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ZEITSCHRIFT
FÜR
DEUTSCHE PHILOLOGIE
BEGRÜNDET von JULIUS ZACHER
HERAUSGEGEBEN
HUGO GERING UND FRIEDRICH KAUFFMÄNN
SIEBENUNDDREISSIGSTER BAND
HALLE A. S. ^ \
VERLAG DER BUCHHANDLUNG DES WAISENHAUSES.
190 5.
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INHALT.
Seite
Zur quelle von Cynewulfs Eleiie. Von F. Holthausen 1
Zur Vglsunga saga und den Eddaliedern der lücke. Von G. Neckel . . . . 19
Die fränkischen psalnienfragmente. Von "W. F. Gombault. 29
Pamplülus Gengenbaeli als Verfasser der Totenfresser und der Novella. Von
H.König 40. 207
Urban Rhegius als Satiriker. Von A. Götze 66
Beiträge zur erkläning des altengl. epos. Von F. Holthausen 11.^)
Die übersetzuugstechnik des Wulfila unteisucht auf grund der bibclfragmente
des Codex argenteus. Von H. Stolzen bürg 14.5. 352
Vom pfründmarkt der curtisanen. Von A. Götze 19'*>
Untersuchungen über den Ursprung und die entwicklung der Nibeiungensage.
Von R. C. Boer : • ■ • 2^9- 4:^S
Die Ochsenfurter fragmente der Alexandreis dos Ulrich von Esehenbach. Von
J. Hefner 348
Zur friesischen volksepik. Von H.J aekel . 433
Richard Heinzel (nekrolog). Von M. H. Jellinek - . . 506
Miscelleii.
Zur gotischen bibelübersetzung. Von R. Trautmann 253
Schüttelformen. Von H. Schröder 256
Nhd. puter 'truthahn'. Von H. Schröder 259
Xhd. nd. schuft, nl. schoft -schurke'. Von H. Schröder 261
Beiträge zur deutschen wortforscliung. Von H. Schröd.er . . . . . . . 393
Die Zeitschrift für schwedische nuuidarten und Volkskunde Vfui H. K. H.dood-
win Buergel 399
Die Darmstädter handschrift nf. 1213. Von Ä. Kopp 569
Litteratur.
Henrik Bertelsen, Gm Didrik af Borns sagas oprindelige skikkclse, omarbei-
delse og händskrifter; von R. C. Boer 126
N. van Wijk, Der nominale geuetiv sing, im indogermanischen in seinem vur-
hältnis zum nominativ; von H. Hirt 201
Veit Valentin, Die klassische Walpurgisnacht; von G. Witkowski .... 262
Beruh. Salin, Die altgermanische tierornamentik; von F. Kauffmann . . . 264
IV INHALT
Seite
Alb. Fries, Platenforschungen ; von R. M. Meyer 272
R. Brandstetter, Der genetiv der Luzerner nnindart; von L. Sütterlin . . 273
Nordiska studier tillegnade Ad. Nor een; von A. Gebhardt 275
K. Marbe, Über den rhythmus der prosa; von 'R. M. Meyer 282
H. J. E. Endepols, Het decoratief en de opvoering van het mnl. drama; von
J. Franck 283
J. Czerny, Sterne, Hippel und Jean Paul; von R. M. Meyer 286
L.F.Anderson, The Anglo-Saxon scop; von G. Binz 410
Carl Voretzsch, Epische Studien; von G.Schläger 410
Leo "Wolf, Der groteske und hyperbolische stil de.s nihd. voiksepos; von
G. Ehrismann 421
Jos. Klapper, Das St. Galler spiel von der kindheit Jesu; von G. Ehrismann 423
Herrn. Jantzen, Litteraturdenkmäler des 14. u. 15. jahrh.; von G. Ehrisnianu 426
J.P.Hebels Alemann, gedichte herausg. von 0. Heilig; von G. Ehrisnianu 427
Osk. Vogt, Der goldene Spiegel und Wielands politische ansichten; von A.Wahl 427
Carl Behrens, En ty.sk digter, Chr. Dietr. Grabbe; von H. Jantzen . . . 429
P.Landau, Sari von Holteis romaue; von R. M. Meyei' 430
Friedr. Panzer, Hilde-Gudrun; von G. Ehrismann 515
Ludw. Goldstein, Moses Mendelssohn u. die deutsche ästhetik; vonTh.A. Meyer 527
Mor. Trautmann, Fiun und Hildobrand; von G. Binz 529
P. H. van Moerkerken jr., De satire in de nederlandsche kunst der middel-
eeuwen; von J. Franck 536
Fr. M. Kircheisen, Die geschichte des litterari.schen portraits; von R. M. Meyer 540
Wilh. Meyer-Lübke, Romanische namenstudien. I. Die altportugiesischen
Personennamen germanischen Ursprungs; von Th. v. Gricnberger . . . 541
Fr. Hebbel, Sämtliche werke, herausg. von R.M.Werner; von H. Krumm. 5(11
Berichtigung 570
Neue erscheinungeu 144. 287. 431. 570
Nachrichten 144. 288. 432. 572
Register von W. Beese 573
ZUR QUELLE VON CYNEWÜLFS ELENE.
Nachdem zuerst Glöde iu der Anglia IX, 271fgg. das Verhältnis
von Cj'newulfs Elene zu den in den Acta Sanctorum gedruckten latei-
nischen fassungen der legende genauer untersucht hatte, wies Golther
in einer besprechung dieser arbeit (Literaturbl. f. germ. u. rom. phil. VIII,
261fgg.) auf die altisländ. Übersetzung der legende von der kreuzauf-
findung in den Heilagra iiianna sqgur ed. Unger und die vier griechi-
schen von Gretser herausgegebenen texte hin, wobei er zugleich eine
anzahl wichtiger und schlagender parallelstellen aus diesen quellen an-
führte, die dem ae. gedichte oft näher stehen als die lateinischen. Ferner
machte dann Brenner in einer anzeige der dritten aufläge von Zupitzas
ausgäbe (Engl. stad. XIII, 480 fgg.) auf weitere Übereinstimmungen auf-
merksam und lenkte zugleich die aufmerksamkeit der anglisten auf die
publication A. Holders: Inientio s. crucis (Leipzig 1889),. in der wichtige
neue lateinische texte nach mehreren hss. gedruckt waren. In die dritte
aufläge seiner ausgäbe hatte Zupitza den lat. text der A.SS. mit mehr-
fachen Verweisungen auch noch auf andere Versionen, als die schon
genannten (z. b. die von Morris für die E.E.T.S. herausgegebenen Legends
of Üie Holij Rood) aufgenommen, ohne freilich eine erschöpfende ver-
gleichung aller parallelstellen zu bringen (vgl. Koeppel im Lit.bl. XI, 60).
Da inzwischen wider wichtiges und reiches quellenmaterial erschlossen
ist und viele, schon früher gedruckte fassungen der kreuzlegende über-
haupt noch nicht berücksichtigt worden sind, schien es mir als Vor-
arbeit zu einer neuen ausgäbe der ae. dichtung zunächst nötig, die
gesamte mir bekannte und erreichbare Überlieferung heranzuziehen, und
auf grund einer genauen vergloichung jedes einzelnen textes mit Cyne-
wulfs Elene dessen vorläge' nach möglichkeit zu reconstruieren. Ge-
funden ist diese ja leider noch nicht, und wird vielleicht auch nie wider
gefunden werden. Aber ihre form lässt sich doch ziemlich sicher er-
schliessen, wenn wir nur alles einschlägige material zu hülfe nehmen.
Zwar mögen manche wörtliche Übereinstimmungen zwischen Cynewulfs
und anderen fassungen auf zufall beruhen, aber in den meisten fällen
ist dieser offenbar ausgeschlossen, besonders wenn mehrere texte ganz
dasselbe bieten.
ZBITSCHRIFT F. DEUTSCHK I'HILOI.OOIK. BD. XXXVII. 1
2 HOLTHAUSEN
Ehe wir mit der vergleichung- der verschiedenen fassungen be-
ginnen, wird es nötig sein, die einzelnen texte, nach sprachen geordnet,
übersichtlich vorzuführen und die jedesmaligen ausgaben zu nennen.
Das Verhältnis aller texte untereinander jedoch genau zu bestimmen
ist nicht möglich, so lange wir nicht mindestens eine kritische ausgäbe
des griechischen Originals der legende auf grund der ältesten und
besten hss. haben.
Die einzelnen texte sind:
a) syrische,
herausg. von E. Nestle, De sancta cruce, Berlin 1889 ^ Die schrift ent-
hält ausser drei syr. texten und deren deutscher Übersetzung wichtige
litteraturangaben und anmerkungen. Für unsere zwecke kommen nur
der erste und der dritte text in betracht, die ich A und B nenne und
nach der Übersetzung N.s mit angäbe der selten (s. 43fgg. und s. 51fgg.)
eitlere.
b) griechische.
1. Zwei texte, herausgegeben von J. Gretser in dem werke De
cruce Christi, Ingolstadt 1600, tom. II, s. 526 fgg., der erste mit einer
lat. Übersetzung zur seite. Ich citiere text I nach dieser ausgäbe, von
der unsre bibliothek ein exemplar besitzt.
2. Dieselben, mit zwei anderen zusammen in desselben Opera
omnia, tom. II, Ratisbonae 1734, s. 417 fgg. gedruckt. Hiernach citiere
ich die texte II — IV.
3. Der erste dieser vier texte, wider veröffentlicht von A. Holder,
Inventio s. Crucis'^, Lipsiae 1889, s. 30 fgg.;
4. ein neuer text, nach dem cod. Vatic. gr. 866 herausg. von Wotke,
AViener Studien XIII, 300 fgg.;
5. ebenfalls ein neuer, nach dem cod. Angel. 108 gedruckt von
Olivieri in den Analecta Bollandiana XVII, 414 fgg.
Wir kennen den griech. text also jetzt aus sechs hss.
c) lateinische.
1. Nach vier hss. in den A. SS. Mail, 445 fgg., wobei auch die
fassung des Mombritius berücksichtigt ist.
2. Bei Mombritius, Vitae sanetorum, Mediolani 1479, tom. I,
fol. 212fgg.
1) Vgl. Bonwetsch, Theol. litbl. 1890, 381.
2) Vgl. dazu "Wotke, Zsclir. f. österi'. gymn. 1891, 845; Petschenig, Berl. philol.
Wochenschrift 1889, lG2lfg.; Manitius, Wochenschr. f. klass. philol. 1889, 1402 fg.;
Kühler, I). lit.ztg. 1890, öGfg.; Lit. centralbl. 1890, 119.
ZUR QUKLLK VON' CYNKAVULFS KLENK ö
3. Nach einer Pariser hs. (A) mit den lesarten von vier anderen
herausg. von A. Holder, Inventio s. enteis (s. oben).
4. Einen Pfae verschen cod. nr. X erwähnt Wotke a. a. o., s. 301,
den ich aber nicht weiter kenne.
5. In der Legeiida aurea des Jacobus a Voragine ed. Graesse,
p. 303 fgg.
6. Einen Ynnins de s. cruce aus dem 5. jht. druckt Holder a.a.O.,
40fgg. (vgl. Einleitung s. XI).
d) altisläudische.
Nach zwei hss. herausgegeben von Unger, HeUagra manna sggur,
Christiania 1877, I, s. 301 fgg.
e) altschwedische.
Gedruckt in EU forn - svenskt legendarium^, Stockholm 1847,
I, SOfgg. und 563fg. von G. Stephens. Die quelle der sehr kurzen dar-
stellung ist die Leg. aurea.
f) altenglische.
Eine ae. prosalegende, die viele Übereinstimmungen mit der dichtung
aufweist, steht als nr. 1 in dem buche von Morris: Legends of ihe Holy
Bood, London 1871 (E.E.T.S., O.S. 4G). " .
g) mittelenglische.
1. Eine fassung (A) in gereimten septenarparen, herausg. von
Horstmann in Tke Earhj Souili-English Legendary I, London 1887
(E.E.T.S., O.S. 87) s. Ifgg., nach ms. Laud 108, ferner von Morris in
den Legends of the Holy Bood s. 36 fgg. nach den hss. Harley 2277,
Ashm. 43 und Vernon der Bodl. Library. Die verse 205 — 228 der drei
letztgenannten hss. entsprechen den versen 335 — 356 des ms. Laud,
während v. 229 — 362 bei Morris den versen 1 — 134 bei Horstmann
entsprechen, d. h. die geschichte von Konstantins vision und siege folgt
im ras. Laud der erzählung von der auffindung des'kreuzes durch Helena,
in den hss. Harley, Ashmole und Vernon geht sie derselben voran. Ich
eitlere nach Morris. — Yerbunden damit ist die wunderbare geschichte
des kreuzes und dessen spätere Schicksale, worüber man Napier, Hist.
of ihe Holy Bood-tree-, p. Xfgg. (spec. XXXIV) vergleiche.
2. Ein gedieht (B) in paarweise gereimten kurzversen, herausg.
von Morris a.a.O., s. 87fgg. nach der hs. Harleian 4196 und von Horst-
1) Vierter teil des grossen werkes: Samlingar utgifna nf svenska fornskrift'
süllskapet.
2) Early Engl. Text Soc, O.S. 103, London 1894.
1*
HOT.THAURKN
mann in AUenglische legenden, neue folge, Heilbronn 1881, s. 56 nach
derselben hs. mit , beifügungen der lesarten der hs. Tib. E VII. Ich
eitlere nach der letzteren ausgäbe. Wegen der quelle vgl. Ilorstmann
s. LXXXIX oben.
3. In kurzen reimpaaren im Cursor mnndi v. 21, 879 — 21, 406
und in Morris' Legends (nach ms. Fairfax 14 der Bodl. Eibl.) s. 109,
V. 33 — 60. Der rest der erzählung weicht ab und beruht auf einem
afrz. gedichte, vgl. Napier a.a.O., XXIII fgg.
4. Caxtons prosa Übersetzung der Legenda aurea, gedr. bei
Morris a.a.O., s. 154 —158. Sie geht zunächst auf die französische Über-
tragung von Jean de Yignay zurück, vgl. Horstmann, Altengl. leg.,
n. f., CXXXIII und Binz, Beibl. z. Anglia XIV, 360 fgg.
h) mittelhochdeutsche.
1. Das bruchstück einer Übersetzung der legende in kurzen reim-
paaren findet sich in dem von Busch in der Zeitschr. 10, 129 fgg. und
11, 12 fgg. herausgegebenen und ausführlich behandelten Mittelfränk.
legendär des 12. jhts. v. 529 — 583 (10, 152 fgg.). Der herausgeber
hat in bd. 11, 21 fgg. die quellenfrage erörtert und die erhaltenen reste
mit dem lat. texte der A.SS. auf s. 26 fgg. zusammengestellt.
2. Ein späteres mhd. gedieht in demselben versmasse nach der
Wiener hs. rec. 2259 gedruckt von Massmann in Eraelins, Quedlinburg
und Leipzig 1842 (Bibl. der ges. deutsch, nat.-lit. 6.bd.) s. 194 fgg. Nach
J. Haupt, Sitzungsber. der Wiener acad., phil.-hist. classe, 69. bd., Wien
1871, s. 111 fg. stammt dieses gedieht aus dem Buch der märterer
(1. hälfte des XIV. jhts.), das auf der Leg. mir. beruht, vgl. bd. 70, 101 fg.
3. Der betreffende abschnitt (s. 270 — 278, v. 16) des Passion als,
herausg. von Köpke als bd. 32 der ebengenannten Sammlung, Quedlin-
burg und Leipzig 1852. Die quelle desselben ist ebenfalls die Leg.
aurea des Jacobus a Voragine, vgl. Haupt a. a. o. und Wichner, Zschr.
10, 255 fgg., der gegenüber die dichtung aber manche freiheiten und
besonderheiten zeigt.
Ich gehe nunmehr zu einer vergleichung von Cynewulfs Elene
mit den aufgezählten fassungen und bearbeitungen der legende von der
auffindung des h. kreuzes über.
Gyn. V. 20: Hüna leode, vgl. das mhd. B. d. m. v. 3: die Unger.
37 — 39: on Dunnbie | . . . ymh pces wceteres ivyhn, vgl. Mombr.
und Leg. aurea s. 305: super (iiixta) Banuhium fluviimi.
40 — 41: woldon Römwara rice gejjringan j hergum ähyhan, vgl.
Gr. 425a und 540: L7jiovvicov öimctQäaai ymi jtoqd'fiOai /läoav lijv xwqav.
ZUR QUELLE VON' CTKEWÜLFS KI.ENR 5
42: pd sc cdscre hehl. Hierzu stimmen imperatori Mombr., im-
prralor Jjeg. aar., der Jceiser Pass. (stets), während die A.SS. regi bieten.
48: oiigean granmm, vgl. obviam ipsis Mom.
48fg. : pe'ah hie tverod Icesse j licpfdon tö hilde, ponf/ije Ili'ina
einim/. Vgl. das B. d. m. v. 9fgg.: Er gewan ein her gröz unde starc,
Doch ex gein disme iiiht emvac: Sl heten drtxec an einen man, und
das Pass. 270. HOfg. : So vant er ie der viende xal Vil gröxer danne
die sinen.
56 fg.: cyning ivces äfyrhted , j egsari gedclad. Schon Brenner ver-
wies auf Holders hs. A: liinnit vehementer und Ungers cegM honum.
Ähnliches bieten das mhd. und das me. gedieht, vgl. B. d.m. v. 12: der
heiser sorgen begau und v, 24 fg.: der heiser z' allen xMen Gröxxer sorgen
fiej phlac, das me. gedieht (B) bei Horstm. v. 21: In his hert he had
grete drede.
65 — 67: here ivicode, j eorlas ymh ce^eling egstreame neah, vgl.
Gr. 425 b: xa/ yi/f^ac: tö cptoodvor icagd zag oxd-ag tov 7COTaiiov, Leg.
aur. 805: castra movil et contra Vanubium se cum suo exercitu col-
locavit.
69 — 70: Jid wearh on sldpc sglfnni cetfjwed j päm cdsere, pur
he 0)1 corhre sivcef, vgl. dazu die ae. prosa (Morris 3): pd on prnre ylcan
nihte pe Const. slep and hhie gereste, ferner den lat. hymnus v. 21fgg. :
Äst ubi fessa quiete forens Corpora straverat umbra silens, Tum sopor
arrijnens animuni Principis obti/mit tumidum, das me. gedieht (B)
v. 27 (Horstm. s. 57): And als he lag opoii a nigld, die me. prosa
Caxtons (Morris 156): And in the ngght as he slepte in his bedde, das
mhd. gedieht v. 26: eins nahtes er an släfe lac, das Pass. 270, 39fg. :
darinne er lac nnd hu in entslief; In der nacht im dd rief Ein enget.
91 — 92: Wfcs se bldca beam böc.stafum. dwriten j beoi'hte and
Irohte scheint dem litteris aureis bei Mombr. und in der Leg. aurea
805 zu entsprechen, das auch das aschwed. leg. s. 563 bietet: med
gulstavuni, ferner das Pass. 270, 47: mit guldmen biiocJistabeti.
92 — 93: mid pys beacne Öw / on pdm frecnan fccre feond
ofersivihesb. Ausser den bei Zup. angeführten parallelen aus Mombr.,
Unger und Morris (ae. prosa) vgl. noch Nestle A. p. 43: 'In diesem
xeichen wirst du siegen', Holder: '/?^ hoc signo vince BC, Leg. aur.
305: 'In hoc signo vinces', Caxton p. 156: '/« this sygiie thou shatt
ouerconie the batayle', das septenarische me. gedieht (A) v. 212 fg.
(Morris 37): 'WiJ) pis signc Jwu schalt mayster be, .... And wite pe
from py fon\ desgl. (B) v. 34 fg. (Horstm. 57): pa)i sal pon ouercum pine
cnmise, j And in (fehlt ms. Tib.) pis figure fully [Luke ms. Tib.) pou
HOLTIIAUSKN
traijst^ das mhd. B. d. m. v. 37: mit dem xeichen gesigestu, das aschwed.
leg. s. 563: med thesso tekne sJcal thu sigher stridha, das Pass. 270, 49:
an diseme zeichene gesigef
96 — 98 : cyning tcces Jyy bUhrä / ond pe sorgUasra . . . . j on
fgrhhsefcm pmh pä fdgeran gesyJib, vgl. Leg. aur. 305: Qiä coelesti
visione confortatas, ae. prosa (Morris 3): he äivuc pä blipeliee for päre
fccgeran gesih^e, Caxton 156: Thenne tvas he alle comforted of this
lyisyon, me. gedieht B v. 39fgg. (Horstm. 57): He tcakkend pan and ivas
ful glad, P'or he so giide {nohill Tib.) Jterting pan (fehlt Tib.) had, Up
he rase tvith hert ful light, Pass. 270, 50 fg.: In ivelche freude im dö
stige Sin herze/ die was harte groz. Der hymnus bietet v. 29 fg.:
Denique spe redeunte sibi Mox opc non dabiae fdei.
99 — 104: Heht pä onlice cphelinga hleo j sivd he pcet beacen
geseah,! iäcen geivyrcan, vgl. Nestle A, s. 43: Uiid befahl, dass sie
(etivas) in der gestalt dieses Zeichens machten.
105 — 7: Heht pä on ühtan mid drdcegc / ■ ■ ■ ■ p«'t hälige treo,
vgl. Caxton, p. 156: And on the morne he put in his banere the Crosse,
das mhd. B. d. ra. v. 38 fg.: der heiser smorgens fruo Machte ein kriuze
a?i sineti vanen, Pass. 270, 54fg.: Zu hant, als der morgen quam, Dö
Hex er nach den sachen Ein schäme kriuze machen.
108: him beforan ferian on feonda gemang = Nestle A, s. 43:
und dass es vor iJmen liergehe in den kämpf, ae. prosa (Morris s. 5):
and heo beforan him beran het ongean pä hdpenan, das me. gedieht B,
V. 51 (Horstm. s. 57): Byfore him in batayle to bere.
136fg.': sume drenc fornam j on lagostreame, vgl. dazu die ae.
prosa (Morris s. 5): and hi cac sume on pcerc ea wurdon ädrcencic.
144 — 147: pcet sige forgeaf j .... dömiveorhunga, / rice könnte
durch ein victoriam magnam der vorläge, wie es Mombr. bietet, ver-
anlasst sein.
153 fg.: heht pä ivigena tveard pä icisestan / snnde tö sionohe,
vgl. das me. gedieht v. 221 (Morris 37): pe luiseste men of al his lond
bifore him he leite bringe.
161 — 162: hivfct sc god u'dre, / . . . 'pe pis his beacen wces\
Vgl. hierüber Brenner, Engl. stud. XIII, 480, ferner Mombr. und Leg.
aur. 305: cirius Dei hoc signum esset = Caxton 156: to ichat god the
sygne of the Crosse apperteyned, obwol dies weniger genau stimmt. Das
Pass. 270, 80 fg. übersetzt: Von ivelcheme gote we^'e Des kriuzes zeichen
bekumen.
173 fg.: Irim tvccs Icoht sefa, / ferlib gefeonde, vgl. die ae. prosa
(Morris s. 5): and sunpe blipum möde him bodedon.
ZUK QUELLE VON CVNF.WULFS ELEXE 7
181: (ilf/sdc Ic'oda hearn of locan deofla, findet scino parallele in
der ae. prosa (Morris 5): hröwode for manhjnnes hcclo and älc'sednesse . . .
and kelle gehergode.
187: of dcahe äräs, vgl. resurrexü a niortnis Holder A und Mombr.,
of deahe äräs ao. prosa (Morris 5).
188: aiid tö heofonum ästäh, \g\. die prosa ib.: atul scoppcu 16
hcofennm ästäh.
190 fg.: swä fröm Siluestrc / Iccrde ivceron. Ausser den von Zup.
angeführten stellen vgl. noch Holder B^: Siluestrlum und Leg. aurea
306: et sacro baptismate per Siluestnun pajyam renatus, wobei sich
Jacobus de Voragine auf die „Historia tripartita" beruft. Ihm folgt
auch das Pass. s. 270, 8fgg.
194 — 196: £)ä ivces on s(kUim siitccs hrytta, ] . . . ivrrs hiin niice
gefea I befolen in fyrh^e. Hierzu stimmt die ae. prosa (Morris 5): pd
wearh he sivibe hUbe on mode.
214fgg.: ond pä hls mödor hrt / fera/i foldivcgc folca preate / tö
Jndeimi, vgl. Nestle A, s. 44: inä — einem grossen heer vor^ Römern,
Gr. 426a: dTXtoxei'ke rrjv iöiav (.ir^ztQa iv rfi dvazoXfi clna oincaojred(>>,
ae. prosa (Morris 7): 77iid mycliim werode.
216: georne = mit Fdfer, Nestle A. s. 44. ■
221: vgl. hierzu Engl. stud. XHI, 480 fg.
264 fg.: p(er ivces gesyne sincgiiii locen / o7i päm herepreate,
Idäfordes gifu. Das mhd. B. d. m. v. 90 fg. bietet entsprechend: manec
gäbe riche Truoc man der keiserinne für.
276 fgg.: Hellt Öa gebeodan . . . päm snoterestum on gemöt ciiman,
vgl. Nestle A, 44: und befahl, dass sich alle juden versammeln sollten;
die Leg. aurea s. 307 liest: omnes Judaeoritm sapientes . . . ad se con-
gregari praecepit.
290: geärdaguni entspricht dem syr. von, alters her, Nestle B, 56.
Zu 3(32 vgl. Engl. stud. XHI, 481.
315 fg.: J)ä he eowre ce rehehnn fgudej 1 on ferhbscfan fgr niest
hcebben, vgl. xovt; doy.ovvvdg eldivai töv voj-iov YMliög, W. st. 303.
320 fgg.: rconigmöde / . . . egesan gej)re'ade, / gehbum geömre scheint
tisid ffoßov 7Co)lov W. st. 303 = cum tiniore multo Mombr. voraus-
zusetzen.
323: pä, wiscstan irordgcryna {-no hs.), vgl. W. st. 30.3: zo/'v
roLiiLovrag elde.vai -/.ahog zup vÖj-lov und Holder A, s. 3: cos qui dicc-
Ijant sc legem bene «osse = Mombr. : invenerunt qni dicrbant se legem
bene nosse viros mimero millc.
HOLTHAUSEN
329 fg.: prungon pä on preate, pcer on prymme bäd j in cynestöle
cäseres mc'eg, vgl. /mi 7vaQayivovzai 6f.io&vf.iaödv /tQog rijv ßaoi'Uooar,
W. stiid. 303 statt des odduxeriint eos der A.8S.
331: gealoUc gühciven könnte durch ein ad bealaut Hclenani
(Mombr.) veranlasst sein.
334fg. : hwoit, ge lüitgcna j Iure oiifengon, vgl. Gr. '430b: €v%
rfAovoazE rd)V äyliov 7CQ0(pr^x(x)v, TtCJg ■/MTi'jyyei'kav v/lUv, ferner ib. 426b:
ovyi TjAOVoavE ra. Q^f.iava tüv ayuov 7CQocprjrCjv, Tcaig /MirjyyeiXav Ttegl
xov Xqioiov, desgl. 526 (Holder s. 31, 11 fg.): ova rfAüvoate iwv ayicov
ygaffidv, Ttwg Ttqor^yyuXav o\ ycQOff^zai , desgl. A. Bell. 41 5 und W. st.
303: ovÄ. 7f/iovoaze hcl (fehlt A. B.) zwj' ayi'iov TtQOipr^TCov, 7cCJg -/.airf/-
yEikav {7TQoyMr/jyy£iXov W. st.) /regi xov ocoifjoog, wozu Holder A, 4:
7ion enivi inielligitis, Mombr.: no)i inlellexisüs sermones prophetarum,
die ae. prosa (Morris 7) Id, hü ne liornodon ge on eMwriun ivitegung-
böcum und endlich das nihd. B. d. m. v. 102 fg. : ir habet dax von der
Schrift vernomen, Dax Got nach sfner zit etc. stimmen.
337: be pdm Moyses sang. Ausser dem von Zup. beigebrachten
vgl. noch Holder BD: qnia jorior Moyses dixit, qnia . . . ., C: de eo
prior M. dixit, was am besten zu Gyn. stimmt.
339: eow dcenned bih cniht on degle; dasselbe bieten W. st. 303
und Gr. 430b: ovi 7Ccaöiov yevvrjd)](J8iai vj^uv = Holder A und Mom-
britius: qnia piier vobis nascetur {nasccretur Mora.), während die
A. BoU. 415, 38 oti 7caidLov lyevvtjd-vj fjf^uv lesen. Den zusatz on degle
entnahm Cynewulf einem in secretis der vorläge, das Holders hss. BC
haben.
340 fg.: sivd pa;s niödor ne bih j tvcestmum geeacnod purh ireres
frige. Die A.SS. bieten agnoscet, Holder C dagegen cognovit.
342 fg. : be Mm Däuid cyning dryhtleotS ägol, j fröd fyrmueoia.
Vgl. hierzu Zupitza (ausg.), ausserdem Nestle A, 45: und, uiderum David
sagt, B, 56: der selige D. sagt ja, W. st. 303: Aal frdliv 6 i\uroX6yog
Javid Itycoj; Holder A: Et Herum laudat dominum scriptor David,
dicens, B: laudationern conscribit^ C: laudationnm ronscriptor. B: dicit
de iUu, was gut zu be hdm bei Gyn. stimmt.
347: min on pd sivi^7ri7i, vgl. Holder A: a, dextris meis est =
Nestle B, 56: er ist xu meiner rechten.
350 fg.: swä hit eft be eow Essdias,! mHga for nrorodmii uvrdnm
mdide, vgl. Nestle A, 45: und Jesaja iricder sagt über euch, Gr. 426b:
/mI 7cdXii' ^Hoatag dracpcorel 7teQl v/luTd', ib. 431a: 7CQ0OE(pwPEi tceqI
vuCjv "ktyiov, 528: 7vaUv 'Ho. 7C()oaveqiörEi 7Ceqi vuojv, A. BoH. 415:
ZUR QUFXLE VON CYNKWÜLFS EIENK "J
Actl Ttahv 6 rf.iv(t)dü^ ^Ha. (dann lücke), Holder 4: de vohis (alle hss.
ausser E) wie Mombr.
355: vgl. dazu Engl. stud. XIII, 482.
364: Hivcet, ive pcet gehijrdon purh hcUige hec, vgl. Unger 304, 11:
ek reit, hverso heigar ritningar hafa fyrir sagt.
370: onsciiuedori pone sciran scippend eallra, vgl. Unger 13: hverso
fehr gbrir dulbox rib hann, pd er hann kom.
373: ond findaj) gen = Gr. 431a: litiXt^ao^ai 7t(xhv tS, if.mv,
vgl. E. St. XIII, 481.
374: seiest = Unger 304. 15: baxi, gegenüber dem schwachen
diligenter der A.SS. A''gl. aucli das mhd. ß. d. m. v. 107: ir ivelt die
leisten iiz in gar.
375 fg. : p(et me atidsivare j . . . secgan cunnen,, vgl. Mombr.:
dent mihi responsn)ii, das mhd. B. d. m. v. 109: U7it mich bescheiden
mijier frag.
377: eodan M inkl moigo, vgl. Gr. 528 und W. st. 303: ol de
TiaXiv aTield-övieg. Das m6d[e] civdnige entspricht dem vorhien der
fron-en xorn v. 111 des miid. gedichtes.
384 fg.: hio s/o cwen ongan j wordnm genegan entspricht eher
dem text bei Mombr.: et coepil itermn ad eos heata Helena regina
dicere, als dem et coepit iterurn dicere ad eos der A.SS.
399: ne ive [gjeare cnnno)i findet seine entsprechung in dem
domina, nescimiis bei Mombr.
407: sundor äsecap. Schon Brenner^ und Zupitza verweisen auf
Gretser, dazu kommen noch W. st. 304: TtogsvO^ivreg xar' löiav am-
ke'E.aoi^E ycdhr und die ae. prosa (Morris 7): geceosah eoiv of pisum.
407 fgg.: pd he sngttro mid eoiv, j mcegn ond mödcrccft mceste
hcebben, vgl. Nestle B, 57: diejenigen, die besonders unterrichtet sind
über die bedentung des gesetxes, W. st. 304: xovg öovMvvrag eldtvai ri,
ferner die ae. prosa (Morris 7 fg.): pd tveras pe betst gelccrede bion., das
mhd. B. d. m. v. 126: die nü haben den besten sin.
409 fg. : peef me Jringa .gehrvglc J)riste gecyhan j untrdgUce, pe ic
him 16 se'ce, vgl. Gr. 528: /mi (j/.tihacfd^e, brciog, dv.QißöaveQOv eoiDi/pio
vuccg, ae. prosa (Morris 9): p>cr't hio me ealle pd pinc gecijf)an
inagan, pe ic heoni desian iville.
411 fgg.: eodon pd fram rüne . . . geömormöde, vgl. Nestle A, 45:
sie gingen hinans von ihr mit fnrcht, ferner die ae. prosa s. 9: hio
fid mid n/gcelnm ege nteodon fratn pa-ra ciucna, die Leg. aurca s. 307 :
1) Vor seiner beiuerkung über sundur (s. 481j fohlt ib'r verwois auf v. 407.
10 HOLTHAUSEN
ludaei igitur nimium formidantes, das mhd. B. d. m. v. 131: die Judeii
ivurdeii cd unfrö, st vorhten sere der frowen drö, ähnlich das Pass.
s. 273, 2: des was in angest genuoc.
413 fg.: georne smeadon, j söhton searojmjiciim , hivret sio syu
ivcere, vgl. die ae. prosa ib.: and geornlice pöhtan, hivret sc'o dximg
beon mihtc.
417; for eorJuiii, vgl. Nestle A, 45: xu seinen genossen und das
mfrk. leg. v. 544: in allen.
418: gidda gearosnotor, vgl. das B. d. m. v. 139: der was tvlse und
das Pass. s. 273, 5 dax er von tiefen sinnen ums.
435: .gif "^is j ffppe Mb == Unger 305, 3: ef (rr pat kcmr iipp.
441: gif pe pcet gelimpe on Ufdagiim, vgl. das nie. gedieht B
V. 183 (Horstm. s. 59): If it hifall, sun, in pi liiie (nach ms. Tib.: Jf
euer it bifall in fri liiie).
442: ymh pcet hälige treo = ae. prosa (Morris 9): [puhc pd hdl-
gan rode.
450fg. : Vgl. hierzu Brenner a.a.O.
451 fg.: ond hira dryhtscipe .... in 'ii-oruld weorulda. Auch bei
Nestle A, 46 wird das verbum so bezogen: und das (sc. Reich) ivird in
ewigkeit regieren.
454 fg. : pd ic . . . fcederfe] minum / . . . . dgeaf andstvare, vgl.
Nestle A, 46: 'X^l meinem vater, Unger 305, 11: vib fqbor minn, ae.
prosa (Morris 9): fm andsivarode ic minum fceder and civceb.
461: söh sunu meotudes, vgl. "W. st. 304: 6 viög xov d-eov zov
twvTog, Leg. aurea: esse Dei filium, ae. prosa (Morris 9): Crist., pces
lifigendan Godes sunu, Caxton 157: sythen it was knoiven that he ivas
the sone of God.
462 fg.: bä nie yldra min dgeaf andsioare, j . . . fceder reordode,
vgl. Unger 305, 12: fabir minn svarahi, die ae. prosa (Morris 9): pd
civceh min fceder tö me, das Pass. 273, 53: sprach min vater ivider mich.
464fg.: godes heahmcegen , j nergendes naman, vgl. Unger 305, 13:
at mikill kraptr fylgir nafni hans.
413i'g.: fmnne ü^iveotan ceht bisceton, / on sefan söhton, scheint
dem lat. sed qnia arguebcmt seniores et pontifices, ideo comlemnaverunt,
wie es Holder A bietet, besser zu entsprechen, als dem text der A.SS.
■ 47 9 fg.: J)eah he sume hwile j on galgan his gast onsoide. Dazu
lässt sich vielleicht Gr. 530 vergleichen: onen vxd 7;/~ arD-our/toTr^zi e&a-
vdviüoav avTov.
491 fg.: P)d for lufan dryhtnes / Stephanus ivces stdnum ivorpod,
vgl. Unger 305, 20: fyrir P)at leto Gybingar Stephanum beria griöti.
ZUR QUELLE VON CYNEWULFS ELENK 11
497: Säivlcs Idrum. Auch Nestle B, 58 bietet Said, desgleichen
W. st. 305: ^avlog, Holder s. 6: Saulus.
522: fortan ic pe Ichx piirh leohrüne, / hijsc Uofesia, vgl. die
ae. prosa (Morris 9): ic leere pe, min liofa bearn, pect pü.
531 fgg.: nü ge geare ciinnon j i^vioko) hivcet eoiv pces on sefan
seiest pince / to gecy^anne, gif beos cwen üsic j frigneb ymb pcet [fyrn]-
treo, etc. Ursprünglich wird der dichter etwa gesagt haben: 'min wisst
ihr genau, (was ich weiss und ich frage euch) was . . . .' Man vgl.
Nestle A, 46: und siehe, alles habe ich vor euch erzählt, und tvenn
die kaiserin u)is fragt, was ivollt ihr ihr sagen? resp. ß, 58: tvelche
anticort sollen ivir ihr geben? Gr. 530 bietet: ti v(.iiv öoyiü tzeqI tov-
tiov; läv ovv locorrjOi] /;//ac tceql toü ocavQOv fj ßaaiXiooa, ri i^oviiiEv
avrfj; Unger hat 305, 31 nach A: nn megit per cetla, hver svgr, —
nach B: 7m megit per veita her um svqr Jmu sem — fmr vilit hafa
fyrir yhr, ef Elena drötning .... Vgl. Pass. 273, 79 fg.: Des schowef
selbe und seht dar xuo, Wie icir ivollen tverben iiti (ohne entsprechung
in der Leg. aurea).
536 fg. : him Jxi tögenes .... ivordum mceldon, ebenso Nestle A,
46: sie sprachen aber xu ihm, und B, 58: und sprachen xu ihm.
541 fg. : dö, sivd J)e pynce, j . . . gif pü frugnen sie. Naher, als
der text der A.SS., kommt diesen versen Gr. 427 b: oh d/ro-AQivov rceql
j-tärciov. Nestle A, 471 hat: So iveisst du es besser, als luir alle.
555 fgg.: lieo icceroyi gearive, geöjnormode j leodgebyrgean, pd hie
labod tcceroti / . . . 16 hofe eodon, vgl. Pass. 273, 94fg. : Sus quämen si
>.ur kunigtn Mit gröxen vorchten genuoc (nicht in der Leg. aurea).
558 — 63: pci sie cwen ongan j iveras ebresce ivordum negan, /
fricggan .... htvä,r se peoden geprowade. Hierzu bietet nur die Leg.
aurea s. 308 ein gegenstück: et illa eos interrogasset de loco, ubi fuerit
dominus crucißxus, vgl. Caxton 157: and demaunded theym the place
where our lord Jesus Cryst had be crucefyed.
573: Elene mapelade ond him yrre oncivceb^ vgl. A. Boll. 416, 19:
ögyiodeioa i) ßaaihaaa.
574 — 79: 'ic eow tö söhe secgan tville, . . . . gif ge Jyissum lease
leng gefylgah j pcet eow in beorge bcelfyr nimeh, / hattest heaboivelma,
vgl. die ae. prosa (Morris 11): söblice ic secge, pcet ic eoiv ealle on fyre
häte forbcernan, biiton ge me söplice gecypan pd hdlgan Cristes rode.
Auch das Pass. hat 274, 16 fgg. eine längere directe rede.
584fg.: Öa ivurdon hie deabes on ivenan, / cides ond endelifes,
vgl. asohwed. legendär s. 871: tha gafuo the wt Judam, redde for
ellenom (eldhinC). Cynewulf hat wol in seiner quelle qui cum iimuissent
12 HOLTHArSKN
ignem gefunden. Vgl. auch Pass. 274, 28fgg.: Seht, 9vä des hekcn
vinres lAn An den Juden ivorchte, Dax ieglich sich ervorchte.
585 fg.: ond fickr fid cenne heUehton j ])dm ivces Judas nania j
. . .])one hie Jtcere cwene dgefon, stimmt ziemlicli genau zu Nestle B, 58:
lieferten ih?' einen von. ihnen aus, dessen nanic Judas irar, sowie zur
ae. prosa (Morris 11): and sealdon hire pd minc Jte Judas tvccs gehdten.
598 fg.: Mo on sybbe forlet secati gchivglcne / dgenne eard, vgl.
Leg. aurea 308: omnes dimittens.
608: hivcet bü pces tö pinge pafian iville. Da der sinn dieser
stelle nicht ganz klar ist, mag es nützlich sein, den Wortlaut von Gr. 530
hier anzuführen: o d^eleig zwv ovo hriXs^ai.
613 fg.: o?id hiui hldf ond stdn / on gesihhe bü [saviod] gcwcorhah.
Näher als der text der A.SS. steht diesem passus die fassung der ae.
prosa (Morris 11): and man htm leege töforan stdnas and hldfas.
615 fg. : p(Bt he pone stdn nime j 2vib hungres hleo, hldfes ne ginie.
Hier gilt dasselbe, vgl. die prosa a.a.O.: pect iville ctan Jm stdnas and
Icetan pd hldfas.
619: Hini p)d SCO eadige andwyrdc dgeaf, vgl. Gr. 530: ?) de rcobg
avTÖv ecpr], die ae. prosa (Morris 11): hini Jm töcukeh.
624fg. : hnwr seo röd ivnnige radorcyninges , j hdlig ander hrüsan,
vgl. 6 GTavQÖg ToC y^Qiovov Gr. 532. 427b. 432a, A. BoU. 416, 28, hvar
kross Krists er {folginn B) Unger 306, 16, hwdr sio hdlige rode Crisies
gehealden sg ae. prosa (Morris 11).
642: ^lene mäkelnde him on andsivare, vgl. W. st. 306: cltvo-
yiQi&sToa de f] f.iay.aqia 'EXevtj llyei , ae. prosa (Morris 11): him and-
ivyrde seo mdra cwen Elene.
645 fg.: sivd Troidna j Jnirh gefeoht frcmedon = Unger 306, 19:
fyrir myldo lengra var orrosta i Tröia.
656 fg.: WC pces hereiveorces, . . . . j for nydpearfc ncah ('f'J uiyndgiaj),
vgl. Unger 306, 22: af pvi er pat vifat, drötning, at pat er alt d
bökom skrifat.
662: him seo regele cwen dgeaf andsware, vgl. Gr. 432 a: djte-
y.Qid^t^ fj ßaoilioaa und 532: efptj avvio i) ßaalliaace.
669: him oncivceh hrahe cdseres nrng^ vgl. Gr. 532: "klyu aviot
Yj i.ia'A.aQta '^EXevrj.
670 fgg.: hivcet, ive J)cet hyrdon purh hdlige bcc / hrelehum cyhan,
Juet ähangen luces / on Caluarie cyninges freobearn. Vgl. dazu Nestle
B, 59: ich habe cnis dem heil, cvangelium gelernt, dass er an einem
ort, der schädelstätte genannt icird, gekreuxigt ivnrde, und die ae. prosa
ZDR QUKLLK VON CYNEWULFS ELENE 13
(Morris 11): ic hcebbe gerckl on Jnhn hülguni Crisles höcum, Ixet seo
stöiv hätte Caluarie locmn, pe üre hcelendes röd on gehealden is.
675: Jnvär seo stöiv sie = ae. prosa ib.: hiccer s/'o slow stf.
079 fgg.: pcet nie heilig god / gefylle .... feores ingepanc, / • ■ ■
ivillan minne, vgl. Gr. 532: 'Avqiog 6 Oeög Ttoirjoei (.lov xiiv e7ridvf.iiav^
oder A. Boll. 417, 5: y.al ovrcog TtXi^qwaco f.tov irjv srcid^vfxiav.
682: Jiire Judas oncwceh = ae. prosa (Morris 1 1): hire midswarode
pd Judas eft and civceb.
685: Elene ma^elode Jjurh eorne hgge, iihnlich hat ünger 806,28:
pd reiddix Elena ok mcelti, und das mbd. gedieht v. 189: doch diu
frou-e in xorne spracli.
686 fg.: ic ptcct geswerige purh sunu meotodes, j pone dhangnan
god, vgl. Xestle B, 59: Bei Cliristus schivöre ich, der gekreuzigt wurde,
Pass. 274, 86: bt dein gekriuzegeten ic/i siver.
690: o)id ine . . . sab gecyhe =- Leg. auroa 308: nisi mihi dixeris
reritatem.
693; in drygne seah entspricht dem tv cp^eazi ^ijqm W. st. 307,
Gr. 427 b und 532, in puteuni siccum der Leg. aur. und seah der ae.
prosa (Morris 11), iiito a drye jjytte Cax.ton , j diuiMstan therran brun
aschwed. leg. s. 87, 6, ertgrübe mfrk. leg. v. 573, cysterne Pass. 274,93.
Vgl. dazu Golther im Lit.bl. sp. 62.
695: hungre gepweatod und 698: meteleas entsprechen dem uoliov
avid%> diaueh'ai von Gr. 532 und W. st. 307 (ohne avtbv)., sine cibo
uianentem ^lombv. und Holder A, sine cibo ...et ibidem famis molestia
cruciari (= and there tourmented hym by himgre Caxton) Leg. aurea,
ok var hann par matlauss Unger 306, 31, büton mte ae. prosa (M. 11),
während es in dem me. gedichte A, v. 282 (Morris 43) heisst: P'or strong
luinger loude he criecle pene senepe dag und B (Horstm. s. 60) v. 223 fg.:
Ärul pore Jie lay in mirknes grete Seuyn dayes tvith- outen drink or
mete. Das aschvved. leg. s. 87, 7 liest: swelia til cUdh . . . . simtta dagh
ncer (dedh) suitin, das mhd. ged. v. 198 fgg.: unt niemen liez im xezzen
geben, dar in er siben tage 'lac, Daz er ezxens nicht enphlac, das Pass.
s. 275, 1: liez man in wesen imgexxen. Auch der lat. hymilus bei
Holder s. 42, v. 75 darf wol verglichen werden: Pmcis amore cibique
ßagrans.
700: ofbyssum earfehum, vgl. W. st. 307, 4: l/. cov Aa//ot', Unger
300, 32: ör grqfinni, Mombr. : educite me hincf
701 : J)cet hdlige treo entspricht dem pd hdlgan Oristes rode der
ae. prosa (Morris 11).
14 HOLTHÄUSEN
709: J)d hcet gelifp'de sio pcer hcele^um scead, vgl. das rahd. ged.
V. 205: Do diu frqwe daz erhört.
710 fg.: hio hebead hrahe, j J)cet hine man . . . üp forlete, vgl.
Nestle A, 48: da befahl die kaiserin ii. man brachte ihn herauf, Gr. 432 b:
tövs ly.iXevo€v avibv ij ßaoiliaaa dvevey&Tp'aL , das mhd. ged. v. 206: si
hiez in h'ingen an den bort.
714fg. : ond hine . . . üp gelceddon / of carcerne, vgl. das me. ged.
B, V. 231 (bei Horstm.): fro prisun pan was Judas tone, Pass. 275, 15:
dö huob man in zu hant hervür, den hymnus v. Slfgg.: Post ea dicta
manus iuvenum Funibus exhibitis miserum Faecibus eripiendo luii
Exposuit super ora lad.
716fg.: stöpon pä tö p)cere stöive . . . . j on pä dune üp, Öe dryhten
dr I ähangen ivcßs . . . . on galgan, vgl. Gr. 532: ilS^iov av toj xotim
£vd-a loTavQcoS^iq 6 xqigtoq^ die ae. prosa (M. 11): J)e üre hcelend on
ähangen wces, Pass. 275, 18tg. : Judas ginc vor an die stat Calvarie
üf den hübet.
726: dryhten hdlend=i\e. prosa ib.: min drihten hcelend.
121 : purh pines tvuldres mihi, vgl. Nestle A, 48: durch seinen tvink.
728 fg.: ond holmjwcece, j sa's sidne fcchm, samod ealle gesceaft,
vgl. die ae. prosa ib.: ond sce and ealle gesccefta.
732 fgg.: ond pü sylf sitest . . . . j ofer päm cebelestati engelcynne,
vgl. hvl Tüv ysQovßlu Gr. 428 a = yfir Cherubin Unger 307, 5; das
mhd. gedieht bietet v^. 215: ivan du sizzest üf cherubin.
734: pe geond lyft fa?'a^, vgl. Mombr.: in aera currentia.
751 fgg.: hälig is se hdlga heahengla god,/weoroda ivealdend! is
hces tvuldres fulj heofun ond eor^e . . . ., vgl. heilig, heilig, heilig ist
der herr der heer schar en , von dessen ehren die erde voll ist Nestle B, 60,
äyiog, ä., a. 6 ■/.vQiog oaßßaiod- (soweit auch Gr. 432b), Tth'jQtjQ ö ovqavbq
yicti r) yfj ifjg do^tjg oov, Gr. 428a (cf. Is. VI,3: Sanctus, s., s. Dominus
Deus exercituum, ple7ia est omnis terra gloria ejus, oder wie es in
der kathol. messliturgie heisst: S. s. s. Dominus Dcus Sabaoih! Pleni
sunt coeli et terra gloria tua, wie bei Gretser).
755 fgg.: pe man seraphin / be narnan heilet. H[i]e sceolfon]
neorxnawang j ond lifes treo legene sweorde j hälig liecddan. Heardecg
cwacap, I beofa^ brogdenmcel ond bleom wrixleh / gräpum gnjrefcest.
In Cynewulfs quelle stand gewiss die bekannte stelle aus Gen. III, 24:
et coUocavit ante paradisum volupiatis Cherubim, et flammeimi gladium,
atque versatilem, ad custodiendam viam ligni vitae — oder er hat
diesen passus selbst auf grund seiner bibelkenntnis hinzugefügt.
ZUR QURLLR VON CYNEWDLFS ELENR 15
TGlfgg.: womfulle j scyldwyrcende . . . wotihydige entspricht eher
dem toiig d/teid-r]oavTag dyytloig bei Gr. 532 und W. st. 307, als dem
incredibües der A.SS.
76 5 fg.: pdr hie ...-./ dreogap deahcivale in dracati fcebvie, vg].
vjCÖ dQay.övran' '/.oXaLÖfievoL Gr. 428a, 432b und A. Boll. 417, 28, et ibi
sunt siih profundinn ahyssi a draconis foetore cruciandi Mombr.
784: gedönä, fceder, \g\. et nunc, domine, /ac ?ioöz5 etc., Mombr.
788: unde)' beorJihlixSe, vgl. ovra iv /.Qv/tvß Gr. 534 und A. Boll.
418, 3, während die W. st. 308, 5: y.£yiQVf.ijLi8va ev np jvoiaf-iü bieten.
Zur saeho vgl. Holders anmerkung zu z. 253 auf s. 24 und O.F. Emerson
in den Mod. Lang. Notes XIV, 6. — Ib. bdn Josephes ist = ossa Joseph
Mombr. und die Gebeine Josephs Nestle A, 48; B, 60.
789: lueroda wfynj == i/ivQiE Gr. 534.
799: sdivla nergend, vgl. oioTtjQ rüfj -/.ÖGf-iou Gr.534 u. A. Boll. 418, 6.
801: walde ividan ferh^, vgl. Nestle B, 60: dass er herrscht in
alle ewigkeiten, ünger 307, 16: ok hefir eilift veldi um allar aldir.
81 7 fg. : J>at hu md ne sie ininra gylta, / . . . . gemyndig, vgl.
Nestle B, 61: gedenk nicht gegen mich an meine sünden, Gr. 534. 428a,
W. st. 308, A. Boll. 418, 12: dnrriaivA/.i^oov [rw dovX(o oov Gr. 433a)
tVci (fehlt Gr. 534, W. st.) rcug auaqviaig f,iov, Holder: [imjjnemor sis
peccatorwn meoriini A, meorum pecc. B, esto peccata mea C, Mombr.:
imm. esto mei peccati, Unger 307,22: mun pü eigi syn^ir minar.
819 fgg.: Icet mec . . . . / on rimtcde rices pines . . . ivunigan / . . .
pccr is bröhor min / • • • Stephanns, vgl. die ae. prosa (Morris 13): and
ic möte bion on pchn gerimtccle mid minum bröper Steffane.
823: geweorhod in ivuldre, vielleicht ist zu vergleichen Nestle
B, 61: der heute triumphirl und W. st. 308: iievd xov d^iov aov yeva-
fiivov ^T€g)dvov.
826 fg. : sint in böcum his j ivundor pd he tvorhte, on geivritum
cißed, vgl. die ae. prosa (Morr. 13): pe fiola goddra dckla siond be hini
divritene gernang pära apostola umndorgetvurcum.'
829: eines anhydig, vgl. Unger 307, 24: af qllo afli.
831 fg.: behelede, j under neolum niher ncfsse gehydde j in peostor-
cofan, vgl. Unger 307, 25: folgna i iqr'60.
840: l)d ivces mödgcmynd mychim geblissod, vgl. die ae. prosa
(Morris 13): pid ivces he söna sivipe blipe.
847 : dsetton pd on gesyhbe sigebeamas 111/ eorlas . . . fore FAenan
cneo, vgl. Nestle A, 49: und brachte sie zu der gläubigen (fehlt B, 61)
kaiserin, A. Boll. 418, 19: jcqooif/uyEv ^lovöag rovg rqelg OTavQovg tTj
ßaoilioor] (= Gr. 422), Leg. aurea 308: quas ad reginant protinns
16 HOLTHADSEN
deportavit, Unger 307,26: ok v{)ro bornir {bar B) at Eleno, nie. ge-
dieht A, V. 307 fg. (MoiT. 45): Ac noßeles heo nomen alle preo, and to-
ward toune hem bere, To Eleyne, pe goode qweene, ivip ivel glade chere,
Pass. 276, 9: die brächter hin der vroiveii.. Im übrigen vgl. Zapitza.
849fg.: civen iveorces gefeah j on ferhhsefan, vgl. Gr. 534: /) de
d/volaßoüaa xovg oravQOvg (.levä yaqäg i-isyaki^g, Pass. 276, 13 fgg.:
Mit ganxen vreüden miioste sfti Helena din hünigin Um denselben
riehen vunt.
851 fg. : on hivylcum pära beama bearn wealdendes / . . . . hangen
ivcere, vgl. Nestle B, 61: ivelches von ihnen dasjenige sei, an dem
Christus gekreuzigt ivurde, ae. prosa (Morr. 11): on hivylc piosse röda
üre hcelend dhangen ivcere, Pass. 276, 16fgg. : iedoch so ivas ir imkiint
An endehaftem mere Welch dax kriuxe luere Dar üffe unser herre
starb, lat. hymnus r. 102: Quae foret illa ferens dominum.
853 fgg. : hiva-t, we pcet hyrdon Jyurlt, hälige bec / • • ■ pc^t t wegen
mid hini j gepröwedon, ond he u'ces pridda sylf / on rode treo, vgl.
Gr. 534: oXöaf.iev ydq oct GureocavQdjd-r^aav toj xqiotcü ovo h^oval
'Aad-dig o\ evayyeliovat yQcccpovaiv.
860 fgg. : ne meahte hire Judas, ne fiil gere wiste , j siceotole gecypan
be harn sigebcame,, on hivylcne se hcelend ähafen wcere^ vgl. Nestle A,
49: er sprach: 'ich weiss es nicht', Unger 307,28 B: Judas kvex eigi
vita, hverr sä kross var, sem Kristr var pindr ä, die ae. prosa (M. 13):
pd nyste Jiidas hire pcet tö secgenne, me. ged. v. 305 (Morr. 43): ac he
nuste ivlmch of pe preo, Jie holy crois pat heo souhten^ whuch of pe
preo hit mihte beo, Caxton p. 158: and by cause he knewe not ivkiche
was the Crosse of our lord, das mhd. ged. v. 237 fg. : du weste niht
Judas, Welhx under in dax rehte tvas.
863fgg.: ckr he asettan heht / on pone middel, vgl. Gr. 534: rove
Ti^TjOiv avTovg {.doov, Mombr. : et poneiis (sc. ÄeZ.), ae. prosa (Morr. 13):
ac genam pd Öa prio röda and gesette heo.
864: pcere uiceran byrig, vgl. die ae. prosa ib.: Juerc waldorfallan
byrig.
865 fg. : ond gebidan Juer, ! oö ^Scet him gecybdc cyning celmihtig j
luundor for weorodum, vgl. Unger 307, 29 (B): Juir stöhn menn yfir
uppi ok bibu iartegna af gu^i.
880: pära röda tivä, vgl. Unger 308, 2: tvd krossa.
900 : on lyft ästäh könnte durch eine mit Holder A , 288 gleich-
lautende vorläge: cum furore vocis ferebatur in aera wol veran-
lasst sein.
ZUR QUELLE VON CYNEWDLFS ELRNB 17
91 8 fg. : min is geswihrod j rcvd imder roderiim. ic pd rode ne
pearf j hlcahtre lierigean, vgl. Gr. 433a: /.ai ölo. xod oravQOd y.atelv&i]
tö ejitdv v.QccvoQ Y.al t) e^ovoia.
92'2fgg. : ic Jmrh Judas dr / hyhtfnl geicear^, vgl. Unger 308,9:
J)at rar /'y)'r, er Jiidas veiiti mer li6 at pri , sem (ek) vilda fram koma.
924: purh Judas eft, vgl. Gr. 433a: /mI Ttdliv tö öevxEQov did
^loiöa, Unger 308, 10: enn ml kemr Judas annarr.
925 fg.: gen ic findan can / . . . ivibercyr sibhan, vgl. Leg. aurea
309: verumtamen tibi vicem rependam.
927 fg.: ic äivecce tvih he j oherne cyning, vgl. Gr. 433a und
W. st. 309, ß: /Mxa oov, Leg. aurea 309: et co7itra te regem aliimi
suscitaho.
929: ond he forldte^ Idre pine, vgl. die Leg. aurea ib.: qui ßdem
deserens crndßxi.
930: 07id mdnpeawum mtnum folgaj), vgl. Holder 296: et meis
sequatur cousiUis A, während BC exequitur (-quetur) consiliis lesen.
A'gl. Zupitza zur stelle. Das rahd. ged. v. 260 hat: der tnot ouch gar
den lüillen mtn.
931 fg. : ond pec ponne sendet in pd stveartesta?i j ond pd ivyr-
resian witehrögan, vgl. A. Boll. 419, 2: deivalg 'Aal Tror/Jlaig Tif.i(OQiaig,
Holder 297: immittet te {mittet te in DE) iniquis tormentis B.
934: J)dm hü Ju/rdest är, vgl. Nestle ß, 62: deii du jetzt be-
kannt hast.
938: iveallende gewitt passt besser zu Holders fervens 298 ABC,
als zum fremens der A.SS.
949 fg. : ond. on fyrbcehe / siislum beprungen syhhafi tvunodest,
vgl. A. Boll. 419, 5: elg ttjv iayavtjv yial öeivtjv '/.olaoiv slg zu oöv
oi'ATjtrjQlOV.
962: gode pancode , vgl. Gr. 536: ttjv (.liv övvaf^iv tov xqLOioi)
sdo^aoe.
1007 fg. : heht hire P)d dras eac gebeodan j Constantinus , p(Bt hio
cirican pdr / on pdm beorhhUhe .... getimbrede . . . . on Caluarie ....
pdr sio hdlige röd j gemeted tvces, vgl. die ae. prosa (Morr. 15): aiid
cirican het getimbriaii on pckre ilcan stowe, pe seo röd on dfiinden
ivcps, sied hire sunu Const. dr beboden hcefde.
1029fgg.: pdr bih d gearu / ivrahu wannhdlum mlta gehwylces, j
scece and sorge, hie söna pdr j purh pd hdlgan gesceaft helpe findap, /
godcunde gife, vgl. das me. ged. B (Horstm. s. 62) v. 343 — 46: And
sone when it ivas peder broght, Fro sere sides men peder soght (. . .
ZKITSCHRIFT F. DF.UTSCHE PHILOLOGIK. BD. XXXVII. 2
IS HOLTHAUSEN, 7.VH QUEIJ.K VON OYNKWULVS ELEXE
inanij wonders uns ßare wroght ms. Tib.); And fnl grete grace iva
pore schewd And grete releue to lerd and Iciide (345 fg. fehlen ms. Tib.
1065 fg.: J)e "^ces nergendes j fet purhtvudoii ond his folme siVi
some, vgl. i^estle B, 62: die- in seine hände und fiisse eingeschlage
waren, die ae. prosa (Morris 15): pe üres hmlendes handa and Ms f(
Jjiirh üdrifene wceron, das mhd. ged. v. 277fg. : die Jesu, hl den tage
Durch hende vnt füexe icurden geslagen, das Pass. 277, 47fgg.: di.
xfio des hriu.\es aste Waren geslagen vaste Durch den heiligen lih.
1067fg. : mid püm 071 rode ivces rodera ivealdend j gefcestnod, vgl
das me. gedieht A (Morris 47) v. 348: lühencitli anr lord uns inylei
to pe ireo.
1068 fg.: Ije hdm frignan ongan j cristenra civen / Ogriacus hcea
vgl. W. st. 310,5: devTi-Qag ovv LTjT/joscüg ye.rof.itvtjg tcpiq t) ^iu/mqu
'^EXivri TiQog tov ^foi'dav zbv /.al KvQicr/.di' '/TQoaovo^iaod^lvva.
1078 fg.: mec pcera rufgla gen / on fgrhhsefan fyrwet mgngap
vgl. A. Boll. 419, 28: iyvMxca Xncri xfj ipvyjj fiov.
1082 fg: d min läge sorga<S j . . . ond gereste() nö, vgl. Nestle B, 62
u)u.l nicht ruht mein herz.
1086: purh pära nregla cgme, vgl. A. Boll. 419, 29: /.al (pavEovjGi
fiül avtoi'g.
1095: glccdmud eode, vgl. das mhd. gedieht v. 281: mit andäht
Pass. 277, 53: mit gröxer andächt.
1106: pxer lite to sdgon, vgl. (ir. 536 und A. Boll. 420, 7: u /.ai
o'i nuQttyEvöf^iEvoL eldov. Die A.SS. haben adcrainus, vidinms!
1115 fg. : ncEglas of nearive neo^an scinende j leohte Uxtou, vgl.
W. st. 310: l'la!.n],iav , Leg. aurea 309: fulgentes in to'ra, ae. prosa
(Morris Ib): . . . on pdre eorpan scinan and hlican sivd pcet seloste
gold, Caxton s. 158: he founde them shynyng as golde, aschwed. leg.
87, 27: ok fem them sJcinandhe som gut, Pass. 277, 60fg. : sach er dort
in der erde Die nagele gllxen alle. Cynewulf las offenbar auch fulgentes
in seiner quelle.
11 26 fg.: Öa wccs geblissod .... hisceop . . . he päni nccgluni on-
feng / egesan , gedclod , vgl. ae. prosa (Morris 17): J)ä se biscop . . . .
mid mycelre Misse and mid gefean genani ]m nceglas.-, das mhd. gedieht
V. 292: mit ßntiden kom er gegän.
1129fg. : jKcre ärivyr^an j civeiie , vgl. ae. prosa ib.: to pdre drwurpan
civene El, Pass. 277, 65: xuo der edelen vroiven.
1138: J)e hire brungen ivces, vgl. W. st. 310: ovotceq de^a/iuvi^.
1139: gode pancode, vgl. Nestle B, Q>^: pries sie Christus, Gr. 538
und A. Boll. 420, 13: EvyaQiair^Ge reo y.rQiio.
NKCKKI,, ZUR V()LSU.N"liA SAGA UND DKN KDDALIKDKHN l)Ki; LÜCKE 19
11 58 fg.: to hicaii h/o J)d na'f/Ias srlost j ond drorfko.st .ycdon
nieahte, vgl. Nestle B, Oo: ans diesen inUjehi, Gr. 588: t/ 7roii]oei lohc,
hfii'oi'C, ib. 428 b: zu il ar yioi/^aoi rov^ ijloi\:, die ao. prosa (Morr. 17):
//// J/Io yuibe J>d nceglns beist gedön miliic.
llTHfg. : pH hds nceglas hat / pdm . . . . oii Itis bridcls dun, vgl.
Mombi'. : fac eos fahricari in frcnol
llM^tg.: ]hcs cgnhigen sceal j niearh .... tnidlinn f/eweor(Sod , vgl.
A. Boll. 120, 22: tu i/ci toj xalirto tov HjcjCOv vov ßaailloQ li/iov,
Monibr.: quod est in freno equi regis.
1194fg.: bi^ pect bmcen gode j hälig nenmed, vgl. A. Boll. 420, 22:
|/.(.'/ a)'io\'\ /.'Lri^l^Gtim kTj /.vQii'j, Mombr.: snnctuui doviino vocabiiiir.
1197 fg.: pd pect ofsilice ecdl gekesfe / FAene, vgl. ae. prosa (Morr.
17): and hco J)d sird dydc, "währeud Gr. 538 bietet: o v.ai "kaßwv
jce/cohj/.ei'.
1219: pd hfo ures stbes füs / eß tu eNe, vgl. Nestle B, 64: und
mit grosser ehre and im frieden schied sie, das mhd. B. d. m. v. 300:
die l.ünegin gein Bnme l.ert, aschwed. log. s. 87, 29: Helena for hem.
Im übrigen vgl. Zupitza zur stelle.
ICIEI,. F. HOLTHAUSEN.
ZUE VQLSUNOA SAGxV UND DEN EDDALIEDEEN
DER LÜCKE.
Die frage, wie die VQlsunga saga für die reconstruction des ver-
lorenen teils des cod. reg. der Eddalieder zn verwerten sei, haben in
den letzten jähren Hensler (Germanistische abhandlungen 1 fgg.) nnd
nach ihm Boer (Zeitschr. 35, 464 fgg.) untersucht. Boer findet in der
methode seines Vorgängers ein subjectives dement, das er seinerseits
ausschalten möchte. Er gelangt indes zu aufstell ungen, die an kühn-
heit m. e. beträchtlich über Heusler hinausgehn. Sie bedürfen einer
rovision umso dringender, als wir uns darüber entscheiden müssen, wie
weit das bild der Br3-nliilddichtung, das Heusler auf grund seiner
kritik so feinsinnig entworfen hat, als durch Boer zerstört gelten soll.
Ich glaube zur Verständigung über diese dinge einiges beitragen zu
können und gebe im folgenden meine ansieht über die entscheiden-
den punkte von Boers aigumentation und damit über einen teil der
Probleme selbst.
2*
20 NECKEL
1.
Dass bei t3. 28, 16 (Ranisch) und weiter bei 29, 144 mit Heusler
nähte anzunehmen sind, kann nicht geleugnet werden, am wenigsten
bei der ersten stelle. Auch Boer leugnet es nicht. Er geht aber noch
einen schritt weiter. Wenn sein Vorgänger das ganze zwischenliegende
stück einem und demselben gedichte, der Siguröar kvicSa meiri, zu-
gewiesen hatte, so erkennt er innerhalb desselben noch einen fremden
bestandteil in 29, 4 — 48.
Der Widerspruch, den Boer hier ins feld führt, ist nicht hinweg-
zudisputieren. Im gegenteil, betrachtet man den Zusammenhang auf-
merksam, so kann der anstoss, den man bei 29, 48 nimmt, nur grösser
werden. Alles zusammengenommen, geben folgende tatsachen bedenken
ab gegen die partie vor 29, 48. 1. Die dienerinnen benehmen sich wie
unsinnige, und eine namens SvafrloÖ gibt auf GuÖrüus frage die ant-
wort: vär kqll er füll af harmi. Das kann doch wol nur auf den lauten
auftritt gehn, den Brynhild verursacht hat. Wenn GuÖrün von dem
lärm nichts gehört hat, so heisst das, dass sie eben hinzutritt. Eine
zeile weiter aber liegen die frauen in den betten, Guörüu erwacht am
morgen und richtet an ihre vi7ikona eine aufforderung. 2. Brynhild
hat sich eben noch sehr wach gezeigt, und doch soll sie 29, 51 und 73
geweckt werden. 3. Gunnar und Hggni, die sich 29, 56fgg. zu Brynhild
begeben, sind nach dem context schon vorher bei ihr gewesen. Der
erstere kommt sogar z. 144 zum dritten mal. 4. Nachdem eben eine
hirhko7ia Svafrlqh namhaft gemacht ist, heisst es z. 48: pä mcelti Ouhrun
tu sinnar vinkonu.
Für solche Widersprüche und widerholungen wird niemand den
sagaschreiber verantwortlich machen wollen. Er hat sie, wie es scheint,
selbst bemerkt und versucht, ihnen die spitze abzubrechen. Die ant-
woit der SvafrloÖ dürfte im original, nachdem sie etwa so allgemein
angehoben wie in der saga, doch auf eine wirkliche auskunft hinaus-
gelaufen sein. Und die art, wie Gunnarr und HQgni z. 57 fg. abgetan
werden, sieht ganz danach aus, als hätte der sagaschreiber auch hier
gekürzt, um nicht ähnliche Situationen dicht hinter einander doppelt
auszumalen.
Aus dem vorliegenden Sachverhalt zieht Boer den schluss, dass
auch bei 29, 48 die quelle wechsle. Den anfang des fremden Stückes
sucht er bei 29, 4. Er zögert nicht, die so ausgeschiedene partie an
28, 16 anzuschliessen. Dass dies richtig sei, beweise sofort der erste
satz. Denn die frage, die Brynhild hier an ihren mann richtet, 'was
ZUR VOLSÜNGA SAGA UND DEN EDDALIEDERN DER I,UCKE Jl
hast du mit dem ring gemacht, den ich dir gab?' weise iiuf die öcene
am fluss zurück.
Jedoch auf diese beobachtung etwas zu bauen, geht nicht an.
Brynhild schweift nämlich unmittelbar nach jener frage, ohne die ant-
wort abzuwarten, auf ein ganz anderes thema ab. Sie erzählt umständ-
lich, wie es gekommen sei, dass sie Sigurd zum manne wählte. Dass
hier die 'strenge logik' fehlt, hat auch Beer gesehn. Aber bei dem
versuch, sich damit abzuünden, berücksichtigt er eine möglichkeit nicht,
die m. e. sehr zu erwägen ist. Der sagaschreiber kann jene frage der
Brynhild aus eigner erfindung, in erinnerung an die senna, hinzugefügt
haben, um dem eingang ihrer rede einen einigerraassen lebenswahren
anstrich zu geben.
Dass in einer intakten poetischen quelle die frage nicht die ein-
leitung zu dem folgenden gebildet haben kann, ist leicht zu zeigen.
Brynhild ist, indem sie diese frage stellt, des unerschütterten glaubens,
Gunnarr und kein anderer habe seinerzeit den ring von ihr empfangen,
und dieser müsse auf unrechtmässige weise, jedenfalls durch die schuld
Gunnars, in Sigurds bände gekommen sein. Im folgenden dagegen
zeigt sie offene Verachtung für ihren mann, schmäht ihn wegen seiner
feigheit und spricht es unverhohlen aus, dass sie den kühnen Sigurd
zum gemahl erkoren hatte. Offenbar würde sie jetzt nicht mehr daran
zweifeln, dass der, der den ring von ihr empfangen, Sigurd gewesen ist.
Ein so plötzlicher Umschwung der Überzeugung, wie wir ihn hier dem
sagaschreiber glauben sollen, bedeutet einen der grellsten Widersprüche
in dieser ganzen mit Widersprüchen so reich gesegneten partie. Der
abrupte Übergang 29, 6 ist nur das signal dafür, dass hier inhalts-
gruppen zusammengefügt sind, die von hause aus nichts mit einander
zu schaffen haben.
Nun erlaubt aber der gedanke, der der frage zu gründe liegt,
nirgends eine anknüpfung, und ebensowenig die notiz, dass B.uÖli der
Brynhild beim abschiede einen ring geschenkt habe. Man kann sich
auch schwer vorstellen, wie in der poetischen darstellung Brynhild
noch nach der senna an ihren mann geglaubt haben sollte. So lässt
sich die stelle garnicht anders deuten denn als erfindung des saga-
schreibers. Als solche betrachtet, gibt sie nach allem, was wir sonst
über seine redactortätigkeit wissen, nicht den geringsten anstoss.
Der Satz also, für den man nicht nach der vorläge fragen darf,
]autet: livat gerbir pi'i af hriny, peim er ek selda per, er Bubli konungr
(jaf vier ai efsta skilncuSi (29, 5 — 7). Was folgt, bildet einen rückblick,
der die handlung nicht weiterschiebt und sich also besser mit dem stil
der ÖigiirÖar kviöa meiri verträgt als etwa mit der seuna. Wie kommt
dieses stilistisch imanstössige stück zu den inhaltlichen Widersprüchen
gegen das na- hfolgende?
2.
Für die beantwortung dieser frage scheint mir Eoer noch nicht
das ganze material beigebracht zu haben. Der abschnitt leidet über-
haupt an einer gewissen Unklarheit. Brynhilds erzählung läuft darauf
hinaus, dass Sigurd kühner und ihrer würdiger sei als Gunnarr, der
bleich geworden wäre wie eine leiche. Sie fügt hinzu, sie sei eid-
brüchig, weil sie sich dem herrlichsten beiden gelobt habe und jetzt
doch eines andern weib sei. Endlich fällt noch ein böses wort über
Grimhild. Hier befremdet verschiedenes. Zunächst die häufung der
klagen und vorwürfe, die Brynhild nach einander ausstösst, um so mehr,
als die einzelnen einander zuwiderlaufen. Wem hat Brynhild sich denn
gelobt? dem Graniritter (z. 17), dem manne, der ihre bedingungen er-
füllte (r^5^ Diinn vapioga ok drcepi . . menii . .), oder endlich dem,
der ügcextr vceri alinn (z. 24)? Wenn hier kein Widerspruch vorliegt,
so doch arge Verwirrung. Auch vermisst man die eigentliche haupt-
anklage, die Br3mhild auf dem herzen haben musste: den betrug. Kein
wort davon. Die klage über den eidbruch folgt unvermittelt auf die
erzählung von Sigurds unerschrockenheit und Gunnars feigheit.
Einiges licht bringt hier die längst constatierte, auch von Beer in
anderm zusammenhange gewürdigte tatsache, dass der in rede stehende
abschnitt nahe berührungen aufweist mit der Siguröar kviöa skamma.
Strophe 35 — 39 dieses gedichtes gehen parallel mit z. 7 — 18 unseres
capitels. Noch die gegenüberstellung Gunnars und Sigurds z. 20 — 22
klingt an str. 39, 5 — 8 an, ebenso der ausdruck ek munda peini eimiui
Unna z. 23 — 24 an str. 40, 1: unna einum \ ne ymissuiu. Der saga-
abschnitt verdankt seine mangelhafte anpassung an den Zusammenhang
augenscheinlich der aufnähme von Strophen, die Sig. sk. 35fgg. sehr
ähnlich waren und ursprünglich nicht in die Sig. meiri hineingehörten.
— Bemerkt sei dabei noch, dass auch Boer (a. a. o. 478 f.) auf audenn
wege dazu gelangt ist, z. 7 — 22 für interpoliert zu halten.
Ehe wir aus dem bisher vorgebrachten einen schluss ziehen,
können wir an unserm verdächtigen abschnitt noch eine beobachtung
machen, die für seine bcurteilung wichtig ist. Z. 26 fg. klagt Brynhild
die Grimhild an und wird von Gunnarr zurechtgewiesen. Ebenso wollte
Brynhild 28, 60 'kein hehl daraus machen, dass sie der Grimhild nicht
wol gesonnen sei'; und damals hatte GuÖrün daran anstoss genommen
und ihr solche reden verwiesen. Eine ähnliche widerholung liegt 29, 32
ZVIt VOLSUNGA SAGA CNH HKN KIMiAl.IKDEltN HKI; LirKF. 23
vt)i', uü Bryuhild erkläi't: ckkl linfimi rrr latutpiny liaft nc üddhlr. gqrt.
Die zweite beteuerimg ist die antwort auf einen vorwarf Gunnars, die
erste dagegen schwebt in der luft, wenn man nicht bei z. 30 fg. der
quelle die lesart zutrauen will: 'nicht liebte sie ihren mann so wie du
den deinen', d. h. sie war ihm nicht untreu. Launping haß kehrt aber
fast wörtlich wider 28, 40 fg., wo ebenfalls Brynhild sagt: eklci hr>fum
n'r laiinmali liaft.
Diese widerholuugen sehen ganz danach aus, als verdankten sie
ihr dasein lediglich dem sagaschreiber. Er hilft ja auch sonst gelegent-
lich seiner phantasie mit reminiscenzen nach. So zeigt der kämpf gegen
Lvngvi c. 17 berührungen mit der paraphrase des ersten Helgiliedes
in c. 0.^ Der grund dieser anleihen ist wol der, dass bei c. 17 die
quelle dem autor zu dürftig floss. Meinte er sie doch auch durch eine
schablonenhafte kampfschilderung ergänzen zu sollen, wie er sie ganz
ähnlich schon in c. 11 angebracht hatte.' Möglicherweise lag ihm für
den kämpf mit Lvngvi noch eine strophe mehr vor (aus der dann die
schöne formel Mla geisa eld ok isarn z. 33 geflossen wäre), als der
Cod. reg. uns bewahrt hat. Aber die Überlieferung war doch wol frag-
mentarisch, und so wurde sie nach der Schablone vervollständigt.
Ganz ähnlich lag die sache bei c. 29. Auch hier befand sich die
quelle in zerrüttetem zustande. Sie hob unvermittelt mit einem rück-
blick der Brynhild an, der w^ahrscheinlich sehr mangelhaft in den
dialog verwebt war. Man darf annehmen, dass auch das folgende keinen
befriedigenden Zusammenhang ergab. Ist es da zu kühn, wenn man
auch die widerspräche, die bei 29, 48 auf einander prallen, aus dem
stark verderbten zustande des gedichtes erklärt? Einiges spricht sogar
direkt dafür, dass auch die quelle von z. 22 — 48 interpohcrt war. Hier
finden sich nämlich ebenso wie in dem vorhergehenden stück berüh-
rungen mit Sig. sk. Man vergleiche Brynhilds klage: 'nie siehst du
mich wider froh in deiner halle' usw. (z. 37 fg.) mit str. 10, 7 — S {man
ek itna aldri meb r/Mngi) und 11, 5 — 6 {par miink sitja ok sofa Ufi).
Ferner erinnern das zerreissen des gewebes und die weithin hörbaren
harmreden an Gudruns händeschlagon , das die gänse kreischen macht,
und an ihr lautes weinen Sig. sk. 29 tg. Die.se ähnlichkeiten, zusammen
mit dem Widerspruch, in dem diese stellen gegen das folgende stehn,
1) 17, 13CV.9, 1)6; 17, 13-14cvj0, 12 fg.
2) Vergl. dio gegen übenstclhiug bei Sijnious JJoitr. 3, 229. Diese kaiiipfsuhilde-
rung weist ihrerseits nicht direkt auf poeti.scbe vorlagen, sondern gehört demjenigen .
)>rosaiscIien stil an, der durcli die fiöreks saga vertreten wird. Vergl. Edzardi, cinl.
zu seiner übers. XXXllI, XXXVII.
24 NECKEL
machen secimdären Ursprung der ganzen partie wahrscheinlich. Endlich
lassen sich auch die reminiscenzen, die der sagaschreiber angebracht
hat, dafür anführen, dass in der quelle nicht alles in Ordnung war.
Wie weit diese Unordnung gieng, können wir nicht genau sagen,
da sie sicher durch den bearbeiter noch verschlimmert wurde. Er hat
z. b. die forderungen der Brynhild an ihren freier aus c. 27, 52 fg.
widerholt. Dieselbe stelle verrät auch durch die anordnung der motive,
dass die vorläge hier nicht treu festgehalten ist. Nachdem nämlich
Brynhild z. 17 von ihrem gelübde gesprochen hat, schweift sie plötzlich
ab, um z. 22 wider darauf zurückzukommen. Diese art, sich zu wider-
holen, begegnet unserm autor auch sonst, sobald er sich nicht an eine
unmittelbare vorläge bindet, z. b. 48, 61 fg.; 43, 66 — 71; Ragnars saga
c. 12 [Vißlsborg) und ebd. c. 15 {gityhja mundii grisir).
Je länger wir diese partie prüfen, um so niedriger müssen wir
ihren quellenwert veranschlagen. Wäre sie nicht verhältnismässig zu
reich an echt aussehenden einzelheiten, so müsste die möglichkeit er-
wogen werden, dass wir hier überhaupt keinen eddischen boden unter
den füssen haben.
3.
Zu fragen bleibt, ob nicht doch am beginn von 29 die vorläge
wechselt. Es unbedingt zu verneinen, ist bedenklich. Offenbar hatte
die Variante zu Sig. sk. 35fgg., womit Brynhild z. 7 anhebt, nach vorne
hin keine anknüpfung. Eine solche hat erst der sagaschreiber notdürftig
hergestellt. Dadurch wird es recht fragwürdig, wie die ihm vorliegende
handschrift ausgesehen haben mag. Auch der schlusssatz von 28 lässt
vermuten, dass hier die quelle abbrach. War es nun eine lücke vor
der Interpolation, oder fehlte die fortsetzung ganz?
Ersteres ist m. e. wahrscheinlicher. Denn wie Heusler a. a. o. 70
hervorhebt, zeigt die ganze reihe der gespräche von 28, 16 bis 29, 144
dieselbe physiognomie: sie sollen die seelenstimmung der heldin be-
leuchten, dienen also einem ähnlichen zweck wie die langen Unter-
redungen zwischen GuÖrün und Atli in den Atlamäl. Sieht man von
dem anfangsstück des c. 29 ab, so ergeben diese auftritte einen mannig-
faltigen Wechsel der personen und motive, ohne störende widerholungen
und Widersprüche. Sie enthalten eine kunstvolle Steigerung bis zu der
grossen scene zwischen den beiden zunächst beteiligten 29, 71 fgg.
GuSrün hat mit ihrem manne über das seltsame wesen der Schwägerin
gesprochen (28, 16 — 26). Sie hat selbst vergebens versucht sie zu be-
ruhigen (28, 26 — 78). Wie jene fortgesetzt schmerz und groll zur
schau trägt, will sie eine freundin zu ihr schicken. Dann schickt sie
ZOK VOLSÜNGA SAGA UND DEN EDDALIEDERN DER LÜCKE 25
Gunnarr, nach ihm HQgni (29,48 — 61). SchHesslich spricht sie noch
einmal mit Sigurd und bewegt ihn zu der trauernden hineinzugehen
(29, 61 — 71). Und Sigurd ist es vorbehalten, diese zum sprechen zu
bringen.
Der gang der iiandlung von 29, 48 an zeigt Verwandtschaft mit
der anläge des ersten Gudrunliedes. Dort versuchen jarlar und jarla
bruhir die stumm an Sigurds leicho sitzende GuÖrün zum weinen und
— was für die zwecke des gedichts wichtiger ist — zum reden zu
bringen, bis es endlich der GullrQnd gelingt. Aber dieser parallelismus
spricht keineswegs dafür, dass bei 29, 48 der anfang eines gedichtes
anzusetzen sei. Die grosse scene zwischen Sigurd und Brynhild ist
keine Situationspoesie wie das Gudrunlied. Letzteres beschränkt wie
alle Vertreter seiner gattung den direkt vorgeführten abschnitt der hand-
lung auf ein minimum. Die einleitung und so etwas wie einen schluss
fügt es der klage der GuÖrün nur deshalb an, weil sich dadurch ge-
legenheit bietet, um den rückblick der heldin noch eine anzahl kürzerer
tregrof zu gruppieren. Die einleitung ist wol durch anlehnung an das
Sigurdslied von c. 29 zustande gekommen.
Dieses lied seinerseits war aber aus anderem stoff geschnitzt. Seine
redescenen sind dramatisch belebt. Die Charaktere der auftretenden
personen sind ihm die hauptsache. Die klimax von der Weigerung der
vinkona bis zu Brynhilds geständnis: per skal ek segja mina reihi (z. 78)
fliesst aus dem einen grundmotiv: Brynhild liebt Sigurd. In all dem
rasenden schmerz und groll ist dies gefühl für sie noch bestimmend.
In dem Wortwechsel, der nun folgt, entfaltet sich Brynhilds Charakter
zu imposanter grosse. Vorher stand mehr GuÖrün im Vordergründe.
So wie GuÖrün sich in den gesprächen von c. 28 zeigt, ängstlich und
versöhnlich, so tritt sie später auch dem von der jagd zurückkehrenden
Sigurd gegenüber. Durch ihre tränen bewogen, betritt Sigurd den saal
der Brynhild. An dieser stelle stehn die drei hauptcharaktere des ge-
dichts in schärfster beleuchtung neben einander. C. 28 ist deutlich die
Vorbereitung zu der hier beginnenden grossen scene.
Ich glaube demnach mit Heusler die hauptmasse der beiden ca-
pitcl einem und demselben gedichte zuweisen zu sollen. Die anstösse,
die der erste teil von 29 gibt, erkläre ich aus dem mangelhaften zu-
stande der quelle, die hier eine durch jüngere zusätze unvollkommen
ausgefüllte lücke enthielt.
4.
Boers anknüpfung des verdächtigen Stückes von 29 an die senna
— um darauf noch einmal zurückzukojnmen — ist schon deswegen
unannehmbar, weil keine genügenden gründe dafür ungefülirt sind.
Es dürfte sich überhaupt kein einigcriuassen gewichtiges factum finden
lassen, das dafür spräche, wol aber solche, welche dagegen sprechen.
Beer selbst hat beobachtet (a. a. o. 477fg.), dass die hvot (29, 144fgg.)
sich Avol an die senna, nicht aber an 29, 4 — 48 anschliessen lässt.
Seiner annähme von der einheit der letztgenannten abschnitte zuliebe
zerreisst er den Zusammenhang zwischen senna und hvot. Dieser Zu-
sammenhang ist aber so evident (Heusler 60 fg.), dass er den besten
beweis gegen Boers verfahren abgibt. Die hvQt ist mit dem, was ihr
in der saga vorangeht, unvereinbar. Dagegen schliesst sie sich vor-
trefflich an 28, 16 an, wo eine evidente naht liegt. Der so hergestellte
Zusammenhang wird nicht nur durch die deutschen quellen als alt er-
wiesen, er ist auch der natürlichste, der nur gewünscht werden kann.
Bringt doch die hvot genau das, was wir nach der senna erwarten
müssen: Brynhild hat den betrug durchschaut und beschreitet nun den
einzig gegebenen weg, um Sigurd fallen zu sehn. Die entscheidung
kann nicht lange zweifelhaft sein, soll man zwischen dieser Fortsetzung
und der von Boer angenommenen wählen. Denn der einzige punkt,
der für letztere zu sprechen scheint, geht, wie wir oben gesehen haben,
gar nicht auf die quelle zurück. Da die hvQt die senna voraussetzt
und fortsetzt, so beruhen beide auf demselben gedichte. Wenn Boer
s. 477 dagegen anführt, dies erkläre sich auch durch die annähme, der
dichter der hvot habe die senna aus der tradition gekannt, so könnte
das ebenso gut auf seine eigenen aufstellungeh angewandt werden, Nie-
mand wird aber so leicht an den sonderbaren zufall glauben wollen,
dass der sagaschreiber gerade das, was der h votdichter durch tradition
gekannt haben soll, ein paar Seiten vorher nach poetischer vorläge
paraphrasiert. Diese vorläge ist eben mit dem gedieht, das die hvot ent-
hielt, identisch.
5.
Die fortsotzung der hvot erblickt auch Boer in der hinter der
lückc des regius einsetzenden strophenreihe, dem sogen. Brot. Zu der
art, wie er diese frage entscheidet, kann ich nicht umhin, eine be-
merkung zu machen. Ausschlaggebend ist für ihn der umstand, dass
Brynhild die anklage, die sie 29, 147fg. gegen Sigurd erhoben hat, in
den beiden letzten Strophen des fragments zurücknimmt. Also eine ge-
wisse Symmetrie im bau des gedichtes wird angenommen. Boer ist
der ansieht: was ein wahrer dichter anfieng, wird er zu ende geführt
haben. Trotzdem leugnet er, dass, wie Heusler behauptet hatte, im
Brot ursprünglich auch der tod der heldin dargestellt war. Ebenso gut
ZÜK VOLSrNCiA SAGA UND HKN KltDALlK.UKKN VEH UCKK J^
könne man verlangen, die geschichte bis zum Untergang der Nibelungen
oder gar des liamöir und Sgrli fortgeführt zu sehn. Aber wie grund-
verschieden diese beiden forderungen von der Heuslerschen sind, ist
leicht zu sehn. Das Interesse des heldendichters ist vorwiegend bei
seelischen vergangen. Er muss den stium in der socio der Brynhild
bis zur katastrophe austoben lassen. Ihr eutschluss, der Wahrheit die
ehre zu geben, ist der entschluss einer sterbenden.^ Das ist sicherlich
auch die auffassung des dichters gewesen. Sein gedieht wäre eine kühle
Studie, hätte es ihn nicht fortgerissen, das in verse zu giessen, was
seiner phantasie vorschwebte, und dadurch seinem werke erst den
künstlerischen abschluss zu geben. Ein dichter, der auf der tradition
fussend, einen alten sagenstoff neu gestaltet, definiert doch nicht sein
thema mit logischen distinctionen und befleissigt sich, da aufzuhören,
wo die immer im äuge behaltene definition es verlangt. Das thema,
oder vielmehr der stoff war in seinen grundzügeu ja gegeben. Der
dichter, der sich auf seine weise in ihn hineingelebt hatte, reproducierte
ihn l)is zu einer stelle, wo das nachlassen der Spannung bei ihm und
den hörern ein aufhören gestattete oder forderte. Davon legt der ganze
habitus der eddischen dichtung beredtes zeugnis ab. Es ist ganz un-
denkbar, dass eins dieser gedichte eine lösung der aufgäbe darstelle,
die 'weise' zu besingen, 'wie Brynhild Gunnar dazu brachte, Sigurd
zu töten'.
6.
Das gedieht, das mit den Brotstropheu und dem tode der Biyn-
hild abschloss, — man vergleiche das scenarium bei Heusler 62 fg. —
lässt sich nach vorne bis in c. 26 verfolgen. Wir verdanken diese ein-
sieht Beer, der s. 472 zeigt, wie in c. 2() zwei darstellungen nach ein-
ander aufgenommen sind. Was er im übrigen zur Zweiteilung der
quellen in c. 26. 27 beibringt, fällt zum grossen teil mit seiner kritik
von 29. Einige seiner argumente sind überdies solcher art, dass ihnen
keine bewciskraft zugestanden werden kann. Mögen immerhin Wider-
sprüche, vorsichtig verwertet; nach der negativen seite beweisend sein,
so sind doch Übereinstimmungen es noch nicht nach der positiven.
Angenommen, teile von 27 gehörten wirklich mit dem anfangsstück von
29 zusammen, so enthielte das gedieht unerträgliche widerholungen.
Mir scheinen die .s. 470 aufgofühiien fälle nur die beobachtung zu be-
i) VL'rgleiclii)ar i.st tSigny-s aiifklävendc redo vor ciein tode, VqIs. S, 1 16 — 125.
Mit ihrem ausruf: skol ck nä dcijja mal Slyfjelri kunitngi hdig, er ck dlld liatiii
naiidifi, scbliesst doch wol das Sigoylied.
28 NECKEL, ZUR VOLSÜNGA SAGA UND DEN EDDÄUEDERN DER LÜCKE
stätigeD, dass die paraphrase im anfangsstück von 29 viele rerainis-
cenzen birgt. Ähnlich erwägt Boer weiter unten die möglichkeit, dass
ein satz der hvot — vil ek eigi tvd menn eiga senn i einni h(ßl —
aus der mein' stamme, weil eine kurze strecke zurück mit etwas andern
Avorten genau dasselbe steht. Aus dieser beobachtung würde aber eher
die Unmöglichkeit als die möglichkeit folgen, läge es nicht auf der iiand,
dass es nur der sagaschreiber ist, der sich hier widerholt. Wir sehen
aus der stelle, wie sorglos er mit dem Wortlaut seiner quellen umgeht.
Das lehrt ja nicht nur diese stelle. Es ergibt sich aber daraus
die Warnung, es mit dem prosawortlaut der VqIs. s. nicht allzu genau
zu nehmen. In dieser beziehung hat Boer m. e. widerholt fehlgegriffen.
Allerdings ist es unwahrscheinlich, dass ein einzelner satz aus einer
besonderen vorläge entnommen sein sollte, wie er s. 466 bemerkt, aber
keineswegs, dass ein solcher satz nach der erinnerung an eine andere
quelle hinzugetan ist. Der sagaschreiber hat aber nicht bloss zwei
quellen mit einander verquickt, auch sein eigner gesunder menschen-
verstand hat ihm streiche gespielt.
Dies ist die auf der band liegende folgerung, wenn man str. 22. 23
mit der umgebenden prosa vergleicht. Die Widersprüche, die Boer hier
herausfindet (Zeitschr. 35, 310 fg.), laufen z. t. darauf hinaus, dass der
autor den poetischen text nicht scharf ins äuge fasst, sondern einzel-
heiten, die ihm der Zusammenhang mit sich zu bringen scheint, arglos
hinschreibt, auch wenn sie dem vielleicht gerade hier von ihm citierten
gedichte zuwiderlaufen. Überdies ist der zweimalige versuch Gunnars,
durch das feuer zu reiten, wol in einer strophe erzählt gewesen, die
vor 22 stand und nicht mitgeteilt wird. Wenn Boer sich darüber
wundert, dass das feuer bei annäherung der freunde zu lodern und
die erde zu beben anfängt, so scheint mir die sache einfach so zu
liegen: es geschieht, damit Sigurd seine furchtlosigkeit zeigen kann.
Die Strophen sind von begeisterung für Sigurds heldentum getragen;
daher auch die mit fdr treystisk anhebende antithese. Die phantasie
des dichters wird von der Vorstellung des flammenwalls in dem augen-
blick ergriffen, wo Sigurd sich anschickt, ihn zu durchreiten. Und der
flammenwall erscheint nun als ein gegner, der sich zum tödlichen
streiche aufreckt, aber wehrlos vor dem Graniritter zu boden fällt.
Ähnlich ist Oddrünargrätr 17, 5 (Bugge) zu beurteilen. Machen wir uns
das ethos der scene klar, so werden die reflexionen, die Boer an das
erlöschen des feuers geknüpft hat, sämtlich hinfällig. Der sagaschreiber
stellt mit der notiz, Sigurd sei durch dasselbe feuer zu seinen freunden
zurückgeritten (27, 66 fg.), seiner genauigkeit ein ebenso empfehlendes
GOJtBAULT, DIE FRÄNTvISCHK.N' PSALMRNFRAGMENTE 29
Zeugnis aus wie kurz vorher seiner ungenauigkcit. Beide qualitäteu
entspriessen derselben wurzel: dem nüchternen bestreben, den äussern
apparat und das kostüni möglichst erschöpfend und vernünftig aus-
zumalen.
Es liegt also kein grund vor, str. 22. 23 von ihrer stelle zu ent-
fernen. Wie aber iiaben wir über ihre hcrkunft und damit über die
quelle von c. 27 zu urteilen? Der grund, der Heusler bestimmte,
dieses capitel von den klagereden zu trennen (a. a. o. 54), ist durch Boer
wankend geworden: Brynhilds rückblick 29, 7fgg. kann nicht als voll-
giltiger zeuge für die sagenform des Grossen Sigurdsliedes aufgerufen
werden. Trotzdem besteht jene trennung ra. e. zu recht. Einmal wegen
der Gripi.'^spa, die dafür spricht, dass im Grossen Sigurdsliede der
werbungsritt ohne erwähnung der waberlohe berichtet war. Ferner ist
es wegen der stilistischen Verwandtschaft wahrscheinlich, dass str. 22. 23
aus demselben gedichte stammen wie die Brotstrophen, und das ver-
bietet Zugehörigkeit zu den klagereden. Die frage ist von geringerer
tragweite, weil eine besonders charakteristische abweichung dem Grossen
Sigurdsliede bei dieser scene kaum zuzutrauen ist. Auch darf man
hier wie sonst auf den Wortlaut der saga nicht allzu viel geben. Bryn-
hilds antwort z. 51 — 55 steht im dringenden verdacht, der sehr ähn-
lichen scene in c. 24 mehr oder weniger zu verdanken. Der dialog
daselbst von z. 54 an trägt entschieden ein echteres poetisches gepräge
als die reden an unserer stelle. Gewiss erst vom sagaschreiber stilisiert
ist die höfliche einräumung des freiers: m^7'g stöi'virki hafl per unnit.
Man vergleiche damit im selben capitel z. 15, femer c. 40, 8 und be-
sonders die art, wie das gespräch zwischen Sigurd und der erweckten
walkyrje verfälscht ist, 20,27—30 und 21,1—4.
WISMAR. G. NECKEL.
DIE FEMKISCHEX PSALIVIENFEAGMENTE.
I.
Die handschriften dieser Psalmenreste sind von mir in den jähren
1901 und 1902 nach der zweiten ausgäbe von Heyne unter berück-
sichtigung der coUationen von P. Tack (Tydschrift v. N. T. en L. XY,
s. 140 fgg.) und van Helten (Tydschrift XVI, s. 77. 78) neu verglichen
worden. Ich gebe hier meine von van Helten abweichenden lesungen
und füge dazu einige bemerkungen, die ich bei der lektüre seiner aus-
gäbe aufgezeichnet habe.
Bö GOMBÄ.ULT
|Pss. I — III, 5.]
Am rande xler liandsclirift stehen glosson von derselben band,
die den text geschrieben hat, als Verbesserungen gemeint. Heyne und
V. Helten erwähnen diese glossen nicht, wol aber Halbertsma (Hulde
aan Gysbert Japiks, II, s. 264 fgg.).
1. 1. hs. sandifjero, rgl. suml-.
Für unfpnethero muss mit rücksicht auf imf/enrthegc 1, 5, /ni-
geiwthero 1 , 6 und die häufig vorkommende Verlesung von o für e in
dieser hs. wol imge- gelesen werden; nu gonet here nohe hat m. e.
keine beweiskraft, da auch in re nohe (für idu(ii)eht) o für e steht.
2. hs. mulle, rgl. miüle; hs. siuro, rgl. sinro; hs. thrkeu, Halb.,
H., V. H. thenken; hs. nachtts wie Halb., H. und v. H. nahtts.
Die änderung von emin in eiiuen scheint mir mit rücksicht auf
enum 1,2, ejam 206 (1, 2) und Ep. nicht gerechtfertigt.
3. hs. nuahsemo sinay, rgl. nnachsemo sinan; hs. ninncld, rgl.
niucht; hs. uit hrrimllan sau wie H., v. H. ni thervallan san, rgl. nit
ucruallcin sal.
4. Im facsimile deutlich anlncce, so auch Halb., Gl. 26 und Ep.;
H. und V. H. a/itlucce, vgl. bemcrkung Gl. 26.
5. Gl. 96 hat bethiit proptorea (1, !")), so auch Ep.; also muss nicht
ideo (V.), sondern die Variante propterea angenommen werden.
6. hs. niioz wie H., oder miox wie v. H., rgl. iiffox ; hs. geuerthe
wie 351 (1 , 6) und H., v. H. geuuerthe.
n, 2. iiiuthar zweimal deutlich, wie H., v. H. zweimal uudÜiar.
3. hs. cehreran miir, rgl. cebrecan uuir; hs. neruiierfon mur, rgl.
ner- uuir.
5. Deutlich steht in hs. ohne den lat. text sal her si von derselben
band geschrieben.
8. gevmi wie H., v. H. geiian.
9. sirnero deutlich n, Halb., H. v. H. sirucro.
11. vorton wie H., v. H. uorto7i.
mendicot, Gl. 510 mediiot; v. H. ändert in mendiot, Steinmeyer ^
in mendüot. ISTatürlich können beide formen hier angenommen werden.
12. inauiumne, wol zu ändern in nieimanne (vgl. salethu 592).
V. H. ändert in niniianne das in graphischer wie Steinmeyers niauuanne
in formeller hinsieht nicht zu empfehlen ist.
13. liur tuuriste wie Halb, und H., Gl. 154 hirtiir urisie, v. H.
kur tuurste.
]| Aiiz. f.d. alt. XXIX, .")3fgg.
UTK FRÄNKlSniF.X rSAl.MKNTK'ArfMKNTK 31
)ion cum, H. und v. H. ändern in tlidu, aber itati für iiuati(ne)
(vgl. benmjon für bemiugon 2, 11) ist m. e. eher graphiscli vax roclit-
fertigen, vgl. für o statt a unten Gl. 403.
III, 1. deutlieii hs. (icmcuiohfeldeide, nicht wie Halb. H. v. IL
(/('i//((///ioh-.
f). /mar; statt y kann auch it gelesen werden.
[LTIT, 7-LXXIII,0.1
LIII, 9. arhiidin wie H., v. H. arbeidin. Für '^sconiwda kann
natürlich desnexit (V.) und respexit (var.) angesetzt werden.
LIV, 2. bida wie H., v. H. -e-. )>. in mistrot wie H., v. IL ai.
'). liirta wie IL, v. H. -e-.
ö. coutexeni/it ine tenebrae (V.) braucht nicht durch die Variante
contexit nie tenebra ersetzt zu werden, vgl. 19 crant mccum he iiuas
mit nii (sing, des verb. für plur.).
7. flingon sac, H. v. H. sal 10. unriht wie H., v. H. Tack -e-.
13. Iholodit, vielleicht mit Kern^ aufzulösen in ihnlodi iL
IG. libbinda wie H., v. H. -enda: selethc wie IL, v. H. seiet hen.
17. s(dnanit verlesen für salvabif, vgl. noto zu gloss. )}23; man
braucht nicht saluanil (var.) anzusetzen.
23. (jiuon, iuuon wie H. und Tack, v. IL (jeiio)i, euuon.
24. sin wie H. Tack, deutlich so im facsimile; v. H. sia.
LV, 7. bergin wie H. , v. IL -in oder -on. Vininini wiüe besser
zu ändern in uuannn, vgl. 07, 7; 68,30.
8. sila wie H. und Tack, so auch 13; v. H. scla.
LVI, 2. sHa wie LI. und Tack, v. LI. sela. 3. dida wie LI. Tack;
V. H. deda.
5. .s-/i/j //,; (dormiui) bleibt besser unverändert, vgl. qnad ih (dixi)
72, 13, beltal ik (abscondij Gl. 79; das von Kern .beigeholto .sY/y^/rt got
ist nicht beweiskräftig, da die lat. vorläge hier auch das subject hinter
dem verbum hatte (misit deusj.
0. irtlion wie H. und Tack, v. H. -e-; guolilüieide, H. -kli-,
v. H. -/.//- oder -Jih-.
12. guoliheide wie H., aus verschriebenem guoUieide, nicht guo-
licJieide (v. H.), corrigiert.
LVII. 2. rihmissi, 3. iinrUit, 4. riiie wie H., v. IL. -e-.
0. touferis wie H., 719 und Ep. -eres, v. LI. -eres oder -eris.
1 1 Iiiilogerm. foisrli. XVI. aiiz. 1. 2. 3, .s. 2(3 fgg.
32 GOMBATTLT
7. Das erste mal tibrican, H. tehrican, das zweite mal tehrican
wie H., V. H. beide tehrecan.
12. rihlico wie H., v. H. o-eh-.
LYIII, 2. an nie, v. H. wie H. cm mi. 4. icco, sila wie H., v. H. c.
6. crifto, ni genatho wie H., v. H. -e- und ??e. 12. rislag wie H.,
V. H. re-. 17, morge wie H. das -e ist geschrieben wie das -e von
spreke LIV, 13, v. H. -en; ^wÄi^ wie H., c radiert, v. H. flucht.
LIX, 4. «'r^Äa wie H. oder ertha, v. H. er'tha. 6. teikon wie H., v. H.
-/'??. 7. behaldä wie H., v. H. -a?i. 12. (/oi wie H. und Tack, v. H. r/e^.
LX, 3. erihe wie H., v. H. -en. 7. jar, v. H. wie H. iar.
9. qiiUhmi wie H., v. H. quethmi; an dage braucht nicht in an
dag geändert zu werden, vgl. 18, 10 Gl. 774 an uuerildi uuerildis in
saeculum saeculi (Steinm.).
LXI, 3. movebor nicht 7novear, denn das fut. wird auch durch
den conjunctiv praes. widergegeben, vgl. 72, 10 coniiertetnr (Steinm.).
5. in an hertin iro, V. et corde suo, vielleicht besser eine Variante
et in corde siio.
6. herrin, besser ist gode (deo).
7. salc ic, V. H. wie H. sal ic.
11. giotruoni, nicht zu ändern m gi to truo7ii (v. H.), sondern mit
Steinm. in to gitriioni, denn sperare wird ausnahmslos mit dem compos.
verdeutscht und das pron. 2 pl. folgt anderwärts nie einem imperativ.
thiunt oder wie H. thinat, v. H. Tack thiunt; die lesung affluant (A^)
kann bleiben und man braucht nicht eine Variante affluxerint anzu-
nehmen, w^eil das fut. öfter durch ein praes. übersetzt wird, vgl. uuerihint
fuerint 58, 16, uuerthint irhauan 65, 7, mejidint 66, 5; 67, 4, gouma
mdrkint 67, 4, fiient 67, 2, blitltent 66, 5, gangint 68, 28 (Steinm.),
V. H. (Gr. I, § 92, /9) bringt diese formen unter dem conjunctiv, mit aus
dem indicativ entlehntem -nt. -unriht wie H., v. H. unreht; in H.,
V. H. inde'^ rouas wie H., v. H. rouas.
LXII, 2. uuaconi kann stehen für uuacon oder uuacon ic.
6. uuerthe oder -i, H. -i, v. H. -e. 11. unrihta wie H., v. H. -e-.
LXIII, 2. forhtan, a undeutlich, H. forhiun?, v. H. -U7i oder -an.
3. unriht wie H., v. H. -e-.
5. gefestoda sig uuort (firmauerunt sibi sermonem); Steinm. scheint
mit V. H. änderung zu gefestodon geboten, denn sing, widergabe plura-
lischer verba komme sonst nicht vor, vgl. aber LIV, 19 erant mecum.
7. scriäinio kann bleiben (Steinm.).
10. godes H., v. H. -is.
DIR FRÄN'KISCllKN I'SALMKNKKAOMKVrF; 3?i
LXTV, 4. (lenalhon H., v. H. gi-. 6. (m rchli wie H., v. IT. -e.
7. crifle wie IL oder crrfie wie v. H.; (j/r//i)-<//l wie H., v. H. (je-.
LXV, l k (liherta H.. v. H. geherta.
LXVII, 4. gelicuent (delectentur). Es scheint mir mit Kern iiiüg-
lieli, (Uiss der glossator deJectent gelesen hat für ddecleiilttr.
G. fadera. v. H.: ,dein fadera zufolge hat dem Übersetzer nicht
pdf r/'s der Vulg., sondern die var. patres vorgelegen, docii hatte dieser
text dem scepenin geoiäss nicht das mit patres correspondierende indices,
sondern iudicis der Vulg.' Möglich ist es, dass fadera verlesen ist für
fader {miiodir ps. 68, 9; 70, 6), vgl. iriüianan 63, 8 für irka/tav.
15. sne snene, H. v. IL sneiie. 11. uualnt wie H., Tack unainl
odei- iiuanit, v. H. uuanit.
IS. redinitagon. v. H. ändert -au; vgl. aber savfou mit anorgan. o,
welche form v. IL. erklären will aus analogic nach (im nfV. ms. nicht
vorkommenden) temp. dativen plur. wie ahd. hw/loiu (olim) usw.
22. ftando, IL v. H. ftundo. 30. sali))i wie H. v. IL, oder s(dini.
36. Vndirlic, IL. v. H. UundirUc.
LXVIII,4. deutlich gitraoii, H. v. IL ge-; tefuoroii, IT. v. H. -u)).
18. gehör I , H. v. H. gi-.
20. reuerentiam der Vulg. kann bleiben (Steinm.).
32. liorni kann für ho7m ohne epenthetischen vocal stehen (Steinm.)
oder für liorhi (H. und v. H.), vgl. LXII, 2.
37. uuonon sid/iiii an iaio (habitabunt in ea). Heyne bemerkte,
dass der Übersetzer, indem er i)7. ea auf haereditate von 36 l)ezüg, mit
rücksicht auf eriii „ea" durch imo widergab. Die Wahrscheinlichkeit
ist m. e. nicht gross, denn warum hätte er „eam" in possidebit eaiii
das in 37 vorhergeht auch nicht auf liaereditate bezogen? Wahrschein-
lich nniss hier gelesen w^erden iro (67, 11), vgl. ir für inr 73, 4 und >•
für /.• grdaii 68, 11, g/herta 65, 14, tmert 72, 11.
LXIX,4. scaarinda als part. praes. in bekerda uiterfJmi in scaniinda
(auertantur et erubescant) befriedigt nicht. Möglich, dass hier ^mv/^/v/^/a
steht für .^^camada (scamoda), -vgl. 70, 24 gescamoda irnänm, und für
das part. praes. ohne ge(gi) : fnndona, brald, gnolicoda, streuot.
LXX, 2. rohimsse wie Tack, H. und v. IL rehnussi.
20. ogostu (ostendisti). Heyne ändert in ögdostit, v. IL in ügodos
la (warum hier tu vom verbum abgesondert und nicht 73, 1?). Sehr
wahrscheinlich ist es m. e., dass der glossator hier für das praet. ein
praesens gesetzt hat, wie dies auch der fall gewesen ist bei upstigis
67, 19 (ascendisti) und 73, 1 beauirpistu (repulisti). Ein sicheres bei-
ZEITSCHRIFT F. DKUTSCHE PHILOI.OOIK. BD. XXXVII. 3
34 QO^rBAULT
spiel dafür, dass lat. praet. diircli deutsches praes. übersetzt wurde, haben
wir auch in fnrmielliuü prophanauerunt, -rint Gloss. 228; Kp. liai nur
])roj)Jmnmieriint, vgl. zu 22S, LXXIII, 1 und 323.
LXXI, 5. a)i cimni in aumo' (in generatione et generationem).
V. H. meint: ^dem cunno zufolge lag dem Übersetzer nicht die lesung
der V. vor, sondern etwa die Variante in (jenercdione genercdionitm , in
welchem fall vor cunno überliefertes in als umgestellte dittographie von
-ni zu gelten hätte.' Wahrscheinlich muss hier cunno in cumii, bezw.
cunne geändert werden, in welchem fall in bleiben kann.
12. Eine Variante poieiitia, welche form H. angesetzt hat und
Kern annehmen will, kommt nicht vor.
16. Vuesmi, H. v. H. Uuesen; der infinitiv uuesen ist nur 18, 14
belegt. Für an höi kann sehr gut snmmis der V. angesetzt werden,
vgl. fan höon hiniili (a summo coelo) 18, 6, te höi smro (ad summum
eins) 18, 7.
LXXII, 9. lief (transiuit), so auch Gloss. 482. transire wird stets
durch lithon oder farlithon widergegeben und da die überlieferte form drei
buchstaben von leith hat, würde man zunächst geneigt sein, mit Cosyn
und Holthausen an leiih zu denken, v. H. meint, dass leitJi sich nicht
empfiehlt in graphischer hinsieht und setzt eine Variante deambulavit
an, so auch 482. lief füv leit oder lief^ (vielleicht praes. für praet. vgl.
oben LXX, 20) kann aber graphisch sehr gut erklärt werden: ausl. /
konnte sehr leicht als f gelesen werden, wenn der verticale strich des
t ein wenig unter der linie geschrieben war, vgl. lef 485 für Ict {leih).
Diese forin lef ändert v. H. in leih: .f entstand für Ih indem der
Schreiber der glossenhs. seine vorläge gleichsam nach voranstehendem
lief (transiuit) corrigierte.' Aber lief steht ziemlich weit ab und llfhon
sal (transibo) geht gerade vorher.
13. heincli, H. v. H. liencli.
14. kestigata (castigatio); das t von kestigata statt d kann ent-
standen sein unter einfluss von dem t von castigatio, vgl. scdnti (psalmi)
70, 22, thende (intende) 68, 19, beuuie (benedicat) 66, 7.
16. Existimabam ut cogiioscereni hoc labor usw. ik uuanda dal
ik it kende, that arbeit. Das ms. hat wie Notkers hs. ein komma vor
that. Es ist möglich, dass in der lat. vorläge, wenn auch solch eine
Variante nicht vorkommt, hoc vor und hinter dem komma gestanden
und dass der glossator das erste durch it, das zweite durch that widei-
1) Vgl. farliet 56, 2, Gl. 228 und Ep., und ie für ei: sciethhi 67, 31. Lipsius
hat iu der glossenlis. neben lief (transiuit) die note ,1. lief geschrieben.
DIE FRÄNKISCHEN PSAl.MENFRACMEN'TK 35
gegeben hat Vgl. aber auch LIV, 13. v. H. meint, class ü durch Ver-
lesung von (littographischein ic entstanden ist.
18. mi , H. hii ,kann auch mi gelesen werden', v. H. im.
22. ut iumentum kann bleiben (Steinm.).
LXXIII, 1. benuirpisia (repuiisti), vgl. oben LXX, 20 und für den
entgegengesetzten Vorgang, praet für praes. ftrrodon (elongant) 72, 27.
4. hs. hatodon, H. v. H. hatedon. firingon iro (solomnitatis tuae);
V. H. ändert iro in thinro, aber es ist zu empfehlen mit Ciarisse an-
zunehmen, dass der glossator suae für Urne las.
7. hs. namon wie Tack, H. v. H. nainin.
V. H. hat bei pss. 18 und 1 — 3 angegeben wo ii, iv, v, oder in(,
vv geschrieben ist, aber dies versäumt bei pss. 53—73 und Gl. Lips.
53 — 73 ist gewöhnlich u und uu geschrieben, aber am anfang eines
Satzes steht oft T^und Vu: Vnder 63,7, VnreJit 65, 18, Vntes 70, 18, 19;
72, 17, Vpsta 56, 9, Vpstandi 67, 2, Vpstigis 67, 19, Vtguit 68, 25,
Vudirlic 67, 36, Vuad 72,25, Viianda 53,9; 54,4,13,16; 55,13; 56, 11;
58, 4, 17; 60, 6; 61, 3, 7; 62, 4; 63, 4; 65, 10; 68, 8, 10, 27, 34, 36;
70, 5, 10, 15, 22; 71, 12; 72, 3, 4,21, 27, Vuahson 11,1, Vuesan
71, 16, Vuerlhe 68, 23, 26, Vui 65, 12, VuUlico 53, 8, Vuirp 54, 23,
Vno 61, 4, Viiumin 55, 7; weiter findet man noch v: ovirmiiodi 58, 13,
gai-i 60, 6, gidruovis 64, 8, vns, vnsig 66, 2, vnser 66, 7, vns vnsero
()7, 20, vnera 68, 20, vnrehta 72, 3. In den Gl. Lips. steht am anfang
des Wortes stets V, Vu (nur U: Urkimdun 750), im inlaut u und un.
In Ep. am anfang V, VV oder Vu, im inlaut u, uu; nur mit vv:
hivrie, hescedicvit, gaienvverde, -vveierde, getuvviiig, horvve, nenvvüd,
staßivert, tliuvve, thuvvon und thiuvvon.
G^ll. Lips.
1. ahulgl. wie H. und Tack, Ep. ahalgi, v. H. wie 2,5 od. 13 abuJge
('nicht (ijjulgl, wie Heyne las").
5. afiirthinsiiuli wie Tack, afler- C. und v. H., Ep. afintlnuisuiidi,
7(1, 13 aflritliinsinde.
8. ahtldon (persecuti), Ep. persecuti sunt, v. IL '•su}U fehlt'.
14. aiiastmulüt , v. H. Ep. 3, 1 -unt.
26. anlucce. v. H. ändert in antlucce nach dem text 1, 4, aber
<lei- toxt hat anlucce, vgl. oben I, 4.
31. In hs. antheban (prohibebo) wie v. H., vgl. Kern.
57. annimendelikon , v. H. wie H. -en (intolerabilem); v. H. ändert
in an iinendeliken nach einer Variante immensam und meint, dass
Ilolthausens unannemendeliken (PBß. 10, 576) sich in formeller hinsieht
:!0 GOMBAUI.T
nicht rechtfertigen htsse. Hier wäre eine nähere begründung gewünscht
gewesen. Ks scheint mir noch innner möglich, vgl. ii>iarmio)iüntdiUhe
(unvermutet) Par. Prurl, {u)il)eii)uHa}idlondelik (nnveränderlich) J's. ])r.,
ahd. ungitholenlMh (intolerabilis), unirfaranilih (impenetrahilis) ii. a.
95. beluken (conclndere) 30. v. H. ändert in behike jni nach 30, 9
(conclnsisti). Ep. hat helucon (conchiserunt aus 16.10): es ist m. e.
mügUch, dass concli(dcre steht für concliisere nnd der glossator 30 ge-
schrieben hat statt 16 (vgl. für die Schreibung 3 statt 1, Gl. 779).
97. betlntdon absconderunt, Ep. hethadon , alibi hehaton (nicht,
wie v. H.., alibi hethaion). v. H. ändert mit H. in hethnchton. 'abscon-
dere' wiril anderswo übersetzt durch hehelan, henjan oder gehercja/t,
während hetheccan durch operire oder contegei'e widergegeben wird.
Kern sieht hier einen unterschied im Wortschatz zwischen pss. 1 — 9
und den folgenden. Ich möchte hier ändern in hehälou (wie Gl. 77),
worauf die form hehaton in Ep. auch hinweist, vgl. u od. n für a: sin
LIV, 24, himiln 18,1 und a für ?/ oder n: iuc/iade 70,5, ariieildat 36,
halon 58, bra 119, nuanda 764, / für d: scounnola 53, 9, // für ilr.
forhfou 72,7; 225, frihof 253.
102. heuuoUen id. uart (interfecta) wie H., v. H. beuuoUau uuarl,
Ep. bhmoUon (infecta).
127. bnokcstaf, Ep. hwhesiaf, 70, 15 bnohcstaf; v. H. ändert in
buochstaf.
148. criedon (cognoverunt). v. H. ändert in eufdoii mit Holt-
hausen. 'cognoscere' wird stets durch ke/ittan, bikennan oder anl-
ke/nian übersetzt; möglich, dass candü)i (r für n, k, a und ie oder ii
für )i) gelesen werden muss, vgl. vrderschid 820, tliierof 2,11.
159. dnihten, Ep. druhtin.
173. ebrenlari wie H., v. H. hat ebenlari: 'wegen Holtliausens
ebrengari ist zu beachten, dass in der hs. zwischen b und e ein durch-
stricheues o zu stehen scheint, keinenfalls aber ein r\
181. echt, Ep. eht.
192. cllendiga aduenä, aduenas, Ep. ellendiga aduenam.
193. elelendig incola. v. H. ändert in eine Variante odnena, aber
incola kommt auch als fremdling vor z. b. bei Cicero.
206. euim, vgl. oben I, 2.
228. fnrtmellüt prophanauerunt, -rint, vgl. oben LXX, 20.
234. fehton proelium 138, 143. v. H. hat in den text nui' ein-
getragen 143,1. Für 138 muss 139(3) gelesen werden (proolia), vgl.
167, 172 u. a.
DIK FRANKISCHKX rSAI.MKNI'RAClMKNTF,
2()0 u. 2(31. freison interitionibus, interitu, v. H. f raison interitii,
Kp. frci.so/i iDtcritii et interitionibus, alibi froison.
263. friJiof atriuni 27. Die belegstelle kann v. II. nicht ausfindig
Miaoiien: 'in dem in der hs. angegebenen Fs. 27 begegnet kein alrümi
und dem von Heyne angesetzten i)i atrio 28, 2 kann frihof nicht ent-
sprechen'. In 27, 2 steht ad templion sanctinii. das ni. e. das loiunia
für fnthof war, aber der glossator hat templum geändert in atrium
nach dem folgenden atria, vgl. 449.
275. fnorUda (pauit); v. H. ändert in fiiotrlda und meint, dass
Holthausens fuodida sich in graphischer hinsieht nicht empfehle. Aber
r kommt statt ü vor und et ist sehr leicht als d zu lesen (vgl. v. H.'s
bcmerkuug bei 97: 'aus c und dem ersten schaff von h wurde d ver-
lesen').
286. (jehalton\ die form (jebalthon in Ep., von v. H, nicht beige-
bracht, deutet auf verschreibung von / für ih od. ///, vgl. unten zu 703.
305. (jdhiore^ v. H. gclicofe.
323. gequickeda (uiuiticet). v. H. setzt ein nicht überliefertes riui-
ficauii an. Möglich ist, dass der glossator hier ein praes. durch ein
deutsches praet. übersetzt hat, vgl. ^>vw/o« (olongaut) 72, 27 undLXX, 20.
325. (/erchlo (forte); v, H, ändert in rite, denn gerchtu könnte
schworlicli lat. forte entsprechen, vgl. aber mit Kern mhd. bilUchfc).
336. (jeruuii, so auch Ep. ; v. H. meint: 'der fehler rührt offenbar
vom Schreiber der glossenhs. her, den die voranstehenden formen mit
genm- irreführten' — in Ep. steht gernuit nach geheridcs.
350. te geuuanne; zu ändern mit Steinm. in Ic gethiaunc: die
oberen schaffe von th waren in der vorläge undeutlich.
351. deutlich gc?(uerthe, Ep. 1, () und v. H. gencrtlic.
354. geuualtit für geq/iahl/t, vgl. auch 2,7 cmacc für fpiai cc.'^
357. gcuucinoda mi (educauit); v. H. ändert in gcmtoda. Mit
Ilohhausen und Steinm. wol zu lesen als gcaucitlioda, vgl. 350.
371. gcnithcrit in (cxinanite); v. H. ändert in gcnicuiiitJiit, vgl.
mit Kern Diefenbachs Gloss. s. 217.
382. gier Uli sal; v. H. ändert in gicrnait sal, 'denkbar wäre auch
-Kcn oder -aoii bez. -uun\ In Ep. steht giernuu; also soll angesetzt
werden gierinin.
381. giltcila so auch E[).; 55,12 gelicH<i\ v. IL ändert in gchcifa.
392. aucii Ep. hat glidcri, vgl. note bei v. II. zu 392.
398. gailike, corrigiert in hs. aus gnolikheidc, vgl. v. II. zu 39S.
h K|p. in vuce sucnot (Cüagiüaliisj •viele ijcqual/it'.
38 GOMRAUI.T
403. haheda (obtinuerunt). v. H. nimmt eino Variante ohiinuit
an, aber leicht möglich ist es, dass hier gelesen werden muss habedö,
vgl. a für o: hlasina 118, ouita 556, und o für a: nuando 68, 36, be-
ceignedo 67, bolalico 124, restido 581.
423. heribergo (castrorum); v. H. ändert in hrribcryon^ aber sing.
kann bleiben (Steinm.).
440. Auch Bp. hat behoscodon.
460. irferron (obstupefacies) ohne sali, in Ep. mit ml (in der vor-
läge wahrscheinlich saltu). Die änderung in irfirrou und die annähme
einer Variante deduccs befriedigt nicht; zu ändern in irfcron^ vgl. Teuth.
ervären, ervcren und mit Kern ae. afcp-ran.
465. irrol (commouebitur), 466 irrnort mierthe (commouear), 467
irrot Kuciilian (mouebor), 468 roduuerthait (mouebitur) bringt v. H. zu
verschiedenen stammen, irrot 465, 467 und rod 468 zu *irrohrn (zu
an. röffa 'heben'). Aber rod^ das v. H. ändert in irrod, lässt sich leicht
in irrort ändern, vgl. oben 275, und irrot kann sich verhalten zu irrört
wie forJifrior, frihof sich verhalten zu forthfuor, frithof oder nndi-
tkudiija zu iindirtJmdiga.
482. lief und 485 lef, vgl. LXXII, 9.
501. inegincrefti, über p steht ein /V also zu lesen /"; auch Ep.
megincrcfti^ v. H. -crepfti.
545. nortitaliion kann gen. sg. sein (Steinm.).
551. öginon (ostendit); v. H. ändert in ogiiiot. Möglicherweise hat
der glossator ostendet statt -it gelesen.
569. rntut wie C, der Schnörkel über dem /< hat viel vom c oder
0, Ep. ratuot^ v. H. '^ ratet ^ nicht ratut, Avic C. las'.
571. reidiimagon, vgl. oben LXVII, 18.
582. ruecont (fumigabunt) 143, über dem c steht der Schnörkel
für das u^ Ep. ruecont, v. H. rrecont, 'über dem c steht noch ein rät-
selhaftes zeichen', v. H. setzt an famigant 103, 32. fuDiigabunt ist
hier wol durch praesens widergegeben, vgl. oben LXI, 11.
594. san oder hcui.
597. saniniing, so auch Ep., (in) sinagoga. v. II. ändert in min-
niingun, aber -e ist auch möglich (a-stamm), vgl. alid. .sninn/ü/g.
601. scachon (pudore); v. H. ändert in scaniithon; mit Holthausen
und Steinm. in scamon zu ändern.
602. scaphon. (ouili); v. H. ändert mit IL in scäphfise^ das zu alul.
scäfhüs stimmen würde, Holthausen zieht Imrt hci'an, das aber nur in
der bedeutung cratis belegt ist (v. H.), Cosyn Jionc^ doch wäre für
niE 1 nÄNKisrnEN tsalmenfuagmentk 39
sccqjhonc als niederfr. form scäphunke anzusetzen (v. H.). In gia-
phischor bcziehung scheint mir scäpkoiiun besser, vgi. nl, srhm/ps-,
.scf/apcjikoo/, mnl. co/iirc, mhd. kouwe, köiace, mlat. cavia, cavca und
houuue 71, 16.
t)16. seedeuHon (obumbrabit), Ep. scecletmoii sal.
617. smatio (cito); v. H. iindert in scliumo, aber siiut))to ist auch
inöglicli.
650. stoHunyon, 655 stounuinyoti , Ep. nur stouniiKjüit.
664. 'nach 67 steht nocii vide gequalhit (vgl. 354)', in Ep. vide
gequallit, vgl. oben 354.
667. deutlich sinerenne, so auch Ep., v. H. -eiuic od. -eutie.
703. thurtJnc so auch Ep. v. H. ändert in tkurtich, denn 'mit
rücksicht auf 704 {thnriegin egeno) ist nicht in thurhtiy sondern in
eine form mit syncopiertem f zu ändern'. Man kann nutürlich ebenso
gut das h von tliurthic behalten und das t von tlnirtcgin in th ändern,
vgl. / für th: tu 59,5; 64,10, aruH 65,11, ensetUc 211, farliel 56,2;
228. fortgangande 18,5, gehortoir 297, geuuerie 355, }ioimntoh 67,22,
ripeton 584, scethu 610, andetringoid 817.^
706. tliurue propter (5). Vor thurne steht auf derselben linie
Ihdituc; es ist daher möglich, dass tkurue sein ne von thauiic über-
nommen hat.
724. trilou (fimbriis); v. H. ändert in tretkilon (zu ahd. tirldö).
IhrädiloiL oder ihrcdilon ist m. e. auch möglich: tkrä oder ihre kann aus-
gefallen und (Z als tr gelesen sein, vgl. ti für d uueldait- 63,3, n für ti
gi/twda 372.
733. reucrentimn braucht nicht in eine Variante ignominiam ge-
ändert zu werden (Stein m.).
736. undithudiga , so auch 59, 10. Ep. hat hier die gute form
tDidirtlnidiga (von v. H. nicht beigebracht).
770. uneUnio (für Hucl/kcmo) 'singulos'; diclesart des V. kann
bleiben (Steinm.)
774. iiHcrildi kann dat. ^sg. sein, vgl. 775 naeroUi (Steinm.).
776. luieron (fucro). Natürlich kann hier iincroH, 1 sg. praes.
sein als Übersetzung des fut. cxact., aber es ist wahrscheinlicher, dass
hier sdl weggefallen ist.
\) Audi in alten iiicdcrd. cigeniiainon kommt öfters t statt th vur, z. b. in Weid.
Hell. 1, !.")■• Latamiähon, ü8'' Wiltorjic^ in Egmond Cart. z. b. O/irrlc/a nebon Lcijt/ien,
Al(i>rp neben Ahlcidlturpc, vgl. J. JI. Gallöc, VoistudicM zu (Miieni allnied. würtei-
buclic s. X.
10 KÖNIG
784. vuirscapondis exultautis, Ep. vvirscapandis epiilantis (nicht
von V. H. beigebracht).
798. vuitute (nicht 21I-) lex 323, Ep. vvitnle (lege), v. H. uitntc
lege) und fügt dazu, dass 323 zu 797 steht.
799. Ep. VVihitdra(/kere, nicht UUultutdrcKjhcrc. Mit rücksicht
auf die anderen formen mit t wird Wül nicht uuittnt- in der vorläge
gestanden haben, sondern die form uiiUnt- der Ep.
A.MSTEEDAM. W. F. GO.AlüAUi.T.
PAMPHILUS GENCtENBACH ALS VERFASSER DER
TOTENFRESSER UND DER NOVELLA.^
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K. Stehlin, Regesten zur geschichte des Baseler buchdrucks. Archiv für geschichte
des deutschen buchhandels. Band 12.
F. Zarnckc, Sebastian Brants Narrensehiff. Tjei[»zig 1854.
1) Die anregung zu der vorliegendou arbeit habe ich von meinem verehrten
lehrer, herrn prof. dr. l'h. Sti'auch, erhalten. Dafür sowie für die teilnähme, mit
der er mich bei der ausarbcitung unterstützt hat, werde ich mich ihm stets zu danke
verpflichtet fühlen. Auch drängt es mich allen den herreu, die mir bei der abfassung
tätiges intercssc entgegengebracht haben, vor allem herru dr. Saran zu Halle, herrn
prof. dr. John Meier und herrn Staatsarchivar di. A\\ackeruagel zu Basel noch einmal
aufrichtigen dank zu sagen.
TAMPHILUS GENGENBACH 43
Eiiileituiig'. >j2
Eigenartig ist das Schicksal des dichters und druckers Pamphiliis
Gongenbach. Seine Fastnachtsspiele hatten bei ihrem erscheinen einen
grossen erfolg, von dem zahlreiche aufführimgen und spätere drucke
künde geben. Aber schon im anfang des 1.7. Jahrhunderts kennt man
ihn kaum noch und in den wirren des 30jährigen krieges versinkt auch
er, wie die ganze litteratur seiner zeit, in dunkle Vergessenheit. Lange
hat er so geschlummert, bis man nach den gewaltigen geistigen be-
wegungen, welche die klassiker der zweiten blütezeit hervorriefen,
auch wider müsse fand den kleineren geistern vergangener jaiirhundcrte
das Interesse zu widmen, das sie verdienen. Gengenbachs andenken
belebte Goedeke durch eine ausgäbe seiner dichtungen 1856, imd seit-
dem hat sich die forschung öfter auch mit ilun beschäftigt. Xach eigner
angäbe hatte Goedeke einige sicher nicht von Gengenbach herrührende
gedichte aufgenommen, dazu andere, bei denen er Gengenbach als
autor nur vermutete. Auf der Goedekischen ansieht fusst Bartsch in
seinem artikel über Gengenbach in der Allgem. deutschen biographie,
dagegen erwähnt Gervinus 2'\ G04 die Novella nicht unter Gengenbaciis
werken, betont aber im übrigen die reformatorische tendenz Gengen-
bachs durchaus: ..Gengenbach erscheint in seiner polemik gegen papst
bez. Rom als ein Vorläufer Luth.ers, als ein mann der reformation",
Baechtold, der in seiner Geschichte der deutschen litteratur in der
Schweiz Gengenbacii einen längeren abschnitt widmet, geht Aveiter und
spricht ihm ausser der Xovella aucli die prosaischen Schriften roforma-
torischen Inhalts ab, hält ihn aber wie Gervinus für den Verfasser der
Totenfresser, mit denen Gengenbach ..von der deutlichen, wenn auch
massvollen polemik gegen papst und kicrus'' zu den gegncrn Roms
offen übergeht (s. 281). Neuerdings hat nun S. Singer in einem auf-
satze, betitelt: ,, Die werke des Pamphilus Gengenbach" (Zs.f.d.a. 45, 153),
dem dichter auch das letzte werk reformatorischer tendenz, die Toten-
tresser, und damit jede Parteinahme für Luthers werk abgesprochen.
So ist aus dem „vorlauter Luthers" ein für reformatorischc ideen nicht
sonderlich interessierter fastnacütsspieldichter geworden.
Singers ausführungen nun haben mir golcgenheit gegeben auf die
frage nach der Stellung Gengenbachs zur reformation, 'speciell narli
seinem Verhältnis zu den beiden reformationssatiren Totenfresscr (T)i
\) "Was (Jas veiliälluis zu Manuels S[»ioI anlangt, so kann darüber wol kein
zweifei sein, dass ihinuel durch das bei ('>. gedruckte werk zu seiner Satire veranlasst
wurde. Vgl. A. Kaiser, Die fastnaelilspiele von der actio de spunsu, s. i)8 und Vetter,
Beitr. 29, 116.
40
.ifl Novella (Na) näher einzugehen. In dem bestreben nämlich den
wahren Verfasser der beiden genannten gedichte zu ermitteln, wurde
ich darauf geführt, die frage nach der möglichkeit der Verfasserschaft
Gengenbachs noch einmal zu prüfön. Denn es konnte niemand ein
grösseres interesse als gerade Gengenbach an der abfassung einer er-
Aviderung auf Murners Grossen lutherischen narren haben. Er hatte die
XV bundsgeuossen des Johann Eberlin von Günzburg gedruckt, gegen
die Murner seine geistreiche satire schrieb. Da Eberlin aus sprach-
lichen gründen nicht in betracht kommt, so musste in der tat Gengen-
bach am meisten an einer Widerlegung Murners liegen. Da nun Singer
für T und Na einen Verfasser vermutete, so zog ich auch T^ mit in
die Untersuchung. Ich werde also im folgenden darzulegen suchen, ob
G. nicht der Verfasser der beiden w^erke sein kann, und gebe deshalb
zunächst ein bild von seiner persönlichkeit, um dann seine gedichte
mit T und Na auf spräche, syntax, stil und mctrik zu vergleichen.
Der Untersuchung lege ich die sicher Gengenbachschen werke zu gründe.
Es sind:
1. Der welsch Fluss (w.F) und seine fortsct/ung bei Friebsch (Fr)
s. 263 (vgl. Zeitschrift 29, STfgg.), dazu das im Anz. f. k. d. d.vorz. 1859,
s. 127 von Bube mitgeteilte gedieht- (Bocksp. I).
2. Der Buudtschu (B) 1514.
3. Die X Alter (xAlt.) 1515.
4. Der Nollhart (N) 1516.
5. Tod, Teufel und Engel (TTE) 1517.
6. Fünf Juden (Jud.).
7. Lied von Carolo erweiter römscher küng(C Liliencron 3,234) 1519.
8. Der Buler Gouchmat (G) zwischen 1521—24.
9. Practica Grundr. (Goedeke) 2, 148 (weil prosaisch jedoch weniger
zu verwerten).
1) Sckou Baechlüld Latte in seiner ausgäbe des Nik. Manuel s. OXXXV darauf
hingewiesen, dass der von Goedeke mitgeteilte tcxt der Totenfresser nicht auf dem
originaldruek herulien könne. Ich I>enutzte einen -oJ'fcnhar älteren auf der kgl. hof-
und Staatsbibliothek zu Münclien bclindlichen druck. Abgesehen von einigen «iieciell
süddeutschen orthographischen eigentümlichkeiten (« für e s. unten) stellt er vor allem
einen druckfehler des Goedekischen textes, der für die frage der Verfasserschaft nicht
unwichtig ist, richtig, .s. unten. — Sign. 4" Po. germ. 228/41 Klag. 4 blätter am
schluss P. G.
2) Bocksiiiol 11 u. a. 0. s. 105 kontite, obwol vieles für Gengenbach «[nicht, nicht
verwertet werden, weil nicht sicher genug bezeugt. Merkwürdig ist bei Bocksp. I
die sonst nicht belegte i'oi'in „ i'ainphilius-'.
FAMrillLUS GENGKNBACH 48
Dazu stelle ich noch 10. Der alt Eydgenoss (a. E), einmal wogen
der überoinstimniiing, mit der man das gedieht Gengenbach zuschreibt,
sodann wegen einer reihe auffälliger parallelen zwischen a. E und dem
sicher Gengeiibachschen Xollhart, die ich im folgenden aufführe. Es
entspricht N 1 106 : a.E 49; N 1108 : a.E 46; N 1109 : a.E 71 : N 1 1 16 :
a.E41; NU 10: a.E 52; i\M120 : a.E 36; X 1188: a.E 94; N 1194: a.E
92: X 1213: a.E 37: X 1215: a.E 38; N 1216: a.E 98; X 1228 : a.E 205.
Capitel L
Pas leben des Painpliiliis fieiiffenbaoli.
Die drucke (iengenbachs sowie seine spräche weisen nach Basel.
Ob er aber auch aus Basel stammte, ist eine andere, von (iocdeko nicht
mit bestimmtheit beantwortete frage. Darüber hatte man lange keine
sicheren aufschlüsse gewinnen können und deshalb mit Goedeke Basel
auch für die heimat des dichters angesehen. Erst Baechtold gelang es
auf grund eines von dem Nürnberger buchdrucker Koberger an seinen
Baseler berufsgenossen Johann Amerbach gerichteten briefes Xürnberg
als heimat Gengenbachs Avahrscheinlich zu machen. In dem genannten
schreiben nämlich findet sich der folgende satz: .^T.aiyer discs briefes
beklagt sich, ivie im schuldig sei einer, heisst Panfidus, ist ein set.\er
irol/et i>n bcholfcn sein, das er bexalt werde}'' ^
Diese beobachtung zusammen mit der tatsache, dass Gcugenbach
im jähre 1511 in Basel das bürgerrecht erwirbt, und mit der anderen,
dass er meisterlieder gedichtet hat, könnten für seine Nürnberger her-
kunft sprechen und so nimmt es denn auch Singer a.a.O. s. 155 nach
dem Vorgang Baechtolds an. Dennoch möchte ich sie bezweifeln. "Wie
ich im weiteren verlauf meiner arbeit nachweisen zu können hoffe, weist
sprachlich nichts unbedingt nach Nürnberg, alles dagegen nach Basel.
Diese tatsache, die auch Singer nicht entgangen ist-, war für mich so
schwerwiegend, dass ich mich nach der möglichkeit einer crklärung des
briefes Kobergers fragte auch .unter der Voraussetzung, dass Gengen-
bach aus Basel stamme. Andere bedenken kamen hinzu. Zwar klingt
in Gengenbachs dichtuugen wol hie und da eine deutsche (besser anti-
französische) gesinnung durch, im mittelpunkt des Interesses aber steht
ddch stets der 'Eydgnoss'. Wenn der dichter in seinen politischen licdern
1) Dciechtoltl, Schweiz. liUor. s. 274.
-) „Wir seilen also, dass der Nüruburger Imclidriicker sich iliu spräche seiner
neuen heimat in sehr vollkommener weise zu eigen gemacht hat."
44 KÖNIG
auf ilm zu sprechen kommt, wird er erst recht Avarm. Am stärksten
tritt das im Alt Eydgnossi (Goedeke 12fgg. 436fg. 548fg-g.) hervor.
Hier ermahnt der alte eidgenoss, den der dichter zum dolmetscher
seiner eigenen anschauungen macht, seine jüngeren landsleute zur
jückkehr zum schlichten, frommen, häuslichen leben der vorfahren,
indem er ihnen in färben, denen man die lebhafte sorge um das
wohl der ermahnten ansieht, ein bild von der väter treiben malt.
Ist CS nun wahrscheinlich, dass Gengenbach es als eingewanderter, als
ausländer gewagt haben sollte, seinen neuen landsleuten ein politisches
Sündenregister aufzustellen, auf das leben der vorfahren, das er ja gar
nicht kennen konnte, hinzuweisen? Konnte er sich, zumal bei der be-
kannten empfindlichkeit der Baseler gegenüber ausländischen einflüssen,
auch nur den allergeringsten erfolg versprechen? Zudem spricht aus
dem ganzen gedieht eine so warme anteilnahme an dem ergehen der
eidgenossen, der dichter malt das leben der väter {unser furdercn
a. E 7) mit so viel liebe und wärme, wie sie nur einer empfinden konnte,
dem die stadt Basel mehr als adoptivheimat, dem sie Vaterstadt und
Vaterland war^.
Aber der brief Kobergers! Er ist nicht weniger verständlich, wenn
Pamphilus Gengenbach auf der Wanderschaft vorübergehend in Nürn-
berg gearbeitet und bei der rückkehr nach Basel gewisse Verpflichtungen
nicht erfüllt hatte. Denn nicht nur jener brief Kobergers weiss davon
zu erzählen, noch im jähre 1505 findet sich im ' vergichtbuch der meh-
reren Stadt (Grossbasel)' folgender eintrag:
Ilfüins Brttnit, der amtmann, vermittelt einen vergleich zwischen
..Fanvalus Gengoibacli , dem Trucker gesellen und Krharlen Honig ron
Xnrrenbcrg'', betreffend 8 gülden, welche Gengenbach der mutter Er-
härtens schuldig ist^.
AVarum Avandte sich jener von Koberger erwähnte gläubiger und
die mutter jenes Honig nicht an die angehörigen Gengenbachs in Nürn-
berg, wenn er doch von dort stammte? Gerade die letzte schuld machte
nicht unwahrscheinlich, dass Gengenbach nur vorübergehend in Nürn-
berg war und vielleicht bei der mutter Honigs wohnte.
Es ])lcibt der kauf des bürgerrechts. Dieser einwand will wenig
besagen, da Gengenbachs vater höriger gewesen sein könnte, während er
selbst das bürgerrecht erworben hätte. Dass dem so ist, lässt sich zeigen.
1) S. unten.
2) Vgl. dazu auch Creizenach, Geschidite d. neuer, drani. 3, 239 fg.
3j ötehlin, Kegeston s. 21. nr. 1719.
I'AMPHILUS GENGF.NBACH 45
Das gesclilecht Gengenbach ist in Basel seit langem ansässig ^ Es
ist nicht, wie Ooedeke s. TX sagt, „schon in der mitte des vorigon (18.)
jahrhundevts ausgestoiben'', sondern existiert noch heute und stannnt
vielleicht aus dem Städtchen Gengenbach an der Einzig bei Oftenburg.
Eine einwanderung von dort nach Basel scheint um die zeit unseres
dichters stattgefunden zu haben, wenigstens wird im 'urteilsbuch der
mehrei-en stadt' von 1521 eine Katherine Kellerin von Gengenbach er-
wähnt. Um die wende des lö./lG. Jahrhunderts ist der name Gengen-
bach in Basel ziemlich häufig zu belegen'-.
Es erübrigt noch einen Ulrich Gengenbach zu nennen''. Diesen
Ulrich Gengenbach möchte ich für den vater unseres Pamphilus halten.
1) Baseler bürgerlnich : Gengeubach oin alt geschleclit unbekannter herkiint't.
2) Den von Baechtold (anm. s. 61)) für das jähr ]ö3.") aufgestellten stanimbauni
dei' faniilie Gengenbach habe ich nach den acten der Saffianzunft und der universitäts-
inatrikeln vervollständigen können.
Schon 1469 erscheint Ludwig Gengenbach „der apotheker" al.s Baseler bürger
(Baseler bürgerbuch). Jeuer ältere von Baechtold genannte Chrysostonius wird 1500
niitgliod der Saffranzunft, ist mitglied des grossen rats, stirbt 1526. 1509 lässt er
den zunftbrief seines ,, sohnes Ludwig des apothekers" erneuern. Die widerkehr des
namens Ludwig beim enkel und der gleiche beruf lassen mit Sicherheit vermuten,
dass dei' erste um 1469 belegte Ludwig Geugenbach der vater des älteren Chrj'sostomus
ist. Danach lässt sich Baechtolds Stammbaum in folgender weise veivollständigeii :
Ludwig der apotheker 14(39
Chrysostonius der apotheker (f 1526)
\
I I I I I
Ludwig der apothekei' Chrysostonius Zacharias Adrian Baptista
1519 mitglied der Saffianzuuft der apotheker
Ausserdem wies Goedeke s. X, anm. 2 nacii Athenae Raurieac einen Johann
[Matth.] de Geugenbach nach: J. d. 0. arthim liberaliuni mayister, sanctae thenlo(fiitr
hof'calniireus et juris pontiliei interpres, dlvinae poi'ticae fuit Ordinarius, nee non
academiae rector a. 14S1. Des weiteren sind nach dem Baseler bürgerbuch noch zu
nennen: 1. Christian Gengenbach y 1529 als mitglied des kleinen., 2. Balthasar f 1539
als mitglied des grossen rates. Das verwandtschaftÜGhe Verhältnis dieser drei per.sonen
zu den im Stammbaum aufgeführten mit Sicherheit festzustellen, ist mir nicht gelungen.
3) Von ihm wissen die Stehlinschen regesten folgendes zu berichten: Am
10. februar 1480 liegt Michel "Wenssler. der huchdrucker, in einer iujurionklage mit
seinem „diener" (d. i. gesellen) Ulrich von Gengenbach. Michel Wenssler wird ver-
urteilt siebenfache busse zu zalilen (Stehlin bd. 11 des Archivs für geschiciite des
deutschen buchhandels nr. 124, s. 28). Aber er macht Schwierigkeiten, es kommt am
13.märz desselben jahres zu einer neuen klage: Michel Wenssler wird verurteilt 60 pfund
Baseler pfennige zu zahlen (ib. nr. 133, s. 29). Wahrscheinlich um dieselbe schuld wird
es sich handeln, wenn in demselben jähre 1 180 Ulrich von Gengenbach, der buclidrucker,
an Anna Kessleriu, seine ehefrau, vollmacht gibt, seine guthaben au meister Michel
Wenssler, wenn dieselben verfallen sein werden, einzuziehen (ib. nr. 136, s. 30).
:
46 KÖMO
Dafür spricht der gleiche beruf, das alter des dichters würde da/,ii
stimmen, und endlich würde damit auch die tatsache seines bürger-
rechtskaufes ihre erkläruug finden. Jener Ulrich Gengenbach wird nie
als bürger bezeichnet, dagegen einmal Ulrich von Gengenbach genannt.
Jedesfalls war er aus Gengenbach nach Basel eingewandert, hatte aber
selbst das bürgerrecht nicht erworben, erst sein söhn Pamphilus kauft
es. Ob zwischen jener obengenannten apothekerfamilie und den beiden
letztgenannten Gengenbach irgend welche Verwandtschaft besteht, worauf
die Seltenheit der namen Pamphilus und Chrj^sostomus führen könnte
(ich habe sie in den Baseler acten zwischen 1500—1525 nicht wider
gefunden) und wie es auch Baechtold (anm. s. 69) trotz seiner annähme
von der Nürnberger herkunft des dichters als sicher hinstellt, war trotz
eifriger nachforschung nicht zu ermitteln. Soviel jedoch scheint sicher,
dass Ulrich Gengenbach und unser dichter zusammengehören.
Ich nehme an, dass Pamphilus Gengenbach als söhn des buch-
druckers Ulrich Gengenbach und seiner ehefrau Anna Kessleriu um
1480 in Basel geboren ist. Er erlernt das gewerbe seines vaters, gelit
dann auf die Wanderschaft und kommt dabei auch nach Nürnberg. Der
brief Kobergers wirft auf seinen aufenthalt in dieser stadt ein nicht
gerade günstiges licht, ebenso jene Schuldforderung, die E^rhart Honig
geltend macht. Auch dieser kommt Pamphilus noch nicht nach, so
lässt ihn denn der gläubiger am 19. märz 1505 in arrest legend Er
scheint in seiner Jugend eine leicht erregbare, hitzige nnd etwas leicht-
sinnige natur gewesen zu sein, und wir können uns nicht wundern,
wenn wir unter dem 24. juli 1507 von einer neuen berührung mit den
gerichten lesen: Cunrat Koch von Bioburen, Panfulus Gengenbach und
Adam Howenschilt, alle drei truckergesellen, schwören Hannsen Werker
wegen der Verwundung, so ihm zu dem Achstein begegnet ist, gerecht
zu werden und nicht aus der stadt zu weichen, bevor sie dem urteil
nachgekommen sind -.
Goedeke vermutet, Gengenbach habe wegen seiner genauen kenntnis
der begebenheiten als landsknecht an den französisch -italienischen kriegen,
wie sie nach dem tode Karls VIII. (f 7. april 1498) ausbrachen, teil-
genommen, vgl, z. b. die gedieh te Der welsch tlusz und Die schlacht
an der Adda^. Dagegen dürfen avoI psychologische gründe geltend ge-
1) Stehlin s. 21, nr. 1718; Baechtold, anm. s. 68.
2) Stehlin s. 30, nr. 1778; Baechtold, ebenda.
3) Das letztgenannte gedieht wird Gengeulxach von Singer a. a. o. abgesprochen
auf grund von reinifreiheiten, die sich Gengeubacli nicht gestattet haben soll. Diese
begründung halte ich nicht für ausreichend, da dem subjectiven empilnden liier zuviel
i'AMPHIT.US QKNaR>JBAOH 47
macht wordon. Donn gerade^ riengonbacli eiiint ganz besonders lebliaft
gegen das reislauten seiner Schweizer hmdsleute. Man vergleiche nur
stellen wie alt Eydgnoss 34. 73. 82. 91. 300. 365; Noilhart 1251 fgg.
Freilich es steckt etwas vom landsknecht in ihm; wir sahen schon wie
ihn sein heisses blut nebst einigen borufsgcnossen in contlict mit den
gerichten gebracht hatte. Etwas ähnliches lesen wir auch unter dem
27. mal 1500 im urteilsbuch: Es erscheinen vor gericht die 'ehrsamen,
wol bescheidenen' Nicolaus Lamparter, der buchdrucker und Pamphilus
Geugenbacli, auch der trucker, bürgere zu Basel (Gengenbach kauft das
bürgerrecht erst 2 jähre später). Lamparter klagt gegen „friden und
frevel", Gengenbach habe ihn in seinem hause beleidigt. Das gericht
erkennt: beide teile sollen ihre beweise bringen. Lamparter beruft sich
auf das Zeugnis des ehrsamen Joliann Beliem, buchfiirer zu Veltkircli
und erhält vom gericht behufs einholung der aussage desselben eine
Urkunde über das obige urteilt
Um diese zeit wird Gengenbach auch selbständig geworden sein,
wenigstens wird er von jetzt an nie mehr als geselle, sondern innner
als buchdrucker bezeichnet. 1509 tritt er als bürge für eine schuld
eines seiner ,, truckergeselleu", Johann Schotts, auf'-. Li dasselbe jähr
fällt seine Verheiratung mit Enele Renkin. Zeugen dabei sind junkher
Velti Murer und der bekannte drucker Michel Furter, bürgere zu Basel.
Den ehesteuerbrief lassen die gatten 10 jähre später erneuern-'. Nach-
dem er dann 1511 auch das bürgerrecht erworben \ scheint für
l'amphilus eine ruhigere' zeit anzubrechen, die berührungen mit dem
gericht sind jetzt nicht mehr so verfänglicher art. Am 29. Januar 1511
sollen Pamphilus und seine ehefrau einen ihnen verpfändeten mantel
auslösen''. Aus dem früheren Schuldner ist also jetzt ein gläubiger ge-
worden. Dafür auch noch die folgenden Urkunden. Am 17. raai 1511
vorspricht Michel Furter, der buchdrucker, Pamphilus Gengenbach
8 gülden zu bezahlen''', desgleichen am 1. September Nicolaus Lam-
parter, der buchdrucker, gemäss ergangenem urteil Panfulus dem trucker
überlassen bleibt. Zu dem wäre die Sclilaclit a. d. Adda das älteste Gengenbachsche
gedieht, in dem eine grössere zaiil ungenauer reime selion verstiindlieli wäre. Tmnier
Iiin möolite auch ich aus den oben genannten gründen riengenbach nicht für den
Verfasser halten.
1) Stehlin s. 41 , nr. 1847.
2) ebenda nr. 1849.
3) ebenda s. 78, nr. 201)2.
4) Baeclitold anm. s. ü8.
.')) Stehlin s. 44, nr. 1870; Baeclitold ebenda,
ü) ebenda 8.4"), nr. 187:").
48 KÖNIG
in monatsfrist By., pfnnd färb zu g'obon^ ebenso am 9. jnniinr IHIO
Caromellis (bekannter Baseler apotheker) „3 duggateu"'-. Am 19. oc-
tober 1511 leistet er bürgschaft dafiir, dass meister Hanns Suter, caplan
des hohen Stiftes, einige leute von Mulberg, welche ihm kornzins
schuldig sind, nicht zu onpüHch.en cos/e?? bringen werde 2. Seit ] 508/9
besitzt er seine eigene officin. Daneben hat er auch einen la<lon im
hause zum roten kleinen löwen in der freien Strasse (nr. 31) neben
dem zunfthaus zum himmel. 1513 hatte er dieses haus von dem ])o-
kannten Thomas Schwarz für 00 gülden bei barzahlung gekauft^. Ein
streit mit einem angestellten führt ihn am 24. october 1519 wider vor
gericht. Er klagt gegen Melchior Leider. Er habe demselben ein werk
zu drucken verdingt, derselbe sei ihm aber aus dem verding und zu
einem andern herrn gegangen. Er schiebt demselben den eid darüber
zu, dass er ihm dies zugesagt habe. L. will den eid nicht schwören,
und wird daher gemäss dem klagebegehren verfällt''. 1519 wiid ^\Qn
buchdruckern Ad. Petri, Nicolaus Lamprecht, Pamphilus, welche wider
ergangenes verbot lassbriefe publiciert haben, aufgegeben, diese Uiss-
briefe dem stadtarzt einzuliefern^'. 1520 wird Pamphilus Gengenbach
als mitglied der bruderschaft der schildknechte aufgeführt^, einer Ver-
einigung, die sicii besonders dem Marienkultus widmete. Für Gengen-
bachs Marienverehrung zeugen gelegentliche ausrufe und das gedieht
Fünf Juden, ivelche History ich Pamphilus Gengenbach xn lob und
err der jimckfrau Marie in ein New lied gesetzt hob (Goedeke s. 39).
In das Jahr 1521 fällt ein process unseres dichters, der uns
einen interessanten blick in seinen geschäftsbetrieb tun lässt. Mittwoch
nach martiny (d. i. am 13. november) 1521 beginnt der process^ Nach
dem protocoU im urteilsbuche vom 1521 hat Heinrich Peyger als an-
walt des Hans Rüger, des altbürgermeisters von llotvvyl, eine schuld-
forderung an Pamphilus Gongenbach. Dieser erkennt jedoch die voll-
macht des Pejger nicht als vollgiltig an, und Peyger wird bis auf
weiteres abgewiesen. In einem weiteren eintrag unter dem datuin
donnerstag nach Ilylary (IG. jan. 1522) erfahren wir (len weiteren fort-
1) Stehlin s. öl, nr. 1909.
2) ebenda s. Ol, nr. 1984.
3) ebenda s. (58, nr. 2017
■l) Siebe die Urkunde im anliang.
5) Stebliu s. 82, nr. 2082.
6) Stehlin s. 86 nr. 2094; ]>aecliti»ld anni. s. G8.
7) Baecbtold aum. s. 69.
8) Siebe die Urkunde iiu anbang.
PAMPHItUS OENGKNBAOH 49
gang des processes nnrl seino entstehiing^. Pampliilus Oengonbacli or-
klürt von den erben dos bekannten Haseler reohtsgelelirteii dr. Helmut
(f 1510) dessen büchernachlass unter der bedingung erstanden zu haben,
dass ihm alle l)üclier ausgeliefert werden. Nachdem er den kaut'preis
von 227 gülden bis auf 20 gülden bezahlt hat, behauptet er ertahi-en
zu haben, dass Hanns Ruger zu Rotwyl gegen den vertrag unter der
band ihm zum schaden einige bücher verkauft habe. Er fordert des-
halb die ungiltigkeitserkliirung des kaufes. Schliesslich wird die Ver-
handlung vertagt, damit Gengenbach seinen zeugen beibringen kann.
Ein zeugenverhör hat auch tatsächlich stattgefunden. Unter mittwoch
nach Cathedra Petri (26. februar) 1522 erklärt nach der aufzeichnung
in den 'kundschaften der mehreren stadt' Nicolaus Lamparter, der
hnrhtriicker^ er habe in gegenwart des Gengenbach nnd eines caplans
zu St. Theodor die bücher coUacionieret und gexellt. Die zahl der
bücher liabe Oö yantxe nnd 380 defeci betragen-. Über den wich-
tigsten punkt, das versprechen Rugers, dem Pamphilus den ganzen
Vorrat zu überlassen und über den bruch dieses Versprechens bringt
diese aussage nichts, möglicherweise wusste jener caplan etwas davon.
Der ist aber wie wir aus dem endurteil vom montag vor judica
(30. März) 1522 ersehen, tot. Es heisst da'^ . . . und sich pamphilus
Gengenbach solichs furbringens imderivunden , ein xugen verfasst^ in-
gericht verhören lassen, sich daby das jm ein xug todes abgangen ist,
beklagt und doch geivont hat ettvas fnrbracht haben und aber Hein-
rich Pegger die nechst ergangenen urtel und des xugen sag und das
er ein xug sye erklärt und gemeint hat, dass p. nütxit furbracht hab,
sondern das er jm lut siner ha?idtsch7'iff't usrichten solle,
da ist nach verher beider teil, dag, antivurt, red, widerred, der
xugen sag und allem der par'tyen furivenden xurecht erkant, das pam-
philus Oengenbach lut siner liandtgeschrifft heinrichen peyger als eim
yeralthaber herr llannsen Rugers sins siuehers umb verfallnen 20
gülden usrichten solle.
Bei diesem urteil hat sich Gengenbach beruhigt. Wir werden
gut tun, Schlüsse auf seinen Charakter aus diesem process nicht zu
ziehen, weil wir kaum noch den rechten einblick in diesen handel
gewinnen können. Man kann dem dichter schwer zutrauen, dass er,
weil ihn der kauf später reute, ein lügengewebe ersonnen habe. Kaum
gegen etwas eifert er so Avie gegen die habsuclit und das unfertig gut.
1) Siehe die urkundu im anliaug.
2) ebenda.
3j Urteilsbuch der mehreren stadt 1522.
2KIT8CHRIFT F. DEUTSCHE PHILOLOGIE. BD. XXXVII. 4
50 KÖNIG
Man vei'gloiche nur die betreffenden verse im Nollhart, vor allem aber
in den x Altern. Abei- jener process lässt uns einen einblick in sein
geschäft gewinnen. Sein handel kann nicht klein gewesen sein, wenn
er in einem kauf für 227 gülden bücher ersteht, eine für damalige
Verhältnisse doch inmierhin recht beträchtliche summe. Sicherlich
ist dies auch nicht der einzige derartige kauf gewesen; so wird er einen
schwunghaften bnchhandel neben seiner drnckerei gehabt haben. Dieser
buchhandel scheint ihm zu einer gewissen wolhabenheit verhelfen zu
haben. 1522 verkauft er ein zweites haus, dem alten ungefähr gegen-
über gelegen (in der stat Basel linder dm Bechern gegen dem 1ms ximt
liermelm über zwischen den husern %ur schmalen simnen und nideren
maystait gelegen und obere magstatt genant ist). In demselben jähre
erscheint er als Vertreter der Eisbeta, Hannsen Liebenberg von Len?.-
burg selig, dohter. Noch einmal am ende seines lebens kommt er in
berührung mit den gerichten, aber dieser conflict macht ihm mehr
ehre als schände. Er hat seine deutsch -patriotische politische anschau-
ung offenbar zu dentlich geäussert und die zweideutige politik des
Baseler rates gegeisselt, wie ja seine werke so oft zeigen. Am 1. Ja-
nuar 1522 muss er urfehde schwören, mit ihm zwei freunde der
mengerly lichtfertigen ivort wegen .so sie uf der kürsener hus getriben,
des kaisers oder bobstes ouch des kuniges von frankreich Jialb^. In
demselben jähre am 19. november verwendet sich der Baseler rat für
Famphilus Gengenbach beim Strassburger magistrat um eilich geld-
schidden, die Fainphilus Gengenbach unser burger von Wolffen buch-
dr uckern zu fordern hat-. 1524 liegt er im streit mit einem caplau
vom münster wegen ' Zinsen ab reben vor Kleinbasei'' und nicht lange
nach Ostern 1525 wird er — offenbar im besten alter — gestorben
sein. Im urteilsbuche des Jahres finden wir unter montag vor der
uffart Christi (22. mai) folgenden eintrag: Do ist Anna ivilent Bam-
philus Gengenbach sei. ivittwe mit Heinrichen grebly, dem yremper,
vervogtet worden jr hus imd hofstatt zu verkoufen und sollichs jr
recht, wie recht ist, zu vertigen gunnen, ut moris est^.
Versucht mau nun auf grund der äusseren daten aus Gengen-
bachs leben sich ein bild von der persönlichkeit des dichters zu machen,
so wird man nicht eben weit kommen. Die wichtigste quelle müssen
immer seine werke bleiben. Da fällt nun zunächst ein gewisser gegen-
1) Baechtold anm. s. 69.
2) Eoethe Anz. f. d. A. 24, 220.
3) Baechtold a. a. o.
4) Ebeuda.
PAMPHILUS GKNGKNBACH 51
satz auf zwischen dem etwas leichtsinnigen Pampliilus, wie er uns aus
den (hiten seiner Jugend, und dem gewaltig ernsten nioralisten, wie er
uns aus den gedichten entgegentritt. Er war in seiner Jugend, wie so
mancher seiner Zeitgenossen, durch das Wanderleben etwas verwildert,
ist aber doch ein ehiiichor, trefflicher Charakter, dessen guten grund
geordnete lebous Verhältnisse hervortreten lassen. Mit überraschender
klarheit erkennt er die schaden der zeit, die unsittlichkeit, die habsucht
und untreue, die kriegslust der Jugend und wird nicht müde, sie in
seinen gedichten immer aufs neue zu tadeln. Hinter dem strengen
tadler, dem pedantischen nioralprediger aber steckt der warme patriot,
dem es mit all seinem schelten im letzten gründe doch nur um die
wolfahrt, das glück seines Vaterlandes zu tun ist. Mit diesem ziel im
augo scheut er vor nichts zurück, keine rücksicht auf das eigene wohl
luilt ihn ab, was er als wahr erkannt, offen auszusprechen. Das gilt
VDi- allem von der politik. Sie behei'rscht die erste zeit seinei- dich-
terischen tätigkeit ganz. Seine politische anschauung mochte ich seinem
vaterlande gegenüber eine conservative, dem reiche gegenüber eine
deutsche nennen. Immer wider im 'alt Eydgnoss' und später im 'Noll-
hart' weist er zurück auf die fugenden der väter, auf das schlichte,
fromme leben der alten Schweizer. Darin, so erkennt er klar, ruht
das wohl des Vaterlandes. Man merkt es ihm an, wie er in der Schil-
derung der glücklichen, goldenen zeit, da die Schweizer nur sich selbst
und Gott vertrauten, warm wird; in solchen augenblicken wird aus dem
pedanten der seines Vaterlandes frohe patriot, und die Strophen, die er
dann dichtet, sind ^ was wärme des gefühls anlangt — zu seinen besten
zu zählen (alt Eydgnoss 1 — 110. 369 — 75). Eben diese Vaterlandsliebe
ist eine der schönsten seiten seines Charakters.
Und nach Deutschland geht sein blick. Nicht ohne grund. Er
hatte gesehen, wohin das fortwährende liebäugeln mit Frankreich und
seinem klingenden gokle geführt hatte. Gerade seine zeit hatte ihm
ein bild schlimmster corruption entrollt. Um 1517 hatte man in Basel
entdeckt, dass die vornehmen der stadt, unter ihnen sogar der bürger-
meister Jacob Meyer, der freund des jüngeren Holbein, von Frankreich
heimliche pensionen angenommen hatten. Gengenbach hatte in seinen
gedichten (vgl. welsch Fluss 99—110, x Alter öOOfgg., XoUhart 1185/7.
119G) schon seit langem darauf hingewiesen. Wir sahen bereits, dass
ihn dieser unerschrockene wahrheitsniut noch am ende seines lebens
ins gefängnis brachte. Von der begeisterung für die ritterliche gestalt
des kaisers Maximilian, die in Baseler humanistenkreisen herrschte,
wissen wir schon aus den gedichten Sebastian Brauts, auch Gengen-
!!>2 KÖN'ia
bach noch blickt voll Verehrung zu ihm auf, ihm gehören alle seine
s3'inpathion, und im Nollhart weist er ihm eine grosse religiöse und
politische aufgäbe zu. Er soll eine gründliche 'reformation' der kirche
vornehmen, das heilige land widererobern und eine Weltherrschaft
antreten, wie sie einst nur die römischen Imperatoren gehabt hatten.
Und als Maximilian gestorben, da erhofft er das gleiche von kaiser
'Carole': einigung Deutschlands in politischer und religiöser beziehung.
Ihm widmet er nicht nur sein Lied von Carolo erivelter römscher käny,
auf ihn bezieht sich wol auch noch 1520 sein Wiener prognosticoni.
Aber bei all seiner deutschen gesinnung geht er doch nicht soweit
etwa für einen völUgen anschluss seines Vaterlandes an Deutschhmd
Propaganda zu machen: das heil seines Vaterlandes beruht für ihn in
der neutralität. Daheim soll man bleiben, sich nur um die eigenen
Interessen, nicht um die fremder länder und fürsten kümmern:
Wan man wolt folgen minem rot,
So behielten wir den alten stot
Liessen fürsten, herrcn hlibeti
Und hliben dn heiin in unserni land
By landen und by wyben. a. E 96 — 100.
Über seiner deutschen gesinnung steht ihm sein Schweizer national-
gefühl-. Nicht Nürnberg, sondern Basel war seine Vaterstadt, nicht
Deutschland, sondern die Schweiz sein Vaterland.
Hier wird er also auch seine bildung empfangen haben. Sie ist
durchaus nicht gering, wenn auch den Zeitverhältnissen entsprechend
vorwiegend theologisch -scholastisch. Ein blick in seine dichtungen lehrt
das sofort. Seine ermahnungen erhärtet er ähnlich wie Sebastian Brant
stets durch eine ermüdende, den frischen fluss der gedanken störende
fülle biblischer citate. Daneben citiert er auch die kirchenväter, letztere
vor allem in dem spätesten der unter seinem nanien überlieferten ge-
dichte, der Gouchmat: Augustin (Gouchmat 58. 64), Anselm(189), Gregor
von Nazianz (242. 1314), Papias (1031), Hieronymus (1315). Doch weiss
er auch besoheid in den sagen des classischen altertums (x Alter 378; Noll-
hart 297), in der griechischen und römischen geschichte (Nollhart 358.
361. 363. 364. 593. 594. 753. 754. 758 — 60. 849; G. 417. 425. 429),
und kennt einiges von älterer deutscher geschichte (Nollhart 658. 662. 716.
983. 986. 1043). Hier leistet er sich freilich manche Ungeheuerlichkeit"'.
1) Vgl. Jos. Maria Wagaer im Aüz. f. k. d. d. vorz. 1860, s. 5 fg.
2) Vgl. auch Creizenach 3, 239 fg.
3) So ist nach ihm Karl der grosse ein fürst von östereich (Nollhart 658) , Noll-
hart 663 fg. ist er ein hüng von Franckenreich und dess geblüts von ostereicli. Aus-
gezeichnet ist er dagegen in der Zeitgeschichte bewandert (welsch Fluss, Bockspiel,
Nollhart an vielen stellen).
l'AMPHILCS (iENGKNnACH 53
Er citiert ferner (diese kenntnis ist vielleicht erst das resultat
späterer Studien) Cicero de senectutc und de officiis (Gouchmat )>7. 1035)
Valerius Maximus, de fidc uxoriali 1. 4, VII, 5 (G. 420. 199), Sencca
cp. 38. 78. 90 (G. 201. 1038. 1316), alles mit genauer angäbe der
stellend Es muss dahingestellt bleiben, ob or diese kenntnis eigener
lectüre verdankt oder sie einem citatenschatz entnahm. Jedenfalls lässt
sich in seinen werken eine gewisse Steigerung der bildung wahrnehmen.
AVährond er sich in den früheren citaten durchaus auf das alte und
neue testament beschränkt, finden wir in der Gouchmat auch solche
aus lateinischen Schriftstellern und aus den kirchenvätern. Die Univer-
sität scheint er nicht besucht zu haben, wenigstens finde ich in den
Baseler matrikeln seineu namen nicht, doch zeigt er sich mit acado-
mischen brauchen vertraut-.
Er macht mit seinem wissen mehr den eindruck eines autodidakten,
daher auch die Selbstgefälligkeit, mit der er seine citato anbringt. Von
einem eindringen in den geist des classischen altertums ist nach seinen
werken wenigstens bei ihm nichts zu spüren, er sieht alles nur mit
dem äuge des moralisten an; unter den humanisten der zeit finden Avir
ihn nicht genannt. Ob freilich der eindruck von seiner Stellung zum
hiuiianismus der richtige ist, lässt sich schwer sagen. Wenn wir
s<,4i. Brants humanistische bildung nur nach dem 'Narrenschiff' be-
messen wollten, dürften wir ihm kaum gerecht werden. Da wir von
den sonstigen kenntnissen Gengenbachs nichts wissen, abgesehen von
einigen lateinischen brocken und richtiger declination lateinischer eigen-
namen, die in seinen werken vorkommen, muss unser urteil dahin-
gestellt bleiben. Es wäre wol möglich, dass er die genannten citatc
f'igener lectüre verdankt. Dem jüngeren humanismus freilich mit seiner
Ireicn lebensanschauuug und seiner fast atheistischen Weltanschauung ist
er durchaus abhold und lässt ihm in der Gouchmat 885 fgg. eine derbe
abfertigung zukommen. Solche leute, meint er, solle man gehörig durch-
prügeln. Ihm, mit seinem sittlichen ernst, seiner etwas pedantischen
lebensauffassung, musste jenes ^reiben zuwider sein. Luther dachte
nicht anders.
Haben wir als den grundzug der politischen gesinnung (Jengen-
l»achs ein festhalten am altbewährten kennen gelernt, so finden wir
denselben zug zunächst auch in seiner religiösen anschauung wider.
1) Gocdcko K. 501.
2) Vf,'!. (jouchmat 70'S uini dazu das Manuale Sculariuin bei Zariickc, Die
■loutschcu uuiveisitäten im ina. 1,3 fgg.
5-1 KÖNIG
Es ist für ihn selbstverständlich, dass der Schweizer den papst ver-
teidigt, wo er nur kann:
Helger vatter, es dunckt midi uni/ehört,
Das ir an mich ein hunät begert:
Freygss tvillens hin ich geneiget
Zu beschirmen den helgen stäl %ü Rom. a. E 128 fgg.
Er ist empört über den ungehorsam, die nichtachtung den geist-
lichen gegenüber (B. 28 — 69) und mahnt, ihnen die gottgewollte ehre
7A\ geben. Noch in der Gouchmat verteidigt er die geistlichen gegen
die übergriffe der jüngeren humanisten. Aber seine Verehrung ist keine
blinde: er hat offene äugen für die schaden der kirche und schon durch
seine ersten gedichte klingt das verlangen nach beseitigung dieser mängel
hindurch. Er weiss, dass manches in Rom faul ist, und schon w. F. 192
sagt er:
Und tvirt die gross syinony ab gton.
Diese simonie ist ihm der grösste greuel, er erwähnt sie immer
und immer wider. Er weiss auch, dass es mit der Sittlichkeit vieler
mönche und geistlichen nicht allzugut bestellt ist und scheut sich nicht,
öffentlich in seinen gedichten darauf hinzuweisen, auf abänderung zu
dringen (xAlt. 829). Die pflichtvergessenen kleriker, stehende figuren
in allen satiren der zeit, fehlen auch bei ihm nicht. Auf der Gauchmatt
befinden sich mütich, pfaffen, minnen (Gouchmat 108. 1159. 1293),
speciell werden die Franziskaner, die „gugelfräntze" genannt. Er findet
für ihr gebahren recht scharfe töne. Im beschluss der Gouchmat heisst
es 1303 fgg.:
Der lass vom eebruch, ist mein rot,
Jjig nit dinn wie ein su jm kot
Wie icol es jetx, ist gantx gemein,
Es thüntx die leien nit allein.
Sunder ouch die geistlichen in den orden
Siiuf also unverschampt jetx tcordcn.
Doch Aveist er noch im Bundtschu alle Selbsthilfe als unberufen
zurück. Er hat die feste Zuversicht, dass die geistlichen behörden selbst
Wandel schaffen Averden (Bundtschu 57 fgg.).
Wie aber, wenn diese erwartung getäuscht wird? Schon im
Noilhart hat er diese Zuversicht verloren. Dringend fordert er die re-
formation der geistlichkeit. Er verlangt in Rom selbst eine änderung
der dinge. Rom ist ihm ein acker, der gereutet werden muss (Noilhart
170 — 73). Die aufgäbe, die priesterschaft zu reformieren und die kirche
wider zu zieren, weist er, wie schon oben gesagt, dem deutschen kaiser
Maximilian zu, er ist von Gott dazu ausersehen (Noilhart 315 fgg.), von
PAMPIIILCS OKNGKNIJACII
iliDi wild der siiil xü Rom durcluicJä (230) and eine einrede des papstes
weist er mit einem hinweis auf das gotteswerk (V. 418) bestimmt zurück:
Helger vatter die red ist ein apot.
Sicherlich hat Gengenbach eine reformation innerhalb der kirclie
erwartet und für möglich gehalten. Luther selbst glaubte ja zunächst
auch nicht anders. Luthers fromme, vom tiefsten sittlichen ernst durch-
drungene persönlichkeit wird ihm sicherlich sympathisch gewesen sein,
fand er in ihm doch manches eigene wider. Wenn er nun aber sieht,
mit welcher hinterlist man von Rom aus gegen den reformator arbeitet,
wie wenig man geneigt ist, Minderungen eintreten zu lassen, ob sich
dann nicht sein gerader, offener sinn dagegen auflehnt, ob er dann
nicht Luther auf die bahnen folgt, auf die man ihn drängt? Ob er
nicht wie überall, wo es gilt schaden aufzudecken und zu heilen, mit
seiner kunst für die neue grosse, gewaltige bewegung eintritt, er, als
dessen eigenart wir die dichterische Stellungnahme zu allen ereignissen
seiner zeit kennen gelernt haben?
Dass er mit seinem berufe dafür eintrat, wissen wir bestimmt.
Er druckt die 15 bundsgenossen des Eberlin von Günzburg, „jenen
flammenden über Luther und Hütten hinausgehenden protesf' gegen
römische übergriffe', er druckt den Sermo de poenitentia Luthers nach,
bei ihm erscheint eine Übersetzung des Neuen testamentes, eine reihe
anderer reformationsschriften , bei ihm sind endlich auch die satiren
Die todtenfresser und Xovella gedruckt. An der letzteren musste er
ein ganz besonderes Interesse nehmen, denn sie war die antwort auf
die angriffe Murners gegen die 15 bundsgenossen. Murner konnte ihm
nicht sonderlich sympathisch sein, gehörte er doch in gewissem sinne
auch zu den „greci'% die in der Gouchmat (887) so hart mitgenommen
werden. Dass Gengenbach unter solchen umständen nicht auch persön-
lich ein anhänger der reformation gewesen sein, sondern all jene drucke
nur aus geschäftsinteresse besorgt haben soll, erscheint doch nicht
gerade wahrscheinlich. Wir haben aber sogar ein directes zeugnis für
Gengenbachs reformationsfreundliche bestrebungen in einem vorwurf,
den ihm dei- damals sehr bekannte astrologe Laurentius Fries macht.
(Jengenbach hatte ihm in der (iouchmat sehr deutlich zu verstehen
gegeben, was er von ihm und seiner kunst halte (830). Darauf ant-
wortete Fries in der vorrede zu einem prognosticon auf das jähr 15l'l" :
1) Liicke, iJio entsteüuny- dur X\'. bumlsgeuossou des Joli. Ebciliu von Güiiz- -
bürg, s. 3J fg. Hall, dissert. 1902.
2) Baecbtold auiii. s. 71.
56 KÖNIG
.... Als dann vergangner jar (auff'das ich offenlich rede) in einer
statt am Ryn gelegen, ein ölschencklige hundsmuck getlion hat, in dem
subtilen spil der Gauchmatten , Niemants xürns an mich, der schuldig
merckt mich wol, warnt er übt sich tag und nacht in diser kunst,
dichtet, verkaufft seine gedieht, und spricht dennocht, es sy wider
gott. Doch so ist kegn andre ursach, dann das er im grund ungelert
ist, und weder xälcn noch messen kan, des gleychen auch seyn schul-
meyster, ivclcher nii lesen kann. Doch so ich mich bedenk, so hat er die
rechten bucher durchlesen, nemlich den todtcn frcsser'^, das teütsch
Bcnedicitc, den Dannhüser^ 2md Dietrick von Bern und der gleichen.
Er macht ihm also unter andern auch seine reformatorische gesinnung
zum Vorwurf. Denn Totenfresser und das Teütsch benedicite^ sind
beides satiren im reformatorischen interesse, letztere ganz besonders
ausfallend. Und schliesslich möchte ich noch auf die reformationsschrift
Der pfaffenspiegol * hinweisen. Sie trägt die Unterschrift'': Pamphilus
Oengenbach xü lob dem edlen Grafen von Hapkspurk. Singer, der
G. alle reformationsschriften abspricht, weist wie schon Baechtold'' auch
diese schrift einem andern Verfasser zu. Die widmung aber, die ihm
offenbar unbequem ist, nennt er „eine verlegerdedication".'' Ich muss
gestehen, dass mir diese art von dedication ziemlich ungewöhnlich vor-
kommt, und ich möchte die schrift eben wegen dieser widnumg und
der echt Gengenbachschen schlussverse G. zusprechen. Soviel aber kann
nach dem gesagten als sicher gelten : Gengenbach war ein anhänger der
reformation.
Ich komme zu Gengenbachs künstlerischer bedeutung. Er dichtet
strophische lieder (Meistergesänge, Lied von Carolo, alter Eydgnoss)
und unstrophische gedichte, spruchgedichte (welsch Fluss, Bundtschu,
Bockspiel, Fastnachtsspiele). Es ist möglich, wenn auch nicht notwendig,
dass in seinen meistergesängen Nürnberger reminiscenzen vorliegen, es
lässt sich ja auch sonst bei ihm z. b. in der Gauchmatt (sie setzt das
„Hofgesind Veneris" voraus) H. Sachsischer einfluss nicht verkennen.
1) Beachte den singular: vielleicht ist hier die Gengenbacli und Manuel zu
gründe liegende quelle gemeint. Vgl. "Vetter, Beitr. 29, 81 anm. 1.
2) Gemeint ist das nd. Volkslied, vgl. Goedeke 1, 459: diente es Gengenbach
als quelle für die Gouchmat?
3) Schade, Satiren 2, 270, 7fgg.
4) Goedeke s. 1G7.
5) ebenda s. 185.
6) ebenda s. 282.
7) Singer a. a. o. s. 156.
PAMPHILUS GENQENBArn 57
Seine stoffc sind hier tagesbegebenheitcn, die er nicht ungeschickt
erzählt.
Seine fastnachtsspiele sind sehr ernst, und darin beruht Gengen-
bachs bedeutung. Gervinus^ sagt von ihnen: „Seltsam sind von den
schnurren des 15. jahriiunderts die stücke verschieden, die im anfang
des 16. Jahrhunderts der Baseler drucker Pamphil Gengenbach aufführen
Hess. . . . Obwol zu fastnacht gespielt, tragen sie alle einen tiefernsten
Charakter."- Gengenbach gibt also mit seinen x Altern, seinem Noll-
hart, seiner Gauchmatt der fastnachtspieldichtung einen andern Charakter.
Es ist, als sollte der boden für die probleme der reformation vorbereitet,
der mensch zur Selbsterkenntnis gebracht werden. Dass Gengenbach
zur rechteji zeit auftrat, zeigt die grosse beliebtheit, der sich seine
stücke trotz ihrer stark moralisierenden tcndenz, die sich durch fast
alle seine dichtungen hindurchzieht, erfreuten. Er dichtet mit dem
offenbaren zweck zustände und menschen zu bessern. Unter dieser
moralischen tendenz leidet das ästhetische, künstlerische moment; was
aber schlimmer ist, es geht dabei zuweilen auch die psychologische
Wahrheit verloren. Durch die endlosen citate, mit denen er seinen
Warnungen ein- und nachdruck zu geben sucht, langweilt er den Icser,
schadet er dem raschen fluss der handlung. Durchaus unwahr wirkt
es auf der anderen seite, wenn die lockende, verführerische Venns den
kriegsmann durch den hinweis auf alle die zu gewinnen sucht, denen
sie schon leben und ehre genommen hat (Gauchmatt 651 — 671). Oder
wenn sie ihrer aufforderung an den kriegsmann ihr zu folgen dadurch
gehör zu schaffen sucht, dass sie sagt:
Sobald iclt ein Land besitz, mit (jwall,
Thün ick vergifftcn jung und alt,
Miinch, pf äffen itnd auch leyen.
