :  eben  N  1112;  -.geben  N  463.  509.  1060; 
geben  :  beheben  N  727. 

2.  eckt,     befleckt :  bedeckt  G  246;  steckt :  seckt  Na  598. 

3.  effen.     äffen  :  träffen  G  617. 

4.  egen.     regen  :  beivegen  N  690. 

'o.  elt.  welt-.mißfelt  Bl,  N  1090;  ivelt-.gfeltxkM.ld,^,  G  753;  g  st  dt :  weit 
G  699. 

6.  emen.     schlemmen,  schämen,  demnien -.nämcn  x  Alt.  284.  399.  409,  G  409. 

7.  ende,     bellende  :  vernende  Jud.  179. 

8.  ens.    junß  {iWuü) :  gänß  N911. 

9.  er.     tver  {avxaa)  :  her  Jud.  479;  mör-.beger  N  130;  crner  :  bescher  T187. 

10.  eren.     weren  :  begeren  x  Alt.  685. 

11.  ert.     schtvert :  pfärdt  G723;  begärt:  heri  G1130. 


PAMPHILUS    GENGENBACH  213 

1 2.  ef.     hrfd  :  het  x  Alt.  609,  G  16G;   hol :  klaret  Na  82ü;   stet :  det  N  743 ;   redt  : 
thet  Xa  925. 

13.  etten.     retten  :  bütten  ,Tud.  222;  stciten  :  ußjetten  G  879. 

14.  käller  :  däller  T  125. 

11.  r:e. 

1.  cl.     scel :  qucl  w.  F  100,  x  Alt.  523,  Xa  170. 

2.  er.     her  :  eer  B  32,  x  Alt.  489;  :  7)ier  B  61 ;  :  ker  G  940;  leer  :  beger  N  870. 

3.  eren.    geiceren  :  leren  G3.32;  abschüren  :  leren  G316;  bgi'iren  :  Irren  x  Alt.  4M. 

4.  ert.     verkert :  schivert  N  90;  lirdt:  giert  Na  273. 

III.  e:e. 

1.  er.     seer  :  mor  N  932. 

2.  eren.  schiiere7i :  eren  \  Alt.  Sd;  bscJuveren  :  leeren  Na  644;  : /i;ere«Na  1024; 
verxeren  :  leren  x  Alt.  165,  G312;  neren:  leren  x  Alt.  263.  313,  G  389;  leren  :  iveren 
G  206.  853;  ericeren  :  leren  T183;  erneren  :  herren^  N  1215. 

3.  ert.     u-Srt :  kört  N  825;  hört :  lert  G  188. 

lY.  c  :  er. 

1.  echt,     recht :  durchücht  N229.  732.  1261;  durehächt :  gerächt  N  997. 

2.  ehen.  gsähen :  verschmähen  N763;  verschmähen  :  gschähen  G  776;  gschä- 
hen  :  nähen  N  1463;  nähen  ■.jähen  Na  746. 

3.  er.  bgär  :  war  B  181 ;  :  mär  Na  45;  her  :  schwer  TTE  41,  G  1086,  Na  319; 
:  war  TT E  190,  G  558.  744.  1128,  T75,  Na  12.  766;  :  ?mw«r  x  Alt.  652,  G  1055; 
:lär  G1115.  1187;  :wär  x  Alt.  833,  Na  450.  516. 

4.  ert.  erklärt :  bgär t  x  Alt.  61;  perd:härd  x  Alt.  711;  erd:  erklärt  N  1155; 
:  beuärt  N  1173;  erklärt :  werdt  N  72, 

V.  e:(B. 

1.  ert.    bschivert :  hert  x  Alt  607. 

2.  er.     meer :  wer  (esset)  B  150. 

3.  eren.    neren  :  bschweren  T  214. 

VI.  E:  (e. 

1.  er.  eer  :  ?f«r  \v.  F104;  icer  ■.herr^a%A~(\  leer  :  sckwer  G2-tö.  1027 ;  :  unniär 
X  Alt.  175. 

2.  ert.     heicärt :  giert  G  802;  erklärt :  geert  N  407. 

Yll.  c-.ij^. 

1.  eren.oeren.     xerstoren  :  iveren  N  601. 

2.  crt:(Tj-t.    gehört:  wert  G  1119;  gwärt :  zerstört  N  581. 

VIII.  e :  m. 

1 .  er.     mör  :  hör  N  942. 

2.  ere7i.  neren:  hören  TTE  203;  neren:  hören  x  Alt.  368;  bschweren:  huren"^ 
Na  454.  514.  654.  708.  744.  917. 

3.  ert.  hert :  xerstört  N749;  gfört:  gehört  N  389.  1069,  G873;  criveit :  ghört 
G572;  nert:  ghört  T219. 

1)  herren  ist  nach  ausweis  sonstiger  reime  mit  c  anzusetzen;  vg!.  unten  VI.  IX. 

2)  Die  häufigkeit  gerade  dieses  reimes  in  Na  ist  durch  den  stoff  bedingt.  Dieser 
nmstand  erklärt  es  auch,  dass  die  Verwandtschaft  in  den  reimen  zwischen  T,  Na  und 
Gengenbach  nicht  noch  weiter  geht.  Ich  weise  darauf  hin  zur  richtigen  bourteilung 
der  parallelen. 


214  KÖNIG 

IX.  e:oß. 

1.  er.     eer :  hör  x  Alt.  370;  leer  :  hör  N  424,  Na  466;  herr  :  kor  Na  77. 

2.  eren.  eren  :  erhören  Jud.  227;  -.hören  N  628,  G13Ü9;  -.zerstören  Na  325; 
hören  :  leren  x  Alt.  705;  hören  :  verkeren  x  Alt.  811;  herren  :  zerstören  N  1188. 

3.  erst,     erst :  x  er  stör  st  x  Alt.  215.    . 

4.  ert.     zerstört :  verkört  N305;  ghört-.  giert  B  121. 

X.  ce-.  (B. 
mär  :  hör  N  240. 

XI.  03 :  ö. 
getödt  -.  geicöt  N.  455. 

XII.  e-.ö. 

gracht :  möcht  Na  526;  T  15  leben -.mögen  (ist  doch  wol  aufzufassen  dXs  leben-, 

megen). 

XIII.  ö-.e. 

Nur  in  Na  belegt:  gspöt :  het  684;  götzen -.  letzen  146. 

XIV.  e-.ie. 

er  :  ier.     gschier  :  leer  x  Alt  209;  eer  :  zier  a.  E  66. 

Dreireime. 

e:e:e.     tver  (arma) :  her  :  mer  Jud.  479  — 481. 

e:e-.ce,    eer  :  seer  :  schtver  Jud.  486  —  488. 

e  (e) :  (B  :  e  (e).    gen  :  spen  :  nän  w.  F  226  —  228. 

e:e-.e.     lest :  gest :  näst  w.  F  258  —  260. 

e  :  e  :  op.     leren  :  werren  :  xerstörenn  Pr.  II,  10 — 12. 

Welchen  schluss  dürfen  wir  nun  aus  dieser  scheinbar  so  willkürlichen  behand- 
lung  der  e- laute  auf  die  heimat  des  dichters  ziehen?  Schon  ein  flüchtiger  blick  auf 
die  oben  gegebenen  reimbindungen  lehrt,  dass  diese  willkürliohkeit  doch  keine  gar 
so  grosse  ist.  In  einer  reihe  von  fällen  finden  sich  reimungenauigkeiten  nur  in  silben, 
in  denen  auf  den  reimvocal  r  folgt.  Das  gilt  von  den  gruppen  3.  5 — 10.  Bei  2  und 
4  überwiegen  solche  silben  stark  und  nur  1.  11.  12  machen  eine  ausnähme.  Nun 
gilt  für  den  alem.  dialekt,  also  auch  für  Basel,  das  gesetz,  dass  vor  r  ö  und  e 
gelängt  und  geöffnet  werden  (Hoffmann  s.  11  anm.)  Dadurch  fallen  vor  diesem 
laute  e  und  e,  ce  und  ö  in  einen  laut  ^  quantitativ  und  qualitativ  zusammen  und 
es  sind  somit  die  unter  3.  8.  9  aufgeführten  reime  dialektisch  rein,  e  und  ce  haben 
im  heutigen  Baseldeutschen  überoffenen  lautwert:  ä  (Ho-ffmann  §  136.  163.  165). 
Gerade  nach  ausweis  der  vorstehenden  reime  scheinen  sie  denselben  wert  schon 
im  16.  Jahrhundert  gehabt  zu  haben.  Danach  wären  für  Basel  auch  die  gruppen 
2  (r).  4(r).  5  6.  10  als  reine  reime  anzusehen.  Da  ausser  vor  nasal  +  cons.  hier 
auch  e  und  ö  zusammenfallen  in  e  (Hoffmann  §  136.  140),  so  ist  ebenfalls  gruppe  13 
dialektisch  rein.  Vor  nasal  -|-  cons.  werden  e  und  e  (ausser  vor  lenis)  zu  ä  (Hoömann 
§  157.  165),  d.  h.  von  den  unter  1  genannten  reimsilben  sind  rein:  emmen,  ende,  ens. 
Somit  bleiben  noch  übrig  von  1  eben,  eckt,  effen,  egen,  eil,  et,  etten,  von  2  el,  von 
4  echt,  ehen,  7.  11.  12.  Die  unter  4  genannten  reime  sind  qualitativ  reine,  quan- 
titativ nur  gering  differenzierte  reime  (ä  :  <b  Hoffmann  §  136.  163.  165),  die  also  als 
dialektisch  angesehen  werden  können.  Weil  vor  lenis  stehend,  ist  auch  2  cl  dialek- 
tisch völlig  rein  (Hoffmann  §  136.  152.  155).  Reime  von  überoffenem  zu  offenem 
ä:  e,  also  ziemlich  rein  sind  die  unter  1  genannten,  soweit  sie  nicht  vor  lenis  stehen. 
Unrein  bleiben  nach  dem  heutigen  lautstand  1  eben,  egen,   die  reime   von  e-.ce  sein 


PAMIMIILÜS    GKNaENHA(ll  215 

wüidoii.  Das  gleiche  gilt  mutatis  mutandis  auch  von  11  e  :  e.  Nr.  7  würden  reime 
von  ä:  e,  also  dialektisch  als  rein  zu  beurteilen  sein,  12  wäre  ä:  r^  also  gleichfalls 
nur  gering  verschieden.  Wesentlich  unrein  wären  von  all  den  aufgeführten  reimen 
vom  heutigen  Standpunkt  nur  die  wenigen  unter  1  auf  -eben  und  -egen  und  der  unter 
11  genannte.  Der  reim  e:ie  endlich  (14)  kann  für  die  dialektbestimniung  nicht  ver- 
wertet werden,  er  ist  auch  im  bair.  des  10.  jh.  wie  im  alem.  ausserordentlich  selten, 
vgl.  BG  §  4G.  AG  §  Ü4. 

Wir  haben  also  gesehen,  dass  die  grosse  fülle  scheinbar  unreiner  reime  mit 
e- lauten  vom  Standpunkt  der  Baseler  mundart  aus  mit  nur  ganz  geringen  ausnahmen 
als  rein  anzusehen  sind,  und  es  muss  sich  angesichts  dieser  tatsache  zum  mindesten 
die  frage  erheben,  ob  eine  so  genaue  kenntnis  der  eigentümlichkeiten  des  Baseler 
dialektes  einem  fremden  überhaupt  möglich  war. 

I-  laute. 
i :  *. 
Diese  ziemlich  zahlreich  belegton  reime  bieten ,  weil  nur  quantitativ  verschieden, 
keine  Schwierigkeiten,  um  so  weniger,  als  sie  schon  in  mhd.  zeit  vorlagen  und   der 
tradition  entnommen  werden  konnten. 

i :  ie. 
(jericht :  Jicht  TTE  120  (AG  40,  Beitr.  11,  565).    Zu  gering  :  ßng  w.  F  20,  ging  : 
anfing  :  geling  Jud.  219,  gienge:  dinge  Jud.  46  vgl.  oben:  Diphthonge. 

t :  iu. 

1.  ich:iu(:h.     glich  :  euch  G1315;  :  üch  x  Alt.  116;  ricit  :  mck  N  859.  1469. 

2.  ieht:iucht.     füeht :  licht  G  1071. 

3.  it :  tut.  leüt :  streit  w.  F  76;  xyt :  leüt  w.  F  102,  N  1120.  1421,  T  60;  :  mit ' 
Na  75.  347.  726;  :  bedüt  N  244.  502.  1050;  :  verbüt  G54;  nüt :  hochxyt  Na  116;  lit: 
nüt  Na  112;  gydt  {w):  bedüt  N1014;  gijdt  (s) :  lüt  N  1139.  1169;  :  mit  Na  124.  140. 
712;  Vijt-.liit  N1320;  gcrilt :  schnit  N  173. 

4.  iten:  tuten.  rüten:%yten  N1213,  G  1132;  xytcn:  liitcn  N  183;  :  vertiüfen 
N516,  Na  150;  lüten  :  stryten  N  1257. 

5.  ixt :  iuxt.     flyßt :  schüßt  G  260. 

In  allen  diesen  reimen  steht  der  reimvocal  vor  fortis.  In  diesem  falle  werden 
im  heutigen  Baseler  dialekt  beide  laute  zu  i  (Hoffmann  §  137.  197.  (141)),  die  reime 
sind  also  rein. 

* :  iu. 

1.  ich  :  iuch.     mich  :  euch  N  1034. 

2.  ind:iuml.  sind :  f rund  J\xd.  331 ,  x  Alt.  760,  T  138.  166,  Na  949;  kind  : 
fr  lind  x  Alt.  344  498,  T  130,  Na  1022;  frütid  :  blind  G  805;  gschwind :  fründ  Na  503. 

3.  inde:iunde.     gschivinde-.fründe  Jud.  51. 

4.  ir.iur.     dir  :  obenthür  G576;  .thür  G828;  mir  :  obenthür  Na  505. 

Dreireim. 

fründ  :  sind  :  gschwind  Jud.  127 — 129. 

Auffallend  ist  der  reim  mich :  eüch^  der  nach  dem  heutigen  dialekt  ein  solcher 
von  t:  %  wäre  und  eine  kleine  Unreinheit  in  sich  schlösse  (lloffmann  §  137.  141). 
Dialektisch  rein  dagegen   und  sehr  charakteristisch   ist  die  bindung   von   mhd.  friunt 

1)  Auch  die  form  nit  ist  in  Na  des  öfteren  belegt:  29.  381.  682.  750,  bei 
Geugeubach:  Jud.  239,  x  Alt.  177.  315,  N  1487. 


216  KÖNIG 

mit  i.    fründ   ist  nämlich   im   heutigen  dialekt  das  einzige  wort,    welches  für  iu   X 
zeigt  (Hoffmann  §  198).     In  niir^  dir  darf  man  wol  schon  länge  ansetzen. 

i :  ü. 

1.  ick  :  ück.     anblick  :  glück  G  1075. 

2.  icken  :  ücken.     schicken  :  glücken  Na  566. 

3.  ichten  :  achten,     xücliten:  richte^i  Jud.  501;  züchten:  berichten  N  651. 

4.  indeu  :  ünden.  zfindcn  :  verkünden  G  1279,  N  1375,  xAIt.  32;  :  sünden 
TTE  99. 

5.  md :  und.  blind  :  sünd  x  Alt.  21 ,  N  796,  G  20.  899,  T  146;  find  :  sünd  B  40, 
G86,  N1341;  kind:sünd  N  807.  1475;  :  verkündt  :inA.  b21 ,  x  Alt.  148,  N  165;  sunt: 
geschtvind  N  1467;  sind:  sunt  N  1020. 

6.  ir:ür.     thür  :  jr  G  1019;  für:  dir  G  273;  für:  mir  xAlt.  595,  Na  550. 

7.  irtcn:ürten.     icürlen  :  gürten  G  738;  hirten:ürten  Na  363. 

8.  ist :  ilst.     ist :  rüsi  P  II,  70;  entrüst :  bist  Na  407. 

9.  it :  üt.     bschüt :  nit  G  264. 

10.  itz:ütz.    gschütx, :  tvitx,  G  150.     Dazu  ausserdem  aus  Na: 

11.  ilt:ült.    gefillt :  unviilt  Na  71. 

12.  ing  :  üng.     trüng  :  ring  Na  18. 

Dreireime,  härfür  :  thür  :  wir  G  157;  für  :  mir  :  dir  Na  500;  find  :  blind  : 
sünd  T  12. 

Die  reime,  unter  denen  sich  charakteristischer  weise  keiner  vor  lenis  findet, 
sind  im  dialekt  alle  rein,  da  ü  und  i  ausser  vor  lenis  in  'i  zusammenfallen  (Hoff- 
mann §  137.  141). 

ü  :  in. 

1.  und  :  iund.     fründ  :  verkünd  xAlt.  3. 

2.  ünde  :  iunde.     fründe  :  sünde  Jud.  382.     Dazu 

3.  ür:iur.     obenthür  :  für  Na  21.  63. 

Bei  den  ersten  beiden  reimt  nach  dem  heutigen  Baseler  lautstande  'i:  i,  bei  3.  f  :f. 

ie  :  üe. 

1.  iebt :  Hebt,    gliebt :  betrübt  N  186. 

2.  iegen:  Hegen,     biegen  \  bnfigen  xAlt.  340;  bnägen  :  liegen  T  101. 

3.  ieren  liieren,  deponieren  :  fi'oren  G  768;  hoffieren:rüren  G  283;  verfüren: 
regieren  N  1217;  %ieren  :  füren  x  Alt.  527,  G  930;  erfrieren  :  verfüren  G  831 ;  vtrfüren  : 
regieren  G  908;  füeren:tyrannesieren.,   interdicieren ,  monieren  T  25.  233,  Na  134. 

4.  iert :  üert.  xiert :  gfürt  N  636;  gstudiert :  verfürt  G  773,  Na  188;  disputiert : 
gefürt  Na  818;  probiert :  fih-t  Na  866. 

5.  iex  :  üex,.     hieß  :  füß  Jud.  406. 

Diese  reime  sind  dialektisch  rein ,  heute  sind  ie  und  üe  in  io  zusammengefallen 
(Hoffmann  §  142.  206.  209). 

0- laute. 

0  :  ö. 

1.  on.    darvon  :  Ion  G  372. 

2.  or.     vor:  thor  G  798;  thor  (porta) :  dor  (narr)  G  996. 

3.  oren.  geboren  :  thoren  TTE  211,  N  1380;  gschivoren  :  thoren  G  721; 
bschivoren  :  oren  Na  1057;  sparen:  oren  G946;  thoren  :  geschoren  G  1122. 

4.  ort.  ort:ghort  B  50;  btort:mort  xAlt.  235;  ivort:ghort  N  1086.  1356; 
tvoi't :  erhört  Na  440. 

5.  orte.    ghorte:morte  TTE  175. 


PAMl'lIILUS    GKXGENBACH  217 

6.  ot,  öt.     spot :  todt  N  2(52.     Dazu 

7.  ol.     ivol  -.hol  Na  614. 

Vor  r  sind    diese    reime    dialektisch    rein,    bei    den    übrigen    ist  die  differonz 

nur  gering. 

öu  :  ei. 

geliehen  :  xeichen  G  810,  :  seichen  G  494;  reien  :  erfrowen  G  955;  froid.heid 
N  1224,  :  6eseAe«Z  X  Alt.  453 ;  xcrstr6ict:gscitl^\Ai^\  geseit :  erfruwt  N611;  vgl. 
Zarncke  278,  24. 

Beide  diphthonge  sind  heute  zu  ai  geworden,  die  reime  ^Yaren  also  wol  auch 
schon  im  Ki.  jh.  rein. 

U-  laute. 

u  :  uo.  x 

gefunden  :  stunden  Jud.  115;  abstund  :  hiind  :  stund  (hora)  Jud.  91 — 93.  Siehe 
oben:  Diphthouge  und  AG  s.  78. 

li  :  uo. 

Paur  :  bsehtvür  Na  458/9;  vgl.  AG  78.  Auch  Seb.  Brant  im  Narrensch.  vorr.  94 
bindet  einmal  vor  r  ü :  tio  (Zarncke  s.  277,  nr.  7). 

B.   Verhalten   der  consouanten   nntereinandor  im   reim. 
Es  reimen  die  verschiedenen  medien  untereinander: 

I.   h  :  g. 

1.  ab  :  ag.     tag  :  ab  B  87. 

2.  ahen-.agen.  haben :  sagen  TTE  35,  N  343.  703.  1151.  1222,  G  1271,  T  47. 
73,  Na  190.  317;  -.frageti  xAlt.  41;  ■.klagen  xAlt.  108;  ■.getragen  T  33;  -.kragen 
Na  126;  erschlagen  :  begraben  xAlt.  464;  schyßgraben  :  tragen  G  1110;  hiaben  : 
fragen  N  877. 

3.  eb:eg.     wäg: gab  G  1229. 

4.  eben  :  egen.  laben  -.pflägcn  G  564,  :  s%ew  xAlt.  231,  :  mögen  T  15;  erheben  '• 
tißlegen  G  68;  eben:legen  N  1318,  :  tcegeti  N  453;  heben:  legen  TTE  77;  glägen  : 
sträben  x Alt.  485;    fragen: geben  T  43  (s.  unten). 

5.  iben  :  igen,  triben :  verschu:igen  Jud.  94,  Na  488.  915,  :  schwigen  x  Alt.  511, 
Na  808,  :  gigen  T  132;  gschtvigen  :  gschriben  G  917. 

6.  oben  :  ogen.     loben  :  zogen  x  Alt.  45. 

7.  uben:ugen.     schieben  :  suge^i  G  463;    sugen:kluben  G  356. 

8.  iieben  :  Hegen,     betrüben  :  fügen  N  270.  674.   1415. 

9.  orben:orgen.    gstorben:erworgen  x  Alt.  590;  verdorben  :  erworgen  G  835. 
10.  iegen  :  iieben.     kriegen:  betrüben  x  Alt.  321. 

IL   b  :  (/. 
\,  ab:  ad.     hab  :  schad  w.  F  10.  ' 

2.  eben:eden.     eben:  reden  Na  814;  beheben  :  reden  a.E  232. 

3.  iben:iden.  beliben :  giidcn  G  131,  :friden  N  889,  Na  1028,  :  liden  xAlt. 
487,  T  82.  216,  :  schntden  Na  882;  sehr  iben  :  liden  N  1143,  :  xüfryden  Na  662; 
liden  :  verdriben  N  682. 

4.  erben:  erden,  sterben  :  erden  TTE  225,  :iverden  Jud.  85,  T  39,  Na  247  ; 
erden  :  ericerben  Svidi.b^l;  kerben :  tverden  G  887.  1015,  Na  804.  972.  992,  :  erden 
Na  1069. 

5.  orben  :  orden.     icorden  :  (ge)storbeu  x  Alt.  542.  737,  a.E  313.  361. 


218  KÖNIG 

III.   d:g. 

1.  aden:agen.     tagen  :  schaden  a.  E  88. 

2.  iden:igen.     liden  :  verschwigen  N  36,  Na  860. 

3.  inde:inge.    gschivinde:  dinge  Jud.  405. 

4.  orden  :  orgen.  tvorden  :  tvorgen  N'1302;  orden  :  er/rorgen  Na  253,  :  ^morgen 
Na  548;  worden  :  sorgen  G  1155. 

Verschiedenes. 

1.  in  :  11.  man:nam  xÄlt.  301;  katn  :  entran  G  782;  vernim  :  brin  G  673; 
rein:  kein  G  305;  hein  :  erschein  B  109,  '.schein  Na  564,  -.bein  G  1013;  ston:Rom 
a.E  112;  —  grinnne:  keyserinne  Jad.  30;  kcyserinnen :  bestimmen  Jud.  469;  uber- 
kuiu)>ien  :  entrwmen  TTE  152;  entrnnnen  :  klimmen  Jud.  302;  kunimen  :  nunnen 
T  235;  namen:hi?tdannen  ^a.Q'ib]  —  ingenoimnen :  schonen  a.E  237;  — grimdt: 
kmnpt  N835. 

2.  md  :  nd.     behend  :  hembd  G  686. 

3.  ng  :  nk.  bank  :  lanck  G  314;  ußscliwanck  :  lanck  G  716;  lanck  :  danck 
G  1264;  —  erlangt :  schanekt  Na  632. 

4.  mm:ng.     frummen  :  gertmgen  :  genummen  N  334. 

5.  nn  :  ng.  gewinnen  :  singen  a.E  8;  besinnen :  springen  a.E  189;  simien: 
bringen  Na  415. 

6.  st :  seht,  ist :  gemist  w.F  127;  entrüst :  iifficüscht  Na  86;  vgl.  auch  Christen  : 
inischen  Jud.  389. 

Dreireime:  ist  :  n/ist  :  brist  w.F  218/20;  gemist  :  ist  :  list  w.F  221/3.  Siehe 
oben:  Consonantismus. 

7.  cht  :  ft.  gemacht  :  eidgnoschaft  w.F  54;  machte  (s.)  :  xwyffelhafie  a.E  318. 
Beleg  Weinhold,  Mhd.  gr.  233. 

Überschlagende  consonanten. 

1.  n:  /twüm (dat.pl.)  :  erhörte  TTE29,  dialektischer  abfall  des  n  (AG  s.  169). 

2.  b:  schreibt :  geydt  N  565.  :xeit  xAlt.  27;  gobt :  stot  B  34;  brät :  labt  xAlt. 
515;  het -.behebt  xAit.  126;  ererbt :  verxert  T  142. 

3.  t:  rächen  :  fachten  N  981.  1280;  xmachen  :  verachten  a.E  119;  erterichs  : 
nichts  N  181;  gstryfft :  schlyff  Na  838;  t  ist  wol  einzusetzen  in  säck(t)  {y^.b^Q): 
dräck  Na  802  (dagegen  ist  d  zu  streichen  in  adrian :  haml  Na  229). 

4.  g:  gspänst :  gangst  Na  491,  -.längst  Na  740  ein  durchaus  dialektischer  reim. 

Zusammenfassung. 
Versuchen  wir  nun  auf  grund  der  vorstehenden  sprachlichen  Zu- 
sammenstellungen der  frage  nach  der  heimat  des  dichters  näher  zu  treten. 
Dass  der  alemannische  dialekt  bei  Gengenbach  in  sehr  starkem  masse 
überwiegt,  war  auch  Singer  aufgefallen.  Aber  die  macht  jenes  briefes 
Kobergers  war  doch  so  bestimmend  für  ihn,  dass  er  trotz  dieser  er- 
kenntnis  an  der  Nürnberger  herkunft  unseres  dichters  festhielt,  ohne 
sich  zu  fragen,  ob  denn  jene  notiz  nicht  auch  eine  andere  erklärung 
zulasse.  Auf  grund  sprachlicher  Indizien  wäre  man  wahrscheinlich  nie 
und    nimmer   darauf  gekommen   Gengenbachs  heimat  in  Nürnberg  zu 


PAMI'HILUS   GENGENBACII  219 

finden.  Ein  wie  guter  Alemanne  Gengenbach  Baslern  war,  zeigt  die 
Verwertung  seiner  werke  in  den  arbeiten  von  Heusler  und  Gesslcr.  Wer 
möchte  glauben,  dass  jemand,  der  bis  zu  seinem  20.  jähre  in  Nürnberg 
gewesen,  hier  seine  kindheit  verlebt,  seine  Schulbildung  empfangen,  den 
grössten  teil  seiner  Jugend  zugebracht,  ja  hier  vielleicht  sogar  das 
dichten  „gelernt"  hatte,  jedesfalls  sprachlich  durchaus  in  Nürnberg 
wurzelt,  nun  nach  Basel  kommt,  seinen  heimatlichen  dialekt  völlig  ver- 
lernt und  statt  dessen  einen  wesentlich  davon  verschiedenen  in  ebenso 
vollkommener  weise  erlernt!  Wie  lebhaft  diese  Verschiedenheit  der 
mundarteu  —  und  damals  gewiss  noch  mehr  als  heute  —  empfunden 
wurde,  zeigt  die  schon  früher  erwähnte  Übertragung  des  Brantschen 
Narrenschiflfes  in  den  Nürnberger  dialekt.  Sehr  begreiflich!  Eine  durch- 
greifende trennung  war  zwischen  beiden  mundarten  durch  die  neuhoch- 
deutsche diphthongierung  geschaffen  worden.  Ist  es  unter  solchen  um- 
ständen denkbar,  dass  dem  dichter  bei  seinen  zahlreichen  diphthongischen 
reimen  auch  nicht  ein  einziger  von  neuem  auf  alten  diphthong  unter- 
gelaufen sein  sollte?  Und  weiter:  wir  haben  bei  der  behandlung  der 
reime  mit  e-lauten  gesehen,  wie  genau  Gengenbach  —  von  ganz  wenigen 
fällen  abgesehen  —  die  verschiedenen  e- laute,  ganz  wie  es  der  aleman- 
nische (Baseler)  dialekt  verlangt,  bis  in  subtilitäten  hinein  auseinander- 
gehalten hat.  Ist  das  einem  fremden  überhaupt  möglich?  Und  wäre 
es  möglich,  so  sollte  man  eine  entwicklung  zu  grösserer  genauigkeit 
hin  in  den  einzelnen  werken  wahrnehmen  können,  aber  auch  dafür 
lässt  sich  kein  anhaltspunkt  finden;  die  genauigkeit  ist  im  Welschen 
fluss  (1513)  eben  so  gross,  wie  in  der  Gauchmatt  (zwischen  1521 
bis  24).  Wenn  irgend  etwas,  so  spricht  Gengenbachs  reimtechnik  dafür, 
dass  er  aus  alemannischer  gegend  (Basel)  stammte. 

Dahin  weist  nun  auch  sein  Sprachgebrauch.  Gewiss  dürfen  wir  nicht 
alles,  was  wir  bei  Gengenbach  gedruckt  sehen,  ihm  zuschreiben,  ebenso- 
wenig aber  haben  Avir  ein  recht  es  zu  ignorieren,  vielmehr  gestattet 
uns  das  ergebnis  der  reimuntersuchung  alemannische  eigentümlichkeiten, 
wie  sie  abgesehen  von  den  reimen  vorkommen,  für  den  dichter  in  an- 
spruch  zu  nehmen,  und  das  um  so  mehr,  als  wir  ja  sahen,  dass  die 
setzer  nicht  bemüht  sind,  das  alemannische  colorit  zu  verstärken,  son- 
dern im  gegenteil  es  zu  verwischen.  Wenn  sich  z.  b.  e  durch  alle 
werke  hindurch  und  besonders  gern  vor  lenis  durch  ä  widergegeben 
findet,  so  hat  diese  bezeichnung  offenbar  schon  dem  manuscript  des 
dichters  angehört:  eine  berechtigung  zu  dieser  Schreibung  lag,  wie  ge- 
zeigt, im  alemannischen  vor.  Ich  weise  ferner  auf  die  verschieden- 
artigen durch  den  dialekt  bedingten  vertauschten  Schreibungen  hin,  vor 


220  KÖNIG 

allem  die  von  st  für  seht  in  geinist  (vgl.  auch  den  reim  Christen : 
mischen)^  ich  erinnere  an  die  Unterlassung  des  umlauts,  der  brechung. 
Bei  der  flexionslehre,  namentlich  des  verbums,  fanden  wir  durchaus 
den  alemannischen  Sprachgebrauch;  man  denke  nur  an  die  behandlung 
einiger  verba  aiiomala  und  praeteritopraesentia,  die  oft  formen  auf- 
weisen, die  specifisch- alemannischen  oder  gar  schweizerischen  Ursprungs 
sind,  an  die  häufigen  contractionen  gen,  neu,  kon.  Für  das  sub- 
stantivum  ist  an  die  abstracta  mit  erhaltenem  i,  an  die  form  kucld 
zu  erinnern,  die  erhaltung  des  alten  o  im  Superlativ  und  in  gesegnoten 
ist  für  Gengenbachs  zeit  gleichfalls  specifisch -alemannisch.  Zu  be- 
achten ist  endlich  aus  dem  wertschätz:  der  ^«/•(f  (Schw.  Id.  2,  1597)  für 
erde,  boilen  xAlt.  712,  G  278,  kilche  neben  kirche,  har  für  her. 

"Was  besagen  dem  gegenüber  Singers  argumente  (Zeitschr.  45,  155) 
für  Nürnberg?!  Geben  wir  einmal  zu,  all  die  angeführten  kriterien 
seien  wirklich  Nürnberger  reminiscenzen,  so  sind  sie  eben  erinnerungen 
an  jenen  vorübergehenden  aufenthalt  Gengenbachs  in  Nürnberg,  von 
dem  Kobergers  brief  zeugnis  gibt.  Es  ergibt  sich  also  aus  den  vor- 
liegenden sprachlichen  tatsachen  mit  zwingender  notwendigkeit: 

Gengenbach  war  in  Basel  geboren  und  aufgewachsen  und  kehrte 
nach  vorübergehendem  aufenthalt  in  Nürnberg  dorthin  zurück. 

Aber  noch  ein  anderes  kann  die  vorstehende  Untersuchung  lehren. 
Die  letzten  darlegungen  haben  die  eigentliche  fragestelhmg  etwas  ver- 
schoben, notwendig  mussten  sie  auf  die  frage  nach  der  herkunft  Gengen- 
bachs führen,  und  es  lag  mir,  wie  gesagt,  daran,  die  im  ersten  teil 
geäusserte  ansieht  von  der  heimat  des  dichters  durch  ein  möglich  um- 
fangreiches sprachliches  material  zu  begründen.  Ebenso  deutlich  wie 
Gengenbachs  sichere  dichtungen  aber  weisen  auch  T  und  Na  in  sprach- 
licher beziehung  nach  Alemannien,  ja  verschiedene  kleinere  eigen- 
tümlichkeiten,  namentlich  in  der  flexion  des  verbums,  gestatten  uns 
wie  bei  Gengenbach  das  gebiet  noch  enger  auf  die  Schweiz  zu  be- 
grenzen. 

In  allen  wichtigeren,  spezielleren  sprachlichen  eigentümlichkeiten 
endlich  zeigen  T  und  Na  eine  weitgehende  Verwandtschaft  mit  den 
Gengenbachschen  dichtungen,  abgesehen  von  wenigen  auch  bei  Gengen- 
bach seltenen  und  nicht  in  allen  werken  belegten  erscheinungen  wie 
reime  von  a:iio^   von  u:iio^   von  i:ie,   die  abstracta  auf  i  und  super- 

1)  Das  paragogische  e.  das  Singer  a.a.O.  noch  anführt,  kann  als  sprachliches 
kriterium  nicht  in  betracht  kommen:  es  ist  ein  metrisches  hilfsmittel,  das  sich  darum 
^uch  nur  in  den  metrisch  schwerer  zu  behandelnden  meisterliederu  findet. 


l'AMIMIII.ÜS    GKNGENnACII  221 

lative  auf  o '.  Wir  können  solche  Verwandtschaft  constatieren  zunächst 
auf  dem  gebiet  des  vocalismus.  Wie  in  Gengenbachs  gedichten  Avird 
(■  durch  ä  gegeben,  e  durch  u  und  ö  in  fast  denselben  fällen,  es  finden 
sich  vertauschte  Schreibungen  wie  ü  für  ?',  e  w^ird  in  ganz  denselben 
fällen  (vor  m  und  ;•)  durch  d  bezeichnet,  ee  für  e,  6  für  c,  u  für  '6u 
ist  sogar  in  denselben  werten  gedruckt.  Wir  können  dasselbe  schwanken 
zwischen  umgelauteten  (undialektischen)  und  unumgolautetcn  (dialek- 
tischen) formen,  wäe  den  rückumlaut  beobachten.  AVas  den  consonan- 
tismus  anlangt,  so  treffen  wir  auch  in  Na  die  neigung  m  im  wort- 
auslaut  in  ii  übergehen  zu  lassen.  In  der  flcxion  des  verbums  lassen 
sich  formen  auf  -en  für  die  1.  sing.  präs.  ind.,  das  schwanken  zwischen 
formen  auf  -t,  -ent,  -en  in  der  2.  und  das  eindringen  der  endung  -ent 
auch  in  die  1.  plur.  nachweisen.  Grosse  ähnlichkeiten  bestehen  zwischen 
Gengenbachs  Sprachgebrauch  und  T  und  Na  in  den  ablautsreihen  und 
namentlich  in  der  flexion  der  verba  anomala  und  praeteritopraesentia, 
sowie  der  beiden  verba  geben  und  konunen.  Der  Wortschatz  zeigt  die- 
selben Schwankungen  zwischen  //er  und  har,  dort  und  dort,  helgen  und 
heiligen  usw.  Auch  der  Verfasser  der  Na  scheut  vor  grobdialektischen 
reimen  wie  st  :  scJtt  nicht  zurück,  und  in  den  consonantisch  unreinen 
reimen  endlich  ist  eine  ganz  auffallende  Verwandtschaft  zu  beobachten: 
kaum  eine  bindung,  die  sich  nicht  auch  in  T  oder  Na  belegen  Hesse. 
Diesen  tatsachen  gegenüber  kann  die  möglichkeit,  ja  die  Wahrscheinlich- 
keit der  annähme,  dass  der  Verfasser  von  T  und  Na  mit  Gengenbach 
identisch  ist,  nicht  bestritten  werden,  um  so  weniger,  als  beide  in  der 
wähl  der  reim  Wörter,  soweit  sie  nicht  durch  die  Verschiedenheit  der  stoffe 
ausgeschlossen  ist,  häufig  übereinstimmen.  Auf  alle  fälle  hat  man  auf 
grund  sprachlicher  Indizien  kein  recht,  Gengenbach  die  Verfasserschaft 
der  Totenfresser  und  der  Novella  abzusprechen.  Von  Singers  bedenken 
(Zeitschr.  45,  155)  fällt  bei  T  das  für  ihn  wichtigste  fort.  Schon  oben 
ist  darauf  hingewiesen,  dass  der  reim  iveidnen  :  gen  T  194  sich  als 
druckfehler  für  beid  nen  nach  ausweis  des  älteren  Münchener  druckes 
herausgestellt  hat. 

Der  reim  leben :  mögen  (vgl.  Na  526  gerächt :  möcht)  ist  ein  nicht 
gerade  gewichtiges  kriterium,  denn  Gengenbach  hat  die  form  mögen. 
Wenn  man  sich  an  der  bindung  e:ö  stösst,  so  ist  darauf  hinzuweisen, 
dass  diese  bindung  zwar  sonst  von  G.  nicht  gebraucht  wird,  aber  doch 
dialektisch  ist.     Auffällig  und   das  einzige  kriterium  von  bedeutung  ist 

Ij  Dass  wir  in  diesem  fehlen  durchaus  kein  kriterium  gegen  Gengenbach  er- 
blicken dürfen,  geht  einfach  daraus  hervor,  dass  die  in  frage  stehenden  abstracta 
und  Superlative  in  T  und  Xa  überhaupt  nicht  belegt  sind. 


222  KÖNIG 

zweifellos  der  reim  T  43  frägoi:  gehen.  Gengenbach  hat,  obwol  fragen 
noch  heute  schweizerisch  ist  (Schw.  Id.  1,  1291),  sonst  immer  fragen. 
Indessen  wird  man  zugeben  müssen,  dass  der  sinn  T  43  nicht  über- 
mässig plan  ist.  Ich  acceptiere  daher  eine  Vermutung  von  herrn  prof. 
Strauch  und  lese  auch  gegen  das  Münchener  exemplar  freien  'ängstlich 
sorgen',  siehe  namentlich  Schw.  Id.  1,  1838  (gerade  in  Basel  nach- 
gewiesen), aber  auch  Schmeller  1,829  und  D.  wb.  sub  freiten.  Viel- 
leicht dürfte  man  sogar  vreclen  schreiben.  Die  stelle  würde  dadurch 
jedesfalls  viel  klarer  werden.  Weniger  will  die  bindung  giert  :  bschirt 
T  191  besagen,  da  Gengenbach  e  zwar  nicht  mit  ^,  wol  aber  mit  ie 
bindet.  Aus  dem  einen  worte  fragen  allein  auf  einen  anderen  autor 
als  Gengenbach  zu  schliessen,  scheint  mir  angesichts  der  zahlreichen 
Übereinstimmungen  übertriebene  vorsieht.  Das  gleiche  gilt  in  noch 
höherem  grade  für  die  Novella. 

Der  reim  ü  :  ü  ist  bei  Gengenbach  allerdings  nicht  belegt,  wol 
aber  der  von  ü'-iio.,  und  dass  er  G.  nicht  zu  fern  gelegen  haben  kann, 
zeigt  das  beispiel  Seb.  Brants.  Was  die  reime  mit  betonter  ableitungs- 
silbe  -er  anlangt,  so  glaube  ich  sie  aus  metrischen  gründen  rechtfertigen 
zu  können:  sie  sprechen  eher  für  Gengenbach  als  gegen  ihn. 

Capitel  III. 

Syntaktisches  und  stilistisches  hei  Oeng^enhach,  in  den  Totenfressern 
und  der  Novella. 

1.  Syntaktisches. 
Ein  ausführliches  eingehen  auf  die  syntax  Gengenbachs  verbietet 
die  anläge  der  arbeit,  in  der  die  betrachtung  von  spräche,  stil  und 
metrik  eben  nur  mittel  zum  zweck  ist;  auch  im  folgenden  kommt  es 
nur  darauf  an  zu  zeigen,  dass  ebenfalls  bei  der  syntax  in  allen  wesent- 
lichen punkten  Übereinstimmung  zwischen  den  Gengenbach  allgemein 
zugeschriebenen  gedichten  und  T  Na  herrscht.  In  der  anordnung  folge 
ich  Pauls  behandlung  des  Stoffes  in  seiner  Mhd.  grammatik. 

I.    Der  einfache  satz. 

1.  Dass  ich  das  wichtige  capitel  der  Wortstellung  ganz  übei'gehe,  wird  nach 
den  obigen  ausführungen  verständlich  sein.  Die  Schwierigkeit  des  Stoffes  würde  in 
keinem  Verhältnis  zu  dem  beabsichtigten  zwecke  stehen. 

2.  Flexion  des  pronomens.  Das  unflectierte  pronoraen  findet  sich  in  attribu- 
tiver Stellung  hinter  dem  substantivum :  G  340.  706.  934;  Na  207.  462.  472. 

3.  Für  den  gebrauch  des  unflectierten  adjectivs  gilt  dasselbe;  s.  G  459.  469. 
688.  690.  1008.  1137.  1143;  Na  108.  210.  1057;  (Paul  §227,3). 

4.  Die  congruenz  der  einzelnen  Satzteile  wird  nicht  immer  scharf  beobachtet. 
Des  öfteren  findet  sich  die  constructio  xiaä  avveatv.  B  34.  165;  w.F  27;  N519.  il04. 
1120;  G  15.  21.  104;  Na  96.  331.  359;  (§§  228  —  239). 


PAMPHILUS  r.KNOENBACH  223 

5.  Hinsichtlich  des  gebrauches  der  einzelnen  casus  ist  zu  bemerken: 

a)  geiveren  mit  dem  accusativ  der  person,  im  passivum  |)ersönlich  construiert: 
G  1292;  Na  2;  (§241). 

b)  Der  genetiv  qualit.  findet  sich  G  G15,  Na  548,  sehr  häufig  wird  der  gen. 
partitiv.  angewandt:  G  10.  14.  28.  47.  443.  444,  T  37.  Gi).  8.1,  Na  13.  171.  493.  553. 
554,  (§§  253.  2GG). 

6.  Nominalformen  des  verbums.  Ungemein  häufig  findet  sich  bei  Gengenbach 
und  in  dieser  häufigkeit  ist  für  ihn  charakteristisch: 

a)  Die  Umschreibung  des  verb.  fin.  durch  tun:  TTE  119.  203.  210,  Jud.  105. 
425  u.  ö.,  xAlt.  24.  26.  32.  45.  74.  97.  99.  119.  284.  313.  340,  N  377.  400.  51G. 
632.  633.  810.  946.  957.  1088,  G  77.  162.  453.  467.  531.  601,  T  78.  149.  169. 
196,  Na  134.  150.  155.  209.  280.  318.  328.  5GG.  603.  635.  649.  704.  746.  841.  843. 
926.  943.  968,  (§297  anm.). 

b)  Nicht  ganz  selten  ist  auch  die  construction  von  tcellen  mit  dem  infin.  perfect: 
w.F  238,  Jud.  123.  208.  300,  xAlt.  690,  N  450/1.  4,55.  523.  856.  1276,  G  430, 
Na  321,  (§  298). 

c)  Das  verbum  beginnen  hat  bald  den  reinen  infin.,  bald  den  mit  xü  nach  sich : 
Jud.  220.  226.  264.  Dasselbe  schwanken  findet  sich  auch  in  Na  199.  402.  545.  917, 
Na  535.  920.  1073,  (§  297). 

7.  Sparsamkeit  im  ausdruck.     Es  wird  ausgelassen: 

a)  Das  subject  in  gestalt  eines  Personalpronomens:  B  115.  126,  TTE  31,  xAlt. 
303.  304.  389.  699,  N  60.  76.  89.  316  usw.,  G  163.  241.  246.  247.  250.  259.  441. 
631,    T  156,    Na  352.  454.  574.  771.  967. 

b)  Das  object:  xAlt.  432,    N  293.  897,    G  399,    Na  311.  406. 

8.  Pleonasmus.  Sowol  in  den  authentischen  werken  Gengenbachs  wie  in  T  und 
Na  macht  sich  das  bestreben  geltend  den  vers  durch  hinzufügung  an  sich  unwesent- 
licher Worte  zu  füllen.     Dahin  gehört: 

a)  Die  wideraufnahme  des  subjects  durch  das  demonstrativprononien:  w.  F  65, 
B  72,  Jud.  79.  151.  501,  xAlt.  49,  N  337.  637,  G  473.  591.  G58.  1123.  1201, 
Na  462.  567.  607.  709.  733.  889,  (§  325). 

b)  Die  wideraufnahme  des  objects  durch  djxs  demonstrativprononien:  Jud.  165, 
xAlt.  425,    N  1223,    Na  27,    (§325). 

c)  Die  hinzufüguug  eines  do:  B  183,  G  431  u.  ö..  Na  326.  853.  901.  902, 
T  165,  (§  327). 

d)  Die  hinzufügung  eines  so:  w.F  282,  Jud.  167,  xAIt.  192.  26G.  400.  448, 
N  771,    G  1012.  1247,    T  14.  89.  161,    Na  305.  851.  970.  974,   (§  320). 

II.    Der  zusammengesetzte  satz.. 

9.  Zum  capitel  „ Coordination  von  sätzen"  ist  zu  bemerken,  dass  nach  ii>i(l 
häufig  die  Inversion  eintritt:  xAlt.  515.  655.  6G4,  N  35.  608,  G  249.  1074.  1199, 
T62,   Na  18,  (§  330,2). 

10.  Nebensätze,  von  coujunctioueu  eingeleitet: 

a)  und  in  der  bedeutung  als  findet  sich  Jud.  75.  180,  aber  auch  Na  41. 

b)  eb,  ob  =  ehe,  bevor  in  temporalsätzen:  G  253.  1230,  Na  984,  (Schsv.  Id.  I,  53). 

c)  umb  in  causalsätzen.  Dieser  gebrauch  ist  mir  sonst  nicht  bekannt  und 
darum  spricht  sein  vorkommen  auch  in  Na  sehr  stark  für  Gengenbachs  Verfasserschaft: 

w.F  65 f gg.  Der  (Macluibeus)  hat  sein  tag  groß  tugent  getan, 
Umb  er  nit  folget  Jorams  rot, 
Wardt  er  schandtlich  erschlagen  dot. 


224  KÖNIG 

Na  521  fg.    Darin  ich  tag  und  nacht  muß  sin, 
Umb  ich  dem  Luter  hieng  auch  an. 

d)  In  dersBlben  bedeiüung  findet  sich  auch  timb  das:  B  156,  x  Alt.  128.  130, 
in  finaler:  T20. 

e)  wie  für  daß  in  objectiven  ergänzungssätzen :  N  455.  1268,  Na  120. 

f)  In  der  bedeutung  des  zur  einführung  von  gegeusätzen  dienenden  während 
findet  sich  so:  x  Alt.  121,  N  770,  G  209.  744.  869,  T  190.  222,  Na  338.  354. 

1 1.  Ersparung.  Hier  ist  die  construction  des  «770  xoivoC  zu  erwähnen.  Sie  findet 
sich  z.  b.  B  95 :  Und  darnach  -von  der  boßheit  Cham 

Als  btiren  folck  den  Ursprung  nani, 

Hat  tinß  gebracht  in  dies e?i  Jon  (Schw.  Id.  III,  43) 

und  ebenso:  B  101  fgg.,  x  Alt.  25.  351  fg.  535  fg.,  N  556  fg. 
T  228  fgg. :       Got  in  dem  him£l  ich  das  klagen, 
Der  solicks  wol  ergelten  kan, 
Well  ain  mitleiden  mit  uns  han.     (§  385.) 

Eine  andere  art  von  uno  y.oivov  nach  Paul  §385,  1  liegt  vor  in  .lud.  102: 
Ich  weiß  ein  apt  ist  tvißheit  vol. 
w.  F135:       Ist  ein  spil  nitnt  nit  bald  end, 

auch  w.F  133,  oder  Na66:  Do  sitzt  ein  pfarrer  hat  böß  bein^  vgl.  auch  Na23.  65.  619. 

12.  Anomalien.  Nicht  gar  zu  häufig  finden  sich  anakoluthe .  N  450.  947 — 952. 
1136—40.  1231—33,  G  120,  Na  186  (§394). 

Endlich  sind  hier  zu  nennen  als  eine  gleichfalls  ziemlich  seltene,  und  darum 
für  die  beurteiluug  der  Verfasserschaft  von  T  und  Na  wichtige  erscheinung,  die  fälle, 
in  denen  die  durch  einen  eingeschobenen  satz  unterbrochene  construction  wider  auf- 
genommen wird.^ 

G  622 — 24:       Wärst  du  nit  gern  by  hiipschen  frowen, 

—  Kum  her  tmd  laß  dicJi  recht  beschowen  — 
Die  dir  frSid  kurtxwil  könten  machen. 

Ebenso  G  1192— 94,  N  1037 -39,  aber  auch 

T  42 — 45:       So  min  got  durch  sin  marter  hat 
Abgleit  all  unser  missethat 

—  Was  wollen  tvir  dan  tvieter  fragen  — 
Und  darxü  mir  den  gwalt  geben. 

Na  959/61:       Der  Murner  sprach,  wer  byst,  sag  an 

—  Ich  wenig  fründ  uff  erden  hau  — 
Oder  im  kumpst  du  doch  hie  harr. 

vgl  auch  Na  705—708  (§  396). 

2.  Stilistisches. 
Bei  erster  lectüre  der  Gengenbachschen  gedichte  mag  wol  der 
eindnick  entstehen,  dass  der  oft  so  nüchterne  pedaut  und  moralist,  als 
welcher  Gengenbach  uns  aus  den  meisten  seiner  spiele  entgegentritt, 
nun  und  nimmer  die  so  ausserordentlich  lebensvolle,  geistsprühende 
Novella  verfasst  haben  könne.  Man  verkennt  aber  bei  dieser  ansieht 
den  principiellen  unterschied  zwischen  den   beiden  dichtungsgattungen, 

1)  Vgl.  J.  Meier,  Literaturbl.  f.  germ.  u.  rom.  phil.  16,  260. 


PAMPHIUTS  GENGRNBACH  225 

der  durch  ihren  stoff  und  ihreu  zweck  gegeben  ist.  Die  meisten  der 
sicher  ecliten  Gengenbachsclien  gedichte  haben  in  erster  liiiie  eine 
stark  moralisierende  tendenz.  Daher  die  oft  so  ermüdende  aufzälilung 
von  beispielcn  aus  der  bibel  und  den  andern  oben  genannten  quellen. 
Sie  sollen  den  ermahnungen  mehr  naciidruck  geben  und  zur  nacheife- 
rung reizen.  Ganz  anders  die  Novella!  Hier  bedurfte  es  keiner  er- 
mahnungen, keiner  beispiole,  hier  galt  es  einen  gegner  zu  widerlegen 
in  eben  der  humorvollen,  geistreiciien  aber  derben  satire,  die  ihn 
selber  auszeichnete.  Einmal  haben  wir  auch  bei  Gengenbach  einen 
satirischen  angriff  persönlicher  art  kennen  gelernt,  er  galt  dem  betrü- 
gerischen, anmassenden  astrologen  L.  Fries.  Welch  trefflichen  humor, 
welch  guten  witz  hatte  Gengenbach  da  bewiesen!  Und  doch  handelte 
es  sich  dort  nur  um  Streitigkeiten  untergeordneter  art  und  um  einen 
gegner,  zu  dessen  bekämpfung  nicht  sonderlich  viel  geist  gehörte.  In 
Murner,  dessen  name  in  aller  munde,  dessen  satire  wegen  ihrer  schärfe 
gefürchtet  war,  galt  es  einen  ebenbürtigen,  vielleicht  überlegeneu  gegner 
zu  bekämpfen,  und  das  streitobject  war  das  grösste  problem  der  zeit: 
Luther  und  die  reformation.  Kein  wunder,  Avenn  er  hier  alles,  was 
ihm  an  witz  und  geist  zu  geböte  steht,  zusammenrafft  und  es  mit  der 
ganzen  leidenschaft,  deren  die  sache  v/ert  war,  und  mit  der  sprühenden 
frische  innerster  persönlicher  überzeugtheit  in  der  Novella  zusammen- 
fasste.  Das  ist  der  grosse  unterschied  des  Stoffes,  den  man  zu  wenig 
beachtet  hat:  die  stilistischen  mittel  sind,  das  möge  die  folgende  Zu- 
sammenstellung zeigen,  beidemal  dieselben. 

I.  Antithese.  Am  lebendigsten  und  wirksamsten  ist  dieses  kunstmittel  im  an- 
fang  des  Toten fressers  angewandt,  wo  dem  leben  Christi  in  grellem  contrast  dazu  die 
lebensfühi-ung  der  geistlichkeit  gegenübergestellt  wird.  Es  findet  sich  aber  auch  bei 
G.:  TTE4.Ö  — 49,  G20  — 25.  208/9.  264/5.  385/8.  578/4.  741/44,  T19  — 26.  27-38. 
221/224,  Na  206  — 16.  222  —  226.  330  —  332. 

II.  Die  anapher,  die  sich  teilweise  eng  mit  den  unter  I  genannten  asyndeti- 
schen Satzverbindungen  berührt,  findet  sich: 

N  745 :  Wirt  böser  dan  Joab  gwesen  ist, 

Sein  härtx  wirt  sein  voll  böser  list, 
Wirt  böser  dan  auch  was  Ächab  .  . . 
G  881/3:  Du  seilst,  wie  win  körn  soll  erfrieren 

Und  thetst  vyl  guter  lüt  verfüeren, 
Seilst  vyl  von  kelty  und  von  ryffen  . .  . 
vgl.  weiter  G  110/12.  579/80.  1195/6.  1200/2  und   durch  neun  verse   hindurch    x  Alt. 
617—625.     Ähnlich  häufig  aucii  T  19  —  24:   Got  hat  gefast  —,  hat  gläpi  — ,  In  demiit 
hat  er  geffirt  — ,  hat  unß  darby  . . . 

Xa30/1:  Du  weist  von  mir  jetx  scheiden  nit 

Und  ivelst  mit  mir  gon  heim  xu  huß. 

ZKlTSCHRIFt    F.   DKUTSCHE    PHILOLOGIE.       BD.   XXXVll.  15 


226  KÖNIG 

Xa  781/3:  Ich  mein,  ich  icelt  ima  Jetz  nit  sparn 

Ich  iril  mich  noch  baß  mit  im  krmven 
Und  teil  in  leren  nmrmmven. 
Vgl.  auch  Na  233  fg.  370  fg.  554  fg. 

III.  Schou  Goedeke'  bat  darauf  hiugewiesen,  dass  G.  eine  grosse  fülle 
formelhafter  Wendungen  gebraucht.  Diese  geben  zum  teil  auf  den  gehrauch  der 
meistersiuger  zurück,  sind  aber  auch  in  dicbtungeu  lehrhaft -didaktischen  inhalts  wol 
angebracht.  Dass  Gengenbach  in  ilirer  auwendung  zuweilen  das  rechte  mass  über- 
schreitet, kann  keinem  zweifcl  unterliegen.  Doch  lässt  sich  eine  gewisse  künstlerische 
entwicklung  in  dieser  hinsieht  bei  ihm  nicht  verkennen.  Die  Gauchmatt  zeigt  trotz 
ihrer  moralischen  tendenz  eine  beschräukung  im  gebrauch  dieser  formein.  In  dicb- 
tungeu vollends,  in  denen  das  didaktische  dement  zugunsten  des  erzählenden  zurück- 
tritt, wie  in  TTE,  Jud.  verschwinden  sie  fast  ganz.  Es  kann  deshalb  nicht  wunder 
nehmen',  wenn  wir  in  Na  nur  wenige  finden;  um  so  beachtenswerter  ist  es  aber,  dass 
wir  sie  finden. 

1.  Versfüllende  formelu.  Sie  sind  nur  in  den  sicheren  werken  G.s  zu  belegen: 
W.F91.  203,  Bll.  61.  105.  167,  TTE  lü.  79.  136.  138,  Jud.  99,  x  Alt.  117.  375.  459, 
N117.  321.  349.  606.  736.  831.  1026.  1135.  1145.  1212,  G  72.  205.  548. 

2.  Kürzere  formein.  Die  sicher  echten  gedichte  zeigen  sie  in  so  grosser  an- 
zahl,  dass  ich  nur  die  gesamtsumme  in  den  einzelnen  dichtungen  aufführe  und  auch 
diese  nur,  um  zu  zeigen,  dass  sie  einmal  in  den  ausgesprochen  didaktischen  gedichten 
wie  X  Alt.  und  N  überwiegen,  während  sie  in  lein  erzählenden  dichtungen  selten 
sind,  und  dass  G.  zum  andern  in  den  späteren  gedichten  von  ihrem  übermässigen 
gebrauch  abkommt:  w.  F  — ,  B  6,  TTE  1,  .lud.  3,  x  Alt.  19,  N  £9,  G  6,  T  19,  Na  131. 
174.  215.  332.  405.  846.  885.  1067. 

IV.  In  gewissen  formelhaften  Verbindungen,  wo  wir  heute  gern  die  copula  und 
der  engen  begrifflichen  Zusammengehörigkeit  der  einzelnen  glieder  w'egen  anwenden, 
wie  in  ,,wasser  und  brot",  „silber  und  gold",  liebt  G.  in  auffälliger  weise  das  asyn- 
deton:  für.sten,  herren  B  14;  Sem-  Juphet  78.  brassen  xere  TTE  42.  spotten  spiiucn 
Jud.  121^  vatter  mitter  x  Alt.  40;  rouhen  brennen  43;  füllen,  prassen  93;  fluchen, 
schweren  199;  grinen,  grannen  250;  schlahen  rouffen  252  (im  ganzen  26  fälle). 
Geistlich,  wältlich  N42;  fiirsten  herren  48;  ivitwen,  weysen  84;  jomer  qnel  300 
(21  fälle),  weiti  unkeüscheit  G39;  land  stat  81;  arm  rycli  122;  uffihü,  xfischließ 
172;  rupffen  rouffen  217  (19  fälle),  tvasser  brot  TlOl;  thantxen,  singen  12'6\  tcysen 
leren  162;  arbait  schmertxen  169;  münch  pfaffen  222.  enget  tüfel  Na  166;  hoffart 
gydt  219;  gedult  arniüt  300;  silber  gold  SS9 ;  Icimg  fiirsten 'SiQ;  brinnen  broten  ilö; 
küseh  rein  724;  böß  schandtlieh  338. 

Das  asyndeton  geht  sogar  über  zwei  worte  hinaus.  Dreigliederige  asyndeta 
haben  wir  anfang  mittel  cnd  w.  F  80.  TTE  =  Teuffei,  Engel,  Todt.  spylen,  xercn, 
prassen  x  Alt.  191.  lyb  gilt  eer  G82;  münch  pfaffen  mmnen  108.  tantxen  pfyff'en 
singen  T  134;  munch  pfaffen  nunnen  22Q ;  bannen,  brieff',  interdicieren  233.  Iceüsch 
rein  an  all  schalckheit  Na  724.  Viergliederige  asyndeta  endlich  finden  sich  nur: 
krum,  lam,  kropffrecht,  ungestalt  G  262. 

V.  Diese  neigung  zu  asyndetischer  Verbindung  überträgt  sich  auch  auf  ganze 
Sätze.  Es  ist  bei  Gengenbach  sowie  in  T  und  Na  ein  beliebtes  mittel  zur  belebung 
der  diction,  selbständige  haupt-  oder  mehrere  von  einem  hauptsatz  abhängige  neben- 

1)  S.  XXII  anm.  seiner  ausgäbe. 


PAMl'illLUS    GENGENBACH  227 

Sätze  asyudetiscli  aneinander  zu  fügen;    verstärkt   kann   das   asyndeton    noch  werden, 
wenn  das  subject  des  zweiten  satzes  ausgelassen  wird. 

1.  Hauptsätze. 

B  74 :  Gar  bald  Cham  sine  brüder  rieff, 

Zeigt  in  tvie  er  entbluset  was. 
B  79 :  Berfifft  er  sein  brüder  Sem  Japhet, 

Benedict  sie  all  beid  xü  der  stund. 
X  Alt.  823:  Erdtbidiimb  krieg  werden  wir  hon. 

Vyl  xeichen  sehen  in  sun  und  mon. 
N  226 :  Wirt  hon  ein  keyser  grosser  macht, 

Mit  im  bringen  volck  aller  handt, 
Grülich  als  gryffen,  merk  inich  recht. 
522:  Dem  teil  ich  all  xyt  ghorsam  sin 

Setxen  all  mein  hoffmmg  in  jn. 
G  1303:  Der  laß  vom  eebruch  ist  mein  rot, 

Lig  nit  din  wie  ein  su  jm  kot. 
Ganz  dieselbe  construction  finden  wir 

T123:  So  begond  icir  sie  mit  thantxen  singen, 

On  alle  sorg  im  haiiß  timbsjjringen. 
148:  Und  stifften  jarxyt  mit  vyl  müssen, 

Thetten  der  armen  gantx  vergessen, 
Deß  nächsten  lieb  achten  ivir  nyt. 
oder  Xa  105:  Er  hat  schier  gantx  Teutschland  verfürt, 

Manchem  gemacht  den  seckel  lycht. 
140:  Uf  ablassung  der  sünd  halten  sy  nüt. 

Sprächen  es  geschäch  als  umb  den  gydt. 
152:  Also  hat  sie  der  müncJi  terkert, 

Sie  gantx  ein  nüwen  glouben  giert. 
223:  Der  muß  all  xytlich  bgierd  verton 

Der  ivält  absterben  innerlich. 
Beispiele  finden  sich  auch  sonst  in  ziemlicher  fülle:  w.  F44/5.  82/3.  157/58.  169/70, 
X  Alt.  215/19.  457/.58,  N  278/82.  566/67.  583/84.  599/600.  678/79.  702/3.  966/67. 
1010/11.  1450/51,  G  24.5/46.  366/67.  387/88.  845/46.  848/49.  1012/13. 1062/63.  1081/82. 
1140/41.  1213/14,  T  19/21.  23/24.  33/35,  Na  39/40.  340/41.  342/43.  431/32.  556/57. 
597/98.  648/49.  672/73.  700/4.  752/53.  770/71.  773/75.  900/2.  1048/49.  1058/59. 

2.  Nebensätze. 

w.  F183:  Regieren  der  groß  adler 

Der  ßicgen  wirt  aus  teütschem  land, 

Bringen  mit  im  volk  aller  hand. 
N  205 :  Das  kind 

Das  jn  jm  kein  gotx  forcht  ivirt  han, 

Von  occident  mit  gwalt  ußgan. 

Ziehen  gen  Rom  mit  grosser  macht. 
N308:  Biß  Machabeus  offenbar 

Die  priesterschafft  gantx  reformiert, 

Den  tempel  gottes  wieder  xiert. 

15* 


228  KÖNIG 

N  325 :  Die  geistlichen  ivirt  er  erschrecken, 

Das  sie  jr  krönen  werden  deckeii, 
fliehen  jn  barg  und  ouch  jn  tal. 
G  983 :  Kondstu  im  Astrolabium  nit  finden, 

Das  dich   Venus  iburd  überwinden, 
Uß  dir  ein  gouch  und  esel  machen  .  . . 
G  1271 :  Das  ich  euch  grossen  dank  sSll  sagen. 

Das  ir  sie  so  empfangen  haben, 
So  fleißlich  sind  ufft  gouchmat  kumen. 
Weitere  beispiele:  N  341/42.  570/71.587/88.702/3.  738/39.  996/97.1010/11,  G  286/87. 
295/96,  aber  auch 

T  5 :  Wan  ich  den  givalt  von  Christo  han, 

Die  sund  zvei  geben  hie  und  dort, 
Auß  der  pyn  erlosen  mit  eim  wort. 
T24:  Hat  uiiß  darby  ein  byspil  geben, 

Das  ivir  sollen  tyrannesieren 
Einen  grossen  bracht  aiiff  erdtreich  füren. 
T  51 .  Und  ouch  darzü  die  alten  man. 

Das  sie  das  ir  als  hencken  dran, 
Stifften  groß  jor  xyt  und  ryl  müssen. 
Na  160:  Das  er  den  engten  im  himmel  hab 

Zu  gebieten,  sie  zwingen  herab. 
460 :  Das  er  jm  seit  tvär  er  doch  war, 

Auß  was  ursach  er  kam  do  här. 
Weitere  beispiele:  T  78/80,  Xa  233/34.  274/75.  307/9.  516/17.  940/41. 
Auch  reiüibrechungen  sind  mittel  des  stils,  s.  darüber  unten. 
Diesen   berührungen    syntaktischer    und    stilistischer  art    zwischen    den    sicher 
beglaubigten   werken   Gengenbachs  und   T  Na  entsprechen    eine  reihe    teils    wörtlich         i 
übereinstimmender,  teils  in  wort  und  gedanken  stark  anklingender  parallelstellen,  die         p 
ich  im  folgenden  aufführe. 

3.  Parallelen. 

1.  Parallelen  zwischen  Gengenbach  und  Novella. 

X  Alt.  209    Und  macht  7nir  tag  und  nacht  gfä  Na    33  Ich  wil  dir  machen  gilt  gcschier. 
gschier 

G156  Das  ich  mich  nim  ermren  mag  Na    98  Ich  mag  mich  schier  nit  me  erneren 

G  1106  Sein  seckel  ist  im  ivorden  lycht  Na  106  Manchem  gmacht  den  seckel  lycht. 

X  Alt.  723  Dasselb  ich  tvorlich  wol  entpfind  Na  114  Dann  ich  dasselb  gar  wol  empfind 

G271  Din  lieb  bricht  mir  gar  dick  den  Na  128   Und    brächen    tag    und   nacht    den 

schloff  schloff. 

N  516  Die  meinen  thetten  mich  vernüteji  Na  150  Den  pabst  thünd  sie  auch  gantx  ver- 

nüten 

Jud.  178  Der  sach  bin  ich  gar  vil  %ü  schlecht  Na  180  Du  bist  den  sachen  vgl  xü  schlucht. 

G  871  Ich  wolt  dir  noch  gar  vgl  me  sagen  Na  185  Ich  wolt  dir  noch  wol  sagen  me 

G  774  Ich  hah  mein  tag  so  ryl  gstudiert  Na  188  Du  hast  din  tag   nit  vil  gstudiert 

(:  verfürt)  (:  verfürt) 

N  1488  Das  sies  für  tibel  lialten  nit  Na  191    Und  soll  mirs  nit  für  übel  haben. 

G  298  So  kann  er  sichindsachwol  schicken  Na  230  Er  schickt  sich  wol  als  fein  ind  sach. 


l 


PAMPUILUS    GKNGEXBACH 


229 


X  Alt.  517 

G  1051 

G917 

.lud.  178 

TTE.62 

N898 

TTE  124 


G570 

G  993 

TTE  74 
G590 


Was  icolt  ich  dann  nüices  fohen  an 
Nun  (jast  dn  täglich  uff  der  grub 
Der  Bibel  tvolt  ich  trol  geschwigen 
Ist  für  gangen  in  kurtxen  tagen 
Dadurch  kompt  er  in  grosse  not 
Deß  der  von  Rabenstein  kam  in  not 
darin  braten  und  brinne?i  (der  reim 

verlangt  wol  mit  dem  alten  druck 

[vgl.   Goedeke,    P.  G.  s.  441  fg.] 

brinncn) 
]Virst  haben  tag  utul  )iacht  kein 

rast 
Wir   )nöchten  vor  jn  nit  beliben 

(vgl.  N908,  G214.  258) 
Unser  sach  ?7iüß  uerden  gid 
Venus  darumb  d&rfft  ir  nit  sorgen 


G  255  Du  icirst  gar  tvol  fraw  Venus  filg 
(vgl.  auch  G518.  1105) 
Jud.  79  Der  schmid  der  sumbt  sich  do  nit 

latig. 
G  1196   Und  u'il  dir  der  fraw  Venus  geben 
N  1244  Ich  teils  auch  also  lassen  blibcn 
N  1424   Wan  wir  gepinget  sind  so  hart 
G  516  Der  gouchmat  iian  ich  ouch  genug 
G  838  Der  so  vgl  leut  ihfä  iriderdrirß. 


Na  257  Was  wolt  der  bapst  erst  fohen  an 
Na  259  Und  godt  all  tag  jetx  uff  der  grüben 
Na  384  Ich  wil  der  jn  dem  trog  geschwigen 
Na  421  Die  do  kurtxlich  ist  gangen  für. 

{ Na  439  Dcß  er  kam  in  so  grosse  not. 

Na  484   Und  brinnen  broten  tag  und  nackt 


Na  575    Weder  tag  und  nacht  ha>i  ich  kein 

rast. 
Na  048    Vor  im  auch  keiner  mag  beliben. 

Na  661  Er  sprach  die  such  toirt  iverden  gut. 
Na  688  Der  pfarrer  sprach  du  darffst  nit 

sorgen 
Na  739  So  war  ich  gar  wol  üwer  füg. 

Na  754  Der   meßner    siimpt    sich    do    nit 

lang. 
Na  794  Ich  tvil  im   deß  Murmawens  geben 
Na  882  Dasselb  ich  dannjetxund  laß  bliben 
Na  931  Die  mich  allxyt  pingen  so  hart. 
Na  1005  Der  pfarrer  sprach  ichhan  singenüg 
Na  1020  Daß  er  mir  thü  keiti  widerdrieß. 


2.  Parallelen  zwischen  Novella  und  Totenfresser. 


Na  156  Der  pabsf  hab  }iit  gwalt  dsünd  ver- 
geben 
Na  295  Die  sünd  xverxiehcn  hie  und  dort 
Na  158  Die  schlüssel  xbinden  und  entbinden 
Na  312  Soll  ich  nun  geläben  einer  pfründ 
Na  306/7  Der  Luter  lert  jetx  auch  die  lüt 
Wir  sollen  wied  apostlen  laben. 


T  5/6    Wan  ich  (der  pabst)  den   gicalt   von 
Christo  han 
Die  sünd  xvergeben  hie  und  dort. 
T  45    Zu  binden  uml  entbinden 
T  69    Hat  ich  ietx  nit  dry  guter  pfründ. 
T  78/79  Der  Lüter  thiä  ein  new  leer  geben 
Wir  sollen  wie  die  apostlen  leben. 


Zusammenfassung. 
Wenn  die  sprachliehe  Untersuchung  und  vergleichung  trotz  aller 
überraschenden  Übereinstimmungen  mit  Sicherheit  vielleiclit  nur  zu  dem 
resultat  führen  konnte,  dass  T  und  Na  in  demselben  dialekte,  vielleicht 
sogar  an  demselben  orte,  wo  Gongenbachs  gedichte  entstanden  sind, 
gedichtet  sein  müssen,  so  zwingt  die  vorstehende  Untersuchung,  diesen 
kreis  zu  beschränken.  Wir  haben  in  T  und  Na  keine  charakteristische 
crschcinung  auf  dem  gebiete  der  syntax  und  Stilistik  gefunden,  die  ihre 
ontsprechung  nicht  auch  bei  Gengenbach  hätte,  müsston  also  zum  min- 
desten  annehmen,    dass    der  Verfasser   von  T  und  Na  in  Gongenbachs 


230  KÖNIG 

Umgebung  gelebt  und  an  seinem  stil  sich  gebildet  hätte.  Diese  abhän- 
gigkeit  müsste  eine  sehr  weitgehende  sein,  da  sie  sich  auch  auf  er- 
scheinungen  erstreckt,  die  sich  sonst  gar  nicht  oder  nur  selten  nach- 
weisen lassen,  wie  der  gebrauch  von  umb  in  der  bedeutung  ,, darum 
dass",  oder  wie  die  unter  „anomalien"  aufgeführte  eigentümlichkeit, 
die  construction  ohne  rücksicht  auf  einen  sie  unterbrechenden  satz  fort- 
zuführen. Angesichts  der  parallelstellen  vollends  wird  diese  beein- 
flussung  durch  Gengenbach  ganz  besonders  auffällig.  Man  wird  aber 
zugeben,  dass  diese  ganze  annähme  nicht  gerade  wahrscheinlich  ist. 
Wir  stünden  dann  vor  der  tatsache,  dass  der  hervorragendere  dichter 
sieh  ah  dem  stil  des  mind erbegabten  gebildet  hätte,  und  das  ist  um  so 
weniger  glaubhaft,  je  verschiedener  die  Stoffe  und  dichtungen  selbst 
sind.  Dass  andererseits  Gengenbach  sich  selbst  entlehnt,  lehren  zahl- 
reiche stellen,  beweisen  aber  auch  die  angeführten  parallelen  zwi- 
schen a.  E  und  Nollhart.  So  wird  man  die  möglichkeit  und  angesichts 
der  parallelen  die  Wahrscheinlichkeit  der  annähme  zugeben,  dass  Gen- 
genbach auch  der  Verfasser  der  Novella  und  wegen  der  parallelen  zwi- 
schen Novella  und  Totenfresser  anch  der  der  Totenfresser  ist.  Diese 
annähme  kann  durch  die  betrachtung  der  metrik  nur  an  Wahrschein- 
lichkeit gewinnen. 

Capitel  IV. 
Zur  metrik  Gengenbaclis ,  der  Toteiifresser  uiitl  der  Novelia. 

Der  aasgangspunkt  der  ersten  versuche  zur  ermittelang  der 
rhythmik  der  kurzen  reimpaare  des  16.  jhs.  war,  wie  bei  der  fülle  des 
zur  Verfügung  stehenden  materials  nicht  anders  zu  erwarten,  Hans 
Sachs.  Mit  der  feststellung  des  für  ihn  massgeblichen  rhythmischen 
princips  glaubte  man  den  Schlüssel  für  die  metrik  des  gesamten  16.  jhs. 
gefunden  zu  haben.  Nenere  specialnntersuchungen  einzelner  dichter, 
wie  Fischarts  oder  Murners,  die  Zusammenstellungen  Helms,  haben  das 
irrige  dieser  annähme  erwiesen.  Dies  resultat  war  an  sich  schon  wahr- 
scheinlich bei  der  Verschiedenheit  der  socialen  Stellung  und  des  grades 
der  gelehrten  bildung  zwischen  dichtem  wie  H.  Sachs  einer-  und  Scheit, 
Erasmus  Alberus,  Fischart  andererseits.  Für  diese  dichter  kommt  das 
Vorbild  des  gelehrten  humanisten  Seb.  Brant  weit  mehr  in  betracht. 

Dass  H.  Sachs  auch  für  Gengenbach  nicht  massgebend  gewesen 
sein  kann,  ergibt  sich  schon  aus  chronologischen  gründen:  steht  er  doch 
schon  auf  der  höhe  seines  dichterischen  Schaffens,  als  H.  Sachs  sein 
erstes  fastnachtspiel  erscheinen  lässt.  Da  er  nun  auch  von  Seb.  Brant 
zwar  beeinflusst,  aber  nicht  unbedingt  abhängig  ist,  so  wird  die  analyse 


I'AMPHILÜS    GEXGK.NnACH  231 

seiner  metrik,  die   im  rahmen  der  vorliogonden    arbeit    nur   mittel    zum 
zweck  sein  will,  als  ein  bescheidener  beitrag  zur  lösung  des  pi'oblems, 
das  die  rhythmik  der  reimpaare  des  16,  jhs.  nach  wie  vor  bietet,  eben 
j         darin  auch  ihren  selbständigen  wert  haben. 

1.    Das  rhythmische  princip. 

Im  streit  der  verschiedenen  ansichten  über  das  rhytlimische  princip 
der  reimpaare  des  16.  jhs.  ist  man  im  allgemeinen  in  der  annähme 
einig,  dass  die  silbenzahl  (bei  männlichem  versausgang  8,  bei  weib- 
lichem 9  Silben)  constant  sei.  Gerade  diese  constanz  der  silbenzaiil 
dürfte  in  erster  linie  auf  das  vorbild  Seb.  ßrants  zurückzuführen  sein, 
der  sie  zum  ersten  mal  consequent  durchführte  und  damit  bei  seinen 
Zeitgenossen  aufsehen  erregte.^  Das  beispiel  Gengenbachs  zeigt  nun 
aber,  dass  man  auch  damit  nicht  ohne  weiteres  rechnen  darf.  Eine 
grosse  zahl  von  versen  hat  nämlich  bei  ihm  teils  weniger  (bis  6),  teils 
mehr  (bis  12)  silben,  als  dies  princip  verlangt. 

Wenn  ich  zunächst  von  den  versen  mit  zu  viel  silben  handele,  so 
scheide  ich  dabei  die  recht  beträchtliche  zahl  solcher  verse  aus,  die 
sich  durch  synkope,  apokope,  anschleifung  des  artikels  Usw.  auf  die 
geforderte  silbenzahl  bringen  lassen.  Ich  sehe  vorläufig  auch  ab  von 
den  versen,  die  eigennamen  enthalten,  um  in  einem  besonderen  abschnitt 
darüber  zu  handeln,  möchte  aber  gleich  hier  bemerken,  dass  die  grösste 
zahl  solcher  verse  mit  eigennamen  die  gewöhnliche  silbenzahl  über- 
schreitet, lind  weise  darauf  hin,  dass  diese  erscheinung  bei  einem 
dichter,  dessen  metrisches  princip  die  silbenzählung  sein  soll,  doch 
immerhin  auffällig  wäre.- 

A.  Verse  mit  zu  viel  silbea. 
E.s  bleiben  zahlreiche  überzählige  verse,  die  lieinen  eigenuamen  enthalten 
und  sich  nicht  durch  correctur  auf  die  erforderliche  silbenzahl  bringen  lassen.  Denn 
das  muss  festgehalten  werden,  dass  sich  in  den  Gengenbachschen  spruchgedichten  kein 
ansatz  zu  der  sehr  gewaltsamen  synkope  des  e  in  ver-  findet.'  Unter  den  überzäh- 
ligen versen  lassen  sich  einige  gruppen  aufstellen : 

I.    B  178:       Int  verlorn  all  küt  die  man  do  hat 
X  Alt.  249 :       Do  entpfilndt  ich  mit  dann  ach  und  we 
318:       Wer  versteinget  nit  worlich  mir  glonb 

1)  Vgl.  Zarncke  a.  a.  o.  s.  289;  Saran  151. 

2)  Auf  ein  versehen  des  dichters  oder  des  setzers  zurückzuführen  sind   wol: 

G  658  Priamus  der  kam  [sein]  um  das  rieh. 
X  Alt  39    Ubermiäiy,  liofferlig  und  [auch]  schicercn 
165   Vater  imd  müter  [bößlich]  das  ir  ver^eren. 


232  KÖNIG 

N480:  Ich  verkünd  dir  ding  sind  worlieh  groß 

1004:  Ich  verstände  tvol  inerck  und  erkenn 

1491 :  -  Und  entsprüngt  draus  mit  dann  nyd  und  haß 

X  Alt.  399 :  An  vernunfft  iveißhait  solt  ich  xü  nämen 

N608:  Und  regiert  der  Endtchrist  dann  uff  erden 
uud  auch 

T  67 :  Ich  engilt  sxjr  tüfelischen  leer 

162:  Du  erkenst  allein  all  ai'hait  schmärtxen. 

II.  X  Alt.  400:  Vor  der  ivält  sn  muß  ich  mich  erst  schämen 

590:  Der  on  bgcht  u)/d  büß  ist  gächling  gstorhen 

N738:  Wan  ein  küng  on  runzeln  wirt  uffstan. 

1159:  Die  wyl  geistlich,  ■wältlich  arm  und  rych 

T7:  Auß  der  pyn  erlösen  tnif  eim  tcort. 

11:  Er  hat  got  hn  himel  und  mich  geschant 

Na  675:  In  der  Müllerin  von  Schivindelßheim 

867:  Do  ichs  Luters  dochter  xkilehen  fürt. 

1021:  Das  ich  im  so  herrlich  volgen  ließ. 

III.  B187:  Unghorsami  got  ungstrofft  nit  lot 

X  Alt.  383:       Durch  unküscheit  ließ  got  dwelt  7.ergon 

743:       On  anfechtung,  kranckheit  merck  mich  eben. 

Alle  diese  verse  haben  eine  silbe  zuviel,  ohne  dass  man  mit  der  mög- 
lichkeit  eines  druckfehlers  oder  der  Wahrscheinlichkeit  einer  synkope  usw. 
rechnen  könnte.  Zunächst  gruppe  I.  Hier  beginnen  alle  verse  mit  zwei 
ganz  leichten  silben,  über  die  der  vortragende  leicht  hinwegeilt,  um 
auf  die  ihnen  unmittelbar  folgende  hauptsilbe  zu  kommen.  Hierin 
beruht  oifenbar  ihre  Unregelmässigkeit,  d.  h.  Gengenbach  kennt  in  diesen 
fällen  zweisilbige  eingangssenkung  (auftact).  Dies  zugegeben,  geht  der 
vers  tadellos  weiter  und  wir  dürfen  im  besitz  dieser  erkenntnis  nicht 
nur  in  den  ebengenannten  versen  so  lesen,  sondern  auch  in  denjenigen, 
die  denselben  eingang  haben,  im  übrigen  aber  durch  correctur  leichter 
auf  die  normale  silbenzahl  gebracht  werden  könnten.  Das  dürfen  wir 
um  so  eher,  als  naturgemäss  diejenige  erklärung  den  meisten  ansprach 
auf  Wahrscheinlichkeit  hat,  die  mit  dem  verse,  wie  er  vorliegt,  aus- 
zukommen vermag,  ohne  auf  mehr  oder  minder  willkürliche  emenda- 
tionen  angewiesen  zu  sein.  Dazu  kommt,  dass  eben  diese  verse  durch 
annähme  von  Synkopen  ziemlich  ungeschickt  und  schwerfällig  werden, 
während  sie  mit  zweisilbiger  eingangssenkung  ohne  anstoss  gelesen 
wei-den  können.  Nach  diesen  erwägungen  dürfen  wir  zu  gruppe  I  noch 
die  folgenden  verse  stellen:  w.F  147  (eben),  B  159,  xAlt.  408.  498.  530, 
Na  748  (geistlicher).  806.  1387,  G  817.  886,  T  46.  50.  115.  123,  Na  11. 
161.  261.  300.  457. 

Etwas  anders  liegen  die  Verhältnisse  bei  gruppe  II,  aber  bedenken 
mit  zweisilbigem  auftact  zu  lesen,  gibt  es  auch  hier  nicht.     Auch  hier 


PAMPHILUS    GKNGENBACH  233 

sind  die  beiden  silbeu  gänzlich  unbetont  und  leicht,  und  auch  hier 
folgt  ihnen  eine  ziemlich  schwer  betonte,  auf  die  der  ton  zustrebt. 

Bei  gruppe  III  ist  eine  andere  lesung  als  mit  zweisilbiger  ein- 
gangssenkung  gar  nicht  möglich,  die  Schwierigkeit  ist  hier  nur  die,  dass 
die  lesung  mit  zweisilbiger  eingangssenkuug  eine  tonversetzung  zur  folge 
hat.  Das  bedenken  fällt  jedoch  weg,  da  in  solchen  nominalcompositis 
fast  stets  tonversetzung  eintritt  (s.  unten). 

Jedesfalls  haben  wir  in  all  diesen  fällen  eine  Überschreitung  der 
normalen  silbenzahl  vor  uns.  Diese  tatsache  wäre  angesichts  der  typi- 
schen regelmässigkeit  der  fälle  immerhin  auffällig.  Die  silbenzahl  bleibt 
aber  zuweilen  auch  hinter  8  resp.  9  silben  zurück. 

B.   Verse  mit   zu   weuig   silben. 
Auch  hier  lassen  sich  zunächst  wider  einige  versgruppen  aufstellen. 

I.  Verse  mit  7  silben: 

X  Alt.  43:  Rouben,  brennen  ist  dann  recht 

52:  Nyd,  haß  und  unfertig  gilt 

163:  Spilen,  prassen,  frulich  sin. 

N407:  Mailand,  Najjels,  Franekenreich 

611:  Sckmeichlen,  strichen  mir  wol  rjfalt 

G  105:  Tag  und  nacht  frü  und  oiich  spat 

107:  Fürsten,  herren  arm  und  rieh 

123:  Krum,  lam  kröpf feeht  ungestalt. 

361 :  Win  und  brot  trag  heimlieh  uß 

507:  Wib  und  kind  ficht  er  nit  an 

461:  Wib  tcnd  kind  ivil  ich  Verlan 

()11:  Hnß  imd  Iiof  ficht  er  nit  an  usw. 

G  903.  904.  12G6.  467.  .521.  839,    xAlt.  429,    N  6.  281.  780.  1039  und  ebenfalls 
Na 81:  Geistlich,  ivältlich  iccib  und  man. 

Die  Unregelmässigkeit  besteht  wie  bei  den  versen  mit  zu  viel  silben  auch  hier  im 
eingang  des  verses;  dort  hatten  wir  zwei  besonders  leichte,  hier  haben  wir  eine  be- 
sonders schwere  silbo  im  eingang  des  verses,  dazu  enthalten  alle  verse  mehr  oder 
minder  umfangreiche  aufzählungen.  In  diesen  fällen  bildet  also  Gengenbach  und 
ebeuso  Na  auftactlose,  trochäische  verse. 

Knecht.,  mägt,  die  kinder  ouch 
Hcmbd  schleiar  stürtx  und  stuchen 
Münch  legen  und  ouch  pfaffen 
Klein,  groß  ivia  mans  ivil  haben 
.hing,  alt  münch  und  pfaffen 
Verlürt  sin  lyb  eer  u?id  gut. 
Sie  sigen  jung  oder  all 
Sie  sgen  arm  oder  rieh. 

Die  verso  unter  IIa  sind  nach  der  theorie  der  silbeuzählung  um  2  resp.  3,  die 
unter  IIb  und  c  um  eine  sil'oe  zu  kurz.     Die  verse  unter  IIa  enthalten  aufzählungen, 


IIa. 

xAlt.  725 

G643 

867 

1282 

1293 

IIb. 

B18 

IIc. 

G  148 

330 

234  KÖNIG 

und  wenn  Geugenbach  hier  den  ausfall  der  seukiingen  sowol  im  eingang  als  im  inneren 
des  verses  eintreten  lässt,  so  steht  er  damit  ganz  auf  dem  boden  der  guten  mhd. 
metrilv^     Ein  vers  wie  G  867 

Münch  leyen  und  ouch  j)faff^>i 
unterscheidet  sich  in  nichts  von  einem  gut  mhd.  verse. 

Das  gleiche  gilt  von  dem  verse  unter  IIb,  nur  dass  hier  der  Senkungsausfall 
nicht  auch  im  eingang,  sondern  nur  im  inneren  des  verses  stattfindet. 

Auch  mit  den  beiden  unter  II  c  genannten  versen  unterscheidet  sich  Gengen- 
bach durchaus  nicht  von  gut  mhd.  dichtem,  denn  ein  vers  wie 

Sie  sigen  jung  oder  alt 
steht  auf  derselben  stufe  wie  der  folgende 

sj^rach  do  man  iinde  uip-. 
Gerade  in  formelhaften  Wendungen  ist  bei  mhd.  dichtem  oft  ausfall  der  Senkung  zu 
constatieren. 

Abgesehen  von  den  eben  aufgeführten  fällen  fehlender  Senkung  bei  aufzähluugen 
und  formelhaften  Wendungen,  lassen  sich  noch  andere  gruppen  mit  trochäischem  ein- 
gang aufstellen. 

Zu  gruppe  III  würden  gehören  B  61,  Pr.  14,  Alt.  290.  305.  311.  314.  360. 
443.  544,  N322.  583.  616.  875,   G  796.  820.  965.  1237. 

Um  das  gemeinsame  dieser  verse  zu  erkennen,  muss  man  die  uächstvorher- 
gehenden  mitlesen.  Bei  allen  handelt  es  sich  um  den  wirkungsvollen  abschluss  oder 
beginn  eines  abschnittes.  Ein  beispiel:  B  61.  Der  dichter  bemüht  sich  in  längerer 
rede  darzulegen,  warum  man  sich  der  priesterschaft,  auch  der  sündigenden,  unter- 
ordnen soll.  Er  hat  schon  mehrere  argumente  dafür  angeführt  und  fahrt  nun  nach- 
drücklich fort:  Witer  solt  ouch  mercken  meer. 

Ganz  ähnlich  liegen  die  dinge  Na  399.  Eine  ganze  reihe  von  büchern  hat  der 
pfarrer  schon  angeführt,  aber  das  beste  und  für  den  verlauf  der  erzählung  wichtigste 
kommt  noch:  Oüch  han  ich  den  Murner 

oder:  xAlt.  290  zählt  der  30jährige  seine  Schandtaten  auf  und  schliesst  dann 

Höppo  hau  das  ist  mein  wesen, 
und  Na  800  gewichtig  vom  Karsthans  am  schluss  der  erörterungen 

Ist  bi  got  in  sinem  rieh. 
N  616  und  sonst  wird  so  der  anfang  der  rede  einer  neuen  person  eingeführt,  die  eine 
andere  im  vocativ  anredet.     Genau  so  G  1022.    Wenn   man  den  gesichtspunkt   nach- 
drücklicher hervorhebung  aufstellt,   dann  kan  man  hierher  auch  rechnen:   Illb  xAlt. 
443,  G  66,  vor  allem  N  249.  1029.     Hierher  gehört  aus  Na  1034.  1078. 

Eine  IV.  gruppe  würden  die  sowol  bei  Gengenbach  als  in  T  und  Na  zu  be- 
legenden fälle  bilden,  in  denen  metrisch  leicht  der  auftactlose  vers  sich  an  weiblichen 
versausgang  anschliesst:  xAlt.  305.  544,  N  250.  335.  345.  1029.  1245,  G  1194.  1290, 
T  196,  Na  386.  771.  838.  861.  Dass  sich  von  hier  aus  der  auftactlose  vers  schliess- 
lich auch  auf  fälle  überträgt,  die  nicht  irgend  welche  stilistische  feinheit  auszeichnet, 
liegt  sehr  nahe.  Beispiele:  w.F  135,  B  21.  29,  xAlt.  380.  443,  N  32.  90.  222.  345. 
583.  971.  1014  (wenn  nicht  mit  distraction  Mo-gsen  zu  lesen  sein  wird)  1078,  G  313. 
541.  802.  878.  952.  981.  1137.  1194,  T  161.  231,  Na  397.  532.  581.  729.  762. 
797.  1011.  1089. 

1)  Kauffmaun,  Deutsche  metrik  §  136,  4, 

2)  Ebenda  §  136,  5. 


PAMPHILUS    GENGENBACII 


235 


Es  bleibt  noch  eine  letzte  gvuppe  von  versen  übrig,  die  ich  im  folgenden  aufführe: 
V.  w.  F181:  Regieren  der  groß  adler 

X  Alt.  153:  Was  mag  dann  thän  der  jüngliiig 

283:  So  wird  ick  erst  zum  kriegsvian 

N  965 :  Bedeuten  siben  küngreich 

978:  Oi(ch  xivölf  mächtiger  küngreich 

1330:  Du  seist  des  Endtchrists  vorbot 

1379:  Sog  mir  ican  kumpt  der  Endtchrist^ 

G  137 :  Die  bräger  uff  dem  tärich 

142:  Darxü  oiwh  gugelfräntxin 

308:  Biß  im  vergond  die  gouchshor 

391 :  Die  ivil  du  bist  ein  eeman 

497:  Kum  har  mein  lieber  cernan 

567:  Du  bist  ein  armer  kriegsman   . 

1200:  Ich  wil  dir  gen  der  bfdschaft 

G1138:  Mit  iren  schönen  junckfratcen. 

Das  charakteristische  dieser  verse  sind  die  beiden  unmittelbar  uebeneiuander- 
stehendeti  schweren  silben  am  schluss^  des  verses.  Die  beiden  silben  gehören  in 
allen  fällen  coniponierten  werten  an  oder  solchen  mit  schwerer  ableitungssilbe. 

Auch  hiermit  steht  Gengenbach  wider  auf  dem  boden  der  alten  verskunst,  denn 
in  solchen  fällen  war  auch  in  mhd.  zeit  ausfall  der  Senkung  häufig^. 

Höchst  auffällig    und  von    nicht  zu    unterschätzender  bedeutung  ist    nun  das 
vorkommen  dieser  für  Gengenbach  charakteristischen  verse  auch  in  Na: 
235     Uff  das  anticort  der  meßner 
399     Ouch  han  ich  den  Murner 

498  Der  meßner  sprach  herr  pfarrer 

499  Schicken  bald  nach  dem  meyer 
642     Er  heißt  der  doktor  Murner 
657     Oder  ein  ander  bürlin 

677     Er  ist  allxyt  ein  mittler 
711     //•.  schaffen  neilt  herr  pfarrer 
731      Und  tvider  uff  den  samstag 
831      Und  hätten  trimcken  landtwin 
869     Hieß  sie  mich  bald  ein  juff  kind 
886     Es  ist  morn  wider  samstag. 
907     Ad  hoc  respondit  meßner 

1077  Der  meßner  sprach  herr  pfarrer   ' 

1078  Wo  ist  nun  der  Murner  ^ 

783     Und  teil  in  leren  nmrmawen^. 
Na  234  liegt  klingender  reim  vor,  lies  sollen. 


1)  Diese  form  der  Volksetymologie   ist  für  das   IG.  jhd.  charakteristisch,   man 
darf  daher  nicht  etwa  'Endtechrist'  conjicieren  (vgl.  Schw.  Id.  3,  867). 

2)  Zweimal  auch  im  Innern  des  Wortes-: 

G369:  Diß  gouchfedcr  ich  dir  schenk 

555 :  Mit  iren  jihick frönen  schon. 

3)  Vgl.  Kauffmaun  a.a.O.,  §  136,2. 

4)  Eine  ausnähme  machtNa5lO  Dcß  mir  gybt  xeügnuß  der  meßner.  Vgl.ob.Na499. 

5)  Ähnliehe    fälle  weist    für    Fischart    Englert    s.  72    nach,    vgl.   auch    Kraus, 
Zs.  f.  d.  a.  47,  314  für  die  mhd.  zeit. 


236  KÖNIG 

Also  auch  hier  fehlt  die  seukuug  innerhalb  eines  componierten  oder  mit  schwerer 
ableitungssilbe  gebildeten  Wortes.  Hatten  wir  nun  schon  bei  Gengenbach  gesehen, 
dass  die  worte,  in  denen  senkungsausfall  vor  dei'  reimsilbe  eintrat,  in  sehr  vielen 
fällen  in  N  oder  G  die  t)äger  der  hauptliaudlung  kennzeichnen,  die  durch  diese  art 
der  metrischen  behandlung  und  ihre  Stellung  im  reim  besonders  hervorgehoben  werden 
sollen,  so  finden  wir  dasselbe  bestreben  auch  in  der  Novella.  Stand  dort  bald  der 
eeuiann,  der  jüngliug,  der  kriegsman,  die  Venus  und  ihre  junckfrowen  bald  der  Endt- 
christ  und  sein  vorbot  im  Vordergrund  des  iuteresses,  so  spielen  in  der  Novella  der 
messner,  der  Murner,  der  pfarrer  die  erste  rolle  und  wie  dort,  so  treten  die  be- 
zeiclmungen  dieser  hauptträger  der  handlung  auch  hier  wirksam  in  den  reim.  Es 
liegt  auf  der  band,  dass  nur  die  endsilben  dieser  uamen  reimen  konnten,  da  sich 
solche  auf  die  ganzen  worte  schwerlich  finden  Hessen,  auch  ist  nicht  zu  übersehen,  dass 
sich  solche  reime  erst  da  finden ,  wo  eines  dieser  worte  in  den  reim  tritt.  So  und  nicht 
anders  sind  meines  erachtens  die  reime  auf -er  zu  beurteilen,  imd  sie  sind  von  diesem 
Standpunkt  aus  betrachtet  kein  kriterium,  das  gegen  Gengenbach,  sondern  eher  eines, 
das  für  ihn  spricht  ^  Schliesslich  ist  es  ja  auch  gar  nicht  richtig,  wenn  Singer  a.  a.  o., 
s.  156  solche  reime  auf  -er  als  bei  G.  unerhörte  bezeichnet.  In  w.F  181  haben  wir 
tatsächlich  einen  solchen  reim  vorliegen:  eer :  ddler,  vgl.  auch  dieselbe  wortform  im 
versinnern:  w.F  188,  N  435.  681.  685. 

Das  fehlen  der  letzten  Senkung  können  wir  gelegentlich  auch  da  beobachten, 
wo  es  sich  um  uneigentliche  verbalcomposition  handelt: 

X  Alt.  506:  Maneheyn  jetx,  und  gar  wol  tut 

N  224 :  Und  das  sechst  a  wird  üffstän. 

Und  auch  hierfür  lassen  sich  belege  aus  Na  beibringen. 
Na  358 :  Man  tvurd  niirs  heim  %ü  küß  trägen 

859:  Wir  ivellen  heim  xil  hüß  gän 

893:  Der  meßner  sich  härfür  mächt 

vielleicht  18:  Und  dic^nacht  tiit  so  schnell  här  trüng. 

Von  hier  aus  wird  das  fehlen  der  Senkung  am  versende  auch  begreiflich  in  fällen 
wie :         Na  420 :  Der  meßner  sprach  ein  moß  icin 

801 :  Der  Murner  sprach  nnn  pfü  dich 

936:  Warumb  du  müst  die  pin  hän^. 

Zu  kurz  ist  endHch  Na  788. 

Somit  bleibt  die  auffällige  tatsache,  dass  wir  sowol  bei  Gengen- 
bach  wie  in  T  und  Na  eine  grosse  anzahl  von  versen  haben,  in  denen 
'normale'  silbenzahl  entweder  überschritten  oder  nicht  erreicht  wird. 
In  beiden  fällen  lässt  sich  eine  genaue  gesetzmässigkeit  ihres  eintretens 
constatieren.  Ist  die  silbenzählung  für  G.  princip,  so  bleibt  die  un- 
genauigkeit  an  sich  ebenso  unverständlich  wie  die  regelmässigkeit  ihrer 
erscheinung.  Deshalb  glaube  ich  nach  den  vorstehenden  Zusammen- 
stellungen soviel  mit  bestimmtheit  behaupten  zu  können,  dass  die  silben- 
zählung weder  für  G.  noch  in  T  und  Na  princip  gewesen  sein  kann. 
Beide  stehen  vielmehr,  wie  gezeigt,  in  vielfacher  beziehung  noch  ganz 

1)  Von  hier  aus  erklären  sich  auch  als  unberechtigte,  doch  naheliegende  ana- 
logien  leider:  här  Na  518;  gester:  ivür  Na  721. 

2)  Vgl.  Englert  a.  a.  o.,  s.  74. 


PAMriiiLos  genctF.nbach  237 

auf  dorn  hoden  der  mlul.  verstcchnik^  Auf  der  anderen  seile  aber  machen 
wir  nun  doch  die  beobachtung,  dass  die  grosse  mehrzahl  ihrer  verse  — 
und  hierin  folgen  sie  vielleicht  dem  beispiel  Seb.  Erants  —  in  der  tat  8 
resp.  9  Silben  aufweisen.  Es  entsteht  nun  die  aufgäbe  diese  erscheinung 
aus  ihrem  metrischen  princip  heraus  zu  begreifen.  Wir  sahen  schon  oben 
bei  den  versen  mit  aufzählungen  (verse  mit  zu  wenig  silben  IIa),  dass 
G.  und  aus  gruppe  I  auch,  dass  der  Verfasser  von  T  und  Na  seinen  versen 
vier  hebungen  gibt.  Von  hier  aus  müssen  wir  auch  die  übrigen  verse 
beurteilen,  auch  sie  verlangen  offenbar  ganz  wie  die  verse  Seb.  Brants  mit 
vier  hebungen  (die  natürlich  an  schwere  einander  durchaus  nicht  gleich 
zu  stehen  brauchen),  gelesen  zu  werden.  Da  die  mehrzahl  der  der  vor- 
stehenden Untersuchung  zu  gründe  liegenden  verse  nun  aber,  wie  gesagt, 
8  resp.  9  silben  hat,  so  bleibt  für  die  übrigen  silben  nur  die  Stellung  in 
der  Senkung  zur  Verfügung.  Denn  die  Goedikesche  ansieht  kann  nach 
den  Zeugnissen  der  gleichzeitigen  grammatiker  und  allen  neueren  Unter- 
suchungen nicht  mehr  in  betracht  kommen,  vielmehr  lehren  sie  deutlich, 
was  auch  für  G.  gilt:  princip  ist  der  viermalige  regelmässige  Wechsel  von 
hebung  und  Senkung  mit  iambischem  eingang,  also  auftact.  Die  natürliche 
folge  davon,  die  aber  mit  dem  rhythmischen  princip  als  solchem  nichts  zu 
tun  hat,  ist  die  häufige  constanz  der  silbenzahl.  Nur  so  verstanden  hat  es 
ra.e.  überhaupt  auch  sonst  sinn  von  der  silbenzählung  als  metrischem  prin- 
cip zu  reden.  So  können  die  vorstehenden  Untersuchungen  zugleich  ein 
beweis  für  Sarans^  behauptuug  sein,  dass  silbenzählung  im  strengen  sinn 
überhaupt  nicht  metrisches  princip  sein  kann.  So  scheint  es  auch  schon 
Zarncke-''  verstanden  zu  haben,  wenn  er  von  zwei  für  Braut  massgebenden 
metrischen  principien  spricht:  4  hebungen,  constanz  der  silbenzahl. 

Von  diesem  princip  konnten  wir  nun  bei  G.  —  und  auch  hierin 
folgte  ihm  der  Verfasser  von  T  und  Na  grossenteils  wider  —  eine  reihe 
von  ausnahmen  constatieren,  die  aber  nur  in  ganz  bestimmten  fällen 
eintreten.     Er  kennt: 

1.  zweisilbige  eingangssenkung. 

2.  Fehlen  der  Senkung 

a)  im  eingang  des  verses, 

b)  im  Innern  des  verses  (belege  nur  bei  G.) 
a)  bei  aufzählungen 

ß)  bei  nominalcompositis, 

1)  Bei  der  coireetur  macht  mich  herr  prof.  Sarau  freundhchst  auf  Hauffens 
recension  der  Englertschen  arbeit  aufmerksam.  Sie  bestätigt  (Eupiiorion  ll,531fgg.) 
meine  annähme  des  andauerns  der  mhd.  technik. 

2)  8aran  a.  a.  o.,  §  2.  3)  Zarncke  a.  a.  o.,  s.  288  fg. 


238  KÖNIG 

c)  am  versende  in  componierten  werten  oder  solchen  mit  schwerer 
ableitungssilbe,  in  Na  auch  in  wenigen  anderen  fällen. 

2.  Einzelheiten. 

A.   Die  rhythmische  wertung  der  eigennamen  und  fremdwörter. 

Bei  der  behandlung  der  verse  mit  zu  viel  silben  hatten  wir  die  einen 
eigennamen  oder  ein  fremdwort  enthaltenden  zurückgestellt.  Für  ihre 
rhythmische  Avertung  gilt  es  jetzt  das  gesetz  zu  linden.  Ein  solches 
scheint  in  der  tat  vorzuliegen.    Zahlreiche  fälle  werden  zunächst  normal. 

I.,  durch  coHSonantieruDg  des  /  z.  b.  w.  F  29: 

Kont  Julhis  keyser  in  dem  stryt. 

Hierher  geliöreu  w.F  186.  236,  B  110.  112.  139,  xAlt.  84.  125.  494,  N  72. 
151.  280.  292.  295.  311.  355.  377.  546.  629.  631.  690.  917.  921.  1016.  1304,  G  37. 
69.  199.  242.  413.  418.  425.  447.  933.  1034,  T  125,   Na  248.  291.  385.  397.  626. 

II.  durch  elision:  N  921. 

III.  durch  Synkope:   G  889  (Appell),    Na  202.  282. 

IV.  durch  zweisilbigen  auftact:  B  79.  148,  xAlt.  117.  282.  304.  465,  690,  N  126. 
293.  451.  470.  580.  593.  659.  749.  751.  753.  1300.  1407.  1466,   G  409.  659.  1315. 

Wenn  man  die  übrigea  fälle  durchgeht,  so  findet  man,  dass  sich  fast  alle  gut 
lesen  lassen,  sobald  mau  alle  silben  vor  dem  ton  und  falls  nur  eine  davor  stehtauch 
noch  eine  Aveitere,  nicht  zum  eigennamen  gehörige,  metrisch  als  eine  wertet.  Das- 
selbe gilt  von  den  silben  nach  dem  ton.  Meistens  wird  der  vers  dadurch  ganz  glatt, 
nur  in  wenigen  fällen  muss  mau  noch  weitere  hilfsmittel  anwenden.  Wir  haben  also 
hier,  aber  auch  nur  hier,  verse  mit  mehrsilbiger  Senkung  im  Innern.  G.  kann  dabei 
besonders  lange  worte  an  der  einen  stelle  mit  zwei  accenten  versehen,  während  er 
demselben  namen  an  anderer  stelle  nur  einen  accent  gibt.  Zur  erläuterung  des  eben 
gesagten  greife  ich  einige  beispiele  heraus: 

w.F  62:         Nabuchodonösor  Daniels  rot  verdeld. 
Dagegen  mit  2  accenten: 

X  Alt.  390:         Bracht  Nabuchodonösor  von  sim  rieh 
w.F  150:         Wie  dbbas  Joachim  het  gesägt 

192:         Un  wirt  die  groß  symony  ab  gtön 
B163:         In  Pharaos  gwdlt  und  grosse  quel 
164:         Das  sich  Jhertisalem  widerspdrt 
X  Alt.  81 :         Dem  Isaac  ai'ich  solt  mercken  meich 
N19:        Als  ich  find  Apocalypsi  ston  usw. 
Hierher  besser"  als  zu  den  fällen  mit  consonantierung  des  *  wird  man  alle  verse 
rechnen,  in  denen  der  eigenname  Maria  nicht  ohne  weiteres  in  den  vers  sich  einfügt. 
Dasselbe  gesetz  gilt  für  die  gleichen  fälle  auch  in  T  und  Na: 
T  127 :         Können  Plaeebo  döniino  mächen 
Na  184:         Capitulo  significdsti^in  fine 
197:         Als  Hostiensis  in  summa  hält 
309:         Nach  folgert  dem  Ewangelio 
329:         Zä^Hierüsalem  yn  mit  grossem  gsäng 
387 :         Dicta  Sinthis  tind  sermönes  Bitöntis 


PAMPHILUS    GKNOK.XßAGK  239 

XaSOO:         Auch  institiitiotics  Mürnerlin 
394:         Sulpitium^und  secreta  mülierüm. 

Schwierig"  sind  die  fälle  Na  182,  wo  man  wol  mit  senkungsfall  Extra,  de  decimis 
lesen  muss,  ebenso  183  und  capi[(i(lo]tn((  nöbis. 

Dreisilbigen  auftact  niüsste  man  annehmen  396: 

Atich  sind  serniüncs  Dornil  secdre  dö. 

Anormal  bleibt  388. 

Diese  anonialien  fallen  jedoch  deshalb  nicht  so  schwer  ins  gewicht,  weil  hier 
biichertitel  und  anfange  lateinisch  citiert  worden,  die  sich  jedem  metrum  nur  schwer 
einfügen  würden. 

Nicht  in  diese  theorie  würden  sich  von  Gengeubuchs  versen  die  folgenden  ein- 
ordnen lassen:  xAlt.  496,  N  337.  601.  716,  0  1317.  In  allen  fällen  haben  wir  die 
lateinische  endung  -iis  vertreten.  Vielleicht  darf  man  hier  die  möglichkeit  eines  ab- 
wurfs  der  endung  erwägen,  wie  dieser  ja  im  heutigen  Sprachgebrauch  Christ  für 
Christus  noch  so  oft  begegnet.  (Bei  dem  eigeunamen  Karolus  wird  wol  Karl  zu 
setzen  sein,  wobei  dann  freilich  N  716  gewesen  zu  lesen  wäre.)  Eechnet  inan  damit 
—  und  ich  glaube  man  kann  es  ohne  Willkür  —  dann  werden  auch  diese  verse  normal. 

Gengenbach  kennt,  wie  der  Verfasser  von  T  und  Na,  bei  eigen- 
uamen  und  tVenidwörtern  mehrsilbige  Senkung  auch  im  inneren  des 
Verses;  damit  aber  findet  die  zahl  der  ausnahmen  von  seinem  princip 
des  viermaligen,  regelmässigen  wechseis  zwischen  hebung  imd  Senkung 
ihr  ende,  d.h.  das  eigentliche  problem  der  kurzen  reimpaare  des  16.  jhs. 
ist  für  G.  schon  gelöst,  die  frage  nämlich,  ob  man  alternierend  oder 
accentuiei-end  zu  lesen  habe.  Dass  wir  nicht  durchgehend  accentuierend 
lesen  dürfen,  lehren  gerade  die  wenigen  fälle,  die  dies  geboten  er- 
scheinen lassen.  Wir  sahen  ja,  dass  diese  verse  eine  ausnahmestellung 
einnahmen,  nur  hier  dürfen  wir  mit  ausfall  und  mehrsilbigkeit  der 
Senkung  rechnen,  in  allen  anderen  fällen  aber  nicht.  Wollen  wir  jedoch 
auch  diese  mit  4  hebungen  lesen  — •  und  das  müssen  wir  nach  den 
obigen  ausführungen  —  dann  bleibt  eben  nichts  anderes  übrig  als 
alternierend,  d.  h.  eventuell  auch  ohne  rücksicht  auf  den  grammatischen 
accent  der  worte  zu  lesen.  Gengenbach  und  der  Verfasser  von  T  und 
Na  nehmen  also  eine  eigenartige  Stellung  ein.  In  der  zahl  der  hebungen 
und  in  dem  eintreten  mehrsilbiger  oder  fehlender  Senkung  stehen  sie 
auf  mhd.  boden,  sie  sind  aber  kinder  ihrer  zeit  in  der  anwendung  des 
alternierenden  princips  und  als"  folge  davon  in  der  normalen  constanz 
der  Silbenzahl  ihrer  verse. 

B.    Accent  Verletzung. 
Immerhin  bleibt  es  auffällig,  dass  gerade  die  dichter  des  16.  jhs. 
mit  der  natürlichen  betonung  der  Wörter  in  so  willkürlicher  weise  um- 
gegangen sein  sollen.    "Warum  sollte  man  gerade  in  ihrem  Zeitalter  ohne 
empfindung  für  den   natürlichen   wortton  gewesen   sein,    dass  man   es, 


240  KÖNIG 

wie  Sommer  bei  Hans  Sachs,  für  einen  zufall  hält,  wenn  sie  einmal 
einen  vers  bauen,  der  sich  glatt  und  ohne  Verletzung  von  w^ort-  und 
satzaccent  lesen  lässt?  Das  muss  um  so  mehr  wunder  nehmen,  als  sich 
unter  ihnen  dichter  finden,  die  sonst  auf  das  äussere  ihrer  dichtung, 
auf  reim-  und  verstechnik  die  allergrösste  Sorgfalt  verwenden  wie 
Seb.  Brant.  Da  gilt  es  zunächst  festzuhalten,  dass  diese  härte  durch 
die  'schwebende  beton ung'  bedeutend  gemildert  werden  kann.  Solche 
schwebende  betonungen  haben  wir  ja  gar  nicht  so  selten  schon  in  mhd. 
zeit^  wir  finden  sie  auch  bei  neueren  dichtem-,  warum  also  sollen  sie 
für  das  16.  jh.  nicht  in  betracht  kommen?  Wie  wichtig  sie  gerade  hier 
sind,  hat  Saran^  gezeigt.  Er  prüft  den  begriff  der  accentverletzuug  und 
weist  darauf  hin,  dass  wir  zwischen  grammatischem  und  ethischem  d.  i. 
stimmungsaccent  zu  unterscheiden  haben,  die  beide  nach  ihm  durch- 
aus nicht  immer  zusammenfallen  brauchen.  Vielmehr  führt  er,  von 
neueren  dichtem  ausgehend^,  den  überzeugenden  beweis,  dass  die  accent- 
verletzung  ein  mittel  zum  ausdruck  gewisser  Stimmungen  ist,  ja  er 
spricht  von  einer  förmlichen  technik  der  accentverletzuug,  eine  teclmik, 
die  nach  ihm  ganz  besonders  charakteristisch  für  den  pointierenden  stil 
der  Satire  des  16.  jhs.  ist.  Ich  will  im  folgenden  die  accentverletzungen 
der  Gouchmat  und  die  von  T  und  Na  nach  dem  Saranschen  princip 
untersuchen  und  im  einzelnen  feststellen,  ob  sie  ihre  stilistische  be- 
rechtigung  haben  oder  nicht.  Weniger  scharf  brauchen  zunächst  accent- 
verletzungen in  erster  hebung  geprüft  zu  werden,  weil  sie  hier  sehr 
viel  weniger  empfunden  werden  und  darum  auch  in  der  mhd.  zeit  nicht 

selten  sind. 

a)  Verletzung  des  wortaccentes. 

Sie  betrifft  1.   mit    besonderer   Vorliebe    eigennainen  oder    appellativa  in 
der  anrede.    Wenn  irgend,   so   ist  hier  das  bestreben  dem   namen   durch   die  auf- 
fällige accentverletzung,   die  der  vortragende  auszugleichen   bemüht  sein  wird,   einen 
besonderen  uachdruck  zu  verleihen,  deutlich  und  berechtigt.     Cupido  spricht: 
G  146     Vemis  nun  laß  dich  nit  verdriessen. 

Jeder  wusste,  dass  es  Venus  und  nicht  Venus  hiess,  darum  ist  es  ganz  und 
gar  unwahrscheinlich,  dass  der  dichter  lediglich  der  versbequemlichkeit  wegen  den 
accent  verletzt  hätte.  Beide  silben  sollen  vielmehr  schwer  herauskommen:  die  metrisch 
gedrückte  hauptsilbe  ergibt  eine  sehr  schwere  und  volle  Senkung,  die  unbetonte  silbe 
wird  metrisch  gehoben.  So  wirkt  das  wort  im  vers  nicht  als  schlichter  name,  sondern 
als  eine  mit  besonderer  innerer  teilnähme  gesprochene  anrede.  So  noch  oft:  91.  294. 
301.  310.  328.  345.  350.  365.  585.  590.  596.  097.  776.  1080.  1167.  1174.  1264. 
Ganz  ebenso:  Na  1072     Murner  nun  mach  dich  bald  herxä. 

1)  Kraus,  Metrische  Untersuchungen  über  Reinbots  Georg,  s.  221  fg. 

2)  Saran  s.  158. 

3)S.  157fgg.  4)8.308  fg. 


PAMPHtLÜS    GKNGENBACH  241 

Dasselbe  gilt  auch  von  der  Stellung  in  2.  Hebung: 
G  459     Darumh  Venus  du  kungln  rein. 

Er  hält  die  beispiele  aufopfernder  treue  des  maiines  zu  seinem  weibe,  die  ihm 
der  narr  vorführt,  für  erlogen;  was  kümmert  ihn  sei»  weib  und  die  treue,  die  er 
ihm  schuldig  ist:  zu  Venus  geht  sein  sinnen.  Auch  hier  also  erfährt  gerade  der 
hauptbegriff  die  accentverletzuug,  aber  gerade  dadurch,  wie  oben  gezeigt,  eine  wirk- 
same hervorhebung.  Weitere  beispiele  G  f05.  577.  796.  894.  1237.  Oder: 
Xa  1002     Daninib,  vießner,  dar  ff  st  mich  nicht  u-eeken. 

Den  pfarrer  hat  die  angst  gepackt,  er  will  am  andern  morgen  daheim  blcil)en 
und  redet  nun  den  messner,  der  ihn  sonst  geweckt  hat,  an:  diesmal  soll  er  es  nicht 
tun.     So  noch:  Na  766.  1087  (eindringliche  anrede). 

Für  die  Stellung  in  3.  hebung  bietet  nur  die  Novella  beispiele:  467.  601.  Es 
gilt  das  gleiche.     Ebenso  ia  4.  hebung:  Na 856. 

Tl.  Eigennamen  oder  appellativa  in  der  erzählung.  Auch  hier  ist  die 
hervorhebung  nur  angebracht.  Zum  tanz  ruft  der  narr  alle  auf,  winkt  ihnen  doch 
ein  schöner  lohn:  Venus  selbst.     Darum: 

G  338     Venus  tcirt  euch  den  Ion  schon  geben. 
Vgl.  noch:  G  425.  429.  473.497.  753.  766.  8.53.  1034.  1096.  1208  (eindringlich),  oder 
Na  607.     Mag  der  geist  sein,  wer  er  will,   Karsthans  war  er  jedesfalls  nicht,  denn 
(eindringlich  hervorgehobener  gegeusatz): 

Karsthans ,  der  icas  ein  frumnier  gsell. 

Genau  so  auch  in  2.  hebung:  G  226.  299.  430.  483.  537.  654.. 655.  660.  774. 
778.  802.  810.  877.  916.  984.  1008.  1123.  1161  und  Na  56.  174.  177.  220.  221.  318. 
423.  483.  525.  750.  940.  963.  968.  969.  1076  und  in  3.  hebung:  G  34.  819.  928. 
1127.  1282,  Na  80.  157.  518.  995. 

in.  Substantiva.     Der  jugend  vor  allem  steht  keuschheit  wol  an: 
G  195     Jiigendt  soll  allxyt  sein  bereit. 

Die  durch  die  versetzte  betonung  bewirkte  hervorhebung  des  wertes  'jugend' 
gibt  vortrefflich  auch  den  lehrhaften  Charakter  wider.     So  auch  930.  1251. 

Und  T  146.    Almosen  soll  man  geben,  denn  sie  in  erster  linie  tilgen  die  sünde: 
Almäsen  tilcket  ab  die  siind  (eindringlich). 

In  2.  hebung.    Das  sündhafte  wort  ist  gesprochen,  unkeuschheit  ist  keine  sünde: 
G  20     Wie  das  nnkeüscheit  sy  kein  siindt. 

Das  durch  die  versetzte  betonung  bewirkte  längere  verweilen  auf  dem  werte 
nnkeüscheit  malt  vortrefflich  das  entsetzen  dos  moralpredigers  über  dies  frevle  wort; 
vgl.  noch:  G  38.  188.  235.  213.  250.  369.  421.  435.  943.  978.  1089.  1175.  1190.  1253. 

Ein  beispiel  aus  T.  Die  bettler  klagen,  dass  ihnen  nichts  mehr  übrig  bleibt, 
wovon  sie  sich  nähren  können.  Denn  gerade  die,  auf  die  sie  in  erster  linie  auge- 
wiesen wären,  nehmen  ihnen,  was  ihnen  zukommt:  nicht  nur  die  niönche,  nein  auch 
die  pfaffen:  169     Tund  manch  jyfaffen  ietx,  als  verxeren. 

Vgl.  weiter:  T  30.  94.  204.  230,  Na  8.  65.  198.  226.  343.  393.  461.  517. 
641.  717.  870. 

In  3.  hebung.  Die  scliäden  der  zeit  haben  ihren  gruud  in  erster  linie  in  der 
falschen  erziehung  der  jugend.  Auf  eines  .sollte  die  erziehung  in  erster  linie  ge- 
richtet sein:  auf  die  erweckung  der  gottesfurcht: 

G  53     Dan  /ras  xfi  der  gotxforcht  tut  kcren. 

Durch  die  sogenannte  schwebende  betonung  wird  die  Senkung  gots  an  rhyth- 
mischem gewicht  dem  forcht  fast  gleich,  und  eben  dadurch  tritt  der  begriff  'gottes- 

ZEILSCHRItT   F.    DEUTSCHE   PHILOLOGIE.       BD.  XXXVII.  16 


242  KÖNIG 

furcht'  im  vers  machtvoll  hervor.  Vgl.  noch  75.  170.  329.  358.  367.  880.  393.  772. 
814.  919.  1140.  1168.  1211.  1219,  T  72.  74.  158.  206,  Na  72.  105.  189.  193.  216. 
226.  817.  453.  474.  511.  701.  955.  990. 

In  4.  hebung  sind  es  nur  zusammengesetzte  substantiva,  die  von  solchen  accent- 
verletzungen  betroffen  werden:  G  18.  25.  75.  85.  106.  127.  811.  585.  694.  716.  744. 
752.  819.  998.  1110.  1136.  1185,  T  58.  75.  97,  Na  117.  267.  494.  582.  724.810.834. 
965.  973. 

IV.  Adjectiva.     Der  Portia  schrecklicher  Selbstmord  soll  geschildert  werden: 

G  485     Glüend  colc?i  so  lang  inschlamlt. 
Die  doppelt  versetzte  betonung   mit  den  vier  aufeinanderfolgenden  schweren   silben, 
von  denen  die  erste  und  dritte  durch  den  sprechaccent,  die  zweite  und  vierte  durch 
die  Stellung  in  der  hebung  hervorgehoben  werden,  will  das  ungewöhnliche  und  ent- 
setzliche eines  solchen  todes  zum  ausdruck  bringen.     Vgl.  aus  Na  256. 

In  2.  hebung  vgl.  G  50.  842.  1210.  Der  bauer  hat  sich  redlich  quälen  müssen, 
aber  den  ertrag  seiner  arbeit  zehren  ihm  die  kleriker  auf  ohne  den  geringsten  dank: 

T  227     Die  mir  wenig  danck  dariimh  sagen. 
Das  wenig  mit  seinen  beiden  schweren  accenten  malt  hier  den  ingrinim   des  bauei'n. 
Vgl.  auch  Na  612. 

8.  hebung.     Eine  der  haupttugenden  der  Jugend  ist  Schweigsamkeit: 
G  193     Das  erst  ist  ein  schivigender  mundt  (eindringlich). 
Vgl.  G235.  249.  281.  310.  895.  431.  528.  865,  T  15.  75.  92,  Na  149.  246.  398.  527. 
620.  660.  760.  806. 

4.  hebung.  Circis  hat  den  jüngling  gehörig  ausgeplündert.  Was  soll  er  nun 
noch  bei  ihr? 

G  865     Jüngling,  du  bist  mir  gantx  unmär  (höhnische  Verachtung). 
Vgl.  G204.  746.  1056,  T  165. 

V.  Adverbia.  Der  narr  hat  dem  jüngling  schon  mehrere  beispiele  leuch- 
tender tugend  hingestellt,  aber  er  kann  sich  darin  gar  nicht  genug  tun  und  gewichtig 
fährt  er  fort  (eindringlich  didaktisch): 

G  205     JViter  soltu  auch  nemen  war. 
Ebenso  G  18.  24.  290.  986,  Na  816.  442.  753. 

2.  hebung.  Heini  "Winckelried  ist  in  die  netze  der  Venus  gegangen,  die  ihn 
so  behandelt  hat, 

G  608  Das  er  schandtlieh  von  dannen  schied. 
Die  durch  die  beiden  auf  schandtlieh  ruhenden  accente,  den  sprachacceut  und  den 
metrischen  accent,  bewirkte  hervorhebung  des  wertes  gibt  dem  ganzen  das  gepräge 
der  lehrhaften  warnung,  das  sich  gerade  bei  adverbieu  auf  -lieh  gern  herausstellt; 
vgl.  G67.  605.  606.  755.  767.  777.  837.  864.884.  1044,  aber  auch  T  151.  235.  Mehr 
den  Charakter  unwilliger  erkenntnis  erhält  dui'ch  die  accentverletzung  Na  217;  vgl. 
auch  4.  75.  269.  319.  412.  663. 

3.  hebung.  G  165.  189.  230.  241.  397.  419.  496.  582.  683.  877.  913.  939. 
1002.  1082.  1061,  T66.  143,  Na  118.  119.  154.  217.  565.  857.  943.  1060. 

4.  hebung.     G487. 

VI.  Pronomina.  Der  alte  gouch  will  beim  anblick  der  Venus  nichts  mehr  von 
seinem  alter  hören  (energische  ablebnung): 

G  1070    Niemandt  mir  sol  vom  alter  sagen. 
Ebenso  G  57.  231. 


PAMPHILUS    aENQENBACH  243 

Oder  aus  Xa:  Lutlier  hat  nach  des  pfarrcrs  moiming  iiianche  Schandtat  voll- 
bracht und  recht  viele  um  ihr  gut  betrogen: 

106     Manchem  gemacltt  den  seckel  lycht. 
Vgl.  aucli  1059. 

2.  hebuiig.     G  181.  882. 

3.  hebuug.  Na  19G.  730.  972.  1062. 

4.  hebung.  — 

VIT.  Verbalcomposita.  "Was  soll  man  sich  weiter  um  die  süuden  kümmern, 
hat  doch  Christus  sie  abgenommen,  lässt  der  dichter  mit  beisseuder  satire  den  papst 
sprechen:  T  41     So  nun  got  durch  sin  marter  hat 

Abgleit  all  unser  rtitssethat. 
Vgl.  T172  (nutidilen),  Na  309  (nachfolgen),  448  (ußbringen). 

2.  iiebuug.     G1036  (Mnntjmpt),  T  1.5  (anxcigt),  1014  {upjsetxt). 

3.  hebung.     G114.  172.  321.  610,  Na  97.  299.  817. 

4.  hebung.  G  8.  18.  172.  302.  342.  435.  521.  531.  806.  910.  1005.  107.5,  T  9. 
203,  Na  113.  168.  296.  1009.  1032. 

VIII.  Verbal  formen,  und  zwar  mit  verliebe  2.  plur.  imper.  auf  -en.  Es 
muss  hier  vorausgeschickt  werden ,  dass  in  diesem  falle  die  accentverletzung  nicht  so 
stark  empfunden  wui'de,  weil  das  oberdeutsche  die  neigung  hat,  stamm-  und  endsilbe 
im  tone  zu  nivellieren  (oberd.  sehen  gegen  mitteld.  sehn).  Sodann  ist  darauf  hinzu- 
weisen, dass  der  ganze  stil  der  satire  eine  neigung  zur  ausgleichung  der  silben  hin- 
sichtlich ihres  schweregrades  hat.'  So  kommt  es,  dass  wir  bei  dieser  kategorie  auf 
zahlreiche,  nur  stilistisch  bedingte,  nicht  der  hervorhebung  dienende  accentver- 
letzungen  stossen. 

Zur  hervorhebung  dient  die  'schwebende'  betonung  gleichwol  auch  hier  zuweilen; 
das  ziel  der  Sehnsucht  des  kriegsmanns  ist  ein  kuss  von  Venus  mund: 

G  647     Küssen  allein  din  mündlin  rodt. 
oder  bekräftigend: 

Na  591     Glouben  mir  uff  die  trüwe  min. 
Dagegen  erklären  sich  die  folgenden  fälle  aus  dem  stil  des  ganzen  resp.  der 
phonetischen  eigeutümlichkeit  des  oberdeutschen :  G  152.  163.  171.  212.  259.  267.287. 
392.  487.  743.  767.  878,  T  10.   53.  60.  106.  127.  146.  149.   223.  236,  Na  141.  148. 
294.  331.  534.  697.  778.  8.52.  864.  928.  978.  1049. 

2.  hebung.  a)  durch  hervorhebung  könnten  folgende  fälle  bedingt  sein:  G  36. 
296.  845,  T37,  Na  352.  363.  587.  707. 

b)  ohne  absieht:  G  159.  218.  366.  464.  614.  657.  711.  741.  1160,  T  25.  34, 
Na  3.  51.  117.  351.  431.  455.  719.  842. 

3.  hebung.     a)  G  158.  238.  641,  T  19.  161,  Na  161.  174.  780.  842.  931. 

b)  G18.  1016.  1311,  TJ08.  111.  142.  208,  Na360.  487.  555.  662.  803. 

4.  hebung.  — 

IX.  Was  die  accentverletzung  endlich  bei  copulis,  partikeln,  präpositionen  usw. 
anlangt,  so  gilt  hier  in  noch  stärkerem  mas.se  das  zu  VIII  gesagte.  Gerade  der  poin- 
tierte Stil  der  satire  neigt  dazu,  die  silben  \xm  worten  wie  aber,  oder  usw.  in  ihrer 
ton-  und  schwerefolge  zu  nivellieren.  Es  ist  darum  auch  unnötig,  die  nicht  sehr 
häufigen  beispieie  einzeln  aufzuführen. 

1)  Saran  a.  a.  o.  s.  159.  320. 

16* 


244  KÖNIG 

b)  Verletzung  des  satzaccentes. 

Die  an  sich  selteneren  sogenannten  Verstösse  gegen  den  satzaccent  sind  genau 

so  zu  beurteilen  wie  die  gegen  den  wortaccent.     Sie  im  einzelnen  aufzuführen,  würde 

zu  weitläufig  sein;  ich  begnüge  mich  darum,   eine  solche  acceutverletzung  aus  jeder 

hebung  beizubringen  und  dazu  beispiele  aus  T  und  Na  zu  stellen.     Sie   tritt  ein   vor 

der  1.  hebung: 

G  34  Got  und  der  stat  Basel  xü  eer. 
Eine  doppelte  ohrung  soll  der  zweck  dos  fastiiachtspieles  sein:  Gott  und  der  stadt 
Basel  gilt  sie.  Qot  und  Basel  sind  also  die  hauptbegriffe  des  verses:  beide  aber  stehen 
nicht  in  der  hebung.  Basel  w'ivA  durch  die  schwebende  betouung  hervorgehoben,  Got 
steht  in  der  Senkung.  Das  ist  auffallend,  und  der  vortragende  wird  sich  bemühen, 
die  differenz  zwischen  der  sehr  leichten  hebung  und  der  sehr  schweren  Senkung  aus- 
zugleichen und  wird  gerade  dadurch  dem  werte  Oot  den  ihm  zukommenden  beson- 
deren nachdruck  geben. 
Genau  so 

T  228  Got  in  dem  liimel  ich  das  klagen. 
An  Gott  wendet  sich  der  bauer  gegen  die,  die  seine  Stellvertreter  sein  sollten.  Der 
hauptbegriff  steht  auch  hier  in  der  Senkung.  Um  ihm  einen  ton  über  die  hebung  in 
hinaus  zu  geben,  bedarf  es  eines  ganz  besonderen  nachdruckes.  Dieser  aber  wird  eben 
erzielt  durch  den  widersprach  zwischen  satzaccent  i;nd  metrischem  accent:  man  er- 
wartet eine  leichte  Senkung  und  eine  schwere  hebung,  statt  dessen  ist  das  umgekehrte 
Verhältnis  der  fall. 

2.  hebung: 

G  514     Und  ga)>(j  lichn  wider  xii  deün  iryb. 
Der  ehemann  ist  ausgeplündert,    Venus  hat  ihren   zweck  erreicht,    nun  kann  er  iiir 
und  ihrem  gesindo  nichts  mehr  nützen,   man   schickt  ihn  wieder  heim.     Der  haupt- 
begriff heim  aber  steht  in  der  Senkung  und  wird  dadurch,   wie  oben  gezeigt,   beson- 
ders eindiinglich  hervorgehoben.     Dasselbe  gilt  auch  für 

Na  418    Das  ich  wüst  tvie  es  iimh  in  stund. 
Zu  gern  wüsste  der  pfarrer,   wie  es  um  den  Karsthans  bestellt  ist  (drängende  neugier). 

3.  hebung: 

G  105  Tag  und  nacht  frä  und  ouch  spat. 
Von  zwei  mit  einander  verbundenen  begriffspaaren  ist  das  zweite  stets  schwerer  betont 
als  das  erste,  in  unserem  falle  also  frä  und  ouch  spat.  Das  am  stärksten  betonte 
wort  in  unserem  vers  ist  somit  frä.  Im  vertrag  erhält  es  durch  seine  Stellung  in 
der  Senkung  und  den  dadurch  sich  ergebenden  widersprach  zwischen  dorn  satz-  und 
metrischen  accent  und  die  forderung,  ihn  zu  lösen,  das  hauptgewicht. 

Na  20     Und  seit  dir  die  best  obenthür. 
best  ist  der  hauptbegriff,  statt  dessen  aber  steht  das  gänzlich  inhaltsarme  die   in   der 
hebung.     Die  Senkung  soll  hier  im  vertrag  recht  lang  und  voll  werden. 

4.  hebung: 

G  869  So  CS  allein  stot  in  Qots  givalt. 
Nur  bei  Gott  steht  es,  wie  das  wetter  werden  wird,  der  astrologe  weiss  es  in  seiner 
menschlichen  beschränktheit  nicht.  Gott  also  hat  den  durch  den  gegensatz  zu  der 
menschenklugheit  des  astrologen  bedingten  hauptton.  Sollte  es  dem  dichter  nicht 
möglich  gewesen  sein,  wenn  die  Stellung  in  der  vershebung  für  ihn  das  stärkste 
mittel    zur  hervorhebung   war,    den  begriff  „Gott"  in  die  hebung  treten  zu  lassen? 


PAMPIIILUS    GENGENBACH  245 

Vgl.  auch: 

TT     Aiiß  der  'pijn  erlösen  mit  eini  iiort. 
Wie  leicht  hätte  der  dichter  den  aiisto.ss  vermeiden  können,  etwa  durch: 

Atiß  der  pi/ii,  erlösen  mit  cme}n  icnrt. 
Er  tut  es  nicht,  -weil  er  eindringlicher  sein  will  und  dieses  durch  die  Stellung  in  der 
Senkung  bosser  erreicht. 

Blicken  Avir  zurück,  so  inii.s.sen  wir  in  der  tat  zugeben,  dass  die 
accentverletzungen,  sowol  im  wort-  wie  im  satzaccont,  ihren  guten  sinn 
haben  und  dass  sie  alles  andere  eher  als  ungcsehickliclikoit  des  dichters 
sind.  Damit  findet  die  theorie  Sarans  für  G  und  den  Verfasser  von  T 
und  Na  ihre  bestätigung.  Ihre  richtigkeit  erhärtet  aber  gerade  aus  der 
art  der  beispiele.  Es  sind  alles  fälle  (wortacceut),  in  denen  einmal, 
wie  bei  den  eigennanien,  die  accentverletzung  besonders  lebhaft  empfun- 
den werden  musste,  und  die  zum  andern  eine  starke  hervorhebung  im 
Zusammenhang  des  ganzen  nicht  nur  vertragen,  sondern  fordern.  Den 
besten  beweis  jedoch  bringt  der  vertrag.  Man  vorsuche  einmal  so  zu 
lesen,  und  man  Avird  sehen,  wie  das  ganze  dadurch  den  lebendigen 
Charakter  eindringlicher  rede  oder  den  spitzigen  pointierten  ton  der 
Satire  erhält.  Die  Voraussetzung  aber  für  die  Vernachlässigung  des 
sprachaccentes,  „klarheit  des  lesers  über  das  metrum  und  die  Verteilung 
der  Silben  auf  dasselbe"  ^,  ist  für  Gengenbach  gegeben  durch  den  nach- 
weis,  dass  für  den  bau  seiner  verse  das  alternierende  princip  mass- 
gebend ist. 

C.    Reimbrechung,  dreireim,  rührender  reim,  waisen. 

Was  die  reimpaare  der  späteren  mhd.  zeit  wie  zum  grössten  teil 
auch  die  des  16.  jhs.  so  unerträglich  eintönig  macht,  ist  nicht  zum 
geringsten  teil  die  Verbindung  zweier  durch  den  reim  zusammengehal- 
tener verse  zu  einer  gedankeneiuheit.  Das  in  mhd.  zeit  so  ausser- 
ordentlich beliebte  und  mit  grossem  geschick gehandhabte  rime  brechen 
geht  als  mittel  stilistischer  belebung  fast  ganz  verloren,  und  die  dich- 
tungen  bekommen  etwas  eintöniges.  Gengenbach  gehört  in  der  anwen- 
dung  der  reim-  (oder  ketten-) brechung  entschieden  zu  den  bessern 
dichtem  seiner  zeit.  Die  geschickte  und  künstlerische  handhabung  dieses 
mittels  verleiht  seinen  dichtungen  eine  grosse  beweglichkeit,  abwechs- 
lung  und  frische. 

Sehr  häufig  schliesst  er  einen  gedanken  mit  einem  vers,  der  durch  den  reim 
enger  mit  dem  folgenden,  einen  neuen  gedaukon  enthaltenden  vorso  verbunden  ist. 
Ein  beispiel: 

Ij  Saran  s.  IGO. 


246  KÖNIG 

G  18  fgg.     Kürtxlich  hat  tnan  lassen  ußgan 

Ein  gdicht  und  das  auch  trucken  lan, 
Wie  das  unkeüscheit  sy  kein  sündt. 
Diser  ist  gantx  verstockt  tmd  hlindt  usw. 
Die  brechung  bewirkt  hier  den  eitidruck,   als  könnte  die  Widerlegung  des  in  18  —  20 
ausgesprochenen  gedankens  gar  nicht  schnell  genug  erfolgen,  ein  eindruck,  der  durch- 
aus entsprechend  ist. 

Oder  162  fgg.     All  kurtxwyl  thet  man  mit  uns  triben, 
Waren  allxyt  by  schonen  wyben, 
Die  hatten  mit  uns  froid  und  müt. 
Nu  gewints  kein  narr  niimmerme  gut  usw. 
Die  brechung  malt  hier  den  Unwillen  des  narren  über  die  veränderten  zeiten.     Bei- 
spiele, die  sehr  zahlreich  sind,  anzuführen,  halte  ich  eben  deshalb  nicht  für  nötig. 
Ganz  besonders  wirksam  wird  die  reimbrechung,  und  die  künstlerische  Wirkung  ist 
von  G.  zweifellos  beabsichtigt,  wenn  der  reim  den  schluss  der  rede  einer  person  mit 
dem  anfang  der  antwort  einer  andern  verbindet  („  stichreim  ").^ 
Der  kriegsmann: 

G  540  fgg.     Du  alter  narr,  nun  sag  mir  an, 
Was  mag  dir  doch  ligen  an, 
Das  du  hie  also  trurig  stast? 
Der  narr:  Das  sag  ich  dir  bald,  lieber  gast. 

Ähnlich  G  172/74.  235/37.  596/98.  828/30. 

Mit  demselben  geschick  wendet  auch  der  Verfasser  von   T  und  Na  die  reim- 
brechung au: 

T  27  fgg.     Seinen  find  hat  er  ir  sind  vergeben. 
Das  tvir  in  alxeit  tciderstreben 
Und  machen  krieg  in  aller  wält. 
Umb  all  gutheit  nam  er  kein  galt. 
Der  papst  wird  nicht  müde,    die  Verdienste  Christi  aufzuzählen    und   in    wirksamen 
gegensatz  dazu  das  treiben  der  kleriker  zu  zeichnen.     Die   rasche  aufzählung  wird 
durch  die  reimbrechung,  die  den  neuen  gedanken  mit  dem  alten  durch  den  reim  ver- 
bindet, gut  veranschaulicht. 

Oder  Na  29  fgg.     Darumb  ich  dich  gar  flyßlich  bit, 
Du  tvelst  von  mir  jetx  scheiden  nit 
Und  weist  mit  mir  gon  heim  xü  htiß. 
Mein  lieber  gsell  nun  hab  kein  grüß. 
Durch  die  reimbrechung  wird  der  eindruck  bewirkt,   als  zögere  der  fremde,  der  ein- 
ladung  zu  folgen.     Der  kaufmann  bemerkt  das  und  fällt  mit  v.  32  schnell  ein. 

Besonders  gern  wird  auch  hier  die  reimbrechung  benutzt,  um   die  gegenrede 
eng  an  die  rede  anzuschliessen: 

Na  280  fg.     Darumb  thüt  in  als  tvol  rerlangen 

Nach  xeitlicher  eer  und  grossem  gwalt., 
worauf  der  messner  schnell  einfällt: 

Der  sigerist  sprach:  darumb  ich  halt  usw. 

1)  Herrmann,  Stichreim  und  dreireim  bei  Hans  Sachs,  s.  425,  anm.  2.  435. 


PAMPUILUS   GKNGENBACH  247 

Gerade  hier  in  dem  Streitgespräch'  zwischen  dem  messner  und  dem  pfarrer 
und  später  zwischen  messrier  und  Murner  ist  die  reimbrechung  ein  vortreffliches  sti- 
listisches mittel  zur  andeutung  der  raschen  aufeinanderfolge  von  rede  und  gegenrede. 
Höchst  Avirksam  ist  es  angewandt  v.  794 — 815.  Sechsmal  wechselt  hier  die  redende 
persou,  und  jedesmal  sind  die  reime  gebrochen.  Vgl.  ferner  287/88.  295/96.  301/2. 
381/82.  400/2.  484/85.  488/89.  490/91.  500/1.  542/43.  582/83.  736/37.  834/35.  840/41. 
902/3.  980/81.  984/85. 

Zum  ausdruck  des  raschen  fortgangs  der  handlung  dient  die  reimbrechung 
S'a4,ö0/51.  534/35. 

DreireiDi. 
Die  Unterbrechung  der  reimpaare  durch  dreireime  ist  eine  gerade 
im  1(5.  jh.  ziemlich  häufig  zu  beobachtende  erscheiuung,  die  teils  in 
künstlerischer  absieht,  teils  auch  ohne  diese  rein  willkürlich,  von  den 
verschiedenen  dichtem  gehandhabt  wird.  Wie  bei  H.  Sachs  ^  ist  auch 
für  Gengenbach  der  Ursprung  „in  einer  art  motto^"  zu  suchen,  das 
den  einzelnen  dichtuugen  vorausgeschickt  und  durch  den  dreireim  von 
den  reimpaaren  des  eigentlichen  gedichtes  abgehoben  wird,  so  z.  b.  im 
welschen  Fluss,  N^ollhart,  Bockspiel.  Diesem  einleitenden  motto  ent- 
spricht zuweilen  ein  schluss  in  dreireimen:  B  185—87  und  im  prosa- 
teile 124  —  26,  Nollhart  1493  — 95. 

Durchgeführt  ist  der  dreireim  in  den  reden  der  einzelnen  Spieler  iu  w.  F  201 
bis  284  und  iu  seiner  fortsetzung  bei  Pr.  I  und  II  1 — 37,  zuweilen  auch  Bocksp.  I 
55  —  57.  84  —  86. 

Von  hier  aus  wird  der  dreireim  auch  sonst  in  künstlerischer  absieht  angewandt 
zur  markieraug  grösserer  abschnitte.*  So  am  schluss  eines  abschnittes  w.  F  137—39, 
einer  scene  x  Alt.  237.  323.  582,  G  372.  1122,  am  schluss  der  rede  einer  person  x  Alt. 
209.  372,  N420.  607.  663,  0  97.  784.  1174. 

Freilich  wird  dieser  eindruck  künstlerischer  absieht  in  der  Verwendung  des 
dreireims  durch  zahlreiche  fälle  unmotivierter  anwendung  desselben  aufgehoben.  G.  ist 
eben  einer  der  ersten,  der  den  dreireim  verwendet,  und  hat  für  seine  Verwertung 
zur  kennzeichnung  grösserer  pausen  mehr  ein  dunkles  gefühl  als  eine  klare  Vorstel- 
lung. Hierher  gehören  fälle  wie  w.  F  106,  B  58.  143.  168,  G  157.  903.  N  334,  wobei 
zu  bemerken  ist,  dass  der  dreireim  B  58.  168,  N  334  am  schluss  eines  gedanken- 
itbschnittes  steht. 

Dreireime  finden  sich  nun  auch  in  T  und  Na.  Das  ist  besonders  deshalb 
charakteristisch,  weil  der  gebrauch  den  dreireime  in  der  Schweiz  auf  Basel  beschränkt 
ist  und  hier  von  Geugeubach  ausgeht.'" 

1)  Herrmanu  a.a.O.  s.  434. 

2)  Herrmann  a.  a.  o. 

3)  Ein  motto  in  zwei  reimpaaren  findet  sich  TTE.  Na. 

4)  Herrmann  a.  a.  o.  s.  435.  Das  von  ihm  unter  G  523  angeführte  beispiel 
trifft  nicht  zu. 

5)  Ilerruiann  a.  a.  o. 


248  KÖNIG 

Vou  einer  küustleriscben  verweuduug  des  dreiieims  habeu  wir  hier  allerdings 
nur  geringe  spuren,  und  das  kann  deshalb  nicht  sonderlich  auffallen,  weil  diese  art 
seines  gebrauches-  sich  bei  0.  häufiger  nui'  in  den  dramatischen  sceneu  beobachten 
lässt,  während  nur  T,  nicht  aber  ?fa  dramatisch  abgefasst  ist.  Am  schluss  der  rede 
einer  person  haben  wir  vierreim  T92fgg.,  dreireiai  Na  500.  Dreireim  ist  möghcher- 
weise  auch  am  schluss  des  ganzen  [darauf  deutet  die  heraushebung  des  namens 
Murner]  beabsichtigt.  Ohne  künstlerische  absieht  ist  der  dreireim  angewandt:  T  12, 
Xa  244.  509.  G62.  677.  967. 

Rührender  reim. 

a)  In  mhd.  erlaubter  weise  steht  rührender  reim: 

1.  bei    Simplex    und    compositum    desselben    verbums    resp.    substantivums: 
xAlt.  118.  183.  407,   Na  24.  156.  562; 

2.  bei  verschiedenen  comp,  desselben  wortes:  Na  104.  941; 

•  3.  bei  demselben  wort  in  verschiedenem  sinn:  T  31.     Dazu  wol  auch 
4.  im  dreireim:  x Alt.  237,  G  97. 

b)  Sonst:  X  Alt.  267.  746,   G  454.  540. 

Waisen, 

Waisen  endlich  haben  wir  xAlt.  476,  G  525  und  wenn  nicht  binnenreim  auch 
Na  387.  388. 

3.   Zusammenfassung. 

So  beobachten  wir  dieselbe  Übereinstimmung  zwischen  Gengenbach 
und  dem  Verfasser  A'on  T  und  Na  auch  in  allen  wesentlichen  punkten 
des  metrischen  gebrauches,  wie  wir  sie  schon  für  spräche,  syntax  und 
Stilistik  hatten  feststellen  können.  Nicht  nur,  dass  für  Gr.  und  den  Ver- 
fasser von  T  und  Na  dasselbe  metrische  grundprincip  in  betracht  kommt, 
es  bestehen  auch  dieselben  charakteristischen  ausnahmen:  senkungs- 
ausfall  und  mehrsilbige  Senkung  tritt  unter  den  gleichen  bedingungen 
ein.  Bei  beiden  dieselbe  behandlung  der  fremdwörter,  dieselben  fälle 
schwebender  betonung,  dasselbe  künstlerische  wollen  in  der  anwendung 
der  reimbrechung,  hier  wie  dort  in  schon  hervorgehobener  charak- 
teristischer weise  der  für  diese  zeit  in  der  Schweiz  so  seltene  dreireim. 

Und  kommen  wir  noch  einmal  auf  die  reime  auf -ßr  zurück,  die 
für  Singer  ein  so  schwerwiegendes  kriterium  gegen  Gengenbach  ge- 
wesen waren,  so  fanden  sie  ihre  erklärung  in  metrischen  eigentüm- 
lichkeiten,  in  eben  denen,  die  wir  auch  bei  G.  hatten  constatieren 
können,  ganz  abgesehen  davon,  dass  wir  einen  ganz  analogen  reim 
(w. F181)  auch  bei  G.  haben,  d.h.  jene  reime  sprechen  nicht  gegen, 
sondern  stark  für  Gengenbach.  Sicherlich  aber  bat  man  auch  vom 
metrischen  Standpunkt  aus  kein  recht  G.  die  Verfasserschaft  von  T  und 
Na  abzusprechen. 

Haben  wir  uns  bisher  auf  die  anführung  dessen  beschränkt,  was 
nicht   gegen  Gengenbach  spricht,   so   lassen   sich   nunmehr  auch  sehr 


rAMI'HILUS    CiKNCiKNBACll 


249 


gcwichtigo  gTÜndo  für  ihn  i;cltoiul  machen.  Zunächst  liegt  in  den  vur- 
steheuden  negativen  ausführungcu  schon  ein  selir  starkes  positives 
moment.  Denn  Avir  haben  Ja  niclit  nur  zeigen  können,  dass  die  gegen 
Gongenbach  angeführten  kriterien  nicht  zutreffend  sind,  sondern  im 
engsten  Zusammenhang  damit  wurden  auch  eine  grosse  zahl  weitgehender 
Übereinstimmungen  aufgewiesen.  Diese  gemeinsamkciten  in  spräche, 
Syntax,  Stilistik  und  metrik  gehen  so  weit,  dass  wir  bei  der  annähme, 
Totenfressei-  und  NovoUa  rührten  nicht  von  G.  her,  an  demselben  orte, 
um  dieselbe  zeit  au  einen  so  sehr  von  ihm  abhängigen  dichter,  der  ihm 
'doch  zugleich  wider  überlegen  wäre,  glauben  müssten,  dass  wir  von 
ihm  nur  als  von  einem  Gengenbach  B  sprechen  könnten.  Man  wird 
zugeben,  dass  diese  hypothese  nicht  eben  wahrscheinlich  ist,  um  so 
w^eniger,  als  wir  um  das  jähr  1520  tatsächlich  von  gar  keinem  irgendwie 
namhaften  dichter  in  Basel  wissen,  von  Gengenbach  abgesehen.  Und 
endlich  —  wir  nehmen  den  in  der  einleitung  ausgesprochenen  gedanken 
noch  einmal  auf  —  hatte  ja  niemand,  von  Eberlin  von  Günzburg,  der 
aus  sprachlichen  gründen  nicht  in  betracht  kommen  kann,  abgesehen, 
ein  grösseres  interesse  an  der  durch  die  Novella  gegebenen  antwort  auf 
Murners  geistreiche  satire.  Alle  diese  gründe  zusammengenommen 
berechtigen  m.  e.  durchaus  zu  der  annähme,  Pamphilus  Gengenbach 
ist  der  Verfasser  von  Totenfresser  und  der  Novella  und  damit  ein  vor- • 
kämpfer  für  die  sache  Luthers. 

Capitel  V. 
Resultate. 

AVir  sind  am  ende  unserer  Untersuchung  und  fassen  zurückblickend 
kurz  noch  einmal  unsere  resultate  zusammen: 

I.  Die  beschäftigung  mit  dem  leben  Gengenbachs  hat  zweierlei 
ergeben : 

1.  Gengenbachs  herkunft  aus  Nürnberg   erscheint  iin  höchsten  grade 
problematisch. 

2.  Seine  religiöse  Stellung    würde    nicht   gegen    seine  Verfasserschaft 
von  Totenfresser  und  Novella  sprechend 


1)  In  liebenswürdigster  weise  sendet  rair  lierr  prof.  Singer  einen  abzug  der  von 
ihm  im  Berner  taschenbuch  für  1903,  s.  241fgg.,   veröffentlichten  und  besprocheneu 
bruchstücke  von   Gengenbachs  M^'iener  prognosticon   auf  das  jähr  1520.     Gengeubacli 
spricht  darin  seine  Stellung  zu  Luther  offen  aus  in  der  mahnuug  an  Karl  V.: 
Luterus  ist  tiff  rechter  bau, 
Dem  soltu  fröhlich  hangen  an. 


250  KÖNIG 

IL  Die  sprachliche  Untersuchung  zeigte: 

1.  Gengenbachs  spräche  trägt  ganz  und  gar  alemannisches  gepräge. 
Daher  kann  er  nicht  aus  Nürnberg  stammen;  nach  den  im  ersten  capitel 
gegebenen  biographischen  daten  kann  nur  Basel  als  seine  heimat  in 
betracht  kommen. 

2.  "Was  für  Gengenbachs  spräche  gilt,  gilt  in  gleicher  weise  auch  für 
die  spräche  der  Totenfresser  und  der  Novella.  Beide  müssen  also  auf 
demselben  boden  entstanden  sein. 

III.  Die  schon  auf  sprachlichem  gebiete  gemachte  beobachtung, 
dass  Gengenbach  mit  dem  Verfasser  der  Totenfresser  und  der  Novella 
eine  nahe  Verwandtschaft  zeigt,  widerholt  sich  in  steigendem  masse  bei 
der  betrachtung  der  syntaktischen  und  stilistischen  eigentümlichkeiten 
beider,  und  die  annähme,  dass  der  Verfasser  von  T  und  Na  mit  Gen- 
genbach identisch  ist,  gewinnt  durch  eine  anzahl  von  parallelstellen  an 
Wahrscheinlichkeit. 

IV.  Der  metrische  gebrauch  beider  verstärkt  diese  Wahrschein- 
lichkeit namentlich  durch  den  nachweis,  dass  die  von  Singer  beanstan- 
deten reime  auf  -er  in  der  Novella  in  metrischen  eigentümlichkeiten 
ihre  erklärung  finden. 

V.  Die  Zusammenfassung  aller  dieser  gründe  und  der  nachweis,  dass 
Gengenbach  an  der  Novella  interessiert  ist,  berechtigen  zu  der  behaup- 
tung,  Gengenbach  ist  der  Verfasser  der  Novella  und  damit  angesichts 
der  parallelen  zwischen  T  und  Na  auch  der  der  Totenfresser. 


A  n  h  a  n  g. 

1.  Do  haben  verkoufft  und  zu  kouffen  geben  Tlionian  Swarz  der  kartenmoler,  burger 
zii  Basel  und  Magdalena,  sin  eliche  hußfrow,  mit  jni,  als  jrem  eman  und  dem  sy  der 
vogtye  anred  was  für  sich  und  allen  jr  beder  erben  dem  erbern  panphilo  Geugenbach 
dem  büchtrukker,  der  jm  selb,  siner  efrowen  und  allen  jr  beder  erben  recht  und 
redlich  hat  koufft  das  hus  und  hofstatt,  genannt  zum  kleinen  Rotenlewen  mit  aller 
siner  zugehord,  recht  und  gerechtigkeit,  als  das  jn  der  stat  Basel  an  der  freyen  stroß 
zwischen  dem  zuuffthus  zum  Hymel  zu  einer,  und  dem  huse  zum  großen  Rotenlewen 
zur  anderen  site  gelegen  ist;  zinset  jorlich  der  Cottidiau  des  hohen  Stifft  Basel  4  'S 
gewonlich  alter  Baseler  zinßpfennige  und  ein  (unleserlich)  geltz  ze  faßtnachte  von  wegen 
der  eygenschaft  und  5  Schilling  egenannter  pfennige  zum  erschatze,  wenn  sich  die  band 
verwandelt  des  kouffos  halb,  furer  soll  man  euch  jerlichen  darub  richten  und  bezalen 
der  brüderschafft  zu  Sant  Jolianues  Capellen  euch  uff  bürg  zu  Basel  vierdhalben 
gülden,  für  jeden  gülden  1  S  3  Schilling  genger  Baselworung,  sind  abzelosen  lut  des 
briefs  mit  70  gülden  rinisch  hauptguot  und  zuletzt  gand  auch  darub  jerlich  den  herrn 
der  stifft  zu  Sant  Peter  zu  Basel  1  S  3  Schilling  auch  ablosiger  gult;  witer  ist  sollich 


PAJIPHILUS   GENGENBACH  251 

bus  nit  zinushaft,   noch  versetzt,   als  die  vorköuffere  geredt  und  by   iren  triuwen   an 

eides  stat  darumb  geben 

.  .  .  und  ist  darüber  diser  kouff  Zugängen  und  geben  um  60  gülden,  1  'S  5  Schilling 
stebler  Basler  werung  für  jeden  gülden  gerecbnet,  deren  sich  der  verköuffer  bar  be- 
zalt  sin  bekant,  habe  dem  köuffer  darumb  quittiert  mit  geloben  und  versprechen  der 
werschafft  ut  in  forma. 

2.  Urteilsbuch  der  mehreren  Stadt  von  1521.  Mittwoch  nach  Martini  (13.  novem- 
ber)  zwischen  Heinrich  Peyger  von  rotvvyl  junameu  hcrr  Ilannsen  Ruger,  altburger- 
raeisters  zu  rotwyl,  sines  swehers  eines  und  pamphilo  Gengenbach  anderes  teils  der 
schuld  halp,  so  Heinrich  peyger  an  Pamphilum  ervordert,  darumb  ein  pamphili 
handtgeschrifft,  dazu  ein  gewalt  von  sinem  sweher  jnglegt  hat,  da  ist  uff  pamphilus 
züredt  erkandt,  daz  des  jnglegten  gwalts  nit  gnüg  sye  und  ob  Heinrich  peyger  von 
sins  swehers  wegen  etwaz  handeln  welle,  dz  er  dann  ein  gwalt,  des  gnugsam  sye, 
bringen  solle. 

3.  Urteilsbuch  von  1522.  Donnerstag  nach  Hylary  (16.  Januar).  Ich  Baltasar 
Inget,  Schultheis  etc.  daz  uff  hüt  datum  für  mich  jn  gricht  komen  sind  der  erbare 
Heinrich  peyger  als  ein  volmechtiger  gwalthaber  des  furnemen  wysen  herrn  Hannsen 
Rugers,  altburgermeisters  zu  rotwyl,  syns  swehers  eins-  und  pamphilus,  Gengenbach, 
der  büchtrucker,  burger  zu  Basel,  anderesteils :  als  Heinrich  peyger  anfengklich  ein 
gmeinen  gwaltzbrief,  im  von  sinem  sweher  übergeben  under  dem  tütel  und  jnsiegel 
der  fursichtigen ,  wysen  herrn  Schultheißen,  burgermeister  und  richter  der  statt  Rot- 
wyl usgangen,  des  datum  stat  uff  der  dryer  heiligen  kunnige  abennt  des  gegen- 
wurtigen  jors,  verhören  lassen  und  als  uff  pamphilus  zured  derselb  gwalt  für  gnugsam 
erkant  ward,  lies  Heinrich  peyger  umb  20  gülden,  die  er  lut  siner  hanndgeschrifft 
sinem  sweher  schuldig  und  zä  bzalen  verfallen  wäre,  clagen  und  daby  die  hannd- 
geschrift  verlesen  mit  beger  jnn  daran  ze  wysen  jm  umb  sollich  20  gülden  sampt 
erlitten  costen  uszerichten,  dagegen  aber  panphilus  Gogenbach  der  handtgeschrifft  nit 
abred  gewesen  ist  und  antwurten  lies,  wie  herr  doctor  andres  helmüt,  des  gemelten 
herr  Hannsen  Rugers  sweher  seliger,  etlich  getruckte  büchor  verlossen,  dieselben  und 
ander  sin  gut  herr  Hanns  Ruger  von  jm  ererbt,  über  die  bucher  bete  jn  herr  Hanns 
Ruger  gefurt,  jmme  die  besehen  lassen  und  dornach  von  einem  kouf  geredt  und  jm 
also  dieselben  bücher  mengerley  matery  alle  uberhept  gflt  und  bos,  defect  und  pleuaria 
umb  227  gülden  zu  zilen  zu  zalen  uff^  der  junglegteu  haudtschrifft  zu  kouffen  geben 
und  daby  gsagt,  das  er  jm  alle  bucher,  so  sin  sweher  seliger  verlossen  hab.  zeigt 
und  geben  hab,  dornach  er  pamphilus  Gengenbach  erkundt  und  erfaren,  das  er  hanns 
Ruger  ettliche  Costnitzer  breviaria  und  agenda  von  sins  swehers  soligen  buchen  unnd 
die  zu  verkouffen  jn  der  stat  Basel  wider  und  für  geteilt,  und  wiewol  er  soUichs  au 
herr  Hanns  Rügern  ervordert,  so  hat  jm  doch  her  Hanns  Rüger  sollichs  nit  wellen 
gestendig  syn,  biß  das  er  pamphilus  sollichs  in  grund  worlich  erfaren  und  das 
darton  mag,  diewyl  und  denn  herr  Hanns  Ruger  jm  ja  den  kouf  alle  sins  swehers 
seligen  böcher  zu  geben  zugesagt,  aber  das  nit  erstattet,  sondern  ettliche  bücher  jm 
selb  behalten  und  jm  dem  antwurter  zu  nachteil  und  schaden  verkoufft  und  dadurch 
die  synen  vorgeschlagen  habe,  so  wolle  er  der  antwurter  verhoffon,  das  der  kouff  zu 
nichton  erkant  worden,  her  Hanns  Ruger  die  bücher  widurumb  zii  hannden  nemon 
und  jm  dagegen  das  gelt,  so  er  uff  solchen  kouff  bozalt  hab,  widorumb  zu  hannden 
stellen  und  usrichten  solle;  als  aber  der  gewaltiiaber  die  bezalung  an  dem  gegcuteil 


252  KÖNIG,    I'AMPHILUS    ÜENGENBACH 

ervordert  und  das  jin  die  getan  werden   solle   verhofft,   darnacli   sich   dem   gegeoteil 
umb  sin  ansprach  rechtz  auch  erboten  luib: 

da  ist  nach  verhör,  clag,  antwurt,  red  und  widerred  und  beider  teilen  recht- 
satz erkant  und  gesprochen:  welle  jjamphilus  Gengenbach  furbringen,  das  ztirecht 
genfig  ist,  des  jin  herr  Hanns  Ruger  im  kouff  ztigesagt,  das  er  jm  nit  gehalten  hab, 
das  solle  gebort  werden  und  dann  aber  ergan  das  recht  ist;  weit  oder  möcht  aber 
[)amphilus  Gengeubach  nit  furbringen,  des  dann  ergan  solle,  was  recht  ist.  Dann 
ein  xusatx.  von  anderer  hand:  zwischen  jetzgemelten  partyen  ist  witer  erkaut,  das 
man  jnen  beiden  teilen  dieses  Urteils  wie  sie  begert  urkund  geben  und  das  auch 
pamphilus  Gengenbach  zur  erstattung  sines  furbringeus  die  kurtzen  rechtlichen  tag, 
nemlich  dry  tag  und  sechs  wochen,  die  uechst  koniment,  nach  gcrichtzrecht,  wie  er 
die  ervordert,  haben  solle. 

4.  Mittwoch  nach  Cathreda  Petri  1522  (2t).  februar  1522).  Diser  zug  ist  durch 
pamphilus  Gengenbaeh  wider  hannsen  Ruger  zu  Rotwyl  verfaßt.  Nicolaus  Lamparter, 
der  büchtrucker  hat  geschworn  und  sagt:  jnn  vergangenen  jaren  herr  Hanns  Ruger 
burgermeister  zu  Rotwil  etliche  getruckte  bucher  mengerly  matery,  so  her  doctor 
andres  helmut,  sin  sweher  selig,  verlossen  Pamphilo  Gengenbach  zu  kouffen  geben, 
hete  her  Hanns  Ruger  diseni  zugeu  die  bucher  zu  erlosenn.  zu  coUaciouieren  und  zu 
Zellen  gepetten,  deßglichen  were  ein  eaplan  zu  sant  Theodor,  genant  her  friderich 
auch  darby  gewesen  und  als  sie  an  die  obsequalia  komen,  wereu  der  ganzen  65  und 
der  anderen,  so  defect  und  gantz  waren  380,  meinte  panphilus,  das  er  nit  mer  dann 
die  65  gantzen  und  die  380  defect  nit  uemeu,  das  aber  Heir  Hans  Ruger  nit  thüu, 
gantz  und  defect  miteinander  und  eins  on  das  ander  verkoufen  und  weite  p.  der  65 
gantz  obsequalia  habenn,  so  solte  er  die  380  defect  ouch  nemen  oder  sy  alle  stan 
lassen,  also  hab  diser  zug  den  pamphilum  kumerlich  beredt,  das  er  die  380  obsequalia 
defect  zusampt  den  65  gantzen  nemen  und  die  wyl  man  die  by  der  zal  der  bücher 
nit  kouffen  könnte,  so  solte  man  defect  und  gantz  von  bogen  zu  bogen,  von  biich  zu 
buch  und  von  Ris  zu  Ris  zollen,  zu  ballen  rechnen  und  pamphilus  umb  ein  jeden 
ballen  8  gülden  geben;  das  syen  beid  teil  (wiewol  p.  nit  gantzwillig)  iugangen  und 
hab  diser  zug  die  gantzen  anfangs  collaciouiert,  dornach  mit  den  defect  von  bogen 
zu  bogen,  von  bfich  zu  buch,  von  Ris  zu  Ris  gezelt,  dornach  zu  ballen  gerechnet; 
wieviel  der  ballen  gewesen,  sye  zu  beiden  sydten  uff  geschriben  worden,  und  disem 
zuge  witer  nit  wissen. 

HECKLINGEN    (aNHALt).  HANS    KÖNIG. 


TRAUTMA.NX,    ZUU    GOT.  BinKI.VBKRSETZUNT.  di).) 

MrSCELLEN. 

Zur  gotischen  bibelübersetziuig-. 

Mc.  1,  10  liest  die  hs.:  jah  siois  usgaggands  ns  pamma  wathi  gasale  iishik- 
nans  liiniinans,  xcd  irOHog  uvußm'vMv  iy.  tou  l'^ccto;  fi'^ev  ))v(0)y/.ii-'vovg  {a/j'Co- 
uivovg)  Toi'g  ovQccvovi;.  Das  sprachgescliiehtlich  klare  (vgl.  L.  Meyer,  Got.  spr. 
s.  215.  548)  und  dem  sinne  nach  tadellos  passende  adjectiv  nshikus  ■offen'  i.st  doch  viel 
angefeindet  worden.  Gabclentz-Löbe  folgen  der  hs.;  Schulze,  Glossar  s.  215  möchte 
lieber  iisliih-anans  lesen;  J.Grimm,  Gram.  4,20  ändert  ebenso  unter  unzulänglichen 
gründen,  will  aber  Neudruck  27  das  überlieferte  doch  gelten  lassen.  Schade,  AVb.-' 
s.  1065  setzt  zwe\(e\nd  itsluhis  an  und  möchte  .1.  Grimm  gern  folgen;  ebenso  zweifel- 
haft ist  Gering,  Zeitschr.  5,  299;  Ui)pström  wollte  gar  usluknandans  lesen.  Erst 
Bernhardt,  Vulfila  s.  250  erklärt  sich  entschieden  für  die  äuderung  dos  adjectivs  ins 
particip,  indem  er  meint,  einem  IjViojyittvovg  könne  nur  ein  got.  particip  entsprechen, 
vgl.  2.  Cor.  2,  12,  wo  in  der  tat  aviov/u^'vt];  durch  «s/«/i-rt»ai  widergegeben  ist.  Doch 
bedenke  man,  wie  ungemein  nahe  in  den  indogermanischen  sprachen  particip  und 
adjectiv  einander  stclm,  und  "Wulhla  scheint  mir  nicht  ohne  grund  vom  griech.  texte 
abgewichen  zu  sein,  da  im  particip  nslukaiis  noch  die  bewegung  des  sich  öffnens 
nachklingt,  iisli(kiis  aber  den  vollen  zustand  des  offcnseins  ausdrückt:  gasah  usluknans 
himinaiis  'er  sah  die  himmel  offen,  in  all  ihrer  lierrlichkeit'.  Dennoch  sind  die 
späteren  herausgeber  Bernhardt  gefolgt;  während  Heyne,  Ulfilas  in  der  7.  auf!,  der 
hs.  folgt,  ändert  er  in  9.  und  10.  aufl.  in  ushd-anans,  ebenso  ändeit  Braune,  Got. 
gram.^  s.  110,  und  bei  Wilmanns,  Gram.-  2,  436,  Kluge,  Stammbildiingslehre^ 
s.  108  fehlt  das  wort.  Nur  J.  Schmidt,  Sonantcntheorie  s.  101.  116  folgt  der  Über- 
lieferung. Meiner  ansieht  nach  muss  die  handschriftliche  Überlieferung  aber  bei- 
behalten werden,  weil  es  in  der  got.  bibel  eine  grosso  reihe  von  fällen  gibt,  wo  dem 
griech.  particip  ein  got.  adjectiv  gegenübersteht,  ein  weiterer  beweis  dafür,  wie  fein 
Wulfila  übersetzt,  wie  er  nuanciert,  überhau[)t  dem  griechiscLen  texte  frei  gegen- 
übersteht. Obwol  schon  Gering,  Zeitschr.  5,  301  fg.  beispiele  hierfür  zusammen- 
gebracht hat,  will  ich  doch  die  fälle  hierhersetzen,  indem  ich  sie  vermehre  und,  so- 
weit es  mir  möglich,  darauf  aufmerksam  mache,  wann  das  griechische  particip,  das 
an  der  einen  stelle  durch  ein  got.  adjectiv  widergegeben  wird,  an  einer  andern  stelle 
ein  got.  particip  sich  gegenüber  hat.  Ich  hoffe  so  die  frage  des  got.  uslnlnis  ein  für 
allemal  zu  erledigen. 

2.  Cor.  5,  9:  i'inih  ßis  iisdandjani ,  jajjße  anahaimjai  jap[jc  afhaimjai, 
Siü  y.ai  (fi,).oTi}iOVfii>')^K,  tire  IvSrjfxovvTfg  tht  l y^ tjuovvrsg. 

I.Tim.  5,  5:  soeihi  sunjai  ividmvo  isl  jali  ainakla,  »)  ö'vrwf  ;^/;()«  x«l  f^isf^io- 
vo}^  iv  r\. 

2.  Tim.  3,  13:  ^^  iibilai  mannahs  jak  liutai  ßeihand  du  wairsixin,  airxjai 
jah  airxjandans ,  novrjQcn  St  äv!)imnot,  y.al  yotjTfg  TiQoy.oxpovaiv  inl  tö  yjJQOi',  nXu- 

vGjVTfS    yCU    71  i.(CVlöfl(VOl. 

Mc.  10,  30:  in  aitca  pamma  anauairpin,  iv  Tcp  afwrt  rai  iQ/ofi^vfo. 

Lc.  3,  7:  /vas  gataiknida  ixwis  Jümhan  faura  paninia  anatvairpin  hatixa?, 
ri'g  i'TitStihv  i'uTv  (fvytlvunb  rfjg  fit).).ova  i]g  ooyrig;  ebcn.'-o  Rom.  8,  38;  Eph.  1,21; 
Col.  2,  17;  I.Tim.  1,16.   4,8. 

Tit.  1.9:  andancmeigs  hi  laiscinai  waurdis  triggwis,  üvTB/ufj.evov  tqO 
y.uTu  jrjP  ScSic/>iP  ntmoO  ).6yov. 


254  TRATITMANN 

Rüm.  8,  38:  nili  andicairjjo  nili  anaicairpo,  ovie  ivtarGiTa  ovt8  /.it'XkovTa. 
Ebenso  1.  Gor.  7,  26. 

l.Cor.  5,  'i:  jn  gastauida  sive  andivairps ,  ij^t}  yJy.Qixa  log  n«QU)v.  Ebenso 
2.  Cor.  10,  2.  11;  13,2.  10. 

Lei,  28:  farjino,  anstai  audaha  fta,  yj^^Q^^  x8xuQiTioi.ievr]. 

Mc.8, 17:  datibata  hahaijj  luiirto  ixicar,  n  eniaQtojuevijv  fy^rs  tj]v xanStav  vftGiv. 

Job.  11,44:  urrann  sa  daiijja,  i^fjXOsv  6  t sOvtjy. lüg.  Ebenso  Job.  12,  1;   aber 

Lc.  7,  12:  sai  utbatirans  tvas  naus,  iSov  i^exo/xittro  TiOvriy.wg. 

Epb.  2,  12:  wesuß  ßan  in  jainamma  mcla  inuh  Xristu  framaßjai  tismetis 
Israelis,  t]Tt  Iv  to3  yaiQm  iysi'vo)  ytociig  Xoiarov  äni^kXoTQKOf^i^voi.   Ebenso  ib.  4,  18. 

l.Tiin.  5,  20:  paus  fraivaurhtans  in  andwairjjja  aUciixe  gasak,  Tovg 
u LI  HOT i'cvovT ag  ivMTiiov  nüvTtav  (Xeyye. 

Eph.  6, 16:  standaijj ....  andnimandans  skildu  galauheinais ,  Jjamviei  viagup 
allos  arhaxnos  pis  unseljins  funiskos  afhapjan,  aTfjTS  ....  uvcdaßövjtg  tuv 
dvotov  TTJg  TTiOTtwg ,  Iv  O)  Svi')]ata08  ndvTU  t«  ßtXt]  tov  novr]QOV  xa  tt in VQMfitvu 
aßt'acci. 

Rom.  10,  12:  sa  sama  fraitja  allaixe,  gahigs  in  allans  pans  bidjandans  sik, 
u  KL'Tog  y.vQiog  ttuvtcov^  nXovjSiv  eig  ndviag  rovg  ^niyccXov/uivovg  avTÖv. 

Lc.  18,  34:  ivas  Jmta  ivaurd  gafulgiii  af  im,  ^v  ro  (jfjiuu  tovto  xs^qv/x- 
(.itvov  an    cdniüv.     Ebenso  Eph.  3,  9;  Col.  1,  26. 

Lc.  4, 19:  frnletan  gamaidans  in  gapraf stein ,  vcnoOTtlXai  Tt&Qavafxevovg 
iv  u(peG8i. 

Lc.  3,  13:  ni  tcaiht  ttfar  ßatei  garaid  sijai  ixivis,  lausjaip,  /^r,^iv  nX(ov 
nana  tb  &iaT(TKyiÄivov  vfiTv  nQÜOCtrs. 

Mc.  6,  9  :  ak  gaskohai  suljom,  aXXä  vn o^i^euivovg  aavSäXia. 

Eph.  6, 15:  gaskohai  fotum  in  mamcipai  aiivaggeljons  gaivair/jjis ,  vnoSt]- 
ouuevoi  Tovg  nöSag  iv  Iroi/^uaia  tov  fvayyeXi'ov  Tfjg  fi()>ivrjg. 

Mc.  3,  5:  gaurs  in  daubipos  hairtins  ixe,  GvXXvnov y.tvog  inl  tT]  nojQujad 
Tijg  y.unSi'ag  avTwv.     Ebenso  Mc.  10,  22. 

Mt.  25,  44:  /van  ßtik  selouni  gredagana  aippan  afpaursidana?  nörs  ae 
tY^o[.nv  netvüivT K  fj  cfti/'töiTß ;   ebenso  Lei,  53;  ib.  6,  21. 

l.Cor.  7,  10:  [yairn  liugom  haftain  anabiuda,  roTg  yeyafxrjxöaiv  naq- 
nyytXXw. 

Lc.  5,  3 1 :  ni  Jjaurbun  hail a i  lekeis ,  o v  /Qt (av  f/ovatv  oi  vyiaivovTig 
UiTQov.     Ebenso  ib.  7,  10.  15,  27;  1.  Tim.  1, 10.  6,  3;  2.  Tim.  1,  13.  4,  3;  Tit.  1,  9.  2, 1. 

Mt.  9,  12:  ni  panrbun  hailai  lekeis,  ov  xQ^i'«^  (/ovaiv  ol  ia/vovrsg  farQov. 
Aber  Mc.  2, 17:  swinpai  .  .  .  .,  oi  iGyvovTSg. 

Lc.  1,36:  Aileisabaip  nipjo  peina,  jah  so  inkilpo  sunuu,  'EXtaäßeO-  ?}  avy- 
yevr'jg  aov  y.al  avrr]  (Jvve iXrjipvta   viöv. 

Lc.  9, 41:  0  k^ini  ungalaiibjando  jah  imvindo,  w  yevsä  äniaTog  xal  Sif- 
aTQa/.ifj.evr]. 

Rom.  9,  25 :  haita  po  ni  managein  meina  managein  meina  jah  po  unliubon 
liabon,  xaXtaio  rov  oi)  Xaöv  f.iov  Xaöv  fxov  ;ff«  rrjv  ovx  rjyan)]uev>jv  t]yunrifX8vr]v. 

Eph.  3,  20:  pamma  mahteigin  ufar  all  taujan  maixo  pau  bidjam,  toö 
Svvafxsvb)  vntQ  nüvTtc  notrjOat  .  .  .    Ebenso  2.  Tim.  3,  7.  15.     Aber 

Mt.  10,  28:  ni  ogeip  ixivis  pans  usqimandans  leika  patainei,  ip  saiwalai  ni 
magandans  usqiman,  firj  (foßeiade  änb  tQv  anoxTeivöviMv  t6  oGiua.  Tt]v  dt  ^pvyrjv 
fiij  Swcifitvoiv  änoxTiivcu.     Ebenso  Mc.  2,  4. 


ZUR   GOT.  BIBELÜBERSETZUNG  255 

Eph.  3,  19:  kunnan  ])o  ufarassau  mikilon  ßis  kunßjis  friopiva  Xristaus, 
yvüjviii,  Tijv  vn iQßdXkova ttv  riig  yvöiaeug  ctyicnrjv. 

Mt.  5, 22:  ik  qißa  ixicis  ßatei  loaxuh  modags  ^roßr  semamma  stvare  skula 
uairpip  staiiai,  iyii)  kt'yto  vfiTv  ort  nüg  d  ÖQytCöuevog  tgö  i\S(l(faJ  kvtoO  etxi'j 
fvo/Oi;  'iOTia  tij  y.Qt'aa. 

Mc.  13,  17:  ivai  paim  (i  i fjulia  ftuni ,  oviu  raTg  iv  yaOTo)  l/ovacag.  Ebenso 
l.Thess.5,3. 

Eph. 4,18:  r  iqixeinai  gahugdai  uisandans ,  tay.or  la  ufvot,  tj)  Sluvoiu  övitg. 

Eph.  4,  22:  .  .  .  ei  aflagjaip  jics  bi  frumin  nsmeta  Jmna  fairnjan  mannan 
pana  ritirjan,   ...  anoO-iadiu  vfxüg  .  .  lov  ncü.iauv  iivOownov  lov  ifüttoüutvov. 

1 .  Cor.  4,  8 :  yit  sadai  sijujj,  rj6't]  y.sy.oQ8Gfiivoi-  iars. 

Lc.G,  25:  wai  ixuis  jus  s  ad  ans  nu,  oval  vfxlv  ol  ifin  enXy;a  fitvoi  vCr. 

Phil.  2, 2:  usfullcijj  mciiuo  fulied  ei  Jjata  samo  hugjaiß  ...  samasaiwalai, 
sa  »lafrapjai,  nXtjQÜoccre  fxov  rijv  ^kquv  ivu  t6  (cvtö  (fQOvPjTa  ...  Gvfxipv/oi-,  tii 
ti^  (f'Qovo Ovreg. 

Mc.  6,  56:  ana  gagga  lagidedun  siukans,  Iv  rtag  nliaeiiag  iiiOow  rovg 
(ca^evoüvTag.     Ebenso  Lc.  4,  40.  7,10;  Joh.  6,  2.  11,1;  l.Cor.  8,  12. 

Col.  3,  25:  sa  skapiila  andnimifj  Jjutei  skojj,  o  CiSiyGiv  y.oLii'atrui  o  ij&i'yijGtv. 

Mc.2,  17:  ni  Jjaurbun  swinjjai  lekeis,  oii  yoeiuv  tyovoiv  ol  lO/uovi sg  faTooD. 

Lc.  9,  11:  Jjans  Jjarbans  lekinassaus  gahailida,  lohg  /Qiiuv  f/ovKtg 
Ofnanencg  iüro.     Aber 

Eph.  4,  28:  arbaidjai  waurkjands  sivesaim  handiim  pitip,  ei  habai  dailjan 
paurbandin,    y.onu'aü)  iQyccCüuevog  rai'g  fSnctg  yioaiv  ib  ayaOov,    Iva  t/n  uiia&i- 

SÖVCU    T(p  /Q  eiCCV    f^OVTt. 

Meli,  20:  gasehun  pana  smakkabagni  J)aiirsjana  us  waurtini,  t'iSov  i^v 
avyijp  iir]QUfifie'vr]v  i%  QtCsiv.     Aber 

Mc.  3,  1:  was  jainar  manna  gapaursana  habands  liandu,  i]v  h.ai  ävOQumog 
iit]ou/iifxe'vr]v  eyojv  rrjv  yttoa.     Ebenso  v.  3. 

Lc.  14,  21:  pamih  ptvairhs  sa  gardawaldands  qap  du  skalka  seinannna, 
TüT(  öoyiG&eig  ö  ofyodiOnoTrjg  einev  tc5  dovXqj  avToC. 

Lc.G,  38:  gibaid,  jah  gibada  ixivis;  mitads  goda  jah  ufarfulla  jah  gaivi- 
gana,   SiSore,  y.ul  SoOt]aeTt(t,  v^Tv   fxiioov  xiü.ov  7itnttofi,ivov  yal  ataaltvfxtvov. 

Lc.5,  31:  ni  Jjaurbun  hailai  lekeis,  ak  Jmi  unhailans,  od  yotlav  'iyovaiv 
Ol   vyucivovTig  fcciooD  uU.u  ol  xuy.Gig  fyovitg.     Aber 

Mt.  8,  16:  allans  pans  ubil  habandans  gahailida,  nüvxag  lovg  y.uy.dg 
fyovTug  id-end/itvofv.  Ebenso  Mc.  1,32.  34;  2,  17  (paralleLstelle  zu  Lc.  5,  31); 
6,  55.     Anders 

Mt.  9,  12:  7ii  /xturbun  hailai  lekeis,  ak  pai  tonhaili  habandans,  .  .  .  ol 
yityßg  tyovitg  (paralleLstelle  zu  Mc;2, 17).     Anders 

Lc.  7,  2:  hundafade  pan  sumis  skalks  siukands  swuUawair/>ja  f/cas),  txa- 
rovTÜoyov  ^e  rivog  &ou).og  xaxGig  eyMv  ijftfXXev  rtXivTäv. 

Rom.  9,  25:  haita  po  ni  inanagcin  meina  managein  meina  jah  J)0  unliubon 
liuhon,  x(ü.taii)  lov  od  laov  fiou  Xuuv  /nov  xul  jt^v  oux  fjyuTi  i}u  t'vijv  i]yu7i)]f.iivr\v, 
vgl.  s.  254  unten. 

Rom.  14,  1:  unnialiteigana  galaubei)iai  andnimaip,  iüi>  uaOevovvTct  t/J 
nimti  7iooa).«ußiivia9e.     Ebenso  ib.  14,2;  l.Cor.  8, 11. 

2.  Cor.  11,8:  tvisands  at  ixwis  jah  ushaista  ni  ainnahi/n  kaurida,  nuowv 
nobg   ii/uilg  xui   vGt (qtjO  tlg  ov  x«Tivi({>xi}(T((  ov$iv6g. 


256  SCHRODKIt 

Lc.  6,  35:  frijod  ßans  fijands  iximrans,  Jmtß  tavjaid  jah  leibaid  ni  waihtais 
usicenans,  .  .  .  ayaOonouns  y.al  &m'i'CiTS  [xr]Stv  an iln il.ovt Eg. 

Col.  3,  12:  gnhamoj^ixtcis  stce  gcmmUdai  giidis,  iveihans  jah  walisans, 
IvSvOaaOe  wg  iy.lty.To\  Oeov,  aytoi  xtd  i)y«nrijUfvoi. 

Gal.  5,  6:  in  Xrisfau  Icsit  nili  bhnait  icniht  gamag  nih  fmirafUli,  ak 
galanbeins  pairh  friapira  waurstiveiga,  .  .  .  ovre  7i(QiT0f.i>i  tc  !a/rH  oure  tixno- 
ßvOTuc,  ("(Xlä  niOTig  fJi  uyünr]g  lvioyov/ii8'vr].     Ebenso  2.  Cor.  ].6. 

Joh.  17,  19:  frnm  im  ik  tceiha  mik  silban,  ei  sijaina  jah  eis  weihai  in 
siinjai,  i'TiiQ  avTßv  iyo)  (iytuC«}  hiavTÖv,  'Iva  üaiv  yal  uvtoI  fiytaa/Lisvot  Iv  älriDtüt. 

Mc.  5,  15:  gasai/vand  ßana  ivndnn  sitandan,  Oiwooiaiv  jov  SaiuoviXo- 
uevov  y.a!)i]i^tvov.     Ebenso  v.  16.     Aber 

Mt.  8,  16:  at  andanalitja  n-aurßanamma  atbcrnn  dn  imma  daimonat-jans, 
oxping  ysvouevt]g  nooatp'fyyav  ccvtS  &(ct./j  oviCoiuevovg.     Ebenso  v.  28.  33;  9,32. 

Mc.  5, 18:  baj)  ina  saei  was  wods,  nantydln  {(inov  6  &ai-uovcaO  e ig.    Aber 

Lc.  8,  30:  gataihun  im  jah  Jmi  gasailvandans  loain-a,  ganas  sa  daimo- 
nareis,  .  .  .  o  S((.i,^io%ic>0-tig. 

2.  Cor.  3,  10:  ni  was  widßag  ßata  uulpago,  ov  StSoiadtia  lo  SiSoiac- 
uivov.     Aber 

Lc.4,  15:  is  laisida  in  gaqunijnm  ixe,  mikilids  fram  allaim,  ...  6o^hL6- 
u  evog   vno  n dvro) v . 

Zu  diesen  angeführten  beispielen  kommen  noch: 

2.  Cor.  13,2:  sivasrve  andicairjis  . .  .jah  aljaßro  nu  melja ,  o>g  nanwv  .  .  .  ycd 
änojv  vvp  yoiUfM.     Ebenso  ib.  10;  Phil.  1,  27. 

Phil.  1,  25:  J5a^a  triggwaba  wait,  tovto  nenoiOiog  oFcT«. 

1.  Tim.  3,  16:  unsahtaba  mikils  ist  gagudeins  runa,  df.io).oyovi^i  ijnog 
f,iiya  iauv  t6  rfjg  ivaeßfi'ug  i^ivarijoioi'. 

Über  widergabe  griechischer  participia  durch  gotische  substantiva  handelt 
Gering,  Zoitschr.  5,  303 fg. 

KÖNIGSBERG    I.  PR.  REINHOLD    TRAUTMANN. 

Schütte]  formen. 

Den  bereits  bekannten  fällen  von  cousonantenaustausch  (reciproker  fernvei'setzung 
von  consonanteu)'  habe  ich  Beitr.  29,355  eine  reihe  von  fällen  aus  neueren  deut- 
schen mundarteu  hinzugefügt.  Ich  habe  da  auch,  auf  scherzhafte  bildungen  hinge- 
■wiesen,  wie  lauenbg.  (auch  mecklenhg)  stceivelsivikn  (eig.  'stiefelzwecken'),  für  szvcetvel- 
s<^■/m  ('Zündholz',  eig. 'schwefelstecken'),  ani  Fhmkcrkies  K\v  Klinker fues ,  sowie  auf 
mut  zeiget  auch  der  lahme  muek  für  mameluck.  Zu  den  scherzhaften  bildungen 
dieser  art  gehört  auch  das,  wenigstens  in  Norddeutscliland,  oft  gehörte  morantisch 
für  romantisch.  Ebenso  hat  man  aus  musikalisch  durch  consonanteuaustausch  ein 
kusimalisch ,  durch  vocalaustausch  ein  masikulisch  und  durch  beide  arten  des  laut- 
austausches  zugleich  (also  durch  silbenaustausch)  ein  kasimulisch  gebildet. 

Eine  solche  mit  absieht  gebildete  form  ist  auch  porkulent,  unter  anlehnung  an 
■  porcus  aus  korpulent,  bei  Kortum,  Jobsiade  2,  2032 : 

Denn  sein  hiesiger  dienst  nährt  ihn  treu, 
Und  er  wird  reich  und  porkulent  dabei. 

1)  Kluge,  Pauls  Grdr.  1 -,  384fg.;  Etym.  wb.^  unter  essig,  geiß,  kahn,  kitzeln, 
naber,  pips;  Wilnianns,  D.  gr.  1^  §  160,  2;  Brugmann,  Grdr.  d.  vgl.  gr.  1*,  874fg.; 
Kurze  vgl.  gr.  249. 


SCHÜTTELFORiiEK  25? 

Auch  das  von  Kluge,  Studentensprache  s.  61,  erwähnte  sü'ps  für  spitz,  'rausch, 
schwips'  gehört  hierher.  Bei  Hans  Meyer,  Der  richtige  Berliner  in  Wörtern  und 
redensarten,  6.  aufl.  (Berlin  1904)  finde  ich  folgende  bildungen,  die  zum  teil  auch 
fern  von  Berlin  ganz  gebräuchlich  sind:  s.  112a  schiUtebeen  für  hüte  schön;  s.  27a 
blutwürschtijer  Dieterich  für  blutdürstiger  tvüterich;  Jott,  jib  mir  taft  xtini  kragen 
für  kraft  xuni  tragen;  s.  90a  doppelsoldcnkaiicndes  nashorn  für  doppelkohlensaiires 
natron,  auch  (bei  Meyer  nicht  verzeichnet)  sohlenkatcende  Jungfrau  für  kohlensaure 
Jungfrau,  Verkäuferin  in  den  seltors-  und  sodawasserbuden,  daher  auch  sodaliske 
genannt;  s.  96a  hochgepubeltes  ehrlikum  für  hochgeehrtes  publikum^;  s.  108a  sehinder- 
kule  für  kinderschule ;  s.  111b  schreifritx,  für  den  Freischütz,  von  Weber;  s.  118a 
sfauhdunun  für  taubstunini. 

Den  bisher  erwähnten  bildungen  hurt  man  heute  ja  das  gemachte  sofort  an, 
■während  ihre  urschöpfung  z.  t.  sicher  in  das  gebiet  der  unfreiwilligen  komik  gehört. 
Die  meisten  im  folgenden  aufzuführenden  formen  aber  werden  vom  volke  zweifellos 
ohne  nebenabsicht  verwendet  und  ohne  dass  man  an  die  grundform  denkt,  aus  der 
sie  entstanden  sind. 

Wir  haben  es  in  allen  diesen  bildungen,  vom  rein  lautlichen  Standpunkt  be- 
trachtet, mit  derselben  erscheinuug  zu  tun  wie  beim  Schüttelreim-.  Ich  möchte 
daher  für  die  durch  reciproke  fernversetzuug  entstandenen  wortformen  die  benennung 
Schüttelform   vorschlagen. 

Solche  Schüttelformen  finden  sich  in  den  heutigen  deutschen  mundarten  gar 
nicht  so  selten.  Nach  den  a.  a.  o.  veröffentlichten  bin  ich,  ohne  danach  zu  suchen, 
noch  folgenden  am  wego  begegnet: 

1.  Tirol.  (Schöpf -Hof er  327)  knarbetstaud  'wachholderstrauch'.  knorbct  ist 
Schüttelform  von  kranbet,  mhd.  chranbit,  chramhit  (Lexer);  dies  ist  eine  mittelform 
zwischen  ahd.  chranaivitu,  mhd.  kranewite  'wachholder',  eig.  'kranichholz'  und  nhd. 
krammet  in  krammetsvogel  'wachholderdrossel'. 

2.  Tirol,  lasiter  ' Salpeter'  (Sch.-H.  369,  vgl.  Schmeller- Frommann,  Bayer,  wb. 
1,  1503)  ist  Schüttelform  von  obd.  (tiroL,  kämt.,  steir.,  bair.  usw.)  saliter,  salliter 
'Salpeter',  mhd.  saliter,  salniter  'salpeter'  aus  sal  nitrum  wie  salpeter  aus  sal  petrae. 
Von  lasiter  ist  gebildet  tirol.  lasiterer  'salpetersieder',  wie  steir.  saliterer  'salpeter- 
gräber'  von  saliter. 

3.  Nd. ,  auch  obd.  schersant,  weit  verbreitete  schüttelform  von  serschant 
'Sergeant',  wie 

4.  Mnd.  sehartse  'zottige  woUdecke'  von  frz.  serge  'sersche'. 

5.  Eis.  (Martin -Lienhart  1,  416)  kabet  (khäpet),  schüttelform  vom  gleichbed. 
schriftsprachl.  paket. 

6.  Eis.  (M.-L.  1,429)  kalabari,  schüttelform  vom  gleichbed.  kalarabi  'kohlrabi'. 

7.  Als  eis.  habe  ich  mir  auch  angen\erkt  narunkel,  schüttelform  von  ranunkel. 
Ich  kann  das  wort  jedoch  in  M.-L.  nicht  widerfinden;  es  mag  daher  auch  eine  Ver- 
wechslung mit  einer  anderen  mundart  vorliegen.  Das  bestehen  der  form  ist  aber 
zweifellos. 

1)  Dieses  Itochgepubelie  ehrlikum  steht  ungefähr  auf  derselben  höhe  wie  das 
gleichfalls  hierhergehörige  pennälercitat:  Timo,  timo,  Sidaziusf  Die  ibiche  des 
Kranikus! 

2)  Obgleich  das  wort  Schüttelreim  doch  schon  sehr  viel  länger  allgemein  ver- 
breitet ist,  findet  es  sich  nicht  vorzeiciinet  in  dem  1899  erschienenen,  von  Heyne, 
Mei-ssuer,  Seedorf,  Meyer  bearbeiteten  9.  bde.  des  D.  wb. 

ZEITSCHRIFT   F.    DEUTSCHE   PHILOLOGIE.      BD.    XXXVII.  17 


258  SCHRÖDER 

8.  Ahm.  zicklen  'aufreizen'  stellt  Kluge ,  Et.  wb. ^  als  schüttelform  zu  kitzeln. 
Mit  reclit:  schles.  xickchi  'hat  im  gebirge  auch  die  bedeutung  kitzeln'  (Weinhold, 
Über  die  dialektforsch.,  Wien  1853,  s.  108).  Zickeln  entspricht  also  genau  dem 
engl,  tickle.  Aber  sollte  das  Verhältnis  nicht  umgekehrt,  nicht  fik  aus  kit,  sondern 
kit  aus  Hk  entstanden  sein?  Dann  wäre  nengl.  tickle,  me.  tikelen,  ae.*ticlian  als 
iterativbildung  zu  germ.  tik,  indog.  dig  'mit  dem  finger  beiühren,  weisen'  zu  stellen: 
nl.  nd.  tikken,  nengl.  tick  usw.,  auch  nhd.  xeichen  usw.  dürften  dazu  gehören,  sowie 
lat.  digitus  usw.  S.  Franck,  Nl.  etym.  wb.  unter  tikken,  teeken;  doch  vgl.  auch 
Falk  og  Torp,  Etymologisk  ordbog  over  det  norske  og  danske  sprog  s.  v.  kildre. 

9.  Das  von  Schottel,  Haubt- spräche  s.  1365,  nicht  aber  vom  D.  wb.  verzeichnete 
molleren  'pomura,  malum  armenium,  abricot'  wird  auch  wol  als  schüttelform  vom 
gleichbed.  morellen  aufzufassen  sein. 

iO.  Waldeck.  (Bauer  -  CoUitz  52)  Jäpdk,  schüttelform  des  Vornamens  Jakob. 
Auch  in  Zusammensetzungen,  z.  b.  (B.-C.  43)  Hdnjupdk  'Johann  Jakob',  (65)  ludar- 
jäpgk  'Spitzname  für  einen  faullenzer',  vgl.  Mc^sran 'lottern,  faullenzen'.  Ebenso  auch 
eis.  (M.-L.  1,405)  Jobdk,  Jopdk  zu  Jokab,  Jokap  'Jakob'. 

11.  Nassau.  (Kehrein  454)  xiewick  könnte  als  schüttelform  zu  nhd.  kiebitx, 
dial.  kieicitx  aufgefasst  werden,  ebenso  westf.  (Woeste  200)  pnvick  zu  gleichbd.  ktwip 
'kiebitz'.  Aber  in  anbetracht  der  zahlreichen  formen,  die  der  vogelname  in  den  ver- 
schiedenen mundarten  angenommen  hat,  tut  man  wol  besser,  in  xieicick :  kiewitx, 
jnivik :  kiwip  ein  zufälliges  zusammentreffen  anzunehmen. 

12.  Thür.  (Hertel  260)  würget,  schüttelform  von  gleichbd.  wulger  'walze;  dicker 
kerl',  widgern  'hin-  und  herwälzen'. 

13.  Nl.  dial.  groning.  (Molema  314)  rcbalie,  ostfries.  (teu  Doorukaat-Koolman 
3,  18)  rebnlje  'Unordnung,  Verwirrung,   unruhe'.     Molema  hält  rebulie  für  eine  ent- 

.  Stellung  aus  nl.  rebellie  'rebellion'.  Dagegen  spricht  aber  die  betonung:  rebtdje  hat 
den  ton  auf  der  zweiten ,  rebellie  auf  der  letzten  silbe.  Mit  recht  hatte  daher  Doorn- 
kaat  diese  erklärung  schon  angezweifelt,  aber  eine  ebenso  fragwürdige  an  ihre  stelle 
gesetzt:  „Wol  nicht  aus  rebellion,  sondern  wol  eher  von  franz.  reboiiillir  'wider 
kochen,  bez.  wider  aufkochen  und  aufwallen';  vgl.  franz.  bouillir  auch  in  der  be- 
deutung 'in  Unruhe  sein  usw.',  sowie  span.  bulla  'unruhe,  verwirrang'  (Diez  1,  73, 
in  der  5.  aufl.  s.  57)". 

In  den  beispielsätzen,  die  Doornkaat  gibt  ('^  geid  all  in  d'  rebulje,  't  is  all  in 
d'  rebidje  'es  geht,  ist  alles  in  Verwirrung,  unruhe')  steht  vor  dem  worte  ein  d,  das, 
wie  er  es  schreibt,  als  der  apostrophierte  bestimmte  artikel  aufgefasst  werden  muss. 
In  der  lebendigen  spräche  aber  ist  in  d'  rcbuljc  von  in  drcbtdjc  oder  in  d'  drebulje 
nicht  zu  unterscheiden.  So  glaube  ich  denn,  dass  nicht  in  d'  rebulje,  sondern  in 
drebidje  (oder  vielleicht  auch  in  cV  drebulje)  zu  schreiben  ist.  In  anderen  Verbin- 
dungen scheint  das  wort  nicht  üblich  zu  sein;  wenn  doch,  so  könnte  rebulje  durch  falsche 
abtrennung  dos  als  apostrophierter  artikel  aufgefassten  anlautenden  d  aus  drebulje 
entstanden  sein.  Drebidje  aber  ist  sehr  einfach  zu  erklären;  es  ist  schüttelform  zu 
dem  über  ganz  Deutschland  verbreiteten  bredulje:  ostfries.  (1,224)  bredulje  'stottern, 
stotterei,  Verwirrung',  he  kiimd  in  d'  bredulje  'er  kommt  ins  stottern,  gerät  in  Ver- 
wirrung', dat  kumd,  geid  cd'  in  d'  bredidje  'das  kommt  sämtlich  ins  stocken,  geht 
alles  verkehrt',  waldeck.  (B.-C.  16)  brdduljd  'Verwirrung',  in  br.  kumon  'in  Ver- 
wirrung geraten',  westf.  (Woeste  39)  bredulje  'Verwirrung',  nass.  (Kehrein  93)  bredulje, 
in  der  br,  sein,  in  die  br.  ko7nmen  'in  Verwirrung',  ebenso  henneb.  (Spiess  33) 
bredidlje  'Verlegenheit,  peinliche,  missliche  sache',   thür.  (Hertel  74)  in  der  bredidje 


NHD.   PüTF.n  Ö59 

('not,  Verlegenheit')  stecken,  in  die  hr.  kommen,  bair.  (Schm.-Fr.  1,348)  in  der  bre- 
r/?//^i  ('Verlegenheit')  sein,  in  die  brediilti  kommen,  stein  (U.-Kh.  112)  brcdidl,  pre- 
tnll  'Verlegenheit'  usw.  Das  wort  stammt  aus  dem  franz.:  se  bredouiller  'sich  beim 
sprechen  verwirren,  die  Wörter  verschlucken;  tr.  herausstammelu';  über  die  etym. 
des- franz.  wertes  s.  Scheler  im  anhang  zu  Diez,  Et.  wb.  d.  rom.  spr.  "^  s.  785. 

Im  anschluss  au  diese  aus  deutschen  mundartcn  stammenden  Schüttelformen 
möchte  ich  noch  aufmerksam  machen  auf  eine  Zusammenstellung,  die  schon  De  Bo  in 
seinem  Westvlaamsch  idioticon,  Gent  1892,  gegeben  hat,  die  aber  m.  w.  in  der  gram- 
matischen littoratur  bis  jetzt  noch  nicht  berücksichtigt  worden  ist.  Er  bringt  da  s.  603 
unter  'Metathesis'  eine  liste  von  beispielen  für  vocalische  und  consonantische  meta- 
thesen ,  untermischt  allerdings  auch  mit  beispielen ,  die  nicht  dahin  gehören.  In  dieser 
liste  befinden  sich  auch  folgende  beispiele  vlämischer  Schüttelformen : 

Ostvl.  egeveer  zu  glbd.  westvl.  avegeer  'grosser  bohrer'  =  mhd.  nageber,  ncgeber 
zu  nabeger,  nebeger;  vgl.  Kluge,  Et.  wb.''  unter  naber,  Franck,  NI.  et.  wb.  unter  naaf. 

Westvl.  kape,  knap,  schüttelform  zu  glbd.  bnke,  nl.  baak  'hakc^  Seezeichen'; 
vgl.  Franck  s.  v.  bnak. 

"Westvl.  begaren,  schüttelform  von  glbd.  gebaren  'sich  gebärden,  stellen  als  ob'. 

'WesM. ge/cel , geeicl ,  schüttelform  von  glbd.  \\.  gclinv,  geelw,  gilw ,  nX.gcel  'gelb'. 

Westvl.  so^<^^e/e»,  soicelcn,  s?<»'e/e»i 'besudeln,  beschmutzen',  schüttelform  von 
frnvl.  (Kilian)  solmcen,  setdeuxn  'maculare,  souillir'  =  mhd.  suliien,  sül/ren,  nhd. 
(be)sidbern. 

AVestvl.  loreeren  'umherschwärmen,  umgehn,  spuken',  schüttelform  zu  vi.  nl. 
roheren,  7-ollecren  'roulieren,  rollen;  vi.  schwärmen,  umherlaufen'. 

Westvl.  sulker,  xulker  'Sauerampfer',  schüttelform  zu  glbd.  xurkcl;  vgl.  Franck 
s.  V.  xuring. 

KIEL.  HEINRICH    SCHRÖDER. 

Nhd.  puter  'tnithahir. 

Nach  Paul,  D.  wb.  ist  der  Ursprung  des  wertes  puter  dunkel.  Kluge  vermutete 
darin  in  den  ersten  auflagen  seines  Et.  wb.  den  substantivierten  lockruf  put\  in  den 
letzten  auflagen  führt  er  aber  das  wort  nicht  mehr  auf,  wol  weil  ihm  seine  frühere 
erkläiTing  nicht  mehr  recht  glaubwürdig  erscheint,  dagegen  ist  sie  von  Falk-Torp, 
Etym.  ordb.  2,  82  s.  v.  putte  wideraufgenommen  worden.  Ich  möchte  eine  andere,  frei- 
lich auch  nicht  durchaus  sichere  etymologio  vorschlagen. 

Der  vogel  hat  eine  ganze  reihe  von  namen;  verschiedene  davon  wird  er  seiner 
stimme  verdanken,  so  truthahn,  westf.  osuabr.  schrute,  schrüthahn,  nass.  schraute- 
gickel.  (Über  sehrüte  vgl.  Holthauscn,  Ilorrigs  archiv  107,  380 fg.;  über  sciirüie  und 
schraiäegickel  vgl.  verf. ,  Beitr.  29,  523). 

Eine  andere  gruppe  von  namen. ist  geographischen  Ursprungs.  'Das  truthidm 
fanden  die  Europäer  in  Mittelamerika  gezähmt  vor,  es  kam  1520  nach  Spanien,  1524 
nach  England,  1533  nach  Deutschland,  bald  darauf  auch  nach  Frankreich'  (Meyers 
Conv.-lex.*  16,  1063).  Der  truthahn  ist  also  aus  dem  fernen  westen  zu  uns  ge- 
kommen. Aber  zwischen  osten  und  westen  unterscheidet  das  volk  in  solchen  dingen 
nicht  so  genau.  So  nennt  es  den  mais,  der  gleichfalls  aus  Amerika  stammt,  mit 
unrecht  welschkorn  oder  auch  türkischen  tveizen;  mit  recht  dagegen  die  syringo 
türkischen  flieder,  aber  daneben  auch  mit  unrecht  spanischen  flieder.  Tropaeolum 
majus  L.,  die  unechte  kaper,  eine  art  der  kapuzinerkres.se,  die  aus  Peru  stammt,  nennt 
das  volk  spanische,  indische,  türkische  kresse.    Das  unbekannte  aus  fremden  Uindcrn, 

17* 


260  SCHRÖDER,    NHI).  SCHUFT 

das  dem  volke  seltsam  {spanisch)  vorkommt,  nennt  es  eben  ohne  rücksicht  auf  seinen 
Ursprung  tvelsch,  spaniscJi,  türkisch,  indisch.  So  heisst  auch  der  truthahn :  welscher 
huhn,  welschhahn,  türkischer  hahn  (engl,  turkey)  oder  indischer,  indianischer  hahn 
(vgl.  franz.  le  coq  d'Inde,  le  dinde,  le  dindon;  span.  pavo  d'Indias;  ital.  dindio, 
pollo  d'India).  Hatte  man  aber  die  heimat  des  vogels  nach  Ostindien  verlegt,  so  war 
es  nur  ein  schritt  weiter,  wenn  man  ihn  nach  einer  bestimmten  ostindischen  örtlich- 
keit benannte.  So  erklärt  sich  nach  der  Stadt  Kalkutta  der  name  kalekuter,  kali- 
kuter,  kalkufer,  kalekutischcr  hahn,  der  sich  schon  im  16.  jh.  findet,  z.  b.  bei  Kilian: 
kalekntsche  haen  'pavo  indicus,  pavo  gallicus,  gallopavus'.  Da  der  truthahn  des 
mästens  wegen  wol  meistens  gekappt  wurde,  so  erklärt  sich  leicht  der  Übergang  von 
kalekutischcr  hahn  unter  einfluss  von  nd.  kapün,  nl.  kapocn  'kajjaun'  zu  nd.  kal- 
künscher  hahn,   nl.  kalkoensehe  haan,   kürzer  nd.  kalkün  hän,  kalkün,   nl.  kalkoen. 

Hierzu  treten  nun  noch  weitere  namensformen,  die  durch  Verstümmelung  der 
erwähnten  entstanden  sind.  Aus  indianisch  ist  im  oberd.,  z.  b.  steir.  (Uuger-KhuU 
363a),  kämt.  (Lexer  150),  bair.  (Schmeller- Frommann  ],  1207)  junisch  geworden; 
aus  kalekuter  im  schwäb.  (Schmid  331)  kuder,  kntter,  bei  Fulda  (Idiotikensammlung 
239)  kuter  ' kaleJaitischer  hahn'\  aus  nd.  kalkün,  kalkünhdn  wurde  kUn,  künhän., 
z.  b.  holst.  (Schütze  2,  370)  kiiun  'nennen  die  landleute  im  Holsteinischen  ihre  kalc- 
kutischen  hühner\  pom.  (Dähnert  214)  hmn  ^  kalkunsche  haan. 

Sollte  nun  nicht,  um  zu  unserm  ausgangspunkt  zurückzukehren,  wie  janisch 
aus  indianisch,  kuter  aus  kalekuter,  kün  aus  kalkün,  so  auch  puter  aus  brahma- 
2:)uter  entstanden  sein?  Noch  heute  ist  brahmctputra,  auch  kurz  brahma  ein  in 
Deutschland  und  England  unter  geflügelzüchtern  allgemein  üblicher  name  für  eine 
gewisse  art  von  riesenhühnern. 

KIEL.  HEINRICU   SCHRÖDKK. 

Nlul.  11(1.  sclnift,  nl.  sclioft,  'scliurke'. 

Das  wort,  dessen  heutige  bcdeutung  sich  aus  der  des  'nackten  bettlers'  ent- 
wickelt hat  (s.  das  D.  wb.  9, 1836),  ist  bisher  unerklärt.  Über  die  zahlreichen  miss- 
glückten erklärungsversuche  gibt  das  D.  wb.  9, 1835  fg.  eine  lange  Übersicht. 

Franck,  Nl.  etym.  wb.  sp.  853,  hält  wie  schon  Adelung,  Vers,  eines  vollst, 
gram.-krit.  wbs.  4,  286,  n\.  schoß,  nd.  schuft  für  eine  ableitung  von  n\.  schobhen,  nd. 
schubben.  Kluge,  Et.  wb.",  354a,  gibt  ebenso  wie  "Weigand,  Wb.*2,  647,  die  schon 
vom  Brem.  wb.  4,  725  gebrachte  erkläruug  wider,  wonach  schuft  aus  einem  *schüvüt 
(schüv  üt)  contrahiert  sein  und  ursprünglich  soviel  wie  'auswurf,  eig.  'hinaus- 
geschobenes' bedeutet  haben  soll. 

Dies  ist  jedoch  unmöglich,  wie  andere  bildungen  derselben  art  zeigen,  die  alle 
eine  activische  und  nicht  die  hier  vorausgesetzte  passivische  bedeutung  aufweisen. 
So  ist  nd.  fegetasch  nicht  etwa  eine  'tasche,  die  ausgefegt  worden  ist',  sondern  eine 
'kneipe,  die  den  gasten  die  taschen  ausfegt';  nd.  schubbjack,  nl.  schobbejak  ist  nicht 
'Jacke,  die  geschubbt  worden  ist',  sondern  ein  'mensch,  der  die  jacke  schubbt';  nd. 
süpüt.,  hd.  sauf  aus  ist  nicht  etwa  ein  gefäss,  das  ausgesoffen  worden  ist,  sondern 
.  ein  'mensch,  der  immer  gleich  aussäuft',  der  volle  oder  halbvolle  gläser  nicht  stehn 
sehn  kann.  So  wäre  denn  ein  *schüvüt  nicht  ein  'mensch,  der  hinausgeschoben  oder 
-geworfen  worden  ist',  sondern  'einer,  der  hinausschiebt  oder  -wirft',  also  nicht  ein 
'auswurf,  sondern,  wie  der  Berliner  sagt,  ein  'rausschmeisscr'. 

Auch  das  mit  nd.  schuft,  nl.  schoß  synonyme  nl.  schavuit,  auf  das  Kluge  nach 
Weigands  Vorgang  sich  beruft,  würde,  gerade  wenn  die  von  Weigand  und  nach  ihm 


HIUT    LBKK    VAN    WIJK,    GENETIV  261 

von  Kluge  aufgestellte  etymologie  (schnvuit  <.* schav  uü  'schab  aus!')  richtig  wäre, 
was  aber  nicht  der  fall  ist  (s.  Frauck,  sp.  833  s.v.),  gegen  ihre  etymologie  von  schuft 
sjirechen,  die  durch  den  hinwois  auf  schnvuit  gestützt  werden  soll.  Denn  auch 
schav  uit  würde  nicht  etwa  eine  'ausgeschabte  schüssel,  einen  ausgeschabten  teller' 
bedeuten,  sondern  einen  'menschen,  der  die  schusseln  oder  teller  ausschabt',  und 
daraus  hätte  sich  dann  allerdings  ganz  ungezwungen  die  bedeutung  'nackter  bettler' 
und  hieraus  die  heutige 'elender  mensch,  Schurke'  entwickeln  können.  Aber  auch  hier 
wäre  dann  wider  die  activischo  bedeutung  vorhanden,  nach  deren  analogie  *schüv  üt 
nicht,  wie  AVeigand  und  Kluge  wollen,  'auswurf,  sondern  'herauswerfer,  raus- 
schmeisser'  bedeuten  würde. 

Es  existiert  aber  noch  ein,  auch  vom  D.  wb.  sowie  von  Franck  behandeltes,  mit 
uuserm  worto  völlig  gleichlautendes  nl.  schoß,  mnd.  ud.  schuft,  eine  benennung  der 
'hervorstehenden  hüft-  und  schultcrknochen  der  pferde'.  Dieses  schuft,  schoß  nun 
ist  unzweifelhaft  mit  dem  schuft,  schoß  in  der  bedeutung  ' Schurke'  identisch.  Genau 
dieselbe  bedeutungsentwicklung  ('hervorstehender  knochen'> 'armer  schlucker,  nackter 
bettler' > 'elender  kerl,  schurke')  haben  auch,  wie  ich  demnächst  in  grösserem  zu- 
sammenhange zeigen  werde,  die  beiden  werte  halunke  und  bahunke  durchgemacht, 
die  nicht,  wie  Kluge  nach  dem  D.  wb.  meint,  aus  dem  tschech.  (er  schreibt:  böhmi- 
schen) stammen,  sondern  echtdeutsche  Streckformen  sind. 

Über  die  etymologie  von  schuft  s.  Uhlenbeck,  Got.  et.  wb. -.  8.öa;  Zupitza, 
Guttui-ale  195;  Frauck,  Nl.  et.  wb.,  853. 

KIEL.  HEINRICH-  SCHUÖDEK. 


LITTERATÜK. 

X.  van  Wijk,  Der  nominale  genetiv  singular  im  indogermanischen  in 
seinem  Verhältnis  zum  uomiuativ.  Zwolle,  De  Erven  J.  J.  Tijl  1902. 
98  s.    8». 