Das sie alle spr/nycn »tinen regen.
Vernunfft und ivitr^ farl ir do hin.
Darunib usw. (Goucbmat ü^)2 —667.)
Man darf ihm diesen fehler nicht zu schwer anrechnen, charakteri-
siert doch jene moralisierende tendenz die gesamte dichtung des 16. Jahr-
hunderts, und teilt doch ein grösserer als er, Hans Sachs, diese schwäche.
Wo das moralisierende dement nicht so in den Vordergrund tritt, wie
in den Meisterliedern, vor allem in Tod, teufcl und cngel zeigt er
eine gewisse gcwandtheit des erzählens: ein einzelner, kurzer satz führt
die handlung rasch weiter (v. 102fgg. 158. 170. 180 fgg.). Er wirkt durch
1) Ce.scli.d.d. dicht. 2, OOl.
2) Vgl. auch CreiisoDatü a.a.O. 3,230,
58 KÖNI3
unvermittelte nebeneinanderstelliing von gegensätzen (v. 48 — 4i)).^ So
glücken ihm auch einzelne lyrische partieen ganz gut (z. b. die schon
erwähnte einleitung des alt Eydgnoss). Hier kann er seiner warmen
empfindung unmittelbaren ausdruck' geben und wirkt darum auch.
In den dramatischen gedichten ist ein fortschritt des künstlerischen
könuens nicht zu verkennen. Ein vergleich zwischen den x Altern und
der Gauchmatt lehrt das deutlich. Dort typen, fast ohne ansatz zur
Charakterisierung, schemenhafte gestalten, die zum teil die rollen ruhig
wechseln könnten: was der vierzigjährige sagt, könnte ebensogut der
50, (50 oder 70jährige mann sprechen und umgekehrt. Dazu das lang-
weilige einerlei des aufbaus: rede des einsiedlers, antwort des gefragten,
Warnung des einsiedlers und abschlägiges schlusswort des ermahnten.
Dem gegenüber ist die Gauchmatt weit lebendiger, dramatischer. Schon
die anzahl der personen ist eine grössere, mehrere treten zu gleicher
zeit auf. Daneben haben wir gut gelungene ansätze zur Charakteri-
sierung, zum teil mit gutem humor gewürzt. So ist dem dichter der
bramarbasierende, grosssprecherische laudsknecht, der nachher so klein
abgeht, ganz gut gelungen, nicht minder der hochgelehrte, wissensstolze
doctor, der allwissende astrologe, der aber, wie G. mit gutem witz
sagt, doch nicht in den Sternen lesen konnte, dass siner Venus ecmaii
kam, dazu der alte, auf die macht seines geldbeutels vertrauende gauch
mit seinem schlotternden köpf, seinem „gumpelnden" herzen und seiner
„rumpelnden" liebe und endlich die köstliche gestalt des bauern, der
ebensoviel ergebung und liebe zu Venus als angst vor seiner frau be-
sitzt, nebst der bäuerin, die dem ganzen mit ihrer tragikomischen scene
einen humorvollen abschluss geben: alles lebenswahre, gut gezeichnete
figuren. Trotz der eben gekennzeichneten schwächen in den x Altern be-
steht Creizenachs ausspruch a. a. o, 3,288 zu recht, wenn er von diesem
werke sagt: „In diesen reden findet sich manches hübsch beobachtete,
sie sind belebt durch anschauliche redewendungen aus dem volkstüm-
lichen Sprachschatz und durch beziehungen auf die besonderen Verhält-
nisse der eidgenossenschaft."
Was den Nollhart anlangt, der uns allerdings nur wenig zu fesseln
vermag, so gilt von ihm wol, was Baechtold a. a. o. s. 278 sagt: „Der
Nollhart konnte zu einer zeit, da kaisor und könig um Italien stritten,
im inneren der verfall des reiches eine gewaltige nationale (und liigen
wir hinzu religiöse) Umgestaltung verkündete, im ostcn die Türken die
Christenheit beunruhigten, in der eidgenossenschaft selbst ein neuer
]) Im eiuzelnen s. unten ca[». 3.
PAMPHILUS GBNQEMBACH 59
zustand der dinge autkani, in einer solclien zeit konnte der X. mit
seinen vielfachen historischen anspielungen und sibyllinischen Prophe-
zeiungen nachhaltigen eindruck nicht verfehlen." ^
So ist Gengenbach gewiss kein grosser dichter, aber er ist doch
ein dichter, er versteht das leben seiner zeit und ist voll von ihm.
Was uns seine gedieh te, so fern sie uns heute auch liegen mögen,
dennoch wert macht, das ist der tiefe, sittliche ernst, die grosse, un-
erschrockene Wahrheitsliebe, die aus allen seinen liedorn herausklingt.
Es ist seine art, zu allen ereignissen, die in sein leben hineingreifen,
dichterisch Stellung zu nehmen. SolKo ihn die grösste bcwegung, die
seine zeit durchbrauste und auch seine Vaterstadt nuichtvoU ergriff,
unberührt gelassen haben?
Capitol 11.
Die spräche Geiigeubaohs, verjsrliclien mit den Toteiifressern und der Novella.
Wie Sebastian Braut in seinem Xarrenschift". so bedient sich auch
Gengenbach in seinen werken „jener oberrheinischen Schriftsprache, wie
sie von Basel bis Strassburg üblich war.""- Diese spräche ist mehr als
unsere neuhochdeutsche eine litteratursprache und doch zugleich mehr
mundartlich gefärbt als diese, sie ist die alemannische Schriftsprache.
Ihre grundlage ist durchaus der alemannische dialekt, aber sie ist mit
zahlreichen dementen durchsetzt, die aus der litterarischen tradition
übernommen wurden. Zwischen diesen beiden bestaudteilen werden
wir namentlich bei der Untersuchung der reime immer zu scheiden
haben. Diese Zusammensetzung hat nun aber nicht nur ihre historische
grundlage, sie kam auch einem praktischen bedürfnis entgegen: man
wollte dadurch litterarischen erzeugnissen ein grösseres absatzgebiet ge-
winnen. Wie sehr trotzdem in dieser spräche das dialektische element
überwog, das zeigt die tatsachc, dass man es z. b. in Nürnberg für
nötig hielt, das Narrenschiff in die heimische mundart umzusetzen.
AVir begreifen das verfahren - bei der einschneidenden Verschiedenheit,
wie sie durch die neuhochdeutsche diphthongierung zwischen beiden
dialekten geschaffen war: der Nürnberger dialekt hatte sie durchgeführt,
die oberrheinische Schriftsprache war streng auf dem alten lautstand
stehen geblieben. Das gilt zunächst für Sebastian Brant, es gilt auch
noch für Pamphilus Gengenbach.
1) Vgl. auch Creizeuacli 3,230.
2) Singer a. a. o. s. 154.
60 KÖNIG
Zwar scheint ein flüchtiger blick in seine dichtungen das gegen-
teil zu beweisen: ein buntes durcheinander diphthongierter und un-
diphthungiorter formen tritt uns entgegen. Das ergebnis der roimunter-
suchung zeigt jedoch, dass der dichter keinen einzigen reim von neuem
auf alten diphthongen kennt. ^ Das gilt in gleicher weise von der
diphthongierung des i>ei, wie von der des ü>-cm, m>eu. Wir
haben, wo wir solche neuen diphthonge und cd für ei oder aa für ok
gedruckt finden, mit willkürlichkeiten des setzers zu rechnen. Gengen-
bach sowol wie der Verfasser der Totenfresser und der Novella kennt
keinen reim von mhd. i : cf^, il:ou, iu:öu. Vergleichen wir nun vom
mhd. ausgehend Gengenbachs spräche mit der von T. und Na.
Es läge vielleicht näher die beiden fraglichen gedichte in den
Vordergrund zu stellen und zu zeigen, dass ihre spräche genau die
Gengenbachs ist. Allein dies verfahren schlage ich deshalb nicht ein,
weil die darstellung dann unter zwei missständen zu leiden hätte. Ein-
mal ist die summe der verse von T und Na bedeutend kleiner als die der
als Gengenbachisch anerkannten stücke^. Zum andern aber liegt es mir
daran, einen genauen nach weis aus der spräche für meine behauptung^
zu erbringen, dass Gengenbach aus Basel und nicht aus Nürnberg
stamme. Es liegt auf der band, dass dieser zweck bei dem umgekehrten
verfahren nur schlecht erreicht werden könnte''.
1. Lautlehre.
A. Vo c a 1 i s m u s.
1. Kurze vocale.
1. mhd. a ist bei Gerigenbacli und iu T und Na widergegeben durch
ü: beispiele unnötig-,
o: stodt X Alt. 813, a. E 365 (vgl. Zarucke, Narrenschiff s. 26S):
c: hert N 749, vgl. zu dieser specifiseh alemannischen (im Nürnhergischen
auffälligen) form Schw. Id. 2, 1041.
1) Vgl. Gessler a.a.O. s.S.
2) Singer s. 15J, z. 10 'einmal i : ci' ist Anz. 27, 284 von ihm selbst in 'nie-
mals' gebessert worden.
3) Ich scheide Gengenbachs stücke und T und Na, verstehe also uutoi' Gengen-
bachs gedichten im laufe der darstellung nur die ihm allgemein zugeschriebenen.
4) Vgl. oben s. 52.
5) Ähnliche erwäguugen bestimmten mich auch sjjäter für die metrik (cap. 4)
und um dci' cinheitlichkcit der darstellung willen auch bei der behandlung der syn-
taktischen und stilistischen eigentümlichkeitcn (cap. 3), das gleiche verfahicn ein-
zuschlagen.
PAMPH1LD8 QKSQKNBAOH 61
2. nilul. e-' = e,
= (?. In (Ion Gengenbachschen stücken sehr häufig, aber auch in
T und Xa nit'lit selten: T /äfjcn 23, ijüben 24, widerstrüben 28, u-nll 30. '^C. G5. OG.
U4; Xa hr.gärt 1, (jsuhen 9, ///^r 12, M6<e« 40. 131. 193/4 i;sw.
Es ist das deutliche bestreben vorhanden die beiden im dialekt geschiedenen
*'-hiuto auch durcli den druck zu trennen. Es ist aucli nicht blosser zufali, dass
dieser laut v durch (i widergegeben wird, d. h. durch dieselbe type, die auch für den
umlaut des laugen a angewendet wird. Denn in Basel spricht man heute e=^ä(vgl.
Hotfmana § 165. lOG), vor lenis sogar genau so wie den a- umlaut. Es ist dalier
bemerkenswert, dass die widergabe des e durch ä sich in beiden gruppen besonders
häuflg in dem worte leben findet. Auf der andern seite möchte ich darauf hinweisen,
dass diese ä bei Hans Sachs selten sind (vgl. v. Bahder s. 116).
= a. Sehr häufig in har; bei Gengenbach findet sich ein schwanken zwischen
dieser ecbt alemannischen form (AG §11) und der form her: her Jud. 480, TTE 41.
190, X Alt. 652. 833, G 1115. 11S7; /««r B 90, TTE 148, X 1382. Dasselbe schwanken
siehe auch Xa: her 643. 678. 766. 890; hur 658. 690. 701. 884. 961.
3. mhd. e = e.
= «, doch sehr selten, nuitz. G 736, häncken G 1120, pfärd G 724,
tuschen : mischen G 1018, müntel G 463. — Xa schwünck 59, kätzer : Schwätzer 91,
stuckt 598, siittel 641. Vor n -\- consonant fällt heute in Basel e mit e (ausser vor
lenis) zusammen, desgleichen hat der heutige dialect in mätx^ kcdxer^ schwätxer^ sowie
in tuschen und mischen ü für c (Hoffmaun s. 49). Wir haben also in diesen werten
ein nicht zu unterschätzendes criterium für die heimat des dichters.
= 0 vor r durchaus erklärlich (Hoffmann § 156. 192): mar N 130, fast N 799,
wurt X 825, gefurt X 389. 10G9; T büßfurtiy 15; Xa host 63, mit beabsichtigtem
Wortspiel 673. 376.
4. mhd. i ist durch i und y ohne erkennbaren unterschied widergegeben, doch
so, dass y im auslaut überwiegt.
= «: würstu X Alt. 80, eiäpfündt x Alt. 249 und öfter; Xa 87 u/f'wüschst {\g[.
Stirius s. 24«; vor nasal si)ecifisch schweizerisch, vgl. v. Bahder s. 183).
•'). mhd. 0 = 0.
= 0: dort Jud. 521 und öfter; auch Xa 383. 437.508. Vgl. Strauch.
ME, s. LXXXl.
= « in ran w. F 215. 254; Jud. 92. Diese formen sind auch alom. nicht uu~
erholt (AG § 11; Zarncke s. 277).
6. mhd. 0 = 6, selten ö.
7. u = u.
= 0 in son (: Mithon) G ^3 und so immer im reim. Diese mitteldeutsche
form ist um die zeit Gengenbachs auch in Nürnberg noch selten, im Alem. gewinnt
sie nie völlig eingang. Es kann nicht geleugnet werden , dass diese rein mitteld. form
für einen oberd. dichter auffällig ist. Im übrigen hat Gengenbach auch die form snn^
vgl. B G7 siin.
Über das aus u gebrochene 0 s. unter brechung.
5. mhd. ü = ü.
= ü: fürter w. F 58; iümjer B 52 u. ö. — Xa wüst 418.
= 6: fürchten, furcht a. E 79; w. F 208 usw. — Xa 143.811.883.
993. Vgl. Hoffmann § 195; Schw. Id. 1, 993.
62 KiJNIG
2. Lange vocale.
1. rahd. u^=a uud damit im Wechsel die durcliaus dialektische Schreibung o:
■wogen N 1194; j/or : c/or x Alt. 18, Imi 23, slon 64. — T somen 179, iorxyt ;"),">. —
Na oheMlhür 3, /ror 297, verston 333.
2. mhd. <-<■ = «. Diese widergabe ist die gewöhnliche uud drückt die offene
tiualittit dieses lautes aus. krüen w. F 45, gestrult 167, fürsäch 147; schwur Jud.
407; säien mäien G 1133 (baslerisch, vgl, Schw. Id. 4, 1.35). — T mär 75; Na mär
1. 13 und öfter.
= e: vor ;• berechtigte widergabe, in der heutigen Baseler mundait fallen hier
e und r« fast zusammen (Hoifmaun §153. 163; AG § 39). Es ist verständlich, dass
diese type von hier aus auch sonst für a' gebraucht wurde.
n-er w. F 146. 278; B 149; erhleren w, F 173; tveren B25; kern w. F 6, spen
227; gschexh G 47. — T iceren 58. 59; Na wer 211. 588. 947. 1009, nem 3(il.
3. }iihd. ll =■' e.
= ee: leer G 35. 1028 u. ö.; meer w. F 59, eer w. F 180; x Alt. 457;
Eeman G .375. 391. 477. 482, Ee 390, eclich 431. Auf dieselben worte beschränkt
sich mit einer {eer(is) Na 590) sicher auf ein versehen des setzers zurückzufühi-enden
ausnähme die doppelschreibung des e auch in T und Na: T leer 67. 78, meer 68;
Na leer 110. 178. 342. 450. 466. 476. 492. 628, meer 111. 179. 493, eer 281, eer-
lich 328. .349, ee-wiher 317.
= o: kör x Alt. 691; G 940; rerkört x Alt. 829; korl N 826. — Na kort 673.
Vor r haben (p und e im heutigen dialekt gleichen lautwert, vgl. Zarucke s. 271;
Stirius s. 12.
4. mhd. ? ^ «'; daneben im auslaut y.
= ü in schüßkachel G 284; vgl. s. 61.
5. mhd. 0 = 0.
= a: lern w. F 53. 216; Jud. 70 neben ebenso häufigem km.
6. mhd. '^'=61: zerstört N 110; T erlösen 7; Na Römer 232.
= 0: döster G 879; böhem N 55.
= 0: vgl. ' Umlaut'.
7. mhd.ü = u: buwt G 1285; spuwten Jud. 34. — Na bwrt 100.
= au: s. oben s. 60.
3. Diphthonge.
1. mhd. ei = ei resp. e?/: gschrey : mancherley w. F 13. — Na sehrey : ou-ey 703.
= «i geht auf den setzer zurück, s. oben s. 60.
= e im Worte hdg der synkopierten form von heilig:, das Basel-
deutsche hat diese form noch heute (Schw. Id. 2, 1151). Dagegen zeigen die vollen
formen den diphthoug, also: helge stat N 154, helger vater N 150, heltumb N 954,
aber heilig erd N 1018. 1025; — ebenso Na helgen 146, aber heilig 347.
= ^ in myd Jud. 157 im reim auf gleit ist wol druckfehler.
= öi in fröidig G 740. Im heutigen alem. dialekt fallen die laute öa uud ei
in einem ai zusammen (Stirius § 12, Zarncke 278, 24). Für denselben laut werden
dann die beiden typen willkürlich verwendet.
= e2<: geneugt N 35.
2. mhd. QU = ou.
= au vgl. oben s. 60.
PAMPHH.US oj;n(iknbach Ö3
3. inlul. IJif. Das schwaiikeu, das in der wideigabe dieses laute« seliou In
»ibd. zeit heiTRclit, deliiit sich bei Geügenbacli wit; scliou bei Braut (Zarucke s. 270)
wf'itiM' aus. Er wird bezeichnet durch :
6ü : l/(jüj)te)\ tröiini , goüchisc/i , oüijUn — froüden w. F 2154. — Na yoückel-
infw 290.
= 6i: fr6id(en) G 164. 277. — T frmd(cn) 9:5.
= Oll : Troijlus G 655.
= eu: nicht nur da, wo es etymologisch berechtigt wäre, wie in freüd^ sondern
für (■/■//, und hier besonders beliebt in (jruch G 75. 147. 213. 256. 263 usw.
= ??: guchery G 399. — Na ()nch 876, vgl. AG s. 59.
= eiv: etymologisch richtig ist Jieic x Alt. 782 gegenüber sonstige)' Schreibung oiv.
= ei:jeichen G 537, 727 (gegenüber eu G 1289).
4. nihd. «/, sowol alter diphthong wie ??-unilaut ist widergegeben durch ü
{tatsche, htrügt, lügt; Na fräntlieli usw.). Die ziemlich zahlreichen eW^ sind wie ai
und au zu beurteilen, s. oben s. 60.
ir. hfä B 3, bedüt N 203, Jifden G 275; Na crütx 452.
5. mhd. ip=zic\ tliier^ rniet rieff^ liegen -.btr legen Jud. 452.
= ?' . Im praet. der red. verba gmigan ^ fulian^ Itfihaii -.genug : fing w. F 21
(vgl. Zarucke s. 270; s. unten).
= ü: Mi ff Jud. 299. - Na 758 (AG s. 332).
= ü\ rüffe Jud. 164; noch im heutigen Baseler dialekt gehen raffe und rieffe
nebeneinander her, s. Seiler s. 242.
6. ü = ü mi'(tei\ bri'idor\ T güt\ Na beschicür.
= ä: a. E 1; B 78; Jud. 85 usw. Na 89 usw. In dieser widergabe haben
wir das bestreben zu erblicken, die lieute vollzogene s<,'hwächung von n<> zu na aus-
zudiückeu (Hoffmann § 208, vgl. auch Zarncke s. 270).
= u: Jud. 91. 115 reimen die präteritalformen von stau auf u: abstund: kund.,
gefunden : stunden; sie begegnen nur in diesem einen Geugenbachscheu gedieht; vgl.
Weinhold, Mhd. gr. § 353.
= «, o: thon, than = tun x Alt. 78. 789; a. E 290. Im Nürnb. sind diese
fi»rnion allerdings die gewöhnlichen. Sie sind aber auch auf aiemannischem bodeu
nicht unerhört (AG §41. 44. 91. 354-).
7. üe = ü {niüssig, demiltig).
=-^■e: /;e/-eM G 889 (Hoffmanu §209).
Als druckfehler sind wol anzusehen:
J für 6 B 121; Jud. 31; x Alt. 681. SU.
(l für a X Alt. 290. 337. 588. 756.
il für n Jud. 68. 76.
n für ü X Alt. 755 (gegenüber O 1083).
4. Der umlaut.
In vielen fällen ist der umlaut durchgeführt auch da, wo er im alera. dialekt
sonst unterblieben ist; hell x Alt. 66, gefeit 190; — Na holt 342, gschendt (: f.eut)
1) U'ugen Jud. 453 ist nicht etwa 'leugnen', sondern 'lügen', vgl. Deutsches
Wörterbuch 6, 1276.
2) Auch hier sind wie oben bei stunt formen aus T und Na nicht zu belegen,
es ist aber darauf hinzuweisen, dass sie in einem so umfangreichen gedieht wie N,
das mehr vcrse zählt als T und Na zusammen, gleichfalls nicht vorkoznmen.
64 KÖNIÖ
019, gschändt IIA. Daneben stehen aber zahheiclie unnmgelantete formen, namenl-
licli vor den consopantverbinclungen r/, //, ■)!-{- consonant und vor den affricateu ^j/',
/;, f/l-, ganz wie es der dialekt fordert.
1. ft-umlaut. Er fehlt in: halt x Alt. ISO. G98; (jfall x Alt.Gll; G 529, 1259;
fart G 976; wider fart Jud. 360; gschändt N 23; schandtiich 360 (Seiler s. 250 zu
Schund). — T gschant 38, schandtiich 143; Jfa halt 599. 982, gschändt 487,
schandtiich 338. 445.
2. ?f- Umlaut. Er fehlt in: fult G IGl; mrnickt w. E 148; trucken G 140;
hucken 139; ?<j9j;?^/ G 44. 46; burger G 32 und öfter, immer in icnrd. — Na ver-
guckt 760. 1075; tvurd 172, 315. 361. 567 592; T 71. Der umlaut ist graphisch
nicht immer ausgedrückt in über und iihel\ auch Na uber 44. 193. 434; nbel 191.
3. o-umlaut. Er fehlt in: betört x Alt. 235; dorecht G 650; hört 430; doten
X Alt. 310; erlost 541 und öfter; — Na hört 301. 441. 508. 571. 816; torecht 377.
4. aet- umlaut. Er fehlt in rauher x Alt. 315.
5. Rückumlaut liegt vor in: xerxart Jud. 39; gesalzt 491; xertrant x Alt. 4(i9;
erxalt 490; — Na schankt 633; nach Paul (Mhd. gramm. § 169 a. 3) auch in: larten
xAlt. 88. 112; kart w. F 94; art x Alt. 223; — Na kart 932. Diese formen sind
auch im Alem. nicht unerhört (AG §34). Für das 10. jh. weist sie Schw. Id. 3, 436.
1368 nach (vgl. noch D. wb. 5,409. 6, 554. 561).
Jüngeren rein dialektischen umlaut haben wir in tuschen : niische?/ G 1017; —
Na laschen 768. Vgl. Stirius s. 10 fg.
5. Brechung.
Die „brechung" von ic zu o ist bei Gengenbach erst in den anfangen, er hat zwar
gebrochene formen wie fromm ., genommen (: schonen a. E 237), doch sind diese durch-
aus in der minderzahl. Dazu kommt, dass wir, da sich die ungebroclienen formen
vor allem im reim finden, juehrere der gebrochenen fonnen vielleicht dem setzer zu-
schreiben dürfen. So ist z. b. ein reim wie kommen : stommen x Alt. 599 , natüiiich
als kummen : sttommen aufzufassen. Die ungebrochenen formen sind dagegen ge-
sichert durch reime wie frummen : gerungen N 335 und drumh — kum G 1023.
Beispiele für:
a) gebrochene formen: a. E 54; B 70. 90; Jud. 13. 364; x Alt. 94. 248. 317.
438; N 402. 1434; G 842; — T 90. 95.
b) ungebrochene formen: a. E 4. 151. 153. 179. 181. 268; B 02. 09; Jud. 37.
41. 302. 306. 499. 500; x Alt. 197. 435. 490. 824. 834; N 42. 43. 64. 89. 138. 334.
336. 346. 590. 669. 723. 769. 901. 976. 1045. 1270/1. 1289. 1309. 1339. 1439/40;
G 108. 114. 127. 336. 378. 569. 750. 7,58. 797. 1022/3. 1125/6. 1127. 1248/9. 1274/5; —
T 76. 81. 104. 113. 225; Na 12. 117. 477. 582. 010. 081. 814. 834. 890. 961.
987. 1071.
Zu erwähnen sind die noch heute in Basel gebräuchlichen (vgl. Seiler s. 318,
auch Auz. 20, 222) formen uorgen (trans.) N 1303; erworgen (intrans.) G 5itl; —
erworgen (intrans.) auch Na 254.
B. C 0 n s 0 n a n t i s m u s.
1. Liquiden, tn wird im auslaut dem dialekt gemäss zu n in hein G 300; —
Na kein 501 (AG s. 172). Der grammatische Wechsel ist bei Gengenbach wie in T
und Na in dem werte verlieren völlig ausgeglichen, bei u-csan gehen nur und was
nebeneinander her.
PAMPHILUS GKNOKNBACII (>.">
2. Mutae. a) Labiale. Die auch sonst verbreitete ueiguug, den y.wisclien -»i
uud folgendem dental auftretenden y.wischenlaut graphisch auszudrücken, beobachten
wir auch bei Gengeubaeh: Iietnbd N 8ü4; ijenenipt C 88; heschinupten a. E 08;
frembd 80; kutupt B 99; mwibt Jud. 79; desgleichen T hinniinpt 17, bcstivqd 18,
kioiipt 70; Na hiuirpst 12, abniinpf 97, nempt 400. — Beachtenswert ist noch die
sehärfuug des ju in sc/tar^/f N 079. b) Dentale. Unorganisches ^ liegt vor lü. damtoht
G 631. 1007; dienentivülen G 042; — Na dannoht 19. 190. 829.
;:t und § werden streng auseinander gehalten. Die affricata wird aus- und
inlautend stets durch /^ gegeben : gantx^ kürt/Jich, scliert>\,en ^ frantxoscir, — T schütx
22, crütx. 35, sltxen 100; Na hurix, 062, härtxen 710, sehii/nrhen 717 usw.
Der mhd. Spirant :t wird bezeichnet mit:
1. .>.• nicht mir im pronomcn und der neutralen adjectivendung, sondern auch
im wortinuern und zwar zwischen vocalen ebenso wie vor t: das w. F 11; was bas
fticas Jud. 47. 48. 49; — u-yse (albus) w. F 110; eutbloset B 75; dreysig N 119.
411; — last X Alt. 324; grost G 935; mäst G 988. 994 usw.; iveist G 222; —
T das 50, geivissers 47; must 02. 82. 99. 118; Na das 715, es 530, — wyse (albus)
438, mfist 101. 107. 314. 1026, gröst 414, iveist 272. 340. Auch hierin haben wir einen
versuch, die dialektische ausspräche widerzugeben. Vgl. Heusler § 24; für mäst auch
Seiler s. 211. Erwähnt sei auch, dass ahd. /rixago mit einer ausnähme (icissagin N210)
stets mit einfachem s erscheint: w. F 113: N 30. 158. 470. 712. 1084. 1093. 1318. 1378.
2. X gewöhnlich nur am pronomen in der abkürzung dx w.F 111' 149. T 182. 224.
3. ß im auslaut fkiß w. F III, groß 38, ließ 98, daß lOO, baß \39;— Na daß
719, »wß 420; T baß 214. 216.
4. i's gewöhnlich im wortinnern zwischen vocalen: grosse a. E 93; heissen
S ÖOC) u. ö. Die geniinierte fricativa wird stets durch ss widergegeben.
5. mhd. s ^^ ß gewöhnlich im wort- und Silbenauslaut, sogar in fallen , wo s
der rest des angeschleiften pronomens oder neutralsuf fixes ist. syß a. E 74; keinß
IX. E 139; thanß a. E 244; daß N 1339; sieß N 1481. — Na dieß 90; T imß 24. 32. 39.
ts wird bald durch ts, bald durch tx gegeben, a) ts: gelts a. E203; Na gots-
dienst 120; b) tx: gütx a. E 147; sogar thüntx G 130(J; Na ylendtx 003. 749. 758.
Die Verbindung tst ist einmal in anlehuung an den dialekt höchst charakteristisch
durch /sc7/. gegeben: tödtsch x Alt. 472. Ebenso durch dialektischen zusammenfall von
st uud seht bedingt ist die widergabe dss seht durch st in geinist w. F 219; myst 222;
gemist {: ist) w.F 128; vgl. auch den reim Christen: mischen Jud. 389 und Na ent-
riisi : ufftrüschst 87.
c) Gutturale. Gleichfalls alemannisch ist g als übergangslaut zwischen vocalen:
figend a. E 44; sigst N 715; sigen G 148; — Na sigst 1084, ebenso die präfigierung
eines h in herman x Alt. 841 (AG 230).
1) Mit röm. Ziffern bezeichne ich die ausserhalb der verszählung stehenden
eingangsverso.
(Schluss folgt.)
HECKLIXGEX (aNHAI.t). HANS KÜNIÜ.
ZBITSCHRIFT F. DEUTSCHK PIIILOLOÜIK. KD. XXXVII.
6ü
URBAN RHEGIUS ALS SATIRIKER
Schade druckt im dritten bände der Satiren und pasquillo aus der
reformatiouszeit die 'Klag und Antwort von lutherisclien und piipstischen
Pfaffen über die lleforynation , so neulich xu Begenshurg der Priester
halben ausgegangen ist' ab. Strobel, Planck, Christoph von Scliniid und
Baur halten mit mehr oder weniger bestimmt heit Johann Eberlin von
Günzburg für den Verfasser der anonymen tlugschrift, hauptsächlich
deshalb, weil auf einem exemplar Eberlins name von alter band bei-
geschrieben ist (vgl. Gott. gel. anz. 1897, I, 4). Wie der alte leser zu
seiner ansieht gekommen ist, ob er bescheid wissen konnte, ist nicht
bekannt, seine Vermutung bedarf in jedem falle der nachprüfang, die
sich in ermanglung directer Zeugnisse auf Charakter und stil der tlug-
schrift richten muss.
Die Schrift fällt in den Spätsommer 1524, zwischen den 7. juü,
von dem die Constitution des Regensburger conventes datiert ist, und
den 12. September, an dem der Nürnberger rat strafen wegen des Ver-
triebs von Pamphleten über die reformation der 'Fladenweiher' be-
schloss, also in eine zeit, in der sich Eberlin, der in Erfurt lebte und
von dem Regensburger convent äusserlich nicht berührt wurde, von
der zeitsatire schon völlig abgewendet und auf die theologische schrift-
stellerei zurückgezogen hatte. Unter dem einfluss der Wittenberger
reformatoren , namentlich Melanchthons, war er massiger und milder ge-
worden, seine reformatorische tätigkeit hatte sich verinnerlicht und
vertieft. Die stellen mehren sich in seinen Schriften, in denen er die
evangelischen prediger tadelt, die schroff gegen die äusseren formen des
papstturas vorgehen, statt den nachdruck allein auf den positiven teil
der predigt zu legen. Der kämpf gegen die äusseren formen des katho-
lischen gottesdienstes scheint seinem Optimismus gar nicht mehr nötig,
sonderlich in disen tagen in imsern landen, so das ceremotiisch
Bapsthumb schier gar ist zu spot worden, vnrul das vberig nit vil
schaden ihon mag (3, 266).
Die anonyme flugschrift spottet aber vorwiegend über diese formen.
Eberlin schreibt 3, 209 gegen die, die das volk reizen tüidder Pfaffen
vnd Manche, sagen, yhr iveßen sey boß vnd gottloß, yhre lere seg
falsch, yhre beywohnung sey schedlich, das getvohnlich fasten, beycliten,
meßhören, saerame^it empfahen, betten, kyrchgang, fcyertag, gellte
nichts XU der seligkeyt, die werck thuens nicht, der glawbe mache alleyn
selig, denn, fallen die xuhorer drauff, nemens an, nicht den glaicben
ari Christtim, sondern den wahn vnd gefallen vher dieser rede, man
ÜRBAN nilKGIÜS 07
kann aber den Inhalt dor lhii;schritt kaum bessor bezoicliiuMi als init
diesen worten.
Dass sich Eberlin und die flugschrift in ihrem gegenständ öfters
berühren, kann nichts beweisen, denn diese folgt pnnkt fin- punkt dem
'Kurtzen außzug einer Reformation, wie es hynfürter die Priester halten
sollen, zu Regenßpurgk nechster versamlung betracht, berathschlagt,
vnd beschlossen, im Jar .M.D.XXiiij'i. Anklänge im einzelnen bleiben
dabei nicht aus: die pfaffen beklagen sich Sat. 3, 186, dass ihnen alle
schuld zugeschoben wird, die die prälaten tragen, dieselbe klage spricht
Eberlin 3,272 aus. Sat. 3,138 lehrt den grundsatz, schrift mit schrift
zu erläutern, wie Eberlin 1, 203fg. 2, 167. 3, 17, aber dieser grundsatz
war damals durch Luther gemeingut geworden. Auch in seiner litteratur-
kountnis trifft der anonymus gelegentlieh mit Eberlin zusammen,
Sat. 3,138 weist er auf Augustins libri retractationum hin wie Eberlin
1,202. 3, 76, auch von den scholastischen lehrbüchern, die er Sat. 3, 139
aufzählt, kehren einige bei Eberlin 2,69 wider. Die papistischen pfaffen
fürchten Sat. 3,141, daß si uns eben dariimh in die ee xu greifen nit
lüollen vergünnen , daß si fürchten, inen werde ain (lies an) jarlicher
hürenzins ahgeen, ähnlich spricht Eberlin 2, 30 fg. von bischöfen, die
ei/i freiid haben ob dem bubischen geivyn, den sie von i^f äffen huren
haben, vnd lieber eynem xehen huren xidiessen, dan das sie eynen
Hessen EeUchen stand annemen. Die papistischen pfaffen loben Sat. 3, 155,
dass man widerspänstigen bauern droht, man werde sie einst nicht auf
dem kirchhof begraben, sondern in ungeweihter erde, und sie damit
schreckt, entsprechend sagt Eberlin 3,175 das kirckoff iveyhen ist sunst
\ii nicJite gut dan die paurn doniit xuer sehr ecken, man woll si nit
darauff begraben, ivan sie nit thun wollen, ivie der pfaff luil. Mit
wolfeilem witz schreibt die Satire 3, 158 Papistische äffen statt Pfaffen,
Eberlin 3, 154 leitet den Ursprung der pfaffen von den äffen her. Die
Satire gibt vor, xü Lumbitscli auf dem federmark gedruckt zu sein,
ähnliche scherzhafte datierungen hat Eberlin 1, 119. 131. 3, 124. 148.
Diesen anklängen steht aber eine ganze reihe inhaltlicher ab-
weichungen gegenüber, die zumeist der radicaleren anschauung des Ver-
fassers der flugschrift entspringen. Diese wendet sich 3, 137 fgg. sehr
scharf gegen die berücksichtigung der kirchenlehrer Augustin, Gregorius,
Hieronymus in der predigt, Eberlin hat aber diese lehrer, namentlich
Augustin, hochgeschätzt und stets mit achtung genannt, sie auch
1, 29. 51. 202fg. 2,23. 3,200.230 zur auslegung dunkler schriftstellen
1) Neudruck bei Strobel, ^Miscellaneen litterarischen Inhalts 2,129 — 133.
Nennenswerte abweichuugen hat die Satire nur 145, 4. 147, 25. 151, 23.
5*
(j8 GÖTZE
und den geistlichen zur lectüre empfohlen. Unter hinweis auf Matth. G, 31
schilt die Satire 3, 140: Was kümmert rr euch, was die priester sollen
anlegen, ähnlich klingt ihr spott 3, 157, Eberlin verschmäht es dagegen
nicht, darüber 2, 131 ausdrücklich' Vorschriften zu geben: blei/be da
auch im Münchs klayde, im da onn eryermis nit magst ahweychen,
also tregt auch der Lutherus vnd Johannes Langus jre kutten, Also
trage ich auch ain pfaffen klaijd vnd blatten. Ihm ist also die tracht
der geistlichen des nachdenkens wert, auch 2, 147 geht er darauf ein.
Sat. 3, 151 wird über die bestimmung des Regensburger convents ge-
spottet,, die heiligenfeste einzuschränken, ausser wo ein ort einen be-
sondern. Schutzpatron habe. Genau dieses verfahren empfiehlt aber
Eberlin 1, 108. Dem verböte des convents, vom glauben nicht frevent-
lich hinterm wein zu reden, setzt Sat. 3, 156 den spott entgegen: Ja
tvarlich , es ist halt rast not, dann kinder, narren und die trunken
reden gern die warhait, dagegen stimmt Eberlin 3, 144 zu den be-
stimmungen des convents: laji dir das wort gots kostlich, nit wolfegl
sein, sonderlich bey guttem weyn.
Erwägt man, dass in den evangelischen lehren und ansichten, in
denen die anonyme flugschrift zu Eberlin stimmt, damals mindestens
Ys aller deutschen schriftsteiler einig sein mochten, so wird man sie
nicht so hoch anschlagen, wie die unverkennbaren unterschiede. Ent-
sprechende auffassung verlangen die formellen gieichheiten und ab-
weichungen. Zunächst sind hier alle die merkmale auszuschliessen, die
auf den drucker der schriften zurückgeführt werden können. Es wird
z. b. kaum gewicht darauf zu legen sein, dass in der Satire das parti-
cipium praeteriti von sein gewesen lautet, während bei Eberlin gesein
die herrschende form ist, oder dass in der Satire die formen geen und
steen vorwiegen, während Eberlin 1, 119 kou {kommen) auf ^o» reimt.
Sichere argumente werden dagegen Wortwahl und ausdruck der schriften
ergeben.
Eine gewisse Übereinstimmung zwischen Eberlin und dem ano-
nymus ist auch hier unverkennbar, vgl. Sat. 3, 146 so hett ir inen ain
feder xohen mit Eberlin 1, 195 xiehen den klostern vnd thummen (Domen)
etlich feder «;/j, und 3, 132 got hat angesetzt, wil dein Antichrist ey)i
feder oder zivu rupffen, Sat. 3, 147 ir sclilaJioi in uns (Pfaffen) ivie
171 die hund mit Eberlin 1, 195 sie schlahen die pfaffen nyder als die
hundt, Sat. 3, 148 am narrensail umbgefurt mit Eberlin 1, 10 Vnser
vernunfft, sagt man, für vnfi an der kantxel amnarren seil, und 1,81
den er am narren seil füret ivie er wolt, Sat. 3, 153 das ivorl gots euch
flugs under die meuler stoßen mit Eberlin 1, 64 man wirt euch vnder
URBAN RHEGIUS 69
die nasen faren, und 1, 86 so muß man in die ivarlieii vnder die uascn
stossen, Sat. 3, 154 es iviri sielt alles on eucrn dank von im sclhs fein
schicken mit Eberlio 3,202 der teuffei... ivirt euch lre//ben. cttivas
schedlich.s xn reden o?? ewren danck, Sat. 3, 155 maii muß si mores lernen
mit Eberlin 2, 129 ma.n solle sie in der weit mores leeren.
Treten schon hier in den festen Wendungen gelegentlich kleine
unterschiede zu tage, so häufen sie sich, sobald wir das eigentlich
individuelle gebiet des wortgebrauchs betreten. Zwar dass die Satire
59 Worte braucht, die bei Eberlin nie vorkommen, darunter ganz ge-
läufige, auch gut schwäbische ausdrücke wie aiisbündicj, bis in der
Verbindung biß sontag = nächsten sonntag Sat. 3, 149, hiß, jar = übers
Jahr 3, 155, f/?//\s7/^ = kühn , ehrung, gaukelicerk, liausen, knüttel, lallen,
lebtag, nachteilig, pur, scheußlich, schinderei, taberne, tropf beweist
nicht viel, nicht kleiner ist die zahl der worte, die bei Eberlin nur in
dem noch dazu viel kürzeren Glockenturm stehen, an dessen echtheit
doch nicht zu zweifeln ist — übrigens ein deutlicher beweis für die
'lexicalische wolhabenheit' des reformators. Wichtig ist dagegen manche
abweiclumg im einzelnen. Sat. 3, 138 wird von schriftstellen gesprochen,
die uns des ersten anlaufs tuiikel sind. Eberlin gebraucht das Avort
anlauf, das seine mundart nur als schriftsprachliche entlehnung kennt.
1, 28 in anderer Übertragung: Wer weißt aber nit die mcinig fettigen
liste vnd anleüff der bösen geist, im sinne der Satire hat er dagegen 3, 90
das wort xukiuf: Du glaubst es nit, aber bi/1 .so keck V7id glaub es,
tigm einen xülauff vnd glaubs. Sat. 3, 146 wird außgericht für absol-
viert gebraucht, Eberlin 1, 92 übersetzt absolvieren mit auflösen.
Sat. 3, 140 daß wir uns des bißher redlich beflißen haben, stehen bei
Eberlin zehn stellen gegenüber, an denen er immer das simpIex sich
flcisscn, geflissen braucht. Eine eigentümlichkeit Eberlins ist das adverb
fürhin = künftig, in der Satire fehlt es, statt dessen steht elfmal hinfilr,
hinfüro. hinfürder. Eberlin hat nirgends die p^|-tikel halt, Sat. 3, 156
wird sie zweimal hintereinander gebraucht. Die Satire schilt die weih-
bischöfe fünfmal fladcniceihcr. Eberlin hätte reichlich gelegenheit, das
wort anzuwenden, zieht aber den besseren witz weitibischof vor. Die
Satire entwickelt eine grosse verliebe für das wort tuanier, Eberlin
hat es nie.
Ben auffallendsten unterschied bildet endlich der gebrauch des
Wortes lutherisch, der schon Zeitschrift für deutsche Wortforschung 3, 198
bciiihrt worden ist. Die Satire Ijraucht das wort auf 23 seifen 52 mal,
Eberlin auf 626 Seiten nur 20 mal. Noch grösser wird die diflerenz
bei prüfung der einzelneu stellen. Dcgrciflicherweise hat sich Luther
gegen den gebrauch seines namens zur bezeichnung der partei verwahrt,
bei seinen schillern ist er damit auch durchgedrungen: sie sprechen
zwar in possessivem sinne von lutherschen büchern, aber nicht von
den Lutherischen als partei. Das gilt auch für Eberlin, der 2,144,8
die Verwahrung des reformators ausdrücklich widerholt: Sollen jr sollich
lere, dadurch jr alle ding gelcrnct vnd cntpfangen liapt^ nyemandt
änderst xuschregben, dann goi^ vnd nit sagen, dise leer ist Lutherisch.
Carlstadisch, Philippisch usiv. Er ersetzt den ausdruck durch evan-
gelisch 3, 234: wider Lutherische, ga Eiiangelische leer xu Irnndcln,
oder christlich 3, 248: also vnbillicht Christus nit der Lutherischen,
das ist, der Christen leere., und wo er das wort doch gebraucht, ge-
schieht es im citat, also im namen eines anderen: 1, 195. 2, 71. 3, 160
(zweimal). 170. 179 (zweimal). 205. 206. 228, oder in den allgemeiu
verbreiteten possessivischen Verbindungen lutherische bücher 2, 92. 3, 161.
169, schritt 3. 220, lehre 2, 92. 3, 234 und lutherischer handel 2, 91.
Dagegen braucht die Satire das wort lutherisch nicht nur 70 mal so oft
als Eberlin, sondern auch ganz unbefangen in der von diesem ver-
pönten Verwendung, z. b. Sat. 3, 150 die pauren, die nit lutherisch und
des Worts gotes noch nit underricht sind.
Nach alledem bleibt kein zweifei, dass die anonyme flugschrift
Eberlin nicht zugeschrieben Averden darf. Ihr unbekannter Verfasser ist
streitbarer und wortkühner als Eberlin, noch nicht erhaben über den
kämpf gegen äusserlichkeiten der katholischen kirche und schärfer in
seiner kampfesweise.
Demselben unbekannten Verfasser ist mit Sicherheit eine zweite
flugschrift zuzuschreiben, das 'Wcgspräch gen litigcnspurg zu ins Con-
cilium ztvischen einem Bi.schof, Huremvirt und Kunzen seinem Knecht',
das Schade Satiren 3, 159—195 herausgegeben hat'. Nicht nur in
ihrem gegenständ, sondern auch in wesentlichen grundgedanken stimmt
die flugschrift zu der Klag und antwort. Wie in dieser die Regens-
burger Constitution, so werden im Wegspräch die bestimraungen der
bibel und des geistlichen rechts über pflichten und amt der bischöfe
fortlaufend commentiert, im mittelpunkt des interesses steht beidemale
der cölibat: entweder muss den geistlichen ihr unkeusches leben oder
1) Voin Wegspräch ist nach Canuneiiauders bcaibeitung, die Schade 3, 271 fgg.
abdruckt, uoch 1077 eine ausgäbe erschienen: Der Entlarvte Bischoff, Ein Gespräch
Darinnen der Papistischen Bischoffe und Pfaffen üppiges Lelicn entdeckt und ge-
straffet wird, Im vorigen Seculo Zur Zeit des Concilii Trideutini erstmals gehalten,
Anitzo zum Druck befördert und mit sondorbahreu Anmerkungen vermeinet. Dem
curieuseu Leser zu Gefallen. Vorhanden in der uuiversitäts-bibliothek zu Freiburg.
URBAN RHF.GIUP 71
die ehe erlaubt werden, lieisst es Sat. 3, 141,3 und 153, 2 wie LS8, 19,
aber die bischöfe streichen lieber den hurenzins ein und lassen es beim
alten (141,12. 153,34 wie 164,15. 182,11. 192,30), während doch
anzuerkennen ist, dass eheleute, die ihre ehe nicht brechen, keusch
leben (153, 17 wie 190, 33). Aber dann müssten ja die bischöfe selbst
ihr bisheriges leben verlassen (153, 10 wie 166, 12), also sind die kirchen-
fürsten, nicht die dorfpfaffen an der Verderbnis schuld (136,4. 143,32
wie 165,16), dass pfarrer in oöuer unehe sitzen (141,7 wie 194,35).
Aus dem 'geistlosen recht' wird 137, 30 wie 167, 26 bewiesen, dass
der Untertan die geistliche obrigkeit belehren darf und soll, der zehnte
wird 154,8 wie 182,3 hingestellt als etwas, worüber zu predigen sich
nicht lohnt, das glockenseil 141, 33 wie 181, 33 als etwas sprichwörtlich
geringfügiges angeführt, das treiben der weihbischöfe und ihre gewinn-
sucht 149, 34 wie 172, 10 verspottet. Die feindseligen bischöfe werden
157, 18 -wie 160,3 als Annas und Caiphas, der convent 137,21 wie
159, 15 als Conciliahnlum bezeichnet.
Damit kommen wir zu ausdruck und Wortwahl in beiden Schriften.
Was hierin die Klag und antwort von Eborliu trennte, verbindet sie mit
dem Wegspräch, das wort Jutherisch wird auch hier oft gebraucht, wobei
das gefühl, dass man sich den parteinamen vom gegner, nicht auf-
drängen lassen sollte, auch in der wendung lutherisch oder evangelisch
143,11. 145,8. 154,27 wie 161,23 durchschimmert. Absolvieren wird
146,8 wie 177,23 mit ausricliten übersetzt, das wort schinderei, das
Eberlin fehlt, ist aus dem Wegspräch siebenmal zu belegen, das Präte-
ritum zu seiu lautet gewesen, die formen go)i und stoii wechseln mit
gc)i und steii. Die verliebe für volkswendungen, die in der Klag und
antwort 154, 39 und 156, 17 zwei volksliedversen eingang verschafft hat,
tritt auch an zwei stellen des Wegsprächs zu tage: 172, 37 Rat ba/l,
du hast das erraten, und 174,30 verschwind als der wind, daß keiner
wider find. Wie nach 148,2 die stationierer in ainem ieden dorf ain
huren, am baren haben, sn hat nach 166,10 der hischof alhveg für. sei ff.
leih auch aiii rößlin am baren, wie die papistischen pfafien 154, 35
die bibel ablehnen: nain uns nit, unser katzen , weit hindan mit der
bibel, so 176, 16 der huronwirt eine teure suppe: Mir nit, der Jcatzen,
solich Ihcure suppen eßen. Die scherzhafte datierung 158, 19 findet ihr
gegen bild in dem Schlüsse 195,21: xii Regenspurg beim hüremvirt im
kranx,, da man säur hier schenkt, kommen ivir wider xüsamen.
Dem einwand, dass der Verfasser der einen schrift die andere
nat^hahmen krmne. ist damit zu begegnen, dass die Übereinstimmung
^'u-h doch auch auf dinge erstreckt, die sich bewusster uachahmuug
entziehen und dass in diesem falle der meister den schüler copiert hätte.
Denn die Klag und antwort ist nach dem erscheinen der Regensburger
Constitution verfasst, die sie yerhöhnt, das Wegspräch gibt, trotzdem
sein ältester erhaltener druck die jahrzahl 1525 trägt, an, vor dem
zusammentreten des convents geschrieben zu sein und wir haben keinen
grund, dieser angäbe zu misstrauen. Denn von einem decret, das der
convent Avürde ausgehen lassen, konnte man doch nur vor dem convent
reden. Schliesslich hat dieser gar kein decret veröffentlicht, sondern
sein abschied erschien als edict oder einung und verbündnis, die consti-
tutio unter diesem titel oder deutsch als Ordnung und reformation.
Eine erwähnung hätte der Verfasser neben Eck und Fabri wol auch
Cochläus gegönnt, wenn er gewusst hätte, welche wichtige rolle dieser
auf dem convent spielen sollte. Auch eine Wirkung auf die beschlüsse
des convents konnte der Verfasser nur dann erhoffen, wenn er seine
Schrift vor dem zusammentritt ausgab, und dass eine solche ein Wirkung
sein ziel war, zeigt deutlich der letzte abschnitt des Wegsprächs, der
mit sittlichem ernste und scharfer logik die folgen darstellt, die die
conventsbeschlüsse für die Sittlichkeit weiter volkskreise haben müssten.
Danach ist die Klag und antwort jünger als das Wegspräch, sie steht
aber als satire in anläge und durohführung, in characteristik der par-
teien und Überlegenheit des tons, in wähl und handhabung der sati-
rischen Waffen viel höher als das zwar gleichfalls witzige und originelle,
dabei aber recht grobkörnige, wenig durchgearbeitete, weitschweifige
Wegspräch, so dass man in ihr sehr wol das besser gelungene, jüngere
werk desselben Schriftstellers, aber nicht eine bewusste nachahmung
des Wegsprächs sehen kann.
Das Wegspräch will beweisen, dass ein huren wirf mit seinem
schändlichen gewerbe sittlich nicht tiefer steht als ein bischof, der
seinen priestern die ehe verbietet und den concubinat gegen geld er-
laubt. Ein ganz verwandtes thema behandelt, gleichfalls in form eines
dialogs, das 'Gespräch zwischen einem edelraann, raönch und curtisan',
das Schade Satiren und pasquille 3, 101 — 111 abdruckt. Ich bin chi
großer iiöswicht, so fasst 108, 37 der edeJmann das ergebnis der Unter-
haltung zusammen, der curtisan noch ein größerer, und du, münch,
der (liier grösl. Sagt der Verfasser des Wegsprächs 179, 6 von den
geistlichen: Es seind in der warheit die keibenschindcr und die hiiren-
wirt und straßräuber frömmer und heßer dann die leut seiud, so wirft
der mönch 104, 14 dem 'strassenräuber' vor: //• habts mit geivaU gr-
nomen auf freier straßen , worauf dieser entgegnet: So habt irs den
leuteii heimlich gestolen: des sind tvir bcßer dann ir. Dem henker
URBAN RHKGIUS 73
sollte man die pfaffen befehlen, vgl. 103, 10: Ließ man melstcr Gihjeii
über eucJi , der küud euch die floi/e ahkeren mit 164, 33: Nun so ijeseync
es in mein nachbaur der henker. An beiden gesprächen beteiligen sich
drei personen, wie Kunz im Wegspräch eine Zeitlang ciioralis im stift,
des bischoFs kämmerling und Substitut einer geistlichen behörde ge-
wesen ist (162,30. 177,35) und daher die entartung der geistlichen
und des canonischen processes kennt, so ist der curtisan ein eopist zu
Rom gewesen (103,26) und kann darum über die römische büborci mit
Sachkenntnis berichten. Auf den einwand des geistlichen: iDiser reget
und Statut wiJs nii leiden (102, 11), 117/- ntußen. geston bi geistlichem
recht (105,27) wird im gespräch erwidert: So hör ich wol. euer Statut
ist rner dann die U'ort, so Christus geredt hat, wie im Wegspräch:
der brauch, der der ivarheit uidrig ist, sol abgcthon u-erden , daß mau,
sol achten das der her r spricht 'ich bin die warheit'. hat nit gesprochen
'ich bin die geivo)iheit'. Die seelsoi-ger werden seelmörder genannt
105. 12 wie 188, 1 und 191. 10, die wendung 'stocken und pliJcken,'
tritt auf 104.33 wie 161,14 und 187,24. Auf den ausdruck kowhel-
u-erk im Wegspräch 173,6 fällt licht durch 106,27 wie man dann itxt
die sondcrsicclicnkoliel macht: kobel ist ein dürftiges haus, kobelwerk
geringe, unbrauchbare arbeit. Am Schlüsse beider dialoge verabreden die
drei teilnehmer einen ort, an dem sie sich wider treffen wollen, 110, 18
im Xobishaus, 195.21 ah Regeuspurg beim hüremvirt im, kranx.
Auch zwischen der Klag und autwort und dem Gespräch finden
manche berührungen statt. Der terminierende mönch im Gespräch er-
hält keinen käse und schmalz, weil die bauern aufgereizt sind (101,4),
er fürchtet von ihnen erschlagen zu werden (103, 13), entsprechend
droht die Klag und antwort 147,35: der paaren kolben . . . tverdens
den Streichern fein lueren, luid 148,5: unsere küchin werden si hin für
auch mit waßerstcuigcn auß unsern pfarrhöfen, bringen. Der mönch
im Gespräch gesteht 108,18, dass er nicht besser sei, als der raubrittor
mit den wortcn: Ei, lieber Junker, laßt uns gleich umßer an einer
Stangen tragoi, also auch hier die anspielung auf die sitte, die wasser-
eimer an einer stange zu tragen. Der harten klosterzucht gedenkt das
Gespräch mit den Avorten: So haut n/an uns (mönche) mit ruthen, die
Klag und antwort fragt 147,6: wie wann aber ain münch verspert
n-iirde, daß) er die selbe nacht in sein dosier nit kommen macht, must
nnin im dpritschen schlahen'r' Der mönch lehnt 103,19 den V(U'schlag
des ]-it(ers, mit ihm den curlisan zu ermcuden, ab: ((<■!/ Junker, das
urrc X7I rit . daran klingt an 157,32: itnr dllain mit dem thut ir in
'JX rit, du/; ir inen die hürcn vcrpict. Mit ganz ähnlichen werten
74 GÖTZE
erwähnen beide Schriften die hohen gebühren, die die kirche für ihre
leistungen verlangt, vgl. so vil kosten darauf geiveid 104, 38 mit 150, 10
ir schlagt tvol so vil zerung und unkostens darauf, und 150, 13 so
tvolt ich so vil luikostens darauf s'chlahen, in beiden Schriften findet
sich der eigentümliche gebrauch des unflectierten adjectivs^j?^;-:p«r lauter
iiarroi 102,28, auf dcn>. pur gottes lüort wollen wir hesteen 139,13.
Endlich teilt das Gespräch auch eigenheiten, die das Wegspräch
mit der Klag und antwort verbinden, so den unbefangenen gebrauch
des Wortes lutherisch {wieivol ich bös lutherisch bin, d. h. ein schlechter
Lutheraner 102, 14) oder die wendung huren am paren halteti (vgl. 106, 21.
109, 11 mit 148,3. 166,10). Ganz gleich ist in allen drei Schriften
die missachtung des kirchenbanns. Im Gespräch 101, 18 wird die frage:
Warumh vcrtverft ir in nit die geschrift oder thut sie in bau oder in
die acJit? beantwortet: die acht und der bau ist umb sie, als pfiffs ein
gans an. Noch gröber spottet das Wegspräch 173, 8 der mahnung:
M red nit also, du fallest änderst i7is bapsts han: Man hofiert dem
bnpst ein kübel vol uf seinen falschen ban. selig sind alle, die ins
bapsts ban seind und drinnen sterbe^i. Sachlicher behandelt die Klag
und antwort 145, 26 die frage: ztvar ir hettent den ban mit ceroi auch
uol laßen fallen: er gilt nichs mer , wie er von euch biflher übel
praucht worden ist.
Unterzeichnet ist das Gespräch Es ist assun. I. M., die worto Es
i.st assunn^ finden sich aber auch in der vorrede und am Schlüsse der
flugschrift 'Ein Unterred des Papsts und s6iner Cardinäle', die Schade
Satiren 3, 74 — 100 herausgegeben hat. Schon Schade ist geneigt, die
beiden stücke demselben Verfasser zuzuschreiben, eine reihe stilistischer
gleichlieiten bestätigt seine Vermutung. Statt keineswegs lautet die
negation Unterred 75, 17 und 81, 15 in keinen iveg, 108, 20 in keinem
weg; zu 86, 5 mer denn uns ^m au I Isprechen ist vgl. 102, 3 die lernen
und einbilden de)i bauren das wort gottes. Die beweisführung, in
der 94, 9 fgg. Christus dem papste gegenübergestellt wird (das) creuz,
das Christus getragen hat, hat Christus wol mußeu thün hat ähnlichkeit
mit 108, 15 /;• müßt das thun und seits genöt. Zahlreicher sind die
Übereinstimmungen, die die Unterred mit dei- Klag und antwort und
dem Wegspräch verbinden, vgl. sam. wer unser sacli nie falsch gc-
tresen 87, 32 und gleicJt satu. sollen ivir die gotheit nicld angrcifoi 88, 33
mit auf die nieinung sam soll dir einer kes oder scinnah geben 101, 11
1) Assun könnte particip zu licbr. asä '•tun' sein, das auslautende n auf nu-
nierung bcriihcn. 'Es ist vollbracht' hat i;eiade als bchlussibrniel seinen guten sinn,
bei dein Verfasser der stücke wäre dann einige kenntnis des hebräischen vorauszusetzen.
URBAN RHEOIÜS 75
und (jleich aani seiot irir schuldifj daran 186,4: c/'/ls schenxlichen
Icbcns (jcstorhcn 78, 1(5 mit in der beicht gar scheuxlich ansehen 155,21
und so reden ivarlicli die yauren auch scheiixlich von Sachen 156, 18;
CS ist auch lantcrs in uiisenn vermügcn )/ichi 79, 29 und ?/ns ivil
auch auf das kürzest au /Freden lantcrs nicht (jeximen 91, 14 mit das
könden si lauters nit halten 157, 34; Daruuib ist er ein scltsanier kun
(statt kui/d im reime auf ass/nnt) 100, ol mit iJu bist doch tuir aiu. selt-
samer kund 174, 25. 80, 10 planen die päpstlichen Vergiftung gegen
lutherische Schriftsteller, das gleiche mittel brauchen nach 1()9, 2 die
Dominikaner gegen ihre feinde.
Widerum an das Gespräch lässt sich eine fünfte tlugschrift an-
knüpfen, die unter dem titel 'Ayn freuntlich gesprech, zwyschen
aiuem H Barfüsser Müuch, auß der Prouyntz Oster- || reych, der Oh-
scruanl/., vnd ainc Löffel II macher, mit namen Hans Stösser || gar lustig
VAX Iccsen. vnnd ist || der recht grundt. |' erschienen ist. Der druck um-
fasst 15 blätter in quart, vielleicht fehlt dem exemplar der Freiburger
Universitätsbibliothek, das benutzt wurde, ein 16. leeres blatt, titelrück-
seite und letzte seite sind leer. Nach ausweis der typen stammt der
druck von Simprecht Ruff in Augsburg, ein holzschnitt auf dem titel-
hlatt (128:114 mm) zeigt im Vordergrund einen terminierenden mönch,
der an einen tisch tritt, an dem ein löffelmacher und eine frau sitzen,
im hintergrund einen zweiten mönch mit beladenem esol, dem eine
bäuerin mit erhobenem besen entgegentritt. Die schritt beginnt damit,
dass der barfüsser den löffelmacher begrüsst und über die geringen er-
folge seines bettelns klagt. Ganz wie zu beginn des Gesprächs 101,4
<ler mönch klagt: ich bin außganycn, kes und schmalz xii sammeln,
aber es hat mir weit gefeit, schildert der barfüsser seinen misserfolg:
Ich bin au ff dem käf] geiadt gewesen, hab aber nit ril außgericht.
(iot gel) dc))i ke/! jogen ain gnts jar. Ain kejl jcger soll ee gut stragch
eriagcn au ff disem geiadt dann groß» fayßt keß , ich denck sein nge
so schlecht, ich bin doch XV. jar auff diss geiecl außxogen. Dort fragt
ilfT litter: Ei, ivie kumpt dasf hier der löffelmacher: Ey Igeher brüder,
u-ie kiimpt es dann, luollen dann, die faistcu, kefl nit mer jnfl grirn
grcn'f Und beidemale folgt dieselbe erklärung, dort: es hat der teufet eleu
L/iIhrr in alle laut gefurt. sie haben i)i mit haut und luir (jar freß>en . . .
sie küuden vou der schrift reden, sie sind mir xu geschickt, lüo ich
hin koium, hier: ich wolt das der Luther, ich iraijt nit wa wcre, er
11/11(1// dir grnbrii bau-rcii aiiff hoiie)!, bergen n/d lalrrii also geirrt,
U(i ich :.H aim lunrreu hau/1 ku})nu . bilt jn ru//» ain ahunscn, ist
das erst wort : der J^uthcr rcrbctrl, man soll kagm müuch ain ahnüscu
76 GÖTZK
gebe}i, sy solle)} arbaiten usw. Im weiteren verlauf zeigt die Unter-
redung mannigfache berührung mit den andern satiren. Der löffel-
macher fragt den möncli, ob er lutherisch sei, dieser weist den namen
lutherisch ab und nennt sich einen' Christen, trotzdem wird im verlauf
des gesprächs die bezeichnung lutheriscli mehrfach ganz unbefangen
gebraucht, ganz wie in Wegspräch, Klag und antwort usw. Weiter
befragt, was er über Luther denke, sagt der mönch nach Zusicherung
der tiefsten Verschwiegenheit, er und seine Ordensbrüder hielten Luther
für einen gottesfürchtigen, erleuchteten propheten, der die verführten
schäflein zu Christus zurückführe. Der löffelmacher vergleicht das arme
volk dem baren, der nach der pfeife tanzen muss: u-olten, ivir uit
hupffcji nach eweru meiisdilicheH landt meren, so hrcuni das fewr in
allen gasscn. Er wundert sich, warum dann die mönche änsserlich
Luther so feind sind, der mönch verweist auf das gebot des papstes.
Der löffelmacher erkennt darauf in Luther und den seinen Christi
wahre nachfolger, die ungerecht verfolgt werden wie der herr, in den
mönchen gottes feinde: Ir wist haß xitsagen von herr Dietrich von
Bern, ivie er mit her Signot strit vnd mit Knnig Laurein im Boscn-
garten ^ü Worms, vnd von ewerm Haydnischen maister Narresloteli,
mer, dann in der Bibel geschriben steet. Die bibel wird im kloster
höchstens bei tisch gelesen, wo jeder nur darauf achtet, welcher das
(jvost stuck visch^ oder das besser stuck flaisch oder ain grosser)! becher
u-ei)/ trenn der a)i)ider hab. Viel mehr gewicht wird auf die ordens-
satzungen gelegt, zu ihrer ausbildung oft und mit grossem aufwand
capitel gehalten. Die Schilderung dieses aufwands (b2b) erinnert stark
an das Wegspräch, hier redet der wirt 163,17 den zum convent
ziehenden bischof als hauptmann an und fragt ihn 163, 30 Wo nril euer
gnad hin mit so vil ])fe}-den? dort erzählt der mönch: Es ziehe)) etu-an
rj. oder viij. miuich i)is Capitel, haboi ai)is, xivay oder drey roß V)td
tti}te)t k)techt. Hier schätzt der bischof die kosten seines zuges auf
Nit 7ni))der denn xwei tausent guldin (164,6), dort berichtet der mönch:
Jmm jar M.D.XXiij. xoch der oberst der Proui)ilz Osterreich in ai)i
Capitel ge)i Burgis in Hispcuiia selbs sechst, mit ayne))i htccht, trüg
mit j)n rierthalb hundert gülden Reinisch, und der löffelmacher urteilt':
Das werc aim g)-osse)i herrot cd)) ecrliche xerujig geiveset). Die strengen
gosetze, so fährt der mönch fort, gelten nur für die armen brüdur. die
grossen Hansen sorgen schon für sich in ihren capitcln, die der tcufcl
regiert. Den goist, der hier herrscht, schildert ein satz, der durchaus
an die tcndenz des Wegspräehs gemalint: /;/ ay)ier of()te)i Toner ))cn,
ich troll gcr)) sp)xchc)/^ so ich dür/j't, /// ai))C))i offtioi ß-(uve)ihauß,
ÜHBiN RHEfllüS 77
uirt bess-ere xncht yeltaUcn , dann in der MüiicJi n/d Nunneii Capitel
(b3a). Die Statuten sind gottes wort zuwider und verleiden dem
niederen clerus das leben. Sie könnten die kneeb tschaft wol abschütteln,
halten aber nicht zusammen, dann so xerget am solche gemayn die
xertailt ist . . . als Crisias sagt 'Ein yeglichs reich das in jm xertailt
ist, ivirtt xerstort' (ganz entsprechend fiilut der niedere clerus Klag
und antwort 143,24 Luc. 11,17 an: otnne regnwn in se divlsum de-
solabitnr). Viehnelir herrscht unter den niünchen der ärgste neid und
hass, der loffelmacher schildert ihn 64a mit den werten: tco ainer den
andern in aim leffel ertrencken macht, so thet ers gern , genau wie der
mönch des Gesprächs 101, S von den bauern sagt: luenti sie ans in
eini leffel kanten ertrenken, sie thetens gern. In schreiendem Wider-
spruch zu dieser Verkommenheit steht der geistliche hochmut der münche:
Wir ivollen durch vnsere aigne icerk xü hymel faren, ja wie cän küw
in ain tneü/jloch. Ihre Seligkeit widerspricht dem evangelium, denn
das lehrt die gerechtigkeit aus dem glauben, ihm hängt aber jetzt wie
zu Christi zeit nur das gemeine volk an, nicht die gelehrte geistlichkeit.
Predigt und glaube ist der wahre gottesdienst, der der mönche ist
wertlos und auf den schein gerichtet, ihr gebet ohne andacht, ihr dienst
im chor leichtfertig: wir ivir hinein lauffen, kalt vnd dürr in der an-
dacht iinl lieb gottes, also lauffen wir ividerumb herauf >', lab (lau)
rnd kalt, das haissen nur got gelopt (c3b). Die messe ist ein teufels-
gottesdienst, bezahlt von dem blutigen seh weisse der armen, das fasten,
von gott nicht geboten, wird zur schlemmerei, ihre wahren Christen-
pflichten, die werke der barmherzigkeit, vernachlässigen sie. Darauf
erzählt der mönch die geschichte seines eintritts ins kloster, die er auf
die forniel bringt: warlich vor got bin ich kain Profefi. Darum will
er mit dem mönchtum brechen, die kutten an ain xaunn hencken und
die gelübde ablegen, die doch nicht gehalten werden, weder armut noch
keuschheit noch gehorsam: die kutte deckt manchen buben. Damit
Inicht die Unterhaltung ab, ein anderer bettelmönch kommt dazu ge-
huifen, auf der flucht vor einer alten bäuerin, die ihn, statt ihm einen
Icäse zu schenken, mit einem besen übel zugerichtet hat. Auch er klagt
über den schlechten erfolg des terminierens und erinnert damit wider
an den eingang der Unterhaltung, während das verhalten der bäuerin
an die stelle der Klag und antwort gemahnt, an der den stationiereru
in aussieht gestellt wird, unsere küchin werden si hin für auch mit
waflerstangen aufj tinsern pfarhöfen bringen (148, 5).
Das Gespräch ist nicht frei von längen, namentlich wird die bibel
so ausgiebig angeführt, dass die darstellung leidet und der zusammen-
78 GÖTZE
hang oft unterbrochen wird, es fehlt zum teil der frische schwung und
die warme begeisterung, die sonst den satiren der frülien reformations-
zeit kraft und färbe gibt, aber die flugsehrift ist gewandt und aus einem
gusse geschrieben, voll treffender urteile, klar und straff in ihrer beweis-
iÜhrung. In stil und ausdruck erinnert sie auf schritt und tritt an die
vorigen flugschriften , nur ein teil der anklänge kann hier aufgeführt
werden. Klag und antwort 139, 1 werfen die lutherischen pfaffen den
papisten vor: iceJcl/e leer euerm geivalt, eer und herligkeü mcr dienet
und fugliclter ist, . . . die nempt ir an, der Lüffelmacher spottet b 2a
ir Jiet kain fugliclter zeit Jcünden erivolen , die Bibel ■xüleseu , als die
weil man ysset. Unterred 86, 10 spendet die hölle dem papste das
lob: uns ist auch von vileii und langwiriger zeit gefellig gewesen die
groß hoffart, geitigkeit, unkeuscheit . . . so bei euch teglichen geu-onl
ist, der Löffelmacher zweifelt b 4b an derartiger frömmigkeit: 0 got
von Idmel, ivie fast ist dir solche geystliciiait angeneme v//d gefellig.
Die kardinale erscheinen Unterred 77, 12 in aller geflißener gehorsam,
der Löffelmacher rühmt b Ib, ivie eiver Fraucisciis das hail der seien
so fleysig gesiiclit hab, vnd darumb so geflissen sey gewesen in ver-
kündung des Reicii gottes. Mehrfach brauchen die satiren das verbum
handhaben wie Wegspräch 191, 13: die bischof, die solich. teufelsche
leer und satximg umb sehen tlichs gewins tvillen, lianthaben, ebenso
Löffelmacher a 4b: xü bedencken, wie sy jre Frouinixen vnd Regel,
auch Statuten in steiffer obsernantz behielten vnd die handthabten.
Gespräch 108, 15 äussert der mönch: /;• müßt das thun uttd seits ge-
)iöt, Löffelmacher c 3 b Oenotte freüd thüt selten gut. Plerren bedeutet
Klag und antwort 152, 11 nicht weinen sondern schreien: icann wir
ain feir- oder f asttag beim bau pieten , so pfeift nuin und plerret über
uns ivie über die Juden, ebenso Löffelmacher b 3a ivelcher xur selben
zeyt schhfft, höret jr heülert vnd lüerren nit. Der oben angeführte
gebrauch von sam, der Klag und antwort und Unterred verbindet,
findet sich auch Löffelmacher c 3b: Lauffen also in aller leychtfertig-
kait gen Chor, sam färt oder jaget vns der Teüffel hinein. Schalkheit
hat noch einen bösen sinn Löffelmacher b 4 a ivie sy jre gleißnerey
vnd schalckhait vor den Lagen verbergen wie Gespräch 109, 1 da/> der
gemein man vnser schalkeit aller innen tvorden ist. Wie im Wegspräch
188, 1. 191, 10 selmördisch , so begegnet Löffelmacher a 3b seimörderisch.
Der Vorwurf, dass sie das wort gottes wider fechten wird Unterred 99, 18
den fürsten und herren, Löffelmacher b 4b den barfüssern gemacht:
Was dürfft jr Barfusser euch des Eucmgelischen namens rumen, so jr
für alle ander der weit auffs höchst darwider fecht, der blitz heisst
URBAN RHEQIUS 79
Klag und antwort 147, 20 das will feuer, ebenso Lüfielmacher d *Jb*
Wir halten die keuschaii, das i/it ivuiider icär, das irild fear i-erprent
1-//S mit sanipi dein Closter.
Daran schliesst sich der gleichmässige gebrauch einiger fester
Wendungen, vgl. si solten yrüßern ernst erxci()e)i luid flei/i ankeren
Wcgspräoh 188, 10 mit: der frumm Luther kerrt allen initgliehen /lei/j
an Löft'ehnaclier a 3a, und solclis xüthün. jren predigern vnd brüdern
festigklirh gebieten, vnd grossen /ley/j ankeren b la; ir keret eben das
hinder herfär Klag und antwort 145, 30 mit So keret jr münch vnd
pfaffen das hynder her für c 4 b. Der mönch äussert d3a grosse furcht
vor entdeckung: so man es aiiff mich jnnen ivurd, legt man mich von
stund an in die Pressaun , ebenso <\qy mönch im Gespräch 109, 35
Warlich es ivere ein gute ineinung, wenn mans idt innen ivirt. Ge-
spräch ICH, 22 wünscht der edelmann dem curtisanen ein Guts jar,
zweimal braucht der Löffelmacher diesen wünsch: Oot geb dem keß
jagen ain giits jar a 2a und Eg so hab im glegch ain gut jar d 3a.
Ei Junker, ir spart die warheit, wirft im Gespräch 107, 1 der mönch
dem edelmann vor, Löffelmacher c 2a wird einem prediger nachgesagt
Datin da hat er die warhait gar seer gespart. Es bleibt nach alledem
kein zweifel, dass das Gespräch zwischen dem mönch und löffelmacher
demselben Verfasser zuzuschreiben ist, wie unsere vier Satiren.
In denselben kreis scheint endlich das folgende gedieht vom
almosen zu gehören, das ohne angäbe von ort und jähr, jedoch nach aus-
weis der typen bei Jobst Gutknecht in Nürnberg und sicher zu anfang der
zwanziger jähre erschienen ist. Der druck umfasst vier blätter in quart,
titelrückseite und letzte seite sind leer, die verse sind rechts und links
von Zierleisten eingefasst. Zwischen zeile 4 und 5 des titeis steht ein
holzschnitt, 121mm hoch, 107 mm breit, auf dem ein bürger aus einem
vor ihm stehenden korbe einem mönche nach rechts und einem geist-
lichen nach links brote spendet. Über dem mönche ist' eine teufelsfrutze
sichtbar.
Was nutzung von dem Allmüsen
kompt, das mau den Pfaffeu, München,
vnd andern vunottüi-fftigen
niittailet.
Almusen haiß ich
Wer mich kaufft der leß micli.
AfErck Iiie ain ycder bidermau Almusen raubet, uymjit vud stilt,
\Va.s das ahnnson siudeu ' kan. .Vlmösen stichst vnd turniert, 6
Allnuisen dopelt- vnd auch spiU, Ahnns<in herrscbet vud regiert,
li Druck: linden. 2) wüi-felt.
80
Almüseu lebt in fresseroy,
Treibt vil boßbait vnd büberey,
Alinfisen macliot reichlich prassen,
u> Schreyet vnd juchtzt in allen t'jasseu,
Alinuseu reytot schone pferd
Vnd hat ain vndücbtigs geberd.
Almüsen lasset sich nit zemen
Noch von der buberey sich nemen,
15 Almusen hat kain rechten orden.
Ist offt zfi ainem sclialck geworden.
Almiisen lasset sich auch weyhen,
Man mfiß jm offt die weiber leyhen,
Almüsen ist gantz worden blind,
20 Verfuret vnser w^eib vnd kind,
Es seit vus wirckeu vusei' liail,
So ist es laider vil zügail.
Alnii^seu stecket in der kutten,
Tregt guten wein haim in den butt^n,
25 Almüsen wandert weit vnd brait
Bringt irrung in die Christenhait.
Almtisen bawet Fest vnd heüser,
Wirt zu aim hüben vnd verweiser,
Almüsen vns arm leüt offt schendt
ao Vnd mit ir gleichßnerey verblendt.
Almusen tregt den ablaß fall,
Dardurch entspringt vus groß vnhail,
Almüsen geet in hohen hauben,
Tregt mäderin ' vnd füchsiu schauhen,
35 Almüsen wirdt reiehei' dann wir,
Das kan man nymmer leiden schier
Noch in die lenge nit meer dulden,
Ob Juans schon nit behalt bey hulden.
So thü ich auch daran nit liegen:
40 Almüsen thüt all weit betrigen.
Almüsen mainet fromm zusein,
So ist es nur ain falscher schein.
Almüsen muß mau fron vnd Zinsen.
War gut man gab im nit ain linsen,
45 Almüsen wil all s.chätz außwülen
Vnd alle schone weiber bülen.
Almfisen solt vns selig macheu
So gibt es zu der sünd vrsacheu,
Almuseu geet in kutten, rocken,
50 Auff das es vns müg gelt abschrecken.
Vom almüseu nocli aius vovmerck:
Es tregt fall alle gute werk.
Die müssen wir dann theür eikauffen
Und thüt vns da mit überlauft'eu.
Almüsen zeucht nit gern im karren 55
Vnd machet in der schi'ifft vil narren,
Almüsen ligt nit gern auff henken
Vnd thüt dem Bapst vil gülden schencken.
Almüsen wil groß herschafft pflegen.
Kau sich doch betlens nit verwegen co
Vnd wil sich nit benügen lassen,
Es lauft't durch alle land vnd Strassen,
Ir sack der wil nit werden vol.
Wie fast man fült so bleibt er hol.
Almusen bschetzet alle land, t3ö
Sol maus lang leiden ist ain S(:hand,
Er wäre dann wol angelegt
Vud nit als gar im geitz ersteckt.
Almüsen solt sicii willig leiden
Vnd alle schand vnd laster meiden, 7ü
Auff' das es auch mocht frucht gebereu.
So fand man leüt die gebens gereu.
Almüsen machet faul vnd treg
Das man nit geet den rechten weg,
Der Jesus Christus selbert ist,, 75
Es ligt stäts auff beschiß vnd list
Vnd gibt vrsach zu bösen dingen
Das man sunstnymmer mocht volbriugeu.
Das macht: der pfenning hat es vil
Vnd bringt zuwegen was es wil. so
Der woUust mag jm nit entgeen
Vnd darff auch nit in sorgen steeu.
So wirdt denn aller ding vergessen,
Des man sich zu jm hat vermessen,
Nemlich: es solt vns nutzung bringen 85
Für vnser sünd in vilen dingeu.
Das sy bißher versäumet hat.
Woll got das yetz nit sey zuspat,
Das wir es noch mügen erlangen
Darumb es dann ist angefangen. 90
Almüsen arbait auch nit gereu-,
Vnkeüschait mag sy nit emberen
Vnd ander bösen sünd auch vil,
Die ich nit all erzeleu wil.
1) Von marderpelz, vgl. Liliencron, Die historischen Volkslieder der Deutschen
1, 417. Verhandlungen über Thomas von Absberg, hg. v. Baader 298, 2.
2) Druck: gern.
URBAN RHEniUR
81
Almuseii ist gaiitz gwallig wnideii.
AA'il nymmer halten seinen oiden,
Hat }i;ar genommen überhand.
Kriegt Fürsten, horren, luül vmi laiid.
Derhalben hüt sich yoderman
Wer almüsen vei'leylien kan.
Dann es gebürt vil seltzam bossen,
Man solt sich billich daran stossen.
Das siciit man an den priestersg-sellen,
Wie sy nach weltlich prachttliünd stellen.
Alniusen bringt vns offt in not
Mit fewr vnd bau vnd anderm spot.
Nein man darfür ain grossen schlegel
Odei- ain gi'iten starcken pflegel
Vnd legts dem betler auff den rucken.
Das er sich zii der erd thdt bücken
Vnd gab jm kain almüsen meer,
So blib vermitten vil vneer,
Dann pfaffeu, Aiclihorn, Affen, Raben
Sol kain weiß man in scim hauß haben.
Dann man ir .selten nutzung hat:
Vermeids ain yeder, ist mein rat.
Der disen sprach hat zugeriolit
Der liat nit alle ding bericht.
Sonder ain wenig daruon gschriben,
Dann vil ist in der feder bliben.
Den krancken vnd ha\iß armen leüton
Gib almusen zu allen zelten.
Dein almüsen solt du regieren
Mit pfaffen, münchen nit partiereu,
Dann sy thünd zinß auff dSrffer leihen.
135
140
Es wirdt jn zu der hell godeylien.
Sy riimen sieh vil gelt vnd gfit,
Mit vns zürechten ist ir müt.
Mit büchsen woU wii' jn vortraben.
Den selben bosen betlers knabeii.
Es ist fürwar ain grosse schand.
Das mans sol leiden in dem land,
Das souil vnkeüsch münch vnd pfaft'en
So groß vnrecht vnd laster schaffen.
Die weder üben, beeten, fasten,
Oedencken nur an ireu kästen,
Das dei' selbig erfüllet werd,
Vnd reiten mügen hohe pferd,
Mit schonen frawen trincken vnd essen,
Der gotsdieust wirdt von jn vergessen.
Das macht das übei'flüssig gut.
Das man jn täglich raichen thüt.
Wir intiineii es komm vns zum frommen
Das sy uns haben abgenommen,
So sy doch huren darmit neren u
Ich wolt schier zti den haiigen schweren,
Sy beeten mit dem stül zu Rom,
Der nye kain beet in syn hat gnom,
Vnd das sy nichts gefastet heften.
Sy ligen lieber in deu betten
Bey iren motzen biß an morgen
Ynd thünd nit vmb das gotswort sorgen
Ir fürnemen ist Simoney
Vnd noch vil erger büberey.
Almüsen geben ist wol gut.
Wenn man jm änderst auch recht thüt
150
Metrisch ist dieses gedieht vom Almosen den versen, die die
Unterred beschliessen, durchaus gleich: hier wie dort vierhebige kurz-
zeileu mit steigendem, monopodischem rhythmus, paarweise gereimt,
ganz selten begegnen gebrochene reime, fast immer bildet ein reimpaar
aucii einen satz. Die reimtechnik ist die denkbar anspruchsloseste,
meistens .stehen allerweltsworte im reim, dann und wann aus Verlegen-
heit ein seltner ausdruck oder ein fremdwort, z. b. and 98, 15, breit
(^ braut) 100, 14 turniert Almosen v. 5, linsen v. 44, pai'tieren 124,
zur not wird eine wortform verstümmelt: kun statt kund im reim auf
assnnn 100, 81 wie (jnom statt genonnnot im reim auf Bom Almosen
v. Mn. Ein ungewöhnlicher reim ist beiden gedichten gemeinsam:
Auf erden ist nichts das sie bewegt,
Der teufel hat sie all ersteckt 98, lüfg.
ZKITSCHRIFT F. DEUTSCHE PHILOLOGIE. BD. XXXVII.
82 GÖTZE
und Kr wäre dann wol angelegt
Ynd nit als gar im geitz ersteckt. Almosen 67 fg.
Der Pingang jonor verse:
Vergebens bin ich ziigericht.
Mich bat ein scbleebter doctor dicbt üS. 11 fg.
erinnert in luisdriiok und reim an das vorspaar, das im Almosen den
schkissabschnitt einleitet:
Der diseu sprach hat zugericbt
Der hat nit alle ding bericht. Y. 11 "fg.
. Auch von dem metrischen abgesehen finden sich genug Über-
einstimmungen zwischen unserm gedichte und den fünf besprociienen
tlugschriften. Das wort abschreckrn steht v. 50 wie LriffelniiU'her cob:
Es muß iicmlicli aiii ainfcUiger jiaiger teüffel sein, de))} trir mit
vnserm (jehet aiii seien ahscl >r ecken ; huherey begegnet v. 8. 14 und 154
wie 108, 29. 106, 10, schalck bedeutet schurke v. 16 wie 108, 21, das
verbum /)-ow = frohnden v. 43 stellt sich neben frönen 105,9, fast be-
deutet sehr V. 64 wie 9H, 10 und fehlt in der bedeutung beinahe, die
Wendung >,u ivegen bringen erscheint v. 80 wie 77, 11. 81, 12, der
dreschflegel wird v. 108 als Strafwerkzeug verwendet wie 178, 5 und
hat, worauf namentlich wert zu legen ist, beidemale die form pflege!,
den geistlichen wird v. 138 vorgeworfen, sie trachteten allein danach,
wie sie reile)i mügen hohe pferd, 106, 20 wird der mönch gefragt, ob
denn die klöster allein dazu gestiftet seien daf] ir mif iiohen rossen
reite}!. An die vielen juristischen kunstworte, die die flugschriften
bieten, reiht sich bidernmn an, das v. 1 wie 107, 18 begegnet (vgl.
Herrn. Fischer, Schwäbisches Wörterbuch 1, 1096), theologisch ist die
Wendung Es soll vns tvircke)/ vnser hail v. 21, der sich 195, 18 nmb
vergmigjie silnd bfif^ mit mir ivürken vergleicht, vielleicht auch <ler
ausdruck irrung, der v. 26 und 139, 8. 9 widerkehrt. Die fordernng,
liaiisarrnen leiden almosen zu geben (v. 121) begegnet auch Löffelmacher
a2b: Man sol haiißarmen leütten helffen vnd rathen.
Dass Inhalt und richtung des gedichts keinerlei Widerspruch zu
den fünf flugschriften zeigt, bedarf keines beweises: überall die gleiche
i'oformatorische begeisterung, die mit demselben eifer und gesciiick,
aber auch mit denselben waffen gegen päpstUche missbräuche ankämpft,
klar und scharf in der abwehr, witzig und glücklich im ausdruck, stets
den blick auf das praktische und erreichbare gerichtet.
Sind damit die sechs stücke als werke desselben mannes erwiesen,
so ist damit zugleich eine hinreichend breite grundlage geschaffen, um
ihren Ursprung zu l)estinHnen. Zunächst steht fest, dass sich die zweite
ÜRBAN RrfF.r.IUS 83
Satire hanptsäeblich gegen den erzbischof von Salzburg richtet. Drei
hisehöfe nalimen am Regonsbiirger oonvent teil, der Regensbnrger, der
Trienter und der Sal/burger. Der Vertreter von Regensbui-g war genau
genommen nicht hisehof sondern administrator, er brauchte auch nicht
über hnid zum convent zu reiten, biscliof Bernhard von Trient kam
mit erzherzog Ferdinand zu schiffe nach Regensburg \ also passt die
beschreibung nur auf den cardinal erzbischof Matthäus Lang von Salz-
burg. Dass immer nur von einem biscliof, nicht von einem erzbischof
gesprochen wird, darf dabei nicht irre machen, spricht doch auch Hans
von der Planitz in seinen berichten s. 138, 25. 144, 8 u. ö. oder Rem
in seiner chronik (Städtechroniken 25, IIH u. ö.) vom bischof von Salz-
burg. Die beschi-eibung passt, so sehr sie übertreiben mag, treft'lich
auf Matthäus Lang.- Seine liederlichkoit Avar bei den gegnern sprich-
wörtlich. Als 152.3 das gerücht ging, er solle papst werden, schrieb
Hans von der Planitz (Berichte s. 583), der keineswegs in gereiztem
tdue über ihn zu berichten pflegte und an andrer stelle der diploma-
tischen kunst des cardinals völlig gerecht wird (306 fg.) nach hause:
Wue (Ja.s geschee, /!o stunden alle Sachen recht; verJioffet ich, hübsch
frauen und jtmcjfranen lib xu hahoi etc., wnrde kein ßunde nicht
sein, lind do niusten sich alle Lutherische drnfjkoi und leiden. Noch
schärfei- drückt sich Eberlin 3, 163 aus: solich lenth iröllen gots wort
beschirmen , rnd icissent sie minder von gotis 2Vort, dan der Cardinal
Laug von xuchtiger keuscher erberkeit. Dass ihm die geistlichen ge-
schäfte seines erzbistums völlig nebensache waren, dass er viel und
lange in diplomatischen geschaffen von seinem bistum ab-\vesend war
und nie eingehendere theologisfhe Studien geti'ieben hat, missbilligt
auch sein gewiss wol wollender biograph Hauthaler.'' Dass er mit un-
gewohnter prachtentfaltung aufzutreten pflegte, erzählen die Zeitgenossen
teils mir kopfschütteln teils mit bewunderung.'^
Matthäus Lang stammte aus einer Augsburger familie, war seit
1500 domprobst in Augsburg und besass seit 1507 schloss Wellenburg
bei Augsburg. Die Augsburger Chronisten beschäftigen sich mit vor-
1) Chrouiken deutscher städte 15, .'»0.
2) Vgl. über ihn uanieiitheh Jo.sef Sohmid, Des oardiuals uud erzbischof.s vuu
Salzburg Matthäus Lang verhalten zur reformation. Phil. diss. München 1901. Über
Längs Weltfreude s. 7, über das Tributnm coucubinarium s. 28. über die sittlit'hen
Inisstände in seinem bistum s. 100.
3) Mitteilungen der gesellschaft für Salzburger landeskunde 3;"), 154. 102. lüG.
173. 198.
4) Das. 154fg. Ulmann, Allg. deutsche biographie 20, GIG. Chroniken deut-
scher Städte 1.'), 57. 23, UG. 2.5,231. Zinunerische chronik, hg. von Barack 2,419.
6*
84 GnTZK
li(;l)e mit doni herühnit gowordenon kinde ihrer stadt. Dass das Wog-
^^priich seine persüulichkeit in den niittolpiinkt der betraciitung stolH,
beweist darnni nicht, dass die flugschrift vom erzbistum Salzburg- aus-
gegangen sein müsste. wir dürfen vielnielir den mancherlei spui'en
folgen, die sie und die fünf andern sohriften nach Augsburg weisen.
Alle stellen der flugschriften , die auf Ortskenntnis und örtliche Inter-
essen schliessen lassen, betreffen Baiern, nur in der schritt vom I.riflel-
macher treten daneben einige örtliche beziehungen auf, die ins Tnntal
weisen. Da wird a4a ein prediger zu Schw^atz mit namen Bernardinus
genannt, der dem teufel seine seele verpfändet haben soll, dass alle
lutherischen ewiglich verdammt wären, ferner ein scholastikei' Michael
von Prauneck, der sich in Graetz, Schwatz und Bozen unmöglich ge-
macht hat, dann auf seite bla zwei evangelische prediger, die kürzlich
aus Schwatz vertrieben worden sind und d2b wird zweimal Jacob von
Stuttgart als gardian des am Gespräch beteiligten mönches genannt.
Alle andern beziehungen Aveisen auf Baiern: der convent, über üon
die Klag und antwort und das Wegspräch handeln, wird in Regensburg
gehalten, vor dieser stadt spielt das Wegspräch, voi' Nürnberg das
Gespräch, der curtisan erzählt 108, 2(), er sei v?/ liegenspiny (Jahchneu,
bei fjfdeiu Frankenwein begehen 176,37 die geistlichen die Jahrzeiten,
das einzige Schriftwerk, das neben der Regensburger Constitution er-
wähnt wird, ist das breve papst Adrians an die von Bamberg (186, 8).
Die Schilderung des raubritterwesens im Gespräch passt am besten aut
die fränkische ritterschaft, Hans Thomas von Absberg und seinen kreis,
die mit den städten lange in fehde lagen, bis im juni und juli 152;»
die expedition des schwäbischen l)undes dem unwesen ein ende zu
machen suchte und für die verfolgten, geächteten raubritter die zeit
der not anbrach, über die der ritter im (xespräche klagt. Der Verfasser
nimmt gegen die ritter partei, wenn er sie auch für besser als die
geistlichen erklärt, er ist selbst kein edelmann, sonst könnte er nicht
sagen, dass jetzt büberei, mord und alle laster den edelmann ausmachten
(106, 10). Dabei versetzt er sich aber doch mehr, als es die quellen
der zeit sonst versuchen, in die Stimmung des stegreifritters, erkennt
die not seiner läge an und weiss von hier aus sogar einige s^'mpnthio
für ihn zu gewinnen. Wir dürfen wol in dieser auffallenden mittei-
stellung eine folge von Luthers sendbrief an den adel erkennen, dei-
in dem sinkenden stände noch einen wertvollen bundesgenossen zu ge-
winnen hoft'te und damit wol auch seine anhänger in süddeutschen
Städten voi-übergehend zu einiger Zurückhaltung gegen die ritterlichen
feinde veranlasste.
URBAN KHKOIUS 85
All cinzelheiten weiss unser aiitor über das raubritteilebcn nicht
melir, als man hinter den mauern der städtc erfahren icünnte. JJass
/. 1). die ritter unter umstünden vierzig stunden im sattel geblieben
waren und (hihei nichts als hrot zu essen hatten, dass gelegentlich auch
ein mönch zu ihnen hielt, hatten gefangene und heiter Absbergs zu
Nürnberg im verhör ausgesagt, vgl. Verhandlungen über Thomas von
Absberg hg. von Baader, s. 21. 24. 58. 122. 131. Auch sonst ist der
Verfasser mit seinen Interessen und kenntnissen städter. Zur erapfehlung
der priesterehe sagt er 188, 3(), man brauche zunächst den söhnen der
geistlichen keine ämter einzuräumen, dil'> slat tu (jewaU der oberkeU,
(jleich wie man in etliche// stette/i kein freinhden in rat evipfacht. Die
regelung des alinosenwesens wav eine frage, die bei durehführung der
rcforination an die städtischen Verwaltungen herantrat, nicht die miss-
hräuche der landstreicherei stellt das gedieht Vom almosen dar, sondern
(Ion von der alten kirche organisierten städtischen bettel, der in Autrs-
bürg durch die städtische almosenordnung vom 21. märz 1522 beseitigt
wurde. Und Jin das litterarische leben gerade dieser stadt lässt sich
•las gedieht anknüpfen. Unter dem namen 'Das almosen' verspottet
ein gedieht von Ulrich Wiest, das während des markgrafenkrieges 144!»
aus der Augsburger singschule hervorgegangen ist, die herren vom
Augsburger domcapitel. Da heisst es^:
ilen gaistlichen ist almusen nit gegeben Das almdseii diu beste pfeite reilt.
dal) si der cristculiait söhi wideistrebeu; das ahnfisen im lindsten bette leit
si füren unordenlicheu ir leben: es hat den grösten woUust in der zeit.
das almusen durnieret unde sticht, das almiisen das tregt die besten wat.
das alnuisen das hadert unde ficlit, das almusen die beste klaiuet hat,
das almusen treibt alle ungeschicht. icli kan nit vindeu wa es gsehribcii slat;
_ , , , , , •, '-1'^-'^ almusen das zeucht die zartste leib.
I)a.s almusen das ludert unde suilt, , , - , «- , , i •• ^ -i
, , , , ., das almusen das pfligt der schönsten weib,
das almusen das raubet uudc stilt. ■ , • i o i • ■ , ,
ich main daßs kam lerer zum rechten
da.s almusen kamer buberei bevilt. , .,
11 1 , . , . schreib.
ua.s almusen das danzet unde sprmgt.
das almusen hovieret unde sing-t, Uas almusen vermag guldin und gelt.
da.s alimisen alle unrecht verbringt. das almi'.seu das hat das reichste gezelt,
da.s almusen das jaget unde baist. es treibt die höchste lioffart in der weit.
das almusen das krieget unde raist.
das almüscu wittwen und waisen naist.
Das alte meisterlicd ist zweifellos dem vei'fasser unseres gedichts
Vom (dnnjscn bekannt gewesen und hat ihn vielfältig, nicht nui' an
der ausgohobenen stelle zur nachbildung angeregt. Dass sich aber da>
Augsburger meisterlied so lebendig gehalten hätte ausserhalb der Stadt.
D Lilieucioii. Die historischeu Volkslieder der Deutschen 1. 41(i.
8(j GÖTZE
in der es entstanden ist und deren zustände es zum ziele hat, ^ist
unwahrscheinlich.
Es liegt nahe, nun auch für die andern flugschriften litterarische
Vorbilder zu suchen. Die Klag und antwort will ja nichts anderes
bieten als eine fortlaufende kritik der Regensburger Constitution und
ist ohne diese nicht denkbar. Aber auch die Unterred lässt sich auf
eine litterarische anregung zurückführen. Der patriarch erzählt hier
81, 30: man findt klerlich in der lügend des heiligen sanci Brandons,
wie er etliche jar auf de^n niör gefareu luid ganx seltsame wunder
erfaren. nemlich ist er vor dem paradeis gewese)t und xeigt an alle
gelegenheit, ivie es gestalt sei. Die sage von Sant Brandan war zu
anfang des 16. Jahrhunderts aus dem vielgedruckten Volksbuch ^ wol-
bekannt, von ihr aus ist unserm autor der gedanke des gewaft'neten
zuges vor das paradies gekommen, das mit seiner mauer, seinen zinnen,
toren und dem hangenden wege, der hinaufführt, im Volksbuch eine
grosse rolle spielt (vgl. Schröders ausgäbe 170, 10. 25. 183, 1 fgg.).
Nur flüchtig sind einige berührungen, die Klag und antwort und
Wegspräch mit einigen fastnachtspielen vom ende des 15. Jahrhunderts
zu verbinden scheinen. Die scherzhafte erweiteruug des Amen 158, 17
zu gramen, dti ril dürrer gaul erinnert an die Fastnachtspiele, hg. von
Keller 850, 26: Amen. Katx sitxt uff dem tramcn, die wendung so
fegt des bischofs kämerUng der kellerin das hindcr kcmmicht 182, 8
au Fastn., Nachlese 258, 17:
Du muest nocli als ain alte ainen haben,
Der dir den rauchfankh thuet, keren.
Wie machstus dann deiner tocliter werenV
Und ähnlich deutet vielleicht die Verwendung von Streichholz
150, 4 zurück auf Fastn. 347, 17, ein warms irinkgelt 177, 36 auf
Fastn. 660, 2 oder auch auf den schwank vom Warmen almosen
(v. d. Hagen, Gesamtabenteuer 2 nr. 36), so dass wir für diese gröb-
lichen spässe nicht den Verfasser unserer satiren, sondern die derbe
komik früherer Jahrhunderte verantwortlich zu machen hätten.
Durchweg ist Augsburg die stadt, in der der Verfasser am besten
bescheid weiss. Er erzählt 106, 33, Augsburg habe elf klöster und
brüderhäuser, von denen das kleinste su viel einkünfte habe, dass man
die armen der ganzen stadt davon unterhalten könnte. Und kurz vorher
erläutert er den Ursprung des mönchswcsens an der fürsorge für kranke:
man habe einst alten leuton zollen zum gottesdicnst gebaut wie nuiii
1) Hg. von Carl Schröder: Sanct Krandan. Em lateinischer und ilrei deutsche
texte s. 161 — 192.
URBAK RIIKQIUS 87
(kin)i äxi die sondersiecheii hohe/ »mc/tl. Von Regensbiirg und Bam-
berg wird hierüber nichts erzählt, Nürnberg hatte schon 1450 seine
siechenkobel (Monumenta boica 25, 64), dagegen berichten Sender und
Rem (Chroniken deutsche« städte 23, 151 und 25, 163), dass der Augs-
burger rat bei der pest im juli 1521 zwei siechenhäuser vor der stadt
bauen Hess. Auch dass im Wegspräch die 'gemeinen frauen' gegen-
über den pfaft'en so günstig dargestellt werden, passt zu der in Augs-
burg hervortretenden auffassung, man vergleiche damit, was Rem über
ihren kirchenbesuch zum jähre 1520 berichtet (Chroniken deutscher
Städte 25, 123; Roth, Augsburgs reformationsgeschichte -' 122).
In der ausdrucksw'eise der flugschriften ist nichts enthalten, was
der Augsburger herkunft widerspräche, für einige ausdrücke, bei denen
das nicht selbstverständlich ist, mögen die parallelen in Augsburger
Chroniken hier angedeutet w-erden: an<jemttt 146, 5 wie Chr. 4, 144.
5, 34; au fliehen^ 106, 34 wie Chr. 23, 22. 75; anßrichtcn für absolvieren
146, 8 wie Chr. 22. 325. 25, 144; badreiberin 155. 36 wie Chr. 23, 174.
:>35; besh?gnf(s 141, 36. 144, 35. 156, 35 wie Chr. 25, 144; conmbin
162, 22 wie Chr. 23, 36; donistag 170, 20 wie Chr. 4, 31 u. o.; cigent-
Uch 110, 16 wie Chr. 4, 180. 5, 358 u. o.: genants gelt 158, 11 wie Chr.
22, 497; geivcliigeii 87, 26 wie Chr. 22, 309; gnindel 178, 33 wie Chr.
23, 328. 465: babit für priesterkleid 139, 37. 140, 14fgg. wie Chr. 23, 65.
79. 298: knoden für knöchel 140, 19 wie Chr. 25, 243; lipriesier für
Icutpriestcr 177,25. 27 wie liupricster Chr. 5,59. 82. 86. 214, Icuprieslcr
Chr. 5, 59. 214; die roiea purgieren 190, 1 wie Chr. 23, 177; scheuxlick
155.21. 156,18 wie Chr. 23,128: sprach/ms 171,19 wie Chr. 5,71;
siöekcn und placken 104, 33. 161,14. 187,24 wie Chr. 5,228. 363;
;/;?/c/-=vesper 107,38 wie Chr. 23, 122. 124; wilt ßuer 147,20 wie
< 'hr. 22, 75. 23, 70.
Dass das in unsorn flugschriften vorherrschende intercsse das
religiöse ist, bedarf keines beweises, dem kämpfe gegen die missbräiiche
der kirche verdanken sie samt und sonders ihre entstehuug, ihr Ver-
fasser steht in den reihen der kiimpfer für die reformation der kirche.
Er versteht, wenn die oben versuchte deutung des wortes assun richtig
ist. auch etwas hebräisch. Daneben zieht sich leicht erkennbar und
überall stark hervortretend ein juristisches in teresse durch die schriftchen:
überall ausser im Gespräch und in dem gcdichte Vom almosen, wo
dazu keine gelegenhcit ist, werden die dccretalien angetührt. Sehr
Avitzig ist in der Unterred die l)eleluung. die ;ler patriarch dem cngcl
über das papsUiim gibt: alles was darin vom cvangelium abweicht, wird
dabei mit decrctstellen gerechtfertigt und damit zugleich diese lächerlicli
88 GÖTZ F.
gemacht. So erklärt der patriarcli dem engel, dass alle kaiser dem
papste die füsse küssen müssen, ivo du xiveifelsi, so lis das dccrctal
C. Cum olini iwi.ele. Si smnmus po')itifex, de sententia excommuni-
catiouh (94, 20). Aber auch im umgekehrten sinne weiss unser ge-
wandter Satiriker die decretalien anzuwenden: sie enthalten ganz ver-
nünftige grundsätzc, aber die entartete kirche befolgt nur die verkehrten.
In diesem sinne wendet namentlich Kunz im Wegspräch die decretalien
gegen den bischof an, aber auch die Klag und antwort weist 137, 30
darauf hin: seit ir recht bischoff, so wcrdt ir euch von uns armen
pfaffeu nlt Schemen zu lernen, wie dann i}i euern gaisflosen rechten
heyrilfen ist, da es spricht 'nullus episcopus propter opprobrium senee-
tntis rel nobilitatem (jencris a parimUs vel niinimis eruditis inquirere
et discere negligat\ und ebenso ists zu verstehen, wenn die vorrede
zur Unterred versichert, die folgende schritt sei durchaus l)epsllichcn
rechtcji gemeß. Daneben treten, namentlich im Wegspräch, überall
Juristenworte hervor: irregularis 164, 19, jurament 1()5, 20; ad cautelam
absolvieren u)ul . . . dispensieren 170, 17; nwnitoria, citaciones, ex-
communicaciones pri-mum, secuiulum, tertium, monitoria, interdict
und ahsoluciones 173,33 u.v.a. Man wird sich darum der annähme
nicht verschliessen können, dass der Verfasser der tlugschriften neben
der theologie auch die rechte studiert hat; dass er ein gelehrter war,
darauf Aveist ja ohnehin der schluss der Unterred Midi hat ein scJilccliter
doctor dicht 98, 12. Einige scholastische grundsätze und büchertitel,
die 144, 34. 189, 88, 139, 22fgg. genannt werden, lassen vielleicht den
schluss zu, dass der Verfasser nicht erst in den zwanziger jähren studiert
hat, sondern dass sein Studium in die zeit vor der reformation zurück-
reicht. Aber in dem grossen kämpf der geister hat er gewiss nicht auf
der scholastischen seite gekämpft: die schärfe seines spottes, die überall
bevorzugte form des dialogs, die oft hervortretende kenntnis des clas-
sischen altertums verraten den humanisten. Wiesen sachliche gründe
unsere flugschriften übereinstimmend nach Augsburg, so verbietet doch
ein formelles bedenken, in ihrem Verfasser einen gebornen Augsburger
zu sehen: der nordosten von Schwaben bis südlich von Augsburg spricht
nach Fischers Atlas zur geographie der schwäbischen mundart, karte 19,
flegel, nur dem westen und süden gehört die form pfleget, die Wegspräch
178, 5 und Almosen v. 108 bieten: dort also muss die lieimat des un-
bekannten Verfassers sein. Von Augsburger reformaturcn aber, die aus
dem südlichen Schwaben stammen und bczichungen zum IJnterinntal
haben, hiunaiiistisch gebildet sind, neben der theolugic auch die rechte
studiert haben, den titel doctor führen und über so viel geist und heitre
URBAN RHKGIUS 89
launc verfügen, um neben dem kämpf und der arbeit des tagcs tliig-
schriften wie die unsern zu schreiben, gibt es schlechterdings nur einen,
das al)er ist der bedeutendste von allen: Urban Kiiegius. Er war llcSi)
in Tiangonargen am Bodensee geboren, studierte seit 1508 juiisprudenz
bei Zasius in Freiburg, ward in Ingolstadt professor der rhctorik und
poesie, dann in Konstanz priester, 1520 in Basel doctor der theologie.
Schon vorbei' war er für Luthers lehre gewonnen worden, noch im
gleichen jähre gieng er als doniprediger nach Augsburg und wirkte bis
September 1521 und dann wider seit august 1524 bis 151)0 als refor-
nuitor dieser stadt. Die drei jähre, die seine Wirksamkeit in Augsburg
unterlu'echen, verbrachte er teils in seiner heimat, teils als prediger von
Hall im luntal. teils als Privatmann in Augsburg.
Am eingang seines lebens steht ein oft erzähltes ereignis: als er
zur taufe getragen wurde, hatten die pathen den von den eitern be-
stimmten namen vergessen und der taufende priester gab ihm. da er
den heiligeniuunen des tages nicht wusste, den namen des heiligen
Urbanus, dessen tag nahe war. Fü]- einen numn, der auf diese un-
gewöhnliche weise zu seinem ve)rnanien gekommen war, hatte die im
Wcgspräch 150, 16 erzahlte geschichte eine besondere bedeutung: der
patlie bringt ein kind zum weihbischof, der fragt ihn 'wie liaisls' , der
pathe nennt statt des namens des kindes Jörg seinen namen Hans und
nun soll das kind Hansjörg heissen, wenn seine eitern nicht zwanzig
und nach einigem handeln zehn gülden daran wagen wollen. Daneben
verdient auch beachtung, dass der mönch im Gespräch 110, .'U. 83 den
namen Urban führt. "Weiter trifft es sich gut, dass die schrift vom
löiTelmacher mit ihren starken boziehungcn zum Unterinntal nach-
weislich im jähre 1524 entstanden ist, also kurz nach der zeit, da
Rhegius prediger in Hall war. Die schrift enthält nämlich mehrere
anklänge an Eberlin von Günzburg, am greifbarsten in der bemerkung,
dasi^ alliceg ain arbcUtcr wol xelieii mnssig()ä)igcr enteren muss (a2a).
Das ist der zusammenfassende und etwas gemilderte ausdruck dessen,
was Eberlin in seiner schrift 'Mich wundejt, dass kein geld im land ist'
(Werke hrg. von Enders 3, 107) ausführt: auf einen menschen, der
arbeitet, kommen immer vierzehn müssiggänger, denn von fünfzehn
menschen sind vier zu jung und vier zu alt um arbeiten zu können,
von den übrigen sieben sind sechs krank oder pfaften und nonneu oder
gassenjunkcr oder sonst welche dröhnen, und nur einer arbeitet. Nun
ist Kberlins schrift nicht vor dem frühjahi' 1524 erschienen, das (tc-
-piiiili \iiiii lrilT('lin;ii'hci' also l'rühestens damals entstanden. A iidi'ci'soits
liegt CS gewiss vor dem ausljrucii des baueinkriegs. denn b Ja sagt
90 GÖTZE
der löffelmacher: Ich (jlaiih aber, euch sey gleijch als vns iveltlichen,
die uir tausetfeltig hladen sein mit bösen liauptcrn vnd tyrannischen
regierern, di vns aufs hockst trucken, wir wollen inis-jr ivol entladen.,
so nir ainandcr recht treic hielten, ivolten vns jrtr harten steirer vnd
des grossen scliadens des gnrilts leicht cnveren , es tvill aber kagncr
der katxcn die schell anhoigen. Im bauernkrieg fanden sich ja die
leute, die 'der katze die schelle anhängten', aber auch kurz vor seinem
ausbruch wird keiner diese so nahe an die forderungen der bauern an-
klingenden Worte niedergeschrieben haben, wenn er nicht der aufreizuug
zur revolution verdächtig scheinen wollte, also gehört die flugschrift
gewiss noch ins jahi' 1524. Ferner ist es vielleicht kein zufall, dass
in eir.em aUen sammelbande der Universitätsbibliothek zu Freiburg das
gedieht Vom almosen mit vielen schritten des XJrbanus Rhegius zu-
sammengebunden ist.
Nehmen wir diese beziehuugen zum guten zeichen, wenn wir nun
daran gehen, die Vermutung, Urban Rliegius sei der Verfasser der sechs
flugschriften, durch ihre vergleichung mit sicheren schritten des Rhegius
zu beweisen. Verglichen sind folgende schritten, sämtlich nach den
originaldrucken in der universitäts-bibliothck zu Freiburg:
1. Vnderncht wie sich Ilain Chjisten mensch halten II sol das er
frucht der Mefz II erlang vnd Ch?ist'^ II lieh zu gotz tisch 11 ganng. II D. V. R. li
Mit titeleinfassung. Druck wol von Simprecht Ruff in Augsburg.
2. Von volkomenhait vnd II frucht des Icidcns Chnsti, II 8ampt
erklärung der II wo:t Pauli Colos. 1. II Ich erfüll, das I! abgeet den II leydenll
Chn= II sti :c. il .-. II Durch D. Vrbanum Regium. 11 31it titeleinfassung. Druck
von Alexander Weissenhorn in Augsburg.
3. Underricht II Wie ain ChMstenmensch got seinem II herren teg-
lich beichten soll Docto II ris Vrbani Regij Thümp?e= II digers zu Augs-
purg >c. II M.D.XXI. il Mit titeleinfassung. Am ende: C (Jed?uckt zu
Augspurg durch Siluanu Ottmar II bey sant A'rsuUi closter am Lech.
M.D.XXI. II
4. Ain Sermu. Von der kyrchweyche il Docto: Vrbani Regij.
Predi. II ger zii Hall jm Intal. II M.D.XXII. II Jar. II Mit titelointassung.
Druck von Melchior Ramminger in Augsburg.
5. Ain 8ermö. vö il Dem d:itten Cfebot. Wie II Man Cli:istlich
feyren sol il Mit anzaygung ettlicher myl)- II b:eych, (iep:ediget, Durch
.D. I! Vrbanum Regium, Pjc- II diger Zu Hall jm Intal. II M.D.XXII. Jar. II
Vier Blattstiicke. II Mit titeleinfassung. Druck von Melchior Ramminger
in Augsburg.
G. Von
Rezv.
Beicht.
Bufz.
URBAH RHEOIÜS 91
Beschluß. II Von ReüW II Beicht. Büfz. kiirtzer
heschUiß aiili gegrünter schritt II nit au IS nicsclien leer. Durch II Doc.
Vrl)anum Regi ii um zu Hall jm In= II tal gepredigt. 11 Im Jar. MDXXiij. II
Mit titolcint'assung. Druck von Melchior Ramniinger in Augsburg.
7. Vom hochwürdigen Sacraraent II des altars. vnderricht, was
man auß hay- II liger geschryfFt wissen mag, durch || D. Vrbanum Regium
zu Aug- II spurg gepredigt, co:po:is II Ch:isti biß auff den II achtenden. !!
M.D.XXiij. II wer (jottcs (j)iad predigt, muß sich der ivelt (jnad verxeijhoi, l|
Gottes iril ijescheli. A. II Blattstück li . Druck von Simprecht Ruft' in
Augsburg.
8. Kurtze verandt- I wo:tung aut!" zwu gotß II lestcruugen, wider
die 1! feynd der hayligen II schafft, Durch ii D. Vrbanü il Regi. II M.D.XXIII. 11
Drei Blattstücke, i! Mit titoleinfassung. Drurk von Simprecht RufF in
Augsburg.
9. Wider den newe II irrsal Doctor Andres II von Carlstadt, des!!
Saoraments II halb, war ,' nung. il D. V:bani Regij. II Mit titeleinfassung.
Druck von Simprecht Ruff in Augsburg.
10. Znon ;vundersel il tzam sendbrietl', zweyer \Vi= Il dcrtauifer,
an ire Rot= II ten gen Augspurg il gesandt. I! llerant:vurtung II aller irriknm,
diser oh- II genante brieff. durch II Vrbanum Rhe il gium. II Blattstück II .
Mit titeleinfassung. Am ende: Getruckt zu Augspurg, durch Alexander II
"Weyssenho:n, bey S. Vrsula. II
11. Verant' il wortung dreyer il gegen wurff der Papisten il zu Braun-
swig, dar jnn fast ll jr groster grund ligt, zu il dienst dem Ersamen II Heisen
Oschersleuen, II D. Vrbanum Regium, II Celle Saxonum. il 15.36. il 2. Thi-
mot. 3. W Inipostores proficirt in peius , du et W in errore adducurd, S
errani ipsi. II Ucee A})ostolus de Papistis t& il eoram similibus. II Mit titel-
einfassung. Am ende: Gedruckt zu Wittemberg durch llJoseph Klug. II
1536.11
\'l. Ein Scndl):lctf ' an das. gantz Conuent il des Jungkfrawen Olo-
sters II Wynhuscn, wider das II vnchnstlich ge^ II sang. II Salue Regina. II
Durch V:hanum Rhegium. ii D. L. S. ' PSAL. 16. '! Psnllile De.o )iostro.
l'sfillitc Jicf/i ii noslroy sed sapicnter. ! Von newem widurumb getruckt, il
im Jar 1558. ll Am ende: (ietruckt zu Tiil)ingen. ! bey Virich Morharts
sei i= II gen Witwen, Anno II 1558. i,
Mit vorsieht wird die übereinstimnuuig in cinz«!lli(MteM der sprach-
lichen form, die alle diese Schriften mit unsern fimf llugschriflen auf-
weisen, zu l)curteilen sein, denn sie braucht blfss vun den druckern
\
92 OÖTZE
herzurühren. Aber wenn 80.10. 93,10. 94, 23u. ö. das dialectischo .v/c
l'ür üicJt in den drucken steht, ganz wie haben sy doch die blmdcn
Juden ah Christo geerfjcrt Von Reu alb und ai/uer armen tochtter sy
.\n verheyrattcn Kirch weih a2b, so wird es auch iiu manuscript des
Verfassers gestanden haben. Ebenso wird es mit den mundartlichen
formen beirist 84,7 für bewusst und fürsatx 94,35. 96,10 für vorsatz
stellen, auch sie kehren bei Rhegius wider: Die xcyt su yul mit den
yoUoscn, vnd der weit ain end /rill machen^ ist freylich keinem Enycl
heirißt Widertäufer hla; tro Jemandt mit fürsatx, das Saliie Beyiiia
singet Sendbrief a7b; fre)in er solchs mit fürsatx ihltt, so ist er ein
fi'ind Christi a 8 b.
Weniger zugänglich ist der willkür der drucker das gebiet der
Wortbildungslehre, bei der hier sich zeigenden ähnlichkeit wird darum
langei' zu verweilen sein. Die Zusammensetzung u-underiverk begegnet
l.'^7, 17 wie bei Rhegius: sollen ivir den ivuuderxayclicn ylanbcn':'
}^eyn, es ist inisicher diny, die iveil die scltrifft sayt, des Entcltrists
iiViini/ft habe ivimderwerck Widertäufer g4a. Mönchsiverk ist im D.wb.
nicht belegt, also gewiss nicht häufig, so dass die Übereinstimmung des
(rcsprächs 106,5 So ist das münchirerk mit den werten des Rhegiv.s
menschen iverk rnd scheyn mag rerfurcii, wie man denn in nionchs-
■iirrckcn vnd leben jetx crfert Widertäufer f 3a beachtung verdient. In
derselben schritt m3b heisst es: au ff das si mechfiy seyen xü ermanen
durch die haylsamcn leere, vnd xü straffen die widcrsprecher , mit fast
denselben werten sagt das Wegspräch 171,15 ein bischof sol lerhaftiy
sein, sol mechtig sein xü ermanen, durch die heilsame ler xü strafen
die widcrsprecher. Die ableitungen bewegnus 83, 25 und verstentnus
74, (i. 90, 20 finden sich in entsprechender Verwendung bei Rhegius:
darinu (in der Sinnlichkeit) sollen böß bewegnus entsprynyen Drittes
gebot a4b; das sc ind grosse ding, übertreffen weyt allen gewalt vnd
rerstänlnüß der natur Sacrament a3a; möchts vnser blöde gefangne
vcrstentnüß kains wegs erleyden Verantwortung cla. Daran reihen
sich einige ableitungen auf -ung, underhaltung 94, 7, Übung 95, 18,
l.ödung 79,11, vcrwilligung S7, 22, aufcnthaltung Tl/S. 161,9 und
Löffel m acher dla, die ebenfalls bei Rhegius ihr gegenbild finden: ]Vir
müssen je gecsscn haben^ so Jiaben wir macht. 1. Cor. 9. das uir vndcr-
hiiltuug von der kirchen nemenl Widertäufer k4a; Nun hinfüro ligls
<in der ubung alles gats, das des tauffs wcrck... volbracht werd b4b;
ain sollyche todttiing vnsers flaischs Von Keu a2b; wicwol ich laider
deine gebot alle ...hah übcrtrcUcn . . . mitt bösen gedancken. meines herlxen,
mit vcricilliyung meines willens, mit dem mund, vnd mit den werckcn
URBA>f RHKCIÜS 93
Roielito aHn; U( sterclcr (niffenlhallinifi dit'. glaubcns eDipfaclii er
dfirxn das hocJ/irirdifj sacravte))! dei< Irihs r//d hJhls Warmiiic,' a3b.
Nobon aufp])lhü]hi)Hf hioton Uiitorrod 75,8 iiiul Löffolmacher d2b auf-
enthall in dem sinno 'schütz, stütze', auch das kehrt bei Rhogius wider:
Diaii luujl predig huren, da im ftottes frort i.^t rnser l/'rcht, spei/l riid
iiujfenflHilt der scelen Volkomenhait a2a. Das adjectiv qe/dsürhfig be-
gegnet zweimal in d(^n iUigschi-iften (175. 9. 188, 7), zweimal bei Rhegius:
rnd muß das lieb liailtluDiJ) ijetx der geUsiicIitigeii pfnrrer kaiäx sein
(vgl. damit auch Wegspräch 185, 35 die ItciUgcn haben bi/jJier müßeu
in uf d( n hohen stiften Jind allenthalh im bistumb gelt kiitxen und
in die büchse geltsamler sein) Drittes gebot b4b; das die Papisten jrn
geltsüclitigen ablaß (der in grossem zicegfel stat) mit brachtliehem
gesrhrag aiiffbliessen Sacrament f 2 b. Oro/!merhfig findet sich wie 85, 15
auch bei Rhegius: rar dem af Irr gro/1 mächtigsten Kayser Saciament d2b;
irir haben im neiven testamcnt ain grofimechtig irort der rcrhaisstmg
Warnung c3b, ebenso begirlich 85,37 und tätlich 93,36. 95,22: das
jr xü dem Eivangelio inn rechtem, verstand gepredygt So begirlich lauffen
Drittes gebot a 2 b ; Da Ayn Holdtschüch [so !J münnieh xü ainem
Tndtlych krancken mensclien kommen ist Drittes gebot c2b. Beliebt
ist bei dem Verfasser der flugschriften die Zusammensetzung mit erx-,
er bildet erxgleisner 171,1, erxpriester 177,28, erxnequam 178,25,
erxphariseier 179,23, dem entsprechen bei Rhegius: Welcher ivi II mm
agn söllicher ertx gleichßner sein vnd sagen ich bin an sünd? Sacra-
ment fla: falsch hirten seind, die ain frembde stymm bringen, vnd
des ertxJiirten Christi stymm verschiveygen Widertäufer c2a. Noch
auffälliger ist eine Vorliebe für die vorsilbe ge-, diese wäre entbeiu'lich
in abgeschnitlieh 107,6, gedaten 75.30. 78,8, gexeit 139,27, ange-
hengig 78, 8, begtüeltigen 79, 15. 33, gedulden 84, 27, gehören 189, 30,
gelachen 177,27, geleben 194,8. 195,13, gelieben 74,16, gesammehi
186,4, geschiceigen 94,7. 19, getrauen 91,18, getrösten 83,25, ge-
icarien 90,6. 96,30. 183,12. 187,13. Dagegen fehlt ge- in dar,
das 98, 22. 99, 38 für häufigeres getar steht, und auch Rhegius bevor-
zugt hier die kürzere form: Man darr onn forchtt Frelycli euch für-
halten das Eivangelium Drittes gebot a2b; Xun greyff yetx, Christ'
Hoher leser, icas diser geyst sey: Er timr freiielich got hegssen liegen
Widei'täufer hla; 0 du armer geyst, n-ol ain seltxams Euangclium
hastu, das sich nitl thar überal sehen lassen daselbst; 0 ivie ain feins
Enangelium das sich rtitt dar sehen lassen in der gantxen tvelt k 1 a.
Sonst wendet auch er das ge- reichlicher an als die Zeitgenossen, völlige
Übereinstimmung mit den flugschriften besteht in folgenden stellen: der
94 GÖTZE
('//risten menscli sol . . . gotfs irerck iu jm splbrr gc(hildpn Drittes
gebot a8b; das dann aiii Oherhit uit ycdiddcii kav Widertäufer dla;
aber des reelitcH guten icercks gesclnveygt er fein f2b; Ba Irltret
Augustinus, wer mit Gott wolle versonet sein, der künde es nicht durch
einen Engel aiißrichten , will geschiveigen durch einen pur läutern
me/f sehen Sendbricf bGb; mci)/ soll allein inn jren liehen Son, den
ehrenkouig, glaube/) vnd lioffen , alle)! trost viu.l liülff'e von jm ge-
u-arten aGb; uns wir von Sacrrenienteji des newen Testaments sollen
geuxirten Sacranient c4a. Statt beflissen steht 77, 12 geflisseji, statt
entraten 92, 9 geraten, statt begründen 80, 18 gründen; ebenso bei
Rhegius: Ilierumb seyt geflissoi auff sollicti gmain gepet Kirchweihe b2a;
ngenwint glaubt, dann er hör das wort gotes, des wir kains fvegs
in Ligen gerrulten Verantwortung a2a/b; aber dein leer ist so übel ge-
gründt , das sie vnser warheit nit nntg leiden Widertäufer f Ib.
Die letzten drei beispiele geiiörten schon zu der grossen gruppe
von fällen, wo der Schriftsteller die wähl hat zwischen zwei oder mehr
Wertformen oder werten, die seinem zweck gleich gut dienen. Über-
raschend oft entscheidet sich in fällen dieser art der Verfasser der fünf
tlugschriften wie Rhegius. Und solche Übereinstimmungen sind, selbst-
verständlich nur in ihrer gesamtheit, auch beweisend, wenn das ein-
zelne wort gieichgiltig ist, denn gera<lo in dem reflexionslos gebrauchten
teile seines Wortschatzes lässt sich die eigenart eines Schriftstellers am
besten belauschen, ist sie am wenigsten getrübt durch sachliche er-
wägungen, die er ja von andern entlehnt haben, mit andern teilen kann.
Unser autor hat die wähl zwischen hesteien und bestetigen, iiidern
und erniedrigen, noten. und nötigen, versünden und vcrsihwligen , er
wählt 102,17.18. 74,23. 92,29. 93,19. 108,15. 102,33 Löffelmacher
c3b die zuerst genannten formen, ganz wie Rhegius: (Christus) hat die
verhayssung mit aggnem tod bestett Unterricht a 2a; Ich Jutb dge
xiisagung mit meinem aygen tod bestellet a4a; versigeltt vnd bestett
mit dem . . . Sacrccment b 1 b ; er ist geschlagen von Got vtul gengdert
Warnung d3a; Das y etlicher von jm selbs hinlxu gany, ob gleich nie-
mants in nodtet Von Reu bla; etiva iverden die Vicari oder vertve/der
der pfarren auß mangel genöt, sollich fynantz xü treybe?i Drittes
gebot b4b; darnach so nuin strafft, so sagt ir, es geschech euch vmb
der warhait willen., ivie den Aposteln, vnd versündet euch nocli iner
Widertäufer da. Er hat die wähl zwischen einwolmer und bewohner,
auskommen und einkommen, hinlüssig und nachlässig, vergebens und
vergeblich, vorlängst und längst, fürkommen und xuvorkojnmen, lieim-
suchen nnd besuchen, xertrennen und trennen, und er wählt 80, IG
TTRBAiV RHEOmS 95
(iiuro)/P)\ 142, 7 aif/lkomcnfi, 108, 10 h/n/e/Jiglic//^ 98, 11 und 180, 0
reir/ebens, ^Q, 29 vorlaiif/sf , 81, 6. 149,28. 189,4 fürkommeu^ 181, 17
heimsuchen , 98, 26 xcrtrontcn. Ganz ebenso iiiitte sich an seiner stelle
Rhogiiis entseiiieden, wie folgende stellen beweisen: urldien tempel der
hailiy gaist als (tin eimroner hatjlt/fjt Kirciiweilic b2b; Tr thüts euch
allem ^ti gut, Das jr ain schrme/l au/> kommen habt Drittes gebot cla;
das seind bischoff, die sririd hinlessyg Diittes gebot clb; aw// vn-
irissenhait der gesclrriifft, vnd hinlessir/h/it der leerer Sacranient b2a;
so wer doch Crisiiis schyer vergebe ns gstorbei/ Drittes gebot blb; der
haglig gaist durch Srinii erweit tei/ Werk zeug Paulu7n^ Hat Sollychs
vor len)igst frey/lgesagt clb; Die /reit ist eirers holtxs, heic vnd stro
vorlanyst rberdritssiy worden Gegenwürf ela; Der yayst hat dise leüt
vorlengst aiexayyt, ee sie nriren auß der sclialen gesclUoffen Verant-
wortung blb u. ö.; das er sich 7nit solcher demütiger anklag teglich
rainige vnd fürkomm das gerecht rrtail gots Beichte a4a; Got der herr
hat eäcli . . . übergnedyklicJi haymyschacht Drittes gebot a2b; Haym-
snclien ainandern vncl iielffcn i.st ain gutsn-erck "Widertäufer d3a; do
erhebt sich als bald ha/1 vnd n-ideru-ill, das ayniykeit xertrent nirt a Ib;
trcr trider den bcfelch Christi Unit, vml des u-eltlichen Regiments fr yd
vnd aynigkeyt xertronien will bHb. Inder entstehungszeit der satiren
beginnt mörderisch älteres mördisch zu verdrängen, wie in den Beitr.
24, 506 bewiesen ist, ihr Verfasser greift in seelmordisch 188, 1. 191, 10
zu der älteren form, kennt aber in mörderisch 105, 3 selmörderischen
Löffelmacher a3b auch schon die neue, die auch Rhegius anwendet:
Wie ain greuliche mörderische teuflische Gottes lesterung das sey Vol-
konienheit bla. Zu seelmordisch vgl. 0 seelenmorder^ Wer hat dich
gehcyssen von ain ander scheyden^ das Gott veraynigt halt? Wider-
täufer hlb; Aber die Ohr ist lieh Kirch hat keine schuld, daran, somlern
hat solche seel tyraniiey von Papisten leidoi müssen Gegen würfe e2b.
Für unsern zweck ist es gleichgiltig, ob die beiden ausdrücke,
zwischen denen der Schriftsteller im einzelnen falle zu wählen hat, ein-
ander ganz nahe liegen, wie in den bisherigen beispielen, oder weiter
Von einander entfernt sind. Im griinde noch um dieselben Wörter
handelt es sich bei obersten und obrigkeit, ungexa-eifelt und xiveifellos,
urdrüix und überdi'üssig, sich verzeihen und verzichte?!. Unsere Satiren
Wählen 142, 27 die obersten, 82, 25. 83, 15 u. ö. ungexweifelt, 87, 33
vrderitx, 107, 16. 17. 18 sich verzeihen, und sind darin eines sinnes
mit Rhegius: 11?///// nir die obersten des volks iveren, vnd solche oberkeit
begcrten Widertäufer f3b; nir geben vns aucli nit für obersten uufi,
sonder für diener des Eitangeliiims f 4a; Nim will ich jnn bitten vmb
96 GÖTZR
(lin rechten willen znm f/esatx, viid (Iruiiach Got iralteu lassen, vn-
yt'xwcyfelt iver in Christum (/Imibi, der ivürt bcliaUrn Verantwortung c 3b;
wie man iet% die geschrifft haben wil vnnd aller menschen leer vrtrutx
worden ist a2b; nrr f/otfes guad 'predigt, mü/j sich der icelt gnad ver-
xeyhen Sacrament ala. Gehen die beiden mögiichkeiten weiter aus-
einander, so können unter umständen sachliche gründe die wähl der
einen vor der andern bestimmt haben, wenn also das Wogspräch 1G2, 3
und 181,81 von ningärten spricht und nicht von iveinbergen, so wird
sein Verfasser in einer landschaft herangewachsen sein, w^o der wein
reif wird, auch wenn man ihn nicht auf berghängen pflanzt, etwa im
südlichsten Schwaben, von woher Rhegius die Weingärten kennt: //'
liobt mein Weyngart xertrendt Drittes gebot cla. Der rohraffe war
eine figur an der Strassburger orgel und Wahrzeichen Strassburgs, wenn
er im Wegspräch 169, 36 in übertragener bedeutung vorkommt, etwa
wie sonst Ölgötze, so ist das bei dem schwäbischen Ursprung des Weg-
sprächs befremdlich, erklärt sich aber, wenn wir in seinem Verfasser
den am Oberrheiu wolbekannten Rhegius sehen, der überdies das wort
genau so braucht: Sn sytxenn mir da Wye die Boraffen Drittes
gebot c2a. Das wort behcr^Agen hat Luther bekanntlich als kanzlei-
mässig abgelehnt, der Verfasser der Uuterred stand der kanzlei nahe
genug oder war so fortschrittlich in seiner spräche, dass er 75,22 Jie-
herxigt, 76, 37 ljeher.\ig?nig gebraucht. Ganz wie er dachte Urban
Rhegius, vgl. Hie merck, wie vil leüt den?i artickel ' geniainscliaffl der
hailigen' teglich mit 7nund sprechen , vnd irie icenig in recht bchertrjigen
Sacrament e2a. Es ist nicht möglich, im folgenden jeder derartigen
beziehung nachzugehen, jedesfalls ist die Wortwahl der Satiren und des
Rhegius jedesmal dialectisch bestimmt, wenn sie anschlag und nicht
lylmi, seckel statt bentel, aufklauben, statt auflesen, et'frayen statt er-
kundigen, losen statt hören, Ingen statt selten , strafen statt tadeln sagen,
vgl. cmschleg 85, 1. 87, 7. 90, 9. 97, 9, seckel 105, 4. 7, blitzen und sfil
aufklauben 146,30, erfragen 109,19, losen 193,38, lagen, 110,24.
111, 3. 167, 25, strafen 98, 1 mit Der schri/ft icort, anschleg vnd ge-
schieht seind gleich wider den gayst der ivelt Verantwortung aob; also
verstehet man nun, was diser geist für ain annschlag halt Wider-
täufer b2b u. ö.; Nuti siecht man, wo die grausamen trom hinau/J
wollen: sie wollen der reichen brüder vnd Schwestern seckel in steten
erschrecketi ila; was da für schrifft zamen klaubest wider vns, gehet
stracks ivider dich mla: Welicher nun an ai?iem ort etu'as herauf
klaubt, vnd mit stucku;erck vmbgeet Yolkomenhait d3a; ersuche vnd
erfrcuj dich selbs wol mit ernst Unterricht a3b; vtDul wie es ihr ge-
rnnAN rhkgius 9?
lütten ist, also geradt es allen, so den irrenden fjaystem xfdosen
Widertiiiifer dlb; gedencken, das vns Christus vor falschen lerem ge-
irarnet hat , So initssen wir ye nit gleich ainem jegllicJten a^iffloßen
Volkomenhait a3b; Bitten ist recht, lugt nun das es euch ernst seg
Widertiiufer d3a; da ist ain lag zh gegen gestanden, vnd hat den
manch gestrafft Drittes e^ebot c2b. Ein kämpf zwischen alten und
neuen Wörtern spielt hinein, wenn es sich um die wähl zwischen durstig
luid küh)i, nindert und nirgends, schier und bald, weger und besser
handelt, die Satiren und Rhegius wählen die alten werter, vgl. durstig
153,23, nindert 148,21, Loffelmacher a3b. c4b u. ö., schier 102,15.
Almosen 36, weger 190,7 mit vnd vil bruder auf) meinen banden T.tt-
uersicht an den hcrren geivonnen, dester dürstiger ivorden seind, das
u-ori on scheuch xf/ reden Volkomenhait d2b; Alan liset nierulert in
der gesell rift Von Reu b3a; wann er gefragt wilrd wa es geschriben
stund, so Sprech er: niendert Sacrament ca3; sicli also halten gegen
yederman, das die leer Christi nyenndert geschmecht werde Wider-
tiiufer c2a u. ö.; Nun soltestu schier sehen, wer billich der schlangen
im Paradeyß xu vergleichen sey dla; das ainer schier lieber solle
ainem teufel begegnen, dann einem Widertau/fer dSa,; wa die gaystlich
spei/j nit Clin Imngerigen magcn findt, ain seel die hungert nacii from-
kait, ist weger sie heraussen gelassen Sacrament e3a.
Dagegen gehört es schon in das gebiet der individuellen Wort-
wahl, wenn die flugschriften die worte gemfit 11^ 17. 89, 28. 96, 25,
frölich 107,8. 109.26, schmal 156,38, vndüchtig Almosen 12, auß-
schreien 74,17. 76,4, erheischen 188,33, erkalten 176,19, fart schon
102, 11, verschidden 86,32. 192, 13 bevorzugen, neben denen überall
mehr als ein gleichwertiger ausdruck zu geböte gestanden hätte und es
ist unmöglich ein zufall, dass Rhegius hier stets den gleichen neigungen
folgt: daselbst thet jn Christus jr gemät auff, das sie erst anfiengen
xfiuersten die schrifft Verantwortung a4a; Ich besorg- mein Carlstadt,
dein gemut sei mit neid oder eitel eer hie verhindert Warnung a3a;
da magstu jm mit frölicher gewissny helffen Drittes gebot c 4 a ; Wer
des ividertauffers Offenbarung ainn stuck vom Euangelio, so soll es
sich frolich sehen lassen Widertäufer h 1 b ; dise leer vnd disen glauben
Ican der teufel nicht leyden, sie macht ghm seyn reich schmcd b2a;
rnluchtige böse lere Gegenwürfe d3b; Also lyeß Moyßes durch ain
pyttel außschreyen Kirchweihe a3a; 7nan stoldt nit allein yetx Pyttel
(luff, die applaß auß schreyen das. ; Es erhayschete ewer grosse gütthät
mir reilich beivysen, aucli ain grosse iridergeltung Volkomenhait alb;
die schrifft erhagschet glitte werck, vnd verbeut die bösen b3a; die
ZKIISCIIRIFT F. DKUTSCHK I'lIII.OLOOnC. »U. XXXVII. 7
98 GÖTZR
liebe würl erkalden^ ho ßliaii überhand y?eme?^ Sacrament e2b; icif ivelt
(lennocht in der bcycJd gar freündtlich mit jm faren Drittes gebot c4a;
dem vwvw'd.igeii süi/der^ der hellische gefencknü/j wol verschidt Jtetl
Unterricht a4b; vil seind der Widertau ff er , die kunnen das vrtail trol
versclmldeii Widertäiifer e3b.
Mitten in das gebiet des individuellen wortgebranchs gelangen
wir, wenn wir uns den lieblingsausdrücken zuwenden, die den Satiren
und Rhegius gemeinsam sind. Das wort büherei steht im Gespräch
108,29. 106,10, Löffelmacher b 4a, d 2b, d 3a, Almosen 8. 14. 154,
bei Rhegius Drittes gebot cla, Widertäufer dla, d3b, h3a, k4b,
gespenst begegnet in mannichfaltiger anwendung 162, 17. 175, 27. 28.
187,11, ebenso Widertäufer cla, c2b, dlb, d3b, eSa, g3b, hla,
fürnemen 75, 1. 81, 4. 84, 6. 85, 36. 88, 3. 10. 89, 9. 19. 91, 8. 95, 22.
96,9. 175,37, Almosen 153 und Yerantwortung a2b, Widertäufer a 2 b,
IcichÜich 83,16.27. 89, 13 und Warnung a 4a, Gegenwürfe fla, Unter-
richt a4b, Verantwortung b4b, Widertäufer a3a, klb, ividericertig
und ividerwertigkeit 75,30. 79,8. 78,38, Löffelmacher b4a und Von
Reu a2b, b8a, Volkomenheit a2a, Kirchweihe b2a, Drittes gebot
b3b u. ö., entlich 80,88. 82,20.29. 84,6.26. 86,33. 92,13. 94,31.
98,21 und Sacrament c3a, Beichte a3a, Verantwortung a3b, lauter
79,29. 87,25. 91,14. 102,28. 104,24. 157,34 und Sacrament b 2a,
b3b, cla, c3b, d2a, Beichte a3b, VonReubla, Drittes gebot b 1 a,
clb u. ö., pur lauter 102,28 (139,13) und Sacrament a3a, c2a,
Sendbrief b6b, Volkomenheit b2a, Drittes gebot b2a, hiderman Al-
mosen 1, 107, 18 und Widertäufer d 3b, i la. Einige weitere ausdrücke,
meist lieblings Worte des Rhegius, werden in den flugschriften nicht so
oft gebraucht wie die bisher genannten, aber doch unverkennbar in
derselben art wie bei jenem. Man vergleiche: wir sein auch %fi gleich
größlich loben den fvolbedachten rath 91, 32 mit wann du aber nit ain
wolbedachtenn fürsatz hast xu sünden Sacrament flb; wie mans mit
der ivarhait beipringen (d.i. beweisen) mag 138,27 mit der gütlichen
schrifft ist sie (die stimme) nit frembd, wie ivir vns erbieten bey zü-
bringen Widertäufer c2a und daxh haben noch die Widertauffer nit
beibrachte das kinder nit glauben mögen e3a; du taubst mich mit
disem narremverk 178,37 mit die kinder glauben 7iit, man sey noch
nit getaufft vnd vil des narremvercks Widertäufer a2b; Ich bin nie
bei solichem affenspil gewesen 172, 18 mit ist das nicht schön diug^
vnnd billich das vmb sollichs affenspils ivillen so vil leüt vom Euangelio
fallen? Widertäufer e4a und Wann ichs nit hette gelesen, gehört vnd gesehen,
so het icJis nymmer gelaubt das die weit so taub ist^ vnd solchem äffen-
URBAN RHEGIÜS 99
spil glaubt li3l). Hierher gehören noch die Wörter ahiilgen 160.22
und Drittes gebot h3b, Gogenwürfe b2b, Unterricht a4a, Warnung
a3a, c3a, d2a; ahvcg 102,31. Löffelmacher a2a, bla, b2a, b2b
und Sendbrief b7b, Kirchweihe a2a, Drittes gebot bla, bob, c2b,
c 3a; begaben 80,9. 85,6. 90,27 und Verantwortung b 2a; beiveren
(d. i. beweisen) 95,31 und Sendbrief a5a, b3b, Von Reu blb, Gegen-
würfe e2a, Widertäufer boa; eigentlich 110,16 und Sacrament c4a,
Drittes gebot c3a, Verantwortung blb; einbilden 102,3 und Gegen-
wiirfe dla, Sacrament a3a, "Warnung e3b; erstatte? t 97,15, Löffel-
macher b3a und Sacrament a3b, Volkomenheit alb, dlb; geverlig-
keit 87,3 und Kirchweihe b 2 a, Drittes gebot c 3 a, Von Reu blb,
Volkomenheit a4a, d2b, Widertäufer a 3 a; hundschlacJiter \1^^\^ \\\u\
linndschlacher Warnung a2a; überschivenklich 94,26 und Warnung
c3b, d4a, Sacrament b3a, Beichte aSa; verdfücken 84,12 und Vei-
antwortung a2a, a4b, Verantwortung bla; vergiß 70,9 und Sacra-
ment e4b. Gegenwürfe a4a, Widertäufer f2b, Volkomenheit blb;
irerhneister 96,21 und Kirchweilie a3a, Widertäufer f2b; xiere7i
78,32. 93,2 und Volkomenheit a2a/b; uxmnen her 103,22 und Wider-
täufer dlb.
Daran schliesst sich wider eine reihe fester Wendungen, die in
den Satiren und bei Rhegius gleiciimässig vorkommen und w^o widerum
die Übereinstimmung weit über das mass dessen hinausgeht, was zufall
und ähnliche disposition zweier Verfasser an anklängen aufbringen
können. Im Gespräch begrttsst 103, 22 der edelmann den curtisanen
mit dem wünsche guis jar, Löffelmacher a2a seufzt der mönch: Got
geb dem Keß jagen ain gfits jar. dao: Eg so hab im glegch ain gfit
jar, Rhegius beginnt die schrift Von Volkomenheit: ander leid ivinschen
ain gfits jar. Ich kein nicli niclds grössers in meyneni gebet xü Gol
u'inschen, dann Gottes hidd. Der himmel wird 83, 23. 25 das Vater-
land der verstossenen engel genannt, daran klingen zwei stellen bei
Rhegius an: das dit jn krafft der säligen speiß mögest sieher wandle n
durch die vnsichnyi abiveg diser' ivelt ins etvig, das sicher vatterland
Sacrament f2a und Augustinus... spricht, Das wir das Gebot, von
der liebe Gotts hie zeitlich nicht er füllen .^ sondern erst im Vaterland
nach diesem leben Gegenwürfe bla. Das Wegspräch spricht 168,14
von unserem heiser Cliristiis, damit vgl. Es naygt sichs haiibt, als vor
dem aller großmächtigsten Kayser Idmmels vnd erden vnd aller ge-
scliepfft Sacrament d2b. Die Übereinstimmung ist unverkennbar, da-
neben bleibt aber in jeder einzelnen anwendung so viel Selbständigkeit,
dass an eine entlehnung von der einen auf die andere seite nicht zu
100 oi'lTZF.
(lenken ist. Feste Wendungen, die beiderseits unverändert auftreten,
sind die folgenden: auf die bahn bringen^ ridden, führen 11^ 28.
161,24. 173,23 und AVidertäufer a3a, c4b, dSa; es ist 'XU erbarmen
105,17.26, Löff einlacher b2a, c4a und Drittes gebot c2a, Wider-
täufer m 2a, Volkomenheit b 2a; das hinder herfür keren, setzen 145, 30,
Löffelraacher c4b und Widertäufer k3b; am narreriseil umführen
148,23 und Sacrament c3a (vgl. äffen .sr//// Drittes gebot a2b); in den
sinn fichmen Almosen 148 und Volkomenheit d3a; zu wegen bringen
77, 11. 81, 12, Löffelmacher c4a, Almosen 80 und Widertäufer alb;
Intsse irirken 195, 18 und Volkomenheit b la. Mit kleinen abweichungen
entsprechen sich die folgenden stellen: nain , uns nit, unser katxen,
veit hindan mit der bibel 154,36, Mir nit, der katxen solich iheure
snppen 176,16 und Mir des glaiibens nit der auff tromen vnd solchem
geilstem steet Widertäufer h3a; auf der alten geigen bleiben 138,22.
140, 26 und Ilye kompt aber vnscr vorsteer auff sein alte geygen
Widertäufer d4a, Du abrr kumst mit ainer naren geigen AVarnung a2a:
es irirt sich alles on rnern dank V07i im selbs fein schicken 154,9 und
u:as machen die Papisten viel mit diesem spruch ? sie müssen jhe aucli
u-ider jren danck selbs bekennen . Erstlich das die schrifft Gottes wort
sey Gegen würfe flb; es möcJtt unrat in allen landen erwachsen 79,16
und was vnrats darauß an vil orten erfolgt Wideviänier d la. Endlich
wird an einer stelle die Übereinstimmung durch conjectur herzustellen
sein: wie es im Wegspräch 178,3 heisst Nun für der wündig teufet
des biscJ/ofs casus larvatos hin., muss man wol auch Sacrament f2b
statt umtige?i lesen Trutz dem u-iindigen teüfel, das er mir denn abla/1
vtnbstoß., der drucker hat das dialectwort n-innig = wütend (8chmeller
2,929.949) beseitigte
Ein letztes gebiet des individuellen Sprachschatzes sind die fremd-
worter, soweit sie nicht zur masse der von allen sprachgenossen gleich-
massig gebrauchten gehören. Jedes derartige fremdwort, das in den
Sprachschatz eines gebildeten mannes aufgenommen ist, ist die spur
1) Umgekehrt verlangt Schades text an folgenden stellen besseruugen: 77,21
lies selbigen; 80,24 vor gesagt; 84,28 n-ie] wa; 86,27 ■ivas\ ira; 88,33 erstreeken\
ersrlirecken; 93,6 den drittail] die decretcü; 97,14 schaut'] soll; 105,20 gehabt hat,
liahf ; 106,10 aller liand; 109,3 leiden vil ühcrlcomen; 110,1 custor; 142,10 seit]
feit; 28 unsinnig; 144,36 bstimmen; 149,29 den] dem; 150,34 Jörg] Hans Jörg;
155, 18 so würden; 159, 14 maister zu streichen; 162, 8 als] al; 14 ligt] lüclit;
166,221 und siner underthan sünd und lasier; 170,26 }»tiß er dem; 173,22 die]
dis; 30f. affencial; 176,24 i« ortis] mortis; 181,23 auslaufen; 35 unser; 182,15
tierlic/ien: 183,25 ists] ist; 184,37 christenliclien; 185,6 Seelsorger; 186, 12 /e«f?e«-
liclier; 36 ists\ 189,34 der] den.
URBAN RHKGIUS 101
eines geistigen erlebnisses, seine aufnehme eine selbständige tat des
einzelnen. Auch hierin zeigen die Satiren dieselbe erfaliriing und den-
selben geschmack. Zum grossen teil stammen die ihnen eigentümlichen
frenidwörter aus der theologie oder dem canonischen rechte. Neben
(/eiri/h/e 194,25 und Von Reu a2a, b. blb ist beiden der gelehrte
ausdruck conscieiix geläufig, vgl. 194, o mit Warnung a4a, Volkomen-
heit aob; wie 164,22 die nonne so wird AVidertäufer d4a die kirchc
t/ctipoNS Christi genannt. (rlori ist bei Rhegius ein sehr geläufiger
ausdruck, der z. b. Kirchweihe aob. Drittes gebot blb, b2a, Sacra-
mentc4b, Unterricht b la, Widertäufer h2b, i3b, mob begegnet, der
Verbindung (/lori und dier 83, 4 entspricht cer ind glori Yolkomen-
heit a2b. Ein rechtes kirchenwort ist ponip, das sich 77,21 und Drittes
gebot c2a, Sacrament a4b, d4a findet, ebenso krisaui 179,21, das
anzAiweuden die verglichenen Schriften des Rhegius keine gelegenheit
bieten, doch vgl. Keinoi zum Predig ampt ui lassen, er seij denn
("hrisomirUi vom Wcybisch'off Gegenwürfe olb. Das AVort Secie ist
hier wie dort gleich beliebt, vgl. 84,11. 92,12. 102,20.26 mit Gegen-
würfe e4b, Widertäufer a2a, d3b. Volkonienheit a4a. Aus dem
cultus entnommen ist das bild ein placcbo sive dilexi singen 183, 9.
den ausdruck Placcbo kennt auch Rhegius: wal [arten, Kcrtxeh brennen.
Heiligen anruffen. Seelmessen, Vigilien^ rnd Plac.ebo Ice äffen, rnd Jnn
Irr Kirch irci/ntng den Ablas lösen Gegen würfe d4b. Pension als bc-
/.eiclmung des einkommens der pfarrer begegnet 154,3 wie Gegen-
würfe b2b. Drittes gebot cla. glosiere)i 138,18, Löffelmacher b3a
kehrt bei Rhegius nicht wider, doch spielt auch bei ihm die finstere,
menschliche glosse zum klaren wort gottes eine rolle, vgl. Sacrament
b2a, b4a, cla. Drittes i^ebot c 1 b. Genau entsprechen sich wider
wollet mit niis dispensiern 139,21 und Dann so inn. don fal mit den
Juden dispensiert ?r«6' Drittes gebot c3b. Fremdwörter von weltlichem
klänge, die in den Satiren wie bei Rhegius begegnen, sind alefanx
186,33 [alefantxer Löffelmacher a4a. b 1 a) und AVidertäufer b2b, c 1 b,
Drittes gebot cla, artikel 90,11' und A'erantwortung a4a, fantasei
104,24 und fantisey Sacrament b2a, //oftercji 100,14. 173,9 und
Sacrament d4a, regieren Almosen 6. 123 und Widertäufer alb, Send-
brief b 6b, jnobiern 93,4. 101,23 und Sacrament b3b, d 1 a, e3a, f 1 b,
A'erantwortung c2a, AVarnunga2b. Widertäufer h'dä, pnrgierot 190,1.4
und Drittes gebot b3b. Ito/i steht zur anreihung eines neuen punktes
wie 192,11 und Löffelmacher cla auch Unterricht a3a. Kirchweihe
alb. Drittes gebot bla, c3b, c4a, Sacrament l)2b u. o. Die cuiti-
sauen, denen es im Gespräch so schlecht ergeht, werden auch vuii
102 GÖTZK
Rhegius verhöhnt: es ist ain volck auff erden, die heissen Curtison,
ist geschivynd iva gelt stai, vnnütx iva man predigen soll, die selben
fallen die grossen pfarren an, vnd so ayne ledyg rvirt, so schmeckens
Sil, ivie agil gegr ein aß , über vil megl wegs Drittes gebot b 4b.
Diese stelle zeigt wie manche der vorher angeführten, dass Rhe-
gius auch den humor und die kraft der anschaulichen darstellung hatte,
die uns an dem Verfasser der satiren erfreuen. Dass er die Sachkenntnis
besass, die diesen charakterisiert, und in der polemischen Stimmung
war, die alte kirche mit waffen des spottes anzugreifen, wird niemand
bestreiten. Dagegen bleibt der einwand möglich, dass die Schriften
anonym erschienen sind, während Rhegius (Widertäufer k 1 b) an seinem
widertäuferischen gegner tadelt, dass er seine schritt nur mit seinen
anfangsbuchstaben unterzeichnet hat: gehest du mit rechten saclieii vmb,
sollest billich dein namen vnd ort setxen. Aber hier handelt es sich
um eine lehrschrift, die normen aufstellen und eine ganze stadt be-
kehren will, für die also der Verfasser auch äusserlich die volle Ver-
antwortung auf sich nehmen musste, darum ist die Verweisung auf
Paulus, Petrus und Johannes, die ihre briefe unter ihrem namen haben
ausgehen lassen, durchaus am platze. Dagegen hat in leichter pole-
mischer litteratur der jüngere Rhegius die verschweigung des namens
nicht verschmäht, und er hatte seine gründe dazu, wie Uhlhorn (Urban
Rhegius s. 29) gezeigt hat.
Otto Giemen hat im Centralblatt für bibliothekswesen 17, öHBfgg.
nachgewiesen, dass unter dem pseudonym Simon Hessus kein anderer
als Rhegius verborgen ist; entscheidend dafür ist, dass er sich nach
einem briefe Hetzers an Zwingli^ selbst zu den schritten bekannt hat,
die luitcr dem namen Simon Hessus ausgegangen sind. Wir haben
für unsere beweisführung die Schriften des Hessus nicht herangezogen,
um jede giundlage zu vermeiden, die etwa noch iiypothetisch scheinen
könnte; wenn wir im folgenden die auffälligsten Übereinstimmungen
zwischen zwei Hessussch ritten und unsern satiren aufführen, so können
diese zugleich als eine V)estätigung für Clemens beweis gelten, wenn
dieser noch einer bcstätigung bedarf. Angeführt wird das „Argument
disses biechleins II Symon Hessus zeygt an Doctori Martine Luther vrs II
. sach, warumb die Lutherischen bucher vö den Coloni:: I! ensern vnd
Louaniensern verbrent werde sein . . ." nach dem exemplar der Baseler
Universitätsbibliothek, der „Dyalogus nit vnlus II tig zulesen. newlich
von Martino II Luther, vnd Simone Hesse, zu AVorms geschehen..."
]) vom 14. scptoiabor 1525, Zwiiigli Epistolae 1, 40G.
URBAN RHEGIUS 103
nach dem neudruck in Böckings ausgäbe von Huttens werken band '4,
603 fgg.
Einige sachliche beziehungen zwischen der ersten schrift und
unsern satircn stehen billig voran. Klag und antwort 187, 21 und
Wegspräch 159, 15 nennen den Kegensburger convent ein coiicüia-
biihim, mit gleichem höhne heissts hier e4b: ein concüium , das ivider
den Bapst ctivas fmmempt, soll nit ein Concilium, sonder schmeich-
lich ein Conciliahuhim geneni iverdeii. Dem spott über Bigam saluHs,
Donni seciire usw. in Klag und antwort 139, 17 und 155, 3 und über
die darauf gestellte bildung der altgläubigen geistlichkeit schliesst sich
Hessus b3a an: teeren sie bliben beyin Alexander in der Grammatick,
bei dem Colnischen Copiilat inn der Logick, bey dem Thoma jnn der
hcyligen gescJirifft, bey dem Carolo, cnd Pontio Pilato jnn der Retho-
rick, rnd hellen sich der Kriechischen sprach, des heyligen Euangc-
lianis, Pauli, Ilieronymi vnnd der edlen herren sich [so] nichts an-
yenomcn, so weren sie noch frumm, schlecht, vnd gehorsam sün des
Pabsts, und ebenso deutlich cla: da halt mancher nichts geler nel,
dann Scoti Quodlibeta vnd Sente?itx, eyner Thomce Summam alleyn
gelernet, etlich künnen nichts, dann den Lyram vnd Carensevi. Die
zwei hörner an der bischofsinfel bedeuten nach dem Wegspräch 169, 25,
dass ein bischof im alten und neuen testaraent bescheid wissen soll,
darauf deutet aucii Hessus b3b: rf«// xuni dicker mal eyn ley meer
rechter grüntlicher geschrifft kann, dan die leiht die Infelenn vff dem
haupt tragen, als ob sye das alt vnd neive Testament können, das sie
ufft nit ansehen jnn dryen moJteten. Auch die häufige und sachgomässc
anführung des päpstlichen rechtes verbindet diese schrift des Hessus
mit dem Wegspräch. Eine spur hebräischer bildung bei Simon Hessus,
die sich an die oben gegebene deutung von assun anschliesst, bietet
das wort parnosen Dialogus 605, 43, das von Schmoller 1, -105 und
Knders, Eberlin 3, 377 von hebr. parnos = Vorsteher der judenschulo
abgeleitet wird.
Noch häufiger stimmt Simon Hessus in stil und ausdruck zu
unsern satiren. Von ausdrücken, die diese mit Schriften des Urban
Khegius verbinden, kehren bei Hessus wider: alefanx, alweg, anschlag,
bestclen, bäberei, dispensiei'en , fürkommen, fiuiiemen, geige, geltsüch-
tty, gonül, geraten, grossmächtig, heimsuchen, das Jiindcr her für kehren,
Hein, klauben, pomp, probieren^ seckel, sich verxeihen, vorlüngst,
icainirn iicr, wider ivertigkeil, Weingarten und zertrennen. Wir reihen
hier die nachweise nur kur/> aneinandei', da die Übereinstimmung in
diesen ausdrücken schon oben auf ihre bcweiskraft geprüft ist: welche
104 GÖTZE
alleyn iveltweijß hie iu)t diser xeyt seincl, an küniijs hoffen erzogen,
nllen alefantz, finmitx vnnd bescheysserey gelernct, die seind xu geyst-
licheni lieginient des glauben^ keyn niltx Dialogus 606, 36; Ich hab die
feilt nlliveg gehasset 603, 3; Also haben die Apostlen zuletzt alliveg
jre leer mit jrem bUtt besiat (lies bestet) 604,20; (got) zertrennt die
aiischleg der bofihafftigen 604, 38; Aber sein anschlag feiet jm 609, 26;
sie . . . helffen, raten vnd fürdern Römische büberey 607, 36, vgl.
608, 7. 609, 42. 614, 29; oder man dispensiert mit jui, sie seyn xfr
Rom j mm dispensiern trefflich geschickt Arg. e 2b; darmit er gleych
am anfang furkeme vil viigemacli a2a; lafi dich von deinem Chrisl-
lichen fürnemen nit abschrecken Dialogus 614, 7; Aber dannoch ge-
fallest du dinemi gesellen nit, dem sie verlassen jre geygen vngern
Arg. eöa; vnd ivann den Papisten der geltsüchtig Ixmch soll zer-
springen Dialogus 614, 34; ye baf] er sieht daf!) dein schrift von eivon
Christlichen gemüed gat 605, 22; ivcinn her knmpt den, Teütschen die
bestentlicheyt , das imüberwintlich gemüet? 605,25; aber der Mitrnarr
mnst seiner pfeyffer geraten 609, 30; als ivenn kunst eynem sollichen
großfnechtigen Fürsten ein schand ivere 606, 24; ein vatter hat sein
sun lieb, den er offt heymsacht Arg. d2a; Darnmb kerestu das hinder
her für cla; daß ich . . . etivar das hinder her für gekert c6a; itetn.
zur anreihung eines neuen beweisgliedes Dialogus 604, 31. 613. 30fgg.;
(Eck) hat etlichs vngegründs fetxiverck cdso znscunen geklaupt 613, 16:
giddin stuck, hoch Met, vnd andre weltliche pomp 604, 24; da mit er
ein herlichen pomp vnd gepreng haben möcht 609, 22. 27; Es volgl
auch vß meynem schreybeu nit daß das Coiicilinm inn edlen dingen
hab geirrt, wann ich probier, daß es inn etlichen dingen, geirret hab
608, 40; Man lanrct nitt vff dein seckel, sonder vff dein leyp vnd
leben 614, 16; Der sich nit verxeycht alle seiner hab, mag nit mein
j?mger sein 613, 40; Ich hab dir vor lengst inn einem biechle getroinet
603, 13; die tceyl catch die Romanisten dich vnd deine sclirifften ror-
lengst dem fewer xvgeurteyU haben 603, 29; Wann her iveystu das':'
610, 24; wider wert ickeyl diser xeyti 604, 34; den iveyngarten des Chrisi-
lichen, glauhens den jm der herr Christus selber gebawen 605, 17;
daiui dein leer teilt inn dem geystliche?i stand die Ordnung xer-
trennen 605, 41.
Dazu kommt eine neue reihe von anklängen zwischen unsern
ilugschrit'ten und Hessus, die bei Rhegius zufällig ohne paralleJo sind.
Das wort schütter fehlt dem schwäbischen, darum steht 94, 13 aclisel
statt dessen; dasselbe wort setzt Hessus im Dialogus 603, 11, avo ein
anderer schütter gesagt hätte. Die badreiberinnen werden in der Klag
URBAN RHEGIDS 105
und antwort 155, 86 nicht eben rühmend genannt, entsprechend Arg.
cob: Ich wolt midi lieber rei/.'>sen viit einer sechtxi;! jerigen haclrei-
berin, oder mit einem hippenbfibcn, dann )nit den herlichen (jesel/cn.
Das wort schmieren begegnet im Wegsprjich 172, 31 in der furni
schinirben, dem entspricht schtnirben Dialogus 611, 22, beschmirben
()05, 35, (jcsclimirbt 607, 13. 607,48, (jeschmerbet Arg. d4a. Nach in
der bedeutiing beinahe hat das Wegspräch 162, 26, ebenso Dialogus
606, 26: Wie ivol ich inn so vil irrsäl menschlicher (jesatx. yar nach
nit weyß, ivas doch et/n Bischoff thfin soll. IJnterred 80, 19 wollen
die papisten drucker bestellen, die die bibel auf päpstliche weise drucken
und verbreiten sollen, das erinnert in der sache wie im ausdruck an
Dialogus 604, 45: dan7i sie (die papisten) haben niemants r/I den yc-
lerten gefnnden, der sich mit <jcld hab lassen wollen besteclien, vnd
bestellen, daf> er mit dir disputier oder schreib, und 611, 24: Die
Romanisten haheti ein. gefunden rndter den gelerten , haben jn n-ollen.
bestellen, daß er die warlieijl wider dich anfechtet. Yon einem plane.
Luther heimlich zu ertöten^ spricht die Unterrod 78, 14, vor einem
gleichen anschlag wird T.uther im Dialogus gewarnt, er aber antwortet
unbesorgt: es ist kegn groß) ding ein armen manch ertodten 614, 29.
Die in ihrem Ursprung unaufgeklärte redensart durch die fingcr sehen
begegnet Wegspräch 166, 18 und Arg. o5b, beide male wird sie von
der kirchlichen obrigkeit gebraucht. Der vergleich des Wegsprächs
171,8 eid und gelübl thün und nit hcdten, ist bei pfaffen, niünch
und nonnen als gemein als leus und flech im augstoi findet sein
gegenstück Arg. c3a da )nit du hörest Martine daß ein Thomist als
voller Corollarij steckt, als ein hund mit flohen jmm Aug.stcn. Beide
Schriften brauchen das adverb thorlich, vgl. du fragst so thorlich Weg-
spräch 164, 26 mit Dar zn beklagest du dich thorlich Arg. a4b. Die
drei stellen Wen?i aber das schlecht volck von den vngelerten plerei'n
gee/ft wirt Arg. d Ib, noch blerren sie öffentlich , du habest jrn glaube)/
gcirt d4b, ■'iein Thomisten geplerr c2a treten neben den ausdruck der
Klag und antwort 152, 11 so pfeift man nnd plerret über n)is n-ic
über die Juden. Das wort nachteilig brauchen beide schritten mit be/ug
auf die römische geistlichkeit: so ist es uns auch nachtallig Klag und
antwort 146, 5 und Den Sybenden artickel verdainpt der Romisch hoff
als ein nachteyligen der rennt vnd gillt xu Rom Arg. b2b. Mit dem
rufe iveit hindan weisen dort die priester die bibel zurück. Arg. l)2a
^^ir(l der weg gewiesen xia rechter, lautier er, vnuermischtrr, cuangr-
lischer warheyt, da vonn vns die gesellen Scotus cnd Thoums, Ockaui
vnnd der gleych cttwu weyt hyndan ycfürt liat/eu.
106 ÖÖTZE
Endlich ist es eine anzahl von fremchvorten , deren gebrauch Simon
Hessiis mit unsern Satiren teilt. Die alten Beginen erscheinen 103, 5.
161, 37 und 173, 6 als sinn- und sittenlose betschwestern, ähnlich
Arg. b4a: damit die herlichen gesellen ein ewigen rfim erlangen mögen
heg den alten beggegnen. Bestie ist in Unterred und Wegspräch öfters
das Schimpfwort des Italieners für die Deutschen, s. 76, 3. 77, 23. 78,
11. 79, 25. 80, 33. 191, 21, einen schritt weiter in der einbürgerung
des der mundart stets fremd gebliebenen wortes geht Hessus im Dia-
logus 605, 19, wo er Luthers gegner die wilden Bestien vnd Tgrannen
schilt. Der mönch im Gespräch 110, 1 ist custor in seinem kloster,
dieser titel kehrt Arg. d 4a wider: es lanffen ^ti alle oberste haupter
der kirchen, die kein verstandt haben der gcsclirifft nmider dann ein
lege', custor, presentxmegster, dechant^ probst. Der kirchendiener heisst
Klag und antwort 157,8. 11 pedell^ Arg. e 3a: aller Bischoff hoff, ver-
stand, alle Official, alle Vicarij, Notari, Citatz schregber, Pedellen . . .
so baldt der Notari oder Pedell den ban brieff verkündet halt. Ganz
nahe kommen sich die folgenden beiden stellen im ausdruck: so ein
pfaff kompt und schon ein großer esel inid idiot ist 175, 2 und Dar-
nach lanff'en xu vil vngelerte Pfaffen, groß ideoien, die haben wider
dich xusamen geschivoren Arg. d4a. Der im 16. Jahrhundert nicht
ganz seltene witz, dass das canonischc recht das verbrent recht genannt
wird, ist ursprünglich nur bei Schriftstellern möglich, die des latei-
nischen mächtig sind, denn er beruht ja auf dem Wortspiel zwischen
decreium und decrematum ., er begegnet im Wegspräch 184, 6 ich hett
nimmer gemeint, daß so gfit Ordnung ins bapst verbrent recht ivereti
qestanden, und im Dialogus 607, 15: er würde icidcr erwecken das
verbrennt Deere t.
Nach alledem ist kein zweifei, dass Urban ßhegius, Simon Hessus
und der Verfasser der sechs tlugschriften ein und dieselbe pcrson sind:
damit, dass sich die Übereinstimmungen auch auf den inhalt der Hessus-
schriften erstrecken, ist zugleich bestätigt, dass auch ihr lateinischer
text, der ja nach Clemens beweis älter ist als der deutsche, von Rhegius
stammt. Mit diesen erkenntnissen ausgerüstet, können Avir noch auf eine
weitere eroberung ausgehen. Es ist längst bemerkt worden, dass der
Dialogus zwischen Kunz und Fritz, den Schade in den Satiren
und pasquillen 2, 119 — 127 neu herausgegeben hat, Augsburger Ver-
hältnisse zum hintergrund hat, auch ist anerkannt, dass dieser Dialogus
von den Hessusschriften kaum zu trennen ist. Endlich zeugt ein brief
Michael Hummelbergs vom 1. august 1521, auf den schon Strobel (Neue
beyträge 5, 265) aufmerksam gemacht hat, dafür, dass Zeitgenossen den
URBAN RHEGIÜS 107
Khcgius für seinen Verfasser gehalten haben: Dialogum Contxi et Friixi
necdum iiidi: sl lii habes, mild legendi copiani facilo. No)i facilc
iUoriim scntentiac accesserini, qui hunc Rhegio ascribind auton. Auf
diesen zweifei Hiinimelbergs ist, wie schon Horawitz in seiner ausgäbe
des briefes bemerkt hat^, nicht viel wert zu legen, da er sich alle mühe
gibt, Johann Faber, an den der brief gerichtet ist, mit Rhegius aus-
zusöhnen.
Dass sich die Unterhaltung in Augsburg abspielt, geht schon aus
der erwähnung hervor, die 122, 36fgg. dem j^^'lor von den Cannelitoi
mit sanipt seinen )nünche)h zu teil wird. Gemeint ist Luthers freund
.[oliann Frosch, unter dessen leitung das Augsburger carnieliterkloster
herd und mittelpunkt der reformatorischen bcwegung in der stadt
wurde.- Nach veröü'entlichung der bannbulle unternahm Eck den in
unserer flugs^'lirift g(\schildcrten vergeblichen versuch. Frosch aus dem
amte zu drängen. Der 123, 10 gerühmte lutherische prediger ist
dr. Johann Speiser, prediger zu Sanct Moritz, die feinde der beiden,
deren namen die flugschrift 121, 22 und 37 aus vorsieht nicht nennen
will, müssen hochgestellte katholiken sein, die band in band mitein-
ander arbeiten (122, 2). Die Schilderung des einen, der von ampls
iregcn wider den Luther vinll sein, ob ers schon nit gern thät^ passt
am besten auf den bischof von Augsburg, Christoph von Stadion. Der
klug zurückhaltende kirchenfürst, dem die lutherische bcwegung und
Ecks ungestüm gleich unliebsame und unbequeme störimgcn seiner
politik waren, kann im stile einer derartigen satire gar nicht besser
gezeichnet werden als mit den werten: doch gcb er (fern den Ecken
dem teufet, daß der Luther am galgen hicng. des sell)en halb ist er
unparteisch 122, 5. Sein gefährte. entschlossener in der feindschaft
gegen Luther und darum von der flugschrift hiirter mitgenommen, ist
dr. Jacob Heinrichmann, der kluge, tatkräftige geneialvicar des bischofs,
der es offener mit Eck hielt, an der Veröffentlichung der bulle gegen
Luther wesentlich beteiligt und schon darum in der Stadt verhasst war.
Als domprediger in Augsburg wird 123, 20fgg. Ockolampad genannt,
auch bei seiner erwähnung tritt die beziehung auf Augsburg stark
hervor. Uns leitet das. was die flugschrift über Ockolampad sagt, hin-
über zu ihrer zeitlichen bestimmung. Denn sie weiss, dass er im kloster
Altomünster inönch geworden (23. april 1520) und die schritt 'Quod
nun Sit onerosa Christianis confessio paradoxon' verfasst hat, deren druck
1) Wieuur Sitzungsberichte, |»liil.-lii.st. classe 89, 1')!.
2) Vgl. hierzu und zum folgondou Friedrich Koth, Aug.sljuig.s loformatioijs-
goschichtc s. 53 fgg.
lOS GÖTZE
hat aber Cratander in Basel im jimi 1521 volleudet. Eine weitere
Sicherung der abfassungszeit ergibt die schnöde bemerkung unsrer flug-
schrift über Eck: er luurcl Bolliiigeii, da er iez ist, das ganz dosier
mit narren besetzen 124, 36. In kloster Fölling weilte Eck im Jahre
1521, während in Ingolstadt die pest Avütete, von hier aus trat er gegen
ende des Jahres seine zweite Romreise an, die durch den tod Leos X.
am 21. dezember 1521 gehemmt wurde. ^
Fällt somit die Satire in den juni oder juli 1521, so rückt sie
zeitlich nahe an den Dialogus zwischen Simon Hessus und Martin Luther:
die beiden schritten müssen also, wenn sie demselben Verfasser gehören,
zahlreiche berührungen zeigen. Das ist auch tatsächlich der fall. Das
stärkste band, das die beiden verknüpft, ist die erwähnung des sonst
in der reformationsHtteratur kaum genannten Dr. Lemp in Tübingen.
Beide schritten nehmen den ungelehrten decretisten hart mit: der Dia-
logus 612, 31 fgg. schilt über seine bemerkung, Luther habe unter dk^w
rechtsgelehrten noch keine anhänger gefunden, allein 'Foeten' hätten
für ihn geschrieben, Kunz und Fritz entstellen zu beginn ihrer Unter-
redung seinen namen zu Fetz und Hader und tadeln sein auftreten
gegen einen Tübinger docenten, der angefangen habe Pauluin zä ksoi
nach des Erasmus Schreibung 120, 17. Auch hier wird also Lemp in
gegensatz zu den humanisten gestellt, über seine eignen leistungon
urteilen beide schritten gleich mitleidig: Aber sich selber hat er hoch
rnd groß, vermegnet, er seg ein Jurist, vnnd zum teyl ein Theologist,
kami begd^s nit vil übrigs Dialogus 612, 45 und aber die alten rützigen
geid verstond nit so vil latein Kunz und Fritz 121. 6. Weitere feinde
des Luthertums, die in beiden fl ugschrif ten angegriffen werden, sind
Eck, Murncr und Aleander. Dabei könnte es zufall sein, dass Eck
Dialogus 605,11 wie Kunz und Fritz 124.26. 126,26 gcck, Murncr
609. 7. 14 u. 0. (auch Löifelraacher a4a) wie 126, 26 Murnarr genannt,
dass Aleander 610, 18 wie 126, 24 sein Judentum vorgeworfen wird,
mindestens teilen die schritten diese Wendungen, so recht satirische
spitzen nach dem sinne des 16. Jahrhunderts, mit vielen ihresgleichen.
Aber über das durch zufall mögliche geht es wider hinaus, Avenn Eck
hier wie dort in einem atem ein verräter seines Vaterlands genannt
und mit Judas verglichen wird: (Eck) ist worden ein verratlcr seines
eggen vatterlands ... 0 Juda ich schetz dich vil frümmer, dann vß
deiner verrättereg ist vns entsprungen all vnser gnad vnd suligkait
Dialogus 605, 12; Ich irawe jm zu, wenn GoU v ff er dir ich noch tvere,
1) Tli. "Wicdeinaiiu, Joliaua Eck s. 37 fg.
URRAN RHF.niUS 109
et' neme gelt vnd vernd jn 613, 20; Mainst nit, ob er mich Crisiinn
verkaufet, der sein aigen volle und vaterlcmd also auf die hahilnniscli
jlaisclihank geben dar? Er ist dannoclit frümer dann Judas, er hat
den Luther umb ril gold verkaufen wollen: so hat Judas Christum
nur umb drei/iig pfeuuiug verkauft Kunz und Fritz 125, 12 (vgl. Judas
verriet rnd verkaufft Cliristuin den Jiulen vmb. xxx. silbren jyfenniug.
So verkauffen wir miinch vnd pfaffeu Christtnu j/och vm ain schlechters
gelt, eturi rmb vij. pfenniug. Ja xu xegtten nur rmb ain stuck brat,
oder cmb agnen truuck icein Löffelmacher c4a). Der im jähre 1521
f5chon halb vergessnen dispiitation zu gunsten der Fugger, mit der Eck
1515 in Bologna seine lauf bahn eröffnet hatte, gedenken Dialogus 612, 7
wie Kunz und Fritz 124, 27. Wo der neuen reinen lehre die über-
wundene, scholastische entgegentritt, wird diese in beiden Schriften
gleichmässig illustriert: im Dialogus 613, 10 durch Scotum, Ockam,
Thomam, Kunz und Fritz 120, 21 durch Scotum, TJiomam, Tartaretum.
Der canonist Lemp wird vom Dialogus 613, 2 verhöhnt als Doctor inu
de)i sendbrieffen des Bapsts, Fritz spricht 122, 33 vom großen neid
des obgemelten bäpstlicher vnd codidscher epistel doctor (Heinrichmann).
Derselbe erzählt 123, 29, Ökolampad sei i)n hohen stift xa Augsburg
prediger gewesen, der Dialogus spricht 610, 25 von Ökolampads nach-
folger Vrbano Regio, dein prediger xn Äitgspurg im hohoi Oestifft.
Die kanzlei des papstes heisst Dialogus 606, 5. 608, 9 mit einem aus-
druck der Dunkelmännerbriefe (hg. von Böcking 196, 31) Copistrey,
das übermütige wort kehrt nirgends wider, nur Kunz und Fritz 122,20:
so man die decretales, decret, copistei'ei und der gleichen lugenschfden
u)id bäpstlich iröm abthfit.
Neben solchen zwingenden Übereinstimmungen in der sache können
stilistische anklänge, die es gleichfalls in grosser zahl gibt, zurücktreten,
nur einige seien kurz angedeutet. Seltsam bedeutet in beiden flug-
.sehriften 'was man, wie man es selten sieht', vgl. Martine du bist ein
seltxam man, daß du das nit verstast Dialogus 606,4 mit Verden hing!
da sich ich ain seltsamen gesellen Kunz und Fritz 118, 2. Vorhanden
bedeutet hier wie dort bevorstehend, vgl. du siclist wol, was getz vor-
banden, wie sorgfelticklich ich bin, oder doch sein soll 603, 16 mit so
ist grofler hagel von in vorhanden über den I^uiher und all sein an-
henger 125, 81. Gepränge erscheint beidemale in ungünstigem sinne,
vgl. da mit er ein iierlichen pomp vnd gepreng haben macht 609, 22
mit so hat er doch die weit mit irem geprenk und neid veracht 123, 30.
Statt leiden bevorzugen beide flugschriften je zweimal die Zusammen-
setzung erleiden, vgl. das ivürd dir ein Widerwillen gegen den Fürsten
110 GÖTZE
bringen, sie m6chte7i villeycht haß erleyden, daß man die Concilia olle
vei'acliiet, dann daß man Sprech , jre vorfaren ketten . . . geirret 608, 31
imd Der Römer sach ist nii so redlicli , daß si vil disimtierens möge
erleyden 613, 24 mit Es mag nit wol erlitten tverden 122, 24 und das
mag der doctor nit erleiden imd ander mer 128, 13. Statt 7iicJit eben
sagen beide nit fast, vgl. Der Murnarr halt seinen kampff mit mir
nitt fast glücklieh aiigefangen 609, 31 mit Fetz und Lemp ist nit fast
ungleich 120, 8 und Ja es ist mer dann ainer hie, und besunder ainer
fast gescliwollen in oren, dem Lumpen 2ind Lempen nit rast ungleich
121,19. Das wort büberei begegnet Dialogus 607,36. 609,42. 014,29
wie Kunz und Fritz 122, 16.
Dem schliesst sich als willkommene bestätignng eine lange reihe
von stellen an, in denen die flugschrift von Kunz und Fritz im aiis-
druck zu den oben dem Rhegius zugewiesenen Schriften stimmt, wir
geben auch davon nur einige proben. Wir haben oben gesehen, wie
die Satiren ich dar stait getar, fürkommen statt xuvorko7nmen , fürnemen
statt vornehmen, losen statt hören, subtil statt fein, stattet statt gesetx
sagen. Dazu fügen sich die folgenden stellen der Unterredung zwischen
Kunz und Fritz: ich dar in ?iit neniien: ich furcht, man hör uns
121, 21; der sein aigen volk und Vaterland also auf die babilonisch
/laiscJfbank geben dar 125, 12; man muß oft, umb args und Übels %ü
fürkumen, ain weil ain aug zu thun 126, 1 (zu der Verbindung args
und Übels vgl. ma)t macht nur Übels nocii übler und args noch ärger
182, 20); die beschornen hfiben des unrechten für)iemen gestraft 126, 12;
los her 121,37; du cdter ta7ihausischer eself uhrer mit deinem subtilen
narrenkopf 120, 26; das liat nu)i den Lempen verdroßen und hat ain
Statut gemacht 120, 20. Dazu kommen aber auch neue anklänge. Dei-
papst klagt Unterred 75, 23 all frum ere- imd gelt liebend vernünftig
geistlich menschen tragen solchs überscharpfen andastens von Teutschen
kein gefallen , Fritz erzählt 124, 6 darmnb aber daß er den decretalischen
junkherren zu hart anlast, hat der obberiirt Jurist sein blast außgelaßen.,
die Übereinstimmung ist um so bemerkenswerter, als tasten ein der
schwäbischen raundart fremdes wort ist.^ Die päpstlichen aufsetzungen
werden von Fritz und Kunz 122, 14 getadelt wie Unterred 86, 18,
Schelm von ihnen 121, 13 als Scheltwort verwendet wie Gespräch 105, 23
und Löffelmacher c 4a, als abstractum dazu dient schalkeit 122, 16 wie
Gespräch 109, 1. Statt geiz steht geitigkeit 126,33 wie Unterred 86,11,
statt ividerstehen oder ividerstand leisten; widerfechten 126, 23 wie
1) Fischer, Schwäbisches Wörterbuch 1, 274.
URRAK RHEQIÜS 111
Untorrod 00,18 und Löffelmachor b4b, statt von freunden wird 123; 10
von lifhliabern götlicher ler gesprochen wie Unterred 74,15: hau, stich,
IC arg, preini und schlag tot alle Uebhaber des ivorts Christi. Von
festen Wendungen steht überhand neltmen Almosen 97 wie Kunz und
Kritz 122,80. 123,18. 124,31, inneii iverden Gespräch 109,1. 3(>,
Löffelmacher d3a wie Kunz 121, 36, fleiß ankere)/ Wegspräch 188,10,
Löffelmacher a3a. b la wie Kunz 124, 16. Mit dem von Kunz 120, 3
gebrauchten bilde: daiin da waist U'ol, iva)ni man H'il füeJ/s falten,
was man in die luchen stellen muß vgl. Klag und antwort 142, 10:
ir feit an euch selbs und n-ölt nns armen pfaffen für die liicken stellen.
Fritz wünscht dem doctor Lemp 120, 12 daß dichs gicht cmknm in
groben bilffel, nicht höflicher ist der Löffelmacher c3a: Ich ivolt das
vorgedachter grob imffelßkopff solcher sprüch anß der hailigen geschrifft
an eil lese.
So bleibt kein zweifei, dass auch der Dialog zwischen Kunz und
Fritz von Urbanus Rhegius verfasst ist. Wir erkennen demnach, dass
er die folgenden zehn flugschriften verfasst hat: im januar 1521 die
rechtfertigung der Löwener usw. gegen Luther, im mal 1521 das Ge-
spräch zwischen Simon Hessus und Luther, im juni^ oder juli 1521 den
Dialog zwischen Kunz und Fritz, etwa im frühling 1522 das gedieht
Vom almosen, im juli 1523 den brief des Hessus an bischof Fischer
von Rochester, im herbst 1523 das Gespräch zwischen edelmann, mönch
und curtisan, im jähre 1524, wol noch im sommer, die schritt Vom
Löffelmacher, im juni und juli 1524 die Unten-ed des papsts und seiner
cardiuäle, ^eit juni 1524 das Wegspräch gen Regensburg zu ins con-
cilium, bakl nach dem juli 1524 die Klag und antwort von lutherisclien
und päpstischen pfaffen über die Regensburger reformation. Drei dieser
Schriften fallen in die erste Augsburger zeit des Rhegius, vier in die
in der heimat und zu Hall verbrachten jähre, die drei wichtigsten in
die kurzen raonate, die er amtlos wider in Augsburg .verlebte. Die in
Augsburg geschriebenen Satiren sind im ton viel kecker und übermütiger,
als die der Zwischenzeit, sie atmen die luft der lebensfrohen Weltstadt,
in der sich Rhegius stets so wol fühlte, und manches witzwort von der
gasse hat darin eine stelle gefunden, namentlich von den derben spässen
1) Vom 24. juni ir>21 datiert ist des Henncus Phoeniceus 'Anzaygung, dali
die Romisch Bult merklichen schaden in gewissin mauiclier menschen gebracht hab,
vnd nit Doctor lAithers leer', die mit guten gründen für Rhegius in anspruch ge-
nommen worden ist, zuletzt von Otto Giemen, Beiträge zur bayerischen kircheu-
geschichte 9, 72fgg. Die Stellung dieser Schrift in des Rhegius Wirksamkeit umschreibt
schon Roth. Augsburgs reformationsgoschichte - G7fg.
112 GÜTZK, TTRBAN RHEGIUS
des Wegspräclis wird mancher nicht im hirn des humanisten Rhegius
seinen Ursprung haben. Einigermassen wird man danach wol das ur-
teil über den geschmeidigen gelehrten, der es bei der sicheren Vor-
nehmheit seines auftretens nicht recht verstand, die Sympathien des
gemeinen mannes zu erwerben'^, einschränken müssen. Anderseits be-
stätigen die flugschriften der Zwischenzeit mit ihrem ernsteren tone das
urteil ühlhorns-, der in diesen wenig bekannten wanderjahren eine
schule der leiden sieht, sie zeigen aber doch, dass es dem reformator
aucii in den monaten, die er in feindseliger Umgebung, unverstanden
und ?iratlos verbringen musste, nicht an schaffensfrohen stunden gefehlt
hat. Vielleicht ist mit der Zuweisung der zehn flugschriften an Rhegius
der umfang seiner anonymen schriftstellerei noch nicht vollständig er-
kannt, so dass ein abschliessendes urteil noch nicht gefällt werden
darf, soviel kann man aber schon jetzt sagen, dass mit dieser Zuweisung
dem, der da hat, gegeben wird, dass er die fülle habe. In ein reiches
leben voll der schönsten erfolge, erfüllt von einer gesegneten prediger-
und bekennertätigkeit, von unerschöpflicher humanistischer und theo-
logischer productivität strömt damit eine neue fülle von lebenskraft
und sieghafter kämpf esfreude, von frischer beredsamkeit und kernigem
humor, wie sie nur w^enige in jener reichen zeit besassen.
Es ist etwas grosses und wunderbares um jene litteratur der flug-
schriften, die mit der reformation emporsprosste, getragen von der
Stimmung der zeit und widerum ihre zeit bestimmend so stark wie
selten wider im Wechsel der Jahrhunderte eine litteratur die öffentliche
meinung beeinflusst hat. Kraftvoll und geistesstark stellt sich das beer
dieser flugschriften in den dienst der reformation, mit logischer beweis-
führung und spottender laune nimmt es den widerstrebenden gefangen,
kein gefühl des menschenherzens ist ihnen fremd und jedes herz wissen
sie darum zu gewinnen. Und zehn der tüchtigsten und originellsten
aus der zahl dieser flugschriften lassen sich als eigentum des Urban
Rhegius erweisen.
Nicht geringer ist der gewinn, der aus dieser Zuweisung den
Satiren erwächst. Es ist nicht gleichgiltig, ob ein beliebiger anonymus
oder der berühmte reformator von Augsburg es ist, der dem Regens-
burger convent mit so geringen erwartangen entgegensieht wie das
Wegspräch, der seine beschlüsse in ihrer halbheit und mit ihren inneren
Widersprüchen so vernichtend beurteilt wie die Klag und antw'ort es
1) Roth, Augsburgs refoimationsgeschichte - 59.
2) Urban Rhegius 4r)fgg. 350 fg.
HOLTHAUSEN, BEITRÄGK ZDK ERKLÄRUNG DES ALTKNGL. EPOS 113
tut. Der dialog zwischen Kuuz und Fritz gewinnt für die geschichte
Augsburgs eine höhere bedeutung, wenn der domprediger es ist, der
da über die katholischen führer zu gericht sitzt und nicht irgend ein
missvergnügtes schreiberlciu, die vielen kirchengeschichtlichen mit-
teilungen des gesprächs Vom löffelmacher gewinnen an glaub Würdigkeit
und färbe, wenn ihr verantwortlicher urheber bekannt ist. Endlich ist
die püicht litterarhistorischer gerechtigkeit , jedem das seine zu geben,
in diesem punkte erfüllt und zugleich von dieser seite her einer aus-
gäbe der deutschen Schriften des Rhegius vorgearbeitet, die immer
noch aussteht.
FREIBURQ I. B. ALFRED GÖTZE.
BEITEÄGE ZÜE EEKLÄEUNG DES ALTENGL. EPOS.
1. Zum Beowulf.
Die mehrfach widerholte durcharbeitung des textes und der um-
fangreichen Beowulf litteratur, die zum zweck einer neuen ausgäbe des
gedichtes von mir vorgenommen wurde, hat eine anzahl neuer con-
jecturen ergeben, die ich mit kurzer begründung hier zusammenstelle.
Ich eitlere nach Holder 2 und befolge die von Bülbring im Beiblatt zur
Anglia XIV, nr. 1, 2 vorgeschlagene quantitätsbezeichnung.
V. 242 fg. p[cett]e'^ on land[e\ JDena lähra nänig
viid scip-herge scebpmi 7ie-meahte.
So ist offenbar zu lesen, da der accusativ land keinen sinn gibt.
V. 252fgg. (hr ge fyr heonan,
leas - sceaweras on laiid Dena
furjmr feran.
Die stelle ist öfters erörtert worden (zuletzt von Sievers, Bei-
träge 29, 329fgg.), aber ohne dass eine befriedigende erklärung gegeben
wäre. Ich ergänze einfach swä^ox leas - sceaweras , wobei also nur ein
vergleich, keine direkte beschimpf ung herauskommt. Vgl. Sievers, der
a.a.O. s. 331 übersetzt: „wie listige späher".
V. 262. Wces min fceder - folcum gecijped.
Trautmann in seiner neuen Beowulfausgabe ergänzt foldan nach
fader; ich ziehe nach v. 1196: pära pe ic on foldan gefrcegen Itcebbe
vor, on foldan einzusetzen. Vgl. auch on eorhauY. 1822; 2855; 3138,
ofer eorban v. 248; 802, geond eor^an 266.
v. 305 fg. ferh - ivearde heold
güp-möd grnmmon; guman önetton.
1) Eckige klammera bedeuten ergänzungen.
ZÖTSCURITT F. DEUTSCHE PHILOLOGIE. BD. XXXVII. 8
114 HOLTHAUSEN
Diese oft besprochene stelle ist wol am einfachsten zu heilen, wenn
man zunächst mit Lübke fcer für ferh liest, dann gru?n-mon in gär-
geirum 'schar' bessert.
V. 328 fg. güb-searo gumena; ' gäras stödon,
sm-manna searo.
Die widerholung von searo ist unschön und verdächtig; in v. 828
wird dafür das in v. 2660 belegte scrUd zu setzen sein.
V. 886 fg. Beo Ö?7 on ofesie, hat in gan[gan'\
seon sihbe-geclriht samod cBtgcedere.
In seon erblicke ich einen fehler für sOna, das auch in v. 1591.
1618. 1794 im ersten halbverse mit allitteriert. Dann ist auch keine
ergänzung von hie nach hat nötig.
V. 457fgg. Fere fyhtum ^ü, ivine min Beowulf,
07id for är-stafum üsic söhtest.
Geslöh ]nn fceder fechte mäste.
Die ersten worte verbessere ich in for locelslyhtum ., das im Finn-
fragment V. 28 vorkommt; geslöh pin fceder wird durch einfache Um-
stellung: Inn fcsder geslöh ein tadelloser vers.
V. 489 fg. Site nü tö symle ond ons<^l meoto
sigehreh secgum, swä pm sefa hivette!
Die beliebte Übersetzung von V. 489b: 'und entseile die gedanken'
u. ä. ist schon deshalb unmöglich, weil sie gegen die grundregeln der
metrik verstösst! Im zweiten halbvers kann bekanntlich das verbum
nur dann vor dem nomen allitterieren, wenn eine Schilderung vor-
liegt. Oji sad ist offenbar mit Kemble in das häufige on scfdiim 'im
glück' zu bessern und in meoto — oder eoto, wenn man das m zum
vorhergehenden zieht, dürfte der imperativ iveota von ivitian, tceotian
'bestimmen, festsetzen' stecken. Sigehreh endlich wird aus -hrehgum
entstellt sein. Ich übersetze das ganze: 'und im glück (wohlsein) be-
stimme den siegberühmten männern, wie dich dein sinn treibt'. Hröögär
fordert also Beowulf gewissermassen auf, jetzt beim geselligen treiben
den ton anzugeben!
V. 522 fg. freoho-hurh fcegere, pcer he folc ähte,
burh ond beagas.
Das zweite bürg, eine widerholung des unachtsamen Schreibers,
bessere ich in bold.
V. 574. Hivcepere me gesälde, pcet ic mid siveorde ofslöh.
Schon mehrfach, von Eieger und Bugge, ist darauf hingewiesen
worden, dass ofslöh regelwidrig an der allitteration teilnimmt. Es ist
wol dafür äbreat einzusetzen.
BEITRAGE ZUR ERKLÄRUNG DES ALTENQL. EPOS 115
V. 668 b. eoton iveard abead.
Die verschiedensten besserungsvorschläge sind zu dieser stelle ge-
macht worden, aber kein überzeugender. Man lese einfach ivean statt
iceard: vgl. fela ic weana gebäd Finnfrgni. v. 25. Diese bemerkung
ist natürlich als vorwegnähme der folgenden erzählung zu verstehen und
iveard dürfte sich als widerholung aus dem vorhergehenden verse leicht
als Schreibfehler erklären.
V. 681. Nät he päi-a göda, ])<xt lie me ongean slea.
Lies gü^a statt des sinnlosen goda (Thorpe schlägt pcere gii6e vor)
und vgl. dieselbe besserung von Grundtvig zu v. 299. Über ivitan
c. gen. vgl. Wülfing, Synt. Alfreds II, 81 und den aisl. gebrauch.
V. 693. Folc ophe freo-hurh, pcer he äfeded, ivces.
Dieses bloss hier vorkommende freo-burh wird nichts anders sein,
als das v. 522 belegte freoho-burh. — Vgl. den nachtrag zu v. 1451.
V. 728fgg. Geseah he in recede rmca mcmige
swefan sibbc - gedriht samod cetgcedere,
mago-rinca heap.
Für riiica v. 728 lies rincas, da Grendel ja nicht viele von den
männern, sondern viele männer schlafen sieht! Das zweite rinca in
V. 730 hat schon Möller ansprechend in pegna gebessert.
V. 739. Ne pcet se äglmca ylda7i pöhte.
Da nach Mourek, Zur negation im agerm. s. 37 ne hier ganz aus-
nahmsweise steht, ist es offenbar für nö verschrieben, wie schon
Grundtvig annahm, ohne diesen grund zu kennen!
V. 779. pcet hit ä mid gemete manna cbnig.
Die metrische härte der ersten halbzeile, wo die allitteration im
typus B allein auf der zweiten hebung ruht, ist leicht zu beseitigen,
wenn man schreibt: pcet hü mid gemete äfre.
V. 844fgg. Hü ht iverig-möd on iveg Jjcmon,
7iiöa ofe?'cumen, on nicern mere ■
fäige ond geflgmed feorh-lästas beer.
Die feorh-lästas sind gewis^s in forp-lästas zu bessern, vgl. aus-
drücke wie forji-cyme, -faru, -fering, -för, -fromung, -gang, -ge-
witenes^ -l^dnes, -ryne, -scipe, -stb, -spell, -weg. Der ausdruck
bedeutet natürlich: 'er ging fort'. Grein schlug feor-lästas vor.
V. 850. Deah - fcege deog, slhban dreama leas
in fen-frcobo feorh älegde.
Die mannigfaltigen versuche, die ersten drei worte zu erklären [deop
Sievers, deag Cosijn, deaf Zupitza, vgl. auch Bugge, Beiträge XII, 90)
sind unbefriedigend. Vor v. 850 ist offenbar eine zeile ausgefallen und
116 HOLTHAUSEN
deog mag ursprünglich dreog , dreag (prät. von dreogan) gewesen sein,
Tgl. stellen wie v. 131 (pegn- sorge di'eah) und 422 (neuro -pearfe dreah).
V. 1002 fg. Nö pcet ße biß
to befleonne^ fremme se Öe willef
Mit recht nimmt Kieger Zeitschr. III, 391 an der ersten hälfte von
V. 1003 anstoss, da ein object zu befleonne fehlt. Dies ist aber leicht
als fyll 'fall, Untergang, tod' vor tö zu ergänzen.
V. 1014fgg. fcegere gepöegon
medo-ful manig mägas pära^
sivi^hicgende, on sele päm hean^
Hröbgär ond Hröptdf.
Das sinnlose /)ära v. 1015 wird verschrieben sein für gepivcere 'will-
fährig', vgl. V. 1230: pegnas syndon gepivcere. Trautmann schlägt ein
unsicheres pwcere vor.
V. 1119fg. Wand tö ivolcnum, wcel-fyra mcest
hlynode for hläive; hafelan midton.
Was soll for hläwe^ 'vor dem grabhügel' heissen? Ich vermute
in hläive einen Schreibfehler für liräwe 'leiche' und for ist dann causal
zu fassen: das feuer prasselte von dem leichnam, den es ergriflen hatte.
V. 1151 fg. Da W(BS heal hroden
feonda feorum^ sivilce Fin slcegen.
Da feorum natürlich nicht 'leichen' bedeuten kann (v. 1210 ist
statt feorh mit Sievers feoh zu lesen), wird es wol für dreore 'blut'
verschrieben sein, vgl. dreore fühne v. 447, blöde besiymed, || heall
Moru- dreore v. 486, he gehlödegod wearh \\ säivul-driore v. 2693, ivcel-
dreore fäg v. 1631, ferner das adj. dreor-fäh v. 485, brynegield onkreadj
rommes blöde Gen. 2931, d^'eore druncne deahwang rudon Andr. 1003.
V. 1171fgg. ond tö Geatum sjjrcec
fnildum wordumf Sivä sceal man dö[a^n.
Beo ivi^ Geatas glced, geofena gemyndig.
Statt des Geatas der letzten zeile ist gewiss gestas zu setzen;
ersteres ist offenbar nur durch das Geatum von v. 1171 hervorgerufen.
Trautmann nimmt das umgekehrte an, was mich weniger wahrschein-
lich dünkt.
V. 1174. nean ond feorran., J)ü n€i ha fast.
Das von Ettmüller ergänzte freobo ist metrisch falsch, Eiegers nyd
metrisch richtig, aber nach v. 2317: nearo-fäges nih nean ond feorran
möchte ich 7?'ZÖ einfügen. Darnach ist aber jedenfalls eine zeile aus-
gelassen, denn mit dem folgenden verse besteht kein Zusammenhang.
1) Grundtvigs und Trautnianns froin Idäive ist sinnlos.
BEITKÄGK ZUR ERKLÄKUNO DES AM'KNGL. EPOS 1 ] 7
y. 1177fgg. brüc, pe?ide7i pü möte,
manigra medo ond pJmim mägum Uef
folc ond rice.
Kemble bessert medo in meda — aber kann der könig belohnungen
geniessen? Heyne-Socins 'belohne gut' ist vollends unmöglich! Medo
ist m. e. einfach der rest eines ursprünglichen inedo-dreama, das v.2016
im Sgl. erscheint und Botsch. des gem. v. 44 in eben der pluralform,
die ich hier einsetzen möchte.
V. 1280 f. J5ä Ö«;r söna wear^
ed-hivyrft eorlum,
Cosijn will söna in söra = sära 'wunden' bessern, näher liegt aber
offenbar söcna 'Verfolgungen, nachstelkmgen'. Weiter ab liegt sorga.
V. 128.Ö. ponne J/eoru hunden hcDnere gepuren.
Da ]ieo7'u (= got. limrus, aisl. hiqrr) im altengl. wie im as. nur
in Zusammensetzungen und dann mit der bedeutung 'kämpf, verderben'
erscheint, kann es in diesem verse natürlich nicht allein und in der
bedeutung 'schwort' gestanden haben. Es wird zu heÖ7-u-iücspn zu
ergänzen sein, das in Jud. v. 263 vorkommt.
137 8 fg. hm' pü findan medht
fela-smnigne secg.
Ob fela mit Heyne und Holder-Kiuge einfach zu streichen ist?
Vielleicht ist es doch das letzte wort einer zwischen 1378 und 79 aus-
gefallenen langzeile!
V, 1514. pcer hitn nmiig ivceter ivihte ne scepede.
Die Unregelmässigkeit des ersten halbverses ist leicht durch Um-
stellung zu heben: ivceter nmnig.
V. 1604 fg. iüis\c^on ond ne wendon, pat hie heora wi?iedrihteti
selfne gesäwon.
Für ond — die hs. bietet hier das zeichen 7 — ist wol besser
ac 'aber' zu lesen, da offenbar ein gegensatz der Stimmungen aus-
gedrückt werden soll.
V. 1624 fg. . sce-läce gefeah
mcegen - hyrpenne, pära pe he him mid hcefde.
Bugge ändert pära in pöere, aber gerade so gut kann man läca
für läce lesen (abhängig von byrpemie)^ wobei weitere besserungen über-
flüssig werden. Auch 1652 erscheint der plural päs sceläc.
V. 1728 fg. Hwllum he on lufan keieh hivorfan
monnes möd-gepo?ic^ mceran cynnes.
An der ersten halbzeile hat schon Sievers, Beiträge X, 289 an-
stoss genommen, an der zweiten Rieger, da sie gegen das metrische
118 HOLTHAUSEN
grundgesetz verstösst, dass immer das regierte verb stärker betont ist
— also auch die allitteration trägt — als das regierende. Lc/'teb gehört
gewiss noch zur ersten vershälftq und vor htvorfan dürfte das lustum
ausgefallen sein, das Tr. für lufan einsetzen will. Der vers würde
demnach lauten: Jnvllnm he on lufan läteh [lustum] hivorfan. Dazu
paßt auch das folgende vorzüglich.
V. 1755fgg. fi'hh Oper tö,
se pe unmurnlice mädmas dSlep,
eorles ^rgestreon, egesan ne gjjme^.
In egesan vermag ich keinen sinn zu finden und vermute darin
ursprüngliches eaforan: der neue herr denkt an keinen nachkommen
und erben, sondern verteilt alles: apres nous ledeluge! Ygl. v. 2451:
eaforan ellor-sih, öh-es ne ggme^, wo auch beide Wörter im selben
verse erscheinen, Tr. will in fehta bessern.
V. 1832 fg. P(et he mec fremman ivile
tvordiim and tvorcum, pcet ic 'pe ivcl herige.
Das zweite pcet scheint blosse widerholung des ersten zu sein und
dürfte wol zur besserung des ausdrucks in gif geändert werden; für
herige hat schon Lübke ansprechend nerige vorgeschlagen.
V. 1903 fg. yrfe-läfe. Gewät Mm on nacan
drefan deop ivceter.
Die zweite halbzeile von v. 1903 ermangelt der allitteration. Ich
nehme den ausfall von eorpne 'dunkelbraun, schwärzlich' vor nacan
an, vgl. nnv - tyrivydne nacan v. 295 und Homers vfja i-dlaLvav
Od. VIII, 34.
V. 1925 fg. Bold tvres hetlic, brego röf cyning,
hea healle, Hygd sivi^e geong.
Kluge bessert v. 1926: [on] hea[n] healle, aber graphisch näher
liegt heah healreced, wodurch auch eine grössere Symmetrie des aus-
drucks erzielt wird.
V. 1931 fg. Möd pryho wceg,
fremu folces civen.
Man erblickt jetzt wol allgemein in pry^o den namen einer königin,
welche die spätere sage Thrida nennt. Aber ist pryho im altengl. eine
mögliche namensform? Auch der plötzliche Übergang von Hygd auf eine
ganz andere frau wäre seltsam und deshalb glaube ich, dass möd-
pryfie, ac. pl. von möd-prß (== möd-p7'acu) 'geisteskühnheit' zu lesen
ist, vgl. higepry^e wceg Gen. 2238 (von Agar gesagt), was genau unserm
ausdrucke entspricht. Fremu hat schon Bugge ansprechend in fromu
gebessert. — Ygl. den nachtrag!
BEITRÄGE ZUR ERKLÄRUNG DES ALTENGL. EPOS 1 1 !)
V. 1935. pcet hire an dceges eagiim starede.
Diese viel besprochene stelle ist vielleicht so herzustellen: pet
[hc on] hire and[uiitan\ eagum starede, obwol ich die kühnheit dieser
emendation zugebe; ceges könnte bei auslassung von uiitan durch das
folgende eagum veranlasst sein. Bugge bemerkte längst, dass es min-
destens hie statt hire heissen müsste; dceges ist überflüssig, weil man
sie ja bei nacht doch nicht zu sehen bekam!
v. 1955fgg. ealles mon-cynnes mme gefrcege
pone selestan bi sä'm hveoniim,
eormen- cynnes.
Die ungeschickte widerholung von cynnes hat schon Möller be-
merkt. Das zweite mal dürfte es für ursprüngliches peoda stehn, das
Menol. V. 139 und im Heliand so vorkommt.
V. 1980 fg. Meodu - scencum hivearf
geond pect side reced Hcerebes dohtor.
Kemble änderte side reced in hcalreced; könnten nicht aber zwischen
reced und Hcerehes zwei halbverse ausgefallen sein? Sicherer wäre es
doch, eine lücke hier anzunehmen.
V. 2035. dryht-bearn Dena dugu^a bi werede.
Wenn man mit Grein so statt des überlieferten biwenede liest,
muss man doch auch dugu^a in den gen. singl. dugu^e verwandeln,
wie Thorpe liest (allerdings mit folgendem bepenede).
V. 2041. ponne civih cet beore, se he beah gesyhh.
Von einem ring ist vorher (v. 2036 fg.) und nachher (v. 2047 fgg.)
nicht die rede und daher ist gewiss beah in bearn = beorn (wie in
V. 2035) zu bessern. Es ist der byre, wie er v. 2053 genannt wird,
den der alte krieger erblickt.
V. 2048. po7ie pln fceder iö geßohte beer.
Nach fceder könnte etwa ofta ausgelassen sein.
V. 2226 fg. secg synbysig. Sana mivatide ,
pcet pFer bäm gyste gryrebröga stöd.
Das sinnlose 7nwatide ist erst von zweiter hand durch auffrischung
eines verblichenen wertes hergestellt worden. Ich vermute, dass ur-
sprünglich he ivagode 'er bewegte sich' (nämlich der drache) dagestanden
hat, was die schriftzüge m. e. auch gestatten.
V. 2239 fg. ivearh ivinegeömor, wende pces yldan.
Im zweiten halbverse steckt ein metrischer fehler, da das regie-
rende, also schwächer betonte, verbum hier die allitteration trägt. Durch
Umstellung und zwei kleine Veränderungen lässt sich der vers bessern:
wende vnnegeömor \ iveard päd yldan. Auch v. 739 ist yldan mit dem
acc. Pect verbunden; der weard ist der frühere besitzer des Schatzes.
120 ■ HOLTHAUSEN
V. 2251 fg. leoda mmra, pära he pis [Uf] ofgcaf,
gesäivon seledream. Näh, hwä siveord ivege.
Für sele hat schon Rieger swegl vorgeschlagen; aus metrischen
gründen möchte ich ferner dreamas lesen. Oesäivon passt nicht zum
vorhergehenden und ist gewiss irrtümlich für gesegon aus gesecon (inf.)
gesetzt. Am ende der seite, nach dream^ sind zwei buchstaben un-
leserlich: gewiss ic. [Correcturnote. Besser: slpa seledream.]
V. 2283 fg. Bä wcp,s kord räsod,
onhoren heaga hord, bcne getihad.
. Statt des ersten hord ist wol hld-w zu schreiben.
V. 2337fgg. Heht him pä geivyrcean tvigendra hleo
ealltre7i?ie eorla dryhten,
ivigbo7'd wrcetlic.
Wenn wir mit Bugge scyld nach trenne ergänzen, so ist das vor
letzterem stehende eall natürlich zu streichen!
V. 2395. he gewrccc syh^an
cealdimi cearslhum, cyning ealdre bineat.
Yor gewrcec fehlt offenbar ^ce/, vgl. v. 2005b: ic pcet eall gewrcec.
V. 2430 fg. lieold mec ond hc^fde; Hrehel cyning
geaf me sine ond symbel, sibbe gemunde.
Um dem mangelhaften 2. halbverse 2430 aufzuhelfen, braucht man nur
geaf me aus der folgenden zeile davor zu stellen: geaf me Hrebel cyning.
V. 2441 fg. p(st tüces feohleas gefeoht, fyre7ium gesyngad,
hre'hre hygemehe; sceolde hivcehre sivä peah.
Für hrehre hat schon Grein HreUe vorgeschlagen, aber dann
müssen wir auch meho statt mehe schreiben. Das Substantiv ist zwar
im altengl. nicht belegt, aber nach abd. muodi wol zu erschliessen.
Tr. schlcägt -me^^o vor.
V. 2456 fg. ivmsele ivestne, witidge reste
reote berofene; ridend sivefab.
Das sinnlose reote bessere ich in reowe 'decke'; er sieht das un-
bereitete lager.
V. 2464 fgg. weallimde tumg; ivihte ne meahte
on häm feorhbonan fceghhe gebetati:
nö hy cer hepone heahorinc katian ne meahte
Uibnm dädimi, peak him leof ne ivces.
Das zweimalige meahte am schluss der verse 64 und 66 wirkt
sehr unpoetisch; man darf wol statt des ersteren ein ursprüngliches
pöhte vermuten. — Vor lähiim aber ist offenbar for zu ergänzen.
V. 2486. p(^r Ongenpeow Eofores niosab.
Da sonst überall das praeteritum steht, setze ich niosde. Greins
niosade ist metrisch falsch!
BEITRAGE ZUR ERKI.ARUNO DES ALTENGL. EPOS 121
T. 2489. fc7'h^o genüge, ßorhsireng ne ofteah.
Da ofteon sonst mit dem gen. verbunden wird (vgl. besonders
V. 1520: hond swenge ne ofteah) ist auch hier strenge zu setzen. Natür-
lich gehört ofteah nicht zu as. tiohan 'ziehen', sondern ist gleich as.
aftlhan, lat. abdlcere^ bei Heyne- Socin steht es aber immer noch unter
teon 'ziehen'!! (vgl. jetzt auch Sievers, Beitr. 29, 307).
V. 2556fgg. From mrest civöni
ornb äglcecean üt of stäne,
hat hildeswät; hrüse dynede.
Da der drache weder blutet noch schwitzt, ist sivät wol in sieam
'dampf zu bessern.
V. 2573. Beer he py fyrste forman dögore
ivealdan moste, swä him wyrd ne gescräf,
hreb cet hilde.
Vor 77iösfe schiebe ich mit Tr. ne ein und lasse hreh als alten
endungslosen dat. instr. eines neutralen .s- Stammes davon abhängen.
Swä — gescräf ist eine eingeschobene Zwischenbemerkung, worin ne
auch entbehrt Averden könnte.
V. 2645 fg. fortan he manna mcest mcer^a gefremede,
dceda dolUcra.
Sollte dollicra nicht für deo^iicra verschrieben sein? Tr. schlägt
dömlicra vor.
v. 2659 fg. gesigan cet scecce: ürum sceal siveord ond heim,
hyrne ond byrdnscrüd bäm gemcene.
Schon Thorpe bessert byrda in beadn, aber auch byrne kann niciit
richtig sein, da es ja dasselbe ist wie beadnscrüdl Zur rüstung des beiden
gehört doch noch der schild, und so wird bord für byrne zu setzen sein.
v. 2661 fg. Wöd pä purh p07ie tvcelrec, wig heafolan beer
freaji on fultum, fea ivorda czvce^.
Man fasst ivig heafolan gewöhnlich als composituoi: ting-hmfolan
'kampfhaupt', das 'heim' bedeuten soll! Aber Beowulf hat doch keinen
heim nötig! Ich lese: wig[a] heafolan bcer^ 'der krieger (= Wthstän)
brachte dem herrn seinen köpf (d. h. sein leben, sich selbst) zur hülfe^
V, 2724 fg. Biowidf mapelode, he ofer benne sprcec,
ivunde wcelbleate, ivisse he gearive.
l\Ian lese: tvnndnm tvcHbleat 'von wunden erschöpft', vgl. ivundum
äwyrdcd 1113, stille 2830, iverge 2937, heard 2687, feorh-benmtm seoc
2740. Der Schreibfehler ist wol durch anschluss an benne entstanden.
11) So las bereits, wie ich nachträglich sehe, Grundtvig und übersetzte:
'kampen vovede sin hals'.]
122 HOLTHAUSEN
V. 2764fgg. Smc eabe mceg,
gold on grund[e], giimcynnes gehivone
oferhl\d]gian: . hgde, se Öe icylle!
Hyde 'verberge' gibt kaum sinn und so vermute ich darin um-
gekehrte Schreibung des kentischen copisten für hede 'hüte sich'. Vgl.
hede, se Öe scire healde, h(st he wüe ä usw. L. K. S. 4 (Bosworth- Toller).
V. 2783. A7' wcES on ofoste, eftsl^es georn,
fi'o'.hcum gefyrhred: hyne fyrivet brcee.
Sollte gefyrtSred 'gefördert' nicht für ^'c/eörerf 'beladen' (zu fö^or)
verschrieben sein? Allerdings ist das verbum erst im me. belegt.
V. 2930 fg. äbreot bnmwisan, bryd äheorde,
gomela io - meoivlmi, golde berofene.
Das unverständliche äheorde ist einfach in äfeorde 'entfernte' zu
bessern, vgl. v. 2955 fg.
V. 3055 fg. sigora sö^cyning, sealde ]>mn he he wolde,
hc is manna gehyld, hord openian.
Die bisherigen besserungsversuche sind nicht überzeugend. Ich
schlage vor, v. 3056a zu lesen: heah-mäpma gehyld. Zwar ist dies
compositum nicht überliefert, aber wol nach heah-gestreon als mögUch
zu erschli essen.
V. 3069 fg. Swä hit oö dOmes dceg diope benemdon,
peodnas 7ncere, pä hcet pär dydon.
Sollte für diope nicht diore 'kühne' (adj.) zu lesen sein?
V. 3071 fg. ^«^ se secg w~re synnum scildig,
hergum geheaterod, hellbendum fcsst.
Man lese hefgum, dat.-instr, von *hefgu 'Schwierigkeit' = ahd.
hebigt oder adverbialer dat.-instr. des adj. hefig^ statt hergum.
V. 3073 fg. ivomynum gewltnad, se bona tvotig strude,
7ices he gold htvcele, gearivor hcefde.
Die erste hälfte von v. 3074 möchte ich bessern: neosde gold- cehte,
was eine Variation des vorhergehenden se Xsone ivong strude {strade hs.)
sein würde.
V. 3 118 fg. scöc ofer scild-weall, sceft nytte heold,
fceder - gearivum füs fläne fulleode.
Schon Kemble hat fceder in feher gebessert, aber fläiie gibt keinen
sinn. Offenbar ist es aus flihte = flyhte 'flug' entstellt (Tr. schlägt flyge
vor), denn flyhte fulleode bedeutet einfach: 'er vollzog flug ' = ' er flog ',
vgl. gares flihi 1765.
V. 3126. Nces Öä on hlytme, htvä pcet hord, strude.
Für onhlytme ist wol unhlytme = unhlitme v. 1129 zu lesen.
BEITRÄGE ZUR ERKLÄRUNG DES ALTENGL. El'OS 123
V. 3181. dracan cc scufun,
wi/rm ofer weallclif, Irton icrg niman.
Das ec scheint mir hier sinnlos, da sie ja sonst nichts wegschieben;
ich halte es für entstellt aus lic 'leiche'. Natürlich raiiss es dann auch
ivijrmes heissen.
V. 3 180 fg. cwmdon, pcet he ivcere iüyruldcyning[a\
manna mildust ond mon^ivä'rust.
Das zweimalige vorkommen von man in derselben zeile ist ver-
dächtig, weshalb ich statt manna nach v. 1229 mödes zu lesen vor-
schlage.
2. Zum Fiiinsburgfragmeut.
V. Ifg. [hor]nas byrna^ nmfre.
Illeoprode M heapogeong cyning.
Dass die zweite halbzeile von v. 1 metrisch falsch ist, behauptet
Trautmann, Bonner beitr. VII, 37 mit unrecht, da die cäsur offenbar
vor hyrnah anzusetzen ist und vor [hor'\nas ein mit h allitterierendes
wort gestanden haben wird. Die in der zweiten zeile von ihm vor-
genommene Umstellung: hä hleoprode ist ohne zweifei richtig und ent-
spricht genau Andr. v. 1360a. Ein Hnoif davor ist aber überflüssig!
V. 13. gold-hladen hegn, dU^^^ß /^^ne his sivurde.
Der erste halbvers enthält einen metrischen fehler, da nach Sievers,
Beiträge 29, 565 fg., das zweite wort des verses nach dreisilbigem com-
positum mit kurzer Wurzelsilbe des zweiten gliedes {j. \ ox) im ersten
halbverse meistens ein zweisilbiges mit langer Stammsilbe, seltener ein
dreisilbiges mit kurzer Stammsilbe ist. Die einfachste besserung ist die
einsetzung des Be monna crmfte v. 83 überlieferten gumpegn für hegn.
V. 19fg. ^cet he swä freoUc feorh formon sipe
tö b(ere Malle durum hyrsta ne bS?'e.
Die hs. hat bceran, ich bessere zu b<^7'e mit Kemble. Merkwürdiger-
weise hat aber noch niemand gesehen, dass in feorh' v. 19a derselbe
fehler steckt, wie in Beow. v. 1210, wo Sievers evident feoh dafür vor-
schlägt! "Wenn wir dies hier einsets^en, wird der Zusammenhang klar, denn
hyrsta\. 20h ist natürlich nur die poetische Variation dav^on. In der folgen-
den zeile: nü hyt nipa heard änyman ivokle braucht dann auch hyt nicht
mit Thorpe in hie geändert zu werden, da es sich eben auf feoh bezieht.
V. 29fg. sceolde celces bord cenum on handa,
bünhehn berstan.
Das unverständliche celces hat Grein nach Byrhtn.283 in das ebenfalls
unerklärte cellod geändert — aber liegt nicht ceoi'lccs 'des mannes' viel
näher? Über den coUektiven singular vgl. Sievers, Beitr. 29, 569 fgg.
124 HOLTHAUSEN
V. 34 fg. hivearfiicra liränv hrcefen ivandrode,
stveart and sealobrün.
Die besserung der ersten l?eiden worte aus Hickes' hivearflacra
hrcer mit Grundtvig annehmend, möchte ich ivandrode in iveardode
'bewachte' bessern, wozu krcciv das object ist.
V, 41. Hig fuhtoii fif dagas, sivä hyra nän ne feol.
Man hat allerlei ergänzt, um die fehlende allitteration herzustellen.
Aber vielleicht hat ursprünglich niht fife dagestanden (vgl scofo7i niht
B. V. 517a), und dagas ist erst später bei auslassung von niht von einem
Schreiber eingesetzt worden?
Nachtrag zum Beowulf.
V. 788. helle hcefton. Heold hine fceste.
Diese bezeichnung Grendels als helle hcefton [qc. gehyrdon ivänigean)
ist verdächtig, da ein subst. hcefta sonst m. w^ nicht belegt ist, sondern
nur das st. m. h<xft (= aisl. haptr). Es liegt nahe, nach Andr. v. 1342, wo
der teufel helle hcsftling genannt wird, hcpfüing für hcefton einzusetzen.
V. 941. Öe we ealle cer ne-meaMon.
Die metrik scheint mirÖä-Öß zu verlangen; das relativum bezieht
sich auf vorhergehendes d^d.
V. 1333 fg. Heo pä fceh^e wrcec,
pe pü gystran niht Grendel cwealdest.
Lies pcette für pe.
v. 1382. ivundini golde, gyf P'^^ on weg cymest.
Für ivimdini ist gewiss die instrumental form wundne zu schreiben.
V. 1393. ne on foldan fcepm, no on fyrgenholt,
ne on gyfenes grund, gä pdr he[o\ iville!
no in V. 1393b ist wol widerholung des 7io von v. 1392b und
offenbar für ne verschrieben.
V. 1408. Ofereode pä apelinga bearn.
Da bearfi hier nicht bloss Hröhgar (oder Beoivulf?)^ sondern die
ganze schar der beiden ist — vgl. v. 1412: he feara sum beforan gengde,
tvisra niorma — dürfte eodon das richtigere sein.
V. 1451. befongen frea-wräsniini
wird der heim genannt. Gewiss sind hier 'schutzketten' gemeint, also
ist freoto für frea zu lesen, vgl. oben zu v. 693.
V. 1506 fg. Beer päseobrim-ivyl[f], J)ä heo tö botme com,
hringa Jjengel tö hofe smum.
Für heo 'sie' ist wol he 'er' zu schreiben, da ja Beowulf, als er
den grund erreicht, in den hof geschleppt wird!
BEITRÄGE ZUR ERKLÄRUNG DES ALTBN9L. EPOS 125
V. 1840. Hröbgär maJ)elode him on oiulsivare.
Dass dieser vers der allitteration ermangelt, scheint noch niemand
bemerkt zu haben; im zweiten halbverse kann doch nur ond, nicht etwa
hi)n, die erste hebung tragen! Offenbar sind zwei halbverse ausgefallen
und man könnte wol ergcänzen:
Hröhgär mapelode, [heim ScykU7iga,
eorl cEpelmn göd\ him on ondsware,
vgl. V.456 U.1870. Aber es kann ja auch etwas anderes dagestanden haben.
V. 1860 fg. 7?iamg öpetme
gödum gegrettan ofer ganotes bcefif
Gegrettau wird gewöhnlich in den opt. pl. gegreian gebessert; eben
so gut kann es natürlich aus dem Sgl. gegrete entstellt sein.
V. 1931 fg. Mud-prijho ivccg
fremii folces civeii, ßren ondrysne.
Oben habe ich bereits -prg^o in -prijbe gebessert und Bugges fromu
angenommen. Aber auch der ac. sgl. f. ßreii für firene (resp. firne)
kann nicht richtig sein und wird wol in das einsilbige neutr. fäcen ge-
bessert werden müssen. Formen wie wen ic gehen natürlich auf *wän{n)
ic mit lautgesetzlicher synkope zurück und können hier nicht angezogen
werden, firene aber ergäbe einen metrischen fehler!
V. 1982 fg. lib-tvcsge beer
hce num tö handa.
Man schreibt jetzt gewöhnlich mit ßugge Kä^num, worin er die
anord. Rei^)nir sieht, vgl. Beiträge XII, 9fgg. Aber wie können die
Geatas, die &.\^\.Gauiar, schv.'e(\.Västgöfar, zugleich norwegische i7e/Ört?V,
be wohner der Heihmqrk sein? Hinter hce ist in der hs. ein Ö aus-
radiert; ich vermute, dass der Schreiber ein ursprüngliches hcehnnm in
hcelehum bessern wollte, aber seinen plan nur halb ausgeführt hat.
v. 2152. Ret Öä in heran eafor heafod segn.
Die zweite vershälfte ist oft besprochen worden, aber jedesfalls ist
das angenommene eofor- heafod -segn 'eberhauptzeichen' ein unding. In
eafor könnte ein ursprüngliches eodor 'schütz' stecken und heafod aus
dem heafod- mäga des vorhergehenden verses stammen. Sollte nicht hcele^a
in der vorläge gestanden haben? Also: eodor hceleha segn (typus E).
V. 2280fgg. oh-}Scet hy?ie an äbealch
mon on möde: rnan-dryhtne brP7'
fceted wcege etc.
Die widerholung von man in derselben zeile ist unschön und ver-
dächtig, weshalb ich in dem ersten eine entstellung aus maga vermute.
KTEL. F. HOLTHAUSEN.
126 BOER
LITTEEATUE.
Henrik Bertelsen. Om Didrik af Berns sagas oprindelige skikkelse, omar-
beidelse og händskrifter. K0benhava 1902. (Kopenhagener doctordissertation.)
Vni, 195 s. 4 kr.
ßertelsen bat sich die aufgäbe gestellt, durch eine analyse der PS zu einer
Vorstellung von ihrer composition zu gelangen, sodann auf grund des gewonnenen
bildes des sagaschreibers die interpolationen auszuscheiden; darauf versucht er nach-
zuweisen, dass das Verhältnis der hss. den auf diesem wege von ihm gewonnenen
resultaten nicht widerspricht, und für die entstehung der pergamenths. sowie für das
handschriftenverhältnis überhaupt eine neue theorie aufzustellen. Diese methode, die
im allgemeinen als die weniger sichere gelten muss, da sie den Verfasser nötigte, über
die absiebten des sagaschreibers ein urteil auszusprechen, bevor er sich von dem
ursprünglichen Inhalt der saga eine Vorstellung gebildet hatte , ist doch sehr berechtigt.
Denn einmal lässt sich die ausscheidung der interpolationen auf mechanischem wege
nur für einen teil des Werkes durchführen, und ferner hat es ein Interesse zu sehen,
inwiefern die resultate von verschiedenen forschern auf vollständig entgegengesetzten
wegen geführter Untersuchungen einander bestätigen.
Der verf. hat auf seine arbeit grosse Sorgfalt verwendet. Zwar regt die schrift zu
vielem Widerspruch an, aber sie ist wol geordnet, sie zeugt für das kritische taleut des
Verfassers und sie führt zu erneuter prüfun^ eigener ansichten. An mehreren stellen
bietet sie eine genügende erklärung bisher nicht vollständig verstandener einzelheiten.
B.s ansichten stimmen in den wichtigsten punkten mit den früher von mir
(Arkiv 7 , 205 fgg. , Ztschr. 25, 433 fgg.) ausgesprochenen überein. Auch er glaubt,
dass in der erhaltenen pergamenths. zwei redactioneu der saga miteinander verbunden
sind, die nach den hauptredactoren der beiden partien als M^ und M^ unter-
schieden werden. Auch er sieht in M * die relativ ursprüngliche redaction , in M ^ eine
ausführliche Umarbeitung. Die von ihm anerkannten interpolationen decken sich mit
den von mir als solche bezeichneten nicht vollständig, indem er einige dieser abschnitte
für — allerdings stark überarbeitete — teile der ursprünglichen saga ansieht; in den
fällen, wo der nämliche abschnitt in doppelter redaction vorliegt, nimmt auch er an,
dass die in M^ erhaltene den vorzug verdient. Die wichtigste abweichung, von
der die übrigen abhängig sind, besteht darin, dass nach B.s auffassung der text
von M* nicht eine nahezu unveränderte fortsetzung des ursprünglichen textes ist,
sondern dass er glaubt, dass derselbe, obgleich dem urtexte viel näher stehend
als M^, doch eine gekürzte ausgäbe repräsentiere, welche mehrere abschnitte aus-
geschieden habe. Das musste zu einer neuen auffassung des Verhältnisses der hss.
führen. Denn wenn M- und M^ auf zwei unabhängige Umarbeitungen der saga zurück-
gehen, wie ist es dann möglich, dass die übrigen hss., sowol AB wie die schwedische
Übersetzung S, in ihrer ersten hälfte mit M^ in der fortsetzung aber mit M^ über-
einstimmen? Für den, der M^ für einen guten repräsentanten der urspr. saga hält,
ist diese Schwierigkeit nicht vorhanden; er braucht bloss anzunehmen, dass der mit
M^ correspondierende teil der zweiten redaction, soweit die Übereinstimmung reicht,
von der Umarbeitung nicht betroffen wurde. Für B. aber stellen sich auch AB
und S als producte derselben contamination, die in M vorliegt, dar. Dieses sonder-
bare Verhältnis erheischt eine erklärung. B. denkt einen augenblick daran, S und
AB aus M abzuleiten; doch sieht er die Unmöglichkeit einer solchen auffassung ein
und versucht es dann nachzuweisen, dass M zusammen mit S und AB auf eine hs.
zurückgeht, die vollständig denselben Inhalt wie M hatte.
ÜBER BERTELSEN, DIDRIKS SAGA 127
Bevor ich diese hypotliese prüfe, wird es mir erlaubt sein, auf die einwände
einzugehen, die B. s. 170 — 71 wider meine auffassung erhebt. Durch diese wird
nach ihm nicht erklärt: 1. weshalb alle Interpolationen in dem späteren teil der hss.
vorkommen; 2. weshalb alle hss. doppelte redactionen enthalten; 3. weshalb mehrere
abschnitte in den hss. an einer stelle stehen, wo sie nicht hin gehören. Ich
glaube, dass B., so genau er sonst verfährt, doch eine stelle übersehen hat, welche
zeigt, dass ich diese Schwierigkeiten in einer ähnlichen weise wie er zu lösen
versucht habe. Zeitschr. 25, 473 bemerke ich über den ersten umarbeiter: „Als
die ansprechendste (erklärung der tatsachc, dass er verschiedene teile der saga, die
er doch in derselben weise beurteilte, auf so verschiedene art behandelte) erscheint
diese, dass er sich in einer ähnlichen läge befand wie der Schreiber ur. 3 von membr,
dass nämlich ein teil der handschrift, die er bearbeitete, und zwar mindestens bis
c. 144, höchstens bis c. 171, schon von ihm oder einem andern geschrieben war, ehe
er sich vornahm die saga umzuarbeiten. "Was vor c. 144 schon erzählt war, musste
somit, wenn es dem umarbeiter unrichtig erschien, widerholt werden, was nach c. 171
(wo die erste Interpolation von seiner hand anfängt) folgt, wurde in solchem fall nur
umgearbeitet." Ich glaube auch jetzt, dass diese hypothese für die erklärung des
eigentümlichen Verhaltens von SAB vollständig denselben dienst erweist wie die von
B. aufgestellte'. Diese lässt die gemeinschaftliche stammhs. für SAB dadurch ent-
standen sein, dass zuerst eine hs. der red. I bis c. 196 mechanisch copiert wurde;
sodann sei der schluss der saga nach einer hs. der red. II hinzugefügt worden. Die
doppelten redactionen, die in jüngeren hss. die Versetzung einzelner abschnitte zur
folge hatten, und die interpolationen in der foiisetzung erklärt der verf. also wie
ich daraus, dass die anfangspartie der hs. , die dem texte von SAB zu gründe
liegt, schon geschrieben war, bevor ein fortsetzer sich entschloss die saga anders
mitzuteilen. Nur besteht darin ein unterschied, dass während nach meiner ansieht
jener fortsetzer der umarbeiter war, B. ihn für einen abschreiber hält, der eine
jetzt verschollene auch in der anfangspartie umgearbeitete vorläge mechanisch copierte.
Wie durch diese annähme Versetzungen, interpolationen und doppelte redactionen
besser erklärt werden als duixh jene, verstehe ich nicht. Die frage bleibt demnach
1) B. wundert sich darüber, dass eine zweimalige Umarbeitung, wie sie von
mir angenommen wird, gerade den in M^ enthaltenen teil der saga, nichts mehr
und nichts weniger, verschont haben würde. Das ist nicht vollständig richtig. M-
enthält, abgesehen von dem von M^ eingeschalteten abschnitte, e. 21 — (incl.) 196.
An welchem punkte der erste umarbeiter einsetzte, lässt sich nicht genau bestimmen;
weon aber die oben citierte stelle das richtige trifft, so fieng er an einer stelle z\yischen
c. 144 und 171 an, also vor dem Schlüsse des in M'-' enthaltenen teiles der saga; er hat
auch keineswegs diesen teil geschont; ist ja doch der grösste teil von dem was zwischen
c. 171 und 196 steht, eine von ihm herrührende Interpolation. — Die von mir an-
genommene zweite Umarbeitung aber erstreckt sich über die ganze saga; schon mit
c. 152 hebt eine grössere Interpolation dieses umarbeiters an, und in c. 1 — 20 findet
sich mehr als eine spur seiner tätigkcit. Mau kann aber nicht einmal sagen, dass
c. 21 — 144 ganz von der Umarbeitung verschont wurden, denn c. 21 — 56 sind ja um-
gearbeitet — und an eine andere stelle versetzt — worden, sogar c. 57—59 sind
wenigstens in AB umgearbeitet. Also besteht das wunderbare nur darin, dass die
doppelte Umarbeitung einen abschnitt von 72 capiteln (80 — 151) verschont hat. Dass
der zweite umarbeiter seine dem Stoffe der t'S durchaus fremden zusätze lieber
später als in J*iöreks Jugendgeschichte einschaltete, beruht wol auf der geschlossenheit
der compositiou dieses teiles der saga, die um so deutlicher hervortreten musste,
" nachdem der Zusammenhang der fortsetzung durch die erste Umarbeitung gelockert
worden war.
128 ßOER
nur diese, welche hypothese die giössore inuere Wahrscheinlichkeit für sich hat uud
sich mit den übrigen tatsachen am besten verträgt.
B. glaubt nun, dass jene von ihm angenommene mischhandschrift, die er X
nennt — ihre hauptteile unterschaidet ■ er als X ^ und X ' — auch die quelle von M
ist, und er stellt den folgenden Stammbaum auf:
S*
1
1
s
1
x^
+
1
X
1
-
M^ + M« Sv J
_!_
AB
Dieser Stammbaum wird auf folgende weise erklärt: X^ reicht bis c. 196, 10
(wo M" aufhört). Davon wurde eine abschrift angefertigt (=M-). Dann wurde die
fortsetzung von X^, also X- nach einer abweichenden vorläge (S^ d. i. eine Um-
arbeitung der ganzen saga) geschrieben. Aus X (d.i. X' + X'^) wurden darauf die
quellenhss. von Sv und J (^AB) abgeschrieben und gleichfalls M^
Eine bestechende eiafachheit kann mau dieser hypothese nicht nachrühmen.
Etwas anderes wäre es, wenn M als ganzes sich auf eme fertige hs. X^ -f- X- zurück-
führen liesse. Das ist aber nicht möglich wegen des zustandes der Überlieferung in
dem abschnitt c. 152 — 196. — C. 152 — 169. 172—188 wurden von M^ in M- ein-
geschaltet. Wenn M- und M^ auf dieselbe vorläge zurückgehen, so fragt es sich,
ob die betreffenden capitel in jener vorläge standen oder nicht. Falls sie dort nicht
vorhanden waren, wo hat sie dann M^ her geholt? Falls sie dort standen, weshalb
lies M- sie aus? Um auf diese fragen die antwort nicht schuldig zubleiben, schliesst
B., dass sie nicht dort standen, als M- geschrieben wurde, aber in die vorläge auf-
genommen waren, als M^ entstand. So sieht er, sich zu der verzweifelten annähme
genötigt, dass der Verfasser von X'-, nachdem M^ aus X^ abgeschrieben worden war,
in X\ auf dieselbe weise wie M^ in M^ c. 151 — 169. 172 — 188 eingeschaltet habe;
und da c. 170 — 171 wol nicht auf einem besonderen blatte gestanden haben, muss
auch X'- wie M^ die beiden capitel da wo sie standen durchgestrichen und nach c. 169
widerholt haben. Also wird die geschichte von M zu einer vollständigen widerholung
der geschichte von X; nicht nur war der Inhalt derselbe, sondern die arbeit war in
vollständig ähnlicher weise auf zwei redactoren verteilt, und in beiden hss. wurden
in der arbeit des ersten redactors durch den zweiten genau an derselben stelle die-
selben änderungen vorgenommen. Ich glaube kaum, dass diese hypothese viel an-
hang finden wird^.
Diese complicierte hypothese soll also erklären, dass, obgleich B. zugibt,
dass M^ M^ nach einer zu einer anderen redaction gehörenden vorläge geändert hat,
dennoch die vorlagen von M^ und M^ zusammen eine handschrift bildeten. Eme
*) Mit S bezeichnet B. das original, während er die schwedische Übersetzung
Sv nennt. Ich benutze die von mir auch früher äuge wendete bezeichnung, nach der
die Übersetzung S heisst.
1) B. glaubt (s. 181) für seine meinung eine stütze zu finden in einer nach-
richt über eine hs. der J*S, welche nach Gödels annähme zugleich mit M dem
bischof Arne in Bergen (1302 — 14) gehört haben und später nach Vadsteua gebracht
worden sein soll. Wir wissen aber über die beschaffen heit jener hs. nicht das geringste.
ÜBEK BKKTELSEN, DIDJtlKS SAGA 129
solche hs. köunte dann auch die grundlage des in AB und S erhaltenen textes sein.
Von dieser auffassung aus liesse sich dann ferner die ansieht verfechten, dass auch
in S und AB eine gekürzte und eine interpolierte recension miteinander contamiiiiert
seien. Die Übereinstimmung zwischen dem iuhalt von SAß und M- würde dann
nicht länger beweisen, dass M'- die ursprüngliche recension darstellt.
"Wenn das richtig ist, so ist ein näheres Verhältnis entweder zwischen M und
S oder zwischen M und AB ausgeschlossen. Denn da die hypothese die möglichkeit
eines Zwischengliedes zwischen X und M ausschliesst, ist die einzig mögliche gemein-
same quelle von M und S resp. AB die mischhandschrift, welche allen erhaltenen
hss. zu gründe liegt. Auch ist die möglichkeit ausgeschlossen, dass M* sich den
übrigen Iiss. gegenüber anders verhalte als M-'. B. versucht nun weiter zu be-
weisen, dass in der tat für eine gruppierung der hss., die seiner abstammungs-
hypothese widerspricht, kein grund vorhanden ist. Er hat mit grossem geschick alles
angeführt, was für seine auffassung zu reden scheint. Zu beachten ist seine warnung
vor einem allzu grossen vertrauen auf die beweiskraft gemeinsamer fehler. Er führt
z. b. s. 6fg. mehrere Übereinstimmungen zwischen S und B (resp. A) an, wo A (i'esp.
B) zu M steht; die stellen zeigen, dass bei einem werke von dem umfange der f*S
der Zufall stets eine bedeutende rolle spielt. Man kann nur dankbar sein für die
sehr brauchbare illustration einer allbekannten, aber leider nur Zu oft vergessenen
Wahrheit. Indessen hat doch seine beweisführung mich nicht davon überzeugt, dass
man berechtigt, viel weniger, dass mau genötigt ist, auf eine nähere gruppierung
■ einzelner hss. zu verzichten ^
Auf die beweiskraft einzelner stellen gehe ich diesmal nicht ein, um, nicht der
Versuchung zu erliegen, den wert einer stelle zu hoch anzuschlagen; es ist auch
weniger notwendig, da ich die für mich beweisenden stellen schon einmal ausführlich
besprochen habe. Aber ich glaube, dass auch den zahlen Verhältnissen ein Zeugnis
abzugewinnen ist. Zwar liegt keine vollständige Statistik der fehler vor, aber aus
dem, was bekannt ist, lassen sich einige Schlüsse ziehen. Zunächst betrachte ich das
X^
Verhältnis von M^ zu AB und S. Der .Stammbaum ist nach B. | | |. Wenn
M^ABS
das richtig ist, so wird man erwarten, dass die zahl der Übereinstimmungen zwischen
je zwei Untergruppen zu der zahl der stellen, die den gedauken an einen gemein-
samen fehler aufkommen lassen, in einem bestimmten Verhältnis stehen wird. Nun
ist es bekannt, dass S im ganzen viel näher zu M- als zu AB stimmt. Man wird
also mit recht erwarten , dass die zahl der verdächtigen stellen in M - -1- S grösser
sein wird als die entsprechende zahl für S -|- AB. Auch für M ^ + AB wird man aus
ähnlichen gründen — da S ja durchgehend kürzt und dadurch selbständig abweicht —
1) Ich muss hier bemerken, dass die möglichkeit der gruppierung M- > M^SAB
nicht abhängig ist von der grös.seren oder geringeren Sicherheit, mit der .sich die von
mir gemachten untergruppierungen M"^>yAB und M''S>AB als richtig erweisen
lassen; ihre bedeutung in meiner Untersuchung Arkiv 7, 217 war diese, dass dadurch
bestätigt wurde, was B. ja als richtig anerkennt, dass M- und M'' verschiedenen
redactionen angehören. Das zugegeben, ist es für das Verhältnis von M- zu den
übrigen hss. einerlei, ob diese gruppe sich teilen lässt in SAB>M'' oder SM^>
AB odiT in drei unabhängige gruppen S AB M^ Aber für B.s hypothese ist das
t^iuo lebensfrage. Denn wenn es sich erweisen lässt, das M'' einer der beiden anderen
iteigruppen (S oder AB) näher steht als der anderen, oder dass M'- sich S resp. AB
■geuüber anders als M-' verhält, so ist davon die unmittelbare folge, dass M als
inzes nicht mit S und AB auf eine und dieselbe vorläge zurückgeführt worden kann.
ZKITUCHKUT F. DEUTSCHE PHILOLOUIE. Ül). XXXVII. Ü
130 BOKR
eine grössere zahl erwarten als für S -j- AB. Es fragt sich nun, ob die zahlen diese
erwartung bestätigen.
Für eine gruppieriing M^ + AB > S ist die zahl 1 '. Sie beruht auf B.s nach
seiner eigenen aussage^ erschöpfender angäbe.
Für eine gruppierung M-'-|-S>AB schwankt die zahl zwischen 1 und 4.
Die stellen wurden von mir Arkiv 7, 219 fgg. angeführt. Von diesen kommt meiner
ansieht nach nur eine (c. 80, 10) in betraeht^; dass an den drei übrigen M^S das
allein richtige haben, daran zweifelt auch B. nicht; da aber früher von anderen
zweifei über die stellen ausgesprochen ist, lasse ich die zahl 4 gelten. Soviel ich
urteilen kann, ist die zahl erschöpfend. (B. fügt s. 185 zwei stellen 58,2. 99,17
hinzu, denen er jedoch keine bewoiskraft beimisst. Doch dürfte erstere einige be-
deutuug haben. Wenn wir beide mitzählen, steigt die zahl bis 6).
Für die gruppierung S + AB>M- wurden von mir Arkiv 7, 219 fgg. 9 stellen
angeführt. Die zahl ist vielleicht nicht erschöpfend; es wurde damals von mir in dieser
hinsieht keine Vollständigkeit angestrebt, da es mir bloss um einige beweisende bei-
spiele zu tun war. Diese 9 stellen beurteilt B. so, dass er in einigen fällen an
eine zufällige Übereinstimmung denkt, während er glaubt, dass man in den übrigen
fällen die lesart von S -j- AB auch für die richtige halten kann, — nirgends aber
halten muss*. Demnach ist die zahl 9 für die verdächtigen stellen, die für diese
gruppierung zu reden scheinen, keinesfalls zu hoch.
Bei durchgehender Übereinstimmung von S mit M^ sprechen also:
für M^S>AB im besten fall 1—4 (5. 6?) unbedeutende stellen,
für M-AB > S 1 stelle,
für M-> SAB9 stellen.
Die handschriften sprechen demnach für die gruppierung M->SAB.
1) Die stelle ist c. 98,1 wo M-AB en haben, während er (S är) das richtige
zu sein seheint. Wenn B. behauptet, dieses beispiel zeige, wie vorsichtig man bei
der gruppierung von hss. auf gruud gemeinschaftlicher fehler verfahren müsse, so
ist das mindestens übertrieben; ein fehler wie dieser gehört, wie die vom Verfasser
gegebene erklärung erweist, zu denen, die am leichtesten entstehen. — Übrigens ist
auch hier eine correetur in S nicht ausgeschlossen.
2) S. 189. 'Jeg har kun kunnet finde et tilfgelde, som kau tale for en sädan
gruppering'.
.3) Die stelle wurde jedoch von mir a. a. o. anders erklärt und auch B. lässt
sie nicht als einen fehler in M-S gelten.
4) C. 99, 8, wo der umarbeiter an dröttningar als bezeichnung für Prinzes-
sinnen anstoss genommen und an die stelle konungs dcetra oder wol wie B hat k. d. ok
dröttningar geschrieben hat, was weiter in B und S an zwei folgenden stellen 99, 12
und 100, 13 eine ähnliche äuderuug veranlasst hat, lässt B. nicht gelten. Er
glaubt, dass auf grund von c. 98, 1, wo auch in M'- konongs datr steht, unabhängig
voneinander A einmal, B zweimal (nicht ganz richtig: B hat auch c. 100 k. dcetrum ■,
ok drottningu) ^ S dreimal dröttningar in komings datr geändert hat. Dass 99, 8 \
konongs dcbtr aus c. 98 stammt, bestreitet niemand; aber die bezeichnung ist nicht
einfach aus c. 98 weitergeschleppt; denn einmal steht die stelle ziemlich weit von den |
drei anderen entfernt (49 z.; der abstand zwischen den drei folgenden stellen ist 4
resp. 22 z.); sodann zeigt die lesart in B, dass die änderung absichtlich geschehen!
ist. Es ist nun weniger wahrscheinlich, dass drei Schreiber unabhängig auf grund der-
selben ziemlich weit zurückstehenden stelle dieselbe besserung voigenommen haben,
als dass die correetur einmal, und dann von dem schi'eiber einer hs., von der AB und \
S stammen, angebracht worden ist. Die änderung der beiden folgenden stellen in B|
und S war nur eine weitere consequenz, die sich namentlich von der lesart von B|
(k. d. okdr.) aus leicht verstehen lässt. — Unsere stelle muss also unter denen, die
einen gerechten verdacht erregen, mitgezählt werden.
ÜBER BERTELSEN, DIDRIKS SAGA 131
Betrachten wir nun den zweiten teil der saga. Nacli B.s bypothese ist das
X
bss.verbältnis widerum j | |. An verdächtigen Übereinstimmungen finden sich:
M» AB S
zwischen M^AB>S nach B. (s. 189) keine einzige,
zwischen ABS>M* nach B. (s. 188) keine einzige.
An auch von berrn B. arrerkannten aber für zufällig erklärten fehlem in M^S>
AB 4. — Eine fünfte stelle, c. 219,9fgg. (vgl. Arkiv 7, 223), deren bedeutung
B. nicht anerkennt, zähle ich nicht mit. — Auch für diese zahl gilt das oben über
die zahl der fehler in SAB>M- bemerkte, dass sie vielleicht nicht erschöpfend ist;
von den fünf fällen wurden zwei von ünger beispielsweise angeführt, die drei übrigen
wurden von mir gleichfalls als beispiele aus dem sehr beschränkten abschnitte c. 196
bis 240 hinzugefügt. Doch lege ich darauf keinen wert.
Diese zahlen weisen auf eine gruppierung M'^S>AB.^
Dem möglichen einwände, dass hier mit verdächtigen stellen operiert wird,
während doch für die verdäclitigkeit einer stelle kein bestimmtes kriterium existiert,
glaube ich dadurch begegnen zu können, dass ich bei der Zusammenstellung der
zahlen für den ersten teil der saga für verdächtig zum vorteil meiner bypothese nur
solche stellen gelten lasse, die früher von mir für offenkundige fehler angesehen, aber
von B, nicht als solche anerkannt wurden, während für die entgegengesetzte ansieht
alle stellen mitgezählt worden sind, welche B. nur der erwähnung wert geachtet
hat, obgleich er ihnen selbst nicht die geringste beweiskraft beilegt. Für den zweiten
teil der saga zählen für meine auffassung nur die stellen mit, wo B. zugibt, dass
gemeinschaftliche fehler vorliegen, wider dieselbe alle solche, denen B. auch nur die
geringste bedeutung beilegt (d. h. keine einzige). Ein mögliches zu viel oder zu
wenig wird also auch hier nur B. zu gute kommen.
Bei dem zustande der in AB und namentlich in S vorliegenden Überlieferung
ist es eine sonderbare forderung, die der verf. s. 187 aufstellt, dass man in ABS>
M'' und M^S> AB eine grosse anzahl gemeinschaftlicher fehler oder sogar fehler von
einer bestimmten beschaffenheit nachweisen soll. Die überwiegende mehrzahl solcher
fehler sind nicht als gemeinsame widerzuerkennen, aus dem einfachen gründe, dass
entweder S oder AB oder beide selbständig abweichen-. Es hat denn auch gar
keinen sinn, wenn B. der dürftigkeit dieses materials gegenüber die lange fehlerliste
lobt, die er angeführt hat, um zu beweisen, dass SAB nicht von M abhängig sind.
Dazu braucht er nur offenbare fehler einer einzigen hs. (M) zusammenzusuchen, die
1) Zum rechton ver.stäudnis der tatsachen führe ich die zahlen noch in anderer
gnippierung vor. Betrachtet man die saga als ganzes, so erhält man die folgenden
verdächtigen Übereinstimmungen: M> ABS: nur in der anfangspartie. Dort aber die
grösste der angeführten zahlen, 9. MS> AB (bei durchgehender Übereinstimmung):
in der anfangspartie 1 — 6 leichte fälle, von denen jedoch mindestens 3 (fall 2 — 4)
anerkanntermassen auf falscher beurteilung der lesart beruhen. In der Schlusspartie
4 anerkannte fehler auf ziemlich beschränktem räume. MAB>S: eine stelle in der
ersten partie.
2) Wo z. b. die vorläge von M^S einen fehler enthielt, ist die stelle nur
dann für die beurteilung des hss.verhältuisses brauchbar, wenn 1. der fehler als ein
solcher deutlich erkennbar ist, 2. S nicht die stelle ausgelassen oder auf eine andere
radicale weise geändert hat, 3. AB das richtige bewahrt hal)eu. Nur in seltenen fällen
sind diese drei bedingungen zu gleicher zeit erfüllt. .Ähnlich liegen die Verhältnisse
bei gemein.samen fehlem von ABS>M*.
132 BOER
natürlich auf jeder seite zu finden sind, wie man deren auch in A oder B oder S
eiue beliebige anzabi nachweisen kann.
Die oben angeführten und beleuchteten Zahlenverhältnisse scheinen mir zu
beweisen, dass B.s ohnehin unwahrscheinliche hypothese unhaltbar ist, und dass
man nicht M auf eine schon aus zwei redactionen combinierte vorläge zurückführen
kann. Daraus folgt aber, dass die beiden hälften vgn SAB dieselbe redactiou, d. i.
die grosse Umarbeitung, repräsentieren. Wo nun der iuhalt der ersten hälfte mit dem
iuhalte von M^ durchaus übereinstimmt, da lässt sich diese gleichheit nur dadurch
erklären, dass dieser teil, soweit die übereiilstimmung reicht, keine redactionellen
änderungen erfahren hat. Also ist M'- nicht eine gekürzte ausgäbe der saga. Es
ist demnach nicht erlaubt, solche abschnitte, die in der zweiten hälfte in einem
wunderlichen zusammenhange überliefert sind, an eine beliebige stelle in die erste
hälfte der saga zu versetzen, wie das B. mehr als einmal tut. Ich gehe jetzt auf
die einzelnen fälle ein.
B. glaubt, dass die erzählung von SigurSs Jugend vom Verfasser der kür-
zeren redaction ausgelassen worden ist. Der grund für diese annähme ist der von
Jiriczek beobachtete scheinbare Zusammenhang mit c. 57 (Velents saga). Wo die
Velents saga erzählt, VaSi habe seinen söhn bei MImir in die lehre getan, aber ihn
später zurückgeholt, weil SigurSr ihn geschlagen habe, und wo SigurSs Jugendgeschichte
gleichfalls berichtet, dass der junge held die lehrbuben zu prügeln gewohnt war —
doch ohne Yelent zu nennen ; im gegenteil heisst der geprügelte lehrbube JEckiharS, —
da wird man in der tat zunächst geneigt sein, beide stellen demselben Verfasser zu-
zuschreiben. Man kann auch sagen, dass die handlung durch Velents aufenthalt bei
Mimir keinen foiigang hat, denn nachher wird er bei zwergen in die lehre getan.
Der sagaschreiber hätte demnach c. 57 ersonnen, um zwischen Velents und SigurSs
geschichte eine Verbindung zu stände zu bringen. — Ich gebe zu, dass man die sache
so auffassen kann, wenn die Überlieferung diese auffassung zulässt. Aber es lässt sich
auch viel dagegen sagen. Es wäre das einzige beispiel, dass der sagaschreiber eine
selbsterfundene erzählung aufnahm, um einen Zusammenhang zuwege zu bringen
zwischen personen, die in der saga nirgends miteinander in berührung kommen. Nicht
allein stehen Velent und SigurSr einander durchaus fern; Velent spielt auch in der
saga, soweit sie von fiSrekr und seinen beiden handelt, gar keine rolle, er gehört
einer anderen generation an. Das führt zu dem chronologischen einwände, mit dem
B. es allzu leicht nimmt, wo er von 'denne lille unoiagtighed' redet. Allerdings
enthält der berioht, dass SigurSr zusammen mit Velent bei Mimir sich aufhält, auch
sonst vom Standpunkte des sagaschreibers einen anachronismus (vgl. unten), aber der
geringe irrtum wird zu einem bedeutenden fehler, wenn man den sagaschreiber wider
die Überlieferung unmittelbar vorher erzählen lässt, dass SigurSr als erwachsener held
zu könig Isung fuhr, bei dem er sich aufhält, wenn Velents söhn erwachsen ist;
und — was von bedeutung ist — der fehler war absolut unnötig; durch die Ver-
bindung der beiden beiden in c. 57 wird für die erzählung nichts erreicht. Die sache
lässt sich auch leicht anders erklären. Auch ich halte es für möglich, dass der saga-
schreiber Velents aufenthalt bei Mimir ersonnen hat. Dazu könnte er dadurch veranlasst
worden sein, dass Mimir der berühmte schmied der sage ist; mit diesem wünschte
er Velent, der ja auch der schmiedekunst seinen rühm verdankt, zu verbinden. Ein
weiterer grund war der, dass Velent ein Schwert schmiedet, welches Mimungr
heisst; es war ganz, natürlich, dass er den namen des Schwertes mit dem des Schmiedes
i'-HKIi BEKTELSKX. ni!)l>'lKS SA(1A 133
iu verbimluDg setzte*. Die quelle aber berichtete, dass Velent vou zwergen seine
kunst lernte. Also musste VaSi den knaben wider zurückholen. Der sagaschreiber
kannte ferner die durch die erzählung von SigurSs Jugend und die eioleitung des
Sigfridsliedes bestätigte erzählung von den lehrbuben, die SigurSr prügelt. Dieses
motiv benutzte er um zu erklären, dass Yelent Miinir widerum verlässt. D?. SigurSr
für ihn keine hauptperson war, konnte er hier leicht einen in diesem fall geringen
anachronismus begehen; vielleicht hat er den fehler nicht einmal bemeikt (was un-
möglich ist, wenn er unmittelbar vorher SigurSs jugendgeschichte ei'zählt hat). Der
interpolator, der später die jugendgeschichte Sigur5s schrieb, berichtete natürlich
gleichfalls, aber unabhängig von c. 57, das rohe auftreten des jungen beiden. C. 57
und c. Kiö sind demnach zwei unabhängige Zeugnisse für denselben sagenzug.
Mehr gründe für die ursprünglichkeit von SigurSs jugendgeschichte hat B. nicht
angeführt". Er wirft mir s. 152 vor, ich sehe darin, dass SigurSr in Bertangalaud
auf der seite von Dietrichs feinden steht, einen beweis, dass die jugendgeschichte nicht
ursprünglich sei. Das ist unrichtig. Der umstand beweist nicht, dass die geschichte
vom sagaschreiber nicht mitgeteilt werden konnte, sondern er erklärt, dass sie von ihm
nicht mitgeteilt worden ist — auch vou könig Isungr und seinen söhnen wird eine
Vorgeschichte nicht erzählt — und er beweist, dass sie da wo sie steht nicht am
platze ist. Die für den Zusammenhang notwendige auskunft über SigurSr wird c. 190
kurz gegeben ^
Aber das ist nicht zu übeisehen, dass B. um die geschichte behalten zu
können genötigt wird sie zu versetzen (vgl. oben) und sie für eine Umarbeitung zu
erklären. Und dasselbe gilt mit einer einzigen geringen ausnähme (der erwerbung
des pferdes Falka, die er zwar versetzt, aber gegen deren form und inhalt er
keinen einwand erhebt) für alle erzäblungen , welche red. I nach B. ausgelassen
hat, also für die Walters saga (B. s. 153), einen abschnitt über Sifka (s. 154), die
zweite redaction von Osanctrix tode (s. 156) und die heldenbeschreibung^. Es wäre
1) Doch ist die möglichkeit gar nicht ausgeschlossen, dass Velents auf enthalt
bei Mimir auf einer tradition beruht.
2) B. hält es mit recht für unwahrscheinlich (s. 78 — 79), dass nachdem
Mimir c. 57 mit den werten: Spurt hmvir kann tu ceins smiÖs i Hunalande sa
hceitir Mimir ok er kann allra manna hagaxtr eingeführt worden ist, darauf ur-
sprünglich c. 163 berichten konnte: Einn maör het Mimir. hann er sniidr sva
frcegr oe sva hagr at nalega var angi hans maki at peirri iÖn. Doch ist dazu
zu l3emerken: 1. dass c. 163 ziemlich weit von c. 57 entfernt steht; 2. dass die un-
wahrscheinlichkeit nicht länger besteht, wenn c. 163 von einem anderen Verfasser
heri-ührt als c. 57. Wenn nun aber B. c. 152 — 168 au den anfang der saga ver-
setzt, so kommt nicht nur der aus c. 163 citierte satz, sonder'n eine ganze er-
zählung von dem schmiede unmittelbar vor die einführung des Mimir in c. 57 zu
stehen, was nach demselben principe doppelt unmöglich ist. Also würde man, wenn
B. recht hätte, die einführung des Mimiiv c. 57 streiciien müssen; damit würde aber
der einzige grund für die Versetzung von c. 152—168 hinfällig werden.
3) Übrigens werden auch nicht alle beiden, welche J'iSrekr nach Bertangaland
begleiten, durch eine längere erzählung eingeführt; die burgundischen brüder werden
in einem einzigen kurzen capitel abgetan (vgl. die folgende anmerkuug).
4) Die ansichten des verf. über c. 169. 170 sind ziemlich compliciert. C. 169
ist die arbeit des uniarbeiters II, es setzt c. 170 voraus. Aber auch c. 170 ist in der
vorliegeoden form nicht ursprünglich. In der saga wurde die herkunft der Niflungar
'vielleicht' nicht in, sondern vor der erzählung von Dietrichs fest mitgeteilt, und I
wird sie gekürzt haben. Das scheint B. bloss aus der analogie der erzählungen
OD J'ibreks kämpen i\x schliessen; die Überlieferung bietet dafür niclit die geringste
^'.'währ; sie widerspricht sogar dieser bypothese aufs bestimmteste, indem c. 169 nichts
134 BOER
wenigstens ein seltsamer zufall, wenn der redactor der version I gerade alle die'
partien und" keine andern ausgelassen hätte, die in der ihm nicht bekannten version I]
umgearbeitet worden sind.
Über die erzählung von W.llter handelt B. s. 150. 153, vgl. 166. 105. Ei
führt zunächst die gründe au. welche beweisen: 1. dass die episode da, wo sit
steht, nicht ursprünglich ist; 2. dass sie in der vorliegenden form nicht zu de)
saga gehört haben kann. Offenbare Widersprüche mit echten teilen der saga unc
berühruugen mit von B. anerkannten Interpolationen beweisen das zur genüge
S. 153 redet der verf. dann der ursprünglichkeit einer älteren nicht umgearbeiteter
"Walters saga das wort, c. 128 heisst es: Nu mmlti einn riddari. sa het Valtari a
Vaskansteini, hann er systorsvnr Erminries konongs oc Petmars oc allra kappe
mestr i konongs hirS at afli- oc atgorvi. B. meint, dieser satz genüge nicht un
Walter einzuführen; wenn der sagaschreiber seine jugendgeschichte nicht kannte
so müsste er den beiden früher erwähnt haben, da wo er die genealogie von Ernünrek
geschlecht mitteilt. Ich verstehe nicht, weshalb der sagaschreiber "Walter nur a
der von B. postulierten stelle hätte einführen können; die einführung c. 153 genüg
für die unbedeutende rolle, die Walter zufällt; sie wird aber zu einer unnütze
widerholung von der art, wie sie B. s. 78 — 79 aus anlass von c. 163 für unmög
lieh hält, wenn eine ausführliche erzählung von Walter unmittelbar vorhergel:
(B. setzt nämlich die episode vor c. 128). — Ferner soll die saga von Walter, di
erzählt, dass Attila und Erminrekr freundschaft schliessen, erklären, dass c. 129 di
beiden köuige freunde sind. Mir scheint es, dass die stelle gerade das gegenteil bt,
weist. Wenn dort gesagt wii'd: Attila konungr, er vErmmrik konongr hafÖi pingc
bodit tu sinnar veixlv, firir ßvi at par var goS vinatta müli ßeirra, so gel
daraus hervor, dass der sagaschreiber nicht unmittelbar vorher von dieser freunc;
Schaft erzählt haben kann. Er nimmt die möglichkeit an, dass der leser sich übf
ein intimeres Verhältnis zwischen Attila und Ermenrik wundert, und fügt dem berichll
seiner quelle, dass die merkistqng von der die rede ist, Attilas eigentum war
die erläuternde bemerkung hinzu: 'denn es herrschte damals zwischen ihnen gut
freundschaft'. Mir ist es nicht unwahrscheinlich, dass der interpolator der Walte:,
sage für die einleitung seiner erzählung an diese phrase angeknüpft hat. I
Für die ursprünglichkeit eines c. 186 entsprechenden aber damit im einzelnci
nicht übereinstimmenden abschnittes über Sifka, deren platz im anfang der saga g«
wesen sei, führt B. als einzigen beweis an, dass Sifka c. 127 'noget uforberedt' eii|
geführt wird. Dass eine längere erzählung von Sifka unentbehrlich sei, ist wideru
ein aprioristisches postulat. tJbrigens ist der Inhalt von c. 186, das Sifkas ausser!
beschreibt, dazu durchaus ungeeignet, Sifka in einer den erzählungen von Dietricll
beiden entsprechenden weise einzuführen. C- 186 schliesst sich vielmehr nicht mj
enthält, was c. 170 könnte ausgelassen haben (hat also an dieser stelle gegen seiij
gewohnheit auch 11 gekürzt, sogar auf eine mit l vollständig übereinstimmende weise 'i
Die argumentation beruht hier auf einem voreih'gen urteil über die composition d
saga. Wenn von Dettleif, ViSga und anderen eine längere jugendgeschichte erzäll
wird, so beruht das darauf, dass sie Dietrichs mannen sind; die Niflungar sind nie
seine mannen, sondern seine gaste; der sagaschreiber braucht sie nur, um die zwöJ
zahl voll zu machen; gerade die kürze der einführung zeigt, dass ihnen in der sa'
keine bedeutende rolle zufällt (vgl. au< h unten s. 138 fgg.).
1) Auch B. nimmt s. 70 an, dass die quelle ein gedieht über eine zusamnie!
kunft der beiden könige in Rom war.
I
ÜBER BERTELSEN, DIDRIKS SAGA 135
der reihenfolge nach, sondern auch inhaltlich der heldeiibcschreibung an, in deren
Zusammenhang es steht ^
Für die ursprünglichkoit — in einer älteren gcstalt — der zweiten redaction
von Osancti-ix tode (c. 191 — 2) spricht nach B. (s. löO): 1. dass die geschichte nach
Storm (Aarböger 1877, 341 f gg.) sagenhistorisch mit der auf c. 192 folgenden erzählung
von den kriegen mit Valdemar (c. 293 — 31G) zusammengehört; 2. dass c. 292 er-
zählt, wer nach Osanctrix in Willdnaland könig wurde, c. 144 aber nicht. Beide
gründe sind überaus schwach. Auch wenn c. 293 — 316 einen mit c. 291 — 2 ver-
wandten Stoff behandeln, so folgt daraus nicht, dass die beiden abschnitte in der saga
zusammengehören. (Übrigens ist auch ein wichtiger teil von c. 293 — 31(5 unecht).
Per einzige Zusammenhang ist der, dass Valdemar Osanctrix" bruder genannt wird und
nach seinem tode einen einfall in Iliinaland macht. Wenn das absolut ein rachezug
sein muss. so kann er denselben auch unternommen haben, wenn Osanctrix c. 144
umgekommen ist. AVer aber nach Osanctrix in AVilkinaland regierte, brauchte schon
deshalb nicht mitgeteilt zn werden, weil der sagaschreiber c. 144 für immer von
Wilkinalaud abschied nimmt Nur eine auch von B. anerkannte interpolation (c. 349
bis 355 erwähnt später könig Hertmt.
Am wenigsten befriedigend aber ist die erklärung, die in diesem zusammen-
hange für die erste redaction von Osanctrix tode (c. 144) gegeben wird. Der redactor I
wollte kürzen, um aber später c. 191 — 2 fortlassen zu können, redigierte er c. 144
uni und fügte c. 134 und 145 hinzu. C. 134 nimmt in Ungers ausgäbe 38 V2 z. ein,
c. 145 15'/4 z., zusammen 537^ z. ; c. 191 8^4 z., c. 192 13'/, z., zusammen 2274 z.
Also um später 2274 z. fortlassen zu können, hat dieser redactor 5374 z. hinzugefügt
und ein capitel umgearbeitet. B. glaubt zwar, dass redactor I auch die absieht
hatte, c. 293 — 316 auszulassen; aber wie beweist er das? Wenn aber eine solche
absieht bewiesen wäre, so konnte sie auch mit beibehaltung von c. 291 — 2 zur aus-
führung kommen. Mir scheint die annähme, dass c. 144 echt, c. 191 — 2, die
auch B. in der vorliegenden gestalt nicht acceptiert, interpoliert sind, weit ein-
facher -.
S. 149 erklärt B. es für unmöglich, dass derselbe mann, der die Wilkina
saga umgearbeitet hat, sie auch an die stelle versetzt habe, wo die umgearbeitete
redaction steht, nach c. 240; der ursprüngliche platz der zweiton Wilkinasaga muss
nach ihm da sein, wo in M' die erste steht. Das geht von der unbewiesenen Voraus-
setzung aus, dass die quelle der zweiten hälfte der saga nur eine hs. sein kann, in
der auch die erste hälfte vollständig umgearbeitet war. Wenn es aber richtig ist,
dass die Umarbeitung zuerst in einer handschrift entstanden ist, von der schon ein
teil geschrieben war, ehe mit der neuen redaction ein anfang geinacht wurde, so ist
es sehr begreiflich, dass der umarbeiter die zweite Wilkinasaga, welche er an der
schon von der ersten Wilkinasaga eingenommenen stelle nicht mehr unterbringen
konnte, an einer späteren stelle niederschrieb; die einzige stelle, welche sich dazu
Ij Ich halte es nicht für unmöglich, dass am anfang von c. 284 eine bemerkung,
dass Sifka Erminreks räöcjjafi war (vgl. c. 276; c. 127 wird er nur des königs fchirSir
genannt) durch die Interpolation von c. 276 — 283 in Wegfall gekommen ist.
2) In AB kommt Osanctrix c. 144 mit dem leben davon. Doch kann das auch
nach B's. hypothese nicht das ursprüngliche sein; diese hss.gruppe soll auf grund
von c. 191- 2 das lichtige widerhergestellt haben. Allerdings steht der ausgang von
c. 144 in AB unter dem einfluss von c. 191 — 2, aber das i.st kaum eine widerher-
stelluog des ursprünglichen.
136 BOKR
eignete, war aber die zwischen c. 240 und 275 \ denn c. 276fgg. liess er eine er-
zählung folgen-, welche die Wilkinasaga voraussetzt*. Da ferner c. 276 — 283 mit
c. 284 — 290 unmittelbar zusammenhängen, war für die durch diese Zusätze unent- |
behrlich gewordene zweite erzählung von Osanctrix tod der einzig mögliche platz der
zwischen c. 290 und 293, denn aus c. 293 geht hervor, dass der köuig tot ist. j
Über die heldenheschreibung bemerkt B. nur (s. 157), dass sie zwar in der
vorliegenden form nicht urspi'ünglich sein kann , aber dass nichts der annähme
widerspreche, dass die ursprüngliche saga im zusammenhange von c. 171 eine ähn-
liche beschreibung enthalten habe; das wäre für die reise nach Beiiangaland eine
passende einleitung. Das ist nun geschmackssache; der versuch, einen positiven
nachweis zu führen, wird nicht gemacht, v^^as mich der aufgäbe überhebt, die gründe,
die gegen die lieldenbeschreibung sprechen, zu widerholen.
Die erwerbung des pferdes Falka durch Heimir wird s. 149. 152 besprochen.
B. 'glaubt, dass diese erzählung, und zwar 'ved et heldigt greb'*, ursprünglich dal
stand, wo sie in S. überliefert ist. Die combination von Brynhildr, Heimir und j
den berühmten pferden hält er für das eigentum des sagaschreibers. Daraus würde i
dann folgen, dass c. 188 echt ist, denn ein interpolator konnte nicht diese combination :
des Verfassers ganz in demselben geiste fortsetzen; in der saga bekommt Heimir
Eispa, Velent und später Viöga Skemming, Dietrich Falka und Sigardr Grani.
Ich glaube nicht, dass die Verbindung von Brynhild mit Heimir (c. 18) vom^
sagaschreiber herrührt, aber das ist für die frage, die uns beschäftigt, von unter- j
geordneter bedeutung. Die Verbindung von Heimir mit dem gestüte ist in der saga
ursprüngUch. C 70 wird berichtet, woher Skemmingr stammt, aber nicht, wie das
pferd in Velents besitz kam. C. 91 wird in gleicher weise Falkas abstammung mit-i
geteilt : kann var brodir Slcenimings er ViSga atti oe broSir Rispa er Heimir atti.
Das ist der stil des sagaverfassers. Es wäre aber ganz gegen seine gewohnheit, wennj
er, nachdem er vorher über die herkunft des pferdes ausführlich berichtet hatte, an
dieser stelle die bekannten data widerholt hätte. Er hätte dadurch eine tautologie!
begangen, welche B. an anderer stelle (vgl. oben s. 133 anm. 2) für unmöglich'
erklart. Also beweist c. 91, dass c. 188 nicht in der ursprünglichen saga vor c. 21
gestanden hat. C. 188 aber ist aus c. 18 und 91 abstrahiert. — Ferner liefert c. 91 1
einen neuen beweis dafür, dass nicht eine kürzere ausgäbe von Sigurös jugend-
geschichte im anfange der saga gestanden hat. Denn der Verfasser nennt unter Falkas'
brüdern nicht Grani. Der wünsch, auch Grani zu einem bruder der berühmten
pferde zu machen, hat einen interpolator auf den wunderlichen gedanken geführt,}
Sigurö bei Brynhild, die er nach der skandinavischen tradition mit Heimir verband,!
ein pferd holen zu lassen.
1) Über c. 241 — 4, die saga von Walter von Aquitanien, vgl. oben; c. 245 — 274
sind auch nach B. ein zusatz.
2) Auch nach herrn B. rührt dieser abschnitt von dem umarbeiter her.
3) C. 278 beruht auf der Voraussetzung, dass zwischen Ermiurekr und Osanctrix
ein feindliches Verhältnis besteht.
4) In einem fall wie der vorliegende wäre das allerdings denkbar, aber
man muss mit dergleichen annahmen sehr vorsichtig sein. B. glaubt auch an 'et
heldigt greb', wodurch die Walterssaga in AB an ihre ursprüngliche stelle geraten
sei; und die widerherstellung des — supponierten ^ ursprünglichen in c. 144 (vgl.
oben s. 135 anm. 2) beruht auf demselben principe. — Da wird der ieser am ende doch!
stutzig. '
I
ÜBKU mCKTlXSK.N , DIDKIKS SÄCIA 137
Das siud die stellen, an deueu B. in I kürzung des uispiüuglichen textes
annimmt. Aus dem vorhergehenden wird deutlich sein, weshalb ich von diesem teile
seiner resultate nichts accepticren kann. Über die fortsetzung gehen des verf. und
des ref. ansichten nicht so vollständig auseinander. Auch B. glaubt, dass sie eine
Umarbeitung in grossem massstabe repräsentiert. Als intcii)üliert werden auch von
ihm die folgenden episoden anerkannt:
c. 231 — 39 Herburt und Hilde,
c. 245 — 274 Iron jarls saga,
c. 303 — 307 i'iörelvs kämpf mit l'iörekr Valdeniarsson,
c. 349 — 355 Hertnils krieg mit Isungi',
c. 416 — 422 fiöreks drachenkämpfü und dritte ehe,
c. 437 l'iöreks räche für Heimir,
c. 438 die erste redaction von I'iöreks tod,
und er neigt zu der annähme, dass auch die von mir ausgeschiedeneu c. 27C) — 83
Eruienriks tod und Harlungensage,
c. 398 — 400 klage über Roöingeirr und kämpf mit Eisung
unecht sind.
Als umgearbeitet betrachtet er mit mir
c. 284 — 90 Dietrichs flucht (darin mindestens c. 289 unecht),
c. 293 — 315 Dietrichs kriege mit Waldemar,
c. 316 — 339 Dietrichs krieg wider Ermenrik,
c. 395 — 416 I'iöreks rückkehr; darin grössere Interpolationen; eine abweichung
ist hier, dass B. den bericht über Hildebrands tod (c. 415) bestehen lässt.
Die zweite nur in S erhaltene erzählung von fiöreks tode hält .er mit mir
für echt.
Als interpoliert, wo ich eine Umarbeitung vermutet habe, sieht B. c. 429
(s. 141 steht 428, wol ein dnickfehler) — 43G, die erzählung von Heimes letzten
heldentaten, an. Unmöglich ist das nicht, aber doch imsicher; auch der verf. zweifelt.
Ein gegensatz besteht nur in der beurteiluug der Niflungasaga (c. 340 — 48.
356 — 94) und der damit zusammenhängenden erzählungen von Sigurös und Gunnars
hochzeit (c. 226 — 30) und von Attilas tode (c. 423 — 28). Diese abschnitte habe
ich für Interpolationen angesehen; B. glaubt, dass es Umarbeitungen sind. Das
urteil über diese stücke kann sich nicht direct auf das verhältniss der hss. stützen.
Sie stehen sämtlich in dem teile der saga, den wir nui- in der erweiterten gestalt
kennen, und da diese receusion so wol intei'ijolationen als umgearbeitete abschnitte ent-
hält, ist a priori beides möglich. Die inneren kriteria müssen die frage entscheiden.
Doch ist das urteil über den ersten teil der saga auch für den zweiten teil nicht ohne
bedeutung. Wenn Sigurös Jugendgeschichte nicht ursprünglich ist, wenn die Nibe-
loDgen 0. 170 nur gelegentlich eingeführt werden, so ist es auch von vornherein
wahrscheinlicher, dass diese iielden nicht die hauptpersonen eines sehr wichtigen teiles
der ursprünglichen 1*8 waren, als im entgegengesetzten falle.
Über das verhältniss der einzelnen abschnitte ist zunächst das zu sagen, dass
sie nicht notwendig auf dieselbe weise beurteilt werden müssen. Es wäre au und für
sich denkbar, dass die saga eine erzählung ähnlichen inhaltes wie die Niflungasaga
enthalten hätte, und dass doch die erzählung von Gunnars hochzeit ein zusatz wäre.
Die Niflungasaga berichtet von ereignissen, die wählend Dietrichs aufenthalt an
Attila.s liofe sich dort zugetragen haben; Gunnars hochzeit .steht mit Dietrichs ge-
schichte in keinem zusammenhange. Die möglichkeit aber, dass umgekehrt Gunnars
I
138 BOER
hochzeit in einer älteren form echt, die NS aber unecht sei, ist wol ausgeschlossen;
ohne diese erzählung steht jene, die nur für die fortsetzung bedeutung hat, haltlos
da. Es ist wol auf grund solcher erwägungen, dass B. der von ihm supponierten
echtheit von c. 22ö — 230 eine stütze für die echtheit der NS im engeren sinne ab-
zugewinnen sucht. Was aber bringt er für c. 226 — 230 vor?
Seine beweisführung umfasst 1 : eine einwendung gegen meine auffassung von
226 — 30; 2: zwei positive gründe für seine meinung, dass die saga von anfang an
eine diesem abschnitt ähnliche erzählung enthielt.
Die einwendung ist die, dass ich genötigt sei, in c. 224 die Interpolation
eines kurzen Satzteiles anzunehmen, wo mitgeteilt wird, dass Sigurör fiörekr auf
der heimreise begleitet. B. , der selbst in der saga massenhaft interpolierte sätze
annimmt, und c. 226 — 230 für eine vollständige Umarbeitung erklärt, wird diesen
einwand kaum hoch anschlagen. Übrigens beurteile ich jetzt, wie sich unten zeigen
wird, c. 224 auf eine andere weise und lasse die früher von mir beanstandete mit-
teilung stehen. Als positive beweise für die echtheit von c. 226 — 30 führt B.
das folgende an: 1. alle personen, die in c. 226 — 30 auftreten, wurden im vorher-
gehenden schon erwähnt. Das kann nur auf Brynhild und Grlmhild gehen. Da ich
in bezug auf Brynhild die ansieht des Verfassers nicht teile, gehe ich nur auf die
erwähnung der Grimhild ein. C. 170 nennt die kinder des königs Isungr in Niflunga-
land; er hat vier söhne oc eina dottur, oc heitir su Grimhildr; dann werden die
namen der söhne genannt. Soll das beweisen, dass Grimhild dazu berufen war,
in der saga eine rolle zu spielen? Ist denn B. die passion der sagaschreiber
für genealogien nicht bekannt, und glaubt er ernsthaft, dass ein solcher nicht im
stände war, den namen der Schwester aus keinem andern giiinde mitzuteilen, als
weil er nun einmal die namen der brüder aufzählte? Wie ist es dann zu erklären,
dass er auch Guttorm nennt, dessen doch später auch in den Interpolationen nirgends
mehr gedacht wird?
2. Das hauptargument ist das, dass die saga vou dem geschicke eines
jeden beiden näheres .berichtet; weshalb, so fragt B. , sollen gerade Gunnarr und
H(jghi unmotiviert verschwinden? Ja, wie verhält es sich denn mit jenen beiden?
Ausser Gunnarr und HQgni begleiten noch zehn kämpen den könig. Von diesen be-
gegnen nur Heimir, Viöga, Vildifer und Hildibrandr später in der saga; mit nicht
weniger als sechs beiden rechnet der sagaschreiber in c. 225 und dem damit zu-
sammenhängenden c. 240 zusammen in ca. 10 zeilen auf immer ab. Hornbogi und
Amlungr reisen heim, dieser mit seiner frau, nach Vinland und regieren lange in^
ehren. Sintram reist nach Venedig und wird ein berühmter herzog. Herbrandr wird|
gleichfalls ein berühmter herzog in seinem lande (der Verfasser gibt sich nicht einmal
die mühe, den namen des landes mitzuteilen). Fasold und fettleifr bekommen je
eine Schwägerin Dietrichs zur frau und regieren zusammen das land am Drachenfels.^
Damit sind sie 6r sqgunni; die beiden zuletzt genannten beiden begegnen später
noch in einer episode, die auch B. für interpoliert hält. Da der sagaschrei bei]
sich so wenig daraus macht, die beiden, die ihre Schuldigkeit getan, gehen zu'
lassen, obgleich er von ihnen früher viel erzählt hat, wird man eher fragen müssen.,
weshalb er dazu genötigt gewesen sein soll, gerade Gunnarr und HQgni, die nichl
Dietrichs mannen, sondern nur seine gaste waren, und die er c. 170 behufs der
reise nach Bertangaland nur gelegentlich eingeführt hat, eine längere erzählung zi;|
widmen. Höchstens könnte man verlangen, dass er sie wie die sechs beiden mi'
einer kurzen bemerkung heimsenden würde. Eine solche aber konnte bei dei
CBKR BERAKLSEN, DIDRIKS SAGA 139
interpolation von c. 226 — 230 leicht ausfallen oder in die eizählung aufgenommen
werden.
Eine erneute prüfung des Zusammenhanges hat es mir wahrscheinlich gemacht.
dass letzteres tatsächlich geschehen ist. Ich glaube jetzt, dass der sagaschreiber nicht
nur kurz angedeutet hat, was aus Gunnarr und IlQgni, sondern auch was aus SigurÖr
wird, der ja c. 221: f'iöreks mann geworden ist, und dass sogar der Wortlaut der darauf
bezüglichen bemerkungon erhalten ist. Der anfang von c. 226 berichtet darüber in
demselben Stile, in dem c. 225 die heimfahrt der übrigen holden erzählt. Diese
4Vo Zeilen können echt sein. Sie berichten namentlich von SigurÖr. Da er später
in Dietrichs geschichte nicht eingreift, lässt der sagaschreiber ihn wie Amlungr, Fasold
und fettleifr sich verheiraten und wie die sechse ein reich erwerben und ver-
schwinden. Eine bessere gelegenheit als Gunnars abschied konnte sich nicht dar-
bieten; SigurÖr wird dem Gunnarr mit auf den weg gegeben; heimreise und hochzeit
werden wie gesagt in 4'/2 zeilen abgetan. Diese kürze unterscheidet sich in auffallender
weise von der breite, mit der darauf Gunnars hochzeit erzählt wird^ Letztere er-
zählung wurde später von einem interpolator an c. 226, 1 — 5 geknüpfte
Gerade das, was der sagaschreiber von den übrigen beiden Dietrichs erzählt,
ist für mich im vollständigen gegensatze zu B. ein beweis, dass der abschnitt
c. -26, .0 — 230 nicht ursprünglich sein kann. Denn er unterbricht den Zusammen-
hang der erzählung. C. 225 und 240 gehören deutlich zusammen (auch B.
scheidet 231 — 239 aus); 225 gibt das programm an: fiörekr und seine beiden wollen
setia sin riki oc borgir storhof8iv(jiuin til forrada oe stiornar; darauf folgt die
aufzählung der beiden, die ein reich bekommen, während einige zu gleicher zeit
sich verheiraten. Die augenscheinlich den ersten teil der saga abschliessende er-
örterung erstreckt sich über die zusammenhängenden c. 225. 226, 1 — 5. 240. 275 (wo
ViSga durch f*iöreks fürsorge ein weib und ein reich gewinnt; auch B. streicht
c. 241 — 274 aus diesem zusammenhange); sie wird aber in der mitte durch diese
fünf capitel lange erzählung von der hochzeit eines fremden fürsten unterbrochen.
Mir scheint es, dass die composition der saga die annähme, dass eine solche episodo
echt ist, aufs bestimmteste verbietet.
Auch in bezug auf die NS im engeren sinne kann ich den ansichten des verf.
nicht beitreten. Seine innere kritik der partie enthält manches gute, obgleich wenig
1) Die stelle lautot: Nu riör Pidrekr konunyr oc med honiim allir peir er
fBptir vom hans knppar heim med Gunnari konungi til Niflimgalandx. oc er nu
ßat raS gort, er nidan er orÖit hardla fragt, at SigurSr sueinn skal ganga at
mga Grimilldi sijstur Gunnars konungs oe Hmgna. oc taca meS henni halft riki
Ounmirs konungs. - Beachtung verdier)en hier die werte er siSau er oröit hardla
fragt. Die hochzeit des Sigurör mit Grinihildr ist an sich gar nicht berühmt, sondern
nur durch ihren Zusammenhang mit späteiTuereignissen. Darauf beziehtsichdiebemerkung
auch, wenn jene oreignisse nicht unmittelbar darauf mitgeteilt werden; die werte sind
dann ein hinweis auf den nicht mitgeteilten wichtigeren teil der geschichte. Im zu-
sammenhange einer fortlaufenden erzählung können die worte aber nur auf die
hochzeit.sfeier, oder höchstens auf die ehe Sigurös bezogen werden und sind dann
mindestens übertrieben.
2) Dass f'iörekr der hochzeit beiwohnt, ist damit ganz analog, dass er auch
Fa.solds und l^ettleifs sowie Viögas ehe schliessen hilft, und erklärt sich daraus, dass
SigurÖr I'iöreks n)ann ist. Erst der interpolator ist auf den veizweifelten einfall go-
komnu'n, Dietrich als Statisten die fahrt nach Brynhilds bürg mitmachen zu lassen.
Der Schlusssatz von c. 230, wo abschied genommen wird und Dietrich heimreist, wird
alt sein.
140 KOKK
neues; mit recht weist er auf mehrere Widersprüche, die dafür angeführt werden
können, dass in der erzälilung mehrere schichten übereinander liegen, aber zum teil
wenigstens auch auf dem mangel an einheitlichlieit der quellen beruhen können '.
Auch ich hahe früher vermutet, dass , die NS au einigen stellen umgearbeitet worden
ist^ ich glaube aber auch jetzt noch, dass die änderungeu und zusätze dem zweiten
inteipolator zugesehrieben werden müssen. Über B.'s gründe für die relative
ursprüüglichkeit der NS fasse ich mich so kurz wie möglich. Wenn der verf. , ob-
gleich er anerkennt, dass die urs])iüngliche saga frau Heraö als I'iöreks gemahHn
nicht kannte, doch c. 340 behalten zu können glaubt, da das capitel zwar mitteile,
dass Erka Heraö dem könige empfiehlt, aber nicht, dass er sich mit ihr vermählt,
so sieht das fast aus wie eine ausrede, denn was soll: hana vil elc ySr gefa denn
sonst bedeuten, und wozu soll der bericht überhaupt dienen, wenn nicht um zu er-
klären, dass später Heraö Dietriclis gemahlin ist? B. setzt die stelle mit c. 393
in Verbindung, wo gesagt wird, dass Heraö eine frcenkona Dietrichs ist, aber c. 340
ist sie eine frcenkona der Erka; wenn sie durch blutsverwandtschaft auch Dietrich
nahe gestanden hätte, so wäre gar kein grund vorhanden gewesen, weshalb Erka,
sogar ohne die geringste anspielung auf ein solches Verhältnis, ihre gemeinschaftliche
verwandte ihm zu übergeben brauchte, es sei denn, dass gcfa zur ehe geben be-
deutet, was B. leugnet. Auf den zweifelsohne auf einer fälschung beruhenden
bericht des c. 393 einzugehen, sehe ich um so weniger grund, als in kurzem eine
Studie von meiner band über frau HeraÖ und ihren söhn anderswo erscheinen wird^
Es wird daraus auch klar werden, weshalb ich B.'s behauptungen über das
gegenseitige Verhältnis der fS, des Högniliedes und der Hveuschen chronik für voll-
ständig verfehlt ansehe. Aber auf die unwahrscheinlichkeit weise ich schon jetzt
hin, dass, wenn die geschichte von Attilas tode ursprünglich von Grimhildr erzählt
worden wäre, der Widersprüche glättende sagaschreiber, den B. sich vorstellt,
sie auf Attila übertragen und selbst gegen die übeilieferung in willkürlichster weise
den vorhandenen absoluten widersprach mit der ,N S geschaffen haben sollte. Übrigens
wird diese annähme durch die bekannte stelle der Klage, die auf die sage von
Attilas tode anspielt, eudgiltig widerlegt. B. nimmt an, dass in der ursprüng-
lichen saga Grimhildr Attila als Werkzeug ihrer räche benutzte; von einer solchen
darstellung der begebenheiten sollen die paar sätze, in denen Attila sagt, dass die
schätze der Niflungar ihm bekannt sind, ein versprengter rest sein*. Wenn das
1) Ein Widerspruch ist es nicht, aber es fällt doch auf, dass c. 357 OsiÖ und
nicht Roöingeirr für Attila um Grimhildr wirbt. B. sieht ^darin eine willkür-
lichkeit des Sagaschreibers und weist auf c. 41 , wo gleichfalls OsiS in M- als braut-
werber für Attila auftritt. Ich glaube, dass gerade c. 41fgg. lehrt, dass der parallel-
lismus zwischen Roöingeirr und Oslo aus den quellen der saga stammt. Denn dort
treten in der ursprünglichen saga Osiö und Eoddolfr, der niemand anders ist als
Roöingeirr (Zschr. 25, 443, vgl. Arkiv 7, 233) beide als brautwerber für Attila auf.
Der umarbeiter lässt zwar von c. 43 an Roöingeirr an Roöolfs stelle treten, aber Oslo
behält er bei (c. 42). Man sieht deshalb nicht ein, weshalb er nicht auch in der NS
ÖsiS in dieser function auftreten lassen konnte. Die quellen der NS sind ja mit
denen des NL nicht vollständig identisch.
2) Ich benutze die gelegeuheit, einen druckfehler in meinem letzten aufsatz
über diese fragen zu bessern. Arkiv 17, 354 fussnote steht: Donau und Main. Es ist
zu lesen: Donau und Rhein.
3) Ist inzwischen erschienen, Arkiv f. n. fil. 20, 185 fg.
4) B. glaubt (s. 130), die erzählung von Attilas tode sei deshalb unent-
behrlich, weil der sagaschreiber gegen den schluss der saga von allen beiden, mit
denen Dietrich in Verbindung gewesen, abschied nehme. Dass das nicht richtig ist,
L
ÜBER BERTELRRN, DIDRIKS SAGA 141
richtig ist, so kann man die NS kaum mehr eine Umarbeitung nennen; über-
haupt, wenn man alles das, was B. für jünger erklären muss, ausscheidet oder durch
etwas anderes ersetzt, so bleibt für die ältere NS kaum ein wort des überlieferten
textes stehen; ich sehe nicht, was unter solchen umständen durch die annähme einer
ursprünglichen NS gewonnen wird'.
Über des verf. versuch zu beweisen, dass der prolog in M gestanden habe,
bemerke ich folgendes. Er rechnet aus, dass für die in M verlorenen c. 1 — 20 auf
7 blättern kein räum gewesen sein kann, und glaubt, dass zwei lagen, also 15 be-
schriebene blätter — das erhaltene erste blatt ist unbeschrieben — verloren sind.
Er hält es ferner für sicher, dass die zweite band die verlorene partie geschrieben
habe. Nach seiner berechnung würden c. 1 — 20, wie sie überliefert sind, in M''
ca. 10 blätter einnehmen, zusamaieu mit dem jirolog ca. 12 blätter. Es bleiben dann
noch drei blätter übrig, die so erklärt werden, dass der text von M ausführlicher
als der von AB gewesen sei. Da aber gerade AB die längere redaction der saga
repräsentieren, ist es von vornherein unwahrscheinlich, dass in der anfangspartie das
dürfte aus dem, was oben über Horubogi, Amlungr, Sintram, LIerbrandr, Fasold und
fettleifr bemerkt wurde, hervorgehen. Aber auch für die übrigen beiden ist das imr
eine petitio principii. C. 415 berichtet Hildebrands tod. Ich habe Zschr. 25, 449 ver-
mutet, dass dieses capitel unecht ist; es erwähnt Roöingeirr, es berichtet die Ver-
urteilung von Arius ketzerei; es erzählt den tod der Heraö. Auch B. verwirft
aus denselben gründen das ganze capitel zusammen mit der folgenden erzählung
c. 416 — 422; nur mit dem berichte von Hildebninds tode. der mitten in jenem aus
lauter jüngeren zu.sätzeu bestehenden capitel steht, macht er ohne spur eines beweises
eine ausnähme und erklärt (s. 138): 'Beretningen i. k. 415 om Hildebrands dod er
sikkert tegte, om Herads dod interpoleret' (also wie der anfang des capitels). Wie
dieser bericht sich an das echte c. 414 sehliesst, vernehmen wir nicht. — Und wo
nimmt der sagaschi'eiber abschied von Heimir? Die erzählung von seinem tode ist
nach B. eine interpolatiou.
Einen weiteren beweis für die echtheit der episode von Attilas tode sieht der
verf. darin, dass dadurch Dietrich köuig in Hünalaud wird, indem nach dem plane
der saga der held 'skal ende som konge over alle kendte lande'. Aber was beweist,
dass das der plan der saga ist? Es widerspricht wenigstens jeder bekannten Über-
lieferung und wäre eine willliürlichkeit, die man dem sagaschreiber nicht aufdrängen
sollte. Ich sehe also gerade in diesem berichte über die thronfolge in Himaland einen
weiteren beweis für die unechtheit der erzählung.
1) Weshalb es unmöglich ist, dass I'iörekr bald nach seinem unglücklichen
feldzuge nach Bern zurückkehrte (B. s. 124), verstehe ich nicht. Wenn f'iörekr
zu Attila sagt, er wolle des königs beiden nicht von neuem der gefahr aussetzen, so
setzt zwar eine solche bemerkung nicht voraus, dass die Rabensehlacht unmittelbar
vorhergeht, aber im unmittelbaren anschluss an die NS, die damit sehliesst, dass
Attila keinen einzigen beiden mehr zu seiner Verfügung hat, ist das doch ein barer
unsinn. — Über die zahlen, welche die dauer von f'iöreks landesflüchtigkeit angeben,
ist zu bemerken, dass allerdings zwanzig jähre c. 413 nur in S steht und c. 429
nur in A (in M^ fallen beide stellen in eine lücke), aber B. übersieht 1. dass
allein die zahl 20 an beiden stellen überliefert ist, und zwar in voneinander durchaus
unabhängigen haudschiiften; 2. dass die abweichenden zahlen c. 413 AIX, B XI nach-
weislich unrichtig sind, da nach c. 31ü J'iörekr schon zur zeit der Schlacht bei
Gronsport 20 jähre bei Attila war, während in B c. 429 XXX allein steht und desiialb
keine gewähr hat; 3. dass, wenn XXXII (c. 39ü) richtig ist, man nicht versteht, wie
zwei Schreiber unabhängig auf den gedankcn kommen konnten — an verschiedenen
stellen — XX zu schreiben; dass aber XXX und XXXII unabhängige bcssei-ungen
auf grund der Interpolation der NS sein können (XXXII eine besserung des uin-
arbeiters, der die beiden anderen stellen stehen Hess; XXX besserung in B, vielleicht
auf grund alter tradition, vgl. Ilild. 50; IX und XI können entstellungeu von XX sein).
142 BOER
Verhältnis das umgekehrte sein und M^ sogar um ein drittel länger als AB gewesen
sein sollte.
Ich glaube, dass die von B. angeführten zahlen etwas ganz anderes be-
weisen. "Wenn c. 1—20, wie sie in AB überliefert sind, ca. 10 blätter einnehmen
würden, so geht schon aus dem umstand, dass c. 18 interpoliert ist, hervor, dass der
verlorene abschnitt weniger als 10 blätter eingenommen hat. Nach dem grössten teil
des von M- geschriebenen abschnittes (von s. 67, 12 bis zu der ersten lücke s. 135, 22)
zu urteilen, enthält ein von diesem Schreiber geschriebenes blatt 66 druckzeilen^
C. 1—20 enthalten 657 zeilen, c. 18 35 zeilen, für c. 1—17. 19. 20 bleiben also
622 Zeilen, d. i. 9 blätter und 28 zeilen. Aber es ist nicht unwahrscheinlich, dass
die längere redaction auch andere kleinere zusätze enthielt, spuren einer Umarbeitung
von 0.13 wurden von mir Zschr. 25, 460 nachgewiesen. Die annähme, dass solche
Zusätze zusammen 28 druckzeileu umfassten, ist kaum zu kühn. Es wären dann am
anfang von M neun blätter verloren. Das wäre etwa so zu erklären. Zwei Schreiber
setzten sich zu gleicher zeit an die arbeit. Der hauptredactor (M-) fieng mit dem an-
fang der saga an; er berechnete den ersten abschnitt auf eine läge, — möglicherweise
den räum, den derselbe in der vorläge einnahm, — und liess seinen helfer (M^) bei
dem zweiten hauptabschnitt, der Vilkinasaga, anfangen. Er hatte aber für sich die
berechnung zu knapp gemacht und musste, als die läge voll war, ein blatt hinzu-
fügen. Er nahm nun ein doppelblatt, in welches er die schon fertige läge von 8 blättern
legte, und benutzte die zweite hälfte für die fortsetzung der saga; die ei'ste hälfte
musste auf diese weise unbeschrieben bleiben; das ist das erhaltene leere blatt am
anfang. Es lässt sich gegen diese erklärung der einwand nicht erheben, dass keine
der übrigen lagen 10 blätter enthält, denn die siebente der erhaltenen lagen enthält
deren 18; gerade die behandlung, die diese durch M'* erfahren hat, zeigt, dass
man, wie auch natürlich, kein bedenken hegte, aus practischen rücksichten von der
achtzahl abzuweichen.
Auch der inhalt des prologs lässt sich für seine echtheit nicht anführen.
B. vermutet s. 193, dass bei der reihenfolge der aufzählung von länderu im prolog
nicht oder nicht ausschliesslich die reihenfolge, in der die länder in der saga er-
wähnt werden, massgebend gewesen sei, sondern dass dabei die rücksicht auf die
geographische läge dieser länder eine rolle gespielt habe. Das scheint mir nicht un-
möglich. Wenn aber damit vielleicht eine einzelne einwendung, die man wider
den prolog machen könnte, hinfällig wird, so folgt daraus zu gleicher zeit, dass eben-
sowenig aus dieser reihenfolge Schlüsse für seine ursprünglichkeit gezogen w^erden
können. Wider den prolog aber spricht, auch abgesehen von seinem fehlen in M und
von dem stile, auf den ich hier nicht eingehe, dass er die geschichte von Sigurör
Fäfnisbani (man beachte auch diese in der saga nicht vorkommende bezeichnung) und
den Nibelungen als einen teil des hauptinhalts der saga hinstellt. Wenn nun hinzu-
kommt, dass er auch in S nicht steht, so scheint es mir, dass kein gruud vorhanden
ist, ihn dem sagaschreiber aufzudrängen. i
Abgesehen von den erörterungen über die hss. , den ursprünglichen inhalt und
die Umarbeitungen der saga enthält die Schrift auch ausführungen über die quellen
der einzelnen abschnitte und das Verhältnis der Überlieferung zu anderen quellen.
Im allgemeinen schliesst der verf. sich hier den von anderen gewonnenen resultaten]
1) Dieser teil der hs-partie enthält 26 blätter; darauf gehen 1717 druckzeilen,
der Ungerschen ausgäbe.
L
ÜBER BKRTEL8EN, DIDRIKS SAOA 148
an; er bat aber die litteratur über den gegenständ vollständig verwertet und gut ver-
arbeitet. Das buch könnte daher, auch wegen der citate, als nachschlagebuch ge-
braucht werden; schade nur, dass ein register fehlt. Nicht ohne wert ist der ver-
such, den anteil des sagaschreibers an der erfindung zu bestimmen; das resultat
ist. dass der Verfasser der saga namentlich bei der anordnuug des Stoffes und bei
der herstelluug chronologischer und genealogischer Verbindungen ziemlich frei ver-
falnx-u ist.
Zum schlu.sse bemerke ich. dass, wenn die grosse bedeutung der von B. be-
sprochenen fragen mich dazu geführt hat, die punkte, in bezug auf welche ich seine
ausichten nicht als richtig anerkennen kann, besonders stark zu betonen, wie denn
überhaupt Zustimmung in zwei werten ausgedrückt werden kann, während eine ab-
weichende ansieht stets begründet werden muss, damit nicht gesagt sein soll, dass
das buch nicht in mancher hinsieht fördernd wirken kann. Aber es muss mit vor-
sieht benutzt werden. Denn zu einer richtigen Würdigung der einzelnen tatsacheu
scheint der verf. mir an manchen stellen nicht gelangt zu sein. Der eindnick, den
ich bei der ersten oberflächlichen kenntnisnahme empfieng, war der, dass der verf.
vielleicht in seiner auffassung der Überlieferung recht haben könnte; erst seine
wunderliche handschriftenhypothese machte mich stutzig; die nachprüfung der einzel-
heiten hat mich dann zu der Überzeugung geführt, dass dieser versuch, die ent-
stehung der PS zu erklären, verfehlt ist. Dieselbe nachprüfung empfehle ich solchen
forschem, die über diese fragen noch kein urteil sich gebildet haben und denselben
deshalb vielleicht vorurteilsfreier gegenüberstehen als ich.
AMSTERDAM, MÄRZ 1903. K. C. BOER.
Nachschrift.
In seiner vor kurzem erschienenen recension von Berteisens buch (Arkiv 21,
81fgg.) versucht Mogk die alte hypothese, dass die hss. AB und S von M stammen,
deren unhaltbarkeit Klockhoff vor 24 jähren überzeugend dargetan hat, wider zu ehren
zu bringen. Weshalb ich ihm nicht beistimmen kann, wird aus dem vorhergehenden
erhellen. Ein hauptfehler Mogks ist, dass er daraus, dass wie natürlich die fassungen
von 0. 170. 171 in M- und M''' untereinander keine grosse abweichungen aufweisen
[den 6 von Mogk genannten fällen sind freilich die acht folgenden hinzuzufügen:
172, 3 drottningarennar M^] drottningar M-'. 172, 4. 8 en M^J oe M". 172, 13
Hogna brceör hans W-] brodur hans HoggnaM.^. 178, 1 ErM.^] Oe er M-l 173,2
no M-] fehlt M^. 173, 5 ok (zweimal) M^] fehlt M*], schliesse;n zu dürfen glaubt,
dass M^ diesen abschnitt direct aus M'-' abgeschrieben habe, und darauf weitere
hypothesen baut. Die Übereinstimmung erklärt sich aus dem für beide ledactionen
gemeinsamen originale, das die directe vorläge von M^ sein kann und von M''
vielleicht durch nicht mehr als ein Zwischenglied getrennt ist. Nur dann, wenn aus
M-'inM* übergegangene fehler sich nachweisen Hessen, könnte von einer abhängigkeit
dieser hs. von jener die rede sein.
A.MSTERDAM, OCTOBKR 1904. R. C. BOER.
144 NEUE ERSCHEINUNGEN — NACHRICHTEN
NEUE ERSCHEINUNGEN.
(Die redaotion ist bemüht, für alle zur bosprechung geeie;neten werke aus dem gebiete der german.
Philologie sachkundige referenten zu gewinnen, übernimmt jedoch keine verpflicntung , unverlangt
eingesendete bücher zu recensieren. Eine zurücklieferung der recensions- exemplare au
die herren Verleger findet unier keinen umständen statt.)
Achim von Arnim und Jacob und Wilhelm Grimm. Bearbeitet von Reinhold
Steig. Stuttgart und Berlin, Cotta 1904. (VIII), 633 s. und 2 porträts. 12 m.
Braune, Willielm, Über die einigung der deutschen ausspräche. Akad. rede. Heidel-
berg 1904. 32 s. 4.
Delbrück, B., Einleitung in das Studium der indogerm. sprachen. 4. aufl. Leipzig,
Breitkopf & Härtel 1904. XVI, 175 s. 3 m.
Epistolae obscurorum virorum. — Brecht, Walther, Die Verfasser der Epistolae
obscurorum virorum. Strassburg, Trübuer 1904. [QF. 93.] XXV, 383 s. 10 m.
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Settegast, Franz, Quellenstudien zur galloromanischen epik. Leipzig, 0. Harrassowitz
1904. (VIII), 395 s. 9 m.
Stricker. — Wilhelm, Friedr., Die geschichte der handschriftl. Überlieferung von
Strickers Karl dem grossen. Amberg, Böes 1904. VIII, 290 s. 8 m.
NACHRICHTEN.
Geh. hofrat professor dr. AVilh. Braune in Heidelberg wurde zum correspon-
dierenden mitgliede der kgl. bayer. akademie gewählt.
Der ao. professor dr. Samuel Singer in Bern ist zum Ordinarius, der privat-
docent professor dr. A. v. Weilen in Wien zum extraordinarius ernannt worden.
Der privatdocent dr. Robert Petsch in AA'ürzburg ist nach Heidelberg über-
gesiedelt.
Professor dr. Friedrich Panzer in Freiburg hat einen ruf au die akademie
für social- und handelswissenschaft in Frankfurt a. M. erhalten und angenommen.
Buchdruckerei des Waisenhauses in Halle a. S.
i
DIE ÜBERSETZUNGSTECHNIK DES WULFILA
untersucht
auf gi'iind der l)ibelfragmente des Codex argontoiis.
Wer sich mit der Wiiltilanischcii bibel Übersetzung beschäftigte,
musste sich einmal die frage stellen, wie weit denn eigentlich das
vorliegende gotisch wirklich echtes gotisch sei, wie gross die abhäugig-
keit vom griechischen text, d. i. die frage mich der Übersetzungs-
technik. Vor allem aber konnten alle diejenigen diese frage nicht
unbeantwortet lassen, die syntaktische Untersuchungen irgendwelcher
art an der bibel des Wulfila anstellten. Sie mussten sich erst darüber
klar werden, ob in dem bouutzton material nicht griechische syntax
.sich darstelle, und mussten dieses material auf seine abhängigkeit vom
griechischen original prüfen.
So haben sich in der tat fast alle herausgeber der gotischen denk-
mäler und die meisten bearbeiter gotischer syntax mit der frage nach
der Übersetzungstechnik beschäftigt und sie zu lösen gesucht.
Es wird bei den verschiedenen, ganz entgegengesetzten ansichten
notwendig sein, zunächst diese urteile über die Übersetzungstechnik in
chronologischer reihenfolge vorzuführen.
Einleitung.
Die bislierijft'ii urteile über die übersetzuiigstechnik des Codex jirg:enteus.
Die ersten erwähnenswerten benierkungen über die Übersetzungs-
technik der gotischen bibel finden sich in der von J. Chr. Zahn be-
sorgten ausgäbe des Ihreschen textest Dort heisst es in der von Zahn
verfassten historisch-kritischen einleitung (s. 36): „Ullilas folgt seinem
griechischen original von wort zu wort nach, und behält sogar treu die
eriechische wortfolgo bei, so lange es, ohne die regeln seiner Sprach-
lehre und seinen wollaut zu verletzen, geschehen kann, so dass zu-
weilen bei seiner treue die deutlichkeit leidet. Er umschreibt oder über-
setzt mit gewissenhafter ängstlichkeit jedes wort richtig und genau, und
da, wo er fehlt, welches jedoch selten geschieht, verstand er entweder
sein original nicht und las falsch, oder seine spiache wollte sich dem-
selben nicht anschmiegen."
1) Ulfilas gotische bibelübersetzuug nach Ihres text, horausg. von J. Chr. Zahn,
Weissenfeis 1805.
ZKJTSCIIRIFT y. DKUTSCHK PIIILOI.OOIK. HD. XXXVU. 10
140 STOI-ZENRURG
Zahn spricht also der Übersetzung syntaktisch jedesfalis keine
selbstcändigkeit zu. Noch schärfer spricht sich Castiglione in der ein-
leitung zu den von Angelo Mai aufgefundenen Ambrosianischen bruch-
stückeni {\}ßQ^. ^[q Unselbständigkeit der gotischen Übersetzung aus:
„Tanta vero religiouc usus est Ulphilas, quae numquam eum sineret
sacri autographi oblivisci. Graecum ergo exemplar totidem saepe verbis
interpretatus est, obscurum obscure vertit, ambiguum in ambiguitate
reliqnit,. syntaxim ipsam collocationemque verborum servavit; ita ut
in ulphilano libro graecum habeas textum gothicis quidem voca-
bulis convestitum, borealibus tarnen idiotismis phme carentem. Quare
et nostra gothici exeniplaris latiua interpretatio, minus fere ad Ulphilam
accedit quam ipse graecus contextus." Aber diese art der Übersetzung,
heisst es dann weiter, hatte ihren grund, ihre berechtiguug, "sveil es
sich eben nicht um irgend ein buch, sondern um das wort gottes
handelte. Da war grösste treue und gewissenhaftigkeit am platze.
Ganz in dieselbe richtung fällt auch das urteil, das Ribbeck'^
abgibt: „Eine hauptschwierigkeit für die auffassung des der gotischen
spräche eigenen syntaktischen gebrauchs entsteht begreiflicher weise aus
der knechtischen treue, mit welcher Ulfila seinem griechischen texte folgt.
Wo er daher in auffallenden constructionen mit den griechischen über-
einstimmt, wird man immer zweifelhaft sein können, ob man es nur
mit einer gräcisierenden sprachverrenkung oder mit einer Avirklich deut-
schen ausdrucksweise zu tun hat, so lange nicht das vorkommen der-
selben satzform in völliger Unabhängigkeit vom griechischen ihr das
deutsche bürgerrecht sichert. So viel als möglich werde ich im folgen-
den nach diesem beurteiluugsgrunde das, was sich als blosser gräcismus
verdächtig macht, von dem zu sondern versuchen, was wir als echt
deutsche eigentümlichkeit der alten spräche mögen gelten lassen. Weniger
nötig hätten wir freilich diese sonderung, wäre ülfila wirklich, wie Zahn
behauptet, nur in soweit dem griechischen muster treu geblieben, als
es die gesetze der eignen (got.) spräche erlaubten: aber wenigstens
meinem gefühle hat sich das nicht bewähren wollen." Von der Wort-
stellung des Goten sagt Ribbeck im weiteren: „Er folgt hier dem grie-
chischen vorbilde so durchaus knechtisch wort für wort, dass es in der
tat mit einem wunder hätte zugehen müssen, wenn die gut griechische
1) Ulphilae partium ineditarum in Ambrosiariis palinipsestis ab Angelo Maio
repertarnm specimen coniunctis curis eiusdem Mail et Caroli Octavii Castillionaei
editum. Mediolani 1819, s. XX.
2) Syntax des Ulfila, v. d. Hagens Gennania bd. I, 40 (1836).
DTK VBERSETZXNGSTKCIINIK DES WULKILA 147
Wortfolge auch eine gut gotische geblieben und nicht die ärgsten Ver-
renkungen auch für das gefühl damaliger leser entstanden wären."
Gegen diese urteile wendet sich nun Lobe und bemüht sich, durch
eine umfassende bearbeitung der gotischen laut- und formen lehre und
der gotischen syntax hierzu in den stand gesetzt, seine meinung über
die Übersetzungstechnik eingehender zu begründen.
Vorher ist jedoch noch eine bemerkung von J. Grimm zu er-
wähnen i, die sich gleichfalls von den obigen urteilen entfernt: „Ulfilas
Übersetzung ist gelehrt und treu, aber mit rücksicht auf die eigentüm-
lichkeit des gotischen, wie sich leicht beweisen lässt; sie weiss feine
beziehungen des urtextes zu unterscheiden und glücklich zu bezeichnen;
selbst abstracte sätze (man sehe den brief an die Römer) fügen sich
ohne zwang in die gotische rede."
Das urteil Lobes, das in ausdrücklichem gegensatz zu Zahn und
Castiglione aufgestellt ist, findet sich im ersten bände seiner Ulfilas-
ausgabe-: „Ulfilam religiosissime sequentem textus graeci auctoritatem
verbum de verbo reddidisse omnes fere consentiunt, sed eam fidem
servilem plerique tamque superstitiosam cogitaverunt, ut vituperandane
sit magis quam laudanda, in incerto relinquatur. Nam qui ita graecos
secutum eum dicunt, ut vel formis passivis pro mediis graecis, male
intellectis, utatur, quid aliud agunt, quam ut Gothum imperitiae lin-
guae graecae atque adeo suae ipsius accusent? Sed iidem tamen Gothum
modo accuratiorem graeci textus imitationem oblitum esse dicunt, modo
graecorum auctoritatem deseruisse, id ubi aut soni suavitas aut ser-
monis gothici ingenium postulaverit. Si vero ita convertit de graecis,
ut suae etiam linguae leges observaret, quis eum, cuius sola fides lau-
danda Sit, servilem in modura interpretatum esse contendat? Neque
verum est, quod alii viri docti Ulfilam graecum exemplar totidem saepe
verbis interpretatum esse, obscura obscure vertisse, ambigua in ambi-
guitate reliquisse, syntaxin graecorum collocationemque verborum ser-
vavisse aiunt, ut in eins libro graecum habeamus textum gothicis qui-
dem vocabulis convestitum, borealibus tamen idiotismis plane carentem.
Sed non solura per se incredibile est, hominem sapientem suo se sensu
ita privasse, ut librorum sacrorum Interpretationen! faceret ita com-
paratam, ut eius verba legentes neque intelligerent, nee ullum inde fru-
ctum perciperent, quum tamen spectasset id, ut cives doctrina christiana
e bibliis haurienda imbuercntur atque confirmarentur; sed etiam demon-
1) Deutsche graininatik, I. ausgäbe 1819, .s. XL VI.
2) Ulfilas . . . coniunclis cuiis edd. H. C. de Gabelentz et dr. J. Lobe. Lipsiae
1843. Yol. I, XXV.
10*
148 STOLZKNBUKO
strari perfacile potest, Gothum siiae linguae copiis ita usum esse oius-
que leges ita observasse, ut translationem vere gothicani, non graecam
verbis gothicis vestitam exhibuisse tlici possit. Nain neque articuluni
ponit, nisi iibi sermo gotbicus eum admittit, neque niorem graecum
cum subiecto neutro pluralis verbuni singularis numeri coniungeudi imi-
tatur; duali numero saepius, quam in graecis fit, et loco genitivorum a
substantivis pendentium saepissime dativis utitur (cf. ad J. VIII, 34);
praedicatum non casu cum subiecto congruo ponit, sed addita du prae-
positione reddit; duobus veibi temporibus contentus neque ad redden-
dum futurum, iieque ad praeterita distingueuda novas forraas inducit;
tempora non computat annorum, sed biemum spatiis (vid. ad Mt. IX, 20
et Lc. II, 42), non noviluniis, sed pleniluniis (vid. ad Coloss. II, 16), et
quis enumerare potest, quoties verba transponit, neque negationem quidem
solura, de qua re supra diximus, sed etiam alia; quoties nullam aucto-
i'itatem secutus verba quaedam addit; quoties alia omittit; quoties rerum
ac notionum amplificationes admittit; quoties verba graeca, saepius posita,
variis gotbicis reddit; ex quibus omnibus, nee solum in Mattbaeo in-
ventis, verum in reliquis etiam evangeliis et in epistolis, Ulfilam non
inepte graecissare, sed sermonis gotbici et morum indolem fideliter ser-
vare apparet. Neque in altera illa recensione, quam posteriore tempore
factam et stylo graecis accuratius respondente elaboratam esse supra
diximus \ proprietates linguae gothicae ita interierunt, ut pro graeca
verbis gotbicis vestita haberi possit. Quae qui considerant, Ulfilam,
quantum pro intelligentia fieri poterat, graecorum vestigia religiöse
persequutum, ubi autem linguae iudoles sie postularet, illorum aucto-
ritate contemta sensum tarnen probe atque recte reddidisse sentient."
Hiermit ist das urteil über die Übersetzungstechnik im wesent-
lichen beendet. Im weiteren werden noch die fehler erwähnt, die Wulfila
unterlaufen sind, teils weil er gewisse griechische ausdrücke nicht ver-
stand, teils weil er falsch las; aber das ändert nichts an dem ersten
urteil, auch nicht die fälle (s. XXVIII), wo Lobe zeigt, dass Wulfila
vom gotischen Sprachgebrauch abgewichen sein rauss.
S. XXVIII fasst Lobe sein urteil über die leistung des Wuifila
nochmals in folgenden werten zusammen: „Quamquam enim non pauca
enumeravimus loca, in quibus Ulfilas sive per errorem, sive de con-
sulto a graecis discessit, et permulta etiam alia sunt, ubi eum sermonis
gotbici Ingenium a diligentiore graecorum imitatione avocavit; tarnen
Versionen! nostram primo omnium loco ponere non dubitamus, propterea
quod non solum fidissime graeca reddidit, sed etiam quia nulla alia
1) Prolegomena s. XIX.
DIE ÜBERSKTZUNQSTKCHNIK OKK WULFILA 149
linojua graecao propius cof^nata, nulla niagis idonea est, quae textus
graeci tanquam imaginem expriniat, quam gothica."
Dieses urteil musste notwendig grossen eindruck machen. So
sehen wir denn auch, dass man sicli in den nächsten jähren entweder
an dasselbe anschliesst oder in der Wertschätzung der Übersetzung sogar
noch über das von Lobe gesagte hinausgeht.
Wackernagel schreibt in seiner Geschichte der deutschen litte-
ratur^: „Er übertrug mit geziemender gewissenhaftigkeit, knechtisch
aber nicht: die beschaffenheit seiner spräche gestattete ihm noch einen
näheren anschluss an die der Urschrift, als im späteren deutschen mög-
Hch war: doch wich er auch ab, wo die eigene spräche es verlangte,
Hess z. b. den artikel weg oder setzte den pluralis in den dualis um
oder begann adjectivsätze nicht mit den relativen, sondern mit persön-
lichen pronominibus. Eine fast durchaus wolgelungene arbeit, und zu-
gleich die erste bibel in germanischer zunge, die erste germanische prosa,
überhaupt die erste noch erhaltene schrift und der erste narae unsrer
ganzen grossen litteraturgeschichte: das werk ist in mehr als einem be-
zug aller auszeichnung wert."
Xoch deutlicher ist der einfluss Lobes bei dem theologen W. Krafft-,
der eine eingehende besprechung der gotischen bibel gibt und es zum
ersten mal unternimmt, nun auch ästhetische Vorzüge an der Über-
setzung zu betonen. Seine angaben sind zunächst im wesentlichen nur
eine Übersetzung des Lob eschen urteils. S. 260 heisst es dann weiter:
^Manches, was als graecisraen in der Übersetzung erscheinen könnte,
ist doch im geiste der spräche gewesen, da constructionen, wie z. b.
die attraction, auch ohne den griechischen Vorgang vorkommen; über-
haupt kam dem Ulfila bei seiner arbeit der umstand zur hilfe, dass die
gotische spräche sich äusserst leicht an fremde idiome anschliessen und
selbst abstracto sätze in sich übertragen Hess. In der Wortstellung ferner
weicht er, dem Charakter der gotischen spräche entsprechend, vom
griechischen ab, wie z. b. in der Stellung der negation beim v.erbum
und in der Stellung gewisser partikeln (wie ij) für dt) und des pro-
n(»men demonstr., das er dem substantivum voraussetzt; und sonst in
fällen, wo es die gotische spräche erforderte, zeigt er sieh freier in der
Stellung der Wörter, oder er erlaubt sich kleine zusätze, die sich nirgend-
wo sonst finden. Auch einzelne auslassungen sind vorhanden. Zu
dieser freiheit, die sich Ulfila vom buchstaben des griechischen textes
1) Basel 1848, bd. I, § S.
2) Die kirchengeschichtc der geniianischen völker, I. baud, 1. abt. , 1854,
s. 259fgg.
150 STOLZENBÜRU
erlaubt, ist auch das zu rechnen, dass Ulfila dieselben griechischen
Wörter, die mehrmals widerkehren, mit verschiedenen gotischen Wörtern
übersetzt.
Sodann erlaubt sich Ulfihi manche erweiterungen der Wörter und
begriffe, um die sache den Goten anschaulicher zu machen und zugleich
den eindruck der erzählung, besonders für die Vorlesung in der volks-
gemeinde, zu erhöhen. Daher diese erweiterungen meist bei wunder-
erzählungen sich finden, um das erstaunen recht auszudrücken, oder
bei gewaltsamen vergangen, um den eindruck zu erhöhen oder um
etwas recht nachdrücklich zu sagen. Ulfila geht weiter und wagt es,
um nicht gegen gotische sitte zu Verstössen, die Zeitabschnitte nicht
nach jähren in jüdischer weise, sondern nach wintern zu zählen.
Von ganz anderer art als die bisher angeführten abweichungen
vom griechischen text sind diejenigen, zu denen Ulfila durch irrtura
veranlasst worden ist, die eigentlichen fehler in der Übersetzung."
Krafft spricht ganz wie Lobe von den verschiedenen arten dieser
fehler und fährt dann fort: „Es lässt sich von der Übersetzung im ganzen
sagen, dass sie treu an das griechische sich hält und das original genau
widerzugeben bemüht ist, ohne deshalb sich knechtisch daran zu halten
und dem geist der gotischen spräche eintrag zu tun^"
1) S. 264 finden sich folgende bemeikungen : „Die Übersetzung niusste den
Goten dadurch besonders sich empfehlen, dass sie in formeller und materieller be-
ziehung durchaus volkstümlich, eine echt gotische Übersetzung war. Ulfila hat es
mit wahrer meisterschaft verstanden, den grossen wolklang und die anmut der goti-
schen Sprache recht hervortreten zu lassen." Es folgen nun die beispiele:
1. Hebung und Senkung der vocale («, o, u und e, ?").
2. Häufung gleichtöuender vocale oder diphthonge.
3. Allitteration.
Am schluss heisst es. „Sodann weiss Ulfila den grossen reichtum der spräche
an Präpositionen geschickt zu verwenden, um durch composita neben grösserer deut-
lichkeit auch den wolklang zu erhöhen, besonders, wenn er gleiche wurzel werte zu
den composita wählt, während im griechischen wörter von ganz abweichendem stamme
stehen. Ferner liebt es Ulfila, in demselben satze als object ein wort von gleichem
stamm mit dem regierenden verb zu setzen, wenn es im griechischen auch nicht so
ist. Zuweilen wendet Ulfiia vielfach volltönende pleonasmen an, welche die gotische
spräche besonders geliebt zu haben scheint. Was aber mehr noch als alles dies die
meisterschaft des Übersetzers bekundet, sind die gelungenen versuche durch den ton
der Worte dem sinn zu entsprechen."
Das ist ein noch weit günstigeres urteil, als selbst Lobe es gefällt hat. Man
kann sagen, dass Krafft in der Übersetzung des Wulfila eine art gotischer kunst-
prosa sieht, die noch weit mehr leistet, als nur eine widergabe des griechischen
Originals.
DIE ÜBEKSKTZUNÜSTKCIINIK DES WULKILA. 151
In den fusstapfen von Krafft l)e\vogt sich Massmunn^: „Wie
sehr wir die zum teil früheren syrischen, ägyptischen .... und arme-
nischen Übersetzungen der heiligen schrift für herstellung des ursprüng-
lichen griechischen textes zu schätzen wissen, so dürfte doch an an-
schmiegender treue, an verständiger gewissenhaftigkeit keine der gotischen
Übersetzung gleichkommen.
Es bedurfte daher . . . noch einer andern spräche, welche gleich-
zeitig und mit tieferen mittein der wortableitung, des wurzolzusammen-
hangs und des satzbaus begabt, ohne sich selbst gewalt antun zu müssen
und somit ihren zweck zu verfehlen, wort für wort den griechischen
text der h. Schriften treu zu begleiten und wahrhaft widerzugeben ver-
mochte. Dies ist unbedingt die gotische oder deutsche spräche."
Endlich heisst es (s. LXXXVII): .,Das aber darf jetzt schon, nach
genauester prüfung jeder stelle und lesart, gesagt w-erden, dass keine
stelle der gotischen Übersetzung, wird dabei in anschlag gebracht, was
Ulfilas der treue gegen seine eigene muttersprache schuldete, sowol in
anwendung von lesarten, als auch in Stellung und Umstellung der
Worte usw^, auch jetzt schon irgend einer griechischen handschrift als
vorläge oder vorbild entbehre. Von der treue des ehrwürdigen goti-
schen Übersetzers gegen den griechischen text, wie er ihm vorlag, haben
schon Lobe, Grimm und andere, zuletzt Krafft zusammenfassend ge-
handelt. Es bleibt uns hier daher nur noch eine anzahl eigentümlicher
stellen zusammenzufassen übrig, welche dort weniger berührt worden
und der beleuchtung avoI wert sind, um teils auf den geist der goti-
schen Übersetzung, teils auf die beschaffenheit der gotischen hand-
schriften noch ein bestimmteres licht zu werfen."
Die stellen, welche Massmann bespricht, sind vor allem bei-
spiele dafür, in wie hohem masse Wulfila die alliteration als künst-
lerisches mittel in seiner Übersetzung angewandt habe. In diesem
punkte sucht er also das von Krafft aufgestellte urteil noch zu vertiefen.
Die nächsten bemerkungen über die Übersetzungstechnik finden
sich erst fast zwanzig Jahre später, und es ist nun eine deutliche
reaction gegen die hohe Avertschätzung der Übersetzungskunst des Wul-
fila zu bemerken.
Im jähre 1874 haben K. Schirmer in einer Marburger disser-
tation über den syntaktischen gebrauch des Optativs im gotischen,
0. Apelt in einem aufsatz über den accusativ cum infinitivo im goti-
1) Ulfilas. Die heiligen Schriften alten und neuen bundes in gotischer spräche,
ii erausgegeben von H- F. Massniann, Stuttgart 1857, s. Ifg.
152 STOLZEN Rur.n
sehen und H. Gering in seiner arbeit über den syntaktischen gebrauch
der participien im gotischen auch die frage nach der Übersetzungs-
technik berührt.
Schirmer sagt (s. 1 fgg.): ;,Aucli dürfte das als ein allgemeiner
mangel der Köhlerschen schrift^ anz.usehen sein, dass sie zu wenig
den Übersetzungscharakter der gotischen quellen berücksichtigt und so
alle sprachlichen erscheinungen als selbständige Schöpfungen des goti-
schen Sprachgeistes auffasst, während eine vorurteilslose betrachtnng
doch oft sich bescheiden muss, den bestimmenden einfluss des Originals
auf den gotischen ausdruck anzuerkennen und demgemäss auf eine
eigentliche erklärung aus dem gotischen allein zu verzichten.
Die quellen des gotischen sind äusserst wenig umfangreich, und
obendrein sind sicher die meisten, wahrscheinlich alle, Übersetzungen.
Darum liegt die befürchtung allerdings nahe, dass eine syntaktische Unter-
suchung des gotischen, ganz besonders eine auf die syntax des verbums
bezügliche, nicht gotische, sondern griechische syntax zu tage fördere
— wie denn Burckhardt- nicht viel anderes gesucht hat. Doch kann
dagegen zunächst auf das massgebende urteil Lobes verwiesen werden;
vieles, besonders auch das, wie entschieden die freiheit der spräche in
beziehung auf die modi gewahrt worden ist, wird noch im verlaufe der
Untersuchung ersichtlich werden, man denke hier nur beispielsweise
daran, welch verschiedene functionen bei der Übersetzung der gotische
Optativ in sich vereinigt, wenn er bald für den griechischen optativ,
bald für conjunctiv oder indicativ (bes. futuri) steht. Vor einem allzu
grossen vertrauen auf die eigenartigkeit der vorliegenden gotischen
prosa freilich, wie es Köhler zuweilen zeigt, ist schon oben gewarnt
worden."
Bei Apelt (Germania 19, 28.3) lesen wir: „Darüber ist man jetzt
einverstanden, dass kaum jemals ein Übersetzer treuer, um nicht zu
sagen ängstlicher in widergabe seines Originals verfahren ist, als der
Gote." Und (s. 289): „Bei der grossen gewissenhaftigkeit der gotischen
Übersetzer ist es kaum denkbar, dass dieselben ohne not, d. h. ohne
durch die gesetze ihrer spräche gezwungen zu werden, dem griechischen
untreu wurden; wol aber hat man grund anzunehmen, dass der trieb
nach genauigkeit zuweilen lebhafter und stärker war als derjenige, die
eigentüralichkeit der gotischen spräche überall zu wahren." S. 297
1) Der syntaktische gebrauch des optativs im gotischen. (Bartsch, Germa-
nistische Studien I, 77—133.)
2) Der got. conjunctiv verglichen mit den entsprechenden modis des neutesta-
mentlichen griechisch. Zschopau 1872.
DIK ÜBERSKTZUNOSTKCIINIK HKS Wl'Ll'II.A 153
wini liiiizugefiigt: .,lni allgeiiioiiicu jedüch scheint mir soviel fost/.u-
stelien, dass der Gote aus übergrosser treue gegen das griechische ori-
ginal nicht selten über das seiner spräche geläufige hinausging."
Etwas anders drückt sich Gering aus, der in seinem urteil Lobe
näher steht (Zeitschr. 5, 431): „Was die anwendung der participia be-
trilTt, so hat sich Yulfila im allgemeinen seiner vorläge mit gnisster
treue angeschlossen, so dass häufig, wie in einer interlinearversion,
wort für Avort dem griechischen texte genau entspricht. Es ist jedoch
in diesem umstände kein beweis für sklavische abhängigkeit des Über-
setzers von seinem original zu erblicken, vielmehr ist der einfache
gruiul davon der, dass die griechische und gotische spräche, wie sie
zeitlich neben einander bestanden, so auch in ihrem ganzen Charakter
eine grosse ähnlichkeit hatten." Ferner (s. 432): „Dass Yulfila den sinn
des Originals meist richtig widergegeben und mit geschmack übersetzt
hat, ist von allen kennern des gotischen anerkannt. Die wenigen Un-
richtigkeiten, die ihm nachgewiesen werden können, kommen dagegen
gar nicht in betracht: man darf nicht vergessen, dass er als der erste,
so viel wir wissen, germanische prosa schrieb. Mitunter hat Vulfila
sogar den sinn der Schrift in seiner Übersetzung zu vertiefen gesucht."
"Wie wenig es nach allen diesen Untersuchungen und urteilen zu
klarheit und einigkeit gekommen war, zeigen uns besonders deutlich
zwei kurze bemerkungen aus dem folgenden jähre, die von K. Marold
imd A. Lichtenheld herrühren.
I\. Marold sagt^: „Dass Ulfilas bei der Übersetzung der bibel in
seine muttersprache trotz des genauen, oft sklavisch erscheinenden an-
schlusses an seine vorlagen nichts weniger als unselbständig gewesen
ist, zeigt aufs deutlichste seine Umschreibung des der eigenen spräche
mangelnden futurs."
Bei Lichtenheld heisst es-: ,,Dass der spräche nicht nur über-
haupt, sondern sogar in hohem masse zwang angetan ist, und dass wir
in der bibel Übersetzung nichts weniger als ein, einem Goten mund-
gerechtes gotisch vor uns haben, ist zwar nicht stets zugestanden worden,
doch führt von selbst darauf die örwägung, dass wir hier einen höchst
wahrscheinlich allerersten Übersetzungsversuch einer für prosalitteratur
noch ganz unausgebildeten spräche vor uns iiaben, und dass dieser
versuch noch dazu an der bibel gemacht wurde, deren worte ein un-
antastbares heiligtum sind."
1) Futurum und fiiturische ausdrücke im gotischen. Wissenschaftliche nionats-
^'lätter 187.5, s. 1G9.
2) Das schwache adjectiv im gotischen. Z. f. d. a. bd. 18, 2.'5.
154 STOLZENBURG
Eine klärung der frage war auf diesem wege nictit zu erreichen.
Sie konnte nur herbeigeführt werden durch eine gründlichere Unter-
suchung des materials. In dieser beziehung tut nun Bernhardt^ einen
schritt weiter, indem er die frage nach der Übersetzungstechnik auf
grund einer eingehenden vergleichung des gotischen und griechischen
textes behandelt: „Die gotische spräche gestattete durch die fülle und
klarheit ihrer flexiou dem Übersetzer einen sehr genauen anschluss an
seine vorläge. Die Wortstellung ist meist übereinstimmend, unter den
abweichungen sind manche ziemlich regelmässig oder doch häufig, wie
die Voranstellung des objects vor das verb (zu Joh. Y, 46), die Stellung
der possessiva hinter dem nomen (zu Mt. VIII, 3), der negation un-
mittelbar vor dem verb. Eigentümlich griechische partikeln wie av, (.liv,
ye, 7ciQ werden nicht übergangen, wenngleich nicht immer ganz sinn-
getreu widergegeben. Selbst den mangeln seiner conjugation, gegen-
über der griechischen, versteht der Gote in mancherlei weise abzuhelfen;
das futurum z. b., das meist durch den indicativ oder conjunctiv des
präsens übersetzt wird, kann doch auch durch Umschreibungen mit
skulan, dugiiian, haban, auch durch Zusammensetzungen mit ga ge-
geben werden,- und diese partikel muss auch andere lücken der goti-
schen conjugation ausfüllen, vgl. meine abhandlung in Zachers Zeit-
schrift IL Dem griechischen imperativ aoristi entspricht gewöhnlich
gotischer imperativ, dem des griechischen präsens der conjunctiv. Auf
unmittelbare nachahmung griechischer redeweise mögen manche an-
wendungen des artikels, die des Infinitivs in folgesätzen, der accu-
sativ der näheren bestimmung beruhen. Hebraisierende formein wie
lyivExo 'Aal (zu Lc. VI, 12) oder a^//)f llyti) {/.ilv el öod^joeiai ö7^f.ieL0v
(Mc.VIII, 12) pflegt Vulfila unverändert widerzugeben, ebenso Rö. XIV, 11
liba ik, qipip fraiija, J>atei, die ellipse des nachsatzes Mc. VII, 11,
das OTi vor directer rede {patei, selten el oder 'unie), pleonasmen wie
Mt. VI, 26 mals wulprlxans sljiij), f.iäXkov diacpeQere] vgl. Mc. V, 26,
anakoluthe wie Mc. VII, 2, Lc. IX, 3 ... .
Daneben weiss jedoch Vultila die eigentümlichkeiten seiner spräche
entschieden zu wahren; wie z. b. die sparsame anwendung des artikels
vor Substantiven, die des duals, des conjunctivs, der casus, der häutige
Übergang zum natürlichen geschlecht und numerus (sogar beim artikel:
J)ai fadreiii)^ das vermeiden des praesens historicum, die bezeichnung
von ländern durch den volksnamen beweisen. Die genauigkeit ist nicht
so gross, dass nicht von dem reichtum griechischer partikeln ein oiv,
•Aal, yccQ, Idoc, f.iev, äqa, ye ab und zu weggelassen, oder umgekehrt
1) Vulfila oder die gotische bibel, Halle 1875, s. XXXI fgg.
DIE ÜBERSETZUNGSTECHNIK DES WULl'ILA 155
das asyndetoii durch ein zu^-esetztes ip, panuli, pariih, iiunti besoitigt,
ein demonstrativ (namentlich vor dem relativ), ein persönliches prono-
men, und besonders häufig das verbum tvisan zugefügt würde.
Nicht selten ist der gotische satzbau, besonders im modus, rich-
tiger und bedeutsamer als der des griechischen, der gotische ausdruck
reichhaltiger als der griechische.
Besonders schön ist Mc.V, 2fgg. die erzählung von dem besessenen
übersetzt. Damit ist zuweilen eine erweiterung dos grieciiischen aus-
drucks, ein zusatz, verbunden. Bisweilen genügte schon der zusatz des
artikels, um dem gedanken erhöhte bedeutsamkeit zu geben. Nicht
minder ^virksam ist oft ein dem verbum zugesetztes ga, vgl. meine ab-
handhmg in Zachers Zeitschr. 2, 158 fgg.
Griechische Wortspiele und gleichklänge, wie sie besonders Paulus
liebt, pflegt auch Yulfila widerzugeben.
Aber auch ohne Vorgang des griechischen liebt Vulfila solchen
schmuck der rede und stellt gern verschiedne derivata von gleichem
stamme, namentlich nomen und verbum, neben einander.
Andererseits zeigt sich eine entschiedene neigung des Goten im
ausdruck, in der structur, in den wortformen abzuwechseln. Lobe hat
hierfür in seiner Grammatik p. 284 fgg. viele beispiele gesammelt, die
freilich starker kritischer sichtung bedürfen, vgl. auch meine Kritischen
Untersuchungen II, p. 18 und meine anmerkung zu Mt. V, 23. Man
kann ohne Übertreibung sagen, dass ein hauch dichterischer be-
geisterung durch Vulfilas werk geht; auch das häufige vorkommen
der allitteration beweist dies. Zahlreiche beispiele hierzu hat Mass-
inann, Got. Sprachdenkmäler, p. LXXXIX gesammelt.
Von dem soeben geschilderten verfahren, das sich über evangelien
und episteln gleichmässig erstreckt und entschieden auf einen Über-
setzer hinweist, unterscheidet sich höchst auffallend die willkür, mit
welcher in den büchern Esra und Nehemia der text behandelt ist."
Endlich spricht Bernhardt noch über die fehler, die dem Über-
setzer unterlaufen sind: „Bei aller' Sorgfalt hat freilich Vulfila doch zu-
weilen eine stelle missverstanden oder auch gar nichts damit anzufangen
gewusst. In letzterem falle pflegt er sich w^ol mit wörtlicher widergabe
zu begnügen."
Auch diese zweite eingehendere prüfung des materials hatte, wie
schon einmal bei Lobe, den erfolg, dass die Übersetzung wider höher
eingeschätzt wurde als vorher. Doch erfuhr das urteil Bernhardts so-
i;leich Widerspruch.
lÖÜ STOLZKNBURG
0. Lücke sclireibt nämlich in seiner 1876 erschienenen disser-
tation\ nachdem er sowol das urteil von Lobe wie das von Castiglione
als übertrieben abgelehnt hat: ,,Vulfilas Übersetzung war für ihre zeit
gewiss ein meisterwerk, das nicht nur durch die grossartigkeit des
gedankens, sondern auch durch die art der ausführung auf einsamer
höhe dasteht; aber Vulfila blieb doch immer ein mensch und ein —
Übersetzer. An eine Übersetzung jener zeit darf man obenoin nicht
dieselben anforderungen stellen, wie heutzutage, wo wir auf unzählige
Vorbilder zurückblicken und von klein auf uns selbst eine übersetznngs-
routine aneignen. Der einflass des Originals musste sich daher noch
ganz anders geltend machen, als heute; dazu kam, dass der Gote einen
heiligen text vor sich hatte und um so gewissenhafter mit ihm um-
ging. Das bestätigt sich denn auch im einzelnen auf jeder seite des
Vulfila. Hebraisierende Wendungen finden sich durch das medium des
griechischen hindurch noch im texte des Vulfila; griechische anakoluthe,
die dem Goten unmöglich geläufig sein konnten, werden wörtlich über-
tragen; ja, wenn der Gote gezwungen ist, die griechische construction
etwas anders zu wenden, überträgt er oft attribute oder andere Satz-
glieder genau so, wie sie nur in die construction seiner vorläge, die
er verlassen hat, nicht in seine eigene hineinpassen würden. Die mehr-
zahl derartiger beeinflussungen durch das original gestehen natürlich
auch die gegner an den einzelnen stellen ein; selbstverständlich muss
aber dadurch auch unsere gesamtansicht von der Übersetzungsart des
Vulfila bedeutend geändert werden. Da Avir den unebenen einfluss
von« aussen her an jenen stellen nicht leugnen können, so werden wir
jetzt, -wenn gewisse gründe uns veranlassen sollten, auch das indigenat
einiger andern gotischen constructionen stark zu bezweifeln, in jenen
allgemeinen ästhetischen rücksichten kein hindernis mehr vor uns haben.
Wir können überhaupt bei der grossartigen gewissenhaftigkeit unseres
Übersetzers die regel aufstellen, dass eine construction nicht echt gotisch
sein kann, die Vulfila bald dem Originaltexte gemäss widergibt, bald
aber, ohne dass ein besonderer gi-und erkennbar wäre, verändert. Eine
zweite frage wird dann natürlich die sein, ob wir die fragliche structur
Überhaupt als undeutsch oder nur als in bestimmten fällen undeutsch
bezeichnen müssen."
Die folgenden urteile bewegen sicii auf einer mittellinie. Ohne
auf die von Bernhardt nochmals besonders betonte ästhetische seite der
Übersetzung einzugehen, geben sie eine grosse Übereinstimmung zwischen
J) Absolute participia im gotischen. Magdeburg 1876. Göttinger diss. s. 54.
DIK VBF.USKTZUNGSTKCIIMK DKS WUI.FIl.A 157
U-otiselieiu und gTieehischeiii text zu, schreiben diese aber, wie auch
sclion vorher geschehen, der iilnilichkeit beider sprachen zu und be-
tonen die abweichungen zwischen beiden texten.
So schreibt Ed. Weiskeri; „In den Überresten der gotischen
bibel liegt uns nicht ein original werk, sondern nur eine Übersetzung
aus dem griechischen vor. Dies ist bei jeder Untersuchung über die
svntax des gotischen zu berücksichtigen. Die gotische spräche ist in-
folge ihrer reichhaltigen tlexion und durch ihre biegsanikeit im aus-
druck und satzbau dem streben Yultilas, den text des griechischen
Originals so genau als möglich widerzugeben, so günstig, dass man
gar oft im zweifei sein muss, ob wirklich ein bestimmter gotischer
Sprachgebrauch oder einfach nur nachahmung des griechischen vorliegt.
Andererseits finden sich aber auch in jeder hinsieht viele abweichungen
vom griechischen text, welche teils die eigentümlichkeiten der gotischen
spräche uns zeigen, teils von dem streben dos Übersetzers nach klar-
heit und deutlichkeit des ausdrucks herrühren."
0. Erdmann äussert sich folgendermassen-: „Die gotische bibel-
übersetzung zeigt im allgemeinen beAvusste Selbständigkeit, gegenüber
dem griechischen original. Namentlich sind die modusformen des ver-
bums oft ohne rücksicht auf die des neutestamentlichen grieciiisch nach
eigener und feiner Überlegung angewandt; und wo der Übersetzer durch
die reicheren genus- und tempusformationen des griechischen zur Um-
schreibung angeregt sein mag, da hat er dieselbe mit richtiger Schätzung
der mittel seiner spräche ausgeführt. Dennoch lässt sicii vermuten,
dass er durch den griechischen, ja auch durch den ihm wol-
bekannten lateinischen Sprachgebrauch geleitet, in manchen
lallen weitergegangen ist, als es seine muttersprache bis dahin gewöhnt
war. Es zeigt sich dies z. b. bei manchen Verwendungen des artikels,
in der Stellung der worte, bei einigen in auffallender weise absolut
gesetzten participien, sowie namentlich bei der Verbindung des accu-
sativs und Infinitivs mit einem verbum.''
In seiner Geschichte der deutschen litteratur'^ macht Scherer
folgende bemerkung: „Er brachte' die Übersetzung zu stände, indem er
möglichst wortgetreu den griechischen text ins gotische übertrug, aber
doch mit dem äussersten respect vor dem heiligen buch auch die achtung
1) Über die bedinguiigssätze im gotischen (Programm) s. 3. Freiburg in
Schlesien 1880.
2) Zur geschichtlichen betrachtung der deutschen syntax. Zeitschiift für viilker-
|i.sychologie , bd. 15, 410.
3) Berlin 1885, s. .34.
1 58 STOLZENBURG
vor dem einheimischen Sprachgesetze verband. Die spräche selbst kam
ihm dabei entgegen, die gotische syntax stand der griechischen damals
noch näher, als etwa die neudeutsche oder selbst die altdeutsche der
gotischen."
Allein steht demgegenüber mit seiner ansieht E. Friedrichs^
der jede abhängigkeit des Goten vom griechischen text zu leugnen
sucht. Er sagt nämlich, nachdem er auf die urteile, die Erdmann
und Eckardt- über die gotische Avortfolge gefällt haben, eingegangen
ist: „Unleugbar ist die grosse Übereinstimmung zwischen original und
Übersetzung. Dass aber trotzdem beide vorwürfe, der der Unselbständig-
keit und auch der der regellosigkeit in der Wortstellung, ungerechtfertigt
sind, wird sich deutlich ergeben. Auf welche weise werden nun die
ausgesprochenen vorwürfe zu widerlegen sein? Widerspricht ihnen zu-
nächst nicht schon die logik? Wenn Vulfila seinen untergebenen geist-
lichen und der gemeinde die heilige schrift in der ihnen bekannten
und geläufigen spräche zugänglich machen wollte, wäre da nicht der
zweck des ganzen Unternehmens hinfällig gewesen, wenn nun der zu-
hörenden gemeinde eine ungewöhnliche Wortfolge entgegen trat? Stört
doch nichts den sinn so leicht als gerade diese! Es ist also anzu-
nehmen, dass, da die gotische Wortfolge sich äusserst häufig mit der des
griechischen textes deckt, die regeln über wortfolge für beide
sprachen gemeinsame sind." Er spricht dann über das Verhältnis
der got. Wortfolge zur nhd. und ahd. und fährt fort: „Sollte nun in den
punkten, wo sich zwischen der gotischen und unserer spräche ein so
tiefgehender unterschied herausstellt, zwischen Vulfilas bibelübersetzung
und diesen denkmälern keine so breite kluft liegen, bisweilen sogar
genaueste Übereinstimmung herrschen, so muss daraus gefolgert werden,
dass, wenn Vulfila sich dem griechischen anschloss, er damit seiner
spräche keinen zwang, keine gewalt antat, dass in jener zeit die ger-
manische Wortstellung noch dieselbe war wie die griechische, wie die
indogermanische. Oben ist gesagt, dass sich Vulfilas wortfolge äusserst
häufig mit dem griechischen texte deckt — also nicht immer. Führt
er hier und dort regeln auch gegen die griechische vorläge durch, so
ist dies ein neuer beweis für seine Selbständigkeit."
S. 49fgg. sucht er endlich den accusativ cum infinitivo gegen die
ansieht von Erdmann und Apelt als dem gotischen Sprachgebrauch
geläufig zu erweisen: „Apelt bemerkt, dass Vulfila ziemlich häufig den
1) Die Stellung des pronomen personale im gotischen. Leipziger diss. s. 2 fgg.
Jena 1891.
2) Über die syntax des got. relativpronomens. Diss., Halle 1875, s. 7 fgg.
DIB VBERSETZUNGSTKCHNIK DKS WULKII.A 159
üriecliischen accusativ ciiin intinitivu durch die constructioii mit ei um-
schrieben hat. A^ulfihx war also seinem orif2;inale gegenüber nicht so
peinlich, dass er vor jeder Umänderung des accusativs cum infitivo zurück-
sciireckte: im gegenteil, er gab diese construction 'ziemlich häufig' auf.
und da sollte er, wenn er von dieser froiheit /.iemlich häuhg gebrauch
machte, bedenken getragen haben, falls der accusativ cum infinitivo
wirklich seinen Sprachgesetzen zuwiderlief", ihn auch in den übrigen
fällen über bord zu Averfen? Noch mehr. Apelt fügt hinzu, dass der
Güte einen accusativ cum infinitivo gewählt hat, wo griechisch der
nominativ cum infinitivo vorlag (Jh. VII, 4). Dass Vulfila, der wört-
lichen widergabe halber seiner spräche zwang antat, ist der so oft gegen
ihn erhobene Vorwurf; aber nun soll er gar, avo kein zwang vorlag,
doch die ihm fremde und dabei- sicherlich nicht zusagende construction
gewählt haben! Eine annähme, die nicht wahrscheinlich aussieht. Wenn
er den accusativ cum infinitivo hier wählte, so zeigt er damit, dass er
ihm von seiner muttersprache her geläufig war, und dass er ein gleiches
von seinen lesern wusstc."
Auch fehlte es nicht an stimmen, die wie Bernhardt der Über-
setzung besondere ästhetische Vorzüge oder andere feinheiten nach-
rühmen.
Zum beispiel sagt Fr. Streitberg': „Bei der gewissenhaftigkeit
und fcinfühligkoit, mit der Wulfila seiner aufgäbe gerecht zu werden
sucht, sind wir zu der annähme berechtigt, dass eine solche abweichung
(er spricht von den fällen, wo griechischem simplex im gotischen ein
compositum entspricht) vom Wortlaut der vorläge nicht blosser willkür
zuzuschreiben sei, und sind zugleich verpflichtet, den gründen des Unter-
schiedes nachzuforschen. Die Übersetzungskunst des Wulfila hat sich
mehr als einmal nicht damit begnügt, die äussere form des originales
mit möglichster treue widerzuspiegeln, sondern sie hat oft den haupt-
accent auf die treue in der reproduction des gedankens gelegt, jene
dieser zum opfer gebracht."
Ähnlich äussert sich J. Kelle^: „Auch Wulfila hat wol manchmal
den Urtext nicht richtig verstanden oder nicht richtig übertragen. Ab-
gesehen aber hiervon hat er ausserordentliches geleistet. Er beherrschte
die griechische spräche nicht minder wie die gotische. Die bildsamkeit
der gotischen spräche ermöglichte engen anschluss an die griechische.
Einzelnes der Übersetzung darf auch gewiss als direkte nachahmung
derselben aufgefasst werden. Im allgemeinen jedoch hat Wulfila die
1) Perfective und imperfective actionsart im germanischea. PBB 15, 81 fg.
2) Geschichte der deutschen literatur, Id. 1,30, Berlin 1892.
160 STOLZENBÜKG
eigenart der gotischen spräche allseitig gewahrt. Schöpferisch greift er in
seine nmttersprache ein. Um den begriffen der neuen lehre leichter ein-
gang zu verschaffen, bediente er sich der ausdrücke, die im recht und
im gesetz seines volkes vorhand&n waren. Er erstrebt abwechselung des
ausdruckes und der constructiou. Überall zeigt sich schmuck der rede.
Eine art dichterischer begeisterung geht durch das ganze
werk, durch welches wir den ersten direkten einbhck in die germa-
nischen sprachen gewinnen."
Noch weiter geht in der angedeuteten beziehung R. Kögel': „Der
Übersetzer schliesst sich mit sichtlicher absieht so enge als möglich an
das heilige original an, das er auf das genaueste durchforscht hat. Trotz
seiner scheu vor abweichungen tut er doch nirgends der spräche gewalt
an, er handhabt sie vielmehr mit künstlerischer freiheit, und diese
steigert sich an nicht wenigen stellen bis zu poetischem schwunge.
Vgl. Bernhardt, Einleitung s. XXXV, der eine menge alliterierende
Avenduugen nachgewiesen hat. Missverständnisse des griechischen textes
bleiben nicht ganz aus, sind aber nii'gends von erheblicher bedeutung.
Mit recht sagt Bernhardt, dass ein hauch dichterischer begeisterung
durch "Wulfilas Übersetzung wehe. Man fühlt, dass er seinem grossen
werke, nicht nur mit dem vollen aufgebote seines scharfen Verstandes,
sondern mit dem ganzen gemüte eines frommen, ja begeisterten Christen
oblag, einem werke, das seinesgleichen nur in der Lutheri-
schen Übersetzung hat. Beiden männern war ihre aufgäbe eine
heilige glaubenssache, sie wollten ihrem volke das wort gottes in so
treuer und des Originals würdiger form vermitteln, dass sie vor dem
höchsten richter mit ihrem tun bestehen konnten. Und der erfolg blieb
ihrem gewaltigen wollen nicht versagt."
Wider in ganz anderer richtung liegt eine kurze bemerkung aus
demselben jähre von R. HeinzeP: „Die (von Mourek) als perfecta prae-
sentiae gefassten fälle sind recht unsicher, da sie fast alle wörtlich dem
griechischen entsprechen. Das hängt mit einer das ganze buch durch-
ziehenden Überschätzung Ulfilas zusammen. Weil Ulfilas oft dem griechi-
schen text selbständig gegenüber steht, müsse seine Übersetzung, auch wo
sie mit dem griechischen text übereinstimmt, immer gutes gotisch sein.
So cousequent ist der menschliche geist bei einer länger andauernden
arbeit nicht. Festen boden haben wir nur bei den abweichungen vom
griechischen: von diesen wäre überall auszugehen gewesen."
1) GescLichte der deutschen literatur bis zum ausgange des mittelalteis , bd. 1, 1,
s. 187, Strassburg 1894.
2) Moiu'ek, Syntax des got. zusammengesetzten satzes. Rec., A.f.d.a. XX, 144.
WE ÜBERSETZUNGSTKCHNIK I)KS WULFiLA 161
Hier sei gleich eine bemerkung aus dorn jähre 1898 von Monrek,^
mit angeführt, die sich gegen die vorwürfe Heinzeis wendet und zu-
gleich auch Behaghel zurückzuweisen sucht: „Behaghol sagt hier
f mit deutlicher anspieking auf des ref. syntaktische arbeiten: 'bei der
gütischen bibel hat mau überall mit der möglichkeit fremden einfliisses
zu rechnen, und man muss dies, glaube ich, viel mehr tun, als es zur
zeit geschieht.' Denselben Vorwurf der 'Überschätzung ülfilas' macht
mir auch Heinzel (s. Anz. XX, s. 144). Ich kann nur bemerken, dass
ich genau dieselbe meinung von dem gotischen texte hatte, als ich an
die arbeit ging; aber eben das eingehende Studium desselben hat mich
eines andern belehrt."
Mourek hatte schon vorher-' folgendes gegen Bernhardt vor-
gebracht: „Er (Bernhardt) sagt nämlich: 'Wulfila fand keine litterarisch
durchgebildete und gefestigte spräche vor; wenn er nicht überall mit
strenger folgerichtigkeit verfährt, so ist sein werk im ganzen darum
nicht weniger der bewunderung wert' Dazu habe ich zu bemerken:
Wulfilas spräche folgt äusserst biegsam jeder psychologisch veranlassten
nüancierung des gedankens und ist in diesem psychologischen sinne
sehr strenge folgerichtig."
Im gegensatz hierzu fällt nun Mc Knighf wider ein urteil, das
noch schärfer ist, als das von Heinzel: „Für the study of word-order,
Wulfila is of little value, owing to the slavish way in which he foUowed
the Greek order. Friedrichs, in bis investigation of the word-order in
Wulfila, explains the exact correspondence of the Gothic order with that
of the Greek original, as resulting not from slavish imitation on the part of
the translator, but from the natural similarity of word-order in the two
languages. But so exact a coincidence in every phrase is hardly to be ex-
plained in this simple manuer. Although many of the Greek idioms belong
also to Teutonic, and actually do occur in other ancient Teutonic monu-
raents, it is absurd to assume between any two languages a natural
similarity in word-order as striking as that between the Gothic trans-
lation of the Bible and the Greek original. Consequently the statistics
gathered by Friedrichs show not the word-order of the Gothic of
that period, but that of New Testament Greek, and the only evidence
afForded by the translation of AVulfila is that offered by those passages
1) Behaghel, Die syntax des Heliand. Rec, A.f.d.a. XXIV, 341 anm.
2) Nochmals über den eiofluss des hauptsatzes auf den modus des nebensatzes
im gotischen. (Sitzungsber. der k. böhm. ges. d. wiss. 1895, XVII, 5).
3) Piimitive Teutonic Order of "VVords. The Journal of germanic Pbilology.
1897. Vol. I, 147.
ZKITSCURIFT F. DI'XTSCHE PHII.OLOGIK. BD. XXXVII. 11
162 STOLZENRURG
1) in which tlie Gothic employs more words than tlie Greek does and,
tlierefore, necessarily has an independent arrangeraent, or 2) in which
the word-order of the tran&lation differs from that of the original. Such
passages are not numerous. lü the fragraentary transhition of Matthew,
if we leave out of consideration differences in the position of the par-
ticles, we find less than a hiindred. Of these passages three-fourths are
1) instances of Gothic circamlocution, and only about one-fonrth are
2) instances of departure from the Greek order."
In demselben jähre hat auch Vogt^ ein urteil über die gotische
bibelübersetzung formuliert: ,,Das wirklich bewundernswerte an Wulfilas
leistung aber ist, wie er die spräche dieses aller speculation fremden,
heidnischen kriegervolkes nicht nur den erzählungen, sondern auch den
ethischen und dogmatischen erörterungen der bibel anzupassen wusste.
Selten läuft ihm dabei ein missverständnis unter; selten auch hat er sich
genötigt gesehen, einen biblischen ausdruck als unübersetzbar beizu-
behalten; eher bedient er sich eines griechischen oder lateinischen fremd-
w^orts, das seinem volke durch die berührungen mit dem Römerreiche
schon damals geläufig war; sonst hat er durchaus seine griechische vor-
läge getreu aber nicht sklavisch in ein unverfälschtes gotisch übersetzt,
und der guten form wandte er genug aufmerksamkeit zu, um gelegent-
lich auch gegen die quelle abwechslung im ausdruck einzuführen."
In der neusten zeit scheint sich wenigstens das eine immer mehr
durchzusetzen, dass bei benutzung der gotischen bibel zu syntaktischen
zwecken jedesfalls grösste vorsieht walten muss, w^enn man zu sicheren
resultaten gelangen will. Die grosse Übereinstimmung zwischen dem
gotischen und griechischen text ist besonders dadurch noch evidenter
geworden, dass es Fr. Kauffmann gelungen ist, diejenige bibelrecension
festzulegen, die der Gote bei seiner Übersetzung vor sich hatte (vgl.
Zeitschr. 30. 31 und 32). Bei diesen Untersuchungen 2 kommt er auch
auf die Übersetzungstechnik zu sprechen: ,.Als hauptresultat der quellen-
kritischen Untersuchung darf schon an dieser stelle ausgesprochen
werden, dass wir bei den bisher behandelten alttestamentlichen frag-
menten und bei dem Matthäusevangelium eine und dieselbe Übersetzungs-
technik gefunden haben und dass diese technik durchaus derjenigen
verwandt erscheint, die wir aus der althochdeutschen Evangelienüber-
setzung zur genüge kennen. Die schriftstellerische leistung des
1) Vogt und Koch, Geschichte der deutschen literatur. Leipzig und Wien 1897.
(2. auü. 1904 s. 11).
2) Beiträge zur quellenkritik der gotischen bibelübersetzung. II. Das neue
testament. Zeitschr. 30, 183.
DIK ÜBERSETZÜNGSTECUNIK DK8 W'b'LFILA 163
Übersetzers ist nicht so hoch anzuschlagen, wie sie bisher
veranschlagt worden ist."
Auch Koppit/J drückt sich in ähnlichem sinne aus: „Wie stellt
sich nun aber Wulfila zu seiner vorläge? Übersetzt er frei oder schliesst
er sich eng an die vorläge an? Gibt er nur in einzelnen partien der
gotischen bibel eine genaue Übersetzung oder durchweg? Nach meiner
meinung hält sich Wulfila (trotz gegenteiliger ansieht z. b. Friedrichs,
Moureks u. a.) geradezu ängstlich genau an die vorläge; in der Wort-
stellung mindestens ist dies zur gewissheit zu erheben. Es soll damit
keineswegs behauptet werden, dass die Stellungen, wie wir sie vorfinden,
griechisch und daher ungotisch wären; es war wol der usus überhaupt
ein freierer, aber ob der Übersetzer die worte auch so gefügt hätte,
■wenn er ohne vorläge geschrieben hätte, ist wol mehr als fraglich. Wir
können oft mehrere selten lesen, ohne dass (ausser ip oder pan und
dergl.) auch nur ein einziges wort seinen platz gegenüber dem griechi-
schen geändert hätte.'*
In dem abschnitt über gotische litteratur, der von W. Streitberg
in Pauls Grundrisse verfa.sst ist, steht das urteil über die Übersetzungs-
technik der bibel der von Heinzel, Behaghel, Ka uff mann und
Koppitz vertretenen ansieht nicht mehr sehr fern: „Ein abschliessen-
des urteil wird man freilich erst dann fällen können, wenn die über-
setzungstechnik der neutestamentlichen, wie der alttestamentlichen texte
bis ins einzelne untersucht worden ist. Bis jetzt fehlt noch jede unter-
läge zu einer definitiven entscheidung.
Die absieht des Übersetzers ist, das griechische original so treu
als möglich widerzugeben. Es lässt sich nicht leugnen, dass diesem
bestreben nicht selten die eigenart des germanischen Sprachgebrauchs
zum opfer gefallen ist. Xamentlich in syntaktischer beziehung macht
sich der einfluss des urtextes deutlich bemerkbar. Auf der andern seite
muss jedoch anerkannt werden, dass es dem Übersetzer' niclit nur ge-
lungen ist, in zahlreichen fällen seine Selbständigkeit zu wahren, son-
dern dass er auch ein überraschendes Verständnis für die widergabe
feiner nüancierungen bekundet. Am glänzendsten vielleicht offenbart
sich seine kunst in der Verwertung der perfectiven actionsart. Im all-
gemeinen wird man, ohne sich der gefahr einer Überschätzung aus-
zusetzen, sagen dürfen, dass die gotische bibel den ahd. Übersetzungen
1) Gotische Wortstellung. Zeitschr. 32, 433.
2) II. bd., 2. auf!., VI. abschnitt: Litteraturgeschichte. 1. Gotische litteratur.
Strassburg 1901, s. 26.
11*
164 STOLZENBURG
— abgesehen vom Isidor — überlegen ist, mag sich auch ihre technik
nicht allzuweit von der unsrer ahd. Evangelienübertragungen ent-
fernen."
Am schluss dieser chronologischen Übersicht mag eine bemerkung
von H. Reisi platz finden: „Jede Untersuchung über gotische syntax
muss die tatsache beherzigen, dass wir die gotische spräche nur aus
Übersetzungen kennen, und dass der satzbau bei Übersetzungen nur gar
zu leicht durch den satzbau der vorläge beeinflusst werden kann. Daraus
ergibt sich die folgerung, dass für die syntaktische forschung nur die-
jenigen stellen in betracht kommen, in denen die Übersetzung von der
vorläge abweicht. Denn wo das gotische mit dem griechischen text
übereinstimmt, ist immer die möglichkeit vorhanden, dass wir es nicht
mit einer gotischen, sondern mit einer griechischen spracherscheinuiig
zu tun haben. Allerdings werden eigentümlichkeiten der einen spräche,
die dem Sprachgefühl des übersetzenden ganz grell widerstreiten, unter
allen umständen eine änderung erfahren, es müsste denn eine inter-
linearversion vorliegen, und eine solche ist die bibelübersetzung des
Ulfilas nicht. Andere Spracherscheinungen des einen volkes werden von
dem Sprachgefühl des andern zwar fremdartig empfunden, aber sie er-
innern doch, wenn auch manchmal nur entfernt, an diesen oder jenen
gebrauch der eigenen spräche, sie finden in dieser irgend eine analogie
und werden alsdann übernommen, ohne erbgut der spräche zu sein.
Für die Sprachgeschichte kann eine solche herübernahme sehr wichtig
werden — aber nur dann, wenn die spräche noch eine bedeutende
entwicklung später durchmacht, was beim gotischen bekanntlich nicht
der fall gewesen ist.
In einer gotischen casussyntax müssten daher in jedem abschnitt
zuerst die fälle ausgeschieden werden, die von der griechischen vorläge
abweichen. Diese allein sind zunächst von bedeutung für die histo-
rische Sprachwissenschaft. Die fälle, wo vorläge und Übersetzung über-
einstimmen, dürfen ja nicht ohne weiteres übersehen werden, da die
beiden sprachen gewiss auch gemeinsame eigentümlichkeiten besitzen
können, und es mag sich durch Sprachvergleichung manches hiervon
als gemeingermanisch erweisen. So lange man sich jedoch hier auf
einem noch nicht hinreichend geebneten boden befindet, werden solche
fälle lediglich für den descriptiven teil der grammatik in betracht kommen
können."
1) Dr. M. J. van der Meer, Gotische casussyiitaxis I. Leiden 1901. Rec,
Zeitschr. 35, 120.
DIE ÜBERSETZÜNGSTECHN'IK DES WÜLKILA 165
Damit wäre die reihe der bemerkenswerten urteile über die über-
setzimgstet'linik der gotischen bibel erschöpft. Es sind so ziemlich alle
Schattierungen der Avertschätzung vertreten, eine entwicklung aber und
kiärung des problems ist, abgesehen vielleicht von der allerjüngsten zeit,
nicht zu entdecken. Es würde folglich von geringem werte sein, wollte
man den vielen urteilen, die es schon gibt, noch ein weiteres hinzu-
fügen. Vielmehr kommt es darauf an, eine gesicherte basis für die
Untersuchung zu schaffen, und dies kann offenbar nur dadurch ge-
schehen, dass man das material, aus dem sich das urteil über die über-
setzungstechnik aufbauen soll, zunächst lediglich aus den zwischen dem
gotischen und griechischen text bestehenden abweichungen sich zu-
sammensetzen lässt, diese aber möglichst vollständig sammelt. Aus den
Übereinstimmungen lässt sich, von wenigen fällen abgesehen, zunächst
weder für die gotische syntax, noch für die Übersetzungstechnik etwas
schliessen.
Mit dieser Umgrenzung des zu verwendenden materials ist gleich-
zeitig die disposition der Untersuchung gegeben. Wir müssen offenbar
zwei grosse klassen von abweichungen unterscheiden i. Die eine klasse
umfasst alle diejenigen abweichungen, die rein grammatischer natur
sind, und die der gotischen bibel überhaupt den Charakter einer Über-
setzung verleihen. Die zweite klasse umfasst die abweichungen stilisti-
scher art, diejenigen, zu denen der Übersetzer nicht durch die gesetze
seiner spräche gedrängt wurde, sondern die seiner persönlichen neigung,
seinem persönlichen geschmack und Stilgefühl entsprungen sind. An
ihnen wird also der eigentliche Charakter der Übersetzung abzuschätzen
sein, sie bilden das bei weitem wichtigste material für die beurteilung
der Übersetzungstechnik. Natürlicherweise ist die grenzlinie zwischen
beiden gruppen nicht immer leicht zu ziehen.