Der  Verfasser  dieser  schrift,  ein  schülcr  Uhlcubecks,  hat  sich  mit  seiner  doctor- 
dissertation  sehr  günstig  in  die  Sprachwissenschaft  eingeführt.  Das  problem,  das  er 
in  angriff  genommen,  ist  in  der  tat  ausserordentlich  wichtig,  aber  es  gehört  aller- 
dings die  kühnheit  und  uubekümmertheit  der  Jugend  dazu,  es  in  angriff  zu  nehmen. 
„Aus  dem  von  Streitberg  entdeckten  dehnungsgesetz  geht  mit  notwendigkeit  hervor", 
so  sagt  der  Verfasser,  „da.ss  die  Urformen  der  dehnstufigen  nominative  des  Singulars 
ausser  in  der  betonung  mit  denen  der  zugehörigen  genetive  identisch  sind.  Diese  tat- 
sache  hat  mich  veranlasst  zu  untersuchen,  wie  überhaupt  das  'Verhältnis  siwischen 
dem  nominativ  und  dem  genetiv  singular.  im  älteren  indogermanischen  aufzufassen 
sei."  Der  Verfasser  spricht  mit  recht  von  einer  tatsache.  Denn  wenn  man  einen 
nominativ  idg.  *pi(ls  mit  Streitberg  auf  ein  ursprüngliches  *pedos  zurückführen  muss, 
so  ist  der  gen.  *pe(l6s,  gr.  jioSög^  lat.  ^jcf/is,  got.  baurgs  in  der  tat  damit  identisch. 
In  der  einleitung  bespricht  der  Verfasser  zunächst  die  form  der  'basen'  und 
lehnt  mit  recht  die  in  meinem  Ablaut  aufgestellten  beiden  einsilbigen  basen  es  'sein' 
und  wel  'wollen'  ab,  im  übrigen  aber  geht  er  manche  wege,  auf  denen  ich  ihm  nicht 
folgen  kann. 

In  capitel  1  wird  gezeigt,  dass  nominativ  und  genetiv  bei  den  kurzvocalisch 
auslautenden  nominalstämmcn  identisch  sind,  capitel  2  behandelt  die  langvocalisch 
au.slautendcn  nominalstämme,  capitel  3  die  genotivendungen  der  nomina  und  capitel  4 


262  WITKOWSKl 

die  frage:  wie  wurde  das  genetivverliältnis  im  älteren  idg.  ausgedrückt?,  capitel  5  die 
schwierige  flexion  der  heteroklitilia,  capitel  6  den  genetiv  bei  verben. 

Es  ist  also'  eine  fülle  von  fragen,  die  der  Verfasser  zu  beantworten  sucht  und 
zum  teil  entschieden  mit  glück  beantwortet  hat.  Das  genetivverhältnis  ist  ursprüng- 
lich nur  durch  die  Stellung  ausgedrückt,  'der  genetiv  ging  voran,  und  erst  allmählich 
hat  sich  die  besondere  lautliche  form  entwickelt.  Was  van  Wijk  über  den  s -genetiv 
ausgeführt  hat.  das  erhält  seine  bestätigung  durch  die  nunmehr  zweifellose  erklärung, 
die  Sommer  für  lat.  gen.  lupl,  aufgestellt  hat.  Da  dieser  genetiv  altes  echtes  *  ent- 
hält, so  kann  darin  weder  ein  locativ  noch  sonst  etwas  stecken,  sondern  die  form  ist 
formell  ganz  genau  identisch  mit  formen  wie  got.  frijöndi^  anoi'd.  ylgr,  ai.  vrkts.  Es 
ist  eine  art  adjectivischer  ^-bildung,  die  die  Zugehörigkeit  bezeichnet.  So  gut  man 
sagen  konnte  inniog  novg,  ebenso  gut  auch  eqm  pes. 

Die  wichtige  erkenntnis,  die  van  Wijks  dissertation  für  die  entstehung  des 
genetivs-  gezeitigt  hat,  wird  hoffentlich  bald  weitere  fruchte  tragen.  Ich  habe  Idg. 
forsch.  17,  36fgg.  versucht,  den  Ursprung  der  flexion  im  indogermanischen  noch  weiter 
aufzuklären,  und  wenn  auch  ein  erster  versuch  naturgemäss  manche  uuvollkommeu- 
heiten  hat,  so  ist  es  doch  unzweifelhaft  auch  eine  aufgäbe  der  Sprachwissenschaft, 
wie  sie  schon  Bopp  aufgefasst  hat,  zu  versuchen,  in  jene  tieferen  geheimnisse  der 
sprachbildung  einzudringen,  wenn  daneben  gewiss  auch  andere  ebenso  dankenswerte 
aufgaben  winken,  auf  die  hinzuweisen  es  kaum  besonderer  Weisheit  bedarf.  Wer  die 
geschichte  der  grammatik  der  einzelsprachen  vorurteilsfrei  überschaut,  der  wird  ein- 
gestehen müssen,  dass  gerade  die  Sprachvergleichung  immer  wider  die  wichtigsten 
erkenntnisse  und  anregungen  geboten  hat.  Man  braucht  nur  an  Scherers  Geschichte 
der  deutschen  spräche  zu  denken,  die  wie  ein  fruchtbarer  regen  die  dürre  der  da- 
maligen germanischen  grammatik  belebt  hat,  man  braucht  nur  an  Brugmanns  und 
Osthoffs  bahnbrechende  entdeckungen  zu  erinnern,  aus  denen  sich  reiche  ergebnisse 
für  die  deutsche  grammatik  entwickelt  haben.  So  eröffnet  denn  auch  diese  dissertation 
van  Wijks  neue  ausblicke,  und  wenn  nicht  sofort,  so  wird  doch  gewiss  später  manches 
für  die  deutsche  grammatik  herausspringen,  namentlich  in  syntaktischer  beziehung 
und  in  der  Wortstellung.  Der  Verfasser  wird  an  seinem  teil,  daran  zweifeln  wir 
nicht,  dazu  beitragen,  die  probleme,  die  er  angeregt,  auch  zu  verfolgen. 

LEIPZIG.  H.  HIRT. 


Yeit  Valentin,  Die  klassische  Walpurgisnacht.  Eine  litterarhistorisch- ästhe- 
tische Untersuchung.  Mit  einer  einleitung  über  des  Verfassers  leben  von  J.  Ziehen. 
Leipzig,  Verlag  der  Dürrschen  buchhaudlung  1901.     XXIX,  172  s. 

Allzu  früh  ist  Veit  Valentin  seiner  ungewöhnlich  vielseitigen  tätigkeit  als  ge- 
lehrter und  ipädagog  entrissen  worden.  Dadurch  dass  er  von  archäologischen  und 
kunsthistorischen  Studien  ausgieng,  gewann  er  jenen  vorwiegend  ästhetischen  Stand- 
punkt, der  in  einer  zeit  des  vorherrschens  philologischer  bestrebungen  in  der  litteratur- 
geschichte  nur  von  wenigen  fachgenossen  eingenommen  wurde.  Als  wertvollste  frucht 
seiner  arbeit  spendete  er  im  jähre  1894  das  werk  „Goethes  Faustdichtung  in  ihrer 
künstlerischen  einheit  dargestellt";  es  kam  gerade  heraus,  als  die  abwendung  von  der 
einseitigen  beschäftigung  mit  textkritik  und  einzeluntersuchungen  sich  vollzog  und 
erntete  reiches  lob,  weil  der  nachweis  der  ästhetischen  einheit  die  künstlerische  grosse 
des  „Faust"  dem  leser  zum  bewusstsein  brachte,  ohne  dass  doch  den  historischen 
tatsachen  gewalt  angetan  war  oder  mit  jenem  dilettantismus,  der  sich  so  häufig  an 


ÜBER    VALKNTIN,    DIK    KLASSISCHE    WALPUKGISNACHT  263 

GoL'thos  nieisterwGrk  voisüiidigt;,  die  scliwierigkcitcü  umgangen  wurden.  Das  streben, 
eine  gewisse  meolianisclie  Symmetrie  der  einzelnen  teile  und  ihrer  gliederung  nach- 
zuweisen, schädigte  den  günstigen  eindruck  wenig,  erheblicher  aber  die  hypothcso, 
dass  Helenas  gestalt  die  lebenseuergie,  die  der  homunkulus  bedeutet,  verbunden  mit 
stofflichen  dementen  darstelle,  nachdem  sich  am  ende  der  klassischen  Walpurgis- 
nacht im  meere  die  Vermählung  der  rein  geistigen  existenz  mit  der  materie  voll- 
zogen hat. 

Diesen  lieblingsgedankeu  hat  Valentin,  allen  einwenduugen  der  kritik  zum  trotz, 
immer  von  ueuem  zu  verteidigen  und  noch  stärker  zu  begründen  gesucht,  am  aus- 
führlichsten in  der  voiliegenden  Schrift.  Ihr  hauptteil  dient  nur  diesem  bestreben. 
In  streng  methodischem  fortschreiten  wird  zunächst  das  entstehen  des  Helenadramas 
in  seinen  verschiedenen  Stadien,  gründlicher  und  schärfer  als  früher  von  Niejahr, 
verfolgt,  zumal  der  hauptpuukt  des  inneren  werdens  hervorgehoben:  die  loslösung 
der  Helena  vom  einflusse  des  Mephistopheles  und  die  neuen,  daraus  entspringenden 
complicierteu  forderungen  an  die  Vorgeschichte.  Um  Helenas  reale  erscheinung  so 
heraufzuführen,  dass  ein  zusammenleben  mit  Faust  möglich  wurde,  bedurfte  es,  nach 
Valentin,  einer  widerbelebung.  Diese  konnte  nur  ,das  ergebnis  einer  aussernatür- 
lichen  Vereinigung  der  für  die  entstehung  einer  lebenden  menschlichen  Persönlichkeit 
notwendigen  bestandteile"  sein. 

Der  zweite  act  des  zweiten  teils  soll  nur  der  absieht  dienstbar  sein,  diese 
elemente  herbeizuschaffen  und  ihre  Verbindung  zu  ermöglichen.  Die  Voraussetzungen 
dafür  sucht  Valentin  einerseits  in  dem  naturwissenschaftlichen  denken  Goethes,  anderer- 
seits in  den  durch  die  bedingungen  künstlerischen  Schaffens  gegebenen  möglichkeiteu 
der  darstellung  natiu'wissenschaftlicher  ideen.  Fruchtbar  für  das  Verständnis  ist  hier 
namentlich  der  hinweis  auf  Goethes  aufsatz  „Bildungstrieb"  (AVeimar.  ausg.,  IL  abt., 
bd.  7,  s.  71 — 73),  der,  so  viel  ich  weiss,  bisher  für  die  Fausterklärung  noch  nicht 
herangezogen  wurde;  doch  hätte  für  das  materielle  die  Okensche  theorie  der  „Entstehung 
der  ersten  menschen"  (Isis  1819  sp.  1117—1123)  als  notwendige  ergänzung  verwertet 
werden  sollen. 

Die  Schlusspartien  entsprechen  in  der  darstellung  des  aufbaus  und  der  einzel- 
heiten  der  Walpurgisnacht  der  behandlung  desselben  themas  in  Valentins  grösserem 
Faustbuch;  nur  dass  er  jetzt  in  dem  bestreben,  alle  motive  dem  von  ihm  ange- 
nommenen hauptzweck  dienstbar  zu  machen,  auf  das  detail  weiter  eingeht.  Was 
wir  für  die  klassische  Walpurgisnacht  brauchen:  einen  sachlich  erläuternden  commentar 
und  eine  art  von  leitfaden,  der  den  inneren  Zusammenhang  der  scheinbar  so  wirren 
bilder  aufweist,  konnte  Valentin  gemäss  seinem  auf  ein  bestimmtes  ziel  gerichteten 
bestreben  hier  nicht  liefern.  Bei  aller  anerkeunung  des  aufgewandten  Scharfsinns  und 
des  feinen  Verständnisses  für  dichterisches  schaffen  wird  doch  schwerlich  jeinand  dem 
einzigen  ergebnis,  das  mit  diesen  niitteln  aufs  neue  gewonnen  werden  sollte,  zu- 
stimmen. 

Es  sei  schliesslich  noch  erwähnt,  dass  Ziehens  lebensabriss  dem  freunde  ohne 
Überschwang  gerecht  wird  und  denen,  die  Valentin  kannten,  sein  freundliches  bild 
lebensgetreu  widererstehen  lässt.  Beigegeben  ist  ein  chronologisches  Verzeichnis  der 
wichtigeren  litterarischen  arbeiten  des  verewigten. 

LEIPZIG.  G.    WITKOWSKl. 


264  KAUFFMANN 

Bernhard  Salin,  Die  altgermanisclie  tieroruamentik.  Aus  dem  schwedischen 
übersetzt  von  J.  Mestorf.  Stockholm,  K.  L.  Becknians  buchdruckerei.  In  com- 
mission  bei  A.  Asher  &  Co.     Berlin  1904.     XIV,  383  s.     4».     30  m. 

Als  die  Monumenti  antichi  (pubblicati  per  cura  della  reale  Accademia  dei 
Lincei,  vol.  XII,  Milano  1902)  den  sehnlichst  erwarteten  bericht  über  die  grabstätte 
von  Castel  Trosiuo  gebiacht  und  die  überbleibsei  einer  italienischen  Langobarden- 
siedelung  in  reichen  illustrationen  veranschaulicht  hatten,  bemerkte  ein  bekannter 
classischer  philolog,  die  Ornamentik  sei  offenbar  echt  national,  vereinzelt  rege  sich 
ein  wirklich  ornamentaler  sinn  und  man  lerne  jetzt  aus  den  obern  sälen  des  Thermen- 
museums in  Rom,  die  ein  imponierend  reiches  bild  von  der  cultur  der  Germanen 
bieten,  dass  dieses  volk  etwas  wie  einen  eigenen  stil  besessen  habe,  der  eine 
Wirkung  ausübe,  die  gar  nicht  selten  erfreulicher  sei  als  die  der  gleichzeitigen  ent- 
arteten antike  (U.  v.  W.-M.  im  Litterarischen  centralblatt  1903,  jahrg.  54,  sp.  102'2fg.). 
Hier  war  eine  höchst  bedeutsame  geschichtliche  Wahrheit  intuitiv  geahnt  worden. 

Gegen  einen  hochverdienten  nordischen  archäologen  wie  Sophus  Müller  mussten 
wir  unlängst  das  bedenken  geltend  machen,  dass  er  in  der  behandlung  der  Ornamentik 
so  gut  wie  völlig  versage  (Zeitschr.  32,  76 fg.).  Gleichzeitig  hatten  wir  behauptet,  dass 
uns  ein  kunsthistoriker  nottue,  der  eine  Stiluntersuchung  liefere;  es  sei  dringend  zu 
wünschen,  dass  die  stilgeschichtliche  analyse  sich  grössere  geltung  verschaffe.  Bern- 
hard Salin  hat  mit  seinem  grossen  zur  besprechung  mir  vorliegenden  werk  jenem 
verlangen  entsprochen. 

Dieser  ausgezeichnete  gelehrte  ist  durch  Oscar  Montelius  von  der  kunstgeschichte 
zur  archäologie  herübergezogen  worden,  hat  jahrelang  am  Stockholmer  reichsmuseum 
als  beamter  gearbeitet  und  durch  seine  doctordissertation  (t/>  c?/"«/--  oeh  växtmotivens 
utvecklingshistoria.  Studier  i  Ornamentik.  Stockholm  1890)  seine  begabung  für  stil- 
kritische Probleme  dargetan.  Als  kunsthistoriker  bringt  er  ein  für  die  Zeichnung  ge- 
schultes äuge  mit  und  hat  z.  b.  mit  der  entdeckung  der  contourlinie  einem  grund- 
legend wichtigen  dement  zu  der  ihm  gebührenden  bedeutung  verhelfen  und  ausserdem 
in  der  analyse  der  von  contourlinien  gebildeten  Ornamente  die  frappantesten  auf- 
klärungen  geboten.  Es  kann  jetzt,  nachdem  Salin  uns  sehen  gelehrt  hat,  kaum  mehr 
Schwierigkeiten  bereiten,  das  scheinbar  unentwirrbare  chaos  von  ornamentalen  linien 
auf  kunstgewerblichen  gegenständen  der  völkcrwandcrungszeit  auf  die  einzelnen  com- 
ponenten  zurückzuführen. 

Beklagenswert  ist,  wenn  auch  angesichts  der  in  der  prähistorischen  archäologie 
herrschenden  praxis  begreiflich,  dass  auch  unser  kunsthistoriker  aus  den  seiner  be- 
urteilung  unterliegenden  objecten  Schlüsse  gezogen  hat,  die  ihn  mit  der  ethnographie 
und  historie  in  Wettbewerb  brachten.  Der  verf.  beschränkte  sich  nicht  auf  die  form- 
geschichtliche analyse,  sondern  imternahm  es,  die  Verbreitung  dieses  und  jenes  orna- 
mentalen motivs  mit  Wanderungen  von  volksstämmen  in  Verbindung  zu  setzen,  nicht 
bloss  —  was  zu  seiner  aufgäbe  gehörte  —  von  der  relativen  Zeitbestimmung  zu  einer 
absoluten  Chronologie  fortzuschreiten  und  die  charakteristischen  typen  örtlich  zu  fixieren, 
sondern  auch  historisch  zu  interpretieren.  Salin  spricht  von  zwei  culturströmungen, 
die  von  den  ländern  am  Schwarzen  moer  ausgehen  und  denkt  sich  dabei  die  nördliche 
küste  mit  der  Krim  als  centralpunkt'.  „Von  hieraus  ergoss  sich  ein  ström  zunächst 
in  der  richtung    nach  Ostpreussen,    welcher    dann  die  richtung    nach  westen   gegen 

1)  Ich  gehe  hierauf  nicht  näher  ein,  weil  diese  behauptung  doch  wol  nur  vor- 
läufig genügen  dürfte  (vgl.  jetzt  Litterar.  centralblatt  1904,  nr.  30,  sp.  1006), 


ÜBER    SALIN,    HIB    ALTGKKMAN.  TIBROUNAMENTIK  265 

Dänemark  hin  nahm  und  von  doit  nach  der  skandinavischen  halbinsel  ablenkte,  be- 
sonders nach  Norwegen  ...  ich  bin  im  laufe  meiner  Studien  mehr  und  mehr  zu  der 
Überzeugung  gelangt,  dass  dieser  culturstrom  zum  grossen  teil  zugleich  eine  völker- 
bewegung  bezeichnet.  Es  liegen  erseheinungen  vor,  auf  die  ich  hier  nicht  näher  ein- 
gehen kann,  die  mir  darauf  hinzudeuten  scheinen,  dass  die  am  entferntesten  wohnenden 
Völkerschaften  sich  zuerst  in  beweguug  gesetzt  haben  und  dass  diese  in  kleineren 
scharen  durch  die  in  ihren  wohusitzea  noch  festsitzenden  Germanen  sozusagen  hin- 
durchsickerten und  dass  die  Germanen  in  Mecklenburg  und  in  Holstein  die  letztun 
gewesen  sind,  die  ihre  Wohnsitze  völlig  oder  teilweise  räumten  und  sich  auf  die 
Wanderung  begaben.  Diejenigen,  welche  ihre  Wohnsitze  zuerst  verliessen,  setzen  sich 
wenigstens  zum  teil  fest  auf  den  dänischen  inseln  und  in  Norwegen;  minderzählig  in 
Schweden.  Danach  gingen  grosse  Germauenzüge  hinüber  nach  England;  der  grössto 
teil  mutmasslich  über  Hannover  nach  dem  mittleren  England.  Andere  scharen  ver- 
breiteten sich  über  Mitteleuropa  und  endlich,  möglicherweise  zu  allerletzt,  zog  ein 
teil  hinüber  nach  Schweden;  doch  liegen  für  diese  letzte  behauptung  keine  beweise 
in  den  altertumsfunden  vor"  (s.  353).  Einen  südlichen,  von  der  Krim  ausgehenden 
culturstrom  will  unser  autor  mit  der  Völkerbewegung  iu  Verbindung  bringen,  welche 
a.  375  durch  den  einbruch  der  Hunnen  in  Europa  veranlasst  w'urde  (s.  355 fg.).  Das 
sind  denkbare  möglichkeiten ,  von  denen  ich  aber  fernerhin  keine  notiz  nehme,  weil 
sie  meines  dafürhaltens  nicht  zur  sache  gehören.  Die  betr.  erseheinungen  können 
auch  anders  interpretiert  werden.  Salin  selber  behauptet  eine  Verbindung  zwischen 
Gotland  und  Öland  einerseits  und  dem  nördlichen  Ungarn  andererseits,  ohne  als  träger 
dieser  Verbindung  eine  Völkerbewegung  zu  fordern;  ebensowenig  rechnet  er  wie  es 
scheint  mit  einer  Zuwanderung,  wo  er  die  ausbreitung  der  nordischen  tierornamentik 
über  Mitteleuropa  und  Italien  schildert,  schliesst  vielmehr  mit  dem.  vorerst  aus- 
reichenden Satze  ab:  „nachdem  es  den  Nordgermanen  gelungen  war,  dem  germanischen 
geist  volUötigen  ausdruck  zu  verleihen,  verbreiteten  sich  die  neuen  formen  auf 
grund  ihrer  eigenart  überraschend  schnell  über  das  ganze  gebiet,  welches  damals  von 
Germanen  bewohnt  war." 

Den  inhalt  des  an  positiven  ergebnissen  reichen  buches  in  befriedigender  weise 
mitzuteilen,  will  ohne  Zuhilfenahme  von  abbildungen  nicht  gelingen;  reizvolles  detail  lies.se 
sich  an  band  der  von  meister  Sörling  in  grosser  zahl  gezeichneten  bilder  beibringen,  denn 
mit  sicherer  griffelführung  hat  Salin  zahlreiche  schlüsselfiguren  entworfen,  die  zum 
Verständnis  einzelner  fundstücke  ganz  unentbehrlich  sind.  Indem  ich  auf  diese  un- 
schätzbaren hilfsmittel  des  Studiums  nachdrücklich  verweise,  fordere  ich  zugleich  zu 
ihrer  sorg.samen  betrachtung  auf. 

Das  hauptinteresse  des  lesers  heftet  sich  an  die  von  dein  vcrf.  energisch  be- 
tonte Stilechtheit  der  kunstgewerblichen  Ornamente,  die  der  völkerwanderungsepoche 
angehören.  Von  seinen  ahnen  hatte  der  germanische  künstler  einen  formenschatz 
geerbt,  den  er  nach  den  auforderungen  seiner  zeit  ummodelte  und  erweiterte.  „Da 
geschieht  es,  dass  das  was  dem  Charakter  der  zeit  entspricht,  einen  voUgiltigen  aus- 
dmck  empfängt  und  gerade  de.shalb  durchschlagend  wirkt  und  sich  ausbreitet,  dass 
ein  'stil'  entsteht,  der  seinen  triumplizug  hält  durch  die  nahverwandten  culturgebiete, 
bis  auch  er,  nachdem  er  sich  überlebt,  seinerseits  einem  andern  platz  macht,  der 
dem  geist  der  neuen  zeit  besser  entspricht.  Es  könnte  diesen  und  jeueu  überraschen, 
von  'Stil'  reden  zu  hören,  wo  es  sich  um  eine  zeit  handelt,  die  man  im  allgemeinen 
als  die  des  tiefsten  Verfalls  zu  betrachten  pflegt . . .  allein  der  ausdruck  hat  seine  volle 
berechtigung.    Vom  Standpunkt  der  antiken  cultur  betrachtet,  ist  die  hier  fragliche 


266  EAUFFMANN 

zeit  allerdings  eine  zeit  des  vei'falls,  allein  charakteristisch  sind  diese  erstlinge  des 
germanischen  geistes  auf  dem  gebiete  der  bildenden  kunst"  (s.  154  fg.). 

In  methodisch  musterhafter  weise  holt  nun  Salin  die  einzelnen  stilmerkmale 
aus  dem  über  die  museen  Europas  zerstreuten  mateiial,  das  wir  dem  spaten  ver- 
danken, heraus.  Selbstverständlich  oriei;tiert  er  sich  unausgesetzt  au  dem  antiken 
formenschatz ,  denn  der  gibt  die  folie  ab,  von  der  die  charakteristischen  stilmerkmale 
des  germanischeu  ornaments  sich  scharf  abheben  und  eben  dadurch  ihre  stilechtheit 
und  nationale  bedingtheit  verraten. 

Nach  der  räumlichen  ausdehnung  des  Ornaments  auf  dem  zu  seiner  auf- 
nähme bestimmten  feld  ordnet  Salin  die  von  ihm  untersuchten  kunstgewerblichen 
arbeiten  in  zwei  hauptgruppen:  die  antike  geschmacksrichtung,  wie  sie  in  Süd  -  Europa 
ausgebildet  worden  war,  forderte,  dass  nicht  die  gesamte  fläche  mit  Ornamenten  aus- 
gefüllt werde;  bei  den  älteren  nordeuropäischen  exemplaren  sind  noch  blanke  flächen 
freigelassen,  von  denen  sich  die  Ornamente  abheben;  ausgebildet  'barbarischen'  stil 
erreichen  wir  in  reiner  form  erst  da,  wo  die  ganze  zur  Verfügung  stehende  fläche  bis 
in  die  äussersten  winkel  mit  Ornamenten  überladen  ist  (s.  230);  „das  feine  gefühl  für 
die  Verwendung  der  Ornamente,  das  sich  darin  kund  gibt,  dass  niemals  die  ganze 
fläche  mit  dem  oruament  ausgefüllt  wurde ,  ist  den  Germanen  nie  ins  blut  gedrungen " 
(Vgl.  s.  244 fg.  166  u.  ö.). 

Das  zweite  allgemeinste  stilmerkmal  prägt  sich  in  dem  unterschied  aus,  dass 
die  der  blute  der  kunst  sich  erfreuenden  Griechen  und  Römer  die  details  eines  künst- 
lerischen raotivs  zeichnerisch  mit  dem  naturwahren  totaleindruck  in  einklang  setzten, 
während  die  Germanen  nicht  darauf  aus  waren,  die  hauptlinien  zu  accentuieren  und 
die  nebenlinien  zurücktreten  oder  verschwinden  zu  lassen,  xira  das  einzelne  dem 
ganzen  unterzuordnen  (vgl.  hierzu  z.  b.  Schurtz,  Urgeschichte  der  cultur  s.  543  und 
Salin  s.  220fg.).  Es  herrscht,  wie  früher  uamentlich  Karl  Lamprecht  betonte,  in  der 
altgermanischen  Ornamentik  nicht  der  trieb,  die  optischen  eindrücke  des  natürlichen 
lebens  realistisch  zu  reproducieren.  Daher  ist  Salin  geneigt,  z.  b.  naturalistisch  auf- 
gefasste  tierköpfe  auf  antike  Vorbilder  direct  zurückzuführen;  es  kommt  dazu,  dass 
solche  gebildo  mehr  für  die  Südgermanen  als  die  Nordgermanen  charakteristisch  sind 
„dass  bei  den  nordgermanischen  köpfen  die  details  mehr  ausgebildet  und  vom  künst- 
lerischen und  naturalistischen  gesichtspunkt  aus  in  übertriebener  weise  betont  sind ,  so 
dass  sie  den  totaleindruck  des  kopfes  beeinträchtigen,  von  dem  schliesslich  nichts 
weiter  als  ein  oder  einige  details  übrig  bleiben.  Dieser  Sachverhalt  hängt  wahrschein- 
lich damit  zusanimen,  dass  die  Südgermanen,  die  in  lebhafter  und  intimer  berührung 
mit  der  classischen  cultur  standen,  künstlerisch  höher  ausgebildet  waren  als  die  in 
dieser  beziehuug  weniger  ausgebildeten  Nordgermanen.  Es  ist  für  dieses  unentwickelte 
Stadium  charakteristisch,  dass  mehr  gewicht  auf  die  details  als  auf  die  gesamtwirkuug 
gelegt  wird.  Hieraus  folgt  die  zwingende  notwendigkeit  für  diejenigen,  welche  die 
erzeugnisse  eines  solchen  culturstadiums  studieren  wollen,  gerade  die  details  zum 
gegenständ  eingehendster  beobachtungen  zu  machen"  (s.  204 fg.).  Ich  verweise,  um 
ein  beispiel  zu  geben  auf  abb.  502  (aus  Dänemark)  mit  tiercn ,  deren  proportionen  ziem- 
lich richtig  aufgefasst  sind,  die  Salin  ebendarum  als  nachbildungen  römischer  muster 
ansieht,  weil  sie  kräftig  markierter  details  ermangeln,  während  wir  sonst  im  norden 
tierbilder  antreffen  mit  derartig  ausgeführten  und  accentmerten  details,  dass  der  orga- 
nische Zusammenhang  der  einzelnen  teile  völlig  aufgehoben  wird  (s.  215). 

"Wie  alle  Ornamentik  beruht  auch  die  altgermanische  tierornamentik  auf  dem 
princip  der  widerholung.    Nicht  weiter  überraschend  ists,  dass  auch  auf  den  germa- 


ÜBEK    SALIN,    DIE    ALTÜEKM.  TIKKOKNAMKNTIK  267 

nischen  f undstücken ,  wio  in  der  classischen  liunst  und  ebenso  in  der  ornamentalen 
technik  der  naturvölker  eine  symmetrische  widerholung  obwaltet  z.  b.  in  der  Ver- 
zierung der  fibelu:  ,  Zieht  man  eine  linie  von  der  spitze  dos  fusscs  über  den  bügel 
und  die  mitte  der  kopfplatte,  da  gleicht  in  99  fällen  von  hundert  die  hälfte  an  der 
einen  seite  dieser  linie  völlig  oder  wenigstens  so  gut  wie  völlig  der  auf  der  andern 
Seite  der  linie.  Schon  ein  flüchtiger  blick  auf  die  in  diesem  werk  abgebildeten  nordi- 
schen Übeln  muss  jeden  von  der  richtigkeit  dieser  beobachtung  überzeugen  .  .  ,  sogar 
die  tiergestalten  wurden  symmetrisch  zusammengestellt  .  .  .  dies  gefühl  für  Symmetrie 
verliess  die  Germanen  niemals"  (s.  244).  Aus  dem  princip  der  widerholung  wird  man, 
obschoo  Salin  darauf  nicht  eingeht,  auch  die  degenerieruug  der  Ornamente  abzuleiten 
haben.  Nicht  bloss  durch  immer  widerholtes  copiereu  von  copien  wird  das  ursprüng- 
liche bild  schliesslich  bis  zur  Unkenntlichkeit  verwandelt,  auch  das  grundgesetz  der 
widerholung- äussert  seinen  einfluss  auf  die  beschaffenheit  des  einzelnen  ornamentalen 
motivs.  Daneben  wird  man  den  einfluss  des  Stoffes  nicht  unterschätzen  dürfen:  kerb- 
schnitt oder  flechtmuster  auf  nietall  übertragen  geben  ein  neues  bild;  so  lockt  auch 
ein  aus  einer  holzplatte  geschnitzter  vogelkopf  zu  neuen  linearen  experimenten,  wenn 
er  auf  eine  metallplatte  übertragen  werden  soll.  Sehr  gründlich  hat  Salin  die  fort- 
schreitende degenerierung  des  tierornaments  bis  zu  seiner  auflösung  in  linear -geome- 
trische Ornamente  untersucht.  Die  hauptrolle  spielte  in  diesem  process  die  sog. 
contourliiiie,  die  ihre  eigentliche  aufgäbe,  die  umrisse  der  tiergestalt  zu  bilden,  ver- 
säumt und  schliesslich  als  selbständiges  element  behandelt  wird,  was  zur  auflösung 
der  tierornamentik  führen  musste  (s.  250),  bis  die  technik  in  ein  leeres  spiel  mit 
linien  ausartete  (s.  270).  Es  trat  allmählich  im  norden  ein,  was  im  eigenleben  jeder 
ornamentalen  kunst  sich  einstellt,  die  ältere  gruppe  der  geometrischen,  rein  linearen 
Ornamentik  greift  in  das  gebiet  der  jüngeren  figürlichen  Ornamentik  über;  seltener 
wächst  ein  geometrisches  Ornament  zu  figurenartigen  gebilden  aus;  in  der  regel  ver- 
wandeln sich  figürliche  Ornamente  in  folge  foitschreitender  Stilisierung  in  geometrische 
linien  oder  bänder.  Es  wäre  deshalb  violleicht  erwünscht  gewesen,  wenn  Salin  mit 
der  älteren  (geometrischen)  Ornamentik  der  Germanen  begonnen  hätte,  um  die  von 
ihr  auf  die  figürliche  tierornamentik  antiken  Ursprungs  und  ihre  degenericrung  aus- 
gehenden Wirkungen  klarzustellen.  Er  geht  sofort  in  medias  res,  ohne  sich  um  die 
Vorgeschichte  viel  zu  kümmern,  ist  aber  wahrscheinlich  eben  deswegen  über  an- 
deutungen  in  bezug  auf  das  Verhältnis  der  geometrischen  zur  figürlichen  Ornamentik 
nicht  hinausgekommen  (beispielsweise  sind  seine  ausführungen  über  das  flecht-  und 
bandornament  auffallend  unbestimmt  geblieben).  Mit  unerschütterlicher  consequenz 
hat  der  verf.  an  seinem  specialthema  festgehalten  und  sein  nachdenken  auf  das  tier- 
ornanient  concentriert,  das  von  ihm  nach  seinen  hauptformen  in  erschöpfender  weise 
geschildert  worden  ist. 

Salin  wollte  im  einzelnen  den  nachweis  führen,  dass  wie  das  pflanzenornament 
(s.  162fg.),  so  auch  die  altgermanische  tierornamentik  auf  kunstgewerblichen  gegen- 
ständen der  Völkerwanderungszeit  durch  römische  muster  angeregt  worden  ist,  wio 
schon  das  technische  verfahren  den  beherrschenden  einfluss  der  antike  voraussetzt. 
Wir  begegnen  während  der  eutwicklung  der  motive  einer  auf  den  verschiedenen 
gebieten  völlig  gleichartigen  erscheinung,  dass  die  traditionen  des  antiken  kunst- 
gewerbes  nach  und  nach  verblassen.  Erst  verfügte  man  über  einen  reicheren  motiv- 
kreis, eine  mehr  naturalistische  auffassung  der  tierge.staltcn,  eine  massvollere  an- 
wenduug  der  Ornamente.  „Am  schlu.ss  . .  .  haben  wir  . .  .  eine  bis  zur  Unkenntlichkeit 
stilisierte  tierfigur,    unkenntlich  wegen  eines  übertriebenen   hervortreteus  der  dctails 


268  kaüffmann 

viQcl  schliesslicli  ein  die  ganze  fliicbe  bedeckendes  gewirre  von  tiergestalten  oder  deren 
gliedmasscn"  (s.  245). 

Mit  glücklichem  äuge  liat  Salin  nach  dem  Vorgang  Söderbei'gs  in  Zierformen 
des  römischen  kleingewerbes  die  Urbilder  der  altgermanischen  tierornamentik,  die  man 
nicht  mit  Lamprecht  symbolisch  ausdeuten 'darf,  erkannt.  Die  aus  den  äussern  kanten 
der  kämme,  fibeJn,  beschläge  vorspringenden  mit  langen  halsen  versehenen  tierköpfe 
sind  auf  dem  römischen  provincialgebiet  des  westlichen  Eui'opa  zu  hause  (s.  124 fg.); 
eine  noch  grössere  Verbreitung  hatte  eine  an  den  seitenräudern  der  genannten  gegen- 
stände kauernde  tierfigur  gefunden  (s.  127).  Diese  beiden  ornamentalen  motive  kommen 
auf  nordgermanischeu  kunsterzeugnissen  vor.  Dabei  ist  unverkennbar,  dass  die  vor- 
springenden tierköpfe  im  norden  älter  sind  als  die  kauernden  tierfigurcn  (s.  129,  vgl. 
s.  179).  Aber  am  häufigsten  kommt  das  kauernde  tier  vor,  das  den  köpf  entweder 
nach  vorn  richtet  oder  nach  hinten  über  dreht  (s.  206).  Das  sind  die  beiden  für  die 
entwicklung  der  altnordischen  tierornamentik  massgebenden  typen.  Auf  sie  muss  das 
äuge  des  forschers  eingestellt  werden.  Bei  den  römischen  tierfiguren  sind  die  Pro- 
portionen ziemlich  richtig  aufgefasst,  bei  den  Germanen  ist  es  damit  anders  geworden. 
Es  bildete  sich  jene  heimische  formbildung  heraus,  die  wir  schon  kennen  gelernt 
haben:  derartig  acceutuierte  und  ausgeführte  details,  dass  der  organische  Zusammen- 
hang der  einzelnen  teile  völlig  aufgehoben  wurde  (s.  215). 

Dieser  stil  ist  zunächst  vom  technischen  Standpunkt  aus  zu  beurteilen.  Zum 
unterschied  von  den  eingestanzten  oder  eingravierten  oder  auch  aufgenieteten  Orna- 
menten, zum  unterschied  auch  von  den  unter  classischem  eintluss  entwickelten  relief- 
ornamenten  (s.  161  fg.)  oder  den  nieliierten  und  emaillierten  Ornamenten  betont  Salin 
die  besondern  eigenschaften  der  coutourlinie,  welche  das  germanische  ornamenttier 
Jahrhunderte  lang  kennzeichnet  (s.  216fgg.)  Als  man  im  norden  die  reliefbilder  der 
römischen  medaillen  auf  den  goldbracteaten  nachzubilden  begann,  sind  die  ver- 
suche nicht  sonderlich  gelungen.  Das  relief  schwoll  auf,  wurde  zu  hoch  und  massig 
oder  es  glückte  nicht,  die  tiefer  liegenden  partien  der  reliefbilder  von  der  grundtläche 
abzuheben.  ,,Da  gibt  es  keinen  andern  ausweg  als  den  contour  d.  i.  die  grenzscheide 
zwischen  dem  bild  und  der  grundfläche  durch  eine  linie,  in  diesem  fall  eine  erhabene 
linie  zu  markieren.  Es  ist  nun  äusserst  interessant  zu  verfolgen,  wie  die  auspräguug 
der  coutourlinie  nach  und  nach  um  sich  greift,  wie  auf  einem  bracteaten  nase  und 
Oberlippe  durch  eine  erhabene  linie  begrenzt  sind,  auf  einem  andern  die  beine  des 
pfei-des  ganz  oder  teilweise  mit  solchen  liuien  umrahmt  sind,  während  sie  an  dem 
rümpf  fehlen,  bis  schliesslicli  auf  einem  dritten  die  ganze  bildliche  darstellung  von 
contourlinien  umrahmt  ist.  Die  entwicklung  geht  dann  so  weiter,  dass  der  räum 
zwischen  den  erhabenen  contourlinien  immer  enger  und  enger  wird,  bis  schliesslich 
die  contourlinien  allein  übrig  geblieben  sind  (s.  228,  vgl.  s.  234fg.).  Die  coutourlinie 
hat  bei  der  degeueration  der  tierbilder  eine  bedeutende  rolle  gespielt  (s.  242);  sie  hat 
dazu  beigetragen,  die  einzelnen  glieder  von  der  tiergestalt  abzutrennen,  woraus  ein 
in  hohem  grad  verwirrtes  bild  ohne  jegliche  Ordnung  entstehen  musste  (s.  233 fg.). 
Es  ergibt  sich  hier  die  Unfähigkeit  des  damaligen  Germanen,  plastisch  zu  sehen" 
(s.  229). 

In  der  geschichte  der  oi'namentformen  gelang  es  Salin,  dank  einem  geübten 
äuge  und  zeichnerischem  gesclück,  drei  stilperioden  zu  unterscheiden.  Verfolgen  wir 
die  kauernden  vorwärts  schauenden  oder  rückwärts  blickenden  tiergestalten  provincial- 
römischer  abkunft,  so  sehen  wir  sie  von  den  Nordgermanen  im  sinne  ihrer  eigenen 
Geschmacksrichtung  copiert.    "Wesentliche  merkmale  der  copion  bilden  die  Umrahmung 


ÜBER    SALIN,    PIK    ALTGKKMAN.  TIF.KORNAMKNTIK  269 

der  äugen,  die  markierung  des  kinns,  der  ansatz  des  Oberschenkels,  die  Zeichnung 
des  fusses,  die  abtrennung  des  fusses  vom  bcin  durch  eine  doppelte  contourlinie.  Bei 
den  älteren  typen  herrscht  noch  das  „nebeneinandersystcm"  d.  h.  die  einzelnen  glieder 
des  tierkörpers  wurden  so  geordnet,  dass  die  linion  nicht  in  einander  übergriffen.  In 
den  späteren  entwicklungsstadien  sieht  man  bei  den  kauernden  vorwärts  schauenden 
tieren,  dass  die  linien  der  beine  sich  mit  denen  des  rumpfes  verflechten.  Mit  der 
häufigeren  Verwendung  des  vAckwärts  blickenden  tieres  wird  es  besonders  beliebt,  die 
einzelnen  teile  des  Ornaments  sich  schneiden  und  kreuzen  zu  lassen,  wobei  stets  be- 
obachtet wird,  dass  die  linien  in  regelmässigem  Wechsel  bald  über-  bald  untereinander 
liegen,  eine  anordnung,  die  man  geradezu  als  geflecht  bezeichnen  darf.  Salin  spricht 
die  Vermutung  aus,  dass  das  rückwärts  blickende  tier  mit  dem  gebogenen  hals  und 
dem  S-förmig  sich  krümmenden  körper  den  anstoss  zu  diesem  flechtwerk  gegeben 
habe,  „denn  in  den  biegsamen  linion  liegt  unleugbar  etwas  verlockendes  diese 
neigungeu  zu  fördern;  allein  damit  möge  es  sich  verhalten,  wie  es  will,  zu  einer 
vollständigen  klärung  dieser  frage  ist  das  matcrial  noch  zu  gering.  Sicher  ist  indessen, 
dass  nachdem  dieses  flechtsj'stem  einmal  in  aufnähme  gekommen  war,  es  ebenso 
häufig  bei  dem  vorwärts  schauenden  als  bei  dem  rückwärts  blickenden  tier  angewandt 
wurde"  (s.  238 fg.).  Ich  habe  schon  angedeutet,  dass  hier  eine  lücke  klaift,  die  sich 
meines  dafürhaltens  hätte  vermeiden  lassen,  wenn  Salin  die  traditionellen  linearen 
flechtmuster  noch  eingehender,  als  es  geschehen  (s.  ICOfgg.),  gewürdigt  und  das  band- 
ornament  in  einen  grösseren  Zusammenhang  gestellt  hätte  angesichts  seiner  (s.  340 
angedeuteten)  Verbreitung  in  jener  stilform,  die  man  aus  Verlegenheit  als  byzantinische 
kunst  bezeichnen  hört,  von  der  Salin  ausdrücklich  sagt,  dass  er  leider  keine  gelegeu- 
heit  gehabt  hätte,  sie  zu  studieren  (s.  313).  Urteilen  wir  nach  der  s.  löSfgg.  (Orna- 
ment vom  grabmal  des  Theoderich)  gegebenen  probe,  so  erscheint  Salin  als  der  i'echte 
mann,  um  in  diese  verwickelten  probleme  einzugreifen.  Widerholt  kommt  er  auf  die 
frage  zurück,  von  woher  die  bandornamente  stammen,  die  sich  neben  der  tier- 
ornamentik  vordrängen,  wagt  aber  nicht,  darauf  eine  bestimmte  antwort  zu  geben, 
hält  es  jedoch  nicht  für  glaubwürdig,  dass  sie  nordisclicn  ursprangs  seien.  Möchte  es 
ihm  gefallen,  nunmehr  sein  hauptaugenmork  diesem  spccialgcbiet  der  Ornamentik  zu- 
zuwenden und  uns  mit  einer  besondern  Untersuchung  über  diesen  gegenständ  zu  er- 
freuen. Das  bandornament  tritt  nach  Salins  chromologie  in  seiner  zweiten  stilperiode 
der  altgermanischen  tierornamentik  (7.  Jahrhundert)  auf,  um  während  der  dritten  stil- 
periode wider  daraus  zu  verschwinden. 

In  diesem  Stil  III  „erreicht  die  tierornamentik  den  höhcpunkt  der  feiuheit  und 
Zierlichkeit  und  das  beste,  was  der  norden  dieser  art  aufzuweisen  hat,  darf  sich  dem 
besten,  was  in  dieser  kunstart  überhaupt  existiert,  dreist  an  die  seite  stellen.  Niemals 
hat  der  nordländer  elegantere,  um  nicht  zu  sagen  extravagantere  Ornamente  geschaffen 
als  während  dieser  epoche.  Aber  sehr  rasch  trat  der  verfall  ein,  der  die  totale  auf- 
lösung  der  alten  germanischen  tierornamentik  herbeiführte"  (s.  270fg. ;  vgl.  z.  b.  eine 
der  gotländischeu  prachtfibeln  abb.  619). 

Die  ornamentalen  tiergestalten  auf  südgermanischem  gebiet  (s.  291fgg.)  bleiben 
in  der  älteren  zeit  unter  starkem  einfluss  der  classischen  tradition.  Aber  wenn  Salin 
recht  hat,  so  ist  auch  die  nordische  tierornamentik  bis  nach  Ungarn  und  Mittelitalien 
hinein  vertreten;  ich  verweise  z.  b.  auf  einen  fibeltyp,  der  in  Ostprcussen,  Thüringen 
und  Italien  gefunden  worden  ist  (abb.  044  — 4ß).  Da  und  dort  treten  besonderheiten 
hervor.  Salin  behauptet  unter  anderem,  da.ss  der  stil  III  auf  südgermanischem  gebiet 
gänzlich  fehle  oder  dass   nur  einzelne  diesen  stil  kennzeichnende  details  sich  nach- 


270  KAUFFMANN 

weisen  lassen  (s.  320  fg.)  nnd  maclit  schliesslich  darauf  aufmerksam,  dass  die  bar- 
barischen tierornamente,  die  sich  in  gleichzeitigen  italienischen  gräberu  gefunden 
haben,  nicht  selten  ohne  Stilgefühl  modellierte  nachbildungen  mehr  oder  minder  classi- 
scher  Vorbilder  seien. 

Ganz  eigenartig  ist  die  tierornamentik  der  britisclien  inseln,  sowol  die  angel- 
sächsische als  die  irische.  Was  die  erstere  betrifft  (s.  322  fgg.) ,  so  ist  Salin  der  ansieht, 
in  England  seien  nord  -  und  südgermanische  formen  zusammengetroffen  und  das  tier- 
oruament  sei  auch  hier  zu  einer  dem  nordischen  stil  JII  entsprechenden  entwicklung 
nicht  gelangt.  Mit  ganz  anderer  Sicherheit  vermögen  wir  über  die  irischen  Zierformen 
zu  urteilen,  denn  für  sie  stehen  uns  nicht  bloss  altsachen,  sondern  auch  manuscripte 
des  7. — 8.  Jahrhunderts  zur  Verfügung.  Salin  leitet  widerum  die  irischen  ringspangen, 
auf  denen  das  tierornament  zuerst  erscheint,  von  provincial-römischen  mustern  ab 
(s.  330).'  Leider  ist  aber  das  material  allzu  knapp,  so  dass  die  Schlussfolgerung,  die 
Iren  hätten  ihre  tierornamentik  von  den  Germanen  entlehnt,  nicht  eben  gut  fundiert 
und  die  möglichkeit,  es  verhalte  sich  umgekehrt,  nicht  ausgeschlossen,  ja  für  Salin 
selber  sehr  wahrscheinlich  ist  (s.  349;  vgl.  ir.  delg  >ags.  dolc^  anord.  dolkr).  Auch 
bei  den  irischen  manuscripten  drückt  er  sich  zunächst  vorsichtig  aus:  „man  kann  sieh 
des  eindrucks  nicht  erwehren,  dass  wir  es  hier  mit  germanischen  tierbildern  zu  tun 
haben"  (s.  339 fg.);  behauptet  jedoch  fernerhin  sowol  von  den  geometrischen  als  von 
den  tierornamenten ,  sie  seien  „sicher  von  den  Germanen  adoptiert"  (s.  341),  vermag 
aber  trotzdem  die  s.  343  formulierten  bedenken  nicht  zu  beseitigen  und  betont,  dass 
in  der  verliebe  für  vogelbilder  die  keltische  kunst  von  der  germanischen  abweiche 
und  dass  die  unterschiede  zwischen  der  irischen  Ornamentik  und  der  scandinavischen 
im  Stil  III  viel  bedeutender  seien  als  die  ähnlichkeiten. 

Unter  den  materialien,  die  Salin  für  sein  thema  in  erster  linie  verwertet  hat, 
ragen  die  fibeln  (ahd.  imsca)  und  schnallen  (ahd.  hrinca^  nhd.  rinke)  hervor,  aber 
auch  Waffenstücke  wie  schwert  und  schildbuckel  und  gelegentlich  auch  andere  industrie- 
gegenstände  sind  berücksichtigt.  Sind  Schmucksachen  an  sich  für  wechselnde  ge- 
schmacksrichtungen  weit  mehr  empfindlich  als  Werkzeuge,  so  spielen  längst  unter 
den  Schmuckwaren  die  fibeln  die  hauptrolle  (s.  3.51).  Unter  den  fibeln  hatte  schon 
zuvor  die  fibel  mit  umgeschlagenem  fuss  erhöhte  aufmerksamkeit  erregt.  Man  ging 
von  den  ostelbischen  fanden  in  Norddeutschland  aus,  weil  die  germanischen  altsachen 
in  diesen  strichen  mit  der  entleerung  des  landes  um  die  mitte  des  4.  Jahrhunderts 
verschwinden  (s.  355).  Auch  Salin  entwickelt  von  diesem  punkte  aus  sein  System 
einer  absoluten  Chronologie  und  datiert  die  blütezeit  der  altgermanischen  tierornamentik 
vom  6.  bis  ins  8.  Jahrhundert.  Er  verzichtete  darauf,  die  fundsachen  an  einzelne 
Volksstämme  zu  verteilen  und  ausdrücke  wie  „merowingisch,  langobardisch ,  burgun- 
disch"  usw.  zu  gebrauchen,  weil  er  das  einheitlich  typische  der  nordischen  tier- 
ornamentik betont  sehen  wollte  und  die  zeit  für  noch  nicht  gekommen  hält,  für  die 
geschichtlichen  stamme  charakteristische  eigenheiten  nachzuweisen.  Sein  resolutes 
streben,  zu  einer  chronologischen  differenzierung  der  kunstgewerblichen  erzeugnisse 
zu  gelangen,  verdient  alles  lob.  Er  hat  nichts  unversucht  gelassen  und  insbesondere 
die  formsprache  der  fibeln,  abgesehen  von  ihrer  Ornamentik,  gründlich  untersucht. 
Im  ersten  buch  behandelt  er  die  entwicklung  und  Verbreitung  der  fibel  mit  um- 
geschlagenem fuss  und  die  entstehung  des  halbrunden  kopfstücks  mit  seinen  nadel- 
ansätzcn,  seinen  knöpfen  und  spiralrollen.  Er  wendet  sich  sodann  zu  der  heimischen, 
nordgermanischen  fibelgruppe,  die  aus  dem  typus  mit  umgeschlagenem  fuss  hervor- 
gegangen ist  und  macht  bei  der  fibel  mit  rechteckigem  kopfstück  halt.    Die  armbrust- 


ÜBKR    SALIN,    DIE    AI.TGF.RMAN.  TIF.RORNAMENTIK  271 

fibelü  und  die  gleicharmigen  fibeln,  die  s-füniiigen  und  die  runden  fibela  gelangen 
gleichfalls  zur  erörterung  und  ins  licht  dieser  reichen  Überlieferung  worden  die  spär- 
licheren  altgermanischen  waffenstücko ,  gürtel,   schnallen   und  riemenzungcn  gerückt. 

Als  die  ältesten  stücke  bewertet  Salin  die  fibeln  von  dünnem  metallbiech,  die 
durch  gegossene  mit  3  knöpfen  am  kopfstück  versehene  fibeln  abgelöst  werden.  Die 
gegossenen  fünfknopffibeln  erscheinen  später;  die  jüngsten  exemplare  dieser  gattung 
sind  gleichzeitig  mit  den  altern  aus  nordischem  gebiet  stammenden  gegossenen  fibeln 
mit  rechteckiger  platte  und  „durchschnittlich  älter  oder  gleichaltrig"  sind  die  arm- 
briistfibeln.  Unter  dem  nordgermauischen  Vorrat  sind  die  formen  innerhalb  jedes 
tj-pus  ungleich  mannigfaltiger,  wogegen  die  Südgermanen  zwar  eine  grössere  anzaiil 
von  typen  besitzen,  aber  mit  weniger  Varianten  der  einzelnen  formen.  Salin  nimmt 
nun  an,  die  fibel  mit  umgeschlagenem  fuss  sei  in  der  Krim  entstanden,  habe  sich 
allmählich  über  die  europäischen  ländor  des  Schwarzen  meers  verbreitet  und  sei  bis 
nach  Scandiuavien  gelangt.  Die  jüngsten  arten,  die  von  der  Krim  ausgegangen,  seien 
bis  an  die  südliche  küste  von  Norwegen  hinauf  gedrungen,  danach  aber  sei  der  Zu- 
sammenhang mit  Südrussland  unterbrochen  worden.  Diese  unterbrech.ung  bringt  unser 
aufmerksamer  forscher  mit  der  auswanderung  germanischer  Völkerschaften  aus  Nord- 
ostdeutschland und  mit  dem  vordringen  der  Slaven  in  Zusammenhang  (s.  142).  Mag 
diese  annähme  noch  beifall  finden,  so  sehe  ich  mich  ausser  stände,  den  weiteren  auf 
s.  139 fg.  143  unternommenen  combinationen  zu  folgen.  Ich  glaube,  dass  wir  trotz 
des  Widerspruchs  unseres  gewälirsmannes  in  erster  linie  den  handel,  nicht  völker- 
bewegungen  für  die  Verbreitung  südosteuropäiscber  waren  im  norden  berücksichtigen 
dürfen.  Zum  mindesten  sei  erwähnt,  dass  Salin  selbst  seiner  Sache  nicht  ganz  sicher 
ist,  wenn  er  s.  145 fg.  sich  folgendeimassen  äussert:  ,, Zum  schluss  will  ich  nur  noch 
bemerken,  dass  die  culturströmungen ,  denen  wir  auf  dem  kunstgewerblichen  gebiet 
nachgegangen  sind,  selbst  wenn  sich  in  manchen  fällen  zeigen  sollte,  dass  sie  nicht 
mit  Völkerströmungen  zusammenfallen,  doch  in  ihren  Wirkungen  weit  über  das  kunst- 
gewerbliche gebiet  hinaus  fühlbar  geworden  sind." 

Mit  den  Schlussworten  deutet  er  auf  die  Verbreitung  der  runenschrift,  über 
die  er  sich  seine  eigene  ansieht  gebildet  hat.  Er  untersuchte  speciell  die  gegenstände, 
welche  deutsche  nmeninschriften  tragen  und  kam  zu  dem  schluss,  dass  die  beiden 
Speerspitzen  dem  nordischen  cultursti'om  angehören.  „Finden  wir  nun  in  den  moor- 
funden  oder  andern  mit  ihnen  gleichzeitigen  fanden  die  ältesten  runoninschriften,  die 
der  norden  aufzuweisen  hat,  da  ist  es  eine  an  gewissheit  grenzende  Wahrscheinlich- 
keit, dass  es  der  von  Südosten  heraufkommende  culturstrom  ist,  der  die  kenntnis  der 
runen  in  unsere  nördlichen  gegenden  heraufgebiacht  hat,  weshalb  wir,  wenn  wir  dem 
ui-sprung  der  runen  nachforschen  wollen,  unser  augc  auf  die  länder  des  Schwarzen 
meers  richten  müssen."  Von  den  mit  deutscher  runeninschrift  versehenen  fibeln  er- 
klärt Salin  die  Freilaubersheimer  spanjje  als  die  älteste  —  über  das  alter  der  Inschrift 
ist  damit  nicht  entschieden  —  zeitlich  würde  die  fibel  von  Charnay  folgen  und  mit 
geringem  Zeitunterschied  die  Nordendorfer  fil)eln  und  die  fibeln  von  Engers,  Bezenyc 
und  Ems.  Die  runden  spangen  von  Osthofen  und  Balingen  scheinen  unserm  archä- 
ologen  jünger  zu  sein.  „Von  besonderem  Interesse  ist  es,  dass  alle  hier  genannten 
bügelfibeln  mit  ausnähme  der  von  Freilaubcrsheim  von  der  art  sind,  der  ein  nordi- 
scher einfluss  zu  gründe  liegt  ....  Findet  man  nun  im  mittleren  Europa  keine  ältere 
runeninschrift  als  aus  der  zeit,  wo  der  vom  norden  kommcndo  einfluss  fühlbar  zu 
werden  beginnt,  da  ist  es  höchst  wahrscheinlich,  dass  es  gerade  dieser  von  landein, 
wo  die  runen  bekannt  waren,   ausgehende  einfluss  war,  der  die  konutnis  der  runen 


272  R.  M.  MKYEU 

nach  Mitteleuropa  führte"  (s.  147).  Diese  behauptungen  werden  schwer  zu  wider- 
legen sein;  doch  ist  z.  b.  die  art  und  weise,  wie  Wulfila  und  das  gotische  aiphabet 
in  das  riuienproblem  hereingezogen  werden,  nicht  zu  billigen. 

Indem  ich  noch  einmal  betone,  dass  der  dauernde  wert  des  buches  nicht  in 
den  historischen  combinationen,  sondern'  in  der  stilistischen  analyse  der  Ornamente 
begründet  ist,  danke  ich  frl.  prof.  Mestorf,  dass  sie  die  deutsche  ausgäbe  dieses  haupt- 
werkes  kunstgeschichtlichen  Studiums  der  praehistorie  ermöglicht  hat.  Vielleicht  hängt 
es  mit  der  entfernung  des  druckortes  (Stockliolm)  zusammen,  dass  die  sprachliche  form 
des  textes  nicht  immer  einwandfrei  ist. 

KIEL.  FRIEDRICH    KAUFF.MANN. 


Albert  Fries,  Platenforschungeu.  I.  Der  dramatische  naeblass.  11.  Die  werke 
und  tagebücher.  (Berl.  beitrage  zur  germ.  und  rem.  phil.  XXVI).  Berlin, 
E.  Ebering  1903.     126  s.     2  m. 

,, Forschungen"  haben  sich  in  neuerer  zeit  manche  arbeiten  genannt,  die  sich 
wol  mit  einem  bescheideneren  titel  hätten  begnügen  mögen;  diesem  buch  kommt  er 
zu.  Aus  einer  warmen  und  tiefgegründeten  Verehrung  heraus,  der  er  (s.  107)  schöne 
Worte  leiht,  hat  sich  P.  in  Platens  Schriften  vertieft.  Ihm  kam  dabei  die  vorschulung 
au  klassischer  philologie  zu  gute,  die  etwa  in  den  feinen  bemerkungen  zur  metrik  (über 
die  Jamben  der  „Liga  von  Cambrai"  s.  99.  121;  über  die  geschleiften  spondeen  s.  102) 
und  den  eindringenden  beobachtungen  zur  Wortstellung  und  satzbildung  (s.  89  fg.) ,  zur 
Verteilung  der  klangfarbe  („frischerer  vocal- und  consonantenwechsel"  s.  39,  „schöner 
vocalwechsel"  s.  103, 1),  zur  behandlung  der  enklitika  (s.  99,  2)  unmittelbar  nachwirken 
mag.  Dagegen  dürfen  wir  auch  für  unsere  meister  der  forschung  die  kunst  in  au- 
spruch  nehmen,  mit  der  F.  sich  in  fragmentarische  plane  (s.  12fg.)  einfühlt  (so  be- 
sonders s.  19 fg.;  dagegen  werden  die  höchst  merkwürdigen  werte,  die  mir  in  dem 
ganzen  entwurf  der  „Charlotte  Corday"  den  stärksten  eindruck  gemacht  haben,  nicht 
genügend  gewürdigt:  „Es  reizt  mich  alles,  selbst  der  geheime  Schauder  im  gemüt" 
s.  22  —  ein  motiv,  das  das  bild  der  Judith  Hebbels  heraufbeschwört!). 

Zweierlei  aufgaben  geht  der  verf.  nach.  Erstens  sucht  er  den  einfluss  Goethes 
und  Schillers  (s.  3fg.  40fg.),  Klopstocks  (s.  86),  Bürgers  (s.  87  anm.).  Müllners  (s.  30), 
Matthissons  (s.  33),  Alfleris  (s.  58)  abzumessen.  Ausserordentliches  feingefühl  zeigt 
dabei  seine  vergleichung  von  caesur  und  accent,  überhaupt  des  tonfalls  (s.  10)  oder 
bestimmter  satzfiguren  (Schillers  negativ  pathetische  satzanfänge  s.  1 1 ,  „  Hab  ich 
darum  — "  s.  30,  „Aber  — "  mit  gedankenstrich  s.  32);  sicheres  urteil  die  entschei- 
dung:  Goethe  habe  mehr  mit  seinen  motiven,  Schiller  mit  spräche  und  stil  ein- 
gewirkt (s.  8). 

Zweitens  verfolgt  er  den  Ursprung  der  dichtungen  nach  den  tagebuchnotizen 
(s.  45fg.).  Natürlich  war  hier  eine  reiche  ernte  einzuheimsen,  die  für  Platen  viel 
mehr  ,,erlebnis"  aufweist,  als  bisher  allgemein  (so  auch  von  mir)  angenommen  wurde. 
Und  zuweilen,  freilich  nicht  allzu  oft,  beobachten  wir  selbst  einen  process  der  ver- 
geistigung des  erlebten  (das  angstgefühl  s.  46  anm.),  während  zumeist  das  erschaute 
oder  erhörte  doch  lediglich,  wie  das  gelesene,  stoff  bleibt.  F.  konnte  auch  wichtige 
neue  quellen  nachweisen,  vor  allem  (s.  52.  60)  das  buch  des  Venezianers  Michiele, 
dem  er  dann  freilich  zu  viel  zuschreibt:  der  ring  des  dogen  bedeutet  ja  nach  allge- 
meiner anschauung,  nicht  bloss  der  Michieles  (s.  53),  die  Vermählung  mit  dem  meer, 
wie  der  des  bischofs  die  mit  seinem  Sprengel.     Ebensowenig  möchte  ich  (s.  51)  dem 


ÜBER    FRIES,    PLATENFOHSCHUNGEN  273 

abbate  Bettio  zu  liebe  den  alten  gondolier  verjagen.  Sehr  lehrreich  ist  dagegen  z.  b. 
der  beleg  für  das  „gebiss  der  Markuspferde-'  (s.  56). 

Viel  ergibt  sich  hier  zur  erklärung  (der  „lüsterne  bänkelsänger"  Heine  s.  66; 
,, morgens  zur  kanzlei  mit  acteu  — "  s.  77)  und  zur  datierung  (gegen  Kedlich  s.  70fg.). 
Auch  grössere  gesichtspunktc  fehlen  nicht:  die  einwirkung  der  arcliitektur  Venedigs 
auf  den  bau  der  sonette  (s.  50)  ist  vielleicht  wirklich  mehr  als  eine  geistreiche 
metapher. 

Aus  jenen  beiden  Untersuchungen  ergibt  sich  dann  aber  doch  drittens  unwill- 
kürlich für  den  Verfasser  auch  die  pflicht,  Platens  stil  und  eigenart  (s.  89  fg.)  zu  be- 
trachten. Leider  geschieht  dies  etwas  isoliert:  seine  motivwiderhokingen  (s.  89 fg. 
121  fg.)  wären  etwa  mit  denen  Kleists,  seine  lieblingswoiio  und  -Wendungen  (s.  95.  100; 
„jener"  s.  50.  125)  mit  denen  anderer  Zeitgenossen,  seine  Wortzusammensetzungen 
(s.  44)  mit  denen  Goethes,  Rückerts,  Heines  zu  vergleichen.  Für  die  allitteration 
(s.  1(X),  4.  106)  mussten  Ebrards  Untersuchungen  für  Goethe,  für  die  metrischen 
principien  (s.  121)  etwa  Heines  briefe  an  Immermann  herangezogen  werden;  hier  liegt 
wirklich  (vgl.  s.  3)  erst  „rohstoff"  vor,  aber  höchst  brauchbarer.  Und  direct  um- 
gestaltend müssen  auf  die  herkömmliche  anschauung  F.s  nachweise  plastisch  an- 
schaulicher bilder  (s.  103)  wirken.  Anderes  hat,  wie  es  dasteht,  schon  methodische 
bedeutung.  Aus  einer  übei'schätzung  der  „parallelen"  steuert  sich  unsere  Mtteratur- 
geschichte  jetzt  unter  Minors  einfluss  in  deren  Unterschätzung  hinein.  Aber  wenn 
das  tagebuch  vom  9.  märz  ein  Schlagwort  bringt,  das  die  seele  eines  gedichtes  vom 
16.  niärz  wird  (s.  75),  so  beweist  doch  dieser  sichere  fall,  wie  sehr  solche  anklänge 
immer  der  nachprüfung  würdig  sind. 

Leider  hat  der  verf.  durch  ein  überladen  mit  nachtragen  und  nachtragen  zu 
den  nachtragen  (s.  40fg.  43 fg.  108 fg.  anm.)  die  Übersichtlichkeit  gehindert  und,  während 
er  selbst  hübsche  druckfehler  aufstöbert  (s.  36,  4;  „des  Dorias"  statt  ,,des  Darius" 
s.  50),  manche  selten  (wie  s.  78)  von  diesen  teufelchen  verheeren  lassen.  Es  versteht 
sich  auch,  dass  manche  deutung  anfechtbar  ist;  so  heisst  „Überredung  der  hochzeit" 
(s.  29)  wol  einfach:  „besprechen,  roden  über  die  hochzeit".  Aber  wir  sind  selten  im 
Verständnis  eines  viel  verkannten  dichters  so  sehr  mit  einem  ruek  gefördert  worden ,  wie 
durch  dies  buch  (das  sich  selbstverständlich  mit  dankbarer  anerkennung  auf  Scheffler, 
Laubmann,  Petzet  stützt).  Lernt  der  Verehrer  seinem  heros  noch  das  reifen- 
lassen und  feilen  ab,  das  bei  Platen  schon  in  den  entwürfen  (s.  38)  einsetzt,  so  wird 
der  schatten  des  mannes,  der  so  sehnsüchtig  liebevolles  Verständnis  erharrte,  ihm 
dankend  sich  neigen. 

BERLIN.  RICHARD   M.  MBYBR. 


R.  Brandstetter,  Der  genitiv  der 'Luzerner  mundart  in  gegenwart  und 
Vergangenheit.  Abhandlungen  herausgegeben  von  der  Gesellschaft  für  deutsche 
Sprache  in  Zürich.  X.     Zürich,  Zürcher  u.  Furrer  1904.     80  s.     2  m. 

Brandstetter  hat  sehr  umsichtig  und  bedächtig  gearbeitet.  Er  legt  seiner  Unter- 
suchung nicht  nur  die  heutige  Luzerner  mundart  zugrunde,  sondern  berücksichtigt 
auch  die  alten  Urkunden  und  die  mundartlichen  unterhaltungsschriften,  und  zum  ver- 
gleich und  zur  Vervollständigung  zieht  er  —  an  der  band  des  Schweizerischen  Idio- 
tikons —  regelmässig  auch  die  andern  mundarten  der  Schweiz  heran.  Und  zwar 
beschreibt  er  —  nach   einer  einleitung,   die  besonders  die  stilarten  der   mundart  zu 

ZEITSCHRIFT    F.    DEUTSCHE    PHILOLOGIE.       BD.  XXXVII.  18 


274  SÜTTERLIN    ÜBER   BRANDSTETTER,    GENITIV    DER    LUZERNEK    MUNDART 

unterscheiden  sucht  und  von  den  quellen  handelt  —  zunächst  'die  bildung  des  ge- 
nitivs',  indem  er  nach  Wortarten  getrennt  alle  in  der  mundart  vorkommenden  formen 
aufführt;  dann  aber  schildert  er  'die  Verwendung  des  genitivs  im  satzbau',  und 
hier  zählt  er  die  fälle  auf,  in  denen  ein  genitiv  von  einer  andern  wortart  ab- 
hängen kann. 

Brandstetters  beweisführung  macht  von  anfang  bis  zu  ende  den  besten  eindruck 
und  zeigt,  dass  der  Verfasser  sein  Sprachgebiet  und  sein  fach  beherrscht.  Eigentliche 
versehen  kann  man  ihm  denn  auch  kaum  nachweisen;  manches  wünschte  man  nur 
vielleicht  etwas  kürzer  oder  schärfer  oder  sonst  anders  gefasst.  So  trennt  er  ab  und 
zu  seine  beispiele  in  zu  viele  klassen  und  macht  in  der  form  oder  in  der  bedeutung 
unterschiede,  welche  die  Übersicht  etwas  erschweren  (so  bei  der  Vorführung  der  von 
Verben  abhängenden  genitive);  oder  er  begründet  seine  Unterscheidung  nicht  genügend, 
so  z.  b.  bei  der  Vorführung  des  allen  genitivs  \ind  des  neuen:  mindestens  ist  der 
verweis  von  der  ersten  stelle  (s.  26)  auf  die  zweite  (34fgg.)  unbequem,  zumal  da 
auch  hier  nicht  das  entscheidende  wort  fällt;  ähnlich  wird  der  bericht  der  Um- 
schreibungen mit  von  (vo  de  lengi  vom  winter)  nicht  deutlich  abgegrenzt  von  den 
eigentlichen  genitivformen  und  den  Umschreibungen  mit  dem  Possessivpronomen 
(iiri  vatter  si  rock  und  's  Bänimerten  si  vatter),  wo  doch  auch  in  Luzern  alles 
zunächst  davon  abzuhängen  scheint,  ob  es  sich  bei  dem  wort  um  die  bezeichnung 
eines  lebenden  wesens  handelt  oder  um  etwas  lebloses. 

Um  auch  ein  paar  einzelheiten  anzuführen,,  so  erscheint  einmal  im  götti 
(s.  25)  für  den  fernerstehenden  als  kein  eindeutiger  beweis  dafür,  dass  in  der  mundart 
für  den  dativ  die  präposition  in  eintrete,  weil  andere  mundarten  ähnhch  lautende 
bildungen  aufweisen,  die  sich  mit  luzernerischen  Wendungen  decken  wie  uf  em  mist 
(48);  bei  dem  gegensatz  von  i  eucli  und  /w  ecA  sodann  (für  'in  euch')  kommt  für  die 
nasallose  form  der  präposition  doch  auch  die  unbetontheit  in  betracht  (24).  Und  der 
unterschied  in  der  Stellung  des  s  bei  weisse'"'  <  ahd.  winisön  und  sägesse'"'  <;  segansa 
ist  nicht  scharf  und  verständlich  genug  bezeichnet  (23  fg.).  Bei  's  tüüfels  trämpi 
ferner  kann  sich  der  verf.  keine  möglichkeit  denken,  dass  man  den  genitiv  betonen 
müsste  (52) :  wie  würde  aber  die  Verbindung  ausgesprochen  werden ,  wenn  ein  fremder 
gerade  's  tüüfels  falsch  nachspräche  und  berichtigt  werden  müsste,  oder  wenn  man 
ihm  erklären  sollte,  wieso  die  örtlichkeit  gerade  des  'teufeis  fussspuren'  heisse,  und 
nicht  etwa  'des  Herrgotts'?  "Warum  wird  auch  ein  andermal  (48)  ausdrückhch 
hervorgehoben,  tüppel  bedeute  nicht  'tölpel',  sondern  'blödsinniger"?  Nach  dem 
ausweis  von  formen  aus  anderen  mundarten  (z.  b.  fränkisch  dipplig  '■  stumpfsinnig  von 
allzulanger  geistiger  anspannung')  wird  tüpjjel  doch  mit  tölpel  gar  nicht  zusammen- 
hängen. Kann  ferner  eso  nur  auf  iesö  zurückgehen  und  nicht  auf  also  (73)  V  Und 
ist  das  vierte  de  in  dem  satze  auf  s.  25  nicht  besser  durch  das  demonstrativ  'der' 
widerzugeben?  Verlangt  endlich  der  Zusammenhang  in  dem  volksreim  auf  s.  20  für 
grme^  wirklich  die  bedeutung  '  weinen '  und  nicht  vielleicht  gerade  die  entgegengesetzte, 
die  man  der  mundart  nach  dem  sinn  des  mhd.  grmen  wenigstens  auch  zutrauen 
könnte?  Und  dann  noch  etwas  äusserliches :  wäre  die  betonung  in  zweifelhaften  und 
wichtigen  fällen  nicht  einfacher  durch  ein  tonzeichen  angedeutet  worden  als  durch 
die  beschreibung  in  einer  besonderen  anmerkung? 

HEIDELBERG.  LUDWIG    StJTTERLIN. 


GEBHARDT    ÜBKR    NORDISKA    STÜDIKR    TILLKGNADE    A.  NOKKEN  275 

Nordiska  studier  tillegnade  Adolf  Noreen  pä  hans  50-ärsdag  den  13.  Mars  1904 
af  studiekamrater  och  lärjungar.  Uppsala  1904,  K.  W.  Appelbergs  boktryckeri. 
X,  492  s.     15  kr. 

"Wir  stehen  gegenwäitig  im  Zeitalter  der  festgaben.  Allein  wenigen  ist  es  be- 
schieden, schon  an  ihrem  fünfzigjährigeo  geburtstag  mit  einer  so  umfangreichen  beglück- 
wünschungsschrift  geehrt  zu  v:erden,  wie  sie  hier  Adolf  Noreen  von  122  Studien- 
freunden und  Schülern  dargebracht  wird.  Unter  ihnen  befindet  sich,  soweit  nicht 
die  leidige  abkürzung  der  vornamen  noch  weitere  verhüllt,  auch  eine  Schülerin. 
Freilich  haben  von  diesen  122  gratulanten  bloss  42  durch  beitrage  tätig  an  der  fest- 
.schrift  mitgearbeitet,  die  sich  begreiflicherweise  vorwiegend  mit  nordischer  sprach - 
und  litteraturgeschichte,  aber  auch  mit  verwandten  fächern,  wie  deutsch,  befasst. 

unter  den  abhandlungeu,  die  jedenfalls  nach  der  Zeitfolge  der  ablieferung  ab- 
gedruckt sind,  da  sich  kein  innerer  grimd  für  ihre  anordnung  erkennen  lässt,  steht 
an  erster  stelle  der  von  Sune  Ambrosiani  Uplanddagens  Ärfda  B.  III —  ett  bidrag 
tili  Erik  den  heiiges  historia'^,  in  dem  er  die  Schlussworte  der  stelle  Han  (der  braut- 
vater)  a  kono  nianni  giptm  til  hepcer  ok  til  husfru  ok  til  simng  halfrcß  til  lasce  ok 
nyklce  ok  til  laghce prißiunx  i  allu  han  a...  ok  til  allcen pcp/n  rcet  cer  uplcenxk  lagh  mru 
ok  hin  hcelglii  erikar  kunungcer  gaff  j  nampn  fapurs  ok  sons  ok  pcps  hcelghai  andcB, 
gestützt  auf  den  vergleich  mit  der  entsprechenden  stelle  in  Magnus  Erikssons  stadt- 
recht so  deutet,  dass  die  von  Erich  d.  hl.  eingeführte  neuerung  in  der  zufügung  der 
Worte  /  nampn  usw.  an  den  schluss  der  trauungsformel  bestand,  die  der  brautvater 
zu  sprechen  hatte,  sodass  bloss  durch  diese  worte  die  ehe  als  eine  christliche  ge- 
kennzeichnet wurde,  denn  die  priesterliche  einsegnung  war  nur  in  Östergötland  zur 
Vorschrift  geworden ,  wo  sie  die  persönliche  anwesenheit  des  allgemein  beliebten  legaten 
Nicolaus  von  Albano  durchgesetzt  hatte.  Im  übrigen  Schweden  aber  blieben  die  worte 
'im  namen  usw.'  am  schluss  der  formel  noch  bis  nach  der  reformation  der  einzige 
äussere  christliche  bestandteil  der  eheschliessungsfeier.  So  ansprechend  diese  er- 
klärung  auch  ist,  so  möchte  ref.  doch  noch  eine  andere  erklärung  vorschlagen:  es 
werden  zunächst  die  wichtigsten  rechte  und  pflichten  genannt,  in  die  die  junge  frau 
eintreten  soll,  die  Stellung  als  herrin  und  bettgenossin ,  die  Schlüsselgewalt,  das  ehe- 
liche güterrecht,  und  dann  wird  noch  hinzugefügt:  und  überhaupt  zu  allen  den  rechten 
und  pflichten,  die  in  üpland  teils  schon  von  alters  her  rechtens  waren,  teils  erst  von 
Erich  dem  hl.  eingeführt  worden  sind,  und  zwar  von  diesem  frommen  könig  im 
namen  der  dreieinigkeit  eingeführt  worden  sind. 

S.  7  fgg.  behandelt  Erik  Brate  Fornsvänska  interpunktsjonsregler  und  stellt 
auf  grund  einer  genauen  durchsieht  von  gesetzestexten ,  teils  in  den  hss.  teils  nach 
Schlyters  ausgäbe  fest,  dass  dai-in  —  und  wol  auch  in  den  übrigen  aschw.  hss.  — 
ein  punkt  gesetzt  wird  1.  um  eine  pause  beim  lesen  anzudeuten,  2.  als  abkürzungs- 
zeichen.  In  letzterem  falle  hat  Schlyter  die  punkte  leider  nur  bei  den  römischen 
Zahlzeichen  abgedruckt,  nicht  aber  bei  abkürzungen  wie  b.  d.i.  böte.  Anmerkungsweise 
teilt  Brate  mit,  dass  er  einen  lesefehler  bei  dem  sonst  so  zuverlässigen  Schlyter  ent- 
deckt hat,  nämlich  Dalalagen  Kr.  B.  3,  wo  Schlyter  liest  cßllmr  fiorar  markir  liiits, 
die  hs.  aber  hat  celloir  fiorar  markir  Hins.  In  einer  anderen  anm.  führt  er  mit 
ansprach  auf  Zustimmung  aus,  dass  SL  155  maltmcelce  weder  bedeutet  'das  mahlen 
von  malz'  noch  auch  'das  gespräch  beim  malz',  sondern  'das  gelage,  zu  dem  jeder 
tüilnehmer  seinen  tnoiler  (awestn.  mcklir)  malz  beisteuert. 

Die  nächste  abhandlung,  von  Marius  Kristensen,  beschäftigt  sich  mit  den 
isländischen    halbvocalen    und    ihrer    bezeichnung    in  der    ersten    giammatischeu    ab- 

18* 


276  GEBHARDT 

handluDg  in  der  Edda.  Aus  der  behaudlung  der  halbvocale  durch  den  unbekannten 
Verfasser  des  ersten  grammatischen  tractats,  besonders  aus  dem  schwanken  zwischen 
ea  und  t'a  geht  hei'vor,  dass  man  es  damals  tatsächlich  noch  nicht  mit  Spiranten  j 
und  v^  sondern  mit  richtigen  halbvocalen,  d.  h.  unsilbischen  vocalen  ^  und  u  zu  tun 
hatte.  Es  ist  also  Noreen  unbewusst  in  den  spuren  seines  Vorgängers  gewandelt,  als 
er  in  der  2.  aufläge  seiner  aisl.  und  anorw.  gramm.  1892  statt  der  früher  üblichen  j 
und  V  die  zeichen  i  und  u  einführte,  aber  nicht  ganz  folgerichtig,  indem  er  im  an- 
laut  vor  vocal,  der  etwas  jüngeren  ausspräche  folgend  v  statt  ti  —  nicht/  statt«  — 
beibehielt.  Doch  meint  Kristensen,  dass  aus  praktischen  gründen  eigentlich  kein  be- 
denken gegen  die  beibehaltung  von  /  und  v  vorliege. 

In  dem  vierten  aufsatz  untersucht  Fredr.  Tamm  einige  schwedische  Wörter, 
nämlich  drqja  zögern,  hälsike  und  hülsingland  als  euphemismen  für  hölle,  ihjäl  zu 
tode,  Uyla  kühlen,  n/A;«  Saatkrähe,  spö  röhr,  röhricht,  sticken  erregt,  suput  sauf  aus, 
vallmovaohn^  ma.  billa  kleiner  stall  für  klein vieh,  ä.  schw.  gent  adv.  gewöhnlich, 
schw.  hallär  (=  isl.  hallceri)  missjahr,  ä.  schw.  und  ma.  hirta  sig  plötzlich  innehalten, 
ä.  schw.  (hjielrnult  griff  des  Steuerruders,  ä.  schw.  thornist  oder  thornist  eine  art 
Stoff.  Soweit  Tamms  etymologien  nicht  besonderen  anlass  zu  näherem  eingehen  auf 
sie  bieten,  beschränke  ich  mich  auf  diese  aufzählung  und  auf  die  allgemeine  mit- 
teilung,  dass  in  diesen  Wörtern  zahlreiche  entlehnungen  aus  dem  niederdeutschen 
vorliegen.  Es  ist  nämlich  meines  erachtens  der  zweck  einer  kritischen  anzeige  der, 
ein  buch  zu  würdigen  und  in  grossen  umrissen  anzugeben,  wovon  es  handelt, 
nicht  aber,  durch  vollständige  widergabe  der  ergebnisse  das  buch  selbst  entbehrlich 
zu  machen.  Etwas  anderes  ist  es  natürlich  mit  schlechten  büchern:  vor  diesen 
können  wir  mit  gutem  gewissen  warnen,  das  fällt  ja  unter  die  hauptaufgabe  der 
kritik,  die  erscheinungen  zu  würdigen.  Des  näheren  möchte  ich  nur  auf  die  elfte 
und  vierzehnte  etymoiogie  eingehen.  In  (h)ielnmlt  sieht  Tamm  —  wol  mit  recht  — 
eine  entlehnung  aus  ndd.  hehnhoU^  demselben  worte,  das  hochdeutsch  in  dem  nanien 
Helmholtx  vorliegt,  und  knüpft  daran  die  bemerkungen,  dass  das  wort  wahrscheinlich 
in  einer  so  frühen  zeit  entlehnt  wurde,  dass  im  etymologischen  bewusstsein  noch  die 
Zusammengehörigkeit  von  ndd.  holt  holz  mit  schw^  hult  gehölz  lebendig  war,  und  dass 
andrerseits  vielleicht  damals  auch  ein  einheimisches  mit  hicelm  gebildetes  wort  mit 
der  bedeutung  'styrpinne'  lebendig  war,  unter  dessen  einfluss  das  ndd.  heim  > /r/cp/w 
>  hielni  wurde.  Aber  wenn  neben  ndd.  heim  'galea'  schwed.  hicelm  stand,  so  war 
nichts  natürlicher,  als  dass  ndd.  heim  gubernaculura  auch  zu  hicelm,  wurde.  Übrigens 
scheint  Tamm  das  ndd.  heim  in  hehnholt  als  'griff,  stiel,  handhabe'  aufzufassen, 
gewiss  mit  unrecht,  denn  dann  hiesse  ja  helmholt  soviel  wie  griffholz,  ndl.  kelrn- 
stoek  soviel  wie  stielstock,  isl.  hialm(ur)vqlr  soviel  wie  stielstab.  Diese  Wörter  be- 
deuten aber  alle  'rudergriff',  'ruderstiel'.  Helm  'Steuerruder'  und  heim  'griff,  stiel, 
handhabe'  sind  vollständig  zu  trennen.  Helm  'rüder',  besonders  'Steuerruder'  ist 
sicher  etymologisch  dasselbe  wort  wie  heim  'galea'.  Wie  der  heim  auf  dem  haupte 
des  kriegers  einen  schütz  oder  schirm  darstellt,  so  ist  auch  das  Steuerruder  ein 
schütz  dagegen,  dass  der  druck  des  wassers  in  einer  nicht  erwünschten  richtung  wirkt. 
Wie  die  bedeutungen  '  schützen '  und  '  in  eine  bestimmte  richtung  zwingen '  ('  abweisen ' 
und  'weisen')  ineinander  übergehen,  sieht  man  deutlich  an  dem  worte  tvehr.  Beim 
wasserwehr  ist  es  —  mit  ausnähme  des  viel  selteneren  schutxwehres  —  für  die  auf- 
fassung  ganz  nebensächlich,  dass  dem  wasser  verwehrt  wird,  in  der  mitte  des  fluss- 
bettes  weiter  zu  laufen:  die  hauptsache  ist  die,  dass  es  durch  das  wehr  in  eine  be- 
stimmte richtung  gezwungen  wird,  dass  es  in  das  'gerinne',  den  'mühlkanal'  geleitet 


VBF.H    NOKDISKA    STUDIKR    TILLKGNADK    A.   NOKKKN  277 

wird.  Einem  ganz  analogen  zwecke  dient  das  Steuerruder:  es  nutzt  den  wassordinick 
zu  einem  bestimmten  zwecke  aus,  nämlich  dem  schiffe  eine  gewisse  richtung  zu 
geben.  Wie  das  wort  (v/nsser -)tve/ir  nicht  von  dem  Zeitwert  wehren  zu  trennen  ist, 
so  sind  sicherlich  auch  heim  'gubernaculum  und  hehn  'gaiea'  etymologisch  ein  und 
dasselbe  wort.  Helm  •manubrium'  dagegen  ist  ein  zum  neuen  nominativ  gewordener 
schwacher  casus  obliqu.,  genau  wie  walm  <iwalbe-n  'schräges  dach  an  der  giebel- 
seite'  und  alm  <;  albe-n  'alphütte'.  Diese  herkunft  wird  nicht  nur  durch  engl. 
helve  bewiesen,  sondern  auch  durch  deutsche  formen.  So  heissen  z.  b.  in  den  zahl- 
reichen hammerwerken  in  Lauf  an  der  Peguitz  und  überhaupt  in  der  Nürnberger 
gegend  die  stiele  der  schweren  mechanischen  häinmer  hawmerhelh{e).  Der  begriff 
des  helbes  oder  helben  ist  bei  hielmidt  <  ndd.  hehnholt  in  dem  zweiten  bestandteil  aus- 
gedrückt, der  erste  ist  heim  'gubernaculum'  =  heim  'galea'.  Das  vierzehnte  der  von 
Tamm  behandelten  Wörter  ist  das  adv.  gänt,  gent^  das  in  schritten  des  16.  jh.  bei 
dem  Zeitwort  plägha  vorkommt.  Tamm  erklärt  es  als  ein  adverbielles  neutrum  zu 
aschw.  goenger,  jetzt  in  der  ableituug  gängse  'gebräuchlich,  üblich'  erhalten.  Für 
tigt  >  7it  stützt  er  sich  ausser  auf  inte  <  ingte  'nicht(s)'  auf  das  einzige  beispiel 
swa  got  mynt  som,  nw  gcent  oc  gceft  cer  i  rikeno  in  einer  urkuude  von  1401.  Re- 
ferent glaubt  aber,  dass  kein  grund  vorliegt,  die  viel  näher  liegende  Verbindung  mit 
i&chw.  gccnstan.,  neuschw.  genast  'sogleich'  abzuweisen.  In  allen  germanischen 
sprachen  und  auch  in  fremden  gehen  die  begriffe  'eben,  gleich,  gerade,  immer'  mannig- 
fach ineinander  übei'.  Man  vergleiche  z.  b.  isl.  iafnan  'immer'  mit  dem  deutschen 
bekräftigenden  eben,  mm  e6e«  und  dem  mitteldeutschen  temd  'auch,  gleichfalls',  man 
beachte  den  gegensatz  der  ihren  bestaudteilen  nach  ziemlich  gleichbedeutenden  adv. 
soeben  'im  letztvergangenen  augenblick'  und  sogleich  'im  nächsten  augenblick',  man 
beachte  frz.  justenient  'richtig',  'soeben',  'gerade'.  Wie  sich  diese  bedeutungs- 
berübrungen  auch  auf  entlehnuugen  erstrecken  können,  zeigt  das  Schicksal  von  frz. 
egal  im  deutschen:  während  in  Süddeutschland  egäl^  egüöl^  seine  alten  bedeutungen 
'gleichmässig'  und  -gleichgiltig'  beibehalten  hat,  heisst  im  Meissnischen  mundartgebiet 
egäöl  'fortwährend,  immer,  immer  wieder'.  Das  schwedische  genast  heisst  'sogleich', 
während  zwar  Aasen  für  norw.  gje?tast  die  bedeutungen  'oftest,  ssedvanlig'  verzeichnet. 
Auch  unser  gänt,  gent  führt  Aasen  au  als  gjent,  allerdings  mit  einem  f ragezeichen, 
das  sich  aber  nur  auf  die  lautgestalt  zu  beziehen  scheint,  mit  der  bedeutung  'ofte, 
tidt'.  Nun  steht  ja  unser  gänt,  gent  stets  beim  verbum  plägha,  und  was  man  zu 
tun  pflegt,  das  tut  man  'gewöhnlich'.  Es  ist  also  gä?it,  gent  sicher  der  positiv  zu 
dem  gleichen  adverb.  dessen  Superlativ  in  genast  vorliegt,  und  zwar  in  der  dem 
norwegischen  gjenast^  nicht  dem  schwedischen  genast,  entsprechenden  positiv- 
bedeutung. 

In  dem  fünften  aufsatze  Onomatologiska  bidrag  tili  belysande  af  den  svenska 
befolkningens  äldre  utbredning  i  Egentliga  Finland  weist  Ralf  Saxen  nach,  dass 
eine  ganze  anzahl  von  ortnamen  im  hfeute  unumstritten  finnischen  siedelungsgebiet 
finnische -schwedische  namen  sind,  dass  also  in  alter  zeit  die  Schweden  weiter  ver- 
breitet waren  als  heute. 

Auch  der  sechste  aufsatz,  dieser  von  T.  E.  Karsten,  behandelt  finnische 
dinge,  nämlich  die  Schicksale  und  abzweigungen  folgender  germanischen  lehnwörter 
im  finnischen  (und  esthnischen):  1.  ags.  wise  'growth',  deutsch  tviese,  schw.  maa. 
-»?'«,  -ves  anemone,  2.  got.  wäihjo  fid/r],  3.  got.  aha  'sinn,  verstand',  4.  got.  liuta 
'heuchler'. 

1)  Nach  Bremers  lautschrift. 


278  GEBHARDT 

S.  54fgg.  bringt  P.  Persson  unter  dem  titel  Smä  bidrag  tili  germansk  ety- 
mologi  bemerkungen  zu  1.  engl,  clough  'kluft,  Schlucht  =  deutsch  klinge  'schlucht'. 
—  2.  ndl.  klingen  'dünen'.  —  3.  schw.  fjul-)huse.  —  4.  schw.  da.  kutting.  Sosehr 
die  ausführungen  Perssons  im  allgemeinen  einleuchten,  so  wenig  behagt  mir  seine 
ansieht,  man  könne  die  Wörter  unter  1.'  und  2.  vereinigen  nach  der  bedeutungs- 
ähnUchkeit  'zusammenklemmen  =  aufhäufen'. 

Damit  das  her  und  hin  in  der  frage  nach  der  lautlichen  eigenschaft  des 
«.-Umlauts  vom  brechungsdiphthong  in  awn.  nicht  zur  ruhe  komme,  bringt  im 
achten  beitrage  Rolf  Norden  streng  eine  anzahl  von  reimstellen  bei,  aus  denen 
hervorgehen  soll,  dass  der  allerdings  meist  o  geschriebene  zweite  bestandteil  dieses 
diphthongs  lautlich  nicht  von  (?,  dem  ?f-umlaut  von  einfachem  a,  verschieden  war. 
Referent  möchte  fast  glauben,  dass  diese  frage  sich  überhaupt  nicht  entschei- 
den lässt. 

Rolf  Arpi  bringt  s.  70fgg.  einige  beitrage  zu  ein  paar  wichtigen  capiteln  der 
neuisländischen  lautlehre:  zunächst  eine  aufzählung  zahlreicher  Wörter,  in  denen  II 
nicht  die  (^c?/- ähnliche  ausspräche  hat,  dann  eine  Untersuchung  über  den  zusammen- 
fall von  rn  und  nn  in  einen  rfrf?*- ähnlichen  laut  und  endlich  eine  solche  zu  neuisl, 
2.  perss.  sg.  wie  pil  ferd,  ncerS,  lest  usw.  Wenn  Arpi  s.  74  unten  sagt,  Ca rp enters 
angäbe  §  3  „auf  gleiche  weise  wird  rn  und  nn  ....  behandelt"  müsse  geändert  werden 
zu  „auf  gleiche  weise  wird  rn  nach  vocalen  und  diphthongen,  nn  nach  diphthongen 
und  accentuierten  vocalen  behandelt",  so  stimmt  das  auch  nur  für  rn,  für  nn  hätte 
er  sagen  müssen  „nach  diphthongen  und  im  silbenauslaut  nach  betonten  etymologisch 
langen  vocalen".  Oder  versteht  er  wie  offenbar  auch  Carpenter  unter  accentuiert  soviel 
wie  'nach  isländischer  Orthographie,  weil  etymologisch  (historisch)  lang,  mit  dem  acut 
versehen'?  Dann  hätte  er  das  hinzuschreiben  müssen.  Sehr  bezeichnend  für  die  phone- 
tische Seite  ist  übrigens  die  neuisländische  Schreibung  arngeir  für  altes  atgeirr  -spiess'. 
Da  Arpi  offenbar  die  neuisländische  ausspräche  phonetisch  genau  beobachtet  hat,  wäre  man 
ihm  in  diesem  zusammenhange  gewiss  besonders  dankbar  gewesen  für  eine  auslassung  über 
die  eigentümliche  ausspräche  des  l  in  gewissen  fällen  vor  t,  z.b.  in  alt  fallt)  n.a.sg.  neutr. 
zu  allur.  Es  ist  hier  ein  bilateraler  reibelaut,  dessen  phonetische  eigenschaften  und 
dessen  vorkommen  genau  anzugeben,  die  beobachtungen  des  referenten  leider  nicht 
ausreichen.  Bezüglich  des  Ursprungs  der  formen  vom  typus  ferd  und  lest  teilt  Arpi 
die  ansieht  Carpenters  und  Kocks,  dass  sie  aus  der  Inversion  herrühren,  mit  dem 
Zusätze  „men  det  bör  bemärkas,  att  nyislänskan  nu  har  blätt  en  mängd  former  av 
typen  fercf  jämte  nägra  fä  av  typen  lest,  men  inga  andra."  Die  gründe  dafür  sind 
sehr  einfach:  die  zahl  der  starken  verba  auf  s  ist  überhaupt  gering,  die  zahl  derer 
auf  -r  und  auf  vocal  zusammen  recht  ansehnUch.  Die  auf  andere  buchstaben  aus- 
gehenden sind  aber  in  neuisländischer  ausspräche  —  mit  ausnähme  der  wenigen  auf 
-n  —  alle  zweisilbig,  z.b.  kemur,  heldur^  es  entstehen  also  bei  Inversion  dreisilbige 
formen  wie  kemurSU\  helduröü  mit  nebeuton  auf  der  letzten,  in  denen  daher  diese 
sich  im  Sprachgefühl  viel  besser  als  selbständig  erkennbar  erhält  als  in  den  zwei- 
silbigen wie  sjerdit,  ferSu^  wo  sie  unbetont  ist  und  die  Silbentrennung  weniger  deutlich 
ist  als  in  jenen. 

Im  nächsten  aufsatze  bringt  Maj  Lager  heim  die  in  den  schwedischen 
profanen  Sprachgebrauch  übergegangenen  biblischen  ausdrücke,  ohne  Vollständigkeit 
zu  erstreben,  in  zwei  hauptabteilungen ,  je  nachdem  sie  genau  mit  dem  sinne  gebraucht 
werden  wie  in  der  bibel,  z.  b.  dem  renom  er  allting  rent,  oder  ob  sie  ihre  be- 
deutung  verändert  haben,  z,  b.  släppa  Barabbam  lös  'sich  austoben',  mit  mehreren 


ÜBER  NORDISKA  PTUDIKK  TILLKGNADE  A.  NOKKK.N  279 

Unterabteilungen,  eine  einteilung  die  sich  niutatis  niutandis  auch  auf  die  biblischen 
ausdrücke  in  anderen  Sprachgebieten  anwenden  Hesse. 

Als  elfter  folgt  Karl  Gustaf  Wostman  mit  einem  langen  aufsatze  'Söder- 
mannalagens  avfattning",  in  dem  er  im  gegensatze  zu  L.  M.  Baath,  der  Sv.  H.  T.  23 
arg.  1903,  s.  172fgg.  nur  eine  einzige  redaction  gelten  la.ssea  will,  die  ansieht  ver- 
tritt, dass  codex  A  (Cod.  Holm  C.  66)  den  unter  dem  vorsitz  des  lagmanns  aus- 
gearbeiteten, vom  ting  angenommenen  und  vom  könig  bestätigten  entwurf  des  ge- 
setzes  enthält,  das  uns  in  mehr  oder  minder  ursprünglicher  gestalt  in  hs.  B  (G.  K.  S 
Kph.  3137)  überliefert  ist.  Die  abhandlung  enthält  übrigens  eine  menge  von  angaben 
dai'über,  wie  die  gesetzgebungsarbeit  im  alten  Schweden  vor  sich  gieng,  besonders 
wie  man  sich  aus  praktischen  erwägungen  der  eigentlich  dem  germanischen  geiste 
wideretrebenden  gesetzgebung  durch  den  könig  fügte. 

S.  115fgg.  leitet  Hilding  Geländer  das  adj.  schwed.  dalig^  awestn.  ddligr  von 
der  germanischen  wurzel  dan  sterben  ab. 

S.  126  f gg.  bespricht  Gottfrid  Kallstenius  ein  paar  gesichtspunkte  bei  der 
bildung  schwedischer  Ortsnamen,  während  s.  129fgg.  Natanael  Beckman  das  harte 
urteil  näher  begründet,  das  er  in  den  G. G.A.  164,  796  über  die  accentbezeichnung 
in  dem  Wörterbuch  der  schwedischen  akademie  gefällt  hat. 

Im  15.  beitrage  lässt  sich  E.  H.  Lind  über  einen  anachronismus  in  sogen,  nor- 
malisierten altwestnordischen  textausgaben  aus  und  kommt  zu  dem  sicherlich  richtigen 
ergebnis,  dass  man  in  den  alten  texten  getrennt  drucken  muss  z.  b.  Atli  het  madr 
Eilifs  sonr  arnar,  BdrÖar  sonar  6r  AI,  Ketils  sonar  refs^  SkWa  sonür  liins  ganda. 
Zu  Linds  ausführuugen  im  einzelnen  möchte  ich  aber  bemerken,  dass  einerseits  im 
isländischen  noch  heute  der  Vatersname  weniger  als  name,  denn  vielmehr  als  appo- 
sition  zur  näheren  bestimmung  der  durch  den  eigentlichen  'namen'  nicht  immer  ge- 
nügend bezeichneten  person  verwendet  wird,  dass  sich  also  Lind,  wenn  er  seite  141 
zeile  10  von  Vigfusson  redet,  selber  widerspricht.  Dass  die  Isländer  heute  noch  so 
fühlen,  sieht  man  deutlich  aus  alltäglichen  Wendungen  wie  Finuur  professor  Jönsson, 
Jon  rektor  I'orkelsson,  Jon  pröfastur  Jonsson.  Allerdings  scheint  aus  Linds  bemerkung 
s.  140  oben  hervorzugehen,  dass  ihm  dies  nicht  bekannt  ist.  Und  zum  andern  ist 
die  frage  des  getrennt-  oder  Zusammenschreibens  für  die  alten  Sprachperioden  oft 
überhaupt  kaum  zu  lösen,  und  ich  für  meinen  teil  möchte  sogar  so  weit  gehen,  zu 
behaupten,  dass  zu.sammenstellungen ,  deren  eines  glied  ein  genetiv  ist,  für  die  alt- 
germanischen dialekte  überhaupt  nicht  als  composita  zu  gelten  haben.  Ich  würde 
also  z.  b.  auch  nicht  mit  Axel  Keck,  QF  87,  192  sagen,  „der  a-laut  in  nschw. 
Arboga  .  .  .  zeigt  die  ältere  acc.  Ärbogha'^,  sondern  nur  „der  a-laut  in  nschw.  Arboga 
zeigt,  dass  zu  der  zeit,  da  aschw.  ä  sich  spaltete  und  betont  ä  blieb,  unbetont  ver- 
kürzt wurde,  im  aschw.  der  genetiv  unbetont  war,  wenn  er  vor  dem  durch  ihn  be- 
stimmten wort«  stand,  genau  wie  wir -auch  im  deutschen  zwar  sagen,  das  knie  des 
Jlüsses  aber  des  flusses  knie"". 

Seite  14.5 fgg.  bringt  Elias  Grip  eine  phonetische  Studie  über  /  und  r  in 
deutscher  Umgangssprache ,  die  zwar  von  phonetisch  genauer  aufnähme  und  guter  auf- 
fassung  zeugt,  aber  doch  m.  e.  sich  auf  ein  zu  geringes  gebiet  beschränkt,  auch 
dieses  gebiet  nicht  ethnographisch  sondern  politisch  bezeichnet,  was  immer  irreführt. 
"Was  kann  ich  z.  b.  machen  mit  angaben  wie  'in  der  Rheinprovinz  und  Baden'?  Es 
handelt  sich  selbstverständlich  um  die  gleitlaute,  die  sich  zwischen  vocal  und  l 
oder  /•  einstellen. 


280  GEBHARDT 

Der  17.  aufsatz,  von  K.  B.  Wiklund  führt  ims  wider  aufs  finnische  gebiet 
und  behandelt  die  metathesis  in  lehnww.  wie  Icilpi  'schild'  gegenüber  aisl.  A7//" 'schirm'. 
Erik  Björkman  untersucht  etymologisch  awestn.  dkafr  'heftig',  awestn.  fox 
'betrug',  awestn.  gä  'acht  haben',  aschw.  lekter  'laie',  aschw.  lyra  ein  bekleidungs- 
oder  rüstungsgegenstand ,  schw.  w?a<^ra?w,' Chrysanthemum  parthenium'  und  neuengl. 
reel  awestn.  hräll  'weife,  Schiffchen'. 

An  19.  stelle  steht  Hugo  Pipping,  der  die  inschrift  auf  dem  stein  von 
Pilgärd  also  liest  und  deutet 

(b)i(ar)faa  :  statu  :  sis(i)  stain 

hakbiarn :  brußr 

rußuisl :  austain  :  (i)mn(i)r 

isaf(a)  :  sta(i)n(a)  :  stat(a)  :  aft :  r(a)f(a) 

su(p)fiir(i :)  ruf — )s(t)aini :  kuaniu 

mtiaifur :  iiifil 

baupimi, 
oder  in  Umschrift:  Biarfän  steddu  [sisi?]  stain  Hegbiarn  brySr  RoSuisl,  Oystainn,  — , 
es  afa  stama  sied  da  aft  Bafn  suS  fyri  Rufstaini  [RoÖstaini?}  Kudmu  vitt  i  Aifur. 

Vißll  band  tmi  das  heisst:  glänzend(en)  errichteten  [ ?]  stein  Hegbiarn  und  seine 

brüder  Ro|)uisl,  Oystain  [ — ?],  die  steine  errichtet  haben  nach  (zu  ehren)  Rafn  süd- 
lich beim  Rufstein.     Sie  kamen  weitreisend  zu  Aifur.     VifiU  gebot  es. 

Sodann  folgt  Elof  Hellquist  mit  erklärungen  folgender  nordischer  wöri:er  iind 
namen:  1.  isl.  hara  'anstieren'  (Skirn.  28').  —  2.  Hqrn  als  beiname  Freyjas.  — 
3.  Histret  (ortsname  in  Hvena  socken,  Kalmar  län).  —  4.  schw.  jute,  jutar  'fisch- 
adler'.  —  .5.  schw.  kairit  'hoffärtig'.  —  6.    Uppsalir. 

An  26.  stelle  bringt  L.  Fr.  Läffler  einen  langen  aufsatz  mit  beitragen  zur  er- 
klärung  der  inschrift  auf  dem  stein  von  Rök.  L.  liest  die  versteckschrift  auf  der 
Oberseite  so:  biari^i  auiu  is  runimqßr,  diejenige  der  ersten  zeile  auf  der  hinteren 
breitseite  liest  er  wie  Bugge,  die  inschrift  in  älteren  ininen  in  der  unteren  und  der 
äusseren  zeile  links  auf  der  rückseite  sagiitn  mogmenni ,  hwceini  sei  borinn  niSR 
droingi,  die  versteckschrift  der  3.  querreihe  von  unten  der  rückseite  liest  L.  ewp 
d.  i.  ce  upp  'immer  aufwärts'  und  sieht  sie  als  einen  Schlüssel  für  die  ganze  inschrift 
an ;  die  versteckschrift  der  einen  Schmalseite  heisst  ihm  loulfr  bini  ithur  '  Odin  segne 
euch'.  Ohne  hier  des  näheren  auf  Läfflers  beitrage  zur  deutung  dieser  wichtigen 
inschrift  eingehen  zu  können,  glaube  ich  sagen  zu  dürfen,  dass  sie  mir  sehr  plau- 
sibel erscheinen. 

S.  217 fgg.  behandelt  0.  F.  Hultman  eine  anzahl  von  fällen,  wo  die  nschw. 
durchgeführte  vocaldehnung  schon  aschw.  durch  doppelschreibung  ausgedrückt  war 
oder  wo  die  aschw.  Überlieferung,  wenigstens  dialektisch,  den  vocal  gedehnt  zeigt, 
während  die  reichssprache  kuizen  vocal  und  langen  consonant  hat  (z.  b.  aal  'alla') 
und  teilt  sie  dann  nach  dialektgebieten  ein. 

Das  schw.  wort  gras,  da.  grcfs  'gras'  erklärt  Eilert  Ekwall  s.  246 fgg.  als 
einen  (coUectiven '?)  neutralen  ya- stamm,  und  Tore  Torbiörnsson  bringt  s.  255fgg. 
unter  dem  titel  Slaviska  och  nordiska  etymologier  1.  russ.  gvozdh  'zapfen,  nagel' 
und  schw.  krast,  kvist,  2.  russ.  versa  'reuse'  und  norw.  rijyse,  3.  schw.  hals  und 
abulg.  kolo  'rad'  zusammen. 

Der  nächste  aufsatz  bringt  eine  'litteratursprachliche  monographie'  von  Rüben 
G:son  Berg  über  den  prolog  zu  Atterboms  Phosphorus,  mit  dem  die  romantik  ihren 
einzug  in  Schweden  hielt. 


ÜBER    NORDISKA    STUDIKU    TILLKONADK    A.   NOKEEN  281 

S.  274fgg.  bringt  Otto  von  Friesen  ein  paar  beitrage  zu  dem  sprachgeschicht- 
lichen problem,  wie  sich  das  gemeinnordisclie  q  im  schvved.  entwickelt  hat  und  weist 
an  clrdg  'langgestreckte  Senkung  im  felde,  talsenkung'  und  sag  'säge'  nach,  dass 
wenigstens  im  mittleren  Schweden  q  >  ä  geworden  ist. 

Elis  "W  ad  st  ein  liest  s.  282  fgg.  die  Inschrift  auf  dem  IL  Vedelspangstein : 
qsfrißr  :  karpi  \  kubl  :  patisi :  ttit/'R  :  i(ßinka\u\rs  :  qft :  siktriuk  :  k\unuk  \  :  sun  :  sin  :  | 
: auk : knubu  : 

Dann  kommt  wider  eine  litteraturhistorische  arbeit,  nämlich  über  das  Samson- 
lied,  von  0.  Klockhoff,  dem  wir  schon  so  viele  arbeiten  über  das  nordische 
Volkslied  verdanken.  Hier  kommt  er  zu  dem  Schlüsse,  dass  dieses  lied  zwar  im 
norden,  wahrscheinlich  in  Dänemark  entstanden  ist,  aber  nichts  originelles  enthält 
als  den  nameu  des  beiden  Samson,  der  vielleicht  aus  der  schwedischen  Über- 
setzung der  Thidrekssaga  stammt,  während  die  liedstropheu  alle  andern  liedern  ent- 
nommen sind. 

Der  29.,  lange,  aufsatz  voh  Oscar  Almgren  führt  uns  aufs  gebiet  der  cultur- 
geschichte  und  vergleicht  die  begräbnisgebräuche  der  wikingerzeit  in  der  altnordischen 
litteratur  mit  dem,  was  die  altertümerforschung  uns  darüber  an  die  band  gibt.  Es 
wurden  die  leichen  in  der  regel  nicht  mehr  verbrannt  sondern  begraben,  und  zwar 
hat  das  Christentum  auch  die  haugar  abgeschafft,  wie  A.  auf  grund  ausgedehnter 
Studien  nachweist. 

Ernst  A.  Meyer  bringt  angaben  über  die  dauer  der  deutschen  vocale,  in  der 
hauptsache  genommen  aus  messungen  seiner  eignen  ausspräche  im  'hiesigen'  physio- 
logischen institut. 

V.  Gödel  behandelt  natürlich  seine  domäne:  altwestn.  litteratur  in  Schweden, 
und  zwar  bringt  er  alles  bei,  was  an  nachrichten  über  die  1697  oder  1702  verbrannte 
Orms  bok  Snorrasonar  vorhanden  ist. 

Im  32.  aufsatze  weist  Bengt  Hesselman  aus  der  vergleichung  der  Schreibung 
in  Wörterbüchern  des  16.  und  17.  jh.  nach,  dass  damals  in  Schweden  das  sogenannte 
riksspräk  noch  lange  nicht  einheitlich  war,  wenigstens  in  bezug  auf  die  dehnung  alter 
betonter  kürzen  in  offener  silbe. 

August  Schagerström  bringt  ein  paar  beitrage  zur  Volkskunde,  nämlich 
geschichten  aus  Gräsön  i  norra  Roslagen  von  verboten  (mr/),  drachen  und  vijölingar, 
d.  h.  lebendig  ausgesetzten  unehelichen  kindern ,  die  nun  nach  ihrer  mutter  rufen  und 
sie,  wenn  sie  sie  erwischen,  tot  saugen. 

Im  34.  aufsatze  bringt  Sven  Lampa  zahlreiches  material  bei  zu  der  oft  recht 
verwickelten  Strophenbildung  in  der  schwedischen  dichtung  des  15.  jh.,  die  also 
dm-chaus  nicht  auf  den  knittelvers  beschränkt  war,  wenngleich  dieser  die  bei  weitem 
vorherrschende  versform  darstellte. 

S.  410 fgg.  sucht  J.  Reinius  zu  beweisen,  dass  das  wort  gösse  eine  entstellte 
lockform  des  woites  gris  sei.  Bei  aller  besonnenheit  seiner  beweisführung  kommt 
mir  seine  erkläi-ung  doch  etwas  gesucht  vor. 

Sehr  lehrreich  für  vergleichende  Sprachgeschichte  der  neueren  zeit  ist  K.  H. 
Waltm ans  aufsatz  mit  dem  erst  etwas  befremdlichen  titel  Kordiska  aksentformer 
i  gäliska.  Durch  genaue  beobachtung  eines  aus  Aviemore  im  ostlichen  teile  der 
grafschaft  Inverness  stammenden  herrn  stellt  nämlich  "Waltman  fest,  dass  das  dortige 
keltische  idiom  unzweifelhafte  parallelen  zur  schwedischen  accentuierung  besitzt. 
Doch  scheinen  die  verschiedenen  accentaiieii  nicht  wie  im  schwedischen  historisch, 
sondern  rein  phonetisch  nach  der  Quantität  und  Umgebung  der  vocale  verteilt  zu  sein. 


282  R.  M.  MEYKR  ÜBER  MARBE,  RHYTHMUS  DER  PROSA 

Ewald  Liden  untersucht  die  noch  nicht  genügend  erklärte  etymologie  von  got. 
hröt^  aisl.  hrot  (nur  in  kenningar)  'dach'  und  kommt  zu  dem  überraschenden  er- 
gebnis,  dass  es  das  gleiche  etymon  enthält  wie  neupers.  saräy  'palast',  das,  durch 
türkische  Vermittlung  als  lohnwort  zu  uns  gekommen,  mit  dem  offenbar  echt  roma- 
nischen seraü,  serraglio  usw.  zusammengefallen  ist.  Idg.  grundform  ist  *krüdo  oder 
*krädo. 

Odal  Ottelin  untersucht  s.  435  fgg.  die  anwendung  des  suffigierten  artikels  ira 
Codex  Bureanus  (Holm.  A  34),  dessen  genaue  bearbeitung  ja  überhaupt  Ottelins 
gebiet  ist. 

Otto  Lager  Crantz  gibt  ein  paar  Worterklärungen,  in  denen  er  gotisch  göps, 
aisl.  göör  usw.  mit  x'^''OS  =  uyaO-ög  in  Äristophanes'  Lysistrata,  ahd.  hrind  mit 
kretisch  t6  xKQTctTnog ^  tk  y.uQTÜnoSa  zusammenbringt,  offenbar  nicht  mit  unrecht. 

K.F.  Johansson  bringt  einen  wichtigen  beitrag  zur  gotischen  grammatik, 
indem  er  -die  nominalzusammensetzungen  dieser  spräche  untersucht  und  in  die  kate- 
gorien  der  altindischen  grammatiker  einordnet. 

Den  schluss  macht  Hjalmar  Psilander  mit  einem  kleinen  beitrag,  in  dem  er 
vorschlägt,  Alvissm^l  1^  für  heima  einzusetzen  heimo  'uxorem',  das  er  aus  einem 
citat  in  Mätzners  Mittelenglischem  Wörterbuch  s.  v.  kerne  erschliesst.  Alv.  1  ^  Jieimo 
scal  at  huild  (=  *  huüd)  nema  würde  dann  heissen  'in  ruhe  (nicht  übereilt)  soll 
man  ein  weib  nehmen'. 

Hinter  den  abhandlungen  steht  ein  Wortregister  in  zwölf  spalten,  das  gewiss 
dem  etymologen  recht  willkommen  ist.  Aber  warum  müssen  diejenigen,  die  sich  um 
andere  abteilungen  dieser  reichhaltigen  schrift  bekümmern,  auf  ein  register  ver- 
zichten? Gerade  solch  ein  sammelband  würde  durch  ein  vollständiges  Sachregister  erst 
richtig  brauchbar. 

AVenn  auch  nicht  alle  zweige  und  nebenfächer  der  germanistik  in  diesem  buche 
gleich  stark  vertreten  sind,  wenn  z.  b.  für  die  Volkskunde  gegenüber  der  etymologie 
fast  gar  nichts  abfällt,  so  ist  doch  diese  auch  äusserlich  vortrefflich  ausgestattete 
festschrift  nicht  nur  ein  beweis  für  die  Verehrung,  deren  sich  Noreen  bei  seinen 
freunden  und  schülern  erfreut,  sondern  auch  für  alle  germanisten,  besonders  scandi- 
navisten  eine  recht  willkommene  fundgrube  der  belehr ung  und  anregung. 

ERLANGEN.  AUGUST  GEBHARDT. 


K.  Marbe,  Über  den  rhythmus  der  prosa.  Vortrag,  gehalten  auf  dem  I.  deut- 
schen congress  für  experimentelle  psychologie  zu  Giessen.  Giessen,  Rickes  Ver- 
lagsbuchhandlung 1904.     37  s.     0,60  m. 

Marbe  hat  den  anfang  von  Goethes  „Rochusfest"  und  Heines  „Harzreise" 
in  bezug  auf  die  häufigkeiten  der  rhythmischen  formen  statistisch  verglichen  und  die 
erhaltenen  sätze  (s.  28)  an  andern  textproben  erhärtet.  Dass  die  sehr  unbestimmten 
ergebnisse  zur  echtheitsprüfung  (s.  33)  brauchbar  sind,  muss  vor  der  band  bezweifelt 
werden.  Eine  „universelle  kenntnis  des  prosarhythmus  der  nhd.  spräche"  (s.  32) 
muss  noch  auf  ganz  andern  fundamenten  aufgebaut  werden:  die  abstufungen  der 
accente  sind  mindestens  so  wichtig  wie  die  Verteilung,  und  wichtiger  als  beides  die 
individualisierung  nach  poetischer  oder  lediglich  berichtender  prosa,  pathetischen 
momenten  usw. 

Der  verf.  hat  von  der  allerdings  geringfügigen  litteratur  zum  prosarhythmus 
our  das  wenigste  benutzt,  besonders  hätten  Reicheis  ai"beitea  wie  auch  Piersons 


FRANCK  ÜBKR  KNDKrOLS,  MNL.  DRAMA  283 

cälteres,  doctrinärcs ,  aber  scharfsinniges  werk  ihm  von  wort  sein  können.  Was  sich 
jetzt  ergibt,  scheint  mir  —  der  ich  freilich  immer  melir  zum  statistischen  ketzer 
werde  —  nur  sehr  umständlich  dinge  zu  erweisen,  die  sich  bei  der  lektüro  (nach 
Marbes  eigenem  bericht  s.  3)  ohne  weiteres  bemerkbai-  machen. 

BKRLIN.  RICHARD    M.  MKYER. 


Dr.  H.  J.  E.  Eiidepols,  Hot  decoratief  en  de  opvoering  van  het  middel- 
nederlandsche  drama,  volgens  de  niiddelnederlandscho  tooneel- 
stukken.     Amsterdam,  van  Laugenhuysen  1903.     XII,  139  s. 

Diese  schrift  ist  nach  einem  begleitwort  als  (Leidener?)  doctordisscrtation  an- 
zusehen, obwol  sie  nicht  in  der  gewohnten  weise  äusserlich  als  solche  gekennzeichnet 
ist.  Sie  untersucht,  hauptsächlich  aus  den  stücken  selbst  heraus,  wie  der  Verfasser 
betont  und  ja  auch  im  titel  ausspricht,  „wie  die  mittelalterliche  bühne  beschaffen 
war,  welche  decorationen,  welche  costüme  zur  auwendung  kamen,  und  auf  welche 
weise  gespielt  wm-de''.  Die  Untersuchung  schliesst  auch  das  IG.  jh.  ein;  mit  dem 
17.  jh.  beginnt  ja  in  den  Niederlanden  eine  neue  epoche  der  litteratur.  Eine  will- 
kommene beigäbe  erhalten  wir  in  einigen  abbildungen. 

Die  mehrstöckige  bühne  war  jedesfalls  nicht,  wie  viele  das  gemeint  haben,  das 
gewöhnliche.  Allerdings  sind  solche  bauten  vorgekommen,  aber  sicher  bezeugt  sind 
sie  eigentlich  nur  für  die  prunkdarstellung  lebender  bilder.  Daneben  gab  es  auch 
bühnen  auf  wagen,  gelegentlich  mag  auch  unmittelbar  auf  den  platzen,  auf  denen 
•stände'  errichtet  gewesen  sein  mögen,  gespielt  worden  sein;  das  gewöhnliche  war 
jedoch  die  auf  dem  markt-  oder  kircheuplatz  aufgeschlagene  erhöhte  estrade  ('das 
stellagensystem'),  auf  der  die  verschiedenen  localitäten  neben-  oder  hintereinander 
lagen.  Wenn  in  den  stücken  von  oder  nach  oben  oder  unten  gesprochen  wird,  so 
erklärt  sich  das  genügend  daraus,  dass  z.  b.  der  himmel  etwas  über  die  andern  örtlich- 
keiten erhöht  war,  und  die  hölle  oder  der  tartarus  sich  unter  der  bühne  befanden 
oder  zu  denken  waren.  Die  bühnenbauten  zeigten  die  grösste  Verschiedenheit  unter- 
einander, sie  waren  nur  für  kurze  zeit  berechnet  und  wurden  nach  dem  gebrauch 
gleich  wider  abgebrochen,  ausserdem  hatten  sie  sich  den  ortsverhältnissen  und  dem 
jedesmaligen  stücke  anzupassen.  Anderseits  stimmten  sie  doch  auch  alle  wider  unter- 
einander überein.  Wir  haben  im  allgemeinen  auch  hier  die  'Terenzbühne',  und  das 
publicum  lässt  sich  hier  so  wenig,  wie  irgendwo  anders  dadurch  stören,  dass  die  ent- 
legensten platze  sich  immittelbar  nebeneinander  befinden  und  zu  gleicher  zeit  sichtbar 
sind.  Die  erste  hälfte  eines  reimpaares  wird  in  Sicilien ,  die  zweite  in  Damascus  ge- 
sprochen. Doch  hat  man  daneben  auch  scenenveränderungen  hinter  geschlossenen 
gardinen  gekannt.  Von  gardinen  wurde  überhaupt  ein  reichlicher  gebrauch  gemacht, 
um  einzelne  teile  der  scenerie  für  die  Zuschauer  zu  öffnen  oder  zu  schliessen.  Manch- 
mal deuteten  sie  durch  bemalung  die  "tür  oder  sonst  etwas  von  der  räumlichkeit  an, 
die  sie  abschlössen.  Oft  waren  aber  die  bauschen,  auch  hier  die  gewöhnlichste  aus- 
stattung  der  bühnen,  mit  wirkhchen  türen,  klopfern  und  fenstern  versehen,  und  man 
sah  also  auf  natürliche  weise  ein  teil  von  dem  was  in  denselben,  oder  innerhalb  von 
kirchen ,  gefängnissen  und  lusthäusern  vorging.  Städte ,  wälle  und  dergleichen  wurden 
durch  bemalte  bretter  vorgestellt,  aber  anderes,  wie  einzelne  bäume  oder  gebüsche, 
auch  naturalistischer  wirklich  auf  die  bühne  gebracht  oder  wenigstens  mit  zweigen 
oder  pflanzen  angedeutet.  Zweifellos  sind  wirkliche  fontänen  auf  der  bühne  vorge- 
kommen, und  die  bewegte  see,  vielleicht  sogar  mit  einem  schiffeben  dui'auf,  wai'  nicht 


284  FRANCK 

immer  bloss  durch  einen  bemalten  hintergrund  angedeutet,  sondern  es  wurde  auch 
wirkliches  wasser  zu  lebendigerer  Vorstellung  verwendet.  Wenn  in  einem  stück 
Kaukasus,  Parnass  und  Olymp  aufeinandergetürmt  werden,  so  haben  wir  uns  dabei 
die  anwendutig  loser  decorationsstücke  vorzustellen,  Donner,  regen  und  andere  natur- 
erscheinungen  wurden  realistisch  nachgeahmt.  Diesen  grösseren  aufwand  an  decoratiou 
haben  wir  uns  hauptsächlich  bei  kirchlichen,  romantischen,  classischen  und  alle- 
gorischen spielen,  also  beim  ernsten  drama,  zu  denken;  das  lustspiel  begnügte  sich 
mit  grösserer  einfachheit,  in  der  regel  mit  einem  bauschen  und  der  anliegenden  Strasse. 
Wurde  es  als  zugäbe  zu  einem  ernsten  stück  gespielt,  so  benutzte  man  dafür  den 
Vordergrund  der  bühne. 

In  den  costümen  wurde  häufig  grosser  prunk  entfaltet.  Besondere  elemente 
kamen  bier  hinzu  einerseits  durch  die  allegorischen  figuren  in  den  spielen,  ander- 
seits durch  die  götter  und  beiden  der  classischen  stücke  mit  ihren  griechischen  und 
römischen  oder  vermeintlich  griechischen  und  römischen  gewänderu.  Die  allegorischen 
figuren  waren  häufig  mit  bezeichnenden  emblemen  versehen  —  zur  not  halfen  auch 
aufschriften  — ,  die  zum  teil  feststehender  art  wai'en.  Masken,'  falsche  bärte,  haare 
und  nasen  und  schminke  gelangten  zur  Verwendung,  auch  falsche  brüste,  wenn,  wie 
gewöhnlich,  frauenrollen  durch  mänuer  dargestellt  wurden.  Dass  frauen  selber  auf- 
ti'aten  ist  für  die  spätere  zeit,  auch  von  lebenden  bilderu  abgesehen,  nicht  ganz  aus- 
geschlossen. Lose  decorationsstücke  wurden  ausser  den  schon  genannten  in  grosser 
zahl  gebraucht:  möbel  und  anderes  hausgerät,  bewegliche  wölken,  Visionen,  dargestellt 
durch  auf-  und  abgezogene  gemälde,  winden  zum  bewegen  von  engein.  göttern  und 
dergleichen.  Auch  tiere  kamen  auf  die  bühne,  zum  teil  lebend,  zum  teil  dargestellt 
durch  echte  oder  nachgemachte  feile,  in  die  personen  eingeschlossen  waren. 

Die  stücke  waren  in  der  regel  mit  prolog  und  'nachprolog'  versehen,  die  von 
einem  besonderen  prologsprecher  oder  einer  person  aus  den:  stücke  gespi'ochen  wurden. 
Manchmal  gestalten  sie  sich  selbst  wider  dramatisch  mit  verschiedenen  rollen.  Schon 
seit  der  ältesten  zeit  lässt  sich  nachweisen ,  dass  die  Spieler  die  scene  vollständig  ver- 
liessen;  in  anderen  fällen  mögen  sie  sich  aber  auch  darauf  beschränkt  haben,  in  den 
hintergrund  zu  treten.  Im  übrigen  stösst  man  sich  auch  hier  noch  nicht  am  un- 
motivierten auf-  und  abtreten  der  spielenden  personen.  Es  scheint,  dass  man  auch  den 
ersten  reim  eines  gebrochenen  reimpaares  als  Stichwort  für  das  auftreten  benutzt  hat. 
Bei  längeren  stücken  ergaben  sich  von  selbst  pausen  (wie  weit  dachte  man  dabei  au 
eine  innerliche  motiviei-ung?),  wobei  man  grössere  und  kleinere  unterschied;  bei 
kürzeren  spielen  geht  es  aber  auch  ohne  pause  sogar  über  Zwischenräume  von  jähren 


Wenn  nun  Endepols  zu  den  schauspielern  kommt  und  seine  besprechimg  mit 
den  Worten  beginnt  „soweit  wir  wissen,  kannte  man  vor  dem  ende  des  mittelalters 
wenig  bemfsschauspieler",  so  ist  das  vielleicht  zu  viel  gesagt.  Man  war  doch  von 
so  manchen  selten  her,  von  den  ' Spruchsprechern ',  den  vaganten,  den  'gesellen  von 
dem  spiele'  (s.  Jonckbloet,  Geschiedenis  der  nederl.  letterkunde  II,  350)  so  nahe  an 
das  gelangt,  was  wir  berufsmässiges  schauspielertum  nennen  mögen,  dass  E.s  be- 
hauptung  für  das  15.  und  16.  jh.  nicht  mehr  so  ganz  zutreffen  dürfte.  Doch  hat  er 
jedesfalls  recht  mit  der  annähme,  dass  in  den  stücken  sehr  viele  personen  auftraten, 
die  das  publicum  im  täglichen  leben  als  ehrsame  bürger  kannte.  Aber  auch  bei  ihnen 
ist  eine  treffliche  Übung  in  der  kunst  vorauszusetzen,  bei  der  auch  auf  die  mimik 
viel  wert  gelegt  wurde.  In  einer  Vorliebe  für  plastische  gruppen,  die  nicht  nur  im 
eiugang  der  stücke,   sondern  auch  mitten  drin  angebracht  wurden,  macht  sich  der 


ÜBER    KNDEPOLS,    MNL.  DRAMA  285 

einfluss  der  oft  dargestellten  lebenden  bilder  bemerkbar.  Gewisse  scenen  sind  mehr 
oder  weniger  stereotyp  ausgebildet,  besonders  solche  komischer  art,  wie  Schlemme- 
reien und  prügeleien,  weiter  aber  z.  b.  auch  das  klopfen  an  der  tür,  bittende  knie- 
fälle,  das  vorlesen  eines  briefes.  Eine  ganz  hervorragende  rolle  spielen  die  lustigen, 
oft  zugleich  allegorischen,  personen,  und  in  manchen  zügen,  die  der  Verfasser  von 
ihnen  beizubringen  hat,  erkennen  wir  sofort  unsere  heutigen  circusclowns  und  figuren 
unserer  Puppenspiele  wider,  wie  z.  b.  auch  in  dem  witz,  eine  anscheinend  zu  den 
Zuschauern  gehörige  person  mit  ins  spiel  zu  ziehen'.  Einzelne  scenen  setzen  eine 
fast  taschenspielermässige  geschicklickkeit  der  spielenden  voraus.  Bei  anderen  sind 
zweifellos  auch  mechanische  hilfsmittel  zur  anwendung  gekommen.  Wie  weit  man  zu 
jener  zeit  in  dieser  hinsieht  war,  wird  durch  die  Schilderung  einer  Schaustellung  beim 
feste  'le  voeu  du  faisan'  zu  Rijssel  1453  anschaulich  gemacht. 

Zum  schluss  dieses  capitels  wird  die  frage  erörtert,  ob  auch  lesedramen  für 
die  zeit  angenommen  werden  dürfen,  und  die  bereits  an  einer  früheren  stelle  ge- 
äusserte Vermutung  wider  aufgenommen,  dass  einzelne  der  in  betracht  kommenden 
stücke  auch  mit  marionetten  gespielt  sein  könnten.  Den  übrigen  besser  begründeten 
darlegungen  gegenüber  schwebt  diese  hypothose  doch  zu  sehr  in  der  luft. 

Das  schlusscapitel  erörtert  kurz  die  rolle  von  instrumental-,  vocalmusik  und 
tanzen  im  drama,  nachdem  schon  vorher  über  zwischenactsmusik  geredet  war.  Neben 
chorliedern  und  coapletartigen  gesängen  sind  auch  refrainlieder,  deren  refrain  auch  wol 
vom  publicum  aufgenommen  wurde,  und  duette  zu  nennen.  Die  schon  vorher  als 
beliebt  erwähnten  gruppierungen  gestalteten  sich  zuweilen  weiter  aus,  so  dass  voll- 
ständige lebende  bilder,  zum  teil  auch  mit  nmsikbegleitung,  in  die  stücke  einge- 
schoben wurden. 

Das  ergebnis  seiner  fleissigen  Untersuchungen  fasst  E.  in  folgenden  werten  zu- 
sammen: das  geringschätzige  urteil  über  die  geschicklichkeit  der  mittelalterlichen  re- 
gisseure  muss  berichtigt  werden.    Wenn  diese  natürlich  auch  nicht  mit  den  regisseuren 

des  20.  Jahrhunderts  wetteifern  können ,  so  verstand  es  doch  die  mittelalterhche 

regle  auch  hierzulande  landschaften  mit  gewässern,  auf  denen  schiffe  fahren  konnten, 
darzustellen,  brachte  den  himmel  und  die  höUe,  städte  mit  kirchen,  häusern  und  ge- 
fanguissen  auf  die  bühne,  kannte  einrieb tungen ,  mit  denen  man  engel  fliegen,  wölken 
schweben,  fontänen  springen,  drachen  feuer  speien  und  kreuzbilder  bluten  liess.  Und 
dann  die  costüme!  Die  prachtgewänder  gottes  und  seiner  heiligen  oder  der  alle- 
gorischen prunkgestalten  waren  trotz  dem  anachronistischen,  das  sie  keimzeichnete, 
von  einer  pracht  und  gediegenheit,  deren  die  garderobe  mancher  heutigen  truppe  sich 
nicht  rühmen  kann.**  Daneben  hebt  er  noch  einen  anderen  punkt  hervor:  wenn  auch 
durch  die  renaissance  zwischen  dem  mittelalterlichen  und  dem  niederländischen  drama 
des  17.  jhs.,  was  den  Inhalt  betrifft,  der  faden  zerschnitten  ist,  so  bleibt  doch  inbezug 
auf  die  inscenicrung  ein  Zusammenhang  zwischen  beiden  anzuerkennen. 

Gleichzeitig  mit  dieser  dissertation  ist  die  preisschrift  des  P.  Expeditus  Schmidt 
„Die  bühnenverhältnisse  des  deutschen  schuldramas  und  seiner  volkstümlichen  ableger 
im  16.  jh."  (Munckers  Forschungen  zur  neueren  litteraturgeschichteXXIV,  Berlin  1903) 
erschienen.  Es  muss  einem  sofort  der  grosse  unterschied  in  den  ergebnissen  beider 
arbeiten  auffallen.  Man  sehe  gegenüber  dem  eben  mitgeteilten  endui'teil  Endepols 
über  die  mittelalterliche  bühne,  der  als  einen  ihrer  wesentlichen  zwecke  stets  auch 

1)  Es  wäre  interessant  genug,  einmal  zu  untersuchen,  wie  viel  einzelheiten 
der  heutigen  clowns  sich  auf  mittelalterlichen  und  damit  zum  teil  auf  noch  älteren 
urtipiung  zurück  führen  lassen. 


286  R.  M.  MEYER    ÜBER    CZERNY,    STERNE,    HIPPEL    UND    JEAN    PAUL 

die  befriedigung  der  Schaulust  zu  betonen  hat,  wie  der  P.  Schmidt  nachdrücklichst 
den  declamatorischen  grundcharakter,  die  einfachheit  der  bühnenverhältnisse  betont, 
wie  er  immer  geneigt  ist,  bloss  „gesprochene  declamationen"  anzunehmen.  Der  unter- 
schied erklärt  sich  und  rechtfertigt  sich  auch  ja  allerdings  dadurch,  dass  P.  Schmidt 
im  wesentlichen  das  schuldrama,  Endepols  aber  das  volksdrama  untersucht,  zwei 
dinge,  die  inbezug  auf  ihren  ausgangspunkt,  ihre  zwecke  und  vor  allem  auch  ihre 
geldlichen  mittel  weit  voneinander  abstehen.  Aber  vielleicht  liegt  der  unterschied 
doch  einigermassen  auch  daran,  dass  beide  Verfasser  ihre  ansieht  etwas  allzusehr  zu- 
gespitzt haben.  Auf  welcher  Seite  dann  am  meisten  das  zuviel  zu  suchen  ist,  könnte 
ich  nicht  entscheiden.  Doch  macht  wol  im  ganzen  die  arbeit  von  Schmidt  etwas  mehr 
den  eindruck,  von  einem  nüchternen  und  objectiv  abwägenden  urteil  getragen  zu  sein. 
Er  hat  uns  z.  b.  realistischer  gezeigt,  wie  seine  Schauspieler  auf-  und  abtreten  als 
Endepols.  Er  hat  auch  den  ja  prosaischen  aber  doch  sehr  wesentlichen  gesichtspunkt 
im  äuge,  mit  welchen  geldlichen  mittelu  seine  leute  zu  arbeiten  hatten.  Bei  E.  er- 
fahren wir  nichts  darüber,  und  soweit  es  sich  nicht  um  die  festspiele  bestimmter 
vereine  handelt,  wissen  wir  nicht,  wie  die  kosten  für  die  aufführungen  bestritten 
wurden.  Dieser  wirtschaftsgeschichtliche  gesichtspunkt  wäre  aber  nicht  unwichtig, 
wenn  wir  abschätzen  sollen,  was  wir  an  aufwand  für  die  bühneneinrichtung  und  die 
sonstigen  darstellungsmittel  als  wahrscheinlich  oder  möglich  ansehen  dürfen. 

Möge  mir  der  Verfasser  gestatten,  noch  zwei  äusserliche  kleinigkeiten  zum 
besten  der  leser  seiner  künftigen  Schriften  zu  erwähnen.  Das  eine  betrifft  seine  art 
zu  eitleren,  wobei  er  vergisst,  dass  der  leser  die  dinge  nicht  so  im  köpfe  hat  wie 
er  selber.  Er  gebraucht  die  verschiedensten  und  darunter  recht  unzweckmässige  ab- 
kürzungen  für  ein  und  dasselbe  buch  und  bezeichnet  öfters  auch  die  bücher  ganz 
ungenügend.  Zum  zweiten  wendet  er  ältere  termini  im  text  an,  ohne  sie  als  solche 
zu  kennzeichnen.  Die  meisten  leser  werden  sich  den  köpf  zerbrechen,  was  toogen 
(auch  toochen  geschrieben;  d.  h.  etwa  'lebende  bilder')  oder  sinnekens  (allegorische 
und  meist  komische  figureu)  eigentlich  sind,  bis  sie  gelegentlich  aus  dem  Zusammen- 
hang einigermassen  ersehen,  was  sie  darunter  zu  verstehen  haben. 

BONN.  J.    FRANCK. 


J.  Czerny,  Sterne,  Hippel  und  Jean  Paul.  Ein  beitrag  zur  geschichte  des 
humoristischen  romans  in  Deutschland.  (Forschungen  zur  neueren  lit.- geschichte 
hrg.  von  F.  Muncker.  XXVII).  Berlin,  Alexander  Duncker  1904.  VI,  80  s. 
2,20  m.  (subscriptionspreis  1,55  m.). 

Diese  aufmerksame,  wenn  auch  nicht  eben  an  eigenen  gedanken  reiche  arbeit 
verfolgt  die  Stileigenheiten  des  sentimentalen  humors  von  seinem  begründer  Laurence 
Sterne  zu  Hippel  und  beider  schüler  Jean  Paul.  In  der  langsamen  befreiung  von 
diesen  mustern  sieht  er  die  grundlinie  der  entwickelung  des  Schriftstellers  Jean  Paul, 
dessen  kunst  deshalb  für  ihn  in  den  ,, Flegeljahren"  gipfelt. 

Die  unwahrscheinlich  gemischten  Charaktere  wie  Victor  (s.  81),  die  neuerdings 
Volkelt  psychplogisch  zu  rechtfertigen  versucht  hat,  sind  nach  Czernys  gewiss  zu- 
treffender ansieht  nicht  durch  berufung  auf  die  seelische  mischung  des  dichters  zu 
verteidigen,  weil  es  diesem  selbst  mit  der  empündsamkeit  nicht  so  ernst  war,  wie 
seinen  beiden.  Dagegen  wird  das  zwingende  in  der  seele  eines  bedeutenden  autors 
doch  zu  gering  angeschlagen,  wenn  der  verf.  schliesshch  (s.  86)  alle  ältere  art  Jeaa 
Pauls  lediglich  auf  „falsche  theorien"  zurückführt:  die  ästhetischen  fehlerqueilen ,  aus 


NEUE    ERSCHEINUNGEN  287 

denen  für  uns  so  viel  ungeniessbares  bei  ihm  erfliesst,  waren  doch  eben  aiicli  in 
einem  naturell  begründet,  dessen  antithesen  Fr.  Th.  Vischors  bekannte  apostrophe 
an  seinen  liebliug  tief  und  geistreich  versammelt. 

BERLIN.  R.  M.  MKYKR. 


NEUE  ERSCHEINUNGEN. 

(Dio  redactioii  ist  bemüht,   für  allo  zur  liosprechuiig  gooigneton  werko  aus  dem  gobioto  der  germaii. 

Philologie  sachkundigo  referenten  zu  gewinnen,   übernimmt  jedoch  keine  Verpflichtung,   unverlangt 

eingoscndeto  liücher  zu  recensierea.     Kino  zurücklioferung  der  rocensions-oxomplare  an 

die  horron  Verleger  findet  unter  keinen  umständen  statt.) 

Arndt,  Willi.,  Dio  persouennanien  der  deutschen  Schauspiele  des  mittclalters.    |A.u. 

d.t. :  Germanist,  abhandlungen  ..  hrg.  von  Fr.  Vogt.   23.]    Breslau,  Marcus  19U4. 

X,  113  s.     3,60  ni. 
Beowulf  nebst  dem  Finnsburg -bruchstück  mit  einleitung,  glossar  und  annierkungen 

herausg.  von  F.  Holthausen.     I.  teil:   Texte  und  namensverzeichnis.     [Alt-  und 

mittelengl.  texte  hrg.  von  L.  Morsbach  und  F.  Holthausen.   III.]     Heidelberg, 

C.  AViuter  1905.    VII,  112  s.     2,20  m. 
Erzähluiiffeu,   fabeln  und  lehrgedichte .  Kleinere  mittelhochdeutsche.    I.   Die  Melker 

handschrift,  hrg.  von  Alb.  Leitzmann.    Mit  einer  tafel  in  lichtdruck.    [A.  u.d.f.: 

Deutsche  texte  des  mittelalters  hrg.  von  der  Kgl.  preuss.  akad.  der  wissensch.  IV.] 

Berlin,  Weidmann  1904.     XIV  (H),  35  s.     2,40  m. 
Friedrich  von  Schwaben,   aus   der  Stuttgarter  handschr.  hrg.  von  M.  H.  Jelliuek. 

Mit  einer  tafel  in  lichtdruck.     [A.  u.  d.  t. :  Deutsche  texte   des  mittelalters  hrg. 

von  der  Kgl.  preuss.  akad.  der  wissensch.    I.]     Berlin,   Weidmann   1904.     XXII, 

127  s.     4,40  m. 
Gottesfreuud.   —  Der  Gottesfreund   vom   Oberland,    eine   erfindung  des  Strassburger 

Johaimiterbruders  Nikolaus  von  Löwen,  von  Karl  Rieder.     Innsbruck,  Wagner 

1905.     XXIII,  269  +  268  s.  und  12  taff.     24  m. 
(iutolf  von  Heiligenkreuz.  —  Sohönbach,   A.  E.,  Über  G.  v.  H.,  Untersuchungen 

und  texte.    [A.  u.  d.  t. :  Sitzungsberichte  der  Kaiserl.  akad.  der  wissensch.  in  Wien, 

phil.-hist.  kl.  CL.]    W^ien,  Gerold  1904.     (II),  129  s. 
Hebbel.  —  Werner,  K.M.,  Hebbel,  ein  lebensbild.     Berlin,  Ernst  Hoffmann  &  Co. 

1905.     (X),  384  s.,  1  portr.  und  1  facs. 
Hellquist,  Elof,  Om  de  sven.ska  oiinamnen  pä-wi^fe,  -ungc  ock -unga.    [Göteborgs 

högskolas   ar.sskrift    1905.    L]     Göteborg,  AVald.  Zachrisson    1904.     (H),  263  s. 

3,75  kr. 
Hrölfs  saga  kraka.  —  Die  geschichte  von   Hrolf  Kraki,   aus  dem  isländ.   übersetzt, 

erläutert   und    mit    saggeschichtl.    parallelen    versehen    von    Paul    Horrmann. 

Torgau,  Fr.  Jacob  1905.     (11),  134  s. 
Inimermann.  —  Deetjen,  Werner,  Immermanns  jugeuddramen.    Leipzig,  Dieterich 

1904.     200  s.  und  1  portr.     5  m. 
Kristnisaga,    J)ättr  ])orvalds  ens  viftf<{rla,    ])attr  Isleifs    biskups    Oixurarsonar, 

Hungrvaka  hrg.  von  B.  Kahle.    [Altnord,  .saga-bibl.  hrg.  von  G.  Cedorschiöld, 

II.  Gering  und  E.  Mogk.  XL]     Halle,  M.  Niemoyer  1905.     XXXV,  144  s.     5  m. 
Lessing.   —  Kettnor,   Gust.,    Lessings  dramen    im   lichte  ihrer  und  unserer  zeit. 

Berlin,  Weidmann  1904.     Geb.  9  m. 


288  NACHRICHTEN 

Rother.  —  Wiegand,  Jul. ,  Stilistische  Untersuchungen  zum  König  Rother.     [Ä.  u. 

d.  t. :  Gennauist.  abhandlungeu  .  .  hrg.  voq  Fr.  Vogt.  22.]     Breslau,  Marcus  1904. 

XI,  209  s.     6,40  m. 
Sachs,  Hans.  —  Eichler,  Ferd.,  Das  nachleben  des  Hans  Sachs  vom   IG.  bis   ins 

19.  jahrli.     Leipzig,  Harrassowitz  1904.     IX,  234  s.     5  m. 
Schrader  Otto,    Totenhochzeit.     Ein   Vortrag.     Jena,  Costenoble   1904.     (IV),   38  s. 

1,50  m. 
Seiler,  Friedr.,    Die    entwicklung    der  deutschen    kultur   im  spiegel  des  deutschen 

lehnworts.     I.   Die   zeit  bis    zur  einführung  des    Christentums.     2.   aufl.     Halle, 

Waisenhaus  1905.     XXV,  118  s.     2,20  m. 
Stifter.   —   Kosch,   Wilh.,   Adalbert  Stifter   und    die    romautik.     [Prager   deutsche 

Studien  hrg.  voi^  Carl  v.  Kraus  und  Aug.  Sauer.    1.  heft.]     Prag,  Carl  Bell- 

manu  1905.     (VIII),  123  s. 
Wernher,  Bruder.  —  Schönbach,  A.  E,  Beiträge  zur  erkläning  altdeutscher  dicht- 

vperke.  IV.     Die  sprüche  der  Bruder  Wernher.  VI.     [A.  u.  d.  t. :  Sitzungsberichte 

der  Kaiserl.  akad.  der  wissensch.  in  Wien,  phil.-hist.  kl.  GL.]     (II),  106  s. 
Wernher  der  gartena^re.  —  Helmbrecht,   ein  oberösterreichisches  gedieht  aus  dem 

13.  jahrh.,  übertragen  von  dr.  Konrad  Schiffmann.     Linz,   Selbstverlag  1905. 

69  s. 


NACHRICHTEN. 


Die  48.  Versammlung  deutscher  philologen  und  Schulmänner  Vfird 
von  dienstag  den  3.  october  bis  freitag  den  6.  october  1905  in  Hamburg  stattfinden. 
Als  obmänner  der  germanistischen  section  fungieren  professor  di\  K.  Dissel  in 
Hamburg  (Innocentiastr.  32),  geh.  regierungsrat  professor  dr.  H.  Gering  in  Kiel 
(Hohenbergstr.  13)  und  Oberlehrer  dr.  G.  Roseuhagen  in  Hamburg  -  Hamm  (Meri- 
dianstr.  8). 

Ain  27.  decomber  1904  verstarb  zu  Halle  a.  S.  professor  dr.  Hugo  Holstein, 
vormals  director  des  gymnasiums  zu  Wilhelmshaven  (geb.  am  22.  februar  1834  zu 
Magdeburg),  ein  langjähriger  treuer  freund  und  mitarbeiter  unserer  Zeitschrift;  am 
4.  april  1905  zu  Wien  der  ordentl.  professor  der  german.  philologie,  hofrat  dr.  Richard 
Heinzel  (geb.  3.  nov.  1838  zu  Capo  d'Istria). 

Der  ordentl.  professor  dr.  Herm.  Baumgart  in  Königsberg  wurde  zum  geh. 
regierungsrat  ernannt;  der  privatdocent  dr.  Joh.  Schatz  in  Innsbruck  zum  extra- 
ordinarius  befördert;  der  privatdocent  dr.  Franz  Saran  in  Halle  a.  S.  erhielt  den 
professortitel. 


Buchdruckerei  des  Waisenhauses  in  Halte  a,  S. 


UNTEESUCHUNGEN  ÜBER  DEN  URSPEUNG  UND  DIE 
ENTWICKLUNG  DEE  NIBELUNGENSAGE  \ 

Einleitung:. 

§  1.    Die  sage  von  Hagens  tod   und  ihre  nächsten  verwandten. 

Ein  teil  dieser  Studien  schliesst  sich  an  einen  aufsatz  im  47.  bände 
der  Zschr.  f.  d.  alt.  (s.  125 — 160),  wo  ich  das  Verhältnis  der  Mbelungen- 
sage  zur  Finnsage  und  die  bis  zu  einem  gewissen  grade  daraus  zu  er- 
schliessende  ältere  gestalt  der  ersteren  besprochen  habe,  an.  Die  resultate 
mögen,  soweit  sie  den  ausgangspunkt  für  das  folgende  bilden,  hier  kurz 
widerholt  werden.  Es  hat  sich  dort  ergeben,  dass  die  sage  von  dem 
ende  der  Nibeluiige  ihren  grund  nicht  ausschliesslich  in  der  historischen 
Überlieferung  von  dem  Untergang  des  burgundischen  reiches  hat,  sondern 
dass  die  Burgunden  in  die  fertige  sage  aufgenommen  sind.  Die  mög- 
lichkeit  besteht,  die  alte  sage  in  ihren  hauptzügen  zu  reconstruieren, 
wenn  man  die  jüngeren  züge  entfernt  und  nur  das  behält,  was  zur 
inneren  structur  der  sage  gehört.  Dabei  können  die  parallelen  Über- 
lieferungen von  Finn,  in  geringerem  grade  auch  die  von  Sigmund,  ihre 
dienste  beweisen. 

Die  grundform  ist:  Attila-  hat  Hagens  Schwester  Grimhild  oder 
GuÖrün-^  zur  frau.  Er  lädt  seinen  schwager  zu  sich  ein,  überfällt 
aber  seinen  gast  in  der  hoffnung,  dessen  schätz  in  seinen  besitz  zu  be- 
kommen, und  tötet  ihn.  Bald  wurde  auch  erzählt,  dass  seine  frau  ihren 
bruder  rächt. 

Die  hauptsächlichsten  abweichungen  von  den  historischen  tatsachen 
sind:  1.  Hagen  ist  der  könig.  Das  ist  nicht  mehr  die  auffassung  der 
quellen.  Durch  die  Verbindung  mit  den  Burgunden  ist  Hagens  ursprüng- 
liche Stellung  verdunkelt,  über  an  zaiilreichen  stellen  erscheint  er  noch 
als  die  hauptperson.  2.  der  Überfall  findet  in  Attilas  land  statt.  3.  der 
name    Nibelunge.     4.  (in    der    nordischen   Überlieferung)   die   geringen 

1)  Eddalieder  sind  nacii  Bugge,  das  Nibeluugenlied  nach  Bartsch  citiert. 

2)  Mit  diesen  namen  deute  ich  Hagens  feind  in  der  alten  sage,  für  den  später 
Attila  eingetreten  ist,  an. 

3)  Über  diesen  namen  s.  §  30. 

ZKITSCHRUT    F.    UKUTäCHK    PElLOLOülK.       KD.    XXXVU.  19 


290  BOER 

zahlen  Verhältnisse,  die  keineswegs  eine  willkürliehe  ändemng  der  dichter 
der  Atlilieder  zu  sein  brauchen. 

Von  diesen  zügen  werden  1.  2.  4.  durch  die  Finnsage  bestätigt. 
Mit  dieser  hat  die  Nibelungensagö  noch  andere  berührungen.  Solche 
sind  der  tod  eines  sohnes  der  Hildeburh-Grimhild;  namentlich  aber  die 
nachlwachtscene.  Unter  mehreren  vollständig  gleichen  eiuzelheiten  fällt 
hier  der  Waffenbruder  des  königs  (Hnivfs  genösse  —  Volker)  auf.  Das  weist 
auf  längere  zeit  fortgesetzte  gemeinsame  entwicklung.  Die  deutsehe  sage 
hat  die  erinnerung  an  Hagens  genossenschaft  mit  Volker,  auch  nachdem 
er  die  burgundischen  könige  neben  sich,  bald  über  sich  bekommen  hat, 
treu  bewahrt.  In  der  skandinavischen  tradition  ist  Volker  scheinbar 
vergessen,  aber  Gunnarr  tritt  Hogni  gegenüber  in  eine  ähnliche  Stellung. 
Als  verhältnismässig  jung,  obgleich  älter  als  die  mehrzahl  der  übrigen 
combinationen ,  namentlich  die  mit  den  Burgunden,  erweist  die  Finn- 
sage den  zug,  dass  Grlmhild  an  der  räche  für  ihre  brüder  teilnimmt. 
Nach  der  Finnsage  zu  urteilen,  wurde  diese  ursprünglich  von  des  königs 
mannen  besorgt.  Doch  ist  die  selbständige  entwicklung  des  motivs  in 
der  Sigmundsage  zu  beachten.  Diese  sage  ist  eine  andere  Variante  der 
Hagensage.  Später  durch  einen  genealogischen  anschluss  in  die  Vor- 
geschichte der  Nibelungensage  aufgenommen,  steht  sie  anfänglich  in 
einigen  punkten  etwas  weiter  ab.  Aber  doch  finden  wir  auch  hier:  die 
schwagerschaft  der  feinde,  die  verräterische  einladung,  den  Überfall,  die 
räche  durch  die  frau.  Eine  ähnlichkeit  mit  der  Nibeluugensage  in  ihrer 
contaminierten  gestalt  bildet  die  mehrzahl  der  brüder  (in  der  Sigmund- 
sage sind  es  zwölf).  Ein  unterschied  ist,  dass  Siggeir  nebst  seinen 
Schwägern  auch  seinen  Schwiegervater  tötet.  Einer  von  den  brüdern 
entkommt  und  nimmt  an  der  räche  teil.  Es  kommen  eine  anzahl  Über- 
einstimmungen in  einzelnen  punkten  hinzu,  die  ich  a.  a.  o.  s.  130  anm.  1 
noch  im  anschluss  an  die  herrschende  ansieht  für  secundär,  nämlich  auf 
beeinflussung  der  Nibelungensage  durch  die  Sigmundsage  beruhend,  ge- 
halten habe,  von  denen  aber  die  meisten  auf  die  periode  der  gemein- 
samen entwicklung  zurückgehen  werden.  Die  meisten  werden  im  ver- 
lauf dieser  Untersuchung  zur  spräche  kommen. 

Das  richtige  Verständnis  der  Hagensage  ^  muss  für  die  Sigfridsage 
von  grosser  bedeutung  sein.    Hat  es  eine  Hagensage  ohne  Günther,  d.  h. 

1)  Ich  wende  die  folgenden  abkürzungou  an:  H  ^=  Hagensage.  H  1  =  die  ge- 
scliicbte  von  Hagen  und  Sigfj'id.  H  2  =  die  geschichte  von  Hagen  und  Attila.  Bu  = 
Burgundensage.  S  =  Sigfridsage.  S  1  =  dieselbe  bis  zu  Sigfrids  berührungen  mit 
Hagen.  S  2  =  Sigfrids  berührungen  mit  Hagen  (also  ==  H  1).  Br  =  Brynhildsage  (be- 
zeichnungen  für  einzelne  abschnitte  dieser  sage  s.  §  6). 


UNTERSUCHUNOKN  ÜBER  REN  URSPRUNG  UND  DTK  F.NT'WICKLUNG  DER  NIDELUNOENSAQR        291 

ohne  eine  dem  später  sogenannten  Günther  entsprechende  gestalt  gegeben, 
so  gilt  dasselbe  für  die  Sigfridsage.  Wir  müssen  aber  hier  einen  neuen 
weg  einschlagen.  Denn  hier  lässt  die  vorgleichung  mit  der  Finnsage 
und  der  Sigmundsage  uns  im  sticho.  Ob  die  Finnsage  eine  Vorgeschichte 
hatte,  wissen  wir  nicht;  auf  uns  gekommen  ist  eine  solche  nicht.  Die 
Vorgeschichte  der  Sigmundsage  lässt  sich  zwar  in  ihrem  Verhältnis  zu 
der  haupterzählung  nicht  vergleichen,  aber  sie  ist  doch  lehrreich.  Sie 
zeigt  die  Wirksamkeit  desselben  principes,  das  wir  auch  in  der  Nibe- 
lungensage tätig  finden  werden,  die  widerholung  eines  motivs.  Das 
motiv  ist  ein  einfaches:  die  feindschaft  von  Schwägern  (daneben  mit 
geringer  Variation  feindschaft  zwischen  Schwiegervater  und  Schwieger- 
sohn); durch  widerholung  und  verschiedene  combination  entstehen  neue 
gebilde.  Siggeirr  tötet  seinen  Schwiegervater  Volsungr  und  elf  schwäger: 
durch  den  zwölfton  schwäger  wird  er  darauf  getötet.  VQlsungs  gross- 
vater  Sigi  wird  von  den  brüdern  seiner  frau  ermordet;  sein  söhn  rächt 
ihn.  Mag  die  geschichte  auch  verhältnismässig  jung  sein,  sie  zeigt  uns 
doch  in  einer  Variante  von  H2  die  widerholung  desselben  motivs  als 
ein  sagenbildendes  dement. 

Die  Sigmundsage  steht  darin  nicht  allein.  Es  ist  eines  der  ge- 
bräuchlichsten mittel,  eine  erzählung  nach  beiden  selten  fortzuspiimen. 
Das  beruht  zum  teil  auf  dem  wünsch,  von  derselben  geschichte  immer 
nocli  mehr  zu  erzählen.  Aber  gewiss  hat  das  auch  zum  teil  seinen 
grund  in  historischen  Verhältnissen.  Mord  ruft  mord  hervor,  räche  räche, 
und  auf  verwandtenmord  folgt  in  der  regel  verwandtenmord.  Wenn 
nach  einer  fehde  zwisch'en  verwandten  der  friede  durch  eine  hochzeit 
besiegelt  wird,  so  werden  neue  verwandtschaftsbande  geknüpft,  die 
widerum  gebrochen  werden,  sobald  der  alte  zorn  entflammt.  Die  be- 
rühmte rede  des  alten  kriegers  an  Ingeld  (Beow.  2042fgg.)  und  ihre  heil- 
losen folgen  sind  nur  der  poetische  ausdruck  einer  hundertfachen  er- 
fahrung.  Die  poesie  in  ihrem  hang  zur  Symmetrie  macht  gern  die 
beiden  glieder  einer  aus  solchen  ereignissen  hervorgegangenen  doppel- 
erzählung  auch  in  ihren  einzelheiten,  wozu  auch  der  Verwandtschafts- 
grad der  gegenseitigen  feinde  gehört,  einander  gleich.  So  kehrt  in  der 
Skjoldungensage  als  stehendes  motiv  der  brudermord  wider. 

Die  geschichte  von  Hagen  macht,  auch  wenn  man  sie  aus  der 
Verbindung  mit  den  Burgunden  loslöst,  einen  durchaus  menschlichen 
eindruck.  p]twas  übernatürliches  ist  in  ihr  nicht  zu  erkennen.  Der 
name  Nibelunge  allein  kann  das  nicht  beweisen,  s.  darüber  §  29.  Attila 
tötet  seinen  schwäger,  um  .sich  des  goldes,  das  dieser  besitzt,  zu  be- 
mächtigen.   Der  mord  wird  später  gerächt.    Nach  dem  Ursprung  dieser 

19' 


292  BOER 

gescliichte  zu  suchen,  in  dem  sinn,  dass  man  jähr  und  tag  und  stelle 
anweist,  wo  sie  passiert  ist,  hat  keinen  zAveck.  Sie  hat  in  den  histo- 
rischen Verhältnissen  der  Völkerwanderung  ihre  Voraussetzung.  Sie  ist 
überall  und  nirgends  geschehen.  Nicht  die  ausserordentliche  historische 
bedeutung,  sondern  die  allgemeinheit  des  ereignisses  ist  die  Ursache  der 
entstehung  oder  wenigstens  der  Verbreitung  der  sage.  Deshalb  kann 
sie  auch  überall  localisiert  werden,  in  Friesland,  in  Gautland,  in  Soest, 
in  Ofen. 

§  2.    Die  mythische  erklärung  der  Sigfridsage. 

Die  Hagensage  erscheint  in  der  ältesten  erreichbaren  Überlieferung 
mit  der  Sigfridsage  verbunden.  Letztere  wird  noch  stets  nach  Lach- 
manns Vorgang  für  eine  mythische  gehalten.  Wenn  das  richtig  ist,  so 
liegt  eine  heterogene  combination  vor.  Wer  das  glaubt,  muss  wenigstens 
annehmen,  dass  die  Verbindung  von  Hl  (=S2)  mit  H2  eine  ziemlich 
feste  gewesen  sei.  Denn  wenn  sie  nur  eine  äusserliche  war,  so  konnte 
durch  die  secundäre  Verbindung  von  H  2  mit  den  Burgundeu  die  schon 
im  voraus  lockere  Verbindung  mit  H 1  sehr  leicht  vollständig  gelöst 
werden.    Das  ist  nicht  geschehen. 

Aber  welchen  grund  haben  wir,  die  mythische  bedeutung  von  S 
als  eine  über  jeden  zweifei  erhabene  tatsache  festzulegen?  Wir  leben 
in  einer  zeit,  wo  die  zweifei  an  den  mythischen  erklärungen  namentlich 
zusammengesetzter  sagen  sich  mehren.  Wenn  eine  solche  auffassung  der 
S  dennoch  bis  jetzt  eines  grossen  anhanges  sich  erfreut,  so  ist  das,  wie 
ich  glaube,  aus  zwei  umständen  zu  erklären.  Eine  befriedigende  lösuug 
des  rätseis  ist  auf  einem  anderen  wege  noch  nicht  gefunden ,  und  anderer- 
seits enthält  die  sage  demente,  die  die  directen  merkmale  ihres  mythi- 
schen Ursprunges  an  der  stirn  tragen:  drachen,  riesen,  zwerge,  Jung- 
frauen im  zauberschlaf  gehören  in  gewissem  sinn  zu  dem  mythischen 
apparate  der  erzählungsstoffe.  Aber  daraus  könnte  man  nur  dann 
schliessen,  dass  die  S  in  ihrem  kern  mythisch  wäre,  wenn  man  im 
voraus  sicher  wäre,  dass  sie  eine  einheit  bildet,  an  die  sich  keine 
fremden  elemente  festgesetzt  haben.  Das  ist  durchaus  nicht  von  vorn- 
herein einleuchtend;  im  gegenteil  lässt  die  aus  vielen  verschiedenartigen 
begebenheiten  zusammengesetzte  erzählung  eher  das  umgekehrte  ver- 
muten. Mythische  sagen  sind  der  regel  nach  einfach.  Man  vergleiche 
z.  b.  Beowulfs  beide  grosstaten:  zwei  mythische  erzählungen  oder  viel- 
leicht eine  in  zwei  formen,  aber  auf  keinen  fall  eine  fortgesetzte  ge- 
schichte;  jede  erzählung  steht  für  sicii  und  muss  von  der  anderen  ge- 
sondert erklärt  werden,  und  was  von  dem  beiden  noch  mehr  berichtet 
wird,  sind   epische  zutaten.    Und  nun   sehe   man  die  lange  reihe  von 


UNTERSUCHUNGEN  ÜBER  DEN  URSPRUNG  UND  DIE  ENTWICKLUNG  DER  NIBELUNGENSAGE        293 

Sigfrids  taten  und  erlebnissen.  gebart,  Jugend,  drachenkampf,  hort- 
gewinnung,  brautgewinnung  für  sich,  für  Günther,  ehe  mit  Grimhild, 
tod  durch  Brynliilds  räche.  Das  alles  oder  das  meiste  davon  soll  einer 
einheitlichen  mythischen  anschauung  entsprungen  sein.  Wenn  wir  das 
glauben  sollen,  so  dürfen  wir  unsererseits  erwarten,  dass  durch  die 
richtige  mythische  erklärung  auch  alles  verstiindlich  Averden  wird,  dass 
wir  nicht  aufgefordert  werden,  grosse  Verschiebungen  und  änderungen, 
die  als  die  folge  der  menschlichen  auffassung  der  sage  eintraten,  an- 
zunehmen, um  am  ende  doch  mit  einem  wichtigen  reste  absolut  un- 
crkliirlicher  züge  sitzen  zu  bleiben.  Um  so  mehr  wird  man  das  ver- 
langen, da  mehrere  elemento  der  sage  auch  ausser  dem  Zusammenhang 
der  S  weithin  verbreitet  sind  und  zu  dem  versuch  einladen,  auf  dem 
wege  der  analyse  zu  dem  kern  der  sage  durchzudringen. 

Für  die  erklärung  solcher  züge,  die  nur  in  einzelnen  quellen  be- 
legt sind,  hat  man  auch  von  jeher  diesen  w^og  eingeschlagen.  Was  die 
PS  von  der  geburt  des  beiden  erzählt,  hält  niemand  für  einen  alten 
zug  der  S.  Aber  bei  einem  gewissen  punkt  wird  halt  gemacht.  Was 
übrig  bleibt,  darf  nur  als  aus  einem  einheitlichen  myth.us  entwickelt 
verstanden  werden,  wer  in  der  anah^se  weitergeht,  hat  keinen  sinn  für 
die  tiefsinnige  bedeutung  des  mythus.  Und  doch  ist  es  in  gewissem 
sinne  durchaus  nebensächlich,  ob  ein  zug  in  den  besten  quellen  belegt 
ist  oder  nicht.  Man  kann  dem  ein  argument  für  ein  verhältnismässig 
hohes  alter  eines  solchen  zuges  entnehmen,  aber  niemals  für  dessen 
absolute  ursprünglichkeit.  Denn  die  sage  ist  Jahrhunderte  älter  als  die 
ältesten  quellen,  und  dieselben  kräfte,  die  man  in  der  historischen  zeit 
an  ihrer  Umbildung  und  ausbreitung  wirksam  sieht,  muss  man  sich 
auch  in  einem  früheren  Zeitalter  als  tätig  vorstellen. 

Von  den  vielen  mythischen  erklärungen,  die  gegeben  sind,  kommt 
heutzutage  nur  noch  die,  die  in  S  einen  tages-  oder  jahrmythus  sieht, 
in  betracht.  Nur  mit  dieser  brauchen  wir  uns  also  auseinanderzusetzen. 
Der  junge  himmelsgott,  so  lautet  sie,  tötet  am  morgen  den  nebeldrachen, 
erschliesst  den  menschen  die  schätze  des  bodens,  erweckt  die  schlafende 
Sonnenjungfrau,  macht  sich  dit)  mächte  der  finsternis  dienstbar,  gerät 
aber  später  in  ihre  gewalt,  muss  ihnen  die  sonnenjungfrau  abtreten  und 
wird  von  ihnen  getötet.  Die  nebeldäraonen  bemächtigen  sich  von  neuem 
des  Schatzes.  Bei  der  auffassung  der  sage  als  eines  Jahreszeitenmythus 
werden  die  einzelnen  acte  in  ähnlicher  weise  aufgefasst,  nur  das  winter- 
dämonen  an  die  stelle  von  naclitdämonen  treten. 

Betrachtet  man  die  Sigrdrifasage  für  sich,  so  sieht  das  sehr  gut 
aus.    Sigfrid  ist  der  himmelsgott,  Sigrdiifa-Brynhild  die  sonnenjungfrau. 


294  BOER 

AJoer  sobald  der  held  mit  den  Gjukungcn  in  berühnmg  kommt,  schlägt 
das  nicht  länger  an.  Sollen  beide  tlammenritte  der  skandinavischen 
Überlieferung  gelten,  was  u.  a.  Vogt  angenommen  hat,  so  bedeutet  der 
erste  das  morgenrot,  der  zweite  das  abendrot.  Der  flammenritt  für 
Gunnarr  soll  dann  mythisch  bedeuten,  dass  die  sonne  untergeht  (resp. 
dass  es  winter  wird).  Die  sonnenjungfrau  wird  also  widerum  hinter 
ihrem  flammenwall  geborgen.  Wie  kann  das  mit  möglichkeit  in  einer 
erzählung,  die  den  beiden  die  Jungfrau  daraus  hervorholen  lässt,  in  ein 
bild  gebracht  Averden? 

Also  muss  mau  änderungen  annehmen.  Die  Sigrdrifasage  wird 
nun  entweder  als  ein  fremdes  element  ausser  betracht  gelassen,  oder 
sie  bedeutet  wie  früher  das  morgenrot.  Die  Werbung  für  Gunnarr  aber 
soll  Züge  aus  beiden  Vorstellungen  enthalten.  Aus  dem  morgenrot  lässt 
sich  z.  b.  herleiten,  dass  der  held  die  braut  aus  dem  flammen  wall  hervor- 
holt und  dass  er  vorläufig  noch  am  leben  bleibt,  aus  dem  abendrot  aber, 
dass  der  nebelfürst  die  braut  zur  frau  bekommt  und  dass  der  held  später 
dennoch  ermordet  wird.  Man  kann  das  auf  vielerlei  weise  variieren. 
Ich  selbst  habe  gleichfalls  in  einer  Verschiebung  von  motiven  eine  lösung 
gesucht  (Zeitschr.  35,  322fg.)  und  angenommen,  die  ursprüngliche  reihen- 
folge  sei  gewesen:  a)  Sigfrid  gewinnt  Brynhild  für  sich;  b)  er  tritt  sie 
dem  Günther  ab  (unter  welchen  umständen,  das  sei  nicht  mehr  zu  er- 
mitteln); c)  er  bekommt  dafür  Grnuhild;  d)  er  wird  getötet.  Nach  der 
vermenschlichung  der  mythischen  sage  wäre  b  vor  a  geschoben  worden. 
Ich  halte  an  dieser  erklärung  nicht  länger  fest  und  führe  sie  nur  an, 
um  zu  coristatieren,  dass  die  mythische  erklärung  gerade  au  den  ent- 
scheidenden stellen  mit  einer  den  ganzen  mythischen  Inhalt  verdunkeln- 
den Verschiebung  operieren  muss.  Man  kann  ruhig  sagen:  die  zweite 
hälfte  des  mythus  ist  nirgends  belegt  und  wird  nur  theoretisch  ange- 
nommen, weil  man  die  erste  hälfte  für  bewiesen  hält,  und  die  fort- 
setzung  der  erzählung  davon  nicht  trennen  will.  Der  mythische  Ursprung 
wird  aus  anderen  datis  mit  Sicherheit  geschlossen  Averden  müssen,  soll 
man  an  ihn  glauben.  Aus  dem  flammenritt  für  Günther  lässt  er  sich 
nicht  entnehmen. 

Ferner  kann  man  fragen:  wenn  die  nebeldämonen  Sigfrid  töten 
und  sich  der  Brynhild  bemächtigen,  so  wird  doch  zwischen  diesen  er- 
eignissen  ein  Zusammenhang  bestehen.  Der  einzig  denkbare  Zusammen- 
hang aber  wäre,  dass  sie  zuerst  ihn  töten  und  dann  sich  der  wehrlosen 
frati  bemächtigen,  wie  auch  er  erst  nachdem  er  den  dämonischen  Wächter 
erschlagen,  sie  befreit  hat.  Wie  kommt  es  nun,  dass  die  brüder  erst 
lange  zeit,    nachdem  sie   —   mit  seiner  hülfe  —  die  braut   gewonnen 


rrNTERRUCHUNGEN  ÜBER  DEN  URSPRUNG   UND  DIK  FATWICKLUNG  DER  NIBELUNÜENSAGE        295 

haben,  ihn  ermorden?  —  Ferner:  wenn  Sigfrids  tod  den  sieg  der  finsteren 
mächte  —  also  das  ende  des  tages  oder  des  sommers  —  bedeutet,  was 
bedeutet  dann  seine  knechtschaft,  von  der  in  der  mythischen  erklärung 
widerhült  die  rede  ist?  Ist  diese  nicht  vollständig  übertlüssig?  — 
Schliesslich,  um  nur  noch  einen  besonders  wichtigen  punkt  zu  er- 
wähnen: wenn  die  brüder  SigfVid  wegen  des  Schatzes  und  der  braut 
töten,  wie  ist  dann  die  Vorstellung  entstanden,  dass  dieser  durch  IJryn- 
hilds  räche  fällt?  —  Ja,  diese  Vorstellung  hat  iliren  grund  in  dem 
an  Brynhild  verübten  betrug.  Nun  ist  nach  der  mythischen  aut- 
fassung,  der  ich  in  diesem  punkte  kein  unrecht  gebe,  dieser  betrug 
eine  epische  änderung.  Aber  dann  ist  auch  Brynhilds  räche  episch. 
Was  bleibt  dann  noch  an  der  ganzen  geschichte  übrig,  das  den  mythus 
widergäbe? 

Fürwahr,  man  darf  sagen,  dass  es  der  mythischen  deutung  nicht 
gelungen  ist,  die  Sigfridsage  als  eine  einheit  zu  erklären.  Einen  hypo- 
thetischen wert  muss  man  ihr  zugestehen,  solange  man  keiner  besseren 
deutung  auf  der  spur  ist. 

T.   Hagen  und  Sig'frid. 

§  3.    Die  Sigfridsage  eine   sage  von   verAvandtenmord. 

Versuchen  wir  es  mit  der  analytischen  methode.  Wir  finden  in 
S  auf  der  einen  seite  mythische,  auf  der  anderen  rein  menschliche  züge. 
Die  aufgäbe  kann  nur  sein,  die  richtige  Scheidelinie  zu  ziehen,  und  zu 
untersuchen,  auf  welcher  seite  der  held  steht.  Ist  er  ein  mythischer 
held  mit  mensciilichen  zügen  oder  ein  menschlicher  held,  auf  den 
mythische  erzählungen  übertragen  sind? 

Rein  menschlich  ist,  was  die  sage  von  Sigfrids  Verhältnis  zu  Hagen 
berichtet.  Sigfrid  hat  Hagens  Schwester  —  so  in  der  alten  sage,  die 
keine  Burgunden  kannte,  und  so  auch  noch  in  der  skandinavischen 
üljorüeferung  —  zur  frau,  er  ist  also  sein  Schwager.  Hagen  tötet  Sigfrid, 
und  was  sein  motiv  ist,  werden  die  quellen  trotz  der  vielen  änderungen 
nicht  müde  uns  zu  sagen.  Hagen  bogehrt  Sigfrids  schätz.  Wenn  etwas 
feststeht,  so  ist  es  dies. 

Das  ist  aber  eine  vollständige  widerhokmg  des  Attilamotivs.  Da 
fehlt  kein  einziger  zug.  Der  eine  schwager  tötet  den  anderen  Schwager, 
der  bei  ihm  zu  gast  ist^,  und  der  zweck  ist,  sich  des  Schatzes,  den 
dieser  be.sitzt,  zu  bemächtigen.    Der  einzige  unterschied  ist,  dass  in  dem 

Ij  S.  darüber  §  35. 


296  BOER 

einen  fall  der  mörder  der  bruder  der  frau,  der  gemordete  ihr  gemahl 
ist,  während  im  zweiten  fall  das  Verhältnis  das  umgekehrte  ist^ 

Wer  die  ueigung  zur  widerhol img  der  sagen  kennt,  wird  das  nicht 
für  zufällig  ansehen.  Und  doch  niüsste  das  ein  absoluter  zufall  sein, 
wenn  Sigfrids  ermordung  durch  Hagen  nur  ein  glied  einer  mythischen 
erzählung  von  dem  leben  und  sterben  eines  sonnen-  oder  tagesgottes 
wäre.  Wir  erinnern  uns,  was  oben  über  die  sage  von  Sigmund  und 
seinen  ahnen  bemerkt  wurde.  Dasselbe  motiv  wie  dort  liegt  auch  unserer 
sage  zu  gründe:  schwagermord.  Auch  hier  wird  das  motiv  in  der  Vor- 
geschichte widerholt  (Sigi).  Aber  der  unterschied  ist  vorhanden,  dass 
bei  Hagen  die  Vorgeschichte  und  die  haupterzählung  an  eine  und  die- 
selbe person  geknüpft  erscheinen.  Hagen,  der  in  dieser  leidend  ist,  tritt 
in  jener  handelnd  auf.  Damit  ist  eine  neue,  für  die  Nibelungensage 
grundlegende  form  gegeben. 

§  4.  Die  hauptformen  des  motivs  vom  verwandtenmord. 
Feindschaft  zwischen  Schwägern  und  feindschaft  zwischen  Schwieger- 
vater und  Schwiegersohn  sind  nahe  verwandte  motive.  Es  ist  kein  Zu- 
fall, dass  Hagen  auch  im  mittelpunkte  einer  gruppe  von  sagen  steht, 
die  auf  letzterem  motiv  aufgebaut  sind.  Hier  erscheint  Hagen  als  der 
Schwiegervater,  also  in  der  rolle,  die  seinem  auftreten  als  bruder  der 
frau  in  der  Nibelungensage  analog  ist.  Wir  erkennen  zwei  hauptformen : 
1.  Hagen  wird  von  seinem  Schwiegersohn  getötet.  Sein  söhn  vollzieht 
später  an  dem  feinde  die  räche.  Das  ist  die  in  die  Helgisage  auf- 
genommene form.  2.  Hagen  tötet  seinen  Schwiegersohn  und  wird  von 
ihm  getötet.  Das  ist  die  Hildesage.  Erstere  form  lässt  sich  mit  H2 
vergleichen;  der  Schwiegersohn  der  Helgisage  entspricht  dem  schwager 
in  H2,  die  räche  durch  den  söhn  entspricht  den  verschiedenen  formen 
der  räche  in  H2  und  dessen  parallelen  (Finn,  Sigmund).  Die  zweite 
form  steht  der  vollständigen  Hagensage  näher;  die  Verbindung  der  beiden 
teile  ist  aber  noch  inniger  geworden;  statt  der  zwei  schwager  erscheint 
ein  Schwiegersohn,  und  die  zwei  mordtaten  werden  zu  einem  gegen- 
seitigen morde.     Im  gründe  sind  das  alles  Variationen  eines  themas. 

Ich  weiss  wol,  dass  man  mir  vorwerfen  wird,  dass  ich  die  ver- 
schiedenartigsten sagen  zusammenwerfe.    Wenn  die  Nibelungensage  und 

1)  Auch  Wilmanns,  Der  Untergang  der  Nibelunge  in  alter  sage  und  dichtung 
s.  2 fg.  glaubt,  dass  beiden  teilen  der  Nibelungensage  dasselbe  motiv  zu  gründe  liegt. 
Aber  er  vergleicht  Günthers  und  Hageus  tod  mit  Regins  und  Fäfnirs  tod  und  erklärt 
die  ganze  sage  als  mythisch.  Diese  construction  scheint  mir  der  schwächste  teil  von 
Wilmanns'  arbeit. 


ITNTERSUCHUNGEN  ÜBER  DEN  X^RSPRITNG  ITNB  DIE  ENTWICKLl-^sG   DKR  NIBELIINGENSAGE        297 

die  Hildesago  aus  einer  wurzel  entsprungen  sind,  Avas  soll  dann  ge- 
schieden bleiben?  Eine  betrachtung  wie  die  hier  angestellte  scheint 
die  poetische  eigentümlichkcit  einer  jeden  sage  zu  verkennen. 

Icii  antworte:  gewiss  hat  jede  sage  ihre  poetische  eigentümlichkeit, 
ilu-o  färbe.  Aber  eben  so  gewiss  ist  jede  sage  aus  einfachen  niotiven 
aufgebaut.  Das,  was  die  poetische  färbe  einer  sage  ausmacht,  ist  nicht 
ausschliesslich  in  jenen  allgemeinen  grundmotivcn  gelegen,  das  kann 
auch  auf  ihrer  eigentümlichen  entwicklung  beruhen.  Es  lässt  sicii  nun 
einmal  nicht  leugnen:  in  der  Nibelungensage  tötet  Hagen  seinen  schwager, 
später  ward  er  von  seinem  schwager  getötet.  Das  ist  nicht  etwas  neben- 
sächliches; das  ist  des  pudels  kern.  Tn  der  Hildesage  tötet  Hagen  seinen 
Schwiegersohn  und  wird  von  seinem  Schwiegersohn  getötet.  Auch  das 
ist  das  grundmotiv  der  crzählung.  Aber  niemand  wird  behaupten,  dass 
das  von  hause  aus  einen  so  grossen  unterschied  macht,  ob  der  feind 
Schwiegervater  oder  schwager  heisst.  Nach  dem  germanischen  rechte 
ist  es  in  beiden  fällen  der  mann,  der  die  frau  zu  vergeben  hatte;  die 
einzige  frage  dabei  ist,  ob  der  vater  noch  lebt.  Ist  er  tot,  so  nimmt 
sein  söhn  seine  Stellung  ein.  Daher  ist  auch  in  sagen  von. diesem  typus 
ein  schwanken  zwischen  Schwiegervater  und  schwager  nicht  ausge- 
schlossen; wir  sahen,  dass  Sigmund  an  Siggeirr  seinen  vater  und  'seine 
brüder  zu  rächen  hat.  Streng  genommen  gehört  von  diesem  gesichts- 
punkt  aus  die  Sigmundsage  sogar  in  den  Helgi- typus,  nicht  in  den 
H2-typus  hinein,  denn  Siggeirr  hat  seinen  Schwiegervater  getötet  und 
wird  dafür  von  dessen  söhn  gestraft.  Dennoch  ist  man  darüber  einig, 
dass  die  Sigmundsage  der  Nibelungensago  näher  als  der  Helgisage  steht. 
Damit  ist  zugegeben,  dass  es  keinen  grossen  unterschied  macht,  ob  in 
sagen  von  verwandtenmord  der  vater  oder  der  bruder  der  frau  auftritt, 
sondern  dass  die  nähere  Verwandtschaft  der  sagen  nach  anderen  kriterien 
beurteilt  werden  muss.  Wenn  nun  Hagen  in  sagen  von  beiden  typen 
widerholt  und  stets  in  derselben  rolle  auftritt,  so  scheint  mir  das  zu 
beweisen,  dass  diese  typen  Variationen  eines  einzigen  typus  sind,  und 
dass  dieser  grund typus  freilich  an  mehrere  namen,  aber  doch  in  einer 
weit  verbreiteten  tradition  an  tlon  namen  Hagen  geknüpft  war.  Dieser 
grundtypus  lautet  also:  Hagen  ist  der  vater  oder  der  bruder  einer  frau; 
er  kämpft  mit  dem  gemahl  dieser  frau. 

Freilich  die  raotivierung  der  feindschaft  ist  in  der  Nibelungensago 
eine  ganz  andere  als  in  der  Hildesage.  Aber  die  motivicrung  ist  das 
secundäre.  Gerade  wie  sich  an  unverstandene  culte  sagen  knüpfen, 
wie  prähistorische  denkmäler,  gräbor,  hämmer,  sogar  Zeichnungen  und 
figuren  ausgangspunkte  für  die  entstchung  ausführlicher  erklärender  sagen 


298  BOER 

werden,  so  bringen  auch  die  erzählimgen  von  nackten  tatsachen  ihre 
eigenen  erklarungen  und  niotivieruugen  hervor ^  Es  ist  dasselbe,  was 
Shakespeare  tut,  wenn  er  in  dem  dürftigen  berichte  einer  ciironik  den 
stolT  zu  einer  tief  psychologischen'  tragödie  findet.  Aber  erst  durch  die 
motivierung  wird  der  eigentümliche  charakter  einer  sage  bestimmt.  Die 
einzelnen  motive  sind  die  bausteine;  aus  denselben  steinen  kann  ich 
eine  herberge  und  ein  reichstagsgebäude,  sogar  eine  moschee  aufbauen; 
wenn  aber  die  grundlinien  gegeben  sind,  so  ist  der  charakter  des  ge- 
bäudes  bestimmt.  Die  grundlinien  einer  sage  nun  sind  die  Verbin- 
dungen der  motive  und,  was  damit  in  engem  Zusammenhang  steht,  die 
motivierungen. 

Nicht  das  ist  also  das  eigentümliche  der  Nibelungensage,  dass 
Hagen  seinen  schwager  tötet;  —  das  hat  sie  mit  vielen  anderen  gemein. 
Auch  das  nicht,  dass  das  motiv  sich  widerholt,  das  geschieht  auch  in 
der  VQlsungensage,  sondern,  dass  es  sich  auf  diese  weise  widerholt: 
derselbe  Hagen,  der  seinen  schwager  tötet,  wird  nachher  von  seinem 
Schwager  getötet.  Darin  steht  die  Nibelungensage  allein.  Aber  noch 
steht  sie  dem  embryo  der  Hildesage  nahe.  Jetzt  kommt  die  motivierung 
hinzu.  Diese  folgt  schon  aus  der  weise,  wie  das  motiv  widerholt  wird. 
Wenn  die  alten  sagen  von  mord  reden,  so  ist  das  treibende  motiv  der 
regel  nach  entweder  habsucht  oder  räche.  Das  zweite  motiv  nun  war 
hier  ausgeschlossen.  Denn  Grimhilds  von  ihrem  bruder  gebilligte  ehe 
mit  Attila  setzt  voraus,  entweder  dass  dieser  mit  Sigfrid  nicht  verwandt 
war,  oder  dass  Sigfrids  tod  gesühnt  war,  oder  endlich,  dass  die  Ver- 
doppelung des  Schwagermordes  noch  nicht  stattgefunden  hatte:  Attila 
konnte  also  unmöglich  Sigfrid  zu  rächen  haben.  Die  traditiou  greift 
daher  zu  einem  anderen  motiv,  dem  des  Schatzes.  Mit  dem  schätz 
kommt  die  begierde.  Und  diese  ist  es,  die  der  Nibelungensage  ihr 
eigenes  unheimliches  gepräge  gibt,  die  sie  von  allen  anderen  unter- 
scheidet; an  diesem  zuge  bilden  die  Charaktere  der  sage  sich  aus- 

Man  vergleiche  nun  die  entwicklung  der  Hildesage.  Nicht  der 
kämpf  zwischen  Schwiegervater  und  Schwiegersohn  ist  es,  der  ihren 
eigenen  charakter  bestimmt;  —  das  hat  sie  mit  der  Sigmundsage  gemein. 
Mehr  bedeutet  die  gegenseitige  tötung  der  beiden,  aber  diese  ist  schon 
das  product  einer  langen  entwicklung.  Don  ausgangspunkt  der  sonder- 
.  entwicklung  bildet  hier  gewiss  die  auffassuug  der  ehe,  von  der  die  rede 

1)  Man  vergleiche  das  vou  Maunhardt  niitgetoilte  beispiel,  wie  das  spielen  einer 
choralmelodie  in  einer  tanzstube  binnen  wenigen  wochen  die  sage  von  dem  teufel,  der 
ein  tanzendes  miidolien  zur  bölle  hinabführt,  neu  belobte  (angeführt  nach  Feilbergs 
darstellung  Dauia  II,  97fgg.). 


UNTERSUrHUNGKN  I'BEK  DEN  fRSPRUXr.  TIND  DIK  ENTWK  KLUNft  DER  mBELUNGENSAGE       299 

ist,  als  einer  entführung.  Von  selbst  ist  das  nicht  gegeben.  Siggeirr 
bekommt  Signy  mit  V(,>lsuDgs  Zustimmung;  dennoch  kommt  es  später 
7Ai  feindseligkeiten.  Aber  in  der  grundform  lag  doch  ein  anlass  zu  einer 
solchen  auffassung.  Mau  beachte,  dass  im  gegensatze  zu  der  Sigmund- 
sage die  Feindseligkeiten  von  dem  vater  ausgehen.  Was  kann  einen 
vater  bestimmen,  den  mann  seiner  tochter  zu  befehden?  Die  antvvort, 
die  die  sage  gibt,  lautet:  dass  er  ihn  nicht  zum  Schwiegersohn  haben 
will,  üas  Verhältnis  zwischen  vater  und  tochter,  der  regel  nach  inniger 
als  zwischen  bruder  und  Schwester,  die  Jugend  des  paares  lenken  die 
aufmerksamkeit  von  dem  motiv  der  habsucht  ab,  dem  der  unerlaubten 
liebe  zu.  Hier  gibt  es  nun  zwei  Stadien  der  entwicklung.  Entweder 
wird  die  braut  dem  vater  abgenötigt,  wobei  dieser  im  kämpfe  umkommt, 
—  so  in  der  Helgisage  —  oder  nach  der  Zustimmung  des  vaters  wird  nicht 
einmal  gefragt;  der  junge  hold  nimmt  die  frau  einfach  mit,  der  vater 
zieht  ihm  nach,  und  es  kommt  zur  schlacht;  das  ist  die  Hildesage.  Da- 
mit wird  natürlich  die  inöglichkoit  zahlreicher  berührungen  und  be- 
einflussungen  von  fremden  sagen  nicht  geleugnet,  aber  es  verdient  doch 
beachtung,  dass  die  bedingungen  für  eine  selbständige  entwicklung  in 
dieser  richtung  vorhanden  waren.  Um  fragen,  die  sich  von  selbst  er- 
geben, zu  beantworten,  greift  man  nach  landläufigen  raotiven.  Aus  der 
auffassung  der  ehe  als  einer  entführung  kann  man  nun  auch  die  Ver- 
schmelzung zweier  kämpfe  zu  einem  erklären.  Das  motiv  der  entführung 
lässt  sich  schwerlich  widerholen.  Wenn  Hagen  den  entiührer  seiner 
tochter  tötete  und  von  dem  entführer  seiner  tochter  getötet  wurde,  so 
lag  die  identificierung  der  beiden  entführer  sehr  nahe,  und  sie  kann 
sogar  zugleich  mit  der  Verdopplung  des  motivs  zu  stände  gekommen 
sein.  In  dem  gegenseitigen  morde  nun  ist  ein  neues  motiv  gegeben, 
das  die  entwicklung  weiterführt.  Von  jeher  hat  die  sage  der  grimmigsten 
feindschaft  durch  die  Vorstellung,  dass  die  gegner  einander  gegenseitig 
töten,  ausdruck  gegeben i.  Das  führt  zu  der  anknüpfung  an  die  sage 
von  den  königen,  die  auch  nach  ihrem  tode  den  kämpf  fortsetzen.  So 
heisst  es,  dass  vor  den  toren  Roms  die  in  der  Hunnenschlacht  gefallenen 
krieger  des  nachts  weiter  kämpfen.  Und  so  in  vielen  erzählungen  von 
wütenden  gefechten '-. 

Nun  hat  auch  die  Hildesage  ihren  eigenen  Charakter.  Und  von 
dem  der  Nibelungensage    ist  derselbe  weit   verschieden.     Die    anfange 

1)  PJtcocles  und  Polyniccs;  Alrt'kr  und  p]iiikr  (Ynj:;!.  s.  c.  20). 

2)  Eine  rcilie  iiarallclen  führt  Panzer,  Hilde- Kudrun  s.  328fg.,  dessen  an- 
sicliten  über  die  Verwandtschaft  der  Ilildesage  ich  jedoch  keineswegs  beistimmen 
kann,  an. 


300  BOER 

dieser  Verschiedenheit  liegen  auch  schon  in  den  primitiven  bildungen. 
Aber  nur  als  möglichkeiteu.  Es  wäre  töricht  zu  glauben,  dass  aus  dem 
kämpf  zwischen  Schwiegervater  und  Schwiegersohn  nicht  etwas  anderes 
als  die  Hildesage  hätte  erwachsen' können.  Die  entwicklung  hängt  von 
den  motivieriingen  ab,  und  dabei  ist  die  bewegende  macht  die  mensch- 
liche Phantasie,  die  zwar  nicht  frei  aber  doch  beweglich  ist  und  durch 
geringfügige  umstände  auf  verschiedene  wege  geführt  wird. 

§  5.    Die  logik   der  Hagensage. 

In  der  sagenform,  die  wir  aus  den  quellen  direct  erkennen,  ist 
ein  grosser  mangel  an  logischer  einheit  mehrfach  wahrgenommen  und 
stark  betont  worden.  Die  entdeckung  geht  schon  ins  mittelalter  zurück; 
die  deutsche  Überlieferung  hat  nämlich  zwischen  Hl  und  H2  einen  Zu- 
sammenhang herzustellen  versucht.  Die  brüder  ermorden  Sigfrid,  um 
die  der  Brynhild  zugefügte  schmach  zu  rächen;  sie  kränken  dabei  ihre 
Schwester  aufs  höchste.  Später  werden  sie  von  Grimhilds  zweitem  manne 
umgebracht,  aber  ohne  ihren  beistand,  sogar  wider  ihren  willen.  Unter 
solchen  umständen  ist  es  unmöglich,  zwischen  dem  Untergang  der  Bur- 
gunden  und  Sigfrids  tod  einen  Zusammenhang  zu  ersehen;  wie  bekannt 
hat  die  deutsche  tradition  das  motiv  eingeführt,  dass  Kriemhild  ihren 
mann  rächt. 

Wie  aber  ist  der  Widerspruch  in  die  Überlieferung  hineingekommen? 
Die  antwort  der  Müllenhoffschen  schule  lautet:  er  war  von  anfang  an 
vorbanden;  der  grund  ist  darin  gelegen,  dass  eine  mythische  sage  an 
eine  historische  geknüpft  worden  ist.  In  der  mythischen  sage  kam 
Sigfrid  durch  Hagen  um,  in  der  historischen  Günther  durch  Attila;  ein 
Zusammenhang  existierte  von  anfang  an  nicht;  es  war  die  aufgäbe  der 
poesie,  einen  solchen  herzustellen. 

Diese  antwort  kann  den,  der  zu  der  Überzeugung  gelangt  ist,  dass 
H2  älter  als  die  Burgundensage  ist,  nicht  befriedigen.  Hl  und  H2 
bilden  ein  ganzes,  beide  teile  sind  aus  gleichen  historischen  Voraus- 
setzungen entsprungen;  die  tradition,  die  die  doppelsage  bildete,  muss 
auch  für  einen  Zusammenhang  gesorgt  haben.  Und  das  hat  sie  getan. 
Die  deutsche  Überlieferung,  die  einen  causalnexus  zu  wege  bringt,  stellt 
nur  etwas  altes  wider  her.  Freilich  ist  die  alte  motivierung  vergessen; 
die  räche  für  Sigfrid  ist  eine  noterklärung. 

Dass  die  nordische  tradition,  der  Grimhild-Guörün  als  die  räclierin 
ihres  gatten  fast  unbekannt  ist,  doch  zwischen  Sigfrids  und  Hagens  tod 
einen  causalzusammenhang  annimmt,  zeigt  Brot  5:  Soltinn  var  Sigur^r 
simnan   Rinar,  hrafn  af  meihi   hdtt  kallahi:    Ykkr   mun  Atli  egijjnr 


UNTERSUCHUNGEN  ÜBER  DEN  URSPRXns'G  UND  DIE  ENTWICKLUNG  DER  NTBELUNGENSAGE        301 

rjoha,  muiiu  vk/skä  of  viba  ei^ar.  Dass  die  Gjükiingar  dem  SigurÖr 
ihren  eid  gebrochen  haben,  hat  also  ihren  tod  durch  AttiUi  zur  folge. 
Uumittelbar  nach  SigurL>s  tod  wird  ihuen  das  angekündigt,  und  zwar 
in  einem  alten  und  treulichen  gedichte.  Aber  was  das  bedeutet,  ver- 
stehen sie  nicht;  Gunnarr  kann  des  nachts  nicht  schlafen  und  denkt 
über  die  seltsame  rede  des  vogels  nach  (str.  13). 

Den  richtigen  Zusammenhang  hat  auch  die  nordische  Überlieferung 
vergessen.  Auch  sie  versucht  es  mit  einer  neuen  deutung,  und  wie 
die  deutsche  tradition  greift  sie  nach  einem  rachemotiv.  Sie  macht 
Brynhild  zu  einer  Schwester  des  Atli.  Indem  sie  Brynhild  mit  Sigurd 
sterben  lässt,  gibt  sie  der  Vorstellung  ausdruck,  dass  Atli  Brynhilds  tod 
zu  rächen  habe.  Aber  zu  richtiger  entfaltung  ist  das  motiv  doch  nicht 
gelangt.  Atli  lässt  sich  beschwichtigen,  das  ganze  wird  zu  einer  art 
einleitung  zu  Guöruns  zweiter  ehe.  Und  darauf  kann  unsere  Strophe 
auch  nicht  gehen.  Denn  von  Brynhilds  tod  ist  im  ganzen  Zusammen- 
hang nicht  die  rede,  und  auch  wenn  man  annehmen  wollte,  dass  der 
dichter  der  Strophen  davon  gewusst  hätte  {siehe  darüber  §  22),  so  liegt 
dieses  ereignis  noch  in  der  zukunft.  Wenn  der  vogel  Brynhilds  tod  als 
die  Ursache  der  ermordung  der  brüder  hinstellen  wollte,  so  wäre  seine 
naseweise  rede  wenigstens  als  überaus  voreilig  zu  charakterisieren. 

Die  Strophe  ist  also  entweder  eine  unverantwortliche  behauptung 
des  dichters,  der  auf  eigene  taust  einen  Zusammenhang  herstellt,  wo  es 
keinen  gibt,  oder  sie  ist  eine  lebende  reminiscenz  an  eine  form  der 
sage,  wo  der  tod  der  brüder  mit  SigurÖs  tod  wirklich  zusammenhieng. 
Diese  auffassung  der  Strophe  wird  durch  ihre  unmittelbare  natürlichkeit 
gestützt.  Vielleicht  wäre  der  dichter  in  Verlegenheit  geraten,  wenn  man 
von  ihm  eine  erklärung  gefordert  hätte.  Gerade  dieser  mangel  an  logik 
ist  nicht  ausspeculiert;  er  verrät  eine  unbewusste  association  mit  ab- 
weichenden Vorstellungen^. 

1)  Allerdings  muss  die  frage  in  erwägung  gezogen  werden,  ob  die  rede  des 
raben  nicht  aus  dem  unbewussten  wünsch,  einen  Zusammenhang  herzustellen,  also 
aus  demselben  princip,  das  die  Verwandtschaft  zwischen  Atli  und  Brynhild  hervor- 
rief, entsprungen  sein  kann.  Sie  wäre  dann  nicht  eine  reminiscenz,  sondern  der  keim 
einer  neuen  auffassung.  Aber  dafür  scheint  mir  ihre  aussage  zu  positiv.  Der  dichter 
muss  nicht  die  möglichkeit  geahnt,  er  muss  ganz  bestimmt  vernommen  haben,  dass 
der  tod  der  brüder  eine  folge  von  Sigurds  tod  war.  Andererseits  ist  zu  bemerken, 
dass  die  tendenz  des  dichters  schon  in  der  richtung  geht,  den  Zusammenhang  von 
SigurÖs  und  Hagens  tod  als  eine  räche  aufzufassen;  wir  finden  hier  sogar  eine  klare 
andeutung  der  in  der  deutschen  Überlieferung  herrschenden  auffassung,  dass  Guörün 
ihren  manu  rächen  wird.  Denn  sie  spricht  str.  11  die  werte  aus:  hefnt  skal  verda. 
Näheres  darüber  >;  21. 


302  BOER 

Worin  der  logische  zusammenliaiig  zwischen  Sigfrids  und  Hagens 
tod  besteht,  das  folgt  unmittelbar  aus  schon  mehrfach  berührten  Ver- 
hältnissen. Man  braucht  nui-  zu  fragen:  was  bewog  Attila,  Hagen  zu 
töten?  Wir  erkannten  als  einziges  motiv  den  schätz.  Der  Zusammen- 
hang besteht  also  darin,  dass  derselbe  schätz,  der  Hagen  dazu  treibt, 
seinen  schwager  zu  ermorden,  auch  seinen  Untergang  bewirkt.  Der 
rabe  hatte  recht.  Wenn  Hagen  Sigfrid  nicht  getötet  hätte,  so  hätte  er 
dessen  schätz  nicht  besessen,  und  Attila  hätte  keinen  grund  gehabt, 
seinen  tod  zu  wünschen.  Von  räche  ist  also  keinen  augenblick  die  rede. 
Von  Vergeltung  freilich.  Aber  das  ist  die  unpersönliche  Vergeltung  des 
Schicksals.  Man  kann  sogar  von  einem  tragischen  motiv  reden,  inso- 
fern Hagen  seinem  eigenen  charakter  zum  opfer  fällt,  und  von  einer 
Ironie  des  Schicksals,  insofern  dieselbe  leidenschaft,  die  ihn  zu  der 
blutigen  tat  treibt,  auch  seinen  gegner  beseelt i.  Fürwahr,  der  gedanke 
der  altnordischen  tradition,  dass  an  dem  schätze  ein  fluch  haftet,  er- 
scheint in  dem  stoffe  richtig  vorbereitet. 

Die  hier  genannte  Ironie  haben  auch  andere  gesehen^.  Was  meine 
auffassung  von  früheren  ansichten  unterscheidet,  ist,  dass  ich  für  den 
kern  der  erzählung  halte,  was  bisher  für  nebensächlich  galt.  Hier  gilt 
es  zur  klarheit  durchzudringen.  Soll  eine  befriedigende  Ironie  darin 
liegen,  dass  Hagen  durch  denselben  schätz  umkommt,  wegen  dessen  er 
Sigfrid  ermordet  hat,  so  ist  eine  absolute  bedingung,  dass  auch  bei 
Sigfrids  tod  der  besitz  des  Schatzes  das  treibende  motiv  ist.  Wer  das 
nicht  anerkennt,  sollte  auch  von  dieser  ironie  nicht  reden.  Denn  es 
ist  keine  ironie,  sondern  nur  eine  höchst  bedenkliche  Verschiebung  von 
motiven  vorhanden,  wenn  Hagens  goldgier  nur  ein  Instrument  des 
Günther  gewesen  ist,  der  die  ehre  seiner  frau  retten  wollte.  Ist  das 
das  hauptmotiv  der  Sigfridsage,  so  hat  auch  die  deutsche  Überlieferung 
recht,  die  Grimhild  zu  Sigfrids  rächerin  macht.  Unrecht  hat  diese 
Überlieferung  dann  nur  darin,  dass  sie  auf  Grimhild  Attilas  habsucht 
überträgt  und  sie  so  ganz  speciell  wider  Hagen  wüten  lässt.  So  wie 
die  Sache  steht,  zeigen  diese  züge,  wie  sehr  Hagen  die  hauptperson 
ist,  und  wie  sehr  auch  die  deutsche  tradition  noch  die  bedeutung  des 
Schatzes  fühlte. 

1)  Auch  iu  deui  zweiten  Giiörünliede  fiuden  sicli  die  beiden  Vorstellungen:  die 
ältere,  dass  das  gold  den  tod  der  brüder  bewirken  wird  (str.  21),  und  die  jüngere, 
dass  zwischen  den  brüdei'n  und  Gudrun  ein  feindseliges  Verhältnis  besteht  (die  brüder 
gönnen  ihr  ihren  trefflichen  mann  nicht,  str.  3),  nebeneinander. 

2)  Hermann  Fischer,  Die  forschungen  über  das  Nibelungenlied  seit  Lachmann, 
s.  109. 


rXTERStrCHUNOF.N  ÜBER  DKN  URSPRrXO  Ü>'D  DIE  ENTWICKLIWO  DER  N'IBELrN'QENSAOE        303 

U.   Die  Bi\viiliildsage. 

i^  6.    Die   liauptmotive. 

In  den  vorangehenden  bemerkungen  liegt  sciion  der  grund  au- 
gedeutet, dass  der  ursprüngliche  Zusammenhang  von  Hl  und  H2  auf- 
gehoben worden  ist.  Das  gefühl  für  die  Ironie  des  Schicksals  ist  dadurch 
verloren  gegangen,  dass  in  der  Sigfridsage  das  motiv,  dass  Hagen  Sigfrid 
tötet,  um  sich  seines  Schatzes  zu  bemächtigen,  durch  das  andere,  dass 
Hagen  im  auftrug  der  Jirynhild  handelt,  ersetzt  wurde.  Das  zeigt,  dass 
dieses  motiv,  ßrynhilds  räche  an  Sigfrid,  sei  es  aus  gekriinkter  liebe, 
sei  es  aus  gekränkter  eitelkeit,  ein  fremdes  element  ist,  das  die  alte 
Sigfridsage  nicht  kannte.  Dadurch  wird  nun  die  Stellung  der  Brynhild 
in  der  sage  höchst  zweifelhaft.    Wir  müssen  darauf  tiefer  eingehen. 

Brynhild  tritt  in  den  quellen  unbedingt  als  Günthers  frau  auf. 
Das  ist  schon  bedenklich.  Da  die  alte  sage  Günther  nicht  kannte,  so 
folgt  daraus,  dass  auch  Brynhild  als  Günthers  frau  ihr  unbekannt  war. 
Brynhild  trat  also  dort  entweder  als  die  frau  eines  anderen,  oder  sie  trat 
<larin  überhaupt  nicht  auf.  Dass  Günther  hier  den  platz  einer  dem  namen 
nach  verschollenen  gestalt,  die  man  dann  mit  Brynhild  verbinden  könnte, 
einnehme,  wäre  noch  zu  beweisen.  Die  alte  sage  kannte,  soweit  wir 
zu  erkennen  im  stände  sind,  neben  Hagen  höchstens  eine  dem  Volker 
entsprechende  gestalt,  die  mit  Brynhild  nichts  zu  schaffen  hat.  Wir 
müssen  nun  die  stellen,  wo  Brynhild  activ  oder  passiv  in  die  handlung 
eingreift,  gesondert  betrachten.  In  betracht  kommen  für  die  ältere  Über- 
lieferung 1.  SigurÖs  begegnung  mit  Sigrdrifa  auf  dem  berge  und  ihre 
Varianten.  2.  Sigfrids  Werbung  um  Brynhild  für  Günther.  3.  Bryn- 
hilds  räche  an  Sigfrid i.  Alles,  was  weiter  noch  erzählt  wird,  Brynhilds 
tod  in  der  Edda,  ihr  leben  zu  Worms  im  Nibelungenliede,  sind  jüngere 
ausführungen. 

Von  diesen  drei  ereignissen  ist  BrHI  eine  consequenz  von  BrH. 
Ohne  n  ist  HI  unmöglich;  aus  H  folgt  HI  mit  psychologischer  not- 
wendigkeit.  Sigfrid  hat  Brynhihl  für  Günther  gewonnen;  Günther  hat 
sich  als  der  schwächere  gezeigt;  aber  di)ch  ist  er  der  könig  und  be- 
sitzt die  frau.  Brynhilds  lebensvorhältnisse  beruhen  auf  einer  lüge,  mit 
der  die  poesie  auf  die  dauer  keinen  frieden  schliessen  konnte.  Dass  der 
wahre  Sachverhalt  eines  tages  ans  licht  kommen  musste,  war  unver- 
meidlich. Die  Wahrheit  musste  Brynhild  zu  obren  kommen;  ihr  zorn 
nuisste    entflammen,    und   wenn    nun    die    Überlieferung    erzählte,    dass 

1)  Diese  teile  der  Bryuhildsage  werden  itn  folgenden  als  BrI,  Brll,  Er  III 
ikuiy.  I.  II.  III)  unterschieden. 


304  BOER 

Sigfrid  von  Hagen  ermordet  wurde,  so  lag  es  ganz  nahe,  zwischen  diesem 
mord  und  Brynhilds  zorn  einen  causalzusammenhang  herzustellen. 

Das  ist  im  gründe  nichts  neues;  auch  die  mythische  auffassung 
der  Sigfridsage  weiss  mit  Brlll  nichts  anderes  anzufangen,  als  sie  einer 
jüngeren  periode  der  sagenbildung  zuzuschreiben  und  sie  aus  dem  be- 
trug bei  der  Werbung  um  Brynhild  zu  erklären.  Aber  daraus  folgt, 
dass  da,  wo  die  rede  von  der  alten  Sigfridsage  ist,  von  dieser  erzählung 
abzusehen  ist. 

§  7.    Die  erste  form   der  erlösungssage. 

Älter  als  Brynhilds  räche  sind  Br  I  und  Br  II.  Dass  I  nicht  aus 
II  abgeleitet  werden  kann,  ist  von  vornherein  klar.  I  ist  viel  ein- 
facher als  II,  I  ist  ausserdem  weit  verbreitet,  während  II  nur  in  der 
mit  der  Burgundensage  contaminierten  Mbelungensage  vorkommt.  Wir 
geben  aus  diesem  gründe  der  betrachtung  von  I  den  vorrang. 

Sigfrid  erweckt  eine  auf  einem  berge  schlafende  Jungfrau.  Die 
grosse  selbständige  Verbreitung  dieses  motivs  lässt  im  voraus  vermuten, 
dass  wir  es  hier  nicht  mit  einem  gliede  der  Nibelungensage,  sondern  mit 
einer  selbständigen  erzählung  zu  tun  haben.  Das  wird  durch  den  Zu- 
sammenhang bestätigt.  Nirgends  sonst  erscheint  die  erlösung  einer  Jung- 
frau an  einen  beiden  geknüpft,  der  später  von  seinem  schwager  ermordet 
wird.  Innerhalb  der  Nibelungensage  steht  die  erzählung  mit  der  wei- 
teren geschichte  des  beiden  in  keinem  Zusammenhang;  sie  bildet  sogar 
für  das  folgende  ein  hindernis.  Um  Hagens  schwager  zu  werden,  muss 
Sigfrid  Grimhild  heiraten;  wenn  er  aber  der  held  des  erweckungsmärcheus 
ist,  so  heiratet  er  die  verzauberte  prinzessin;  die  alte  sage  teilt  nicht 
mit,  dass  er  sie  widerum  verlässt,  was  wir  übrigens  nicht  glauben 
würden.    Also  ist  die  Sigrdrifasage  mit  der  Sigfridsage  im  Widerspruch. 

Eine  betrachtung  der  erzählung  nach  ihrem  inhalte  führt  zu  dem- 
selben resultate.  Denn  sie  ist  durchaus  nicht  menschlich,  sondern  ge- 
hört der  märchenweit  an.  Wir  wollen  versuchen,  den  typus  näher  zu 
bestimmen.  Der  grundtypus  ist  dieser:  ein  held  erlöst  eine  Jungfrau 
aus  einer  Verzauberung.  Der  untertypus:  der  zauber  besteht  in  einem 
tiefen  schlaf.  Als  nahestehende  verwandte  erkennt  man  leicht  1.  die 
in  ihr  hemd  eingenähte  Jungfrau  (u.  a.  Grimm  ur.  111);  -.  Dornröschen 
(Grimm  nr.  50)  ^ 

1)  Die  veiwandtscbaftsveihältnisse  von  Doruröscheu  liat  Vogt  (Festschrift  für 
Weinhold  1896)  ausführlich  besprochen.  Er  führt  das  niärchen  auf  einen  griechischen 
vegetationsniythus  zurück.  Ob  das  richtig  ist,  beurteile  ich  hier  nicht.  Aber  man 
darf  daraus  nicht  schliessen,  dass  die  Sigrdrifasage   mit  Dornröschen  nicht  verwandt 


fN'TKRSTlCHUNGEX  ÜBER  DEX   URSPUrN'i   UN'l)  DIE  ENTWICKLl'Nfi   DKK  MBEI.rxriEOSAGE        305 

Welche  von  diesen  beiden  steht  nun  unserer  sage  näher?  Wir 
haben  chivon  abzuseilen,  dass  das  ni'.  111  in  complieierterer  form  über- 
liefert ist.  In  l)(iinrr»seli('n  und  in  der  Sigrdrifasage  ist  die  geschichte 
insofern  in  gnisserer  reinheit  bewahrt,  als  mit  der  erlösung  der  Jung- 
frau die  erzählung  zu  ende  ist.  In  1 1 1  folgen  noch  neue  prüfungeu, 
die  der  held  zu  bestehen  hat.  Aber  das  beweist  für  eine  nähere  Ver- 
wandtschaft von  Dornröschen  mit  Sigrdrifa  nichts;  es  beweist  nur,  dass 
1 11  neue  motive  aufgenommen  hat,  wie  das  an  anderen  stellen,  nament- 
lirh  in  der  Vorgeschichte  (motivierung  des  sehlafes)  die  beiden  anderen 
auch  getan  haben. 

Au  typischen  übereinstimmenden  zügen  finden  wir: 

a)  zwischen    Dornröschen    und    Sigrdrifa:    beide    sind    von    einem 
schlafdoru  gestochen; 

b)  zwischen   111    und  Sigrdrifa:    beide  sind   in  ein   kleid  fest  ein- 
geschlossen. 

Die  beiden  motive,  die  sich  bei  Sigrdrifa  nebeneinander  finden, 
widersprechen  einander  im  gründe.  Wenn  die  Verzauberung  durch  einen 
dorn  bewirkt  ist,  so  kann  man  sieh  das  widerum  auf  zweierleiweise 
vorstellen;  entweder  wird  der  tiefe  schlaf  allerdings  von  einem  dorn 
herbeigeführt,  aber  das  mädchen  bleibt  nicht  mit  dem  dorn  in  berührung; 
die  erlösung  ist  dann  von  einer  im  voraus  bestimmten  bedingung  ab- 
hängig. So  in  Dornröschen,  wo  die  bedingung  der  ablauf  einer  be- 
stimmten frist  ist;  der  erlöser  findet  sich  dann  von  selbst  ein.  Oder 
der  dorn  bleibt  irgendwo  in  dem  körper  der  schläferin  stecken,  und 
der  Zauber  weicht  erst,  wenn  er  entfernt  wird.  So  z.  b.  in  der  Hrölfs 
saga  kraka,  Fas.  I,  19.  In  beiden  fallen  versteht  man  hier  nicht,  wie 
die  Jungfrau  in  die  sonderbare  kleidung  hineingeraten  ist  [hnjnjan  rar 
fqst,  sem  hon  vceri  holdgroin),  und  noch  weniger,  wie  dadurch,  dass 
das  kleid  fortgenommen  Avird,  die  Verzauberung  weicht.  Ist  umgekehrt 
der  Zauber  in  dem  kleide  verborgen,  so  ist  der  dorn  überflüssig.  Man 
kann  daher  wol  sagen,  dass  die  häufung  der  motive  in  der  Sigrdrifa- 
sage kaum  ursprünglich  sein  kann,  und  es  entsteht  die  frage,  w^elches 
motiv  das  ältere  ist. 

Man  sieht  bald,  dass  die  priorität  der  panzerbekleidung  zukommt. 
Denn  davon  redet  nicht  nur  die  prosa,  sondern  auch  die  verse;  str.  1: 
hval  bell  brynjii  .  .  .  hverr  feldi  af  mer  f^jlvar  nauhir.    Und  Helreid  9, 

sein  kann.  Das  würde  nur  dann  zutreffen,  wenn  die  herleitung  dieser  sage  aus  einem 
tagesniytlius  erwiesen  wäre.  Wenn  die  Sigfridsage  das  niäroheuinotiv  als  solches  auf- 
geuomuien  hat,  so  war  es  natürlich  gleichgiltig,  aus  welchem  'jiiythus'  das  marcheu 
entstanden  war. 

ZEITSCHRIFT    F.  DEUTSCHE    PHILOLOGIE.       BD.  XXXVII.  20 


3Ü6  UOF.R 

WO  doch,  was  man  auch  von  dem  Verhältnis  der  Sigrdrifa  zu  Brynhild 
denken  mag,  dieselbe  geschichte  wie  hier  erzählt  wird,  berichtet  von 
den  Schilden,  die  Brynhild  decken  (der  skjaldborg)^  eine  Vorstellung, 
die  mit  der  von  dem  panzer  zusammengehört.  Von  einem  schlafdorn 
hingegen  weiss  nur  eine  stelle  der  prosa  (pr.  vor  5):  Ohinn  stalck  liana 
svef^iporni  t  hefnd  pess  (dass  sie  dem  Agnarr  beigestanden  hatte).  Aber 
die  prosa  vor  1  erzählt  richtig,  wie  Sigurör  den  hämisch  aufschneidet 
und  der  Sigrdrifa  den  heim  vom  haupte  nimmt,  aber  dass  er  auch  einen 
schlafdorn  auszieht,  vernehmen  wir  nicht. 