1) Bei feststellung der abweichungea ist für das gotische der Uppsti ömsche
tfxt massgebend gewesen, abgesehen von einigen allgemein gebilligten conjecturen.
Für das griechische konnte ich mich in bezug auf das Matthäus- und Johannes-
evangelium an die recension EFGHSüV beziehungsweise den text des Clirysostoraus
halten und zwar an der band der Beiträge zur quellenkritik der got. bibelübersotzung
von Fr. Kauffmann (Zeitschr. 30 und 31). Für das Lucas- und Marcusevangelium
war ich betreffs der feststellung der gr. lesarten auf Tischendorffs Editio octava
angewiesen und habe versucht mit ihrer hilfe die recension EFGHSÜV auch für
sie zu gründe zu legen.
J
1(56 STOLZENBÜKü
C a p i t e 1 I.
Die abweiclmngeu rein giammatisclier art.
Es liegt in der natur dieser abweichimgen, dass sich unter ihnen
sehr viele einzelfälle zu grösseren gruppen ziisammenschliessen , und es
würde ein unnötiger aufwand sein, wollte ich jeden einzelfall eitleren.
Zudem sind auf diesem gebiete schon, nanientlich in der syntax von
Lobe, Stellensammlungen mannigfacher art vorhanden, so dass es im
allgemeinen genügt, bei den regelmässigen ab weichungen, auf diese
Sammlungen zu verweisen. Die griippierung ist bedingt durch die syn-
taktischen kategorien.
1. Verl)um,
A. Genus.
1. Medium.
Regelmässig gibt der Gote das gr. medium durch die reflexive
form des verbums widert Daneben linden sich aber fälle, in denen
das blosse activ zur widergabe verwandt wird (vgl. G. L. § 178, 2b).
2. Passiv.
Das gr. passiv, soweit es nicht im gotischen wörtlich widerzugeben
war, wird durch andere formen des verbums ersetzt. Dazu dient 1. das
reflexivum (doch kann auch hier das reflexivpronomen gelegentlich
fehlen) 2. das activ von intransitiven verben.
In beiden fällen wird durch die bedeutung des reflexiven oder
intransitiven verbs die passivische function widergegeben-.
3. Die verba auf -nan^.
Auch sucht der Gote das gr. passiv durch Umschreibungen
widerzugeben. Hierzu werden verwandt die hilfsverben im, ivas und
ivarJ)K Dem Infinitiv passivi entspricht im got. in der regel der
Infinitiv activi, doch tritt auch Umschreibung mit hilfsverben und
dem participium praeteriti oder adjectiven ein 5.
1) Es lindet sich auch für gr. iatransitivuui got. reflexivum bei bestimmten
verben; doch fehlt das reflexivpronomen auch widerura in einigen fällen (G. L. § 176,4).
2) So steht z. b. ufhausjan für mt'd-ia&nt oder ushafjan sik für al'QtaO^at (vgl.
G.L. § 177, 4 und 5).
3) Belege hat ausführlich gesammelt A. Skladny (Über das got. passiv. Pro-
gramm. Neisse 1873, s. 15).
4) Vgl. H. Gering, Über den syntaktischen gebrauch der participia im gotischen,
Zeitschr. 5, 411 und 412 und Skladny s. 8. 9 und 10. . Statt der participia finden sich
aucli adjectiva mit hilfsverben (Gering s. 415).
5) Vgl. G.L. § 177, anm. 4; Gering s. 419fg. und Skladny s. 10 und 11.
DIE tJBEBSETZUNOSTECHNIK DKS WULFILA 167
B. Tempus.
«) In hauplsiitzcii.
1. Futui'iini.
-Das gr. fiituriini wird gewöhnlich durch den indicativ oder
Optativ praesentis ersetzt; es finden sich aber auch Umschreibungen
mit sknlan, dugimian, haban u.a. mit dem infinitiv^ Endlich kann
der Gote das gr. futur durch Verwertung der perfectiven actio nsart
zum ausdruck bringen -.
2. Praesens.
Für das gr. praesens historicum tritt regelmässig, soweit der
Gote es nicht nachbildet (G. L. § 180, 3), das praeteritum ein (vgl.
ebenda). Auch für einige fälle, in denen das gr. praesens perfectivo
bedeutung hat, findet sich regelmässig im got. das praeteritum^.
3. Perfect.
Das gr. perfect wird durch das got. praesens gegeben, wenn
eine nocli in der gegenwart fortdauernde handlang ausgedrückt ist (G. L.
! § 180, 4b). Es kann aber auch das praesens eines den praesentialen
sinn des gr. perfects ausdrückenden got. verbums eintreten*.
ß) In abhängigen sätzen.
In abhängigen sätzen (optativ) zeigt der Gote sich wie im modus
so auch im tempus vom gr. text unabhängig ^
y) Participia*^.
Besonders frei in bezug auf genus wie tempus zeigt sich der Gote
bei der widergabe der gr. participien. Got. partic. praes. act. steht
1) G.L. § 182, 2 und Marold, Futur uud futurisohe ausdrücke im got. (Wisseu-
schaftl. nionatsblätter 1875, s. 170fgg.).
2) Eine genaue Untersuchung dieser fälle gibt Streitberg in PBB l.ö: Perfective
und impeifective actionsart im germanischen, s. 119 — 137, wo insbesondere auch fest-
gestellt ist, unter welchen bedingungen eine perfective präsensform die fehlende futur-
form zu ei"setzen im stände ist.
3) Z. b. J. XI, 28 laisareis qani, 6 Siöüaxukog mintoTiv u. a. Vgl. G.L.
§ 180, 4a.
4) Z. b. Mc. IV, 29 unte atist asans oit nao^airiy.tv 6 lJ-foiain6g. G.L. § 180. 4a.
.0) So steht z. b. für ^«v c. coni. aoristi jabai c. coni. praes. Vgl. Schulze, Glossar
8. 178 (3c); ebenso nach gr. tva und got. ci, vgl. Bernhardt, Der got. optativ (Zeit-
schrift 8, 20 fg.).
H) Vgl. H. Gering, Zeitschr. 5, s. 295 fgg. und s. 299 f gg., wo sich auch die
ntsprcchungen der gr. verbaladjectiva auf -tos finden.
168 STOLZENBDRO
ausser für gr. partic. praes. act. auch für gr. partic. perf. und aorist
act. Auch kommt es vor, dass für gr. partic. perf. und aorist. pass.
sinnverwandte got. participia act. eintreten ^ Ferner steht das got.
particip. pass. ausser für die gr. particip. praet. pass., auch für das gr.
part. praes. pass. Auch fälle, in denen es das gr. participium aorist.
med. vertritt, kommen vor. Die verba auf -nan nehmen auch hier ihre
besondere Stellung ein.
C. Numerus.
Steht im gr. ein subject im neutrum pluralis mit dem praedicat
im Singular, so wird dies im got. nicht nachgebildet (G. L. § 209,
anm. 2).
An einigen stellen kommt eine abweichung im numerus dadurch
zu stände, dass der Gote /.aiä ovveoiv construiert, der Grieche nicht^.
D. Modus.
In der widergabe des modus zeigt der gote eine vreit grössere
Unabhängigkeit von seiner vorläge'^.
Der got. Optativ steht für gr. indicativ (besonders um das
futurum widerzugeben), conjunctiv, imperativ, optativund modus
Irrealis (belege bei Burckhardt s. 30fgg.). „Das resultat dieser ver-
gleichung ist", sagt Erdmann in der recension der Burckhardtschen
abhandlung Zeitschr. 4, 455, „dass der got. conjunctiv gelegentlich allen
modis des gr. textes entspricht.
Dieses resultat kann man nach den vom Verfasser selbst sowie
von G.L. öfters gemachten andeutungen dadurch vervollständigen, dass
anderseits auch got. indicativ häufig allen diesen gr. formen ent-
spricht; so namentlich der indicativ praesent. dem futur (s. 4. 5), der
auffordernden 1. pl. des conjunctivs (s. 6), dem conjunctiv in zweifeln-
der frage (s. 7; Mc. IV, 30 und Mt. VI, 31), öfters dem conjunctiv in
conditionalsätzen (s. 15. 16)." Dann kommt Erdmann auf den Wechsel
im modus zu sprechen und schliesst: „Aus alledem ergibt sich, dass
sich Ulfilas eben nicht, wie z. b. meistens die ahd. prosaiker, an den
gr. text in der weise band, dass er bestimmten gr. tempus- oder modus-
1) Z. b. Lc. IX, 55 gaivandjands , OTQCiffei'g u. a.
2) J. VII, 49 so nianagei ßaiei ni kunnun, 6 ö/Xog omog 6 ^mt] yiyvwaxcov.
Mt. VIII, 32 run gmvaurhtedun sis, ÜQfDjaev bezogen auf hairda siveine. Ähnlich
J. XVI, 32 ei distahjada Jvarjixuh, 'iva axoQuia'hfiTi 'ixuOTog, wo der Gote das verbum
sich auf harjixuh beziehen lässt.
3) Eine Zusammenstellung der gesamten entsprechungen des got. optativs im
griechischen gibt F. Burkhardt, Der got. conjunctiv, verglichen mit den entsprechen-
den modis des neutestamenthchen griechisch, Zschopau 1872, s. 26.
DIK ÜBERSETZÜNQSTKCHNIK DKS WULFILA 169
formen bestimmte got. regelmässig entsprechen liess, sondern dass er
die allerdings beschränkte zahl der verbalformationen, die ihm zu geböte
stand, in freier auswahl nach dem sinne, in dem er jede schrift-
stelle aiiffasste, verwandte. Wir sind daher berechtigt mit berück-
sichtigung des gr. textes den modusgebrauch des Ulfilas als seiner eigenen
spräche angehörig zu betrachten und zu untersuchen."
In der tat ist soviel klar, dass der Gote hier seinen eigenen Sprach-
gebrauch gegenüber dem griechischen durchgesetzt hat. Aber sollte er
wirklich bei jeder einzelnen schriftstelle auf grund einer Überlegung
eine auswahl aus seinen got. verbalformationen getroffen haben?
Ähnlich wie Erdmann sagt Köhler in seinem aufsatz: Der syn-
taktische gebrauch des optativs im got. (Germanist. Studien I, s. 77): „Es
wird sich im verlaufe der Untersuchung zeigen, dass der got. optativ
durchaus nicht willkürlich neben dem indicativ zur widergabe des gr.
futururas verwendet wird, sondern dass der Übersetzer überall mit gutem
bedacht verfuhr und ein unterschied der bedeutung obwaltet, je nach-
dem Vultila den indicativ oder den optativ dafür setzte."
Auch bei Bernhardt (Über den got. optativ, Zeitschr. 8, 12)
heisst es: „Das griechische ist bei der wähl des modus fast nie be-
stimmend gewesen; es beweisen also solche sätze, wie sorgsam Vulfila
bei seiner Übersetzung sich den Zusammenhang gegenwärtig hielt."
Beweisen sie das wirklich? Ist denn zur erklärung einer gewissen
sinngemässheit und innerlichen gesetzlichkeit des got. modusgebrauchs
unabhängig vom griechischen die annähme nötig, Wulfila habe jedesmal
den Zusammenhang sich genau überlegt und dann sorgsam ausgewählt
und so oft noch feinheiten zum aUsdruck gebracht, die nicht einmal im
gr. text standen? In vielen fällen genügen zur erklärung die gebrauchs-
formen seiner eigenen spräche, die der Übersetzer naturgemäss anwandtet
II. Nomen.
A. Casus.
1. Dativ.
Von den got. casus ist es besonders der dativ, welcher vielfach
unabhängig vom gr. verwandt wird 2. Einige got. verben haben bald
1) Andere wenige fälle lassen allerdings eine deutliche Überlegung des Über-
setzers ertennen. Diese sind unter den stilistischen abweichungen behandelt. Vgl.
auch die anm. zum Wechsel im modus, s. unten.
2) Genaueres vgl. bei Köhler, Über den syntaktischen gebrauch des dativs im
gotiachen (Germania 11, s. 261 — 305).
170 STOLZENUURG
den accusativ, bald den dativ nach sich. Oft handelt es sich hierbei
um einen instrumentalen dativ, z. b. nach ativairpan, usdreiban, saian,
straujan. Steht dem Goten ein Instrumentalis zu geböte, so setzt
er diesen ein (z. b. Mt. VI, 25 Jve ivasjaip, ti tvövGrjoO^e. J. XVI, 2 hansla
saljaii guda, laTQet'av nQooq)tQeiv zat ^eoj^). Auch für gr. genitiv nach
verben findet sich der got. dativ (z. b. bei teJain und attekan).
Ferner für gr. accusativ des inneren objects (vgl. Lc. II, 8. 9,
Mc. IX, 41 und im passiv Lc. VII, 29, Mc. X, 38).
Der gegenständ, mit welchem ein anderer verglichen werden soll,
wird im got. mit dem dativ, im gr. mit dem genitiv widergegeben
(G. L. § 250,4b); so steht Lc. XVI, 8 frodoxans sumim für (fQovi^noTEQoi
VTrio jovg vwvg (obwol sonst im got. tifar angewandt wird G. L. § 197,4).
Auch auf die frage um wie viel? steht im got. der dativ, be-
ziehungsweise der Instrumentalis für gr. accusativ (z. b. Lc. IV, 35 wi
icaihtai gaskopjands inima, i^njdtv ßlaxpav avrov. Mt. V, 47 Ive ma-
nagixo taujip, vi jceqiooöv yroieiie, G.L. § 250, 4a*^).
Ebenso wird der accusativ, der den gegenständ bezeichnet, an
dem etwas geschieht (der näheren bestimmung) im got. nicht nach-
gebildet, sondern durch den instrumentalen oder lokalen dativ wider-
gegeben (z. b. Lc. IV, 18 pa?is gamalicidans hairtin, lovg ovvistqiix-
[.lärovg rrjv yia^diav. Mc. VIII, 36 gasleipeip sik saiivalai seinai, ^rn-iuo-
d^fi Ttjv ipvyjjv avcov. G.L. § 243. Doch steht im got. auch nach dem
gr. gebrauch der accusativ, G.L. § 220, 4).
Sehr häufig tritt auch dadurch für den gr. genitiv im got. der
dativ ein, dass der Gote das betreffende wort in abhängigkeit bringt
vom verbum, während es im gr. von einem Substantiv abhängt (z. b.
Lc. I, 76 nianivjan wigans hiima, tToif-idaai ödovg avvov. Ebenso
Mc. VII, 33 (sicf), V, 30; J. XII, 3, XIX, 2, XVIII, 10, X,21, IX, 32,
IX, 6. 21; Mt. IX, 30; Lc. XVI, 6 2. Häufig ist diese abweichung auch
dann, wenn an statt eines verbums wisan oder ivairpan mit einem Sub-
stantiv auftreten (z. b. J. VIII, 34 skalks ist fraicmirktai , öovXog toiiv
zfjg df.iaQTiag^).
1) hiinsla wird von Bernhardt als instrumental, dativ gefasst (Zeitschr. 13,
s. 18), während Schulze die form für einen acc. pl. hält (Got. glossar, s. 145 b).
2) Lc. II, 6 usftdhiodcdun dagos du bairan izai, inl^a&t]Oav tu rj/ie'o((i,
lov TfxiTv ccvTTjv ist ixai gleichfalls zum praedicat gezogen.
3) Im griechischen hängt d/urcortug vom dem Substantiv &ovXog ab, im got.
von dem ganzen praedicat skalks ist; vgl. Meli, 28, X, 44; J. IX, 27. 28, XVIII, 13;
Lc. IV, 20, X, 29. Hierher gehört auch die steile Lc. II, 32 Uuhap du andhuleinai
Olli ÜBEKSETZUNüSTKCHNlK UKS WULFILA 171
Endlich wird auch der preis im got. durch den dativ gegeben,
während im gr. der genitiv steht (z. b. J. VI, 7 iwaim hundam skatte;
öia/.ooüov ötjraoi'wr. J. XII, 5 steht dafür in .t. skatte, G.L. § 250, 8a).
2. Genitiv.
Der genitivus partitivus hat im got. eine selbständige Ver-
wendung gefunden. Er steht nach indefinitem pronomen abweichend
vom gr. (G.L. § 205, anm. 2. 7. 9. 11, und V, 2b). Sodann wird er im got.
gesetzt nach f'dn, welches adjeetivisches 7colvc. widergibt, aber substan-
tivisch gebraucht wird (z. b. Lc. V, 6 manageins fiske fil/t, 7tlfjd-og
lyßiiüv 7ioh', ebenso Mc. IV, 1, y,21. 24, IX, 14 u. ö.).
Ganz ebenso verhält es sich mit dem genitiv nach sivaland {tooov-
rog): J. XIV, 9 swalaiid melis, rooovrov xqÖvov. Genitivus partitivus
findet sich auch nach dem fragepronomen has (z. b. Mt. V, 46 Ivo mix-
dono, iha fiia!}6v, G.L. § 204, anm. 1).
Bei zahlen setzt der Gote ebenfalls abweichend vom griechischen
den genitivus partitivus (z. b. Lc. IX, 14 fimf pusimdjos tvaire, ävögeg
TtBvtavAoyJhoL, ebenso Lc. lY, 2). Ferner steht genitivus part. ab-
weichend vom gr. nach ivisan c. dat. und Imhan (z. b. Lc. II, 7 ni uns
im riimis, ov/, fjv aiioig xoTcog, ebenso Lc. I, 7. J. XV, 22 indons
ni hahand, TiQocpaaiv ov/, i'xoiaiv, vgl. J. IX, 41; Mt. IX, 36).
Aber auch sonst findet sich abweichend vom gr. ein genitiv im
got. nach verben (z. b. Mc. V^III,12 jabai (jibaidau kunja pam^ua taikne,
ei öod^rjoerai t^ yevsä Tavif] orjuEiov und Lc. XX, 31 id hüipiin harne,
ov /.aiiluiov Ti/.va\ Mc. XIV, 51 (j)ipun is, y.Qctrovoiv acvöv, G.L. i^ 236).
Endlich setzt der Gote dreimal nach seinem Sprachgebrauch genitiv
für gr. dativ ein: Lc. II, 23 iveihs fraujins haitada, ayiov rw xi-^/'/'
/Ir^d-r^oEicci^ Lc. I, 27 pixei namo Josef, (■> ovof.ia ^hoat^fp und Lc. 1,45
ustauhts pixe rodidane, TelEuoaig rolg ?.Elalrjuh'0ig.
'S. Präpositionale casus.
Es kommen sowol fälle vor, in denen ein gr. casus mit präpo-
sition im got. durch einen casus ohne präposition gegeben wird, als
auch umgekehrt. So steht nach galauhjan im got. dat. (für gr. nqog,
elg c. acc). Für gr. t/, c. part. genit. steht im got. der partitive genitiv
ohne präposition, desgl. nach ImiJjan und lekinon für gr. ditö u. a.
piudom jah umlpu managein peinai Israela, f/O? elg ttnoxülvipiv Id-vCjv y.iu döiav
htov aou 'loQui]). (Bernhardt zieht die dative piudom und managein peinai zu
ifin vorhergebenden manwides).
172 STOLZENBUR&
Andererseits findet sich nach qipan oft du c. dat. für gr. datie ohne
Präposition^
Gr. doppelten accusativ vermeidet der Gote bisweilen dadurch,
dass er den einen accusativ durch du c. dat. widergibt (z. b. J. X, 33
tavjis Jmk silban du guda, nouig asavröp d-eov, so noch Mc. XI, 17,
XII, 23, vgl. G.L. § 220, anm. 1). Oder er verwendet für den einen
accusativ den dativ oder den genitiv (z. b. Mc. XV, 17 jah gaicasidedim
ina paurpw'ai, /ml ivöcovoiv avibv TtOQCfvqav^ vgl. Lc. XVI, 19, VII, 29;
Mc. X, 38; J. XIX, 2; G.L. § 220, 4. Der genitiv steht Mc. IV, 10
freJiun ina . . . ßixos gajukons, ijQiovwv aviöv . . . xhv TtaqaßoXrjv.
J. XIV, 26 gamaudeip ixtvis cdlis, v/coi-ivrjGet vuäg /cavia).
4. Orts- und Zeitangaben.
Hier gehen got. und gr. Sprachgebrauch ziemlich auseinander. Der
Gote ist häufiger seinem eigenen usus treu geblieben ^ und gebraucht
für gr. Eig c. acc, welches die richtung bezeichnet, in c. dat., womit die
ruhe bezeichnet wird (z. b. Lc. IV, 1 in aupidai, elq xrjv eqrj^ov] stets
bei miduma und midjis Lc. VI, 8; Mc. III, 3, XIV, 60 u. ö.). Eine
ähnliche Verschiedenheit liegt vor, wenn fram für gr. 7iaQ(x steht (Mc.
X, 27 fram mannani unmahteig ist, fcagä dvd^Qioftoig döuvarov u. a.).
Auf die frage wohin? setzt der Gote den genitiv für gr. elg c. acc.
(z. b. Lc. XV, 15 insandida ina haipjos seinaizos, ucef.i\liEv uvvbv elg
Tobg dygobg aviov; ebenso Lc. XIX, 12; Mc. IV, 35). Ein scheinbar
umgekehrter fall (Lc. XIX, 4 unte is and pata munaida pairhgaggan,
OTL SÄEipr^g rjf.isllev diaQx^od^ai) ist nicht vergleichbar, da hier im gr.
der gen. von dem öid in ditQxead^ai regiert wird.
Auch bei den Zeitangaben begegnen wir vielfachen abweichungen.
Für gr. casus mit praeposition steht im got. einfacher casus und um-
gekehrt (Lc. I, 7 dage seinaixe, iv ralg 7)}.i€Qaig aviLov. Lc. V, 5 alla
naht, öl' 3^g vv^Tog, ähnlich Lc. VIII, 27. 43; J. VIII, 51 ; Lc. XVIII, 4).
Gr. /.avd c. acc. zur angäbe eines sich widerholenden Zeitpunktes gibt
der Gote durch acc. oder dat. mit dem pronomen haxuh (vgl. Mc.
XIV, 49; Lc. II, 41, IX, 23, XVI, 19, XIX, 47). Es kommt auch die
praeposition and zur Verwendung: Mt. XXVII, 15 and dulp pan Jvarjoh,
1) Auffälliger ist Lc. II, 38 rodida bi ina in allaivi paini tisheidandam,
fkciXit tkqI avTov nüaiv rolg 7iQoa^(;(Ofitvoig , da rodjan sonst nie mit in c. dat. ge-
braucht wird, doch liegt hier die annähme eines Schreibfehlers nahe (vgl. ina in
allaim) und in ist vielleicht zu streichen.
2) Vgl. J. Borrmann, Ruhe und richtung in den gotischen verbalbegriffen.
Di.ss. Halle 1892.
DIE l'BKRSKTZUNGSTECHNIK DES WÜLI'ILA 173
■/Laict dt eoQci]i'; ebenso Mc. XV, 6i. Unigekchit findet sich auch im got.
die praeposition gegen das gr.: J. VII, 50 in nahi^ vc/.iog. J. VII, 14
aiia nüdjai didp, rfj^; fOQif]^; f.i€Oovorjg. Mc. XII, 2 at mel, tö /Migw.
Endlich bleiben die fälle, wo gr. und got. sich nur im casus unter-
scheiden (z. b. Lc. II, 1 hl dagans jainatis, Iv zaig tii.uQaig iAelvaig;
so Mc. XIII, 24; J. XI, 9; vgl. Bernh. anm. zu Ephes. VI, 18; ferner
Lc. VIII, 29 manag mel, itokXolc, xqÖvoic^ Lc. II, 37 nahtani jah dagam,
vr/.Ta /Ml i^utQav: so Mc IV, 27. Lc XVIIl, 7 iialUani jah dagam,
^^ugag /.cd rr/.Tog. Mc. XIII, 18 fvintrau, yut.uovog)'^.
B. Numerus.
Gr. näg = jeder übersetzt der Gote meist durch aus mit dem zu-
gehörigen wort im plural (z. b. Mi. IX^So jah haüja)nls allos sanhfhts
jah aUa unhaiija, v.al O-eQarceixov näoav vöoov v.al 7cäoav i.iaKa/Jav.
Mt. VI1.17 all bagme näv dtvöqov). Auch sonst steht häutig- im got.
der plural für gr. Singular, indem der Gote eine mehrzahl als solche
bezeichnet oder xara avveoiv construiert (z. b. Lc. II, 37 nahtam jah
dagam, vv/xa zctl fjf.ieQav, ebenso Mc. V, 5, Lc XVIII, 7)-^.
Das umgekehrte gr. plural = got. Singular findet sich seltener
(G.L. § 192, 1): Lc. VIII, 29 manag mel, Ttolloig xQovoig. Lc VII, 24
du managein, 7cqbg xovg oylovg^. J. XII, 3 skufta, xaig S^qi^Iv- vgl.
J. Vn,12, XI, 2, Lc VII, 38.445.
Es bleibt noch der dual zu besprechen. Bemerkenswert ist,
dass im gr. neuen testament überhaupt kein dual vorkommt. Wo wir
also im got. dualformen treffen, haben wir es mit grammatischen ab-
weichungen zu tun (belege bei G.L. §18711). Plural, obwol von
zweien die rede ist, findet sich Lc 11,48.49.
1) Mc. V, 5 beisst es sinteino nahtam jah dagam, Sui nuvrbg vvy.jog y.ul f)u^(>i(;.
2) Vgl. zu dem ganzen absatz G.L. § 246. 247. 249.
3) Ferner J. XVI, 33 aglons habaip, &Ui})iv fyjn. J. XIV, 27 ixtcara hairtona,
ifißp ^ y.uoSiu\ ebenso J. XII, 40. Mc. VI, 8 faurbaup im ei tvaiht ni nemeina in
icig . . . nih in gairdos aiz, fitj efg rrjv Ctiivw X^'^^öv. Lc. V, 6 tiatja dislinupnodedun
txe, SifooriyvvTo Si tu SIxtiov ultQv. J. XVII, 20 Jjairh uaurda ixe, cft« toü löyov
avzCji', aber auch Lc. XX, 20 ei gafaifaheina is tvaurde, 'Iva inikdßiovKci kvtov
Xöyov. Mc. IV, 6 unte ni habaida waurtins, Siu tö /xij i/tiv (ji'Cav. Lc. VIII, 25
vatnam, rc5 vSurt,. Lc. VI,23 in himinam^ fv laj ovouvgü. So wird auch Lc. IV, 21
yQtufri durch mela übersetzt.
4) Vgl. Bernhardt, anm.: „Vielleicht ist managehu zu lesen wie Lc. 111,7
und Mt. XI, 7."
5j Ferner heis.st es Lc. III, 8 akran wairpata, xnqnovg ukiovg, wo vielleicht
i^auh Mt. III, 8 geändert ist. Lc. XV, 15 haipjos seinaixos, lig lovg uyQovg avTov.
Mc. V, 26 allamma seinamma, t« tiiiq KUTfjg nciviu.
174 stolzknburct
C. Genus.
Selbstverständlich ist, dass der Gote sich durch das gr. nicht zu
abweichungen im genus der nomina bestimmen lässt. Zu erwähnen
ist aber, dass er bisweilen zum' natürlichen geschlecht übergeht (z. b.
Lc. 11,40 ip J)aia harn ivohs jah sivinpnoda ahmins fullnands, zö de
7caidiov 7fv'E.avEv 'Aal syigaiaiovco 7tvevf.iaTi 7tl7]QOvi.i£vov^).
Beziehen sich attribute im got. auf Wörter verschiedenen ge-
schlechts, so stehen sie auch gegen das gr. im neutrum (z. b. Mc. 111,31
jah qemiin pan aipei is jah hrojrrjus i's, jah ufa skoidandona insandl-
dedun du imma haitandona ina, wo gr. Iokütec. und '/.uXovvvEg, steht;
vgl. Lc. I, 6 11. ö.).
III. Der einzelne satz.
In der fügung des einzelnen satzes sind es vur allem Infinitiv
und participiura, bei deren widergabe der Gote vom gr. abweicht.
Gr. accusativ c. infinitivo pflegt der Gote, soweit er ihn nicht
nachbildet, mit dem dativ c. inf. widerzugeben (so nach ivaiipan
Mc, 11, 23 jah ivarp J)airhga(jgan imma, -/.al lyivExo TtaQa/coQsveo&ai
aviöv- vgl. noch Lc. YI,1.6, Lc. XVI, 22)2.
Statt des dat. c. inf. kann auch einfacher infinitiv eintreten
(z. b. Lc. I, 57 7}iel du bairan, 6 XQovog rov te/Mv avc/jv oder nach
sladan Lc. XV11,25 appan fampis skal manag gäpidan, iCQioiov öe dei
noXkä nad^Eiv aviovY.
Für grammatische, nicht für stilistische abweichungen möchte ich
es auch halten, wenn der Gote für gr. participium in bestimmten
fällen den infinitiv einsetzt nach gasaihan (Mc. XIll, 29 pan gasaihip
pata zvairßan, brav xavra l'dtjZE yEvoi-iEva. J. VI, 62 jabai nu gasaihip
siinu maus ussteigan, mv ovv d^EtoQfjie rov viov xov dvd^QcoTtov dva-
ßaivovTa). Andere fälle sind Lc. VII, 45 ni swaif bikukjan fotuns
1) Ebenso mit bezug auf barn Lc. I, 59, Lc. II, 27. 28. Mt. VIII, 31 po skoJisla
. . . qipandans, ol Satfxovsg . . . XiyovTtg, wo im gr. ein solcher Übergang nicht in
frage kam. Mt. IX, 33 hijje usdribans ivarp tmhulpo, ixßXr]0-^vTos rov &uiuoviov^
vgl. Bernhardts anm.
2) Aber auch sonst, z. b. Mc. X, 25 axetixo ist ulbandau . . . galeipan, ivxo-
nwreQÖv iari, y.äfxi]lov . . . ^ukü^ilv; ebenso Lc. XVIII, 25. Mc. X, 24 haiwa aglu
ist paim hugjandam . . . galeißcm, ndg &vaxo).6v iari, rovg nfnoiihÖTag . . . ffaik&itv.
Mc. IX,43 gop pus ist hamfainma in libain galeipan, y.alöv aoC iariv xiOlov tfg
ri]v C(OT]v eiaakO^iiv. Mc. IX, 5 und Lc. IX, 33 ist nicht zu entscheiden, ob dativ
oder accusativ c. inf. vorliegt.
3) Auffällig ist J. VII. 4 sokei/j sik uskiinpana tvisan, C^iieT (uirög iv TrnQQrjai'a
elvKi, wo gegen das gr. ein acc. c. inf. gesetzt ist, indem der Gute das reflexiv-
pronomen zum infinitiv gezogen hat.
niK ÜBKRSKTZUNRSTKCIINIK DKS WUl.FII.A 175
meinans, ov ddXucev •/.aiacpilovoa /.lOc Toi\: Ttodag. Mt. XX VII, 4^)
saüvnm qimaiii Ilclias iiasjdii itia, 1'öojf.ier el l'^yszai 'Hli'ag oioacov
avcöv, Lc. XIX, 48 licüiaida du haiisjcni iunna, lS.E'AQhncao avcov
Zweifeln kann man, ol) die iinigekelirton fälle, in denen got.
participiuni für gr. Infinitiv steht, unter die grammatischen ab-
weichimgen zu rechnen sind-'.
Zur bezeichnung der absieht steht im got. auch der inf. mit d/r,
wo im gr. der blosse Infinitiv vorliegt (G.L. § 254, 12).
Endlich ist noch an/.uführen J. VI, 35 pana gaggaudan du mis
ni huggreip jalt. pana galauhjaiidaii d,u mis 7ii pain'seip hanhun,
b IqyönivoQ rcQog /ne ov f.u) 7ceivdorj, xa/ u 7Ciötevmv elg. 01.18 od f.irj
duf'/joei 7cdjTore, wo der Gote unpersönlich construiert hat.
IV. Satzverbindungen.
Mourek sagt in seiner Syntax der mehrfachen sätze im got.,
Prag 1893: ,,In bezug auf die Verteilung der parataxis und hypotaxis
stimmt der got. rext im ganzen mit dem originale überein, indem bei-
geordnete Sätze treu wider durch beigeordnete, untergeordnete durch
untergeordnete übersetzt sind. Doch gibt es auch ziemlich zahlreiche
abweichungen."
Hier handelt es sich im wesentlichen um griech. infinitiv und
participium, die den Goten veranlassten, einfachen gr. satz durch
haupt- und nebensatz widerzugeben, während der umgekehrte fall,
dass der Gote ein gr. Satzgefüge in einen satz zusammenfasst, viel
seltener ist und zumeist auf stilistische motive zurückgehen dürfte.
1. Infinitiv.
In einer grossen zahl von fällen macht der Gote einen gr. ein-
fachen satz zu einem zusammengesetzten dadurch, dass er gr. inf. mit
praeposition in einen nebensatz verwandelt. Es sind zumeist rein
grammatische abweichungen, veranlasst durch den vom gr. abweichen-
den got. Sprachgebrauch.
1) Hierher gehört wol auch Mc. X, 46 blinda sat faur ivig du aihtron. jv<iX6i
ixHiyt]-to nuou jrjv öSov TiQooaiTCiv, ebeuso Lc. XVIII, 35; J. IX,8 dagegen steht
aihtronds.
2) Fälle wie Mc. IV, 9 saei hahai ausona hausjandona , og fx^i wiu ic/.ovtiv\
ebenso Mc. IV, 23, VII, IG, Lc. XIV, 35. Lc. VIII, 8 steht dagegen du hausjan.
Lc. I, 54 hleibida Israela piumagau seinamma, gamunands armahairteins , f^vrj-
a»^tu tk^ovg (vgl. zu diesem abschnitt G.L. § 254, I, 2 und Apelt, Genn. 19, 280
bis 297).
176 STOLKENBURO
a) gr. inf. mit £J' tw = got. temporal, nebensatz mit mippanei,
hipe oder m pammei^.
b) gr. inf. mit i^terä xb = got. temporal, nebensatz mit afar patei^.
c) gr. inf. mit Tiqiv, 7tQÖ rov = got. temporal, nebensatz mit faiir-
pixei '^.
d) gr. inf. mit diä tb = got. nebensatz mit unie, d?tj)e ei, in pizei^.
e) gr. inf. mit jtQoq xb = got. nebensatz mit du pamrnei^.
f) gr. inf. mit «g xb = got. nebensatz mit ei^.
So ist endlich auch üaxe mit acc. c. inf. durch einen got. neben-
satz mit sivaei, sivasive oder S2ve vertretend
Dagegen ist die gr. construction nachgebildet: Mt.VIII, 24, Mc. IV,1,
Lc. IX, 52.
Blosser Infinitiv wird häufig im got. in einen nebensatz ver-
wandelt, ein finaler Infinitiv in einen finalen nebensatz: Mc. VIII, 7 qap
ei atlagidedeina jah Jmns, eirtev TtaQavEd^fjvai Aal avtd^.
Um einen aussagesatz handelt es sich Lc. XX, 7 jah andhofun ei
ni wissedei?ia Jvapro, y.al d7TE/.Qidrjaar f.u) eldevai ftoS^ev und Lc. 1,73
aijns panei sivor . . . ei gebi tinsis, oqvmv ov cü/.iooei' . . . xov dovrai f]f.uv.
Wie schon wäre mit acc. c. inf. durch einen nebensatz vertreten war,
so auch der blosse acc. c. inf. (z. b. Lc. IX, 54 ivileixii, ei qipaima,
fon atgaggai, d^lXeig ti7tcoi.iEv 7c€q vMiaßfjvai oder J. XII, 18 hausidedun
ei gaiaividedi po taikn, ^xovaav xovio avrbv TttTtoirfAtvai xb ar^i^ieiov);
besonders aber der gr. Infinitiv passivi. Sehen wir von den fällen
mit praepositionen ab, die schon erwähnt sind, so bleiben noch folgende
1) Mt. XXVII, 12 j'nh mippanei wrohips was, xcu Iv tc!> y.uri]yoQtTa!)ia
ttvTÖv. (Weitere zahh'eiche beispiele für tnippanei s. G.L. Glossars. 71.) Lc. 111,21
bipe daupida alla managein, iv tc3 ßanTtaOfjvcii (inavTct tov Xc(6v\ so noch Lc.
XIX, 15; Mc. II, 15; Lc. IX, 51 in pammei usfullnodedun , iv tm av^TilrjQova&ai.
2) Mc. I, 14 afar patei atgibans tcarp Johannes, fAtTit rb naQu&oSfjvcu
TOV 'Icodvvrjv.
3) Z. b. Mt. VI, 8 faiirpixei jus bidjaip ina, ttqö tov iifußg ahfjaai. avröv.
4) Beispiele für nnte Mc. IV, 6, V,4, für dupe ei Lc. II, 4, für in pixei
Lc. VIII , 6 , XVIII , 5 , Mc. I V, 5.
5) Lc. XVIII, 1 d II /ja mm ei sinieino skulun, ngui t6 &fiv 7iüvtot(.
6) Lc. XX, 20 ei gafaifaheina is ivaurde jah atgebeina ina reikja, i'va ini-
käßojvTta uvtoD Xöyov 8fg rö nuQaSovvni nvTov Trj uoy^ , indem der Gote an den
ersten fioalsatz den zweiten copulativ mit jah, aaschliesst.
7) Beispiele bei Apelt, Germ. 19, 290. Die conjunction ei steht Mt. XXVII, 1
ei afdanpidedeina , ügts &avKTüiaav kvtov.
8) Ebenso Lc. V,7 bandtvidedun gamanam . . . ei atiddjedeina hilpan ixe, xuTi-
vevauv ToTg fifTÖ^oig . . . tov iXd^üviag avXXußtaü^ca fWTotg, indem ausserdem noch
im got. das participium zum hauptverb gemacht worden ist. (Stilistische abweichung.)
DIE i'BKRSKTZUNGSTECHNIK DüS WULFILA 177
beispiele: Lc. XV, 19 wairps ei haitaidau sunus peius, a^iog /.hjOfji'on
vwg (70V. Mc. X,38 magutsii drigglmn stikl . . . jah dauiieinai . . . ei
da?tpjaindau, övvao^e nifiv tu ycoi/^gior . . . y.cd ib ßa7cri(Tf.ia . . .
ßa/TTiod^fjrai. J. III, 4 ihai nuig . . . galeij)ati jag gahairaidau, (.ii)
dvvaiai . . . «tatA^fi/»' /.al yEvvrjOTjvai '.
Wird mm umgekehrt ein gr. satzg-efiige im got. durch einen
Infinitiv gegeben, so haben wir hierin jedesfalls eine stilistische ab-
weichung zu sehen. Allein ein bestimmter fall tritt mit solcher regel-
mässigkeit auf und betrifft eine so eigentümlich gr construction, dass
wol eine rein grammatische abweichung zu statuieren ist. Es ist
der fall, wo im gr. zwei imperative asyndetisch nebeneinander stehen,
und der Gote das asjndeton dadurch beseitigt, dass er den einen im-
perativ in einen Infinitiv verwandelt: J. IX, 11 gagg afpwahnn, v/taye
viij'ai ; ebenso J. IX, 7. Mt. V, 24 gagg . . . gasihjon, vuaye . . . diaXlayr^d^i.
Mo. 1^,44: gagg Jmk silban ataugjmi, i'/tays aeavibv del^ov. Mc. X,21
hiri laistjan, öevgo aKoXovd^ei-.
2. Participium.
Eine der häufigsten erscheinungen ist es, dass der Göte ein gr.
participium in einen relativsatz verwandelt (z. b. J. V, 45 ist saei
icruh/da izivis Moses., toiiv 6 v.axiqyoQÜJV v(.itdv Mcoofjg oder Lc. IX, 17
ja!/ ushafan ivarp) patei aflifnoda im, -Kai /y^i^ry lö j-cEQioaevoar avToJg)'^.
Für grammatische abweichungen halte ich es auch, wenn der Gote
die eigentümlich substantivierten praepositionalen ausdrücke mit
artikel in einen relativsatz verwandelt: Lc. V, 7 gamanam poei tvesun
in anparama skipa , zolg /.isröxotg zolg h' xw ezfQU) ttIoiuk Lc. XVII, 31
jah saei ana haipjai, '/.al 6 Iv tw dygü. Lc. IX, 61 paim, paiei sind
in garda meinamma.^ xolg slg röv oIaop [.lov^.
1) So scheint mir auch Lc XVII, 25 nur eine grammatische abweichung vor-
zuh'egen, durch die der Gote den infinitiv passivi widergeben wollte: appan faurpis
skal manag gapulan jah uskiusada , tiqüitov St Sil nolXu tiu'HTv (fVTov xcd anoSoxi-
(laa&Tjvcu:
2) Ebenso Lc. XVIII, 22. Allerdings findet sich Mt. VIII, 4. IX, 13; Mc. X, 21
auch die gr. con.struction nachgeahmt; Mt-. XXVII, 6.5 das asyndeton beseitigt.
3) Lc. XVIII, 9 qap) Jjan du sumaini, Jjaiei silbans trauaidedun sis, tlntv Sh
nooi Tivag rovg TKnoiOörag i'f' tccvroTg. J. VIII, 16 ak ik jah saei sandida mik
atta., fUA' iyu) xul u nt'fxxpug ut nart]Q. Mt. V, 32 haxuh saei afletip, nag 6 u7ioXvü)v.
Die vielen einzelnen fälle hier aufzuführen, ist nicht erforderlich. Sie finden sich
gesammelt bei Gering, Zeitschr. 5, 313. 317fgg.
4) Hierher gehören auch fälle wie J. IX, 13 ina . . ., pana saei uas hlinds,
ttVTov . . . TÖv 7ioTt Ti(fXöv. Mt. X,32. 33 attins meinis, saei in himinaiii ist, toD
nuTnüg /xov toD Iv oviiavoTg. Lc. XVI, 10 saei triggtvs ist in leitilamma, 6 niarog
(v ÜM/taio). Lc. 11,24 swasive qipan ist, xarä xo efQrj^e'vov. Man kann jedoch im
ZEITSCHRIFT F. DEUTSCHE PHILOLOGIE. BD. XXXVII. 12
1 78 STOLZKNBUR&
Eine besondere besprechung verlangt der gr. genitivus absolutiis,
da er im got. die allermannigfachsten übersetzAingen erfahren hat^
Es findet sich nämlich als entsprechung im gotischen:
a) ein dativ, der als apposition zum dativobject des haupt-
satzes steht;- oder ein accusativ in derselben eigenschaft^.
b) dativiis absolutus'^.
c) dativus absolutus mit at^.
d) nominativus absolutus^.
e) genitivus absolutus ''.
f) acciisativus absolutus*.
einzelnen fall schwanken, ob nicht stilistische gründe die abweichiing bewirkt haben,
so dass fälle, die von den hier erwähnten nicht weit abweichen, unter den stili-
stischen abweichungen aufgeführt sind.
1) Vgl. Gering, Zeitschr. 5, 403 fgg. und 0. Lücke, Absolute participia im got.
Götting. Diss. 1876.
2) Z. b. Mt. XXVII, 17 gaqumanaim pan im, qaß im Peüatus, avvrjyfAe'vojv
ovf avTwv slnfv avTotg ö TJ. (Belege Zeitschr. 5, 403).
3) Mo. V, 18 y«/c inngaygandan ina in skip hap ina, xuC ifißca'vovTog ccvtoD
ifg To TiXoi'ov nct()t>;c(Xfe, ccvtöv. Lc. XV, 20 nauhpamih pan fairra wisandan gasah
ina atta, m St ctvToD fxay.ouv nni)(^ovTOi, Mav avTov 6 ttutijq, wo der ganze acc.
von denn hauptverb abhängt, da das pronomen nur einmal gesetzt ist.
4) Z. b. Mc. V, 35 nauhpamih imma rodjandin qemun fram panima syna-
gogafada, hi uvtoC kaXovvrog fo)(ovrtu änb tov oLQ/iavvaycjyoi'. Lc. III, 1 liegt
wol got. dativ der zeit vor. (Belege Zeitschr. ö , 404.)
5) Z.b. Lc.XX, 1 at laisjandin imma po managein in alh jah tvailamerjandin,
atstopun pai gudjans , Si,Säoy.ovTog uvioü tov labv iv tw ieo<i> y.ul tvayythCoutvov ,
iniaTijaav ot ItQeTg. (Belege bei Grimm IV, 1083 n. a. und Zeitschr. 5, 405.)
6) Mc VI, 21 jah waurpans dags gatils, pan Herodis . . . nahfamat iraurhta,
x(d yfvofA.£vr]g ri/j.fQKg avy.aiQOv , OTf 'IlQCü&rjg . . . Stlnvov inoi'ei.
7) Mc. XVI, 1 jah imvisandins sabhate dagis Matja so Magdahne jah Marja
so lakobis jah Salome usbauhteditn aromaia, yai dutytvo^tvov tov aaßßi'aov
MetQi'a . . . riyÖQuaav ccqw^uutk. Grimm und) G.L. setzen hier temporalen genitiv
an, da dagis auch sonst z.b. Mc. XVI, 2 temporal steht und ein absoluter genitiv sich im
got. sonst nirgends findet. Dieser auffassung schliesst sich auch Bernh. an (vgl. anm.).
8) Mt. VI, 3 ip pnk tanjandan arinaion, ni tviti hleidumei peina, aov dt
jioioDvTog iltrj/j.oaL'VTjv fxrj ypwTco rj tcQtOTeQÜ aov. Mc. VI, 22 jah atgaggandein inn
dauhtar Herodiadins jah plinsjandein jah galeikandein Heroda jah paim viip-
anakumbjandam , qap piudans du pixai maujai, xkI iicuX&ovarjg Trjg x)vyaT()ug . . .
ilntv ö ßuatXfvg tm y.oQuaio). Gering (Zeitschr. 5, 397) lässt Mt. (5tS puk taujandan
von u'iti abhängen; ebenso Köhler. Mc. VI, 22 ist von Uppström dauhtar in dauli.tr
geändert und so ein dat. absolutus liei'gestellt worden. Dieser conjectur schliessen
sich Gering, Heyne und Köhler an (vgl. Zeitschr. 5, 406). Als accusativ der zeit
wird gewöhnlich aufgefasst Mt. XXVII, 1 at maurgin pan ivaurjjanana runa ne)rmn
allai gudjans, nQonag St ytvo^utviqg av^ußovhov tXaßov nuvTtg ol ««/«^(«rf ; vgl.
G.L §247 anm. 4, Zeitschr. 5, 407 und Bernh. anm.
DIE ÜBERSETZÜNGSTECHNIK DES WULFILA 179
g) temporaler nebensatz^
Ob man in dieser mannigtaltigkeit nur den bald mehr bald weniger
gelungenen versuch sehen soll, die dem Goten fremde construction wider-
/Aigeben, wie 0. Lücke es in seiner Diss. s. 38 getan hat, oder mit
Winkler (Got. casnssyntax I, s. 137) besondere feinheiten des Über-
setzers, ist nicht zu entscheiden-.
V. Wortstellung.
Es ist allgemein bekannt und zugegeben, wie genau der Gote sich
in der Wortstellung an den gr. text angeschlossen hat. Dennoch
lassen sich einige regelmässig auftretende abweichungen verzeichnen.
1. Subject.
Die im gr. ziemlich häufige Stellung des subjects hinter dem
praedicat wird im gotischen oft vermieden (z. b. Lc. VI,3 ivipra ins
lesus qnj), rtQÖg avvovg eijiev 6 ^lrjaovQ\ ebenso für euvev 6 ^[rjoovg
lesus qoj): Lc. IV, 8 J.VI,10)3.
In anderm Zusammenhang steht diese abweichung Lc. V, 6 sire
natja diskmipnodedim ize, öiEQQt'jyrvTO de tö ör/.zvov aviCJv. Lc. III, 23
sivaei siinus munds ivas losefis, tüv wg hvoj^iiCevo vibg ^hoai'icp. Lc.
VIII, 38 pos unhidpoiis usiddjedun, s^eX7]lv d-ei xa dai^iövia. J. XVI, 19
ip lesus ivissiih, tyvio oiv 6 'b]Oovg. ^Mc. 1,42 pata Jyrutsfill aflaip af
imma, d/tfjXS-ev d/t^ avrov t) ItJtqa*.
1) Z. b. Mt. IX, 10 biße is anakuuibida in garda, avroD (tvaxfiuivov Iv n*
olxhi. (Belege Zeitschr. 5, 407 fg.).
2) Doch meine ich, dass es Winkler nicht gelungen ist, die Schlussfolgerungen
Lückes zu widerlegen. Lücke stellt (s. 32) zunächst fest, dass sich die constructionen
mit at von denen ohne at nicht unterscheiden. Auch sei es nicht gelungen, die rein
absoluten constructionen in ihrer mannigfaltigkeit zu begründen S. 33 fährt er dann
fort: „Dazu kommt, dass der Gote einerseits niemals eine absohite structur selb-
ständig gebraucht, ohne dass sein original ihn deckte, dass er aber andrerseits die
gr. absolute structur vielfach umschreibt oder umgeht. — Irgend ein gruud muss doch
nun aber vorliegen, warum der Gote, wäiirond er bei nicht absoluter construction
im griechischen so consequent dem texte der vorläge folgt, die absoluten casus des
Originals willkürlich bald ändert, bald beibehält. Ich komme aus dieser klemme nicht
anders heraus, als durch die annähme, dass Vulfila im falle der änderung seiner
spräche zu liebe die treue anlehnung an sein original aufgab, während im andern
falle die scheue ehrfurcht vor demselben doch den sieg behielt."
3) Ähnlich J. XIV, 8 ip Filippus qapuh du imma, Xiy(t avrcp ^'t'hnnos.
.1. XIII, 37 Jjariüi Paitrus qaj) du i)n))ia, l^yn avToö ITiToog. Auffällig ist, dass es
sich in den angeführten fällen gerade um einleitungen der directen rede handelt,
die auch sonst eine besondere Stellung einzunehmen scheinen (vgl. s. 18G anm.).
4) In einigen fällen haben wir auch das umgekehrte, dass im got. gegen das
gr. Inversion vorliegt. Doch handelt es sich hier wol um stilistische motive.
12*
180 STOLZENBURG
2. Object.
Abweichend vom gr. stellt der Gote das object vor das prae-
dicat: J. V, 46 Mose galaubidedeip> ETtiarevere Miooei. Mc. VI, 5 han-
duns gnlagjands , hcid^dg rag, ydQag. Mc. XV, 15 Ies?i atgaf, -jcaQt-
Stoyiev töv ^ItjGovvK
3. Formwörter^.
a) Pronomina.
Das possesivpronomen steht im got. oft gegen das gr. nach
seinem Substantiv: Mt. VI, 17 salbo hauhip pein, äXeixliai oov Tt]v
■/.ecpalyv u. ö. (vgl. Koppitz, Zeitschr. 32, 444(5)^. So stehen auch is,
ixos, ixe, ixo abweichend vom gr. nach ihrem regens (vgl. Zeitschr. 32, 446).
Näher an das regens herangerückt als im gr. ist ixe Lc. IX, 46 pala
harjis pau ixe maists ivesi, tö zig av Eiiq /.lelCwr ccöitov. Auffällig ist
danach die Stellung von ixivara Lc. XIV, 28 ixwara Jvas raihiis, ri'g
yccQ i^ vf.Hov, zumal sonst das fragepronomen immer an der spitze des
Satzes steht.
Das demonstrativpronomen sa, so, pata finden wir auch gegen
das gr. vor seinem beziehungswort (vgl. Zeitschr. 32, 446).
Auch die Stellung von jains, sama und silba ist im got. ziemlich
unabhängig vom gr. text (vgl. Zeitschr. 32, 448 — 51).
Ebenso die Stellung der pronomina indefinita: J. IX, 16 sitmai
pixe Fareisaie, i/i tojv Oagioaicov rivag. Lc. VIII, 39 and haurg alla,
yiad-^ oXr]v trjv Ttoliv. Mc. XIV, 53 anhumistans gudjmis allai, jcdvieg
o\ dQxiSQslg u. a.
Das subjectpronomen steht bisweilen abweichend vom gr. hinter
dem verbum: J. VIII, 53 hatia puk silban taujis Jni, riva aeavTÖv
ab TtoiBig, ebenso J. VIII, 58, XVIII, 26, Ferner J. VI, 46 ni patei
attan seJvi Jvas^ ov% bxi zöv Tcariqa xig etoQay.Ev. Mt. IX, 32 bijje nt
1) Hier sei auch Mc. XV, 17 erwähnt, eine stelle, die wol wegen der eigen-
tümlich gr. structur im got. eine abweichung hervorgerufen hat: jah atlagidedun ana
ina paurneina wipja Kswindandans, acd naQiTti'^i'aaiv «troJ nXeiuvTig ("cyävOivov
m^ifavov. In der stelle Mc. 111,2 jah tvitaidedun imma, hailidediu sahhnto daga,
xid 7TC(Q(Tr]QovvTo uvtöv , i! roTg oäßßaaiv O^eQctntvait, ist die änderung der Wort-
stellung im got. durch das angehängte -u veranlasst.
2) Um alle abweichungen in der -Wortstellung zusammenzufassen, ist die Stellung
der formwörter, über die im übrigen cap. II (s. 183) zu vergleichen ist, hier behandelt
■worden. "Was dort von den formwörtern im allgemeinen gesagt wird, ist auch bei
diesen abweichungen in betracht zu ziehen.
3) Die Statistiken in der arbeit von Koppitz sind so vollständig, dass ein ver-
weis auf sie auch im folgenden meist genügt.
DIE ÜUERSETZÜNGSTECHNIK I)ES "WULFILA. 181
iisiddjedun eis, avciov di i^eQxoi-iivwi: J. VI, 7 pei nimai harjixnh
Icitil, 'iva i-yMOiog ßqccxv ti ^ccßij, wo man auch aimehmen kann, dass
}iimai seine Stellung geändert hat. In participialconstructionen findet
sich Umstellung von verb und pronomen ebenfalls: Mo. XIV, 58 qipan-
dan hia, avtov l^.yovcog. Lc. VII, 6 ni fairra ivisand'm imma avvoC
ov fiaz-gth' d/ceyorvog.
Got subjectpronomen steht gegen das gr. ^ vor dem verb um:
J.XVIII,25 ip IS nfaiaik, ijQvt'joaio ovv i/ie7rog. J. XI, 4 ij) is galiarisjands
qap, a./.ovoag di u 'lijoovg d/csv. Mc. 11, 15 bipe is anakunibida, h xu)
vMvct/.eiod^ai avcov. Lc.IX,13 tveis gaggandans, ^coQSvd-svieg rji.istg.
Das übjectpronomen steht oft abvs^eichend vom gr. hinter dem
verbum: Mt. V, 25 ibal htm atgibai pnk sa midastmia stauin, ^it)rcoiE
ae 7taQad(7) ö dvvidi/.og rw /.Qiffj-. Nicht selten findet sich auch das
objectpronomen gegen das gr. vor dem verbum: Lc. I, 22 du im
rodjan, ?^alfjOai aviolg'^.
Noch zu erwähnen bleiben zwei fälle von präpositionalen
casus: J. XIX, 6 iJ) ilc fairina in imma ni bigita^ tyCo ydg ovx £VQi07.o}
iv avrcTj aiviav. Lc. XV, 17 qimands J)an in sis, elg tavzbv ös il&wv.
Pronomina, die im gr. zusammenstehen, werden im got. bisweilen
getrennt: ,1. XVIII, 26 puk sah ilc, iyco os slSov. J. XVni,22 ip pata
qipandin imma, ravia di aviov ehioviog. J. XVII, 6 mis atgaft ins,
if.Wi avTOvg tdioKag. J. VIII, 51^ silban iaujis pu, oeavTov ab jcoieig.
Lc. VIII, 30 Iva ist namo pein, il ooi ioiiv orof-ia"^.
In anderen fällen zeigt sich eine neigung des Goten, das pro-
nomen näher an das verbum zu ziehen: Lc. 11,44 hugjandona in
gasinpjam ina wisan, vof-iiaavveg öi avibv iv xfj ovvodia eivai. Lc. 1, 14
umrjrip piis faheds, torai xccQo: ooi. Mc. XIV, 44 gaf . . . im bandtvon.
ÖEdioy.eL . . . Gvaorji.iov adioig.
Bisweilen ist die negation dergrund zur Veränderung der Stellung:
J. XV, 24 anjja?' ainshun ni gataivida^ ovöetg ällog S7Voii]GEv.
Lc. VIII, 51 ni fralailot ainohnn inngaggan^ ovv. dfffj/.£v elaeld-eiv
ovdiva. Lc. X V, 1 6 y«// manna imma ni gaf, /mI ovöeig idiöov avccp.
Mc. XVI,8 7ii qepun mannhim ivaiht, ovöerl ovdiv elrcor.
1) Unter der Voraussetzung, dass die betreffenden codd. die got. vorläge bildeten!
2) Die fälle .sind recht zahlreich: Mt. VI, 24. IX, 18; Lc. VIII, 28, X, 16,
XIV, 12. XIX, 48; Mc. 11,8, V1II,27, IX, 18, X,49, XII,5, XIV,65; J. XII,4, XVIII,30.
3) Vgl. ferner J. XII, 0, XIII, 38, XIV, 15, XVI, 25; Lc. IV, 11, XX, 8;
Mc.VII,:, VIII, 2. 26.
4) Auch kommt es vor, dass sie im got. nur den platz tauschen: Lc. VII, 36
baß pan itui sums, fjQo'na ^t rtg uvtui'. .). XVI, 3U ßiik Ivas fraihnai, n'g ae ^^wr«.
182 STOLZENBÜRG
Die Verwandlung des gr. participiums oder Infinitivs in einen
nebensatz hat die änderung in der Stellung bewirkt: J. XI,33 ludaiuns
paiei qemun mip ixai gretandcmSy zovg avvsXd^övtag avrfj ^lovdaiovg
•/.lalovrag. J. XVII, 5 paiiei hahaida at pus, faurpixei sa fairJviis ivesi,
j] eiyßv 7CQb rov tov ■aöouov drai ycaQo. ooi.
b) Partikeln.
Es bleibt besonders auch bei diesen abweichungen stets zu berück-
sichtigen, dass wir die vorläge des Goten nicht kennen, sondern nur
annähernd zu reconstruieren vermögen: J. VII, 51 nihai faurpis hauseip
fram imma, edv /.irj dyiovot] 7t(xq' avrov tiqÖteqov. Mc. I, 19 jah jain-
pro inngaggands framis, y.al 7tQoßdg e/.eid^ev. J. XI, 17 jupan fidivor
dagans, veoaaqag ^f-ii^ag Vjdrj. Mt. tX, 27 lesua jainpro, i/.eid^€v tö
^Irjaov. Mt. IX, 33 swa uskiinp tvas , ecpürrj ovtiog. Mc. XV, 12 aftra
andhafjands , aftoy-gid-elg Ttaliv.
Über die Stellung der conjunctionen im got, die häufig vom
gr. abweicht, vgl. Eoppitz, Zeitschr. 33, 25 — 44. Die wichtigsten fälle
sind: Gegen das gr. an erster stelle steht aippau, ak (J. XVI, 27),
allis (Mc. XII, 25), appmi, aiik (J. IX,30), ip, jah, swepcmh (Mc. X, 39),
panuh, paruh, unte. Gegen das gr. an zweiter stelle steht pan, pcm
(J. VIII, 19), -uh. Gegen das gr. an dritter stelle steht auk, raihtis,
pmi, nu (bei negationen). Gegen das gr. an vierter stelle steht nu
(Lc. XX, 33).
Andere abweichungen in der Stellung treten besonders da ein, wo
im got. zwei partikeln zusammentrefl'en: ip hipe, oze dt (Mc. IV, 10);
ip jabai, edv ovv\ nu jahai, tdv ydo^ jah jabai, el /.al. J. XVIII, 7
paproh pan ins aftra, Tvdliv ovv adzovg. J. XVI, 16 leüil naiih jah ni,
fiii/iQÖv Aal ov/Jzi u. ö.
c) Negation.
Die Stellung der uegation im got. weicht darin häufig von der gr.
ab, dass die negation enger an das praedicat gezogen wird: Mc. 1,45
sivaswe is jupan ni mahta, üavs (.irj/iicL avcbv dvvaad^ai^.
Besonders zu beachten ist auch die Stellung der negation bei
hashun, mannahim u. a , wo die gr. vorläge stärker eingewirkt hat
(Zeitschr. 33, 16fg.)2.
1) Eine genaue aufstellimg aller abweichungen vom gr. toxt in dieser beziehung
findet sich Zeitschr. 33, 12fgg.
2) Lc. VIII, 12 ist durch die Stellung der negation beim verbuni ein ganz
falscher sinn herausgekommen: ei, galatibjandans ni ganisaina^ Xvn fxrj ntarfv-
ottvTig o(oi)G}atv. Vielleicht um die negation besonders hervorzuheben, ist sie J. XIV, 22
umgestellt: ip pixai manasedai ni, xtü ov^l to3 xöofiq).
\\
DIK ÜBERSETZUNüSTKCHNIK DES WULFILA 183
d) Verbum substantivuni.
Häufig steht im got das verbum substantivum gegen das gr. vor
dorn subject oder praedicatsnomen, z. b. Mc. 11,19 und patei mip im
ist bnipfaps, Iv o) u vri.icpiog f.iec' avTiöv sotiv. Mc. XIII, 28 neba ist
asans, t^yyvc: lö ^<^qoij; :ailv. Lc. X, 7 ivairps at<k ist ivaurstivja mix-
dons seinaixos, u'ito^ yaQ ö ^Qyaciqg lov /.(lad^ov arioü eoriv. Lc. XVIII, 3
tvasitp pan jah widutvo, XVQ^ ^'^^ ']''• Lc. IX, 18 qijmnd wisan Pos
mariageins, "ktyovaiv oJ oy}.oi eivai. Lc. XIX, 17 in leitilamma ivast
trigyivs, tv slaxiGno Ttioiög tytvov. Mc.YIl^ 4 ist manag, rcolld toziv.
Vorgestellt ist das verbum subst. : Lc. IX, 48 nute sa minnista
wisands in allaim i.)tv/s, 6 yaQ f.nAQ6TEQ0Q h> 7cdaiv vf-uv vtcccqxcov^.
In einigen fällen steht auch das verbum subst. im got. hinter
dem subject oder pi'aedicatsnomen: Mc.Xll^Sl imnia simi(s ist, loxiv
viög aviov. J. XVIII, 25 ip Seimon Paitrus was, -/jv de ^i'f,t(ov THxqoq.
Lc. VIII, 11 appan pata ist, eoiiv ds avvtj. Lc. II, 25 ahrna iveihs tvas,
7tvEvi.ia fjv äyiov. Lc. VI, 47 galeiks ist, iaziv b^oiog^.
Capitel IL
Schwank iingen der Übersetzung' im gebrauch der fornnvörter.
Eine besondere Stellung nehmen in der Übersetzungstechnik natur-
gemäss die form Wörter ein (artikel, pronomina, partikeln). Sie stellen
das gebiet dar, auf dem sich abweichungen auch bei der treusten Über-
setzung ergeben müssen, so dass es kaum möglich ist zu entscheiden,
in welchen fällen stilistische motive gewirkt haben. Dazu kommt noch,
dass wir nie mit Sicherheit die gr. vorläge des Goten in diesem punkt
bestimmen können. Fr. Kauffmann sagt in seinen Beiträgen zur quellen-
kritik der got. bibelübersetzung, Zschr. 31, 187: „Für jede bibelhandschrift
muss ein gewisser Spielraum gelassen werden im gebrauch der form-
wörter (artikel, pronomina. partikeln). Es ist unmöglich, eine feste richt-
schnur des usus zu finden; es ist also unbillig, an, die gotische fassung
strengere anforderungen zu stellen wie an die übiigen bibeltexte. Man
wird im allgemeinen ohne weiteres voraussetzen dürfen, dass dem Über-
setzer der ihm eigene bestand von seiner unmittelbaren griechischen
vorläge geliefert worden ist."
Lateinischer einfluss und der von parallelstcllen wird gewiss auch oft
anzusetzen sein, doch lässt sich hierüber schwer bestimmtes ausmaciien.
1) Violleicht nicht um Umstellung des verbum subst., sondern dos pronomons
liandclt OS sich J. X1I,2 ivas sums, tlg »;i'. Lc. XVIII, 2 staua was sums, y.Qui}^
2) Vorlesen ist der gr. text Mc. XIII, 29 sijnp, faiw (gcles. faii).
184 STOLZKNBURG
1. Artikel.
Der got. arfikel ist viel seltener als der gr. Eine Sammlung der
stellen, an denen im got. gegen das gr. kein artikel steht, findet sich
bei Eckhardt, Über die syutax des got. relativpronomens, Diss., Halle
1875, s. 45fgg. Vgl. im übrigen Bernhardt, Der artikel im got., Progr.,
Erfurt 1874.
Im allgemeinen erhält (z. b. bei einer Verbindung von nomen und
attribut) im got. nur das attribut den artikel, während im gr. der artikel
auch vor das nomen gesetzt wird; vgl. Gering, Zeitschr. 5, 311 ^
Got, sa übersetzt demgemäss gr. avrög—6, ö — aviög, 6 — e/M-
vog, EAeivog — 6; vgl. Schulze, Glossar s. 355 und 356.
Nur in ganz wenigen fällen steht im got. der artikel gegen das
gr.: hclll, 14: frehun J)a}i ina jah pai militondans qipcmdans, STcrjqdj-
Tiüv di aviöv xal aiQatEc6f.i£voi leyovreg, um das participium zu sub-
stantivieren. Lc. XX,20 insamlidedun ferjans paus us Uuieiri taikiijan-
dans sik garaihtans iviscui, d/ceoieilav tyy.ad-eiovg v/co'/iQivof.iivovg kav-
Tovg öiYMiovg dvai, wo das nachfolgende attribut im got. gewohnheits-
mässig den artikel erhält. Mc. I, 7 q/'inip sivinpoxa mis sa afar mis,
eQxezai 6 loxvQÖveQog f^iov orcioco ^lov-.
Sonst ist noch an abweichungen in bezug auf den artikel zu er-
wähnen, dass im got. attribute, die einer person in der directen anrede
beigelegt werden, durch das persönliche pronomen, im gr. durch
den artikel angefügt werden; z. b. Lc. VI, 25 ivai ixivis jus sadans nu,
oval vf.iiv dl 8}.i7te7iXrjOuivoi. Lc. VI, 20. 21 aiidagai jus unledans,
(.la/MQLOL o\ rcvioxoi, audagai jus gredagans , f.iaA,(XQLOL ol Tieivcoweg,
aiidagai jus gretandafis , (.iay.äQiOi o\ xlai'ovreg. Lc. X, 15 jah pu K.
pu U7id himiu ushauhido, xal ab K. fj tiog rov oögavoü vif.iiü&eiaa.
Mt. VI, 9 atta unsar pu in himinam, /tdveQ vf-iüv ö hv lolg ovQavoig.
2. Pronomina.
a) Personalpronomina.
aa) Gegen das gr. zugesetzt.
Besonders das Personalpronomen als subject findet sich im got.
zugesetzt. Für die erste und zweite person sind es folgende stellen:
ik zugesetzt: Mc. I, 7, XII, 36; Lc. III, 16, VI, 42, XIX, 13, XX, 43;
1) Ausnahmen kommen auch hier vor, z. b. Mc. III, 3 jah qap du pamma
mann pamma gapaur Sana habandin handu, xcü Xiyn riß dvd-Qwnq) tgj lit]()c<f4i^t'vt]v
f/ovji Ttjv /ji^Qu; SO noch Lc. IV, 22; J. VI, 27 u. ö.
2) Die abweichung im got. ist vielleicht durch Mt. III, 11 6 dt ottiow juou
i(j/6fAivos oder J. I, 27 6 dnt'aoj [.lov iQ/ö^tvog hervorgerufen; vgl. ßernh. anm.
IHK ÜüERSKTZUNGSTECIINllC DES WöLFlLA 185
J. IX, 11. 25, XIII, 20. 34, XIY, 28. 31, XV, 12. 15, XVI, 16. pu
zugesetzt: Mc. I, 24; J. XIII, 38 (wo Wulfila für gr. ov vielleicht av las),
J. XVI, 30. weis zugesetzt: Mc. XIV, 63; J. XVIII, 30. jus zugesetzt:
Mt. XXV, 41; Lc. X, 23, XVII, 6; J. XIV, 28.
Weit häufiger ist es, dass der Gote das personalpronomen der
dritten person einführt; vgl. G.L. § 199b.
Oft kommt es aber auch vor, dass das personalpronomen als ob-
ject (im weitereu sinne) zugesetzt ist^ ixe findet sich gegen das gr.:
J. XVI, 4; Mc.V, 37.
bb) Gegen das gr. fortgelassen.
Hier handelt es sich um weit Aveniger fälle.
Als subject ist das personalpronomen in folgenden fällen fort-
gelassen: f;w Lc. XIX, 23; J. XIII, 14; i^ielq J.VIII, 46; aviög Lc.
XIX, 2.
Ausserdem pflegt der Gote die phrase 6 dt eIttev durch paruJi qap
widerzugeben: Mc. X, 20, XVI, 6; Lc. III, 13, A^ll, 30. 52, X, 26,
XIV, 16, XV, 31 , XVI, 6. Dagegen J. VI, 20 paruh is qap, 6 ös Xsyei.
In participialconstructionen fehlt das personalpronomen Lc.
A^n,42 7ii habcüidcnn pan, j^iij ty6vvu)v ök avvcov (sonst wird avziov durch
im gegeben) und Lc. XV, 20 fairra ivisandan gasaJv ina atta, avzov
ua/.odv d/iiyorTog l'öev avibv 6 jraTrjQ, da hier im got. eine andere
construction gewählt ist.
Als object bleibt das personalpronomen häufiger fort, doch nur
in der dritten person: avvo) Mt. IX, 14; J. VI, 8, IX, 26, XIII, 36. 38,
XVI, 29, XVin, 23; Lc. XIV, 18; Mc. XI, 7. ahfi J. XI, 25. avrdv
Mc. 1,40, X, 17, XIV, 44. aviö Lc.IX, 47. al>colg Mc. X, 3; J.VI,20,
VII, 16, X, 25; Lc. III, 11. aviovg Mc. X, 6-'.
Selbstverständlich ist, dass der Gote, wenn er gr. unpersönliche
verba durch persönliche oder infinitivconstructionen durch verba finita
übersetzt, die im gr. stehenden personalpronomina nicht besonders durch
got. widergibt; vgl. G.L. § 199 anm. 3.
1) Da diese fälle bei G.L. triebt gesammelt sind, finden sie sich hier zu-
sammengestellt. Für die erste und zweite person sind es folgende: mik Lc. FV, 7-,
J. XV, 24. mis Lc. VII, 44, XV, 12. ßits Lc. VII, 48. unsis Mc. X, 4. Für die
dritte person sind die fälle sehr zahlreich: ivima Lc. V, 14, VII, 11, XVIII, 40; Mc.
VII, 28, XIV, 47; J. IX, ü. ina Mc. XII, 1, XV, 31; Lc. VI, 16. im Mc. X, 29;
Lc. IV, 41. ins Lc. VII, 19. du imma Lc.IX, 12. 13. du im Lc. IX, 55. ana
im J. VII, 39.
2) Nach Kaufifmann (Zeitschr. 31 , 189) ist zu lesen: J. VI, 15 jali wilwan ina,
y.ui iitmiiCtiv uvTÖr. ,T. VII, 12 jali birodeinti mikila was bi ina, y.iu yoyyvcsfMos
nokug fiv TifQi uiiioO.
186 STOLZKNBUKG
Fortgelassen ist das gr. Personalpronomen im genitiv Mt. IX, 16;
J. XVI, 17 (arröP); Mc. VII, 25 {avifjg)\
cc) Pronomen reciprocum, sama und silba.
Gr. fcauoC gibt der Gote an verschiedenen stellen durch das pro-
uomen reciprocum ^^'.s- misso); z. b. Mc. I, 27 sivaei solädediui mip sis
misso qipandmis , wove avv'Cr^relv jcqöq taurobg liyovzag; so noch Mc.
IX, 10, XI, 31, XVI, 3; J.VII, 35, XII, 19. Vgl. G.L. § 200, anm. 7.
Mt. XI, 16 wird /mI rcQüOcpiorovOL Tolg ezfQoig gegeben durch anpar
anpa[rana].
Während das gr. reflexivum eavxov gewöhnlich durch das got.
Personalpronomen verbunden mit silba übersetzt wird, ist an einigen
stellen silba fortgelassen: Lc. XVI, 9, XVII, 14; J. XII, 8. 32; vgl. G.L.
§ 200 anm. 6.
Sama übersetzt auch gr. sig, z. b. Lc. XVII, 34 ana ligra saviin,
hcl Tilivyg i-iiäg, ebenso Mc. X, 8 (vgl. G.L. § 198 anm. 2b).
b) Relativ- und demonstrativpronomina.
aa) Gegen das gr. zugesetzt.
Wenn adverbiale ausdrücke und participien mit artikel im got.
durch relativsätze widergegeben werden, so tritt gegen das gr. oft das
demonstrativpronoraen sa vor den relativsatz (z. b. Mc. V, 15 pana
saei habaida, xbv la%rj'A6ia. Lc. IX, 61 Jmim J)aiei sind in garda mei-
namma, xoig elg röv or/.öv /.lov)^.
Seltener wird das demonstrativ zugesetzt, wenn schon im gr. ein
relativsatz steht (z. b. Mt. V, 32 jah sa ixei afsatida liugaij), /.ai dg
1) Schon bei der Stellung von subject und praedikat kam es vor, dass die
formelhaften sätze, welche eine directe rede einleiten, besonders oft abweichuugen
zeigen. Noch deutlicher tritt dies beim zusetzen und fortlassen der personalpronomina
hervor. Von den angeführten stellen handelt es sich, sehen wir von dem schon er-
wähnten paruh qap ab, noch in 17 fällen um solche einleitungsformeln der directen
rede. Es sind dies unter den Zusätzen: Mc. VII, 28 {i?/ima); Mc. X, 29 (m); Lc.
IX, 13 {du imma)\ Lc. 1X,55 {du im). Unter den auslassungen : J. VI, 8, IX, 26,
XIII, 36. 38, XVI, 29, XVIII, 23; Lc. XIV,1S (««Vo5); J. XI,25 («i'-r;l); Mc. X, 3,
J. VI, 20, VII, 16, X. 25; Lc. III, 11 {uinoTi)., so dass z. b. von amÜ) alle stellen
aus dem Johannesevangelium hierunter fallen, von avTotg überhaupt alle fälle. Eine
Zusammenstellung solcher abweichenden einführungsformeln gibt Kauffmann für das
.lohannesevangelium Zeitschr. 31, 186 („Bas wesentliche dieser gruppe ist die formel-
haftigkeit und diese erklärt und entschuldigt zugleich das verhalten des einzelnen
autors").
2) Andere fälle bei Schulze, Glossar s. 369.
DIK tJBKUSCTZUNGSTKCHNlK UES WIILKILA 187
idv d7i:olelv!.ifVip' yafD^or]. J. XVII, 9 ak bi paus panxei atgaft nds,
dllä negl d)v d6dcüy.dg f.ioi. Lc. I, 4 ci gaktmnais pixe bi poei galaisips
is wauj'de asiap, iva htiyvwg tceqI &v '/.arr^x^^^S löycov docfäXeiav.
Le. Vn, 48 l)ana gawenja Jmniniei vianagixo fragaf, vycoXcif-tßdvw üti
V zö /tXeiov lyaoioaco) ^.
Um einen conjanctionalsatz handelt es sich J. XVI, 9 bi frawaurJd
raihtis J)ata, Jmtei iil galaubjand, yte^i di.iaQviag für, du ov 7Ci-
OTEiOVGlV-.
Einfluss des nebensatzes liegt auch wol vor J. XVIII, 18 sa was
ank sicailira . . . saei, ^v ydg Tcevd-EQog . . . og. Mc. XI, 23 ak galaubjai
pafa, ci J)afei qipip gagaggip, dlld 7tiaTEvarj ba a X^yei yivetai.
bb) Gegen das gr. fortgelassen.
Lc. XV, 32 bropar Jjeins, 6 döehpög oov. o^zog. Mc. IV, 16 jah
sind, '/.ai oZ'ioi eloiv.
cc) Sonstige abweichungen.
Gr. relativpron omen ist im got. durch demonstrativum ver-
treten (ohne relativpartikel), z. b. Lc. XVII, 12 taihiai pridsfillai mmis,
paih gastopmn fairrapro, dey.a XetcqoI ävögeg, oi ioxr^oav jcöqqioS-ev.
Lc. XVI, 20 Laxarus, sah ativaurpans was du daura is- banjo fidls,
ytdCccQog, og eßeßlvjto Ttqbg xbv jcvlCJva avrov eih/iiopUvog. Lc. II, 37
soll pan ividuivo jere ahtantehund jah fidwor, soh ni afiddja fairra
alh, ymI ttvitj X'^JQ^ iiibv dydo/f/.oyra xeoodQVJv , fj om dcpiorato «ttö
rOV 'lEQOV u. ö. 'l
Umgekehrt tritt bisweilen got. relativpronomen für gr. demon-
strativum ein (z. b. Mt. XXVII, 46 pjatei ist, roCr' h'onv).
In andern fällen steht got. relativpronomen für gr. interroga-
tivum: J.VI, 6 wissa patei habaida taujan, Jjöei r/ tf-iellev ycoielv
1) Lc. Vlil, 15 P(d sind, pai ixei in hairlin godamnia . . . ovroi tlaiv o'iji-
vfg fv y.aoSiu y.i().>j^ ist das zweite pai \or ixei zugesetzt, um gr. o'hirtg widerzugeben.
Ebenso Mc. IX, 1 pai ixei ni kausjand daupaus, o'tTtveg od /nr) yivawvjta OurÜTov.
So übersetzt got. sahaxuh saei gis nü; IJaiig. z. b. Mt. X, 32 sahaxuh nu saei
andhaitip mis, nug ovv oaitg öf.io).oyriOti iv iiuot, ferner got. patahah pei gr.
ö iäv, z. b. J. XV, 7 patahah Pei tvileip, o iav x^^krire (vgl. auch J. XV, 16) und
ähnliches.
2) G.L. hat pf da angezweifelt und liernhardt lässt es mit berufung auf G.L.
fort. Vgl. dazu die ausführung bei Klinghardt (Die syntax der got. partikel e/, Zeit-
schrift 8, 293fg.), der pata verteidigt und seine syntaktische bedeutung erklärt.
3) Um den ersatz einer relativen conjunction durch eine got. demonstrative
handelt es sich J. XVI, 25 Jjanuh ixtvis ni panascips in gajukovi rodja , me ovyt'ii.
if ncdwifit'uig kuf.ijao) vfxiv.
188 STOLZRNBURG
oder auch für gr. indefinitum: J. III, 3 7iiba saei, edv (.ir^ Tig, (ebenso
J. III, 5, XV, 6). Eigentümlich got. ist die form des relativums, das
sich auf eine erste oder zweite person bezieht (z. b. Mc. 1,11 in puxei,
h' ij, ebenso Lc. III, 22. Lc. XVI, 15 jus sijiip, juxet, v\.i£iq, Igie o\\
vgl. G.L. §203,2)1.
c) Possessivpronomen.
Das got. Possessivpronomen gibt in einigen fällen den dat. des gr.
persönlichen pronomens wider, z. b. Mc. V, 9 ha nmno pein? jah
qap du imnia : namo mein laigaion, ri ovof.id aoi; vmI kiyti aurtp
yieyELov uvof.ici «o<; ebenso Lc. VIII, 30. Hierher gehört auch Mc. V, 26
allamma sei)iaui'})ia, cä tt«^' avvfjg Txävia-.
Oft steht im got. das pos.sessivpronomen, wo sich im gr. nur der
artikel findet: Mt. V, 24 afJet jahiar po giba peina, acpeg stiei tö ömqov.
So noch Lc.VII,44, X,22.23, XV, 12, XVni,13; J. XI,16, XIV, 31
(vgl. G.L. § 201,3).
Fortgelassen ist das possessivum J. VII,3 7j«i sipunjos, ol fia-
d^tjvai aov. Lc. V, 23 pus fraivaurhteis , ooi ai df.iaqzlai oov. Mt. V, 31
Jvaxiih saei afleiai qeii, dg av d/roXvoij tijv ywaiAa aiiov.
d) Interrogativpronomen.
Die gr. doppelfrage wird nicht nachgeahmt: Mc. XV, 24 Ivarjixuh
ha nemi, x'ig x'i aq-t]. Lc. XIX,15 Iva hatjixuh gairaurhtedi, ri'g ri
SiSTtQayi^iaTevGaro ^.
e) Pronomen indefinitum.
Gr, Tig ist fortgelassen: Lc. 1,5 giidja, \sQsvg vtg. Lc. X, 30
manna, avd^qcoytog ng. Lc. VIII, 2 qinons, yvvmyJg riveg. Lc. VII, 19
tivans siponje, ovo rivdg xiov jLiad-tjTiov^.
1) Surdeiks scheint ausgefallen zu seiu: Mc. X, 14 uiite pixe ist, iGiv yäo
ToiovTOiv iöTiv, da ToiovTcov soust dui'ch pixe sioaleikaixe gegeben wird, z. b.
Lc. XVIII, 16.
2) Auch gr. iStog übersetzt der Gote mit dem Possessivpronomen: Mt. IX, 1
jah qmn in seinai baury, /.cd PjkOtv tfg tIjv Idiav nultv; so Lc. II, 3, VI, 41;
J. VII, 18.
3) Nicht ganz genau ist übersetzt: J. XVIII, 21 his niik fraihnis, ti ue
ioanug. J. XIII, 18 wird gr. relativpronomen durch got. Interrogativpronomen ge-
geben: wait harjans gawalida, o^Sa ovg i^eXt^(i/ut]v.
4) Eigentümlich ist die Übersetzung von Ti,g durch sums mrouie: Lc. VIII, 49;
Mc. XV, 21.
niK ÜBERSETZUNQSTECHNIK DKS WUI.FILA 189
f) Genus, numerus, casus und person des pronomens.
Ein demonstrativ-, interrogativ- oder relativpronomen als subject,
das im gr. im genus des praedikatsnomens steht, ist im got.
neutriim: Mc. VI, 3 niu pata ist sa timrja, odx o^voc: ^ativ 6 Tk/.xMv
(vgl. G.L. §208,2)1.
Ferner stehen got. pronomina, die zwei personen verschiedenen
geschlechts bezeichnen, nicht wie im gr. im masculinum, sondern im
neutrum: Lc. 11,6 mippanei po icesun jainar, Iv np eIvcci aviovg IaeI
(vgl. G.L. § 208,3). Das genus der pronomina richtet sich im übrigen
natürlich nach dem beziehungswort und ist im got. selbständig 2.
Im numerus der pronomina sind folgende abweichungen zu ver-
zeichnen: Im. 11^34: jah piNjrida ina Si/n/aioii, /.al Ev'köyr^Gtv airovg
—ifinov^. Lc. I, G5 pahn bisitandani iua, lobg icEQiOLXOVvcag, airovc,.
Die gr. attraction des relativums vermeidet der Gote in seiner
Übersetzung; z. b. J. X^V/20' gar)i7nieip pis ivaiirdis patei ik qap, f.ivr]-
iiovEVEiE Tov löyov ol tyco aijiov. Die fälle sind ziemlich zahlreich:
J. XVII, 5. 9; Lc. I, 20, XV, IG, XVII, 30; Mc. XIII, 19 (vgl. G.L.
§ 266 anm. 1)^.
In casus und numerus sinngemäss übersetzt ist Lc. IV, G Jmla
ualdufni pixe allaia, rrjv i^ovalav tavcrjv a/caoav^.
3. Partikeln.
Behandelt werden im folgenden nur die beiden fälle, dass im got.
Partikeln zugesetzt oder fortgelassen sind, da über änderungen in
der Stellung schon s. 182 gehandelt ist.
1) Doch kommt auch der anschluss an den gr. Sprachgebrauch vor: Mc. IX, 7
sa ist sumis nieins sa liuba, ovrög iariv 6 vlög /nov ö uyayirjrög.
2) Auffällig sind demgegenüber Mc. XV, 16 ip gadrauhteis gatauhim ina
i)i7ia)ia ijardis, patei ist 'praitoriaun, 01 (Tt arQuiiioTui anriyayov atiov 'iaca Tfjg
fcvXfjg, ö lariv niyanu'yQiov und Mc. XV, 42 unte was paraskaitve, saei ist friima
sabbato, intiSt] fjv naoaa/.tvi], Ö lariv nQoaüßßujov, wo sicli das genus des relativs
nicht nach dem beziehungswort, sondern nach dorn praedicatsnomcn des relativ-
satzes richtet.
3) Massmann vermutete ija.
4) Auch sonst umgeht der Gotc gr. attj-action : Lc. I, 72. 73 gamunan triggiros
weihaixos seinaixos , ai/jis Jmnei swor., /uvtjoO^ijvui, Siadtixtig ityiug avTov, oqxov ov
üuootv. Mc. X.II, 10 stains Jjammei . . . sah, Xt'Oov, ov . . . obrog, ebenso Lc. XX, 17.
.5) Um Verlesungen oder coriumpicrungcn des gr. textes handelt es sich Lc. XV, 8
siinia., ji'g (für rig). Lc. VIll, 14 paiei gahausjandans , ot ir/.ovauvjtg {o'i) vgl.
Bernh. anm. Lc. IX, 31 pai gasaihana7is , ot dtf&^vng (oi). J. XIII, 38 pu,
oii (av). Mc. IV, 8 ain, iv, dreimal (fV), vgl. itvg..^ ebenso Mc. IV, 20. Mc. XII, 13
sumai, nvug, wo wahrscheinlich riv^g gelesen wurde.
190 STOLZENBURG
1. Partikeln sind gegen das gr. zugesetzt:
jah: Mc.XIV,66{pleonast.); Mt.XXV,40; Mc.III,35; J. VIII, 25,
IX, 15, XI, 35; Lc.VI,38, VIII, 2, IX, 59, XVIII, 3. 12.
uh: Mt. XXVII, 05; Mc. XVI,7; J. VII, 41, IX,9. 16. 17. X,21.
In doppelfragen: Mt. XI, 3; J. VII, 17; Mc. XI, 30; Lc. XX, 4. Pleo-
nastisch: Mc. VIII, 1; Lc. XV, 26; J. XI, 31 \
Patei: Lc. XVII, 34, IV, 25, VIII, 20.
pei: J. XIII, 38.
ei: J. XIII, 29 (pleonast.). Lc. VI, 12 (= /.«/). Zwischen zwei
imperativen ebenfalls im sinne von xat: Mt. XXVII, 49; Mc. VIII, 15,
XV, 36. . Im sinne von ovi: Mt. X, 23. 42. Im sinne von o/tcog: Mt.
VIII, 4, IX, 30; Mc. I, 44. Nach tviljan: Mt. XXVII, 17; Lc. IX, 54,
XVIII, 41; Mc. X, 51, XIV, 12, XV, 12.
ip: Mt.V, 19; Mc. XV,31; Lc. XVIII, 8; J.VI,58, VII, 8.23.29;
VIII, 15.23, IX, 12. 25, XI, 29, XIV, 8. 24, XV, 5.
appa7i: Lc. XVII, 22, XVIII, 8; J. XV, 7.
allis: Mt.V, 39 (nach V, 34?).
pan: Mc. X, 28; J. XI, 25; Lc. II, 2. 37, VII, 8, Vm,8, IX, 3,
XVII, 32.
panuh: Lc. I, 26; J. IX,28, XIII, 36, XVIII, 24. 38.
im: J. XIII, 32.
pannu: Mc. XIV, 6.
pariih: J. XIII, 37, XIV, 5. 9. 22, XVI, 29, XVIII, 5.
sai: J. VII, 48; Mc. X,23.
Sehr oft stehen nun zwei got. partikeln tautologisch für eine
gr., so dass man von einem wirklichen zusatz nicht reden kann. Be-
sonders ^ö7^ verbindet sich gerne mit andern partikeln (vgl. G.L. § 284, 2)^.
1) Ausserdem tritt iili sehr häufig in Verbindung mit andern partikeln auf;
vgl. Zeitschr. 33,27.
2) Temporal: Mc. IV, 85; J. VII, 33; Lc. 11,42, HI, 16; XVI, 23.
3) jah pan = (ff J. XI, 42, XIV, 21, XVIII, 18
= 7.1U J. XIV, 3. 7.
ei jah = y.al Lc. VIII, 1.
iß pan = äf Mt. XXVII, 46; Lc. VII, 50, XVII, 15; J. VIII , 59.
ßan auk = &e J. XII, 10.
paproh pan = (neira Mc. VII, 5; Lc. XVI, 7; J. XI, 7.
= ovv J. III, 25, XVIII, 7.
pariih pan = St Lc. VIII, 23.
ip sivepauh = nktjv Lc. XVIII , 8.
appan swepauh= nXriv Lc. XIX , 27.
DIE l'BERSETZUNGSTECIINIK DK.S WUI.FILA 191
Drei got. paitikeln für eine gr. stehen J. XII, 10 imniaidedunup
pcüi Ciuk, fßovXevaario d^^.
2. Partikeln sind gegen das gr. fortgelassen:
de: Mc.VII,36, X, 27, XI, 8; Lc. IT, 44, X, 5; J. VTTI, 46. 50,
XII, 37, XVI, 20.
I.av: Lc. 111,18, X,2.
■mi: Mc. 11,22; Lc. 1,35, 11,4, VI, 4. 35, VII, 49, X, 4; J. VI, 36,
VIII, 16, XI, 31, XII, 26, XIII, 13, XVII, 1. 11. 20.
it: Mc. XV, 36; Lc.II,16 u. ö. (vgl. G.L. §258 anni.3).
7C.^q: J. XII, 43.
«V: Mt.V, 19.
ydQ: J. 111,24, XIII, 29, XIV, 30; Mc. IX, 34.
ort: Lc.VII,43, Mc. XL 23.
ovv: Mc. XII, 23, XX, 44; J. VI, 30, VIII, 12, IX, 7. 19, X, 31,
XI, 6, XII, 21, XIII, 30, XVIII, 33, XIX, 4. 8.
cV: Mc. IV, 41; Lei, 66, VIII, 25.
wg: Lc. II, 37.
oiciog: J. VII, 46. '
7cdlip: Mc. 111,20 2.
Mc. VII, 12 ()ü = ov/.hi) ist -tti unübersetzt geblieben.
Gr. I6üi' ist fortgelassen Lc. I. 20 jnh sijais, /mI idov l'orj. Lc II, 9
ip aggihis, /ml Idöv ay/slog.
Auch hier kann man nicht von eigentlichen auslassungen reden,
wo mehrere gr. partikeln durch eine got. widergegeben werden. So
steht Lc. XV, 32 tvaila wisan jah fagmon, £v(fQav9fjvai ds '/.al yaqTjvai.
Mc. VI, 14 dit]>])ß, /Mi diu tovto. Lc. III, 9 appan j/i , i]drj di /.ai.
Lc. XIV", 26 naiümp pan, I'tl de vmL Lc. XVIII, 11 aip)J)aii, )] /.ai.
Lc XVI, 13 andixuh, ^ ydq. Mt. IX, 3 pnruh, /ai Idor; ebenso Lc II, 25,
^It. IX, 2 pannh, '/ai Idov.
So gibt der Gote gr. el «//, welches den irrealen bedingungssatz
einleitet, nur durch m, nih wider, indem er die bedingung durch den
modus ausdrückt: J. IX,33, XV, 22 u. ö^.
Partikeln, die im gr. widerholt sind, werden im got. oft nur
einmal gesetzt: J. XVII, 23 ei sijaiiia . . . jah Jcininei, 'iva claiv ...
1) Bijjeh pan ist zugesetzt Mt. IX, 17 hipeh pjan Jah nein usgulitip, y.ui 6
oivog iy.ytijai.
2) Nach Kauffmann (Zeitschr. 31, 18ü) ist zu lesen J. XVIII, 'iS jah f>ata
qipands aftra galaip ut, y.ut Toi}ro thiwv nüXiv i^rjlO^sv (vgl. XIX, 4).
3) So auch Mc. XIII, 2U jah ni, xui tl /li/j. Ferner Mt. VI, 1 aipßait, ti (f^ f^'iye.
192 STOLZENBDRG, DIE ÜBERSETZONQSTECHNIK DES WÜLFILA
■/.al ha yirwo7.i]. Lc. VI,22 audagui sjmp Jjuii . . . jah, (.la/MQioi iors
ovav ... '/.al otav.
Es kommt freilich auch vor, dass der Gote gegen das gr. die
Partikel wie die praeposition widei'holt: J. XIIT, 29 siimai mundedun
ei, unte . . . patei, Tiveg yclcQ iöö/.ovv, e/tel . . ., ort. Mt. V,45 aua
garaihtans jah ana inwidcms, ircl dLy.aiovg /.al ddi/.ovg^.
4. Negation.
Die doppelte negation im gr. bildet der Gote im allgemeinen
nicht nach, vgl. G.L. § 213,4: Mc.1,44, XII, 14.34, XIV,60, XV, 5,
XVI, 8; Lc. IV,2, VIII, 43. 51 ;J. VI, 63, XII, 19, XIV, 30, XVI, 23,
XIX, 112.
Einmal hat der Gote gegen das gr. doppelte negation : J. VIII, 42
nih pan auk fram mis silbui ni qam, ovds ydg dyc' lf.iavcov shjXv&a'^.
Mo. XVI, 11 hat der Gote gr. d/tioTeiv mit 7ii galaubjan übersetzt.
Zu erwcähnen bleibt noch, dass der Gote ol're . . . oirce durch
ni . . . ni widerzugeben pflegt: Lc. XX, 35; Mc. XII, 25, XIV, 68. Ähn-
lich Mc. VI, 11 ni . . . ni, f.u) . . . /urjöe. Mc. VIII, 26 ni . . . m, fxyds
. . . f.irjde. Mc. XIV, 68 7ii, ovde. Lc. III, 14 ni mannanhun . . . ni
mannanhun, {.irjöeva . . . f^trjde'^.
5. Das verbum substantivum.
Das verbum substantivum schliesst sich seinem ganzen Charakter
nach übersetzungstechnisch eng an die formwörter an.
a) Es ist gegen das gr. zugesetzt.
Hier handelt es sich um fälle, bei denen meist im gr. eine ellipse
des hilfsverbs vorliegt, die im got. nicht nachgebildet ist: Mc. IX, 34
1) Auffällig ist Mc. VI,56 in haimos aippau haiirgs aippau in wcihsa, dg
■jtiüuug tj sts nöliig f] äyQOvg (gr. text nach F.).
2) Doch sind die ausnahmen recht zahlreich: Mt. XXVII, 14; Mc. II, 2, III, 20,
YII,12, XV,4; Lc. IX,36, XVIII, 13, XX, 40; J.V,22, IX, 33, XV,5, XVI, 24.
3) Denselben fall hätten wir J. XVI, 21, wenn das zweite ni, welches radiert
ist, gelten soll: ni panaseips ni gaman, ovyjTi /nvrjuovevti.
4) An einigen stellen liegen fehler oder ungenauigkeiten in den got. Par-
tikeln vor. Lc. Y, 34 wird die gr. frage nicht wie sonst durch ibai widergegeben:
ni magup sununs . . . gataujan fastan, /j-ij Svi'aaiha lovg vlovg . . . noifjaut. vqaitvttv.
Mt. XXV, 40 sieht jah panei für gr. !(/>' öaov. Lc. V, 6 wird im got. durch sice, im
gr. durch St angeknüpft. Lc. IX, 26 steht für gr. xcu aippau. J. XII, 35 in ixwis,
fit&' v^Cjv. Mc. IX, \Zju = y.tti. Mt. VI, 24: jabai, ^ (wol als d verlesen). Mc. VlII, 17
unte, ht (wol als 6tc verlesen). Mc. IV, 12 nibai Jean, /x^nors, statt ibai han, das
sonst (xi^noTt übersetzt (vgl. Bernh. anm.). Verlesen ist der gr. text vermutlich aach
Mt. VIII , 33 all be paus daimonarjans, ndviu y.al tu tG)p SHiuoviCou-ivwv (vgl.
Bernh. anm.).
GÖTZE, VOM PFRVNDMAIiKT DKH CURTISANEN 193
h'Cirjis maists 2cesi , i:i\: //f/L'wr. ]\[c. X, 27 iiiimalitcig ist, uövraiov.
31c. Xni, 22 jabai mahing sijai, ei öivacöv. J. XIV, 2 aßpan niha
teesei )ia , el ds fi/j. J. XIX, 5 sai ist sa manna, /'Je 6 ävOgojycog.
Lq. 11^20 jah sa mannet was gareiihfs, vxd ö l'(vi)^oo)7coQ oicog dl/.aiog.
Lc. Yin, 29 fastaips tras, cfcXaaaof^ievog. Lc.Xl^i paiin miß sis ivi-
saiuhnii, ro/c j.iei'' avcoc.
b) Es ist gegen das gr. fortgelassen.
Mt. XXV, 43 gasls jein ni galapodeelxp n/i/,-, iVroc: V^iiyv vmi od
orvT^ydyevt f.ie^. Mc. X, 1 sirc hiuhts, cog, elwO^ei. Me. X, 82 fanrhi-
gaggcmds, i)v Ttqoäyiov. Lc. III, 23 siceiei sunus irmnds ivas Josefis,
iov lüQ h'Of.iiLETo v'ibg ^Iioat[(p. J. XI,44yr//^ urrcmn sei deaipa gabnndeiiis
linnduns jah fohins fasljanf, jeüi wlits is avraJjei. bibiendans, yjü
t^Fp^dei' ö T£>)r7f/.wg deöeuh'og tc)g x^loag y.ai robg 7c6öag /.siQiaig, v.ai
i) oif'ig avTOv (Joidaoi'o) ^leondi-dETO'-.
1) Kauffniaun, Zeitschr. 31, 179 liest gasts ivas.
2) Während Gering hier noiiiinativus absolutus ansetzt, Lücke ghiubt, dass ein
anakoluth vorliege, indem der Gotc in dieselbe construction wie vorher verfiel und
iclita dann doch als iiominativ stehen Hess, nehmen Grimm, Schuke, Massmann,
Köhler und Rückert ellipse von icas an (vgl. hierzu auch Dietrich, Die bruclistücke
der Skeireins s. LXIYfgg.).
(Schluss folgt.)
KIEL. HANS STOLZENBÜRG.
VOM PFEÜNDMAEKT DEE CÜETISANEN.
Im dritten bände der Satiren und pasquille aus der reformationszeit
hat Oskar Schade die flugschrift 'Von dem pfrimdmarkt der curtisanen
und tempelknechte' herausgegeben^, die ohne nennung des druckers im
September 1521 bei Adam Petri in Basel erschienen, ist. Der Verfasser
ist nicht genannt und es gibt kein diroctes zeugnis, aus dem er sich
feststellen Hesse. Goedeke vermutet im Grundriss- 2, 279 in dem Strass-
burger ritter Wurm von Geudertheim- den Verfasser, doch verrät der
1) An einigen stellen bedarf sein text der besserung: 60,33 lies erireck statt
ei-iceckt] 62,4 oueh statt euch; 64, 13 envaehst statt ei-ivachi] 64,14 meriing statt
uerung\ 64,25 inlier statt mer\ 66,3 mess nit statt messner; 70,25 halb statt hah.
2) Über ihn vgl. Brants Narrenschiff hrg. von Zarucke CXLI; Pamphilus
Geugenbach hrg. von Goedeke 678 fg. ; Röhrich, Mitteilungen zur kircheugeschichte
der Stadt Strassburg 3,8; Jung, Geschichte der reformation in Strassburg 1,231;
Claussen, Historisch -topographisches Verzeichnis des Elsass, unter Geudertheim.
ZEITSCHRIFT F. DEUTSCHE PHILOLOOIK. ED. XXXVII. 13
194 GÖTZE
imgenanntG autor mehr gelehrsamkeit, als man diesem ritter zutrauen
darf. Er beginnt die schrift mit dem blick auf die historien nnd gc~
sckichteti der concilien und berichtet 66, 3fgg. mit guter Sachkenntnis
über die massregeln des concils von Konstanz gegen die concubinarii
unter den priestern. Den Schlussabschnitt leitet er ein mit der berner-
kung: dis hab ich geschriben und dem lese?- xü gilt all geschn'ß iiiid
gemelter dingen beiveruiig abgcsundert , do mit der gemein man im
lesen durch das latin nit xerstreuei werd: er ist also des lateinischen
kundig und kann sich die belege für seine behauptungen sowie bibel-
citate nur in lateinischer spräche vorstellen. Auf eine lateinische
parallelschrift scheinen die schlussworte hinzudeuten: obgemelter ding
hab ich xiven gleich lutend xedel gemacht und uß ein ander ge-
schniten, den geistlichen und iveltUchen, ieder parthi einen, sich
wißen darnach xü richte7i, das datum setzt er in lateinischer spräche
unter die flugschrift.
Danach möchte man in dem unbekannten Verfasser eher einen
theologen als den federfertigen ritter sehen, doch sind die anhaltspunkte
zu schwach, um einen sichern schluss zu erlauben. Auch was sich
sonst aus dem inhalt der schrift über ihren Verfasser ergibt, ist dürftig:
nach 71,9 nnd kompt einer von Schivoben, von Niderland oder anders
ivo har, den nimpt man an und fromer lands Idnder hat man kein
acht, ist sie nicht in Schwaben geschrieben, nach 70, 37 ivie hübsch
ist es, daß einer xü Costnitz und hie und anders wo thümherr ist
und hat nit me dann an einem ort sin wesen, stammt sie aus einer
Stadt mit domstift, die nicht Konstanz ist. Die mundart der flugschrift
ist alemannisch: numen für nur 60, 9 gilt im südlichen und westlichen
Schwaben, im Schwarzwald, dem Elsass und der Schweiz, etwa denselben
bereich haben lügen für sehen 60,9. 63, 14. 67, 13; üherkomen für be-
kommen 60, 10. 67, 13; kleben für klecken {daß si sich köstlichen be-
kleiden witer dan in zimpt, das macht daß si ein pfründ 7iit klebet
60,29); wiler für dorfOl, 6; kilchwie und nachkihvie &3/d3fgg.-^ haltet
statt hält 64, 33; got ivilkom 65, 6; ungeschaffen für hässlich 68, 28;
libpriester für leutpriester 68, 35; anrncks für sofort 69, 23 ist nur aus
Geiler von Kaisersberg belegt; mütmassen 69, 24 ist von haus aus ein
elsässisches wort, das jedoch im 16. Jahrhundert schon über den kreis
seiner heimat hinauszudringen beginnt. Von den alemannischen städten
mit domcapitel waren im jähre 1521, von Konstanz abgesehen, wol nur
Strassburg und Basel der reformation soweit zugängUch, dass sie einem
so entschiedenen anhänger der neuen lehre wie unserm autor zum auf-
enthalt dienen konnten. Dass die schrift bei Petri gedruckt ist, lässt
VOM PFRÜN'DiMARKT DER CÜRTISANEN 195
die wage zu gunsten Basels sinken und so ist alles, was sich aus dem
Inhalt der flugschrift über ihren Verfasser vermuten lässt, der annähme
Stricklers günstig, der sie in seinem Neuen versuch eines litteratur-
verzeichnisses zur schweizerischen reformationsgeschichte, nr. 21, ohne
näliere begründung Sebastian Meyer ausNeueul)urg am Riiein^ zuschreibt.
Seh. Clever war als lesmeister des Strassburger Franciscanerklosters früh-
zeitig Luthers anhänger geworden und doshalb von anfang an manchen
anfeindungen ausgesetzt gewesen. Am 19. october 1521 erscheint er
urkundlich in Bern, in den monaten vorher, also zur zeit da unsere
flugschrift entstand, war er custos der custodv in Basel. Als prediger
in Bern hat er lange jähre die reiche, volkstümliche beredsamkeit be-
währt, die wir bei dem Verfasser unserer flugschrift voraussetzen müssen,
als Verfasser von commentaren zur Offenbarung Johannis, den Corinther-
briefen und dem briefe an die Galater die gelehrsamkeit bewiesen, die
in einigen stellen des Pfründmarkts durchscheint. Dass er auch neigung
und talent zu volkstümlicher schriftstellerei besass, zeigt die satirische
'Auslegung und erklärung zu dem hirtenbrief bischof Hugos von Kon-
stanz', die im juli 1522 ohne nennung des druckers bei Wolf Köpfel
in Strassburg erschienen ist-. Auch hier hat sich der Verfasser nicht
genannt, doch darf man die schritt Sebastian Meyer zuschreiben nach
seinem briefe von Bern, 11. november 1522 (Zwingli, Opera 7, 242),
in dem er nach humanistenart das Schicksal der eben vollendeten
Schrift in Zwingiis bände legt und sie seinem urteil unterwirft, das
heisst mit andern Worten ihn bittet, die schrift zum druck zu be-
fördern. Dass er dabei im plural vom Verfasser redet, wird man
nicht auf eine eigentliche mitarbeiterschaft des kurz zuvor erwähnten
Berthold Haller zu deuten haben, sondern allgemeiner auf einen freund-
schaftlichen anteil und beirat Hallers am Zustandekommen der Aus-
legung.
Durch den vergleich mit der Auslegung wird Sebastian Meyers
anrocht an den Pfründmarkt vor allen dingen festzustellen sein, daneben
bietet sich zum vergleich Meyers 1524 bei Jörg Gastel in Zwickau er-
1) Siehe über ihn Blöschs artikel in der Allgemeinen deutschen biographie und
die dort angeführte litteratur.
2) „Ernstliche erinanung des Fridens |1 vnd Chjistenlicher einigkeit des durchs ||
lüchtigen Fürsten vnnd genädigen || herjen, Hugonis vö Landenberg || Bischoff tzü Costantz
mitt II Schöner vßlegung vnnd || erklärung, vast trost= || lieh vnnd nutzlich || zu laßen,
nüws II lieh vßgan; || gen. || • . " || "• Mit titoleinfassung, 38 blätter in quart, letztes
leer. Am ende: „Oediuckt zu Hohensteyn, durch || Hanns Fürwitzig." Vorhanden
in Berlin und Zürich St.
13*
196 GÖTZE
schienene Widerrufung ^ dar, die jedoch nach inhalt und ton nur wenig
berührungen mit dem Pfründmarkt erwarten lassen kann, endlich Des
Bapsts und seiner geistlichen Jarmarkt-, der zeitlich weiter ab, inhalt-
lich aber um so näher liegt.
Die flugschrift vom Pfründ markt ist keine satire, sondern eine in
directer polemik gegen die pfründenhäufung gerichtete abhandlung. Sie
steht damit durchaus auf der seite Luthers und seiner anhänger und
folgt mit ihrer grundidee, die reform der geistlichkeit dem weltlichen
Stande anzuvertrauen, die namentlich 60, 19. 68, 21. 71, 14. 34 hervor-
tritt, gänzlich Luthers Sendbrief an den adel, sondert sich aber dadurch
scharf von den hunderten von flugschriften jener jähre ab, dass sie den
namen Luthers nirgends nennt. Die einzige beziehung auf gleich-
gesinnte 66, 15: so teere es tuseni mal götlicher, die i^faffen ketten
eewiber (wie einer onlang ouch treffenUch und christenlichen darvon
geschribcn hat), ist so allgemein gehalten, dass sie auf Luthers Send-
brief an den adel, aber auch etwa auf Eberlins von Günzburg Bunds-
genossen (hrg. von Enders 1, 13. HO) gehen kann. Denn dass ihm die
Bundsgenossen bekannt sind, beweist der Aufruf 60, 33: darumb erweck
ich ücJi fromcn iveltlichen Christen, ir sigen kilnig, fürsten , lands-
herren..., der sich dort mehrfach fast mit den gleichen werten findet,
und auch den ausdruck tempelknechte im titel wird er aus Eberlin
1, 72. 73 kennen. Es sind also beziehungen zu den grossen Vorkämpfern
der reformation vorhanden, der Verfasser vermeidet aber, sich offen zu
ihnen zu bekennen, und da der inhalt der flugschrift keinen zweifei an
der festigkeit seiner eigenen gesinnung erlaubt und ihr anonymes er-
scheinen auch unvorsichtige Offenheiten ermöglicht hätte, so ist wol die
Zurückhaltung durch die rücksicht auf ein publikum geboten, das für
das offne Luthertum noch nicht reif war, sondern erst durch eindringende
und witzige kritik der bestehenden kirche für die neue lehre gewonnen
1) ,,D. Sebasti || an Meyers: etwan || Pjedicät zun Barfussen || zu Straßburg,
\Yid' II rfiffüg, An eyn lob |1 liehe Freystadt || Straßburg. || Anno. 1524. || ". Mit titel-
einfassung. Titelriickseite bedruckt. 24 blätter in quart, die drei letzten seiten leer.
Am ende: „Gedmckt auff den 6. tag Decembiis Anno 1524." Vorhanden in Berlin.
Zwei andere ausgaben bei Weiler 3068 fg.
2) „Des Bapsts || vnd seiner Geistlichen || Jarniarckt. || Durch Sebastianum Mayer- ||
der heyligen Schaifft Docto- || rem, beschnben. || Das Christen volck was froüi vnnd
schlecht, II Deß hast du Bapst dein gwallt vnd recht. 1| So es würdt klug, verständig,
weyß, II Dein gwallt bleibt stehn gleich wie das eyß. || 2. Timoth. 3. |! Es würt jnen
nit weyter gelingen: dann || jr Thojheit wirt allen Menschen || offenbar werden. || lun-
halt dises Buchs, findest || am nächsten Blat. || M.D.Lviij. 1 '•'•. Titelrückseite bedruckt,
104 blätter in quart, letzte seite leer. Yorhanden in Berlin. Die ausgäbe von 1535,
die Graesse Tresor de livres 4, 342 aufführt, ist mir unzugänglich geblieben.
VOM FFRÜNDMARKT DKK CUKTISANKN 197
werden musste. Im gleichen sinne ist dann auch eine zweite gleich
auffällige eigentümlichkeit der schrift zu deuten, nämlich dass sie mit
keinem worte an einem dogma der römischen kirche kritik übt. Ab-
gesehen von der betonung des schriftprincips 68,36 und 69, 11, mit
der ein hauptpunkt von Luth.ers lehre wenigstens angedeutet wird, nimmt
der Verfasser nur äussere missstände der kirchenverfassung zum ziele
seiner kritik. Er schont einrichtungen der römischen kirche, mit denen
Luther längst gebrochen hatte, bedauert 61, 26, dass viele pfründen-
krämer nie priester werden und nie das amt der heiligen messe voll-
ziehen, 62, 4 dass die seelmessen nicht mit der von den Stiftern ge-
wollten Sorgfalt gelesen werden, 63, 1 dass die priester nicht nüchtern
und keusch sind, wenn sie messe halten, 63, 22 dass der kirchen-
schmuck verfällt, 66, 26 und 38 dass frauen- und männerklöster un-
beschlossen und darum sittenlos sind, aber nirgends benutzt er die
gelegenheit, für reform oder aufhebung der messe, der seelgebete, des
kirchengepränges oder der klöster einzutreten.
Beide eigentümlichkeiten, die die schrift vom Pfründmarkt von
der masse der flugschriften scheiden, verbinden sie mit Sebastian Meyers
auslegung. Auch hier ist, obwol sich die ansichten des Verfassers mit
denen Luthers und seiner mitreformatoren decken, Luthers name nie
genannt und alles vermieden, was die kritik an bischof Hugos hirten-
brief irgendwie als ansieht seiner partei erscheinen lassen könnte. Und
ebenso zurückhaltend wie der Pfründmarkt ist die Auslegung gegen die
dogmen der kirche, gegen die sich nur zwei bemerkungen richten: Sic^i
ivie sie die kilchen in xwey geteijlt, ge//stlich vnnd leyeii, viid rinnen
sich allein (jeivijcht, heylig vnd (jegstlicli, so doch Paulus alle Christen
geivycht, geystlich vnd heylig nent A4b und Sie machen ein Sacrament
vß der ee . . . vnd schelten vns, ivir syen Ketxer, redend icider die
Sacrament. Der zeitliche abstand zwischen beiden Schriften genügt,
gerade bei der oben versuchten erklärung, völlig, um, den fortschritt in
der kritik zu erklären. Obgleich die Auslegung den Konstanzer hirten-
brief fortlaufend commentiert und dadurch ihr gedankengang schritt für
schritt vorgeschrieben ist, finden sich viele sachliche berührungen mit
dem weit abgelegenen thema dos Pfründmarkts. Auch Sebastian Meyer
ist die pfründenhäufung ein ärgernis: sprechen denn sie, das Bistumh
sie XU ivyt, sie künnen nit da)n)nendam syn, ivarumb wollen sie denn
mit geualt ivyte Bistiunb besitzen vnd etico einer xiven oder dry, do
er htm einem eintxigen dorff im golts wort gnügsam möchte vor syn ?
Also wer iveger es iverend in einer stat vil Bischoff, ich mein recht
bischoff, nit lariien, denn das vil Stell, Flecken, dorff er vnder einem
198 GÖTZE
Bischoff: do Paulus nitt kund selbs syii, macht er ander Bischoff D 3 a.
Das aus Luthers Sendbrief an den adel entnommene grundprincip des
Pfründmarkts, dass die weltliche obrigkeit die geistlichkeit zu reformieren
habe, wird 73, Ifgg. durch das bild vom erblindeten weisen gerecht-
fertigt, den ein unweiser vom abgrund wegführen dürfe. Die Auslegung
stellt H2a den gleichen grundsatz auf und erläutert ihn gleichfalls durch
ein bild: ^vers denn ivunder, oh die hand. dem haubt die lüß ahläß,
vnd so das haupt im hott steckt, das denn die hend vnd fiiß im iieruß-
hulffen? Wie der Pfründraarkt 61, 25. 68, 37. 69, 11 betont auch die
Auslegung mehrfach die Wichtigkeit evangelischer predigt, sie wirft
Hugo vor, er nenne sich Bischoff xü Costentx, da er noch nie vff
die kcmt-xel komen A4a, als ob er sie in Christo Jesu, wie Paidus die
Corinther, geboren hett, von dem sie doch allsand kein gots ivort noch
Sacrament nie empfangen A4b, gegen die Verlesung des hirtenbriefes
wendet sie ein: Ich gedacht er solle gebotten hon, das nieinan durch
syn gantx. Bistumb a)iders denn das heilig Euangelium, das ist die
heglig geschrifft, nach jrem eygnen vnd klare?i verstand, vnd nit einer
disen, jhejier ein a7idren leerer, die einander gantz widerivertig , pre-
digen sollte B2a, statt dessen verhindert die kirche die evangelische
predigt: Die geschrifft flyssig handien vnd die jren Satzungen, brachten
vnd schinden entgegen halten, heyssend sie ein fürwitz B3b. Beide
Schriften verurteilen die einmischung der kirchenfürsten in die politik,
vgl. das sind die die alles übel stiften xivischen keisern^ künigen, landen
und täten, si enveckefi nfrür und tragen botschaft hin und wider, heut
sin si frcf,7izÖsisch , lyiorn keiserisch und tragen ivaßer uf beiden achseln.
si sind dem babst mit großen eiden verpflicht. darumb aller fürsten
heifnligkeit erlernen si, und das offnen si dem babst und verraten
dütsch land siner heiligkeit 67, 27 mit: fio hab ich oben gesagt, ivie
sie fryd vnder den Fürsten machen, vß gunst eim fürsten mit hors
krafft zu ziehen vnd auch ander fürsten vber den selben hetzen Ausl.
F3b, beides stellen, in denen das unheil ultramontaner politik mit einer
für jene frühen jähre bemerkenswerten schärfe ans licht gestellt wird.
Mit der concilgeschichte zeigt sich die Auslegung C2a ebenso vertraut
wie der Pfründmarkt 59, 8 und 66, 3, über die unsittlichen einnahmen,
die sich die bischöfe aus dem concubinat ihrer geistlichen verschaffen,
entrüstet sich Meyer Ausl. D3b/4a nicht weniger als der Verfasser des
Pfründmarkts 66, 10, beide sehen in diesem unfug einen hauptgrund
zur beseitigung des coelibats.
An diese reihe sachlicher berührungen zwischen beiden Schriften
schliesst sich eine menge von gleichheiten und anklängen im ausdruck
VOM PFRÜXDMARKT DEU CURTISANEX 199
und Stil. Nach dieser seite wird man auch von Meyers Widerrufung
ähnlichkeit erwarten dürfen. Mehrfach hat der autor die wähl zwischen
niein-oren ausdrücken, die seinem zwecke gh^ich gut entsprechen, in
solchen fällen triff't der Pfründmarkt regelmässig dieselbe wähl wie Meyer.
Beide sagen abziehen, nicht entziehen: da werden dem üb lieüger
kircheji so vä glider abgezogen, als vü diser mer dan ein pfründ be-
sitzt 61, 36, vnd Itelffen all den legen abziehen, das sie dem Bapst
xü tragen Ausl. F3a; angesicht, nicht gesicht oder antlitz: ivo ein
offner brest ist an einem Hb, als an dem haupt oder angesicht 71, 24
vnd sind doch mit denn schedlich wolff, wie sie gmmer angsicht, st gm,
klegder endrent Ausl. A 4b; hernach, nicht nachher, darauf: durch
mittel, wie hernacii geschriben 68, 33, Ich dacht ivol es kern ettwas
treffenliclis liernacli Ausl. E 2b; nemlich, nicht namentlich: so 7iun
ander allen menschen, nemlich bi den Christoi, der letzt will hoch
und für nemlich geeicht 72, 24, sind ye vnd ye schlecht, arm, nidre,
verachte Hit gesyn gegen der ivelt, nämlich gegen den fürsten Ausl.
C3a, die Apostlen, nämlich Paulum, umbzebiingen Ausl. CSb; sack,
nicht tasche: da/l numen ir sack vol werd GO^ 9, hcdtcn dar zu dasselb
eben cds ivenig, als das Euangelium , denn ivo es in üiueren sack dient
Ausl. Hla; sömlich, nicht solch: wie lang muß mans liden, sem-
lichen offenlichen misbruch 62, 14, Dariimb sollent billich sömlich
Bischoff huren wü?'t genannt werden Ausl. D4a; sorglich, nicht ge-
fährlich: tcenn ein iviser blind ist imd in siner blindheit an ein sorg-
lich ort gat 73, 2, er muß in den schicdren, sorgklichen, vorbehaltenen
fällen, in casibus reseruatis, selbert verhören Ausl. B la, ey so ist es
ein sorgkliche zytt Ausl. D 3b; taglöhn er, nicht tagwerker oder
arbeiter: die selben taglUner müßen in forcht stan 63, 27, ttiid so die
selben tagWner arm sind 63, 31, Vnd die Christus nennet taglöner,
dieb vnd mörder Ausl. A4 b; Ursachen, nicht verursachen oder ver-
anlassen: das Ursachen die die kirchen haben 63, 38, die ivyl wir doch
von der oberkeit geursacht xü sagen Ausl. G3a; widerfechten, nicht
bekämpfen, widerstreiten: mit tröu Worten des tots die gütlichen ivarheit
ividerfechten 59, 17, ivider götliche geschrifft handlend, vnd offenlich
warheit widerfechlendt Ausl. D 3 a/ b, ivölt ich hett solchen jren betrug
baß vnd ee verstanden, vnd hett jn dapffer wider focliten Widerrufung
B 2b. Mehrfach mag die Wortwahl dialektisch begründet sein, so ganz
deutlich lugen und überkommen für sehen und bekommen, die in
den folgenden beispielen verbunden auftreten — ein seltsamer zufall,
wenn wir es mit Schriften verschiedener Verfasser zu tun hätten: darumb
so lugt ein ieg liehe r, wie er vil pfründen überkom 60, 9, die lugen
200 GÖTZE
onch, ivie si mer dann ein pfründ mögen überJwmrnen 67, 13, Er
77m ß lügen das er gut ampllütt, schinder vbei'Jmm Ausl. Bla; ebenso
bei h oll er donnerstag für gründonnerstag: hicJdest du dem pf äffen
am holten donsfag 65, 32, hab ich offt durch den achtenden des selbigen
Fests vnd au ff den hohen Dornstng zu Latein vnd Teutsch gepredigt
Widerrufang A 2 b.
Besondere beachtung verdient der gebrauch von freradwörtern und
auch auf diesem gebiete individuellen wortgebrauchs zeigen Meyer und
der Verfasser des Pfründmarlfts unverkennbare ähnlichkeit, beide brauchen
verhältnismässig viel fromdwörter und pflegen einige ungewöhnliche aus-
drücke anzuwenden, die sie der, beiden gleichmässig bekannten, spräche
der theoiogie und des kirchenrechts entlehnen. Sie geben dem fremd-
wort commune den Vorzug vor dem deutschen gemeinde: üch für-
sichtigen weisen rate in stetten und allen communeu 60,35, Das haben
byßher lang tryben Bdpst, Cardinal, Bischoff den Künigen, Fürsten,
Sielten, Comniun Ausl. B 3b, das die Christen Kiinig, Fürsten vnd
Coimnun onch vnder einander vnib landt vnd herrscliafft kriegen Ausl.
a3a; dem fremden conscienz vor gewissen: /nit ivas consciem und
gotsforcht nemen si galt 61, 23, die conscientxen also beschiveren, das
die armen seelen darunder verderben Ausl. E2b, jre conscienizen von
solcJ/en vnträglichen burdinen entladen a 4a, haltend heimlicheit des
gloubens mit rcyner Conscientx b2b. Das kein mensch hat vber die
Conscientt xü regiern Widerrufung B 2a, alle friimkeyt, sicherhegt
der conscientx D 4a. Bei beiden spielt unter den untergebenen des
bischofs der dechant seine rolle: do ist einer ein dechend und darxü
liat er xwo oder dri jifarren 67, 8, Latores, rätscher, Dechand, Camerer,
Viscäl, Commissarien Ausl. Bla, jre Juristen, Dechand, Camerer a4a,
hier wie dort wird das weitherzige dispensieren der geistlichen obrig-
keit bekämpft: ich sag dir, daß iveder der babst, der mit einem solchen
pfaffen dispensiert itnd im nachlaßt pfründen xü besitxen, noch auch
der selb pfaff, der solche pfründ xü Rom erlangt, mögen sölichs er-
lauben und besitxen mit heil irer seien 64, 1, das der Bapst hab vber
die Apostlen xü dispensieren Ausl. F2a, vnd nympt mich hart wunder,
das sie nit lengst auch dispensiert , das ein Priester altag . . . sechs
Meffx hielte F4b, Warumb disjJensiern sie mit denen vmb gelts ivillen
von solichen notwendigst gelübden? .... da geivinnen sie groß gelt
mit Dispensiern vnd Commutiern Widerrufung E 4a; die gerichtliche
strafe heisst hier wie dort pen: imd man in allen rechten bi großer
penen gehütet den letzten ivillen eins jnenschen xü volstrecken 72, 26,
das kost xvj. guldin oder etiuo mer, allein xü pen dem Bischoff Ausl.
VOM pkründmarkt der cürtisanen 201
D4a, das weder Bähst noch Bischoff macht haben, alle penen vmb der
Sünde willen hijnxünemen, dann das heijst Gott freuenUch in sein
ampt greiffcn: die sünd hett er licijssen verxeijhen, der peen geschiv igen
Widerrufung B2b; zu dem häutig gebrauchten regieren bihien beide
das ungewöhnliche regierer: ivil domit all regierer des n-elÜichen
Stands bi dem heil irer seien er man t haben 71, 34, dennocht sijnd sie
heilig vnd regierer der kilchen Ausl. H2a.
Weiter findet sich zwischen Meyers Schriften und dem Pfründ-
markt gleichheit im gebrauch einiger seltner werter, beide sprechen
von altfordern: unser alt fordern, künig, heiser, edlen, bürger 61, 38,
lueUend sie ms rff die alt vordren vnd alten langen brach tringen . . .
sollen wir ye thfin nie vnser altfordren, so müssen wir ividcr Heyden
iverden Aus). a4b; einbriich: man sieht icx an den erxbiscltoffen und
andern bisclioffen, die ivöllen nun inbriich in dütscJien lunden machen
67, 24, sie müst daruon, es hett jnen sunst ein bösen einbruch ge-
macht Ausl. D4b; fördern: hielten die pfaffen ein erber leben, so ivurd
die ganz tvelt durch si xü beßerung gefürdert 66, 37, das ich sölichen
Romischen Ablaß leyder xüuii gefürdert Widerrufung B.2b, Es mag
auch vnsern schaden niemand baß wenden vnd nutz filrdern, denn
er C2a; gotsgabe: ivo sin gotsgab nnd Stiftung xü Idein ist 70, 20,
dan es wider der seien heil ist, daß von gots gaben und Stiftungen
frommer menschen pension . . . geben iverden 72, 18, daß denen die da
verdienen und arbeit haben, die gots gaben ganz bliben 72, 29, jnen
jr narung entxugen durch gots gaben an den iempel A\\s\. D2a; götz
als Scheltwort für einen pfaf!en: der selb pfründeii götz thüt ivie ein
mor 62, 30, so mocht ein schaff mercken, das dise gehürnten götxen
nit bischof, sunder vaßnacht laruen Ausl. C 4b; hipponbuben: si
raßeln und spilen ivie die hippenbüben 64, 19, ruf foul einander den
ivyn vß vngebetten, ivie die bader mugt, vnd wie die huppen büben
Ausl. F3a; hochfart neben häufigerem hoffart: denn so si füruß zu
hochfart und zu unküscheit geneigt sind 60, 1, Ist das nit ein tilfel-
sche hochffart Ausl. Hla; pfaffheit: Die teil nun die bischöff und ir
pfaffheit an inen selbs so oiimächtig 66, 22, daruff pfeif heit vnd
Müncheit ein vnzalbar meruji müssig Ausl. F4b; prangen: ivann si
uß und in riten, so brangen si nit anders dan soll si iederman
fürchten 64, 26, Auch müssend die nüwen Fürsten vnd Edellüt vil
me brangeji denn die von alter her Ausl. A4a, Aber der Tüfel hat
uns der hochfertigen knecht beratten, die nilt anders künden, denn
herschen, bochen, trutxcu^ brangen, schetzen, schinden C la; seellos:
ivo findt man ietx verruchtere seelloscre wiber dan in etlichen un-
202 GÖTZE
beschlo/inen fromvenldöstern 66, 29, mit jrem mer denn verruchten
seellosen leben Awsl. B2ii, üiver bübisch verrucht seelloß leben C4b;
seelsorge(r): daj) keiner xico oder dri seelsorg iif sich neine 60, 24,
die caplanien und tlmniherren i)fründen haben doch gemeinlich kein
seelsorg 70, 28, das heyssend ye recht hgrten, Seelsorger, wie ein tu fei
ein zivölffbot Aus), b 2a.
Noch beweiskräftiger ist die Übereinstimmung in festen Wortver-
bindungen, die sich zwischen Meyer und dem Verfasser des Pfründ-
markts beobachten liisst. Beide sprechen vom blutigen seh weisse
der armen: dennocJd wil man den armen zinsman wise?i uf tödlich
siuid und hell, daß si nach irem blutigen schweiß und surer arbeit
berauben' sollen sich selbs irer bloßen notturft 62, 14, mit heres krafft
vß armer lütt blüttigen schwei/ß wider Keyser, Kimig, Fib'sten ziehen
Ausl. Cla, die haben gut voll ful leben von dem feyßden hrott Christi
vnd der armen Christen bliätigen schweyß E 1 b , dorumb jnen gi'oß
pfriinden vß armer lüt schiveyß erstyfj't a ob. Die formet gott geb
ist bei beiden zur conjunction mit der bedeutung 'gleichviel' erstarrt:
es ist luider der seelen heil daß einer vil 'pf runden hab, gott geb es
sigen caplanien oder chorhern pf runden 70, 21, gott geh ivas Christus
geheyssen^ der Bapst ist yetx vber Christum Ausl. Flb, Got geb ivie
man die selben mitt namen möcht nennen Widerrufung B 3 a. Für
meist tritt bei beiden die Verbindung den mehre(r)n teil ein: da hat
irer der merentheil ein eigen inetxen am barren 65, 19, .so hett ich
funden, das sie (die Sprüche) den merern teryl zu aller forderst auff
glauben /rt?///e« Widerrufung D 4a; beiden ist die seltene wendung sein
amt verbringen eigen: der vil pfrimden hat, dem ist unmüglich, daß
er da und da gnng thü und an iedem ort sin gots die?ist verbring
61, 11, und also nit das ampt der heiligen meß verbringen 61, 26,
synd aber jnen ander Sachen näher angelegen denn das bischoflich ampit
verbringen Ausl. D3a, vnd ivolten nit lieber tusent mal des tüfels syn,
denn üivern tüf eischen jyracht lassen, vnd das recht ivar Bischoflich
ampt verbringen b la; statt dermassen sagen beide disen weg: und
würd ouch getrüwlicher den seien nachgebetet dann disen iveg 62, 5,
So sie disen iveg die wäli haben, muß es den weg gen Ausl. El a.
Der stilistischen anklänge zwischen den bisher verglichenen Schriften
Meyers und dem Pfründmarkt sind so viele, dass wir sie nicht noch um
beispiele aus der dritten, umfangreichsten schrift, Des Bapsts Jarraarkt,
zu vermehren brauchen. Dagegen dürfen wir an einigen sachlichen
beziehungen dieser schrift zum Pfründmarkt nicht vorübergehen. Zu-
näclist prägt sich im titel beider Schriften eine unverkennbare verwandt-
VOM PFRÜSDMARKT DER CURTISANEN 203
Schaft aus, die ihre tiefere Ursache in der gemeinsamen grundvorstellung
hat, dass die Verderbnis der kirehe der geldgier des klerus entspringe.
Im Pfründ markt wird dieser satz am capitel dos pfründenerworbs durch-
geführt, im Jarmarkt auf das ganze grosse System kirchlicher einrich-
tungen und lehren erweitert. Bei jeder einrichtung, den concilien, den
sacramenten, den festen, dem ablass usw. stellt Meyer zuerst den ur-
sprünglichen sinn und unverdorbenen gebrauch dar, dann begründet er
sie aus der schrift, weiter zeigt er ihre cntartung, wie sie aus der geld-
sucht der päpste und ihrer geistlichen gefolgt ist, endlich beweist er
mit vieler gelehrsamkeit, dass diese entartung auch einen ab fall vom
kanonischen rechte bedeutet. Es ist klar, dass diese gelehrte arbeit
nicht viel gemeinsames mit dem leichten wurf des Pfründmarkts haben
kann, um so bemerkenswerter sind die sachlichen Übereinstimmungen,
die sich dennoch ünden.
Der Verfasser des Pfründmarkts zeigt sich mit der concilgeschichte
gut vertraut, besonders wo er die bestiraraungen des Kostnitzer concils
über die concubinarii darlegt. Viel mehr gelegenheit, solche kenntnisse
zu zeigen, hat Meyer im Jahrmarkt s. 17fgg., er geht auf viele einzel-
heiten ein und teilt bemerkenswerter weise s. 24 fg. auch jene Kostnitzer
bestimmuug mit: man soll keinen Priester sekeüJien, die Sacrament
von jm xünemen, er seij icie boß er ymmer wolle, ob er sci/o/t an der
that des Ehbrucks begriffen, Er iverde denn durch den Sententx der
Bischoff'en vericorffen. Und auch hier Avird diese bestimmung, die aus
den concubinariern die besten iuelkkniv, die die bischöf habent macht
(66, 11) und auf die Meyer s. 54 und 167 zurückkommt, boshaft glos-
siert: Das werden sie aber thün, wann der Pfaff iiit mehr gnlden,
Habern, Caponen zusehencken hat vnd die Bischof nit selbert in detn-
selbem Spital siech ligend. Noch beweiskräftiger ist es, dass Sebastian
Meyer im Jahrmarkt in einem eigenen capitel, dessen Überschrift aus
der reihe der andern, ernsten titel herausfällt, vom Pfründen marekt
spricht, dass er darin (s. 106) klagt, das einer der nit einer halben
Pfrund iverdt, icol vber 24. l^frandoi kan besitzen vnd ye eine mit
der andern gewiiuien. Auch über die notwendige folge der pfründen-
häufung, die einsetzung schlecht bezahlter verweser, denkt Meyer wäe
der Pfründmarkt, vgl. lesend darui cinoi armen, eilenden, vnkünnen-
den Bachanten au ff, schicken jn au ff die Pfarr, heyssen jn vom Opffer
leben, Der dringet daiin häfftig auff das Opffer in der predigt vnd in
der Beicht (s. 110) mit butxen imd stil nemen si daniien und lond
dem armen schäbigen pfaffen nicid .^ der si venveset: er mag sich koum
des hungers eriveren 63, 17. Auch die einwände der gegner sucht der
204 GÖTZE
Jarmarkt im voraus zu entkräften; wie im Pfründmarkt gegen den
schluss hin den laien mehrfach das recht gewahrt wird, die reformatiou
der geistlichen vorzunehmen, so begegnet auch der Jarmarkt s. 194
mit guten biblischen gründen der einrede, icer vns beuolhen hab, ob
sie gleich ivol jrren in der lehr vnd ein ärgerlich leben füren, sie xii
lehren oder xiislraffen? dann sie sollen yederman lehren vnd straffen,
von 7iyemands iveder gelehrt 7ioch gestrafft iverden. AVo sich also die
beiden schritten sachlich berühren, stossen wir auf dieselben ansichten
und gründe; obgleich vierzehn entscheidungsvolle jähre zwischen beiden
liegen, stellt sich der Jarmarkt wesentlich als eine reife allseitige aus-
führung der im Pfründmarkt skizzierten gedanken dar.
Die "zahl der Übereinstimmungen ist so gross, dass man ohne be-
denken in Sebastian Meyer von Neuenburg den Verfasser der flugschrift
vom Pfriindmarkt sehen darf. Damit rückt dieser in die erste reihe
der litterarischen kämpfer jener tage. Yon seinen bisher bekannten
flugschriften macht die Widerrufung keine litterarischen ansprüche, sie
dient schlicht und nüchtern ihrem sachlichen zwecke, die Strassburger
gemeinde mit dem neuen glauben ihres ehemaligen predigers bekannt
zu machen, indem sie mit einleuchtender begründung die neue lehre
rechtfertigt. Einige drastische bilder und ironische glossen verraten auch
hier den geborenen Satiriker, so spottet er über den reliquiencultus:
Es seind aucli nicht drcy beivm so groß in dem Schivarlxivald, sie
geben nit so vil stuck, alß vil man deren von dem Heyligen Creülx
xeygt allenthalben, dieweil es solchen nutz tregt C 2b, oder er weist
die theorie der gegner über die freiheit des menschen vor dem sünden-
fall zurück: gewesen, leyhet eyn jud nit vil «?//fD2a, oder er ver-
höhnt das armutsgelübde der mönche: So seind ivir so arm. Wo man
eyn xehen tausent oder 18. tausent gülden will vmb xinß auffnemen,
so findet man es kaum eer, denn etivan in eynem 'armen' gey st liehen
Closter E 8a. Litterarisch viel höher steht die Auslegung, sie durch-
leuchtet mit scharfem blick und treffender kritik das ganze gebäude der
geistlichen und weltlichen herrlichkeit des bischofs und kommt mit
steigender kraft zu einem vernichtenden endurteil, sie ist an schlagen-
den witzworten wol eine der reichsten Satiren der zeit, viel zu reich,
als dass man ihr mit einigen proben gerecht werden könnte, und ver-
diente sehr eine weitere bekann tschaft und Würdigung, als sie bisher
geniesst. Aber ihre form lässt sie sich von aussen vorschreiben, von
dem Konstanzer hirtenbrief, den sie satz für satz commentiert, und das
nimmt ihr den einheitlichen wurf und die frische kraft eigener orfindung.
Widerum der Jarmarkt ist gelehrte theologische arbeit. Wol blirkt auch
VOM PFRrNDMARKT DKR CÜRTISANKN 205
hier der huraor des Verfassers zuweilen hindurch, so wenn er s. 127
dem papste und den seinen das prädicat 'apostolisch' zugesteht in dem
sinne, dass sie stehlen unter dem scheine den armen zu helfen, wie
nach Joh. 12, 5 fg. Judas, der ja auch ein apostel war, oder w^enn er
s. 65 dem papste den i-at gibt, er möge doch den Türken in seinen
bann tun, dass er verschmore und umkomme, statt den ablass gegen
ihn zu predigen, Aber es ist jm ein gutter Türck, er hat vmler dem
schein dem Türeken xu icohren imsdr/lich gut von deii Christen anff-
xithehen. Und auch ein kräftiges Sprichwort findet bei gelegenheit seine
stelle, z. b. s. Tö Da muß einem yeden des Geistlichen hanffens ein
fäder von der Gavß ivcrden. Aber das ist alles nur gelegentliche zu-
tat, bestimmt, das Interesse des lesers festzuhalten, also dem zwecke
der schritt nur mittelbar dienend. An kraft und frische und litterari-
schem werte steht der Pfründmarkt am höchsten unter Meyers flug-
schrifton. Hier wird in straffer disposition ein reiches gedankenmaterial
kunstmässig gegliedert, ein für jene tage hochwichtiges feld der kritik
planmässig ausgemessen, durch die mehrfach angewendete einführung
eines fingierten gegners wird die darstellung glücklich belebt, jeder ein-
wand witzig und überzeugend abgetan, die spräche ist frisch, klar und
gedrängt, das ganze frei von bitterkeit und höhn, kurz die flugschrift
kann sich den besten ihrer zeit getrost an die seite stellen.
In ihrem Verfasser vereinigen sich alle eigenschaften , die einer
flugschrift kraft und schwuug geben: in der woldurchdachten einleitung
werden klar und scharf die Ursachen des Übels aufgedeckt, ein gedanke
stützt den andern, kein wort zu viel, aber auch nicht der kleinste sprung
in der entwicklung. Mit unerbittlicher logik wird der gegner in die
enge getrieben: icJi frag dich, du pfründen jäger: den veriveser den
du an din siat setzen wilt, entweders er ist minder gut dann du, oder
als gut als du, oder heßer dann du. ist er minder gilt dann du, so
sagt die vermmft, daß er nit ist dahin xü setxen. ist er aber als gut
oder beßer und gelerter dann du, ivarumb hast du dayni vil pfründen
und er kein? Dann folgt die eingehende, drastische Schilderung der
misstände, mit realistischer krlift wird das bild des pfründenjägers ent-
worfen: Der selb pfründen göix thüt ivie ein mor, die sich in einen
treckt sperret und uf allen vieren gradlet: ob si schon nit ißet, so laßt
si doch di andern süw nit darxü kommen. Man sieht die stolzen prä-
laten einhergehn: si haben pater noster in den henden ivie die laioi,
das sind ire betbucher. kein fromme dochter blipt una7igespre)igt von
inen, uf der gaßen treten si inher mit iren knechten, das federspil
tragen si uf den henden. ivann si uß und in ritcn, so brangcn si nit
206 GÖTZE, VOM PFRÜNDIIARKT DER CÜRTISANEN
anders dan soll si iederman förchten. Mit lustiger schlagfertigkeit wird
jeder einwand abgewiesen: es spricht ein solcher pfrilnden freßer 'ich
bin ein edelman und ein thu7nherr, ich muß zu mines redlichen Stands
erhaltung mer dan ein jj fr und haben' . bis goi ivilkom, lieber Joannes!
du möchtest din redlichen stand so groß iißmefien, es ivere ein ganz
land nit gnüg zu diner enthaltung! Auch vor der caricatur schreckt
der Verfasser nicht zurück, mit der er die lacher auf seine seite bringt:
morgens striclicn die lieben herrlin herfür mit ungeiveschen henden
tind gond mit großer andacht über cdtar, machen große kreuz, zer-
denen ire arm und reißen die selzamisten bossen über altar, als 2völten
si den morischken danz springen. Die volksmässige kraft des aus-
drucks, die hier den gegner verniciitet, hilft an andern stellen die eigne
beweisführung aufbauen, ungesucht und mit bester Wirkung stellt sich
dabei, wo es nötig ist, ein kräftiges Sprichwort ein: ivann edles das
obgemelt ist kujitlich allen 7nensclien und offenbar wie der buer an
der sonnen. Und durch all die sonnige lustigkeit, den leichten spott,
die behagliche Sicherheit der darstellung leuchtet ein sittlicher ernst der
auffassung hindurch, der für den Verfasser das beste zeugnis ablegt, der
ihm schöne, tiefe werte in den mund gibt, wenn er im bilde seine Zu-
versicht auf den endlichen sieg ausdrückt: es ward nie kein hiis so
buwfellig, schickt man sich darxü mit viler lüten hilf es ivürd in
kurzer frist ein schön lustlich hus ufgericht an ort und end, da vor-
maln ein ungeschaffen hus ist gestanden.
So fällt durch die feststellung des Verfassers der flugschrift vom
Pfründmarkt das günstigste licht auf Sebastian Meyer und die Baseler
kreise, in denen er zur zeit ihrer abfassung lebte, auf die gründe, die
ihn in das lager der reformation trieben, und die reife und festigkeit,
mit der er den eben gewonnenen Standpunkt sogleich behauptete, ohne
den Übereifer des neubekehrten und mit taktvoller rücksicht auf eine
noch zurückhaltende, schwankende hörerschaft.
FREIBURG I. BR. ALFRED GÖTZE.
KÖ^^G, PAMPHILUS GENGENBACH 207
PAMPHILUS GENGENBACH ALS VERFASSER DER.
TOTENFRESSER UNI) DER NOYELLA.
(Schlllss^)
2. Einiges aus der flexionslehre.
a) Substantivum.
Zalilreiche vom nihd. spracligebrauch abweichende formen erklären sich sofort,
wenn man bedenkt, dass die spräche des 16. jhs. und besonders der oberdeutsche
dialekt eine grosse neigung zu Synkopen und apokopen liat, die sich naturgemäss be-
sonders auf die flexionsendungen erstrecken. Abgesehen davon findet sich an be-
mei"kenswerten formen :
Die schon im ahd. beginnende Vorliebe für die schwache flexion setzt sich fort.
Beispiele: eren w. F82, karfen w. F 164. 202. 210, thüren 279; erden Alt. 170,
Icüchen 202, gasscn (wol nur schwach) 192 und öfter. T gigen 132. Na uncIien'äiS^
kappen 103, grüben 259, ürten 364, knttcn 633, karren 877, pfarren 983.
Bei der «-deciiuation ist der gen. plur der frühten N 167 bemerkenswert, der
offenbar auf doppelter analogie — zunächst einer anglcichung an die o-declination,
dann an die schwache — beruht.
Zu den für Geugenbach und die beurteilung seines dialektes charakteristischen
formen gehört die erhaltung des i bei abstractis, die besonders in alem. gegenden zu
constatieren ist: by : tmghorsami N 1146, weshalb auch dem dichter formen wie
unghorsami B 187; gehorsami G 196; keliij G 833; Ueby G 280. 421. 621. 640. 1211
zugewiesen werden dürfen; doch s. unghorsajne B 127. Hierher stelle ich auch die
noch heute in Basel gebräuchliche form kuchi G 1082, vgl. Seiler s. 65.
Schwanken in der flexion herrscht auch bei den starken neutris: bald bildet G.
den plural durch anhängung von -er, bald lässt er ihn unbezeichnet: ding w. F 20;
Na uort 218; kind x Alt. 105; aber kinder B 162; iryber G 80; Xa ee-wiber 317
dat. plur. tcyben x Alt. 206 ; aber ivybern G 420.
Auch hier haben wir übergreifen des gen. plur. in die schw. flexion: joren {der
joren alt x Alt. 571) und ähnlich auch Na der listen 798, das besonders stark im
alem. Sprachgebiet auftritt. Belege. siehe AG §395.
Bemerkenswert ist die gemischte form fridens w. F 97 (vgl. Molz, Boitr. 27, 303).
b) Adjectivum.
Über die nachstellung des adj. attributes in der unflecticrten form s. unten:
Syntax.
Sehr bemerkenswert ist die erhaltung der alten femininendung in in eitii G 60(),
die specifisch alem. ist.
Denselben wert für die dialektbcstimmung haben Superlative mit erhaltung des
alten o in großmechtigost C. Überschrift und großmechtigosten , durehleüchtigosten
Bocksp. I.
c) Der artikel.
Es entspricht durchaus dem heutigen alem. Sprachgebrauch, dass der artikel
häufig mit dem durch ihn detei-minierten substantivum verschliffeo wird: djugent G 38;
T dselen 105; Na duült 143; geht eine präposition voraus, so tritt er im Schriftbild
an diese: tifft Gouchmat G 267, ind ivinkel 1295, itid sach G 298; Na ind sack 230.
1) Vgl. oben s. 65.
208 KÖNIG
Undialektiscli ' ist diese augliederuug des artikels, weim vor dem Substantiv noch ein
adj. attribnt steht: dschön Helena xart x Alt. 379; dheih'g erd N 1018. Weitere belege
finden sich nicht. Ich glaube aber, dass diese ausnahmen sich leicht dadurch erklären
lassen, dass 'Helena' \;o\ nie ohne das prädieat 'schön' gebraucht wurde, und dass
'heilig' vor 'erd' zur bezeichnung Palästinas selbstverständlich war, dass also in
beiden fällen Substantiv und attribut als ein begriff, als ein compositum empfunden
wurden. Desgleichen ist die zusammeuziehung von hi und den zu hin in x Alt. 200
dialektgemäss.
d) Verbum.
Im allgemeinen ist zu bemerken: in echt alcm. weise finden sich in der 1. sing,
präs. formen -en:ieh erVnajen .lud. 356; ich leren x Alt. 166; ich füren x Alt. 528;
ich hoffieren G 283; — T ich klagen 228; Na ich danken 56.
Die 2. plur. ind. und imp. präs. hautet neben -ef, -t häufiger in alem. weise auf
-ent und -en aus: schivert Jud. 395; hörend Jud. 77; näntendt x Alt. 13; sähen
X Alt. 68; yähcn Jud. 130; merken Jud. 174. Dasselbe schwanken auch in T und Na.
Na merckt 53. 215, irissend 928; T prassen, tcoliehen 9, keren 10, ivisseti 19;
Na sagen 73, nänien 131, mcrcken 174, müssen 253.
Die 3. plur. weist zahlreiche formen mit t neben solchen ohne t auf: dienend
G487; gond w. F 79. T tühd 169, efxend 179. tagend 135, thünd 311, ebenso
unorganisch in wend w. F136; sölent G392; Na sond 120.
Dieses t dringt nun auch in die 1. plur. ein, während, wie oben gezeigt, das
71 aus der 3. oder 1. plur. auch in die 2. eingang findet, so dass der gesamte plural
dann gleiclimässig auf -end ausgeht. 1. \A\\v. tcend W.F17; hand Jud. 36; T hegond
123; Na gond 691.
Hinsichtlich der einzelnen ablautreihen ist zu bemerken:
I. classe. Die mhd. ablautreihe besteht noch. Scheinbare ausnahmen (nur im
versinnern) sind durch den setzer verschuldet.
II. classe. Erhalten: in im Singular, ie im plural erlingen Jud. 356; liegen
T 102; htriegen Na 457. Plural prät. : zugen a.E 57 aber xogen a. E 47. Imper. :
miß xAlt. 266. Infin. auf ie wie im heutigen dialekt, liegen : htriegen xAlt. 039;
Jud. 452; vgl. oben: Vocalismus.
III. classe. Der plur. prät. hat zum teil noch die alten, zum teil nach dem
sing, ausgeglichene formen: drnncken B 148; getncnnen a.E 51; — Na funden 899,
aber storhen x Alt. ,543. Für die participialformen s. oben: Brechung.
IV. classe. Der mhd. stand hat sich erhalten: ich irijff G 150. Na ich gijb
25. 712.
VI. classe. Dem alem. dialekt gemäss zeigen formen wie sehiahen xAlt. 252,
G 1238; anschlecht w.F2ö den alten Wechsel h — g erhalten.
Voealkürzung ist' im prät. der red. verb. durch den reim gering : fing w.F 21
gesichert, die drucke haben meistens ieifieng w.F 119, gieng w.F 27.
ö der schwachen verba ist erhalten in: gesegnölen N 1469; vgl. auch oben:
Adjectivum.
Eigentümlich, weil ohne rückumlaut gebildet, ist die form genempt G prosa
zwischen 85 — 90. Na grient 667, spec. alem. s. Lexer 2, 54, Schw. Id. 4, 748. End-
1) Nach erwägungen, die im german. .seminar in Basel (sommersemester 1903)
angestellt wurden.
PAMPHILUS GENGENBACH 209
Jicli verdient das stark gobikietc pt. prät. verspotten Jud. 158 erwähnt zu werden
(druckfebler?).
Das part. prät. ist zuweilen nach Weinhold, Rlhd. gram. s. 398. 43G ohne das
perfectivische ge gebildet; vgl. troffen, braeht N 1046, kutnmen kon (sehr häufig)
geben N 955; gen G 550; gangen Jud. 28ü; worden w.F 13; klaget Jud. 39ü; tränt
X 790. — Na bracht 110. 219, kuinnten Xa 370, gangen Xa 4. 21. 04. 299. 1008;
T geben 44; Na 157. 275 294.
Dialektisch und zwar alem.- schweizerisch sind die bei Gengeubach wie in Na
und T häufig belegten contrahierten infinitiv- und participialfornien kon, nen, vernon,
gen für kamen, iiemen, rernomcn, geben; vgl. Seiler s. 59. 220. 132 und unten
die einzelnen verba.
Verba anomala.
1. haben. 1. ind. präs. ich lian xAlt. 1Ü2; T han 5, Na 93; ich hab w.F 9,
Na 246. 2. du hast xAlt. 217. 3. er hot w.F 7; er hat G 24, T 11, Na 152.
1. plur. wir band Jud. 36, T 1C7, Na 446; hend N89, Na 880. 2. hand w.F 162,
Na 719; ihr hend Na 50; ihr haben G 1272, T 142. 3. sie hand w^ F 82, T 61,
Na 215; sie hend N 712, G 280, Na 880. Tniper. 2. sing, hab Jud. 66, Na 32. 62.
Conj. imperf. 3. s. het w.F 5, hett 36, — T hat 69. Im ind. piät. setzt sich das nihd.
schwanken zwischen a- und e- formen bei Gengenbach fort: hat x Alt. 628, Na 10-
41. 68; het w.F 150, Na 685. Inf. han w. F 175; — T 118, Na 229 {d zu streichen).
Part, gehan xAlt. 307; — Na 175.
Das verbum haben zeigt also sowol bei Gengeubach als auch in T und Na
durchaus den alem. lautstand; die umgelauteten formen für den plui'. Iiend erklären
sich aus dem schwanken des verbums zwischen 3. und 1. schwacher corljugation und
sind nur in schwäbisch -schweizer, quellen belegt, das part. gehan ist dem Uaselcr
dialekt gemäss (Seiler s. 158) und findet sich nur in Schweiz.- elsässisch. quellen (D.W.).
2. sein. Ind. präs. ich bim x Alt. 247, er ist häufig 2. plur. ir sind xAlt.
104, G 764, Na 377. Imper. 2. sing, biß Jud. 278. 466. 2 plur. sind N 100,
Na 476. Conj. 2. sigst N 715, Na 1084; 3. plur. sigen G 148; 3. plur. sgendt mit
analog, herübernahme des -t des indicativs ü 152.
Prät. was B 135, Na 55; tcar B 139, Na 895; pt. gsin N 406, Na 327,
geuesen N 716, Na 292. 950; inf. sm häufig. Beachte die spec. alem. formen: 2. plur.
sind., die ^-formen des conjunctivs, part. gsin (D.W); vgl. AG. s 351.
3. tcollen. Ind präs. 1. s. ich rvil w.F 3, T 83, Na .33; 2 tviltu xAlt. 170,
wilt G 243, Na 468; 3. wil w.F 32, T 6S. 1 plur. uend w.F 17, Na 815, ivellen
G 337, T 43. 111, Na 859; 2 icend Jud 11 ; 3. tvend w.F 136, T 74 Conj. 2. s.
weist Jud. 252, Na 30 31; 3. icell w.F 139 (wöll N 531, wöl G 587), T230, Na 163.
Prät. ind. 3. wolt w.F 238, Na 205, avot a.E 44, B 133 (: gbot). Conj. 1 Jud. 69;
3. weit T 81, wollen T 236; pt. gewöt N 456.
Die formen sind widerum in beiden gruppen durchaus alem., assimiiation des
l in wot beschränkt sich auf das schweizerische, das Baseldeutscho hat die form noch
heute; vgl. AG s. 409; Seiler s. 313. Das gleiche gilt von dem part. geiröt. Für
einen Nürnberger wären die.se belege jedesfalls sehr auffällig.
4. luon. Ind. präs. 1. s. tän xAlt. 74, Na 841 (AG s. 355); 3. thilt sehr häufig;
2. plur. lünd G 601; 8. tioid xAlt. 131, T 109, Na 144. 311. Imp. 2. tän Jud. 149,
Na 231. 256. Prät. tet Jud. 223, Na 209; 3. plur. detletit x Alt. 623, T 149 (AG s. 357).
Inf. thünw.Y 117, thon xAlt. 78. 789, than a.E 290; vgl. oben: Vocalismus.
ZEITSCHRIFT F. DEUTSCHE PllILOLOGIK. BD. XXXVII. 14
210 KÖNIG
Praeteritopraesentia.
1. u-issen. Pt. Na gen- ißt 541 (vgl. Seiler s. 320).
2. gan. 1. s. gan a.E 171; pt. vergundt Jud. 443.
3. darf. Ind. präs. 2. s. darffst x Alt. 274. 311, N 892. 1058/60, Na darffst
688. 1007; 3. darff w.F H, a.E 22, Jud. 436, xAlt. 501. 604, T dar ff 12^. 2. plur.
dörffen G 614. 617, dorfft G 590; 3. plur. dörffen T 87.
Prät. 3. sing, dorfft a.E 45; Na hdorfften 352. Conj. prät. 1. s. dorfft xAlt.
739; 2. d(5/#s< N 1216; 3. dorfft xAlt. 312; Na bdSrfft 871. 1000. 2. plur. f/or//Ve?j
G 600; 3. plur. dörfften xAlt. 427; Na dÖrfften 1038.
Die bedeutung des Wortes zeigt ein ziemliches schwanken. Es findet sich
a) im alten sinne = bedürfen a.E 22, w.F II. 147; braucheti a.E 45, xAlt. 108. 311.
739, N 1216. 1222, G 523, T 87, Na 357; b) ich habe ein Recht Jud. 436, xAlt.
482; c) Umschreibung des potentialis xAlt. 312. 427. 591; d) =■- dürfen xAlt. 274.
501. 604- N892. 1058/60, G 614. 617, T 129, Na 688. 871. 1000. 1007. 1038.
4. tar. thar xAlt. 336.
5. sollen. Ind. präs. 1. s. soll Jud. 245; 2. soltu Na 191, w.F 256, saltii
B105, N893, G319; 3. S($« w.F 108, Na 247, so/ w.F 185, Na 707. 1. plur.
sollen w.F 68, T 25. 34, Na 276, send (AG s. 395) N 803; 2. plur. sollen G 72,
Na 454, solt B 60, sölt xAlt. 117; 3. sollen G 126. 892, Na 233, söhnt G 392,
sond G 127, Na 120, send (AG 395) N 1362. Prät. 3. s. sot ß 44, Na 373 (beide-
mal im reim, vgl. AG s 395); solt Jud. 196.
6. 7nag (bedeutung meistens = können). Ind. präs. 1. s. mag w.F 86; 2. magst
Jud. 82; 3. mag w.F 25. 1. plur. mögen B 117, T 16. 40; 2. mögen G 267. Conj. 3.
müg w.F 252, 7nög Jud. 244, Na 252, möge Jud. 101. Prät. 3. s. mocht Jud. 297.
Conj. möcht w.F 145; T 3. plur. möchten 216. Infin. mögen w.F 175; pt. gemocht
N787; adj. verb. unmüglich G 235; Na müglich 277. 527.
Besonders müssen noch die folgenden verba erwähnt werden:
1. gan. Ind. präs. 1. s. gang xAlt. 195, G 798, Na ich began 118; 3. s. gat
w.F 131. 170, Na umbgodt 80. 3. plur. gond w.F' 79; T 1. plur. wir begond 123,
Na 691; 3. pl. T gond 197. Imper. gang Jud. 278, N 720, G 532. Conj. 3. s. gang
w.F 109; 2. gangest G 1014. Prät. ging und gieng (vgl. oben). Inf. gon, gan
w.F 12, T 153, Na 303; pt. gan Jud. 109, gangen Jud. 286, Na 4. 21. 64.
2. stan. Ind. präs. 1. s. ston x Alt. 799, stan 667, unterstand x Alt. 408;
Na 2. s. verstost 837; 3. s. entstot w.F 69, Na verstot 271. 2. plur. ston G 266;
3. plui". sten w.F 161. Imper. verstand N 968. Conj. 1. s. verstände N 1004. Prät.
3. s. stünt Jud. 16, abstund Jud. 91; 3. plur. stunden Jud. 116. Infin. sto« Jud. 289,
T verston 157, Na ston 209, vgl. zu den vollen foi'men AG s. 324.
3. lan. Ind. präs. 1. s. ich /a/? w.F 172; 2.]A\xy. lond Jud. 441, /o>* xAlt. 121;
3. plur. lond xAlt. 105, T lond 73. 180, Na 1029. Imper. laß w.F 254, T 158;
2. plur. lond xAlt. 284, Na 598; cohortat. 1. plur. lond T 89, Na 813. Conj. prät.
last Jud. 344. Imperf. ließ w.F 98. Infin. Ion w.F 69, Na verlon 223. Part, glan
G 733, T glon 212.
4. geben. Ind. präs. 3. s. gydt w.F 186, gidt G 497; 2. plur. gend Jud. ]2(),
T 141; 3. plui-. Na gend 135. Inf. geben w.F 169, Na 34, gen w.F 226, Na 234.
421. 687. 983. Part, geben N 955, T 44. 209, Na 157; gen xAlt. 231, T 84. 193,
Na 51.
5. nemen. Im plur. contrahierte formen: 3. plur. vernend(e) Jud. 180, iietid
xÄlt. 503. Inf. nen w.F 43. 275. 228, T nen 194 (weidnen bei Goedeke ist in beid
PAMPHII.US GENGENIiACH 211
ncn zu bessern^), Xa 422. G86. Part, genommen Jud. 13, vernummen Jud. 41,
genon w.F99, G 30 (Schw. Id. 4, 725. 731, Seiler s. 132. 220).
6. konnnen zeigt dem alem. dialekt gemäss in fast alleu formen ti. 1. s. laim
Na 477; 2. kiimpst x Alt. 734, Na 12; 3. küpt w.V lö\ 'i. \A\jiV. kuvicn B 62. Imper.
2. pliir. kummen Na 970; 2. plur. körnen 1469 (Na 263), kumen G 335. Im infm.
imd part. findet sich sehr häufig die coiitrahierte form kon: w.F 142. 185. 235. 239.
264 — w.F 278, BSG, x Alt. 579, N 830, G 82 — Na 370. 427. 757 — 320;
daneben auch kwnmcn: Jud. 300, N 142, G127; Na 532. 681, T225; w.F 105. 127,
Jud. 500; Na 987; kommen als pt. B90, xAlt. 248; vgl. auch oben: Brechung.
3. Dialektische reime.
Die nachfolgende Zusammenstellung hat wider den doppelten zweck, einmal zu
zeigen, dass Geugenbach durchaus dem Baseler dialekt gemäss reimt und dadurch die
behauptung seiner Baseler herkunft weiter zu stützen, und zum andern durch ver-
gleichung seiner reime und reimwörter mit denen aus Na und T darzutun, dass sich
hier im wesentlichen dieselben dialektischen reime, oft sogar dieselben reimwörter wie
bei Gengenbach wiederfinden.
A. Verhalten der vocale zu einander.
A - laute.
Gerade bei den reimen mit ä als charakteristischem vocal zeigt sich deutlich
die weitgehende ausgleichung der mhd. vocalquantitäten. Es wird fast ausnahmslos
ä mit u gebunden. Unter den reimsilben stehen die auf an bei weitem voran:
man:gtan w. F 64, N847; -.han (wobei allerdings zu berücksichtigen ist, dass
in den contraliierten formen des hilfsverbums han der alem. dialekt nach Schw. Id.
2, 870, AG 373 auch die kurzen vocale kennt) x Alt. 282. 670, T 117, Na 92. 608 usw.
im ganzen 73 mal bei Gengenbach und 17 mal in T N«. Die ausgleichung ist hier
jedesfalls auf die nasalierung der vocale zurückzuführen. Da diese zugleich die Ver-
dunklung der betr. vocale nach sich zieht, so sind hier auch gleich die bindungen
man: van {von im reim auf Ion G 372) x Alt. 237; ane:darvone TTE183; man:
Samson G650; biderman:Dission w. F 36. 51; gton:darvon x Alt. 783; gan:von
G 242 hinzuzunehmen. Alle diese reime sind durchaus dialektisch und weisen, was
Singer für die reime von a:o {man: van) behauptete, durchaus nicht nach Nürnberg
(vgl. AG 11, Zarncke a.a.O. s. 277/8).
Aber auch vor anderen consonanten ist die kürzung ursprüngl. mhd. längen
weit vorgedrungen:
acht: acht, gedacht :veracht x Alt. 703; veracht : gebracht G 97 . 117; anfacht:
macht {s.) N 701, Na macht {\.) : bracht 452 (vgl. N 1325) usw. Im ganzen 13 mal
Gengenbach, 3 mal Na. Ein reim auf sicheres ä i.st bei diesen verben nicht zu
belegen.
Sehr häufig sind auch bindungen von ar : är. har:war (adj.) B 89, N 76,
Na 846. 884 usw. Im ganzen 15 mal bei Gengenbach, 6 mal in Na. art : ärt x Alt. 223,
N 145. 481, Na 931. Vgl. noch die reime gach : ersach TTE 176; bschach : nach G 411.
423; gschach \ daj-nach N 593.
Des weiteren sind nur zu erwähnen eine reihe von bindungen von äffen : äffen
TTE 57; ag:äg TTE 8; alien:ühen G 1237; alt: alt TTE 64; and:änd (ev. kürze)
N979. 1024. 1167; ast:äst G .542. 569, Na 806 (ev. kürze); at : ät B 20. 26. 177
1) So der ältere druck.
14*
212 KÖNIG
(ev. kürze), x Alt. G28. 813, N 469. 921, Xa 108. 176. 194. 238. 293. 636. 994 (ev.
kürze), G105; ax,:clx w. F152.
Mhd. verschiedene, aber dialektisch fast gleiche vocalqualität liegt vor in den
zahlreichen bindungen von cl : ö. jjlog : btrog G 605. Sehr beliebt sind auch hier die
binduügen von än:ön. gon : kon N 52, Na 756; '.schon w. F 178 usw. Gengenbach
39mal, T Imal, Na 4mal.
Häufig sind bindungen är : ör x Alt. 578, Na 122. Gengenbach 6 mal, Na linal.
Ebenso at:öt w. F66, T 185, Na 16. Gengenbach 11 mal, T 3nial, Na Imal.
Hierhin gehören auch reime wie gon:thün G387; thon : Ion x Alt. 78; hon:
thon X Alt. 788; than:han a. E 290. Zu dem reim son:gon G 56 vgl. oben: Diph-
thonge, auch die reime von mhd. tio : ä sind alem. nicht unerhört, Seb. Brant hat sie
ebenfalls (Zarncke 277, 17). Sie brauchen also durchaus nicht, wie Singer will, nach
Nürnberg zu weisen.
Im dialekt geschieden, aber unter berücksichtigung der trübung von a :« nicht
undialektisch sind die reime von « : o. Schivab : ob TTE215; mocht : erdocht G432;
tvogen : betrogen N1194; mol:ivol w. F 146, Na 27; mol:sol N 595; jar : vor N 30.
459; -.thor Na 8; icorwor Na 297; hor:enbor x Alt. 664, G 1073; hosen : blosen
G 352; ußgelossen : beschlossen N 1413. cit : ot. Spot : hot w. F 6, x Alt 713 (ev.
kürze, ebenso B119, N993); sot : rot B44; gbot : stot x Alt. 225.
Eine bequeme Übersicht über die bei den a- lauten und ihren schattieiungen
möglichen reimverbindungen gewähren die dreireime, die ich deshalb hier aufführe:
1. ä: ö : ä. nach : floch : goch Jud. 54 — 56.
2. ö ■.ä: ä. lan : gethan : ran Jud. 70 — 72.
3. ö-.ä-.ä. von : Ion : ston Jud. 134 — 136; gethon : ußgon : von Jud. 342—344;
van : lan : han w. F 254 — 256; rat : stot : spot Jud. 246 — 248.
4. ä:ö:ä. an : van : lan w. F. 214 — 216.
5. ä : ö : ä. man : van : man x Alt. 237.
6. ä:ö: ö. hon : kon : Ion w. F 238 — 240; ko7i : schon : glon w. F 278 — 280;
hodt : todt : not Jud. 518 — 520; not : todt : lot B 185 — 187.
7. ä: ö: ö. glon : umbkon : von w. F 234 — 236; thoren : gschoren .joren G 1123
bis 1125.
8. ä: ö : ö. got : rot : spot Jud. 86 — 88; gbot : sot : rot Jud. 171 — 173.
i^- laute.
I. e : e.
1. eben, eben -.heben N 268; erheben : eben N 1112; -.geben N 463. 509. 1060;
geben : beheben N 727.
2. eckt, befleckt : bedeckt G 246; steckt : seckt Na 598.
3. effen. äffen : träffen G 617.
4. egen. regen : beivegen N 690.
'o. elt. welt-.mißfelt Bl, N 1090; ivelt-.gfeltxkM.ld,^, G 753; g st dt : weit
G 699.
6. emen. schlemmen, schämen, demnien -.nämcn x Alt. 284. 399. 409, G 409.
7. ende, bellende : vernende Jud. 179.
8. ens. junß {iWuü) : gänß N911.
9. er. tver {avxaa) : her Jud. 479; mör-.beger N 130; crner : bescher T187.
10. eren. weren : begeren x Alt. 685.
11. ert. schtvert : pfärdt G723; begärt: heri G1130.
PAMPHILUS GENGENBACH 213
1 2. ef. hrfd : het x Alt. 609, G 16G; hol : klaret Na 82ü; stet : det N 743 ; redt :
thet Xa 925.
13. etten. retten : bütten ,Tud. 222; stciten : ußjetten G 879.
14. käller : däller T 125.
11. r:e.
1. cl. scel : qucl w. F 100, x Alt. 523, Xa 170.
2. er. her : eer B 32, x Alt. 489; : 7)ier B 61 ; : ker G 940; leer : beger N 870.
3. eren. geiceren : leren G3.32; abschüren : leren G316; bgi'iren : Irren x Alt. 4M.
4. ert. verkert : schivert N 90; lirdt: giert Na 273.
III. e:e.
1. er. seer : mor N 932.
2. eren. schiiere7i : eren \ Alt. Sd; bscJuveren : leeren Na 644; : /i;ere«Na 1024;
verxeren : leren x Alt. 165, G312; neren: leren x Alt. 263. 313, G 389; leren : iveren
G 206. 853; ericeren : leren T183; erneren : herren^ N 1215.
3. ert. u-Srt : kört N 825; hört : lert G 188.
lY. c : er.
1. echt, recht : durchücht N229. 732. 1261; durehächt : gerächt N 997.
2. ehen. gsähen : verschmähen N763; verschmähen : gschähen G 776; gschä-
hen : nähen N 1463; nähen ■.jähen Na 746.
3. er. bgär : war B 181 ; : mär Na 45; her : schwer TTE 41, G 1086, Na 319;
: war TT E 190, G 558. 744. 1128, T75, Na 12. 766; : ?mw«r x Alt. 652, G 1055;
:lär G1115. 1187; :wär x Alt. 833, Na 450. 516.
4. ert. erklärt : bgär t x Alt. 61; perd:härd x Alt. 711; erd: erklärt N 1155;
: beuärt N 1173; erklärt : werdt N 72,
V. e:(B.
1. ert. bschivert : hert x Alt 607.
2. er. meer : wer (esset) B 150.
3. eren. neren : bschweren T 214.
VI. E: (e.
1. er. eer : ?f«r \v. F104; icer ■.herr^a%A~(\ leer : sckwer G2-tö. 1027 ; : unniär
X Alt. 175.
2. ert. heicärt : giert G 802; erklärt : geert N 407.
Yll. c-.ij^.
1. eren.oeren. xerstoren : iveren N 601.
2. crt:(Tj-t. gehört: wert G 1119; gwärt : zerstört N 581.
VIII. e : m.
1 . er. mör : hör N 942.
2. ere7i. neren: hören TTE 203; neren: hören x Alt. 368; bschweren: huren"^
Na 454. 514. 654. 708. 744. 917.
3. ert. hert : xerstört N749; gfört: gehört N 389. 1069, G873; criveit : ghört
G572; nert: ghört T219.
1) herren ist nach ausweis sonstiger reime mit c anzusetzen; vg!. unten VI. IX.
2) Die häufigkeit gerade dieses reimes in Na ist durch den stoff bedingt. Dieser
nmstand erklärt es auch, dass die Verwandtschaft in den reimen zwischen T, Na und
Gengenbach nicht noch weiter geht. Ich weise darauf hin zur richtigen bourteilung
der parallelen.
214 KÖNIG
IX. e:oß.
1. er. eer : hör x Alt. 370; leer : hör N 424, Na 466; herr : kor Na 77.
2. eren. eren : erhören Jud. 227; -.hören N 628, G13Ü9; -.zerstören Na 325;
hören : leren x Alt. 705; hören : verkeren x Alt. 811; herren : zerstören N 1188.
3. erst, erst : x er stör st x Alt. 215. .
4. ert. zerstört : verkört N305; ghört-. giert B 121.
X. ce-. (B.
mär : hör N 240.
XI. 03 : ö.
getödt -. geicöt N. 455.
XII. e-.ö.
gracht : möcht Na 526; T 15 leben -.mögen (ist doch wol aufzufassen dXs leben-,
megen).
XIII. ö-.e.
Nur in Na belegt: gspöt : het 684; götzen -. letzen 146.
XIV. e-.ie.
er : ier. gschier : leer x Alt 209; eer : zier a. E 66.
Dreireime.
e:e:e. tver (arma) : her : mer Jud. 479 — 481.
e:e-.ce, eer : seer : schtver Jud. 486 — 488.
e (e) : (B : e (e). gen : spen : nän w. F 226 — 228.
e:e-.e. lest : gest : näst w. F 258 — 260.
e : e : op. leren : werren : xerstörenn Pr. II, 10 — 12.
Welchen schluss dürfen wir nun aus dieser scheinbar so willkürlichen behand-
lung der e- laute auf die heimat des dichters ziehen? Schon ein flüchtiger blick auf
die oben gegebenen reimbindungen lehrt, dass diese willkürliohkeit doch keine gar
so grosse ist. In einer reihe von fällen finden sich reimungenauigkeiten nur in silben,
in denen auf den reimvocal r folgt. Das gilt von den gruppen 3. 5 — 10. Bei 2 und
4 überwiegen solche silben stark und nur 1. 11. 12 machen eine ausnähme. Nun
gilt für den alem. dialekt, also auch für Basel, das gesetz, dass vor r ö und e
gelängt und geöffnet werden (Hoffmann s. 11 anm.) Dadurch fallen vor diesem
laute e und e, ce und ö in einen laut ^ quantitativ und qualitativ zusammen und
es sind somit die unter 3. 8. 9 aufgeführten reime dialektisch rein, e und ce haben
im heutigen Baseldeutschen überoffenen lautwert: ä (Ho-ffmann § 136. 163. 165).
Gerade nach ausweis der vorstehenden reime scheinen sie denselben wert schon
im 16. Jahrhundert gehabt zu haben. Danach wären für Basel auch die gruppen
2 (r). 4(r). 5 6. 10 als reine reime anzusehen. Da ausser vor nasal + cons. hier
auch e und ö zusammenfallen in e (Hoffmann § 136. 140), so ist ebenfalls gruppe 13
dialektisch rein. Vor nasal -|- cons. werden e und e (ausser vor lenis) zu ä (Hoömann
§ 157. 165), d. h. von den unter 1 genannten reimsilben sind rein: emmen, ende, ens.
Somit bleiben noch übrig von 1 eben, eckt, effen, egen, eil, et, etten, von 2 el, von
4 echt, ehen, 7. 11. 12. Die unter 4 genannten reime sind qualitativ reine, quan-
titativ nur gering differenzierte reime (ä : <b Hoffmann § 136. 163. 165), die also als
dialektisch angesehen werden können. Weil vor lenis stehend, ist auch 2 cl dialek-
tisch völlig rein (Hoffmann § 136. 152. 155). Reime von überoffenem zu offenem
ä: e, also ziemlich rein sind die unter 1 genannten, soweit sie nicht vor lenis stehen.
Unrein bleiben nach dem heutigen lautstand 1 eben, egen, die reime von e-.ce sein
PAMIMIILÜS GKNaENHA(ll 215
wüidoii. Das gleiche gilt mutatis mutandis auch von 11 e : e. Nr. 7 würden reime
von ä: e, also dialektisch als rein zu beurteilen sein, 12 wäre ä: r^ also gleichfalls
nur gering verschieden. Wesentlich unrein wären von all den aufgeführten reimen
vom heutigen Standpunkt nur die wenigen unter 1 auf -eben und -egen und der unter
11 genannte. Der reim e:ie endlich (14) kann für die dialektbestimniung nicht ver-
wertet werden, er ist auch im bair. des 10. jh. wie im alem. ausserordentlich selten,
vgl. BG § 4G. AG § Ü4.
Wir haben also gesehen, dass die grosse fülle scheinbar unreiner reime mit
e- lauten vom Standpunkt der Baseler mundart aus mit nur ganz geringen ausnahmen
als rein anzusehen sind, und es muss sich angesichts dieser tatsache zum mindesten
die frage erheben, ob eine so genaue kenntnis der eigentümlichkeiten des Baseler
dialektes einem fremden überhaupt möglich war.
I- laute.
i : *.
Diese ziemlich zahlreich belegton reime bieten , weil nur quantitativ verschieden,
keine Schwierigkeiten, um so weniger, als sie schon in mhd. zeit vorlagen und der
tradition entnommen werden konnten.
i : ie.
(jericht : Jicht TTE 120 (AG 40, Beitr. 11, 565). Zu gering : ßng w. F 20, ging :
anfing : geling Jud. 219, gienge: dinge Jud. 46 vgl. oben: Diphthonge.
t : iu.
1. ich:iu(:h. glich : euch G1315; : üch x Alt. 116; ricit : mck N 859. 1469.
2. ieht:iucht. füeht : licht G 1071.
3. it : tut. leüt : streit w. F 76; xyt : leüt w. F 102, N 1120. 1421, T 60; : mit '
Na 75. 347. 726; : bedüt N 244. 502. 1050; : verbüt G54; nüt : hochxyt Na 116; lit:
nüt Na 112; gydt {w): bedüt N1014; gijdt (s) : lüt N 1139. 1169; : mit Na 124. 140.
712; Vijt-.liit N1320; gcrilt : schnit N 173.
4. iten: tuten. rüten:%yten N1213, G 1132; xytcn: liitcn N 183; : vertiüfen
N516, Na 150; lüten : stryten N 1257.
5. ixt : iuxt. flyßt : schüßt G 260.
In allen diesen reimen steht der reimvocal vor fortis. In diesem falle werden
im heutigen Baseler dialekt beide laute zu i (Hoffmann § 137. 197. (141)), die reime
sind also rein.
* : iu.
1. ich : iuch. mich : euch N 1034.
2. ind:iuml. sind : f rund J\xd. 331 , x Alt. 760, T 138. 166, Na 949; kind :
fr lind x Alt. 344 498, T 130, Na 1022; frütid : blind G 805; gschwind : fründ Na 503.
3. inde:iunde. gschivinde-.fründe Jud. 51.
4. ir.iur. dir : obenthür G576; .thür G828; mir : obenthür Na 505.
Dreireim.
fründ : sind : gschwind Jud. 127 — 129.
Auffallend ist der reim mich : eüch^ der nach dem heutigen dialekt ein solcher
von t: % wäre und eine kleine Unreinheit in sich schlösse (lloffmann § 137. 141).
Dialektisch rein dagegen und sehr charakteristisch ist die bindung von mhd. friunt
1) Auch die form nit ist in Na des öfteren belegt: 29. 381. 682. 750, bei
Geugeubach: Jud. 239, x Alt. 177. 315, N 1487.
216 KÖNIG
mit i. fründ ist nämlich im heutigen dialekt das einzige wort, welches für iu X
zeigt (Hoffmann § 198). In niir^ dir darf man wol schon länge ansetzen.
i : ü.
1. ick : ück. anblick : glück G 1075.
2. icken : ücken. schicken : glücken Na 566.
3. ichten : achten, xücliten: richte^i Jud. 501; züchten: berichten N 651.
4. indeu : ünden. zfindcn : verkünden G 1279, N 1375, xAIt. 32; : sünden
TTE 99.
5. md : und. blind : sünd x Alt. 21 , N 796, G 20. 899, T 146; find : sünd B 40,
G86, N1341; kind:sünd N 807. 1475; : verkündt :inA. b21 , x Alt. 148, N 165; sunt:
geschtvind N 1467; sind: sunt N 1020.
6. ir:ür. thür : jr G 1019; für: dir G 273; für: mir xAlt. 595, Na 550.
7. irtcn:ürten. icürlen : gürten G 738; hirten:ürten Na 363.
8. ist : ilst. ist : rüsi P II, 70; entrüst : bist Na 407.
9. it : üt. bschüt : nit G 264.
10. itz:ütz. gschütx, : tvitx, G 150. Dazu ausserdem aus Na:
11. ilt:ült. gefillt : unviilt Na 71.
12. ing : üng. trüng : ring Na 18.
Dreireime, härfür : thür : wir G 157; für : mir : dir Na 500; find : blind :
sünd T 12.
Die reime, unter denen sich charakteristischer weise keiner vor lenis findet,
sind im dialekt alle rein, da ü und i ausser vor lenis in 'i zusammenfallen (Hoff-
mann § 137. 141).
ü : in.
1. und : iund. fründ : verkünd xAlt. 3.
2. ünde : iunde. fründe : sünde Jud. 382. Dazu
3. ür:iur. obenthür : für Na 21. 63.
Bei den ersten beiden reimt nach dem heutigen Baseler lautstande 'i: i, bei 3. f :f.
ie : üe.
1. iebt : Hebt, gliebt : betrübt N 186.
2. iegen: Hegen, biegen \ bnfigen xAlt. 340; bnägen : liegen T 101.
3. ieren liieren, deponieren : fi'oren G 768; hoffieren:rüren G 283; verfüren:
regieren N 1217; %ieren : füren x Alt. 527, G 930; erfrieren : verfüren G 831 ; vtrfüren :
regieren G 908; füeren:tyrannesieren., interdicieren , monieren T 25. 233, Na 134.
4. iert : üert. xiert : gfürt N 636; gstudiert : verfürt G 773, Na 188; disputiert :
gefürt Na 818; probiert : fih-t Na 866.
5. iex : üex,. hieß : füß Jud. 406.
Diese reime sind dialektisch rein , heute sind ie und üe in io zusammengefallen
(Hoffmann § 142. 206. 209).
0- laute.
0 : ö.
1. on. darvon : Ion G 372.
2. or. vor: thor G 798; thor (porta) : dor (narr) G 996.
3. oren. geboren : thoren TTE 211, N 1380; gschivoren : thoren G 721;
bschivoren : oren Na 1057; sparen: oren G946; thoren : geschoren G 1122.
4. ort. ort:ghort B 50; btort:mort xAlt. 235; ivort:ghort N 1086. 1356;
tvoi't : erhört Na 440.
5. orte. ghorte:morte TTE 175.
PAMl'lIILUS GKXGENBACH 217
6. ot, öt. spot : todt N 2(52. Dazu
7. ol. ivol -.hol Na 614.
Vor r sind diese reime dialektisch rein, bei den übrigen ist die differonz
nur gering.
öu : ei.
geliehen : xeichen G 810, : seichen G 494; reien : erfrowen G 955; froid.heid
N 1224, : 6eseAe«Z X Alt. 453 ; xcrstr6ict:gscitl^\Ai^\ geseit : erfruwt N611; vgl.
Zarncke 278, 24.
Beide diphthonge sind heute zu ai geworden, die reime ^Yaren also wol auch
schon im Ki. jh. rein.
U- laute.
u : uo. x
gefunden : stunden Jud. 115; abstund : hiind : stund (hora) Jud. 91 — 93. Siehe
oben: Diphthouge und AG s. 78.
li : uo.