Der  schlafdorn  ist  im  norden  ein  sehr  bekanntes  motiv.  Es  tritt 
nicht  nur  in  raärchen  vom  Dornröschentypus,  sondern  auch  selbständig 
auf.  Als  die  köuigin  Ölof  den  könig  Helgi  während  einer  nacht  un- 
schädlich machen  will,  sticht  sie  ihn  mit  einem  schlafdorn.  Ähnlich  in 
der  GQngu-Hrolfssaga,  Fas.  III,  303.  306.  In  der  Hoensna-Porissaga 
wird  sogar  die  durch  einen  pfeil  verursachte  wunde  mit  dem  stich  eines 
schlafdorns  verglichen.  Das  motiv  ist  also  in  der  an.  prosalitteratur  zur 
erklärung  eines  tiefen  schlafes  in  häufigem,  fast  stereotypischem  gebrauch. 
Daraus  folgt,  dass  es  zu  jeder  zeit  in  eine  sage  wie  die  Sigrdrifasage 
eingeführt  sein  kann.  Ich  halte  es  für  eine  zutat  des  redactors  der 
Edda,  der  Ööins  eingreifen  in  das  Schicksal  der  heldin  plastischer  ge- 
stalten wollte.  Vorhanden  war  schon  die  auch  poetisch  überlieferte  Vor- 
stellung, dass  Sigrdrifa  von  ÖÖinn  in  den  schlaf  versenkt  worden  war; 
auf  die  frage  nach  dem  wie  gab  der  redactor  diese  durchaus  populäre  ant- 
wort.  Die  weise  der  Überlieferung  als  eine  den  versen  widersprechende 
einmal  auftretende  kurze  prosaische  bemerkung  gibt  diesen  zug  durch- 
aus als  eine  zutat  der  —  wahrscheinlich  ersten  —  schriftlichen  Über- 
lieferung zu  erkennen.  Man  kann  der  prosa  gegenüber  mit  seinem  ver- 
trauen nicht  zu  vorsichtig  sein. 

Also  gehören  zu  dem  verhältnismässig  alten  bestand  der  Sigrdrifa- 
sage der  zauberschlaf  und  die  panzerbekleidung.  Insofern  steht  die 
sage  mit  KHM  111  auf  einer  linie. 

Zu  dem  apparate  der  erzählung  von  der  verzauberten  Jungfrau 
gehört  ferner  ein  hindernis,  dass  sich  demjenigen  entgegenstellt,  der  es 
wagt,  ihr  zu  nahen.  Das  hindernis  der  Sigrdrifasage  ist  eine  waberlohe. 
Dass  es  kein  unentbehrliches  element  der  erzählung  ist,  zeigt  widerum 
die  vergleichung  mit  KHM  111.  Es  ist  überhaupt  ein  zug,  der  nur  in 
dem  skandinavischen  norden  bekannt  ist.  Die  hinderuisse  sind  bei  dem- 
selben grundtypus  nicht  immer  dieselben.  In  Dornröschen  ist  es  eine 
undurchdringliche  dornenhecke;  in  der  PS  ist  es,  wie  der  narae  SiPgarör, 
den   Brynhilds   bürg  hier  trägt,   beweist,  ein  gefährliches  wasser,   und 


UNTERSrCHUNGEN  fBER  DEN  URSPRUNG  VND  PIE  ENTWICKLUNG  DER  NIBELUNGENSAOE        307 

das  liat  diese  oi/.älil Ulli;-  mit  K  11  M  IIK  dessen  grundtypus  (zauberschlaf 
und  das  i;escliiossensein  in  ein  kieid)  wideruni  der  der  Si<^rdrifasago  ist, 
gemein.  Umgekehrt  findet  sich  die  waberlohe  in  Skandinavien  auch  in 
anderen  erzählungen,  in  den  SvipdagsnK^l,  deren  grundtypus,  wie  sich  unten 
zeigen  wird,  der  der  PS  ist,  und  in  der  sage  von  GerÖr,  die  viel  weiter 
absteht,  wo  nicht  einmal  von  der  erlösung,  sondern  von  der  bezwingung 
einer  Jungfrau  die  rede  ist.  Das  zeigt,  dass  es  unrichtig  ist,  wenn  man 
auf  grund  dieser  durchaus  secundären  ähnlichkeit  für  diese  drei  sagen 
(Sigrdrifa,  MenglQÖ,  GerÖr)  einen  grundtypus  construiert,  dessen  wesent- 
lichster ziig  der  vdfrlogi  sein  soll,  und  auf  diesem  wege  alle  drei  auf 
einen  luiturmythus  zurückführt.  Der  vafrlogi  ist  ein  mutiv,  das  wie 
der  schlafdorn  unabhängig  auftreten  konnte,  aber  natürlich  an  bestimmte 
Situationen  gebunden  ist.  Man  braucht  nicht  einmal  anzunehmen,  dass 
die  drei  sagen  das  motiv  zu  gleicher  zeit  aufgenommen  haben.  Das 
motiv  ist  nicht  an  eine  bestimmte  sage,  sondern  an  ein  bestimmtes 
geographisches  gebiet  gebunden. 

Aufweiche  sinnliche  anschauung  der  flamraenwall  zurückgeht,  wird 
sich  vielleicht  nicht  mit  Sicherheit  entscheiden  lassen.  Da  er  nur  im 
norden  begegnet,  wird  man  wol  an  eine  nordische  naturerscheinung 
denken  müssen,  und  es  liegt  nahe  in  ihm  das  nordlicht  zu  erkennen, 
das  auch  sonst  für  die  skandinavische  sagen-  und  mythenbildung  von 
bedeutung  gewesen  ist  {Müspels  synir,  Zeitschr.  36,  311).  Eine  neuerung^ 
wo  KHM  111  das  echte  hat,  ist  gewiss  die  auffassung  des  kleides  als 
eines  panzers.  Daraus  folgt  in  wol  jüngerer  tradition  die  auffassung 
der  Jungfrau  als  einer  walküre,  und  daran  schliesst  sich  widerum  die 
raotivierung  des  schlafes  durch  OÖins  zorn  und  die  goschichte  von 
Hjälmgunnarr  und  Agnarr.  Die  geschichte  der  Überlieferung  lässt  sich 
in  eine  reihe  fragen  und  antworten  zerlegen  und  illustriert  widerum 
trefflich  die  tätigkeit  der  sagenbildenden  phantasie.  Frage:  warum  trug 
•lie  Jungfrau  einen  panzer?  Antwort:  weil  sie  eine  walküre  war.  Frage: 
wie  konnte  eine  walküre  in  einen  zauberschlaf  versenkt  werden?  Ant- 
wort: weil  ÖÖinn  ihr  zürnte.  Frage:  warum  zürnte  üöinn  ihr?  Ant- 
wort: weil  sie  seinem  befehTnicht  gehorcht  hatte.  Frage  (sehr  jung): 
durch  welches  mittel  versenkte  (JÖinn  die  walküre  in  den  schlaf?  Ant- 
wort: durch  einen  schlafdorn. 

§  8.    Das  hindernis  in  der  zweiten  form  der  erlösungssage. 
Als    charakteristische   züge    für   die  Sigrdrifasage  erkannten   wir: 
1.  form  der  Verzauberung:  zauberschlaf;  2.  form  der  erlösung:  das  durch- 
schneiden einer  bekleidung;   3.  hindernis:  die  waberlohe.     Eine  andere 

20* 


308  BOER 

form  erscheint  in  der  deutschen  tradition.  Betrachten  wir  zunächst  die 
localität.  In  der  Piörekssaga  ist  von  einer  waberlohe  nicht  die  rede. 
Die  bürg  der  Brynhild  heisst  SsegarÖr.  Daraus  geht  hervor,  dass  man 
sie  sich  von  einem  wasser  umgeben  vorgestellt  hat. 

Die  Übereinstimmung  darin  mit  KHM  111,  deren  grundtorm 
übrigens  die  der  SigrdrifunK^l  ist,  kann  man  nicht  zu  hoch  anschlagen. 
Eine  Variante  KHM  93  hat  gerade  wie  die  I^S  das  wasser  fallen  ge- 
lassen, aber  den  namen  Stromberg  bewahrt.  Stromberg  ist  aber  ==  Si^garÖr. 
Auch  in  anderen  punkten  berühren,  wie  wiv  sehen  werden,  die  erzählung 
der  PS  und  93  sich  überaus  nahe.  Das  gefährliche  wasser,  das  die 
bürg  unigibt,  nimmt  dieselbe  steile  ein,  die  im  norden  von  dem  vafrlogi 
eingenommen  wird.  Aber  die  Vorstellung  vom  wasser  ist  nur  in  dem 
namen  bewahrt;  dass  SigurÖr  wasser  zu  überschreiten  hat,  wird  nicht 
gesagt.     Soweit  die  sächsische  tradition. 

Wenden  wir  uns  zu  der  fränkischen  Überlieferung,  so  finden  wir 
zuerst  das  Brünhildenbett  im  Taunus.  Daraus  lernen  wir  nur,  dass  die 
Jungfrau  sich  auf  einem  hohen  berge  befand.  Wasser  gibt  es  dort  nicht; 
wenn  die  tradition  das  wasser  kannte,  so  war  doch  die  Vorstellung  bei 
der  localisation  auf  dem  Feldberg  verloren  gegangen. 

Dass  jedoch  auch  die  fränkische  tradition  sich  Brynhilds  bürg  als 
von  wasser  umgeben  vorstellte,  zeigt  das  Nibelungenlied,  wo  BrI  mit 
Brll  verschmolzen  ist,  so  dass  wir  aus  der  Werbung  für  Günther  die 
Züge  der  alten  Brynhildsage  herauszuschälen  genötigt  sind.  Eine  lange 
Seereise  ist  notwendig,   um  die   auf  Islant  gelegene   bürg  zu  erreichen. 

Der  name  Islant  ist  gewiss  in  der  sage  nicht  ursprünglich.  Islant 
ist  aus  dem  namen  der  bürg  Iseustein  abstrahiert.  Aber  was  bedeutet 
Isenstein?  Es  kann  m.  e.  keinem  zw^eifel  unterliegen,  dass  wir  es  im 
ersten  compositionsgliede  nicht  mit  dem  Substantiv  isen^  sondern  mit 
dem  zu  is  gehörigen  adjectiv  zu  tun  haben,  und  dass  der  Isenstein  der 
Glasberg  ist.  Das  wort  begegnet,  worauf  mich  dr.  Frantzen  aufmerksam 
macht,  schon  bei  Otfrid  I,  1,  70  in  der  bedeutung  'krystall'.  Und  ziehen 
wir  widerum  KHM  93  heran,  so  heisst  dasselbe  schloss,  das  im  anfang 
Stromberg  geannt  wird,  später  Glasberg.  Wir  haben  also  den  paralle- 
lismus:  KHM  93  (anfang)  Stromberg  =  &S  SsegarÖr 

„  (schluss)  Glasberg    -=  NL  Isenstein  ^ 

Ein  besserer  beweis  für  die  vollkommene  Identität  der  den  erzäh- 
iungen  der  PS  und  des  NL  zu  gründe  liegenden  Vorstellungen  wird 
sich  kaum  auffinden  lassen. 

1)  Es  geht  nicht  an,  das  märchen  aus  der  1*8  oder  dem  NL  abzuleiten,  da  es 
den  charakteristischen  namen  der  beiden  Überlieferungen  vereinigt. 


UNTERSUCHUNGEN  ÜBER  DEN  URSPRUNG  UND  DIE  ENTWICKLUNG  DER  NIBELÜNGENSAGE        300 

Es  ist  hier  die  möglichkeit  zu  erwägen,  dass  das  NL  die  wasser- 
fahrt aus  der  localisation  auf  islant  abstrahiert  und  wideruni  secundär 
eingeführt  hat.  Dadurch  würde  aber  nicht  eine  geringere,  sondern  eine 
grössere  ähnlichkeit  mit  den  übrigen  quellen  entstehen,  denn  auch  PS 
und  93  kennen  das  wasser  nicht  mehr,  und  dazu  stimmt,  dass  das 
Brünhildenbett  nicht  von  wasser  umgeben  ist.  Der  verlust  des  wassers 
hat  gewiss  seinen  grund  darin,  dass  man  es  sicii  als  zugefroren  vor- 
stellte. Denn  der  name  Isenstoin  beweist,  dass  der  Glasberg  ursprüng- 
lich ein  eisberg  ist.  Als  dieser  als  ein  krystallener  berg  aufgefasst  wurde, 
war  damit  das  wasser  aus  der  Vorstellung  verschwunden. 

Um  die  form  der  Verzauberung  und  die  form  der  erlösung  zu 
verstehen,  werden  wir  genötigt,  einem  späteren  teile  dieser  Untersuchung 
vorzugreifen  und  ein  anderes  motiv  ins  äuge  zu  fassen,  nämlich  das, 
was  die  quellen  von  Sigfrids  unbekanntschaft  mit  seinen  eitern  erzählen. 

§  9.    Die  erlösung  in  der  zweiten  form  der  erlösungssage. 

Wo  die  quellen  von  Sigfriils  abkunft  reden,  geraten  sie  häufig  mit 
sich  selbst  in  widersprach.  Es  verhält  sich  nicht  so,  dass  der  held  in 
einigen  seine  eitern  kennt,  in  andern  nicht,  sondern  beide  auffassungen 
stehen  in  den  meisten  fällen  unvermittelt  nebeneinander. 

In  der  Edda  heisst  es  (Fra  dauSa  Sinfj.):  Sigmimdr  kommgr  feil 
i  orrostu  fijr  Ilundinxjs  sonwn,  en  Hjqrdis  giptix  pä  Alfi  syni  Hjdlp- 
reks  kotnmgs.  Ox  S/g/rrhr  par  upp  i  barno'skn.  Nach  dieser  angäbe 
mussSigurör  gewusst  haben,  wer  sein  vater  war.  Dann  folgt  die  junge  den 
Zusammenhang  unterbrechende  Gripisspä.  An  Frä  dau|ia  Sinfj.  schliesst 
sich  die  prosa  vor  Rm.  dem  Inhalte  nach  unmittelbar  an:  Signrhr  gekk 
tu  st()<Ss  Hjdlpreks  ....  pd  rar  kominn  Ilegirm  tu  Hjdlpreks  .  .  .  Reginn 
. . .  sag^i  Siguj'hi  frd  forellri  sinn  ok  peim  atburbum  (es  folgt  die  ge- 
sohichte  von  dem  Andvarafors).  Hier  musste  Sigurör  von  Reginn  ver- 
nehmen, wer  sein  vater  war. 

In  der  PiÖreks  saga  kann  SigurÖr  nach  dem,  was  vorangeht,  nicht 
wissen,  wer  seine  eitern  sind.  Er  erfährt  das  von  Brynhild.  Hier  ist 
also  nur  eine  Vorstellung  belegt. 

Im  Sigfridsliede  ist  Sigfrid  der  söhn  eines  reichen  königs;  eines 
tages  ist  er  zur  jagd  geritten  (str.  B3fg.);  hier  folgt  das  abenteuer  auf 
dem  drachenstein.  Aber  str.  46.  47  lesen  wir,  dass  Seyfrid  von  seiner 
Jugend  an  von  seinen  eitern  nichts  gewusst  habe;  er  lebte  bis  dahin 
in  einem  finstern  tann,  wn  ein  meister  ihn  erzog;  der  zwerg  Eyglein 
belohit  ihn  über  seine  abstammung,  aber  str.  51  sagt  Seyfrit,  er  und 
Kriemhilt  seien  einander  iiold  gewesen  'in  ires  vatters  landt'. 


310  BOEE 

Die  selbständige  einleitung  des  Sigfridsliedes  nennt  Sigmund  als  den 
vater  des  beiden;  er  verlässt  seine  eitern  und  kommt  zu  dem  schmiede. 
Die  unbekanntschaft  mit  den  eitern  wird  nicht  direct  ausgesprochen;  dass 
Sigfrid  seine  eitern  verlässt,  ist  nur  eine  einleitung  zum  besuche  bei 
dem  schmiede;  nach  dem  drachenkampf  zieht  er  an  Gybichs  hof  und 
verdient  des  königs  tochter;  auch  hier  ist  von  dem  Verhältnis  zu  den 
eitern  nicht  die  rede. 

Das  Nibelungenlied  erzählt,  Sigfrid  sei  von  seinen  eitern  zu  der 
reise  nach  Worms  ausgerüstet  worden.  An  Günthers  hofe  aber  beträgt 
er  sich  wie  bekannt  mehr  wie  ein  fahrender  recke  als  wie  ein  freiender 
königssohn.  Doch  wird  nirgends  direct  gesagt,  dass  er  seine  eitern 
nicht  kennt.  Dass  Brynhild  ihn  sofort  kennt  und  ihn  mit  seinem  namen 
anredet,  hat  aber  grosse  ähnlichkeit  mit  der  darstellung  der  PS  und 
kann  davon  nicht  getrennt  werden. 

Die  stellen,  wo  mitgeteilt  wird  oder  die  anschauung  durchblickt, 
dass  der  held  seine  eitern  nicht  kennt,  finden  sich  alle  in  demselben 
abschnitte  der  erzählung,  nämlich  wo  die  erlösungssage  oder  der,  secundär 
aber  früh,  chronologisch  mit  ihr  verbundene  drachenkampf  erzählt  wird. 
In  der  I>S  ist  es  die  erlöste  Jungfrau  selbst,  die  den  namen  ausspricht. 
Im  Sigfridsliede  ist  es  der  zwerg  Eyglein,  der  die  mitteilung  macht,  wäh- 
rend der  held  im  begriff  ist,  die  Jungfrau  zu  erlösen.  In  der  Edda  ist  es 
Regiun,  der  hier  in  eine  rolle  eintritt,  die  ihm  von  hause  aus  in  keiner 
seiner  übrigen  qualitäten  zukommt  i;  die  mitteilung  ist  vor  den  drachen- 
kampf geschoben,  da  Reginn  nachher  von  SigurÖr  erschlagen  wird  und 
zu  genealogischen  gesprächen  nicht  mehr  die  gelegenheit  hat.  Im  Nibe- 
lungenliede redet  Sigfrid,  der  doch  als  ein  königssohn  auszieht,  vor 
Günther  wie  ein  recke,  da  Sigfrids  ankunft  bei  Günther  zu  Brll  ge- 
hört; sie  ist  die  einleitung  zu  der  reise  nach  Bryuhilds  bürg,  und  auch 
die  genannte  reminiscenz  an  die  Vorstellung  der  I^S  gehört  zu  dieser 
vorstellungsreihe ;  ist  es  doch  hier  Brynhild  selbst,  die  redet.  Die  ein- 
leitung des  Sigfridsliedes  aber,  die  von  Brynhild  nichts  weiss,  weiss 
auch  von  der  unbekauntschaft  mit  den  eitern  nichts,  auch  da  nicht,  wo 
Sigfrid  zu  Günther  kommt. 

Da  nun  der  zug  so  regelmässig  an  einer  bestimmten  stelle  wider- 
kehrt, auch  da  wo  dadurch  grobe  Widersprüche  entstehen,  wie  im 
Sigfridsliede  und  in  der  Edda,  wird  man  zu  der  annähme  genötigt,  dass 
er  an  dieser  stelle  heimisch  ist.  Also  ist  es  nicht  Hagens  schwager 
Sigfrid,  sondern  der  erlöscr  der  Jungfrau,  von  dem  einige  stellen  be- 
richten, dass  er  seine  eitern  nicht  kannte. 

1)  i]ygloin  bat  mit  Münir  nichts  gomoiu,  vgl.  §  27.    Über  Reginn  s.  daselbst. 


UNTERSUCHUNGEN  ÜBER  DEN  IT^SPRUNG   UND  DIE  ENTWICKLUNG  DER  NIBELUNGENSAGE        ijll 

So  wird  der  gedanke  verständli(;h.  Wir  haben  ein  nicärchenmotiv 
der  Brynhildsage  vor  uns.  Die  iierkiinft  der  glückskinder  ist  unbe- 
kannt. In  den  märchen  sind  es  verstossene  königssöhne  oder  kinder 
armer  eitern,  die  die  prinzessin  erlösen;  eine  besondere  bewandtnis  hat 
es  mit  ihrer  abkunft  ausnahmslos. 

Aber  daraus  folgt  nicht,  dass  das  motiv  in  seiner  richtigen  form 
bewahrt  ist.  Versuchen  wir  die  mitteilungen  zu  einem  bilde  zu  com- 
binieren.  Wenn  man  jede  stelle  für  sicii  betrachtet,  so  ist  sie  ganz  un- 
verständlich. Dass  Biynhild  dem  holden  bei  seiner  ankunft  mitteilt,  wer 
er  sei  (I'S),  hat  scheinbar  gar  keinen  sinn;  man  fragt  nur,  wie  sie  zu  dem 
übernatürlichen  wissen  gelangt  ist,  und  auch  ob  sie  ihm  nichts  anderes  zu 
sagen  hat.  So  wie  die  entsprechende  stelle  im  NL  lautet,  kann  man  darin 
freilich  eine  rerainiscenz  an  einen  früheren  besuch  sehen,  aber  das  NL 
weiss  davon  doch  sonst  nichts,  und  die  ähnlichkeit  mit  der  l^S  bleibt 
dann  unerklärt.  Was  den  zwerg  Ej^glein  bewegt,  den  Seyfrit  unmittel- 
bar vor  dem  gefährlichen  abenteuer  über  genealogische  fragen  zu  unter- 
halten, versteht  man  ebensowenig.  Bei  Reginn  weiss  man  über  die 
veranlassung  der  mitteilung  nichts  näheres;  hier  fällt  nur  der  Wider- 
spruch mit  der  Umgebung  auf. 

Soweit  wir  vorläufig  sehen,  findet  sich  sowol  die  Unterredung  über 
den  namen  mit  Brynhild  wie  die  mit  einer  person,  der  der  held  kurz 
vor  dem  abenteuer  begegnet,  in  je  zwei  von  einander  unabhängigen 
quellen  bezeugte  Beide  machen  demzufolge  auf  ein  verhältnismässig 
hohes  alter  anspruch;  wir  dürfen  fragen,  ob  nicht  beide  echt  sind,  und 
der  Verlust  eines  teiles  der  erzählung  in  den  quellen  damit  zusammen- 
hängt, dass  das  Verständnis  für  die  bedeutung  der  geschichte  verloren 
gegangen  ist. 

Die  richtigkeit  dieser  Vermutung  beweist  die  vergleichung  mit  den 
Fjnlsvinnsmol.  Der  held,  der  sich  der  bürg  der  Mengloö  genaht  hat, 
knüpft  mit  dem  wächter  FJQlsviör  eine  Unterredung  an.  Nachdem  dieser 
viele  fragen  beantwortet  hat,  fi-agt  Svipdagr,  wer  in  den  armen  der 
Menglg?)  schlafen  wird.  Dieser  antwortet:  keiner  ist  dazu  bestimmt,  nona 
Svipdagr  cinn,  liomim  vor  siVen  solhjf/rla  brühr  af  kvdn  of  kvchin. 
Es  ist  also  der  wächter,  der  zuerst  den  namen  des  holden  ausspricht. 
Das  wort  wirkt  wie  eine  Zauberformel.  Auf  einmal  wird  Svipdagr  sich 
seiner  aufgäbe  bewusst;  er  gibt  sich  als  den  erwarteten  erlöser  zu  er- 
kennen.   FjolsviÖr  ruft  es  der  MenglqÖ  zu,  die  ihm  darauf  mit  strengen 

1)  Für  cla.s  gcsprüch  über  dicso.s  tlicma  mit  Brynhild  wird  unten  aus  dor  Edda 
ein  drittes  zeugnis  angeführt  werden. 


312  BOEK 

strafen  droht,  falls  er  nicht  die  Wahrheit  rede.  Daan  fragt  sie  den 
beiden  nach  seinem  nameu.  Er  antwortet:  Svipdagr  ek  heiii,  Sölbjartr 
het  miim  fahir,  er  nennt  also  seinen  namen  und  den  seines  vaters. 
Man  vergleiche  damit  l>S  c.  160:  pa  kann  tc  cd  scpgia  per,  at  pn  ert 
Signrhr  Sigmundar  son  konungs  oc  Sisihe. 

Dass  diese  geschichte  eine  nahe  Variante  der  ßrynhildsage  ist,  hat 
zuerst  Bugge  gesehen,  und  es  ist  allgemein  anerkannt.  Aber  wenn 
dem  so  ist,  so  muss  auch  ein  Zusammenhang  zwischen  den  beiden  tat- 
sachen  bestehen,  dass  sowol  Svipdagr  wie  Sigfrid  sich  zweimal  nach- 
einander, zuerst  kurz  vor  dem  abenteuer  mit  MenglgÖ-Brynhild  mit 
einem  Wächter  oder  einer  ähnlichen  person,  sodann  mit  der  erlösten 
Jungfrau  unmittelbar,  nachdem  sie  sich  zu  sehen  bekommen,  über  seinen 
namen  unterhält.  Nur  die  frage  bedarf  der  erledigung,  weshalb  Sigfrid 
die  auskunft  über  sein  geschlecht  von  Brynhild  resp.  Eyglein  oder 
Reginn  bekommen  muss,  während  Svipdagr  die  auskunft  der  anderen 
partei  erteilt. 

Dass  die  Vorstellung  der  Fjolsvinnsm^l  die  echte  ist,  bedarf  wol 
keines  beweises.  Der  name  des  beiden  ist  das  Zauberwort,  das  die 
Jungfrau  erlöst.  Daher  die  freude  des  Wächters,  daher  die  drohung  der 
MenglQÖ.  Die  namennennung  hat  hier  die  bedeutung,  die  in  der  Sigr- 
drifasage  das  losschneiden  des  panzerhemdes  hat.  Es  ist  das  namen- 
tabuniotiv,  das  aus  zahlreichen  erzählungen  bekannt  ist.  Durch  das 
aussprechen  eines  namens  wird  entweder  wie  hier  eine  Verzauberung 
gebrochen  oder  die  Verbindung  mit  einem,  mythischen  wesen  wird  auf- 
gehoben (s.  die  ausführliche  besprechung  des  motivs  bei  Laistncr,  Das 
Rätsel  der  Sphinx).  Wie  zwecklos  hingegen  die  entsprechenden  Unter- 
redungen in  den  Überlieferungen  der Sigf ridsage  sind,  wurde  oben  gezeigt. 

Unsere  aufgäbe  kann  demnach  nur  die  sein,  zu  untersuchen,  ob 
sich  in  der  Sigfridsage  spuren  einer  älteren  gestalt  des  namentabumotivs 
nachweisen  lassen,  und  ob  es  möglich  ist,  dem  wege  nachzuspüren,  auf 
dem  dieses  motiv  zu  einer  reihe  von  berichten  über  genealogische  be- 
lehrungen  geworden  ist.  Wenn  uns  das  gelingt,  so  werden  wir  für  die 
deutsche  Überlieferung  folgende  sagenform  aufstellen  dürfen:  Sigfrid  kommt 
nach  Sa^garÖr-lsenstein.  Er  gibt  sich  dem  Wächter  oder  den  Wächtern 
zu  erkennen  und  wird  zugelassen.  Brynhild  hört  das  und  versteht,  dass 
das  nur  ihr  erlöser  sein  kann.  Sie  eilt  herbei  und  fragt  den  beiden 
nach  seinem  namen.  Er  teilt  ihr  mit,  dass  er  Sigfrid  ist,  der  söhn 
des  Sigmund. 

Ein  directes  zeugnis  dafür,  dass  es  ursprünglich  nicht  Bryiihild, 
sondern  Sigfrid  war,   der  seinen   namen  mitteilte,   ist  uns  in   der  Edda 


CMERSUCHUNGEN"  ÜBER  DES  UKSPKINW  UND  DIK  ENTWICKLUNG  DER  MBELUNGENSAGE        31 S 

bewahrt,  in  die  ein  zug  dieser  erzählung  früh  aufgenommen  ist  und  sich 
vollständig  acclimatisiert  hat.  In  den  SigrdrifumQl  ist  die  erste  frage  der 
erwachenden  Jungfrau,  wer  ihr  crlöser  sei.  Und  er  antwortet:  Sig- 
mundnr  hurr;   sleit  fijr  skqmmu   hrafns   hrcFl/fndir  hjgrr  Sigurhar. 

Man  wird  das  nicht  für  zufall  halten.  Sigrdrifa  konnte  SigurÖr 
gerade  so  gut  mit  einer  anderen  frage  anreden.  Wie  bist  du  in  die 
bürg  hineingekommen?  Woher  kamst  du  der  fahrt?  Wie  lange  habe 
ich  geschlafen?  Oder  sie  konnte  ihi-cr  frcude  ausdruck  geben,  dass 
endlich  der  erlöser  gekommen  sei.  Aber  nein,  sie  fragt  nur  nach  dem 
namen.  Und  SigurÖr  nennt  seinen  namen  und  den  seines  vaters;  nicht 
mehr,  nicht  weniger.  Wenn  das  gedieht  im  Ijööahättr  gedichtet  wäre, 
könnte  er  wie  Svipdagr  gesagt  haben:  Sigiirbr  ek  heiti,  Sigmundr  het 
minn  fcMr;  das  wäre  vollständig  dasselbe  gewesen. 

Wir  dürfen  daraus  schliessen,  dass  auch  in  der  sagenform,  die 
anstatt  der  durchschneidung  der  panzerbekleidung  das  namentabumotiv 
enthielt,  es  ursprünglich  Sigfrid,  nicht  Erynhild  war,  der  den  namen 
aussprach.  Der  held  kommt  als  ein  unbekannter  an,  er  selbst  aber 
weiss  sehr  gut,  wer  er  ist.  Wie  aber  ist  die  andere  Vorstellung  ent- 
standen? 

Die  lösung  bringt  gleichfalls  die  PiÖrekssaga.  Zunächst  ist  darauf 
aufmerksam  zu  machen,  dass  durch  die  darstellung  der  I>S  die  richtige 
sagenform  noch  sehr  deutlich  durchblickt.  Sie  war  dem  Verfasser  von 
c.  168  der  saga  noch  bekannt.  Das  ergibt  sich  aus  dem  folgenden.  Als 
Brvnhild  den  lärm  hört,  den  Sigfrid  in  ihrer  bürg  verursacht,  ahnt  sie 
sofort,  wer  angekommen  ist  (par  mnn  vera  komhin  Sigurbr  Sigmnudar 
sotir).  Sie  eilt  auf  ihn  zu  und  fragt  nach  seinem  namen.  Er  sagt 
er  heisso  SigurÖr.  Dann  fragt  sie  nach  seinem  geschlechte.  Hier  bleibt 
er  die  antwort  schuldig,  und  mm  erst  teilt  sie  ihm  mit,  dass  er  Sigurör 
der  söhn  des  Sigmundr  ist.  Es  ist  klar,  dass  hier  eine  erörterung  über 
den  namen  in  zwei  erörterungen  gespalten  ist.  Der  grund  kann  kein 
anderer  sein  als  dieser,  dass  der  sagaschreibor  kurz  zuvor  eine  gc- 
schichtc  erzählt  hatte,  aus  der  mit  notwendigkeit  folgt,  dass  Sigur^r 
unmöglich  wissen  kann,  wer  sein  vater  ist.  Es  ist  die  Sisibesage,  nach 
der  der  held  als  kleines  kind  von  seiner  mutter  den  wellen  preisgegeben 
und  an  ein  fremdes  ufer  getrieben  war.  Der  Verfasser  erzählt  die  ge- 
schichte  auf  die  alte  weise,  so  Aveit  es  geht;  seinen  eigenen  namen  ver- 
mag Siguriir  mitzuteilen.  Dann  aber  stutzt  er.  Die  tradition  verlangte 
auch  die  namennennung  des  vaters.  Aus  Brynhilds  werten,  als  sie 
den  lärm  hörte,  gieng  hervor,  dass  sie  wusste,  Aver  der  vater  war. 
Also  blieb   nur  übrig,   diese  mitteilung  der  Brynhild  in  den  mund  zu 


314  BOEK 

legen.  Diese  notgedrungene  änderung  ist  der  grimd,  dass  die  geschichte 
einen  so  wunderlich  unfertigen  eindruck  macht.  Nachdem  der  held  den 
namen  seines  vaters  erfahren,  weiss  er  über  den  zweck  seiner  reise 
nichts  besseres  zu  sagen,  als  dass  ,er  gekommen  sei,  ein  pferd  zu  holen; 
nachdem  er  es  bekommen,  reist  er  wider  ab. 

Aber  die  Sisibesage  ist  nicht  von  dem  interpolator  der  Piöreks- 
saga  ersonnen.  Sie  hat  ihre  geschichte,  und  sie  hat  die  erlösungssage 
auch  sonst  beeinflusst.  Den  ausgangspunkt  bildet  die  wasserfahrt  der 
deutschen  tradition.  Als  ein  unbekannter  retter  kommt  Sigfrid  über  das 
Wasser  zu  der  Jungfrau  gefahren  (so  nach  KHM  111).  Das  gefährliche 
wasser,  das  die  bürg  umgibt,  wurde  als  die  weite  Wasserfläche  auf- 
gefasst,  über  die  ein  retter  aus  der  ferne  herbeikommt.  Das  veranlasste 
die  anknüpfung  des  mit  dieser  sagenform  nahe  verwandten  Sceafmotivs 
(Sceaf,  Wieland,  Lohengrin  und  viele  andere).  Scoaf  ist  auch  dadurch 
nahe  verwandt,  dass  er  wie  Sigfrid  als  ganz  kleiner  knabe  ankommt. 
Dass  tatsächlich  die  anknüpfung  dieses  motivs  älter  als  die  Sisibesage  ist, 
Avird  widerum  durch  ein  deutlich  redendes  märchen  erwiesen.  KHM  92 
finden  wir  dieses  motiv  an  die  erlösungssage  geknüpft,  aber  ohne  Sisibe- 
sage. Die  Vorgeschichte  ist  eine  andere.  Ein  mann  hat  seinen  jungen 
söhn  dem  teufel  verkauft,  dieser  aber  wird  durch  geistlichen  segen  be- 
schützt. 'Da  redeten  sie  noch  lange  miteinander,  endlich  wurden  sie 
einig,  der  Sohn,  weil  er  nicht  dem  Erbfeind  und  nicht  mehr  seinem 
Vater  zugehörte,  sollte  sich  in  ein  Schiffchen  setzen,  das  auf  einem  hinab- 
wärts  fliessenden  Wasser  stände,  und  der  Vater  sollte  es  mit  seinem 
eigenen  Fuss  fortstossen,  und  dann  sollte  der  Sohn  dem  Wasser  über- 
lassen bleiben.  Da  nahm  er  Abschied  von  seinem  Vater,  setzte  sich  in 
ein  Schiffchen,  und  der  Vater  musste  es  mit  seinem  eigenen  Fuss  fort- 
stossen. Das  Schiffchen  schlug  um,  so  dass  der  unterste  Theil  oben  war, 
die  Decke  aber  im  Wasser,  und  der  Vater  glaubte,  sein  Sohn  wäre  ver- 
loren, gieng  heim  und  trauerte  um  ihn. 

'Das  Schiffchen  aber  versank  nicht,  sondern  floss  ruhig  fort,  und 
der  Jüngling  sass  sicher  darin,  und  so  floss  es  lange,  bis  es  endlich  an 
einem  unbekannten  Ufer  festsitzen  blieb.  Da  stieg  er  ans  Land,  sah  ein 
schönes  Schloss  vor  sich  liegen  und  gieng  darauf  los.'  Das  schloss  aber 
ist  das  der  verzauberten  Jungfrau,  die  der  knabe  erlöst. 

Hier  reist  der  knabe  also  nicht  absichtlich  über  ein  ein  schloss 
umgebendes  wasser,  damit  er  die  Jungfrau  erlöse,  sondern  das  wasser 
ist  die  weite  flnt,  die  ihn  wie  zufällig  zu  dem  verwünschten  schloss 
führt.  Wir  erkennen  Sigfrids  gezwungene  wasserfahrt,  wenn  seine  mutter 
ihn  in  ein  gläsernes  gefäss  setzt  und  dem  demente   überlässt,  das  ihn 


UNTEKSUCHL'NGEX  TBER  DEN  URSPRUNG   UNO   DIE  KNnVlCKLUNG  ÜEK  NIBELUNGENSAGE        315 

ZU  Biynhilds  bürg  führen  wird.  Das  märchen  lehrt  zu  gleicher  zeit, 
dass  der  aufenthalt  bei  Mimir  dazwischengeschoben  ist;  hier  folgen  die 
unfreiwillige  wasserfahrt  und  die  erlösung  der  Jungfrau  noch  unmittel- 
bar aufeinander.  Darüber  mehr  in  einem  anderen  Zusammenhang.  Die 
tradition  aber  ist  damit  nicht  zufrieden.  Sic  weiss  von  Sigfrid,  dass 
er  Sigmunds  söhn  ist.  Wie  kann  der  wie  ein  unbekannter  held  übers 
wasser  gefahren  kommen?  Darauf  wird  die  antwort  durch  eine  Geno- 
vevensage  gegeben.  Dass  Sigfrid  die  fahrt  machte,  als  er  noch  sehr  jung 
war,  das  war  gegeben;  das  wird  durch  92  und  die  Sceafsage  bestätigt. 
Also  war  es  seine  mutter,  die  ihn  in  das  wasser  hinausstiess.  Weshalb 
tat  sie  das?  Sie  war  doch  keine  böse  frau?  —  Sie  tat  es  in  der  höchsten 
not,  als  sie  im  walde  in  der  einsamkeit  ihr  kind  zur  weit  gebracht 
hatte  und  selbst  schon  dem  tode  verfallen  war.  Die  bekannte  erzählung 
von  der  unschuldig  verurteilten  frau  muss  motivieren,  dass  die  königin 
im  walde  ihr  kind  gebiert.  Die  geschichte  wird  dann  ferner  mit  märchen- 
motiven  wie  die  hindin,  die  das  kind  säugt,  ausgestattet. 

Das  namentabumotiv  konnte  ausserhalb  dieses  Zusammenhangs  be- 
wahrt bleiben  und  blieb  es  auch,  Avie  die  directe  quelle  von  c.  168  der 
Piörekssaga  zeigt.  Sofern  aber  die  erlösuugssage  die  Sisibesage  auf- 
genommen hatte,  musste  das  namentabumotiv  unwiderruflich  entstellt 
werden.  Denn  da  Sigfrid  nach  der  aufnähme  der  Sisibesage  seine  eitern 
nicht  kannte,  konnte  in  diesem  Zusammenhang  eine  sagenform,  deren 
pointe  darin  besteht,  dass  der  held  in  einem  gegebenen  augenblick  den 
namen  seines  vaters  nennt,  nicht  bestehen.  Hier  wurde  eine  änderung 
vorgenommen,  die  zu  dem  Untergang  des  motivs  führen  musste.  Die 
begegnung  mit  dem  wächter,  wo  Sigfrid  seinen  namen  nennt,  wurde 
dahin  umgedeutet,  dass  er  von  dem  wächter  seinen  namen  erfährt. 
Diese  umdeutung  war  dadurch  vorbereitet,  dass  in  der  ursprünglichen 
form  der  wächter  zuerst  den  namen  ausspricht.  'Wer  wird  in  den  armen 
der  Menglnö  liegen',  fragt  Svipdagr.  'Niemand  als  Svipdagr',  antwortet 
der  Wächter.  Diesen  wächter  benutzte  nun  eine  tradition  der  sage,  um 
Sigfrid  über  seine  abkunft  zu  belehren.  Damit  war  das  urteil  über  diese 
sagenfürm  gesprociicn.  Denn  cs^gieng  nicht  an,  Sigfrid  die  Weisheit, 
die  er  eben  erst  von  dem  wä(;hter  erfahren,  darauf  im  bedeutungsvollen 
tone  der  Brynhild  mitteilen  zu  lassen  und  sogar  diese  mitteilung  als  er- 
lösungsmotiv  zu  benutzen.  So  blieb  die  geschichte  bei  der  mitteilung  durch 
den  Wächter  stecken.  Aber  dieser  zug,  der  nunmehr  nicht  zu  einer 
selbständigen  sagenform  gehörte,  drang  spät  in  fremde  formen  durch.  In 
der  Edda  finden  wir  ihn  nur  in  der  prosa  belegt;  er  stammt  aus  Nord- 
deutschland, wo  die  mit  Sigfrid  verbundene  namentabusage  zu   hause 


316  BOEE 

ist.  Und  in  Deutschland  ist  er  durch  das  Sigfridslied  belegt.  Sowol 
Reginn  wie  Eyglein  vertritt  also  an  dieser  stelle  den  wächter  der 
FJQlsvinnsniQl. 

Auch  die  bis  zu  ihrer  schriftlichen  aufzeichnung  von  der  Sisibe- 
sage  unabhängige  sagenform,  die  in  c.  168  der  PS  vorliegt,  hat  die  Unter- 
redung mit  dem  wächter  nicht  in  ihrer  alten  gestalt  behalten.  Aber 
das  hängt  mit  der  entstehung  des  Reginn -Eygleinmotivs  nicht  zusammen, 
denn  die  geschichte  ist  hier  nicht  umgedeutet,  sondern  durch  etwas 
anderes  ersetzt.  Sigurör  kommt  zu  Brjnhilds  schloss;  er  findet  es  durch 
ein  eisernes  gitter  geschlossen,  und  niemand  ist  da,  ihm  aufzuschliessen. 
Mit  gewalt  stösst  er  es  auf;  dann  kommen  die  wächter  hergelaufen  und 
fallen  auf  ihn  ein;  er  aber  erschlägt  sie  alle  und  kämpft  dann  mit  Brjn- 
hilds rittern,  bis  diese  selbst  dazwischen  tritt.  Die  geschichte  ist  nicht 
von  dem  Verfasser  der  I^S  ersonnen,  denn  sie  wird  durch  KHM  93, 
deren  sagenform,  wie  früher  gezeigt  worden  ist,  genau  die  der  deutschen 
Brynhildsage  ist,  bestätigt.  Als  der  held  den  glasberg  hinaufgeritten 
ist,  findet  er  das  schloss  verschlossen,  'da  schlug  er  mit  dem  stock  an 
das  tor,  und  alsbald  sprang  es  auf.  Er  geht  hinein  und  findet  die 
Jungfrau,  die  er  erlöst.  Die  gleichheit  des  grundtypus  (Stromberg,  Glas- 
berg —  SaegarÖr,  Isenstein)  verbietet  hier  an  eine  Übernahme  zu  denkend 
KHM  98  hatte  sich  demnach  von  der  in  PS  c.  168  vorliegenden  Über- 
lieferung noch  nicht  abgezweigt,  als  dieses  motiv  aufgenommen  wurde. 
Da  KHM  93  auch  andere  züge  der  Sigfridsage  enthält,  die  mit  der 
erlösungssage  in  keinem  Zusammenhang  stehen,  so  folgt  daraus,  dass 
dieses  märchen  tatsächlich  ein  ableger  der  Sigfridsage,  nicht  eines  der 
demente,  aus  dem  sie  aufgebaut  wurde,  ist.  Es  vertritt  aber  eine  ge- 
stalt der  sage,  die  in  vielen  stücken  über  die  Überlieferung  hinausgeht 
und  namentlich  beisammen  zeigt,  was  in  den  quellen  geschieden  ist, 
freilich  auch  zusammenstellt,  was  nicht  zusammengehört  (s.  §  36). 

Ich  fasse  das  vorstehende  in  einer  kurzen  historischen  Übersicht 
zusammen.  Die  erlösung  geschieht  in  der  deutschen  sagenform  durch 
das  aussprechen  der  namen  des  beiden  und  seines  vaters.  Die  form  ist  die 
der  FjolsvinnsniQl.  Dabei  finden  zwei  Unterredungen  über  den  namen  statt, 

1)  Das  motiv,  dass  die  tür  aufspringt,  wenn  mau  daraufschlägt,  ist  einer  ver- 
wandten form,  die  sonst  niclit  au  Brynhild  geknüpft  ersclieint,  entlehnt;  es  begegnet 
u.  a.  auch  KHM  97  (Das  wasser  des  lebens).  Der  kämpf  mit  den  dienern  fand  seineu 
weg  nach  dem  norden  und  ist  Oddrgr.  18,  1 — 4  überliefert:  Pd  vas  vig  vcgit  vqlsku 
sverSi  ok  borg  brotin  stis  Brynhildr  dtti.  Hier  ist  es  verbunden  mit  der  Werbung 
für  Gunnarr  und  dem  üammenritt  (17,  5  —  8):  jqrd  ddsaSi  ok  iiphiminn,  pds  bani 
Fdfnis  borg  of  pdtti. 


UNTERSUCHUNGEN  ÜBER  DEN  URSPRUNG   UND  DIE  ENTWICKLUNG  DER  NIBELUNGENSAGE        317 

eine  vorläufige,  in  der  nur  der  name  des  beiden  genannt  wird,  mit  dem 
Wächter,  die  abschliessende  aber  mit  der  Jungfrau.  Diese  ist  in  geringer 
aber  vollständig  erklärbarer  entstellung  erhalten  in  der  t^S;  eine  deut- 
liche reminiscenz  enthält  das  Nibelungenlied,  wo  freilich  Brynhild  den 
namen  ausspricht,  aber  nicht  um  den  beiden  zu  belehren,  sondern  um 
ihn  zu  begrüssen.  Dieser  teil  des  motivs  drang  auch  nach  dem  norden 
und  wurde  in  die  Sigrdrifasage  aufgenommen,  wo  ei"  zu  einem  orga- 
nischen teil  der  erzählung  wurde  und  keinen  Widerspruch  hervorrief. 
Dass  das  früh  geschehen  ist,  zeigt  die  poetische  Überlieferung.  Dass 
er  aber  in  dieser  sagenform  von  anfang-  an  nicht  zu  hause  ist,  sieht 
man  daran,  dass  er  für  die  handlung  keine  bedeutung  hat.  Nicht  dadurch 
wird  die  Jungfrau  erlöst,  dass  der  held  seinen  namen  nennt,  sondern 
dadurch,  dass  er  ihren  panzer  aufschneidet.  Dementsprechend  ist  auch 
die  frage  der  Sigrdrifa  auf  neue  weise  motiviert.  Während  in  der  deut- 
schen sagenform  die  Jungfrau  den  namen  des  erlösers  weiss  und  nur 
danach  fragt,  um  zu  controllieren,  ob  er  auch  der  richtige  erlöser  sei, 
fragt  Sigrdrifa  nacli  dem  namen,  weil  sie  ihren  erlöser  nicht  kennt  und 
ihn  zu  kennen  wünscht. 

Durch  die  anknüpfung  der  Sisibesage  entstand  die  Vorstellung,  dass 
Sigfrid  nicht  weiss,  wer  seine  eitern  sind.  Unter  diesem  einfluss  wurde 
die  Unterredung  mit  dem  Wächter  in  der  weise  umgedeutet,  dass  SigurÖr 
von  ihm  erfährt,  wer  sein  vater  ist.  Das  motiv  ist  im  Sigfridsliede  er- 
halten und  drang  in  die  prosa  der  Reginsmol  ein.  Durch  die  schrift- 
liche Verbindung  der  das  namentabumotiv  enthaltenden  sage,  die  jedoch 
die  Unterredung  mit  dem  Wächter  durch  einen  kämpf  mit  Wächtern  er- 
setzt hatte,  mit  der  Sisibesage  wurde  die  Unterredung  mit  Brynhild 
dahin  geändert,  dass  der  held  freilich  seinen  namen  mitteilt,  von  ihr 
aber  den  namen  seines  vaters  erfährt. 

§  10.    Die   Verzauberung  in   der  zweiten  form 
der  erlösungssage. 

Für  die  deutsche  sagenform  haben  wir  also  gefunden:  1.  hindernis: 
ein  gefährliches  wasser,  resp.  ein  krystallberg,  also  ein  mit  eis  bedeckter 
berg;  2.  form  der  erlüsung:  das  aussprechen  eines  namens;  3.  es  bleibt 
die  form  der  Verzauberung  zu  untersuchen. 

Welche  form  der  Verzauberung  in  den  FJQlsvinnsnK^l  vorliegt,  geht 
aus  dem  gedichte  nicht  klar  hervor.  Die  meinungen  darüber  gehen  aus- 
einander; Heusler  (Germanistische  abhandlungen  s.  21)  findet,  dass  sie 
nicht  schlafe,  ich  habe  (Zeitschr.  35,  321)  das  umgekehrte  vermutet.    In- 


318  BOER 

dessen,  wir  können  die  frage  auf  sich  berulien  lassen,  denn  daraus,  dass 
MenglQÖ  schläft  oder  nicht  schläft,  folgt  noch  nicht  dasselbe  für  Bryn- 
hild.  Im  ßrynhildenbett  ist  in  der  deutschen  Überlieferung  der  zauber- 
schlaf für  Brynhild  belegt.  Im  Nibelungenliede  ist  er  durch  Ursachen, 
die  später  erörtert  werden  müssen,  verloren.  Es  fragt  sich,  ob  die  PS 
ein  zweites  zeugnis  bringt. 

Es  lässt  sich  nicht  leugnen,  dass  es  nicht  ausdrücklich  gesagt  wird. 
Aber  es  ist  kaum  möglich,  sich  den  Zusammenhang  anders  vorzustellen. 
Denn  die  erzählung  macht  durchaus  den  eindruck,  als  sei  nicht  bloss 
Brynhild  sondern  die  ganze  bürg  mit  allen  ihren  bewohnern  in  einem 
zauberschlaf  befangen.  Als  Sigfrid  sich  naht,  ist  niemand  da,  ihm  zu 
öffnen  oder  ihn  zu  begrüssen.  Erst  nachdem  er  mit  gewalt  das  gitter 
geöffnet  und  sich  zugang  verschafft,  kommen  die  Wächter  zum  Vorschein 
und  beginnen  den  kämpf.  Brynhild  sitzt  in  ihrer  kammer;  aus  dem 
blossen  lärm,  den  der  fremde  ankömmling  macht,  schliesst  sie,  dass  der 
erlöser  gekommen  sei.  Also  wurde  das  schloss  vorher  von  keinem 
menschen  besucht.  Ein  von  vielen  personen  bewohntes  schloss,  das 
mit  der  aussenwelt  in  keinem  verkehr  steht,  muss  man  sich  wol  als  ein 
solches  vorstellen,  dessen  bewohner  schlafen.  Vergleichen  wir  KHM  93, 
das  unserer  erzählung  am  nächsten  steht,  so  wird  die  Vermutung  be- 
stätigt. Die  verwünschte  Jungfrau  dieser  erzählung  liegt  zwar  nicht  in 
einem  fortwährenden  ruhigen  schlaf,  aber  sie  gebärdet  sich  wie  eine 
schlafwandlerin.  Als  der  mann,  der  sie  erlösen  will,  noch  draussen  steht, 
sieht  er,  wie  sie  in  ihrem  wagen  um  das  schloss  herumfährt  und  dann 
hineingeht.  Nachdem  er  eingetreten,  geht  er  in  den  saal  und  findet 
sie  sitzen  mit  einem  goldenen  kelch  mit  wein  vor  sich.  Sie  spricht 
aber  kein  wort,  —  was  secundär  dadurch  erklärt  wird,  dass  sie  ihn 
nicht  sehen  kann,  denn  er  hatte  eine  tarnkappe  über  sich  —  ein 
ganz  unnützes  motiv,  das  bloss  angebracht  ist,  um  den  beiden  alle 
seine  schätze  gebrauchen  zu  lassen  (s.  §  36).  Erst  nachdem  er  einen 
ring  in  den  kelch  geworfen  'dass  es  klang',  steht  sie  auf  und  redet; 
sie  ist  aus  ihrem  lethargischen  zustand  erlöst.  Dass  wir  es  hier  mit 
einer  Variation  des  zauberschlafes  zu  tun  haben,  lässt  sich  schlechter- 
dings nicht  leugnen.  Wenn  wir  das  mit  der  erzählung  der  &S  und 
dem  Brynhildenbett  combinieren,  so  gelangen  wir  zu  dem  nicht  zu 
umgehenden  schluss,  dass  der  zauberschlaf  zu  der  deutschen  form  der 
Brynhildsage  gehört. 

Wir  können  jetzt  für  die  beiden  hauptzweige  der  Überlieferung 
die  grundgestalt  aufstellen. 

Gemeinsames  motiv:  zauberschlaf. 


TJNTRRSUCHUNQEN  ÜBER  DEN  URSPRUNG  UND  DIE  ENTWICKLUNG  DER  NrBELUNGRNSAOE        319 

Skandinavische  form  der  erlijsunj^:  aufschneidung-  der  paiizcr- 
bedeckimg.     Form  des  Hindernisses:  tlammenwall. 

Deutsche  form  der  erlösung:  dass  aussprechen  eines  namens  (namen- 
tabumotiv).    Form  des  hindernisses:  SsegarSr-Isenstein. 

§  11.    Die  dritte   form   der  erlösungssage. 

Eine  dritte  form  der  erlösungssage  findet  sich  nui-  in  dem  auf  eine 
norddeutsche  quelle  zurückgehenden  Sigfridsliede  belegt.  Eine  selb- 
ständige bedeutung  kommt  dieser  form  für  die  ältere  entwicklung  der 
Brynhildsage  nicht  zu. 

Fragen  wir  nach  den  drei  motiven,  die  sich  in  der  ersten  und 
zweiten  form  deutlich  unterscheiden  lassen,  so  zeigt  es  sich,  dass  die 
structur  dieser  erzählung  eine  andere  ist.  Zunächst  die  form  der  Ver- 
zauberung. In  den  beiden  anderen  formen  (BrI,  1.  BrI,  2)  ist  diese 
eine  und  dieselbe:  der  zauberschlaf.  Hier  ist  nicht  nur  von  einem  zauber- 
schlaf nicht  die  rede,  sondern  jede  art  der  Verzauberung  fehlt.  Die 
Jungfrau  ist  von  einem  ungeheuer  entführt  worden  und  daher  nicht  zu 
erreichen,  aber  ihr  geisteszustaud  ist  vollkommen  normal.  Sie  unter- 
redet sich  mit  dem  beiden,  lange  bevor  dieser  den  kämpf  mit  dem  drachen 
besteht,  und  wäre  nur  nicht  der  drache,  so  hätte  Sigfrid  nichts  anderes 
zu  tun  gehabt  als  sie  mitzunehmen. 

Die  beiden  anderen  motive:  form  der  erlösung  und  form  des  hinder- 
nisses erscheinen  als  eines,  der  kämpf  mit  dem  drachen.  Aus  der  macht 
des  drachen  muss  sie  erlöst  werden,  der  drache  aber  ist  auch  das  grosse 
hindernis,  das  sich  dem  erlöser  entgegenstellt.  Ein  besonderes  hindernis 
kann  man  jedoch  darin  sehen,  dass  der  weg  zu  der  drachenburg  gesucht 
werden  muss;  dazu  braucht  der  held  die  hilfe  des  zwerges  Eygleyn  (der 
riese  Kuperän  ist  nur  eine  widerholung  des  drachen).  Dieses  motiv 
kehrt  auch  in  anderen  darstellungon  desselben  stoftes  wider,  wo  der 
drache  unter  der  erde  haust  und  der  eingang  zu  der  behausung  von 
einem  kleinen  mäunlein  dem  beiden  gezeigt  wird. 

Ein  stehender  zug  dieser  geschichte  ist  auch,  dass  der  drache  nur 
mit  einem  seh  wert,  das  in  seinei'  eigenen  wohnung  sich  befindet,  erlegt 
werden  kann,  öfter  findet  sich  damit  die  Vorstellung  verbunden,  dass 
dieses  schwert  nur  von  demjenigen  geschwungen  werden  kann,  der  aus 
einem  gewissen  glas,  das  in  der  nähe  steht,  getrunken  hat. 

Diese  erzählung  ist  ausserordentlich  verbreitet.  In  KHM  ge- 
hören hierher  (JO.  91 ,  aber  auch  sonst  ist  sie  weit  bekannt.  Auf  den 
Fieröern  sind  neuerdings  mehrere  Varianten  aufgezeichnet  worden  (Jakob- 
sen,  Fuür0ske  folkesagn  og  u'ventyr  s.  238  fgg.),  eine  andere  teilt  Rasz- 


320  BÜER 

mann,  D.  heldeus.^  T,  360fgg.  mit,  und  aucli  in  anderen  märchensamm- 
lungen  sind  beispiele  leicht  aufzutreiben. 

Diese  Verbreitung  der  sage  sowie  das  junge  alter  der  Überlieferung, 
die  sie  an  Sigfrid  knüpft,  vor  allem  aber  die  abweichung  in  der  structur 
der  erzäblung  verbieten,  diese  form  für  eine  Variante  von  Brl,1.2  zu 
halten.  Dort  ist  der  inhalt  die  erlösung  der  Jungfrau  aus  der  macht 
eines  dämonischen  wesens,  hier  aus  einer  Verzauberung,  von  der  man 
freilich  raten  kann,  dass  sie  durch  dämonen  bewirkt  ist,  wobei  aber 
nirgends  von  einem  dämon  die  rede  ist.  Dort  sind  die  nächsten  ver- 
wandten solche  erzählungen,  in  denen  statt  des  drachen  ein  riese  oder 
ein  anderes  ungetüm  auftritt^.  Eine  alte  Variante  ist  unter  vielen  die 
erlösung  der  Ariadne.  Wie  hier  so  tritt  auch  KHM  163,  wo  allerdings 
eine  mischform  vorliegt,  ein  stier  als  hüter  auf.  Wie  kommt  es  nun, 
dass  diese  form  in  die  Brynhildsage  gedrungen  ist  und  in  einer  Über- 
lieferung zauberschlaf,  glasberg  und  namentabu  ersetzt  hat?  Da  die 
erzählung  deutsch,  wir  wissen  sogar  niederdeutsch  ist,  haben  Avir  von 
der  deutschen  form  auszugehen.  Ich  glaube  nicht  zu  irren,  wenn  ich 
sie  aus  einer  schon  besprochenen  verstümmelten  form  der  niederdeutschen 
Überlieferung  ableite.  Die  mühe,  die  es  uns  gekostet,  aus  andeutungen 
und  reminiscenzen  die  deutsche  form  zu  reconstruieren,  zeigt,  dass  diese 
form  schon  früh  stark  reduciert  war.  Von  dem  hindernis,  dem  wasser 
resp.  glasberg,  war  nur  der  name  übrig  geblieben.  Der  zauberschlaf 
war  nicht  ganz  vergessen,  aber  nach  t'S  c.  168  zu  urteilen,  auch  nicht 
mehr  mit  klaren  werten  ausgedrückt.  Das  schadete  aber  wenig,  solange 
das  hauptmotiv,  das  namentabu  erhalten  blieb.  Wo  auch  dieses  verloren 
gieng,  musste  entweder  die  sage  untergehen  oder  ein  neues  dement 
aufgenommen  werden,  das  dem  besonderen  Verhältnis  der  beiden  zu 
der  Jungfrau  ausdruck  verlieh.  Denn  so  konnte  jedermann  zu  der  Jung- 
frau reiten  und  sie  erlösen.  Nun  wusste  man,  dass  Sigfrid  einen  drachen- 
kampf  bestanden  hatte.  Das  führte  dazu  aus  einer  verwandten  sehr  be- 
kannten erzählung  das  motiv  aufzunehmen,  dass  die  Jungfrau  von  einem 
drachen  gehütet  wurde.  Dass  dieser  drache  mit  dem  von  Sigfrid  in  der 
alten  sage  erlegten  drachen  nichts  geraein  bat,  hoffe  ich  unten  in  anderem 
Zusammenhang  zu  zeigen.  Der  echte  drache  hat  hier  nur  die  rolle  ge- 
spielt, dass  er  die  aufmerksamkeit  auf  den  drachen  des  märchens  lenkte. 

1)  Die  fragen ,  ob  beide  gattungen  von  erlösuDgssagen  auf  eioe  gniudauschauung, 
die  erlösung  aus  dem  totenreiche,  zurückgehen,  können  wir  ganz  auf  sicli  beruhen 
lassen.  Wir  haben  es  hier  mit  der  epischen  darstellung  zu  tun.  Episch  aber  liegen 
die  Jungfrau  im  zauberschlaf  und  die  von  einem  dämon  gehütete  Jungfrau  weit  aus- 
einander, obgleich  natürlich  durch  contamination  mischformen  entstehen. 


UNTERSUCHUNGEN  ÜBER  DEN  URSPRITNG  UND  DIF,  ENT^VICKLUNG  DER  NIBELUNOENSAGE        321 

Dass  es  aber  die  durch  den  verlust  des  nanientabu  entstellte  sagen- 
gestalt  \Yar,  die  den  draclien  als  hüter  aufgenommen  hat,  wird  dadnrch 
bestätigt,  dass  wir  hier  dem  zugo  begegnen,  dass  Sigfrid  'umb  vatter 
vnd  müter  nicht  west  als  umb  ein  har',  und  dass  Eygleyn  ihn  über 
seine  abkunft  belehrt.  Dieses  motiv  stammt  aus  der  verstünunelten 
Brynhildsage.  Eygle3n  ist  der  zwerg,  der  in  den  sagen  von  der  von 
einem  drachen  gehüteten  Jungfrau  regelmässig  widerkehrt.  Auf  diesen 
zwerg  wurde  der  dem  Wächter  des  tabumotivs  entlehnte  zug  übertragen. 

Dass  im  Sigfridsliede  Kriemhilt  an  Brynhilds  stelle  auftritt,  steht 
mit  der  oben  besprochenen  frage  in  keinem  Zusammenhang.  Diese 
neiiorung  wird  §  20  erörtert  werden. 

§  12.    Die   Werbung  für   Günther. 

Nachdem  Brill  sich  als  von  TI  abhängig,  BrI  als  ein  der  Sigfrid- 
sage  fremdes  element  zu  erkennen  gegeben  hat,  haben  wir  nun  Brll 
gegenüber  Stellung  zu  nehmen.  Zwei  Standpunkte  sind  möglich.  Wenn 
Br3^nhild,  um  die  hier  geworben  wird,  mit  der  erlösten  Jungfrau  iden- 
tisch ist,  so  folgt  daraus,  dass  sie  nicht  zu  der  alten  Sigfridsage  ge- 
hören kann.  Br  II  beruht  dann  auf  anpassung  von  I  an  eine  fremde 
sage.  Wer  Brynhild  für  iS  retten  will,  muss  ihre  Identität  mit  der  aus 
dem  zauberschlaf  geweckten  Jungfrau  leugnen. 

Über  diese  Identität  habe  ich  mich  Zeitschr.  35,  805  fgg.  geäussert 
und  werde  das  dort  angeführte  hier  nicht  widerholen;  die  dort  mitge- 
teilten gründe  scheinen  mir  alle  noch  beweiskräftig.  Als  neues  argument 
für  die  identität  kommt  nur  hinzu  die  gleichheit  der  sagenform  in  der 
erlösungssage  der  I^S  und  der  sogenannten  werbungssage  des  Nibelungen- 
liedes (S;i'gar<5r-isenstein;  namentabu).  Hier  wünsche  ich  nur  die  frage 
zu  stellen,  was  es  ist,  das  gelehrte  von  so  verschiedener  anschauung 
wie  Golther  und  Heusler  veranlasst,  auf  ganz  entgegengesetzten  wegen 
die  trennung  dieser  beiden  gestalten  zu  versuchen.  Wenn  ersterer  an- 
nimmt, der  vafrlogi  gehöre  zu  Sigrdrifa  und  sei  von  dieser  auf  Bryn- 
hild übertragen  worden,  während  der  zweite  absolut  das  entgegengesetzte 
zu  beweisen  versucht,  so  stimmen  sie  nur  in  dem  resultate,  dass  beide 
zu  trennen  seien,  überein,  ihre  beweisführung  aber  ist  dazu  geeignet, 
uns  zu  überzeugen,  dass  der  vafrlogi  von  keiner  von  beiden  getrennt 
werden  kann.  Und  ebenso  verhält  es  sich  mit  anderen  zügen.  Bei  beiden 
forsciiem  ist  eine  starke  abneigung  vorhanden,  die  identität  von  Sigr- 
drifa mit  Brynhild  anzuerkennen,  aber  man  darf  vielleicht  annehmen, 
dass  diese  abneigung  weniger  darin  ihren  grund  hat.  dass  nicht  das 
meiste,  was  von  der  einen  Jungfrau  gesagt  wird,   auch   tiii-  die   andere 

ZKITSCHRIFT    F.    DEUTSCHE    PHILOLOGIE.       BD.    XXXVII.  J  i 


322  BOER 

gilt,  als  darin,  dass  durch  die  annähme  der  identität  sagenhistorische 
Schwierigkeiten  entstehen,  die  weder  Golther  nocii  Heusler  zu  lösen  ver- 
mögen. Für  die  erlöste  Jungfrau  ist  in  der  Sigfridsage  kein  platz,  das  hat 
sowol  Golther  wie  Heusler  gesehen.  Solange  man  Brynhild  für  eine 
ursprüngliche  gestalt  der  Sigfridsage  hält,  muss  das  notwendig  zu  der 
trennung  der  beiden  gestalten  führen. 

Wer  an  die  richtigkeit  dieser  trennung  nicht  glauben  kann,  nimmt 
daher,  solange  er  gläubig  der  mythischen  theorie  anhängt,  mit  Bryn- 
hild auch  Sigrdrifa  in  den  kauf.  Ganz  anders  nimmt  sich  die  frage 
aus,  wenn  man  einmal  zu  der  einsieht  gelangt  ist,  dass  Brynhild  nicht 
eine  gestalt  der  alten  Sigfridsage  ist.  Dann  wird  jeder  grund,  sie  von 
Sigrdrifa  zu  trennen,  hinfällig,  und  die  Brynhildsage  entpuppt  sich  als 
die  an  die  Hagensage  angepasste  Sigrd ritasage. 

Wir  wollen  versuchen,  diese  anpassung  zu  verstehen.  In  einer 
ziemlich  frühen  periode  der  entwicklung  der  S  wurden  von  Sigfrid  zwei 
voneinander  durchaus  unabhängige  geschichten  erzählt,  nämlich  1.  sein 
abenteuer  mit  Brynhild  auf  dem  felsen;  2.  seine  ehe  mit  Grimhild- 
Gu'örün  und  sein  tod.  Der  Widerspruch,  der  in  seinem  doppelten  Ver- 
hältnis zu  den  beiden  frauen  gelegen  war  (s.  oben  s.  304),  wurde  anfänglich 
wenig  gefühlt;  erst  als  die  heterogenen  demente  als  teile  einer  zu- 
sammenhängenden erzählung  miteinander  in  Verbindung  gesetzt  wurden, 
gab  die  doppelehe  anstoss,  vielleicht  weniger,  weil  man  sie  als  unsitt- 
lich beti'achtete,  als  weil  sie  unklar  war.  Das  doppelte  Verhältnis  musste 
also  hinweginterpretiert  werden.  Da  nun  Sigfrids  Verhältnis  zu  Grim- 
hild  für  sein  Schicksal  entscheidend  war,  musste  das  zu  Brynhild  ge- 
ändert werden.  Hier  konnte  man  den  ausweg  wählen,  die  ganze  ge- 
schichte  zu  verschweigen.  Wo  sie  aber  tief  in  das  allgemeine  bewusstsein 
durchgedrungen  war,  gieng  das  nicht  an.  Also  wurde  die  geschichte 
umgedeutet.  Freilich  holt  Sigfrid  eine  braut  von  dem  felsen,  aber  er 
tut  es  nicht  für  sich,  sondern  für  einen  andern.  Das  ist  die  sagenform 
Br  n.  Alles,  was  ferner  hinzukommt,  ist  widerholung  oder  änderung 
von  Zügen  aus  I  (flammenritt,  der  kämpf  im  schlafgemach)  oder  weitere 
ausführiiug  (z.  b.  die  kampfspiele)  oder  notwendige  folge  der  umdeutung 
(z.  b.  das  keusche  beilager,  —  übrigens  ein  aus  bekanntem  abergiauben 
stammender  zug,  s.  üldenberg,  Religion  des  Veda  s.  271).  Hierher  ge- 
hört auch  der  in  der  deutschen  Überlieferung  durch  die  tarnkappe  er- 
setzte gestaltentausch.  Dieser  aus  märchen  sehr  bekannte  zug  gibt  dem 
gedanken  ausdruck,  dass  es  Sigfrid  war  und  doch  nicht  Sigfrid,  der 
Brynhild  gewann.  In  einer  gewöhnli(^hen  werbungssage  hätte  Sigfrid 
als  böte  für  Günther  aeheu   können.     Man    fühlte,   dass  das   nicht  an- 


üNTERSXTCnrNGF.X  ÜBF.R  DRX  URSPRUNG  UND  DIE  ENTWICKLUNG  DER  NIRELUNGKNRAOE        323 

giong.  Der  hcld  musste  selber  kommen.  Günther  konnte  man  auch 
nicht  gehen  hissen,  denn  die  tradition  wollte,  dass  Sigfrid  den  ritt  voll- 
brachte. Also  musste  Sigfrid  gehen,  der  zugleich  Günther  war,  d.  h. 
Sigfrid  in  Günthers  gestalt.  Daraus  entstand  die  Vorstellung  von  dem 
bcwussten  gestaltentausch,  also  von  dem  betrüge  und  dessen  folgen. 

Ich  glaube  auch,  dass  es  möglich  ist,  über  zeit  und  ort  dßr  um- 
deutung  etwas  näheres  zu  ermitteln.  Sie  muss  mit  der  aufnähme  der 
Burgunden  in  die  sage  zusammenhcängen.  Denn  der  andere,  für  den 
Sigfrid  Brynhild  von  dem  felsen  holt,  ist  Günther.  Und  für  die  an- 
nähme, dass  Günther  liier  in  eine  fremde  rolle  eingetreten  sei,  ist  wie 
schon  (s.  303)  bemerkt  wurde,  kein  grund  vorhanden. 

Die  aufnaiime  der  Burgunden  stellte  an  die  sage  ganz  neue  for- 
derungen.  Aus  einer  locallosen  überall  localisierbaren  sage  von  nicht 
bekannten  fürsten  aus  der  alten  zeit  wurde  sie  zu  einer  erzählung  von 
welterschütternden  ereignissen,  und  die  folge  davon  war,  dass  eine 
strengere  logik  als  ein  bedürfnis  gefühlt  wurde.  Das  zeigt  sich  ja  auch 
an  H2.  Der  Untergang  eines  bekannten  mächtigen  fürsten  geschlechtes 
wurde  als  die  folge  von  Sigfrids  tod  dargestellt.  Da  galt  es,  die  er- 
eignisse  und  den  beiden  in  ein  solches  licht  zu  rücken,  dass  der  tod 
des  letzteren  zu  einer  greueltat  wurde,  die  um  räche  schrie.  Hier 
war  zweierlei  nötig.  Der  held  musste  idealisiert  werden.  Erst  jetzt 
gab  sein  unklares  Verhältnis  zu  den  beiden  trauen,  das  man  bisher 
ruhig  hingenommen  hatte,  anstoss.  Und  ferner  musste  der  könig  der 
Burgunden  an  dem  mord  beteiligt  sein.  Es  ging  nicht  an,  dass  dieser 
mitsamt  seinem  ganzen  volk  umkam  aus  dem  einzigen  gründe,  dass 
sein  dienstmann  oder  sein  bruder  den  Sigfrid  erschlagen  hatte.  Mit 
Günther  wusste  man  übrigens  auch  nicht  rat.  Er  war  der  könig,  aber 
ein  könig  ohne  heldenrolle,  ja  überhaupt  ohne  rolle.  Zugleicii  wurde 
nun  die  rolle  von  Brynhilds  gemahl  frei.  Sobald  Sigfrid  sie  aufgeben 
musste,  konnte  sie  nur  dem  fürsten  des  landes  zufallen;  es  kann  uns 
nicht  wundern,  dass  man  Günther  in  die  rolle  eintreten  Hess.  Es  ist 
seine  einzige  geblieben.  Während  die  jüngere  dichtung  im  zweiten  teil 
der  Hagensage  ihn  wenigstens  .einige  nichts  entscheidende  heldentaten 
verrichten  lässt,  hat  Günther  in  der  ersten  hälfte  nichts  anderes  zu  tun 
als  könig  zu  sein  —  wozu  ihn  die  geschichte,  nicht  die  sage  machte  — 
und  Brynhilds  mann,  was  er  von  Sigfrid  übernommen  hat.  Auch 
das  zeigt,  dass  er  nicht  eine  alte  sagengestalt  ist,  die  nur  den  namen 
gewechselt  hat;  die  gestalt  hat  gar  keinen  eigenen  Inhalt.  Nimmt  man 
ihr  noch  das  königtum,  das  von  hause  aus  Hagen  zukommt,  so  bleibt 
ein  Strohmann   übrig,   dessen   einzige   eigenschaft   i.st,  (Tetre  k^  mari  de 

21  *" 


324  BOER 

madame.  Nur  so  kann  man  sagen,  dass  ein  mythischer  —  d.  h.  gar 
nicht  zur  sage  gehöriger  —  held  dem  Sigfrid  seine  braut  genommen  hat. 

Also  muss  die  Werbung  für  Günther  nach  den  ereignissen  von 
436  entstanden  sein,  und  zwar  wahrscheinlich  bei  den  Franken,  die 
sich  nach  jener  zeit  mit  der  NS  beschäftigten  und  die  contamination 
mit  der  Burgundensage  zu  stände  gebracht  haben.    Vgl.  §  48. 

Das  oben  erwähnte  bedürfnis,  für  Günther  etwas  zu  tun,  zeigt 
sich  sowol  in  der  nordischen  wie  in  der  deutschen  Überlieferung.  Wäh- 
rend die  mitteldeutsche  tradition  ihn  im  Hunnenlande  tapfer  kämpfen 
lässt,  geht  die  nordische  und,  wie  sich  später  zeigen  wird,  auch  die 
norddeutsche  sogar  so  weit,  dass  sie  ihn  zu  Hagens  treuem  gesellen 
macht' und  ihm  so  eine  rolle  zuerteilt,  die  der  des  Volker  ähnlich  ist, 
wodurch  seine  gestalt  in  H2  wenigstens  einen  gewissen  inhalt  bekommt, 
während  sie  die  übrigen  brüder  mit  ausnähme  des  Guttormr^,  den  sie 
für  ihre  darstellung  von  SigurÖs  tod  braucht,  eliminiert. 

Die  allmähliche  anpassung  der  Brynhildsage  an  den  neuen  Zu- 
sammenhang lässt  sich  in  den  quellen  deutlich  verfolgen.  Sie  hat,  wie  es 
scheint,  bei  den  Franken  begonnen  und  sich  hier  zu  ihrer  äussersten 
consequenz  ausgebildet.  In  den  norddeutschen  und  nordischen  quellen 
aber  liegen  die  verschiedenen  schichten  nebeneinander.  Hier  werden 
wir  beobachten  können,  dass  die  vollkommenste  form  die  jüngste  ist. 
Denn  die  entwicklung  geht  dahin,  ursprünglich  nicht  zusammengehöriges 
zu  einer  einheitlichen  erzählung  zu  verarbeiten.  Wir  versuchen  im 
folgenden  die  schichten  zu  trennen. 

§  13.    Die   älteste  form    der   anpassung  (Er  11,1). 

Die  elementarste  Aveise,  die  alte  Vorstellung,  dass  Sigfrid  der  er- 
löser  und  der  bräutigam  der  Brynhild  sei,  mit  der  neuen,  dass  Günther 
der  gatte  sei,  zu  verbinden,  ist,  dass  man  Sigfrid  die  frau  dem  Günther 
einfach  abtreten  lässt.     Diese  Vorstellung  liegt  in  zwei  quellen  vor. 

a)  Besonders  naiv  ist  c.  227  der  PS.  Die  gründe,  die  einen  dichter 
zu  der  änderung  veranlassten,  sind  dem  beiden  einfach  in  den  mund 
gelegt.  Ich  lasse  die  wichtige  stelle  folgen:  ceigi  letta  peir  fyrr  en  peir 
koma  tu  bor  gar  Bripnlldar.  Oc  er  peir  koma  par.  pm  teer  ]ion  vel 
vib  pihreki  konungi  oc  Gunnari  konungi  en  helldr  ilki  vib  Sigttrhi 
suem.  pvi  at  nu  veit  hon  at  hann  a  ser  konu.  It  fyrra  sinn  er  pav 
luef^u  Mix.  J)a  hafhi  liann  pvi  heitih  henni  meh  ceihuni.  at  hann 
skylldi  (engrar  kono  fa  ncema  hennar.  oc  hon  et  sama  at  gipptax 
ongimi  manni  ohrum.     Oc  nu  gengr  Sigurbr  sveinn  til  tals  vib  Brynilkh 

1)  Über  Guttormr  s.  §  38. 


l-NTKRSrCHlXGF.N-  ÜBER  DKN  URSPRUNG   UND  DIE  ENTWICKLUNG  DER  NIBELUNGENSAGE        325 

oc  scpgir  henni  allt  peirra  lerendi.  oc  hihr  nu  at  hon  skal  ganga  nieh 
Gunnari  koiiungi.  En  hon  snarar  a  pessa  liind.  Ec  liccvi  pat  spurt 
at  sonnu.  Jniersu  illa  Jrv  hcevir  halldit  pin  orh  vih  mic.  pau  er  vib 
hofhui/i  i'ib  mcellxc.  at  polt  um  (dla  vccri  at  velia  i  veroUduimi.  Jxi 
haus  ec  pic  iner  tu  »lannx.  Oc  nu  suarar  Signrhr  sueinn.  Sua  verhr 
nu  at  Vera  sein  ahr  er  rahit.  En  firir  J}vi  at  pv  ert  en  tignasta  kona 
oc  mestr  skoruugr  er  ek  vila.  oc  nu  m<(  petta  ceigi  rein  ockar  a 
mcehal  sem  cetlab  var.  pa  hcevi  ec  J)vi  til  ceggiab  Gunnar  konung.  at 
kann  er  enn  mcesti  ma^r  oc  forkunnar  gobr  drengr  oc  rikr  kunwigr. 
oc  Jncki  mer  pmt  vel  saman  soma  pnt  oc  kann.  Oc  nu  firir  P)ni  feck 
cc  Juins  sgstrr  iKclldr  en  Jnn.  at  p?(  att  avigr/n  brohiir.  en  kann  oc 
ek  hcevi  pess  suan'h  at  hann  skal  minn  brobir  vcra  en  ec  hans.  Nu 
suarar  Brgnilldr.  Ec  se  nu.  at  cc  ma  ceigi  J)in  neota.  en  J)0  vil  ec 
taka  af  J>er  heil  rab  nvi  J)ctta  mal  oc  pihrex  konungs.  Nu  gengr 
pibrecr  kon?cngr  oc  Gnnnarr  konungr  a  J)essa  malstefnu.  oc  aigi 
skilla  Jmv  siit  tat  ahr  en  Pmt  var  rahit.  at  Gunnarr  konungr  skal  fa 
Bnjiiilldar. 

Also,  weil  SigurÖr,  da  er  mit  Grimhild  vermählt  ist,  Biynhild 
nicht  besitzen  kann,  und  weil  Gunnarr  ein  braver  held  und  ein  mäch- 
tiger könig  ist,  deshalb  wird  Brynhild  dem  Gunnarr  gegeben.  Und  weil 
Sigur^r  von  den  beiden  trauen  nur  eine  behalten  kann,  behält  er  die, 
die  Giumars  —  und  Hagens  —  Schwester  ist.  Denn  das  gehört  zu  seiner 
sage.  Es  ist  unmöglicii,  in  deutlicheren  werten  zu  sagen,  welche  er- 
wägungen  dazu  geführt  haben,  die  Brynhild  von  Sigfrid  auf  Günther 
überzufiiiiren.  Der  bericht  ist  um  so  unverdächtiger,  als  die  saga  eine 
Verlobung  des  SigurÖr  mit  Brynhild  früher  nicht  erzählt  hat,  sogar  den 
beiden  die  trau  nacli  seinem  ersten  besuch  einfach  widerum  verlassen 
lässt,  nachdem  sie  ihm  ein  pferd  geschenkt.  Das  capitcl  kann  also  nicht 
den  zweck  haben,  eine  Verbindung  mit  dem  vorhergehenden  herzustellen. 
Und  skandinavische  tradition  liegt  auch  nicht  vor,  denn  obgleicii  die- 
selbe Vorstellung  sich  aus  einer  nordischen  quelle  belegen  lässt,  war  sie 
doch  zu  der  zeit,  als  die  I^iÖrekssaga  geschrieben  wurde,  durcii  die 
jüngere  sagenauffassung  vollständig  verdrängt^.  Somit  ist  dieses  capitel 
ein  wichtiges  zeugnis  für  die  älteste  Verbindung  der  Brynhild  mit 
Günther. 

1)  Auf  da.s  argunieut,  dass  die  gauze  brautfahit  in  der  .saga  in  üboioinstiinimiug 
mit  der  mitteldeutschen  tradition  (NL)  erzählt  wird,  berufe  ieh  mich  nicht,  da  sich 
im  verlauf  unserer  Untersuchung  entscheidende  gründe  dafür  ergeben  werden,  dass  iu 
der  darstellung  der  saga  eine  queilenmischung  stattgefunden  hat,  und  dass  namentlich 
c.  227  von  dem  folgenden  zu  trennen  ist. 


326  BOER 

b)  Dieselbe  aiiffassun^  aber  ohne  die  naive  erkläriing,  die  c.  227 
der  Pi'örekssaga  bietet,  herrscht  in  der  Sig•ur^arkviöa  skamma.  Hier  fehlen 
mehrere  züge,  die  in  anderen  nordischen  darstellungen  der  Werbung 
mehr  als  einmal  widerkehren,  und  man  hat  sich  angewöhnt,  das  der 
kürze  der  darstellung  zuzuschreiben.  Sonst  kann  man  doch  dem  dichter 
der  Sig.  sk.  keine  allzugrosse  wortkargheit  vorwerfen.  Aber  er  teilt 
von  der  brautfahrt  auch  genug  mit,  um  an  seiner  auffassung  der  tat- 
sachen  keinen  zweifei  übrig  zu  lassen,  wenn  man  ihm  nur  nicht  unter- 
schiebt, was  er  nirgends  mit  einem  worte  sagt.  Als  SigurÖr  zu  Gjüki 
kam,  so  erzählt  das  gedieht,  bot  man  ihm  GuÖrün  zur  frau  an;  er 
heiratete  sie,  und  nun  lebte  man  lange  vergnügt  zusammen,  bis  die 
Gjükungar  sich  auf  den  weg  machten,  um  Bryuhild  zu  freien.  Sigurör, 
der  die  wege  kannte,  begleitete  sie;  'han?i  of  cetti,  ef  eiga  kncetti'  heisst 
es  mit  einer  hindeutung  auf  BrI,  auf  die  sonst  kein  bezug  genommen 
wird.  Str.  4  erzählt  dann  ohne  Übergang,  wie  Sigurör  zwischen  Bryn- 
hild  und  sich  das  schwort  legt,  ne  Imnn  konii  hjssa  ge)'hi  fne  h/inshr 
konungr  hefja  scr  at  arini);  iney  fruiminga  fnl  hnnn  megi  Gjüka. 
Also  kein  gestaltentausch,  keine  waberlohe;  Sigurör  liegt  eine  nacht  bei 
Brynhild  und  überliefert  {fnl)  sie  darauf  dem  Gunnarr. 

Weshalb  keine  waberlohe?  Weil  der  dichter  zwar  mit  richtigem 
geschmack  die  form  BrI  ignoriert,  aber  Brll,  1,  auf  der  seine  darstellung 
fusst,  doch  I  voraussetzt.  Die  erlösung  der  Jungfrau  hat  schon  statt- 
gefunden; die  waberlohe  ist  erloschen;  diesmal  soll  es  hochzeit  sein; 
die  Jungfrau  braucht  nur  gefreit  zu  werden.  Das  stimmt  zu  c.  227  der 
PiÖrekssaga,  das  auch  von  keinen  hindernisscn  mehr  weiss. 

Weshalb  kein  gestaltentausch?  Weil  der  held  nicht  in  Gunnars, 
sondern  in  seinem  eigenen  namen  freit.  Er  kommt  in  der  sagenform, 
die  I  voraussetzt,  seine  frühere  braut  abzuholen,  aber  des  anderen  tages 
übergibt  er  sie  dem  genossen.  Der  dichter  der  Sig.  sk.  Hess  zwar  I 
fort,  hielt  sich  aber  bei  der  darstellung  von  II  durchaus  an  die  ihm 
bekannte  Überlieferung. 

Dass  das  schweigen  des  liedes  von  waberlohe  und  gestaltentausch 
nur  so  zu  erklären  und  nicht  etwa  eine  folge  der  kürze  der  darstellung 
ist,  beweist  das  was  folgt  aufs  klarste.  Ein  betrug  hat  bei  der  Werbung 
nicht  stattgefunden,  wenigstens  kein  anderer  als  der,  dass  Sigurör  um 
.  eine  braut  warb,  die  er  nicht  für  sich  zu  behalten  gedachte.  Aber  für 
Gunnarr  hat  er  sich  nicht  ausgegeben.  Also  kann  auch  von  einer  ent- 
deckung  des  betrugs  nicht  die  rede  sein.  Es  ist  auch  davon  nicht  die 
rede.  Brynhild  zürnt,  nicht  seitdem  sie  erfahren,  dass  man  sie  betrogen 
hat,  sondern  von  anfang  an,  und  zwar  aus  dem  einzigen  gründe,  dass 


UNTERS rCHUNGEN  ÜBKR  DEN  URSPRUNG  ÜRD  DIE  ENTWICKLUNG  DER  NIBELUNGENSAOE   327 

sie  nicht  den  mann  besitzt,  der  um  sie  gefreit  hat;  sie  will  SiguiÖr 
besitzen  oder  sterben.  Dass  GuÖrün  seine,  sie  selbst  dagegen  Giinnars 
frau  ist  (str.  7,  3  —  4),  das  ist  es,  was  sie  betrübt.  Dieser  schmerz  (str.  10) 
führt  sie  dazu,  den  Gunnarr  zum  mord  an  seinem  schwagcr  anzutreiben. 
Es  ist  das  einzige  gedieht,  das  Brynhilds  liebe  zu  SigurÖr  als  das  einzige 
niotiv  ihrer  handlung  hinstellt. 

liehrreich  ist  auch  der  schluss  des  gedichtos.  Str.  68  wünscht  die 
sterbende  Brvnhild,  dass  auf  ihrer  gemeinsamen  leichenfahrt  dasselbe 
Schwert  zwischen  ihr  und  ihrem  geliebten  liegen  möge,  das  sie  trennte, 
als  sie  beide  in  einem  bette  lagen  ok  Jietii  pd  hjöna  nafni.  Die  an- 
geführten werte  bedeuten  entweder  buchstäblich,  dass  sie  SigurSs  frau 
hiess,  oder  übertrieben,  dass  sie  seine  frau  war.  Die  zweite  möglich- 
keit  ist  aber  dadurch  ausgeschlossen,  dass  sie  nach  der  darstellung  der 
Skamma  niemals  seine  frau  gewesen  ist;  also  muss  die  buchstäbliche 
bcdeutung  gelten.  Wenn  aber  SigurÖr,  als  er  um  Biynhild  anhielt,  sich 
für  Gunnarr  ausgegeben  hätte,  so  würde  sie  damals  nicht  Sigurös,  son- 
dern Gunnars  frau  geheissen  haben.  Also  beweist  auch  diese  stelle, 
dass  SigurÖr  in  seinem  eigenen  namen  um  sie  anhielt. 

Ein  weiteres  argument  liefern  str.  35  —  39.  Die  beurteilung  der 
stelle  wird  dadurch  erschwert,  dass  die  echtheit  von  36  —  38  (die  in 
der  hs.  nach  39  stehen  und  von  Bugge  versetzt  worden  sind)  nicht  über 
jeden  zweifei  erhaben  ist.  Sie  werden  von  Sijmons  und  Gering  (bei 
Hildebrand  2)  gestrichen.  Die  frage  nach  ihrer  echtheit  wird  später  ge- 
sondert behandelt  werden;  bei  der  beurteilung  der  vorliegenden  sagen- 
form  fällt  sie  insofern  ins  gewicht,  als  davon  ihre  grössere  oder  ge- 
ringere compliciertheit  abhängt,  aber  für  die  frage  die  uns  beschäftigt, 
ob  SigurÖr  Brynhild  für  sich  oder  für  Gunnarr  freit,  ist  sie  nicht  in 
erster  linie  von  bedeutung,  da  die  Strophen  mehr  als  eine  auffassung 
zulassen.  Ich  halte  mich  demnach  hier  an  str.  35.  Bu.  39  (Sij.  Hild.^  36), 
und  verweise  für  die  drei  anderen  auf  §  23. 

Brynhild  wollte  keinem  manne  angehören,  bis  SigurÖr  und  die 
beiden  Gjükungar  auf  ihren  pferden  dem  hofe  sich  nahten  [rihu  at  garhi). 
Also  hat  der  dichter  hier  wie  am  anfang  Br  I  (die  frühere  begcgnung 
mit  SigurÖr)  fallen  lassen.  Ihr  Vorhandensein  in  der  sage  wird  aber 
dadurch  bezeugt,  dass  Brynhild  in  dem  hause  ihres  bruders  sich  auf- 
hält, dass  sie  unmittelbar  zu  erreichen  ist.  Die  erlösuug  hat  früher 
stattgefunden.  Ferner  lehrt  die  stelle,  dass  die  zahl  der  werbcr  drei 
war.  Wenn  die  sage,  wie  aus  36  —  38  hervorgehen  würde,  von  einer 
kriegsbedrohung  wusste,  so  war  das  doch  eine  bcdroluing  für  die  Zu- 
kunft; bei  dieser  gelegenheit  waren  die  Gjükungar  nicht  von  einem  beer 


328  BOER 

begleitet.  Dann  verspricht  ßrynhild  sich  dem  könige,  'der  mit  dem  golde 
auf  Granis  rücken  sass'.  Wenn  also  ein  gestaltentausch  stattgefunden  hätte, 
so  müsste  das  vor  der  ankunft  bei  Atli  geschehen  sein.  Aber  man 
fragt,  welchen  zweck  das  haben  würde.  Denn  der  gestaltentausch  dient 
nur  dazu,  zu  verbergen,  dass  Gunnarr  nicht  durch  den  vafrlogi  reiten 
kann;  hier  aber  ist  von  keinem  vafrlogi  die  rede;  Brynhild  verlobt  sich 
sofort,  und  zwar  dem  könige,  der  auf  Grani  sitzt  (nicht  etwa  bei  einer 
späteren  gelegenheit  sitzen  würde).  Für  den  ritt  auf  Grani  aber  brauchte 
es  keines  gestaltentausches,  den  konnte  Gunnarr  auch  vollbringen.  Dann 
sagt  Brynhild:  varat  Jirnm  l  augum  y^r  of  lila',  ne  at  engl  Mut  at 
älihim,  J)6  pykkix  er  pjö^konungar.  Die  halbstrophe  enthält  zwei  Zeilen 
zu  viel,  und  die  herausgeber  streichen  die  zeilen  ne  —  älitum.  Der 
grund  ist  doch  nur  der,  dass  sie  ihrer  auffassung  der  sage  widersprechen. 
Aber  es  ist  klar,  dass  nicht  diese  werte,  sondern  die  Schlusszeilen  über- 
flüssig und  im  Zusammenhang  unmöglich  sind.  Denn  die  bedeutung 
'ob  ihr  stolz  auch  prunktet  im  strahl  der  krönen',  die  Gering  (Übers.) 
diesen  werten  beilegt,  können  sie  nicht  haben,  das  beweist  die  con- 
struction  p6  pijkkiz  er  und  das  praesens  Jjgkkiz^.  Der  sinn  ist:  'den- 
noch glaubst  du  ein  könig  zu  sein',  ein  Vorwurf,  der  nicht  auf  die 
unmittelbar  vorhergehende  zeile,  sondern  auf  die  ganze  erzählung  geht. 
Also:  'obgleich  du  dafür,  dass  du  einen  anderen  an  deiner  stelle  werben 
Messest,  Verachtung  verdienest,  glaubst  du  ein  könig  zu  sein'.  Das  ist 
aber  eine  sich  auf  die  gegenwart  beziehende  höhnische  bemerkung,  die 
im  Zusammenhang  dieser  ausschliesslich  von  der  Vergangenheit  handeln- 
den Strophen  gar  nicht  passt.  Es  kommt  hinzu,  dass  die  widerholung 
pjÖ^konüngar,  pjobkonungi,  J)jöMo}mngar3b,Q.  39(36),  2.  39,8  stilistisch 
absolut  verwerflich  ist  und  verwerflich  bleibt,  auch  wenn  man  mit 
Grundtvig  39,  2  um  wenigstens  die  dreimalige  widerholung  zu  vermeiden 
J)engli  mcerum  liest. 

Die  Strophe  sagt  also  mit  klaren  werten  aus,  dass  der  fürst,  der 
auf  Grani  sass,  dem  Gunnarr  in  keiner  hinsieht  ähnlich  war.  Brynhild 
war  dem  SigurÖr  verlobt  worden.  Aber  auch  wenn  man  anstatt  z.  9 — 10 
z.  7 — 8  streicht,  muss  man  an  der  stelle  herumdeuten,  um  einen  anderen 
sinn  herauszubekommen.  Wenn  Brynhild  sagt:  'seine  äugen  Avaren  den 
deinen  nicht  ähnlich',  so  bedeutet  das  nicht:  'er  hatte  deine  gestalt,  die 
äugen  ausgenommen'.    Das  kann  mau  in  die  stelle  hineininterpretieren; 

1)  Angenommen,  die  angeführte  Übersetzung  sei  richtig,  so  wäre  das  doch  eine 
der  Situation  nicht  angemessene  bemerkung,  denn  wenn  SigurSr  in  Gunnars  gestalt 
aufgetreten  wäre,  so  hätte  SigurSr,  nicht  Gunnarr  im  strahl  der  krönen  geprunkt. 


rNTERSrCHrXOEN  ÜBER  DEN  URSPRUNG  UND  DIE  ENTWICKLUNG  DER  NIBELUNGENSAOiE        329 

die  einzige  natürliche  auffassung  fiber  ist  auch  dann,  wenn  z.  9 — 10 
echt  sind,  dass  Biynhihl  sagt:  'er  war  dir  nicht  ähnlich'. 

Wir  gelangen  also  hier  zu  demselben  resultate,  zu  dem  auch  die 
früher  besprochenen  stellen  führen.  Ich  wüsste  nicht,  was  für  eine 
andere  auffassung  des  gedichtes  zeugen  könnte;  kein  wort  deutet  darauf. 
Die  allgemein  geltende  auffassung,  dass  Sigurör  in  Gunnars  gestalt  um 
Brynhild  warb,  beruht  lediglich  darauf,  dass  das  in  anderen  quellen 
so  steht.  Wenn  wir  nur  die  Sig.  sk.  hätten,  würde  niemand  auf  den 
gedankon  verfallen  sein.  Für  unsere  auffassung  aber  redet:  1.  das 
fehlen  des  flammenrittes,  sowol  str.  3fg.  wie  str.  35fg.;  2.  das  fehlen 
des  gestaltentausches ;  3.  das  fehlen  der  entdeckung  des  betrugs;  4.  der 
Wortlaut  von  str.  4;  5.  die  directe  aussage  von  str.  35.  39;  6.  der  Wort- 
laut von  str.  68;    7.  die  motivierung  von  Brynhilds  zorn. 

Also:  Sigfrid  und  die  Gjükunge  sind  zu  Atli  gekommen.  Bryn- 
hild,  die  bei  Atli  zu  hause  war,  hat  sich  dem  Sigurör  gelobt.  Sigurör 
hat  mit  ihr  das  ehebett  bestiegen  und  ein  schwort  zwischen  sie  gelegt. 
Am  folgenden  tage,  wol  nach  der  abreise,  hat  er  sie  dem  Gunnarr  ab- 
getreten. 

Eine  abweichung  von  der  darstellung  der  I>S  ist,  dass  hinweise 
auf  Br  I  fehlen;  der  dichter  ignorierte  sogar  diese  geschichte  bewusst, 
und  er  musste  das  wol  tun,  da  er  Sigurör  am  anfang  seiner  darstellung 
werben  liess.  Sigurör  kommt  unmittelbar  nach  dem  drachenkampf  {er 
regit  hif^i)  zu  Gjüki  und  er  verweilt  dort  längere  zeit,  bevor  er  mit 
den  Gjükungen  zu  Brynhild  reist:  Aber  dass  der  dichter  Br  I  kannte 
zeigt  str.  3,  7 — 8,  und  das  fehlen  der  hiudernisse,  die  Übergabe  der 
Brynhild  an  den  genossen,  die  ohne  I  gar  keinen  sinn  hat,  —  wes- 
halb freit  Gunnarr  nicht  selbst?  —  zeigen,  dass  die  sage,  die  er  er- 
zählt, Br  I  voraussetzt.  Der  dichter  hat  daraus  in  II  den  zug  auf- 
genommen, dass  Brynhild  von  anfang  dem  Sigurör  gehört.  Zu  gründe 
liegt  also  die  form  I  +  II,  die  aus  c.  227  der  PS  bekannt  ist  und  für 
deren  entstehung  diese  stelle  durch  Sigurös   mund  rechenschaft  ablegt. 

§14.    Die  zweite  form   der  anpassung  {Brn,2). 

Um  die  folgende  entwicklungsphase  der  sage  zu  verstehen,  müssen 
wir  nicht  von  dem  zuletzt  besprochenen  skandinavischen  extreme  aus- 
gehen, sondern  näher  bei  der  quelle  der  neuerung  bleiben  und  an  die 
darstellung  der  PS  anknüpfen.  Hier  redet  Sigfrid  der  Brynhild  Iround- 
lich  zu,  dass  sie  den  Günther  zum  mann  wähle.  Und  sie  gehorcht. 
Aber  die  frage,  ob  es  denn  möglich  war,  dass  sie   sich  ohne  weiteres 


330  BOER 

fügte,  konnte  nicht  ausbleiben.  Die  Sig.  sk.  begnügt  sich  mit  der 
Schilderung  ihres  seelischen  zustandes  nach  ihrer  Vermählung.  Die  auf- 
fassung  lag  aber  nahe,  dass  sie  nicht  so  leicht  zu  bewegen  sein  würde, 
dem  Gunnarr  zu  folgen.  Was  dann?  Sie  setzt  sich  zur  wehr.  Diese 
auffassung  liegt  in  zwei  hauptqucllen  vor.  Die  eine  ist  das  gedieht 
auf  dem  c.  26,  36  —  58.  27,  1—4.  20  —  46.  56  —  66.  28,  1—16.  29, 
5  —  48.  144 — 151  der  Volsungasaga  beruhen,  und  zu  dem  auch  ein  teil 
von  Brot  gehört.  Für  die  kritik  der  lieder  der  lücke  und  die  berechtigung 
zu  dieser  teilung  verweise  ich  auf  §  22  —  24;  hier  gehe  ich  von  dem 
Inhalt  als  gegeben  aus.  Ich  nenne  das  gedieht  aus  gründen,  die  dort 
mitgeteilt  werden,  Sigiirdarkviöa  en  yngri.  Die  andere  quelle  ist  die 
Sig.  meiri,  auf  der  die  übrigen  teile  von  c.  26  —  29  sowie  das  wich- 
tigste von  c.  23.  24  beruhen. 

a)  Die  ursprünglichere  form  zeigt  die  Sig.  meiri.  Sie  teilt  Sigurbs 
beide  besuche  bei  Brynhild  ausführlich  mit.  Den  ersten  besuch  erzählt 
c.  24.  Wie  viel  hier  auch  jüngere  zutat  sein  mag,  so  ist  die  grundform 
noch  deutlich  zu  erkennen.  Es  ist  die  deutsche  form  von  Br  I.  Das 
Wasser,  das  Brynhilds  wohnung  umgibt,  resp.  den  glasberg,  hatte  schon 
die  deutsche  Überlieferung,  wie  sie  uns  vorliegt,  bis  auf  den  namen 
vergessen;  auch  hier  fehlt  es,  und  auch  der  name  ist  verloren.  Aber 
der  hohe  türm,  in  dem  sie  sitzt,  ist  nicht  die  skjaldborg,  die  ä  Hin- 
(ku'fjalU  steht,  sondern  die  bürg  der  &S  und  des  Mbelungenliedes^. 
Dass  die  bürg  schwer  zu  erreichen  ist,  zeigt  z.  8,  wo  SigurÖs  habicht 
ihm  den  weg  zeigt.  In  der  folgenden  scene  ist  dieser  zug  verwischt. 
Sigurör  unterhält  sich  mit  Brynhild  über  gleichgiltige  dinge.  Aber  z.  44fgg. 
bringen  ein  stück  der  alten  sage.  Nicht  ganz  klar  ist  SigurÖs  anrede: 
Nu  er  pat  frain  komit,  er  Jjcr  lietiib  oss;  klar  ist  nur,  dass  sie  im 
vorhergehenden  keine  anknüpf ung  hat;  aber  da  das  alte  gedieht  gewiss 
wenigstens  nicht  von  anfang  an  mit  die  redende  person  andeutenden 
Überschriften  versehen  war,  machen  wir  uns  wol  keiner  allzu  kühnen 
conjectur  schuldig,  wenn  wir  die  angeführten  werte  der  Brynhild  zu- 
teilen. Dann  finden  sie  ihre  erklärung  in  der  anrede  der  MenglgÖ  an 
Svipdagr  (FjqIsv.  49):  mi  pat  varh,  er  ek  vcett  liefi,  nt  Jni  ert  kominn 
mqgr!  til  minna  sala.  Dass  diese  erklärung  die  richtige  ist,  erweist 
das  folgende:  per  skuUib  her  velkomnir.  Das  entspricht  nicht  nur 
Fj(^lsv.  48,  1   Vel  pü   im  kominn,    sondern   auch   Brynhilds    gruss    im 

1)  Eine  remiuisconz  an  den  glasberg  (goldenen  borg?)  enthält  das  aus  deutscher 
quelle  stammende  (GuSrüns  träum!)  c.  25.  Brynhilds  halle  (z.  30)  vnr  btiin  meS 
guUi  ok  stöd  ä  eimt  bergt. 


UNTERSrCHUNGEN  f'BER  DEN  URSPRUNG   UNÜ  DIE  ENTWICKLUNG  DER  NIBELUNGENSAGE        331 

Nibelungenliede:  .s/7  ivillekomen,  Sifrit,  her  i?i  ditxe  lant^.  Brynhild 
bietet  darauf  dem  beiden  einen  becher,  der  sonst  nur  aus  Sigrdrifumal 
bekannt,  aber  ohne  zweifei  hier,  wo  sie  in  einer  schönen  bürg  wohnt, 
besser  am  platze  ist.  Dann  küsst  er  sie  und  proist  ihre  Schönheit,  vgl. 
Fjnlsv.  48,  wo  auf  die  werte:  Vcl  pYi  im  ko}ni}m,  hefk  miini  vilja  bexSil 
unmittelbar  folgt:  fylgjc  shal  krchju  koss. 

Also  widerum  ein  zeugnis  dafür,  dass  die  deutsche  sagenform, 
abgesehen  von  dem  gegensatz  vafrlog/  —  Scegarhr  resp.  Isenstein,  voll- 
ständig der  der  Fjnlsvinnsmäl  ähnlich  war. 

Jetzt  aber  beginnt  die  Vorbereitung  zu  der  Werbung  für  (Junther. 
Brynhild  beginnt  ein  gespräch  über  die  unstätheit  der  fraucn,  das  viel 
wunderliches  und  unechtes-  enthält,  aber  darauf  hinausläuft,  dass  sie 
dem  Sigur!^r  seine  Vermählung  mit  (Ui^rün  prophezeit.  Darauf  schwören 
sie  sich  treue  {nf  nyjn  ist  ein  zusatz  des  sagaschreibers,  der  auf  c.  21 
rücksicht  nimmt),  und  nun  müssen  sie  sich  trennen.  Brynhild  ist  also 
auf  das,  was  geschehen  wird,  vorbereitet,  und  sie  entschliesst  sich,  das 
nicht  ruhig  über  sich  ergehen  zu  lassen.  In  ihrem  flammenwall  er- 
wartet sie  Sigurtis  rückkehr,  wol  überzeugt,  dass  niemand  anders  ihn 
zu  durchreiten  im  stände  ist  (c.  27,  6fgg.). 

Hier  tut  sich  zunächst  die  frage  auf:  woher  dieser  llammen'wall? 
Er  stammt  aus  der  skandinavischen  tradition  und  muss  also  an  die 
stelle  eines  anderen  motivs  getreten  sein,  denn  auch  in  der  dem  liede 
zu  gründe  liegenden  deutschen  Überlieferung  muss  Brynhild  ein  mittel 
gehabt  haben  sich  zu  wehren.  Das  motiv  kann  nur  das  Glasberg-  resp. 
Strombergmotiv  gewesen  sein.  Aber  dann  bedeutet  die  mitteilung  nichts 
anderes  als  dass  sie  bleibt,  w-o  sie  ist,  und  dass  sie  nun  nach  wie  vor 
unnahbar  ist.  Eine  bedeutende  abweichung  von  der  erlösungssage,  wo 
die  Jungfrau,  nachdem  die  Verzauberung  gebrochen,  natürlicli  nicht  länger 
der  weit  entrückt  ist.     Aber  auch   die   märchen   kennen   ähnliche  vor- 

1)  Es  ist  keine  inconsequeuz,  dass  die  stelle  des  Nibelungenliedes  §9  mit  dem 
naraentabumotiv,  hier  mit  der  bewillkomnmung  in  der  Sig.  meiri  und  in  FJQlsvinnsmäl 
verglichen  wird.  Das  unmittelbare  aussprechen  des  namens  bei  der  ersten  begeguung 
entspricht  dem  namentabumotiv  Fjglsv.  47,  die  worte  szt  ivillekomen  aber  der  Sig. 
meiri  und  FjqIsv.  48.  Da  beide  stellen  sich  auch  in  Fjnlsvinnsmäl  unmittelbar  neben- 
einander finden,  widersprechen  die  beiden  gleichstellungen  einander  nicht,  sondern  sie 
stützen  einander. 

2)  Z.  54:  ek  em  .skjaldmr/;r  usw.,  59:  ek  man  kanna  lid  hermanna  sind  in 
Skandinavien  aufgenommene  zügo  der  nordischen  form  von  Br  I.  Der  dichter  hat 
sich  augenscheinlich  vorgestellt,  dass  der  kämpf  mit  Hjälmgunnarr  und  die  bostrafung 
durch  OSinn  zwischen  I  und  II  fallen.  Dass  er  die  begebenheiten  so  arrangiert,  hängt 
damit  zusammen,  dass  er  den  rafrlogi  beim  zweiten  besuch  bremien  liisst.  Aber  er 
lässt  es  mit  einer  andeutung  dieser  dem  stoffe  fremden  züge  bewenden. 


332  BOER 

Stellungen.  Wenn  der  held  einmal  die  Jungfrau  oder  seine  frau  verlässt, 
so  bekommt  er  sie  so  leichten  kaut'es  nicht  zurück. 

Eine  richtige  Übertragung  in  die  nordische  sagenform  wäre  nun 
die  gewesen,  dass  Sigurör  auch  beide  male  den  vrifrlogi  durchreiten 
müsste.  Aber  der  dichter  der  Sig.  meiri  war  kein  sagenforscher.  Er  hat 
den  vafrlogi  benutzt,  wo  er  ihn  brauchen  konnte,  bei  dem  zweiten 
besuch,  wo  er  der  Brynhild  zur  wehr  dienen  kann  und  gelegenheit 
bietet,  das  zu  seiner  deutschen  quelle  gehörende  motiv  des  betrugs  ein- 
zuführen. Aber  dass  das  hindernis,  an  dessen  stelle  er  den  vafrlogi  auf- 
nahm, ein  bleibendes  war,  zeigen  noch  die  kurzen  andeutungen,  die  c.  27 
gibt.  Hier  gehören  zu  der  Sig.  meiri  z.  4(/>«  riha)  —  20.  66  —  74.  80  —  82. 
Im  gegensatz  zu  der  Sig.  yngri  sehen  wir  nun,  dass  der  vafrlogi 
nicht  eine  maschinerie  der  Brynhild,  sondern  ihre  natürliche  Umgebung 
ist.  Heimir  antwortet  dem  werbenden  Gjükungen:  segir  par  sal  heiinar 
skami  frä  ok  kvax  ßnt  hyggja ,  at  pann  einn  7nimdi  hon  eiga  vilja, 
er  rihi  eld  hrennanda ,  er  sleginn  er  um  sal  hennar.  Also  keine  Unter- 
redung zwischen  Heimir  und  Brynhild;  diese  bestimmt  selbst,  wen  sie 
zum  mann  haben  will;  er  vermutet,  dass  sie  nur  dem  gehören  wolle, 
der  das  feuer  durchreiten  will;  das  feuer  aber  brennt  um  ihren  saal, 
obgleich  sie  nicht  wissen  kann,  dass  die  Gjükunge  gekommen  sind, 
denn  diese  wissen  noch  nicht  einmal,  wo  der  saal  steht,  und  müssen 
das  von  Heimir  erfahren.  Und  nachdem  Sigurör  in  Gunnars  gestalt 
zu  Brynhild  geritten  ist,  muss  er  wider  durch  das  feuer  zurückreiten. 
Dieses  ist  also  als  ein  bleibendes  gedacht,  und  wenn  es  c.  24  fehlt,  so 
hat  das  seinen  grund  darin,  dass  der  dichter  der  Sig.  meiri  es  hier  nicht 
nötig  hatte.  Möglich  ist  es  freilich  auch,  dass  schon  die  deutsche  quelle 
das  hindernis  nur  bei  SigurSs  rückkehr  betonte.  Denn  die  ganze  ent- 
wickkmg  der  sage  geht  dahin,  die  züge  von  BrI  auf  Br  H  zu  über- 
tragen, bis  man  schliesslich  Br  I  ganz  fallen  lässt.  Und  auch  die  PS 
kennt  ja,  wie  schon  bemerkt,  bei  BrI  das  wasser  nicht  mehr. 

Es  lässt  sich  also  für  die  deutsche  quelle  der  Sig.  meiri  die  folgende 
grundform  constatieren :  Sigfrid  kommt  zu  Brynhild,  die  in  einem  hohen 
türm  sitzt.  Er  küsst  sie,  verspricht  ihr  die  treue  und  zieht  ab.  Sie  bleibt 
in  ihrem  türm  zurück,  und  obgleich  sie  ahnt,  dass  er  ihr  untreu  werden 
wird,  glaubt  sie  sich  persönlich  sicher  im  schütz  des  sie  umgebenden  ge- 
fährlichen Wassers.  Später  kommt  Sigfrid  in  Günthers  gestalt  und  holt  sie 
ab;  darauf  übergibt  er  die  frau,  die  ihn  nicht  erkannt  hat,  dem  freunde. 

In  Deutschland  lässt  sich  diese  sagenform  nicht  belegen,  aber  sie 
ist,  wie  ich  unten  zu  beweisen  hoffe,  eine  notwendige  Zwischenstufe 
zwischen  der  darstellung  von  PS  c.  227  und  der  des  Nibelungenliedes. 


UNTERSTJCITTNTtEX  f  BER  den  rRSPRTTNG  UND  DIE  ENTWICKLÜNR  DER  NinEI.UNOENSAGE        333 

b)  Die  Signr(Sarkvi<Sa  en  yn^ri  benutzt  als  directe  nordische  quelle 
für  ihre  darstelluug  die  Sig.  sk.  Daneben  hat  sie  die  Sig.  meiri  gekannt 
und  benutzt.  Eine  hauptquelle  ist  ferner  ein  deutsches  gedieht,  dessen 
auffassung  der  sage  noch  bedeutend  weiter  vorgeschritten  war  als  die  der 
Sig.  meiri  (s.  §  22).  Das  gedieht  geht  daher  auch  einen  schritt  weiter.  Im 
anschluss  an  die  nordische  haupt(|uelle,  die  Sig.  sk.,  hat  es  Sigurös  ersten 
besuch  fallen  lassen.  Den  flaninienritt  führt  es,  wol  unter  dem  einfluss 
der  Sig.  meiri  in  Brll  ein,  und  zugleich  den  betrug  (gestaltentausch),  und 
eine  neue  form  der  entdeckung  (streit  der  königinnen)  und  der  i-aehe.  Aber 
da  BrI  fehlt,  fehlen  auch  die  natürlichen  bedingungen  für  den  tlammen- 
ritt;  Erynhild  lebt  ja  ruhig  bei  ihrem  vater.  So  wird  der  vafrlogi  zu 
einer  maschiuerie,  die  Brynhild  anwenden  kann,  wo  sie  will,  und  der 
llammenritt  zu  einer  mutprobe.  Da  Brynhild  den  SigurSr  früher  nicht 
gekannt  hat,  liebt  sie  ihn  auch  nicht;  an  die  stelle  der  liebe  tritt  der 
zorn  über  die  erfahrene  beleidiguiig  (näheres  darüber  §  18). 

Beiden  gedichten  gemeinsam  und  für  die  form,  die  sie  repräsen- 
tieren, ist  also  charakteristisch,  dass  Brynhild  nicht  ohne  weiteres  sich 
dem  Günther  abtreten  lässt.  Das  wird  dadurch  zum  ausdruck  gebracht, 
dass  die  hindernisse  der  erlösuug,  also  im  norden  der  vafrlogi^  in  die 
erzählung  von  der  Werbung  aufgenommen  werden.  Eine  folge  davon 
ist  der  betrug  und  alles,  was  weiter  daraus  folgt  (§  17.  18)'. 

vi?  15.    Die   dritte   form   der  anpassung   (Br  II,  3). 

Die  äusserste  consequenz  der  sagenbehandlung,  deren  resultat 
BrII,2  war,  ist,  dass  BrI  als  selbständige  erzählung  vollständig  auf- 
gegeben wird,  deren  inhalt  nicht  nur  nicht  mitgeteilt,  sondern  auch 
in  keiner  hinsieht  vorausgesetzt  wird,  und  das  Brll  die  ganze  BrI 
in  sich  aufninmit.  Die  Schwierigkeiten  bei  der  gewinnung  der  braut 
sehen  nun  nicht  mehr  willkürlich  aus,  denn  eine  erlösung  geht  nicht 
voran,  die  Werbung  —  mit  betrug  —  ist  zugleich  die  erlösung.  Diese 
form  ist  wäe  die  ganze  Br  II  in  Deutschland  ausgebildet  worden.  Ob- 
gleich durch  jüngere  neuerungen  verdunkelt,  scheint  diese  grundform 
im  Nibelungenlied  sehr  klar  durch.  Die  Vorgeschichte  fehlt  hier  voll- 
ständig; einzelne  reminiscenzenr  daran  sind  so  schwach,  dass  sie  auch 
anders  erklärt  werden  können  und  tatsächlich  erklärt  worden  sind 
(als  ahnungen,  wie  sie  in  II,  3,  die  I  aufgenommen  hat,  gar  nicht 
auffällig  sind).  Ferner  finden  wir  beisammen  die  zwar  von  dienern 
umgebene  aber  doch  vereinsamte  Jungfrau  auf  dem  von  wasser  um- 
gebenen felsen^  und  den  glasberg  (Isenstein).     Die  nacht,  die  Sigfrid  bei 

1)  Über  die  möglichkeit,  dass  das  wasser  später  wider  eingeführt  worden  sei, 
s  oben  §  8. 


334  BOEB 

Brynliild  zubringt,  Avird  durch  die  scene  im  sclilafgeiiiacb,  von  deren  Ver- 
legung in  einen  anderen  Zeitpunkt  unten  die  rede  sein  wird,  ersetzt. 
Nur  der  zauberschlaf,  der  doch  durch  das  Brünhildenbett  in  der  deut- 
schen form  von  Br  I  belegt  ist,  fehlt,  freilich  zufolge  einer  jüngeren 
entwicklung,  über  Vielehe  gleichfalls  unten  gehandelt  werden  wird;  in 
einem  anderen  exemplar  von  Br  II,  3  ist  er  richtig  überliefert.  Ein 
rest  des  namentabumotivs  hat  sich  gerettet.  Damit  ist  die  Verbindung 
von  I  mit  11,  die  damit  anfängt,  dass  Sigfrid  seine  frau  nachher  dem 
Gunnarr  abtritt,  zur  völligen  consequenz  ausgebildet;  an  dem  logischen 
zusammenhange  fehlt  nichts  mehr.  Die  Vorstellung  ist  nun  diese:  Sig- 
frid, der  mit  Grirahild  vermählt  ist,  reist  zusammen  mit  Gibichs  söhnen 
zu  Bryiihilds  bürg;  an  Günthers  stelle  befreit  er  die  bezauberte  Jung- 
frau und  liefert  sie  dem  Günther  aus.  Eine  weitere,  nur  im  Nibelungen- 
liede belegte  neuerung,  die  noch  den  zweck  hat,  den  inneren  Zusammen- 
hang der  begebenheiten  zu  befestigen,  knüpft  die  Übergabe  der  Grimiiild 
an  die  gewinnung  der  Brynhild;  dass  Sigfrid  dem  Günther  die  braut 
verschafft,  wird  die  bedingung  zu  seiner  eigenen  hochzeit. 

Auch  im  norden  geht  die  entwicklung  von  Br  II  zu  der  consequenz 
II,  3.  In  der  I>S  ist  II,  3  nicht  direct  belegt,  c.  227  gibt  eine  ältere 
sagenform  (II,  1);  aber  die  scene  im  schlafgemach,  die  auch  hier  folgt, 
und  die  nur  eine  Weiterbildung  von  II,  3  ist,  zeigt,  dass  auch  in  Nord- 
deutschland diese  form  der  brautwerbung  bekannt  war  (übrigens  ist 
diese  darstellung  die  Vorstufe  des  NL). 

Wir  haben  deshalb  keinen  grund,  die  nordische  darstellung  von 
II,  3  von  der  deutschen  zu  trennen.  Aber  sie  tritt  in  einer  eigenen, 
sehr  geschlossenen  form  auf,  in  einem  jüngeren  Hede,  der  HelreiÖ.  Die 
nordische  tradition  hat  niemals  vergessen ,  dass  Br  II  eine  fortsetzung 
von  BrI  ist.  Man  erkennt  Sigrdrifa  als  mit  Brynhild  identisch.  Die 
Sig.  sk.  setzt  in  gewissem  sinne  Br  I  voraus.  Die  Sig.  meiri  erzäiilt  I  und 
II  nacheinander.  Die  folge  ist,  dass  auch  II,  3  Br  I  in  ihrer  selb- 
ständigsten und  am  meisten  ausgebildeten  form,  der  der  Sigrdrifasage, 
aufnimmt.  Einzelne  züge  erinnern  an  den  deutschen  Ursprung,  nicht 
Hlymdalir,  das  wie  der  name  beweist,  zu  der  walkyre  gehört  und  aus 
HelreiÖ  in  c.  27  der  VQlsungasaga  gedrungen  ist  (Zeitschr.  35,  323),  aber 
föstri  minn  (str.  11,3)  stammt  aus  der  Sig.  meiri.  Übrigens  ist  die  Situation 
vollständig  die  der  Sigrdrifa,  wie  ich  a.  a.  o.  s.  317fgg.  ausführlich  ge- 
zeigt habe.  Die  ganze  skandinavische  Vorgeschichte  der  Sigrdrifa  ist 
hier  also  in  Brll  aufgenommen. 

Das  ist  dem  buchstaben  nach  eine  abweichung  von  der  deutschen 
Brll,  3,  aber  vollständig  im  geiste  dieser  dichtung.    Dass  Sigurör  hier 


l^NTERSUCHrNGKN  f  DER  DEN  URSPRUNG   UND  DIE  ENTWICKLUNG  DER  NIDELUNGENSAGE        335 

hier  anfi^edeiitet  wird  als  der  Jxnins  mcr  fcerhl  gidl  pals  n/id  Fdfni  14, 
während  es  in  der  prosa  der  Sigrdrifumal  heisst:  ec  sireiig^a  lielt  par 
/  mot  dt  giptax.  onguni  peim  inanvi  er  hrcehax  kynni,  also  ohne  an- 
deutung,  dass  der  held  gerade  Sigurör  sein  müsse,  mag  aus  11,2  stammen, 
von  der  IT,  3  nur  eine  Weiterbildung  ist.  Aber  die  aufnähme  der  voll- 
ständigen 1  in  II  beruht  nicht  auf  einer  nordischen  sagencontamination, 
sondern  auf  der  in  Deutschland  vollzogenen  consequenten  durchführung 
eines  principes,  dem  alle  formen  von  Er  II  ihr  dasein  verdanken. 
§16.    Die   Weiterentwicklung  von   Brll  in  Deutschland 

(BrII,4). 

In  dem  liede,  das  die  quelle  der  6.  bis  10.  aventiure  des  Nibe- 
lungenliedes wurde,  ist  Brynhilds  bürg  nach  Islant  verlegt.  Dass  dieser 
name  aus  Isenstein  abstrahiert  ist,  wurde  §  8  ausgeführt.  Die  änderung 
der  lücalität  wurde  folgenschwer.  Die  erste  änderung,  die  daraus  un- 
mittelbar folgt,  oder  besser  darin  begriffen  ist,  ist  diese,  dass  an  die 
stelle  des  glasbergs,  den  nur  ein  einziger  held  zu  ersteigen  vermag, 
das  Weltmeer  trat.  Die  reise  von  Worms  nach  Island  liess  sich  unmög- 
lich als  eine  solche  darstellen,  die  nur  Sigfrid  vollbringen  konnte;  also 
mussten  die  drei  genossen  die  fahrt  gemeinschaftlich  machen.  Daraus  folgt, 
dass  nun  auch  Grunther  und  Hagen  zugang  zu  Brynhilds  bürg  haben, 
und  das  motiv  des  zauberschlafs,  das  einen  einzigen  retter  voraussetzt, 
wurde  unbrauchbar  und  ebenso  das  namentabumotiv,  das  zwar  in  einer 
einzigen  äusseruug  der  Brynhild  fortlebt,  aber  für  die  entwicklung  der 
begebenheiten  von  keiner  bedeutuug  mehr  ist.  An  die  stelle  dieser 
elemente  musste  eine  andere  motivierung  der  begebenheiten  treten. 

Die  neue  motivierung  knüpft  an  das  einzige  dement,  das  von  der 
alten  sage  übrig  geblieben  war,  die  nacht,  die  Sigfrid  in  Brynhilds  schlaf- 
gemach zubringt,  an.  Aber  ohne  das  vorhergehende  hatte  dieses  motiv 
keinen  verständlichen  Inhalt.  Denn  weshalb  konnte  nicht,  wenn  Bryn- 
hild auch  für  ihn  zu  erreichen  war,  Günther  selbst  während  der  ersten 
nacht  neben  Brynhild  ruhen?  In  die  nächtliche  scene  Avurde  nun  eine 
neue  bedeutung  gelegt.  Sigfrid  liegt  neben  Brynhild,  um  sie  zu  be- 
zwingen. Daraus  entwickelt  si^ch  nun  die  auffassung,  dass  Brynhild 
nur  dem  mann  gehören  will,  der  sie  bezwingt.  Die  richtige  Vorstellung 
der  begebenheit  muss  hier  die  sein,  die  in  der  Piörekssaga  überliefert  ist: 
Sigfrid  nimmt  der  Brynhild  ihr  magetuom.  Sie  knüpft  an  die  populäre 
Vorstellung  an,  dass  eine  starke  frau  durch  den  Verlust  ihrer  Jungfrau- 
schaft ihre  kraft  verliert ^    Die  darstelhmg  des  Nibelungenliedes  ist  eine 

1 )  Vgl.  z.  b.  die  Umwandlung  im  oharakter  der  l^ryÖü  nach  ihrer  veilieiratung, 
Beow.  KUöfeK. 


336  BOER 

euphemistische  aber  imglaubliche.  Der  dichter  will  uns  eine  psycho- 
logische Ungeheuerlichkeit  glauben  machen,  wenn  er  erzählt,  dass  Brvn- 
hild,  nachdem  Sigfrid  sie  zu  der  zusage  ihm  zu  willen  zu  sein  genötigt, 
ruhig  liegen  bleibt  und  abwartet,  was  mit  ihr  geschehen  wird,  während 
er  sich  entfernt  um  dem  Günther  platz  zu  machen,  statt  dass  sie  sich 
sträubte,  solange  eine  rauskel  an  ihr  sich  zu  wehren  im  stände  ist. 
In  der  Piörekssaga  heisst  es  kurz:  Oc  />«  tekr  liann  iil  Bri/nilldar  oc 
fcer  skiott  he?ina?'  viceydom  (c.  229). 

Die  ursprüngliche  Vorstellung  war,  dass  das  alles  auf  Island  un- 
mittelbar nach  der  ankunft  der  brüder  geschehen  sei.  Das  ist  der  alten 
sage  gemäss,  und  so  geschieht  es  auch  in  der  l^i^rekssaga;  erst  nach 
der  hochzeit  reist  man  nach  Worms  zurück.  Die  näheren  umstände 
sind  nicht  überliefert,  aber  sowol  die  spätere  entwicklung  wie  die  älteren 
formen  (Br  II,  2,  namentlich  die  SigurÖarkviÖa  yngri)  weisen  darauf, 
dass  Brynhild,  als  sie  vernahm,  dass  nicht  Sigfrid,  sondern  Günther  um 
sie  werbe,  eine  bedingung  gestellt  hat.  Diese  bedingung  war,  dass  er 
sie  besiegen  sollte.  Da  Günther  dazu  nicht  im  stände  war,  trat  Sigfrid 
an  seine  stelle.  Aber  die  epische  ausbildung  der  sage  verlangte  die 
Verlegung  der  hochzeit  und  damit  der  schlafkammerscene  nach  Worms. 
Vielleicht  ist  das  zuerst  im  Nibelungenliede  geschehen;  viel  älter  ist 
die  neuerung  auf  keinen  fall.  Nun  aber  stand  man  vor  einer  neuen 
Schwierigkeit.  Wenn  Brynhild  nicht  Günthers  frau  werden  wollte,  wes- 
halb Hess  sie  sich  dann  dazu  bewegen,  ihm  nach  Worms  zu  folgen? 
Ein  neues  motiv  wurde  eingeführt,  um  auf  diese  frage  die  antwort  nicht 
schuldig  zu  bleiben:  die  kampfspiele.  Auf  Island  muss  Brynhild  besiegt 
werden,  wenn  nicht  durch  den  raub  ihrer  jungferschaft,  dann  im  kämpf. 

Die  kampfspiele  sind  demnach  nicht  eine  alte  Variante  des  flammen- 
ritts,  sondern  der  allerjüngste  zug  der  deutschen  Überlieferung,  ein  ersatz 
für  die  beischlafscene,  die  aus  durchaus  formellen  gründen,  —  dem 
wünsch  eine  schöne  hochzeit  in  Worms  zu  beschreiben,  —  von  Island 
nach  Worms  verlegt  worden  war.  Das  motiv  aber,  das  dem  flammen- 
ritt entspricht,  ist  so  gut  wie  verschwunden  (§  8). 

§  17.    Die   entdeckung  des   betrugs. 

Der  streit  der  königinnen  ist  nicht  viel  später  als  Br  II,  2  ent- 
standen. Es  ist  ein  mittel,  dessen  die  poesie  sich  bedient,  um  den 
betrug,  der  mit  II,  2  seinen  einzug  in  die  Überlieferung  hält,  ans  licht 
zu  bringen.  Wir  kennen  das  motiv  in  drei  formen.  Der  grundgedanke 
ist  in  allen  dreien  derselbe:   Brynhild  verlangt  als  königin  von  Grnnhild 


ITNTERSDCHrNGEN  ÜBER  DEN  TTRSPRUNO  UND  DIE  P-NTWIfKLUNr,   DER  NlBELUNOENSAfiE        337 

huklio-nng;  diese  weigert  sich  und  erniedrigt  ihre  gegnerin  dadurch,  dass 
sie  ihr  einen  ring  zeigt,  den  Sigt'rid  ihr  in  der  brautuaclit  genommen 
hat.  Dieser  ring,  der  in  den  drei  fassungen  widerkehrt,  ist  also  so  alt 
wie  die  scene.  Dass  er  aber  mit  Fafnirs  besitztum  nichts  zu  schatten 
hat,  geht  schon  daraus  hervor,  dass  er  nicht  zu  der  alten  sage  gehört, 
sondern  nur  zu  einer  verhältnismässig  jungen  form  von  Br  II. 

Tn  der  auffassung  dei-  veranlassung  des  Streites  gehen  die  quellen 
auseinander.  Die  einfachste  und  daher  vielleicht  ursprünglichste  dar- 
stellung  gibt  die  I^i^rekssaga.  Brynhild  wünscht,  dass  (juörün  bei  ihrem 
eintritt  von  ihrem  sitz  aufstehe.  Aber  auch  was  die  Vglsungasaga  und 
zumal  die  Snorra  Edda  erzählen,  kann  alt  sein,  die  sitte  at  hleikja 
hadda  .slna  ist  nicht  nur  bei  den  nordleuten  von  alters  her  verbreitet 
(s.  AVeinhold,  D.  Frauen"*  II,  292fg.),  und  dass  die  königinnen  zu  diesem 
zweck  zum  fluss  gehen ,  sieht  sehr  altertümlich  aus.  Die  scene  vor  der 
kiiche  im  Nibelungenliede  ist  höfisch  ausgebildet,  und  das  ciiristliche 
Clement  deutet  auf  jungen  Ursprung.  Die  beleidigung  auf  der  offenen 
Strasse,  wo  die  beiden  anderen  Überlieferungen  einen  intimen  wortstreit 
schildern,  ist  im  stile  der  alle  Verhältnisse  ins  kolossale  steigernden  und 
das  öffentliche  leben  in  den  Vordergrund  stellenden  mittelhochdeutschen 
tradition.  Übrigens  zeigt  auch  die  Verdopplung  der  scene,  —  zuerst' ein 
streit,  wer  den  besten  mann  habe,  unter  vier  äugen,  dann  die  öfient- 
liche  beleidigung,  —  dass  hier  widerum  die  Überlieferung  des  Nibe- 
lungenliedes zurücksteht. 

Neben  dem  streit  der  königinnen  muss  eine  andere,  wol  einfachere 
Vorstellung  von  der  weise,  wie  die  Wahrheit  ans  licht  kam,  bestanden 
haben.  Darauf  weist  die  quelle,  die  die  altertümlichste  form  des  be- 
truges  (Brll,  2a)  repräsentiert:  die  Sig.  meiri.  Die  VQlsungasaga  berichtet 
die  entdeckung  des  betrugs  nach  der  Sig.  yngri,  und  hier  finden  wir  die 
sennti.  Aber  aus  den  gesprächen,  die  in  der  Sig.  meiri  unmittelbar  auf  die 
nach  der  Sig.  yngri  erzählte  entdeckung  folgen,  geht  hervor,  dass  die  senna 
nicht  vorangegangen  sein  kann.  C.  28,  26fgg.,  unmittelbar  nach  der 
sc/ina,  fragt  Sigurör  GuÖrün,  was  Brynhild  fehle.  Sie  weiss  es  nicht, 
aber  er  ahnt  es:  eigi  veit  ek  glegt;  grumtr  mik,  at  ver  mimum  vita 
bnUt  n^kkuru  gerr.  Am  folgenden  tage  redet  Guörün  mit  Brynhild, 
und  diese  weiss  alles,  was  geschehen  ist,  dass  Sigurör  einen  vergessen- 
heitstrank  getrunken,  den  Grimhild  ihm  gebraut,  dass  er  es  war,  der 
Fäfnii'  tötete,  dass  er  den  flammenwall  durchritten,  dass  die  Ojükunge 
sehr  wol  gewusst  haben,  dass  er  sich  der  Brynhild  verlobt  hatte.  Das 
alles  wirft  sie  der  GuÖrün  vor,  und  diese  versucht  einiges  zu  verneinen, 
anderes  umzudeuten,  in  jeder  hinsieht  Brynhild  zu  beschwichtigen.    Der 

ZEITSCHRIFT    F.  DEUTSCHE    PHILOLOGIE.       BD.  XXXVII.  22 


338  BOER 

ring  wird  iu  dem  ganzen  gespräch  nicht  genannt;  er  war  also  bei  der 
entdeckimg  eben  so  wenig  beteiligt  wie  die  GuÖrüu,  die  gern  alles 
leugnen  möchte. 

Wie  ist  Brynhild  zur  einsieht  der  Wahrheit  gelangt?  Ich  glaube, 
dass  man  hier  dem  Verfasser  der  V«^lsungasaga  nicht  vorwerfen  kann, 
dass  er  eine  darstellung  von  der  entdeckung  des  betrugs  fortgelassen 
hat.  Die  Sig.  meiri  enthielt  nicht  mehr,  als  die  saga  erzählt.  Aber  einen 
Sprung  in  der  darstellung  machte  sie  nicht;  eine  Vorstellung  von  dem 
gang  der  begebenheiten  hatte  auch  sie,  wenn  sie  auch  keine  entdeckungs- 
scene  mitteilt.  Da  Sigurör  ahnt,  aber  nicht  weiss,  was  Brynhild  fehlt, 
so  geht  daraus  hervor,  dass  nicht  zwischen  ihm  und  ihr  etwas  vorge- 
fallen ist,  was  zu  der  entdeckung  geführt  hat,  aber  dass  die  bessere 
einsieht  der  Brynhild  doch  in  ihrem  Verhältnis  zu  ihm  ihre  quelle  hat. 
Aus  einer  stelle  am  schluss  der  Unterredung  zwischen  Guörün  und 
Brynhild  geht  weiter  hervor,  dass  Brynhild  nicht  erst  gestern  zu  der 
entdeckung  gekommen  ist,  sondern  schon  längere  zeit  über  ihren  schmerz 
gebrütet  hat  (z.  75fg. :  ek  ßagha  lengi  yfir  minum  harmi  peim  er  mer 
hjö  i  hrjösti).  Deshalb  warnt  Sigurör  GuÖrün  z.  25  davor,  mit  Bryn- 
hild über  ihren  schmerz  zu  reden,  denn  wenn  der  gedanke  einmal  aus- 
gesprochen ist,  lässt  er  sich  nicht  mehr  zurückdrängen. 

Es  kann  nach  diesen  andeutungen,  die  die  saga  gibt,  keinem 
zweifei  unterliegen,  auf  welchem  wege  Brynhild  zur  einsieht  der  Wahr- 
heit gekommen  ist.  Sie  hat  sie  geahnt.  Ihre  gedanken  haben  immer 
um  denselben  gegenständ  gekreist,  stets  hat  sie  sich  gefragt:  wie  konnte 
Sigurör,  der  mir  treue  geschworen,  sich  einer  anderen  vermählen?  wie 
konnte  Gunnarr  den  flammen  wall  durchreiten?  bis  sie  zu  der  inneren 
Überzeugung  gelangt  ist,  dass  sie  das  opfer  eines  höllischen  ränkespiels 
geworden  ist.  Aber  noch  spricht  sie  es  nicht  aus;  in  dumpfem  brüten 
versunken  grübelt  sie  über  ihr  unglück.  Als  aber  GuÖrün,  die  den 
von  ihr  geliebten  mann  besitzt,  so  weit  geht,  nach  dem  grund  ihres 
trübsinns  zu  fragen,  da  bricht  die  leidenschaft  los,  und  was  eine  halb 
klare  aber  durchaus  richtige  ahnung  war,  wird  durch  das  geständnis, 
das  sie  der  gegnerin  abnötigt,  zur  entsetzlichen  Wirklichkeit.  Es  scheint 
mir,  dass  kein  dichter  die  Situation  und  den  Charakter  der  Brynhild  so 
tief  ergriffen  hat,  als  der  der  Sig.  meiri.  Das  lob,  das  Heusler  dem  ge- 
dichte  spendet,  verdient  es  in  jeder  hinsieht. 

Gehen  wir  nun  dazu  über,  dieser  darstellung  ihre  Stellung  in  der 
geschichte  der  sage  zuzuweisen,  so  zeigt  es  sich,  dass  sie  gerade  der 
Stellung  entspricht,  die  die  Sig.  meiri  auch  in  anderer  hinsieht  einnimmt. 
Sie  steht  am  anfaug  von  II,  2,  bildet  den  Übergang  von  der  durch  die 


rNTERSUCHTTNGEN  ÜBEE  DEN  tTtSPRUNG  irND  DIE  ENTWUICLIIXG   ]mu  NIHRLUNGENSACK        339 

Sig.sk.  repräsentierten  II,  Ib  zu  der  in  II,  2  b  (Sig.  yngri)  und  11,3  (Nibe- 
lungenlied, Pii^rekssaga,  HeIrei^)  horrschendon  auffassung.  In  der  Sig.  sk. 
brütet  Br3nihild  über  ihre  verscbnüiiite  liebe;  eine  entdeckung  ist  nicht 
notwendig,  da  kein  betrug  verübt  ist;  aus  sich  selbst  kommt  sie  zu 
dem  schluss,  dass  ihr  unrecht  geschehen  sei.  In  der  Sig.  meiri  brütet  sie 
über  ihre  läge  und  gelangt  bis  zu  einer  ahnung  dessen,  was  geschehen 
ist;  es  braucht  nur  einer  Unterredung  mit  Guörün,  um  ihre  ahnung  zu 
bestätigen.  In  den  jüngeren  quellen,  die  das  frühere  Verhältnis  zu 
SigurS  aufgeben,  ist  ein  äusserer  anlass  zu  der  entdeckung  unentbehr- 
lich, und  die  sage  knüpft  an  das  gespräch  mit  GuÖrün-Grimhild  an. 
Anstatt  Brynhild  zu  beschwichtigen,  beleidigt  Grimhild  sie;  sie  schilt 
sie  ein  kebsweib.  Was  die  sage  durch  den  verlust  von  I  an  logischer 
einheit  gewonnen  hat,  das  hat  sie  an  psychologischer  tiefe  und  feinheit 
verloren.  Denn  die  beleidigung  und  der  gekränkte  stolz  sind  rohe 
motive  im  Verhältnis  zu  dem  dumpfen  schmerz  und  der  tiefen  ahnung 
der  Sig.  meiri. 

§  18.    Brynhilds  zorn  und  räche. 

In  welchem  Stadium  ihrer  entwicklung  hat  die  Überlieferung  das 
motiv,  dass  Brynhild  dem  Sigfrid  zürnt,  aufgenommen?  Daraus,  dass 
Sigfrid  sie  dem  Günther  abtritt,  folgt  es  noch  nicht  direct,  aber  es  ent- 
wickelt sich  doch  im  unmittelbaren  anschluss  daran.  Die  auffassung 
der  abtretung,  die  5S  c.  227  zu  worte  kommt,  verträgt  sich  mit  einem 
friedlichen  Verhältnis  zwischen  Sigfrid  und  Brynhild  und  mit  der  alten 
niotivierung  von  Sigfrids  tod  durch  Hagens  hass.  Aber  schon  in  der 
jüngeren  form  von  Br  II,  1,  die  in  der  Sig.  sk.  vorliegt,  kommt  die 
neue  auffassung  zum  ausdruck.  Als  ältestes  motiv  für  Brynhilds  hass 
ergibt  sich  die  verschmähte  liebe.  Yon  anfang  an  hat  sie  nur  Sigurör 
geliebt  und  sich  gegen  die  Vereinigung  mit  Gunnarr  gesträubt;  sie  hat 
keine  ruhe  bis  dieses  Verhältnis  gelöst  und  sie  mit  dem  geliebten  im 
tode  vereinigt  ist.  In  dieser  form  ist  auch  Brynhilds  tod  am  platz;  er 
bildet  den  schönsten  abschluss  ihres  von  leidenschaft  verzehrten  lebens. 

In  Br  II,  2  treten  untereinander  abweichende  motive  in  den  ver- 
schiedenen quellen  in  verschiedener  mischung  auf.  Anfiinglich  hat  Bryn- 
hild sich  in  ihre  Vereinigung  mit  Günther  ergeben.  Erst  allmählich 
oder  durch  ein  plötzliches  ereignis  gelangt  sie  zur  einsieht  ihrer  läge 
und  erwacht  ihre  leidenschaft.  Insofern  ist  gekränkter  frauenstolz  im 
spiel.  Darein  mischt  sich  ingrimm  wider  Grimhild.  Aber  das  gefühl 
der  liebe  mischt  sich  von  zwei  selten  hinein.  Einmal  indem  sie  ver- 
nommen hat,  dass  es  doch  Sigfrid  war,  der  die  probe  bestanden  hat, 
noch  niphr  aher  indem  wenigstens  eine   furm  von  II,  2  davon  ausgeht, 


340  BOER 

dass  sie  sich  früher  dem  Sigfrid  verbunden  hat.  Das  gibt  den  ausschlag. 
In  der  Sig.  meiri,  die  auch  I  erzählt,  ist  Br^^nhilds  schmerz  über  die  ver- 
lorene liebe  durchaus  das  treibende  motiv.  Aber  im  gegensatz  zur 
Sig.  sk.  ist  Br3mhild  gebrochen,  Was  schön  mit  ihrer  Stimmung  vor 
und  während  der  Unterredung  mit  Guörün  harmoniert.  Während  sie  in 
der  Sig.  sk.  den  Sigur^ir  besitzen  oder  sterben  will,  weist  sie  hier 
SigurÖs  liebe  zurück.  Wie  das  lied  sich  die  aufstachelung  des  Gunuarr 
vorstellte,  wissen  wir  leider  nicht;  auch  nicht  ob  es  Brynhilds  tod  mit- 
teilte, wir  können  sogar  nicht  mit  Sicherheit  behaupten,  dass  es  mehr 
enthielt,  als  in  der  saga  überliefert  ist.  Aber  dass  sie  mit  Sigurör  stirbt, 
ist  in  dieser  fassung  durchaus  sagengemäss,  und  es  fehlt  auch  nicht  an 
andeutuugen,  dass  das  die  dem  gedichte  zu  gründe  liegende  anschauung 
war.  C.  29,  63fgg.  ahnt  SigurÖr  seinen  tod  (vgl.  die  ahnung  c.  28,  18); 
z.  99  wünscht  Brynhild  ihn  sterben  zu  sehen;  er  antwortet,  dass  sie  beide 
von  diesem  tage  an  nur  noch  ein  kurzes  leben  vor  sich  haben  würden;  sie 
behauptet,  ihr  leben  habe  keinen  wert  mehr,  und  z.  124  sagt  sie,  dass 
sie  nicht  länger  leben  wolle.  Das  beweist  wol  mit  Sicherheit,  dass 
Brynhild  auch  hier  gestorben  ist,  aber  es  sieht  nicht  danach  aus,  dass 
die  darstellung  dieselbe  gewesen  sei  wie  die  der  Sig.  sk.  Dem  Sigurör, 
nicht  dem  Gunnarr  gegenüber  spricht  sie  den  wünsch  aus,  dass  er 
sterben  möge,  und  seine  antwort  zeigt,  dass  er  ahnt,  dass  zur  Wahrheit 
werden  wird,  was  sie  ahnungslos  in  leidenschaft  spricht,  dass  er  also  ohne 
ihr  zutun  fallen  wird,  und:  ekki  muntu  per  verra  bihja.  Wenn  diese 
andeutungen  so  zu  verstehen  sind,  so  steht  die  Sig.  meiri  in  diesem 
punkte,  wie  auch  in  einigen  anderen  (der  beibehaltung  von  BrI),  auf 
einem  älteren  Standpunkte  als  die  Sig.  sk.;  sie  kennt  Brynhilds  tod, 
aber  Sigurör  fällt  nicht  durch  Brynhild. 

Ganz  anders  stellt  die  SigurÖarkviÖa  en  yngri  die  gefühle  der 
heldiu  dar.  Hier  fehlt  die  Vorgeschichte,  hier  bringt  die  soina  die  ent- 
scheidung.  Dem  entspricht,  dass  hass  und  zorn  an  die  stelle  der  liebe 
treten.  Aber  in  den  zorn  mischt  sich  ein  dement  der  bewunderung, 
ein  rest  der  alten  liebe,  der  dem  neuen  motiv  des  gekränkten  stolzes 
das  schablonenhafte  nimmt  und  das  Seelenleben  der  heldin  vertieft.  Am 
deutlichsten  kommen  Brynhilds  gefühle  Sigurör  gegenüber  in  der  län- 
geren rede  am  schluss  zum  ausdruck.  Sie  beklagt  seinen  tod,  obgleich 
sie  antiinglich  eine  befriedigung  darin  gefunden  hat  (Brot  str.  10).  Die 
ganze  wucht  ihres  zornes  und  ihrer  geringschätzung  wendet  sich  aber 
wider  Gunnarr,  dem  sie  seine  feigheit  vorwirft,  und  dem  gegenüber  sie 
Sigurör  widerholt  erhebt.  Also  eine  form  von  II,  2,  die  sich  11,3  stark 
nähert.     Das  weitere  §  22.     Nur  will  ich  schon  hier  hervorheben,  dass 


UNTERSUCHUNGEN  ÜBER  DEN  URRPKrNG   UND  DIE  ENTWICKLUNG  DER  NinELUNGENSAGE        341 

in  dieser  sagenforni  Brynhilds  tod  eine  anomalio  ist.  Sollten  sioh  spuren 
davon  nachweisen  lassen,  so  lassen  sie  sich  nur  als  eine  reminiscenz 
an  eine  ältere  sagenform,  in  der  Hrynhild  von  liebe  zu  SigurÖr  getrieben 
wird ,  verstehen. 

Dieselbe  auffassnng  von  Brynhilds  Stimmung  dem  SigurÖr  gegen- 
über, nur  noch  härter,  herrscht  auch  in  einem  gedichte,  das  die  be- 
gebenheiten  von  Guörüns  Standpunkte  aus  anschaut,  der  GuÖrünarkvida  I. 
Str.  23  flucht  Brynhild  Gullrond,  die  durch  ihre  freundlichen  worte 
der  Gubrün  das  reden  ermöglicht  hat.  Und  noch  auf  den  toten  leich- 
nam  des  beiden  blickt  sie  str.  27  mit  flammenden  äugen  und  giftigem 
atem.  Wenn  die  prosa  nach  27  erzählt,  dass  sie  nach  Sigfrids  tod  nicht 
leben  wollte,  so  ist  das  eine  gedankenlose  der  Situation  gar  nicht  ent- 
sprechende abstraction  aus  der  Sig.  sk.  Wie  nahe  Guör.  I  der  Sig.  yngri 
steht,  geht  daraus  hervor,  dass  von  der  Werbung  dieselbe  Vorstellung 
wie  hier  laut  wird,  nur  tritt  wie  in  der  Sig.  sk.  nicht  BuÖli  sondern 
Atli  auf;  str.  25.  26:  Atli  ist  an  allem  schuld,  —  natürlich  weil  er 
Brynhild  zu  der  ehe  genötigt  hat;  'diesen  gang  (den  Sigurbr  gieng,  also 
seinen  flamnienritt),  als  ich  in  der  hunnischen  halle  an  dem  fürsten  das 
gold  erblickte,  habe  ich  später  teuer  bezahlt'.  Der  Standpunkt  des  ge- 
dichtes  ist  ein  etwas  weiter  vorgeschrittener  als  der  derSig.  yngri;  ein  töd- 
licher hass  wider  SigurÖr  ist  das  treibende  motiv,  und  zugleich  ein 
tödlicher  hass  Avider  ihre  feindin  GuÖrün.  Dem  entspricht,  dass  die 
Sympathie  des  dichters  ganz  auf  GuÖrüns  seite  ist.  Die  harten  worte, 
die  Gullrond  an  Brynhild  richtet  (pjöhleih;  nr^r  e^lhiga;  vinspell  vifci 
mesi) ,  sind  dem  dichter  aus  dem  herzen  gesprochen. 

In  Br  II,  3.  4  kann  man  die  consequenteste  durchführung  des 
motivs  vom  gekränkten  hochmut  erwarten.  Hier  ist  von  einer  früheren 
bekanntschaft  mit  Sigfrid  nirgends  die  rede,  und  in  der  deutschen  ge- 
stalt  II,  4  fehlt  auch  jede  andeutung  davon,  dass  Sigfrid  der  für  Bryn- 
hild bestimmte  gemahl  war.  Daher  ist  die  ihr  zugefügte  beleidigung 
der  einzige  grund  ihres  zorns.  Freilich  zürnt  sie  mehr  über  die  be- 
schimpfung  durch  Gri'mhild  als  über  die  behandlung,  die  sie  bei  der 
wcibung  eifahron.  Aber  der  zorn  über  die  Vergewaltigung  müsste  sich 
eher  wider  ihren  mann  als  wider  Sigfrid  gerichtet  haben,  wie  wie  denn 
auch  schon  in  der  Sig.  yngri  ausätzen  zu  dieser  auffassung  begegnen.  Da 
nun  einmal  die  Überlieferung  den  Sigfrid  als  das  opfer  ihres  zorns  fiiUen 
liess,  erhob  die  dichtung  die  Schmähung  durch  Grimhild  zum  haupt- 
motiv.  So  in  der  Piörekssaga  und  namentlich  im  Nibelungenliede. 
T^etztore  quelle  hat  die  unwahrschoinlichkeit,  dass  die  schmährode  der 
gegnerin  sie  tiefer  trifft  als  ein  betrug,  der  für  ihr  ganzes  leben  ver- 


342  BOER 

hängnisvoll  geworden  ist,  dadurch  zu  beseitigen  versucht,  dass  sie  den 
Sigfrid  einen  reinigungseid  schwören  Jässt.  Demzufolge  konnte  Bryn- 
hild  glauben,  dass  Kriemhilt  nicht  die  Wahrheit  gesprochen,  und  nun  muss 
Sigfrid  als  ein  opfcr  für  Brynhilds,  zorn  gegen  Kriemhilt  fallen.  Des- 
halb ist  sie  auch  nach  Sigfrids  tod  unversöhnlich:  sivaX'  Krieml/iU  ge- 
weinte,  unmcere  was  ir  daz;  sine  wart  ir  rehter  triutven  nimmer 
me  bereit. 

Im  norden  entwickelt  II,  3  sich  auch  in  diesem  punkte  anders. 
Hier  war  die  Vorstellung,  dass  Brynhild  von  ihrer  liebe  getrieben  wurde, 
die  vorherrschende.  Und  die  Verbindung  mit  Brynhilds  Vorgeschichte, 
wo  sie  dem  Ö^in  schwört,  nur  dem  mann  anzugehören,  der  ihr  Fäfnis 
gold  bringen  würde,  lässt  SigurÖr  als  den  ihr  vorausbestimmten  bräu- 
tigam  erscheinen.  Also  siegt  hier  auch  in  dieser  jüngsten  sagenform  das 
motiv  der  liebe.  Und  es  treibt  hier  eine  seiner  schönsten  bluten.  Nicht 
weil  sie  früher  dem  SigurÖr  sich  verlobt  hat,  will  sie  jetzt  ihn  besitzen 
oder  sterben,  sondern  ihr  gefühl  wird  hier  zu  einer  ahnung,  einer  halb 
bewussten  liebe,  die  diu'ch  GuÖriins  Vorwurf  zur  vollen  entfaltüng  kommt. 
Nachdem  sie  in  Sigurör  ihren  erlöser  erkannt  hat,  kann  sie  ohne  ihn 
nicht  leben,  aber  mit  ihm  leben  kann  sie  auch  nicht;  ihr  bleibt  nur 
übrig  mit  ihm  zu  sterben.  Es  ist  die  frucht  einer  langen  entwicklung, 
die  in  der  HelreiÖ  vorliegt;  die  psychologische  tiefe  zeigt,  wie  umdeu- 
tungen  und  zutaten  eine  Überlieferung  nicht  zu  verderben  brauchen, 
sondern  im  geiste  begabter  dichter  zur  Vollendung  führen  können.  Zwar 
steht  die  ausführung  im  einzelnen  hinter  anderen  gedichten  wie  z.  b. 
der  Sig.  meiri  zurück,  aber  dass  die  conception  grossartig  ist,  muss  man 
dem  dichter  zu  ehren  anerkennen. 

§  19.    Atli.    BuÖli.    HeiAiir. 

Ursprünglich  hat  die  zu  erlösende  Jungfrau  weder  heimat  noch 
verwandte.  Sie  gehört  dem  märchen  an.  Aber  im  norden  ist  sie  zu 
einer  Schwester  des  Atli  geworden.  Das  ist  vielleicht  eine  abstraction 
daraus  dass  Gunnarr  und  Atli  Schwäger  sind.  Jedesfalls  gehört  der  zug 
zu  Br  II;  erst  ihre  Verbindung  mit  Gunnarr  ermöglicht  das  Verhältnis 
zu  Atli.  Sofern  nun  nicht  ihr  aufenthaltsort  auf  dem  berge  aus  Br  I 
in  Br  11  aufgenommen  ist,  befindet  Brynhild  sich  in  dem  schütz  ihres 
bruders,  an  seinem  hof.     So  zum  ersten  mal  in  der  Sig.  sk. 

Dass  Brynhild  bei  Buöli  sich  aufhält,  ist  jünger.  Das  ist  die 
folge  einer  genealogischen  speculation.  Der  angewiesene  aufenthaltsort 
einer  nicht  verheirateten  frau  ist  bei  ihrem  vater;  wenn  Brynhild  Atlis 
Schwester  war,  so  war  sie  BuÖlis  tochter.     Also  hält  sie  sich  bei  Buöli 


ITNTERSUOHUNGEN  VBER  PEN'  TRSPRUNG  UiVD  DIE  ENTWICKLtT.NG  DER  NIBELÜNGENSAGE       343 

auf.  Dass  die  Vorstellung  jünger  ist,  folgt  daraus,  dass  Atli  in  der  sage 
die  ursprüngliche  gestalt  ist;  von  anfang  weiss  diese  von  Botele  natür- 
lich nichts.  Es  ist  auch  nur  eine  quelle,  die  Brynhild  bei  Buöli  kennt, 
die  Sigur^arkvida  yngri.  Sie  ergtänzt  den  bericht  der  Sig.  sk.  mit  ihrem 
gelehrten  wissen.  Sogar  das  erste  Guörünlied,  das  dieselbe  auffassung 
von  Brynhilds  Charakter  wie  die  Sig.  yngri  hat,  ja  noch  einen  schritt 
weiter  geht  (s.  §  18),  behält  Atli  bei  und  nennt  BuÖli  nicht. 

Brynhilds  Verhältnis  zu  Hcimir  ist  anderer  art.  Wir  kennen  es 
aus  der  Sig.  meiri  und  der  davon  abhängigen  HelreiÖ.  Erst  die  spätere 
skandinavische  tradition  benutzt  ihn,  um  für  Äslaug  zu  sorgen;  dieser 
zug  trägt  zur  erklärung  seines  Verhältnisses  zu  Brynhild  nichts  bei. 

Brynhild  hält  sich  in  Heimirs  nähe  auf,  als  die  freier  kommen, 
aber  nicht  nur  damals,  sondern  auch  bei  SigurÖs  erstem  besuch.  Das 
zeigt,  dass  die  gestalt  nicht  zu  Br  II,  sondern  zu  Br  I  gehört.  Heimir 
ist  weder  ihr  vater,  noch  ihr  bruder,  noch  ihr  patron;  zwar  redet 
Helrei^  und  dann  auch  die  VQlsungasaga  von  ihrem  föstri ,  aber  das 
ist  ein  versuch  einem  unverstandenen  Verhältnis  ausdruck  zu  geben. 
Tatsächlich  hat  Heimir  über  Brynhild  nichts  zu  gebieten.  Sigfrid  be- 
sucht sie,  ohne  dafür  seine  erlaubnis  erlangt  zu  haben;  die  brüder 
bekommen  von  ihm  eine  anweisung,  wo  sie  sich  aufhält,  aber  er  selbst 
lässt  sich,  abweichend  von  k{\\  und  BuSli,  auf  die  sache  nicht  ein. 

Heimir  ist  keine  skandinavische  gestalt.  Die  Sig.  meiri  beruht  auf 
niederdeutschen  quellen,  und  in  Norddeutschland  war  Heimir  ein  be- 
liebter held ;  dafür  legt  die  t^iörekssaga  zeugnis  ab.  Es  sind  also  gründe 
zu  der  annähme  vorhanden,  dass  Brynhilds  Verhältnis  zu  Heimir  in 
Norddeutschland  entstanden  ist. 

Übersieht  man  alle  erzählungen,  die  die  sage  von  Heimir  mit- 
teilt, so  ist  nur  eine  anknüpfung  möglich.  Heimir  ist  Studas'  söhn  und 
dieser  besitzt  ein  gestüt.  Heimir  verhilft  T^iörekr  zu  einem  pferde, 
und  auch  die  anderen  berühmten  rosse  der  saga  stammen  aus  Studas' 
gestüt.  Wenn  Heimir  für  einen  bcsitzer  guter  pferde  galt,  so  konnte 
die  Vorstellung  entstehen,  dass  auch  Grani  aus  seinem  stall  stammte. 
Wir  finden  diesen  gedanken  in-  der  saga  mehrfach  ausgesprochen,  am 
deutlichsten  c.  190.  Da  SigurSr  in  der  saga  zu  fuss  Mimir  verlässt 
und  dann  zu  Brynhild  kommt,  so  folgt  daraus,  dass  er  ohne  pferd  die 
fahrt  nach  Brynhilds  bürg  unternimmt.  Es  lag  nahe,  dass  die  tradition 
einen  besuch  bei  Heimir  einschaltete,  wo  der  held  ein  pferd  bekommen 
konnte,  und  zwar  das  bestimmte  pferd,  auf  dem  es  möglich  war,  Brynhild 
zu  erreichen.  So  entstand  eine  Verbindung  zwischen  Brynhild  und  Heimir. 
Heimir  besitzt  das  zauberross,  mit  dessen  hilfe  Brynliild  erreicht  worden 


344  noER 

kann,!.  Dass  dies  die  richtige  Vorstellung  ist,  zeigt  c.  18.  Das  gestüt, 
dessen  aufseher  Studas  ist,  gehört  der  Brynhild.  Also:  Heimir  wohnt 
in  Brynhilds  nähe,  und  mit  seiner  hilfe  ist  Brynhild  zu  erreichen.  Das 
ist  auch  alles,  was  die  Sig.  meiri  von  ihm  weiss. 

Aber  in  der  darstellung  der  Piörekssaga  (c.  168)  ist  die  erzählung 
aus  dem  geleise  geraten.  Der  sinn  der  geschichte  ist  durch  die  wunder- 
liche cntstellung  des  namentabumotivs  verloren  gegangen.  Der  Ver- 
fasser legt  ihr  die  neue  bedeutung  unter,  dass  SigurSr  bei  Brynhild  ein 
pferd  holt.  Denn  dass  er  eines  besonderen  pferdes  bedürfen  würde,  um 
zu  ihr  zu  gelangen,  wenn  er  bei  ihr  nichts  zu  tun  hatte,  das  konnte 
der  Sagaschreiber  nicht  glauben.  Aber  auf  seiner  weiteren  reise  bedarf 
er  eines  pferdes,  und  die  tradition  erzählte  in  diesem  Zusammenhang 
von  der  erwerbung  eines  solchen.  Der  sagaschreiber  kehrte  nun  die  ge- 
schichte um  und  Hess  Sigurör  erst  zu  Brynhild  kommen  und  dann 
von  ihr  das  pferd  erlangen.  So  verschwand  Heimir  aus  dieser  erzäh- 
lung. Aber  das  Grani  ein  pferd  aus  Heimirs  gestüt  ist,  zeigt  docii 
sowol  c.  190  wie  c.  18.  Das  richtige  Verhältnis  der  Brynhild  zu  Heimir 
wird  ferner  durch  die  Sig.  meiri  klargelegt.  Nur  hat  diese  quelle,  soweit 
wir  sehen,  die  erwerbung  des  pferdes  fallen  lassen.  Doch  können 
wir  das  nicht  sicher  wissen,  da  die  erwerbung  des  pferdes  in  der 
Vglsungasaga  nach  einer  anderen  —  nordischen  —  quelle  erzählt 
worden  ist. 

Heimir  ist  also  nicht  eine  dem  Atli  und  BuÖli  parallele  gestalt; 
er  gehört  zu  Br  I  und  ist  mit  anderen  zügen  aus  Br.  I  in  Br  II  über- 
tragen; die  beiden  anderen  gehören  ausschliesslich  Br  II  an. 

§  20.     Die  identificierung  der  Brynhild  mit  Grimhild. 

Neben  der  umdeutung  der  Brynhildsage  gab  es  ein  anderes  mittel, 
das  rätsei  der  zwei  zu  Sigfrid  in  beziehung  stehenden  trauen  zu  lösen. 
Dieses  mittel  war,  dass  man  die  beiden  frauen  identificierte.  Eine  auf 
diese  weise  entstandene  sagenform  scheint  in  zwei  quellen  vorzuliegen. 
Am  deutlichsten  redet  das  Sigfridslied.  Der  holt  erlöst  Kriemhilt  aus 
der  macht  eines  drachen,  darauf  heiratet  er  sie,  wird  aber  später  von 
seinen  Schwägern  aus  missguust  umgebracht.  Dass  dieser  drache  zu- 
gleich die  Verzauberung  und  die  sich  dem  beiden  in  den  weg  stellenden 
hindernisse  der  Varianten  vertritt,  wurde  schon  bemerkt.  Also  ist  hier 
Brynhild  =  Kriemhilt.  Und  hier  fehlen  auch  ganz  folgerichtig  die  Wer- 
bung für  den  könig  und  Brynhilds  räche,  und   dementsprechend  tritt 

1)  Vgl.  §  36. 


TTNTERSUCHUXGEN  ÜBER  DEN  IIRSPKUNli   VNI)  DIE  ENTWICKLUNG  DER  NIBELÜNGENSÄGE        345 

das  alte  motiv  für  Sigfrids  tod ,  die  habsiicht,  wofür  'missgunst'  nur  ein 
anderer  ausdriick  ist,  wider  hervor. 

Der  wert,  der  dem  Sigfridsliede  als  quelle  zukommt,  wird  sehr 
verschieden  angeschlagen,  aber  das  lied  enthält  manchen  alten  zug,  und 
wo  es  durch  andere  quellen  gestützt  wird,  verdient  es  vertrauen.  Nun 
glaube  ich,  dass  dieselbe  anschauung  einer  Eddastelle  zu  gründe  liegt, 
die  schon  viele  deutungen,  aber  bis  jetzt  keine  befriedigende,  erfahren 
hat,  nämlich  Fäfu.  40  —  46.  Wir  sind  hier  im  gebiete  der  Sigrdrifa- 
sage  also  von  Br  I.  Fäfnir  wurde  erlegt;  der  vogel  rät  dem  beiden 
nach  Hindarfjall  zu  reiten;  str.  42  —  44  handeln  unzweideutig  von 
dem  folgenden  abonteuer  und  nennen  auch  8igrdrifa.  Ebenso  unzwei- 
deutig aber  redet  str.  41  von  Gjükis  tochter.  Die  interpretatoren  gehen 
zwei  wege;  entweder  glauben  sie,  der  vogcl  rede  ganz  wirres  zeug,  in- 
dem er  mit  absoluter  willkürlichkeit  von  der  einen  frau  auf  die  andere 
übergehe  oder  sogar  Sigrdrifa  nur  erwähne,  um  den  beiden  vor  ihr 
zu  warnen,  oder  sie  nehmen  eine  Interpolation  au  und  streichen  str.  41. 
Dieser  ansieht  habe  ich  mich  früiier  (Ztschr.  85,  305  fgg.)  angeschlossen. 
Aber  es  bleibt  doch  die  frage,  ob  man  41  von  40  trennen  darf,  und 
40  ist  im  gegebenen  Zusammenhang  unentbehrlich. 

Ich  glaube  jetzt,  dass  man  41  nicht  zu  streichen  braucht,  sondern 
dass  die  Strophe  eine  eigentümliche  sagenauffassung  bezeugt.  Sie  scheint 
eine  reminiscenz  an  eine  identification  von  Sigrdrifa- Ery nhild  mit 
Guörün-Grimhild  zu  sein,  wie  sie  auch  im  Sigfridsliede  vorliegt  und 
wie  sie  sich  neben  der  officiellen,  die  SigurÖr  für  Günther  werben  lässt, 
nur  in  der  sagenform  Br  I  erhalten  konnte.  Zwar  ist  in  unserem  liede 
die  identification  nicht  sehr  consequent  durchgeführt;  str.  41  heisst  es: 
par  (bei  Gjüki)  keßr  dyrr  konungr  döttur  alna;  Sigurör  wird  sie  mundi 
kdupa;  str.  42  aber  liegt  sie  als  walküre  in  einem  flammenwall,  von 
<.)Mnn  in  einen  zauberschlaf  versenkt.  Aber  das  ist  leicht  zu  verstehen. 
Der  dichter  von  Fäfnismäl  kannte  nicht  nur  diese  eine  tradition;  schon 
dass  er  Gudrun  Gjükis  tochter  nennt,  zeigt,  dass  ihm  wie  natürlich 
auch  Br  11  bekannt  war.  Er  wusste  selir  gut,  dass  Gudrun  auf  eine 
friedlichere  weise  als  Brj^nhild  g;ewonnen  wurde,  und  wo  er  von  GuÖnin 
redet,  wendet  er  unwillkürlich  auch  die  für  sie  passende  phraseologie 
an.  Aber  die  tatsache  bleibt  bestehen,  dass  er  sie  deutlich  nennt,  und  das 
an  einer  stelle,  wo  nur  von  der  erlösten  Jungfrau  die  rede  sein  kann. 
Zieht  man  nun  in  betracht,  dass  hier  Br  I  vorliegt,  wo  SigurÖ  die 
Jungfrau  für  sich,  nicht  für  den  könig  gewinnt,  ferner  dass  unser 
dichter  auch  gewusst  hat,  dass  Sigur^s  frau  Gjükis  tochter  GuÖrün  war, 
so  gewinnt  die  auffassung  an  Wahrscheinlichkeit,  dass  der  dichter  von 


346  BOEK 

Fäfn.  40  —  46  im  anschluss  an  eine  bestehende  im  Sigfridsliede  bezeugte 
auffassung  einen  freilich  nicht  ganz  gelungenen  versuch  gemacht  hat, 
die  erlöste  Jungfrau  als  Gjükis  tochter  hinzustellen.  So  stützen  unsere 
stelle  und  das  Sigfridsliod  einander. 

Dass  andererseits  die  Identität  der  erlösten  Jungfrau  mit  Brynhild 
auch  zu  dieser  zeit  und  später  noch  richtig  gefühlt  wurde,  zeigt  die  HelreiÖ, 
welche  die  geschichte  vonHjjümgunarr  und  Agnarr  in  Verbindung  mit  Bryn- 
hild erzählt. 

§  21,    Sigfrids  tod  und  Grimhilds  räche. 

C.  347  f.  der  I^iörekssaga  erzählt,  dass  Sigfrid  draussßn  im  freien 
ermordet  wird.  Darauf  führt  man  die  leiche  heim  und  wirft  sie  zu 
Grimhild  ins  bett.  Man  hält  die  Vorstellung  gewöhnlich  entweder  für 
eine  combination  oder  für  eine  übergangsform  von  der  süddeutschen 
Vorstellung,  dass  der  held  draussen,  zu  der  der  Sig.  sk.,  dass  er  im 
bette  ermordet  wird.  Aber  dieselbe  scheinbare  combination  liegt  auch 
im  Nibelungenliede  vor,  nur  gemildert,  wie  die  ganze  darstellung  des 
Nibelungenliedes.  Man  führt  die  leiche  heim  und  legt  sie  vor  den 
eingang  zu  Kriemhilts  kemenate.  Und  der  Edda,  die  die  combination 
der  motive  nicht  kennt,  ist  jedes  für  sich  doch  bekannt.  Die  Guörün- 
arkviöa  II  lässt  SigurSr  auf  dem  woge  zum  |)ing  ermordet  werden, 
eine  offenbar  jüngere  Variante  zu  der  crmordung  im  freien,  die  auch 
Brot  kennt.  Wenn  nun  die  darstellung  der  I^S  eine  combination  ist, 
—  von  einer  übergangsform  kann  gar  nicht  die  rede  sein  —  so  müssen 
beide  auffassungen  von  anfang  an  nebeneinander  bestanden  haben,  und 
die  combination  muss  die  ganze  deutsche  tradition  beherrschen.  Aber 
ein  anlass  zu  dieser  Verbindung  ist  nicht  ersichtlich.  Hingegen  lässt 
sich  die  alte  Verbindung  beider  motive  verstehen.  Es  ist  eine  grausam- 
keit  Hagens  gegen  Grimhild.  Und  diese  ist  widerum  aus  einem  rück- 
schluss  entstanden.  Da  Grimhild  so  wütend  wider  Hagen  tobt,  muss 
seine  schuld  wol  eine  grosse  sein;  so  entsteht  die  Vorstellung  einer  alten 
feindschaft  zwischen  Hagen  und  Grimhild.  Diese  kommt  auch  im  Nibe- 
lungenliede oft  zum  ausdruck.  Sie  ist  eine  folge  der  sagenauffassung, 
die  Grimhild  Sigfrid  an  Hagen  rächen  lässt.  Die  Vorstellung  der  &S 
von  Sigfrids  tod  ist  also  durchaus  sagengemäss:  Brot  4  und  Gu(Sr.  H 
haben  die  scene  im  schlafgemach  fiillen  lassen,  die  Sig.  sk.  hat  die 
ermordung  draussen  aufgegeben  aber  behält  den  zug  bei,  dass  Gu^rnn 
erschreckt  neben  ihrem  ermordeten  gatten  aufwacht.  Über  die  auffas- 
sung der  Sig.  yngri  s.  §  22. 

Was  Grimhilds  räche  betrifft,  so  ist  allerdings  die  ältere  auffassung 
die,  dass  sie  ihren  bruder  an  ihrem   gatten  rächt.     Ich  glaube    zwar 


irSTERSUCHUNGEN^  ÜBER  DEN  URSPRITNG  UND  DIE  ENTWICKLUNG  DER  NnBEL("NGENSAGE        347 

nicht,  dass  die  erzählung  von  Attillas  tod  an  der  seite  der  Ildico  das 
beweisen  kann,  denn  diese  anknüpfung  ist,  soweit  sie  überhaupt  vor- 
handen ist,  jung.  Aber  dass  diese  auffassung  älter  als  die  räche  an 
den  brüdern  ist,  geht  aus  folgenden  umständen  hervor: 

1.  die  Vorstellung,  dass  Gri'mhild  Hagen  an  Attila  rächt,  kann 
nicht  secundär  aus  der  anderen,  dass  sie  Higfrid  an  Hagen  rächt,  ent- 
standen sein.  Denn  Grimhild  hatte  so  guten  grund,  den  mörder  ihres 
mannes  zu  hassen,  dass  sie  allerdings  in  einer  tradition  Hagens  rächcrin 
bleiben  konnte,  wenn  sie  das  einmal  war,  aber  nicht  dazu  werden 
konnte,  wenn  sie  früher  seine  mörderin  war; 

2.  weil  aus  den  alten  Varianten,  Finnsage  und  Öigmundsage,  hervor- 
geht, dass  Attila,  nicht  Grimhild,  ursprünglich  an  Sigfrids  tod  schuld 
war,  und  aus  der  Sigmundsage  zugleich,  dass  Grimhild  den  bruder  rächte. 

Aber  die  entgegengesetzte  auffassung  ist  doch  älter,  als  man  ge- 
wöhnlich annimmt.  In  der  ältesten  altnordischen  poesie  —  den  alten 
Brotstrophen  —  ist  sie  angedeutet,  sie  kommt  aber  im  norden  nicht  zur 
entfaltung.  Sie  muss  jedoch  älter  sein  als  Brynhilds  räche  an  Sigfrid. 
Denn  sie  setzt  die  besonders  feindselige  Stimmung  der  Grimhild  gegen- 
über Hagen,  von  der  oben  die  rede  war,  voraus,  und  diese  konnte 
sich  nur  in  der  alten  Hagensage  entwickeln,  in  der  Hagen  allein  an 
Sigfrids  tod  schuld  war.  Nach  der  entwicklung  der  Brynhildsage  war 
Günther  Avenigstens  im  gleichen  grade  schuldig  wie  Hagen;  ein  alter 
hass  zwischen  Hagen  und  Grimhild  konnte,  wenn  er  zu  der  Über- 
lieferung gehörte,  bestehen  bleiben,  aber  für  die  entstehung  dieses  motivs 
fehlte  von  nun  au  die  Voraussetzung.  Also  ist  Grirahilds  räche  an 
Hagen  älter  als  die  aufnähme  oder  wenigstens  als  die  ausbildung  der 
Burgundersage  und  der  dadurch  bedingten  Br.  H. 

Grimhilds  räche  an  Attila  ist  wie  gesagt  noch  ein  stück  älter. 
Sie  muss  sogar  älter  sein  als  die  Verdoppelung  der  sage  vom  schwager- 
mord.  Denn  sie  setzt  ein  freundschaftliches  Verhältnis  zwischen  Grim- 
hild und  Hagen  voraus.  Auch  das  wird  durch  die  Varianten,  nament- 
lich durch  die  Sigmundsage  bestätigt.  Denn  diese  kennt  die  räche  der 
Schwester  an  dem  gatten,  nicht  aber  die  Verdoppelung  des  motivs  vom 
schwagermord  ^ 

Die  Chronologie  für  die  entwicklung  dieser  motive  ist  demnach: 
1.  Hagens  feindschaft  mit  Attila;  2.  räche  durch  Grimhild;  3.  Verdoppe- 
lung des   motivs  1    (Sigfrids  tod);    4.   Grimhild   rächt   Sigfrid   (2   bleibt 

1)  Von  den  drei  oben  s.  298  z.  22  fg.  angenommenen  möglichkeiten  ist  also  die 
dritte  als  richtig  anzuerkennen. 


348  HEFNER 

neben  4  bestehen,  2  im  norden,  4  im  süden,  4  ist  jedoch  in  spuren 
auch  im  norden  bewahrt);  5.  tödlicher  hass  zwischen  Hagen  und  Grim- 
hild  schon  vor  Sigfrids  crmordung  (gleichfalls  spuren  im  norden,  s.  301 
anm.  1;  302  anm.  1);  6.  entstehung  von  Br  II,  in  der  Günther  mit- 
schuldig ist,  unter  dem  einfluss  der  aufnähme  der  Burgunder.  Die  räche 
trifft  auch  Günther.  (Fortsetzung  folgt.) 

AMSTERDAM.  R.  C.  BOER. 


DIE.  OCHSENFUETEE   FEAGMENTE   DEE   ALEXANDEEIS 
DES  ULEICH  VON  ESCHENBACH. 

Am  14.  märz  dieses  jahrcs  untersuchte  ich  eine  handschrift  des 
Ochsenfurter  Stadtarchivs.  Die  handschrift  besteht  aus  233  papier- 
blättern in  der  grosse  von  20  ><  31  cm^.  Als  die  zwei  zusammen- 
geklebten pergamentblätter,  die  bisher  den  einband"  der  handschrift 
bildeten,  abgelöst  waren,  fanden  sich  auf  dem  rücken  des  manuscriptes 
drei  fragmente  eines  mittelhochdeutschen  heldengedichtes.  Die  zierlich - 
kleine,  sehr  sorgfältige  schritt  gehört  dem  ausgehenden  13.  Jahrhundert- 
an.  Zwei  bruchstücke  sind  vorzüglich  erhalten  und  gehören  auch  test- 
lich zusammen,  weshalb  ich  sie  kurzweg  als  Ochsenfurter  fragment  1 
bezeichne.  Auf  fragment  2  sind  die  verse  nur  teilweise  lesbar.  Die 
bruchstücke  stammen  aus  einer  pergament- handschrift,  deren  blätter 
etwa  19  —  21  cm  breit  und  27  —  29  cm  hoch  waren.  Jede  seite  war 
zweispaltig,  in  jeder  spalte  standen  54  verse.  Die  columnenbreite  be- 
trägt 5,5  cm,  der  abstand  einer  zeile  von  der  anderen  3,5  mm.  Die 
verse  der  Ochsenfurter  fragmente  sind  identisch  mit  folgenden  versen  der 
Alexanderdichtung  des  Ulrich  von  Eschenbach  nach  "W.  Toischers  ausgäbe 
(Bibliothek  des  litterarischen  Vereins  in  Stuttgart  183,  Tübingen  1888): 
Ochsenfurter  fragment  1'  =  v.  3470  —  3495; 

„  „         2-  =v.  3535  — 3547; 

„  „  2^  =  V.  3589  — 3601; 

„  „  1^^  =  V.  3632  — 3657;  • 

Das  pergamentblatt,  aus  dem  die  Ochsenfurter  fragmente  heraus- 
geschnitten wurden,  begann  also  mit  vers  3456  und  endete  mit  vers 
36713. 

1)  Sie  enthält  eintrage  des  Ochsenfurter  Stadtgerichtes  von  1572  —  81. 

2)  Zu  der  form  örsch  (für  ors)  3490.  3590.  3594  vgl.  Boitr.  17,  256. 

3)  Es  sei  mir  gestattet,  eine  Vermutung  auszusprechen.  Die  Kleinheutjacher 
papierhandschrift  des  15.  Jahrhunderts  (a)  geht  direct  auf  das  original  {A)  zurück  und 


OCHSENFUHTER    FRAGMENTE  349 

Die  handschrift  scheint  nur  wenig  oder  gar  nicht  mit  initialen  und 
dergl.  verziert  gewesen  zu  sein.  Bei  den  versanfängen  sind  hie  und  da 
grosse  anfangsbuchstaben  gebraucht;  der  beginn  eines  abschnittes  ist  durch 
einen  grösseren,  roten  bucdistaben  kenntlich  gemacht.  Kürzungen  sind 
nicht  angewendet  worden.  Den  text  gebe  ich  ganz  genau  nach  der  in 
den  bruchstücken  vorkommenden  Schreibweise  wider.  Verse,  resp.  Wörter, 
die  nur  mit  hilie  der  ausgäbe  Toischers  identificiert  werden  können, 
habe  ich  cursiv  drucken  hissen.  Dem  texte  der  fragmente  stelle  ich 
den  text  Toischers  gegenüber,  damit  ein  überblick  über  die  Varianten 
leicht  möglich  ist: 

war  nach  Toischer  (a.  a.  o.  s.  V)  für  einen  grafeu  von  Eberstein  geschrieben;  alle  anderen 
handschriften  aber  „sind  durch  ein  medium  gegangen"  (Toischer  s.  XVll).  Dieser 
umstand  lässt  an  die  müglichkeit  denken,  dass  auch  die  Urschrift  im  besitze  der 
faniilie  von  Eberstein  war.  Es  fragt  sich  jetzt  nur:  war  vielleicht  a  für  ein  glied 
des  fränkischen  geschlechtes  von  Eberstein  statt,  wie  Toischer  angibt,  für  einen 
schwäbischen  grafeu  von  Eberstein  geschrieben  (L.  F.  von  Eberstein,  Urkundliche 
geschichte  des  reichsritterlichen  geschlechtes  Eberstein  P  [Berlin  1889],  s.  9),  resp. 
waren  die  heiTeu  von  Eberstein  im  13.  Jahrhundert  noch  ein  zusammengehöriges  ge- 
schlecht, das  sich  erst  später  in  mehrere  linien  spaltete'?  Für  die  mitte  des  13.  Jahr- 
hunderts ist  auch  ein  fränkischer  ritter  namens  Otto  von  Eberstein  nachweisbar  (L.  F. 
von  Eberstein  a.  a.  0.  s.  39).  Ein  söhn  dieses  ritters,  Eberhard  von  Eberstein,  wurde 
im  jähre  12(;G  domherr  in  Würzburg,  resignierte  aber  wider  1271  (Amrhein,  Reihen- 
folge der  mitgiieder  des  adeligen  domstiftes  zu  AVürzburg  im  Ai'chiv  d.  histor.  Vereins 
V.  Unterfr.  u.  Aschaffenburg,  bd.  32,  s.  150).  In  der  gleichen  zeit  war  Friedrich  II. 
von  Walchen  erzbischof  von  Salzburg  (1270  —  84),  an  dessen  hofe  Ulricli  von  Eschen- 
bach lange  zeit  lebte.  Der  Salzburger  erzbischof,  der  die  Alexanderdichtung  ver- 
anlasst hatte,  dürfte  darum  auch  vom  dichte)'  die  Urschrift  wenigstens  der  ersten 
bücher  erhalten  haben  (Piper,  Höfische  epik  3,  40 f gg.).  Bestanden  nun  damals  schon 
oder  später  verwandtschaftliche  beziehungen  zwischen  den  l'amilien  von  Walehen  und 
von  Eberstein  und  begab  sich  vielleicht  Eberhard  von  Eberstein  im  jähre  1271  von 
Würzburg  nach  Salzburg?  In  diesem  falle  könnte  er,  resp.  sein  geschlecht,  in  den 
be.sitz  der  abschrift  gekommen  sein.  Im  14.  und  15.  Jahrhundert  waren  noch  ver- 
schiedene Eberstein  domherren  in  Würzburg:  Heinrich  v.  E.  1351  —  53,  Engelhard 
V.  E.  1409  —  22,  Konrad  v.  E.  1420,  Theodorich  v.  E.  1428,  Vitus  v.  E.  1475  (Am- 
rhein a.  a.  0.,  s.  215,  254,  2G1,  266,  277).  Die  stadt  Ochsenfurt  gehörte  seit  dem 
Jahre  1295  dem  Würzburger  domcapitel,  und  die  domherren  weilten  oft,  nament- 
lich während  der  Sommermonate,  in  der  Stadt.  Es  ist  also  die  möglichkeit 
nicht  ausgeschlossen,  dass  die  Ochseufurter  fragmente  direct  aus  der 
'iriginal  -  handschrift  abzuleiten  sind.  Für  die.so  möglichkeit  spricht  auch 
einigermassen  der  umstand,  dass  in  der  urschrift  wahrscheinlich  genau  die  gleiche 
auzahl  von  versen  in  jeder  spalte  stand  wie  in  den  Ochseufurter  bruchstücken, 
nämlich  54  (Toischer  s.  VI),  und  da-ss  die  Ochseufurter  fragmente  noch  dem 
13.  Jahrhundert  angehören.  Doch  ist  zu  bemerken,  dass  auch  das  fragment  w 
I Toischer  s.  VII  fg.)  aus  Würzburg  stammt  und  noch  dem  13.  Jahrhundert  zugewiesen 
wurde. 


350 


Toischer.  Ochsenfurter  fragment  1"^. 

des  ricliem  küuge  gezani.  dex  richem  kunige  gexam. 

3470  do  man  die  tischlachen  abe  nam,  da  man  div  tyschlachen  abe  nam, 

jene  des  gewuogen  Jene  des  gewügen 

die  die  tambüre  dO  sluogen,  die  di  tamburen  clfigen, 

die  huoben  sich  für  die  gezelt  die  hflben  sich  für  div  gezelt 

vaste  gegen  der  stat  ßf  daz  velt.  vaste  gein  der  stat  vf  daz  velt. 

3475  sie  machten  also  grozen  schal,  Si  machten  also  grozen  schal, 

der  lüte  in  die  stat  bal,  der  lute  in  die  stat  hal, 

flöutaere,  videlaere,  floitiere,  videlaer, 

als  da  ein  hochzit  waere.  als  da  ein  hochgezit  waer. 

die  innern  sere  des  verdroz  die  Innern  dez  sere  verdroz 

348Ö  daz  dirre  hochvart  was  so  groz  daz  dirre  hochuai't  was  so  groz 

■  und  daz  sie  so  lange  da  beliben.  vnd  daz  si  so  lange  da  belibeu. 
nach  ezzen  den  äbent  sie  vertriben       Nach  ezzen  den  abent  si  vertriben 

mit  riten  üf  dem  plange.  Mit  riten  vf  dem  plange. 

sie  huoben  schal  mit  sänge  Si  hfiben  schal  mit  sänge 

3485  und  begunden  kurzewile  vil  vnd  begunden  han  kürtzwile  vil 

mit  manger  hande  fröidenspil,  Mit  maniger  hande  fraeudenspil, 

des  erdähte  Alexander,  des  erdaht  alexander, 

hie  ein  storje,  dort  die  ander,  hie  ein  storie,  dort  ein  ander, 

die  sich  sere  wurren.  die  sich  sere  wurren. 

3490  ir  vrechen  ors  die  kurren.  Ir  frechiv  orsch  div  knurren, 

dirre  viel,  jener  besaz,  dirre  viel,  iener  besaz, 

dirre  hurte  vürbaz,  dirre  hurte  furbaz, 

jener  üf  sitzens  phlac,  Iener  vf  sitzens  pflac, 

dirre  üf  dem  anger  lac:  dirre  vf  dem  anger  lac: 

3495  also  sich  die  jungen  also  sich  die  iungen 

üf  der  plante  drungen.  vf  der  flanie  drungen. 

Ochsenfurter   fragment  2'". 

3535  des  morgens  do  der  tac  erschein,  tac  erschein, 

die  innern  waren  worden  in  ein  orden  inein 

daz  sie  des  geruochten,  u, 

vür  die  stat  sie  suochten.  ten. 

sie  heten  eine  schoene  schar.  e  schar. 

3540  die  üzern  wurden  des  gewar,  des  gewar 

in  der  burger  banier  gesniten  was  ier  gesniten  was 

die  gottinne  Pallas,  

die  in  vil  hochverte  schuof.  e  schuf. 

der  name  in  strite  was  ir  ruof.  was  ir  ruf. 

3545  Cycropides  niht  beiten,  eiten, 

zehant  sie  sich  bereiten.  en. 

dise  wären  von  der  stat  nü  komen stat  uu  komen. 

Ochsenfurter   fragment  2". 

von  der  tjost  daz  geschach,  von  der  thost  daz  gescha  .  ., 
3590  hinder  dem  orse  man  in  ligen  sach.       hinder  dem  orsch  mau  in  .  .  . 


OCHSF.XFIIRTKR    FRAGMENTE 


351 


nilit  lange  er  doch  da  nider  lac. 
der  fürste  soliclier  snelheit  phlae, 
daz  er  äii  des  burgraven  dane 
sich  wider  uf  daz  ors  swauc. 

3595  da  mite  sie  fiiorten  beide  swert. 
von  Atbeniä  den  herreu  wert 
brähte  der  fürste  iu  sorgen, 
sie  begunden  einander  borgen 
siege  und  gelten  uugezalt. 

3600 der  burgräve  des  füisten  kraft  engalt: 
er  het  im  na  vergolten 


mit  helme  suochon  iu  dem  aeker. 

Cycropides  warn  wackei'. 

sie  brahteu  Thebaner  in  uot 

und  frumten  ir  mangeu  vor  in  tut. 
3635  man  sach  die  uuwiseu 

vor  den  frechen  risen, 

als  ob  zitige  birn 

durch  schür  von  dem  boume  rirn. 

die  stat  dO  volkes  vil  verlGs. 
3640  der  künec  do  kleinen  schaden  kos. 

waz  liute  do  lebendic  was  beliben, 

die  wurden  in  die  stat  getriben. 

nach  den  man  nider  liez  die  tor. 

ob  ir  deheiner  bleip  da  vor, 
3645  der  muoste  Iiden  die  selben  uut, 

die  man  e  sinen  geverten  bot. 
Nu  wären  tüsent  wol  bereit, 

die  sich  durch  stürm  heten  geleit 

au  die  stat  vür  Thebas, 
3650  die  des  iibendes  verspehet  was. 

die  fuozgenger  kämen, 

daz  hai'nasch  sie  nämen 

von  den,  die  den  lip  da  verlurn 

und  ritterlichez  ende  kurn: 
3655  daz  harnasch  den  povel  fröut. 

da  lac  der  werden  gnuoc  geströut, 

die  von  süezenwibcn  wurden  beweinet, 


Nicht  lange  er  doch  da  ...  . 
der  fürste  sülhev  snelheit  .  .  .  ., 
daz  er  an  des  burchgrave  .... 
sich  ivider  vf  daz  orsch  .... 
da  mit  si  fürten  beide  .... 
von  athenis  den  herren  .... 
Braht  der  fürste  in  sorg  .... 
Si  begunden  ein  ander  .... 
Siege  vud  gelten  vnge  .... 
der  burgrafe  dez  fürste  .... 
Er  hete  nach  vergolten. 

Ochsenfurter  fragment   1"". 
mit  heim  suchen   in  dein  aeker. 
Cycropides  warn  wacker. 
Si  brahteu  Thebaner  in  not 
vnd  fnimten  ir  mauigeu  vor  in  tot. 
Man  sach  die  vnwisen 
vor  den  frechen  risen, 
als  ob  zitige  birn 
von  schür  ab  den  bavmen  rirn. 
div  stat  da  volkes  vil  verlos, 
der  künic  deinen  schaden  kos. 
was  lüte  da  lebendic  was  beliben^ 
die  wurden  in  die  stat  getriben. 
Nach  den  man  liez  nider  div  tor. 
Ob  ir  cheiner  beleip  da  vor, 
der  mäste  Iiden  die  selben  not, 
die  man  e  sinen  geuerten  bot. 
Nv  waren  tusent  wol  bereit, 
die  sich  durch  stürm  heten  geleit 
an  die  stat  vor  Thebas, 
div  des  abends  versperret  was. 
die  fnzgeer  kamen*, 
daz  harnasch  si  namen 
von  den,  die  den  lip  da  verlurn 
vud  rihtecliches  ende  kurn: 
daz  harnasch  den  bovel  fraeut. 
da  lac  der  tverden  gnüc  gestraeut, 
die  von  frawen  wurden  beweint, 


1)  Im  orig.  e  corrig.  aus  a;  das  a  durch  einen  punkt  getilgt. 
OCHSENFURT.  JOSEPH    HEFNER. 


352  STOLZBNB0RQ 

DIE  ÜBEESETZUNGSTECHNIK  DES  WÜLFJLA 

untersucht 
auf  grund   der    bibelfragraente   des   Codex   argeuteus. 

(Schluss.) 

Capitel   TIT. 
Stilistische  abneichungeii. 

1.  teil. 

Stilistische  abweichungen  in  bezug  auf  das  einzelne  wort  ohne  riicksicht  auf  seine 
syntaktische  funotion  im  satze. 

T.  Eine  gr.  Wortklasse  wird  durcli  eine  abweichende  gotische  ersetzt. 

Sehr  oft  wird  gr.  adjectivum  durch  got.  participium  gegeben: 
Mt.  VIT,  15  wilivands,  aQ/ca^.  Mc.  IX,  25  unrodjands,  älaXog.  Mt. 
XXVII,  16  gatarhips,  €7tioii^f.iog  u.  ö.  (vgl.  Gering,  Zeitschr.  5,  303). 
Oder  es  gibt  umgekehrt  ein  got.  adjectiv  gr.  participium  wider:  Mt.  V,  22 
modags,  uQyitöf^tevog.  Mt.  IX,  12  hails,  loyrvcov  u.  ö.  (vgl.  Gering,  Zeit- 
schrift 5,  301   und  Trautmanu,  Zeitschr.  37,  253). 

Substantiva  treten  im  got.  an  die  stelle  gr.  participia:  Mt.  VTII,  16 
daimonareis,  daij.ioviC.6f.iBvog,.  Lc.  11,27  biuhti,  rb  el&iOf.ih'ov.  Mt.  TX, 
18  reiks,  ccQxiov. 

Anch  das  umgekehrte  kommt  vor:  Mt.  XT,  12  daupjands ,  ßa/t- 
Tiov/jg.  Lc.  VI,1G  gcdewjands,  ycQodovr^g  u.a.;  (vgl.  Gering,  Zeitschrift 
5,  303 fg.). 

So  tritt  auch  got.  Substantiv  für  gr.  infinitiv  ein  und  umge- 
kehrt steht  got.  infinitiv  für  gr.  Substantiv:  Lc.  VTI,21  sinns,  ßliyten: 
Lc.  VIII,  55  mats,  cpayelv,  und  daneben  Lc.  V,  4  dti  fiskon,  elg  liyQav. 
J.  XII,  13  wipra  gmnotjan,  sig  V7cävciipiv.  (Vgl.  G.  L.  §  193,  1). 

Als  bedeutender  empfinden  wir  die  abweichung,  wo  es  sich  um 
zwei  miteinander  in  beziehung  stehende  nomina  handelt  und  der  Gote 
ein  gr.  Substantiv  mit  davon  abhängigem  genitiv  durch  Substantiv  mit 
adjectiv  ausdrückt:  Mc.  VI,23  halba  pmdangardi,  fjf.iiov  Tfjg  ßaaiXelag. 
Mc.lY,  b  habaida  diupaixos  airpos,  l'iuv  ßdS-og  yfjg.  J.Xll^  4:3  hcmkein 
rnmmiska,  rrjv  öo^av  cüv  dvd^qioyciov.  Mc.  XI,  1  at  fairgtuija  alewjiu, 
Jtqög  Tu  oQog  Tiov  aXaiwv^. 

Auch  hier  finden  sich  fälle,  wo  das  umgekehrte  sich  zeigt,  dass 
got.  Substantiv  mit  zugehörigem  genitiv  griechischem  Substantiv  mit 
adjectiv   entspricht:   J.  VT,  5   manageins  fHii,   7coXbg  ox^og.     Lc.  ITT,  22 

1)  Vgl.  Lc.  XIX,  29  fairgunja  Patei  haitada  alewj'o,  tu  uoug  tö  y.uXuvixtvov 
iXuiwv. 


DIE    ÜBERSKTZÜNGSTKCIINIK    DKS    WULFILA  853 

leikis  siimai,  öiof-iarr/nl)  eidsi.  Ähnlich  Lc.  VT,  17  jah  phc  faiir  niarein 
Tyre,  /.al  Tfjc;  jcaQctliov   Tiqov^. 

Recht  häufig  sind  gr.  adverbicn  widergegeben  durch  got.  sub- 
stantiva  (gewöhnlich  mit  praepos.)  und  umgekehrt:  Lc.  I,  74  unagei?i, 
(((foßioc:.  Mt.  XXVI,  73  öl  sunjcii,  dXrj&ojg.  Mc.  XVI,  9  i?i  maurghi^ 
vtQiot,  ebenso  Mc.  XI,  20.  Mc.  XV,  1  i)i  inauryin,  Ijtl  tö  ycQOj'L  Mt. 
VIII,  18  hiudar  marein,  elg  tö  yitQav^  ebenso  Mc.  V,  21  und  VIII,  18. 
Lei,  o  [renn  (niastodeiimi ,  ävcoO^ev.  Lc.  X,  21  m  andwairpja  peinamnut, 
l'f.i!CQood-tv  oov.  Mc.  XIV,  5  in  managixo  pau  Jyrija  himda  skatte,  e/cdvco 
CQia/.oauov  dt^vaQiiov^. 

Das  umgekehrte  findet  sich:  J.  VII,  13  halpaha,  /taQQTjola.  J. XVIII, 
20  anda/tgjo,  7caqqrjoia  \md  Jmtbjo,  Iv  'aqvjccw.  M.Q..Nl^2b  sniummido^ 
liucu  Gycordijg.     Lc.  X,23  siindro,  y.ax^  Idiav'^. 

Für  gr.  participium  tritt  im  got.  bisweilen  ein  Substantiv  mit 
praeposition  ein:  Mt.  VIII,  14  m  heitom,  7cvQiooiov  (vgl.  Mc.  I,  30). 
Mc.  XV,  23  mip  smyrna,  eoi.ivQVLOf.ii.vog.  Lei,  27  in  fragibtim,  ^firtjorev- 
fitv7j.  Ähnlich  Lc.  11,5  nur  dass  hier  ein  relativsatz  entwickelt  ist:  7?ilJ) 
Mariin f  sei  in  fragiftim  ivas,  ovv  l\laQLä(.i  rf]  i[xvrjOC£vf.i£vrj^. 

Umgekehrt  steht  got.  participium  für  gr.  Substantiv  mit  praepo- 
sition: J.VII,4  unkunpana  ivisa?i,  iv  TiaqQrjoia  ehai". 

Tl.   Ein  gr.  wort  wird  durch  zwei  oder  mehrere  got.  übersetzt. 

Audi  hier  tritt  hcäufig  der  fall  ein,  dass  eine  gr.  Wortklasse  durch 
eine  andere  ersetzt  wird  (z.  b.  ein  adjectiv  durch  ein  participium  u.  a.). 

1)  Hierher  würde  auch  Mc.  IV,  28  fuUeip  kaurnis.,  nXtjoij  ahov  gehören,  wenn 
Massmauu  und  Beruh,  mit  der  Vermutung  recht  haben,  dass  für  fullciß  zu  lesen  sei 
fullein  (vgl.  die  anm.  bei  Beruh.). 

2)  Durch  got.  adjectiv  wird  gr.  substantiviertes  adverb  gegeben:  Lc.  XVII,  31 
ni  gaivandjai  sik  ibukana,  fXT]  iniaT^t\pÜT(o  tig  tu  6n(a(a\  ebenso  J.  VI,  66,  XVIII,  G. 

3)  Hierher  gehöi't  auch  Lc.  VI,26  samaleiko.,  xara  ravra. 

4)  Lc.  111,23  Jah  silba  tias  Jesiis  swe  jere  prije  tigüve  uf  gakunjmi^  stvaei 
stinus  munds  tvas  Josefis,  xcd  uiijög  ^v  6  'fTjaoOg  wael  IriDv  jqiüxovtu  i\>)(6f^evos, 
wv  wg  ivofxiCtTü  vlog  'foja/jff.  Vgl.  Beruh,  anm.:  „Über  den  sinn  von  i(o/6uivog  waren 
schon  die  älteren  auslegcr  nicht  einig;  neuerdings  interpretiert  mau  entweder  'da  er 
zu  lehren  anfieng'  oder  'im  anfange  der  dreissiger  jähre'.  Wulfila  nahm  uQ/ü^tvog 
als  passiv  von  üq/m  also:  'Jesus  selbst  war  etwa  30  jähre  alt,  unter  gehorsam  (d.  h. 
seinen  eitern  unteiian),  so  dass  er  für  Josephs  söhn  galt'.  Nur  so  erklärt  sich  stvaei 
(Lobe  falsch  sicut).,  das  bekanntlich  stets  cousecutiv  steht,  die  auslassung  von  div 
und  die  Stellung  von  siinus.^^ 

ö)  Einmal  findet  sich  für  gr.  participium  got.  adverb:  Mc.  1,  38  du  paim 
bisunjane  haimont  jcüi  baiirgi)//-,  tig  t«<;  i/ofi^vag  xiof^onultig. 

ZEITSCHRIFT    F.  DEUTSCHE    PHILOLOOIK.       BD.   XX.XVII.  23 


354  STOLZHNBURG 

A.   Nomina. 

1.  Im  gr.  liegt  ein  compositum  vor. 

a)  Substantiva. 

a)  gr.  Substantiv  =  got.  subst!  +  subst.  im  genitiv:  Lc.  VII,41  hvai 
diilgis  skulans,  ovo  xQeocpsileTai.  Lc.  VIII,  49  frani  pis  fauramapleis 
synagogeis,  mvö  toü  uQ%iövvayioyov.  Lc.  XIX,  2  fauramapleis  viotarje, 
aQXLxeXwvrig. 

ß)  gr.  subst.  =  got.  subst.  +  subst.  mit  praeposition :  Mc.  XII,  1  dal 
iif  mesa,  v/coljnov. 

y)  gr.  subst.  =  got.  subst.  +  adjectiv:  Lc.  XX,  36  ibnans  aggihcm, 
iodyysloi.  Mc.  XI,27  auhumists  gudja,  dqxitqtvg,  ebenso  Mc.  XIV,  43, 
XV,  IL  31;  J.  VII,  32  u.  ö.  (vgl.  G.L.,  Glossar  s.  15).  Mc.  XI,  18  giidjane 
auhimi'isls,  dqx'^BQBvg.  J.  XVIII,  13  afihumists  weiha,  ccQxieQevg.  J.  XVIII, 
22  pamma  reikistin  gudjin,  zip  dq^uqü.  J.  XVIII,  24  Jmmma  maistin 
giidjin,  TÖv  dQxtSQ^cc]  ebenso  J.  XVIII,  26,  XIX,  6.  Lc.  II,  14  gods 
ivilja,  evdoyJa.     Mc.  XV,  42  fruma  sabbato^  jiqoodßßazov. 

d)  gr.  subst.  =  got.  subst.  +  adverb:  Lc.  IV,37  pata  bisunjane  land, 
yreQlxiOQog  K 

b)  Adjectiva. 

Mt.  VI,  30  leitil  galaubjandans ,  ohyo/iiOToi.  Mc.  VIII,  1  filu 
7nanags ,  ycdi^jioXvg  -. 

2.  Im  gr.  steht  ein  einfaches  wort, 
a)  Substantiva. 

a)  gr.  subst.  =  got.  subst.  +  subst.  im  gen.:  Mc.  VI,  21  mel  gahaur- 
pais,  id  yeveoia^. 

ß)  gr.  subst.  =  got.  subst.  +  subst.  im  dat.:  J.  XVIII,  22  gaf  slah 
lofin  lesiia,  edcoy.ev  ^d7tiOf.ia  rö  ^ItjOoC.  J.  XIX,  3  jah  gebun  iumm 
slahins  lofin,  y.al  iöidooav  avzQ  qa7ciO(.iaca. 

y)  Besonders  frei  ist  die  Übersetzung  von  gr.  jildty.  Mc.  V,  4 
eisarnam  bi  fohins  gabuganaini ^  ntdaig  und  pw  ana  fotiim  eisarna^ 
Tag  TTsdag. 

1)  Auch  das  im  gr.  mir  einmal  belegte  formelhafte  Toüvo/na  gibt  der  Gote 
durch  eine  Wortverbindung  wider:  Mt.  XXYII,  57  pixuh  namo  Josef,  toüpo/hk  7wff»;yi. 

2)  Nicht  eigentlich  hierher  gehört  Lc.  VI.l  in  sahbato  anjjaramma  frumin, 
iv  außßüjut  divT(()on(ianM.  Vgl.  Bernh.  anm.:  „Was  deuTtoön^ioTos  bedeute,  scheint 
Wulfila  so  wenig  wie  die  alten  und  neuen  ausleger  des  N.  T.  gewusst  zu  haben; 
anparamma  frumin  enthält  ohne  versuch  der  deutuug  die  wörtliche  Übersetzung." 

3)  Mannigfaltig  ist  die  Übersetzung  von  adßßuTog:  sabhate  dags  Mc.  XVI,  ]  (2); 
J.  IX,  16.     sabbato  dags  Mc.  I,  21,  II,  23.  27,  III,  2;  Lc.  VI,  2.  5.  7.  9. 


DTE    ÜHERSETZUNGSTKCHNIK    I)KS    WULFILA.  355 

b)  Adjectiva. 

Mc.  1^4:0  /))■(( (sfill  Itahamh,  It/cQüi^.  Mt.  VIII,  2  mcmna  Jyrntsfdl 
liübands,  Xe/tQu^.    Lc.  XV,  13  in  land  fairra  ivisando,  eig  y/oquv  f.iuY.^dv. 

c)  Adverb  und  adverbiale. 

Mt.  IX,  15  und  pata  heilos  pei,  scp'  oaov.  Lc.  XVIII,  4  laggai 
Iveilai,  tyil  xQo^'Ov.  Lc.  1,70  frcn/i  anastodeinai  aiivis,  d7t  aioJvoq  {vg\. 
J.IX,  82  frain  aiwa).  Mt.  VI,  30  liitntnu  daya ,  a/juegor,  ebenso  Mt.  VI,  11. 
Mt.  XI,  23  und  hina  duy ,  {-'cog  ffjg  ai'ji.iEQOv,  ebenso  Lc.  11,11,  V,  20, 
XIX,  5.  9  u.ü.i 

ß.   Verba. 

Sehr  zahlreich  sind  die  belege  dafür,  dass  ein  gr.  v  erb  um  im  got. 
durch  ein  v  erb  um  mit  einem  nomen  oder  verbum  (adverb.)  aus- 
gedrückt wird. 

1.  Im  gr.  liegt  ein  compositum  vor. 

Zur  widergabe  dient  im  got: 

a)  uisan. 

a)  ivisan  +  adjectiv:  Lc.  1,37  unmahteigs  tvisau,  ddvvaidv.  J.  XI, 
3.  0  siuks  wisan,  dod^evelv.  Im  comparativ  steht  das  adjectivum: 
Mt.  V,  29  hatixa  ivisan,  ovf.iq)fQeLv,  ebenso  J.  XVI,  7,  XVIII,  14.  Mt. 
X,31  hatixa  ivisati,  diacpäqeiv.     Mt.  VI,26  ividprixa  ivisan,  ÖLacpiqeiv. 

ß)  ivisan  -i-  purücipinm:  Lc.  XVIII,  7  usbeidands  wisan,  f.ia/,QO- 
^Li^idv.     Mc.  111,9  habaip  wisan,  jtQoay.aQTeQEiv. 

y)  ivisan  +  substantivum :  Lc.  XVIII,  20  galiugaiveitwods  wisan, 
Ui€udo/.iaQTiQ€lv. 

d)  wisan  +  adverb:  Lc.XVI,  19  wailu  wisan,  tvcfqaiveod^ui ,  ebenso 
Lc.  XV,  23.  32. 

b)  wairpan. 

Mc.  1,22  usfdma  waiipan,  tv.jclijxreod^ai.  Lc.  XVIII,  1  usgrudjans 
icairpan,  ly/M/.tiv.     Mc.  1,36  yalaista  wairpan,  /Mxaöuü/.eiv. 

c)  taujan. 

Lc.VI,33.  Sbpiup  taujan,  dyad-o7toiuv,  ebenso  Mc.in,4;  Lc.VI,9. 
Mc.  111,4  unpiup  taujan,  vM'A.07coieiv ,  ebenso  Lc.  VI,9.  J.  V,  21  liban 
gataujan,  'Cioo7toieiv.  J.  VI,  63  liban  lanjan,  'C(oo7coieiv.  Lc.  IX,  15 
anakumbjan  gataujan,  dva/liveiv  (vgl.  Lc.  IX,  14  gawaurJcjan  ana- 
kumbjan,  vMTa/XivELv). 

1)  Diese  letzten  fälle  können  auch  so  angesehen  weiden,  dass  im  gr.  eine 
ellipse  voiliogt,  die  im  got.  durch  einen  zusatz  beseitigt  ist.  Ähnlich  z.  b.  auch 
Mt.  XXVIl,  02  iftiimin  daga,  ifj  inuvfiiuv,  ebenso  J.  VI,  22.  XU,  12;  Mc.  XI,  12 
oder  Mt.  XXV.  41  (tf  hleiduineiii  frrai^  ii  U'wvöjxwv  (vgl.  s.  371). 

23* 


356  STOLZENBTTHG 

d)  hriggnn. 

Lc.  XV,13  samana  hriggan,  avvdyeiv. 

Andere  verben  finden  sich  noch  in  folgenden  fällen: 

Gr.  verbum  =  got.  verb.  +  shbst. :  Lc.  IV,  16  siggivan  bokos,  dva- 
yvcovai.  Lc.  VT,  12  7iaht  pairlnvakan,  diavv/iiEQeveiv.  Mc.  IV,  20.  28 
akraii  hairmi,  /MQytoq^oQEiv ,  ebenso  Lc.  VIII,  15.  Mc.  VI,  16  liaubip 
afmaitan,  mcoy.ecpali'Ceiv ,  ebenso  Mc.  VI,28;  Lc.  IX,9.  Lc.  XVIII,  12 
afdailjan  taihnndon  daü,  dytoÖEKazovv.  Lc.  XX,6  afwairpan  stainam, 
■/.aialL&aCeiv.  Mc.  XII,  4  stainam  wairpan,  Xi&oßoleiv.  Lc.  XVII,  6 
uslausja7i  us  ivaurtim,  tKQiLovv.  Lc.  XX,  20  us  liutein  taiknjan,  v/co- 
y.QivEa&ai.     Mc.  IX,  36  ana  arniins  nima7i,   8vayytaliÜ,€G&ai. 

Verbum  -f-  adjectivum:  Mc.  XIV,  56.  57  galiug  weitwodßan,  ^'sv- 
öoixaQTVQelv.     Mc.  VII,10  ubil  qipan,  /.ayioXoyElv. 

Verbum  +  abverbium:  Mc.  II,  4  tieha  qimaii^  7CQ0GEyyiLEiv.  Mt. 
Y,2b  tvaila  hugjan,  euvoeIv.  Mc.  1,11  waila  galeikan,  evSoxeIv,  ebenso 
Lc.  III,  221. 

2.  Im  gr.  steht  ein  einfaches  verbum. 

Zur  widergabe  dient  im  got: 

a)  wisan. 

a)  wisati -{- Sidiectiy :  M.t.jLX.Yll^lb  biuhts  ivisan,  Euod^hai,  ebenso 
Mc.  X,  1  (mit  fortlassung  der  copula).  Mc.  IX,  50  gau-airpeigs  ivisan, 
Elqr^vEVEiv.  Lc.  VIII,  43  malits  tvisan,  loyvEiv.  Mc.  XIV,  70  galeiks 
ivisan,  öf.wiaCEiv.  Mt.  XXV,  42  grcdags  ivisan,  ytEtvfjv,  ebenso  Mc. 
11,25,  XI,  12;  Lc.  VI,  8.     Mc.  V,  18  ivods  ivisan,   dai^iovitEod^ai.     Lc. 

XVIII,  13 /««//)s  ivisan^  iXaod^fjvai.    Lc.  XVIII,  22  ir ans  ivisan,  "kEiyiEiv. 
Mc.  X,  21   wans  ivisati,   voteqeiv.     J.VI,  7  ganohs  wisan,  d^yiEiv.     Lc. 

XIX,  42  gaf/dgitis  ivisan,  y.E/.QV(pd^ai. 

ß)  ivisa?i  +  substantivura :  Lc.  II,  2  wisan  kindiiis,  ijyE^ovEVEiv. 
J.  X,13  kar' ist,  (.uXel,  ebenso  J.  XII,6. 

y)  wisan  +  adverb:  Mc.  XI,  1  neJva  ivisan,  iyyiLEiv,  ebenso  Lc. 
VII,  12,  XVIU,35.  40,  XIX,  29.  37.  41. 

b)  wairpan. 

Lc.  IV,  2  gredags  wairj>an,  yvEivfjv.,  ebenso  Lc.  VI,25.  Lc.  IX,43 
usfilnia  ivah'pari,  vMc'kijixEG^ai ,  ebenso  Mc.  I,  22.  Mc.  X,  32  faurhts 
ivairjmn,  (foßEiad-ai.  J.  XI,  12  hails  wairpan,  aiouai^ai.  Lc.  XVII, 
15  hrains  wairpan^  /.ad^agiLEdd^ai.  Lc.  VII 1,  23  bireks  wairpan, 
AivövvevEiv.     Mt.  V,  20   managizo  ivahpan,   TtsQiaoEVEiv.     Lc.  XV,   14 

1)  Nicht  mit  berücksichtigt  sind  hier  abweichungen  wie  mipgaleipan  =  awsia- 
^QXaafhia  u.a.;  vgl.  Koppitz,  Zeitschr.  32,  460fg. 


4 


M 


DIE    ÜBERSETZUNGSTKCHNIK    DES    WÜLFILA  357 

alaparha  woirpan,  vacEQeTax'hai.    Mc.X^  11  nrhja  irairj)an,  '/.li^QO}'Of.ieiv. 
Lei,  n    in  siuuai  wairpaii,  öqäod^m. 

c)  taujan. 

Lc.  IX,25  paurft  gataitjan  sis,  (hrpeleiod-ai. 

d)  briggan. 

J.  VITT,  32  frijana  briggan,  fAec/lf^ofr,  ebenso  VIII,  36.  Mc. 
XIT,4  haubip  umndnn  briggan,  ■/.ecpa?.atovr. 

e)  domjan. 

Lc.  VII,20  garaihlana  doinjan ,  dt/.aiovv.  \,c.X^29  nsivanrhtana 
doinjan,  di/Miovv  vgl.  Mt.  XT,  19  itsivaiirhtana  gadomjan. 

f)  haban. 

Lc.  XV,  17  ufarassaa  ha  bau,,  jiEqiaaevEiv.  Mc.  I,  32  nnhalpons 
haban ^  daif.ioviuod-ai ,  ebenso  J.  X,2L 

Es  koraraen  auch  noch  andere  verben  vor: 

Verbum  +  siibst.:  Mt.  Vlll,  32  rmi  gawanrkja^i  sis,  ÖQ/uär. 
J.  XI,  8  afivairpan  stainani^  liS^aCeiv.  Mt.  XXVI,  67  lofam  slahaii, 
gaTtiCeiv.  hc.  XIX,  4:'i  airjmi  gazb?ijaii,  idacpluiv.  Lc.  XV1I,8  du  naht 
matjan,  dEiycveiv. 

Verbum  +  adjectivum:  Lc.  XVlll,  14  garaihlana  gaieihan, 
di/Mioüi:     Lc.  XVI,21  sap  itan,  xoQtaCeod-aL. 

Verbum  +  adverbium:  Lc.  XX,  6  triggwaba  galaiibjan,  tce- 
jceloOai.     Lc.  XV,  25  atiddja  neh,  yyyiLEv. 

liier  reihen  sich  noch  zwei  gr,  participia  an,  die  im  got.  durch 
zwei  Worte  widergegeben  Averden:  Lc.  XVI,  20  banjo  fidls,  fjXyM)(.iEvog 
und  Lc.  1,28  anstai  audahafts,  /.ExagiTcofiEvog^. 

III.   Ein  got.  wort  dient  zur  widergabe  mehrerer  griechischer. 
Dieser  fall  ist  weit  seltener. 

1.  Substantiva:  Mc.  IX,42  asiluqairnus,  Udog  f.ivli/.6c..  Mc.l,35 
air  iditivon,  ycqwC  Evvvyov  kiccv. 

2.  Adjectiva:  Mc.  XIII,  17  paim  qipidmftom ,  tmg  iv  yaacql  ^yov- 
oaiQ.  Lc.  V,  31  pai  imhailans,  oi  /ax<~>c,'  l'yovvEg.  Lc.  VII,2  siukands, 
y.a/.otg  l'yo)v.  Lc.  IX,  11  paus  pqrbans,  rohg  yQEiav  iyovTag.  Mt.  V,  8 
pai  hrainjahairtans ,  o'i  v.a'&aqoi  tfj  /.aQdt'a.  Lc.  VII,  2  swultaivairpja 
(sc.  was),  }'ji.ieI?^ev  zElEviäv. 

1)  15(jinli.  anin.:  ,,Der  got.  ausdriiok  ist  siiinli<lior  und  dichterischer  als  der 
griechische." —  Eine  besondere  Stellung  nehmen  folgende  fälle  ein:  J.  XVIII,  ')  and- 
hafjandans  intma  qeßun^  <\7itxoi<'/t]a«v  idnö)  und  J.  XlII,  36  andhafjands  lesiis 
qap,  HTKxoühi  t(t'i(ä  'ItfioOg.  in  denen  vorhuin  -|-  participiuni  zur  formelhaften  wider- 
gabe des  gr.  verbimis  dient. 


358  STOLZENBURG 

3.  Verba:  Mt.  VI,  8  paurban,  xqelar  txeiv.  Lc.  XIX,  31  gainijan, 
XQEim'  8XELV.  Mt.  VIII,  26  faurhtjan,  detlöv  elvai.  Mc.  11,23  skewjan, 
öööv  7C0LBLV.     Lc.  XVIII,  7.  8  gawrikan,  zfjv  e'/.dUfjOiv  TtoLelv^. 