Paur : bsehtvür Na 458/9; vgl. AG 78. Auch Seb. Brant im Narrensch. vorr. 94
bindet einmal vor r ü : tio (Zarncke s. 277, nr. 7).
B. Verhalten der consouanten nntereinandor im reim.
Es reimen die verschiedenen medien untereinander:
I. h : g.
1. ab : ag. tag : ab B 87.
2. ahen-.agen. haben : sagen TTE 35, N 343. 703. 1151. 1222, G 1271, T 47.
73, Na 190. 317; -.frageti xAlt. 41; ■.klagen xAlt. 108; ■.getragen T 33; -.kragen
Na 126; erschlagen : begraben xAlt. 464; schyßgraben : tragen G 1110; hiaben :
fragen N 877.
3. eb:eg. wäg: gab G 1229.
4. eben : egen. laben -.pflägcn G 564, : s%ew xAlt. 231, : mögen T 15; erheben '•
tißlegen G 68; eben:legen N 1318, : tcegeti N 453; heben: legen TTE 77; glägen :
sträben x Alt. 485; fragen: geben T 43 (s. unten).
5. iben : igen, triben : verschu:igen Jud. 94, Na 488. 915, : schwigen x Alt. 511,
Na 808, : gigen T 132; gschtvigen : gschriben G 917.
6. oben : ogen. loben : zogen x Alt. 45.
7. uben:ugen. schieben : suge^i G 463; sugen:kluben G 356.
8. iieben : Hegen, betrüben : fügen N 270. 674. 1415.
9. orben:orgen. gstorben:erworgen x Alt. 590; verdorben : erworgen G 835.
10. iegen : iieben. kriegen: betrüben x Alt. 321.
IL b : (/.
\, ab: ad. hab : schad w. F 10. '
2. eben:eden. eben: reden Na 814; beheben : reden a.E 232.
3. iben:iden. beliben : giidcn G 131, :friden N 889, Na 1028, : liden xAlt.
487, T 82. 216, : schntden Na 882; sehr iben : liden N 1143, : xüfryden Na 662;
liden : verdriben N 682.
4. erben: erden, sterben : erden TTE 225, :iverden Jud. 85, T 39, Na 247 ;
erden : ericerben Svidi.b^l; kerben : tverden G 887. 1015, Na 804. 972. 992, : erden
Na 1069.
5. orben : orden. icorden : (ge)storbeu x Alt. 542. 737, a.E 313. 361.
218 KÖNIG
III. d:g.
1. aden:agen. tagen : schaden a. E 88.
2. iden:igen. liden : verschwigen N 36, Na 860.
3. inde:inge. gschivinde: dinge Jud. 405.
4. orden : orgen. tvorden : tvorgen N'1302; orden : er/rorgen Na 253, : ^morgen
Na 548; worden : sorgen G 1155.
Verschiedenes.
1. in : 11. man:nam xÄlt. 301; katn : entran G 782; vernim : brin G 673;
rein: kein G 305; hein : erschein B 109, '.schein Na 564, -.bein G 1013; ston:Rom
a.E 112; — grinnne: keyserinne Jad. 30; kcyserinnen : bestimmen Jud. 469; uber-
kuiu)>ien : entrwmen TTE 152; entrnnnen : klimmen Jud. 302; kunimen : nunnen
T 235; namen:hi?tdannen ^a.Q'ib] — ingenoimnen : schonen a.E 237; — grimdt:
kmnpt N835.
2. md : nd. behend : hembd G 686.
3. ng : nk. bank : lanck G 314; ußscliwanck : lanck G 716; lanck : danck
G 1264; — erlangt : schanekt Na 632.
4. mm:ng. frummen : gertmgen : genummen N 334.
5. nn : ng. gewinnen : singen a.E 8; besinnen : springen a.E 189; simien:
bringen Na 415.
6. st : seht, ist : gemist w.F 127; entrüst : iifficüscht Na 86; vgl. auch Christen :
inischen Jud. 389.
Dreireime: ist : n/ist : brist w.F 218/20; gemist : ist : list w.F 221/3. Siehe
oben: Consonantismus.
7. cht : ft. gemacht : eidgnoschaft w.F 54; machte (s.) : xwyffelhafie a.E 318.
Beleg Weinhold, Mhd. gr. 233.
Überschlagende consonanten.
1. n: /twüm (dat.pl.) : erhörte TTE29, dialektischer abfall des n (AG s. 169).
2. b: schreibt : geydt N 565. :xeit xAlt. 27; gobt : stot B 34; brät : labt xAlt.
515; het -.behebt xAit. 126; ererbt : verxert T 142.
3. t: rächen : fachten N 981. 1280; xmachen : verachten a.E 119; erterichs :
nichts N 181; gstryfft : schlyff Na 838; t ist wol einzusetzen in säck(t) {y^.b^Q):
dräck Na 802 (dagegen ist d zu streichen in adrian : haml Na 229).
4. g: gspänst : gangst Na 491, -.längst Na 740 ein durchaus dialektischer reim.
Zusammenfassung.
Versuchen wir nun auf grund der vorstehenden sprachlichen Zu-
sammenstellungen der frage nach der heimat des dichters näher zu treten.
Dass der alemannische dialekt bei Gengenbach in sehr starkem masse
überwiegt, war auch Singer aufgefallen. Aber die macht jenes briefes
Kobergers war doch so bestimmend für ihn, dass er trotz dieser er-
kenntnis an der Nürnberger herkunft unseres dichters festhielt, ohne
sich zu fragen, ob denn jene notiz nicht auch eine andere erklärung
zulasse. Auf grund sprachlicher Indizien wäre man wahrscheinlich nie
und nimmer darauf gekommen Gengenbachs heimat in Nürnberg zu
PAMI'HILUS GENGENBACII 219
finden. Ein wie guter Alemanne Gengenbach Baslern war, zeigt die
Verwertung seiner werke in den arbeiten von Heusler und Gesslcr. Wer
möchte glauben, dass jemand, der bis zu seinem 20. jähre in Nürnberg
gewesen, hier seine kindheit verlebt, seine Schulbildung empfangen, den
grössten teil seiner Jugend zugebracht, ja hier vielleicht sogar das
dichten „gelernt" hatte, jedesfalls sprachlich durchaus in Nürnberg
wurzelt, nun nach Basel kommt, seinen heimatlichen dialekt völlig ver-
lernt und statt dessen einen wesentlich davon verschiedenen in ebenso
vollkommener weise erlernt! Wie lebhaft diese Verschiedenheit der
mundarteu — und damals gewiss noch mehr als heute — empfunden
wurde, zeigt die schon früher erwähnte Übertragung des Brantschen
Narrenschiflfes in den Nürnberger dialekt. Sehr begreiflich! Eine durch-
greifende trennung war zwischen beiden mundarten durch die neuhoch-
deutsche diphthongierung geschaffen worden. Ist es unter solchen um-
ständen denkbar, dass dem dichter bei seinen zahlreichen diphthongischen
reimen auch nicht ein einziger von neuem auf alten diphthong unter-
gelaufen sein sollte? Und weiter: wir haben bei der behandlung der
reime mit e-lauten gesehen, wie genau Gengenbach — von ganz wenigen
fällen abgesehen — die verschiedenen e- laute, ganz wie es der aleman-
nische (Baseler) dialekt verlangt, bis in subtilitäten hinein auseinander-
gehalten hat. Ist das einem fremden überhaupt möglich? Und wäre
es möglich, so sollte man eine entwicklung zu grösserer genauigkeit
hin in den einzelnen werken wahrnehmen können, aber auch dafür
lässt sich kein anhaltspunkt finden; die genauigkeit ist im Welschen
fluss (1513) eben so gross, wie in der Gauchmatt (zwischen 1521
bis 24). Wenn irgend etwas, so spricht Gengenbachs reimtechnik dafür,
dass er aus alemannischer gegend (Basel) stammte.
Dahin weist nun auch sein Sprachgebrauch. Gewiss dürfen wir nicht
alles, was wir bei Gengenbach gedruckt sehen, ihm zuschreiben, ebenso-
wenig aber haben Avir ein recht es zu ignorieren, vielmehr gestattet
uns das ergebnis der reimuntersuchung alemannische eigentümlichkeiten,
wie sie abgesehen von den reimen vorkommen, für den dichter in an-
spruch zu nehmen, und das um so mehr, als wir ja sahen, dass die
setzer nicht bemüht sind, das alemannische colorit zu verstärken, son-
dern im gegenteil es zu verwischen. Wenn sich z. b. e durch alle
werke hindurch und besonders gern vor lenis durch ä widergegeben
findet, so hat diese bezeichnung offenbar schon dem manuscript des
dichters angehört: eine berechtigung zu dieser Schreibung lag, wie ge-
zeigt, im alemannischen vor. Ich weise ferner auf die verschieden-
artigen durch den dialekt bedingten vertauschten Schreibungen hin, vor
220 KÖNIG
allem die von st für seht in geinist (vgl. auch den reim Christen :
mischen)^ ich erinnere an die Unterlassung des umlauts, der brechung.
Bei der flexionslehre, namentlich des verbums, fanden wir durchaus
den alemannischen Sprachgebrauch; man denke nur an die behandlung
einiger verba aiiomala und praeteritopraesentia, die oft formen auf-
weisen, die specifisch- alemannischen oder gar schweizerischen Ursprungs
sind, an die häufigen contractionen gen, neu, kon. Für das sub-
stantivum ist an die abstracta mit erhaltenem i, an die form kucld
zu erinnern, die erhaltung des alten o im Superlativ und in gesegnoten
ist für Gengenbachs zeit gleichfalls specifisch -alemannisch. Zu be-
achten ist endlich aus dem wertschätz: der ^«/•(f (Schw. Id. 2, 1597) für
erde, boilen xAlt. 712, G 278, kilche neben kirche, har für her.
"Was besagen dem gegenüber Singers argumente (Zeitschr. 45, 155)
für Nürnberg?! Geben wir einmal zu, all die angeführten kriterien
seien wirklich Nürnberger reminiscenzen, so sind sie eben erinnerungen
an jenen vorübergehenden aufenthalt Gengenbachs in Nürnberg, von
dem Kobergers brief zeugnis gibt. Es ergibt sich also aus den vor-
liegenden sprachlichen tatsachen mit zwingender notwendigkeit:
Gengenbach war in Basel geboren und aufgewachsen und kehrte
nach vorübergehendem aufenthalt in Nürnberg dorthin zurück.
Aber noch ein anderes kann die vorstehende Untersuchung lehren.
Die letzten darlegungen haben die eigentliche fragestelhmg etwas ver-
schoben, notwendig mussten sie auf die frage nach der herkunft Gengen-
bachs führen, und es lag mir, wie gesagt, daran, die im ersten teil
geäusserte ansieht von der heimat des dichters durch ein möglich um-
fangreiches sprachliches material zu begründen. Ebenso deutlich wie
Gengenbachs sichere dichtungen aber weisen auch T und Na in sprach-
licher beziehung nach Alemannien, ja verschiedene kleinere eigen-
tümlichkeiten, namentlich in der flexion des verbums, gestatten uns
wie bei Gengenbach das gebiet noch enger auf die Schweiz zu be-
grenzen.
In allen wichtigeren, spezielleren sprachlichen eigentümlichkeiten
endlich zeigen T und Na eine weitgehende Verwandtschaft mit den
Gengenbachschen dichtungen, abgesehen von wenigen auch bei Gengen-
bach seltenen und nicht in allen werken belegten erscheinungen wie
reime von a:iio^ von u:iio^ von i:ie, die abstracta auf i und super-
1) Das paragogische e. das Singer a.a.O. noch anführt, kann als sprachliches
kriterium nicht in betracht kommen: es ist ein metrisches hilfsmittel, das sich darum
^uch nur in den metrisch schwerer zu behandelnden meisterliederu findet.
l'AMIMIII.ÜS GKNGENnACII 221
lative auf o '. Wir können solche Verwandtschaft constatieren zunächst
auf dem gebiet des vocalismus. Wie in Gengenbachs gedichten Avird
(■ durch ä gegeben, e durch u und ö in fast denselben fällen, es finden
sich vertauschte Schreibungen wie ü für ?', e w^ird in ganz denselben
fällen (vor m und ;•) durch d bezeichnet, ee für e, 6 für c, u für '6u
ist sogar in denselben werten gedruckt. Wir können dasselbe schwanken
zwischen umgelauteten (undialektischen) und unumgolautetcn (dialek-
tischen) formen, wäe den rückumlaut beobachten. AVas den consonan-
tismus anlangt, so treffen wir auch in Na die neigung m im wort-
auslaut in ii übergehen zu lassen. In der flcxion des verbums lassen
sich formen auf -en für die 1. sing. präs. ind., das schwanken zwischen
formen auf -t, -ent, -en in der 2. und das eindringen der endung -ent
auch in die 1. plur. nachweisen. Grosse ähnlichkeiten bestehen zwischen
Gengenbachs Sprachgebrauch und T und Na in den ablautsreihen und
namentlich in der flexion der verba anomala und praeteritopraesentia,
sowie der beiden verba geben und konunen. Der Wortschatz zeigt die-
selben Schwankungen zwischen //er und har, dort und dort, helgen und
heiligen usw. Auch der Verfasser der Na scheut vor grobdialektischen
reimen wie st : scJtt nicht zurück, und in den consonantisch unreinen
reimen endlich ist eine ganz auffallende Verwandtschaft zu beobachten:
kaum eine bindung, die sich nicht auch in T oder Na belegen Hesse.
Diesen tatsachen gegenüber kann die möglichkeit, ja die Wahrscheinlich-
keit der annähme, dass der Verfasser von T und Na mit Gengenbach
identisch ist, nicht bestritten werden, um so weniger, als beide in der
wähl der reim Wörter, soweit sie nicht durch die Verschiedenheit der stoffe
ausgeschlossen ist, häufig übereinstimmen. Auf alle fälle hat man auf
grund sprachlicher Indizien kein recht, Gengenbach die Verfasserschaft
der Totenfresser und der Novella abzusprechen. Von Singers bedenken
(Zeitschr. 45, 155) fällt bei T das für ihn wichtigste fort. Schon oben
ist darauf hingewiesen, dass der reim iveidnen : gen T 194 sich als
druckfehler für beid nen nach ausweis des älteren Münchener druckes
herausgestellt hat.
Der reim leben : mögen (vgl. Na 526 gerächt : möcht) ist ein nicht
gerade gewichtiges kriterium, denn Gengenbach hat die form mögen.
Wenn man sich an der bindung e:ö stösst, so ist darauf hinzuweisen,
dass diese bindung zwar sonst von G. nicht gebraucht wird, aber doch
dialektisch ist. Auffällig und das einzige kriterium von bedeutung ist
Ij Dass wir in diesem fehlen durchaus kein kriterium gegen Gengenbach er-
blicken dürfen, geht einfach daraus hervor, dass die in frage stehenden abstracta
und Superlative in T und Xa überhaupt nicht belegt sind.
222 KÖNIG
zweifellos der reim T 43 frägoi: gehen. Gengenbach hat, obwol fragen
noch heute schweizerisch ist (Schw. Id. 1, 1291), sonst immer fragen.
Indessen wird man zugeben müssen, dass der sinn T 43 nicht über-
mässig plan ist. Ich acceptiere daher eine Vermutung von herrn prof.
Strauch und lese auch gegen das Münchener exemplar freien 'ängstlich
sorgen', siehe namentlich Schw. Id. 1, 1838 (gerade in Basel nach-
gewiesen), aber auch Schmeller 1,829 und D. wb. sub freiten. Viel-
leicht dürfte man sogar vreclen schreiben. Die stelle würde dadurch
jedesfalls viel klarer werden. Weniger will die bindung giert : bschirt
T 191 besagen, da Gengenbach e zwar nicht mit ^, wol aber mit ie
bindet. Aus dem einen worte fragen allein auf einen anderen autor
als Gengenbach zu schliessen, scheint mir angesichts der zahlreichen
Übereinstimmungen übertriebene vorsieht. Das gleiche gilt in noch
höherem grade für die Novella.
Der reim ü : ü ist bei Gengenbach allerdings nicht belegt, wol
aber der von ü'-iio., und dass er G. nicht zu fern gelegen haben kann,
zeigt das beispiel Seb. Brants. Was die reime mit betonter ableitungs-
silbe -er anlangt, so glaube ich sie aus metrischen gründen rechtfertigen
zu können: sie sprechen eher für Gengenbach als gegen ihn.
Capitel III.
Syntaktisches und stilistisches hei Oeng^enhach, in den Totenfressern
und der Novella.
1. Syntaktisches.
Ein ausführliches eingehen auf die syntax Gengenbachs verbietet
die anläge der arbeit, in der die betrachtung von spräche, stil und
metrik eben nur mittel zum zweck ist; auch im folgenden kommt es
nur darauf an zu zeigen, dass ebenfalls bei der syntax in allen wesent-
lichen punkten Übereinstimmung zwischen den Gengenbach allgemein
zugeschriebenen gedichten und T Na herrscht. In der anordnung folge
ich Pauls behandlung des Stoffes in seiner Mhd. grammatik.
I. Der einfache satz.
1. Dass ich das wichtige capitel der Wortstellung ganz übei'gehe, wird nach
den obigen ausführungen verständlich sein. Die Schwierigkeit des Stoffes würde in
keinem Verhältnis zu dem beabsichtigten zwecke stehen.
2. Flexion des pronomens. Das unflectierte pronoraen findet sich in attribu-
tiver Stellung hinter dem substantivum : G 340. 706. 934; Na 207. 462. 472.
3. Für den gebrauch des unflectierten adjectivs gilt dasselbe; s. G 459. 469.
688. 690. 1008. 1137. 1143; Na 108. 210. 1057; (Paul §227,3).
4. Die congruenz der einzelnen Satzteile wird nicht immer scharf beobachtet.
Des öfteren findet sich die constructio xiaä avveatv. B 34. 165; w.F 27; N519. il04.
1120; G 15. 21. 104; Na 96. 331. 359; (§§ 228 — 239).
PAMPHILUS r.KNOENBACH 223
5. Hinsichtlich des gebrauches der einzelnen casus ist zu bemerken:
a) geiveren mit dem accusativ der person, im passivum |)ersönlich construiert:
G 1292; Na 2; (§241).
b) Der genetiv qualit. findet sich G G15, Na 548, sehr häufig wird der gen.
partitiv. angewandt: G 10. 14. 28. 47. 443. 444, T 37. Gi). 8.1, Na 13. 171. 493. 553.
554, (§§ 253. 2GG).
6. Nominalformen des verbums. Ungemein häufig findet sich bei Gengenbach
und in dieser häufigkeit ist für ihn charakteristisch:
a) Die Umschreibung des verb. fin. durch tun: TTE 119. 203. 210, Jud. 105.
425 u. ö., xAlt. 24. 26. 32. 45. 74. 97. 99. 119. 284. 313. 340, N 377. 400. 51G.
632. 633. 810. 946. 957. 1088, G 77. 162. 453. 467. 531. 601, T 78. 149. 169.
196, Na 134. 150. 155. 209. 280. 318. 328. 5GG. 603. 635. 649. 704. 746. 841. 843.
926. 943. 968, (§297 anm.).
b) Nicht ganz selten ist auch die construction von tcellen mit dem infin. perfect:
w.F 238, Jud. 123. 208. 300, xAlt. 690, N 450/1. 4,55. 523. 856. 1276, G 430,
Na 321, (§ 298).
c) Das verbum beginnen hat bald den reinen infin., bald den mit xü nach sich :
Jud. 220. 226. 264. Dasselbe schwanken findet sich auch in Na 199. 402. 545. 917,
Na 535. 920. 1073, (§ 297).
7. Sparsamkeit im ausdruck. Es wird ausgelassen:
a) Das subject in gestalt eines Personalpronomens: B 115. 126, TTE 31, xAlt.
303. 304. 389. 699, N 60. 76. 89. 316 usw., G 163. 241. 246. 247. 250. 259. 441.
631, T 156, Na 352. 454. 574. 771. 967.
b) Das object: xAlt. 432, N 293. 897, G 399, Na 311. 406.
8. Pleonasmus. Sowol in den authentischen werken Gengenbachs wie in T und
Na macht sich das bestreben geltend den vers durch hinzufügung an sich unwesent-
licher Worte zu füllen. Dahin gehört:
a) Die wideraufnahme des subjects durch das demonstrativprononien: w. F 65,
B 72, Jud. 79. 151. 501, xAlt. 49, N 337. 637, G 473. 591. G58. 1123. 1201,
Na 462. 567. 607. 709. 733. 889, (§ 325).
b) Die wideraufnahme des objects durch djxs demonstrativprononien: Jud. 165,
xAlt. 425, N 1223, Na 27, (§325).
c) Die hinzufüguug eines do: B 183, G 431 u. ö.. Na 326. 853. 901. 902,
T 165, (§ 327).
d) Die hinzufügung eines so: w.F 282, Jud. 167, xAIt. 192. 26G. 400. 448,
N 771, G 1012. 1247, T 14. 89. 161, Na 305. 851. 970. 974, (§ 320).
II. Der zusammengesetzte satz..
9. Zum capitel „ Coordination von sätzen" ist zu bemerken, dass nach ii>i(l
häufig die Inversion eintritt: xAlt. 515. 655. 6G4, N 35. 608, G 249. 1074. 1199,
T62, Na 18, (§ 330,2).
10. Nebensätze, von coujunctioueu eingeleitet:
a) und in der bedeutung als findet sich Jud. 75. 180, aber auch Na 41.
b) eb, ob = ehe, bevor in temporalsätzen: G 253. 1230, Na 984, (Schsv. Id. I, 53).
c) umb in causalsätzen. Dieser gebrauch ist mir sonst nicht bekannt und
darum spricht sein vorkommen auch in Na sehr stark für Gengenbachs Verfasserschaft:
w.F 65 f gg. Der (Macluibeus) hat sein tag groß tugent getan,
Umb er nit folget Jorams rot,
Wardt er schandtlich erschlagen dot.
224 KÖNIG
Na 521 fg. Darin ich tag und nacht muß sin,
Umb ich dem Luter hieng auch an.
d) In dersBlben bedeiüung findet sich auch timb das: B 156, x Alt. 128. 130,
in finaler: T20.
e) wie für daß in objectiven ergänzungssätzen : N 455. 1268, Na 120.
f) In der bedeutung des zur einführung von gegeusätzen dienenden während
findet sich so: x Alt. 121, N 770, G 209. 744. 869, T 190. 222, Na 338. 354.
1 1. Ersparung. Hier ist die construction des «770 xoivoC zu erwähnen. Sie findet
sich z. b. B 95 : Und darnach -von der boßheit Cham
Als btiren folck den Ursprung nani,
Hat tinß gebracht in dies e?i Jon (Schw. Id. III, 43)
und ebenso: B 101 fgg., x Alt. 25. 351 fg. 535 fg., N 556 fg.
T 228 fgg. : Got in dem him£l ich das klagen,
Der solicks wol ergelten kan,
Well ain mitleiden mit uns han. (§ 385.)
Eine andere art von uno y.oivov nach Paul §385, 1 liegt vor in .lud. 102:
Ich weiß ein apt ist tvißheit vol.
w. F135: Ist ein spil nitnt nit bald end,
auch w.F 133, oder Na66: Do sitzt ein pfarrer hat böß bein^ vgl. auch Na23. 65. 619.
12. Anomalien. Nicht gar zu häufig finden sich anakoluthe . N 450. 947 — 952.
1136—40. 1231—33, G 120, Na 186 (§394).
Endlich sind hier zu nennen als eine gleichfalls ziemlich seltene, und darum
für die beurteiluug der Verfasserschaft von T und Na wichtige erscheinung, die fälle,
in denen die durch einen eingeschobenen satz unterbrochene construction wider auf-
genommen wird.^
G 622 — 24: Wärst du nit gern by hiipschen frowen,
— Kum her tmd laß dicJi recht beschowen —
Die dir frSid kurtxwil könten machen.
Ebenso G 1192— 94, N 1037 -39, aber auch
T 42 — 45: So min got durch sin marter hat
Abgleit all unser missethat
— Was wollen tvir dan tvieter fragen —
Und darxü mir den gwalt geben.
Na 959/61: Der Murner sprach, wer byst, sag an
— Ich wenig fründ uff erden hau —
Oder im kumpst du doch hie harr.
vgl auch Na 705—708 (§ 396).
2. Stilistisches.
Bei erster lectüre der Gengenbachschen gedichte mag wol der
eindnick entstehen, dass der oft so nüchterne pedaut und moralist, als
welcher Gengenbach uns aus den meisten seiner spiele entgegentritt,
nun und nimmer die so ausserordentlich lebensvolle, geistsprühende
Novella verfasst haben könne. Man verkennt aber bei dieser ansieht
den principiellen unterschied zwischen den beiden dichtungsgattungen,
1) Vgl. J. Meier, Literaturbl. f. germ. u. rom. phil. 16, 260.
PAMPHIUTS GENGRNBACH 225
der durch ihren stoff und ihreu zweck gegeben ist. Die meisten der
sicher ecliten Gengenbachsclien gedichte haben in erster liiiie eine
stark moralisierende tendenz. Daher die oft so ermüdende aufzälilung
von beispielcn aus der bibel und den andern oben genannten quellen.
Sie sollen den ermahnungen mehr naciidruck geben und zur nacheife-
rung reizen. Ganz anders die Novella! Hier bedurfte es keiner er-
mahnungen, keiner beispiole, hier galt es einen gegner zu widerlegen
in eben der humorvollen, geistreiciien aber derben satire, die ihn
selber auszeichnete. Einmal haben wir auch bei Gengenbach einen
satirischen angriff persönlicher art kennen gelernt, er galt dem betrü-
gerischen, anmassenden astrologen L. Fries. Welch trefflichen humor,
welch guten witz hatte Gengenbach da bewiesen! Und doch handelte
es sich dort nur um Streitigkeiten untergeordneter art und um einen
gegner, zu dessen bekämpfung nicht sonderlich viel geist gehörte. In
Murner, dessen name in aller munde, dessen satire wegen ihrer schärfe
gefürchtet war, galt es einen ebenbürtigen, vielleicht überlegeneu gegner
zu bekämpfen, und das streitobject war das grösste problem der zeit:
Luther und die reformation. Kein wunder, Avenn er hier alles, was
ihm an witz und geist zu geböte steht, zusammenrafft und es mit der
ganzen leidenschaft, deren die sache v/ert war, und mit der sprühenden
frische innerster persönlicher überzeugtheit in der Novella zusammen-
fasste. Das ist der grosse unterschied des Stoffes, den man zu wenig
beachtet hat: die stilistischen mittel sind, das möge die folgende Zu-
sammenstellung zeigen, beidemal dieselben.
I. Antithese. Am lebendigsten und wirksamsten ist dieses kunstmittel im an-
fang des Toten fressers angewandt, wo dem leben Christi in grellem contrast dazu die
lebensfühi-ung der geistlichkeit gegenübergestellt wird. Es findet sich aber auch bei
G.: TTE4.Ö — 49, G20 — 25. 208/9. 264/5. 385/8. 578/4. 741/44, T19 — 26. 27-38.
221/224, Na 206 — 16. 222 — 226. 330 — 332.
II. Die anapher, die sich teilweise eng mit den unter I genannten asyndeti-
schen Satzverbindungen berührt, findet sich:
N 745 : Wirt böser dan Joab gwesen ist,
Sein härtx wirt sein voll böser list,
Wirt böser dan auch was Ächab . . .
G 881/3: Du seilst, wie win körn soll erfrieren
Und thetst vyl guter lüt verfüeren,
Seilst vyl von kelty und von ryffen . . .
vgl. weiter G 110/12. 579/80. 1195/6. 1200/2 und durch neun verse hindurch x Alt.
617—625. Ähnlich häufig aucii T 19 — 24: Got hat gefast —, hat gläpi — , In demiit
hat er geffirt — , hat unß darby . . .
Xa30/1: Du weist von mir jetx scheiden nit
Und ivelst mit mir gon heim xu huß.
ZKlTSCHRIFt F. DKUTSCHE PHILOLOGIE. BD. XXXVll. 15
226 KÖNIG
Xa 781/3: Ich mein, ich icelt ima Jetz nit sparn
Ich iril mich noch baß mit im krmven
Und teil in leren nmrmmven.
Vgl. auch Na 233 fg. 370 fg. 554 fg.
III. Schou Goedeke' bat darauf hiugewiesen, dass G. eine grosse fülle
formelhafter Wendungen gebraucht. Diese geben zum teil auf den gehrauch der
meistersiuger zurück, sind aber auch in dicbtungeu lehrhaft -didaktischen inhalts wol
angebracht. Dass Gengenbach in ilirer auwendung zuweilen das rechte mass über-
schreitet, kann keinem zweifcl unterliegen. Doch lässt sich eine gewisse künstlerische
entwicklung in dieser hinsieht bei ihm nicht verkennen. Die Gauchmatt zeigt trotz
ihrer moralischen tendenz eine beschräukung im gebrauch dieser formein. In dicb-
tungeu vollends, in denen das didaktische dement zugunsten des erzählenden zurück-
tritt, wie in TTE, Jud. verschwinden sie fast ganz. Es kann deshalb nicht wunder
nehmen', wenn wir in Na nur wenige finden; um so beachtenswerter ist es aber, dass
wir sie finden.
1. Versfüllende formelu. Sie sind nur in den sicheren werken G.s zu belegen:
W.F91. 203, Bll. 61. 105. 167, TTE lü. 79. 136. 138, Jud. 99, x Alt. 117. 375. 459,
N117. 321. 349. 606. 736. 831. 1026. 1135. 1145. 1212, G 72. 205. 548.
2. Kürzere formein. Die sicher echten gedichte zeigen sie in so grosser an-
zahl, dass ich nur die gesamtsumme in den einzelnen dichtungen aufführe und auch
diese nur, um zu zeigen, dass sie einmal in den ausgesprochen didaktischen gedichten
wie X Alt. und N überwiegen, während sie in lein erzählenden dichtungen selten
sind, und dass G. zum andern in den späteren gedichten von ihrem übermässigen
gebrauch abkommt: w. F — , B 6, TTE 1, .lud. 3, x Alt. 19, N £9, G 6, T 19, Na 131.
174. 215. 332. 405. 846. 885. 1067.
IV. In gewissen formelhaften Verbindungen, wo wir heute gern die copula und
der engen begrifflichen Zusammengehörigkeit der einzelnen glieder w'egen anwenden,
wie in ,,wasser und brot", „silber und gold", liebt G. in auffälliger weise das asyn-
deton: für.sten, herren B 14; Sem- Juphet 78. brassen xere TTE 42. spotten spiiucn
Jud. 121^ vatter mitter x Alt. 40; rouhen brennen 43; füllen, prassen 93; fluchen,
schweren 199; grinen, grannen 250; schlahen rouffen 252 (im ganzen 26 fälle).
Geistlich, wältlich N42; fiirsten herren 48; ivitwen, weysen 84; jomer qnel 300
(21 fälle), weiti unkeüscheit G39; land stat 81; arm rycli 122; uffihü, xfischließ
172; rupffen rouffen 217 (19 fälle), tvasser brot TlOl; thantxen, singen 12'6\ tcysen
leren 162; arbait schmertxen 169; münch pfaffen 222. enget tüfel Na 166; hoffart
gydt 219; gedult arniüt 300; silber gold SS9 ; Icimg fiirsten 'SiQ; brinnen broten ilö;
küseh rein 724; böß schandtlieh 338.
Das asyndeton geht sogar über zwei worte hinaus. Dreigliederige asyndeta
haben wir anfang mittel cnd w. F 80. TTE = Teuffei, Engel, Todt. spylen, xercn,
prassen x Alt. 191. lyb gilt eer G82; münch pfaffen mmnen 108. tantxen pfyff'en
singen T 134; munch pfaffen nunnen 22Q ; bannen, brieff', interdicieren 233. Iceüsch
rein an all schalckheit Na 724. Viergliederige asyndeta endlich finden sich nur:
krum, lam, kropffrecht, ungestalt G 262.
V. Diese neigung zu asyndetischer Verbindung überträgt sich auch auf ganze
Sätze. Es ist bei Gengenbach sowie in T und Na ein beliebtes mittel zur belebung
der diction, selbständige haupt- oder mehrere von einem hauptsatz abhängige neben-
1) S. XXII anm. seiner ausgäbe.
PAMl'illLUS GENGENBACH 227
Sätze asyudetiscli aneinander zu fügen; verstärkt kann das asyndeton noch werden,
wenn das subject des zweiten satzes ausgelassen wird.
1. Hauptsätze.
B 74 : Gar bald Cham sine brüder rieff,
Zeigt in tvie er entbluset was.
B 79 : Berfifft er sein brüder Sem Japhet,
Benedict sie all beid xü der stund.
X Alt. 823: Erdtbidiimb krieg werden wir hon.
Vyl xeichen sehen in sun und mon.
N 226 : Wirt hon ein keyser grosser macht,
Mit im bringen volck aller handt,
Grülich als gryffen, merk inich recht.
522: Dem teil ich all xyt ghorsam sin
Setxen all mein hoffmmg in jn.
G 1303: Der laß vom eebruch ist mein rot,
Lig nit din wie ein su jm kot.
Ganz dieselbe construction finden wir
T123: So begond icir sie mit thantxen singen,
On alle sorg im haiiß timbsjjringen.
148: Und stifften jarxyt mit vyl müssen,
Thetten der armen gantx vergessen,
Deß nächsten lieb achten ivir nyt.
oder Xa 105: Er hat schier gantx Teutschland verfürt,
Manchem gemacht den seckel lycht.
140: Uf ablassung der sünd halten sy nüt.
Sprächen es geschäch als umb den gydt.
152: Also hat sie der müncJi terkert,
Sie gantx ein nüwen glouben giert.
223: Der muß all xytlich bgierd verton
Der ivält absterben innerlich.
Beispiele finden sich auch sonst in ziemlicher fülle: w. F44/5. 82/3. 157/58. 169/70,
X Alt. 215/19. 457/.58, N 278/82. 566/67. 583/84. 599/600. 678/79. 702/3. 966/67.
1010/11. 1450/51, G 24.5/46. 366/67. 387/88. 845/46. 848/49. 1012/13. 1062/63. 1081/82.
1140/41. 1213/14, T 19/21. 23/24. 33/35, Na 39/40. 340/41. 342/43. 431/32. 556/57.
597/98. 648/49. 672/73. 700/4. 752/53. 770/71. 773/75. 900/2. 1048/49. 1058/59.
2. Nebensätze.
w. F183: Regieren der groß adler
Der ßicgen wirt aus teütschem land,
Bringen mit im volk aller hand.
N 205 : Das kind
Das jn jm kein gotx forcht ivirt han,
Von occident mit gwalt ußgan.
Ziehen gen Rom mit grosser macht.
N308: Biß Machabeus offenbar
Die priesterschafft gantx reformiert,
Den tempel gottes wieder xiert.
15*
228 KÖNIG
N 325 : Die geistlichen ivirt er erschrecken,
Das sie jr krönen werden deckeii,
fliehen jn barg und ouch jn tal.
G 983 : Kondstu im Astrolabium nit finden,
Das dich Venus iburd überwinden,
Uß dir ein gouch und esel machen . . .
G 1271 : Das ich euch grossen dank sSll sagen.
Das ir sie so empfangen haben,
So fleißlich sind ufft gouchmat kumen.
Weitere beispiele: N 341/42. 570/71.587/88.702/3. 738/39. 996/97.1010/11, G 286/87.
295/96, aber auch
T 5 : Wan ich den givalt von Christo han,
Die sund zvei geben hie und dort,
Auß der pyn erlosen mit eim wort.
T24: Hat uiiß darby ein byspil geben,
Das ivir sollen tyrannesieren
Einen grossen bracht aiiff erdtreich füren.
T 51 . Und ouch darzü die alten man.
Das sie das ir als hencken dran,
Stifften groß jor xyt und ryl müssen.
Na 160: Das er den engten im himmel hab
Zu gebieten, sie zwingen herab.
460 : Das er jm seit tvär er doch war,
Auß was ursach er kam do här.
Weitere beispiele: T 78/80, Xa 233/34. 274/75. 307/9. 516/17. 940/41.
Auch reiüibrechungen sind mittel des stils, s. darüber unten.
Diesen berührungen syntaktischer und stilistischer art zwischen den sicher
beglaubigten werken Gengenbachs und T Na entsprechen eine reihe teils wörtlich i
übereinstimmender, teils in wort und gedanken stark anklingender parallelstellen, die p
ich im folgenden aufführe.
3. Parallelen.
1. Parallelen zwischen Gengenbach und Novella.
X Alt. 209 Und macht 7nir tag und nacht gfä Na 33 Ich wil dir machen gilt gcschier.
gschier
G156 Das ich mich nim ermren mag Na 98 Ich mag mich schier nit me erneren
G 1106 Sein seckel ist im ivorden lycht Na 106 Manchem gmacht den seckel lycht.
X Alt. 723 Dasselb ich tvorlich wol entpfind Na 114 Dann ich dasselb gar wol empfind
G271 Din lieb bricht mir gar dick den Na 128 Und brächen tag und nacht den
schloff schloff.
N 516 Die meinen thetten mich vernüteji Na 150 Den pabst thünd sie auch gantx ver-
nüten
Jud. 178 Der sach bin ich gar vil %ü schlecht Na 180 Du bist den sachen vgl xü schlucht.
G 871 Ich wolt dir noch gar vgl me sagen Na 185 Ich wolt dir noch wol sagen me
G 774 Ich hah mein tag so ryl gstudiert Na 188 Du hast din tag nit vil gstudiert
(: verfürt) (: verfürt)
N 1488 Das sies für tibel lialten nit Na 191 Und soll mirs nit für übel haben.
G 298 So kann er sichindsachwol schicken Na 230 Er schickt sich wol als fein ind sach.
l
PAMPUILUS GKNGEXBACH
229
X Alt. 517
G 1051
G917
.lud. 178
TTE.62
N898
TTE 124
G570
G 993
TTE 74
G590
Was icolt ich dann nüices fohen an
Nun (jast dn täglich uff der grub
Der Bibel tvolt ich trol geschwigen
Ist für gangen in kurtxen tagen
Dadurch kompt er in grosse not
Deß der von Rabenstein kam in not
darin braten und brinne?i (der reim
verlangt wol mit dem alten druck
[vgl. Goedeke, P. G. s. 441 fg.]
brinncn)
]Virst haben tag utul )iacht kein
rast
Wir )nöchten vor jn nit beliben
(vgl. N908, G214. 258)
Unser sach ?7iüß uerden gid
Venus darumb d&rfft ir nit sorgen
G 255 Du icirst gar tvol fraw Venus filg
(vgl. auch G518. 1105)
Jud. 79 Der schmid der sumbt sich do nit
latig.
G 1196 Und u'il dir der fraw Venus geben
N 1244 Ich teils auch also lassen blibcn
N 1424 Wan wir gepinget sind so hart
G 516 Der gouchmat iian ich ouch genug
G 838 Der so vgl leut ihfä iriderdrirß.
Na 257 Was wolt der bapst erst fohen an
Na 259 Und godt all tag jetx uff der grüben
Na 384 Ich wil der jn dem trog geschwigen
Na 421 Die do kurtxlich ist gangen für.
{ Na 439 Dcß er kam in so grosse not.
Na 484 Und brinnen broten tag und nackt
Na 575 Weder tag und nacht ha>i ich kein
rast.
Na 048 Vor im auch keiner mag beliben.
Na 661 Er sprach die such toirt iverden gut.
Na 688 Der pfarrer sprach du darffst nit
sorgen
Na 739 So war ich gar wol üwer füg.
Na 754 Der meßner siimpt sich do nit
lang.
Na 794 Ich tvil im deß Murmawens geben
Na 882 Dasselb ich dannjetxund laß bliben
Na 931 Die mich allxyt pingen so hart.
Na 1005 Der pfarrer sprach ichhan singenüg
Na 1020 Daß er mir thü keiti widerdrieß.
2. Parallelen zwischen Novella und Totenfresser.
Na 156 Der pabsf hab }iit gwalt dsünd ver-
geben
Na 295 Die sünd xverxiehcn hie und dort
Na 158 Die schlüssel xbinden und entbinden
Na 312 Soll ich nun geläben einer pfründ
Na 306/7 Der Luter lert jetx auch die lüt
Wir sollen wied apostlen laben.
T 5/6 Wan ich (der pabst) den gicalt von
Christo han
Die sünd xvergeben hie und dort.
T 45 Zu binden uml entbinden
T 69 Hat ich ietx nit dry guter pfründ.
T 78/79 Der Lüter thiä ein new leer geben
Wir sollen wie die apostlen leben.
Zusammenfassung.
Wenn die sprachliehe Untersuchung und vergleichung trotz aller
überraschenden Übereinstimmungen mit Sicherheit vielleiclit nur zu dem
resultat führen konnte, dass T und Na in demselben dialekte, vielleicht
sogar an demselben orte, wo Gongenbachs gedichte entstanden sind,
gedichtet sein müssen, so zwingt die vorstehende Untersuchung, diesen
kreis zu beschränken. Wir haben in T und Na keine charakteristische
crschcinung auf dem gebiete der syntax und Stilistik gefunden, die ihre
ontsprechung nicht auch bei Gengenbach hätte, müsston also zum min-
desten annehmen, dass der Verfasser von T und Na in Gongenbachs
230 KÖNIG
Umgebung gelebt und an seinem stil sich gebildet hätte. Diese abhän-
gigkeit müsste eine sehr weitgehende sein, da sie sich auch auf er-
scheinungen erstreckt, die sich sonst gar nicht oder nur selten nach-
weisen lassen, wie der gebrauch von umb in der bedeutung ,, darum
dass", oder wie die unter „anomalien" aufgeführte eigentümlichkeit,
die construction ohne rücksicht auf einen sie unterbrechenden satz fort-
zuführen. Angesichts der parallelstellen vollends wird diese beein-
flussung durch Gengenbach ganz besonders auffällig. Man wird aber
zugeben, dass diese ganze annähme nicht gerade wahrscheinlich ist.
Wir stünden dann vor der tatsache, dass der hervorragendere dichter
sieh ah dem stil des mind erbegabten gebildet hätte, und das ist um so
weniger glaubhaft, je verschiedener die Stoffe und dichtungen selbst
sind. Dass andererseits Gengenbach sich selbst entlehnt, lehren zahl-
reiche stellen, beweisen aber auch die angeführten parallelen zwi-
schen a. E und Nollhart. So wird man die möglichkeit und angesichts
der parallelen die Wahrscheinlichkeit der annähme zugeben, dass Gen-
genbach auch der Verfasser der Novella und wegen der parallelen zwi-
schen Novella und Totenfresser anch der der Totenfresser ist. Diese
annähme kann durch die betrachtung der metrik nur an Wahrschein-
lichkeit gewinnen.
Capitel IV.
Zur metrik Gengenbaclis , der Toteiifresser uiitl der Novelia.
Der aasgangspunkt der ersten versuche zur ermittelang der
rhythmik der kurzen reimpaare des 16. jhs. war, wie bei der fülle des
zur Verfügung stehenden materials nicht anders zu erwarten, Hans
Sachs. Mit der feststellung des für ihn massgeblichen rhythmischen
princips glaubte man den Schlüssel für die metrik des gesamten 16. jhs.
gefunden zu haben. Nenere specialnntersuchungen einzelner dichter,
wie Fischarts oder Murners, die Zusammenstellungen Helms, haben das
irrige dieser annähme erwiesen. Dies resultat war an sich schon wahr-
scheinlich bei der Verschiedenheit der socialen Stellung und des grades
der gelehrten bildung zwischen dichtem wie H. Sachs einer- und Scheit,
Erasmus Alberus, Fischart andererseits. Für diese dichter kommt das
Vorbild des gelehrten humanisten Seb. Brant weit mehr in betracht.
Dass H. Sachs auch für Gengenbach nicht massgebend gewesen
sein kann, ergibt sich schon aus chronologischen gründen: steht er doch
schon auf der höhe seines dichterischen Schaffens, als H. Sachs sein
erstes fastnachtspiel erscheinen lässt. Da er nun auch von Seb. Brant
zwar beeinflusst, aber nicht unbedingt abhängig ist, so wird die analyse
I'AMPHILÜS GEXGK.NnACH 231
seiner metrik, die im rahmen der vorliogonden arbeit nur mittel zum
zweck sein will, als ein bescheidener beitrag zur lösung des pi'oblems,
das die rhythmik der reimpaare des 16, jhs. nach wie vor bietet, eben
j darin auch ihren selbständigen wert haben.
1. Das rhythmische princip.
Im streit der verschiedenen ansichten über das rhytlimische princip
der reimpaare des 16. jhs. ist man im allgemeinen in der annähme
einig, dass die silbenzahl (bei männlichem versausgang 8, bei weib-
lichem 9 Silben) constant sei. Gerade diese constanz der silbenzaiil
dürfte in erster linie auf das vorbild Seb. ßrants zurückzuführen sein,
der sie zum ersten mal consequent durchführte und damit bei seinen
Zeitgenossen aufsehen erregte.^ Das beispiel Gengenbachs zeigt nun
aber, dass man auch damit nicht ohne weiteres rechnen darf. Eine
grosse zahl von versen hat nämlich bei ihm teils weniger (bis 6), teils
mehr (bis 12) silben, als dies princip verlangt.
Wenn ich zunächst von den versen mit zu viel silben handele, so
scheide ich dabei die recht beträchtliche zahl solcher verse aus, die
sich durch synkope, apokope, anschleifung des artikels Usw. auf die
geforderte silbenzahl bringen lassen. Ich sehe vorläufig auch ab von
den versen, die eigennamen enthalten, um in einem besonderen abschnitt
darüber zu handeln, möchte aber gleich hier bemerken, dass die grösste
zahl solcher verse mit eigennamen die gewöhnliche silbenzahl über-
schreitet, lind weise darauf hin, dass diese erscheinung bei einem
dichter, dessen metrisches princip die silbenzählung sein soll, doch
immerhin auffällig wäre.-
A. Verse mit zu viel silbea.
E.s bleiben zahlreiche überzählige verse, die lieinen eigenuamen enthalten
und sich nicht durch correctur auf die erforderliche silbenzahl bringen lassen. Denn
das muss festgehalten werden, dass sich in den Gengenbachschen spruchgedichten kein
ansatz zu der sehr gewaltsamen synkope des e in ver- findet.' Unter den überzäh-
ligen versen lassen sich einige gruppen aufstellen :
I. B 178: Int verlorn all küt die man do hat
X Alt. 249 : Do entpfilndt ich mit dann ach und we
318: Wer versteinget nit worlich mir glonb
1) Vgl. Zarncke a. a. o. s. 289; Saran 151.
2) Auf ein versehen des dichters oder des setzers zurückzuführen sind wol:
G 658 Priamus der kam [sein] um das rieh.
X Alt 39 Ubermiäiy, liofferlig und [auch] schicercn
165 Vater imd müter [bößlich] das ir ver^eren.
232 KÖNIG
N480: Ich verkünd dir ding sind worlieh groß
1004: Ich verstände tvol inerck und erkenn
1491 : - Und entsprüngt draus mit dann nyd und haß
X Alt. 399 : An vernunfft iveißhait solt ich xü nämen
N608: Und regiert der Endtchrist dann uff erden
uud auch
T 67 : Ich engilt sxjr tüfelischen leer
162: Du erkenst allein all ai'hait schmärtxen.
II. X Alt. 400: Vor der ivält sn muß ich mich erst schämen
590: Der on bgcht u)/d büß ist gächling gstorhen
N738: Wan ein küng on runzeln wirt uffstan.
1159: Die wyl geistlich, ■wältlich arm und rych
T7: Auß der pyn erlösen tnif eim tcort.
11: Er hat got hn himel und mich geschant
Na 675: In der Müllerin von Schivindelßheim
867: Do ichs Luters dochter xkilehen fürt.
1021: Das ich im so herrlich volgen ließ.
III. B187: Unghorsami got ungstrofft nit lot
X Alt. 383: Durch unküscheit ließ got dwelt 7.ergon
743: On anfechtung, kranckheit merck mich eben.
Alle diese verse haben eine silbe zuviel, ohne dass man mit der mög-
lichkeit eines druckfehlers oder der Wahrscheinlichkeit einer synkope usw.
rechnen könnte. Zunächst gruppe I. Hier beginnen alle verse mit zwei
ganz leichten silben, über die der vortragende leicht hinwegeilt, um
auf die ihnen unmittelbar folgende hauptsilbe zu kommen. Hierin
beruht oifenbar ihre Unregelmässigkeit, d. h. Gengenbach kennt in diesen
fällen zweisilbige eingangssenkung (auftact). Dies zugegeben, geht der
vers tadellos weiter und wir dürfen im besitz dieser erkenntnis nicht
nur in den ebengenannten versen so lesen, sondern auch in denjenigen,
die denselben eingang haben, im übrigen aber durch correctur leichter
auf die normale silbenzahl gebracht werden könnten. Das dürfen wir
um so eher, als naturgemäss diejenige erklärung den meisten ansprach
auf Wahrscheinlichkeit hat, die mit dem verse, wie er vorliegt, aus-
zukommen vermag, ohne auf mehr oder minder willkürliche emenda-
tionen angewiesen zu sein. Dazu kommt, dass eben diese verse durch
annähme von Synkopen ziemlich ungeschickt und schwerfällig werden,
während sie mit zweisilbiger eingangssenkung ohne anstoss gelesen
wei-den können. Nach diesen erwägungen dürfen wir zu gruppe I noch
die folgenden verse stellen: w.F 147 (eben), B 159, xAlt. 408. 498. 530,
Na 748 (geistlicher). 806. 1387, G 817. 886, T 46. 50. 115. 123, Na 11.
161. 261. 300. 457.
Etwas anders liegen die Verhältnisse bei gruppe II, aber bedenken
mit zweisilbigem auftact zu lesen, gibt es auch hier nicht. Auch hier
PAMPHILUS GKNGENBACH 233
sind die beiden silbeu gänzlich unbetont und leicht, und auch hier
folgt ihnen eine ziemlich schwer betonte, auf die der ton zustrebt.
Bei gruppe III ist eine andere lesung als mit zweisilbiger ein-
gangssenkung gar nicht möglich, die Schwierigkeit ist hier nur die, dass
die lesung mit zweisilbiger eingangssenkuug eine tonversetzung zur folge
hat. Das bedenken fällt jedoch weg, da in solchen nominalcompositis
fast stets tonversetzung eintritt (s. unten).
Jedesfalls haben wir in all diesen fällen eine Überschreitung der
normalen silbenzahl vor uns. Diese tatsache wäre angesichts der typi-
schen regelmässigkeit der fälle immerhin auffällig. Die silbenzahl bleibt
aber zuweilen auch hinter 8 resp. 9 silben zurück.
B. Verse mit zu weuig silben.
Auch hier lassen sich zunächst wider einige versgruppen aufstellen.
I. Verse mit 7 silben:
X Alt. 43: Rouben, brennen ist dann recht
52: Nyd, haß und unfertig gilt
163: Spilen, prassen, frulich sin.
N407: Mailand, Najjels, Franekenreich
611: Sckmeichlen, strichen mir wol rjfalt
G 105: Tag und nacht frü und oiich spat
107: Fürsten, herren arm und rieh
123: Krum, lam kröpf feeht ungestalt.
361 : Win und brot trag heimlieh uß
507: Wib und kind ficht er nit an
461: Wib tcnd kind ivil ich Verlan
()11: Hnß imd Iiof ficht er nit an usw.
G 903. 904. 12G6. 467. .521. 839, xAlt. 429, N 6. 281. 780. 1039 und ebenfalls
Na 81: Geistlich, ivältlich iccib und man.
Die Unregelmässigkeit besteht wie bei den versen mit zu viel silben auch hier im
eingang des verses; dort hatten wir zwei besonders leichte, hier haben wir eine be-
sonders schwere silbo im eingang des verses, dazu enthalten alle verse mehr oder
minder umfangreiche aufzählungen. In diesen fällen bildet also Gengenbach und
ebeuso Na auftactlose, trochäische verse.
Knecht., mägt, die kinder ouch
Hcmbd schleiar stürtx und stuchen
Münch legen und ouch pfaffen
Klein, groß ivia mans ivil haben
.hing, alt münch und pfaffen
Verlürt sin lyb eer u?id gut.
Sie sigen jung oder all
Sie sgen arm oder rieh.
Die verso unter IIa sind nach der theorie der silbeuzählung um 2 resp. 3, die
unter IIb und c um eine sil'oe zu kurz. Die verse unter IIa enthalten aufzählungen,
IIa.
xAlt. 725
G643
867
1282
1293
IIb.
B18
IIc.
G 148
330
234 KÖNIG
und wenn Geugenbach hier den ausfall der seukiingen sowol im eingang als im inneren
des verses eintreten lässt, so steht er damit ganz auf dem boden der guten mhd.
metrilv^ Ein vers wie G 867
Münch leyen und ouch j)faff^>i
unterscheidet sich in nichts von einem gut mhd. verse.
Das gleiche gilt von dem verse unter IIb, nur dass hier der Senkungsausfall
nicht auch im eingang, sondern nur im inneren des verses stattfindet.
Auch mit den beiden unter II c genannten versen unterscheidet sich Gengen-
bach durchaus nicht von gut mhd. dichtem, denn ein vers wie
Sie sigen jung oder alt
steht auf derselben stufe wie der folgende
sj^rach do man iinde uip-.
Gerade in formelhaften Wendungen ist bei mhd. dichtem oft ausfall der Senkung zu
constatieren.
Abgesehen von den eben aufgeführten fällen fehlender Senkung bei aufzähluugen
und formelhaften Wendungen, lassen sich noch andere gruppen mit trochäischem ein-
gang aufstellen.
Zu gruppe III würden gehören B 61, Pr. 14, Alt. 290. 305. 311. 314. 360.
443. 544, N322. 583. 616. 875, G 796. 820. 965. 1237.
Um das gemeinsame dieser verse zu erkennen, muss man die uächstvorher-
gehenden mitlesen. Bei allen handelt es sich um den wirkungsvollen abschluss oder
beginn eines abschnittes. Ein beispiel: B 61. Der dichter bemüht sich in längerer
rede darzulegen, warum man sich der priesterschaft, auch der sündigenden, unter-
ordnen soll. Er hat schon mehrere argumente dafür angeführt und fahrt nun nach-
drücklich fort: Witer solt ouch mercken meer.
Ganz ähnlich liegen die dinge Na 399. Eine ganze reihe von büchern hat der
pfarrer schon angeführt, aber das beste und für den verlauf der erzählung wichtigste
kommt noch: Oüch han ich den Murner
oder: xAlt. 290 zählt der 30jährige seine Schandtaten auf und schliesst dann
Höppo hau das ist mein wesen,
und Na 800 gewichtig vom Karsthans am schluss der erörterungen
Ist bi got in sinem rieh.
N 616 und sonst wird so der anfang der rede einer neuen person eingeführt, die eine
andere im vocativ anredet. Genau so G 1022. Wenn man den gesichtspunkt nach-
drücklicher hervorhebung aufstellt, dann kan man hierher auch rechnen: Illb xAlt.
443, G 66, vor allem N 249. 1029. Hierher gehört aus Na 1034. 1078.
Eine IV. gruppe würden die sowol bei Gengenbach als in T und Na zu be-
legenden fälle bilden, in denen metrisch leicht der auftactlose vers sich an weiblichen
versausgang anschliesst: xAlt. 305. 544, N 250. 335. 345. 1029. 1245, G 1194. 1290,
T 196, Na 386. 771. 838. 861. Dass sich von hier aus der auftactlose vers schliess-
lich auch auf fälle überträgt, die nicht irgend welche stilistische feinheit auszeichnet,
liegt sehr nahe. Beispiele: w.F 135, B 21. 29, xAlt. 380. 443, N 32. 90. 222. 345.
583. 971. 1014 (wenn nicht mit distraction Mo-gsen zu lesen sein wird) 1078, G 313.
541. 802. 878. 952. 981. 1137. 1194, T 161. 231, Na 397. 532. 581. 729. 762.
797. 1011. 1089.
1) Kauffmaun, Deutsche metrik § 136, 4,
2) Ebenda § 136, 5.
PAMPHILUS GENGENBACII
235
Es bleibt noch eine letzte gvuppe von versen übrig, die ich im folgenden aufführe:
V. w. F181: Regieren der groß adler
X Alt. 153: Was mag dann thän der jüngliiig
283: So wird ick erst zum kriegsvian
N 965 : Bedeuten siben küngreich
978: Oi(ch xivölf mächtiger küngreich
1330: Du seist des Endtchrists vorbot
1379: Sog mir ican kumpt der Endtchrist^
G 137 : Die bräger uff dem tärich
142: Darxü oiwh gugelfräntxin
308: Biß im vergond die gouchshor
391 : Die ivil du bist ein eeman
497: Kum har mein lieber cernan
567: Du bist ein armer kriegsman .
1200: Ich wil dir gen der bfdschaft
G1138: Mit iren schönen junckfratcen.
Das charakteristische dieser verse sind die beiden unmittelbar uebeneiuander-
stehendeti schweren silben am schluss^ des verses. Die beiden silben gehören in
allen fällen coniponierten werten an oder solchen mit schwerer ableitungssilbe.
Auch hiermit steht Gengenbach wider auf dem boden der alten verskunst, denn
in solchen fällen war auch in mhd. zeit ausfall der Senkung häufig^.
Höchst auffällig und von nicht zu unterschätzender bedeutung ist nun das
vorkommen dieser für Gengenbach charakteristischen verse auch in Na:
235 Uff das anticort der meßner
399 Ouch han ich den Murner
498 Der meßner sprach herr pfarrer
499 Schicken bald nach dem meyer
642 Er heißt der doktor Murner
657 Oder ein ander bürlin
677 Er ist allxyt ein mittler
711 //•. schaffen neilt herr pfarrer
731 Und tvider uff den samstag
831 Und hätten trimcken landtwin
869 Hieß sie mich bald ein juff kind
886 Es ist morn wider samstag.
907 Ad hoc respondit meßner
1077 Der meßner sprach herr pfarrer '
1078 Wo ist nun der Murner ^
783 Und teil in leren nmrmawen^.
Na 234 liegt klingender reim vor, lies sollen.
1) Diese form der Volksetymologie ist für das IG. jhd. charakteristisch, man
darf daher nicht etwa 'Endtechrist' conjicieren (vgl. Schw. Id. 3, 867).
2) Zweimal auch im Innern des Wortes-:
G369: Diß gouchfedcr ich dir schenk
555 : Mit iren jihick frönen schon.
3) Vgl. Kauffmaun a.a.O., § 136,2.
4) Eine ausnähme machtNa5lO Dcß mir gybt xeügnuß der meßner. Vgl.ob.Na499.
5) Ähnliehe fälle weist für Fischart Englert s. 72 nach, vgl. auch Kraus,
Zs. f. d. a. 47, 314 für die mhd. zeit.
236 KÖNIG
Also auch hier fehlt die seukuug innerhalb eines componierten oder mit schwerer
ableitungssilbe gebildeten Wortes. Hatten wir nun schon bei Gengenbach gesehen,
dass die worte, in denen senkungsausfall vor dei' reimsilbe eintrat, in sehr vielen
fällen in N oder G die t)äger der hauptliaudlung kennzeichnen, die durch diese art
der metrischen behandlung und ihre Stellung im reim besonders hervorgehoben werden
sollen, so finden wir dasselbe bestreben auch in der Novella. Stand dort bald der
eeuiann, der jüngliug, der kriegsman, die Venus und ihre junckfrowen bald der Endt-
christ und sein vorbot im Vordergrund des iuteresses, so spielen in der Novella der
messner, der Murner, der pfarrer die erste rolle und wie dort, so treten die be-
zeiclmungen dieser hauptträger der handlung auch hier wirksam in den reim. Es
liegt auf der band, dass nur die endsilben dieser uamen reimen konnten, da sich
solche auf die ganzen worte schwerlich finden Hessen, auch ist nicht zu übersehen, dass
sich solche reime erst da finden , wo eines dieser worte in den reim tritt. So und nicht
anders sind meines erachtens die reime auf -er zu beurteilen, imd sie sind von diesem
Standpunkt aus betrachtet kein kriterium, das gegen Gengenbach, sondern eher eines,
das für ihn spricht ^ Schliesslich ist es ja auch gar nicht richtig, wenn Singer a. a. o.,
s. 156 solche reime auf -er als bei G. unerhörte bezeichnet. In w.F 181 haben wir
tatsächlich einen solchen reim vorliegen: eer : ddler, vgl. auch dieselbe wortform im
versinnern: w.F 188, N 435. 681. 685.
Das fehlen der letzten Senkung können wir gelegentlich auch da beobachten,
wo es sich um uneigentliche verbalcomposition handelt:
X Alt. 506: Maneheyn jetx, und gar wol tut
N 224 : Und das sechst a wird üffstän.
Und auch hierfür lassen sich belege aus Na beibringen.
Na 358 : Man tvurd niirs heim %ü küß trägen
859: Wir ivellen heim xil hüß gän
893: Der meßner sich härfür mächt
vielleicht 18: Und dic^nacht tiit so schnell här trüng.
Von hier aus wird das fehlen der Senkung am versende auch begreiflich in fällen
wie : Na 420 : Der meßner sprach ein moß icin
801 : Der Murner sprach nnn pfü dich
936: Warumb du müst die pin hän^.
Zu kurz ist endHch Na 788.
Somit bleibt die auffällige tatsache, dass wir sowol bei Gengen-
bach wie in T und Na eine grosse anzahl von versen haben, in denen
'normale' silbenzahl entweder überschritten oder nicht erreicht wird.
In beiden fällen lässt sich eine genaue gesetzmässigkeit ihres eintretens
constatieren. Ist die silbenzählung für G. princip, so bleibt die un-
genauigkeit an sich ebenso unverständlich wie die regelmässigkeit ihrer
erscheinung. Deshalb glaube ich nach den vorstehenden Zusammen-
stellungen soviel mit bestimmtheit behaupten zu können, dass die silben-
zählung weder für G. noch in T und Na princip gewesen sein kann.
Beide stehen vielmehr, wie gezeigt, in vielfacher beziehung noch ganz
1) Von hier aus erklären sich auch als unberechtigte, doch naheliegende ana-
logien leider: här Na 518; gester: ivür Na 721.
2) Vgl. Englert a. a. o., s. 74.
PAMriiiLos genctF.nbach 237
auf dorn hoden der mlul. verstcchnik^ Auf der anderen seile aber machen
wir nun doch die beobachtung, dass die grosse mehrzahl ihrer verse —
und hierin folgen sie vielleicht dem beispiel Seb. Erants — in der tat 8
resp. 9 Silben aufweisen. Es entsteht nun die aufgäbe diese erscheinung
aus ihrem metrischen princip heraus zu begreifen. Wir sahen schon oben
bei den versen mit aufzählungen (verse mit zu wenig silben IIa), dass
G. und aus gruppe I auch, dass der Verfasser von T und Na seinen versen
vier hebungen gibt. Von hier aus müssen wir auch die übrigen verse
beurteilen, auch sie verlangen offenbar ganz wie die verse Seb. Brants mit
vier hebungen (die natürlich an schwere einander durchaus nicht gleich
zu stehen brauchen), gelesen zu werden. Da die mehrzahl der der vor-
stehenden Untersuchung zu gründe liegenden verse nun aber, wie gesagt,
8 resp. 9 silben hat, so bleibt für die übrigen silben nur die Stellung in
der Senkung zur Verfügung. Denn die Goedikesche ansieht kann nach
den Zeugnissen der gleichzeitigen grammatiker und allen neueren Unter-
suchungen nicht mehr in betracht kommen, vielmehr lehren sie deutlich,
was auch für G. gilt: princip ist der viermalige regelmässige Wechsel von
hebung und Senkung mit iambischem eingang, also auftact. Die natürliche
folge davon, die aber mit dem rhythmischen princip als solchem nichts zu
tun hat, ist die häufige constanz der silbenzahl. Nur so verstanden hat es
ra.e. überhaupt auch sonst sinn von der silbenzählung als metrischem prin-
cip zu reden. So können die vorstehenden Untersuchungen zugleich ein
beweis für Sarans^ behauptuug sein, dass silbenzählung im strengen sinn
überhaupt nicht metrisches princip sein kann. So scheint es auch schon
Zarncke-'' verstanden zu haben, wenn er von zwei für Braut massgebenden
metrischen principien spricht: 4 hebungen, constanz der silbenzahl.
Von diesem princip konnten wir nun bei G. — und auch hierin
folgte ihm der Verfasser von T und Na grossenteils wider — eine reihe
von ausnahmen constatieren, die aber nur in ganz bestimmten fällen
eintreten. Er kennt:
1. zweisilbige eingangssenkung.
2. Fehlen der Senkung
a) im eingang des verses,
b) im Innern des verses (belege nur bei G.)
a) bei aufzählungen
ß) bei nominalcompositis,
1) Bei der coireetur macht mich herr prof. Sarau freundhchst auf Hauffens
recension der Englertschen arbeit aufmerksam. Sie bestätigt (Eupiiorion ll,531fgg.)
meine annähme des andauerns der mhd. technik.
2) 8aran a. a. o., § 2. 3) Zarncke a. a. o., s. 288 fg.
238 KÖNIG
c) am versende in componierten werten oder solchen mit schwerer
ableitungssilbe, in Na auch in wenigen anderen fällen.
2. Einzelheiten.
A. Die rhythmische wertung der eigennamen und fremdwörter.
Bei der behandlung der verse mit zu viel silben hatten wir die einen
eigennamen oder ein fremdwort enthaltenden zurückgestellt. Für ihre
rhythmische Avertung gilt es jetzt das gesetz zu linden. Ein solches
scheint in der tat vorzuliegen. Zahlreiche fälle werden zunächst normal.
I., durch coHSonantieruDg des / z. b. w. F 29:
Kont Julhis keyser in dem stryt.
Hierher geliöreu w.F 186. 236, B 110. 112. 139, xAlt. 84. 125. 494, N 72.
151. 280. 292. 295. 311. 355. 377. 546. 629. 631. 690. 917. 921. 1016. 1304, G 37.
69. 199. 242. 413. 418. 425. 447. 933. 1034, T 125, Na 248. 291. 385. 397. 626.
II. durch elision: N 921.
III. durch Synkope: G 889 (Appell), Na 202. 282.
IV. durch zweisilbigen auftact: B 79. 148, xAlt. 117. 282. 304. 465, 690, N 126.
293. 451. 470. 580. 593. 659. 749. 751. 753. 1300. 1407. 1466, G 409. 659. 1315.
Wenn man die übrigea fälle durchgeht, so findet man, dass sich fast alle gut
lesen lassen, sobald mau alle silben vor dem ton und falls nur eine davor stehtauch
noch eine Aveitere, nicht zum eigennamen gehörige, metrisch als eine wertet. Das-
selbe gilt von den silben nach dem ton. Meistens wird der vers dadurch ganz glatt,
nur in wenigen fällen muss mau noch weitere hilfsmittel anwenden. Wir haben also
hier, aber auch nur hier, verse mit mehrsilbiger Senkung im Innern. G. kann dabei
besonders lange worte an der einen stelle mit zwei accenten versehen, während er
demselben namen an anderer stelle nur einen accent gibt. Zur erläuterung des eben
gesagten greife ich einige beispiele heraus:
w.F 62: Nabuchodonösor Daniels rot verdeld.
Dagegen mit 2 accenten:
X Alt. 390: Bracht Nabuchodonösor von sim rieh
w.F 150: Wie dbbas Joachim het gesägt
192: Un wirt die groß symony ab gtön
B163: In Pharaos gwdlt und grosse quel
164: Das sich Jhertisalem widerspdrt
X Alt. 81 : Dem Isaac ai'ich solt mercken meich
N19: Als ich find Apocalypsi ston usw.
Hierher besser" als zu den fällen mit consonantierung des * wird man alle verse
rechnen, in denen der eigenname Maria nicht ohne weiteres in den vers sich einfügt.
Dasselbe gesetz gilt für die gleichen fälle auch in T und Na:
T 127 : Können Plaeebo döniino mächen
Na 184: Capitulo significdsti^in fine
197: Als Hostiensis in summa hält
309: Nach folgert dem Ewangelio
329: Zä^Hierüsalem yn mit grossem gsäng
387 : Dicta Sinthis tind sermönes Bitöntis
PAMPHILUS GKNOK.XßAGK 239
XaSOO: Auch institiitiotics Mürnerlin
394: Sulpitium^und secreta mülierüm.
Schwierig" sind die fälle Na 182, wo man wol mit senkungsfall Extra, de decimis
lesen muss, ebenso 183 und capi[(i(lo]tn(( nöbis.
Dreisilbigen auftact niüsste man annehmen 396:
Atich sind serniüncs Dornil secdre dö.
Anormal bleibt 388.
Diese anonialien fallen jedoch deshalb nicht so schwer ins gewicht, weil hier
biichertitel und anfange lateinisch citiert worden, die sich jedem metrum nur schwer
einfügen würden.
Nicht in diese theorie würden sich von Gengeubuchs versen die folgenden ein-
ordnen lassen: xAlt. 496, N 337. 601. 716, 0 1317. In allen fällen haben wir die
lateinische endung -iis vertreten. Vielleicht darf man hier die möglichkeit eines ab-
wurfs der endung erwägen, wie dieser ja im heutigen Sprachgebrauch Christ für
Christus noch so oft begegnet. (Bei dem eigeunamen Karolus wird wol Karl zu
setzen sein, wobei dann freilich N 716 gewesen zu lesen wäre.) Eechnet inan damit
— und ich glaube man kann es ohne Willkür — dann werden auch diese verse normal.
Gengenbach kennt, wie der Verfasser von T und Na, bei eigen-
uamen und tVenidwörtern mehrsilbige Senkung auch im inneren des
Verses; damit aber findet die zahl der ausnahmen von seinem princip
des viermaligen, regelmässigen wechseis zwischen hebung imd Senkung
ihr ende, d.h. das eigentliche problem der kurzen reimpaare des 16. jhs.
ist für G. schon gelöst, die frage nämlich, ob man alternierend oder
accentuiei-end zu lesen habe. Dass wir nicht durchgehend accentuierend
lesen dürfen, lehren gerade die wenigen fälle, die dies geboten er-
scheinen lassen. Wir sahen ja, dass diese verse eine ausnahmestellung
einnahmen, nur hier dürfen wir mit ausfall und mehrsilbigkeit der
Senkung rechnen, in allen anderen fällen aber nicht. Wollen wir jedoch
auch diese mit 4 hebungen lesen — • und das müssen wir nach den
obigen ausführungen — dann bleibt eben nichts anderes übrig als
alternierend, d. h. eventuell auch ohne rücksicht auf den grammatischen
accent der worte zu lesen. Gengenbach und der Verfasser von T und
Na nehmen also eine eigenartige Stellung ein. In der zahl der hebungen
und in dem eintreten mehrsilbiger oder fehlender Senkung stehen sie
auf mhd. boden, sie sind aber kinder ihrer zeit in der anwendung des
alternierenden princips und als" folge davon in der normalen constanz
der Silbenzahl ihrer verse.
B. Accent Verletzung.
Immerhin bleibt es auffällig, dass gerade die dichter des 16. jhs.
mit der natürlichen betonung der Wörter in so willkürlicher weise um-
gegangen sein sollen. "Warum sollte man gerade in ihrem Zeitalter ohne
empfindung für den natürlichen wortton gewesen sein, dass man es,
240 KÖNIG
wie Sommer bei Hans Sachs, für einen zufall hält, wenn sie einmal
einen vers bauen, der sich glatt und ohne Verletzung von w^ort- und
satzaccent lesen lässt? Das muss um so mehr wunder nehmen, als sich
unter ihnen dichter finden, die sonst auf das äussere ihrer dichtung,
auf reim- und verstechnik die allergrösste Sorgfalt verwenden wie
Seb. Brant. Da gilt es zunächst festzuhalten, dass diese härte durch
die 'schwebende beton ung' bedeutend gemildert werden kann. Solche
schwebende betonungen haben wir ja gar nicht so selten schon in mhd.
zeit^ wir finden sie auch bei neueren dichtem-, warum also sollen sie
für das 16. jh. nicht in betracht kommen? Wie wichtig sie gerade hier
sind, hat Saran^ gezeigt. Er prüft den begriff der accentverletzuug und
weist darauf hin, dass wir zwischen grammatischem und ethischem d. i.
stimmungsaccent zu unterscheiden haben, die beide nach ihm durch-
aus nicht immer zusammenfallen brauchen. Vielmehr führt er, von
neueren dichtem ausgehend^, den überzeugenden beweis, dass die accent-
verletzung ein mittel zum ausdruck gewisser Stimmungen ist, ja er
spricht von einer förmlichen technik der accentverletzuug, eine teclmik,
die nach ihm ganz besonders charakteristisch für den pointierenden stil
der Satire des 16. jhs. ist. Ich will im folgenden die accentverletzungen
der Gouchmat und die von T und Na nach dem Saranschen princip
untersuchen und im einzelnen feststellen, ob sie ihre stilistische be-
rechtigung haben oder nicht. Weniger scharf brauchen zunächst accent-
verletzungen in erster hebung geprüft zu werden, weil sie hier sehr
viel weniger empfunden werden und darum auch in der mhd. zeit nicht
selten sind.
a) Verletzung des wortaccentes.
Sie betrifft 1. mit besonderer Vorliebe eigennainen oder appellativa in
der anrede. Wenn irgend, so ist hier das bestreben dem namen durch die auf-
fällige accentverletzung, die der vortragende auszugleichen bemüht sein wird, einen
besonderen uachdruck zu verleihen, deutlich und berechtigt. Cupido spricht:
G 146 Vemis nun laß dich nit verdriessen.
Jeder wusste, dass es Venus und nicht Venus hiess, darum ist es ganz und
gar unwahrscheinlich, dass der dichter lediglich der versbequemlichkeit wegen den
accent verletzt hätte. Beide silben sollen vielmehr schwer herauskommen: die metrisch
gedrückte hauptsilbe ergibt eine sehr schwere und volle Senkung, die unbetonte silbe
wird metrisch gehoben. So wirkt das wort im vers nicht als schlichter name, sondern
als eine mit besonderer innerer teilnähme gesprochene anrede. So noch oft: 91. 294.
301. 310. 328. 345. 350. 365. 585. 590. 596. 097. 776. 1080. 1167. 1174. 1264.
Ganz ebenso: Na 1072 Murner nun mach dich bald herxä.
1) Kraus, Metrische Untersuchungen über Reinbots Georg, s. 221 fg.
2) Saran s. 158.
3)S. 157fgg. 4)8.308 fg.
PAMPHtLÜS GKNGENBACH 241
Dasselbe gilt auch von der Stellung in 2. Hebung:
G 459 Darumh Venus du kungln rein.
Er hält die beispiele aufopfernder treue des maiines zu seinem weibe, die ihm
der narr vorführt, für erlogen; was kümmert ihn sei» weib und die treue, die er
ihm schuldig ist: zu Venus geht sein sinnen. Auch hier also erfährt gerade der
hauptbegriff die accentverletzuug, aber gerade dadurch, wie oben gezeigt, eine wirk-
same hervorhebung. Weitere beispiele G f05. 577. 796. 894. 1237. Oder:
Xa 1002 Daninib, vießner, dar ff st mich nicht u-eeken.
Den pfarrer hat die angst gepackt, er will am andern morgen daheim blcil)en
und redet nun den messner, der ihn sonst geweckt hat, an: diesmal soll er es nicht
tun. So noch: Na 766. 1087 (eindringliche anrede).
Für die Stellung in 3. hebung bietet nur die Novella beispiele: 467. 601. Es
gilt das gleiche. Ebenso ia 4. hebung: Na 856.
Tl. Eigennamen oder appellativa in der erzählung. Auch hier ist die
hervorhebung nur angebracht. Zum tanz ruft der narr alle auf, winkt ihnen doch
ein schöner lohn: Venus selbst. Darum:
G 338 Venus tcirt euch den Ion schon geben.
Vgl. noch: G 425. 429. 473.497. 753. 766. 8.53. 1034. 1096. 1208 (eindringlich), oder
Na 607. Mag der geist sein, wer er will, Karsthans war er jedesfalls nicht, denn
(eindringlich hervorgehobener gegeusatz):
Karsthans , der icas ein frumnier gsell.
Genau so auch in 2. hebung: G 226. 299. 430. 483. 537. 654.. 655. 660. 774.
778. 802. 810. 877. 916. 984. 1008. 1123. 1161 und Na 56. 174. 177. 220. 221. 318.
423. 483. 525. 750. 940. 963. 968. 969. 1076 und in 3. hebung: G 34. 819. 928.
1127. 1282, Na 80. 157. 518. 995.
in. Substantiva. Der jugend vor allem steht keuschheit wol an:
G 195 Jiigendt soll allxyt sein bereit.
Die durch die versetzte betonung bewirkte hervorhebung des wertes 'jugend'
gibt vortrefflich auch den lehrhaften Charakter wider. So auch 930. 1251.
Und T 146. Almosen soll man geben, denn sie in erster linie tilgen die sünde:
Almäsen tilcket ab die siind (eindringlich).
In 2. hebung. Das sündhafte wort ist gesprochen, unkeuschheit ist keine sünde:
G 20 Wie das nnkeüscheit sy kein siindt.
Das durch die versetzte betonung bewirkte längere verweilen auf dem werte
nnkeüscheit malt vortrefflich das entsetzen dos moralpredigers über dies frevle wort;
vgl. noch: G 38. 188. 235. 213. 250. 369. 421. 435. 943. 978. 1089. 1175. 1190. 1253.
Ein beispiel aus T. Die bettler klagen, dass ihnen nichts mehr übrig bleibt,
wovon sie sich nähren können. Denn gerade die, auf die sie in erster linie auge-
wiesen wären, nehmen ihnen, was ihnen zukommt: nicht nur die niönche, nein auch
die pfaffen: 169 Tund manch jyfaffen ietx, als verxeren.
Vgl. weiter: T 30. 94. 204. 230, Na 8. 65. 198. 226. 343. 393. 461. 517.
641. 717. 870.
In 3. hebung. Die scliäden der zeit haben ihren gruud in erster linie in der
falschen erziehung der jugend. Auf eines .sollte die erziehung in erster linie ge-
richtet sein: auf die erweckung der gottesfurcht:
G 53 Dan /ras xfi der gotxforcht tut kcren.
Durch die sogenannte schwebende betonung wird die Senkung gots an rhyth-
mischem gewicht dem forcht fast gleich, und eben dadurch tritt der begriff 'gottes-
ZEILSCHRItT F. DEUTSCHE PHILOLOGIE. BD. XXXVII. 16
242 KÖNIG
furcht' im vers machtvoll hervor. Vgl. noch 75. 170. 329. 358. 367. 880. 393. 772.
814. 919. 1140. 1168. 1211. 1219, T 72. 74. 158. 206, Na 72. 105. 189. 193. 216.
226. 817. 453. 474. 511. 701. 955. 990.
In 4. hebung sind es nur zusammengesetzte substantiva, die von solchen accent-
verletzungen betroffen werden: G 18. 25. 75. 85. 106. 127. 811. 585. 694. 716. 744.
752. 819. 998. 1110. 1136. 1185, T 58. 75. 97, Na 117. 267. 494. 582. 724.810.834.
965. 973.
IV. Adjectiva. Der Portia schrecklicher Selbstmord soll geschildert werden:
G 485 Glüend colc?i so lang inschlamlt.
Die doppelt versetzte betonung mit den vier aufeinanderfolgenden schweren silben,
von denen die erste und dritte durch den sprechaccent, die zweite und vierte durch
die Stellung in der hebung hervorgehoben werden, will das ungewöhnliche und ent-
setzliche eines solchen todes zum ausdruck bringen. Vgl. aus Na 256.
In 2. hebung vgl. G 50. 842. 1210. Der bauer hat sich redlich quälen müssen,
aber den ertrag seiner arbeit zehren ihm die kleriker auf ohne den geringsten dank:
T 227 Die mir wenig danck dariimh sagen.
Das wenig mit seinen beiden schweren accenten malt hier den ingrinim des bauei'n.
Vgl. auch Na 612.
8. hebung. Eine der haupttugenden der Jugend ist Schweigsamkeit:
G 193 Das erst ist ein schivigender mundt (eindringlich).
Vgl. G235. 249. 281. 310. 895. 431. 528. 865, T 15. 75. 92, Na 149. 246. 398. 527.
620. 660. 760. 806.
4. hebung. Circis hat den jüngling gehörig ausgeplündert. Was soll er nun
noch bei ihr?
G 865 Jüngling, du bist mir gantx unmär (höhnische Verachtung).
Vgl. G204. 746. 1056, T 165.
V. Adverbia. Der narr hat dem jüngling schon mehrere beispiele leuch-
tender tugend hingestellt, aber er kann sich darin gar nicht genug tun und gewichtig
fährt er fort (eindringlich didaktisch):
G 205 JViter soltu auch nemen war.
Ebenso G 18. 24. 290. 986, Na 816. 442. 753.
2. hebung. Heini "Winckelried ist in die netze der Venus gegangen, die ihn
so behandelt hat,
G 608 Das er schandtlieh von dannen schied.
Die durch die beiden auf schandtlieh ruhenden accente, den sprachacceut und den
metrischen accent, bewirkte hervorhebung des wertes gibt dem ganzen das gepräge
der lehrhaften warnung, das sich gerade bei adverbieu auf -lieh gern herausstellt;
vgl. G67. 605. 606. 755. 767. 777. 837. 864.884. 1044, aber auch T 151. 235. Mehr
den Charakter unwilliger erkenntnis erhält dui'ch die accentverletzung Na 217; vgl.
auch 4. 75. 269. 319. 412. 663.
3. hebung. G 165. 189. 230. 241. 397. 419. 496. 582. 683. 877. 913. 939.
1002. 1082. 1061, T66. 143, Na 118. 119. 154. 217. 565. 857. 943. 1060.
4. hebung. G487.
VI. Pronomina. Der alte gouch will beim anblick der Venus nichts mehr von
seinem alter hören (energische ablebnung):
G 1070 Niemandt mir sol vom alter sagen.
Ebenso G 57. 231.
PAMPHILUS aENQENBACH 243
Oder aus Xa: Lutlier hat nach des pfarrcrs moiming iiianche Schandtat voll-
bracht und recht viele um ihr gut betrogen:
106 Manchem gemacltt den seckel lycht.
Vgl. aucli 1059.
2. hebuiig. G 181. 882.
3. hebuug. Na 19G. 730. 972. 1062.
4. hebung. —
VIT. Verbalcomposita. "Was soll man sich weiter um die süuden kümmern,
hat doch Christus sie abgenommen, lässt der dichter mit beisseuder satire den papst
sprechen: T 41 So nun got durch sin marter hat
Abgleit all unser rtitssethat.
Vgl. T172 (nutidilen), Na 309 (nachfolgen), 448 (ußbringen).
2. iiebuug. G1036 (Mnntjmpt), T 1.5 (anxcigt), 1014 {upjsetxt).
3. hebung. G114. 172. 321. 610, Na 97. 299. 817.
4. hebung. G 8. 18. 172. 302. 342. 435. 521. 531. 806. 910. 1005. 107.5, T 9.
203, Na 113. 168. 296. 1009. 1032.
VIII. Verbal formen, und zwar mit verliebe 2. plur. imper. auf -en. Es
muss hier vorausgeschickt werden , dass in diesem falle die accentverletzung nicht so
stark empfunden wui'de, weil das oberdeutsche die neigung hat, stamm- und endsilbe
im tone zu nivellieren (oberd. sehen gegen mitteld. sehn). Sodann ist darauf hinzu-
weisen, dass der ganze stil der satire eine neigung zur ausgleichung der silben hin-
sichtlich ihres schweregrades hat.' So kommt es, dass wir bei dieser kategorie auf
zahlreiche, nur stilistisch bedingte, nicht der hervorhebung dienende accentver-
letzungen stossen.
Zur hervorhebung dient die 'schwebende' betonung gleichwol auch hier zuweilen;
das ziel der Sehnsucht des kriegsmanns ist ein kuss von Venus mund:
G 647 Küssen allein din mündlin rodt.
oder bekräftigend:
Na 591 Glouben mir uff die trüwe min.
Dagegen erklären sich die folgenden fälle aus dem stil des ganzen resp. der
phonetischen eigeutümlichkeit des oberdeutschen : G 152. 163. 171. 212. 259. 267.287.
392. 487. 743. 767. 878, T 10. 53. 60. 106. 127. 146. 149. 223. 236, Na 141. 148.
294. 331. 534. 697. 778. 8.52. 864. 928. 978. 1049.
2. hebung. a) durch hervorhebung könnten folgende fälle bedingt sein: G 36.
296. 845, T37, Na 352. 363. 587. 707.
b) ohne absieht: G 159. 218. 366. 464. 614. 657. 711. 741. 1160, T 25. 34,
Na 3. 51. 117. 351. 431. 455. 719. 842.
3. hebung. a) G 158. 238. 641, T 19. 161, Na 161. 174. 780. 842. 931.
b) G18. 1016. 1311, TJ08. 111. 142. 208, Na360. 487. 555. 662. 803.
4. hebung. —
IX. Was die accentverletzung endlich bei copulis, partikeln, präpositionen usw.
anlangt, so gilt hier in noch stärkerem mas.se das zu VIII gesagte. Gerade der poin-
tierte Stil der satire neigt dazu, die silben \xm worten wie aber, oder usw. in ihrer
ton- und schwerefolge zu nivellieren. Es ist darum auch unnötig, die nicht sehr
häufigen beispieie einzeln aufzuführen.
1) Saran a. a. o. s. 159. 320.
16*
244 KÖNIG
b) Verletzung des satzaccentes.
Die an sich selteneren sogenannten Verstösse gegen den satzaccent sind genau
so zu beurteilen wie die gegen den wortaccent. Sie im einzelnen aufzuführen, würde
zu weitläufig sein; ich begnüge mich darum, eine solche acceutverletzung aus jeder
hebung beizubringen und dazu beispiele aus T und Na zu stellen. Sie tritt ein vor
der 1. hebung:
G 34 Got und der stat Basel xü eer.
Eine doppelte ohrung soll der zweck dos fastiiachtspieles sein: Gott und der stadt
Basel gilt sie. Qot und Basel sind also die hauptbegriffe des verses: beide aber stehen
nicht in der hebung. Basel w'ivA durch die schwebende betouung hervorgehoben, Got
steht in der Senkung. Das ist auffallend, und der vortragende wird sich bemühen,
die differenz zwischen der sehr leichten hebung und der sehr schweren Senkung aus-
zugleichen und wird gerade dadurch dem werte Oot den ihm zukommenden beson-
deren nachdruck geben.
Genau so
T 228 Got in dem liimel ich das klagen.
An Gott wendet sich der bauer gegen die, die seine Stellvertreter sein sollten. Der
hauptbegriff steht auch hier in der Senkung. Um ihm einen ton über die hebung in
hinaus zu geben, bedarf es eines ganz besonderen nachdruckes. Dieser aber wird eben
erzielt durch den widersprach zwischen satzaccent i;nd metrischem accent: man er-
wartet eine leichte Senkung und eine schwere hebung, statt dessen ist das umgekehrte
Verhältnis der fall.
2. hebung:
G 514 Und ga)>(j lichn wider xii deün iryb.
Der ehemann ist ausgeplündert, Venus hat ihren zweck erreicht, nun kann er iiir
und ihrem gesindo nichts mehr nützen, man schickt ihn wieder heim. Der haupt-
begriff heim aber steht in der Senkung und wird dadurch, wie oben gezeigt, beson-
ders eindiinglich hervorgehoben. Dasselbe gilt auch für
Na 418 Das ich wüst tvie es iimh in stund.
Zu gern wüsste der pfarrer, wie es um den Karsthans bestellt ist (drängende neugier).
3. hebung:
G 105 Tag und nacht frä und ouch spat.
Von zwei mit einander verbundenen begriffspaaren ist das zweite stets schwerer betont
als das erste, in unserem falle also frä und ouch spat. Das am stärksten betonte
wort in unserem vers ist somit frä. Im vertrag erhält es durch seine Stellung in
der Senkung und den dadurch sich ergebenden widersprach zwischen dorn satz- und
metrischen accent und die forderung, ihn zu lösen, das hauptgewicht.
Na 20 Und seit dir die best obenthür.
best ist der hauptbegriff, statt dessen aber steht das gänzlich inhaltsarme die in der
hebung. Die Senkung soll hier im vertrag recht lang und voll werden.
4. hebung:
G 869 So CS allein stot in Qots givalt.
Nur bei Gott steht es, wie das wetter werden wird, der astrologe weiss es in seiner
menschlichen beschränktheit nicht. Gott also hat den durch den gegensatz zu der
menschenklugheit des astrologen bedingten hauptton. Sollte es dem dichter nicht
möglich gewesen sein, wenn die Stellung in der vershebung für ihn das stärkste
mittel zur hervorhebung war, den begriff „Gott" in die hebung treten zu lassen?
PAMPIIILUS GENGENBACH 245
Vgl. auch:
TT Aiiß der 'pijn erlösen mit eini iiort.
Wie leicht hätte der dichter den aiisto.ss vermeiden können, etwa durch:
Atiß der pi/ii, erlösen mit cme}n icnrt.
Er tut es nicht, -weil er eindringlicher sein will und dieses durch die Stellung in der
Senkung bosser erreicht.
Blicken Avir zurück, so inii.s.sen wir in der tat zugeben, dass die
accentverletzungen, sowol im wort- wie im satzaccont, ihren guten sinn
haben und dass sie alles andere eher als ungcsehickliclikoit des dichters
sind. Damit findet die theorie Sarans für G und den Verfasser von T
und Na ihre bestätigung. Ihre richtigkeit erhärtet aber gerade aus der
art der beispiele. Es sind alles fälle (wortacceut), in denen einmal,
wie bei den eigennanien, die accentverletzung besonders lebhaft empfun-
den werden musste, und die zum andern eine starke hervorhebung im
Zusammenhang des ganzen nicht nur vertragen, sondern fordern. Den
besten beweis jedoch bringt der vertrag. Man vorsuche einmal so zu
lesen, und man Avird sehen, wie das ganze dadurch den lebendigen
Charakter eindringlicher rede oder den spitzigen pointierten ton der
Satire erhält. Die Voraussetzung aber für die Vernachlässigung des
sprachaccentes, „klarheit des lesers über das metrum und die Verteilung
der Silben auf dasselbe" ^, ist für Gengenbach gegeben durch den nach-
weis, dass für den bau seiner verse das alternierende princip mass-
gebend ist.
C. Reimbrechung, dreireim, rührender reim, waisen.
Was die reimpaare der späteren mhd. zeit wie zum grössten teil
auch die des 16. jhs. so unerträglich eintönig macht, ist nicht zum
geringsten teil die Verbindung zweier durch den reim zusammengehal-
tener verse zu einer gedankeneiuheit. Das in mhd. zeit so ausser-
ordentlich beliebte und mit grossem geschick gehandhabte rime brechen
geht als mittel stilistischer belebung fast ganz verloren, und die dich-
tungen bekommen etwas eintöniges. Gengenbach gehört in der anwen-
dung der reim- (oder ketten-) brechung entschieden zu den bessern
dichtem seiner zeit. Die geschickte und künstlerische handhabung dieses
mittels verleiht seinen dichtungen eine grosse beweglichkeit, abwechs-
lung und frische.
Sehr häufig schliesst er einen gedanken mit einem vers, der durch den reim
enger mit dem folgenden, einen neuen gedaukon enthaltenden vorso verbunden ist.
Ein beispiel:
Ij Saran s. IGO.
246 KÖNIG
G 18 fgg. Kürtxlich hat tnan lassen ußgan
Ein gdicht und das auch trucken lan,
Wie das unkeüscheit sy kein sündt.
Diser ist gantx verstockt tmd hlindt usw.
Die brechung bewirkt hier den eitidruck, als könnte die Widerlegung des in 18 — 20
ausgesprochenen gedankens gar nicht schnell genug erfolgen, ein eindruck, der durch-
aus entsprechend ist.
Oder 162 fgg. All kurtxwyl thet man mit uns triben,
Waren allxyt by schonen wyben,
Die hatten mit uns froid und müt.
Nu gewints kein narr niimmerme gut usw.
Die brechung malt hier den Unwillen des narren über die veränderten zeiten. Bei-
spiele, die sehr zahlreich sind, anzuführen, halte ich eben deshalb nicht für nötig.
Ganz besonders wirksam wird die reimbrechung, und die künstlerische Wirkung ist
von G. zweifellos beabsichtigt, wenn der reim den schluss der rede einer person mit
dem anfang der antwort einer andern verbindet („ stichreim ").^
Der kriegsmann:
G 540 fgg. Du alter narr, nun sag mir an,
Was mag dir doch ligen an,
Das du hie also trurig stast?
Der narr: Das sag ich dir bald, lieber gast.
Ähnlich G 172/74. 235/37. 596/98. 828/30.
Mit demselben geschick wendet auch der Verfasser von T und Na die reim-
brechung au:
T 27 fgg. Seinen find hat er ir sind vergeben.
Das tvir in alxeit tciderstreben
Und machen krieg in aller wält.
Umb all gutheit nam er kein galt.
Der papst wird nicht müde, die Verdienste Christi aufzuzählen und in wirksamen
gegensatz dazu das treiben der kleriker zu zeichnen. Die rasche aufzählung wird
durch die reimbrechung, die den neuen gedanken mit dem alten durch den reim ver-
bindet, gut veranschaulicht.
Oder Na 29 fgg. Darumb ich dich gar flyßlich bit,
Du tvelst von mir jetx scheiden nit
Und weist mit mir gon heim xü htiß.
Mein lieber gsell nun hab kein grüß.
Durch die reimbrechung wird der eindruck bewirkt, als zögere der fremde, der ein-
ladung zu folgen. Der kaufmann bemerkt das und fällt mit v. 32 schnell ein.
Besonders gern wird auch hier die reimbrechung benutzt, um die gegenrede
eng an die rede anzuschliessen:
Na 280 fg. Darumb thüt in als tvol rerlangen
Nach xeitlicher eer und grossem gwalt.,
worauf der messner schnell einfällt:
Der sigerist sprach: darumb ich halt usw.
1) Herrmann, Stichreim und dreireim bei Hans Sachs, s. 425, anm. 2. 435.
PAMPUILUS GKNGENBACH 247
Gerade hier in dem Streitgespräch' zwischen dem messner und dem pfarrer
und später zwischen messrier und Murner ist die reimbrechung ein vortreffliches sti-
listisches mittel zur andeutung der raschen aufeinanderfolge von rede und gegenrede.
Höchst Avirksam ist es angewandt v. 794 — 815. Sechsmal wechselt hier die redende
persou, und jedesmal sind die reime gebrochen. Vgl. ferner 287/88. 295/96. 301/2.
381/82. 400/2. 484/85. 488/89. 490/91. 500/1. 542/43. 582/83. 736/37. 834/35. 840/41.
902/3. 980/81. 984/85.
Zum ausdruck des raschen fortgangs der handlung dient die reimbrechung
S'a4,ö0/51. 534/35.
DreireiDi.
Die Unterbrechung der reimpaare durch dreireime ist eine gerade
im 1(5. jh. ziemlich häufig zu beobachtende erscheiuung, die teils in
künstlerischer absieht, teils auch ohne diese rein willkürlich, von den
verschiedenen dichtem gehandhabt wird. Wie bei H. Sachs ^ ist auch
für Gengenbach der Ursprung „in einer art motto^" zu suchen, das
den einzelnen dichtuugen vorausgeschickt und durch den dreireim von
den reimpaaren des eigentlichen gedichtes abgehoben wird, so z. b. im
welschen Fluss, N^ollhart, Bockspiel. Diesem einleitenden motto ent-
spricht zuweilen ein schluss in dreireimen: B 185—87 und im prosa-
teile 124 — 26, Nollhart 1493 — 95.
Durchgeführt ist der dreireim in den reden der einzelnen Spieler iu w. F 201
bis 284 und iu seiner fortsetzung bei Pr. I und II 1 — 37, zuweilen auch Bocksp. I
55 — 57. 84 — 86.
Von hier aus wird der dreireim auch sonst in künstlerischer absieht angewandt
zur markieraug grösserer abschnitte.* So am schluss eines abschnittes w. F 137—39,
einer scene x Alt. 237. 323. 582, G 372. 1122, am schluss der rede einer person x Alt.
209. 372, N420. 607. 663, 0 97. 784. 1174.
Freilich wird dieser eindruck künstlerischer absieht in der Verwendung des
dreireims durch zahlreiche fälle unmotivierter anwendung desselben aufgehoben. G. ist
eben einer der ersten, der den dreireim verwendet, und hat für seine Verwertung
zur kennzeichnung grösserer pausen mehr ein dunkles gefühl als eine klare Vorstel-
lung. Hierher gehören fälle wie w. F 106, B 58. 143. 168, G 157. 903. N 334, wobei
zu bemerken ist, dass der dreireim B 58. 168, N 334 am schluss eines gedanken-
itbschnittes steht.
Dreireime finden sich nun auch in T und Na. Das ist besonders deshalb
charakteristisch, weil der gebrauch den dreireime in der Schweiz auf Basel beschränkt
ist und hier von Geugeubach ausgeht.'"
1) Herrmanu a.a.O. s. 434.
2) Herrmann a. a. o.
3) Ein motto in zwei reimpaaren findet sich TTE. Na.
4) Herrmann a. a. o. s. 435. Das von ihm unter G 523 angeführte beispiel
trifft nicht zu.
5) Ilerruiann a. a. o.
248 KÖNIG
Vou einer küustleriscben verweuduug des dreiieims habeu wir hier allerdings
nur geringe spuren, und das kann deshalb nicht sonderlich auffallen, weil diese art
seines gebrauches- sich bei 0. häufiger nui' in den dramatischen sceneu beobachten
lässt, während nur T, nicht aber ?fa dramatisch abgefasst ist. Am schluss der rede
einer person haben wir vierreim T92fgg., dreireiai Na 500. Dreireim ist möghcher-
weise auch am schluss des ganzen [darauf deutet die heraushebung des namens
Murner] beabsichtigt. Ohne künstlerische absieht ist der dreireim angewandt: T 12,
Xa 244. 509. G62. 677. 967.
Rührender reim.
a) In mhd. erlaubter weise steht rührender reim:
1. bei Simplex und compositum desselben verbums resp. substantivums:
xAlt. 118. 183. 407, Na 24. 156. 562;
2. bei verschiedenen comp, desselben wortes: Na 104. 941;
• 3. bei demselben wort in verschiedenem sinn: T 31. Dazu wol auch
4. im dreireim: x Alt. 237, G 97.
b) Sonst: X Alt. 267. 746, G 454. 540.
Waisen,
Waisen endlich haben wir xAlt. 476, G 525 und wenn nicht binnenreim auch
Na 387. 388.
3. Zusammenfassung.
So beobachten wir dieselbe Übereinstimmung zwischen Gengenbach
und dem Verfasser A'on T und Na auch in allen wesentlichen punkten
des metrischen gebrauches, wie wir sie schon für spräche, syntax und
Stilistik hatten feststellen können. Nicht nur, dass für Gr. und den Ver-
fasser von T und Na dasselbe metrische grundprincip in betracht kommt,
es bestehen auch dieselben charakteristischen ausnahmen: senkungs-
ausfall und mehrsilbige Senkung tritt unter den gleichen bedingungen
ein. Bei beiden dieselbe behandlung der fremdwörter, dieselben fälle
schwebender betonung, dasselbe künstlerische wollen in der anwendung
der reimbrechung, hier wie dort in schon hervorgehobener charak-
teristischer weise der für diese zeit in der Schweiz so seltene dreireim.
Und kommen wir noch einmal auf die reime auf -ßr zurück, die
für Singer ein so schwerwiegendes kriterium gegen Gengenbach ge-
wesen waren, so fanden sie ihre erklärung in metrischen eigentüm-
lichkeiten, in eben denen, die wir auch bei G. hatten constatieren
können, ganz abgesehen davon, dass wir einen ganz analogen reim
(w. F181) auch bei G. haben, d.h. jene reime sprechen nicht gegen,
sondern stark für Gengenbach. Sicherlich aber bat man auch vom
metrischen Standpunkt aus kein recht G. die Verfasserschaft von T und
Na abzusprechen.
Haben wir uns bisher auf die anführung dessen beschränkt, was
nicht gegen Gengenbach spricht, so lassen sich nunmehr auch sehr
rAMI'HILUS CiKNCiKNBACll
249
gcwichtigo gTÜndo für ihn i;cltoiul machen. Zunächst liegt in den vur-
steheuden negativen ausführungcu schon ein selir starkes positives
moment. Denn Avir haben Ja niclit nur zeigen können, dass die gegen
Gongenbach angeführten kriterien nicht zutreffend sind, sondern im
engsten Zusammenhang damit wurden auch eine grosse zahl weitgehender
Übereinstimmungen aufgewiesen. Diese gemeinsamkciten in spräche,
Syntax, Stilistik und metrik gehen so weit, dass wir bei der annähme,
Totenfressei- und NovoUa rührten nicht von G. her, an demselben orte,
um dieselbe zeit au einen so sehr von ihm abhängigen dichter, der ihm
'doch zugleich wider überlegen wäre, glauben müssten, dass wir von
ihm nur als von einem Gengenbach B sprechen könnten. Man wird
zugeben, dass diese hypothese nicht eben wahrscheinlich ist, um so
w^eniger, als wir um das jähr 1520 tatsächlich von gar keinem irgendwie
namhaften dichter in Basel wissen, von Gengenbach abgesehen. Und
endlich — wir nehmen den in der einleitung ausgesprochenen gedanken
noch einmal auf — hatte ja niemand, von Eberlin von Günzburg, der
aus sprachlichen gründen nicht in betracht kommen kann, abgesehen,
ein grösseres interesse an der durch die Novella gegebenen antwort auf
Murners geistreiche satire. Alle diese gründe zusammengenommen
berechtigen m. e. durchaus zu der annähme, Pamphilus Gengenbach
ist der Verfasser von Totenfresser und der Novella und damit ein vor- •
kämpfer für die sache Luthers.
Capitel V.
Resultate.
AVir sind am ende unserer Untersuchung und fassen zurückblickend
kurz noch einmal unsere resultate zusammen:
I. Die beschäftigung mit dem leben Gengenbachs hat zweierlei
ergeben :
1. Gengenbachs herkunft aus Nürnberg erscheint iin höchsten grade
problematisch.
2. Seine religiöse Stellung würde nicht gegen seine Verfasserschaft
von Totenfresser und Novella sprechend
1) In liebenswürdigster weise sendet rair lierr prof. Singer einen abzug der von
ihm im Berner taschenbuch für 1903, s. 241fgg., veröffentlichten und besprocheneu
bruchstücke von Gengenbachs M^'iener prognosticon auf das jähr 1520. Gengeubacli
spricht darin seine Stellung zu Luther offen aus in der mahnuug an Karl V.:
Luterus ist tiff rechter bau,
Dem soltu fröhlich hangen an.
250 KÖNIG
IL Die sprachliche Untersuchung zeigte:
1. Gengenbachs spräche trägt ganz und gar alemannisches gepräge.
Daher kann er nicht aus Nürnberg stammen; nach den im ersten capitel
gegebenen biographischen daten kann nur Basel als seine heimat in
betracht kommen.
2. "Was für Gengenbachs spräche gilt, gilt in gleicher weise auch für
die spräche der Totenfresser und der Novella. Beide müssen also auf
demselben boden entstanden sein.
III. Die schon auf sprachlichem gebiete gemachte beobachtung,
dass Gengenbach mit dem Verfasser der Totenfresser und der Novella
eine nahe Verwandtschaft zeigt, widerholt sich in steigendem masse bei
der betrachtung der syntaktischen und stilistischen eigentümlichkeiten
beider, und die annähme, dass der Verfasser von T und Na mit Gen-
genbach identisch ist, gewinnt durch eine anzahl von parallelstellen an
Wahrscheinlichkeit.
IV. Der metrische gebrauch beider verstärkt diese Wahrschein-
lichkeit namentlich durch den nachweis, dass die von Singer beanstan-
deten reime auf -er in der Novella in metrischen eigentümlichkeiten
ihre erklärung finden.
V. Die Zusammenfassung aller dieser gründe und der nachweis, dass
Gengenbach an der Novella interessiert ist, berechtigen zu der behaup-
tung, Gengenbach ist der Verfasser der Novella und damit angesichts
der parallelen zwischen T und Na auch der der Totenfresser.
A n h a n g.
1. Do haben verkoufft und zu kouffen geben Tlionian Swarz der kartenmoler, burger
zii Basel und Magdalena, sin eliche hußfrow, mit jni, als jrem eman und dem sy der
vogtye anred was für sich und allen jr beder erben dem erbern panphilo Geugenbach
dem büchtrukker, der jm selb, siner efrowen und allen jr beder erben recht und
redlich hat koufft das hus und hofstatt, genannt zum kleinen Rotenlewen mit aller
siner zugehord, recht und gerechtigkeit, als das jn der stat Basel an der freyen stroß
zwischen dem zuuffthus zum Hymel zu einer, und dem huse zum großen Rotenlewen
zur anderen site gelegen ist; zinset jorlich der Cottidiau des hohen Stifft Basel 4 'S
gewonlich alter Baseler zinßpfennige und ein (unleserlich) geltz ze faßtnachte von wegen
der eygenschaft und 5 Schilling egenannter pfennige zum erschatze, wenn sich die band
verwandelt des kouffos halb, furer soll man euch jerlichen darub richten und bezalen
der brüderschafft zu Sant Jolianues Capellen euch uff bürg zu Basel vierdhalben
gülden, für jeden gülden 1 S 3 Schilling genger Baselworung, sind abzelosen lut des
briefs mit 70 gülden rinisch hauptguot und zuletzt gand auch darub jerlich den herrn
der stifft zu Sant Peter zu Basel 1 S 3 Schilling auch ablosiger gult; witer ist sollich
PAJIPHILUS GENGENBACH 251
bus nit zinushaft, noch versetzt, als die vorköuffere geredt und by iren triuwen an
eides stat darumb geben
. . . und ist darüber diser kouff Zugängen und geben um 60 gülden, 1 'S 5 Schilling
stebler Basler werung für jeden gülden gerecbnet, deren sich der verköuffer bar be-
zalt sin bekant, habe dem köuffer darumb quittiert mit geloben und versprechen der
werschafft ut in forma.
2. Urteilsbuch der mehreren Stadt von 1521. Mittwoch nach Martini (13. novem-
ber) zwischen Heinrich Peyger von rotvvyl junameu hcrr Ilannsen Ruger, altburger-
raeisters zu rotwyl, sines swehers eines und pamphilo Gengenbach anderes teils der
schuld halp, so Heinrich peyger an Pamphilum ervordert, darumb ein pamphili
handtgeschrifft, dazu ein gewalt von sinem sweher jnglegt hat, da ist uff pamphilus
züredt erkandt, daz des jnglegten gwalts nit gnüg sye und ob Heinrich peyger von
sins swehers wegen etwaz handeln welle, dz er dann ein gwalt, des gnugsam sye,
bringen solle.
3. Urteilsbuch von 1522. Donnerstag nach Hylary (16. Januar). Ich Baltasar
Inget, Schultheis etc. daz uff hüt datum für mich jn gricht komen sind der erbare
Heinrich peyger als ein volmechtiger gwalthaber des furnemen wysen herrn Hannsen
Rugers, altburgermeisters zu rotwyl, syns swehers eins- und pamphilus, Gengenbach,
der büchtrucker, burger zu Basel, anderesteils : als Heinrich peyger anfengklich ein
gmeinen gwaltzbrief, im von sinem sweher übergeben under dem tütel und jnsiegel
der fursichtigen , wysen herrn Schultheißen, burgermeister und richter der statt Rot-
wyl usgangen, des datum stat uff der dryer heiligen kunnige abennt des gegen-
wurtigen jors, verhören lassen und als uff pamphilus zured derselb gwalt für gnugsam
erkant ward, lies Heinrich peyger umb 20 gülden, die er lut siner hanndgeschrifft
sinem sweher schuldig und zä bzalen verfallen wäre, clagen und daby die hannd-
geschrift verlesen mit beger jnn daran ze wysen jm umb sollich 20 gülden sampt
erlitten costen uszerichten, dagegen aber panphilus Gogenbach der handtgeschrifft nit
abred gewesen ist und antwurten lies, wie herr doctor andres helmüt, des gemelten
herr Hannsen Rugers sweher seliger, etlich getruckte büchor verlossen, dieselben und
ander sin gut herr Hanns Ruger von jm ererbt, über die bucher bete jn herr Hanns
Ruger gefurt, jmme die besehen lassen und dornach von einem kouf geredt und jm
also dieselben bücher mengerley matery alle uberhept gflt und bos, defect und pleuaria
umb 227 gülden zu zilen zu zalen uff^ der junglegteu haudtschrifft zu kouffen geben
und daby gsagt, das er jm alle bucher, so sin sweher seliger verlossen hab. zeigt
und geben hab, dornach er pamphilus Gengenbach erkundt und erfaren, das er hanns
Ruger ettliche Costnitzer breviaria und agenda von sins swehers soligen buchen unnd
die zu verkouffen jn der stat Basel wider und für geteilt, und wiewol er soUichs au
herr Hanns Rügern ervordert, so hat jm doch her Hanns Rüger sollichs nit wellen
gestendig syn, biß das er pamphilus sollichs in grund worlich erfaren und das
darton mag, diewyl und denn herr Hanns Ruger jm ja den kouf alle sins swehers
seligen böcher zu geben zugesagt, aber das nit erstattet, sondern ettliche bücher jm
selb behalten und jm dem antwurter zu nachteil und schaden verkoufft und dadurch
die synen vorgeschlagen habe, so wolle er der antwurter verhoffon, das der kouff zu
nichton erkant worden, her Hanns Ruger die bücher widurumb zii hannden nemon
und jm dagegen das gelt, so er uff solchen kouff bozalt hab, widorumb zu hannden
stellen und usrichten solle; als aber der gewaltiiaber die bezalung an dem gegcuteil
252 KÖNIG, I'AMPHILUS ÜENGENBACH
ervordert und das jin die getan werden solle verhofft, darnacli sich dem gegeoteil
umb sin ansprach rechtz auch erboten luib:
da ist nach verhör, clag, antwurt, red und widerred und beider teilen recht-
satz erkant und gesprochen: welle jjamphilus Gengenbach furbringen, das ztirecht
genfig ist, des jin herr Hanns Ruger im kouff ztigesagt, das er jm nit gehalten hab,
das solle gebort werden und dann aber ergan das recht ist; weit oder möcht aber
[)amphilus Gengeubach nit furbringen, des dann ergan solle, was recht ist. Dann
ein xusatx. von anderer hand: zwischen jetzgemelten partyen ist witer erkaut, das
man jnen beiden teilen dieses Urteils wie sie begert urkund geben und das auch
pamphilus Gengenbach zur erstattung sines furbringeus die kurtzen rechtlichen tag,
nemlich dry tag und sechs wochen, die uechst koniment, nach gcrichtzrecht, wie er
die ervordert, haben solle.
4. Mittwoch nach Cathreda Petri 1522 (2t). februar 1522). Diser zug ist durch
pamphilus Gengenbaeh wider hannsen Ruger zu Rotwyl verfaßt. Nicolaus Lamparter,
der büchtrucker hat geschworn und sagt: jnn vergangenen jaren herr Hanns Ruger
burgermeister zu Rotwil etliche getruckte bucher mengerly matery, so her doctor
andres helmut, sin sweher selig, verlossen Pamphilo Gengenbach zu kouffen geben,
hete her Hanns Ruger diseni zugeu die bucher zu erlosenn. zu coUaciouieren und zu
Zellen gepetten, deßglichen were ein eaplan zu sant Theodor, genant her friderich
auch darby gewesen und als sie an die obsequalia komen, wereu der ganzen 65 und
der anderen, so defect und gantz waren 380, meinte panphilus, das er nit mer dann
die 65 gantzen und die 380 defect nit uemeu, das aber Heir Hans Ruger nit thüu,
gantz und defect miteinander und eins on das ander verkoufen und weite p. der 65
gantz obsequalia habenn, so solte er die 380 defect ouch nemen oder sy alle stan
lassen, also hab diser zug den pamphilum kumerlich beredt, das er die 380 obsequalia
defect zusampt den 65 gantzen nemen und die wyl man die by der zal der bücher
nit kouffen könnte, so solte man defect und gantz von bogen zu bogen, von biich zu
buch und von Ris zu Ris zollen, zu ballen rechnen und pamphilus umb ein jeden
ballen 8 gülden geben; das syen beid teil (wiewol p. nit gantzwillig) iugangen und
hab diser zug die gantzen anfangs collaciouiert, dornach mit den defect von bogen
zu bogen, von bfich zu buch, von Ris zu Ris gezelt, dornach zu ballen gerechnet;
wieviel der ballen gewesen, sye zu beiden sydten uff geschriben worden, und disem
zuge witer nit wissen.
HECKLINGEN (aNHALt). HANS KÖNIG.
TRAUTMA.NX, ZUU GOT. BinKI.VBKRSETZUNT. di).)
MrSCELLEN.
Zur gotischen bibelübersetziuig-.
Mc. 1, 10 liest die hs.: jah siois usgaggands ns pamma wathi gasale iishik-
nans liiniinans, xcd irOHog uvußm'vMv iy. tou l'^ccto; fi'^ev ))v(0)y/.ii-'vovg {a/j'Co-
uivovg) Toi'g ovQccvovi;. Das sprachgescliiehtlich klare (vgl. L. Meyer, Got. spr.
s. 215. 548) und dem sinne nach tadellos passende adjectiv nshikus ■offen' i.st doch viel
angefeindet worden. Gabclentz-Löbe folgen der hs.; Schulze, Glossar s. 215 möchte
lieber iisliih-anans lesen; J.Grimm, Gram. 4,20 ändert ebenso unter unzulänglichen
gründen, will aber Neudruck 27 das überlieferte doch gelten lassen. Schade, AVb.-'
s. 1065 setzt zwe\(e\nd itsluhis an und möchte .1. Grimm gern folgen; ebenso zweifel-
haft ist Gering, Zeitschr. 5, 299; Ui)pström wollte gar usluknandans lesen. Erst
Bernhardt, Vulfila s. 250 erklärt sich entschieden für die äuderung dos adjectivs ins
particip, indem er meint, einem IjViojyittvovg könne nur ein got. particip entsprechen,
vgl. 2. Cor. 2, 12, wo in der tat aviov/u^'vt]; durch «s/«/i-rt»ai widergegeben ist. Doch
bedenke man, wie ungemein nahe in den indogermanischen sprachen particip und
adjectiv einander stclm, und "Wulhla scheint mir nicht ohne grund vom griech. texte
abgewichen zu sein, da im particip nslukaiis noch die bewegung des sich öffnens
nachklingt, iisli(kiis aber den vollen zustand des offcnseins ausdrückt: gasah usluknans
himinaiis 'er sah die himmel offen, in all ihrer lierrlichkeit'. Dennoch sind die
späteren herausgeber Bernhardt gefolgt; während Heyne, Ulfilas in der 7. auf!, der
hs. folgt, ändert er in 9. und 10. aufl. in ushd-anans, ebenso ändeit Braune, Got.
gram.^ s. 110, und bei Wilmanns, Gram.- 2, 436, Kluge, Stammbildiingslehre^
s. 108 fehlt das wort. Nur J. Schmidt, Sonantcntheorie s. 101. 116 folgt der Über-
lieferung. Meiner ansieht nach muss die handschriftliche Überlieferung aber bei-
behalten werden, weil es in der got. bibel eine grosso reihe von fällen gibt, wo dem
griech. particip ein got. adjectiv gegenübersteht, ein weiterer beweis dafür, wie fein
Wulfila übersetzt, wie er nuanciert, überhau[)t dem griechiscLen texte frei gegen-
übersteht. Obwol schon Gering, Zeitschr. 5, 301 fg. beispiele hierfür zusammen-
gebracht hat, will ich doch die fälle hierhersetzen, indem ich sie vermehre und, so-
weit es mir möglich, darauf aufmerksam mache, wann das griechische particip, das
an der einen stelle durch ein got. adjectiv widergegeben wird, an einer andern stelle
ein got. particip sich gegenüber hat. Ich hoffe so die frage des got. uslnlnis ein für
allemal zu erledigen.
2. Cor. 5, 9: i'inih ßis iisdandjani , jajjße anahaimjai jap[jc afhaimjai,
Siü y.ai (fi,).oTi}iOVfii>')^K, tire IvSrjfxovvTfg tht l y^ tjuovvrsg.
I.Tim. 5, 5: soeihi sunjai ividmvo isl jali ainakla, ») ö'vrwf ;^/;()« x«l f^isf^io-
vo}^ iv r\.
2. Tim. 3, 13: ^^ iibilai mannahs jak liutai ßeihand du wairsixin, airxjai
jah airxjandans , novrjQcn St äv!)imnot, y.al yotjTfg TiQoy.oxpovaiv inl tö yjJQOi', nXu-
vGjVTfS yCU 71 i.(CVlöfl(VOl.
Mc. 10, 30: in aitca pamma anauairpin, iv Tcp afwrt rai iQ/ofi^vfo.
Lc. 3, 7: /vas gataiknida ixwis Jümhan faura paninia anatvairpin hatixa?,
ri'g i'TitStihv i'uTv (fvytlvunb rfjg fit).).ova i]g ooyrig; ebcn.'-o Rom. 8, 38; Eph. 1,21;
Col. 2, 17; I.Tim. 1,16. 4,8.
Tit. 1.9: andancmeigs hi laiscinai waurdis triggwis, üvTB/ufj.evov tqO
y.uTu jrjP ScSic/>iP ntmoO ).6yov.
254 TRATITMANN
Rüm. 8, 38: nili andicairjjo nili anaicairpo, ovie ivtarGiTa ovt8 /.it'XkovTa.
Ebenso 1. Gor. 7, 26.
l.Cor. 5, 'i: jn gastauida sive andivairps , ij^t} yJy.Qixa log n«QU)v. Ebenso
2. Cor. 10, 2. 11; 13,2. 10.
Lei, 28: farjino, anstai audaha fta, yj^^Q^^ x8xuQiTioi.ievr].
Mc.8, 17: datibata hahaijj luiirto ixicar, n eniaQtojuevijv fy^rs tj]v xanStav vftGiv.
Job. 11,44: urrann sa daiijja, i^fjXOsv 6 t sOvtjy. lüg. Ebenso Job. 12, 1; aber
Lc. 7, 12: sai utbatirans tvas naus, iSov i^exo/xittro TiOvriy.wg.
Epb. 2, 12: wesuß ßan in jainamma mcla inuh Xristu framaßjai tismetis
Israelis, t]Tt Iv to3 yaiQm iysi'vo) ytociig Xoiarov äni^kXoTQKOf^i^voi. Ebenso ib. 4, 18.
l.Tiin. 5, 20: paus fraivaurhtans in andwairjjja aUciixe gasak, Tovg
u LI HOT i'cvovT ag ivMTiiov nüvTtav (Xeyye.
Eph. 6, 16: standaijj .... andnimandans skildu galauheinais , Jjamviei viagup
allos arhaxnos pis unseljins funiskos afhapjan, aTfjTS .... uvcdaßövjtg tuv
dvotov TTJg TTiOTtwg , Iv O) Svi')]ata08 ndvTU t« ßtXt] tov novr]QOV xa tt in VQMfitvu
aßt'acci.
Rom. 10, 12: sa sama fraitja allaixe, gahigs in allans pans bidjandans sik,
u KL'Tog y.vQiog ttuvtcov^ nXovjSiv eig ndviag rovg ^niyccXov/uivovg avTÖv.
Lc. 18, 34: ivas Jmta ivaurd gafulgiii af im, ^v ro (jfjiuu tovto xs^qv/x-
(.itvov an cdniüv. Ebenso Eph. 3, 9; Col. 1, 26.
Lc. 4, 19: frnletan gamaidans in gapraf stein , vcnoOTtlXai Tt&Qavafxevovg
iv u(peG8i.
Lc. 3, 13: ni tcaiht ttfar ßatei garaid sijai ixivis, lausjaip, /^r,^iv nX(ov
nana tb &iaT(TKyiÄivov vfiTv nQÜOCtrs.
Mc. 6, 9 : ak gaskohai suljom, aXXä vn o^i^euivovg aavSäXia.
Eph. 6, 15: gaskohai fotum in mamcipai aiivaggeljons gaivair/jjis , vnoSt]-
ouuevoi Tovg nöSag iv Iroi/^uaia tov fvayyeXi'ov Tfjg fi()>ivrjg.
Mc. 3, 5: gaurs in daubipos hairtins ixe, GvXXvnov y.tvog inl tT] nojQujad
Tijg y.unSi'ag avTwv. Ebenso Mc. 10, 22.
Mt. 25, 44: /van ßtik selouni gredagana aippan afpaursidana? nörs ae
tY^o[.nv netvüivT K fj cfti/'töiTß ; ebenso Lei, 53; ib. 6, 21.
l.Cor. 7, 10: [yairn liugom haftain anabiuda, roTg yeyafxrjxöaiv naq-
nyytXXw.
Lc. 5, 3 1 : ni Jjaurbun hail a i lekeis , o v /Qt (av f/ovatv oi vyiaivovTig
UiTQov. Ebenso ib. 7, 10. 15, 27; 1. Tim. 1, 10. 6, 3; 2. Tim. 1, 13. 4, 3; Tit. 1, 9. 2, 1.
Mt. 9, 12: ni panrbun hailai lekeis, ov xQ^i'«^ (/ovaiv ol ia/vovrsg farQov.
Aber Mc. 2, 17: swinpai . . . ., oi iGyvovTSg.
Lc. 1,36: Aileisabaip nipjo peina, jah so inkilpo sunuu, 'EXtaäßeO- ?} avy-
yevr'jg aov y.al avrr] (Jvve iXrjipvta viöv.
Lc. 9, 41: 0 k^ini ungalaiibjando jah imvindo, w yevsä äniaTog xal Sif-
aTQa/.ifj.evr].
Rom. 9, 25 : haita po ni managein meina managein meina jah po unliubon
liabon, xaXtaio rov oi) Xaöv f.iov Xaöv fxov ;ff« rrjv ovx rjyan)]uev>jv t]yunrifX8vr]v.
Eph. 3, 20: pamma mahteigin ufar all taujan maixo pau bidjam, toö
Svvafxsvb) vntQ nüvTtc notrjOat . . . Ebenso 2. Tim. 3, 7. 15. Aber
Mt. 10, 28: ni ogeip ixivis pans usqimandans leika patainei, ip saiwalai ni
magandans usqiman, firj (foßeiade änb tQv anoxTeivöviMv t6 oGiua. Tt]v dt ^pvyrjv
fiij Swcifitvoiv änoxTiivcu. Ebenso Mc. 2, 4.
ZUR GOT. BIBELÜBERSETZUNG 255
Eph. 3, 19: kunnan ])o ufarassau mikilon ßis kunßjis friopiva Xristaus,
yvüjviii, Tijv vn iQßdXkova ttv riig yvöiaeug ctyicnrjv.
Mt. 5, 22: ik qißa ixicis ßatei loaxuh modags ^roßr semamma stvare skula
uairpip staiiai, iyii) kt'yto vfiTv ort nüg d ÖQytCöuevog tgö i\S(l(faJ kvtoO etxi'j
fvo/Oi; 'iOTia tij y.Qt'aa.
Mc. 13, 17: ivai paim (i i fjulia ftuni , oviu raTg iv yaOTo) l/ovacag. Ebenso
l.Thess.5,3.
Eph. 4,18: r iqixeinai gahugdai uisandans , tay.or la ufvot, tj) Sluvoiu övitg.
Eph. 4, 22: . . . ei aflagjaip jics bi frumin nsmeta Jmna fairnjan mannan
pana ritirjan, ... anoO-iadiu vfxüg . . lov ncü.iauv iivOownov lov ifüttoüutvov.
1 . Cor. 4, 8 : yit sadai sijujj, rj6't] y.sy.oQ8Gfiivoi- iars.
Lc.G, 25: wai ixuis jus s ad ans nu, oval vfxlv ol ifin enXy;a fitvoi vCr.
Phil. 2, 2: usfullcijj mciiuo fulied ei Jjata samo hugjaiß ... samasaiwalai,
sa »lafrapjai, nXtjQÜoccre fxov rijv ^kquv ivu t6 (cvtö (fQOvPjTa ... Gvfxipv/oi-, tii
ti^ (f'Qovo Ovreg.
Mc. 6, 56: ana gagga lagidedun siukans, Iv rtag nliaeiiag iiiOow rovg
(ca^evoüvTag. Ebenso Lc. 4, 40. 7,10; Joh. 6, 2. 11,1; l.Cor. 8, 12.
Col. 3, 25: sa skapiila andnimifj Jjutei skojj, o CiSiyGiv y.oLii'atrui o ij&i'yijGtv.
Mc.2, 17: ni Jjaurbun swinjjai lekeis, oii yoeiuv tyovoiv ol lO/uovi sg faTooD.
Lc. 9, 11: Jjans Jjarbans lekinassaus gahailida, lohg /Qiiuv f/ovKtg
Ofnanencg iüro. Aber
Eph. 4, 28: arbaidjai waurkjands sivesaim handiim pitip, ei habai dailjan
paurbandin, y.onu'aü) iQyccCüuevog rai'g fSnctg yioaiv ib ayaOov, Iva t/n uiia&i-
SÖVCU T(p /Q eiCCV f^OVTt.
Meli, 20: gasehun pana smakkabagni J)aiirsjana us waurtini, t'iSov i^v
avyijp iir]QUfifie'vr]v i% QtCsiv. Aber
Mc. 3, 1: was jainar manna gapaursana habands liandu, i]v h.ai ävOQumog
iit]ou/iifxe'vr]v eyojv rrjv yttoa. Ebenso v. 3.
Lc. 14, 21: pamih ptvairhs sa gardawaldands qap du skalka seinannna,
TüT( öoyiG&eig ö ofyodiOnoTrjg einev tc5 dovXqj avToC.
Lc.G, 38: gibaid, jah gibada ixivis; mitads goda jah ufarfulla jah gaivi-
gana, SiSore, y.ul SoOt]aeTt(t, v^Tv fxiioov xiü.ov 7itnttofi,ivov yal ataaltvfxtvov.
Lc.5, 31: ni Jjaurbun hailai lekeis, ak Jmi unhailans, od yotlav 'iyovaiv
Ol vyucivovTig fcciooD uU.u ol xuy.Gig fyovitg. Aber
Mt. 8, 16: allans pans ubil habandans gahailida, nüvxag lovg y.uy.dg
fyovTug id-end/itvofv. Ebenso Mc. 1,32. 34; 2, 17 (paralleLstelle zu Lc. 5, 31);
6, 55. Anders
Mt. 9, 12: 7ii /xturbun hailai lekeis, ak pai tonhaili habandans, . . . ol
yityßg tyovitg (paralleLstelle zu Mc;2, 17). Anders
Lc. 7, 2: hundafade pan sumis skalks siukands swuUawair/>ja f/cas), txa-
rovTÜoyov ^e rivog &ou).og xaxGig eyMv ijftfXXev rtXivTäv.
Rom. 9, 25: haita po ni inanagcin meina managein meina jah J)0 unliubon
liuhon, x(ü.taii) lov od laov fiou Xuuv /nov xul jt^v oux fjyuTi i}u t'vijv i]yu7i)]f.iivr\v,
vgl. s. 254 unten.
Rom. 14, 1: unnialiteigana galaubei)iai andnimaip, iüi> uaOevovvTct t/J
nimti 7iooa).«ußiivia9e. Ebenso ib. 14,2; l.Cor. 8, 11.
2. Cor. 11,8: tvisands at ixwis jah ushaista ni ainnahi/n kaurida, nuowv
nobg ii/uilg xui vGt (qtjO tlg ov x«Tivi({>xi}(T(( ov$iv6g.
256 SCHRODKIt
Lc. 6, 35: frijod ßans fijands iximrans, Jmtß tavjaid jah leibaid ni waihtais
usicenans, . . . ayaOonouns y.al &m'i'CiTS [xr]Stv an iln il.ovt Eg.
Col. 3, 12: gnhamoj^ixtcis stce gcmmUdai giidis, iveihans jah walisans,
IvSvOaaOe wg iy.lty.To\ Oeov, aytoi xtd i)y«nrijUfvoi.
Gal. 5, 6: in Xrisfau Icsit nili bhnait icniht gamag nih fmirafUli, ak
galanbeins pairh friapira waurstiveiga, . . . ovre 7i(QiT0f.i>i tc !a/rH oure tixno-
ßvOTuc, ("(Xlä niOTig fJi uyünr]g lvioyov/ii8'vr]. Ebenso 2. Cor. ].6.
Joh. 17, 19: frnm im ik tceiha mik silban, ei sijaina jah eis weihai in
siinjai, i'TiiQ avTßv iyo) (iytuC«} hiavTÖv, 'Iva üaiv yal uvtoI fiytaa/Lisvot Iv älriDtüt.
Mc. 5, 15: gasai/vand ßana ivndnn sitandan, Oiwooiaiv jov SaiuoviXo-
uevov y.a!)i]i^tvov. Ebenso v. 16. Aber
Mt. 8, 16: at andanalitja n-aurßanamma atbcrnn dn imma daimonat-jans,
oxping ysvouevt]g nooatp'fyyav ccvtS &(ct./j oviCoiuevovg. Ebenso v. 28. 33; 9,32.
Mc. 5, 18: baj) ina saei was wods, nantydln {(inov 6 &ai-uovcaO e ig. Aber
Lc. 8, 30: gataihun im jah Jmi gasailvandans loain-a, ganas sa daimo-
nareis, . . . o S((.i,^io%ic>0-tig.
2. Cor. 3, 10: ni was widßag ßata uulpago, ov StSoiadtia lo SiSoiac-
uivov. Aber
Lc.4, 15: is laisida in gaqunijnm ixe, mikilids fram allaim, ... 6o^hL6-
u evog vno n dvro) v .
Zu diesen angeführten beispielen kommen noch:
2. Cor. 13,2: sivasrve andicairjis . . .jah aljaßro nu melja , o>g nanwv . . . ycd
änojv vvp yoiUfM. Ebenso ib. 10; Phil. 1, 27.
Phil. 1, 25: J5a^a triggwaba wait, tovto nenoiOiog oFcT«.
1. Tim. 3, 16: unsahtaba mikils ist gagudeins runa, df.io).oyovi^i ijnog
f,iiya iauv t6 rfjg ivaeßfi'ug i^ivarijoioi'.
Über widergabe griechischer participia durch gotische substantiva handelt
Gering, Zoitschr. 5, 303 fg.
KÖNIGSBERG I. PR. REINHOLD TRAUTMANN.
Schütte] formen.
Den bereits bekannten fällen von cousonantenaustausch (reciproker fernvei'setzung
von consonanteu)' habe ich Beitr. 29,355 eine reihe von fällen aus neueren deut-
schen mundarteu hinzugefügt. Ich habe da auch, auf scherzhafte bildungen hinge-
■wiesen, wie lauenbg. (auch mecklenhg) stceivelsivikn (eig. 'stiefelzwecken'), für szvcetvel-
s<^■/m ('Zündholz', eig. 'schwefelstecken'), ani Fhmkcrkies K\v Klinker fues , sowie auf
mut zeiget auch der lahme muek für mameluck. Zu den scherzhaften bildungen
dieser art gehört auch das, wenigstens in Norddeutscliland, oft gehörte morantisch
für romantisch. Ebenso hat man aus musikalisch durch consonanteuaustausch ein
kusimalisch , durch vocalaustausch ein masikulisch und durch beide arten des laut-
austausches zugleich (also durch silbenaustausch) ein kasimulisch gebildet.
Eine solche mit absieht gebildete form ist auch porkulent, unter anlehnung an
■ porcus aus korpulent, bei Kortum, Jobsiade 2, 2032 :
Denn sein hiesiger dienst nährt ihn treu,
Und er wird reich und porkulent dabei.
1) Kluge, Pauls Grdr. 1 -, 384fg.; Etym. wb.^ unter essig, geiß, kahn, kitzeln,
naber, pips; Wilnianns, D. gr. 1^ § 160, 2; Brugmann, Grdr. d. vgl. gr. 1*, 874fg.;
Kurze vgl. gr. 249.
SCHÜTTELFORiiEK 25?
Auch das von Kluge, Studentensprache s. 61, erwähnte sü'ps für spitz, 'rausch,
schwips' gehört hierher. Bei Hans Meyer, Der richtige Berliner in Wörtern und
redensarten, 6. aufl. (Berlin 1904) finde ich folgende bildungen, die zum teil auch
fern von Berlin ganz gebräuchlich sind: s. 112a schiUtebeen für hüte schön; s. 27a
blutwürschtijer Dieterich für blutdürstiger tvüterich; Jott, jib mir taft xtini kragen
für kraft xuni tragen; s. 90a doppelsoldcnkaiicndes nashorn für doppelkohlensaiires
natron, auch (bei Meyer nicht verzeichnet) sohlenkatcende Jungfrau für kohlensaure
Jungfrau, Verkäuferin in den seltors- und sodawasserbuden, daher auch sodaliske
genannt; s. 96a hochgepubeltes ehrlikum für hochgeehrtes publikum^; s. 108a sehinder-
kule für kinderschule ; s. 111b schreifritx, für den Freischütz, von Weber; s. 118a
sfauhdunun für taubstunini.
Den bisher erwähnten bildungen hurt man heute ja das gemachte sofort an,
■während ihre urschöpfung z. t. sicher in das gebiet der unfreiwilligen komik gehört.
Die meisten im folgenden aufzuführenden formen aber werden vom volke zweifellos
ohne nebenabsicht verwendet und ohne dass man an die grundform denkt, aus der
sie entstanden sind.
Wir haben es in allen diesen bildungen, vom rein lautlichen Standpunkt be-
trachtet, mit derselben erscheinuug zu tun wie beim Schüttelreim-. Ich möchte
daher für die durch reciproke fernversetzuug entstandenen wortformen die benennung
Schüttelform vorschlagen.
Solche Schüttelformen finden sich in den heutigen deutschen mundarten gar
nicht so selten. Nach den a. a. o. veröffentlichten bin ich, ohne danach zu suchen,
noch folgenden am wego begegnet:
1. Tirol. (Schöpf -Hof er 327) knarbetstaud 'wachholderstrauch'. knorbct ist
Schüttelform von kranbet, mhd. chranbit, chramhit (Lexer); dies ist eine mittelform
zwischen ahd. chranaivitu, mhd. kranewite 'wachholder', eig. 'kranichholz' und nhd.
krammet in krammetsvogel 'wachholderdrossel'.
2. Tirol, lasiter ' Salpeter' (Sch.-H. 369, vgl. Schmeller- Frommann, Bayer, wb.
1, 1503) ist Schüttelform von obd. (tiroL, kämt., steir., bair. usw.) saliter, salliter
'Salpeter', mhd. saliter, salniter 'salpeter' aus sal nitrum wie salpeter aus sal petrae.
Von lasiter ist gebildet tirol. lasiterer 'salpetersieder', wie steir. saliterer 'salpeter-
gräber' von saliter.
3. Nd. , auch obd. schersant, weit verbreitete schüttelform von serschant
'Sergeant', wie
4. Mnd. sehartse 'zottige woUdecke' von frz. serge 'sersche'.
5. Eis. (Martin -Lienhart 1, 416) kabet (khäpet), schüttelform vom gleichbed.
schriftsprachl. paket.
6. Eis. (M.-L. 1,429) kalabari, schüttelform vom gleichbed. kalarabi 'kohlrabi'.
7. Als eis. habe ich mir auch angen\erkt narunkel, schüttelform von ranunkel.
Ich kann das wort jedoch in M.-L. nicht widerfinden; es mag daher auch eine Ver-
wechslung mit einer anderen mundart vorliegen. Das bestehen der form ist aber
zweifellos.
1) Dieses Itochgepubelie ehrlikum steht ungefähr auf derselben höhe wie das
gleichfalls hierhergehörige pennälercitat: Timo, timo, Sidaziusf Die ibiche des
Kranikus!
2) Obgleich das wort Schüttelreim doch schon sehr viel länger allgemein ver-
breitet ist, findet es sich nicht vorzeiciinet in dem 1899 erschienenen, von Heyne,
Mei-ssuer, Seedorf, Meyer bearbeiteten 9. bde. des D. wb.
ZEITSCHRIFT F. DEUTSCHE PHILOLOGIE. BD. XXXVII. 17
258 SCHRÖDER
8. Ahm. zicklen 'aufreizen' stellt Kluge , Et. wb. ^ als schüttelform zu kitzeln.
Mit reclit: schles. xickchi 'hat im gebirge auch die bedeutung kitzeln' (Weinhold,
Über die dialektforsch., Wien 1853, s. 108). Zickeln entspricht also genau dem
engl, tickle. Aber sollte das Verhältnis nicht umgekehrt, nicht fik aus kit, sondern
kit aus Hk entstanden sein? Dann wäre nengl. tickle, me. tikelen, ae.*ticlian als
iterativbildung zu germ. tik, indog. dig 'mit dem finger beiühren, weisen' zu stellen:
nl. nd. tikken, nengl. tick usw., auch nhd. xeichen usw. dürften dazu gehören, sowie
lat. digitus usw. S. Franck, Nl. etym. wb. unter tikken, teeken; doch vgl. auch
Falk og Torp, Etymologisk ordbog over det norske og danske sprog s. v. kildre.
9. Das von Schottel, Haubt- spräche s. 1365, nicht aber vom D. wb. verzeichnete
molleren 'pomura, malum armenium, abricot' wird auch wol als schüttelform vom
gleichbed. morellen aufzufassen sein.
iO. Waldeck. (Bauer - CoUitz 52) Jäpdk, schüttelform des Vornamens Jakob.
Auch in Zusammensetzungen, z. b. (B.-C. 43) Hdnjupdk 'Johann Jakob', (65) ludar-
jäpgk 'Spitzname für einen faullenzer', vgl. Mc^sran 'lottern, faullenzen'. Ebenso auch
eis. (M.-L. 1,405) Jobdk, Jopdk zu Jokab, Jokap 'Jakob'.
11. Nassau. (Kehrein 454) xiewick könnte als schüttelform zu nhd. kiebitx,
dial. kieicitx aufgefasst werden, ebenso westf. (Woeste 200) pnvick zu gleichbd. ktwip
'kiebitz'. Aber in anbetracht der zahlreichen formen, die der vogelname in den ver-
schiedenen mundarten angenommen hat, tut man wol besser, in xieicick : kiewitx,
jnivik : kiwip ein zufälliges zusammentreffen anzunehmen.
12. Thür. (Hertel 260) würget, schüttelform von gleichbd. wulger 'walze; dicker
kerl', widgern 'hin- und herwälzen'.
13. Nl. dial. groning. (Molema 314) rcbalie, ostfries. (teu Doorukaat-Koolman
3, 18) rebnlje 'Unordnung, Verwirrung, unruhe'. Molema hält rebulie für eine ent-
. Stellung aus nl. rebellie 'rebellion'. Dagegen spricht aber die betonung: rebtdje hat
den ton auf der zweiten , rebellie auf der letzten silbe. Mit recht hatte daher Doorn-
kaat diese erklärung schon angezweifelt, aber eine ebenso fragwürdige an ihre stelle
gesetzt: „Wol nicht aus rebellion, sondern wol eher von franz. reboiiillir 'wider
kochen, bez. wider aufkochen und aufwallen'; vgl. franz. bouillir auch in der be-
deutung 'in Unruhe sein usw.', sowie span. bulla 'unruhe, verwirrang' (Diez 1, 73,
in der 5. aufl. s. 57)".
In den beispielsätzen, die Doornkaat gibt ('^ geid all in d' rebulje, 't is all in
d' rebidje 'es geht, ist alles in Verwirrung, unruhe') steht vor dem worte ein d, das,
wie er es schreibt, als der apostrophierte bestimmte artikel aufgefasst werden muss.
In der lebendigen spräche aber ist in d' rcbuljc von in drcbtdjc oder in d' drebulje
nicht zu unterscheiden. So glaube ich denn, dass nicht in d' rebulje, sondern in
drebidje (oder vielleicht auch in cV drebulje) zu schreiben ist. In anderen Verbin-
dungen scheint das wort nicht üblich zu sein; wenn doch, so könnte rebulje durch falsche
abtrennung dos als apostrophierter artikel aufgefassten anlautenden d aus drebulje
entstanden sein. Drebidje aber ist sehr einfach zu erklären; es ist schüttelform zu
dem über ganz Deutschland verbreiteten bredulje: ostfries. (1,224) bredulje 'stottern,
stotterei, Verwirrung', he kiimd in d' bredulje 'er kommt ins stottern, gerät in Ver-
wirrung', dat kumd, geid cd' in d' bredidje 'das kommt sämtlich ins stocken, geht
alles verkehrt', waldeck. (B.-C. 16) brdduljd 'Verwirrung', in br. kumon 'in Ver-
wirrung geraten', westf. (Woeste 39) bredulje 'Verwirrung', nass. (Kehrein 93) bredulje,
in der br, sein, in die br. ko7nmen 'in Verwirrung', ebenso henneb. (Spiess 33)
bredidlje 'Verlegenheit, peinliche, missliche sache', thür. (Hertel 74) in der bredidje
NHD. PüTF.n Ö59
('not, Verlegenheit') stecken, in die hr. kommen, bair. (Schm.-Fr. 1,348) in der bre-
r/?//^i ('Verlegenheit') sein, in die brediilti kommen, stein (U.-Kh. 112) brcdidl, pre-
tnll 'Verlegenheit' usw. Das wort stammt aus dem franz.: se bredouiller 'sich beim
sprechen verwirren, die Wörter verschlucken; tr. herausstammelu'; über die etym.
des- franz. wertes s. Scheler im anhang zu Diez, Et. wb. d. rom. spr. "^ s. 785.
Im anschluss au diese aus deutschen mundartcn stammenden Schüttelformen
möchte ich noch aufmerksam machen auf eine Zusammenstellung, die schon De Bo in
seinem Westvlaamsch idioticon, Gent 1892, gegeben hat, die aber m. w. in der gram-
matischen littoratur bis jetzt noch nicht berücksichtigt worden ist. Er bringt da s. 603
unter 'Metathesis' eine liste von beispielen für vocalische und consonantische meta-
thesen , untermischt allerdings auch mit beispielen , die nicht dahin gehören. In dieser
liste befinden sich auch folgende beispiele vlämischer Schüttelformen :
Ostvl. egeveer zu glbd. westvl. avegeer 'grosser bohrer' = mhd. nageber, ncgeber
zu nabeger, nebeger; vgl. Kluge, Et. wb.'' unter naber, Franck, NI. et. wb. unter naaf.
Westvl. kape, knap, schüttelform zu glbd. bnke, nl. baak 'hakc^ Seezeichen';
vgl. Franck s. v. bnak.
"Westvl. begaren, schüttelform von glbd. gebaren 'sich gebärden, stellen als ob'.
'WesM. ge/cel , geeicl , schüttelform von glbd. \\. gclinv, geelw, gilw , nX.gcel 'gelb'.
Westvl. so^<^^e/e», soicelcn, s?<»'e/e»i 'besudeln, beschmutzen', schüttelform von
frnvl. (Kilian) solmcen, setdeuxn 'maculare, souillir' = mhd. suliien, sül/ren, nhd.
(be)sidbern.
AVestvl. loreeren 'umherschwärmen, umgehn, spuken', schüttelform zu vi. nl.
roheren, 7-ollecren 'roulieren, rollen; vi. schwärmen, umherlaufen'.
Westvl. sulker, xulker 'Sauerampfer', schüttelform zu glbd. xurkcl; vgl. Franck
s. V. xuring.
KIEL. HEINRICH SCHRÖDER.
Nhd. puter 'tnithahir.
Nach Paul, D. wb. ist der Ursprung des wertes puter dunkel. Kluge vermutete
darin in den ersten auflagen seines Et. wb. den substantivierten lockruf put\ in den
letzten auflagen führt er aber das wort nicht mehr auf, wol weil ihm seine frühere
erkläiTing nicht mehr recht glaubwürdig erscheint, dagegen ist sie von Falk-Torp,
Etym. ordb. 2, 82 s. v. putte wideraufgenommen worden. Ich möchte eine andere, frei-
lich auch nicht durchaus sichere etymologio vorschlagen.
Der vogel hat eine ganze reihe von namen; verschiedene davon wird er seiner
stimme verdanken, so truthahn, westf. osuabr. schrute, schrüthahn, nass. schraute-
gickel. (Über sehrüte vgl. Holthauscn, Ilorrigs archiv 107, 380 fg.; über sciirüie und
schraiäegickel vgl. verf. , Beitr. 29, 523).
Eine andere gruppe von namen. ist geographischen Ursprungs. 'Das truthidm
fanden die Europäer in Mittelamerika gezähmt vor, es kam 1520 nach Spanien, 1524
nach England, 1533 nach Deutschland, bald darauf auch nach Frankreich' (Meyers
Conv.-lex.* 16, 1063). Der truthahn ist also aus dem fernen westen zu uns ge-
kommen. Aber zwischen osten und westen unterscheidet das volk in solchen dingen
nicht so genau. So nennt es den mais, der gleichfalls aus Amerika stammt, mit
unrecht welschkorn oder auch türkischen tveizen; mit recht dagegen die syringo
türkischen flieder, aber daneben auch mit unrecht spanischen flieder. Tropaeolum
majus L., die unechte kaper, eine art der kapuzinerkres.se, die aus Peru stammt, nennt
das volk spanische, indische, türkische kresse. Das unbekannte aus fremden Uindcrn,
17*
260 SCHRÖDER, NHI). SCHUFT
das dem volke seltsam {spanisch) vorkommt, nennt es eben ohne rücksicht auf seinen
Ursprung tvelsch, spaniscJi, türkisch, indisch. So heisst auch der truthahn : welscher
huhn, welschhahn, türkischer hahn (engl, turkey) oder indischer, indianischer hahn
(vgl. franz. le coq d'Inde, le dinde, le dindon; span. pavo d'Indias; ital. dindio,
pollo d'India). Hatte man aber die heimat des vogels nach Ostindien verlegt, so war
es nur ein schritt weiter, wenn man ihn nach einer bestimmten ostindischen örtlich-
keit benannte. So erklärt sich nach der Stadt Kalkutta der name kalekuter, kali-
kuter, kalkufer, kalekutischcr hahn, der sich schon im 16. jh. findet, z. b. bei Kilian:
kalekntsche haen 'pavo indicus, pavo gallicus, gallopavus'. Da der truthahn des
mästens wegen wol meistens gekappt wurde, so erklärt sich leicht der Übergang von
kalekutischcr hahn unter einfluss von nd. kapün, nl. kapocn 'kajjaun' zu nd. kal-
künscher hahn, nl. kalkoensehe haan, kürzer nd. kalkün hän, kalkün, nl. kalkoen.
Hierzu treten nun noch weitere namensformen, die durch Verstümmelung der
erwähnten entstanden sind. Aus indianisch ist im oberd., z. b. steir. (Uuger-KhuU
363a), kämt. (Lexer 150), bair. (Schmeller- Frommann ], 1207) junisch geworden;
aus kalekuter im schwäb. (Schmid 331) kuder, kntter, bei Fulda (Idiotikensammlung
239) kuter ' kaleJaitischer hahn'\ aus nd. kalkün, kalkünhdn wurde kUn, künhän.,
z. b. holst. (Schütze 2, 370) kiiun 'nennen die landleute im Holsteinischen ihre kalc-
kutischen hühner\ pom. (Dähnert 214) hmn ^ kalkunsche haan.
Sollte nun nicht, um zu unserm ausgangspunkt zurückzukehren, wie janisch
aus indianisch, kuter aus kalekuter, kün aus kalkün, so auch puter aus brahma-
2:)uter entstanden sein? Noch heute ist brahmctputra, auch kurz brahma ein in
Deutschland und England unter geflügelzüchtern allgemein üblicher name für eine
gewisse art von riesenhühnern.
KIEL. HEINRICU SCHRÖDKK.
Nlul. 11(1. sclnift, nl. sclioft, 'scliurke'.
Das wort, dessen heutige bcdeutung sich aus der des 'nackten bettlers' ent-
wickelt hat (s. das D. wb. 9, 1836), ist bisher unerklärt. Über die zahlreichen miss-
glückten erklärungsversuche gibt das D. wb. 9, 1835 fg. eine lange Übersicht.
Franck, Nl. etym. wb. sp. 853, hält wie schon Adelung, Vers, eines vollst,
gram.-krit. wbs. 4, 286, n\. schoß, nd. schuft für eine ableitung von n\. schobhen, nd.
schubben. Kluge, Et. wb.", 354a, gibt ebenso wie "Weigand, Wb.*2, 647, die schon
vom Brem. wb. 4, 725 gebrachte erkläruug wider, wonach schuft aus einem *schüvüt
(schüv üt) contrahiert sein und ursprünglich soviel wie 'auswurf, eig. 'hinaus-
geschobenes' bedeutet haben soll.
Dies ist jedoch unmöglich, wie andere bildungen derselben art zeigen, die alle
eine activische und nicht die hier vorausgesetzte passivische bedeutung aufweisen.
So ist nd. fegetasch nicht etwa eine 'tasche, die ausgefegt worden ist', sondern eine
'kneipe, die den gasten die taschen ausfegt'; nd. schubbjack, nl. schobbejak ist nicht
'Jacke, die geschubbt worden ist', sondern ein 'mensch, der die jacke schubbt'; nd.
süpüt., hd. sauf aus ist nicht etwa ein gefäss, das ausgesoffen worden ist, sondern
. ein 'mensch, der immer gleich aussäuft', der volle oder halbvolle gläser nicht stehn
sehn kann. So wäre denn ein *schüvüt nicht ein 'mensch, der hinausgeschoben oder
-geworfen worden ist', sondern 'einer, der hinausschiebt oder -wirft', also nicht ein
'auswurf, sondern, wie der Berliner sagt, ein 'rausschmeisscr'.
Auch das mit nd. schuft, nl. schoß synonyme nl. schavuit, auf das Kluge nach
Weigands Vorgang sich beruft, würde, gerade wenn die von Weigand und nach ihm
HIUT LBKK VAN WIJK, GENETIV 261
von Kluge aufgestellte etymologie (schnvuit <.* schav uü 'schab aus!') richtig wäre,
was aber nicht der fall ist (s. Frauck, sp. 833 s.v.), gegen ihre etymologie von schuft
sjirechen, die durch den hinwois auf schnvuit gestützt werden soll. Denn auch
schav uit würde nicht etwa eine 'ausgeschabte schüssel, einen ausgeschabten teller'
bedeuten, sondern einen 'menschen, der die schusseln oder teller ausschabt', und
daraus hätte sich dann allerdings ganz ungezwungen die bedeutung 'nackter bettler'
und hieraus die heutige 'elender mensch, Schurke' entwickeln können. Aber auch hier
wäre dann wider die activischo bedeutung vorhanden, nach deren analogie *schüv üt
nicht, wie AVeigand und Kluge wollen, 'auswurf, sondern 'herauswerfer, raus-
schmeisser' bedeuten würde.
Es existiert aber noch ein, auch vom D. wb. sowie von Franck behandeltes, mit
uuserm worto völlig gleichlautendes nl. schoß, mnd. ud. schuft, eine benennung der
'hervorstehenden hüft- und schultcrknochen der pferde'. Dieses schuft, schoß nun
ist unzweifelhaft mit dem schuft, schoß in der bedeutung ' Schurke' identisch. Genau
dieselbe bedeutungsentwicklung ('hervorstehender knochen'> 'armer schlucker, nackter
bettler' > 'elender kerl, schurke') haben auch, wie ich demnächst in grösserem zu-
sammenhange zeigen werde, die beiden werte halunke und bahunke durchgemacht,
die nicht, wie Kluge nach dem D. wb. meint, aus dem tschech. (er schreibt: böhmi-
schen) stammen, sondern echtdeutsche Streckformen sind.
Über die etymologie von schuft s. Uhlenbeck, Got. et. wb. -. 8.öa; Zupitza,
Guttui-ale 195; Frauck, Nl. et. wb., 853.
KIEL. HEINRICH- SCHUÖDEK.
LITTERATÜK.
X. van Wijk, Der nominale genetiv singular im indogermanischen in
seinem Verhältnis zum uomiuativ. Zwolle, De Erven J. J. Tijl 1902.
98 s. 8».
Der Verfasser dieser schrift, ein schülcr Uhlcubecks, hat sich mit seiner doctor-
dissertation sehr günstig in die Sprachwissenschaft eingeführt. Das problem, das er
in angriff genommen, ist in der tat ausserordentlich wichtig, aber es gehört aller-
dings die kühnheit und uubekümmertheit der Jugend dazu, es in angriff zu nehmen.
„Aus dem von Streitberg entdeckten dehnungsgesetz geht mit notwendigkeit hervor",
so sagt der Verfasser, „da.ss die Urformen der dehnstufigen nominative des Singulars
ausser in der betonung mit denen der zugehörigen genetive identisch sind. Diese tat-
sache hat mich veranlasst zu untersuchen, wie überhaupt das 'Verhältnis siwischen
dem nominativ und dem genetiv singular. im älteren indogermanischen aufzufassen
sei." Der Verfasser spricht mit recht von einer tatsache. Denn wenn man einen
nominativ idg. *pi(ls mit Streitberg auf ein ursprüngliches *pedos zurückführen muss,
so ist der gen. *pe(l6s, gr. jioSög^ lat. ^jcf/is, got. baurgs in der tat damit identisch.
In der einleitung bespricht der Verfasser zunächst die form der 'basen' und
lehnt mit recht die in meinem Ablaut aufgestellten beiden einsilbigen basen es 'sein'
und wel 'wollen' ab, im übrigen aber geht er manche wege, auf denen ich ihm nicht
folgen kann.
In capitel 1 wird gezeigt, dass nominativ und genetiv bei den kurzvocalisch
auslautenden nominalstämmcn identisch sind, capitel 2 behandelt die langvocalisch
au.slautendcn nominalstämme, capitel 3 die genotivendungen der nomina und capitel 4
262 WITKOWSKl
die frage: wie wurde das genetivverliältnis im älteren idg. ausgedrückt?, capitel 5 die
schwierige flexion der heteroklitilia, capitel 6 den genetiv bei verben.
Es ist also' eine fülle von fragen, die der Verfasser zu beantworten sucht und
zum teil entschieden mit glück beantwortet hat. Das genetivverhältnis ist ursprüng-
lich nur durch die Stellung ausgedrückt, 'der genetiv ging voran, und erst allmählich
hat sich die besondere lautliche form entwickelt. Was van Wijk über den s -genetiv
ausgeführt hat. das erhält seine bestätigung durch die nunmehr zweifellose erklärung,
die Sommer für lat. gen. lupl, aufgestellt hat. Da dieser genetiv altes echtes * ent-
hält, so kann darin weder ein locativ noch sonst etwas stecken, sondern die form ist
formell ganz genau identisch mit formen wie got. frijöndi^ anoi'd. ylgr, ai. vrkts. Es
ist eine art adjectivischer ^-bildung, die die Zugehörigkeit bezeichnet. So gut man
sagen konnte inniog novg, ebenso gut auch eqm pes.
Die wichtige erkenntnis, die van Wijks dissertation für die entstehung des
genetivs- gezeitigt hat, wird hoffentlich bald weitere fruchte tragen. Ich habe Idg.
forsch. 17, 36fgg. versucht, den Ursprung der flexion im indogermanischen noch weiter
aufzuklären, und wenn auch ein erster versuch naturgemäss manche uuvollkommeu-
heiten hat, so ist es doch unzweifelhaft auch eine aufgäbe der Sprachwissenschaft,
wie sie schon Bopp aufgefasst hat, zu versuchen, in jene tieferen geheimnisse der
sprachbildung einzudringen, wenn daneben gewiss auch andere ebenso dankenswerte
aufgaben winken, auf die hinzuweisen es kaum besonderer Weisheit bedarf. Wer die
geschichte der grammatik der einzelsprachen vorurteilsfrei überschaut, der wird ein-
gestehen müssen, dass gerade die Sprachvergleichung immer wider die wichtigsten
erkenntnisse und anregungen geboten hat. Man braucht nur an Scherers Geschichte
der deutschen spräche zu denken, die wie ein fruchtbarer regen die dürre der da-
maligen germanischen grammatik belebt hat, man braucht nur an Brugmanns und
Osthoffs bahnbrechende entdeckungen zu erinnern, aus denen sich reiche ergebnisse
für die deutsche grammatik entwickelt haben. So eröffnet denn auch diese dissertation
van Wijks neue ausblicke, und wenn nicht sofort, so wird doch gewiss später manches
für die deutsche grammatik herausspringen, namentlich in syntaktischer beziehung
und in der Wortstellung. Der Verfasser wird an seinem teil, daran zweifeln wir
nicht, dazu beitragen, die probleme, die er angeregt, auch zu verfolgen.
LEIPZIG. H. HIRT.
Yeit Valentin, Die klassische Walpurgisnacht. Eine litterarhistorisch- ästhe-
tische Untersuchung. Mit einer einleitung über des Verfassers leben von J. Ziehen.
Leipzig, Verlag der Dürrschen buchhaudlung 1901. XXIX, 172 s.
Allzu früh ist Veit Valentin seiner ungewöhnlich vielseitigen tätigkeit als ge-
lehrter und ipädagog entrissen worden. Dadurch dass er von archäologischen und
kunsthistorischen Studien ausgieng, gewann er jenen vorwiegend ästhetischen Stand-
punkt, der in einer zeit des vorherrschens philologischer bestrebungen in der litteratur-
geschichte nur von wenigen fachgenossen eingenommen wurde. Als wertvollste frucht
seiner arbeit spendete er im jähre 1894 das werk „Goethes Faustdichtung in ihrer
künstlerischen einheit dargestellt"; es kam gerade heraus, als die abwendung von der
einseitigen beschäftigung mit textkritik und einzeluntersuchungen sich vollzog und
erntete reiches lob, weil der nachweis der ästhetischen einheit die künstlerische grosse
des „Faust" dem leser zum bewusstsein brachte, ohne dass doch den historischen
tatsachen gewalt angetan war oder mit jenem dilettantismus, der sich so häufig an
ÜBER VALKNTIN, DIK KLASSISCHE WALPUKGISNACHT 263
GoL'thos nieisterwGrk voisüiidigt;, die scliwierigkcitcü umgangen wurden. Das streben,
eine gewisse meolianisclie Symmetrie der einzelnen teile und ihrer gliederung nach-
zuweisen, schädigte den günstigen eindruck wenig, erheblicher aber die hypothcso,
dass Helenas gestalt die lebenseuergie, die der homunkulus bedeutet, verbunden mit
stofflichen dementen darstelle, nachdem sich am ende der klassischen Walpurgis-
nacht im meere die Vermählung der rein geistigen existenz mit der materie voll-
zogen hat.
Diesen lieblingsgedankeu hat Valentin, allen einwenduugen der kritik zum trotz,
immer von ueuem zu verteidigen und noch stärker zu begründen gesucht, am aus-
führlichsten in der voiliegenden Schrift. Ihr hauptteil dient nur diesem bestreben.
In streng methodischem fortschreiten wird zunächst das entstehen des Helenadramas
in seinen verschiedenen Stadien, gründlicher und schärfer als früher von Niejahr,
verfolgt, zumal der hauptpuukt des inneren werdens hervorgehoben: die loslösung
der Helena vom einflusse des Mephistopheles und die neuen, daraus entspringenden
complicierteu forderungen an die Vorgeschichte. Um Helenas reale erscheinung so
heraufzuführen, dass ein zusammenleben mit Faust möglich wurde, bedurfte es, nach
Valentin, einer widerbelebung. Diese konnte nur ,das ergebnis einer aussernatür-
lichen Vereinigung der für die entstehung einer lebenden menschlichen Persönlichkeit
notwendigen bestandteile" sein.
Der zweite act des zweiten teils soll nur der absieht dienstbar sein, diese
elemente herbeizuschaffen und ihre Verbindung zu ermöglichen. Die Voraussetzungen
dafür sucht Valentin einerseits in dem naturwissenschaftlichen denken Goethes, anderer-
seits in den durch die bedingungen künstlerischen Schaffens gegebenen möglichkeiteu
der darstellung natiu'wissenschaftlicher ideen. Fruchtbar für das Verständnis ist hier
namentlich der hinweis auf Goethes aufsatz „Bildungstrieb" (AVeimar. ausg., IL abt.,
bd. 7, s. 71 — 73), der, so viel ich weiss, bisher für die Fausterklärung noch nicht
herangezogen wurde; doch hätte für das materielle die Okensche theorie der „Entstehung
der ersten menschen" (Isis 1819 sp. 1117—1123) als notwendige ergänzung verwertet
werden sollen.
Die Schlusspartien entsprechen in der darstellung des aufbaus und der einzel-
heiten der Walpurgisnacht der behandlung desselben themas in Valentins grösserem
Faustbuch; nur dass er jetzt in dem bestreben, alle motive dem von ihm ange-
nommenen hauptzweck dienstbar zu machen, auf das detail weiter eingeht. Was
wir für die klassische Walpurgisnacht brauchen: einen sachlich erläuternden commentar
und eine art von leitfaden, der den inneren Zusammenhang der scheinbar so wirren
bilder aufweist, konnte Valentin gemäss seinem auf ein bestimmtes ziel gerichteten
bestreben hier nicht liefern. Bei aller anerkeunung des aufgewandten Scharfsinns und
des feinen Verständnisses für dichterisches schaffen wird doch schwerlich jeinand dem
einzigen ergebnis, das mit diesen niitteln aufs neue gewonnen werden sollte, zu-
stimmen.
Es sei schliesslich noch erwähnt, dass Ziehens lebensabriss dem freunde ohne
Überschwang gerecht wird und denen, die Valentin kannten, sein freundliches bild
lebensgetreu widererstehen lässt. Beigegeben ist ein chronologisches Verzeichnis der
wichtigeren litterarischen arbeiten des verewigten.
LEIPZIG. G. WITKOWSKl.
264 KAUFFMANN
Bernhard Salin, Die altgermanisclie tieroruamentik. Aus dem schwedischen
übersetzt von J. Mestorf. Stockholm, K. L. Becknians buchdruckerei. In com-
mission bei A. Asher & Co. Berlin 1904. XIV, 383 s. 4». 30 m.
Als die Monumenti antichi (pubblicati per cura della reale Accademia dei
Lincei, vol. XII, Milano 1902) den sehnlichst erwarteten bericht über die grabstätte
von Castel Trosiuo gebiacht und die überbleibsei einer italienischen Langobarden-
siedelung in reichen illustrationen veranschaulicht hatten, bemerkte ein bekannter
classischer philolog, die Ornamentik sei offenbar echt national, vereinzelt rege sich
ein wirklich ornamentaler sinn und man lerne jetzt aus den obern sälen des Thermen-
museums in Rom, die ein imponierend reiches bild von der cultur der Germanen
bieten, dass dieses volk etwas wie einen eigenen stil besessen habe, der eine
Wirkung ausübe, die gar nicht selten erfreulicher sei als die der gleichzeitigen ent-
arteten antike (U. v. W.-M. im Litterarischen centralblatt 1903, jahrg. 54, sp. 102'2fg.).
Hier war eine höchst bedeutsame geschichtliche Wahrheit intuitiv geahnt worden.
Gegen einen hochverdienten nordischen archäologen wie Sophus Müller mussten
wir unlängst das bedenken geltend machen, dass er in der behandlung der Ornamentik
so gut wie völlig versage (Zeitschr. 32, 76 fg.). Gleichzeitig hatten wir behauptet, dass
uns ein kunsthistoriker nottue, der eine Stiluntersuchung liefere; es sei dringend zu
wünschen, dass die stilgeschichtliche analyse sich grössere geltung verschaffe. Bern-
hard Salin hat mit seinem grossen zur besprechung mir vorliegenden werk jenem
verlangen entsprochen.
Dieser ausgezeichnete gelehrte ist durch Oscar Montelius von der kunstgeschichte
zur archäologie herübergezogen worden, hat jahrelang am Stockholmer reichsmuseum
als beamter gearbeitet und durch seine doctordissertation (t/> c?/"«/-- oeh växtmotivens
utvecklingshistoria. Studier i Ornamentik. Stockholm 1890) seine begabung für stil-
kritische Probleme dargetan. Als kunsthistoriker bringt er ein für die Zeichnung ge-
schultes äuge mit und hat z. b. mit der entdeckung der contourlinie einem grund-
legend wichtigen dement zu der ihm gebührenden bedeutung verhelfen und ausserdem
in der analyse der von contourlinien gebildeten Ornamente die frappantesten auf-
klärungen geboten. Es kann jetzt, nachdem Salin uns sehen gelehrt hat, kaum mehr
Schwierigkeiten bereiten, das scheinbar unentwirrbare chaos von ornamentalen linien
auf kunstgewerblichen gegenständen der völkcrwandcrungszeit auf die einzelnen com-
ponenten zurückzuführen.
Beklagenswert ist, wenn auch angesichts der in der prähistorischen archäologie
herrschenden praxis begreiflich, dass auch unser kunsthistoriker aus den seiner be-
urteilung unterliegenden objecten Schlüsse gezogen hat, die ihn mit der ethnographie
und historie in Wettbewerb brachten. Der verf. beschränkte sich nicht auf die form-
geschichtliche analyse, sondern imternahm es, die Verbreitung dieses und jenes orna-
mentalen motivs mit Wanderungen von volksstämmen in Verbindung zu setzen, nicht
bloss — was zu seiner aufgäbe gehörte — von der relativen Zeitbestimmung zu einer
absoluten Chronologie fortzuschreiten und die charakteristischen typen örtlich zu fixieren,
sondern auch historisch zu interpretieren. Salin spricht von zwei culturströmungen,
die von den ländern am Schwarzen moer ausgehen und denkt sich dabei die nördliche
küste mit der Krim als centralpunkt'. „Von hieraus ergoss sich ein ström zunächst
in der richtung nach Ostpreussen, welcher dann die richtung nach westen gegen
1) Ich gehe hierauf nicht näher ein, weil diese behauptung doch wol nur vor-
läufig genügen dürfte (vgl. jetzt Litterar. centralblatt 1904, nr. 30, sp. 1006),
ÜBER SALIN, HIB ALTGKKMAN. TIBROUNAMENTIK 265
Dänemark hin nahm und von doit nach der skandinavischen halbinsel ablenkte, be-
sonders nach Norwegen ... ich bin im laufe meiner Studien mehr und mehr zu der
Überzeugung gelangt, dass dieser culturstrom zum grossen teil zugleich eine völker-
bewegung bezeichnet. Es liegen erseheinungen vor, auf die ich hier nicht näher ein-
gehen kann, die mir darauf hinzudeuten scheinen, dass die am entferntesten wohnenden
Völkerschaften sich zuerst in beweguug gesetzt haben und dass diese in kleineren
scharen durch die in ihren wohusitzea noch festsitzenden Germanen sozusagen hin-
durchsickerten und dass die Germanen in Mecklenburg und in Holstein die letztun
gewesen sind, die ihre Wohnsitze völlig oder teilweise räumten und sich auf die
Wanderung begaben. Diejenigen, welche ihre Wohnsitze zuerst verliessen, setzen sich
wenigstens zum teil fest auf den dänischen inseln und in Norwegen; minderzählig in
Schweden. Danach gingen grosse Germauenzüge hinüber nach England; der grössto
teil mutmasslich über Hannover nach dem mittleren England. Andere scharen ver-
breiteten sich über Mitteleuropa und endlich, möglicherweise zu allerletzt, zog ein
teil hinüber nach Schweden; doch liegen für diese letzte behauptung keine beweise
in den altertumsfunden vor" (s. 353). Einen südlichen, von der Krim ausgehenden
culturstrom will unser autor mit der Völkerbewegung iu Verbindung bringen, welche
a. 375 durch den einbruch der Hunnen in Europa veranlasst w'urde (s. 355 fg.). Das
sind denkbare möglichkeiten , von denen ich aber fernerhin keine notiz nehme, weil
sie meines dafürhaltens nicht zur sache gehören. Die betr. erseheinungen können
auch anders interpretiert werden. Salin selber behauptet eine Verbindung zwischen
Gotland und Öland einerseits und dem nördlichen Ungarn andererseits, ohne als träger
dieser Verbindung eine Völkerbewegung zu fordern; ebensowenig rechnet er wie es
scheint mit einer Zuwanderung, wo er die ausbreitung der nordischen tierornamentik
über Mitteleuropa und Italien schildert, schliesst vielmehr mit dem. vorerst aus-
reichenden Satze ab: „nachdem es den Nordgermanen gelungen war, dem germanischen
geist volUötigen ausdruck zu verleihen, verbreiteten sich die neuen formen auf
grund ihrer eigenart überraschend schnell über das ganze gebiet, welches damals von
Germanen bewohnt war."
Den inhalt des an positiven ergebnissen reichen buches in befriedigender weise
mitzuteilen, will ohne Zuhilfenahme von abbildungen nicht gelingen; reizvolles detail lies.se
sich an band der von meister Sörling in grosser zahl gezeichneten bilder beibringen, denn
mit sicherer griffelführung hat Salin zahlreiche schlüsselfiguren entworfen, die zum
Verständnis einzelner fundstücke ganz unentbehrlich sind. Indem ich auf diese un-
schätzbaren hilfsmittel des Studiums nachdrücklich verweise, fordere ich zugleich zu
ihrer sorg.samen betrachtung auf.
Das hauptinteresse des lesers heftet sich an die von dein vcrf. energisch be-
tonte Stilechtheit der kunstgewerblichen Ornamente, die der völkerwanderungsepoche
angehören. Von seinen ahnen hatte der germanische künstler einen formenschatz
geerbt, den er nach den auforderungen seiner zeit ummodelte und erweiterte. „Da
geschieht es, dass das was dem Charakter der zeit entspricht, einen voUgiltigen aus-
dmck empfängt und gerade de.shalb durchschlagend wirkt und sich ausbreitet, dass
ein 'stil' entsteht, der seinen triumplizug hält durch die nahverwandten culturgebiete,
bis auch er, nachdem er sich überlebt, seinerseits einem andern platz macht, der
dem geist der neuen zeit besser entspricht. Es könnte diesen und jeueu überraschen,
von 'Stil' reden zu hören, wo es sich um eine zeit handelt, die man im allgemeinen
als die des tiefsten Verfalls zu betrachten pflegt . . . allein der ausdruck hat seine volle
berechtigung. Vom Standpunkt der antiken cultur betrachtet, ist die hier fragliche
266 EAUFFMANN
zeit allerdings eine zeit des vei'falls, allein charakteristisch sind diese erstlinge des
germanischen geistes auf dem gebiete der bildenden kunst" (s. 154 fg.).
In methodisch musterhafter weise holt nun Salin die einzelnen stilmerkmale
aus dem über die museen Europas zerstreuten mateiial, das wir dem spaten ver-
danken, heraus. Selbstverständlich oriei;tiert er sich unausgesetzt au dem antiken
formenschatz , denn der gibt die folie ab, von der die charakteristischen stilmerkmale
des germanischeu ornaments sich scharf abheben und eben dadurch ihre stilechtheit
und nationale bedingtheit verraten.
Nach der räumlichen ausdehnung des Ornaments auf dem zu seiner auf-
nähme bestimmten feld ordnet Salin die von ihm untersuchten kunstgewerblichen
arbeiten in zwei hauptgruppen: die antike geschmacksrichtung, wie sie in Süd - Europa
ausgebildet worden war, forderte, dass nicht die gesamte fläche mit Ornamenten aus-
gefüllt werde; bei den älteren nordeuropäischen exemplaren sind noch blanke flächen
freigelassen, von denen sich die Ornamente abheben; ausgebildet 'barbarischen' stil
erreichen wir in reiner form erst da, wo die ganze zur Verfügung stehende fläche bis
in die äussersten winkel mit Ornamenten überladen ist (s. 230); „das feine gefühl für
die Verwendung der Ornamente, das sich darin kund gibt, dass niemals die ganze
fläche mit dem oruament ausgefüllt wurde , ist den Germanen nie ins blut gedrungen "
(Vgl. s. 244 fg. 166 u. ö.).
Das zweite allgemeinste stilmerkmal prägt sich in dem unterschied aus, dass
die der blute der kunst sich erfreuenden Griechen und Römer die details eines künst-
lerischen raotivs zeichnerisch mit dem naturwahren totaleindruck in einklang setzten,
während die Germanen nicht darauf aus waren, die hauptlinien zu accentuieren und
die nebenlinien zurücktreten oder verschwinden zu lassen, xira das einzelne dem
ganzen unterzuordnen (vgl. hierzu z. b. Schurtz, Urgeschichte der cultur s. 543 und
Salin s. 220fg.). Es herrscht, wie früher uamentlich Karl Lamprecht betonte, in der
altgermanischen Ornamentik nicht der trieb, die optischen eindrücke des natürlichen
lebens realistisch zu reproducieren. Daher ist Salin geneigt, z. b. naturalistisch auf-
gefasste tierköpfe auf antike Vorbilder direct zurückzuführen; es kommt dazu, dass
solche gebildo mehr für die Südgermanen als die Nordgermanen charakteristisch sind
„dass bei den nordgermanischen köpfen die details mehr ausgebildet und vom künst-
lerischen und naturalistischen gesichtspunkt aus in übertriebener weise betont sind , so
dass sie den totaleindruck des kopfes beeinträchtigen, von dem schliesslich nichts
weiter als ein oder einige details übrig bleiben. Dieser Sachverhalt hängt wahrschein-
lich damit zusanimen, dass die Südgermanen, die in lebhafter und intimer berührung
mit der classischen cultur standen, künstlerisch höher ausgebildet waren als die in
dieser beziehuug weniger ausgebildeten Nordgermanen. Es ist für dieses unentwickelte
Stadium charakteristisch, dass mehr gewicht auf die details als auf die gesamtwirkuug
gelegt wird. Hieraus folgt die zwingende notwendigkeit für diejenigen, welche die
erzeugnisse eines solchen culturstadiums studieren wollen, gerade die details zum
gegenständ eingehendster beobachtungen zu machen" (s. 204 fg.). Ich verweise, um
ein beispiel zu geben auf abb. 502 (aus Dänemark) mit tiercn , deren proportionen ziem-
lich richtig aufgefasst sind, die Salin ebendarum als nachbildungen römischer muster
ansieht, weil sie kräftig markierter details ermangeln, während wir sonst im norden
tierbilder antreffen mit derartig ausgeführten und accentmerten details, dass der orga-
nische Zusammenhang der einzelnen teile völlig aufgehoben wird (s. 215).
"Wie alle Ornamentik beruht auch die altgermanische tierornamentik auf dem
princip der widerholung. Nicht weiter überraschend ists, dass auch auf den germa-
ÜBEK SALIN, DIE ALTÜEKM. TIKKOKNAMKNTIK 267
nischen f undstücken , wio in der classischen liunst und ebenso in der ornamentalen
technik der naturvölker eine symmetrische widerholung obwaltet z. b. in der Ver-
zierung der fibelu: , Zieht man eine linie von der spitze dos fusscs über den bügel
und die mitte der kopfplatte, da gleicht in 99 fällen von hundert die hälfte an der
einen seite dieser linie völlig oder wenigstens so gut wie völlig der auf der andern
Seite der linie. Schon ein flüchtiger blick auf die in diesem werk abgebildeten nordi-
schen Übeln muss jeden von der richtigkeit dieser beobachtung überzeugen . . , sogar
die tiergestalten wurden symmetrisch zusammengestellt . . . dies gefühl für Symmetrie
verliess die Germanen niemals" (s. 244). Aus dem princip der widerholung wird man,
obschoo Salin darauf nicht eingeht, auch die degenerieruug der Ornamente abzuleiten
haben. Nicht bloss durch immer widerholtes copiereu von copien wird das ursprüng-
liche bild schliesslich bis zur Unkenntlichkeit verwandelt, auch das grundgesetz der
widerholung- äussert seinen einfluss auf die beschaffenheit des einzelnen ornamentalen
motivs. Daneben wird man den einfluss des Stoffes nicht unterschätzen dürfen: kerb-
schnitt oder flechtmuster auf nietall übertragen geben ein neues bild; so lockt auch
ein aus einer holzplatte geschnitzter vogelkopf zu neuen linearen experimenten, wenn
er auf eine metallplatte übertragen werden soll. Sehr gründlich hat Salin die fort-
schreitende degenerierung des tierornaments bis zu seiner auflösung in linear -geome-
trische Ornamente untersucht. Die hauptrolle spielte in diesem process die sog.
contourliiiie, die ihre eigentliche aufgäbe, die umrisse der tiergestalt zu bilden, ver-
säumt und schliesslich als selbständiges element behandelt wird, was zur auflösung
der tierornamentik führen musste (s. 250), bis die technik in ein leeres spiel mit
linien ausartete (s. 270). Es trat allmählich im norden ein, was im eigenleben jeder
ornamentalen kunst sich einstellt, die ältere gruppe der geometrischen, rein linearen
Ornamentik greift in das gebiet der jüngeren figürlichen Ornamentik über; seltener
wächst ein geometrisches Ornament zu figurenartigen gebilden aus; in der regel ver-
wandeln sich figürliche Ornamente in folge foitschreitender Stilisierung in geometrische
linien oder bänder. Es wäre deshalb violleicht erwünscht gewesen, wenn Salin mit
der älteren (geometrischen) Ornamentik der Germanen begonnen hätte, um die von
ihr auf die figürliche tierornamentik antiken Ursprungs und ihre degenericrung aus-
gehenden Wirkungen klarzustellen. Er geht sofort in medias res, ohne sich um die
Vorgeschichte viel zu kümmern, ist aber wahrscheinlich eben deswegen über an-
deutungen in bezug auf das Verhältnis der geometrischen zur figürlichen Ornamentik
nicht hinausgekommen (beispielsweise sind seine ausführungen über das flecht- und
bandornament auffallend unbestimmt geblieben). Mit unerschütterlicher consequenz
hat der verf. an seinem specialthema festgehalten und sein nachdenken auf das tier-
ornanient concentriert, das von ihm nach seinen hauptformen in erschöpfender weise
geschildert worden ist.
Salin wollte im einzelnen den nachweis führen, dass wie das pflanzenornament
(s. 162fg.), so auch die altgermanische tierornamentik auf kunstgewerblichen gegen-
ständen der Völkerwanderungszeit durch römische muster angeregt worden ist, wio
schon das technische verfahren den beherrschenden einfluss der antike voraussetzt.
Wir begegnen während der eutwicklung der motive einer auf den verschiedenen
gebieten völlig gleichartigen erscheinung, dass die traditionen des antiken kunst-
gewerbes nach und nach verblassen. Erst verfügte man über einen reicheren motiv-
kreis, eine mehr naturalistische auffassung der tierge.staltcn, eine massvollere an-
wenduug der Ornamente. „Am schlu.ss . . . haben wir . . . eine bis zur Unkenntlichkeit
stilisierte tierfigur, unkenntlich wegen eines übertriebenen hervortreteus der dctails
268 kaüffmann
viQcl schliesslicli ein die ganze fliicbe bedeckendes gewirre von tiergestalten oder deren
gliedmasscn" (s. 245).
Mit glücklichem äuge liat Salin nach dem Vorgang Söderbei'gs in Zierformen
des römischen kleingewerbes die Urbilder der altgermanischen tierornamentik, die man
nicht mit Lamprecht symbolisch ausdeuten 'darf, erkannt. Die aus den äussern kanten
der kämme, fibeJn, beschläge vorspringenden mit langen halsen versehenen tierköpfe
sind auf dem römischen provincialgebiet des westlichen Eui'opa zu hause (s. 124 fg.);
eine noch grössere Verbreitung hatte eine an den seitenräudern der genannten gegen-
stände kauernde tierfigur gefunden (s. 127). Diese beiden ornamentalen motive kommen
auf nordgermanischeu kunsterzeugnissen vor. Dabei ist unverkennbar, dass die vor-
springenden tierköpfe im norden älter sind als die kauernden tierfigurcn (s. 129, vgl.
s. 179). Aber am häufigsten kommt das kauernde tier vor, das den köpf entweder
nach vorn richtet oder nach hinten über dreht (s. 206). Das sind die beiden für die
entwicklung der altnordischen tierornamentik massgebenden typen. Auf sie muss das
äuge des forschers eingestellt werden. Bei den römischen tierfiguren sind die Pro-
portionen ziemlich richtig aufgefasst, bei den Germanen ist es damit anders geworden.
Es bildete sich jene heimische formbildung heraus, die wir schon kennen gelernt
haben: derartig acceutuierte und ausgeführte details, dass der organische Zusammen-
hang der einzelnen teile völlig aufgehoben wurde (s. 215).