IV.  Sonstige  abweichiingen  im  wortgebrauch. 
Es  bleibt  noch  eine  geringe  anzahl  von  auffälligen  abweichiingen 
übrig.  So  setzt  der  Gote,  wenn  im  gr.  der  name  eines  1  an  des  steht, 
den  namen  der  bewohner  dafür  ein:  Mt. XI,22  Tyrim  jak  Seidonim, 
TvQO)  /.al  ^idtori,  ebenso  Mc.  VII,  24.  31.  Mt.  XI,21  muss  man  jedes- 
falls  auch  lesen  in  Tyre  jah  Seidone  landa.  Lc.  VI,  17  Jdxe  faur 
marem  Tyre  jah  Seidone,  Tf}';  Ttagaliov  Tvqov  /.al  2iöwvog.  J.  VI,  1 
7(far  -mareiyi  po  Galeilaie  jah  Tibairiade,  7r£Qav  rfjg  d^alaaaTjg  vfjg 
Fahlaiag  rfjg  TLßsQiccdog.  Lc.  X,  12  Saudaumjam^  2od6f,toig.  Lc. 
II,  2  ragiiiondin  Saurim^  fjyei.iovEvovTog  Tfjg  ^vQiag.  Für  gr.  eigen- 
namen  eines  volkes  setzt  der  Gote  pinda  oder  managei  ein:  J.  VII,  35 
piudo  — piudos,  Tiov^Elh'jviov  —  Tovg'EXlrjvag.  J.  XII,  20  sumai  piudo, 
Tiveg  "ED.Vjvsg.  Mc.  VII,  26  so  qino  haipno,  fj  yvvt)  '^ElXi^vlg  (vgl. 
Beruh,  anm.).  J.  VII,  15  manageins,  o\  'lovdaloi.  Für  das  land  sind 
im  got.  die  bewohner  des  landes  eingesetzt  auch  Lc.  VII,17  and  allans 
bisiiands,  iv  Ttaorj  tfj  tvsqixioqo).  Lc.  III,  3  and  allans  gaiijans,  eig 
Ttäoav  jCEQiy^wqov.  Lc.  IV,  14  and  all  gaivi  bisitande  bi  ina,  yiad^^  olrjg 
Tfjg  Tteqix'^ÖQOv  jceqI  amov. 

Auch  an  andern  stellen  zeigt  der  Gote  eine  neigung,  was  im  gr. 
abstract  gegeben  ist,  concret  auszudrücken:  Lc.  11,23  Ivaxuh  guma- 
kundaixe,  Jtäv  ägoEv.  Lc.  XIX,  10  ptans  fralusanans,  zb  mcoliolog. 
J.  XV,  19  sivesans,  xb  Xdiov.  Lc.  I,  35  saei  gabairada  iveihs,  zb  ysv- 
vw(.iEvov  äyiov.  Ähnlich  sind  fälle  wie:  Lc.  XIX,  23  du  skattja?n, 
87tl  zQu/cECar.  Lc.  II,  44  in  gasiiipjam,  er  zf]  ovvodiq.  Mc.  XII,  19 
jah  ussatjai  batiia  bropr  seinamma,  Aal  s^avaon]Gt]  07r€Qf.ia  z(p  dÖElcp^ 
avzov. 

An  einer  stelle  hat  der  Gote  für  gr.  tioieXv,  welches  ein  verbum 
widerholt,  das  verbum  selber  eingesetzt:  Lc.  VI,10  iifrakei  po  handu 
pei7ia,  paruh  is  ufrakida,  t'/.z£ivoi>  ztjv  x£^Q(^  oov,  6  di  i/roiijosv. 

Für  gr.  k'zog  wird  ivintrus  eingesetzt:  Lc.  11,  42  jah  bipe  ivarp 
hvalibtvintrus ,  xal  oze  eyivEzo  eziov  öwÖE/ta,  ebenso  Lc.  VIII,  42  und 
Mt.IX,202. 

1)  Es  bleibt  noch  zu  erwähuen,  class  der  Gote  gr.  participien  mit  der  uegation 
widergibt  durch  composita  mit  un:  J.  XV,  2  imbairands,  fxrj  (fSQwv  u.  ö.  (vgl.  G.L. 
§  213,  3aa). 

2)  Vgl.  Beruh,  einleituug  §8,  s.  XXX. 


DIE    ÜBKRSBTZÜNGSTECHNIK    DES    WULFILA  359 

Xicht  als  fehlerliafte  iiliorsetziin^;  wird  man  es  ansehen  dürfen^, 
wenn  der  Gote  in  so  manchen  fällen  gr.  comparativ  duirh  einen 
Superlativ  ersetzt:  Lc.  IX,46  pata  harjis  pau  ize  maists  ivcsi,  zö  rig 
av  el'rj  (.leiLiov  avTcjv,  ebenso  Mc.  IX,  31  und  IV,  32.  Mo.  IV,  31  min- 
nist  allaixe  fraiwe,  f^iiv.QÖiEQOo,  jtctvnov  ztTtv  07ceQ{.iäcii}v,  ebenso  Lc. 
IX,  48.  Es  findet  sicii  auch  got.  positiv  für  gr.  Superlativ:  Mt. 
XXV,  45  ainamma  Jnxc  Ic/f/lanc,  tri  lovviov  iior  ü^yjaion'.,  ebenso  Lc. 
XVI,  10,  XIX,  17.  Weniger  stark  wirkt  die  abweichung  Mt.  XXVII,  64 
50  spedixei  airxipa,  i)  eoyairi  /clartj  und  J.  XIII,  27  fairei  sprauto, 
Ttoirjoor'  tayiov.  Lc.  XVIII,  14  ist  vermutlich  auch  so  zu  beurteilen: 
atiddja  sa  yaraihtoxa  gataiJians  du  yarda  seinaninia  pati  raihtis  jahis, 
'/.aztßi]  ovrog  dEdL'/,auo(.iivog  eig  xbv  oiy-Ov  avToD  J)  yocQ  ay-slvog  '^. 

2.   teil. 

Stilistische  abweichungen  in  bezug  auf  die  syn1al<tischen  functionen  und 
beziehungen  der  worte. 

Diese  abweichungen,  die  sich  mit  denen  in  cap.  I  angeführten 
vielfach  berühren,  treten  bemerkenswerterweise  nur  ganz  vereinzelt  auf. 
In  vielen  fällen  kann  man  zweifelhaft  sein,  ob  stilistische  momente  bei 
der  änderung  mitgewirkt  haben  oder  nicht. 

1)  Um  wirklich  ungenaue  oder  dircct  falsclie  Übersetzungen  handelt  es  sich 
nur  an  ganz  wenigen  stellen:  Mt.  Y,  20  »«"«/i/sto,  fa/uToc;.  Lc.  I,.ö  >/s  afar  Ahtjms, 
iS  iffrifxfQt'ceg  ^ylßul.  Lc.  III,  14  naldaip,  dQxeTaO^f.  Lc.  V,  26  tvulpaga,  iKiQciSo^u. 
Lc.  VI,  44  trudan,  r(jvyav^  während  trudaii  sonst  für  ncutTv  steht.  Lc.  IX,  18 
gamotidednii  imma  siponjos  is^  auv^auv  «troJ  ot  uaO^tjTca  uvtov,  als  ob  avvrivrriaav 
im  gr.  text  stünde.  Lc.  XIY,  18  jah  dugunnim  suns  faxirqipan  allai^  xm  ijo^ecvro 
(\no  /niüg  TiaQ((LTtia(>ai  nclvrtg.  Mc.  I,  4  du  aflageinai  fratvaurhte,  e!g  (Uptaiv  äfxciQ- 
Tiäjv.  Mc.  IV,  24  pa/tn  galaiibjandam ,  Toig  (ixovovatv.  Mc.  VII,  3  ufla,  nvyfxfj  (viel- 
leicht verlesen  für  nv/.vä).  Mc.  VII,  31  mij)  hveilmaim  viarkom  Dadk.^  ävä  fx^aov 
Twi'  ÖQÜov  lijg  ^hx.  Mc.  XVI,  1  inwisandins  sabbate  dagis,  iiayevofxevov  jov  accß- 
ßi'aov  (vgl.  Bernh.  anm. :  .,Auch  hier  liegt,  wie  G.L.  bemerkten,  der  got.  lesart  der 
bericht  des  Luc.  zu  grande,  nach  welchem  die  trauen  noch  vor  beginn  des  sabbats 
die  salben  kauften,  s.  Lc.  XXIII,  54 fgg.;  denn  inwisandins  sabbate  dagis  kann  nur 
heissen  'immineute  sabbati  die',  wobei  der  gen.  temporal  zu  nehmen  ist  (G.L.  Gr. 
p.  240);  imvisan  kann  von  attcisan  Mc.  IV,  29,  IL  Tim.  IV,  6  und  von  instandan 
IL  Thess.  II,  2  nicht  wesentlich  verschieden  sein.")  Mc.  XVI,  9  friimin  sabbato^ 
Ttnii'nt]  anßßcaov  (sonst  für  nQoodßßuTov).  Mt.  XXVII,  4  pii  iviteis^  av  ö\pt].  Mt. 
XXVII,  52  ligandane.  y.txotui]{^tt'c»v,  wo  das  got.  einem  gr.  -/.n^^votv  entspräche. 
.1.  XIV,  30  bigitip^  i/ei.  V^orlesen  ist  der  gr.  text:  Lc.  1,10  beidandans,  jinontvyö- 
fitvov  (für  7i()oaS(/6fif:vov).  Lc.  VII,  25  fodeinai,  iQVifij  {rqoify).  Mc.  IX,  18  gaicair- 
pip  ina^  nrjaaa  avröv  {(x'jiTd,). 

2)  Vgl.  Gering,  Zeitschr.  5,  430:  ,,Dio  Übersetzung  hat  den  vorzug  vor  dem 
original,  dass  sie  das  comparativische  Verhältnis  besser  widergibt''  (vgl.  auch  Bern- 
hardts anm.). 


360  STOLZENBURG 

L  Änderungen  im  genus,  tempus  und  modus  des  verbums. 

1.  Genus. 

Es  kommt  vor,  dass  der  Gote  einen  gr.  passiven  satz  activisch 
widergibt,  nicht  dadurch,  dass  er.  einfach  für  die  passive  form  eine 
active  intransitive  einsetzt  (cap.  I),  sondern  dadurch,  dass  er  den  ganzen 
satz  etwas  anders  ausdrückt,  wodurch  dann  auch  stilistisch  eine  andere 
Wirkung  erzielt  wird:  Meli,  1  jah  gafrehun  patei  in  garda  ist,  /.al 
rf/.ovGd-ij  Ott  elg  olxov  eaiiv.  Lc.  IV,  43  mlk  insandida,  d7ttaxaXf.iai. 
Lc.  IX,  7.  8  unte  qeputi  swnai  patei  .  .  .  sumai  pan  qeptm  .  .  s/njiaiup 
pan  patei,  ßiä  tb  leysod^at  vttö  tiviov  ort  . . .  v/ro  xiviov  de.  ort.  . . .  äXkiov 
de  OTiK  Lc.  III,  21  bipe  daiipida  alla  inajiagein,  tv  xG)  ßajciiot^fjvai 
ccTtavTa  xbv  Xaöv. 

Andererseits  drückt  der  Gote  auch  einen  gr.  activen  satz  passi- 
visch aus:  Lc.  VI,  38  mitaps  . . .  gihada,  i^uxqov  . . .  dcooovoir.  Lc.  VI,  21 
ufhlohjanda ,  ysXdaexe.  Mt.  VII,  16  lisanda,  ovllayoioiv,  ebenso  Lc. 
A^I,44.  M.C.  Yll ,  10  afdaupjaidau ,  teXeixccrco.  Mc.  IIL^  4:2  ei  galagjaidau, 
el  7tEQiy,ELTai.  Lc.  VI,  44  trudanda,  xQvywoi.  J.  XI,  38  ivasiih  pan 
hulundi  jah  staina  fifarlagida  ivas  ufaro,  9]v  ös  O7ti]laiov  /.al  lid-og 
a7ie-/,sixo  erc^  avxqj.  Mt.  XXVI,  75  waurdis  lesiäs  qipanis,  xov  qi]f.iaTog 
^ItjooC  slQVjyioTog,  wo  qipanis  auf  ivaurdis  bezogen  ist  2. 

2.  Tempus. 

Auch  hier  sind  viele  abweichungen  bereits  in  cap.  I  aufgeführt. 
Es  bleiben  noch  einige  fälle,  die  auf  stilistischen  gründen  beruhen. 

Für  gr.  praesens  steht  im  got.  ein  praeteritum  auch  in  fällen, 
wo  wir  es  nicht  mit  einem  praesens  historicum  zu  tun  haben:  J.  XIV,  9 
sivalaud  melis  mip  ixtvis  ivas,  jah  ni  nfkunpes  mik,  xooovxov  yqovov 
f.iad^^  vf.iCov  eif.u,  '/.al  ovy,  aypcoy.ag  (.le.  J.  XIV,  31  ak  ei  ufkunnai  so 
manaseps,  patei  ik  frijoda  attan  meinana,  akV  %va  yv([)  b  xoGfiog  ort 
dyajtG)  xbv  7iaxeQa.  J.  XIX,  4  attiuha  ixwis  ina  ut,  ei  iviteip  patei 
in  imma  ni  ainohun  fairino  bigat,  .  .  .  evQiOMo.  Lc.  XV,  29  siva  filu 
jere  skalkinoda  (öoiIevo))  pus  jah  ni  hanhnn  anabnsn  peina  ufariddja. 
J.  VIII,  45  ip  ik  patei  sunja  rodida,  ni  galaubeip  mis,  kyio  öi-  bxi 
xrjv  äXrjd-uav  leyw,  ov  TtiaxevExe  j.ioi.  Mc.  VIII,  2  infeinoda  [a/rlay- 
Xvi'Cof.iai)  du  Jnzai  managein,  unte  ju  dagans  Jnins  inij)  mis  ivesun. 

1)  Vgl.  Bernh.  anm. 

2)  Mt.  IX,  17  uad  .1.  VI,  12  sind  deshalb  auflällig,  weil  hier  von  verben  mit 
abhängigem  dativ  kein  persönliches  passiv  gebildet  ist,  während  dies  sonst  überall 
stattfindet:  Mt.  IX,  17  bajopuni  gabairgada,  ((fXfpÖTtnoi  auvi^Qüvviai.  J.  VI,  12  pei 
waihtai  ni  fraqistnai,  tva  firj  jt  anökt]i(it. 


DIE    tJBERSETZUNGRTKCHNIK    DES    WÜLFILA  361 

J.  VI,32  ni  Moses  gaf  .  .  .  ak  atta  meins  gaf,  ov  Mcoofjg  didor/cev  .  .  . 
dkl'  6  TTaTrjQ  /.lov  öif^iooiv. 

Bemerkenswert  ist,  dass  J.  VI,  42  ein  gr.  praesens  mit  perfec- 
tivem  sinn  diircli  got.  praetoritiim  gegeben  wird:  kiDipcdinn,  oXda- 
fier.  Diesen  tällen  stehen  einige  andere  gegenüber,  in  denen  gr.  aorist 
durch  got.  praesens  übersezt  wird:  Lc.  I,  47  sivegneip  ahma  meins, 
ff/alliaGEv  ib  7Ci'evf.id  jnov.  J.  XV,  (3  uswairpada  .  .  .gnpaursnip,  fßhj- 
d^rj  .  .  .  i$rjQdvx>ti.  Im  abhängigen  satz:  J.  IX,  '.V2  galiausip  was,  patei 
iislukij),  rfMia^tj  on  ^voiiev.  Lc.  V,  26  fullal  iraurjnin  agisis  (jij)an- 
dans,  patei  gasaiham  ividpaga  kt'mina  daga,  hch'iodiqGav  ffoßov  "kiyov- 
VEC,  bvi  eidof-iEv  /cagdöo^a  ai]f.iEQov.  Auffällig  ist  die  stelle  J.  V,  45  ... 
patei  ik  wroJiidcdjau  ixivis  du  atiin;  ist  saei  ivrohida  ixtvis  Moses, 
\(.irj  (Jo/fir«]  biL  ^yco  ■/.aitjyoQi'jOti)  i/iiojv  ycQOi;  lör  ycaiioa'  toxiv  6  /.ari^- 
yoQtov  v(.uov  3Iiüofjg^. 

Anch  als  stilistische  abweichung  zu  betrachten  ist  es  wol,  wenn 
der  Güte  für  gr.  participium  praes.  act.  sein  participium  praet. 
einsetzt:  Lc.  VIII,  4  gaqi(manaim  pan  hiuhmam  .  .  .  qap,  ovviöviog  dt 
oyXor  .  .  .  ehtev.  Lc.  IX,  7  galiaiisida  Jmn  Herodis  po  iraurpanona, 
r/.oioEv  dt  'HQwdrjg  zd  yEv6f.iEra:  vgl.  Gering;  Zeitschr.  5,  301:  „Der 
Gote  hat  hier  logischer  gedacht  als  der  Grieche."  ^ 

?>.   Modus. 

Dass  in  indirecten  fragen  für  gr.  indicativ  got.  optativ  steht,  ist 
unter  den  grammatischen  abweichungen  schon  erwähnt  worden.  Stilistisch 
bemerkenswert  sind  aber  zwei  fälle  von  zweigliedrigen  fragen,  bei 
denen  nach  Bernhardt  das  zweite  glied  eine  entferntere,  vom  ersten 
gliede  bedingte  handlung  ausdrückt  und  deshalb  im  got.  im  optativ  steht: 
^It.  XXV,  44  /van  Jnik  sehiim  gredagana  .  .  .  jan  ni  andljahtidedeima 
pus,  y.ai  od  öiif/.ovt)oaj.itv  ool''.  J.  III,  4  i/jai  mag  in  ivamba  aipeins 
seinaixos  aftragaleipan  jag  gabairaidau,  fn)  dvravai  eIq  xrjv  y.oiXlav  rfjg 
fUjTQog  aviov  öevteqov  eIoeXS^eIv  '/.al  yEvvtjd^fjvai^;  vgl.  unten  s.  379 fg. 

1)  Vgl.  Bernh.  aniii.  und  G.L.  §  182b. 

2)  Lc.  VIII,  .')3  gasfiiloandans,  kiSÖTtg  wurde  vermutlich  iSövjsg  gelesen. 

3)  Vgl.  Köhler  (Bartsch,  Germ.  stud.  I,  s.  07):  „Mit  feinem  Verständnis  gibt 
Vulfila  die  stelle  so  wider,  dass  der  consecutivo  sinn  des  zweiten  fragegliedes  deut- 
lich wjrd:  ^Wann  haben  wir  dich  bedürftig  gesehen  und  hätten  dir  nicht  gedient?' 
d.  h.  'wenn  wir  dich  bedürftig  gesehen  hätten,  so  würden  wir  dir  gedient  haben;  aber 
da  wir  dich  nie  in  solcher  läge  fanden,  so  haben  wir  dir  nicht  dienen  können;  an 
un.sorm  willen  hat  es  nicht  gefehlt,  sondern  nur  an  der  gelegenheit'.'- 

4)  Vgl.  Bernh.  anm.  zu  Skeireins  IIb  (s.  627):  „Im  commentar  zu  J.  III,  4 
glaubte  xch.  jnli  fjahairaidau  erklären  zu  müssen:  und  wie  sollte  er  geboren  werden? 
Dies  ist  falsch,  vielmehr  bedeuten  die  worte:  vermag  er  etwa  wider  in  seiner  mutter 
leib  einzugehen,  und  würde  somit  geboren?   Durch ya/i  wird  somit  eine  folge  angeknüpft. 


362  STOLZENBÜRG 

Nicht  ohne  stilistische  Wirkung  sind  auch  die  andern  fälle,  wo 
für  gr.  indicativ  in  directer  frage  der  optativ  eingetreten  ist,  so 
besonders:  J.Yil^4:H  sai  jaii  ainshun  piAC  rcike  galaabidedi  intina,  (.n) 
Tig  £>t  Twi^  aQyövxiov  hciatevoev  elg  avibv,  „sollte  wirklich  einer  der 
mächtigen  ihm  geglaubt  haben?"  i. 

Sinngemäss  steht  got.  indicativ  für  gr.  conjunctiv:  Mc.  XI,  28j'"a/i 
Jvas  Jnis  pafa  waldufni  atcjaf,  ei  pata  tcmjis,  /.al  rig  oot  t))v  i^ovaiav 
ravrrjv  tdw/^ev,  'iva  tafjia  7Coifjg. 

Um  eine  stilistische  abweichung  im  modus  handelt  es  sich  auch 
J.  VIII,  52:  jahai  Jvas  mein  tvaurd  fastai,  ui  kausjai  daupit  aiwa  dacje, 
eäv  zig  ibv  Xoyov  /.lov  tijQtjar],  ov  fit)  yEvor^rai  d-ardrov  elg  ibv  alCova. 
Hier  steht  der  optativ,  „weil  die  pharisäer  den  gedanken  nicht  an  sich 
als  wirklich,  sondern  nur  als  ex  sententia  Christi  gesprochen  hinstellen" 
(vgl.  Köhler  in  Bartsch,  Germ.  Studien  I,  120) 2. 

IL   Änderungen  in  bezug  auf  das  Satzgefüge. 

1.  Der  einzelne  satz. 

Hier  sind  nur  vereinzelte  belege  beizubringen.  Der  Gote  hat  an 
zwei  stellen,  wo  im  gr.  von  einem  Substantiv  mit  attribut  noch  ein 
genitiv  abhängt,  die  structur  geändert:  J.  X,  32  Jvarjis  pixe  waitrsUre, 
7töiov  avtiov  tQyov.  Mc.  XII,  28  allaizo  anahiisne  frimiista,  vcQontj 
Ttctvxwv  tvioh]]  so  dass  im  got.  von  dem  attribut  das  Substantiv  im 
genitiv  abhängt,  zu  dem  dann  der  andere  genitiv  attributivisch  hinzu- 
tritt 3,  Umgekehrt  liegt  der  fall  Lc.  IV,  33  manna  habands  ahinan  lui- 
hulpons  unhrainjana,  avd^qwycog  ey^ov  Ttvedf-ia  öaif-ioviov  ä/.ad^(xQvov. 

und  der  conjunctiv  bezeichnet  die  entferntere,  durcli  galcipan  bedingte  bandlung. 
S.  Gering,  Zeitschr.  6,  1,  der  die  überraschend  ähnliche  wendung  im  Tatian  ver- 
gleicht: ivuo  »lag  her  in  stnero  muoter  iiumnhün  ahur  iuganrjan^  inti  imerde  giboran? 
Der  grund  weshalb  der  Übersetzer  das  verbum  finituni  gabairaidau  vorzog,  liegt  auf 
der  band;  er  hätte,  um  dem  verbum  den  notwendigen  pass.  sinn  zu  geben,  beim 
Infinitiv  viahts  ist  schleppend  widerholen  müssen."  Dieselbe  auffassung  spricht  Beruh, 
auch  Zeitschr.  8,  9 fg.  aus.  Köhler  (Bartsch,  Germ.  stud.  I,  95)  erwähnt  schon  beide 
auffassungen  der  stelle,  hält  aber  die  möglichkeit  eines  dubitativen  Optativs  für  wahr- 
scheinlicher (und  wie  sollte  er  geboren  werden?)  und  sagt:  „Auf  jeden  fall  verlor  der 
ausdruck  durch  diese  Umschreibung  an  eintönigkeit,  die  unvermeidlich  gewesen  wäre 
bei  anwendung  des  sonst  üblichen  ma/its  ist  c.  inf.  act.  für  dvvaa&ao  c.  inf.  pass.  und 
gewann  durch  abwechslung  an  lebhaftigkeit." 

1)  Vglnoch  J.  VII,35.  36,  J.  XVI,  18;  Lc.  VII,  31,  VIII,  2,5;  Mc.  I, -27,  IV,  41. 
Ob  wir  es  in  diesen  letzten  fällen  wirklich  mit  stilistischen  abweichungen  zu  tun  haben, 
ist  allerdings  zweifelhaft  (vgl.  oben  s.  168fg.). 

2)  Verlesen  ist  der  gr.  text  J.  XIII,  29  ei  loa  gibau,  'ivu  n  JcS  (für  cfö)). 

3)  Ebenso  ist  J.  XV,  13  zu  beurteilen,  nur  dass  hier  im  got.  der  dativ  eintritt; 
maixein  pixai  friapwai,  /xeiCova  zavDjg  (}yun)jv. 


DIB    ÜBKRSETZUNGSTECHNIK    DES    WÜLFILA  363 

Lc.  II,  40  sicinpnoda  aJimins  fnUnaiids  jah  handageins ,  fXQavai- 
otiTO  7ivevi.iaTi  jclrjqov^iEvov  oocptag,  ist  ahirims  zu  fullnands  constriiiert, 
während  7CVEv^iaii  zu  tAqaxaiovvo  gehört.  Mt.  XX VII,  60  jah  faurivalw- 
jaiids  staina  mikilamnia  daurons  pis  hlahvis,  xal  7CQoa-/.vli(jag  lii^ov 
f.dyav  xf^  ^''^«  ^ot^  (.iv^^f-ieiov ,  ist  daurons  genitiv,  weil  es  zu  staina 
gezogen  ist. 

J.  XVIII,  10  liegt  gleichfalls  eine  änderung  in  der  structur  vor: 
sah  paii  haitans  uns  uaniiti  Malkus,   )]v  de  orof.ia   zuj   öovhij  Mdlyog. 

Lc.  IX,  28  iraurpun  paii  .  .  .  swe  dagos  ahtau,  rjani»ia?ids  .  .  ., 
iyarsTO  di  .  .  .,  wael  fjf.iiQai  uy.iu),  yta^alaßiov.  Hier  erklärt  sich  der 
abweichende  plural  von  tvaurpioi  daraus,  dass  der  Gote  dagos  als  sub- 
ject  dazu  gefasst  hat. 

Lc.  IX,  27  qipuJi  pan  ixwis  sunja,  Xiyio  de  vfilr  «Aj^i'>wl;  ist  aus 
einem  gr.  adverb  im  got.  ein  Substantiv  als  object  geworden. 

Lc.  X,  21  swa  ivarj)  galciha/J)  in  andicai/pja  p^einamnia,  oviwg, 
eytvevo  evöoyJa  £f.i7CQ00&iv  oov,  ist  das  gr.  Substantiv  durch  ein  parti- 
cipium  gegeben. 

Mc.  X,  45  at  andbahtjam,  öia'/.ovijO-fji'ai,  übersetzt  der  Gote  gr. 
Infinitiv  passivi  durch  ein  den  sinn  ziemlich  genau  widergebendes  Sub- 
stantiv mit  praeposition  (vgl.  G.L.  §  177  anm.  4b). 

Lc.  IX,  59  nslaubei  mis  galeipan  fautpis  jah  aiiafilhau  attan 
ineinana,  htizQexfiöv  /.la  aTteld-övii  7CqCjtov  d-dipai  ibv  7caitQa  f.iov. 
Hier  ist  die  Verwandlung  des  gr.  participiums  in  einen  got.  Infinitiv 
wol  durch  den  zweiten  Infinitiv  bewirkt  worden. 

In  zwei  fällen,  die  noch  hierher  gehören,  ist  der  Gote  vom  casus 
des  gr.  abgewichen,  so  dass  ein  anakoluth  entstanden  ist:  Lc.  IX,  13 
maixo  fimf  hlaibani  jah  fiskos  tivai,  7cXEiov  /]  ccqtol  7tivve  y.al  lyj}-v€g 
ovo,  Mc.  I,  ()  gairasips  taglam  filbaitdatis  jah  gairda  fillcina,  evdedo- 
l-Ui'og  TQiyag  /.af.i/puOv  /.ai   Ciovr^v  dEQf-iaiirr^v. 

Hier  reiht  sich  auch  das  anakoluth  Mc.  III,  10 fg.  an:  jah  gasatida 
Seimona  namo  Paitras,  jah  lakoban  panima  Zaibaidaiaus  jah  lohanne 
bropr  lakobaus  (vgl.  Beruh,  anm.)^ 

1)  Fehlerhafte  Übersetzung  stellen  folgende  fälle  dar:  Mt.  VIII,  9  vianna 
im  liahands  uf  ivaldiifiija  meinamma  (/ad  rauht  ins,  äp!^QO)7i6g  tffit,  vn  i'^ovaiav 
f/cjv  im'  ^fictviov  aTQaicojTug  (vgl.  Zeitschrift  30,  16ofg.  179;  31,  180).  Mt.  IX,  16 
apßan  ni  Ivasimn  lagjip  du  plata  fanan  parihis  ana  snagan  fainijcma,  ovSt)g 
St  imßulXet,  inißliifj.«  oü/.ovg  ayvi'afov  int  if.iuTio)  naXutcp  (vgl.  Bernhardt  anm. 
und  Zeitschrift  30,  167)  und  unle  afnimij)  fullon^  aY^ti  yuii  t6  riXiimiun  (ebenso 
Mc.  II,  21).  Lc.  VIII.  4  gaqunianavm  pari  liiuknia'in  »lanaga/'ni  jah  /jaiiii  Jmici 
US  baurgiiu  gaiddjedun  du  inivia,  awiövrog  St  o^Xov  noXXoü  x«)  twi'  xictü  nöliv 
i.nnoQfvofi^vojv   uQog    uviov   (vgl.  Bernh.  anui.).     Lc.  Vlll,  55  gaivandida  ahman, 


364  STOLZENBURG 

2.   Satzverbindungen. 

In  einigen  fällen  erscheint  für  den  gr.  Infinitiv  im  got.  ein  in- 
directer  fragesatz:  Lc.  I,  21  jah  südaleikidedan ,  Iva  laHdedi  ina  in 
pixai  alh,  /.al  iü-ai'fiaKov  iv  zo>  ygoviCeir  avvbv  sv  toj  vaut.  Für  acc.  c. 
inf.  (ohne  Iv  lo))  steht  ein  solcher  fragesatz:  Lc.  Y,  IS  sokidediin  haitva 
ina  innatbereina  jah  galagidedeina,  eüjTovv  arzöi'  Eiatvey/Mv  zal  ^eivai^. 

Vax  den  stilistischen  abweichungen  ist  wol  auch  zu  rechnen:  Lc. 
XVI,  1  sa,  fraivroliiJ)S  luarp  du  imma  ei  disiahidcdi  aigin  is,  o^zog 
disßh]d"tj  avToi  chg  diaa/MQ/tiLwi'  lä  vytccQy^ovia  avvov,  da  hier  der  neben- 
satz  für  gr.  participium  eintritt. 

Zuweilen  hat  der  Gote  auch  die  gr.  participialconstruction 
aufgelöst  und  die  beiden  verba  finita  entweder  durch  jah  oder  -uh 
verbunden  oder  asyndetisch  nebeneinander  gestellt  2. 

Ersteros  ist  z.  b.  der  fall  Mt.  XXVII,  48  suns  pragida,  ai)is  .  .  . 
jah  nam  su'aniin  fulljands  aketis  jah  lagjai/ds  ana  raus  draggkida  ina, 
Ev&6(üg  ÖQaf.uov  eig  .  .  .  /.al  }x(ßiov  ajtoyyov  7iXrjaag  te  o^ovg  ymI  tzeol- 
&Eig  Äalaj^Ki)  hiöziLEV  avzov  u.  ö.  (vgl.  Gering,  Zeitsehr.  5,  399). 

Es  kommt  aber  auch  asyndetische  nebeneiuanderstellung  vor:  Mt. 
IX,  13  gaggaip,  ganimip,  7V0QEv9^ivzEg  de  fid&EZE  (sonst  immer  wört- 
lich übersetzt  z.  b.  Mt.  XI,  4,  XXVII,  66;  Lc.  VII,  22  usw.).  Mc.  VII,  19 
usgaggip  gahraineip,  Iajcoqeveich  y.ad-aQiUov.  J.  XII,  14  higat  Jmn 
Jesus  .  .  .  gasat,  evqwv  öa  6  ^Injoovg  .  .  .  er/id&ioev.  Lc.  V,  3  galaij)  pan 
in  ain  Jnxe  skipe  .  .  .  haihait  ina  aftiuhan,  ^ißdg  de  slg  tr  tojv 
rcXoiiov  .  .  .  TjQibzr^OEV  avzov  hcavayayelv. 

fTifOTQiipfv  TC)  Tivivf.1«.  Lc.  XVI,  16  iicmpjada^  ßu(UT((c  (irrtümlich  als  passiv  ge- 
fasst).  Mc.  111,10 — 11  managans  auk  gahailida,  sicasu-e  clrustm  ana  ina  ei  imma 
attaitokeitia ;  jah  stva  managai  sive  habaidedun  ivundufnjos  jah  ahinans  unhrainjans, 
paih  pan  ina  gasehun,  drusun  du  imma,  noU.oug  yäo  fOt^ünsvatv,  tönif  fncnt'jiTfiv 
fiVTO)  h'cc  uinov  (hfJWVTicc,  oaoi  ti^ov  (.idariyccg  y.al  ru  nviVf-iicTCC  tcc  ay.icx) ((qz cc ,  orav 
KVTov  i&idjQovv,  TiQoaintmov  avTcp  (vgl.  Beruh,  anm.:  „Demnach  begiuut  der  Gote 
mit  diesen  werten  {jah  swa  managai  sive)  einen  neuen  satz,  musste  also  z«  nvivfiarci 
TU  tr/.u&unra  als  acc.  nehmen  und  schob  J)aih  ein,  bezüglich  auf  das  relative  stva 
managai  sive.''^)  Mc.  XV,  28  J}ata  gamelido,  pata  qipano ,  y)  yi>(«fi]  t)  Xhyovacc. 
(Bernh.  verbessert  qipando.)  Als  fehler  sind  wol  auch  J.  XIV,  17  und  XV,  26  die 
Übersetzungen  von  t6  nvevfin  aufzufassen  (vgl.  Bernh.  anm.).  Verlesen  ist  der  gr. 
tcxt  vermutlich:  Mc.  XI,10  iti  namin  attins  unsaris  Daiveidis,  iv  övöixaTt,  xv^iov 
Toi)  nuTQog  ijjuGiv  zluvEtS.  Lc.XVlII,  9 pagk pH  fairhaitis,  /jiQvv  h/tv  (vgl. Bernh.  anm.). 

1)  Fehlerhaft  ist  gr.  inlinitiv  übersetzt:  LclLlX,  12  jah  ganandida  sik,  xtu 
vnoajQixpm.  Vgl.  Beruh,  anm.:  „Der  got.  abschreiber  (oder  Übersetzer V)  nahm  anstoss 
daran,  dass,  nachdem  die  abreise  berichtet  ist,  die  auftrage  an  die  zurückblcibeuden 
dienci-  erfolgen  und  änderte  demgemäss." 

2)  Vgl.  jetzt  auch  G.  Schuaffs,  Syndetische  und  asjmdetische  paratai'ce  im  got. 
Diss.     Göttingen  1904. 


DIK    ÜBERSETZÜNGSTECHNIK    DES    WULFILA  365 

Von  zwei  gr.  coordinierton  participien  ist  das  eine  belassen,  das 
andere  in  einen  liauptsatz  verwandelt:  J.  IX,  11  ik  (jcdaip  jah  bi- 
pwahands  iissalü,  dyceld^Cov  ds  xat  vnf.idi.i£vog  dviß'ksxl'a.  Verschieden 
übersetzt  sind  zwei  ^^r.  participien  auch  J.  IX,8  niu  sa  ist  saei  seil 
aihtronds ,  ol/  oörog  Icsiiv  o  •A.ad^/jf.isvoQ  /.al  /vQOöaircov. 

Bisweilen  entsteht  dadurch,  dass  ein  participiuni  im  got.  aufgelöst 
wird,  das  zweite  aber  nicht,  ein  anakoluth:  Lc.  XVIII,  9  qap  pan  du 
sumaim,  paiei  silbans  iiriuaidedini  sis  ei  ivescina  garaihtai ,  jah  frahm- 
tmudans  Jmim  anparaini,  ehcev  ös  nqoo,  rivag  'iovg  7CE7Coi0^6Tag  tcp' 
eavtolg  üti  elalv  öiyiaioi  ytal  t^ovd^evovvrag  rovg  XoLvcovg. 

Etwas  anders  ist  J.  VI,  45  zu  beurteilen:  hazuh  nu  sa  yahmisjands 
al  atliti  jah  ganam,  gaggip,  7iag  ovv  ö  dy.oviov  ^tagd  %ov  jcaTqög  /.al 
fiad^iüv  tQxsrai^  und  Mc.  V,  25fg.  jah  qinono  suma  ivisandei  in  runa 
hlöpis  jera  tivalif,  jah  manag  gapulandei  fram  managaim  lekjam  jah 
fraqinnoidei  allamma  seinamnia  jah  ni  ivaihtai  botida,  ak  mais  tvairs 
habaida,  yahausjandei  bi  lesu.     Im  gr.  liegen  participien  vor. 

Verändert  ist  die  structur  bei  Verwandlung  der  gr.  participien  auch 
Lc.  XV,  25  jah  qimands  atiddja  .  .  .  jah  gahatisida ,  /.al  <hg  ^Qyü{.itvog 
Vjyyitsv  .  .  .  /yxoffffiv  und  Lc.  V,  7  bandwidedun  gamanam  .  .  .  ei  atiddje- 
deina  hiljxm  ixe,  '/.avl.vevoav  zolg  {xsTÖxoig  . . .  toü  il&6vTag  GvXXaß&ad-ai 
avtdig^. 

Es  kommt  nun  ebenfalls,  wenn  auch  seltener,  vor,  dass  der  Gote 
zwei  gr.  sätze  zu  einem  zusammenschliesst.    Entweder  handelt  es 

1)  uy.uvbjv  nicht  icxoi'aag  (wie  Bernh.  in  der  anm.  meint)  las  Wullila  (cum 
I)rJA  unc'  vgl.  Tischendorff) ;  i\y.ovu)v  übersetzte  der  Gote  sinngemäss  mit  g ahausjan- 
dans,  wie  auch  in  andern  fällen  (Lc.  XIX,  11,  XX,  45  vgl.  Streitberg,  Beitr.  15, 
s.  164 — 16.5).  Hierzu  Eckardt,  Über  die  syntax  des  got.  rclativpronomens  (Diss. 
Halle  1S75)  s.  14:  „Dieses  präsentisclie  particip  mit  artikel  beibehaltend,  suchte  er 
den  aorist  des  folgenden  particips  (fAuOiöv)  auch  auszudrücken  durch  das  vei-bum 
(iuitum  und  dieses  praet.  ganam  stützte  er  mit  auf  sa,  so  dass  sa  zugleich  die 
function  des  artikels  und  des  denionstrativpronomeus  übernimmt."  Anders  Gering, 
Zeitschr.  5,  322. 

2)  Vgl.  A.  Köhler  (Bartsch,  German.  Studien  I)  s.  83:  „Eine  beachtenswerte 
abweichung  vom  gr.  texte  begegnet  Lc.  V,  7  .  .  .  indem  das  verbum  des  kommens  im  gr. 
in  form  eines  appositiveu  particips  untergeordnet  ist  und  das  helfen  als  die  hauptsacbe 
ei-scheint,  als  der  zweck  des  winkens,  im  got.  dagegen  das  herbeikommen  wesentlich 
hervorgehoben  ist,  und  von  diesem  verbum  erst  der  linale  inf.  hilpan  abhängt.  Diese 
stelle  ist  charakteristisch  für  die  vei'schiedenheit  der  germ.  und  der  antiken  sprachen, 
sofern  zufolge  der  leichten  Verwendbarkeit  der  participialen  ausdrucksweise  es  dem 
gr.  und  lat.  besser  möglich  ist.  die  hauptsache  stark  hervorzuheben  und  nebensächliche 
momente  zurücktreten  zu  lassen,  indem  man  sie  in  form  von  participien  unter- 
geordnet auftreten  lässt,  während  bei  uns  auch  das  weniger  wichtige  als  verb.  finit. 
gesetzt  werden  muss." 


366  STOLZENBURG 

sich  dabei  um  gr.  liaupt-  und  nebeusatz:  Lc.  XVIII,  29  m  ainshun  ist 
pize  afletandmie  gard,  otdeig  aaviv  dg  d(pff/.ev  oi/iiav,  das  einzige  mal, 
wo  der  gr.  relativsatz  durch  ein  got.  participium  übersetzt  wird.  Mc.  XV,  9 
ivileidii  fralelan,  d-tlere  d/colvao),  wo  im  got.  der  inf.  eingetreten  ist 
und  J.  XYII,  4  ivanrstiv  ...  du  ivaurkjan,  tö  tqyov  . ..  'iva  nou'iGoi,  wo 
got.  finaler  inf.  für  gr.  finalen  nebensatz  vorliegt. 

Oder  im  gr.  stehen  zwei  hauptsätze,  von  denen  der  eine  in  ein 
participium  verwandelt  wird:  Lc  Vn,44  atgaggandin  in  gard  peinana 
ivato  mis  ana  fotuns  meinans  ni  gaft,  siafjXdov  aov  slg  rijv  olyilav, 
vdiOQ  f.iot  STtt  nodag  i.iov  ovti  edioyiag.  Mt.  XXVII,  53  innatgagganduns . . . 
jah  ataugidedun  sik  inanagaim,  elofjXS^ov  . ..  yiat  hecpaviod^njoav  7ioXkoLg. 
Jah  steht  im  letzteren  fall  pleon astisch  i. 

In  einem  fall  hat  der  Gote  den  gr.  hauptsatz  in  ein  participium 
und  das  gr.  participium  in  einen  hauptsatz  verwandelt:  J.  VII,  9  Jmtuh 
Pan  qdp  du  im  iviscmds  in  Oaleilaia,  lavia  ds  ehciov  avzolg  a'fisivev 
ev  z^  r. 

Für  gr.  bedingungssatz  und  in  einem  fall  für  gr.  indirecten  frage- 
satz  ist  im  got.  ein  relativsatz  eingetreten:  Mc.  X,  30  saei  iii  andni- 
mai ,  luv  /u)  läßi].  J.  VI,  6  wissa  Jmtei  hahaida  taujan,  j'dei  tl  1'i.isX- 
Xev  ycoieiv'^. 

Der  Gote  hat  endlich  auch  dadurch  die  structur  eines  satzes  ge- 
ändert, dass  er  werte,  meist  pronomina,  anders  bezieht  als  der 
Grieche:  Lc.  II,  3  jah  iddjedun  allai,  ei  melidai  tveseina,  Ivarjixuh  in 
seinai  baurg,  ymI  i/togsvovTo  Tvccvreg  djioyQcccpEGd^ai ,  r/MOtog  elg  Tt)v 
löiav  Ttokiv.  In  seinai  baurg  hat  der  Gote  zu  melidai  construiert. 
Lc.  I,  78  pairh  iufeinandei)i  armaJiairtein  gudis  unsaris,  iri  pammei 
gaiveisop,  did  onXdyyya  iXiovg  dsov  fjf.ia)v,  iv  olg  STtioyJijfeTai.  Wäh- 
rend SV  oig  sich  auf  ojtXdyiva  bezieht,  knüpft  in  pammei  an  den 
ganzen  participialsatz  an.  Ähnlich  auch  J.  XI,  4,  wo  Imirli  pata  den 
ganzen  vorhergehenden  satz  aufnimmt,  öl'  avrfjg  dagegen  dod-aveia,  und 
J.  VI,  13  .ib.  tainjo?is  gabruko  .  .  .  patei  aflifnoda  paim,  matjandam, 
öibde'Aa  'Aocpivovg  y,Aaofj.dTcov  .  .  .  d  ETtegiooEvoev  xdlg  ßeßQio'/.6oLv,  wo 
patei  neutral  steht,  S  sich  auf  xlaof-idttov  bezieht.  Mc.  XII,  10.  11 
stains  .  .  .  sah  ivarp  du  haubida  tvaihstins;  fram  fraujin  ivarp)  sa, 
Xi^ov .  .  .  oÖTog  eyEv/j&rj  elg  -/.ecpaXrjv  ycovlag-  jtaqd  -/.vqiov  iyevsio  avTTj, 
wo  avTTj  zu  y.£(paXrjv,  aber  sa  zu  stains  gehört. 

1)  Wahrscheinlich  haben  wir  es  hier  mit  einer  entstelluug  des  got.  textes  zu 
tun  (vgl.  Bernh.  amu.). 

2)  Einmal  hat  der  Gote  auch  gr.  temporalen  nebeusatz  in  einen  causaleu  ver- 
wandelt: Lc.  V,  34  mite  sa  brupfuds  mip  im  ist,  iv  ö)  6  w/xiftog  uer    uutiäv  iariv. 


DIK    UBERSETZÜNGSTECHNIK    DES    WULFILA  367 

III.   Änderungen  in  der  Wortstellung. 

An  vier  stellen  hat  der  (Jote  (wenn  wir  seine  vorluge  kennen!) 
das  subject  gegen  das  gr.  hinter  das  priidicat  gestellt:  Mo.  II,  4  lag 
sa  Kslipa,  ö  jcaqa'kvxiMq  vmtv/.uco.  Lc.  II,  48  qdp  du  imma  so  aipei 
is,  jC(ju^  aviüv  ij  i^it'jtriQ  aviov  tl/csv.  IjC.V\U^2iisJ)üaiei  usiddjedun 
mihiilpotis  sibiin,  dcp'  ij^  daif.iövia  s/ccä  t^eh^lvdsi.  J.  XIII,  18  iis- 
fidlip  ivaurjn  Jmta  gamelido,  i)  yQcic(fi)  7cltjQto^^fj. 

Als  stilistische  abweichungen  zu  beurteilen  sind  auch  die  fälle, 
in  denen  der  Goto  das  object  gegen  das  gr.  hinter  das  priidicat  stellt: 
Lc.  XIV,  9  hahan  stap,  cöjtov  v.aTi%ELv.  Lc.  XIV,  32  insandjands  airu, 
TTQeoßEiav  d/coareiXag.  J.  XIV,  7  aijtpaa  kunpedeip  jah  aitan  meinana, 
'/mI  cüv  jtaiirqa  fiov  eyvio/.eice  üv  (vgl.  J.  VIII,  19,  wo  die  Wortstellung 
wie  im  gr.).  J.  VI,  7  pei  nhnai  iDarjixuli  leiiil,  %va  rAaoTog  ßgcc^v  zi 
?Mßi].  Hierher  gehört  auch  Lc.  V,  3  aftiuiian  fairra  stäpa,  dno  zfjg 
yfjg  hvavayayEiv.     Lc.  VII,  44  qap  du  Seimofia,  tö  Zi(.uovt  l'(pt]. 

Subject  und  object  sind  umgestellt:  Lc. VI,  1  raupidedun  ahsa 
sipotijos  is,  tciXXov  ol  /.la&r^Tal  avToC  roiig  azdxcag.  Lc.  VII,  16  dissat 
pan  allcms  cujis,  tlaßev  da  cpoßog  ärcaviag.  J.  XII,  3  ist  die  got.  Wort- 
stellung so  geändert,  dass  parallelismus  der  glieder  eintritt:  yasalboda 
foiiins  lesua  jah  hisicarh  fotuns  is  skiifta  seinamma,  YjXenfiev  tovg 
Ttödag  zov  ^h^aoü  '/.at  e^if-ia^ev  zaig  d-qL^lv  auzfjg  zohg  jcodag  avzov. 

Das  adjectivische  attribut^  steht  im  got.  in  einigen  fällen  gegen 
das  gr.  vor  seinem  beziehungswort:  Mc.  I,  23  in  unhrainjamma  ahmin, 
av  jcvEii-iaxi  d/.ad^aQKi).  Mc.  IV,  33  manayaini  gajnkoin,  itaQaßolaig 
Tto'k'kuig.  Lc.  XV,  10  in  ainis  idi^eigondis  fraivaurJitis ,  ajcl  avl  di.taQ- 
ziüXa  fiezavoovvTi.  J.  VII,  14  ana  midjai  didp,  zfjg  aoQzfjg  (.taoovotig. 
Das  umgekehrte  ist  der  fall  Mt.  XXVII,  46  loeila  niundon,  tvdzyv 
ügav.  Andere  abweichungen  in  der  Stellung  des  attributs  finden  sich: 
Lc.  X,  18  gasa/v  satanan  sive  laiihmunja  driusandan  us  himina,  ad^e- 
wQüLV  zov  oazaväv  ujg  dazQa7crjv  ay.  zoi)  ovgavov  Tteoovza.  Lc.  I,  3 
galeikaida  jah  mis  jah  aJiniin  iveiliammu  fram  anastodeinai  allaim 
glaggivaha  afarkiisija7idin  gahaJijo  ptis  meljan,  tdo^e  -/.df-iol  jcaqtjxoXov- 
itrf/.oii  civiod^Ev  jcäOLv  dy.Qißojg  y.ad-e^^g  ooi  yqdcpeiv.  Mc.  V,  2  mafina 
US  aurahjoui,  ay.  zCjv  i.ivri(j.auov  upd^QCoycog. 

Während  sonst  das  attribut  in  Übereinstimmung  mit  dem  gr. 
zwischen  artikel  und  Substantiv  steht,  ist  diese  Stellung  Lc.  XVI,  15 
nicht  nachgeahmt:  pala  haiiJ/o  in  mannam,   zö  av  dvd-Qwcoig  vij.>tjXöv. 

1)  Vgl.  J.  Helhvig,  Die  Stellung  des  attiibutivischeu  adjectivs  im  deutschen, 
üiss.     Giesseii   1899. 


368  STOLZKNBURQ 

Um  iinderung  in  der  Stellung  der  apposition  handelt  es  sich 
J.  VI,  8  Paitraus  Seimoiiaus,  Ui/.i(üvog  IltvQOv  und  Mc.  V,  9  namo  tyiein 
laigaion,  Xsyuov  üPOf.iu  f.ioi. 

Präpositionale  ausdrücke  sind  anders  gestellt:  J.  IX,  6  jah 
ijasmait  imtna  ana  angona  pata  faid,  /ml  hily^qiaev  avuov  xbv  jtr^ov 
htl  roig  d(pd-aXf.iovg  (vgl.  Bernh.  anm.).  Mc.  XII,  25  ussta?idand  us 
daupaim,  £>c  vt%QO)v  dvaoctdaiv.  Mc.  X,  52  jah  laistida  in  wiga  lesn^ 
vMi  tf/.o'kovd^eL  TU)  ^frjoov  Iv  zfj  uöw.  Mc.  XVI,  8  jah  usgaggandeins 
af  pamma  hlahva  gaplauMm,  xat  s^El&ovaai  t(pvyov  d/vö  rov  i.(V7ji.ieiov. 

Die  Stellung  des  adverbs  ist  geändert:  J.Xll^  43  frijodedun  auk 
mais  hmihein  maxniska,  tjymciqaav  yäq  rrjv  dö^av  xCov  dvd-Qwjuov  f.täl- 
Xov.  Lb.  XVIII,  1  du  J)ammei  sinteino  slmlim,  ycgög  zb  deiv  jcdvtOTS. 
Lc.  XIX,  8  fidurfalp  fragilda,  d/codldcofii  zExqarcXovv. 

Das  Possessivpronomen  steht  vor  seinem  beziehungswort,  wenn 
der  Gote  einen  besonderen  ton  darauf  legen  will:  Lc.  IX,  49  ana  ])ei- 
namma  namin,  snl  rw  öv6f.iari  aov,  ebenso  Mc.  IX,  38.  J.  VIII,  52 
7?iein  ivaurd,  zbv  loyov  f.iov,  ebenso  J.  XV,  20.  Um  den  gegensatz 
hervorzuheben  ist  das  pronomen  umgestellt:  J.  XIV,  3  ei  pmrei  im  ik, 
pariih  sijyp  jah  jus,  'Iva  mcov  eif.u  iyto,  /.al  vf-ieic;  syLsJ  t'jve. 

3.   teil. 
Freiere  Umschreibungen, 

Die  fälle,  die  hier  aufgeführt  werden,  stellen  au  sich  keine  neue 
kategorie  dar,  doch  machen  sie  den  eindruck  grösserer  freiheit  und 
Unabhängigkeit. 

Einmal  kann  es  sich  dabei  handeln  um  die  freie  widergabe  eines 
einzelnen  gr.  ausdrucks  z.  b.  eines  Substantivs:  Lc.  I,  78  infeinandein 
armahairtein ,  a/tldyxva  aXsovg.  Die  beiden  glieder  sind  im  got.  ver- 
tauscht und  für  den  abhängigen  genitiv  ist  ein  adjectivisches  attribut 
eingetreten.  Frei  übersetzt  ist  auch  Lc.  VIII,  37  alkd  gaujans  pixe 
Gaddarene,  äjtuv  zb  /cXfjd-og  zfjg  /teQixiÖQOv  zwv  F.  In  freier  widergabe 
steht  für  gr.  Substantiv  ein  got.  infinitiv:  Lc.  IV,  36  jah  warp  afslaiipnau 
aUans,   vmI   lyivEzo   S^df.ißog  hcl  Tcävzag^.     Lc.  IX,  14  gaivaurkeip  iiu 

1)  Vgl.  Beruh,  aniii.  zu  Lc.  VI,  12  und  besonders  0.  Apelt,  Über  den  acc.  c. 
inf.  im  got.  (Germ.  19,  287):  ,,Man  fragt  unwillkürlich,  warum  der  Übersetzer  hier 
das  der  got.  spräche  geläufige  einer  fremdartigen  oder  wenigstens  völlig  vereinzelt 
dastehenden  construction  aufopferte;  man  würde  es  noch  allenfalls  begreiflich  finden, 
wenn  das  gr.  mit  dem  vorbild  des  acc.  c.  inf.  vorangegangen  wäre,  wie  derselbe  sich 
überall  im  gr.  da  findet,  wo  im  got.  der  sogenannte  dat.  c.  inf.  auftritt."  Apelt  kommt 
zu   der  folgerung,    dass  hier  ein   fehler  in  der   Überlieferung  vorliegen  müsse,   und 


DIF.    ItBERSETZÜNGSTKCHNIK    des    WULFILA  369 

aiiahumhjcm  hibiffins,  y.aiaY.VvavE  avTOvg  /Moiag^.  Lc.  VI,  7ei  Mge- 
teina  Hl  du   urolijcui  iua,  ha  £vqiüoiv  y.aTrjyoQi'av  avzoD. 

8ehr  vereinfacht  hat  der  Gote  den  aiisdruck  J.  XI,  13  bi  dep, 
7t£Ql  rfjg  '/.oif-it^aeiog  tov  vjcvov  und  jMc.  XIV,  68  (aar  gard,  l'^io  elg  cd 
jtQoavhov-.  J.  XII,  42  ei  ns  sijnagogein  )ii  uswaurpanai  ivaurpema, 
h'a  f^u)  d/coarrdyajyoi  ytvwvrai.  Frei  übersetzt  ist  auch  Mc.  V,  5  siti- 
teino  nahtani  jah  dagaitf ,  öid  ycaviug  vvAiuq  /ml  fji-UQag. 

Oft  dient  zur  widerji;abe  eines  gr.  ausdrucks  im  got.  ein  ganzer 
satz:  Mc.  VII,  5  bi  pammei  anafidlmn  pai  siuiskms,  /.avd  ti)v  7caQd- 
dooiv  luv  jcQEoßvteQiov.  Ähnlich  Mc.  VII,  8 /»a^e*  anafidhmi  maniians, 
Tjyv  7iaqdöooiv  iCov  dvd^Qioyccov.  J.  VIII,  29  iinte  ik  ßatei  leikaip  inima 
tmija,  oti  ayd)  rd  dgeard  avT(p  /coitü.  Lc.  XVI,  10  saei  triggivs  ist  in 
leitilavnna,  6  /ciarög  ev  eXaxiocto.  Mt.  VI,  12  pmtei  skulans  sijaima, 
rd  uq>eiX/j/.(aia  tjf.i(Ttv. 

Das  gr.  participium  ist  eigentümlich  übersetzt  Lc.  I,  35  dnpe 
ei  saei  gabairada  iveiJis,  haitada  smius  gudis,  öiö  /.ai  tö  yevviüj.ievov 
uyiov  -AXr^i^i'jOBTai   v\6g  dsov. 

Um  die  widergabe  eines  gr.  verbums  handelt  es  sich  Lc.  I,  9 
Jilauls   i)))nia    finrii/   du    saljnu,    llcr/e   rov    d^vf.iidoai.      Mt.  XXVII,  3 

cODJiciert:  jah  ivarp  afslatijjnan  ana  allans,  indem  er  afslaupnan  wie  Bopp  und 
O.L.  als  substautiv  fasst.  Schliesst  man  sich  dieser  conjectur  an,  so  liegt  hier  keine 
abweichung  vor. 

1)  Die  ansicliten  darüber,  wie  diese  stelle  aufzufassen  sei,  gehen  auseinander. 
Apelt  (Germ.  19,  285)  übersetzt:  „Bereitet  ihnen,  um  sicli  niederzulegen,  lager." 
Eingehender  ist  die  stelle  schon  Germ.  12,  4r)0fg.  von  A.  Köhler  besprochen  worden: 
„ Sollte  Vulf.,  um  zwei  allzu  nahestehende  accusative  zu  vermeiden,  hier  den  inf.  act. 
anakumbjan  in  pass.  sinne  gebraucht  haben  und  den  dat.  im,  wie  öfters  den  dat. 
beim  pass.,  statt  einer  praeposition  mit  ihrem  casus  gesetzt  haben?  Dieser  auffassung 
steht  entgegen,  dass  die  aufforderung,  platze  für  die  menge  zu  bereiten,  an  die  jünger 
ergeht,  das  versammelte  volk  aber  bei  diesen  zurüstungen  in  keiner  weise  beteiligt 
ist.  Ebensowenig  darf  man  den  inf.  als  epexegese,  zur  angäbe  des  Zweckes  'zum 
sitzen'  nehmen:  dies  verbietet  erstens  schon  die  Wortstellung,  waurkeip  im  ana- 
kumbjan kubituns,  und  zweitens  müsste  hier,  wo  nicht  ein  einzelnes  verbum,  sondern 
der  ganze  satz  dasjenige  aussagen  würde,  was  zu  einem  gewissen  zwecke  geschieht, 
notwendig  die  praeposition  du  beim  inf.  stehen.  Es  bleibt  nichts  anderes  übrig,  als 
den  inf.  anakumbjan  substantivisch  zu  fassen:  'gelegenheit  zum  sitzen',  so  dass 
kubituns  als  epexegese  zu  dem  inf.  erscheint,  d.  h.  'dadurch  dass  die  ganze  Ver- 
sammlung in  einzelne  schaaren,  tischgenossenscliaften  abgeteilt  wird'."  Dieser  auf- 
fassung schliesst  sich  auch  Bernh.  an  und  fügt  hinzu:  „Der  dativ  ward  wegen 
kubituns  vorgezogen."  Zeitschr.  1.3,  .3  anm.  und  Anm.  zu  Lc.  IX,  14.  Vielleicht  ist 
anakumbjan  als  glosse  auszuscheiden. 

2)  Vgl.  Bernh.  anm.:  „Die  got.  Übersetzung  ist  frei,  doch  sinngemäss;  wahi- 
scheinlich  fehlte  ein  wort  für  /lootcvXtov.''^ 

ZErrSCÜRlFT    K.    DKUTSCHK    1'HIL0L0(JIK.       BD.  XXXVII.  24 


3  70  STOLZENBURG 

Jxitei  (h(  staiiai  gafauhans;  war]),  on  •^aie/.QtS^y^.  J.  XII,  18  ditppe 
iddjedun  gamoijan  hnma,  Siä  tovto  vTtrjvrtjoev  aizto. 

Eine  freiere  widergabe  des  verbalbegriffs  liegt  auch  vor  Lc.  VII,  2 
sivnUawairpja  (was),  Vj^iellev  Tslevrav.  Mc.  XIV,  65  übersetzt  der  Gote 
qa/vio(.iaoiv  ahuv  llaßov  mit  lofam  slohun  ina'^. 

Gr.  acc.  c.  inf.  mit  ttqiv  pflegt  der  Gote  durch  einen  neben- 
satz  mit  faiirpixeA  aufzulösen^;  Mt.  XXVI,  75  gibt  er  ihn  durch  Sub- 
stantiv mit  abhängigem  genitiv:  faiir  hanins  hruk,  jvqIv  uUxroQa 
cpiüvFjOai . 

Nicht  ganz  genau  gefasst  hat  der  Gote  den  gr.  ausdruckt  Mc.  X,  24 
paim  Imgjandam  afar  faihau,  rovg  /[E/toL&oiag  trtl  yq/ßiaöiv,  wo  Lobe 
himjandam  liest  und  meint,  der  Gote  habe  für  7tE7t0Ld-6tag  7te7Cod^7]- 
'Aozag  in  der  vorläge  gehabt^,  und  Mc.  IV,  29  panuh  hipe  atgibada  akraii, 
brav  öi  TZaQado)  (sc.  lavtbv)  6  yiaQTrög  (vgl.  G.L.  §  177,  anm.  5). 

Recht  auffällig  ist  bei  der  sonstigen  genauigkeit  des  Goten  die 
ab  weichung:   Mc.  XIV,  54  tmte  cjam  in  garda,   f'cog  l'oio  elg  zt)v  avh'jv. 

4.   teil. 

Zusätze  und  auslassungen. 

I.   Zusätze. 

1.  Für  das  gr.  pronomen  setzt  der  Gote  das  Substantiv  ein. 

Obwol  wir  es  hier  nicht  mit  eigentlichen  Zusätzen  zu  tun  haben, 

gliedern  sich  diese  abweichungen  doch  hier  am  besten  ein:  Lc.  VIII,  50 

ip   lesiis  gahausjands  andhof,    6   da  d/.ovaag  d/[S/.Qld^i^.     Lc.  XIV,  IG 

paruh  qap  iinma  frauja,  6  de  ehrev  aviat.   J.  XVIII,  1  in  panei  galaip 

lesus,   elg  vv  eiofiki^ev  aviog.     Mc.  V,  22    du  fotum  lesuis,   jcqög  rovg 

Ttödag  avToü.     Lc.  IV,  2  jah  at  usiauhanaim  paim  dagam,   /.al  awre- 

IfO^EiOMv  avuov.     Lc.  XIX,  35  jah  attanhun  paua  fidan,    /ml  jjyayov 

1)  Vgl.  Beruh,  anm.  Man  kanu  nicht  mehr  wie  Beruh,  die  lesart  von  f  'aJ 
iudicium  ductus  est'  zur  erklärung  heranziehen  (vgl.  Kauffmann,  Zeitschr.  30,  180). 
Auch  hat  der  Gote  wol  nicht  deshalb  y.ardy.Qtth^  vermieden,  „weil  vor  dem  verhör 
bei  Pilatus  Christus  eigentlich  nicht  als  verurteilt  bezeichnet  werden  konnte."  Der 
Gote  hat  sich  vielmehr  an  den  vorhergehenden  vers  gehalten,  wo  es  heisst:  Jah 
gahindandans  ina  gatauhim  jah  unafidhun  Pauntiau  Peilatau  kindina.  Das  hat 
(nach  der  meinuug  des  Goten)  Judas  gesehen,  da  sich  panuh  yasaik-ands  Indas  un- 
mittelbar  daran   anschliesst,    und   deshalb   gibt   er   y.ujty.oiftt]   dui-ch  patei  du  stauai 

.  gatauhuiis  warß. 

2)  lofam  slahan  =  (mniXtiv  (Mt.  XXVI,  ü7)  vgl.  oben  s.  357.  slah  lofm  = 
ochiia^iu  (J.  XVlll,  22,  XIX,  3)  vgl.  oben  s.  354. 

3)  Z.  b.  Mc.  XIV,  72  faurjjizei  hnna  hrukjai,  tiqip  (dt'y.TO()a  (fiovriaut.  Ferner 
J.  VIII,. 58,  XIV,  29. 

4)  Vgl.  Beruh,  anm.  zum  got.  text. 


DIE    ÜBRRSETZÜNGSTRCHNIK    DKS    WTTI.FILA  371 

ahöv.  Lc.  V,  20  qäp  du  pamma  uslipin,  shcev  avTß.  Lc.  VII,  40  du 
Paifrau,  ycQÖg  aviov.  Mc.  XI,2  inn()aggandans  in  po  banrg^  elajtoQEvö- 
usvoi   slg  avTijV. 

2.   Eigentliche  Zusätze. 

Besonders  leicht  nuisste  der  Gote  in  den  fällen  dazu  kommen,  etwas 
zuzusetzen,  in  denen  im  gr.  eine  ellipse  irgend  welcher  art  vorlag: 
Lc.  XIV,  32  aippan  (üppström)  jair//  nist  mahteigs,  ei  ds  iurjye.  J.  VI,  66 
uxnh  J)amnu(,  mela,  «x  tovtov  (daneben  J.  XIX,  12  framuh  Jmmma,  Ia 
TovTov).  J.  VIII,  51  aiwa  dage,  elg  töv  altova  (daneben  häufig  du  aiwa). 
Mt.  X,  42  stikla  kaJdis  watins,  7iovrjQiov  ijivxQov.    (Vgl.  s.  355  anm.). 

Wie  schon  unter  1.  so  ist  es  auch  hier  besonders  der  name  des 
herrn,  der  gerne  zugesetzt  wird^:  Lc.  XX,  23  lesns  qap  du  im,  £i7tev 
/coul;  avcovg.  J.  VIII,  23  jah  qap  du  im  lesns,  xai  el/cev  avrolg.  Mc. 
1 ,  42  jah  b/'Jie  qap)  pata  lesns,  /.al  ehcövTog  amoü.  Mc.  IV,  1  jali 
aftra  Jesus  dugann,  /.al  /tdXiv  j'jQ^ato.  J.  XII,  9  patei  lesus  jainar 
ist,  oTi  f/.€i  iaviv.  Lc.  VII,  13  frauja  lesns,  6  xvQiog.  Lc.  II,  37 
blotandei  fraujan,  lazQevovaa  ist  ähnlich. 

Weiter  finden  sieh  zugesetzt  ausführende  attribute:  Lc. XX,46  m 
lveitai}n  . . .,  fV  oiolaig  (der  got.  text  bricht  ab) 2.  Mc.  V,  4  iiaudihandjo7n 
eisarneinaim,  aXiosoiv-^.  hcYllI ^  29  eisarnabandjom,  alvaeoiv,  wo  wir 
den  bestand  teil  eisarna  als  zusatz  empfinden.  Lc.  XVI,  20  sums  ivas 
namin  Jmitans  Lazarus,  rig  ^v  dvoi-iazt  ylaQaqog  (vgj.  J.  XVIII,  10). 
Meli,  12  sivasive  ...  hanhideduu  niikUjandans ,  ügte  ...  do^duiv.  Mc. 
I,  27  afslaujmodednn  allai  sildaleikjandans ,  ^daf-iß/ji^Tjoav  jcävcEg. 

Bisweilen  wird  auch  zurweiteren  ausfuhrung  ein  verbum  finitum 
eingeschoben:  Mc.  il,  4  insailidediui  Jtata  badi  jali  fralailotun,  ^aXümi 
TOi'  /.Qaßairov.    Der  infinitiv  ist  so  zugesetzt:  Lc.  1,71  yibau  uasein  ..., 

OlOZTjQLav. 

Verständlich  ist  der  zusatz  Mt.  XXVI,  72  jah  aftra  afaiaik  mip 
aifia  swaraiuls  patei  ni  kann  pana  mannan-,  /.al  /tältv  yQvt'joazo  ^lecd 

1)  Die  formelhaftigkeit  macht  die  abweichungeu  leicht  verständlich.  So  steht 
z.  b.  .1.  XI,  4  für  gr.  '/ijauOg  das  piouoineu:  i/j  is  gahausjands  (lap,  uxovaug  Si  6 
'Ii)aovi  thiiv.     Ebenso  L<-.  VIII,  46.    Vgl.  Kauffmann,  Zeitschr.  31,  186fg. 

2)  Vgl.  Beruh,  anm.:  „Zu  heifaim  ist  ivastjom  zu  ergänzen,  vgl.  Mc.  XVI,  5, 
Lc.  XV,  22.  Nach  Grimm  (Clavis)  ist  otoXt)  vestis  virorum  laxior  ad  pedes  usque 
demissa.  Der  Übersetzer  scheint  ein  weisses  feierkloid  darunter  verstanden  und 
toeituim  zugesetzt  zu  haben." 

3)  Vgl.  Bernh.  aum.:  ,, Schon  naudibandi  klingt  wie  dichterischer  ausdruck; 
durch  den  zusatz  von  eisarneinaitu  wird  die  Schilderung  noch  lebhafter;  diesen  ein- 
druck  erhöht  noch  eisarnam  bi  fotuns  gabuganaivi  im  folgenden  verse.  Einfacher 
ist  im  Luca.sevangelium  ülvaig  durch  eiscunabaiidi ,  n^fij  durch  futubandi  gegeben." 

24^ 


372  STOLZF.NBURG 

OQ/.OC  Oll  OL)/,  olöa  Tov  UvS-QMJcov.  Afaiaik  mil)  aipa  war  im  got.  nicht 
geeignet  eine  directe  rede  einzuleiten,  deshalb  ward  swarands  einge- 
schoben^. Anders  zu  beurteilen  sind  jedesfalls  die  drei  folgenden  fälle:  Mc. 
XII,  14  kaisaragild  yibcui  Kaisara;  y.fjvoov  Kaiaaqi  dovvai.  Lc.  II,  29 
fraujmond  frmija,  ötOTtora.  Mc.  I,  40  knhvam  hiussjands,  yovvjiB- 
Tüv  avTov.  In  diesen  fällen  ist  vielleicht  die  allitteration  der  zweck 
des  Zusatzes  gewesen. 

Durch  Zusatz  von  adverbien  erreicht  der  Gote  häufig  eine  Ver- 
deutlichung: Lc.  II,  43  mippanei  gatvcDidideditn  sik  aftra ,  tv  reu  vtio- 
aTQ£g)€iv  avTovg.  Lc.  XIX,  15  Mpe  ativandida  sik  aftra ^  ev  reo  ticav- 
sld^Eiv  avTov  (vgl.  Bernh.  anm.  zu  Lc.  XIX,  12).  Lc.  XVI,  2  ju 
panamais,  tri.  Lc.  XV,  19.  21  ju  panaseips  ni  im,  ov/ixi  elf-iL  Lc. 
IX,  12  panuh  dags  jujmn,  /)  de  fj(.tiqa.  Lc.  XIV,  24  pize  faiira  Jiai- 
tanane^  tcüv  xETtXifjf^fvcüv.  Lc.  VIII,  83  usgaggandans  pan  suns  J)ai  un- 
hulpans,  s^eld^ovra  ds  vä  daif-iovia.  Lc.  IV,  29  da  afdrausjan  ina. 
papro ,  elg  tö  /.aTa/.Q7^i.iviGai  avxov.  Lc.  VII,  8  qim  her,  eQyov.  J.  VI,  17 
ni  atiddja  nauhj)an,  ov/.  eXrjlvd^et.  Mc.  IV,  40  haiwa  ni  nauh  hahaip 
galaubein,  nCoo,  ova  iy^eis  /iIgtiv.  Mt.  X,  28  jah  ni  oge/'J)  ixivis  J>ans 
usqiniandatis  leika  Jtatainei,  ij)  saiicülai  .  .  .,  y.at  ^//}  (poßeiaS^e  d/iö  zäjv 
äTto'/irevvovTiüv  tö  GWf.ia,  rijv  ds  \pv%rjv  .  .  .  Mt.  V,  19  jah  laisjai  S2va, 
'/.al  öidd^t].     Lc.  IX,  13  niba  J)au  pjatei,  ei  (.itjti. 

Besonders  gern  fügt  der  Gote  zu  einem  verbalcompositum  eine  par- 
tikel  als  adverb:  Lc.  VIII,  44  atgaggandci  du,  jcQooeld^ovaa.  J.  XVIII,  29 
atiddja  ut,  s^fjld-ev.  J.  XVIII,  4  usgaggands  id^  i^slS^iov,  ebenso  Lc. 
XV,  28.  Mc.  I,  25  nsgagg  ut,  l'^slds.  Mt.  IX,  32  bipe  ?it  'usiddjedun 
eis,  avTiov  ÖS  a^eQxof-ieviov.  McYlll^  Q  ei  atlagidedeiun  faur,  %va  jcaqa- 
d^viöiv.  Mc.  XI,  7  yalagided'un  ana  ivastjos  seinos,  STteßaXov  auTto 
rä  IfxaTia.  Mc.  VIII,  23  atlagjands  ana  handnns  seinos,  ervi&elg  rag 
yÜQag  avTod.  Mt.  XXVII,  7  du  nsfilhan  ana  gastim,  elg  rarpijv  röig 
S,ivoLg. 

Ne  ist  zugesetzt  J.  XVIII,  25  jah  qap:  ne,  ni  im,  y.al  ehrev 
Ov'ii  Eifxi. 

Auch  pronomina  finden  sich  im  got.  häufig  aus  stilistischen 
motiven  zugesetzt,  beziehungsweise  für  den  gr.  artikel  eingesetzt.  So 
findet  sich  das  Personalpronomen  in  der  anrede  zugesetzt:  Lc.  IV,  23 
pu  leki,  larqL  Mc.  IX,  25  pu  ahina,  pu  unrodjans,  tö  7TvEVf.ia  rb 
äXalov,  wo  im  gr.  der  artikel  steht-. 

1)  So  auch  im  lat.  negavit  cum  iuraniento  dicens  oder  iuiavit  cum  iuramento 
(vgl.  Bernh.  anm.). 

2)  Vgl.  ohen  s.  184. 


DIE    ÜBERSETZÜNGSTKCHNIK    DES    WÜLFILA  373 

Personalpronomen  der  dritten  person  ist  zugesetzt:  Lc.  V1I,28  ip 
sa  minnixa  ininm  hi  Jnudangardjni  (judis  maixa  imma  ist,  ö  de  (.u- 
'AQOiegog  Iv  tfj  ßaoilei'a  tov  d-eov  /.teiLiov  avrod  ioriv^. 

Demonstrativpronomen  ist  zugesetzt:  Mc.  VIT,  86  »fct/'s  pamma 
eis  mcridcdnn ,  (.iCtllov  yceQuiaoiEoov  i-y.t'^Qcaaov.  J.  XIV,  8  caigei  nnsis 
pana  nt/nn^  patiih  (jcuiaJi  nnsis ^  del^ov  fjf.uv  zdv  Ttaiega,  %al  aQAel 
fjfdv.  ,1.  XVIIT,  10  sah  pan  ivas  sa  Barabba  umdedja,  rjv  de  6  Baqaß- 
ßäg  h]Oi/jg.  Mc.  XV,  29  bi  Jyrins  dagans  gatimrjands  po,  ev  tqioIv 
))l.ieQaig  oly.odof.ion'.  Mc.  X,  9  J>atei  im  giij)  gau'ap,  manna  Jmmma  ni 
skaidai ,  o  ovv  Oeög  ovvtLev^ev,  avd-Q(.07Cog  /ii>j  yjoQiCi-Ko-. 

Mit  nachdruck  ist  das  demonstrativ  nachgestellt,  während  im  gr. 
der  artikel  steht:  Lc.  XVIT,  17  )iin  laihnn  pai.,  ovyl  o\  öeya. 

Das  Possessivpronomen  ist  zugesetzt:  Mc.  VII,  10  saei  ubil 
qipai  atlin  seinamma  aipjHia  aij>ei)i  seinai,  o  /.ayoXoyiöv  icailqa  )] 
fir^ilqci.    J.  X,  30  atta  meins.^  6  jcairiQ. 

Von  indefiniten  pronominibus  findet  sich  in  dieser  weise  zuge- 
setzt alls:  Mc.  XV,  8  alla  inanagei,  6  oylog.  Lc.  IX,  2  gahailjaii  allans 
paus  unhailans,  läa&ai  cobg  da&erovviag.  Snms:  J.  IX,  40  pixe  P^arei- 
saie  snniai,  h.  xwv  (Daoiaauov.  Ains:  Mt.  V,  46  jabai  ank  frijoj)  pans 
frijondans  ixtvis  ainans,  mv  yäq  dya/i/j07jTE  lovg  dya/tioviag.  Lc.  VH,  39 
rodida  sis  aiiis,  euvev  ev  eavTU). 

Einmal  findet  sich  der  artikel  im  got.  in  verächtlichem  sinne: 
J.  XVIII,  38  ha  ist  so  sunja,  zi  eoviv  dX/^O^eia. 

II.   Auslassungen, 

Es  fehlen  im  got.  toxt  nur  worte,  die  entweder  im  gr.  pleonastisch 
waren  oder  doch  sonst  ohne  not  wegbleiben  konnten. 

Gr.  pleonasmus  ist  vermieden:  Mc.  VII,  36  mais  pamma  eis 
)neridedun ,  (.lälKov  TteQiaaopeQov  eyrjQvoaov.  Mt.  V,  20  nibai  managixo 
u-airpip)  ixivaraixos  garaihfcins,  edv  /o)  /teQiooevöi^  v/liiüv  i)  dr/.aioavvrj 
/cleiov.  Lc.  III,  13  iii  waiht  nfar  })atei  garaid  sijai  ixtvis,  fiTjöev 
7tkbov  itaqct.  xo  diaTeTayi.itvov  vf.uv. 

1)  ßernh.  meint  in  der  unin.:  ,,das  unsinnige  iimiia  gelangte  wahrscheinlich 
aus  einer  lat.  hs.  in  den  gr.  text."  Eine  solche  lat.  lesart  liegt  aber  nicht  vor.  Viel- 
iiieiir  iuindelt  es  sich  wol  um  ein  missverständuis  des  Übersetzers.  Er  hätte  jucxQÖre- 
nog,  wie  an  auderu  stellen  auch  z.  b.  Mc.  IV,  31,  Lc.  1X,48  durch  minmsts  wider- 
geben  müssen.  Er  tat  dies  nicht,  offenbar  veranlasst  durch  das  folgende  maixa  i?}ima, 
fifiCtov  nvTov,  dem  er  ein  minnixa  imma  gegenüberstellte  mit  dem  sinn:  aber  der 
(jetzt)  kleiner  ist  als  er,  ist  im  himmolreich  grösser  als  er.  Der  comparativ  erforderte 
im  got.  die  ergäuzung  iiiinia. 

2)  Hier  musste  ^a?/«;/«  allerdings  schon  deshalb  eintreten,  weil  skaidan  einen 
andern  ca.sus  regiert  als  yaivisan. 


374  STOLZBNBÜRO 

Substantiva,  die  widerholt  gesetzt  sind,  gibt  der  Gote  zuweilen 
nur  ein-  oder  zweimal  wider:  Lc.  XIX,  33  andbindandam  ])an  im 
qejmn  pai  fraujans  pis  du  im :  dulve  midbindats  pana  pdan ,  Ivovtmv 
de  avTüJp  töv  Ttiolov  UTtov  ol  '/,vqioi  avxov  Ttqbg  avxovg.  Ti  Xveze  töv 
Tiiolov.  J.  X,  3.  4  jah  po  swesona  lamba  haitip  bi  7iamin  jah  ustiuhij) 
po,  Jah  pau  po  sivesona  usiiuhip,  faura  im  gaggij),  jah  J)o  lamba  ina 
laistjand,  /.al  td  i'öia  Ttqoßara  . . .  ymI  orav  xd  Xöia  jtQÖßaxa  .  .  y.al  zd 
TtQoßaza  avT<p  aKolovO-Ei.  Mc.  XII,  26  ik  im  giij)  Abrahnmis  jah  gup 
Isakis  jah  lakobis,  eyio  eI^h  ö  S^eög  ^AßQadf.i  /.al  ö  S^eög  ^laad/i  y.al  6 
x^eög  ^lavicüß. 

Leichter  art  sind  schliesslich  auch  die  übrigen  auslassuugen:  Lc. 
XVI,  -18  jah  JvaxMh  saei  afletana  liugaij),  horinop,  /mI  iiäg  b  aTVole- 
Xvfxtvr^v  dno  dvÖQog  yaf.iCov  (.toixevEi.  J.  XVIII,  10  sah  pa^i  haitans 
ivas  namin  Malkus,  ?jv  ös  ovojna  tu  dovhi)  MdXyog  (vgl.  Lc.  XVI,  20). 
Mt.  XXVII,  16  hnbaidedunuh  pau  bandjaii  gatarhidana  Barabban, 
er/ov  de  tote  dtOf.iiov  a/clarjinov  XEy6f.iEvov  Baqaßßäv.  J.  XI,  19  jah 
managai  ludaie  gaqemun  bi  Älarpan  jah  Marjan,  /.al  7Collol  e/.  twv 
^lovdaUov  eXiqkvd-ELOav  jtQog  tdg  ytEql  Mdg&ap  vial  Maqiav^. 

Capitel  IV. 
Stilnüttel  der  gotischen  Übersetzung. 

I.   Allitteration. 

Grosses  gewicht  ist  bei  der  beurteilung  der  Übersetzungstechnik 
des  Wulfila  auf  die  allitterationen  gelegt  worden,  die  sich  in  dem  got. 
texte  finden.  Diese  erscheinung  hat  wol  vor  allem  dazu  geführt  von 
„einem  hauch  dichterischer  begeisterung"  u.  a.  zu  sprechen. 

Wer  den  got.  wertschätz  unbefangen  betrachtet,  erkennt,  dass  auch 
hier,  wie  in  andern  fällen,  der  Übersetzer  für  etwas  verantwortlich  ge- 
macht wird,  was  seinen  grund  zum  teil  in  seiner  spräche  hat.  Die 
allitteration  brauchte  nicht  erst  vom  Übersetzer  kunstvoll  eingefügt  zu 
werden;  solche  erscheinungeu  boten  sich  ihm  ungesucht.  Er  hat  dann 
freilich  diese  gleichklängc  nicht  gemieden  2,  zumal  sein  gr.  orginal  auch 
nicht  davon  frei  war. 

1)  Versehentliche  auslassungeu  liegen  vielleicht  iu  den  vorstehenden 
belegen,  jedesfalls  in  den  nachfolgenden  vor:  J.  XV,  16  gawalida  ixivis,  i^ehSäjLnp' 
v/Liäg  x(ü  'iO-i]xa  vfx&g.  Lg.  \lll ^  il  reiraiidei  Jak  utdriusandci  du  iniina^  rotfiovou 
7]k&(v  y.Ki  nQoaneoovda  avio). 

2)  Dieselbe  erscheinung  findet  sich  übrigens  auch  in  der  ahd.  Übersetzung  des 
Tatian;  vgl.  hierüber  Arens,  Studien  z.  Tatiaa,  Zeitschr.  29,  527. 


1^ 


DIE    ÜBERSETZDNG8TECHNIK    DES    WULFILA  375 

In  manchen  der  fulgenden  belege  wirtl  also  die  allitteration  nicht 
einmal  beabsichtigt  sein  (z.  b.  Lc.  XVIll,  8  ivasiip  pan  jah  ividuivo; 
Mc.  V,  1 8  was  ivods  u.  a.). 

I.  Worte  von  verschiedenem  stamm  allitterieren : 
Mt.  VI,  10  icairpai  ivilja  peius,  yevrid^tfcoj  cb  d-th^f.tu  oov.  ]\It. 
VU,  15  fviilfos  wilicandaus,  li'/.oi  agyiayec;.  J.  X,12  sa  wiilfs  fraivil- 
ivip,  6  h'/iOLi  aQ/cdCEi.  ^Ic  IV,  o7  jah,  urirj)  skura  windis  mikila  jah 
icegos  ivaltidedun  in  skip,  /.al  ylvtiai  XcälaiP  dvef.iov  /ueytiXtj  /.al  id 
■/.v(.iaTa  i/teßaUev  elg  zö  yclolov.  Mc.  V,  15  jah  fjasai/vand  pana  ivodan 
sitandan  jah  gawasidana,  ymI  d-Eioqovoiv  töv  dai(.ioviC6f.iEvov  ytaD^ijaevoi', 
■/Ml  \i.iaciOj.dvov.  Lc.  X,  7  ivaiips  auk  ist  waurstwja  mixdons  seinaizos, 
a^iog  yuQ  ö  tQydvrjg  rov  ^iiaO-ov  avcov  toiiv.  Lc.  XVIII,  3  wasiip  pan 
jah  icidmco,  yj]Qci  dt  /]»'.  Lc.  1,79  in  wig  yawairpjis,  elg  oööv  elQ/pt^g. 
Lc.  I,  H<S  gaiccisoda  jah  gaicanrhla,  lycea/Jii'ato  /.al  hcoitjOEV.  Lc.  II,  15 
/rawrl  Jtala  ivautpano,  ib  Qfjinct  tovio  ib  yEyorog.  Lc.  111,  2  wa?pt 
icaurd,  eytvEzo  Qfjf-ta.  J.VI,  18  winda  niikilamma  uaiandin,  dvef.wv 
uEydXov  rcvtovTog.  Mt.  VII,  25  ivcdivoun  ivindos,  tycvEvoav  6i  avEf-iOL. 
Mc.  V,  18  was  tüods,  daif-ioviad^sig.  Lc.  V,  29  jah  ivas  managei  motarje 
mikila,  /al  r)v  bylog  ieXwv(7)v  -icol^vg.  J.  VI,  31  inaniia  matidedun, 
(.idvva  l'cpayor.  J.  III,  4  Jvaiiva  mahts  ist  manna,  7ti~)g  dvvaxai  av- 
O-QWTtog.  Mc.  XIII,  2()  jah  J)a)i  gasailvand  sunn  nians  qimanda^i  in 
jnilhmant  niip  niaJUai  nianagat  jah  nidpau,  /.al  zote  üilJOPiat  ibv  v'ibv 
zov  dv^-QW/cov  iQyöf-iEvov  Ev  vEcplkaiQ  /.lEzd  dLvdi.iEojg  /i:üXXfjg  /.al  dü^i^g. 
Mc.  Xll ,  24  ;«t'/a  nih  niaht,  zag  ygarpag  f.irjde  zt)v  dci'aimv.  Lc.  XVII,  23 
7ii  galei/)aij>  iiih  laistjaip,  /^n)  d/ctXS-ijZE  fitjös  öico^i^ze.  J.  XII,  36 
galmibeip  du  liuhada,  jciozevete  eIq  to  (füg.  Mt.  XX VII,  52  leika  pixe 
ligandane,  oiof.iaza  zmv  ■/E/.oif.irjf.itvMv.  Mt.  VI,  22  lukarn  leikis,  6 
Xi'yvog  zov  oiöuaiog.  ]\Ic.  XII,  28  ins  san/atia  sokjandaiis  gasaibands, 
aiTOJv  ovvCtizovvzcor ,  idc'n'.  Mc.  VI  11,  3(i  jah  gasleipeip  sik  saitvalai 
seinai,  /al  LTj/^tiiox'f^fi  zi]v  ipiyj)v  uviov.  Mc.  1,  7  skaudaraip  skohc,  zov 
\f.idvza  zG)v  v/codrj/.idcojv,  ebenso  Lc  III,  16.  J.  XII,  37  inima  taikne 
gataujandin,  avzoC  ar^fiEla  7i:E7Coir]y.6zog.  J.X.11^  IS  hausided? in  ei  gataivi- 
dedi  po  taikn,  rf/ovoav  zovzo  avzbv  7CE7Coirj/.EvaL  zb  G7jf.iEior.  J.  IX,  16 
faiknins  taujan,  oriiiEia  7Coie~iv,  ebenso  J.  VII,  31.  Mc.  VIII,  22  jah 
heran  du  inima  hlindan,  jah  bedun,  vxd  (fEQOvaiv  ahot  ivcpXöv,  /al 
;(auu/.(cXovaiv.  Lc.  XIX,  38  JnuJ)ida  .  .  .  piudans,  EvXoyimtvog  .  .  .  ßa- 
oiXEvg.  Mc.  XI,  10  Jnapido  so  qiniandei  J>iadangardci ,  EiXoytjiiuvrj  i) 
^youEVTj  ßaoiXEia.  Mc.  VII,  35  jah  rod/'da  raihtaha,  /al  ^XdXsi  ÖQx')-ö)g. 
\j(^.  XVIII,  2  gap   nl  ogands  jah    niannan   ni  aistands,    zbv   O^ebv  f.tfj 


376  STOLZENBDEG 

g)oßovfi€vog  xat  avd^QMjiov  f^tr^  h'tQE7c6{.iEV0Q,,   ebenso  Lc.  XVIII,  4;    vgl. 
J.  VII.I,4l  ainana  attan  aigum,  Vva  jcaxiqa  t^of^tev  und  ähnl. 

2.  Worte  von  gleichem  stamm  allitterieren: 
Lc.  VIII,  27  yaÄ  wastjom  ni' gaivasips  ivas,  ymI  \f.iatiov  ovy.  Ive- 
didvoKETO.  Lc  VII,25  ivastjom  <ja/rasidana?  sai  jKii  in  ivastjom  wx/pa- 
fjcmn  . . .  tüisandans ,  'if.iaiioig  TjucpiEOiLievov;  idov  oi  iv  'ifiattaf-to)  ivdöHo» . . . 
v/tccQxovTEg.  J.  XIX,2  umstjai  .  .  .  gaivasidedun ,  \udviov  .  .  .  7VEQiEßaXov. 
J.  XVII,  4  waiirstfv  .  .  .  du  ivaurkjan,  rö  tqyov  .  .  .  ha  7toirj00).  Mc. 
VII,  30  ligandein  aua  ligra,  ßEßlruxiviqv  E7U  xfjc,  -/.livrig,  ebenso  Mt. 
IX,  2.  Mt.V,  16  liuhtjai  liuhap  ixwar,  Xaf.nlidTM  tö  rpiog  vf.udv.  Mt.V,  43 
fiais  fiand  pehimta,  /.(lO^OEig  röv  syßQOP  oov.  Lc.  II,  29  fraujinond 
frcmja,  dionoxa.  Lc.  IV,  40  siukans  sauhtim,  äod^Evovvxag  voootg. 
Lc.  II,  27  berusjos  paia  harn,  rovg  yovsig  xö  nmdior.  Mc.  VII,  35  jah 
rmdbundnoda  bandi,  '/.al  tlvd^rj  6  ÖEOf-iög.  Lc.  XIX,  43  bigraband 
fijaiids  peinoi  grabai  puk,  TtEQißalovaiv  oi  iyßQoi  oov  yaQayid  ooi. 
J.  VII,  31  ip  managai  pixos  vianageins ,  7tollol  di  sy.  xov  oykov.  J.  VIII, 
41  taujip  toja,  tvoieTze  zd  agya.  Mc.  I,  40  kiiiwcfm  k)tussjands ,  yovv- 
TtExtov.     Mc. VII,  10  daiipau  afdaupjaidau ,  d^ardx(i>  xslEvxdiw^. 

IL  Wechsel  im  aiisdruck. 
Neben  der  allitteration  steht  noch  eine  andere  stileigenheit  der 
got.  Übersetzung,  die  sich  ausnimmt,  als  sei  der  Übersetzer  der  alUt- 
teration  aus  dem  wege  gegangen,  wo  sie  in  der  gr.  vorläge  gegeben 
war.  Es  zeigt  sich  nämlich  die  neigung  des  Übersetzers  mit  dem  aus- 
drack  zu  wechseln,  dadurch  dass  er  entweder  verschiedene  Wörter  mit 
einander  wechseln  lässt,  oder  verschiedene  wortformen,  oder  die  ver- 
schiedenen satzformen. 

1.  Wechsel  zwischen  verschiedenen  Wörtern. 

a)  Verba. 

Der  Gote  stellt  den  Wechsel  her,  indem  er  entweder  verba  von 
ganz  verschiedenem  stamm  gebraucht,  oder  simplex  und  com- 
positum bezw.  zwei  verschiedene  composita  desselben  simplex  an- 
wendet. 

a)  Verba  von  verschiedenem  stamm:  Lc.  V,  27.  28  laislei  afar  luis 
—  iddja  afar  imma,  d/.olovü^Ei  ^iol  —  Tf/.oloi'd-Ei  avx(o.  Lc.  IV,  35 
iisgaggan  —  urrinnan,  i^ElS^slr.  Lc.  II,  21  haitati  —  qipan,  ymIeIv. 
Lc.  XX,  3L  32  gasiciUan  —  gadaujman,   d/voOavEiv.     J.  XVI,  27.  28 

1)  Nicht  mit  angeführt  sind  solche  stellen,  au  denen  schon  im  gr.  der  gleich- 
klang  vorliegt. 


DIK    DBERSETZ0SGSTKCHNIK    DKS    WULFILA  377 

urrcuiH  —  Hxahiddja,  t^fjli^ov.  Lc.  XIX,  31.  ?A  gairnjan  —  paiirfis 
ivisan,  xQ^t'ccv  i'x^iv.  J.  XV,  6.  7  irisip  —  siJHp^  (.dvrj  —  {.leivrjTe.  J.  XIII, 
31  nu  gasiveraids  warp  {edo^äad-tj}  stiuus  maus  jah  giip  hauhips  ist 
ddoS.äod-rl)  in  iriima^.  J.  IX,  29  nitum —  kunnum,  ol'öafiev.  J.  VIII, 
59,  IX,  1  Ivarhoda  — pa/rJigcifji/ands,  rtaQfjyev  —  jcagaytov.  J.  VII,  28 
knmnip  jah  irit/ip,  ol'daie  v.ai  oYdare.  3Ic.  XII,  20.  21  gasivütan  — 
gadaupi/an,  chcodarelr.  3[c.  II,  (5.  8  Jtaghjnn,  sis  —  initon  sis,  diaXo- 
yiueod^ai.  Mt.  VII,  13  uingacjgnit  —  inngalcipdi/ ,  eiolqyEaO^ai.  ^It.  VI, 
27.  28  maurnan  —  sa/irgan,  i.iEQi!.iväv.  Mt.  VI,  19.  20  hlifcuid  — 
stiland,  '/Ximovoi.     Mt.  VI,  2.  5  andnemun  —  haband,  dyctyovai. 

ß)  Simplex  und  compositum  oder  verschiedene  composita.  Bei 
dem  Wechsel  zwischen  simplex  und  compositum,  insbesondere  den  com- 
positis  mit  dem  prätix  gd-,  handelt  es  sich  oft  nicht  um  einen  Wechsel 
im  wortgebrauch,  sondern,  um  einen  Wechsel  in  der  actionsart  des- 
selben verbums  2;  Mt.  V,  23.  2-1  ^«/yms  —  atbair,  rcQoofftqiji;  —  7Cq6o(peqe. 

1)  Diese  stelle  ist  wegen  des  wechseis  von  icisan  und  icairpan  besonders  be- 
sprochen worden,  vgl.  G.L.  §  181  anm.:  „Übrigens  ist  dies  eine  der  stellen,  wo  die 
Übersetzung  vorzüglich  das  scharfe  eindringen  des  Übersetzers  in  den  sinn  des  Originals 
beurkundet."  Noch  eingehender  ist  die  stelle  bei  Gering,  Zeitschr.  5,  411  erörtert: 
„Der  Gote  hat  die  beiden  iSo^äai^r]  in  verschiedenem  sinne  aufgcfasst,  insofer,n  die 
Verherrlichung  des  sohnes  nur  während  der  kurzen  zeit  seiner  leiblichen  erscheinung 
und  nur  in  gewissen  moraenten  erfolgt,  während  der  opfertod  Jesu  Gott  zur  dauern- 
den Verherrlichung  dient."  Als  weiterer  beleg  wird  dann  J.  XVI,  21  angeführt: 
gabanran  ist  [yfvvr^ari)  .  .  gabaurans  narp  {ey(vp^')-)j)  und  für  den  unterschied  in 
der  Umschreibung  mit  ivas  und  tcarp  Lc.  XV,  24.  32.  Vgl.  ebenda  s.  412:  „Wir  sehen 
wider,  dass  derselbe  (der  Übersetzer)  nicht  mechanisch  zu  werke  ging,  sondern  so 
tief  in  das  Verständnis  der  schritt  einzudringen  suchte,  dass  er  es  wagen  konnte,  selbst 
genauer  als  das  original  den  sinn  einer  stelle  zu  prücisicren."  Dass  der  Übersetzer 
an  solclien  und  ähnlichen  stellen  sehr  sorgfältig  und  dem  Zusammenhang  gemäss  über- 
setzt, indem  er  die  ihm  von  seiner  muttersprache  gebotenen  ausdrucksmittcl  zur  au- 
wendung  bringt,  wird  man  nicht  bestreiten  können.  Andererseits  aber  bleibt  die  grosse 
menge  von  fällen  bestehen,  in  denen  i7H,  was,  tvarp  ganz  unterschiedslos  zur  Ver- 
wendung kommen. 

2)  Fälle  dieser  art  sind  daher  nicht  mit  aufgeführt,  vgl.  AV.  Strcitbei'g,  Per- 
fective  und  imperfective  actionsart  im  germanischen  (Beitr.  15,  80fgg.).  Der  Gote 
wurde  durch  den  unterschied  in  der  -actionsart  zwischen  simplex  und  compositum  in 
den  stand  gesetzt  syntaktische  feinheiten  zum  ausdruck  zu  bringen,  die  nicht 
im  original  standen.  Besonders  war  hierzu  die  partikcl  -ga  geeignet.  Z.  b.  Lc.  VIII,  10 
ci  sailüanduns  ni  gasaibama  Jah  gahausjandans  ni  frapjaina,  'iva  ßXiyiovitg  /.li/ 
fl).i'7io)aip  xcü  tiy.ovovrtg  [xti  avviCjaiv.  Streitborg  sagt  (s.  83)  zu  dieser  stelle:  „Bern- 
hardt findet  in  beiden  </a-com[)ositis  ' intensiv '-bedeutung  (Zeitschr.  2,  l.")8  —  66)  und 
Übersetzt:  -damit  sie  obwol  sehend  nicht  wirklich  sehen  und  obwol  wirklich  hörend 
nicht  verstehen.' ...  Der  sinn  ist  vielmehr  der:  'damit  sie,  obwol  siedle  fäiiigkeit  des 
sehons  besitzen  und  anwenden,  doch  nicht  zum  ziolo  des  sehons,  der  Wahrnehmung, 


378  STOLZENBÜRG 

Lc.  11,  1.  3.  5  gameljan  —  ei  melidai  weseina  —  anameljau.,  dnoyQa- 
(pEod^at.  Lc.  VII,  47  afletanda  —  fralefada,  mpkovTai  —  dcpuzca. 
Mc.  XIV,  69.  70  pdhn  fanrastandandcmi  —  pai  atstandandans,  rolg 
TtaQEGir^/.ooiv  —  Ol  7i'aQE(JiTüTeg.  ■  J.  IX,  31  cuidlianseiji  —  hauseip, 
d/.ovEi.  J.  XYI^  28  UMihiddja  —  atiddja,  i^^ldov  —  il/jlvd-a.  J.  XIX,6 
nshramei  —  hramjij),  avavQOioov  —  oiavQi'ooaiE.     Mc.  IX,  47  iiswairp 

—  atirairpcDi ,  t/.ßalE  —  ßlrjd^Tjrai.  Lc  XV,  23.  24.  29.  32  ivisani 
waila,  ivisa// ,  biiccsjau,  ivaila  tvisan,  EV(fQavd^iof.tEv,  EvcpQaivEod^ai ,  ev- 
(pQavd^(7)y  EvcpQavO-fp'ai. 

b)  Nomina. 

a)  Öubstantiva:  Mt.  V,  23.  24  Hbr  —  giba,  dojQor.  Mc.  II,  23.  24 
sabbatö  daga  —  sabbathn,  rolg  oäßßaair.  Mc.  II,  27.  28  sabbato  — - 
in  sabbato  dagis  —  J)amma  sabbato,  lö  odßßaiov  —   diä  zö  oäßßaiov 

—  xov  aaßßccTOv.  Mt.  V,  46.  47  pai  Jyifido  —  motarjos,  o'i  zEliovai. 
Mt.VI,  1.  2  lauu  —  wixdoii,  ^uod-öv.  Mt.  VII,  24.  26  wair  —  nianna, 
ävrjQ.  Mt.  VI,  16.  17  andwairjd  —  ludja,  jiqöümjiov.  Mc.  I,  16.  17 
fiskjans  —  nutans,  cdiEig.  J.  VII,  11.  13.  15  Indaieis  —  ludme  — 
manageins,  ^lovöaioi  —  ^[ovdauov  —  ^lovdaloi^.  J.  IX,  22.  23  pai 
fadrein  —  pai  benisjos,  oi  yorElg.  J.  XV,  19  manaseds  —  fairJviis^ 
■/iöoi-iog.  J.  XIX,  2.  5  wipja  —  ivaips,  oiecfavog.  Lc.  IX,  60  datipa  —  naus, 
vE^QÖg,  (vgl.  dagegen  Mt.  VIII,  22).  Lc.  XV,  12.  13  aigin  —  sives,  ovoia. 
Lc.  XIX,  13.  16fg.  dails  —  skatts,  f.iva.  Lc.  I,  5.  8  afar  —  kiini, 
Icpru^iEQia.  Lc.  VI,38  mitads  —  mitadjon,  i-ietqov  —  j.ii.TQw.  Hier  sei  auch 
mit  aufgeführt  J.  VII,  4.  10  in  analaugnein  —  aaalaugniba,  ev  xqv/vvc?j. 

ß),  Adjectiva:  Mt.  V,  37.  39  nbils  —  unsels,  jtovijqog.  Mt.  VII, 
17.  18  gods  — piuj)cigs,  dyaO-ög.     Mt.  IX,  17  niajata  —  juggata,  viov. 

gelangen  d.  h.  nichts  erblicken,  und  damit  sie,  obwol  sie  das  resultat  des  hörens, 
nämlich  das  auffangen  der  werte,  erlangen  d.  h.  das  gesprochene  vernehmen,  doch  nicht 
zum  Verständnis  des  vernommenen  gelangen'."  Vgl.  noch  Mc.  ITI,  24.  25.  26,  IV,  9. 
23,  VII,  16;  Lc.  VIII,  8.  10,  X,  24;  J.  XVII,  25  u.  a.  Zur  übersetzungstechnischea 
beurteüung  dieser  fälle  im  ganzen  ist  jedoch  nicht  ausser  acht  zu  lassen,  was  Streit- 
berg selber  s.  81  vorausschickt:  ,,Da  sich  nämlich  die  nachbildung  (Übersetzung)  mit 
möglichster  treue  an  das  vorbild  anschliesst,  so  werden  wir  in  der  rogel  dort,  wo  im 
griechischen  ein  mit  präpositionen  zusammengesetztos  verbum  steht,  auch  im  got.  ein 
compositum  treffen,  während  umgekehrt  hier  die  präposition  mangelt,  wenn  sie  doit 
fehlt."  Und  weiter:  „Bei  dieser  Untersuchung  darf  jedoch  ein  punkt  nicht  aus  dem 
äuge  verloren  werden,  nämlich  die  tatsache,  dass  der  Übersetzer  nicht  gezwungen  ist, 
an  jeder  stelle  jede  Schattierung  des  Originals  widerzugebeu."  Dazu  kommt,  dass 
Str.  an  zwei  stellen  textverderbnis  annimmt,  weil  die  Übersetzung  hier  die  von  Str. 
aufgestellten  regeln  durchbricht:  Lc.  XIV,  35  (s.  83)  und  Lc.  X,  24  (s.  85). 

1)  Vgl.  Beruh,  aum.  f  kann  allerdings  nicht  mehr  zur  erklärung  herangezogen 
werden. 


DIE    ÜBERSETZÜNGSTECHNIK    DES    WULFILA  379 

Mt.  IX,  32.  33  bauds  —  dumbs,  /McpÖL;.     Lc.  XVI,  10.  11   luitriggivs  — 
i7iivinds,  cidi/iog.     Lc.  Vl,36  blcipjandfnis  —  blelps,  oly.ii'Qf.ioreg —  oi- 

c)  Pronomina. 

Mt.  V,  31.  32  Ivtnii/f  saci  —  sa  ixei,  oo,  av.  Mc.  IX,  37  saei  — 
sa  liMXuh  saci,  og.  civ.  Mc.  X,43. 44  ak  sa  haxith  saei — jah  saei,  aXV 
oc  'c-CLv  —  x«t  og.  Lc.  VlII,  13  ixei  —  paiei ,  oi.  Lc.  XIV",  19.  20 
anjmr  —  sains,  ('ceQog. 

d)  l'artikeln. 

Hier  Jässt  sicli  oft  nicht  mit  bestimmtlicit  sagen,  ob  wir  es  mit 
dem  stilistischen  mittel  dos  weclisels  im  ausdruck  wirklich  zu  tun  haben. 
In  sehr  vielen  fällen  handelt  es  sich  einfach  darum,  dass  dieselbe  gr. 
Partikel  in  verschiedenen  Stellungen  auch  nach  got.  Sprachgebrauch  ver- 
schiedeneu wert  hat  und  also  auch  verschieden  übersetzt  wird. 

Wechsel  scheint  vorzuliegen:  Lc.  XV,  29  vi  Ivanhun  —  ni  aiiv, 
oidi/coie.  Mt.  V,  18  7itid  patci  —  nute,  l'iog  är.  Mc.  I,  22  sive  — 
sirasire,  cog.  Mt.  VII,  29  ebenso.  Mc.  IV,  5.  ö  in  J>ixei  ni  habaida  — 
iinte  i(i  habaida,  öiä  xb  (.Uj  i%uv.  J.  VIII,  21  —  2^  panuh  -  pau —  nu 
—  pamh,  ovv.  Lc.  X,  20  ei  —  in  jHunmei,  ovl.  Lc.  X,  2(i.  "11  paruh 
qal)  —  ip)  is  andhafjands  qaj>,  u  St  ei/csv  —  u  de  d/vo/.qtd^dg  d/cev. 
Lc.  XIX,  17.  19  tifar  —  afaro,  t/cdvto. 

2.  Wechsel  zwischen  verschiedenen  wortformen. 

a)  Verbum. 

a)  Wechsel  im  tempus:  Mc.  IX., -il  ei  galagjaidaa  asiluqairnus  . . . 
Jak  fruicanrpaiis  iresi,  el  7teQi/.eiTca  ?J*)og  iLiih/iog  .  .  .  /mI  ßfßlrjcai. 
Mc.  V,  \5  jali  atiddjcduii  du  lesua,  jah  gasailoand,  /.al  l'Qyoviai  /cqbg 
ibv  'Itjoovv,  /ML  i}EojQovaiv.  Mc.  V,  22  jah  sai  qinii/t  ains  pixe  syua- 
gogafade  .  .  .jah  .  .  .  gadraus  dtt  fotiini  lesiiis,  '/.al  löov  tQXEiau  eig  tvjv 
agyiourayioycor  .  .  .  /al  .  .  .  jiucvel  7cqog  zobg  7i:6dag  atJioP.  Mc.  V,  40 
ip  is  .  .  .  ganiniip  atfan  pis  barnis  .  .  .jah  galaij)  i}in,  b  bl  .  .  .  Tiaqa- 
}Mj.iß(xvEi  ibv  jvaztqa  lov  /caiöiov  .  .  .  /al  eioycoQEoeiai.  J.  XII,  22  gaggip 
Filippas  jah  qipij>  da  Audraiin,  jah  afira  Aadraias  jah  Pllippas  qcJ)Hit 
du   Icsua.  tQxeiat  .  .  .  Xtyu  .  .«.  )Jyovoiv. 

ß)  Wechsel  im  modus:  Mt.  V,  19  galairij)  —  laisjai,  Ivaij  — 
dibutrj  und  taujip  jah  laisjai,  7ioirjai]  /al  diöd^^jK     Mt.  A^,  25  ibai  .  .  . 

I)  In  (]ie.sem  fall  und  einigen  andeiu  wird  dor  weclisL'l  im  modus  von  Bonih. 
auü  syntaktischen  gründen  erklärt  (vgl.  ot>cn  s.  l(j!>.  Stil).  In  der  arim.  zu  Mt.  V,  19  lioisst 
es:  „Der  conjunctiv  bezeichnet  die  entferntere,  von  der  orfüUung  der  ersten  bedingung 
abhängige  handlung;  vgl.  Mt.  X,  38  sai  ni  niinip  (jalgan  seiiiaiia  jah  laisljai  afar 
mis,  ebenso  Lc.  XIV,  27.    Daher  auch  1.  C.  XI,  27  .  .  .  und  gerade  so  J.  VI,  53  nibai 


380  ST0LZENBUR6 

atgibai  .  .  .  atgibai  .  .  .  galagjaxa .  f.n'i7C0TE  .  .  .  jraoadot  .  .  .  jiciQaöG)  .  .  . 
ßlrjd-t]0)]  (vgl.  Beruh,  anm.:  „Ni(!lit  mehr  von  ibai  abhängig").  Mt. 
VI,  31  Iva  Diatjam  afjtpax  Iva  drigkam  .  .  .  aippau  he  icaüjaima,  xl 
(pciyojfiEv  rj  ri  7Vuoi^iev  Vj  xl  yceQißahoi-ied^a.  Mt.  X,  38  nimip  .  .  .  jalt. 
laistjai,  Xaf.ißavEi  —  %al  dKoXovd^el.  Mc.  II,  22  distairai  —  iisgiitnij) 
.  .  .  fraqisinand^  grjoaei  .  .  .  i/ixeiiai  .  .  .  mtokovvTai.  Mc.  III,  27  niba 
faurpis  pana  sivinjmii  gabindip,  jah  Imna  gard  is  disivihvai,  drjmj  . . . 
diaQTtaof].  Mc.  VII.  14  hauseij)  —  fraj>jaip,  cckovete  —  gvviste.  Mc. 
IX,  39  ni  maniiahuii  aiik  ist  saei  taiij/J)  mäht  in  namin  meinamma 
jah  magi  sprauto  ubihvaurdjau  mis,  7tou]OEL  —  dvvrjoETai.  J.  VI,  53 
matjij)  — jali  drigghiij)^  rpdyrjiE  —  xat  7CitjTE.  J.  VII,  17  iifkunimij) 
hi  J)0  l'aisein  framiüi  gnda  sijai,  pau  iku  fram  mis  silbin  rodja,  yvw- 
GEvai  7CeqI  Tfjg  diöayjjg  7c6teqov  ex  rov  d-EOV  sotiv  tj  tyco  d/t'  niaviov 
laXtT).  J.  VIII,  51.  52  fastaij)  —  fastai,  xtjQr^oi].  J.  XII,  5  frabauht 
was  —  fradailip  wesi,  htqüO^r^  —  lööd^tj.  J.  XII,  26  andhahtjai  — 
andbahteip ,  diaxorf].  J.  XV,  20  jabai  mik  wrekun,  jah  ixtvis  ivrikand, 
jabai  mein  nraird  fastaidedeina ,  jah  ixivar  fastaina,  Iduo^av  .  .  . 
öuo^ovoiv  . . .  extjQrjaav  . . .  xyQi^oovotr.  Lc.  XIV,  12  ibai  . . .  aftra  haitaiua 
—  wairjyip»,  (.it]7CoxE  .  .  .  dvir/Mleacoaiv  —  yivrjxai.  Lc.  XIV,  27  bairip)  — 
jah  gaggai^  ßaoxd'CEo  ■ —  /mI  tqyEvai.  Lc.  XVII,  8  gamatjis  jah  ga- 
drigkais  pm,  cpdysoai  -/.ai  TViEoat  ov.  Lc.  1,13  jah  qcns  peina  Ailei- 
sabaij)  gabairip)  sunu  pxis,  jah  haiiais  namo  is  Johannen,  iy  yvvrj  oov 
^EXiodßsd-  yEvvrjGEi  viov  ooi,  /ml  '/.aX&OEig  xö  ovo(.ia  avxo'v  ^hodrrrjv.  Lc. 
I,  31  jah  sai  gatiimis  in  kilp)ein  jah  gabairis  sunu,  jah  haitais  namo 
is  Jesus,  '/Mi  idoi)  ovXhjimlir]  iv  yaozql  ymI  ttifj  xh6v,  /mI  YMlioEig  xö 
oi'Ofia  avxov  ^Itjoovr. 

y)  Wechsel  im  genas:  J.  XV.  6  galisada  —  galagjand,  awäyoLOiv 
avvd  —  ßdlXovaiv.  Lc.  II,  12.  16  galagij) — ■ligando,  yiEi^iEvov.  J.III,  31 
sa  qimands  —  sa  qumana,  6  fQyüi-tErog.  Lc.  X,  0.  11  atnchida  ana 
ixwis  —  atneJvida  sik  ana  ixwis,  )]yyiAEv  Iqi'  v[.iäg. 

Verschieden  umschrieben  ist  das  passiv  J.  XIII,  31  gasivcraids 
tcarpt  —  hmihipts  ist,  edo^dod^rj. 

d)  Wechsel  im  numerus.  Es  findet  sich  unter  gr.  eiufluss  (vgl.  oben 
s.  173)  Wechsel  zwischen  dual  und  plural:  Lc.  XIX,30.  31  gaggais  — 

inatjip)  —  jali  drigkaij)  und  im  hauptsatz  Lc.  XVII,  8  bip)c  yaiiiafjis  jalt.  gadrigkais 
pu;  dann  issest  du  und  später  (d.  h.  vielleicht)  trinlist  du"  (vi;i.  auch  Bornh  ,  Zeit- 
schrift VIII,  32).  Hier  haben  wir  also  beispiele,  in  denen  der  Gote  syntaktische 
feinheiteu  zum  ausdruck  bringt,  die  nicht  im  gr.  original  standen,  doch  steht  daneben 
eine  menge  von  fällen,  die  Wechsel  im  modus  zeigen,  ohne  dass  eine  soL^he  syntak- 
tische motivieruug  gegeben  worden  könnte. 


DIF.    ÜBERSETZUNG STKCHNIK    DES    WDI.FILA  381 

bigitats  —  attiuliijt  —  andhii/dt'p  —  (jipat'fs,  hcayere  —  eIq/joeie  — 
dydyeie  —  Xi'ere  —  ^gelie.      Kbenso  Me.  XIV,  18. 

Wechsel  zwischen  singular  und  plural  liegt  vor:  J.  \'II,  20 
audliof  so  managei  jah  qepioi,  d/teÄQi i^ii  6  oyXog  /.ai  ei/cev,  (wo  der 
Gote  qejmn  ytavu  avveaiv  constriiiert  hat). 

b)  Nomen  und  pronomen. 

Hier  liandelt  es  sich  vor  allem  um  Wechsel  im  casus,  den  der 
Gote  durch  Wechsel  in  der  eonstruction  herbeiführt:  Mc.  IV,  5.  6  ni  ha- 
hakhi  (lirjHi  imunigd  —  i)i  Jnxei  ni  habaida  diupaixos  airpos  —  unte 
ni  Jiabaidd  u-mtrtinfi,  ovv.  eiyev  yfjv  Ttolh'jv  - —  öiix  xb  fxt)  tyeiv  ßd&og 
yfjg  —  did  lu  ui]  tyeiv  {)i'^ai'.  Lc.  XVII,  27.  29  fraqistidu  (dhtis  — 
fntqist/d((  (dilti)}/ ,  dyiwAeaev  a/cavTag.  Mt.  VIII,  9  df(  pannmi  -  jaJi 
(it/Jx/rtnntna  —  ja!/  du  shilhi,  im  gr.  stets  der  dativ  ohne  priiposition, 
ebenso  Lc.  VII,  (S.  Mc.  IX,  35  sijai  allai\e  aftmnists  jah  allaini 
iindlxdits,  l'üiai  jcdvicov  ^'oyarog  Aal  jcdvccov  didy.ovog.  Mc.  XII,  19 
bileipai  qenai  jiih  bunie  ni  bileijmi,  d/coXei/cij  ywai^a  xal  rtyiva  (.uj 
dq>fj.  Lc.  IV,  25  du  jeratu  prim  jah  menoJ)s  saihs,  hti  I'tt^  tqia  y.al 
urjrag  !-'^.  Lc.  11,46.  47  hausjandan  im  — pai  hausjandam  is ,  d/.oi'oi'ia 
ariior  —  oi  d/ioiovieg  avToü.  Lc.  I,  7.  18  fraiualdra  dage  seinaixe  — 
fra>naIdroxei  in  dagam  sei/iairn,  TCQoßeßrjy.6 reg  tv  ralg  t^f^tegaig  — -  jcqo- 
ßeßtfÄvla  h  zaig  ijf.itQaig.  J.  XV,  19  Jns  fairhans  —  ?<.s  J)amma 
fairivau,  l/.  zoü  '/.ooaov.  Lc.  VII,  21  gahailida  managanst  af  sanhtin/ 
jah  slahiin  jah  altmane  (graecismus!),  t&eQdjcsvoev  /toXXovg  d/cö  vooiov 
■/.al  (.laaTiywv  /.al  7ivtif.idTiov.  Lc.  XIV,  11  saei  hauheip  sik  silba  (lies 
silban?)  —  saei  hnaiiveij)  sik  silban,  6  vipCov  eavzbv    -6  za/ceinov  savTov. 

Bei  fremd  Wörtern  findet  sich  ebenfalls  Avechsel  in  den  woii- 
formeii:  Mt.  X,  41  praufetans  —  praufetis,  jcQOiftjiov.  J.  XVTII,  28 
in  praiioriann  —  in  praitorla,  ug  cb  ycgaiTWQiov. 

Wechsel  im  genus  liegt  vor  beim  participium  Mt.  IX,  8  gasaÜDaii- 
deins  J)an  managei ns  ohtedan  sildaleikjanda)is ^  idövreg  di  o\  oyXoi 
aq)oß/iS^rjoav. 

Wechsel  im  numerus  findet  sich  beim  pronomen  Lc.  X,  23.  24 
poei  —  Jmtei,  u^. 

3.  Wechsel  in  dei'  satzfügung. 

Verschiedene  Übersetzung  des  gr.  participiums  liegt  Nor:  Lc. 
XVI,  20.  21  banjo  fidls  jah  gairnida,  eiXyjof.itvog  '/.al  ^/cii^vf-iüv.  Lc. 
XVI.  18  sa  (iflf'tands      jah  lingands  -jah  ioaxuh  saei  afletana  lingai/), 

1 )  Hier  ist  jedoch  vernmtlicii  /joei  für  patei  verschrieljeu ,  da  ein  anderes  poei 
vorhergeht:  auyona  poei  saihutid  poei  jus  suiloip. 


382  STOLZEKBUBG 

6  d/roXviov  —  xat  ya}.n7)v  —  xat  7taQ  ö  äTto'ke'kvi.itvtjv  ya(.uüv.  Lc.  III,  11 
sa  habcmds  —  saei  habai ,  6  l'yjov.  J.  X,  1.  2  saei  inn  ni  atgaggip  — 
sa  inngaggands,  6  f.it)  eloeQxöf.iEvog  —  6  Ela£Qx6[.iEvog.  J.  VI,  64  harjai 
sind  Jmi  ni  galaubjandans  jah  htis  ist  saei  gaUweip  inn,  Tiveg  slaiv 
o\  f-irj  7tiGTEvovtec  '/.cd  rig  eoriv  6  Ttaqadcooiov  avTov. 

Gr.  Infinitiv  wird  verschieden  übersetzt:  Lc.  XIX,  12  gaggida  . . .  fra- 
niman...jaJi  gaivandida  sik,  hTtoQBvS-tj . . .  laßeiv . .  .vmI  v/toaTQtiliai. 

Wechsel  in  der  satzfügung  findet  sich  ferner:  J.  XVI,  16.  17 
leiiil  jah  —  leiiil  ei  —  leitil  jah,  ui/.Qdv  /.ai'^.  Lc.  VI,  37  jah  ni  stojip, 
ei  ni  stojaindau  —  ni  afdomjaij),  jah  ni  afdomjanda,   /.ai  f.iij  -/.giretE 

'/Ml    od   f.lij    '/.Qlü^fjTE  f.ltj    '/MTadr/MLEtE,    '/Mi    OV   f.Uj    '/MTaöi'/.aad-fJTE.     Mc. 

III,  14  jah  ganrinrJäa  hvalif  dn  wisan  ...jah  ei  insandidedi ,  /ml  hcoi- 
r^OEv  ÖLoÖExa  h'a  woiv . . .  /.al  %va  mtoozfiXlrj.  Mc.  I,  6  ivasnj)  pan  lohannes 
gaivasips  —  jaJi  matida,  tjv  de.  ^liodvvtjg  Evdedvfxevog  —  ymi  eod^iiov. 

Als  Wechsel  in  der  Wortstellung  seien  noch  folgende  fälle  er- 
wähnt: Mc.  VIII,  12  J)aia  Jmni  —  kunja  Jmmma,  y  yEVEcc  aviTj  —  ttj 
yEVEo.  Tavzrj.  J.  XVIT,  14  unie  ni  sind  ns  Jmmma  fairJvaii,  sivasive 
ik  US  J)amma  fairhan  ni  im,  oci  ov/.  eIoiv  h.  lov  '/.6of.iov,  /.ad^tog  eyoj 

OVK    eIi-iI    fix    TOV    '/.6O}.l0V. 

Dieser  reichhaltigkeit  des  wechseis  in  der  got.  Übersetzung  stehen 
andere,  wenn  auch  weit  weniger  fälle  gegenüber,  in  denen  ein  Wechsel 
des  ausdrucks,  der  sieh  im  gr.  findet,  nicht  \v  i  d  e  r  g  e  g  e  b  e  n  ist 
und  zwar: 

a)  dadurch  dass  der  Gote  dasselbe  wort  widerholt  hat. 

a)  Verba:  Mt.  XI,  7.  8  saihan^  S^Eccoaa&ai  —  IöeIv,  ebenso  Lc. 
VII,  24.  25.  Mc.  A^III,  24  gasaüvan,  ßlt/cEiv  —  oqäv.  Lc.  X,  24  saihan, 
iÖEiv  —  ßls/TELv.  Lc.  VI,  41  gaumjan,  ßXtTtEiv  —  '/.aravoEiv.  Lc.  VII,40 
qäp  —  qip,  tcpri  —  eucL  Lc.  XX,  2  jah  qepun  du  innna  qijtandans, 
■/.ai  Eijtov  7CQüg  avrbv  X^.yovTEg.  Mc.  I,  21  galeip>an,  ElaycoQEVEO&ai  — 
EiOtQyEod^ai.  hc.  YIll.,  22  galeij)an,  dÜQyEod^ai  —  dvdyEod-ai.  Lc.  IX,  45 
ni  frapjan,  dyvoEiv  —  fxt)  ala&dvsad^aL.  Lc.  XIV,  12  haitandin  — 
ni  haitais,  /.E'/Xri'/.oTi  —  ^t^/}  (piovEL.  Lc.  XIX,  16.  18  gawaurkjayi, 
TtQooEQyduEod-ai  -=-  jcoieIv.  J.  XII,  40.  47  ganasjan,  icca&ai  —  (twCeiv. 
J.  VI,  53.  54  matjan,  (paysiv  —  TQwystv.  Mc.  XV,  84.  35  wopjan, 
ßodv  —  (fioveiv.  Mc.  XIV,  68.  71  afaikan,  dgrelaS^m  —  dvad^Ef-iariUEiv. 
Mc.  XII,  19   bileipan,   '/MTokEinEiv  —  dffiivai.     Mc.  XII,  8.    12   und- 

1)  Vgl.  dazu  Klinghardt,  Sjaitax  der  got.  partikel  e?  (Zeitschr.  8,  154fg.):  „Wir 
können  uns  diese  erscheiuung  kaum  anders  erklären,  als  dass  der  übei-setzer  auch 
hier  seiner  sonstigen  bekannten  neigung,  statt  der  einförmigen  widerholung  eines 
Wortes  im  gr.  texte  gotische  synonymen  zu  gebrauchen,  gefolgt  ist.'" 


DIE   ÜBERSETZUNQSTECHNIK    DKS    WULFax  383 

I 

greipan,  Ictf.tßaveiv  —  Aqaxeiv.  Mc.  V,  41.  42  urreisan,  tyeiQeo&ai  — 
dvioiaad^ai.  Mt.  VII,  25.  27  hisligqaJi,  7iQoa7Ci7txEiv  —  jvooGM/cxtiv. 
Mt.  V,  17.  19  gatairan  —  gatairij),   /.araXCoai   —  ^t'rjr;. 

ß)  Nomina:  Lc.  XV,  12.  13  sices,  ßiog  —  ovaia.  Mt.  VII,  17  gods, 
dyad-og  —   /Mlög  und  ubils,  aa/CQog  —  /covtjQog. 

Für  die  partikeln  lassen  sich  solclio  fülle,  die  stilistisch  wichtig 
wären,  nicht  aufstellen.  Zu  nennen  wäre  höchstens  Mc.  I,  2  6'«^'  ik 
inscüidja  aggilii  meinana  faura  piis^  saei  gnmanweip  wig  peinana 
fmtra  Jnis ,  löob  ^yio  djcoaieXXio  tov  liyyeXöv  uov  jtob  /cqogi'ojCov  oov, 
og  /Miao/.ecuO£i   tijv  udöv  oov  tf-uvqoodtv  oov. 

b)  dadurch  dass  im  got.  simplex  und  compositum  oder  verschie- 
dene composita  gesetzt  sind^: 

Mc.  I,  2.  3  gamanwjan  —  manivjan,  xaTaay.eva'Ceiv  —  txoLi.iaS.uv. 
Mc.  VIII,  15  saihip  ei  atsaihip  ixwis  Jm  beistis,  ögaxe  ßlfTtexe  d/cö 
xfjg  Ct'fi^g-  J.  XVI,  16  leitil  nmih  jali  ni  saihijt  mik,  ja)/  aftra  leitll 
jah  g<isaihip>  mik,  i.ii7.Qdv  v.ai  od  S-£(i)QEixe  /.ts,  ymI  7cdkiv  /.ii/,odi'  /.ai 
oif'eai^e  fxs.  Lc.  XIX,  45  pans  frahugjandans  in  ixui  ja!)  hngjanddiis, 
xovg  TtioXoBvzag  Iv  avxw  /.al  dyoqdl^ovxag ,  ebenso  Mc.  XI,  15  und  Lc. 
XVII,  28  hcmhtedun  jah  frabauhtednn,  ijyoQaCov  —  hciolovv.  Mc. 
XII,  1  ussatida  —  jah  bisaiida,  tcpvxevoev  —  /.at  7C£Qi^d^r]/.€v.  Mc. 
XIV,  47  sloh  —  jah  afsloh,  tjcaiOE  —  d<pelXs.  Lc.  V,  31  huilai  —  pai 
unhailans ,  o\  vyiaivovxeg  —  o\  VM/Mg  ty^ovxeg.  Mt.  IX,  12  hailai  — 
loiJuiili  liabandans,  loyvovxtg — /.a/Mg  Ixovxeg.  Mt.  IX,  ?)b  jah  hailjands 
.  .  .  al/a  iinhailja ,  vmi  S^ega/ceviop  .  .  .  7raGav  /.lalayj'av.  Mc.  II,  17 
uswaurhtans  ak  fraivaurhtans ,  dr/.aiovg  dXkd  df.taQXO}Xoög,  ebenso 
Mt.  IX,  13. 

Ausgleich  eines  gr.  wechseis  ist  endlich  auch  eingetreten:  Mc.  V,  10 
baiiva  icarp  bi  pana  wodan  jah  bi  po  sioeina,  7cG)g  eytvexo  xto  öai- 
uovi'Cof.itvii^)  v.ai  7Ctoi  xovg  yoi'oovg,  wo  im  got.  gleichheit  in  der  con- 
struction  hergestellt  ist. 

Es  bleibt  noch  zu  erwähnen,  dass  der  Gote,  wenn  im  gr.  mit 
absieht  zwei  gleiche  Wörter  mit  einander  verbunden  sind  (annomi- 
natio),  dies  oft  nicht  nachahmt:  Mt.  XXVII,  9  andaivairjyi  —  garahni- 
dedun,  xijv  rifxtiv  .  .  .  txif.i/jaavxo.  Mc.  III,  28  jah  na/iteinos,  siva,  ma- 
nagos,  swasive  ivajamerjand ,  /.al  ai  ßlao(prj/.iiai ,  ooagavßXaocpmijGio- 
oiv.  Mc.  IV,  30  in  Jvileikai  gajukon  gabairant  Jio,  h  7Coia  7caQaßoXfj 
,tu(jußuliüuev.  Mc.  V,  42  usgeisnodedim  faurhteiti,  t^taxi^aav  iy.Gxda€i. 
Mc.  \'II,   13    auabas?iai    ixivarai  J>oei    auafalliitp,    /lagadÖGei    v(.iaiv   i^ 

1 )  Bezw.  ein  verbuni  in  verschiedener  actiousart  (vgl.  oben  s.  377) 


384  STOLZENBÜRO 

TcaQEddr/.aTe.  Lc.  VI,48  timrjaiidifi  raxii,,  olxodof.iovvci  ol/Jav.  Meli,  4 
undlmlidedun  hrot,  dycBoriyaoai'  itjv  arsyrjv.  Lc.  11,  8  pairhwakandans 
jah  witandmis  tvahhvom  nahts^  dygavloüvTsg  ytal  (puXdooovteg  (pvXayiäg 
Tfjg  vv/ic6g.  Mt.  V,  45  ana  garaihtcMs  jah  arm  inwindans,  ItiI  Si/.aiovg 
'/.al  ddixovg. 

Es  kommt  jedoch  auch  vor,  dass  die  figur,  die  sich  im  got. 
auch  olme  gr.  Vorgang  findet,  dem  gr.  nachgebildet  wird:  Mt.  VI,  20 
ip  huxdjai])  ixivis  huxda  in  himina,  d^njoavQi'CEZE  de  valv  ^ijaavQobg 
ev  OLQaro).  Mc.  XIII,  19  fram-  anustodeitnti  gaskaftais,  Jjoei  yaskop, 
an''  (xQxfJQ  xr/aewg,  ijg  I'axlouv. 

S  c  h  1  u  s  s. 

Beurteilen  wir  die  Übersetzungstechnik  im  ganzen,  so  sei  zunächst 
darauf  hingewiesen,  wie  vereinzelt,  wie  gering  an  zahl  und  wie  wenig 
bedeutend  die  abweiehungen  des  gotischen  vom  griechischen  text  alle 
zusammengenommen  sind,  hält  man  dagegen  die  ganze  masse  der  fälle, 
in  denen  der  got.  und  gr.  text  sich  von  wort  zu  wort  decken.  Wie 
weit  diese  wortwörtliche  Übereinstimmung  geht,  die  von  allen  bear- 
beitern  zugegeben  wird  und  von  der  jede  seite  der  Übersetzung  deut- 
lichstes Zeugnis  ablegt,  dafür  einige  beispiele. 

Auffällige  nachbildung  des  gr.  textes  findet  sich:  Mc.  lY,  41 
ohfedun  sis  agis  mikil,  ecpoß/jd^tjaav  (fößov  /.leyav.  Ebenso  steht  der 
accusativ  J.  XVII,  2G,  während  sonst  der  got.  dativ  für  gr.  accusativ  in 
dieser  Verbindung  eintritt  (Lc.  11,9;  Mc.  X,  38) ^  J.  XVIII,  14  baiüo 
ist  ainäna  mannan  fraqistjan ,  avf.i(pfQ€i  f'va  lxvd-Qiü7Cov  äjtoltod^ai ; 
gr.  acc.  c.  inf.  ward  sonst  gern  vermieden.  J.  XVI,  17  Jmrnh  qepun  iis 
paim  siponjam,  ei-ycov  ovv  e/.  zaJv  (.lad^iqToJv  avTOv.  Lc.  1,62  pata  Joaiwa 
ivildedi  haitan  ina,  tu  ti  av  d-eloi  ytaXelod^ai  avTov.  Lc.  IX,  46  pata 
Jvarjis  pau  ixe  maists  wesi,  tb  rig  av  £tij  (.leiCtov  aviwv.  Mc.  VI,  2 
Jvapro  pamnia  Jmta ,  jah  loo  so  handugeino  so  gibafio  imma,  jtod'Ev  Toimo 
zavTa,  xai  rig  tj  Gocpia  i)  öo&elaa  avzio. 

Gr.  anakoluthe  werden  im  got.  nachgebildet  an  folgenden  stellen: 
J.  XV,  2  all  taine  in  mis  imhairandane  akran  gop,  iisnimip  ita,  jah 
all  akran  bairandane,  gah7'aineip  ita,  ^täv  -/.X^i^ia  iv  ^lol  f.u)  cptqov 
'/.aq^röv,  atgei  adrö,  xai  7Cäv  rb  ytagycbv  q)eQOv,  /.ad^aigei  avvö.  Lc.  VII,  39 
ufkunpedi  paii  Iva  jah  loileika  so  qino  sei  tekip  imma,  Jmtei  fratvanrhta 
ist,  ayivcoGyisv  av  iig  yial  ycorajctj  fj  yvvrj  tJTig  u/cisrai  avcov,  ort  d(.iaQ- 
ToiXög  saziv.      Lc.  IX,  3  ni   ivaiht   nimaip)   in   ivig,    nih   waluns   nih 

1)  Beachte  auch  fälle  wie  Lc.  VII ,  21  (ahmane)  u.  a. 


DIE    ÜBERSKTZUNfiSTF.CHNIK     HKS    WUI.KILA  385 

vfüJibalg  )iih  hlaih  iiih  slattans,  nili  Jmn  tweilnios  paidos  haban, 
uTjöev  atQEiS  elg  cijv  ödöv^  f.i/jie  qdßdoi'g  f.i/jie  m'iqav  (.ii'jte  aqrov  /.i/jce 
doyvQior,  ft/jie  dvd  dto  %itG)vctg  t'xsiv.  Mc.  lV^2b  jah  saei  ni  habaip, 
ja!/  patei  Imbaip,  afnimada  imma,  vlccI  oq  ova,  l'xei,  Aal  o  l'xei,  dq- 
d^i'jOtiui  du'  avTov.  Mo.  XI,  23  pistvaxiih  ei  qijmi  du  pamma  fair- 
iiuiija  .  .  .  ak  (jalaubjai  pala  ei  patei  qijrip  gagctf/ylp,  ivairpip  imma 
pi.s/vah  pei  qipij),  dg  idv  eucij  rip  oqei  volho  .  .  .  dlld  /ciGcevotj  oii  d 
/Jyei  yiveiei.  l'avai  avco)  o  fdv  eücr^.  Nur  als  sklavische  nachbildung 
des  gr.  toxtos  lässt  sich  auch  Lc.  1,9  auffassen:  lilmits  imma  iirran  du 
saljan  aff/aggafuls ,  tlaxEv  lov  dvi-iiäocxi  eiosld^iov,  wo  es  im  got.  (mit 
bezug  auf  imma)  atgaggandin  heissen  müsste. 

Aposiopese  ist  wörtlich  übersetzt  Mc.  VIII,  12  amen  qipa  ixivis 
jubai  gibaidan  hinja  pamma  iaikne,  dfu)v  l^yco  v(.uv  el  dod^ijoeiai  rf] 
ysvea   lavvij  Gr^f.iEiov. 

Der  nachsatz  ist  wie  im  gr.  unterdrückt  Mc.  Vll,ll  ip  jus 
qipip:  jabai  qipai  uiamui  aliin  sei/iamu/a  aij)pau  aijmn:  kaurban, 
patei  ist  uiaipms,  p/s/vah  patei  as  n/is  gabatnis,  v/nsig  da  Xayeve  'Edv 
d'ytr]  uvd-qo}7Cog  rto  jcavQi  }]  tFj  /.irjTQi  KoQßäv,  o  iariv  öiöqov,  u  tdv  e^ 
tuoc  d)q^€?'.7ji)-[jg. 

Wir  haben  es  also,  und  zwar  gilt  das  gleichmässig  von  allen  vier 
evangelien,  mit  einer  Übersetzung  zu  tun,  die  sich  dem  original  in  er- 
staunlicher weise  anschmiegt.  An  diesem  ergebnis  ändern  vereinzelte 
stilistische  abweichungen  nichts.  Es  ist  zuzugeben,  dass  die  gramma- 
tischen ab  weichungen  uns  eine  ganze  reihe  von  syntaktischen  er- 
scheinungen  zeigen,  die  der  Gote  gegen  das  gr.  original  durchgeführt 
hat.  Verschiedentlich,  so  bei  abweichungen  im  modus,  bei  Verwertung 
der  perfectivon  actionsart,  bei  anwendung  des  got.  duals  u.  a.  bringt 
der  Gote  sogar  sprachliche  feinheiten  zum  ausdruck,  die  nicht  im  gr. 
text  stehen.  Doch  handelt  es  sich  dabei  immer  nur  um  eine  ganz 
beschränkte  auzahl  von  stellen,  denen  meist  andere  gegenüberstehen, 
an  denen  diese  feinheiten  nicht  zum  ausdruck  gebracht  sind.  Jeden- 
falls aber  dürfen  wir,  angesichts  der  bis  ins  einzelnste  gehenden  Über- 
einstimmung der  Übersetzung  mit  der  vorläge,  auf  diese  fälle  kein 
solches  gewicht  legen,  dass  wir  aus  diesen  grammatischen  erscheinungen 
das  princip  der  Übersetzungstechnik  ableiten.  Gerade  dieses  neben- 
einander von  fast  sklavischer  widergabe  des  gr.  textes  und  von  ge- 
legentlich idiomatisch  gotischer  ausdrucksweise  ist  für  die  Übersetzungs- 
technik des  Ulfilas  charakteristisch. 

Dabei  ist  noch  eins  besonders  eigentümlich.  Der  Gote  wendet 
die  eigcnhciten  des  griechischen,  die  er  bald  zu  vermeiden  sucht,  bald 

ZEITSCHKIKT    F.    DKUT.SCHE    l'HILOLOOIE.       BD.  XXXVII.  25 


386  STOLZENBURG 

wider  nachbildet,  auch  selbständig  an  gegen  das  gr.,  und  zwar  gilt  das 
nicht  nur  von  den  grammatischen,  sondern  auch  von  den  stilistischen 
abweiclumgen  in  solchem  masse,  dass  beide  sprachen  sich  ganz  zu 
durchdringen  und  miteinander  zu  verschmelzen  scheinen. 

Die  stilistischen  eigenheiteu  der  Übersetzung  geben  keineswegs 
das  bild  eines  genialen  mit  poetischem  schwunge  arbeitenden  mannes, 
sondern  machen  vielmehr  den  eindruck  von  ausätzen  eines  selb- 
ständigen Stiles,  von  versuchen  in  das  bild  gotischer  prosa  einige 
kunstvollere  linien  einzuzeichnen. 

Es  fragt  sich  nun,  wie  eine  solche  Übersetzungstechnik,  die  bei 
völliger  treue  gegenüber  dem  original  doch  nicht  den  eindruck  skla- 
vischer nachahmung  macht,  zu  erklären  sei.  Man  hat  behauptet,  dass 
der  einzige  grund  eben  nur  der  sein  könne,  dass  zwischen  der  got.  und 
gr.  spräche  eine  grosse  ähnlichkeit  bestanden  haben  müsse.  Wir  werden 
uns  damit  nicht  zufrieden  geben  können.  Vielmehr  scheint  nach  der 
ganzen  Untersuchung  nur  eine  möglichkeit  eine  befriedigende  lösung  zu 
geben,  dass  wir  es  nämlich  mit  einer  got.  spräche  zu  tun  haben,  die 
bewusst  graecisiert  war,  mit  einer  gotisch-griechischen  literatur- 
oder  Schriftsprache.  Damit  erklärt  sich  dann  auch  jene  merk- 
würdige erscheinung  von  offenbaren  graecismen  selbst  gegen  das  gr. 
original  1,  die  man  gerade  immer  dazu  ausgebeutet  hat,  um  die  Selb- 
ständigkeit des  Goten  zu  erweisen.  Darauf  weist  auch  der  Wortschatz 
entschieden  hin.  Nicht  mit  dem  ersten  versuch,  griechische  spräche  in 
gotische  umzusetzen,  haben  wir  es  hier  zu  tun,  sondern  mit  dem  haupt- 
werk  einer  entwicklung,  welche  die  gotische  spräche  im  kirchlichen 
leben  durchgemacht  hat  und  durchmachen  musste  in  dem  munde  von 
männern,  denen  das  griechische  ebenso  vertraut  war  wie  ihre  mutter- 
sprache.  Mit  diesem  resultat  berührt  sich,  was  E.Dietrich  in  seinem 
buche:  Die  bruchstücke  der  Skeireins  s.  LX  ausspricht-.  Nach  einer 
kurzen  Untersuchung  der  kleinen  got.  fragmente,  die  nicht  aus  dem 
gr.  übersetzt  sind,  sagt  er:  „Jedenfalls  aber  dürfen  wir  feststellen,  dass 
wir  es  in  der  durch  diese  fragmente  repräsentierten  gotischen  Schrift- 
sprache mit  einer  syntaktischen  Übereinstimmung  mit  dem  griechischen 
zu  tun  haben.  Das  verdienst,  aus  der  'barbaren' spräche  eine  dem 
griechischen  angepasste  literatursprache  geschaffen  zu  haben,  gebührt 

1)  Vgl.  besonders  J.  VIII,  42,  wo  gegen  das  gr.  doppelte  ucgation  steht, 
Lc.  IV,  36,  wo,  falls  keine  textverderbnis  vorliegt,  der  Gote  gegen  das  gr.  acc.  c.  int', 
eingesetzt  hat.     Ferner  auch  J.  VII,4  u.a. 

2)  Fr.  Kauffmann,  Texte  und  Untersuchungen  zur  altgerm.  religionsgeschichte, 
texte  2. 


DIE    i'BERSKTZUNGRTKCHNlK    l>f',S    WULFII.A  387 

Wulfila.  Durch  seine  bibelübersetzung  schuf  er  aus  der  got.  Volks- 
sprache ein  neues  graecisiertes  literaturgotisch.  Er  selbst  war  als 
kleriker  griechisch  gebildet,  sprach  und  schrieb  griechisch.  Die  be- 
schäftigung  mit  der  griechischen  bibel  und  der  theologischen  literatur, 
der  treue  anschluss  an  das  heilige  original  macht  es  uns  begreiflich, 
dass  er  der  Schriftsprache  seines  volkes   ein   griechisches  gepräge  gab." 

Angesichts  des  vorliegenden  materials  scheint  es  mir  natürlicher, 
ein(^  längere  entwicklung  der  spräche  nach  der  bezeichneten  richtung 
(vielleicht  wie  die  fremdwörter  zu  verraten  scheinen,  schon  vor  Wulfila 
beginnend)  anzusetzen,  eine  entwicklung,  in  der  die  bibelübersetzung 
freilich  das  wichtigste  glied  darstellt.  Aber  wie  es  damit  auch  stehen 
nuig,  nur  die  existeuz  einer  solchen  got.-gr.  Schriftsprache  vermag  das 
bild,  das  sich  uns  darbietet,  wenn  Avir  die  Übersetzungstechnik  prüfen, 
befriedigend  zu  erklären. 

Gleichzeitig  liefert  diese  hypothese  auch  die  erklärung  für  die 
grosse  und  so  lange  andauernde  differenz  in  den  ansichten  über  die 
got.  Übersetzung.  Nur  ein  punkt,  den  man  geltend  gemacht  hat,  und 
den  man  auch  gegen  die  annähme  einer  solchen  Schriftsprache  wider 
anführen  könnte,  bedarf  der  Widerlegung.  E.  Friedrichs  meint,  eine 
solche  Übersetzung,  die  die  eigenheiten  der  got.  spräche  aufgibt  und 
voll  ist  von  graecismen,  hätte  ihren  zweck  völlig  verfehlte 

Was  sollte  eine  bibel  für  das  got.  volk,  die  von  diesem  volke 
gar  nicht  verstanden  wurde?  Stellt  man  diese  frage,  so  macht  man 
zwei  Voraussetzungen,  die  beide  jedesfalls  unrichtig  sind.  Einmal  liegt 
darin  die  ansieht  verborgen,  die  sich  auch  sonst  deutlich  ausgesprochen 
findet-',  als  habe  die  got.  bibelübersetzung  etwa  dieselben  zwecke  ge- 
habt und  sei  in  demselben  sinne  abgefasst  wie  die  bibelübersetzung 
Luthers,  eine  parallele,  die  durchaus  abgelehnt  werden  muss. 

Zweitens  aber  nimmt  man  an,  dass  nur  eine  im  volkstümlichen 
gotisch  abgefasste  bibel  im  gottesdienst  ihren  zweck  hätte  erfüllen 
können.  Auch  das  ist  nicht  der  fall,  ich  erinnere  an  die  stilformen  der 
deutschen  bibel  des  mittelalters;  vielmehr  passt  das,  was  A.  Deissmann 
in  seinem  aufsatze:  Die  hellenisierung  des  semitischen  monotheismus-^ 
über  die  8eptuaginta  sagt,  auch  auf  die  gotische  bibelübersetzung:  „Die 
geschichte  der  religion  überhaupt  lehrt,  dass  das  unverstandene  in  der 
religion  den  durch  die  aufklärung   noch   nicht  seicht  und   blasiert  ge- 

1)  Die  Stellung  des  pronomen  personale  im  got.    Leipziger  diss.    Jona  1891  s.  3. 

2)  Z.  b.  bei  Koj^el  in  seiner  Geschichte  der  deutschen  literatur  bd.  I,  187. 

:i)  Neue  Jahrbücher  für  das  iihissische  ultertum,  geschichte  und  deutsche  literatur 
1903  s.  172. 

25* 


388  STOLZENBURG 

machten  mensclien  gerade  als  im  verstandenes  wie  ein  mysterium  über- 
schauert. Deshalb  wird  mancher  leser  der  Heptuaginta  sogar  die  wirk- 
lichen syntaktischen  semitismen  nicht  als  griechische  Sprachfehler 
empfunden  haben:  was  ihm  von  solchen  verrenkten  Sätzen  verständlich 
war,  klang  ihm  altertümlich,  orakelhaft,  und  was  er  nicht  verstand,  das 
überschlug  er  oder  überhörte  er." 

Anhang  I. 

Übersicht  über  diejenigen  abweiciiungen  des  got.  textes  vom  gr., 
die  auf  den  einfluss  der  lat.  bibel  zurückzuführen  sind,  wobei  ich 
nicht  entscheide,  in  welchem  Stadium  der  textgeschichte  dieser  lat.  ein- 
fluss wirksam  geworden  ist. 

Mt.  V,  39  (ik  jahai  bas  Jnik  stauiai,  dlV  üorig  oe  ^ajcioei  (itvg: 
Sed  si  quis  te  percusserit).  Mt.  VI,30  baiwu  mais,  od  7tollü  (.lallov 
(itvg:  quanto  magis).  Mt.  VIII,  20  hauhip  sein,  ciiv  '/.Ecpah'jv  (abcg^: 
caqut  suum).  Mt.  VIII,  25  sqjonjos  is,  o\  ;t/«^>/ra/ (bgi  q  vg"'':  discipuli 
eius).  Mt.  VIII,  2G  y^/i  qap  du  Im  lesus,  %al  leyei  aövolg  (bcö'Mivg"': 
et  dixit  eis  lesus).  Mt.  VIII,  32  alln  so  halrda,  jtaoa  i)  ayalri  rüv  yßiqiov 
(it  vg:  totus  grex).  Mt.  X,  29  inuh  nttins  ixwaris  wiljtm,  ärev  toD 
TtazQÖg  vfxCov  (if'-:  sine  voluntate  patris  vestri).  Mt.  X,  42  pi/xe  mlnnl- 
stane,  twv  (.u%qGjv  voinov  (it  vg:  ex  minimis  istis).  Mt.  XI,  8  hnasqjaim 
tvastjom  gawasidana,  tv  (.iala/.olg  if-iazioig  }if.i(fiEOf.t^vov  [liNg:  hominem 
mollibus  vestitum).  Mt.  XXVII,  9  (uidaivairpi  pis  wa/rpodms,  putei 
garahnidedun,  rtjv  Tif.ii)v  rov  zeTii-Ujfievov,  ov  izif-i/joapio  (EQbg:  pretium 
adpretiati  quod  adpretiaverunt). 

J.  VI,  26  taiknins  jah  fduraUmja,  om.uia  (DR  abdr.:  signa  et 
prodigia).  J.  VI,  33  gaf  Ubain,  (toviv)  ..  .  lojfjv  ÖLÖovq  (vgc:  dat  vitam). 
J.  VI,50e/  saei  J>is  matjai,  ni  gadaujmai ,  'iva  Mv  rig  i^  avvov  (päyij 
yicd  f-ii]  d/roS^dv)]  (itvg:  ut  si  quis  ex  ipso  manducaverit  non  moriatur). 
J.  VI,  52  leik  giban,  dovvat  Tt)v  odgyia  (if'vg:  carnem  suam  dare). 
J.  VIII,  25  jah  qaj)  du  im  Jesus:  anastodeins,  patei  jah  rodja  du  izwis^ 
EiTvev  avzo~ig  6  ''IrjGovg  Trjv  dqxtjv,  ozi  ymI  lalü  vf-üv  (itvg:  principium 
quod[quia]).  J.IX,  25  undhofjains,  d^ceKQiü^tj  syieivog  xal  einev  (itvg:  dixit 
ergo  ille).  J.  X,  14  kunnun  mik  po  meina,  yivü)ay.oiJ^ai  vnb  zCov  i/.iüv 
(itvg:  cognoscunt  me  meae).  J. X,33  andhofun,  dyiEAQid^iqaav  ...  Xiyov- 
zeg  (itvg:  [ausser  e  d]  responderunt).  J.  XI,  41  ushofun  pau  panu 
stain  Jjarei  ims,  ijQav  ovv  zbv  lii)^ov  o?  'i)v  6  Tsd^vtfMog  /Mi^ievog  (itvg: 
tulerunt  ergo  lapidem  [sine  additam.J).  J.  XII,  32  alla,  jtdvzag  (itvg: 
omnia).  J.  XII,  47  jali  galaubjai,  Aal  {.iij  7Ciozeiari  (it:  et  .'rediderit). 
J.  XIII,  20   saei  andniinip  pana   Juinei   ik   iusandja,    ö   la(.ißdnov  üv 


DIE    ÜBERSETZUNGSTECHNIK    DES    WULFILA  389 

Tiva  Ttef-Upo)  (Eabft'-q:  qiü  accipit  euni  quem  misero  [q:  uiuim  quem]). 
J.  XV,  14  taujip  patci  ik  anabinda ,  ytoifjxe  boa  tyCo  i:vctlXoi.(cti  (aeq: 
quod).  J.  XYI,  21  gabrmran  ist,  y€vr/]arj  (e:  natus  fiierit).  J.  XVII,  7 
iifkunpa ,  tyvio/Mv  (it:  coi^iiovi).  .1.  XVII,  8  neinuii  bi  sniijal,  tlaßov 
■Acci  tyrwoav  «Aj^^w^- (Kadeq:  acceperunt  vcre).  J.ÜYll,  li  pfuixei  at- 
gaft  mis,  i;  dtSio/.dg  ^loi  (itvg:  quos  dcdisti  mihi).  J.  XVII,  "24  atia, 
])nte>  afgnfl  mis,  /cacijq,  ovl;  dtd(ijy,dg  f.ioi  (d:  pater  quod  mihi  dedisti). 
J.  XVIIl,  17  paruh  qaj)  jaiun  piiri,  ?Jyei  oh'  »)  /vaidlo/.rj  (bc[n"^|:  dicit 
ergo  petro  ilia  ancilla). 

Lc.  I,  ■>  gnleikniibi  j<iJi  mis  ja//  (ilin)iiL  irciJ«ini)n(( ,  f-'do^e  /id/.iol 
(B(i()bq:  visum  est  et  mihi  et  spii'itiii  sanctu).  Lc.  1,  29  heleikn  fcesi 
so  golcins,  Imtci  sica  ])iiipid<i  ixai,  /roia/cdg  ur^  6  do/caaiitdig  ovrog 
(|G]it:  [qualis  esset  ista  salutatiu  et]  quod  sie  benedixisset  eam).  Lc. 
I,  63  if>  /s  soJgrnids  spildn  nani  gahmelidn ,  ymI  aii/jOag  jciva/.i6iov 
l'yqaipEv  (GRbcff-lqr:  accepit  pugillarem  et  scripsit).  Lc.  11,  14  jV/^ 
ana  nirjuti  gaivairln  in  mruuioin  godis  wiljins,  vmI  im  yfjg  slQ/jvtj  iv 
di&Qwjcoig  evöo/Ja  (itvg:  hominibus  bonae  voluntatis).  Lc.  III,  9  aj)/)rm 
ju,  i'^dtj  öi  YMi  (itvg:  iam  enim).  Lc.  III,  16.  17  sivinjjoxa  mis  .  .  . 
Iinbnnds  iviupishniron  in  handan  scinai ,  ö  ioyjQovEQog  {.lov  .  .  .  ov  zo 
viivov  h'  ifj  xeiQL  avTov  (abelr:  t'oi'tiür  me  . . .  luibens  vcntilabrum  in  manu 
eius).  Lc.  III,  2L  22  warj}  jKm  ...  usluknoda  himins,  jah  atiddjn  ahma 
.  .  .  jtdt  stibfKi  t(s  himina  warp,  tyivETo  de  .  .  .  d%'E(oyßfivai  ibv  oiQavöv, 
/.cd  /.aiaßFjrai  lö  7ivEV(.ia  .  .  .  xat  (fuovtjV  e'S.  ovqavov  yEvtad-ai  (itvg: 
Factum  est  autem  .  .  .  apertum  est  caelum  et  descendit  Spiritus  —  et 
vox  de  caelo  facta  est).  Lc.  IV,  41  nute  ivissedun  silban  Xristu  ina 
irisan,  on  VjSEiaav  zöv  Xgioiöv  ai;ibv  eirai  (bg^qvg:  quia  sciebant  ipsum 
esse  Christum).  Lc.  V,  8  bidjn  ]nik,  iisgagg  fairrn  ynis,  t^slO^E  a/r' 
(••//oj;  (ce:  oro  te).  Lc.  V,  10  frani  himma  nu  manne  siuj)  niitans,  dzcb 
tov  vvv  dviyqw/covg  tot]  'C(oyo(7n>  (c:  faciam  enim  vos  piscatores  hominum). 
]jC.  YJ .,20  J)iudangardi  himine,  t)  ßaalsia  xov  d-eov  (ce:  regnum  caelo- 
rum).  Lc.Y], 29 galeweiitnmn,  7cdQEXE{itvg''^-:  praebe  iili  [ei]).  Lc.VlI,  42 
(vgl.  Lc.  XIV,  14)  //i  habandam  J)an  Jvajyro  usgebeina,  ///}  r/övrcov  öi 
cthviv  d/coöovvai  (itvg:  non  habentibus  illis  unde  redderent).  Lc.  VIII,  24 
lalxjand,  tyiiordia,  i/ciöidia  (itvg:  pi'aeceptor  [ausser  dq]).  Lc.  IX,  1 
Jkihs  tiralif  apaustauhms ,  robg  dioÖE/La  /.la&tjidg  avrov  (acovg:  duodecim 
apostolis).  Lc.  IX,  20  Jm  is  Xrislns  sunas  giidis,  tov  Xqioiöi'  tov 
O^Eov  (1:  tu  es  christus  filius  dei;  der:  christum  filium  dei).  Lc.  IX,  24 
appan  saei  fraqisteip  .  .  .  gannsjip,  og  d'  av  d/toXiGr]  .  .  .  oviog  aiooet 
(it'""vg:  nani  qui  perdiderit  —  saluam  faciet).  Lc.  IX,  37  in  Jmmmn 
daga ,  iv  tTj  l.^fjg  i)(.iiQ(i  (abdcff'I:  per  diem).    Lc.  IX,  39  jah  sai  ahma 


390  STOLZKNBÜRG 

nimip    ina    imhrains,    yial    Idov   7cvev}.ia  laf.iß(xru    ahöv  (qr:   et  ecce 
Spiritus    immundus    adprehcndit    euui).     Lc.  IX,  43   ist   zugesetzt:    qap 
Pnitrus:  frauja,  duhe  weis  ni  mnhteditn  -usdreiban  pamma?   Ip  lesus 
qap:  pata  kuni  ni  usgaggip   nihai  iv  bidom  jnh  in  fastuhiijn  (ceff'-r: 
dixit  ei  [om.  e]  petrus:  domine  quare  [propter  quid  c]  nos  non  potuimus 
eicere  illum?  [eura  r,  illud  c].    Quibus  dixit  quoniam  huiusmodi  [eiusni. 
ff2j  orationibus[-neff2]  et  ieiuniis  eicitur  [-cieturc  >  eiciuntur  et  ieiuniis 
jff^]).    Lc.  IX,  50  jnh  qap  du  im,    /.al   djtEv  Tigög  aviöv  (cq:  ad  illos). 
Lc.  IX,  50  tinie  saei  nist  ivijtra  izivis,  faur  ixwis  ist,  og  ydg  ova.  i'oviv 
'Aad-''   f]f.Hdr,    vzrsQ   })(.uov  iaTiv    (itvg:   qui   enim    non    est  adversus   vos 
pro  vobis  est).    Lc.  IX,  56  saiwalom  qistjan,   il'vyag  dvdQiojcon'  d;tol(-.oaL 
(cevg:  animas  perdere).     Lc.  XIV,  28   hnbniu  du  usiiuhrui,   el  eyu  xä 
eig  d7taQTiO(.i6v  (bcff^lqvg:  si  habet  ad  consummandum  [perficiendum]). 
Lc.  XV,  16  snd  itan,  ysi-ilaat  Ti]v  /.oiliav  avrov  (de:  saturari).   Lc.  XV,  31 
pu  sinteino  mip  mis  ivast  jah  is,  oh  Ttccviove  f-iei'  ef-iov  ei  (Qbraqlc: 
mecum    semper  fuisti   et  es,   oder  ähnl.).     Lc.  XVIII,  11  pai  anpnrai 
mons,    ol    XoiTcol    tüv    dvd^Qw/ttov    (bceilrvg''':    ceteri    honiines).     Lc. 
XVIII,  31  pairh  prnufetims  bi  sunu,  ölcc  tmv  7i()0(pitjiCov  tcT)  vlco  (itvg: 
per  proplietas  de  filio).     Lc.  XIX,  30  fulnn   asilafis,   7iColov  (itvg:  pul- 
lum  asinae).     Lc.  XX,  6  triggwnba  galaubjand  auk  allai,   7te7ieiO(.itvog 
yccQ  sGXiv  (cilqvg.:  certi  sunt  enim).    Lc.  XX,  20  afleipmidans ,  Ttaqa- 
TrjQijaavreg  (Gilqr:  cum  recessisseut;  aff-ed:  äiinl.).    Lc.  XX,  32  spedista 
allaixe,   vorsQOv  7tdrtiov  (itvg.:   novissima   omnium).     Lc.  XX,  37  sah 
fraujan  gup,  -/.vqiov  röv  d-eov  (cff-ilq[r]:  vidi  in  rubo  dominum  deum). 
Mo.  I,  2  in  Esniin  praufetau,   h  xotg  7c()oq>/jTaig  (itvg:  in  osaia 
propheta).    Mc. I,  3  staigos  giidis  imsaris,  rag  rqlßovg  adtov  (abcfi'^g"^: 
semitas  dei  nostri).    Mc.  I,  13  in  Jdxai  a}ipidcd,  saeI  sv  %'ß  SQrji-iq)  (itvg: 
in  deserto).    Mc.  I,  21  laisida  ins,  £(5/6'a(7>t£i' (itvg:  docebat  eos).    Mc.  1,25 
pahai  jah  nsgagg  ut  us  pamma,  ahma  uahrainja ,  cpi^uoS^iqTi  /.al  i'^eld-e 
sB  aviov  (bceff^gqvg^'':  obmutesce  et  exi  ab  eo,  Spiritus  iramimdus).  Mc. 
1,38  du  paim  bisunjane  hainiom  jah  baurgim,  elg  rag  exof.i€rag  kcojlio- 
7t6leLg  (itvg:  in  proximos  vicos  et  civitates).    Mc.  I,  41  handu  seina ,  zijv 
%üqa  (\t\g:  manum  suam).    Mc.  II,  4 /wve/  ivas  lesus,  otvov  ?]v  (itvg'"': 
iibi  erat  lesus).  Mc.  II,  18  siponjos  Ioha?mis  jah  Fareisaieis,  o\  f.iad-tjir(l 
^Iiodvvov  '/.al  Ol  Tcov  (Dagioalcov  (aff^gä;  discipuli  lobannis  et  pbarisaei). 
Mc.  II,  27  ivarj)  gaskapans,   eyavevo  (itvg:  factum  est).     Mc.  III,  2  jah 
tvitaidedun   imma,   hailidediu  sabbato  daga ,    /.al  7raQeTrjQovPT0   avxöv, 
el  Tolg  odßßaoiv  d-ega/cevoEt  aviöv  (itvg:   et  observabant  cum   si   sab- 
batis  curaret).     Mc.  III,  21  jah  hausjandans  fram   imma   bohnjos  jah 
anparai,  /.al  d/ovoavieg  ol  7taQ'  aviov  (Git:  cum  audissent  de  eo  scribae 


blE    CBERSETZUNGSTECHNIK    DES    WULFILA  391 

et  eeteii).  Mo.  IV,  15  jah  ]uin  ijahnuf^jnud  iinkarjaufi,  /.cd  diav  ä/.ov- 
oo)Oti'  (abq[c]:  qui  ncglegenter  verbiim  suscipiimt  et  cum  audicrint). 
Mc.  V,  4  Kutc  .  .  .  fjalaHsidn  af  s/'s  ftos  naudibandjos ,  ölu  lö  .  .  .  öuayca- 
ö&ai  r/c'  aviov  xäq  aXvoELg  (itvg:  quoniani  .  .  .  disrupisset  catonas).  Mc. 
VII,  11  nttin  seitmmma,  to)  tcutqI  (acff-g-'iq:  patri  suo).  Mc.  X,  7 
aipein  seinrii,  t))i>  /m^rtga  (abcft'"^vg''':  matrem  suara).  Mc.  X,  13  //> 
Jni/'  sipoiijos  is,  o'i  ÖS  /.taO^tjiai  (ac:  discipuli  aiitcm  eins).  Mc.  X,  17  ha/t 
iud  qijKDuls^  i-7HjQtoic(  aviuv  (itvg''':  rogabat  cum  diccns).  Mc.  X,  46 
j<n))J>ro,  cacü  ^leQiyw  (abff-'iq:  indc).  Mc.  X,46  iuip  s/pofijain,  y.al  tmv 
j.iad^ijrtüv  (if'':  cum  discipulis).  Mc.  XI,  6  sicasive  miabmip  im  lesiis, 
■/.a^ioQ.  tveiEi'laio  ö  ^lijoovg  (itvg:  sicut  praeceperat  illis  lesus).  Mc.  XI,  13 
ni  u'aihl  büjat  rma  inima,  ovöiv  evqev  (c:  nihil  invcnit  in  ea).  Mc 
XI,  26  n/letf'J)  ixivis,  cupr^OEL  (if'vg:  dimittet  vobis).  Mc.  XII,  14  pau 
niu  gibaimn ,  rj  ov;  d(7)i.iEv  t]  1.0)  doj/.i£v  (g'vg:  an  non  dabiraus).  Mc. 
XIV,  65  nndbnhtos  cjnbaurjaba  lofnin  sloh/m  hin ,  o\  t/tijQtTaL  qa/tiaiia- 
aiv  aviöv  i?Mßoi'  (ff^q;  et  ministri  cum  voluntate  alapis  cum  caedebant; 
1:  iibenter).  Mc.  XIV,  72  dugann  gretnn,  hcißaliov  l''/laiEv  (itvg:  coepit 
flere).  Mc.  XV,  8  alla  mnnagci,  o  ö'/Äoc  (adk:  tota  turba).  Mc.  XV,  40 
])is  niinnixins,  rod  /.nyigoC  (itvg:  minoris). 

Anhang    II. 

Übersicht  über  diejenigen  abweichungen  des  got.  textes  vom  gr., 
die  auf  den  einfluss  der  parallelstellen  oder  benachbarter  bibelstellen 
zurückzTuführen  sind. 

Mt.  III,  11  vgl.  die  anra.  bei  Bernh.  (Lc.  ITT,  16,  Mc.  I,  8,  J.  I, 
26  —  27).  Mt.  VIII,  5  apiruh  Jkdi  Jxiici  iimatgf/ggandin  imtna,  eIoeX- 
x)6rn  (U  avto)  (Lc.  VII,  1).  ^It.  VIII,  18  hnihnit  gnleipan  siponjnns 
hindcir  mareiii,  i/JlEvGEv  djiElO-Elv  sig  zö  7tiqav  (Lc.  VIII,  22).  Ml.  VIII, 
33  gnlcipnndnns  gataihini  in  haiirg,  divEldovcEg  slg  rfjv  7töliv  drv^y- 
yEilav  (Lc.  VIII,  34,  Mc.  V,  14).  Mt.  IX,  8  manrigcins  ohtedun  sildn- 
leihjrnidf/ns  jah  mikilidediui,  ol  oxlot  kpoßqd-r^oav  y.al  iöö^aoav  (ver- 
schiedene parallclstellen).  Mt.  XI,  23  in  ixwis,  iv  ool  (Mt.  XI,  21). 
Mt.  XXVII,  42  ((tsteigndau  nu  af  J)amina  galgin,  ei  gasnilvnitnn  jah 
galaiibjam  immn ,  /.araßdico  vdv  d/tö  cov  oiavQov,  y.al  7ciGiEi:aof.iEv  avTw 
(Mc.  XV,  32).  Mt.  XXVII,  58  uslaubidn,  t'dlEvoEv  (J.  XIX,  38),  vgl. 
Bernh.  anm. 

J.  VI,  5  nuniiigeius  filii,  7Colhg  o'/log  (J.  VI,  2).  J.  IX,  1  7  di(  f><nnm(< 
pinrjns  blindin,  rrt  ri:(fl(li  (J.  IX,  13).  J.  X,  29  jah  i/i  aiw  ainshtm, 
■/Ml  ovÖEig  (J.  X,  28).  J.  X,  29  atfa  meins  Jxttei  ffdgaf  iiiis,  mnixo 
aUaiin  isl^  6  7cai/^o  {.lov  og  ö(:dio/Ji'  f.101,  [.ieTCov  7cdrcojv  iociv  (J.  VI,39), 


392  STOLZENBURG,    DIE    tJBERSETZÜNGSTECHNIK    DES    WULFILA 

J.  XI,  11  gaggam,  TroQSvo/^iai  (J.  XI,  7  oder  XI,  15).  J.  XIII,  32  jak 
gup  hauheip  ina  in  s/'s,  jnh  suns  hnuhida  ina  (das  sinnwidrige  hnuhida 
vielleicht  nach  J.  XII,  28;  vgl.  Zeitschr.  31,  191).  J.  XIII,  38  unte  pu 
mik  afaikis  kunnnn  prim  sinpam,  hoq  oi>  d/tagv^at]  f.ie  tqiq  (Lc.  XXIf, 
34).  J.  XIV,  23  salijnvos^  i^tov)]v  (J.  XIV,  2).  J.  XV,  2  nkrnn  gop^  -^^aqTtöv 
(Lc.  III,  9,  Mt.VlI,  19).  J.  XV,  16  du  nnvn  sijrd,  i-üvrj  (J.  VIII,  35, 
XII,  34,  XIV,  16).     J.  XVI,  6  gadanUdn,  jtEnh'jQOj/iev  (J.  XII,  40). 

Lc  IV,  33  jah  tifkropida  qipands^  /ml  äviy.qat,ev  (fiovf]  (.leyähj 
}J.yiov  (Mc.  I,  23).  Lc.  V,  33  ip  pai  peinrn  siponjos,  ol  de  ool  (Mt.  IX, 
14).  Lc.  VI,  20  jus  unledans  nhmin^  o\  niMyfil  (Mt.  V,  3).  Lc.  VII,  9 
amen  qipa  ixwis^  Ityio  vf.äv  (Mt.  VIII,  10).  Lc.  IX,  12  jah  bugjaina 
sis  matins,  Aal  evqcooiv  t7tioixiOf.i6v  (Mt.  XIV,  15,  Mc.  VI,  36).  Lc.  IX,  14 
fimf  pusundjos  waire,  ävÖQeg  7iEvia/,ioiihoi  (Mc.  VI,44).  Lc.  IX,50  ni 
ainshun  auk  ist  nutmie  saei  iii  gawaurkjai  mahl  in  immin  meiimmma 
(zugesetzt  aus  Mc.  IX,  39).    Lc.  X,14  in  daga  stauos,  ev  zf]  -/.oiaeL  (Mt. 

XI,  22).  Lc.  XVII,  33  jah  saei  fmqisteip  ixai  in  meina,  v.al  oq  tav 
aTColioEL  avxTqv  (Mt.  X,  39  oder  andere  parallelstellen).  Lc.  XVIII,  33 
pridjin  daga^  tf,  r)i.i£Qa  rr}  tq/tj]  (Mt.  XX,  19).  Lc.  XIX,  22  iinsclja 
skalk  jah  lata,  TTovtjQs  doCle  (Mt.  XXV,  26).  Lc.  XX,  6  triggwaha 
galaubjand  auk  allai,  7te7ieiOf.urog  yäq  eariv  (Mt.  XXI,  26,  Mc.  XI,  32). 

Mc.  I,  10  uslukanans ,  oyiCo(.dvovg  (Lc.  III,  21),  vgl.  Beruh,  anm. 
Mc.  II,  22  giiitand,  ßlijTeoi'  (Mt.  IX,  17,  Lc.  V,  38).  Mc.  II,  24  sai 
Iva  iaujand  siponjos  Jfeinai  sahhatim,  Xde  xi  7xoioCgiv  xolq  adßßaaiv  (Mt. 

XII,  2).  Mc.  II,  26  ainaim  gudjam,  xolg  Ugsvaiv  (Mt.  XII,  5,  Lc.  VI,  5). 
Mc.  IV,  15  appan  J)ai  icipn'a  wig  sind,  otioi  ös  elaiv  ol  rca^ä  xtjv 
böov  (Lc.  VIII,  12).  Mc.  XIV,  47  afsloh  imm,a  auso  pata  taihsivo,  d(pel- 
kev  avxov  xö  ujxlov  (Lc.  XXII,  50).  Mc.  XIV,  65  speiwan  ana  ivlit  is, 
If-iTtTveiv  avxcp  (Mt.  XXVI,  67).  Mc.  XIV,  66  jah  atiddja ,  l'qyexai  (Mt. 
XXVI,  69).  Mc.  XV,  1  hrahtedun  ina  at  Peilatau,  drtrjveyvMv  /.al 
TcaQtdo}y.av  n€ildx(o  (Lc.  XXIII,  1).  Mc.  XV,  21  undgripun  sumana 
manne  Seimona,  dyyaqevocoiv  yiaqdyovxd  xiva  ^((.iiova  (Lc.  XXIII,  26). 
Mc.  XV,  36  let,  acpexe  (Mt.  XXVII,  49).  Mc.  XVI,  6  7iist  her,  urrais, 
rjyeQ^rj,  ovyt  eaxiv  Code  (Mt.  XXVIII,  6)^. 

1)  Glossen  sind  iu  den  text  gedrungen  z.  b.  Mt.  IX,  23  jah  haurvjans  hcmrnjan- 
dans.  Lc.  II,  2  tvismidin  kindina  Syriais.  Lc.  VI,  17  jah  anparaixo  baurge. 
Lc.  VIII,  1  afar  pata.  Mc.  XI,  2  baurg.  Mc.  XII,  4  gaaüviskodedim  (vgl.  hierzu 
die  anmerkungen  bei  Beruh.). 

KIEL.  HAXS    STOLZENBURG. 


SCHRÖDER,    KEITRAGE    ZUR    DEUTbCHEX    WORTFORSCHUN»  393 

MISCELLEN. 

Beitrüge  zur  deutschen  Wortforschung. 

Genn.  Incelpa\  'junges  von  tieren',  ae.  hwilpc  nl.  nd.  wilp  iinclp,  ostfrs. 
nilstrr,  ae.  hidfestre  'rogonpfeifer'. 

Nhd.  icelf,  nilid.  in'lf,  ahd.  icclf,  liw'clf^  as.  fnvi'/p,  mnd.  irelp,  welpcH,  irolp, 
uolpen,  nd.  nelp  (poni.  Dälinert:  irölp,  ns.  Biem.  wb.  tvolp,  widp),  mnl.  ul.  irelp 
iculp,  ae.  hic'elp,  ne.  ivlielp,  anord.  hvclpr,  norw.  kvclp,  färö.  hvülpur,  aschwed. 
luülper,  livalper ,  schwed.  valp,  adän.  hvfclp ,  dän.  hvalp. 

Das  wort  (genn.  griindform  ^hicelpa-,  für  das  nd.  nl.  auch  ■///culpa-)  l)czeiGhnet 
zumeist  'junges  von  hunden'.  Es  wird  aber  aucli  für  die  jungen  von  fuchsen,  wölfen, 
baren,  löwen,  pantei'n  gebraucht.  Da  der  nanic  also  nicht  einem  bestimmten  tiere 
zukommt,  .so  werden  wir  darin  eine  schallnachahmende  biidung  erl)lickcn  dürfen  von 
einem  stamme  *h>relp-^  einer  erweiterten  form  der  wz.  *l//vel{l)-  in  ae.  k/viHan  'rosound', 
anord.  h/dlr  'shrilling,  thrilling',  ahd.  h/vcl{ll.)  'procax'. 

Das  auch  wegen  mhd.  ici'lfc  (ahd.  *k/r'clfa,  got.  *hvilpa)  'Übermut,  gewalt' 
(=^  mhd.  fj'clfe  zu  gclfen  'bellen;  übermütig  sein'  wie  ae.  gi'e/p  'boastiug,  arrogance' 
zu  ae.  "^ielpan  ne.  /jelp)  vorauszusetzende  germ.  vb.  {*h/celp-,  halp-,  Inilp-,  mit  aus- 
gloichuug  *huelp-,  h/ralp-,  I/wulp-)  gehört  zu  einer  reihe  synonymer  reimworte  nach 
dem  typus  Cgff'Jp-^i  <^lie  alle  helle  quiekende  piepende  tierstimmen  und,  was  wegen 
des  folgenden  zu  betonen  ist,  besonders  auch  solche  vogelstimmen  widergeben.  Hier- 
her gehören  z.  b.  ne.  dial.  chilp  'zirpen',  westf.  schelpen  'vom  tone  der  kleinen  küch- 
lein,  vögel'  (waldeck,  schilp  'sperling'),  waldeck. ///^Je»  'piepen,  nach  futter  schreien 
(von  vögeln)',  nl.  tjilpcn  tjelpcu  'zwitschern,  zirpen'  usw. 

Zu  demselben  stamme  germ.  hivclp-  stellt  sich  daher  ganz  natürlich  ae.  hicilpc 
'a  soa-bird'  (Seefahrer  21).  Wir  haben  darin  unzweifelhaft  den  auch  in  den  Nieder- 
landen und  Niederdeutschland  weit  verbreiteten  namen  des  regenpfeif ers,  strand|)feifers, 
der  tüte,  dithm.  hcintüiit-  zu  sehen:  nl.  tviilp  'brachvogel,  gewittervogel,  rogenvogel'. 
Franck,  Nl.  et.  wb.  bemerkt  dazu  nur:  'slechts  nnl.,  ook  /cilp;  oostfri.  /t:/'lslc>-  'pluvier'. 
Oorsprong  onbekend'.  Der  name  ist  aber,  wie  gesagt,  nicht  nur  nl.,  sondern  auch 
nd. :  ostfries  (Doornk.  3,24a)  regen-wilp  'regenpfeifer,  strandpfeifer',  ns.  (Brom.  wb. 
5,  286)  regen -wolp,  tcater-uolp  'ein  wasservogcl  in  der  grosse  einer  taube',  (ib. 
Q>^  W^Y  regen -wolp,  regen- ivulp  (auch  regen- worp)  'tüte,  wind-  und  wettervogel', 
pom.  (Dähnert)  regen- /cölp  'ein  wasservogel,  krummschnabelichtc  schnepfe'. 

Für  diese  etymologio  spricht  besonders  auch  das  ostfries.,  das  neben  rcgen- 
/rilp  glbd.  regen-gilp  hat;  vgl.  ostfrs.  5rt'//)c,  gilp  'schreier,  ki-eischer,  pfeifer',  gilpen 
gllpen  'laut  und  scharf  schreien',  gilpern  gtlpern  'heftig  und  anhaltend  nach  speise 
oder  atzung  schreien'.  Vgl.  hess.  gilpen  'vom  geschrei  der  jungen  vögel,  zumal  der 
jungen  gänse,  enten  und  hühner  gebraucht,  auch  von  dem  winseln  junger  hunde', 
ebenso  ne.  yelp  'von  der  stimme  des  hundos,  aber  auch  von  vogclstimmen'.  Über 
die  Verbreitung  dieses  verbalstamraes  got.  *gilpa  galp  gulp/in/  giilpans  handelt  aus- 
fülirlich  R.  Hüdebrand  D.  wb.  4  II,  3012  fgg.  s.  v.  gelfen. 

Das  von  Frank  zu  nl.  wilp  uulp  gezogene  ostfries.  uilster,  das  gleichfalls  ein 
name  des  regenpfeifers  ist,  findet  sich  auch  in  nl.  dial.  tc/hter ,  das  Molema,  Groning. 

1)  c  =  consonant;  a  =  vocal. 

2)  So  nennt  nach  dem  vogel  Gustav  Frenssens  Jörn  Uhl  seine  Lisbeth  Junker. 


394  SCHRÖDER 

wb.  474a  durch  'wildebras  van  eeu  meisje',  also  etwa  'munteres,  wildes  mädchen, 
wildfang'  erklärt;  wegen  des  Bedeutungswandels  verweist  Molema  auf  gvoning.  haister 
in  ders.  bdtg.  =  nd.  heister  'elster'. 

Dies  ostfries.  ul.  wüster  lum  ist  offciiar  ebenso  gebildet  wie  nhd.  elster  und 
zahlreiche  andcro  formen  desselben  vogelnamens  (s.  Kluge  Et.  wb.  s.  v.  elster;  ders. 
Nominale  stamm bildungslehre  ^  §49):  gorm.  '^hweljnstrjön,  ae.  *htvilpestre,  im  mud. 
nd.  mit  regelrechtem  ausfall  des  p:  /rilstcr.  Ae.  *luvilj>estre  'regenjifeifer'  ist  bisher 
nicht  belegt;  dafür  aber  ein  ganz  analog  gebildetes  ae.  hulfestrc  'regenpfeifer',  germ. 
*hulfastrjön  von  dem  stamme  *hu-elf-^  half-,  hulf-  nach  dem  mit  c^o  .^.//j  glbd.  typus 
c^ajf-  (mnd.  hulven,  hulvern  'laut  heulend  weinen'  =  westf.  hui  fern,  hiilirern, 
waldeck,  hülwern^  westf.  sulfern,,  zulfern  paderborn.  gnlfcrn,  mnd.  gilfere7i,  gel  fern 
'laut  schreien,  heulen'  vgl.  R.  Hildebrand  a.  a.  o.).  — 

Nhd.  floiss. 

Mhd.  ahd.  rlis  'eifer,  Wetteifer,  Sorgfalt;  widerstreit,  widerspiel,  coutrast, 
gegensatz'  zu  ahd.  /Ii§§au,  mhd.  vli^en  'eifrig  sein,  sich  befleissen',  as.  flit,  contentio, 
certamen,  agon',  mnd.  mnl.  vlit^  afrs.  nd.  flit^  nl.  vlijt  'fleiss,  eifer',  ae.  ßit  'strife', 
flitan  'contend,  struggle,  oppose,  quarrol',  ne.  dial.  (schott.)  flite  sb.  (vb.)  'zauk(en), 
streit(en)'.  Das  wort  fehlt  bei  Skeat;  bei  Schade,  Weigaud,  Kluge,  VercouUie  ist  es 
unerklärt.  Franck,  Nl.  et.  wb.  sp.  1094 fg.:  „Deze  slechts  westgerm.  groep  berust 
wellicht  op  het  begrip  van  'flinke  bewegiug';  vgl.  eng.  to  flu  'spoeden',  flit  'flink', 
oostfri.  flits  'flink,  snel'  usw."  Falk-Torp,  Etymologisk  ordbog  over  det  norske  og 
det  danske  sprog  1,  170,  vermuten  in  dem  aus  mnd.  vlit  auch  in  die  nordischen 
sprachen  (däu.  flid,  schwed.  flit)  eingedrungenen  wort  eine  indog.  wz.  *peldd,  die 
ohne  dentalsuffix  in  gr.  7itltf.ii'C«),  nöXi/^iog  vorliegt.  Ich  möchte  eine  andere  etymo- 
logie  vorschlagen. 

Die  älteste  nachweisbare  bedeutung  ist  'zank,  streit'.  Diese  aber  kann  sich 
aus  der  der  'Spaltung'  (vgl.  nhd.  Zwiespalt^  mhd.,  xivispeltimge)  entwickelt  haben. 
Wir  dürfen  daher  für  germ.  *flitan  die  bedeutung  'spalten'  voraussetzen.  Die  hierin 
steckende  wz.  germ.  *//?<-,  indog.  *plid-  liegt  auch  vor  in  dem  bei  Kluge  fehlenden 
nhd.  fliese  aus  mnd.  nd.  flise  'Steinplatte,  fliese',  woraus  auch  dän.  flise  'fliese  platte 
Splitter',  schwed.  flisa  'Splitter  Scheibe'.  Das  anord.  hat  dafür  ein /71s 'flis,  splint' = 
dän.  norw,  flis  'splitter',  schwed.  dial.  (Rietz  152  b)  flis  ,en  liten  afrifvon  sticka, 
spillra,  skärfva;  kisel  kiselsten'. 

Diese  wörtor  aber  gehn  (mit  s  nach  langem  vocal  <i  ss  <i  tt  <C  dt)  auf  eine 
indog.  WZ.  *j)lid-  zurück,  die  mit  beweglichem  s-  in  kelt.  *slid-  (<;  *splid-)  'spalten' 
vorliegt:  ir.  sliss  {*splissi-)  'Schnitzel',  slissiu,  {*splission-)  'Schnitzel,  latte'.  Indog. 
*splid-  =  germ.  *splU-  in  nhd.  spleisscn,  mhd.  spitzen  '(sich)  spalten'  =  mnd.  nd. 
mnl.  spliten^  nl.  splijteii,  afrs.  spUta.  Hierzu  auch  dän.  splitte  'zerspalten,  zer- 
splittern' und  (wichtig  wegen  der  bedeutungen  =  ae.  ahd.  as.  flit)  schwed.  split 
'entzweiung,  Zwietracht,  Zerwürfnis,  zwist,  Streitigkeiten'.  Dazu  mit 
-r-suffix  nhd.  nd.  splitter  mnd.  splittere,  splettcre  'splitter,  holzscheit',  splitteirii., 
spletteren  'zersplittern,  spalten;  auch  flg.  spalten,  trennen,  entzweien',  splillerich 
'streitig',  splitteringe  'zerreissung,  Spaltung,  Zwietracht'. 

Neben  indog.  *spiid-  stellt  mit  nasal  indog.  "splind-  >  kelt.  *slind-  in  ir. 
slind  'imbrex,  pecten',  geü.  sliwicd  {*splindet-),  s/mcZ  er/afZ 'unter  i.  o.  later'.  Indog. 
*spiind-  >   germ.  *splitul-  in  nhd.  (aus)  nd.  Splint,^  mnd.  splinte,  ostfries.  splinte, 


BEITRAGE    ZUR    DEUTSCHEN    WORTFORSCHUNG  395 

Splint  'eiserner  vorsteckspau ,  schliesskeil  eines  bolzens  oder  einer  lünse',  nl.  ostfries. 
Splint  -geld'  (wegen  der  bedeutung  vgl.  nl.  spaan,  hd.  späna  in  ders.  bdtg.),  dän, 
Splint  •Splitter;  splint,  span'.  ne.  splint  'splitter,  span,  keil,  schiene'.  Hierzu 
mit  -/--Suffix:  nl.  splinter  'splitter,  spreisson',  ostfries.  splinter  'splitter,  holz-  oder 
metallsplitter,  dünner  span',  nc.  splinter  'span,  splitter,  schiene',  dazu  das  vh.  nl. 
ninl.  ostfries.  splinteren,  dän.  splintre,  no.  splinter  'splittern,  zersplittern,  abspalten, 
abschiefern'.  Auch  neben  indog.  *splind-,  germ.  'splint-  steht  eine  s-Ioso  form  germ. 
*fJint-  (indog.  *plind-)  in  dän.  ßint  'fouorstein,  flintstein',  im  alt.  dän.  auch  'stein- 
splitter', schwed.  flinta,  norw.  dial.  fiint  -feuerstoin'  =^  ae.  ne.  /lint,  mnd.  vlint,  nd. 
(woraus)  M.  ßint,  wvläm.  flente  'felzen';  ferner  mit  -rsuffix:  norw.  din\.  ßindra  'en 
tynd  skive  eller  splint;  isa>r  af  stecn',  ßindrast  'splintros,  revnc  i  Iliser',  ßintcr 
'snuile',  nl.  ßenter  'fetzen,  stück',  nc.  ßinder  'splitter,  bruchstück'.  Gr.  nh'vdog 
'ziegel;  platte,  harren,  klumpen",  das  gewöhnlich  verglichen  wird,  weicht  im  stamm- 
suffix  (dh  statt  d)  ab.  Vgl.  Falk  og.  Torp,  Et.  ordb.  1,170b,  s.  v.  ßint:  Stokes, 
Urkelt.  sprachsch.  s.  320. 

Nhd.  verquisten  und  vergeuden. 
Verquisten  ist  besonders  bekannt  durch  Lessings  berühmten  ausspruch  über 
seinen  beruf  zum  dichter  ('nicht  jeder,  der  den  pinsel  in  die  band  nimmt  und  färben 
rerquistet,  ist  ein  mahler").  Nach  Kluge  Et.  wb.  ^  soll  es  aus  dem  glbd.  nl.  kioisten, 
verlacisten  übernommen  sein;  nach  dem  D.  wb.  12,983  ist  es  'wie  es  scheint,  ein 
dem  nd.  entnommenes  wort'.  Für  Kluges  annähme  einer  entlehnuug  aus  dem  nl. 
liegt  jedenfalls  nicht  der  geringste  grund  vor.  Denn  das  ursprünglich  auch  hd.  wort 
(ahd.  quist,  ar-,  far-quisten,  Graff  Ahd.  sprachsch.  4,  680  fg.)'  ist  im  nd.  von  alters- 
her  noch  im  gebrauch  geblieben:  mnd.  quist  'schaden,  nachteil,  Verlust',  te  quistc 
gän,  komen  'umkommen,  verderben',  {vor-)qmsten  'vergeuden,  verschwenden',  Osna- 
brück. (Strodtmann  177)  g'zm^ew,  ^;er(J'M^sfe?^ 'geld  und  Sachen  versäumen,  vergeuden', 
ns.  (Brem.  wb.  3,  110)  quist  'schaden,  nacMeil,  verlust',  {ver -)quisten  'vergeuden,  ver- 
schleudern usw.',  altmärk.  quist  'verlust',  m  de  quist  gan  'verloren  gehn,  verderben'.  In 
md.  mundarten  habe  ich  es  bisher  nur  gefunden  bei  Pfistcr,  Nachtr.  zu  Vibnar  s.  220, 
verquisten  'verderben,  noch  im  Westerwalde  lebendig'  und  bei  Kehrein,  Nass.  wb.  s. 
429  verquisten,  'etwas  durch  nachlässigkeit  verderben'.  Kehrein  verweist  auch  auf 
Stieler,  Der  deutschen  spr.  Stammbaum  und  fortwachs  v.  j.  1691  verqvesten  'zugrunde 
richten'.  Auch  Adelung  (1780)  verzeichnet  4, 1493  verquisten,  'welches  nur  in  den 
gemeinen  sprecharten  einiger  gegenden  üblich  ist:  unnütz  verderben  oder  durchbringen'. 
Ebenso  wird  es  1791  verzeichnet  von  Jagemann,  Dizionario  ital.-ted.  2,1242b  und 
1805  von  Schmid,  Diccionario  alem.  y  espanol  s.  819  b.  Das  nach  Kluge  aus  dem  nl. 
entlehnte  verquisten  ist  also  ein  gut  deutsches  wort  und  —  wenigstens  in  Nord-  und 
Mitteldeutschland  —  nie  ausgestorben  gewesen ,  ebensowenig  wie:  Z'er</e7<c?e;».  Kluge 
Et.  wb.  *  behauptet  nämlich  von  diesem  wort,  es  sei  im  älteren  nhd.  geläufig,  z.  b. 
bei  Luther,  dann  ausgestorben  und  von  der  Schweiz  aus  seit  etwa  1740  erneuert. 
Ich  weiss  nicht,  worauf  Kluge  seine  behauptung  stützt.  Ein  blick  ins  D.  wb.  hätte 
ihn  schon  eines  anderen  belehren  können.    Wülcker  weist  da  12,426  nach,  dass  ver- 

1)  Darauf  wird  weder  von  Kluge  Et.  wb. ,  noch  von  Lexcr  D.  wb.  7,  2378  unter 
quistc^  quistrn.  nocli  von  Wüloker  D.  wb.  12,983  unter  verquisten,  vcrquistung  a.\\(- 
merksain  gemacht.  Im  D.  wb.  findet  sich  sogar  auch  nii-gends  der  schon  von  Wächter, 
Glossarium  germ.  (1727)  s.  313  und  in  seinem  foliowerk  von  1737  sp.  1226  u.  1772, 
gebrachte  hinweis  auf  got.  qistjan,  fraqistjan,  fraqistcins,  usqistjan. 


396  SCHRÖDER 

geuden  verzeichnet  ist:  1691  von  Stieler,  1725  von  Steinbach,  1741  von  Frisch. 
Diese  drei  Wörterbücher  will  Kluge  doch  nach  dem  Et.  wb.  ®  s.  XXV  gegebenen  Ver- 
zeichnis für  sein  buch  'zu  altersbcstimmungen  zugezogen'  haben!  Diesen  nachweisen 
des  D.  wb.  kann  ich  hinzufügen  zunächst  1663  Schotte!,  dessen  stamniwörterbuch  auch 
auf  der  liste  derjenigen  Wörterbücher  steht,  nach  denen  Kluge  seine  altersbestimniungen 
des  nhd.  sprachguts  vorgenommen  hat.  Nun  hat  Schottel  allerdings  in  dem  Stamm- 
wörterbuch das  vorb.  rcr^e^trfew  begreiflicherweise  nicht,  wol  aber  das  simplex  ^e?<f/en, 
dazu  das  sb.  gcudcr.  Wenn  er  aber  dies  schon  im  16.  jh.  seltnere  wort  hat,  so  wird 
er  doch  auch  vergeuden  gekannt  haben;  das  wird  sicher  durch  Ilaubtspr.  s.  335,  wo 
er  vergeuden  neben  geuden  aufführt.  Perner  findet  sich  1716  bei  Frisch,  Nouv.  dict. 
des  passsgers  usw.  im  deutsch -franz.  teil  %.'i%^^?^  vergeuden,  Vergeuder,  vergeiulung; 
1719  verzeichnet  Kramer  im  deutscheu  teil  seines  Königl.  nider-hocht.  und  hoch- 
nidert.  wbs.  s.  246c  vergeuden,  Vergeuder,  Vergeudung ;  ebenso  im  nl.  teil  s.  449  unter 
verquisten,  verquister,  vergeuden,  Vergeuder \  1749  bucht  Lind  in  seinem  Teutsch- 
schwed.  und  schwed.-teutschen  lexicon  sp.  1602  vergeuden ,  Vergeuder^  vergeiahmg 
und  auch  sp.  831  das  bei  Frisch  und  Kramer  fehlende  simplex  geuden  nebst  gender, 
geudig,  geudigkeit.  Kluges  behauptung,  daß  vergeuden  von  etwa  der  mitte  des  16. 
bis  zur  mitte  des  18.  jhs.  ausgestorben  gewesen  und  dann  erst  von  der  Schweiz  aus 
in  der  dichters[)rachü  erneuert  worden  sei,  ist  also  nicht  aufrecht  zu  erhalten.  Denn 
dann  wäre  das  wort  in  den  hauptsächlich  für  zwecke  des  practischen  lebeus  ge- 
schriebenen Wörterbüchern  von  Kramer,  Frisch,  Lind  sicher  nicht  verzeichnet. 

Nhd.  tüte,  düte. 

Bei  Kluge  unerklärt.  Das  wort  ist  nd.,  der  anlaut  in  düte  nach  md.  ausspräche. 
Neben  tüte  steht  auch  tüte.  Es  ist  unzweifelhaft  identisch  mit  nd.  tüte,  tüte  'tut- 
horn'.  Die  aus  rindenstreifen  hergestellten  kegelförmigen  blashörner  der  landjugend, 
bes.  der  hirtenknaben ,  haben  dieselbe  gestalt  wie  die  mit  der  haud  gedrehten  A-mwfr- 
tüten  und  werden  auch  zum  sammeln  von  beeren  usw.  benutzt.  Vgl.  z.  b.  altmärk. 
(Danneil  187)  sehrö,  ellernschrö  'eine  aus  abgezogener  ellernrinde  zusammengerollte 
düte,  worin  die  landjugend  die  himbeoren,  brombeeren  usw.  in  den  holzungen  sich 
sammelt'.  Beide  bedeutungen  C-tuthoi-n'  und  Hüte'}  finden  sich  auch  vereinigt  in 
schwed.  dial.  (Eietz  736)  tut  '1.  pip  (pä  stop  eller  kanua)';  2.  lur  af  näfver;  3.  strut, 
fyrkantig  näfverpase  tili  insaniling  af  bär';  ferner  schwed.  lur  '(gerades)  tuthorn  aus 
baumrinde;  krämertüte',  schwed.  dial.  strut  '1.  bärstrut,  näfverskäppa  af  större  vidd 
i  bottncn  en  i  dess  öppniug;  begagnas  vid  bärplockuing;  2.  vallhorn;  3.  litou  paperslur'. 
Auch  aus  anderen  sprachen  Hessen  sich  zahlreiche  beispiele  für  dieselbe  bedeutungs- 
entwicklung  anführen. 

Nhd.  ohrfeige. 

Mnd,  orvtge,  nl.  oorvijg  (neben  oorveeg).  Zu  dem  worte  bemerkt  Kluge  Et. 
wb.'^:  'Es  mag  wie  backpfeife,  dachtel,  kopfnüsse,  maulschelle  (eig.  name  eines  ge- 
bäcks)  euphemistisch  gemeint  sein'.  —  In  der  tat  bezeichnet  dies  wort  in  Kiel  ein 
kleines  gebäck,  dessen  form  eine  gewisse  ähnlichkeit  mit  dem  menschlichen  ohr  hat. 
In  Oberhessen  (s.  Kehrein  Nass.  wb.  139. 298)  ist  ohrfeige  'eine  art  pfanukuchen'. 
Beide    bedeutungen    ('schlag    an    den    köpf    und    'gebäck')    finden    sich    auch  sonst 

1)  Auch  das  nd.  tüt(e)  hat  wie  nd.  ptp(c)  die  bedeutung  '  ausflussröhre  eines 
gefässes'. 


BKITRÄfiK    ZIT?    DKUTSCHEN   "WORTFORSCHTJXO  397 

vereinigt,  z.  b.  in  nl.  träfet  'waffelkuehcn  und  niaulschelle  (schlag)',  vulgär  daneben 
auch  'mund.  maul',  wie  nass.  flapjics,  flappch  'eine  art  pfannku(;hc>n',  bei  Stieler, 
Der  deutschen  spr.  Stammbaum  und  fortwachs,  1691:  flabbe,  //a/^/>e 'ohrfeige,  schlag', 
neben  schles.  /läppe  'mund,  maul',  altmiirk.  flahb(e)  'die  lippeii,  herabhängendes 
maul',  westf.  flapps  'mund,  lippe'  {/läpp  'klapp,  schlag')  usw.  vgl.  Kehrein  a.a.O. 
Vielleicht  darf  man  hier  auch  an  nd.  hd.  dial.  holhippe(l)n ,  holippefljn 
'schelten,  schmähen,  lästern'  erinnern  zu  holippe,  lioll/ippe  'ein  hohlgebäck'.  Doch 
vgl.  D.  wb.  411  1718  fg. 

Nhd.  egge,  roggen. 

Tn  den  ersten  auflagen  seines  Et.  wb.  erklärt  Kluge  wie  seine  Vorgänger  nhd. 
roggen  'in  nd.  lautfurm  für  streng  hd.  rooke  rocken'.  Auch  egge  'aus  dem  nd.  eyge\ 
ebenso  eggen  aus  dem  nd.,  weil  ein  entsprechendes  hd.  wort  ecken  oder  egen  lauten 
müßte'.  In  der  neuesten  (G.)  aufläge  vertritt  Kluge  eine  andere  ansieht;  er  sagt  da 
über  egge:  'die  nhd.  wortform,  die  aus  dem  ztw.  e^^e«  neu  gebildet  ist,  stammt  (wie 
die  lautform  von  roggen  und  weixen)  aus  schwäb. -alem.  mundarten,  deren  gg  aller- 
dings als  ck  gesprochen  wird  (schwäb. -Schweiz,  egge).,  dann  wäre  die  Orthographie 
mit  gg  für  die  schriftsprachliche  ausspräche  massgebend  gewoi-deii.  Andererseits  kann 
die  lautform  egge  auch  dem  nd.  entstammen  (livländ.  egge,  aucli  mnl.  egghe);  doch 
überwiegt  im  ud.  vielmehr  e/e  (so  in  Warburg);  das  zeitwort  eggen  düifte  auch  schwäb.- 
alem.  Ursprungs  —  nur  mit  ud.  ausspräche  —  sein  (ud.  md.  gilt  vielmehr  e/en):  ahd. 
mhd.  ecken  egen  aus  agjan\ 

Diese  darstellung  scheint  mir  nicht  zutreffend.  Schmid,  Schwäb.  wb.  155  hat 
nur  egde  i\\r  egge.,  Martin -Lionhart,  Eis.  wb.  1,23,  geben  für  eg^  ''egge'  folgende 
aussprechweisen  an:  ek,  ej,  ej,  ej,  lej,  ai;  für  e^e"  '■eggen':  i-kd,  djo,  eJ9.,  eje,  cejd; 
daneben  egete  (mhd.  egede,  eide)  'egge':  ekotd  ejt.  Auch  Fischart,  Garg.  293,  hat 
egen  "-eggen'  (s.  Martin -Jiienhart  a.  a.  o.).  Allerdings  findet  sich  auch  schon  in  der 
ersten  hälfta  des  IG.  jhs.  im  schwäb. -alem.  die  form  mit  gg  bei  Dasypodius  vom  j. 
1547  Kr  IIb,  Illa:  neben  ecke:  egge ,  e-ggung ,  egger,  eggen.  Aber  diese  Schreibweise 
scheint  doch  nicht  die  ihm  geläufige  gewesen  zu  sein.  Denn  im  lat. -deutschen  teU, 
in  dem  er  nicht  soviel  Sorgfalt  auf  eine  modische  Orthographie  verwendet,  findet  sie 
sich  nur  unter  sarculum  GglVb:  neben  ege:  egge.,  eggung,  eggen.,  egger;  nicht  da- 
gegen unter  occa  Zlllb  ege,  egke,  egen,  egken,  egung,  eger.  Ebenso  hat  er  unter 
lira  nicht  egge.,  sondern  nur  äge.,  ecke.  Dagegen  findet  sich  bei  Lübben- "Walther, 
Mud.  hand-wb.  für  das  verbum  nur  die  form  mit  gg:  eggen  'mit  der  egge  bearbeiten, 
occare',  kein  *egen  oder  von  mnd.  egede  eide  'egge'  gebildetes  *egeden  "eklen.  Auf 
mnl.  egghe  'egge'  verweist  Kluge  ja  auch  selbst. 

Wir  werden  daher  bei  der  alten  ansieht  bleiben  müssen,  nach  der  in  nhd. 
eggen  die  alte  nd.  laut-  und  schriftform  vorliegt  xind  Kluges  hypothese  ablehnen, 
nach  der  nhd.  eggen  für  älteres  nhd.  mhd.  ecken  seine  schriftform  von  einem  schwäb. - 
alem.  *eggen  (spr.  ecken)  und  seine  lautform  von  nd.  eggen  (s{)r.  egge/i)  empfangen 
haben  soll.  Auch  nd.  v/en  geht  auf  eggen  zuriick.  Gg  ist  eben  auf  einem  großen 
teil  des  nd.  .Sprachgebiets  vielleicht  schon  in  and.,  sicher  in  mnd.  zeit  spirantisch  ge- 
worden ;  also  eggen  >  egge«  >  e^en  >  e^en  und  mit  dehnung  des  vocals  in  der  nun- 
mehr ofl'encn  silbe  zu  t;(en.  Dasselbe  ist  der  fall  bei  as.  hruggi  mnd.  rilgge  '■rücken'., 
as.  roggii  mnd.  rogge  '■roggen'.,  as.  brnggia .,  mnd.  briigge  '■brücke'^  as.  mnggüi  mnd. 
niügge  //nicke'.  Diese  worte  lauten  im  lauenb.  in  den  städteii  rii/  (rüii)  ro/  (ro/j). 
b/-ä/.   //tily:   auf  dem   lande   rüy.,   /"ö/,  hrüy.,  müy.     Die  Schreibung  egge  findet  sich 


398  SCHRÖDER,    BF.ITRÄfiF.    ZUR    DKTTTSCHEX    AYORTFORSCHTJNG 

bei  Danneil,    Altinärk.   wb.  45,    im   Bremer  wb.   1,  2ü4,    1)ei   Schütze,    Holst,   idiot. 
1,   295. 

Auch  roggen  hat  hiernach  nd.  laut-  und  schriftform. 

Nhd.  Schärpe  (aus)  frz.  echarpe. 

Das  nfrz.  wort  bezeichnet  'binde,  gürtel',  afrz.  escharpe,  escherpe,  escerpe, 
auch  'die  dem  ])ilger  um  den  hals  hängende  tasche',  woraus  die  bedeutung  'binde' 
vermutlich  er.st  abgeleitet  ist  (Diez,  Etym.wb.  d.  rom.  Rprr.^287).  Für  das  frz.  wort 
(als  sc'iarpa,  ciarpa  ins  ital.,  als  charpa  ins  span.  eingedrungen)  wird  allgemein  deut- 
scher ui'sprung  vermutet.  Mit  recht  wird  auch  das  ganz  vereinzelte  spät-ahd.  scharpe 
'sack,  stips'  verglichen,  das  dann  jedoch  nd.  p  für  hd.  f  oder  pf  haben  muss;  denn 
das  franz.  verlangt  ein  *skarpa.  Darauf  weist  auch  das  zum  vergleich  herangezogene 
bair.  (Schmeller-Fronun.  2,  470)  schärjjflein  'schärpe',  d.  h.  wenn  es  alt  und  nicht, 
wie  die-  bedeutung  fast  vermuten  lässt,  aus  dem  franz.  worte  geformt  ist.  Nicht 
ganz  zutreffend  ist  vielleicht  auch  bei  Schmeller-Fromm.  a.  a.  o. .  Diez  a.  a.  o.  und 
Weigand,  Wb.*  2,  550  der  hinweis  auf  das  ad.  schrap,  das  sich  m.  w.  zuerst  bei 
Richey,  Idiot,  hamburg,  1755  s.  422,  verzeichnet  findet  als  dithni.  schrap  'tasche'. 
Dies  wort,  das  heute  in  Dithmarschen  wol  kaun",  noch  in  gebrauch  ist,  wird  auch 
von  Outzen  als  nordfries.,  von  Molbech,  Dansk  dialect-lex.  s.  496,  als  südjütisch 
verzeichnet:  skrappe  'en  vadsiek,  reisesoek',  madskrappe  'cn  madpose'.  Es  kann 
mit  umsprung  des  r  das  germ.  *skarpa-  sein;  es  kann  aber  auch  aus  dem  anord. 
stammen,  vgl.  anord.  skreppa  'pera'  (woraus  auch  ae.  scripp  'bag,  wallet',  me.  scrippe, 
ne.  scrip  'tasche,  riinzel'  und  mit  abfall  des  anlautenden  s  me.  crip  'pouch,  scrip'). 
Auf  alle  fälle  aber  ist  germ.  * skarpa  'tasche,  ränzel'  direct  oder  iudirect  mit  dithm. 
norfries.  schra,p,  skrappe  verwandt.  Denn  anord.  skreppa  [mit  jip  <  if^p)  gehört  zu 
der  in  nhd.  schrumpfen,  mhd.  schrimpfen,  md.  schrhnpen  '(sich)  krämmeu,  zu- 
sammenziehen' usw.  enthaltenen  germ.  wz.  sät- ?«j3-.  zu  deren  glbd.  uasalloser  neben- 
form  sk-rp-'^  germ.  *  skarpa-  sich  ganz  ruigezwungen  stellt. 

Für  diese  etymologie  sprechen  auch  verschiedene  andere  worte  für  '(pilger-) 
tasche,  ranzen': 

tirol.  (Schöpf  637)  schnarfer  'art  ranzen  oder  sack  mit  achselbändern'  zu  ahd. 
snerfan  'zusammenziehen,  zusammenschnüren'. 

anord.  skrokkr  {*skrmikax)  'ranzen,  bettelsack'  zu  Vfz.  skr-iik-  (=^  skr-mp-), 
z.  b.  in  ae.  'scrinean  '(sich)  krümmen,  zusammenziehen,  schnimpfen'. 

nhd.  ranzen,  nl.  7~anxel  {*hrankz-  oder  *tvrankx-)  zu  *hr-nk- oder  *tvr-nk- 
'(sich)  krümmen,  zusammenziehen'  in  mhd.  runke  =  nhd.  runzel  usw.;  s.  verf. 
PBSBeitr.  29,  502. 

Als  grundbedeutung  für  die  synonymen  worte  germ.  *  skarpa  (in  frz.  echarpc\ 
dithm.  schrapp,  anord.  skreppa,  anord.  skrokkr,  tirol.  schnarfer  dürfen  wir  daher 
annehmen:  •zusammengezogenes,  zusammengeschnürtes  (bündel)'. 

1)  Vgl.  veif.  Beitr.  29,  494  fg. 

KIEL.  HEINRICH    SCHRÖDER. 


n.  K.  H.  GOODAVIN  BÜEROEL,  DIE  ZKITSCHR.  F.  SCHWRD.  MÜNDARTEN-  ü.  VOLKSKUNDE  399 

Die  zeitsclirilt  für  sclnvedisclie  iuuii<larteii  -  uud  Volkskunde. 

(Nyare  bidrag  tili  käimedum  oiu  Ue  sveuska  landsmälen  ock  sveuskt  fülklif,  ut- 
givna  pü  uppdrag  af  laudsniälsföreningarua  i  üppsala,  Heisiugfors  ock  Luiid 
geuom  J.  A.  Liindell.  Stockholm  I879fgg.)  Zur  feier  ihres  25jährigeu  besteliens. 
Das  in  mehr  als  einer  hinsieht  in  der  geschichte  der  germauischen  philo- 
logie  bis  jetzt  einzig  dastehende  unternehmen,  welclies  vor  ein  paar  woohen  sein 
25jähriges  Jubiläum  feierte,  indem  mitaibeiter,  beteiligte  fachgenossen  in  Schweden 
und  den  übrigen  nordischen  ländern ,  nicht  minder  aber  auch  gelehrte  kreise  weit  über 
das  skandinavische  Sprachgebiet  hinaus  dem  begründer  und  leiter  desselben  ihre  giück- 
wünsche  und  ihren  dank  für  aufopfernde,  verdienstvolle  arbeit  aussprachen,  ist  gleich  bei 
seinem  ersten  erscheinen  in  dieser  Zeitschrift  11,  500  und  14,  100  von  Hugo  Gering 
ausführlich  charakterisiert  und  gewürdigt  worden.  Seit  dieser  anmeldung  des  reichen 
inhalts  der  ersten  drei  Jahrgänge  der  »Sveuska  landsmälen«  hat  sich  die  bearbeitung 
der  schwedischen  mundarten  so  mächtig  entfaltet  und  sind  dem  unternehmen,  das 
einst  nur  mit  äusserster  Schwierigkeit  ins  leben  gerufen  werden  konnte,  da  es  an 
den  nötigen  geldmitteln  gebrach  uud  sogar  der  begründer  persönliche  haftuug  für  die 
Zeitschrift  zu  übernehmen  gezwungen  war,  allmählich  reichere  Unterstützungen  zu- 
geflossen, so  dass  Lundell  in  der  zweiten  bearbeitung  des  Grundrisses  der  germa- 
nischen Philologie  (bd.  I,  s.  1483  fgg.),  woselbst  er  ausführlich  über  die  bearbeitung 
der  skandinavischen  mundarten  handelt,  mit  stolz  auf  20  jähre  erspriesslicher  tätig- 
keit  in  Schweden  zurückblicken  konnte. 

Den  Verfasser  dieser  zeilen,  der  selbst  an  ort  und  stelle  durch  eigne  arbeiten 
der  schwedischen  dialektforschung,  vor  allem  aber  deren  leiter,  dem  erfinder  und 
ausbauer  des  dialektalphabets ,  prof.  J.  A.  Lundell  (geb.  1851  zu  Kalmar,  1882  —  91 
docent  der  phonetik,  seitdem  prof.  Ordinarius  für  slavische  sprachen  in  Uppsala)  nahe 
steht,  gelüstet  es,  die  oben  angeführten  besprechungen  der  :>Svenska  landsmälen« 
nach  drei  selten  hin  zu  ergänzen.     Ein 

historischer  rückblick 

dürfte  fürs  erste  in  kurzem  die  frage  beantworten,  die  sich  wol  jeder  stellt,  der  die 
materiellen  hindernisse  kennt,  mit  denen  eine  forschungstätigkeit  zu  rechnen  hat,  die 
geldopfer  beansprucht  und  an  eine  grosse  anzahl  geschulter  mitarbeiter  gewisse  nicht 
gewöhnliche  forderungen  stellt.  Wie  ist  es  möglich,  dass  gerade  ein  so  wenig  dicht 
bevölkertes,  verhältnismässig  armes  land  wie  Schweden  in  der  Organisation,  publikation 
und  vor  allem  dem  Interessenten-  und  leserkreis  seiner  dialektologischen  und  volkskund- 
lichen Veröffentlichungen  alle  anderen  germanischen  länder  so  weit  übertreffen  kann? 
Bekauntermassen  unterscheidet  sich  das  universitätsieben  hier  im  norden,  und 
in  Schweden  insbesondre,  recht  wesentlich  von  dem  deutschen.  Zum  Verständnis  des 
folgenden  ist  es  nötig,  wenigstens  darauf  hinzudeuten,  dass  die  studierenden  an  den 
zwei  landesuuiversitäten  Uppsala  und  Lund  obligat  einer  der  13  sogenannten  nationen 
angehören  müssen,  in  die  sie  nach  der  na<^clws  -  Zugehörigkeit  des  vaters,  der  mutter 
oder  ihres  geburtsorts  aufgenommen  werden  und  nach  denen  das  ganze  studentkär  in 
allen  öffentlichen  und  examensangelegenheitcn  eingeteilt  ist.  Wesentlich  ist,  ausser 
dem  concentrierenden  einfluss  der  >nation«  auf  die  elemente  aus  der  gleichen  gegend 
oder  Stadt,  durch  den  der  ungebundene,  freiwillige  zusammenschluss  ungleicher  Inter- 
essen aber  gleicher  heimatzugehörigkeit  unter  einem  selbstgewählten  ausschuss  und 
emem  selbstgewählteu  inspektur  aus  der  zahl  der  professoren  (meist  einem  laudsniann) 
eine  wahre  mutter  für  den  uuerfahrnen  Studenten  aus  kleinen  landorten  werden  kann, 


400  H.  K.  H    GOODWIN  BUERGKL 

ferner  noch,  dass  auch  die  professoi-en ,  doceuten  und  alle  Universitätsbeamten,  teils 
als  Senioren,  teils  als  ehrenniitglieder,  zeit  ihres  lebens  iin  nations verband  und  mit 
ihren  landstiiän  in  berührung  bleiben.  Innerhalb  dieser  nationsvereine  bildeten  sich 
anfangs  der  siebzigei-  jähre  sogenannte  landsmälsßreninyar,  die  ihrerseits  wieder  durch 
eine  anfangs  nichts  weniger  als  VFissensch'aftliche  beweguug  ins  leben  gerufen  wurden. 
"Wie  Norwegen  bis  auf  den  heutigen  tag  noch  eine  idee,  die  künstliche  pflege  einer 
rein  norwegischen  landessprache,  in  einer  von  allen  logisch  denkenden  über  bord  ge- 
worfenen aii  und  weise  verwirklichen  will,  so  tauchte  zu  der  erwähnten  zeit  auch  in 
Schweden  vereinzelt  der  ansatz  zu  einein  mälstrcev  auf.  Es  war  der  begründer  des 
ältesten  schwedischen  mundartenvereins  0.  E.  Noren,  der  sich  mit  dem  gedanken 
trug,  und  denselben  auch  teilweise  schwarz  auf  weiss  in  Wirklichkeit  umsetzte,  ein 
rein  nordisches  schwedisch  zu  coustruieren.  Da  ein  solches  schwedisch  jedoch  nur 
die  lesen  konnten,  die  neben  der  kenntnis  des  isländischen  wenigstens  noch  ein  wenig 
sprachhistorische  Schulung  besassen,  so  blieb  dies  sprachliclie  erzeugnis  auf  Norens 
köpf  und  feder  beschränkt;  ein  mächtiger,  vorteilhafter  anstoss  ging  aber  hinfort  von 
dem  geweckten  Interesse  für  die  eigne  spräche  aus,  die  in  ihrer  gebildeten  und  schrift- 
sprachlichen form  ja  Jahrhunderte  lang  unter  niederdeutschem  einfluss  gestanden  hat. 
Hat  Norwegen  überhaupt  nurmehr  in  seinen  mundarten  seine  Stellung  auf  west- 
nordischem Sprachgebiet  bewahrt  und  als  höhere  kultursprache  die  ostuordische  dänische 
Sprache  mit  ihren  wesentlichen  niederdeutschen  bestandteilen  in  norwegischer  laut- 
form bei  sich  aufgenommen,  so  findet  sich  auch  in  Schweden  eine  recht  ähnliche 
sprachliche  doppelheit,  eine  in  lauten,  formen  und  syntax  deutlich  reiner  nordische, 
nirgends  als  höchstens  auf  der  kanzel  und  der  bühne  gleichförmige,  d.  h.  diidektisch 
unbeeinflusste  gesprochene  und  eine  teilweise  eigentlich  nur  auf  dem  papier  existie- 
rende, aber  von  den  conservativen  und  hilflos  sprachverständnislosen  immer  noch  ver- 
teidigte, zudem  durch  eine  vorsintflutliche  Orthographie  entstellte,  im  kanzleistil  geradezu 
hässlich  geschraubte,  unnatürliche  Schriftsprache.  In  einer  halbunbewussten,  aber  mit 
jedem  Jahrzehnt  stärker  werdenden  eikenntnis,  in  dem  gefühl  dieser  doppelheit  ist  der 
tiefste  grund  für  das  lebhafte  Interesse  an  den  mundarten  hier  in  Schweden  zu  suchen. 
Aber  auch  zu  jener  zeit  des  erwacheus  einer  allgemeinen  teilnähme  an  einer 
solchen  tief  im  nationalgefühl  wurzelnden  bewegung  lagen  schon  eine  stattliche  menge 
vorarbeiten  auf  dialektologischem  gebiete  vor.  Hierüber  berichtet  ausführlich  Adolf 
Noreen,  der  auch  in  Deutschland  wolbekannte  professor  der  nordischen  sprachen 
in  Uppsala,  der  in  den  letzten  Jahrzehnten  aller  nordischen  und  schwedischen  Sprach- 
forschung als  akademischer  lehrer  und  Verfasser  vorangegangen  ist,  in  seinem  monu- 
mentalen werk  Värt  spräk  (bd.  I,  s.  268  —  286).  Dass  man  aber  schon  so  früh  au- 
fieng,  Wörter  und  texte  aus  den  mundarten  aufzuzeichnen  und  zu  untersuchen,  erklärt 
sich  aus  dem  starken  abweichen  der  schwedischen  landsmul  von  der  durchschnitts- 
sprache  der  gebildeten.  Was  Johan  Storni  (Engl,  spräche-  I,  s.  245 fg.)  von  den 
norwegischen  mundarten  sagt,  gilt  buchstäblich  auch  von  den  schwedischen.  Diese 
reichhaltigkeit  an  laut-  und  formerscheiuungeu  lässt  sich  nur  aus  den  grossen  ent- 
fernungen  zwischen  den  wohnstätten  und  der  Jahrhunderte  langen  weltabgeschiedenheit 
erklären.  Das  dalniäl  und  jene  bereits  auf  der  grenze  des  norwegischen  und  schwe- 
dischen Sprachgebietes  liegenden  mal  in  Härjedalen  und  Jämtland  sind  für  den  ge- 
bildeten Schweden  aus  anderen  landesteilen  und  vielmehr  noch  für  den  eigentlich  zum 
dänischen  mundartengebiet  gehörigen  Südschweden  total  unverständliche  sprachen.  Es 
bieten  sich  allerdings  auf  hochdeutscliem  Sprachgebiet,  etwa  im  hochalemannischen 
und  einem  teil   der  bayr. -tirolischeu,    auch   der  sclilesischen   mundarten  auf  mittel- 


DIB  ZEITSCHR.  P.  SCHWED.  MÜNDARTEN-  U.  VOLKSKUNDE  401 

deutschem  gebiet,  vergleichbare  erscheinungen,  aber  die  diskrepanzen  sind  dort  eben 
gerade  soviel  kleiner  und  die  niannigfaltigkeit  so  viel  weniger  verblüffend,  um  daraus 
die  geringere  teilnähme  der  allgemeiuheit  an  den  mundartlichen  Spracherscheinungen 
in   Deutschland  und  England  zu  erklären.    Vor  allem  aber  ist  es  die  einheitliche 

methode 

durch  die  sich  Schweden  dank  der  cuergie  seiner  gelehrten  zu  einer  Verbreitung  der 
hierzu  nötigen  kenntnisse,  zu  einer  genieinsamkeit  iu  der  arbeitsleistung  aufgeschwungen 
hat,  hinter  der  die  grossen  länder  mit  ebensoviel  sinnen  als  wissenschaftlich  arbeiten- 
den köpfen  an  concentration  der  kräfte  und  der  aufmerksamkeit  zurückstehen.  Mit 
der  schule  Henry  Sweets  und  dessen  fein  ausgebauter  Verbesserung  von  Beils 
System  hätte  England  es  Dänemark,  wo  Otto  Jasper sen  mit  seiner  Fönet ik  und 
der  Zeitschrift  Dcmia  vorzügliches  leistete,  gleich  oder  zuvor  tun  können,  wenn  dort 
nicht  der  boden  für  das  Studium  der  lebenden  sprachen  überhaupt  so  ungünstig  wäre, 
in  Norwegen  hat  Amund  B.  Larsen  die  von  Storni  eingeleitete  arbeit  bis  heute 
ziemlich  allein  und  ohne  w-eitgehende  teilnähme  fortgesetzt  und  die  Zeitschrift  Nur- 
regia  ist  zweimal  an  der  teilnalimlosigkeit  des  publicums  zu  gründe  gegangen,  und 
auf  dem  grossen  nieder-  und  hochdeutschen  Sprachgebiet  ist  zu  einer  auch  nur 
im  geringsten  einheitlichen  mundartenforschung  kaum  ein  richtiger  versuch  gemacht 
wurden.  Angesichts  dieser  tatsachen  dürfte  es  sich  lohnen,  auf  die  in  Schweden 
getroffenen  massnahnien,  für  deren  tauglichkeit  der  schöne  erfolg  spricht,  ein  licht 
zu  werfen. 

Die  vorgenommenen  arbeiten  bestehen  zunächst  in  der  einsam mlung  von 
I.  grammatikalischen,  2.  lexikographischen,  3.  zusammenhängenden  textaufzeichnungen. 
Für  die  ersteren  sind  den  einzelnen  forschem,  meist  studierenden  der  nordischen 
Philologie,  doch  teilweise  auch  laien  mit  specieller  wissenschaftlicher  Vorbildung  fia' 
die  zwecke  der  einsammlung,  gedruckte  hefte  in  taschenbuchformat  zur  Verfügung 
gestellt,  die,  ungefähr  125  selten  stark,  auf  gutem  Schreibpapier  in  schwedischer  Schrift- 
sprache vorgedruckte  Schlüsselwörter  und  genügenden  leeren  räum  zum  eintragen  der 
gehörten  mundartlichen  form  und  reichlichen  platz  für  eigne  zusätze  enthalten,  welche 
so  geordnet  sind,  dass  alle  voraussichtlichen  erscheinungen  auf  dem  gebiete  der  laut- 
und  formenlehre  aufgezeichnet  werden  müssen  oder  wenigstens  sicher  ein  leitfaden 
für  die  Untersuchung  andrer  erscheinungen  gegeben  ist.  In  je  ein  solches  heft,  das 
auf  dem  titelblatt  folgende  rubriken  trägt: 

Ilürad  (unter -regierungsbezirk): 

socken  (kirchspiel,  gemeinde): 

mligt  meddelande  av  (nach  mitteilung  von): 

nmnn  (namen): 

n.  V.  xjrke  (gegenwärtiges  gewerbe): 

füdelseär  (goburtsjahr) : 

födelseort  (geburtsort) : 

bor  nu  (by  l.  gärd)  (wohnt  jetzt,  laudort  oder  hof): 

har  itiom  socknen  tillbragt  levnadsären  (hat  innerhalb  des  kirch- 

spiels  lebensjahre  zugebracht): 

förnt  bott  (vorher  gewohnt): ären  (jähre): 

Undersökningen  gjord  är (Untersuchung  vorgenommen 

av jähr     .     .     .     von    .     .     .) 

ZEITSCHRIFT    F.  DEUTSCHE    PHILOLOOIK.       BD.  XXXVII.  20 


402  H.  K.  H.  GOODWIN  BTJERGEL 

werden  nur  laut-  und  formen sammlungeu  nach  jeweilig  nur  einer  person,  die  auf 
dem  titelblatt  in  oben  angegebener  weise  specialisiert  ist,  eingetragen.  Auf  der  innen- 
seite  des  Umschlages  wird  der  aufzeicbner  noch  an  eine  anzahl,  ebenfalls  von  Luudell 
ausgearbeiteter  Vorschriften  erinnert,  von  den  wir  noch  folgende  als  besonders  prak- 
tisch und  wichtig  erwähnen  zu  müssen  glauben:  »Stellen  sie  sich  auf  den  Standpunkt 
ihres  zu  beobachtenden  objectes  und  verkehren  sie  ungezwungen  mit  den  leuten«  — • 
»verlassen  sie  sich  nie  auf  angaben  andrer,  sondern  beobachten  sie  stets  selbst 
und  mit  der  äussersteu  genauigkeit;  schreiben  sie  sofort,  nie  nach  dem  gedächtnis 
oder  bloss  nach  einmaligem  eindruck!«  —  »Fragen  sie  nie  direct  nach  formen, 
sondern  richten  sie  es  so  ein,  dass  sie  sie  in  einem  Satzzusammenhang  zu  hören 
bekommen.« 

2.  Die  lexikographischen  aufzeichnungeu  werden  auf  zettel  in  vorgeschriebenem 
format  und  unter  Zuhilfenahme  eines  ungemein  praktischen  papptaschenbuches  (kon- 
struiert von  prof.  Erdmaun),  das  gleichzeitig  zur  Verwahrung  dient  und  eine  gute 
Schreibunterlage  liefert,  gemacht,  soweit  nicht  ältere  laudsmälwörterbücher  nach- 
kontrolliert und  umgearbeitet  werden  sollen.  Die  lexikographische  ernte  ist  oft  eine 
ungemein  reiche  und  die  arbeit  der  eiusammlung  sehr  ergötzlich :  mau  kann  sich  in 
der  tat  keine  anregendere  arbeit  denken,  als  bei  dem  volke,  das  mit  freudigem  Interesse 
über  die  ausdrücke  plaudert,  die  es  selbst  in  frühereu  zeiteu  angewandt  hat  und  die 
jetzt  in  Vergessenheit  geraten,  stunden  uud  halbe  tage  zuzubringen. 

3.  Die  texte  endlich  werden  widerum  auf  (grössere)  zettel  von  einem  bestimmten 
format  geschrieben  und  dienen  hauptsächlich  zur  einsammlung  sj-ntaktischer  uud 
phraseologischer  beobachtungen.  Für  die  momente  1.  und  2.  ist  das  im  nächsten  ab- 
schnitt noch  genauer  behandelte  »landsmälalfabet«  conditio  sine  qua  uon,  für  die  texte 
bloss  erwünscht,  da  die  ausarbeitung  eines  durchgehenden  lautschrifttextes  oft  nicht 
möglich  ist  imd  an  zeit  und  mühe  unglaubliche  opfer  kostet,  von  der  12— 20maligen 
korrekturlesung  nicht  zu  reden.  Dabei  kann  man  sich  nur  verwundern,  wenn  die  bis 
jetzt  erschienenen  80  mehr  oder  weniger  bandstarken  hefte  der  Zeitschrift  ungefähr 
650  Seiten  lautschrifttexte  aus  allen  möglichen  landstrichen  enthalten.  Zum  teil  sind 
diese  von  interpaginärer  wiedergäbe  im  gewöhnlichen  (d.  h.  Lundells  reformoi-thographie) 
aiphabet  oder  Übersetzungen  in  die  Schriftsprache  begleitet.  Durchgehende  Verwendung 
hat  aus.serdem  das  dialektalphabet  in  21  abgescblossenen  monographien  über  je  ein 
kirchspiel  oder  ein  härad  und  8  Wortlisten,  namenlisten  und  dialektwörterbüchern 
gefunden.  Als  abschliessende  arbeiten  nach  Vollendung  der  sämthcheu  für  eine  ganze 
provinz,  z.  b.  Jämtland  erforderlichen  kirchspielmonographien  sollen  dann  Übersichten 
über  sämtliche  lautlichen  und  grammatikalischen  Verhältnisse  auf  dem  ganzen  gebiet 
mit  kartographischem  material  dienen,  wie  sie  beispielsweise  für  die  genannte  provinz 
H.  Westin  im  59.  heft  geliefert  hat. 

Das  landsmäisalfabet, 

die  Schöpfung  Lundells,  bildet  die  notwendige  Voraussetzung  zur  Verwirklichung  der 
mit  der  eben  beschriebenen  methode  aogestrebten  ziele.  Die  laute  der  nordischen 
sprachen  sind,  wie  Storni  schon  an  anderem  ort  betont  hat,  das,  was  ich  mikroa- 
kustisch nennen  möchte  im  gegensatz  zu  der  makroakustiseJien  eigenschaft  der  laut- 
verhältnisse  der  romanischen  sprachen,  der  deutschen  bühnensprache  und  der  mei.sten 
deutschen  mundarten.     Deshalb  ist  aucli  der  germanische  norden  die  geburtstätte  der 


DIE  ZKITSCHR.  F.  SCHWK.D.  MÜNDAKTEN  -  V.  VOLKSKUNDE  403 

feinsten  lautbezeiclinungen  geworden,  die  im  laufe  der  neuerdings  von  Jespersen* 
so  vortrefflich  dargestellten  entwickhing  der  lautschriftsysteme,  bisher  angewendet 
wurden.  Für  die  zwecke  der  >Sveuska  landsmälen<  waren  in  erster  linie  praktische 
gesichtspunkte  massgebend.  Da  es  mir  durch  die  freundlichkeit  des  herausgebers  der 
'  >S.  1.«  ermöglicht  ist,  hier  dies  lautschriftsystem  den  lesern  mit  benutzung  der  origiual- 
typen  vorzuführen,  mag  es  mir  gestattet  sein,  auf  diesen  dritten  punkt  meiner  aus- 
führuDgen  noch  näher  einzugehen.  Von  Lundell  selbst  ist  das  damals  jedoch  noch 
nicht  so  vollständig  ausgebaute  aiphabet  aiisführiich  behandelt  im  ersten  hefte  der 
>S.  1.«  s.  11 — 157  und  später  wurde  es  von  Johan  Storm  (Engl,  spr.-  I,  s.  231  —  35) 
am  eingehendsten,  aber  unter  Verwendung  der  Stormschen,  vielfach  abweichenden  und 
nach  anderen  principien  konstruierten  norwegischen  dialektzeichen,  besprochen.  Das 
im  wesentlichen  mit  dem,  was  man  als  die  englisch -skandinavische  schule  zu  be- 
zeichuen  sich  gewöhnt  hat,  übereinstimmende  sy.stem  Luudells  ist  von  Sievers, 
Jespersen,  Hoffory  (Deutsche  litteraturzcitung  1881,  sp.  1920  fg.),  von  Huse- 
mann  (Göttinger  gelehrte  anzeigen  1879,  nr.  50)  und  von  J.  Storm  noch  an  einer 
andern  stelle  (Nord,  tidskrift  för  vetensk.,  konst  och  industri  1880,  s.  333  —  50) 
ausserordentlich  gepriesen  worden.  Jedoch  keiner  der  genannten  fachmänner  war 
geneigt,  den  praktischen  wert,  den  unvergleichlichen  nutzen  und  die  ästhetischen  Vor- 
züge der  hier  besprochenen  zeichen  richtig  einzuschätzen,  deren  für  gedächtnis  und 
die  band  des  schreibenden  ungemein  bequeme  formen,  die  dehnbarkeit  des  schrift- 
systems  und  dessen  Universalität  zu  würdigen,  alle  diese  Vorzüge,  meine  ich,  die  das 
aiphabet  so  unvergleichlich  über  das  der  »Association  phonetiqtie«  .ateUen,  das  jetzt 
wol  das  allgemeinste  ist,  Vorzüge,  die  alle  zusammengenommen  es  ermöglichten ,  prak- 
tische keuntnis  dieses  alphabets  unter  die  forderungen  für  das  filosofic-kandidat- 
e.xamen  in  den  nordischen  sprachen  an  den  schwedischen  Universitäten  aufzunehmen. 
Ohne  die  volle  consequenz  daraus  zu  ziehen,  stellt  Jespersen  a.  a.  o.,  s.  20,  das  lands- 
mälsalfahet  in  ästhetischer  beziehung  und  auch  sonst  am  höchsten,  aber  im  weiteren 
verlauf  der  besprechung  anderer  alphabete,  z.  b.  dem  der  »Association  phouetique«, 
dem  er  die  grösste  zukunft  prophezeit,  verliej-t  er  es  wieder  aus  den  äugen;  denn 
sonst  hätte  er  mit  der  einfachsten  logik  zu  dem  Schlüsse  kommen  müssen,  dass  kein 
anderes  der  von  ihm  besprochenen  Umschriftsysteme  so  vollständig  die  5  von  ihm 
auf  Seite  16  aufgestellten  forderungen  an  eine  ideale  lautschrift  erfüllt;  denn  keines 
erfüllt  die  ersten  4  punkte:  1.  feine  differencieruug,  2.  elasticität,  3.  memoriabilität, 
4.  leichte  schreibbarkeit  auch  nur  annähernd  so  vollständig  und  den  5.  rein  äusser- 
lichen  punkt  —  ja,  über  den  wird  man  nie  hinweg  kommen  zu  können  auch  nur 
erwarten  und  »leicht  in  einer  gewöhnlichen  druckerei  zu  drucken«  ist  auch  das  häss- 
licbe  französische  aiphabet  nicht,  überhaupt  nichts  ausser  den  25  buchstaben,  ihren 
majuskeln  und  den  zahlen  von  1  — 10!  Aber  »mehrere  hundert«  neue  typen  (Jespersen, 
Ph.  gr.  s.  20)  hat  das  landsmälsalfabet  durchaus  nicht,  im  gegenteil,  es  sind  die 
80  —  90  notwendigen  neuen  so  einfache  modifikationen  des  lateinischen  kursivalphabets, 
dass  jede  grössere  deutsche  buchdruckerei  sie  innerhalb  einer  woche  sich  nach  den 
patrizen  der  Stockholmer  druckerei.  und  ohne  zu  empfindliche  kosten,  beschaffen 
könnte,  wenn  sie  für  Zeitschriften,  lehrbücher  usw.  vielfach  dafür  Verwendung  hätte. 
Wie  viel  fordert  nicht  ein  naturwissenschaftliches  werk  oft  in  dieser  lichtung! 

Im  auftiag  der  landsnuilsfUreninyar  arbeitete   Lundell   sein   früher    schon   für 
seine  el^im  ( Kal»iar-)  nalion  zusammengestelltes  aiphabet  bei  deren  zusammenschluss 

1)  Phonetische  grundfragen,  1904,  II.  cap. 

26* 


404 


H.  K.  H.  GOODWIN  BUKRGEL 

Vo  kal  t  ab  el  le. 


Artikulationsart 

ungerundet 

gerundet;  grade  der  rundung: 

zusammen- 
gesetzte 
artikulat. 

horizontal- 
lage 

Vertikal- 
lage 

a 

'S 

5 

a 

OB) 
tu 

'S 

p 

13 

1 

2 

3              4 

1 

3 

P 

J5 

's  5 

1 

D 
B 

OQ                CT? 

•S    g       'S 

O     '          B 
P                B 

0?          or? 

B                B 

S-        5- 

B      ' 

li 

■-1 

B 
P 

SB 

Vorder- 
zungen- 
vokale 

hohe 

3 

2 

1 

^ 

?/ 

— 

— 

—    2/ 

2^     — 

w*'  — 

— 

— 

mittlere 

3 
2 

1 

r* 

— 

— 

—    ^ 

■0.        0* 

ö     — 

W^' 

— 



— 

— 

tiefe 

2 
1 

a 

— 



— 

8 

—    ■ — 

— 

— 



— 

— 

Mittel- 
zungen- 
vokale 

hohe 

3 
2 

1 

— 

— 



a? 

— 

— 

— - 

—  u,w 



l  H 

? 

mittlere 

3 

2 
1 

— 

9* 

■ 

a 

— 

— 

— 

—    — 



9,n* 

tiefe 

3 
2 
1 

— 

a* 

— 

— 

— 

' 

— 

—    — 

— 

— 

— 

Hinter- 
zungen- 
vokale 

hohe 

3 

2 
1 

— 

— 

— 

— 

u' 

— 

a 

— 

o 



— 

mittlere 

3 
2 

1 

7) 

a 

a,a 

0 

0 

[n 

n 

0* 

— 

— 

tiefe 

3 
2 
1 

— 

— 

— 

— 

CO 

— 

— . 

— 



— 

<?* 

DIE  ZEITSCHR.  F.  SCHWKl).  MUNDARTEN-  D.  VOLKSKUNDR 

Kousuuanttabelle. 


405 


Artikulationsart 

Aitikulationsstelle 

mediane 

laterale 

hemme- 

Inute 

tremu- 
ianten 

nasale 

verschluss- 

heniiiielaute 

sti  Hirn- 
lose 

00        tn 

B 

3 

p 

stimm- 
lose 

stimm- 
hafte 

s" 

S- 

3 

3 
e 

S 
o 

5' 
3 
p 

5' 

3 

B 
p 

2°    »' 

3.      B_ 

Unterlippe 
gegen 

Oberlippe: 
bilabiale 

p 
p 

h 

h 

(p  6 
h 

m 

6    6 

IV 

— 

— 

— 

ir 

m 

m 

m 
m 

obcrzähiio: 
labiodentale 

— 

— 

f  ^ 

V    V 

— 

—      — 

— 

w 

w 

Zungen- 
spitze 
(apico-) 

an  den  ober- 

zähnen : 
(reine)  dentale 

—     — 

p   d 

d   d 





r" 

— 

— 

zwischen 
oberzälinen 
u.  alveolen: 

postdentale 

t   et 

t 
t 

d 
d 

s    z 
s 

z    z 

1 

X 

l 
l 

— 

— 

n 
n 

n 

n 

an  den  al- 
veolen : 
-snpradentale 

gegen  den 
harten 
gaunien 
(gaumen- 
dach): 
-kaknminale 

t  <l 

i 

V 

l 

l 

r 

r  r 
r 

''l. 

% 

i    et 

d 

& 

—  k 
_  k 

ombin.j 
akum.  j 

> 

— 

r 

7V 

n 

zungen- 
rücke 
gegen 
(dorso-) 

die  grenze 
zw.  ober- 
zähneu  und 

alveolen: 
-dentipalatale 

}  ^ 

4 

? 

; 

; 



— 

-9 

y 

den  harten 

gaumen: 
•prspalatale 

i 

—  1 

y  y 
j 

] 

7 

— 

— 

V 

y 

die  grenze 
zw.  hartem 
u.  weichem 

gaumcii: 
-mediopalatale 

Je    g 

h 

s 

X    } 

f 
a 

3' 

— 

i- 

1  ~ 

— 

1 

n 

den  weichen 

gaumen: 

-postpalatale 

(Velare) 

— 

-  [/^'] 

— 

— 

1  ~ 

_ 

— 

— 

Hauchlaute 
■  je  nach  der  c 
1    der  umgeb 

,  wechselnd 
uundstellung 
enden  laute. 

1  -■ 

— 

h 

.1 

ll 

— 

1  "~ 

,1  — 

- 

I 

_ 

406  H.  K.  H.  GOODWIN  BUKHOEL 

ZU  gemeinsamer  arbeit  au  der  Zeitschrift  noch  weiter  aus.  Unter  vergleichung  sämt- 
licher schwedischer  mundartalphabete  (vgl.  hierzu  Hoppe  »S.  1.«  1885,  s.  16fgg., 
besonders  die  tafel  vor  s.  17)  und  nach  massgabe  aller  bis  zu  jener  zeit  gebräuch- 
lichen phonetischen  zeichen  giengen  die  bedeutend  vermehrten  Sunde vallschea 
yphonetiska  bokstäfver«  in  der  immei  wieder  in  ästhetischer  hinsieht  abwägenden  band 
eine  neue  Verbindung  ein,  die  glückliche  amalgamierung  des  von  selbst  gegebenen 
lateinischen  kursivalphabets  mit  einigen,  form  und  format  so  wenig  als  möglich  ver- 
ändernden einschiebsein,  wie  z.  b.  [U,  O,  ä]  aus  «,  o,  c,  [^,  ^,  l]  aus  s,  ^,  /  oder  an- 
hängsein, wie  z.  b.  [^,  ^,  71]  aus  n  usw.,  welche  schreibbarkeit  und  systematische 
dehnbarkeit  mit  rücksicht  auf  die  voraussichtliche  Schaffung  neuer  zeichen  und  feinerer 
unterschiede  gewährleistete.  Aus  den  beigefügten  vollständigen  Übersichten  über  die 
sämtlichen  bis  jetzt  verwendeten  zeichen,  s.  404  und  405,  wird  an  sich  hervorgehen, 
wie  viele  neue  zeichen  da  noch,  ohne  dem  System  die  geringste  gewalt  anzutun, 
geschaffen  werden  können;  wir  bedauern  nur  lebhaft  nicht  auch  eine  geschriebene 
Seite  anfügen  zu  können,  welche  sicherlich  den,  sich  jedem  Stenographen  beim  anblick 
einer  Seite  geschriebenen  schwed.  landsmälstextes  aufdrängenden,  vergleich  Lundells 
mit  Gab  eisberger  gerechtfertigt  hätte.  Diakritische  zeichen  und  ligaturen  im 
herkömmlichen  sinne  waren  bei  den  von  Lundell  an  ein  für  aufzeichnungen  an  ort  und 
stelle  geeignetes  Zeichensystem  gestellten  forderungen  von  vornherein  ausgeschlossen. 
Wie  wir  aus  den  vorhergehenden  tabellen  ersehen,  ist  die  durchführung  dieser 
principien  mit  rücksicht  auf  die  articulations stellen  auch  vollkommen  geglückt;  dass 
dies  für  die  nach  kombination  (z.  b.  stimmton -j- explosion,  velares -|- apico- alveo- 
lares geräusch  usw.),  dynamik  (fortis,  lenis,  spannungsgrade  usw.)  und  rhythniik 
(lautdauer)  unendlich  variierbaren  erscheinungen  nicht  einwandfrei  der  fall  ist,  liegt 
in  der  natur  des  lateinischen  alphabets,  das  z.  b.  für  die  vier  grundartikulations- 
arten  atimtnhafte  fortis^  stimmhafte  lenis ^  stimmlose  fortis^  stimmlose  lenis  nur 
die  zwei  kategorien  [bäg]^  [ptk]  bietet  und  schon  für  so  einfache  fälle  zu  zeichen- 
kombination  zwingt.  In  vorteilhafter  weise  hat  für  den  beispielsweise  erwähnten  punkt 
Lundell  die  Verschmelzung  diakritischer  zeichen  mit  der  type  zu  einem  zeichen  be- 
werkstelligt, so  dass  nunmehr  für  melodik  und  lautdauerbezeichnuug  und  in  einzelnen 
fällen  für  lautdauer  und  nebeuartikulationen  von  beigefügten  accent-  usw.  zeichen 
gebrauch  gemacht  wird.  "Will  man  für  einzelne  darstellungen,  vor  allem  für  generelle 
lautbeschreibungen  noch  genauere  bezeichnungsmittel,  so  lässt  sich  das  im  landsmMs- 
alfabet  geschriebene  sehr  vorteilhaft  mit  dem  m.  e.  denkbar  feinsten  natürlichen  laut- 
bezeichnungssystem  Jesporsens  ergänzen,  das  erfahrungsgemäss  sein  den  unein- 
geweihten blicken  so  beängstigendes  aussehen  verliert,  sobald  man  sich  ein  wenig 
eingeleson  und  »eingeschrieben«  hat.  Henry  Sweets  lautschrifttexte  sind  muster- 
giltig  für  alle  zelten  und  sprachen  geworden  und  dies  durch  die  meisterhafte  aus- 
führung  und  genauigkeit  mehi-  als  durch  Vielseitigkeit  des  Zeichensystems.  Sweets 
analphabetisches  Visible  Speech-sjstem  ist  für  Untersuchungen  innerhalb  ein  und 
desselben  idionis  vorzüglich,  aber  unmöglich  für  eine  grössere  anzahl  sprachen,  wie 
es  im  plan  etwa  von  "VV.  Victors  Skixxen  liegt,  verwendbar,  von  der  hier  wirklicli 
schwierigen  beschaffungs-  und  kostenfrage  abgesehen.  Soll  in  zukunft  an  die  wähl 
eines  möglichst  generellen,  praktischen  Zeichensystems  für  sämtliche  mundarten  eines 
grossen  Sprachgebietes,  wie  z.  b.  der  deutschen  oder  englischen,  herangegangen  werden, 
so  hat  m.  e.  Lundells  alp habet  in  allererster  liuie  in  frage  zu  kommen,  da  es  allein 
die  Voraussetzungen  dazu  hat,  die  herrschaft  des  besonders  für  germanische  sprachen 
ganz  und  gar  unbrauchbaren  französischen  Systems  zu  stürzen. 


DIE  ZF.ITSCHR.  F.  SCHWEI).  MUNDAKTEN  -  ü.  VOLKSKUNDE  407 

Die  vorstehenden  tabellen  bedürfen  keines  weiteren  kommentars.  Es  erübrigt 
also  nur  noch  die  im  System  vorgesehenen  bezeichnungen  für  1.  laiitfiuantität,  2.  laut- 
intensität,  3.  tonhöhe,  4.  sandhiersclieinungen,  5,  silbenbildende  consonanten  und  G.  die 
glcitlauto  zu  besprechen. 

1.  Die  zeichen  ^  für  kurz,  ^  für  mittcllang,  _  für  lang,  —für  doppellang 
worden  unter  die  zeichen  für  die  laute  gesetzt,  um  den  platz  darüber  für  die  ton- 
stärkezeichen zu  reservieren.     Kürze  kann  der  regel  nach  unbezeichnet  bleiben. 

2.  'bezeichnet  starken,  '  mittelstarken,  'schwachen  ton,  wobei  fehlen  eines 
accentzeichens  über  einem  silbenträger  xmbetontheit  ausdrückt. 

3.  Compliciorter  sind  die  bezeichnungen  für  den  im  schwedischen  so  ungemein 
wichtigen  musikalisclien  oder  cliromatischen  accent.  nior  finden  sich  für  die  mannig- 
fachen erschoinungen : 

«)  für  den  einfachen  accont:  ''für  niederen.  ■*"  für  mitteliiohcn.    ""für  hohen  ton; 

ß)  für  den  zusammengesetzten  accent  (circumJlcx):  -^  für  steigend  vom  niedersten 
zum  höchsten,  "^  für  fallend  vom  höchsten  zum  niedersten,  ""  für  steigend  vom  mittel- 
luihon  zum  iiöt^hsten,  "^  fallend  vom  mittelhohen  zum  niedersten  ton  usw.  usw.  Für 
noch  kompliciertere  Verhältnisse  hat  man  auch  vorgeschlagen,  die  tonhöhen  in  Ziffern 
(1  für  0,  2  für  eis  usw.)  über  den  betreffenden  vocalen  anzudeuten.  Hier  dürfte  sich 
jedoch,  wie  dies  in  der  Zeitschrift  schon  geschehen  ist,  durchgehendt!  aufzeichnung 
der  Sprachmelodie  in  noten  über  dem  text  besser  empfehlen ;  oder  man  muss  für  dies 
noch  so  unbebaute  feld  erst  ein  eignes  System  schaffen,  und  zwar  ^yomöglich  ein  von 
der  üblichen  musiknotenschreibung  und  -torminologie  gründlich  verschiedenes,  da 
auch  z.  b.  die  Stormschen  feinen  sprachmelodiebilder  nur  für  musikalisch  gebildete  ver- 
ständlich sind.  —  Als  generelles  zeichen  für  circumflektierten  accent  ohne  rücksicht 
auf  die  tonhöhe  fungiert  ^,  für  den  typischen  accent  2,  (fallend -steigenden  accent 
der  reichssprache)  das  zeichen  \ 

4.  Sandhi  wird  durch  -..  zwischen  den  zusammengehörigen  sich  beeinflussenden 
lauten  bezeichnet,  z.  b.  die  gewöhnliche  ausspräche  von  (imperativ)  hör  du!  mit 
rhn_^<jii(]  angegeben. 

.5  —  6.  Endlich  finden  sich  noch  die  zeichen  ^  für  silbenbildende  konsonanten 
und  eine  anzahl  zeichen  für  gleitlauto,  palatalisierung  (als  nebenartikulation!)  und 
nebcnartikulationen  überhaupt.  Aus  den  beispielcn  (nachlässige,  gewöhnliche  Um- 
gangssprache) : 

'^haw^vl„^vara  ^nue  düÖ!    seh  nnh ''da,  hii^<ldks  prd;s()j,^^Jiömr. 

ensohen  wir  ausser  dem  zeichen  für  silbenbildende  consonanten  das  zeichen  ",  welches 
in  dem  vorgeführten  fall  angibt,  dass  der  off-glide  von  dem  auslautenden  bilabialen 
hemmlaut  in  du!  stimmlos  ist  (vgl.  die  consouantentabelle  ^  d^  usw.),  das  zeichen  " 
über  dem  /,  das  dessen  palatalisierung  (-»  vill)  anzeigt,  die  bczeichnung  der  nebcn- 
artikulationen an  dem  erwähnten  /  (->  vill  vara)  und  weiter  dem  u  (->■  präsfr» 
hnnmer)^  schliesslich  eine  glückliche  adaption  des  j)unctwn  dclcns  auf  fast  unhörbare 
reducierte  laute,  z.  b.  dem  zweiten  a  in  vara. 

Von  grossem  vorteil  i.st  die  von  Lundell  eingeführte  sogen,  »gröbere  be- 
zeich nun  g«  entsprechend  Sweets  Broad  Ramie  mit  einem  aufrcchtstohenden,  aber 
deutlich  von  der  gewöhnlichen  antiquaschrift  abweichenden  typus,  durch  dessen  Ver- 
wendung angezeigt  werden  kann,   dass  mau  entweder  für  die  genauere  lautquaiität 


408  H.  K.  H.  GOODWXN  BÜERGEL 

nicht  einstehen  kann  oder  will ,  oder  um   die  besprochene  erscheinung  recht  hervor- 
zuheben, wie  etwa  in  dem  satz: 

franskaiiwii-^nog  bra,  man  svänskan.^iiwdäli  <- franskan  [ar->a->9] 
nog  usw. 

Lautschriflproben. 

In  den  vom  ref.  zusammengestellten,  bei  Norstedt  ock  söner  in  Stockholm  aus- 
geführten tabellen  seite  404  und  405  sind  die  zeichen  des  landsmälsalfabets  auch  an 
den  gehörigen  stellen  in  ihrer  etwas  abweichenden  geltung  für  die  angefügten  laut- 
schriftproben eingetragen  und  zwar  so,  dass  *  oberbayrischen  lautwert  (für  die  texte 
III,  1—4)  und  **  isländischen  lautwert  (für  text  II)  bezeichnete  Text  I,  c  ist  den 
Sammlungen  des  ref.  für  seine  schwedischen  lautschrifttexte,  II  für  »Isl.  folkmä- 
lets  Ijudlära«,  III,  1  —  4  für  Umgangssprache  in  Südbayern«  (wird  abgedruckt  in 
»Spräkvetenskapl.  sällsk.  i  Uppsala  förhandlingar«  1904  fg.)  entnommen.  Zur  Verwendung 
des  landsmälsalfabetes  für  deutsche  texte  vergleiche  nunmehr  vor  allem  die  inter- 
essante abhandlung  von  dr.  Elias  Grip,  Ȇber  nasale  sonanten  in  der  deutschen  Um- 
gangssprache« (jSTyfilol.  sällskapets  i  Stockholm  publikationer  1905). 
I.  Schwedisch. 

a)  südschwedischer  dialekt  aus  der  gegend  von  Kalmar  (Sv.  landsm .  IX,  1;  s.89): 

Jö^9tia-lena, 

jö^dka-Una,  d9  va^'g^gami^pija.  how^fek^ä^da  namdt  f&  oin^ 
hod^i  jn  stuva,  sem  cn  ada  bot  ^,  sem^etads  'jo^dkd.  hom^hod^utvd 
timbyhdka.  Jiow  w  va  so  inh  koh  o  gla,  ow  ^  va  se  hiskdha  lusti,  dn 
da  mcBriskan.  how^va  se  gamal,  se^a  vet^ntd  vem^a  ska  likna-na 
ve.  liow^va  vl^n  seeksU  at),  dce  tro  %a  do,  o  on  dansad^i  tticesko  o 
jo^dd  si^sdl 

b)  nordschwedischer  dialekt  aus  Jämtland  (Sv.  landsm.  XIIl,  1;  s.46): 

Hau  som  saknade  kniven. 

da  va  im,  som  säJma  J^ywa-s^na,  nor^aw^va  uitpo  §0a  h-n,,^^ 
hööt.  so  sQoy-an  m  vätna  o  sooy  sTjia(ian-sin  der.  so  drkw-n  ta  o 
spipfa,  fa-(la^an  sogg  Jfyivan-stnm^^po  ^dbötna.  ma^da  sbmo-an  spifila, 
so  for  JjDivan  m  mnina  o  m  fqn. 

^     "  c)  gebildete,  ungezwungene'umgangssprache,  >  uppsvenska«^ : 

go-moron,  sta  ^<lUü?  —  talj^^jm  '^ha  van  rce^dah^igor-^^kvdl,  man 
nuö"  troör  m^t^a  sngl  9  0vr,  mn  hiißr'^  ma^*dm  "^fily  da?  w6\  m 
tukar,  ähUhs  ''uGtmärkt  ^san  dd  ^  ar  hhvit  ofläntht  '^vmtrvckdr,  man 
'^Jmsträskdt  va^cla  '^ryjysli^forakit  '^lär, 

1)  Die  zahlen  der  3.  vertikalkolumne  in  der  vokaltabelle  bezeichnen  grade  der 
hebung.  2  steht  für  »normal«,  l  =  »raised«,  3  =  »lowered«  (nach  Swoet).  Die 
tabellen  und  die  südbayr.  texte  werden  an  den  angeführton  stellen,  der  Island,  text 
in  einem  aufsatze  »Nägra  anniäikningar  tili  det  modärna  islänska  Ijudsystemet«  in 
einem  der  nächsten  hefte  der  ^»Svenska  lands malen <s.  phonetisch  eingehend  behandelt 
werden  (korrekturaum.,  ostern  1905). 


DIE  ZEITSCHK.  F.  SCHWED.  MUNDARTKN  -  U.  VOLKSKUNDE  409 

IL  Isländisch,  ungezwungene  Umgangssprache: 

prasätfnn:  smijnd'a  ''Ixodcurdid,  lcvyj(tmn  ar^dad,  'hnänid  miot? 
—  'haämd:  prasäipnn^DOO^sgal  aojjj't  stala.  pr.:  poeJad  ar  aojji  hat, 
"bmdcordid  ar  smana: poÜTt  sgaÜ  ejljyi  siqla.  h.:  htm  mdma  mm  sag' dt, 
ad  rat^J'  mai^ti  aojjyi  sccija  poiin  vtd  jjraschn. 

III.  Hochdeutsch  (Oberbayern). 

a)  oberbayerische  mundart  aus  der  gegend  von   Tnh-  Micf^haeh: 

i^ts9ct  Jio6  i  öiöai  had,  dos  govä  ga^  so>  mut^a  täyrm  on,n^ 
imä^a  Ic^aka'dn  Icxon;  dv6m  Icn-aJc^d-^'baprm  'dnli^  on^z  käröt^z 
vprdM  —  i-atsag^glgö  i  d  (^  mJcs  maa. 

b)  dialekt  in  München.,   alle   zeichen  für  stimmhafte   laute  nur  mit  halbstimm- 
haftem lautwert,  zu  CO,  y)  usw.,  vgl.  die  tahellcu  s.  404  uud  405: 

(Sie:)  is  ^&s  vn  wd^_  toim^manld  im  nn  Vdhärnmo'n  mm?  um 
tsöqem^s  esn  ftdii^i  uti<l'  um  9  hänöj  'f[nän  lijimhl  gmcot  '(fnJmj! 

(Er:)  fjqde^,  ([ur)  mi  nail  novlsn,  %  %i  aM  p  hancj^i,  Oarl^i  vufls^ 
matig'l  vd^Jjif0(l  hcoh',  hami'tl  vöiimi^m. 

(Sie:)  %q)  si%  g'l,q6  «,  hagz^^  €^^€  ^€''^^f  ^^C^^»  ^^'ß-§^^^^(^¥ttl 
^„ß?/;pwwf%üiYJf  nm  suriild  vÖTimKfai  m§(l(o^,  i^^-^Jixmx  ts^g(i9. 

(Er:)  '(lums  g^Ödts  (fumz,  (la^  6o  mU^^z^gaul  ö)hg'gomd  hco^, 
6mn  u)  (Jo  d  nacl  i  ([d  lixinx. 

c)  Münehener  umgangsspraclie ,  nachlässiges|alltagsgespräch : 

(A:)  wo,  6t  geäz  gnamn?  (B:)  o  mqe  ahöae  ^leg^ifn,  %  se  mi 
halg^ggn  mmn  naoz.  —  (A :)  (Ja  gitxlz  mgz  t>esnz  alz  6i  naofä  vhesi 
tsmn^danri  utiff  nv  ä-.zdcfl'n  la'g,  (Jas  mo  gmal  o  g'l'jniz  kho'gldiwizol 
gza^  Tiand. 

d)  Münchener  Umgangssprache,  mehr  offuielles  gespräch : 

(A:)  nun  öundnäz  mij  a6n  ^öx^^  (jas^i^z  hae  äln  hm  hlioman- 
tsieln  nvanwg  tn  mm  g§aft  nqrf  (Jarln  tficif^  hqom? 

(B:)  Ina  zeonz  daz  6a  zo.  tsan^(l  ha6  ij'^z^gelg^khatxl  u^mae 
Tihqphaniq  ([^nvanu^  unä^jctsd  ha6  ly  dt  anfänu'g  u^mar  hhophamö 
z^geld. 

UPPSALA,    DEZEMBEU    1904.  H.  K.  U.  GOODWIN  BUERGKL. 


410  BINZ    ÜBER    ANDERSON,    TUE    ANGLOSAXON    SCOP 

LITTERATUR 

L.  F.  Anderson.  The  Anglo-Saxon  scop  (=  University  of  Toronto  Studies,  Philo- 
logical  series,  nr.  1).  (Toronto),  University  library,  published  by  the  librarian, 
1903.    45  s.    $  1,00. 

Der  zweck  dieser  arbeit,  die  ihrem  Verfasser  den  titel  eines  M.  A.  der 
Universität  Toronto  eingetragen  hat,  ist  „an  endeavour  to  coutribiite  somethiag  toward 
greater  definiteness  in  our  couception  of  the  professional  singer  among  the  Anglo- 
Saxons".  Bei  wem  will  denn  A.  diese  bestimmtere  Vorstellung  von  der  tätigkeit  und 
bedeutung  eines  scop  erwecken?  Was  die  kenner  der  altgermanisclieu  diohtung  vor 
ihm  darüber  zu  sagen  wussten,  war  doch  nicht  so  verschwommen,  wie  seine  worte 
vorauszusetzen  scheinen.  Aus  reichlichen  geschichtlichen  Zeugnissen,  vor  allem  aber 
aus  den  ansehnlichen  poetischen  denkmälern  der  Angelsachsen  hatten  schon  die  früheren 
erforscher  der  germanischen  litteraturgeschichte  ein  bild  des  wandernden,  berufsmässigen 
Sängers  gewonnen,  das  an  deutlichkeit  und  Vollständigkeit  nicht  mehr  viel  zu  wünschen 
übrig  Hess.  Tatsächlich  hat  auch  A.  dem  schon  bekannten  keinen  neuen  zug  hinzu- 
zufügen. Er  zeigt,  dass  er  alle  in  betracht  kommenden  Zeugnisse  kennt,  aber  nirgends 
gewinnt  er  diesen  einen  gedanken  ab,  der  nicht  schon  von  anderen  geäussert  wäre. 
In  einigen  punkten,  wie  z.  .b.  in  dem  abschnitt  über  musik  und  musikinstrumente, 
bleibt  er  sogar  in  ihrer  Verwertung  hinter  seinem  Vorgänger  Padelford,  den  er  nicht 
zu  kennen  scheint,  zurück.  Wie  wenig  selbständig  A.s  arbeit  ist,  zeigt  sich  am 
besten  darin,  dass  er  zur  formulierung  seiner  Schlüsse  über  die  einzelnen  fragen,  die 
er  sich  zur  beantwortung  gestellt  hat,  sich  fast  regelmässig  der  worte  eines  bekannten 
forschers,  (Müllenhoff,  Ten  Brink,  Koegel  u.  a.)  bedient.  Als  seminararbeit  mochte 
seine  leistung  genügen,  cmen  fortschritt  der  Wissenschaft  bedeutet  sie  nicht. 

BASEL.  GUSTAV    BINZ. 


Carl  Voretzsch ,  Epische  studien.  Beiträge  zur  geschichte  der  französischen  helden- 
sage  und  heldendichtung.  1.  heft:  Die  composition  des  Huon  von  Bordeaux  nebst 
kritischen  bcmerkungen  über  begriff  und  bedeutung  der  sage.  Halle,  Niemeyer 
1900.     XII,  420  s.     10  m. 

Die  epischen  studien  sollen  nach  ausweis  der  vorrede  vorarbeiten  zu  einer  ge- 
schichte, und  zwar  einer  stofigeschichte,  dei'  französischen  heldensage  bringen.  Sie 
dienen  also  der  herausarbeitung  eines  begriffs,  der  für  das  germanische  gebiet  längst 
zum  eisernen  bestände  gehört  und  ausführliche  darstellungen  gefunden  hat,  dagegen 
vielen  romanisten  durchaus  noch  nicht  geläufig  oder  auch  nur  klar  geworden  zu  sein 
scheint.  Und  da  der  Verfasser  sicherlich  —  wie  ich  dies  auch  von  mir  bekenne  — 
diesen  begriff  zunächst  aus  der  beschäftigung  mit  der  alten  germanischen  sage  und 
dichtung  gewonnen  hat,  da  ferner  bei  seiner  betrachtungsweise  dieses  gebiet  beständig 
im  äuge  behalten  wird,  so  hat  er  auspi'uch  auf  ausführliche  besprechung  auch  in 
einer  germainstischen  Zeitschrift. 

Es  ist  nicht  das  erste  mal,  dass  der  Verfasser  seinen  anschauungcn  öffentlichen 
ausdruck  gibt.  Er  hat  sie  bereits  in  seiner  antrittsvorlesung  'Die  französische  helden- 
sage' allgemeiner,  in  einem  aufsatzc  'Das  Merowingerepos  und  die  fränkische  helden- 
sage' (Philologische  studien,  festgabe  für  E.  Siovcrs,  Halle  189(3,  s.  53 — 111)  im  be- 
sonderen und  mit  reicher  fülle  von  beispielen  begründet,  wie  sie  denn  sogar  schon 
in  seinen  Untersuchungen  über  die  Ogiersage  (Halle  1891)  im  wesentlichen  ausgebildet 


SCHI.ACiER    ÜBER    VORETZSCH  ,    EPISCH K    STUDIEN  111 

vorliegen.  Es  lässt  sich  also  crkeunen,  dass  es  ihm  eine  wichtige  angelegenheit  ist, 
seine  wolhegriindete  Überzeugung  durchzufechten.  Gegenwärtig  ei'scheint  der  Zeit- 
punkt hierfür  günstig.  Denn  die  im  letzten  Jahrzehnt  mit  unleugbarem  geschick  und 
vielen  richtigen  einzolbomcrkungen  unternommenen  versuche,  auch  die  entwicklung 
des  französischen  heldenepos  (der  chansons  de  yeste)  ganz  und  gar  auf  litterarische 
Überlieferung  und  zum  grossen  teil  auf  selbstherrliche  erfinduug  zu  stellen,  haben 
wol  zeitweilig  manche  Verwirrung  angerichtet,  im  ganzen  aber,  so  viel  ich  sehe,  doch 
die  erkcnntnis  gefördert,  dass  dieser  weg  in  eine  sackgas.se  führt.  AVas  für  Chrestiens 
versromane  aucli  nur  mit  grosser  einschränkung  richtig  ist,  das  wird,  auf  das  helden- 
epos übertragen,  gradezu  grund verkehrt:  hier  weist  alles  auf  eine  unlitterarische  Vor- 
stufe, eine  heldensage  — ,  und  nun  gilt  es  eben,  diesem  vieldeutigen  worte  tat- 
sächlichen Inhalt  zu  schaffen. 

Der  hauptteil  des  vorliegenden  buches  beschäftigt  sich  mit  dem  IluoneiJOS  und 
bildet  eine  wichtige  ergäuzuiig  zu  dem  bereits  genannten  Ogierbixche.  Zeigte  dieses, 
wie  in  einem  bestimmten  fall  ein  geschichtliches  ereignis  aus  sich  sage  und  epische 
dichtungen  entwickelte,  die  dann  zu  einem  ganzen  zusammcngcschweisst  wurden,  so 
ergibt  die  neuere  Untersuchung  vielmehr,  dass  in  anderem  fall  eine  schon  vorhandene, 
'prähistorische'  sage  nachträglich  au  gcscliichtliche  personen  angelehnt  wurde.  So 
wird  ein  wesentlicher  unterschied  innerhalb  der  französischen  epik  festgestellt  und 
von  vornhei"ein  eine  Warnungstafel  für  die  errichtet,  die  geneigt  sind,  alle  epen 
über  einen  kämm  zu  scheren.  —  Dass  der  Huonstoff  beziehungcn  zur  altdeutschen 
sage  und  dichtung  hat,  ist  bekannt,  und  so  darf  diese  Untersuchung  ebne  weiteres  auf 
die  teilnähme  der  germanisteu  rechnen.  Aber  auch  die  vorausgeschickten  drei  capitel, 
in  denen  Yoretzsch  sich  allgemein  mit  halben  oder  ganzen  geguern  auseinandersetzt, 
sind  im  gehalte  so  durchdacht  und  im  tone  so  vornehm,  dass  sie  jeden  leser  fesseln 
und  belehren  werden.  Wenn  Voretz.sch  in  der  vorrede  betont,  dass  er  weniger  darauf 
ausgehe,  unterschiede  aufzuzeigen,  als  vielmehr  darauf,  brücken  zu  den  anderen 
Standpunkten  hinüberzuschlagen,  so  hätte  er  das  ruhig  mit  weniger  bcscheidenheit 
ausdrücken  können:  es  ist  ihm  in  der  tat  völlig  gelungen,  zu  erweisen,  dass  die 
gegner  von  sich  aus  gar  keinen  rechten  grund  haben,  die  heldensage  als  Vorstufe  des 
epos  abzulehnen. 

Letzteres  geschieht  noch  oft,  obwol  sich  auch  sonst  beobachten  lässt,  dass 
die  romanisten,  die  von  gründlichen  germanistischen  Studien  hergekommen  sind, 
der  heldensage  freundlich  gegenüberstehen.  Am  meisten  gegnerschaft  findet  sich  iu 
Frankreich.  Dort  ist  zwar  die  mündliche  Überlieferung  seit  langem  (L867)  von  sehr 
angesehener  seite  gefordert  worden.  Aber  die  stimme  I'.  Meyers  ist  die  eines  pre- 
digers  in  der  wüste  geblieben:  gegen  ihn  erhob  sich  die  gewaltige,  zumal  alle  jüngeren 
im  banne  haltende  autorität  G.  Paris',  der  an  mehreren  stellen  die  mündliche  fort- 
pflanzung  geschichtlicher  Stoffe  glattweg  verneint,  nur  märchenhafte  stoffe  sich  von 
mund  zu  mund  verbreiten  lässt.  Von  seinem  Standpunkt  aus  hat  Voretzsch  wenig 
mühe,  mit  diesem  grundbedenken  fertig  zu  werden;  denn  in  der  heldensage,  wie  er 
sie  auffasst,  durchdringen  sich  geschichtliche  und  phantastische  be.standteilc  aufs 
engste,  so  dass  oft  genug  das  geschichtliche  nur  noch  die  bedeutuug  eines  kristalli- 
sationspunktes  hat.  "Wo  sind  denn  selbst  im  Kolaudsliede,  das  doch  allgemein  als 
ein  inusterstück  des  geschichtlichen  epos  betrachtet  wird,  die  geschichtlichen  einzol- 
heiten  geblieben?  Der  anschlu.ss  an  bestimmte  geschichtliche  namen  aber,  deren 
jeder  im  volk  einen  bestimmten,  fest  gewordenen,  aber  der  geschichtlichen  Wirk- 
lichkeit nur  in  umrissen  entsprechenden  Inbegriff  bezeichnete,  konnte,  wie  mir  scheint, 


412  SCHLÄGER 

der  Zähigkeit  der  Überlieferung  unmöglich  eiutrag  tun;  freilich  mag  das  völlige  er- 
löschen eines  solchen  von  der  persönlichkeit  hinterlasscnen  eindrucks  die  öfter  beob- 
achtete Übertragung  einer  sage  auf  andere  namen  begünstigt  haben. 

Soviel  ich  sehe,  hat  vor  allem  zweierlei  die  anerkennung  der  heklensage  in 
Frankreich  gehindert.  Einmal  die  an  sich  gewiss  richtige  meinung,  dass  in  der 
französischen  epenzeit  das  volk  unter  ganz  anderen  Verhältnissen  gelebt  habe  als  in 
der  deutschen^.  Ich  meine,  diese  volkspsychologische  betrachtung  hält  sich  zu  sehr 
ans  äusserliche.  Grade  die  Völker-  und  blutmischung  auf  romanischem  boden  muss 
der  Phantasie,  und  sicherlich  nicht  nur  bei  einzelnen,  im  engeren  sinne  dichterisch 
begabten,  gewaltige  anregungen  zugeführt  haben.  Keinesfalls  bestand  zwischen  den 
Germanen  der  Völkerwanderung  und  den  romanisierten  Franken  ein  grösserer  unter- 
schied als  etwa  zwischen  diesen  und  einer  heutigen  landbevölkerung.  Und  doch 
können  wir  selbst  heute  deutliche  ausätze  einer  sageubildung  beobachten,  die  viele 
züge  einer  echten  und  rechten  heldensage  aufweisen.  Noch  heute  führt  die  volks- 
tümliche auffassung  der  geschichte  —  nur  diese  hat  für  das  epos  des  mittelalters 
bedeutung,  und  es  würde  sich  lohnen,  ihr  einmal  genaue  beachtung  zu  schenken  — 
zu  ebenso  eigenartigen  Verschiebungen,  umkehrungen,  entäusserungcn ,  wie  wir  sie 
nur  im  mittelalter  finden  können.  Ich  erinnere  an  die  sagen,  die  sich  in  den  deutschen 
Alpen  um  die  person  Bismarcks  gebildet  haben,  oder  an  den  menschlicli  gebliebenen, 
aber  der  geschichtlichen  Wahrheit  entfremdeten  Inbegriff  dos  namens  Bismarck,  wie 
ihn  umfragen  im  beere  bei  ungebildeten  aus  einigermassen  geschlossenen  anschauungs- 
kreisen  erwiesen  haben.  Noch  längere  zeit  nach  dem  tragischen  ende  Ludwigs  ü. 
von  Bayern  glaubten  selbst  gebildete  daran,  dass  er  ertränkt  worden  sei:  dem  rich- 
tigen bayrischen  dickschädel  ist  das  noch  heute  unumstössliche  Wahrheit,  und  mancher 
mag  im  tiefsten  herzen  die  Malefizpreussen  dafür  verantwortlich  machen,  wie  man 
denn  sogar  noch  hören  kann,  von  diesen  werde  König  Max  IL  auf  einer  entlegenen 
insel  gefangen  gehalten  (Deutsche  zeitung  vom  1.  Mai  1901).  Seltsames  hab  ich  auch 
in  Frankreich  gefunden.  Ein  gutmütiger  pariser  gemüsehändler,  Lothringer  von 
geburt,  Napoleonist  und  mitkämpf  er  im  kriege,  erschloss  mir  eines  abends  in  langer 
unterhaltüug  sein  herz.  Nachdem  wir  ziemlich  lange  ergebnislos  politisiert  hatten, 
spielte  er  seinen  grössten  trumpf  aus  mit  der  frage,  was  ich  vom  'petit  Badinguet', 
dem  frühverstorbenen  Louis  Napoleon,  halte.  Da  ich,  wie  begreiflich,  hiermit  nichts 
anzufangen  wusste,  fuhr  er  geheimnisvoll  fort:  'II  n'est  pas  plus  mort  que  vous  et 
moi:  il  reviendra,  et  il  vous  crachera  sur  !e  nez'.  Und  wenn  er  noch  lebt,  so  ist 
er  sicherlich  noch  heute,  nach  10  jähren ,  dieser  meinung.  Es  mag  sein,  dass  solches 
für  sich  allein  wenig  lebenskraft  hat,  aber  dem  wird  eben  durch  die  Verbindung  mit 
schon  fertigen  sagen  oder  auch  nur  anekdoten  abgeholfen:  so  geht  es  beispielsweise 
zu,  dass  noch  heute  ein  bestimmtes  bild  des  alten  Fritzen  im  volke  fortlebt.  Sollte 
jemand  der  meinung  sein,  solcher  anekdoteukram  stehe  der  heldensage  ganz  fern,  so 
ist  daran  zu  erinnern,  dass  auch  im  mittalter  im  gefolge  der  eigentlichen,  grossen 
heldensage  eine  kleine,  aus  burlesken  einzelzügen  bestehende  da  war.  Was  den 
anlass  gab,  alle  diese  kleinen  scherze  und  derbheiteu  an  das  bild  des  grossen  königs 
zu  hängen,  war  doch  ein  geschichtlich  wahrer  charakterzug :  seine  volkstümlich -derbe 
ader;  und  dieser  echte  charakterzug  ist  auf  diese  weise  im  volke  lebendig  geblieben. 

1)  Vgl.  P.  Rajna,  Litoraturbl.  f.  germ.  u.  rom.  phü.  1895,  sp.  198 fg. :  „Ora,  all' 
elemento  romano,  in  (^uauto  popolo,  c  popolo  in  non  poca  parte  cittadino,  anziehe 
sehiatta,  la  'sage'  mal  poteva  accomunarsi  in  altra  forma  che  di  canti". 


ÜBER    VORF.TZSrH,    F.PTSCnK    STTIDTF.X  413 

Derlei  beobachtungen  sprechen  dafür,  dass  anuh  der  sagenhaften  goschicbtsüberliefe- 
rung  selbst  heute  noch  eine  gewisse  lebenskraft  innewohnt.  Und  mehr  als  das:  sogar 
eine  gewisse  autorität  kann  sie  gewinnen.  Kommt  es  doch  vor,  dass  die  wissen- 
schaftliche geschichtsdarstelhmg  sich  an  offenbarer  legende  bereichert.  Mit  nicht  ge- 
ringem staunen  las  ich  vor  kurzem,  dass  das  dankgebet  der  verbündeten  herrscher 
auf  dem  hügel  bei  Leipzig  nach  der  Völkerschlacht  ins  gebiet  der  sage  gehört;  in 
Wirklichkeit  liaben  sich  die  drei  den  ganzen  tag  über  nicht  gesehen. '  Auch  hier 
kann  man  recht  wol  an  die  heldensage  erinnern,  besonders  deswegen,  weil  die  erfm- 
dung  den  Stempel  der  gutgläubigkeit  trägt:  sie  ist  recht  aus  dem  ereignis  selbst  ge- 
wachsen; der  sie  zuerst  aufgebracht  hat,  konnte  sich  offenbar  die  Schlacht  nicht  ohne 
dieses  schlussstück  denken,  und  wie  sehr  dieses  auch  dem  allgemeinen  empfinden 
entsprach,  ei'gibt  sich  schon  daraus,  dass  es  sich  unwidersprochen  in  die  geschichts- 
darstelhmg eingedrängt  hat  und  nun  erst  wider  von  der  kritik  entfernt  werden  muss; 
der  eine  hatte  nur  das  rechte  wort  gefunden  für  das,  was  allen  auf  der  zuuge  lag.  — 
Schliesslich  will  ich  noch  eine  merkwürdige,  von  W.  H.  Riehl-  berichtete  tatsacho  an- 
führen, weil  sie  zeigt,  dass  alte  scheinbar  erloschene  geschichtliche  Überlieferungen 
im  Volke  wieder  aufzuleben  vermögen,  wenn  sie  von  neuen,  grossen  ereignissen  aus 
ihrem  Scheintod  erweckt  werden.  Bekannt  ist,  dass  mehrere  Jahrhunderte  hindurch 
die  Türkenprophezeiungen,  mancherorten  durch  Türkengebet  und  -läuten  genährt,  sehr 
verbreitet  waren.  In  der  revolutionszeit  tauchten  sie  plötzlich  wieder  auf.  Beim 
ungarischen  kriege  glaubten  die  rheinischen  bauern  lange  nicht  an  die  niederlage 
Kossuths,  'weil  ihnen  der  unausbleibliche  Türkenkrieg  ein  und  dasselbe  däuchte  mit 
dem  siege  Kossuths,  weil  es  ihnen  gleich  einem  evangelium  feststand,  dass  im  jähre 
1850  die  Türkenpferde  aus  dem  Rheine  trinken  und  an  den  pfeilern  des  Kölner  domes 
angebunden  sein  würden'.  Die  tatsächlichen  beziehungen  Kossuths  und  der  unga- 
rischen flüchtlinge  zur  Türkei  mögen  dabei  ihren  anteil  gehabt  haben,  aber  ausschlag- 
gebend waren  sie  gewiss  nicht:  Ostländer  und  Türken  verschmolzen  dem  volke  in 
eins,  ganz  in  der  weise  des  französischen  epos.  Mir  scheint,  hier  liegt  eine  mündlich 
fortgepflanzte  und  in  dei'  art  der  heldensage  weitergewachsene,  aber  echt  geschicht- 
liche erinnerung  klar  zu  tage.  Derartiges  beweist  selbstverständlich  nichts  für  das 
erwachsen  epischer  dichtung  aus  mündlicher  sage;  aber  es  zeigt,  dass  man  an  dem 
bestehen  und  der  dauerhaftigkeit  einer  geschichtlichen  heldensage  auch  im  alten 
Frankreich  nicht  zu  zweifeln  bi'aucht.  "Wol  hat  es  zeiten  gegeben,  die  der  helden- 
sagenbildung  besonders  günstig  waren,  aber  an  bestimmte  zeiten  gebunden  ist  diese 
bildung  nicht,  sie  ist  ein  unverlierbares  eigentum  der  volksphantasie. 

Das  zweite  hindernis,  mit  dem  der  begriff  der  heldensage  in  Frankreich  zu 
kämpfen  hat,  ist  die  sogenannte  kantilenentheorie,  die  das  epos  aus  unmittelbar 
(auch  zeitlich)  der  geschichte  entsprossenen  lyrisch -epischen  gedichteu  hervorgehen 
lässt  und  ihren  Ursprung  doch  wol  in  Lachmanns  liedertheorie  hat.  Hierzu  i.st  zu 
sagen,  dass  heldensage  und  zeitgedicht  sich  nicht  notwendig  ausschliessen ;  grösseren 
auspruch  auf  die  Vaterschaft  dos  epos  hat  aber  die  heldensage,  denn  heldensagen,  die 
in  ihrer  ganzen  art  dem  epos  nahestehen,  sind  wirklich  nachzuweisen  (den  niönch  von 
St.  Gallen  erkennt  auch  G.  Paris  an,  nur  spriciit  er  derartigen  erzähluugen  längere 
lebensdauer  ab),    aber  kantilenen    lassen    sich  höchstens  durch   hinweise    auf    kurze 

1)  Vgl.  H.  Geizer,  Gedächtnisrede  für  Carl  Alexander  von  Sachsen,  Jena  1901, 
s.  37  anm.  12. 

2)  Land  und  leute  (S.  auf!.,  1883)  s.  .348  — 350. 


414  ROHLÄGER 

chi'onistenstellen  wahrscheinlich  nifichen,  die  ohensogut  aiif  fertige  epeu  bezogen  werden 
können. 

Selbst  dem  bedeutendsten  französischen  Vertreter  der  kantilenentheorie,  G.  Paris, 
kann  Voretzsch  mit  recht  entgegenhalten,  dass  er  selber  ehemals  (in  seiner  Histoire 
poetique  de  Charlemagne,  1865)  von  mündlich  umgehenden  erziihlungen  gesprochen 
hat,  die  ihrer  art  nacli  zwischen  geschichte  und  dichtung  verarittelten;  auch  neuer- 
dings hat  er  die  erzählungen  des  mönchs  von  St.  Gallen  ausdrücklich  anerkannt;  be- 
dauerlich bleibt,  dass  er  sich  zu  den  von  Voretzsch  aufgestellten  Merowingersagen 
nicht  geäussert  hat.  —  Ganz  offenbare  Widersprüche  finden  sich  dagegen  bei  L.  Gautier, 
den  die  schwärmerische  begeisterung  für  seinen  stoff  oft  genug  in  Unklarheit  ver- 
strickt hat.  Zuerst  weiss  er  nur  von  kantileneu,  führt  später  nach  P.  Meyers  Vor- 
gang die  'tradition  orale'  ein,  wirft  sie  nach  G.  Paris'  einspruch  wider  hinaus  — 
und  lässt  sie  schliesslich  zur  hintertür  wider  herein,  zwar  nicht  als  'tradition  orale', 
wol  aber  als  'legende'  und  in  einer  eigentümlichen,  nicht  näher  bestimmten  und 
kaum  zu  greifenden  Verknüpfung  mit  den  'cbants  lyrico-epiques'.  Mit  einer  so  ver- 
schwommenen Zustimmung  ist  beiden  teilen  wenig  genützt. 

Von  den  französischen  anhängern  der  kantilenentheorie  unterscheidet  sich  sehr 
wesentlich  ihr  hauptvertreter  in  Deutschland,  G.  Gröber.  Er  lässt  neben  den  epen, 
aber  nicht  als  ihre  Vorstufe,  einesteils  sagen  bestehen,  andernteils  'zeitgedichte' 
kürzerer  fassung;  die  epen  selbst  sucht  er  nach  möglichkeit  hinaufzurücken ,  setzt  sie 
aber  immerhin  später  an  als  sage  und  zeitgedicht.  Einem  wirklichen  epos  entspricht 
nach  ihm  das  sog.  Haager  bruchstück,  dagegen  ist  ihm  das  sog.  Farolied,  dessen 
anfang  schon  so  lange  zur  rückÜbertragung  in  französische  epische  verse  heraus- 
gefordert hat,  ein  beispiel  des  zeitgedichtes.  —  Hier  setzt  die  kritik  des  Verfassers 
ein.  Er  verwirft  grundsätzlich  den  begriff  des  historischen  Volkslieds,  wie  ihn 
Gröbers  theorie  vorauszusetzen  scheint'.  Aber  auch  wer  historische  Volkslieder  an- 
nimmt, darf  sich  nach  V".  nicht  auf  das  Farolied  berufen,  denn  einmal  liegt  nicht 
der  mindeste  grund  vor.  in  diesem  etwas  anderes  als  eine  kurze,  aber  regelrecht 
entwickelte  chanson  de  geste  zu  sehen-,  und  dann  —  dieser  grund  scheint  mir  recht 
durchschlagend  —  kann  mau  schon  deswegen  nicht  von  einem  historischen  zeitgedichte 
sprechen,  weil  es  gar  kein  geschichtliches  ereignis  gibt,  auf  das  es  sich  unmittelbar 
bezieht^.  Mit  der  erstgenannten  auffassung  rückt  Voretzsch  das  epos  mindestens  so 
hoch  hinauf,  wie  es  Gröber  nur  tun  kann,  so  dass  hier  kein  grundsätzlicher  gegensatz 
zu  finden  ist.  Aber  auch  bei  der  betrachtung  des  Verhältnisses  zwischen  zeitgedicht 
und  epos  kommen  beide  überein:  Gröber  ist,  wie  Voretzsch.  der  meinung,  dass  die 
fülle  epischer  einzelheiten,  wie  sie  die  chansons  de  geste  zeigen,  nicht  aus  kurzen 
liedern   stammen  kann.     Das   eben   unterscheidet  Gröber  wesentlich  von   den  franzö- 

1)  Bis  zu  einem  gewissen  punkte  hat  Voretzsch  unbedingt  recht.  Gereimte 
Zeitungen  wie  das  bekannte  fliegende  blatt  über  die  Schlacht  bei  Pavia  (Liliencron, 
Histor.  Volkslieder,  nr.  ;J72-,  Erk-Böhme  H,  nr.  270)  sind  keine  Volkslieder.  Ganz 
anders  steht's  aber  mit  einem  andern  lied  auf  dieselbe  Schlacht  (Uhland,  nr.  187; 
Erk-Böhme  II,  nr.  274),  in  dem  die  einzellieiten  ganz  gegen  die  allgemeine  Stimmung 
zurücktreten,  ähnlich  wie  in  vielen  neueren  liedern,  die  natürlich  auch  V.  für  Volks- 
lieder hält,  denen  er  aber  die  bezeichnuug  als  'historische  Volkslieder'  nicht  gern 
zuerkennen  mag  (vgl.  s.  20).  Mir  scheint  dieser  name  grade  sehr  treffend ,  eben  weil 
in  diesen  liedern  die  volkstümliche  geschieht  sauf  fassung  hervortritt. 

2)  Rajna,  Oiigini  dell'  Epopea  francese,  s.  473  fg.  Suchier,  Zfrph.  XVIII  (1894), 
s.  184  fg.  Voretzsch,  Philolog.  Studien  (festgabe  für  Sievers)  s.  95  fgg.,  109  fgg.;  vorlieg, 
buch,  s.  18  fg. 

3)  Suchier  und  Voretzsch  a.  a.  o. 


i'nF.R  voRETZsrn.  Erisrirp  stttptf.n  415 

sischen  kaiitilenikoni.  AVoiin  aber  iiacli  Gröber  selbst  die  epen  nicbt  ganz  unmittelbar 
nach  dem  ereignis  selbst  entstanden,  sondern  auch  nur  wenig  später  sind  als  zeit- 
gedichte  und  sagen,  die  ersteren  aber  nicht  als  unmittelbare  Vorstufe  des  epos  zu 
betrachten  sind  — ,  so  hat  Yoretzsch  ganz  recht,  wenn  er  hier  eine  Kicke  bezeichnet, 
die  nach  ausfüUung  verlange,  und  zwar  sei  von  Gröbers  eignem  Standpunkt  aus  hierfür 
nichts  anderes  vorhanden  als  die  sage.  Diese  erkenne  ja  Gröber  auch  an,  aber  doch 
nur  mit  grosser  zurückiialtnng  und  ohne  ihr  den  gebührenden  einfluss  auf  die  ent- 
stehuug  des  epos  einzuräumen.  In  der  tat  lässt  sich  nicht  verkennen,  dass  Gröber 
im  Grundriss  der  romanischen  philologie  diesen  begriff  nach  möglichkeit  vermeidet. 
Er  spricht  von  'epischer'  und  'mündlicher'  Überlieferang,  ohne  dass  es  mir  ganz  klar 
wird,  ob  darunter  immer  die  Überlieferung  fertiger  epen  zu  verstehen  ist  Was  er 
von  der  Übernahme  heidnischer  züge,  von  der  Wichtigkeit  altertümlicher  eigennamen 
in  erb  wortform  sagt  (Grundriss  II,  I,  s.  448  —  450),  scheint  mir  eher  gegen  als  für 
litterarische  Verfestigung  zu  sprechen. 

Von  Gröber  ist  offenbar  E.  Schneegans  ausgegangen,  der  seine  anschauungen 
hauptsächlich  in  seiner  habilitationsvorlesung  'Die  volkssage  und  das  altfranzösische 
heldengedicht'  niedergelegt  hat  (Neue  Heidelherger  jahrbüi^her,  1S97,  s.  58  —  G7).  Bei 
ihm  werden  die  rein  phantastischen  und  die  wandersagen  besonders  gewürdigt,  kurz 
alles,  was  wir  herkömmlich  als  märchen-  und  novellenstoffe  bezeichnen.  Auch 
Schueegans  erkennt  'sage'  an,  aber  nicht  als  Vorstufe  des  epos,  wenigstens  nicht  in 
seiner  gi;ten  zeit,  in  der  es  vielmehr  unmittelbar  aus  dem  geschichtlichen  ereignis 
erwachse.  Epos  und  sage  seien  dazu  auch  nicht  wesensgleich  genug:  ersteres  bleibe 
trotz  aller  eingestreuten  wunder  im  rahmen  des  rein  menschlichen  und  vermeide  das 
übernatürliche,  letztere  aber  weiche  von  dem  tatsächlichen  weit  ab,  um  die  persön- 
lichkeit des  beiden  mit  anderwärts  geschehenem  und  mit  übernatürlichen  kräften  zu 
bereichern.  Beide  Überlieferungen  seien  nebeneinander  hergeflosseu;  erst  später,  beim 
niedersinken  der  .Standesdichtung,  des  epos,  in  die  kreise  der  bürger  und  bauern, 
hätten  sich  einzelne  züge  aus  der  bauernpoesie,  d.  h.  der  volkssage,  eingemischt 
und  auch  ganze  epen  hervorgerufen.  —  In  seiner  kritik  weist  Voretzsch  mit  recht 
darauf  hin,  dass  Schneegans  den  begriff  der  volkssage  nicht  reinlich  herausgearbeitet 
hat,  sondern  märchen  und  heldensage  miteinander  vermengt,  die  zwar  gewiss 
sich  vielfach  gegenseitig  benihrt  haben,  aber  von  haus  aus  doch  deutlich  unterschieden 
sind.  "Was  Schneegans  im  epos,  aber  nur  im  späteren,  sagenhaftes  anerkennt,  sind 
wesentlich  märchenmotive,  während  er  der  eigentlichen  heldensage  —  die  er  jedoch 
kennt,  und  die  doch  sicher  grössere  wesensgleichheit  mit  dem  e])OS  hat!  —  keinerlei 
bedeutung  dafür  zuschreibt.  Im  ganzen  ruht  seine  anschauung  auf  zwei  von  ihm  an- 
genommenen, unüberbrückbaren  gegensätzen:  dem  zwischen  sage  und  e[)OS  und  dem 
zwischen  älterem,  echten  und  jüngerem,  von  der  volkssage  beeinflussten  epos.  Voretzsch 
weist  nach,  da.ss  der  zweite  unterschied  wol  durch  die  spätere  entwicklung  hervor- 
geti'eten,  aber  durchaus  nicht  durchgehend  ist.  Grade  in  altertümlichen  epen  finden 
sich  echt  wunderbare  züge,  vergleichbai'  den  häufigeren  der  germanischen  helden- 
dichtung:  besonders  lehrreich  ist  hier  die  unverwundbarkeit  "Wilhelms  mit  ausnähme 
der  nase;  und  so  findet  sich  anderseits  possenhaftes,  offenbar  der  volkssage  angehöriges 
schon    in    alten   epen'.     Abei'   auch   der  andere  gegeusatz   ist  nicht  zu  halten,   selbst 

1)  Das  ist  natürlich  auch  Schneegans  nicht  entgangen.  Er  kann  sich  damit 
decken,  dass  .schon  die  ältesten  überlieferten  epen  spuren  des  Niederganges  aufweisen. 
Dagegen  scheint  e.s  auch  mir  unmögUch,  Wilhelms  unverwundbarkeit  mit  den  aben- 
teuerlichen wundern  später  epen  in  einen  topf  zu  werfen. 


416  SCHLÄOER 

dann  nicht,  wenn  man  wie  Schneegans  mehr  das  märchen  als  die  wirkliche  helden- 
sage  im  äuge  hat.  Hierüber  gibt  Voretzsch  sehr  wichtige  aiisführungen,  in  denen 
auch  auf  die  altdeutsche  dichtung  bezAig  genommen  wird.  Ist  hierdurch  dem  von 
Schneegans  ausgeführten  sachlich  der  boden  entzogen,  so  gibt  auch  seine  methode  zu 
einwänden  anlass:  wer  steht  dafür,  dass  diö  in  späteren  epen  von  ihm  anerkannten  züge 
wirklich  noch  märchenhaft,  nicht  viebnehr  dui'ch  feste  beziehung  auf  bestimmte  per- 
sonen  oder  orte  schon  zur  heldensage  geworden  waren?  — 

In  allen  diesen  erörterungen ,  denen  ich,  wie  angedeutet,  in  allem  wesentlichen 
zustimme,  bedient  sich  der  Verfasser  des  wertes  'heldensage'  für  einen  völlig  festen, 
genau  herausgearbeiteten  begriff,  über  den  s.  28  —  29.  44  —  46  ausführlicher  gehandelt 
wird.  Die  heldensage  ist  eine  bestimmte  art  der  sage,  hat  also  mit  jeder  anderen 
sage  das  unterscheidende  merkmal,  dass  sie  an  bestimmte  personen,  ereignisse,  ört- 
lichkeiteü  gebunden  auftritt:  „sie  bezieht  sich  auf  einen  bestimmten  beiden  und  ein 
mit  diesem  in  Verbindung  stehendes  ereignis''.  Damit  ist  schon  gesagt,  dass  sie  ge- 
schichtlichen Ursprung  hat,  denn  eins  von  beiden  wird  in  der  regel  geschichtlich  sein; 
nur  ist  oft  die  persönlichkeit  zum  la-istallisationspunkt  auch  für  fremdartige  und  für 
ursprünglich  ungeschichtliche  sagen  geworden.  Keinesfalls  aber  darf  man  bezüglich 
des  historischen  gehaltes  zu  hohe  anforderungen  stellen.  Im  anfange  sehr  vielgestaltig, 
wird  sich  die  sage  nach  und  nach  in  gewissen  punkten  festigen  und  so  vereinfachen, 
wobei  sie  natürlich  noch  immer  der  Umgestaltung  unterworfen  ist.  Die  geschichtlichen 
einzelheiten  verschwinden  also  zum  grossen  teile,  es  bleibt  ein  gebilde,  das  von  dem 
wesentlichen  der  persönlichkeit  oder  des  ereignisses  —  natürlich  im  sinne  der  volks- 
auffassung  —  beherrscht  x;nd  bestimmt  wird.  Neben  und  nach  dieser  verengerang 
vollzieht  sich  aber  auch  eine  erweiterung:  der  verbliebene  rest  verbindet  sich  mit 
elementen  anderer  herkunft,  aus  anderen  zeiteii,  mit  älteren  sagen  oder  neuschöpfungen 
der  Phantasie.  —  Einer  solchen  heldensage  kann  recht  wol  eine  gewisse  epische  aus- 
führlichkeit  eignen,  so  dass  sie  besser  als  ein  kurzes  zeitgedicht  zur  Vorstufe  eines 
wirklichen  epos  geeignet  erscheint.  Selbstverständlich  trifft  das  nicht  für  alle  epen 
zu,  es  ist  im  einzelnen  falle  genau  zu  untersuchen,  ob  nicht  vielmehr  unmittelbares 
erwachsen  aus  dem  ereignis  oder  abfassung  auf  grund  geschriebener  berichte  oder 
endlich  willkürliche  erfindung  und  Übertragung  anzunehmen  ist.  Wo  aber  solcherlei 
entstehung  nicht  wahrscheinlich  ist,  da  ist  eben  die  heldensage  die  natürlich  gegebene 
Vorstufe;  und  eine  solche,  auf  der  volkstümliche  anschauung  ungehemmt  und  allseitig 
eindringen  konnte,  verlangt  namentlich  die  entwicklung  der  älteren  epen.  Dem  be- 
rufsdichter fällt  die  künstlerische,  planmässige,  individuelle  ausgostaltung  des  von  der 
allgemeinheit  vorbearbeiteten  Stoffes  zu. 

Alles  in  allem  kann  man  nicht  sagen,  dass  Voretzsch  die  leistung  des  epen- 
dichters  zu  gering  einschätze ,  wie  es  ihm  hier  und  da  vorgeworfen  worden  ist.  Indess 
lässt  sich  nicht  verkennen ,  dass  in  seiner  entwicklungsreihe  manches  nur  erst  in  um- 
rissen geschaut  ist  und  genauerer  bestimmung  harrt.  Sowol  für  die  entstehimg  der 
heldensage  aus  dem  geschichtlichen  ereignis  wie  für  ihre  litterarische  ausbildung  zum 
epos  bleibt  noch  ein  gut  teil  arbeit  zu  leisten.  Vor  allem  liegen  die  unmittelbaren 
äusseren  einflüsse,  die  bei  der  entstehung  des  gallofrünkischen  epos  im  spiele  gewesen 
sind,  noch  sehr  im  dunkel.  Voi'etzsch  geht  an  solchen  fragen  nicht  etwa  vorbei:  er 
knüpft  in  sehr  anregenderweise  an  die  germanische,  genauer  fränkische  heldendichtung 
an.  Sogar  die  form  der  französischen  chansons  de  geste  —  die  einreimige  laisse  oder 
tirade  von  wechselnder  verszahl  —  möchte  er  mit  der  stichischen ,  nicht  strophischen 
form   der  germanischen  heldendichtung  verknüpfen.     Das  will  mir  freilich  nicht  ein- 


ÜBER    VORETZSrif,    EPISCHE    STUDIEN  417 

leuchten.  Ein  solcher  Zusammenhang  scheint,  mir  nur  denkbar,  wenn  wir  uns  die 
germanische  heldendichtung  gesungen,  nicht  recitiert  vorstellen  dürften.  Auf  dieses 
schwierige  geliinde  kann  und  will  ich  mich  hier  nicht  begehen.  Ich  habe  anderwärts 
versucht,  die  epische  tirade  mit  der  ungleichzeiligen  strophe  der  ältesten  französischen 
ly.rik,  der  romanzen  oder  chausons  a  toile,  zu  verbinden,  und  habe  auf  die  einzeilige 
Strophe  (mit  ursprünglichei-  widerholung  durch  den  eher)  als  möglichen  ausgangspunkt 
für  beide  hingedeutet*. 

Der  zweite,  äusserlich  betrachtet  wichtigere  teil  des  huches  beschäftigt  sich  mit 
den  mancherlei  fragen,  zu  denen  das  eigenartige,  unter  den  Karlsepen  durch  das 
vorwiegen  abenteuerlicher  züge  und  die  einmischung  unverkennbar  mythischen  gutes 
läug.st  aufgefallene  Huongedicht  reichliclien  anlass  gibt.  In  dem  gegenstände  selbst 
liegt  es,  wenn  dieser  teil  an  tatsächlichen  ergebnissen  den  ersten  weit  überragt. 
Diese  sind  in  der  tat  so  bedeutungsvoll,  dass  man  die  Untersuchung  zu  den  aller- 
wichtigsten  rechnen  darf,  die  auf  diesem  gebiete  veröffentlicht  worden  sind.  Der 
Verfasser  hat  sein  verfahren,  das  im  wesentlichen  zwar  schon  im  Ogierbuche  aus- 
gebildet vorlag,  seit  der  zeit  zu  einem  wahrhaft  meister-  und  musterhaften  entwickelt. 
Mit  der  sichersten  kenntnis  des  weitverzweigten  stoffs  verbindet  er  tatkräftiges  und 
geschicktes  anfassen  und  —  eine  nur  allzu  seltene  gäbe!  —  ein  nie  versagendes  ge- 
sundes urteil:  bei  aller  wärme  des  inneren  anteils  lässt  er  sich  niemals  verführen, 
den  bogen  der  philologischen  methode  zu  überspannen.  Wegen  dieser  Vereinigung 
von  eigenschaften,  die  sich  schon  in  der  sachlichen,  oft  nüchternen,  und  doch  dabei 
von  lebendiger  persönlichkeit  zeugenden  darstellung  spiegelt,  darf  die  arbeit  als 
vorbildlich  bezeichnet  werden.  Leider  ist  es  mir  nicht  möglich,  auf  den  inhalt  der 
Huonuutersuchung  auch  nur  annähernd  so  ausführlich  einzugehen,  wie  auf  die  ein- 
leitenden capitel,  in  denen  für  mich  trotz  alledem  der  Schwerpunkt  des  buches  liegt: 
die  besprechung  würde  sonst  ungebührlichen  umfang  gewinnen  müssen.  Ich  will  nur 
versuchen,  dem  germanisten  die  wichtigsten  gedanken  und  ergebnisse  anzudeuten. 

Unmittelbar  überzeugend,  weil  auf  genauester  beobachtung  der  technik  des 
dichters  beruhend,  ist  die  art,  wie  Voretzsch  die  einzelnen  stoffkreise  aufzeigt,  aus 
denen  der  dichter  die  mosaiksteine  zu  seiner  handlung  genommen  hat,  und  wie  er 
damit  zugleich  sich  selber  die  wege  seiner  Untersuchung  vorzeichnet.  Es  ergeben  sich 
daraus  drei  richtuugen:  einmal  ist  dem  zusammenhange  mit  dem  volksepos  nach- 
zugehen, denn  hierzu  ist  das  gedieht  in  seiner  äusseren  form  wie  auch  in  vielen 
einzelheiten  der  dichterischen  technik  zu  rechnen;  zweitens  ist  der  einfluss  des  höfischen 
versromans  abzugrenzen,  dem  das  gedieht  nicht  nur  eine  menge  stofflicher  einzelzüge, 
sondern  auch  die  anläge  des  ganzen  verdankt;  endlich  führt  die  gestalt  Auberons,  die 
dem  gedichte  vor  allem  sein  eigenartiges  gepräge  verleiht,  tief  hinein  in  das  gebiet 
der  germanischen  sage  und  dichtung.  Den  abschluss  bildet  naturgemäss  ein  versuch, 
ein  gesamtbild  der  entwicklung  zu"  entwerfen;  voraus  geht  der  eigentlichen  Unter- 
suchung eine  genaue  betrachtung  des  gedichtes  selbst  und  seiner  verschiedenen  be- 
arbeitungen. 

Für  die  zeitliche  einreihung  des  gedichts  schliesst  sich  Voretzsch  im  wesent- 
lichen an  Friedwagner  an.     Mit  rücksicht  auf  die  anspielungen  bei  Alberich  von  Trois- 

1)  Über  musik  und  .strophenbau  der  französischen  romanzen,  Halle  1900  (aus 
dem  Suchierbande),  s.  .37.  Es  scheint  mir  ein  willkürliches  und  methodisch  unzu- 
lässiges verfahren  zu  sein,  die  erwähnte  Ungleichheit  der  lyrischen  Strophen  in  allen 
fällen  zu  beseitigen;  vgl.  ebenda  s.  !.">  — 17. 

ZEITSCHIÜFT    F.    liEÜTSCHK    PHILOLOGIE.       ßü.    XXXVII.  27 


418  SCHLÄGBR 

Fontaines  und  auf  die  beliandlung  der  Pers  und  ihres  gerichtes  vermag  er  eine  nocli 
genauere  bestimmuug  zu  treffen.  Jedesfalls  darf  mau  das  erste  drittel  des  13.  Jahr- 
hunderts als  festgestellt  betrachten.  —  Alle  französischen  bearbeitungen  gehen  auf 
diese  eine  grundlage  zurück;  und  auch  die  niederländischen  vermögen  nichts  zur  auf- 
hellung  der  Vorgeschichte  beizutragen,  wenn  sie  auch  mit  dem  bericht  Alberichs  auf 
eine  gemeinsame,  verlorene  französische  fassung  zurückgehen  sollen,  die  statt  des 
namens  Geriaume  eineu  anderen,  AUaume  führte.  Es  ergibt  sich  also,  dass  die 
forschuug  auf  das  überlieferte  Huongedicht  angewiesen  ist.  —  Soll  aus  diesem  der 
ursprüngliche  kern  herausgeschält  V7erden,  so  gilt  es  zunächst,  die  auf  das  höfische  epos 
weisenden  züge  auszuscheiden.  Dazu  gehört  zunächst  das  ganze  abenteuer  von 
Dunostre,  das  deutlich  an  die  Apolloniusromaue,  namentlich  den  Jourdain  erinnert; 
Chrestieus  romauen,  besonders  dem  Perceval  (und  seinen  fortsetzungen)  und  dem 
Karrenritter,  verdankt  der  Huondichter  eine  reihe  abenteuerlicher  einzelheiten  (z.  b.  die 
torsperre,  am  eiugange  des  riesenschlosses) ,  aber  auch,  wie  V.  sehr  lehrreich  und 
überzeugend  nachgewiesen  hat,  die  disposition  des  ganzen  gedichtes.  Besonders  wichtig 
ist  jedoch,  dass  auch  die  gestalt  Auberons  von  keltischer  beimischung  nicht  frei  ist: 
seinen  buckel,  der  zu  seiner  sonstigen  überirdischen  Schönheit  so  gar  nicht  passen 
will,  erklärt  V.  als  eine  zutat,  die  auf  den  zwerggestalten  Chrestiens  beruhe.  Neben 
diesen  wichtigsten  beziehungen  zum  höfischen  versi-omane  bestehen  noch  eine  ganze 
reihe  nebensächlicher. 

Weit  grösser  an  zahl  uud  umfang  ist,  was  das  Huongedicht  der  vaterländischen 
heldeuepik  verdankt,  der  es  ja  auch  nach  form  und  hauptgehalt  augehört.  Der  dichter 
hat  in  dieser  hinsieht  einen  vortrefflichen  magen;  aber  es  ist  anzuerkennen,  dass  er 
nicht  mit  sklavischer  treue  entlehnt,  sondern  das  fremde  gut  aus  dem  gedächtnis  und 
nach  eignem  gutdünken,  freilich  nicht  immer  am  rechten  orte  verarbeitet.  Neben 
einer  ganzen  reihe  von  Karls-  und  Wilhelmsepen,  für  die  natürlich  nicht  der  gleiche 
grad  von  Sicherheit  oder  Wahrscheinlichkeit  gilt',  ist  da  vor  allem  das  Ogiei'gedicht 
zu  nennen,  aus  dem  der  Huondichter  in  form  und  Inhalt,  ja  sogar  mit  wörtlichen 
anklängen  entlehnt  hat.  Aus  dem  Ogierepos,  wenn  auch  unter  sichtlichem  einflusse 
des  Couronnement  Louis,  lässt  Voretzsch  auch  die  Karlotepisode  stammen.  Die  von 
G.  Paris  und  Longnou  versuchte  geschichtliche  Verknüpfung  mit  Karls  des  grossen  oder 
Karls  des  kahlen  söhn  Karl  weist  er,  sicherlich  mit  recht,  ab,  indem  er  die  im 
zweiten  falle  nicht  wegzuleugnenden  ähnlichkeiteu  dem  zufalle  zuschreibt.  Ich  möchte 
bei  dieser  gelegenheit,  wie  schon  früher,  darauf  hinweisen,  dass  es  für  solche  Über- 
einstimmungen zwischen  geschichte  und  sage  oder  auch  zwischen  verschiedenen  sagen, 
ja  zwischen  verschiedenen  geschichtlichen  Überlieferungen  doch  noch  eine  erklärung 
gibt:  die  geschichte  wurde  sogleich  unter  der  form  eines  schon  bestehenden  sagen- 
typus  aufgefasst,  Avomit  natürlich  der  weg  zur  heldensage  bereits  beschritten  wurde*. 

Nach  ausscheidung  aller  dieser  jüngeren  zutaten  bleibt  als  inhalt  des  Urhuon 
eine  einfache  rahmenerzählung  übrig,  deren  züge  sich  noch  ungefähr  erkennen  lassen : 
Huon,  söhn  des  herzogs  Sewin  von  Bordeaux,  wird  durch  ein  unglückliches  Verhängnis 

1)  Als  methodisch  besonders  wertvoll  sei  die  aufstellung  von  typen  für  das 
Verhältnis  eines  cbristenhelden  mit  einer  sarazenentochter  und  die  Zuweisung  der  rHse 
d' Orange  zu  den  germanischen  werbungs sagen  erwähnt  (s.  189fgg.). 

2)  Herrigs  archiv  98,  s.  25.  26;  Liteiaturblatt  21,  sp.  1.38.  —  Vgl.  auch 
E.  Beneze,  Orendel,  Wilhelm  von  Oreuse  und  Robert  der  teufel,  Halle  1897,  s.  88, 
wo  sehr  glücklicli  von  '•anschauungsformeu  a  piioii'  gegenüber  den  historischen 
Charakteren  und  geschehnissen  gespiochen  wird. 


l'BER    VORKTZSCH,    KPISHIK    STUDIEN  419 

zum  müidor  eiuos  voruelimen  gogners;  des  landes  verwiesen,  gewinnt  er  an  einem 
froniden  hof  eine  frau,  kehrt;  (vermutlich)  mit  ihr  zurück  und  versöhnt  sich  mit  dem 
kaiser.  Das  ist  ein  geläufiger  brautfaiirtssagentypus,  wie  er  sonst  z.  b.  in  der  Chil- 
derichsage,  im  Flooveut  und  anderwärts  iiui'ti'itt;  und  eine  erwünschte  bestätigung 
hierfür  gibt  ein  kiu'zer  auszug  der  älteren  Huonsage,  den  eine  fassung  dos  Lothringer- 
epos  bewahrt.  Geschichtlich  bestimmbar  ist  dabei  nur  der  vater  des  beiden;  wie  der 
hineingekommen  ist.  darüber  lässt  sich  durchaus  nichts  sagen.  Hiermit  sind  wir  so 
weit  zurückgelaugt,  wie  es  das  gedieht  selber  ermöglicht. 

Jn  diesem  vorauszusetzciideu  Urhuon  ist  für  die  gestalt  des  hilfreichen  zwerges 
Auberun  kein  rechter  platz  vorhanden.  Der  frage,  was  es  mit  diesem  für  eine  be- 
wandtnis  iiabe,  widmet  Voretzsch  eine  umfangreiche  Untersuchung,  die  zu  den 
fesselndsten  und  ergiebigsten  des  ganzen  buches  gehört.  Der  richtige  weg,  Ver- 
knüpfung mit  dem  germanischen  Alberich,  ist  schon  ISGl  von  G.  Paris  erkannt  und 
beschritten,  später  von  Kajna  weiter  verfolgt  worden;  im  anschlusse  vor  allem  an 
ihre  arbeiten  kommt  Voretzsch  zu  folgenden  wichtigen  ergebnisseu.  Aus  den  Über- 
einstimmungen zwischen  den  angaben  des  gedichts  und  den  davon  unabhängigen  des 
belgischen  chronisteu  Jacques  de  Ouyse,  die  trotz  der  anzweiflungen  Ph.  A.  Beckers 
ihren  wert  behalten  (vgl.  Voretzsch,  Deutsehe  litteraturzeitung  1902,  sp.  26G1  fg.), 
geht  hervor,  dass  Auberon-Albericus  ein  im  walde  lebendes  zauberwesen,  ein  elbe 
und  zwar  ein  lichtelbe  ist.  Das  einzige,  was  eher  auf  einen  schwarzelben  zii 
weisen  scheint,  der  buckel.  ist  bereits  einleuchtend  als  zutat  keltisch -höfischer  her- 
kunft  erklärt  worden.  Zweifellos  rühit  diese  gestalt  in  ihi-eu  hauptzügon  aus  ger- 
nuiuischer  Überlieferung  her.  Da  ist  es  nun  auffällig  genug,  und  es  hat  längst  einen 
meiuuugsaustausch  hervorgerufen,  dass  im  mittelhochdeutschen  Ortnit  der ,  zwerg 
Alberich  ganz  dieselbe  i'olle  spielt,  die  eines  beschützers  und  helfers  bei  einer  ge- 
fahrvollen biautfahrt.  Schon  G.  Paris  hatte  das  gesehen,  eine  abhängigkeit  des  einen 
gedichtes  von  dem  andern  aber  abgewiesen  und  vielmehr  selbständiges  schöpfen  aus 
derselben  Überlieferung  angenommen.  Anders  urteilte  später,  aber  ohne  von  seinem 
Vorgänger  zu  wissen,  F.  Lindner:  er  führte  den  Alberich  im  deutschen  gedieht  auf 
das  Vorbild  des  französischen  zurück,  und  diese  auffassung  ist  bei  den  germanisten 
herrschend  geworden,  vor  allem  wol  deswegen,  weil  sie  zu  Müllenhoffs  anschauuugen 
über  die  Ortnitsage  als  Hartungenmythus  stimmte.  Hier  setzt  Voi'etzschens  Unter- 
suchung ein,  gestützt  auf  die  bereits  gewonnene  feste  anschauung  von  Alberichs  und 
Auberons  wesenhaften  zügen  in  den  beiden  gedichten.  Den  springenden  punkt  sielit 
er  mit  recht  in  der  eigenartigen  Verbindung  der  beiden  motive,  des  elbischeu  schutz- 
geistes  und  der  brautfahrt,  während  jedes  motiv  füi-  sich  recht  wol  durch  zufall  in 
beide  gedichte  gelangt  sein  könnte.  Erschwert  wird  die  Untersuchung  noch  dadurch, 
dass  die  Urtnitsage  mit  der  "Wolf dietrichsage  verbunden  ist,  wenn  auch  in  mehr 
äusserlicher  weise,  duich  den  drachenkampf.  Voretzsch  unterscheidet  somit  in  der 
•  »rtnitsagc  drei  gesondert  auf  ihre  "herkunft  zu  priifende  bestandteilo :  Ortnits  braut- 
fahrt,  den  Hartuugeninythus  (nach  Müllenhoifs  auffassung),  der  den  rahmen  geliefert 
hätte,  und  die  fränkische  Dietrich.sage.  Bei  der  letzteren  sage,  als  einer  noch  er- 
kennbar geschichtlichen,  fängt  die  Untersuchung  am  besten  an. 

Seit  Müllenhoff  gelten  wol  allgemein  die  gleichungen:  Hugdietrich  ist  Chlodo- 
vechs  unehelicher  söhn  Theodorich,  Wolfdietrich  dessen  söhn  Theodebert.  Voretzsch 
kommt  in  gei.streichei'  beweisführung  zu  anderen  ergebnissen.  Nach  ihm  ist  vielmehr 
Wulfdietrichs  urbild  eben  jener  Theodorich,  dessen  uneheliche  geburt  in  der  tat  ein 
zeugendes  motiv  abgeben  konnte:  ihre  Wirkung  erkennt  Voretzsch  in  den  dämonischen, 

27* 


420  SCHLÄGER    ÜBER    VORETZSCH,    EPISCHE    STTTDIEN 

auf  gütUiclie  abkuiift  weisenden  zügen,  mit  denen  die  jiigend  des  vorehelich  gebornen 
Wolfdietrich  ausgestattet  ist.  Dabei  ist  in  einzelnen  zügen  ein  verwachsen  Theodorichs 
mit  seinem  söhne  Theodebert*  sehr  wahrscheinlich,  namentlich  die  Verlegung  des 
Schauplatzes  nach  osten  findet  so  eine  ungezwungene  erklärung.  —  "Wo  haben  wir 
aber  das  vorbild  Hugdietrichs  zu  suchen?  ■  Dieser  frage  gibt  Voretzsch  eine  zunächst 
verblüffende,  bei  näherem  zusehen  aber  innerlich  wolberechtigte  lösung:  in  dem  vater 
des  geschichtlichen  Dietrich,  in  Chlodovech  selber.  Und  zwar  sind  es  zwei  grund- 
motive.  welche  die  Verbindung  zwischen  geschichte  und  gedieht  herstellen :  seine  be- 
kehrung  und  seine  brautwerbung.  Man  sieht,  eine  alte  forderuug  der  franzö- 
sischen epenforschuüg  gewinnt  hier  greifbares  leben;  und  der  tatbestand  ist  wol  nur 
deshalb  so  lange  dunkel  gewesen,  weil  der  name  des  helden  geschwunden  ist,  ent- 
gegen anderen  nachklängen  merowingischer  sagen.  Aber  auch  hierfür  gibt  Voretzsch 
einen  hinweis,  der  offenbar  das  richtige  trifft.  Hugones  ist  ja  ein  alter  stammname 
der  Franken,  Hugo  heisst  in  den  Quedlinburger  annalen  der  sagenhafte  Stammvater, 
Huga  nennt  Widukind  als  vater  Theodorichs,  wogegen  die  jüngere  benennung 
Theodorichs  als  Hugo  Theodoricus  nicht  aufkommen  kann.  Den  namen  Hugdietrich 
erklärt  sich  Voretzsch  so,  dass  Huga  in  anlehnung  an  Wolfdietrich  und  zur  unmittel- 
baren bezeichnung  der  geschlechtsverwandtschaft  erweitert  worden  sei.  Das  ist  ohne 
■weiteres  als  möglich  zuzugeben,  wenn  ich  auch  den  eindruck  habe,  dass  noch  andere 
mythische  beziehungen  dabei  obwalten  mögen.  Zu  den  hauptgleichungen  stellt 
Voretzsch  noch  ein  paar  weniger  wichtige,  so  Hiltburg  =  Chrotchilde,  Walgunt  = 
Gundobad,  vielleicht  über  Gundovald:  hierüber  denke  man  wie  man  will,  in  jedem 
falle  scheint  mir  eine  fränkische  Hugosage  über  Chlodovechs  brautfahrt  und  über 
seine  bekehrung  über  jeden  zweifei  erhaben.  Und  damit  ist  für  das  Huongedicht 
ein  wichtiger  anhaltspunkt  gewonnen  -.  —  Diese  Untersuchung  möchte  ich  als  den  gipfel- 
punkt  des  ganzen  buches  bezeichnen,  wo  Scharfsinn  und  gelehrsamkeit  des  Verfassers 
sich  am  glänzendsten  betätigen.  Wie  ungemein  vielfältig  und  verwickelt  die  be- 
ziehungen sind,  die  es  dabei  auf  schritt  und  tritt  im  äuge  behalten  hiess,  zeigt  ein 
blick  auf  die  s.  319  eingefügte  entwicklungstafel. 

Wie  sah  nun  die  Hugosage  aus?  Die  Verbindung  mit  der  Wolfdietrichsage  ist 
nur  äusserlich  und  jung,  wie  sich  schon  aus  den  deutschen  dichtungen  abnehmen 
lässt.  Wie  ist  aber  das  Verhältnis  zur  Ortnitsage?  Diese  frage  ist  zum  teil  schon 
damit  beantwortet,  denn  Ortnitsage  und  Wolf  dietrichsage  sind  nach  Voretzsch  erst 
durch  das  mittelglied  der  dienstmannensage  aneinandergebracht.  Es  scheint  mir  aller- 
dings nicht  so  ausgemacht,  dass  die  ursprüngliche  Zusammengehörigkeit  in  dem 
Hartungenmythus  gänzlich  zu  verwerfen  sei,  aber  das  vermag  an  dem  Verhältnis  der 
beiden  brautfahrtsagen  natürlich  nichts  zu  ändern.  Den  kern  der  Ortnitsage  bildet 
nach  Voretzsch  die  brautwerbung,  und  zwar  erscheint  ihm  die  elbische  hilfe  als  etwas 
ursprüngliches  und  wesentliches,  wie  sie  denn  auch  in  anderen  fassungen  desselben 
urstoffes  (Oswald,  Seyfridslied  usw.)  zu  erkennen  ist  und  selbst  durch  den  bericht 
Hugos  von  Toul  hindurchschimmert.  Mit  dieser  annähme  fällt  die  von  anderen  be- 
haui)tetü  herübernahme  Alberichs  aus  dem  französischen  Huon  in  den  deutschen  Ortnit; 
und  für  die  Selbständigkeit  des  letzteren  vermag  Voretzsch  zwei  wichtige  beweise  ins 
feld  zu  führen:  einmal  die  deutlichere  bewahrung  der  brautfahrt,  dann  aber  die  vater- 

1)  So  (Wolfdietrich  <  Tlicodorich  -j-  Theodebert)  übrigens  schon  Jiriczek  in 
seiner  kleineu  Heldensage  (Sammlung  Göschen). 

2)  Sehr  interessant  ist,  dass  damit  auch  ein  willkommenes  licht  auf  den  kaiser 
Hugo  von  Koustantinopel  in  der  Kai'lsreise  fällt. 


EHRISMANN    VHVM    WOLF,    STII,    DKS    Müll.    VOLKSKPOS  421 

Schaft  Alberichs,  liio  seine  hilfe  aufs  beste  begiüudGt,  wiilirend  im  tVanzösisclien  ge- 
dieht in  dieser  hinsieht  eine  Kicke  klafft,  ja,  die  helferrollo  zur  sonstigen  art  Auberons 
durchaus  nicht  passt,  woraus  zu  entnehmen  ist,  dass  der  dichter  um  der  historischen 
anknüpfung  au  Sewin  willen  diesen  zug  unterdrückt  hat.  Dagegen  trägt  der  neben 
dem  eibischen  vorhandene  menschliche  helfer  im  französischen  Geriaume  oder  Aliaume 
echtere  züge  als  im  deutschen  Iljas,  der  von  der  niederdeutsch -russischen  sage  aus 
beeinflusst  ist,  und  auch  der  schluss  des  Huou  erweist  sich  als  ursprünglich  durch 
den  vorgleich  mit  den  sogenannten  Siogfriedincärchen,  die  zugleich  auch  licht  auf  die 
seltsame  forderung  Karls  nach  hart  und  zahnen  des  emirs  werfen. 

So  hat  uns  die  Untersuchung  zu  zwei  im  kerne  verwandten,  aber  von  einander 
unabhängigen  sagen  geführt:  der  Oruitsage  und  der  fränkischen  Hugosage.  Die  letztere 
ist  im  deutschen  Hugdietrich  den  geschichtlichen  grundlagcn  verhältnismässig  treu 
geblieben.  Anderseits  führte  die  wesensgleichheit  dazu,  sie  mit  der  Ortnitsage  zu  ver- 
schmelzen, und  so  kam  auf  neustrischem  gebiet  ein  vorauszusetzender  fränkischer 
Urhuon  zustande,  in  dem  der  lield  mit  der  hilfc  seines  eibischen  vaters  seine  braut- 
fahrt vollbrachte.  XI  it  diesem  gcdichte  widcrum  wurde  von  einem  spielmann  aus 
St.  Omer  der  andere  Urhuon,  die  erzählung  von  Huons  mordtat  im  palaste  zu  Paris 
imd  seinem  exil  in  der  Lombardei,  zusammengearbeitet,  offenbar  auf  grund  der  namens- 
gleichheit:  so  entstand  das  vorliegende  gedieht.  Die  beiden  urgcdichte  sind  noch  dem 
12.  Jahrhundert  zuzuweisen,  das  überlieferte  epos  gehört  dem  anfange  des  13.  Jahr- 
hunderts an. 

Es  ist  selbstverständlich,  daß  es  bei  dieser  fülle  der  tatsachen  und  beziohungen 
für  manches  einzelne  eine  andere  auffassuug  geben  kann.  Aber  der  festigkeit  des 
ganzen  baues  vermag  das  keinen  eintrag  zu  tun:  ein  brüchiger  stein  findet  sich  nicht 
darin.  Der  grösste  wert  der  Huouuntersuchungen  scheint  mir  jedoch  darin  zu  liegen, 
dass  sie  ims  so  zwingend,  wie  es  kaum  jemals  geschehen  ist,  eine  enge  Urverwandt- 
schaft zwischen  deutscher  und  französischer  epenwelt  erweisen.  Das  begründet  denn 
auch  die  geschlossenheit  des  ganzen  Luches,  der  zweite  teil  stützt  aufs  beste  die  im 
ersten  vorgetragene  gesamtanschauung.  Denn  nach  allem,  was  wir  sonst  wissen,  ist 
eine  litterarische  stoffwanderuug  aus  Deutschland  nach  Frankreich  in  so  früher  zeit 
au.sgeschlossen ;  eine  ursprüngliche  wesensglcichhoit  aber  deutet  mit  notwendigkeit  auf 
gleichen  Ursprung.  Und  so  ist  ein  starkes  boUwerk  für  die  französische  heldeusago 
als  Vorstufe  der  ependichtung  gewonnen ,  wie  gegen  die  positivistische  und  cuhcme- 
ristische  betrachtuug  der  epen  selbst. 

OBERSTELN  A.  D.  NAHE.  G.  SCHLAGER. 


Leo  Wolf,  Der  groteske  und  hyperbolische  stil  des  mittelhochdeutschen 
volkscpos.  Palaestra,  Unter.suchungen  und  texte  aus  der  deutschen  und  eng- 
lischen Philologie,  herau.sgegeben  von  A.  Brandl,  G.  Roethc  und  E.  Schmidt. 
Berlin,  Mayer  u.  Müller  1903.     161  s.     4,50  m. 

Der  Verfasser  hat  die  grenzen  seiner  Untersuchung  weit  gesteckt,  indem  er  sie 
auf  die  gesamte  mittelhochdeutsche  volksepik  —  vom  Nibelungenlied  an  —  ausdehnte. 
Bei  der  fähigkeit,  ein  grosses  gebiet  zu  überschauen,  hat  er  denn  auch  weitgreifende 
ergebnisse  erzielt,  indem  er  allgcmoino  grundzüge  in  der  an  Wendung  der  hyperbel 
festsetzen  konnte.  Es  lassen  sich  bei  den  mittelhochdeutschen  volkstümlichen  epen 
in  dieser  hinsieht  drei  stilgruinien  unterscheiden  (s.  157):  1.  höfisch  stark  beeinüusste 
epen  (Nib. ,  Gudr. ,  Alph.,  Bit.,  Klage);  2.  epen  in  verhältnismässig   ochteju  volkston 


422  EHUISMANX 

(Dietr.  FL,   Rab.  schl.,   Ecke,    Sig.,   Virg.);    3.    siiielmäuuisch    gefärbte    epen    (Laur., 
Roseng.,  Ortnit  und  die  Wolfdietriche). 

In  der  einzelausführung  miisstc  sich  der  Verfasser,  der  anläge  der  abhandlung 
entsprechend,  auf  eine  auswahl  von  boispielen  beschränken,  die  aber  doch  für  die 
ineisten  abteilungen  reichlich  ausgefallen  ist.  Bei  der  gruppierung  ist  er  von  kate- 
gorien  des  Inhalts  ausgegangen  —  1.  der  held;  2.  der  kämpf;  3.  elementar-  und 
fabelweseu;  4.  die  frau  und  die  liebe;  5.  reste  —  nicht  von  solchen  der,  spräche, 
d.  i.  der  Stilistik  (wie  z.  b.  Baumgarten ,  Stilist.  Untersuchungen  zum  deutschen  Rolands- 
lied s.  47fgg.),  oder  von  psychologischen  grundformen  (wie  Roetteken.  Die  epische 
kunst  Heinrichs  v.  Veldeke  und  Hartmans  v.  Aue  s.  123  fgg.:  bestimmte  hyperbolische 
ausdrücke  —  unbestimmte  hyperbel). 

In  der  eiuleitung  (s.  6  fgg.)  und  am  Schlüsse  (s.  156  fg.)  spricht  sich  der  Ver- 
fasser über  die  entwicklung  der  hyperbolischen  redeweise  aus.  Mit  recht  betont  er, 
dass  die  stark  auftragende  manier  der  späteren  mhd.  volkstümlichen  epen  (seit  ca.  1250) 
eine  fortsetzung  des  älteren  spielmannsstils  ist  und  nicht  ein  rückfall  aus  der  mass- 
vollen kunst  des  Nibelungenliedes.  Die  volksmässigen  unterströmungen  gingen  vom 
zwölften  Jahrhundert  ununterbrochen  ins  vierzehnte  hinüber,  nur  wurden  sie  im  drei- 
zehnten von  der  aristokratischen  Standespoesie  aus  der  guten  gesellschaft  verdrängt. 
AVie  sehr  die  höfische  kunst  doch  nur  äusserlich  aufgetragen  war,  erkennt  man  daran, 
dass  von  den  hier  hochgepriesenen  tugenden  nur  so  weniges  in  das  sittliche  bewusst- 
sein  des  volkes  wirklich  veredelnd  eingedrungen  ist. 

Wenn  aber  der  Verfasser  in  den  hyperbeln  des  mhd.  volkstümlichen  Stils  'roste 
alter  deutscher  art  und  kunst,  stark  gewandelt  im  verlaufe  steigender  entwicklung' 
sieht  ('auch  hie  und  da  von  dem  einfluss  der  französischen  chansons  de  geste  leise 
berührt'  s.  157),  so  müsste  zur  genaueren  bestimmung  dieses  allgemeinen  Satzes  die 
exacte  einzelforschung  einsetzen,  es  müsste  der  einzelne  hyperbolische  ausdruck  — 
ich  denke  hier  besonders  an  die  kampfschilderungen  —  historisch  untersucht  werden. 
An  das  altgermanische  epos  darf  die  hyperbel  des  mittelhochdeutschen  nicht  unmittel- 
bar angeknüpft  werden.  Der  alte  epische  stil  ist  durch  den  spielmann  umgebildet 
worden,  die  hyperbel  ist  durch,  ihn  noch  gesteigert  worden  (vgl.  verf.  s.  7),  und  ob 
diese  groteske  manier  so  weithin  unbeeinüusst  deutsche  eigenart  ist,  das  ist  sehr 
fraglich  —  das  burleske  in  der  spielmannskunst  ist  jedesfalls  fremden  Ursprungs. 
Hier  stehen  wir  vor  der  schwierigen  frage  nach  der  herkunft  des  spielmannsstils. 
Woher  stammt  überhaupt  der  deutsche  spielmann?  Ist  er  ein  unmittelbarer  nach- 
folger  des  italienischen  niimus  (vgl.  Reich,  Der  mimus,  bes.  s.  811)  oder  ist  er  erst 
ein  ableger  des  französischen  Jongleur?  Und  wie  verhält  er  sich  zum  germa- 
nischen scop? 

Dem  germanischeu  stil  gehörte  die  eigentlich  groteske  Übertreibung  jedesfalls 
nicht  an.  Diese  meint  der  Verfasser  wol  auch,  wenn  er  sagt,  Beowulf  und  Hilde- 
brandslied zeigten  kaum  ausätze  dazu  (s.  5),  und  nicht  die  hyperbel  im  allgemeinen, 
denn  der  stil  des  Beowulfs  ist  seinem  wesen  nach  hyperbolisch,  hier  ist,  wie  Hcinzel 
(Über  den  stil  der  altgermau.  poesie  s.  32)  sagt,  alles  ausserordentlich,  alles  ungeheuer 
gross  oder  verschwindend  klein  usw.  (Zur  Unterscheidung  von  hyperbolisch  und 
grotesk  vergleiche  die  besprechung  vorliegender  abhandlung  durch  Martin,  Deutsche 
lit.-ztg.  1.904,  538). 

Solche  eingehendere,  historische  beobachtungen  über  die  gesteigerte  aus- 
drucksweise, die  auf  den  germanischen  epischen  stil  und  den  der  altfranzösischen 
chansons  de  geste  zurückgehen  müssten,  würden  zeigen,   dass  in  den  hyperbeln  der 


ÜBER    KLAPPEK.    ST.  UAM.KK    Sl'lKI.    VON    DKK    KINDIIKIT    JESl'  423 

mittelhochdeutscheu  epen  maticlie  fremde  elemcntc  mit  untorlaufen.  So  entstammt 
z.  b.  die  rohe  Vorstellung  von  dem  ausspritzen  des  hirns  aus  dem  schädol  in  den 
kampfschilderungen  nicht  der  anschauung  des  germanischen  voiksopos,  dagegen  ist  sie 
geläufig  in  den  afrz.  chansons  de  geste  und  begegnet  mehrfach  in  Virgils  Aeneis,  darnach 
auch  einmal  im  AValtharius,  v.  1018  (verf.  s.  80).  Diese  formel  also  wird,  wemi 
sie  in  den  späteren  mhd.  dichtungen  (Dietr.  FL,  Rabenschi.,  Laur.  Drcsd.  hs., 
verf.  a.  a.  o.)  auftritt,  eine  neue  erworbung  aus  der  fremde  sein.  Aber  auch  die  la- 
teinische geistliche  litteralur  hat  bei  der  ausmalung  der  kihnpfo  beigesteuert.  So  hat 
schon  das  Aunoliod  theologische  motive:  derdc  dinmiini  diiiniti,  diu  helli  ingegijie 
glinniiti  v.  453 fg.  Auch  die  Vorliebe  des  pfaffen  Konrad  für  vergleiche  in  seinen 
schlachtscouen  (verf.  s.  8fg. ,  Golthor,  Das  Rolaudslied  des  pf.  Konrad  s.  133 fg.)  mag 
durch  die  geistliche  beredsamkeit  veranlasst  sein.  —  Durch  beiziehung  der  Thidreks- 
saga  hat  der  Verfasser  das  material  wertvoll  bereichert,  aber  die  boispiele  können 
nicht  alle  ohne  weiteres  als  zeugen  für  den  ursprünglichen  niederdeutschen  toxt  gelten, 
da  die  betreffenden  Schilderungen  zum  costüm  gehören.  Dieses  aber  ist  in  der 
Thidrekssaga  vielfach  nordisch  stilisiert. 

HEIDELBEBG.  GUSTAV    EHRISMANN. 


Joseph  Klapper,  Das  St.  Gallcr  spiel  von  der  kindheit  Jesu.  Germanistische 
abhandlungen,  begründet  von  Karl  Weinhold,  herausgegeben  von  Friedrich  Vogt. 
21.heft.     Breslau,  M.  imd  H.  Marcus  1904.    VIII,  129  s.     1,40  m. 

Das  St.  Gallcr  weihnachtsspiel ,  zuerst  abgedruckt  bei  Mone,  Schauspiele  des 
mittelalters  1,  132 — 181,  hat  wol,  als  ältestes  spiel  dieser  gruppe,  eine  eigene  be- 
haiidluug  verdient.  Die  ihm  hier  zu  teil  gewordene,  in  der  hauptsaohe  gelungen,  ist 
doch  nicht  nach  allen  richtungen  befriedigend.  AVie  in  den  meisten  erstlingsarbeiten 
über  mittelhochdeutsche  texte  kommt  auch  hier  die  grammatik  zix  kurz.  Schon  die 
grosse  zahl  falscher  citate  und  die  häufig  ungenaue  widergabe  der  belegenden  beispiele 
wirkt  ungünstig,  abgesehen  von  manchen  elementaren  fehlem,  wie  dass  in  heroxelieher 
(s.  6)  das  c  eingeschaltet  sei,  dass  in  gebern  zu  wem  'währen,  dauern'  und  in  ge- 
sellen zu  Hellen  (s.  7)  ungenauer  reim  e  zu  e  vorliege,  dass  gilig  unverschobenes  / 
habe  (s.  16)  u.  a.  Und  doch  ist  der  Verfasser  tiefer  gegangen  als  sonst  üblich ,  indem 
er  bei  der  lautstatistik  der  handschrift  auch  scheinbar  geringfügige  punkte,  wie  die 
gestalt  der  umlauts-  und  anderer  vocalzeichen ,  berücksichtigt.  Aber  die  beispiele 
sind  nicht  reichhaltig  genug  und  auf  grund  der  überlieferten  Orthographie  hätten 
schärfere  beobachtungen  angestellt  werden  können. 

So  verzeichnet  der  Verfasser  die  Schreibungen  der  hs.  für  den  /-umlaut  des«, 
die  sind  e  und  ä.  Nun  sieht  man  aber,  dass  eine  Scheidung  besteht  zwischen  ge- 
schlossener und  offener  ausspräche  —  die  allerdings,  wie  zu  erwarten,  nicht  regel- 
recht durchgeführt  ist  — ,  also  zwischen  älterem  und  jüngerem  umlaut:  ä  tritt  ein 
in  der  declinatiou  von  inagt,  gen.  sg.  und  plur.  mägt  311.  338.  392.  820  (daneben  ohne 
umlaut  mogle  dat.  sg.  G82,  gen.  plur.  355,  und  im  reim  auf  gen-lssugcl  dat.  sg. 
iiiagl  876);  in  ursprünglich  drittletzter  silbe,  wie  in  mägt,  auch  in  mächein  315;  bei 
/-haltigen  sufSxen:  mägiliches  482,  unxällich  11,  mänig,  män(i)gen  570.  600.603. 
606.  703.  899  (aber  menger  897,  menigfalt  110),  lämli  155,  erbärmi  (-?)  762,  an- 
gängc  (-^)  261;  einmal  im  nom.  pl.  Iiänd  86  {hend  850,  /lendefi  753),  sänfter 
(dat.  sg.)  736.  Dagegen  steht  vor  den  den  altern  umlaut  hindernden  consonanten  nicht 
ä,  sondoru  c;  merken  200.  917.  988,  dax,  gcferle  599,  xcrxcrreml  1070.  —  Für  c  setzt 


424  EllKISMANN 

dor  Schreiber  ä  nur  zweimal,  im  aclverb  här  gegen  sonstiges  her  —  das  aber  dem  ori- 
ginal entsprechend  har  geschrieben  sein  müsste  —  und  zwar  in  den  reimen  auf  gar  529, 
Caspar  591  ,  d.h.  also  des  Schriftbildes  wegen.  Man  kann  also  daraus  schliessen,  dass 
der  Schreiber  seine  schriftzeichen  wol  erwogen  hat. 

Auch  für  den  umlaut  des  laugen  ä  Wird  doppelte  bezeiclmung  gebraucht,  indem 
neben  gewöhnlichem  ce  auch  e  auftritt,  dieses  aber  nur  vor  nasalen:  sy  nenic  279, 
er  kern  994,  ich  tven  839,  ivmst  du  1042.  Hält  man  dazu  das  häufige  niemen  für 
nemen,  so  wird  man  annehmen  dürfen,  dass  der  Schreiber  das  ursprünglich  offene  (c 
und  e  vor  nasal  geschlossen  sprach.  Da  aber  die  heutigen  Schweizer  mundarten 
grösstenteils  umgekehrt  vor  nasal  offene  ausspräche  haben,  so  kann  dieses  geschl.  e 
vor  nasal  für  die  heimatsbestimmung  des  Schreibers  in  betracht  gezogen  worden  (nach 
Hausier,  Germ.  34,  123  haben  Toggenburg  und  Appenzell  hier  nicht  offenes  e,  sondern 
eine  mittlere  nuance.) 

Dia  2.  3.  pers.  plur.  habmd  20.  659.  729  und  2.  pers.  plui-.  sagind  658  (s.  7) 
sind  indicative  und  nicht  conjunctive,  und  darin  ist  die  echt  schweizerische  y^-con- 
jugation  der  verba  haben  und  sagen  überliefert,  vgl.  Notkers  habint. 

Die  fürs  erste  auffälligen  reime  Ist:  du  gist  887,  pflU :  sit(e)  544,  auffällig, 
weil  von  einigermassen  achtsamen  dichtem  die  bindung  von  langem  i  zu  kurzem  t 
gemieden  wird,  ergeben  sich  als  correct,  da  im  schweizerischen  dii  gtst,  er  gtt  (dem- 
nach auch  er  pflU)  kurzen  vocal  haben. 

u  mit  dem  index  e  (o)  für  nicht  umgelautetes  u  steht  meist  vor  m  und  n: 
stünde  158,  stünt  246  hora,  sünder  (=  sunder)  1059,  niien  =^  nu  551.  630.  644. 
720.  763.  1081,  sün  acc.  sg. ,  kütmners  32Q.,  auch  bei  langem  ü:  Mm  =  küm(e)  A03; 
das  zeichen  dient  also  zur  erleichterung  des  lesens,  um  die  ähnlich  aussehenden  tc 
und  in  bezw.  n  voneinander  abzuheben. 

In  glitte  für  götte  heidengöttiar  kann  noch  der  alte  lautgesetzliche  plural  guti 
erhalten  sein,  vgl.  ahd.  dat.  pl.  cutuni  Pa.  (Ahd.  gl.  102,  2)  und  in  ahd.  abeuti. 

Ein  unterschied  ist  gemacht  zwischen  dem  diphthong  iu  und  seinem  umlaut, 
indem  jener  iu  iü  oder  ui  zH,  dieser  ü  {ü)  geschrieben  wird:  hiut  924,  hiät  1023, 
stiuftochter  2Qil ^  tiufel,  tiüfel  56.  74.  78  {tiefeis  1055),  artikel  dm,  ferner  tüifels 
1041,  fluich  980,  fuir  1058;  aber  voc.  pl.  lüt  199,  dat.  pl.  Uäen  331.  439,  tühs 
(tiutisch)  343,  nüexig  {=  niunxic)  235,  üch  ^=  zk&.  iuicieh.^  für  dat.  und  acc,  439. 
554.  556.  560.  562.  573.  586.  594.  598.  667.  700.  745.  821.  907.  941.  963  {iuch  494, 
ewch  540),  darnach  auch  Her  444.  623.  718.  725.  728.  815,  aber  etymologisch  rich- 
tiger, ohne  Umlautszeichen,  iuer  662,  iuren  843,  iuran  547;  endlich  genüert  =  ge- 
niuivert  931.  —  Der  umlaut  von  ü  ist  ü,  ü,  z.  b.  Mmsch  203,  känschait  334, 
künschi  325,  künschait  209.  283.  311,  sünfcxen  760. 

Auf  die  bestimm ung  der  herkunft  des  Originaldichters  und  des  Schreibers  hat 
der  Verfasser  durch  beiziehung  einschlägiger  urkundenbücher  Sorgfalt  verwendet.  Beide 
gehören  der  Schweiz  an,  der  Schreiber  (um  1400)  war  wol  in  St.  Gallen  zu  hause, 
das  original  aber  entstand  in  einer  mehr  westlichen  gegend,  vielleicht  in  Muri  (ende 
des  13.  Jahrhunderts).  Nach  den  oben  beigebrachten  Unterscheidungen  von  c  und  ä, 
von  c  gegen  ce  vor  nasal,  von  w,  ui  gegen  ü  müsste  allerdings  die  mundart  des 
Schreibers  noch  einmal  einer  genaueren  prüfung  unterzogen  werden. 

Mit  dem  litterarhistorischeu  teil  (s.  38)  hat  der  Verfasser  festeren  boden  ge- 
wonnen. Die  Untersuchung  ist  hier  knapp  aber  sicher  geführt.  Die  grundlagen  des 
Spiels  werden  entwickelt:  es  sind  hauptsächlich  entsprechende  stellen  dor  bibel  und 
des  breviers  bezw.  antiphonars,    vielleicht  auch  der  Historia  evangelica  des  Petras 


ÜBER   KLAPPER,    ST.  GALLER    SPIEL   V0\    DER    KINDHEIT   JESU  425 

Comestor;  vieles  stammt  natürlich  aus  der  Überlieferung,  dem  allgemeinen  theolo- 
gischen wissen  der  zeit.  Bei  der  ausgestaltuug  des  textes  schwebte  dem  dichter 
stellenweise  das  osterspiel  von  Muri  vor.  Dagegen  liat  er  den  Benodictbeurer  Tjudus 
de  nativitate  Domiui  nicht  gekannt,  vielmehr  hat  er  ein  uns  verlorenes  lateinisciies 
weihnachtsspiel  nachgeahmt,  das  auch  dem  Verfasser  des  Ludus  vorgelegen  hatte. 
Auch  die  Verwandtschaft  unseres  weihnachtsspiels  mit  der  erlösuug  beruht  darauf, 
dass  bei  beiden  ein  älteres  lateinisches  (propheten)spicl  benutzt  wurde. 

Der  text,  welchen  die  St.  Galler  handschrift  bietet,  ist  sehr  fehlerhaft,  wie 
schon  aus  dem  abdruck  bei  Mono  zu  ersehen  ist.  Trotzdem  hat  sich  der  Verfasser 
mit  recht,  soweit  möglich,  an  die  Überlieferung  gehalten  und  nur  olfcnbare  irrtiimcr 
beseitigt,  meistens  durch  nur  leichte  eingriffe.  Bei  einigen  stellen  Hessen  sich  auch 
andere  coujecturen  vorschlagen: 

V.  47       Ich  ricJäer  künig  David: 
richtcr  ist  in  der  hs.  doch  wol  verschrieben  aus  rtchrr. 

V.  48       Swie  in  gewaltc  breit  und  ivit 
Ich  st  hie  üf  ertriche^ 
in  der  hs.  fehlt  ich^  für  gewalte  steht  gewalt^  demuacli  lautete  der  satz  ursprünglich 
vielleicht  eher:  Swie  min  gcwalt  breit  vnd  wit    Si  Iiie  üf  crlriche. 
V.  54      Mirst  und  den  andren  allen 
Der  lidegunge  michel  xit, 
die  hs.  hat  viir  und  die  andran  alle  und   statt  Der  lidegunge:  hcrlidcgioig;  dafür 
lies:  Mir  und  den  andren  allen  tv(cr  lidegunge  michel  xit. 

V.  95      Und  sin  marter  sende  not 
1.  siner  marter. 

V.  135     Den  menschen  gvp  die  wisheit, 
die  hs.  hat  ich  für  (/<!}j,  darum  liegt  näher  zu  lesen  lieh;  über  lihen  mid  geben  vgl. 
Kraus,  Die  gedichto  des  12.  jahrh.,  anm.  zu  X,  75,  s.  215. 

V.  138     Nach  der  setzet  sich  mlns  herx,en  gir, 
fiir  setxet  1.  sent,   nach  der  phrase  des  späthöüschen  stils  sendiu  gir. 
V.  178     für  den  %,il,  hs.  der  xil,  1.  dax  zil. 
V.  193     Dax  ich  nimmer  si  verklage 
Und  iemer  alle  mine  tage 
Wein  hinz  an  min  ende 
Und  winde  mine  hende, 
das  handschriftliche  Sol  wainen  und  winden  kann  beibehalten  werden. 
V.  200     Merkent  eben  tmd  rerstänt 

Ob  ie  tot  wart  so  angestlich, 
das  grammatisch  richtige  nnirde  der  hs.  (hozw.  würde)  ist  zu  belas.sen;  ebenso  ist  die 
Wortstellung  der  hs.    Wir  wissen  aber  nit  702   nicht  in   Aber  wir  ivizxen  niht   zu 
verkehren. 

V.  2G7      Wie  min  stiuftohtcr  Maria, 
Diu  vil  sehoiniu  selbe  da, 
Erzogen  In  dem  tempel  tvart., 
hs.  dir  ril  schon  nun  selbe  da,  urs[irünglich  wol  Diu  vil  sclurne  und  edelc  dd. 

V.  718     Durch  gol,  irent  hin!  dar  si  uns  gdch^ 
hs.  no>ul  für  ivenf,  1.  icol  hin. 

V.  751     Xü  volg  in  gotes  nanicn  hin, 
1.  volgrn.  adlioitativus. 


426  EHRISMANN  ÜBER  JANTZEN ,  LITTERATURDENKMÄLER  DES  14.  U.  15.  JHS. 

V.   1042     Wrrnst  du  dax,  leben  ta>ten? 

Die  erde  ivilt  du  rceten 

Mit  des  hluot,  der  si  geschuof? 

Wc,  din  tobesühtig  ruof 

Wirt  auch  vil  scliier  ga^iveigct, 
hs.  1044  geschiifl'c^  104r)    We  din  tob  sich  wicchcn:   diese  fassung  weist  eher  auf 
urspiüngl.  Mit  des  blnoi,  der  si  geschiiefe  (conjuiictiv,   da   dor  ganze  gedanke  als 
ein  unhaltbarer  waliii  dargestellt  ist,  ivilt  du  v.  1043  -=  meinst  du  [röten  zu  können])':' 
We,  din  tobe  lieh  gciciicfc  usw. 

HEIDELBERG.  GUSTAV   EHRISJIANN. 


Litteraturdenkniäler  des  14.  und  15.  Jahrhunderts,  ausgewählt  und  erläutert 
von  dr.  Hermann  Jantzen.  Leipzig,  G.  J.  Göschensche  Verlagshandlung  190.'). 
151  s.  0,80  ni.  Sammlung  Göschen. 
Die  litteratur  des  14.  und  15.  Jahrhunderts  hat  iium  von  jeher,  als  eine  pcriode 
des  'Übergangs'  oder  des  'Verfalls',  möglichst  kurz  abgetan.  Und  doch  ist  niemals 
in  der  entwicklung  des  deutschen  volkes  die  litteratur  in  gleicher  u'eise  der  ausdruck 
des  geistigen  und  socialen  lebens  gewesen  wie  eben  in  jenem  Zeitraum.  Die  Ver- 
schiebungen der  stände  spiegeln  sich  hier  getreu  ab  in  dem  verstiegenen  und  un- 
wahren Idealismus  der  höfischen  epigonendichtung  wie  in  dem  scharfsichtigen  und 
pöbelhaften  realismus  der  bürger-  und  bauernsch wanke.  Alle  stände  sind  jetzt  littcratur- 
fähig,  eine  fülle  neuer  typen  aus  dem  volksieben  wird  geschaffen,  und  die  prosa  er- 
langt in  der  deutschen  mystik  eine  ausdrucksfähigkeit,  die,  auf  dem  gebiete  der  er- 
bauungs-  und  belehrungslitteratur,  nie  mehr  übertroffen  wurde.  Freilich,  die  hohen, 
ritterlichen  ideale  der  Stauferzeit  kennt  dieses  geschlecht  nicht  mehr,  aber,  wo  so 
viel  neue  kräfte  sich  regen,  kann  man  nicht  ohne  weiteres  von  'verfall'  reden.  Um 
diese  verschiedenen,  zum  teil  sich  entgegenlaufenden  Strömungen  auch  nur  einiger- 
massen  zur  geltung  kommen  zu  lassen,  dazu  reicht  der  beschränkte  räum  eines 
bändchens  der  Göschenschen  Sammlung  nicht  aus.  Doch  hat  der  Verfasser  sein  mög- 
lichstes getan,  um  auch  in  dieser  Zwangslage  eine  gute  Übersicht  zu  liefern.  Be- 
sonders auf  die  eiuleitung  sei  hingewiesen,  in  welcher  die  socialen  bedingungen  und 
die  sich  entgegentreibenden  richtungen  als  ausgangs2)unkte  für  die  darstellung  ge- 
nommen werden. 

Nun  kommt  aber  noch  ein  anderes  hinderuis  dazu:  wer  sich  mit  der  litte- 
rarischen production  dieses  zeiti-aunis  eingehender  beschäftigt,  muss  durch  schmutz 
waten.  Die  stärksten  stücke  geben  gerade  den  charakter  der  zeit  am  besten  widej-, 
ja  sie  sind  auch  in  der  tat  oft  meisterhaft  entworfen.  Aber  solche  anstössigen  dinge 
mussten  aus  dieser  Sammlung  ausgeschlossen  werden,  die  folge  war,  dass  z.  b.  die 
fastnachtspiele  im  stile  Rosenplüts  gar  nicht  vertreten  sind.  Man  denke  aber  an  die 
litteratur  des  15.  Jahrhunderts  ohne  Eosenplüt  und  seine  fastnachtspiele ! 

HEIDELBERG.  GUSTAV    EHRISMANN. 


EHRISMAXN    ÜnKR    HEHEL,    ALLEM.    GEIIICÜTK    EI).    HEILIG  427 

Alleniannische  godichte  von  Johann  Potor  Hebel  auf  gruudlage  d(!r  licimats- 
mundart  des  dichters  für  schule  und  haus  herau.sgegebeu  von  Otto  Heilig. 
Heidelberg  1902,  Carl  Winters  Verlagsbuchhandlung.  XV,  137  s.  geb.  l,2ü  m. 
Das  eigenartige  dieser  neuen  ausgäbe  von  Hebels  gediehten  —  übrigens  nur 
einer  auswahl  —  besteht  darin,  dass  die  einzelnen  stücke  einerseits  in  Hebels  Schreib- 
weise, andrerseits  in  genauerer  phonetischer  Umschreibung  widergegeben  sind.  Die 
berechtigung  einer  'phonetischen  ausgäbe'  dürfte  schon  durch  das  interesse,  das  die 
kritik  ihr  zugewendet  hat,  dargetau  sein:  hier  sei  vor  allem  verwiesen  auf  die  be- 
sprechungen  von  Behaghel  im  Lit. -blatt  1901,  sp.  8fg.  und  in  der  Zcitschr.  d.  allgem. 
d.  Sprachvereins  1902,  215,  von  Traugott  Schmidt  im  Lit.-blatt  1904,  sp.  9 — 12  und 
von  Hoffmann -Krayer  im  Schweiz,  archiv  für  Volkskunde  6,  215  —  218.  Diese  treff- 
lichen kenner  der  alemannischen  muudart  haben  bei  aller  Zustimmung  im  grossen  und 
ganzen  doch  auf  verschiedene  mängel  in  der  Umschreibung  hingewiesen,  Behaghel 
ausserdem  hat  darauf  aufmerksam  gemacht,  dass  selbst  die  genaueste  lautschrift  doch 
nie  im  stände  sein  wird,  das  zu  erreichen,  was  Heilig  beabsichtigt,  nämlich:  den 
leser  in  den  stand  zu  setzen,  die  gedichte  so  zu  lesen,  wie  sie  nach  dem  heimats- 
dialekt  des  dichters  in  Wirklichkeit  zu  lesen  sind  (s.  VII).  Meinungsverschiedenheit 
aber  herrscht  auch  jetzt  noch  über  eine  grundfrage,  nämlich  ob  Hebel  die  unver- 
fälschte jnundart  eines  bestimmten  ortes  (Hausen)  geschrieben  oder  ob  er  sich  durch 
andere  alemannische  nachbarmundarten  sowie  durch  die  Schriftsprache  in  stärkerem 
masse  habe  beeinflussen  lassen. 

Jedesfalls  gebührt  Heilig  das  verdienst,  zum  ersten  mal  die  phönotik  in  wissen- 
schaftlicher weise  auf  die  deutsche  dialektdiuhtung  angewendet  zu  haben.  Er  stellt 
auch  noch  andere  einschlägige  arbeiten  in  aussieht,  vor  allem  eine  lautlehre  der  inund- 
art  Hebels.  Sehr  erwünscht  wäre  auch  eine  darstellung  der  melodik  und  rhythmik 
von  Hebels  gediehten  und  des  ihnen  zukomnieudou  eigentümlich  ruhig -ernsten,  fast 
andachtsvollen  Vortrags. 

ItElDELBERÜ.  GUSTAV    EHKIS.MANN. 


Oskar  Vogt,    Der    goldene    spiegel    und    Wielands    politische    ansichten. 

(Forschungen  zur  neueren  litteraturgeschichte  hrg.  v.  Muncker,  XXVI.]     Berlin, 

A.  Duncker  1904.     X,  101  s.     3  m. 

Vogt  stellte  sich  die  aufgäbe,  Wielands  politische  ansichten,  soweit  sie  sich 
aus  seinem  „Goldenen  spiegel"  entnehmen  lassen,  darzustellen,  nicht  ohne  sie  aus 
andern  Schriften,  einschliesslich  der  aufsätze  über  die  französische  revolution,  zu  er- 
gänzen. Dabei  verzichtete  er  aber  doch  darauf,  die  entwicklung  von  des  dichters 
politischem  denken,  wie  sie  mehrere  eroignissc  und  umstände,  vor  und  nach  dem 
^Goldenen  spiegel",  und  zwar  vor  allem  eben  die  französische  revolution,  mit  sich 
brachten,  erschöpfend  zu  schildern,  und  damit  wol  auf  den  interessantesten  teil  der 
aufgäbe.     Aber  auch  so  i.st  seine  behandlung  des  Stoffes  dankenswert  genug. 

Wieland  ist,  wie  der  vf.  mit  recht  hervorhebt  (s.  36),  auf  unserm  gebiete  nie 
eigentlich  originell.  So  galt  es,  allenthalben  auf  die  quellen  seiner  auffassungen, 
auf  die  beziehungen  zu  andein  denkern,  hinzuweisen.  Vogt  musste  sich  also  die  ein- 
sieht in  alle  wesentlichen  erschein ungen  der  damaligen  politischen  litteratur  ver- 
schaffen, wobei  in  erster  linic  Frankreich  zu  berücksichtigen  war.  Er  hat  sich  denn 
auch    mannhaft  an  diese,    nicht  unbedeutende  aufgäbe  gemacht.     Dass  er  sie  ganz 


428  WAHL    ÜBER    VOGT,    DER    «OLDENE    SPIEGEL 

gelöst  hätte,  wird  man  indessen  nicht  sagen  können.  So  wird  Wieland  manchmal  zu 
andern  in  einen  gegensatz  gestellt,  der  nicht  vorhanden  ist,  oder  die  art  des  gegen- 
satzes  wird  verkannt;  in  andern  fällen  werden  seine  quellen  nicht  ausreichend  er- 
mittelt, schliesslich  auch  gelegentlich  eine  abhängigkeit  angenommen,  wo  keine  zu 
finden  ist.  Es  ist  z.  b.  nicht  richtig  (s.  39),  dass  Rousseau  angenommen  habe,  die 
Staaten  seien  historisch  durch  einen  contract  entstanden.  Die  frage  nach  der  histori- 
schen entstehung  ist  ihm  vielmehr  bezeichnender  weise  irrelevant:  er  nimmt  nur  au, 
dass  jedem  Staate  ein  contract,  gleichgiltig,  ob  ein  ausdrücklicher  oder  ein 
stillschweigender,  zu  gründe  liege.  Ein  gröberer  Irrtum  ist  der,  dass  Vogt  (s.  61) 
annimmt,  bei  Rousseau  linde  sich  der  „herrschaftsvertrag'',  bei  dem  nur  das  volk  der 
„wichtigere"  factor  gewesen  sei;  R.  kennt  vielmehr  nur  den  eigentlichen  ^gesellschafts- 
vertrag",  und  die  herrschaft  beruht  nach  ihm  eben  nicht  auf  einem  vertrag,  sondern 
nur  auf  einem  auftrag,  einer  commission.  Wenn  ferner  bei  den  gedankcngängeu  Wie- 
lands (s.  78),  wonach  der  adel  als  mächtige  stütze  des  autoritätsgedankens  beizube- 
halten ist,  an  Montesquieu  erinnert  wird,  so  beruht  das  auf  einem  freilich  alten  und 
verbreiteten  miss Verständnis:  der  berühmte  satz  Montesquieus ,  „kein  adel,  keine 
monarchie",  erhält  seine  eigentliche  bedeutung  durch  die  darauf  folgenden  worte,  „son- 
dern eine  dcsirotie";  der  adel  ist  ihm  die  notwendige  stütze  gegen  die  monarchie. 
Bei  seiner  interessanten  darstelluug  der  ansichteu  Wielands  über  die  verfassungsfrage 
(s.  42  fgg.)  entgeht  es  Vogt,  dass  jener  lediglich  ganz  geläufige,  vor  allem  französische 
politische  gedankon  widergibt:  dass  die  lehre  von  den  grundgesetzen  sich  ausser  im 
mittelalter  u.  v.  a.  bei  Bodin,  dann  bei  Ludwig  XIV  und  Bossuet  findet;  dass  der 
gedanke.  dass  besondere  factoren  (bei  Wieland  die  proviucialstände)  da  sein  müssen, 
welche  für  die  aufrechterhaltung  der  grundgesetze  soi'gen,  u.  a.  bei  Montesquieu 
steht;  dass  der  satz,  der  fürst  solle  die  macht  haben,  „alles  gute  zu  tun,  was  er 
will,  ohne  auch  die  traurige  freiheit,  böses  zu  tun,  zubehalten",  den  er  auf  den  Anti- 
raachiavell  zurückführt,  sich  in  Wirklichkeit  u.  a.  schon  bei  Fenelon  und  Voltaire 
(Lettres  sur  les  Anglais  1734)  findet,  auch  bei  beiden  keineswegs  einen  hauptsatz 
irgend  eines  despotismus,  wenn  auch  eines  aufgeklärten,  darstellen  soll,  sondern  einer 
beschränkung  des  monarchen  das  wort  redet.  Die  idee  der  proviucialstände  bat  Wie- 
land, wie  mir  nicht  zweifelhaft  ist,  aus  dem  Ami  des  hommes. 

Alle  diese  ausstellungen  können  an  dem  oben  ausgesprochenen  urteil  nichts 
ändern,  dass  unsere  darstellung  sehr  dankenswert  ist.  Auf  den  Inhalt  von  Wielands 
politischen  ansichteu  einzugehen,  fehlt  hier  der  räum  und  der  leser  muss  gebeten 
werden,  zu  Vogts  schritt  zu  greifen.  Nur  wenige  allgemeine  bemerkuugen  seien  noch 
gestattet.  W.  hatte  zeit  seines  lebens  lebhafte  politische  Interessen,  und  so  sind  denn 
auch  seine  theoretischen  ansichton  über  diese  dinge  nicht  eben  unbedeutend.  Allein 
es  haftet  ihnen  etwas  spielendes  an:  allenthalben  fühlt  man  durch,  dass  sie  rein 
litterarische  quellen  haben  und  dass  keine  praxis  läuternd  auf  sie  gewirkt  hat,  vor 
allem,  dass  das  gefühl  der  Verantwortlichkeit  fehlt,  wie  es  denjenigen  erfüllt,  der 
mitten  im  politischen  leben  steht.  Im  übrigen  ist  Wieland  ein  geradezu  klassisches 
beispiel  für  die  zahlreichen  humanen  Stimmungspolitiker  der  zeit.  Leicht  wird  er 
durch  allerhand  äussere  ereignisse  beeinÜusst,  seine  ansichteu  (z.  b.  über  republik, 
monarchie,  aristokratie)  zu  wechseln.  Ferner  war  er  nirgends  radical,  überall  neigte 
er  zur  Vermittlung  (z.  b.  „pressfreiheit,  nicht  pressfrechheit"),  und  er  ist,  im  gegen- 
satz zu  so  vielen  Zeitgenossen,  historischeu  erwägungen  durchaus  zugänglich.  Freilich 
finden  wir  auch  gelegentlich  mangelnde  klarheit  und  ungenügendes  durchdenken 
schwieriger  probleme.     So  z.  b.  in  seinen  bemerkungen  über  den  letzten  zweck  des 


•lANTZEN    ÜBF.I?    BKHRF.NS ,    (iHABnE  429 

Staates,  der  ganz  im  stil  der  zeit  rein  individualistisch  im  glück  des  einzelnen  gesucht 
wird.  Von  den  theoretischen  und  praktischen  Schwierigkeiten,  welche  diese  flache 
auf  Fassung  im  gefolge  hat,  hat  er  ofTonbar  keine  ahnung. 

FREIBtTKG    I.    B.  ADALBEKT    WAHL. 

Carl  IJehreus,  En  tysk  Digter.  Christian  Dietrich  Grabbe.  Hans  Liv  og 
Digtniug.     Kjobenhavn,  Gyldendalske  Boghandels  Forlag  1903.    4G1  s.    5  kr, 

Besässen  wir  nicht  seit  1902  die  ausgezeichnete  vierbiindige  ausgäbe  von  Orabbes 
sämtlichen  werken  durch  Eduard  Grisebach,  so  hätte  das  deutsche  volk  und  seine 
Wissenschaft  begründete  ursaclie,  etwas  beschämt  auf  den  ausländischen  iiachharn  zu 
blicken,  der  da  eine  längst  fällige  dankesschuld  an  den  merkwürdigen  und  unglück- 
lichen dichter  abträgt.  Denn  eine  so  gute  und  eingehende  Grabbebiogra[)hio,  wie  die 
des  dänischen  gelehrten  ist,  besitzen  wir  in  deutscher  spräche  nicht.  Ein  gewisser  trost 
ist  es  freilich,  dass  der  Verfasser  sein  werk,  wie  er  selbst  dankbar  anerkennt,  auf  der 
deutschen  forschuug,  insbesondere  auf  (Jrisebachs  ausgäbe  aufbaut,  die  uns  ja  über- 
haujit  zum  ersten  male  den  echten  und  den  ganzen  Grabbe  kennen  lehrte. 

Einen  vergleich  mit  den  älteren  deutschen  lehensbeschreibungen  zu  ziehen, 
wäre  unbillig,  da  alle  bis  auf  die  Grisebachs  im  vierten  bände  der  werke  unzureichend 
sind,  und  Grisebach  selbst  hat  mit  der  seinigen,  die  62  Seiten  umfasst,  eben  nur  eine 
skizze,  gewissermassen  einen  commeutar  zu  den  werken  und  briefen  geben  wollen. 
Behrens  aber  beabsichtigt,  sowol  ein  klares,  deutliches  biid  des  als  mensch  so  un- 
glücklichen dichters  zugeben,  als  auch  seine  werke  ausführlich  zu  besprechen.  Wenn 
er  selbst  bescheiden  das  entstandene  bild  kaleidoskopartig  nennt,  weil  es  aus,  zahl- 
reichen, den  briefen  entnommenen  einzelzügen  zusammengesetzt  sei,  so  dürfen  wir 
es  getrost  auch  als  recht  lebensvoll  bezeichnen ,  und  wenn  er  mit  den  eingehenden 
aualysen  der  werke  das  ziel  verfolgt,  einen  dänischen  leserkrejs  für  den  dichter  zu 
interes-sieren ,  so  würde  er  in  deutscher  Übersetzung  gewiss  auch  zahlreiche  deuts(;he 
freunde  gewinnen;  denn  anregend,  spanjiend,  ja  unterhaltend  liest  sich  das  bucli,  und 
fast  wie  ein  rom an  wirkt  darin  die  tragische  geschichte  des  seltsamen  mannes,  dessen 
Charakterbild  so  lange  unsicher  hin-  und  herschwankte,  bis  erst  die  jüngste  gegeu- 
wart  sich  seiner  annahm  und  immer  tiefer  in  ihn  einzudringen,  ihn  zu  verstehen 
sich  bemühte. 

t'ber  den  Inhalt  des  buches  ist  sonst  nicht  viel  zu  sagen;  es  genüge  das  urteil, 
dass  das  leben  Grabbes  klar  und  sachlich,  ruhig,  ohne  hass  und  missgunst,  ohne 
Illinde  begeistorung  und  übeischätzung,  aber  mit  lust  und  liebe  zum  gegenstände  be- 
schrieben ist.  Äussere  und  innere,  sociale  und  psychologische  Verhältnisse  kommen 
gleichmässig  zu  ihrem  rechte,  schöne  und  hässliche  züge  werden  mit  gerechter  histo- 
rischer ti-eue  verzeichnet.  Alle  jene  traurigen  dinge,  seine  trunksucht,  von  der  man 
ihn  doch  nicht  freisprechen  kann,  seine  Pflichtverletzungen  im  amte,  seine  unselige 
ehe,  an  deren  entsetzlicher  trostlosigkeit  übrigens  fast  alle  schuld  seiner  gattin  zu- 
kommt, das  Verhältnis  zu  Immermann,  das  so  unerquicklich  endete,  werden  ernst, 
zurückhaltend,  streng  sachlich  und  ohne  überflüssiges  breittreten  geschildert,  und  fast 
jede  einzelheit  wird  hier  wie  sonst  durch  briefstollen  belegt. 

Gleiches  lob  ist  den  besprechungen  der  werke  zu  zollen.  Es  sind  eingehende 
iiihaltsangabcn,  aus  denen  man  hinreichend  mit  dem  gang  der  handlung  bekanntwird. 
Natürlich  ist  das  verfahren  nicht  bloss  berichtend,  sondern  auch  kritisch.  Die  Wunder- 
lichkeiten  und   die  eigenart  des  dichters   im  guten  wie  im   schlechten   sinne  werden 


430  R.  M.  meyb:r  über  Landau,  holteis  romank 

gebührend  hervorgehoben,  die  litterarischeu  zusaimnenhünge  werden  erörtert,  ästhe- 
tische urteile  werden  hinzugefügt.  Häufig  kommt  in  mitunter  umfangreichen  über- 
setzuugsproben,  die,  soweit  ich  das  beurteilen  kann,  auch  trefflich  gelungen  erscheinen, 
der  dichter  selbst  zu  worte.  Auch  die  späteren  Schicksale  seiner  werke,  ihre  bearbei- 
tungen  und  aufführuugen  werden  gewissenhaft  verzeichnet,  dem  einfliiss  Grabbes  auf 
die  neueste  litteratur  wird  nachgegangen.  Die  prosaschriften  werden  ebenfalls  be- 
rücksichtigt, so  z.  b.  eingehend  die  '  Shakespeare manie'.  —  So  kann  denn  das  buch 
auch  den  deutschen  fachgenossen  bestens  empfohlen  werden. 

Zum  schluss  teile  ich  noch  ein  paar  druckfeliler  und  verseben  mit,  die  mir 
aufgefallen  sind.  S.  9  letzte  z.  1.  nihil  st.  nul;  s.  14  z.  8  1.  ham  st.  kam;  s.  lOü  z.  11 
1.  Marius  st.  Marinus;  s.  139  z.  16  1.  aabeubare  st.  aabenhare;  s.  202  z.  1(3  1.  Loves  st. 
Lowes;  s.  248  z.  16  1.274  st.  247;  ebenda  ist  auch  gegen  die  behauptung  einspruch 
zu  erheben,  dass  Shakespeare,  Goethe  und  Schiller  das 'volk'  im  drama  als  homogene 
masse  aufgefasst  hätten,  während  Grabbe  ins  einzelne  gehe  und  den  wichtigen  schritt 
tue,  das  'volk'  realistisch  darzustellen;  das  haben  jene  auch  schon  getan.  S.  253  z.  14 
l.Wien  st.  Wieden;  s.  280  z.  3  v.  u.  1.  Grabb'  st.  Grab";  s.  281  z.  1  1.  und  st.  and;  s.  287 
z.  2  1.  Jetzt  st.  Zetzt;  s.  331  z.  11  1.  1835  st.  1837;  s.  334  z.  4  v.  u.  1.  And  u.  greater 
st.  Und  u.  graeter.  S.  412  meint  Behrens,  die  schlussscene  von  Grabbes  'Hermanus- 
schlacht' habe  unverkennbaren  eintluss  auf  Hebbels  -Herodes  und  Mariamne'  geübt, 
wo  Herodes  den  befehl  zur  Vernichtung  des  neugeborenen  königs  der  Juden  erteilt. 
Das  ist  doch  sehr  zweifelhaft;  denn  einmal  lag  ja  für  Hebbel  stofflich  die  scene  ausser- 
ordentlich nahe,  dann  aber  hat  ja  Grabbe  auch  gar  nicht  den  grausamen,  freilich 
quellenmässigeu  zug,  dass  alle  kiuder  unter  zwei  jähren  getötet  werden  sollen. 

BRESLAU    (KÖOTGSBERU    I.  PR.).  H.   JANTZFN. 


P.  Landau,  Karl  v.  Holteis  romane.  Ein  beitrag  zur  geschichte  der  deutschen 
unterhaltungslitteratur.  (Breslauer  beitrage  zui' litteraturgeschichte,  herausgegeben 
von  M.  Koch  und  Fr.  Sarrazin.  1).  Leipzig,  M.  Hesse  1904.  168  s.  4,50  m, 
subscriptionspreis  3,80  in. 

Eine  tleissige  und  umsichtig  geordnete  arbeit;  dass  sie  nicht  sehr  interessant 
ist,  liegt  am  .stoff,  denn  Holtei  schrieb  zwar  sehr  lesbare  unteilialtungsromaue,  bietet 
aber  weder  als  mensch  noch  als  schriftsteiler  tiefere  probleme.  L.  hält  sich  auch  von 
jeder  Überschätzung  fern  und  weiss  die  grenzen  von  Holteis  begabung  gut  zu  mar- 
kieren. Innerhalb  dieser  schranken  wird  seine  romantechnik  und  der  allgemeinere 
inhalt  (an  theaterlitteratur,  kulturgeschichtlichem  stoff,  persönlichem  erlebnis  und 
schlesischer  art)  durchgesprochen  und  der  geringe  Spielraum  der  entwieklung  gezeigt. 
Besonders  die  abschnitte  „(iomposition"  und  .,erregung  von  Spannung"  gewinnen  durch 
ihre  ausführlichkeit  bedeutung  für  die  geschichte  des  deutscheu  roinans  überhaupt. 

BERLIN.  RICHARD    M.  MEYER. 


NEUE    ERBCHEINUNOEN  431 

NEUE  ERSCHEINUNGEN. 

(Die  redaction  ist  bemüht,   für  allo  zur  bosproclmiijj:  gooiijneten  werko  aus  ilem  gebiete  der  i^erman. 

Philologie   sachkuiuligo   roforonton   zu   gowiiinoii ,    übiMiiiuimt  joiloch    koiiio  verpllii-htuni,' ,    unverlangt 

eingeseiideto  büeher  zu  receiisieroi\.     Eine  zurücklief  erung  dor  reeensions -exein  plaro  au 

diu  horrou  Verleger  findet  unter  keinen  umständen  statt.) 

Atlas,  PaliPografisk.     Oldnorsk-islamlsk  afdeling,   udgivet  af  komraissionen   for  det 

Arnamagiüyauske  legat.     Kohenh.  og  Krist.,   Gyldendal  1905.     XVI  s.  u.  53  taff. 

mit  beigefügtem  text.     Fol.  iu  mappe.     .30  kr. 
Beer,  .4iitoii,  Kloine  beitrage  zur  gotischen  syiitax.   [Sitz. ber.  der  kgl.  bühni.  ge.sell.scb. 

der  wissensch.,  phil.-hist.  d.   1904.    XUI.]     Prag  1904.     IG  s. 
Bei'tkold  von  Regensburg:.  —  Bernhardt,   Ernst,    Bruder  Borthold  von    Kegeus- 

burg.     Ein  beitrag  zur  kirchen-,  sitten-  und  literaturgeschichte  Deutschlands  im 

13.  jahrh.     Erfurt.  Hugo  Güther  1905.     (IV),  II,  73  s. 
Braudstetter,    Ken>varil,    Das  schweizerdeutsche   lehngut    im    romontscheu.     |Räto- 

lüiiuuiisrbe  forschungen.    I.|     Luzern,  J.  Eisenring  1905.     82  s. 
Cedersohiöld ,  Gustaf,    Rytmens  troUmakt.     Nägra    bidrag    tili    mäuniskaiis   liistoria. 

[Populärt-vetenskapliga  föreläsningei-  vid  Göteborgs  högskola.    Ny  füljd.  1.]  Stock- 
holm, .\lb.  Bonnier  1905.     (II),  190  s.     2,50  kr. 
t'urme,  (ieorge,  (►.,  A  grammar  of  the  german  language.    New  York,  The  Macmillan 

cümpauY  1905.     XIX,  0(52  s. 
Eberhard,  Joh.  Aug.,  Synonymisches  handwörterbudi  der  deutschen  spräche.    IG.  aufl. 

umgearb.  von  0.  Lyon.     Leipzig,  Th.  Gi'ieben  1904.     XLIV,  1131  s.     12  m. 
Goethe.  —  Enders,  Carl,   Die   katastrophe  in   Goethes  Faust.     Dortmund,    Ruhfus 

1905.    95  s.     1,20  m. 
—  Lucerna,  Camilla,  Die  südslavische  ballade  von  Asan  Agas  gattin  und  ihre  uach- 

bildung  durch  Goethe.  [Forschungen  zur  neuereu  lit.gesch.  hrg.  von  Frz.  Muncker. 

XXVIII.J     Berlin,  Alb.  Duncker  1905.     (VIII),  70  s.     2  m. 
Grillparzer,  Franz,  Libussa,   erläutert  von  Rieh.   M.   Meyer.     [Deutsche  dichter 

des  19.  jhs.  .  .  hrg.  von  0.  Lyon.    IG.]     Leipzig,  Teubner  1905.    38  s.    0,50  m. 
Heine.  —  Ochseubein,  Wilh.,  Die  aufnähme  lord  Byrons  in  Deutschland  und  sein 

einüuss  auf  den  jungen  Heine.     [Untersuchuugeu   zur   neueren  sprach-  und  lit.- 
gesch. hrg.  von  Oskar  F.  Walzel.  VLJ     Bern,  A.  Francke  1905.  X,  229  s.  3,60  m. 
lleliaud  nebst  den  bruchstückon  der  altsächs.  Genesis  mit  ausführt,  glossar  hrg.  von 

Moritz  Heyne.     4.  autl.     Paderborn,  Schöniugh  1905.    VIII,  394  s.     G  m. 
Hesselniau,    Beugt,    Sveamälen    och    de    svenska    dialekteruas    indelning.      Upsala, 

K.  W.  Api)elberg  1905.     IV,  72  s.     2  kr. 
Ueusler,  Andreas,   Lied  und   epos   in  germanischer  Sagendichtung.     Dortmund,  Fr. 

Wilh.  Ruhfus  1905.     53  s      1  m. 
Heyse,  Paul,  Kolberg,  erläutert  von  Heinr.  ClotU.   [Deutsche  dichter  des  19.  jhs. .  .  . 

hrg.  von  0.  Lyon.    15.]     Leipzig,  Teubner  1905.    47  s.    0,50  m. 
HormannsthaL  —  Sulger-Gebing,   Emil,   Mugo  von  Hofmanusthal.     Eine  literar. 

Studie.    [Breslauer  beitr.  zur  lit.gesch.  hrg.  von  Max  Koch  u.  Gr.  Sarrazin.  III. ] 

Leipzig,  Max  Hesse  1905.     IV,  93  s.     2,50  m. 
Meyer,  Cour.  Ferd.,  Der  heilige,  erläutert  von  Karl  Credner.     [Deutsclie  dichter 

des  19.  jhs.  .  .  .  hrg.  von  0.  Lyon.   18.]     Leipzig,  Teubner  1905.     32  s.    0,50  m. 
Nieniann,  (»ottfried.  Die  dialoglitteratur  der  reformationszeit  nach  ihrer  entstehung 

und  entwickluug.    [Probefahrten  ..hrg.  von  Alb.  Köster.  V.J    Leipzig,  R.  Voigt- 

läüder  1905.    (IV),  92  s.     3,60  m. 


432  NACHRICHTEN 

Raabe,  Willi.,  Alte  uester,  erläutert  von  Paul  Gerber.  [Deutsche  dichter  des 
19.  jhs.  .  .  .  hrg.  von  0.  Lyon.    19.]     Leipzig,  Teubner  190r).    44  s.    0,50  m. 

Schiller.  —  Bellerniann,  Ludw.,  Schillersdramen.  Beiträge  zu  ihrem  Verständnis. 
1.  u.  2.  band.    3.  aufl.    Berlin,  Weidmann  1905.    VII,  348  u.  VII,  332  s.    geb.  12  m. 

—  Keller,  Ludw.,  Schillers  Stellung  in'der  entwicklungsgeschichte  des  humanismus. 

[Vorträge  u.   aufsätze  aus  der  Conienius-gesellschaft.     XIII,  3.J     Berlin,  "Weid- 
mann 1905.     87  s.     1,50  m. 

—  Könnecke,  G.,  Schiller.    Eine  biographio  in  bildern.    Marburg,  R.  G.  Elwert  1905. 

(IV),  48  s.     gr.  4".     geb.  2,50  m. 

Schlegel,  Dorothea.  —  Deibel,  Franz,  Dorothea  Schlegel  als  Schriftstellerin  im 
Zusammenhang  mit  der  romanischen  schule.  [Palaestra  .  .  hrg.  von  A.  B  ran  dl, 
G.  Roethe  und  E.  Schmidt.  XL.]  Berlin,  Mayer  u.  Müller  1905.  VIII,  188  s. 
5,60  m. 

Stäheliu-,  Felix,  Der  eintritt  der  Germanen  in  die  geschichte.  [Sonderabdruck  aus 
der  Festschrift  zum  (iO.  geburtstage  von  Theodor  Pleiss.]     Basel  1905.     30  s. 

Stieler.  —  Dreyer,  A.,  Karl  Stieler,  der  bayerische  hochlandsdichter.  Stuttgart, 
Bonz  &  Co.  1905.     VIII,  147  s.     2  m. 

Stifter,  Adalb.,  Studien,  erläutert  von  Rud.  Fürst.  [Deutsche  dichter  des  19.  jhs. 
.  .  .  hrg.  von  0.  Lyon.    20.]     Leipzig,  Teiibner  1905.     44  s.     0,150  m. 

Storni,  Theodor,  Pole  Poppenspäler,  Ein  stiller  musikant,  erläutert  von  Otto  La- 
dendorf. |Deutsche  dichter  des  19.  jhs.  .  .  .  hsg.  von  0.  Lyon.  17.]  Leipzig, 
Teubner  1905.     40  s.     0,50  m. 

Töriieros,  Adolf.  —  Östergren,  Olof,  Stilistiska  studier  i  Törneros' sprak.  [Upsala 
uiiiversitets  ärsskrift  1905.    L]     üpsala,  Akad.  bokhandelu  1905.    IX,  150  s. 

Wächter,  Lcoiih.  —  Pantenius,  Walther,  Das  mittelalter  in  Leouh.  Wächters 
(Veit  Webers)  ronianen.  Ein  beitrag  zur  kenutnis  der  beginnenden  Wiederbelebung 
des  deutschen  mittelalters  in  der  lit.  des  18.  jhs.  [Probefahrten  .  .  .  hrg.  von 
A.  Köster.    lY.]     Leipzig,  Voigtländer  1904.     VIII,  1.32  s.     4,80  m. 

Wolfram  von  Eschenbach.  —  Franz,  Erich,  Beiträge  zur  Titurelforschung.  [Göt- 
tiuger  dissert.J     Leipzig,  G.  Fock  1904.     52  s. 


NACHRICHTEN. 


Am  30.  märz  1905  wurde  prof.  dr.  Fredrik  Tamm  in  Upsala  (geb.  1847), 
der  seine  vortreffliche  Ety})iologisk  svensk  ordbok  leider  unvollendet  hinterlasst,  von 
langjährigen  schweren  leiden  durch  den  tod  eilöst;  am  1.  mai  verschied  zu  Berlin 
prof.  dr.  Reinhold  Röhricht  (geb.  18.  nov.  1842  zu  Bunzlau),  einer  der  besten 
kenner  der  geschichte  der  kreuzzüge,  in  dem  aiich  unsere  Zeitschrift  einen  treuen 
mitarbeiter  betrauert. 

Prof.  dr.  W.  Braune  in  Heidelberg  wurde  zum  geh.  hofrat  ei'nannt;  der  ausser- 
ordentl.  professor  dr.  Arnold  E.  Berger  in  Halle  als  Ordinarius  an  die  technische 
hochscliule  in  Darmstadt  berufen. 

An  der  Universität  München  habilitierte  sich  dr.  Rudolf  Unger  für  neuere 
deutsche  litteraturgeschichte. 


Buehdruckerei  des   Waisenhauses  in  Halle  a.  S. 


ZÜE  FEIESISCHEN  YOLKSEPIK. 

An  ausdrücklichen  Zeugnissen  für  die  pflege  des  epischen  gesanges 
bei  den  Friesen  herrscht  kein  überfluss.  Der  harfner,  dem  ein  mittel- 
friesisches weistum  aus  der  zweiten  hälfte  des  8.  Jahrhunderts  dieselbe 
höhere  handbusse  wie  dem  goldschmied  und  der  feinweberin  zuerkennt^, 
und  der  blinde  ostfriesische  sänger  Berulef,  der  um  die  wende  des- 
selben Jahrhunderts  die  „antiquorum  actus  regunique  certaraina"  ge- 
fällig vorzutragen  wusste^,  sind  die  einzigen  bestimmten  zeugen,  welche 
die  litterarhistoriker  dafür,  dass  sich  einst  auch  die  Friesen  an  epischem 
gesauge  ergötzt  haben,  vorzuführen  vermögen.  Man  hat  auch  geltend 
gemacht,  dass  unter  den  germanischen  sagen  mindestens  eine,  die  von 
dem  Friesenkönige  Finn,  auf  friesischem  boden  erwachsen  sein  müsse. 
Doch  berechtigt  schon  das  auftreten  jener  beiden  zeugen  zu  dem  Schlüsse, 
dass  noch  im  8.  und  9.  jahrhunuert  in  Frieslaud  von  berufsmässigen 
Sängern  heldengedichte  unter  harfeubegleitnng  vorgetragen  worden  sind. 

1)  Qui  harpatorem ,  qtii  cum  circido  harpare  potest,  in  manum  ijercusserit, 
componat  illud  qiiarta  parte  maiore  compositione  quam  alteri  eiusdem  conditionis 
homini;  aurifici  similiter;  foeminae  fresum  facienti  similiter.  Dass  die  Judicia 
WIemari,  an  deren  schluss  diese  Satzung  steht,  zur  Lex  Frisionum  gehören,  hat 
V.  Richthofen,  M.  G.  LL.  111,  654  nachgewiesen.  Als  „capitulare"  (Grdr.  d.germ.  phil.  II ', 
s.  523)  darf  man  Wiemars  Judicia  nicht  bezeichnen,  denn  jenes  ist  im  Zeitalter  der 
Karolinger  die  technische  bezeichnung  königlicher  Satzungen  (Brunner,  Deutsche 
rechtsgesch.  I,  s.  377).  Jene  Judicia  aber  sind  weistümer.  Übrigens  hat  Wlemar  nicht 
im  9.  Jahrhundert  (Grdr.  IP,  s.  523,  IIP,  s.  71),  sondern  in  dem  letzten  viertel  des 
8.  Jahrhunderts  in  Mittelfriesland  recht  gewiesen. 

2)  Aldfrids  leben  des  heihgen  Liudger,  des  ersten  bischofs  von  Münster  (f  809), 
berichtet,  dass  der  heilige  einst  zu  Helwerd  einen  blinden  namens  Berulef  sehend 
machte,  der  a  vicinis  suis  valde  ditigebatur  co  quod  esset  affabilis  et  antiquorum 
actus  regunique  certamina  bejie  noverat  psallendo  promere  (M.G.  SS.  II,  412,  Ge- 
sohichtsquelien  des  bistums  Münster,  4,  30fg.)  oder,  wie  sich  eine  jüngere  handschrift 
ausdrückt,  t'jc««'s  suis  adniodum  cariis  erat,  quia  antiquorum  actus  regunique 
certamina  more  gentis  suae  non  inurbane  cantare  noverat  (Brüder  Giinun,  Deutsche 
sagen'-'  II,  XI).  Die  vita  nennt  das  landgut,  wo  den  heiligen  matrona  quacdam  Meinsuit 
gastlich  aufnahm,  Hekguuerä  (Helcguurd,  Helewyrd).  Sein  heutiger  name  ist  Hel- 
werd. Es  liegt  bei  Uskwerd  im  nördlichen  Hunsegau,  also  in  Ostfriesland,, 
nicht,  wie  Grdr.  d.  germ.  phil.  11  ■-,  »92  angegeben  ist,  in  Westfriesland. 

ZEITSCHRIFT    F.  UKÜTSCUE    l'UILÜLUOIK.       HD.  XX.WII.  28 


434  JAEKEL 

Für  das  ganze  übrige  mittelalter  aber,  so  meint  man  allgemein,  lasse 
sich  bei  den  Friesen,  wenn  man  von  dem  Icysa  der  sagenhaften  Magnus- 
küren und  von  dem  winna  song,  der  nach  einer  alten  formelhaften  er- 
klärung  zu  den  erforderuissen  einer  richtigen  hochzeitsfeier  gehörte, 
absehe,  weltlicher  gesang  überhaupt  nicht  nachweisen. 

Indes  gibt  es  noch  eine  sehr  bestimmte  nachricht  über  friesische 
Volkslieder  epischen  Inhalts,  die  eine  eingehende  besprechung  verdient. 
Sie  stammt  aus  dem  bekannten  Fraemonstratenserkloster  Mariengaar  de, 
das  im  jähre  1163  durch  einen  pfarrer  namens  Friedrich  bei  Hallum 
au  der  nordwestküste  des  mittelfriesischen  Ostergaus  gegründet  worden 
war^  Das  leben  des  Stifters  wurde  unter  abt  Sigehard  (-j-  1230)  durch 
den  bruder  Sibrand  beschrieben,  einen  Friesen  von  edler  herkunft  und 
trefflicher  bildung,  dessen  mut  und  beredsamkeit  nicht  nur  von  seinem 
biographen,  sondern  auch  von  dem  Fivelgauer  Chronisten  Emo  von 
Wittewierum  gerühmt  werden  2.  Nach  Sigehards  tode  wurde  Sibrand 
zum  abt  gewählt  und  leitete  das  kloster  acht  jähre  lang  (1230 — 1238). 
In  der  culturgeschichtlich  recht  interessanten  Vita  Fretherici^  erzählt 
nun  Sibrand  im  XXXI.  capitel"^  von  einer  frommen  dame  jener  gegend, 
Gertrud  von  Driezum^'',  und  bemerkt  dabei:  Hunts  sororem  duxeraf 
iixorem  Asego,  vir  nobilis  de  Blitha.  Istiiis  Asegonis  patnä  fuere 
Asego  et  Kempo  de  Blitha,  vi?'i  fortes  et  famosi.  Asegonem  inter- 
fecerimt  Hexelinga -viri  insidiis  preocciipatum ;  Kempo  vero  cecidit  in 
illo  7nemorabili  prelio,  acto  apud  Btirne.  Horum  fortitiidinem  et 
magnanimitatem  vidgiis  adhuc  solet  cantibus  attoUere.  Kempo  autem 
extitit  pater  Wijbrandi,  qnem  supra  memoravi. 

Mit  der  hier  angezogenen  stelle  ist  cap.  XX  gemeint*^,  das  de 
conversione  Wgbrandi  de  Blytha  handelt  und  mit  den  interessanten 
Worten  beginnt:  Wibrandus  quidam,  attavi  mei  fiUus,  quem  de  con- 
ciibina  susceperat  usw.  Sibrand  stammte  also  selbst  aus  Blytha,  dem 
heutigen  Blya  im   Feerwerderadeel,  und  die  lieder,  von  denen  er  im 

1)  Das  kloster,  vou  Dokkum  und  von  Leeuwarden  etwa  gleich  weit  entfernt, 
lag  im  Feerwerderadeel  des  Ostergaus. 

2)  M.G.  SS.  XXIII,  505  und  576. 

3)  Herausgegeben  von  Aem.  W.  Wybiands  in  den  Gesta  abbatum  Orti  Sanctae 
Mariae,  Leeuwarden  1879,  s.  1  —  75. 

4)  Wybrands  s.  34. 

5)  Driezum  im  Dantumadeel  des  Ostergaus. 

6)  Vgl.  den  neffen  der  beiden  beiden  namens  Ascga  in  der  oben  angeführten 
stelle  und  die  nachkommen  des  Kempa,  die  in  der  Vita  Jarici  cap.  XXIX  (Wybrands 
s.  lS9fg.,  M.G.  SS.  XXIII,  588)  und  in  der  Vita  Ethelgeri  cap.  XLVI  (Wybrands 
s.  213,  M.G.SS.  XXIII,  596)  aufgeführt  werden. 


ZUR   FRIESISCHEN   VOLKSEPIK  435 

31.  capitel  erzählt,  wurden  auf  seine  eigenen  ahnen,  nämlich  auf  seinen 
urgrossvater  Kempa  und  dessen  bruder  Asega,  gesungen. 

Die  namen  der  beiden  besungenen  männer,  die  zu  den  alten 
staramnamen  dieses  geschlechts  gehörten^,  sind  bedeutsam,  denn  kcinpa 
(pugil)  war  bei  den  Friesen  die  uralte  technische  bezeiehnung  des  berufs- 
mässigen gerichtlichen  zweikämpfers,  d.  i.  des  ritterlichen  kämpen, 
welcher  um  einen  vereinbarten  lohn  für  andere  das  ordal  des  Zwei- 
kampfs auszufechtenj  pflegte,  und  äsega  der  uralte  amtstitel  jenes  von 
der  gerichtsgemeiude  erlesenen  mannes,  der  eine  vollständige  kenntnis 
des  gemeinfriesischen  rechtes  und  des  Sonderrechtes  seines  sprengeis 
besitzen  musste  und  auf  grund  dieser  kenntnis  im  gericht  das  recht  zu 
weisen  und  das  urteil  zu  finden  hatte-.  Dass  aber  jene  familie  nicht 
nur  in  den  weltlichen,  sondern  auch  in  den  kirchlichen  Verhältnissen 
des  mittelfriesischen  Ostergaus  keine  geringe  rolle  spielte,  ersieht  man 
aus  dem  lebensgange  des  abtes  Sibrand^  und  daraus,  dass  ein  urenkel 
jenes  Kempa  von  Blya,  "Wibrandus  Kempinga,  nach  dem  tode  des  decans 
Hessel  vom  bischof  von  Utrecht  das  decanat  des  Ostergaus  erhielt*. 

Auch  bei  den  gegnern  jener  beiden  männer,  den  Hexelinga -vh'i, 
haben  wir  nach  der  art,  wie  Sibrand  von  ihnen  spricht,  an  ein  an- 
gesehenes geschlecht  des  nördlichen  Ostergaus  zu  denken.  An  bestimmten 
nachrichten  über  diese  Hexelingama  fehlt  es  leider.  Das  x  des  namens, 
der  im  13.  Jahrhundert  im  Fivelgau  in  der  form  Hesselma  erscheint, 
weist  auf  assibiliertes  k  zurück,  doch  lässt  sich  nicht  mehr  mit  Sicher- 
heit entscheiden,  ob  der  name  jenes  Hexel,  Ilessel'^,  von  welchem  sich 

1)  Vgl    s.  434,  anni.  G. 

2)  "Was  den  eigennamen  Asega  angeht,  so  nennt  eine  Urkunde  von  1439 
(Schwartzeuberg,  Groot  Placaat-  en  Charterboek  van  Friesland,  I,  518)  einen  Äsega, 
eine  andere  von  1301  (Driessen,  Monumenta  Groniugana,  s.  68)  einen  Asego.  Man 
vergleiche  ferner  den  „  J.;te5ro  van  Herzense  hoefftling"  (Bijdragen  tot  de  geschiedenis 
van  Groningen  X,  s.  112),  die  Aesgama  oder  Assema  in  Warfum  (Bijdragen  a.  a.  o., 
Richthofen,  Untersuchungen  II,  s.  826  und  982). 

3)  Vgl.  die  Vita  Sibrandi  (M.G.  SS.  XXIII,  576 fgg.,  Wybrands  s.  149 fgg.). 

4)  Wegen  Wibrandus  Kampenga  vgl.  M.G.  SS.  XXIII,  593.  596.  597  fg., 
"Wybrands  s.  205.  213.  219.  220,  wegen  des  decans  Hessel  M.G.  a.  a.  o.  578fg., 
Wybrands  s.  159  fg. 

5)  Offenbar  gehörte  der  Ostergauer  decan  Hessel,  der  ebenfalls  aus  der  gegeud 
von  Leeuwarden  stammte,  wie  er  denn  von  den  Gesta  episcop.  Traiectensium  (M.G. 
XXIII,  426)  als  „Hesselus  de  TAjuart,  decanus  j)er  tolum  Ostergo"  bezeichnet  wird, 
auch  zu  den  Hexelingama.  Über  das  grosse  ansehen  dieses  decans  vgl.  mau  die  eben 
angefülirte  stelle  der  Gesta  epp.  Traiect.  und  die  in  vorstehender  anm.  citierten  steilen 
der  Vita  Sibrandi. 

28* 


436  JAEKEL 

die  Hezelingama  herleiteten,  Siiii  *Hekila  {aus  *Haküa)  oder  Siui*Hekila 
(aus  *Haikila)  zurückgeht,  wenn  auch  das  letztere  das  wahrschein- 
lichste ist^ 

Was  den  streit  entfacht  hat,  ■  in  welchem  schliesslich  Asega  und 
Kempa  von  Blya  den  Hezelingama  unterlagen,  wird  nicht  überliefert. 
Aber  der  anlass  zur  feindschaft  wird  hier  nicht  anderer  art  als  bei  den 
sonstigen  friesischen  fehden  des  mittelalters  gewesen  sein.  Eine  ent- 
führung  oder  ein  im  zorn  verübter  totschlag  oder  die  nebenbuhlerschaft 
um  ein  einträgliches,  angesehenes  amt  und  ähnliche  Vorkommnisse  hatten 
in  einem  lande,  wo  die  blutrache  uneingeschränkt  geübt  wurde,  regel- 
mässig langwierige  blutige  kämpfe  zur  folge,  die  sich  oft  zu  förmlichen 
kleinen  kriegen  auswuchsen. 

Die  zeit  jenes  Ostergauer  Streites  vermögen  wir  annähernd  zu  be- 
stimmen. Da  nämlich  der  von  Sibrand  erwähnte  jüngere  Asega  von 
Blya  zu  der  zeit  Friedrichs,  des  Stifters  und  ersten  abtes  von  Marien- 
gaarde  (1163  — 1175)  lebte,  müssen  wir  den  Untergang  der  beiden  brüder 
seines  vaters  spätestens  um  die  mitte  des  12.  Jahrhunderts  setzen.  Hierzu 
stimmt,  dass  abt  Sibrand  (f  1238)  ein  urenkel  des  bei  Burne  gefallenen 
Kempa  war.  Sibrand,  der  bereits  im  jähre  1224  in  schwieriger  missiou 
—  als  procurator  der  Praemonstratenser  äbte  von  Mariengaarde  und  von 
Dokkum  —  im  Fivelgau  eine  kraftvolle  und  geschickte  tätigkeit  ent- 
faltet hattet  also  damals  ein  mann  in  reiferen  jähren  gewesen  sein 
muss,  war  im  12.  Jahrhundert  geboren.  Seines  urgrossvaters  leben  kann 
sich  also  nur  vor  dem  jähre  1150  abgespielt  haben. 

Von  den  einzelheiten  des  Streites,  der  zum  untergange  der  brüder 
Kempa  und  Asega  führte,  erfahren  wir  weiter  nichts  als  dass  Asega  im 
verlauf  der  fehde  in  einen  hinterhalt  der  Hezelingama  geriet  und  Kempa 
schliesslich  im  offenen  kämpfe  fiel.  Von  diesem  letzten  kämpfe,  dem 
„memorabile  proelium  actum  apud  Burne",  das  bei  Bornwird  im  Don- 
geradeel  ausgefochten  wurde',  ist  sonst  nichts  bekannt.  Wir  werden 
nicht  fehlgreifen,  wenn  wir  diesen  kämpf  um   das  jähr  1140  ansetzen. 

Die  lieder,  welche  das  volk  des  mittelfriesischen  Ostergaus  noch 
um  das  jähr  1230  von  der  tapferkeit  und  dem  hochsinn  (fortitudo  et 
magnanimitas)  der  beiden  brüder  Asega  und  Kempa  von  Blya  sang, 
die  um  1140  durch  die  Hezelingama  ihren  Untergang  gefunden  hatten, 

1)  An  sich  könnte  natürlich  das  z  in  Hexelingavia  auch  aus  gg  entstanden  sein, 
doch  ist  dies  nicht  gerade  wahrscheinlich. 

2)  Vgl.  M.G.  SS.  XXIII,  505  und  576,  Wybrands  s.  151  fg. 

3)  Vgl.  TVybrands  s.  34,  anui.  3,  der  mit  recht  an  Bornwird  im  Westdongera- 
deel  denkt. 


ZUR   FKIESISCHUN    VOLKSEFIK  437 

waren,  wie  kaum  gesagt  zu  werden  brauclit,  episch- historischer  natiir. 
Man  wird  sie  als  preislieder  geschichtliclien  Inhalts,  die  von  den  tagenden 
und  dem  tragischen  ende  eines  heldenhaften  brüderpaares  meldeten, 
charakterisieren  können  und  sie  mit  den  in  Oberdeutschhiud  gesungenen 
historischen  liedern,  von  denen  z.  b.  Ekkehard  IV".  in  den  Casus  S.  Gaüi 
berichtet,  auf  eine  stufe  stellen  dürfen. 

Die  lieder  von  dem  brüderpaar  Asega  und  Kempa  und  den  Heze- 
lingen  waren  schwerlich  die  einzigen  lieder  geschichtlichen  Inhalts,  die 
im  12.  und  13.  Jahrhundert  in  Friesland  gesungen  wurden,  zumal  die 
unaufhörlichen  fehden  der  friesischen  geschlechter  und  die  schworen 
kämpfe,  welche  der  friesische  stamm  während  des  mittelalters  mit  den 
Normannen  und  mit  den  benachbarten  landesherren  zu  bestehen  hatte, 
geeignete  Stoffe  für  episch -historische  lieder  in  fülle  darboten.  Jedes- 
falls  kann  die  alte  behauptung  „Frisia  non  cantat"  für  das  mittelalter 
keine  allgemeine  geltung  beanspruchen. 

Der  mittelfriesische  küstenstrich,  wo  jene  lieder  von  Asega  und 
Kempa  zu  Sibrands  zeiten  umliefen,  bot  von  jeher  günstige  bedingungen 
für  das  gedeihen  episch- historischen  gesanges.  Gerade  im  Feerwerdera- 
und  Dongeradeel,  wo  das  reiche  geschleoht  der  mittelfriesischen  grafen 
ausgedehnten  besitz  hatte,  drängte  sich  eine  auffallend  grosse  zahl  von 
familien,  die  durch  edle  herkunt't  und  grossen  reichtum  hervorragten, 
auf  kleinem  räume  zusammen  ^  Dass  aber  auch  im  mittelalter  sanges- 
kunst  und  sänger  bei  reichen,  angesehenen  familien  am  ehesten  heimisch 
wurden,  ist  bekannt.  Der  reichtum  dieser  Ostergauer  geschlechter  kann 
sich  nicht  von  ausgedehntem  grundbesitze  herschreiben;  dazu  sassen  sie 
zu  dicht  beieinander.  Auch  dass  sich  durch  den  handel  in  den  bänden 
dieser  edlen  geschlechter  grosse  vermögen  angesammelt  haben  sollten, 
lässt  sich  wol  nicht  annehmen.  Eher  wird  man  an  erbeutetes  gut  zu 
denken  haben.  Die  Friesen  machten  es  gewiss  nicht  viel  anders  als 
ihre  bedränger,  die  Normannen.  Wie  diese  benutzten  sie  ihre  schiffe 
nicht  nur  zum  überseeischen  handel,  sondern  gelegentlich  auch  zu  raub- 
zügen.  Dazu  kam,  dass  ihnen  ihre  kämpfe  mit  den  Normannen  oft 
reiche  beute  einbrachten.  So-  hatte  im  juni  873  ein  Normannenheer 
unter  dem  gefürchteten  seekönige  Rudolf,  das  von  einem  in  das  west- 
fränkische reich   unternommenen    raubzuge  heimkehrte,    die  nordküste 

1)  Von  dem  dorfe  Hallum  im  Feerwerderadeel ,  aus  dem  der  Stifter  des  klosters 
Mariengaarde  stammte,  beuieikt  Sibrand:  „villa,  quae  Hallem  dicitur,  viris  honoratis 
et  nobilibiis  tuiic  tempoiis  (d.  i.  um  1140)  inclita  valde  et  famosa.  Viget  tanieu  iu 
ea  moderno  temiioie  (d.  i.  um  1230)  dignitas  prisiina  virorutn,  opum  autcm  habun- 
dantia  et  fidei  non  sie."    (Vita  Fretlierici  cap.  I,  Wybrands  s.  3). 


438  BOER 

des  mittelfriesischeii  Ostergaus  überfallen.  Das  unternehmen  misslang. 
Rudolf  wurde  mit  dem  grössten  teile  seiner  leute  erschlagen,  und  die 
schätze  der  Normannen  fielen  den  bewohnern  jenes  friesischen  Striches 
zur  beutet 

In  diesem  kämpfe  war  ein  Normanne,  der  christ  geworden  war 
und  schon  seit  längerer  zeit  in  jener  friesischen  gegend  lebte,  führer 
der  Friesen.  Es  war  dies  ein  vornehmer,  angesehener  mann,  der  zu 
der  alten  mittelfriesischen  grafenfamilie  in  beziehung  getreten  war-'.  Die 
Normannenzeit  ist  eben  auch  für  den  mittelfriesischen  Ostergau  als  eine 
periode  zu  betrachten,  in  welcher  die  alte  bevölkerung  des  landes  nor- 
mannische demente  in  sich  aufnahm.  Die  tatsache,  dass  sich  im  9.  Jahr- 
hundert vornehme  Normannen  unter  den  Friesen  niedergelassen  haben, 
wird  man  jedesfalls,  wenn  man  der  Verbreitung  und  Vermischung  ge- 
wisser sagenmotive  nachgeht,  nicht  ausser  acht  lassen  dürfen.  Denn 
seit  diesen  niederlassungen  gab  es  in  Friesland  statten,  wo  nord-  und 
südgermanische  mythen  und  sagen  unmittelbar  miteinander  in  nach- 
haltige berührung  treten  konnten.  Zu  diesen  statten  gehörte  auch  der 
mittelfriesische  küstenstreif,  der  sich  nördlich  von  Leeuwarden  und 
Dokkum  hinzog! 

1)  Jaekel,  Die  grafen  von  Mittel friesland  s.  39fg. 

2)  Jaekel  a.  a.  o.  s.  68. 

BRESLAU.  HUGO    JAEKEL. 


UNTEKSÜCHUNGEN  ÜBEE  DEN  ÜESPEUNG  UND  DIE 
ENTWICKLUNG  DEE  NIBELÜNGENSAGE. 

(Fortsetzung ) 

III.   Die  lieder  der  liicke  im  Codex  regius. 

§  22.  Die  S  i  g  u  r  ö  a  r  k  V  i  Ö  a  e  n  y  n  g  r  i. 
Die  frage,  auf  wie  viele  lieder  die  in  die  lücke  des  Codex  regius 
fallenden  capitel  der  Vglsungasaga  sich  verteilen,  was  der  Inhalt  eines 
jeden  liedes  war,  und  wie  sie  sich  einander  gegenüber  verhalten,  ist 
für  die  bestimmung  der  jedem  einzelnen  liede  zu  grimde  liegenden 
sagenform  von  dem  grössten  gewichte.  Diese  frage  ist  in  den  letzten 
Jahren  von  Heusler  (Germanistische  abhandlungen  für  H.  Paul  s.  Ifgg.), 
darauf  von  mir  (Zeitschr.  35,  464  —  483)  besprochen  worden.  Gegen 
mehrere  der  von  mir  ausgesprochenen  ansichten  hat  sich  Neckel  (Zeit- 
schr. 37,  19—29)  gewandt.     ^Yir   müssen  hier  die  unsicheren  punkte 


UNTERSUCHUNGEN  ÜBER  DEN  URSPRUNG  UND  DIE  ENTWICKLUNG  DER  NIDELUNGENSAGE         439 

einer  neuen  prüfimg  unterziehen.    Die  in  den  genannten  Schriften  vor- 
liegenden ansichten  sind  die  folgenden: 

Heusler  nimmt  an,  dass  c.  28,  1  — 16  (streit  der  königinnen); 
29,  144  — 151  (aufstachelung  des  Gunnarr)  und  Brot  teile  eines  ge- 
dichtes  sind  und  unmittelbar  aneinander  schliessen.  Das  gedieht  nennt 
er  SigurÖarkviÖa  en  forna.  Er  glaubt,  dass  der  schluss,  der  nicht  in 
die  lücke  fällt,  verloren  ist.  Das  übrige  von  c.  28,  16  an  bis  zu  dem 
schluss  der  lücke  verbindet  er  miteinander  und  nennt  das  gedieht 
SigurÖarkviÖa  en  meiri. 

Der  Verfasser  der  vorliegenden  abhandlung  scheidet  a.  a.o.  aus  dem 
zuletzt  genannten  gedichte  c.  29,  5  —  48  aus  und  verbindet  dieses  stück, 
sofern  von  der  unmittelbaren  quelle  der  saga  die  rede  ist  mit  c.  28, 
1  — 16,  nimmt  aber  an,  dass  ein  teil  davon  in  diesem  gedichte  eine 
Interpolation  bildete.  Er  unterscheidet  die  beiden  gedichte  als  A  und  B; 
A  =  c.  28,  1 — 16  und  alles  was  damit  verbunden  wird\  B  =  der  rest 
von  c.  28  und  was  damit  zusammengehört  (d.  i.  die  auch  von  ihm  als 
solche  bezeichnete  Sig.  meiri.  In  c.  26.  27  findet  er  teile  von  A  und  B, 
in  c.  23.  24  erkennt  er  B.  Er  zweifelt,  ob  die  genannten  teile  von  A 
mit  c.  29,  144  bis  151  (=  A3)  und  Brot  zusammengehören,  zweifelt  aber 
nicht  an  der  Zusammengehörigkeit  von  A  3  mit  Brot.  Er  glaubt  ilicht, 
dass  am  schluss  von  Brot  etwas  verloren  ist. 

Neckel  polemisiert  gegen  wichtige  teile  der  hier  mitgeteilten  auf- 
fassung,  erkennt  aber  einiges  als  richtig  an  und  zwar: 

1.  dass  das  von  mir  aus  c.  29  ausgeschiedene  stück  unmöglich  ein 
altes  stück  von  B  sein  kann.  Er  hält  es  aber  für  eine  Interpolation 
in  B,  nicht  für  einen  echten  oder  unechten  teil  von  A.  ^ 

2.  dass  in  c.  26.  27  zwei  darstellungen  nacheinander  aufgenommen 
sind,  gibt  Neckel  zu,  er  glaubt  aber,  dass  meine  teilung  unrichtig  ist. 
Dass  die  eine  quelle  A  war,  glaubt  auch  er,  und  gleichfalls,  dass  Heuslers 
grund,  die  andere  quelle  (nach  Heusler:  die  einzige  quelle)  von  B  zu 
trennen,  durch  den  nach  weis,  dass  c.  28,5fgg.  nicht  zu  B  gehören, 
hinfällig  geworden  ist,  aber  dennoch  trennt  er  c.  26.  27  und  damit  c.  24 
von  B;  str.  22.  23  hält  er  für  in  diesem  Zusammenhang  echt  und  schreibt 
sie  A  zu. 

1)  Diese  bezeichnung  wende  ich  der  einfachheit  halber  auch  im  folgenden  an; 
also  Al  =  c.28,  1—16;  A2  =  c.29,5  — 48;  A3  =  c.  29, 144— 151,  wahrend  frühere 
stücke  von  A  durch  zahlen  und  Brot  durch  den  gebräuchlichen  namen  bezeichnet  werden. 
Darin  liegt  also  voiläufig  kein  urteil  über  die  Zugehörigkeit  der  stücke  ausgesprochen, 
für  B  gilt  auch  die  bezeichnung  Sig.  meiri. 


440  BOER 

Ferner  hält  er  es  für  ausgemacht,  dass  28,  1 — 15  und  29,  144—151 
unmittelbar  aneinander  schliessen,  und  dass  der  schkiss  von  B  ver- 
loren ist. 

Ich  gehe  im  folgenden  davon  aus,  dass  eine  neue  discussion  über 
den  teil  meiner  anschauungen,  deren  richtigkeit  Neckel  anerkennt, 
überflüssig  ist,  und  bespreche  zunächst  die  punkte,  welche  contro- 
vers  sind,  ferner  die,  über  die  etwas  neues  zu  sagen  ist.  Es  wird 
sich  lohnen,  die  frage  etwas  tiefer  aufzufassen.  Gehört  c.  29,  5  —  48 
(A2)  zu  A  oder  zu  B  und  bilden  A3  und  Brot  die  fortsetzung  von 
AI  oder  A1  +  A2?  Es  scheint  mir,  dass  Neckel  bei  der  beurteilung 
von  A2  eine  starke  inconsequenz  begeht.  Er  gibt  zu,  dass  das  stück 
mit  B  sich  in  Widerspruch  befindet,  aber  er  glaubt,  es  vertrage  sich 
auch  nicht  mit  A.  Daraus  zieht  er  den  schluss,  dass  das  stück  in  der 
quelle  der  saga  nicht  in  A  gestanden  haben  kann  sondern  eine  inter- 
polation  in  B  bildete.  Wie  kann  Neckel  das  wissen?  Auch  ich  habe 
daraus,  dass  ein  teil  von  A2  zu  AI  weniger  gut  zu  stimmen  scheint, 
geschlossen,  dass  ein  teil  von  A2  interpoliert  sei.  Wenn  dieses  urteil 
für  das  ganze  stück  gelten  sollte,  eine  frage  auf  die  ich  später  ein- 
gehe, so  würde  daraus  nur  geschlossen  werden  können,  dass  das 
stück  ursprünglich,  d.  h.  von  anfang  an  weder  zu  A  noch  zu  B 
gehörte.  Aber  in  welches  lied  es  als  interpolation  aufgenommen  war, 
als  die  saga  geschrieben  wurde,  lässt  sich  schlechterdings  daraus  nicht 
ableiten.  Das  muss  aus  secundären  kriterien,  die  Neckel  nicht  anwendet, 
geschlossen  werden.  Dafür  aber,  dass  das  stück  in  B  unmöglich  ist, 
liefert  Neckel  durch  seine  verdienstliche  analyse  dieses  feiles  der  Sig. 
meiri  einen  neuen  beweis. 

Wir  müssen  absolut  zwei  fragen  auseinander  halten.  Die  eine 
lautet:  was  gehörte  zu  A,  was  zu  B  in  dem  exemplar  der  Eddasammlung, 
das  der  Verfasser  der  VQlsungasaga  benutzte?  Die  andere:  waren  die 
lieder,  die  in  jener  handschrift  aufeinander  folgten,  einheitlich,  oder  ent- 
hielten sie  Interpolationen,  oder  waren  sie  aus  mehreren  liedern  zu- 
sammengeflickt? Der  ersten  frage  kommt  unbedingt  die  priorität  zu, 
und  bei  der  trennung  von  A  und  B  kommt  nur  sie  in  betracht. 

Was  mich  bestimmte  A2  von  B  zu  trennen  und  A  zuzuweisen, 
waren  die  folgenden  ervvägungen: 

1.  dass  hier  an  einer  stelle,  wo  ein  absoluter  Widerspruch  mit  B 
vorhanden  ist,  eine  Situation  geschildert  wird,  die  der  am  schluss  von 
AI  beschriebenen  durchaus  ähnlich  ist  (c.  28, 15:  pd  fglnar  hon  sein  hon 
daub  vcBi'i.  Brynhüdr  för  heim  ok  mcdti  ekki  orÖ  um  kveldit.  C.  29,  5 : 
en  hon  svarar  engn  ok  liggr  sem  hon  sc  dauh).    Die,  sei  es  absichtliche 


UNTERSUCHUNGEN  ÜBER  DEN  URSPRUNG  UND  DIE  ENTWICKLUNG  DER  NIBELUNGENSAGE        441 

sei  es  durch  den  stoff  bedingte  widerholung  einer  Situation  ist  ein  so 
häufig  angewandtes  mittel,  zu  einer  früher  verhissenen  quelle  zurück- 
zukehren, dass  ich  mir  die  mühe  sparen  kann,  hier  beispiele  anzuführen. 

2.  dass  hier  ein  satz  folgt,  der  nur  aus  A  stammen  kann:  Hvat 
ger^ir  Jm  af  hring  peim,  er  ek  selda  per  usw. 

Über  das  erste  argument  schweigt  Neckel.  Gegen  das  zweite  führt 
er  an,  der  sagaschreiber  könne  und  müsse  die  frage  im  anschluss  an 
28,  1 — 15  ersonnen  haben.  Denn  aus  der  frage  gehe  hervor:  „Bryn- 
hild  sei,  indem  sie  die  frage  stellt,  des  unerschütterten  glaubens,  Gunnarr 
und  kein  anderer  habe  seinerzeit  den  ring  von  ihr  empfangen,  und 
dieser  müsse  auf  unrechtmässige  weise,  jedesfalls  durch  die  schuld 
Gunuars,  in  SigurÖs  bände  gekommen  sein",  nach  c.  28,  1  — 16  aber  sei 
ein  solcher  glaube  eine  Unmöglichkeit,  und  auch  im  folgenden  werfe  sie 
Gunnarr  seine  feigheit  vor,  woraus  hervorgehe,  dass  sie  den  richtigen 
Zusammenhang  der  ereignisse  erkannt  hat.  Die  zweite  hälfte  dieser  be- 
hauptung  bestreite  ich  nicht;  im  gegenteil,  anders  lässt  sich  die  Über- 
lieferung.gar  nicht  verstehen,  aber  wo  steht,  dass  Brynhild  glaubt,  dass 
Gunnarr  den  ring  von  ihr  empfangen  habe?  Weshalb  kann  Brynhild 
ihren  mann  nicht  nach  einem  ring  fragen,  den  er,  wenn  alles  richtig 
zugegangen  wäre,  besitzen  müsste,  und  sich  an  seiner  hilflosigkeit,,  w^enn 
es  sich  herausstellt,  dass  er  sogar  von  der  existenz  des  ringes  keine 
ahnung  hat,  weiden?  Es  nimmt  denn  auch  gar  nicht  wunder,  dass  er 
auf  ihre  ironische  frage  keine  antwort  gibt,  denn  was  sollte  er  antworten? 
Da  er  also  die  antwort  schuldig  bleibt,  beginnt  sie  ihre  scheltrede.  Wie 
viel  räum  die  frage  eingenommen  hat,  lässt  sich  nicht  genau  sagen,  aber 
da  Brynhild  hinzufügt,  sie  habe  den  ring  von  BuÖli  bekommen  i,  darf  man 
gewiss  annehmen,  dass  sie  eine  strophe  gefüllt  hat.  Daran  schliesst  sich 
das  folgende  ohne  eine  erzählende  bemerkung.  In  der  prosa  wäre  aller- 
dings eine  bemerkung  wie:  kann  Jmg^i  sem  honum  vceri  i  vatn  drepit 
nicht  überflüssig  gewesen;  im  gedichte  war  sie  überflüssig;  der  saga- 
verfasser  hat  das  mienenspiel  nicht  verstanden.  Der  anschluss  ist  so 
richtig,  dass  ich  sogar  den  grund|,  der  mich  a.  a.  o.  s.  478  dazu  bestimmte, 
hier  eine  interpolation  in  A  anzunehmen,  nicht  mehr  aufrecht  halte.  Ein 
grund  zu  der  raeinung,  dass  das  stück  nicht  in  A  gestanden  haben  kann, 
ist  aber  gar  nicht  vorhanden. 

Aber  auch  angenommen,  die  frage  nach  dem  ring  sei  vom  saga- 
schreiber ersonnen,  so  würde  auch  das  dafür  reden,  dass  er  hier  zu  A 
zurückkehrt.     Ist  es  doch,  wie  schon  bemerkt,  ein  sehr  gewöhnliches 

1)  Weshalb  es  unmöglich  sein  soll,  dass  BuÖIi  seiner  tochter  beim  abschied 
einen  ring  schenkte  (s.  Neckel  s.  21),  verstehe  ich  nicht. 


442  BOER 

und  verständliches  verfahren,  "wenn  ein  Verfasser  zu  einer  früher  von 
ihm  verlassenen  quelle  zurückkehrt,  dass  er  die  anknüpfung  durch  eine 
widerholung  oder  eine  auf  das  zuletzt  aus  jener  quelle  mitgeteilte  hin- 
weisende bemerkung  zu  stände  bringt.  Eine  solche  bemerkung  fehlt 
auch  hier  nicht.  Man  könnte  die  eingangszeilen  von  c.  29  so  auffassen. 
Da  diese  aber  mit  c.  29,  48fgg.  correspondieren,  wo  der  Verfasser  zu 
B  zurückkehrt,  fasst  man  besser  c.  29,  48fgg.  als  eine  widerholung  von 
c.  29,  Ifgg.  und  dementsprechend  c.  29,  Ifgg.  als  einen  teil  von  B  auf, 
und  der  Übergang  zu  A  ist  an  dieser  stelle  durch  den  stoff  bedingt, 
aber  eine  widerholung  aus  A  geht  hier  unmittelbar  vorher;  es  ist  der 
Schlusssatz  von  c.  28 :  ok  par  af  stob  mikill  üfagna'Ör,  er  pccr  genyu 
d  dna  okhon  ketidi  hringinn,  ok  ßar  af  varh  peira  vibroeha.  Dieser 
satz  bildet  ein  bindeglied  zwischen  Bl  und  A2.  Der  sagaschreiber, 
der  sich  anschickt,  die  weiteren  folgen  der  ersten  Unterredung  zwischen 
Brynhild  und  Gudrun  (AI)  mitzuteilen,  will  sagen,  dass  auch  die  zweite 
Unterredung,   die  A2   von  AI  trennt,  eine  folge  jenes  gesprächs  war. 

Die  eben  besprochene  frage  hängt  mit  der  anderen,  was  weiter  zu 
A  gehört,  enge  zusammen.  Ich  bin  von  dem  früher  ausgesprochenen 
zweifei  über  A3  +  Brot  zurückgekommen  und  glaube  jetzt  mit  Heusler 
und  Neckel,  dass  diese  stücke^  eine  fortsetzung  zu  AI  (aber  +  A2) 
bilden.  Und  das  von  Neckel  wider  A2  angeführte  material  ist  gerade 
dazu  geeignet,  die  Zusammengehörigkeit  dieses  Stückes  mit  Brot  zu  be- 
weisen. Er  zeigt,  dass  nicht  nur  z.  5  —  22  sondern  auch  z.  23  —  24 
mit  der  Sig.  skamma  berührungen  aufweisen  (zu  z.  23  —  24  vergleicht  er 
Sig.  sk.  40,  1).  Gerade  in  diesem  punkte  besteht  eine  ganz  bedeutende 
Übereinstimmung  mit  Brot,  die  ich  schon  a.  a.  o.  s.  479  als  wichtigstes 
argument  für  die  einheit  dieser  stücke  hervorgehoben  habe,  und  die 
mich  jetzt  bestimmen,  meine  früheren  zweifei  an  dieser  einheit  fahren 
zu  lassen  2- 3.  Ich  beurteile  jedoch  das  Verhältnis  von  A  zur  Sig.  skamma 
jetzt  anders  als  damals. 

Wir  müssen  damit  beginnen,  zu  constatieren,  dass  diese  berührungen 
mit  der  Sig.  sk.  tatsächlich  das  beweisen,  was  sie  beweisen  sollen.  "Wenn 
man  mit  Neckel  glaubt,  dass  A2  eine  Interpolation  in  B  ist,  so  muss 
man  annehmen,  dass  die  zwei  in  der  liedersammlung  aufeinander  folgen- 
den gedichte,  die  der  sagaschreiber  durcheinander  benutzt,  unabhängig 
voneinander  den  einfluss  der  Sig.  sk.,   der  wenigstens,  wie  sich   zeigen 

1)  Von  Brot  jedoch,  wie  sich  später  zeigen  wird,  nur  ein  teil. 

2)  An  dieser  Übereinstimmung  geht  Neckel  stillschweigend  vorüber. 

3)  Über  neue  zweifei  s.  unten  s.  448  fgg. 


UNTERSUCHUNGEN  ÜBER  DEN  URSFRUNO  UND  DIE  ENTWICKLUNG  DER  NIHELUNGENSAOE        443 

wird,  für  eines  von  beiden  ein  tiefgehender  war,  erfahren  habend  Das 
wäre  schon  ein  ganz  merkwürdiger  zufall,  den  man  nicht  annehmen 
kann,  sohmge  eine  natürlichere  erkliirung  der  tatsachen  nahe  liegt,  die 
aber  um  so  weniger  möglich  ist,  als  das  stück,  das  Neckel  B  zuweist, 
in  nahem  Verhältnis  zu  früheren  teilen  von  A  steht-,  die  sogar  in  ihrer 
inneren  structur  der  Sig.  sk.  ganz  nahe  stehen  und  die  annähme  einer 
oberflächlichen  späteren  beeinflussung  vorbieten.  Es  lohnt  sich,  diesen 
Zusammenhang  weiter  zu  verfolgen. 

Als  hierher  gehörig  wurden  von  mir  a.  a.  o.  bezeichnet:  c.  26,  36  bis 
etwa  58;  c.  27,  1—4.  41—64.  76  —  79;  ferner  die  oben  aus  c.  28.  29 
angeführten  stücke.  Eine  genauere  auch  in  einigen  punkten  berichtigte 
abgreuzung  dieser  stücke  folgt  später.  Vergleichen  wir  nun  die  Sig.  sk., 
so  zeigt  es  sich,  dass  die  darstellung  in  A  bis  zu  einem  gewissen  punkte 
fast  vollständig  die  der  Sig.  sk.  ist.  Die  abweichuugen  sind  bis  auf 
geringe  züge  ausschliesslich  die  durch  die  jüngere  sagenform  Br  II,  2 
bedingten. 

1.  Auf  Grimhilds  rat  und  mit  Gjükis  Zustimmung  bietet  Gunnarr 
dem  beiden  seine  Schwester  zur  ehe  c.  26,  36fgg.,  vgl.  Sig.  sk.  2. 

2.  SigurÖr  verweilt  darauf  noch  längere  zeit  bei  Gjüki  (und  ver- 
richtet heldentaten  fügt  A  hinzu)  c.  26,  56fgg.,  vgl.  Sig.  sk.  2. 

3.  Man  wirbt  bei  BuÖli  (in  der  Sig.  sk.  bei  Atli)  um  Brynhild. 
Im  fall  der  Weigerung  droht  man  mit  krieg  c.  27,  1 — 2.  29,  7 fg.,  vgl. 
Sig.sk.  35.  37.  Brynhild  wählt  auf  BuÖlis  (in  der  Sig.  sk. :  Atlis)  drohung 
(c.  29,  12fgg.,  Sig.  sk.  36)  den,  der  ihre  bedingungen  erfüllen  wird,  in 
der  Sig.  sk.  wählt  sie  Sigurör  c.  27,  41fgg.  29,  9fgg.'^,  vgl.  Sig.sk.  38.  39. 

1)  Dass  das  verhältuis  nicht  das  umgekehrte  ist,  hoffe  ich  unten  ausführlich 
zu  zeigen. 

2)  Wenn  Neckel  s.  24  sagt,  A2  habe  sagenhistorisch  fast  keinen  wert,  und 
man  könne  sogar  in  Versuchung  geraten,  das  ganze  stück  für  eine  Sammlung  von 
reminiscenzen  an  frühere  stellen  der  saga  zu  halten,  wenn  es  'nicht  verhältnismässig 
zu  reich  an  echt  aussehenden  einzelheiten'  wäre,  so  hilft  uns  das  nicht  weiter.  Denn 
die  'echt  aussehenden  einzelheiten'  beweisen  denn  doch,  dass  das  stück  noch  eine 
andere  quelle  hatte  als  den  köpf  des  sagaschreibers ,  und  damit  ergibt  sich  für  den 
forscher  die  aufgäbe,  jener  quelle  ihre  Stellung  in  der  Überlieferung  zuzuweisen. 

3)  Wenn  Neckel  mir  einen  Vorwurf  daraus  macht,  dass  ich,  wo  in  der  saga 
dasselbe  auf  dieselbe  weise,  zum  teil  auch  in  gleichen  worten  erzählt  wird,  daraus 
schliesse,  dass  beide  stellen  aus  derselben  quelle  stammen,  und  behauptet,  die  wider- 
holung  beweise  gerade,  dass  nicht  beide  stellen  in  demselben  gedichte  gestanden  haben 
können,  so  hat  er  mich  gründlich  missverstanden  und  wirft  zwei  verschiedene  fragen 
durcheinander.  Denn  auch  wo  der  sagaschreiber  sich  widerholt,  hat  die  widerholung 
eine  quelle,  und  wenn  das  eine  frühere  stelle  der  saga  ist,  so  ist  die  quelle  dieser 
stelle  mittelbar    auch  die  der  anderen.     Es  ist  also  nach   diesem  princip    dui'cbaus 


444  BOER 

Dieser  unterschied  beruht  darauf,  dass  inBrll  der  gestaltentausoh  und 
was  damit  zusammenhängt  eingeführt  ist  ^-2. 

4.  Der  flammenritt,  ein  für  BrII,2  charakteristischer  jüngerer  zug, 
der  in  der  Sig.  sk.  fehlt.  Der  vafrlogi  wird  als  eine  maschinerie  der 
Brynhild  vorgestellt  (c.  29,  18).  Das  schwert  zwischen  ihnen  c.  26,  61, 
Sig.  sk.  str.  4. 

5.  Das  hochzeitsfest  wird  hauptsächlich  nach  B  dargestellt;  vgl. 
§  24.    Nur  BuÖli  stammt  aus  A,  vgl,  oben  3. 

6.  Der  streit  der  königinnen  c.  28,  1 — 16.  In  der  Sig.  sk.  nichts 
entsprechendes.    Es  ist  ein  dement  der  jüngeren  sagenform  Brll,  2. 

7.  Unterredung  mit  Gunnarr  c.  29,  5  —  48.     Darin: 

a)  z.  5  —  7  die  frage  nach  dem  ring,  vgl.  oben  s.  441  fg.;  folgt  aus  6. 

b)  z.  7 — 22,  nahezu  =  Sig.  sk.  35  —  39.  Wenn  Neckel  fragt:  'wem 
hat  Brynhild  sich  denn  gelobt?  dem  Graniritter  (z.  17),  dem  manne,  der 
ihre  bedingungen  erfüllte  {rihi  mhin  vafrloga  ok  drcppi  .  .  .  tnenn  .  .  .) 
oder  endlich  dem  der  dgo'xtr  var  altnn  (z.  24)?',  so  ist  zu  bemerken, 
dass  dieser  dreizahl  der  bestimmungen  in  der  Sig.  sk.  eine  doppelzahl 
entspricht:  der  Graniritter  =  Sig.sk.  39,3  —  4,  dem  der  ägcextr  var  alinn 
entspricht:  burar  Sig?mmdar  38,  6;  an  die  stelle  des  namens  tritt  die 
mehr  allgemeine  bezeichnung,  da  in  der  sagenform  Br  II  der  name 
nicht  genannt  werden  darf,  denn  Brynhild  gelobt  sich  ja  nicht  dem  SigurÖr 
wie  in  der  Sig.  sk.  Bleibt  also:  derjenige,  der  ihre  bedingungen  er- 
füllte; das  ist  der  zusatz  von  Br.  II,  2  wo  gerade  die  bedingung  das 
charakteristische  ist  und  den  betrug  veranlasst  {ok  drcfpi  .  .  .  menn  ist 
ein  jüngerer  zusatz,  und  zwar  des  sagaschreibers,  wie  sich  unten  §  24 
ergeben  wird).  Wenn  zwischen  der  mitteilung  dieser  bestimmungen  Bryn- 
hild daran  erinnert,  dass  nur  SigurÖr  das  feuer  durchritten  habe,  während 
Gunnarr  bleich  geworden  sei  wie  eine  leiche,  so  ist  das  eine  der  neuen 
Sagenauffassung  angepasste  und  natürlich  an  den  satz  über  den  vafrlogi 
geknüpfte    Umbildung    von  Sig.  sk.  39,  5  —  8.     Also   enthält  die  stelle 

richtig,  beide  stellen  auf  dieselbe  quelle,  also  in  unserem  fall  nicht  eine  auf  A,  die 
andere  auf  B  zurückzuführen.  Im  vorliegenden  fall  nun  kann  auch  von  einer  wider- 
holung  nicht  die  rede  sein,  da  die  stelle  (A2)  neue  momente  bringt,  die  27,  41fgg. 
fehlen  (vgl.  die  vorige  anmerkung);  die  kriegsbedrohuug  kennen  wir  nur  aus  A2.  — 
Dass  der  sagaschreiber  sich  keine  widerholungeu  und  missverständuisse  habe  zu  schulden 
kommen  lassen,  will  ich  der  letzte  sein  zu  behaupten,  aber  es  geht  auch  nicht  an, 
alles,  was  man  nicht  versteht,  dem  sagaverfasser  in  die  schuhe  zu.  schieben.  Mir 
scheint  es,  dass  Neckel  widerholt  in  diesen  fehler  verfallen  ist. 

1)  Über  die  Stellung  von  str.  36  —  38  in  dem  gedichte,  vgl.  unten  §  23. 