Dieser stil ist zunächst vom technischen Standpunkt aus zu beurteilen. Zum
unterschied von den eingestanzten oder eingravierten oder auch aufgenieteten Orna-
menten, zum unterschied auch von den unter classischem eintluss entwickelten relief-
ornamenten (s. 161 fg.) oder den nieliierten und emaillierten Ornamenten betont Salin
die besondern eigenschaften der coutourlinie, welche das germanische ornamenttier
Jahrhunderte lang kennzeichnet (s. 216fgg.) Als man im norden die reliefbilder der
römischen medaillen auf den goldbracteaten nachzubilden begann, sind die ver-
suche nicht sonderlich gelungen. Das relief schwoll auf, wurde zu hoch und massig
oder es glückte nicht, die tiefer liegenden partien der reliefbilder von der grundtläche
abzuheben. ,,Da gibt es keinen andern ausweg als den contour d. i. die grenzscheide
zwischen dem bild und der grundfläche durch eine linie, in diesem fall eine erhabene
linie zu markieren. Es ist nun äusserst interessant zu verfolgen, wie die auspräguug
der coutourlinie nach und nach um sich greift, wie auf einem bracteaten nase und
Oberlippe durch eine erhabene linie begrenzt sind, auf einem andern die beine des
pfei-des ganz oder teilweise mit solchen liuien umrahmt sind, während sie an dem
rümpf fehlen, bis schliesslicli auf einem dritten die ganze bildliche darstellung von
contourlinien umrahmt ist. Die entwicklung geht dann so weiter, dass der räum
zwischen den erhabenen contourlinien immer enger und enger wird, bis schliesslich
die contourlinien allein übrig geblieben sind (s. 228, vgl. s. 234fg.). Die coutourlinie
hat bei der degeueration der tierbilder eine bedeutende rolle gespielt (s. 242); sie hat
dazu beigetragen, die einzelnen glieder von der tiergestalt abzutrennen, woraus ein
in hohem grad verwirrtes bild ohne jegliche Ordnung entstehen musste (s. 233 fg.).
Es ergibt sich hier die Unfähigkeit des damaligen Germanen, plastisch zu sehen"
(s. 229).
In der geschichte der oi'namentformen gelang es Salin, dank einem geübten
äuge und zeichnerischem gesclück, drei stilperioden zu unterscheiden. Verfolgen wir
die kauernden vorwärts schauenden oder rückwärts blickenden tiergestalten provincial-
römischer abkunft, so sehen wir sie von den Nordgermanen im sinne ihrer eigenen
Geschmacksrichtung copiert. "Wesentliche merkmale der copion bilden die Umrahmung
ÜBER SALIN, PIK ALTGKKMAN. TIF.KORNAMKNTIK 269
der äugen, die markierung des kinns, der ansatz des Oberschenkels, die Zeichnung
des fusses, die abtrennung des fusses vom bcin durch eine doppelte contourlinie. Bei
den älteren typen herrscht noch das „nebeneinandersystcm" d. h. die einzelnen glieder
des tierkörpers wurden so geordnet, dass die linion nicht in einander übergriffen. In
den späteren entwicklungsstadien sieht man bei den kauernden vorwärts schauenden
tieren, dass die linien der beine sich mit denen des rumpfes verflechten. Mit der
häufigeren Verwendung des vAckwärts blickenden tieres wird es besonders beliebt, die
einzelnen teile des Ornaments sich schneiden und kreuzen zu lassen, wobei stets be-
obachtet wird, dass die linien in regelmässigem Wechsel bald über- bald untereinander
liegen, eine anordnung, die man geradezu als geflecht bezeichnen darf. Salin spricht
die Vermutung aus, dass das rückwärts blickende tier mit dem gebogenen hals und
dem S-förmig sich krümmenden körper den anstoss zu diesem flechtwerk gegeben
habe, „denn in den biegsamen linion liegt unleugbar etwas verlockendes diese
neigungeu zu fördern; allein damit möge es sich verhalten, wie es will, zu einer
vollständigen klärung dieser frage ist das matcrial noch zu gering. Sicher ist indessen,
dass nachdem dieses flechtsj'stem einmal in aufnähme gekommen war, es ebenso
häufig bei dem vorwärts schauenden als bei dem rückwärts blickenden tier angewandt
wurde" (s. 238 fg.). Ich habe schon angedeutet, dass hier eine lücke klaift, die sich
meines dafürhaltens hätte vermeiden lassen, wenn Salin die traditionellen linearen
flechtmuster noch eingehender, als es geschehen (s. ICOfgg.), gewürdigt und das band-
ornament in einen grösseren Zusammenhang gestellt hätte angesichts seiner (s. 340
angedeuteten) Verbreitung in jener stilform, die man aus Verlegenheit als byzantinische
kunst bezeichnen hört, von der Salin ausdrücklich sagt, dass er leider keine gelegeu-
heit gehabt hätte, sie zu studieren (s. 313). Urteilen wir nach der s. löSfgg. (Orna-
ment vom grabmal des Theoderich) gegebenen probe, so erscheint Salin als der i'echte
mann, um in diese verwickelten probleme einzugreifen. Widerholt kommt er auf die
frage zurück, von woher die bandornamente stammen, die sich neben der tier-
ornamentik vordrängen, wagt aber nicht, darauf eine bestimmte antwort zu geben,
hält es jedoch nicht für glaubwürdig, dass sie nordisclicn ursprangs seien. Möchte es
ihm gefallen, nunmehr sein hauptaugenmork diesem spccialgcbiet der Ornamentik zu-
zuwenden und uns mit einer besondern Untersuchung über diesen gegenständ zu er-
freuen. Das bandornament tritt nach Salins chromologie in seiner zweiten stilperiode
der altgermanischen tierornamentik (7. Jahrhundert) auf, um während der dritten stil-
periode wider daraus zu verschwinden.
In diesem Stil III „erreicht die tierornamentik den höhcpunkt der feiuheit und
Zierlichkeit und das beste, was der norden dieser art aufzuweisen hat, darf sich dem
besten, was in dieser kunstart überhaupt existiert, dreist an die seite stellen. Niemals
hat der nordländer elegantere, um nicht zu sagen extravagantere Ornamente geschaffen
als während dieser epoche. Aber sehr rasch trat der verfall ein, der die totale auf-
lösung der alten germanischen tierornamentik herbeiführte" (s. 270fg. ; vgl. z. b. eine
der gotländischeu prachtfibeln abb. 619).
Die ornamentalen tiergestalten auf südgermanischem gebiet (s. 291fgg.) bleiben
in der älteren zeit unter starkem einfluss der classischen tradition. Aber wenn Salin
recht hat, so ist auch die nordische tierornamentik bis nach Ungarn und Mittelitalien
hinein vertreten; ich verweise z. b. auf einen fibeltyp, der in Ostprcussen, Thüringen
und Italien gefunden worden ist (abb. 044 — 4ß). Da und dort treten besonderheiten
hervor. Salin behauptet unter anderem, da.ss der stil III auf südgermanischem gebiet
gänzlich fehle oder dass nur einzelne diesen stil kennzeichnende details sich nach-
270 KAUFFMANN
weisen lassen (s. 320 fg.) nnd maclit schliesslich darauf aufmerksam, dass die bar-
barischen tierornamente, die sich in gleichzeitigen italienischen gräberu gefunden
haben, nicht selten ohne Stilgefühl modellierte nachbildungen mehr oder minder classi-
scher Vorbilder seien.
Ganz eigenartig ist die tierornamentik der britisclien inseln, sowol die angel-
sächsische als die irische. Was die erstere betrifft (s. 322 fgg.) , so ist Salin der ansieht,
in England seien nord - und südgermanische formen zusammengetroffen und das tier-
oruament sei auch hier zu einer dem nordischen stil JII entsprechenden entwicklung
nicht gelangt. Mit ganz anderer Sicherheit vermögen wir über die irischen Zierformen
zu urteilen, denn für sie stehen uns nicht bloss altsachen, sondern auch manuscripte
des 7. — 8. Jahrhunderts zur Verfügung. Salin leitet widerum die irischen ringspangen,
auf denen das tierornament zuerst erscheint, von provincial-römischen mustern ab
(s. 330).' Leider ist aber das material allzu knapp, so dass die Schlussfolgerung, die
Iren hätten ihre tierornamentik von den Germanen entlehnt, nicht eben gut fundiert
und die möglichkeit, es verhalte sich umgekehrt, nicht ausgeschlossen, ja für Salin
selber sehr wahrscheinlich ist (s. 349; vgl. ir. delg >ags. dolc^ anord. dolkr). Auch
bei den irischen manuscripten drückt er sich zunächst vorsichtig aus: „man kann sieh
des eindrucks nicht erwehren, dass wir es hier mit germanischen tierbildern zu tun
haben" (s. 339 fg.); behauptet jedoch fernerhin sowol von den geometrischen als von
den tierornamenten , sie seien „sicher von den Germanen adoptiert" (s. 341), vermag
aber trotzdem die s. 343 formulierten bedenken nicht zu beseitigen und betont, dass
in der verliebe für vogelbilder die keltische kunst von der germanischen abweiche
und dass die unterschiede zwischen der irischen Ornamentik und der scandinavischen
im Stil III viel bedeutender seien als die ähnlichkeiten.
Unter den materialien, die Salin für sein thema in erster linie verwertet hat,
ragen die fibeln (ahd. imsca) und schnallen (ahd. hrinca^ nhd. rinke) hervor, aber
auch Waffenstücke wie schwert und schildbuckel und gelegentlich auch andere industrie-
gegenstände sind berücksichtigt. Sind Schmucksachen an sich für wechselnde ge-
schmacksrichtungen weit mehr empfindlich als Werkzeuge, so spielen längst unter
den Schmuckwaren die fibeln die hauptrolle (s. 3.51). Unter den fibeln hatte schon
zuvor die fibel mit umgeschlagenem fuss erhöhte aufmerksamkeit erregt. Man ging
von den ostelbischen fanden in Norddeutschland aus, weil die germanischen altsachen
in diesen strichen mit der entleerung des landes um die mitte des 4. Jahrhunderts
verschwinden (s. 355). Auch Salin entwickelt von diesem punkte aus sein System
einer absoluten Chronologie und datiert die blütezeit der altgermanischen tierornamentik
vom 6. bis ins 8. Jahrhundert. Er verzichtete darauf, die fundsachen an einzelne
Volksstämme zu verteilen und ausdrücke wie „merowingisch, langobardisch , burgun-
disch" usw. zu gebrauchen, weil er das einheitlich typische der nordischen tier-
ornamentik betont sehen wollte und die zeit für noch nicht gekommen hält, für die
geschichtlichen stamme charakteristische eigenheiten nachzuweisen. Sein resolutes
streben, zu einer chronologischen differenzierung der kunstgewerblichen erzeugnisse
zu gelangen, verdient alles lob. Er hat nichts unversucht gelassen und insbesondere
die formsprache der fibeln, abgesehen von ihrer Ornamentik, gründlich untersucht.
Im ersten buch behandelt er die entwicklung und Verbreitung der fibel mit um-
geschlagenem fuss und die entstehung des halbrunden kopfstücks mit seinen nadel-
ansätzcn, seinen knöpfen und spiralrollen. Er wendet sich sodann zu der heimischen,
nordgermanischen fibelgruppe, die aus dem typus mit umgeschlagenem fuss hervor-
gegangen ist und macht bei der fibel mit rechteckigem kopfstück halt. Die armbrust-
ÜBKR SALIN, DIE AI.TGF.RMAN. TIF.RORNAMENTIK 271
fibelü und die gleicharmigen fibeln, die s-füniiigen und die runden fibela gelangen
gleichfalls zur erörterung und ins licht dieser reichen Überlieferung worden die spär-
licheren altgermanischen waffenstücko , gürtel, schnallen und riemenzungcn gerückt.
Als die ältesten stücke bewertet Salin die fibeln von dünnem metallbiech, die
durch gegossene mit 3 knöpfen am kopfstück versehene fibeln abgelöst werden. Die
gegossenen fünfknopffibeln erscheinen später; die jüngsten exemplare dieser gattung
sind gleichzeitig mit den altern aus nordischem gebiet stammenden gegossenen fibeln
mit rechteckiger platte und „durchschnittlich älter oder gleichaltrig" sind die arm-
briistfibeln. Unter dem nordgermauischen Vorrat sind die formen innerhalb jedes
tj-pus ungleich mannigfaltiger, wogegen die Südgermanen zwar eine grössere anzaiil
von typen besitzen, aber mit weniger Varianten der einzelnen formen. Salin nimmt
nun an, die fibel mit umgeschlagenem fuss sei in der Krim entstanden, habe sich
allmählich über die europäischen ländor des Schwarzen meers verbreitet und sei bis
nach Scandiuavien gelangt. Die jüngsten arten, die von der Krim ausgegangen, seien
bis an die südliche küste von Norwegen hinauf gedrungen, danach aber sei der Zu-
sammenhang mit Südrussland unterbrochen worden. Diese unterbrech.ung bringt unser
aufmerksamer forscher mit der auswanderung germanischer Völkerschaften aus Nord-
ostdeutschland und mit dem vordringen der Slaven in Zusammenhang (s. 142). Mag
diese annähme noch beifall finden, so sehe ich mich ausser stände, den weiteren auf
s. 139 fg. 143 unternommenen combinationen zu folgen. Ich glaube, dass wir trotz
des Widerspruchs unseres gewälirsmannes in erster linie den handel, nicht völker-
bewegungen für die Verbreitung südosteuropäiscber waren im norden berücksichtigen
dürfen. Zum mindesten sei erwähnt, dass Salin selbst seiner Sache nicht ganz sicher
ist, wenn er s. 145 fg. sich folgendeimassen äussert: ,, Zum schluss will ich nur noch
bemerken, dass die culturströmungen , denen wir auf dem kunstgewerblichen gebiet
nachgegangen sind, selbst wenn sich in manchen fällen zeigen sollte, dass sie nicht
mit Völkerströmungen zusammenfallen, doch in ihren Wirkungen weit über das kunst-
gewerbliche gebiet hinaus fühlbar geworden sind."
Mit den Schlussworten deutet er auf die Verbreitung der runenschrift, über
die er sich seine eigene ansieht gebildet hat. Er untersuchte speciell die gegenstände,
welche deutsche nmeninschriften tragen und kam zu dem schluss, dass die beiden
Speerspitzen dem nordischen cultursti'om angehören. „Finden wir nun in den moor-
funden oder andern mit ihnen gleichzeitigen fanden die ältesten runoninschriften, die
der norden aufzuweisen hat, da ist es eine an gewissheit grenzende Wahrscheinlich-
keit, dass es der von Südosten heraufkommende culturstrom ist, der die kenntnis der
runen in unsere nördlichen gegenden heraufgebiacht hat, weshalb wir, wenn wir dem
ui-sprung der runen nachforschen wollen, unser augc auf die länder des Schwarzen
meers richten müssen." Von den mit deutscher runeninschrift versehenen fibeln er-
klärt Salin die Freilaubersheimer spanjje als die älteste — über das alter der Inschrift
ist damit nicht entschieden — zeitlich würde die fibel von Charnay folgen und mit
geringem Zeitunterschied die Nordendorfer fil)eln und die fibeln von Engers, Bezenyc
und Ems. Die runden spangen von Osthofen und Balingen scheinen unserm archä-
ologen jünger zu sein. „Von besonderem Interesse ist es, dass alle hier genannten
bügelfibeln mit ausnähme der von Freilaubcrsheim von der art sind, der ein nordi-
scher einfluss zu gründe liegt .... Findet man nun im mittleren Europa keine ältere
runeninschrift als aus der zeit, wo der vom norden kommcndo einfluss fühlbar zu
werden beginnt, da ist es höchst wahrscheinlich, dass es gerade dieser von landein,
wo die runen bekannt waren, ausgehende einfluss war, der die konutnis der runen
272 R. M. MKYEU
nach Mitteleuropa führte" (s. 147). Diese behauptungen werden schwer zu wider-
legen sein; doch ist z. b. die art und weise, wie Wulfila und das gotische aiphabet
in das riuienproblem hereingezogen werden, nicht zu billigen.
Indem ich noch einmal betone, dass der dauernde wert des buches nicht in
den historischen combinationen, sondern' in der stilistischen analyse der Ornamente
begründet ist, danke ich frl. prof. Mestorf, dass sie die deutsche ausgäbe dieses haupt-
werkes kunstgeschichtlichen Studiums der praehistorie ermöglicht hat. Vielleicht hängt
es mit der entfernung des druckortes (Stockliolm) zusammen, dass die sprachliche form
des textes nicht immer einwandfrei ist.
KIEL. FRIEDRICH KAUFF.MANN.
Albert Fries, Platenforschungeu. I. Der dramatische naeblass. 11. Die werke
und tagebücher. (Berl. beitrage zur germ. und rem. phil. XXVI). Berlin,
E. Ebering 1903. 126 s. 2 m.
,, Forschungen" haben sich in neuerer zeit manche arbeiten genannt, die sich
wol mit einem bescheideneren titel hätten begnügen mögen; diesem buch kommt er
zu. Aus einer warmen und tiefgegründeten Verehrung heraus, der er (s. 107) schöne
Worte leiht, hat sich P. in Platens Schriften vertieft. Ihm kam dabei die vorschulung
au klassischer philologie zu gute, die etwa in den feinen bemerkungen zur metrik (über
die Jamben der „Liga von Cambrai" s. 99. 121; über die geschleiften spondeen s. 102)
und den eindringenden beobachtungen zur Wortstellung und satzbildung (s. 89 fg.) , zur
Verteilung der klangfarbe („frischerer vocal- und consonantenwechsel" s. 39, „schöner
vocalwechsel" s. 103, 1), zur behandlung der enklitika (s. 99, 2) unmittelbar nachwirken
mag. Dagegen dürfen wir auch für unsere meister der forschung die kunst in au-
spruch nehmen, mit der F. sich in fragmentarische plane (s. 12fg.) einfühlt (so be-
sonders s. 19 fg.; dagegen werden die höchst merkwürdigen werte, die mir in dem
ganzen entwurf der „Charlotte Corday" den stärksten eindruck gemacht haben, nicht
genügend gewürdigt: „Es reizt mich alles, selbst der geheime Schauder im gemüt"
s. 22 — ein motiv, das das bild der Judith Hebbels heraufbeschwört!).
Zweierlei aufgaben geht der verf. nach. Erstens sucht er den einfluss Goethes
und Schillers (s. 3fg. 40fg.), Klopstocks (s. 86), Bürgers (s. 87 anm.). Müllners (s. 30),
Matthissons (s. 33), Alfleris (s. 58) abzumessen. Ausserordentliches feingefühl zeigt
dabei seine vergleichung von caesur und accent, überhaupt des tonfalls (s. 10) oder
bestimmter satzfiguren (Schillers negativ pathetische satzanfänge s. 1 1 , „ Hab ich
darum — " s. 30, „Aber — " mit gedankenstrich s. 32); sicheres urteil die entschei-
dung: Goethe habe mehr mit seinen motiven, Schiller mit spräche und stil ein-
gewirkt (s. 8).
Zweitens verfolgt er den Ursprung der dichtungen nach den tagebuchnotizen
(s. 45fg.). Natürlich war hier eine reiche ernte einzuheimsen, die für Platen viel
mehr ,,erlebnis" aufweist, als bisher allgemein (so auch von mir) angenommen wurde.
Und zuweilen, freilich nicht allzu oft, beobachten wir selbst einen process der ver-
geistigung des erlebten (das angstgefühl s. 46 anm.), während zumeist das erschaute
oder erhörte doch lediglich, wie das gelesene, stoff bleibt. F. konnte auch wichtige
neue quellen nachweisen, vor allem (s. 52. 60) das buch des Venezianers Michiele,
dem er dann freilich zu viel zuschreibt: der ring des dogen bedeutet ja nach allge-
meiner anschauung, nicht bloss der Michieles (s. 53), die Vermählung mit dem meer,
wie der des bischofs die mit seinem Sprengel. Ebensowenig möchte ich (s. 51) dem
ÜBER FRIES, PLATENFOHSCHUNGEN 273
abbate Bettio zu liebe den alten gondolier verjagen. Sehr lehrreich ist dagegen z. b.
der beleg für das „gebiss der Markuspferde-' (s. 56).
Viel ergibt sich hier zur erklärung (der „lüsterne bänkelsänger" Heine s. 66;
,, morgens zur kanzlei mit acteu — " s. 77) und zur datierung (gegen Kedlich s. 70fg.).
Auch grössere gesichtspunktc fehlen nicht: die einwirkung der arcliitektur Venedigs
auf den bau der sonette (s. 50) ist vielleicht wirklich mehr als eine geistreiche
metapher.
Aus jenen beiden Untersuchungen ergibt sich dann aber doch drittens unwill-
kürlich für den Verfasser auch die pflicht, Platens stil und eigenart (s. 89 fg.) zu be-
trachten. Leider geschieht dies etwas isoliert: seine motivwiderhokingen (s. 89 fg.
121 fg.) wären etwa mit denen Kleists, seine lieblingswoiio und -Wendungen (s. 95. 100;
„jener" s. 50. 125) mit denen anderer Zeitgenossen, seine Wortzusammensetzungen
(s. 44) mit denen Goethes, Rückerts, Heines zu vergleichen. Für die allitteration
(s. 1(X), 4. 106) mussten Ebrards Untersuchungen für Goethe, für die metrischen
principien (s. 121) etwa Heines briefe an Immermann herangezogen werden; hier liegt
wirklich (vgl. s. 3) erst „rohstoff" vor, aber höchst brauchbarer. Und direct um-
gestaltend müssen auf die herkömmliche anschauung F.s nachweise plastisch an-
schaulicher bilder (s. 103) wirken. Anderes hat, wie es dasteht, schon methodische
bedeutung. Aus einer übei'schätzung der „parallelen" steuert sich unsere Mtteratur-
geschichte jetzt unter Minors einfluss in deren Unterschätzung hinein. Aber wenn
das tagebuch vom 9. märz ein Schlagwort bringt, das die seele eines gedichtes vom
16. niärz wird (s. 75), so beweist doch dieser sichere fall, wie sehr solche anklänge
immer der nachprüfung würdig sind.
Leider hat der verf. durch ein überladen mit nachtragen und nachtragen zu
den nachtragen (s. 40fg. 43 fg. 108 fg. anm.) die Übersichtlichkeit gehindert und, während
er selbst hübsche druckfehler aufstöbert (s. 36, 4; „des Dorias" statt ,,des Darius"
s. 50), manche selten (wie s. 78) von diesen teufelchen verheeren lassen. Es versteht
sich auch, dass manche deutung anfechtbar ist; so heisst „Überredung der hochzeit"
(s. 29) wol einfach: „besprechen, roden über die hochzeit". Aber wir sind selten im
Verständnis eines viel verkannten dichters so sehr mit einem ruek gefördert worden , wie
durch dies buch (das sich selbstverständlich mit dankbarer anerkennung auf Scheffler,
Laubmann, Petzet stützt). Lernt der Verehrer seinem heros noch das reifen-
lassen und feilen ab, das bei Platen schon in den entwürfen (s. 38) einsetzt, so wird
der schatten des mannes, der so sehnsüchtig liebevolles Verständnis erharrte, ihm
dankend sich neigen.
BERLIN. RICHARD M. MBYBR.
R. Brandstetter, Der genitiv der 'Luzerner mundart in gegenwart und
Vergangenheit. Abhandlungen herausgegeben von der Gesellschaft für deutsche
Sprache in Zürich. X. Zürich, Zürcher u. Furrer 1904. 80 s. 2 m.
Brandstetter hat sehr umsichtig und bedächtig gearbeitet. Er legt seiner Unter-
suchung nicht nur die heutige Luzerner mundart zugrunde, sondern berücksichtigt
auch die alten Urkunden und die mundartlichen unterhaltungsschriften, und zum ver-
gleich und zur Vervollständigung zieht er — an der band des Schweizerischen Idio-
tikons — regelmässig auch die andern mundarten der Schweiz heran. Und zwar
beschreibt er — nach einer einleitung, die besonders die stilarten der mundart zu
ZEITSCHRIFT F. DEUTSCHE PHILOLOGIE. BD. XXXVII. 18
274 SÜTTERLIN ÜBER BRANDSTETTER, GENITIV DER LUZERNEK MUNDART
unterscheiden sucht und von den quellen handelt — zunächst 'die bildung des ge-
nitivs', indem er nach Wortarten getrennt alle in der mundart vorkommenden formen
aufführt; dann aber schildert er 'die Verwendung des genitivs im satzbau', und
hier zählt er die fälle auf, in denen ein genitiv von einer andern wortart ab-
hängen kann.
Brandstetters beweisführung macht von anfang bis zu ende den besten eindruck
und zeigt, dass der Verfasser sein Sprachgebiet und sein fach beherrscht. Eigentliche
versehen kann man ihm denn auch kaum nachweisen; manches wünschte man nur
vielleicht etwas kürzer oder schärfer oder sonst anders gefasst. So trennt er ab und
zu seine beispiele in zu viele klassen und macht in der form oder in der bedeutung
unterschiede, welche die Übersicht etwas erschweren (so bei der Vorführung der von
Verben abhängenden genitive); oder er begründet seine Unterscheidung nicht genügend,
so z. b. bei der Vorführung des allen genitivs \ind des neuen: mindestens ist der
verweis von der ersten stelle (s. 26) auf die zweite (34fgg.) unbequem, zumal da
auch hier nicht das entscheidende wort fällt; ähnlich wird der bericht der Um-
schreibungen mit von (vo de lengi vom winter) nicht deutlich abgegrenzt von den
eigentlichen genitivformen und den Umschreibungen mit dem Possessivpronomen
(iiri vatter si rock und 's Bänimerten si vatter), wo doch auch in Luzern alles
zunächst davon abzuhängen scheint, ob es sich bei dem wort um die bezeichnung
eines lebenden wesens handelt oder um etwas lebloses.
Um auch ein paar einzelheiten anzuführen,, so erscheint einmal im götti
(s. 25) für den fernerstehenden als kein eindeutiger beweis dafür, dass in der mundart
für den dativ die präposition in eintrete, weil andere mundarten ähnhch lautende
bildungen aufweisen, die sich mit luzernerischen Wendungen decken wie uf em mist
(48); bei dem gegensatz von i eucli und /w ecA sodann (für 'in euch') kommt für die
nasallose form der präposition doch auch die unbetontheit in betracht (24). Und der
unterschied in der Stellung des s bei weisse'"' < ahd. winisön und sägesse'"' <; segansa
ist nicht scharf und verständlich genug bezeichnet (23 fg.). Bei 's tüüfels trämpi
ferner kann sich der verf. keine möglichkeit denken, dass man den genitiv betonen
müsste (52) : wie würde aber die Verbindung ausgesprochen werden , wenn ein fremder
gerade 's tüüfels falsch nachspräche und berichtigt werden müsste, oder wenn man
ihm erklären sollte, wieso die örtlichkeit gerade des 'teufeis fussspuren' heisse, und
nicht etwa 'des Herrgotts'? "Warum wird auch ein andermal (48) ausdrückhch
hervorgehoben, tüppel bedeute nicht 'tölpel', sondern 'blödsinniger"? Nach dem
ausweis von formen aus anderen mundarten (z. b. fränkisch dipplig '■ stumpfsinnig von
allzulanger geistiger anspannung') wird tüpjjel doch mit tölpel gar nicht zusammen-
hängen. Kann ferner eso nur auf iesö zurückgehen und nicht auf also (73) V Und
ist das vierte de in dem satze auf s. 25 nicht besser durch das demonstrativ 'der'
widerzugeben? Verlangt endlich der Zusammenhang in dem volksreim auf s. 20 für
grme^ wirklich die bedeutung ' weinen ' und nicht vielleicht gerade die entgegengesetzte,
die man der mundart nach dem sinn des mhd. grmen wenigstens auch zutrauen
könnte? Und dann noch etwas äusserliches : wäre die betonung in zweifelhaften und
wichtigen fällen nicht einfacher durch ein tonzeichen angedeutet worden als durch
die beschreibung in einer besonderen anmerkung?
HEIDELBERG. LUDWIG StJTTERLIN.
GEBHARDT ÜBKR NORDISKA STÜDIKR TILLKGNADE A. NOKKEN 275
Nordiska studier tillegnade Adolf Noreen pä hans 50-ärsdag den 13. Mars 1904
af studiekamrater och lärjungar. Uppsala 1904, K. W. Appelbergs boktryckeri.
X, 492 s. 15 kr.
"Wir stehen gegenwäitig im Zeitalter der festgaben. Allein wenigen ist es be-
schieden, schon an ihrem fünfzigjährigeo geburtstag mit einer so umfangreichen beglück-
wünschungsschrift geehrt zu v:erden, wie sie hier Adolf Noreen von 122 Studien-
freunden und Schülern dargebracht wird. Unter ihnen befindet sich, soweit nicht
die leidige abkürzung der vornamen noch weitere verhüllt, auch eine Schülerin.
Freilich haben von diesen 122 gratulanten bloss 42 durch beitrage tätig an der fest-
.schrift mitgearbeitet, die sich begreiflicherweise vorwiegend mit nordischer sprach -
und litteraturgeschichte, aber auch mit verwandten fächern, wie deutsch, befasst.
unter den abhandlungeu, die jedenfalls nach der Zeitfolge der ablieferung ab-
gedruckt sind, da sich kein innerer grimd für ihre anordnung erkennen lässt, steht
an erster stelle der von Sune Ambrosiani Uplanddagens Ärfda B. III — ett bidrag
tili Erik den heiiges historia'^, in dem er die Schlussworte der stelle Han (der braut-
vater) a kono nianni giptm til hepcer ok til husfru ok til simng halfrcß til lasce ok
nyklce ok til laghce prißiunx i allu han a... ok til allcen pcp/n rcet cer uplcenxk lagh mru
ok hin hcelglii erikar kunungcer gaff j nampn fapurs ok sons ok pcps hcelghai andcB,
gestützt auf den vergleich mit der entsprechenden stelle in Magnus Erikssons stadt-
recht so deutet, dass die von Erich d. hl. eingeführte neuerung in der zufügung der
Worte / nampn usw. an den schluss der trauungsformel bestand, die der brautvater
zu sprechen hatte, sodass bloss durch diese worte die ehe als eine christliche ge-
kennzeichnet wurde, denn die priesterliche einsegnung war nur in Östergötland zur
Vorschrift geworden , wo sie die persönliche anwesenheit des allgemein beliebten legaten
Nicolaus von Albano durchgesetzt hatte. Im übrigen Schweden aber blieben die worte
'im namen usw.' am schluss der formel noch bis nach der reformation der einzige
äussere christliche bestandteil der eheschliessungsfeier. So ansprechend diese er-
klärung auch ist, so möchte ref. doch noch eine andere erklärung vorschlagen: es
werden zunächst die wichtigsten rechte und pflichten genannt, in die die junge frau
eintreten soll, die Stellung als herrin und bettgenossin , die Schlüsselgewalt, das ehe-
liche güterrecht, und dann wird noch hinzugefügt: und überhaupt zu allen den rechten
und pflichten, die in üpland teils schon von alters her rechtens waren, teils erst von
Erich dem hl. eingeführt worden sind, und zwar von diesem frommen könig im
namen der dreieinigkeit eingeführt worden sind.
S. 7 fgg. behandelt Erik Brate Fornsvänska interpunktsjonsregler und stellt
auf grund einer genauen durchsieht von gesetzestexten , teils in den hss. teils nach
Schlyters ausgäbe fest, dass dai-in — und wol auch in den übrigen aschw. hss. —
ein punkt gesetzt wird 1. um eine pause beim lesen anzudeuten, 2. als abkürzungs-
zeichen. In letzterem falle hat Schlyter die punkte leider nur bei den römischen
Zahlzeichen abgedruckt, nicht aber bei abkürzungen wie b. d.i. böte. Anmerkungsweise
teilt Brate mit, dass er einen lesefehler bei dem sonst so zuverlässigen Schlyter ent-
deckt hat, nämlich Dalalagen Kr. B. 3, wo Schlyter liest cßllmr fiorar markir liiits,
die hs. aber hat celloir fiorar markir Hins. In einer anderen anm. führt er mit
ansprach auf Zustimmung aus, dass SL 155 maltmcelce weder bedeutet 'das mahlen
von malz' noch auch 'das gespräch beim malz', sondern 'das gelage, zu dem jeder
tüilnehmer seinen tnoiler (awestn. mcklir) malz beisteuert.
Die nächste abhandlung, von Marius Kristensen, beschäftigt sich mit den
isländischen halbvocalen und ihrer bezeichnung in der ersten giammatischeu ab-
18*
276 GEBHARDT
handluDg in der Edda. Aus der behaudlung der halbvocale durch den unbekannten
Verfasser des ersten grammatischen tractats, besonders aus dem schwanken zwischen
ea und t'a geht hei'vor, dass man es damals tatsächlich noch nicht mit Spiranten j
und v^ sondern mit richtigen halbvocalen, d. h. unsilbischen vocalen ^ und u zu tun
hatte. Es ist also Noreen unbewusst in den spuren seines Vorgängers gewandelt, als
er in der 2. aufläge seiner aisl. und anorw. gramm. 1892 statt der früher üblichen j
und V die zeichen i und u einführte, aber nicht ganz folgerichtig, indem er im an-
laut vor vocal, der etwas jüngeren ausspräche folgend v statt ti — nicht/ statt« —
beibehielt. Doch meint Kristensen, dass aus praktischen gründen eigentlich kein be-
denken gegen die beibehaltung von / und v vorliege.
In dem vierten aufsatz untersucht Fredr. Tamm einige schwedische Wörter,
nämlich drqja zögern, hälsike und hülsingland als euphemismen für hölle, ihjäl zu
tode, Uyla kühlen, n/A;« Saatkrähe, spö röhr, röhricht, sticken erregt, suput sauf aus,
vallmovaohn^ ma. billa kleiner stall für klein vieh, ä. schw. gent adv. gewöhnlich,
schw. hallär (= isl. hallceri) missjahr, ä. schw. und ma. hirta sig plötzlich innehalten,
ä. schw. (hjielrnult griff des Steuerruders, ä. schw. thornist oder thornist eine art
Stoff. Soweit Tamms etymologien nicht besonderen anlass zu näherem eingehen auf
sie bieten, beschränke ich mich auf diese aufzählung und auf die allgemeine mit-
teilung, dass in diesen Wörtern zahlreiche entlehnungen aus dem niederdeutschen
vorliegen. Es ist nämlich meines erachtens der zweck einer kritischen anzeige der,
ein buch zu würdigen und in grossen umrissen anzugeben, wovon es handelt,
nicht aber, durch vollständige widergabe der ergebnisse das buch selbst entbehrlich
zu machen. Etwas anderes ist es natürlich mit schlechten büchern: vor diesen
können wir mit gutem gewissen warnen, das fällt ja unter die hauptaufgabe der
kritik, die erscheinungen zu würdigen. Des näheren möchte ich nur auf die elfte
und vierzehnte etymoiogie eingehen. In (h)ielnmlt sieht Tamm — wol mit recht —
eine entlehnung aus ndd. hehnhoU^ demselben worte, das hochdeutsch in dem nanien
Helmholtx vorliegt, und knüpft daran die bemerkungen, dass das wort wahrscheinlich
in einer so frühen zeit entlehnt wurde, dass im etymologischen bewusstsein noch die
Zusammengehörigkeit von ndd. holt holz mit schw^ hult gehölz lebendig war, und dass
andrerseits vielleicht damals auch ein einheimisches mit hicelm gebildetes wort mit
der bedeutung 'styrpinne' lebendig war, unter dessen einfluss das ndd. heim > /r/cp/w
> hielni wurde. Aber wenn neben ndd. heim 'galea' schwed. hicelm stand, so war
nichts natürlicher, als dass ndd. heim gubernaculura auch zu hicelm, wurde. Übrigens
scheint Tamm das ndd. heim in hehnholt als 'griff, stiel, handhabe' aufzufassen,
gewiss mit unrecht, denn dann hiesse ja helmholt soviel wie griffholz, ndl. kelrn-
stoek soviel wie stielstock, isl. hialm(ur)vqlr soviel wie stielstab. Diese Wörter be-
deuten aber alle 'rudergriff', 'ruderstiel'. Helm 'Steuerruder' und heim 'griff, stiel,
handhabe' sind vollständig zu trennen. Helm 'rüder', besonders 'Steuerruder' ist
sicher etymologisch dasselbe wort wie heim 'galea'. Wie der heim auf dem haupte
des kriegers einen schütz oder schirm darstellt, so ist auch das Steuerruder ein
schütz dagegen, dass der druck des wassers in einer nicht erwünschten richtung wirkt.
Wie die bedeutungen ' schützen ' und ' in eine bestimmte richtung zwingen ' (' abweisen '
und 'weisen') ineinander übergehen, sieht man deutlich an dem worte tvehr. Beim
wasserwehr ist es — mit ausnähme des viel selteneren schutxwehres — für die auf-
fassung ganz nebensächlich, dass dem wasser verwehrt wird, in der mitte des fluss-
bettes weiter zu laufen: die hauptsache ist die, dass es durch das wehr in eine be-
stimmte richtung gezwungen wird, dass es in das 'gerinne', den 'mühlkanal' geleitet
VBF.H NOKDISKA STUDIKR TILLKGNADK A. NOKKKN 277
wird. Einem ganz analogen zwecke dient das Steuerruder: es nutzt den wassordinick
zu einem bestimmten zwecke aus, nämlich dem schiffe eine gewisse richtung zu
geben. Wie das wort (v/nsser -)tve/ir nicht von dem Zeitwert wehren zu trennen ist,
so sind sicherlich auch heim 'gubernaculum und hehn 'gaiea' etymologisch ein und
dasselbe wort. Helm •manubrium' dagegen ist ein zum neuen nominativ gewordener
schwacher casus obliqu., genau wie walm <iwalbe-n 'schräges dach an der giebel-
seite' und alm <; albe-n 'alphütte'. Diese herkunft wird nicht nur durch engl.
helve bewiesen, sondern auch durch deutsche formen. So heissen z. b. in den zahl-
reichen hammerwerken in Lauf an der Peguitz und überhaupt in der Nürnberger
gegend die stiele der schweren mechanischen häinmer hawmerhelh{e). Der begriff
des helbes oder helben ist bei hielmidt < ndd. hehnholt in dem zweiten bestandteil aus-
gedrückt, der erste ist heim 'gubernaculum' = heim 'galea'. Das vierzehnte der von
Tamm behandelten Wörter ist das adv. gänt, gent^ das in schritten des 16. jh. bei
dem Zeitwort plägha vorkommt. Tamm erklärt es als ein adverbielles neutrum zu
aschw. goenger, jetzt in der ableituug gängse 'gebräuchlich, üblich' erhalten. Für
tigt > 7it stützt er sich ausser auf inte < ingte 'nicht(s)' auf das einzige beispiel
swa got mynt som, nw gcent oc gceft cer i rikeno in einer urkuude von 1401. Re-
ferent glaubt aber, dass kein grund vorliegt, die viel näher liegende Verbindung mit
i&chw. gccnstan., neuschw. genast 'sogleich' abzuweisen. In allen germanischen
sprachen und auch in fremden gehen die begriffe 'eben, gleich, gerade, immer' mannig-
fach ineinander übei'. Man vergleiche z. b. isl. iafnan 'immer' mit dem deutschen
bekräftigenden eben, mm e6e« und dem mitteldeutschen temd 'auch, gleichfalls', man
beachte den gegensatz der ihren bestaudteilen nach ziemlich gleichbedeutenden adv.
soeben 'im letztvergangenen augenblick' und sogleich 'im nächsten augenblick', man
beachte frz. justenient 'richtig', 'soeben', 'gerade'. Wie sich diese bedeutungs-
berübrungen auch auf entlehnuugen erstrecken können, zeigt das Schicksal von frz.
egal im deutschen: während in Süddeutschland egäl^ egüöl^ seine alten bedeutungen
'gleichmässig' und -gleichgiltig' beibehalten hat, heisst im Meissnischen mundartgebiet
egäöl 'fortwährend, immer, immer wieder'. Das schwedische genast heisst 'sogleich',
während zwar Aasen für norw. gje?tast die bedeutungen 'oftest, ssedvanlig' verzeichnet.
Auch unser gänt, gent führt Aasen au als gjent, allerdings mit einem f ragezeichen,
das sich aber nur auf die lautgestalt zu beziehen scheint, mit der bedeutung 'ofte,
tidt'. Nun steht ja unser gänt, gent stets beim verbum plägha, und was man zu
tun pflegt, das tut man 'gewöhnlich'. Es ist also gä?it, gent sicher der positiv zu
dem gleichen adverb. dessen Superlativ in genast vorliegt, und zwar in der dem
norwegischen gjenast^ nicht dem schwedischen genast, entsprechenden positiv-
bedeutung.
In dem fünften aufsatze Onomatologiska bidrag tili belysande af den svenska
befolkningens äldre utbredning i Egentliga Finland weist Ralf Saxen nach, dass
eine ganze anzahl von ortnamen im hfeute unumstritten finnischen siedelungsgebiet
finnische -schwedische namen sind, dass also in alter zeit die Schweden weiter ver-
breitet waren als heute.
Auch der sechste aufsatz, dieser von T. E. Karsten, behandelt finnische
dinge, nämlich die Schicksale und abzweigungen folgender germanischen lehnwörter
im finnischen (und esthnischen): 1. ags. wise 'growth', deutsch tviese, schw. maa.
-»?'«, -ves anemone, 2. got. wäihjo fid/r], 3. got. aha 'sinn, verstand', 4. got. liuta
'heuchler'.
1) Nach Bremers lautschrift.
278 GEBHARDT
S. 54fgg. bringt P. Persson unter dem titel Smä bidrag tili germansk ety-
mologi bemerkungen zu 1. engl, clough 'kluft, Schlucht = deutsch klinge 'schlucht'.
— 2. ndl. klingen 'dünen'. — 3. schw. fjul-)huse. — 4. schw. da. kutting. Sosehr
die ausführungen Perssons im allgemeinen einleuchten, so wenig behagt mir seine
ansieht, man könne die Wörter unter 1.' und 2. vereinigen nach der bedeutungs-
ähnUchkeit 'zusammenklemmen = aufhäufen'.
Damit das her und hin in der frage nach der lautlichen eigenschaft des
«.-Umlauts vom brechungsdiphthong in awn. nicht zur ruhe komme, bringt im
achten beitrage Rolf Norden streng eine anzahl von reimstellen bei, aus denen
hervorgehen soll, dass der allerdings meist o geschriebene zweite bestandteil dieses
diphthongs lautlich nicht von (?, dem ?f-umlaut von einfachem a, verschieden war.
Referent möchte fast glauben, dass diese frage sich überhaupt nicht entschei-
den lässt.
Rolf Arpi bringt s. 70fgg. einige beitrage zu ein paar wichtigen capiteln der
neuisländischen lautlehre: zunächst eine aufzählung zahlreicher Wörter, in denen II
nicht die (^c?/- ähnliche ausspräche hat, dann eine Untersuchung über den zusammen-
fall von rn und nn in einen rfrf?*- ähnlichen laut und endlich eine solche zu neuisl,
2. perss. sg. wie pil ferd, ncerS, lest usw. Wenn Arpi s. 74 unten sagt, Ca rp enters
angäbe § 3 „auf gleiche weise wird rn und nn .... behandelt" müsse geändert werden
zu „auf gleiche weise wird rn nach vocalen und diphthongen, nn nach diphthongen
und accentuierten vocalen behandelt", so stimmt das auch nur für rn, für nn hätte
er sagen müssen „nach diphthongen und im silbenauslaut nach betonten etymologisch
langen vocalen". Oder versteht er wie offenbar auch Carpenter unter accentuiert soviel
wie 'nach isländischer Orthographie, weil etymologisch (historisch) lang, mit dem acut
versehen'? Dann hätte er das hinzuschreiben müssen. Sehr bezeichnend für die phone-
tische Seite ist übrigens die neuisländische Schreibung arngeir für altes atgeirr -spiess'.
Da Arpi offenbar die neuisländische ausspräche phonetisch genau beobachtet hat, wäre man
ihm in diesem zusammenhange gewiss besonders dankbar gewesen für eine auslassung über
die eigentümliche ausspräche des l in gewissen fällen vor t, z.b. in alt fallt) n.a.sg. neutr.
zu allur. Es ist hier ein bilateraler reibelaut, dessen phonetische eigenschaften und
dessen vorkommen genau anzugeben, die beobachtungen des referenten leider nicht
ausreichen. Bezüglich des Ursprungs der formen vom typus ferd und lest teilt Arpi
die ansieht Carpenters und Kocks, dass sie aus der Inversion herrühren, mit dem
Zusätze „men det bör bemärkas, att nyislänskan nu har blätt en mängd former av
typen fercf jämte nägra fä av typen lest, men inga andra." Die gründe dafür sind
sehr einfach: die zahl der starken verba auf s ist überhaupt gering, die zahl derer
auf -r und auf vocal zusammen recht ansehnUch. Die auf andere buchstaben aus-
gehenden sind aber in neuisländischer ausspräche — mit ausnähme der wenigen auf
-n — alle zweisilbig, z.b. kemur, heldur^ es entstehen also bei Inversion dreisilbige
formen wie kemurSU\ helduröü mit nebeuton auf der letzten, in denen daher diese
sich im Sprachgefühl viel besser als selbständig erkennbar erhält als in den zwei-
silbigen wie sjerdit, ferSu^ wo sie unbetont ist und die Silbentrennung weniger deutlich
ist als in jenen.
Im nächsten aufsatze bringt Maj Lager heim die in den schwedischen
profanen Sprachgebrauch übergegangenen biblischen ausdrücke, ohne Vollständigkeit
zu erstreben, in zwei hauptabteilungen , je nachdem sie genau mit dem sinne gebraucht
werden wie in der bibel, z. b. dem renom er allting rent, oder ob sie ihre be-
deutung verändert haben, z, b. släppa Barabbam lös 'sich austoben', mit mehreren
ÜBER NORDISKA PTUDIKK TILLKGNADE A. NOKKK.N 279
Unterabteilungen, eine einteilung die sich niutatis niutandis auch auf die biblischen
ausdrücke in anderen Sprachgebieten anwenden Hesse.
Als elfter folgt Karl Gustaf Wostman mit einem langen aufsatze 'Söder-
mannalagens avfattning", in dem er im gegensatze zu L. M. Baath, der Sv. H. T. 23
arg. 1903, s. 172fgg. nur eine einzige redaction gelten la.ssea will, die ansieht ver-
tritt, dass codex A (Cod. Holm C. 66) den unter dem vorsitz des lagmanns aus-
gearbeiteten, vom ting angenommenen und vom könig bestätigten entwurf des ge-
setzes enthält, das uns in mehr oder minder ursprünglicher gestalt in hs. B (G. K. S
Kph. 3137) überliefert ist. Die abhandlung enthält übrigens eine menge von angaben
dai'über, wie die gesetzgebungsarbeit im alten Schweden vor sich gieng, besonders
wie man sich aus praktischen erwägungen der eigentlich dem germanischen geiste
wideretrebenden gesetzgebung durch den könig fügte.
S. 115fgg. leitet Hilding Geländer das adj. schwed. dalig^ awestn. ddligr von
der germanischen wurzel dan sterben ab.
S. 126 f gg. bespricht Gottfrid Kallstenius ein paar gesichtspunkte bei der
bildung schwedischer Ortsnamen, während s. 129fgg. Natanael Beckman das harte
urteil näher begründet, das er in den G. G.A. 164, 796 über die accentbezeichnung
in dem Wörterbuch der schwedischen akademie gefällt hat.
Im 15. beitrage lässt sich E. H. Lind über einen anachronismus in sogen, nor-
malisierten altwestnordischen textausgaben aus und kommt zu dem sicherlich richtigen
ergebnis, dass man in den alten texten getrennt drucken muss z. b. Atli het madr
Eilifs sonr arnar, BdrÖar sonar 6r AI, Ketils sonar refs^ SkWa sonür liins ganda.
Zu Linds ausführuugen im einzelnen möchte ich aber bemerken, dass einerseits im
isländischen noch heute der Vatersname weniger als name, denn vielmehr als appo-
sition zur näheren bestimmung der durch den eigentlichen 'namen' nicht immer ge-
nügend bezeichneten person verwendet wird, dass sich also Lind, wenn er seite 141
zeile 10 von Vigfusson redet, selber widerspricht. Dass die Isländer heute noch so
fühlen, sieht man deutlich aus alltäglichen Wendungen wie Finuur professor Jönsson,
Jon rektor I'orkelsson, Jon pröfastur Jonsson. Allerdings scheint aus Linds bemerkung
s. 140 oben hervorzugehen, dass ihm dies nicht bekannt ist. Und zum andern ist
die frage des getrennt- oder Zusammenschreibens für die alten Sprachperioden oft
überhaupt kaum zu lösen, und ich für meinen teil möchte sogar so weit gehen, zu
behaupten, dass zu.sammenstellungen , deren eines glied ein genetiv ist, für die alt-
germanischen dialekte überhaupt nicht als composita zu gelten haben. Ich würde
also z. b. auch nicht mit Axel Keck, QF 87, 192 sagen, „der a-laut in nschw.
Arboga . . . zeigt die ältere acc. Ärbogha'^, sondern nur „der a-laut in nschw. Arboga
zeigt, dass zu der zeit, da aschw. ä sich spaltete und betont ä blieb, unbetont ver-
kürzt wurde, im aschw. der genetiv unbetont war, wenn er vor dem durch ihn be-
stimmten wort« stand, genau wie wir -auch im deutschen zwar sagen, das knie des
Jlüsses aber des flusses knie"".
Seite 14.5 fgg. bringt Elias Grip eine phonetische Studie über / und r in
deutscher Umgangssprache , die zwar von phonetisch genauer aufnähme und guter auf-
fassung zeugt, aber doch m. e. sich auf ein zu geringes gebiet beschränkt, auch
dieses gebiet nicht ethnographisch sondern politisch bezeichnet, was immer irreführt.
"Was kann ich z. b. machen mit angaben wie 'in der Rheinprovinz und Baden'? Es
handelt sich selbstverständlich um die gleitlaute, die sich zwischen vocal und l
oder /• einstellen.
280 GEBHARDT
Der 17. aufsatz, von K. B. Wiklund führt ims wider aufs finnische gebiet
und behandelt die metathesis in lehnww. wie Icilpi 'schild' gegenüber aisl. A7//" 'schirm'.
Erik Björkman untersucht etymologisch awestn. dkafr 'heftig', awestn. fox
'betrug', awestn. gä 'acht haben', aschw. lekter 'laie', aschw. lyra ein bekleidungs-
oder rüstungsgegenstand , schw. w?a<^ra?w,' Chrysanthemum parthenium' und neuengl.
reel awestn. hräll 'weife, Schiffchen'.
An 19. stelle steht Hugo Pipping, der die inschrift auf dem stein von
Pilgärd also liest und deutet
(b)i(ar)faa : statu : sis(i) stain
hakbiarn : brußr
rußuisl : austain : (i)mn(i)r
isaf(a) : sta(i)n(a) : stat(a) : aft : r(a)f(a)
su(p)fiir(i :) ruf — )s(t)aini : kuaniu
mtiaifur : iiifil
baupimi,
oder in Umschrift: Biarfän steddu [sisi?] stain Hegbiarn brySr RoSuisl, Oystainn, — ,
es afa stama sied da aft Bafn suS fyri Rufstaini [RoÖstaini?} Kudmu vitt i Aifur.
Vißll band tmi das heisst: glänzend(en) errichteten [ ?] stein Hegbiarn und seine
brüder Ro|)uisl, Oystain [ — ?], die steine errichtet haben nach (zu ehren) Rafn süd-
lich beim Rufstein. Sie kamen weitreisend zu Aifur. VifiU gebot es.
Sodann folgt Elof Hellquist mit erklärungen folgender nordischer wöri:er iind
namen: 1. isl. hara 'anstieren' (Skirn. 28'). — 2. Hqrn als beiname Freyjas. —
3. Histret (ortsname in Hvena socken, Kalmar län). — 4. schw. jute, jutar 'fisch-
adler'. — .5. schw. kairit 'hoffärtig'. — 6. Uppsalir.
An 26. stelle bringt L. Fr. Läffler einen langen aufsatz mit beitragen zur er-
klärung der inschrift auf dem stein von Rök. L. liest die versteckschrift auf der
Oberseite so: biari^i auiu is runimqßr, diejenige der ersten zeile auf der hinteren
breitseite liest er wie Bugge, die inschrift in älteren ininen in der unteren und der
äusseren zeile links auf der rückseite sagiitn mogmenni , hwceini sei borinn niSR
droingi, die versteckschrift der 3. querreihe von unten der rückseite liest L. ewp
d. i. ce upp 'immer aufwärts' und sieht sie als einen Schlüssel für die ganze inschrift
an ; die versteckschrift der einen Schmalseite heisst ihm loulfr bini ithur ' Odin segne
euch'. Ohne hier des näheren auf Läfflers beitrage zur deutung dieser wichtigen
inschrift eingehen zu können, glaube ich sagen zu dürfen, dass sie mir sehr plau-
sibel erscheinen.
S. 217 fgg. behandelt 0. F. Hultman eine anzahl von fällen, wo die nschw.
durchgeführte vocaldehnung schon aschw. durch doppelschreibung ausgedrückt war
oder wo die aschw. Überlieferung, wenigstens dialektisch, den vocal gedehnt zeigt,
während die reichssprache kuizen vocal und langen consonant hat (z. b. aal 'alla')
und teilt sie dann nach dialektgebieten ein.
Das schw. wort gras, da. grcfs 'gras' erklärt Eilert Ekwall s. 246 fgg. als
einen (coUectiven '?) neutralen ya- stamm, und Tore Torbiörnsson bringt s. 255fgg.
unter dem titel Slaviska och nordiska etymologier 1. russ. gvozdh 'zapfen, nagel'
und schw. krast, kvist, 2. russ. versa 'reuse' und norw. rijyse, 3. schw. hals und
abulg. kolo 'rad' zusammen.
Der nächste aufsatz bringt eine 'litteratursprachliche monographie' von Rüben
G:son Berg über den prolog zu Atterboms Phosphorus, mit dem die romantik ihren
einzug in Schweden hielt.
ÜBER NORDISKA STUDIKU TILLKONADK A. NOKEEN 281
S. 274fgg. bringt Otto von Friesen ein paar beitrage zu dem sprachgeschicht-
lichen problem, wie sich das gemeinnordisclie q im schvved. entwickelt hat und weist
an clrdg 'langgestreckte Senkung im felde, talsenkung' und sag 'säge' nach, dass
wenigstens im mittleren Schweden q > ä geworden ist.
Elis "W ad st ein liest s. 282 fgg. die Inschrift auf dem IL Vedelspangstein :
qsfrißr : karpi \ kubl : patisi : ttit/'R : i(ßinka\u\rs : qft : siktriuk : k\unuk \ : sun : sin : |
: auk : knubu :
Dann kommt wider eine litteraturhistorische arbeit, nämlich über das Samson-
lied, von 0. Klockhoff, dem wir schon so viele arbeiten über das nordische
Volkslied verdanken. Hier kommt er zu dem Schlüsse, dass dieses lied zwar im
norden, wahrscheinlich in Dänemark entstanden ist, aber nichts originelles enthält
als den nameu des beiden Samson, der vielleicht aus der schwedischen Über-
setzung der Thidrekssaga stammt, während die liedstropheu alle andern liedern ent-
nommen sind.
Der 29., lange, aufsatz voh Oscar Almgren führt uns aufs gebiet der cultur-
geschichte und vergleicht die begräbnisgebräuche der wikingerzeit in der altnordischen
litteratur mit dem, was die altertümerforschung uns darüber an die band gibt. Es
wurden die leichen in der regel nicht mehr verbrannt sondern begraben, und zwar
hat das Christentum auch die haugar abgeschafft, wie A. auf grund ausgedehnter
Studien nachweist.
Ernst A. Meyer bringt angaben über die dauer der deutschen vocale, in der
hauptsache genommen aus messungen seiner eignen ausspräche im 'hiesigen' physio-
logischen institut.
V. Gödel behandelt natürlich seine domäne: altwestn. litteratur in Schweden,
und zwar bringt er alles bei, was an nachrichten über die 1697 oder 1702 verbrannte
Orms bok Snorrasonar vorhanden ist.
Im 32. aufsatze weist Bengt Hesselman aus der vergleichung der Schreibung
in Wörterbüchern des 16. und 17. jh. nach, dass damals in Schweden das sogenannte
riksspräk noch lange nicht einheitlich war, wenigstens in bezug auf die dehnung alter
betonter kürzen in offener silbe.
August Schagerström bringt ein paar beitrage zur Volkskunde, nämlich
geschichten aus Gräsön i norra Roslagen von verboten (mr/), drachen und vijölingar,
d. h. lebendig ausgesetzten unehelichen kindern , die nun nach ihrer mutter rufen und
sie, wenn sie sie erwischen, tot saugen.
Im 34. aufsatze bringt Sven Lampa zahlreiches material bei zu der oft recht
verwickelten Strophenbildung in der schwedischen dichtung des 15. jh., die also
dm-chaus nicht auf den knittelvers beschränkt war, wenngleich dieser die bei weitem
vorherrschende versform darstellte.
S. 410 fgg. sucht J. Reinius zu beweisen, dass das wort gösse eine entstellte
lockform des woites gris sei. Bei aller besonnenheit seiner beweisführung kommt
mir seine erkläi-ung doch etwas gesucht vor.
Sehr lehrreich für vergleichende Sprachgeschichte der neueren zeit ist K. H.
Waltm ans aufsatz mit dem erst etwas befremdlichen titel Kordiska aksentformer
i gäliska. Durch genaue beobachtung eines aus Aviemore im ostlichen teile der
grafschaft Inverness stammenden herrn stellt nämlich "Waltman fest, dass das dortige
keltische idiom unzweifelhafte parallelen zur schwedischen accentuierung besitzt.
Doch scheinen die verschiedenen accentaiieii nicht wie im schwedischen historisch,
sondern rein phonetisch nach der Quantität und Umgebung der vocale verteilt zu sein.
282 R. M. MEYKR ÜBER MARBE, RHYTHMUS DER PROSA
Ewald Liden untersucht die noch nicht genügend erklärte etymologie von got.
hröt^ aisl. hrot (nur in kenningar) 'dach' und kommt zu dem überraschenden er-
gebnis, dass es das gleiche etymon enthält wie neupers. saräy 'palast', das, durch
türkische Vermittlung als lohnwort zu uns gekommen, mit dem offenbar echt roma-
nischen seraü, serraglio usw. zusammengefallen ist. Idg. grundform ist *krüdo oder
*krädo.
Odal Ottelin untersucht s. 435 fgg. die anwendung des suffigierten artikels ira
Codex Bureanus (Holm. A 34), dessen genaue bearbeitung ja überhaupt Ottelins
gebiet ist.
Otto Lager Crantz gibt ein paar Worterklärungen, in denen er gotisch göps,
aisl. göör usw. mit x'^''OS = uyaO-ög in Äristophanes' Lysistrata, ahd. hrind mit
kretisch t6 xKQTctTnog ^ tk y.uQTÜnoSa zusammenbringt, offenbar nicht mit unrecht.
K.F. Johansson bringt einen wichtigen beitrag zur gotischen grammatik,
indem er -die nominalzusammensetzungen dieser spräche untersucht und in die kate-
gorien der altindischen grammatiker einordnet.
Den schluss macht Hjalmar Psilander mit einem kleinen beitrag, in dem er
vorschlägt, Alvissm^l 1^ für heima einzusetzen heimo 'uxorem', das er aus einem
citat in Mätzners Mittelenglischem Wörterbuch s. v. kerne erschliesst. Alv. 1 ^ Jieimo
scal at huild (= * huüd) nema würde dann heissen 'in ruhe (nicht übereilt) soll
man ein weib nehmen'.
Hinter den abhandlungen steht ein Wortregister in zwölf spalten, das gewiss
dem etymologen recht willkommen ist. Aber warum müssen diejenigen, die sich um
andere abteilungen dieser reichhaltigen schrift bekümmern, auf ein register ver-
zichten? Gerade solch ein sammelband würde durch ein vollständiges Sachregister erst
richtig brauchbar.
AVenn auch nicht alle zweige und nebenfächer der germanistik in diesem buche
gleich stark vertreten sind, wenn z. b. für die Volkskunde gegenüber der etymologie
fast gar nichts abfällt, so ist doch diese auch äusserlich vortrefflich ausgestattete
festschrift nicht nur ein beweis für die Verehrung, deren sich Noreen bei seinen
freunden und schülern erfreut, sondern auch für alle germanisten, besonders scandi-
navisten eine recht willkommene fundgrube der belehr ung und anregung.
ERLANGEN. AUGUST GEBHARDT.
K. Marbe, Über den rhythmus der prosa. Vortrag, gehalten auf dem I. deut-
schen congress für experimentelle psychologie zu Giessen. Giessen, Rickes Ver-
lagsbuchhandlung 1904. 37 s. 0,60 m.
Marbe hat den anfang von Goethes „Rochusfest" und Heines „Harzreise"
in bezug auf die häufigkeiten der rhythmischen formen statistisch verglichen und die
erhaltenen sätze (s. 28) an andern textproben erhärtet. Dass die sehr unbestimmten
ergebnisse zur echtheitsprüfung (s. 33) brauchbar sind, muss vor der band bezweifelt
werden. Eine „universelle kenntnis des prosarhythmus der nhd. spräche" (s. 32)
muss noch auf ganz andern fundamenten aufgebaut werden: die abstufungen der
accente sind mindestens so wichtig wie die Verteilung, und wichtiger als beides die
individualisierung nach poetischer oder lediglich berichtender prosa, pathetischen
momenten usw.
Der verf. hat von der allerdings geringfügigen litteratur zum prosarhythmus
our das wenigste benutzt, besonders hätten Reicheis ai"beitea wie auch Piersons
FRANCK ÜBKR KNDKrOLS, MNL. DRAMA 283
cälteres, doctrinärcs , aber scharfsinniges werk ihm von wort sein können. Was sich
jetzt ergibt, scheint mir — der ich freilich immer melir zum statistischen ketzer
werde — nur sehr umständlich dinge zu erweisen, die sich bei der lektüro (nach
Marbes eigenem bericht s. 3) ohne weiteres bemerkbai- machen.
BKRLIN. RICHARD M. MKYER.
Dr. H. J. E. Eiidepols, Hot decoratief en de opvoering van het middel-
nederlandsche drama, volgens de niiddelnederlandscho tooneel-
stukken. Amsterdam, van Laugenhuysen 1903. XII, 139 s.
Diese schrift ist nach einem begleitwort als (Leidener?) doctordisscrtation an-
zusehen, obwol sie nicht in der gewohnten weise äusserlich als solche gekennzeichnet
ist. Sie untersucht, hauptsächlich aus den stücken selbst heraus, wie der Verfasser
betont und ja auch im titel ausspricht, „wie die mittelalterliche bühne beschaffen
war, welche decorationen, welche costüme zur auwendung kamen, und auf welche
weise gespielt wm-de''. Die Untersuchung schliesst auch das IG. jh. ein; mit dem
17. jh. beginnt ja in den Niederlanden eine neue epoche der litteratur. Eine will-
kommene beigäbe erhalten wir in einigen abbildungen.
Die mehrstöckige bühne war jedesfalls nicht, wie viele das gemeint haben, das
gewöhnliche. Allerdings sind solche bauten vorgekommen, aber sicher bezeugt sind
sie eigentlich nur für die prunkdarstellung lebender bilder. Daneben gab es auch
bühnen auf wagen, gelegentlich mag auch unmittelbar auf den platzen, auf denen
•stände' errichtet gewesen sein mögen, gespielt worden sein; das gewöhnliche war
jedoch die auf dem markt- oder kircheuplatz aufgeschlagene erhöhte estrade ('das
stellagensystem'), auf der die verschiedenen localitäten neben- oder hintereinander
lagen. Wenn in den stücken von oder nach oben oder unten gesprochen wird, so
erklärt sich das genügend daraus, dass z. b. der himmel etwas über die andern örtlich-
keiten erhöht war, und die hölle oder der tartarus sich unter der bühne befanden
oder zu denken waren. Die bühnenbauten zeigten die grösste Verschiedenheit unter-
einander, sie waren nur für kurze zeit berechnet und wurden nach dem gebrauch
gleich wider abgebrochen, ausserdem hatten sie sich den ortsverhältnissen und dem
jedesmaligen stücke anzupassen. Anderseits stimmten sie doch auch alle wider unter-
einander überein. Wir haben im allgemeinen auch hier die 'Terenzbühne', und das
publicum lässt sich hier so wenig, wie irgendwo anders dadurch stören, dass die ent-
legensten platze sich immittelbar nebeneinander befinden und zu gleicher zeit sichtbar
sind. Die erste hälfte eines reimpaares wird in Sicilien , die zweite in Damascus ge-
sprochen. Doch hat man daneben auch scenenveränderungen hinter geschlossenen
gardinen gekannt. Von gardinen wurde überhaupt ein reichlicher gebrauch gemacht,
um einzelne teile der scenerie für die Zuschauer zu öffnen oder zu schliessen. Manch-
mal deuteten sie durch bemalung die "tür oder sonst etwas von der räumlichkeit an,
die sie abschlössen. Oft waren aber die bauschen, auch hier die gewöhnlichste aus-
stattung der bühnen, mit wirkhchen türen, klopfern und fenstern versehen, und man
sah also auf natürliche weise ein teil von dem was in denselben, oder innerhalb von
kirchen , gefängnissen und lusthäusern vorging. Städte , wälle und dergleichen wurden
durch bemalte bretter vorgestellt, aber anderes, wie einzelne bäume oder gebüsche,
auch naturalistischer wirklich auf die bühne gebracht oder wenigstens mit zweigen
oder pflanzen angedeutet. Zweifellos sind wirkliche fontänen auf der bühne vorge-
kommen, und die bewegte see, vielleicht sogar mit einem schiffeben dui'auf, wai' nicht
284 FRANCK
immer bloss durch einen bemalten hintergrund angedeutet, sondern es wurde auch
wirkliches wasser zu lebendigerer Vorstellung verwendet. Wenn in einem stück
Kaukasus, Parnass und Olymp aufeinandergetürmt werden, so haben wir uns dabei
die anwendutig loser decorationsstücke vorzustellen, Donner, regen und andere natur-
erscheinungen wurden realistisch nachgeahmt. Diesen grösseren aufwand an decoratiou
haben wir uns hauptsächlich bei kirchlichen, romantischen, classischen und alle-
gorischen spielen, also beim ernsten drama, zu denken; das lustspiel begnügte sich
mit grösserer einfachheit, in der regel mit einem bauschen und der anliegenden Strasse.
Wurde es als zugäbe zu einem ernsten stück gespielt, so benutzte man dafür den
Vordergrund der bühne.
In den costümen wurde häufig grosser prunk entfaltet. Besondere elemente
kamen bier hinzu einerseits durch die allegorischen figuren in den spielen, ander-
seits durch die götter und beiden der classischen stücke mit ihren griechischen und
römischen oder vermeintlich griechischen und römischen gewänderu. Die allegorischen
figuren waren häufig mit bezeichnenden emblemen versehen — zur not halfen auch
aufschriften — , die zum teil feststehender art wai'en. Masken,' falsche bärte, haare
und nasen und schminke gelangten zur Verwendung, auch falsche brüste, wenn, wie
gewöhnlich, frauenrollen durch mänuer dargestellt wurden. Dass frauen selber auf-
ti'aten ist für die spätere zeit, auch von lebenden bilderu abgesehen, nicht ganz aus-
geschlossen. Lose decorationsstücke wurden ausser den schon genannten in grosser
zahl gebraucht: möbel und anderes hausgerät, bewegliche wölken, Visionen, dargestellt
durch auf- und abgezogene gemälde, winden zum bewegen von engein. göttern und
dergleichen. Auch tiere kamen auf die bühne, zum teil lebend, zum teil dargestellt
durch echte oder nachgemachte feile, in die personen eingeschlossen waren.
Die stücke waren in der regel mit prolog und 'nachprolog' versehen, die von
einem besonderen prologsprecher oder einer person aus den: stücke gespi'ochen wurden.
Manchmal gestalten sie sich selbst wider dramatisch mit verschiedenen rollen. Schon
seit der ältesten zeit lässt sich nachweisen , dass die Spieler die scene vollständig ver-
liessen; in anderen fällen mögen sie sich aber auch darauf beschränkt haben, in den
hintergrund zu treten. Im übrigen stösst man sich auch hier noch nicht am un-
motivierten auf- und abtreten der spielenden personen. Es scheint, dass man auch den
ersten reim eines gebrochenen reimpaares als Stichwort für das auftreten benutzt hat.
Bei längeren stücken ergaben sich von selbst pausen (wie weit dachte man dabei au
eine innerliche motiviei-ung?), wobei man grössere und kleinere unterschied; bei
kürzeren spielen geht es aber auch ohne pause sogar über Zwischenräume von jähren
Wenn nun Endepols zu den schauspielern kommt und seine besprechimg mit
den Worten beginnt „soweit wir wissen, kannte man vor dem ende des mittelalters
wenig bemfsschauspieler", so ist das vielleicht zu viel gesagt. Man war doch von
so manchen selten her, von den ' Spruchsprechern ', den vaganten, den 'gesellen von
dem spiele' (s. Jonckbloet, Geschiedenis der nederl. letterkunde II, 350) so nahe an
das gelangt, was wir berufsmässiges schauspielertum nennen mögen, dass E.s be-
hauptung für das 15. und 16. jh. nicht mehr so ganz zutreffen dürfte. Doch hat er
jedesfalls recht mit der annähme, dass in den stücken sehr viele personen auftraten,
die das publicum im täglichen leben als ehrsame bürger kannte. Aber auch bei ihnen
ist eine treffliche Übung in der kunst vorauszusetzen, bei der auch auf die mimik
viel wert gelegt wurde. In einer Vorliebe für plastische gruppen, die nicht nur im
eiugang der stücke, sondern auch mitten drin angebracht wurden, macht sich der
ÜBER KNDEPOLS, MNL. DRAMA 285
einfluss der oft dargestellten lebenden bilder bemerkbar. Gewisse scenen sind mehr
oder weniger stereotyp ausgebildet, besonders solche komischer art, wie Schlemme-
reien und prügeleien, weiter aber z. b. auch das klopfen an der tür, bittende knie-
fälle, das vorlesen eines briefes. Eine ganz hervorragende rolle spielen die lustigen,
oft zugleich allegorischen, personen, und in manchen zügen, die der Verfasser von
ihnen beizubringen hat, erkennen wir sofort unsere heutigen circusclowns und figuren
unserer Puppenspiele wider, wie z. b. auch in dem witz, eine anscheinend zu den
Zuschauern gehörige person mit ins spiel zu ziehen'. Einzelne scenen setzen eine
fast taschenspielermässige geschicklickkeit der spielenden voraus. Bei anderen sind
zweifellos auch mechanische hilfsmittel zur anwendung gekommen. Wie weit man zu
jener zeit in dieser hinsieht war, wird durch die Schilderung einer Schaustellung beim
feste 'le voeu du faisan' zu Rijssel 1453 anschaulich gemacht.
Zum schluss dieses capitels wird die frage erörtert, ob auch lesedramen für
die zeit angenommen werden dürfen, und die bereits an einer früheren stelle ge-
äusserte Vermutung wider aufgenommen, dass einzelne der in betracht kommenden
stücke auch mit marionetten gespielt sein könnten. Den übrigen besser begründeten
darlegungen gegenüber schwebt diese hypothose doch zu sehr in der luft.
Das schlusscapitel erörtert kurz die rolle von instrumental-, vocalmusik und
tanzen im drama, nachdem schon vorher über zwischenactsmusik geredet war. Neben
chorliedern und coapletartigen gesängen sind auch refrainlieder, deren refrain auch wol
vom publicum aufgenommen wurde, und duette zu nennen. Die schon vorher als
beliebt erwähnten gruppierungen gestalteten sich zuweilen weiter aus, so dass voll-
ständige lebende bilder, zum teil auch mit nmsikbegleitung, in die stücke einge-
schoben wurden.
Das ergebnis seiner fleissigen Untersuchungen fasst E. in folgenden werten zu-
sammen: das geringschätzige urteil über die geschicklichkeit der mittelalterlichen re-
gisseure muss berichtigt werden. Wenn diese natürlich auch nicht mit den regisseuren
des 20. Jahrhunderts wetteifern können , so verstand es doch die mittelalterhche
regle auch hierzulande landschaften mit gewässern, auf denen schiffe fahren konnten,
darzustellen, brachte den himmel und die höUe, städte mit kirchen, häusern und ge-
fanguissen auf die bühne, kannte einrieb tungen , mit denen man engel fliegen, wölken
schweben, fontänen springen, drachen feuer speien und kreuzbilder bluten liess. Und
dann die costüme! Die prachtgewänder gottes und seiner heiligen oder der alle-
gorischen prunkgestalten waren trotz dem anachronistischen, das sie keimzeichnete,
von einer pracht und gediegenheit, deren die garderobe mancher heutigen truppe sich
nicht rühmen kann.** Daneben hebt er noch einen anderen punkt hervor: wenn auch
durch die renaissance zwischen dem mittelalterlichen und dem niederländischen drama
des 17. jhs., was den Inhalt betrifft, der faden zerschnitten ist, so bleibt doch inbezug
auf die inscenicrung ein Zusammenhang zwischen beiden anzuerkennen.
Gleichzeitig mit dieser dissertation ist die preisschrift des P. Expeditus Schmidt
„Die bühnenverhältnisse des deutschen schuldramas und seiner volkstümlichen ableger
im 16. jh." (Munckers Forschungen zur neueren litteraturgeschichteXXIV, Berlin 1903)
erschienen. Es muss einem sofort der grosse unterschied in den ergebnissen beider
arbeiten auffallen. Man sehe gegenüber dem eben mitgeteilten endui'teil Endepols
über die mittelalterliche bühne, der als einen ihrer wesentlichen zwecke stets auch
1) Es wäre interessant genug, einmal zu untersuchen, wie viel einzelheiten
der heutigen clowns sich auf mittelalterlichen und damit zum teil auf noch älteren
urtipiung zurück führen lassen.
286 R. M. MEYER ÜBER CZERNY, STERNE, HIPPEL UND JEAN PAUL
die befriedigung der Schaulust zu betonen hat, wie der P. Schmidt nachdrücklichst
den declamatorischen grundcharakter, die einfachheit der bühnenverhältnisse betont,
wie er immer geneigt ist, bloss „gesprochene declamationen" anzunehmen. Der unter-
schied erklärt sich und rechtfertigt sich auch ja allerdings dadurch, dass P. Schmidt
im wesentlichen das schuldrama, Endepols aber das volksdrama untersucht, zwei
dinge, die inbezug auf ihren ausgangspunkt, ihre zwecke und vor allem auch ihre
geldlichen mittel weit voneinander abstehen. Aber vielleicht liegt der unterschied
doch einigermassen auch daran, dass beide Verfasser ihre ansieht etwas allzusehr zu-
gespitzt haben. Auf welcher Seite dann am meisten das zuviel zu suchen ist, könnte
ich nicht entscheiden. Doch macht wol im ganzen die arbeit von Schmidt etwas mehr
den eindruck, von einem nüchternen und objectiv abwägenden urteil getragen zu sein.
Er hat uns z. b. realistischer gezeigt, wie seine Schauspieler auf- und abtreten als
Endepols. Er hat auch den ja prosaischen aber doch sehr wesentlichen gesichtspunkt
im äuge, mit welchen geldlichen mittelu seine leute zu arbeiten hatten. Bei E. er-
fahren wir nichts darüber, und soweit es sich nicht um die festspiele bestimmter
vereine handelt, wissen wir nicht, wie die kosten für die aufführungen bestritten
wurden. Dieser wirtschaftsgeschichtliche gesichtspunkt wäre aber nicht unwichtig,
wenn wir abschätzen sollen, was wir an aufwand für die bühneneinrichtung und die
sonstigen darstellungsmittel als wahrscheinlich oder möglich ansehen dürfen.
Möge mir der Verfasser gestatten, noch zwei äusserliche kleinigkeiten zum
besten der leser seiner künftigen Schriften zu erwähnen. Das eine betrifft seine art
zu eitleren, wobei er vergisst, dass der leser die dinge nicht so im köpfe hat wie
er selber. Er gebraucht die verschiedensten und darunter recht unzweckmässige ab-
kürzungen für ein und dasselbe buch und bezeichnet öfters auch die bücher ganz
ungenügend. Zum zweiten wendet er ältere termini im text an, ohne sie als solche
zu kennzeichnen. Die meisten leser werden sich den köpf zerbrechen, was toogen
(auch toochen geschrieben; d. h. etwa 'lebende bilder') oder sinnekens (allegorische
und meist komische figureu) eigentlich sind, bis sie gelegentlich aus dem Zusammen-
hang einigermassen ersehen, was sie darunter zu verstehen haben.
BONN. J. FRANCK.
J. Czerny, Sterne, Hippel und Jean Paul. Ein beitrag zur geschichte des
humoristischen romans in Deutschland. (Forschungen zur neueren lit.- geschichte
hrg. von F. Muncker. XXVII). Berlin, Alexander Duncker 1904. VI, 80 s.
2,20 m. (subscriptionspreis 1,55 m.).
Diese aufmerksame, wenn auch nicht eben an eigenen gedanken reiche arbeit
verfolgt die Stileigenheiten des sentimentalen humors von seinem begründer Laurence
Sterne zu Hippel und beider schüler Jean Paul. In der langsamen befreiung von
diesen mustern sieht er die grundlinie der entwickelung des Schriftstellers Jean Paul,
dessen kunst deshalb für ihn in den ,, Flegeljahren" gipfelt.
Die unwahrscheinlich gemischten Charaktere wie Victor (s. 81), die neuerdings
Volkelt psychplogisch zu rechtfertigen versucht hat, sind nach Czernys gewiss zu-
treffender ansieht nicht durch berufung auf die seelische mischung des dichters zu
verteidigen, weil es diesem selbst mit der empündsamkeit nicht so ernst war, wie
seinen beiden. Dagegen wird das zwingende in der seele eines bedeutenden autors
doch zu gering angeschlagen, wenn der verf. schliesshch (s. 86) alle ältere art Jeaa
Pauls lediglich auf „falsche theorien" zurückführt: die ästhetischen fehlerqueilen , aus
NEUE ERSCHEINUNGEN 287
denen für uns so viel ungeniessbares bei ihm erfliesst, waren doch eben aiicli in
einem naturell begründet, dessen antithesen Fr. Th. Vischors bekannte apostrophe
an seinen liebliug tief und geistreich versammelt.
BERLIN. R. M. MKYKR.
NEUE ERSCHEINUNGEN.
(Dio redactioii ist bemüht, für allo zur liosprechuiig gooigneton werko aus dem gobioto der germaii.
Philologie sachkundigo referenten zu gewinnen, übernimmt jedoch keine Verpflichtung, unverlangt
eingoscndeto liücher zu recensierea. Kino zurücklioferung der rocensions-oxomplare an
die horron Verleger findet unter keinen umständen statt.)
Arndt, Willi., Dio persouennanien der deutschen Schauspiele des mittclalters. |A.u.
d.t. : Germanist, abhandlungen .. hrg. von Fr. Vogt. 23.] Breslau, Marcus 19U4.
X, 113 s. 3,60 ni.
Beowulf nebst dem Finnsburg -bruchstück mit einleitung, glossar und annierkungen
herausg. von F. Holthausen. I. teil: Texte und namensverzeichnis. [Alt- und
mittelengl. texte hrg. von L. Morsbach und F. Holthausen. III.] Heidelberg,
C. AViuter 1905. VII, 112 s. 2,20 m.
Erzähluiiffeu, fabeln und lehrgedichte . Kleinere mittelhochdeutsche. I. Die Melker
handschrift, hrg. von Alb. Leitzmann. Mit einer tafel in lichtdruck. [A. u.d.f.:
Deutsche texte des mittelalters hrg. von der Kgl. preuss. akad. der wissensch. IV.]
Berlin, Weidmann 1904. XIV (H), 35 s. 2,40 m.
Friedrich von Schwaben, aus der Stuttgarter handschr. hrg. von M. H. Jelliuek.
Mit einer tafel in lichtdruck. [A. u. d. t. : Deutsche texte des mittelalters hrg.
von der Kgl. preuss. akad. der wissensch. I.] Berlin, Weidmann 1904. XXII,
127 s. 4,40 m.
Gottesfreuud. — Der Gottesfreund vom Oberland, eine erfindung des Strassburger
Johaimiterbruders Nikolaus von Löwen, von Karl Rieder. Innsbruck, Wagner
1905. XXIII, 269 + 268 s. und 12 taff. 24 m.
(iutolf von Heiligenkreuz. — Sohönbach, A. E., Über G. v. H., Untersuchungen
und texte. [A. u. d. t. : Sitzungsberichte der Kaiserl. akad. der wissensch. in Wien,
phil.-hist. kl. CL.] W^ien, Gerold 1904. (II), 129 s.
Hebbel. — Werner, K.M., Hebbel, ein lebensbild. Berlin, Ernst Hoffmann & Co.
1905. (X), 384 s., 1 portr. und 1 facs.
Hellquist, Elof, Om de sven.ska oiinamnen pä-wi^fe, -ungc ock -unga. [Göteborgs
högskolas ar.sskrift 1905. L] Göteborg, AVald. Zachrisson 1904. (H), 263 s.
3,75 kr.
Hrölfs saga kraka. — Die geschichte von Hrolf Kraki, aus dem isländ. übersetzt,
erläutert und mit saggeschichtl. parallelen versehen von Paul Horrmann.
Torgau, Fr. Jacob 1905. (11), 134 s.
Inimermann. — Deetjen, Werner, Immermanns jugeuddramen. Leipzig, Dieterich
1904. 200 s. und 1 portr. 5 m.
Kristnisaga, J)ättr ])orvalds ens viftf<{rla, ])attr Isleifs biskups Oixurarsonar,
Hungrvaka hrg. von B. Kahle. [Altnord, .saga-bibl. hrg. von G. Cedorschiöld,
II. Gering und E. Mogk. XL] Halle, M. Niemoyer 1905. XXXV, 144 s. 5 m.
Lessing. — Kettnor, Gust., Lessings dramen im lichte ihrer und unserer zeit.
Berlin, Weidmann 1904. Geb. 9 m.
288 NACHRICHTEN
Rother. — Wiegand, Jul. , Stilistische Untersuchungen zum König Rother. [Ä. u.
d. t. : Gennauist. abhandlungeu . . hrg. voq Fr. Vogt. 22.] Breslau, Marcus 1904.
XI, 209 s. 6,40 m.
Sachs, Hans. — Eichler, Ferd., Das nachleben des Hans Sachs vom IG. bis ins
19. jahrli. Leipzig, Harrassowitz 1904. IX, 234 s. 5 m.
Schrader Otto, Totenhochzeit. Ein Vortrag. Jena, Costenoble 1904. (IV), 38 s.
1,50 m.
Seiler, Friedr., Die entwicklung der deutschen kultur im spiegel des deutschen
lehnworts. I. Die zeit bis zur einführung des Christentums. 2. aufl. Halle,
Waisenhaus 1905. XXV, 118 s. 2,20 m.
Stifter. — Kosch, Wilh., Adalbert Stifter und die romautik. [Prager deutsche
Studien hrg. voi^ Carl v. Kraus und Aug. Sauer. 1. heft.] Prag, Carl Bell-
manu 1905. (VIII), 123 s.
Wernher, Bruder. — Schönbach, A. E, Beiträge zur erkläning altdeutscher dicht-
vperke. IV. Die sprüche der Bruder Wernher. VI. [A. u. d. t. : Sitzungsberichte
der Kaiserl. akad. der wissensch. in Wien, phil.-hist. kl. GL.] (II), 106 s.
Wernher der gartena^re. — Helmbrecht, ein oberösterreichisches gedieht aus dem
13. jahrh., übertragen von dr. Konrad Schiffmann. Linz, Selbstverlag 1905.
69 s.
NACHRICHTEN.
Die 48. Versammlung deutscher philologen und Schulmänner Vfird
von dienstag den 3. october bis freitag den 6. october 1905 in Hamburg stattfinden.
Als obmänner der germanistischen section fungieren professor di\ K. Dissel in
Hamburg (Innocentiastr. 32), geh. regierungsrat professor dr. H. Gering in Kiel
(Hohenbergstr. 13) und Oberlehrer dr. G. Roseuhagen in Hamburg - Hamm (Meri-
dianstr. 8).
Ain 27. decomber 1904 verstarb zu Halle a. S. professor dr. Hugo Holstein,
vormals director des gymnasiums zu Wilhelmshaven (geb. am 22. februar 1834 zu
Magdeburg), ein langjähriger treuer freund und mitarbeiter unserer Zeitschrift; am
4. april 1905 zu Wien der ordentl. professor der german. philologie, hofrat dr. Richard
Heinzel (geb. 3. nov. 1838 zu Capo d'Istria).
Der ordentl. professor dr. Herm. Baumgart in Königsberg wurde zum geh.
regierungsrat ernannt; der privatdocent dr. Joh. Schatz in Innsbruck zum extra-
ordinarius befördert; der privatdocent dr. Franz Saran in Halle a. S. erhielt den
professortitel.
Buchdruckerei des Waisenhauses in Halte a, S.
UNTEESUCHUNGEN ÜBER DEN URSPEUNG UND DIE
ENTWICKLUNG DEE NIBELUNGENSAGE \
Einleitung:.
§ 1. Die sage von Hagens tod und ihre nächsten verwandten.
Ein teil dieser Studien schliesst sich an einen aufsatz im 47. bände
der Zschr. f. d. alt. (s. 125 — 160), wo ich das Verhältnis der Mbelungen-
sage zur Finnsage und die bis zu einem gewissen grade daraus zu er-
schliessende ältere gestalt der ersteren besprochen habe, an. Die resultate
mögen, soweit sie den ausgangspunkt für das folgende bilden, hier kurz
widerholt werden. Es hat sich dort ergeben, dass die sage von dem
ende der Nibeluiige ihren grund nicht ausschliesslich in der historischen
Überlieferung von dem Untergang des burgundischen reiches hat, sondern
dass die Burgunden in die fertige sage aufgenommen sind. Die mög-
lichkeit besteht, die alte sage in ihren hauptzügen zu reconstruieren,
wenn man die jüngeren züge entfernt und nur das behält, was zur
inneren structur der sage gehört. Dabei können die parallelen Über-
lieferungen von Finn, in geringerem grade auch die von Sigmund, ihre
dienste beweisen.
Die grundform ist: Attila- hat Hagens Schwester Grimhild oder
GuÖrün-^ zur frau. Er lädt seinen schwager zu sich ein, überfällt
aber seinen gast in der hoffnung, dessen schätz in seinen besitz zu be-
kommen, und tötet ihn. Bald wurde auch erzählt, dass seine frau ihren
bruder rächt.
Die hauptsächlichsten abweichungen von den historischen tatsachen
sind: 1. Hagen ist der könig. Das ist nicht mehr die auffassung der
quellen. Durch die Verbindung mit den Burgunden ist Hagens ursprüng-
liche Stellung verdunkelt, über an zaiilreichen stellen erscheint er noch
als die hauptperson. 2. der Überfall findet in Attilas land statt. 3. der
name Nibelunge. 4. (in der nordischen Überlieferung) die geringen
1) Eddalieder sind nacii Bugge, das Nibeluugenlied nach Bartsch citiert.
2) Mit diesen namen deute ich Hagens feind in der alten sage, für den später
Attila eingetreten ist, an.
3) Über diesen namen s. § 30.
ZKITSCHRUT F. UKUTäCHK PElLOLOülK. KD. XXXVU. 19
290 BOER
zahlen Verhältnisse, die keineswegs eine willkürliehe ändemng der dichter
der Atlilieder zu sein brauchen.
Von diesen zügen werden 1. 2. 4. durch die Finnsage bestätigt.
Mit dieser hat die Nibelungensagö noch andere berührungen. Solche
sind der tod eines sohnes der Hildeburh-Grimhild; namentlich aber die
nachlwachtscene. Unter mehreren vollständig gleichen eiuzelheiten fällt
hier der Waffenbruder des königs (Hnivfs genösse — Volker) auf. Das weist
auf längere zeit fortgesetzte gemeinsame entwicklung. Die deutsehe sage
hat die erinnerung an Hagens genossenschaft mit Volker, auch nachdem
er die burgundischen könige neben sich, bald über sich bekommen hat,
treu bewahrt. In der skandinavischen tradition ist Volker scheinbar
vergessen, aber Gunnarr tritt Hogni gegenüber in eine ähnliche Stellung.
Als verhältnismässig jung, obgleich älter als die mehrzahl der übrigen
combinationen , namentlich die mit den Burgunden, erweist die Finn-
sage den zug, dass Grlmhild an der räche für ihre brüder teilnimmt.
Nach der Finnsage zu urteilen, wurde diese ursprünglich von des königs
mannen besorgt. Doch ist die selbständige entwicklung des motivs in
der Sigmundsage zu beachten. Diese sage ist eine andere Variante der
Hagensage. Später durch einen genealogischen anschluss in die Vor-
geschichte der Nibelungensage aufgenommen, steht sie anfänglich in
einigen punkten etwas weiter ab. Aber doch finden wir auch hier: die
schwagerschaft der feinde, die verräterische einladung, den Überfall, die
räche durch die frau. Eine ähnlichkeit mit der Nibeluugensage in ihrer
contaminierten gestalt bildet die mehrzahl der brüder (in der Sigmund-
sage sind es zwölf). Ein unterschied ist, dass Siggeir nebst seinen
Schwägern auch seinen Schwiegervater tötet. Einer von den brüdern
entkommt und nimmt an der räche teil. Es kommen eine anzahl Über-
einstimmungen in einzelnen punkten hinzu, die ich a. a. o. s. 130 anm. 1
noch im anschluss an die herrschende ansieht für secundär, nämlich auf
beeinflussung der Nibelungensage durch die Sigmundsage beruhend, ge-
halten habe, von denen aber die meisten auf die periode der gemein-
samen entwicklung zurückgehen werden. Die meisten werden im ver-
lauf dieser Untersuchung zur spräche kommen.
Das richtige Verständnis der Hagensage ^ muss für die Sigfridsage
von grosser bedeutung sein. Hat es eine Hagensage ohne Günther, d. h.
1) Ich wende die folgenden abkürzungou an: H ^= Hagensage. H 1 = die ge-
scliicbte von Hagen und Sigfj'id. H 2 = die geschichte von Hagen und Attila. Bu =
Burgundensage. S = Sigfridsage. S 1 = dieselbe bis zu Sigfrids berührungen mit
Hagen. S 2 = Sigfrids berührungen mit Hagen (also == H 1). Br = Brynhildsage (be-
zeichnungen für einzelne abschnitte dieser sage s. § 6).
UNTERSUCHUNOKN ÜBER REN URSPRUNG UND DTK F.NT'WICKLUNG DER NIDELUNOENSAQR 291
ohne eine dem später sogenannten Günther entsprechende gestalt gegeben,
so gilt dasselbe für die Sigfridsage. Wir müssen aber hier einen neuen
weg einschlagen. Denn hier lässt die vorgleichung mit der Finnsage
und der Sigmundsage uns im sticho. Ob die Finnsage eine Vorgeschichte
hatte, wissen wir nicht; auf uns gekommen ist eine solche nicht. Die
Vorgeschichte der Sigmundsage lässt sich zwar in ihrem Verhältnis zu
der haupterzählung nicht vergleichen, aber sie ist doch lehrreich. Sie
zeigt die Wirksamkeit desselben principes, das wir auch in der Nibe-
lungensage tätig finden werden, die widerholung eines motivs. Das
motiv ist ein einfaches: die feindschaft von Schwägern (daneben mit
geringer Variation feindschaft zwischen Schwiegervater und Schwieger-
sohn); durch widerholung und verschiedene combination entstehen neue
gebilde. Siggeirr tötet seinen Schwiegervater Volsungr und elf schwäger:
durch den zwölfton schwäger wird er darauf getötet. VQlsungs gross-
vater Sigi wird von den brüdern seiner frau ermordet; sein söhn rächt
ihn. Mag die geschichte auch verhältnismässig jung sein, sie zeigt uns
doch in einer Variante von H2 die widerholung desselben motivs als
ein sagenbildendes dement.
Die Sigmundsage steht darin nicht allein. Es ist eines der ge-
bräuchlichsten mittel, eine erzählung nach beiden selten fortzuspiimen.
Das beruht zum teil auf dem wünsch, von derselben geschichte immer
nocli mehr zu erzählen. Aber gewiss hat das auch zum teil seinen
grund in historischen Verhältnissen. Mord ruft mord hervor, räche räche,
und auf verwandtenmord folgt in der regel verwandtenmord. Wenn
nach einer fehde zwisch'en verwandten der friede durch eine hochzeit
besiegelt wird, so werden neue verwandtschaftsbande geknüpft, die
widerum gebrochen werden, sobald der alte zorn entflammt. Die be-
rühmte rede des alten kriegers an Ingeld (Beow. 2042fgg.) und ihre heil-
losen folgen sind nur der poetische ausdruck einer hundertfachen er-
fahrung. Die poesie in ihrem hang zur Symmetrie macht gern die
beiden glieder einer aus solchen ereignissen hervorgegangenen doppel-
erzählung auch in ihren einzelheiten, wozu auch der Verwandtschafts-
grad der gegenseitigen feinde gehört, einander gleich. So kehrt in der
Skjoldungensage als stehendes motiv der brudermord wider.
Die geschichte von Hagen macht, auch wenn man sie aus der
Verbindung mit den Burgunden loslöst, einen durchaus menschlichen
eindruck. p]twas übernatürliches ist in ihr nicht zu erkennen. Der
name Nibelunge allein kann das nicht beweisen, s. darüber § 29. Attila
tötet seinen schwäger, um .sich des goldes, das dieser besitzt, zu be-
mächtigen. Der mord wird später gerächt. Nach dem Ursprung dieser
19'
292 BOER
gescliichte zu suchen, in dem sinn, dass man jähr und tag und stelle
anweist, wo sie passiert ist, hat keinen zAveck. Sie hat in den histo-
rischen Verhältnissen der Völkerwanderung ihre Voraussetzung. Sie ist
überall und nirgends geschehen. Nicht die ausserordentliche historische
bedeutung, sondern die allgemeinheit des ereignisses ist die Ursache der
entstehung oder wenigstens der Verbreitung der sage. Deshalb kann
sie auch überall localisiert werden, in Friesland, in Gautland, in Soest,
in Ofen.
§ 2. Die mythische erklärung der Sigfridsage.
Die Hagensage erscheint in der ältesten erreichbaren Überlieferung
mit der Sigfridsage verbunden. Letztere wird noch stets nach Lach-
manns Vorgang für eine mythische gehalten. Wenn das richtig ist, so
liegt eine heterogene combination vor. Wer das glaubt, muss wenigstens
annehmen, dass die Verbindung von Hl (=S2) mit H2 eine ziemlich
feste gewesen sei. Denn wenn sie nur eine äusserliche war, so konnte
durch die secundäre Verbindung von H 2 mit den Burgundeu die schon
im voraus lockere Verbindung mit H 1 sehr leicht vollständig gelöst
werden. Das ist nicht geschehen.
Aber welchen grund haben wir, die mythische bedeutung von S
als eine über jeden zweifei erhabene tatsache festzulegen? Wir leben
in einer zeit, wo die zweifei an den mythischen erklärungen namentlich
zusammengesetzter sagen sich mehren. Wenn eine solche auffassung der
S dennoch bis jetzt eines grossen anhanges sich erfreut, so ist das, wie
ich glaube, aus zwei umständen zu erklären. Eine befriedigende lösuug
des rätseis ist auf einem anderen wege noch nicht gefunden , und anderer-
seits enthält die sage demente, die die directen merkmale ihres mythi-
schen Ursprunges an der stirn tragen: drachen, riesen, zwerge, Jung-
frauen im zauberschlaf gehören in gewissem sinn zu dem mythischen
apparate der erzählungsstoffe. Aber daraus könnte man nur dann
schliessen, dass die S in ihrem kern mythisch wäre, wenn man im
voraus sicher wäre, dass sie eine einheit bildet, an die sich keine
fremden elemente festgesetzt haben. Das ist durchaus nicht von vorn-
herein einleuchtend; im gegenteil lässt die aus vielen verschiedenartigen
begebenheiten zusammengesetzte erzählung eher das umgekehrte ver-
muten. Mythische sagen sind der regel nach einfach. Man vergleiche
z. b. Beowulfs beide grosstaten: zwei mythische erzählungen oder viel-
leicht eine in zwei formen, aber auf keinen fall eine fortgesetzte ge-
schichte; jede erzählung steht für sicii und muss von der anderen ge-
sondert erklärt werden, und was von dem beiden noch mehr berichtet
wird, sind epische zutaten. Und nun sehe man die lange reihe von
UNTERSUCHUNGEN ÜBER DEN URSPRUNG UND DIE ENTWICKLUNG DER NIBELUNGENSAGE 293
Sigfrids taten und erlebnissen. gebart, Jugend, drachenkampf, hort-
gewinnung, brautgewinnung für sich, für Günther, ehe mit Grimhild,
tod durch Brynliilds räche. Das alles oder das meiste davon soll einer
einheitlichen mythischen anschauung entsprungen sein. Wenn wir das
glauben sollen, so dürfen wir unsererseits erwarten, dass durch die
richtige mythische erklärung auch alles verstiindlich Averden wird, dass
wir nicht aufgefordert werden, grosse Verschiebungen und änderungen,
die als die folge der menschlichen auffassung der sage eintraten, an-
zunehmen, um am ende doch mit einem wichtigen reste absolut un-
crkliirlicher züge sitzen zu bleiben. Um so mehr wird man das ver-
langen, da mehrere elemento der sage auch ausser dem Zusammenhang
der S weithin verbreitet sind und zu dem versuch einladen, auf dem
wege der analyse zu dem kern der sage durchzudringen.
Für die erklärung solcher züge, die nur in einzelnen quellen be-
legt sind, hat man auch von jeher diesen w^og eingeschlagen. Was die
PS von der geburt des beiden erzählt, hält niemand für einen alten
zug der S. Aber bei einem gewissen punkt wird halt gemacht. Was
übrig bleibt, darf nur als aus einem einheitlichen myth.us entwickelt
verstanden werden, wer in der anah^se weitergeht, hat keinen sinn für
die tiefsinnige bedeutung des mythus. Und doch ist es in gewissem
sinne durchaus nebensächlich, ob ein zug in den besten quellen belegt
ist oder nicht. Man kann dem ein argument für ein verhältnismässig
hohes alter eines solchen zuges entnehmen, aber niemals für dessen
absolute ursprünglichkeit. Denn die sage ist Jahrhunderte älter als die
ältesten quellen, und dieselben kräfte, die man in der historischen zeit
an ihrer Umbildung und ausbreitung wirksam sieht, muss man sich
auch in einem früheren Zeitalter als tätig vorstellen.
Von den vielen mythischen erklärungen, die gegeben sind, kommt
heutzutage nur noch die, die in S einen tages- oder jahrmythus sieht,
in betracht. Nur mit dieser brauchen wir uns also auseinanderzusetzen.
Der junge himmelsgott, so lautet sie, tötet am morgen den nebeldrachen,
erschliesst den menschen die schätze des bodens, erweckt die schlafende
Sonnenjungfrau, macht sich dit) mächte der finsternis dienstbar, gerät
aber später in ihre gewalt, muss ihnen die sonnenjungfrau abtreten und
wird von ihnen getötet. Die nebeldäraonen bemächtigen sich von neuem
des Schatzes. Bei der auffassung der sage als eines Jahreszeitenmythus
werden die einzelnen acte in ähnlicher weise aufgefasst, nur das winter-
dämonen an die stelle von naclitdämonen treten.
Betrachtet man die Sigrdrifasage für sich, so sieht das sehr gut
aus. Sigfrid ist der himmelsgott, Sigrdiifa-Brynhild die sonnenjungfrau.
294 BOER
AJoer sobald der held mit den Gjukungcn in berühnmg kommt, schlägt
das nicht länger an. Sollen beide tlammenritte der skandinavischen
Überlieferung gelten, was u. a. Vogt angenommen hat, so bedeutet der
erste das morgenrot, der zweite das abendrot. Der flammenritt für
Gunnarr soll dann mythisch bedeuten, dass die sonne untergeht (resp.
dass es winter wird). Die sonnenjungfrau wird also widerum hinter
ihrem flammenwall geborgen. Wie kann das mit möglichkeit in einer
erzählung, die den beiden die Jungfrau daraus hervorholen lässt, in ein
bild gebracht Averden?
Also muss mau änderungen annehmen. Die Sigrdrifasage wird
nun entweder als ein fremdes element ausser betracht gelassen, oder
sie bedeutet wie früher das morgenrot. Die Werbung für Gunnarr aber
soll Züge aus beiden Vorstellungen enthalten. Aus dem morgenrot lässt
sich z. b. herleiten, dass der held die braut aus dem flammen wall hervor-
holt und dass er vorläufig noch am leben bleibt, aus dem abendrot aber,
dass der nebelfürst die braut zur frau bekommt und dass der held später
dennoch ermordet wird. Man kann das auf vielerlei weise variieren.
Ich selbst habe gleichfalls in einer Verschiebung von motiven eine lösung
gesucht (Zeitschr. 35, 322fg.) und angenommen, die ursprüngliche reihen-
folge sei gewesen: a) Sigfrid gewinnt Brynhild für sich; b) er tritt sie
dem Günther ab (unter welchen umständen, das sei nicht mehr zu er-
mitteln); c) er bekommt dafür Grnuhild; d) er wird getötet. Nach der
vermenschlichung der mythischen sage wäre b vor a geschoben worden.
Ich halte an dieser erklärung nicht länger fest und führe sie nur an,
um zu coristatieren, dass die mythische erklärung gerade au den ent-
scheidenden stellen mit einer den ganzen mythischen Inhalt verdunkeln-
den Verschiebung operieren muss. Man kann ruhig sagen: die zweite
hälfte des mythus ist nirgends belegt und wird nur theoretisch ange-
nommen, weil man die erste hälfte für bewiesen hält, und die fort-
setzung der erzählung davon nicht trennen will. Der mythische Ursprung
wird aus anderen datis mit Sicherheit geschlossen Averden müssen, soll
man an ihn glauben. Aus dem flammenritt für Günther lässt er sich
nicht entnehmen.
Ferner kann man fragen: wenn die nebeldämonen Sigfrid töten
und sich der Brynhild bemächtigen, so wird doch zwischen diesen er-
eignissen ein Zusammenhang bestehen. Der einzig denkbare Zusammen-
hang aber wäre, dass sie zuerst ihn töten und dann sich der wehrlosen
frati bemächtigen, wie auch er erst nachdem er den dämonischen Wächter
erschlagen, sie befreit hat. Wie kommt es nun, dass die brüder erst
lange zeit, nachdem sie — mit seiner hülfe — die braut gewonnen
rrNTERRUCHUNGEN ÜBER DEN URSPRUNG UND DIK FATWICKLUNG DER NIBELUNÜENSAGE 295
haben, ihn ermorden? — Ferner: wenn Sigfrids tod den sieg der finsteren
mächte — also das ende des tages oder des sommers — bedeutet, was
bedeutet dann seine knechtschaft, von der in der mythischen erklärung
widerhült die rede ist? Ist diese nicht vollständig übertlüssig? —
Schliesslich, um nur noch einen besonders wichtigen punkt zu er-
wähnen: wenn die brüder SigfVid wegen des Schatzes und der braut
töten, wie ist dann die Vorstellung entstanden, dass dieser durch IJryn-
hilds räche fällt? — Ja, diese Vorstellung hat iliren grund in dem
an Brynhild verübten betrug. Nun ist nach der mythischen aut-
fassung, der ich in diesem punkte kein unrecht gebe, dieser betrug
eine epische änderung. Aber dann ist auch Brynhilds räche episch.
Was bleibt dann noch an der ganzen geschichte übrig, das den mythus
widergäbe?
Fürwahr, man darf sagen, dass es der mythischen deutung nicht
gelungen ist, die Sigfridsage als eine einheit zu erklären. Einen hypo-
thetischen wert muss man ihr zugestehen, solange man keiner besseren
deutung auf der spur ist.
T. Hagen und Sig'frid.
§ 3. Die Sigfridsage eine sage von verAvandtenmord.
Versuchen wir es mit der analytischen methode. Wir finden in
S auf der einen seite mythische, auf der anderen rein menschliche züge.
Die aufgäbe kann nur sein, die richtige Scheidelinie zu ziehen, und zu
untersuchen, auf welcher seite der held steht. Ist er ein mythischer
held mit mensciilichen zügen oder ein menschlicher held, auf den
mythische erzählungen übertragen sind?
Rein menschlich ist, was die sage von Sigfrids Verhältnis zu Hagen
berichtet. Sigfrid hat Hagens Schwester — so in der alten sage, die
keine Burgunden kannte, und so auch noch in der skandinavischen
üljorüeferung — zur frau, er ist also sein Schwager. Hagen tötet Sigfrid,
und was sein motiv ist, werden die quellen trotz der vielen änderungen
nicht müde uns zu sagen. Hagen bogehrt Sigfrids schätz. Wenn etwas
feststeht, so ist es dies.
Das ist aber eine vollständige widerhokmg des Attilamotivs. Da
fehlt kein einziger zug. Der eine schwager tötet den anderen Schwager,
der bei ihm zu gast ist^, und der zweck ist, sich des Schatzes, den
dieser be.sitzt, zu bemächtigen. Der einzige unterschied ist, dass in dem
Ij S. darüber § 35.
296 BOER
einen fall der mörder der bruder der frau, der gemordete ihr gemahl
ist, während im zweiten fall das Verhältnis das umgekehrte ist^
Wer die ueigung zur widerhol img der sagen kennt, wird das nicht
für zufällig ansehen. Und doch niüsste das ein absoluter zufall sein,
wenn Sigfrids ermordung durch Hagen nur ein glied einer mythischen
erzählung von dem leben und sterben eines sonnen- oder tagesgottes
wäre. Wir erinnern uns, was oben über die sage von Sigmund und
seinen ahnen bemerkt wurde. Dasselbe motiv wie dort liegt auch unserer
sage zu gründe: schwagermord. Auch hier wird das motiv in der Vor-
geschichte widerholt (Sigi). Aber der unterschied ist vorhanden, dass
bei Hagen die Vorgeschichte und die haupterzählung an eine und die-
selbe person geknüpft erscheinen. Hagen, der in dieser leidend ist, tritt
in jener handelnd auf. Damit ist eine neue, für die Nibelungensage
grundlegende form gegeben.
§ 4. Die hauptformen des motivs vom verwandtenmord.
Feindschaft zwischen Schwägern und feindschaft zwischen Schwieger-
vater und Schwiegersohn sind nahe verwandte motive. Es ist kein Zu-
fall, dass Hagen auch im mittelpunkte einer gruppe von sagen steht,
die auf letzterem motiv aufgebaut sind. Hier erscheint Hagen als der
Schwiegervater, also in der rolle, die seinem auftreten als bruder der
frau in der Nibelungensage analog ist. Wir erkennen zwei hauptformen :
1. Hagen wird von seinem Schwiegersohn getötet. Sein söhn vollzieht
später an dem feinde die räche. Das ist die in die Helgisage auf-
genommene form. 2. Hagen tötet seinen Schwiegersohn und wird von
ihm getötet. Das ist die Hildesage. Erstere form lässt sich mit H2
vergleichen; der Schwiegersohn der Helgisage entspricht dem schwager
in H2, die räche durch den söhn entspricht den verschiedenen formen
der räche in H2 und dessen parallelen (Finn, Sigmund). Die zweite
form steht der vollständigen Hagensage näher; die Verbindung der beiden
teile ist aber noch inniger geworden; statt der zwei schwager erscheint
ein Schwiegersohn, und die zwei mordtaten werden zu einem gegen-
seitigen morde. Im gründe sind das alles Variationen eines themas.
Ich weiss wol, dass man mir vorwerfen wird, dass ich die ver-
schiedenartigsten sagen zusammenwerfe. Wenn die Nibelungensage und
1) Auch Wilmanns, Der Untergang der Nibelunge in alter sage und dichtung
s. 2 fg. glaubt, dass beiden teilen der Nibelungensage dasselbe motiv zu gründe liegt.
Aber er vergleicht Günthers und Hageus tod mit Regins und Fäfnirs tod und erklärt
die ganze sage als mythisch. Diese construction scheint mir der schwächste teil von
Wilmanns' arbeit.
ITNTERSUCHUNGEN ÜBER DEN X^RSPRITNG ITNB DIE ENTWICKLl-^sG DKR NIBELIINGENSAGE 297
die Hildesago aus einer wurzel entsprungen sind, Avas soll dann ge-
schieden bleiben? Eine betrachtung wie die hier angestellte scheint
die poetische eigentümlichkcit einer jeden sage zu verkennen.
Icii antworte: gewiss hat jede sage ihre poetische eigentümlichkeit,
ilu-o färbe. Aber eben so gewiss ist jede sage aus einfachen niotiven
aufgebaut. Das, was die poetische färbe einer sage ausmacht, ist nicht
ausschliesslich in jenen allgemeinen grundmotivcn gelegen, das kann
auch auf ihrer eigentümlichen entwicklung beruhen. Es lässt sicii nun
einmal nicht leugnen: in der Nibelungensage tötet Hagen seinen schwager,
später ward er von seinem schwager getötet. Das ist nicht etwas neben-
sächliches; das ist des pudels kern. Tn der Hildesage tötet Hagen seinen
Schwiegersohn und wird von seinem Schwiegersohn getötet. Auch das
ist das grundmotiv der crzählung. Aber niemand wird behaupten, dass
das von hause aus einen so grossen unterschied macht, ob der feind
Schwiegervater oder schwager heisst. Nach dem germanischen rechte
ist es in beiden fällen der mann, der die frau zu vergeben hatte; die
einzige frage dabei ist, ob der vater noch lebt. Ist er tot, so nimmt
sein söhn seine Stellung ein. Daher ist auch in sagen von. diesem typus
ein schwanken zwischen Schwiegervater und schwager nicht ausge-
schlossen; wir sahen, dass Sigmund an Siggeirr seinen vater und 'seine
brüder zu rächen hat. Streng genommen gehört von diesem gesichts-
punkt aus die Sigmundsage sogar in den Helgi- typus, nicht in den
H2-typus hinein, denn Siggeirr hat seinen Schwiegervater getötet und
wird dafür von dessen söhn gestraft. Dennoch ist man darüber einig,
dass die Sigmundsage der Nibelungensago näher als der Helgisage steht.
Damit ist zugegeben, dass es keinen grossen unterschied macht, ob in
sagen von verwandtenmord der vater oder der bruder der frau auftritt,
sondern dass die nähere Verwandtschaft der sagen nach anderen kriterien
beurteilt werden muss. Wenn nun Hagen in sagen von beiden typen
widerholt und stets in derselben rolle auftritt, so scheint mir das zu
beweisen, dass diese typen Variationen eines einzigen typus sind, und
dass dieser grund typus freilich an mehrere namen, aber doch in einer
weit verbreiteten tradition an tlon namen Hagen geknüpft war. Dieser
grundtypus lautet also: Hagen ist der vater oder der bruder einer frau;
er kämpft mit dem gemahl dieser frau.
Freilich die raotivierung der feindschaft ist in der Nibelungensago
eine ganz andere als in der Hildesage. Aber die motivicrung ist das
secundäre. Gerade wie sich an unverstandene culte sagen knüpfen,
wie prähistorische denkmäler, gräbor, hämmer, sogar Zeichnungen und
figuren ausgangspunkte für die entstchung ausführlicher erklärender sagen
298 BOER
werden, so bringen auch die erzählimgen von nackten tatsachen ihre
eigenen erklarungen und niotivieruugen hervor ^ Es ist dasselbe, was
Shakespeare tut, wenn er in dem dürftigen berichte einer ciironik den
stolT zu einer tief psychologischen' tragödie findet. Aber erst durch die
motivierung wird der eigentümliche charakter einer sage bestimmt. Die
einzelnen motive sind die bausteine; aus denselben steinen kann ich
eine herberge und ein reichstagsgebäude, sogar eine moschee aufbauen;
wenn aber die grundlinien gegeben sind, so ist der charakter des ge-
bäudes bestimmt. Die grundlinien einer sage nun sind die Verbin-
dungen der motive und, was damit in engem Zusammenhang steht, die
motivierungen.
Nicht das ist also das eigentümliche der Nibelungensage, dass
Hagen seinen schwager tötet; — das hat sie mit vielen anderen gemein.
Auch das nicht, dass das motiv sich widerholt, das geschieht auch in
der VQlsungensage, sondern, dass es sich auf diese weise widerholt:
derselbe Hagen, der seinen schwager tötet, wird nachher von seinem
Schwager getötet. Darin steht die Nibelungensage allein. Aber noch
steht sie dem embryo der Hildesage nahe. Jetzt kommt die motivierung
hinzu. Diese folgt schon aus der weise, wie das motiv widerholt wird.
Wenn die alten sagen von mord reden, so ist das treibende motiv der
regel nach entweder habsucht oder räche. Das zweite motiv nun war
hier ausgeschlossen. Denn Grimhilds von ihrem bruder gebilligte ehe
mit Attila setzt voraus, entweder dass dieser mit Sigfrid nicht verwandt
war, oder dass Sigfrids tod gesühnt war, oder endlich, dass die Ver-
doppelung des Schwagermordes noch nicht stattgefunden hatte: Attila
konnte also unmöglich Sigfrid zu rächen haben. Die traditiou greift
daher zu einem anderen motiv, dem des Schatzes. Mit dem schätz
kommt die begierde. Und diese ist es, die der Nibelungensage ihr
eigenes unheimliches gepräge gibt, die sie von allen anderen unter-
scheidet; an diesem zuge bilden die Charaktere der sage sich aus-
Man vergleiche nun die entwicklung der Hildesage. Nicht der
kämpf zwischen Schwiegervater und Schwiegersohn ist es, der ihren
eigenen charakter bestimmt; — das hat sie mit der Sigmundsage gemein.
Mehr bedeutet die gegenseitige tötung der beiden, aber diese ist schon
das product einer langen entwicklung. Don ausgangspunkt der sonder-
. entwicklung bildet hier gewiss die auffassuug der ehe, von der die rede
1) Man vergleiche das vou Maunhardt niitgetoilte beispiel, wie das spielen einer
choralmelodie in einer tanzstube binnen wenigen wochen die sage von dem teufel, der
ein tanzendes miidolien zur bölle hinabführt, neu belobte (angeführt nach Feilbergs
darstellung Dauia II, 97fgg.).
UNTERSUrHUNGKN I'BEK DEN fRSPRUXr. TIND DIK ENTWK KLUNft DER mBELUNGENSAGE 299
ist, als einer entführung. Von selbst ist das nicht gegeben. Siggeirr
bekommt Signy mit V(,>lsuDgs Zustimmung; dennoch kommt es später
7Ai feindseligkeiten. Aber in der grundform lag doch ein anlass zu einer
solchen auffassung. Mau beachte, dass im gegensatze zu der Sigmund-
sage die Feindseligkeiten von dem vater ausgehen. Was kann einen
vater bestimmen, den mann seiner tochter zu befehden? Die antvvort,
die die sage gibt, lautet: dass er ihn nicht zum Schwiegersohn haben
will, üas Verhältnis zwischen vater und tochter, der regel nach inniger
als zwischen bruder und Schwester, die Jugend des paares lenken die
aufmerksamkeit von dem motiv der habsucht ab, dem der unerlaubten
liebe zu. Hier gibt es nun zwei Stadien der entwicklung. Entweder
wird die braut dem vater abgenötigt, wobei dieser im kämpfe umkommt,
— so in der Helgisage — oder nach der Zustimmung des vaters wird nicht
einmal gefragt; der junge hold nimmt die frau einfach mit, der vater
zieht ihm nach, und es kommt zur schlacht; das ist die Hildesage. Da-
mit wird natürlich die inöglichkoit zahlreicher berührungen und be-
einflussungen von fremden sagen nicht geleugnet, aber es verdient doch
beachtung, dass die bedingungen für eine selbständige entwicklung in
dieser richtung vorhanden waren. Um fragen, die sich von selbst er-
geben, zu beantworten, greift man nach landläufigen raotiven. Aus der
auffassung der ehe als einer entführung kann man nun auch die Ver-
schmelzung zweier kämpfe zu einem erklären. Das motiv der entführung
lässt sich schwerlich widerholen. Wenn Hagen den entiührer seiner
tochter tötete und von dem entführer seiner tochter getötet wurde, so
lag die identificierung der beiden entführer sehr nahe, und sie kann
sogar zugleich mit der Verdopplung des motivs zu stände gekommen
sein. In dem gegenseitigen morde nun ist ein neues motiv gegeben,
das die entwicklung weiterführt. Von jeher hat die sage der grimmigsten
feindschaft durch die Vorstellung, dass die gegner einander gegenseitig
töten, ausdruck gegeben i. Das führt zu der anknüpfung an die sage
von den königen, die auch nach ihrem tode den kämpf fortsetzen. So
heisst es, dass vor den toren Roms die in der Hunnenschlacht gefallenen
krieger des nachts weiter kämpfen. Und so in vielen erzählungen von
wütenden gefechten '-.
Nun hat auch die Hildesage ihren eigenen Charakter. Und von
dem der Nibelungensage ist derselbe weit verschieden. Die anfange
1) PJtcocles und Polyniccs; Alrt'kr und p]iiikr (Ynj:;!. s. c. 20).
2) Eine rcilie iiarallclen führt Panzer, Hilde- Kudrun s. 328fg., dessen an-
sicliten über die Verwandtschaft der Ilildesage ich jedoch keineswegs beistimmen
kann, an.
300 BOER
dieser Verschiedenheit liegen auch schon in den primitiven bildungen.
Aber nur als möglichkeiteu. Es wäre töricht zu glauben, dass aus dem
kämpf zwischen Schwiegervater und Schwiegersohn nicht etwas anderes
als die Hildesage hätte erwachsen' können. Die entwicklung hängt von
den motivieriingen ab, und dabei ist die bewegende macht die mensch-
liche Phantasie, die zwar nicht frei aber doch beweglich ist und durch
geringfügige umstände auf verschiedene wege geführt wird.
§ 5. Die logik der Hagensage.
In der sagenform, die wir aus den quellen direct erkennen, ist
ein grosser mangel an logischer einheit mehrfach wahrgenommen und
stark betont worden. Die entdeckung geht schon ins mittelalter zurück;
die deutsche Überlieferung hat nämlich zwischen Hl und H2 einen Zu-
sammenhang herzustellen versucht. Die brüder ermorden Sigfrid, um
die der Brynhild zugefügte schmach zu rächen; sie kränken dabei ihre
Schwester aufs höchste. Später werden sie von Grimhilds zweitem manne
umgebracht, aber ohne ihren beistand, sogar wider ihren willen. Unter
solchen umständen ist es unmöglich, zwischen dem Untergang der Bur-
gunden und Sigfrids tod einen Zusammenhang zu ersehen; wie bekannt
hat die deutsche tradition das motiv eingeführt, dass Kriemhild ihren
mann rächt.
Wie aber ist der Widerspruch in die Überlieferung hineingekommen?
Die antwort der Müllenhoffschen schule lautet: er war von anfang an
vorbanden; der grund ist darin gelegen, dass eine mythische sage an
eine historische geknüpft worden ist. In der mythischen sage kam
Sigfrid durch Hagen um, in der historischen Günther durch Attila; ein
Zusammenhang existierte von anfang an nicht; es war die aufgäbe der
poesie, einen solchen herzustellen.
Diese antwort kann den, der zu der Überzeugung gelangt ist, dass
H2 älter als die Burgundensage ist, nicht befriedigen. Hl und H2
bilden ein ganzes, beide teile sind aus gleichen historischen Voraus-
setzungen entsprungen; die tradition, die die doppelsage bildete, muss
auch für einen Zusammenhang gesorgt haben. Und das hat sie getan.
Die deutsche Überlieferung, die einen causalnexus zu wege bringt, stellt
nur etwas altes wider her. Freilich ist die alte motivierung vergessen;
die räche für Sigfrid ist eine noterklärung.
Dass die nordische tradition, der Grimhild-Guörün als die räclierin
ihres gatten fast unbekannt ist, doch zwischen Sigfrids und Hagens tod
einen causalzusammenhang annimmt, zeigt Brot 5: Soltinn var Sigur^r
simnan Rinar, hrafn af meihi hdtt kallahi: Ykkr mun Atli egijjnr
UNTERSUCHUNGEN ÜBER DEN URSPRXns'G UND DIE ENTWICKLUNG DER NTBELUNGENSAGE 301
rjoha, muiiu vk/skä of viba ei^ar. Dass die Gjükiingar dem SigurÖr
ihren eid gebrochen haben, hat also ihren tod durch AttiUi zur folge.
Uumittelbar nach SigurL>s tod wird ihuen das angekündigt, und zwar
in einem alten und treulichen gedichte. Aber was das bedeutet, ver-
stehen sie nicht; Gunnarr kann des nachts nicht schlafen und denkt
über die seltsame rede des vogels nach (str. 13).
Den richtigen Zusammenhang hat auch die nordische Überlieferung
vergessen. Auch sie versucht es mit einer neuen deutung, und wie
die deutsche tradition greift sie nach einem rachemotiv. Sie macht
Brynhild zu einer Schwester des Atli. Indem sie Brynhild mit Sigurd
sterben lässt, gibt sie der Vorstellung ausdruck, dass Atli Brynhilds tod
zu rächen habe. Aber zu richtiger entfaltung ist das motiv doch nicht
gelangt. Atli lässt sich beschwichtigen, das ganze wird zu einer art
einleitung zu Guöruns zweiter ehe. Und darauf kann unsere Strophe
auch nicht gehen. Denn von Brynhilds tod ist im ganzen Zusammen-
hang nicht die rede, und auch wenn man annehmen wollte, dass der
dichter der Strophen davon gewusst hätte {siehe darüber § 22), so liegt
dieses ereignis noch in der zukunft. Wenn der vogel Brynhilds tod als
die Ursache der ermordung der brüder hinstellen wollte, so wäre seine
naseweise rede wenigstens als überaus voreilig zu charakterisieren.
Die Strophe ist also entweder eine unverantwortliche behauptung
des dichters, der auf eigene taust einen Zusammenhang herstellt, wo es
keinen gibt, oder sie ist eine lebende reminiscenz an eine form der
sage, wo der tod der brüder mit SigurÖs tod wirklich zusammenhieng.
Diese auffassung der Strophe wird durch ihre unmittelbare natürlichkeit
gestützt. Vielleicht wäre der dichter in Verlegenheit geraten, wenn man
von ihm eine erklärung gefordert hätte. Gerade dieser mangel an logik
ist nicht ausspeculiert; er verrät eine unbewusste association mit ab-
weichenden Vorstellungen^.
1) Allerdings muss die frage in erwägung gezogen werden, ob die rede des
raben nicht aus dem unbewussten wünsch, einen Zusammenhang herzustellen, also
aus demselben princip, das die Verwandtschaft zwischen Atli und Brynhild hervor-
rief, entsprungen sein kann. Sie wäre dann nicht eine reminiscenz, sondern der keim
einer neuen auffassung. Aber dafür scheint mir ihre aussage zu positiv. Der dichter
muss nicht die möglichkeit geahnt, er muss ganz bestimmt vernommen haben, dass
der tod der brüder eine folge von Sigurds tod war. Andererseits ist zu bemerken,
dass die tendenz des dichters schon in der richtung geht, den Zusammenhang von
SigurÖs und Hagens tod als eine räche aufzufassen; wir finden hier sogar eine klare
andeutung der in der deutschen Überlieferung herrschenden auffassung, dass Guörün
ihren manu rächen wird. Denn sie spricht str. 11 die werte aus: hefnt skal verda.
Näheres darüber >; 21.
302 BOER
Worin der logische zusammenliaiig zwischen Sigfrids und Hagens
tod besteht, das folgt unmittelbar aus schon mehrfach berührten Ver-
hältnissen. Man braucht nui- zu fragen: was bewog Attila, Hagen zu
töten? Wir erkannten als einziges motiv den schätz. Der Zusammen-
hang besteht also darin, dass derselbe schätz, der Hagen dazu treibt,
seinen schwager zu ermorden, auch seinen Untergang bewirkt. Der
rabe hatte recht. Wenn Hagen Sigfrid nicht getötet hätte, so hätte er
dessen schätz nicht besessen, und Attila hätte keinen grund gehabt,
seinen tod zu wünschen. Von räche ist also keinen augenblick die rede.
Von Vergeltung freilich. Aber das ist die unpersönliche Vergeltung des
Schicksals. Man kann sogar von einem tragischen motiv reden, inso-
fern Hagen seinem eigenen charakter zum opfer fällt, und von einer
Ironie des Schicksals, insofern dieselbe leidenschaft, die ihn zu der
blutigen tat treibt, auch seinen gegner beseelt i. Fürwahr, der gedanke
der altnordischen tradition, dass an dem schätze ein fluch haftet, er-
scheint in dem stoffe richtig vorbereitet.
Die hier genannte Ironie haben auch andere gesehen^. Was meine
auffassung von früheren ansichten unterscheidet, ist, dass ich für den
kern der erzählung halte, was bisher für nebensächlich galt. Hier gilt
es zur klarheit durchzudringen. Soll eine befriedigende Ironie darin
liegen, dass Hagen durch denselben schätz umkommt, wegen dessen er
Sigfrid ermordet hat, so ist eine absolute bedingung, dass auch bei
Sigfrids tod der besitz des Schatzes das treibende motiv ist. Wer das
nicht anerkennt, sollte auch von dieser ironie nicht reden. Denn es
ist keine ironie, sondern nur eine höchst bedenkliche Verschiebung von
motiven vorhanden, wenn Hagens goldgier nur ein Instrument des
Günther gewesen ist, der die ehre seiner frau retten wollte. Ist das
das hauptmotiv der Sigfridsage, so hat auch die deutsche Überlieferung
recht, die Grimhild zu Sigfrids rächerin macht. Unrecht hat diese
Überlieferung dann nur darin, dass sie auf Grimhild Attilas habsucht
überträgt und sie so ganz speciell wider Hagen wüten lässt. So wie
die Sache steht, zeigen diese züge, wie sehr Hagen die hauptperson
ist, und wie sehr auch die deutsche tradition noch die bedeutung des
Schatzes fühlte.
1) Auch iu deui zweiten Giiörünliede fiuden sicli die beiden Vorstellungen: die
ältere, dass das gold den tod der brüder bewirken wird (str. 21), und die jüngere,
dass zwischen den brüdei'n und Gudrun ein feindseliges Verhältnis besteht (die brüder
gönnen ihr ihren trefflichen mann nicht, str. 3), nebeneinander.
2) Hermann Fischer, Die forschungen über das Nibelungenlied seit Lachmann,
s. 109.
rXTERStrCHUNOF.N ÜBER DKN URSPRrXO Ü>'D DIE ENTWICKLIWO DER N'IBELrN'QENSAOE 303
U. Die Bi\viiliildsage.
i^ 6. Die liauptmotive.
In den vorangehenden bemerkungen liegt sciion der grund au-
gedeutet, dass der ursprüngliche Zusammenhang von Hl und H2 auf-
gehoben worden ist. Das gefühl für die Ironie des Schicksals ist dadurch
verloren gegangen, dass in der Sigfridsage das motiv, dass Hagen Sigfrid
tötet, um sich seines Schatzes zu bemächtigen, durch das andere, dass
Hagen im auftrug der Jirynhild handelt, ersetzt wurde. Das zeigt, dass
dieses motiv, ßrynhilds räche an Sigfrid, sei es aus gekriinkter liebe,
sei es aus gekränkter eitelkeit, ein fremdes element ist, das die alte
Sigfridsage nicht kannte. Dadurch wird nun die Stellung der Brynhild
in der sage höchst zweifelhaft. Wir müssen darauf tiefer eingehen.
Brynhild tritt in den quellen unbedingt als Günthers frau auf.
Das ist schon bedenklich. Da die alte sage Günther nicht kannte, so
folgt daraus, dass auch Brynhild als Günthers frau ihr unbekannt war.
Brynhild trat also dort entweder als die frau eines anderen, oder sie trat
<larin überhaupt nicht auf. Dass Günther hier den platz einer dem namen
nach verschollenen gestalt, die man dann mit Brynhild verbinden könnte,
einnehme, wäre noch zu beweisen. Die alte sage kannte, soweit wir
zu erkennen im stände sind, neben Hagen höchstens eine dem Volker
entsprechende gestalt, die mit Brynhild nichts zu schaffen hat. Wir
müssen nun die stellen, wo Brynhild activ oder passiv in die handlung
eingreift, gesondert betrachten. In betracht kommen für die ältere Über-
lieferung 1. SigurÖs begegnung mit Sigrdrifa auf dem berge und ihre
Varianten. 2. Sigfrids Werbung um Brynhild für Günther. 3. Bryn-
hilds räche an Sigfrid i. Alles, was weiter noch erzählt wird, Brynhilds
tod in der Edda, ihr leben zu Worms im Nibelungenliede, sind jüngere
ausführungen.
Von diesen drei ereignissen ist BrHI eine consequenz von BrH.
Ohne n ist HI unmöglich; aus H folgt HI mit psychologischer not-
wendigkeit. Sigfrid hat Brynhihl für Günther gewonnen; Günther hat
sich als der schwächere gezeigt; aber di)ch ist er der könig und be-
sitzt die frau. Brynhilds lebensvorhältnisse beruhen auf einer lüge, mit
der die poesie auf die dauer keinen frieden schliessen konnte. Dass der
wahre Sachverhalt eines tages ans licht kommen musste, war unver-
meidlich. Die Wahrheit musste Brynhild zu obren kommen; ihr zorn
nuisste entflammen, und wenn nun die Überlieferung erzählte, dass
1) Diese teile der Bryuhildsage werden itn folgenden als BrI, Brll, Er III
ikuiy. I. II. III) unterschieden.
304 BOER
Sigfrid von Hagen ermordet wurde, so lag es ganz nahe, zwischen diesem
mord und Brynhilds zorn einen causalzusammenhang herzustellen.
Das ist im gründe nichts neues; auch die mythische auffassung
der Sigfridsage weiss mit Brlll nichts anderes anzufangen, als sie einer
jüngeren periode der sagenbildung zuzuschreiben und sie aus dem be-
trug bei der Werbung um Brynhild zu erklären. Aber daraus folgt,
dass da, wo die rede von der alten Sigfridsage ist, von dieser erzählung
abzusehen ist.
§ 7. Die erste form der erlösungssage.
Älter als Brynhilds räche sind Br I und Br II. Dass I nicht aus
II abgeleitet werden kann, ist von vornherein klar. I ist viel ein-
facher als II, I ist ausserdem weit verbreitet, während II nur in der
mit der Burgundensage contaminierten Mbelungensage vorkommt. Wir
geben aus diesem gründe der betrachtung von I den vorrang.
Sigfrid erweckt eine auf einem berge schlafende Jungfrau. Die
grosse selbständige Verbreitung dieses motivs lässt im voraus vermuten,
dass wir es hier nicht mit einem gliede der Nibelungensage, sondern mit
einer selbständigen erzählung zu tun haben. Das wird durch den Zu-
sammenhang bestätigt. Nirgends sonst erscheint die erlösung einer Jung-
frau an einen beiden geknüpft, der später von seinem schwager ermordet
wird. Innerhalb der Nibelungensage steht die erzählung mit der wei-
teren geschichte des beiden in keinem Zusammenhang; sie bildet sogar
für das folgende ein hindernis. Um Hagens schwager zu werden, muss
Sigfrid Grimhild heiraten; wenn er aber der held des erweckungsmärcheus
ist, so heiratet er die verzauberte prinzessin; die alte sage teilt nicht
mit, dass er sie widerum verlässt, was wir übrigens nicht glauben
würden. Also ist die Sigrdrifasage mit der Sigfridsage im Widerspruch.
Eine betrachtung der erzählung nach ihrem inhalte führt zu dem-
selben resultate. Denn sie ist durchaus nicht menschlich, sondern ge-
hört der märchenweit an. Wir wollen versuchen, den typus näher zu
bestimmen. Der grundtypus ist dieser: ein held erlöst eine Jungfrau
aus einer Verzauberung. Der untertypus: der zauber besteht in einem
tiefen schlaf. Als nahestehende verwandte erkennt man leicht 1. die
in ihr hemd eingenähte Jungfrau (u. a. Grimm ur. 111); -. Dornröschen
(Grimm nr. 50) ^
1) Die veiwandtscbaftsveihältnisse von Doruröscheu liat Vogt (Festschrift für
Weinhold 1896) ausführlich besprochen. Er führt das niärchen auf einen griechischen
vegetationsniythus zurück. Ob das richtig ist, beurteile ich hier nicht. Aber man
darf daraus nicht schliessen, dass die Sigrdrifasage mit Dornröschen nicht verwandt
fN'TKRSTlCHUNGEX ÜBER DEX URSPUrN'i UN'l) DIE ENTWICKLl'Nfi DKK MBEI.rxriEOSAGE 305
Welche von diesen beiden steht nun unserer sage näher? Wir
haben chivon abzuseilen, dass das ni'. 111 in complieierterer form über-
liefert ist. In l)(iinrr»seli('n und in der Sigrdrifasage ist die geschichte
insofern in gnisserer reinheit bewahrt, als mit der erlösung der Jung-
frau die erzählung zu ende ist. In 1 1 1 folgen noch neue prüfungeu,
die der held zu bestehen hat. Aber das beweist für eine nähere Ver-
wandtschaft von Dornröschen mit Sigrdrifa nichts; es beweist nur, dass
1 11 neue motive aufgenommen hat, wie das an anderen stellen, nament-
lirh in der Vorgeschichte (motivierung des sehlafes) die beiden anderen
auch getan haben.
Au typischen übereinstimmenden zügen finden wir:
a) zwischen Dornröschen und Sigrdrifa: beide sind von einem
schlafdoru gestochen;
b) zwischen 111 und Sigrdrifa: beide sind in ein kleid fest ein-
geschlossen.
Die beiden motive, die sich bei Sigrdrifa nebeneinander finden,
widersprechen einander im gründe. Wenn die Verzauberung durch einen
dorn bewirkt ist, so kann man sieh das widerum auf zweierleiweise
vorstellen; entweder wird der tiefe schlaf allerdings von einem dorn
herbeigeführt, aber das mädchen bleibt nicht mit dem dorn in berührung;
die erlösung ist dann von einer im voraus bestimmten bedingung ab-
hängig. So in Dornröschen, wo die bedingung der ablauf einer be-
stimmten frist ist; der erlöser findet sich dann von selbst ein. Oder
der dorn bleibt irgendwo in dem körper der schläferin stecken, und
der Zauber weicht erst, wenn er entfernt wird. So z. b. in der Hrölfs
saga kraka, Fas. I, 19. In beiden fallen versteht man hier nicht, wie
die Jungfrau in die sonderbare kleidung hineingeraten ist [hnjnjan rar
fqst, sem hon vceri holdgroin), und noch weniger, wie dadurch, dass
das kleid fortgenommen Avird, die Verzauberung weicht. Ist umgekehrt
der Zauber in dem kleide verborgen, so ist der dorn überflüssig. Man
kann daher wol sagen, dass die häufung der motive in der Sigrdrifa-
sage kaum ursprünglich sein kann, und es entsteht die frage, w^elches
motiv das ältere ist.
Man sieht bald, dass die priorität der panzerbekleidung zukommt.
Denn davon redet nicht nur die prosa, sondern auch die verse; str. 1:
hval bell brynjii . . . hverr feldi af mer f^jlvar nauhir. Und Helreid 9,
sein kann. Das würde nur dann zutreffen, wenn die herleitung dieser sage aus einem
tagesniytlius erwiesen wäre. Wenn die Sigfridsage das niäroheuinotiv als solches auf-
geuomuien hat, so war es natürlich gleichgiltig, aus welchem 'jiiythus' das marcheu
entstanden war.
ZEITSCHRIFT F. DEUTSCHE PHILOLOGIE. BD. XXXVII. 20
3Ü6 UOF.R
WO doch, was man auch von dem Verhältnis der Sigrdrifa zu Brynhild
denken mag, dieselbe geschichte wie hier erzählt wird, berichtet von
den Schilden, die Brynhild decken (der skjaldborg)^ eine Vorstellung,
die mit der von dem panzer zusammengehört. Von einem schlafdorn
hingegen weiss nur eine stelle der prosa (pr. vor 5): Ohinn stalck liana
svef^iporni t hefnd pess (dass sie dem Agnarr beigestanden hatte). Aber
die prosa vor 1 erzählt richtig, wie Sigurör den hämisch aufschneidet
und der Sigrdrifa den heim vom haupte nimmt, aber dass er auch einen
schlafdorn auszieht, vernehmen wir nicht.
Der schlafdorn ist im norden ein sehr bekanntes motiv. Es tritt
nicht nur in raärchen vom Dornröschentypus, sondern auch selbständig
auf. Als die köuigin Ölof den könig Helgi während einer nacht un-
schädlich machen will, sticht sie ihn mit einem schlafdorn. Ähnlich in
der GQngu-Hrolfssaga, Fas. III, 303. 306. In der Hoensna-Porissaga
wird sogar die durch einen pfeil verursachte wunde mit dem stich eines
schlafdorns verglichen. Das motiv ist also in der an. prosalitteratur zur
erklärung eines tiefen schlafes in häufigem, fast stereotypischem gebrauch.
Daraus folgt, dass es zu jeder zeit in eine sage wie die Sigrdrifasage
eingeführt sein kann. Ich halte es für eine zutat des redactors der
Edda, der Ööins eingreifen in das Schicksal der heldin plastischer ge-
stalten wollte. Vorhanden war schon die auch poetisch überlieferte Vor-
stellung, dass Sigrdrifa von ÖÖinn in den schlaf versenkt worden war;
auf die frage nach dem wie gab der redactor diese durchaus populäre ant-
wort. Die weise der Überlieferung als eine den versen widersprechende
einmal auftretende kurze prosaische bemerkung gibt diesen zug durch-
aus als eine zutat der — wahrscheinlich ersten — schriftlichen Über-
lieferung zu erkennen. Man kann der prosa gegenüber mit seinem ver-
trauen nicht zu vorsichtig sein.
Also gehören zu dem verhältnismässig alten bestand der Sigrdrifa-
sage der zauberschlaf und die panzerbekleidung. Insofern steht die
sage mit KHM 111 auf einer linie.
Zu dem apparate der erzählung von der verzauberten Jungfrau
gehört ferner ein hindernis, dass sich demjenigen entgegenstellt, der es
wagt, ihr zu nahen. Das hindernis der Sigrdrifasage ist eine waberlohe.
Dass es kein unentbehrliches element der erzählung ist, zeigt widerum
die vergleichung mit KHM 111. Es ist überhaupt ein zug, der nur in
dem skandinavischen norden bekannt ist. Die hinderuisse sind bei dem-
selben grundtypus nicht immer dieselben. In Dornröschen ist es eine
undurchdringliche dornenhecke; in der PS ist es, wie der narae SiPgarör,
den Brynhilds bürg hier trägt, beweist, ein gefährliches wasser, und
UNTERSrCHUNGEN fBER DEN URSPRUNG VND PIE ENTWICKLUNG DER NIBELUNGENSAOE 307
das liat diese oi/.älil Ulli;- mit K 11 M IIK dessen grundtypus (zauberschlaf
und das i;escliiossensein in ein kieid) wideruni der der Si<^rdrifasago ist,
gemein. Umgekehrt findet sich die waberlohe in Skandinavien auch in
anderen erzählungen, in den SvipdagsnK^l, deren grundtypus, wie sich unten
zeigen wird, der der PS ist, und in der sage von GerÖr, die viel weiter
absteht, wo nicht einmal von der erlösung, sondern von der bezwingung
einer Jungfrau die rede ist. Das zeigt, dass es unrichtig ist, wenn man
auf grund dieser durchaus secundären ähnlichkeit für diese drei sagen
(Sigrdrifa, MenglQÖ, GerÖr) einen grundtypus construiert, dessen wesent-
lichster ziig der vdfrlogi sein soll, und auf diesem wege alle drei auf
einen luiturmythus zurückführt. Der vafrlogi ist ein mutiv, das wie
der schlafdorn unabhängig auftreten konnte, aber natürlich an bestimmte
Situationen gebunden ist. Man braucht nicht einmal anzunehmen, dass
die drei sagen das motiv zu gleicher zeit aufgenommen haben. Das
motiv ist nicht an eine bestimmte sage, sondern an ein bestimmtes
geographisches gebiet gebunden.
Aufweiche sinnliche anschauung der flamraenwall zurückgeht, wird
sich vielleicht nicht mit Sicherheit entscheiden lassen. Da er nur im
norden begegnet, wird man wol an eine nordische naturerscheinung
denken müssen, und es liegt nahe in ihm das nordlicht zu erkennen,
das auch sonst für die skandinavische sagen- und mythenbildung von
bedeutung gewesen ist {Müspels synir, Zeitschr. 36, 311). Eine neuerung^
wo KHM 111 das echte hat, ist gewiss die auffassung des kleides als
eines panzers. Daraus folgt in wol jüngerer tradition die auffassung
der Jungfrau als einer walküre, und daran schliesst sich widerum die
raotivierung des schlafes durch OÖins zorn und die goschichte von
Hjälmgunnarr und Agnarr. Die geschichte der Überlieferung lässt sich
in eine reihe fragen und antworten zerlegen und illustriert widerum
trefflich die tätigkeit der sagenbildenden phantasie. Frage: warum trug
•lie Jungfrau einen panzer? Antwort: weil sie eine walküre war. Frage:
wie konnte eine walküre in einen zauberschlaf versenkt werden? Ant-
wort: weil ÖÖinn ihr zürnte. Frage: warum zürnte üöinn ihr? Ant-
wort: weil sie seinem befehTnicht gehorcht hatte. Frage (sehr jung):
durch welches mittel versenkte (JÖinn die walküre in den schlaf? Ant-
wort: durch einen schlafdorn.
§ 8. Das hindernis in der zweiten form der erlösungssage.
Als charakteristische züge für die Sigrdrifasage erkannten wir:
1. form der Verzauberung: zauberschlaf; 2. form der erlösung: das durch-
schneiden einer bekleidung; 3. hindernis: die waberlohe. Eine andere
20*
308 BOER
form erscheint in der deutschen tradition. Betrachten wir zunächst die
localität. In der Piörekssaga ist von einer waberlohe nicht die rede.
Die bürg der Brynhild heisst SsegarÖr. Daraus geht hervor, dass man
sie sich von einem wasser umgeben vorgestellt hat.
Die Übereinstimmung darin mit KHM 111, deren grundtorm
übrigens die der SigrdrifunK^l ist, kann man nicht zu hoch anschlagen.
Eine Variante KHM 93 hat gerade wie die I^S das wasser fallen ge-
lassen, aber den namen Stromberg bewahrt. Stromberg ist aber == Si^garÖr.
Auch in anderen punkten berühren, wie wiv sehen werden, die erzählung
der PS und 93 sich überaus nahe. Das gefährliche wasser, das die
bürg unigibt, nimmt dieselbe steile ein, die im norden von dem vafrlogi
eingenommen wird. Aber die Vorstellung vom wasser ist nur in dem
namen bewahrt; dass SigurÖr wasser zu überschreiten hat, wird nicht
gesagt. Soweit die sächsische tradition.
Wenden wir uns zu der fränkischen Überlieferung, so finden wir
zuerst das Brünhildenbett im Taunus. Daraus lernen wir nur, dass die
Jungfrau sich auf einem hohen berge befand. Wasser gibt es dort nicht;
wenn die tradition das wasser kannte, so war doch die Vorstellung bei
der localisation auf dem Feldberg verloren gegangen.
Dass jedoch auch die fränkische tradition sich Brynhilds bürg als
von wasser umgeben vorstellte, zeigt das Nibelungenlied, wo BrI mit
Brll verschmolzen ist, so dass wir aus der Werbung für Günther die
Züge der alten Brynhildsage herauszuschälen genötigt sind. Eine lange
Seereise ist notwendig, um die auf Islant gelegene bürg zu erreichen.
Der name Islant ist gewiss in der sage nicht ursprünglich. Islant
ist aus dem namen der bürg Iseustein abstrahiert. Aber was bedeutet
Isenstein? Es kann m. e. keinem zw^eifel unterliegen, dass wir es im
ersten compositionsgliede nicht mit dem Substantiv isen^ sondern mit
dem zu is gehörigen adjectiv zu tun haben, und dass der Isenstein der
Glasberg ist. Das wort begegnet, worauf mich dr. Frantzen aufmerksam
macht, schon bei Otfrid I, 1, 70 in der bedeutung 'krystall'. Und ziehen
wir widerum KHM 93 heran, so heisst dasselbe schloss, das im anfang
Stromberg geannt wird, später Glasberg. Wir haben also den paralle-
lismus: KHM 93 (anfang) Stromberg = &S SsegarÖr
„ (schluss) Glasberg -= NL Isenstein ^
Ein besserer beweis für die vollkommene Identität der den erzäh-
iungen der PS und des NL zu gründe liegenden Vorstellungen wird
sich kaum auffinden lassen.
1) Es geht nicht an, das märchen aus der 1*8 oder dem NL abzuleiten, da es
den charakteristischen namen der beiden Überlieferungen vereinigt.
UNTERSUCHUNGEN ÜBER DEN URSPRUNG UND DIE ENTWICKLUNG DER NIBELÜNGENSAGE 300
Es ist hier die möglichkeit zu erwägen, dass das NL die wasser-
fahrt aus der localisation auf islant abstrahiert und wideruni secundär
eingeführt hat. Dadurch würde aber nicht eine geringere, sondern eine
grössere ähnlichkeit mit den übrigen quellen entstehen, denn auch PS
und 93 kennen das wasser nicht mehr, und dazu stimmt, dass das
Brünhildenbett nicht von wasser umgeben ist. Der verlust des wassers
hat gewiss seinen grund darin, dass man es sicii als zugefroren vor-
stellte. Denn der name Isenstoin beweist, dass der Glasberg ursprüng-
lich ein eisberg ist. Als dieser als ein krystallener berg aufgefasst wurde,
war damit das wasser aus der Vorstellung verschwunden.
Um die form der Verzauberung und die form der erlösung zu
verstehen, werden wir genötigt, einem späteren teile dieser Untersuchung
vorzugreifen und ein anderes motiv ins äuge zu fassen, nämlich das,
was die quellen von Sigfrids unbekanntschaft mit seinen eitern erzählen.
§ 9. Die erlösung in der zweiten form der erlösungssage.
Wo die quellen von Sigfriils abkunft reden, geraten sie häufig mit
sich selbst in widersprach. Es verhält sich nicht so, dass der held in
einigen seine eitern kennt, in andern nicht, sondern beide auffassungen
stehen in den meisten fällen unvermittelt nebeneinander.
In der Edda heisst es (Fra dauSa Sinfj.): Sigmimdr kommgr feil
i orrostu fijr Ilundinxjs sonwn, en Hjqrdis giptix pä Alfi syni Hjdlp-
reks kotnmgs. Ox S/g/rrhr par upp i barno'skn. Nach dieser angäbe
mussSigurör gewusst haben, wer sein vater war. Dann folgt die junge den
Zusammenhang unterbrechende Gripisspä. An Frä dau|ia Sinfj. schliesst
sich die prosa vor Rm. dem Inhalte nach unmittelbar an: Signrhr gekk
tu st()<Ss Hjdlpreks .... pd rar kominn Ilegirm tu Hjdlpreks . . . Reginn
. . . sag^i Siguj'hi frd forellri sinn ok peim atburbum (es folgt die ge-
sohichte von dem Andvarafors). Hier musste Sigurör von Reginn ver-
nehmen, wer sein vater war.
In der PiÖreks saga kann SigurÖr nach dem, was vorangeht, nicht
wissen, wer seine eitern sind. Er erfährt das von Brynhild. Hier ist
also nur eine Vorstellung belegt.
Im Sigfridsliede ist Sigfrid der söhn eines reichen königs; eines
tages ist er zur jagd geritten (str. B3fg.); hier folgt das abenteuer auf
dem drachenstein. Aber str. 46. 47 lesen wir, dass Seyfrid von seiner
Jugend an von seinen eitern nichts gewusst habe; er lebte bis dahin
in einem finstern tann, wn ein meister ihn erzog; der zwerg Eyglein
belohit ihn über seine abstammung, aber str. 51 sagt Seyfrit, er und
Kriemhilt seien einander iiold gewesen 'in ires vatters landt'.
310 BOEE
Die selbständige einleitung des Sigfridsliedes nennt Sigmund als den
vater des beiden; er verlässt seine eitern und kommt zu dem schmiede.
Die unbekanntschaft mit den eitern wird nicht direct ausgesprochen; dass
Sigfrid seine eitern verlässt, ist nur eine einleitung zum besuche bei
dem schmiede; nach dem drachenkampf zieht er an Gybichs hof und
verdient des königs tochter; auch hier ist von dem Verhältnis zu den
eitern nicht die rede.
Das Nibelungenlied erzählt, Sigfrid sei von seinen eitern zu der
reise nach Worms ausgerüstet worden. An Günthers hofe aber beträgt
er sich wie bekannt mehr wie ein fahrender recke als wie ein freiender
königssohn. Doch wird nirgends direct gesagt, dass er seine eitern
nicht kennt. Dass Brynhild ihn sofort kennt und ihn mit seinem namen
anredet, hat aber grosse ähnlichkeit mit der darstellung der PS und
kann davon nicht getrennt werden.
Die stellen, wo mitgeteilt wird oder die anschauung durchblickt,
dass der held seine eitern nicht kennt, finden sich alle in demselben
abschnitte der erzählung, nämlich wo die erlösungssage oder der, secundär
aber früh, chronologisch mit ihr verbundene drachenkampf erzählt wird.
In der I>S ist es die erlöste Jungfrau selbst, die den namen ausspricht.
Im Sigfridsliede ist es der zwerg Eyglein, der die mitteilung macht, wäh-
rend der held im begriff ist, die Jungfrau zu erlösen. In der Edda ist es
Regiun, der hier in eine rolle eintritt, die ihm von hause aus in keiner
seiner übrigen qualitäten zukommt i; die mitteilung ist vor den drachen-
kampf geschoben, da Reginn nachher von SigurÖr erschlagen wird und
zu genealogischen gesprächen nicht mehr die gelegenheit hat. Im Nibe-
lungenliede redet Sigfrid, der doch als ein königssohn auszieht, vor
Günther wie ein recke, da Sigfrids ankunft bei Günther zu Brll ge-
hört; sie ist die einleitung zu der reise nach Bryuhilds bürg, und auch
die genannte reminiscenz an die Vorstellung der I^S gehört zu dieser
vorstellungsreihe ; ist es doch hier Brynhild selbst, die redet. Die ein-
leitung des Sigfridsliedes aber, die von Brynhild nichts weiss, weiss
auch von der unbekauntschaft mit den eitern nichts, auch da nicht, wo
Sigfrid zu Günther kommt.
Da nun der zug so regelmässig an einer bestimmten stelle wider-
kehrt, auch da wo dadurch grobe Widersprüche entstehen, wie im
Sigfridsliede und in der Edda, wird man zu der annähme genötigt, dass
er an dieser stelle heimisch ist. Also ist es nicht Hagens schwager
Sigfrid, sondern der erlöscr der Jungfrau, von dem einige stellen be-
richten, dass er seine eitern nicht kannte.
1) i]ygloin bat mit Münir nichts gomoiu, vgl. § 27. Über Reginn s. daselbst.
UNTERSUCHUNGEN ÜBER DEN IT^SPRUNG UND DIE ENTWICKLUNG DER NIBELUNGENSAGE ijll
So wird der gedanke verständli(;h. Wir haben ein nicärchenmotiv
der Brynhildsage vor uns. Die iierkiinft der glückskinder ist unbe-
kannt. In den märchen sind es verstossene königssöhne oder kinder
armer eitern, die die prinzessin erlösen; eine besondere bewandtnis hat
es mit ihrer abkunft ausnahmslos.
Aber daraus folgt nicht, dass das motiv in seiner richtigen form
bewahrt ist. Versuchen wir die mitteilungen zu einem bilde zu com-
binieren. Wenn man jede stelle für sicii betrachtet, so ist sie ganz un-
verständlich. Dass Biynhild dem holden bei seiner ankunft mitteilt, wer
er sei (I'S), hat scheinbar gar keinen sinn; man fragt nur, wie sie zu dem
übernatürlichen wissen gelangt ist, und auch ob sie ihm nichts anderes zu
sagen hat. So wie die entsprechende stelle im NL lautet, kann man darin
freilich eine rerainiscenz an einen früheren besuch sehen, aber das NL
weiss davon doch sonst nichts, und die ähnlichkeit mit der l^S bleibt
dann unerklärt. Was den zwerg Ej^glein bewegt, den Seyfrit unmittel-
bar vor dem gefährlichen abenteuer über genealogische fragen zu unter-
halten, versteht man ebensowenig. Bei Reginn weiss man über die
veranlassung der mitteilung nichts näheres; hier fällt nur der Wider-
spruch mit der Umgebung auf.
Soweit wir vorläufig sehen, findet sich sowol die Unterredung über
den namen mit Brynhild wie die mit einer person, der der held kurz
vor dem abenteuer begegnet, in je zwei von einander unabhängigen
quellen bezeugte Beide machen demzufolge auf ein verhältnismässig
hohes alter anspruch; wir dürfen fragen, ob nicht beide echt sind, und
der Verlust eines teiles der erzählung in den quellen damit zusammen-
hängt, dass das Verständnis für die bedeutung der geschichte verloren
gegangen ist.
Die richtigkeit dieser Vermutung beweist die vergleichung mit den
Fjnlsvinnsmol. Der held, der sich der bürg der Mengloö genaht hat,
knüpft mit dem wächter FJQlsviör eine Unterredung an. Nachdem dieser
viele fragen beantwortet hat, fi-agt Svipdagr, wer in den armen der
Menglg?) schlafen wird. Dieser antwortet: keiner ist dazu bestimmt, nona
Svipdagr cinn, liomim vor siVen solhjf/rla brühr af kvdn of kvchin.
Es ist also der wächter, der zuerst den namen des holden ausspricht.
Das wort wirkt wie eine Zauberformel. Auf einmal wird Svipdagr sich
seiner aufgäbe bewusst; er gibt sich als den erwarteten erlöser zu er-
kennen. FjolsviÖr ruft es der MenglqÖ zu, die ihm darauf mit strengen
1) Für cla.s gcsprüch über dicso.s tlicma mit Brynhild wird unten aus dor Edda
ein drittes zeugnis angeführt werden.
312 BOEK
strafen droht, falls er nicht die Wahrheit rede. Daan fragt sie den
beiden nach seinem nameu. Er antwortet: Svipdagr ek heiii, Sölbjartr
het miim fahir, er nennt also seinen namen und den seines vaters.
Man vergleiche damit l>S c. 160: pa kann tc cd scpgia per, at pn ert
Signrhr Sigmundar son konungs oc Sisihe.
Dass diese geschichte eine nahe Variante der ßrynhildsage ist, hat
zuerst Bugge gesehen, und es ist allgemein anerkannt. Aber wenn
dem so ist, so muss auch ein Zusammenhang zwischen den beiden tat-
sachen bestehen, dass sowol Svipdagr wie Sigfrid sich zweimal nach-
einander, zuerst kurz vor dem abenteuer mit MenglgÖ-Brynhild mit
einem Wächter oder einer ähnlichen person, sodann mit der erlösten
Jungfrau unmittelbar, nachdem sie sich zu sehen bekommen, über seinen
namen unterhält. Nur die frage bedarf der erledigung, weshalb Sigfrid
die auskunft über sein geschlecht von Brynhild resp. Eyglein oder
Reginn bekommen muss, während Svipdagr die auskunft der anderen
partei erteilt.
Dass die Vorstellung der Fjolsvinnsm^l die echte ist, bedarf wol
keines beweises. Der name des beiden ist das Zauberwort, das die
Jungfrau erlöst. Daher die freude des Wächters, daher die drohung der
MenglQÖ. Die namennennung hat hier die bedeutung, die in der Sigr-
drifasage das losschneiden des panzerhemdes hat. Es ist das namen-
tabuniotiv, das aus zahlreichen erzählungen bekannt ist. Durch das
aussprechen eines namens wird entweder wie hier eine Verzauberung
gebrochen oder die Verbindung mit einem, mythischen wesen wird auf-
gehoben (s. die ausführliche besprechung des motivs bei Laistncr, Das
Rätsel der Sphinx). Wie zwecklos hingegen die entsprechenden Unter-
redungen in den Überlieferungen der Sigf ridsage sind, wurde oben gezeigt.
Unsere aufgäbe kann demnach nur die sein, zu untersuchen, ob
sich in der Sigfridsage spuren einer älteren gestalt des namentabumotivs
nachweisen lassen, und ob es möglich ist, dem wege nachzuspüren, auf
dem dieses motiv zu einer reihe von berichten über genealogische be-
lehrungen geworden ist. Wenn uns das gelingt, so werden wir für die
deutsche Überlieferung folgende sagenform aufstellen dürfen: Sigfrid kommt
nach Sa^garÖr-lsenstein. Er gibt sich dem Wächter oder den Wächtern
zu erkennen und wird zugelassen. Brynhild hört das und versteht, dass
das nur ihr erlöser sein kann. Sie eilt herbei und fragt den beiden
nach seinem namen. Er teilt ihr mit, dass er Sigfrid ist, der söhn
des Sigmund.
Ein directes zeugnis dafür, dass es ursprünglich nicht Bryiihild,
sondern Sigfrid war, der seinen namen mitteilte, ist uns in der Edda
CMERSUCHUNGEN" ÜBER DES UKSPKINW UND DIK ENTWICKLUNG DER MBELUNGENSAGE 31 S
bewahrt, in die ein zug dieser erzählung früh aufgenommen ist und sich
vollständig acclimatisiert hat. In den SigrdrifumQl ist die erste frage der
erwachenden Jungfrau, wer ihr crlöser sei. Und er antwortet: Sig-
mundnr hurr; sleit fijr skqmmu hrafns hrcFl/fndir hjgrr Sigurhar.
Man wird das nicht für zufall halten. Sigrdrifa konnte SigurÖr
gerade so gut mit einer anderen frage anreden. Wie bist du in die
bürg hineingekommen? Woher kamst du der fahrt? Wie lange habe
ich geschlafen? Oder sie konnte ihi-cr frcude ausdruck geben, dass
endlich der erlöser gekommen sei. Aber nein, sie fragt nur nach dem
namen. Und SigurÖr nennt seinen namen und den seines vaters; nicht
mehr, nicht weniger. Wenn das gedieht im Ijööahättr gedichtet wäre,
könnte er wie Svipdagr gesagt haben: Sigiirbr ek heiti, Sigmundr het
minn fcMr; das wäre vollständig dasselbe gewesen.
Wir dürfen daraus schliessen, dass auch in der sagenform, die
anstatt der durchschneidung der panzerbekleidung das namentabumotiv
enthielt, es ursprünglich Sigfrid, nicht Erynhild war, der den namen
aussprach. Der held kommt als ein unbekannter an, er selbst aber
weiss sehr gut, wer er ist. Wie aber ist die andere Vorstellung ent-
standen?
Die lösung bringt gleichfalls die PiÖrekssaga. Zunächst ist darauf
aufmerksam zu machen, dass durch die darstellung der I>S die richtige
sagenform noch sehr deutlich durchblickt. Sie war dem Verfasser von
c. 168 der saga noch bekannt. Das ergibt sich aus dem folgenden. Als
Brvnhild den lärm hört, den Sigfrid in ihrer bürg verursacht, ahnt sie
sofort, wer angekommen ist (par mnn vera komhin Sigurbr Sigmnudar
sotir). Sie eilt auf ihn zu und fragt nach seinem namen. Er sagt
er heisso SigurÖr. Dann fragt sie nach seinem geschlechte. Hier bleibt
er die antwort schuldig, und mm erst teilt sie ihm mit, dass er Sigurör
der söhn des Sigmundr ist. Es ist klar, dass hier eine erörterung über
den namen in zwei erörterungen gespalten ist. Der grund kann kein
anderer sein als dieser, dass der sagaschreibor kurz zuvor eine gc-
schichtc erzählt hatte, aus der mit notwendigkeit folgt, dass Sigur^r
unmöglich wissen kann, wer sein vater ist. Es ist die Sisibesage, nach
der der held als kleines kind von seiner mutter den wellen preisgegeben
und an ein fremdes ufer getrieben war. Der Verfasser erzählt die ge-
schichte auf die alte weise, so Aveit es geht; seinen eigenen namen ver-
mag Siguriir mitzuteilen. Dann aber stutzt er. Die tradition verlangte
auch die namennennung des vaters. Aus Brynhilds werten, als sie
den lärm hörte, gieng hervor, dass sie wusste, Aver der vater war.
Also blieb nur übrig, diese mitteilung der Brynhild in den mund zu
314 BOEK
legen. Diese notgedrungene änderung ist der grimd, dass die geschichte
einen so wunderlich unfertigen eindruck macht. Nachdem der held den
namen seines vaters erfahren, weiss er über den zweck seiner reise
nichts besseres zu sagen, als dass ,er gekommen sei, ein pferd zu holen;
nachdem er es bekommen, reist er wider ab.
Aber die Sisibesage ist nicht von dem interpolator der Piöreks-
saga ersonnen. Sie hat ihre geschichte, und sie hat die erlösungssage
auch sonst beeinflusst. Den ausgangspunkt bildet die wasserfahrt der
deutschen tradition. Als ein unbekannter retter kommt Sigfrid über das
Wasser zu der Jungfrau gefahren (so nach KHM 111). Das gefährliche
wasser, das die bürg umgibt, wurde als die weite Wasserfläche auf-
gefasst, über die ein retter aus der ferne herbeikommt. Das veranlasste
die anknüpfung des mit dieser sagenform nahe verwandten Sceafmotivs
(Sceaf, Wieland, Lohengrin und viele andere). Scoaf ist auch dadurch
nahe verwandt, dass er wie Sigfrid als ganz kleiner knabe ankommt.
Dass tatsächlich die anknüpfung dieses motivs älter als die Sisibesage ist,
Avird widerum durch ein deutlich redendes märchen erwiesen. KHM 92
finden wir dieses motiv an die erlösungssage geknüpft, aber ohne Sisibe-
sage. Die Vorgeschichte ist eine andere. Ein mann hat seinen jungen
söhn dem teufel verkauft, dieser aber wird durch geistlichen segen be-
schützt. 'Da redeten sie noch lange miteinander, endlich wurden sie
einig, der Sohn, weil er nicht dem Erbfeind und nicht mehr seinem
Vater zugehörte, sollte sich in ein Schiffchen setzen, das auf einem hinab-
wärts fliessenden Wasser stände, und der Vater sollte es mit seinem
eigenen Fuss fortstossen, und dann sollte der Sohn dem Wasser über-
lassen bleiben. Da nahm er Abschied von seinem Vater, setzte sich in
ein Schiffchen, und der Vater musste es mit seinem eigenen Fuss fort-
stossen. Das Schiffchen schlug um, so dass der unterste Theil oben war,
die Decke aber im Wasser, und der Vater glaubte, sein Sohn wäre ver-
loren, gieng heim und trauerte um ihn.
'Das Schiffchen aber versank nicht, sondern floss ruhig fort, und
der Jüngling sass sicher darin, und so floss es lange, bis es endlich an
einem unbekannten Ufer festsitzen blieb. Da stieg er ans Land, sah ein
schönes Schloss vor sich liegen und gieng darauf los.' Das schloss aber
ist das der verzauberten Jungfrau, die der knabe erlöst.
Hier reist der knabe also nicht absichtlich über ein ein schloss
umgebendes wasser, damit er die Jungfrau erlöse, sondern das wasser
ist die weite flnt, die ihn wie zufällig zu dem verwünschten schloss
führt. Wir erkennen Sigfrids gezwungene wasserfahrt, wenn seine mutter
ihn in ein gläsernes gefäss setzt und dem demente überlässt, das ihn
UNTEKSUCHL'NGEX TBER DEN URSPRUNG UNO DIE KNnVlCKLUNG ÜEK NIBELUNGENSAGE 315
ZU Biynhilds bürg führen wird. Das märchen lehrt zu gleicher zeit,
dass der aufenthalt bei Mimir dazwischengeschoben ist; hier folgen die
unfreiwillige wasserfahrt und die erlösung der Jungfrau noch unmittel-
bar aufeinander. Darüber mehr in einem anderen Zusammenhang. Die
tradition aber ist damit nicht zufrieden. Sic weiss von Sigfrid, dass
er Sigmunds söhn ist. Wie kann der wie ein unbekannter held übers
wasser gefahren kommen? Darauf wird die antwort durch eine Geno-
vevensage gegeben. Dass Sigfrid die fahrt machte, als er noch sehr jung
war, das war gegeben; das wird durch 92 und die Sceafsage bestätigt.
Also war es seine mutter, die ihn in das wasser hinausstiess. Weshalb
tat sie das? Sie war doch keine böse frau? — Sie tat es in der höchsten
not, als sie im walde in der einsamkeit ihr kind zur weit gebracht
hatte und selbst schon dem tode verfallen war. Die bekannte erzählung
von der unschuldig verurteilten frau muss motivieren, dass die königin
im walde ihr kind gebiert. Die geschichte wird dann ferner mit märchen-
motiven wie die hindin, die das kind säugt, ausgestattet.
Das namentabumotiv konnte ausserhalb dieses Zusammenhangs be-
wahrt bleiben und blieb es auch, Avie die directe quelle von c. 168 der
Piörekssaga zeigt. Sofern aber die erlösuugssage die Sisibesage auf-
genommen hatte, musste das namentabumotiv unwiderruflich entstellt
werden. Denn da Sigfrid nach der aufnähme der Sisibesage seine eitern
nicht kannte, konnte in diesem Zusammenhang eine sagenform, deren
pointe darin besteht, dass der held in einem gegebenen augenblick den
namen seines vaters nennt, nicht bestehen. Hier wurde eine änderung
vorgenommen, die zu dem Untergang des motivs führen musste. Die
begegnung mit dem wächter, wo Sigfrid seinen namen nennt, wurde
dahin umgedeutet, dass er von dem wächter seinen namen erfährt.
Diese umdeutung war dadurch vorbereitet, dass in der ursprünglichen
form der wächter zuerst den namen ausspricht. 'Wer wird in den armen
der Menglnö liegen', fragt Svipdagr. 'Niemand als Svipdagr', antwortet
der Wächter. Diesen wächter benutzte nun eine tradition der sage, um
Sigfrid über seine abkunft zu belehren. Damit war das urteil über diese
sagenfürm gesprociicn. Denn cs^gieng nicht an, Sigfrid die Weisheit,
die er eben erst von dem wä(;hter erfahren, darauf im bedeutungsvollen
tone der Brynhild mitteilen zu lassen und sogar diese mitteilung als er-
lösungsmotiv zu benutzen. So blieb die geschichte bei der mitteilung durch
den Wächter stecken. Aber dieser zug, der nunmehr nicht zu einer
selbständigen sagenform gehörte, drang spät in fremde formen durch. In
der Edda finden wir ihn nur in der prosa belegt; er stammt aus Nord-
deutschland, wo die mit Sigfrid verbundene namentabusage zu hause
316 BOEE
ist. Und in Deutschland ist er durch das Sigfridslied belegt. Sowol
Reginn wie Eyglein vertritt also an dieser stelle den wächter der
FJQlsvinnsniQl.
Auch die bis zu ihrer schriftlichen aufzeichnung von der Sisibe-
sage unabhängige sagenform, die in c. 168 der PS vorliegt, hat die Unter-
redung mit dem wächter nicht in ihrer alten gestalt behalten. Aber
das hängt mit der entstehung des Reginn -Eygleinmotivs nicht zusammen,
denn die geschichte ist hier nicht umgedeutet, sondern durch etwas
anderes ersetzt. Sigurör kommt zu Brjnhilds schloss; er findet es durch
ein eisernes gitter geschlossen, und niemand ist da, ihm aufzuschliessen.
Mit gewalt stösst er es auf; dann kommen die wächter hergelaufen und
fallen auf ihn ein; er aber erschlägt sie alle und kämpft dann mit Brjn-
hilds rittern, bis diese selbst dazwischen tritt. Die geschichte ist nicht
von dem Verfasser der I^S ersonnen, denn sie wird durch KHM 93,
deren sagenform, wie früher gezeigt worden ist, genau die der deutschen
Brynhildsage ist, bestätigt. Als der held den glasberg hinaufgeritten
ist, findet er das schloss verschlossen, 'da schlug er mit dem stock an
das tor, und alsbald sprang es auf. Er geht hinein und findet die
Jungfrau, die er erlöst. Die gleichheit des grundtypus (Stromberg, Glas-
berg — SaegarÖr, Isenstein) verbietet hier an eine Übernahme zu denkend
KHM 98 hatte sich demnach von der in PS c. 168 vorliegenden Über-
lieferung noch nicht abgezweigt, als dieses motiv aufgenommen wurde.
Da KHM 93 auch andere züge der Sigfridsage enthält, die mit der
erlösungssage in keinem Zusammenhang stehen, so folgt daraus, dass
dieses märchen tatsächlich ein ableger der Sigfridsage, nicht eines der
demente, aus dem sie aufgebaut wurde, ist. Es vertritt aber eine ge-
stalt der sage, die in vielen stücken über die Überlieferung hinausgeht
und namentlich beisammen zeigt, was in den quellen geschieden ist,
freilich auch zusammenstellt, was nicht zusammengehört (s. § 36).
Ich fasse das vorstehende in einer kurzen historischen Übersicht
zusammen. Die erlösung geschieht in der deutschen sagenform durch
das aussprechen der namen des beiden und seines vaters. Die form ist die
der FjolsvinnsniQl. Dabei finden zwei Unterredungen über den namen statt,
1) Das motiv, dass die tür aufspringt, wenn mau daraufschlägt, ist einer ver-
wandten form, die sonst niclit au Brynhild geknüpft ersclieint, entlehnt; es begegnet
u. a. auch KHM 97 (Das wasser des lebens). Der kämpf mit den dienern fand seineu
weg nach dem norden und ist Oddrgr. 18, 1 — 4 überliefert: Pd vas vig vcgit vqlsku
sverSi ok borg brotin stis Brynhildr dtti. Hier ist es verbunden mit der Werbung
für Gunnarr und dem üammenritt (17, 5 — 8): jqrd ddsaSi ok iiphiminn, pds bani
Fdfnis borg of pdtti.
UNTERSUCHUNGEN ÜBER DEN URSPRUNG UND DIE ENTWICKLUNG DER NIBELUNGENSAGE 317
eine vorläufige, in der nur der name des beiden genannt wird, mit dem
Wächter, die abschliessende aber mit der Jungfrau. Diese ist in geringer
aber vollständig erklärbarer entstellung erhalten in der t^S; eine deut-
liche reminiscenz enthält das Nibelungenlied, wo freilich Brynhild den
namen ausspricht, aber nicht um den beiden zu belehren, sondern um
ihn zu begrüssen. Dieser teil des motivs drang auch nach dem norden
und wurde in die Sigrdrifasage aufgenommen, wo ei" zu einem orga-
nischen teil der erzählung wurde und keinen Widerspruch hervorrief.
Dass das früh geschehen ist, zeigt die poetische Überlieferung. Dass
er aber in dieser sagenform von anfang- an nicht zu hause ist, sieht
man daran, dass er für die handlung keine bedeutung hat. Nicht dadurch
wird die Jungfrau erlöst, dass der held seinen namen nennt, sondern
dadurch, dass er ihren panzer aufschneidet. Dementsprechend ist auch
die frage der Sigrdrifa auf neue weise motiviert. Während in der deut-
schen sagenform die Jungfrau den namen des erlösers weiss und nur
danach fragt, um zu controllieren, ob er auch der richtige erlöser sei,
fragt Sigrdrifa nacli dem namen, weil sie ihren erlöser nicht kennt und
ihn zu kennen wünscht.
Durch die anknüpfung der Sisibesage entstand die Vorstellung, dass
Sigfrid nicht weiss, wer seine eitern sind. Unter diesem einfluss wurde
die Unterredung mit dem Wächter in der weise umgedeutet, dass SigurÖr
von ihm erfährt, wer sein vater ist. Das motiv ist im Sigfridsliede er-
halten und drang in die prosa der Reginsmol ein. Durch die schrift-
liche Verbindung der das namentabumotiv enthaltenden sage, die jedoch
die Unterredung mit dem Wächter durch einen kämpf mit Wächtern er-
setzt hatte, mit der Sisibesage wurde die Unterredung mit Brynhild
dahin geändert, dass der held freilich seinen namen mitteilt, von ihr
aber den namen seines vaters erfährt.
§ 10. Die Verzauberung in der zweiten form
der erlösungssage.
Für die deutsche sagenform haben wir also gefunden: 1. hindernis:
ein gefährliches wasser, resp. ein krystallberg, also ein mit eis bedeckter
berg; 2. form der erlüsung: das aussprechen eines namens; 3. es bleibt
die form der Verzauberung zu untersuchen.
Welche form der Verzauberung in den FJQlsvinnsnK^l vorliegt, geht
aus dem gedichte nicht klar hervor. Die meinungen darüber gehen aus-
einander; Heusler (Germanistische abhandlungen s. 21) findet, dass sie
nicht schlafe, ich habe (Zeitschr. 35, 321) das umgekehrte vermutet. In-
318 BOER
dessen, wir können die frage auf sich berulien lassen, denn daraus, dass
MenglQÖ schläft oder nicht schläft, folgt noch nicht dasselbe für Bryn-
hild. Im ßrynhildenbett ist in der deutschen Überlieferung der zauber-
schlaf für Brynhild belegt. Im Nibelungenliede ist er durch Ursachen,
die später erörtert werden müssen, verloren. Es fragt sich, ob die PS
ein zweites zeugnis bringt.
Es lässt sich nicht leugnen, dass es nicht ausdrücklich gesagt wird.
Aber es ist kaum möglich, sich den Zusammenhang anders vorzustellen.
Denn die erzählung macht durchaus den eindruck, als sei nicht bloss
Brynhild sondern die ganze bürg mit allen ihren bewohnern in einem
zauberschlaf befangen. Als Sigfrid sich naht, ist niemand da, ihm zu
öffnen oder ihn zu begrüssen. Erst nachdem er mit gewalt das gitter
geöffnet und sich zugang verschafft, kommen die Wächter zum Vorschein
und beginnen den kämpf. Brynhild sitzt in ihrer kammer; aus dem
blossen lärm, den der fremde ankömmling macht, schliesst sie, dass der
erlöser gekommen sei. Also wurde das schloss vorher von keinem
menschen besucht. Ein von vielen personen bewohntes schloss, das
mit der aussenwelt in keinem verkehr steht, muss man sich wol als ein
solches vorstellen, dessen bewohner schlafen. Vergleichen wir KHM 93,
das unserer erzählung am nächsten steht, so wird die Vermutung be-
stätigt. Die verwünschte Jungfrau dieser erzählung liegt zwar nicht in
einem fortwährenden ruhigen schlaf, aber sie gebärdet sich wie eine
schlafwandlerin. Als der mann, der sie erlösen will, noch draussen steht,
sieht er, wie sie in ihrem wagen um das schloss herumfährt und dann
hineingeht. Nachdem er eingetreten, geht er in den saal und findet
sie sitzen mit einem goldenen kelch mit wein vor sich. Sie spricht
aber kein wort, — was secundär dadurch erklärt wird, dass sie ihn
nicht sehen kann, denn er hatte eine tarnkappe über sich — ein
ganz unnützes motiv, das bloss angebracht ist, um den beiden alle
seine schätze gebrauchen zu lassen (s. § 36). Erst nachdem er einen
ring in den kelch geworfen 'dass es klang', steht sie auf und redet;
sie ist aus ihrem lethargischen zustand erlöst. Dass wir es hier mit
einer Variation des zauberschlafes zu tun haben, lässt sich schlechter-
dings nicht leugnen. Wenn wir das mit der erzählung der &S und
dem Brynhildenbett combinieren, so gelangen wir zu dem nicht zu
umgehenden schluss, dass der zauberschlaf zu der deutschen form der
Brynhildsage gehört.
Wir können jetzt für die beiden hauptzweige der Überlieferung
die grundgestalt aufstellen.
Gemeinsames motiv: zauberschlaf.
TJNTRRSUCHUNQEN ÜBER DEN URSPRUNG UND DIE ENTWICKLUNG DER NrBELUNGRNSAOE 319
Skandinavische form der erlijsunj^: aufschneidung- der paiizcr-
bedeckimg. Form des Hindernisses: tlammenwall.
Deutsche form der erlösung: dass aussprechen eines namens (namen-
tabumotiv). Form des hindernisses: SsegarSr-Isenstein.
§ 11. Die dritte form der erlösungssage.
Eine dritte form der erlösungssage findet sich nui- in dem auf eine
norddeutsche quelle zurückgehenden Sigfridsliede belegt. Eine selb-
ständige bedeutung kommt dieser form für die ältere entwicklung der
Brynhildsage nicht zu.
Fragen wir nach den drei motiven, die sich in der ersten und
zweiten form deutlich unterscheiden lassen, so zeigt es sich, dass die
structur dieser erzählung eine andere ist. Zunächst die form der Ver-
zauberung. In den beiden anderen formen (BrI, 1. BrI, 2) ist diese
eine und dieselbe: der zauberschlaf. Hier ist nicht nur von einem zauber-
schlaf nicht die rede, sondern jede art der Verzauberung fehlt. Die
Jungfrau ist von einem ungeheuer entführt worden und daher nicht zu
erreichen, aber ihr geisteszustaud ist vollkommen normal. Sie unter-
redet sich mit dem beiden, lange bevor dieser den kämpf mit dem drachen
besteht, und wäre nur nicht der drache, so hätte Sigfrid nichts anderes
zu tun gehabt als sie mitzunehmen.
Die beiden anderen motive: form der erlösung und form des hinder-
nisses erscheinen als eines, der kämpf mit dem drachen. Aus der macht
des drachen muss sie erlöst werden, der drache aber ist auch das grosse
hindernis, das sich dem erlöser entgegenstellt. Ein besonderes hindernis
kann man jedoch darin sehen, dass der weg zu der drachenburg gesucht
werden muss; dazu braucht der held die hilfe des zwerges Eygleyn (der
riese Kuperän ist nur eine widerholung des drachen). Dieses motiv
kehrt auch in anderen darstellungon desselben stoftes wider, wo der
drache unter der erde haust und der eingang zu der behausung von
einem kleinen mäunlein dem beiden gezeigt wird.
Ein stehender zug dieser geschichte ist auch, dass der drache nur
mit einem seh wert, das in seinei' eigenen wohnung sich befindet, erlegt
werden kann, öfter findet sich damit die Vorstellung verbunden, dass
dieses schwert nur von demjenigen geschwungen werden kann, der aus
einem gewissen glas, das in der nähe steht, getrunken hat.
Diese erzählung ist ausserordentlich verbreitet. In KHM ge-
hören hierher (JO. 91 , aber auch sonst ist sie weit bekannt. Auf den
Fieröern sind neuerdings mehrere Varianten aufgezeichnet worden (Jakob-
sen, Fuür0ske folkesagn og u'ventyr s. 238 fgg.), eine andere teilt Rasz-
320 BÜER
mann, D. heldeus.^ T, 360fgg. mit, und aucli in anderen märchensamm-
lungen sind beispiele leicht aufzutreiben.
Diese Verbreitung der sage sowie das junge alter der Überlieferung,
die sie an Sigfrid knüpft, vor allem aber die abweichung in der structur
der erzäblung verbieten, diese form für eine Variante von Brl,1.2 zu
halten. Dort ist der inhalt die erlösung der Jungfrau aus der macht
eines dämonischen wesens, hier aus einer Verzauberung, von der man
freilich raten kann, dass sie durch dämonen bewirkt ist, wobei aber
nirgends von einem dämon die rede ist. Dort sind die nächsten ver-
wandten solche erzählungen, in denen statt des drachen ein riese oder
ein anderes ungetüm auftritt^. Eine alte Variante ist unter vielen die
erlösung der Ariadne. Wie hier so tritt auch KHM 163, wo allerdings
eine mischform vorliegt, ein stier als hüter auf. Wie kommt es nun,
dass diese form in die Brynhildsage gedrungen ist und in einer Über-
lieferung zauberschlaf, glasberg und namentabu ersetzt hat? Da die
erzählung deutsch, wir wissen sogar niederdeutsch ist, haben Avir von
der deutschen form auszugehen. Ich glaube nicht zu irren, wenn ich
sie aus einer schon besprochenen verstümmelten form der niederdeutschen
Überlieferung ableite. Die mühe, die es uns gekostet, aus andeutungen
und reminiscenzen die deutsche form zu reconstruieren, zeigt, dass diese
form schon früh stark reduciert war. Von dem hindernis, dem wasser
resp. glasberg, war nur der name übrig geblieben. Der zauberschlaf
war nicht ganz vergessen, aber nach t'S c. 168 zu urteilen, auch nicht
mehr mit klaren werten ausgedrückt. Das schadete aber wenig, solange
das hauptmotiv, das namentabu erhalten blieb. Wo auch dieses verloren
gieng, musste entweder die sage untergehen oder ein neues dement
aufgenommen werden, das dem besonderen Verhältnis der beiden zu
der Jungfrau ausdruck verlieh. Denn so konnte jedermann zu der Jung-
frau reiten und sie erlösen. Nun wusste man, dass Sigfrid einen drachen-
kampf bestanden hatte. Das führte dazu aus einer verwandten sehr be-
kannten erzählung das motiv aufzunehmen, dass die Jungfrau von einem
drachen gehütet wurde. Dass dieser drache mit dem von Sigfrid in der
alten sage erlegten drachen nichts geraein bat, hoffe ich unten in anderem
Zusammenhang zu zeigen. Der echte drache hat hier nur die rolle ge-
spielt, dass er die aufmerksamkeit auf den drachen des märchens lenkte.