2)  Dieses  stück  (z.  41fgg.)  enthält  auch  einige  sätze  aus  der  Sig.  meiri,  s.  §  24. 


UNTERSrCHUNGEN  VBER  DEN  TTRSPRÜNG  UND  DIE  ENTWICKLUNG  DER  NIBELUNGENSAGE       445 

nichts   anderes   als   den    Inhalt  von   Sig.  sk.  35  —  39   mit   den   Zusätzen, 
die  die  neue  auffassung  der  sage  bedingt. 

c)  Es  folgt  eine  Verwünschung  der  Grimhild,  die  in  der  Sig.  sk. 
fehlt.  Ganz  natürlich.  Die  Sig.  sk.  weiss  auch  nichts  davon,  dass  es 
Grimhild  war,  die  den  rat  gegeben  hat,  dem  Sigurör  die  GuÖrün  an- 
zubieten. Neckel  sieht  die  stelle  für  eine  widerholung  von  c.  28,  60 
an,  aber  er  übersieht,  dass  die  beiden  Verwünschungen  den  beiden  an- 
bietungen c.  26,  20  —  35.  36fgg.  entsprechen,  die  erste  gehört  der  Sig. 
meiri  (B),  die  zweite  gehört  A  an.  Dass  Gunnarr  der  Brynhild  darauf 
ihre  grausamkeit  vorwirft,  erklärt  sich  daraus,  dass  sie  sich  zum  kämpfe 
bereit  erklärt  hat,  und  der  Vorwurf  der  Unzufriedenheit  ist  ganz  der 
Situation  angemessen.  Ihre  antwort  ekki  hqfum  ver  icuoipific/  haft  sieht 
allerdings  im  Zusammenhang  der  prosadarstellung  wunderlich  aus,  aber 
dass  sie  echt  ist,  zeigt  str.  40  der  Sig.  sk.  (Unna  einum  ne  ymissimi; 
bjöat  lim  hverfan  hiig  menskqgid),  zu  welcher  quelle  der  dichter  hier 
nach  einer  kurzen  abschweifung  zurückkehrt.  Die  Übereinstimmung  im 
Wortlaut  —  nicht  im  sinn  —  mit  c.  28,  40  ist  auf  den  einfluss  der 
Sig.  meiri,  von  dem  unten  noch  die  rede  sein  wird,  zurückzuführen. 

d)  Brynhild  will  Gunnarr  töten.  HQgni  bindet  sie,  Gunnarr  be- 
freit sie;  sie  erklärt,  dass  ihm  das  nichts  nütze,  denn  niemals  werde 
sie  wider  froh.  Das  ist  ganz  im  sinne  des  vorhergehenden;  Biynhilds 
zorn  wendet  sich  gegen  Gunnarr,  wie  sie  auch  im  vorhergehenden  den 
Sigurör  auf  seine  kosten  erhebt,  vgl.  auch  Brot  17  — 19.  Reine  erfindung 
des  dichters  ist  jedoch  auch  dieses  nicht;  es  sieht  wenigstens  aus  wie  eine 
Umbildung  des  motivs  der  Sig.  sk.,  dass  Brynhild  sich  töten  will,  was 
Gunnarr  zu  verhindern  versucht,  während  HQgni  ihn  davon  zurückhält. 
Gunuars  und  Hognis  verhalten  der  Brynhild  gegenüber  ist  dasselbe 
geblieben,  nur  ihre  Sinnesart  hat  sich  geändert:  anstatt  sich  selbst,  wie 
es  Br  II,  1  gemäss  ist,  will  sie  in  Übereinstimmung  mit  Br  II,  2  ihren 
mann,  den  sie  als  einen  feigling  und  einen  betrüger  erkannt  hat,  töten. 
Dann  gehen  aber  auch  die  Sig.  sk.  und  A  auseinander.  In  der  Sig.  sk. 
folgen  die  Vorbereitungen  zu  Bryuhilds  tod,  die  A  nicht  brauchen  kann; 
in  A  folgt  eine  neue  scene:  ,die  wehklagen  der  Brynhild  dringen  durch 
das  ganze  haus  bis  zu  GuÖrüns  obren,  und  daran  knüpft  sich  widerum 
ein  stück  von  B.  Noch  ein  paar  mal  aber  zeigt  sich  auch  in  den 
folgenden  zeilen  der  einfluss  der  Sig.  sk.  —  Die  bemerkung  z.  39fg.: 
kra^  hon  ser  Juit  mestan  härm,  (tt  hon  ütti  eigi  Signrh,  ist  wie  z.  25 
nü  eriun  ver  eibrofa,  er  ver  eigani  hann  eigi  zu  beurteilen,  sie  beweist 
nicht,  dass  Brynhild  den  SigurÖ  liebt,  sondern  nur,  dass  sie  zu  der  ein- 
sieht gelangt  ist,  dass  er  der  gemahl  ist,  der  ihr  von  rechts  wegen  zukam. 


446  BOER 

8.  Zweite  Unterredung  mit  Gunnarr  (A3  c.  29,  144 — 151),  die  auf- 
stachelung.  ßrjnhild  ist  zur  ruhe  gekommen;  sie  hat  sich  beraten. 
Nicht  Gunnarr,  SigurÖr  soll  sterben;  Gunnarr  aber  soll  zu  schänden 
gemacht  werden.  Sie  sagt  ihrem  manne,  SigurÖr  habe  in  der  nacht, 
als  er  neben  ihr  ruhte,  seine  treue  gebrochen  (über  die  quelle  dieser 
stelle  des  gedichtes  s.  s.  460). 

9.  Brot.  Jetzt  muss  Gunnarr  seine  ehre  retten,  er  tötet  Sigurbr 
und  bricht  seinen  eid;  dann  wird  er  von  Brynhild  verhöhnt.     Hier: 

a)  Str.  1  —  4.  Unterredung  von  Gunnarr  mit  HQgni.  Dieser  rät  vom 
morde  ab.  Das  ist  in  Übereinstimmung  mit  A2 ,  wo  HQgni  gleichfalls  Bryn- 
hild feindlich  gegenübersteht,  auf  der  andern  seite  mit  Sig.  sk.  15.  17,  wo 
HQgni  wie  hier  vom  morde  abrät.    Aufstachelung  des  Guttormr  (Sk.sk.  22). 

b)  str.  5.    SigurÖs  tod.    Hier  alte  züge  der  Hagensage  (§  5). 

c)  str.  6.  7.  Begegnung  der  mörder  mit  GuÖrün.  HQgni  tritt  in 
seiner  alten  rolle  auf  (vgl.  auch  Heusler  a.  a.  o.  s.  78  fussnote). 

d)  str.  8.  9.  Brynhild  freut  sich  über  Sigurbs  tod,  dessen  Übermut 
gebrochen  ist.  Hier  widerura  nahe  berührung  im  ausdruck  mit  Sig.  sk.  18, 
wo  Hogni  einen  ähnlichen  gedanken  ausspricht. 

e)  str.  10.  11.  Brynhild  freut  sich  und  lobt  von  neuem  die  tat  der 
brüder.  Auch  hier  nahe  berührung  mit  Sig.  sk.  30.  Gubrün  flucht 
Gunnarr  und  HQgni  und  weissagt  räche. 

f)  str.  12.  13.  Gunnars  Stimmung;  alte  züge,  die  nicht  zu  der 
Brynhildsage  gehören  (§  5). 

g)  str.  14.  15.  Brynhild  nennt  Sigurbs  tod  einen  härm,  den  sie 
laut  klagen  muss,  sonst  bräche  ihr  das  herz,  wie  Gering  trefflich  über- 
setzt. Das  Verhältnis  zu  str.  10  lässt  sich  wol  verstehen.  Der  freuden- 
schrei  str.  10  ist  ein  ausbruch  des  verhaltenen  gefühls,  ein  ausdruck 
der  plötzlich  eingetretenen  entspannung.  Aber  in  der  nacht  kommen 
andere  gedanken  auf.  Diese  nacht  lässt  sich  jener  anderen  nacht,  die 
zwischen  den  zwei  früheren  gesprächen  mit  Gunnarr  liegt,  vergleichen. 
Auch  da  war  das  resultat  ihrer  erwägungen  mit  dem  ersten  ausbruch 
des  gefühls  nicht  congruent.  Brynhild  wollte  erst  in  leidenschaft  den 
Gunnarr  töten;  nachher  entschloss  sie  sich,  den  Sigurbr  fallen  zu  lassen. 
So  freut  sie  sich  hier  über  die  gelungene  räche;  in  der  nacht  aber 
kommt  sie  zu  der  einsieht,  dass  etwas  schreckliches  geschehen  ist,  dass 
sie  den  besten  der  beiden  dem  tode  übergeben  hat,  und  dass  nur  ein 
Schwächling,  jetzt  zugleich  ein  eidbrüchiger,  ihr  übrig  bleibt.  Auch 
das  muss  sie  jetzt  aussprechen,  dann  ist  sie  mit  Gunnarr  fertig. 

Sind  hier  nun  Strophen,  die  Brynhilds  tod  erzählten,  verloren? 
Die  frage  lässt  sich  noch  nicht  entscheiden,  aber  es  lassen  sich  doch 


TJNTERSUCHTNGEN  ÜBER  DEN  TTRSPRTJNG  TIND  DIE  ENTWICKLUNG  DER  NIBELÜNGENSAOB        447 

schon  einige  gesichtspunkte  für  ihre  beurteilung  aufstellen.  Neckel  hat 
für  seine  ansieht,  dass  der  schluss  von  Brot  fehlt,  kein  einziges  arguraent 
angeführt.  Er  postuliert  nur,  dass  es  so  sein  müsse.  'Das  thema,  oder 
vielmehr  der  stoff  war  in  seinen  grundzügen  ja  gegeben '.  Den  nach- 
weis,  dass  das  nicht  der  fall  ist,  dass  vielmehr  die  entwicklung  der 
ti-adition  in  den  quellen  sich  schritt  für  schritt  verfolgen  lässt,  sucht 
die  vorliegende  abhandlung  zu  führen.  In  der  sagenform,  die  hier 
vorliegt,  ist,  wie  §  18  ausgeführt  wurde,  für  Brynhilds  tod  kein  platz, 
weil  sie  den  SigurÖr  nicht  liebt,  und  nur  als  ein  aus  einer  älteren 
sagenform  herübergeschlepptes  motiv  Hesse  sich  hier  Br3'nhilds  tod 
verstehen,  wenn  er  überliefert  wäre.  'Ihr  entschluss,  der  Wahrheit 
die  ehre  zu  geben,  ist  der  entschluss  einer  sterbenden'.  Das  ist  eine 
petitio  principii.  Wenn  ihr  tod  hier  folgte,  so  könnte  man  die  sache 
so  auffassen.  Er  folgt  aber  nicht,  und  die  mitteilung  der  Wahrheit, 
die  sie  keinen  einzigen  grund  zu  verhehlen,  aber  allen  grund  mit- 
zuteilen hat,  erklärt  sich  vollständig  aus  der  Situation.  'Es  ist  ganz 
undenkbar,  dass  eines  dieser  gedichte  eine  lösung  der  aufgäbe  darstelle, 
die  „"weise"  zu  besingen,  „wie  Brvnhild  Gunnarr  dazu  brachte,  Sigurd 
zu  töten".'  Mir  scheint  es  'ganz  undenkbar^,  dass  ein  philologe  im 
20.  Jahrhundert  im  voraus  wissen  kann,  welche  aufgäbe  ein  alter  .dichter 
sich  gestellt  hat.  Ja,  w-enn  das  nur  eine  'logische  distinction'  wäre,  wie 
Neckel  behauptet.  Aber  es  ist  eben  die  katastrophe  der  alten  sage, 
und  des  gedichtes  —  SigurÖs  tod.  Wenn  damit  'das  nachlassen  der 
Spannung  bei  ihm  (dem  dichter)  und  den  hörern  ein  aufhören'  nicht 
'gestattet',  so  wüsste  ich  nicht,  wo  das  gestattet  sein  sollte. 

Unter  solchen  umständen  scheint  es  mir,  dass  wir  uns  an  die 
Überlieferung  zu  halten  haben.  Und  da  fällt  es  schwer  ins  gewicht, 
dass  Brot  tatsächlich  Brynhilds  tod  nicht  erzählt.  Wenn  also  anderswo 
keine  directen  andeutungen  vorhanden  sind,  dass  Brynhilds  tod  im  ge- 
dieht mitgeteilt  war,  so  müssen  wir  Brot  glauben.  Indessen  bemerke 
ich  schon  hier,  dass  es  solche  andeutungen  gibt,  auf  die  weder  Neckel 
noch  ich  früher  aufmerksam  geworden  sind,  aber  zugleich,  dass  die  dar- 
stellung  eine  kurze  war,  die  auf  die  sache  kein  grosses  gewicht  legte. 
Ehe  wir  darauf  tiefer  eingehen,  müssen  wir  aber  die  andere  frage  be- 
sprechen, ob  das,  was  oben  als  A  zugehörig  bezeichnet  wurde,  ein  ein- 
heitliches gedieht  ist. 

Fragt  man  nach  der  auffassung  von  Brynhilds  Charakter  und  ihren 
motiven,  so  scheint  es  mir,  dass  von  dieser  seite  gegen  die  einheitlich- 
keit  von  A  nichts  einzuwenden  ist.  Die  sagenform  ist  überall  dieselbe. 
Es  ist  eine  form   von   Brll,  2,  die  sich  schon  stark  in   der  richtung 


448  BOER 

nach  II,  3,  wie  diese  in  den  deutschen  quellen  vorliegt,  entwickelt  hat. 
Die  frühere  erlösung  der  Brynhild  ist  ganz  vergessen  oder  beiseite  ge- 
lassen. Das  beruht  auf  dem  einfluss  der  Sig.  sk.,  die  für  den  anfang 
des  gedichtes  das  directe  vorbild  war,  die  allerdings  die  erlösung 
kannte,  aber  sie  aus  rücksichten  der  composition  fortliess.  Hier  zählt 
die  geschichte  nicht  mehr  mit.  Nur  in  der  willkürlichkeit,  mit  der 
Brjnhild  mit  dem  flammenwall  umgeht,  erkennt  man  die  anpassung. 
Brynhild  hat  ihre  erwerbung  von  der  erfüUung  einer  bedingung  abhängig 
gemacht;  allerdings  hat  sie  geglaubt,  SigurÖr  würde  den  vafrlogi  durch- 
reiten, aber  sie  hat  sich  darein  ergeben,  dass  Gunnarr  die  tat  vollbracht 
hat;  sie  hat  ihn  geliebt,  bis  sie  erfahren  hat,  dass  man  sie  betrogen 
hat;  auch  jetzt  liebt  sie  den  SigurÖr  nicht,  aber  sie  gönnt  ihn  auch  nicht 
der  GuÖrün.  Wider  SigurÖr  richtet  sich  ihr  zorn,  aber  darin  mischt 
sich  bewunderung;  den  Gunnarr  verachtet  sie  von  diesem  augenblick  an; 
sie  rächt  sich  an  ihm  dadurch,  dass  sie  ihn  als  ein  instrument  ihrer 
räche  an  SigurÖr  benutzt.  Diese  anschauung  ist  durchaus  einheitlich; 
nirgends  kommt  eine  andere  auffassung  zum  worte. 

Einwendungen  sind  von  selten  der  form  gemacht  worden.  Frei- 
lich ist  es  eine  missliche  sache,  die  form  eines  gedichtes  nach  einer 
paraphrase  zu  beurteilen.  Es  will  mir  auch  scheinen,  dass  Heusler  in 
der  beurteilung  des  Stiles  der  verlorenen  Strophen  weiter  geht,  als  die 
prosa  gestattet.  Aber  eine  Schwierigkeit  ist  doch  vorhanden.  Der  stil 
von  Brot  wird  mit  recht  gelobt;  viele  Strophen  sehen  altertümhch  aus; 
der  dichter  weiss  sehr  wol  seine  eigenen  werte  zu  finden.  Ist  es  an- 
zunehmen, dass  ein  dichter  von  dieser  begabung  sich  für  einen  teil 
seines  gedichtes  so  abhängig  von  einem  fremden  gedichte  gemacht 
habe,  wie  der  anfang  von  A  von  der  Sig.  sk.  ist?  Sagenhistorisch 
kommt  hinzu,  dass  die  vielen  altertümlichen  züge  in  Brot  sich  in 
einem  verhältnismäßig  jungen  gedichte  wie  A  schwierig  erklären 
lassen. 

Die  möglichkeit,  dass  ein  guter  dichter,  der  sich  wol  auszudrücken 
vermag,  bis  zu  einem  gewissen  punkte  einer  ihm  vorliegenden  darstel- 
lung  auch  im  ausdruck  folgt,  und  dass  seine  eigene  begabung  erst  zu 
ihrem  recht  kommt,  wenn  er  in  einer  späteren  partie  seine  eigenen 
wege  geht,  ist  nicht  von  vornherein  zu  verneinen.  Auch  etwaige  unter- 
schiede im  Stil  verschiedener  teile  lassen  sich  auf  diese  weise  wol  er- 
klären, und  für  den  stilistischen  unterschied  zwischen  verschiedenen 
gedichten,  wie  die  Sig.  sk.  und  Brot,  bietet  das  alter  nicht  das  einzige 
erklärungsprincip;  es  kann  auch  in  der  Individualität  der  dichter  liegen. 
Wir  werden  auch  später  sehen,   dass  der  stil  des  dichters  von  A  kein 


UNTERSUCHUNGEN  ÜBER  DEN  URSPRUNG  ITND  DIE  ENTWICKLUNG  DER  NIBELUNOENSAGE        449 

schlechter  war.  Positive  beweise  dafür,  dass  Brot  älter  als  die  Sig.  sk. 
ist,  werden  sich  aus  dem  stil  kaum  erbringen  lassen.  Doch  luuss  auch 
die  möglichkeit  erwogen  werden,  dass  A  zwei  quellen  nacheinander  be- 
nutzt hat.  Die  eigentümlichkeiten  einiger  Brotstrophen  würden  sich 
dann  daraus  erklären  lassen,  dass  der  dichter  von  A  aus  einer  älteren 
quelle  einige  Strophen  aufgenommen  hätte. 

Solange  wii-  ausschliesslich  mit  Brot  und  den  vorhergehenden 
teilen  von  A  rechnen,  scheint  auch  diese  ansieht  die  einzig  mögliche 
zu  sein.  Daraus  würden  sich  mehrere  Widersprüche  in  Brot,  die  ich 
vorläufig  nur  kurz  andeute,  erklären  lassen.  Die  doppelte  einführung 
von  Brynhild  str.  8  und  10  würde  dadurch  verständlich  werden,  dass 
Str.  10  aus  jener  alten  quelle  stammte,  während  str.  8.  9  dem  dichter 
von  A  gehörten.  Ebenso  der  Widerspruch,  dass  Hqgni  str.  2  von  der 
tat  abrät  und  dass  str.  4  Guttormr  dazu  aufgereizt  wird,  während  str.  7 
HQgni  sich  der  tat  rühmt. 

Indessen,  wir  sind  mit  den  liedern  der  lücke  nicht  fertig,  solange 
wir  nicht  auch  c.  30.  31  der  YQlsungasaga  verstanden  haben.  Freilich 
beruhen  diese  capitel  zum  grossen  teil  auf  der  Sig.  sk.,' und  daneben 
sind  auch  Brotstrophen  paraphrasiert  worden,  aber  es  gibt  auch  stellen, 
die  weder  aus  der  Sig.  sk.  noch  aus  Brot  stammen,  und  für  die  es  nicht 
angeht,  den  sagaschreiber  ohne  weiteres  verantwortlich  zu  machen,  am 
wenigsten  da,  wo  durch  die  widerhol ungen  Unklarheiten  in  die  darstel- 
lung  hineingetragen  werden.  Fasst  man  diese  stellen  zusammen,  so 
ergibt  sich  eine  darstellung  von  Sigfrids  tod,  die  von  Brot  in  wichtigen 
punkten  abweicht. 

C.  30  hebt  mit  einem  gespräch  zwischen  Gunnarr  und  Brynhild 
an.  Der  anfang  bis  z.  25  paraphrasiert  sehr  genau  Sig.  sk.  6,  1 — 4. 
str.  10  —  20.  In  diesem  abschnitt  findet  sich  nur  eine  kurze  bemerkung, 
die  aus  einem  anderen  Zusammenhang  stammt:  z.  15  kvah  kann  hafa 
vell  sik  i  trygh.  Das  entspricht  der  darstellung  der  saga,  die  am  schluss 
von  c.  29  Brynhilds  Verleumdung  nach  A  erzählt  hat,  und  dem  ent- 
sprechen auch  die  Brotstrophen^  zu  denen  der  sagaschreiber  später  zurück- 
kehrt. Die  bemerkung  war  hier  natürlich  unentbehrlich,  aber  daneben 
findet  sich  der  aus  der  Sig.  sk.  stammende  verschlag,  at  vela  Sigurb 
tu  fjür.  Das  stück  schliesst  mit  dem  entschluss,  den  Guttormr  auf- 
zustacheln. 

Z.  25  beginnt  ein  neues  stück,  das  auf  denselben  entschluss  hinaus- 
läuft. HQgni  macht  von  neuem  einwendungen  z.  25  —  27.  Das  ist  Brut  1 
ähnüch;  nur  dass  hier  H^gni  sich  mit  einer  frage  begnügt;  doch  ist  die 

ZK1T.SCHR1FT   F.  DEUTSCHE   PHILOLOGIE.      bU.  XXX VII.  29 


450  BOER 

möglichkeit  zu  erwcägen,  dass  der  inlialt  von  z.  25—27  in  Brot  vor  der 
ersten  erhaltenen  Strophe  stand.  Oder  die  warnung  entspricht  Brot  3 
(vgl.  unten).  Gunnarr  sagt,  einer  von  beiden,  SigurÖr  oder  er,  müsse 
sterben.  Aus  welcher  quelle  das  stammt,  das  zeigt  c.  29,  150,  wo 
Brynhild  gedroht  hat:  petta  skal  vera  hani  Sigurhar  e^a pinn  eÖa  minn. 
Nun  heisst  es  auf  einmal  (z.  28fg.):  hcmn  bihr  Brynli.ildi  upp  standa  oh 
vera  kdta;  hon  siöh  upp  ok  segir  p6^  at  Gunnarr  mun  eigi  koma  fyrr 
i  sama  rekkjii  henni,  en  petta  er  fram  kornit.  Und  dann:  Nu  roehax 
peir  vi^  hrce^r.  Diese  kurze  Unterredung  mit  Brynhild  mitten  im  ge- 
spräch  mit  HQgni  ist  überaus  auffällig,  aber  wenn  man  erwägt,  dass 
der  sagaschreiber  die  quelle  wechselt,  so  wird  sie  begreiflich.  HQgnis 
einwendung  und  Gunnars  antwort  z.  25  —  28  hat  der  sagaschreiber  aus 
compositionsrücksichteu  zum  gespräch  der  Sig.  sk.  gezogen.  Dann  be- 
richtet er  nach  A,  dass  Gunnarr  Brynhild  bittet,  sich  zu  beruhigen, 
dass  sie  aber  die  bestimmte  bedingung  stellt,  dass  er  ihrem  wünsche 
nachkomme  und  SigurÖr  töte,  en  Jjetta  er  fram  komit  geht  direct  auf 
c.  29,  150.  Also  z.  1  —  25  Sig.  sk.,  z.  25  —  31  A  in  der  reihenfolge 
27  —  31.  25 — 27.  Dann  heisst  es  z.  32  fg.:  Gunna?T  segir ^  at  Jjeiia  er 
gild  bonasgk,  at  hafa  tekit  megdöm  Brynhüdar.  Das  ist  Brot  2.  Aber 
da  der  sagaschreiber  die  mitteilung  über  den  mcydömr  schon  z.  15 
vorausgenommen  hat,  macht  er  es  hier  mit  einer  kurzen  hindeutung 
ab,  und  auch  Brot  3,  dem  schon  z.  27  fgg.  entsprechen,  übergeht  er; 
dann  rät  Gunnarr,  den  Guttormr  aufzustacheln,  und  es  folgt  str.  26, 
eine  Variante  von  Brot  4. 

In  Brot  folgt  nun  SigurÖs  ermordung  im  freien  durch  Hogni, 
nicht  durch  Guttormr  und  dann  eine  begegnung  der  mörder  mit  GuÖrün 
und  Brynhild.  Die  saga  erzählt  Sigurös  betttod  durch  Guttormr.  Wenn 
die  darstell ung  sich  ganz  aus  der  Sig.  sk.  erklären  Hesse,  so  raüsste 
man  annehmen,  dass  die  inconsequenz  von  Brot,  das  str.  5  fgg.  Hogni 
als  den  mörder  darstellt,  während  doch  str.  4  die  ermordung  durch 
Guttormr  vorbereitet,  sich  auch  in  A  vorgefunden  habe.  Aber  die  saga 
teilt  einzelheiten  mit,  die  in  der  Sig.  sk.  nicht  stehen,  und  die  der  Ver- 
fasser nicht  ersonnen  haben  kann.  Dreimal  betritt  Guttormr  SigurÖs 
schlafgemach,  zweimal  wird  er  durch  den  scharfen  blick  seines  opfers 
abgeschreckt;  das  dritte  mal  findet  er  ihn  schlafend  und  durchbohrt  ihn: 
svä  at  blöhreßllinii  stob  l  dynuin  undir  honum.  Das  stammt  aus  einer 
anderen  quelle  als  der  Sig.  sk. ;  es  kann  nur  dieselbe  quelle  sein,  die 
auch  den  zweiten  entschluss  zur  aufstachelung  des  Guttormr  enthielt. 
Yon  dieser  quelle  wissen  wir  nun:  1.  dass  sie  der  darstellung  der  Sig.  sk. 
folgt,  aber  sie   weiter  ausführt,   was   A   auch   in   fi-üheren  partien  tut; 


TJNTERSTJCHUNGEN  ÜBER  DEN  UTtSPRUNG  UXD  DIE  ENTWICKLUNG  DER  NIliELUNGENSAGK        451 

2.  dass  ihre  darstellimg  die  von  Brot  1  —  4  war.  Noch  ein  weiterei 
anklang  an  die  Sig.  sk.  findet  sich  hier  z.  49,  wo  ein  zog  von  Brynhild 
auf  Sigurör  übertragen  ist:  Sigurtw  vissi  sik  ok  eigi  veln  vertan  frd 
Jmin,  vgl.  Sig.  sk.  5,  5  —  6;  sogar  die  fatalistische  benierkung  (jengu 
pess  ü  milli  grimmar  iirjyir  (Sig.  sk.  5,  7 — 8)  fehlt  nicht:  z.  48  mdtti 
härm  ok  eigi  ?'/ö  skqpum  vinna  ne  sinu  aldrlagi. 

Der  verwundete  SigurÖr  hält  eine  rede  (z.  58 — 78),  deren  liaupt- 
teil  (bis  72  schluss)  genau  Sig.  sk.  25,  5  —  28  entspricht  (nur  z.  68fg.: 
ok  7iii  er  pat  fram  komii  er  fgrir  Iqngu  var  spdt^  ok  ver  Ugfum  didix  vih, 
en  engi  md  vib  skqjnwi  vin7ia,  ist  wol  eine  bezugnahme  des  sagaschrei- 
bers  auf  Grrjpisspä,  vgl.  jedoch  z.  48 fg.),  aber  dann  fährt  er  fort  (z.  74 fg.): 
ok  ef  ek  hefha  vitat  J)etta  fyrir,  ok  stiga  ek  d  mina  ftctr  wzeÖ  min 
vdpn,  P)d  skyldu  margir  tgiia  sinu  liß,  dhr  en  ek  fella,  ok  allir  Jieir 
broebr  drepnir,  ok  torveldra  mundi  J)eim  at  drepa  mik  en  enn  mesta 
visimd  eöa  villigglt.  Bugge  verweist  zu  dieser  stelle  auf  I^S  s.  301, 
22  —  24:  oe  ef  petta  vissa  ek.  J)a  er  ek  stob  uppa  mina  fcetr.  ahr 
Jm  ynuir  petta  verk  at  fa  mer  banasar.  Jja  vceri  7)iinn  skiolldr  hrotinn 
oc  hialmr  spiltr  oc  niitt  sverh  skorhott.  oc  mceiri  von  aör  J)etta  vceri 
gort,  at  allir  per  fiorir  vceri  daubir.  Eanisch  hingegen  vergleicht 
z.  27  (1.  26) — 30:  Nu  mcelti  Haiigni  Allan  Jjcjina  morgin  hoföm  ver 
teilt  ceinn  villigault  oc  ver  fiorir  fengini  kann  varla  sott,  en  nu  a 
litilli  rib  hcefi  ek  vceitt  ceinsanian  ceinn  biorn  eba  ceinn  visund.  oc 
verra  vceri  oss  fiorom  at  siekia  Sigiirb  svcein,  ef  härm  vceri  vib  buinn. 
en  at  drepa  hiorn  eba  visimd.  —  Beide  gleichungen  haben  ihre  rich- 
tigkeit;  es  fragt  sich  nur,  wie  das  Verhältnis  dieser  stellen  zu  der  VqI- 
sungasaga  zu  beurteilen  ist.  Dass  der  sagaverfasser  oder  ein  abschreiber 
die  beiden  stellen  der  I>S  auf  diese  weise  verbunden  haben  sollte,  ist 
nicht  anzunehmen:  c.  22  lehrt,  von  welcher  art  die  spuren  sind,  die 
die  beeinflussung  der  saga  durch  eine  schriftliche  quelle  iiinterlässt.  Es 
ist  also  die  quelle  der  saga,  die  in  SigurÖs  prahlerische  rede  aus  HQgnis 
rede  die  vergleichung  mit  einem  visundr  und  einem  villiggltr  auf- 
genommen hat.  Der  grund  ist  klar.  In  dem  deutschen  gedieht  tötet 
Hagen  den  beiden  und  hält  darauf  die  leichenrede;  in  dem  nordischen 
gedichte  ist  der  mörder  Guttormr  schon  tot,  und  niemand  als  SigurÖr 
selbst  ist  da,  um  die  werte  auszusprechen.  Die  stelle  zeigt  widerum, 
dass,  obgleich  der  dichter  im  ganzen  der  Sig.  sk.  auf  dem  fuss  folgt, 
doch  seine  neuerungen  nicht  auf  seiner  eigenen  erfindung,  sondern  auf 
einer  zweiten  quelle  beruhen.  Und  als  solche  lernen  wir  hier  ein  deut- 
sches gedieht  kennen,  dasselbe,  auf  dem  c.  344  der  PS  beruht.  Wir 
Averden  dieser  quelle  auch  im  folgenden  begegnen. 

liü* 


452  BOEE 

Von  z.  78  an  liegt  widerum  die  Sig.  sk,  zu  gründe;  z.  78—84  = 
Sig.  sk.  29  — 32,  z.  86  —  88  =  Sig.  sk.  33.  "Dazwischen  findet  sich  eine 
im  Zusammenhang  unmögliche  bemerkung  in  Gunnars  anrede  an  Bryn- 
hild.  Verbinden  wir  diese  mit  dem  folgenden  nicht  aus  der  Sig.  sk. 
stammenden  stück  88  —  95,  so  bekommen  wir  einen  richtigen  Zusammen- 
hang; die  Zeilen  verteilen  sich  über  zwei  auftritte,  deren  reihenfolge 
der  sagaschreiber  widerum  aus  compositionsrücksichten  umgedreht  hat. 
Was  in  der  quelle  vorangieng,  war  z.  90  —  95:  Gubrün  mcElti:  Frcendr 
tninir  hafa  clrepit  minn  mann;  nü  munu  per  riba  i  her  fyrst,  ok  er 
per  komih  til  bardaga,  ]>d  munu  per  finna,  at  Sigurhr  er  eigi  d  ahra 
hqnd  y^r,  ok  munu  per  Jm  sjd,  at  Sigur^r  var  ybur  gcefa  ok  styrkr, 
ok  ef  Jumn  cetti  ser  slika  sonn,  Jm  mcciti  J)er  styrkjax  vib  hans  afkvcemi 
ok  sina  frcendr. 

Was  liier  vor  allem  auffällig  erscheint,  ist  der  Wechsel  in  der  an- 
wenduDg  der  zweiten  und  der  dritten  persou.  Am  anfang  heisst  es: 
frcendr  mmir,  am  schluss:  sina  frcendr,  aber  dazwischen:  munu  per. 
er  per  komib  usw. ;  siebenmal  begegnet  per  resp.  yhr.  Der  sagaschreiber 
hat  die  worte  der  GuÖrun  in  ein  gespräch  zwischen  Hogni  und  Gunnarr, 
woran  er  auch  Brynhild  teilnehmen  lässt,  aufgenommen,  daher  die  zweite 
person;  durch  ein  versehen  hat  er  an  zwei  stellen  die  dritte  person 
stehen  gelassen.  Das  richtige  ist:  1.  gespräch  zwischen  Gunnarr  und 
Brynhild  (Sig.  sk.  bis  z.  84);  2.  monolog  der  Guörün  bei  SigurÖs  leiche 
(nach  A);  3.  gespräch  zwischen  Gunnarr  und  HQgni  (nach  A;  hier- 
bei z.  84  —  85).  In  der  saga  wird  daraus  eine  Unterredung  von  vier 
personen.' 

Wenn  GuÖrün  die  oben  citierten  worte  im  schlafgemach  über  ihren 
toten  mann  spricht,  so  werden  sie  verständlich.  Sie  entsprechen  Sig.  sk. 
27,  1-  4,  wo  SigurÖr  etwas  ähnliches  sagt:  Ribra  Jieim  sihan  pöt  sjau 
alir  systursonr  slikr'^  at  pingi.  Da  der  dichter  von  A  den  Sigurör, 
wie  wir  gesehen  haben,  in  einem  ganz  andern  tone  über  die  brüder 
reden  lässt,  benutzte  er  Sig.  sk.  27,  1 — 4  als  ein  motiv,  worüber  er  eine 
leichenrede  der  GuÖrün  zusammenstellte.  Ganz  in  seiner  gewohnten 
manier. 

Darauf  wechselte  das  gedieht  das  local;  es  folgte  ein  gespräch 
zwischen  Gunnarr  und  HQgni.  Gunnarr  sagt  (z.  84fg.):  nü  verbum  ver 
at  sitja  yfir  mdgi  vdrum  ok  bröhiirhana.  Hggni  antwortet:  Nu  er 
fram  komit  pat,  er  Brynhildr  späht,  ok  Jjetta  et  illa  verk  fäm  ver 
aldri  boeit.  Die  tendenz  der  replik  ist  vollkommen  klar  und  in  Über- 
einstimmung mit  Hognis  verhalten  in  dem  gedieht.    Nur  das  ist  unver- 

1)  D.  h.  ein  schwestersohn  der  mich  ersetzt,  s.  uuteii  s.  453  anin. 


U.NTERSUCHUNGEN  ÜBER  DKN  URSPRUNG   UND  DIE  ENTWICKLUNG  DER  NIBKLUNGENSAGE        453 

ständlich,  dass  Hogni  von  einer  Weissagung-  der  Brynliild  redet.  Tch 
möchte  annehmen,  dass  hier  ein  missverständnis  vorliegt.  Denn  lier, 
der  vorausgesagt  hat,  dass  es  schlimm  ablaufen  werde,  ist  nicht 
Brynhild,  sondern  Hogni.  Brynhild  aber  hat  gSAvünscht,  dass  es  so 
gehen  werde.  Wahrscheinlich  stand  etwas  ähnliches  in  kurzer  form  in 
der  quelle  der  saga,  und  der  sagaschroiber  hat  den  ausdruck  nicht  richtig 
verstanden.  Auf  jeden  fall  wäre  es  unmethodisch,  nur  wegen  des  aus- 
drucks  Brynhildr  sjxihi  an  eine  dritte  quelle  zu  denken. 

Der  anfang  von  c.  31  beruht  auf  den  schlussstrophen  von  Brot. 
Str.  14  wird  übergangen,  aber  da  z.  2  er  hon  harmcibi  meb  gräti  {=  Brot 
15,  5  —  6)  sich  auf  sie  bezieht,  stand  sie  in  der  quelle.  Der  saga- 
schreiber  hat  sie  wol  übergangen,  weil  er  sie  mit  c.  30,  80  —  88  nicht 
gut  in  einklang  zu  bringen  vermochte,  c.  31,  1 — 11  =  Brot  15 — 19. 
Dann  kehrt  der  Verfasser  zu  der  Sig.  sk.  zurück,  wo  er  sie  verlassen 
hatte;  z.  11  —  60  =  Sig.  sk.  34 — 71.  Nur  z.  12:  meh  febr  7ninnm  statt 
ä  fleti  hröhur  (str.  34,  8)  im  anschluss  an  die  darstellung  der  Werbung, 
die  zum  teil  nach  A  erzählt  ist.  Str.  36  —  41  werden  sehr  kurz  wider- 
gegeben, da  der  inhalt  c.  29,  5fgg.  durchaus  ähnlich  ist.  Auch  der  auf- 
tritt mit  den  mägden,  str.  47 — 52,  ist  sehr  kurz  dargestellt;  die  pointe 
wird  —  weil  nicht  verstanden?  —  fortgelassen.  Im  übrigen  drückt  der 
sagaschreiber  sich  zwar  kurz  aus,  aber  er  lässt  nichts  wesentliches  fort. 

Dann  aber  folgen  widerum  berichte,  die  weder  in  der  Sig.  sk.  noch 
irgendwo  anders  im  Codex  regius  stehen,  und  für  die  auch  der  saga- 
schreiber nicht  verantwortlich  sein  kann.  Ein  Scheiterhaufen  wird  auf- 
geschichtet, darauf  werden  SigurÖs  leiche  und  die  seines  sohnes,  den 
Brynhild  hatte  töten  lassen,  sowie  Gruttorms  leichnam  gelegt.  Ok  er 
hälit  var  alt  loganda,  gekk  Brynhüclr  par  ä  üt  ok  mcelti  vib  skemmu- 
meyjar  sinar,  at  Jxbt  toßki  gull  pat,  er  hon  vildi  gefa  peim,  ok  eptir 
petta  deyr  Brynhildr  ok  braun  par  meh  Sigiirhi  ok  lauk  svä  peira  cevi. 

Hier  ist  verschiedenes  auffällig:  1.  Brynhild  hat  Sigurös  kleinen 
söhn  töten  lassen.  Davon  wissen  die  übrigen  quellen  nichts.  Nur  die 
Sig.  sk.  hat  eine  andeutung.  SigurÖr  fürchtet  str.  26,  dass  sein  junger 
söhn  im  hause  des  feindes  nicht  sicher  sein  wird^.     Der  dichter  von  A 

1)  Allerdings  gibt  Bryuhild  iu  der  Sig.  sk.  str.  12  den  rat,  den  knabeu  zu  töten, 
aber  darau.s  wird  später  nichts,  und  da  der  rat  auch  Brynhilds  Stimmung  in  keiner 
weise  entspricht,  kann  man  mit  recht  fragen,  ob  die  Strophe  au  dieser  stelle  wol 
ursprünglich  ist.  —  Str.  27  riSra  peim  sidan  —  at  pingi  (vgl.  oben  s.  4.52)  bedeutet 
nicht,  dass  der  knabe  getötet  worden  ist,  denn  noch  str.  26  redet  Sigurör  von  ihm 
als  von  einem  lebenden;  was  für  ein  vergleich  wäre  das  auch:  ein  solcher  schwester- 
sohn  wie  dieser  —   dreijährige!  —  knabe  wird  deine  bi-üder  nicht  begleiten!    slikr 


454  BOER 

arbeitet  in  seiner  gewobnf<!'n  weise  das  motiv  aus;  SigurÖs  solm  ist  er- 
mordet worden,  .nnd   Brynliiid  hat  ihn  töten  lassen. 

2.  In  der  Sig.  sk.  hat  Brynhikl  Gunnarr  gebeten,  sie  neben  SigurÖr 
auf  den  Scheiterhaufen  zu  legen,  und  das  schwert  zwischen  sie.  Das 
setzt  voraus,  dass  sie  stirbt,  bevor  sie  den  Scheiterhaufen  besteigt,  und 
aus  dem  schluss  des  gedichtes  geht  das  auch  klar  hervor.  Wenn  aber 
Brynhild  erst,  wenn  der  Scheiterhaufen  in  lichter  lohe  steht,  denselben 
besteigt,  so  macht  sie  die  erfüllung  ihres  klar  ausgesprochenen  Wunsches, 
dass  zwischen  sie  und  den  geliebten  ein  schwert  gelegt  werde,  geradezu 
unmöglich.  Das  muss  doch  auch  der  sagaverfasser  eingesehen  haben. 
Wenn  er  das  nichtsdestoweniger  mitteilt,  so  muss  das  in  einer  seiner 
quellen  gestanden  haben.  Das  kann  widernm  nur  A  sein,  die  es  auch 
hier  besser  als  die  Sig.  sk.  machen  wollte.  Das  gedieht  enthielt  nicht 
die  bitte  an  Gunnarr  und  ebensowenig  Brynhilds  tod  durch  das  schwert; 
es  erzählte,  dass  Brynhild,  als  SigurÖs  Scheiterhaufen  angezündet  worden 
war,  denselben  bestieg,  um  sich  lebendig  mit  SigurÖr  verbrennen  zu 
lassen.  Die  lange  prophetische  rede,  die  die  Sig.  sk.  der  sterbenden 
Brynhild  in  den  mund  legt,  hat  der  dichter  dementsprechend  auch  fort- 
gelassen, und  damit  ist  in  Übereinstimmung,  dass  die  paraphrase  dieser 
rede  nichts  enthält,  was  aus  einer  andern  quelle  als  der  Sig.  sk.  stammt. 
Aber  er  ersetzt  das  motiv,  dass  die  sterbende  framsyn  ist,  durch  einen 
träum;  der  träum  ist  kurz,  aber  er  charakterisiert  die  träumerin  vor- 
trefflich: er  weissagt  dem  Gunnarr  böses.  Alle  einzelheiten  fehlen. 
Es  ist  Brot  16,  c.  31,  3fgg.  Auf  diesen  träum  und  die  zurücknähme 
der  beschuldigung  wider  Sigurör  folgten  also  die  z.  61 — 68  entsprechen- 
den Strophen. 

3.  Daraus,  dass  hier  eine  zweite  darstellung  von  Brynhilds  tod 
benutzt  worden  ist,  erklärt  es  sich  auch,  dass  hier  noch  einmal  von 
dem  golde  die  rede  ist,  das  Brynhild  den  mägden  geben  will,  was 
schon  z.  29  nach  der  Sig.  sk.  mitgeteilt  wurde.  Den  tod  der  mägde 
wird  das  gedieht  nicht  enthalten  haben,  denn  er  hängt  in  der  Sig.  sk. 
unmittelbar  mit  Brynhilds  tod  durch  das  schwert  zusammen.  Dem  ent- 
spricht, dass  z.  61—68  keine  von  den  dienerinnen  und  dienern,  von 
denen  z.  56fgg.  die  rede  ist,  auf  den  Scheiterhaufen  gelegt  werden.  An 
ihre  stelle  treten  Guttormr  und  Sigurös  söhn.  Nur  das  austeilen  des 
goldes  hat  der  dichter  beibehalten.  Wir  finden  bestätigt,  einerseits  gegen 
unsere  erwartung,  dass  in  A  Brynhild  mit  Sigurör  stirbt,  andererseits 

geht  auf  Sigurör:  'wenn  du  auch  sieben  söhne  gebierst,  so  wh-d  keiner  von  diesen 
jemals  ein  solcher  sein,  wie  ich  war'.  —  Ich  vermute,  dass  str.  12  durch  einen  irrtum 
der  Überlieferung  aus  A  in  die  Sig.  sk.  übergegangen  ist. 


rXTEKSUCnUNGEN  fl3ER  DEN  URSPRUNG    UND  DIE  ENTWICKLUNG  DER  MItEEUNGENSAGE        155 

in  iibereiustimnmng  mit  unserer  erwartung,  dass  der  dichter  darauf 
kein  hauptgewiclit  legt.  Dieser  dichter,  der  sonst  überall  die  angaben 
der  Sig.  sk.  ausführt,  hat  nur  hier  in  sehr  bedeutendem  grade  gekürzt. 
Die  nackte  tatsache  entnimmt  er  der  Sig.  sk.;  die  todesart  ändert  er; 
über  die  niotive  äussert  er  sich  nicht.  Mit  hilfe  der  schlussstrophen 
von  Brot  können  wir  constatiereu ,  dass  er  3 P/o  Strophen  Sig.  sk.  40, 
5  —  71  auf  etwa  zwei  oder  drei  roduciert  hat.  Brot  14.  15  redet 
Brynhild  noch  wie  eine,  die  nicht  zu  sterben  gedenkt;  sie  sagt,  sie 
müsse  den  Jammer  klagen,  da  sie  sonst  sterben  würde;  dann  folgt  str.  16 
der  träum.  Dieser  ist  mit  str.  53  —  64  der  Sig.  sk.  parallel,  aber  wenn 
Brynhild  z.  4  geträumt  hat,  ihr  bett  wäre  kalt,  und  damit  auf  ihre 
wittwenschaft  anspielt,  so  sieht  das  widerum  aus,  als  gedenke  sie  noch 
nach  (iunnarr  zu  leben.  Auch  die  langen  versuche,  sie  zurückzuhalten, 
die  in  der  Sig.  sk.  vorangehen,  fehlen.  Brot  17  — 19  beziehen  sich  nicht 
auf  Brynhilds  tod.  Von  Sig.  sk.  46  —  52  finden  wir  nur  c.  31,  66  die  be- 
merkung  über  das  gold.  Brynhild  stirbt  nur,  weil  es  in  der  quelle  des 
gedichts  so  stand.  Dass  dieser  mangel  an  interesse  des  dichters  für 
einen  abschluss  der  erzählung,  der  in  der  vorliegenden  gestalt  der  sage 
nicht  notwendig  und  daher  unschön  war,  mit  der  benutzuug  einer  zweiten 
quelle  zusammenhängt,  wird  sich  unten  noch  zeigen. 

C.  32  beruht  auf  dem  zweiten  GuÖrünlied.  Aber  am  anfang  findet 
sich  eine  stelle,  die  mit  dem  schluss  der  darstellung  von  SigurÖs  tod 
in  der  PiÖrekssaga  nahe  übereinstimmt.  Nach  dem  resiütat,  zu  dem 
wir  bei  c.  30,  74 — 78  gelangt  sind,  glaube  ich,  dass  auch  diese  ähn- 
lichkeit  nur  auf  eine  weise  beurteilt  werden  kann,  nämlich  als  auf 
einer  vorschriftlichen  berührung  beruhend.  Die  stelle  stammt  aus  der 
poetischen  quelle  der  saga,  und  diese  hatte  sie  dem  deutschen  ge- 
dichte  entlehnt,  das  auch  die  quelle  des  entsprechenden  capitels  der 
PS  war.  Daher  ist  auch  bei  vollständiger  Übereinstimmung  des  Inhalts 
der  Wortlaut  der  beiden  stellen  im  ganzen  verschieden,  wie  folgende 
vergleichung  zeigt: 

VqIs.s.  c.  32, 1— 5:  Nil  segir  Jmt  PS  c.  348  schluss:  Oc  er  pessi 
hverr  er  pessi  ivSendi  heyrit:,  at  t/Mndi  spyriax  at  Sigur^r  svcBvmi 
engt  inajn'  iinin  pvilikr  eptir  i  er  drepinn.  pa  scegir  Jmt  hvert 
verqldiinni,  ok  aldri  muri  sihau  ma^r.  at  ceigi  mun  eptir  Ufa  i 
borinn  sUkr  mahr,  sem  Sigitrhr  var  i'erolldinni  oc  alldri  sihann  inon 
fyrir  hversvetna  sakar,  ok  haus  buriun  rerba  puilikr  uiabr  f'irir 
uafn  mun  aldri  fyniaz  i  pfibverskri  sakir  afls  oc  reysti  oc  allrar  kurt- 
tungii  ok  d  Norhrl^ndum,  mehan  ccisi.  caps  oc  milldi.  er  liann  hafbi 
Jieimrinn  stendr.  umfram  hvern  mann  annan'a.  oc 


456  BOER 

hans  nafn  mun  alldrigi  tynax  i 
Pll^verskri  tungu  ok  slikt  sama 
meh  Norhmqnnum^. 

Wir  komiuen  zu  der  schwierigen  frage,  wie  sich  diese  zweite 
quelle  von  c.  30.  31,  die  ich  im  folgenden  30.  81  A  nenne,  zu  den 
beiden  quellen  von  c.  27  —  29  (AB)  und  zu  Brot  verhält.  Es  scheint 
mir,  dass  die  tatsachen  nur  eine  auffassung  zulassen,  ob  sie  auch  zu 
einem  ganz  unerwarteten  resultat  führen.  Dass  wir  die  stellen  mit  den 
als  A  bezeichneten  stücken  in  Verbindung  setzen  müssen,  daran  ist 
kein  zweifei  möglich.  Wir  finden  1.  die  aus  A  bekannte  klage  über 
den  meydötnr]  2.  die  paraphrase  von  Brotstrophen;  3.  den  für  A 
charakteristischen  nahen  anschluss  an  die  Sig.  sk.,  überall  wo  nicht  die 
darstellung  der  begebenheiten  auf  einer  anderen  quelle  beruht.  Die 
abweichungen  haben  zum  grossen  teil  ihren  grund  in  einer  deutschen 
quelle,  die  der  darstellung  der  &S  und  des  NL  nahe  stand.  In  diesem 
punkte  besteht  eine  gewisse  ähnlichkeit  mit  der  Sig.  meiri,  die  gleich- 
falls auf  einer  deutschen  quelle  fusst,  aber  auf  einer  ausschliesslich 
niederdeutschen,  die  u.  a.  Heimir  kannte  und  die  zwei  besuche  bei 
Brynhild,  und  die  von  der  quelle  der  l^S  und  des  NL  weiter  absteht. 
Die  klage  über  den  meydömr  wäre  auch  in  der  Sig.  meiri,  in  der 
SigurÖr  nicht  neben  Brynhild  ruht  (§  17.  24),  und  in  der  die  Wahrheit 
nicht  durch  eine  senna  an  das  licht  kommt,  absolut  unmöglich. 

Aber  wenn  in  der  Eddahandschrift,  die  der  sagaschreiber  benutzte, 
die  hier  besprochenen  stücke  die  fortsetz ung  von  A  bildeten,  wie  ver- 
halten sie  sich  dann  Brot  gegenüber?  Mit  der  darstellung  von  Brot 
lassen  sie  sich  nur  zum  teil  vereinigen.  Also  sind  entw^eder  Brot  und 
30.  31  A  Varianten,  oder  eine  von  beiden  enthält  unechte  bestandteile. 

In  gewissem  sinne  kann  man  in  Brot  und  30.  31 A  Varianten  sehen. 
Eine  paraphrase  von  Brot  1 — 4  oder  ähnlichen  Strophen  und  von  15 — 19 
findet  sich  auch  in  30.  31  A.  Zufällig  ist  auch  eine  Strophe  in  metrischer 
form  in  beiden  quellen  erhalten  (Brot  4,  c.  30  str.  26).  Die  abweichungen 
sind  hier  gross,  und  die  vergleichung  fällt  nicht  in  jeder  hinsieht  zu 
gunsten  von  30.  31A  aus.  Aber  der  unterschied,  dass  Brot  den  SigurÖr 
im  freien  von  Hggnis  band  sterben  lässt,  während  30.  31 A  den  betttod 
durch  Guttormr  erzählt,  dass  30.  31 A  Brynhild  mit  SigurÖr  sterben 
lässt,  wovon  Brot  nichts  weiss,  während  30.  31 A  nichts  hat,  was  Brot 

1)  Dass  Sigurös  namo  in  Deutschland  und  im  Norden  nicht  vergessen 
werden  würde,  stand  also  in  einem  deutscheu  Hede.  Das  deutet  auf  die  gemeinsame 
pflege  der  sage,  der  mau  sich  bewusst  war.  Es  ist  keine  Schreiberbemerkung,  das 
beweist  die  Übereinstimmung  der  beiden  SQgur. 


UXTERSUCiaTXGEN  ÜBER  DEN  URSPRUNG  UND  DIE  ENTWICKLUNG   DER  NIDELUNGENHAÜE        457 

5 — 13  entspricht,  noch  abgesehen  von  c.  30,  74 — 77.  85.  88  —  95,  die 
sich  nur  in  30.  31  A  finden,  lässt  sich  auf  eine  so  einfache  weise  nicht 
erklären.  Hier  muss  eine  darstellung  die  ursprüngliche  sein,  die  andere 
muss  entweder  bewusst  geändert  oder  durch  einen  irrtuni  fremde  Strophen 
aufgenommen  haben. 

Ich  glaube,  wir  müssen  30.  31  A  die  priorität  zugestehen.  Denn 
nur  diese  darstellung  schiiesst  sich  nicht  nur  an  das  vorhergehende, 
sondern  auch  an  die  in  beiden  enthaltenen  Brotstrophen  richtig  an.  Auch 
nach  Brot  4  wird  SigurÖr  von  Guttormr,  also  wol  im  bett  getötet,  und 
nach  Brot  3  rät  HQgni  vom  morde  ab;  in  vollständiger  Übereinstimmung 
damit  ist  die  darstellung  des  mordes  und  das  urteil  HQgnis  über  die 
vollbrachte  tat  in  30.  31 A,  nicht  aber  in  Brot  5fgg.,  wo  nicht  nur  der 
mord  anders  erzählt  wird,  sondern  auch  Hggni  sich  der  Guörün  gegen- 
über der  tat  rühmt.  Diese  grausamkeit  der  GuÖrün  gegenüber  hat  da, 
wo  der  einzige  grund  für  Sigurös  tod  der  war,  dass  man  der  Brynhild 
ihren  willen  geben  musste,  gar  keinen  zweck.  Sie  erklärt  sich  aus  der 
alten  Vorstellung,  dass  Hagen,  und  nach  der  aufnähme  der  Burgunden 
auch  Günther,  Sigfrids  feind  war.  Aber  mit  der  motivieriing  des  mordes, 
den  Str.  1 — 4  geben,  verträgt  sie  sich  nicht.  Diese  erwägimgen  hatten 
mich  schon  veranlasst,  diese  Strophen  (5fgg.)  von  den  übrigen  zu  trennen, 
als  die  Untersuchung  von  c.  30.  31  mich  von  der  absoluten  notwendig- 
keit  dieser  trennung  überzeugte.  Jetzt  wird  der  schluss  unumgänglich: 
die  Brotstrophen  bilden  keine  einheit. 

Welches  sind  die  'unechten' Brotstrophen  und  wie  sind  sie  in  diesen 
Zusammenhang  hineingeraten?  Erstere  frage  betrifft  im  wesentlichen  nur 
str.  8  — 10.  Denn  str.  1  —  4.  14  — 19  haben  wir  als  echt  erkannt,  und 
Str.  5 — 7.  11 — 13  gehören  auf  der  anderen  seite  deutlich  zusammen. 

Über  str.  8.  9  ist  zu  sagen,  dass  an  ihrer  Zugehörigkeit  zu  A 
kein  zweifei  bestehen  kann.  Sie  tragen  davon  die  deutlichen  nierkmale. 
Str.  8,5  —  8  entspricht  einer  stelle  der  I^iÖrekssaga,  mit  der  A  auch 
sonst  sich  so  nahe  berührt.     Man  vergleiche: 

Str.  8,  5  —  8:  PS  c.  344:   en  nu  er  kann  siia 

einn  mundi  Sif/urhr  qUu  rdba,  stollz  olc   siia  rikr.    at  ceigi  man 

ef  kann  lenyr  Ulla  lifi  heidi.  Icmgt  heban  Uba  abr  en  per  mimot 

allir  honom  piona. 
Str.  9  aber  hat  ihre  quelle  in  Sig.  sk.  18.  Hier  redet  Hggni  und 
gibt  seine  Zufriedenheit  mit  Sigurös  machtstellung  zu  erkennen.  Der 
dichter  von  A  konnte  die  stelle  in  diesem  Zusammenhang,  avo  das  ge- 
spräch  zwischen  Gunnarr  und  HQgni  vor  dem  mord  eine  ganz  andere 
Wendung  nimmt  als  in  der  Sig.  sk.,  nicht  brauchen,  er  verband  sie  mit 


4Ö8  BORR 

einer  einigermassen  ähnlichen  stelle  seiner  zweiten  quelle,  wo  Brynhild 
redet,  und  legte  H^gnis  werte  in  geänderter  auffassung  der  Brynhild 
in  den  mund,  gleich  wie  er  c.  30,  90  fgg.  SigurÖs  werte  der  GuÖrün 
zuweist  und  c.  30,  49fg.  ein  motiv  von  Brynhild  auf  SigurÖr  tiberträgt. 

Das  alles  zeigt  aber,  dass  die  beiden  Strophen  zu  der  hvgt  ge- 
hören, was  schon  Lüning  richtig  gesehen  hat^.-  Die  reihenfolge  der 
Strophen  in  Brot  ist  also  in  Verwirrung  geraten,  und  das  wird  dadurch 
bestätigt,  dass  auch  str.  5  nicht  an  der  richtigen  stelle  überliefert  ist. 
Sie  steht  in  der  hs.  nach  str.  11;  Bagge  hat  sie  an  ihren  richtigen  platz 
versetzt.  Wir  haben  es  hier  also  mit  einem  gedächtnisfehler  zu  tun, 
und  daraus  erklärt  sich  zugleich,  dass  mehrere  echte  Strophen  fehlen, 
und  dass  fremde  Strophen  aufgenommen  worden  sind. 

Versetzen  wir  str.  8.  9  nach  der  hvgt^  so  zeigt  es  sich  zugleich, 
dass  sich  ein  rest  in  die  saga  gerettet  hat.  Die  saga  weist  auf  diese 
reihenfolge:  1.  klage  über  den  raub  des  meijdömr  (c.  29,  144  — 151); 
2.  eine  trostrede  des  Grunnarr  (c.  30,  29:  hann  bibr  Bnjnhildi  (iipp 
stamla  ok)  vera  käta,  s.  oben  s.  450);  3.  eine  widerholte  aufforderung, 
den  SigurÖr  zu  töten  (c.  30,  29  —  31);  der  inhalt  ist  hier  nur  ganz  all- 
gemein, aber  die  Stellung  entspricht  unseren  Strophen.  Genau  dasselbe 
finden  wir  in  der  PS  wider:  1.  klage  über  den  raub  des  meydömr 
(c.  344,  11  — 15)2;  2.  ermunteruug  (hier  durch  HQgni):  pu  rika  drotning 
Brynilldr.  grat  ceigi  lengr  oc  haf  engl  orÖ  um  oc  lat  sem  petta  haß 
ceigi  verit;  3.  die  unseren  Strophen  entsprechende  stelle.  Dann  folgt 
noch  Gunnars  versprechen,  ihren  wünsch  zu  erfüllen.  Da  in  unserem 
gedieht  H(^gni  nicht  zugegen  ist,  ist  die  scene  vereinfacht;  statt  HQgni 
redet  Gunnarr  der  Brynhild  zu;  ein  gespräch  zwischen  ihm  und  HQgni 
folgt  erst  später. 

Aber  str.  8,  1 — 4  sind  eine  Variante  von  str.  10,  die  nur  dazu  dient, 
um  das  folgende  in  den  gegebenen  Zusammenhang  hineinzuzwängen. 

Was  Str.  10  betrifft,  so  könnte  man  versucht  sein,  sie  mit  den  un- 
echten Strophen  5-7.  11  — 13  zu  verbinden.  Aber  auch  sie  trägt  die- 
selben merkraale  der  Zugehörigkeit  zu  A  wie  str.  8.  9.  Ihre  erste  hälfte 
ist  mit  Sig.  sk.  30,  1—4  fast  identisch,  und  sie  setzt  gewiss  auch  die- 
selbe Situation  voraus;  es  ist  Brynhilds  freudenausbruch,  als  sie  GuÖrüns 

1)  Bugge  z.  st.  hält  diese  auffassuug  auf  gruud  der  practerita  mundi,  heidi  usw. 
für  unrichtig,  aber  kaum  mit  recht.  Brynhild  kann  sehr  gut  sagen;  'es  würde  nicht 
angehen,  dass  SigurSr  lange  leiste',  wenn  es  für  sie  schon  feststeht,  dass  er  sterben 
muss.  Aber  die  praeterita  hal)en  die  Versetzung  nach  dieser  stelle,  wo  sie  doch 
nach  der  allgemeinen  ansieht  unmöglich  sind,  veranlasst. 

2)  Über  das  —  nahe  —  Verhältnis  der  klage  in  beiden  darstelluugeu  s.  unten  s.  460. 


UNTKRSUClIUXüEN  ÜBER  DEN  URSPRUNG   UND  DIR  ENTWICKLUNG   DER  NIBELUNOENSAGE        459 

weinen  vernimmt.  Den  inlialt  der  rede  entnahm  der  dichter  seiner 
zweiten  quölle:  er  entspricht  J^rynhilds  begrüssung  der  heimkehrenden 
hrldon  in  der  PS  c.  348  (s.  302,  1):  oc  inceUti  at  pceir  hafi  vceitt  allra 
mnniia  hfeilaster. 

Der  Sammler,  der  str.  5— 7.  11  — 13  aufnahm,  hat  wol  geglaubt, 
dass  sie  zu  diesem  gedichte  gehörten.  Er  schloss  str.  11  an  str.  10  an. 
Aber  5 — 7.  11 — 13  sind  ein  selbständiges  fragment,  und  wenn  da- 
zwischen keine  Strophen  verloren  sind,  so  folgte  hier  str.  11  auf  7. 
GuÖrüns  werte:  mjqk  mcelir  pü  miklar  firnar,  'eine  grosse  frevel  tat 
berichtest  du',  sind  an  Hqgni  gerichtet;  die  bedeutung  'frevelhafte  werte' 
die  für /?y«r?r  sonst  nicht  bekannt  ist,  hat  man  hier  nur  angenommen,  weil 
Guörüns  antwort  im  überlieferten  Zusammenhang  an  Brynhild  gerichtet 
ist,  die  nicht  eine  tat  berichtet,  sondern  nur  das  geschehene  gelobt  hat. 
Die  sagenform  des  fragments  ist  eine  sehr  altertümliche.  Hogni  tötet 
SigurÖr.  Er  tut  es  aus  hass.  Schon  besteht  ein  feindseliges  Verhältnis 
zwischen  GuÖrün  und  ihren  brüdern.  Schon  sind  die  Burgunden  auf- 
genommen —  man  kann  nichts  anderes  erwarten.  Aber  von  Brynhilds 
teilnähme  an  dem  mord  erhellt  noch  nichts;  wenn  sie  vielleicht  schon 
mitschuldig  ist,  was  man  nicht  wissen  kaDn,  so  war  ihr  anteil  doch 
noch  ein  verschwindend  kleiner. 

Die  ermordung  draussen  und  Hognis  feindseligkeit  wider  GuÖrün 
sind  Züge,  die  das  fragment  mit  der  oben  widerholt  citierten  darstellung 
der  &S  gemein  hat.  Man  kann  fragen,  ob  das  nicht  für  die  Strophen 
spricht.  Das  würde  der  fall  sein,  wenn  sie  sich  mit  den  übrigen  Brot- 
strophen und  30.  31 A  vereinigen  Hessen.  Da  das  nicht  der  fall  ist, 
muss  man  wählen.  Nun  zeigen  die  übrigen  Brotstrophen  und  30.  31A 
widerholte  berührungen  im  Wortlaut  mit  den  entsprechenden  stellen  der 
PS;  das  fragment  aber  zeigt  nur  eine  ähnlichkeit  in  gewissen  zügen, 
die  nicht  für  diese  darstellungen  eigentümlich,  sondern  altes  sagengut 
sind.  Und  die  Übereinstimmung  ist  auch  nicht  schlagend.  Denn  während 
in  der  PS  die  brüder  SigurÖs  leichnam  mit  sich  führen,  haben  sie  ihn 
im  fragment  im  walde  zurückgelassen.  Die  Unterredung  zwischen  HQgni 
und  GuÖrün  hat  auch  mit«  der  entsprechenden  in  der  PS  nicht  die 
geringste  ähnlichkeit;  das  gespräch  der  PS  setzt  vielmehr  den  vergleich 
mit  einem  villi(jf)Ur  fort,  den  wir  in  A  angetroffen  haben.  Hier  ist 
also  eine  Übereinstimmung  vorhanden,  die  für  die  cj[uellen  nichts  be- 
weist. Wenn  aber  A  im  gegensatz  zur  PS  den  SigurÖr  im  bett  ermordet 
werden  lässt,  so  beruht  das  nicht  darauf,  dass  der  dichter  die  quelle 
der  PS  nicht  kannte,  sondern  darauf,  dass  er  hier,  wie  für  die  haupt- 
darstellung  fortwährend,  die  Sig.  sk.  benutzt.     Nur  seine  abweichungen 


4()0  BOEK 

beruhen  zum  grossen  teil  auf  dem  liede,  das  auch  der  PS  zu  gründe 
liegt. 

Wir  sind  jetzt  im  stände,  die  arbeit  des  dichters  von  A  zu  über- 
sehen. "Welches  seine  quellen  waren,' hat  sich  zur  genüge  gezeigt.  Von 
anfang  bis  zum  ende  liegt  die  Sig.  sk.  seiner  darstellung  zu  gründe. 
Aber  daneben  hat  er  andere  quellen  benutzt.  Bei  der  Werbung  benutzt 
er  die  Sig.  meiri.  Ihr  entlehnt  er  den  flammenritt,  den  er  freilich  in 
seiner  weise  umdeutet;  eine  beeinflussung  des  Wortlautes  durch  diese 
quelle  zeigt  str.  22  der  saga  (s.  unten  s.  465  anm.).  Ähnlich  c.  29,  32  fg., 
s.  oben  s.  444.  Auch  der  rat  der  Grimhild  gehört  wol  hierher.  Aber  von 
da  an  steht  ihm  eine  andere  quelle  zu  geböte.  Nachdem  wir  den  directen 
einfluss  der  darstellung  der  PS  an  mehreren  stellen  in  c.  30.  31  erkannt 
haben,  werden  wir  genötigt,  die  senna^  die  gleichfalls  in  Übereinstimmung 
mit  der  PS  erzählt  wird,  derselben  quelle  zuzuschreiben.  Und  auch  die 
klage  über  den  raub  des  meydömr  stammt  dorther.  Das  beweist  der  Wort- 
laut. Die  stelle  liefert  ein  interessantes  zeugnis  dafür,  wie  der  dichter  seine 
quellen  benutzt.  In  derPS  lautet  sie  (c.  344,  llfgg.):  Sigur^r  svcc/mi  Jicefir 
rofit  yckor  truna^armal  oc  sagt  sinni  kono  Giimilldi  allt.  hverso  Jm 
sag^f'r  pinn  triniah  undir  kann,  oc  pa  er  pu  fect  ce/gi  sialfr  mitt  lag 
oc  letz  Sigurh  svcein  taka  minn  meydom.  pat  sama  fcerhi  Grimüdr 
iner  i  hrigxli  i  dag  prir  ollom  monnom.  —  Also:  1.  Sigurör  hat  Bryn- 
hilds  meydömr  genommen.  2.  SigurÖr  hat  dem  Gunnarr  die  treue  (d.  h. 
das  versprechen  der  Verschwiegenheit)  gebrochen.  3.  Grimhild  hat  der 
Brynhild  das  vorgeworfen  (fcsrbi  mer  i  brigxli,  vgl.  Vols.  s.  29,  151  en 
hon  brigxlar  mer!).  Aus  der  Sig.  sk.  aber  entnaiim  der  dichter,  dass 
Sigurör  zwischen  sich  und  Brynhild  ein  schwert  gelegt  hatte.  Er  Lässt 
nun  Brynhild  zu  Gunnarr  genau  dasselbe  sagen,  was  sie  in  der  &S 
sagt,  aber  das  brechen  der  treue  wird  so  aufgefasst,  dass  es  den  raub 
des  meydömr  bedeutet,  und  das  ganze  wird  zu  einer  Verleumdung,  denn 
Sigurör  hat  in  diesem  sinn  seine  treue  nicht  gebrochen.  Daraus  folgt, 
dass  Brynhild,  nachdem  sie  ihren  zweck  erreicht,  ihre  anklage  zurück- 
nimmt. Die  änderung  ist  mit  kunst  geschehen,  aber  die  Vorstellung, 
dass  Brynhild  auf  diese  weise  Gunnarr  aufstachelt,  ist  keine  freie  er- 
findung,  sondern  sie  beruht  auf  einer  geschickten  combination. 

Wenn  der  dichter  die  langen  reden,  die  in  der  Sig.  sk.  Brj^nhilds 
tod  vorangehen,  auf  ein  minimum  beschränkt,  so  mag  das  zum  teil  auch 
darin  seinen  grund  haben,  dass  seine  zweite  quelle  von  Brynhilds  tod 
nichts  wusste. 

Die  sagenform  unseres  gedichts  ist  also  keine  einheitliche.  Der 
anfang  repräsentiert  eine   weit   vorgeschrittene  form   von  Brll,  2,    der 


UNTERSUCHUNGEN  ÜBER  DEN  URSPRUNG  UTTO  DIE  ENTWICKLUNO  DER  NIBELUNGENSAGE       461 

schluss  berulit  auf  einer  combination  von  Br  II,  1  (Sig.  sk.)  und  einer 
sehr  jungen  form  (Br  11,  4),  vgl.  §  16.  Aber  die  auffassung  von  Bryn- 
hilds  Charakter  und  ihrem  Verhältnis  zu  SigurÖr  ist  doch  zunächst  die 
§  1-i  als  Br  II,  2  bezeichnete.  Daher  haben  wir  auch  dort  das  gedieht 
als  ein  auf  dieser  stufe  stehendes  stück  angeführt. 

Auf  eigenen  combinationon  beruhen  nur  wenige  positive  zutaten, 
aber  mehrere  umdoutungen:  BuÖli  statt  Atli,  das  beer,  das  die  brüder 
bei  der  Werbung  begleitet  (§  23),  die  umdeutung  des  flammenwalls,  die 
motivierung  des  keuschen  beilagers,  die  umdeutung  des  treuebruchs, 
die  kürzung  der  zweiten  hälfte  seiner  hauptquelle,  die  ermordung  von 
Sigurbs  söhn. 

Wo  es  angieng,  hat  der  dichter  sich  an  den  Wortlaut  seiner  quellen 
gehalten.  Daher  die  wörtlichen  Übereinstimmungen  mit  der  Sig.  sk.,  mit 
der  PS  und  an  der  einzigen  controllierbaren  stelle  mit  der  8ig.  meiri. 
Aber  den  zügen,  die  er  hinzufügte  oder  anders  mitteilte,  gab  er  selbst 
die  dichterische  gestaltung.  In  diesen  teilen  zeigt  er  sich  als  einen 
nichts  weniger  als  unbegabten  dichter.  Wenn  er  älteren  quellen  ganze 
Strophenreihen  entlehnt,  so  beruht  das  nicht  auf  dichterischer  Unfähigkeit, 
sondern  einftich  auf  dem  allgemeinen  brauch,  bei  der  neubearbeitung 
alter  Stoffe  die  vorhandenen  quellen  auf  diese  weise  zu  benutzen.  •  Daran 
ist  niciits  auffälliges;  das  haben  viele  dichter  getan  —  ich  brauche  nur 
an  den  zweiten  sehr  begabten  YqUispadichter  zu  erinnern.  Die  meisten 
Eddalieder  sind  ja  nur  in  überarbeiteter  gestalt  erhalten.  Der  usus  setzt 
sich  in  der  mittelalterlichen  prosalitteratiir  fort;  litterarisches  eigentum 
im  modernen  sinn  ist  im  altertum  und  lange  nachher  unbekannt. 

Will  man  dem  gedieh te  einen  namen  geben,  so  geht  aus  dem 
schluss,  der  in  c.  32  und  PS  c.  348  bewahrt  ist,  hervor,  dass  es  eine 
SigurbarkviÖa  ist.  Man  konnte  versucht  sein,  die  bezeichnung  „SigurÖar- 
kviöa  en  meiri"  auf  dieses  gedieht  anzuwenden.  Denn  es  ist  zum  teil 
wenigstens  eine  erweiterung  der  Sig.  sk.  Da  indess  die  bezeichnung 
„en  meiri"  schon  früher  für  ein  anderes  gedieht  benutzt  worden  ist, 
das  wenigstens  nicht  kürzer  als  dieses  war,  und  für  welches  der  name 
SigurÖarkviba  quellenmässig  tiberliefert  ist,  bezeichne  ich  das  hier  be- 
sprochene gedieht  als  „SigurÖarkviÖa  en  yngri".  —  Das  gedieht,  dem 
Str.  5 — 7.  11  — 13  entstammen,  kann  man  mit  gutem  fug  mit  Heusler 
„SigurÖarkviÖa  en  forna"  nennen. 

§23.    SigurÖakviba    skamma    str.  36  —  38. 
Im  Zusammenhang  mit  der  oben  besprochenen  frage  ist  die  nach 
der  Stellung  von  str.  36  —  38   der  Sig.  sk.  von  grosser  bedeutuug.     Zu 


462  BOEE 

unterscheiden  sind  1.  ihr  Verhältnis  zur  Sig.  en  jngri;  2.  ihr  Verhältnis 
zu  den  übrigen  Strophen  der  Sig.  sk.  Dass  diese  Strophen  älter  als  die 
entsprechenden  Strophen  der  Sig.  yngri  sind,  folgt  direct  nicht  nur  aus 
dem  Verhältnis  dieses  gedichtes  zu  der  Sig.  sk.  im  ganzen,  sondern  auch 
der  entsprechenden  partie  jenes  gedichtes  zu  unseren  Strophen.  Wir 
haben  gesehen,  dass  die  Sig.  yngri  zwar  unsere  Strophen  benutzt  oder 
sogar  aufnimmt,  aber  etwas  hinzufügt,  und  dass  dieses  neue  element 
aus  der  neuen  sagenauffassung  stammt,  die  forderung,  dass  der  freier 
Brjnhilds  bedingungen,  als  deren  vornehmste  der  flammenritt  erscheint, 
erfülle.  Das  Verhältnis  ist  also  dasselbe  wie  bei  den  übrigen  partien 
der  Sig.  yngri;  die  stelle  der  Sig.  yngri  lässt  sich  zwar  aus  der  der 
Sig.  sk.,  diese  aber  nicht  aus  jener  ableiten.  Deshalb  ist  es  unrichtig, 
wenn  Sijmons,  Zeitschr.  24,  26  str.  36  bis  38  für  eine  Interpolation  aus 
der  Sig.  yngri  erklärt. 

Eine  andere  frage  ist  die,  ob  die  Strophen  von  alters  her  zu  der 
Sig.  sk.  gehören.  Sollte  es  sich  ergeben,  dass  das  nicht  der  fall  war, 
so  würde  daraus  folgen,  dass  sie  eine  ältere  Interpolation  wären;  sie 
müssten  aufgenommen  worden  sein,  bevor  die  Sig.  yngri  entstand. 

Dass  Bugge  str.  39  mit  recht  versetzt  hat,  scheint  aus  der  ent- 
sprechenden stelle  der  V^lsungasaga  hervorzugehen.  Wenn  Sijmons  in 
seiner  ausgäbe  die  notwendigkeit  der  Versetzung  unter  hinweis  auf  seinen 
oben  citierten  aufsatz  leugnet,  so  folgert  er  das  nur  aus  der  von  ihm 
und  anderen  angenommenen  unechtheit  von  str.  36- — 38;  ein  argument 
für  die  richtigkeit  der  überlieferten  reihenfölge  bringt  er  nicht  vor. 
C.  31  der  V^lsungasaga  hat  aber  die  reihenfölge  z.  14:  pä  er  per  rihuh 
at  garhi  pnr  konimgar -=  str.  35  \  z.  15:  s^Öa?^  le/ddi  Atli  mik  ä  tal  ok 
spyrr  =  str.  36;  ef  ek  vüda  pann  eiga,  er  ribi  Graiia,  sä  var  yhr  ekki 
likr  (str.  39;  37  übergeht  der  Verfasser);  ok  pä  hetumx  ek  sgnl  Sig- 
mundar  konungs  (str.  38,  aber  hetiimz  ek  aus  39).  Also  steht  ein  teil 
des  Inhalts  von  str.  39  allerdings  vor  38,  aber  nach  36,  und  die  Vor- 
stellung ist  jedesfalls  die,  dass  zuerst  eine  Unterredung  mit  Atli  statt- 
findet, und  dass  Brynhild  darauf  sich  entschliesst,  den  SigurÖr  zu 
wählen. 

Aber  das  ist  von  untergeordneter  bedeutung.  Mag  sein,  dass  der 
sagaverfasser  sich  die  Strophen  auf  diese  weise  zurechtgelegt  hat.  Er 
hat  dann  getan,  was  ein  jeder  tun  muss,  der  die  Überlieferung  in  ihrem 
zusammeniiang  verstehen  will.  Denn  dass  dieses  gespräch  dem  entschluss 
vorangeht,  ist  selbstredend. 

Die  frage  ist  nun,  ob  str.  36  —  38  der  darstellung  der  übrigen 
Strophen  widersprechen.    Brynhild  will  nach  str.  35  keinem  manne  ange- 


I 


TJNTEESUCHUNGEN  ÜBER  DEN  URSPRUNG  UED  DIE  ENTWICKLUNG  DER  NIBELUNGENSAGE       463 

hören.  Nun  erzählt  36,  dass  Atli  ihr  ihr  erbe  zu  nehmen  droht,  falls 
sie  sich  nicht  fügen  sollte.  Er  sieht  natürlich  ein,  dass  die  brüder 
sich  mit  einer  Weigerung  nicht  begnügen  und  iim  —  nachher,  denn  sie 
sind  jetzt  von  keinem  beer  begleitet  (r/Öz/Ö  prir  at  garhi  35)  —  mit 
krieg  überziehen  werden.  Deshalb  erwägt  Brynhild,  ob  sie  es  so  weit 
soll  kommen  lassen;  wenn  es  daiiin  kommt,  ist  sie  bereit,  selbst  die 
waften  zu  ergreifen  (str.  87).  Die  stelle  drückt  nur  stärker  aus,  was 
schon  str.  35  steht,  dass  sie  keinen  mann  haben  will.  Am  ende  lässt 
sie  sich  doch  überreden.  Aber  sie  sagt,  sie  wolle  nur  den  Sigurör 
heiraten  (lek  mer  meirr  —  d.h.  mehr  als  zu  kämpfen  —  i  mun  mei^mar 
Jtiggja  burar  Sigmundar) ,  einen  anderen  mann  will  sie  nicht  haben 
(38,  7  —  8).  Sie  wird  mit  Atli  darüber  einig  (38,  1 — 2),  dass  sie  den 
könig  iieiraten  werde,  der  auf  Grani  sass  (str.  39),  und  dieser  war  Gun- 
narr  nicht  ähnlich.     Es  folgt  die  nächtliche  scene,  die  str.  4  mitteilt. 

Kein  wort  widerspricht  also  dem  übrigen  Inhalt  des  gedichtes,  und 
wir  haben  nicht  den  geringsten  grund  str.  36  —  38  auszuscheiden. 

Sehen  wir  nun  noch  einmal,  was  der  dichter  der  Sig.  yngri  daraus 
macht.  C.  29,  7fgg.:  er  per  Gjükwigar  kömub  til  hans  (=Sig.  sk.  35, 
aber  nicht  Jrrlr  pjötSkoiuingar)  ok  heiiih  at  her  ja  eba  hrenna,  nema  pter 
ncehib  mer;  dann  folgt  die  str.  36  —  38  entsprechende  stelle  mit  dem 
bekannten  zusatz.  Hier  sind  also  die  Gjükungar  mit  einem  beere  ge- 
kommen, und  Brynhild  hat  die  wähl  zu  kämpfen  oder  sich  zu  ergeben; 
da  sie  aber  von  Buöli  keine  hilfe  zu  erwarten,  sondern  sogar  seinen 
zorn  zu  befürchten  hat,  entschliesst  sie  sich  in  ähnlichem  sinne  wie  in 
der  Sig.  sk. 

Hier  ist  also  von  einer  kriegsfahrt  die  rede,  aber  dieselbe  ist  aus 
der  Vorstellung  der  Sig.  sk.,  dass  ein  krieg  die  folge  der  Weigerung  sein 
könnte,  abstrahierte 

Jetzt  wird  uns  noch  eine  stelle  deutlich,  nämlich  str.  22.  23  der 
Volsungasaga  (c.  27).  Über  die  Strophen  hat  Neckel  a.  a.  o.  s.  28fg.  eine 
meinung  geäussert,  die  sich  an  Heusler  anschliesst.  Er  glaubt,  dass 
die  Strophen  mit  Brot,  das  er  als  eine  einheit  betrachtet,  zusammen- 
gehören. Daraus  schliesst  er,  dass  der  flammenritt  in  der  saga  nicht 
nach  der  Sig.  meiri,  sondern  nach  jenem  gedichte  erzählt  worden  sei. 
Die  inconcinnitäten  zwischen  den  Strophen  und  dem  prosatext  schreibt 
er  widerum  einer  freiheit  des  sagaverfassers  zu.  Ich  kann  auch  nur 
die  möglichkoit,  dass  das  richtig  sei,  nicht  zugeben.  Wenn  Neckel  glaubt, 
eine   nicht   überlieferte   Strophe  vor  22   habe  den  zweimaligen  versuch 

1)  Dagegen  lässt  sich  Üddr.  17.  18  nicht  auführen.  Die  stelle  ist  absolut  fern- 
zuhalten, s.  oben  s.  316  anm. 


464  BOER 

Gunnars,  die  lohe  zu  durchreiten,  mitgeteilt,  so  ist  dazu  zu  bemerken, 
dass  erst  str.  22  das  feuer  zu  lodern  anfängt,  also  wäre  das  ein  wunder- 
licher platz  für  die  angenommene  Strophe.  Aber  der  Widerspruch,  dass 
in  der  prosa  Gunnarr  nur  von  Sigurör  und  HQgni  begleitet  ist,  während 
str.  22  davon  redet,  dass  wenige  (d.  i.  keiner)  aus  dem  gefolge  des  fürsten 
die  lohe  zu  durchreiten  wagen,  lässt  sich  durch  eine  berufung  auf  die 
freiheit  des  sagaschreibers  nicht  weginterpretieren,  um  so  weniger  als 
jene  Vorstellung  alt  und  sagengemäss,  diese  in  der  strophe  überliefert 
ist.  Es  liegen  also  im  capitel  zwei  darstellungen  des  flanimenrittes  vor. 
Ich  habe  früher  (Zeitschr.  35,  SlOfgg.)  vermutet,  dass  die  Strophen  aus 
einem  anderen  Zusammenhang  hierher  geraten  seien,  und  sie  damals 
der  HelreiÖ  zugeschrieben.  Jedoch  muss  ich  die  willkürlichkeit  jenes 
Verfahrens  zugestehen.  Es  geht  nicht  an,  Strophen,  die  man  nicht  ver- 
steht, dahin  zu  versetzen,  wo  man  sie  brauchen  kann,  wenn  man  den 
grund  nicht  angeben  kann,  weshalb  sie  von  der  stelle  gerückt  wurden. 
Wenigstens  kommt  man  auf  diesem  wege  nicht  weiter  als  zu  Vermutungen, 
die  sich  nicht  beweisen  lassen.  Jetzt,  wo  wir  die  quellen  des  capitels 
und  der  folgenden  besser  auseinander  zu  halten  im  stände  sind,  glaube 
ich  doch,  dass  auch  der  zwei  fei  über  diese  Strophen  sich  löst.  Der 
flammenritt  ist  nämlich,  auch  in  der  prosa,  nach  beiden  quellen  mit- 
geteilt. Zuvorderst  steht  die  darstellung  der  Sig.  meiri.  Nur  die  drei 
blutsbrüder  sind  anwesend.  Das  feuer  lodert  schon  vor  ihrer  ankunft. 
Zuerst  schickt  Gunnarr  sich  an,  den  flammenwall  zu  durchreiten.  Als 
es  auch  auf  Grani  ihm  nicht  gelingt,  tauschen  Gunnarr  und  SigurÖr 
ihre  gestalt,  und  SigurÖr  reitet. 

Dann  folgt  die  darstellung  der  Sig.  yngri:  zuerst  eine  paraphrase 
von  Str.  22.  2B,  dann  die  Strophen  selbst.  Hier  waren  die  brüder  mit 
einer  heerschar  zu  BuÖli  geritten.  Die  waberlohe  brannte  noch  nicht, 
denn  Brynhild  hatte  noch  nicht  die  bedingung  gestellt,  dass  der  freier 
dieselbe  durchreiten  müsse;  sie  kann  die  maschinerie  in  bewegung  setzen, 
sobald  sie  es  wäll,  und  sie  tut  es,  als  die  schar  sich  naht.  Darum 
heisst  es:  eldr  nam  cd  esaz,  wo  nam  also  richtig  bedeutet:  'hub  an'. 
Darauf  wagt  keiner  der  männer  aus  Gunnars  schar  (fdr  fylkis  rekka)  es, 
in  das  feuer  zu  reiten;  als  SigurÖr  es  versucht,  erlischt  das  feuer.  Diese 
stelle  beweist  sonnenklar,  zu  welchem  gedieht  die  Strophen  gehören; 
die  Sig.  yngri  ist  von  allen  quellen  die  einzige,  in  der  Gunnarr  von  mehr 
als  zwei  genossen  begleitet  ist,  als  er  um  Brynhild  wirbt.  Und  noch 
ein  merkwürdiger  unterschied  mit  der  Sig.  meiri  ergibt  sich  hier.  In 
der  Sig.  meiri  macht  Gunnarr  den  zweimaligen  versuch  zu  reiten;  dass 
es  nicht  gelingt,  kann  ihm  nicht  vorgeworfen  werden,  es  ist  ihm  nicht 


TJNTERSUCHU>TtE\  über  den  n^SPRTTNG  ITJCD  DIE  ENTWICKLUNG  DER  NIIiELUNGENSAGE       465 

beschieden,  den  ritt  zu  tun.  Das  ist  die  ältere  auffassung,  die  noch 
weiss,  dass  nur  einer,  dem  es  bestimmt  ist,  die  Jungfrau  befreien  kann, 
hier  wie  in  der  Sig.  yngri  auf  die  Werbung  übertragen.  Letztere  quelle 
vertritt  den  weiter  vorgeschrittenen  Standpunkt.  Der  ritt  ist  zu  einer 
probe  des  mutes  geworden.  Deshalb  heisst  es:  fdr  treystix  .  .  eld  cd 
riha.  Und  dem  entspricht,  dass  Brynhild  c.  29,  21  zu  Gunnarr  sagt: 
pü  fylnah/r  sem  mir.  In  der  darstellung  der  Sig.  meiri  hätte  dieser 
verweis  keinen  sinn^ 

"Wenn  SigurÖr  später  durch  dasselbe  teuer  zurückreitet,  so  stammt 
das  wider  um  aus  der  Sig.  meiri,  wo  nicht  gesagt  war,  dass  es  erlosch, 
und  dem  entspricht  dass  Gunnarr  und  SigurÖr  auf  der  stelle  widerum 
ihre  gestalt  tauschen,  was  die  Sig.  yngri,  soweit  wir  ersehen  können, 
nicht  mitteilt,  obgleich  sie  den  gestaltentausch  voraussetzt.  Näheres 
über  die  Sig.  meiri  §  24. 

Wenn  Heusler  und  auch  Neckel  stilistische  Verwandtschaft  zwischen 
Str.  22.  23  und  Brot  wahrzunehmen  glauben,  so  bestätigt  das  das  resultat, 
wozu  wir  §  22  gelangten,  dass  mehr  als  die  hälfte  der  Brotstrophen 
dem  dichter  der  Sig.  yngri  gehören. 

§  24.  Die  SigurÖarkviÖa  en  meiri. 
Das  wichtigste  von  c.  24,  vielleicht  ein  teil  von  28,  und  alles  was 
c.  26  —  29  weiter  enthalten,  stammt  bis  auf  wenige  sätze  aus  der  Sig. 
meiri.  Die  litterarhistorischen  gründe,  die  mich  dazu  führten,  c.  23.  24 
und  teile  von  26.  27  der  Sig.  meiri  zuzuschreiben,  habe  ich  Zeitschrift 
35,  468 fgg.,  die  sagenhistorischen  oben  §  14  mitgeteilt.  Neckel  wendet 
gegen  meine  auffassung  ein,  die  Gripisspä  spreche  dafür,  dass  in  der 
Sig.  meiri  die  Werbung  ohne  waberlohe  erzählt  wurde.  Das  ist  ein 
argumentum  ex  silentio,  das,  wo  von  der  Gripisspa  die  rede  ist,  noch 
weniger  beweisen  würde  als  anderwo,  vorausgesetzt,  dass  die  beraerkung 
richtig    wäre.      Aber    die    Gripisspä    nennt    sogar    in    drei    aufeinander 

1)  Freilich  wirft  Brynhild  in  der  Sig.  meiri  (YqIs.s.  str.  24)  der  GuSrün  vor, 
Gunnarr  habe  nicht  zu  reiten  gewagt,  aber  das  ist  nur  ihre  sehr  subjectiv  gefärbte 
darstellung  der  begeben lieiten,  der  von  GuSrün  unmittelbar  widersprochen  wird.  Guönin 
antwortet,  Gunnarr  habe  es  versucht,  aber  Grani  habe  ihn  nicht  durch  das  teuer 
tragen  wollen.  In  der  Sig.  yngi'i  wird  dem  Vorwurf  nicht  widersprochen.  "Wir  sehen 
auch  hier,  wie  der  dichter  dieses  liedes  eine  andeutung  einer  seiner  quellen  ausführt. 
Denn  dass  er  die  Sig.  meiri  gekannt  hat,  zeigen  die  berührungen  im  Wortlaut  zwischen 
.Str.  22  und  24  (z.  7 — 8:  eld  at  riÖa  ne  tjfir  stiga).  (Ich  habe  Zeitschr.  35,  312  das 
Verhältnis  von  str.  22  zu  24  unrichtig  beurteilt.)  Das  verfahren  ist  ganz  dasselbe 
wie  da,  wo  er  aus  Sig.  sk.  37  die  consequenz  zieht,  dass  die  brüder  mit  einem  iieei' 
zu  Bubli  gekommen  .sind. 

ZEIISCUiUFT   F.    DKÜTSCUE   PHILOLOGIE.       BD.  XXXVII.  30 


466  BOER 

folgenden  Strophen  den  gestaltentausch.  Welchen  zweck  kann  dieser 
haben,  wenn  nicht  den,  dass  SigurÖr  eine  tat  vollbringen  muss,  die 
Gunnarr  nicht  vollbringen  kann?  Diese  tat  aber  ist  die  durchreitung  des 
vafrlogi. 

Übrigens  redet  Brynhild  in  den  gesprächen  in  c.  28.  29,  die  auch 
Neckel  der  Sig.  meiri  zuschreibt,  widerholt  von  der  durchreitung  des 
feuers.  Und  die  darstellung,  die  sie  gibt,  ist  die  aus  der  ersten  hälfte 
von  c.  27  bekannte.  C.  29,  89  sagt  sie  bloss:  pü  Siyiirhr  vätt  orminn, 
ok  reitt  eldinii,  ok  of  mina  sqk,  aber  c.  28,  58  sagt  GuÖrün  gerade 
aus:  Grani  rann  eigi  eldinn  undir  Ounnari  konungi,  ok  kann  Jwr^i 
cd  riöa,  ok  ßarf  honiim  eigi  huga)'  at  fryja.  Wenn  also  das  das  einzige 
argumeut  gegen  c.  27  ist,  dass  es  den  flaramenritt  erzählt,  so  können 
wir  die  Sig.  meiri  das  nicht  zur  Sig.  yngri  gehörige  stück  und  damit 
den  entsprechenden  teil  von  c.  26  und  das  meiste  von  24  ruhig  be- 
halten lassen. 

Eine  andere  frage  ist,  ob  c.  23  und  die  sagenhistorisch  ziemlich 
wertlosen  teile  von  c.  24  in  der  Sig.  meiri  gestanden  haben.  Wenn 
SigurÖr  zuerst,  von  einem  vogel  geführt i,  Brynhilds  türm  besteigt, 
dann  wider  herunterklettert  und  erst  am  folgenden  tage  sie  besucht, 
so  ist  das  eine  eigentümliche  Verdopplung,  die  natürlich  nicht  ur- 
sprünglich ist,  aber  doch  gewiss  aus  der  Sig.  meiri  stammt,  denn  es 
ist  ebenso  undenkbar,  dass  der  sagaschreiber  daran  schuld  sei  als  dass 
eine  dieser  begegnungen  aus  einer  unabhängigen  quelle  stammen  sollte. 
Es  ist  auch  sehr  wol  möglich,  dass  der  Zusammenhang  in  dem  liede 
natürlicher  war  als  in  der  saga;  was  sich  von  dem  liede  erkennen  lässt, 
zeigt,  dass  es  keine  unbedeutende  dichtung  war.  Auch  Heimir,  Bekk- 
hildr,  AlsviÖr  werden  schon  in  der  Sig.  meiri  genannt  gewesen  sein. 
Daraus  folgt  nicht,  dass  nicht  ein  teil  dieser  personen  eine  nordische 
zutat  sein  könne;  auch  die  andeutungen  von  Brynhilds  walkürennatur 
sind  ja  nordisch. 

Hingegen  wird  c.  25,  GuÖrüns  besuch  in  Brynhilds  halle,  auf  einem 
besonderen  liede  beruhen.  Das  beweist  schon  der  directe  anschluss  von 
c.  26  an  24.  ■  Stilistisch  und  in  der  Vorstellung  der  ereignisse  steht  c.  25 
der  Sig.  meiri  sehr  nahe,  aber  es  blickt  weiter  in  die  zukunft  hinaus 
als  dieses  gedieht  (bis  zu  Atlis  tod),  und  dass  es  von  SigurÖs  früherem 
besuch  bei  Brynhild  wusste,  ist  trotz  z.  75  (sä  er  ek  kaus  mer  til  manns) 
nicht  sicher,  da  GuÖrüns  träum  keine  sichere  andeutung  gibt  (vielleicht 

1)  Ist  dieser  haulcr  eine  höfische  Umbildung  der  igdur  der  SigrdrifuniiU  und 
der  fuglar  von  c.  116  der  fS? 


UNTEESUCHTJKGEN  ÜBER  DEN  URSrntTNC.  UND  DIE  ENTWirKLUNG  DER  NIBEI-CNGENSAGE       467 

doch  z.  69:  vcr  vildum  allar  talia  dyrit,  was  jedesfalls  andeutet,  dass 
Biynhild  Sigur^r  liebt).  Über  die  beiden  träume  s.  Heusler  a.  a.  o. 
s.  39fgg. 

C.  26,  16  ein  beginn  der  später  sehr  verbreiteten  darstellung  dos 
SigurÖr  als  eines  riesen  (Norn.  \).  c.  7). 

Da  in  c.  27  beide  darstellungen  der  Werbung  aufgenommen  sind, 
dürfen  wir  erwarten,  daselbst  auch  in  SigurÖs  Unterredung  mit  Brjn- 
hild  die  beiden  quellen  widerzutinden.  Das  ist  auch  tatsächlich  der 
fall.  Zweimal  nacheinander  wird  die  Situation  beschrieben.  Zuerst  z.  41: 
Ok  er  Sigurbr  hom  inn  um  logann  fann  ]iann  Jmr  eitt  fagrt  he?'- 
bergi ,  ok pnr  seit  i  Bnjnhildr.  Sodann  z.  -1:7:  Signrbr  stob  rettr  d  gölfinu 
ok  stnddix  d  sverhsltjoltin  ok  mcelti  ....  Hon  svarar^  ....  ok  hefir 
sverh  i  hendi  ok  hjdlm  d  hgfbi  ok  rar  i  brynju. 

Schon  hier  ergibt  sich,  dass  die  zweite  darstellung  die  der  Sig. 
meiri  ist.  Bei  Sigurös  erstem  besuch  hat  sie  ihm  zu  erkennen  gegeben, 
dass  sie  eine  walküre  werden  wird;  jetzt  erscheint  sie  im  panzer  und 
heim.  Hingegen  versetzt  die  Sig.  yngri,  die  den  vafiiogi  als  eine  Spielerei 
benutzt,  Brjnhild  in  eitt  fagrt  herbergi. 

Damit  in  Übereinstimmung  ist  der  Inhalt  des  gesprächs.  Z.  43  —  45 
erinnert  SigurÖr  Brynhild  daran,  dass  sie  sich  dem  gelobt  hat,  der  ihren 
vafrlogi  durchritte 2.  Das  ist  die  Vorstellung  der  Sig.  yngri.  Sie  erscheint 
darauf  unentschlossen  (z.  46).  Z.  54fgg.  aber  sagt  Brynhild,  sie  sei  im 
kämpf  gegen  den  GarÖakonungr  gewesen,  und  sie  wünsche  dieses  leben 
fortzusetzen.  Und  auf  Sigurös  Worte  per  i  vwt  skal  ek  gjalda  —  grtpum 
(z.  48 — 49)  beziehen  sich  in  der  Sig.  meiri  c.  29,  91 :  ok  galt  vih  per  mirnd 
dgcetr  koymngr.  Eine  Schwierigkeit  bereiten  hier  z.  51  —  53.  Brynhild 
sagt  zuerst,  Gunnarr  dürfe  ihr  von  liebe  nicht  reden,  wenn  er  nicht  der 
beste  der  beiden  sei,  ok  pd  skaltu  drepa  er  min  hafa  bebit.  Das  scheint 
ein  ganz  neues  motiv.  Weder  die  Sig.  yngri  noch  die  Sig.  meiri  scheinen 
von  einer  mehrzahl  von  freiem  etwas  zu  wissen.  Aber  da  uns  jetzt 
bekannt  ist,  aus  welchem  gedichte  die  stelle  stammt,  wird  es  vielleicht 
auch  gelingen,  sie  zu  verstehen.  Ich  glaube,  dass  der  sagaschreiber 
die  verse  missverstanden  hat. 

Freilich  war  im  früheren  nicht  die  rede  von  freiem,  aber  aller- 
dings von  einem  freier  —  denn  Brynhild  hatte  in  der  Sig.  meiri  sich 
dem    SigurÖr  verlobt.      Hier   sagt   sie    also:    'wenn    du    dich    getraust, 

1)  Das  folgende  af  shiu  sceti  bildet  wol  eine  verbiuduog  mit  der  darstellung 
von  z.  41;  die  folgende  beschreibung  lässt  vermuten,  dass  sie  steht,  sem  älpt  uf 
hdru  bat  noch  niemand  verstanden;  ich  verstehe  es  auch  nicht. 

2)  oJc  föstra  Jrins  (z.  4.5)  ist  natürlich  ein  zusatz  des  sagaschreibers. 

30* 


468  BOEE 

mein  gatte  zu  heissen,  so  musst  du  tüchtiger  als  jeder  andere  held  sein, 
und  du  wirst  mit  dem  mann,  dem  ich  mich  früher  gelobt,  kämpfen 
müssen  und  ihn  besiegen'.  Der  sagaschreiber,  der  das  nicht  verstand, 
hat  den  plural  für  den  singular  eingesetzt. 

Leider  vernehmen  wir  nicht,  was  SigurÖr  darauf  antwortet,  denn 
z.  56  hebt  die  paraphrase  der  anderen  quelle  wider  an.  Über  unsere 
stelle  ist  aber  noch  zu  sagen,  dass  auf  sie  eine  kurze  bemerkung  in 
Brjnhilds  rede  mit  SigurÖr  c.  29,  5—48  sich  bezieht.  Wo  Brynhild 
z.  ITfgg.  ihre  bedingungen  widerholt,  sagt  sie  auch  ok  drcepi  pä  7nenfi 
er  ek  kvah  ä;  dann  lässt  sie  darauf  folgen,  dass  SigurÖr  ihre  bedingungen 
erfüllt  habe,  aber  davon,  dass  er  männer  getötet  habe,  kein  wort.  Hier 
ist  es  also  einmal  der  sagaschreiber,  der  sich  widerholt,  und  zwar  ab- 
sichtlich, weil  er  das  töten  der  männer  c.  27  unter  die  bedingungen 
aufgenommen  hat.  Da  aber  hier  daraus  nichts  wird,  so  bleibt  es  auch 
c.  29  bei  der  bedingung,  die  nicht  erfüllt  wird^. 

Sigurös  antwort  z.  56  beginnt  widerum  mit  einer  Übergangsphrase: 
Mqj-g  störvirki  haß  per  unnit  (bezieht  sich  auf  das  unmittelbar  vorher- 
gehende), dann  folgt  die  antwort  auf  z.  45  —  46.  Brynhild  war  unent- 
schlossen: Eigi  vcit  ek  ggrla,  hversu  ek  skal  pessu  svara;  darauf  erwidert 
nun  der  held  mit  einer  dringenderen  hervorhebung  ihrer  Verpflichtung: 
minnix  nü  cd  heit  ybur,  ef  Jjessi  eldr  vceri  riM/m,  at  J)er  mundib 
meb  pteim  manni  ganga,  er  J)eUa  gerbi.  Darauf  hat  sie  nichts  zu  er- 
widern und  sie  fügt  sich.  Das  ist  also  die  Sig.  yngri,  und  daraus  stammt 
auch  das  beilager,  denn  nach  der  Sig.  meiri  wird  die  hochzeit  daheim 
bei  Gunriarr  gefeiert.  Das  war  zu  erwarten,  denn  die  scene  beruht  auf 
der  Sig.  sk.  (str.  4);  nur  ist  die  Situation  breiter  ausgemalt,  und  SigurÖr 
bleibt  drei  nachte  bei  Brynhild,  was  so,  wie  die  stelle  überliefert  ist, 
töricht  genug  aussieht,  aber  sich  aus  der  Verbindung  zweier  darstellungen 
erklärt  (s.  unten). 

Auch  der  ring  Wechsel  gehört  der  Sig.  yngri  an,  denn  er  bereitet 
die  scene  am  flusse  vor  —  eine  erfindung  des  sagaschreibers  ist  es, 
dass  der  ring,  den  SigurÖr  der  frau  nimmt,  der  Andvaranautr  ist,  denn 
in  der  Sig.  yngri  war  SigurÖr  früher  nicht  bei  Brynhild  gewesen,  konnte 
ihr  also  auch  den  Andvaranautr  nicht  gegeben  haben,  und  die  Sig.  meiri 
kannte,  da  die  Wahrheit  von  Brynhild  selbst  erraten  wird,  in  diesem 
Zusammenhang  überhaupt  keinen  ring  (§  17).  —  Mit  z.  66  hebt  die  Sig. 
meiri  widerum  an  und  wird  nur  noch  an  zwei  stellen  kurz  unterbrochen : 

1)  Schon  oben  s.  444  erkannteu  wir,  dass  die  worte  oA;  drcepi —  kraif  d  nicht 
echt  sein  können.  Ich  hielt  sie  für  einen  zusatz  in  der  Sig.  yngri,  bis  aus  der  analyse 
von  c.  27  ihre  bedeutung  mir  klar  wurde. 


UNTERSUCHUNGEN  ÜBER  DEN  URSPRUNG  UND  DIE  ENTWICKLUNG  DER  NIBELUNGENSAOE        469 

z.  73 — 77  wo  Äslaug  bei  Heirair  untergebracht  wird  —  eine  erfindung, 
die  der  anknüpfung  der  Ragnars  saga  lobbrokar  dient  —  und  wo  Bryn- 
hild  zu  ihrem  vater  reist,  und  z.  79  wo  Atli  und  BuÖli  der  hochzeit 
an  Gjükis*  hof  beiwohnen.  Die  Vorstellung  der  beiden  quellen  ist  voll- 
ständig klar.  In  der  Sig.  yngri  wird  die  liochzeit  bei  BuÖli  gefeiert; 
nach  drei  tagen  reisen  die  brüder  mit  Brynhild  ab;  das  bedeuten  die 
drei  nachte,  die  SigurÖr  bei  Brynhild  zubringt ^  In  der  Sig.  moiri  holt 
SigurÖr  die  Jungfrau  ab;  er  reitet  sofort  mit  ihr  durch  den  flammen  wall 
zurück;  dann  reitet  man  zusammen  heim,  und  die  hochzeit  wird  ge- 
feiert-. Yon  Bubli  war  hier  keinen  augenblick  die  rede.  Der  saga- 
schreiber,  der  erzählt  hatte,  dass  man  zu  Buöli  fuhr,  um  um.  Brynhild 
zu  werben,  konnte  die  hochzeitsfeier  nicht  ohne  Buöli  ablaufen  lassen; 
deshalb  Hess  er  Buöli  —  und  Atli  —  zu  Gjüki  reisen.  Und  die  hoch- 
zeit der  Sig.  yngri  bei  Buöli  machte  er  zu  einem  dreinächtlichen  bei- 
lager  im  flamraenwall,  während  dessen  Gunnarr  draussen  steht  und  wartet! 
Also  ist  c.  27  auf  die  beiden  quellen  und  den  sagaschreiber 
wie  folgt  zu  verteilen:  Sig.  yngri  z.  1 — 4.20  —  46  (ausgenommen  45: 
ok  föstra  pi7is);  5Q{mi7inix) — 66.  Sig.  meiri  z.  4- — 20.47 — 55.66  —  82 
mit  ausnähme  zweier  kürzerer  zusätze.  Sagaschreiber  z.  45  ok  föstra 
J)ins,  56  Mfjry  —  uimit,  73  —  77  ok  er  —  fehr  sins,  79  parkom  — 
son  hans. 

In  c.  28,  16fgg.  ist  z.  28  angrar  pik  okkart  vih'tal  eine  bemerkung 
des  sagascbreibers,  der  eine  Verbindung  mit  dem  auftritt  der  Sig.  yngri 
herstellt.  —  Z.  78  langt  ser  hiigr  pinn  um  fram.  Da  von  einem  schauen 
in  die  zukunft  im  gegebenen  Zusammenhang  nicht  die  rede  sein  kann, 
bedeuten  die  werte:  'du  durchschaust  klar  die  (dir  verhehlten)  dinge'; 
sie  bestätigen,  dass  Brynhild  den  Zusammenhang  der  Vorgänge  bei  der 
Werbung  richtig  erraten  hat  (s.  §  17).  —  Das  gedieht  hat  nach  der 
Vermählung  nur  zwei  gespräciie  der  Brynhild:  28,  26fgg.  mit  GuÖrün, 
wo  die  Wahrheit  ans  licht  kommt,  29,  71  mit  SigurÖr.  Ferner  als  Über- 
gänge zwei  kurze,  parallele  gespräche  des  SigurÖr  mit  GuÖrün;  im  ersten 

28,  16fgg.  rät    er  ihr  davon  ab,   mit  Brynhild  zu  reden,    im  zweiten 

29,  62fgg.  fordert  sie  ihn  zu  einer  solchen  Unterredung  auf.  Die  er- 
wartung  aller  ist,  dass  es  nur  dem  SigurÖr  gelingen  wird,  Brynhild  zu  be- 
ruhigen, auch    Gunnarr   hat   ihn    dazu    aufgefordert,  zu  ihr   zu   gehen, 

Ij  Der  flammenwall  war  in  der  Sig.  yngri  erloschen  (str.  23);  die  nächto  können 
also  nur  officielle  hochzeitsnächte  bedeuten. 

2)  Darin  besteht  also  eine  wol  zufällige  Übereinstimmung  zwischou  der  Sig. 
meiri  und  dem  Nibelungenlied.  Denn  die  directe  Vorstufe  des  NL,  c.  228 fg.  der 
I'S,  lässt  die  hochzeit  in  SaegarÖr  gefeiert  werden. 


470  HOEK 

aber  vergebons.  Gunnarr  und  HQgni  haben  ihr  ohne  erfolg  zugeredet. 
29,3—4  haiui  Idttir  —  dait^,  die  als  cinleitung  zu  einem  stück  des 
anderen  gedichtes  benutzt  werden,  und  29,  56 fg.  pö  ferr  —  svgrin  gehen 
auf  eine  einzige  poetische  stelle,  Gunnars  vergeblichen  versuch  mit 
Brynhild  zu  reden,  zurück. 

Der  Zusammenhang  des  ganzen  ist  vollkommen  verständlich.  Bryn- 
hild ist  längere  zeit  traurig,  GuÖrun  gibt  SigurÖr  das  vorhaben  zu  er- 
kennen, nach  dem  grund  zu  fragen;  obgleich  er  ihr  davon  abrät,  versucht 
sie  es  doch;  die  folge  ist  ein  ausbruch  des  Schmerzes,  der  zur  gewiss- 
heit über  den  betrug  führt.  Am  schluss  dieses  gesprächs,  in  dem  auch 
Guörün  sich  zu  unfreundlichen  Worten  bat  hinreissen  lassen  (z.  69fgg.), 
ist  Brynhild  scheinbar  beherrscht  (leggjimi  7ii^r  ünytt  hjal).  Brynhild 
sinkt  in  ihr  brüten  zurück.  Am  folgenden  tag  (29,  49)  wünscht  GuÖrün 
das  geschehene  gut  zu  machen;  selbst  aber  wagt  sie  es  nicht,  zu  Bryn- 
hild zu  gehen,  um  sie  nicht  von  neuem  zu  reizen;  sie  will  ihre  vinkona 
senden,  um  in  ihrem  namen  ein  freundliches  wort  zu  reden  (seg  oss 
illa  kiinna  hetinar  memi) ;  diese  aber  fürchtet  sich  vor  Brynhild.  Wenn 
sie  sagt:  ingrg  dcegr  drakk  hon  eigi  mjgh  ne  vin  usw.,  so  bedeutet  das 
nicht,  dass  nach  dem  gespräch  mit  GuÖrün  viele  tage  vergangen  sind, 
sondern  es  deutet  auf  den  zustand,  der  schon  früher  eingetreten  war, 
und  der  auch  Gubrün  bewogen  hatte,  der  Brynhild  zuzureden.  Dann 
versucht  GuÖrün  es,  den  Gunnarr  zu  senden,  aber  er  bekommt  kein 
wert  aus  ihr  heraus,  und  ebenso  ergeht  es  Hggni.  Es  bleibt  nichts 
anderes  übrig,  als  dass  Sigurör  geht.  Er  niuss  von  GuÖrün  dazu  ge- 
trieben werden.  Endlich  entschliesst  er  sich  dazu,  und  ihm  gelingt  es, 
sie  zum  reden  zu  bringen.  All  ihren  härm  ergiesst  sie  über  den  früheren 
geliebten.  In  das  gespräch  ist  nur  sehr  wenig  unechtes  eingedrungen, 
z.  123:  ä  fjallimi,  eine  bezugnahme  des  sagaschreibers  auf  c.  21  und 
127/8:  pmm  mann  er  r/bi  ininn  vafrloga  (anschluss  an  die  darstelluug 
der  saga).  Z.  82:  ok  eigi  galt  liann  mer  at  ?mmdi  feldan  val  ist  wol 
wie  z.  18  fg.  drd'pi  pd  menn  —  ä  zu  beurteilen.  Fäfnir  kann  mit  dem 
valr  nicht  gemeint  sein.  Z.  86:  peir  drdpu  Danako7iung  ok  mikinn 
hgfhingja  bröbur  Buhla  konungs  ist  darum  interessant,  weil  diese  taten 
zu  Gunnars  lob  angeführt  werden.  Die  stelle  zeigt,  dass  die  Sig.  meiri 
von  einer  Verwandtschaft  zwischen  Brynhild  und  Buöli  nichts  wusste. 
Die  aageführten  taten  haben  übrigens  für  die  goschichte  der  sage  keine  be- 
dcutung;  es  sollen  nur  tapfere  kriegstaten  erwähnt  werden;  möglicherweise 
bat  der  dichter  an  den  letzten  kämpf  der  Nibelunge  und  bei  dem  bruder 
des  Buöli  an  Attilas  bruder  Bloedelin  gedacht.  Das  würde  den  einfluss 
einer  ziemlich  weit  vorgeschrittenen  deutschen  sagenform  verraten. 


UXTERSUCUUN'GEN  ÜBER  DEN  URSPRUNG  UNU  DIE  ENTWICKIA'NU   DER  N'IHELUNGENSAGE        471 

Stammbaum   der   üborlieferuiiii-   von   ßr  IL 

l  +  II,  la. 

Sigfrid  tritt  Brynhild  dem  Günther  ab 

(belegt  fS  c.  227). 

I 

I  +  II,lb 


I 

Sig.kv.  sk. 

(verlust  von  Br  I) 


I 
I  +  n,2a 


Sig. 
(nordisc 
der  er 

ueiri 
le  form 
ösuug) 

11,  3 

(hat  I  ganz  in  II 

aufgenommen) 

1                         1 
liolreid                11,4 

quelle  von  PS 
c.  228  — 230 

1                     1 
!'Sc.228— 230     NL 

II,  2b 

SigurÖarkviSa  en  yngri. 


lY.    Der  drachenkampf  und  die  Nibeluiige. 

§  25.     Gehört    der    drachenkampf  zur    Sigrdrifasage? 

Wer  der  mythischen  auffassung  der  Sigfridsage  huldigt,  braucht 
die  frage  nicht  zu  stellen,  ob  der  drache  ursprünglich  zu  Brjnhild  oder 
zu  Sigfrid  gehört,  oder  ob  er  als  ein  selbständiges  motiv  zu  betrachten 
ist,  denn  die  drei  elemente  bilden  für  ihn  ein  zusammengehöriges  ganzes. 
Doch  stellt  man  sich  gewöhnlich  den  drachen  in  einem  nahen  Verhältnis 
zu  der  Jungfrau,  und  zwar  als  deren  hüter,  vor.  Es  lässt  sich  nicht  sagen, 
dass  die  quellen  zu  dieser  auffassung  nötigen.  Das  Nibelungenlied  trennt 
die  erwerbung  der  braut  absolut  von  dem  drachenkampf,  aber  es  trennt 
auch  den  drachenkampf  von  der  horterwerbung,  die  mit  einem  kämpf 
mit  Nibelungen  in  Verbindung  gesetzt  wird.  Die  I^S  kennt  den  drachen- 
kampf aber  ohne  horterwerbung  oder  erlösung  der  Jungfrau.  Freilich 
kommt  der  held  bald  darauf  zu  Brynhild,  aber  ein  anderer  Zusammen- 
hang ist  nicht  vorhanden,  als  dass  er  jetzt  den  schmied  tötet  und  in 
die  weit  hinauszieht,  Avorauf  dann  sein  erstes  abenteuer  Brynhild  gilt. 
Die  Edda  kennt  die  horterwerbung  im  causalzusammcnhang  mit  dem 
drachenkampf,  darauf  reitet  SigurÖr  nach  Hindarfjall.  Dass  der  hört 
ganz  anders  zu  Fäfnir  gehört  als  die  Jungfrau,  ist  leicht  zu  sehen.  Der 
sciiatz  liegt  in  Fafnirs  wohnung;  der  besuch  bei  Sigrdrita  schliesst  sich 
nur  chronologisch   an  den    drachenkampf.      Ein  vogel    muss   Sigurd   zu 


472  BOER 

dem  ritt  auffordern;  dann  reitet  er  ein  stück,  dann  erst  sieht  er  aus 
der  ferne  den  ilammenwall.  Dass  Fäfnir  Sigrdrifa  hütet,  lässt  sich 
schlechterdings  aus  diesen  angaben  nicht  ableiten.  Die  quellen,  die  die 
geschichte  vom  Standpunkte  der  ßrjnhild  erzählen  (Sigrdr.  Helr.)  wissen 
auch  von  dem  drachen  nichts;  sie  berichten  von  dem  zauberschlaf,  von 
ÖÖins  zorn,  aber  von  Fäfnir  kein  wort.  Freilich  nennt  HelreiÖ  als  zu- 
künftigen erlöser:  panns  mer  fmr^i  gull  pats  und  Fäfni  lä,  aber  das 
soll  doch  nur  heissen,  dass  der  erlöser  der  beste  der  beiden  sein  musste; 
irgend  ein  Verhältnis  der  Brynhild  zu  Fäfnir  geht  daraus  nicht  hervor. 
Auch  ist  der  hütende  drache  nicht  ein  festes  dement  der  erlösungs- 
sagen.  Im  gegenteil,  die  nächsten  verwandten  der  Sigrdrifasage  kennen 
keinen  drachen,  weder  KHM  111  noch  Fjolsvinnsmäl,  noch  die  etwas 
weiter  abstehende  sage  von  GerÖr.  Denn  es  geht  nicht  an,  Fäfnir  mit 
dem  riesen  FJQlsviÖr,  der  am  eingang  zur  wohnung  der  MenglQÖ  steht, 
den  Svipdagr  nicht  zu  besiegen  braucht,  der  im  gegenteil  frohlockend 
seiner  herrin  des  beiden  ankunft  mitteilt,  zu  identificieren,  und  eben 
so  wenig  hat  der  hirte,  der  bei  Gjmis  garöar  sitzt  und  mit  Skirnir  einige 
unfreundliche  werte  wechselt,  mit  Fäfnir  etwas  gemein.  Andererseits 
ist  ein  drache,  der  die  Jungfrau  hütet,  im  erlösungsmärchen  wol  be- 
kannt; so  in  KHM  nr.  60.  91  und  mehreren  Varianten  bei  Raszmann, 
Die  d.  heldensage  I,  360fgg.  (vgl.  oben  s.  319).  KHM  111  steht  diesen 
insofern  nahe,  als  die  drei  riesen,  die  der  held  hier  besiegt,  mit  dem 
drachen  in  60  u.  a.  einige  züge  gemein  haben  (s.  hierüber  §  36).  Und 
auch  im  Sigfridsliede  begegneten  wir  einem  solchen  drachen.  Wenn  wir 
denselben  oben  richtig  beurteilt  haben,  so  kann  er  mit  Fäfnir  nicht 
identisch  sein.  Sieht  man  genauer  zu,  so  ist  er  auch  ganz  anderer  art. 
Er  gehört  der  kategorie  der  fliegenden  drachen  an.  Man  vergleiche 
mit  der  weise,  wie  dieses  vielköpfige  ungeheuer  hergefahren  kommt, 
Fäfnis  ruhigen,  altgewohnten  gang  zur  tränke.  SigurÖr  weiss  den  weg, 
den  er  wählen  wird,  im  voraus  so  genau,  dass  er,  obgleich  draussen  im 
freien,  vollständig  richtige  locale  Veranstaltungen  zum  kämpfe  treffen 
kann.  Auch  hütet  der  drache  des  Sigfridsliedes  keinen  schätz.  Natür- 
lich findet  der  held  schliesslich  auch  viele  kostbarkeiten;  das  gehört' 
mit  zum  Inventar,  aber  von  der  unheimlichen  unmittelbaren  Verbindung 
des  drachen  mit  einem  bort,  auf  dem  er  liegt  —  denn  auch  das  ist 
bei  Fäfnir  sehr  w^esentlich  —  keine  spur.  Wir  können  aus  diesen  und 
den  §  11  mitgeteilten  gründen  den  drachen  des  Sigfridsliedes  nicht  als 
mit  Fäfnir  verwandt  anerkennen,  sondern  setzen  ihn,  wie  schon  früher 
bemerkt,  dem  flammenwall  der  Sigrdrifa,  dem  gefährlichen  wasser  um 
Brynhilds  bürg  in  der  PS  und  dgl.  parallel. 


TTXTERRTJrniTNGEN  fBER  DEN  URSPRITNO  UND  DIE  ENTWIr■KLU^fG  DER  NinEI.TTNG EXSAGE        473 

Es  verdient  beachtimg,  dass  auch  aus  dem  Sigfridsliod  ein  nach- 
klang von  dem  echten  drachenkampf  zu  vernehmen  ist.  Das  ist  aber, 
wie  man  auf  deutschem  boden  erwarten  kann,  nicht  mehr  als  eine  dürf- 
tige notiz.  Str.  38,  7  —  8  in  Golthers  ausgäbe  steht:  Er  het  ein  ivurm 
erschlagen ,  vor  dem  hetletis  keyn  raw.  Das  vernehmen  wir,  während 
Sigfrid  schon  auf  der  spur  des  draciien,  der  die  Jungfrau  geraubt,  dem 
ti'acJien  stayn  ganz  nahe  gekommen  ist.  Wol  eine  anweisung,  was  man 
von  dem  auf  dem  stayn  hausenden  drachen  zu  denken  hat^. 

AVir  schliessen,  dass  in  keiner  unserer  quellen  der  dracbenkampf 
und  die  erlösung  der  Jungfrau  als  zwei  teile  einer  einheitlichen  handlung 
erscheinen.  Der  drache  des  Sigfridsliedes  ist  von  Fäfnir  zu  trennen;  das 
abenteuer  mit  Fafnir  geht  freilicii  der  erlösung  voran,  gehört  aber  nicht  damit 
zusammen.  In  engem  Zusammenhang  steht  der  drache  mit  dem  schätze; 
beide  werden  auch   in  der  Sigfridsage  älter  als  die  erlösungssage  sein. 

§  26.    Die  besitzer   des  hortes. 

Ein  dracbenkampf  mit  hortgewinnung  ist  ein  bekanntes  mythisch - 
episches  motiv.  Ohne  Jungfrau  ist  es  in  Skandinavien  weit  verbreitet. 
Die  sogur  bieten  mehrere  beispiele.  Ragnarr  loöbrök  erschlägt  einen 
schatzhütenden  drachen.  Ebenso  der  dänische  könig  Frotho  bei  Saxo. 
Insbesondere  sind  zu  erwähnen  Beowulfs  und  Sigmunds  drachenkänipfe. 
Mogk  hat  (Neue  Jahrb.  f.  d.  klass.  altert.  I,  68fgg.)  richtig  bemerkt,  dass 
der  drache,  mit  dem  Sigmund  kämpft,  von  dem  von  Sigfrid  erlegten 
schwerlich  getrennt  werden  kann.  Weniger  richtig  schliesst  er  daraus, 
dass  der  dracbenkampf  von  Sigmund  auf  Sigfrid  übertragen  sei.  Dafür 
ist  das  motiv  in  seiner  Verbindung  mit  Sigfrid  zu  sehr  verbreitet.  Edda, 
I^iörekssaga,  Nibelungenlied,  Sigfridslied  (38,  7 — 8)  —  diese  Zeugnisse 
bedeuten  mehr  als  die  eine  Beowulfstelle.  Wir  haben  also  gruud  zu  der 
annähme,  dass  der  kämpf  als  Sigfrids  tat  relativ  ursprünglich  ist  und 
von  ihm  auf  Sigmund  übertragen  wurde.  Dann  bietet  die  Beowulfstelle 
uns  ein  beispiel  von  Sigfrids  dracbenkampf  ohne  Jungfrau. 

Gehört  darum  der  dracbenkampf  zu  der  alten  Sigfridsage?  Die 
richtige  antwort  muss  sich"  aus  unseren  früheren  resultaten  ergeben. 
Wenn  die  sage  von  Sigfrid  und  Hagen  eine  rein  menschliche  ist,  so 
kann  auch  der  dracbenkampf  nicht  von  anfang  an  mit  ihr  verbunden 
gewesen  sein.  Wir  haben  es  widerum  mit  einem  fall  wie  mehrere  oben 
besprochene  zu   tun:   das  resultat  ist  das  primäre,   die  motivierung  ist 

1)  Die  ausführlichere  dar.stelluug  des  echten  dracheukampfes  in  der  eiuleituug 
des  Sigfridsliedes  geht  wie  bekannt  auf  eine  andere  quelle  zurück.  Hier  folgt  nicht 
die  erlösung  einer  Jungfrau,  und  wie  in  der  fS  fehlt  der  hört. 


474  BOER 

jüngeren  datiims.  Hagen  tötet  Sigfrid,  Attila  tötet  Hagen.  Die  frage 
lautet:  warum?  Antwort:  wegen  des  Schatzes.  Nun  fragt  man  weiter: 
woher  stammt  der  schätz?  Und  die  dichtung  hat  bald  die  antwort  fertig: 
von  einem  drachen. 

Aber  das  ist  nur  eine  antwort.  Eine  abweichende  Überlieferung, 
die  namentlich  in  Deutschland  zu  hause  ist,  sagt,  der  schätz  stamme 
von  den  Nibelungen.  Dass  die  Nibelunge  mit  dem  drachen  identisch 
seien,  ist  eine  sehr  verbreitete  ansieht,  aber  auch  sie  findet  in  den 
quellen  keine  stütze.  Im  Volksglauben  sind  sowol  drachen  wie  zwerge 
schatzhüter,  aber  ein  zwerg  ist  kein  drache  und  ein  drache  kein  zwerg; 
die  beiden  mythischen  Vorstellungen  liegen  weit  auseinander  und  haben 
nur  das  gemein,  dass  beide  in  Zusammenhang  mit  schätzen  gedacht 
werden.  Der  narae  Nibelunge  findet  sich,  abgesehen  von  der  Übertragung 
auf  Hagen,  über  welche  vgl.  §  29,  nur  für  die  zwerge  belegt,  und  er 
passt  für  sie  ausgezeichnet.  An  nebeldämonen,  sei  es  der  nacht,  sei 
es  des  winters,  braucht  man  dabei  nicht  zu  denken.  Die  namen  Niflheirar 
und  Niflhel,  die  man  wol  richtig  damit  in  Verbindung  bringt,  können 
das  nicht  beweisen;  Niflheimr  und  Niflhel  befinden  sich  tief  unter  der 
erde,  und  dort  wohnen  auch  die  zwerge. 

Die  zwerge  und  Fäfnir  werden  in  den  quellen  richtig  auseinander 
gehalten.  Das  Nibelungenlied  kennt  ein  abenteuer  mit  beiden;  die  hort- 
gewinnung  ist  nur  mit  den  zwergen  verbunden,  der  drache  hat  den 
zug  aufgeben  müssen.  Ähnlich  die  einleitung  des  Sigfridsliedes:  drache 
8 — 12,  Nibelunge  13—14.  Die  PS  kennt  den  drachenkampf,  weiss 
aber  von  den  zwergen  nichts;  Mimir  ist  anders  zu  beurteilen,  vgl.  i?27. 
Ebenso  das  Sigfridslied;  die  rolle  des  aus  verwandten  märchen  be- 
kannten Zwerges  Eyglein  hat  mit  den  Nibelungen  nicht  die  geringste 
ähnlichkeit.  Eyglein  ist  der  typische  helfer  aus  der  not  (über  einen 
einzelnen  zug  anderer  art  s.  §  9),  und  von  dem  alten  drachenkampf  ist 
nur  kurz  als  von  einem  zurückliegenden  ereignis  die  rede  (s.  oben  s.  473). 
In  den  nordischen  quellen  liegt  eine  contamination  vor.  Zuerst  wird 
die  geschichte  von  HreiÖmarr  und  seinen  söhnen  erzählt.  Diese  hat 
mit  der  von  Schilbunc  und  Nibelunc  grosse  ähnlichkeit  und  wird  auf 
dieselbe  quelle  zurückgehen.  Der  vater  stirbt  und  lässt  einen  schätz 
nach,  die  söhne  streiten  um  den  schätz;  dann  kommt  Sigurör  und 
nimmt  ihn  beiden  ab.  Doch  enthält  sie  in  dem  schwesterpaare  LyngheiÖr 
und  LofnheiÖr  ein  wol  jüngeres  dement,  von  dem  die  deutsche  Über- 
lieferung nichts  weiss.  Diese  erzählung  erscheint  nun  auf  die  folgende 
weise  mit  dem  drachenkampfe  verbunden.  Der  eine  söhn  des  HreiÖmarr 
wird  mit  dem  drachen  identificiert.    Daraus  folgt,  dass  der  andere  bruder 


ÜNTKRSUCHüNGE.V  ÜBER  DEN  URSPRUNG  UND  DIE  ENTWICKLUNG  DER  NinELUNGENSAOE        475 

mit  einem  nebenbuhler  des  SigurÖr  in  der  drachensage,  über  den  §  27 
zu  vergleichen  ist,  als  identisch  aufgefasst  wird,  und  nun  heisst  es,  dass 
Fafnir  nach  der  erbeutung  des  Schatzes  zu  einem  drachen  wird.  Er  war 
.also  von  anfang  kein  drache,  sondern  ein  zwerg.  Sein  name  beweist 
das  gegenteil. 

Olrik  hat  (Dania  I,  238)  eine  ansprechende  erklärung  vieler  sagen 
von  schatzhütenden  drachen  aufgestellt.  Nach  ihm  liegt  die  Vorstellung 
von  einem  geizhals,  der  beim  brüten  über  seinem  schätze  zum  troll 
wird,  zu  gründe.  Er  vergleicht  die  erzählungen  von  schatzhütenden 
Wikingern  und  draugar  in  grabhügeln,  die  von  drachen  in  vielen  fällen 
kaum  zu  unterscheiden  sind.  Die  vergleichung  ist  zutreffend,  aber  man 
kann  daraus  nicht  schliessen,  dass  jeder  schatzhütende  drache  aus  einem 
geizhals  entstanden  sein  muss.  Im  gegenteil,  die  Vorstellung  von  einem 
geizhals,  der  zum  troll  wird,  ist  ein  landläufiges  motiv,  das  man  brauchen 
konnte,  wo  man  es  nötig  hatte.  Auch  im  vorliegenden  fall  ist  widerum 
die  scheinbare  folge  das  primäre.  Der  drache  war  vorhanden;  um  seine 
herkunft  zu  erklären,  dichtete  man  den  geizhals  hinzu.  Dieses  motiv 
hat  die  skandinavische  tradition  benutzt,  um  die  drachensage  mit  der 
erzählung  von  HreiÖmarr  und  seinen  söhnen  zu  verbinden. 

Die  Verbindung  der  zwei  erzählungen  von  den  streitenden  brüdern 
und  von  dem  drachen  scheint  nicht  sehr  alt  zu  sein,  aber  sie  ist  doch 
nicht  eine  hypothese  des  redactors  der  Reginsmäl.  Denn  sie  gehört  der 
poetischen  tradition  an.  Der  name  Fafnir  ist  in  beiden  erzählungen 
poetisch  überliefert  (Rm.  12,  Fm.  21  und  passim). 

Es  gibt  demnach  zwei  voneinander  unabhängige  erklärungen  für  die 
herkunft  des  Schatzes,  die  in  den  quellen  concurrieren  und  in  der  Edda 
contaminiert  erscheinen.  Es  wird  sich  kaum  ermitteln  lassen,  welche  Vor- 
stellung die  ältere  ist.  Aber  ein  geographischer  unterschied  ist  leichter 
zu  erkennen.  Die  zwergensage  ist  die  südlichere.  Sie  wird  ausführlich 
mitgeteilt  und  treibt  einen  neuen  spross  (Sigfrids  reise  zu  den  Nibelungen 
während  des  aufenthaltes  bei  Brynhild)  im  Nibelungenlied;  im  norden 
finden  wir  sie  nur  secundär  mit  der  wichtigeren  drachensage  verbunden. 
Hingegen  wird  die  drachen'feage  die  skandinavische  erklärung  repräsen- 
tieren. Auf  der  kimbrischen  halbinsel,  dem  klassischen  gebiete  der  schatz- 
hütenden drachen  \  wo  auch  die  Beowulfsage  zu  hause  ist,  wird  sie 
entstanden  sein.  Von  dort  kam  auch  die  Sigmundsage  nach  England. 
Südwärts  verliert  die  Vorstellung  an  stärke.    Die  PS  erzählt  noch  einen 

1)  Über  die  grosse  Verbreitung  des  motivs  s.  Grimm,  Myth.' 817fgg.  und  passim. 
Eine  so  reiche  litterarische  Verwertung  wie  in  Dänemark  hat  es  aber  in  der  littoratur 
des  mittelalters  sonst  nicht  gefunden. 


476  BOER 

ausführlichen  bericht,  aber  der  schätz  fehlt;  das  NL  tut  die  sache  ganz 
kurz  ab,  und  benutzt  sie  im  gründe  nur,  um  daran  die  neuerung  zu 
knüpfen,  dass  Sigfrid  eine  hornhaut  hatte.  Ähnlich  die  kurze  beraerkung 
im  Sigfridsliede  (38).  Diese  geographische  Verbreitung  des  drachenkampfes 
ist  zugleich  eine  letzte  au  Weisung  dafür,  dass  der  drache,  der  im  Sigfrids- 
liede die  Jungfrau  hütet,  nicht  Fäfnir  ist. 

Die  skandinavische  Überlieferung  erzählt  von  einem  fluche,  der 
an  dem  schätze  haftet.  Fäfnir  droht:  per  verta  peir  haugar  at  bana 
(Fm.  20,  6),  und  der  vogel,  der  40,  1 — 2  den  Sigurör  auffordert,  die 
schätze  sich  anzueignen,  nimmt  darauf  z.  3  —  4  bezug:  ei'a  konunglikt 
hviha  mqrgu  (vgl.  Zeitschr.  35,  306).  Fäfnirs  drohung  kann  alt,  vielleicht 
älter  als  die  aufnähme  des  Brynhildmotivs  sein.  Auch  in  der  deutschen 
Überlieferung  fehlen  die  spuren  einer  ähnlichen  auffassung  des  Schatzes 
nicht.  Erst  nachdem  der  schätz  in  den  Ehein  versenkt  worden,  wird 
der  reihe  der  mordtaten  ein  ende.  Der  fluch  hängt  gewiss  mit  der 
herkunft  des  goldes  direct  zusammen.  Wenn  wir  in  Hreiömarr  und  seinen 
söhnen  die  Nibelunge  richtig  erkannt  haben,  so  ist  es  auch  klar,  dass 
der  fluch  nicht  von  dem  drachen,  sondern  von  den  Nibelungen  stammt. 
In  der  elbensage  ist  der  fluch  ja  zu  hause.  Die  erzählung  ist  anderen 
sagen  von  zwergenkostbarkeiten  durchaus  parallel;  die  Nibelunge  sind 
den  schmieden  der  Hervararsaga  und  der  Äsmundar  saga  kappabana  zu 
vergleichen.  Eibengold  bringt  keinen  segen.  Die  ähnlichkeit  mit  brüder- 
paaren  wie  Dulinn  und  Dvalinn  lässt  sogar  vermuten,  dass  Sigfrid  ur- 
sprünglich Schilbuuc  und  Nibelunc  nicht  wie  das  NL  erzählt  erschlagen, 
sondern  sie  nur  zu  der  herausgäbe  des  Schatzes  genötigt  habe.  Bei 
dieser  gelegenheit  sprachen  sie  den  fluch  aus.  Die  Vorstellung,  dass 
Sigfrid  ihnen  die  herrschaft  über  die  Nibelunge  abgewinnt,  ist  jedesfalls 
eine  groteske  Übertreibung. 

In  der  skandinavischen  tradition,  die  Fäfnir  mit  dem  elben  iden- 
tificiert,  wurde  der  fluch,  den  der  dem  beiden  sich  entziehende  zwerg 
spricht,  dem  sterbenden  Fäfnir  in  den  mund  gelegt.  Aber  der  von 
Zwergen  ausgesprochene  fluch  ist  durch  eine  widerholung  des  zwergen- 
motivs  bewahrt.  Die  Überlieferung  knüpft  die  geschichte  von  Andvari 
an,  die  in  ihrem  ausgang  der  von  den  Nibelungen  durchaus  parallel 
ist.  Fäfnirs  fluch  wird  nun  zu  einer  von  einem  fremden  überkommenen 
botschaft,  die  er  seinem  feinde  als  etwas,  das  ihn  selbst  nicht  angeht, 
mitteilt. 

S  27.     Reginn    und   Mirair. 

Von  Reginn  wird  in  der  Edda  das  folgende  erzählt:  1.  Er  ist 
Sigurbs  föstri   und  begleitet  ihn   bei   der  vaterrache.     2.  Er  schmiedet 


trNTERSUCHUNGEN  'CBER  DEN  TTRSPRUNG  UND  DIE  ENTWICKLtTN'G  DER  NinELTJNGENS A GE       477 

SigurÖs  Schwert.  3.  ErwünschtSigurÖr  zu  töten  und  wird  von  ihm  erschlagen. 
4.  Er  ist  Fafnirs  bruder.    5.  Er  belehrt  den  SigurÖr  über  seine  abkunft. 

1.  Die  rolle  eines  besonderen  erziehers  des  beiden  ist  in  der  Edda 
-ziemlich  überflüssig.     SigurÖr  wächst  bei  Hjälprekr  auf,   und  dieser  ist 

also  als  sein  fostri  zu  betrachten.  Die  vaterrache  gehört  auch  niciit  zu 
der  alten  Sigfridsage.  Ich  habe  früher  (Beitr.  22,  373)  die  Vermutung 
ausgesprochen,  dass  SigurÖr  diese  tat  von  Helgi  Hundingsbani  über- 
nommen habe.  Nachdem  Helgi  zu  einem  söhne  des  Sigmundr  geworden 
war,  ist  es  nur  natürlich,  dass  seine  vaterrache,  die  nun  eine  räche 
für  Sigmundr  geworden  war,  auf  die  gestalt  übergieng,  die  als  Sigmunds 
söhn  jedermann  bekannt  war.  Helgis  vaterrache  aber  hat  von  hause 
aus  mit  Sigmundr  nichts  zu  schaffen,  sondern  mit  Hälfdan,  denn  Helgi 
Hundingsbani  ist  der  SkJQldung  Helgi,  Hälfdaus  söhn.  Dieser  Helgi 
nun  hat  Beginn  zum  erzieher,  und  bei  der  vaterrache  ist  dieser  ihm 
behilflich.  Dass  diese  rolle  des  Reginn  und  sein  name  aus  der  Helgi- 
sage  stammen,  unterliegt  kaum  einem  zweifei. 

2.  In  der  PiÖrekssaga  wächst  SigurÖr  bei  Mimir  auf.  Das  ist  hier 
ein  secundärer  zug.  Als  erzieher  tritt  Mimir  sonst  nur  noch  in  der  von 
der  Sigfridsage  durchaus  abhängigen  stelle  der  PS,  wo  er  Velent  er- 
zieht, auf.  Das  wesentliche  an  Münir  ist,  dass  er  dem  beiden  das 
Schwert  schmiedet,  mit  dem  —  obgleich  die  PS  das  vergessen  hat  — 
der  drache  erlegt  werden  kann.  Das  geht  schon  daraus  hervor,  dass 
die  deutsche  sage  Mimir  durchaus  als  den  trefflichsten  der  schmiede 
auffasst  (Velents  seh  wert  Miming;  vgl.  die  Zeugnisse  bei  Golther,  Hand- 
buch s.  180).  Es  ist  nur  ein  specialfall  seiner  Wirksamkeit,  wenn  er 
für  Sigfrid  ein  schwert  schmiedet.  Der  zug  knüpfte  sich  secundär  an 
den  drachenkampf.  Es  ist  eine  erklärende  erzähluug,  die  keinen  anderen 
zweck  hat  als  z.  b.  der  bericht,  dass  Beowulf,  bevor  er  den  drachen- 
kampf besteht,  für  sich  einen  schild  von  einer  bestimmten  beschaffenheit 
anfertigen  lässt.  So  kommt  Sigfrid  zu  dem  schmiede.  Mit  der  Vor- 
stellung, dass  Sigfrid  als  ein  fremder  aus  der  ferne  kommt,  wovon  §  9 
gehandelt  wurde,  hängt  es  nun  zusammen,  dass  man  ihn  längere  zeit, 
nach  der  darstellung  der  JS  sogar  von  seiner  kindheit  an,  bei  dem 
schmiede  verweilen  Hess.  Diese  Vorstellung  war  nicht  nur  in  N^ord- 
deutschland,  sondern  auch  im  norden  verbreitet.  Die  niederdeutsche 
tradition  benutzt  weiter  die  gelegenheit,  das  märchen  von  dem  schmiede- 
gesellen, der  den  schraied  und  die  lehrbuben  durchprügelt,  aufzunehmen. 
Hier  war  nun  mit  Reginn  eine  ähnlichkeit  vorhanden.  Reginn  erzieht 
Sigfrid  und  Mimir  erzieht  Sigfrid.  Die  folge  war  eine  Identification  in 
der  skandinavi.schen  tradition,  wo  nun  Reginn  zum  schmiede  wurde. 


478  BOER 

3.  Reginn  wünscht  Sigfrids  tod  und  wird  von  ihm  erschlagen.  Das 
hat  er  mit  Mimir  gemein,  und  das  stammt  wenigstens  in  seiner  ersten 
hcälfte  von  Mimir^  Die  feindschaft  des  Schmiedes  wird  verschieden 
motiviert.  Nach  der  PS  zieht  SigurÖr  durch  sein  unfreundliches  be- 
nehmen sich  diese  feindschaft  zu.  Das  ist  offenbar  eine  noterklärung. 
In  der  Edda  wünscht  Reginn  des  Schatzes  des  drachen  habhaft  zu  werden. 
Das  sieht  ursprünglicher  aus.  Da  in  der  I>S  der  drache  keinen  schätz 
mehr  besitzt,  musste  auch  dieses  motiv  verschwinden.  Ein  ursprüng- 
licher zug  ist  aber  auch  die  neidische  begehrlichkeit  des  Schmiedes  nach 
dem  schätze  nicht.  Sie  gehört  nicht  notwendig  zu  der  schmiedesage, 
konnte  sieh  aber  leicht  entwickeln.  Der  beste  der  schmiede  ist  kein  ge- 
wöhnlicher Schmied,  er  hat  wie  andere  elbische  schmiede  dämonische  züge. 
Man  kann  daher  erwarten,  dass  er  seinen  dienst  nicht  unentgeltlich  leisten 
wird;  die  erklärung  liegt  nahe,  dass  es  ihm  um  den  schätz  zu  tun  ist. 

4.  Reginn  ist  Fäfnirs  bruder.  Das  kann  kein  ursprünglicher  zug 
der  dracheusage  sein.  Aber  auch  zu  Reginn,  dem  erzieher  des  beiden, 
kann  Fäfnir  nicht  gehören,  ebensowenig  wie  zu  Mimir*  der  ursprünglich 
ein  Wassergeist,  später  ein  schmied  ist,  aber  nirgends  einen  bruder,  viel 
weniger  einen  drachen  zum  bruder  hat.  Ich  glaube,  man  kann  sicher 
sagen,  dass  dieser  zag  aus  der  zwergensage  stammt.  Wir  finden  in  der 
Edda  die  beiden  erzählungen  combiniert:  Hreiömars  söhne  streiten  um 
den  schätz,  den  SigurÖr  am  ende  in  seine  gewalt  bekommt,  und  SigurÖr 
tötet  den  drachen  wegen  des  Schatzes,  hat  aber  an  Reginn  einen  con- 
currenten.  Die  Verbindung  kam  durch  die  Identification  des  einen  bruders 
mit  dem  drachen  zu  stände.  Eine  directe  folge  davon  war,  dass  der 
Schmied,  der  den  schätz  wünscht,  mit  dem  anderen  bruder  identificiert 
wurde.  Der  zug  ist  auf  litterärem  wege  in  die  5S  übergegangen;  die  mit- 
teilung,  dass  der  drache,  der  hier,  wohlgemerkt!  Regiiin  heisst,  ein  bruder 
des  Mimir  ist,  kommt  hier  ganz  unerwartet  aus  der  luft  gefallen,  an  einer 
stelle,  die  auch  sonst  unter  skandinavischem  einfluss  steht  (s.  §  28).  — 
Die  einleitung  des  Sigfridsliedes  teilt  ganz  richtig  mit,  dass  der  schmied, 
um  sich  des  jungen  beiden  zu  entledigen,  ihn  in  den  wald  zu  dem 
drachen  sendet;  von  einer  Verwandtschaft  aber  zwischen  den  beiden  weiss 
sie  nichts. 

5.  Reginn  belehrt  Sigfrid  über  seine  abstammung.  Dieses  motiv 
wurde  schon  §  9  erörtert.  Hier  ist  noch  zu  bemerken,  dass  wo  es 
vorhanden  war,  es  auch  ganz  natürlich  ist,  dass  es  an  den  erzieher 
des  beiden  geknüpft  wurde. 

1)  Über  Mimirs  tod  s.  §  28  schluss. 


TJNTEESüCHtTNGEN  ÜBEK  BEN  XIRSPRTJNG  UND  DIE  ENTWICKLUNG  DER  NIBELUNGENSAOE        479 

Die  gestalt  des  Reginn  lässt  sich  also  vollkommen  verstehen.  Durch 
völlig  durchsichtige  anknüpfungen  sind  in  ihr  vier  gestalten  combiniert, 
Helgis  erzieher,  der  schraied  der&S.  der  bruder  des  zwerges,  der  den 
schätz  besitzt,  der  Wächter,  der  mit  dem  beiden  sich  über  seinen  namen 
unterhält.  Wenn  Regiim  ein  zwerg  genannt  svird  (Reginsm.  pr.  vor  1),  so 
stammt  die  bezoichnung  aus  der  zwergensage;  wenn  er  an  einer  anderen 
stelle  (Fäfn.  38)  om  hrimhaldi  jotunn  heisst,  so  ist  daran  zu  erinnern, 
dass  Mimir  von  hause  aus  ein  riese  ist. 

§  28.    Die  hornhaut  und  das  Verständnis  der  vogelsprache. 

Den  Ursprung  der  Vorstellung,  dass  man  durch  ein  bad  im  drachen- 
blut  eine  hornhaut  erwerbe,  bespreche  ich  hier  nicht.  Dass  das  motiv 
in  der  Sigfridsage  jung  ist,  hat  schon  Wilhelm  Grimm  (Heldensage •''  439 
und  passim)  erkannt.  Ein  organischer  teil  des  drachenkampfes  ist  die 
hornhaut  nicht;  sie  ist  gewiss  jünger  als  der  kämpf.  Dafür  spricht  auch 
ihre  verhältnismässig  geringe  geographische  Verbreitung. 

Ein  skandinavisches  gegenstück  ist  die  erzählung,  wie  Sigurör 
Fäfnirs  herz  isst  und  darauf  die  vogelsprache  versteht.  Hier  liegt  die 
uralte  aus  riten  sehr  bekannte  Vorstellung  zu  gründe,  dass  man  durch 
den  gcnuss  eines  zauberischen  gegenständes  dessen  Zauberkraft  in  sich  auf- 
nimmt (s.  Oldenberg,  Religion  des  Veda  s.  357  fgg.;  so  Brot  4,  wo  Guttormr 
durch  das  fleisch  eines  wolfes  und  einer  schlänge  wild  gemacht  wird, 
vgl.  auch  Lokis  schwangerschalt  durch  den  genuss  eines  frauenherzens 
Hyndl.  41).  Dieser  zug  ist  in  der  prosaerzählung  der  Fäfn.  mit  der 
Weissagung  der  vögel  in  der  weise  in  Verbindung  gebracht,  dass  das 
essen  des  herzens  die  Ursache  des  Verständnisses  der  vogelsprache  ist. 
Die  motive  gehören  nicht  von  anfang  zusammen;  weissagende  vögel 
gibt  es  viele,  auch  in  der  Edda,  und  dass  man  ihre  spräche  versteht, 
wird  als  selbstverständlich  angesehen.  So  verstehen  z.  b.  Gunnarr  und 
H(;;gni  ohne  irgend  eine  vorhergehende  zauberische  handlung  die  spräche 
des  raben,  der  ihnen  ihren  Untergang  weissagt  (Brot  5).  "Wir  müssen 
demnach  untersuchen,  welche  bewandtnis  es  mit  der  zauberischen  Wirkung 
des  drachenherzens  hat. 

Der  erste  rat,  den  die  vögel  Fäfn.  32  dem  iielden  erteilen,  ist  in 
dem  Zusammenhang  der  erzählung  überaus  auffällig,  Sie  raten  ihm, 
Fäfnirs  herz  zu  essen.  Wenn  Sigurör  das  herz  des  drachen  schon  ver- 
speist hat,  so  brauchen  die  vögel  ihm  diesen  rat  nicht  zu  geben;  wenn 
er  es  nicht  gegessen  hat,  wie  versteht  er  dann  die  vogelsprache?  Die 
prosa  erklärt  freilich,  der  held  habe  an  dem  herzen,  das  er  für  Reginn 
rüstete,  seinen  finger  gebrannt,   dann  iiabe  er  denselben   in  den  mund 


480  I      BOEB 

gesteckt  und  darauf  verstanden,  was  die  vögel  redeten.  Aber  das  ist 
doch  nur  eine  müssige  widerholimg  desselben  motivs.  Denn  wenn  SigurÖr 
schon  durch  die  einfache  berührung  des  drachenblutes  mit  seiner  zunge 
die  vogelsprache  versteht,  was  soll  dann  durch  den  genuss  des  herzens 
noch  weiter  bewirkt  werden? 

Die  Sache  wird  vollständig  klar,  wenn  wir  von  der  prosa,  die 
widerum  nichts  quellenmässiges,  sondern  nur  die  meinungen  des  redactors 
mitteilt,  absehen.  SigurÖr  versteht  die  vogelsprache,  wie  Atli  und  Hqgni 
den  raben  verstehen;  die  meinung  ist  wol,  dass  der  vogel  in  mensch- 
licher spräche  redet.  Wenn  nun  der  vogel  ihm  rät,  Fäfnirs  herz  zu 
speisen,  so  kann  das  unmöglich  den  zweck  haben,  ihn  der  vogelsprache 
kundig  zu  machen.  Und  das  ist  auch  ganz  natürlich.  Denn  die  eigen- 
schaften,  die  der  held  durch  den  genuss  des  herzens  gewinnt,  können 
nur  solche  sein,  die  für  den  drachen  typisch  sind.  Die  charakteristische 
eigenschaft  eines  drachen  aber  ist  nicht  sein  Verständnis  der  tiersprachen, 
sondern  seine  ungeheure  kraft.  Durch  das  essen  des  herzens  soll  SigurÖr 
zu  dem  stärksten  der  beiden  werden. 

Dadurch  wird  es  auch  verständlich,  weshalb  Reginn  den  beiden 
aufgefordert  hat,  für  ihn  das  herz  zu  braten.  Er  will  sich  Fäfnirs  kraft 
zueignen;  darauf  hofft  er  SigurÖr  zu  erschlagen^.  Das  weiss  der  vogel; 
deshalb  gibt  er  dem  beiden  den  rat,  selber  das  herz  zu  essen.  Man 
muss  annehmen,  dass  SigurÖr  unmittelbar  diesem  rat  nachkommt,  also 
nach  32.  Dann  folgt  der  zweite  rat:  töte  Reginn.  Durch  den  genuss 
des  herzens  gestärkt,  vollbringt  SigurÖr  die  tat  (prosa  nach  89).  Darauf 
folgt  der  hinweis  des  vogels  auf  Brynhilds  felsen^. 

Der  redactor  hat  also  die  absieht  des  dichters  nicht  verstanden. 
Er  führt  ein  motiv  ein,  das  dem  gedichte  widerspricht.  Aber  ersonnen 
hat  er  das  motiv  nicht;  hier  stützt  er  sich  ausnahmsweise  auf  eine 
bestehende  tradition.  Das  beweist  die  einleitung  des  Sigfridsliedes.  Nach- 
dem  Seyfrid   den   drachen    erschlagen,  verbrennt  er  ihn.     Dann  heisst 

1)  In  diesem  Zusammenhang  ist  die  stelle  der  VQlsungasaga  (c.  26)  interessant, 
wo  Sigurbr  der  GuSrün  von  Fäfnis  herz  zu  essen  gibt,  ok  sulan  i;ar  hon  miklu 
grimmari  en  äSr  ok  vitrari;  die  worte  ok  vitrari  gehen  wol  auf  das  verstehen  der 
vogelsprache;  grimmari  aber  verrät  die  alte  anschauung. 

2)  Ich  leugne  nicht,  dass  die  schlänge  —  nicht  der  drache  —  auch  von  alters 
her  für  ein  listiges  tier  gilt,  so  dass  es  nicht  unmöglich  ist,  dass  auch  Verständnis 
von  tiersprachen  durch  den  genuss  einer  schlänge  erworben  werden  kann  —  ein  bei- 
spiel  liefert  EHM  17;  aber  der  verlauf  der  begebenheiten  in  Fäfnismäl  verbietet  hier 
diese  auffassung.  Der  Verfasser  der  prosa  hat  also  die  von  ihm  eingeführte  änderung 
des  motivs  nicht  frei  ersonnen ,  sondern  eine  landläufige  Vorstellung  in  die  darstellung 
aufgenommen. 


UNTERSUCHUNGEN  ÜBER  DEN'  URSPRUNG  UND  DIE  ENTWICICLUNÜ  DER  NIBELUNGENSAGE        481 

es  str.  10:  das  hörn  der  icürm  gund  iveychen,  ein  bechlein  her  thet 
fliess;  des  wiuidert  Seijfrid  sere,  ein  finger  er  dreyn  stiess;  do  im 
der  finger  erkaltet,  do  tcas  er  iin  hiirneyn;  icol  mit  demselben  backe 
schmirt  er  den  leybe  scyn.  Die  probe  mit  dem  finger  ist  also  verh[ilt- 
nismässig  altes  sagengut.  Aber  sie  hat  nur  da  einen  sinn,  wo  die  wider- 
holung  der  handlung  (des  scbmierens  oder  essens)  einen  zweck  hat.  Also 
nicht,  wo  es  sich  uni  das  Verständnis  der  vogelsprache  handelt,  wol 
aber  wo  von  einer  hornhaut  oder  von  einer  niehrung  der  kraft  die  rede 
ist.  Eine  vernünftige  widerholung  ist  also  auch  das,  dass  Reginn,  der 
schon  von  dem  blute  des  drachens  getrunken  hat,  dennoch  dessen  herz 
zu  essen  wünscht.  Ich  glaube,  wir  können  auf  grund  dieser  betrach- 
tungen  auch  die  den  strophcn  der  Fäfn.  zu  gründe  liegende  sagenform  mit 
Sicherheit  reconstruieren.  Die  Vorstellung  muss  die  gewesen  sein,  dass 
SigurÖr,  als  er  beim  braten  des  herzens  seinen  finger  verbrannte  und 
darauf  in  den  raund  steckte,  seine  kraft  wachsen  fühlte.  Darauf  entschloss 
er  sich,   auch  das  herz  zu  essen.     Als  er  das  getan,   tötete  er  Reginn. 

Selten  liegt  ein  fall  vor,  wo  man  einen  alten  dichter  so  bei  der 
arbeit  belauschen  kann,  wie  hier.  Die  innere  stimme  wird  plastisch 
nach  aussen  verlegt,  sie  wird  zu  einer  vogelstimme.  Aber  während  die 
innere  stimme  durch  einen  äusseren  anlass,  —  das  zufällige  kosten  von 
dem  blute  des  herzens,  —  geweckt  werden  muss,  redet  der  vogel  aus 
sich  selbst,  und  das  motiv  von  dem  verbrannten  finger  wurde  überflüssig. 
Der  dichter  Hess  es  unbenutzt.  Aber  die  volkstümliche  tradition  hat 
das  motiv  behalten.  Daraus  hat  der  redactor  es  aufgenommen  aber  es 
sehr  unrichtig  benutzt,  um  dadurch  das  Verständnis  der  vogelsprache 
zu  motivieren.  Wie  durchaus  er  die  bedeutung  des  essens  missverstanden 
hat,  ersieht  man  daraus,  dass  er  (pr.  nach  39)  Sigurö  auch  Reginns  blut 
trinken  lässt!  Einem  solchen  autor  gegenüber  hat  man  wol  das  recht, 
sich  ausschliesslich  an  die  Strophen  zu  halten. 

Auch  die  PS  bringt  die  erzähl ung  von  der  vogelsprache  und  moti- 
viert sie  wie  die  prosa  der  Fäfn.  dadurch,  dass  SigurÖr  den  schäum 
von  des  drachens  herzen  kostet.  Aber  die  ganze  stelle  ist  von  unserer 
liedersammlung  und  deren' dogmatischer  anschauung  durchaus  abhängig. 
Es  ist  dieselbe  stelle,  wo  sich  die  bemerkung  findet,  dass  Mimir  ein 
bruder  des  drachens  war^  Dass  die  stelle  mit  recht  auf  den  einfluss 
der  nordischen  tradition  zurückgeführt  wird,  wird  dadurch  bewiesen, 
dass  die  echte  darstellung  unmittelbar  darauf  folgt;  SigurÖr  bestreicht 
sich  mit  dem  blute  des  drachens.     Das  stimmt  mit  der  einleitung  des 

1)  Beisammen  fiadet  sich  das  Fäfu.  33,  wo  der  vogol  sagt:  i-ill  bqlca  sinidr 
brodur  hcfna. 

ZEITSCHRIFT    ¥.    DEUTSCHE    PHILOLOGIE.       HD.  XXXVII.  31 


482  BOEE 

Sigfridsliedes  überein.  Das  wahrscheinlichste  ist,  dass  die  quelle  des 
capitels  Avie  die  einleitung  des  Sigfridsliedes  die  nachricht,  dass  Sigfrid 
mit  dem  finger  das  blut  des  drachens  berührte,  enthielt,  und  dass  der 
Verfasser  dadurch  an  die  officielle  darstellung  von  Fäfn.  (mit  prosa)  er- 
innert wurde,  was  ihn  dann  zu  der  aufnähme  von  motiven  aus  dieser 
quelle  veranlasste.  Vielleicht  gehört  auch  hierher,  dass  Sigurör  Mimir 
tötet;  in  der  einleitung  des  Sigfridsliedes  kehrt  er  nach  dem  drachen- 
kampf  nicht  zu  dem  schmiede  zurück.  Und  sicher  ist  so  die  unsinnige 
Vorstellung,  dass  der  held  den  drachen  in  stücke  schneidet,  um  sich 
eine  mahlzeit  zu  bereiten,  —  vojq  der  er  nachher  kein  stück  zu  sich 
nimmt,  t-  zu  beurteilen. 

§  29.     Nibelung  als  geschlechtsnamen  für  Hagen. 

Wie  ist  nun  das  zu  beurteilen,  dass  auch  Hagen  und  seine  ver- 
wandten in  der  sage  Nibelunge  heissen?  Die  mythische  sagenauffassung 
schliesst  aus  dieser  nameusgleichheit  auf  wesensgleicheit  und  baut  darauf 
weitreichende  hypothesen.  Wenn  diese  identität  gelten  soll,  so  müssen 
wir  alle  bisher  gewonneneu  resultate  widerum  fallen  lassen.  Denn  die 
Nibelunge  sind  zwerge;  wenn  Hagen  mit  ihnen  identisch  ist,  so  ist 
auch  er  ein  zwerg,  so  stehen  wir  von  neuem  weit  ab  vom  menschlichen 
leben  und  befinden  uns  mitten  in  der  mythologie.  Die  einheit  der 
Hagensage  wird  sich  dann  auch  nicht  retten  lassen.  Denn  die  ge- 
schichte  des  Schatzes  ist  dann  diese:  Sigfrid  raubt  ihn  den  dämonen 
der  finsternis,  darauf  wird  er  von  ihnen  getötet,  und  sie  nehmen  den 
schätz  zurück.  Was  soll  dann  Hagens  tod  bedeuten?  Unmöglich  kann 
das  heissen,  dass  der  schätz  wider  zu  den  menschen  kommt.  Der  schätz 
liegt  wolverwahrt  in  dem  Rheine.  Für  die  zv/eite  hälfte  der  Hagensage 
bleibt  kein  platz  übrig,  diese  muss  widerum  ein  heterogenes  dement 
sein.  Aber  wie  erklärt  sich  dann  die  widerholung  des  motivs  vom 
schwagermorde,  das  den  eigentlichen  kern  der  Hagensage  bildet?  Wer 
einmal  eingesehen  hat,  dass  die  ereignisse  von  Sigfrids  erster  berührung 
mit  Hagen  bis  zu  Attilas  tod  eine  unlösliche  kette  von  begebenheiten 
bilden,  wird  verlangen,  dass  für  die  gewaltsame  auseinanderreissung 
der  Hagensage  andere  gründe  als  der  name  Nibelung  angeführt  werden. 
Einer  mythologischen  erklärung  zu  liebe  wird  er  nicht  die  identität 
von  Hagen  mit  Schilbunc  und  Nibelunc  anerkennen. 

Ist  das  nun  so  absolut  unerklärlich,  dass  der  name  Nibelunge  von 
Sigfrids  zu  seiner  ursprünglichen  sage  nicht  gehörenden  mythischen 
feinden  auf  seine  menschlichen  feinde  übertragen  wurde?  Das  kann 
man    auch    nicht    mit  einem   schein    von  recht   behaupten.     Sobald   die 


UNTERSUCHUNGEN  ÜBER  DEN  URSPRUNC,  UND  DIE  ENTWICKLUNG  DER  NinELUNGENSAGE        483 

Nibelunge  als  menschliche  wesen  aufgefasst  wurden,  —  die  auffassung 
herrscht  im  NL,  wo  Sigfrid  tausend  nibelungische  ritter  nach  Island 
holt,  und  auch  HreiÖmarr  und  seine  söhne  sind  als  zvvergo  kaum  mehr 
widerzuerkennen,  —  lag  eine  solche  namen Übertragung  überaus  nahe. 
Die  feinde  eines  beiden  aus  früherer  und  aus  späterer  zeit  werden  bis 
zu  einem  gewissen  grade  einheitlich  aufgefasst  und  mit  einem  gemein- 
samen geschlechtsnaraen  angedeutet.  Das  konnte  um  so  leichter  ge- 
schehen, da  Hagen  von  anfang  an  keinen  geschlechtsnamen  hatte.  Viel- 
leicht hat  dazu  auch  das  bewusstsein  mitgewirkt,  dass  beide  kämpfe, 
der  mit  den  Nibelungen  und  der  mit  Hagen,  um  denselben  schätz  ge- 
führt wurden,  so  dass  eine  schwache  Vorstellung  von  einer  geschlechts- 
fchde  sich  entwickelte.  Ein  ganz  analoges  beispiel  bietet  Hagens  feind 
Sigfrid.  Warum  wird  dieser  in  den  an.  quellen  mehrfach  enn  hünski  ge- 
nannt, und  warum  erzählt  die  Vglsungasaga,  dass  die  Vglsunge  im 
Hünaland  regieren?  Ist  eine  andere  erklärung  möglich  als  die,  dass 
Attila  dort  regiert?  Dass  in  diesem  fall  die  namonübcrtragung  jünger 
ist,  tut  nichts  zur  sache.  Hagens  feinde  werden  unter  dem  namen 
Hunnen,  wie  Sigfrids  feinde  unter  dorn  namen  Mbelunge  zusammen- 
gefasst.  Wer  aus  dem  namen  auf  die  identität  von  Hagen  mit  den 
Nibelungen  schliesst,  nvuss  consequenterweise  auch  aus  dein  namen 
schliessen,  dass  Sigur<>r  und  Attila  einem  und  demselben  geschlecht 
angehören.  Die  durchaus  natürliche  namenübertragung  beruht  nicht 
auf  mythischen,  sondern  auf  menschlichen  Verhältnissen^. 

Ganz  ins  menschliche  sind  jedoch  die  Nibelunge  nicht  übergegangen. 
In  einzelnen  zügen  zeigen  sie  ihre  elbische  art,  zumal  in  ihrem  uner- 
messlichen  reichtum  und  sonstigen  märchenhaften  besitztümern.  Damit 
hängt  es  wol  zusammen,  dass  die  PS  Hagen  den  söhn  eines  elben  nennt, 
obgleich  das  auch  einen  anderen  grund  hat  (§  40). 

Diese  verhältnismässig  junge  abstammung  von  einem  elben  ist  in 
Hagens  gestalt  der  einzige  dämonische  zug.  Er  hat  aber  in  seinem 
Charakter  etwas,  was  zu  einer  dämonisierung  führen  konnte,  seine  ganz 
ausserordentliche  unerschrockenheit  und  seine  freiheit  von  verurteilen, 
seine  Verschwiegenheit  und  seinen  sarkasmus.  Das  sind  aber  mensch- 
liche eigenschaften,  die  auch  in  den  SQgur  in  mehreren  sehr  bewun- 
derten exemplaren  sich  zusammenfinden. 

Hagen  ist  der  vortrefflichste  repräsentant  des  reifen,  besonnenen 
kriegers.     Die    Nibelungensage    stellt    ihm    den  jugendlichen,    arglosen 

1)  Dor  naine  Nibelunge  für  Hagens  geschlecht  stammt  gewiss  wie  die  zwergi- 
schen Nibelunge  aus  dor  deutscheu  traditiou.  In  deu  nordischen  poetischen  quellen 
ist  er  überaus  selten. 

31* 


484  BOEH 

beiden  gegenüber,  und  gewiss  nicbt  mit  dem  zweck,  ibn  berabzusetzen. 
Freilieb  bat  auf  die  dauer  der  besiegte  die  allgemeine  sympatbie  ge- 
wonnen. Hagen  entfaltet  nun  seine  kraft  nur  mebr  in  der  zweiten  bälfte 
seiner  sage,  wo  er  selbst  besiegt  wird.  Dort  erkennen  wir  in  dem 
grimmen  Hagen  trotz  des  abstandes,  den  eine  lange  entwicklung  der 
sage  in  verscbiedener  ricbtung  bewirkt  bat,  die  anziebende  gestalt  der 
Hildesage,  den  wabrsten  typus  des  altgermaniscben  kriegers.  Wäbrend 
Sigfrid  idealisiert  wird  und  neben  der  poesie  der  Jugend  aucb  die  der 
liebe  ibn  umgibt,  bat  Hagen  alle  fugenden  und  febler  des  erfabrenen 
mannes..  An  tapferkeit  stebt  er  binter  Sigfrid  nicbt  zurück,  und  es  ist 
gewiss  eine  auf  sympatbie  für  den  mebr  romantiscben  liebling  der 
späteren  poesie  berubende  neuerung,  wenn  das  NL  den  todwunden 
Sigfrid  Hagen  zu  boden  scblagen  lässt,  aber  Hagen  ist  nicbt  ausscbliess- 
licb  tapfer,  er  ist  aucb  vorsicbtig  und  listig,  er  verscbmäbt  es  nicbt, 
die  mittel,  die  zum  ziele  fübren,  anzuwenden.  Sein  Überfall  auf  Sigfrid 
bernbt  auf  der  einsiebt,  dass  ein  offener  kämpf  zu  gefäbrlicb  wäre.  Die 
jüngere  sage  stellt  Hagen  dadurcb  in  ein  scblecbtes  liebt,  dass  Sigfrid 
der  woltäter  der  Burgunden  ist.  Man  siebt  in  Hagens  sieg  den  sieg 
der  falscbbeit  über  unscbuld,  offenberzigkeit  und  eine  reibe  ritterlicber 
fugenden.  Aber  so  einseitig  die  sympatbie  sieb  entwickelt  bat,  durcb 
die  Zeilen  bindurcb  scbimmert  nocb  eine  andere  an  und  für  sieb  gleicb 
berecbtigte  auffassung  von  Hagens  tat,  nämlicb  als  eines  Sieges  der  ein- 
siebt über  unvorsicbtige  dreistigkeit. 

V.    Die  frauennameii  der  Nibelungcnsage. 

§  30.  GuÖrün  oder  Grimbild? 
Dass  Hagens  scbwester  Grimbild  gebeissen  babe,  kann  die  viel 
jüngere  erzäblung  von  Ildico,  aucb  wenn  Ildico  spracblicb  =  Grimbild 
wäre,  nicbt  beweisen.  Nun  aber  ist  Ildico  nicbt  =  Grimbild,  sondern 
Hild,  was  freilieb  als  eine  abkürzung  von  Grimbild  aufgefasst  sein  kann 
aber  nicbt  braucbt,  und  der  name  Hild  ist  so  bäiifig,  dass  bier  eine 
zufällige  ähnliclikeit  in  keiner  weise  ausgescblossen  ist.  Die  spätere 
identification  der  germauiscben  prinzessin,  in  deren  armen  Attila  starb, 
mit  der  beldin  unserer  sage  braucbt,  wenn  sie  tatsäcblicb  stattgefunden 
bat,  nicbt  auf  einer  nameusäbnlicbkeit  zu  beruhen,  sondern  kann  ihren 
gi'und  darin  liaben,  dass  sie,  wie  nacb  der  identification  von  Hagens 
feind  mit  Attila  aucb  Giimbild,  Attilas  frau  war,  und  da  die  erzäblung 
von  Grimbilds  bruderracbe  älter  als  das  gescbicbtlicbe  ereignis  von  Attilas 
tode  ist,  muss  wenigstens  mit  der  möglicbkeit  gerechnet  werden,  dass 
die   Vorstellung,  Ildico   babe   Attila   ermordet,   aus   der  Nibelungensage 


TJNTERSUCHÜ.VGEN  l'BER  PEN  TRSPRrXG  UND  DIE  ENTWICKLUNG  DER  NIBELTjNGENSAGE        485 

entlehnt  ist.  "Wenn  man  aber  andererseits  in  betracht  zieht,  dass  die 
deutsehe  tradition  von  Grimhilds  bruderrache  nichts  weiss,  und  dass 
ihre  räche  für  den  g-atten  sehr  alt  ist,  so  erhebt  sich  ein  gerechter 
.zweifei  an  jedem  Zusammenhang  mit  der  erzählung  von  Ildico. 

Um  die  alte  namensform  zu  bestimmen,  wenden  wir  uns  den  Ur- 
anfängen der  sage  zu  und  versuchen  iliren  ältesten  verwandton  eine 
mitteilung  abzugewinnen.  Es  fällt  auf,  dass  die  drei  nanien  Hagen - 
Ilild-Gucirün  sich  auch  in  der  Hildesage  beisammen  finden.  Hier  liegt 
eine  Verdopplung  vor,  wie  wir  oben  mehreren  beispielen  begegneten;  die 
geschichte  von  Hagen -Hildr-Heöinn  wird  in  der  trias  HeMnn-GuÖrün- 
Hartmuot  widerholt.  In  beiden  sagen  nimmt  die  frau  die  Stellung  ein, 
die  der  Grimhild-GuÖrün  der  NS  entspricht,  nur  das  sie  die  tochter, 
nicht  die  Schwester  des  beiden  ist.  Also  sind  beide  namen  (für  Grim- 
hild  das  kürzere  Hild)  schon  in  der  periode  der  ersten  sagenbildung 
bezeugt.  (Dass  die  trias  HeÖinn-GuÖrün-Hartmuot  nur  auf  deutschem 
boden  belegt  ist,  beweist  natürlich  nicht,  dass  die  Verdoppelung  der 
geschichte  jung  ist).  Aber  wir  finden  hier  Hagen  mit  Hild  verknüpft, 
und  wir  finden,  dass  Hild  die  mutter  der  GuÖrün  ist.  Jener  zug  findet 
sich  in  der  hochdeutschen,  dieser  in  der  nordischen  form  der  NS  wider. 
Daraus  lässt  sich  mit  Wahrscheinlichkeit  schliessen,  dass  diese  züge  alt 
sind.  Daraus  ergibt  sich  für  die  älteste  NS  diese  grundform:  Hagen 
ist  (Grim)hilds  bruder;  ihre  tochter  hiess  GuÖrün.  Die  eigentümliche 
entwicklung  der  NS  liess  aber  von  anfang  an  einer  tochter  der  heldin 
keinen  räum.  Diese  konnte  auf  zwei  weisen  eliminiert  werden.  Ent- 
weder hielt  man  daran  fest,  dass  Hagen  und  (Grim)hild  zusammengehören. 
Dann  musste  man  GuÖrün  fallen  lassen.  So  die  deutsche  tradition. 
Oder  man  hielt  daran  fest,  dass  GuÖrün  die  tochter  der  (Grim)hild  sei. 
Dann  mussten  die  beiden  trauen  eine  generation  hinaufgerückt  werden, 
so  dass  die  heldin  den  namen  Guörün  bekam,  während  nun  ihre  mutter 
Grimhild  auchHagens  mutter  wurde.    So  in  der  skandinavischen  tradition. 

Da  es  sich  ergibt,  dass  Guörün  ursprünglich  eine  tochter  der  heldin 
war,  während  im  gründe  für  eine  solche  gestalt  in  der  NS  kein  platz 
ist,  wird  man  mit  recht  sohliessen,  dass  die  anfange  der  Hildesage,  zu 
der  eine  tochter  der  heldin  organisch  gehört,  älter  als  die  der  NS  sind. 
Und  das  stimmt  widerum  damit  überein,  dass  die  Vormundschaft  des 
bruders  über  die  Schwester  das  abgeleitete,  die  des  vaters  über  die 
tochter  das  natürliche,  also  ältere  Verhältnis  ist. 

So  alt  sind  diese  namen  in  der  sage.  Sie  haben  die  ganze  ent- 
wicklung von  einfachen  motiven  zu  äusserst  zusammengesetzten  in  ver- 
schiedenster weise  motivierten  sagen  mitgemacht. 


48(3  ROER 

Was  die  bedeutimg  dieser  namen  angeht,  etwas  mythisches  ist 
darin  nicht  zu  erkennen.  Guörün  ist  gebildet  wie  Sigrün,  Oddrün  und 
andere  und  schickt  sich  trefflich  für  eine  einem  heldengeschlechte  zu- 
gehörige frau.  Über  seine  anwendung  lässt  sich  sagen,  dass  er  wenigstens 
in  historischer  zeit  von  gewöhnlichen  frauen  nicht  selten  getragen  wird. 
Hild  ist  einer  der  gebräuchlichsten  frauennamen  des  altertums;  die  an- 
wendung auf  Walküren  ist  natürlich  jünger  als  der  name.  Über  Grim- 
hild  s.  i>  31. 

§  31.     Brynhild   und   Grimhild. 

In  Grimhild- Brynhild  hat  man  vielfach  einen  symbolischen  gegen- 
satzt  gesucht:  'die  verhüllte  kämpferin'  und  'die  kämpferin  im  panzer'. 
Wenn  eine  beziehung  zwischen  beiden  besteht,  so  sind  es  eher  parallele 
bildungen  als  solche,  die  einen  gegensatz  ausdrücken.  Weshalb  muss 
man  bei  grim-  an  eine  maske  und  nicht  an  einen  heim  denken,  und 
das  dann  weiter  so  auslegen,  dass  die  maske  im  gegensatz  zu  dem  panzer 
zum  versteckspielen  dient?  Und  was  soll  man  mit  diesem  gegensatz 
anfangen?  Dass  Brynhild  öffentlich  kämpft,  Hesse  sich  noch  einiger- 
massen  verstehen,  obgleich  man  nicht  richtig  einsieht,  worauf  das  deuten 
soll.  Aber  von  Grimhilds  verdecktem  kämpf  weiss  nur  die  mythologische 
construction.  Ja,  wenn  man  auf  die  junge  erfindung,  dass  SigurÖr  einen 
Vergessenheitstrank  trinkt,  grossen  wert  legt,  wenn  man  hinzuphantasiert, 
dass  das  mädchen  den  trank  gebraut  hat,  und  dass  sie  dabei  die  absieht 
hatte  zu  schaden,  dann  kann  man  ihr  betragen  einen  geheimen  kämpf 
nennen.  Aber  wo  stebt  das  alles?  Der  dichter,  der  um  die  beiden 
formen  der  Brynhildsage  (Br  I  und  Br  II)  zu  einer  fortlaufenden  er- 
zählung  zu  combinieren,  den  trank  ersann,  hat  dabei  nicht  einmal  an 
die  tochter  gedacht,  sondern  die  mutter  dafür  verantwortlich  gemacht. 
Um  daraus  eine  höllische  raachination  der  GuÖrüu  herzuleiten,  muss 
man  überdies  den  becher  mit  dem  geheimnisvollen  trank  bis  in  den 
mythus  zurückversetzen.  Dort  lässt  sich  vielleicht  auch  eine  böse  ab- 
sieht herausfinden;  in  den  quellen  liebt  GuÖrün- Grimhild  ihren  mann 
ohne  falschheit  mit  der  innigsten  liebe. 

Wenn  die  namen  zusammengehören  und  ausdrücken,  wie  die  frauen 
kämpfen,  so  scheinen  sie  nur  bedeuten  zu  können:  'die  unter  dem  helme 
kämpfende'  und  'die  im  panzer  kämpfende',  also  die  kriegerinnen,  nichts 
mehr.  Aber  es  ist  doch  sehr  die  frage,  ob  das  die  richtige  deutung 
ist.  Denn  hüdr  bedeutet  nicht  appeliativisch  'die  kämpfende',  sondern 
'kämpf;  als  nomen  proprium  hingegen  ist  es  ein  frauen-  und  walküren- 
name.  In  den  in  frage  stehenden  compositis  nun  kann  gewiss  nicht 
das  abstracte  substantivum,  sondern  nur  das  n.  pr.  Hildr  zu  suchen  sein. 


UNTERSUCHUNGEN  ÜBER  DEN  URSPRUNG   UND  DIE  ENTWICKLUNG  DER  NIRELUNGENSAGE       487 

Dann  aber  bedeutet  Brynhildr:  'die  in  eine  brünne  gekleidete  Hildr', 
und  HelreiÖ  hat  die  erinnerung  daran,  dass  ihr  eigentlicher  nanie  Ilildr 
ist,  wie  die  Snorra  Edda  richtig  bewahrt.  Dieselbe  stelle  der  HelreiÖ 
zeigt,  dass  Grirahildr  tatsächlich  dasselbe  bedeutet,  denn  Brynhildr  lioisst 
hier  (7,  3)  Hildr  nml  lijälmi;  das  ist  aber  Gnuihildr. 

Der  name  Brynhild  deutet  also  auf  die  brünne,  die  die  im  zauber- 
schlaf liegende  Jungfrau  bedeckt.  Er  kann  demnach  nicht  so  überaus 
alt  sein,  nicht  älter  als  die  auffassung  der  schlafenden  frau  als  einer 
kämpferin.  Diese  auffassung  ist  nicht  die  des  der  sage  zu  gründe  liegen- 
den niärchens.  Eine  beziehung  zu  Brynhilds  walkürennatiir  ist  kaum 
abzuweisen,  aber  diese  kann  secundär  sein.  Denn  der  walkürenglaube 
gehört  gewiss  erst  der  wikingcrzeit  an.  Und  der  name  Brynhild  ist  doch 
vielleicht  älter.  Das  Brynhildenbett  im  Taunus  beweist  das  freilich 
nicht.  Eher  spricht  gegen  ein  so  junges  alter  des  namens  der  umstand, 
dass  er  im  6.  Jahrhundert  im  geschlechte  der  Merovinger  historisch  be- 
legt ist.  "Wenn  die  austrasische  königin  als  ein  zeugnis  für  die  sage 
gelten  darf,  so  zeigt  das,  dass  die  entwicklungsstadien  der  gestalt  ge- 
wesen sind:  1.  die  in  ihr  kleid  eingenähte  Jungfrau;  2.  die  Jungfrau 
im  panzer;  3.  der  name  Brynhild;  4.  die  Avalküre;  5.  die  bestrafte 
Walküre.  Andererseits  ist  zu  erwägen,  dass  die  austrasische  königin 
eine  westgotische  prinzessin  war.  Man  müsste  also  bekanntheit  der 
Brynhildsage  bei  den  Goten  im  6.  Jahrhundert  annehmen.  Da  der  name 
durchaus  richtig  gebildet  ist,  nimmt  man  wol  besser  an,  dass  diese  Über- 
einstimmung zufällig  ist.  Dennoch  muss  die  Vorstellung  von  der  ge- 
panzerten frau  älter  als  die  von  der  walküre  sein.  Denn  der  panzer 
ist  direct  aus  dem  zauberhemde  entstanden,  und  ein  grund,  die  frau 
als  eine  walküre  aufzufassen,  war  erst  vorhanden,  nachdem  die  zauber- 
bekleidung  als  ein  panzer  aufgefasst  worden  war. 

Den  namen  Grimhild  halte  ich  freilich  in  gewisser  hinsieht  für 
ein  gegenstück  zu  Brynhild.  Aber  mit  der  mythologie  hat  das  nichts 
zu  tun  —  nur  mit  der  deutlichkeit.  Das  Verhältnis  zu  den  namen  der 
Hildesage  deutet  darauf,  dass  der  alte  name  nicht  Grimhild,  sondern 
einfach  Hild  war.  Wenn  ^lun  Brynhild,  wie  Helreiö  angibt,  und  was 
auch  die  Snorra  Edda  von  Sigrdrifa  sagt,  ursprünglich  Hild  hiess,  so 
mussten  die  beiden  trauen  unterschieden  werden.  Doch  sind  die  ge- 
nannten verhältnismässig  jungen  Zeugnisse  für  die  beurteilung  dieser 
frage  nicht  zwingend.  Aber  zugegeben,  dass  wir  für  die  erlöste  Jung- 
frau ausschliesslich  mit  dem  namen  Brynhild  zu  rechnen  haben,  so  gieng 
es  doch  nicht  an,  dass  die  frau,  die  in  der  sage  ihr  fortwährend  gegen- 
übergestellt wurde,  den  namen  Hildr  tragen  sollte,  der  als  eine  kürzung 


488  BOER 

ihres  namens  erscheinen  musste  (vgl.  die  s.  487  citierten  stellen  und 
andere  cähnliche,  z.  b.  Fas.  I,  174,  III,  365).  Deshalb  musste  auch  hier 
Hild  in  eiue  Zusammensetzung  eintreten;  das  resultat  war  eine  syno- 
nyme parallelbildung,  die  keinen  gegensatz  ausdrückt,  aber  zur  Unter- 
scheidung genügt. 

Dass  Grimhildr  als  personenname  in  Skandinavien  nicht  vorkommt 
(Jiriczek,  Ztschr.  f.  vgl.  litteraturgesch.  n.  f.  7,  57 fg.),  stimmt  zu  diesem 
resultate.  Der  name  ist  für  die  sage  gebildet  worden.  Und  die  gestalt 
w^ar,  w^enigstens  im  norden,  wo  die  mutter  diesen  namen  trag,  anfäng- 
lich kaum  bekannt,  später,  als  die  mutter  als  eine  zauberin  aufgefasst 
wurde,  vielleicht  auch  nicht  sympathisch  genug,  um  in  den  alltäglichen 
gebrauch  durchzudringen.  Die  stellen,  wo  Grimhild  eine  flay^kona  an- 
deutet, wurzeln  in  dieser  späteren  auffassung  der  mutter;  sie  sind  alle 
jung  und  für  eine  mythische  deutung  der  älteren  sagengestalt  nicht 
brauchbar. 

Ein  märchenmotiv  kann  sich  leicht  an  einem  berühmten  beiden 
festsetzen.  Aber  man  möchte  doch  den  grund  wissen,  weshalb  die  er- 
lösuugssage  an  Sigfrid  geknüpft  ist.  Ich  will  hier  nur  auf  die  möglich- 
keit  hinweisen,  dass  derselbe  in  der  oben  besprochenen  namensgleichheit 
der  beiden  frauen  gelegen  ist.  "Wenn  Sigfrids  frau  und  die  erlöste  Jung- 
frau beide  ursprünglich  Hild  hiessen,  so  kann  das  ein  grund  zu  der 
Übertragung  gewesen  sein.  Indessen  fehlen  hier  nähere  audeutungen, 
und  so  gebe  ich  die  bemerkung  vorläufig  nur  für  das,  was  sie  ist,  eine 
schwache  Vermutung.  Wir  sind  hinfort  der  aufgäbe  nicht  überhoben, 
dieser  frage  unsere  aufmerksam keit  zu  widmen. 

VI.    Sigfrids  al)kuiift. 

§  32.     Sigfrids  unbekanntschaft  mit  seinen   eitern. 

Die  frage  ist  §  9  in  anderem  Zusammenhang  besprochen.  Es  hat 
sich  dort  ergeben,  dass  dieser  zug  nicht  ursprünglich,  sondern  aus  dem 
missverständnis  des  zu  der  Brynhildsage  gehörenden  namentabumotivs 
entstanden  ist.  Wir  haben  keinen  grund,  hier  darauf  von  neuem  ein- 
zugehen. 

§  33.    Sigmund   als   Sigfrids  vater. 

Fragen  wir,  was  die  alte  mit  der  Brynhildsage  nicht  verbundene 
Sigfridsage  von  der  abkunft  des  beiden  berichtete,  so  ist  zunächst  zu 
bemerken,  dass  sie  nichts  davon  w-usste,  dass  dieselbe  unbekannt  war. 
Sie  wird  daher  das  umgekehrte  vorausgesetzt  haben.  In  den  quellen 
finden  wir  ferner  Sigmund  als  Sigfrids  vater  genannt.    Da  er  nicht  aus 


I 


UNTKRSUCHUNGEN  f  BER  DEN  URSPRUNG  UND  DIE  ENTWICKLUNG   DER  NlßELUNGENSAGE       489 

der  Biynhildsago  stammt,  muss  er  aus  der  Sij^frid- Hagensage  stammen. 
Daraus  folgt  aber  nicht,  dass  diese  Sigmund  von  anfang  gekannt  hat.  Es 
ist  auch  möglich,  dass  sie  ursprünglich  den  vater  des  helden  nicht  nannte. 
-Es  ist  nicht  einerlei,  ob  ich  nach  dem  namen  einer  mir  gleichgiltigen 
person  nicht  frage,  oder  ob  ich  positiv  aussage,  dass  dieser  name  un- 
bekannt ist.  Im  ersteren  fall  wird  freilich  kein  name  genannt,  es  wird 
aber  vorausgesetzt,  dass  über  den  namen  kein  zweifol  besteht.  Und  das 
ist  bei  mehreren  helden  der  fall.  Auch  den  namen  von  Hagens  vater 
nennt  die  alte  sage  nicht.  Erst  die  jüngere  genealogisierende  und  histo- 
risierende Überlieferung  kann  eines  namens  nicht  entbehren  und  gibt 
ihm  Aldrian,  Gjüki  oder  in  der  Hildesage  Sigebant  zum  vater.  Es  be- 
stätigt sich  hier,  was  sich  auch  an  den  motiven  beobachten  lässt:  der 
söhn  ist  älter  als  der  vater.  Ähnlich  Hagens  gegner  in  der  Hildesage 
Heöinn;  die  ansieht,  dass  sein  vater  Hjarrandi  hiess,  hält  Panzer,  Hilde- 
Kudrun  s.  309 fgg.  wol  mit  recht  für  abgeleitet.  Die  alte  sage  begnügt 
sich  durchaus  mit  den  namen,  die  sie  nötig  hat;  alles  übrige  ist  neben- 
sächlich und  daher  überflüssig.  Wo  genealogien  vorliegen,  die  mehr  als 
das  notwendige  bringen,  hat  man  es  schon  mit  historisierenden  specu- 
lationen  zu  tun.  Es  kann  uns  daher  nicht  auffallen,  wenn  wir  bei  Sigfrid 
auf  dasselbe  Verhältnis  stossen. 

Die  Vorstellung,  dass  Sigmund  Sigfrids  vater  war,  ist  gewiss  alt, 
älter  als  die  aufnähme  der  Brynhildsage;  daraus  erklärt  sich  der  Wider- 
spruch, der  §  9  besprochen  wurde.  Aber  dass  sie  ursprünglich  ist,  dafür 
haben  wir  keine  gewähr.  Und  sieht  man  zu,  so  sprechen  die  quellen  nicht 
dafür.  "Was  die  deutsche  Überlieferung  von  Sigmund  erzählt,  sind  blosse 
phrasen;  in  der  nordischen  tradition  hat  Sigmund  seine  eigene  sage,  aber 
die  Verbindung  mit  Sigur?)r  ist  sehr  äusserlich.  Erst  im  hohen  alter  nach 
einem  tatenreichen  leben  erzeugt  Sigmund  diesen  söhn,  um  vor  dessen 
geburt  zu  sterben.  Mag  man  auch  annehmen,  Avas  viel  Wahrschein- 
lichkeit für  sich  hat,  dass  die  Vorstellung,  die  die  V^lsungasaga  von 
Sigmunds  leben  gibt,  nur  die  chronologische  darstellung  verschiedener 
unabhängiger  sagen  ist,  es  ist  doch  leicht  zu  sehen,  dass  Sigmunds  Ver- 
bindung mit  SinfJQtli  weit  inniger  ist  als  die  mit  SigurÖr.  Nimmt  man  die 
mit  SigurÖr  in  keiner  Verbindung  stehenden  züge  und  Sigmunds  aus 
der  Helgisage  stammenden  tod  fort,  so  bleibt  weiter  nichts  übrig,  als 
dass  SigurÖs  vater  Sigmund  hiess.  Die  genealogische  anknüpfung  an 
die  Sigmundsage  ist  also,  wie  man  auch  vielfach  angenommen  hat, 
secundär. 

Aber  schon  bevor  die  genealogische  Verbindung  zu  stände  kam,  war 
zwischen  der  Sigmundsage   und   der  Hagen- Sigfridsage  eine  beziehung 


490  BOER 

vorhanden.  Wir  erkannten  früher  (s.  §  1.  4)  in  der  Sigmundsage  eine 
Variante  eines  teiles  der  Hagen -Sigfridsage.  Freilich  hat  die  erzählung 
mehr  ähnlichkeit  mit  dem  Überfall  auf  Hagen  als  mit  dem  Überfall  auf 
Sigfrid,  aber  das  grundmotiv  ist  für  alle  drei  erzählungen  dasselbe.  In- 
sofern ist  die  Sigmundsage  als  eine  Variante  der  Sigfridsage  zu  be- 
trachten. Wenn  wir  nun  in  den  quellen  eine  genealogische  Verbindung 
finden,  so  scheint  mir  das  zu  beweisen,  dass,  obgleich  die  sagen  sich 
verschieden  entwickelt  haben,  doch  das  gefühl  für  ihren  Zusammenhang 
nie  ganz  erloschen  gewesen  ist.  Es  fand  später  in  der  Vorstellung  einer 
Verwandtschaft  der  personen  ausdruck,  und  diese  wurde  so  aufgefasst, 
dass  Sigmund  Sigfrids  vater  war.  Im  lichte  dieses  ergebnisses  bekommt 
die  Beowulfstelle,  die  zwar  Sigmund,  aber  nicht  als  Sigfrids  vater,  kennt, 
eine  besondere  bedeutung. 

§  34.     Sigfrids   dienstbarkeit. 

Dass  bei  der  beurteilung  von  Sigfrids  dieustbarkeit  die  mytho- 
logische erklärung  uns  im  stiebe  lässt,  wurde  §  2  gezeigt.  Wir  müssen 
nun  damit  anfangen  zu  fragen,  ob  denn  die  sage  den  beiden  als  dienst- 
bar auffasst.  Es  kann  hier  nur  das  NL  in  betracht  kommen;  die  übrigen 
quellen  bieten  für  diese  annähme  gar  keinen  halt^  Und  die  antwort 
muss  lauten:  nirgends  wird  diese  ansieht  von  Sigfrids  Verhältnis  zu 
Günther  in  einer  solchen  weise  ausgesprochen,  dass  man  sie  für  die 
auffassung  des  dichters  halten  kann.  Überall  tritt  Sigfrid  als  den  brüdern 
ebenbürtig  auf.  Sigfrids  dienstbarkeit  ist  einerseits  eine  ausrede,  der  er 
Brynhild  gegenüber  sich  bedient,  um  sich  zu  entschuldigen,  dass  er 
nicht  um  sie  freit,  andererseits  eine  Unfreundlichkeit  ihrerseits,  wo  sie 
ihn  zu  beleidigen  wünscht. 

1)  Fäfnirs  Worte :  nu  ertu  haptr  oh  hernuniinn  reden  von  keiner  dienstbarkeit, 
sondern  davon,  dass  Sigfrids  mutter  auf  dem  schlachtfelde  von  Wikingern  gefunden  und 
fortgeführt  wurde.  Sigfrids  Verhältnis  zu  Mimir  ist  ganz  anderer  art,  s.  §  27.  Gar 
keinen  wert  hat  die  stelle  in  der  einleitung  des  Sigfridsliedes,  str.  12:  Er  dienet 
tvilligklichen  dem  k-ünig  seyn  tochter  ab.  Das  ganze  stück  str.  11 — 15  teilt  in  wirrem 
durcheinander  eine  reihe  nicht  zusammenhängender  züge  aus  der  sage  mit,  aber  etwas 
altertümliches  ist  darunter  nicht:  str.  11  hornhaut,  ankunft  bei  Günther;  12  das  dienen 
um  Kriemhilt,  achtjährige  ehe;  13.  14  (nb.!)  das  gewinnen  des  Nibelungenschatzes  (die 
wunderliijhe  reihenfolge  weist  als  quelle  auf  eine  darstellung  hin,  in  der  die  gewinnung 
des  Schatzes  wie  im  NL  nachträglich  erzählt  wird,  also  wol  das  NL);  14  der  Hunnen- 
kampf; 15  niemand  entrinnt  ausser  Dietrich  und  Hildebrand.  Das  dienen  muss  hier 
motivieren,  dass  der  hergelaufene  recke  (er  hat  str.  4  seine  eitern  mutwillig  verlassen) 
die  königstochter  bekommt;  das  motiv  ist  dem  NL  oder  einer  directen  Vorstufe  des 
liedes  entnommen  und  der  Situation  angepasst. 


IINTERSTTIIUXnEN  ÜBER  DEN  T'RSrKUXG   UND  DIE  ENTWICKIAJNG   DER  NIBELUNGENRAGE       491 

Wir  haben  keinen  grund,  aus  diesen  angaben  ohne  weiteres  mehr 
zu  abstrahieren  als  sie  enthalten,  zu  behaupten,  diese  anspielungen  seien 
eine  reminiscenz  an  eine  sagenform,  die  Sigfrid  als  tatsächlich  dienstbar 
vorstellte.  Eine  solche  sagenform  lässt  sich  weder  nachweisen  noch  aus 
der  Überlieferung  erschliessen.  Aber  die  anspielungen  sind  allerdings 
der  erldärung  bedürftig.  Die  crklärung,  die  das  lied  gibt,  ist  absolut 
ungenügend.  Als  Brynhild  den  Sigfrid  begrüsst,  zeigt  er  auf  Günther 
und  entschuldigt  sich  einer  früher  getroffenen  Verabredung  gemäss  mit 
seiner  dienstbarkeit.  Das  hat  für  die  ontwicklung  der  begeboniieiten  gar 
keinen  zweck.  Er  konnte  sagen,  dass  derjenige,  der  um  die  königin 
werbe,  Günther  sei,  nicht  er,  ohne  dass  er  deshalb  genötigt  wäre,  die 
ihn  selbst  herabsetzende  lüge  auszusprechen.  Er  konnte  sagen,  er  sei 
Günthers  zukünftiger  schwager.  Er  konnte  sich  zurückhalten  oder  auch 
wie  später  bei  den  kampfspielen  die  tarnkappe  anziehen.  Mit  der  dienst- 
barkeit muss  es  also  irgend  eine  bewandtnis  haben.  Und  später,  wenn 
Brj'nhild  darüber  weint,  dass  Kriemhilt  einem  dienstmann  zur  ehe 
gegeben  wird,  und  noch  in  höherem  grade,  wo  sie  jähre  nachher  von 
ihm  tribut  fordern  will,  wundert  man  sich  über  ihre  einfältigkeit,  die 
aus  Sigfrids  notlüge  so  viel  wesens  macht,  die  noch  nicht  bemerkt  hat, 
dass  das  nur  eine  lüge  war,  dass  Sigfrid  vielmehr  ein  mächtiger  könig 
ist,  was  übrigens  Günther  selbst  ihr  beim  feste  gesagt  hat^  Dass  das 
alles  in  Sigfrids  absolut  unnötiger  aussage  über  seinen  stand  seinen 
gruud  habe,  ist  nicht  anzunehmen. 

Ich  halte  Sigfrids  dienstbarkeit  vielmehr  für  eine  gehässige  be- 
hauptung  der  Brynhild.  Die  stellen,  wo  sie  ihn  einen  dienstmann  nennt, 
sind  die  älteren;  die  erklärung  hinkt  wie  gewöhnlich  hinterdrein.  Die 
Verleumdung  beruht  darauf,  dass  Sigfrid  ein  recke  ohne  land  war,  der 
an  Günthers  hof  lebte.  Das  zeigt,  dass  wir  es  widerum  mit  der  Bryn- 
hildsage,  nicht  mit  der  Sigfrid -Hagensage  zu  tun  haben.  Die  unbekannte 
herkunft  des  beiden  wird  in  Br  II  zu  einem  motiv,  das  den  streit  der 
königinnen  einleitet.  Von  wirklicher  dienstbarkeit  kann  auch  in  Br  II 
nicht  die  rede  gewesen  .sein;  das  zeigen  die  stellen,  wo  die  alte  auf- 
fassuug  durchbricht.  Hier-ist  Sigfrid  hochmütig  und  behandelt  die 
brüder  mit  geringschätzung.  Er  will  mit  Günther  um  sein  land  kämpfen. 
So  spricht  nicht  ein  mann,  der  sich  in  den  dienst  eines  andern  zu  be- 
geben gedenkt.  Er  bleibt  am  hofe,  aber  mau  muss  sich  viel  mühe 
geben,  ihn  zu  behalten;  alles,  was  er  für  Günther  tut,  tut  er  freiwillig 

1)  Eine  ganz  andere  frage  ist  natürlich  die,  ob  der  schmerz  über  die  ver- 
schwägerung mit  einem  dienstmann  Biynhilds  traurige  Stimmung  genügend  erklärt. 
Mir  scheint  das  nicht  der  fall  zu  sein,  aber  ich  gehe  darauf  hier  nicht  ein. 


492  nOET? 

auf  freundliche  bitte;  schliesslich  erweist  er  dem  könig  den  grossen 
dienst,  dass  er  ihm  die  braut  verschafft,  aber  der  dienst  wird  durch 
einen  gleichen  erwidert.  Sigfrid  ist  ein  gast,  der  gehen  kann,  sobald 
er  es  wünscht. 

Aber  der  Sigfrid  der  Brynhildsage  ist  und  bleibt  ein  fremder,  ein 
recke  ohne  land.  Daraus  konnte  auf  ein  dienstverhältnis  geschlossen 
werden.  Und  das  tut  Brynhild  in  raffinierter  feindseligkeit.  Da  hilft 
es  nicht,  dass  Günther  sie  zu  beschwichtigen  sucht;  immer  von  neuem 
kehrt  sie  zu  dem  einmal  ausgesprochenen  gedanken,  dass  Sigfrid  ein  un- 
freier sei,  zurück,  und  schliesslich  spielt  sie  diesen  gedanken  gegen 
Kriemhilt  aus^. 

Aber  das  epos  hat  die  Vorstellung,  dass  Sigfrid  ein  recke  ohne 
land  war,  fallen  lassen.  Es  hält  an  der  Vorstellung  der  alten  sage 
(S2),  dass  er  Sigmunds  söhn  ist,  fest  und  localisiert  sein  königreich 
in  Niederland.  Infolgedessen  musste  Brynhilds  behauptung  als  eine 
absolut  unmotivierte  fixe  idee  erscheinen,  und  nun  wurde  die  scene 
hinzugedichtet,  in  der  der  held  selbst  von  seiner  dienstbarkeit  redet. 
Dadurch  bekommt  Brynhilds  Verleumdung  den  schein  eines  grundes, 
sie  wird  sogar  zu  einem  erklärlichen  Irrtum;  der  held  hat  es  ihr  selbst 
gesagt. 

§  35.    Sigfrids  hochzeit. 

Sigfrids  hochzeit  wird  in  den  quellen  nur  in  der  darstellung  Br  II 
mitgeteilt.  Eine  ausnähme  bildet  das  Sigfridslied,  aber  hier  liegt  die 
Identification  Grimhild  =  Brynhild  vor;  diese  quelle  ist  für  die  Unter- 
suchung nach  der  ursprünglichen  Vorstellung  vollständig  unbrauchbar. 
Die  PS  verbindet  Sigur^üs  hochzeit  mit  einem  abhängigkeitsverhältnis 
von  PiSrekr,  in  das  der  held  durch  die  kampfspiele  an  Isungs  hof  gerät. 
Die  ältesten  Vorstellungen  sind  demnach  in  der  Edda  und  dem  NL  zu 
suchen.  In  beiden  quellen  steht  die  geschichte  in  unmittelbarem  Zu- 
sammenhang mit  der  fahrt  zu  Brynhild. 

Im  NL  reist  Sigfrid  nach  der  hochzeit  mit  Kriemhilt  nach  hause. 
Nach  verlauf  mehrerer  jähre  wird  das  paar  nach  Worms  eingeladen; 
sie  leisten  der  einladung  folge,  und  es  folgt  die  katastrophe.  Das  ist 
ziemlich  lang  und  langweilig.  Die  reise  hin  und  her  hat  für  die  ent- 
wicklung  der  handlung  keine  bedeutung;   man   kann   kaum   annehmen, 

1)  Dass  Brynhild  die  Urheberin  der  Vorstellung  von  Sigfrids  dienstbarkeit  ist, 
zeigt  auch  die  Vorstufe  des  NL,  die  darstellung  der  fS.  Denn  hier  klagt  Brynhild 
c.  344,  18fgg.  in  ähnlicher  weise  darüber,  dass  eiu  hergelaufener  recke  am  hofe  eine 
solche  überwiegende  Stellung  einnehme.  Es  ist  dieselbe  stelle,  aus  der  Brynhilds 
klage  über  SigurSs  hoffart  in  der  Sig.  yngri  stammt  (§  22). 


■UNTERSUCHUNGEN  ÜBER  DEN  URSPRUNG  UND  DIE  ENTWICKLtTNG  DER  NIBELUNGENSAGE       493 

dass  sie  ursprünglich  sei,  aber  dass  sie  ohne  irgend  eine  veranlassung 
aus  dem  einzigen  wünsch,  die  erzählung  in  die  länge  zu  ziehen,  ent- 
standen sei,  ist  doch  auch  nicht  wahrscheinlich. 

In  den  nordischen  quellen  ist  die  darstellung  einfacher.  Bald  nach 
Gunnars  hoclizeit,  der  hier  SigurÖs  hochzeit  vorangeht,  streiten  die 
königinnen,  und  die  folge  davon  ist  SigurÖs  ermordung.  Das  ist  logisch 
und  ästhetisch  befriedigender,  aber  kaum  ursprünglicher,  denn  von  an- 
fang  an  stand  die  hochzeit  zu  der  ermordung  in  keiner  beziehiing. 
Aber  Sigfrid  hat  hier  nach  Br  II  kein  eigenes  land;  er  konnte  daher 
nicht  heimreisen. 

Irgend  etwas  muss  doch  auch  in  der  alten  sage  zwischen  der 
hochzeit  und  der  ermordung  vorgefallen  sein.  Wenn  das  nicht  der  streit 
der  königinnen  oder  ein  ähnliches  ereignis  war,  was  war  es  dann?  Und 
auf  irgend  eine  weise  muss  Sigfrid,  sei  es  vor,  sei  es  nach  der  hoch- 
zeit zu  Hagen  gekommen  sein.  Vielleicht  gelingt  es  uns,  darüber  etwas 
zu  ermitteln. 

Es  verdient  beachtung,  dass  die  erzählung  des  NL  eine  einladung 
enthält.  Dieselbe  ist  in  der  gewöhnlichen  schablonenhaften  weise  er- 
zählt. Aber  daraus  folgt  nicht,  dass  sie  nicht  alt  sein  kann.  Eine 
parallele  hat  sie  an  Hagens  (und  Günthers)  einladung  durch  Attila,  und 
in  den  Varianten  in  Sigmunds  einladung  durch  Siggeirr,  Hnsefs  durch 
Finn.  Es  würde  demnach  ganz  sagengemäss  erscheinen,  wenn  der  alte 
Zusammenhang  dieser  wäre,  dass  Hagen  seinen  schwager  Sigfrid  ver- 
räterisch einlädt,  um  darauf  seinen  gast  zu  überfallen.  Es  fällt  auf, 
dass  gerade  in  diesem  abschnitt  (Bartsch  str.  774)  Hagen  in  starken 
Worten  den  wünsch  nach  dem  Nibelungenschatze  ausspricht:  hört  der 
NibeliiJiye  beslozxen  hat  sin  hant:  hey  sold  er  komen  immer  {sohlen 
U'ir  den  teilen  [!]  C)  )ioch  in  Burgimden  laut. 

Die  ermüdende  hin-  und  rückreise  ist  aber  schwerlich  altes  sagen- 
gut. Zieht  man  in  betracht,  dass  Br  II  voraussetzt,  dass  die  hochzeit 
in  Worms  gefeiert  wird,  so  kann  man  die  Vermutung  nicht  unterdrücken, 
dass  hier  eine  durch  Br  II  bedingte  änderung  vorliegt,  und  dass  in  der 
ursprünglichen Sigfridsage  die  feier  an  einem  andern  orte,  also  in  Sigfrids 
land,  stattfand.  In  der  Attilasage  wirbt  Attila  durch  boten \  eine  sehr 
gebräuchliche  form  der  Werbung  in  der  altgermanischen  poesie.  Wenn 
urspi'ünglich  auch  Sigfrid  durch  boten  warb,  so  würde  dadurch  die 
ähnlichkeit  mit  der  Attilasage  noch  grösser  werden.  Wir  würden  da- 
durch   die    heimreise  ersparen   imd    für    die  einladung  eine  erklärung 

1)  Dass  in  der  fS  Attila  darauf  selbst  die  braut  abholt,  beruht  auf  einer 
fiuellenmischuDg,  vgl.  §  43. 


494  BOER 

finden.  Bei  der  Übersendung  der  braut  ergieng  zugleich  von  Hagens 
Seite  eine  einladung  an  das  junge  paar  für  den  nächsten  sommer 
(vgl.  auch  die  Sigmundsage).  Nach  der  ankunft  bei  Hagen  wurde  Sigfrid 
überfallen  und  getötete 

Durch  die  Verbindung  mit  der  Brynhildsage  wurde  Sigfrids  hochzeit 
an  Günthers  hochzeit  geknüpft.  Die  folge  davon  war,  dass  sie  in  Worms 
gefeiert  wurde.  Bei  seiner  ermordung  war  Sigfrid  widerum  in  "Worms. 
Wollte  man  die  einladung  beibehalten,  so  musste  man  nun  Sigfrid  nach 
seiner  hochzeit  mit  Kriemhilt  heimreisen  lassen.  Aber  zum  schaden 
der  erzählung.  Denn  da  die  einladung  nach  der  neuen  motivierung 
der  ermordung  nicht  länger  den  verräterischen  zweck  hat,  ist  auf  diese 
weise  eine  müssige  hin-  und  herreise  entstanden.  Ein  versuch,  die  alte 
motivierung  neu  zu  beleben,  ist  jedoch  gemacht  worden,  wo  Brynhild 
gerade  bei  der  einladung  widerum  von  Sigfrids  dienstbarkeit  und  dem 
tribut,  den  er  ihr  zolle,  redet.  Hier  liegt  ein  ansatz  zur  Übertragung 
von  Hagens  habgier  auf  Brynhild  vor,  ganz  parallel  mit  und  kaum  unab- 
hängig von  der  Übertragung  von  Attilas  habsucht  auf  Kriemhild  in  dem- 
selben gedichte. 

Ein  anderer  ausweg  war,  dass  man  die  einladung  fallen  liess.  Das 
ist  in  der  skandinavischen  tradition  und  auch  in  der  PS  geschehen,  in 
der  nun  SigurÖs  tod  sich  bald  an  die  hochzeit  anschliesst,  wodurch  die 
erzählung  an  geschlossenheit  gewinnt  und  das  Verständnis  für  den  neuen 
Zusammenhang  zwischen  Brynhilds  erwerbung  und  Sigfrids  tod  in  hohem 
grade  gefördert  wird. 

Vn.    Die  sogenaunteu  Sig'fridmärchen. 

§  36. 
Es  wurde  im  vorhergehenden  absichtlich  nur  bei  der  besprechung 
von  Br  I  von  märchen  gebrauch  gemacht.  Man  kann  bei  der  beurteilung 
complicierterer  gebilde  mit  der  heranziehung  von  märchen  kaum  vorsichtig 
genug  sein.  Einzelne  märchenmotive  mögen  für  die  sagengeschichte  die 
grösste  bedeutung  haben,  die  Zusammenstellung  längerer  märchenhafter 
erzählungen  ist  so  variabel,  dass  man  hier  der  gefahr,  auf  zufällige  Über- 
einstimmungen zu  grosses  gewicht  zu  legen,  besonders  ausgesetzt  ist.  Ich 
sehe  mich  dennoch  veranlasst,  auf  eine  gruppe  von  Sigfridmärchen,  denen 
man  eine  besondere  bedeutung  beüegt,  näher  einzugehen.     Die  gruppe 

1)  C.  226  der  fS,  das  Sigur5r  seine  hochzeit  im  Niflungaland  feiern  und  von 
da  an  bei  Gunnarr  bleiben  lässt,  spricht  nicht  gegen  die  echtheit  der  einladung  im 
NL,  denn  die  quelle  dieses  capitels  ist  nicht  die  des  Nibelungenliedes.  C.  226  ver- 
tritt eine  tradition,  dis  in  diesem  punkte  mit  der  nordischen  übereinstimmt. 


TTNTERSTJCHIINGEN  ÜBER  DEN  URSPRUNG  UND  DIE  ENTWICKLUNG  DER  NnBELUNGENSAGE       495 

ist  u.a.  von  Raszmann,  Die  deutsche  heldensage  I^,  360fgg.  ausführlich 
besprochen.  Raszmann  sieht  in  ihnen  Zeugnisse  für  das  weiterleben  der 
Sigfridsage.  Wenn  das  sicher  wäre,  so  wäre  kein  grund  vorhanden,  sie 
in  diesem  zusammenhange  zu  besprechen,  es  sei  denn  insofern  sie  ein- 
zelne Züge  der  S.  enthalten  dürften,  die  die  Überlieferung  vergessen  hat. 
Seit  Raszmann  aber  haben  sich  die  ansichten  über  das  Verhältnis  zwischen 
märcheu  und  litterarisch  ausgebildeten  sagen  sehr  geändert.  Man  ist  jetzt 
mehr  geneigt,  in  den  märchen  den  rohstoö'  zu  suchen,  aus  denen  höhere 
sagengebilde  aufgebaut  sind.  Aber  wie  soll  man  es  nun  beurteilen,  wenn 
man  in  märchen  mehrere  motive  beisammen  findet,  die  in  einer  sage 
gleichfalls  begegnen,  dort  aber  durch  die  kritik  als  nicht  von  anfang 
an  zusammengehörig  erkannt  werden?  Da  hat  man  die  wähl  zwischen 
den  folgenden  erklärungen:  1.  die  Übereinstimmung  ist  nur  scheinbar; 
2.  sie  ist  zufällig;  3.  das  märchen  ist  von  der  sage  abhängig.  "Wenn 
keine  dieser  erklärungen  zutrifft,  so  rauss  man  in  der  sage  beisammen 
lassen,  was  sich  im  märchen  beisammen  findet.  In  mehreren  der  er- 
wähnten Sigfridmärchen  hat  man  nun  Sigfrids  Werbung  zusammen  mit 
Günther  und  Hagen  widerzuerkennen  geglaubt.  Die  richtigkeit  dieser 
annähme  wird  im  folgenden  geprüft  w-erden. 

Der  held  zieht  aus,  sei  es  um  etwas  zu  suchen  (z.  b.  das  wasser 
des  lebens),  sei  es,  wie  in  den  meisten  erzählungen,  aufs  geratewol. 
Dann  begegnet  er  manchmal  leuten,  mit  denen  er  freuudschaft  schliesst 
und  mit  denen  er  den  weg  findet  oder  die  ihm  den  weg  zeigen  nach 
einem  bezauberten  schlösse.  Den  freunden  ist  es  um  die  braut  zu  tun, 
die  er  für  sie  gewinnen  soll.  Der  junge  mann  verrichtet  treu  die  kraft- 
taten, die  von  ihm  verlangt  werden.  Er  findet  das  schwert,  er  tötet 
den  drachen  oder  andere  ungeheuer  —  in  111  sind  die  riesen,  die  ihn 
begleiten,  selbst  die  unholde,  die  er  besiegen  muss.  Er  sorgt  auch 
dafür,  dass  er  die  nötigen  Wahrzeichen  zu  sich  steckt,  drachenzungen, 
riesenzungen ,  einen  zipfel  eines  hemdes,  eine  halsbinde,  einen  pantofifel 
oder  was  es  sei.  Dann  wird  er  regelmässig  betrogen,  und  zwar  entweder 
von  seinen  freunden,  oder  durch  einen  marschall  oder  einen  anderen 
herrn  aus  des  königs  gefolge,  der  seine  heldentaten  aus  der  ferne  er- 
blickt oder  auf  andere  weise  zuerst  die  geänderte  Sachlage  wahrgenommen 
hat,  auch  wol  von  seinen  brüdern,  denen  er  das  leben  gerettet  hat, 
und  die  ihm  mit  undank  lohnen.  Solch  ein  freund,  bruder  oder  marschall 
soll  nun  die  königstochter  heiraten.  Aber  die  hochzeit  wird  aufgeschoben, 
und  nach  einem  jähre  meldet  sich  der  wahre  held;  durch  die  Wahr- 
zeichen, die  er  bei  sich  hat,  gibt  er  sich  zu  erkennen,  und  nun  be- 
kommt er  die  braut;  die  Übeltäter  aber  werden  gestraft. 


496  BOER 

Die  beliebte  erklärung  ist  diese:  die  falschen  freunde  sind  Günther 
und  Hagen;  diese  nehmen  dem  Sigfrid  die  braut,  wie  die  freunde  oder 
brüder  dem  beiden  des  raärchens.  Sie  töten  Sigfrid,  wie  die  freunde 
oder  der  marschall  den  beiden  des  märchens  zu  töten  wünschen,  oder 
in  einer  Variante  (60)  auch  wirklich  töten  (hier  wird  er  jedoch  durch 
seine  wahren  freunde,  die  ihn  begleitenden  tiere,  wider  um  ins  leben 
zurückgerufen). 