1) Die fragen , ob beide gattungen von erlösuDgssagen auf eioe gniudauschauung,
die erlösung aus dem totenreiche, zurückgehen, können wir ganz auf sicli beruhen
lassen. Wir haben es hier mit der epischen darstellung zu tun. Episch aber liegen
die Jungfrau im zauberschlaf und die von einem dämon gehütete Jungfrau weit aus-
einander, obgleich natürlich durch contamination mischformen entstehen.
UNTERSUCHUNGEN ÜBER DEN URSPRITNG UND DIF, ENT^VICKLUNG DER NIBELUNOENSAGE 321
Dass es aber die durch den verlust des nanientabu entstellte sagen-
gestalt \Yar, die den draclien als hüter aufgenommen hat, wird dadnrch
bestätigt, dass wir hier dem zugo begegnen, dass Sigfrid 'umb vatter
vnd müter nicht west als umb ein har', und dass Eygleyn ihn über
seine abkunft belehrt. Dieses motiv stammt aus der verstünunelten
Brynhildsage. Eygle3n ist der zwerg, der in den sagen von der von
einem drachen gehüteten Jungfrau regelmässig widerkehrt. Auf diesen
zwerg wurde der dem Wächter des tabumotivs entlehnte zug übertragen.
Dass im Sigfridsliede Kriemhilt an Brynhilds stelle auftritt, steht
mit der oben besprochenen frage in keinem Zusammenhang. Diese
neiiorung wird § 20 erörtert werden.
§ 12. Die Werbung für Günther.
Nachdem Brill sich als von TI abhängig, BrI als ein der Sigfrid-
sage fremdes element zu erkennen gegeben hat, haben wir nun Brll
gegenüber Stellung zu nehmen. Zwei Standpunkte sind möglich. Wenn
Br3^nhild, um die hier geworben wird, mit der erlösten Jungfrau iden-
tisch ist, so folgt daraus, dass sie nicht zu der alten Sigfridsage ge-
hören kann. Br II beruht dann auf anpassung von I an eine fremde
sage. Wer Brynhild für iS retten will, muss ihre Identität mit der aus
dem zauberschlaf geweckten Jungfrau leugnen.
Über diese Identität habe ich mich Zeitschr. 35, 805 fgg. geäussert
und werde das dort angeführte hier nicht widerholen; die dort mitge-
teilten gründe scheinen mir alle noch beweiskräftig. Als neues argument
für die identität kommt nur hinzu die gleichheit der sagenform in der
erlösungssage der I^S und der sogenannten werbungssage des Nibelungen-
liedes (S;i'gar<5r-isenstein; namentabu). Hier wünsche ich nur die frage
zu stellen, was es ist, das gelehrte von so verschiedener anschauung
wie Golther und Heusler veranlasst, auf ganz entgegengesetzten wegen
die trennung dieser beiden gestalten zu versuchen. Wenn ersterer an-
nimmt, der vafrlogi gehöre zu Sigrdrifa und sei von dieser auf Bryn-
hild übertragen worden, während der zweite absolut das entgegengesetzte
zu beweisen versucht, so stimmen sie nur in dem resultate, dass beide
zu trennen seien, überein, ihre beweisführung aber ist dazu geeignet,
uns zu überzeugen, dass der vafrlogi von keiner von beiden getrennt
werden kann. Und ebenso verhält es sich mit anderen zügen. Bei beiden
forsciiem ist eine starke abneigung vorhanden, die identität von Sigr-
drifa mit Brynhild anzuerkennen, aber man darf vielleicht annehmen,
dass diese abneigung weniger darin ihren grund hat. dass nicht das
meiste, was von der einen Jungfrau gesagt wird, auch tiii- die andere
ZKITSCHRIFT F. DEUTSCHE PHILOLOGIE. BD. XXXVII. J i
322 BOER
gilt, als darin, dass durch die annähme der identität sagenhistorische
Schwierigkeiten entstehen, die weder Golther nocii Heusler zu lösen ver-
mögen. Für die erlöste Jungfrau ist in der Sigfridsage kein platz, das hat
sowol Golther wie Heusler gesehen. Solange man Brynhild für eine
ursprüngliche gestalt der Sigfridsage hält, muss das notwendig zu der
trennung der beiden gestalten führen.
Wer an die richtigkeit dieser trennung nicht glauben kann, nimmt
daher, solange er gläubig der mythischen theorie anhängt, mit Bryn-
hild auch Sigrdrifa in den kauf. Ganz anders nimmt sich die frage
aus, wenn man einmal zu der einsieht gelangt ist, dass Brynhild nicht
eine gestalt der alten Sigfridsage ist. Dann wird jeder grund, sie von
Sigrdrifa zu trennen, hinfällig, und die Brynhildsage entpuppt sich als
die an die Hagensage angepasste Sigrd ritasage.
Wir wollen versuchen, diese anpassung zu verstehen. In einer
ziemlich frühen periode der entwicklung der S wurden von Sigfrid zwei
voneinander durchaus unabhängige geschichten erzählt, nämlich 1. sein
abenteuer mit Brynhild auf dem felsen; 2. seine ehe mit Grimhild-
Gu'örün und sein tod. Der Widerspruch, der in seinem doppelten Ver-
hältnis zu den beiden frauen gelegen war (s. oben s. 304), wurde anfänglich
wenig gefühlt; erst als die heterogenen demente als teile einer zu-
sammenhängenden erzählung miteinander in Verbindung gesetzt wurden,
gab die doppelehe anstoss, vielleicht weniger, weil man sie als unsitt-
lich beti'achtete, als weil sie unklar war. Das doppelte Verhältnis musste
also hinweginterpretiert werden. Da nun Sigfrids Verhältnis zu Grim-
hild für sein Schicksal entscheidend war, musste das zu Brynhild ge-
ändert werden. Hier konnte man den ausweg wählen, die ganze ge-
schichte zu verschweigen. Wo sie aber tief in das allgemeine bewusstsein
durchgedrungen war, gieng das nicht an. Also wurde die geschichte
umgedeutet. Freilich holt Sigfrid eine braut von dem felsen, aber er
tut es nicht für sich, sondern für einen andern. Das ist die sagenform
Br n. Alles, was ferner hinzukommt, ist widerholung oder änderung
von Zügen aus I (flammenritt, der kämpf im schlafgemach) oder weitere
ausführiiug (z. b. die kampfspiele) oder notwendige folge der umdeutung
(z. b. das keusche beilager, — übrigens ein aus bekanntem abergiauben
stammender zug, s. üldenberg, Religion des Veda s. 271). Hierher ge-
hört auch der in der deutschen Überlieferung durch die tarnkappe er-
setzte gestaltentausch. Dieser aus märchen sehr bekannte zug gibt dem
gedanken ausdruck, dass es Sigfrid war und doch nicht Sigfrid, der
Brynhild gewann. In einer gewöhnli(^hen werbungssage hätte Sigfrid
als böte für Günther aeheu können. Man fühlte, dass das nicht an-
üNTERSXTCnrNGF.X ÜBF.R DRX URSPRUNG UND DIE ENTWICKLUNG DER NIRELUNGKNRAOE 323
giong. Der hcld musste selber kommen. Günther konnte man auch
nicht gehen hissen, denn die tradition wollte, dass Sigfrid den ritt voll-
brachte. Also musste Sigfrid gehen, der zugleich Günther war, d. h.
Sigfrid in Günthers gestalt. Daraus entstand die Vorstellung von dem
bcwussten gestaltentausch, also von dem betrüge und dessen folgen.
Ich glaube auch, dass es möglich ist, über zeit und ort dßr um-
deutung etwas näheres zu ermitteln. Sie muss mit der aufnähme der
Burgunden in die sage zusammenhcängen. Denn der andere, für den
Sigfrid Brynhild von dem felsen holt, ist Günther. Und für die an-
nähme, dass Günther liier in eine fremde rolle eingetreten sei, ist wie
schon (s. 303) bemerkt wurde, kein grund vorhanden.
Die aufnaiime der Burgunden stellte an die sage ganz neue for-
derungen. Aus einer locallosen überall localisierbaren sage von nicht
bekannten fürsten aus der alten zeit wurde sie zu einer erzählung von
welterschütternden ereignissen, und die folge davon war, dass eine
strengere logik als ein bedürfnis gefühlt wurde. Das zeigt sich ja auch
an H2. Der Untergang eines bekannten mächtigen fürsten geschlechtes
wurde als die folge von Sigfrids tod dargestellt. Da galt es, die er-
eignisse und den beiden in ein solches licht zu rücken, dass der tod
des letzteren zu einer greueltat wurde, die um räche schrie. Hier
war zweierlei nötig. Der held musste idealisiert werden. Erst jetzt
gab sein unklares Verhältnis zu den beiden trauen, das man bisher
ruhig hingenommen hatte, anstoss. Und ferner musste der könig der
Burgunden an dem mord beteiligt sein. Es ging nicht an, dass dieser
mitsamt seinem ganzen volk umkam aus dem einzigen gründe, dass
sein dienstmann oder sein bruder den Sigfrid erschlagen hatte. Mit
Günther wusste man übrigens auch nicht rat. Er war der könig, aber
ein könig ohne heldenrolle, ja überhaupt ohne rolle. Zugleicii wurde
nun die rolle von Brynhilds gemahl frei. Sobald Sigfrid sie aufgeben
musste, konnte sie nur dem fürsten des landes zufallen; es kann uns
nicht wundern, dass man Günther in die rolle eintreten Hess. Es ist
seine einzige geblieben. Während die jüngere dichtung im zweiten teil
der Hagensage ihn wenigstens .einige nichts entscheidende heldentaten
verrichten lässt, hat Günther in der ersten hälfte nichts anderes zu tun
als könig zu sein — wozu ihn die geschichte, nicht die sage machte —
und Brynhilds mann, was er von Sigfrid übernommen hat. Auch
das zeigt, dass er nicht eine alte sagengestalt ist, die nur den namen
gewechselt hat; die gestalt hat gar keinen eigenen Inhalt. Nimmt man
ihr noch das königtum, das von hause aus Hagen zukommt, so bleibt
ein Strohmann übrig, dessen einzige eigenschaft i.st, (Tetre k^ mari de
21 *"
324 BOER
madame. Nur so kann man sagen, dass ein mythischer — d. h. gar
nicht zur sage gehöriger — held dem Sigfrid seine braut genommen hat.
Also muss die Werbung für Günther nach den ereignissen von
436 entstanden sein, und zwar wahrscheinlich bei den Franken, die
sich nach jener zeit mit der NS beschäftigten und die contamination
mit der Burgundensage zu stände gebracht haben. Vgl. § 48.
Das oben erwähnte bedürfnis, für Günther etwas zu tun, zeigt
sich sowol in der nordischen wie in der deutschen Überlieferung. Wäh-
rend die mitteldeutsche tradition ihn im Hunnenlande tapfer kämpfen
lässt, geht die nordische und, wie sich später zeigen wird, auch die
norddeutsche sogar so weit, dass sie ihn zu Hagens treuem gesellen
macht' und ihm so eine rolle zuerteilt, die der des Volker ähnlich ist,
wodurch seine gestalt in H2 wenigstens einen gewissen inhalt bekommt,
während sie die übrigen brüder mit ausnähme des Guttormr^, den sie
für ihre darstellung von SigurÖs tod braucht, eliminiert.
Die allmähliche anpassung der Brynhildsage an den neuen Zu-
sammenhang lässt sich in den quellen deutlich verfolgen. Sie hat, wie es
scheint, bei den Franken begonnen und sich hier zu ihrer äussersten
consequenz ausgebildet. In den norddeutschen und nordischen quellen
aber liegen die verschiedenen schichten nebeneinander. Hier werden
wir beobachten können, dass die vollkommenste form die jüngste ist.
Denn die entwicklung geht dahin, ursprünglich nicht zusammengehöriges
zu einer einheitlichen erzählung zu verarbeiten. Wir versuchen im
folgenden die schichten zu trennen.
§ 13. Die älteste form der anpassung (Er 11,1).
Die elementarste Aveise, die alte Vorstellung, dass Sigfrid der er-
löser und der bräutigam der Brynhild sei, mit der neuen, dass Günther
der gatte sei, zu verbinden, ist, dass man Sigfrid die frau dem Günther
einfach abtreten lässt. Diese Vorstellung liegt in zwei quellen vor.
a) Besonders naiv ist c. 227 der PS. Die gründe, die einen dichter
zu der änderung veranlassten, sind dem beiden einfach in den mund
gelegt. Ich lasse die wichtige stelle folgen: ceigi letta peir fyrr en peir
koma tu bor gar Bripnlldar. Oc er peir koma par. pm teer ]ion vel
vib pihreki konungi oc Gunnari konungi en helldr ilki vib Sigttrhi
suem. pvi at nu veit hon at hann a ser konu. It fyrra sinn er pav
luef^u Mix. J)a hafhi liann pvi heitih henni meh ceihuni. at hann
skylldi (engrar kono fa ncema hennar. oc hon et sama at gipptax
ongimi manni ohrum. Oc nu gengr Sigurbr sveinn til tals vib Brynilkh
1) Über Guttormr s. § 38.
l-NTKRSrCHlXGF.N- ÜBER DKN URSPRUNG UND DIE ENTWICKLUNG DER NIBELUNGENSAGE 325
oc scpgir henni allt peirra lerendi. oc hihr nu at hon skal ganga nieh
Gunnari koiiungi. En hon snarar a pessa liind. Ec liccvi pat spurt
at sonnu. Jniersu illa Jrv hcevir halldit pin orh vih mic. pau er vib
hofhui/i i'ib mcellxc. at polt um (dla vccri at velia i veroUduimi. Jxi
haus ec pic iner tu »lannx. Oc nu suarar Signrhr sueinn. Sua verhr
nu at Vera sein ahr er rahit. En firir J}vi at pv ert en tignasta kona
oc mestr skoruugr er ek vila. oc nu m<( petta ceigi rein ockar a
mcehal sem cetlab var. pa hcevi ec J)vi til ceggiab Gunnar konung. at
kann er enn mcesti ma^r oc forkunnar gobr drengr oc rikr kunwigr.
oc Jncki mer pmt vel saman soma pnt oc kann. Oc nu firir P)ni feck
cc Juins sgstrr iKclldr en Jnn. at p?( att avigr/n brohiir. en kann oc
ek hcevi pess suan'h at hann skal minn brobir vcra en ec hans. Nu
suarar Brgnilldr. Ec se nu. at cc ma ceigi J)in neota. en J)0 vil ec
taka af J>er heil rab nvi J)ctta mal oc pihrex konungs. Nu gengr
pibrecr kon?cngr oc Gnnnarr konungr a J)essa malstefnu. oc aigi
skilla Jmv siit tat ahr en Pmt var rahit. at Gunnarr konungr skal fa
Bnjiiilldar.
Also, weil SigurÖr, da er mit Grimhild vermählt ist, Biynhild
nicht besitzen kann, und weil Gunnarr ein braver held und ein mäch-
tiger könig ist, deshalb wird Brynhild dem Gunnarr gegeben. Und weil
Sigur^r von den beiden trauen nur eine behalten kann, behält er die,
die Giumars — und Hagens — Schwester ist. Denn das gehört zu seiner
sage. Es ist unmöglicii, in deutlicheren werten zu sagen, welche er-
wägungen dazu geführt haben, die Brynhild von Sigfrid auf Günther
überzufiiiiren. Der bericht ist um so unverdächtiger, als die saga eine
Verlobung des SigurÖr mit Brynhild früher nicht erzählt hat, sogar den
beiden die trau nacli seinem ersten besuch einfach widerum verlassen
lässt, nachdem sie ihm ein pferd geschenkt. Das capitcl kann also nicht
den zweck haben, eine Verbindung mit dem vorhergehenden herzustellen.
Und skandinavische tradition liegt auch nicht vor, denn obgleicii die-
selbe Vorstellung sich aus einer nordischen quelle belegen lässt, war sie
doch zu der zeit, als die I^iÖrekssaga geschrieben wurde, durcii die
jüngere sagenauffassung vollständig verdrängt^. Somit ist dieses capitel
ein wichtiges zeugnis für die älteste Verbindung der Brynhild mit
Günther.
1) Auf da.s argunieut, dass die gauze brautfahit in der .saga in üboioinstiinimiug
mit der mitteldeutschen tradition (NL) erzählt wird, berufe ieh mich nicht, da sich
im verlauf unserer Untersuchung entscheidende gründe dafür ergeben werden, dass iu
der darstellung der saga eine queilenmischung stattgefunden hat, und dass namentlich
c. 227 von dem folgenden zu trennen ist.
326 BOER
b) Dieselbe aiiffassun^ aber ohne die naive erkläriing, die c. 227
der Pi'örekssaga bietet, herrscht in der Sig•ur^arkviöa skamma. Hier fehlen
mehrere züge, die in anderen nordischen darstellungen der Werbung
mehr als einmal widerkehren, und man hat sich angewöhnt, das der
kürze der darstellung zuzuschreiben. Sonst kann man doch dem dichter
der Sig. sk. keine allzugrosse wortkargheit vorwerfen. Aber er teilt
von der brautfahrt auch genug mit, um an seiner auffassung der tat-
sachen keinen zweifei übrig zu lassen, wenn man ihm nur nicht unter-
schiebt, was er nirgends mit einem worte sagt. Als SigurÖr zu Gjüki
kam, so erzählt das gedieht, bot man ihm GuÖrün zur frau an; er
heiratete sie, und nun lebte man lange vergnügt zusammen, bis die
Gjükungar sich auf den weg machten, um Bryuhild zu freien. Sigurör,
der die wege kannte, begleitete sie; 'han?i of cetti, ef eiga kncetti' heisst
es mit einer hindeutung auf BrI, auf die sonst kein bezug genommen
wird. Str. 4 erzählt dann ohne Übergang, wie Sigurör zwischen Bryn-
hild und sich das schwort legt, ne Imnn konii hjssa ge)'hi fne h/inshr
konungr hefja scr at arini); iney fruiminga fnl hnnn megi Gjüka.
Also kein gestaltentausch, keine waberlohe; Sigurör liegt eine nacht bei
Brynhild und überliefert {fnl) sie darauf dem Gunnarr.
Weshalb keine waberlohe? Weil der dichter zwar mit richtigem
geschmack die form BrI ignoriert, aber Brll, 1, auf der seine darstellung
fusst, doch I voraussetzt. Die erlösung der Jungfrau hat schon statt-
gefunden; die waberlohe ist erloschen; diesmal soll es hochzeit sein;
die Jungfrau braucht nur gefreit zu werden. Das stimmt zu c. 227 der
PiÖrekssaga, das auch von keinen hindernisscn mehr weiss.
Weshalb kein gestaltentausch? Weil der held nicht in Gunnars,
sondern in seinem eigenen namen freit. Er kommt in der sagenform,
die I voraussetzt, seine frühere braut abzuholen, aber des anderen tages
übergibt er sie dem genossen. Der dichter der Sig. sk. Hess zwar I
fort, hielt sich aber bei der darstellung von II durchaus an die ihm
bekannte Überlieferung.
Dass das schweigen des liedes von waberlohe und gestaltentausch
nur so zu erklären und nicht etwa eine folge der kürze der darstellung
ist, beweist das was folgt aufs klarste. Ein betrug hat bei der Werbung
nicht stattgefunden, wenigstens kein anderer als der, dass Sigurör um
. eine braut warb, die er nicht für sich zu behalten gedachte. Aber für
Gunnarr hat er sich nicht ausgegeben. Also kann auch von einer ent-
deckung des betrugs nicht die rede sein. Es ist auch davon nicht die
rede. Brynhild zürnt, nicht seitdem sie erfahren, dass man sie betrogen
hat, sondern von anfang an, und zwar aus dem einzigen gründe, dass
UNTERS rCHUNGEN ÜBKR DEN URSPRUNG ÜRD DIE ENTWICKLUNG DER NIBELUNGENSAOE 327
sie nicht den mann besitzt, der um sie gefreit hat; sie will SiguiÖr
besitzen oder sterben. Dass GuÖrün seine, sie selbst dagegen Giinnars
frau ist (str. 7, 3 — 4), das ist es, was sie betrübt. Dieser schmerz (str. 10)
führt sie dazu, den Gunnarr zum mord an seinem schwagcr anzutreiben.
Es ist das einzige gedieht, das Brynhilds liebe zu SigurÖr als das einzige
niotiv ihrer handlung hinstellt.
liehrreich ist auch der schluss des gedichtos. Str. 68 wünscht die
sterbende Brvnhild, dass auf ihrer gemeinsamen leichenfahrt dasselbe
Schwert zwischen ihr und ihrem geliebten liegen möge, das sie trennte,
als sie beide in einem bette lagen ok Jietii pd hjöna nafni. Die an-
geführten werte bedeuten entweder buchstäblich, dass sie SigurSs frau
hiess, oder übertrieben, dass sie seine frau war. Die zweite möglich-
keit ist aber dadurch ausgeschlossen, dass sie nach der darstellung der
Skamma niemals seine frau gewesen ist; also muss die buchstäbliche
bcdeutung gelten. Wenn aber SigurÖr, als er um Biynhild anhielt, sich
für Gunnarr ausgegeben hätte, so würde sie damals nicht Sigurös, son-
dern Gunnars frau geheissen haben. Also beweist auch diese stelle,
dass SigurÖr in seinem eigenen namen um sie anhielt.
Ein weiteres argument liefern str. 35 — 39. Die beurteilung der
stelle wird dadurch erschwert, dass die echtheit von 36 — 38 (die in
der hs. nach 39 stehen und von Bugge versetzt worden sind) nicht über
jeden zweifei erhaben ist. Sie werden von Sijmons und Gering (bei
Hildebrand 2) gestrichen. Die frage nach ihrer echtheit wird später ge-
sondert behandelt werden; bei der beurteilung der vorliegenden sagen-
form fällt sie insofern ins gewicht, als davon ihre grössere oder ge-
ringere compliciertheit abhängt, aber für die frage die uns beschäftigt,
ob SigurÖr Brynhild für sich oder für Gunnarr freit, ist sie nicht in
erster linie von bedeutung, da die Strophen mehr als eine auffassung
zulassen. Ich halte mich demnach hier an str. 35. Bu. 39 (Sij. Hild.^ 36),
und verweise für die drei anderen auf § 23.
Brynhild wollte keinem manne angehören, bis SigurÖr und die
beiden Gjükungar auf ihren pferden dem hofe sich nahten [rihu at garhi).
Also hat der dichter hier wie am anfang Br I (die frühere begcgnung
mit SigurÖr) fallen lassen. Ihr Vorhandensein in der sage wird aber
dadurch bezeugt, dass Brynhild in dem hause ihres bruders sich auf-
hält, dass sie unmittelbar zu erreichen ist. Die erlösuug hat früher
stattgefunden. Ferner lehrt die stelle, dass die zahl der werbcr drei
war. Wenn die sage, wie aus 36 — 38 hervorgehen würde, von einer
kriegsbedrohung wusste, so war das doch eine bcdroluing für die Zu-
kunft; bei dieser gelegenheit waren die Gjükungar nicht von einem beer
328 BOER
begleitet. Dann verspricht ßrynhild sich dem könige, 'der mit dem golde
auf Granis rücken sass'. Wenn also ein gestaltentausch stattgefunden hätte,
so müsste das vor der ankunft bei Atli geschehen sein. Aber man
fragt, welchen zweck das haben würde. Denn der gestaltentausch dient
nur dazu, zu verbergen, dass Gunnarr nicht durch den vafrlogi reiten
kann; hier aber ist von keinem vafrlogi die rede; Brynhild verlobt sich
sofort, und zwar dem könige, der auf Grani sitzt (nicht etwa bei einer
späteren gelegenheit sitzen würde). Für den ritt auf Grani aber brauchte
es keines gestaltentausches, den konnte Gunnarr auch vollbringen. Dann
sagt Brynhild: varat Jirnm l augum y^r of lila', ne at engl Mut at
älihim, J)6 pykkix er pjö^konungar. Die halbstrophe enthält zwei Zeilen
zu viel, und die herausgeber streichen die zeilen ne — älitum. Der
grund ist doch nur der, dass sie ihrer auffassung der sage widersprechen.
Aber es ist klar, dass nicht diese werte, sondern die Schlusszeilen über-
flüssig und im Zusammenhang unmöglich sind. Denn die bedeutung
'ob ihr stolz auch prunktet im strahl der krönen', die Gering (Übers.)
diesen werten beilegt, können sie nicht haben, das beweist die con-
struction p6 pijkkiz er und das praesens Jjgkkiz^. Der sinn ist: 'den-
noch glaubst du ein könig zu sein', ein Vorwurf, der nicht auf die
unmittelbar vorhergehende zeile, sondern auf die ganze erzählung geht.
Also: 'obgleich du dafür, dass du einen anderen an deiner stelle werben
Messest, Verachtung verdienest, glaubst du ein könig zu sein'. Das ist
aber eine sich auf die gegenwart beziehende höhnische bemerkung, die
im Zusammenhang dieser ausschliesslich von der Vergangenheit handeln-
den Strophen gar nicht passt. Es kommt hinzu, dass die widerholung
pjÖ^konüngar, pjobkonungi, J)jöMo}mngar3b,Q. 39(36), 2. 39,8 stilistisch
absolut verwerflich ist und verwerflich bleibt, auch wenn man mit
Grundtvig 39, 2 um wenigstens die dreimalige widerholung zu vermeiden
J)engli mcerum liest.
Die Strophe sagt also mit klaren werten aus, dass der fürst, der
auf Grani sass, dem Gunnarr in keiner hinsieht ähnlich war. Brynhild
war dem SigurÖr verlobt worden. Aber auch wenn man anstatt z. 9 — 10
z. 7 — 8 streicht, muss man an der stelle herumdeuten, um einen anderen
sinn herauszubekommen. Wenn Brynhild sagt: 'seine äugen Avaren den
deinen nicht ähnlich', so bedeutet das nicht: 'er hatte deine gestalt, die
äugen ausgenommen'. Das kann mau in die stelle hineininterpretieren;
1) Angenommen, die angeführte Übersetzung sei richtig, so wäre das doch eine
der Situation nicht angemessene bemerkung, denn wenn SigurSr in Gunnars gestalt
aufgetreten wäre, so hätte SigurSr, nicht Gunnarr im strahl der krönen geprunkt.
rNTERSrCHrXOEN ÜBER DEN URSPRUNG UND DIE ENTWICKLUNG DER NIBELUNGENSAOiE 329
die einzige natürliche auffassung fiber ist auch dann, wenn z. 9 — 10
echt sind, dass Biynhihl sagt: 'er war dir nicht ähnlich'.
Wir gelangen also hier zu demselben resultate, zu dem auch die
früher besprochenen stellen führen. Ich wüsste nicht, was für eine
andere auffassung des gedichtes zeugen könnte; kein wort deutet darauf.
Die allgemein geltende auffassung, dass Sigurör in Gunnars gestalt um
Brynhild warb, beruht lediglich darauf, dass das in anderen quellen
so steht. Wenn wir nur die Sig. sk. hätten, würde niemand auf den
gedankon verfallen sein. Für unsere auffassung aber redet: 1. das
fehlen des flammenrittes, sowol str. 3fg. wie str. 35fg.; 2. das fehlen
des gestaltentausches ; 3. das fehlen der entdeckung des betrugs; 4. der
Wortlaut von str. 4; 5. die directe aussage von str. 35. 39; 6. der Wort-
laut von str. 68; 7. die motivierung von Brynhilds zorn.
Also: Sigfrid und die Gjükunge sind zu Atli gekommen. Bryn-
hild, die bei Atli zu hause war, hat sich dem Sigurör gelobt. Sigurör
hat mit ihr das ehebett bestiegen und ein schwort zwischen sie gelegt.
Am folgenden tage, wol nach der abreise, hat er sie dem Gunnarr ab-
getreten.
Eine abweichung von der darstellung der I>S ist, dass hinweise
auf Br I fehlen; der dichter ignorierte sogar diese geschichte bewusst,
und er musste das wol tun, da er Sigurör am anfang seiner darstellung
werben liess. Sigurör kommt unmittelbar nach dem drachenkampf {er
regit hif^i) zu Gjüki und er verweilt dort längere zeit, bevor er mit
den Gjükungen zu Brynhild reist: Aber dass der dichter Br I kannte
zeigt str. 3, 7 — 8, und das fehlen der hiudernisse, die Übergabe der
Brynhild an den genossen, die ohne I gar keinen sinn hat, — wes-
halb freit Gunnarr nicht selbst? — zeigen, dass die sage, die er er-
zählt, Br I voraussetzt. Der dichter hat daraus in II den zug auf-
genommen, dass Brynhild von anfang dem Sigurör gehört. Zu gründe
liegt also die form I + II, die aus c. 227 der PS bekannt ist und für
deren entstehung diese stelle durch Sigurös mund rechenschaft ablegt.
§14. Die zweite form der anpassung {Brn,2).
Um die folgende entwicklungsphase der sage zu verstehen, müssen
wir nicht von dem zuletzt besprochenen skandinavischen extreme aus-
gehen, sondern näher bei der quelle der neuerung bleiben und an die
darstellung der PS anknüpfen. Hier redet Sigfrid der Brynhild Iround-
lich zu, dass sie den Günther zum mann wähle. Und sie gehorcht.
Aber die frage, ob es denn möglich war, dass sie sich ohne weiteres
330 BOER
fügte, konnte nicht ausbleiben. Die Sig. sk. begnügt sich mit der
Schilderung ihres seelischen zustandes nach ihrer Vermählung. Die auf-
fassung lag aber nahe, dass sie nicht so leicht zu bewegen sein würde,
dem Gunnarr zu folgen. Was dann? Sie setzt sich zur wehr. Diese
auffassung liegt in zwei hauptqucllen vor. Die eine ist das gedieht
auf dem c. 26, 36 — 58. 27, 1—4. 20 — 46. 56 — 66. 28, 1—16. 29,
5 — 48. 144 — 151 der Volsungasaga beruhen, und zu dem auch ein teil
von Brot gehört. Für die kritik der lieder der lücke und die berechtigung
zu dieser teilung verweise ich auf § 22 — 24; hier gehe ich von dem
Inhalt als gegeben aus. Ich nenne das gedieht aus gründen, die dort
mitgeteilt werden, Sigiirdarkviöa en yngri. Die andere quelle ist die
Sig. meiri, auf der die übrigen teile von c. 26 — 29 sowie das wich-
tigste von c. 23. 24 beruhen.
a) Die ursprünglichere form zeigt die Sig. meiri. Sie teilt Sigurbs
beide besuche bei Brynhild ausführlich mit. Den ersten besuch erzählt
c. 24. Wie viel hier auch jüngere zutat sein mag, so ist die grundform
noch deutlich zu erkennen. Es ist die deutsche form von Br I. Das
Wasser, das Brynhilds wohnung umgibt, resp. den glasberg, hatte schon
die deutsche Überlieferung, wie sie uns vorliegt, bis auf den namen
vergessen; auch hier fehlt es, und auch der name ist verloren. Aber
der hohe türm, in dem sie sitzt, ist nicht die skjaldborg, die ä Hin-
(ku'fjalU steht, sondern die bürg der &S und des Mbelungenliedes^.
Dass die bürg schwer zu erreichen ist, zeigt z. 8, wo SigurÖs habicht
ihm den weg zeigt. In der folgenden scene ist dieser zug verwischt.
Sigurör unterhält sich mit Brynhild über gleichgiltige dinge. Aber z. 44fgg.
bringen ein stück der alten sage. Nicht ganz klar ist SigurÖs anrede:
Nu er pat frain komit, er Jjcr lietiib oss; klar ist nur, dass sie im
vorhergehenden keine anknüpf ung hat; aber da das alte gedieht gewiss
wenigstens nicht von anfang an mit die redende person andeutenden
Überschriften versehen war, machen wir uns wol keiner allzu kühnen
conjectur schuldig, wenn wir die angeführten werte der Brynhild zu-
teilen. Dann finden sie ihre erklärung in der anrede der MenglgÖ an
Svipdagr (FjqIsv. 49): mi pat varh, er ek vcett liefi, nt Jni ert kominn
mqgr! til minna sala. Dass diese erklärung die richtige ist, erweist
das folgende: per skuUib her velkomnir. Das entspricht nicht nur
Fj(^lsv. 48, 1 Vel pü im kominn, sondern auch Brynhilds gruss im
1) Eine remiuisconz an den glasberg (goldenen borg?) enthält das aus deutscher
quelle stammende (GuSrüns träum!) c. 25. Brynhilds halle (z. 30) vnr btiin meS
guUi ok stöd ä eimt bergt.
UNTERSrCHUNGEN f'BER DEN URSPRUNG UNÜ DIE ENTWICKLUNG DER NIBELUNGENSAGE 331
Nibelungenliede: .s/7 ivillekomen, Sifrit, her i?i ditxe lant^. Brynhild
bietet darauf dem beiden einen becher, der sonst nur aus Sigrdrifumal
bekannt, aber ohne zweifei hier, wo sie in einer schönen bürg wohnt,
besser am platze ist. Dann küsst er sie und proist ihre Schönheit, vgl.
Fjnlsv. 48, wo auf die werte: Vcl pYi im ko}ni}m, hefk miini vilja bexSil
unmittelbar folgt: fylgjc shal krchju koss.
Also widerum ein zeugnis dafür, dass die deutsche sagenform,
abgesehen von dem gegensatz vafrlog/ — Scegarhr resp. Isenstein, voll-
ständig der der Fjnlsvinnsmäl ähnlich war.
Jetzt aber beginnt die Vorbereitung zu der Werbung für (Junther.
Brynhild beginnt ein gespräch über die unstätheit der fraucn, das viel
wunderliches und unechtes- enthält, aber darauf hinausläuft, dass sie
dem Sigur!^r seine Vermählung mit (Ui^rün prophezeit. Darauf schwören
sie sich treue {nf nyjn ist ein zusatz des sagaschreibers, der auf c. 21
rücksicht nimmt), und nun müssen sie sich trennen. Brynhild ist also
auf das, was geschehen wird, vorbereitet, und sie entschliesst sich, das
nicht ruhig über sich ergehen zu lassen. In ihrem flammenwall er-
wartet sie Sigurtis rückkehr, wol überzeugt, dass niemand anders ihn
zu durchreiten im stände ist (c. 27, 6fgg.).
Hier tut sich zunächst die frage auf: woher dieser llammen'wall?
Er stammt aus der skandinavischen tradition und muss also an die
stelle eines anderen motivs getreten sein, denn auch in der dem liede
zu gründe liegenden deutschen Überlieferung muss Brynhild ein mittel
gehabt haben sich zu wehren. Das motiv kann nur das Glasberg- resp.
Strombergmotiv gewesen sein. Aber dann bedeutet die mitteilung nichts
anderes als dass sie bleibt, w-o sie ist, und dass sie nun nach wie vor
unnahbar ist. Eine bedeutende abweichung von der erlösungssage, wo
die Jungfrau, nachdem die Verzauberung gebrochen, natürlicli nicht länger
der weit entrückt ist. Aber auch die märchen kennen ähnliche vor-
1) Es ist keine inconsequeuz, dass die stelle des Nibelungenliedes §9 mit dem
naraentabumotiv, hier mit der bewillkomnmung in der Sig. meiri und in FJQlsvinnsmäl
verglichen wird. Das unmittelbare aussprechen des namens bei der ersten begeguung
entspricht dem namentabumotiv Fjglsv. 47, die worte szt ivillekomen aber der Sig.
meiri und FjqIsv. 48. Da beide stellen sich auch in Fjnlsvinnsmäl unmittelbar neben-
einander finden, widersprechen die beiden gleichstellungen einander nicht, sondern sie
stützen einander.
2) Z. 54: ek em .skjaldmr/;r usw., 59: ek man kanna lid hermanna sind in
Skandinavien aufgenommene zügo der nordischen form von Br I. Der dichter hat
sich augenscheinlich vorgestellt, dass der kämpf mit Hjälmgunnarr und die bostrafung
durch OSinn zwischen I und II fallen. Dass er die begebenheiten so arrangiert, hängt
damit zusammen, dass er den rafrlogi beim zweiten besuch bremien liisst. Aber er
lässt es mit einer andeutung dieser dem stoffe fremden züge bewenden.
332 BOER
Stellungen. Wenn der held einmal die Jungfrau oder seine frau verlässt,
so bekommt er sie so leichten kaut'es nicht zurück.
Eine richtige Übertragung in die nordische sagenform wäre nun
die gewesen, dass Sigurör auch beide male den vrifrlogi durchreiten
müsste. Aber der dichter der Sig. meiri war kein sagenforscher. Er hat
den vafrlogi benutzt, wo er ihn brauchen konnte, bei dem zweiten
besuch, wo er der Brynhild zur wehr dienen kann und gelegenheit
bietet, das zu seiner deutschen quelle gehörende motiv des betrugs ein-
zuführen. Aber dass das hindernis, an dessen stelle er den vafrlogi auf-
nahm, ein bleibendes war, zeigen noch die kurzen andeutungen, die c. 27
gibt. Hier gehören zu der Sig. meiri z. 4(/>« riha) — 20. 66 — 74. 80 — 82.
Im gegensatz zu der Sig. yngri sehen wir nun, dass der vafrlogi
nicht eine maschinerie der Brynhild, sondern ihre natürliche Umgebung
ist. Heimir antwortet dem werbenden Gjükungen: segir par sal heiinar
skami frä ok kvax ßnt hyggja , at pann einn 7nimdi hon eiga vilja,
er rihi eld hrennanda , er sleginn er um sal hennar. Also keine Unter-
redung zwischen Heimir und Brynhild; diese bestimmt selbst, wen sie
zum mann haben will; er vermutet, dass sie nur dem gehören wolle,
der das feuer durchreiten will; das feuer aber brennt um ihren saal,
obgleich sie nicht wissen kann, dass die Gjükunge gekommen sind,
denn diese wissen noch nicht einmal, wo der saal steht, und müssen
das von Heimir erfahren. Und nachdem Sigurör in Gunnars gestalt
zu Brynhild geritten ist, muss er wider durch das feuer zurückreiten.
Dieses ist also als ein bleibendes gedacht, und wenn es c. 24 fehlt, so
hat das seinen grund darin, dass der dichter der Sig. meiri es hier nicht
nötig hatte. Möglich ist es freilich auch, dass schon die deutsche quelle
das hindernis nur bei SigurSs rückkehr betonte. Denn die ganze ent-
wickkmg der sage geht dahin, die züge von BrI auf Br H zu über-
tragen, bis man schliesslich Br I ganz fallen lässt. Und auch die PS
kennt ja, wie schon bemerkt, bei BrI das wasser nicht mehr.
Es lässt sich also für die deutsche quelle der Sig. meiri die folgende
grundform constatieren : Sigfrid kommt zu Brynhild, die in einem hohen
türm sitzt. Er küsst sie, verspricht ihr die treue und zieht ab. Sie bleibt
in ihrem türm zurück, und obgleich sie ahnt, dass er ihr untreu werden
wird, glaubt sie sich persönlich sicher im schütz des sie umgebenden ge-
fährlichen Wassers. Später kommt Sigfrid in Günthers gestalt und holt sie
ab; darauf übergibt er die frau, die ihn nicht erkannt hat, dem freunde.
In Deutschland lässt sich diese sagenform nicht belegen, aber sie
ist, wie ich unten zu beweisen hoffe, eine notwendige Zwischenstufe
zwischen der darstellung von PS c. 227 und der des Nibelungenliedes.
UNTERSTJCITTNTtEX f BER den rRSPRTTNG UND DIE ENTWICKLÜNR DER NinEI.UNOENSAGE 333
b) Die Signr(Sarkvi<Sa en yn^ri benutzt als directe nordische quelle
für ihre darstelluug die Sig. sk. Daneben hat sie die Sig. meiri gekannt
und benutzt. Eine hauptquelle ist ferner ein deutsches gedieht, dessen
auffassung der sage noch bedeutend weiter vorgeschritten war als die der
Sig. meiri (s. § 22). Das gedieht geht daher auch einen schritt weiter. Im
anschluss an die nordische haupt(|uelle, die Sig. sk., hat es Sigurös ersten
besuch fallen lassen. Den flaninienritt führt es, wol unter dem einfluss
der Sig. meiri in Brll ein, und zugleich den betrug (gestaltentausch), und
eine neue form der entdeckung (streit der königinnen) und der i-aehe. Aber
da BrI fehlt, fehlen auch die natürlichen bedingungen für den tlammen-
ritt; Erynhild lebt ja ruhig bei ihrem vater. So wird der vafrlogi zu
einer maschiuerie, die Brynhild anwenden kann, wo sie will, und der
llammenritt zu einer mutprobe. Da Brynhild den SigurSr früher nicht
gekannt hat, liebt sie ihn auch nicht; an die stelle der liebe tritt der
zorn über die erfahrene beleidiguiig (näheres darüber § 18).
Beiden gedichten gemeinsam und für die form, die sie repräsen-
tieren, ist also charakteristisch, dass Brynhild nicht ohne weiteres sich
dem Günther abtreten lässt. Das wird dadurch zum ausdruck gebracht,
dass die hindernisse der erlösuug, also im norden der vafrlogi^ in die
erzählung von der Werbung aufgenommen werden. Eine folge davon
ist der betrug und alles, was weiter daraus folgt (§ 17. 18)'.
vi? 15. Die dritte form der anpassung (Br II, 3).
Die äusserste consequenz der sagenbehandlung, deren resultat
BrII,2 war, ist, dass BrI als selbständige erzählung vollständig auf-
gegeben wird, deren inhalt nicht nur nicht mitgeteilt, sondern auch
in keiner hinsieht vorausgesetzt wird, und das Brll die ganze BrI
in sich aufninmit. Die Schwierigkeiten bei der gewinnung der braut
sehen nun nicht mehr willkürlich aus, denn eine erlösung geht nicht
voran, die Werbung — mit betrug — ist zugleich die erlösung. Diese
form ist wäe die ganze Br II in Deutschland ausgebildet worden. Ob-
gleich durch jüngere neuerungen verdunkelt, scheint diese grundform
im Nibelungenlied sehr klar durch. Die Vorgeschichte fehlt hier voll-
ständig; einzelne reminiscenzenr daran sind so schwach, dass sie auch
anders erklärt werden können und tatsächlich erklärt worden sind
(als ahnungen, wie sie in II, 3, die I aufgenommen hat, gar nicht
auffällig sind). Ferner finden wir beisammen die zwar von dienern
umgebene aber doch vereinsamte Jungfrau auf dem von wasser um-
gebenen felsen^ und den glasberg (Isenstein). Die nacht, die Sigfrid bei
1) Über die möglichkeit, dass das wasser später wider eingeführt worden sei,
s oben § 8.
334 BOEB
Brynliild zubringt, Avird durch die scene im sclilafgeiiiacb, von deren Ver-
legung in einen anderen Zeitpunkt unten die rede sein wird, ersetzt.
Nur der zauberschlaf, der doch durch das Brünhildenbett in der deut-
schen form von Br I belegt ist, fehlt, freilich zufolge einer jüngeren
entwicklung, über Vielehe gleichfalls unten gehandelt werden wird; in
einem anderen exemplar von Br II, 3 ist er richtig überliefert. Ein
rest des namentabumotivs hat sich gerettet. Damit ist die Verbindung
von I mit 11, die damit anfängt, dass Sigfrid seine frau nachher dem
Gunnarr abtritt, zur völligen consequenz ausgebildet; an dem logischen
zusammenhange fehlt nichts mehr. Die Vorstellung ist nun diese: Sig-
frid, der mit Grirahild vermählt ist, reist zusammen mit Gibichs söhnen
zu Bryiihilds bürg; an Günthers stelle befreit er die bezauberte Jung-
frau und liefert sie dem Günther aus. Eine weitere, nur im Nibelungen-
liede belegte neuerung, die noch den zweck hat, den inneren Zusammen-
hang der begebenheiten zu befestigen, knüpft die Übergabe der Grimiiild
an die gewinnung der Brynhild; dass Sigfrid dem Günther die braut
verschafft, wird die bedingung zu seiner eigenen hochzeit.
Auch im norden geht die entwicklung von Br II zu der consequenz
II, 3. In der I>S ist II, 3 nicht direct belegt, c. 227 gibt eine ältere
sagenform (II, 1); aber die scene im schlafgemach, die auch hier folgt,
und die nur eine Weiterbildung von II, 3 ist, zeigt, dass auch in Nord-
deutschland diese form der brautwerbung bekannt war (übrigens ist
diese darstellung die Vorstufe des NL).
Wir haben deshalb keinen grund, die nordische darstellung von
II, 3 von der deutschen zu trennen. Aber sie tritt in einer eigenen,
sehr geschlossenen form auf, in einem jüngeren Hede, der HelreiÖ. Die
nordische tradition hat niemals vergessen , dass Br II eine fortsetzung
von BrI ist. Man erkennt Sigrdrifa als mit Brynhild identisch. Die
Sig. sk. setzt in gewissem sinne Br I voraus. Die Sig. meiri erzäiilt I und
II nacheinander. Die folge ist, dass auch II, 3 Br I in ihrer selb-
ständigsten und am meisten ausgebildeten form, der der Sigrdrifasage,
aufnimmt. Einzelne züge erinnern an den deutschen Ursprung, nicht
Hlymdalir, das wie der name beweist, zu der walkyre gehört und aus
HelreiÖ in c. 27 der VQlsungasaga gedrungen ist (Zeitschr. 35, 323), aber
föstri minn (str. 11,3) stammt aus der Sig. meiri. Übrigens ist die Situation
vollständig die der Sigrdrifa, wie ich a. a. o. s. 317fgg. ausführlich ge-
zeigt habe. Die ganze skandinavische Vorgeschichte der Sigrdrifa ist
hier also in Brll aufgenommen.
Das ist dem buchstaben nach eine abweichung von der deutschen
Brll, 3, aber vollständig im geiste dieser dichtung. Dass Sigurör hier
l^NTERSUCHrNGKN f DER DEN URSPRUNG UND DIE ENTWICKLUNG DER NIDELUNGENSAGE 335
hier anfi^edeiitet wird als der Jxnins mcr fcerhl gidl pals n/id Fdfni 14,
während es in der prosa der Sigrdrifumal heisst: ec sireiig^a lielt par
/ mot dt giptax. onguni peim inanvi er hrcehax kynni, also ohne an-
deutung, dass der held gerade Sigurör sein müsse, mag aus 11,2 stammen,
von der IT, 3 nur eine Weiterbildung ist. Aber die aufnähme der voll-
ständigen 1 in II beruht nicht auf einer nordischen sagencontamination,
sondern auf der in Deutschland vollzogenen consequenten durchführung
eines principes, dem alle formen von Er II ihr dasein verdanken.
§16. Die Weiterentwicklung von Brll in Deutschland
(BrII,4).
In dem liede, das die quelle der 6. bis 10. aventiure des Nibe-
lungenliedes wurde, ist Brynhilds bürg nach Islant verlegt. Dass dieser
name aus Isenstein abstrahiert ist, wurde § 8 ausgeführt. Die änderung
der lücalität wurde folgenschwer. Die erste änderung, die daraus un-
mittelbar folgt, oder besser darin begriffen ist, ist diese, dass an die
stelle des glasbergs, den nur ein einziger held zu ersteigen vermag,
das Weltmeer trat. Die reise von Worms nach Island liess sich unmög-
lich als eine solche darstellen, die nur Sigfrid vollbringen konnte; also
mussten die drei genossen die fahrt gemeinschaftlich machen. Daraus folgt,
dass nun auch Grunther und Hagen zugang zu Brynhilds bürg haben,
und das motiv des zauberschlafs, das einen einzigen retter voraussetzt,
wurde unbrauchbar und ebenso das namentabumotiv, das zwar in einer
einzigen äusseruug der Brynhild fortlebt, aber für die entwicklung der
begebenheiten von keiner bedeutuug mehr ist. An die stelle dieser
elemente musste eine andere motivierung der begebenheiten treten.
Die neue motivierung knüpft an das einzige dement, das von der
alten sage übrig geblieben war, die nacht, die Sigfrid in Brynhilds schlaf-
gemach zubringt, an. Aber ohne das vorhergehende hatte dieses motiv
keinen verständlichen Inhalt. Denn weshalb konnte nicht, wenn Bryn-
hild auch für ihn zu erreichen war, Günther selbst während der ersten
nacht neben Brynhild ruhen? In die nächtliche scene Avurde nun eine
neue bedeutung gelegt. Sigfrid liegt neben Brynhild, um sie zu be-
zwingen. Daraus entwickelt si^ch nun die auffassung, dass Brynhild
nur dem mann gehören will, der sie bezwingt. Die richtige Vorstellung
der begebenheit muss hier die sein, die in der Piörekssaga überliefert ist:
Sigfrid nimmt der Brynhild ihr magetuom. Sie knüpft an die populäre
Vorstellung an, dass eine starke frau durch den Verlust ihrer Jungfrau-
schaft ihre kraft verliert ^ Die darstelhmg des Nibelungenliedes ist eine
1 ) Vgl. z. b. die Umwandlung im oharakter der l^ryÖü nach ihrer veilieiratung,
Beow. KUöfeK.
336 BOER
euphemistische aber imglaubliche. Der dichter will uns eine psycho-
logische Ungeheuerlichkeit glauben machen, wenn er erzählt, dass Brvn-
hild, nachdem Sigfrid sie zu der zusage ihm zu willen zu sein genötigt,
ruhig liegen bleibt und abwartet, was mit ihr geschehen wird, während
er sich entfernt um dem Günther platz zu machen, statt dass sie sich
sträubte, solange eine rauskel an ihr sich zu wehren im stände ist.
In der Piörekssaga heisst es kurz: Oc />« tekr liann iil Bri/nilldar oc
fcer skiott he?ina?' viceydom (c. 229).
Die ursprüngliche Vorstellung war, dass das alles auf Island un-
mittelbar nach der ankunft der brüder geschehen sei. Das ist der alten
sage gemäss, und so geschieht es auch in der l^i^rekssaga; erst nach
der hochzeit reist man nach Worms zurück. Die näheren umstände
sind nicht überliefert, aber sowol die spätere entwicklung wie die älteren
formen (Br II, 2, namentlich die SigurÖarkviÖa yngri) weisen darauf,
dass Brynhild, als sie vernahm, dass nicht Sigfrid, sondern Günther um
sie werbe, eine bedingung gestellt hat. Diese bedingung war, dass er
sie besiegen sollte. Da Günther dazu nicht im stände war, trat Sigfrid
an seine stelle. Aber die epische ausbildung der sage verlangte die
Verlegung der hochzeit und damit der schlafkammerscene nach Worms.
Vielleicht ist das zuerst im Nibelungenliede geschehen; viel älter ist
die neuerung auf keinen fall. Nun aber stand man vor einer neuen
Schwierigkeit. Wenn Brynhild nicht Günthers frau werden wollte, wes-
halb Hess sie sich dann dazu bewegen, ihm nach Worms zu folgen?
Ein neues motiv wurde eingeführt, um auf diese frage die antwort nicht
schuldig zu bleiben: die kampfspiele. Auf Island muss Brynhild besiegt
werden, wenn nicht durch den raub ihrer jungferschaft, dann im kämpf.
Die kampfspiele sind demnach nicht eine alte Variante des flammen-
ritts, sondern der allerjüngste zug der deutschen Überlieferung, ein ersatz
für die beischlafscene, die aus durchaus formellen gründen, — dem
wünsch eine schöne hochzeit in Worms zu beschreiben, — von Island
nach Worms verlegt worden war. Das motiv aber, das dem flammen-
ritt entspricht, ist so gut wie verschwunden (§ 8).
§ 17. Die entdeckung des betrugs.
Der streit der königinnen ist nicht viel später als Br II, 2 ent-
standen. Es ist ein mittel, dessen die poesie sich bedient, um den
betrug, der mit II, 2 seinen einzug in die Überlieferung hält, ans licht
zu bringen. Wir kennen das motiv in drei formen. Der grundgedanke
ist in allen dreien derselbe: Brynhild verlangt als königin von Grnnhild
ITNTERSDCHrNGEN ÜBER DEN TTRSPRUNO UND DIE P-NTWIfKLUNr, DER NlBELUNOENSAfiE 337
huklio-nng; diese weigert sich und erniedrigt ihre gegnerin dadurch, dass
sie ihr einen ring zeigt, den Sigt'rid ihr in der brautuaclit genommen
hat. Dieser ring, der in den drei fassungen widerkehrt, ist also so alt
wie die scene. Dass er aber mit Fafnirs besitztum nichts zu schatten
hat, geht schon daraus hervor, dass er nicht zu der alten sage gehört,
sondern nur zu einer verhältnismässig jungen form von Br II.
Tn der auffassung dei- veranlassung des Streites gehen die quellen
auseinander. Die einfachste und daher vielleicht ursprünglichste dar-
stellung gibt die I^i^rekssaga. Brynhild wünscht, dass (juörün bei ihrem
eintritt von ihrem sitz aufstehe. Aber auch was die Vglsungasaga und
zumal die Snorra Edda erzählen, kann alt sein, die sitte at hleikja
hadda .slna ist nicht nur bei den nordleuten von alters her verbreitet
(s. AVeinhold, D. Frauen"* II, 292fg.), und dass die königinnen zu diesem
zweck zum fluss gehen , sieht sehr altertümlich aus. Die scene vor der
kiiche im Nibelungenliede ist höfisch ausgebildet, und das ciiristliche
Clement deutet auf jungen Ursprung. Die beleidigung auf der offenen
Strasse, wo die beiden anderen Überlieferungen einen intimen wortstreit
schildern, ist im stile der alle Verhältnisse ins kolossale steigernden und
das öffentliche leben in den Vordergrund stellenden mittelhochdeutschen
tradition. Übrigens zeigt auch die Verdopplung der scene, — zuerst' ein
streit, wer den besten mann habe, unter vier äugen, dann die öfient-
liche beleidigung, — dass hier widerum die Überlieferung des Nibe-
lungenliedes zurücksteht.
Neben dem streit der königinnen muss eine andere, wol einfachere
Vorstellung von der weise, wie die Wahrheit ans licht kam, bestanden
haben. Darauf weist die quelle, die die altertümlichste form des be-
truges (Brll, 2a) repräsentiert: die Sig. meiri. Die VQlsungasaga berichtet
die entdeckung des betrugs nach der Sig. yngri, und hier finden wir die
sennti. Aber aus den gesprächen, die in der Sig. meiri unmittelbar auf die
nach der Sig. yngri erzählte entdeckung folgen, geht hervor, dass die senna
nicht vorangegangen sein kann. C. 28, 26fgg., unmittelbar nach der
sc/ina, fragt Sigurör GuÖrün, was Brynhild fehle. Sie weiss es nicht,
aber er ahnt es: eigi veit ek glegt; grumtr mik, at ver mimum vita
bnUt n^kkuru gerr. Am folgenden tage redet Guörün mit Brynhild,
und diese weiss alles, was geschehen ist, dass Sigurör einen vergessen-
heitstrank getrunken, den Grimhild ihm gebraut, dass er es war, der
Fäfnii' tötete, dass er den flammenwall durchritten, dass die Ojükunge
sehr wol gewusst haben, dass er sich der Brynhild verlobt hatte. Das
alles wirft sie der GuÖrün vor, und diese versucht einiges zu verneinen,
anderes umzudeuten, in jeder hinsieht Brynhild zu beschwichtigen. Der
ZEITSCHRIFT F. DEUTSCHE PHILOLOGIE. BD. XXXVII. 22
338 BOER
ring wird iu dem ganzen gespräch nicht genannt; er war also bei der
entdeckimg eben so wenig beteiligt wie die GuÖrüu, die gern alles
leugnen möchte.
Wie ist Brynhild zur einsieht der Wahrheit gelangt? Ich glaube,
dass man hier dem Verfasser der V«^lsungasaga nicht vorwerfen kann,
dass er eine darstellung von der entdeckung des betrugs fortgelassen
hat. Die Sig. meiri enthielt nicht mehr, als die saga erzählt. Aber einen
Sprung in der darstellung machte sie nicht; eine Vorstellung von dem
gang der begebenheiten hatte auch sie, wenn sie auch keine entdeckungs-
scene mitteilt. Da Sigurör ahnt, aber nicht weiss, was Brynhild fehlt,
so geht daraus hervor, dass nicht zwischen ihm und ihr etwas vorge-
fallen ist, was zu der entdeckung geführt hat, aber dass die bessere
einsieht der Brynhild doch in ihrem Verhältnis zu ihm ihre quelle hat.
Aus einer stelle am schluss der Unterredung zwischen Guörün und
Brynhild geht weiter hervor, dass Brynhild nicht erst gestern zu der
entdeckung gekommen ist, sondern schon längere zeit über ihren schmerz
gebrütet hat (z. 75fg. : ek ßagha lengi yfir minum harmi peim er mer
hjö i hrjösti). Deshalb warnt Sigurör GuÖrün z. 25 davor, mit Bryn-
hild über ihren schmerz zu reden, denn wenn der gedanke einmal aus-
gesprochen ist, lässt er sich nicht mehr zurückdrängen.
Es kann nach diesen andeutungen, die die saga gibt, keinem
zweifei unterliegen, auf welchem wege Brynhild zur einsieht der Wahr-
heit gekommen ist. Sie hat sie geahnt. Ihre gedanken haben immer
um denselben gegenständ gekreist, stets hat sie sich gefragt: wie konnte
Sigurör, der mir treue geschworen, sich einer anderen vermählen? wie
konnte Gunnarr den flammen wall durchreiten? bis sie zu der inneren
Überzeugung gelangt ist, dass sie das opfer eines höllischen ränkespiels
geworden ist. Aber noch spricht sie es nicht aus; in dumpfem brüten
versunken grübelt sie über ihr unglück. Als aber GuÖrün, die den
von ihr geliebten mann besitzt, so weit geht, nach dem grund ihres
trübsinns zu fragen, da bricht die leidenschaft los, und was eine halb
klare aber durchaus richtige ahnung war, wird durch das geständnis,
das sie der gegnerin abnötigt, zur entsetzlichen Wirklichkeit. Es scheint
mir, dass kein dichter die Situation und den Charakter der Brynhild so
tief ergriffen hat, als der der Sig. meiri. Das lob, das Heusler dem ge-
dichte spendet, verdient es in jeder hinsieht.
Gehen wir nun dazu über, dieser darstellung ihre Stellung in der
geschichte der sage zuzuweisen, so zeigt es sich, dass sie gerade der
Stellung entspricht, die die Sig. meiri auch in anderer hinsieht einnimmt.
Sie steht am anfaug von II, 2, bildet den Übergang von der durch die
rNTERSUCHTTNGEN ÜBEE DEN tTtSPRUNG irND DIE ENTWUICLIIXG ]mu NIHRLUNGENSACK 339
Sig.sk. repräsentierten II, Ib zu der in II, 2 b (Sig. yngri) und 11,3 (Nibe-
lungenlied, Pii^rekssaga, HeIrei^) horrschendon auffassung. In der Sig. sk.
brütet Br3nihild über ihre verscbnüiiite liebe; eine entdeckung ist nicht
notwendig, da kein betrug verübt ist; aus sich selbst kommt sie zu
dem schluss, dass ihr unrecht geschehen sei. In der Sig. meiri brütet sie
über ihre läge und gelangt bis zu einer ahnung dessen, was geschehen
ist; es braucht nur einer Unterredung mit Guörün, um ihre ahnung zu
bestätigen. In den jüngeren quellen, die das frühere Verhältnis zu
SigurS aufgeben, ist ein äusserer anlass zu der entdeckung unentbehr-
lich, und die sage knüpft an das gespräch mit GuÖrün-Grimhild an.
Anstatt Brynhild zu beschwichtigen, beleidigt Grimhild sie; sie schilt
sie ein kebsweib. Was die sage durch den verlust von I an logischer
einheit gewonnen hat, das hat sie an psychologischer tiefe und feinheit
verloren. Denn die beleidigung und der gekränkte stolz sind rohe
motive im Verhältnis zu dem dumpfen schmerz und der tiefen ahnung
der Sig. meiri.
§ 18. Brynhilds zorn und räche.
In welchem Stadium ihrer entwicklung hat die Überlieferung das
motiv, dass Brynhild dem Sigfrid zürnt, aufgenommen? Daraus, dass
Sigfrid sie dem Günther abtritt, folgt es noch nicht direct, aber es ent-
wickelt sich doch im unmittelbaren anschluss daran. Die auffassung
der abtretung, die 5S c. 227 zu worte kommt, verträgt sich mit einem
friedlichen Verhältnis zwischen Sigfrid und Brynhild und mit der alten
niotivierung von Sigfrids tod durch Hagens hass. Aber schon in der
jüngeren form von Br II, 1, die in der Sig. sk. vorliegt, kommt die
neue auffassung zum ausdruck. Als ältestes motiv für Brynhilds hass
ergibt sich die verschmähte liebe. Yon anfang an hat sie nur Sigurör
geliebt und sich gegen die Vereinigung mit Gunnarr gesträubt; sie hat
keine ruhe bis dieses Verhältnis gelöst und sie mit dem geliebten im
tode vereinigt ist. In dieser form ist auch Brynhilds tod am platz; er
bildet den schönsten abschluss ihres von leidenschaft verzehrten lebens.
In Br II, 2 treten untereinander abweichende motive in den ver-
schiedenen quellen in verschiedener mischung auf. Anfiinglich hat Bryn-
hild sich in ihre Vereinigung mit Günther ergeben. Erst allmählich
oder durch ein plötzliches ereignis gelangt sie zur einsieht ihrer läge
und erwacht ihre leidenschaft. Insofern ist gekränkter frauenstolz im
spiel. Darein mischt sich ingrimm wider Grimhild. Aber das gefühl
der liebe mischt sich von zwei selten hinein. Einmal indem sie ver-
nommen hat, dass es doch Sigfrid war, der die probe bestanden hat,
noch niphr aher indem wenigstens eine furm von II, 2 davon ausgeht,
340 BOER
dass sie sich früher dem Sigfrid verbunden hat. Das gibt den ausschlag.
In der Sig. meiri, die auch I erzählt, ist Br^^nhilds schmerz über die ver-
lorene liebe durchaus das treibende motiv. Aber im gegensatz zur
Sig. sk. ist Br3mhild gebrochen, Was schön mit ihrer Stimmung vor
und während der Unterredung mit Guörün harmoniert. Während sie in
der Sig. sk. den Sigur^ir besitzen oder sterben will, weist sie hier
SigurÖs liebe zurück. Wie das lied sich die aufstachelung des Gunuarr
vorstellte, wissen wir leider nicht; auch nicht ob es Brynhilds tod mit-
teilte, wir können sogar nicht mit Sicherheit behaupten, dass es mehr
enthielt, als in der saga überliefert ist. Aber dass sie mit Sigurör stirbt,
ist in dieser fassung durchaus sagengemäss, und es fehlt auch nicht an
andeutuugen, dass das die dem gedichte zu gründe liegende anschauung
war. C. 29, 63fgg. ahnt SigurÖr seinen tod (vgl. die ahnung c. 28, 18);
z. 99 wünscht Brynhild ihn sterben zu sehen; er antwortet, dass sie beide
von diesem tage an nur noch ein kurzes leben vor sich haben würden; sie
behauptet, ihr leben habe keinen wert mehr, und z. 124 sagt sie, dass
sie nicht länger leben wolle. Das beweist wol mit Sicherheit, dass
Brynhild auch hier gestorben ist, aber es sieht nicht danach aus, dass
die darstellung dieselbe gewesen sei wie die der Sig. sk. Dem Sigurör,
nicht dem Gunnarr gegenüber spricht sie den wünsch aus, dass er
sterben möge, und seine antwort zeigt, dass er ahnt, dass zur Wahrheit
werden wird, was sie ahnungslos in leidenschaft spricht, dass er also ohne
ihr zutun fallen wird, und: ekki muntu per verra bihja. Wenn diese
andeutungen so zu verstehen sind, so steht die Sig. meiri in diesem
punkte, wie auch in einigen anderen (der beibehaltung von BrI), auf
einem älteren Standpunkte als die Sig. sk.; sie kennt Brynhilds tod,
aber Sigurör fällt nicht durch Brynhild.
Ganz anders stellt die SigurÖarkviÖa en yngri die gefühle der
heldiu dar. Hier fehlt die Vorgeschichte, hier bringt die soina die ent-
scheidung. Dem entspricht, dass hass und zorn an die stelle der liebe
treten. Aber in den zorn mischt sich ein dement der bewunderung,
ein rest der alten liebe, der dem neuen motiv des gekränkten stolzes
das schablonenhafte nimmt und das Seelenleben der heldin vertieft. Am
deutlichsten kommen Brynhilds gefühle Sigurör gegenüber in der län-
geren rede am schluss zum ausdruck. Sie beklagt seinen tod, obgleich
sie antiinglich eine befriedigung darin gefunden hat (Brot str. 10). Die
ganze wucht ihres zornes und ihrer geringschätzung wendet sich aber
wider Gunnarr, dem sie seine feigheit vorwirft, und dem gegenüber sie
Sigurör widerholt erhebt. Also eine form von II, 2, die sich 11,3 stark
nähert. Das weitere § 22. Nur will ich schon hier hervorheben, dass
UNTERSUCHUNGEN ÜBER DEN URRPKrNG UND DIE ENTWICKLUNG DER NinELUNGENSAGE 341
in dieser sagenforni Brynhilds tod eine anomalio ist. Sollten sioh spuren
davon nachweisen lassen, so lassen sie sich nur als eine reminiscenz
an eine ältere sagenform, in der Hrynhild von liebe zu SigurÖr getrieben
wird , verstehen.
Dieselbe auffassnng von Brynhilds Stimmung dem SigurÖr gegen-
über, nur noch härter, herrscht auch in einem gedichte, das die be-
gebenheiten von Guörüns Standpunkte aus anschaut, der GuÖrünarkvida I.
Str. 23 flucht Brynhild Gullrond, die durch ihre freundlichen worte
der Gubrün das reden ermöglicht hat. Und noch auf den toten leich-
nam des beiden blickt sie str. 27 mit flammenden äugen und giftigem
atem. Wenn die prosa nach 27 erzählt, dass sie nach Sigfrids tod nicht
leben wollte, so ist das eine gedankenlose der Situation gar nicht ent-
sprechende abstraction aus der Sig. sk. Wie nahe Guör. I der Sig. yngri
steht, geht daraus hervor, dass von der Werbung dieselbe Vorstellung
wie hier laut wird, nur tritt wie in der Sig. sk. nicht BuÖli sondern
Atli auf; str. 25. 26: Atli ist an allem schuld, — natürlich weil er
Brynhild zu der ehe genötigt hat; 'diesen gang (den Sigurbr gieng, also
seinen flamnienritt), als ich in der hunnischen halle an dem fürsten das
gold erblickte, habe ich später teuer bezahlt'. Der Standpunkt des ge-
dichtes ist ein etwas weiter vorgeschrittener als der derSig. yngri; ein töd-
licher hass wider SigurÖr ist das treibende motiv, und zugleich ein
tödlicher hass Avider ihre feindin GuÖrün. Dem entspricht, dass die
Sympathie des dichters ganz auf GuÖrüns seite ist. Die harten worte,
die Gullrond an Brynhild richtet (pjöhleih; nr^r e^lhiga; vinspell vifci
mesi) , sind dem dichter aus dem herzen gesprochen.
In Br II, 3. 4 kann man die consequenteste durchführung des
motivs vom gekränkten hochmut erwarten. Hier ist von einer früheren
bekanntschaft mit Sigfrid nirgends die rede, und in der deutschen ge-
stalt II, 4 fehlt auch jede andeutung davon, dass Sigfrid der für Bryn-
hild bestimmte gemahl war. Daher ist die ihr zugefügte beleidigung
der einzige grund ihres zorns. Freilich zürnt sie mehr über die be-
schimpfung durch Gri'mhild als über die behandlung, die sie bei der
wcibung eifahron. Aber der zorn über die Vergewaltigung müsste sich
eher wider ihren mann als wider Sigfrid gerichtet haben, wie wie denn
auch schon in der Sig. yngri ausätzen zu dieser auffassung begegnen. Da
nun einmal die Überlieferung den Sigfrid als das opfer ihres zorns fiiUen
liess, erhob die dichtung die Schmähung durch Grimhild zum haupt-
motiv. So in der Piörekssaga und namentlich im Nibelungenliede.
T^etztore quelle hat die unwahrschoinlichkeit, dass die schmährode der
gegnerin sie tiefer trifft als ein betrug, der für ihr ganzes leben ver-
342 BOER
hängnisvoll geworden ist, dadurch zu beseitigen versucht, dass sie den
Sigfrid einen reinigungseid schwören Jässt. Demzufolge konnte Bryn-
hild glauben, dass Kriemhilt nicht die Wahrheit gesprochen, und nun muss
Sigfrid als ein opfcr für Brynhilds, zorn gegen Kriemhilt fallen. Des-
halb ist sie auch nach Sigfrids tod unversöhnlich: sivaX' Krieml/iU ge-
weinte, unmcere was ir daz; sine wart ir rehter triutven nimmer
me bereit.
Im norden entwickelt II, 3 sich auch in diesem punkte anders.
Hier war die Vorstellung, dass Brynhild von ihrer liebe getrieben wurde,
die vorherrschende. Und die Verbindung mit Brynhilds Vorgeschichte,
wo sie dem Ö^in schwört, nur dem mann anzugehören, der ihr Fäfnis
gold bringen würde, lässt SigurÖr als den ihr vorausbestimmten bräu-
tigam erscheinen. Also siegt hier auch in dieser jüngsten sagenform das
motiv der liebe. Und es treibt hier eine seiner schönsten bluten. Nicht
weil sie früher dem SigurÖr sich verlobt hat, will sie jetzt ihn besitzen
oder sterben, sondern ihr gefühl wird hier zu einer ahnung, einer halb
bewussten liebe, die diu'ch GuÖriins Vorwurf zur vollen entfaltüng kommt.
Nachdem sie in Sigurör ihren erlöser erkannt hat, kann sie ohne ihn
nicht leben, aber mit ihm leben kann sie auch nicht; ihr bleibt nur
übrig mit ihm zu sterben. Es ist die frucht einer langen entwicklung,
die in der HelreiÖ vorliegt; die psychologische tiefe zeigt, wie umdeu-
tungen und zutaten eine Überlieferung nicht zu verderben brauchen,
sondern im geiste begabter dichter zur Vollendung führen können. Zwar
steht die ausführung im einzelnen hinter anderen gedichten wie z. b.
der Sig. meiri zurück, aber dass die conception grossartig ist, muss man
dem dichter zu ehren anerkennen.
§ 19. Atli. BuÖli. HeiAiir.
Ursprünglich hat die zu erlösende Jungfrau weder heimat noch
verwandte. Sie gehört dem märchen an. Aber im norden ist sie zu
einer Schwester des Atli geworden. Das ist vielleicht eine abstraction
daraus dass Gunnarr und Atli Schwäger sind. Jedesfalls gehört der zug
zu Br II; erst ihre Verbindung mit Gunnarr ermöglicht das Verhältnis
zu Atli. Sofern nun nicht ihr aufenthaltsort auf dem berge aus Br I
in Br 11 aufgenommen ist, befindet Brynhild sich in dem schütz ihres
bruders, an seinem hof. So zum ersten mal in der Sig. sk.
Dass Brynhild bei Buöli sich aufhält, ist jünger. Das ist die
folge einer genealogischen speculation. Der angewiesene aufenthaltsort
einer nicht verheirateten frau ist bei ihrem vater; wenn Brynhild Atlis
Schwester war, so war sie BuÖlis tochter. Also hält sie sich bei Buöli
ITNTERSUOHUNGEN VBER PEN' TRSPRUNG UiVD DIE ENTWICKLtT.NG DER NIBELÜNGENSAGE 343
auf. Dass die Vorstellung jünger ist, folgt daraus, dass Atli in der sage
die ursprüngliche gestalt ist; von anfang weiss diese von Botele natür-
lich nichts. Es ist auch nur eine quelle, die Brynhild bei Buöli kennt,
die Sigur^arkvida yngri. Sie ergtänzt den bericht der Sig. sk. mit ihrem
gelehrten wissen. Sogar das erste Guörünlied, das dieselbe auffassung
von Brynhilds Charakter wie die Sig. yngri hat, ja noch einen schritt
weiter geht (s. § 18), behält Atli bei und nennt BuÖli nicht.
Brynhilds Verhältnis zu Hcimir ist anderer art. Wir kennen es
aus der Sig. meiri und der davon abhängigen HelreiÖ. Erst die spätere
skandinavische tradition benutzt ihn, um für Äslaug zu sorgen; dieser
zug trägt zur erklärung seines Verhältnisses zu Brynhild nichts bei.
Brynhild hält sich in Heimirs nähe auf, als die freier kommen,
aber nicht nur damals, sondern auch bei SigurÖs erstem besuch. Das
zeigt, dass die gestalt nicht zu Br II, sondern zu Br I gehört. Heimir
ist weder ihr vater, noch ihr bruder, noch ihr patron; zwar redet
Helrei^ und dann auch die VQlsungasaga von ihrem föstri , aber das
ist ein versuch einem unverstandenen Verhältnis ausdruck zu geben.
Tatsächlich hat Heimir über Brynhild nichts zu gebieten. Sigfrid be-
sucht sie, ohne dafür seine erlaubnis erlangt zu haben; die brüder
bekommen von ihm eine anweisung, wo sie sich aufhält, aber er selbst
lässt sich, abweichend von k{\\ und BuSli, auf die sache nicht ein.
Heimir ist keine skandinavische gestalt. Die Sig. meiri beruht auf
niederdeutschen quellen, und in Norddeutschland war Heimir ein be-
liebter held ; dafür legt die t^iörekssaga zeugnis ab. Es sind also gründe
zu der annähme vorhanden, dass Brynhilds Verhältnis zu Heimir in
Norddeutschland entstanden ist.
Übersieht man alle erzählungen, die die sage von Heimir mit-
teilt, so ist nur eine anknüpfung möglich. Heimir ist Studas' söhn und
dieser besitzt ein gestüt. Heimir verhilft T^iörekr zu einem pferde,
und auch die anderen berühmten rosse der saga stammen aus Studas'
gestüt. Wenn Heimir für einen bcsitzer guter pferde galt, so konnte
die Vorstellung entstehen, dass auch Grani aus seinem stall stammte.
Wir finden diesen gedanken in- der saga mehrfach ausgesprochen, am
deutlichsten c. 190. Da SigurSr in der saga zu fuss Mimir verlässt
und dann zu Brynhild kommt, so folgt daraus, dass er ohne pferd die
fahrt nach Brynhilds bürg unternimmt. Es lag nahe, dass die tradition
einen besuch bei Heimir einschaltete, wo der held ein pferd bekommen
konnte, und zwar das bestimmte pferd, auf dem es möglich war, Brynhild
zu erreichen. So entstand eine Verbindung zwischen Brynhild und Heimir.
Heimir besitzt das zauberross, mit dessen hilfe Brynliild erreicht worden
344 noER
kann,!. Dass dies die richtige Vorstellung ist, zeigt c. 18. Das gestüt,
dessen aufseher Studas ist, gehört der Brynhild. Also: Heimir wohnt
in Brynhilds nähe, und mit seiner hilfe ist Brynhild zu erreichen. Das
ist auch alles, was die Sig. meiri von ihm weiss.
Aber in der darstellung der Piörekssaga (c. 168) ist die erzählung
aus dem geleise geraten. Der sinn der geschichte ist durch die wunder-
liche cntstellung des namentabumotivs verloren gegangen. Der Ver-
fasser legt ihr die neue bedeutung unter, dass SigurSr bei Brynhild ein
pferd holt. Denn dass er eines besonderen pferdes bedürfen würde, um
zu ihr zu gelangen, wenn er bei ihr nichts zu tun hatte, das konnte
der Sagaschreiber nicht glauben. Aber auf seiner weiteren reise bedarf
er eines pferdes, und die tradition erzählte in diesem Zusammenhang
von der erwerbung eines solchen. Der sagaschreiber kehrte nun die ge-
schichte um und Hess Sigurör erst zu Brynhild kommen und dann
von ihr das pferd erlangen. So verschwand Heimir aus dieser erzäh-
lung. Aber das Grani ein pferd aus Heimirs gestüt ist, zeigt docii
sowol c. 190 wie c. 18. Das richtige Verhältnis der Brynhild zu Heimir
wird ferner durch die Sig. meiri klargelegt. Nur hat diese quelle, soweit
wir sehen, die erwerbung des pferdes fallen lassen. Doch können
wir das nicht sicher wissen, da die erwerbung des pferdes in der
Vglsungasaga nach einer anderen — nordischen — quelle erzählt
worden ist.
Heimir ist also nicht eine dem Atli und BuÖli parallele gestalt;
er gehört zu Br I und ist mit anderen zügen aus Br. I in Br II über-
tragen; die beiden anderen gehören ausschliesslich Br II an.
§ 20. Die identificierung der Brynhild mit Grimhild.
Neben der umdeutung der Brynhildsage gab es ein anderes mittel,
das rätsei der zwei zu Sigfrid in beziehung stehenden trauen zu lösen.
Dieses mittel war, dass man die beiden frauen identificierte. Eine auf
diese weise entstandene sagenform scheint in zwei quellen vorzuliegen.
Am deutlichsten redet das Sigfridslied. Der holt erlöst Kriemhilt aus
der macht eines drachen, darauf heiratet er sie, wird aber später von
seinen Schwägern aus missguust umgebracht. Dass dieser drache zu-
gleich die Verzauberung und die sich dem beiden in den weg stellenden
hindernisse der Varianten vertritt, wurde schon bemerkt. Also ist hier
Brynhild = Kriemhilt. Und hier fehlen auch ganz folgerichtig die Wer-
bung für den könig und Brynhilds räche, und dementsprechend tritt
1) Vgl. § 36.
TTNTERSUCHUXGEN ÜBER DEN IIRSPKUNli VNI) DIE ENTWICKLUNG DER NIBELÜNGENSÄGE 345
das alte motiv für Sigfrids tod , die habsiicht, wofür 'missgunst' nur ein
anderer ausdriick ist, wider hervor.
Der wert, der dem Sigfridsliede als quelle zukommt, wird sehr
verschieden angeschlagen, aber das lied enthält manchen alten zug, und
wo es durch andere quellen gestützt wird, verdient es vertrauen. Nun
glaube ich, dass dieselbe anschauung einer Eddastelle zu gründe liegt,
die schon viele deutungen, aber bis jetzt keine befriedigende, erfahren
hat, nämlich Fäfu. 40 — 46. Wir sind hier im gebiete der Sigrdrifa-
sage also von Br I. Fäfnir wurde erlegt; der vogel rät dem beiden
nach Hindarfjall zu reiten; str. 42 — 44 handeln unzweideutig von
dem folgenden abonteuer und nennen auch 8igrdrifa. Ebenso unzwei-
deutig aber redet str. 41 von Gjükis tochter. Die interpretatoren gehen
zwei wege; entweder glauben sie, der vogcl rede ganz wirres zeug, in-
dem er mit absoluter willkürlichkeit von der einen frau auf die andere
übergehe oder sogar Sigrdrifa nur erwähne, um den beiden vor ihr
zu warnen, oder sie nehmen eine Interpolation au und streichen str. 41.
Dieser ansieht habe ich mich früiier (Ztschr. 85, 305 fgg.) angeschlossen.
Aber es bleibt doch die frage, ob man 41 von 40 trennen darf, und
40 ist im gegebenen Zusammenhang unentbehrlich.
Ich glaube jetzt, dass man 41 nicht zu streichen braucht, sondern
dass die Strophe eine eigentümliche sagenauffassung bezeugt. Sie scheint
eine reminiscenz an eine identification von Sigrdrifa- Ery nhild mit
Guörün-Grimhild zu sein, wie sie auch im Sigfridsliede vorliegt und
wie sie sich neben der officiellen, die SigurÖr für Günther werben lässt,
nur in der sagenform Br I erhalten konnte. Zwar ist in unserem liede
die identification nicht sehr consequent durchgeführt; str. 41 heisst es:
par (bei Gjüki) keßr dyrr konungr döttur alna; Sigurör wird sie mundi
kdupa; str. 42 aber liegt sie als walküre in einem flammenwall, von
<.)Mnn in einen zauberschlaf versenkt. Aber das ist leicht zu verstehen.
Der dichter von Fäfnismäl kannte nicht nur diese eine tradition; schon
dass er Gudrun Gjükis tochter nennt, zeigt, dass ihm wie natürlich
auch Br 11 bekannt war. Er wusste selir gut, dass Gudrun auf eine
friedlichere weise als Brj^nhild g;ewonnen wurde, und wo er von GuÖnin
redet, wendet er unwillkürlich auch die für sie passende phraseologie
an. Aber die tatsache bleibt bestehen, dass er sie deutlich nennt, und das
an einer stelle, wo nur von der erlösten Jungfrau die rede sein kann.
Zieht man nun in betracht, dass hier Br I vorliegt, wo SigurÖ die
Jungfrau für sich, nicht für den könig gewinnt, ferner dass unser
dichter auch gewusst hat, dass Sigur^s frau Gjükis tochter GuÖrün war,
so gewinnt die auffassung an Wahrscheinlichkeit, dass der dichter von
346 BOEK
Fäfn. 40 — 46 im anschluss an eine bestehende im Sigfridsliede bezeugte
auffassung einen freilich nicht ganz gelungenen versuch gemacht hat,
die erlöste Jungfrau als Gjükis tochter hinzustellen. So stützen unsere
stelle und das Sigfridsliod einander.
Dass andererseits die Identität der erlösten Jungfrau mit Brynhild
auch zu dieser zeit und später noch richtig gefühlt wurde, zeigt die HelreiÖ,
welche die geschichte vonHjjümgunarr und Agnarr in Verbindung mit Bryn-
hild erzählt.
§ 21, Sigfrids tod und Grimhilds räche.
C. 347 f. der I^iörekssaga erzählt, dass Sigfrid draussßn im freien
ermordet wird. Darauf führt man die leiche heim und wirft sie zu
Grimhild ins bett. Man hält die Vorstellung gewöhnlich entweder für
eine combination oder für eine übergangsform von der süddeutschen
Vorstellung, dass der held draussen, zu der der Sig. sk., dass er im
bette ermordet wird. Aber dieselbe scheinbare combination liegt auch
im Nibelungenliede vor, nur gemildert, wie die ganze darstellung des
Nibelungenliedes. Man führt die leiche heim und legt sie vor den
eingang zu Kriemhilts kemenate. Und der Edda, die die combination
der motive nicht kennt, ist jedes für sich doch bekannt. Die Guörün-
arkviöa II lässt SigurSr auf dem woge zum |)ing ermordet werden,
eine offenbar jüngere Variante zu der crmordung im freien, die auch
Brot kennt. Wenn nun die darstellung der I^S eine combination ist,
— von einer übergangsform kann gar nicht die rede sein — so müssen
beide auffassungen von anfang an nebeneinander bestanden haben, und
die combination muss die ganze deutsche tradition beherrschen. Aber
ein anlass zu dieser Verbindung ist nicht ersichtlich. Hingegen lässt
sich die alte Verbindung beider motive verstehen. Es ist eine grausam-
keit Hagens gegen Grimhild. Und diese ist widerum aus einem rück-
schluss entstanden. Da Grimhild so wütend wider Hagen tobt, muss
seine schuld wol eine grosse sein; so entsteht die Vorstellung einer alten
feindschaft zwischen Hagen und Grimhild. Diese kommt auch im Nibe-
lungenliede oft zum ausdruck. Sie ist eine folge der sagenauffassung,
die Grimhild Sigfrid an Hagen rächen lässt. Die Vorstellung der &S
von Sigfrids tod ist also durchaus sagengemäss: Brot 4 und Gu(Sr. H
haben die scene im schlafgemach fiillen lassen, die Sig. sk. hat die
ermordung draussen aufgegeben aber behält den zug bei, dass Gu^rnn
erschreckt neben ihrem ermordeten gatten aufwacht. Über die auffas-
sung der Sig. yngri s. § 22.
Was Grimhilds räche betrifft, so ist allerdings die ältere auffassung
die, dass sie ihren bruder an ihrem gatten rächt. Ich glaube zwar
irSTERSUCHUNGEN^ ÜBER DEN URSPRITNG UND DIE ENTWICKLUNG DER NnBEL("NGENSAGE 347
nicht, dass die erzählung von Attillas tod an der seite der Ildico das
beweisen kann, denn diese anknüpfung ist, soweit sie überhaupt vor-
handen ist, jung. Aber dass diese auffassung älter als die räche an
den brüdern ist, geht aus folgenden umständen hervor:
1. die Vorstellung, dass Gri'mhild Hagen an Attila rächt, kann
nicht secundär aus der anderen, dass sie Higfrid an Hagen rächt, ent-
standen sein. Denn Grimhild hatte so guten grund, den mörder ihres
mannes zu hassen, dass sie allerdings in einer tradition Hagens rächcrin
bleiben konnte, wenn sie das einmal war, aber nicht dazu werden
konnte, wenn sie früher seine mörderin war;
2. weil aus den alten Varianten, Finnsage und Öigmundsage, hervor-
geht, dass Attila, nicht Grimhild, ursprünglich an Sigfrids tod schuld
war, und aus der Sigmundsage zugleich, dass Grimhild den bruder rächte.
Aber die entgegengesetzte auffassung ist doch älter, als man ge-
wöhnlich annimmt. In der ältesten altnordischen poesie — den alten
Brotstrophen — ist sie angedeutet, sie kommt aber im norden nicht zur
entfaltung. Sie muss jedoch älter sein als Brynhilds räche an Sigfrid.
Denn sie setzt die besonders feindselige Stimmung der Grimhild gegen-
über Hagen, von der oben die rede war, voraus, und diese konnte
sich nur in der alten Hagensage entwickeln, in der Hagen allein an
Sigfrids tod schuld war. Nach der entwicklung der Brynhildsage war
Günther Avenigstens im gleichen grade schuldig wie Hagen; ein alter
hass zwischen Hagen und Grimhild konnte, wenn er zu der Über-
lieferung gehörte, bestehen bleiben, aber für die entstehung dieses motivs
fehlte von nun au die Voraussetzung. Also ist Grirahilds räche an
Hagen älter als die aufnähme oder wenigstens als die ausbildung der
Burgundersage und der dadurch bedingten Br. H.
Grimhilds räche an Attila ist wie gesagt noch ein stück älter.
Sie muss sogar älter sein als die Verdoppelung der sage vom schwager-
mord. Denn sie setzt ein freundschaftliches Verhältnis zwischen Grim-
hild und Hagen voraus. Auch das wird durch die Varianten, nament-
lich durch die Sigmundsage bestätigt. Denn diese kennt die räche der
Schwester an dem gatten, nicht aber die Verdoppelung des motivs vom
schwagermord ^
Die Chronologie für die entwicklung dieser motive ist demnach:
1. Hagens feindschaft mit Attila; 2. räche durch Grimhild; 3. Verdoppe-
lung des motivs 1 (Sigfrids tod); 4. Grimhild rächt Sigfrid (2 bleibt
1) Von den drei oben s. 298 z. 22 fg. angenommenen möglichkeiten ist also die
dritte als richtig anzuerkennen.
348 HEFNER
neben 4 bestehen, 2 im norden, 4 im süden, 4 ist jedoch in spuren
auch im norden bewahrt); 5. tödlicher hass zwischen Hagen und Grim-
hild schon vor Sigfrids crmordung (gleichfalls spuren im norden, s. 301
anm. 1; 302 anm. 1); 6. entstehung von Br II, in der Günther mit-
schuldig ist, unter dem einfluss der aufnähme der Burgunder. Die räche
trifft auch Günther. (Fortsetzung folgt.)
AMSTERDAM. R. C. BOER.
DIE. OCHSENFUETEE FEAGMENTE DEE ALEXANDEEIS
DES ULEICH VON ESCHENBACH.
Am 14. märz dieses jahrcs untersuchte ich eine handschrift des
Ochsenfurter Stadtarchivs. Die handschrift besteht aus 233 papier-
blättern in der grosse von 20 >< 31 cm^. Als die zwei zusammen-
geklebten pergamentblätter, die bisher den einband" der handschrift
bildeten, abgelöst waren, fanden sich auf dem rücken des manuscriptes
drei fragmente eines mittelhochdeutschen heldengedichtes. Die zierlich -
kleine, sehr sorgfältige schritt gehört dem ausgehenden 13. Jahrhundert-
an. Zwei bruchstücke sind vorzüglich erhalten und gehören auch test-
lich zusammen, weshalb ich sie kurzweg als Ochsenfurter fragment 1
bezeichne. Auf fragment 2 sind die verse nur teilweise lesbar. Die
bruchstücke stammen aus einer pergament- handschrift, deren blätter
etwa 19 — 21 cm breit und 27 — 29 cm hoch waren. Jede seite war
zweispaltig, in jeder spalte standen 54 verse. Die columnenbreite be-
trägt 5,5 cm, der abstand einer zeile von der anderen 3,5 mm. Die
verse der Ochsenfurter fragmente sind identisch mit folgenden versen der
Alexanderdichtung des Ulrich von Eschenbach nach "W. Toischers ausgäbe
(Bibliothek des litterarischen Vereins in Stuttgart 183, Tübingen 1888):
Ochsenfurter fragment 1' = v. 3470 — 3495;
„ „ 2- =v. 3535 — 3547;
„ „ 2^ = V. 3589 — 3601;
„ „ 1^^ = V. 3632 — 3657; •
Das pergamentblatt, aus dem die Ochsenfurter fragmente heraus-
geschnitten wurden, begann also mit vers 3456 und endete mit vers
36713.
1) Sie enthält eintrage des Ochsenfurter Stadtgerichtes von 1572 — 81.
2) Zu der form örsch (für ors) 3490. 3590. 3594 vgl. Boitr. 17, 256.
3) Es sei mir gestattet, eine Vermutung auszusprechen. Die Kleinheutjacher
papierhandschrift des 15. Jahrhunderts (a) geht direct auf das original {A) zurück und
OCHSENFUHTER FRAGMENTE 349
Die handschrift scheint nur wenig oder gar nicht mit initialen und
dergl. verziert gewesen zu sein. Bei den versanfängen sind hie und da
grosse anfangsbuchstaben gebraucht; der beginn eines abschnittes ist durch
einen grösseren, roten bucdistaben kenntlich gemacht. Kürzungen sind
nicht angewendet worden. Den text gebe ich ganz genau nach der in
den bruchstücken vorkommenden Schreibweise wider. Verse, resp. Wörter,
die nur mit hilie der ausgäbe Toischers identificiert werden können,
habe ich cursiv drucken hissen. Dem texte der fragmente stelle ich
den text Toischers gegenüber, damit ein überblick über die Varianten
leicht möglich ist:
war nach Toischer (a. a. o. s. V) für einen grafeu von Eberstein geschrieben; alle anderen
handschriften aber „sind durch ein medium gegangen" (Toischer s. XVll). Dieser
umstand lässt an die müglichkeit denken, dass auch die Urschrift im besitze der
faniilie von Eberstein war. Es fragt sich jetzt nur: war vielleicht a für ein glied
des fränkischen geschlechtes von Eberstein statt, wie Toischer angibt, für einen
schwäbischen grafeu von Eberstein geschrieben (L. F. von Eberstein, Urkundliche
geschichte des reichsritterlichen geschlechtes Eberstein P [Berlin 1889], s. 9), resp.
waren die heiTeu von Eberstein im 13. Jahrhundert noch ein zusammengehöriges ge-
schlecht, das sich erst später in mehrere linien spaltete'? Für die mitte des 13. Jahr-
hunderts ist auch ein fränkischer ritter namens Otto von Eberstein nachweisbar (L. F.
von Eberstein a. a. 0. s. 39). Ein söhn dieses ritters, Eberhard von Eberstein, wurde
im jähre 12(;G domherr in Würzburg, resignierte aber wider 1271 (Amrhein, Reihen-
folge der mitgiieder des adeligen domstiftes zu AVürzburg im Ai'chiv d. histor. Vereins
V. Unterfr. u. Aschaffenburg, bd. 32, s. 150). In der gleichen zeit war Friedrich II.
von Walchen erzbischof von Salzburg (1270 — 84), an dessen hofe Ulricli von Eschen-
bach lange zeit lebte. Der Salzburger erzbischof, der die Alexanderdichtung ver-
anlasst hatte, dürfte darum auch vom dichte)' die Urschrift wenigstens der ersten
bücher erhalten haben (Piper, Höfische epik 3, 40 f gg.). Bestanden nun damals schon
oder später verwandtschaftliche beziehungen zwischen den l'amilien von Walehen und
von Eberstein und begab sich vielleicht Eberhard von Eberstein im jähre 1271 von
Würzburg nach Salzburg? In diesem falle könnte er, resp. sein geschlecht, in den
be.sitz der abschrift gekommen sein. Im 14. und 15. Jahrhundert waren noch ver-
schiedene Eberstein domherren in Würzburg: Heinrich v. E. 1351 — 53, Engelhard
V. E. 1409 — 22, Konrad v. E. 1420, Theodorich v. E. 1428, Vitus v. E. 1475 (Am-
rhein a. a. 0., s. 215, 254, 2G1, 266, 277). Die stadt Ochsenfurt gehörte seit dem
Jahre 1295 dem Würzburger domcapitel, und die domherren weilten oft, nament-
lich während der Sommermonate, in der Stadt. Es ist also die möglichkeit
nicht ausgeschlossen, dass die Ochseufurter fragmente direct aus der
'iriginal - handschrift abzuleiten sind. Für die.so möglichkeit spricht auch
einigermassen der umstand, dass in der urschrift wahrscheinlich genau die gleiche
auzahl von versen in jeder spalte stand wie in den Ochseufurter bruchstücken,
nämlich 54 (Toischer s. VI), und da-ss die Ochseufurter fragmente noch dem
13. Jahrhundert angehören. Doch ist zu bemerken, dass auch das fragment w
I Toischer s. VII fg.) aus Würzburg stammt und noch dem 13. Jahrhundert zugewiesen
wurde.
350
Toischer. Ochsenfurter fragment 1"^.
des ricliem küuge gezani. dex richem kunige gexam.
3470 do man die tischlachen abe nam, da man div tyschlachen abe nam,
jene des gewuogen Jene des gewügen
die die tambüre dO sluogen, die di tamburen clfigen,
die huoben sich für die gezelt die hflben sich für div gezelt
vaste gegen der stat ßf daz velt. vaste gein der stat vf daz velt.
3475 sie machten also grozen schal, Si machten also grozen schal,
der lüte in die stat bal, der lute in die stat hal,
flöutaere, videlaere, floitiere, videlaer,
als da ein hochzit waere. als da ein hochgezit waer.
die innern sere des verdroz die Innern dez sere verdroz
348Ö daz dirre hochvart was so groz daz dirre hochuai't was so groz
■ und daz sie so lange da beliben. vnd daz si so lange da belibeu.
nach ezzen den äbent sie vertriben Nach ezzen den abent si vertriben
mit riten üf dem plange. Mit riten vf dem plange.
sie huoben schal mit sänge Si hfiben schal mit sänge
3485 und begunden kurzewile vil vnd begunden han kürtzwile vil
mit manger hande fröidenspil, Mit maniger hande fraeudenspil,
des erdähte Alexander, des erdaht alexander,
hie ein storje, dort die ander, hie ein storie, dort ein ander,
die sich sere wurren. die sich sere wurren.
3490 ir vrechen ors die kurren. Ir frechiv orsch div knurren,
dirre viel, jener besaz, dirre viel, iener besaz,
dirre hurte vürbaz, dirre hurte furbaz,
jener üf sitzens phlac, Iener vf sitzens pflac,
dirre üf dem anger lac: dirre vf dem anger lac:
3495 also sich die jungen also sich die iungen
üf der plante drungen. vf der flanie drungen.
Ochsenfurter fragment 2'".
3535 des morgens do der tac erschein, tac erschein,
die innern waren worden in ein orden inein
daz sie des geruochten, u,
vür die stat sie suochten. ten.
sie heten eine schoene schar. e schar.
3540 die üzern wurden des gewar, des gewar
in der burger banier gesniten was ier gesniten was
die gottinne Pallas,
die in vil hochverte schuof. e schuf.
der name in strite was ir ruof. was ir ruf.
3545 Cycropides niht beiten, eiten,
zehant sie sich bereiten. en.
dise wären von der stat nü komen stat uu komen.
Ochsenfurter fragment 2".
von der tjost daz geschach, von der thost daz gescha . .,
3590 hinder dem orse man in ligen sach. hinder dem orsch mau in . . .
OCHSF.XFIIRTKR FRAGMENTE
351
nilit lange er doch da nider lac.
der fürste soliclier snelheit phlae,
daz er äii des burgraven dane
sich wider uf daz ors swauc.
3595 da mite sie fiiorten beide swert.
von Atbeniä den herreu wert
brähte der fürste iu sorgen,
sie begunden einander borgen
siege und gelten uugezalt.
3600 der burgräve des füisten kraft engalt:
er het im na vergolten
mit helme suochon iu dem aeker.
Cycropides warn wackei'.
sie brahteu Thebaner in uot
und frumten ir mangeu vor in tut.
3635 man sach die uuwiseu
vor den frechen risen,
als ob zitige birn
durch schür von dem boume rirn.
die stat dO volkes vil verlGs.
3640 der künec do kleinen schaden kos.
waz liute do lebendic was beliben,
die wurden in die stat getriben.
nach den man nider liez die tor.
ob ir deheiner bleip da vor,
3645 der muoste Iiden die selben uut,
die man e sinen geverten bot.
Nu wären tüsent wol bereit,
die sich durch stürm heten geleit
au die stat vür Thebas,
3650 die des iibendes verspehet was.
die fuozgenger kämen,
daz hai'nasch sie nämen
von den, die den lip da verlurn
und ritterlichez ende kurn:
3655 daz harnasch den povel fröut.
da lac der werden gnuoc geströut,
die von süezenwibcn wurden beweinet,
Nicht lange er doch da ... .
der fürste sülhev snelheit . . . .,
daz er an des burchgrave ....
sich ivider vf daz orsch ....
da mit si fürten beide ....
von athenis den herren ....
Braht der fürste in sorg ....
Si begunden ein ander ....
Siege vud gelten vnge ....
der burgrafe dez fürste ....
Er hete nach vergolten.
Ochsenfurter fragment 1"".
mit heim suchen in dein aeker.
Cycropides warn wacker.
Si brahteu Thebaner in not
vnd fnimten ir mauigeu vor in tot.
Man sach die vnwisen
vor den frechen risen,
als ob zitige birn
von schür ab den bavmen rirn.
div stat da volkes vil verlos,
der künic deinen schaden kos.
was lüte da lebendic was beliben^
die wurden in die stat getriben.
Nach den man liez nider div tor.
Ob ir cheiner beleip da vor,
der mäste Iiden die selben not,
die man e sinen geuerten bot.
Nv waren tusent wol bereit,
die sich durch stürm heten geleit
an die stat vor Thebas,
div des abends versperret was.
die fnzgeer kamen*,
daz harnasch si namen
von den, die den lip da verlurn
vud rihtecliches ende kurn:
daz harnasch den bovel fraeut.
da lac der tverden gnüc gestraeut,
die von frawen wurden beweint,
1) Im orig. e corrig. aus a; das a durch einen punkt getilgt.
OCHSENFURT. JOSEPH HEFNER.
352 STOLZBNB0RQ
DIE ÜBEESETZUNGSTECHNIK DES WÜLFJLA
untersucht
auf grund der bibelfragraente des Codex argeuteus.
(Schluss.)
Capitel TIT.
Stilistische abneichungeii.
1. teil.
Stilistische abweichungen in bezug auf das einzelne wort ohne riicksicht auf seine
syntaktische funotion im satze.
T. Eine gr. Wortklasse wird durcli eine abweichende gotische ersetzt.
Sehr oft wird gr. adjectivum durch got. participium gegeben:
Mt. VIT, 15 wilivands, aQ/ca^. Mc. IX, 25 unrodjands, älaXog. Mt.
XXVII, 16 gatarhips, €7tioii^f.iog u. ö. (vgl. Gering, Zeitschr. 5, 303).
Oder es gibt umgekehrt ein got. adjectiv gr. participium wider: Mt. V, 22
modags, uQyitöf^tevog. Mt. IX, 12 hails, loyrvcov u. ö. (vgl. Gering, Zeit-
schrift 5, 301 und Trautmanu, Zeitschr. 37, 253).
Substantiva treten im got. an die stelle gr. participia: Mt. VTII, 16
daimonareis, daij.ioviC.6f.iBvog,. Lc. 11,27 biuhti, rb el&iOf.ih'ov. Mt. TX,
18 reiks, ccQxiov.
Anch das umgekehrte kommt vor: Mt. XT, 12 daupjands , ßa/t-
Tiov/jg. Lc. VI,1G gcdewjands, ycQodovr^g u.a.; (vgl. Gering, Zeitschrift
5, 303 fg.).
So tritt auch got. Substantiv für gr. infinitiv ein und umge-
kehrt steht got. infinitiv für gr. Substantiv: Lc. VTI,21 sinns, ßliyten:
Lc. VIII, 55 mats, cpayelv, und daneben Lc. V, 4 dti fiskon, elg liyQav.
J. XII, 13 wipra gmnotjan, sig V7cävciipiv. (Vgl. G. L. § 193, 1).
Als bedeutender empfinden wir die abweichung, wo es sich um
zwei miteinander in beziehung stehende nomina handelt und der Gote
ein gr. Substantiv mit davon abhängigem genitiv durch Substantiv mit
adjectiv ausdrückt: Mc. VI,23 halba pmdangardi, fjf.iiov Tfjg ßaaiXelag.
Mc.lY, b habaida diupaixos airpos, l'iuv ßdS-og yfjg. J.Xll^ 4:3 hcmkein
rnmmiska, rrjv öo^av cüv dvd^qioyciov. Mc. XI, 1 at fairgtuija alewjiu,
Jtqög Tu oQog Tiov aXaiwv^.
Auch hier finden sich fälle, wo das umgekehrte sich zeigt, dass
got. Substantiv mit zugehörigem genitiv griechischem Substantiv mit
adjectiv entspricht: J. VT, 5 manageins fHii, 7coXbg ox^og. Lc. ITT, 22
1) Vgl. Lc. XIX, 29 fairgunja Patei haitada alewj'o, tu uoug tö y.uXuvixtvov
iXuiwv.
DIE ÜBERSKTZÜNGSTKCIINIK DKS WULFILA 853
leikis siimai, öiof-iarr/nl) eidsi. Ähnlich Lc. VT, 17 jah phc faiir niarein
Tyre, /.al Tfjc; jcaQctliov Tiqov^.
Recht häufig sind gr. adverbicn widergegeben durch got. sub-
stantiva (gewöhnlich mit praepos.) und umgekehrt: Lc. I, 74 unagei?i,
(((foßioc:. Mt. XXVI, 73 öl sunjcii, dXrj&ojg. Mc. XVI, 9 i?i maurghi^
vtQiot, ebenso Mc. XI, 20. Mc. XV, 1 i)i inauryin, Ijtl tö ycQOj'L Mt.
VIII, 18 hiudar marein, elg tö yitQav^ ebenso Mc. V, 21 und VIII, 18.
Lei, o [renn (niastodeiimi , ävcoO^ev. Lc. X, 21 m andwairpja peinamnut,
l'f.i!CQood-tv oov. Mc. XIV, 5 in managixo pau Jyrija himda skatte, e/cdvco
CQia/.oauov dt^vaQiiov^.
Das umgekehrte findet sich: J. VII, 13 halpaha, /taQQTjola. J. XVIII,
20 anda/tgjo, 7caqqrjoia \md Jmtbjo, Iv 'aqvjccw. M.Q..Nl^2b sniummido^
liucu Gycordijg. Lc. X,23 siindro, y.ax^ Idiav'^.
Für gr. participium tritt im got. bisweilen ein Substantiv mit
praeposition ein: Mt. VIII, 14 m heitom, 7cvQiooiov (vgl. Mc. I, 30).
Mc. XV, 23 mip smyrna, eoi.ivQVLOf.ii.vog. Lei, 27 in fragibtim, ^firtjorev-
fitv7j. Ähnlich Lc. 11,5 nur dass hier ein relativsatz entwickelt ist: 7?ilJ)
Mariin f sei in fragiftim ivas, ovv l\laQLä(.i rf] i[xvrjOC£vf.i£vrj^.
Umgekehrt steht got. participium für gr. Substantiv mit praepo-
sition: J.VII,4 unkunpana ivisa?i, iv TiaqQrjoia ehai".
Tl. Ein gr. wort wird durch zwei oder mehrere got. übersetzt.
Audi hier tritt hcäufig der fall ein, dass eine gr. Wortklasse durch
eine andere ersetzt wird (z. b. ein adjectiv durch ein participium u. a.).
1) Hierher würde auch Mc. IV, 28 fuUeip kaurnis., nXtjoij ahov gehören, wenn
Massmauu und Beruh, mit der Vermutung recht haben, dass für fullciß zu lesen sei
fullein (vgl. die anm. bei Beruh.).
2) Durch got. adjectiv wird gr. substantiviertes adverb gegeben: Lc. XVII, 31
ni gaivandjai sik ibukana, fXT] iniaT^t\pÜT(o tig tu 6n(a(a\ ebenso J. VI, 66, XVIII, G.
3) Hierher gehöi't auch Lc. VI,26 samaleiko., xara ravra.
4) Lc. 111,23 Jah silba tias Jesiis swe jere prije tigüve uf gakunjmi^ stvaei
stinus munds tvas Josefis, xcd uiijög ^v 6 'fTjaoOg wael IriDv jqiüxovtu i\>)(6f^evos,
wv wg ivofxiCtTü vlog 'foja/jff. Vgl. Beruh, anm.: „Über den sinn von i(o/6uivog waren
schon die älteren auslegcr nicht einig; neuerdings interpretiert mau entweder 'da er
zu lehren anfieng' oder 'im anfange der dreissiger jähre'. Wulfila nahm uQ/ü^tvog
als passiv von üq/m also: 'Jesus selbst war etwa 30 jähre alt, unter gehorsam (d. h.
seinen eitern unteiian), so dass er für Josephs söhn galt'. Nur so erklärt sich stvaei
(Lobe falsch sicut)., das bekanntlich stets cousecutiv steht, die auslassung von div
und die Stellung von siinus.^^
ö) Einmal findet sich für gr. participium got. adverb: Mc. 1, 38 du paim
bisunjane haimont jcüi baiirgi)//-, tig t«<; i/ofi^vag xiof^onultig.
ZEITSCHRIFT F. DEUTSCHE PHILOLOOIK. BD. XX.XVII. 23
354 STOLZHNBURG
A. Nomina.
1. Im gr. liegt ein compositum vor.
a) Substantiva.
a) gr. Substantiv = got. subst! + subst. im genitiv: Lc. VII,41 hvai
diilgis skulans, ovo xQeocpsileTai. Lc. VIII, 49 frani pis fauramapleis
synagogeis, mvö toü uQ%iövvayioyov. Lc. XIX, 2 fauramapleis viotarje,
aQXLxeXwvrig.
ß) gr. subst. = got. subst. + subst. mit praeposition : Mc. XII, 1 dal
iif mesa, v/coljnov.
y) gr. subst. = got. subst. + adjectiv: Lc. XX, 36 ibnans aggihcm,
iodyysloi. Mc. XI,27 auhumists gudja, dqxitqtvg, ebenso Mc. XIV, 43,
XV, IL 31; J. VII, 32 u. ö. (vgl. G.L., Glossar s. 15). Mc. XI, 18 giidjane
auhimi'isls, dqx'^BQBvg. J. XVIII, 13 afihumists weiha, ccQxieQevg. J. XVIII,
22 pamma reikistin gudjin, zip dq^uqü. J. XVIII, 24 Jmmma maistin
giidjin, TÖv dQxtSQ^cc] ebenso J. XVIII, 26, XIX, 6. Lc. II, 14 gods
ivilja, evdoyJa. Mc. XV, 42 fruma sabbato^ jiqoodßßazov.
d) gr. subst. = got. subst. + adverb: Lc. IV,37 pata bisunjane land,
yreQlxiOQog K
b) Adjectiva.
Mt. VI, 30 leitil galaubjandans , ohyo/iiOToi. Mc. VIII, 1 filu
7nanags , ycdi^jioXvg -.
2. Im gr. steht ein einfaches wort,
a) Substantiva.
a) gr. subst. = got. subst. + subst. im gen.: Mc. VI, 21 mel gahaur-
pais, id yeveoia^.
ß) gr. subst. = got. subst. + subst. im dat.: J. XVIII, 22 gaf slah
lofin lesiia, edcoy.ev ^d7tiOf.ia rö ^ItjOoC. J. XIX, 3 jah gebun iumm
slahins lofin, y.al iöidooav avzQ qa7ciO(.iaca.
y) Besonders frei ist die Übersetzung von gr. jildty. Mc. V, 4
eisarnam bi fohins gabuganaini ^ ntdaig und pw ana fotiim eisarna^
Tag TTsdag.
1) Auch das im gr. mir einmal belegte formelhafte Toüvo/na gibt der Gote
durch eine Wortverbindung wider: Mt. XXYII, 57 pixuh namo Josef, toüpo/hk 7wff»;yi.
2) Nicht eigentlich hierher gehört Lc. VI.l in sahbato anjjaramma frumin,
iv außßüjut divT(()on(ianM. Vgl. Bernh. anm.: „Was deuTtoön^ioTos bedeute, scheint
Wulfila so wenig wie die alten und neuen ausleger des N. T. gewusst zu haben;
anparamma frumin enthält ohne versuch der deutuug die wörtliche Übersetzung."
3) Mannigfaltig ist die Übersetzung von adßßuTog: sabhate dags Mc. XVI, ] (2);
J. IX, 16. sabbato dags Mc. I, 21, II, 23. 27, III, 2; Lc. VI, 2. 5. 7. 9.
DTE ÜHERSETZUNGSTKCHNIK I)KS WULFILA. 355
b) Adjectiva.
Mc. 1^4:0 /))■(( (sfill Itahamh, It/cQüi^. Mt. VIII, 2 mcmna Jyrntsfdl
liübands, Xe/tQu^. Lc. XV, 13 in land fairra ivisando, eig y/oquv f.iuY.^dv.
c) Adverb und adverbiale.
Mt. IX, 15 und pata heilos pei, scp' oaov. Lc. XVIII, 4 laggai
Iveilai, tyil xQo^'Ov. Lc. 1,70 frcn/i anastodeinai aiivis, d7t aioJvoq {vg\.
J.IX, 82 frain aiwa). Mt. VI, 30 liitntnu daya , a/juegor, ebenso Mt. VI, 11.
Mt. XI, 23 und hina duy , {-'cog ffjg ai'ji.iEQOv, ebenso Lc. 11,11, V, 20,
XIX, 5. 9 u.ü.i
ß. Verba.
Sehr zahlreich sind die belege dafür, dass ein gr. v erb um im got.
durch ein v erb um mit einem nomen oder verbum (adverb.) aus-
gedrückt wird.
1. Im gr. liegt ein compositum vor.
Zur widergabe dient im got:
a) uisan.
a) ivisan + adjectiv: Lc. 1,37 unmahteigs tvisau, ddvvaidv. J. XI,
3. 0 siuks wisan, dod^evelv. Im comparativ steht das adjectivum:
Mt. V, 29 hatixa ivisan, ovf.iq)fQeLv, ebenso J. XVI, 7, XVIII, 14. Mt.
X,31 hatixa ivisati, diacpäqeiv. Mt. VI,26 ividprixa ivisan, ÖLacpiqeiv.
ß) ivisan -i- purücipinm: Lc. XVIII, 7 usbeidands wisan, f.ia/,QO-
^Li^idv. Mc. 111,9 habaip wisan, jtQoay.aQTeQEiv.
y) ivisan + substantivum : Lc. XVIII, 20 galiugaiveitwods wisan,
Ui€udo/.iaQTiQ€lv.
d) wisan + adverb: Lc.XVI, 19 wailu wisan, tvcfqaiveod^ui , ebenso
Lc. XV, 23. 32.
b) wairpan.
Mc. 1,22 usfdma waiipan, tv.jclijxreod^ai. Lc. XVIII, 1 usgrudjans
icairpan, ly/M/.tiv. Mc. 1,36 yalaista wairpan, /Mxaöuü/.eiv.
c) taujan.
Lc.VI,33. Sbpiup taujan, dyad-o7toiuv, ebenso Mc.in,4; Lc.VI,9.
Mc. 111,4 unpiup taujan, vM'A.07coieiv , ebenso Lc. VI,9. J. V, 21 liban
gataujan, 'Cioo7toieiv. J. VI, 63 liban lanjan, 'C(oo7coieiv. Lc. IX, 15
anakumbjan gataujan, dva/liveiv (vgl. Lc. IX, 14 gawaurJcjan ana-
kumbjan, vMTa/XivELv).
1) Diese letzten fälle können auch so angesehen weiden, dass im gr. eine
ellipse voiliogt, die im got. durch einen zusatz beseitigt ist. Ähnlich z. b. auch
Mt. XXVIl, 02 iftiimin daga, ifj inuvfiiuv, ebenso J. VI, 22. XU, 12; Mc. XI, 12
oder Mt. XXV. 41 (tf hleiduineiii frrai^ ii U'wvöjxwv (vgl. s. 371).
23*
356 STOLZENBTTHG
d) hriggnn.
Lc. XV,13 samana hriggan, avvdyeiv.
Andere verben finden sich noch in folgenden fällen:
Gr. verbum = got. verb. + shbst. : Lc. IV, 16 siggivan bokos, dva-
yvcovai. Lc. VT, 12 7iaht pairlnvakan, diavv/iiEQeveiv. Mc. IV, 20. 28
akraii hairmi, /MQytoq^oQEiv , ebenso Lc. VIII, 15. Mc. VI, 16 liaubip
afmaitan, mcoy.ecpali'Ceiv , ebenso Mc. VI,28; Lc. IX,9. Lc. XVIII, 12
afdailjan taihnndon daü, dytoÖEKazovv. Lc. XX,6 afwairpan stainam,
■/.aialL&aCeiv. Mc. XII, 4 stainam wairpan, Xi&oßoleiv. Lc. XVII, 6
uslausja7i us ivaurtim, tKQiLovv. Lc. XX, 20 us liutein taiknjan, v/co-
y.QivEa&ai. Mc. IX, 36 ana arniins nima7i, 8vayytaliÜ,€G&ai.
Verbum -f- adjectivum: Mc. XIV, 56. 57 galiug weitwodßan, ^'sv-
öoixaQTVQelv. Mc. VII,10 ubil qipan, /.ayioXoyElv.
Verbum + abverbium: Mc. II, 4 tieha qimaii^ 7CQ0GEyyiLEiv. Mt.
Y,2b tvaila hugjan, euvoeIv. Mc. 1,11 waila galeikan, evSoxeIv, ebenso
Lc. III, 221.
2. Im gr. steht ein einfaches verbum.
Zur widergabe dient im got:
a) wisan.
a) wisati -{- Sidiectiy : M.t.jLX.Yll^lb biuhts ivisan, Euod^hai, ebenso
Mc. X, 1 (mit fortlassung der copula). Mc. IX, 50 gau-airpeigs ivisan,
Elqr^vEVEiv. Lc. VIII, 43 malits tvisan, loyvEiv. Mc. XIV, 70 galeiks
ivisan, öf.wiaCEiv. Mt. XXV, 42 grcdags ivisan, ytEtvfjv, ebenso Mc.
11,25, XI, 12; Lc. VI, 8. Mc. V, 18 ivods ivisan, dai^iovitEod^ai. Lc.
XVIII, 13 /««//)s ivisan^ iXaod^fjvai. Lc. XVIII, 22 ir ans ivisan, "kEiyiEiv.
Mc. X, 21 wans ivisati, voteqeiv. J.VI, 7 ganohs wisan, d^yiEiv. Lc.
XIX, 42 gaf/dgitis ivisan, y.E/.QV(pd^ai.
ß) ivisa?i + substantivura : Lc. II, 2 wisan kindiiis, ijyE^ovEVEiv.
J. X,13 kar' ist, (.uXel, ebenso J. XII,6.
y) wisan + adverb: Mc. XI, 1 neJva ivisan, iyyiLEiv, ebenso Lc.
VII, 12, XVIU,35. 40, XIX, 29. 37. 41.
b) wairpan.
Lc. IV, 2 gredags wairj>an, yvEivfjv., ebenso Lc. VI,25. Lc. IX,43
usfilnia ivah'pari, vMc'kijixEG^ai , ebenso Mc. I, 22. Mc. X, 32 faurhts
ivairjmn, (foßEiad-ai. J. XI, 12 hails wairpan, aiouai^ai. Lc. XVII,
15 hrains wairpan^ /.ad^agiLEdd^ai. Lc. VII 1, 23 bireks wairpan,
AivövvevEiv. Mt. V, 20 managizo ivahpan, TtsQiaoEVEiv. Lc. XV, 14
1) Nicht mit berücksichtigt sind hier abweichungen wie mipgaleipan = awsia-
^QXaafhia u.a.; vgl. Koppitz, Zeitschr. 32, 460fg.
4
M
DIE ÜBERSETZUNGSTKCHNIK DES WÜLFILA 357
alaparha woirpan, vacEQeTax'hai. Mc.X^ 11 nrhja irairj)an, '/.li^QO}'Of.ieiv.
Lei, n in siuuai wairpaii, öqäod^m.
c) taujan.
Lc. IX,25 paurft gataitjan sis, (hrpeleiod-ai.
d) briggan.
J. VITT, 32 frijana briggan, fAec/lf^ofr, ebenso VIII, 36. Mc.
XIT,4 haubip umndnn briggan, ■/.ecpa?.atovr.
e) domjan.
Lc. VII,20 garaihlana doinjan , dt/.aiovv. \,c.X^29 nsivanrhtana
doinjan, di/Miovv vgl. Mt. XT, 19 itsivaiirhtana gadomjan.
f) haban.
Lc. XV, 17 ufarassaa ha bau,, jiEqiaaevEiv. Mc. I, 32 nnhalpons
haban ^ daif.ioviuod-ai , ebenso J. X,2L
Es koraraen auch noch andere verben vor:
Verbum + siibst.: Mt. Vlll, 32 rmi gawanrkja^i sis, ÖQ/uär.
J. XI, 8 afivairpan stainani^ liS^aCeiv. Mt. XXVI, 67 lofam slahaii,
gaTtiCeiv. hc. XIX, 4:'i airjmi gazb?ijaii, idacpluiv. Lc. XV1I,8 du naht
matjan, dEiycveiv.
Verbum + adjectivum: Lc. XVlll, 14 garaihlana gaieihan,
di/Mioüi: Lc. XVI,21 sap itan, xoQtaCeod-aL.
Verbum + adverbium: Lc. XX, 6 triggwaba galaiibjan, tce-
jceloOai. Lc. XV, 25 atiddja neh, yyyiLEv.
liier reihen sich noch zwei gr, participia an, die im got. durch
zwei Worte widergegeben Averden: Lc. XVI, 20 banjo fidls, fjXyM)(.iEvog
und Lc. 1,28 anstai audahafts, /.ExagiTcofiEvog^.
III. Ein got. wort dient zur widergabe mehrerer griechischer.
Dieser fall ist weit seltener.
1. Substantiva: Mc. IX,42 asiluqairnus, Udog f.ivli/.6c.. Mc.l,35
air iditivon, ycqwC Evvvyov kiccv.
2. Adjectiva: Mc. XIII, 17 paim qipidmftom , tmg iv yaacql ^yov-
oaiQ. Lc. V, 31 pai imhailans, oi /ax<~>c,' l'yovvEg. Lc. VII,2 siukands,
y.a/.otg l'yo)v. Lc. IX, 11 paus pqrbans, rohg yQEiav iyovTag. Mt. V, 8
pai hrainjahairtans , o'i v.a'&aqoi tfj /.aQdt'a. Lc. VII, 2 swultaivairpja
(sc. was), }'ji.ieI?^ev zElEviäv.
1) 15(jinli. anin.: ,,Der got. ausdriiok ist siiinli<lior und dichterischer als der
griechische." — Eine besondere Stellung nehmen folgende fälle ein: J. XVIII, ') and-
hafjandans intma qeßun^ <\7itxoi<'/t]a«v idnö) und J. XlII, 36 andhafjands lesiis
qap, HTKxoühi t(t'i(ä 'ItfioOg. in denen vorhuin -|- participiuni zur formelhaften wider-
gabe des gr. verbimis dient.
358 STOLZENBURG
3. Verba: Mt. VI, 8 paurban, xqelar txeiv. Lc. XIX, 31 gainijan,
XQEim' 8XELV. Mt. VIII, 26 faurhtjan, detlöv elvai. Mc. 11,23 skewjan,
öööv 7C0LBLV. Lc. XVIII, 7. 8 gawrikan, zfjv e'/.dUfjOiv TtoLelv^.
IV. Sonstige abweichiingen im wortgebrauch.
Es bleibt noch eine geringe anzahl von auffälligen abweichiingen
übrig. So setzt der Gote, wenn im gr. der name eines 1 an des steht,
den namen der bewohner dafür ein: Mt. XI,22 Tyrim jak Seidonim,
TvQO) /.al ^idtori, ebenso Mc. VII, 24. 31. Mt. XI,21 muss man jedes-
falls auch lesen in Tyre jah Seidone landa. Lc. VI, 17 Jdxe faur
marem Tyre jah Seidone, Tf}'; Ttagaliov Tvqov /.al 2iöwvog. J. VI, 1
7(far -mareiyi po Galeilaie jah Tibairiade, 7r£Qav rfjg d^alaaaTjg vfjg
Fahlaiag rfjg TLßsQiccdog. Lc. X, 12 Saudaumjam^ 2od6f,toig. Lc.
II, 2 ragiiiondin Saurim^ fjyei.iovEvovTog Tfjg ^vQiag. Für gr. eigen-
namen eines volkes setzt der Gote pinda oder managei ein: J. VII, 35
piudo — piudos, Tiov^Elh'jviov — Tovg'EXlrjvag. J. XII, 20 sumai piudo,
Tiveg "ED.Vjvsg. Mc. VII, 26 so qino haipno, fj yvvt) '^ElXi^vlg (vgl.
Beruh, anm.). J. VII, 15 manageins, o\ 'lovdaloi. Für das land sind
im got. die bewohner des landes eingesetzt auch Lc. VII,17 and allans
bisiiands, iv Ttaorj tfj tvsqixioqo). Lc. III, 3 and allans gaiijans, eig
Ttäoav jCEQiy^wqov. Lc. IV, 14 and all gaivi bisitande bi ina, yiad^^ olrjg
Tfjg Tteqix'^ÖQOv jceqI amov.
Auch an andern stellen zeigt der Gote eine neigung, was im gr.
abstract gegeben ist, concret auszudrücken: Lc. 11,23 Ivaxuh guma-
kundaixe, Jtäv ägoEv. Lc. XIX, 10 ptans fralusanans, zb mcoliolog.
J. XV, 19 sivesans, xb Xdiov. Lc. I, 35 saei gabairada iveihs, zb ysv-
vw(.iEvov äyiov. Ähnlich sind fälle wie: Lc. XIX, 23 du skattja?n,
87tl zQu/cECar. Lc. II, 44 in gasiiipjam, er zf] ovvodiq. Mc. XII, 19
jah ussatjai batiia bropr seinamma, Aal s^avaon]Gt] 07r€Qf.ia z(p dÖElcp^
avzov.
An einer stelle hat der Gote für gr. tioieXv, welches ein verbum
widerholt, das verbum selber eingesetzt: Lc. VI,10 iifrakei po handu
pei7ia, paruh is ufrakida, t'/.z£ivoi> ztjv x£^Q(^ oov, 6 di i/roiijosv.
Für gr. k'zog wird ivintrus eingesetzt: Lc. 11, 42 jah bipe ivarp
hvalibtvintrus , xal oze eyivEzo eziov öwÖE/ta, ebenso Lc. VIII, 42 und
Mt.IX,202.
1) Es bleibt noch zu erwähuen, class der Gote gr. participien mit der uegation
widergibt durch composita mit un: J. XV, 2 imbairands, fxrj (fSQwv u. ö. (vgl. G.L.
§ 213, 3aa).
2) Vgl. Beruh, einleituug §8, s. XXX.
DIE ÜBKRSBTZÜNGSTECHNIK DES WULFILA 359
Xicht als fehlerliafte iiliorsetziin^; wird man es ansehen dürfen^,
wenn der Gote in so manchen fällen gr. comparativ duirh einen
Superlativ ersetzt: Lc. IX,46 pata harjis pau ize maists ivcsi, zö rig
av el'rj (.leiLiov avTcjv, ebenso Mc. IX, 31 und IV, 32. Mo. IV, 31 min-
nist allaixe fraiwe, f^iiv.QÖiEQOo, jtctvnov ztTtv 07ceQ{.iäcii}v, ebenso Lc.
IX, 48. Es findet sicii auch got. positiv für gr. Superlativ: Mt.
XXV, 45 ainamma Jnxc Ic/f/lanc, tri lovviov iior ü^yjaion'., ebenso Lc.
XVI, 10, XIX, 17. Weniger stark wirkt die abweichung Mt. XXVII, 64
50 spedixei airxipa, i) eoyairi /clartj und J. XIII, 27 fairei sprauto,
Ttoirjoor' tayiov. Lc. XVIII, 14 ist vermutlich auch so zu beurteilen:
atiddja sa yaraihtoxa gataiJians du yarda seinaninia pati raihtis jahis,
'/.aztßi] ovrog dEdL'/,auo(.iivog eig xbv oiy-Ov avToD J) yocQ ay-slvog '^.
2. teil.
Stilistische abweichungen in bezug auf die syn1al<tischen functionen und
beziehungen der worte.
Diese abweichungen, die sich mit denen in cap. I angeführten
vielfach berühren, treten bemerkenswerterweise nur ganz vereinzelt auf.
In vielen fällen kann man zweifelhaft sein, ob stilistische momente bei
der änderung mitgewirkt haben oder nicht.
1) Um wirklich ungenaue oder dircct falsclie Übersetzungen handelt es sich
nur an ganz wenigen stellen: Mt. Y, 20 »«"«/i/sto, fa/uToc;. Lc. I,.ö >/s afar Ahtjms,
iS iffrifxfQt'ceg ^ylßul. Lc. III, 14 naldaip, dQxeTaO^f. Lc. V, 26 tvulpaga, iKiQciSo^u.
Lc. VI, 44 trudan, r(jvyav^ während trudaii sonst für ncutTv steht. Lc. IX, 18
gamotidednii imma siponjos is^ auv^auv «troJ ot uaO^tjTca uvtov, als ob avvrivrriaav
im gr. text stünde. Lc. XIY, 18 jah dugunnim suns faxirqipan allai^ xm ijo^ecvro
(\no /niüg TiaQ((LTtia(>ai nclvrtg. Mc. I, 4 du aflageinai fratvaurhte, e!g (Uptaiv äfxciQ-
Tiäjv. Mc. IV, 24 pa/tn galaiibjandam , Toig (ixovovatv. Mc. VII, 3 ufla, nvyfxfj (viel-
leicht verlesen für nv/.vä). Mc. VII, 31 mij) hveilmaim viarkom Dadk.^ ävä fx^aov
Twi' ÖQÜov lijg ^hx. Mc. XVI, 1 inwisandins sabbate dagis, iiayevofxevov jov accß-
ßi'aov (vgl. Bernh. anm. : .,Auch hier liegt, wie G.L. bemerkten, der got. lesart der
bericht des Luc. zu grande, nach welchem die trauen noch vor beginn des sabbats
die salben kauften, s. Lc. XXIII, 54 fgg.; denn inwisandins sabbate dagis kann nur
heissen 'immineute sabbati die', wobei der gen. temporal zu nehmen ist (G.L. Gr.
p. 240); imvisan kann von attcisan Mc. IV, 29, IL Tim. IV, 6 und von instandan
IL Thess. II, 2 nicht wesentlich verschieden sein.") Mc. XVI, 9 friimin sabbato^
Ttnii'nt] anßßcaov (sonst für nQoodßßuTov). Mt. XXVII, 4 pii iviteis^ av ö\pt]. Mt.
XXVII, 52 ligandane. y.txotui]{^tt'c»v, wo das got. einem gr. -/.n^^votv entspräche.
.1. XIV, 30 bigitip^ i/ei. V^orlesen ist der gr. text: Lc. 1,10 beidandans, jinontvyö-
fitvov (für 7i()oaS(/6fif:vov). Lc. VII, 25 fodeinai, iQVifij {rqoify). Mc. IX, 18 gaicair-
pip ina^ nrjaaa avröv {(x'jiTd,).
2) Vgl. Gering, Zeitschr. 5, 430: ,,Dio Übersetzung hat den vorzug vor dem
original, dass sie das comparativische Verhältnis besser widergibt'' (vgl. auch Bern-
hardts anm.).
360 STOLZENBURG
L Änderungen im genus, tempus und modus des verbums.
1. Genus.
Es kommt vor, dass der Gote einen gr. passiven satz activisch
widergibt, nicht dadurch, dass er. einfach für die passive form eine
active intransitive einsetzt (cap. I), sondern dadurch, dass er den ganzen
satz etwas anders ausdrückt, wodurch dann auch stilistisch eine andere
Wirkung erzielt wird: Meli, 1 jah gafrehun patei in garda ist, /.al
rf/.ovGd-ij Ott elg olxov eaiiv. Lc. IV, 43 mlk insandida, d7ttaxaXf.iai.
Lc. IX, 7. 8 unte qeputi swnai patei . . . sumai pan qeptm . . s/njiaiup
pan patei, ßiä tb leysod^at vttö tiviov ort . . . v/ro xiviov de. ort. . . . äXkiov
de OTiK Lc. III, 21 bipe daiipida alla inajiagein, tv xG) ßajciiot^fjvai
ccTtavTa xbv Xaöv.
Andererseits drückt der Gote auch einen gr. activen satz passi-
visch aus: Lc. VI, 38 mitaps . . . gihada, i^uxqov . . . dcooovoir. Lc. VI, 21
ufhlohjanda , ysXdaexe. Mt. VII, 16 lisanda, ovllayoioiv, ebenso Lc.
A^I,44. M.C. Yll , 10 afdaupjaidau , teXeixccrco. Mc. IIL^ 4:2 ei galagjaidau,
el 7tEQiy,ELTai. Lc. VI, 44 trudanda, xQvywoi. J. XI, 38 ivasiih pan
hulundi jah staina fifarlagida ivas ufaro, 9]v ös O7ti]laiov /.al lid-og
a7ie-/,sixo erc^ avxqj. Mt. XXVI, 75 waurdis lesiäs qipanis, xov qi]f.iaTog
^ItjooC slQVjyioTog, wo qipanis auf ivaurdis bezogen ist 2.
2. Tempus.
Auch hier sind viele abweichungen bereits in cap. I aufgeführt.
Es bleiben noch einige fälle, die auf stilistischen gründen beruhen.
Für gr. praesens steht im got. ein praeteritum auch in fällen,
wo wir es nicht mit einem praesens historicum zu tun haben: J. XIV, 9
sivalaud melis mip ixtvis ivas, jah ni nfkunpes mik, xooovxov yqovov
f.iad^^ vf.iCov eif.u, '/.al ovy, aypcoy.ag (.le. J. XIV, 31 ak ei ufkunnai so
manaseps, patei ik frijoda attan meinana, akV %va yv([) b xoGfiog ort
dyajtG) xbv 7iaxeQa. J. XIX, 4 attiuha ixwis ina ut, ei iviteip patei
in imma ni ainohun fairino bigat, . . . evQiOMo. Lc. XV, 29 siva filu
jere skalkinoda (öoiIevo)) pus jah ni hanhnn anabnsn peina ufariddja.
J. VIII, 45 ip ik patei sunja rodida, ni galaubeip mis, kyio öi- bxi
xrjv äXrjd-uav leyw, ov TtiaxevExe j.ioi. Mc. VIII, 2 infeinoda [a/rlay-
Xvi'Cof.iai) du Jnzai managein, unte ju dagans Jnins inij) mis ivesun.
1) Vgl. Bernh. anm.
2) Mt. IX, 17 uad .1. VI, 12 sind deshalb auflällig, weil hier von verben mit
abhängigem dativ kein persönliches passiv gebildet ist, während dies sonst überall
stattfindet: Mt. IX, 17 bajopuni gabairgada, ((fXfpÖTtnoi auvi^Qüvviai. J. VI, 12 pei
waihtai ni fraqistnai, tva firj jt anökt]i(it.
DIE tJBERSETZUNGRTKCHNIK DES WÜLFILA 361
J. VI,32 ni Moses gaf . . . ak atta meins gaf, ov Mcoofjg didor/cev . . .
dkl' 6 TTaTrjQ /.lov öif^iooiv.
Bemerkenswert ist, dass J. VI, 42 ein gr. praesens mit perfec-
tivem sinn diircli got. praetoritiim gegeben wird: kiDipcdinn, oXda-
fier. Diesen tällen stehen einige andere gegenüber, in denen gr. aorist
durch got. praesens übersezt wird: Lc. I, 47 sivegneip ahma meins,
ff/alliaGEv ib 7Ci'evf.id jnov. J. XV, (3 uswairpada . . .gnpaursnip, fßhj-
d^rj . . . i$rjQdvx>ti. Im abhängigen satz: J. IX, '.V2 galiausip was, patei
iislukij), rfMia^tj on ^voiiev. Lc. V, 26 fullal iraurjnin agisis (jij)an-
dans, patei gasaiham ividpaga kt'mina daga, hch'iodiqGav ffoßov "kiyov-
VEC, bvi eidof-iEv /cagdöo^a ai]f.iEQov. Auffällig ist die stelle J. V, 45 ...
patei ik wroJiidcdjau ixivis du atiin; ist saei ivrohida ixtvis Moses,
\(.irj (Jo/fir«] biL ^yco ■/.aitjyoQi'jOti) i/iiojv ycQOi; lör ycaiioa' toxiv 6 /.ari^-
yoQtov v(.uov 3Iiüofjg^.
Anch als stilistische abweichung zu betrachten ist es wol, wenn
der Güte für gr. participium praes. act. sein participium praet.
einsetzt: Lc. VIII, 4 gaqi(manaim pan hiuhmam . . . qap, ovviöviog dt
oyXor . . . ehtev. Lc. IX, 7 galiaiisida Jmn Herodis po iraurpanona,
r/.oioEv dt 'HQwdrjg zd yEv6f.iEra: vgl. Gering; Zeitschr. 5, 301: „Der
Gote hat hier logischer gedacht als der Grieche." ^
?>. Modus.
Dass in indirecten fragen für gr. indicativ got. optativ steht, ist
unter den grammatischen abweichungen schon erwähnt worden. Stilistisch
bemerkenswert sind aber zwei fälle von zweigliedrigen fragen, bei
denen nach Bernhardt das zweite glied eine entferntere, vom ersten
gliede bedingte handlung ausdrückt und deshalb im got. im optativ steht:
^It. XXV, 44 /van Jnik sehiim gredagana . . . jan ni andljahtidedeima
pus, y.ai od öiif/.ovt)oaj.itv ool''. J. III, 4 i/jai mag in ivamba aipeins
seinaixos aftragaleipan jag gabairaidau, fn) dvravai eIq xrjv y.oiXlav rfjg
fUjTQog aviov öevteqov eIoeXS^eIv '/.al yEvvtjd^fjvai^; vgl. unten s. 379 fg.
1) Vgl. Bernh. aniii. und G.L. § 182b.
2) Lc. VIII, .')3 gasfiiloandans, kiSÖTtg wurde vermutlich iSövjsg gelesen.
3) Vgl. Köhler (Bartsch, Germ. stud. I, s. 07): „Mit feinem Verständnis gibt
Vulfila die stelle so wider, dass der consecutivo sinn des zweiten fragegliedes deut-
lich wjrd: ^Wann haben wir dich bedürftig gesehen und hätten dir nicht gedient?'
d. h. 'wenn wir dich bedürftig gesehen hätten, so würden wir dir gedient haben; aber
da wir dich nie in solcher läge fanden, so haben wir dir nicht dienen können; an
un.sorm willen hat es nicht gefehlt, sondern nur an der gelegenheit'.'-
4) Vgl. Bernh. anm. zu Skeireins IIb (s. 627): „Im commentar zu J. III, 4
glaubte xch. jnli fjahairaidau erklären zu müssen: und wie sollte er geboren werden?
Dies ist falsch, vielmehr bedeuten die worte: vermag er etwa wider in seiner mutter
leib einzugehen, und würde somit geboren? Durch ya/i wird somit eine folge angeknüpft.
362 STOLZENBÜRG
Nicht ohne stilistische Wirkung sind auch die andern fälle, wo
für gr. indicativ in directer frage der optativ eingetreten ist, so
besonders: J.Yil^4:H sai jaii ainshun piAC rcike galaabidedi intina, (.n)
Tig £>t Twi^ aQyövxiov hciatevoev elg avibv, „sollte wirklich einer der
mächtigen ihm geglaubt haben?" i.
Sinngemäss steht got. indicativ für gr. conjunctiv: Mc. XI, 28j'"a/i
Jvas Jnis pafa waldufni atcjaf, ei pata tcmjis, /.al rig oot t))v i^ovaiav
ravrrjv tdw/^ev, 'iva tafjia 7Coifjg.
Um eine stilistische abweichung im modus handelt es sich auch
J. VIII, 52: jahai Jvas mein tvaurd fastai, ui kausjai daupit aiwa dacje,
eäv zig ibv Xoyov /.lov tijQtjar], ov fit) yEvor^rai d-ardrov elg ibv alCova.
Hier steht der optativ, „weil die pharisäer den gedanken nicht an sich
als wirklich, sondern nur als ex sententia Christi gesprochen hinstellen"
(vgl. Köhler in Bartsch, Germ. Studien I, 120) 2.
IL Änderungen in bezug auf das Satzgefüge.
1. Der einzelne satz.
Hier sind nur vereinzelte belege beizubringen. Der Gote hat an
zwei stellen, wo im gr. von einem Substantiv mit attribut noch ein
genitiv abhängt, die structur geändert: J. X, 32 Jvarjis pixe waitrsUre,
7töiov avtiov tQyov. Mc. XII, 28 allaizo anahiisne frimiista, vcQontj
Ttctvxwv tvioh]] so dass im got. von dem attribut das Substantiv im
genitiv abhängt, zu dem dann der andere genitiv attributivisch hinzu-
tritt 3, Umgekehrt liegt der fall Lc. IV, 33 manna habands ahinan lui-
hulpons unhrainjana, avd^qwycog ey^ov Ttvedf-ia öaif-ioviov ä/.ad^(xQvov.
und der conjunctiv bezeichnet die entferntere, durcli galcipan bedingte bandlung.
S. Gering, Zeitschr. 6, 1, der die überraschend ähnliche wendung im Tatian ver-
gleicht: ivuo »lag her in stnero muoter iiumnhün ahur iuganrjan^ inti imerde giboran?
Der grund weshalb der Übersetzer das verbum finituni gabairaidau vorzog, liegt auf
der band; er hätte, um dem verbum den notwendigen pass. sinn zu geben, beim
Infinitiv viahts ist schleppend widerholen müssen." Dieselbe auffassung spricht Beruh,
auch Zeitschr. 8, 9 fg. aus. Köhler (Bartsch, Germ. stud. I, 95) erwähnt schon beide
auffassungen der stelle, hält aber die möglichkeit eines dubitativen Optativs für wahr-
scheinlicher (und wie sollte er geboren werden?) und sagt: „Auf jeden fall verlor der
ausdruck durch diese Umschreibung an eintönigkeit, die unvermeidlich gewesen wäre
bei anwendung des sonst üblichen ma/its ist c. inf. act. für dvvaa&ao c. inf. pass. und
gewann durch abwechslung an lebhaftigkeit."
1) Vglnoch J. VII,35. 36, J. XVI, 18; Lc. VII, 31, VIII, 2,5; Mc. I, -27, IV, 41.
Ob wir es in diesen letzten fällen wirklich mit stilistischen abweichungen zu tun haben,
ist allerdings zweifelhaft (vgl. oben s. 168fg.).
2) Verlesen ist der gr. text J. XIII, 29 ei loa gibau, 'ivu n JcS (für cfö)).
3) Ebenso ist J. XV, 13 zu beurteilen, nur dass hier im got. der dativ eintritt;
maixein pixai friapwai, /xeiCova zavDjg (}yun)jv.
DIB ÜBKRSETZUNGSTECHNIK DES WÜLFILA 363
Lc. II, 40 sicinpnoda aJimins fnUnaiids jah handageins , fXQavai-
otiTO 7ivevi.iaTi jclrjqov^iEvov oocptag, ist ahirims zu fullnands constriiiert,
während 7CVEv^iaii zu tAqaxaiovvo gehört. Mt. XX VII, 60 jah faurivalw-
jaiids staina mikilamnia daurons pis hlahvis, xal 7CQoa-/.vli(jag lii^ov
f.dyav xf^ ^''^« ^ot^ (.iv^^f-ieiov , ist daurons genitiv, weil es zu staina
gezogen ist.
J. XVIII, 10 liegt gleichfalls eine änderung in der structur vor:
sah paii haitans uns uaniiti Malkus, )]v de orof.ia zuj öovhij Mdlyog.
Lc. IX, 28 iraurpun paii . . . swe dagos ahtau, rjani»ia?ids . . .,
iyarsTO di . . ., wael fjf.iiQai uy.iu), yta^alaßiov. Hier erklärt sich der
abweichende plural von tvaurpioi daraus, dass der Gote dagos als sub-
ject dazu gefasst hat.
Lc. IX, 27 qipuJi pan ixwis sunja, Xiyio de vfilr «Aj^i'>wl; ist aus
einem gr. adverb im got. ein Substantiv als object geworden.
Lc. X, 21 swa ivarj) galciha/J) in andicai/pja p^einamnia, oviwg,
eytvevo evöoyJa £f.i7CQ00&iv oov, ist das gr. Substantiv durch ein parti-
cipium gegeben.
Mc. X, 45 at andbahtjam, öia'/.ovijO-fji'ai, übersetzt der Gote gr.
Infinitiv passivi durch ein den sinn ziemlich genau widergebendes Sub-
stantiv mit praeposition (vgl. G.L. § 177 anm. 4b).
Lc. IX, 59 nslaubei mis galeipan fautpis jah aiiafilhau attan
ineinana, htizQexfiöv /.la aTteld-övii 7CqCjtov d-dipai ibv 7caitQa f.iov.
Hier ist die Verwandlung des gr. participiums in einen got. Infinitiv
wol durch den zweiten Infinitiv bewirkt worden.
In zwei fällen, die noch hierher gehören, ist der Gote vom casus
des gr. abgewichen, so dass ein anakoluth entstanden ist: Lc. IX, 13
maixo fimf hlaibani jah fiskos tivai, 7cXEiov /] ccqtol 7tivve y.al lyj}-v€g
ovo, Mc. I, () gairasips taglam filbaitdatis jah gairda fillcina, evdedo-
l-Ui'og TQiyag /.af.i/puOv /.ai Ciovr^v dEQf-iaiirr^v.
Hier reiht sich auch das anakoluth Mc. III, 10 fg. an: jah gasatida
Seimona namo Paitras, jah lakoban panima Zaibaidaiaus jah lohanne
bropr lakobaus (vgl. Beruh, anm.)^
1) Fehlerhafte Übersetzung stellen folgende fälle dar: Mt. VIII, 9 vianna
im liahands uf ivaldiifiija meinamma (/ad rauht ins, äp!^QO)7i6g tffit, vn i'^ovaiav
f/cjv im' ^fictviov aTQaicojTug (vgl. Zeitschrift 30, 16ofg. 179; 31, 180). Mt. IX, 16
apßan ni Ivasimn lagjip du plata fanan parihis ana snagan fainijcma, ovSt)g
St imßulXet, inißliifj.« oü/.ovg ayvi'afov int if.iuTio) naXutcp (vgl. Bernhardt anm.
und Zeitschrift 30, 167) und unle afnimij) fullon^ aY^ti yuii t6 riXiimiun (ebenso
Mc. II, 21). Lc. VIII. 4 gaqunianavm pari liiuknia'in »lanaga/'ni jah /jaiiii Jmici
US baurgiiu gaiddjedun du inivia, awiövrog St o^Xov noXXoü x«) twi' xictü nöliv
i.nnoQfvofi^vojv uQog uviov (vgl. Bernh. anui.). Lc. Vlll, 55 gaivandida ahman,
364 STOLZENBURG
2. Satzverbindungen.
In einigen fällen erscheint für den gr. Infinitiv im got. ein in-
directer fragesatz: Lc. I, 21 jah südaleikidedan , Iva laHdedi ina in
pixai alh, /.al iü-ai'fiaKov iv zo> ygoviCeir avvbv sv toj vaut. Für acc. c.
inf. (ohne Iv lo)) steht ein solcher fragesatz: Lc. Y, IS sokidediin haitva
ina innatbereina jah galagidedeina, eüjTovv arzöi' Eiatvey/Mv zal ^eivai^.
Vax den stilistischen abweichungen ist wol auch zu rechnen: Lc.
XVI, 1 sa, fraivroliiJ)S luarp du imma ei disiahidcdi aigin is, o^zog
disßh]d"tj avToi chg diaa/MQ/tiLwi' lä vytccQy^ovia avvov, da hier der neben-
satz für gr. participium eintritt.
Zuweilen hat der Gote auch die gr. participialconstruction
aufgelöst und die beiden verba finita entweder durch jah oder -uh
verbunden oder asyndetisch nebeneinander gestellt 2.
Ersteros ist z. b. der fall Mt. XXVII, 48 suns pragida, ai)is . . .
jah nam su'aniin fulljands aketis jah lagjai/ds ana raus draggkida ina,
Ev&6(üg ÖQaf.uov eig . . . /.al }x(ßiov ajtoyyov 7iXrjaag te o^ovg ymI tzeol-
&Eig Äalaj^Ki) hiöziLEV avzov u. ö. (vgl. Gering, Zeitsehr. 5, 399).
Es kommt aber auch asyndetische nebeneiuanderstellung vor: Mt.
IX, 13 gaggaip, ganimip, 7V0QEv9^ivzEg de fid&EZE (sonst immer wört-
lich übersetzt z. b. Mt. XI, 4, XXVII, 66; Lc. VII, 22 usw.). Mc. VII, 19
usgaggip gahraineip, Iajcoqeveich y.ad-aQiUov. J. XII, 14 higat Jmn
Jesus . . . gasat, evqwv öa 6 ^Injoovg . . . er/id&ioev. Lc. V, 3 galaij) pan
in ain Jnxe skipe . . . haihait ina aftiuhan, ^ißdg de slg tr tojv
rcXoiiov . . . TjQibzr^OEV avzov hcavayayelv.
fTifOTQiipfv TC) Tivivf.1«. Lc. XVI, 16 iicmpjada^ ßu(UT((c (irrtümlich als passiv ge-
fasst). Mc. 111,10 — 11 managans auk gahailida, sicasu-e clrustm ana ina ei imma
attaitokeitia ; jah stva managai sive habaidedun ivundufnjos jah ahinans unhrainjans,
paih pan ina gasehun, drusun du imma, noU.oug yäo fOt^ünsvatv, tönif fncnt'jiTfiv
fiVTO) h'cc uinov (hfJWVTicc, oaoi ti^ov (.idariyccg y.al ru nviVf-iicTCC tcc ay.icx) ((qz cc , orav
KVTov i&idjQovv, TiQoaintmov avTcp (vgl. Beruh, anm.: „Demnach begiuut der Gote
mit diesen werten {jah swa managai sive) einen neuen satz, musste also z« nvivfiarci
TU tr/.u&unra als acc. nehmen und schob J)aih ein, bezüglich auf das relative stva
managai sive.''^) Mc. XV, 28 J}ata gamelido, pata qipano , y) yi>(«fi] t) Xhyovacc.
(Bernh. verbessert qipando.) Als fehler sind wol auch J. XIV, 17 und XV, 26 die
Übersetzungen von t6 nvevfin aufzufassen (vgl. Bernh. anm.). Verlesen ist der gr.
tcxt vermutlich: Mc. XI,10 iti namin attins unsaris Daiveidis, iv övöixaTt, xv^iov
Toi) nuTQog ijjuGiv zluvEtS. Lc.XVlII, 9 pagk pH fairhaitis, /jiQvv h/tv (vgl. Bernh. anm.).
1) Fehlerhaft ist gr. inlinitiv übersetzt: LclLlX, 12 jah ganandida sik, xtu
vnoajQixpm. Vgl. Beruh, anm.: „Der got. abschreiber (oder Übersetzer V) nahm anstoss
daran, dass, nachdem die abreise berichtet ist, die auftrage an die zurückblcibeuden
dienci- erfolgen und änderte demgemäss."
2) Vgl. jetzt auch G. Schuaffs, Syndetische und asjmdetische paratai'ce im got.
Diss. Göttingen 1904.
DIK ÜBERSETZÜNGSTECHNIK DES WULFILA 365
Von zwei gr. coordinierton participien ist das eine belassen, das
andere in einen liauptsatz verwandelt: J. IX, 11 ik (jcdaip jah bi-
pwahands iissalü, dyceld^Cov ds xat vnf.idi.i£vog dviß'ksxl'a. Verschieden
übersetzt sind zwei ^^r. participien auch J. IX,8 niu sa ist saei seil
aihtronds , ol/ oörog Icsiiv o •A.ad^/jf.isvoQ /.al /vQOöaircov.
Bisweilen entsteht dadurch, dass ein participiuni im got. aufgelöst
wird, das zweite aber nicht, ein anakoluth: Lc. XVIII, 9 qap pan du
sumaim, paiei silbans iiriuaidedini sis ei ivescina garaihtai , jah frahm-
tmudans Jmim anparaini, ehcev ös nqoo, rivag 'iovg 7CE7Coi0^6Tag tcp'
eavtolg üti elalv öiyiaioi ytal t^ovd^evovvrag rovg XoLvcovg.
Etwas anders ist J. VI, 45 zu beurteilen: hazuh nu sa yahmisjands
al atliti jah ganam, gaggip, 7iag ovv ö dy.oviov ^tagd %ov jcaTqög /.al
fiad^iüv tQxsrai^ und Mc. V, 25fg. jah qinono suma ivisandei in runa
hlöpis jera tivalif, jah manag gapulandei fram managaim lekjam jah
fraqinnoidei allamma seinamnia jah ni ivaihtai botida, ak mais tvairs
habaida, yahausjandei bi lesu. Im gr. liegen participien vor.
Verändert ist die structur bei Verwandlung der gr. participien auch
Lc. XV, 25 jah qimands atiddja . . . jah gahatisida , /.al <hg ^Qyü{.itvog
Vjyyitsv . . . /yxoffffiv und Lc. V, 7 bandwidedun gamanam . . . ei atiddje-
deina hiljxm ixe, '/.avl.vevoav zolg {xsTÖxoig . . . toü il&6vTag GvXXaß&ad-ai
avtdig^.
Es kommt nun ebenfalls, wenn auch seltener, vor, dass der Gote
zwei gr. sätze zu einem zusammenschliesst. Entweder handelt es
1) uy.uvbjv nicht icxoi'aag (wie Bernh. in der anm. meint) las Wullila (cum
I)rJA unc' vgl. Tischendorff) ; i\y.ovu)v übersetzte der Gote sinngemäss mit g ahausjan-
dans, wie auch in andern fällen (Lc. XIX, 11, XX, 45 vgl. Streitberg, Beitr. 15,
s. 164 — 16.5). Hierzu Eckardt, Über die syntax des got. rclativpronomens (Diss.
Halle 1S75) s. 14: „Dieses präsentisclie particip mit artikel beibehaltend, suchte er
den aorist des folgenden particips (fAuOiöv) auch auszudrücken durch das vei-bum
(iuitum und dieses praet. ganam stützte er mit auf sa, so dass sa zugleich die
function des artikels und des denionstrativpronomeus übernimmt." Anders Gering,
Zeitschr. 5, 322.
2) Vgl. A. Köhler (Bartsch, German. Studien I) s. 83: „Eine beachtenswerte
abweichung vom gr. texte begegnet Lc. V, 7 . . . indem das verbum des kommens im gr.
in form eines appositiveu particips untergeordnet ist und das helfen als die hauptsacbe
ei-scheint, als der zweck des winkens, im got. dagegen das herbeikommen wesentlich
hervorgehoben ist, und von diesem verbum erst der linale inf. hilpan abhängt. Diese
stelle ist charakteristisch für die vei'schiedenheit der germ. und der antiken sprachen,
sofern zufolge der leichten Verwendbarkeit der participialen ausdrucksweise es dem
gr. und lat. besser möglich ist. die hauptsache stark hervorzuheben und nebensächliche
momente zurücktreten zu lassen, indem man sie in form von participien unter-
geordnet auftreten lässt, während bei uns auch das weniger wichtige als verb. finit.
gesetzt werden muss."
366 STOLZENBURG
sich dabei um gr. liaupt- und nebeusatz: Lc. XVIII, 29 m ainshun ist
pize afletandmie gard, otdeig aaviv dg d(pff/.ev oi/iiav, das einzige mal,
wo der gr. relativsatz durch ein got. participium übersetzt wird. Mc. XV, 9
ivileidii fralelan, d-tlere d/colvao), wo im got. der inf. eingetreten ist
und J. XYII, 4 ivanrstiv ... du ivaurkjan, tö tqyov . .. 'iva nou'iGoi, wo
got. finaler inf. für gr. finalen nebensatz vorliegt.
Oder im gr. stehen zwei hauptsätze, von denen der eine in ein
participium verwandelt wird: Lc Vn,44 atgaggandin in gard peinana
ivato mis ana fotuns meinans ni gaft, siafjXdov aov slg rijv olyilav,
vdiOQ f.iot STtt nodag i.iov ovti edioyiag. Mt. XXVII, 53 innatgagganduns . . .
jah ataugidedun sik inanagaim, elofjXS^ov . .. yiat hecpaviod^njoav 7ioXkoLg.
Jah steht im letzteren fall pleon astisch i.
In einem fall hat der Gote den gr. hauptsatz in ein participium
und das gr. participium in einen hauptsatz verwandelt: J. VII, 9 Jmtuh
Pan qdp du im iviscmds in Oaleilaia, lavia ds ehciov avzolg a'fisivev
ev z^ r.
Für gr. bedingungssatz und in einem fall für gr. indirecten frage-
satz ist im got. ein relativsatz eingetreten: Mc. X, 30 saei iii andni-
mai , luv /u) läßi]. J. VI, 6 wissa Jmtei hahaida taujan, j'dei tl 1'i.isX-
Xev ycoieiv'^.
Der Gote hat endlich auch dadurch die structur eines satzes ge-
ändert, dass er werte, meist pronomina, anders bezieht als der
Grieche: Lc. II, 3 jah iddjedun allai, ei melidai tveseina, Ivarjixuh in
seinai baurg, ymI i/togsvovTo Tvccvreg djioyQcccpEGd^ai , r/MOtog elg Tt)v
löiav Ttokiv. In seinai baurg hat der Gote zu melidai construiert.
Lc. I, 78 pairh iufeinandei)i armaJiairtein gudis unsaris, iri pammei
gaiveisop, did onXdyyya iXiovg dsov fjf.ia)v, iv olg STtioyJijfeTai. Wäh-
rend SV oig sich auf ojtXdyiva bezieht, knüpft in pammei an den
ganzen participialsatz an. Ähnlich auch J. XI, 4, wo Imirli pata den
ganzen vorhergehenden satz aufnimmt, öl' avrfjg dagegen dod-aveia, und
J. VI, 13 .ib. tainjo?is gabruko . . . patei aflifnoda paim, matjandam,
öibde'Aa 'Aocpivovg y,Aaofj.dTcov . . . d ETtegiooEvoev xdlg ßeßQio'/.6oLv, wo
patei neutral steht, S sich auf xlaof-idttov bezieht. Mc. XII, 10. 11
stains . . . sah ivarp du haubida tvaihstins; fram fraujin ivarp) sa,
Xi^ov . . . oÖTog eyEv/j&rj elg -/.ecpaXrjv ycovlag- jtaqd -/.vqiov iyevsio avTTj,
wo avTTj zu y.£(paXrjv, aber sa zu stains gehört.
1) Wahrscheinlich haben wir es hier mit einer entstelluug des got. textes zu
tun (vgl. Bernh. amu.).
2) Einmal hat der Gote auch gr. temporalen nebeusatz in einen causaleu ver-
wandelt: Lc. V, 34 mite sa brupfuds mip im ist, iv ö) 6 w/xiftog uer uutiäv iariv.
DIK UBERSETZÜNGSTECHNIK DES WULFILA 367
III. Änderungen in der Wortstellung.
An vier stellen hat der (Jote (wenn wir seine vorluge kennen!)
das subject gegen das gr. hinter das priidicat gestellt: Mo. II, 4 lag
sa Kslipa, ö jcaqa'kvxiMq vmtv/.uco. Lc. II, 48 qdp du imma so aipei
is, jC(ju^ aviüv ij i^it'jtriQ aviov tl/csv. IjC.V\U^2iisJ)üaiei usiddjedun
mihiilpotis sibiin, dcp' ij^ daif.iövia s/ccä t^eh^lvdsi. J. XIII, 18 iis-
fidlip ivaurjn Jmta gamelido, i) yQcic(fi) 7cltjQto^^fj.
Als stilistische abweichungen zu beurteilen sind auch die fälle,
in denen der Goto das object gegen das gr. hinter das priidicat stellt:
Lc. XIV, 9 hahan stap, cöjtov v.aTi%ELv. Lc. XIV, 32 insandjands airu,
TTQeoßEiav d/coareiXag. J. XIV, 7 aijtpaa kunpedeip jah aitan meinana,
'/mI cüv jtaiirqa fiov eyvio/.eice üv (vgl. J. VIII, 19, wo die Wortstellung
wie im gr.). J. VI, 7 pei nhnai iDarjixuli leiiil, %va rAaoTog ßgcc^v zi
?Mßi]. Hierher gehört auch Lc. V, 3 aftiuiian fairra stäpa, dno zfjg
yfjg hvavayayEiv. Lc. VII, 44 qap du Seimofia, tö Zi(.uovt l'(pt].
Subject und object sind umgestellt: Lc. VI, 1 raupidedun ahsa
sipotijos is, tciXXov ol /.la&r^Tal avToC roiig azdxcag. Lc. VII, 16 dissat
pan allcms cujis, tlaßev da cpoßog ärcaviag. J. XII, 3 ist die got. Wort-
stellung so geändert, dass parallelismus der glieder eintritt: yasalboda
foiiins lesua jah hisicarh fotuns is skiifta seinamma, YjXenfiev tovg
Ttödag zov ^h^aoü '/.at e^if-ia^ev zaig d-qL^lv auzfjg zohg jcodag avzov.
Das adjectivische attribut^ steht im got. in einigen fällen gegen
das gr. vor seinem beziehungswort: Mc. I, 23 in unhrainjamma ahmin,
av jcvEii-iaxi d/.ad^aQKi). Mc. IV, 33 manayaini gajnkoin, itaQaßolaig
Tto'k'kuig. Lc. XV, 10 in ainis idi^eigondis fraivaurJitis , ajcl avl di.taQ-
ziüXa fiezavoovvTi. J. VII, 14 ana midjai didp, zfjg aoQzfjg (.taoovotig.
Das umgekehrte ist der fall Mt. XXVII, 46 loeila niundon, tvdzyv
ügav. Andere abweichungen in der Stellung des attributs finden sich:
Lc. X, 18 gasa/v satanan sive laiihmunja driusandan us himina, ad^e-
wQüLV zov oazaväv ujg dazQa7crjv ay. zoi) ovgavov Tteoovza. Lc. I, 3
galeikaida jah mis jah aJiniin iveiliammu fram anastodeinai allaim
glaggivaha afarkiisija7idin gahaJijo ptis meljan, tdo^e -/.df-iol jcaqtjxoXov-
itrf/.oii civiod^Ev jcäOLv dy.Qißojg y.ad-e^^g ooi yqdcpeiv. Mc. V, 2 mafina
US aurahjoui, ay. zCjv i.ivri(j.auov upd^QCoycog.
Während sonst das attribut in Übereinstimmung mit dem gr.
zwischen artikel und Substantiv steht, ist diese Stellung Lc. XVI, 15
nicht nachgeahmt: pala haiiJ/o in mannam, zö av dvd-Qwcoig vij.>tjXöv.
1) Vgl. J. Helhvig, Die Stellung des attiibutivischeu adjectivs im deutschen,
üiss. Giesseii 1899.
368 STOLZKNBURQ
Um iinderung in der Stellung der apposition handelt es sich
J. VI, 8 Paitraus Seimoiiaus, Ui/.i(üvog IltvQOv und Mc. V, 9 namo tyiein
laigaion, Xsyuov üPOf.iu f.ioi.
Präpositionale ausdrücke sind anders gestellt: J. IX, 6 jah
ijasmait imtna ana angona pata faid, /ml hily^qiaev avuov xbv jtr^ov
htl roig d(pd-aXf.iovg (vgl. Bernh. anm.). Mc. XII, 25 ussta?idand us
daupaim, £>c vt%QO)v dvaoctdaiv. Mc. X, 52 jah laistida in wiga lesn^
vMi tf/.o'kovd^eL TU) ^frjoov Iv zfj uöw. Mc. XVI, 8 jah usgaggandeins
af pamma hlahva gaplauMm, xat s^El&ovaai t(pvyov d/vö rov i.(V7ji.ieiov.
Die Stellung des adverbs ist geändert: J.Xll^ 43 frijodedun auk
mais hmihein maxniska, tjymciqaav yäq rrjv dö^av xCov dvd-Qwjuov f.täl-
Xov. Lb. XVIII, 1 du J)ammei sinteino slmlim, ycgög zb deiv jcdvtOTS.
Lc. XIX, 8 fidurfalp fragilda, d/codldcofii zExqarcXovv.
Das Possessivpronomen steht vor seinem beziehungswort, wenn
der Gote einen besonderen ton darauf legen will: Lc. IX, 49 ana ])ei-
namma namin, snl rw öv6f.iari aov, ebenso Mc. IX, 38. J. VIII, 52
7?iein ivaurd, zbv loyov f.iov, ebenso J. XV, 20. Um den gegensatz
hervorzuheben ist das pronomen umgestellt: J. XIV, 3 ei pmrei im ik,
pariih sijyp jah jus, 'Iva mcov eif.u iyto, /.al vf-ieic; syLsJ t'jve.
3. teil.
Freiere Umschreibungen,
Die fälle, die hier aufgeführt werden, stellen au sich keine neue
kategorie dar, doch machen sie den eindruck grösserer freiheit und
Unabhängigkeit.
Einmal kann es sich dabei handeln um die freie widergabe eines
einzelnen gr. ausdrucks z. b. eines Substantivs: Lc. I, 78 infeinandein
armahairtein , a/tldyxva aXsovg. Die beiden glieder sind im got. ver-
tauscht und für den abhängigen genitiv ist ein adjectivisches attribut
eingetreten. Frei übersetzt ist auch Lc. VIII, 37 alkd gaujans pixe
Gaddarene, äjtuv zb /cXfjd-og zfjg /teQixiÖQOv zwv F. In freier widergabe
steht für gr. Substantiv ein got. infinitiv: Lc. IV, 36 jah warp afslaiipnau
aUans, vmI lyivEzo S^df.ißog hcl Tcävzag^. Lc. IX, 14 gaivaurkeip iiu
1) Vgl. Beruh, aniii. zu Lc. VI, 12 und besonders 0. Apelt, Über den acc. c.
inf. im got. (Germ. 19, 287): ,,Man fragt unwillkürlich, warum der Übersetzer hier
das der got. spräche geläufige einer fremdartigen oder wenigstens völlig vereinzelt
dastehenden construction aufopferte; man würde es noch allenfalls begreiflich finden,
wenn das gr. mit dem vorbild des acc. c. inf. vorangegangen wäre, wie derselbe sich
überall im gr. da findet, wo im got. der sogenannte dat. c. inf. auftritt." Apelt kommt
zu der folgerung, dass hier ein fehler in der Überlieferung vorliegen müsse, und
DIF. ItBERSETZÜNGSTKCHNIK des WULFILA 369
aiiahumhjcm hibiffins, y.aiaY.VvavE avTOvg /Moiag^. Lc. VI, 7ei Mge-
teina Hl du urolijcui iua, ha £vqiüoiv y.aTrjyoQi'av avzoD.
8ehr vereinfacht hat der Gote den aiisdruck J. XI, 13 bi dep,
7t£Ql rfjg '/.oif-it^aeiog tov vjcvov und jMc. XIV, 68 (aar gard, l'^io elg cd
jtQoavhov-. J. XII, 42 ei ns sijnagogein )ii uswaurpanai ivaurpema,
h'a f^u) d/coarrdyajyoi ytvwvrai. Frei übersetzt ist auch Mc. V, 5 siti-
teino nahtani jah dagaitf , öid ycaviug vvAiuq /ml fji-UQag.
Oft dient zur widerji;abe eines gr. ausdrucks im got. ein ganzer
satz: Mc. VII, 5 bi pammei anafidlmn pai siuiskms, /.avd ti)v 7caQd-
dooiv luv jcQEoßvteQiov. Ähnlich Mc. VII, 8 /»a^e* anafidhmi maniians,
Tjyv 7iaqdöooiv iCov dvd^Qioyccov. J. VIII, 29 iinte ik ßatei leikaip inima
tmija, oti ayd) rd dgeard avT(p /coitü. Lc. XVI, 10 saei triggivs ist in
leitilavnna, 6 /ciarög ev eXaxiocto. Mt. VI, 12 pmtei skulans sijaima,
rd uq>eiX/j/.(aia tjf.i(Ttv.
Das gr. participium ist eigentümlich übersetzt Lc. I, 35 dnpe
ei saei gabairada iveiJis, haitada smius gudis, öiö /.ai tö yevviüj.ievov
uyiov -AXr^i^i'jOBTai v\6g dsov.
Um die widergabe eines gr. verbums handelt es sich Lc. I, 9
Jilauls i)))nia finrii/ du saljnu, llcr/e rov d^vf.iidoai. Mt. XXVII, 3
cODJiciert: jah ivarp afslatijjnan ana allans, indem er afslaupnan wie Bopp und
O.L. als substautiv fasst. Schliesst man sich dieser conjectur an, so liegt hier keine
abweichung vor.
1) Die ansicliten darüber, wie diese stelle aufzufassen sei, gehen auseinander.
Apelt (Germ. 19, 285) übersetzt: „Bereitet ihnen, um sicli niederzulegen, lager."
Eingehender ist die stelle schon Germ. 12, 4r)0fg. von A. Köhler besprochen worden:
„ Sollte Vulf., um zwei allzu nahestehende accusative zu vermeiden, hier den inf. act.
anakumbjan in pass. sinne gebraucht haben und den dat. im, wie öfters den dat.
beim pass., statt einer praeposition mit ihrem casus gesetzt haben? Dieser auffassung
steht entgegen, dass die aufforderung, platze für die menge zu bereiten, an die jünger
ergeht, das versammelte volk aber bei diesen zurüstungen in keiner weise beteiligt
ist. Ebensowenig darf man den inf. als epexegese, zur angäbe des Zweckes 'zum
sitzen' nehmen: dies verbietet erstens schon die Wortstellung, waurkeip im ana-
kumbjan kubituns, und zweitens müsste hier, wo nicht ein einzelnes verbum, sondern
der ganze satz dasjenige aussagen würde, was zu einem gewissen zwecke geschieht,
notwendig die praeposition du beim inf. stehen. Es bleibt nichts anderes übrig, als
den inf. anakumbjan substantivisch zu fassen: 'gelegenheit zum sitzen', so dass
kubituns als epexegese zu dem inf. erscheint, d. h. 'dadurch dass die ganze Ver-
sammlung in einzelne schaaren, tischgenossenscliaften abgeteilt wird'." Dieser auf-
fassung schliesst sich auch Bernh. an und fügt hinzu: „Der dativ ward wegen
kubituns vorgezogen." Zeitschr. 1.3, .3 anm. und Anm. zu Lc. IX, 14. Vielleicht ist
anakumbjan als glosse auszuscheiden.
2) Vgl. Bernh. anm.: „Die got. Übersetzung ist frei, doch sinngemäss; wahi-
scheinlich fehlte ein wort für /lootcvXtov.''^
ZErrSCÜRlFT K. DKUTSCHK 1'HIL0L0(JIK. BD. XXXVII. 24
3 70 STOLZENBURG
Jxitei (h( staiiai gafauhans; war]), on •^aie/.QtS^y^. J. XII, 18 ditppe
iddjedun gamoijan hnma, Siä tovto vTtrjvrtjoev aizto.
Eine freiere widergabe des verbalbegriffs liegt auch vor Lc. VII, 2
sivnUawairpja (was), Vj^iellev Tslevrav. Mc. XIV, 65 übersetzt der Gote
qa/vio(.iaoiv ahuv llaßov mit lofam slohun ina'^.
Gr. acc. c. inf. mit ttqiv pflegt der Gote durch einen neben-
satz mit faiirpixeA aufzulösen^; Mt. XXVI, 75 gibt er ihn durch Sub-
stantiv mit abhängigem genitiv: faiir hanins hruk, jvqIv uUxroQa
cpiüvFjOai .
Nicht ganz genau gefasst hat der Gote den gr. ausdruckt Mc. X, 24
paim Imgjandam afar faihau, rovg /[E/toL&oiag trtl yq/ßiaöiv, wo Lobe
himjandam liest und meint, der Gote habe für 7tE7t0Ld-6tag 7te7Cod^7]-
'Aozag in der vorläge gehabt^, und Mc. IV, 29 panuh hipe atgibada akraii,
brav öi TZaQado) (sc. lavtbv) 6 yiaQTrög (vgl. G.L. § 177, anm. 5).
Recht auffällig ist bei der sonstigen genauigkeit des Goten die
ab weichung: Mc. XIV, 54 tmte cjam in garda, f'cog l'oio elg zt)v avh'jv.
4. teil.
Zusätze und auslassungen.
I. Zusätze.
1. Für das gr. pronomen setzt der Gote das Substantiv ein.
Obwol wir es hier nicht mit eigentlichen Zusätzen zu tun haben,
gliedern sich diese abweichungen doch hier am besten ein: Lc. VIII, 50
ip lesiis gahausjands andhof, 6 da d/.ovaag d/[S/.Qld^i^. Lc. XIV, IG
paruh qap iinma frauja, 6 de ehrev aviat. J. XVIII, 1 in panei galaip
lesus, elg vv eiofiki^ev aviog. Mc. V, 22 du fotum lesuis, jcqög rovg
Ttödag avToü. Lc. IV, 2 jah at usiauhanaim paim dagam, /.al awre-
IfO^EiOMv avuov. Lc. XIX, 35 jah attanhun paua fidan, /ml jjyayov
1) Vgl. Beruh, anm. Man kanu nicht mehr wie Beruh, die lesart von f 'aJ
iudicium ductus est' zur erklärung heranziehen (vgl. Kauffmann, Zeitschr. 30, 180).
Auch hat der Gote wol nicht deshalb y.ardy.Qtth^ vermieden, „weil vor dem verhör
bei Pilatus Christus eigentlich nicht als verurteilt bezeichnet werden konnte." Der
Gote hat sich vielmehr an den vorhergehenden vers gehalten, wo es heisst: Jah
gahindandans ina gatauhim jah unafidhun Pauntiau Peilatau kindina. Das hat
(nach der meinuug des Goten) Judas gesehen, da sich panuh yasaik-ands Indas un-
mittelbar daran anschliesst, und deshalb gibt er y.ujty.oiftt] dui-ch patei du stauai
. gatauhuiis warß.
2) lofam slahan = (mniXtiv (Mt. XXVI, ü7) vgl. oben s. 357. slah lofm =
ochiia^iu (J. XVlll, 22, XIX, 3) vgl. oben s. 354.
3) Z. b. Mc. XIV, 72 faurjjizei hnna hrukjai, tiqip (dt'y.TO()a (fiovriaut. Ferner
J. VIII,. 58, XIV, 29.
4) Vgl. Beruh, anm. zum got. text.
DIE ÜBRRSETZÜNGSTRCHNIK DKS WTTI.FILA 371
ahöv. Lc. V, 20 qäp du pamma uslipin, shcev avTß. Lc. VII, 40 du
Paifrau, ycQÖg aviov. Mc. XI,2 inn()aggandans in po banrg^ elajtoQEvö-
usvoi slg avTijV.
2. Eigentliche Zusätze.
Besonders leicht nuisste der Gote in den fällen dazu kommen, etwas
zuzusetzen, in denen im gr. eine ellipse irgend welcher art vorlag:
Lc. XIV, 32 aippan (üppström) jair// nist mahteigs, ei ds iurjye. J. VI, 66
uxnh J)amnu(, mela, «x tovtov (daneben J. XIX, 12 framuh Jmmma, Ia
TovTov). J. VIII, 51 aiwa dage, elg töv altova (daneben häufig du aiwa).
Mt. X, 42 stikla kaJdis watins, 7iovrjQiov ijivxQov. (Vgl. s. 355 anm.).
Wie schon unter 1. so ist es auch hier besonders der name des
herrn, der gerne zugesetzt wird^: Lc. XX, 23 lesns qap du im, £i7tev
/coul; avcovg. J. VIII, 23 jah qap du im lesns, xai el/cev avrolg. Mc.
1 , 42 jah b/'Jie qap) pata lesns, /.al ehcövTog amoü. Mc. IV, 1 jali
aftra Jesus dugann, /.al /tdXiv j'jQ^ato. J. XII, 9 patei lesus jainar
ist, oTi f/.€i iaviv. Lc. VII, 13 frauja lesns, 6 xvQiog. Lc. II, 37
blotandei fraujan, lazQevovaa ist ähnlich.
Weiter finden sieh zugesetzt ausführende attribute: Lc. XX,46 m
lveitai}n . . ., fV oiolaig (der got. text bricht ab) 2. Mc. V, 4 iiaudihandjo7n
eisarneinaim, aXiosoiv-^. hcYllI ^ 29 eisarnabandjom, alvaeoiv, wo wir
den bestand teil eisarna als zusatz empfinden. Lc. XVI, 20 sums ivas
namin Jmitans Lazarus, rig ^v dvoi-iazt ylaQaqog (vgj. J. XVIII, 10).
Meli, 12 sivasive ... hanhideduu niikUjandans , ügte ... do^duiv. Mc.
I, 27 afslaujmodednn allai sildaleikjandans , ^daf-iß/ji^Tjoav jcävcEg.
Bisweilen wird auch zurweiteren ausfuhrung ein verbum finitum
eingeschoben: Mc. il, 4 insailidediui Jtata badi jali fralailotun, ^aXümi
TOi' /.Qaßairov. Der infinitiv ist so zugesetzt: Lc. 1,71 yibau uasein ...,
OlOZTjQLav.
Verständlich ist der zusatz Mt. XXVI, 72 jah aftra afaiaik mip
aifia swaraiuls patei ni kann pana mannan-, /.al /tältv yQvt'joazo ^lecd
1) Die formelhaftigkeit macht die abweichungeu leicht verständlich. So steht
z. b. .1. XI, 4 für gr. '/ijauOg das piouoineu: i/j is gahausjands (lap, uxovaug Si 6
'Ii)aovi thiiv. Ebenso L<-. VIII, 46. Vgl. Kauffmann, Zeitschr. 31, 186fg.
2) Vgl. Beruh, anm.: „Zu heifaim ist ivastjom zu ergänzen, vgl. Mc. XVI, 5,
Lc. XV, 22. Nach Grimm (Clavis) ist otoXt) vestis virorum laxior ad pedes usque
demissa. Der Übersetzer scheint ein weisses feierkloid darunter verstanden und
toeituim zugesetzt zu haben."
3) Vgl. Bernh. aum.: ,, Schon naudibandi klingt wie dichterischer ausdruck;
durch den zusatz von eisarneinaitu wird die Schilderung noch lebhafter; diesen ein-
druck erhöht noch eisarnam bi fotuns gabuganaivi im folgenden verse. Einfacher
ist im Luca.sevangelium ülvaig durch eiscunabaiidi , n^fij durch futubandi gegeben."
24^
372 STOLZF.NBURG
OQ/.OC Oll OL)/, olöa Tov UvS-QMJcov. Afaiaik mil) aipa war im got. nicht
geeignet eine directe rede einzuleiten, deshalb ward swarands einge-
schoben^. Anders zu beurteilen sind jedesfalls die drei folgenden fälle: Mc.
XII, 14 kaisaragild yibcui Kaisara; y.fjvoov Kaiaaqi dovvai. Lc. II, 29
fraujmond frmija, ötOTtora. Mc. I, 40 knhvam hiussjands, yovvjiB-
Tüv avTov. In diesen fällen ist vielleicht die allitteration der zweck
des Zusatzes gewesen.
Durch Zusatz von adverbien erreicht der Gote häufig eine Ver-
deutlichung: Lc. II, 43 mippanei gatvcDidideditn sik aftra , tv reu vtio-
aTQ£g)€iv avTovg. Lc. XIX, 15 Mpe ativandida sik aftra ^ ev reo ticav-
sld^Eiv avTov (vgl. Bernh. anm. zu Lc. XIX, 12). Lc. XVI, 2 ju
panamais, tri. Lc. XV, 19. 21 ju panaseips ni im, ov/ixi elf-iL Lc.
IX, 12 panuh dags jujmn, /) de fj(.tiqa. Lc. XIV, 24 pize faiira Jiai-
tanane^ tcüv xETtXifjf^fvcüv. Lc. VIII, 83 usgaggandans pan suns J)ai un-
hulpans, s^eld^ovra ds vä daif-iovia. Lc. IV, 29 da afdrausjan ina.
papro , elg tö /.aTa/.Q7^i.iviGai avxov. Lc. VII, 8 qim her, eQyov. J. VI, 17
ni atiddja nauhj)an, ov/. eXrjlvd^et. Mc. IV, 40 haiwa ni nauh hahaip
galaubein, nCoo, ova iy^eis /iIgtiv. Mt. X, 28 jah ni oge/'J) ixivis J>ans
usqiniandatis leika Jtatainei, ij) saiicülai . . ., y.at ^//} (poßeiaS^e d/iö zäjv
äTto'/irevvovTiüv tö GWf.ia, rijv ds \pv%rjv . . . Mt. V, 19 jah laisjai S2va,
'/.al öidd^t]. Lc. IX, 13 niba J)au pjatei, ei (.itjti.
Besonders gern fügt der Gote zu einem verbalcompositum eine par-
tikel als adverb: Lc. VIII, 44 atgaggandci du, jcQooeld^ovaa. J. XVIII, 29
atiddja ut, s^fjld-ev. J. XVIII, 4 usgaggands id^ i^slS^iov, ebenso Lc.
XV, 28. Mc. I, 25 nsgagg ut, l'^slds. Mt. IX, 32 bipe ?it 'usiddjedun
eis, avTiov ÖS a^eQxof-ieviov. McYlll^ Q ei atlagidedeiun faur, %va jcaqa-
d^viöiv. Mc. XI, 7 yalagided'un ana ivastjos seinos, STteßaXov auTto
rä IfxaTia. Mc. VIII, 23 atlagjands ana handnns seinos, ervi&elg rag
yÜQag avTod. Mt. XXVII, 7 du nsfilhan ana gastim, elg rarpijv röig
S,ivoLg.
Ne ist zugesetzt J. XVIII, 25 jah qap: ne, ni im, y.al ehrev
Ov'ii Eifxi.
Auch pronomina finden sich im got. häufig aus stilistischen
motiven zugesetzt, beziehungsweise für den gr. artikel eingesetzt. So
findet sich das Personalpronomen in der anrede zugesetzt: Lc. IV, 23
pu leki, larqL Mc. IX, 25 pu ahina, pu unrodjans, tö 7TvEVf.ia rb
äXalov, wo im gr. der artikel steht-.
1) So auch im lat. negavit cum iuraniento dicens oder iuiavit cum iuramento
(vgl. Bernh. anm.).
2) Vgl. ohen s. 184.
DIE ÜBERSETZÜNGSTKCHNIK DES WÜLFILA 373
Personalpronomen der dritten person ist zugesetzt: Lc. V1I,28 ip
sa minnixa ininm hi Jnudangardjni (judis maixa imma ist, ö de (.u-
'AQOiegog Iv tfj ßaoilei'a tov d-eov /.teiLiov avrod ioriv^.