Wenn  diese  märohen  von  der  Sigfridsage  abhängig  sind,  so  be- 
weisen sie  natürlich  gar  nichts.  Ich  gehe  aber  davon  aus,  dass  das 
nicht  der  fall  ist,  und  frage:  was  beweisen  auch  dann  diese  märchen 
für  die  sage  von  Sigfrid,  Günther  und  Hagen?  Zusammen  ziehen  die 
freunde  aus,  um  die  braut  zu  suchen.  Aber  in  der  Sigfridsage  weiss 
der  held  den  weg,  seine  genossen  nicht.  In  den  märchen  weiss  keiner 
ihn  und  man  gelangt  durch  einen  zufall  zu  dem  bezauberten  schlösse, 
oder  die  freunde  wissen  den  weg,  er  aber  nicht.  In  anderen  fällen 
(97,  ähnlich  auch  57)  gelangt  der  held  allein  dahin  mit  hilfe  eines  ehr- 
lichen freundes,  während  die  bösen  brüder  schon  beim  beginn  der  reise 
verirrt  sind  und  später  von  ihm  erlöst  werden.  Sigfrid  hat  die  absieht, 
die  braut  für  Günther  zu  holen  und  liefert  sie  ihm  richtig  aus;  die 
freunde  des  märchens  aber  bemächtigen  sich  der  braut,  die  dem  beiden 
von  rechts  wegen  zukommt,  gegen  seinen  willen  und  betrügen  ihn. 
Günther  und  Hagen  suchen  Sigfrid  zu  töten  aus  gründen,  die  mit  dem 
abenteuer  nur  entfernt  zusammenhängen,  und  sie  tun  das,  lange  nachdem 
sie  schon  die  braut  bekommen  haben.  Die  freunde  des  märchens  wollen 
ihren  freund  töten,  weil  nur  so  für  sie  die  möglichkeit  besteht,  die 
braut  zu  erwerben.  Sigfrid  wird  wirklich  getötet,  der  held  des  märchens 
kommt  ausnahmslos  glücklich  davon,  und  die  bösen  freunde  bekommen 
die  verdiente  strafe.  Wahrlich,  hier  ist  alles  wesentliche  verschieden; 
nur  die  begleitenden  freunde,  die  schhesslich  keine  freunde  sind,  lassen 
sich  einigermassen  vergleichen. 

Es  kommt  noch  hinzu,  dass  man  nicht  in  allen  märchen  dieselben 
personen  dem  Günther  und  Hagen  vergleichen  kann.  In  den  erzählungen 
vom  typus  97.  91  sind  es  die  brüder  oder  die  unterwegs  gefundenen 
freunde.  In  60.  111  aber  ist  es  der  marschall,  der  hauptmann,  mit 
dem  der  held  nichts  anderes  zu  schaffen  hat,  als  dass  dieser  ihn  um  die 
braut  betrügen  will.  In  dem  zuletztgenannten  märchen  kommen  neben 
dem  hauptmann  auch  falsche  freunde  vor,  aber  sie  erweisen  sich  am 
ende  als  mit  dem  ungetüm,  das  in  anderen  erzählungen  besiegt  werden 
muss,  aber  in  diese  form  ursprünglich  nicht  hineingehört  (§  11),  identisch. 
Wenn   mau   die  thcorie,    dass   die  freunde   Günther   und   Hagen  seien. 


UNTERSUCHUNGEN  ÜBER  DEN  URSPRUNG  UND  DIE  ENTWICKLUNG  DER  NIBELUNGENSAGE       497 

aufrecht  erhalten  will,  so  mnss  man  schon  die  märchen  so  gruppieren, 
dass  die  typen,  die  mit  der  erzählung  von  Sigfrids  und  Günthers  Werbung 
die  verhältnismässig  grösste  ähnlichkeit  haben  als  die  ursprünglichen, 
alle  die  übrigen  aber  als  entstellungen  bezeichnet  werden.  Das  wäre 
aber  ein  sehr  willkürliches  verfahren.  Die  grosse  Variabilität  dieser 
motive  bedeutet  nur,  dass  der  held  auf  dem  wege  zu  der  bezaubei'ten 
Jungfrau  von  tausend  gefahren  umringt  ist;  offene  und  tückische  feinde 
versuchen  ihn  von  seinem  glück  fernzuhalten;  noch  im  letzten  augen- 
blick  hätte  er  alles,  Avas  schon  gewonnen  war,  beinahe  wider  verloren, 
aber  das  glückskind  überwindet  alle  Schwierigkeiten. 

Ein  Zusammenhang  mit  der  Biynhildsage  ist  bei  vielen  dieser 
erzählungen  tatsächlich  vorhanden.  Es  gibt  darunter  auch  solche,  für 
die  es  feststeht,  dass  sie  wenigstens  von  den  überlieferten  litterarischen 
quellen  unabhängig  sind.  Wenn  in  93  die  namen  Glasberg  und  Strom- 
berg, die  in  der  Br3'nhildsage  auf  zwei  quollen  verteilt  sind,  neben- 
einander erhalten  sind,  so  zeigt  das  zugleich  den  Zusammenhang  und 
die  Unabhängigkeit  des  märchens  (§  8).  Wenn  111  das  kleid,  worin  die 
Jungfrau  geschlossen  ist,  noch  nicht  als  einen  panzer  auffasst,  so  sind 
wir  zu  demselben  Schlüsse  berechtigt  (§  7).  Wenn  in  92  der  held,  der 
die  Prinzessin  erlöst,  in  einem  schiff  lein  in  die  weit  hinausgeschickt 
wird,  so  fehlen  noch  die  geburt  im  walde  und  der  auf  enthalt  bei  Mimir 
(§  9).  Aber  das  sind  alles  züge  von  Br  I.  Von  den  burgundischen 
brüdern  keine  spur. 

Eine  secundäre  ähnlichkeit  besteht  darin,  dass  Günther  und  Hagen 
Sigfrid  begleiten  wie  die  freunde  des  märchens.  Aber  das  ergibt  sich 
aus  der  Sachlage  von  selbst.  Wenn  Sigfrid  für  Günther  freit,  und  dieser 
die  braut  so  schnell  wie  möglich  nach  der  hochzeit  übernehmen  muss, 
so  besteht  keine  andere  möglichkeit  als  dass  sie  zusammen  reisen.  Ferner 
überwindet  der  held  im  märchen  hindernisse,  denen  seine  bogleiter  nicht 
gewachsen  sind.  Das  beruht  auf  der  gemeinsamen  grundlage;  es  ist 
nun  einmal  für  diesen  beiden  eigentümlich,  dass  er  taten  verrichtet,  zu 
denen  kein  anderer  im  stände  ist.  Wenn  er  also  begleiter  hat,  so  werden 
diese  hinter  ihm  zurückstehen.  Das  ist  alles;  weiter  erstreckt  sich  die 
gleichheit  nicht.  Die  art  der  hindernisse  ist  sehr  verschieden.  Unter 
den  Probestücken  begegnet  auch  das  reiten  nach  einer  bürg,  und  zwar 
in  fassungen,  die  von  der  Brynhildsage  ziemlich  weit  abstehen.  In 
97  sind  es  die  falschen  brüder,  die  zu  beiden  selten  des  weges  reiten, 
während  der  wahre  held  daran  erkannt  wird,  dass  er  die  mitte  wählt. 
Die  geschichte  ist  äusserst  compliciert.  Die  erlösung  der  Jungfrau  ist 
schon    früiier  geschehen,    die   brüder  haben   den   holden    schon  einmal 

ZEITSCHUIFT   F.    DKÜT8CHE   PHILOLOGIE.       HD.    XXXVII.  32 


498  BOER 

betrogen  und  sind  schon  halbwegs  entlarvt,  bei  dieser  letzten  probe 
fallen  sie  vollständig  durch.  Auch  hier  mag  eine  reminiscenz  an  den 
ritt  zu  der  bürg  Brjnhilds  oder  besser  der  dieser  zu  gründe  liegenden 
erzählung  vorliegen,  aber  die  vergleichung  mit  Günther  und  Hagen  führt 
wie  sonst  nur  zu  einem  negativen  resultat.  Der  held  wählt  den  rechten, 
die  brüder  aber  den  falschen  weg;  in  der  Brynhildsage  ist  SigurÖr  der 
einzige,  der  den  weg  gehen  kann  oder  nach  jüngerer  tradition  zu  gehen 
wagt,  während  die  beiden  anderen  gar  nicht  reiten  i. 

Übrigens  fällt  bei  der  vergleichung  der  märchen  für  Br  I  noch 
hier  und  da  etwas  ab.  In  93,  das  auch  sonst  der  Brynhildsage  so  be- 
sonders nahe  steht  und  so  viel  altertümliches  bewahrt,  finden  wir  die 
bestätigung  unseres  resultats  in  §  19,  dass  Sigfrid  unmittelbar  vor  dem 
besuch  bei  Brynhild  das  ross  erwirbt,  mit  dessen  hilfe  er  sie  erreichen 
kann.  Es  ist  die  begegnung  mit  den  beiden  räubern,  die  sich  um  die 
zauberdinge  schlagen.  Die  gegenstände  sind  alle  drei  aus  der  Sigfrid- 
sage  bekannt:  der  stock,  mit  dem  man  jede  tür  öffnet  (vgl.  SigurÖs 
Vergewaltigung  des  gitters,  das  vor  Bryuhilds  bürg  steht  c.  168  der 
5S  [§  9]),  der  unsichtbar  machende  mantel  (d.  i.  die  tarnkappe)  und  das 
zauberpferd.  Der  erste  und  der  dritte  gegenständ  finden  sich  schon  in 
der  5S  beisammen  (nur  dass  wol  das  gewaltsame  öffnen  des  gitters  aber 
nicht  der  stock  genannt  wird),  den  zweiten  hat  das  märchen  hinzu- 
gefügt, und  das  zeigt,  dass  es,  obgleich  in  gewisser  hinsieht  über  die 
geschriebenen  quellen  der  sage  hinausgehend,,  doch  in  anderer  hinsieht 
von  der  sage  abhängig  ist.  Denn  die  tarnkappe  stammt  von  den  Nibe- 
lungen, und  die  räuber  sind  auch  die  Nibelunge  Schilbunc  und  Nibelunc; 
das  zeigt  noch  deutlicher  92,  wo  die  zauberischen  gegenstände  geändert 
sind  —  der  stock  ist  zu  einem  degen,  das  pferd  zu  einem  stiefelpaar 
geworden;  nur  der  unsichtbar  machende  mantel  ist  geblieben  —  aber 
wo  statt  der  räuber  zwei  riesen  sich  streiten  und  zwar  um  ihres  vaters 
erbschaft. 


1)  Wenn  die  läbnlichkeit  grösser  wäre,  so  köonte  mau  die  frage  stellen,  ob 
nicht  Günther  und  Hagen  secundär  in  die  märchen  eingeführt  worden  sein  können, 
wie  wir  auch  Schilbunc  und  Nibeluuc  in  einigen  fassungen  widerfinden,  und  zwar 
an  einer  stelle,  wo  sie  unmöglich  alt  sein  können  (s.  unten  s.  499 fg.).  Aber  die 
Voraussetzung  zu  einer  solchen  fragestellung  —  eine  wirkliche  Übereinstimmung  — 
fehlt.  Die  brüder  oder  freunde  im  märchen  sind  in  gewissem  sinne  nur  eine  Ver- 
dopplung des  beiden,  wie  es  auch  in  vielen  erzählungen  drei  Jungfrauen  gibt  —  eine 
sehr  gewohnte  Steigerung  eines  motivs.  Wer  sein  haupt  lösen  will,  miiss  drei  fragen 
beantworten;  wer  ein  von  unholden  bewohntes  schloss  erlösen  will,  muss  drei  nachte 
darin  zubringen,  usw. 


UNTERSUCHUNGEN  ÜBER  DEN  URSPRUNG  UND  DIE  I.NTWICKLUNG  DER  NIDELUNGENSAGE       499 

Was  finden  wir  also  hier?  Den  ritt  nach  Brynhilds  bürg  in  der 
deutschen,  spociell  niederdeutschen  form  (I>S)  verbunden  mit  einem 
anderen  Sigfridmotiv,  der  er  Werbung  des  dcQi  Schilbunc  und  Nibelunc 
•gehörenden  Schatzes.  Beweist  das  nun,  dass  Schilbunc  und  Nibelunc 
etwas  mit  Brynhild  zu  schaffen  haben?  Nicht  im  mindesten.  Die  alten 
quellen  halten  die  gestalten  durcliaus  voneinander  getrennt.  Die  Nibe- 
lunge  besitzen  einen  schätz;  um  zu  Brynhild  zu  gelangen,  ist  ein  be- 
sonderes pferd  oder  ein  besonderer  stock  oder  beides  unentbehrlich. 
Diese  Sachen  befinden  sich  in  dem  besitz  eines  wie  sich  versteht  über- 
natürlichen Wesens,  in  dessen  rolle  in  der  norddeutschen  fassung  der 
Brynhildsage  Heimir  eintritt.  Das  märclien  hat  die  besitzer  der  beiden 
gruppen  von  zauberischen  gegenstanden  zusammengeworfen,  und  so  er- 
zählt es,  dass  der  held  das  pferd,  auf  dem  er  zu  der  Jungfrau  reiten 
wird,  bei  den  Nibelungen  holt. 

Die  uunatürlichkeit  der  Verbindung  zeigt  auch  der  ausgang  klar 
genug.  Nachdem  in  93  der  held  den  glasberg  bestiegen  und  die  bürg 
geöffnet,  tritt  er  ein  und  erweckt  die  Jungfrau  durch  einen  ring,  den 
er  in  ihren  kelch  wirft.  Sie  erwacht,  und  damit  sollte  die  geschichte 
aus  sein.  Aber  er  muss  nun  weiter  noch  seine  tarnkappe  versuchen. 
Deshalb  hat  er  den  mantel  über  sich  und  wird  also  von  ihr  nicht  ge- 
sehen. Nun  geht  er  hinaus,  und  nachdem  man  drinnen  vergebens  nach 
ihm  gesucht,  findet  man  ihn  schliesslich  auf  seinem  pferde  sitzend  vor 
dem  tor.  Die  Verlängerung  der  geschichte  ist  völlig  sinnlos;  sie  dient  nur 
dazu,  um  ein  dem  Stoffe  fremdes  motiv,  das  nun  einmal  aufgenommen 
ist,  auch  zur  geltuug  zu  bringen,  und  sie  zeigt,  dass  die  nibelungischen 
brüder  Schilbunc  und  Nibelunc  in  diesen  Zusammenhang  ebensowenig 
gehören  als  Günther  und  Hagen i. 

KHM  90  hat  mit  der  Sigfridsage  nur  das  gemein,  dass  der  held 
eine  Zeitlang  bei  einem  schmiede  sich  aufhält  und  seinen  meister  miss- 
haudelt.  Dann  folgen  nicht  die  erlösung  einer  Jungfrau,  sondern  einige 
kraftproben  in  einer  mühle.  Die  geschichte  beweist  für  den  Zusammen- 
hang von  Sigfrids  lehrjahren  mit  anderen  ztigen  der  Sigfridsage  nichts, 
sie  ist  nur  insofern  interessant,  als  sie  das  märchen  ausserhalb  des 
Zusammenhangs  der  Sigfridsage,  in  die  es  gewiss  spät  aufgenommen 
worden  ist,  zeigt. 

])  Auch  in  92  ist  das  motiv  der  tarnkappe  in  ganz  roher  und  unnützer  weise 
ven\'eDdet.  Aber  auch  die  beiden  anderen  inotive  sind  liier  sehr  entstellt.  Das  schwert 
dient  nicht  wie  der  stock  in  93  dazu  das  tor  der  bürg  zu  öiriieu,  sondern  um  alle  an- 
wesenden mit  liilfe  einer  Zauberformel  zu  köpfen. 

32* 


500  BOER 

Die  märchen  bieten  nach  alledem  ziemlich  reiches  material  für 
die  älteren  formen  der  Brynhildsage,  und  zwar  für  alle  drei  hanptformen 
(vgl.  §  7 — 11),  aber  von  der  durchaus  litterarischen  contamination  mit 
der  Burgundensage  sind  sie  nicht  berührt.  Hingegen  haben  sie  in 
einigen  exemplaren  andere  volkstümliche  elemente  der  Sigfridsage  mit 
der  erlösungssage  secundär  verbunden  (die Nibelunge  in  92.  93),  in  einem 
anderen  fall  enthalten  sie  züge  (90),  die  secundär  in  die  Sigfridsage  auf- 
genommen sind.  Inwiefern  man  recht  hat,  von  Sigfridmärchen  zu  reden, 
hängt  davon  ab,  was  man  darunter  versteht.  Ihren  Inhalt  bildet  eines 
der  wichtigsten  ereignisse  aus  Sigfrids  leben.  Aber  kein  ursprüngliches. 
Mit  der  ältesten  Sigfridsage,  die  nur  den  tod  des  beiden  durch  Hagen 
berichtete,  haben  sie  nichts  gemein. 

Till.    Schematische  Übersicht  der  entwieklung  der  Sigfridsage. 

§  37. 
Es  soll  hier  der  versuch  gemacht  werden,  auf  grund  des  oben- 
stehenden teils  unserer  Untersuchung  das  Verhältnis  der  einzelnen  motive 
der  Sigfridsage  zu  einander  und  zu  verwandten  erzählungen  in  einer 
schematischen  darstellung  in  ihren  hauptzügen  zur  anschauung  zu  bringen. 
Die  resultate  der  folgenden  capitel,  deren  stoff  bei  weitem  nicht  so  com- 
pliciert  ist  wie  die  Sigfridsage  und  die  sich  daher  leichter  übersehen  lassen, 
werden  nur  in  einem  ganz  vereinzelten  fall  darin  aufgenommen. 
A.  Grundmotiv,  feindschaft  zwischen  anverwandten; 

1.  zwischen  Schwiegervater  und  Schwiegersohn; 

2.  zwischen  Schwägern. 

a)  Einfaches  motiv: 

1.  Helgisage  (Hagen -Helgi); 

2.  Finnsage; 

1  -|-  2.  Sigmundsage. 

b)  Widerholung  des  motivs: 

1.  Hildesage  (entwieklung  zum  gegenseitigen  mord).    Weitere 
Verdopplung  durch  die  Guörünsage; 

2.  Hagensage  (Hagen -Sigfrid;  Attila- Hagen).    Ähnlich  in  der 
Vorgeschichte  der  Vqlsunge. 

In  b  1  und  b2  die  namen:  Hagen,  Hild,  GuÖrün.  1  und  2  gehen 
zufolge  ihrer  motivicrungen  und  weiterer  anknüpfungen  vollständig  aus- 
einander. Die  zu  2  gehörigen  sagen  (a2.  al-1-2.  b2)  entwickeln  sich 
zwar  selbständig,  ein  gegenseitiger  einfluss  macht  sich  aber  lange  zeit 
geltend. 


UNTERSUCHUNGEN  ÜRKR  DEN  URSPRUNG  UND  DIE  ENTWICKLUNG  DER  NIBELUNGENSAGE       501 

1.  Gemeinsame  züge  der  ganzen  reihe:  der  ermordete  held  ist  bei 
seinem  schwager  zu  gast:  Hnsef,  Sigmund,  Hagen,  Sigfrid  (NL). 

2.  Gemeinsame  züge  der  Finnsage  und  der  Hagensage:  der  Waffen- 
bruder des  beiden,  die  nachtwache,  der  tod  eines  sobnes  der 
bei  diu  bei  der  katastropbe. 

3.  Gemeinsame  züge  und  borübrungen  der  Hagensage  und  der 
Sigmundsage: 

a)  H  2  und  Sigmund :  die  scbwester  racbt  den  bruder.  Aucli 
in  den  einzelbeiten  der  räche  ist  die  Übereinstimmung  gross. 

b)  Hl  (=S2)  und  Sigmund:  genealogische  Verbindung. 

Das  chronologische  Verhältnis  von  2  zu  3  (1  ist  das  älteste)  und 
zu  anderen  zügen  lässt  sich  zum  teil  nichts  zum  teil  nur  ungefähr  er- 
schliessen.     3  ist  älter  als  die  aufnähme  der  Brynhildsage. 

B.  Entwicklung  der  Charaktere  durch  die  innere  begründung  der  sage. 
Man  fragt  nach  den  motiven  der  handlung. 
Frage:  warum  tötet  Hagen  und  später  Attila  seinen  schwager? 
Antwort:  weil  dieser  einen   kostbaren  schätz  besass.    . 
Frage:  woher  stammte  der  schätz? 
Antwort:  1.  von  einem  drachen; 

2.  von  Zwergen. 
1.  Entwicklung  des  motivs  vom  drachenkampf; 

a)  der  drachenkampf  verbunden  mit  horterwerbung  ohne  andere 
motive.  In  zahlreichen  altnordischen  erzählungen.  Ferner 
zumal  Beowulf; 

b)  dasselbe  motiv  ohne  andere  Verbindungen  an  Sigfrid  geknüpft. 
Belegt  durch  die  Übertragung  auf  Sigmund  (B6ow.); 

c)  dasselbe  motiv  von  Sigfrid  bezeugt  in  chronologischer  Ver- 
bindung mit  jüngeren  motiven  (Sigrdrifasage):  Edda; 

d)  ein  drachenkampf  in  grober  entstellung  mitverlust  des  hortes: 
PS.    Einl.  Sigfr.l.  —  Sciiwache  nachklänge:  NL.    Sigfr.l.; 

e)  (im  anschluss  an  c):  durch  den  genuss  des  fleisches  des 
drachens  eignet  der  held  sich  dessen  eigenschaften  an: 

I.  a)  durch  das  essen  des  herzens  bekommt  er  die  kraft  des 
drachens:  Fäfn.  Strophen; 
ß)  umdeutung  dieses  motivs  zum  Verständnis  der  vogel- 
sprache:  Fäfn.  prosa; 

1)  Im  allgeaieineu  bemerke  ich,  dass  in  diesei'  übeisiciit  der  chronologische 
gesichtspunkt  nur  in  hauptzügen  und  bei  der  entwicklung  der  einzelnen  motive  fest- 
gehalten werden  konnte. 


502  ROKR 

IL  durch  das  bad  im  blute  des  drachens  gewinnt  der  held  eine 
hornhaut:  NL.    Einl.  Sigfr.l. 
2.  Entwicklung  des  zwergenmotivs. 

a)  Zwerge  sind  Schatzbesitzer.  So  in  zahllosen  zwergensagen. 
An  auf  gewaltsamem  wege  erworbenen  zwergengute  haftet 
ein  fluch  (Dulinn  und  Dvalinn  u.  a.). 

b)  Sigfrids  schätz  stammt  von  zwergen:  NL.  Einl.  Sigfrl.  Der 
fluch:  Fäfn.;  als  Verhängnis  an  mehreren  stellen  im  NL. 

c)  Übertragung  des  Nibelungennamens  auf  Hagen  und  sein 
geschlecht:  NL.    Edda,    I>S. 

1  -f  2.  Verhältnismässig  jung:  Edda. 

Identificierungen :  des  zwergenschatzes  mit  dem  drachenschatze; 
des  schatzhütenden  zwerges  mit  dem  schatzhütenden  drachen;  des  dem 
zwerge  feindlichen  bruders  mit  dem  schmiede  (s.  unten). 

Verbindendes  motiv:  ein  geizhals  wird  zum  schatzhütenden  drachen. 
Widerholung  des  fluchmotivs  (Andvari). 

Um  den  drachen  zu  erlegen,  ist  ein  treffliches  schwert  unentbehrlich. 

Frage:  woher  das  schwert? 

Antwort:  das  hat  Mimir,  der  beste  der  schmiede,  gemacht. 

Entwicklung  des  schmiedemotivs: 

a)  Zwerge  schmieden  gute  Schwerter.  Sie  sind  hinterlistig:  Olius 
und  Alius.     Dulinn  und  Dvalinn  usw. 

b)  Mimir  ist  der  beste  schmied:  Das  schwert  Mimunc  und 
mehrere  stellen  im  DHB. 

c)  Sigfrid  bei  Mimir.  Der  hinterlistige  schmied  wünscht  Sigfrids 
tod :  PS.    Einl.  Sigfr.l.    Edda  (hier  auf  Reginn  übertragen). 

d)  Sigfrid  hält  sich  längere  zeit  bei  Mimir  auf  (einfluss  der 
jüngeren  Sisibesage).    I>S. 

Aufnahme   des  märchens  von   dem  schmiedegesellen:  PS. 
Einl.  Sigfr.l.   Edda  prosa  (hier  bezeugt  durch  die  ambossscene). 

e)  Identification  mit  Reginn:  Edda  (vgl.  oben). 
Entwicklung  von  Regins  gestalt: 

a)  Reginn  ist  Helgis  föstri  und  helfer  bei  der  vaterrache: 
Hrölfs  s.  kr. 

b)  Helgi  ein  söhn  des  Sigmundr:  Edda. 

c)  Reginn  Sigurös  föstri  und  helfer  bei  der  vatersage:  Rm. 

d)  Reginn  =  Mimir  (folgt  aus  c). 

e)  Reginn  belehrt  Sigiirö  über  seine  abstammung.  Stammt  aus 
einer  form  der  Biynhildsage.     Angeknüpft  an  c. 


UNTERSUCllUNGEiN  ÜßEK  UEX  URSPim.NTt  UNU   DIE  ENTWICKLUNG  DEK  MliELUXUENSAGE        503 

Änderung-  der  motivierung:  Daraus,  dass  Grfmhild  Sigfrids  witwe 
ist,  entwickelt  sich  die  vürstelluug,  dass  nicht  Attihi  sondern  Grimhild 
Hagen  feindlich  gesinnt  ist,  I^S  II ^.  NL.  —  Übergangsform:  beide  sind 
schuldig  PS  I;  schwache  spuren  im  NL  (Übertragung  von  Attilas  habgier 
auf  Grimhild).  —  Folge:  tödliche  feindschaft  zwischen  Hagen  und  Grim- 
hild in  die  frühere  zeit  zurückverlegt  (NL  passim,  alte  Brotstrophen  u.  a.). 
C.  Die  entwicklung  der  sage  unter  dem  einfluss  des  Brynhildmotivs. 

1.  Die  erlösung  einer  Jungfrau  aus  einer  bezauberung. 

a)  Der  zauber  besteht  aus: 

I.  einem  zauberschlaf.  Erweckung  durch  a)  aufschneidung 
eines  kjeides:  KHM  111;  ß)  das  aussprechen  eines  namens: 
FJQlsvinnsmal;  /)  die  entfernung  eines  schlafdorns:  freies 
motiv,  u.  a.  in  mehreren  an.  erzählungen.  Verursachung 
des  Schlafes  durch  einen  dorn  auch  in  Dornröschen;  d)  die 
blosse  ankunft  des  beiden:  Dornröschen; 
n.  einem  entrücktsein  nach  einem  unzugänglichen  ort,  wäh- 
rend der  zustand  der  person  sonst  normal  ist  (KHM 
60.  91  u.  a.). 

b)  Die  sich  dem  erlöser  entgegenstellenden  hindernisse  sind: 

L  ein  flammenwall.     Skandinavisch:   FJQlsvinnsmal,   vgl.  die 

weiter  abstehende  erzählung  von  Gerör; 
n.  ein  gefährliches  wasser  oder  ein  krystallener  berg:  KHM 

92.  93.  111; 
m.  ein  drache:  KHM  60.  91. 

IV.  Nebenmotiv:  ein  schweres  tor;  ein  gitter,  das  nur  mit  einer 
bestimmten  zauberrute  geöffnet  werden   kann:   KHM  93. 

2.  Die  erlöste  Jungfrau  in  der  Sigfridsage. 

a)  Form  la  la  (zauberschlaf,  aufschneidung  eines  kleides)+  Ibl 
(flammen wall) :  Edda. 

b)  Form  1  a  I  /^  (namentabu)  -|-  1  b  II  (gefährliches  wasser  oder 
krystallberg):  PS  (mit  IV,  dem  öö'nen  des  gitters  verbunden). 
NL.    Secundäre' spuren  von  In  Iß  in  Sigrdrifumäl. 

c)  Form  la  ly  (schlafdorn):  secundär  in  der  prosa  der  Sigrdri- 
fumäl. 

d)  Form  lall  (das  entrücktsein)  +  1  b  III  (drache):  Sigfridslied. 

e)  Form  lalr)'  (erlösung  durch  die  blosse  ankunft  des  beiden): 
nicht  belegt. 

1)  Über  den  gegensatz  f S  I :  fS  II  s.  §  38fgg. 


504 


3.  Auffassung  der  schläferin  und  ihres  kleides; 

a)  das  kleid  ist  ein  gewöhnliches  kleid:  KHM  111; 

b)  das  festgeschlossene  kleid  ist  ein  panzer:  Edda.  Name  Brjnhild ; 

c)  also  ist  die  Jungfrau  einö  walküre; 

d)  die  Walküre  ist  von  Oöinn  bestraft. 

4.  Einfluss  der  Brynhildsage  auf  Sigfrids  gestalt; 

a)  der  erlöser  kommt  aus  weiter  ferne:  die  märchen; 

b)  anknüpfung  des  Sceaf-motivs  (ankunft  nach  einer  langen 
wasserfahrt):  KHM  92.  JS; 

c)  Verbindung  dieser  Vorstellung  mit  der  älteren,  dass  Sigfrid 
Sigmunds  söhn  ist,  durch  die  Sisebesage:  &S; 

d)  der  schluss,  dass  Sigfrid  seine  eitern  nicht  kennt:  PS.  Sig- 
fridslied  (hier  die  andere  auffassung  daneben).  Secundäre 
spuren  in  der  Edda:  Rm.  prosa; 

e)  Umgestaltung  des  namentabumotivs  unter  diesem  einfluss: 
I.  Sigfridslied  und  Rm.  prosa.  IL  unabhängig  davon  und 
anders  I>S  (litterär); 

f)  im  anschluss  an  d  Brynhilds  an  eine  in  der  I>S  überlieferte 
höhnische  bemerkung  anknüpfende  behauptung,  dass  Sigfrid 
ein  unfreier  ist:  NL.  Daraus:  Einl.  Sigfridslied  (hier  be- 
hauptung des  dichters). 

g)  erklärung  von  f  durch  Sigfrids  aussage  über  seine  dienst- 
barkeit: NL. 

5.  Änderungen  der  localität. 

a)  Alte  namen  für  Brynhilds  aufenthaltsort: 

a)  Hindarfjall  (d.  i.  felsen  der  hindernisse? :  Edda),  ß)  SaegarÖr 
(&S).  y)  Isenstein  (NL).  d)  Drachen  steyn  (Sigfridslied).  Ent- 
sprechend dem  ß)  Stromberg;  y)  Glasberg  (vgl.  auch  den 
Goldenen  berg);   d)  Drachenberg  der  märchen. 

b)  Aus  Isenstein  wird  Island  abstrahiert:  NL. 

c)  Demzufolge  ersetzung  der  wahrscheinlich  schon  verlorenen 
gefährlichen  wasserfahrt  durch  eine  gemeinschaftliche  Seereise 
in  einer  jungen  fassung  der  mit  der  Burgundensage  con- 
taminierten  sagenform:  NL. 

d)  Demzufolge  ersetzung  der  erlösung  durch  eine  bezwingung: 
PS.   NL. 

e)  Yerlegung  der  hochzeit  und  dementsprechend  der  bezwin- 
gung in  einen  späteren  Zeitpunkt.  Einführung  der  kampf- 
spiele: NL. 


UNTERSUCHUNGEN  ÜBER  DEN  URSPRUNG  UND  DIE  ENTWICKLUNG  DER  NIBELUNGENSAGE       505 

D.  Entwicklung  der  sage  unter  dem  einfluss  der  Burgundensage. 

1.  Verbindung  von  Hagen  mit  Günther,  der  zum  teil  in  die  alte 
rolle  von  Hagons  Waffenbruder  tritt,  übrigens  zum  könig  in 
der  sage  "wird:  alle  quellen. 

2.  Sigfrids  unklares  Verhältnis  zu  den  zwei  trauen  wird  beseitigt. 

a)  Brvnhild    wird    mit    Grimhild    identificiert:    Fäfn.   40  —  44. 
Sigfridslied. 

b)  Brvnhild  wird  dem  Günther  zur  frau  gegeben. 
I.  Sigfrid  tritt  Brynhild  dem  Günther  ab. 

a)  Sie  ist  damit  zufrieden:  I>S  c.  227. 
ß)  Sie  zürnt  darüber:  Sig.  sk. 

n.  Brynhild  widersetzt  sich.  Aufnahme  der  hindernisse  und 
des  betrugs  in  Br  II. 

a)  Sie  bleibt  an  dem   ursprünglichen  orte:   Sig.kv.  meiri. 

ß)  Sie  verfügt  frei  über  den  flammenwall:  Sig.kv.  en  yngri. 

III.  Sigfrid  freit  von  anfang  an  nur  für  Günther:  NL.  HelreiÖ. 

3.  Brynhild  wird  an  Sigfrids  tod  mitschuldig. 
I.  Sie  wünscht  ihn:  Sig.kv.  meiri. 

IL  Sie  führt  ihn  herbei: 

a)  aus  liebe:  Skv.  sk.; 

ß)  aus  rachsucht  wider  Günther  gemischt  mit  bewunderung 
für  Sigfrid  und  abgunst  wider  Grimhild:  Sig.kv.  yngri 
(beruht  jedoch  auf  einer  mischung  von  a  und  /).  Ähn- 
lich GuÖr.  I,  wo  hass  das  einzige  motiv  ist; 

y)  aus  gekränktem  frauenstolz:  PS; 

ö)  aus  gekränktem  hochmut:  NL; 

s)  sogar  aus  habsucht  (übertragen  von  Hagen  auf  Brynhild): 
spuren  in  NL. 

(Schluss    folgt.) 

AMSTERDAM.  R.  C.  BOER. 


506  .IKLLINEK 

RICHARD  HEINZEL  f. 

Richard  Heinzel  wurde  am  3.  november  1838  zu  Capo  d'Istria  im  österreiciiisehen 
küstenland  geboreu.  Seiu  vater  Wenceslaus  H.,  gymnasialpräfect  in  Capo  d'Istria, 
später  in  Görz,  war  einer  der  tüchtigsten  söhulmänner  des  vormärzlichen  Österreich. 
Seine  söhne  haben  ihm  durch  herausgäbe  seines  briefwechsels  mit  Enk  von  der  Burg 
pietätvoll  ein  denkmal  gestiftet'.  Heinzeis  mütterlicher  grossvater  war  Friedrich  John, 
aus  "Westpreussen  gebürtig,  der  am  ende  des  18.  jhs.  in  Wien  eingewandert  war  und 
sich  als  kupferstecher  einen  bedeutenden  namen  machte. 

Nach  dem  frühen  tod  seines  vaters  kam  Heinzel  nach  Marburg  an  der  Drau, 
wo  er  auch  die  gymnasialstudien  begann;  fortgesetzt  und  vollendet  wurden  sie  in  "Wien. 
Im  jähre  1856  bezog  er  die  Wiener  Universität,  um  classische  und  deutsche  philologie 
zu  studieren.  Professor  der  deutscheu  spräche  und  litteratur  war  damals  K.  A.  Hahn, 
der  jedoch  -schon  im  februar  des  folgenden  Jahres  starb.  Mit  seinem  nachfolger  Franz 
Pfeiffer  hat  Heinzel  wol  näher  verkehrt,  aber  kaum  stärkere  ein  Wirkungen  von  ihm 
erfahren.  Von  allen  seinen  lehrern  scheint  nur  Johannes  Yahlen  auf  ihn  eindruck  ge- 
macht zu  haben.  Von  der  grössten  bedeutung  für  seine  wissenschaftliche  entwicklung 
wurde  der  freundschaftsbund,  den  er  während  der  universitätsjahre  mit  dem  jüngeren 
studiengenossen  AVilhelm  Scherer  schloss.  Heinzel  hat  sich  einmal  öffentlich  als 
Scherers  ersten  und  ältesten  schüler  bezeichnet  und  bekannt,  dass  er  mehr  von  ihm 
als  von  seinen  professoren  gelernt  habe,  was  wissenschaftliche  arbeit  heisst. 

Mit  einer  in  die  jähre  1864  und  1865  fallenden  Unterbrechung  war  Heinzel  von 
1860  — 1868  an  verschiedenen  österreichischen  gymnasien  tätig,  zuletzt  als  professor 
am  Wiener  communalgymnasium  in  der  Leopoldstadt.  Im  juli  1868  wurde  er  zum 
ordentlichen  professor  an  der  Universität  in  Graz  ernannt,  im  februar  1873  nach  Wien 
versetzt. 

Vom  Sommersemester  1873  bis  zu  seinem  am  4.  april  1905  erfolgten  freiwilligen 
tode  hat  Heinzel  in  Wien  gewirkt,  und  zahlreiche  germanisten  nennen  sich  dankbar 
seine  schüler,  schüler  freilich  nicht  in  dem  sinne,  alö  ob  wir  jemals  auf  bestimmte 
lehrmeinungen  eingeschworen  oder  auch  nur  auf  gewisse  forschungsgebiete  und  zu 
gewissen  forschungsmethoden  hingedrängt  worden  wären.  Jede  stärkere  beeinflussung 
des  einzelnen  Studenten  widerspi'ach  so  wol  Heinzeis  zurückhaltender  art,  als  auch 
seinem  ideal  akademischer  lernfreiheit,  und  für  cliquen-  und  parteiwesen  stand  der 
wahrhaft  vornehme  mann  viel  zu  hoch.  Von  den  heftigen  kämpfen,  von  denen  noch 
in  den  achtziger  jähren  die  germanistische  weit  bewegt  wurde,  haben  wir  durch 
Heinzeis  collegien  nichts  erfahren,  aber  wol  sind  wir  durch  diese  collegien  auf  das 
beste  in  die  einzelnen  disciplinen  unseres  fachs  eingeführt  worden,  und  in  seinem 
Seminar  haben  wir  gelernt,  was  wahre  philologie  ist.  Für  die  aufgäbe,  den  sinn  der 
alten  dichter  zu  erfassen  und  ihi-er  sprachlichen  und  poetischen  technik  gerecht  zu 
werden  brachte  Heinzel  die  gäbe  feinsten  ästhetischen  empfindens  und  ein  durch 
unablässige  lectüre  geschärftes  Sprachgefühl  mit.  Seine  bolesenheit  war  erstaunlich 
und  keineswegs  auf  die  altgermanischeu  litteraturen  beschränkt.  Er  hat  sich  mit  den 
meisten  europäischen  sprachen  und  ihrem  Schrifttum  beschäftigt,  und  namentlich  eine 
seltene  kenntnis  der  neueren  deutschen,  französischen,  englischen  und  italienischen 
litteratur  besessen.  So  strömten  ihm  von  allen  selten  parallelen  zu,  wenn  es  galt 
schwierige  stellen  in  den  alten  texten  aufzuklären  und  zu  beleuchten. 

1)  Ein  briefwechsel  zweier  altösterreichiscber  schulmänner  (K.  Enk  von  der  Burg 
und  W,  Heinzel).     Herausgegeben  von  Ludwig  und  Richard  Heinzel.    Wien  1887. 


KICHARI)    HKINZKL    (NKKKOLOG)  507 

Tu  der  ersten  periode  seiner  wissenschaftlichen  tiltigkeit  ist  Heinzel  sehr  stark 
durch  Scherer  beoinflusst  gewesen,  wenngleich  schon  in  jener  zeit  manche  züge  seiner 
eigentümlichen,  von  Scherer  abweichenden  wissenschaftlichen  art  sich  dem  schärfer 
zusehenden  enthüllten,  namentlich  sein  kritischer,  zur  Skepsis  neigender  verstand  und 
seine  abneigung  gegen  jede  einseitigkeit,  gegen  die  Unterordnung  aller  tätigkeit  oder 
betrachtung  unter  ein  einziges  eifersüchtiges  princip. 

In  die  zeit  der  beeintlussung  durch  Scherer  fallen  eine  reihe  von  Schilderungen 
litterarischer  persönlichkeiten  und  gattungen,  so  die  Charakteristik  Ileinrichs  von  Melk 
in  der  einleitimg  zu  der  ausgäbe  seiner  gedichte  (1867),  die  Charakteristik  üotfrids 
von  Strassburg  (Zs.  f.  ö.  g.  18(38),  die  schritt  Über  den  stil  der  altgermanischen  poesie 
(1875).  Vor  allem  ist  aber  hier  zu  nennen  die  viel  zu  wenig  bekanute  Charakteristik 
der  deutscheu  höfischen  dichtung  und  ihres  gegensatzes  zur  altfranzösischen  (Öster- 
reichische Wochenschrift  1872).  über  diesen  gegenständ  ist  nach  meiner  Überzeugung 
bis  heute  nichts  besseres  geschrieben  worden. 

In  allen  diesen  abhandlungen  zeigte  sich  Heinzel  als  gewandter  darsteiler,  mit- 
unter als  glänzender  Stilist,  und  man  erkennt,  dass  die  überaus  spröde  form  seiner 
späteren  Schriften  keineswegs  dem  Unvermögen,  sondern  der  absieht  entsprang,  dem 
freilich  zu  weit  getriebenen  bestreben,  nicht  durch  die  form,  sondern  bloss  durch  den 
Inhalt  zu  wirken,  zu  überzeugen,  nicht  zu  überreden. 

Mit  grammatischen  arbeiten  trat  Heinzel  nur  in  den  siebziger  jähren  hervor. 
Wol  hat  er  sich  bis  zu  seinem  tode  auf  das  eifrigste  mit  Sprachstudien  beschäftigt, 
aber  was  ihn  dabei  vornehmlich  interessierte,  war  das  Verhältnis  von  gedanken  und 
ausdruck,  syntax  und  Stilistik;  der  historischen  lautlehre  wollte  er  in  seinen  letzten 
Jahren  nicht  mehr  als  selbständiger  forscher  nahe  treten. 

Heinzeis  sprachwissenschaftliches  hauptwcrk  ist  die  Geschichte  der  niederfrän- 
kischen geschäftssprache  (1874),  in  welcher  er  die  Spielarten  der  in  den  nieder- 
rheinischen  canzleien  geschriebenen  spräche  charakterisierte  und  in  ausführlichen 
excursen  die  wichtigsten  probleme  des  germanischen  vocalismus  und  consonantismus 
erörterte.  Die  scharfsinnigen  Untersuchungen  sind  heute  zum  grössten  teil  veraltet, 
aber  in  einem  punkte  hat  man  sich  den  damals  von  Heinzel  vertretenen  anschauungen 
wider  genähert.  Denn  kein  urteilsfähiger  wird  an  der  längere  zeit  herrschenden  meinung 
festhalten,  dass  die  canzleisprachen  den  dialekt  treu  widerspiegeln.  Wir  haben  nament- 
lich durch  Renward  Brandstetters  arbeiten  gelernt,  wie  stark  schon  im  mittelalter 
mundart  und  canzleisprache  voneinander  abweichen  konnten  und  weiter,  dass  diese 
canzleisprachen  beeintlussung  von  aussen  erlitten,  also  dasjenige,  was  Heinzel  cultur- 
übertragung  nannte. 

Im  jähre  1880  veröffentlichte  Heinzel  seine  beschreibuug  der  isländischen  saga. 
Er  machte  sichs  hier  zur  aufgäbe,  die  eindrücke,  die  der  leser  jener  prosaerzählungen 
erhält,  nach  gewissen  kategorien,  zu  ordnen.  Er  fragt,  was  erzählt  der  Schriftsteller, 
wie  sind  die  träger  der  handlung  beschaffen,  wie  viel  wird  von  den  Vorgängen  mit- 
geteilt, in  welcher  anorduung  geschieht  dies,  in  welcher  sprachlichen  form  und  end- 
lich welche  ästhetischen  eindrücke  werden  hervorgerufen.  Heinzel  stellt  sich  also  ent- 
schlossen auf  den  Standpunkt  des  lesenden  publicums.  Man  kann  bei  der  betrachtung 
eines  kunstwerks  auch  einen  andern  weg  einschlagen,  man  kann  vom  dichter  aus- 
gehen und  sehen,  wie  das,  was  in  seinem  Innern  ruht,  gestalt  gewinnt,  in  welcher 
weise  er  seine  absiebten  verwirklicht.  Aber  Heinzeis  betrachtungs weise  ist,  wenn 
auch  nicht  die  einzig  mögliche,  doch  eine  mögliche,  und  sie  wendet  mehr  oder  weniger 
jeder  an,  der  sich  mit  der  technik   einer  kunstgattung   befasst.     Allein   zur  zeit  des 


508  JELLINEK,    niCHAKD    HEINZEL    (NEKROLOG) 

erscheinens  jener  schrift  scheint  man  dies  nicht  allgemein  eingesehen  zu  haben,  denn 
sonst  wäre  es  unerklärlich,  dass  ein  so  eminenter  gelehrter  wie  Konrad  Maurer  Heinzel 
gänzlich  missverstehen  konnte.  Maurer  warf  Heinzel  vor,  dass  er  keine  innerlich 
zusammenhängende  Schilderung  des  öffentlichen  und  privaten  lebens  auf  Island  ge- 
liefert habe ,  als  ob  Heinzel  es  auf  culturgeschicbte  und  nicht  auf  dichterische  technik 
abgesehen  hätte,  und  er  tadelte  es,  dass  Heinzel  den  Inhalt  der  saga  als  einen  vom 
sagaschreiber  teils  aus  der  Wirklichkeit,  teils  aus  der  tradition  willkürlich  ausgewählten 
betrachtete.  Maurer  hat  da  nicht  erkannt,  was  Heinzel  unter  auswahl  verstand.  Heinzel 
wollte  damit  sagen,  dass  doch  unleugbar  die  einzelne  saga  nicht  die  ganze  unendliche 
fülle  der  Wirklichkeit  oder  der  tradition  widergibt,  dass  sie  vielmehr  nui"  einen  teil 
derjenigen  ereignisse,  motive  und  Charaktere  zur  darstellung  bringt,  die  in  der  weit 
der  realität  oder  der  weit  der  tradition  vorkommen.  So  gefasst  hat  der  begriff  der 
auswahl  gar  nichts  damit  zu  tun,  ob  man  die  isländischen  SQgur,  wie  Heinzel  tat,  als 
historische  romane  betrachtet,  oder  ihren  historischen  wert  wie  Maurer  höher  ein- 
schätzt. Ulrichs  von  Liechtenstein  Frauendienst  berichtet  zum  guten  teil  historisches; 
aber  wenn  auch  alles,  was  er  erzählt,  wahr  wäre,  ein  getreues  Spiegelbild  seines 
lebens  würde  sein  gedieht  doch  nicht  sein,  man  würde  nun  und  nimmer  auf  den 
gedanken  kommen,  dass  dieser  mann,  dessen  Interessen  sich  in  sport  und  galanterie 
zu  erschöpfen  scheinen,  eine  der  ersten  politischen  rollen  in  der  geschichte  der  öster- 
reichischen lande  gespielt  hat.  Und  auch  der  moderne  historiker  wählt  notwendig  aus. 
Er  wählt  aus  der  grossen  masse  historischen  geschehens  den  ihm  zusagenden  stoff, 
und  er  berichtet  nicht  alles,  was  seine  beiden  in  Wirklichkeit  getan  haben.  Es  wäre 
unerträglich,  wenn  wir  etwa  in  einem  werk  über  Napoleon  erführen,  wann  der  kaiser 
jedesmal  seine  haare  gekämmt  hat.  Aber  allerdings  wird  der  eine  historiker  mehr 
details  aus  dem  täglichen  leben  vorbringen  als  der  andere,  und  die  feststellung  der 
menge  dieser  einzelheiten  gehört  zu  den  aufgaben  einer  darstellung  der  historio- 
graphischen  technik. 

In  demselben  rahmen  wie  die  beschreibung  der  isländischen  saga  bewegt  sich 
die  18  jähre  später  erschienene  beschreibung  des  geistlichen  Schauspiels  im  mittelalter. 
Hier  führte  Heinzel  die  Unterscheidung  zwischen  ersten  und  zweiten  eindrücken  ein, 
wobei  er  unter  den  ersten  eindrücken  die  gesichts-  und  gehörwahrnehmungen  an  sich 
verstand,  denen  sich  erst  später  als  zweiter  eindruck  das  erfassen  der  bedeutung  des 
wahrgenommenen  hinzugesellt. 

Zwischen  diese  beiden  beschreibungen  fallen  eine  reihe  ganz  anders  gearteter 
untersuciiungen,  die  schritten  Über  die  Nibelungensage  (188.5),  Über  die  Hervarar- 
saga  (1887),  Über  die  Waltersage  (1888),  Über  die  ostgotische  heldensage  (1889), 
Über  die  französischen  Gralromane  (1891),  Über  das  gedieht  vom  könig  Orendel  (1892), 
Über  AVolframs  von  Eschenbach  Parzival  (1893).  Mit  Scharfsinn,  combinationskraft 
und  bedeutender  gelohrsamkeit  zerlegte  Heinzel  die  einzelnen  sagen  in  ihre  demente, 
gieng  der  herkunft  dieser  demente  nach  und  suchte  die  Ursachen  ihrer  Verknüpfung 
zu  ermitteln.  Die  schrift  über  den  Parzival  reconstruierte  die  quelle  "Wolframs,  denn 
Heinzel  war  der  ansieht,  dass  nicht  Cretiens  Perceval  die  vorläge  Wolframs  war, 
sondern  ein  französisches  gedieht,  das  dieselbe  quelle  wie  Cretien  benutzte. 

Heinzeis  letztes  werk  war  die  in  gemeinschaft  mit  Ferdinand  Detter  imter- 
nommene  ausgäbe  der  Saemundar  Edda  (1903).  Im  commentar  sind  seine  reichen 
stihstischen  und  syntaktischen  Sammlungen  verwertet. 

WIEN.  M.  H.  JELLINEK. 


KOPP,    DARMSTÄDTER    IIS.  509 

MISCELLE. 

Die  Darmstädtci-  liaudscluift  iir.  1213. 

Ende  miü'z  1903  schrieb  mir  der  jotzigo  leitcr  der  Dannstädter  bofbibliothek, 
Adolf  Schmidt: 

„Unter  unseren  handsehriften  fand  ich  eine,  die  für  Sie  von  interesse  sein 
dürfte.  Es  ist  gewissermassen  ein  seitenstück  zu  Ihrer  niederrheinischen  liederhand- 
schrift,  sie  enthält  lieder  jeder  art  in  hochdeutscher,  kölnischer,  französischer  und 
italienischer  spräche  und  gehört  dem  ende  des  16.  Jahrhunderts  an.  Als  besitzer  nennt 
sich  auf  dem  schön  gepressten  einband  Arnoldus  Krouft  dictus  Creudener  1587,  im 
band  widerholt  Arnolt  von  Krufft  genandt  Crudenor.  Er  gehörte  dem  Kölner  patricier- 
geschlechte  dieses  namens  an  und  war  der  söhn  des  1591  gestorbenen  Kölner  büi'ger- 
meisters  Henrich  Krufft  genannt  Crüdener,  vgl.  A.  Fahne,  Geschiciite  der  Kölnischen 
geschlechter  (1848)  1,71.  Zu  ende  des  17.  Jahrhunderts  war  die  handschrift  im  be- 
sitze eines  Kölner  bürgers  namens  Vreydell ,  von  dem  ebenfalls  mehrere  eintrage  her- 
rühren. Nach  Darmstadt  ist  sie  1805  mit  der  bibliothek  des  Kölner  Sammlers  Baron 
Hüpsch  gelangt.  Sie  trägt  hier  die  nr.  1213  in  8"  .  .  .  Die  handschrift,  die  noch 
ganz  unbekannt  ist,  steht  Ihnen  jederzeit  zur  Verfügung"  .  .  . 

Die  genauere  prüfung  der  handschrift  ergab,  dass  hier  nicht  besonders  viel  für 
das  deutsche  lied  abfällt;  von  grösserer  bedeutung  erscheinen  die  darin  befindlichen 
Sprüche.  Doch  bekunden  diese  gleichermassen  wie  die  lieder  äusserste  nachlässigkeit 
und  Verwilderung.  Viele  selten  werden  durch  knabenhafte  Schmierereien  und  Sudeleien 
entstellt,  zahlreiche  blätter  sind  ausgerissen,  zum  grossen  teil  wol  schon  vom  ersten 
besitzer,  bei  dem  dürftigen  Inhalt  finden  sich  ungewöhnlich  viele  widerholuogen,  kurz, 
das  ganze  macht  einen  unerquicklichen,  lüderlichen  und  widerlichen  eindruck.  Durch 
neue  proben  von  dichterischem  wert  kann  die  handschrift  weder  lied  noch  Spruch  noch 
sonst  eine  poetische  gattung  bereichern.  Im  vergleich  zu  der  schmucken,  feinsinnig 
angelegten  niederrheinischen  handschrift  (vom  jähre  1574)  der  Königlichen  bibhothek 
zu  Berlin  muss  diese  Darmstädter  durchaus  minderwertig  erscheinen.  Indessen  darf 
man  sie  nicht  so  tief  einschätzen,  dass  man  die  mühewaltung  für  überflüssig  und 
verloren  halten  dürfte,  wenn  hier  auf  ein  paar  blättern  der  Inhalt,  soweit  er  für 
die  deutsche  Volksdichtung  in  betracht  kommt,  ausgezogen  und  zugleich  mit  einigen 
nachweisungen  versehen  wird,  die  das  einzelne  mit  dem  litterarischen  Zusammenhang 
verbinden  und  in  denselben  einordnen. 

Vorderseite  des  deckeis:  bin  nicht  alß  dhe  blomen  die  allen  win- 

Arnoldvs  Krovft.  deken  weidt ...     6.   Preinßseßen  leiffgen 

Dictvs.     Crev-  gepreßen  beniyn[t]  seidt  ir  nest  gott . . . 

dener.  2'':   Vne    chanfon.      1.    Fortune    helas 

Rückseite:  15  ,  pourquoy  rens  tu  tout  langoureux  ...  4  str. 

87  4":   Ein  ledgenn.      1.    Eilend   ist  mir 

Darin  sind  164  blätter  gezählt,  ausser-      gekomen  der  von  ich  nicht  euweiß  ...  6  str. 
dem  sind  viele  noch  ausgerissen,  sogleich  ö**:  Ein  ander  leidgen.    Allein  auff  di- 

voi-n  7  bis  8.  ser  Erden ,  bist  du  mir  die  hoechste  freudt 

Bl.  1*:    2.    Mucht    ich   eins   drost  er-       ...    3  str. 
werben  0  suyuer  Roßamerin  .  .  .     3.  Daß  6":  Ein  ander  leidgen.     Ich  kan  noch 

wilt  mein  bitter  karmen  schon  leffgen  mag  nicht  frolich  sein  ...  8  str.  P.  v.  d. 
gedenck  daran  ...  4.  Mein  tiawe  wil  ich  Aelst,  Blumm  u.  aussb.  1602  s.  23  nr.  35 
euch  geben  0  suete  leiffken  fin  . . .    5.  Ich      ebf.  8  str. 


510 


8*:  Ein  dauß  leidgen.  Nu  haltt  al  an 
vnd  rurt  eur  bellen  ...    4  sti'. 

Am  schluss:  Ich  wil  vertrauwen  gott 
meinen  herren ...    4  z. 

9":  Als  neulich  schein  dhe  sonne... 
16  str.  1  bis  4  davon  akrost.  „Anna". 
Hil.  Lustig  von  Freudenthal,  Zeitvertreiber 
nr.  98  mit  15  str.  Berglbchl.  s.  197  nr.  162 
mit  5  str.  Fl.  bl.  Strassburg,  sammelm. 
Cd  XII  f.:  Drey  schöne  newe  Weltliche 
Lieder,  Vormals  nye  gedruckt.  Das  Erste: 
Einsmals  scheint  mir  die  Sonne  .  . .  Augf- 
purg,  bey  Marx  Antonj  Hannas.  (4  bl.  8" 
0.  j.)  „Einsmals"  15  str.  Offenbar  nach 
eben  diesem  einzeldruck  Frh.  v.  Ditfurth, 
Deutsche  volks-  und  gesellschaftslieder 
des  17.  u.  18.  jahrh.  (1872)  s.  8  in  15  str. 
—  London,  Brit.  mus.  11522  df  72:  Fünff 
schöne  newe  weltliche  Lieder.  Das  Erste. 
Einsmals  scheint  mir  die  Sonne  . .  .  Ge- 
druckt im  jähr  1663.  (4  bl.  8"  o.  o.) 
„Einsraals"  15  str.  —  Wunderhorn  IV 
(hrsg.  V.  Erk  1854)  s.  165  fassung  des 
Bergliederbüchleins.  —  Böhme,  Altd.  Ha- 
der buch  s.  127,  erwähnt  seltsam  genug 
dieses  lied  unter  den  „Schamperliedern". 

13*:  Rehmme.  "Wiren  alle  wasser 
wein  ...4z.  Dasselbe  noch  einmal  bl.  34^ 

13": 

Ach  Gott  der  wissen  kondt 
Wan  er  wer  auff  gudten  gruntt 
E  daß  er  sinen  ancker  sinckeu  leiß 
Daß  wer  der  ärgste  schiffman  uit. 
Vgl.  hdschr.  v.  j.  1568  nach  nr.  43:  Ztschr. 
32,  517. 

14*:  Französische  verse. 

16'':  Ein  liedtgeu.  1.  Nun  grues  dich 
Gott  in  hertzeu,  du  auserwelte  mein  .  .  . 
4  Str.  Vgl.  hdschr.  f.  Ottilia  Fenchler  v. 
j.  1592  nr.  24:  Alemannia  1,32.  —  Nie- 
derd.  liederb.  nr.  152  (138):  Jahrbuch  f. 
nd.  .sprachf.  26  (1900)  s.  47. 

\7^:  Schlag  donner  mit  schmertzen 
Ihn  alle  falße  hertzen 
Die  mitt  vntrew  thunn  schertzen. 
Derselbe  Spruch  noch  einmal  unten  bl.  S?*». 
Vgl.  Wcrltspr.  1562  bl.  C  1*. 


19*:  Ein  Lidgen.  1.  Zwey  ding  wünsch 
es  ich  auff  erden  ...  15  str.  Blumm  u. 
aussb.  1602  s.  7  nr.  14  in  15  str.  —  Fl. 
bl.  Ye686  (Basel,  J.  Schröter  1597);  Yd 
7850  St.  11  (Augfpurg,  V.  Schönigk  o.  j.); 
Ye  1653  (o.  o.  1646);  Ye  1773  (o.  o.  u.  j.) 

—  in  je  15  str.  —  Zürich  XVIII 2016 
St.  1  (o.  0.  u.  j.)  in  17  Str.  —  Hdschr.  f. 
Ottilia  Fenchler  1592  nr.  32:  Alem.  1,42. 

—  Dieses  lied  wie  das  vorige  stehen  in 
dem  verschollenen  Frankfurter  liederbuche 
v.J.  1599:  nr.  267  Zwei  Ding  wünsch  ich 
auf  Erden...  15  str.,  nr.  273  Nun  grüß 
dich  Gott  im  Herzen ...  4  str. 

21^:  Hertz  Leiff  sonder  ar[g]list  ...4z. 

22*: 
Edell  dinck  ist  niemals  gefunden 
Dan  trew  von  hertzen  vnnd  steill  von 

munden. 
Bewahr  dein  ehr  vor  allen  Sachen 
Oderwirst  dich  selber  zu  nicht  machen . . . 
28  z.    Z.  1  u.  2  s.  hdschr.  des  P.  Fabricius: 
Alemannia  17,  251  nr.  15. 

22'': 
Flux,  heymlich  vnd  steill 
Ist  aller  Jungfrauwen  weill. 
Freichs,  frolich,  freundtlich  vnd  frohm 
Ist  aller  Junger  gesellen  schätz  vnd  rich- 

tumb. 
Z.  1  u.  2   s.  hdschr.  v.  j.  1574   bl.  108*, 
z.  3  u.  4  ebenda  bl.  3'':    Euphorion  8,511 
u.  9,  300. 

23*:  Frolich  in  allen  ehren  bin  ich  zur 
jnancher  stund  ...  4  achtz.  str.  Vgl. 
hdschr.  des  Frdr.  v.  Reiffenberg  v.  j.  1588 
nr.  18:  Nouv.  Souvenirs  1,248:  Archiv  f. 
d.  Studium  d.  neueren  spr.  105, 280.  — 
Liederb.  v.  j.  1599  nr.  263;  Berglbchl. 
(1700/10)  s.  198  nr.  163.  —  Hdschr.  des 
P.  Fabricius  nr.  153.  —  Niederd.  liederb. 
128  (114).  -  Venusgärtlein  1659  s.  29, 
V.  Waldberg  s.  23.  -  Fl.  bl.  Berlin  Yd 
7852  st.  10  „Acht  Schöne  Newe  Lieder" 
(0.  0.  u.  j.)  2.  Frolich  in  allen  ehren  .  .  . 
9  achtz.  str.  —  Nürnberg,  Germ,  national - 
mus.  L.  1731'^''  „Drey  Schone  Weltliche 
Lieder"  1641  o.  o.  3.  Frolich  in  allen 
Ehren  ...     9  achtz.  str. 


DARMSTA.DTER   HS. 


511 


24":  Ein  Curraut.  Es  gab  ein  schwäb 
sein  Dochterliu  hynn  |  Die  ducht  sich  veill 
zu  kleynn  ...    4  stf. 

25":  Del  crudo  amor  io  sempro  mi 
lamento  ... 

26":  Mein  hoffnungh  ist  Gott  alleinn, 
Dan  des  Menschen  troist  ist  kleyn . . . 
8  z.    Vgl.  dazu  die  Sprüche  bl.  83^  u  88»'. 
Leyden  thoitt  gar  wehe ...     4  z. 
Der  eynen  schonen  apfel  hatt  vnd  den 
nicht  eist ...  4  z.    Vgl.  hdschr.  v.  Reiffen- 
bergs  1588:  Nouv.  Soiiv.  1,276.  —  Hoff- 
mann, Findlinge  s.  459;  Lobe  s.  89;  AVolf- 
ram,  Nassauischc  Volkslieder  s.  144;  Mar- 
riage ,  Volkslieder  a.  d.  bad.  Pfalz  s.  333  usw. 
0  Gott  himmelscber  Vatter,  |  Bescherr 
mir  Röß  vnd  sadell .  .  . 

Schlaugen  bloidt  ist  böeß  feneyn. 
Noch  fiudt  man  sungeu  die  arger  seint. 
Ach  wehren  sie  alle  zerspleissen 
Die  mehr  sagen  dan  sie  wissen. 
Z.  1  u.  2  s.  hdschr.  1568  hinter  nr.  52,  z.  3 
u.  4  hinter  nr.  63:  Ztschr.  35,  519  u.  522. 
Vgl.  zu  z.  3  u.  4  Werltspr.  1562  bl.  H  4^. 
27»: 
Frauwen  zusagen  vnd  lirchen   gesanckt 
Kleincken  woU  vnd  wehren  nit  langh. 
Vgl.    hdschr.    1574    bl.  130^:    Euphorion 
9,  625  usw. 

28":  Fragh. 

Schone  Jungfraw  außervvelt 
Ist  stedige  leib  besser  oder  bär  geltt. 
Antwortt. 
Junger  gesell  rechte  leib  ich  nicht  veracht . . . 
Eß  kompt  seiden  her  das  ich  beger. 
Eß  kompt  gar  weill  das  ich  nicht  weill. 
Such  wur  dich  traw  ist  mißlich. 
Vgl.  hdschr.  1574  bl.  60''  u.  130":  Eupho- 
rion 9,89  u.  625. 

28": 
Ach  was  moissen  zwey  hertz  leiden, 
Die  sich  lieben  vnd  moissen  sich  meiden. 
Vgl.    hdschr.    1574    bl.  125":    Euphorion 
9,  310;  hdschr.   des  P.  Fabricius:  Alem. 
17,  256  nr.  23. 
29": 

Hertzs  leiff  laß  mich  nicht  mißgelten, 
Das  meine  äugen  euch  sehen  selten. 


Ob  ich  schon  fehrn  von  euch  beynn, 
Seidt  ihr  doch  zur  aller  stundt  in  moynem 
seynn. 
Z.  1  u.  2  s.  hdschr.  1574  bl.  45'':  Eupho- 
rion 9,  26. 

Dar  die  loib  bekompt  gewaldt 
Dar  seindt  die  gedancken  manichfaldt. 
Derselbe  spruch  noch  einmal  unten  bl.83". 
Hdschr.  1568  hinter  nr.  58:  Ztschr.  35,520. 

30'':  0  Luna  durch  mein  vmbgeben 
vnd  süsse  Mynen,  Wirstu  schon  stavck 
vnd  gewaltigh  alß  ich  binne  .  . . 

32":  Ein  harte  Nuß  ein  stumpffer 
Zant .  .  .  Vgl.  Hoffmann,  Findlinge  s.  443; 
Alemannia  17,250;  Lobe  s.  163.  —  Erster 
Theil ,  Allerhand  Oden  vnd  Lieder  .  .  . 
Durch  Gabrielen!  Voigtländer  (Lübeck 
1650)  nr.  32:  Auff  eine  Zeit  ein  alter 
schwacher  Mann  |  Sprach  eine  hübsche 
junge  Dirne  an,  |  Und  wolte  haben  sie  zu 
einem  Weib,  |  Sie  sprach,  ich  bitt  dich, 
Alter,  von  mir  bleib.-  |  Denn  eine  harte 
Nuß  und  stumpfer  Zahn  |  Sich  nicht  gar 
wol  zusammen  schicken  kan.  ^-  Hdschr. 
V.  Reiffenbergs  1588:  Nouv.  Souv.  1,276: 
Ein  harte  noß,  ein  stompfer  zahn,  |  ein 
junges  weib,  ein  alter  man  |  sich  nit  zu- 
sammen schicken  wol,  |  ein  jeder  seins 
gleichen  freien  sol.  —  Fl.  bl.  Ye  1221. 

33": 

Den  wer  einen  gutten  Namen  lest 

Der  brengt  daruon  das  allerbest. 
Arnolt  von  krufft  gnandt  Creudener. 

34":  Junger  gesell  haltt  dich  woll .  . . 
Woltt  Gott  vnnd  Ein 
So  wer  mein  sorgen  klein. 
Hdschr.  1574  bl.66'':  Euphorion 9, 281  usw. 

34''  unten:  Französische  Sprüche. 

45'':  Rimen  |  Ich  haff  ein  willtt  in 
meiner  jagtt  ...4z,  Hdschr.  1574  bl.  23'': 
Euphorion  8,  522  usw. 

47":  Französische  verse. 

51":  Eyn  gotsehlich  leydt  |  0  ach  wyr 
ich  inn  mynes  vatter  landtt ...  12  str. 

53":  Dye  leyffden  ist  starcker  dan  der 
dott ...  4  str.     Am  schluss: 

Myr  genocht  wye  mir  gott  zufeugt. 

Reychmodt  Crudoners  von  Krufft 


512 


Beyn  ich  genandt  raeyn  geluck 

stehet  in  gottes  haudt. 

^Mir  genügt  wie  Gott  fügt"  beliebter  leit- 

spruch,  z.  b.   hdschr.   1575   hinter  nr.  3: 

Archiv  f.  d.  Studium  d.  n.  spr.  111,8. 

57^:  Französische  verse. 

67*:  Der  Lustelicher  Mey:  französ. 
lied.     Ygl.  bl.  135^ 

70'':  Ein  ander  Leidtgen.  Ich  stundt 
an  einen  morgen  ...  7  str.     Dahinter: 

Bei  geltt  vnd  gudtt  ist  mancher  arm  .  .  . 
Zum  Hede  vgl.  Pal.  343  nr.  153:  Deutsche 
texte  des  raittela.  5, 166. 

72'':  Hefen  sin  vnd  moet  auch  roeßen 
bletter  ...  4  z.  Derselbe  spruch  noch  ein- 
mal unten  bl.  82''.  Vgl.  hdschr.  1568 
hinter  nr.  22:  Ztschr.  35,513  usw. 

72'':  Französische  verse. 

76":  Ein  leidgen  |  In  der  leifften  bin 
ich  vmbfangen  hartt...  9  str.  Dahinter: 
Mercke  vnd  Melde  ...  4  z.  Vgl.  Werltspr. 
1562  bl.  G2";  1601  bl.  27 ^ 

78'':  Französische  verse. 

79'':  Mocht  meia  hoffen  seicher  sein  ... 

80«:  [4  z. 

Mancher  dreibt  vmb  Junfferu   vnd  heren 

gunst 
Vil  kosten  vnd  arbeitt  vmb  sunst . .  . 
Derohalbe  große  heren  vnd  schone  Juuf- 

frawe 
Sol  man  vil   deinen  vnd  nit    allenthalbe 

vertrawen, 
Wan  ir  hertz  ist  wehe  im  thaubeu  hauß. 
Der  inner  flucht  im  der  ander  derauß. 
Hdschr.  1574  bl.  130":  Euphorion  9,  625. 
Schweig  meid  vnd  leidt 
alle  dingt  habt  sein  zeit. 
Vgl.  bl.88^ 

81":  Lachen  schimpffen  vnd  schertzen| 
Erfrewent  offt  trawrige  hertzen  . .  . 

81'':  0  Jmigfraw  schonn  vnnd  fein  | 
wie  wol  gefeit  ewere  person  dem  hertzen 
mein ... 

82": 
Heren  gunst  vnd  Jungfraw  lieb  vnd  Rosen- 

bletter 
verkehren  sich  wie  das  aprillwetter. 
Vgl.  oben  bl.  72". 


82": 
0  Jungfraw  mocht  es  m.ir  gelucken 
Daß  Ich  dhe  frische  roselen  mit  euch  mocht 

plucken 
So  woltt  Ich  die  hestlichen  laßen  sthan 
Vnd  die  Schonesten  in  ewer  Juuffrewlichen 
schoß  plucken  than. 
Hin  ist  hin. 
Z.  1  u.  2  s.  hdschr.  1574  bl.  57":  Eupho- 
rion 9,  34  usw. 

83":  Schweigen  sonder  dencken  |  Ahn 
stoeßen  sonder  wencken  . . . 
Da  die  liebte  leidt  gewalt 
Da  seind  die  gedanncken  mannigfalt 
Derselbe  spruch  schon  oben  bl.  29". 
Leid  vnnd  Meidt.     Vgl.  88". 
83": 
Ich  trag  im  meinen  hertzen 
Groß  leiden  vnd  schmertzen, 
Daß  wil  ich  allein  verborgen  tragen 
Vnd  wil  eß  niemand  auf  erden  klagen, 
Sounder  got  dem  heren  allein, 
Dan  bie  den  minschen  trost  find  ich  glau- 
ben klein, 
Vnd  wil  meinen  sein  mit  hoffnung  stercken. 
Das  eß  kein  minsch  auff  Erden  sali  mercken. 
Derselbe    spruch    noch    einmal    bl.  88 ". 
Hdschr.  1574  bl.8":  Euphorion  8,  514  usw. 
Lieb  ist  leids  ahnfangh 
Eß  kom  vber  kurtz  eß  kom  vber  lanck. 
Hdschr.  1574  bl.  76":  Euphorion  9,285. 

84":  Ich  glaube  nit  daß  ihn  dieser 
weltt  I  Etwas  sei  das  einen  mifgefelt . . . 
Vgl.  unten  bl.  88". 

84":       K    L    W    D 

Dan  Gott  vnd  Ich. 
Hdschr.  1574  bl.  139":  Euphorion  9,628. 
85*:  Wer  krancheit  leid  mit  gedult  | 
Der  mag  verkrigen  gottes  holftt .  .  . 

86":  Ein  Leidtlein.     1.   Lieblich  hatt 
sich  gesellett ...  4  str.  Ende.  Vgl.  Pal.  343 
nr.  164:  Deutsche  texte  5,182  usw. 
Blatt  ausgerissen. 

87":  3.  Gedultt  thutt  vberwinden  |  daß 
junge  hertzen  mein  ...  4.  Schönes  leib 
thu  mich  nicht  schießen  |  wol  auß  dem 
hertzen  dein ...  5.  Gott  grüß  mir  die 
im  hertzen.  1  die  mir  ist  wol  bekannt... 


DAKMSTADTER    IIS. 


513 


Dieses   lied    s.    noch    einmal    vollstiiiulig 
bl.  119\     Dahinter: 

87'':   Schlag  donner  mit  schmertzea 
Ihm  alle  falsche  hertzen 
Dhe  mitt  vntrew  thun  scheitzeu. 
Derselbe  spruch  schon  oben  bl.  17''. 
Dhe  äugen  ins  gemeint 
Das  hertz  doch  im  allein. 
Derselbe  spruch  noch  einmal  unten  bl.  103''. 
88*':    Ich  glaube  nitt  daß   ihn  dießer 
weltt  I  Etwas  sei  daß  einen  mihr  mißgefelt. . . 
8  z.     Vgl.  oben  bl.  84\ 

Da  die  leib  leidtet  gewaltt 
Da  sein  die  gedannckcn  mannigfalt. 
Derselbe  spruch  schon  oben  bl.29". 
Leid  vnd  ineidtt 
alle  dingt  hat  sein  zeitt. 
Vgl.  bl.  80"  u.  für  z.  1  auch  83\ 

Beider  wil  dhut  vill. 
Vgl.  hdschr.   15()8   hinter  ur.  4.5:   Ztschr. 
35,  517. 
88": 
Ich  trag  ihun  meinenn  hertzenn 
groß  leiden  vnd  schmertzenu, 
daß  wil  ich  allein  vorborgen  tragen 
vnnd  will  eß  nieniandt  auf  erden  klagen, 
sonder  gott  denn  herren  alleinn, 
dhan  bie  denn  menschen  trost  find  ich  gar 

klein, 
vmid  wil  meinen  sin  mit  hoffuung  stercken, 
daß  eß  kein  minsch  aufl  erden  sol  mercken. 
Derselbe  spruch  schon  oben  bl.  83 ''. 

Ich  hoffen   datt  besten    helff  mir  got 
au  letzsten. 

89":  Französische  verse. 
92":  Sonder  Leidt  Lassen  Leiben  |  dem 
ich  mein  hertz  haben  ergeben  . . . 
92'':  Französische  verse. 
97":  Ein  geistlich  Leidtt.    1.  Och  her 
ich  für  so  große  klag  |  ich   hab  gesundig 
so  manig  dagh  ...  4  füufz.  str.    Dahinter: 

Schon  von  leib  vnd  juugh  von  jaren... 
4  z. 

98'':    Ein  neu  Leidtt.     Nu    Iiat  mich 
deissen  somer  |  Daß  vngeluck  verlaßeu... 
4  vierz.  str.     Dahinter: 
Trawlicli  von  P^  i.st  der  ordeu  mein  .  .  . 
4  z. 

ZEITSCHRIFT    K.    DEUTSCUK    PllILOLOÜIK.       BD, 


Nichst  ohn  Gott.  Vgl.  unten  bl.  120\ 
Rien  sans  Dieu  in  der  hdschr.  v.  Reiffen- 
bergs:  Nouv.  Souv.  1,278. 

99'':  Französische  verse. 

101":  Ein  Leidtt.  Weinig  treuwen  ist 
auff  erden  |  dar  zu  kein  stehtigkeitt  .  .  . 
3  achtz.  str.  2.  Allein  auf  gott  ver- 
trauwen ...  3.  Vill  leudt  haff  ich  ver- 
trauwott .  . .  Hdschr.  1568  nr.  IIG;  1575 
nr.  106;  hdschr.  v.  Reiffenbergs  1588  nr.  11: 
Nouv.  Souv.  1, 236  usw. 

102":  Französische  verse. 

102'':  Von  Gott  ist  mihr  nach  hertzen 
beger  !  Ein  Jungfrauwlein  außerkoren  .  .  . 
5  str.  4.  Denn  du  bist  mein  und  ich  bin 
dein.     Dahinter: 

103'':   Dhe  augeu  in  eß  gemein 

Dhe  hertz  ilimm  doch  allein. 
Vgl.  oben  bl.  87". 

104-»:  Ein  Ander  Leidtt.  Ach  hertzes 
hertz,  mitt  schmertz  ehrkennen  du... 
7  str.  Hdschr.  des  P.  Fabricius  nr.  23; 
Blumm  u.  außb.  s.  134  nr.  140;  Niederd. 
liederb.  nr.  142  (128)  u.  ö. 

105":  Ein  Ander  Leidlen.  Ich  schlaff 
ich  wach  oder  waß  ich  thun,  ich  hab  kein 
Rew  . .  .    Anno  1689.   Vgl.  unten  bl.  107". 

105":  Anno  1689  —  Den  28  Januarj 
pauli  bekehrung  Tag  sein  meines  Broders 
Kinder  ihn  die  Schul  gegangen  alß  Martin 
vnd  Johannes  Ernestus  vnd  Henricus. 

106":  Die  hoffart  ist  gar  hoch  .  .  . 
omnia  tempus  habet  Ao  1689. 

106":  Französische  verse. 

107":  "Ein  Leidlein.  Ich  schlaff  ich 
wach  oder  was  ich  thun  .  . .  8  str.  Kehr- 
reim „Sie  ist  die  schonst  auff  erden  | 
uiachtt  mich  leben  vnd  sterben  |  ach  Gott 
mocht  sei  mir  werden".  Vgl.  oben  bl.  105*. 

109":  Ein  schonnes  Leiddgen.  |  Pur 
klar  vnd  herlich  leuchten  |  Gottes  wercke 
wunderbar...  8  achtz.  str.     Dahinter: 

111": 

Scheiden  ist  druck, 
Yv'idderkunren  ist  geluck 
Doch  wir  widderkoinon  nicht  erdacht, 
So  wir  scheiden  nicht  geaclitt. 
xxxvii.  33 


514 


KOPP,    DARMSTADTER   HS. 


112*:    Ein    schonn    leidekhen   off  dhe 

wise  hett  Nachtegaelkeu.     ü  ß.  droff  von 

sinen  |  Laitt  varen  alle  vreuchtt ...  7  str. 

115'':   Alle  die  in  Sion  zeitt  |  verblitt 

V  all  gelickea  ...  6  str. 

116'':  Ein  geistliche  leidtt.  Es  ist  alle 
leiden  vnd  verdreiß  |  wo  daß  ich  mich  hin 
keren  ...    11  vierz.  str. 

119"^:     Ein  feins  Leidelein. 
Mit  lust  so  will  ich  singen 
ein  leidt  gar  neuwe  erdacht 
von  wnuderlichen  dingen, 
wolts  gott  ich  hets  volbracht, 
von  einem  Juugfrauwelin 
die  mich  auch  leibt  allein, 
mein  hertz  thutt  sich  erfreuweu 
wan  ich  bey  ihr  thun  sein. 

2.  Gediilt  nioiß  ich  ietzs  tragen, 
wiewoU  mich  sehr  verdrußt, 

ich  darfs  auch  niemants  sagen, 
mein  hertzs  mir  gar  darfleußt, 
das  ich  von  ir  moiß  sein, 
macht  mir  schwere  pein, 
docli  trag  ich  gedolt  von  hertzen, 
dieweill  eß  nit  anders  khau  sein. 

3.  Geduit  thut  vberwinden 
das  junge  hertze  mein, 

ich  will  sei  noch  woU  finden, 

die  hertzlich  schon  vnd  fein, 

die  mir  verheischen  ist, 

doch  gar  ohn  falschen  list, 

der  zeitt  will  ich  gedencken,  vnd  er- 

wartteu, 
ich  weiß  weil  das  sei  nit  sehr  weidt  ist. 

4.  Schönes     leib     thu    mich     nit 

schleischen 
woU  auß  dem  hertzen  dein, 
laß  mich  auch  des  geneissen, 
du  weiß  woll  waß  ich  mein, 
ach  hertz  allerleibste  mein, 
laß  mich  der  traw  geneißen  fein, 
deiner  khan  ich  nit  vergessen, 
du  bist  gauß  eig'en  mein. 

5.  Gott  gruiß  mir 'die  im  hertzen 
die  mir  ist  woll  bekandt, 

mit  ir  mocht  ich  woll  schertzen, 


doch  freundtlich  vnuerschampt, 
gar  mich  nichts  böß  erfreuwet, 
das  mir  mehr  freuden  gibt, 
dan  du  hertzs  allerleibste  mein, 
mein  hertzs  durch  auß  gar  erfreuwes 
fein. 

Arnolt  von  krufft  genandt  |  Crudener 
in  seiner  Jugt,  alle  zeitt  |  in  ehren  vnd 
zucht  mit  Gottes  |  frocht  ist  begnungt. 

120^:  Ein  amoreus  leidgen.  |  0  Herr 
Almechtigh  ich  moß  v  clageu  |  Ich  was 
der  wereltt  ein  feinens  thier  .  .  5  achtz.  str. 

Nichtt  ohn  Gott.     Vgl.  oben  bl.  98^. 

121'':  Ein  Amoreus  Lidgen.  0  Magett 
schoen  min  leiff  bemint ...  11  str.  "Wech- 
selgespräch.    Dahinter : 

124^:  Leiffde  Ein  Ehr  khan  ghin  man 
kheren.  Vgl.  hdschr.  1574  bl.  TS-"^:  Eupho- 
riou  9,  286  usw. 

124'' :  Ein  Geistlich  Leidgen.  In  Ba- 
bilon  ...  3  Zeilen,  sodann  noch  einmal:  Ein 
Leidgen.    In  Babilon  ...  13  str.   Dahinter: 

127": 
Man  sali  Gott  setzen  ghin  zil  noch  weil, 
daß  Gott  hatt  bescheirdt  daß  kompt  in  Eil. 
Der  Gott  betrau[t]  der  nimer  geraut. 

128'':  Ein  geistlich  leidgen.  Schon 
leiff  gi  seidtt  preiß  wert  allein  verkoren 
bouen  all  .  .  .     5  str.     Dahinter : 

129^: 
Der  hatt  an  seiner  leiff  nicht  verloren 
Der  den  Almechtigen  Gott  hat  außerkoren. 

129'':  Ein  leidgen.  Glich  alß  der  weiße 
schwanen  . . .  erste  Strophe ,  sodann  ein 
blatt  ausgerissen,  sodann  130*"  die  vierte 
Strophe.  Blumm  und  außb.  1602  s.  185 
nr.  192  in  8  str. 

130'':  Französische  verse. 

131^:  Ein  leidlein.  |  Ein  leidlein  will 
ich  singen  |  auß  grosser  ti'aurichlicheit .  . . 
7  achtz.  str. 

133'':  Ein  neu  Liedgen.  ]  Die  winter 
is  vns  verganghen  |  En  ich  sien  des  Meies 
virtuit ...     6  achtz.  str. 

135^:  Dhe  luchstige  Meij.  Dhe  luste- 
lich   Mei  is   nu   in  den   tidt  1  mitt  sinen 


EHMSMANN    ÜBER   PANZKR,    HILDE -GUDRUN  515 

gronen    bladen  ...     3  achtz.    str.      Nach  146":  Ao  1090  haben   wir  ein  Jiibel- 

einer   für   die    vierte  Strophe    gelasseneu  jähr  gehatt . . . 

lücke    folgen    die   Strophen  5  u.  6.     Vgl.  146''  u.  147'':    Notizen    über  Familie 

bl.  67".     Antw.   liederb.  1544  nr.  128   0  VreydeU  zu  Cöln;  vgl.  105 ^    Vater  Vrey- 

lustelike  mey  ghi   zijt  nu  in  saisoene . . .  dell    zählt   seine    zahlreichen  kinder  aus 

5  sechsz.  str.  seinen  beiden  eben  auf. 

136^:  Rheni.    Der  mir  nur  ist  holdt ...  163" :  Heyza  viua  Trompeta  wie  sitzen 

4  z.     Rhim.  Bistu  eiu  Richter ...    4  z.  wir    hier    so    still  |  Eß   kann   nit  all  ge- 

137":  Französische  verse.  s[ch]ehen    ein   jeder  nach  seinem  will,  | 

145":  Hab  Gott  vur  den  äugen  deyn  . .  .  Frisch  auf  einmahl  getruacken  .  . .  Ao  1689. 

FRIEDE.VAU.  A.    KOPP. 


LITTERATUE. 

Friedrich  Panzer,  Hilde-Gudrun.     Eine  sagen-  und  litterargeschichtliche  Unter- 
suchung.    Halle  a.  S. ,  M.  Niemeyer  1901.     XY,  451  s.   12  m. 

Panzer  stellt  sich  mit  diesen  Studien  das  ziel,  das  gedieht  'als  das  einheitliche 
werk  eines  Verfassers'  zu  erweisen.  Er  löst  das  problem,  das  schon  von  andern  ge- 
lehrten, besonders  von  Sijmons,  so  erfolgreich  gefördert  wurde,  nun  endgültig  mit 
umfassenden  mittein,  indem  er  alle  formalen  bestandteile  sowie  den  Inhalt  unter  diesem 
gesichtspunkt  untersucht.  Die  bedeutung  seines  Werkes  reicht  aber  weiter:  die  zweite 
hälfte,  die  Untersuchungen  über  die  sage  sind  von  grundlegender  Wichtigkeit  für  die 
erkeuntnis  der  entstehuug  der  mhd.  volksepik. 

Der  erste  teil  (das  epos)  erfüllt  seine  aufgäbe,  das  gedieht  als  einheitliche 
Schöpfung  eines  Verfassers  zu  begründen,  dadurch,  dass  die  spräche,  die  metrik,  der 
stil,  die  composition,  die  Charaktere  als  geschlossene  einheiteu  dargetan  werden. 
Der  sprachliche  charakter  ist  gleichartig  durch  das  ganze  gedieht  und  die  mund- 
artlichen Sonderheiten  finden  sich  ebenso  in  den  'unechten'  wie  in  den  'echten'  Strophen. 
Dasselbe  Verhältnis  zeigen  die  reime.  In  der  beurteilung  der  cäsurreirae  folgt 
Panzer  Sijmons,  weicht  jedoch  bezüglich  der  Nibelungenstrophen  insofern  von  ihm 
beträchtlich  ab,  als  er  auch  hier  nur  nebensäcliliche  änderungen  finden  will  (die 
letztere  hypothese  ist  ausgeführt  in  dem  artikel  'Beiträge  zur  kritik  und  erkläruug 
der  Gudrun',  Zeitschr.  34,  425  —  453).  Das  niass  des  unechten  in  der  überliefeining 
der  Gudrun  schätzt  Panzer  also  nur  sehr  gering  ein,  doch  wol  zu  gering.  Über  die 
annähme  gewisser  Interpolationen  und  Umstellungen  können  wir  doch  nicht  hinaus- 
kommen. Aber  allerdings  mögen  diese  immerhin  so  unwichtig  sein,  dass  sie  das 
werk  des  Gudrundichters  kaum  nur  stellenweise  anders  färben. 

Die  folgenden  abschnitte  über  den  stil  und  die  composition  gewinnen  allge- 
meine bedeutung  für  die  darstellungsweise  des  mhd.  volksepos  überhaupt.  Als  charak- 
teristische erscheinungen  des  stils  erkennt  P.  die  widerholung  und  den  mangel  an 
anschaulichkeit  (letztere  indessen  ist  auf  dem  gebiete  des  stils  in  engerem  sinne  von 
geringerer  bedeutung).  Eine  sehr  fleissigc,  vollständige  Sammlung  aller  Variationen 
und  widerholuDgen  gibt  ein  bild  davon,  wie  die  typische  Verwendung  des  sprach- 
lichen matei'ials  gleichsam  den  festen  grundbestand  des  gesamten  sprach,stoffes  bildet. 
In  der  composition  kommen  hauptsächlich  die  Widersprüche  in  betracht.  Den 
innern  anstoss  zu  diesen  gaben  widerum  jene  schon  im  stil  begründeten  eigentümlich- 
keiten,  die  widerhulung  und  die  unauscliaulichkoit. 

33* 


516  EHRISMANN 

So  von  den  äusseren ,  formalen  elementen  weiter  ins  innere  dringend ,  sucht  P. 
schliesslich,  die  einheit  der  Charaktere  darzulegen.  Dieses  kriterium  ist  natürlich 
viel  unsicherer,  weil  die  hewegungen  des  Seelenlebens  überhaupt  in  einer  uns  nicht 
genau  zu  übersehenden  folge  ablaufen  und  weil  wir,  noch  weniger,  kaum  jemals  die 
natur  eines  mittelalterlichen  dichters  so  tief  hinein  kennen,  dass  wir  eine  psycho- 
logische gesetzmässigkeit  seines  Schaffens  nach  allen  richtungen  beurteilen  könnten. 
Eine  vergleichende  beobachtung  der  feineren  seelischen  Vorgänge  im  bereich  der 
mittelalterlichen  litteratur  (für  die  äußerungen  der  roheren  affecte  sind  wir  ja  ziem- 
lich gut  unterrichtet)  wird  uns  doch  manche  erscheinung  genauer  beurteilen  lehren. 
Es  widerspricht  z.  b.  unserm  empfinden,  wenn  Gudrun  sich  verstellt  und  vorgibt, 
Hartmuot,  den  lange  verschmähten,  endlich  zum  manu  nehmen  zu  wollen.  Panzer 
findet  dieses  verhalten  im  Inhalt  psychologisch  begründet,  sie  folgt 'einer  notwendigen 
eingebung  .des  augenblicks'  (s.  138).  Aber  nicht  nur  dieses.  Wir  können  dieses  be- 
nehmen der  Gudrun  historisch,  aus  der  anschauuug  des  mittelalters  heraus,  recht- 
fertigen. Es  hatte  für  jene  menschen  nichts  anstössiges,  denn  dasselbe  tut  Euodiieb, 
das  muster  eines  fertigen  edelmanns,  indem  er  die  leichtsinnige  dame,  die  ihn  hei- 
raten will,  zum  uaiTen  hält.  List  gegen  den  feind  oder  gegen  einen  schlechten  ist 
erlaubt.  Gilt  es  doch  für  eine  verdienstliche  handluug,  den  schlimmsten  feind,  das 
prinzip  des  bösen,  den  teufel  selbst  zu  prellen. 

Panzer  nun  findet  die  Zeichnung  der  Charaktere  in  unserem  gedieht  folgerichtig 
durchgeführt.  Aber  die  strebungen  und  handlungen  dieser  personen  ei-klären  sich 
doch  nicht  durchweg  so  harmonisch  als  einheitliche  äusserungen  geschlossener  psy- 
chischer Individualitäten,  und  die  Widersprüche,  die  ja  schon  genugsam  betont  worden 
sind,  werden  durch  seine  aualyse  nicht  alle  beseitigt.  Doch  wird  der  feine  poetische 
sinn,  der  ihn  bei  der  deutung  der  Charakterbilder  leitete,  auch  den  anmuten,  der  aus 
der  darstellung  unseres  dichters  da  und  dort  andere  empfindungen  herausliest. 

Der  ästhetischen  methode  Panzers  könnte  man  eine  historisch -entwickelnde  zur 
Seite  stellen,  nach  welcher  die  Charaktere  auf  ihre  entstehung  zurückgeführt  werden. 
Dem  dichter  schwebten,  soweit  es  sich  nicht  um  blosse  Statisten  handelt,  lauter  be- 
stimmte typen  vor,  deren  inneres  wesen,  mit  ausnähme  der  Gudrun,  in  einer  oder 
einigen  wenigen  eigenschaften  concentriert  ist.  Man  kann  sie  teilen  in  spielmännische 
figuren  und  solche  der  modernen,  ritterlichen  kunst  in  der  art  des  Nibelungenliedes 
(vgl.  unten  s.  525fg.).  Zu  jenen  gehören  Hagen,  Hilde  und  Hetel.  Die  keime  zu 
Hagens  natur,  in  welcher  zwei  eigenschaften  besonders  hervortreten  (P.  s.  121  fgg.), 
liegen  schon  iu  der  alten  entführungssage :  seine  Wildheit  hat  er  als  tyrannischer 
vater,  der  alle  freier  umbringt,  sein  gutmütig -herzliches  Verhältnis  zu  seiner  frau 
und  besonders  zu  seiner  tochter  ist  eine  einer  höheren  kulturstufe  entsprechende 
Umbildung  jenes  sageuzuges,  demzufolge  der  vater  in  seine  tochter  verliebt  ist  und 
sie  selbst  heiraten  will. 

Hilden  ist  keine  besondere  seelengestalt  verliehen,  wie  denn  auch  in  der  Spiel- 
mannsdichtung die  liebe  nicht  als  eine  tiefere  enipfindung  interessiert,  sondern  eigent- 
lich nur  ein  motiv  für  den  fortschritt  und  die  Verwicklung  der  handlung  bildet. 

Da  Hetel  nie  die  führende  rolle  übernimmt,  so  treten  auch  die  diese  figur 
sonst  auszeichnenden  momente,  tapferkeit  und  list  (vgl.  Rother,  Ortnit)  zurück. 

Die  gestalt  Wates  ist  ebenfalls  aus  der  spielmannskunst  hervorgewachsen, 
von  unserm  viel  gebildeteren  dichter  aber  weit  über  jenen  Standpunkt  hinaus- 
gehoben durch  die  feiae,  auf  einer  fülle  von  einzelzügen  beruhende  Charakterisierung 
(P.  s.  126  fgg.). 


ÜBKK    PANZER,    HILDK- GUDRUN  517 

In  einem  gewissen  gegensatz  zu  diesen  figuren  stehen  die  seelisch  vei"tieften 
personen  der  eigentlichen  Gudrun  sage.  Die  heldin  selbst  ist  eine  ganz  aus  dem 
idealisierenden  geiste  der  österreichisch- ritterlichen  dichtuug  geschalTeno  fraucngestalt, 
die  liebe  ist  bei  ihr,  im  gegensatz  zu  Hilde,  wirkliche  herzenssache;  das  Verhältnis 
-des  liebenden,  Herwigs,  zu  ihr,  nähert  sich  schon  der  modernen  form  des  dienstes. 
Im  übrigen  ist  Herwig  keine  scharf  ausgeprägte  persönlichkeit  (P.  s.  131),  in  der  sage 
kam  ihm  (d.  i.  Herbort)  von  vornherein  nur  die  sich  von  selbst  verstehende  recken- 
tugend  der  tapferkeit  zu,  welcher  der  dichter  noch  die  höfische  des  conventiouellen 
liebhabers  beigefügt  hat. 

Der  Charakter  der  Gerlind  war  dem  dichter  schon  durch  den  stofT  selbst  vor- 
gezeichnet als  der  einer  bösen  stief-  oder  pflegemutter  und  infolge  davon  auch  der 
ihres  gatten  Ludwig,  insofern  er  an  energie  zum  bösen  ihr  nachstehen  musste;  und 
endlich  ist  auch  der  typus  des  zurückgewiesenen,  aber  edelgesinnten  freiers,  d.  i. 
Hartmuots,  dem  mittelalterlichen  Stoffgebiete  nicht  fremd  (s.  unten  s.  525). 

Der  dichter  hatte  also  in  seiner  vorstellungsweit  schon  bestimmte  modelle  für 
seine  personen  bereit  liegen  und  somit  waren  ihm  die  linien  für  seine  Charakterbilder 
vorgezeichnet.  Diese  Charaktere  waren  also  in  iliren  grundbedingungen  gegeben,  doch 
blieb  dem  dichter  ein  grosser  Spielraum  für  freie  tätigkeit  in  der  detailausarbeitimg. 
Es  kreuzten  sich  aber  dabei  verschiedene  äussere  einüüsse,  die  Überlieferung  der 
ursprünglichen  sagenge.stalt ,  jene  der  spielmannsmanier  und  endlich  die  höfische  ten- 
denz.  und  schon  dieses  widerspiel  musste  der  Störung  einer  folgerichtigen  psycho- 
logischen entfaltung  förderlich  sein. 

Den  schluss  des  ersten  teiles  bildet  der  nachweis,  dass  die  einholt  des  gedichtes 
auch  durch  das  Verhältnis  zu  andern  epen  bestätigt  wird,  indem  sich  die , benutzung 
des  Nibelungenliedes,  der  klage,  Wolframs  und  des  K.  Rother  gleicherweise  auf 
'echte'  wie  auf  'unechte'  Strophen  erstreckt  (s.  140  —  152). 

Im  zweiten  teil  des  Werkes  (Die  sage,  s.  153  bis  zum  schluss,  s.  448)  tritt 
die  für  den  ersten  teil  massgebende  einheitsfrage  in  den  hintergrund.  Die  Unter- 
suchung schreitet  zu  andern,  über  den  rahmen  des  einzelnen  gedichtes  hinausgehenden 
Problemen  vor.  Ursprung  und  eutwicklung  der  sage  werden  in  einer  weise  geprüft, 
die  für  alle  sagwissenschaftliche  forschung  vorbildlich  ist.  Nicht  nüt  aprioristischen 
ideen  und  subjectiven  kunsturteilen  wird  gearbeitet,  sondern  auf  exactem  wege  prüft 
der  Verfasser  jeden  einzelnen  sagenzug  und  sucht  ihn  zu  erklären  durch  beiziehung 
vergleichbarer  erscheinungen  auf  dem  gebiete  der  allgemeinen  sagenlitteratur.  Diese 
methode  ist  noch  niemals  bei  einem  mhd.  gedichte  so  folgerichtig  und  mit  so  um- 
fassender kenntuis  des  einschlägigen  materials  durchgeführt  worden.  Die  ergebnisse 
sind  denn  auch  überraschend:  die  einzelnen  elemente  des  Stoffes  sind  fast  durchweg 
überlief erungsgemäss.  Der  Vorgeschichte  liegen  Volksmärchen  zugrunde,  dazu  ist 
der  herzog  Ernst  und  der  ApoUoniusroman  benutzt,  für  die  composition  hat  Ulrichs 
Lanzelet  das  muster  abgegeben;  die  Hildesage  (der  zweite  teil  des  epo.s)  beruht  auf 
dem  Goldenermärchen,  aus  dem  auch  der  ApoUoniusroman  stammt;  der  dritte  teil 
besteht  aus  der  Horwigsage,  die  ebenfalls  aus  dem  Goldenermärchen  abgeleitet  ist, 
und  der  geschichte  Gudruns,  zerfallend  in  leidenszeit  und  rückführung,  zu  deren  aus- 
bildung  ebenfalls  die  Hist.  ApoUonü,  ferner  die  Salomosage  und  das  motiv  des  liedes 
von  der  widergefundenen  Schwester  mitgewirkt  haben. 

Das  deutsche  gedieht  i.st  also,  nach  dieser  theorie,  aus  einer  fülle  getrennt 
liegender,  üherkommener  motivo  zusammengesetzt,  im  mittelpunkt  aber  stellen  die 
motive  des  märchens  vom  Goldener.     Den  ersten  teil  dieses  satzes  hat  der  Verfasser 


518  EHRISMANN 

m.  e.  erwiesen,  der  zweite,  vom  märchen  als  grundlage,  muss  in.  e.  entschieden 
abgelehnt  werden. 

Nur  die  Vorgeschichte  Hagens  ist  ein  erzeugnis  der  märchenphantastik. 
Panzer  erkennt  zwei  märchenstoffe,  aus  denen  sie  zusammengesetzt  ist,  das  ist  die 
Greifensage  (entführung  Hagens)  und  das  märchen  vom  königssohn,  der  drei  Jung- 
frauen aus  der  gewalt  von  unter  der  erde  hausenden  drachen  befreit,  dann  von  einem 
riesigen  vogel  aus  der  höhle  an  die  oberweit  getragen  wird  (märchen  vom  erdmänneken 
[bärensohn],  Grimm  nr.  91).  Zur  detailausführung  ist  zumeist  das  gedieht  vom  herzog 
Ernst  und  eine  Version  des  ApoUonius  von  Tyrus,  die  dem  Orendel  nahe  stand,  bei- 
gezogen. Den  gedanken,  eine  entführungsgeschichte  als  eingang  seinem  epos  voraus- 
zuschicken, zog  der  dichter  aus  Ulrichs  Lanzelet. 

Nun  beruht  aber  auch  die  Hildegeschichte  nach  Panzer  auf  märchenhafter 
grundlage,  nicht  auf  einer  heldensage,  'die  Hildesage  ist  aus  dem  Goldenermärcheu 
entsprungen'  (s.  267).  Das  Goldenermärchen  (Eisenhans  bei  Grimm,  nr.  136)  als 
quelle  litterarischer  Stoffe  ist  von  Laistner  in  die  Wissenschaft  eingeführt  worden,  der 
den  ApoUonius,  Orendel  imd  Rother  daraus  ableitete  (Zs  f.d.a.  38, 113  — 135);  von 
einer  inhaltsangabe  des  märchens  kann  demnach  hier  abgesehen  werden  und  es  möge 
genügen,  die  leitenden  züge  auszuscheiden,  welche  das  gerüste  der  fabel  bilden: 
1.  ein  junger  königssohn  ist,  unerkannt,  in  niedern  diensten  an  einem  fremden  königs- 
hofe;  2.  ein  schützender  dämon  verleiht  ihm  wunschdinge  (besonders  'goldenes  haar'); 
3.  durch  diese  erringt  er  die  könig.stochter  zur  frau.  Stellen  wir  diesen  merkmalen 
des  märchens  die  grundzüge  der  Hildesage  gegenüber:  1.  ein  königssohn  raubt  die 
tochter  eines  andern  königs;  2.  der  vater  verfolgt  den  entführer;  3.  es  kommt  zum 
kämpf  [der  mit  dem  tode  des  vaters  enden  muss].  Es  stehen  sich  also  gegenüber: 
das  Goldenermärchen  mit  folgenden  motiven:  1  das  motiv  vom  männlichen  Aschen- 
brödel, 2.  das  motiv  vom  schützenden  dämon,  3.  erringung  der  braut  durch  wunsch- 
dinge —  und  die  Hildesage  mit  folgenden  motiven:  1.  brautraub,  2.  Verfolgung,  3.  end- 
gültige erringuug  der  braut  durch  kämpf;  dort  das  spiel  einer  sich  über  die  Wirklich- 
keit heiter  hinaussetzenden  märchenphantasie,  hier  die  kennzeichen  echten  heldentums, 
dem  leben  entnommen  oder  wenigstens  in  dasselbe  umsetzbar.  Und  so  können  denn 
diese  beiden  vorstelluugsreihen  nur  dadurch  miteinander  vermittelt  werden,  dass 
grundgedanken  zu  nebendingen  herabgedrückt  und  umgekehrt,  nebenzüge  zu  haupt- 
zügen  emporgehoben  werden.  Denn,  messen  wir  die  merkmale  des  märchens  ab  an 
der  Hildesage,  so  finden  wir  in  dieser  das  Ascheubrödelmotiv  (1)  gar  nicht,  den 
schützenden  dämon  (2)  nur  im  deutschen  epos,  nicht  auch  in  den  nordischen  fas- 
sungen,  und  die  erringung  der  braut  geschieht  nicht  durch  wunschdinge  (3),  sondern 
durch  kämpf  auf  leben  und  tod;  umgekehrt:  das  kernmotiv  der  Hildesage,  die  ent- 
führung der  braut  (1),  dazu  die  Verfolgung  und  der  kämpf  (2  und  3)  können  nur 
mit  einigen  in  gewissen  Versionen  des  märchens  vorkommenden  unwesentlichen  neben- 
seiten  zusammengebracht  werden. 

Nun  liegt  es  gewiss  gerade  in  dem  wesen  dieser  willkürlich  entworfenen 
märch engebilde,  dass  sie  in  sehr  verschiedenartige  gestalten  sich  verwandeln  können, 
so  mannigfaltig,  dass  häufig  kaum  mehr  eine  Verwandtschaft  zu  erkennen  ist.  Aber 
wenn,  wie  hier,  die  kernmotive  so  stark  voneinander  abschwenken,  dann  ist  das 
geistige  band  zerrissen,  dann  liegen  eben  zwei  schon  in  der  conception  verschiedene 
typen  vor. 

Die  Hildesage  gehört  zu  den  brautraubsagen  und  ist  nicht  zu  trennen  von  der 
grossen  zahl  anderer  ablcger  dieses  kreises,   z.  b,  von  den  griechischen  entführungs- 


ÜBER   PANZER,    HILDE- GUDnUN  519 

geschichten  der  lo  (P.  s.  273 fg.),  Theseus  und  Ariadne,  Jason  und  Medea,  der  ger- 
niauisclien  Walthersage,  der  Salomosage  usw.  Man  müsste  also  auch  diese  fassungen 
aus  dem  Goldenermärchen  ableiten,  da  aber  dieses  untunlich  ist,  so  niuss  auch  die 
Hildesage,  als  angehörige  dieser  sippe,  vom  märchea  getrennt  bleiben. 

"Wir  sind  nun  ausserdem  in  der  läge,  die  entstehung  der  Hildeerzählung,  die 
conception,  im  bewusstsein  des  dichters  psychologisch  verfolgen  zu  können.  Die 
werbungs-  und  entführungssage  war  ein  lieblingsthema  der  spielmannspoesie,  wenn 
diese  dichter  die  empßndung  der  liebe  zum  au.sdruclc  bringen  wollten,  so  kleideten  sie 
sie  in  die  form  einer  Werbung  oder  eutführung  (s.  unten  s.  527).  Die  stoffwahl  war 
also  aucli  dem  Verfasser  der  Hildeerzählung  vorgezeichnet.  Er  nahm,  dem  herkommen 
gemäss,  die  brautentführung  zum  gegenständ  seiner  darstellung,  diese  bildet  den 
mittelpunkt,  um  den  sich  alle  andern  gedanken  gruppieren.  Das  Goldenermärchen  aber 
hätte  ihn  niemals  auf  den  einfall  bringen  können,  eine  entführungsgeschichte  zu  dichten. 

Und  noch  eins  gibt  bei  Panzers  Standpunkt  zu  bedenken  anlass.  Er  geht  bei 
der  vergleichung  der  sage  mit  dem  märcheu  aus  von  dem  mhd.  epos  und  setzt  dessen 
darstellung  der  Hildesage  gleich  (s.  267).  Zunächst  aber  müsste  vorher  die  frage  ent- 
schieden sein:  kommt  die  einfache,  westnordischo  fassung  der  ursprünglichen  gestalt 
der  sage  näher  oder  die  viel  umfangreichere  des  deutschen  gedichtes?  ist  also  die 
nordische  fassung  eine  Verkürzung  oder  ist  die  deutsche  eine  erweiterung?  Die  ent- 
soheidung  hängt  zusammen  mit  der  ansieht,  die  man  über  die  materielle  (nicht  über 
die  historische)  entstehung  der  verschiedenen  typen  der  entführungssage  überhaupt 
hat.  Den  auf  bau  einer  solchen,  wie  den  jeder  erzählung,  bilden  zweierlei  elemente: 
1.  die  grundlegenden  (fundamentalen)  motive,  2.  die  erweiternden  motive  [aj  begrün- 
dende, motivierende,  und  b)  ausschmückende,  ornamentale,  decorative].  Die  ersten 
sind  ein  für  allemal  gegeben,  es  sind  hier:  entführung,  Verfolgung j  kämpf  (natürlich 
kann  eines  der  motive,  z.  b.  der  kämpf,  auch  fehlen,  aber  dann  ist  der  urtypus  nicht 
vollständig  ausgebildet).  Dieses  gerüste  lag  demjenigen  vor,  der  eine  entführungs- 
sage litterarisch  ausarbeiten  wollte.  Die  erweiternden  elemente  konnten  beliebig  hinzu- 
gewählt werden  und  sind,  besonders  die  ornamentalen,  fast  immer  dem  allge- 
meinen formelschatz  entnommen.  Sie  gehören  zu  dem  in  dem  gedächtnis  der  dichter 
bereitliegenden  vorrate  allgemein  bekannter  motive,  die  nach  belieben  in  die  erzäh- 
lung eingeflochten  werden  konnten,  es  sind  stereotype  littei'arische  formein.  Gerade 
an  den  entführungsgeschichten  lässt  sich  diese  construierung  anschaulich  darlegen. 
Ein  besonderes  beleuchtendes  beispiel  gibt  die  Fridlevsage  (Saxo  ed.  Holder  VI,  177): 
Fridlev  wirbt  um  Frogerd,  die  tochter  Amunds,  die  tochter  ist  ihm  wolgesinnt,  aber 
der  vater  weist  ihn  ab.  Da  vollbringt  Fridlev  die  besiegung  eines  riesen  und  hofft, 
durch  diese  heldentat  das  herz  des  mädchens  günstig  für  sich  zu  stimmen.  Dies 
war  aber  doch  unnötig,  da  sie  ihn  schon  vorher  liebte,  man  sieht  also,  wie  rein 
äusserlich  hier  ein  schon  in  andern ,  verwandten  sagen  bestehendes  motiv  —  besiegung 
eines  riesen  —  hier  in  die  brautwerbungssage  hereingestellt  wurde,  lediglich  zu  orna- 
mentalen zwecken. 

Auf  diese  weise  also,  durch  einschal tung  ausmalender  züge,  entstehen  eine 
reihe  einzelner  Variationen  des  grundtypus  der  werbungs-  bezw.  brautraubsage.  Die 
wichtigsten  sind  folgende:  1.  der  held  freit  nicht  in  eigener  person,  sondern  durch 
Werber;  2.  er,  oder  seine  Stellvertreter  bringen  die  Werbung  in  Verkleidung  vor; 
3.  er  erringt  die  Jungfrau  mit  hilfe  eines  schutzgeistes;  4.  gegner  im  kämpf  ist  nicht 
der  vater  sondern  der  nebenbuhler;  5.  der  kämpf  endet  nicht  tragisch,  sondern  hiit 
gegenseitiger  Versöhnung;  besonders  mannigfaltig  .sind  die  listmittel,  durch  welche  der 


520  EHRISMANN 

held  oder  werbev  sich  zutritt  zu  dem  mädclien  verschafft,  um  seine  Werbung  vorzu- 
bringen, weniger  zahlreich  jene,  durch  welche  ihre  liebe  errungen  wird. 

Eine  solche  werbungs-  oder  entführungsgeschichte  wurde  nun  übertragen  auf 
Personen  der  heldensage  oder  auch  der  lebepdigen  geschichte.  Sie  bildet  die  liebes- 
geschichte  im  leben  des  beiden,  gleichsam  den  lyrischen  einschlag  in  den  reckentaten, 
und  gehört  zu  den  wesentlichen  bestandteilen  der  biographie  eines  heldenlebens, 
vgl.  Axel  Olrik,  Tvedeling  af  Kilderne  til  Sakses  Oldhistorie  s.  8.  Der  name  der 
Jungfrau.  Hilde,  wird  oft  festgehalten,  oder  er  wird,  wie  der  des  vaters,  auf  die 
Verhältnisse  des  beiden  hin  umgewandelt.  Wurde  z.  b.  Attila  als  held  der  entfüh- 
rungssage  eingeführt  (Thidrekssaga) ,  so  trat  an  Hildes  stelle  Erka  (=  Helche)  und 
für  den  vater  Osantrix,  da  die  geschichte  Attilas  in  die  sage  von  Osantrix  ver- 
flochten ist. 

Nach  alledem  wird  man,  wenn  man  kritik  über  eine  entführungssage  zu  üben 
hat,  von  der  einfachsten  form,  die  möglichst  auf  die  grundbildenden  motive  zuge- 
schnitten ist,  ausgehen  —  und  das  ist  in  unserm  fall  die  westnordische  —  und  wird 
die  ornamentalen  elemeute  der  umfangreicheren  formen  so  lange  für  spätere  erweite- 
rungen  halten,  als  kein  genügender  gegengrund  vorliegt. 

Um  den  nachweis  zu  liefern,  dass  die  Hildesage  aus  dem  Goldenermärchen 
entstanden  sei,  prüft  Panzer  alle  züge  der  sage  bezw.  des  deutschen  epos  auf  einen 
möglichen  Zusammenhang  mit  dem  märchen.  Um  meine  ablehnende  haltung  zu 
rechtfertigen,  bin  ich  verpflichtet,  zu  den  wichtigsten  gleichsetzungen  Stellung  zu 
nehmen. 

1.  Zu  den  gruudlinien  des  märchens  gehört  der  zug,  dass  der  prinz  in 
niedriger  Stellung  (Aschenbrödel)  dient.  Das  ist  aber  in  den  Versionen  der  Hildesage 
nirgends  der  fall.  Eine  verblasste  erinnerung  an  den  geringen  stand  des  freiers  findet 
nun  Panzer  in  dem  satze,  Hagen  wollte  seine  tochter  keinem  geben,  der  swacher 
dcmne  er  tvmre  201 ,  3 :  „die  alte  sage  muss  gewusst  haben ,  dass  Hetel  in  swaehem, 
d.  h.  ärmlichem  aufzuge  an  Hagens  hofe  auftrat"  (s.  2(57).  Aber  es  ist  doch  misslich, 
aus  einer  so  wenig  charakteristischen  äusseruug  so  schwerwiegende  Schlüsse  zu  ziehen, 
um  so  mehr,  wenn  mau  mit  P.  annimmt,  dass  die  behütung  der  Hilde  dnrch  Hagen 
und  die  Zurückweisung  der  freier ,  also  die  ganze  Umgebung ,  aus  welcher  heraus  erst 
jener  gedanke  des  '■swacher  seins'  entstanden  sein  kann,  'secundäre  zutat'  ist.  Das 
mörderische  verhalten  Hagens  gegen  die  freier  entspricht  auch  nicht  dem  Zweikampf 
Hognis  mit  Hedin  im  SQrlaj^attr  und  jenem  zwischen  Hagen  und  Wate  im  deutschen 
gedieht,  sondern  es  ist  ein  bestandteil  eben  jener  sage  von  dem  vater,  der  alle  freier 
abweist  bezw.  tötet,  weil  er  seine  tochter  selbst  haben  will  (P.  s.  217).  Die  begründung 
durch  '•sivaeher^  ist  kein  echtes  altes  motiv,  sondern  erst  im  deutschen  gedichte 
hinzugekommen,  da  der  wahre  beweggrund,  die  schlimme  absieht  des  vaters  auf  den 
besitz  der  tochter,  zu  anstössig  war.  Die  ganze  eiuleitung  gehörte  allerdings,  wie 
Panzer  mit  recht  annimmt,  nicht  ursprünglich  zum  Hildetypus.  Sie  wurde  aufge- 
nommen, weil  es  ein  ausserordentlich  beliebter  stoff  der  Spielmannsdichtung  war.  Sie 
kann  nichts  gegen,  aber  auch  nichts  für  die  abstammung  der  Hildesage  aus  dem 
Goldenermärchen  beweisen. 

Einen  andern  beweis  dafür,  dass  in  der  sage  noch  eine  erinnerung  an  die 
niedrige  Verkleidung  des  Goldener  nachklinge,  findet  P.  in  dem  namen  HeSinn,  indem 
der  held  darum  'Pelzrock'  heisse,  „weil  er  ursprünglich  an  Hagens  hof  unter  einem 
fellkleide  seine  Goldenerherrlichkeit  geborgen"  habe  (s.  308).  Aber  Heäinn  ist  nicht 
wie  der  bärenhäuter  im  märchen,  der  graurock  im  Orendel,  eine  aus  einem  bestimmten 


ÜBER   PANZKR,   HILDE -GUDHUN  521 

anlass  gegebene  symptomatische  bozeichiiung  eines  bestimmten  individuums,  sondern 
ein  geläufiger  cigennamo  von  verblasster  bedeutung.  Der  ursprüngliche  sinn,  =  hjarn- 
heSinn,  idfheSinu,  d.  i.  der  mit  einem  baren-  oder  wolfsfeil  bekleidete  kämpfer, 
der  berserker,  auch  der  werwolf  (J.  Grimm,  Mythol.-*  916,  Cleasby  -  Vigfussoa 
s.  61",  668",  Fritzuer- 1,  132'',  746")  führt  weit  ab  von  der  person  des  aschen- 
brödels  Goldener. 

2.  Das  zweite  grundmotiv  des  märchens  ist  das  vom  hilfreichen  dämon. 
Diesen,  den  Eisenhans,  findet  P.  in  dem  Wate  der  sage  wider.  Aber  der  helfende 
Schutzgeist  ist  eine  überaus  beliebte,  keineswegs  auf  die  erzählung  vom  Goldener  be- 
schränkte märchenfigur  und  ist  vor  allem  im  Volksglauben  selbst  begründet.  Ihm 
entspricht  in  der  verwandten  entführungssage  von  Ortuit  der  zwerg  Alberich,  der 
Auberon  des  Huon  von  Bordeaux,  Albrich  bei  der  Werbung  Sigfrids  um  Brüuhild  im 
Nibelungenlied.  Eugel  im  lied  vom  Hürnen  Seyfrid,  der  zwerg  im  Ruodlieb.  Sollte 
überall,  auch  in  der  Sigfridssage,  der  schützende  dämon  aus  dem  Goldenermärchen 
stammen'?  Aber  die  besondere  Stilisierung,  die  diesem  riesischen  Schutzgeiste 
im  deutschen  epos  verliehen  ist,  bringt  ihn  allerdings  dem  Eisenhans  des  märchens 
nahe.  Und  Panzer  hat  auf  zwei  nordische  berichte  hingewiesen,  die  zweifellos  mit 
dem  märcheu  in  Zusammenhang  stehen:  gerade  wie  der  riese  Eisenlians,  so  hat  auch 
der  riese  in  der  Fridlevsage  den  spielenden  königssohn  Hithin  geraubt  und  sich  zu 
diensten  gezwungen;  und  Haraidr  härfagri,  der  schon  durch  seinen  beinamen  an 
Goldener  erinnert  (P.  s.  292,  294,  300),  befreit  den  riesen  Dofre  aus  banden,  wofür 
ihm  dieser  verspricht,  ihm  im  kämpfe  helfen  zu  wollen.  Nun  kann  aber  die  gestalt 
"Wates  nicht  der  Urhildesage  angehört  haben,  denn  hier  entführte,  wie  P.  .selbst  ge- 
zeigt hat,  Hetel  allein  ohne  fremde  beihilfe  die  Hilde  und  was  von  Wate  und  Horaud 
erzählt  wird,  das  kampfspiel  mit  Hagen  und  Horands  gesang,  gilt  ursprünglich  ledig- 
lich von  Hetel.  Man  wird  somit  zu  der  annähme  genötigt,  dass  im  norden  der 
Goldenerstoff  bekannt  war  und  dass  züge  aus  demselben  in  andere  sagen  übcrgiengen, 
in  die  lebensgeschichte  von  Haraidr  härfagri  und  vielleicht  in  eine  uns  verlorene 
Hedinsage,  woraus  der  bericht  in  der  Fridlevsage  ein  fragment  wäre  —  und  endlich 
ebenso  in  die  Hedin -Hildesage. 

3.  Von  dem  dritten  hauptmotiv  des  märchens,  den  wunschdingen,  durch 
welche  die  braut  errungen  wird,  weiss  die  sage  nichts.  Vor  allem  vermissen  wir 
jenes  hervorstechende  merknial,  das  den  armen  gärtnerburscheu  der  prinzessin  so  inter- 
essant macht,  das  goldene  haai\ 

Gehen  wir  nun  umgekehrt  von  der  sage  aus.  Die  hauptmotive  sind  entfüh- 
rung,  Verfolgung,  kämpf  auf  leben  und  tod.  Auch  für  diese  findet  P.  anhaltspunkte 
im  märchen.  Aber  während  diese  drei  scenen  wesentliche  bestandteile  einer  entfüh- 
rungssage sind,  spielen  sie  nur  unbedeutende  nebenroUen  in  einzelnen  Versionen  des 
Goldenermärchens.  Man  würde,  also  eher  zu  dem  umgekehrten  Schlüsse  berechtigt 
sein,  die  darstellung  der  sage  für  das  urs|)rünglichero  zu  haiton. 

Und  so  gehen  denn  auch  die  uebenzüge,  welche  die  entführung  im  deutschen 
gedichte  begleiten,  nicht  aus  dem  märchen  hervor,  sondern  es  sind  wandermotive, 
wie  sie  ein  dichter  zur  ausschmückung  dieses  beliebten  themas  ohne   mühe   bereit 

1)  Die  Schicksale  Sigfrids  sind  ähnlich  wie  die  des  Goldener:  er  wächst,  ein 
königssohn,  bei  einem  dämonischen  wosen  auf,  dem  er  dient,  trennt  sich  von  ihm 
und  nimmt  wunschdinge  mit  (schätz,  heim,  hämisch,  Schwert  und  ross),  kommt  in 
die  dienste  einer  fremden  küuigsfamilie,  erhält  die  königstochter  zur  frau  durch 
tapfere  taten. 


522  EHRISMANN 

hatte.  Möglich  ist,  dass  bei  einigen  der  Apolloniusroman  mitgewirkt  hat  (ächtung 
der  Werber,  fechtscene,  Horands  gesang,  kemenatenscene).  "Wenn  ferner  Wate, 
wie  Eisenhans,  die  wunden  heilt,  so  beweist  das  nach  oben  s.  521  nichts  für  die 
ursprüngliche  form  der  Hildesage ;  ebensowenig  wenn  durch  das  eingreifen  Hetels  der 
von  "Wate  bedrängte  Hagen  gerettet  wird  wie  der  köuig  im  märchen  durch  das  recht- 
zeitige eintreffen  des  Goldener  in  der  Schlacht,  da  jene  hilfeleistung  Hetels  auf  die 
bitte  der  Hilde  geschieht,  welcher  zug  nicht  schon  der  alten  sagengestalt  augehörte, 
sondern  erst  von  dem  humaneren  empfinden  einer  späteren  generatiou  eingegeben  ist. 
Nur  der  schluss  der  Hildegeschichte  im  deutschen  gedieht  klingt  wider  zusammen  mit 
dem  ende  des  märchens:  wenn  der  alte  haudegen  Hagen  behaglich  schmunzelnd  zu 
hause  mit  seiner  frau  das  glück  seiner  wolverheirateten  tochter  überschlägt,  so  liegt 
darin  wirklich  etwas  von  märchenstimmung  (P.  s.  318) ,  —  jedoch  gemischt  mit  spiel- 
mannshumdr.  Aber  auch  dieser  fröhliche  Schlussakkord  ist  kein  zeichen  für  die  her- 
kunft  der  sage  aus  dem  Goldenermärchen.  Denn  der  abschluss  der  echten  Hildesage 
ist  nicht  so  vergnügt,  der  kämpf  endet  nicht  versöhnend,  damit  dass  Hagen  nunmehr 
Hetel  als  einen  ebenbürtigen  eidam  anerkennt,  sondern  tragisch  mit  dem  todo  des 
vaters.  Diesen  abschluss  hat  noch  die  notiz  des  Alexanderliedes  bewahrt  und  er 
kehrt  wider  in  der  schlackt  auf  dem  "Wülpensande  in  der  geschichte  der  Gudrun, 
hier  nur  auf  Hetel  übertragen  Denn  dieses  grause  ende  verlangt  die  entwicklung 
der  echten  entführungsgeschichte ,  sobald  der  kämpf  den  abschluss  bildet.  Der  ganze 
innere  sinn  drängt  darauf  hin.  Mag  ein  mythus  zugrunde  liegen  oder  die  sitte  einer 
wilden  zeit:  in  gute  geht  es  nicht  ab,  einer  muss  fallen  und  das  kann  nur  der  vater 
sein,  denn  dem  räuber  gehört  das  weib;  ein  resultatloser  ausgang  wie  in  der  nordischen 
Überlieferung  ist  unmöglich.  Auch  von  diesen  erwägungen  aus  muss  man  Panzer 
zustimmen,  wenn  er  die  widererweckung  der  gefallenen  durch  Hilde  für  speciell 
nordische  anfügung  eines  weitverbreiteten  motivs  erklärt  (s.  329). 

Dem  bericht  Saxos  kann  ich  keinen  so  stark  altertümlichen  sagengehalt  zu- 
schreiben wie  Panzer  s.  818  fgg.  Man  muss  bei  seiner  beurteil ung  immer  im  äuge 
behalten,  dass  Saxo  hier  von  einer  bestimmten  tendenz  geleitet  wurde,  nämlich  den 
rechtssinn  I^rodes  in  ein  helles  licht  zu  setzen  (Axel  Olrik,  Sakses  oldhistorie 
s.  191  fgg.).  Damit  hängt  die  dreiteilung  des  entscheidungskampfes  zusammen.  Die 
auffallende  wörtliche  Übereinstimmung  zwischen  Saxos  Schilderung  und  jener  der 
beiden  dänischen  Goldenermärchen:  er,  Hedin,  konnte  den  blick  nicht  von  ihr,  Hilde, 
wenden,  ist  nur  eine  typische  formel  für  rasch  auflodernde  liebe,  ein  liebeszauber, 
die  nicht  auf  abstammung  der  Hildesage  aus  dem  märchen  schliessen  lässt;  endlich 
die  Verleumdung,  die  Hedin  angeheftet  wird,  er  habe  Hilde  vor  der  hochzeit  verführt, 
ist  vielleicht  erst  ein  zusatz  Saxos  (vgl.  Olrik  a.  a.  0.  s.  193). 

Nach  diesen  erörteruugeu  möchte  ich  mein  urteil  dahin  zusammenfassen: 
die  Hildesage  ist  von  haus  aus  eine  entführungssage ,  in  die,  zu  weiterer  aus- 
schmückung,  elemente  aufgenommen  wurden,  die  auch  im  Goldenermärchen  vor- 
kommen, zum  teil  auch  diesem  wirklich  entstammen. 

Auf  zwei  erfordernisse  möchte  ich  noch  Imrz  hinweisen.  Gar  oft  wird  der 
mangel  fühlbar,  dass  wir  über  die  grundgestaltungen  des  märchens  so  wenig  wissen, 
nicht  wissen,  welche  züge  diesen  wesentlich  angehören,  welche  erst  zufällig  und 
secundär  sind,  kurz,  dass  wir  keine  kritische  Untersuchung  über  das  Goldeuermärchen 
haben.  Es  ist  ja  freilich  nicht  möglich,  die  urgestalt  des  märchens  herzustellen  oder 
gar  diejenige  bestimmte  gormanische  gestalt,   von  welcher  etwa  die  Hildesage  ihren 


ÜBER    PANZKR,    IIILUK  -  GUDRUN  523 

ausgang  geoommon  haben  köuute,  aber  es  Hessen  sich  doch  vielleicht  haupt-  und 
nobenzüge  strenger  scheiden,  zweitklassige  motive  durch  die  gesichtspunkto  der  Varia- 
tion, einführung  aus  verwandten  niärchen,  begriindung,  Steigerung  u.  dgl.  stärker  ab- 
sondern als  dies  bisher  geschehen,  so  dass  wenigstens  ein  etwas  sichererer  boden  für 
■die  Weiterforschung  bereitet  wäre. 

Ein  weiteres  mittel,  um  in  diesen  fragen  zu  grösserer  Sicherheit  zu  gelangen, 
wäre  die  beiziehung  verwandter  Stoffe,  so  vor  allem  der  Walthersage.  Panzer  hat 
mehrfach  auf  dieses  bedürfnis  hingewiesen  und  fernere  Untersuchungen  in  aussieht 
gestellt,  durch  die  er,  als  der  berufensten  einer,  gewiss  vielem  schwankenden  eine 
stärkere  stütze  verleihen  wird. 

Mit  s.  332  beginnen  die  Untersuchungen  über  die  gcschichto  der  Gudrun: 
die  erzählung  von  Gudrun  zerfällt  in  zwei  teile  (s.  334) :  der  erste  reicht  bis  zuj- 
heimkehr  der  Hegelinge  von  der  Schlacht  auf  dem  Wülpensande,  nach  dem  holden 
kurz  'Herwigsage'  benannt;  der  zweite  teil  umfasst  das  übrige,  av.  20—32,  'die 
Gudrunsage',  da  Gudrun  hier  im  mittelpunkt  der  ereignisse  steht.  Die  Herwigsage  ist 
aus  demselben  Goldenermärchen  entsprungen,  das  die  unterläge  für  die  Hildesage  ab- 
gegeben hat.  Die  geschichte  der  Gudrun  zerfällt  wider  in  zwei  hauptabschnitte: 
Gudruns  leiden,  str.  951  — 1070,  und  Gudruns  rückführung,  str.  1071  bis  sum 
Schlüsse.  Hauptquelie  für  Gudruns  leiden  ist  die  Historia  ApoUouii,  Gudruns  nickführung 
ist  zusammengearbeitet  aus  verschiedenen  erzählungsstoffen :  am  meisten  trugen  bei  die 
Salomosage  und  dann  die  Historia  ApoUonii,  für  einzelne  stellen  gaben  das  muster 
scenen  aus  der  Brandanlegende  und  aus  der  erzählung  von  der  widergefundenen 
Schwester.  Sehr  scharfsinnig  ist  hier  eine  reihe  verschiedener  vorstellungskreise  auf- 
gedeckt, aus  welchen  der  dichter  sein  material  bezog,  besonders  ist  auch  'die  volks- 
tümliche litteratur,  das  Volkslied,  in  weitem  umfang  zur  erklärung  beigezogen,  ebenso 
aber  auch  historische  ereignisse. 

Über  die  berechtigung,  die  Herwigsage  aus  dem  Goldenermärchen  abzuleiten, 
kann   ich  nicht  anders  urteilen  als  über  die  herleitung  der  Hildesage  aus  demselben. 

Die  leidensgeschichte  der  Gudrun  hat  gewiss  in  manchen  einzelheiten  ähnlich- 
keit  mit  den  drangsalen,  welche  des  Apollonius  tochter  Tbarsia  bei  ihren  pÜegeeltern 
zu  erdulden  hat.  Doch  nehmen  wir  die  urbedingungen,  unter  welchen  diese  episode 
entstand.  Als  thcma,  um  den  auf  enthalt  der  Gudrun  in  der  fremde  ausfüllen  zu 
können,  wählte  der  dichter  die  erzählung  von  der  bösen  stief-  oder  schwieger-  oder 
Pflegemutter.  Nachdem  er  einmal  diesen  stoff  festgestellt  hatte,  das  leiden  einer 
königlichen  Jungfrau  unter  dem  hass  eines  unbarmherzigen  weibes  zu  zeichnen,  so 
ergab  sich  ihm  die  ausführung  im  einzelnen  ohne  grosse  Schwierigkeit,  denn  die 
charaktertypen  und  die  Situation  waren  ja  geläufig  genug.  Gewiss  mochten  ihm  dabei, 
nachdem  einmal  die  Stimmung  angeschlagen  war,  aus  seinem  gedächtnis,  mehr  oder 
weniger  bewusst,  gleichgeartete  erinnerungsbilder  auftauchen,  die  auf  seine  darstellung 
einen  einfluss  ausübten,  denn  auf  einen  gewissen  gleichmässigeu,  nicht  allzuweiten 
kreis  von  Vorstellungen  ist  ja  das  bewusstsein  bei  allen  unsern  mittelhochdeutschen  dich- 
tem beschränkt.  "Wir  stehen  eben  hier  in  letzter  hinsieht  bei  der  denkweise  der 
mittelalterlichen  menschen  —  wenigstens  ihrer  künstlerischen  bewusstseinstätigkeit  — , 
diese  ist  typisch,  nicht  individuell,  zumal  bei  den  bearbeitern  volkstümlicher  Stoffe 
(vgl.  Panzer,  Das  altdeutsche  volksepos).  Sind  dabei  einmal  die  grundbedingungen  in 
zwei  gedankenläufen  sich  ähnlich,  dann  müssen  unabhängig  voneinander  des  öftern 
auch  gleiche  formen  sich  eigeben. 


524  EHRISMANN 

Nachdem  Panzer  die  einzelnen  bestandteile  der  Gudrungeschichte  ausgelöst  hat, 
bespricht  er  das  Verhältnis  der  Herwigsage  zur  Herbortsage  (s.  411).  Beide  sind, 
dieses  ergebnis  dürfen  wir  ni.  e.  für  durchaus  gesichert  halten,  ursprünglich  identisch. 
Doch,  so  möchte  ich  scharf  betonen,  gleich  mit  der  Herwigsage  ist  nur  dte  kürzere 
gestalt  der  Herbortsage,  die  im  Biterolf  überliefert  ist,  nicht  die  längere  der  Thidreks- 
saga,  also:  1.  Herbort  erringt  Hildeburg  durch  kämpf  mit  ihrem  vater  Ludwig  und 
ihrem  Bruder  Hartmuot  (eine  ältere  Variante  davon  ist  die  RuodHebsage);  2.  die  er- 
kämpfte braut  wird  ihm  durch  zwei  uebenbuhler,  Dietrich  und  Hildebrand,  abspenstig 
gemacht;  3.  aber  er  behauptet  ihren  besitz  in  siegreichem  kämpfe  (die  heimliche  Wer- 
bung kannte  der  Biterolf  so  wenig  wie  der  Ruodlieb,  anders  P.  s.  415).  Aus  den- 
selben drei  acten  besteht  auch  der  grundstock  der  Herwigsage:  Herwig  erkämpft 
Gudrun  von  ihrem  vater,  sie  wird  ihm  durch  zwei  nebenbuhler,  Ludwig  und  Hart- 
muot, abspenstig  gemacht,  er  erkämpft  sie  wider  zurück;  in  dieselben  drei  Acte 
zerfällt  auch  der  Rother,  von  dem  die  Gudrun  beeinflusst  ist  (P.  s.  151  u.  ö.). 

Die  längere  fassung  der  Herbortsage,  welche  die  Thidrekssaga  bietet,  ist  eine 
erweiterung  der  kürzeren  im  Biterolf.  Jene  enthält  nun  eine  reihe  überschüssiger 
züge,  welche  in  der  kürzeren  fassung  nicht  vorkommen.  Eine  anzahl  derselben 
führt  P.  wiederum  auf  das  Goldenermärchen  zurück.  Aber  da  die  kürzere  fassung 
sicher  die  ursprünglichere  ist,  so  müssen  jene  überschüssigen  teile  der  Thidrekssaga 
spätere  erweiterungen  sein  und  können,  selbst  wenn  sie  mit  dem  Goldenermärchen 
in  Zusammenhang  stehen  (doch  wird  hier  manches  auszuscheiden  sein,  vgl.  Dorsch, 
Zur  Herbortsage  s.  43fgg.),  für  die  entstehung  der  Herbortsage  aus  dem  märchen 
nicht  beweiskräftig  sein. 

Darauf  erörtert  der  Verfasser  noch  die  herkunft  und  Wanderung  der  Hilde - 
und  Herwigsage:  Dänemark  ist  die  eigentliche  heimat  der  Hildesage,  aber  die  Dänen 
können  doch  nicht  die  erfinder  gewesen  sein,  da  das  älteste  Zeugnis,  der  "Widsid, 
Hagen  als  könig  der  Holmrygen  kennt.  Diese  angäbe  weist  zu  den  Ostgermanen,  zu 
den  Rugiern.  Von  diesen,  die  schon  im  4.  Jahrhundert  von  den  Ostseegegenden  aus- 
wanderten, gelangte  sie  über  die  Angeln  zu  den  Nordgermaneu,  in  Deutschland  über- 
nahmen sie  am  frühesten  die  salischen  Franken,  und  zwar  von  den  am  untern  Rhein 
ansässigen  Angeln  (der  name  Chedinus  bei  Gregor  von  Tours  kommt  aber  für  die  Zeit- 
bestimmung nicht  in  betracht,  da  er  nicht  der  sage  zu  entstammen  braucht,  indem 
Hedenulf  bei  den  Franken  ein  nicht  ganz  ungeläufiger  personenname  war).  —  Die 
Herwig  -  Herbortsage  stammt  von  den  Franken. 

Endlich  sucht  der  Verfasser  auch  zu  dem  Ursprung  des  Gold  euer  mär  che  ns 
vorzudringen  und  vermutet,  dass  es  von  den  Römern  aus  zu  den  Ostgermanen  ge- 
langte, denn  es  stimmt  in  mehreren  zügen  mit  der  im  3.  Jahrhundert  nach  Christus 
in  Italien  entstandenen  Historia  Apollonii  überein.  Ich  möchte  hier  anschliessend 
jenen  märchenstoff  zusamt  dem  des  ApoUonius  noch  weiter  verfolgen.  Wer  auf  dem 
gebiete  der  klassischen  litteratur  einer  schiffererzähluug  nachgeht,  der  wird  natur- 
gcmäss  zuerst  bei  der  Odyssee  auflagen.  Und  in  der  tat  sind  schon  in  der  erzählung 
von  Odysseus  und  Nausikaa  mehrere  grundzüge  des  Goldenermärchens  enthalten. 
Odysseus  kommt  als  schiff  brüchiger,  als  bettler  an  den  fremden  königshof ;  sein  schutz- 
geist,  Athene,  verleiht  ihm  eine  herrliche  gestalt  und  vor  allem 
Od.  VI,  230  xcc^  dt  y.ii()i]Tog 

ovXag  TjXi  y.6[XKg,   vetxiv&i'vq)  ävd^si  öfxoi'ag. 

(bg  d"  oit  Tig  /Qvaov  7Te()i./£ViTcu  agyvQb)  ävrjQ 


ÜBER    PANZER.    HILDE- GUDRUN  525 

i&Qcg,  ov  "JI(f«taTOg  StSatv  xal   FltiXkag  'yiO^ijvr] 
rfyvi]v  TiavToujv,  ^«oievra  (f^  f?}'«  reif i ff 
wf  ÜQK   T(i)  y.mtx^vt  yÜQiv  xetpcdrj  rf  xcu  ä/xoig^. 
Also  schon  Odysseus  ist  ein  Goldener  und  in  dieser  strahlenden  Schönheit  gewinnt  er 
die  neigiing  der  königstochtor,   er,  der  ihr  vorher  hässlich  geschienen  (v.  242);  auch 
die  tapferkeitsprobe  —  der  wcttkanipf  —  fehlt   nicht    noch  die  macht  des  gesanges. 
Durchaus  auf  der  orzähluug  von  Nausikaa  beruht  die  episode  von  Apollonius  aufenthalt 
beim  könig  Archistrates.    Darauf  hat  schon  Rerger,  Orendel  s.  XCI  hingewiesen,  doch 
lassen  sich  die  bis  in  einzelheiten  übereinstimmenden  züge  erheblich  vermehren. 

Zum  schluss  beantwortet  der  Verfasser  die  frage  (s.  445):  „Was  hat  nun  dieser 
dichter  aus  der  Überlieferung  gemacht,  bzw.  was  war  ihm  überhaupt  über- 
liefert und  wieviel  wird  in  seinem  werke  erst  seiner  erfindung  verdankt?"  damit: 
der  eigentliche  kera  des  gedichtes,  die  geschichte  Iletels  und  Herwigs,  ruht  auf  alter 
überheferung,  die  geschichte  Gudruns  aber  ist  eine  rein  persönliche  erfindung  des 
Gudrundichters.  Diese  mag  er  wol  in  der  alten  Überlieferung  nicht  vorgefunden 
haben,  immerhin  aber  möchte  ich  wenigstens  erinnern  an  die  ähnlichkeit,  die  das 
Schicksal  der  Gudrun  mit  dem  der  Aslaug  in  der  Ragoars  saga  loSbrökar  hat:  Aslaug 
wächst  auf  bei  einem  bauern  und  seiner  frau,  die  ihren  pflegevater  erschlagen  haben. 
Das  weih  ist  auch  hier  die  anstifterin  der  Übeltaten,  die  königstochter  muss  die 
niedrigste  arbeit  verrichten,  in  schlechter  kleidung  (Gudr.  1024,  2  deheiniu  guote 
Meicler  tragen  sie  enliex,  Gerlint  diu  übele)^  sie  muss  am  strande  vieh  hüten;  die 
leute  Raguars  finden  sie,  sie  geht  nicht  mit  ihnen,  sondern  wartet  des  folgenden 
tages,  auch  nicht  sofort  mit  Ragnar,  sondern  kehrt  zuerst  in  ihre  armut  zurück;  sie 
weist  das  ihr  von  Ragnar  angebotene  goldbesäumte  hemd  zurück  (Gudrun  1232 fg.); 
zu  königlichen  ehren  berufen  erweist  sie  sich  edelmütig  gegen  ihre  peinigor;  in  die 
ehe  eingetreten  verlangt  sie  von  Ragnar  ein  jähr  keuschheitsfrist  (ähnl.  Gudrun  666 fg., 
dazu  Panzer  s.  243,  341). 

Aber  auch  die  edeln  charakterzüge  Hartmuots  können  wir  in  einer  gestalt  einer 
nordischen  sage  widererkennen.  Dieselbe  rücksichtsvolle,  zarte  liebe  zu  dem  wider- 
strebenden mädchen  bildet  die  ethische  grundlage  in  der  gesinnung  des  Otharus  gegen 
Syritha  (Oder  und  Sigrid,  Saxo  ed.  Holder  VII,  225 fgg.).  Fortgesetzt  entzieht  sie 
sich  seinen  Werbungen  und  er,  obgleich  sie  in  seiner  macht  ist,  sucht  ihre  Starrheit 
doch  nur  durch  freundliche  bitten  zu  brechen.  Dabei  ist  die  äussere  läge  der  Jung- 
frau jener  der  Gudrun  nicht  unähnlich:  sie  ist  in  der  gewalt  einer  bösen  waldfrau, 
welche  sie  zu  niedern  diensten  zwingt  (schafe  hüten).  Aus  diesem  elend  will  sie 
Otharus  befreien,  wenn  sie  ihn  zum  mann  nimmt.  Später  in  das  haus  des  Otharus 
gekommen,  wird  sie  von  dessen  mutter  liebreich  behandelt:  die  rolle  der  bösen 
gebieterin  ist  eben  schon  an  das  waldweib  vergeben. 

Einen  Wesensunterschied  zwischen  der  Hilde-  und  der  Gudrungeschichte 
möchte  ich  noch  berühren,  der  mit  der  Scheidung  von  Überlieferung  einer-  und  neu- 
schöpfung  des  dichters  andrerseits  zusammenhängt.  Die  Hildedarstelluug  ist  schon 
durch  spielmannshände  gegangen  oder  wenigstens  im  spielmannston  gehalten,  in  der 
Herwig- Gudrunerzählung  dagegen  hat  der  dichter  die  ihm  überlieferten  äusseren  daten 
aus  seiner  eigenen  künstlerischen  anschauung  heraus  in  die  poetische  gestalt  gebracht, 
die  das  mittelhochdeutsche  gedieht  bietet.    Die  Hildeerzählung  ist  im  spielmannston  ge- 

1)  Indem  Virgil  diese  verse  auf  seinen  beiden  übertrug,  ist  sogar  Aenoas  zu 
einem  Goldener  geworden  (Aen.  1,588). 


526  EHBISMANN  ÜBER   PANZER,    HILDE -GUDRUN 

halten,  eine  leichte,  auch  leichtfertige  hehandlung  selbst  ernster  lebensfragen  geht 
durch.  Die  absieht  herrscht,  zu  unterhalten  und  zu  erheitern.  Sie  kommt  besonders 
durch  einzelne,  in  burlesker  spiel mannsmanier  gehaltene  scenen  zum  ausdruck,  auf 
das  innenleben  wird  bei  dieser  rein  äusserlichen  lebensauffassung  gar  nicht  einge- 
gangen. Immerhin  geht  die  individualisierung  der  gestalten  auch  hier  weit  über  das 
gewöhnliche  spielmaunsmass  hinaus,  und  darin  mag  man  die  retuschierende  band  des 
dichters  erkennen.  Im  gegensatz  dazu  ist  die  Gudrunerzählung  ganz  durchgeistigt 
und  der  Schwerpunkt  der  erlebuisse  (wenigstens  bei  einigen  Charakteren)  ins  innere 
der  menschen  verlegt.  Eine  andere  anschauung  von  der  menschennatur  herrscht  hier, 
die  Personen  sind  unter  dem  gesichtspunkt  ihres  ethischen  wertes  aufgefasst,  sie  sind 
träger  sittlicher  ideen.  Der  dichter  will  hier  nicht  bloss  unterhalten,  sondern  er  will, 
wie  der  dichter  des  Nibelungenliedes,  ein  lebensbild  geben,  das  den  ausdruck  bildet 
für  die  ideale  der  ritterlichen  gesellschaft  seiner  zeit  und  seiner  heimat.  Dazu  aber 
gehörte  nicht  nur  die  Schilderung  von  männertaten  und  kämpfen,  sondern,  ergriffen 
von  der  neuen  entdeckung  seiner  zeit,  der  psychologischen  ergründung  des  weiblichen 
gemütes,  lag  es  ihm  am  herzen,  die  Vorgänge  in  einer  leidenschaftlich  bewegten 
frauenseele  darzustellen.  Dazu  hatte  ihm  der  dichter  des  Nibelungenliedes  das  Vor- 
bild gegeben  in  Kriemhild,  und  wie  jener  das  wesen  seiner  heldin  auf  die  treue 
stellte,  die  treue  gegen  den  ermordeten  gatten,  so  stellte  er  in  den  mittelpunkt  der 
sittlichen  natur  seiner  lieblingsgestalt  die  treue  gegen  den  gatten  und  den  er- 
schlagenen vater. 

Man  könnte  die  Hildegeschichte  eine  novelle  nennen,  die  geschichte  der  Gudrun 
einen  roman,  jene  verfolgt  fabulistischen  zweck,  diese  psychologischen.  Die  Urheber 
nahmen  verschiedene  Stellung  zu  ihrem  stoffe,  der  spielmann  steht  ihm  ironisch  gegen- 
über, der  ritterliche  dichter  glaubt  an  seine  gestalten.  Das  sind  durchgehende  wesens- 
unterschiede ,  die  beiden  teile  können  demnach  nicht  unter  gleichen  bedingungen  con- 
cipiert  sein.  Da  nun  aber  das  mittelhochdeutsche  gedieht,  wie  P.  erwiesen  hat,  doch 
einen  dichter  voraussetzt,  so  liegt  die  annähme  nahe,.dass  dieser  für  die  geschichte 
der  Hilde  ein  fertiges  spielmannsepos  benutzte,  den  stoff  für  die  geschichte  der 
Gudrun  aber'  litterarisch  unverarbeitet  vorfand  oder  wenigstens  nicht  weithinein  zu- 
bereitet,  so   dass   er  ihn  frei  nach  seinem  künstlerischen  ermessen  ausbilden  konnte. 

Die  bedenken,  die  sich  im  laufe  der  prüfung  gegen  eine  reihe  von  Panzers 
Voraussetzungen  einstellen  mussten,  sind  m.  e.  zu  gewichtig,  als  dass  man  das  Schluss- 
ergebnis, wonach  die  Gudrun  aus  unserer  alten  heldensage  zu  streichen  wäre,  im 
vollen  umfange  annehmen  dürfte.  Der  wundersame  bau  ist  umwuchert  von  einem 
vielverschlungenen  einheimischen  und  exotischen  rankenwerk,  aber  wenn  wir  dieses 
durchdringen,  werden  wir  nicht  auf  ein  heiteres  märchen,  vom  Goldener  oder  Eisen- 
hans, stossen,  sondern  auf  die  herbe  sage  von  der  erringung  des  weibes  durch  raub 
und  kämpf. 

Im  vorhergehenden  habe  ich  einer  reihe  von  einzelheiteu  gegenüber  eine  ab- 
lehnende haltung  einnehmen  müssen.  Um  so  nachdrücklicher  möchte  ich  nun  her- 
vorheben, dass  in  diesen  capiteln  eine  fülle  trefflicher  erklärungen  und  überraschender, 
neuer  und  fruchtbarer  gesichtspunkte  enthalten  ist,  eingegeben  von  grossem  Scharf- 
sinn und  einer  ganz  hervorragenden  combinationsgabe.  Der  reichtum  an  ideen  ist 
in  diesem  buche  so  gross,  dass  alle  einwände  im  einzelnen  seinem  hohen  werte 
keinen  abtrag  tun  können.  Die  Gudrunforschung  nicht  nur,  sondern  die  forschungeu 
über  die  mittelhochdeutsche  heldendichtung  überhaupt  sind  damit  in  ein  neues  Stadium 
getreten.     Die  hier  geübte   methode  ist   vorbildlich  für  jede  künftige  arbeit  über  die 


TU.  A.  MEYER   ÜBER   GOLDSTEIN,   MENDELSSOHN  527 

quellengeschichte  eines  mhd.  volksepos.  Sie  beruht  auf  der  beobachtung  sämtlicher 
einzelner  erscbeinungen  unter  beiziebung  eines  möglichst  umfassenden  materials  von 
parallelen.  Die  einzelnen  motive  sind  typisch,  der  ganze  gedankenkreis  eines  mittel- 
hochdeutschen epos  ist  im  detail  bestimmt  und  gemeingut  der  dichter  von  profession. 
Ihre  arbeit  besteht  nicht  in  der  erfindung  des  Stoffes,  nicht  einmal  einzelner  stoff- 
teile, sondern  in  der  eigenartigen  Verwendung  der  motive  und  im  Innern  ausbau,  in 
der  causalen  Verknüpfung  der  bestandteile,  in  der  ausmalung  der  Charaktere,  in  der 
dem  ganzen  oder  einzelnen  scenen  verliehenen  Stimmung  usw. 

Nicht  nur  die  einzelnen  motive  sind  dem  dichter  schon  vorher  gegeben,  sondern 
vor  allem  auch  der  kern  der  erzählung.  Und  hier  sind  es  nur  wenige  typen ,  die  von 
den  Verfassern  immer  und  immer  wider  variiert  werden.  Der  liebesroman  wird  dabei 
fast  immer  in  die  form  einer  brautwerbung  (brautraub)  gekleidet,  so  schon  im  "Wal- 
tharius  und  Ruodlieb,  so  im  Nibelungenlied  (Sigfrid  und  Kriemhild,  Günther  und 
Brünhild,  Etzel  und  Kriemhild),  in  der  Gudrun  (Hilde  und  Gudrun),  Rother,  Ortnit, 
Hugdietrich,  Wolfdietrich  und  die  Heidenprinzessin.  Nach  dieser  Sachlage  ergibt  sich 
Panzers  anschauung  von  dem  entstehen  der  Gudrun  aus  einem  verbreiteten  urtypus 
principiell  als  notwendig.  Wenn  wir  auch  den  einzelfall,  den  er  als  ausgangs- 
punkt,  als  uitypus  aufstellt,  das  Goldenermärchen,  zurückweisen,  so  wird  doch  die 
lehre,  die  wir  aus  seiner  methode  ziehen,  massgebend  bleiben  für  unsere  auffassung  von 
dem  wesen  des  deutschen  volksepos.  Auf  eine  ganz  geringe  zahl  von  urtypen  geht  alles 
spielmannswerk  zurück  (und  dazu  gehören  auch  die  dichtuugen  unseres  'deutschen 
heldenbuchs',  soweit  sie  nicht  höfische  erzählungsstoffe  aufgenommen  haben).  Nur 
beim  Nibelungenlied  sind  andere,  gewaltigere  kräfte  an  der  arbeit  gewesen,  die  aus 
der  tiefe  der  Volksseele  aufgestiegen  sind. 

HEIDELBERG.  G.  EHBISMANN. 


Goldsteiii,  Ludwig',  dr.  i)hil.,  Moses  Mendelssohn  und  die  deutsche  ästhetik. 

[U.  a.  t. :  Teutonia,   Arbeiten   zur  germanischen   pbilologie  herausgegeben  von  dr. 

phil.  Wilhelm  Uhl,  ao.  prof.  an  der  Albertus -Universität.  3.  heft.]    Königsberg  i.  P., 

Gräfe  u.  ünzer  1904.  Vm,  240  s.  5  m. 
Der  Verfasser  findet  die  wertvolle  arbeit,  die  Mendelssohn  geleistet  hat,  nicht 
in  den  speculationen  desPhädon,  sondern  zumeist  auf  ästhetischem  gebiet,  und  so  hat 
er  sich  in  seiner  widergabe  der  Mendelssohnscben  gcdankenwelt  auf  die  ästhetik  be- 
schränkt. So  warm  seine  begeisterung  für  den  Berliner  pbilosopheu  ist,  so  überschätzt  er 
ihn  doch  keineswegs;  er  weiss ,  dass  Mendelssohn  kein  theoretiker  und  systematiker  ersten 
ranges,  sondern  nur  ein  mann  der  mannigfaltigen  anregungen  war,  aber  er  glaubt, 
dass  Mendelssohns  einfluss  nicht  genügend  beachtet  und  dass  seine  Stellungnahme  zu 
den  einzelnen  problemen  der  ästlietik  vielfach  falsch  beurteilt  wird;  wol  hat  Fr.  Brait- 
maier  in  seiner  Geschichte  der  poetischen  theorie  und  kritik  von  den  Discursen  der 
maier  bis  auf  Lessing  eine  ausführliche  analyse  der  ästhetischen  Schriften  Mendelssohns 
gegeben,  die  in  den  meisten  punkten  wirklich  erschöpfend  genannt  werden  darf;  trotz- 
dem hofft  der  verf.  neben  einigen  glücklichen  ergänzungen  und  correcturen  auch 
wirklich  neue  gesichtspunkte  für  die  beurteilung  der  frage  beizubringen,  welchen 
einfluss  Moses  auf  die  entwicklung  der  ästhetisclien  kritik  und  theorie  geübt  hat  (s.  6/7). 
Lnmerhin  mag  es  nach  diesem  geständnis  des  Verfassers  zweifelhaft  ei-scheinen, 
ob  ein  ausführliches  buch  von  240  enggedruckten  selten  über  Mendelssohns  ästhetik 


528  TH.  A.  MEYER  ÜBER  GOLDSTEIN,  MENDELSOHN 

bedürfnis  war  und  ob  Dicht  vielmehr  eine  abhandlung  genügt  hätte,  die  die  notwen- 
digen Verbesserungen  zu  Braitniaier  nachgetragen  hätte.  Nachdem  sich  der  verf.  aber 
für  eine  neue  ausführliche  darstellung  entschieden  hat,  muss  anerkannt  werden,  dass 
man  an  ihm  einen  zuverlässigen  und  erschöpfenden  führer  durch  die  nicht  gerade 
reiche  und  tiefe  ästhetische  gedankenweit  Mendelssohns  findet.  Mit  der  genauesten 
in  langjährigem  Studium  gefesteten  kenntnis  aller  litterarischen  äusserungen  Mendels- 
sohns verbindet  er  ein  sicheres  wolgeschultes  urteil  in  ästhetischen  dingen.  Die  klare 
Sachlichkeit  seiner  darstellung  und  die  glückliche  nüchternheit  in  der  beurteilung  seines 
helden  machen  sein  buch  zu  einer  sympathischen  lectüre.  Vor  allem  berührt  es  au- 
genehm, dass  Goldstein  —  redacteur  der  Hartungschen  zeitung  —  sich  vollständig 
freihält  von  einem  gespreizten  geistreichtun.  Goldstein  scheint  seinen  stil  an  Mendels- 
sohn selbst  gebildet  zu  haben;  sein  buch  ist  ein  ehrendes  zeugnis  für  den  fördernden 
einfluss,  den  Mendelssohns  gewissenhafter  erust  und  sein  ehrlicher  im  dienst  der  sache 
aufgehender  idealismus  noch  heute  auszuüben  vermag. 

Die  ästhetischen  probleme,  zu  denen  Mendelssohn  Stellung  genommen,  werden 
in  der  reihenfolge  behandelt,  in  der  sie  in  den  ästhetischen  Schriften  Mendelssohns 
auftauchen;  durch  sorgfältige  beiziehuug  der  kritiken  und  briefe  glückt  es  ihm,  manches 
schwankende  und  unsichere  festzustellen  und  missverständnisse  seiner  Vorgänger  in 
glücklicher  weise  zu  berichtigen.  Er  zeigt  im  gegensatz  zu  Braitmaier,  der  Mendels- 
sohn in  Gottscheds  ansichten  befangen  sein  lässt,  wie  Mendelssohn  in  der  frage,  ob 
genie  oder  regel  das  grosse  kunstwerk  schaffe,  zwar  die  regel  nicht  ausschliessen  will, 
aber  dem  genie  die  grandlegende  aufgäbe  im  entstehuugsprocess  des  kunstwerks  zu- 
gewiesen hat.  Der  nicht  vollständig  zum  ziel  gelangte  versuch  Mendelssohns,  die 
ästhetik  aus  den  banden  der  moral  zu  befreien,  den  übrigens  schon  Braitmaier  ge- 
würdigt, findet  eine  ausführliche  lehrreiche  behandlung,  doch  steht  u.  e.  Mendelssohn 
nicht  in  der  unmittelbaren  nähe  Schillers,  in  der  ihn  Goldstein  sieht,  auch  hätte 
Goldstein  eine  grössere  Unsicherheit  bei  Mendelssohn  einräumen  dürfen,  als  er  es 
tatsächlich  getan  hat.  Im  streit  Lessings  und  Winkelmanns  über  die  allegorie,  in 
dem  ihn  Braitmaier  auf  selten  Lessings  stehen  lässt,  weist  ihm  Goldstein  eine  ver- 
mittelnde Stellung  zu,  der  freilich  jegliche  schärfe  der  Unterscheidung  fehlt.  Mendels- 
sohns bemühungen,  als  der  erste  in  Deutschland  ein  System  der  künste  aufzustellen 
und  das  wesen  des  naiven  zu  ergründen,  werden  dargetan  und  in.  feiner  entgiltiger 
Untersuchung  die  genealogie  der  begriffe  reiz,  grazie  uud  anmut  bei  Mendelssohn  und 
seineu  beiden  nachfolgern  Lessing  und  Schiller  festgestellt.  Des  weiteren  wird  ihm 
(wider  gegen  Braitmaier)  das  verdienst  zugeschrieben,  zuerst  den  eigentlichen  Charakter 
der  ästhetischen  Illusion  als  'bewusster  täuschung'  erkannt  oder  wenigstens  geahnt 
zu  haben  und  in  der  behandlung  des  erhabenen  sich  über  die  enge  auffassung  Burkes, 
seines  englischen  vormanns,  zu  einer  anschauung  erhoben  zu  haben,  die  zu  Kant 
und  Schiller  hinüberführt.  Die  gewonnenen  ergebnisse  verwertet  Goldstein  in  feiner 
und  besonnener  Untersuchung,  um  die  einwirkungen  aufzuzeigen,  die  von  Mendelssohn 
auf  die  bedeutendsten  ästhetiker  seiner  zeit,  auf  Lessing  und  Herder,  auf  Kant  und 
Schiller  ausgegangen  sind. 

STUTTGART.  TH.  A.  MEYER. 


HINZ    VBER    TRAUTMANN,    FINN    UND    HILDEBRAND  529 

Bonner  beitrage  zur  anglistik,  herausgegeben  von  M.  Trautmaiiii.  Tieft  VII: 
Finn  und  Hildobrand.  Zwei  beitrage  zur  kenntuis  der  altgermanischen  helden- 
dichtung  von  Moritz  Trautiuaiiii.  Bonn,  P.  Hansteins  verlag  1903.  VIII,  131s. 
4,50  m. 

Im  ersten  teil  dos  vorliegenden  heftes  druckt  Tr.  zunächst  die  auf  Finn  bezüg- 
lichen texte,  die  einlage  im  Beowulf  und  das  bruchstück  vom  Überfall  in  Finusburg 
ab.  Er  benutzt  dazu  besonders  hergestellte,  der  Beowulf handschrift  möglichst  ähn- 
lich nachgebildete  typen  und  glaubt,  damit  einen  wichtigen  schritt  zur  erleichterung 
des  Verständnisses  der  Überlieferung  und  ihrer  Verderbnisse  getan  zu  haben.  Ich 
bedaure,  darin  keinen  fortschritt  sehen  zu  können.  Die  normalisierung  der  form,  die 
für  den  druck  notwendig  wird,  hat  eine  fast  ebenso  grosse  abweichung  von  dem 
mannigfach  wechselnden  aussehen  der  handschrift  /,ur  folge,  als  die  Verwendung 
unserer  gewöhnlichen  antiquatypen.  Einen  richtigen  begriff  von  der  handschriftlichen 
Überlieferung  kann  ja  doch  nur  die  photographische  nachbildung  geben;  die  beigäbe 
einiger  facsimiletafeln  würde  diesem  zweck  genügend  entsprechen.  Die  an  sich  ge- 
fälligen typen  Tr.s  haben  zweifellos  den  nachteil,  dass  sie  für  die  mehrzahl  der  be- 
nutzer  unbequemer  sind  als  gewöhnliche  antiquatypen,  ohne  doch  ihre  bestimmung 
wirklich  zu  erfüllen.  Es  ist  darum  kaum  zu  wünschen,  dass  Tr.s  vorgehen  nach- 
ahmuug  finde.  Aus  seiner  jüngst  erschienenen  Beowulfausgabo  ist  übrigens  zu  er- 
sehen, dass  er  selbst  seinen  plan,  auch  dieses  grössere  denkmal  mit  seinen  neuen 
' Stäben'  drucken  zu  lassen,  wider  aufgegeben  hat. 

Auf  den  abdruck  der  hsl.  texte  folgt  sodann  eine  eingehende  discussion  der 
Überlieferung  und  der  bisherigen  bemühungen  um  die  herstellungdes  tcxtes  mit  einer 
menge  eigener  besserungsvorschläge ,  die  schliesslich  in  einem  eigenen  text  mit  daneben 
stehender  deutscher  Übersetzung  zusammen gefasst  werden.  Zu  einigen  von  den  wich- 
tigeren dieser  vorschlage  mögen  die  folgenden  bemerkungen  gestattet  sein. 

Beow.  v.  1064  wollte  T.  früher  Healfdenes  in  Hröögwres  ändei'u;  jetzt  zieht 
er  diesen  verschlag  zurück  zugunsten  von  Healfdena.  Ileulfdcne  sei,  wie  sich  aus 
V.  1069  ergebe,  nichts  anderes  als  einer  der  vielen  namen,  welche  den  Dänen  bei- 
gelegt werden,  der  heretctsa  Healfdetia  sei  somit  Hrödgär.  Das  halte  ich  nicht  für 
möglich.  Dass  die  Dänen  mit  auszeichnenden  beiwörtcrn  oder  nach  der  geographischen 
läge  der  einzelnen  abteilungen  Hring-,  Gär-,  East-,  West-Dene  usw.  heissen,  ist 
ganz  in  der  Ordnung;  Healfdene  aber,  das  doch  mischlinge  bezeichnen  müsste,  hat 
für  die  reinen  Dänen  keinen  sinn  und  könnte  höchstens  von  einem  verwandten,  nicht 
rein  dänischen  stamme  gebraucht  werden,  nicht  aber  von  dem  volke  des  HröSgär. 
Tr.s  früherer  verschlag,  HröÖgäres  statt  Healfdenes  einzusetzen,  ist  daher  wol  vor- 
zuziehen. Die  verschreibung  wäre  nicht  unerklärlich,  da  wenige  Zeilen  weiter  oben 
HröÖgär  als  siinu  Ilcalfdenes  bezeichnet  war  und  andrerseits  das  äuge  des  abschrei- 
bers  leicht  auf  das  ludeÖ  Healfdenes  von  v.  1069  (so  die  meisten  herausgeber  gewiss 
richtig  statt  des  hsl.  Healfdenai)  abirren  konnte.  —  V.  1066 fgg.  verbessert  Tr.  fol- 
gendermassen : 

Fonne  heal-gutna  Hröjjgäres  seop, 

cefter  medo-bence  rncenan  scolde 

Finnes  gefcran,  Sä  hie  se  fcer  begeat. 

Da.ss  in  lieal-gamen  ein  fehler  steckt,  sclieint  auch  mir  gewiss  und  die  bedenken 
gegen  eaferum  v.  1068  teile  ich  ebenfalls;  aber  Tr.s  abhilfe  befriedigt  wonig.  geferan 
weicht  doch  einmal  von  der  Überlieferung  rocht  bedeutend  ab;  zweitens  glaube,  ich 
trotz  des  hinwcises  auf  Orendles   luiegu»!   nicht,    dass  Finnes  gejUran  heissen  kann 

ZKriSCHKlKT    V-    UKUT.SCHK    I'IIILOI-UUIK.        Ul).    XXX  Vll.  31 


530  BINZ 

Tinn  und  seine  gefährten',  was  für  den  Zusammenhang  unbedingt  erforderlich  wäre. 
In  eaferum,  sucht  man  allerdings  unwillkürlich  das  object  zu  mcenan.  Da  bietet  sich 
mit  leichter  änderung  earfeSu  dar:  in  healgamen  wird  dann  wohl  die  bezeichnung 
derer  stecken,  denen  der  sänger  von  den  nöten  des  Finn  vorsingt,  man  braucht  also 
einen  dativ,  somit  eher  healgunmm;  ich  möchte  deshalb  lieber  so  lesen: 

gid  oft  wrecen, 

Öonne  healgumum  Hrößgäres  scop 

cefter  niedobence  mäman  scolde 

Finnes  earfeßu  da  hine  se  f^r  begeat. 

Dann  braucht  die  einlage  noch  nicht  mit  v.  1069  zu  beginnen;  es  erscheint  natür- 
licher, 1069  fg.  als  einen  weiteren  bestandteil  des  mit  Sä  eingeleiteten  satzes  zu  neh- 
men und  die  not  des  Finn  mit  dem  fall  des  Hntef  in  Verbindung  zu  bringen. 

V.  1069  sollen  die  beiden  genetive  Healfdena  und  Scgldinga  von  hceled  ab- 
hängen imd  der  ganze  vers  soll  bedeuten:  'Hna?f,  der  held  der  Halbdänen,  der  Scyl- 
dinge'.  Was  es  mit  den  Halbdänen  als  synonym  der  Scyldinge  für  eine  bewandtnis 
habe,  ist  schon  gesagt  worden.  Hncef  Scyldinga  ist  aber  die  gewöhnliche  formel, 
wo  es  sich  darum  handelt,  die  uationalität  des  Hntef  auszudrücken,  der  damit  nicht 
als  zur  familie  der  Scyldinge  gehörig  hingestellt  werden  soll,  sondern  einfach  als  Däne 
bezeichnet  wird  (vgl.  auch  Sievers  Beitr.  29,  309).  —  V.  1083  fg.  will  Tr.  iinc  statt 
ivlg  lesen  und  in  gefeohtan  nicht  einen  Infinitiv,  sondern  den  dativ  eines  feminin. 
Substantivs  gcfeohte  sehen  und  übersetzen:  „der  kämpf  raffte  alle  mannen  Finns  hin 
ausser  einigen  wenigen ,  so  dass  er  auf  dem  schlachtfelde  die  wohnstätten  dem  Hengest 
mit  nichten  durch  gefecht  noch  die  traurigen  Überbleibsel  durch  kämpf  dem  degen 
des  fürsten  entreissen  konnte".  Das  bedenkliche  der  annähme  eines  femin.  gefeohte 
neben  dem  gewöhnlichen  neutrum  gefeoht  sieht  Tr.  selbst  ein,  er  setzt  sich  aber  zu 
leicht  darüber  hinweg  mit  der  Vermutung,  dass  Hnht  gefeohtan  ans  ivihte  feohtan.  \ev- 
dorben  sei.  Er  meint,  mit  seiner  besserung  ein  wahres  muster  epischen  Stiles  ge- 
schaffen zu  haben,  da  tvw  und  wealäfe,  feohtan  und  unge,  Hengeste  und  ßeodnes 
pegne  einander  entsprächen.  Meinem  gefühl  nach  verlangt  aber  der  epische  stil  eher 
eine  Variation  ('gespiel'  nennt  sie  Tr.)  zu  forpringan,  die  in  gefeohtan  als  Infinitiv 
vorhanden  wäre,  durch  Tr.  aber  beseitigt  wird.  Auch  wie  scheint  mir  als  object  des 
kampfes  nicht  ganz  geeignet.  Ich  ziehe  vor,  den  überlieferten  text  beizubehalten  bis 
auf  die  kleine  änderung  iviht  Hengeste  ivlge  gefeohtan.  Die  grosse  ähnlichkeit  der 
aufeinander  folgenden  zweiten  halbverse  im  bau  würde  allerdings  keinen  bedeutenden 
verskünstler  verraten,  in  einem  kürzenden  auszug,  dessen  fassung  auch  sonst  nicht 
immer  die  glücklichste  ist,  wäre  sie  aber  doch  wol  nicht  unmöglich. 

In  den  vv.  1086 fgg.  muss  sich  die  abhängige  rede,  die  den  Inhalt  des  Ver- 
trages widergibt,  nicht  nur  bis  v.  1088,  sondern  bis  v.  1094  erstrecken.  —  Die  Schwie- 
rigkeiten des  verses  1101  fg.  scheinen  mir  doch  in  gem^nden,  nicht  in  ^ea/t  zu  liegen. 
Mit  der  leichten  änderung  zu  gen/erde  (anglische  form  statt  geniyrde)  erhalten  wir 
auf  einmal  die  vermisste  Variation  zu  brieee  und  den  vom  Zusammenhang  verlangten 
sinn.  —  V.  1103  wird  am  leichtesten  geheilt  durch  weglassung  des  r  von  geßear- 
fod  >  gejjeafod,  gejxtfod.  —  Für  den  comparativ  frecran  im  sinne  von  'zu  dreist' 
V.  1104  wird  es  schwer  sein,  ein  analogen  aus  dem  englischen  beizubringen;  warum 
nicht  frecre?  —  V.  1107  sclieint  die  uotwendigkeit  der  änderung  von  äS  ^  äd  evi- 
dent (trotz  V.  Grionberger  Anglia  27,  331).  Die  deutung  von  v.  1107 *fg.  and  icge 
gold  ahcefen  of  ho  nie  wird  durch  Tr.s  Vermutungen  kaum  gefördert.  —  V.  1118  wird 
(judrinc  nach  arialogie  von  v.  3144  wudurec  äatäh  eher  zu  gud'rec  als  zu  guSreoc  zu 


ÜBER    TRAUTMANN,    FINN    UND    HILDKBRAND  531 

ändern  sein.  —  V.  1122  scheint  mir  Tr.  weiter  als  nötig  vom  überlieferten  Wortlaut 
abzuweichen;  mit  geringeren  änderungon  gäbe  wol  laöbite  liges  llc  eall  forsivealg 
einen  der  Sachlage  angemessenen  sinn.  —  V.  1 126  finde  ich  den  gedankea  an  die  ge- 
fallenen bei  der  rückkehr  von  der  totenfeier  nicht  unnatürlich;  Tr.s  frmndum  bi 
.  feolan  'sich  zu  den  freunden  zu  begeben'  statt  freondum  befeallcn  scheint  mir  syn- 
taktisch anfechtbar;  die  angeführten  parallelen  stimmen  nicht.  —  V.  Il28fg.  scheint 
mir  Tr.s  verstreunung  mid  Finne. j  [EÖe]l  einleuchtend :  bei  seiner  weiteren  conjectur 
unblinne  'unaufhörlich'  statt  unhlitme  ist  mir  die  art  der  Wortbildung  nicht  klar,  da 
wir  doch  ein  compositum  wie  ed- finde  nicht  als  Vorbild  für  ein  mit  un-  zusammen- 
gesetztes wort  gelten  lassen  können.  —  Die  bedenken,  die  sich  gegen  u-orodrädenne 
statt  woroldrcedenne  v.  1142  erheben,  sind  nicht  so  schwer  wie  diejenigen  gegen  Tr.s 
jetzigen  verschlag  icrää-rä'denne  'Unterstützung'. 

Im  bruchstück  vom  Überfall  in  Finnsburg  sind  v.  Ifg.  hornas  byrnaÖ 
nmfre  und  hleoßrode  da  metrisch  unmögliche  halbverse;  nätfre  hleoßrode  Sä  wäre 
metrisch  nicht  besser  und  sinnlos.  Tr.  vermutet  deshalb,  dass  ursprünglich  gar  nicht 
ncefre^  sondern  Hncef  Jm  hleoßrode  dagestanden  habe.  Dass  durch  seine  änderuug 
ein  zweiter  stab  in  die  halbzeile  hereinkomme,  könne  ihr  nur  zur  empfehlung  dienen. 
Dieser  verschlag  ist  bestechend.  Ist  er  richtig,  so  kann  auch  die  antwort  auf  die 
viel  umstrittene  frage  nach  der  einordnung  der  scene  des  Überfalls  in  die  Beow\ilf- 
eiulage  nicht  mehr  zweifelhaft  sein.  Das  fragment  muss  dann  ereignisse  betreffen, 
die  den  im  Beowulf  erzählten  vorausliegen.  Diese  aiiffassung  ist  schon  aus  anderen 
gründen  von  Bugge  u.  a.  vertreten  worden  und  hat  meines  erachtens  die  grösste 
Wahrscheinlichkeit  für  sich.  Auch  von  diesem  gesichtspunkte  aus  könnte  man  also 
Tr.  zustimmen.  Sein  bedenken  gegen  heapogeong  wird  man  ebenfalls  teilen  und  ein 
heapogeorn  vorziehen.  Dagegen  werden  kaum  viele  gefallen  finden  an  Tr.s  her- 
stellung  von  v.  5:  ae  her  forß  berap  fugelas  stvinsaß  =  'sondern  hier  bringen  vögel 
geschrei  hervor'.  Nicht  jeder  wird  .so  leicht  wie  Tr.  bereit  sein,  ein  Substantiv  sivinsaj) 
nach  dem  muster  von  huntoßj,  langop,  drohtoß  zu  erfinden  und  einem  forÖ  beran 
die  abgeblasste  bedeutung  'hervorbringen,  verursachen'  beizulegen.  —  V.  11  ist  das 
überlieferte  landa  sinnlos.  Die  grosse  ähnlichkeit  der  ganzen  stelle  mit  Exodus  v.  218 
bringt  Tr.  auf  den  glücklichen  gedanken,  dafür  hlencan  einzusetzen.  —  Den  zweifel- 
los unvollständigen  v.  13  da  äräs  mcenig  ergänzt  Tr.  so:  ffä  äräs  of  reste  rondwlgend 
ma-nig.  —  Tr.  bestreitet,  meines  erachtens  mit  recht,  dass  aus  dem  zusatz  sylf  zu 
Hengest  v.  18  gefolgert  werden  dürfe,  dass  Hongest  der  könig  sei,  von  dem  zu  anfang 
des  bruchstücks  die  rede  ist.  Hengest  muss  doch ,  da  ihm  nach  Hnaäfs  tode  die  füh- 
mng  zufällt,  von  vornherein  der  bedeutendste  gefolgsmann  gewesen  sein:  es  ist  daher 
nicht  verwunderlich,  wenn  er  durch  sylf  über  die  anderen  hervorgehoben  wird.  — 
Für  v.  19  nimmt  Tr.  eine  anregung  EttmüUers  wider  auf  und  ersetzt  styrode  durch 
styrde  =  'steuerte,  wehrte'.  Dazu  braucht  er  als  ergänzung  einen  dativ;  diesen 
bietet  einzig  ein  Gärulfe  statt  "des  überlieferten  Gärulf,  wodurch  zugleich  auch  der 
metrisch  mangelhafte  halbvers  auf  sein  richtiges  mass  gebracht  wird.  GüÖere  ist 
dann  natürlich  subject.  —  Für  das  im  anschluss  an  ByrhtnoS  v.  283  vorgeschlagene 
cellod  von  v.  30  bringt  Tr.  eine  neue  deutung:  es  soll  eine  südliche  form  (woher 
käme  diese?)  für  *cyllod  sein,  die  von  cyll  'sack,  lederschlauch'  abgeleitet  werden 
mü.sse,  also  =  'mit  leder  überzogen'.  Fraglich  bleibt  mir  aber,  ob  man  ein  solches 
fremdwort  dem  alten  poetischen  Wortschatz  zuschreiben  darf.  —  eordbüendra  v.  33 
soll  nicht  heissen  'der  menschen',  sondern  'der  bewohncr  des  landes'  =  der  Friesen, 
wie  Beow.  1155   eordcyning  den   könig  des   landes,   nandich   den   Fricseuköuig  Fiuu, 

34* 


532  BiNz 

bezeichne.  Kaum  glaublich.  Dieser  geuetiv  in  Verbindung  mit  dem  Superlativ  klingt 
ganz  formelhaft  und  dadurch  in  seiner  bedeutung  abgesch^yächt  =  'zu  allererst'; 
auch  die  beziehung  von  eord-  in  eoröcyning  auf  ein  bestimmtes  land  scheint  mir 
der  sonst  allein  nachweisbaren  weiteren  bedeutung  von  eorde  gegenüber  unstatthaft.  — 
Dass  der  in  v.  34  überlieferte  GuSläf  nicht,  mit  Hnaefs  mann  Oüdläf  identisch  sein 
kann,  ergibt  sich  aus  der  ganzen  Situation  mit  gewissheit.  Tr.s  abänderung  zu  QüSere 
wird  also,  wenn  man  an  zufällige  nameugleichheit  der  gegner  nicht  glauben  will,  die 
nächstliegende  sein.  —  Nimmt  man  Tr.s  besserung  von  v.  35  ^  hremvhläcra  [oder  eher 
hreoicUcra?]  hicearf  =  'schar  der  totenbleichen'  an,  so  wird  man  diesen  ersten 
halbvers  als  Variation  zu  gödra  fela  ansehen  und  darnach  einen  punkt  setzen  müssen. 
Tr.  verwirft  diesen  gedanken  und  zieht  den  ersten  halbvers  als  object  zu  wundrode, 
wie  er  statt  loandrode  lesen  will.  Diese  conjectur  scheint  mir  überflüssig.  —  Den 
sinnlos  überlieferten  v.  40  ne  ncbfre  sioä  noe  htvitne  medo  sei  forgyldan  hält  Tr.  für 
verdorben  aus  ne  näjfre  stvetne  medo  s.  /".,  indem  er  in  stvä  noe  bezw.  hwUne  zwei 
versuche  sieht,  ein  unleserlich  gewordenes  swetne  widerzugeben.  Das  ist  recht  ge- 
künstelt. Eine  andere,  wie  mir  scheint,  einfachere  und  der  Überlieferung  besser  gerecht 
werdende  lösung  möge  hier  ihren  platz  finden:  sica  noe  hivitne  ist  vermutlich  entstellt 
aus  hira  fnondrilitne  und  näfre  überflüssig  widerholt  aus  v.  38,  somit  der  ganze 
vers  ursprünglich  im  besten  anschluss  an  das  vorhergehende  und  ebensogut  zum  fol- 
genden passend:  ne  hira  mondrihtne  medo  sei  forgyldan. 

Mit  Tr.s  reconstruction  des  Inhalts  der  Finnsage  aus  bruchstück  und  einlage 
kann  ich  mich  im  grossen  und  ganzen  einverstanden  erklären.  Wie  schon  vorhin 
betont,  ist  die  aulTassung,  wonach  das  bruchstück  den  kämpf  darstelle,  in  dem 
Hnsef  schliesslich  fällt,  die  wahrscheinlichste  und  wird  durch  Tr.s  glückliche  con- 
jectur Hncßf  ßa  hleoßrode  fast  zur  gewisshoit.  In  einzelheiten  wären  aber  doch  ein- 
wendungen  zu  erheben.  Was  Hnasfs  reise  zu  seinem  Schwager  Finn  veranlasst,  wissen 
wir  nicht.  Tr.  meint,  er  sei  vielleicht  einer  heimtückischen  einladung  Finns  gefolgt. 
Dafür,  dass  der  einladung  verräterische  absiebten  zugrunde  lagen,  haben  wir  kaum 
einen  anhält.  Man  könnte  sich  sehr  wol  denken,  dass  der  ausbruch  des  Streites  unter 
ähnlichen  umständen  erfolgt  und  durch  ähnliche  gründe  veranlasst  gewesen  wäre,  wie 
in  der  geschichte  des  Ingeld  und  der  Freawaru.  Tr.  meint  ferner,  dass  Hn^ef  mit 
seinen  verwandten  nicht  im  eigentlichen  Friesland,  sondern  in  einem  ungenannten 
lande,  wo  Finn  einen  herrschersitz  hatte,  zusammengetroffen  sei.  Das  ist  doch  wenig 
wahrscheinlich.  Ein  Freswcel  sucht  man  in  Friesland  selbst;  auch  erwartet  man,  dass 
der  bruder  seine  Schwester  und  ihren  söhn  an  ihrem  gewöhnlichen  wohnsitz  besucht. 
Diese  natürlichste  anschauung  wird  wol  nur  wegen  Fryslond  geseon  von  v.  1126,  das 
in  der  tat  auf  den  ersten  blick  einen  gegensatz  zu  Finns  bürg  hereinzubringen  scheint, 
zurückgewiesen.  Aber  der  dichter  wollte  damit  vielleicht  nur  betonen,  dass  Hengest 
und  seine  mannen  nicht  in  die  heimat  zurückkehren,  sondern  kraft  des  Vertrags  mit 
Finn  in  dem  fremden  Friesland  bleiben,  wo  sie  doch  nach  dem  tode  des  Hnfef  nichts 
mehr  zu  suchen  haben;  die  wie,  die  sie  beziehen,  sind  wol  nur  dem  Schauplatz  der 
leichenverbrennung,  der  nicht  sehr  entfernt  gedacht  werden  muss,  gegenübergestellt. 
Was  Tr.  über  die  näheren  umstände  vermutet,  unter  denen  Hnief  und  sein  neffe 
fallen,  ist  reine  phantasie;  nur  soviel  wird  man  mit  ihm  aus  unsynguni  v.  1072 
schliessen  dürfen,  dass  Hildburhs  söhn  ohne  sein  verschulden  in  den  kämpf  hinein- 
gezogen wurde.  Nicht  besser  begründet  scheint  mir  die  annähme,  dass  Hengest  mit 
Hun  („wahrscheinlich  ist  dieser  ein  von  Finn  unterdrückter  fürst,  der  durch  das 
bündnis  mit  Hengest  verlorene  reclite  wider  zu  erlangen  hofft")  ein  bündnis  geschlossen 


ÜBER    TKAUTMANN,    FINN    UND    IIII.DKHRAND  533 

habe.  Tr.  hätte  freilich  auf  den  Hun,  der  Hetware  fürsten,  des  "WidsiS  hinweisen 
können;  aber  aus  dem  zusammenhange  folgt  notwendig,  dass  Hun  zu  der  ivorodr^den 
des  Hengest  gehört,  also  ein  Däne  ist.  Tr.  will  ja  allerdings  rvorodrchdenne  ersetzen 
durch  wraSrcBdenne;  aber  diese  änderung  ist  keine  Verbesserung. 

Über  den  zweiten  teil  von  Tr.s  schritt  darf  ich  mich  angesichts  der  schon 
erschienenen  besprecliuugen  desselben  im  Lit.  centralblatt,  in  der  beilage  zur  Allg. 
Zeitung  und  in  den  Engl.  Studien  kürzer  fassen.  Tr.  versucht  darin  den  nachweis, 
dass  das  Hildebrandslied  eine  schlechte  oder  schlecht  überlieferte  Übersetzung  aus 
dem  englischen  sei,  und  ist  sogar  imstande,  das  von  ihm  reconstruierte  original  an 
der  Seite  des  überlieferten,  von  ihm  'berichtigton'  textes  und  einer  nhd.  Übersetzung 
vorzulegen.  Über  die  tragweite  einer  solchen  entdeckung  für  die  deutsche  und  eng- 
lische litteratur-  und  sagengeschichte  brauche  ich  keine  werte  zu  verlieren.  Wenn 
gar  auch  Heliand  und  Muspilli,  wie  das  schlusswort  Tr.s  andeutet,  sich  als  Über- 
setzungen aus  dem  englischen  herausstellen  würden,  so  wären  ja  alle  unsere  bisher 
geltenden  Vorstellungen  über  altdeutsche  dichtung  über  den  häufen  geworfen.  Ganz 
überraschend  kommt  allerdings  demjenigen,  der  Koegels  argumente  für  den  nieder- 
deutschen Ursprung  des  Hildebrandsliedes  genauer  geprüft  hatte,  diese  Schlussfolgerung 
Tr.s  nicht.  Schon  Kauffmann  hatte  in  den  Philolog.  stud.  s.  127  darauf  aufmerksam 
gemacht,  dass  bei  objectiver  beurteilung  der  von  ihm  vorgebrachten  statistischen  tat- 
sachen  Koegel  consequenterweise  hätte  zu  dem  ergebnis  gelangen  müssen,  dass  ein 
Angelsachse  das  lied  verfasst  habe.  Indem  Tr.  sich  im  wesentlichen  derselben  mittel 
zu  seiner  beweisführung  bedient  wie  Koegel,  kommt  er  tatsächlich  zu  diesem  schluss. 
Während  aber  Koegel  bestrebt  war,  sich  mit  dem  überlieferten  texte  abzufinden, 
stellt  sich  Tr.  auf  den  Standpunkt,  dass  mit  einem  so  jämmerlich  zerriitteten  text 
„ohne  einen  mutigen  schnitt  ab  und  zu  nichts  zu  machen"  sei. 

Die  gründe,  die  ihn  zu  seiner  behauptung  bestimmen,  fasst  Tr.  in  folgende 
sechs  gruppen  zusammen: 

1.  Der  altdeutsche  Hildebrandstext  enthält  altenglischo  buchstaben :  f,  Ö,  t,  p, 
oder  altenglische  längenzeichen:  ccnon,  se,  er. 

2.  Der  Hildebrandstext  enthält  eine  anzahl  ae.  Wörter,  viel  mehr  als  Kauff- 
mann anerkennen  will. 

3.  Ganze  Wendungen  stimmen  mit  Wendungen  überein,  die  wir  aus  der  spräche 
ae.  dichter  kennen: 

fera/ies  frötöro,  fireo  in  folche,  Hadubrant  gimahalta,  beim  timcnlisan ,  folches 
at  ente,  inmtanc  bouga,  inan  wie  furnam,  banun  ni  gifasta,  bretön  mid  billiu, 
ibu  dir  din  eilen  taoc,  scarpen  scurim  usf. 

4.  Richtige  ahd.  verse,  wörtlich  ins  ae.  übersetzt,  ergeben  richtige  ae.  verse: 
Öat  sili  urhetfim  =  dad  hlc  öretian,  Tcnon  muotin  =  änan[?]metten,  Hiltibrant 
gimahalta  =  Hildebrand  geiruelde,  wer  sin  fater  tvüri  =  hicä  his  fceder  wtire, 
chind  in  ckunine  - rlehe  =  eild  in  cynerlce,   dat  sagetun  ml  =  Scet  scegdon  nie. 

5.  Fehlerhafte  althochdeutsche  verse  werden  bei  wörtlicher  Übersetzung  rich- 
tige altenglische: 

Hiltibrant  enti  HaÖnbrant  =  Hildebrand  and  Headubrand,  heiidös  tibar  ringä 
=  hfcleSas  ofer  /iringas,  her  toas  heröro  man  =  he  icces  härra  man,  enti  slnero 
degano  filu  =  and  his  Jjegna  fela,  uestar  iibar  wentil-slo  =  iccst  ofer  icendel-scK, 
reccheo  ni  wurti  =  tcreccea  ne  unirde. 

6.  Tilgt  man  unnötige  und  der  spräche  der  ao.  dichter  ungemässe  werte,  so 
entstehen  beim  übersetzen  tadellose  ae.  verse: 


534  BiNz 

f/arutun  se  iro  güÖ-hamun  =  gyredon  güd-haman, 
do  sie  tö  dero  hiltiu  rifun  =  ßä  hie  tö  hilde  ridon, 
spenis  fnih  mit  dmem  tüortun  =  spenes  mee  mid  wordum, 
icili  mih  dinu  spertc  icerpan  =  teilt  mee  [mid]  spere  iveorpan, 
bretön  mid  smu  hilliti  =  breotan  m^id  bille, 
ibu  du  dar  enie  reht  habes  ^^  gif  ßü  p7er  reht  hafas, 
der  sl  doli  nü  argösto  =  si  nü  eargosta, 
erdo  desero  brunnöno  =  oSde  byrnena. 
Dass  diese  gründe  nicht  alle  wirklich  brauchbar  sind,  darüber  täuscht  sich  Tr. 
keineswegs.  Er  hat  selbst  die  einwände,  die  sich  sofort  dagegen  aufdrängen,  kurz, 
aber  so  treffend  vorgebracht,  dass  wir  uns  der  pflicht,  sie  zu  widerholen,  enthoben 
fühlen  dürfen.  Es  ist  klar,  dass  nur  die  unter  2.  und  5.  bezw.  6.  aufgeführten  kri- 
terien  etwas  beweisen  könnten.  Kraus  hat  aber  in  der  Zs.  f.  öst.  gymn.  47,  317  fgg. 
die  bedeutung,  die  den  Schlüssen  aus  dem  wortvorrat  zukommt,  mit  solcher  metho- 
dischen schärfe  dargelegt,  dass  man  sich  nur  über  die  Zuversicht  wundern  kann,  mit 
der  Tr.  den  ahd.  gegen  den  ae.  wertschätz  abzugrenzen  sich  getraut.  Wichtiger  als 
die  Wörter  sind  solche  für  eine  bestimmte  mundart  charakteristische  formen,  die 
sich  nicht  ohne  Verletzung  des  Versbaues  beseitigen  Hessen:  in  unserem  falle  nament- 
lich suäsat  und  fateres,  die  für  die  as.-ae.  hypothese  recht  unbequem  sind.  Tr.  muss 
die  erste,  die  absolut  unengiisch  ist,  aus  dem  wege  räumen.  Aber  das  will  nicht' 
gelingen.  Man  höre,  was  er  darüber  zu  sagen  hat:  „Das  ae.  lied  muss  hier  die 
schwache  form  siccese  gehabt  haben,  schon  weil  die  starke  siväis  einen  unguten  vers 
gäbe.  Wie  nun  kann  es  gekommen  sein,  dass  wir  im  ahd.  texte  die  starke  form 
finden  anstatt  der  zu  erwartenden  schwachen  ?  Ich  glaube  folgendermassen :  der  Über- 
setzer wird  dem  urtexte  gemäss  die  schwache  form  suäsa  (vgl.  luttila  und  arbeo 
laosa)  gesetzt  haben.  Ein  abschreiber  aber  fügte,  getäuscht  durch  das  unmittelbar 
folgende  c  vor  chind  ein  c  an,  das  dann  später  t  ward;  er  kann  auch  unmittelbar  t 
für  c  geschrieben  haben  bei  der  ähnlichkeit  der  beiden  zeichen.  Dass  suäsat  im 
überlieferten  texte  am  ende  einer  zeile,  chind  am  anfange  der  folgenden  steht,  ist 
kein  genügender  grund  an  dieser  entstehung  der  form  zu  zweifeln;  denn  suasa  und 
chint  brauchen  nicht  von  aufang  an  in  verschiedenen  Zeilen  gestanden  zu  haben.  Das 
schwache  adjectiv  ist  hier  durchaus  am  platze:  'jetz  soll  mich  dies  mein  kind 
töten'.  Vgl.  mm  ßcet  swäse  bem'ii  GuSl.  1053.  Die  ahd.  werte  geben  ohne  weiteres 
den  guten  ae.  vers:  nü  sceal  mee  swäse  cild  (oder  bearn).^'-  Die  widerholung  einer 
behauptung  ersetzt  nicht  ihre  begründun g.  In  der  Verbindung  adjectiv  +  Substantiv 
ist  die  schwache  form  des  adjectivs  weder  im  deutschen  noch  im  englischen  regel 
und  speciell  für  swws  finde  ich  im  ae.  ausser  GuSl.  1053,  wo  der  bestimmte  artikel 
dabei  steht,  keine  einzige  schwache  form  belegt.  Die  für  das  ae.  vorauszusetzende 
form  swces  aber  würde  den  vers  zerstören.  Zur  Unterstützung  seines  ae.  genetivs 
fcederes  beruft  sich  Tr.  auf  Sat.  580,  wo  allein  gegenüber  sonst  in  der  poesie  regel- 
mässigem fceder  die  dreisilbige  form  belegt  ist;  sie  kann  natürlich  für  den  mindestens 
um  hundert  jähre  älteren  sprachzustand  des  supponierten  ae.  Hildebraudsliedes  gar 
nichts  beweisen. 

Den  unter  5.  genannten  gesichtspunkt  mit  erfolg  geltend  zu  machen,  hindert 
die  Unsicherheit  über  die  regeln  des  ahd.  allitterationsverses ,  die  bei  dem  spärlichen 
umfang  des  ahd.  materiales  sich  lange  nicht  so  genau  feststellen  lassen  wie  beim  ae. 
oder  as.  vers;  man  wird  also  gar  nicht  immer  einen  ahd.  vers  mit  bestimmtheit  für 
fehlerhaft  erklären  können,  ebensowenig  wird  es  dann  erlaubt  sein,   einem  verdacht 


ÜBK»    TRAUTMANN,    FINN    UND    IIILDKBHANI)  535 

zuliebe  an  dem  überlieferten  ahd.  Wortlaut  so  lange  herumzuänderu,  bis  ein  vermeint- 
lich richtiger  vers  herauskommt.  Jedesfalls  aber  dürfen  verso ,  die  nur  auf  conjectur  be- 
ruhen ,  nicht  als  sichere  grundlage  für  einen  beweis  dienen.  Es  ist  übrigens  noch 
fraglich,  ob  Tr.s  behauptung,  dass  bei  der  Übertragung  ins  ae.  correcte  verse  ent- 
stehen, in  allen  fällen  den  tatsachon  entspricht.  Wodurch  sich  z.  b.  der  vers  Tlilde- 
hrand  [richtig  ae.  Hildbrand.']  and  HeaSubrand  gegenüber  dem  ahd.  Hiltibrand  cnti 
Hadubrant  auszeichnen  soll,  ist  mir  nicht  klar;  ebensowenig  vermag  ich  an  hf/'le<1as 
ofer  hringas  einen  vorzug  gegenüber  dem  natürlich  auch  für  das  Hildebrandslied  vor- 
auszusetzenden helidös  tdmr  hritiga  zu  erkennen. 

Es  ist  vorhin  schon  angedeutet  worden,  dass  Tr.  nicht  zu  denen  gehört,  die 
es  für  die  pflicht  des  textkritikers  halten,  so  lange  bei  der  Überlieferung  zu  bleiben, 
als  sich  mit  derselben  ein  sinn  verbinden  lässt.  Es  ist  ja  nicht  zu  bezweifeln,  dass 
starrer  conservativismus  auch  auf  diesem  gebiet  vom  übel  ist;  einige  neuere  leistungen 
der  Beowulfkritik  zeugen  deutlich  genug  dafür.  Aber  die  reaction  dagegen  überschreitet 
bei  Ti".  das  zulässige  mass.  Ihm  gilt  die  überliefei'ung  nur  sehr  wenig;  sie  ist  für  ihn 
oft  nicht  viel  mehr  als  eine  anregung  zu  eigener  texterfind ung,  die  ganz  geistreich 
sein  mag,  aber  nicht  den  anspruch  erheben  darf,  das  gesuchte  original  zu  repräsen- 
tieren. Wo  es  ihm  passt,  nimmt  er  änderungen  vor,  die  von  dem  auf  uns  gekom- 
menen text  kaum  mehr  etwas  erkennen  lassen.  Ich  müsste  fast  seine  ganze  abhand- 
lung  ausschreiben ,  wenn  ich  dieses  urteil  begründen  wollte.  Ein  paar  der  schlagendsten 
beispiele  seines  Verfahrens  mögen  genügen. 

V.  16^  dea  erhina  wärun  hält  Tr.  für  verderbt.  Angesichts  des  misslingens 
der  bisherigen  deutungsversuche  wird  man  das  zugeben.  Statt  dass  er  nun  aber  eine 
lösung  suchte,  die  sich  mit  dem,  was  da  steht,  vereinen  lässt,  trägt  er  keih  bedenken, 
eine  auch  den  nächsten  vers  stark  in  mitleidenschaft  ziehende  correctur  zu  empfehlen. 
Er  drückt  sich  so  aus:  „Was  an  seiner  stelle  gestanden  haben  muss,  lehrt  ein  blick 
auf  V.  17  S  der  metrisch  ein  ungeheuer  ist:  in  dat  Hiltibrant  hfdti  vnn  fater  haben 
die  beiden  letzten  worte  keinen  räum;  und  ich  kann  sie  nur  für  einen  zusatz  halten, 
der  erst  gemacht  worden  ist,  nachdem  v.  16^  schon  zu  dea  erhina  u-arun  entstellt 
war.  Gewiss,  die  worte  ?}im  fater  sind  unentbehrlich;  aber  da  sie  in  v.  17'  nicht 
unterzubringen  sind,  werden  sie  in  v.  16*  gestanden  haben.  Ich  habe  keinen  zweifei, 
dass  der  Übersetzer  schrieb  dat  min  er -fater  und  dass  der  ae.  urtext  hatte: 
ealde  ond  fröde,  ßcet  mm  cer-fceder 

Hildebrand  hätte, 
'dass  mein  verstorbener  vater  Hildebrand  hiess'.  Das  wort  (7:r-fceder  steht  noch 
Beow.  2622  und  heisst  auch  dort  'der  verstorbene  vater'.  Dea  erhina  ivornn  und 
dat  mm  er  fater  sind  ja  in  den  schriftzügen  unähnlich  genug,  ab^r  doch  nicht  so 
unähnlich,  dass  die  hier  angenommene  Verderbnis  undenkbar  wäre:  er  ist  da;  und  die 
paare  tvarun  und  fater,  hina  und  min,  dea  und  dat  haben  jedes  gemeinsame  buch- 
staben." 

Die  bedenken  gegen  die  metrische  structui'  von  v.  17'  scheinen  sich  mir  nach 
dem  über  Tr.s  metrische  argumente  bemerkten  und  in  anbetracht  der  vielfach  wahr- 
nehmbaren Verderbnis  des  textes  zu  erledigen;  eine  berechtigung  zur  änderung  von 
V.  17*,  der  einen  ganz  passenden  Inhalt  hat,  ist  somit  kaum  vorhanden.  Wie  aber 
Tr.  seinen  Wortlaut  aus  der  Überlieferung  graphisch  ableiten  will,  verstehe  ich  nicht. 
Wäre  es  nicht  möglich,  ohne  so  tief  einschneidende  abweichungen  von  der  hs.  aus- 
zukommen? Wenn  man  bedenkt,  dass  spuren  eines  ags.  Schreibers  in  schrift  und 
wortformen  unleugbar  vorhanden  sind,  läge  es  doch  gewiss  näher,  die  Verderbnis  auf 


536  FKANCK 

tvarun  zu  beschränken  und  dieses  als  eine  bei  ags.  Schrift  leicht  erklärliche  Verlesung 
für  sä^«;^m  aufzufassen ,  alles  übrige  aber  unangetastet  zu  lassen,  Äma  natürlich  (unter 
ags.  einfluss?)  i\\x  ina,  somit  dea  er  hina  säivun  =  'die  ihn  früher  sahen'. 

Zu  dem  schwierigen  neo  dana  halt  v.  31 '  citiert  Tr.  Jellineks  äusserung  zu 
seinem  deutungsversuch  (Zs.  f.  d.  a.  37,  20fgg.):  , Allein  ich  trage  bedenken,  diese 
deutung  vorzuschlagen,  da  die  dabei  vorauszusetzende  bedeutung  von  neo  dana  halt 
in  der  poesie  sonst  nicht  zu  belegen  ist  und  der  vers  auch  durch  den  mangelnden 
Stabreim  anstoss  erregt."  Dann  fährt  Tr.  mit  verblüffender  Sicherheit  fort:  „Ei  da 
wollen  wir  doch  das  schöne  neo  dana  halt  kurz  und  gut  in  sicertu  ni  scalt  =  ae. 
siveorde  ne  scealt  ändern!"  Er  muss  dann  natürlich  auch  im  folgenden  vers  statt 
dinc  ni  gileitos  lesen  dinc  gileiton. 

So  macht  Tr.  aus  v.  51  dar  man  mih  eo  scerita  in  folc  sceotantero ,  da  dieser 
Wortlaut  unsinnig  sei,  kurzerhand  dar  nnnan  seilt  scertitun  sceotantero  fole  'wo 
meinen  schild  verhieben  die  scharen  der  krieger'.  Und  kategorisch  erklärt  er  zu 
niuse  de  motti  v.  60'^:  „A.uf  die  z.  t.  sehr  wunderlichen  versuche  diese  werte  zu 
erklären,  geh  ich  nicht  ein.  Für  mich  liegt  Verderbnis  vor  aus  ae.  nü  unc  gnd 
ämete  'jetz  (!)  messe  gott  uns  zu'.  Den  ersten  anlass  zur  'Verhunzung'  der  stelle 
werde  die  abkürzung  d  (=  deus)  für  god  gegeben  haben. 

Ich  brauche  mit  der  aufzählung  von  beispielen  nicht  fortzufahren.  Aber  eines 
muss  noch  erwähnt  werden :  Tr.  weiss  ganz  wol ,  dass  in  dem  überlieferten  texte 
Wörter  auftreten,  die  wir  nur  im  deutschen,  nicht  aber  im  englischen  kennen.  Sie 
sind  für  seine  these  etwas  unbequem  und  müssen  daher  beseitigt  werden.  Nach  den 
oben  gegebenen  proben  von  Tr.s  findigkeit  im  aufspüren  des  ursprünglichen  Wortlautes 
wird  niemand  überrascht  sein,  zu  sehen,  dass  Tr.  auch  diese  Schwierigkeiten  mitspie- 
lender leichtigkeit  aus  dem  wege  räumt,  indem  er  passende  (oder  auch  unpassende) 
englische  Wörter  an  stelle  der  deutseben  einsetzt.  Dass  aber  damit  die  gegenprobe 
geleistet,  der  beweis  für  den  ae.  Ursprung  des  Hildebrandsliedes  unwiderleglich  erbracht 
sei,  glaube  ich  so  wenig  als  alle  anderen  fachgenossen,-  die  bis  heute  ihre  meinung 
über  Tr.s  schrift  öffentlich  ausgesprochen  haben.  Zum  Schlüsse  muss  ich  mein  be- 
dauern darüber  ausdrücken,  dass  Tr.  so  viel  mühe  und  Scharfsinn  auf  die  lösung 
einer  aufgäbe  verwandt  hat,  die  auf  dem  von  ihm  eingeschlagenen  wege  nie  erreicht 
werden  kann. 

BASEL,    .JANUAR    1905.  GUSTAV    BINZ. 


P.  H.  van  Moerkerken  jr.,  De  Satire  in  de  Nedorlandsche  Kunst  der  Middel- 
eeuwen.  (Utrechter  doctordissertation).  Amsterdam,  van  Looy  1904.  VI,  243  s.  8". 

Der  Verfasser  dieser  kunstsinnigen  dissertation  will  „nur  eine  Übersicht  geben 
über  das,  was  an  satirischen  und  verwandten  Schöpfungen  der  litterarischen  und 
bildenden  kuust  des  mittelalters  in  den  Niederlanden  übrig  geblieben  ist,  in  der 
hoffnung  damit  zugleich  einen  kleinen  beitrag  zu  liefern  für  die  kenntnis  des  äusseren 
und  inneren  lebens  der  vorfahren." 

•  Gegenüber  einer  anwendung  des  wertes  Satire,  die  viele  dinge  unter  dem  namon 
zusammenfasst,  die  eigentlich  nichts  damit  zu  tun  haben,  oder  die  die  grenzen  allzu 
unbestimmt  lässt,  sucht  der  Verfasser  in  der  cinleitung  zu  einer  geschlosseneren  begriffs- 
bestimmung  zu  gelangen.  Wenn  wir  ihm  auf  dies  gebiet  folgen  wollen,  so  scheint 
sie  mir  trotzdem  noch  zu  weit.  Denn  einerseits  kann  man  wol  nicht  alles  Satire 
nennen,  was  die  menschlichen   fehler  der  lächerlichkeit  oder  Verachtung  preisgeben 


ÜßER    MOERKKRKKN,    RATIRE  537 

will.  Die  Schilderung  einer  fran,  die  aus  putz-  und  Vergnügungssucht  sich  ihrer 
pflichten  ledig  macht,  eines  priesters,  der  nach  weltlicher  macht  und  genüssen  strebt, 
oder  der  menschen,  die  über  den  kurzen  weltfreuden  die  ewigkeit  vei'gossen,  scheint 
mir,  wenn  sie  noch  so  warm  und  seelenvoll  ist  —  eigenschafteu  durch  die  v.  M.  die 
Satire  von  der  didaktik  scheiden  will  —  darum  allein  noch  nicht  satirisch  zu  sein.  Es 
muss  doch  wol  noch  ein  anderes  moment  hinzukommen,  der  künstlor  muss  durch 
witz,  durch  übertreibende  bilder  oder  durch  andere  geistreiche  und  treffende  ausdrucks- 
mittel  den  gegensatz  zwischen  ideal  und  Wirklichkeit  so  zu  gestalten  verstehen,  dass 
in  dem  beobachter  zugleich  auch  ein  gewisses  lustgefühl  hervorgerufen  wird.  Mit 
anderen  worteu,  er  muss  nicht  nur  das  gemüt  treffen,  sondern  auch  den  verstand  — 
den  witz  in  der  älteren  bedeutung  des  wertes  —  anregen.  In  diesem  sinne  habe  ich 
manches  in  dem  buch  gefunden,  was  ich  nicht  darin  gesucht  hätte. 

Anderseits  berücksichtigt  der  Verfasser  zwar  als  einen  bostandteil  der  satire 
auch  ihre  'aufbauende  arbeit',  „da  sie  die  äugen  für  das  schlechte  und  törichte  öffnet 
und  so  die  liebe  zum  guten  und  vernünftigen  erzeugt."  Mir  scheint  jedoch  die 
absichtlichkeit  dieses  momentes  stärker  betont  werden  zu  müssen.  Will  der  künstler 
wirklich  tadeln  und  bessern,  oder  will  er  bloss  belustigen?  Zum  mindesten  müsste 
man  zwischen  dem  menschen  und  dem  künstler  scheiden.  Die  tropfe  von  ehemännern, 
denen  wir  in  den  schwanken  hörner  aufsetzen  sehen,  die  Junker  von  Bleichenwang, 
die  Malvolios  und  Falstaffs  sollen  gewiss  keine  ideale  sein.  Aber  die  dichter  wollten 
die.se  exemplare  doch  gewiss  auch  nicht  aus  der  weit  schaffen,  noch  möchten  wir  sie 
uns  nehmen  lassen.  Ich  kann  keine  satire  in  ihnen  erblicken',  und  mir  will  eine  auf- 
fassuug  nicht  in  den  köpf,  die  den  mit  überlegener  Ironie  getränkten  humor  des 
Reinaert  mit  den  gedichten  eines  pathetischen  aber  humorlosen  moralischen  eiferers 
wie  Maerlant  unter  einen  hut  bringt.  Der  Reinaert  ist  im  laufe  der  zeit  zu  einer 
satirischen  dichtung  geworden.  Aber  gerade  der  umstand,  dass  man  sich  von  dieser 
späteren  aiiffassung  nicht  ganz  hat  losmachen  können,  steht  meiner  ansieht  nach  der 
gerechten  Würdigung  eines  so  wundervollen  Werkes  wie  es  der  alte  Reinaert  ist  im 
wege.  Auch  v.  M.,  obwol  er  sich  von  mancher  schiefen  auffassung  der  Vorgänger 
frei  hält  und  die  hauptsache,  dass  sich  darin  —  wie  Goethe  es  ausdrückt  —  ,,das 
menschengeschlecht  in  seiner  ungeheuchclten  tierheit  ganz  natürlich  vorträgt"  richtig 
erfasst,  wird  dem  dichter,  meine  ich,  immer  noch  nicht  völlig  gerecht.  Die  alten 
Isengrini-  und  Reinhardschwänke,  deren  höhepunkt  das  flämische  epos  aus  dem  13.  jh. 
bildet,  haben  m.  e.  keinen  didaktischen  oder  satirischen  charaktor  gehabt.  Neben  der 
vermenschlichung  der  tiere  an  sich,  der  Unbefangenheit,  mit  der  menschhche  und 
tierische  eigenschafteu  nebeneinander  walten,  der  unwiderstehlichen  komik  der  ereig- 
nisse  besteht  ihre  Wirkung  vor  allem  eben  in  der  freien  entfaltung  der  tierheit.  Die 
vermummung  gab  dem  leser  die  möglichkeit,  aus  der  Vorstellung  zu  flüchten,  als  ob 
er  menschen  seinesgleichen  oder  "gar  sich  selber  vor  sich  sehe,  anderseits  ermöglichte 
sie  es  dieser  dichtung,  die  auch  nur  eine  der  häufigen  reactionserscheinungen  gegen 
übertriebene  dichterische  ideali.sierung  ist,  die  niederen  triebe  auch  bei  königen  und 
hohen  baronen  in  einer  weise  walten  zu  lassen ,  wie  es  sonst  gai'  nicht  möglich  ge- 
wesen wäre.  Natüilich  waren  die  Verfasser  sich  der  ironie  gegen  die  menschen,  die 
von  gleichen  trieben  geleitet  werden    und  ihre  gemeinheiten  in  ihien  eignen  äugen 

1)  Wenn  mich  stücke  wie  Kleists  Zerbrochener  krug  oder  Hauptmanns  Bieber- 
pelz  oder  ein  Charakter  wie  Wagners  Beckmesser  peinlich  berühren,  so  schreibe  ich 
das  eben  dem  umstände  zu,  dass  die  grenzlinio  zwischen  dem,  was  gegenständ  bpiegeln- 
den  humoi"s  oder  .strafender  satire  sein  sollte,  nicht  inne  gehalten  ist. 


538  FRANCK 

sogar  zu  tugeuden  zu  gestalten  wissen,  voll  bewusst.  Das  hat  sie  aber  nicht  im 
mindesten  abgehalten,  ihr  bestes  zu  tun,  um  unsere  volle  Sympathie  für  den  zu  er- 
wecken, der  nicht  weniger  schlecht  ist  als  die  übrige  gesellschaft,  nur  mehr  witz 
besitzt  and  nicht  so  weit  von  der  Selbsterkenntnis  wie  sie  entfernt  ist.  "Weil  diese 
Vorzüge  so  kräftig  und  vorzüglich  ausgebildet  waren,  und  alle  zeiten  sie,  wenn  auch  un- 
bewusst,  lebhaft  empfanden,  hat  sie  die  didaktische  und  satirische  auffassung,  die  sich 
später  des  Stoffes  bemächtigte,  nicht  zugrunde  zu  richten  vermocht.  Auch  die  nach- 
folger  haben  zum  teil  noch  ganz  im  sinne  des  alten  tierschwankes  erzählt  und  weiter 
erfunden,  und  v.  M.  geht  wol  fehl,  wenn  er  (s.  5f)  aus  der  geschichte  von  der  teiiuug 
der  beute,  bei  der  Reinaert  schlau  genug  ist,  sich  durch  Isengrims  blutige  erfahrung 
belehren  zu  lassen  und  zugleich  die  gelegenheit  benutzt,  sich  lieb  kind  zu  machen, 
auch  zu  viel  von  Standessatire  und  dergleichen  herauslesen  will.  Manchmal  verrät 
übrigens  der  Verfasser,  dass  er  selber  dinge,  die  er  bespricht,  als  nur  in  losem  Zu- 
sammenhang mit  seinem  Stoffe  stehend  betrachtet,  und  bei  einer  grösseren  anzahl  von 
beispieleu  der  tierornamentik  und  anderer  figuren  in  stein,  in  holz  und  in  miuiatureu 
stellt  er  die  verschiedenen  ansichteu,  ob  diese  dinge  satirisch  gemeint  seien  oder  nicht, 
nebeneinander  ohne  sich  zu  entscheiden.  Manches  ist  gewiss  nur  ausfluss  des  witzes 
oder  des  Schaffensdranges  ohne  irgendwelche  satirische  absieht.  "Wenn  in  einer  hand- 
schrift  des  14.  jhs.  ein  grosser  äffe  mit  einem  kleinen  auf  den  schultern  wirklich  den 
heil.  Christophorus  darstellen  soll,  so  halte  ich  es  für  ausgeschlossen,  dass  man  sich 
damals  etwas  derartiges  in  der  absieht  des  spottes  mit  so  heihgeu  dingen  erlaubt 
habe.  Die  handschriftenbilder  waren  übrigens  auch  gerade  keine  geeignete  stelle  für 
Satire.    "Wer  bekam  sie  denn  zu  gesiebt? 

Aber  schliesslich  ist  es  ja  sache  des  Verfassers,  wie  weit  er  sich  die  grenzen 
seines  gebietes  stecken  will.  Es  ist  eine  fülle  von  stoff  und  belesenheit,  die  v.  M.  au 
unseren  äugen  vorüber  ziehen  lässt.  Nach  der  einleitung  werden  die  didaktiker  Maer- 
lant,  dieser  hauptsächlich  in  seinen  strophischen  gedichten,  Boendale  und  Jan  de  "Weert 
behandelt.  Das  folgende  capitel  ist  den  fuchsdichtungen ,  Ysengrimus,  dem  älteren 
und  jüngeren  Reinaert  geweiht.  Für  das  lat.  werk  scheint  die  gehaltreiche  schrift 
von  Leon  "Willems,  Etudes  sur  l'Ysengrimus,  Gent  1895,  nicht  beachtet  zu  sein. 
Dann  folgen  lieder,  schwanke  und  Sprüche,  weiter  dramen  und  festspiele.  Ein  ferneres 
capitel  handelt  vom  teufel  und  jüngsten  gericht,  das  folgende  vom  tod  und  den  toten- 
tänzen.  Das  8.  betrifft  die  Satire  in  der  bildenden  kunst,  und  das  schlusscapitel  führt 
uns  den  'Rederyker'  Anthonis  de  Roovere  aus  Brügge,  Desiderius  Erasmus,  Anna 
Bijns  aus  Antwerpen,  die  fanatische  gegnerin  Luthers,  und  den  maier  Pieter  Brueghel 
(sprich  Brögel)  den  älteren,  den  Bauernbrueghel,  vor. 

V.  M.  versteht  es,  uns  in  vortrefflicher  darstellung  den  reichen  stoff  übersichtlich 
und  lebendig  vor  äugen  zu  bringen  und  die  art  und  weise,  wie  der  einzelne  künstler 
im  wort  oder  in  form  und  färben  die  verschiedenen  menschlichen  schwächen  und  laster 
behandelt,  zu  veranschaulichen.  Der  Zusammenhang  der  ideen  in  der  litterarischen 
und  bildenden  kunst  wird  lehrreich  hervorgehoben.  "Wer  zu  historischer  auffassung 
neigt,  wird  freilich  eine  Vertiefung  der  lebendigen  bilder  nach  der  Vergangenheit  hin 
sehr  vermissen.  Eine  eindringendere  historische  betrachtung  lehnt  der  Verfasser  an 
der  eingangs  angeführten  stelle  ab.  Aber  der  mangel  greift  doch  auch  in  das  ein, 
was  das  buch  zu  geben  beabsichtigt.  "Wir  erfahren  nichts  davon,  dass  z.  b.  Maerlant 
grossenteils  bloss  Übersetzer  ist,  dass  er  erzeugnisse  fremder  sprachen,  die  ihm  zeit- 
gemäss  dünken,  seinen  landsleuten  zugänglich  macht  und  dabei  auch  münze  weiter 
gibt,  die  viele  Jahrhunderte  vorher  geprägt  ist.    "Wo  sich  eine  derartige  abhängigkeit 


ÜBER    MOEKKERKRN,    SATIRR  539 

von  fremder  kunst  von  selbst  aufdiängt,  gelit  der  Verfasser  der  frage  nicht  weiter 
nach  oder  gar  aus  dem  wege.  Damit  verschiebt  sich  das  richtige  bild  von  den  künstlern 
und  von  den  zeitverliältnissen,  auf  die  aus  ihren  werken  geschlossen  wird.  Sie  haben 
vielleicht  fremde  Vorbilder,  die  unter  umständen  ihrer  eigenen  zeit  gar  nicht  einmal 
so  nahe  liegen,  mehr  oder  weniger  getreu  nachgeahmt,  allerdings  weil  die  Stoffe,  die 
sie  behandelten,  ihnen  zeitgemäss  schienen,  und  die  art  und  weise,  in  der  sie  es 
taten,  mode  war,  eine  mode,  die  rascher  oder  auch  laugsamer  zu  ihnen  gelangt  war. 
Gerade  bei  den  Stoffen,  die  unser  buch  behandelt,  könnte  an  sich  zwischen  vorbild 
und  nachalimung  recht  geraume  zeit  liegen,  weil  sie  Verhältnisse  betreffen,  die  zu 
allen  zelten  widerkehren:  es  hat  immer  untreue  frauen,  eigennützige  geistliche  usw. 
gegeben.  Wenn  aber  die  darstellung,  obwol  sie  gelegentlich  auf  den  internationalen 
Charakter  der  kulturverhältnisse  aufmerksam  macht,  doch  dem  uneingeweihten  die 
möglichkeit  des  eindrucks  lässt,  als  ob  die  niederländischen  künstler  des  13. — 16.  jhs. 
die  münzen  selber  und  auf  die  Verhältnisse  ihrer  zeit  und  ihres  landes  geprägt  hätten, 
so  gibt  sie  eben  kein  ganz  richtiges  bild.  Eine  grössere  philologische  gründlichkeit 
würde  sich  vielleicht  auch  nicht  begnügt  haben ,  auszüge  aus  texten,  die  zufällig  ohne 
modei'ne  iuterpunction  vorlagen,  in  diesem  zustand  weiter  zu  geben.  Man  hat  für 
ein  gutes  Verständnis  öfters  nicht  bloss  die  iuterpunction,  sondern  auch  den  Wortlaut 
zu  ändern. 

In  der  anmerkung  auf  s.  23  bekommen  wir  neuesten  herausgeber  von  Maerlants 
Strophischen  gedichten  eine  kleine  boshaftigkeit  zu  hören,  weil  wir  „auf  ziemlich  vage 
grände  hin  urteilen,  dass  'vielleicht'  besser  der  Korken  Klaghe  als  Van  den  Lande 
van  Overzee  für  Maerlants  schwanengesang  anzusehen  sei."  Nun,  die  vagen  gründe 
beruhen  einerseits  auf  eindringlichen  Untersuchungen  der  metrik,  de^  grades  der  Über- 
einstimmung zwischen  deni  natürlichen  und  dem  versrhythmus  und  anderer  intimer 
Stilistischerbesonderheiten,  Untersuchungen,  denen  ich  doch  mehr  beachtung  wünschen 
möchte,  als  sie  hier  gefunden  haben,  anderseits  auf  einer  gewissen  gedanklichen 
unausgeglichenheit  des  sonst  hoch  stehenden  und  ohne  zweifei  der  reifsten  lebenszeit 
angehörigen  ersteren  gedichtes.  Die  mehr  landläufige  ansieht  gründet  sich  auf  die 
tatsachen,  dass  das  andere  gedieht  nach  1291  fallen  muss,  Maerlant  in  den  90er 
Jahren  gestorben  ist,  und  einige  das  lied  für  das  schönste  des  dichters  halten.  Als 
sein  'schwanengesang'  aufgefasst  macht  es  in  einer  Schilderung  von  Maerlants  leben 
und  werken  darstellerisch  zweifellos  eine  besonders  gute  figur.  Unser  wörtchen  '  viel- 
leicht', das  v.M.  in  anführungszeichen  setzt,  soll  besagen,  dass  zwar  beide  lieder 
Maerlants  spätester  zeit  angeliören,  aber  die  bekannten  tatsachen  die  möglichkeit  nicht 
ausgeschlossen  sein  lassen,  dass  er  nach  ihnen  noch  etwas  anderes  gedichtet  habe. 
Ich  gestehe  gerne  zu,  dass  wir  mit  unserem  vorsichtigen  ausdruck  denen  gegenüber 
im  nachteil  sind,  die  einen  bestimmteren  ton  anzuschlagen  wissen  und  anzuschlagen 
für  gut  halten,  weil  das  publicun^  möglichst  abgerundete  und  bestimmte  urteile  liebt. 
Ich  denke  auch  nicht  gering  von  der  tätigkeit,  die  die  ergebnisse  der  Wissenschaft 
mit  geschick  zur  anregung  grösserer  kreise  verwertet  und  es  nicht  für  nötig  hält, 
dabei  alle  bedenken,  die  im  hintergrund  noch  geblieben  sind,  in  den  Vordergrund  zu 
rücken.  Aber  wir  sollen  doch  nicht  vergessen,  dass  es  daneben  auch  eine  Wissen- 
schaft gibt,  die  sich  verpflichtet  fühlt,  allen  sich  aufdj-ängenden  fragen  rede  und 
antwort  zu  stehen  und  keines  der  bedenken  hintan  zu  halten,  auch  auf  die  gefahr 
hin  dem  publicum  weniger  zu  behagen. 

Das  buch  ist  ganz  vorzüglich  ausgestattet  und  mit  einer  grösseren  auzahl  ver- 
anschaulichender Zeichnungen  versehen.     Nicht  weniger  als  30  thosen   sind   angefügt. 


540  R.  M.  MEYER   ÜBER   KIRCHEISEN,    LITT.  PORTRAIT 

die  die  fähigkeit  des  Verfassers  zu  einem  selbständigen  urteil  auf  den  verschiedenen 
gebieten  beweisen  sollen ,  in  denen  der  ,.doctorandus  in  de  nedeiiandsche  letteren"  be- 
schlagen sein  muss. 

BONN.  J.  FRANCK. 


Friedrich  M.  Kirchelsen ,  Die  geschichte  des  litterarischen  portraits.  Bd.  I. 
Leipzig,  Hiersemann  1904.    VIII,  170  s.     .5  m. 

Ein  interessanteres  thema  ist  nicht  leicht  zu  finden  als  die  geschichte  des 
litterarischeu  portraits.  Die  eutwicklung  der  kunst,  den  Charakter  gleichsam  in  festen 
umrissen  greifbar  hinzustellen,  ist  ja  für  die  technik  des  epos  oder  dramas,  der 
geschichtsschreibung,  der  psychologie  von  gleich  fundamentaler  bedeutung.  Freilich 
aber  musste  die  aufgäbe  etwas  weniger  leicht  genommen  werden,  als  es  in  dieser 
splendid  gedrackten  arbeit  geschehen  ist.  Ein  eiliges  ausstechen  von  portraitstellen 
aus  volksepik  und  Monum.  germ.  bist,  mit  oberflächlichen  Schlussfolgerungen  konnte 
natürlich  nicht  genügen.  Eine  bequeme  belesenheit,  die  sich  jeder  auswahl  in  der 
kritik  entschlägt,  vermag  für  das  übersehen  einer  grundlegenden  Studie  wie  der 
Seemüllers  in  den  Festgaben  für  Heinzel  ~  entlegenere  aber  wichtige  werke  wie 
Bernoullis  „Heilige  der  Merowinger"  wollen  wir  nicht  einmal  verlangen  —  dadurch 
nicht  zu  entschädigen,  dass  sie  Müllenhoffs  „ Geschichte  der  Nibelunge  not"  unter 
zwei  titeln  wie  zwei  verschiedene  wei-ke  citiert.  Die  Sicherheit,  mit  der  aus  den 
figurenbildern  des  Nibelungenlieds  Schlüsse  auf  seine  entstehuugszeit  gezogen  werden, 
kann  über  die  ergebnislosigkeit  der  Untersuchung  nicht  wegtäuschen,  durch  die  für 
eine  (s. 3 fg.)  vorausgeschickte,  an  sich  nicht  unwahrscheinliche,  skizze  der  entwickelung 
kaum  ein  wirklicher  fester  baustein  geliefert  wird. 

Dem  verf.  fehlt  es  durchaus  an  historischem  sinn.  In  die  „Heldenlieder" 
springt  er  „s«e/  inde  kuoni^'-  hinein,  ohne  sich  irgend  gefragt  zu  haben,  was  die 
Edda,  was  Heinzeis  Beschreibung  der  isländischen  saga  oder  meine  Altgermanische 
poesie  etwa  zu  der  beurteilung  ihrer  Charakterisierungskunst  an  die  band  geben.  Bei 
dei'  rein  äusserlichen  beurteilung  historischer  portraits  aus  verschiedenen  (aber  hierin 
wenig  verschiedenen)  epochen  fragt  er  sich  nie,  ob  nicht  das  verschiedene  mass  der 
merkbaren  eigenart  (Karl  der  grosse  gegenüber  einem  beliebigen  durchschnittsbischof !), 
ob  nicht  der  verschiedene  grad  der  bekanntschaft  mit  dem  original  (Einhard!),  ob 
nicht  vor  allem  der  jedesmalige  stil  der  darstellung  für  das  grössere  oder  geringere 
mass  individualisierender  Charakteristik  mit  verantwortlich  sei.  Ein  panegyrikus  stili- 
siert zu  allen  zeiten;  und  gewisse  artikel  der  ADB  sind  in  ihrer  furcht,  durch  allzu 
menschliche  züge  dem  „idealen  bild"  zu  schaden,  der  gefahr  ausgesetzt,  von  dem 
geschichtschreiber  des  Litterarischen  portraits  hinter  die  Vita  Karoli  zurückdatiert  zu 
werden. 

Es  ist  zu  hoffen,  dass  der  verf.  sich  selbst,  ehe  er  fortfährt,  von  den  Schwierig- 
keiten seines  schönen  themas  rechnung  zu  geben  lernt;  wir  werden  sonst  trotz  alles 
äusseren  lesefleisses  nichts  erhalten,  als  das  litterarische  selbstportrait  eines  wol- 
gemuten  dilettanten. 

BERLIN.  RIGUÄRD   M.  METER. 


VON    GRIKNBEROKR    ÜBKR    MKYKR  -  I.ÜBKK ,    ROMANISCHR    NAMKNSTDDIKN  541 

Wilhelm  Meyer-Lübke,  Roinanischo  uamonstudion.  I.  Die  altportugie- 
sischen Personennamen  germanischen  Ursprungs  [Sitzungsberichte  der 
kais.  akademie  der  wiss.  in  Wien,  philos.  histor.  klasse  bd.  149  abhandluug  2]. 
Wien,  Carl  Gerolds  söhn  1904.     102  s.     2,40  m. 

Bevor  noch  jemand  sich  der  mühe  unterzog,  aus  dem  mittelalterlichen  namen- 
material  der  pyrouäischen  halbinsol  die  noch  immer  schmerzlich  entbehrte  grammatik 
des  westgotischen  in  Spanien  herauszurechnen,  hat  M.-L.  seine  band  auf  einen  teil 
dieses  materials  gelegt  und  über  die  im  1.  bände  der  Portugaliae  monumenta  histarica, 
(liplomata  et  ckariae,  Olisipone  1867  f  enthalteneu  namenformen,  die  entsprechend 
den  datierungen  der  952  Urkunden  den  jähren  850  bis  1100  angehören,  eine  Unter- 
suchung veröffentlicht. 

Die  gewählte  bezeichnung  der  schritt  belehrt  von  vornherein  darüber,  dass  das 
Sprachmittel,  aus  dem  die  uamen  in  den  lateinischen  text  eingegangen  sind,  kein 
germanisches,  sondern  ein  romanisches  sei,  so  dass  wir,  das  scheint  ziemlich  klar, 
zu  einer  grammatik  des  westgotischon,  die  sich  dieses  sowie  vorwandten  materials  als 
grundlage  bediente,  erst  durch  die  vorhalle  der  grammatik  einer  bestimmten  gruppe 
westgotischer  lehnwörter  im  altpoitugiesischen,  beziehungsweise  altcastilischeu  zu  ge- 
langen vermögen. 

Für  die  Schätzung  des  ertrages,  den  das  Studium  der  im  romanischen  gebrauche 
fortgepflanzten  nameu  germanischen  Ursprunges  für  den  bezüglichen  germ.  dialekt  ab- 
werfen kann,  ist  die  arbeit  M. -L.s  von  grundsätzlicher  bedeutung,  und  ich  denke, 
sie  werde  in  hinsieht  auf  die  benutzung  derartigen  Sprachstoffes  für  grauimatiken  nicht 
überliefeiter  germ.  dialekte  oder  dialektepochen  klärend  und  einschränkend  wirken. 
Denn  nicht  nur  dort,  wo  die  nationalität  der  träger  von  namen  germanischer  abkunft 
gewechselt  hat  —  ein  Vorgang,  der  weit  in  die  römische  kaiserzeit  hinaufreicht  — , 
werden  wir  uns  auf  eine  strengere  kritische  Scheidung  des  ursprünglichen  und  des 
späteren  Sprachmittels  einzurichten  haben,  sondern  auch  dort,  wo  es  sich  innerhalb 
der  antiken  und  der  mittelalterlichen  geschichtlichen  Überlieferung  lateinisch  schrei- 
bender autoren  um  die  widergabe  von  namen  zweifellos  germanischer  persönlichkeiten 
handelt. 

Allerdings  die  ursprüngliche  germanische  oder,  um  auf  unsern  fall  zu  kommen, 
gotische  form  kann  ja  vollständig  unberührt  erhalten  sein;  ich  wüsste  nicht,  was 
man  an  formen  wie  Oiima  n.  28,  Ansila  n.  5,  Brandila  u.  20  auszusetzen  hätte, 
allein  so  schöne  und  selbst  orthographisch  einwandfreie  citate  des  got.  sprachgutes 
sind  nicht  die  regel;  lateinisch -romanische  Orthographie,  laut-  und  formersätze,  laut- 
entwicklungen  verändern  das  bild  der  vorläge  —  Aragunti  n.  7  z.  b.  erhält  eine 
fremde  dentalis,  ebenso  Trudüo  (uxor)  n.  102,  Argilo  n.  600  verliert  sein  anlau- 
tendes Ä,  Attüla  n.  19  erfährt  mechanische  gemination  des  l,  Guandila  n.  82  zeigt 
romanische  darstellung  des  germ.  w;  es  ergeben  sich  neben  den  gewöhnlichen  latini- 
sierten formen  auch  solche  von  c-omplicierter  geschichte  wie  Minixus  n.  13  auf  grund- 
lage eines  mit  roman.  -o  (-um)  confundierten  latein.  -o  (n- stamm)  als  ersatzbildung 
für  got.  -a  (7j-st;imm),  Eronius  test.  n.  68  neben  einfacherem  latein.  Ero  . . .  fest, 
n.  56,  vermittelt  durch  eine  romanische  form  aus  lat.  'Onem,  Froilonia  n.  232  zu 
Froiloni  nom.  n.  12,  Uistregia  fem.  n.  281  zu  dem  masc.  demin.  Visterga  u.  1;  neben 
den  geradlinigen  romanischen  entwickluugen  wie  ego  Balteiru  n.  268  finden  sich 
auch  Umbildungen  mit  neuen  suffixen  an  stelle  von  ehemals  selbständigen  Wörtern, 
die  den  anschein  von  suffixen  erhalten  haben,  wie  in  Toderago  n.  689  gegen  Teoderigo 
n.  102   l-acus  :-icus) .   odei'   in    \'laria<jti    n.  108   gegen   ego    Viarigo   n.  109   (-iacus 


542  VON    GRIENBKRGER 

:  -icus)  —  so  dass  sich  dem  i)mfendeii  äuge  der  dargebotene  stoff  in  eine  reihe 
spracbgeschichtlicher  Vorgänge  und  entwicklungsstufen  gliedert,  von  denen  jede  etwas 
lehrt,  aber  kaum  vorzugsweise  für  den  germ.  dialekt,  aus  dem  die  wörter  ihren 
Ursprung  haben ,  sondern  mehr  für  das  romanische ,  das  sich  ihrer  bemächtigte ,  und 
für  das  gleichzeitige  latein,  das  beides  in  seine  weiten  kreise  zieht. 

M. -L.  ordnet  seine  studio  in  drei  abteiluugen,  von  denen  die  erste  A  mit 
122  uummern  nach  dem  ersten  teile  der  composita,  die  zweite  B  mit  43  nummern 
nach  dem  zweiten  angelegt  ist,  die  dritte  C  endlich  einfache  namen,  deminutiva  und 
anderweitig  abgeleitete  gebilde  vorführt.  Vier  selten  Schlussbetrachtungen  stellen  das 
wesentlichste  der  vocalischen  und  consonantischen  Verhältnisse  des  bearbeiteten  Stoffes 
gegenüber  den  jeweiligen  got.  vorlagen  zusammen. 

So  reich  aber  diese  schritt  an  grammatischen  gedauken  ist  und  so  sehr  sie 
befruchtend  wirken  kann,  so  ist  sie  doch  weder  erschöpfend  noch  eine  solche,  deren 
belegstellen-  man  mit  voller  beruhigung  eitleren  dürfte.  M. -L.s  absieht  ist  die,  den 
namenschatz  gotischer  abkuuft  festzustellen,  der  romanische  auslaut  ist  ihm  von  ge- 
ringer Wichtigkeit;  er  bevorzugt,  wo  er  die  wähl  hat,  die  formen  mit  latein.  auslaut, 
wogegen  nichts  einzuwenden  wäre,  aber  er  latinisiert  auch,  was  sich  mit  philologischer 
genauigkeit  nicht  verträgt,  formen,  die  in  den  bezogenen  Urkunden  eben  in  romau. 
gestalt  auftreten;  die  urkundlichen  belege,  z.  h.  Astnialdu  n.  35,  Ermemirii  u.  3"), 
Oafildo  n.  906,  Gidenwndü  n.  91,  Soniarigii  n.  35,  Aiiomari  aiWe  drei  belege  mit  -«', 
Gitesinde  n.  8  erscheinen  bei  M.-L.  als  einheitliche  ?<s- formen,  nebenbei  noch  mit 
manchen  unconectheiten  der  widergabe,  wie  Avemariis,  Outumundus^  Soniorigus. 
Eine  weitere  anzahl  von  namen,  deren  sich  M.-L.  bedient,  ist,  insoweit  man  seinen 
citaten  nachgeht,  überhaupt  nur  aus  patrouymicis  oder  Ortsnamen  erschlossen,  wie 
Gidislus,  Lividus,  Rugemirus  aus  den  patronymischen  gebilden  Gidislix,  u.  692, 
Liuidiz  n.  671,  Rugeniirhi  n.  648,  oder  Logo-  richtiger  Logefredus,  Gumila  aus 
den  Ortsnamen  in  Logefrei  n.  755  und  in  GtimHaiws  n.  223,  de  G%imilaes  n.  407, 
und  wenn  auch  diese  rückschlüsse  im  wesentlichen  als  zutreffend  bezeichnet  werden 
können,  so  müsste  man  denn  doch  wünschen,  dass  sie  als  solche  von  den  wirklichen 
belegen  durch  ein  graphisches  hilfszeichen  geschieden  würden. 

Mitunter  ist  freilich  auch  der  rückschluss  verfehlt,  denn  aus  dem  patronymikou 
Prouesendix  n.  257  z  b.  folgt  allem  erwarten  nach  ein  masculiner  *Prouesendus  und 
nicht  das  femininum  M.-L.s  s.  26,  oder  aus  Daildo  n.  39  eher  der  in  der  gruppe  31 
ohnehin  verzeichnete,  zu  daga  gestellte  name  als  *Danildus.  Ausser  diesen  still- 
schweigend geübten  freiheiten  des  verf.,  die  dem  credit  seines  materials  abträglich 
sind,  erschüttern  denselben  in  höherem  masse  die  zahlreichen  Verlesungen  und  die 
nicht  vereinzelte  unverlässlichkeit  der  von  ihm  gegebenen  Urkundenzahlen.  So  sind 
die  citate  Legesinda  n.  885,  Fauldis  n.  910,  Belerigns  n.  48,  Frugendus  n.  43, 
Astcmlf  u.  31  und  39,  Gonfru  n.  452,  die  drei  belege  für  Rudmi-,  Rudmaricus 
n.  28,  26,  110,  Trastemirus  n.  13  einfach  zu  streichen,  da  die  bezüglichen  Urkunden 
vielmehr  dielesuugen  Segisinda^  Facildix,,  Beterigus^  Froigendo,  Ataulfus,  Adaulfix, 
Guntrode^  patron.  Rudurici,  Romarigus  und  Romarigu,  Tractemiri  gen.  gewähren. 
Andere  belege  sind  nicht  zu  finden:  Obturigiis  nicht  unter  461,  Seniorlgus  nicht 
unter  663  (das  patronym.  Seniorix  n.  386  kann  auf  Senior  n.  42  beruhen),  und  es 
steht  keineswegs  fest,  dass  sie  eben  unter  anderen  zahlen,  wie  Sugerius  unter  633 
statt  933,  zu  finden  seien,  denn  bei  dem  namen  Leoderius  z.  b.,  der  in  n.  591  fehlt 
ist  es  nicht  unmöglich,  dass  er  nur  eine  falsche  abschritt  oder  lesung  des  in  590 
stehenden  Leoderigu  sei. 


ÜBER    MEIKR-LÜBKE,    ROMANISCHE    NAMENSTÜDIEN  543 

Unter  diesen  umständen  konnte  ich  in  eine  besprechung  der  Schrift,  die  ja 
trotzdem  vermöge  der  gesichtspunkto,  die  sie  aufstellt,  von  unläugbarer  Wichtigkeit 
ist,  nicht  eingehen,  ohne  mir  zu  den  einzelnen  artikelu,  an  die  ich  bemerkungen  zu 
knüpfen  habe,  das  material  selbst  verschafft  zu  haben,  wobei  mir  der  wünsch  nahe 
trat,  es  möge  entweder  ein  dritter  oder  M.-L.  selbst  der  doch  nur  allgemein  orien- 
tierenden Studie  eine  wirkliche  bearbeituug  des  gesamten  in  unserer  Sammlung  nieder- 
gelegten germanisch -romanischen  sprachstoffes  folgen  lassen. 

Die  Verbindung  der  namen  der  ersten  gruppe  Atrauarius  n.  29,  Atraidfus 
n.  77  mit  ahd.  atar,  as.  adro,  ags.  oidre^  die  ich  teile,  empfängt  erst  volles  licht 
aus  der  verkehrten  Schreibung  Atriano  n.  56  gegen  Adrianu  n.  30,  Adriani  n.  5 
d.  h.  weil  lat.  patrcin  pg.  imdre  wird,  kann  gesprochenes  d  in  latinisierender  ortho- 
grajjhio  durch  t  dargestellt  werden. 

lu  der  zweiten  gruppe  beruhen  Eüleum  n.  24  (nominativ)  und  Eile?ma  n.  48 
sicher  auf  agila-,  Agesendo  n.  952  und  Eh-igu  n.  935  allerdings  wahrscheinlich  auf 
agja-,  doch  möchte  ich  die  got.  sippe  agis,  unagei,  usagjan  beiseite  lassen  und 
lieber  germ.  *agja-^  an.  egg  f.  'acies'  zugrunde  legen.  Den  ersten  teil  von  Agromiri 
n.  13  (genit.)  erweisen  auch  Agroinns  und  Agraldin^-  Piper  Libri  coufrat.  neben 
westfränk.  Agrisma. 

Bei  den  namen  der  vierten  gruppe  z.  b.  Euenando  n.  16  ist  mir  kein  anderes 
etymon  deutlich  als  das  von  got.  aihica-tundi^  as.  elm-skalkos. 

Der  einzige  beleg  zur  fünften  gruppe  albi-  findet  sich  nicht  in  n.  470.  Die 
vermutlich  hierhergehörige  form  Albura  masc.  n.  117  fehlt. 

Hinsichtlich  der  folgenden  gruppe,  beispiele  Ahiiundis  test.  n.  40  (fehlt  bei 
M.-L.),  Alatrudia  n.  57,  stimme  ich  dem  verf.  darin  bei,  dass  es  nicht  geboten  sei, 
für  das  element  al(a)-,  got.  in  alaparba^  auf  die  spätere  westfränk.  und  deutsche 
contraction  aal-,  äl-  aus  adal-,  Aalsendis  Cluuy,  Longuon  Pol.  Irm.  1,  277, 
Alfrid  neben  Adalfrit  Libr.  confr.,  die  der  von  chadal-,  nodal-,  madal-  zu  chal-, 
uol-,  mal-  parallel  geht  —  vgl.  ChaloJi,  Ulrich,  Malgox,  neben  Chadaloh,  Udalrich, 
Madalgox  Libr.  confr.  —  rücksicht.zu  nehmen,  aber  diese  contraction  überhaupt  zu 
bezweifeln,  war  nicht  am  platze. 

Dagegen  ist  der  name  Aliuergu  n.  142,  Aliaergo  cognomento  domna  bona 
n.  502  auszuscheiden  —  sein  erster  teil  wie  der  von  Aliuertus  n.  53  ist  sicherlich 
dissimiliertes  liari-  —  vgl.  ital.  albergo  'herberge'  —  und  bezüglich  der  namen  mit 
au-:  Ausindus  n.  26,  Ausinda  n.  623,  bei  denen  M.-L.  schwankt,  ob  sie  gleich 
npg.  souto,  apg.  sauto  n.  1,  lat.  saltus  vocalisiertes  l  besässen  oder  als  contraction 
aus  liadu-  zu  betrachten  seien,  muss  ich  bemerken,  dass  mir  weder  dieses  element 
noch  ala-  auch  nur  annähernd  so  wahrscheinlich  ist,  als  einfache  rf-syukopo  vor  s, 
wonach  dieselben  in  die  nächste  mit  aldi-  überschriebene  gruppe  gehören.  Bei  dieser 
aber  mit  den  weiteren  namen:  Auderigus  n.  470,  Menendo  Audinix  n.  220,  Hou- 
donius  ...  prineeps  n.  50  (die  letzteren  zwei  nicht  bei  M.-L.)  stimmt  die  position 
des  glaublichen  l  vor  consonant  (dentalis)  so  genau  zu  sauto  ^  dass  man  keinen  an- 
stand erheben  kann,  die  form  aude-  als  gelegentliche  vocalisiemng  neben  nicht  voca- 
lisiertem  Aldemir  n.  113  z.  b.  zu  verstehen. 

Aus  dem  patronymikon  in  Bertiario  Maloquiniei  ic  lest.  n.  90  (nicht  890) 
hat  M.-L.  einen  frauennamen  auf  -qino  geschlossen.  Nun  ist  es  allerdings  richtig, 
dass  die  Eldequina  n.  57  und  hiderquina  n.  84  —  dieselbe  persönlichkeit  Eiulerkina 
XX.  117  —  frauennamen  sind,  aber  für  -qino  sind  sie  nicht  beweiskräftig,  da  ry«  auch 
orthographische  darstellung  des  k  ist,  z.  b.  Iquila . .  .  test.  n.  117,  somit  -kina  blosse 


544  VON    GRIKNBEKGER 

suffixconibinatiou  seiu  kann,  deren  zweiter  teil  gar  nicht  got.  zu  sein  braucht.  So 
lange  man  nicht  beweist,  dass  Maloquiniei  metronymische  bildung  sei,  wird  man 
*Maloquinns  ansetzen  und  diesen  uamen  den  übrigen ,  und  zwar  am  ehesten  den 
roman.  Mms-formen  der  urkundensammluug  anreihen. 

Für  die  namen  com-,  gruppe  9,  concurHeren  ahd.  ano  'auus'  —  und  dazu  gewiss 
Anagast  Fstm.  ubch.  I-  —  sowie  das  adv.  a7ia-,  das  zugleich  gotisch  für  Anayüdus 
n.  13  am  sichersten  anzunehmen  ist.  Ein  verbuni  ^anagüdan  'attribuere'  führt  auf 
die  in  den  alten  personeunamen  so  mannigfach  variierte  Vorstellung  des  kiudes  als 
geschenk.  Die  deutsche  kurzform  Anno  muss  man  für  assimiliertes  Arno  halten, 
ebenso  wol  auch  die  got.  kurzform  Anna  Cassiod. ;  mit  der  vorliegenden  gruppe  a«a- 
war  sie  in  keinem  falle  zu  verbinden. 

In  Andiarius  n.  18,  A)ideiro  u.  1  liegt  wol  got.  andeis  ^rtlog,  äy.nov ,  TiSQag' 
mit  einem  sinne,  der  z.  b.  in  folches  at  ente  Hild.  oder  ags.  heri^es  on  6re  wider- 
kehrt, ob  aber  auch  in  Andulfo  n.  75  scheint  mir  unsicher.  Für  die  gr.  13  Aruomar 
n.  462  (fehlt  bei  M.-L.),  Ariialdus  n.  470,  Arayunti  n.  4,  Arulfus  n.  71  hat  der 
verf.  mit  vollem  rechte  got.  *arica-  allein  zugrunde  gelegt,  aber  den  namen  in  n.  16 
—  in  10  überhaupt  nichts  vei'gieichbares !  —  liest  der  text  Asagili^  nicht  Ära-. 
Asperigu  n.  14  ist  kein  pendant  zu  Ascarigus  n.  26,  wozu  übrigens  Asquiro  n.  359 
nachgetragen  werden  soll,  sondern  composition  mit  dem  demente,  das  sowol  in 
Asperulfo  Lib.  confr.  als  auch  als  selbständiger  name  Aspar  Jorianes  erscheint. 

Die  Variationen  Ataulf iis  n.  76,  Adaidfus  n.  32.  Adulfus  n.  53,  selbst  Aufo 
(sprich  Aüfo)  n.  511  als  ergebnisse  dissimilatorischen  Z-ausfalles  in  ajmla-  zu  ver- 
stehen, liegt  ja  nahe,  doch  das  element  apana-.^  in  Atanagildns  n.  13  z.  b.,  habe  ich 
vorlängst  und  meines  erachtens  sicherer  mit  got.  atajmi  zusammengestellt. 

Das  element  one-  (gr.  18):  Onegüdu  n.  653,  Honorigo  n.  21  ist  natürlich  mit 
ags.  ea?z-,  urnord.  run.  auna  (bracteat  von  Seeland)  identisch. 

Unsicher  ist  or-:  Orgildo  n.  592  —  kein  ovo-  daneben,  denn  n.  946  hat 
Orrgildo  —  der  vergleich  von  Auricus  bei  Jordanes  nicht  schlagend,  da  au-  wie  in 
Ausebia,  J^«fsemMS  Libri  confr.  gleich  eu-  sein  kann\  der  von  an.  AtcrvatidüP  eben- 
sowenig, da  es  möglich  ist,  dass  nord.  aur-  auch  hier  auf  abur-  (Noreen  An.  gramm. 
I^  §  227,2)  beruht.  Man  könnte  wol  eher  an  eine  entsprechung  zu  ags.  or  denken, 
dessen  vocal  vortonig  gekürzt  als  o,  nicht  «,  erscheint.  Völlig  überzeugend  ist  die 
zurückführung  der  gr.  21:  Astramiriis  n.  54,  Astrualdu  n.  35,  Astridfus  n.  20, 
Astorulfus  n.  81  auf  austra-.  wobei  übrigens  die  apoko[)e  Strulfo  n.  75  beweist, 
dass  die  vortonige  conti'action  im  romanischen  nicht  langen ,  sondern  kurzen  vocal 
hinterlässt.  Und  deshalb  ist  es  auch  ganz  unbedenklich,  die  Schreibung  mit  a  in 
unsern  Urkunden  gegenüber  älterem  Ostrulfus  der  Concilsacten  als  historische  folge, 
oder  allesfalls  auch  zu  verschiedenen  zeiten  schwankende  darstellung  eines  gesprochenen 
lautes  ä  aufzufassen,  wogegen  die  entwicklung  von  Astocia  n.  41  durch  ein  Stadium 
mit  anlautendem  o  aus  Etisiackia,  M.-L.  a.  a.  o.,  am  allerwenigsten  streitet. 

1)  Auf  diesen  lautwandel  begründet  M.-L.  s.  8  note  auch  die  apg.  formen 
Oseuio  n.  56,  623,  Olalia  n.  57,  ich  füge  noch  hinzu  Ogenia  n.  10,  207;  mit  un- 
recht, _  denn  die  mittelformen  zwischen  diesen  und  den  lateinischen  Enseuius  n.  663, 
Eulalia  n.  13:  Eolaliae  n.  17  (gen.)  und  Eogenia  n.  572  lehren,  dass  o  über  eo 
aus  eu  durch  verstummen  des  helleren  anlautes  entstanden  sei,  nicht  anders  wie  in 
vulgärlat.  erminomata  gegenüber  der  schulform  crmenenmata  der  Appendix  Probi 
(Arch.  f.  lat.  lexicographie  bd.  11). 

[2)  Diesen  von  Müllenhoff  nur  erschlossenen  namen  sollte  man  doch  aus  dem 
spiele  lassen.     Ked  J 


tJBER    MEYER -LÜBKE,    ROMANISCHE    NAMESSTÜDIKN  545 

Ortrefredus  n.  35  ist  mit  der  grappe  keinesfalls  zu  vereinigen,  der  name  ent- 
hält zweifellose  /-assimilation  zu  r  und  beruht  auf  *oltre-,  got.  *wulpri-. 

Ich  greife  auf  die  gr.  20,  ans-  nach  M.-L..  zurück.  Die  uamen  Osgildi  (lat. 
gen.)  n.  407  und  Osorio  ebenda  können  m.  e.  got.  us-  enthalten  und  zu  usgildan 
einerseits  und  einem  verbum  *usn-arjan  anderseits  gehören. 

Aber  Osoredo  n.  27  erfordert  allerdings  andere  bourteilung,  nur  dass  man  nach 
den  unten  zu  Oseuio  gegebenen  aufklärungen  nicht  gezwungen  ist,  eine  uubezeugte 
got.  grundform  *ausa-  anzusetzen,  sondern  mit  der  aus  iusixa  und  iusila  sich  tat- 
sächlich ergebenden  form  *iusa-  auskommen  kann,  die  im  apg.  ebenso  oso- 
werden  konnte,  wie  teode-  gelegentlich  zu  tode-,  todo-  wird.  Gehört  nun  dazu  auch 
Asoredi  (gen.)  n.  420,  so  wird  man  berechtigt  sein,  Asualdo  n.  952  derselben  gruppe 
anzuschliessen.  Die  etymologie  von  Oduarius  n.  19  scheint  klar.  Der  zweite  teil 
ist  ein  stm.  nomen  agentis  zu  got.  uarjan;  i<;- Schwund  zeigt  Odario  neben  Oduario 
in  n.  14.  Die  kurzform  in  n.  634  hat  prothetisches  h:  Huario^  aber  n.  619  bietet 
allerdings  Uario;  ihre  Zugehörigkeit  gerade  zu  dem  compos.  mit  od-  im  ersten  teile 
ist  natürlich  nicht  ausgemacht.  Der  n&mQ  Auomari  n.  79,  281,  Abomari  n.2b^  hat 
eine  parallele  in  wand.  Visumar  bei  Jord.,  abzüglich  der  pg.  nominativbildung  auf-*' 
vermutlich  aus  lat.  -em.  Genauer  ist  die  parallele  von  Vimara  masc.  n.  17  zu  got. 
Erpamara  gleichfalls  bei  Jordanes.  Der  zweite  teil  dieser  bildungen  ist  ohne  zweifel 
germ.  ?war/ia- 'ross',  M.-L.s  gleichung  von  auo-,  abo-  aus  *aue-,  das  ich  jedoch 
nicht  belegt  finde,  mit  got.  aivi-  ist  zwar  nicht  augenfällig,  aber  nach  Ildosindo 
n.  885  mit  secundärem  o  in  der  compositionsfuge  allerdings  möglich. 

Barualdo  n.  117  könnte  mit  Vermudus  n.  20  nur  unter  der  bedingung  in  eine 
gnippe  gehören,  dass  das  e  des  zweiten  namens  vortonige  erleichterung  aus  a'  sei,  wie 
etwa  in  Beilid  n.  880  gegen  Valid  n.  68,  Abul  Ualit  n.  95,  oder  1/rgesettda  n.  952 
gegen  ursprüngliches  Arge-  in  anderen  compositis.  Nicht  verzeichnet  ist  bei  M.-L.  der 
name  Uirlemimdo  n.35,  der  ein  secundäres  namencompositum  mit  *Birila  zu  sein  scheint, 
sowie  der  zweite  name  des  patronym.  systemes  Tanoy  Braolioiii .  . .  conßrmo  n.  17,  der 
sicher  germ.  ist  und  aus  got.  brahw '-{-  lat.  leo  als  got.  lehnwort  bestehen  kann. 

Die  namen  der  gr.  30  Bretenandus  n.  81  imd  Bretus  n.  10,  21  werden  durch 
Brechts  n.  223  (fehlt  bei  M.-L.)  als  metathesen  aus  bairhta-  erwiesen.  Ebenso  sind 
Daildu  n.  49  und  Damiro  n.  59  wand.  fem.  Dümirä  sichere  Synkopen  aus  daga- 
(vgl.  die  Synkope  in  Deiluo  M.-L.  s.  24),  der  zweite  name  deutschem  Taganiar  Libr. 
confr.  entsprechend,  nicht  überraschender  und  für  den  got.  dialekt  ebensoviel  oder 
wenig  beweisend  wie  Aufo  neben  Adaulfus.  Die  gleiche  Synkope  begegnet  übrigens 
auch  in  ahd.  tälanc. 

Der  erste  teil  von  Donadildi  n.  35  erinnert  sehr  an  Ouanadildi  n.  69,  ist 
aber  doch  ungleich  dem  zweiten  als  romanisch  Donado  test.  n.  47  zu  fassen,  guanad-, 
bei  M.-L.  gr.  110  als  walha-  missyerstanden,  als  frauenname  auch  in  Giianadi  {uomi- 
nativ)  n.  75  lebt  in  den  deutschen  namen  Vuanathere  Libri  confr.,  Wonadheri  Dronke 
u.  a.  bei  Fstm.  I*,  1635  fort  und  ist  mit  as.  ivonodsam,  tvunodsam  in  beziehuug 
zu  setzen.  Die  gr.  38  reducieii  sich  von  zwei  auf  einen  namen  Fagildus  n.  81, 
Fagildo  n.  14,  dessen  erster  teil  got.  faiva-  ist. 

Unter  gr.  42  erfahren  wir,  dass  u  correcte  galizische  Umgestaltung  aus  oi  sei, 
dass  also  die  Fruila  n.  46  und  Frugulfus  n.  18,  Frcgufa  test.  n.  935  neben  Fro- 
gulfu  presbiter  n.  54  sich  anstandslos  unter  frauja  fügen.  Da  aber  die  eiste  form 
auf  *fraujila  beruht  und  in  der  zweiten  das  j  als  g  geschrieben  noch  da  ist,  da 
ferner  die  hierhergehörigeu  Fraiulfo  n.  883  und  Fragulß  (gen.)  u.  4  kein  u  zeigen, 

ZKITSOHRIKT    F.    L1EUT.SCIIE    PHILOLOOIE.       BD.  XX.XVII.  35 


546  VON   GRIENBERGER 

wird  man  wol  besser  tun,  hier  nicht  von  einem  gelegentlichen  wandel  von  oi,  son- 
dern von  0  zu  u  zu  sprechen.  Frogetia  n.  57  ist  natürlich  gleich  der  Godegeua 
(uxor  sua)  n.  554  ein  frauenname  auf  giba,  dessen  sinn  der  in  derselben  n.  554 
stehende  frauenname  Doradea  beleuchtet.  ,  Dass  der  name  Fernandus  n.  521  nur 
metathese  aus  Frenandus  n.  50  und  dieses  silbische  Synkope  aus  Fredenando  n.  91  sei, 
wird  durch  die  Urkunde  n.  76  bewiesen,  die  für  ein  und  dieselbe  person  im  regestencodex 
Livro  de  D.  Mummadona  die  form  Fernandus ,  in  einer  abschrift  des  12.  jhs.  aber 
Fredenandus  gewährt.  Demnach  wird  es  mir,  auch  mit  rücksicht  auf  ags.  -ferS  aus 
-freS,  recht  wahrscheinlich,  dass  zum  mindesten  für  as.  Ferthesuth^  aber  vielleicht 
auch  für  langob.  Ferdulf  Paul.  Diac.  und  rüg.  Fcrderuchus  Eugipp.  kein  von  fripu- 
verschiedenes  element  behauptet  werden  dürfe. 

Aber  die  namen  Fradiulfus  n.  89,  Fradixillo  n.  655  (a:;  =  s),  Fradäa  n.  32 
sind  allerdings  auszuscheiden  und  auf  grund  von  got.  fraßi  '■vovg,  (fQÖvij/na'  zu 
erklären. 

Ftdderone  ist  kein  compos.  mit  runa^  wie  M. -L.  s.  75  glaubt,  überhaupt  kein 
frauenname,  sondern  nach  n.  25  de  suos  parentes  nominibus  suis  Ftdderone  et  Palma 
ein  mannsname,  der  lat.  als  *Fuldero  anzusetzen  wäre  und  zu  dem  bei  Otfrit  vor- 
kommenden nomen  fidter  (Graff  3,  517)  gehört. 

Von  Wichtigkeit  ist  der  unter  gr.  46  erbrachte  nachweis  der  rom.  entwicklung 
von  0  zu  c  in  vortoniger  silbe:  span.  hermoso  aus  lat.  formosus  auch  für  die  per- 
sonennamen.  der  uns  der  aufgäbe  entbindet,  für  Fremosindo  n.  570  neben  Fromo- 
sindo  n.  255,  Fromaricus  n.  88  ein  von  got.  fruma-  verschiedenes  etymon  zu  suchen. 
Dieser  Übergang,  zu  dem  man  npg.  redondo,  apg.  o.  n.  Redondela  n.  27  neben  satdo 
rodondo  n.  1,  sowie  pg.-lat.  previsores  n.  17  für  provisores  halte,  lehrt  zugleich 
das  Verhältnis  der  von  M. -L.  fälschlich  unter  fairhwu-  eingereihten  namen  Perui- 
senda  n.  91  und  Pronesendix  n.  257  als  ein  solches  von  doubletten  mit  einem  ele- 
niente  *proue-  verstehen,  dessen  Ursprung  wol  in  lat.  pröbus  und  zwar  möglicher- 
weise als  got.  lehnwort  *pruba-  gesucht  werden  muss.  Hierher  gehört  wol  auch 
der  häufige  name  Menendus^  den  ich  mit  lat.  Monendus  (irischer  bischof,  zum  21.  märz 
Stadler  heiligenlexicon)  gleichsetze. 

Der  name  Gafildo  n.  906  ist  mit  Gabuard  Fstm.  I-,  562  zusammenzuhalten, 
nur  dass  er  im  ersten  teile  nicht  eine  entsprechung  zu  ahd.  gdba  enthalten  kann, 
sondern  eine  kurzvocalische  ableitung  aus  giban  wie  got.  in  gabei^  gabeigs.  Unter 
gr.  48  sind  offenbar  zwei  stamme  gemischt,  von  denen  der  eine  domna  Oeolidra 
n.  621  die  grundlage  von  got.  jiuleis  zu  enthalten  scheint,  der  andere  Gilemirns 
aber  allerdings  vortoniges  i  durch  e  aus  germ.  ai  besitzen  kann,  wie  npg.  igual  aus 
lat.  aequalis^  nur  dass  man  in  diesem  falle  sich  mit  got.  *gaila-,  enthalten  im  vei'bum 
gailjan^  begnügen  wird,  ohne  ein  sonst  nicht  erweisbares  wort  mit  der  bedeutung 
'Speer'  aufzustellen.  Langobard.-fränk.  gaine-,  gain-  ist  contraction  aus  ^a^'iVw;  da 
agila-,  sonst  eil-,  in  Elleuua  n.  680  als  el-  auftritt,  ist  es  in  der  tat  möglich,  dass 
der  erste  teil  in  Gemdfo  n.  952  auf  demselben  elemente  gagina-  beruhe,  ebenso  der 
von  M.-L.  s.  86  als  *  Getto  erklärte  frauenname  Genlo  n.  619  u.  ö.  Zu  dem  unter 
gr:  51  erwähnten  langobard.  werte  gaida  könnte  wol  die  kurzform  Geda  u.  56  (M.-L. 
s.  86)  gestellt  werden  und  bei  dem  singulären  magister  Galaminis  n.  952  bin  ich 
versucht,  falls  nicht  doch  ^  ^  german.  ir  ist,  an  den  volks-  oder  auch  p.-n.  Gallus 
zu  denken. 

Die  gruppe  54  reduciert  sich  auf  einen  namen  Gosuldi  (gen.)  n.  93,  der  vorher- 
gehende lautet  n.  88  richtig   Goiiiiirus^   gehört  also   zur  folgenden   gr.  gauja-.     Die 


ÜBER   MEYER -LÜBKE,    ROMANISCHE   NAMENSTUDIEN  547 

auffassung  von  gucle-  als  göda-  (mit  ü  aus  ö)  und  von  gode-  als  guda-  (mit  ö 
aus  n)  ist  theoretisch  richtig,  aber  eine  strenge  Scheidung  nur  auf  grund  der  apg. 
vocale  verbietet  schon  die  nicht  vereinzelte  Schreibung  Oudesteo  n.  54  neben  Oodesteo 
n.  52,  abgesehen  davon,  dass  ja  die  vocale  der  Stammsilben  im  pg.  nicht  mehr  nach 
kürze  und  länge  geschieden,  sondern  in  der  vortonigen  position  einheitlich  kurz  sind. 
Dass  übrigens  M.-L.  s.  79  die  masc.  form  im  sinne  von  ego  faniulo  dei  n.  940  (oder 
serbus  dei  u.  9),  die  fem.  nach  ego  fa7nula  dei  n.  511  erklärt  und  einem  zu  got. 
stiwiti  gehörigen  demente  hier  keinen  räum  gewährt,  kann  icli  mit  rücksicht  auf 
die  deutschen  analoga  Cotesdegan,  Cotesinan,  Cotesscalc,  Cotesdiii  Libri  confrat.  nur 
billigen. 

Die  formen  mit  inlautendem  /,  wie  Cniteinondo  n.  91 ,  bieten,  insoweit  sie  zu 
goda-  gehören,  verkehrte  Schreibung  der  dentalis,  wie  Ermefrety  n.  27,  die  man  aber 
wegen  der  zwischenvocalischen  position  besser  mit  Alam  test.  n.  287  gegenüber  Adaum 
n.  24  als  mit  dem  beispiele  M.-L.s  illustriert,  d.  h.  ein  lat.  orthographisches  t  ist  wegen 
des  Überganges  beispielsweise  von  retcm  zu  npg.  rede  hergestellt,  wie  umgekehrt  in 
das  latein , der  Urkunden,  z.  b.  in  terridorio,  toda,  podestade  (n.  206),  die  pg.  sprech- 
form eingedrungen  ist.  Doch  bin  ich  nicht  sicher,  ob  nicht  Cutwn  presbiter  n.  79 
besser  auf  den  gotennamen  bezogen  würde,  der  mir  in  dem  patronym.  Outüyx  n.  27 
für  *G/(tä)iiz  doch  recht  wahrscheinlich  ist.  In  gr.  59  ist  die  cousonautische  inten- 
sitätsverminderung  im  Inlaute  bei  Oiindebredo  n.  13,  Cmndubn'du  n.  24  gegenüber 
anderen  compp.  mit  -fredo  zu  beachten.  Das  patvunymikon  von  Nanu  Ouiidix,idiz, 
test.,  so  richtiger  n.  696,  wird  in  der  tat  ein  comp,  mit  Zidi  eutlialten.  Die  zurück- 
führung  des  ersten  teiles  von  Astileoua  (uxor  tuet)  n.  247  und  Astitplio  n.  8  auf 
Iniifsti-,  beziehungsweise  eine  form  dieses  wortes  ohne  /",  leuchtet  mir  wenig  ein. 
Eine  solche  auf  ansti-  scheint  mir  sachgemässer,  und  wenn  auch  n  vor  s  in  den 
namen  mit  ansi-:  Ansemundus  und  Anssenwndus  n.  13  z.  b. ,  erhalten  bleibt,  so 
steht  es  doch  hier  oonsonantisch  gedeckt  unter  anderen  sprechmechanischen  bedingungen, 
die  seinen  schwund  erklären  können. 

Ein  schöner  gewinn  ist  die  gleichung  des  elomentes  argi-  gr.  62:  Argileuua 
n.  60,  Argerigu  n.  112,  Ariulfo  n.  90  mit  harja-,  doch  sind  die  Arualdus  n.  63, 
Arulfus  n.  71,  Argu'ro  n.  6  besser  bei  arica-  unterzubringen,  während  Argilo 
(filia)  u.  258  allerdings  *Rarjilo  sein  wird. 

Germ,  hasiva-  als  basis  der  gr.  63  i.st  unwahrscheinlich,  aber  hadu-  ist  in 
Adosenda  n.  588  z.  b.  sicherlich  unverkennbar.  Die  subsumierung  von  Eronius  n.  68 
unter,  das  thema  hairu-  ist  angesichts  der  formen  Edcroiiio  test.  n.  675  und  patronym. 
Edero?iix,  Eeronix  n.  942  nicht  möglich.  Wir  haben  es  bei  diesem  namen  doch  wol 
eher  mit  einer  fortbildung  aus  einem   zum  ags.  edor  entsprechenden  worte  zu  tun. 

Itimondo  n.  89  hat  wegqn  Idilo  (oxor  tua)  n.  105  verkehrte  Schreibung  der 
dentalis  und  kann  etymologisch  das  got.  praefix  id-  enthalten. 

Bei  liuha-  und  liuda-  gr.  72,  73,  sowie  vorgreifend  bei  ßiuda-  gr.  103 
sind  die  gelegentlichen  vortonigen  Veränderungen  des  diphthongen  eo:  Leovesendo 
n.  71,  Leodemundo  n.  21,  Teoderedu  n.  58,  zu  e:  Leuccoto  (mater  vica)  n.  688, 
Ledegundia  n.  616,  Tedegundia  n.  424,  zu  o:  Louegildo  n.  21,  Loderigu  n.  555, 
Todemondi  gen.  n.  25,  mit  vocalharmouischer  angleichung  dos  compositionsvocales 
Todomiro  n.  105,  endlich  zu  u:  Lluuigildi  n.  24,  Tudcsindo  n.  179  anzumerken. 
Aus  dem  patronymikon  Loticneiut  n.  374  ergibt  .sich  der  bei  M.-L.  fclilcnde  namo 
*LuueHeus  got.  '"  Liuba>iii(s. 

35* 


548  VON   GRIENBERGER 

Der  in  dem  patronymikon  von  Johannes  Liuidix  n.  671  gelegene  name  darf 
vielleicht  als  *Liv-iddus  verstanden  werden,  d.  h.  er  enthält  die  bei  Eddeges  neben 
Eldeges  n.  79  vorkommende  assimilierung  dd  aus  Id  in  vereinfachter  Schreibung. 

Aus  dem  o.  n.  inter  Duniio  et  Lesmiri,  in  termino  de  Lesmiri  n.  17  scheint 
sich  ein  p.  n.  *Lesmt^re?n  zu  ergeben,  dessen  erster  teil  leicht  auf  */eos-,  got.  */msa- 
als  entsprechung  zu  an.  Ijoss  zurückgeführt  werden  könnte.  Der  name  Mirualdo  fest. 
n.  122  mit  anlautendem  mers  fehlt  bei  M.-L.  Der  name  zu  muni-:  Monobreda  n.  887 
lautet  in  n.  486  ursprünglicher  Monebreda,  woraus  sich  ergibt,  wie  M.-L.  s.  100  — 101 
mit  recht  bemerkt,  dass  dunkler  compositionsvocal  an  stelle  eines  älteren  hellen  pg. 
assimilation  oder  vocalharmonie  ist.  Naltildus  lest.  n.  63  ist  um  so  sicherer  nach 
Flomarico  n.  5  neben  Fromarieus  ebenda  (ein  und  dieselbe  person!),  nach  Fla- 
gildu  n.  28  .zu  got.  fragildan,  i.  b.  nach  plolis  n.  470  für  proles  als  r-dissimilation 
zu  beurteilen,  als  Pol.  Irm.  Longnon  337  eine  zugehörige  Narthildis  nachgewiesen  ist. 

Noliuado  n.  89  mit  dem  offenbar  griechischen  namen  Naulibatus'^  zu  identi- 
ficieren,  halte  ich  nicht  für  ratsam.  Da  in  unsern  Urkunden  gelegentlich  pg.  l  für 
got.  d  auftritt,  z.  b.  kasale  Oundefreli  n.  13,  möchte  ich  doch  am  ehesten  noli-  mit 
got.  naudi-  gleichsetzen. 

Die  bedeutung  von  ufta-  in  germ.  personennamen  ist  die  von  griech.  nvxvög, 
wie  ich  wol  schon  einmal  nachgewiesen  habe. 

Inwieweit  für  die  kurzformen  unter  gr.  84  z.  b.  Quitila  n.  28  an  got.  qipus 
gedacht  werden  soll,  ist  zweifelhaft;  für  ein  compos.  wie  Quetenando  n.  294  kommt 
natürlich  nur  das  dem  an.  liviSa  entsprechende  got.  wort  in  betracht. 

Die  namen  der  gr.  87:  Ranimirus  n.  61,  Ranosindi  nominativ  n.  27  enthalten 
ein  dem  an.  neutr.  rän  'raub',  ahd.  in  rahanen  'spoliari',  entsprechendes  *rahna-^ 
so  schon  der  run.-got.  Ranja  (Müncheberg).  Das  anlautende  dement  in  Regaulfi  gen. 
n.  281  erweist  sich  nach  uilla  de  Ragolfe  n.  130  als  vortonige  Veränderung  einer 
form  mit  a,  die  ich  mit  anlautendem  iv:  *tvrag  ansetze,  mit  ostgot.  Oraio^  OvQuTag 
Lit.  bl.  f.  germ.  u.  rom.  phil.  XII,  335  verbinde  und  als  ablaut  zu  got.  wrohs  erkläre. 

Die  gr.  89:  Recaredo  n.  52,  Riquila  n.  91,  Recemondus  n.  107,  patronym. 
Raxamondix  ü.  696,  die  zum  teil  den  got.  Ä;-laut  bewahrt  {qu=^k!)^  zum  teil  den 
wandel  der  palatalen  affricata  zu  x  zeigt,  und  zwar  in  dem  letzten  beispiel  auch  vor 
secundärem  themavocal  a  an  stelle  eines  älteren  e  (M.-L.  s.  100,  der  auch  reca-  als 
re^a-  fasst)  bringe  ich  mit  got.  icrikan  '■Svusxhv'  zusammen,  wozu  sich  nominale 
bildungen  got.  wraka  stf.,  wraks  stm.,  ahd.  tvreh  adj.  'esul'  nnd garih  m.  'ultio,  poena, 
defensio'  dai'bieten.  Die  doppelform  des  stammvocales  der  apg.  namen  kann  also 
auf  ablautenden  repräsentanten  der  sippe  beruhen,  die  von  M.-L.  geforderte  gemina- 
tion  des  k  aber  auf  folgendem  _;  wie  in  got.  wrakja;  doch  möchte  ich  selbst  got. 
wrekei  swf  nicht  ausschliessen,  da  das  aus  wulfil.  e  entwickelte  westgot.  1  in  der 
vortonigen  Stellung  gekürzt  wird. 

A.hev  Recimefredo  n.  28  gehört  nicht  in  diese  reihe,  sein  erster  teil  ist  augen- 
scheinlich got.  airkna-^  ahd.  erchan-,  mit  metathese  des  anlautes,  vorgebildet  in 
ahd.  Eraehanfrid  Libri  confr. 

Der  aus  dem  patron.  Rugemirixi  n.  648  zu  folgernde  name  enthält  wol  got. 
tvrohi-  im  ersten  teile. 

Bei  den  namen  mit  sigis-  gr.  95:  Segemundus  n.  52,  Sigericus  n.  71,  Sege- 
fredo   n.  400   (fehlt  bei  M.-L.)    ist    der   neutrale   s- stamm    in    der  composition  als 

1)  Vgl.  vavocßditjg,  vccvßicT)]g  'Schiffer'  und  -ßcnog  Fick-Bechtel  s.  78. 


ÜBER    MEYKK-LÜBKE,    ROMANISCHK    NAMENSTUÜIBN  549 

«■-stamm  behandelt,  nicht  anders  denn  griech.  tu  (ot/ioi  in  dev  composition  foeßoffv/jg, 
^tußCänig   als  o-stamm,   und  dieser  Vorgang  ist  nach  8tva.hos  ZtyiuoDvToi;  schon  alt'. 

Da  wir  aber  andere  gleichfalls  alte  composita  kennen,  die  entsprechend  dem 
got.  sigislaun  den  unverkürzten  s- stamm  enthalten,  wie  Sigismereiti  acc.  bei  Cassiod., 
Ziyi'aßiQTog  bei  Menander,  so  ist  es  wol  wahrscheinlich,  dass  in  den  formen  unter 
gr.  89  Sisiiado  n.  91,  Sis7nir  n.  104,  Sisuandus  n.  435  der  ahd.  contractiou  Si-holt 
Libr.  confr.  aus  sigi-  entsprechend  contrahiertes  sigis  gelegen  sei  und  nicht  einmal 
formen  mit  mittelvocal,  wie  Sisiuertus  n.  89,  wären  unbedingt  einem  anderen  de- 
mente zuzuweisen,  da  es  nach  den  aus  s- stammen  erwachsenen  got.  stff.  aqixi, 
jukuxi  auch  ein  erweitertes  *sigixi,  vieUeicht  mit  besonders  abgetonter  bedeutung 
gegeben  haben  kann. 

Der  lautwert  des  se  in  Scclemondo  n.  5  ergibt  sich  aus  scimitermm  n.  407 
gleich  sonstigem  z  oder  npg.  p.  Da,  wie  wir  sehen  werden,  mit  diesem  laute 
romanischer  horkunft  auch  germ.  s  bezeichnet  werden  kann,  möchte  ich  den  vor- 
liegenden namen  als  apokope  aus  *Oiscele-,  * Oiselemondo  erklären. 

Das  etymon  der  gruppe  100  ist  hinfällig;  der  einzige  name  derselben  Suimirus 
n.  77,  82  hat  pg.  ?«-syukopo  und  gehört  zu  sunja-  gr.  102.  Dass  aber  Similla  test. 
n.  570  zu  dieser  gehöre,  ist  nicht  so  ausgemacht,  wahrscheinlicher  ist  doch  sunus  die 
grundlage  dieser  deminutivbildung.  Die  vereinzelte  Schreibung  Zoderedo  n.  595  wird 
sich  weder  gleich  Zurgils,  Zurgrhn,  Zore  libr.  confr.  als  Substitution  von  x  für 
germ.  p  noch  wie  ostgot.  Txalico^  Zeia  neben  Theia,  Tladgüo,  Thüarix  als  roman. 
entwicklung  x  aus  germ.  aspirata  V  (Lit.  bl.  f.  germ.  u.  rom.  phil.-  XII,  334)  erklären 
lassen,  sondern  eher  nach  wand.  Stotxas  als  assibilierung  von  teö-  in  Teoderedu  n.  58 
zu  x6-.  Die  beziehung  des  patronymikons  Trasteinirixi  n.  273,  des  frauennamens 
Trastalo  cocnomentiim  Trastina  n.  60  auf  got.  prafstjan  ist  natürlich  in  Ordnung; 
wir  werden  ein  fem.   *ßrafsti'  zu  erschliessen  haben. 

Aus  dem  got.  abstractum  auf  -ei  (Skeir.  45)  folgt  ein  adj.  *prasabalps,  zu 
dem  der  p.  n.  Trasmiro  n.  21,  mit  verkehrter  Schreibung  Transmirii  n.  883,  eine 
genaue  parallele  ist.  Die  formen  Tramiro  u.  111,  Tramondu  n.  7,  Trarigu  n.  26 
zeigen  die  entwicklung  von  lat.  träueho  aus  träsueho  gespi'ochenem  transuelio  oder 
npg.  tranar.     Got.  *prasa  ist  als  stf.  verbalabstractum  anzusehen. 

Für  den  ersten  teil  von  Tundulfus  n.  60,  Tumtiddo  n.  4  ist  der  appellativische 
wert  des  öSinischen  beinamens  Pundr ,  gen.  Pundar  massgebend,  der  sich  aus  dem 
zusammenhalte  mit  dem  fl.  n.  Pimd  als  dentale  ableitung  zu  ags.  [junian  'donnern' 
feststellen  lässt. 

Auf  grund  des  romanischen  vortonigen  e  aus  o  (u)  ist  M. -L.s  erkläruug  von 
Esdulfu  n.  1  als  Ortolf  tadellos  und  nach  dieser  gruppe  (109)  wäre  wol  der  über- 
sehene name  Qualatrudia  n.  140  (mit  qu  =  uu)  zu  behandeln  gewesen.  Ebenso  nach 
gr.  111  oder  mindestens  in  der  ^Yrt-gruppo  s.  92  der  name  Guardila  Destrigox  n.  410. 

Dass  das  erste  element  in  Uidragildus  n.  29,  Uedragese  gen.  n.  4  gleich  dem 
in  got.  wipranairps  sei,  ist  nicht  zweifelhaft.  Die  dentalis  (/,  für  die  man  t  envartete, 
ist  wol  romanische  erweichung  nach  dem  bereits  erwähnten  beispiel  pg.  padre  aus 
lat.  patrem.  Nach  den  namen  mit  wilja-,  vgl.  got.  *wiljahal[js ^  gr.  116,  denen 
gewiss  auch  der  in  n.  25  auftretende  diuidit  cum  domno  Uilifi  —  von  M.-L. 
unter  112  angeführt  —  zugehört,  durch  die  form  de  Viluß  n.  27  aus  Viliidfus  n.  5 
vermittelt,  fehlt  eine  gruppe  für  Ovimarigus  n.  03,   Oimaemirus  n.  395,   Uiinaredo 

[1)  Vgl.  jedoch  Arkiv  f.  nord.  filol.  4,  34.     Red.] 


550  VON   GRIENBERGEU 

n.  110,  beziehungsweise,  falls  das  w  wie  in  npg.  uma  nasalieruug  ausdrückte,  die 
aber  hier  wie  in  den.pg.  beispielen  M.-L.s  s.  71  secundär  wäre,  eine  entsprechende 
bemerkung  unter  uia-  gr.  112.  Abstraction  eines  pseudoelementes  *wima-  aus  Vitnara 
n.  4,  M. -L.  s.  73,  halte  ich  für  nicht  annehmbar.  Das  deminutivum  zu  wistra- 
gr.  118  *Wistrila  habe  ich  nur  in  der  form  Uisterla  z.  b.  n.  105  (auch  mit  II)  ge- 
funden. In  n.  717  steht  zweimal  Uistilla^  das  man  aber  doch  wol  selbständig  be- 
urteilen muss.     Eine  nebenform  mit  /i;-suffix  ist   Vistei-ga  n.  1. 

Der  name  unter  gr.  121  got.  umlpri-  kommt  nur  als  fem.  vor  domna  Ooldro- 
godo  n.  87,  de  matre  mea  Gnldregudu  n.  886,  ego  Ixila  ei  Oolderegodo  (ehepaar) 
n.  935.  Die  masc.  form  M. -Ls  ist  zu  tilgen.  Der  name  zviwulpu-  gr.  122,  Ooldoauo 
n.  723  zweimal,  dessen  zweiter  teil  auf  -hadus  beruht,  zeigt  secundäre  hiatusfüUung 
mit  schwach  artikuliertem,  mehr  bloss  orthographischem  u. 

Die  beiden  uameu  auf  *-bergo  M. -L.  s.  56:  Aliuergu  und  Adadmergo 
-utiergo  n.  724  (bis),  nach  den  bezüglichen  texten  zweifellose  frauennamen,  können 
nur  got.  swfl'.  sein.  Der  erste  teil  des  zweiten  namens  ist  vielleicht  in  *Acladi-  zu 
berichtigen  gleich  dem  elemente  Acled-  im  Pol.  Irm.  Lougnon  s.  291. 

Die  form  Pederagildu  n.  137  M.-L.  s.  60,  zu  der  die  Libri  confr.  die  parallelen 
Pedarberga  und  Pederberto  gewähren,  enthält  wol  den  p.  n.  lat.  Petrus  in  roman. 
gestalt  apg.  Pedro  n.  466,  nicht  das   appellativum   npg.  pedra  aus  lat.  ^9e<r«  'stein'. 

Dass  man  aus  dem  patronym.  in  Quitüa  Teodisdi  n.  28  nach  dem  nominativ 
Uidisclum  n.  21  einen  namen  *Teodisclus  folgern  müsse,  ist  richtig,  aber  die  cor- 
rectur  zu  -isclus  hat  sich  keineswegs  auch  auf  die  beiden  anderen  belege  eines  vielleicht 
einheitlichen  namens  Gidisliz  und  Uidisilu  n.  331,  Uedisilo  n.  115  zu  erstrecken, 
die  eben  germ.  glsla-  z.  t.  mit  secundärvocal  zwischen  s  und  /  besitzen.  Dieser 
bildung  schliessen  sich  auch  die  von  M.-L.  nicht  erkannten  raasculinen  composita 
Fridixillo  Egikaxi  (famulo  dei)  n.  649  und  Fradixilo  test.  n.  655  an,  die  nach 
dem  s  gesprochenen  etymologischen  x  in  Exemeno  n.  119  gegen  Ecemeno  n.  147, 
Semena  n.  58,  lat.  Eximinus  n.  689  verkehrtorthographisches  x  für  s  besitzen,  somit 
*Fridisilo,   *Fradisilo  zu  sprechen  und  zu  betonen  sind. 

Der  Ä;-einschub  in  -gisclus,  -isclus  ist  nach  ahd.  sclagan  für  slagaii^  be- 
ziehungsweise nach  lat.  Selaueni,  Viscia  zu  beurteilen;  dass  er  gesprochen  wurde, 
ist  nach  ital.  schiavo  fraglos,  aber  als  wandel  von  sl  zu  sei  kann  man  die  entwick- 
lung  eines  parasitären  lautes  nicht  bezeichnen.  Der  einschub  des  consonanten  hat 
sich  vermutlich  in  den  flexivisch  gedeckten  casusformen  entwickelt,  während  der 
secundärvocal  -gisil  zuerst  im  ungedeckten  vocativ  eingetreten  sein  wird.  Den  zwei 
fem.  namen  mit  -godo,  -giidu  und  -coto^  so  richtig  n.  688,  d.  i.  *-guto^  schliesst  sich 
der  masc.  Sesgudus  n.  39  an,  der  auf  *Sigisguta  beruhen  kann  und  eine  latini- 
siening,  im  resultate  wenigstens,   wie  Minixus  ist. 

Der  meinung  M.-L.s,  dass  die  formen  auf  -gundia:  Astragundia  n.5,  Leode- 
gundie  prolis  Eroni . .  .  confirmo  n.  159  got.  accusative  darstellen,  kann  ich  nicht 
beitreten,  -gundia  ist  vielmehr  latinisierung  der  nationalen  form  *-gmipi,  die  in 
Aragimti  n.  4  mit  der  zweiten  romanischen  nominativbildung  -i  aus  -em  zusammen- 
gefallen ist,  und  -gimdie  ist  echt  pg.  lautbezeichnung  des  im  auslaute  wie  e  ge- 
sprochenen lat.  ä.  Wenn  dem  vorwiegenden  -gundia  der  apg.  namen  langobard.- 
latein.  -gunda  (Brückner  s.  263),  fränk.-latein.  -gundis  (so  durchweg  in  Pol.  Irm. 
Longnon  s.  326)  gegenübersteht,  so  beweist  das  nur,  dass  bei  den  fränk.  namen, 
deren  nationale  basis  -gundi  sein  wird,  die  andere  art  der  latinisierung  nach  der 
t-decHnation  beliebt  wurde,  die  wir  in  den  pg.  namen  bei  -hildis  treffen,  und  dass 


ÜBER   M1<:YER  -  LÜBKE  ,    ROMANISCHE   NAMENSTUDIEN  551 

im  langobard.  das  auslautendo  i  wie  im  ahd.  verstummt  war,  weshalb  die  latini- 
sierun«;  uach  der  lat.  a-doclination  erfolgte.  In  der  gleichen  weise  erklärt  sich  älteres 
fränl{.-latein.  -meris  z.  b.  bei  Gregor  von  Tours,  alemann. -lat.  (Ammianus)  und  langob.- 
lat.  vorwiegend  -marius  (Brückner  s.  281)  aus  nominativformeu  auf  -«,  wälirend  das 
Tvestgot. -latein.  -viirus  der  pg.  uamen,  sowie  das  spätere  westfränk.  -mancs  des 
Pol.  Irm.  Longuon  s.  350  fg.  auf  got.  mUrs.  westfränk.  Diür  mit  Wegfall  des  thema- 
vocales  zurückgeht. 

Der  name  Ansito  test.  n.  672  ist  klärlich  eine  romanische  deminutivbildung 
mit  ^-Suffix  wie  Garitus  n.  111  zu  carus,  Bellita  fem.  n.  595  'mbelliis,  Uelasqiiefa 
n.  97  zu  Vclnsco  n.  185,  Jouito  n.  67,  ferner  auf  germ.  basis  Goglto  u.  219  {(iogio 
u.  952),  Alderetto  n.  67  oder  Carlittus  Fstm.  nbch.  I^ 

Zur  a?-M<s-gruppe  s.  64fg.  ist  Truitero  n.  16  nachzutragen,  mit  monophthon- 
giening  {-ero  aus  -eiro)  ähnlich  wie  vortonig  Elleuua  n.  680  neben  eil-  (arjila-), 
ferner   Venedario  n.  109. 

Die  namen  auf  -atiis^  insoweit  sie  auf  germ.  -hadtis  beruhen,  wie  Viliatiis 
n.  6  gegen  Uiliado  n.  10,  haben  wider  verkehrte  Schreibung:  orthographisches  t  für 
gesprochenes  c?,  die  auf  falsclier  anwendung  der  richtigen  relation  lat.  in  omnique 
circuitu  u.  9  z.  b.  zu  pg. -lat.  in  omne  cireuidu  n.  21  beruht. 

Das  in  Monderico  n.  5,  langob.  mnnduald  anlautende,  in  Segcmundus  n.  52 
auslautende  element  scheint  mir  wegen  des  wechseis  von  -mundus  und  -mndtcs,  in 
der  Überlieferung  einzelner  hierhergehöriger  namen,  z.  b.  bei  Jordanes,  nicht  als 
gevm.  *mtmdux,  'band,  schütz',  sondern  als  eine  dentale  ableitung  zumunan^  got.  im 
stf.  gamimds  und  im  adj.  *ainamunds  aufgefasst  werden  zu  sollen,  so  dass  also  der 
begriff  der  über  etwas  ausgeübten  gewalt  aus  geistiger  tätigkeit  'denken -an  etwas, 
sorgen  für  etwas'  abgeleitet  wäre. 

In  gleicher  weise  beurteile  ich  die  composita  Bretenandus  n.  81,  Euenando 
n.  16,  Fredenando  n.  91,  Fredenanda  ebenda,  Quetenando  n.  294  als  bahuvrihi- 
bildungen  mit  dem  in  ahd.  nande  'temeritate'  bezeugten  abstractum,  und  es  ist  wol 
anzunehmen,  dass  diese  zweiten  teile  im  compos.  des  öfteren  persönliche  bedeutung  ange- 
nommen haben,  wie  das  bei  den  bildungen  mit  -sinßs  der  fall  ist,  die  durchgängig 
den  übertritt  des  ursprünglichen  nomen  actionis  zu  einem  persönlichen  nomen  agentis 
'genösse':  Teodesindus  n.  44  'Volksgenosse',  Gondesindus  n.  12  'kampfgenosse', 
Ergesenda  u.  952  'heergenossin'  zeigen.  Auf  einem  älteren  stände  scheint  mir  nur 
Gitesinde  n.  8  (mit  g  für  gn?)^  ags.  Widsid  sich  zu  befinden,  mit  der  bedeutung 
'der  weitgereiste',  hi  Span usindo  n.  64,  dessen  erster  teii  Hispaiins  ist,  scheint  sich 
das  zweite  element  zu  einem  bloss  ableitenden:  'Spanier'  zu  entwickeln. 

Die  ursprünglichkeit  des  elementes  *salwa-,  ahd.  salo,  in  Gundisaluus  n.  2, 
Gunxalvo  n.  648  wird  wol  dui'ch  die  appellativische  durchsichtigkeit  des  composituras 
'proelio  fuscatus'  empfohlen.     Das  comjws.  mit  -skalks:  Guiscalco  n.  585  fehlt. 

Doppelte  nominativbildung  zeigen  die  paar  namen  auf  *-prüdi:  Alatrudia 
n.  57  (vgl.  coniugea  vica  n.  5)  und  Guntrode  n.  523,   Gontrode  n.  522  (lat.  -em). 

Für  die  gruppe  auf  -ualdiis  M.-L.  s.  81  bedarf  es  keines  germ.  abstractums 
auf  u,  sondern  es  genügt  das  in  an.  All-,  Herualdr  bezeugte,  poet.  auch  uncompo- 
niert  vorkommende  nomen  agentis  ualdr  mit  a-thema.  Silualdn  n.  48  kann  mit 
ahd.  selbwalt  f,  'arbitrium,  priuilegium',  -ig  adj.  'über'  verbunden  werden,  der  zweite 
teil  in  Arguiro  (masc.)  n.  6,  got.  in  *tu>i,ivers^  kann  unmöglich  'freundlich'  bedeuten, 
wol  eher  'treu',  nach  an.  vdravargr  'a  trucebreaker';  germ.  ^icinix  hat  kein 
langes  l.     Für  den  aus  dem  patronym.  Doslrulfixes  n.  110  zu  erschliessenden  namen. 


552  VON    GRIEN BERG ER 

der  im  ersten  teile  mit  de  Destrico  n.  952  sich  decken  kann,  ist  das  nebeneinander- 
bestehen der  Schreibungen  de  Egas  et  de  Esparilli  und  «  Degani  et  Dcsparilli  in 
ein  und  derselben  Urkunde  n.  952  in  dem  sinne  beweisend,  dass  es  sich  um  au- 
schleifung  eines  nicht  zum  uamen  gehörigen  d  handle. 

Das  entschiedene  urteil  M.-L.s,  dass  die  namen  des  typus  Framuldo  n.  109, 
Sesuldu  n.  41  nur  got.  wulßus  ^Sö'^a  (alem.  vielleicht  in  Gibuldus  bei  Eugippius) 
oder  Imlps^  nicht  auch  -ualdns  enthalten  können,  möchte  ich  nicht  unterschreiben. 
Dem  zweiten  der  beiden  namen  steht  Sisualdo  ^.  71  doch  ebenso  nahe  als  got. -lat. 
SigisHolthiis  und  Übergang  von  ua  zu  tc,  auch  unterm  romanischen  hochton,  be- 
ansprucht M. -L.  s.  37  doch  selbst  bei  Eldura  (uxor)  n.  583. 

In  der  gruppe  der  deminutiva  mit  /:  masc.  Ansila  n.  5,  fem.  Froilo  n,  12  ist 
einerseits  doppelschreibuug  des  suffixconsonanten  Attilla  n.  19,  Froilla  n.  89,  ander- 
seits ausfall  desselben  Biquio  (fem.)  n.  8d7,  Faßa  n.  633,  endlich  synkope  des  suffix- 
vocals  Ouadla  n.  146,  Frola  n.  86  (mit  dem  Froila  von  n.  60  identisch),  sowie  die 
seltene,  von  der  historischen  Orthographie  abweichende  darstellung  des  suf fixes  -ila 
durch  -de,  z.  b.  Leobele  Sisiiulfix  n.  180  zu  beachten,  die  auf  der  pg.  ausspräche 
des  auslautenden  a  als  e  beruht.  Bei  M.-L.  fehlt  nicht  nur  dieses  demimitivum, 
sondern  auch  andere,  wie  Tanquila  n.  219  oder  das  zu  erman-  gehörige,  dem 
ahd.  Imilo  11.  jh.  Fm.  nbch.  P  entsprechende  Emila  n.  57.  Die  ausführungen  des 
verf.  zu  Giandila  n.  4  sind  gegenstandslos,  i.  b.  der  verweis  auf  das  wort  der  spange 
von  Charnay  {liano  nach  Wimmer,  nicht  kiano!)^  denn  der  name  ist  (^andila  zu 
lesen  und  nur  eine  andere  Schreibung  für  Sandila  (z.  b.  n.  432). 

Bei  den  /-deminutiven  hat  M.-L.  auch  die  frauennamen  auf -?7^i  untergebracht, 
die  er  s.  95  als  entsprechuugen  zu  den  ahd.  neutralen  deminutiven  auf  -ili  erklärt. 

Aber  die  herkunft  der  bildungen  auf  -Uli,  deren  auslaut  im  sinne  des  pg. 
wider  nur  lat.  -em  sein  kann,  wird  durch  das  nebeneinanderbestehen  von  Astrildi 
n.  24,  Donadildi  n.  35,  Trasuildi  n.  29,  Trudildi  n.  21  und  Astrilli  n.  10,  Dona- 
dilli  n.  222,  Trasilli  n.  885,  Trudilli  n.  14,  16  vollkommen  einwandfrei  in  dem 
sinne  gesichert,  dass  die  endung  Uli-,  vereinfacht  auch  -^7^,  als  assimilationsproduct 
aus  dem   zum  Suffixe  gewordenen  zweiten  namensteile  got.  *-hildi  zu  betrachten  ist. 

M.-L.  nimmt  daran  austoss,  dass  weder  im  pg.  noch  im  westgot.  eine  derartige 
assimilierung  kl  zu  //  anderweitig  nachweisbar  sei.  Dieser  einwand  aber  wiegt  nicht 
schwer,  wenn  man  sieht,  dass  auch  die  namen  auf  -gildus  dieser  Umformung  unterzogen 
werden,  wie  in  Oresconio  Ermigilli  n.  109,  ego  Aluitu  Toegüix  n.926,  und  dass  die- 
selbe sich  nicht  bloss  innerhalb  unserer  apg.  urkuudensammlung,  sondern  auch  ander- 
wärts findet,  wie  Vlfgillus  und  Bertegülus  Libri  confr. ,  Bertgilus  Pol.  Irm.  Longnon 
s.  291,  welche  letzteren  namen  ich  schon  A.f.d.a.  27,  136  in  diesem  sinne  erklärt  habe. 

Dazu  kommt,  dass  die  gelegentliche  apokope  der  auslautenden  dentalis  nach 
liquida  oder  nasalis  in  deutschen  namen  Adalhel,  Adalhil,  Alpol,  Aspran  neben 
Adalheld,  Adalhild,  Alpold,  Asprant  Libr.  confr.  ein  ohne  zweifei  verwandter,  auf 
assimilierung  beruhender  process  ist,  sowie  dass  sich  die  neben  diesem  assimilatorischen 
abfall  bestehende  andere  art  der  gelegentlichen  behandlung  des  auslautenden  Id,  das 
ist  die  assimilierung  nach  dem  zweiten  consonanten,  wie  Abirhit,  Adalhid,  Albhid 
neben  Abirhilt,  Adalhilt  Libr.  confr.;  langob.-run.  Oodahid  (Bezenye),  ausser  in 
Eddeges^  wo  die  position  eine  andere  ist,  doch  wenigstens  einmal  in  dem  apg.  frauen- 
namen  Nantidia  u.  306  belegen  lässt,  der  allem  ermessen  nach  auf  eine  vorläge 
*Na')ip(h)iddi  zurückgeht,  sowie  dass  wir  auch  eine  assimilierung  sinpa-  zu  *smna- 
in  Sennamiru  n.  46  nachweisen  können. 


ÜBKK    MKYEU-LÜBKK,    HOMANISCHK    NAMKNSTUDIKN  553 

Die  genesis  der  ableitung  -Uli  aus  -iUH  unterliegt  demnach  gar  keinem  be- 
denken, desto  grösserem  aber,  dass  die  hierliergehörigeii  bildungcn  jemals  deminu- 
tivisch  gemeint  waren.  Gewiss  nicht  im  germ.,  wo  sich  ein  zum  suffix  entwertetes 
dement  -hildi  gleich  ableitendem,  keineswegs  deminuierendom  -olf  und  -hold  ver- 
halten nuissto  and  in  diesem  sinne  sowol  in  Spothild  fem.  10 jh.  Fm.  nbch.  I^  als 
auch  in  dem  als  o.  n.  fixierton  frauennamen  Schanthüt,  heute  Schantill  in  Salzburg 
begegnet,  aber  auch  kaum  im  romanischen,  wo  der  Übertragung  eines  deminutiven 
wertes  von  selten  der  wirklichen  deminutiva  ego  .  .  .  pusilla  Munna  n.  107  oder 
Nunillo  n.  29  neben  Nunitu  n.  450  zu  Nunu  n.  69ü  her  doch  die  im  verschiedenen 
auslaute  begründete  formdifferenz  entgegensteht. 

Inwieweit  das  suffix  -iniis,  M.-L.  s.  96  — 97,  überhaupt  auch  germ.  herkunft 
sei,  wage  ich  den  sicher  rom.-lat.  bildungen  Pepino  n.  üG  zu  Pepi  n.  86,  nsp.  Pepe 
'Joseph',  Flamulina  u.  91  zw  Flamula  67  (vielleicht  latinisiert  aus  *i^ra?;«7o)  gegen- 
über nicht  zu  entscheiden.  Ja  selbst  Gondelini  gen.  n.  22  scheint  mir  eine  auf  got. 
*Gundila  fassende  roman.  bildung  zu  sein,  und  sicher  Ounxina  n.  470,  das  die 
roman.  assibilation  *Gunxa  voraussetzt.  Übrigens  gibt  es  im  got.  neben  -eina  auch 
ein  kurzvocalisches  suffix  -ina  (fulgins) ,  das  z.  b.  für  Quedino  n.  423  mit  einiger 
Wahrscheinlichkeit  behauptet  werden  könnte.  Die  grundlage  von  Eidinus  n.  67  ist 
offenbar  in  deutschem  Agido  fm.  (aus  AYg.  trad.  Corb.)  gegeben. 

Die  auffassung  des  namens  Vitixa  n.  33,  Vittixe  n.  34  als  got.  comparativ 
wird  durch  Minixiis  sowie  durch  den  Superlativ  Medoma  lest.  n.  63,  wozu  ahd. 
Meiama  fem.  Libr.  confr. ,  empfohlen.  Dass  x  vorzugsweise  lautqualität,  nicht  laut- 
starke bezeichne,  beweist  seine   Verwendung  in  Zacarias  n.  116. 

Diesem  referate  über  M. -L.s  arbeit  möchte  ich  noch  hinzufügen,  -was  ich  mir 
bei  der  lectüre  der  Urkunden  an  orthographischen  und  lautlichen  beobachtungen, 
weiter  hinsichtlich  der  romanischen  auslaute,  der  patronymica  auf  -ix  und  der 
betonung  angemerkt  habe,  wobei  ich  mich  aber  keineswegs  auf  germ.-pg.  material 
beschränken  mag,  denn  die  erscheinungen  sind  nicht  german.  sondern  romanisch 
oder  lateinisch  und  werden  als  solche  erst  völlig  klar,  wenn  man  auch  Wörter 
ungerm.  herkunft  nicht  ausschliesst.  Accente  '  und  trennungszeichen  '  finden  sich 
nicht  in  den  urkundlichen  formen,  ich  bediene  mich  ihrer  zuweilen  zur  Verdeut- 
lichung von  tonstelle  und  Silbentrennung. 

A.    Orthographische  und  lautliche  beobachtungen. 
I.    Graphisches. 

1.  Dittographie:  dodonationis  n.  430,  Ososoredo  n.  146,  Requiuilo  u.  672. 

2.  Verkehrteschreibung:  2Va«swm*  n.  883 ,  Gemnadius  n.  19 1  Sanmon  n.  20. 
Sparsandi  (neben  Spasandi)  n.  13,  Tutesindo  n.  396,  Citi  n.  382,  Gontato  n.  69, 
Lucitu  n.  56  (Läieidus  n.  76). 

3.  Contamination :  Diadagu  n.  885  (aus  Diagu  und  Didagu). 

4.  Orthographisches  ei  für  i:  Ceide  n.  40,  Zeide  n.  56,  Queiriaciis  n.  88, 
Creixemiro  n.  75. 

5.  Orthographisches  uu  für  m  (b):  Adadiuuergo  n.  724. 

6.  Orthographisches  g  für  i:  Goluira  n.  553,  Argifredus  n.  20,  Songemirus 
n.  2,  Gogilli  (fem.)  n.  125. 

7.  Orthographisches  *  für  g:  lesiilfo  n.  111,  iermana  n.  910. 

8.  Orthographisches  m  für  n:  Potemxo  n.  268,  Oumdesimdixi  n.  513,  Me- 
nimdo  n.  594,  Sesnamdo  n.  483. 


554  VON   GRIENBERaER 

9.  Orthographisches  qti  gleich  k:  Quintüa  n.  124  {Kintila  n.  138),  Iquila 
D.  40  (Ikila  n.  47). 

10.  Orthographisches  c  für  x:  Coleiman  n.  932  (Zolehnan  n.  52),  Ouncaluo 
(neben  Gunxaluo)  n.  460,  infan^ones  n.  421,    Sesnandic  u.  675,    Sesnandiei  n.  90. 

11.  Orthographisches  t  für  *:  Spetiosa  n.  634,  T"?^*  n.  206  {Zidi  n.  124), 
kalendas  Fcbruarit  n.  621,  Tioteuadit  13.88,  Ennegot  n.  77  {Ennegox  n.  410),  G^ar- 
^tas  n.  616  {Garsias  n.  57),  Florite  n.  83,   Gundilat  n.  410. 

12.  Orthographischesa:  für  s,  ss:  iprolix  n.  590,  nodexinms  (d.  i.  notissimus) 
n.  21,   T^^4a;eo  ii.  464,  Fridixillo  n.  486. 

13.  Orthographisches  sc  für  s:  Scemeno  n.  114. 

14.  Orthographisches  s  für  :?^:  patronymika:  Uenegas  n.  880,  Guteris  n.  633, 
Gtmdemarus  n.  109. 

15.  Orthograph.  gemination  im  anlaut:  in  llogo  n.  408,  IJeodegundia  ebenda, 
Rramirus  ebenda. 

II.    Vocale. 

1.  Prothese  vor  s  (npg,  esposo -.IdX.  sponsus):  istrada  u.  24,  Eskapa  u.  47 
{Scapa  n.  114),  Espasandix  n.  76  {Spasandus  n.  55). 

2.  Secundärvocal:  Uidisilu  n.  331,  Fradixilo  n.  655,  Golderegodo  n.  935, 
Astoridfus  n.  81,  domna  Unisco  n.  511'^ ^  uilla  Sinobilani  a.  1  (zu  ahd.  stuioba 
f.  'uitta'  Graff  VI,  838). 

3.  Apokopo  im  anlaut:  scumunicatus  n.  247,  m  s*7Ma  sci^ra  n.  13  (obscura), 
Strulfo  n.  75  {Astrulfus  n.  20),  Tanagildus  n.  5  (Ätanagüdo  n.  4),  Venandus  n.  406 
{Euenando  n.  16),  Stobredo  n.  177  (viell.  *asto-). 

4.  Vortonige  vocale  verändert  und  zwar  a  zu  e:  Ergesenda  n,  952,  Ergonxa 
n.  401,  Ergemiro  n.  298,  Serracino  n.  575  {Sarraxinus  n.  114),  Uelasco  n.  196 
(Valascus  u.  247);  o,  m  zu  a:  Ä/w^rem/ro  n.  134,  IVf/ctew/r?' (kasa)  n.  13;  o,  «<  zu  e: 
Fremosindo  n.  570. 

5.  Auslautverkürzung:  Auriol  n.  880  {Anriolus  u.  15),  Sensal  n.  5,  Astruäri 
n.  160  {Astruario  n.  139),   Fz*o?  n.  108. 

III.    Diphthonge. 

1.  Alte  diphthonge  monophthongiert  und  zwar  aw  zu  o:  Odeiro  n.  468,  froi- 
wm<s  n.  88;  au  zu  a:  Astrualdu  n.  35;  m  f^eo^  zu  e,  o,  u:  Thedemirus  n.  60, 
Todiuerto  n.  468,  Tudemiro  n.  57,   Goluira  u.  511. 

2.  Neue  diphthonge  entstehen  und  zwar  «)  durch  synkope  a»,  ei  aus  a^«: 
Airigus  n.  67,  Eilemia  n.  927,  Reirigu  n.  116;  /S)  durch  attraction  e»V  aus  ari 
(vgl.  npg.  /erretVo  :  lat.  ferrärius):  Senteiru  n.  49;  o^V  aus  ori:  Osoyro  n.  138  (var. 
lect.  Osoritcs);  y)  durch  vocalisierung  von  consonanten;  mit  dentalis  gedecktes  cd  zu 
au:  Auderigus  n.  470;  mit  dentalis  gedecktes  oc,  uc  (got.  öh)  zu  oi,  ui  (vgl.  npg. 
feito-.lat  faetus)^  später  auch  ei":  oitaua  n.  41  (octauaj,  Troytesendo  n.  616,  Truite- 
sendo  n.  754,  Treitegundia  n.  90;  germ.  «•^■  nach  /  zu  o^■,  später  auch  e^■:  Aloito 
n.  36  {-.Alvihi,  n.  103),  J./e«;7e  u.  108  (das  steigende  Verhältnis  tvi  in  ein  fallendes  6i 
verwandelt). 

3.  Die  neuen  diphthonge  monophthongiert:  Aerigus  n.  82,  Elleuua  n.  680, 
Truitero  n.  16. 

1)  Dazu  ein  masc.  deminutivum  ostgot.  Unscila  (Lit.  bl.  f.  germ.  und  rom. 
phil.  XII,  335). 


CBEIl   MEYKR-I.ÜBKF.,    ROMANISCHE   NAMENSTUDIEN  555 

4.  Orthographische  neuauflösuug  derselben:  Erjica  n.  26,  Hegelo  n.  4  (gegen 
Eika  n.  30,  Eilo  u.  64). 

5.  Scheinbare  neue  diphthonge  oder  doppolschreibung  durch  zusaninieuriickuDg: 
Aüfo  n.  511,  Dondili  u.  563,  Toereti  n.  942,  Hermiildo  n.  488,  Tuülfix,  n.  504, 
Trasuildi  n.  50  (aus  * Prdsahildi). 

IV.    Consonanten. 

1.  Germ.  u\  «)  Vor  hellem  vocal;  einfache  Schreibung  u,  v:  Vmiara  n.  4, 
Uiliulfus  n.  29,  Aluitits  n.  504,  Ocluira  n.  573;  romanischer  gutturalis Vorschlag: 
Qunnirix  n.  262,  Guistrarix,  u.  891;  Quilifredo  n.  868,  Quixoi  n.  612;  romanische 
vocalisierung  im  inlaut:  Geloira  u.  19,  Ildoie  n.  4  genit. ,  ZJi^o«  u.  16,  Quixoi  n.  918, 
Belloy  n.  35;  /S)  vor  dunklem  vocal;  einfache  Schreibung  u:  Aluaro  n.  4,  Arualdus 
n.  63,  Astriialdu  n.  35;  b  :  Albarus  n.  55,  Oumlisalbo  n.  502,  Benegas  n.  535; 
roman.  gutturalis  Vorschlag:  G  na  nadi  (fem.)  n.  75,  (luardila  n.  410,  Qiiandila  n.  208, 
Qiialatrudia  n.  140;  zu  ^r  vereinfacht  vor  o  und  ?/:  Goldrogodo  n.  87,  Oulfarix 
n.  952,  Ebreguldiis  n.  5,  Ebrcgulfo  n.  263^;  apokope  we<  zu  «,  o:  Unisco  n.  503, 
Ortrefredus  n.  35;  synkope  im  inlaut  ^t'?^  zu  ?«:  Adaulfus  n.  32,  «<■«  zu  a:  Bernaldo 
n.  63,  Arognnti  n.  4,  «-a  zu  o,  m,  Arosinda  n.  952,  Eldora  n.  691,  Eldura  n.  583, 
.•l/i?/m  n.  110. 

2.  Germ.  /.  «)  Assimilation  und  assimilatorischer  ausfall  vor  f:  Affonso  n.  888, 
Adeffotisus  a.  19,  Asthupko  n.  8,  Randufix,  n.  891^;  ß)  zwischenvocalische  synkope 
(vgl.  npg.  fiar :  lat.  filwre^  npg.  geraes  :  lat.  generäles):  Peaio  n.  859  {Felagius  n.  889), 
Pelaio  n.  948,  Riquio  (fem.)  n.  867,  Sindea  n.  490,  i^a/?a  n.  927;  y)  dissimila- 
torischer  ausfall:  Ataulfus  n.  81;  cT)  assimilatiou  an  folgendes  d:  Eddeges  n.  79, 
Nantidia  n.  306;  f)  fornwirkende  angloichung  Z  zu  r:   Ortrefredus  n.  35. 

3.  Germ.  r.  «)  Übergang  zu  Z,  z.  t.  dissimilatorisch:  Pf//e«<e  n.  215  (patronym. 
Parentix  n.  208),  Belmirus  n.  5,  Aliuergo  n.  502,  Flomarico  n.  5  {Fromaricus 
n.  81);  /?)  metathese  von  vocal  -f  r:  Brectus  n.  223,  Brettis  n.  10  und  21,  5re^e- 
nandus  n.  81,  Recimefredo  n.  28;  von  r-|- vocal:  Fertiandus  n.  76,  421  {Frenandus 
n.  50,  Fredetiandus  n.  420);  rückläufige  metathese:  Eldreuedo  n.  506  (gegen  £'We- 
bredus  n.  21). 

4.  Germ.  ??.  «)  Synkope,  in  der  compositionsfuge :  Ermegildus  n.  42,  Ermo- 
ricus  n.  429,  Reimundus  n.  77;  zwischeuvocalisch  ^vgl.  npg.  geral,  padroado,  dra- 
goaAat  generalis,  pätrönätus,  *dräcöna):  Meendo  n.  515,  coutrahiert  Mendo  n.  396 
(Menendu  n.  513),  Fufiix  n.  942  {Fofinu  n.  6  masc),  senrd . .  .de  Gwnilaes  n.  407 
nom.  pl.  familienname  als  Ortsname  (vgl.  in  uilla  Sunilanes  n.  222);  ?2-schwiind 
vor  s:  Quxaluo  n.  535,  asti-\  ß)  secundäre  nasalierung:  Inuenando  n.  861  {Etienando 
n.  16)  nach  lat.  in  zu  npg.  em. 

5.  Germ.  d.  «)  Zwischenvocalische  synkope  (vgl.  npg.  fiel  :\at.  fidelis,  suor  : 
südörem):  Diagu  n.  923  {Didacus  n.  92),  Goesteo  n.  605,  Le'egundia  n.  942,  Aülfu 
n.  496,  Aüfo  n.  511,  Truilo  n.  644,  Trtäu  (uxor)  n.  923,  Osoreu  n.  594,  Osoreex 
n.511,  Todereo  n.  943,  Toereu  n.  942.,  Egareus  u.  1,  C/enwtm  n.  594,  C/er/»M  n.  571  *; 
/S)  neuer  hiatusbuchstab  an  stelle  der  rf- synkope:  in  Logefrei  n.  755,  TegJno  n.  146 
(aus  *Tedino),  Goldoauo  n.  723;  y)  d  als  hiatusbuchstab:  Peladix  n.  860  {-.Pelagio 
u.  861,  Pelaio  n.  946),   Madii  n.  232,  gen.   des  monatsnamens ;    (T)  assimilierung  </s 

1)  g  für  ^?<  vor  a  vielleicht  in  Gu7idilax  n.  27,  vor  i  in  Qimaeuiirtis  n.  395. 

2)  Dieser  Vorgang  aucii  ahd.:  Adalof,  Adalufns,   Vuoffo  Libri  confr. 

3)  So  auch   Uulforaus  Libri  confrat. 


556  VON    GRIENBERGER 

ZU  ss:  Rossendo  n.  124;  Id  zu  //  in  -^7/^,  vereinfacht  -ili  aus  -ildi;  t)  assibilierung 
dizwx:  Eldonxa  n.  680,  lldoncia  n.  77,  Öo«*an.  505,  Ergonxa  n.  i()\  ^  Ermegonxa 
n.  680;  C)  rf-einschub  nach  n:  Guimandus  n.  41. 

6.  Germ,  ^-synkope  im  wortinnern:  Hermiildo  u.  488,  -isclus,  -isilo  (aus 
*-gisla-);  igo  zu  o  ursprünglich  io:  Ermionda  n.  450,  Eldonxa  n.  680;  aga  zu  a: 
Damiro  n.  59,  Daildu  n.  49. 

7.  Consonantische  Stärkeverminderung,  a.)  t  zw  d:  Ooldrogodo  n.  87  ^  Sesgudus 
n.  39;  ß)  k  zu.  g:  uiam  monastigam  n.  26,  solidos  galliganos  n.  35,  pegora  n.  590, 
Asgarigus  n.  63  (Ascarigus  n.  26),  -rigus  neben  seltenerem  -ricus,  Ardega  n.  680, 
Visterga  n.  1;  y)  f  zw.  b  (u):  Eldebredus  n.  21,  Monebreda  n.  486,  Uiliauredi 
n.  58  gen. 

8.  Germ. /i.  «)  Apokope:  J.r5'e?wfZ*  gen.  n.  67,  Argifredus  n.  20,  Romarigus 
n.  26,  Rudcsindi  gen.  n.  31,  dazu  im  anlaut  des  zweiten  teiles  -arius,  -adus,  -ildi\ 
ß)  Synkope  bei  inlautenden  cousonantischen  biudungen;  luv  zvlw:  Feruilum  fem.  nom. 
n.  24,  Euosindo  n.  69;  A<  zu  ^:  Bertiario  u.  90,  Bretenandus  n.  81;  ZA  zu  Z:  Sindofalix 
n.  105;  rA  zu  r:  Qundemarus  n.  101,  Vimara  n.  4  masc. ;  /)  Ä<  zu  e<:  Tructesendo 
n.  28;  d")  ^  -|-  A  zu  ^:  Baltario  n.  67,  Balteiro  n.  70,  Oontado  n.  1;  «)  prothese: 
Hegelo  n.  4,  Hegten  n.  71,  Hodoarius  n.  29,  Honorigo  n.  21,  Honneca  n.  88. 

9.  Einzelne  lautgnippen  in  der  compos.  fuge.  «)  germ.  %'«:  Arnomar  n.  462, 
Arosinda  n.  952,  Aragunti  n.  4,  Arulfus  n.  71;  Fagildus  n.  81  (vgl.  Fauyla  n.  27); 
/3)  /;■«:  Vüiamirus  n.  410,  Uiliefredus  n.  35,  Villivado  n.  595,  TJiliulfus  n.  35; 
y)  r;"a:  Arge-,  Argi-,  Ari-;  S)  nja:  Suniemirus  n.  77,  Songemirus  n.  2,  Songi- 
inera  n.  110,  Sunimiro  n.  110. 

10.  Silbische  apokope  und  Synkope:  Seelemondo  n.  5  {*giscele-),  Frenandus 
n.  50  (frede-J,  Leomirus  n.  52  (leode-J. 

B.    Nominativbildung  bezw.  roman.  casus  generalis. 

1.  Flexionslose  masculina,  auslaut Verkürzung  auf  grundlage  des  romanisch 
betonten  Wortes:  ^'^7/ö  Argemir  n.  585,  Eldeges  n.  79,  Atiomdr  n.  476,  Oondomdr 
n.  12,  Sismir  fest.  n.  104  wie  rom.  Auriol . . .  test.  n.  880,  frater  Maurän  n.  248, 
Sensal  n.  5;  unsicher,  ob  latein.  betont  Saludtor  test.  n.  116,  oder  ob  roman. 
5'aZMa^or. 

2.  Roman,  masculina  (casus  generalis)  aus  lat.  -wm.  «)  Auslaut  o:  Uedisilo 
n.  115,  Fromarigo  n.  91,  Aldulfo  n.  213,  Vilifonso  n.  28,  Atanagildo  test.  n.  44, 
Outemondo  n.  91,  Leouegildo  n.  185,  Venedario  n.  109,  Monderico  test.  n.  5,  e(;fo  . . . 
Fridixilo  (famulo  dei)  n.  649  wie  Romano  . . .  test.  n.  116,  Lucido  test.  n.  106,  e^o 
Saluato  n.  570,  Menendo  notuit  n.  7,  Foßnio  n.  185,  l7e/asco  test.  n.  196,  Serraemo 
test.  n.  575;  damit  zusammengefallen  Gudesteo  serbus  dei  n.  9  (got.  -^^^«  asigmat. 
form);  /3)  auslaut  w:  Ermemiric  test.  n.  35,  Romarigu  n.  110,  Sandemiru  n.  138, 
Tramondu  test.  n.  7,  Astrualdu  con/'(irmans)  n.  35,  Leoderigu  n.  146,  Branderigu 
test.  n.  108,  Oundesindu  n.  647,  wie  Nunitu  n.  450,  Adrianu  test.  n.  30;  j')  der 
roman.  auslaut  umgeschrieben  in  lat.  -wm;  Uidis dum  (nom.)  n.  21,  Cutum  presbiter 
scrisit  n.  79,  Veulft  testes  (d.  i.  -*s),  Oudesteum  n.  91,  wie  Adaum  n.  24  (npg  Adäo)., 
Sandinum  n.  91,  Out  inum  ..  .test.  n.  160,  Benedictum  . . .  testis  n.  180.  Toresarium 
test.  n.  24. 

3.  Rom. -lat.  feminina  auf  -a:  Oundila  (coniugea  mea)  n.  5,  Oonderona 
n.  929,  Eileuua  (iermana)  n.  910,  Oodegeua  (uxor)  n.  554,  Sindileoua  n.  110, 
Arosinda  n.  952,    Flamula  (uxor)  n.  52,    Oondisalba  n.  72,    Oudesteua  n.  79,    wie 


iJBlSR   METER -LÜBKE,    ROMANISCHB   NAMENSTUDIKN  557 

Bellita  n.  595,  Eldequina  test.  n.  57,  ego  Crcscidura  n.  43;  auslaut  später  auch  -e: 
ego  Onece  (fem.;  var.  lect.  Oncca)  n.  76,  hievon  reflectieren  (hindila^  Omca  und 
walirsclieinlich  auch  Flamula  alte  got.  swff.  auf  -o,  die  übrigen  stff.  auf  -a. 

4.  Eoman.-lat.  feminina  auf  -ia.  «)  Auslaut  -ia:  Astragundia  n.  5,  Frade- 
gundia  n.  885,  donnia  Ledegundia  n.  616,  Uestregia  (auia)  n.  858,  wie  Eogenia 
n.  572;  ß)  auslaut  -ie\  Lcodegundie  .  .  .  confirmo  n.  159. 

5.  Roman,  masculina  und  feminina  (casus  generalis)  aus  lat. -ew.  «)  Masculina, 
Schreibung  -e  und  -i:  iiilla  de  Ragolfc  n.  130,  Gitesinde  testes  (d.  i.  -»'s),  Oomexe  . .  . 
test.  n.  114,  Gomixe  n.  407  (beidemale  das  patronj'm.  als  hauptname),  de  Nantomari 
n.  570,  Auomari  . . .  test.  n.  79,  ...  Qumeci  patron.  n.  629,  Nausti . . .  test.  n.  16, 
wie  Patre  test.  n.  111,  Bellide  n.  624  (gegen  Valid  n.  68),  Salude  presbiter  n.  106, 
Zidi  presbiter  n.  14,  Crcscenti  presbiter  n.  44,  Vincenti  presbiteri  (nom.)  n.  74 
(npg.  Vincente).,  Joone  presbiter  n.  126;  ß)  feminina:  Gontrode  n.  408,  Donadildi 
n.  35,  Guanadi  {uxori  mea  nom,)  n.  75;  }')  der  roman.  auslaut  umgeschrieben  in  lat. 
-em:  Aniatorem  .  .  .  test.  n.  117. 

6.  Latein,  masculina  auf  -us.  u)  Schreibung  -us:  Astrulfus  n.  20,  Gundi- 
saluus  n.  696,  Sigericus  presbiter  n.  71,  Tructesindus  .  ..test.  n.  880,  Recemondus 
diaconus  n.  107,  Uidragildus  presbiter  n.  29,  Mimius  Giitierrix  conf.  n.  40,  Naustus 
episcopus  n.  11,  wie  Caritus  test.  n.  111,  Lucidus  n.  17,  iSarraxinus  presbiter  n.  114; 
ß)  Schreibung  -os:  Gundiscalcos  presbitero  n.  219,  Aluitos  presbiter  u.  197,  Gotna- 
dos  . . .  episcopus  n.  5,  Modericos  presbiter  n.  126,  wie  diaconos  n.  77,  clericos  n.  161, 
Damianos  n.  5.     Die  Umschrift  Munius  dürfte  auf  lat.  -o,  -önis  beruhen. 

7.  Lat.  masculina  und  feminina  auf  -is:  «)  Almudis  test.  n.  40  unter  masc. 
zeugen;  ß)  Ounterodis  zweifellos  fem.  und  nom.  n.  124. 

8.  Lat.  masculina  auf  -o  (-on)\  Munio  testis  n.  648,  Gimdisaluus  Muneonis 
conf.  n.  34;  dazu  viell.  auch  ego  Leobello  (masc.)  n.  447. 

9.  Romanische  masculina  (casus  generalis)  aus  -önem.  «)  Auslaut  -one  oder 
-oni:  Tedone  scripsit  n.  86,  Agione  frater  n.  54,  Fulderone  (masc.)  n.  25,  Froiloni 
(confirmo)  n.  12,  Tedoni  abba  n.  74,  Eroni  prolis  test.  n  197,  Siloni  presbiter 
n.  51,  mit  w- Synkope:  Manioi  test.  n.  87,  wie  Crescani  prolis  test.  n.  197;  ß)  ge- 
kürzte form  Schreibung  -on,  selten  -o?«:  Brandon  test.  n.  93,  Lubon  abba  n.  93, 
Tedon . . .  test.  n.  81,  ego  Godon  n.  59,  Carlen  test.  n.  106,  Santom  presbitero  n.  8, 
Zcmdom  . . .  test.  n.  144,  wie  Dou/nicon  test.  n.  112;  y)  der  rom.  auslaut  umge- 
schrieben in  lat.  -onem:  Agioncm  (nom.)  n.  54. 

10.  Gotische  masculina  auf  -a.  «)  Auslaut  -a:  Frogia  presbitero  n.  663, 
Guma  .  .  .  test.  n.  28,  Vimara  diaconus  n.  4,  Froila  n.  9,  Sandila  presbiter  n.  A:'i2., 
Manila  test.  n.  33,  Brandila  test.  n.  110,  Kintila  n.  138,  Fandila  n.  458,  Ansila 
jjresbiter  test.  n.  5,  Vitixa  test.  n.  33;-/?)  auslaut  -e  und  -i:  Vittixe  presbiter  n.  34, 
Leobele  ...  testis  n.  180,  donino^Kiquili  (var.  lect.  Riquila)  n.  423. 

11.  Roman,  masculina  (casus  generahs)  aus  got. -lat. -ä?je»i.  «)  Auslaut -öm/. 
Manilani  abba  n.  63,  Ikilani ...  episcopus  n.  132,  ego  Fradilani  presbiter  n.  15, 
Vimarani  presbiter  n.  76,  Donnani  abba  n.  28;  ß)  auslaut  gekürzt  am:    Ooiatn . . . 

test.  n.  142,  Donam  abba  n.  64,  Atinam  test.  n.  24. 

12.  Griech.-lat.  -as:  Garsias  test.  n.  57,  Oarseas  presbiter  n.  121  (neben 
Garsea  n.  114),  Gaudinas  .  .  .  test.  n.  116,  Cendas  n.  13,  Arias  presbiter  n.  69,  de 
Egas  (neben  a  Degani)  n.  952,  wie  Zacarias  n.  116,  Elias  test.  n.  40. 

13.  Gotische  feminina  auf  -o.  «)  Schreibung  -o  und  -u:  domna  Goldrogodo 
n.  87,   Froilo  (isla)  n.  12,    Unisco   (uxor)   n.  625,   Idilo  (oxor)   n.  105,   Eilo  (uxor) 


558  VON   GRIENBERGER 

n.  10,  Leuecoto  (mater)  n.  688,  ego  Teodüo  (a  me  ipsaj  n.  110,  Uniscn  (fem.) 
n.  458;  ß)  der  got.  auslaut  roman.  gefasst  und  umgeschrieben  in  lat.  -um:  Feruilum 
(i(ssor  Um)  n.  24. 

C.    Patroiiyniisclie  formen. 

1.  Lat.  gen.  mit  Zusätzen  die  abstammung  ausdrückend:  ego  . . .  Gundisalhus 
fllius  Gonsalui . . .  n.  76,  Uelasqueta  Pelagii  filia  n.  97,  Leodegundie  prolis  Eroni 
n.  159,  Ahdtos  . . .  Eroni  prolis  n.  197,   Odorius  .  . .  Gresconi  prolis  n.  197. 

2.  Lat.  gen.  ohne  zusatz  «)  auf  -i:  Rammiru  Uilimiredi  n.  58,  Froila 
Gundesindi  n.  31,    Arias  Dagaredi  n.  35,    Teton  Adefonsi  u.  20,  Fromarieus  Spo- 

sandi  n.  88,  Menendus  3Ienendi  n.  76,  Aloitns  Lueidi  n.  107,  ego  Goldoauo  Marcii 

a.  723,  Mendo  Pelagi  n.  396,  Frogiiilfo  Beati  n.  151,  Anagildus  Brandihmi  n.  13, 
Oueco  Garseani  n.  147,  Gtmdesindtis  Froiani  n.  bO  ^  Begica  Etmeconi  n.  97 ,  Ennego 
Ucgilani  n.'921,  hausti  Uandilani  n.  31,  Liieidus  Vii/iarani  n.  17,    Vimara  Froi- 

lani  u.  17;  ß)  auf -«'s:   Gundisahms  Moneonis  n.  85.   Oueco  Muneonis  n.  84,  Floriti 

Joliannis  n.  673,  Osorio  Johannis  u.  678. 

3.  Roman,  casus  generalis  oder  got.  nom.  auf -«  mit  Zusätzen.  «)  Lateinische: 
Gcmdilli  filia  Sando  Gauinizi  n.  634,  Ariulfo  filio  de  Demi  n.  90;  ß)  arabisch: 
Romano  iben  Froila  n.  116,  Amatorem  iboi  Uassalo  n.  117.  Zalama  ibcn  Becc- 
mondo  n.  85,  Zacarias  iben   Unsuito  n.  116. 

4.  Patronym.  bildung  auf  -ix  mit  Zusätzen  verbunden:  Leoderigus  prolix 
Leoderiqix  n.  590,  Nunus  dictus  Silonix  n.  76,   Geluira  prolis  Nunix  n.  151. 

6.  Patronymikon  auf  -ix  ohne  zusatz;  form  -ix  voll,  synkopiert  -x,  Ortho- 
graphie einerseits:  -iz,  -ixi,  -ixe,  -ic,  -ici,  -it,  -iti,  -is;  anderseits:  -x,  -c,  -ei, 
-f,  -s,  -X.  Grundlage  der  bildung  ebensowol  namen  got.  herkunft,  als  solche  lateinischer, 
arabischer,  biblischer  abstammung.  Das  patronymikon  gilt  sowohl  für  männer  als  frauen. 
«)  Consonant.  auslautende  masculina:  Golvira  Chrislovaix  n.  511,  Fofbiio  Beniamix 
n.  185,  Gila  Dauidici  n.  90,  Petrus  Danielx  n.  866,  Riquio  Zoleimax  n.  867 
(aber  auch  vocalisch  ausl.  Zoleima  n.  66);  ß)  roman.  masc.  auf  -o  (-uj,  selten 
auch  -io,  gekürzt  -i:  Gudinus  Gundesalbix  n.  12,  Loderigu  Gtidesindix  n.  146, 
Atriano  Laudandix  n.  56  {Laudandus  presbiter  u.  62),  Pejn  Sentarix  n.  219,  Uelasco 
TJelasquix  n.  185,  Aliiito  Erinoriquix  n.  185,  Oueco  Gudesteix  u.  114,  Petrus 
Pelaix  n.  945  {Pelayus  n.  77),  Geluira  Nunnix  n.  124,  Tedon  Gontemirix  n.  81, 
Gtitinmn  Fofix  n.  160  {Fofu  n.  90),  Leobele  Sisulfix  n.  180,  Unisco  Gunxahcix 
(uxor)  n.  625,  ego  Idilo  Facildix  (fem.;  de  nostro  patre  Fagildo  Gundesindix)  n.910, 
Nausti  Ti-uiteiuirix  n.  16,  Bellide  Justix  n.  624,  Ueremudo  Uermuix  n.  76,  Gundi- 
sahms Petrix  n.  880,  Auriol  Martinix  n.  880,  Tructesindus  Truetesindix  n.  880, 
Gundulfu  Antonix  n.  160,  Senduara  Asiulfixi  {Asiulfu,  vater  der  S.)  n.  634,  Nunitu 
Astrufixi  n.  450,  Sandemiru  Ghristovalixi  n.  138,  Aluito  Benedictisxi  n.  147  {Bene- 
dicttis  n.  52),  ego  Tellus  Sesnandic  n.  675,  Monderigo  Tanoix  n.  185  {Tanoy  n.  17)', 
Suerio  (dat.),  Fromariguic  n.  675,  Eluire  (dat.)  Nunic  n.  675,  Gundesindu  Toderaquic 
n.  647;  Tructesendo  Osoredici  n.  28,  Gutiere  Roderici  n.  71,  Bertiario  Maloquiniei 
n.  90,  Dauid  Sesnandici  n.  90,  Reeunefredo  Egaredici  n.  28,  Vilifonso  Rudurici 
n.  28,  Fagildus  Astrid  fit  n.  251,  Fagildus  Berulfit  n.  221,  Queiriacus  Tioteuadit 
n.  88;    Floriti   (als    hauptuame)   n.  673;    Synkopen:    ego   Saluato   Louerigox  n.  570, 

1)  Zu  entscheiden,  ob  das  patronymikon  der  Zidi  Cresconix  n.  124  und  Olide 
Cresconix  n.  195  auf  einem  namen  mit  -önetu  oder  -önius  beruhe,  versagen  die 
mittel.     Crcsconius  findet  sich  n.  474.   Gresconi  n.  197. 


ÜBER    MEYKR-LÜDKE,    ROMANJS'CHE   NAMENSTÜDIEN  559 

Scemeno  Sauaricox,  n.  114,  ego  Froila  Leoderigux  n.  146;  Menendo  Godesteoxi 
n.  100;  Hegica  Ennegot  u.  71  {En/icgus  n.  71);  Aluitus  Gundemarus  n.  109,  Fra- 
miildo  Tcoderedus  n.  109;  ferner  mit  Schwund  eines  suffixalen  c  fgj:  Onorigu  Didax 
n.  185,  Gunsahio  Diax  n.  373,  Egas  Didaxi  n.  220  (Didaeus  oft),  Cresconius  Qui- 
ridxi  n.  37  {Queiriäciis  n.  88),  Ansemiru  Branderix  n.  160  {Branderigu  n.  108); 
ego  Ansur  Dias  n.  373;  y)  rouian.  masculina  auf  -e,  -i:  Cidi  Parentix  n.  208 
[Parentc  n.  142),  Faßa  Guter is  n.  633  (Gufiere  n.  71);  J)  lat.  masculina  auf  -o 
(«-stamm):  Osoyro  Ouequix  n.  38  var.  lectio  {Ouecco  n.  139),  Feiagio  Munix  n.  945, 
Gomexe  Munix  n.  114  {Munio  n.  22,  648),  Didacu  Ennequix  n.  491,  Osorius  Ovequis 
n.  138';  f)  roman.  masculina  auf  -one,  -otii,  -on:  Pelagio  Qetonix  n.  56  (Oatön 
testes  n.  8);  C)  got.  masculina  auf  -a:  Benedicttmt  Egiquix  n.  180  {Hegica  n.  71), 
Sandu  Brandilix  n.  160  {Brandila  n.  158),  Uelasco  Garceix  n.  196,  Pelagio  Requix 
n.  180  (synkope  *Pequia  aus  liiquila  n.  423);  J//(/o  Guandilixi  n.  163;  Tedotie 
Quixexi  n.  86  (*§««'*»);  Froila  Gumeci  n.  629  {Gimia  n.  28);  Rodorigo  Froilax 
n.  145,  Nunus  Floilax  n.  76,  Uixoi  Emilax  n.  146,  Fafila  Guandilax  n.  146, 
Fauyla  Gandilax  n.  27,  wie  e^o  Sindinu  Abormax  et  iermana  mea  Gudina 
Abormax  .  .  .  de  pater  nostro  Aborma  Didax  n.  257;  Gontado  Uisterlaxi  n.  20, 
Kintila  Kintilaxi  n.  138,  Petrus  Tructaxi  n.  28;  Jonas  Aldonaci  n.  28;  Gotnixe 
Egicat  n.  407;  Munio  Uenegas  n.  583,  I'e^7a  Venegas  n.  880,  Gundisaluiis  Venegas 
n.  880,  Godina  Fafilax  (neben  Fafilax)  n.  349;  /;)  roman.  masculina  auf -«?w,  -aw: 
Mourili  Froyanix  n.  27,  Guma  Arianici  n.  28,  Fo/^«  Gudilanici  n.  90;  Enego 
Giitayx  n.  27. 

Das  ursprüngliche  gotische  System  *Liudareiks  sunus  Liudareikis  schimmert 
in  Leoderigus  prolix  Leoderiquix  noch  deutlich  durch.  Die  Setzung  des  blossen 
patronymischen  geuitivs  ist  also  die  auch  intern  germ.  bekannte  ellipse.  Die 
bildungen  auf  -ix  bei  den  masc.  «^w^- stammen,  wie  Sandu  Brandilix,  können 
im  typus  auf  den  entsprechenden  got.  gen.  *Brandilins  zurückgehen,  wobei  der  ein- 
tritt von  -is  für  -his  am  besten  als  roman.  ausgleich  gefasst  wird,  wenn  es  auch 
möglich  wäre,  ihn  als  schon  got;  Übertragung  anzusprechen  und  mit  den  north,  starken 
genitiven  sing,  auf  -es  bei  masc.  «-stammen  (Sievers  Ags.gr.  §276  anm.  5)  zu  ver- 
gleichen, oder  sogar  auch  eine  lautliche  entwickluug  von  -ins  zu  -is  anzunehmen. 
Die  orthographischen  Varianten  zu  -ix  haben  gar  nichts  zu  sagen,  es  ist  einheitlich 
-is  zu  sprechen.  Der  auslautende  vocal  in  den  Schreibungen  -ixi^  -ixe,  -ici,  -iti 
ist  wol  nur  graphisches  hilfszeichen ,  wie  in  Ciandila  =  Sandila,  zuweilen  vielleicht  ein 
versuch,  dem  patronymikou  die  form  eines  rom.  nominativs  auf  -i  aus  -em.  zu  geben. 
Die  bildungen  auf  -ix  sind  die  primäre  form,  secundäre  roman.  bildungen  aus  der  pro- 
ductiven  kategorie  sind  die  Synkopen  -x,  -c  usw.  mit  bewahrung  des  nach  roman. 
Stande  auslautenden  vooales  -o,  -ti,  -a.  Die  wähl  vorwiegend  des  buchstabens  x 
neben  c  und  t  =  ^  für  die  da^rstellung  des  aus  dem  got.  ererbten  lautes  hat  vermut- 
lich ihren  grund  in  einer  Vorstufe  der  npg.  ausspräche  des  auslautenden  s  lat.  her- 
kunft  als  s. 

D.    Accent. 

Die  betonung  der  naraen  ist  die  latein. -romanische,  der  hauptton  liegt  bei  den 
zweistämmigen  namen  auf  der  ersten  silbe  des  zweiten  teiles  und  zwar  nicht  bloss, 
wenn  dieselbe  ursprünglich  langvocalisch  wie  in  Rudorigu  n.  346,  Tcodem/ro  n.  347, 

1)  Munix  kann  auch  aus  Munia  Aluitix  n.  20  stammen;  ebenso  die  übrigen 
aus  a- formen;  die  kategorie  schal f  zu  begrenzen,  scheint  noch  nicht  möglich. 


560  VON   QRIENBER&ER   ÜBER   METER -LÜBKE,    ROMANISCHE   NAMENSTUMEN 

Oondoredo  n.  347,  oder  positionslang  wie  in  Louegildo  n.  267,  Tudetldus  n.  347, 
Fredendndo  n.  352  ist,  sondern  auch  bei  ursprünglicher  kürze:  Argifredus  n.  20, 
Guntddo  n.^Xfi^  Gudesteo  n.  348,  fem.  Goldregödu  u.  269^  d.h.  es  ist  in  allen  diesen 
fällen  der  germ.  nebenton  zum  hauptton  geworden  und  zwar  auch  dann,  wenn,  wie 
bei  Uidisilu  n.  331,  ein  secundärvocal  auf  die  Stammsilbe  folgt.  Es  ist  demnach 
zweifellos,  dass  die  bildungen  -Uli  auf  der  ersten  silbe  dieses  elementes  Teodilli 
(uxor)  n.  78  z.  b.  zu  betonen  sind,  ebenso,  dass  die  formen  Eldeges  n.  79,  Auomdr 
n.  476,  Sismir  romanischen  ton  besitzen  und  als  romanische  Verkürzungen,  nicht  als 
flexionslos  gebliebene  ursprünglich  got.  formen  angesprochen  werden  müssen.  Die 
erstarrten  got.  ableitungen  auf  -ila,  -ica  und  -ilo,  -ico  bewahren  die  alte  germ. 
tonstelle  Fundila  n.  268,  Vdndila  n.  76,  Ardega  n.  680,  Riquilum  (fem.)  n.  79, 
Giindilu  (uxor)  n.  80,  Trästalo  n.  60,  die  in  Übereinstimmung  mit  den  latein.- 
roman.  analogien  Lüxido  n.  371,  Didagu  n.  474  festgehalten  werden  musste.  Und 
hieran  schliessen  sich  andere  mit  kurzer  paenultima,  wie  Münio  n.  583,  MMoma 
n.  63,  Vitixa  n.  33,  Christöualo  n.  67,  nach  dessen  beispiel  auch  der  in  Sindofaliz 
n.  105  gelegene  name  *  Sindofalus  betont  sein  muss,  auch  wenn  der  zweite  teil 
ursprünglich  positionslanges  *falha  gewesen  sein  sollte.  Dagegen  dürften  die  Um- 
bildungen Uisterla,  Uisterga  die  germ.  tonstelle  aufgegeben  haben.  Ebenso  haben 
die  romanischen  bildungen  aus  -önern  und  -änem  sicher  auch  die  neue  romanische 
tonstelle:  Tedöne  n.  86,  Tedoni  n.  74,  Tedön  n.  81,  Santöm  n.  8,  Domiäni  n.  28 
und  die  den  -om  entsprechenden  bildungen  auf  -am  sind  demnach  aualogisch:  Dondm, 
Goiäni  zu  betonen.  Dass  die  m«s- ableitungen,  insoweit  sie  romanisch  sind,  auf  dem 
i  betont  werden  müssen:  Pepino  n.  66,  Seniorinu  n.  21  z.  b. ,  ist  zweifellos,  aber 
auch  bei  germ.  ez«a- bildungen  müsste  diese  betonung  eingetreten  sein,  so  dass  bei 
Sandiniis  n.  20,  Godinus  n.  63,  Trastina  n.  60  sich  aus  der  betonung  nichts  für 
oder  wider  die  eine  oder  andere  abkunft  des  suffixes  ergibt,  obwol  ich  annehme,  dass 
dasselbe  überhaupt  roman.  sei.  In  der  lehrreichen  combinalion  von  n.  60  Trästalo 
cocnomentum  Trastina  (ucsor)  scheint  geradezu  ursprünglich  germanische  und  spätere 
romanische  kurzformbildung  gepaart  zu  sein.  Betonung  auf  der  vorletzten  silbe  kommt 
natürlich  auch  den  romanischen  deminutiven  mit  etymologischem  tt:  Ansito  n.  672, 
Alderetto  n.  67,  Maxitus  n.  63,  BelUtiis  n.  15,  sowie  den  ursprünglich  germ.  ing- 
ableitungen  zu  Froarengus  episcopus  n.  3,  13,  15,  17,  dissimiliert  Fralengo  test. 
n.  87 ',  Gaudmgu  n.  757,  die  formell  mit  lat.  -inicus  wie  Domengus  n.  391  zu- 
sammengefallen sind.  Die  zweisilbigen  namen  mit  got.  oder  lat.  enduug  müssen 
Stammbetonung  besitzen  und  zwar  auch  dann,  wenn  dieselben  durch  einschaltung 
eines  secundärvocales,  wie  unisco  n.  511,  dreisilbig  geworden  sind,  endbetonung 
aber  die  als  zweisilber  erscheinenden  entwicklungen  aus -o/iem:  Falcönn.Sl^  Baron 
n.  20,  Cendon  n.  414.  Die  betonung  der  patronymika  ist  die  des  zugrunde  liegenden 
roman.  namens,  also  Ermoriqtiix^  Osoredici,  Christovalixi ,  Sauaricox,  Getönix, 
Brdndiliz,  Gomexe,  Quixexi,  GuändUax,  Froydnix ,  Gutdyx,  Diax^  ohne  irgend- 
welche änderung.  Endbetonung  findet  nur  in  dem  falle  der  Verschmelzung  der  ton- 
silbe  mit  dem  -is  der  patronym.  bildung  statt.  Von  einer  änderung  der  tonsilbe  ist 
aber  auch  bei  dem  typus  Branderix  nicht  die  rede. 

1)  Von  einem  zweistämmigen  namen  *Frodrius  ausgehend. 

CZERNOWITZ.  VON    GEIENBERGER. 


KRUMM    ÜBER   IfEBBELS    WERKE   ED.  R.  M.  WERNER  561 

Friedrich   Tic b bei.     Sänitlielie   werko.      Historisch -kriti.sclie    au.sgabc    besorgt    von 
Riebard  Maria  Werner.    B.>rlin  lÜOl  — li»03.    B.  Behrs  verlag  (E.  Bock).    Achter 
band:    Novellen    und    erzählungon.    —    Muttor  und    kind.   —    Pläne    und  Stoffe. 
(1835—1863).    Neunter  band:  Vermi.sclito  Schriften  I  (1830  —  1840).  —  Jugend- 
arbeiten.  —    Historische   schrifteu.  —   Reiseoindrücke  I.     Zehnter  band:   Ver- 
inischto  schrifteu  II  (1835 — 1841).  —  Jugendarbeiten  II.  —  Keiseeindrücke  II.  — 
Kritische    arbeiten   I    (1839-1841).      Elfter    band:    Vermischte    Schriften   lU 
(1843  — 1851).  —  Kritische  arbeiten  II.     Zwölfter  band:  Vermischte  Schriften  IV 
(1852  —  1863).  —  Kritische  arbeiten  III.    ä  2,.50  m. 
Die  letzten  bände,  mit  denen  die  mühevolle  arbeit  des  herausgebers  ihren  vor- 
läufigen abschluss  findet,  enthalten  manches  von  den  früheren  ausgaben  ausgeschlossene, 
meistens  von  geringerer,  zum  teil  jedoch  von  ganz  hervorragender  bedeutung. 

Als  erzähler  wird  Hebbel  sicherlich  nie  hoch  bewertet  werden,  seine  entwick- 
lung  auf  diesem  gebiete  der  dichtung  erscheint,  im  vergleich  zu  derjenigen  des  lyrikers 
und  dramatikers,  dürftig.  Immerhin  war  es  von  Interesse,  auch  diese  entwicklung 
lückenlos  vorzuführen.  So  mögen  denn  auch  die  in  den  achten  band  aufgenommenen 
erzählungen  des  jungen  Hebbel  aus  der  Wesselbu rener  und  Münchener  zeit,  ästhetisch 
betrachtet  sicherlich  das  wertloseste  aus  seiner  hinterlassenschaft,  mit  dank  begrüsst 
werden.  Wir  können  jetzt  verfolgen,  wie  der  nachahmer  C.  "W.  Contessas  und 
E.  Th.  A.  Hoffmanns,  sobald  er  der  Wesselburener  ein.samkeit  entronnen  ist,  sich  mit 
Klei.st  und  Jean  Paul  berührt  und  sich  schliesslich  zu  einer  leidlich  selbständigen 
eigenart  der  epischen  darstellung  hindurchringt.  In  den  während .  seiner  universitäts- 
jahre  entstandenen  erzählungen  erkennt  man  deutlich  die  neuen  muster,  nach  denen 
er  sich  bildet,  doch  mischen  sich  in  ihnen  die  an  und  für  sich  schon  widerstreitenden 
eiemente,  die  herbe,  concentrierte  tragik  und  der  bittere,  etwas  forcierte  humor  zum 
übertluss  auch  noch  mit  den  fräheren  mehr  Conventionellen  motiven,  so  dass  fast  alle 
diese  arbeiten,  mit  ausnähme  etwa  des  'Schnock',  einen  zwiespältigen,  unerfreulichen 
eindruck  machen.  Selbst  spätere  producte  des  gereiften  künstlers,  die  bereits  jene  ge- 
schlossene Weltanschauung  spiegeln,- welche  Hebbels  tragödie  trägt,  wie  'Matteo'  (1839) 
und  'Die  kuh'  (1849)  erscheinen  dem  kritischen  betrachter  fast  nur  als  karrikaturen 
seiner  gewaltigen  dramen.  Doch  w-enn  denn  auch  die  ästhetische  minderwertigkeit 
der  erzählungen  Hebbels,  vor  allem  der  hier  zum  ersten  male,  nach  langer  Ver- 
gessenheit, wider  abgedruckten  aus  dem  anfang  seiner  schriftstellerischen  tätigkeit, 
von  niemandem  geleugnet  werden  wird,  so  ist  ebenso  unbestreitbar,  dass  sie  für 
den  biographen,  der  diese  persönlichkeit  nach  allen  Seiten  hin  scharf  umreissen 
möchte,  sehr  beachtenswert  sind.  Und  auch  der  ästhetiker  geht  nicht  ganz  leer  aus, 
da  es  sich  wol  verlohnt,  mit  den  in  vorreden,  tagebuchaufzeichnuugen  und  briefen 
dargelegten  theoretischen  anschauungen  des  grossen  dichters  über  eine  kunstgattung, 
in  der  er  seihst  es  nicht  zur  Vollendung  brachte,  sich  auseinander  zu  setzen,  sie  an 
dem,  was  er  leistete,  zu  messen.  Hierüber  bringt  die  einleitung  zu  bd.  VIII  nicht 
wenig  neues  bei.  Besonders  verweisen  möchte  ich  auf  die  fruchtbaren  vergleichungon 
Hebbels  mit  Hoffmann,  obgleich  mir  der  herausgeber  in  der  aufspürung  von  be- 
ziehungen  zu  ihm  wie  zu  Contessa  im  einzelnen  zu  weit  geht  (s.  namentlich  s,  XIV 
bis  XV).  Sehr  lichtvoll  sind  ferner  die  Untersuchungen  über  einzelne  als  verschollen 
geltende  novellenskizzen,  die  Hebbel  in  einem  an  Elise  Lensing  gerichteten  briefe  aus 
dem  jähre  1836  envähnt.  Die  auf  s.  XXI  ausgesprochene  Vermutung,  dass  'Pauls 
merkwürdigste  nacht'  (1837)  mit  dem  daselbst  genjinnten  'Johann'  eins  sei,  ist  so 
ausreichend   begründet,    dass    man    sie    fast  als    sicher  bezeichnen   kann.     Auch  die 

ZEITSCHRll'T    F.    DEUTSCHE    PHILOLOOIK.       BD.  XXXVIl.  36 


562  KRUMM 

Identität  der  'beiden  vagabunden'  nnd  des  'Meister  Jakob'  ist  unbestreitbar,  glaube 
ich,  wogegen  diejenige  des  'Herrn  Weiss'  und  der  späteren  novelle  'Herr  Haid- 
vogel  und  seine  familie'  mir  niclits  weniger  als  erwiesen  scheint.  Übrigens  erinnert 
Werner  bei  der  analysierung  des  'Haidvogel'  (s.  XXXI)  mit  unrecht  an  Hebbels  vater; 
die  renommage  und  grossmannssucht  Haidvo'gels  hat  mit  dem  finsteren,  trotzigen 
stolz  des  alten  Hebbel  garnichts  verwandtes.  Schon  eher  kann  man  es  sich  gefallen 
lassen,  wenn  er  beim  'Nepomuk  Schlägel'  an  ihn  erinnert  (s.  XXXIX),  doch  wird 
der  schwarzgallige  humor  dieses  letzteren  am  einfachsten  aus  der  dumpfen  Ver- 
zweiflung, die  sich  des  dichters  in  den  schaurigen  Münchener  jähren  immer  mehr 
bemächtigte,  erklärt.  Der  'Schlägel'  ist  das  am  wenigsten  objective  unter  diesen 
Charakterbildern  und  schöpft  die  ganze  bitterkeit  der  Stimmung  seines  Verfassers  bis 
auf  die  hefe  aus.  —  Übrigens  halte  ich  es  nicht  für  richtig,  dass  die  erzählungen 
von  Werner-  nicht  chronologisch  geordnet  sind,  obgleich  ich  die  gründe,  die  ihn 
bewogen,  die  von  Hebbel  selbst  im  jähre  1855  für  den  druck  getroffene  anordnung 
nicht  zu  zerreissen,  sehr  wol  zu  würdigen  weiss.  Noch  weniger  billige  ich,  dass 
die  Idylle  'Mutter  und  kind'  erst  hier  hinter  den  erzählungen  eingereiht  wird, 
das  widerspricht  doch  zu  sehr  dem,  soweit  ich  sehe,  sonst  in  klassikerausgaben 
befolgten  brauch.  Die  einleitung  dieses  bandes  bringt  eine  ausführliche  und  liebe- 
volle analyse  der  herrlichen  dichtung  und  widerlegt  die  einwände,  die  Otto  Ludwig 
und  Emil  Kuh  gegen  sie  erhoben  haben;  die  polemik  gegen  R.  M.  Meyer  (s.  LV) 
halte  ich  für  überflüssig.  Eine  vergleichung  mit  'Hermann  und  Dorothea'  war  nahe- 
liegend, doch  ist  der  herausgeber  wenig  glücklich  in  dem  nachweis  von  ähnlichen 
Wendungen  (s.  L).  V.  ISlOfg.  ist  allerdings  dem  anfang  von  'Urania'  offenbar  nach- 
geahmt, woran  sich  aber  v.  1937  anlehnen  soll  —  wahrscheinlich  liegt  ein  druckfehler 
vor  — ,  ist  mir  unerfindlich.  Interessanter  wäre  es  jedesfalls  gewesen,  nachzuweisen, 
wie  sich  die  Verschiedenheit  der  beiden  dichterindividualitäten  und  der  dargestellten 
Zeiten  in  stil  und  Charakteristik  ausspricht.  —  Die  am  Schlüsse  aus  den  tagebüchern 
und  zerstreuten  blättern  des  nachlasses  gesammelten  'Pläne  und  stoffe'  stehen  hinter 
den  dramatischen  embi'yonen  des  fünften  bandes  erheblich  an  wert  zurück.  Von  kaum 
zu  überschätzender  bedeutung  ist  dagegen  das  in  den  anmerkungen  (s.  387  —  399)  ab- 
gedruckte material  zur  Selbstbiographie  aus  Hebbels  nachlass,  das  sicherlich  verdient 
hätte ,  in  die  '  Werke '  aufgenommen  zu  werden.  Diese  flüchtig  hingeworfenen  hiero- 
glyphen  sind  freilich  nicht  leicht  zu  deuten.  Der  herausgeber  war  mit  den  Verhält- 
nissen und  persönHchkeiten  in  Hebbels  heimatsort  nicht  vertraut  genug,  um  vor  Irr- 
tümern geschützt  zu  sein.  Eine  reihe  von  namen  sind  sicher  verlesen,  worauf  ich 
an  dieser  stelle  nicht  näher  eingehen  kann,  eine  sorgfältige  nachprüf ung  der  in  dem 
Weimarer  archiv  aufbewahrten  notizen  ist  unerlässlich. 

Der  neunte  band  enthält  nur  neues.  Ausser  einigen  noch  ganz  unreifen  pro- 
saischen beitragen  zum  'Dithmarser  und  Eiderstedter  boten'  aus  den  jähren  1830—33, 
von  denen  wahischeinlich  nur  ein  teil  aus  seiner  feder  stammt,  finden  wir  hier  zu- 
nächst die  in  s|)äteren  bänden  vervollständigte  reihe  seiner  kritiken  für  den  'Wissen- 
schaftlichen verein  von  1817'  in  Hamburg.  Sie  schliessen  sich  vielfach  an  die  ersten 
ausführungen  des  tagebuches,  das  er  am  25.  märz  1835  begann,  eng  au  und  weisen, 
neben  allerhand  rohem  und  abstrusem,  wie  jene  bereits  eine  fülle  scharfsinnigen  und 
originalen  denkens  auf.  Das  genie  tritt  _plötzlich  fertig  aus  dem  dunkel  hervor;  jeder 
versuch,  sein  wachsen  mit  unseren  gewöhnlichen  massstäbon  nachzumessen,  muss 
missliugen.  Vor  allem  gehört  der  aufsatz  über  Theodor  Körner  und  Heinrich  von  Kleist 
(s.  31  —  59),    trotz    seiner    Übertreibungen,    bereits    zu    den   bedeutendsten  kritischen 


ÜTIER    irEBBELS    WERKE   ED.  R.  M.  WERNER  563 

arbeiten  Hebbels.  "\\'ei'  ihn  liest,  erkennt  staunend,  wie  abgeklärt  des  dichters  ästhe- 
tische auschauuugen  damals  schon  waren,  mit  welclior  Sicherheit  schon  der  Jüngling 
dem  urteil  seiner  zeit  entgegentrat;  das  gegen  den  ström  schwimmen  war  ihm  natur. 
—  Es  folgen  dann  die  beiden  historischen  Schriften  über  den  30jährigen  krieg  und 
über  die  Jungfrau  von  Orleans,  welche  er  während  seines  zweiten  aufenthaltes  in 
Hamburg  (1840),  als  die  not  des  lebens  ihn  zu  ersticken  drohte,  für  die  'Wohlfeilste 
Volksbibliothek'  unter  dem  pseudonyni  dr.  J.  F.  Franz  schrieb.  Werner  vermutet  wol 
mit  recht,  dass  er  dieses  psoudonym  in  erinnerung  an  seinen  Jugendfreund  Franz, 
den  apotheker  auf  Helgoland,  gew-ählt  habe,  er  hätte  auch  auf  die  auffallende  tat- 
sache  verweisen  sollen,  dass  Hebbel  im  folgenden  jähre  (1841)  sein  lustspiel  'Der 
diamant'  zur  preisbewerbung  in  Berlin  unter  dem  verstecknamen :  König  Franz  ein- 
sandte. Dass  er  seine  anonymität  durch  eine  erklärung  der  B.  S.  Berendsohnschen 
buchhaudlung  wahren  lies,  als  ein  vorlauter  Zeitungsschreiber  ihm  aus  persönlicher 
gehässigkeit  die  maske  abzureisseu  suchte,  können  wir  jetzt  sehr  gut  begreifen.  Werner 
verteidigt  ihn  warm  gegen  den  von  0.  Karpeles,  der  den  hierauf  bezüglichen  brief 
Hebbels  an  Gustav  Kühne  in  dem  'Magazin  für  litteratur'  zuerst  veröffentlichte  (1894), 
erhobenen  Vorwurf  eines  angeblichen  'banges  zu  zweideutiger  haltung',  der  einem 
manne  gegenüber,  der  fast  Wahrheitsfanatiker  war,  ganz  töricht  erscheint.  Er  be- 
tont, dass  es  dem  dichter,  der  eben  erst  seine  Judith  auf  das  theater  gebracht  hatte, 
nicht  lieb  sein  konnte,  als  Verfasser  von  .Schriften,  die  nur  des  broterwerbs  halber 
verfasst  waren,  an  die  öffentlichkeit  zu  treten.  Er  hätte  hinzufügen  können,  dass 
die  vorschlagendste  eigenschaft  in  Hebbels  charakter,  sein  stolz,  die  triebfeder  seines 
Verhaltens  war.  Seine  trostlose  läge,  die  ihn  auf  eine  linie  stellte  mit  scribenten, 
die  er  verachtete,  mochte  er  sich  selbst  kaum  eingestehen,  er  wäre  lieber  gestorben 
als  sie  der  weit  zu  verraten.  Es  ist  klar,  dass  diese  Schriften,  die  in  wenigen  mo- 
naten  zusammengeschrieben  wurden,  keinen  anspruch  auf  wis-senschaftlichen  wert 
machen  können.  Emil  Kuh  schloss  sie  aus  der  ersten  gesamtausgabe  aus,  wahrschein- 
lich weil  er  fühlte,  dass  Hebbel  sie  auch  später  am  liebsten  verleugnet  hätte.  Trotz- 
dem verdienen  sie  den  platz  in  seinen  werken,  der  ihnen  von  jetzt  an  für  immer  an- 
gewiesen ist.  Der  energische  und  flüssige  stil,  die  geschickte  und  straffe  disposition 
des  Stoffes,  die,  trotz  aller  anlehnung  an  seine  Vorgänger,  nicht  selten  bewiesene 
Selbständigkeit  in  der  beurteilung  historischer  personen  und  ereignisse,  stehen  mit  dem 
kerne  der  Hebbelschen  persönlichkeit  in  unverkennbarem  Zusammenhang,  ex  ungue 
leonem  gilt  ebenfalls  für  diese  ihm  scheinbar  so  fernliegenden  arbeiten.  Bisweilen 
stossen  wir  auch  auf  gedankenreihen,  die  das  eigentümliche  gepräge  seines  geistes 
tragen  und  dem  kundigen  seine  autorschaft  verraten  würden,  auch  wenn  sie  sonst  nicht 
urkundlich  feststände.  Der  '30jährige  krieg'  braucht  den  vergleich  mit  Schiller  nicht 
zu  scheuen,  die  'Jungfrau  von  Orleans'  ist  schon  deshalb  von  noch  grösserem  Inter- 
esse, weil  sich  Hebbel  seit  seinen  Müncheuer  tagen  mit  diesem  dramenstoffe  getragen 
hatte.  Dass  er  für  die  letztere  historische  Schrift  Fouques  'Geschichte  der  Jungfrau 
von  Orleans',  die  sich  auf  das  umfassende  material  des  Le  Brun  de  Charmettes  stützt, 
sowie  das  buch  von  Guido  Görres  als  quellen  benutzt  hat,  weist  der  horausgeber  in 
einleitung  und  anmerkungen  überzeugend  nach.  Wie  weit  er  im  '30jährigon  kriege' 
sich  an  Galletti,  Schiller,  Weltmann,  die  er  selbst  im  Vorwort  als  seine  Vorgänger 
nennt,  im  einzelnen  angeschlossen  hat,  muss  eine  besondere  Untersuchung  klarlegen; 
was  Werner  darüber  auf  s.  XXI  der  einleitung  sagt,  ist  viel  zu  allgemein.  Galletti 
war  mir  nicht  zugänglich;  eine  sorgfältige  collation  mit  Schiller  ergab,  dass  Hebbel, 
im   ausdruck  vielfach  von   ihm   abhängig,    —   manches  stark  gekürzte  bleibt  geradezu 

30* 


564  KRUMM 

unverständlich,  wenn  man  nicht  auf  Schiller  zurückgeht,  z.  h.  s.  89,  33  'zumärgernis 
der  schwachen'  oder  s.  202,  32  'durch  einen  unbesetzten  pass'  (bei  Schiller:  'durch 
den  unbesetzten  pass  zwischen  Schleswig  und  Stapelholm')  —  in  der  gruppieruug  der 
tatsachen,  in  dem,  was  man  composition  nennen  könnte,  überraschend  selbständig  ist. 
Bei  seiner  darstellung  des  westfälischen  friedens  schöpfte  er  aus  dem  buch  von  Karl 
Ludwig  Weltmann:  'Gesch.  d.  w.  fr.',  Leipzig,  Göschen,  1808 — 9.  Es  ist  bewunderns- 
wert, wie  er  es  verstanden  hat,  auf  wenigen  selten  dieses  zweibändige  werk  zu 
epitomieren,  ohne  es  auch  nur  an  einer  einzigen  stelle  auszuschreiben.  —  Auch  als 
journalistischen  berichterstatter  lernen  wir  den  dichter  am  Schlüsse  dieses  bandes  aus 
seinen  correspondenzeu  für  das  'Morgenblatt'  (183G  — 38),  sowie  aus  seinem  für 
Gutzkows  'Telegraph'  im  Jahre  1839  verfassten  'Gemälde  von  München'  näher  kennen. 
Namentlich  letzteres  beweist,  dass  er  ein  äusserst  scharfer  beobachter  war  und  das 
klar  geschaute  ebenso  anschaulich  widerzugeben  verstand.  Diese  artikel  sind  für  die 
damaligen  zustände  Münchens  wie  für  den  jungen  Hebbel  in  gleicher  weise  charak- 
teristisch, wenn  sie  auch  stilistisch  noch  recht  ungleich  sind  und  aus  diesem  gründe 
vor  allem  den  längst  bekannten  späteren  skizzen  aus  Paris,  Agram,  Berlin  und  Ham- 
burg nicht  au  die  seite  gestellt  werden  können.  Von  den  correspondenzberichten  ist 
übrigens  der  vierte  (s.  384—389)  sicher  nicht  von  Hebbel,  obgleich  der  heraus- 
geber  ihn  in  dem  Inhaltsverzeichnis  nicht  einmal  mit  einem  Sternchen  versehen  hat; 
auch  nr.  5  erscheint  mir  wenigstens  sehr  verdächtig.  Der  bericht  über  'Strauss  in 
München'  setzt  mehr  musikalische  kenntuisse  voraus,  als  Hebbel  damals  oder  später 
i)csass;  der  schluss  von  386,  7  au  ist  nichts  als  widerwärtiges  geträtsch,  das  niemals 
aus  seiner  feder  geflossen  sein  kann.  Auffallend  ist  auch,  dass  das  urteil  über 
Halms  'Griseldis'  (s.  385)  demjenigen,  das  Hebbel  ein  jähr  später  am  18.  november 
1838  in  einem  briefe  an  Elise  Lensing  aussprach,  im  hauptpunkte  widerspricht.  Zum 
schluss  lesen  wir  gar  unter  dem  titel:  Kunst.  Über  die  Gly])tothek:  'In  freudiger  Un- 
geduld —  —  —  —  stieg  ich  die  stufen  hinan,  auf  denen  ich  als  kind  geträumt  von 
Aspasia,  Sokrates  und  Akademie'  —  —  — .  Konnte  Hebbel  das  schreiben?  Gegen 
solche  innere  kriterien  wollen  alle  äusserlicheu  anhaltspunkte,  die  übrigens  recht 
schwach  sind  (vgl.  s.  XVHI  der  einleitung),  wahrlich  nichts  besagen. 

In  der  einleitung  zum  zehnten  bände,  welcher  unter  anderem  die  von  mir  im 
jähre  1892  zuerst  veröffentlichten  berichte  Hebbels  an  die  Augsburger  Allgemeine 
zeitung  aus  dem  jähre  1848  enthält,  wird  seine  Stellung  zu  den  politischen  fragen, 
welche  die  gemüter  damals  bewegten,  gekennzeichnet.  Der  herausgeber  weist  nach, 
wie  leuchtend  sein  mannhaftes  verhalten  in  jenen  tagen  von  dem  entschlusslosen, 
schwächlichen  quietismus  Grillparzers  sich  abhebt.  In  der  tat  lässt  sich  der  tief- 
reichende gegensatz  dieser  beiden  naturen,  der  sich  auf  die  Verschiedenheit  des 
Volksstammes,  aus  dem  sie  hervorgiengen,  gründet,  gerade  in  diesem  punkte  be- 
sonders klar  erfassen.  Neu  hinzugefügt  werden  dann  Wiener  briefe  für  die  'Illustrierte 
zeitung'  aus  den  jähren  1861—1862.  Sie  erreichen  längst  nicht  die  höhe  der  be- 
richte aus  dem  jähre  1848,  da  sie  sich  mit  den  verschiedenartigsten  dingen  beschäf- 
tigen und  infolgedessen  sehr  ungleich  in  ton  und  ausführung  sind.  Wahrhaft  gross 
tritt  uns  Hebbel  nur  dann  entgegen,  wenn  ihn  innerste  nötigung  zum  schreiben  zwingt, 
und  die  starke  leidenschaft,  die  ihn  beseelt,  mit  voller  resonanz  erdröhnt.  Immerhin 
beweisen  diese  briefe,  dass  er  auch  scheinbar  gleichgiltige  ereignisse  des  tages  stets 
sub  S])ecie  aeterni  sah.  In  der  erkenntnis  der  gefahren,  die  dem  österreichischen 
Staate  aus  der  Zuspitzung  der  rasseugegensätze  drohten,  und  der  energischen  betonung 
des  deutschen  Standpunktes  erweist  er  aufs  neue,  wie  in  jenen  früheren   berichten. 


i'^BER    IIEHBELS    WERKE    Ed.  K.  M.  WEHiN'EK  ÖtiÖ 

seiueu  politiscbon  Scharfblick  und  seinen  warmen  Patriotismus.  —  Zu  den  briofen  für 
Campes  'Oriou'  aus  dem  jähre  1863  ist  nr.  G  hinzugekommen,  der  eine  in  seinen  tage- 
büchern  und  briefen  widerholt  berührte  wissenschaftliche  frage,  die  'Viel Vaterschaft' 
der  Nibelungen,  erörtert.  Diesen  vorzüglieli  geschriebenen  brief  legte  Emil  Kuli  seiner- 
zeit zurück,  wie  ich  vermute,  wegen  des  satirischen  tones,  den  Hebbel  hier  gegen  Lach- 
iiiann  und  seine  Schüler  und  gegen  Pfeiffers  Kürnberger-theorie  anschlägt.  Nur  wenige 
werden  jetzt  noch  bezweifeln,  dass  der  dichter  im  kernpuukte  recht  hatte.  In  ästhetischen 
dingen  sieht  die  geniale  Intuition  des  künstlei'S  schärfer  als  die  gelehrte  forschung. 

Die  kritischen  arbeiten  Hebbels,  bereits  im  10.  bände  mit  den  aufsätzen  für 
Gutzkows  'Telegraph'  aus  den  jähren  1839  — 1811  eingeleitet,  füllen  im  übrigen  den 
elften  und  zwölften  band.  Das  streng  chronologische  prinzip,  das  der  herausgober 
bei  ihrer  anordnung  durchführt,  will  mir  nicht  gefallen.  Es  macht  einen  verwir- 
renden eindruck,  wenn  die  verschiedenartigsten  materien  unmittelbar  nacheinander 
behandelt  werden,  tiefgründige  abhandlungen  und  llüchtige  besprechungen  von  uovi- 
täten  miteinander  abwechseln.  Namentlich  der  12.  band  ist  infolge  der  durchführang 
dieses  prinzips  sehr  buntscheckig,  ja  ganz  unübersichtlich  geworden.  Kann  man  es 
denn  billigen,  dass  nicht  nur  die  'Litcraturbriefe',  sondern  selbst  die  3  aufsätzo  über 
Shakespeai'e  und  seine  Zeitgenossen,  die  polemik  gegen  Bodenstedt,  aus  chronologischen 
gründen  zerrissen  wurden?  Hebbel  hat  die  geplante  herausgäbe  seiner  kritischen 
Schriften  nicht  mehr  selbst  durchführen  können.  Da  wäre  es  meines  orachtens  allein 
richtig  gewesen,  die  von  Kuh  aufgestellten  grossen  kategorien:  zur  theorie  der  kuust, 
Charakteristiken,  kritiken  beizubehalten  und  das  neu  aufzunehmende  in  diese  rubiiken 
einzureihen.  Diese  sehr  geschickte  gruppierung  bedarf  nur  in  einzelheiten  der  cor- 
rectur.  —  Zu  den  'Telegraphenaufsätzen',  welche  sich  durch  das  jugendlich  ungestüme 
feuer,  bisweilen  auch  durch  das  etwas  geschraubte  pathos  vor  den  späteren  kritischen 
arbeiten  auszeichnen,  sind  2  hinzugekommen;  die  nummern  22  und  23,  die  auch  der 
herausgeber  anzweifelt,  kann  ich  Hebbel  nicht  zuschreiben.  Die  in  den  späteren 
bänden  zum  ersten  male  abgedruckten  artikel  ergänzen  das  bild,  das  man  sich  bis 
dahin  von  Hebbel  als  kritiker  machen  konnte,  in  sehr  dankenswerter  weise.  Vor  allem 
möchte  ich  in  bd.  XI  auf  nr.  36  (über  Schillers  AValienstein),  ur.  47  (besprechung  der 
ersten  aufführung  des  'Rubin',  die  für  des  dichters  mutige  Wahrheitsliebe  ein  schönes 
Zeugnis  ablegt)  und  auf  nr.  69,  die  aus  den  papieren  des  nachlasses  veröffentlichten 
anmerkungen  Hebbels  zu  den  ihm  als  preisrichter  vorgelegten  preisnovellen,  dies 
sehr  interessante  seitenstück  zu  Grillparzers  anmerkungen  über  die  'Preislustspiele' 
(Gr.  werke,  ausg.  5,  bd.  18)  aufmerksam  machen.  In  band  XII  sind  unter  den  zum 
ersten  male  wieder  hervorgezogenen  aufsätzen  nr.  74  (dramaturgische  aphorismen), 
nr.  75  (über  Raupachs  'Nibelungenhort'),  nr.  106  und  107  (sehr  charakteristische 
invectiven  gegen  die  bildersucht  der  österreichischen  poeten,  namentlich  Lenaus,  und 
gegen  die  'schönen  verse'  Platens)  besonders  erwähnenswert,  nr.  113  gehört  in  die 
biographie,  nicht  in  die  werke.  Bemerkt  mag  übrigens  werden,  dass  die  nr.  79 
'Ernst  freiherr  von  Feuchterslcben.  Umrisse  zu  seiner  biographie  und  Charakteristik' 
durch,  die  vom  herausgeber  der  raumersparnis  halber  vorgenommenen  Streichungen, 
nach  meiner  meinung,  an  Wirkung  erheblich  eingebüsst  hat,  mit  genuss  wird  den 
aufsatz  nur  lesen,  wer  das  original,  den  nicht  leicht  zu  beschaffenden  siebenten  band 
der  werke  Feuchterslebens,  sowie  Grillparzers  werke  (bd  18)  zur  füllung  der  lücken 
bei  der  band  hat.  Die  nummern  75,  81,  107  und  121  sind  in  der  inhalt.sangabe  mit 
einem  Sternchen  versehen,  weil  Hebbels  autorschaft  nicht  belogt  werden  kann.  Wer 
mit  seiner  stilistischen  eigenart   vertraut  ist,   wii-d  sie  ihm  ohuo  jedes  bedenken  zu- 


566  KRUMM 

sprechen.  Die  kritische  vorsieht  des  heraiisgebers  ist  gewiss  lobenswert,  doch  scheint 
sie  mir  in  diesem  falle  zu  weit  zu  gehen.  Vielleicht  sind  einzelne  der  nach  dem 
Schlusswort  (bd. XII,  s.400)  vorderhand  noch  nicht  aufgenommeneü  aufsätze  mit  unrecht 
ausgeschlossen  worden.  Im  wesentlichen  kann  die  Sammlung  freilich  als  vollständig 
gelten.  Nur  ein  glücklicher  zufall  könnte  noch  etwas  zu  tags  fördern,  was  dem 
unermüdlichen,  bewuudcrswerten  eifer  Werners  entgangen  ist,  wie  es  denn  z.  b. 
bedauerlich  ist,  dass  von  der 'Oesterreichischen  reichszeitung',  deren  feuilleton  Hebbel 
bis  zum  15.  niärz  1850  leitete,  die  nummern  bis  jetzt  nur  bis  zum  31.  dec.  1849  zu 
erlangen  waren.  Mit  der  w'ertung  der  ästhetischen  aufsätze  und  kritiken  Hebbels  durch 
Werner  bin  ich,  zu  meinem  bedauern,  grundsätzlich  nicht  einverstanden.  Er  nennt 
sie  'gelungener  in  der  conception  als  in  der  ausführuug'  (einleitung  zum  12.  bände, 
Sx  XIV).  Das  gilt  doch  nur  für  die  vom  Hegelianismus  angekränkelten,  wie  vor  allem 
das  'Vorwort  zur  Maria  Magdalena'.  Sobald  er  den  einfluss  dieses  damals  die  philo- 
sophischen lehrstühle  Deutschlands  beherrschenden  philosophen,  den  er  in  Kopenhagen 
und  Paris  (1843  —  44)  studierte,  überwunden  hatte,  ihn,  'schon  seiner  Stilfehler  wegen, 
nicht  mehr  lesen  konnte'  (tagebuch  vom  16.  sept.  1846),  ist  von  der  Schwerfälligkeit, 
dem  'lasterhaften  deutsch',  das  seine  geguer  ihm  so  gerne  vorwarfen,  nichts  mehr 
zu  spüren.  Noch  weniger  kann  ich  dem  herausgeber  beistimmen,  wenn  er  die  von 
Hebbel  selbst  eingeräumte  tatsache,  dass  ästhetische  aufsätze,  im  vergleich  zu  der 
raschen  production  seiner  poetischen  werke,  ihm  langsam  von  der  haud  giengeu,  aus 
der  'Zaghaftigkeit  des  autodidakten'  erklärt.  Hebbel  war  einer  der  gewissenhaftesten 
autoreu,  die  es  je  gegeben  hat.  A.ls  er  seinen  aufsatz:  'mein  wort  über  das  drama', 
die  erwiderung  an  professor  Heiberg,  vollendet  hatte,  schrieb  er  in  sein  tagebuch 
(juli  1843):  „Ich  habe  die  factoren  meines  geistes  einmal  in  ihrem  geschäft  belauscht. 
Es  sind  deren  zwei  wirksam:  ich  habe  immer  das  grösste  vertrauen,  soweit  es  die 
Sache  und  ihre  richtigkeit  im  allgemeinen  betrifft,  aber  zugleich  auch  das  grösste 
misstrauen  im  einzelnen.  Jenes  gibt  mir  die  Sicherheit,  die  mich  nie  verlässt;  dieses 
die  Vorsichtigkeit,  die  mich  oft  am  weitergehen  hindert."  Das  bedarf  keines  com- 
mentars,  findet  übrigens  in  den  sehr  verwandten  äusserungen  eines  Hebbel  an  impul- 
siver leidenschaft  noch  weit  übertreffenden  Schriftstellers,  J.  J.  Rousseau,  eine  merk- 
würdige parallele.  (Confessions,  Partie  I,  Livre  III).  Eine  scheu  vor  der  Veröffent- 
lichung der  resultate  seines  denkens  ist  aus  diesen  und  ähnlichen  bekenntnissen 
keinesfalls  herauszulesen.  Auf  anderen  gebieten  des  wissens  verleugnet  sich  nirgends 
Hebbels  demut voller  respect  vor  den  überragenden  leistungen  anderer;  in  der  erkeuntnis 
ästhetischer  dinge  durfte  er  sich  selbst  die  höchste  norm  und  autorität  sein. 
Sollte  der  mann,  der  mit  berechtigtem  stolze  in  seiner  autobiographischen  skizze  für 
den  Verleger  Brockhaus  (1852)  von  sich  sagte:  „Ich  habe  seit  meinem  22.  jähre,  wo 
ich  den  gelehrten  weg  einschlug  und  alle  bis  dahin  versäumten  Stationen  nachholte, 
nicht  eme  einzige  wirklich. neue  idee  gewonnen;  alles,  was  ich  schon  mehr  oder  weniger 
dunkel  ahnte,  ist  in  mir  nur  weiter  entwickelt  und  links  und  rechts  bestätigt  oder 
bestritten  worden",  sich  auf  seiner  eigensten  domäne  vor  einem  'fachmann'  gebeugt 
habe?  Eins  freilich  ist  zuzugeben,  was  sich  aus  dem  eben  gesagten  von  selbst  ergibt: 
er  verleugnet  auch  in  seinen  aufsätzen  niemals  die  künstlerische  natur,  er  schreibt 
keine  erschöpfenden  abhandlungen,  er  überspringt  öfters  glieder  der  gedankeuentwick- 
lung,  die  der  strenge  logiker  vermisst,  er  wendet  sich  nie  an  lernende,  immer  nur 
an  solche,  die  mit  ihm  auf  der  höhe  wandeln.  Im  letzten  gründe  verständlich  und 
sympathisch  ist  er  nur  künstlerisch  empfindenden  menschen  —  dieser  vorzug  ist  zu- 
gleich auch  seine  schranke.     Deswegen  kann  nichts  zweckloser  sein,   als  aus  seinen 


i'BER    HEBUELS    WKUKE    ED.   U.  M.  WERNEK  567 

verstreuten,  durch  Stimmung  und  gelegenhelt  subjectiv  gefärbten  äusserungcn  ein 
'systom'  zusammenzusetzen,  wie  es  der  von  Werner  citierte  Arno  Sdieunert  in  seinem 
buciie:  „Der  pantragismus  als  systom  der  woltanscliauung  und  ästhetik  Fi-.  Hebbels. 
Beiträge  zur  ästhetik  VIII."  Hamburg  und  Leipzig  1903)  versucht  hat.  Das  kann  nur 
zur  karikierung,  nicht  zur  erkonntnis  seiner  kunsttlioorie  und  seiner  aufs  engste  mit  ihr 
verknüpften  kunstpraxis  führen.  Nach  meiner  meiuung  stellen  die  ästhetisch -kritischen 
Schriften  Hebbel  unter  die  grossen  moister  unserer  prosa,  sie  enthalten  so  viel  neuen 
Inhalts  in  klassisch  vollendeter  form,  dass  es  noch  recht  lange  dauern  mag,  bis  sie  für 
kunst  und  Wissenschaft  in  ausgiebiger  weise  fruchtbar  gemacht  sind.  In  erster  linie  wird 
es  sich  zunächst  mehr  darum  handeln,  sie  zu  ergründen,  als  kritik  au  ihnen  zu  üben. 
Meine  bomerkungen  zu  der  kritischen  arbeit,  welche  der  herausgeber  für  die 
herstelluug  eines  correcteu  textes  der  schlussbände  geleistet  hat,  müssen,  aus  den 
bereits  in  den  besprechungcn  der  früheren  bände  entwickelten  gründen,  kurz  sein. 
Dass  mit  dieser  ausgäbe  die  philologische  kritik  des  Hebbeltcxtes  sehr  erheblich  ge- 
fördert wurde,  ist  sicher,  abgeschlossen  ist  sie  dagegen  ebenso  wenig  wie  das  jetzt 
schon  seit  Jahrzehnten  fortgesetzte  bemühen,  durch  minutiöse  gelehrte  forschung  einen 
durchaus  einwandfreien  Goethetext  zu  schatTen.  Auf  die  unvermeidlichen  druckft'hler, 
die  jede  noch  so  sorgfältige  ausgäbe,  die  nicht  von  fremden  äugen  mehrfach  nach- 
geprüft wurde,  enthalten  muss,  an  denen  folglich  auch  diese  nicht  gerade  arm  ist, 
will  ich  nicht  eingehen.  Bemerken  will  ich  nur,  dass  dieselben  in  bd.  XII,  s.  389 fg. 
keineswegs  alle  verbessert  sind;  gerade  die  letzten  bände  bedürfen  noch  einer  gründ- 
lichen revision.  Aus  der  fülle  des  übrigen  materials,  das  ich  "mir  für  spätere  Ver- 
wendung sammelte,  will  ich  einzelnes  zusammenstellen,  nicht  um  an  den  hervor- 
ragenden Verdiensten  des  herausgebers  zu  mäkeln,  sondern  um,  nachzuweisen,  dass 
der  vorliegende  text  noch  nicht  überall  verlässlich  sein  dürfte.  AVerners  textkritik  ist 
eine  sehr  conservative.  wofür  ihm  jeder  verständige  seine  besondere  anerkennung 
aussprechen  wird.  Da  jedoch  für  die  letzten  bände,  mit  wenigen  ausnahmen,  statt 
der  handschriften  nur  drucke  vorlagen,  über  deren  naclilässigkeit  Hebbel  bisweilen 
klagt  (vgl.  den  brief  an  Christine  vom  18.  8.  1862,  nachlese  zu  Hs.  briefen  II, 
s.  257),  so  brauchte  das  sonst  lobenswerte  vertrauen  des  herausgebers  zu  den  quellen 
schwerlich  so  weit  zu  gehen ,  dass  offenbare  versehen ,  deren  correctur  sich  von  selbst 
ergibt,  stehen  blieben.  Am  wenigsten  war  dies  verfahren  gut  zu  heissen,  wenn 
Werner  sich  dadurch  in  gegensatz  zu  dem  ersten  herausgeber  Emil  Kuh  setzte,  der 
vielleicht  noch  handschriftliches  benutzen  konnte,  das,  bei  seiner  bekannten  gleich- 
giltigkeit,  verloren  gegangen  ist.  Als  solche  evidente  textemendationen  Kuhs,  die 
Werner,  im  vertrauen  auf  die  druckvorlagen,  mit  unrecht  strich,  führe  ich  u.  a.  an: 

X,  32-'  (knickbeine  statt  Strickbeine),  X,34-*'  (gläsern  dünn  statt  gläsern  dürr), 
X,416^'  (veto  statt  votum),  XI,  77'^  (stufe  statt  höhe).  Als  notwendige  correcturen 
füge  ich  meinerseits  hinzu  —  ieh  beschränke  mich  auf  solche,  die  mir  unwiderleglich 
scheinen:  —  X,  61-®  (sein  statt  ein  gegen  den  text  der  A.  a.  z.),  X,  .304-"  (mündig 
statt  würdig),  XI,  24*''  (ausgewirkt  statt  auswirkt;  kein  teil  des  relativsatzes,  sondern 
zweites  prädicat  des  hauptsatzes,  im  anschluss  an  z.  8),  XI,  144'-'  (es  fehlt  ein  wort 
vor    ausge.statteten ,    etwa    -verschwendcri-sch'),    XI,  189 '^  (angeben   statt   angegeben), 

XI,  207 -^  "• '^  (.seiner  anstatt  einer,  ein  anstatt  sichj,  XI,  271'-'  (litteraturgeschichte 
anstatt  naturgeschichte),  XII,  20''-  (erschütternderer  statt  erschütternder),  XII,  21'" 
(Nur  statt  Und),  XII,  194'^  (schläfrig  statt  schlüpfrig),  XII,  197"  ('war'  statt  'wen'), 
Xn,242-''  (schleienden  statt  schneidenden),  XII,  296-°  (an  statt  aus).  —  Auf  grund 
von  erneuten  vergleichungen  mit  gedruckten  texten  (A.  A.  z.,   Briefwechsel  zwischen 


568  KRUMM 

Schiller  und  Körner)  müssen  folgende  stellen  geändert  werden :  X,  107 '  (das  wörtchen 
nur    ist    vor    noch    ausgefallen),   X,  134^^   (eins   statt  es),   XI,  113'*'  (es    anstatt    er), 

XI,  127-^  (es  fehlt  das  wörtcheu  zu  vor  eifersüchtig);  XI,  234-*  und  237-*  ist  dagegen 
EHsa  anstatt  des  richtigen  Elias  beizubehalten,  da  es  sich  auch  in  Meinholds  'Bern- 
steinhexe' findet,  obgleich  ein  versehen  vorliegt  (vgl  1.  Könige,  17j.  —  Besonders 
liederlich  gedruckt  wurden  die  bei  Berendsohn  erschienenen  historischen  Schriften, 
vor  allem  die  nanien.  Ob  es  richtig  war,  alle  incougruenzen  beizubehalten,  erscheint 
mir  mehr  als  fraglich.  Es  muss  verbessert  werden:  IX,  51-°  (Passau  statt  Breslau), 
IX,  106'-  (Ribnitz,  Dammgarten,  nach  Schiller),  IX,  183^-  (Havelberg  statt  Gavel- 
berg),  IX,  322 -^"•^-  (Peter  Cauchou  statt  Pater  C.)-  —  Als  fehlergruppen ,  die  sich 
öfters  widerholen,  kennzeichne  ich  zwei:  1.  die  Verwechslung  von  eben  und  aber,  in 
Hebbels  Schrift,  wie  ich  mich  überzeugt  habe,  kaum  zu  unterscheiden  (VIII,  29'-; 

IX,  33«,  IX,127-'';  XII,  71'*,  XII,  328 s);  2.  die  vertauschung  des  präsens  mit  dem 
imperfectum;  sowol  in  der  endung  wie  im  ablaut  (VIII,  184'-',  VllI,  194^",  VIII,  195-*; 

X,  171--    [bereits    von    Kuh   geändert],    X,  367";    XI,  322-»;    XII,  134^    XII,  149^^ 

XII,  197^).  —  Einzelne  Vermutungen  Werners,  die  ein  bescheidenes  plätzchen  unter 
den  anmerkungen  und  lesarten  gefunden  haben',  wüi'de  ich  ohne  weiteres  bedenken 
in  den  text  setzen:  X,  343"  (vgl.  s.  457,  anm.),  XI,  21-°  (meisterschütze  statt  muster- 
schütze), XI,  55'^  (  falten  anstatt  fallen),  XI,  129-"  (furchtbarer  anstatt  fruchtbarer, 
von  mir  bereits  früher  in  dem  handexemplar  meiner  Hebbelausgabe  geändert).  —  Nur 
an  einer  stelle,  VIII,  43'--,  hat  der  herausgeber  meines  eraohtens  ohne  not  geändert. 
Er  fügte  dort  das  w'ort  'erlebt'  hinzu,  weil  er  den  norddeutschen,  vielleicht  speciell 
schleswig-holsteinischen  provincialismus  'man  hat  es'  =  es  kommt  vor,  nicht  kannte. 

Zum  Schlüsse  noch  einige  randglossen  zu  den  anmerkungen ,  die  im  allgemeinen 
sehr  reichhaltig  sind  und  die  weitesten  ansprüche  des  lesers  befriedigen  werden!  — 
Zu  bd.  VIII.  Zu  dem  biographischen  material  (s.  387  fg.)  hätten  im  einzelnen  noch 
manche  Verweisungen  auf  Emil  Kuhs  biographie  hinzugefügt  werden  können,  über 
deren  quellen  in  bezug  auf  die  Wesselburener  zeit  Hebbels  wir  allerdings  so  gut  wie 
garnicht  orientiert  sind.  Zu  nr.  147  (s.  395)  vermisse  ich  ferner  die  erwähnung  einer 
sehr  merkwürdigen  parallelstelle  in  dem  briefe  an  Elise  Lensing  vom  30.  märz  1845, 
desgl.  zu  nr.  168  sowie  nr.  173  (s.  397)  den  hinweis  auf  das  tagebuch  voni  20.  fe- 
bruar  1848  und  auf  das  Vorspiel  zum  'Demetrius'.  —  Zu  bd.  IX.  Das  original  der 
beiden  einander  gegenübergestellten  Übersetzungen  aus  Byron  (nr.  III,  s.  427)  ist: 
Lines,  written  beneath  a  picture.  Athens,  Jauuary,  1811.  —  Eine  empfindliche  Kicke 
bemerke  ich  zu  IV  (Wie  die  Krähwinkler  ein  gedieht  verstehen ,  ebenfalls  auf  s.  427). 
Es  ist  nicht  hervorgehoben,  dass  die  erste  Strophe  der  auf  s.  9  abgedruckten  'verse' 
sich  auch  in  Hebbels  am  15.  april  1830  gedichteter  'Elegie  am  grabe  eines  jünglings' 
findet  (vgl.  bd.  VII,  s.  24).  —  Ich  vermisse  anmerkungen  zu  s.  12,  45  (Jürgensen) 
und  s.  41,  1  (Zimmermann);  trotz  aller  bemühungen  ist  es  mir  nicht  gelungen,  aus- 
findig zu  machen,  wen  Hebbel  hier  im  äuge  hatte.  —  Das  auf  s.  36  erwähnte  gedieht 
Th.  Körners  'Deutschland'  steht  weder  in  "Leier  und  Schwert'  noch  sonst  in  seinen 
werken;  gemeint  ist  wahrscheinlich  'Mein  vaterland'.  —  Zu  bd.  X.  Werner  ver- 
mutet (s.  446),  dass  zu  176,  3  nach  Schülers  ein  name  ausgefallen  sei;  ich 
glaube,  dass  schüler  hier  in  dem  sinne  von  scholar,  student  gebraucht  ist. 
—  Die  auf  s.  457  zu  347,  20  citierte  stelle  aus  Luthers  'Sendbrief  vom  dol- 
metschen' war  dem  dichter  bekannt,  weil  Klaus  Groth  sie  als  motto  vor  seinen 
'Quickborn  setzte.  —  Zu  408, 28fgg.  (s.  466)  hätte  vor  allem  auch  auf  das  zweite 
gedieht  unter   dem   titel:    'Dem   schmerz  sein   recht'  verwiesen  werden  müssen.  — 


ÜBER    HEBBELS    WEWKE    ED.   K.  M.   WERNER  569 

Über  die  aufs.  03  u.  142  erwähnten,  in  der  vomiärzlichou  zeit  auf  dem  hofburgtheater 
aufgeführteu  stücke  wird  der  lescr  gorno  aufklärung  haben  wollen,  da  nur  Bauern- 
felds 'Bügerlich  uud  romantisch'  bekannter  ist;  ,Der  puls'  von  Babo,  ,Er  muss  aufs 
land'  von  Bayard,  ,Dorf  uud  Stadt'  von  der  Birch- Pfeiffer  enthält  Reclams  universal- 
bibliothek  (ur.  217,  349,  3930).  —  Dass  Hebbel  auf  s.  101,28  auf  Grillparzers  ge- 
dieht 'Feldmarschall  Radetzky'  (anfang  juui  1848)  anspielt,  musste  auch  erwähnt 
werden.  —  Zu  bd.  XI.  Ich  halte  es  für  unmöglich,  dass  der  dichter  den  aufsatz 
J.  L.  Heibergs  aus  Ftedrelandet  nr.  12G1  selbst  ins  deutsche  übertragen  habe.  Zunächst 
war  er  sicher  des  dänischen  nicht  hinlänglich  mächtig;  vor  allem  aber  enthält  diese 
Übersetzung  so  viel  uudeutsches  in  Wortstellung  und  Wendungen  (u.  a.  s.  429,  29  u. 
430,32  gewiss  genug  =  freilich,  dän.  vist  nok^  s.  430,  2G  befas.st  =  besagt,  dän.  be- 
fatte^  s.  341,  14  läpperci  ==flickwerk,  dän.  lapperi^  s.  435,  17  aufducken  =  auftauchen, 
dän.  f////r/iY'  oyj,  s.  430,  5  zurückgelegt  =  überwunden,  dän.  tilbagelagt^  s.  438,  8  ned- 
su'iies  iil  »loinenicr  =  sich  zu  momonten  uiedersetzen),  dass  sie  nur  von  einem 
Dänen,  der  das  deutsche  nicht  idiomatisch  sprach,  vielleicht  von  P.  L.  Moeller,  mit 
dem  Hebbel  in  Kopenhagen  viel  verkehrte,  nicht  von  einem  Deutschon,  geschweige, 
dem  dichter  selbst  angefertigt  sein  kann.  Er  wird  die  ihm  übersandte  für  seinen  ge- 
brauch copiert  uud  an  besonders  dunklen  stellen  mit  den  im  text  widergegebenen 
fragezeichen  versehen  habeu.  Es  war  deshalb  auch  nicht  zu  billigen,  dass  diese  zum 
teil  geradezu  unverständliche  Übersetzung,  als  ob  sie  Hebbels  eigenes  elaborat  wäre, 
zur  erläuterung  der  dänischen  werte  in  fussnoten  hinzugefügt  wurde.  —  Übrigens 
fehlt  zu  s.  435,  9  die  Verweisung  auf  Heinrich  Heines  Schnabelewopski,  kap.  III.  — 
IiTtümlich  wird  auf  s.  443  zu  50,  22  (Goethe  an  Zelter  4.  10.  1831)  auf  Heinrich 
Laubes  'Neue  reisenovellen'  verwiesen,  die  Hebbel  am  5.  12.  1837  für  sein  ttigebuch 
ex'cerpierte.  Die  betreffende  stelle  des  tagcbuches  enthält  nichts  auf  50, 22  bezüg- 
liches; den  brief Wechsel  zwischen  Goethe  und  Zelter  las  Hebbel  bereits  im  jähre  1836 
in  Heidelbei'g  (vgl.  Tgb.  I,  ausg.  Werner,  s.  44).  —  Auf  s.  453  haben  wir  es  mit  einem 
Irrtum  Hebbels,  nicht  des  herausgebers,  zu  tun.  Im  tagcbuch  vom  20.  2.  1837  ver- 
spottet er  allerdings  ein  urteil  Ben  Johnsons  über  Shakespeare;  es  liegt  aber  eine 
Verwechslung  zwischen  dem  dichter  und  Zeitgenossen  Shakespeares  Ben  Jenson  und 
seinem  herausgeber  und  commentator  Samuel  Johnson  vor.  —  Auf  s.  455  zu  131,  26 
kann  ich  keine  beziehung  zu  der  citierten  tagebuchstelle  aufspüren;  auf  s.  473  zu 
'Über  die  preisnovellen'  fehlt  der  hinweis  auf  den  brief  an  Th.  Rötscher  vom  0.  10. 
1851.  —  Auf  s.  200  sagt  Hebbel,  dass  er  Grillparzers  'Ahufrau'  bis  dahin  (1849)  nicht 
gelesen  habe.  Das  steht  in  einem  unerklärlichen  Widerspruch  zu  einer  briefstelle 
aus  dem  jähre  1845  (Brw.,  ausg.  Bamberg  I,  s.  392).  —  Zu  bd.  XII.  Unter  hinweis 
auf  Genesis  38,15  möchte  der  herausgeber  auf  s.  290,3  Schwester  jn  schnür 
ändern  (anm.  s.  383).  Dies  sonst  unbegreifliche  versehen  ist  nur  dadurch  zu  erklären, 
dass  Hebbel  an  der  fraglichen  stelle  irrtümlich  Juda  anstatt  Amnon  schrieb.  Das 
richtige  ergibt  sich  aus  dem  von  ihm  citierten  stück  Calderons;  es  ist  kaum  nötig, 
noch  auf  2.  Sam.  cap.  13  sowie  auf  bd.  XII,  s.  307,  18  zu  verweisen.  —  Die  auf  s.  4 
erwähnte  'Lelia'  ist  jedesfalls  der  roman  von  George  Sand  (1833).  —  Zu  s.  127,  20  fg. 
hätten  die  anmerkuugen  auf  Apostelgesch.il,  v.  5  — 10,  zu  s.  240,24  auf  Josua, 
cap.  20  verweisen  dürfen.  —  Auf  s.  232, 25  citiert  Hebbel  sich  selbst  (prolog  zum 
'Diamant').  —  Zu  s.  295,30  hätte  der  herausgeber  darauf  aufmerksam  macheu  sollen, 
dass  der  englische  dichter  Ford  seinem  von  diMu  Übersetzer  Bodenstodt  'Giovanni  und 
Arabella'  getaufton  stück  den  titel:  'Tis  a  pity  she's  a  whoro'  gegeben  hatte.  —  Hebbels 
aufsatz  über  Johann  Meyers  'Plattdeutsche  gedichto'   ist  ein  beweis  für  die  Wahrheit 


570  BEHICHTIGTINO     ~    NEUK    ^;RSCHHINUNGE^f 

des  Horazischen :  quandoque  bonus  doi'mitat  Homerus.  Nur  seine  Daive  freude  an 
den  heimischen  plattdeutschen  lauten  erklärt  und  entschuldigt  es,  dass  er  alles  ernstes 
einen  vergleich  zwischen  Groth  und  Meyer,  der  ohne  den  ersteren  in  der  litteratur 
gar  nicht  existieren  würde,  anstellte.  Seine  leider  sehr  unbesonnene  kritik  ist  seit- 
dem öfters  gedankenlos  nachgeschrieben  worden. 

Dieser  ersten  abteilung  der  'Sämtlichen  werke'  Hebbels  ist  inzwischen  die 
zweite,  welche  die  tagebücher  enthält,  gefolgt,  während  die  dritte,  welche  seine 
briefe  bringen  soll,  im  erscheinen  begriffen  ist.  Es  ist  damit  in  schuldiger  pietät 
der  wünsch  des  dichters  erfüllt,  der,  als  er  kurz  vor  seinem  tode  eine  gesamtausgabe 
plante,  in  einem  briefe  an  seinen  Verleger  Campe  vom  28.  5.  1863  ausdrücklich  fest- 
legte, dass  sowol  tagebücher  wie  briefe  in  dieselbe  aufzunehmen  seien.  Sowol  ihr 
innerer  wert  als  ihre  enge  Verknüpfung  mit  Hebbels  schaffen  rechtfertigen,  ja  fordern 
diese  erweiterung.  Hoffentlich  werden  von  jetzt  an  beide  in  jeder  gesamtausgabe 
seiner  werke,  die  den  uamen  verdient,  ihren  platz  finden.  Mit  der  ausgäbe  der  tage- 
bücher für  Max  Hesses  vorlag  beschäftigt,  die  im  Spätherbst  des  vorigen  jahres  er- 
schienen ist,  habe  ich  alle  stellen  der  zweiten  abteilung  der  Wernerschen  ausgäbe, 
die  mir  irgendwie  zweifelhaft  schienen,  mit  den  originalen  des  Weimarer  archivs 
verglichen,  sowie  alle  mir  erreichbaren  autoreu,  mit  denen  sich  Hebbels  denken  be- 
rührt, durchgearbeitet.  Was  ich  zu  AVeruers  ausgäbe  der  tagebücher  zu  bemerken 
hätte,  ist  also  dort  bereits  gesagt,  so  dass  ich  auf  widerholte  ausführungeu  ver- 
zichten kann.  Die  bände,  welche  die  briefe  Hebbels  enthalten,  werden  später  in 
dieser  Zeitschrift  besprochen  werden. 

KIEL.  HKIJJIANN    KEtTMll. 

BERICHTIGUxNG. 

S.  286  z.  3  lies:  gesprochene  decoratiouen  st.  gesprochene  declamationen. 


NEUE  ERSCHEINUNGEN. 

(Die  retlaction  ist  bomülit ,   für  alle  zur  besprechung-  geeigneten  werke  aus  dem  gebiete  der  german. 

Philologie  sackkundige  referenten  zu  gewinnen,   übernimmt  jedoch  keine  Verpflichtung,   unverlangt 

eingesendete  bücher  zu  recensieren.    Eine  zurücklief erung  der  recensions-exemplare  au 

die  herren  Verleger  findet  unter  keinen  umständen  statt.) 

Anz,  lleini*. ,  Die  lateinischen  magierspiele.  Untersuchungen  und  texte  zur  Vor- 
geschichte des  deutschen  weihnachtsspiels.  Leipzig,  J.  C.  Hinrichs  1905.  VIII, 
163  s.     5,40  m. 

Beowulf,  altenglisches  heldengedicht,  über.setzt  und  mit  einleitung  und  erläuterungen 
versehen  von  Paul  Vogt.  Mit  einer  karte  der  Nord-  und  Ostseeküsten.  Halle, 
Waisenhaus  1905.     104  s.     1,50  m. 

—  Routh,  James  Edward,  Two  studies  on  the  ballad  theory  of  the  Beowulf  together 

with  an  introductory  sketch  of  opinion.  Baltimore,  J.  H.  Fürst  Company  1905.   57  s. 
Bug-ge,  Sophiis,  Norges  inskrifter  med  de  aeldre  runer.    2det  bind,  udgivet  med  bistand 
af  Magnus  Olsen.     1.   hefte  (s.  461  —  595).    4.     Christiania,  A.  W.  Broggers 
bogtrykkeri   1904.     6,80  kr. 

—  —  Indledning:  Runeskriftens  oprindelse  og  teldste  historie.    Iste  hefte.    128  s.    4. 

Christiania  1905.     0,40  kr. 
Dittrieh,  Ottmar,  Die  grenzen  der  Sprachwissenschaft.  Leipzig  u. Berlin,  B.G.Teubner 
1905.     20  s. 


NEUE    ERSCHEINUNGEN  571 

Goethe.  —  Goethes  untorüaUungeu  mit  Friedrich  Sorot.    Nach  dein  französischen  texte, 

als  eine   bedeutend  vermehrte  und   verbesserte  ausgäbe  dos   3.  teils  der  Ecker- 

manuschen   Gespräche   hrg.   von   C.  A.  If.  Burkhardt.     Weimar,    Böhlau   1905. 

XVII,  158  s.     4  m 
Hebbel.   —   Behrens,   Carl,   Friedriuli    Hebbel.     Hans  liv   og  digtning.     Kjobenh., 

Brödrore  Salmonsen  1905.     (VIII),  351  s. 
Hermann  von  Reuu.  —  Schönbach,  Anton  E.,  Über  Hermann  von  Reun.  [Sitz.ber. 

der  Kai.serl.  akad.  derwissensch.  in  Wien.  GL.]    Wien,  Carl  Gerold  1905.  (II),  50  s. 
Hertz,  Uilh. ,  Gesammelte  abhandlungen,  hrg.  von  Fr.  v.  d.  Loyen.     Stuttgart  und 

Berlin.  Cotta  1905.    YIII,  519  s.     lU  m. 
Hollander,   Lee   Milton,   I'rehxal   .s  in   Germanic   together  with  the   etymologies  of 

fratxe,  schraube,  guter  dimje.     [Dissert.  der  Johns  Hopkins  univ.J     Baltimore, 

■T.  M.  Fürst  comp.  1905.     34  s. 
Lessing.—  Frey,  Adolf,  Die  kuustform  der  Lessingsclien  Laokoon  mit  beitragen  zu 

einem  Laokooukommentar.     Stuttgart  und  Berlin,  Cotta  1905.     IV,  194  s.     3  m. 
Loewe,  Riehard,  Germanische  Sprachwissenschaft.     Leipzig,   Gösclieu  1905.     148  s. 

geb.  0,80  m. 
Luther.  —  Herrmann,  Max.  „Ein  feste  Burg  ist  unser  Gott-'.    Vortrag,  gehalten 

in  der  Gessllschaft  für  deutsche  litt,  zu  Berlin  und  mit  ihrer  Unterstützung  heraus- 
gegeben. Mit  6  tafeln  und  einem  bibliographischen  auhang.   Berlin,  B.  Behr  1905. 

32  s.    4°  und  6  taif.     geb.  4  m.     [Nachweisung,  dass  eine  angeblich  von  Luther 

herrührende  uiederschrift  des  liedes  in  einem  drucke  von  1516  eine  fälschung  ist] 
3Ieyer,  Conr.  Ferd.   —  Blaser,    Otto,    Conr.  Ferd.  Meyers    Renaissancenovellen. 

Bern,  A.  Francke  1905.     [ünter.suchuugen  zur  neueren  sprach-  und  litt.gesch. 

hrg.  von  Oskar  F.  Walzel.  VHL]     IX,  151  s.     2,80  m. 
Meyer,  Wilh.  [aus  Speyer],  Gesammelte  abhandlungen  zur  mittellateinischen  rytmik. 

Berlin,  Weidmann  1905.     2  bde.     (VIIIj,  875  und  (IV),  403  s.     16  m. 
—  Übungsbeispiele  über  die  satzschJüsse  der  lat.  und  griech.  rytmischen  prosa.    Berlin, 

Weidmann  1905.     32  s. 
Minnesinger.  —  Lüderitz,  Anna.  Die  liebestheorie  der  Proven^alen  bei  den  minne- 

singeru  der  Stauferzeit.  [Lit.-hist.  forschungen  hrg. von  Jos.  Schick  und  M.  frhr. 

V.  Waldberg.  XXIX.]   Berlin  und  Leipzig,  E.  Felber  1904.  (VI),  136  s.     3  m. 
Mörike.  —  Krauss,  Rudolf,  Eduard  Mörikes  leben  und  schaffen,   nebst  einer  aus- 

wabl  seiner  briefe.    [Sonderabdruck  aus:  Eduard  Mörikes  sämtl.  werke  in  6  bdn., 

hrg.  von  Rud.  Krauss.]  Leipzig,  Max  Hesse  o.  j.  261  s.,  2  portr.  und  1  facs.  1,50  m. 
Ordbok  öfver  svenska  spräket  utgifven   af  Svenska  akademien.     Hafte  28.  29.   30. 

besittningsrätt-be.sold;  cent-dag.     Lund,   Gleerup  (Leipzig,  Nils  Pehrsson)  1905. 

sp.  1441-1600;  49  —  304;  1—64.     ä  1,50  kr. 
Origines  Islandicae.     A  collection  of  the  morc    important  sagas  and  other  native 

writings  relating  to  the  settlement  and  early  history  of  Iceiand  edited  and  trans- 

lated    by    Gudbrand    Vigfusson    and    F.  York    Powell.     2    voll.      Oxford, 

Clarendon  press  1905.     XVI,  728  und  VII,  787  s.     42  sh. 
Otfrid.  —  Stümbke,  Wilh.,   Das  .schmückende  beiwort  in  Otfrids  Evangelieubuch. 

[Greifswalder  dissert.]     Gieifswald  1905.     (IV),  71  s. 
Platen.  —  Aug.  graf  von  Platen,  Tagebücher,  im  auszuge  hrg.  von  Erich  Petzet. 

München  und  Leipzig,  R.  Piper  &  co.,  o.  j.     XX,  400  s.     2  abbild.  und  L  facs. 
Prost,  Johann,    Die  sage  vom  ewigen    Juden    in  der   neueren  deutschen  literatur. 

Leipzig,  Georg  Wigand  1905.     VIII,  167  s.     3  m. 


572  NEUK    ERSCHEINUNGEN 

Rudolf  von  Ems.  —  Rudolfs  von  Ems  Willehalm  von  Orleos,  hi'g.  aus  dem  Wasser- 
burger  codex  dur.Fürstenbergiscben  liofbibliothek  in  Douaueschingen  von  Victor 

Junk.     [Deutsche  texte  des   mittelalters,    hrg.    von  der  Kgl.   preuss.    akad.  der 

wissensch.    IL]     Berlin,  Weidmann  1905.,    XLIII,  277  s.  und  3  taff.     10  m. 
Salir,  Julius,  Das  deutsche  Volkslied,  ausgewählt  und   erläutert.     2.  aufl.     Leipzig, 

Göschen  1905.     189  s.     geb.  0,80  m. 
Schiller.  —  Burdach,  Konr.,  Schiller-rede  gehalten  bei  der  gedächtnisfeier  in  der 

Philharmonie  zu  Berlin  am  8.  mal  1905.    Berlin,  Weidmann  1905.    33  s.  0,60m. 
—  Pol,  H.,  Die  Vorbedingungen  zu  einem  richtigen  Verständnisse  Schillers.    Festrede 

zur  erinnerung  an  Schillers  100 -jährigen  todestag      Groningen,  P.  Noordhoff  1905. 

24  s.     0,80  m. 
Schlegel,  Friedr.  —  Fr.  Schlegels  Fragmente  \ind  ideen,   hrg.  von   Franz   Deibel. 

München  und  Leipzig,  R.  Piper  &  co.  o.  j.    XXXIII,  290  s.,  1  portr.  und  1  facs. 
Schmidt,  Ludwig-,  Geschichte   der   deutschen   stamme  bis  zum  ausgang  der  Völker- 
wanderung.    [Quellen    und    forschungen    zur    alten    gesch.   und  geogr.   hrg.   von 

W.  Sieglin.   X.]     Berlin,  Weidmann  1905.     s.  103—231  und  2  karten.  5,60m. 
Sehwarzeuherg'.    —    Scheel,   Willy,    Johann    freiherr  zu   Schwarzenberg.     Berlin, 

J.  Guttentag  1905.     XVI,  381  s.  und  1  abbild.     8  m. 
Steyrer,  Johaun,   Der  Ursprung  und  das  iwachstum  der  spräche  indogermanischer 

Europäer.    Wien,  Alfr.  Holder  1905.     (IV),  176  s.     5,20  m. 
Volks-  und  gesellschaftslieder  des  XV.  und  XVI.  Jahrhunderts.     I.   Die  lieder  der 

Heidelberger  hs.  Pal.  343  hrg.  von  Arthur  Kopp.     [Deutsche  texte  des  mittel- 
alters hrg.  von  der  Kgl.  preuss.  akad.  d.  wissensch.   V.]    Berlin,  Weidmann  1905. 

XX,  254  s.  und  1  facs.     7,60  m. 
Wallner,  Anton,  Deutscher  mythus  in  der  tschechischen  ursage.    Laibach,  v.  Klein- 

mayr  &  Bamberg  1905.     35  s.     0,60  m. 
Waltharius.    —   Walthari   poesis.     Das   Waltharilied    Ekkehards  I.   von    St.  Gallen, 

nach  den  Geraklushandschrifteu  herausg.  und   erläutert  von   Hermann  Althof. 

Zweiter  teil:  Kommentar.     Leipzig,  Dietrich  1905.     XXII,  416  s.     13  m. 
Weihenstephaüer  chrouik.  —  Freitag,  Otto,  Die  sogenannte  chrouik  von  Weihen- 
stephan.   Ein  beitrag  zur  Karlssage.    [Hermaea  .  .  .  herausg.  von  Ph.  Strauch.  I.] 

Halle,  Niemeyer  1905.     XII,  181  s.     5  m. 
Welse,  Oskar,  Ästhetik  der  deutschen  spräche      2.  verbess.  aufl.    Leipzig  und  Berlin, 

Tcubuer  1905.     VIII,  328  s.     geb.  2,80  m. 
Wenger,  Karl,  Historische  romane  deutscher  romantiker.     Bern,  A.  Francke  1905. 

[Unters,  zur  neueren  sprach-  und  litt.gesch.  hrg.   von  Oskar  F.  Walzel.     VII.] 

VII,  123  s     2,40  m. 
Wilser,  Ludwig-,   Die  herkunft  der  Baiern,  mit  anhang:   Stammbaum  der  langobar- 

dischen  könige.    Zur  runenkunde.    Zwei  abhaudhmgeu.    Leii>zig  und  Wien.    Akad. 

Verlag  für  kunst  und  Wissenschaft  1905.     80  s. 
Wimmer,  Ludw\  F.  A.,    De  danske  runemindesmgerker.     Afbildningerne  udforte  af 

J.  Magnus  Petersen.    III.    Runestenene  i  Skane  og  pä  Bornholm.    Kobenhavn, 

Gyldendal  1904  —  1905.     (IV),  328  s.    gr.  4.    40  kr.  =  45  m. 
Wünsche,  Aug:.,   Die  i)flanzcnfabel  in  der  Weltliteratur-.     Leipzig  und  Wien,   Akad. 

Verlag  für  kunst  und  Wissenschaft  1905.     (VI),  184  s. 
Zehnjungfrauenspiel.  —  Das  spiel  von  den  zehn  Jungfrauen  und  das  Katharinenspiel 

untersucht  und  hrg.   von   Otto  Beckers.      [Germanist,   abhandlungen    hrg.   von 

Fr.  Vogt.    24.]     Breslau,  Marcus  1905.     VIII,  158  s.     5  m. 


NACHRICHTEN    —    I.    SACHREGISTER 


573 


NACHRICHTEN. 

Ende  juli  1905  verschied  zu  Müustei-  der  geh.  regieruugsrat  prof.  dr.  Wilhelm 
Storck  (geb.  zu  Letmathe  5.  juli  18J9);  am  3.  sept.  190.5  prof.  dr.  Robert  Sprenger 
iu  Northoim  (geb.  zu  Quedlinburg  20.  febr.  18.51),  in  dem  auch  unsere  Zeitschrift  einen 
mitarbeiter  betrauert. 

Prof.  dr.  J.  Seomüller  in  Innsbruck  ist  als  nachfolger  Richard  Heiuzels  nach 
Wien,  prof.  dr.  J.Schatz  in  Innsbruck  an  die  Universität  Lemberg  berufen. 

Prof.  dr.  Fried r.  Vogt  in  Marburg  ist  zum  geh.  regierungsrat  ernannt,  der 
privatdocent  prof.  dr.  Franz  Saran  in  Halle  zum  extraordinarius   befördert  worden. 

Es  habilitierten  sich:  iu  Marburg  dr.  Harry  Maync  für  neuere  litteratur- 
geschichte,  in  München  dr.  Friodricli  Wilhelm  für  deutsche  spräche  und  litteratur, 
iu  Wien  dr.  Stefan  Iloek  für  neuere  deutsche  litteraturgeschichte ,  iu  Berlin  dr.  Georg 
Baesecke  für  germanische  philologie. 


I.    SACHREGISTER. 


Alexandreis  vgl.  Eschenbach. 

Atli,  Attila  vgl.  Nibelungen. 

Brynhild  vgl.  Nibelungen. 

Cynewulf :  Elene  s.  1  fgg. ,  Verzeichnis  aller 

bearbeitungeu  der  legende  s.  2fgg.,  ver- 

gleichuug  von  Cynewulfs   dichtung  mit 

den  anderen  bearbeitungeu  der  legende 

s.  4  fgg. 
Dietrich  von  Bern,  vgl.  PiSrekssaga. 
drama:    ausstattung    der  mittelalterlichen 

bühne  s.  283  fgg. 
Edda,  vgl.  Nibelungen,  vgl.  V(jlsungasaga. 
epos   vgl.   friesisch,  vgl.  heldensage,  vgl. 

hyperbel. 
Eschenbach,  Ulrich  von:  Ochsenfurter  frag- 

mente  der  Alexandreis ,  beschreibung  der 

hs.  s.  348 fg.,  Verhältnis  zu  den  anderen 

hss.  s.  348  anm.,  text  s.  350  fg. 
Faust  vgl.  Goethe. 
Finnsage:  vgl.  Nibelungen;  reconstruction 

der  sage  s.  532  fgg. 
flexion :  nominaler  genetiv  im  idg.  s.  20 1  fg. ; 

der  genetiv   in  der   Luzerner  mundart 

s.  273  fg. 
fränkische  psalmenfragmente:  toxtkritische 

bemerkungen  s.  29  fgg. 
friesische   volk.sepik:    die   Volkslieder   von 

Asega  und  Kempa  s.  433  fgg. 
St.  Galler    spiel    von    der    kiudheit    Jesu 

s.  423  fgg. 


Gengenbach,  Painphilus:  lebensbe.schrei- 
bung  s.  43 fgg.,  Charakteristik  s.  50 fgg., 
Stellung  zur  reformation  s.  .53 fgg.,  seine 
dichtungen  s.  56  fgg.,  seine  spräche 
s.  .59  fgg.,  sprachliches  Verhältnis  der 
Totenfresser  und  der  Novella  zu  G.s 
werken  s.  00 fgg.,  s.  207 fgg.,  s.  220 fgg., 
G.s  heimat  ist  Basel  s.  218fgg. ,  auch 
Tot.  und  Nov.  stammen  aus  der  Schweiz 
s.  220 fgg.,  G.  ist  der  Verfasser  der  Tot, 
und  der  Novella  s.  229 fg.,  s.  248 fgg., 
metrik  der  werke  G.s  und  der  Tot.  und 
der  Novella  s.  230  fgg. 

Goethe:  Faust  s.  262 fg. 

Goldenermärchen  vgl.  Gudrun. 

gotisch  vgl.  Wulfda,  vgl.  westgotisch. 

Gudrun:  vgl.  Nibelungen;  einheitlichkeit 
des  Gudruuliedes  s.  515fgg. ,  Ursprung 
und  entwicklung  der  sage  s.  517  fgg., 
beziehungen  der  Hildesage  zum  Gol- 
deneimärchen  s.  518fgg. ,  s.  524fg.,  be- 
ziehungen der  Gudrunsage  zur  Historia 
Apollonii  s.  523  fg.,  der  Herwigsago  zur 
Herbortsago  s.  524,  die  Gudrunsage  und 
die  Ragnars  saga  loöbrökar  s.  .525,  die 
sage  von  Oder  und  Sigrid  s.  525,  unter- 
schied zwischen  der  Hilde-  und  der 
Gudrungeschichto  s.  525 fg. 

Günzburg,  Johann  Eberliu  von:  nicht 
der    Verfasser    der    roformationsschrift 


574 


I.    SACHREGISTER 


„Klag  und  Autwort"  s.  66fgg. ;  vgl. 
Rhegius. 

Hagen  vgl.  Nibelungen. 

Hebbel  561  ff. ;  als  eizähler  von  E.  T.  A. 
Hoffmann,  Contessa  und  Jean  Paul  be- 
eiuflusst,  aberunbcdeuteudöGl ;  kritische 
und  histor.  abhandlungen  562 fg.,  565; 
polit.  aufsätze  564 fg.;  seine  Stellung  zur 
.  Nibelungenfrage  565. 

Heinzel,  Richard,  s.  506fg. 

Heldensage:  volkstümliche  auffassung  der 
geschichte  s.  412fg.,  die  kautilenen- 
theorie  s.  413 fgg. 

Helgi  vgl.  Nibelungen. 

Heliaud  s.  533. 

Hehverd  s.  433. 

Hessus,  Simon,  vgl.  Rhegius. 

Hilde,  vgl.  Gudrun,  vgl.  Nibelungen. 

Hildebrandslied:  heimat  des  gedichtes  s. 
533  fgg. 

Huon  von  Bordeaux  s.  417  fgg. 

hyperbel:  groteske  Übertreibung  im  mhd. 
epos  ist  fi'enidländischen  urspiungs 
s.  422  fg. 

Kindheit  Jesu,  St.  Galler  spiel,  s.  423 fgg. 

kunst  vgl.  Ornament. 

lied:  vgl.  friesisch,  vgl.  heldensage;  Darm- 
städter liederhs.  aus  dem  16.  jhd.  s. 
509  fgg. 

Luzerner  mundart  vgl.  flexion. 

märchen:  Verhältnis  zur  sage  s.  494  fgg. 

Maerlant  s.  538  fg. 

Mendelsohn,  Moses,  s.  527  fg. 

Meyer,  Sebastian,  humanist,  verf.  des 
Pfründmarkts  der  curtisanen   s.  195  fg. 

Muspilli  s.  533. 

Nibelungensage:  älteste  gestalt  und  ent- 
wicklung  der  Hagensage  s.  289  fgg., 
s.  295  fgg.,  s.  500  fgg.,  Sigmundsage 
s.  290  fgg.,  Sigfridsage  kein  mythos 
s.  292 fg.,  älteste  form  der  Sigfridsage 
s.  295  fgg.,  S.298,  s.  ,500 fgg.,  das  motiv 
vom  Verwandtenmord  s.  296  fgg.,  s. 
500  fgg.,  bezieh ungen  zwischen  Hagen-, 
Sigfrid-,  Sigmund-,  Helgi-  und  Hilde- 
sage s.  296 fgg.,  s.  484fgg.,  s.  488 fgg., 
s.  500  fgg.,  der  causälnexus  innerhalb 
der    Hagen -Sigfridsage    s.  300 fgg.,    s. 


500  fgg. ,  die  gier  nach  dem  schätz  als 
beweggrund  zu  dem  zweifachen  mord 
s.  302,  die  verquickung  der  Brynhild- 
sage  mit  der  Hagensage  s.  303  fgg., 
s.  .321  fgg,  s.  344fgg.,  s.  500 fgg.,  der 
zauberschlaf  Brynhildens  s.  304  fgg., 
s.  317 fg.,  s.  438 fgg.,  s.  500 fgg.,  Sig- 
frids  Unkenntnis  seiner  herkunft  s. 
309 fgg.,  S.488,  s.  500 fgg.,  Günther  s. 
322  fgg.,  Sigfrids  und  Günthers  ehe  mit 
Brynhild  s.  324 fgg.,  s.  438 fgg.,  der 
streit  der  königinnen  s.  336  fgg.,  s.  438  fgg., 
Brynhildens  zorn  s.  339 fgg.,  s.  438  fgg., 
Heimir  s.  343  fg. ,  identificierung  der 
Brynhild  mit  Kriemhilt  s.  344  fgg., 
s.  500fgg. ,  Kriemhilts  räche  s.  346fgg., 
die  lieder  der  lücke  im  Codex  regius 
s.  438 fgg.,  Strophe  36  —  38  der  Sig. 
sk.  s.  461  fgg.,  die  Sig.  meiri  s.  465 fgg., 
der  drachenkampf  und  Brynhildens 
erlösung  getrennte  stücke  s.  471  fgg., 
s.  500  fgg. ,  einfügung  des  drachen- 
kampfes  in  die  alte  Sigfrid -Hagensage 
s.  473 fgg.,  s.  500 fgg.,  die  Nibelungen 
s.  474 fgg.,  s.  482  fgg.,  Regins  Verhältnis 
zu  Sigurd  s.  476 fgg. ,  Mimir  s.  477  fg., 
die  hornhaut  s.  479,  das  drachenherz 
und  das  verstehen  der  vogelsprache 
s.  479 fgg. ,  die  frauennamen  s.  484fgg., 
Sigfrids  vater  s.  488  fgg.,  Sigfrids  dienst- 
barkeit s.  490  fgg.,  die  hochzeit  und  die 
einladnng  nach  Worms  s.  492 fgg.,  die 
sogenannten  Sigfrid  märchen  in  ihrer 
heziehung  zur  sage  s.  494 fgg. 

Novella  s.  40 fgg.,  s.  207fgg. 

Ornament:  german.  orn.  der  völker- 
wanderungszeit  s.  264  fgg. 

Pfründmarkt  der  curtisanen :  Verfasser  ist 
Sebastian  Meyer  aus  Neuenburg  am 
Rhein  s.  194  fgg. 

Platen  s.  272  fg. 

psalmer  vgl.  fi-änkisch. 

reformationsschrif  ten :  Totenfresser  und 
Novella  s.  40 fgg.,  s.  207  fgg.;  vgl. 
Rhegius. 

Reinaert  s.  537  fg. 

Rhegius,  Urban:  Verfasser  von  Satiren 
s.  66  fgg.,  Klag  und  Antwort  s.  66  fgg., 


II.    VERZEICHNIS    DER    BESPROCIIENEN    STFXLEN 


575 


Weggespräch  s.  70  fgg.,  Gespräch 
zwischen  edelmann,  möuch  und  cur- 
tisan  s.  72  fgg.,  Ein  iinterred  s.  74  fg., 
Ayn  freuntlich  gesprech  s.  75fg.,  ge- 
dieht vom  almosen,  toxt  s.  79fgg., 
quelle  s.  85,  sprachliche  beweise  für 
des  Rhegius  autorschaft  s.  91  fgg.,  be- 
ziehungen  zu  den  Hessusschriften  s. 
I02fgg. .  Dialogus  zwischen  Kunz  und 
Fritz  s.  106 fgg,,  datieruug  der  Schriften 
s.  111. 

romanisch :  aitportugiesische  personen- 
namen  s.  541  fgg. 

ruuen  s.  271  fg. 

Satire:  begriff  s.  536,  Reinaert  s.  537fg. ; 
vgl.  Rhegius. 

schüttelformeu  s.  256  fgg. 

Sigfrid  vgl.  Nibelungen. 

Syntax  s.  261  fgg.,  s.  274. 

tierschwank  vgl.  Reinaert. 

Totenfresser  s.  40fgg.,  s.  207  fgg. 

Volkslied  vgl.  friesisch. 


YQlsungasaga:  die  cinheitlichkeit  der  dar- 
stellung  in  den  cc.  28  und  29  und  die 
bedeutung  der  Y(jls.  für  die  rekon- 
struktion  der  lieder  der  lücke  im  Cod. 
regius  s.  19 fgg.,  s.  438fgg. ;  vgl.  Nibe- 
lungen. 

westgotisch:  erschliessung  des  westg.  auf 
grund  altportugiesischer  personenuamen 
s.  541  fgg. 

"Wieland :  politische  anschauungen  s.  427  fgg. 

Wlemar  s.  433. 

Wulfila:  ältere  urteile  über  die  über- 
setzungstechnik  des  W.  s.  145  fgg.,  ab- 
weichungen  des  got.  textes  vom  grie- 
chischen s.  166 fgg.,  s. 253 fgg,  s. 3.52 fgg. 
s.  388 fgg.,  besonders  bemerkenswerte 
fälle  wörtlicher  Übereinstimmung  zwi- 
schen got.  und  griech.  text  s.  384 fg., 
Ws.  Übersetzungstechnik  s.  384fgg.,  die 
gotisch- griechische  litteratursprache  s. 
386  fgg. 

?i5rekssaga:  vgl.  Nibelungen;  Verhältnis 
der  hss.  zu  einander  s.  126  fgg. 


IL     VERZEICHNIS  DER  BESPROCHENEN  STELLEN. 


Beowulf: 

Beowulf: 

Beowulf: 

V. 

242  fg. 

s.  113. 

V. 

1002  fg. 

s.  116. 

V. 

1174 

s.  116. 

■!) 

252  fgg. 

s.  113. 

„ 

1014  fgg. 

s.  116. 

„ 

1177  fgg. 

s.  117. 

V 

262 

s.  113. 

Tl 

1064 

s.  529. 

n 

1280  fg. 

s.  117. 

305 

s.  113fg. 

11 

1066 

s.  529  fg. 

n 

1285 

s.  117. 

V 

328fg. 

s.  114. 

T, 

1069 

s.  530. 

71 

1333 

s.  124. 

•n 

386  fg. 

s.  114. 

n 

1072 

s.  532. 

V 

1378  fg. 

s.  117. 

V 

457  fgg. 

s.  114. 

„ 

1083 

s.  530. 

n 

1382 

s.  124. 

n 

489  fg. 

s.  114. 

11 

10S6fg. 

s.  530. 

11 

1408 

s.  124. 

„ 

522  fg. 

s.  114. 

„ 

1101 

s.  530. 

,, 

1451 

.s.  124. 

75 

574 

s.  114. 

n 

1103 

s.  530. 

„ 

1.506 

s.  124. 

» 

668 

s.  115. 

11 

1104 

s.  530. 

„ 

1514 

s.  117. 

:, 

681 

s.  115. 

11 

1107 

s.  530. 

11 

1604  fg. 

s.  117. 

7) 

693 

s.  115. 

^ 

1118 

s.  .530  fg. 

71 

1624fg. 

s.  117. 

T) 

728  fgg. 

s.  115. 

n 

11 19  fg. 

s.  116. 

,r 

1728fg. 

s.  117fj 

■n 

7.39 

s.  115. 

^ 

1122 

s.  .531. 

H 

1755 fgg 

s.  118. 

T, 

779 

s.  11.5. 

V 

1126 

s.  .531.532. 

., 

1832  fg. 

s.  118. 

V 

788 

H.  124. 

^ 

1128 

s.  531. 

„ 

1840 

s.  125. 

n 

844  fgg. 

s.  115. 

1 

1142 

S.531. 

71 

1860  fg. 

s.  125. 

■n 

850 

.s.  115  fg. 

n 

1151  fg. 

s.  116. 

n 

19u3fg. 

s.  118. 

n 

941 

s.  124. 

71 

1171  fgg. 

s.  116. 

n 

1925  fg. 

s.  118. 

576 


in.    WORTREGISTER 


eo 

wulf: 

Beowulf: 

FiuDsburgfragment: 

V. 

1931  fg. 

s.  118.  125. 

V. 

2659  fg. 

s.  121. 

V.  13       s.  123.  531. 

•n 

1935 

s.  119. 

11 

2661  fg. 

s.  121. 

„   18       S.531. 

V 

1955  fgg. 

s.  119. 

17 

2724  fg. 

s.  121. 

„   19fg.  s.  123.  531. 

V 

1980  fg. 

s.  119. 

„ 

2740 

S.121. 

„   29  fg.  s.  123. 

r> 

1982  fg. 

s.  125. 

11 

2  7  64  fgg 

.   s.  122. 

„   30       8.531. 

« 

2035 

s.  119. 

n 

2788 

s.  122. 

„  33       s.531  fg. 

n 

2041 

s.  119. 

11 

2930  fg. 

s.  122. 

„  34  fg.  s.  124. 

11 

2048 

.s.  119. 

11 

3055  fg. 

s.  122. 

„  35       S.532. 

11 

2152 

s.  125. 

11 

3069  fg. 

s.  122. 

„  40       s.532. 

n 

2226 

s.  119. 

„ 

3071  fg. 

s.  122. 

„  41       s.  124. 

n 
11 

V 

11 
n 

2239  fg. 
2251  fg. 
2280 fgg. 
2283  fg. 
2337  fgg. 

s.  119. 
s.  120. 
s.  125. 
s.  120. 
s.  120. 

n 
11 
11 
n 
n 

3073  fg. 
3 118  fg. 
3 126  fg. 
3131 
3180  fg. 

s.  122. 
s.  122. 
s.  122. 
s.  123. 
s.  123. 

Gotische  Bibelübersetzung 
Mc.  1,10  s.253. 

Hildebrandslied: 
V.  16  fg.  s.  535  fg. 

71 

2395 

s.  120. 

Edd 

a: 

VQlsungasaga: 

11 

2430  fg. 

s.  120. 

Brot  s 

•  19fgg-, 

438 fgg.,  457. 

V.  23  und  24  s.  465  fgg. 

11 

2441  fg. 

s.  120. 

Fäfnismql  str.  40-46  s.  345. 

0.26  fgg.  s.  26,  s.  438  fgg 

11 

2456  fg. 

s.  120. 

SigurS 

arkviSa 

en     skamma 

s.  465  fgg. 

n 

2464 fgg. 

s.  120. 

Str. 

35-39  s 

.22. 

„  28,16  S.20.  26.  469  fg. 

11 

2486 

s.  120. 

.Str. 

36  s.  327  fg.,  s.  461  fgg. 

„  29,4—48  s.20.  440 fgg. 

n 

2489 

s.  121. 

Fini 

isburgfragment: 

„  29, 144  s  20.  25. 

11 

2556 

s.  121. 

V. 

Ifg.  s. 

123.  531. 

„  30  und  31  s.  449  fgg. 

D 

2573 

s.  121. 

11 

5       s. 

531. 

„  32  s.  455  fgg. 

11 

2645  fg. 

s.  121. 

n 

11       s. 

531. 

III. 


Jfeülioclideiitscli. 

egge  s.  397  fg. 
fleiss  s.  394 fg. 
ohrfeige  s.  396  fg. 
puter  s.  259  fg. 
roggen  s.  397  fg. 
Schärpe  s.  398. 
schuft  s.  260  fff. 


WORTREGISTER. 

tüte  s.  396. 
vergeuden  s.  395  fg. 
verquisten  s.  395  fg. 
weif  s.  393  fg. 

Sclnvedisch. 

gäut  s.  277. 
hielmult  s.  276  fg. 


Buchdruckorei  dos  Waisenliauses  iii  Halle  a.  S. 


/■' 


PF 

3003 
Z35 

Bdo7 


Zeitschrift  für  deutsche 
Philologie 


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