Demonstrativpronomen ist zugesetzt: Mc. VIT, 86 »fct/'s pamma
eis mcridcdnn , (.iCtllov yceQuiaoiEoov i-y.t'^Qcaaov. J. XIV, 8 caigei nnsis
pana nt/nn^ patiih (jcuiaJi nnsis ^ del^ov fjf.uv zdv Ttaiega, %al aQAel
fjfdv. ,1. XVIIT, 10 sah pan ivas sa Barabba umdedja, rjv de 6 Baqaß-
ßäg h]Oi/jg. Mc. XV, 29 bi Jyrins dagans gatimrjands po, ev tqioIv
))l.ieQaig oly.odof.ion'. Mc. X, 9 J>atei im giij) gau'ap, manna Jmmma ni
skaidai , o ovv Oeög ovvtLev^ev, avd-Q(.07Cog /ii>j yjoQiCi-Ko-.
Mit nachdruck ist das demonstrativ nachgestellt, während im gr.
der artikel steht: Lc. XVIT, 17 )iin laihnn pai., ovyl o\ öeya.
Das Possessivpronomen ist zugesetzt: Mc. VII, 10 saei ubil
qipai atlin seinamma aipjHia aij>ei)i seinai, o /.ayoXoyiöv icailqa )]
fir^ilqci. J. X, 30 atta meins.^ 6 jcairiQ.
Von indefiniten pronominibus findet sich in dieser weise zuge-
setzt alls: Mc. XV, 8 alla inanagei, 6 oylog. Lc. IX, 2 gahailjaii allans
paus unhailans, läa&ai cobg da&erovviag. Snms: J. IX, 40 pixe P^arei-
saie snniai, h. xwv (Daoiaauov. Ains: Mt. V, 46 jabai ank frijoj) pans
frijondans ixtvis ainans, mv yäq dya/i/j07jTE lovg dya/tioviag. Lc. VH, 39
rodida sis aiiis, euvev ev eavTU).
Einmal findet sich der artikel im got. in verächtlichem sinne:
J. XVIII, 38 ha ist so sunja, zi eoviv dX/^O^eia.
II. Auslassungen,
Es fehlen im got. toxt nur worte, die entweder im gr. pleonastisch
waren oder doch sonst ohne not wegbleiben konnten.
Gr. pleonasmus ist vermieden: Mc. VII, 36 mais pamma eis
)neridedun , (.lälKov TteQiaaopeQov eyrjQvoaov. Mt. V, 20 nibai managixo
u-airpip) ixivaraixos garaihfcins, edv /o) /teQiooevöi^ v/liiüv i) dr/.aioavvrj
/cleiov. Lc. III, 13 iii waiht nfar })atei garaid sijai ixtvis, fiTjöev
7tkbov itaqct. xo diaTeTayi.itvov vf.uv.
1) ßernh. meint in der unin.: ,,das unsinnige iimiia gelangte wahrscheinlich
aus einer lat. hs. in den gr. text." Eine solche lat. lesart liegt aber nicht vor. Viel-
iiieiir iuindelt es sich wol um ein missverständuis des Übersetzers. Er hätte jucxQÖre-
nog, wie an auderu stellen auch z. b. Mc. IV, 31, Lc. 1X,48 durch minmsts wider-
geben müssen. Er tat dies nicht, offenbar veranlasst durch das folgende maixa i?}ima,
fifiCtov nvTov, dem er ein minnixa imma gegenüberstellte mit dem sinn: aber der
(jetzt) kleiner ist als er, ist im himmolreich grösser als er. Der comparativ erforderte
im got. die ergäuzung iiiinia.
2) Hier musste ^a?/«;/« allerdings schon deshalb eintreten, weil skaidan einen
andern ca.sus regiert als yaivisan.
374 STOLZBNBÜRO
Substantiva, die widerholt gesetzt sind, gibt der Gote zuweilen
nur ein- oder zweimal wider: Lc. XIX, 33 andbindandam ])an im
qejmn pai fraujans pis du im : dulve midbindats pana pdan , Ivovtmv
de avTüJp töv Ttiolov UTtov ol '/,vqioi avxov Ttqbg avxovg. Ti Xveze töv
Tiiolov. J. X, 3. 4 jah po swesona lamba haitip bi 7iamin jah ustiuhij)
po, Jah pau po sivesona usiiuhip, faura im gaggij), jah J)o lamba ina
laistjand, /.al td i'öia Ttqoßara . . . ymI orav xd Xöia jtQÖßaxa . . y.al zd
TtQoßaza avT<p aKolovO-Ei. Mc. XII, 26 ik im giij) Abrahnmis jah gup
Isakis jah lakobis, eyio eI^h ö S^eög ^AßQadf.i /.al ö S^eög ^laad/i y.al 6
x^eög ^lavicüß.
Leichter art sind schliesslich auch die übrigen auslassuugen: Lc.
XVI, -18 jah JvaxMh saei afletana liugaij), horinop, /mI iiäg b aTVole-
Xvfxtvr^v dno dvÖQog yaf.iCov (.toixevEi. J. XVIII, 10 sah pa^i haitans
ivas namin Malkus, ?jv ös ovojna tu dovhi) MdXyog (vgl. Lc. XVI, 20).
Mt. XXVII, 16 hnbaidedunuh pau bandjaii gatarhidana Barabban,
er/ov de tote dtOf.iiov a/clarjinov XEy6f.iEvov Baqaßßäv. J. XI, 19 jah
managai ludaie gaqemun bi Älarpan jah Marjan, /.al 7Collol e/. twv
^lovdaUov eXiqkvd-ELOav jtQog tdg ytEql Mdg&ap vial Maqiav^.
Capitel IV.
Stilnüttel der gotischen Übersetzung.
I. Allitteration.
Grosses gewicht ist bei der beurteilung der Übersetzungstechnik
des Wulfila auf die allitterationen gelegt worden, die sich in dem got.
texte finden. Diese erscheinung hat wol vor allem dazu geführt von
„einem hauch dichterischer begeisterung" u. a. zu sprechen.
Wer den got. wertschätz unbefangen betrachtet, erkennt, dass auch
hier, wie in andern fällen, der Übersetzer für etwas verantwortlich ge-
macht wird, was seinen grund zum teil in seiner spräche hat. Die
allitteration brauchte nicht erst vom Übersetzer kunstvoll eingefügt zu
werden; solche erscheinungeu boten sich ihm ungesucht. Er hat dann
freilich diese gleichklängc nicht gemieden 2, zumal sein gr. orginal auch
nicht davon frei war.
1) Versehentliche auslassungeu liegen vielleicht iu den vorstehenden
belegen, jedesfalls in den nachfolgenden vor: J. XV, 16 gawalida ixivis, i^ehSäjLnp'
v/Liäg x(ü 'iO-i]xa vfx&g. Lg. \lll ^ il reiraiidei Jak utdriusandci du iniina^ rotfiovou
7]k&(v y.Ki nQoaneoovda avio).
2) Dieselbe erscheinung findet sich übrigens auch in der ahd. Übersetzung des
Tatian; vgl. hierüber Arens, Studien z. Tatiaa, Zeitschr. 29, 527.
1^
DIE ÜBERSETZDNG8TECHNIK DES WULFILA 375
In manchen der fulgenden belege wirtl also die allitteration nicht
einmal beabsichtigt sein (z. b. Lc. XVIll, 8 ivasiip pan jah ividuivo;
Mc. V, 1 8 was ivods u. a.).
I. Worte von verschiedenem stamm allitterieren :
Mt. VI, 10 icairpai ivilja peius, yevrid^tfcoj cb d-th^f.tu oov. ]\It.
VU, 15 fviilfos wilicandaus, li'/.oi agyiayec;. J. X,12 sa wiilfs fraivil-
ivip, 6 h'/iOLi aQ/cdCEi. ^Ic IV, o7 jah, urirj) skura windis mikila jah
icegos ivaltidedun in skip, /.al ylvtiai XcälaiP dvef.iov /ueytiXtj /.al id
■/.v(.iaTa i/teßaUev elg zö yclolov. Mc. V, 15 jah fjasai/vand pana ivodan
sitandan jah gawasidana, ymI d-Eioqovoiv töv dai(.ioviC6f.iEvov ytaD^ijaevoi',
■/Ml \i.iaciOj.dvov. Lc. X, 7 ivaiips auk ist waurstwja mixdons seinaizos,
a^iog yuQ ö tQydvrjg rov ^iiaO-ov avcov toiiv. Lc. XVIII, 3 wasiip pan
jah icidmco, yj]Qci dt /]»'. Lc. 1,79 in wig yawairpjis, elg oööv elQ/pt^g.
Lc. I, H<S gaiccisoda jah gaicanrhla, lycea/Jii'ato /.al hcoitjOEV. Lc. II, 15
/rawrl Jtala ivautpano, ib Qfjinct tovio ib yEyorog. Lc. 111, 2 wa?pt
icaurd, eytvEzo Qfjf-ta. J.VI, 18 winda niikilamma uaiandin, dvef.wv
uEydXov rcvtovTog. Mt. VII, 25 ivcdivoun ivindos, tycvEvoav 6i avEf-iOL.
Mc. V, 18 was tüods, daif-ioviad^sig. Lc. V, 29 jah ivas managei motarje
mikila, /al r)v bylog ieXwv(7)v -icol^vg. J. VI, 31 inaniia matidedun,
(.idvva l'cpayor. J. III, 4 Jvaiiva mahts ist manna, 7ti~)g dvvaxai av-
O-QWTtog. Mc. XIII, 2() jah J)a)i gasailvand sunn nians qimanda^i in
jnilhmant niip niaJUai nianagat jah nidpau, /.al zote üilJOPiat ibv v'ibv
zov dv^-QW/cov iQyöf-iEvov Ev vEcplkaiQ /.lEzd dLvdi.iEojg /i:üXXfjg /.al dü^i^g.
Mc. Xll , 24 ;«t'/a nih niaht, zag ygarpag f.irjde zt)v dci'aimv. Lc. XVII, 23
7ii galei/)aij> iiih laistjaip, /^n) d/ctXS-ijZE fitjös öico^i^ze. J. XII, 36
galmibeip du liuhada, jciozevete eIq to (füg. Mt. XX VII, 52 leika pixe
ligandane, oiof.iaza zmv ■/E/.oif.irjf.itvMv. Mt. VI, 22 lukarn leikis, 6
Xi'yvog zov oiöuaiog. ]\Ic. XII, 28 ins san/atia sokjandaiis gasaibands,
aiTOJv ovvCtizovvzcor , idc'n'. Mc. VI 11, 3(i jah gasleipeip sik saitvalai
seinai, /al LTj/^tiiox'f^fi zi]v ipiyj)v uviov. Mc. 1, 7 skaudaraip skohc, zov
\f.idvza zG)v v/codrj/.idcojv, ebenso Lc III, 16. J. XII, 37 inima taikne
gataujandin, avzoC ar^fiEla 7i:E7Coir]y.6zog. J.X.11^ IS hausided? in ei gataivi-
dedi po taikn, rf/ovoav zovzo avzbv 7CE7Coirj/.EvaL zb G7jf.iEior. J. IX, 16
faiknins taujan, oriiiEia 7Coie~iv, ebenso J. VII, 31. Mc. VIII, 22 jah
heran du inima hlindan, jah bedun, vxd (fEQOvaiv ahot ivcpXöv, /al
;(auu/.(cXovaiv. Lc. XIX, 38 JnuJ)ida . . . piudans, EvXoyimtvog . . . ßa-
oiXEvg. Mc. XI, 10 Jnapido so qiniandei J>iadangardci , EiXoytjiiuvrj i)
^youEVTj ßaoiXEia. Mc. VII, 35 jah rod/'da raihtaha, /al ^XdXsi ÖQx')-ö)g.
\j(^. XVIII, 2 gap nl ogands jah niannan ni aistands, zbv O^ebv f.tfj
376 STOLZENBDEG
g)oßovfi€vog xat avd^QMjiov f^tr^ h'tQE7c6{.iEV0Q,, ebenso Lc. XVIII, 4; vgl.
J. VII.I,4l ainana attan aigum, Vva jcaxiqa t^of^tev und ähnl.
2. Worte von gleichem stamm allitterieren:
Lc. VIII, 27 yaÄ wastjom ni' gaivasips ivas, ymI \f.iatiov ovy. Ive-
didvoKETO. Lc VII,25 ivastjom <ja/rasidana? sai jKii in ivastjom wx/pa-
fjcmn . . . tüisandans , 'if.iaiioig TjucpiEOiLievov; idov oi iv 'ifiattaf-to) ivdöHo» . . .
v/tccQxovTEg. J. XIX,2 umstjai . . . gaivasidedun , \udviov . . . 7VEQiEßaXov.
J. XVII, 4 waiirstfv . . . du ivaurkjan, rö tqyov . . . ha 7toirj00). Mc.
VII, 30 ligandein aua ligra, ßEßlruxiviqv E7U xfjc, -/.livrig, ebenso Mt.
IX, 2. Mt.V, 16 liuhtjai liuhap ixwar, Xaf.nlidTM tö rpiog vf.udv. Mt.V, 43
fiais fiand pehimta, /.(lO^OEig röv syßQOP oov. Lc. II, 29 fraujinond
frcmja, dionoxa. Lc. IV, 40 siukans sauhtim, äod^Evovvxag voootg.
Lc. II, 27 berusjos paia harn, rovg yovsig xö nmdior. Mc. VII, 35 jah
rmdbundnoda bandi, '/.al tlvd^rj 6 ÖEOf-iög. Lc. XIX, 43 bigraband
fijaiids peinoi grabai puk, TtEQißalovaiv oi iyßQoi oov yaQayid ooi.
J. VII, 31 ip managai pixos vianageins , 7tollol di sy. xov oykov. J. VIII,
41 taujip toja, tvoieTze zd agya. Mc. I, 40 kiiiwcfm k)tussjands , yovv-
TtExtov. Mc. VII, 10 daiipau afdaupjaidau , d^ardx(i> xslEvxdiw^.
IL Wechsel im aiisdruck.
Neben der allitteration steht noch eine andere stileigenheit der
got. Übersetzung, die sich ausnimmt, als sei der Übersetzer der alUt-
teration aus dem wege gegangen, wo sie in der gr. vorläge gegeben
war. Es zeigt sich nämlich die neigung des Übersetzers mit dem aus-
drack zu wechseln, dadurch dass er entweder verschiedene Wörter mit
einander wechseln lässt, oder verschiedene wortformen, oder die ver-
schiedenen satzformen.
1. Wechsel zwischen verschiedenen Wörtern.
a) Verba.
Der Gote stellt den Wechsel her, indem er entweder verba von
ganz verschiedenem stamm gebraucht, oder simplex und com-
positum bezw. zwei verschiedene composita desselben simplex an-
wendet.
a) Verba von verschiedenem stamm: Lc. V, 27. 28 laislei afar luis
— iddja afar imma, d/.olovü^Ei ^iol — Tf/.oloi'd-Ei avx(o. Lc. IV, 35
iisgaggan — urrinnan, i^ElS^slr. Lc. II, 21 haitati — qipan, ymIeIv.
Lc. XX, 3L 32 gasiciUan — gadaujman, d/voOavEiv. J. XVI, 27. 28
1) Nicht mit angeführt sind solche stellen, au denen schon im gr. der gleich-
klang vorliegt.
DIK DBERSETZ0SGSTKCHNIK DKS WULFILA 377
urrcuiH — Hxahiddja, t^fjli^ov. Lc. XIX, 31. ?A gairnjan — paiirfis
ivisan, xQ^t'ccv i'x^iv. J. XV, 6. 7 irisip — siJHp^ (.dvrj — {.leivrjTe. J. XIII,
31 nu gasiveraids warp {edo^äad-tj} stiuus maus jah giip hauhips ist
ddoS.äod-rl) in iriima^. J. IX, 29 nitum — kunnum, ol'öafiev. J. VIII,
59, IX, 1 Ivarhoda — pa/rJigcifji/ands, rtaQfjyev — jcagaytov. J. VII, 28
knmnip jah irit/ip, ol'daie v.ai oYdare. 3Ic. XII, 20. 21 gasivütan —
gadaupi/an, chcodarelr. 3[c. II, (5. 8 Jtaghjnn, sis — initon sis, diaXo-
yiueod^ai. Mt. VII, 13 uingacjgnit — inngalcipdi/ , eiolqyEaO^ai. ^It. VI,
27. 28 maurnan — sa/irgan, i.iEQi!.iväv. Mt. VI, 19. 20 hlifcuid —
stiland, '/Ximovoi. Mt. VI, 2. 5 andnemun — haband, dyctyovai.
ß) Simplex und compositum oder verschiedene composita. Bei
dem Wechsel zwischen simplex und compositum, insbesondere den com-
positis mit dem prätix gd-, handelt es sich oft nicht um einen Wechsel
im wortgebrauch, sondern, um einen Wechsel in der actionsart des-
selben verbums 2; Mt. V, 23. 2-1 ^«/yms — atbair, rcQoofftqiji; — 7Cq6o(peqe.
1) Diese stelle ist wegen des wechseis von icisan und icairpan besonders be-
sprochen worden, vgl. G.L. § 181 anm.: „Übrigens ist dies eine der stellen, wo die
Übersetzung vorzüglich das scharfe eindringen des Übersetzers in den sinn des Originals
beurkundet." Noch eingehender ist die stelle bei Gering, Zeitschr. 5, 411 erörtert:
„Der Gote hat die beiden iSo^äai^r] in verschiedenem sinne aufgcfasst, insofer,n die
Verherrlichung des sohnes nur während der kurzen zeit seiner leiblichen erscheinung
und nur in gewissen moraenten erfolgt, während der opfertod Jesu Gott zur dauern-
den Verherrlichung dient." Als weiterer beleg wird dann J. XVI, 21 angeführt:
gabanran ist [yfvvr^ari) . . gabaurans narp {ey(vp^')-)j) und für den unterschied in
der Umschreibung mit ivas und tcarp Lc. XV, 24. 32. Vgl. ebenda s. 412: „Wir sehen
wider, dass derselbe (der Übersetzer) nicht mechanisch zu werke ging, sondern so
tief in das Verständnis der schritt einzudringen suchte, dass er es wagen konnte, selbst
genauer als das original den sinn einer stelle zu prücisicren." Dass der Übersetzer
an solclien und ähnlichen stellen sehr sorgfältig und dem Zusammenhang gemäss über-
setzt, indem er die ihm von seiner muttersprache gebotenen ausdrucksmittcl zur au-
wendung bringt, wird man nicht bestreiten können. Andererseits aber bleibt die grosse
menge von fällen bestehen, in denen i7H, was, tvarp ganz unterschiedslos zur Ver-
wendung kommen.
2) Fälle dieser art sind daher nicht mit aufgeführt, vgl. AV. Strcitbei'g, Per-
fective und imperfective actionsart im germanischen (Beitr. 15, 80fgg.). Der Gote
wurde durch den unterschied in der -actionsart zwischen simplex und compositum in
den stand gesetzt syntaktische feinheiten zum ausdruck zu bringen, die nicht
im original standen. Besonders war hierzu die partikcl -ga geeignet. Z. b. Lc. VIII, 10
ci sailüanduns ni gasaibama Jah gahausjandans ni frapjaina, 'iva ßXiyiovitg /.li/
fl).i'7io)aip xcü tiy.ovovrtg [xti avviCjaiv. Streitborg sagt (s. 83) zu dieser stelle: „Bern-
hardt findet in beiden </a-com[)ositis ' intensiv '-bedeutung (Zeitschr. 2, l.")8 — 66) und
Übersetzt: -damit sie obwol sehend nicht wirklich sehen und obwol wirklich hörend
nicht verstehen.' ... Der sinn ist vielmehr der: 'damit sie, obwol siedle fäiiigkeit des
sehons besitzen und anwenden, doch nicht zum ziolo des sehons, der Wahrnehmung,
378 STOLZENBÜRG
Lc. 11, 1. 3. 5 gameljan — ei melidai weseina — anameljau., dnoyQa-
(pEod^at. Lc. VII, 47 afletanda — fralefada, mpkovTai — dcpuzca.
Mc. XIV, 69. 70 pdhn fanrastandandcmi — pai atstandandans, rolg
TtaQEGir^/.ooiv — Ol 7i'aQE(JiTüTeg. ■ J. IX, 31 cuidlianseiji — hauseip,
d/.ovEi. J. XYI^ 28 UMihiddja — atiddja, i^^ldov — il/jlvd-a. J. XIX,6
nshramei — hramjij), avavQOioov — oiavQi'ooaiE. Mc. IX, 47 iiswairp
— atirairpcDi , t/.ßalE — ßlrjd^Tjrai. Lc XV, 23. 24. 29. 32 ivisani
waila, ivisa// , biiccsjau, ivaila tvisan, EV(fQavd^iof.tEv, EvcpQaivEod^ai , ev-
(pQavd^(7)y EvcpQavO-fp'ai.
b) Nomina.
a) Öubstantiva: Mt. V, 23. 24 Hbr — giba, dojQor. Mc. II, 23. 24
sabbatö daga — sabbathn, rolg oäßßaair. Mc. II, 27. 28 sabbato — -
in sabbato dagis — J)amma sabbato, lö odßßaiov — diä zö oäßßaiov
— xov aaßßccTOv. Mt. V, 46. 47 pai Jyifido — motarjos, o'i zEliovai.
Mt.VI, 1. 2 lauu — wixdoii, ^uod-öv. Mt. VII, 24. 26 wair — nianna,
ävrjQ. Mt. VI, 16. 17 andwairjd — ludja, jiqöümjiov. Mc. I, 16. 17
fiskjans — nutans, cdiEig. J. VII, 11. 13. 15 Indaieis — ludme —
manageins, ^lovöaioi — ^[ovdauov — ^lovdaloi^. J. IX, 22. 23 pai
fadrein — pai benisjos, oi yorElg. J. XV, 19 manaseds — fairJviis^
■/iöoi-iog. J. XIX, 2. 5 wipja — ivaips, oiecfavog. Lc. IX, 60 datipa — naus,
vE^QÖg, (vgl. dagegen Mt. VIII, 22). Lc. XV, 12. 13 aigin — sives, ovoia.
Lc. XIX, 13. 16fg. dails — skatts, f.iva. Lc. I, 5. 8 afar — kiini,
Icpru^iEQia. Lc. VI,38 mitads — mitadjon, i-ietqov — j.ii.TQw. Hier sei auch
mit aufgeführt J. VII, 4. 10 in analaugnein — aaalaugniba, ev xqv/vvc?j.
ß), Adjectiva: Mt. V, 37. 39 nbils — unsels, jtovijqog. Mt. VII,
17. 18 gods — piuj)cigs, dyaO-ög. Mt. IX, 17 niajata — juggata, viov.
gelangen d. h. nichts erblicken, und damit sie, obwol sie das resultat des hörens,
nämlich das auffangen der werte, erlangen d. h. das gesprochene vernehmen, doch nicht
zum Verständnis des vernommenen gelangen'." Vgl. noch Mc. ITI, 24. 25. 26, IV, 9.
23, VII, 16; Lc. VIII, 8. 10, X, 24; J. XVII, 25 u. a. Zur übersetzungstechnischea
beurteüung dieser fälle im ganzen ist jedoch nicht ausser acht zu lassen, was Streit-
berg selber s. 81 vorausschickt: ,,Da sich nämlich die nachbildung (Übersetzung) mit
möglichster treue an das vorbild anschliesst, so werden wir in der rogel dort, wo im
griechischen ein mit präpositionen zusammengesetztos verbum steht, auch im got. ein
compositum treffen, während umgekehrt hier die präposition mangelt, wenn sie doit
fehlt." Und weiter: „Bei dieser Untersuchung darf jedoch ein punkt nicht aus dem
äuge verloren werden, nämlich die tatsache, dass der Übersetzer nicht gezwungen ist,
an jeder stelle jede Schattierung des Originals widerzugebeu." Dazu kommt, dass
Str. an zwei stellen textverderbnis annimmt, weil die Übersetzung hier die von Str.
aufgestellten regeln durchbricht: Lc. XIV, 35 (s. 83) und Lc. X, 24 (s. 85).
1) Vgl. Beruh, aum. f kann allerdings nicht mehr zur erklärung herangezogen
werden.
DIE ÜBERSETZÜNGSTECHNIK DES WULFILA 379
Mt. IX, 32. 33 bauds — dumbs, /McpÖL;. Lc. XVI, 10. 11 luitriggivs —
i7iivinds, cidi/iog. Lc. Vl,36 blcipjandfnis — blelps, oly.ii'Qf.ioreg — oi-
c) Pronomina.
Mt. V, 31. 32 Ivtnii/f saci — sa ixei, oo, av. Mc. IX, 37 saei —
sa liMXuh saci, og. civ. Mc. X,43. 44 ak sa haxith saei — jah saei, aXV
oc 'c-CLv — x«t og. Lc. VlII, 13 ixei — paiei , oi. Lc. XIV", 19. 20
anjmr — sains, ('ceQog.
d) l'artikeln.
Hier Jässt sicli oft nicht mit bestimmtlicit sagen, ob wir es mit
dem stilistischen mittel dos weclisels im ausdruck wirklich zu tun haben.
In sehr vielen fällen handelt es sich einfach darum, dass dieselbe gr.
Partikel in verschiedenen Stellungen auch nach got. Sprachgebrauch ver-
schiedeneu wert hat und also auch verschieden übersetzt wird.
Wechsel scheint vorzuliegen: Lc. XV, 29 vi Ivanhun — ni aiiv,
oidi/coie. Mt. V, 18 7itid patci — nute, l'iog är. Mc. I, 22 sive —
sirasire, cog. Mt. VII, 29 ebenso. Mc. IV, 5. ö in J>ixei ni habaida —
iinte i(i habaida, öiä xb (.Uj i%uv. J. VIII, 21 — 2^ panuh - pau — nu
— pamh, ovv. Lc. X, 20 ei — in jHunmei, ovl. Lc. X, 2(i. "11 paruh
qal) — ip) is andhafjands qaj>, u St ei/csv — u de d/vo/.qtd^dg d/cev.
Lc. XIX, 17. 19 tifar — afaro, t/cdvto.
2. Wechsel zwischen verschiedenen wortformen.
a) Verbum.
a) Wechsel im tempus: Mc. IX., -il ei galagjaidaa asiluqairnus . . .
Jak fruicanrpaiis iresi, el 7teQi/.eiTca ?J*)og iLiih/iog . . . /mI ßfßlrjcai.
Mc. V, \5 jali atiddjcduii du lesua, jah gasailoand, /.al l'Qyoviai /cqbg
ibv 'Itjoovv, /ML i}EojQovaiv. Mc. V, 22 jah sai qinii/t ains pixe syua-
gogafade . . .jah . . . gadraus dtt fotiini lesiiis, '/.al löov tQXEiau eig tvjv
agyiourayioycor . . . /al . . . jiucvel 7cqog zobg 7i:6dag atJioP. Mc. V, 40
ip is . . . ganiniip atfan pis barnis . . .jah galaij) i}in, b bl . . . Tiaqa-
}Mj.iß(xvEi ibv jvaztqa lov /caiöiov . . . /al eioycoQEoeiai. J. XII, 22 gaggip
Filippas jah qipij> da Audraiin, jah afira Aadraias jah Pllippas qcJ)Hit
du Icsua. tQxeiat . . . Xtyu . .«. )Jyovoiv.
ß) Wechsel im modus: Mt. V, 19 galairij) — laisjai, Ivaij —
dibutrj und taujip jah laisjai, 7ioirjai] /al diöd^^jK Mt. A^, 25 ibai . . .
I) In (]ie.sem fall und einigen andeiu wird dor weclisL'l im modus von Bonih.
auü syntaktischen gründen erklärt (vgl. ot>cn s. l(j!>. Stil). In der arim. zu Mt. V, 19 lioisst
es: „Der conjunctiv bezeichnet die entferntere, von der orfüUung der ersten bedingung
abhängige handlung; vgl. Mt. X, 38 sai ni niinip (jalgan seiiiaiia jah laisljai afar
mis, ebenso Lc. XIV, 27. Daher auch 1. C. XI, 27 . . . und gerade so J. VI, 53 nibai
380 ST0LZENBUR6
atgibai . . . atgibai . . . galagjaxa . f.n'i7C0TE . . . jraoadot . . . jiciQaöG) . . .
ßlrjd-t]0)] (vgl. Beruh, anm.: „Ni(!lit mehr von ibai abhängig"). Mt.
VI, 31 Iva Diatjam afjtpax Iva drigkam . . . aippau he icaüjaima, xl
(pciyojfiEv rj ri 7Vuoi^iev Vj xl yceQißahoi-ied^a. Mt. X, 38 nimip . . . jalt.
laistjai, Xaf.ißavEi — %al dKoXovd^el. Mc. II, 22 distairai — iisgiitnij)
. . . fraqisinand^ grjoaei . . . i/ixeiiai . . . mtokovvTai. Mc. III, 27 niba
faurpis pana sivinjmii gabindip, jah Imna gard is disivihvai, drjmj . . .
diaQTtaof]. Mc. VII. 14 hauseij) — fraj>jaip, cckovete — gvviste. Mc.
IX, 39 ni maniiahuii aiik ist saei taiij/J) mäht in namin meinamma
jah magi sprauto ubihvaurdjau mis, 7tou]OEL — dvvrjoETai. J. VI, 53
matjij) — jali drigghiij)^ rpdyrjiE — xat 7CitjTE. J. VII, 17 iifkunimij)
hi J)0 l'aisein framiüi gnda sijai, pau iku fram mis silbin rodja, yvw-
GEvai 7CeqI Tfjg diöayjjg 7c6teqov ex rov d-EOV sotiv tj tyco d/t' niaviov
laXtT). J. VIII, 51. 52 fastaij) — fastai, xtjQr^oi]. J. XII, 5 frabauht
was — fradailip wesi, htqüO^r^ — lööd^tj. J. XII, 26 andhahtjai —
andbahteip , diaxorf]. J. XV, 20 jabai mik wrekun, jah ixtvis ivrikand,
jabai mein nraird fastaidedeina , jah ixivar fastaina, Iduo^av . . .
öuo^ovoiv . . . extjQrjaav . . . xyQi^oovotr. Lc. XIV, 12 ibai . . . aftra haitaiua
— wairjyip», (.it]7CoxE . . . dvir/Mleacoaiv — yivrjxai. Lc. XIV, 27 bairip) —
jah gaggai^ ßaoxd'CEo ■ — /mI tqyEvai. Lc. XVII, 8 gamatjis jah ga-
drigkais pm, cpdysoai -/.ai TViEoat ov. Lc. 1,13 jah qcns peina Ailei-
sabaij) gabairip) sunu pxis, jah haiiais namo is Johannen, iy yvvrj oov
^EXiodßsd- yEvvrjGEi viov ooi, /ml '/.aX&OEig xö ovo(.ia avxo'v ^hodrrrjv. Lc.
I, 31 jah sai gatiimis in kilp)ein jah gabairis sunu, jah haitais namo
is Jesus, '/Mi idoi) ovXhjimlir] iv yaozql ymI ttifj xh6v, /mI YMlioEig xö
oi'Ofia avxov ^Itjoovr.
y) Wechsel im genas: J. XV. 6 galisada — galagjand, awäyoLOiv
avvd — ßdlXovaiv. Lc. II, 12. 16 galagij) — ■ligando, yiEi^iEvov. J.III, 31
sa qimands — sa qumana, 6 fQyüi-tErog. Lc. X, 0. 11 atnchida ana
ixwis — atneJvida sik ana ixwis, )]yyiAEv Iqi' v[.iäg.
Verschieden umschrieben ist das passiv J. XIII, 31 gasivcraids
tcarpt — hmihipts ist, edo^dod^rj.
d) Wechsel im numerus. Es findet sich unter gr. eiufluss (vgl. oben
s. 173) Wechsel zwischen dual und plural: Lc. XIX,30. 31 gaggais —
inatjip) — jali drigkaij) und im hauptsatz Lc. XVII, 8 bip)c yaiiiafjis jalt. gadrigkais
pu; dann issest du und später (d. h. vielleicht) trinlist du" (vi;i. auch Bornh , Zeit-
schrift VIII, 32). Hier haben wir also beispiele, in denen der Gote syntaktische
feinheiteu zum ausdruck bringt, die nicht im gr. original standen, doch steht daneben
eine menge von fällen, die Wechsel im modus zeigen, ohne dass eine soL^he syntak-
tische motivieruug gegeben worden könnte.
DIF. ÜBERSETZUNG STKCHNIK DES WDI.FILA 381
bigitats — attiuliijt — andhii/dt'p — (jipat'fs, hcayere — eIq/joeie —
dydyeie — Xi'ere — ^gelie. Kbenso Me. XIV, 18.
Wechsel zwischen singular und plural liegt vor: J. \'II, 20
audliof so managei jah qepioi, d/teÄQi i^ii 6 oyXog /.ai ei/cev, (wo der
Gote qejmn ytavu avveaiv constriiiert hat).
b) Nomen und pronomen.
Hier liandelt es sich vor allem um Wechsel im casus, den der
Gote durch Wechsel in der eonstruction herbeiführt: Mc. IV, 5. 6 ni ha-
hakhi (lirjHi imunigd — i)i Jnxei ni habaida diupaixos airpos — unte
ni Jiabaidd u-mtrtinfi, ovv. eiyev yfjv Ttolh'jv - — öiix xb fxt) tyeiv ßd&og
yfjg — did lu ui] tyeiv {)i'^ai'. Lc. XVII, 27. 29 fraqistidu (dhtis —
fntqist/d(( (dilti)}/ , dyiwAeaev a/cavTag. Mt. VIII, 9 df( pannmi - jaJi
(it/Jx/rtnntna — ja!/ du shilhi, im gr. stets der dativ ohne priiposition,
ebenso Lc. VII, (S. Mc. IX, 35 sijai allai\e aftmnists jah allaini
iindlxdits, l'üiai jcdvicov ^'oyarog Aal jcdvccov didy.ovog. Mc. XII, 19
bileipai qenai jiih bunie ni bileijmi, d/coXei/cij ywai^a xal rtyiva (.uj
dq>fj. Lc. IV, 25 du jeratu prim jah menoJ)s saihs, hti I'tt^ tqia y.al
urjrag !-'^. Lc. 11,46. 47 hausjandan im — pai hausjandam is , d/.oi'oi'ia
ariior — oi d/ioiovieg avToü. Lc. I, 7. 18 fraiualdra dage seinaixe —
fra>naIdroxei in dagam sei/iairn, TCQoßeßrjy.6 reg tv ralg t^f^tegaig — - jcqo-
ßeßtfÄvla h zaig ijf.itQaig. J. XV, 19 Jns fairhans — ?<.s J)amma
fairivau, l/. zoü '/.ooaov. Lc. VII, 21 gahailida managanst af sanhtin/
jah slahiin jah altmane (graecismus!), t&eQdjcsvoev /toXXovg d/cö vooiov
■/.al (.laaTiywv /.al 7ivtif.idTiov. Lc. XIV, 11 saei hauheip sik silba (lies
silban?) — saei hnaiiveij) sik silban, 6 vipCov eavzbv -6 za/ceinov savTov.
Bei fremd Wörtern findet sich ebenfalls Avechsel in den woii-
formeii: Mt. X, 41 praufetans — praufetis, jcQOiftjiov. J. XVTII, 28
in praiioriann — in praitorla, ug cb ycgaiTWQiov.
Wechsel im genus liegt vor beim participium Mt. IX, 8 gasaÜDaii-
deins J)an managei ns ohtedan sildaleikjanda)is ^ idövreg di o\ oyXoi
aq)oß/iS^rjoav.
Wechsel im numerus findet sich beim pronomen Lc. X, 23. 24
poei — Jmtei, u^.
3. Wechsel in dei' satzfügung.
Verschiedene Übersetzung des gr. participiums liegt Nor: Lc.
XVI, 20. 21 banjo fidls jah gairnida, eiXyjof.itvog '/.al ^/cii^vf-iüv. Lc.
XVI. 18 sa (iflf'tands jah lingands -jah ioaxuh saei afletana lingai/),
1 ) Hier ist jedoch vernmtlicii /joei für patei verschrieljeu , da ein anderes poei
vorhergeht: auyona poei saihutid poei jus suiloip.
382 STOLZEKBUBG
6 d/roXviov — xat ya}.n7)v — xat 7taQ ö äTto'ke'kvi.itvtjv ya(.uüv. Lc. III, 11
sa habcmds — saei habai , 6 l'yjov. J. X, 1. 2 saei inn ni atgaggip —
sa inngaggands, 6 f.it) eloeQxöf.iEvog — 6 Ela£Qx6[.iEvog. J. VI, 64 harjai
sind Jmi ni galaubjandans jah htis ist saei gaUweip inn, Tiveg slaiv
o\ f-irj 7tiGTEvovtec '/.cd rig eoriv 6 Ttaqadcooiov avTov.
Gr. Infinitiv wird verschieden übersetzt: Lc. XIX, 12 gaggida . . . fra-
niman...jaJi gaivandida sik, hTtoQBvS-tj . . . laßeiv . . .vmI v/toaTQtiliai.
Wechsel in der satzfügung findet sich ferner: J. XVI, 16. 17
leiiil jah — leiiil ei — leitil jah, ui/.Qdv /.ai'^. Lc. VI, 37 jah ni stojip,
ei ni stojaindau — ni afdomjaij), jah ni afdomjanda, /.ai f.iij -/.giretE
'/Ml od f.lij '/.Qlü^fjTE f.ltj '/MTadr/MLEtE, '/Mi OV f.Uj '/MTaöi'/.aad-fJTE. Mc.
III, 14 jah ganrinrJäa hvalif dn wisan ...jah ei insandidedi , /ml hcoi-
r^OEv ÖLoÖExa h'a woiv . . . /.al %va mtoozfiXlrj. Mc. I, 6 ivasnj) pan lohannes
gaivasips — jaJi matida, tjv de. ^liodvvtjg Evdedvfxevog — ymi eod^iiov.
Als Wechsel in der Wortstellung seien noch folgende fälle er-
wähnt: Mc. VIII, 12 J)aia Jmni — kunja Jmmma, y yEVEcc aviTj — ttj
yEVEo. Tavzrj. J. XVIT, 14 unie ni sind ns Jmmma fairJvaii, sivasive
ik US J)amma fairhan ni im, oci ov/. eIoiv h. lov '/.6of.iov, /.ad^tog eyoj
OVK eIi-iI fix TOV '/.6O}.l0V.
Dieser reichhaltigkeit des wechseis in der got. Übersetzung stehen
andere, wenn auch weit weniger fälle gegenüber, in denen ein Wechsel
des ausdrucks, der sieh im gr. findet, nicht \v i d e r g e g e b e n ist
und zwar:
a) dadurch dass der Gote dasselbe wort widerholt hat.
a) Verba: Mt. XI, 7. 8 saihan^ S^Eccoaa&ai — IöeIv, ebenso Lc.
VII, 24. 25. Mc. A^III, 24 gasaüvan, ßlt/cEiv — oqäv. Lc. X, 24 saihan,
iÖEiv — ßls/TELv. Lc. VI, 41 gaumjan, ßXtTtEiv — '/.aravoEiv. Lc. VII,40
qäp — qip, tcpri — eucL Lc. XX, 2 jah qepun du innna qijtandans,
■/.ai Eijtov 7CQüg avrbv X^.yovTEg. Mc. I, 21 galeip>an, ElaycoQEVEO&ai —
EiOtQyEod^ai. hc. YIll., 22 galeij)an, dÜQyEod^ai — dvdyEod-ai. Lc. IX, 45
ni frapjan, dyvoEiv — fxt) ala&dvsad^aL. Lc. XIV, 12 haitandin —
ni haitais, /.E'/Xri'/.oTi — ^t^/} (piovEL. Lc. XIX, 16. 18 gawaurkjayi,
TtQooEQyduEod-ai -=- jcoieIv. J. XII, 40. 47 ganasjan, icca&ai — (twCeiv.
J. VI, 53. 54 matjan, (paysiv — TQwystv. Mc. XV, 84. 35 wopjan,
ßodv — (fioveiv. Mc. XIV, 68. 71 afaikan, dgrelaS^m — dvad^Ef-iariUEiv.
Mc. XII, 19 bileipan, '/MTokEinEiv — dffiivai. Mc. XII, 8. 12 und-
1) Vgl. dazu Klinghardt, Sjaitax der got. partikel e? (Zeitschr. 8, 154fg.): „Wir
können uns diese erscheiuung kaum anders erklären, als dass der übei-setzer auch
hier seiner sonstigen bekannten neigung, statt der einförmigen widerholung eines
Wortes im gr. texte gotische synonymen zu gebrauchen, gefolgt ist.'"
DIE ÜBERSETZUNQSTECHNIK DKS WULFax 383
I
greipan, Ictf.tßaveiv — Aqaxeiv. Mc. V, 41. 42 urreisan, tyeiQeo&ai —
dvioiaad^ai. Mt. VII, 25. 27 hisligqaJi, 7iQoa7Ci7txEiv — jvooGM/cxtiv.
Mt. V, 17. 19 gatairan — gatairij), /.araXCoai — ^t'rjr;.
ß) Nomina: Lc. XV, 12. 13 sices, ßiog — ovaia. Mt. VII, 17 gods,
dyad-og — /Mlög und ubils, aa/CQog — /covtjQog.
Für die partikeln lassen sich solclio fülle, die stilistisch wichtig
wären, nicht aufstellen. Zu nennen wäre höchstens Mc. I, 2 6'«^' ik
inscüidja aggilii meinana faura piis^ saei gnmanweip wig peinana
fmtra Jnis , löob ^yio djcoaieXXio tov liyyeXöv uov jtob /cqogi'ojCov oov,
og /Miao/.ecuO£i tijv udöv oov tf-uvqoodtv oov.
b) dadurch dass im got. simplex und compositum oder verschie-
dene composita gesetzt sind^:
Mc. I, 2. 3 gamanwjan — manivjan, xaTaay.eva'Ceiv — txoLi.iaS.uv.
Mc. VIII, 15 saihip ei atsaihip ixwis Jm beistis, ögaxe ßlfTtexe d/cö
xfjg Ct'fi^g- J. XVI, 16 leitil nmih jali ni saihijt mik, ja)/ aftra leitll
jah g<isaihip> mik, i.ii7.Qdv v.ai od S-£(i)QEixe /.ts, ymI 7cdkiv /.ii/,odi' /.ai
oif'eai^e fxs. Lc. XIX, 45 pans frahugjandans in ixui ja!) hngjanddiis,
xovg TtioXoBvzag Iv avxw /.al dyoqdl^ovxag , ebenso Mc. XI, 15 und Lc.
XVII, 28 hcmhtedun jah frabauhtednn, ijyoQaCov — hciolovv. Mc.
XII, 1 ussatida — jah bisaiida, tcpvxevoev — /.at 7C£Qi^d^r]/.€v. Mc.
XIV, 47 sloh — jah afsloh, tjcaiOE — d<pelXs. Lc. V, 31 huilai — pai
unhailans , o\ vyiaivovxeg — o\ VM/Mg ty^ovxeg. Mt. IX, 12 hailai —
loiJuiili liabandans, loyvovxtg — /.a/Mg Ixovxeg. Mt. IX, ?)b jah hailjands
. . . al/a iinhailja , vmi S^ega/ceviop . . . 7raGav /.lalayj'av. Mc. II, 17
uswaurhtans ak fraivaurhtans , dr/.aiovg dXkd df.taQXO}Xoög, ebenso
Mt. IX, 13.
Ausgleich eines gr. wechseis ist endlich auch eingetreten: Mc. V, 10
baiiva icarp bi pana wodan jah bi po sioeina, 7cG)g eytvexo xto öai-
uovi'Cof.itvii^) v.ai 7Ctoi xovg yoi'oovg, wo im got. gleichheit in der con-
struction hergestellt ist.
Es bleibt noch zu erwähnen, dass der Gote, wenn im gr. mit
absieht zwei gleiche Wörter mit einander verbunden sind (annomi-
natio), dies oft nicht nachahmt: Mt. XXVII, 9 andaivairjyi — garahni-
dedun, xijv rifxtiv . . . txif.i/jaavxo. Mc. III, 28 jah na/iteinos, siva, ma-
nagos, swasive ivajamerjand , /.al ai ßlao(prj/.iiai , ooagavßXaocpmijGio-
oiv. Mc. IV, 30 in Jvileikai gajukon gabairant Jio, h 7Coia 7caQaßoXfj
,tu(jußuliüuev. Mc. V, 42 usgeisnodedim faurhteiti, t^taxi^aav iy.Gxda€i.
Mc. \'II, 13 auabas?iai ixivarai J>oei auafalliitp, /lagadÖGei v(.iaiv i^
1 ) Bezw. ein verbuni in verschiedener actiousart (vgl. oben s. 377)
384 STOLZENBÜRO
TcaQEddr/.aTe. Lc. VI,48 timrjaiidifi raxii,, olxodof.iovvci ol/Jav. Meli, 4
undlmlidedun hrot, dycBoriyaoai' itjv arsyrjv. Lc. 11, 8 pairhwakandans
jah witandmis tvahhvom nahts^ dygavloüvTsg ytal (puXdooovteg (pvXayiäg
Tfjg vv/ic6g. Mt. V, 45 ana garaihtcMs jah arm inwindans, ItiI Si/.aiovg
'/.al ddixovg.
Es kommt jedoch auch vor, dass die figur, die sich im got.
auch olme gr. Vorgang findet, dem gr. nachgebildet wird: Mt. VI, 20
ip huxdjai]) ixivis huxda in himina, d^njoavQi'CEZE de valv ^ijaavQobg
ev OLQaro). Mc. XIII, 19 fram- anustodeitnti gaskaftais, Jjoei yaskop,
an'' (xQxfJQ xr/aewg, ijg I'axlouv.
S c h 1 u s s.
Beurteilen wir die Übersetzungstechnik im ganzen, so sei zunächst
darauf hingewiesen, wie vereinzelt, wie gering an zahl und wie wenig
bedeutend die abweiehungen des gotischen vom griechischen text alle
zusammengenommen sind, hält man dagegen die ganze masse der fälle,
in denen der got. und gr. text sich von wort zu wort decken. Wie
weit diese wortwörtliche Übereinstimmung geht, die von allen bear-
beitern zugegeben wird und von der jede seite der Übersetzung deut-
lichstes Zeugnis ablegt, dafür einige beispiele.
Auffällige nachbildung des gr. textes findet sich: Mc. lY, 41
ohfedun sis agis mikil, ecpoß/jd^tjaav (fößov /.leyav. Ebenso steht der
accusativ J. XVII, 2G, während sonst der got. dativ für gr. accusativ in
dieser Verbindung eintritt (Lc. 11,9; Mc. X, 38) ^ J. XVIII, 14 baiüo
ist ainäna mannan fraqistjan , avf.i(pfQ€i f'va lxvd-Qiü7Cov äjtoltod^ai ;
gr. acc. c. inf. ward sonst gern vermieden. J. XVI, 17 Jmrnh qepun iis
paim siponjam, ei-ycov ovv e/. zaJv (.lad^iqToJv avTOv. Lc. 1,62 pata Joaiwa
ivildedi haitan ina, tu ti av d-eloi ytaXelod^ai avTov. Lc. IX, 46 pata
Jvarjis pau ixe maists wesi, tb rig av £tij (.leiCtov aviwv. Mc. VI, 2
Jvapro pamnia Jmta , jah loo so handugeino so gibafio imma, jtod'Ev Toimo
zavTa, xai rig tj Gocpia i) öo&elaa avzio.
Gr. anakoluthe werden im got. nachgebildet an folgenden stellen:
J. XV, 2 all taine in mis imhairandane akran gop, iisnimip ita, jah
all akran bairandane, gah7'aineip ita, ^täv -/.X^i^ia iv ^lol f.u) cptqov
'/.aq^röv, atgei adrö, xai 7Cäv rb ytagycbv q)eQOv, /.ad^aigei avvö. Lc. VII, 39
ufkunpedi paii Iva jah loileika so qino sei tekip imma, Jmtei fratvanrhta
ist, ayivcoGyisv av iig yial ycorajctj fj yvvrj tJTig u/cisrai avcov, ort d(.iaQ-
ToiXög saziv. Lc. IX, 3 ni ivaiht nimaip) in ivig, nih waluns nih
1) Beachte auch fälle wie Lc. VII , 21 (ahmane) u. a.
DIE ÜBERSKTZUNfiSTF.CHNIK HKS WUI.KILA 385
vfüJibalg )iih hlaih iiih slattans, nili Jmn tweilnios paidos haban,
uTjöev atQEiS elg cijv ödöv^ f.i/jie qdßdoi'g f.i/jie m'iqav (.ii'jte aqrov /.i/jce
doyvQior, ft/jie dvd dto %itG)vctg t'xsiv. Mc. lV^2b jah saei ni habaip,
ja!/ patei Imbaip, afnimada imma, vlccI oq ova, l'xei, Aal o l'xei, dq-
d^i'jOtiui du' avTov. Mo. XI, 23 pistvaxiih ei qijmi du pamma fair-
iiuiija . . . ak (jalaubjai pala ei patei qijrip gagctf/ylp, ivairpip imma
pi.s/vah pei qipij), dg idv eucij rip oqei volho . . . dlld /ciGcevotj oii d
/Jyei yiveiei. l'avai avco) o fdv eücr^. Nur als sklavische nachbildung
des gr. toxtos lässt sich auch Lc. 1,9 auffassen: lilmits imma iirran du
saljan aff/aggafuls , tlaxEv lov dvi-iiäocxi eiosld^iov, wo es im got. (mit
bezug auf imma) atgaggandin heissen müsste.
Aposiopese ist wörtlich übersetzt Mc. VIII, 12 amen qipa ixivis
jubai gibaidan hinja pamma iaikne, dfu)v l^yco v(.uv el dod^ijoeiai rf]
ysvea lavvij Gr^f.iEiov.
Der nachsatz ist wie im gr. unterdrückt Mc. Vll,ll ip jus
qipip: jabai qipai uiamui aliin sei/iamu/a aij)pau aijmn: kaurban,
patei ist uiaipms, p/s/vah patei as n/is gabatnis, v/nsig da Xayeve 'Edv
d'ytr] uvd-qo}7Cog rto jcavQi }] tFj /.irjTQi KoQßäv, o iariv öiöqov, u tdv e^
tuoc d)q^€?'.7ji)-[jg.
Wir haben es also, und zwar gilt das gleichmässig von allen vier
evangelien, mit einer Übersetzung zu tun, die sich dem original in er-
staunlicher weise anschmiegt. An diesem ergebnis ändern vereinzelte
stilistische abweichungen nichts. Es ist zuzugeben, dass die gramma-
tischen ab weichungen uns eine ganze reihe von syntaktischen er-
scheinungen zeigen, die der Gote gegen das gr. original durchgeführt
hat. Verschiedentlich, so bei abweichungen im modus, bei Verwertung
der perfectivon actionsart, bei anwendung des got. duals u. a. bringt
der Gote sogar sprachliche feinheiten zum ausdruck, die nicht im gr.
text stehen. Doch handelt es sich dabei immer nur um eine ganz
beschränkte auzahl von stellen, denen meist andere gegenüberstehen,
an denen diese feinheiten nicht zum ausdruck gebracht sind. Jeden-
falls aber dürfen wir, angesichts der bis ins einzelnste gehenden Über-
einstimmung der Übersetzung mit der vorläge, auf diese fälle kein
solches gewicht legen, dass wir aus diesen grammatischen erscheinungen
das princip der Übersetzungstechnik ableiten. Gerade dieses neben-
einander von fast sklavischer widergabe des gr. textes und von ge-
legentlich idiomatisch gotischer ausdrucksweise ist für die Übersetzungs-
technik des Ulfilas charakteristisch.
Dabei ist noch eins besonders eigentümlich. Der Gote wendet
die eigcnhciten des griechischen, die er bald zu vermeiden sucht, bald
ZEITSCHKIKT F. DKUT.SCHE l'HILOLOOIE. BD. XXXVII. 25
386 STOLZENBURG
wider nachbildet, auch selbständig an gegen das gr., und zwar gilt das
nicht nur von den grammatischen, sondern auch von den stilistischen
abweiclumgen in solchem masse, dass beide sprachen sich ganz zu
durchdringen und miteinander zu verschmelzen scheinen.
Die stilistischen eigenheiteu der Übersetzung geben keineswegs
das bild eines genialen mit poetischem schwunge arbeitenden mannes,
sondern machen vielmehr den eindruck von ausätzen eines selb-
ständigen Stiles, von versuchen in das bild gotischer prosa einige
kunstvollere linien einzuzeichnen.
Es fragt sich nun, wie eine solche Übersetzungstechnik, die bei
völliger treue gegenüber dem original doch nicht den eindruck skla-
vischer nachahmung macht, zu erklären sei. Man hat behauptet, dass
der einzige grund eben nur der sein könne, dass zwischen der got. und
gr. spräche eine grosse ähnlichkeit bestanden haben müsse. Wir werden
uns damit nicht zufrieden geben können. Vielmehr scheint nach der
ganzen Untersuchung nur eine möglichkeit eine befriedigende lösung zu
geben, dass wir es nämlich mit einer got. spräche zu tun haben, die
bewusst graecisiert war, mit einer gotisch-griechischen literatur-
oder Schriftsprache. Damit erklärt sich dann auch jene merk-
würdige erscheinung von offenbaren graecismen selbst gegen das gr.
original 1, die man gerade immer dazu ausgebeutet hat, um die Selb-
ständigkeit des Goten zu erweisen. Darauf weist auch der Wortschatz
entschieden hin. Nicht mit dem ersten versuch, griechische spräche in
gotische umzusetzen, haben wir es hier zu tun, sondern mit dem haupt-
werk einer entwicklung, welche die gotische spräche im kirchlichen
leben durchgemacht hat und durchmachen musste in dem munde von
männern, denen das griechische ebenso vertraut war wie ihre mutter-
sprache. Mit diesem resultat berührt sich, was E.Dietrich in seinem
buche: Die bruchstücke der Skeireins s. LX ausspricht-. Nach einer
kurzen Untersuchung der kleinen got. fragmente, die nicht aus dem
gr. übersetzt sind, sagt er: „Jedenfalls aber dürfen wir feststellen, dass
wir es in der durch diese fragmente repräsentierten gotischen Schrift-
sprache mit einer syntaktischen Übereinstimmung mit dem griechischen
zu tun haben. Das verdienst, aus der 'barbaren' spräche eine dem
griechischen angepasste literatursprache geschaffen zu haben, gebührt
1) Vgl. besonders J. VIII, 42, wo gegen das gr. doppelte ucgation steht,
Lc. IV, 36, wo, falls keine textverderbnis vorliegt, der Gote gegen das gr. acc. c. int',
eingesetzt hat. Ferner auch J. VII,4 u.a.
2) Fr. Kauffmann, Texte und Untersuchungen zur altgerm. religionsgeschichte,
texte 2.
DIE i'BERSKTZUNGRTKCHNlK l>f',S WULFII.A 387
Wulfila. Durch seine bibelübersetzung schuf er aus der got. Volks-
sprache ein neues graecisiertes literaturgotisch. Er selbst war als
kleriker griechisch gebildet, sprach und schrieb griechisch. Die be-
schäftigung mit der griechischen bibel und der theologischen literatur,
der treue anschluss an das heilige original macht es uns begreiflich,
dass er der Schriftsprache seines volkes ein griechisches gepräge gab."
Angesichts des vorliegenden materials scheint es mir natürlicher,
ein(^ längere entwicklung der spräche nach der bezeichneten richtung
(vielleicht wie die fremdwörter zu verraten scheinen, schon vor Wulfila
beginnend) anzusetzen, eine entwicklung, in der die bibelübersetzung
freilich das wichtigste glied darstellt. Aber wie es damit auch stehen
nuig, nur die existeuz einer solchen got.-gr. Schriftsprache vermag das
bild, das sich uns darbietet, wenn Avir die Übersetzungstechnik prüfen,
befriedigend zu erklären.
Gleichzeitig liefert diese hypothese auch die erklärung für die
grosse und so lange andauernde differenz in den ansichten über die
got. Übersetzung. Nur ein punkt, den man geltend gemacht hat, und
den man auch gegen die annähme einer solchen Schriftsprache wider
anführen könnte, bedarf der Widerlegung. E. Friedrichs meint, eine
solche Übersetzung, die die eigenheiten der got. spräche aufgibt und
voll ist von graecismen, hätte ihren zweck völlig verfehlte
Was sollte eine bibel für das got. volk, die von diesem volke
gar nicht verstanden wurde? Stellt man diese frage, so macht man
zwei Voraussetzungen, die beide jedesfalls unrichtig sind. Einmal liegt
darin die ansieht verborgen, die sich auch sonst deutlich ausgesprochen
findet-', als habe die got. bibelübersetzung etwa dieselben zwecke ge-
habt und sei in demselben sinne abgefasst wie die bibelübersetzung
Luthers, eine parallele, die durchaus abgelehnt werden muss.
Zweitens aber nimmt man an, dass nur eine im volkstümlichen
gotisch abgefasste bibel im gottesdienst ihren zweck hätte erfüllen
können. Auch das ist nicht der fall, ich erinnere an die stilformen der
deutschen bibel des mittelalters; vielmehr passt das, was A. Deissmann
in seinem aufsatze: Die hellenisierung des semitischen monotheismus-^
über die 8eptuaginta sagt, auch auf die gotische bibelübersetzung: „Die
geschichte der religion überhaupt lehrt, dass das unverstandene in der
religion den durch die aufklärung noch nicht seicht und blasiert ge-
1) Die Stellung des pronomen personale im got. Leipziger diss. Jona 1891 s. 3.
2) Z. b. bei Koj^el in seiner Geschichte der deutschen literatur bd. I, 187.
:i) Neue Jahrbücher für das iihissische ultertum, geschichte und deutsche literatur
1903 s. 172.
25*
388 STOLZENBURG
machten mensclien gerade als im verstandenes wie ein mysterium über-
schauert. Deshalb wird mancher leser der Heptuaginta sogar die wirk-
lichen syntaktischen semitismen nicht als griechische Sprachfehler
empfunden haben: was ihm von solchen verrenkten Sätzen verständlich
war, klang ihm altertümlich, orakelhaft, und was er nicht verstand, das
überschlug er oder überhörte er."
Anhang I.
Übersicht über diejenigen abweiciiungen des got. textes vom gr.,
die auf den einfluss der lat. bibel zurückzuführen sind, wobei ich
nicht entscheide, in welchem Stadium der textgeschichte dieser lat. ein-
fluss wirksam geworden ist.
Mt. V, 39 (ik jahai bas Jnik stauiai, dlV üorig oe ^ajcioei (itvg:
Sed si quis te percusserit). Mt. VI,30 baiwu mais, od 7tollü (.lallov
(itvg: quanto magis). Mt. VIII, 20 hauhip sein, ciiv '/.Ecpah'jv (abcg^:
caqut suum). Mt. VIII, 25 sqjonjos is, o\ ;t/«^>/ra/ (bgi q vg"'': discipuli
eius). Mt. VIII, 2G y^/i qap du Im lesus, %al leyei aövolg (bcö'Mivg"':
et dixit eis lesus). Mt. VIII, 32 alln so halrda, jtaoa i) ayalri rüv yßiqiov
(it vg: totus grex). Mt. X, 29 inuh nttins ixwaris wiljtm, ärev toD
TtazQÖg vfxCov (if'-: sine voluntate patris vestri). Mt. X, 42 pi/xe mlnnl-
stane, twv (.u%qGjv voinov (it vg: ex minimis istis). Mt. XI, 8 hnasqjaim
tvastjom gawasidana, tv (.iala/.olg if-iazioig }if.i(fiEOf.t^vov [liNg: hominem
mollibus vestitum). Mt. XXVII, 9 (uidaivairpi pis wa/rpodms, putei
garahnidedun, rtjv Tif.ii)v rov zeTii-Ujfievov, ov izif-i/joapio (EQbg: pretium
adpretiati quod adpretiaverunt).
J. VI, 26 taiknins jah fduraUmja, om.uia (DR abdr.: signa et
prodigia). J. VI, 33 gaf Ubain, (toviv) .. . lojfjv ÖLÖovq (vgc: dat vitam).
J. VI,50e/ saei J>is matjai, ni gadaujmai , 'iva Mv rig i^ avvov (päyij
yicd f-ii] d/roS^dv)] (itvg: ut si quis ex ipso manducaverit non moriatur).
J. VI, 52 leik giban, dovvat Tt)v odgyia (if'vg: carnem suam dare).
J. VIII, 25 jah qaj) du im Jesus: anastodeins, patei jah rodja du izwis^
EiTvev avzo~ig 6 ''IrjGovg Trjv dqxtjv, ozi ymI lalü vf-üv (itvg: principium
quod[quia]). J.IX, 25 undhofjains, d^ceKQiü^tj syieivog xal einev (itvg: dixit
ergo ille). J. X, 14 kunnun mik po meina, yivü)ay.oiJ^ai vnb zCov i/.iüv
(itvg: cognoscunt me meae). J. X,33 andhofun, dyiEAQid^iqaav ... Xiyov-
zeg (itvg: [ausser e d] responderunt). J. XI, 41 ushofun pau panu
stain Jjarei ims, ijQav ovv zbv lii)^ov o? 'i)v 6 Tsd^vtfMog /Mi^ievog (itvg:
tulerunt ergo lapidem [sine additam.J). J. XII, 32 alla, jtdvzag (itvg:
omnia). J. XII, 47 jali galaubjai, Aal {.iij 7Ciozeiari (it: et .'rediderit).
J. XIII, 20 saei andniinip pana Juinei ik iusandja, ö la(.ißdnov üv
DIE ÜBERSETZUNGSTECHNIK DES WULFILA 389
Tiva Ttef-Upo) (Eabft'-q: qiü accipit euni quem misero [q: uiuim quem]).
J. XV, 14 taujip patci ik anabinda , ytoifjxe boa tyCo i:vctlXoi.(cti (aeq:
quod). J. XYI, 21 gabrmran ist, y€vr/]arj (e: natus fiierit). J. XVII, 7
iifkunpa , tyvio/Mv (it: coi^iiovi). .1. XVII, 8 neinuii bi sniijal, tlaßov
■Acci tyrwoav «Aj^^w^- (Kadeq: acceperunt vcre). J.ÜYll, li pfuixei at-
gaft mis, i; dtSio/.dg ^loi (itvg: quos dcdisti mihi). J. XVII, "24 atia,
])nte> afgnfl mis, /cacijq, ovl; dtd(ijy,dg f.ioi (d: pater quod mihi dedisti).
J. XVIIl, 17 paruh qaj) jaiun piiri, ?Jyei oh' ») /vaidlo/.rj (bc[n"^|: dicit
ergo petro ilia ancilla).
Lc. I, ■> gnleikniibi j<iJi mis ja// (ilin)iiL irciJ«ini)n(( , f-'do^e /id/.iol
(B(i()bq: visum est et mihi et spii'itiii sanctu). Lc. 1, 29 heleikn fcesi
so golcins, Imtci sica ])iiipid<i ixai, /roia/cdg ur^ 6 do/caaiitdig ovrog
(|G]it: [qualis esset ista salutatiu et] quod sie benedixisset eam). Lc.
I, 63 if> /s soJgrnids spildn nani gahmelidn , ymI aii/jOag jciva/.i6iov
l'yqaipEv (GRbcff-lqr: accepit pugillarem et scripsit). Lc. 11, 14 jV/^
ana nirjuti gaivairln in mruuioin godis wiljins, vmI im yfjg slQ/jvtj iv
di&Qwjcoig evöo/Ja (itvg: hominibus bonae voluntatis). Lc. III, 9 aj)/)rm
ju, i'^dtj öi YMi (itvg: iam enim). Lc. III, 16. 17 sivinjjoxa mis . . .
Iinbnnds iviupishniron in handan scinai , ö ioyjQovEQog {.lov . . . ov zo
viivov h' ifj xeiQL avTov (abelr: t'oi'tiür me . . . luibens vcntilabrum in manu
eius). Lc. III, 2L 22 warj} jKm ... usluknoda himins, jah atiddjn ahma
. . . jtdt stibfKi t(s himina warp, tyivETo de . . . d%'E(oyßfivai ibv oiQavöv,
/.cd /.aiaßFjrai lö 7ivEV(.ia . . . xat (fuovtjV e'S. ovqavov yEvtad-ai (itvg:
Factum est autem . . . apertum est caelum et descendit Spiritus — et
vox de caelo facta est). Lc. IV, 41 nute ivissedun silban Xristu ina
irisan, on VjSEiaav zöv Xgioiöv ai;ibv eirai (bg^qvg: quia sciebant ipsum
esse Christum). Lc. V, 8 bidjn ]nik, iisgagg fairrn ynis, t^slO^E a/r'
(••//oj; (ce: oro te). Lc. V, 10 frani himma nu manne siuj) niitans, dzcb
tov vvv dviyqw/covg tot] 'C(oyo(7n> (c: faciam enim vos piscatores hominum).
]jC. YJ .,20 J)iudangardi himine, t) ßaalsia xov d-eov (ce: regnum caelo-
rum). Lc.Y], 29 galeweiitnmn, 7cdQEXE{itvg''^-: praebe iili [ei]). Lc.VlI, 42
(vgl. Lc. XIV, 14) //i habandam J)an Jvajyro usgebeina, ///} r/övrcov öi
cthviv d/coöovvai (itvg: non habentibus illis unde redderent). Lc. VIII, 24
lalxjand, tyiiordia, i/ciöidia (itvg: pi'aeceptor [ausser dq]). Lc. IX, 1
Jkihs tiralif apaustauhms , robg dioÖE/La /.la&tjidg avrov (acovg: duodecim
apostolis). Lc. IX, 20 Jm is Xrislns sunas giidis, tov Xqioiöi' tov
O^Eov (1: tu es christus filius dei; der: christum filium dei). Lc. IX, 24
appan saei fraqisteip . . . gannsjip, og d' av d/toXiGr] . . . oviog aiooet
(it'""vg: nani qui perdiderit — saluam faciet). Lc. IX, 37 in Jmmmn
daga , iv tTj l.^fjg i)(.iiQ(i (abdcff'I: per diem). Lc. IX, 39 jah sai ahma
390 STOLZKNBÜRG
nimip ina imhrains, yial Idov 7cvev}.ia laf.iß(xru ahöv (qr: et ecce
Spiritus immundus adprehcndit euui). Lc. IX, 43 ist zugesetzt: qap
Pnitrus: frauja, duhe weis ni mnhteditn -usdreiban pamma? Ip lesus
qap: pata kuni ni usgaggip nihai iv bidom jnh in fastuhiijn (ceff'-r:
dixit ei [om. e] petrus: domine quare [propter quid c] nos non potuimus
eicere illum? [eura r, illud c]. Quibus dixit quoniam huiusmodi [eiusni.
ff2j orationibus[-neff2] et ieiuniis eicitur [-cieturc > eiciuntur et ieiuniis
jff^]). Lc. IX, 50 jnh qap du im, /.al djtEv Tigög aviöv (cq: ad illos).
Lc. IX, 50 tinie saei nist ivijtra izivis, faur ixwis ist, og ydg ova. i'oviv
'Aad-'' f]f.Hdr, vzrsQ })(.uov iaTiv (itvg: qui enim non est adversus vos
pro vobis est). Lc. IX, 56 saiwalom qistjan, il'vyag dvdQiojcon' d;tol(-.oaL
(cevg: animas perdere). Lc. XIV, 28 hnbniu du usiiuhrui, el eyu xä
eig d7taQTiO(.i6v (bcff^lqvg: si habet ad consummandum [perficiendum]).
Lc. XV, 16 snd itan, ysi-ilaat Ti]v /.oiliav avrov (de: saturari). Lc. XV, 31
pu sinteino mip mis ivast jah is, oh Ttccviove f-iei' ef-iov ei (Qbraqlc:
mecum semper fuisti et es, oder ähnl.). Lc. XVIII, 11 pai anpnrai
mons, ol XoiTcol tüv dvd^Qw/ttov (bceilrvg''': ceteri honiines). Lc.
XVIII, 31 pairh prnufetims bi sunu, ölcc tmv 7i()0(pitjiCov tcT) vlco (itvg:
per proplietas de filio). Lc. XIX, 30 fulnn asilafis, 7iColov (itvg: pul-
lum asinae). Lc. XX, 6 triggwnba galaubjand auk allai, 7te7ieiO(.itvog
yccQ sGXiv (cilqvg.: certi sunt enim). Lc. XX, 20 afleipmidans , Ttaqa-
TrjQijaavreg (Gilqr: cum recessisseut; aff-ed: äiinl.). Lc. XX, 32 spedista
allaixe, vorsQOv 7tdrtiov (itvg.: novissima omnium). Lc. XX, 37 sah
fraujan gup, -/.vqiov röv d-eov (cff-ilq[r]: vidi in rubo dominum deum).
Mo. I, 2 in Esniin praufetau, h xotg 7c()oq>/jTaig (itvg: in osaia
propheta). Mc. I, 3 staigos giidis imsaris, rag rqlßovg adtov (abcfi'^g"^:
semitas dei nostri). Mc. I, 13 in Jdxai a}ipidcd, saeI sv %'ß SQrji-iq) (itvg:
in deserto). Mc. I, 21 laisida ins, £(5/6'a(7>t£i' (itvg: docebat eos). Mc. 1,25
pahai jah nsgagg ut us pamma, ahma uahrainja , cpi^uoS^iqTi /.al i'^eld-e
sB aviov (bceff^gqvg^'': obmutesce et exi ab eo, Spiritus iramimdus). Mc.
1,38 du paim bisunjane hainiom jah baurgim, elg rag exof.i€rag kcojlio-
7t6leLg (itvg: in proximos vicos et civitates). Mc. I, 41 handu seina , zijv
%üqa (\t\g: manum suam). Mc. II, 4 /wve/ ivas lesus, otvov ?]v (itvg'"':
iibi erat lesus). Mc. II, 18 siponjos Ioha?mis jah Fareisaieis, o\ f.iad-tjir(l
^Iiodvvov '/.al Ol Tcov (Dagioalcov (aff^gä; discipuli lobannis et pbarisaei).
Mc. II, 27 ivarj) gaskapans, eyavevo (itvg: factum est). Mc. III, 2 jah
tvitaidedun imma, hailidediu sabbato daga , /.al 7raQeTrjQovPT0 avxöv,
el Tolg odßßaoiv d-ega/cevoEt aviöv (itvg: et observabant cum si sab-
batis curaret). Mc. III, 21 jah hausjandans fram imma bohnjos jah
anparai, /.al d/ovoavieg ol 7taQ' aviov (Git: cum audissent de eo scribae
blE CBERSETZUNGSTECHNIK DES WULFILA 391
et eeteii). Mo. IV, 15 jah ]uin ijahnuf^jnud iinkarjaufi, /.cd diav ä/.ov-
oo)Oti' (abq[c]: qui ncglegenter verbiim suscipiimt et cum audicrint).
Mc. V, 4 Kutc . . . fjalaHsidn af s/'s ftos naudibandjos , ölu lö . . . öuayca-
ö&ai r/c' aviov xäq aXvoELg (itvg: quoniani . . . disrupisset catonas). Mc.
VII, 11 nttin seitmmma, to) tcutqI (acff-g-'iq: patri suo). Mc. X, 7
aipein seinrii, t))i> /m^rtga (abcft'"^vg''': matrem suara). Mc. X, 13 //>
Jni/' sipoiijos is, o'i ÖS /.taO^tjiai (ac: discipuli aiitcm eins). Mc. X, 17 ha/t
iud qijKDuls^ i-7HjQtoic( aviuv (itvg''': rogabat cum diccns). Mc. X, 46
j<n))J>ro, cacü ^leQiyw (abff-'iq: indc). Mc. X,46 iuip s/pofijain, y.al tmv
j.iad^ijrtüv (if'': cum discipulis). Mc. XI, 6 sicasive miabmip im lesiis,
■/.a^ioQ. tveiEi'laio ö ^lijoovg (itvg: sicut praeceperat illis lesus). Mc. XI, 13
ni u'aihl büjat rma inima, ovöiv evqev (c: nihil invcnit in ea). Mc
XI, 26 n/letf'J) ixivis, cupr^OEL (if'vg: dimittet vobis). Mc. XII, 14 pau
niu gibaimn , rj ov; d(7)i.iEv t] 1.0) doj/.i£v (g'vg: an non dabiraus). Mc.
XIV, 65 nndbnhtos cjnbaurjaba lofnin sloh/m hin , o\ t/tijQtTaL qa/tiaiia-
aiv aviöv i?Mßoi' (ff^q; et ministri cum voluntate alapis cum caedebant;
1: iibenter). Mc. XIV, 72 dugann gretnn, hcißaliov l''/laiEv (itvg: coepit
flere). Mc. XV, 8 alla mnnagci, o ö'/Äoc (adk: tota turba). Mc. XV, 40
])is niinnixins, rod /.nyigoC (itvg: minoris).
Anhang II.
Übersicht über diejenigen abweichungen des got. textes vom gr.,
die auf den einfluss der parallelstellen oder benachbarter bibelstellen
zurückzTuführen sind.
Mt. III, 11 vgl. die anra. bei Bernh. (Lc. ITT, 16, Mc. I, 8, J. I,
26 — 27). Mt. VIII, 5 apiruh Jkdi Jxiici iimatgf/ggandin imtna, eIoeX-
x)6rn (U avto) (Lc. VII, 1). ^It. VIII, 18 hnihnit gnleipan siponjnns
hindcir mareiii, i/JlEvGEv djiElO-Elv sig zö 7tiqav (Lc. VIII, 22). Ml. VIII,
33 gnlcipnndnns gataihini in haiirg, divEldovcEg slg rfjv 7töliv drv^y-
yEilav (Lc. VIII, 34, Mc. V, 14). Mt. IX, 8 manrigcins ohtedun sildn-
leihjrnidf/ns jah mikilidediui, ol oxlot kpoßqd-r^oav y.al iöö^aoav (ver-
schiedene parallclstellen). Mt. XI, 23 in ixwis, iv ool (Mt. XI, 21).
Mt. XXVII, 42 ((tsteigndau nu af J)amina galgin, ei gasnilvnitnn jah
galaiibjam immn , /.araßdico vdv d/tö cov oiavQov, y.al 7ciGiEi:aof.iEv avTw
(Mc. XV, 32). Mt. XXVII, 58 uslaubidn, t'dlEvoEv (J. XIX, 38), vgl.
Bernh. anm.
J. VI, 5 nuniiigeius filii, 7Colhg o'/log (J. VI, 2). J. IX, 1 7 di( f><nnm(<
pinrjns blindin, rrt ri:(fl(li (J. IX, 13). J. X, 29 jah i/i aiw ainshtm,
■/Ml ovÖEig (J. X, 28). J. X, 29 atfa meins Jxttei ffdgaf iiiis, mnixo
aUaiin isl^ 6 7cai/^o {.lov og ö(:dio/Ji' f.101, [.ieTCov 7cdrcojv iociv (J. VI,39),
392 STOLZENBURG, DIE tJBERSETZÜNGSTECHNIK DES WULFILA
J. XI, 11 gaggam, TroQSvo/^iai (J. XI, 7 oder XI, 15). J. XIII, 32 jak
gup hauheip ina in s/'s, jnh suns hnuhida ina (das sinnwidrige hnuhida
vielleicht nach J. XII, 28; vgl. Zeitschr. 31, 191). J. XIII, 38 unte pu
mik afaikis kunnnn prim sinpam, hoq oi> d/tagv^at] f.ie tqiq (Lc. XXIf,
34). J. XIV, 23 salijnvos^ i^tov)]v (J. XIV, 2). J. XV, 2 nkrnn gop^ -^^aqTtöv
(Lc. III, 9, Mt.VlI, 19). J. XV, 16 du nnvn sijrd, i-üvrj (J. VIII, 35,
XII, 34, XIV, 16). J. XVI, 6 gadanUdn, jtEnh'jQOj/iev (J. XII, 40).
Lc IV, 33 jah tifkropida qipands^ /ml äviy.qat,ev (fiovf] (.leyähj
}J.yiov (Mc. I, 23). Lc. V, 33 ip pai peinrn siponjos, ol de ool (Mt. IX,
14). Lc. VI, 20 jus unledans nhmin^ o\ niMyfil (Mt. V, 3). Lc. VII, 9
amen qipa ixwis^ Ityio vf.äv (Mt. VIII, 10). Lc. IX, 12 jah bugjaina
sis matins, Aal evqcooiv t7tioixiOf.i6v (Mt. XIV, 15, Mc. VI, 36). Lc. IX, 14
fimf pusundjos waire, ävÖQeg 7iEvia/,ioiihoi (Mc. VI,44). Lc. IX,50 ni
ainshun auk ist nutmie saei iii gawaurkjai mahl in immin meiimmma
(zugesetzt aus Mc. IX, 39). Lc. X,14 in daga stauos, ev zf] -/.oiaeL (Mt.
XI, 22). Lc. XVII, 33 jah saei fmqisteip ixai in meina, v.al oq tav
aTColioEL avxTqv (Mt. X, 39 oder andere parallelstellen). Lc. XVIII, 33
pridjin daga^ tf, r)i.i£Qa rr} tq/tj] (Mt. XX, 19). Lc. XIX, 22 iinsclja
skalk jah lata, TTovtjQs doCle (Mt. XXV, 26). Lc. XX, 6 triggwaha
galaubjand auk allai, 7te7ieiOf.urog yäq eariv (Mt. XXI, 26, Mc. XI, 32).
Mc. I, 10 uslukanans , oyiCo(.dvovg (Lc. III, 21), vgl. Beruh, anm.
Mc. II, 22 giiitand, ßlijTeoi' (Mt. IX, 17, Lc. V, 38). Mc. II, 24 sai
Iva iaujand siponjos Jfeinai sahhatim, Xde xi 7xoioCgiv xolq adßßaaiv (Mt.
XII, 2). Mc. II, 26 ainaim gudjam, xolg Ugsvaiv (Mt. XII, 5, Lc. VI, 5).
Mc. IV, 15 appan J)ai icipn'a wig sind, otioi ös elaiv ol rca^ä xtjv
böov (Lc. VIII, 12). Mc. XIV, 47 afsloh imm,a auso pata taihsivo, d(pel-
kev avxov xö ujxlov (Lc. XXII, 50). Mc. XIV, 65 speiwan ana ivlit is,
If-iTtTveiv avxcp (Mt. XXVI, 67). Mc. XIV, 66 jah atiddja , l'qyexai (Mt.
XXVI, 69). Mc. XV, 1 hrahtedun ina at Peilatau, drtrjveyvMv /.al
TcaQtdo}y.av n€ildx(o (Lc. XXIII, 1). Mc. XV, 21 undgripun sumana
manne Seimona, dyyaqevocoiv yiaqdyovxd xiva ^((.iiova (Lc. XXIII, 26).
Mc. XV, 36 let, acpexe (Mt. XXVII, 49). Mc. XVI, 6 7iist her, urrais,
rjyeQ^rj, ovyt eaxiv Code (Mt. XXVIII, 6)^.
1) Glossen sind iu den text gedrungen z. b. Mt. IX, 23 jah haurvjans hcmrnjan-
dans. Lc. II, 2 tvismidin kindina Syriais. Lc. VI, 17 jah anparaixo baurge.
Lc. VIII, 1 afar pata. Mc. XI, 2 baurg. Mc. XII, 4 gaaüviskodedim (vgl. hierzu
die anmerkungen bei Beruh.).
KIEL. HAXS STOLZENBURG.
SCHRÖDER, KEITRAGE ZUR DEUTbCHEX WORTFORSCHUN» 393
MISCELLEN.
Beitrüge zur deutschen Wortforschung.
Genn. Incelpa\ 'junges von tieren', ae. hwilpc nl. nd. wilp iinclp, ostfrs.
nilstrr, ae. hidfestre 'rogonpfeifer'.
Nhd. icelf, nilid. in'lf, ahd. icclf, liw'clf^ as. fnvi'/p, mnd. irelp, welpcH, irolp,
uolpen, nd. nelp (poni. Dälinert: irölp, ns. Biem. wb. tvolp, widp), mnl. ul. irelp
iculp, ae. hic'elp, ne. ivlielp, anord. hvclpr, norw. kvclp, färö. hvülpur, aschwed.
luülper, livalper , schwed. valp, adän. hvfclp , dän. hvalp.
Das wort (genn. griindform ^hicelpa-, für das nd. nl. auch ■///culpa-) l)czeiGhnet
zumeist 'junges von hunden'. Es wird aber aucli für die jungen von fuchsen, wölfen,
baren, löwen, pantei'n gebraucht. Da der nanic also nicht einem bestimmten tiere
zukommt, .so werden wir darin eine schallnachahmende biidung erl)lickcn dürfen von
einem stamme *h>relp-^ einer erweiterten form der wz. *l//vel{l)- in ae. k/viHan 'rosound',
anord. h/dlr 'shrilling, thrilling', ahd. h/vcl{ll.) 'procax'.
Das auch wegen mhd. ici'lfc (ahd. *k/r'clfa, got. *hvilpa) 'Übermut, gewalt'
(=^ mhd. fj'clfe zu gclfen 'bellen; übermütig sein' wie ae. gi'e/p 'boastiug, arrogance'
zu ae. "^ielpan ne. /jelp) vorauszusetzende germ. vb. {*h/celp-, halp-, Inilp-, mit aus-
gloichuug *huelp-, h/ralp-, I/wulp-) gehört zu einer reihe synonymer reimworte nach
dem typus Cgff'Jp-^i <^lie alle helle quiekende piepende tierstimmen und, was wegen
des folgenden zu betonen ist, besonders auch solche vogelstimmen widergeben. Hier-
her gehören z. b. ne. dial. chilp 'zirpen', westf. schelpen 'vom tone der kleinen küch-
lein, vögel' (waldeck, schilp 'sperling'), waldeck. ///^Je» 'piepen, nach futter schreien
(von vögeln)', nl. tjilpcn tjelpcu 'zwitschern, zirpen' usw.
Zu demselben stamme germ. hivclp- stellt sich daher ganz natürlich ae. hicilpc
'a soa-bird' (Seefahrer 21). Wir haben darin unzweifelhaft den auch in den Nieder-
landen und Niederdeutschland weit verbreiteten namen des regenpfeif ers, strand|)feifers,
der tüte, dithm. hcintüiit- zu sehen: nl. tviilp 'brachvogel, gewittervogel, rogenvogel'.
Franck, Nl. et. wb. bemerkt dazu nur: 'slechts nnl., ook /cilp; oostfri. /t:/'lslc>- 'pluvier'.
Oorsprong onbekend'. Der name ist aber, wie gesagt, nicht nur nl., sondern auch
nd. : ostfries (Doornk. 3,24a) regen-wilp 'regenpfeifer, strandpfeifer', ns. (Brom. wb.
5, 286) regen -wolp, tcater-uolp 'ein wasservogcl in der grosse einer taube', (ib.
Q>^ W^Y regen -wolp, regen- ivulp (auch regen- worp) 'tüte, wind- und wettervogel',
pom. (Dähnert) regen- /cölp 'ein wasservogel, krummschnabelichtc schnepfe'.
Für diese etymologio spricht besonders auch das ostfries., das neben rcgen-
/rilp glbd. regen-gilp hat; vgl. ostfrs. 5rt'//)c, gilp 'schreier, ki-eischer, pfeifer', gilpen
gllpen 'laut und scharf schreien', gilpern gtlpern 'heftig und anhaltend nach speise
oder atzung schreien'. Vgl. hess. gilpen 'vom geschrei der jungen vögel, zumal der
jungen gänse, enten und hühner gebraucht, auch von dem winseln junger hunde',
ebenso ne. yelp 'von der stimme des hundos, aber auch von vogclstimmen'. Über
die Verbreitung dieses verbalstamraes got. *gilpa galp gulp/in/ giilpans handelt aus-
fülirlich R. Hüdebrand D. wb. 4 II, 3012 fgg. s. v. gelfen.
Das von Frank zu nl. wilp uulp gezogene ostfries. uilster, das gleichfalls ein
name des regenpfeifers ist, findet sich auch in nl. dial. tc/hter , das Molema, Groning.
1) c = consonant; a = vocal.
2) So nennt nach dem vogel Gustav Frenssens Jörn Uhl seine Lisbeth Junker.
394 SCHRÖDER
wb. 474a durch 'wildebras van eeu meisje', also etwa 'munteres, wildes mädchen,
wildfang' erklärt; wegen des Bedeutungswandels verweist Molema auf gvoning. haister
in ders. bdtg. = nd. heister 'elster'.
Dies ostfries. ul. wüster lum ist offciiar ebenso gebildet wie nhd. elster und
zahlreiche andcro formen desselben vogelnamens (s. Kluge Et. wb. s. v. elster; ders.
Nominale stamm bildungslehre ^ §49): gorm. '^hweljnstrjön, ae. *htvilpestre, im mud.
nd. mit regelrechtem ausfall des p: /rilstcr. Ae. *luvilj>estre 'regenjifeifer' ist bisher
nicht belegt; dafür aber ein ganz analog gebildetes ae. hulfestrc 'regenpfeifer', germ.
*hulfastrjön von dem stamme *hu-elf-^ half-, hulf- nach dem mit c^o .^.//j glbd. typus
c^ajf- (mnd. hulven, hulvern 'laut heulend weinen' = westf. hui fern, hiilirern,
waldeck, hülwern^ westf. sulfern,, zulfern paderborn. gnlfcrn, mnd. gilfere7i, gel fern
'laut schreien, heulen' vgl. R. Hildebrand a. a. o.). —
Nhd. floiss.
Mhd. ahd. rlis 'eifer, Wetteifer, Sorgfalt; widerstreit, widerspiel, coutrast,
gegensatz' zu ahd. /Ii§§au, mhd. vli^en 'eifrig sein, sich befleissen', as. flit, contentio,
certamen, agon', mnd. mnl. vlit^ afrs. nd. flit^ nl. vlijt 'fleiss, eifer', ae. ßit 'strife',
flitan 'contend, struggle, oppose, quarrol', ne. dial. (schott.) flite sb. (vb.) 'zauk(en),
streit(en)'. Das wort fehlt bei Skeat; bei Schade, Weigaud, Kluge, VercouUie ist es
unerklärt. Franck, Nl. et. wb. sp. 1094 fg.: „Deze slechts westgerm. groep berust
wellicht op het begrip van 'flinke bewegiug'; vgl. eng. to flu 'spoeden', flit 'flink',
oostfri. flits 'flink, snel' usw." Falk-Torp, Etymologisk ordbog over det norske og
det danske sprog 1, 170, vermuten in dem aus mnd. vlit auch in die nordischen
sprachen (däu. flid, schwed. flit) eingedrungenen wort eine indog. wz. *peldd, die
ohne dentalsuffix in gr. 7itltf.ii'C«), nöXi/^iog vorliegt. Ich möchte eine andere etymo-
logie vorschlagen.
Die älteste nachweisbare bedeutung ist 'zank, streit'. Diese aber kann sich
aus der der 'Spaltung' (vgl. nhd. Zwiespalt^ mhd., xivispeltimge) entwickelt haben.
Wir dürfen daher für germ. *flitan die bedeutung 'spalten' voraussetzen. Die hierin
steckende wz. germ. *//?<-, indog. *plid- liegt auch vor in dem bei Kluge fehlenden
nhd. fliese aus mnd. nd. flise 'Steinplatte, fliese', woraus auch dän. flise 'fliese platte
Splitter', schwed. flisa 'Splitter Scheibe'. Das anord. hat dafür ein /71s 'flis, splint' =
dän. norw, flis 'splitter', schwed. dial. (Rietz 152 b) flis ,en liten afrifvon sticka,
spillra, skärfva; kisel kiselsten'.
Diese wörtor aber gehn (mit s nach langem vocal <i ss <i tt <C dt) auf eine
indog. WZ. *j)lid- zurück, die mit beweglichem s- in kelt. *slid- (<; *splid-) 'spalten'
vorliegt: ir. sliss {*splissi-) 'Schnitzel', slissiu, {*splission-) 'Schnitzel, latte'. Indog.
*splid- = germ. *splU- in nhd. spleisscn, mhd. spitzen '(sich) spalten' = mnd. nd.
mnl. spliten^ nl. splijteii, afrs. spUta. Hierzu auch dän. splitte 'zerspalten, zer-
splittern' und (wichtig wegen der bedeutungen = ae. ahd. as. flit) schwed. split
'entzweiung, Zwietracht, Zerwürfnis, zwist, Streitigkeiten'. Dazu mit
-r-suffix nhd. nd. splitter mnd. splittere, splettcre 'splitter, holzscheit', splitteirii.,
spletteren 'zersplittern, spalten; auch flg. spalten, trennen, entzweien', splillerich
'streitig', splitteringe 'zerreissung, Spaltung, Zwietracht'.
Neben indog. *spiid- stellt mit nasal indog. "splind- > kelt. *slind- in ir.
slind 'imbrex, pecten', geü. sliwicd {*splindet-), s/mcZ er/afZ 'unter i. o. later'. Indog.
*spiind- > germ. *splitul- in nhd. (aus) nd. Splint,^ mnd. splinte, ostfries. splinte,
BEITRAGE ZUR DEUTSCHEN WORTFORSCHUNG 395
Splint 'eiserner vorsteckspau , schliesskeil eines bolzens oder einer lünse', nl. ostfries.
Splint -geld' (wegen der bedeutung vgl. nl. spaan, hd. späna in ders. bdtg.), dän,
Splint •Splitter; splint, span'. ne. splint 'splitter, span, keil, schiene'. Hierzu
mit -/--Suffix: nl. splinter 'splitter, spreisson', ostfries. splinter 'splitter, holz- oder
metallsplitter, dünner span', nc. splinter 'span, splitter, schiene', dazu das vh. nl.
ninl. ostfries. splinteren, dän. splintre, no. splinter 'splittern, zersplittern, abspalten,
abschiefern'. Auch neben indog. *splind-, germ. 'splint- steht eine s-Ioso form germ.
*fJint- (indog. *plind-) in dän. ßint 'fouorstein, flintstein', im alt. dän. auch 'stein-
splitter', schwed. flinta, norw. dial. fiint -feuerstoin' =^ ae. ne. /lint, mnd. vlint, nd.
(woraus) M. ßint, wvläm. flente 'felzen'; ferner mit -rsuffix: norw. din\. ßindra 'en
tynd skive eller splint; isa>r af stecn', ßindrast 'splintros, revnc i Iliser', ßintcr
'snuile', nl. ßenter 'fetzen, stück', nc. ßinder 'splitter, bruchstück'. Gr. nh'vdog
'ziegel; platte, harren, klumpen", das gewöhnlich verglichen wird, weicht im stamm-
suffix (dh statt d) ab. Vgl. Falk og. Torp, Et. ordb. 1,170b, s. v. ßint: Stokes,
Urkelt. sprachsch. s. 320.
Nhd. verquisten und vergeuden.
Verquisten ist besonders bekannt durch Lessings berühmten ausspruch über
seinen beruf zum dichter ('nicht jeder, der den pinsel in die band nimmt und färben
rerquistet, ist ein mahler"). Nach Kluge Et. wb. ^ soll es aus dem glbd. nl. kioisten,
verlacisten übernommen sein; nach dem D. wb. 12,983 ist es 'wie es scheint, ein
dem nd. entnommenes wort'. Für Kluges annähme einer entlehnuug aus dem nl.
liegt jedenfalls nicht der geringste grund vor. Denn das ursprünglich auch hd. wort
(ahd. quist, ar-, far-quisten, Graff Ahd. sprachsch. 4, 680 fg.)' ist im nd. von alters-
her noch im gebrauch geblieben: mnd. quist 'schaden, nachteil, Verlust', te quistc
gän, komen 'umkommen, verderben', {vor-)qmsten 'vergeuden, verschwenden', Osna-
brück. (Strodtmann 177) g'zm^ew, ^;er(J'M^sfe?^ 'geld und Sachen versäumen, vergeuden',
ns. (Brem. wb. 3, 110) quist 'schaden, nacMeil, verlust', {ver -)quisten 'vergeuden, ver-
schleudern usw.', altmärk. quist 'verlust', m de quist gan 'verloren gehn, verderben'. In
md. mundarten habe ich es bisher nur gefunden bei Pfistcr, Nachtr. zu Vibnar s. 220,
verquisten 'verderben, noch im Westerwalde lebendig' und bei Kehrein, Nass. wb. s.
429 verquisten, 'etwas durch nachlässigkeit verderben'. Kehrein verweist auch auf
Stieler, Der deutschen spr. Stammbaum und fortwachs v. j. 1691 verqvesten 'zugrunde
richten'. Auch Adelung (1780) verzeichnet 4, 1493 verquisten, 'welches nur in den
gemeinen sprecharten einiger gegenden üblich ist: unnütz verderben oder durchbringen'.
Ebenso wird es 1791 verzeichnet von Jagemann, Dizionario ital.-ted. 2,1242b und
1805 von Schmid, Diccionario alem. y espanol s. 819 b. Das nach Kluge aus dem nl.
entlehnte verquisten ist also ein gut deutsches wort und — wenigstens in Nord- und
Mitteldeutschland — nie ausgestorben gewesen , ebensowenig wie: Z'er</e7<c?e;». Kluge
Et. wb. * behauptet nämlich von diesem wort, es sei im älteren nhd. geläufig, z. b.
bei Luther, dann ausgestorben und von der Schweiz aus seit etwa 1740 erneuert.
Ich weiss nicht, worauf Kluge seine behauptung stützt. Ein blick ins D. wb. hätte
ihn schon eines anderen belehren können. Wülcker weist da 12,426 nach, dass ver-
1) Darauf wird weder von Kluge Et. wb. , noch von Lexcr D. wb. 7, 2378 unter
quistc^ quistrn. nocli von Wüloker D. wb. 12,983 unter verquisten, vcrquistung a.\\(-
merksain gemacht. Im D. wb. findet sich sogar auch nii-gends der schon von Wächter,
Glossarium germ. (1727) s. 313 und in seinem foliowerk von 1737 sp. 1226 u. 1772,
gebrachte hinweis auf got. qistjan, fraqistjan, fraqistcins, usqistjan.
396 SCHRÖDER
geuden verzeichnet ist: 1691 von Stieler, 1725 von Steinbach, 1741 von Frisch.
Diese drei Wörterbücher will Kluge doch nach dem Et. wb. ® s. XXV gegebenen Ver-
zeichnis für sein buch 'zu altersbcstimmungen zugezogen' haben! Diesen nachweisen
des D. wb. kann ich hinzufügen zunächst 1663 Schotte!, dessen stamniwörterbuch auch
auf der liste derjenigen Wörterbücher steht, nach denen Kluge seine altersbestimniungen
des nhd. sprachguts vorgenommen hat. Nun hat Schottel allerdings in dem Stamm-
wörterbuch das vorb. rcr^e^trfew begreiflicherweise nicht, wol aber das simplex ^e?<f/en,
dazu das sb. gcudcr. Wenn er aber dies schon im 16. jh. seltnere wort hat, so wird
er doch auch vergeuden gekannt haben; das wird sicher durch Ilaubtspr. s. 335, wo
er vergeuden neben geuden aufführt. Perner findet sich 1716 bei Frisch, Nouv. dict.
des passsgers usw. im deutsch -franz. teil %.'i%^^?^ vergeuden, Vergeuder, vergeiulung;
1719 verzeichnet Kramer im deutscheu teil seines Königl. nider-hocht. und hoch-
nidert. wbs. s. 246c vergeuden, Vergeuder, Vergeudung ; ebenso im nl. teil s. 449 unter
verquisten, verquister, vergeuden, Vergeuder \ 1749 bucht Lind in seinem Teutsch-
schwed. und schwed.-teutschen lexicon sp. 1602 vergeuden , Vergeuder^ vergeiahmg
und auch sp. 831 das bei Frisch und Kramer fehlende simplex geuden nebst gender,
geudig, geudigkeit. Kluges behauptung, daß vergeuden von etwa der mitte des 16.
bis zur mitte des 18. jhs. ausgestorben gewesen und dann erst von der Schweiz aus
in der dichters[)rachü erneuert worden sei, ist also nicht aufrecht zu erhalten. Denn
dann wäre das wort in den hauptsächlich für zwecke des practischen lebeus ge-
schriebenen Wörterbüchern von Kramer, Frisch, Lind sicher nicht verzeichnet.
Nhd. tüte, düte.
Bei Kluge unerklärt. Das wort ist nd., der anlaut in düte nach md. ausspräche.
Neben tüte steht auch tüte. Es ist unzweifelhaft identisch mit nd. tüte, tüte 'tut-
horn'. Die aus rindenstreifen hergestellten kegelförmigen blashörner der landjugend,
bes. der hirtenknaben , haben dieselbe gestalt wie die mit der haud gedrehten A-mwfr-
tüten und werden auch zum sammeln von beeren usw. benutzt. Vgl. z. b. altmärk.
(Danneil 187) sehrö, ellernschrö 'eine aus abgezogener ellernrinde zusammengerollte
düte, worin die landjugend die himbeoren, brombeeren usw. in den holzungen sich
sammelt'. Beide bedeutungen C-tuthoi-n' und Hüte'} finden sich auch vereinigt in
schwed. dial. (Eietz 736) tut '1. pip (pä stop eller kanua)'; 2. lur af näfver; 3. strut,
fyrkantig näfverpase tili insaniling af bär'; ferner schwed. lur '(gerades) tuthorn aus
baumrinde; krämertüte', schwed. dial. strut '1. bärstrut, näfverskäppa af större vidd
i bottncn en i dess öppniug; begagnas vid bärplockuing; 2. vallhorn; 3. litou paperslur'.
Auch aus anderen sprachen Hessen sich zahlreiche beispiele für dieselbe bedeutungs-
entwicklung anführen.
Nhd. ohrfeige.
Mnd, orvtge, nl. oorvijg (neben oorveeg). Zu dem worte bemerkt Kluge Et.
wb.'^: 'Es mag wie backpfeife, dachtel, kopfnüsse, maulschelle (eig. name eines ge-
bäcks) euphemistisch gemeint sein'. — In der tat bezeichnet dies wort in Kiel ein
kleines gebäck, dessen form eine gewisse ähnlichkeit mit dem menschlichen ohr hat.
In Oberhessen (s. Kehrein Nass. wb. 139. 298) ist ohrfeige 'eine art pfanukuchen'.
Beide bedeutungen ('schlag an den köpf und 'gebäck') finden sich auch sonst
1) Auch das nd. tüt(e) hat wie nd. ptp(c) die bedeutung ' ausflussröhre eines
gefässes'.
BKITRÄfiK ZIT? DKUTSCHEN "WORTFORSCHTJXO 397
vereinigt, z. b. in nl. träfet 'waffelkuehcn und niaulschelle (schlag)', vulgär daneben
auch 'mund. maul', wie nass. flapjics, flappch 'eine art pfannku(;hc>n', bei Stieler,
Der deutschen spr. Stammbaum und fortwachs, 1691: flabbe, //a/^/>e 'ohrfeige, schlag',
neben schles. /läppe 'mund, maul', altmiirk. flahb(e) 'die lippeii, herabhängendes
maul', westf. flapps 'mund, lippe' {/läpp 'klapp, schlag') usw. vgl. Kehrein a.a.O.
Vielleicht darf man hier auch an nd. hd. dial. holhippe(l)n , holippefljn
'schelten, schmähen, lästern' erinnern zu holippe, lioll/ippe 'ein hohlgebäck'. Doch
vgl. D. wb. 411 1718 fg.
Nhd. egge, roggen.
Tn den ersten auflagen seines Et. wb. erklärt Kluge wie seine Vorgänger nhd.
roggen 'in nd. lautfurm für streng hd. rooke rocken'. Auch egge 'aus dem nd. eyge\
ebenso eggen aus dem nd., weil ein entsprechendes hd. wort ecken oder egen lauten
müßte'. In der neuesten (G.) aufläge vertritt Kluge eine andere ansieht; er sagt da
über egge: 'die nhd. wortform, die aus dem ztw. e^^e« neu gebildet ist, stammt (wie
die lautform von roggen und weixen) aus schwäb. -alem. mundarten, deren gg aller-
dings als ck gesprochen wird (schwäb. -Schweiz, egge)., dann wäre die Orthographie
mit gg für die schriftsprachliche ausspräche massgebend gewoi-deii. Andererseits kann
die lautform egge auch dem nd. entstammen (livländ. egge, aucli mnl. egghe); doch
überwiegt im ud. vielmehr e/e (so in Warburg); das zeitwort eggen düifte auch schwäb.-
alem. Ursprungs — nur mit ud. ausspräche — sein (ud. md. gilt vielmehr e/en): ahd.
mhd. ecken egen aus agjan\
Diese darstellung scheint mir nicht zutreffend. Schmid, Schwäb. wb. 155 hat
nur egde i\\r egge., Martin -Lionhart, Eis. wb. 1,23, geben für eg^ ''egge' folgende
aussprechweisen an: ek, ej, ej, ej, lej, ai; für e^e" '■eggen': i-kd, djo, eJ9., eje, cejd;
daneben egete (mhd. egede, eide) 'egge': ekotd ejt. Auch Fischart, Garg. 293, hat
egen "-eggen' (s. Martin -Jiienhart a. a. o.). Allerdings findet sich auch schon in der
ersten hälfta des IG. jhs. im schwäb. -alem. die form mit gg bei Dasypodius vom j.
1547 Kr IIb, Illa: neben ecke: egge , e-ggung , egger, eggen. Aber diese Schreibweise
scheint doch nicht die ihm geläufige gewesen zu sein. Denn im lat. -deutschen teU,
in dem er nicht soviel Sorgfalt auf eine modische Orthographie verwendet, findet sie
sich nur unter sarculum GglVb: neben ege: egge., eggung, eggen., egger; nicht da-
gegen unter occa Zlllb ege, egke, egen, egken, egung, eger. Ebenso hat er unter
lira nicht egge., sondern nur äge., ecke. Dagegen findet sich bei Lübben- "Walther,
Mud. hand-wb. für das verbum nur die form mit gg: eggen 'mit der egge bearbeiten,
occare', kein *egen oder von mnd. egede eide 'egge' gebildetes *egeden "eklen. Auf
mnl. egghe 'egge' verweist Kluge ja auch selbst.
Wir werden daher bei der alten ansieht bleiben müssen, nach der in nhd.
eggen die alte nd. laut- und schriftform vorliegt xind Kluges hypothese ablehnen,
nach der nhd. eggen für älteres nhd. mhd. ecken seine schriftform von einem schwäb. -
alem. *eggen (spr. ecken) und seine lautform von nd. eggen (s{)r. egge/i) empfangen
haben soll. Auch nd. v/en geht auf eggen zuriick. Gg ist eben auf einem großen
teil des nd. .Sprachgebiets vielleicht schon in and., sicher in mnd. zeit spirantisch ge-
worden ; also eggen > egge« > e^en > e^en und mit dehnung des vocals in der nun-
mehr ofl'encn silbe zu t;(en. Dasselbe ist der fall bei as. hruggi mnd. rilgge '■rücken'.,
as. roggii mnd. rogge '■roggen'., as. brnggia ., mnd. briigge '■brücke'^ as. mnggüi mnd.
niügge //nicke'. Diese worte lauten im lauenb. in den städteii rii/ (rüii) ro/ (ro/j).
b/-ä/. //tily: auf dem lande rüy., /"ö/, hrüy., müy. Die Schreibung egge findet sich
398 SCHRÖDER, BF.ITRÄfiF. ZUR DKTTTSCHEX AYORTFORSCHTJNG
bei Danneil, Altinärk. wb. 45, im Bremer wb. 1, 2ü4, 1)ei Schütze, Holst, idiot.
1, 295.
Auch roggen hat hiernach nd. laut- und schriftform.
Nhd. Schärpe (aus) frz. echarpe.
Das nfrz. wort bezeichnet 'binde, gürtel', afrz. escharpe, escherpe, escerpe,
auch 'die dem ])ilger um den hals hängende tasche', woraus die bedeutung 'binde'
vermutlich er.st abgeleitet ist (Diez, Etym.wb. d. rom. Rprr.^287). Für das frz. wort
(als sc'iarpa, ciarpa ins ital., als charpa ins span. eingedrungen) wird allgemein deut-
scher ui'sprung vermutet. Mit recht wird auch das ganz vereinzelte spät-ahd. scharpe
'sack, stips' verglichen, das dann jedoch nd. p für hd. f oder pf haben muss; denn
das franz. verlangt ein *skarpa. Darauf weist auch das zum vergleich herangezogene
bair. (Schmeller-Fronun. 2, 470) schärjjflein 'schärpe', d. h. wenn es alt und nicht,
wie die- bedeutung fast vermuten lässt, aus dem franz. worte geformt ist. Nicht
ganz zutreffend ist vielleicht auch bei Schmeller-Fromm. a. a. o. . Diez a. a. o. und
Weigand, Wb.* 2, 550 der hinweis auf das ad. schrap, das sich m. w. zuerst bei
Richey, Idiot, hamburg, 1755 s. 422, verzeichnet findet als dithni. schrap 'tasche'.
Dies wort, das heute in Dithmarschen wol kaun", noch in gebrauch ist, wird auch
von Outzen als nordfries., von Molbech, Dansk dialect-lex. s. 496, als südjütisch
verzeichnet: skrappe 'en vadsiek, reisesoek', madskrappe 'cn madpose'. Es kann
mit umsprung des r das germ. *skarpa- sein; es kann aber auch aus dem anord.
stammen, vgl. anord. skreppa 'pera' (woraus auch ae. scripp 'bag, wallet', me. scrippe,
ne. scrip 'tasche, riinzel' und mit abfall des anlautenden s me. crip 'pouch, scrip').
Auf alle fälle aber ist germ. * skarpa 'tasche, ränzel' direct oder iudirect mit dithm.
norfries. schra,p, skrappe verwandt. Denn anord. skreppa [mit jip < if^p) gehört zu
der in nhd. schrumpfen, mhd. schrimpfen, md. schrhnpen '(sich) krämmeu, zu-
sammenziehen' usw. enthaltenen germ. wz. sät- ?«j3-. zu deren glbd. uasalloser neben-
form sk-rp-'^ germ. * skarpa- sich ganz ruigezwungen stellt.
Für diese etymologie sprechen auch verschiedene andere worte für '(pilger-)
tasche, ranzen':
tirol. (Schöpf 637) schnarfer 'art ranzen oder sack mit achselbändern' zu ahd.
snerfan 'zusammenziehen, zusammenschnüren'.
anord. skrokkr {*skrmikax) 'ranzen, bettelsack' zu Vfz. skr-iik- (=^ skr-mp-),
z. b. in ae. 'scrinean '(sich) krümmen, zusammenziehen, schnimpfen'.
nhd. ranzen, nl. 7~anxel {*hrankz- oder *tvrankx-) zu *hr-nk- oder *tvr-nk-
'(sich) krümmen, zusammenziehen' in mhd. runke = nhd. runzel usw.; s. verf.
PBSBeitr. 29, 502.
Als grundbedeutung für die synonymen worte germ. * skarpa (in frz. echarpc\
dithm. schrapp, anord. skreppa, anord. skrokkr, tirol. schnarfer dürfen wir daher
annehmen: •zusammengezogenes, zusammengeschnürtes (bündel)'.
1) Vgl. veif. Beitr. 29, 494 fg.
KIEL. HEINRICH SCHRÖDER.
n. K. H. GOODAVIN BÜEROEL, DIE ZKITSCHR. F. SCHWRD. MÜNDARTEN- ü. VOLKSKUNDE 399
Die zeitsclirilt für sclnvedisclie iuuii<larteii - uud Volkskunde.
(Nyare bidrag tili käimedum oiu Ue sveuska landsmälen ock sveuskt fülklif, ut-
givna pü uppdrag af laudsniälsföreningarua i üppsala, Heisiugfors ock Luiid
geuom J. A. Liindell. Stockholm I879fgg.) Zur feier ihres 25jährigeu besteliens.
Das in mehr als einer hinsieht in der geschichte der germauischen philo-
logie bis jetzt einzig dastehende unternehmen, welclies vor ein paar woohen sein
25jähriges Jubiläum feierte, indem mitaibeiter, beteiligte fachgenossen in Schweden
und den übrigen nordischen ländern , nicht minder aber auch gelehrte kreise weit über
das skandinavische Sprachgebiet hinaus dem begründer und leiter desselben ihre giück-
wünsche und ihren dank für aufopfernde, verdienstvolle arbeit aussprachen, ist gleich bei
seinem ersten erscheinen in dieser Zeitschrift 11, 500 und 14, 100 von Hugo Gering
ausführlich charakterisiert und gewürdigt worden. Seit dieser anmeldung des reichen
inhalts der ersten drei Jahrgänge der »Sveuska landsmälen« hat sich die bearbeitung
der schwedischen mundarten so mächtig entfaltet und sind dem unternehmen, das
einst nur mit äusserster Schwierigkeit ins leben gerufen werden konnte, da es an
den nötigen geldmitteln gebrach uud sogar der begründer persönliche haftuug für die
Zeitschrift zu übernehmen gezwungen war, allmählich reichere Unterstützungen zu-
geflossen, so dass Lundell in der zweiten bearbeitung des Grundrisses der germa-
nischen Philologie (bd. I, s. 1483 fgg.), woselbst er ausführlich über die bearbeitung
der skandinavischen mundarten handelt, mit stolz auf 20 jähre erspriesslicher tätig-
keit in Schweden zurückblicken konnte.
Den Verfasser dieser zeilen, der selbst an ort und stelle durch eigne arbeiten
der schwedischen dialektforschung, vor allem aber deren leiter, dem erfinder und
ausbauer des dialektalphabets , prof. J. A. Lundell (geb. 1851 zu Kalmar, 1882 — 91
docent der phonetik, seitdem prof. Ordinarius für slavische sprachen in Uppsala) nahe
steht, gelüstet es, die oben angeführten besprechungen der :>Svenska landsmälen«
nach drei selten hin zu ergänzen. Ein
historischer rückblick
dürfte fürs erste in kurzem die frage beantworten, die sich wol jeder stellt, der die
materiellen hindernisse kennt, mit denen eine forschungstätigkeit zu rechnen hat, die
geldopfer beansprucht und an eine grosse anzahl geschulter mitarbeiter gewisse nicht
gewöhnliche forderungen stellt. Wie ist es möglich, dass gerade ein so wenig dicht
bevölkertes, verhältnismässig armes land wie Schweden in der Organisation, publikation
und vor allem dem Interessenten- und leserkreis seiner dialektologischen und volkskund-
lichen Veröffentlichungen alle anderen germanischen länder so weit übertreffen kann?
Bekauntermassen unterscheidet sich das universitätsieben hier im norden, und
in Schweden insbesondre, recht wesentlich von dem deutschen. Zum Verständnis des
folgenden ist es nötig, wenigstens darauf hinzudeuten, dass die studierenden an den
zwei landesuuiversitäten Uppsala und Lund obligat einer der 13 sogenannten nationen
angehören müssen, in die sie nach der na<^clws - Zugehörigkeit des vaters, der mutter
oder ihres geburtsorts aufgenommen werden und nach denen das ganze studentkär in
allen öffentlichen und examensangelegenheitcn eingeteilt ist. Wesentlich ist, ausser
dem concentrierenden einfluss der >nation« auf die elemente aus der gleichen gegend
oder Stadt, durch den der ungebundene, freiwillige zusammenschluss ungleicher Inter-
essen aber gleicher heimatzugehörigkeit unter einem selbstgewählten ausschuss und
emem selbstgewählteu inspektur aus der zahl der professoren (meist einem laudsniann)
eine wahre mutter für den uuerfahrnen Studenten aus kleinen landorten werden kann,
400 H. K. H GOODWIN BUERGKL
ferner noch, dass auch die professoi-en , doceuten und alle Universitätsbeamten, teils
als Senioren, teils als ehrenniitglieder, zeit ihres lebens iin nations verband und mit
ihren landstiiän in berührung bleiben. Innerhalb dieser nationsvereine bildeten sich
anfangs der siebzigei- jähre sogenannte landsmälsßreninyar, die ihrerseits wieder durch
eine anfangs nichts weniger als VFissensch'aftliche beweguug ins leben gerufen wurden.
"Wie Norwegen bis auf den heutigen tag noch eine idee, die künstliche pflege einer
rein norwegischen landessprache, in einer von allen logisch denkenden über bord ge-
worfenen aii und weise verwirklichen will, so tauchte zu der erwähnten zeit auch in
Schweden vereinzelt der ansatz zu einein mälstrcev auf. Es war der begründer des
ältesten schwedischen mundartenvereins 0. E. Noren, der sich mit dem gedanken
trug, und denselben auch teilweise schwarz auf weiss in Wirklichkeit umsetzte, ein
rein nordisches schwedisch zu coustruieren. Da ein solches schwedisch jedoch nur
die lesen konnten, die neben der kenntnis des isländischen wenigstens noch ein wenig
sprachhistorische Schulung besassen, so blieb dies sprachliclie erzeugnis auf Norens
köpf und feder beschränkt; ein mächtiger, vorteilhafter anstoss ging aber hinfort von
dem geweckten Interesse für die eigne spräche aus, die in ihrer gebildeten und schrift-
sprachlichen form ja Jahrhunderte lang unter niederdeutschem einfluss gestanden hat.
Hat Norwegen überhaupt nurmehr in seinen mundarten seine Stellung auf west-
nordischem Sprachgebiet bewahrt und als höhere kultursprache die ostuordische dänische
Sprache mit ihren wesentlichen niederdeutschen bestandteilen in norwegischer laut-
form bei sich aufgenommen, so findet sich auch in Schweden eine recht ähnliche
sprachliche doppelheit, eine in lauten, formen und syntax deutlich reiner nordische,
nirgends als höchstens auf der kanzel und der bühne gleichförmige, d. h. diidektisch
unbeeinflusste gesprochene und eine teilweise eigentlich nur auf dem papier existie-
rende, aber von den conservativen und hilflos sprachverständnislosen immer noch ver-
teidigte, zudem durch eine vorsintflutliche Orthographie entstellte, im kanzleistil geradezu
hässlich geschraubte, unnatürliche Schriftsprache. In einer halbunbewussten, aber mit
jedem Jahrzehnt stärker werdenden eikenntnis, in dem gefühl dieser doppelheit ist der
tiefste grund für das lebhafte Interesse an den mundarten hier in Schweden zu suchen.
Aber auch zu jener zeit des erwacheus einer allgemeinen teilnähme an einer
solchen tief im nationalgefühl wurzelnden bewegung lagen schon eine stattliche menge
vorarbeiten auf dialektologischem gebiete vor. Hierüber berichtet ausführlich Adolf
Noreen, der auch in Deutschland wolbekannte professor der nordischen sprachen
in Uppsala, der in den letzten Jahrzehnten aller nordischen und schwedischen Sprach-
forschung als akademischer lehrer und Verfasser vorangegangen ist, in seinem monu-
mentalen werk Värt spräk (bd. I, s. 268 — 286). Dass man aber schon so früh au-
fieng, Wörter und texte aus den mundarten aufzuzeichnen und zu untersuchen, erklärt
sich aus dem starken abweichen der schwedischen landsmul von der durchschnitts-
sprache der gebildeten. Was Johan Storni (Engl, spräche- I, s. 245 fg.) von den
norwegischen mundarten sagt, gilt buchstäblich auch von den schwedischen. Diese
reichhaltigkeit an laut- und formerscheiuungeu lässt sich nur aus den grossen ent-
fernungen zwischen den wohnstätten und der Jahrhunderte langen weltabgeschiedenheit
erklären. Das dalniäl und jene bereits auf der grenze des norwegischen und schwe-
dischen Sprachgebietes liegenden mal in Härjedalen und Jämtland sind für den ge-
bildeten Schweden aus anderen landesteilen und vielmehr noch für den eigentlich zum
dänischen mundartengebiet gehörigen Südschweden total unverständliche sprachen. Es
bieten sich allerdings auf hochdeutscliem Sprachgebiet, etwa im hochalemannischen
und einem teil der bayr. -tirolischeu, auch der sclilesischen mundarten auf mittel-
DIB ZEITSCHR. P. SCHWED. MÜNDARTEN- U. VOLKSKUNDE 401
deutschem gebiet, vergleichbare erscheinungen, aber die diskrepanzen sind dort eben
gerade soviel kleiner und die niannigfaltigkeit so viel weniger verblüffend, um daraus
die geringere teilnähme der allgemeiuheit an den mundartlichen Spracherscheinungen
in Deutschland und England zu erklären. Vor allem aber ist es die einheitliche
methode
durch die sich Schweden dank der cuergie seiner gelehrten zu einer Verbreitung der
hierzu nötigen kenntnisse, zu einer genieinsamkeit iu der arbeitsleistung aufgeschwungen
hat, hinter der die grossen länder mit ebensoviel sinnen als wissenschaftlich arbeiten-
den köpfen an concentration der kräfte und der aufmerksamkeit zurückstehen. Mit
der schule Henry Sweets und dessen fein ausgebauter Verbesserung von Beils
System hätte England es Dänemark, wo Otto Jasper sen mit seiner Fönet ik und
der Zeitschrift Dcmia vorzügliches leistete, gleich oder zuvor tun können, wenn dort
nicht der boden für das Studium der lebenden sprachen überhaupt so ungünstig wäre,
in Norwegen hat Amund B. Larsen die von Storni eingeleitete arbeit bis heute
ziemlich allein und ohne w-eitgehende teilnähme fortgesetzt und die Zeitschrift Nur-
regia ist zweimal an der teilnalimlosigkeit des publicums zu gründe gegangen, und
auf dem grossen nieder- und hochdeutschen Sprachgebiet ist zu einer auch nur
im geringsten einheitlichen mundartenforschung kaum ein richtiger versuch gemacht
wurden. Angesichts dieser tatsachen dürfte es sich lohnen, auf die in Schweden
getroffenen massnahnien, für deren tauglichkeit der schöne erfolg spricht, ein licht
zu werfen.
Die vorgenommenen arbeiten bestehen zunächst in der einsam mlung von
I. grammatikalischen, 2. lexikographischen, 3. zusammenhängenden textaufzeichnungen.
Für die ersteren sind den einzelnen forschem, meist studierenden der nordischen
Philologie, doch teilweise auch laien mit specieller wissenschaftlicher Vorbildung fia'
die zwecke der einsammlung, gedruckte hefte in taschenbuchformat zur Verfügung
gestellt, die, ungefähr 125 selten stark, auf gutem Schreibpapier in schwedischer Schrift-
sprache vorgedruckte Schlüsselwörter und genügenden leeren räum zum eintragen der
gehörten mundartlichen form und reichlichen platz für eigne zusätze enthalten, welche
so geordnet sind, dass alle voraussichtlichen erscheinungen auf dem gebiete der laut-
und formenlehre aufgezeichnet werden müssen oder wenigstens sicher ein leitfaden
für die Untersuchung andrer erscheinungen gegeben ist. In je ein solches heft, das
auf dem titelblatt folgende rubriken trägt:
Ilürad (unter -regierungsbezirk):
socken (kirchspiel, gemeinde):
mligt meddelande av (nach mitteilung von):
nmnn (namen):
n. V. xjrke (gegenwärtiges gewerbe):
füdelseär (goburtsjahr) :
födelseort (geburtsort) :
bor nu (by l. gärd) (wohnt jetzt, laudort oder hof):
har itiom socknen tillbragt levnadsären (hat innerhalb des kirch-
spiels lebensjahre zugebracht):
förnt bott (vorher gewohnt): ären (jähre):
Undersökningen gjord är (Untersuchung vorgenommen
av jähr . . . von . . .)
ZEITSCHRIFT F. DEUTSCHE PHILOLOOIK. BD. XXXVII. 20
402 H. K. H. GOODWIN BTJERGEL
werden nur laut- und formen sammlungeu nach jeweilig nur einer person, die auf
dem titelblatt in oben angegebener weise specialisiert ist, eingetragen. Auf der innen-
seite des Umschlages wird der aufzeicbner noch an eine anzahl, ebenfalls von Luudell
ausgearbeiteter Vorschriften erinnert, von den wir noch folgende als besonders prak-
tisch und wichtig erwähnen zu müssen glauben: »Stellen sie sich auf den Standpunkt
ihres zu beobachtenden objectes und verkehren sie ungezwungen mit den leuten« — •
»verlassen sie sich nie auf angaben andrer, sondern beobachten sie stets selbst
und mit der äussersteu genauigkeit; schreiben sie sofort, nie nach dem gedächtnis
oder bloss nach einmaligem eindruck!« — »Fragen sie nie direct nach formen,
sondern richten sie es so ein, dass sie sie in einem Satzzusammenhang zu hören
bekommen.«
2. Die lexikographischen aufzeichnungeu werden auf zettel in vorgeschriebenem
format und unter Zuhilfenahme eines ungemein praktischen papptaschenbuches (kon-
struiert von prof. Erdmaun), das gleichzeitig zur Verwahrung dient und eine gute
Schreibunterlage liefert, gemacht, soweit nicht ältere laudsmälwörterbücher nach-
kontrolliert und umgearbeitet werden sollen. Die lexikographische ernte ist oft eine
ungemein reiche und die arbeit der eiusammlung sehr ergötzlich : mau kann sich in
der tat keine anregendere arbeit denken, als bei dem volke, das mit freudigem Interesse
über die ausdrücke plaudert, die es selbst in frühereu zeiteu angewandt hat und die
jetzt in Vergessenheit geraten, stunden uud halbe tage zuzubringen.
3. Die texte endlich werden widerum auf (grössere) zettel von einem bestimmten
format geschrieben und dienen hauptsächlich zur einsammlung sj-ntaktischer uud
phraseologischer beobachtungen. Für die momente 1. und 2. ist das im nächsten ab-
schnitt noch genauer behandelte »landsmälalfabet« conditio sine qua uon, für die texte
bloss erwünscht, da die ausarbeitung eines durchgehenden lautschrifttextes oft nicht
möglich ist imd an zeit und mühe unglaubliche opfer kostet, von der 12— 20maligen
korrekturlesung nicht zu reden. Dabei kann man sich nur verwundern, wenn die bis
jetzt erschienenen 80 mehr oder weniger bandstarken hefte der Zeitschrift ungefähr
650 Seiten lautschrifttexte aus allen möglichen landstrichen enthalten. Zum teil sind
diese von interpaginärer wiedergäbe im gewöhnlichen (d. h. Lundells reformoi-thographie)
aiphabet oder Übersetzungen in die Schriftsprache begleitet. Durchgehende Verwendung
hat aus.serdem das dialektalphabet in 21 abgescblossenen monographien über je ein
kirchspiel oder ein härad und 8 Wortlisten, namenlisten und dialektwörterbüchern
gefunden. Als abschliessende arbeiten nach Vollendung der sämthcheu für eine ganze
provinz, z. b. Jämtland erforderlichen kirchspielmonographien sollen dann Übersichten
über sämtliche lautlichen und grammatikalischen Verhältnisse auf dem ganzen gebiet
mit kartographischem material dienen, wie sie beispielsweise für die genannte provinz
H. Westin im 59. heft geliefert hat.
Das landsmäisalfabet,
die Schöpfung Lundells, bildet die notwendige Voraussetzung zur Verwirklichung der
mit der eben beschriebenen methode aogestrebten ziele. Die laute der nordischen
sprachen sind, wie Storni schon an anderem ort betont hat, das, was ich mikroa-
kustisch nennen möchte im gegensatz zu der makroakustiseJien eigenschaft der laut-
verhältnisse der romanischen sprachen, der deutschen bühnensprache und der mei.sten
deutschen mundarten. Deshalb ist aucli der germanische norden die geburtstätte der
DIE ZKITSCHR. F. SCHWK.D. MÜNDAKTEN - V. VOLKSKUNDE 403
feinsten lautbezeiclinungen geworden, die im laufe der neuerdings von Jespersen*
so vortrefflich dargestellten entwickhing der lautschriftsysteme, bisher angewendet
wurden. Für die zwecke der >Sveuska landsmälen< waren in erster linie praktische
gesichtspunkte massgebend. Da es mir durch die freundlichkeit des herausgebers der
' >S. 1.« ermöglicht ist, hier dies lautschriftsystem den lesern mit benutzung der origiual-
typen vorzuführen, mag es mir gestattet sein, auf diesen dritten punkt meiner aus-
führuDgen noch näher einzugehen. Von Lundell selbst ist das damals jedoch noch
nicht so vollständig ausgebaute aiphabet aiisführiich behandelt im ersten hefte der
>S. 1.« s. 11 — 157 und später wurde es von Johan Storm (Engl, spr.- I, s. 231 — 35)
am eingehendsten, aber unter Verwendung der Stormschen, vielfach abweichenden und
nach anderen principien konstruierten norwegischen dialektzeichen, besprochen. Das
im wesentlichen mit dem, was man als die englisch -skandinavische schule zu be-
zeichuen sich gewöhnt hat, übereinstimmende sy.stem Luudells ist von Sievers,
Jespersen, Hoffory (Deutsche litteraturzcitung 1881, sp. 1920 fg.), von Huse-
mann (Göttinger gelehrte anzeigen 1879, nr. 50) und von J. Storm noch an einer
andern stelle (Nord, tidskrift för vetensk., konst och industri 1880, s. 333 — 50)
ausserordentlich gepriesen worden. Jedoch keiner der genannten fachmänner war
geneigt, den praktischen wert, den unvergleichlichen nutzen und die ästhetischen Vor-
züge der hier besprochenen zeichen richtig einzuschätzen, deren für gedächtnis und
die band des schreibenden ungemein bequeme formen, die dehnbarkeit des schrift-
systems und dessen Universalität zu würdigen, alle diese Vorzüge, meine ich, die das
aiphabet so unvergleichlich über das der »Association phonetiqtie« .ateUen, das jetzt
wol das allgemeinste ist, Vorzüge, die alle zusammengenommen es ermöglichten , prak-
tische keuntnis dieses alphabets unter die forderungen für das filosofic-kandidat-
e.xamen in den nordischen sprachen an den schwedischen Universitäten aufzunehmen.
Ohne die volle consequenz daraus zu ziehen, stellt Jespersen a. a. o., s. 20, das lands-
mälsalfahet in ästhetischer beziehung und auch sonst am höchsten, aber im weiteren
verlauf der besprechung anderer alphabete, z. b. dem der »Association phouetique«,
dem er die grösste zukunft prophezeit, verliej-t er es wieder aus den äugen; denn
sonst hätte er mit der einfachsten logik zu dem Schlüsse kommen müssen, dass kein
anderes der von ihm besprochenen Umschriftsysteme so vollständig die 5 von ihm
auf Seite 16 aufgestellten forderungen an eine ideale lautschrift erfüllt; denn keines
erfüllt die ersten 4 punkte: 1. feine differencieruug, 2. elasticität, 3. memoriabilität,
4. leichte schreibbarkeit auch nur annähernd so vollständig und den 5. rein äusser-
lichen punkt — ja, über den wird man nie hinweg kommen zu können auch nur
erwarten und »leicht in einer gewöhnlichen druckerei zu drucken« ist auch das häss-
licbe französische aiphabet nicht, überhaupt nichts ausser den 25 buchstaben, ihren
majuskeln und den zahlen von 1 — 10! Aber »mehrere hundert« neue typen (Jespersen,
Ph. gr. s. 20) hat das landsmälsalfabet durchaus nicht, im gegenteil, es sind die
80 — 90 notwendigen neuen so einfache modifikationen des lateinischen kursivalphabets,
dass jede grössere deutsche buchdruckerei sie innerhalb einer woche sich nach den
patrizen der Stockholmer druckerei. und ohne zu empfindliche kosten, beschaffen
könnte, wenn sie für Zeitschriften, lehrbücher usw. vielfach dafür Verwendung hätte.
Wie viel fordert nicht ein naturwissenschaftliches werk oft in dieser lichtung!
Im auftiag der landsnuilsfUreninyar arbeitete Lundell sein früher schon für
seine el^im ( Kal»iar-) nalion zusammengestelltes aiphabet bei deren zusammenschluss
1) Phonetische grundfragen, 1904, II. cap.
26*
404
H. K. H. GOODWIN BUKRGEL
Vo kal t ab el le.
Artikulationsart
ungerundet
gerundet; grade der rundung:
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artikulat.
horizontal-
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Vertikal-
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DIE ZEITSCHR. F. SCHWKl). MUNDARTEN- D. VOLKSKUNDR
Kousuuanttabelle.
405
Artikulationsart
Aitikulationsstelle
mediane
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406 H. K. H. GOODWIN BUKHOEL
ZU gemeinsamer arbeit au der Zeitschrift noch weiter aus. Unter vergleichung sämt-
licher schwedischer mundartalphabete (vgl. hierzu Hoppe »S. 1.« 1885, s. 16fgg.,
besonders die tafel vor s. 17) und nach massgabe aller bis zu jener zeit gebräuch-
lichen phonetischen zeichen giengen die bedeutend vermehrten Sunde vallschea
yphonetiska bokstäfver« in der immei wieder in ästhetischer hinsieht abwägenden band
eine neue Verbindung ein, die glückliche amalgamierung des von selbst gegebenen
lateinischen kursivalphabets mit einigen, form und format so wenig als möglich ver-
ändernden einschiebsein, wie z. b. [U, O, ä] aus «, o, c, [^, ^, l] aus s, ^, / oder an-
hängsein, wie z. b. [^, ^, 71] aus n usw., welche schreibbarkeit und systematische
dehnbarkeit mit rücksicht auf die voraussichtliche Schaffung neuer zeichen und feinerer
unterschiede gewährleistete. Aus den beigefügten vollständigen Übersichten über die
sämtlichen bis jetzt verwendeten zeichen, s. 404 und 405, wird an sich hervorgehen,
wie viele neue zeichen da noch, ohne dem System die geringste gewalt anzutun,
geschaffen werden können; wir bedauern nur lebhaft nicht auch eine geschriebene
Seite anfügen zu können, welche sicherlich den, sich jedem Stenographen beim anblick
einer Seite geschriebenen schwed. landsmälstextes aufdrängenden, vergleich Lundells
mit Gab eisberger gerechtfertigt hätte. Diakritische zeichen und ligaturen im
herkömmlichen sinne waren bei den von Lundell an ein für aufzeichnungen an ort und
stelle geeignetes Zeichensystem gestellten forderungen von vornherein ausgeschlossen.
Wie wir aus den vorhergehenden tabellen ersehen, ist die durchführung dieser
principien mit rücksicht auf die articulations stellen auch vollkommen geglückt; dass
dies für die nach kombination (z. b. stimmton -j- explosion, velares -|- apico- alveo-
lares geräusch usw.), dynamik (fortis, lenis, spannungsgrade usw.) und rhythniik
(lautdauer) unendlich variierbaren erscheinungen nicht einwandfrei der fall ist, liegt
in der natur des lateinischen alphabets, das z. b. für die vier grundartikulations-
arten atimtnhafte fortis^ stimmhafte lenis ^ stimmlose fortis^ stimmlose lenis nur
die zwei kategorien [bäg]^ [ptk] bietet und schon für so einfache fälle zu zeichen-
kombination zwingt. In vorteilhafter weise hat für den beispielsweise erwähnten punkt
Lundell die Verschmelzung diakritischer zeichen mit der type zu einem zeichen be-
werkstelligt, so dass nunmehr für melodik und lautdauerbezeichnuug und in einzelnen
fällen für lautdauer und nebeuartikulationen von beigefügten accent- usw. zeichen
gebrauch gemacht wird. "Will man für einzelne darstellungen, vor allem für generelle
lautbeschreibungen noch genauere bezeichnungsmittel, so lässt sich das im landsmMs-
alfabet geschriebene sehr vorteilhaft mit dem m. e. denkbar feinsten natürlichen laut-
bezeichnungssystem Jesporsens ergänzen, das erfahrungsgemäss sein den unein-
geweihten blicken so beängstigendes aussehen verliert, sobald man sich ein wenig
eingeleson und »eingeschrieben« hat. Henry Sweets lautschrifttexte sind muster-
giltig für alle zelten und sprachen geworden und dies durch die meisterhafte aus-
führung und genauigkeit mehi- als durch Vielseitigkeit des Zeichensystems. Sweets
analphabetisches Visible Speech-sjstem ist für Untersuchungen innerhalb ein und
desselben idionis vorzüglich, aber unmöglich für eine grössere anzahl sprachen, wie
es im plan etwa von "VV. Victors Skixxen liegt, verwendbar, von der hier wirklicli
schwierigen beschaffungs- und kostenfrage abgesehen. Soll in zukunft an die wähl
eines möglichst generellen, praktischen Zeichensystems für sämtliche mundarten eines
grossen Sprachgebietes, wie z. b. der deutschen oder englischen, herangegangen werden,
so hat m. e. Lundells alp habet in allererster liuie in frage zu kommen, da es allein
die Voraussetzungen dazu hat, die herrschaft des besonders für germanische sprachen
ganz und gar unbrauchbaren französischen Systems zu stürzen.
DIE ZF.ITSCHR. F. SCHWEI). MUNDAKTEN - ü. VOLKSKUNDE 407
Die vorstehenden tabellen bedürfen keines weiteren kommentars. Es erübrigt
also nur noch die im System vorgesehenen bezeichnungen für 1. laiitfiuantität, 2. laut-
intensität, 3. tonhöhe, 4. sandhiersclieinungen, 5, silbenbildende consonanten und G. die
glcitlauto zu besprechen.
1. Die zeichen ^ für kurz, ^ für mittcllang, _ für lang, —für doppellang
worden unter die zeichen für die laute gesetzt, um den platz darüber für die ton-
stärkezeichen zu reservieren. Kürze kann der regel nach unbezeichnet bleiben.
2. 'bezeichnet starken, ' mittelstarken, 'schwachen ton, wobei fehlen eines
accentzeichens über einem silbenträger xmbetontheit ausdrückt.
3. Compliciorter sind die bezeichnungen für den im schwedischen so ungemein
wichtigen musikalisclien oder cliromatischen accent. nior finden sich für die mannig-
fachen erschoinungen :
«) für den einfachen accont: ''für niederen. ■*" für mitteliiohcn. ""für hohen ton;
ß) für den zusammengesetzten accent (circumJlcx): -^ für steigend vom niedersten
zum höchsten, "^ für fallend vom höchsten zum niedersten, "" für steigend vom mittel-
luihon zum iiöt^hsten, "^ fallend vom mittelhohen zum niedersten ton usw. usw. Für
noch kompliciertere Verhältnisse hat man auch vorgeschlagen, die tonhöhen in Ziffern
(1 für 0, 2 für eis usw.) über den betreffenden vocalen anzudeuten. Hier dürfte sich
jedoch, wie dies in der Zeitschrift schon geschehen ist, durchgehendt! aufzeichnung
der Sprachmelodie in noten über dem text besser empfehlen ; oder man muss für dies
noch so unbebaute feld erst ein eignes System schaffen, und zwar ^yomöglich ein von
der üblichen musiknotenschreibung und -torminologie gründlich verschiedenes, da
auch z. b. die Stormschen feinen sprachmelodiebilder nur für musikalisch gebildete ver-
ständlich sind. — Als generelles zeichen für circumflektierten accent ohne rücksicht
auf die tonhöhe fungiert ^, für den typischen accent 2, (fallend -steigenden accent
der reichssprache) das zeichen \
4. Sandhi wird durch -.. zwischen den zusammengehörigen sich beeinflussenden
lauten bezeichnet, z. b. die gewöhnliche ausspräche von (imperativ) hör du! mit
rhn_^<jii(] angegeben.
.5 — 6. Endlich finden sich noch die zeichen ^ für silbenbildende konsonanten
und eine anzahl zeichen für gleitlauto, palatalisierung (als nebenartikulation!) und
nebcnartikulationen überhaupt. Aus den beispielcn (nachlässige, gewöhnliche Um-
gangssprache) :
'^haw^vl„^vara ^nue düÖ! seh nnh ''da, hii^<ldks prd;s()j,^^Jiömr.
ensohen wir ausser dem zeichen für silbenbildende consonanten das zeichen ", welches
in dem vorgeführten fall angibt, dass der off-glide von dem auslautenden bilabialen
hemmlaut in du! stimmlos ist (vgl. die consouantentabelle ^ d^ usw.), das zeichen "
über dem /, das dessen palatalisierung (-» vill) anzeigt, die bczeichnung der nebcn-
artikulationen an dem erwähnten / (-> vill vara) und weiter dem u (->■ präsfr»
hnnmer)^ schliesslich eine glückliche adaption des j)unctwn dclcns auf fast unhörbare
reducierte laute, z. b. dem zweiten a in vara.
Von grossem vorteil i.st die von Lundell eingeführte sogen, »gröbere be-
zeich nun g« entsprechend Sweets Broad Ramie mit einem aufrcchtstohenden, aber
deutlich von der gewöhnlichen antiquaschrift abweichenden typus, durch dessen Ver-
wendung angezeigt werden kann, dass mau entweder für die genauere lautquaiität
408 H. K. H. GOODWXN BÜERGEL
nicht einstehen kann oder will , oder um die besprochene erscheinung recht hervor-
zuheben, wie etwa in dem satz:
franskaiiwii-^nog bra, man svänskan.^iiwdäli <- franskan [ar->a->9]
nog usw.
Lautschriflproben.
In den vom ref. zusammengestellten, bei Norstedt ock söner in Stockholm aus-
geführten tabellen seite 404 und 405 sind die zeichen des landsmälsalfabets auch an
den gehörigen stellen in ihrer etwas abweichenden geltung für die angefügten laut-
schriftproben eingetragen und zwar so, dass * oberbayrischen lautwert (für die texte
III, 1—4) und ** isländischen lautwert (für text II) bezeichnete Text I, c ist den
Sammlungen des ref. für seine schwedischen lautschrifttexte, II für »Isl. folkmä-
lets Ijudlära«, III, 1 — 4 für Umgangssprache in Südbayern« (wird abgedruckt in
»Spräkvetenskapl. sällsk. i Uppsala förhandlingar« 1904 fg.) entnommen. Zur Verwendung
des landsmälsalfabetes für deutsche texte vergleiche nunmehr vor allem die inter-
essante abhandlung von dr. Elias Grip, Ȇber nasale sonanten in der deutschen Um-
gangssprache« (jSTyfilol. sällskapets i Stockholm publikationer 1905).
I. Schwedisch.
a) südschwedischer dialekt aus der gegend von Kalmar (Sv. landsm . IX, 1; s.89):
Jö^9tia-lena,
jö^dka-Una, d9 va^'g^gami^pija. how^fek^ä^da namdt f& oin^
hod^i jn stuva, sem cn ada bot ^, sem^etads 'jo^dkd. hom^hod^utvd
timbyhdka. Jiow w va so inh koh o gla, ow ^ va se hiskdha lusti, dn
da mcBriskan. how^va se gamal, se^a vet^ntd vem^a ska likna-na
ve. liow^va vl^n seeksU at), dce tro %a do, o on dansad^i tticesko o
jo^dd si^sdl
b) nordschwedischer dialekt aus Jämtland (Sv. landsm. XIIl, 1; s.46):
Hau som saknade kniven.
da va im, som säJma J^ywa-s^na, nor^aw^va uitpo §0a h-n,,^^
hööt. so sQoy-an m vätna o sooy sTjia(ian-sin der. so drkw-n ta o
spipfa, fa-(la^an sogg Jfyivan-stnm^^po ^dbötna. ma^da sbmo-an spifila,
so for JjDivan m mnina o m fqn.
^ " c) gebildete, ungezwungene'umgangssprache, > uppsvenska«^ :
go-moron, sta ^<lUü? — talj^^jm '^ha van rce^dah^igor-^^kvdl, man
nuö" troör m^t^a sngl 9 0vr, mn hiißr'^ ma^*dm "^fily da? w6\ m
tukar, ähUhs ''uGtmärkt ^san dd ^ ar hhvit ofläntht '^vmtrvckdr, man
'^Jmsträskdt va^cla '^ryjysli^forakit '^lär,
1) Die zahlen der 3. vertikalkolumne in der vokaltabelle bezeichnen grade der
hebung. 2 steht für »normal«, l = »raised«, 3 = »lowered« (nach Swoet). Die
tabellen und die südbayr. texte werden an den angeführton stellen, der Island, text
in einem aufsatze »Nägra anniäikningar tili det modärna islänska Ijudsystemet« in
einem der nächsten hefte der ^»Svenska lands malen <s. phonetisch eingehend behandelt
werden (korrekturaum., ostern 1905).
DIE ZEITSCHK. F. SCHWED. MUNDARTKN - U. VOLKSKUNDE 409
IL Isländisch, ungezwungene Umgangssprache:
prasätfnn: smijnd'a ''Ixodcurdid, lcvyj(tmn ar^dad, 'hnänid miot?
— 'haämd: prasäipnn^DOO^sgal aojjj't stala. pr.: poeJad ar aojji hat,
"bmdcordid ar smana: poÜTt sgaÜ ejljyi siqla. h.: htm mdma mm sag' dt,
ad rat^J' mai^ti aojjyi sccija poiin vtd jjraschn.
III. Hochdeutsch (Oberbayern).
a) oberbayerische mundart aus der gegend von Tnh- Micf^haeh:
i^ts9ct Jio6 i öiöai had, dos govä ga^ so> mut^a täyrm on,n^
imä^a Ic^aka'dn Icxon; dv6m Icn-aJc^d-^'baprm 'dnli^ on^z käröt^z
vprdM — i-atsag^glgö i d (^ mJcs maa.
b) dialekt in München., alle zeichen für stimmhafte laute nur mit halbstimm-
haftem lautwert, zu CO, y) usw., vgl. die tahellcu s. 404 uud 405:
(Sie:) is ^&s vn wd^_ toim^manld im nn Vdhärnmo'n mm? um
tsöqem^s esn ftdii^i uti<l' um 9 hänöj 'f[nän lijimhl gmcot '(fnJmj!
(Er:) fjqde^, ([ur) mi nail novlsn, % %i aM p hancj^i, Oarl^i vufls^
matig'l vd^Jjif0(l hcoh', hami'tl vöiimi^m.
(Sie:) %q) si% g'l,q6 «, hagz^^ €^^€ ^€''^^f ^^C^^» ^^'ß-§^^^^(^¥ttl
^„ß?/;pwwf%üiYJf nm suriild vÖTimKfai m§(l(o^, i^^-^Jixmx ts^g(i9.
(Er:) '(lums g^Ödts (fumz, (la^ 6o mU^^z^gaul ö)hg'gomd hco^,
6mn u) (Jo d nacl i ([d lixinx.
c) Münehener umgangsspraclie , nachlässiges|alltagsgespräch :
(A:) wo, 6t geäz gnamn? (B:) o mqe ahöae ^leg^ifn, % se mi
halg^ggn mmn naoz. — (A :) (Ja gitxlz mgz t>esnz alz 6i naofä vhesi
tsmn^danri utiff nv ä-.zdcfl'n la'g, (Jas mo gmal o g'l'jniz kho'gldiwizol
gza^ Tiand.
d) Münchener Umgangssprache, mehr offuielles gespräch :
(A:) nun öundnäz mij a6n ^öx^^ (jas^i^z hae äln hm hlioman-
tsieln nvanwg tn mm g§aft nqrf (Jarln tficif^ hqom?
(B:) Ina zeonz daz 6a zo. tsan^(l ha6 ij'^z^gelg^khatxl u^mae
Tihqphaniq ([^nvanu^ unä^jctsd ha6 ly dt anfänu'g u^mar hhophamö
z^geld.
UPPSALA, DEZEMBEU 1904. H. K. U. GOODWIN BUERGKL.
410 BINZ ÜBER ANDERSON, TUE ANGLOSAXON SCOP
LITTERATUR
L. F. Anderson. The Anglo-Saxon scop (= University of Toronto Studies, Philo-
logical series, nr. 1). (Toronto), University library, published by the librarian,
1903. 45 s. $ 1,00.
Der zweck dieser arbeit, die ihrem Verfasser den titel eines M. A. der
Universität Toronto eingetragen hat, ist „an endeavour to coutribiite somethiag toward
greater definiteness in our couception of the professional singer among the Anglo-
Saxons". Bei wem will denn A. diese bestimmtere Vorstellung von der tätigkeit und
bedeutung eines scop erwecken? Was die kenner der altgermanisclieu diohtung vor
ihm darüber zu sagen wussten, war doch nicht so verschwommen, wie seine worte
vorauszusetzen scheinen. Aus reichlichen geschichtlichen Zeugnissen, vor allem aber
aus den ansehnlichen poetischen denkmälern der Angelsachsen hatten schon die früheren
erforscher der germanischen litteraturgeschichte ein bild des wandernden, berufsmässigen
Sängers gewonnen, das an deutlichkeit und Vollständigkeit nicht mehr viel zu wünschen
übrig Hess. Tatsächlich hat auch A. dem schon bekannten keinen neuen zug hinzu-
zufügen. Er zeigt, dass er alle in betracht kommenden Zeugnisse kennt, aber nirgends
gewinnt er diesen einen gedanken ab, der nicht schon von anderen geäussert wäre.
In einigen punkten, wie z. .b. in dem abschnitt über musik und musikinstrumente,
bleibt er sogar in ihrer Verwertung hinter seinem Vorgänger Padelford, den er nicht
zu kennen scheint, zurück. Wie wenig selbständig A.s arbeit ist, zeigt sich am
besten darin, dass er zur formulierung seiner Schlüsse über die einzelnen fragen, die
er sich zur beantwortung gestellt hat, sich fast regelmässig der worte eines bekannten
forschers, (Müllenhoff, Ten Brink, Koegel u. a.) bedient. Als seminararbeit mochte
seine leistung genügen, cmen fortschritt der Wissenschaft bedeutet sie nicht.
BASEL. GUSTAV BINZ.
Carl Voretzsch , Epische studien. Beiträge zur geschichte der französischen helden-
sage und heldendichtung. 1. heft: Die composition des Huon von Bordeaux nebst
kritischen bcmerkungen über begriff und bedeutung der sage. Halle, Niemeyer
1900. XII, 420 s. 10 m.
Die epischen studien sollen nach ausweis der vorrede vorarbeiten zu einer ge-
schichte, und zwar einer stofigeschichte, dei' französischen heldensage bringen. Sie
dienen also der herausarbeitung eines begriffs, der für das germanische gebiet längst
zum eisernen bestände gehört und ausführliche darstellungen gefunden hat, dagegen
vielen romanisten durchaus noch nicht geläufig oder auch nur klar geworden zu sein
scheint. Und da der Verfasser sicherlich — wie ich dies auch von mir bekenne —
diesen begriff zunächst aus der beschäftigung mit der alten germanischen sage und
dichtung gewonnen hat, da ferner bei seiner betrachtungsweise dieses gebiet beständig
im äuge behalten wird, so hat er auspi'uch auf ausführliche besprechung auch in
einer germainstischen Zeitschrift.
Es ist nicht das erste mal, dass der Verfasser seinen anschauungcn öffentlichen
ausdruck gibt. Er hat sie bereits in seiner antrittsvorlesung 'Die französische helden-
sage' allgemeiner, in einem aufsatzc 'Das Merowingerepos und die fränkische helden-
sage' (Philologische studien, festgabe für E. Siovcrs, Halle 189(3, s. 53 — 111) im be-
sonderen und mit reicher fülle von beispielen begründet, wie sie denn sogar schon
in seinen Untersuchungen über die Ogiersage (Halle 1891) im wesentlichen ausgebildet
SCHI.ACiER ÜBER VORETZSCH , EPISCH K STUDIEN 111
vorliegen. Es lässt sich also crkeunen, dass es ihm eine wichtige angelegenheit ist,
seine wolhegriindete Überzeugung durchzufechten. Gegenwärtig ei'scheint der Zeit-
punkt hierfür günstig. Denn die im letzten Jahrzehnt mit unleugbarem geschick und
vielen richtigen einzolbomcrkungen unternommenen versuche, auch die entwicklung
des französischen heldenepos (der chansons de yeste) ganz und gar auf litterarische
Überlieferung und zum grossen teil auf selbstherrliche erfinduug zu stellen, haben
wol zeitweilig manche Verwirrung angerichtet, im ganzen aber, so viel ich sehe, doch
die erkcnntnis gefördert, dass dieser weg in eine sackgas.se führt. AVas für Chrestiens
versromane aucli nur mit grosser einschränkung richtig ist, das wird, auf das helden-
epos übertragen, gradezu grund verkehrt: hier weist alles auf eine unlitterarische Vor-
stufe, eine heldensage — , und nun gilt es eben, diesem vieldeutigen worte tat-
sächlichen Inhalt zu schaffen.
Der hauptteil des vorliegenden buches beschäftigt sich mit dem IluoneiJOS und
bildet eine wichtige ergäuzuiig zu dem bereits genannten Ogierbixche. Zeigte dieses,
wie in einem bestimmten fall ein geschichtliches ereignis aus sich sage und epische
dichtungen entwickelte, die dann zu einem ganzen zusammcngcschweisst wurden, so
ergibt die neuere Untersuchung vielmehr, dass in anderem fall eine schon vorhandene,
'prähistorische' sage nachträglich au gcscliichtliche personen angelehnt wurde. So
wird ein wesentlicher unterschied innerhalb der französischen epik festgestellt und
von vornhei"ein eine Warnungstafel für die errichtet, die geneigt sind, alle epen
über einen kämm zu scheren. — Dass der Huonstoff beziehungcn zur altdeutschen
sage und dichtung hat, ist bekannt, und so darf diese Untersuchung ebne weiteres auf
die teilnähme der germanisteu rechnen. Aber auch die vorausgeschickten drei capitel,
in denen Yoretzsch sich allgemein mit halben oder ganzen geguern auseinandersetzt,
sind im gehalte so durchdacht und im tone so vornehm, dass sie jeden leser fesseln
und belehren werden. Wenn Voretz.sch in der vorrede betont, dass er weniger darauf
ausgehe, unterschiede aufzuzeigen, als vielmehr darauf, brücken zu den anderen
Standpunkten hinüberzuschlagen, so hätte er das ruhig mit weniger bcscheidenheit
ausdrücken können: es ist ihm in der tat völlig gelungen, zu erweisen, dass die
gegner von sich aus gar keinen rechten grund haben, die heldensage als Vorstufe des
epos abzulehnen.
Letzteres geschieht noch oft, obwol sich auch sonst beobachten lässt, dass
die romanisten, die von gründlichen germanistischen Studien hergekommen sind,
der heldensage freundlich gegenüberstehen. Am meisten gegnerschaft findet sich iu
Frankreich. Dort ist zwar die mündliche Überlieferung seit langem (L867) von sehr
angesehener seite gefordert worden. Aber die stimme I'. Meyers ist die eines pre-
digers in der wüste geblieben: gegen ihn erhob sich die gewaltige, zumal alle jüngeren
im banne haltende autorität G. Paris', der an mehreren stellen die mündliche fort-
pflanzung geschichtlicher Stoffe glattweg verneint, nur märchenhafte stoffe sich von
mund zu mund verbreiten lässt. Von seinem Standpunkt aus hat Voretzsch wenig
mühe, mit diesem grundbedenken fertig zu werden; denn in der heldensage, wie er
sie auffasst, durchdringen sich geschichtliche und phantastische be.standteilc aufs
engste, so dass oft genug das geschichtliche nur noch die bedeutuug eines kristalli-
sationspunktes hat. "Wo sind denn selbst im Kolaudsliede, das doch allgemein als
ein inusterstück des geschichtlichen epos betrachtet wird, die geschichtlichen einzol-
heiten geblieben? Der anschlu.ss an bestimmte geschichtliche namen aber, deren
jeder im volk einen bestimmten, fest gewordenen, aber der geschichtlichen Wirk-
lichkeit nur in umrissen entsprechenden Inbegriff bezeichnete, konnte, wie mir scheint,
412 SCHLÄGER
der Zähigkeit der Überlieferung unmöglich eiutrag tun; freilich mag das völlige er-
löschen eines solchen von der persönlichkeit hinterlasscnen eindrucks die öfter beob-
achtete Übertragung einer sage auf andere namen begünstigt haben.
Soviel ich sehe, hat vor allem zweierlei die anerkennung der heklensage in
Frankreich gehindert. Einmal die an sich gewiss richtige meinung, dass in der
französischen epenzeit das volk unter ganz anderen Verhältnissen gelebt habe als in
der deutschen^. Ich meine, diese volkspsychologische betrachtung hält sich zu sehr
ans äusserliche. Grade die Völker- und blutmischung auf romanischem boden muss
der Phantasie, und sicherlich nicht nur bei einzelnen, im engeren sinne dichterisch
begabten, gewaltige anregungen zugeführt haben. Keinesfalls bestand zwischen den
Germanen der Völkerwanderung und den romanisierten Franken ein grösserer unter-
schied als etwa zwischen diesen und einer heutigen landbevölkerung. Und doch
können wir selbst heute deutliche ausätze einer sageubildung beobachten, die viele
züge einer echten und rechten heldensage aufweisen. Noch heute führt die volks-
tümliche auffassung der geschichte — nur diese hat für das epos des mittelalters
bedeutung, und es würde sich lohnen, ihr einmal genaue beachtung zu schenken —
zu ebenso eigenartigen Verschiebungen, umkehrungen, entäusserungcn , wie wir sie
nur im mittelalter finden können. Ich erinnere an die sagen, die sich in den deutschen
Alpen um die person Bismarcks gebildet haben, oder an den menschlicli gebliebenen,
aber der geschichtlichen Wahrheit entfremdeten Inbegriff dos namens Bismarck, wie
ihn umfragen im beere bei ungebildeten aus einigermassen geschlossenen anschauungs-
kreisen erwiesen haben. Noch längere zeit nach dem tragischen ende Ludwigs ü.
von Bayern glaubten selbst gebildete daran, dass er ertränkt worden sei: dem rich-
tigen bayrischen dickschädel ist das noch heute unumstössliche Wahrheit, und mancher
mag im tiefsten herzen die Malefizpreussen dafür verantwortlich machen, wie man
denn sogar noch hören kann, von diesen werde König Max IL auf einer entlegenen
insel gefangen gehalten (Deutsche zeitung vom 1. Mai 1901). Seltsames hab ich auch
in Frankreich gefunden. Ein gutmütiger pariser gemüsehändler, Lothringer von
geburt, Napoleonist und mitkämpf er im kriege, erschloss mir eines abends in langer
unterhaltüug sein herz. Nachdem wir ziemlich lange ergebnislos politisiert hatten,
spielte er seinen grössten trumpf aus mit der frage, was ich vom 'petit Badinguet',
dem frühverstorbenen Louis Napoleon, halte. Da ich, wie begreiflich, hiermit nichts
anzufangen wusste, fuhr er geheimnisvoll fort: 'II n'est pas plus mort que vous et
moi: il reviendra, et il vous crachera sur !e nez'. Und wenn er noch lebt, so ist
er sicherlich noch heute, nach 10 jähren , dieser meinung. Es mag sein, dass solches
für sich allein wenig lebenskraft hat, aber dem wird eben durch die Verbindung mit
schon fertigen sagen oder auch nur anekdoten abgeholfen: so geht es beispielsweise
zu, dass noch heute ein bestimmtes bild des alten Fritzen im volke fortlebt. Sollte
jemand der meinung sein, solcher anekdoteukram stehe der heldensage ganz fern, so
ist daran zu erinnern, dass auch im mittalter im gefolge der eigentlichen, grossen
heldensage eine kleine, aus burlesken einzelzügen bestehende da war. Was den
anlass gab, alle diese kleinen scherze und derbheiteu an das bild des grossen königs
zu hängen, war doch ein geschichtlich wahrer charakterzug : seine volkstümlich -derbe
ader; und dieser echte charakterzug ist auf diese weise im volke lebendig geblieben.
1) Vgl. P. Rajna, Litoraturbl. f. germ. u. rom. phü. 1895, sp. 198 fg. : „Ora, all'
elemento romano, in (^uauto popolo, c popolo in non poca parte cittadino, anziehe
sehiatta, la 'sage' mal poteva accomunarsi in altra forma che di canti".
ÜBER VORF.TZSrH, F.PTSCnK STTIDTF.X 413
Derlei beobachtungen sprechen dafür, dass anuh der sagenhaften goschicbtsüberliefe-
rung selbst heute noch eine gewisse lebenskraft innewohnt. Und mehr als das: sogar
eine gewisse autorität kann sie gewinnen. Kommt es doch vor, dass die wissen-
schaftliche geschichtsdarstelhmg sich an offenbarer legende bereichert. Mit nicht ge-
ringem staunen las ich vor kurzem, dass das dankgebet der verbündeten herrscher
auf dem hügel bei Leipzig nach der Völkerschlacht ins gebiet der sage gehört; in
Wirklichkeit liaben sich die drei den ganzen tag über nicht gesehen. ' Auch hier
kann man recht wol an die heldensage erinnern, besonders deswegen, weil die erfm-
dung den Stempel der gutgläubigkeit trägt: sie ist recht aus dem ereignis selbst ge-
wachsen; der sie zuerst aufgebracht hat, konnte sich offenbar die Schlacht nicht ohne
dieses schlussstück denken, und wie sehr dieses auch dem allgemeinen empfinden
entsprach, ei'gibt sich schon daraus, dass es sich unwidersprochen in die geschichts-
darstelhmg eingedrängt hat und nun erst wider von der kritik entfernt werden muss;
der eine hatte nur das rechte wort gefunden für das, was allen auf der zuuge lag. —
Schliesslich will ich noch eine merkwürdige, von W. H. Riehl- berichtete tatsacho an-
führen, weil sie zeigt, dass alte scheinbar erloschene geschichtliche Überlieferungen
im Volke wieder aufzuleben vermögen, wenn sie von neuen, grossen ereignissen aus
ihrem Scheintod erweckt werden. Bekannt ist, dass mehrere Jahrhunderte hindurch
die Türkenprophezeiungen, mancherorten durch Türkengebet und -läuten genährt, sehr
verbreitet waren. In der revolutionszeit tauchten sie plötzlich wieder auf. Beim
ungarischen kriege glaubten die rheinischen bauern lange nicht an die niederlage
Kossuths, 'weil ihnen der unausbleibliche Türkenkrieg ein und dasselbe däuchte mit
dem siege Kossuths, weil es ihnen gleich einem evangelium feststand, dass im jähre
1850 die Türkenpferde aus dem Rheine trinken und an den pfeilern des Kölner domes
angebunden sein würden'. Die tatsächlichen beziehungen Kossuths und der unga-
rischen flüchtlinge zur Türkei mögen dabei ihren anteil gehabt haben, aber ausschlag-
gebend waren sie gewiss nicht: Ostländer und Türken verschmolzen dem volke in
eins, ganz in der weise des französischen epos. Mir scheint, hier liegt eine mündlich
fortgepflanzte und in dei' art der heldensage weitergewachsene, aber echt geschicht-
liche erinnerung klar zu tage. Derartiges beweist selbstverständlich nichts für das
erwachsen epischer dichtung aus mündlicher sage; aber es zeigt, dass man an dem
bestehen und der dauerhaftigkeit einer geschichtlichen heldensage auch im alten
Frankreich nicht zu zweifeln bi'aucht. "Wol hat es zeiten gegeben, die der helden-
sagenbildung besonders günstig waren, aber an bestimmte zeiten gebunden ist diese
bildung nicht, sie ist ein unverlierbares eigentum der volksphantasie.
Das zweite hindernis, mit dem der begriff der heldensage in Frankreich zu
kämpfen hat, ist die sogenannte kantilenentheorie, die das epos aus unmittelbar
(auch zeitlich) der geschichte entsprossenen lyrisch -epischen gedichteu hervorgehen
lässt und ihren Ursprung doch wol in Lachmanns liedertheorie hat. Hierzu i.st zu
sagen, dass heldensage und zeitgedicht sich nicht notwendig ausschliessen ; grösseren
auspruch auf die Vaterschaft dos epos hat aber die heldensage, denn heldensagen, die
in ihrer ganzen art dem epos nahestehen, sind wirklich nachzuweisen (den niönch von
St. Gallen erkennt auch G. Paris an, nur spriciit er derartigen erzähluugen längere
lebensdauer ab), aber kantilenen lassen sich höchstens durch hinweise auf kurze
1) Vgl. H. Geizer, Gedächtnisrede für Carl Alexander von Sachsen, Jena 1901,
s. 37 anm. 12.
2) Land und leute (S. auf!., 1883) s. .348 — 350.
414 ROHLÄGER
chi'onistenstellen wahrscheinlich nifichen, die ohensogut aiif fertige epeu bezogen werden
können.
Selbst dem bedeutendsten französischen Vertreter der kantilenentheorie, G. Paris,
kann Voretzsch mit recht entgegenhalten, dass er selber ehemals (in seiner Histoire
poetique de Charlemagne, 1865) von mündlich umgehenden erziihlungen gesprochen
hat, die ihrer art nacli zwischen geschichte und dichtung verarittelten; auch neuer-
dings hat er die erzählungen des mönchs von St. Gallen ausdrücklich anerkannt; be-
dauerlich bleibt, dass er sich zu den von Voretzsch aufgestellten Merowingersagen
nicht geäussert hat. — Ganz offenbare Widersprüche finden sich dagegen bei L. Gautier,
den die schwärmerische begeisterung für seinen stoff oft genug in Unklarheit ver-
strickt hat. Zuerst weiss er nur von kantileneu, führt später nach P. Meyers Vor-
gang die 'tradition orale' ein, wirft sie nach G. Paris' einspruch wider hinaus —
und lässt sie schliesslich zur hintertür wider herein, zwar nicht als 'tradition orale',
wol aber als 'legende' und in einer eigentümlichen, nicht näher bestimmten und
kaum zu greifenden Verknüpfung mit den 'cbants lyrico-epiques'. Mit einer so ver-
schwommenen Zustimmung ist beiden teilen wenig genützt.
Von den französischen anhängern der kantilenentheorie unterscheidet sich sehr
wesentlich ihr hauptvertreter in Deutschland, G. Gröber. Er lässt neben den epen,
aber nicht als ihre Vorstufe, einesteils sagen bestehen, andernteils 'zeitgedichte'
kürzerer fassung; die epen selbst sucht er nach möglichkeit hinaufzurücken , setzt sie
aber immerhin später an als sage und zeitgedicht. Einem wirklichen epos entspricht
nach ihm das sog. Haager bruchstück, dagegen ist ihm das sog. Farolied, dessen
anfang schon so lange zur rückÜbertragung in französische epische verse heraus-
gefordert hat, ein beispiel des zeitgedichtes. — Hier setzt die kritik des Verfassers
ein. Er verwirft grundsätzlich den begriff des historischen Volkslieds, wie ihn
Gröbers theorie vorauszusetzen scheint'. Aber auch wer historische Volkslieder an-
nimmt, darf sich nach V". nicht auf das Farolied berufen, denn einmal liegt nicht
der mindeste grund vor. in diesem etwas anderes als eine kurze, aber regelrecht
entwickelte chanson de geste zu sehen-, und dann — dieser grund scheint mir recht
durchschlagend — kann mau schon deswegen nicht von einem historischen zeitgedichte
sprechen, weil es gar kein geschichtliches ereignis gibt, auf das es sich unmittelbar
bezieht^. Mit der erstgenannten auffassung rückt Voretzsch das epos mindestens so
hoch hinauf, wie es Gröber nur tun kann, so dass hier kein grundsätzlicher gegensatz
zu finden ist. Aber auch bei der betrachtung des Verhältnisses zwischen zeitgedicht
und epos kommen beide überein: Gröber ist, wie Voretzsch. der meinung, dass die
fülle epischer einzelheiten, wie sie die chansons de geste zeigen, nicht aus kurzen
liedern stammen kann. Das eben unterscheidet Gröber wesentlich von den franzö-
1) Bis zu einem gewissen punkte hat Voretzsch unbedingt recht. Gereimte
Zeitungen wie das bekannte fliegende blatt über die Schlacht bei Pavia (Liliencron,
Histor. Volkslieder, nr. ;J72-, Erk-Böhme H, nr. 270) sind keine Volkslieder. Ganz
anders steht's aber mit einem andern lied auf dieselbe Schlacht (Uhland, nr. 187;
Erk-Böhme II, nr. 274), in dem die einzellieiten ganz gegen die allgemeine Stimmung
zurücktreten, ähnlich wie in vielen neueren liedern, die natürlich auch V. für Volks-
lieder hält, denen er aber die bezeichnuug als 'historische Volkslieder' nicht gern
zuerkennen mag (vgl. s. 20). Mir scheint dieser name grade sehr treffend , eben weil
in diesen liedern die volkstümliche geschieht sauf fassung hervortritt.
2) Rajna, Oiigini dell' Epopea francese, s. 473 fg. Suchier, Zfrph. XVIII (1894),
s. 184 fg. Voretzsch, Philolog. Studien (festgabe für Sievers) s. 95 fgg., 109 fgg.; vorlieg,
buch, s. 18 fg.
3) Suchier und Voretzsch a. a. o.
i'nF.R voRETZsrn. Erisrirp stttptf.n 415
sischen kaiitilenikoni. AVoiin aber iiacli Gröber selbst die epen nicbt ganz unmittelbar
nach dem ereignis selbst entstanden, sondern auch nur wenig später sind als zeit-
gedichte und sagen, die ersteren aber nicht als unmittelbare Vorstufe des epos zu
betrachten sind — , so hat Yoretzsch ganz recht, wenn er hier eine Kicke bezeichnet,
die nach ausfüUung verlange, und zwar sei von Gröbers eignem Standpunkt aus hierfür
nichts anderes vorhanden als die sage. Diese erkenne ja Gröber auch an, aber doch
nur mit grosser zurückiialtnng und ohne ihr den gebührenden einfluss auf die ent-
stehuug des epos einzuräumen. In der tat lässt sich nicht verkennen, dass Gröber
im Grundriss der romanischen philologie diesen begriff nach möglichkeit vermeidet.
Er spricht von 'epischer' und 'mündlicher' Überlieferang, ohne dass es mir ganz klar
wird, ob darunter immer die Überlieferung fertiger epen zu verstehen ist Was er
von der Übernahme heidnischer züge, von der Wichtigkeit altertümlicher eigennamen
in erb wortform sagt (Grundriss II, I, s. 448 — 450), scheint mir eher gegen als für
litterarische Verfestigung zu sprechen.
Von Gröber ist offenbar E. Schneegans ausgegangen, der seine anschauungen
hauptsächlich in seiner habilitationsvorlesung 'Die volkssage und das altfranzösische
heldengedicht' niedergelegt hat (Neue Heidelherger jahrbüi^her, 1S97, s. 58 — G7). Bei
ihm werden die rein phantastischen und die wandersagen besonders gewürdigt, kurz
alles, was wir herkömmlich als märchen- und novellenstoffe bezeichnen. Auch
Schueegans erkennt 'sage' an, aber nicht als Vorstufe des epos, wenigstens nicht in
seiner gi;ten zeit, in der es vielmehr unmittelbar aus dem geschichtlichen ereignis
erwachse. Epos und sage seien dazu auch nicht wesensgleich genug: ersteres bleibe
trotz aller eingestreuten wunder im rahmen des rein menschlichen und vermeide das
übernatürliche, letztere aber weiche von dem tatsächlichen weit ab, um die persön-
lichkeit des beiden mit anderwärts geschehenem und mit übernatürlichen kräften zu
bereichern. Beide Überlieferungen seien nebeneinander hergeflosseu; erst später, beim
niedersinken der .Standesdichtung, des epos, in die kreise der bürger und bauern,
hätten sich einzelne züge aus der bauernpoesie, d. h. der volkssage, eingemischt
und auch ganze epen hervorgerufen. — In seiner kritik weist Voretzsch mit recht
darauf hin, dass Schneegans den begriff der volkssage nicht reinlich herausgearbeitet
hat, sondern märchen und heldensage miteinander vermengt, die zwar gewiss
sich vielfach gegenseitig benihrt haben, aber von haus aus doch deutlich unterschieden
sind. "Was Schneegans im epos, aber nur im späteren, sagenhaftes anerkennt, sind
wesentlich märchenmotive, während er der eigentlichen heldensage — die er jedoch
kennt, und die doch sicher grössere wesensgleichheit mit dem e])OS hat! — keinerlei
bedeutung dafür zuschreibt. Im ganzen ruht seine anschauung auf zwei von ihm an-
genommenen, unüberbrückbaren gegensätzen: dem zwischen sage und e[)OS und dem
zwischen älterem, echten und jüngerem, von der volkssage beeinflussten epos. Voretzsch
weist nach, da.ss der zweite unterschied wol durch die spätere entwicklung hervor-
geti'eten, aber durchaus nicht durchgehend ist. Grade in altertümlichen epen finden
sich echt wunderbare züge, vergleichbai' den häufigeren der germanischen helden-
dichtung: besonders lehrreich ist hier die unverwundbarkeit "Wilhelms mit ausnähme
der nase; und so findet sich anderseits possenhaftes, offenbar der volkssage angehöriges
schon in alten epen'. Abei' auch der andere gegeusatz ist nicht zu halten, selbst
1) Das ist natürlich auch Schneegans nicht entgangen. Er kann sich damit
decken, dass .schon die ältesten überlieferten epen spuren des Niederganges aufweisen.
Dagegen scheint e.s auch mir unmögUch, Wilhelms unverwundbarkeit mit den aben-
teuerlichen wundern später epen in einen topf zu werfen.
416 SCHLÄOER
dann nicht, wenn man wie Schneegans mehr das märchen als die wirkliche helden-
sage im äuge hat. Hierüber gibt Voretzsch sehr wichtige aiisführungen, in denen
auch auf die altdeutsche dichtung bezAig genommen wird. Ist hierdurch dem von
Schneegans ausgeführten sachlich der boden entzogen, so gibt auch seine methode zu
einwänden anlass: wer steht dafür, dass diö in späteren epen von ihm anerkannten züge
wirklich noch märchenhaft, nicht viebnehr dui'ch feste beziehung auf bestimmte per-
sonen oder orte schon zur heldensage geworden waren? —
In allen diesen erörterungen , denen ich, wie angedeutet, in allem wesentlichen
zustimme, bedient sich der Verfasser des wertes 'heldensage' für einen völlig festen,
genau herausgearbeiteten begriff, über den s. 28 — 29. 44 — 46 ausführlicher gehandelt
wird. Die heldensage ist eine bestimmte art der sage, hat also mit jeder anderen
sage das unterscheidende merkmal, dass sie an bestimmte personen, ereignisse, ört-
lichkeiteü gebunden auftritt: „sie bezieht sich auf einen bestimmten beiden und ein
mit diesem in Verbindung stehendes ereignis''. Damit ist schon gesagt, dass sie ge-
schichtlichen Ursprung hat, denn eins von beiden wird in der regel geschichtlich sein;
nur ist oft die persönlichkeit zum la-istallisationspunkt auch für fremdartige und für
ursprünglich ungeschichtliche sagen geworden. Keinesfalls aber darf man bezüglich
des historischen gehaltes zu hohe anforderungen stellen. Im anfange sehr vielgestaltig,
wird sich die sage nach und nach in gewissen punkten festigen und so vereinfachen,
wobei sie natürlich noch immer der Umgestaltung unterworfen ist. Die geschichtlichen
einzelheiten verschwinden also zum grossen teile, es bleibt ein gebilde, das von dem
wesentlichen der persönlichkeit oder des ereignisses — natürlich im sinne der volks-
auffassung — beherrscht x;nd bestimmt wird. Neben und nach dieser verengerang
vollzieht sich aber auch eine erweiterung: der verbliebene rest verbindet sich mit
elementen anderer herkunft, aus anderen zeiteii, mit älteren sagen oder neuschöpfungen
der Phantasie. — Einer solchen heldensage kann recht wol eine gewisse epische aus-
führlichkeit eignen, so dass sie besser als ein kurzes zeitgedicht zur Vorstufe eines
wirklichen epos geeignet erscheint. Selbstverständlich trifft das nicht für alle epen
zu, es ist im einzelnen falle genau zu untersuchen, ob nicht vielmehr unmittelbares
erwachsen aus dem ereignis oder abfassung auf grund geschriebener berichte oder
endlich willkürliche erfindung und Übertragung anzunehmen ist. Wo aber solcherlei
entstehung nicht wahrscheinlich ist, da ist eben die heldensage die natürlich gegebene
Vorstufe; und eine solche, auf der volkstümliche anschauung ungehemmt und allseitig
eindringen konnte, verlangt namentlich die entwicklung der älteren epen. Dem be-
rufsdichter fällt die künstlerische, planmässige, individuelle ausgostaltung des von der
allgemeinheit vorbearbeiteten Stoffes zu.
Alles in allem kann man nicht sagen, dass Voretzsch die leistung des epen-
dichters zu gering einschätze , wie es ihm hier und da vorgeworfen worden ist. Indess
lässt sich nicht verkennen , dass in seiner entwicklungsreihe manches nur erst in um-
rissen geschaut ist und genauerer bestimmung harrt. Sowol für die entstehimg der
heldensage aus dem geschichtlichen ereignis wie für ihre litterarische ausbildung zum
epos bleibt noch ein gut teil arbeit zu leisten. Vor allem liegen die unmittelbaren
äusseren einflüsse, die bei der entstehung des gallofrünkischen epos im spiele gewesen
sind, noch sehr im dunkel. Voi'etzsch geht an solchen fragen nicht etwa vorbei: er
knüpft in sehr anregenderweise an die germanische, genauer fränkische heldendichtung
an. Sogar die form der französischen chansons de geste — die einreimige laisse oder
tirade von wechselnder verszahl — möchte er mit der stichischen , nicht strophischen
form der germanischen heldendichtung verknüpfen. Das will mir freilich nicht ein-
ÜBER VORETZSrif, EPISCHE STUDIEN 417
leuchten. Ein solcher Zusammenhang scheint, mir nur denkbar, wenn wir uns die
germanische heldendichtung gesungen, nicht recitiert vorstellen dürften. Auf dieses
schwierige geliinde kann und will ich mich hier nicht begehen. Ich habe anderwärts
versucht, die epische tirade mit der ungleichzeiligen strophe der ältesten französischen
ly.rik, der romanzen oder chausons a toile, zu verbinden, und habe auf die einzeilige
Strophe (mit ursprünglichei- widerholung durch den eher) als möglichen ausgangspunkt
für beide hingedeutet*.
Der zweite, äusserlich betrachtet wichtigere teil des huches beschäftigt sich mit
den mancherlei fragen, zu denen das eigenartige, unter den Karlsepen durch das
vorwiegen abenteuerlicher züge und die einmischung unverkennbar mythischen gutes
läug.st aufgefallene Huongedicht reichliclien anlass gibt. In dem gegenstände selbst
liegt es, wenn dieser teil an tatsächlichen ergebnissen den ersten weit überragt.
Diese sind in der tat so bedeutungsvoll, dass man die Untersuchung zu den aller-
wichtigsten rechnen darf, die auf diesem gebiete veröffentlicht worden sind. Der
Verfasser hat sein verfahren, das im wesentlichen zwar schon im Ogierbuche aus-
gebildet vorlag, seit der zeit zu einem wahrhaft meister- und musterhaften entwickelt.
Mit der sichersten kenntnis des weitverzweigten stoffs verbindet er tatkräftiges und
geschicktes anfassen und — eine nur allzu seltene gäbe! — ein nie versagendes ge-
sundes urteil: bei aller wärme des inneren anteils lässt er sich niemals verführen,
den bogen der philologischen methode zu überspannen. Wegen dieser Vereinigung
von eigenschaften, die sich schon in der sachlichen, oft nüchternen, und doch dabei
von lebendiger persönlichkeit zeugenden darstellung spiegelt, darf die arbeit als
vorbildlich bezeichnet werden. Leider ist es mir nicht möglich, auf den inhalt der
Huonuutersuchung auch nur annähernd so ausführlich einzugehen, wie auf die ein-
leitenden capitel, in denen für mich trotz alledem der Schwerpunkt des buches liegt:
die besprechung würde sonst ungebührlichen umfang gewinnen müssen. Ich will nur
versuchen, dem germanisten die wichtigsten gedanken und ergebnisse anzudeuten.
Unmittelbar überzeugend, weil auf genauester beobachtung der technik des
dichters beruhend, ist die art, wie Voretzsch die einzelnen stoffkreise aufzeigt, aus
denen der dichter die mosaiksteine zu seiner handlung genommen hat, und wie er
damit zugleich sich selber die wege seiner Untersuchung vorzeichnet. Es ergeben sich
daraus drei richtuugen: einmal ist dem zusammenhange mit dem volksepos nach-
zugehen, denn hierzu ist das gedieht in seiner äusseren form wie auch in vielen
einzelheiten der dichterischen technik zu rechnen; zweitens ist der einfluss des höfischen
versromans abzugrenzen, dem das gedieht nicht nur eine menge stofflicher einzelzüge,
sondern auch die anläge des ganzen verdankt; endlich führt die gestalt Auberons, die
dem gedichte vor allem sein eigenartiges gepräge verleiht, tief hinein in das gebiet
der germanischen sage und dichtung. Den abschluss bildet naturgemäss ein versuch,
ein gesamtbild der entwicklung zu" entwerfen; voraus geht der eigentlichen Unter-
suchung eine genaue betrachtung des gedichtes selbst und seiner verschiedenen be-
arbeitungen.
Für die zeitliche einreihung des gedichts schliesst sich Voretzsch im wesent-
lichen an Friedwagner an. Mit rücksicht auf die anspielungen bei Alberich von Trois-
1) Über musik und .strophenbau der französischen romanzen, Halle 1900 (aus
dem Suchierbande), s. .37. Es scheint mir ein willkürliches und methodisch unzu-
lässiges verfahren zu sein, die erwähnte Ungleichheit der lyrischen Strophen in allen
fällen zu beseitigen; vgl. ebenda s. !."> — 17.
ZEITSCHIÜFT F. liEÜTSCHK PHILOLOGIE. ßü. XXXVII. 27
418 SCHLÄGBR
Fontaines und auf die beliandlung der Pers und ihres gerichtes vermag er eine nocli
genauere bestimmuug zu treffen. Jedesfalls darf mau das erste drittel des 13. Jahr-
hunderts als festgestellt betrachten. — Alle französischen bearbeitungen gehen auf
diese eine grundlage zurück; und auch die niederländischen vermögen nichts zur auf-
hellung der Vorgeschichte beizutragen, wenn sie auch mit dem bericht Alberichs auf
eine gemeinsame, verlorene französische fassung zurückgehen sollen, die statt des
namens Geriaume eineu anderen, AUaume führte. Es ergibt sich also, dass die
forschuug auf das überlieferte Huongedicht angewiesen ist. — Soll aus diesem der
ursprüngliche kern herausgeschält V7erden, so gilt es zunächst, die auf das höfische epos
weisenden züge auszuscheiden. Dazu gehört zunächst das ganze abenteuer von
Dunostre, das deutlich an die Apolloniusromaue, namentlich den Jourdain erinnert;
Chrestieus romauen, besonders dem Perceval (und seinen fortsetzungen) und dem
Karrenritter, verdankt der Huondichter eine reihe abenteuerlicher einzelheiten (z. b. die
torsperre, am eiugange des riesenschlosses) , aber auch, wie V. sehr lehrreich und
überzeugend nachgewiesen hat, die disposition des ganzen gedichtes. Besonders wichtig
ist jedoch, dass auch die gestalt Auberons von keltischer beimischung nicht frei ist:
seinen buckel, der zu seiner sonstigen überirdischen Schönheit so gar nicht passen
will, erklärt V. als eine zutat, die auf den zwerggestalten Chrestiens beruhe. Neben
diesen wichtigsten beziehungen zum höfischen versi-omane bestehen noch eine ganze
reihe nebensächlicher.
Weit grösser an zahl uud umfang ist, was das Huongedicht der vaterländischen
heldeuepik verdankt, der es ja auch nach form und hauptgehalt augehört. Der dichter
hat in dieser hinsieht einen vortrefflichen magen; aber es ist anzuerkennen, dass er
nicht mit sklavischer treue entlehnt, sondern das fremde gut aus dem gedächtnis und
nach eignem gutdünken, freilich nicht immer am rechten orte verarbeitet. Neben
einer ganzen reihe von Karls- und Wilhelmsepen, für die natürlich nicht der gleiche
grad von Sicherheit oder Wahrscheinlichkeit gilt', ist da vor allem das Ogiei'gedicht
zu nennen, aus dem der Huondichter in form und Inhalt, ja sogar mit wörtlichen
anklängen entlehnt hat. Aus dem Ogierepos, wenn auch unter sichtlichem einflusse
des Couronnement Louis, lässt Voretzsch auch die Karlotepisode stammen. Die von
G. Paris und Longnou versuchte geschichtliche Verknüpfung mit Karls des grossen oder
Karls des kahlen söhn Karl weist er, sicherlich mit recht, ab, indem er die im
zweiten falle nicht wegzuleugnenden ähnlichkeiteu dem zufalle zuschreibt. Ich möchte
bei dieser gelegenheit, wie schon früher, darauf hinweisen, dass es für solche Über-
einstimmungen zwischen geschichte und sage oder auch zwischen verschiedenen sagen,
ja zwischen verschiedenen geschichtlichen Überlieferungen doch noch eine erklärung
gibt: die geschichte wurde sogleich unter der form eines schon bestehenden sagen-
typus aufgefasst, Avomit natürlich der weg zur heldensage bereits beschritten wurde*.
Nach ausscheidung aller dieser jüngeren zutaten bleibt als inhalt des Urhuon
eine einfache rahmenerzählung übrig, deren züge sich noch ungefähr erkennen lassen :
Huon, söhn des herzogs Sewin von Bordeaux, wird durch ein unglückliches Verhängnis
1) Als methodisch besonders wertvoll sei die aufstellung von typen für das
Verhältnis eines cbristenhelden mit einer sarazenentochter und die Zuweisung der rHse
d' Orange zu den germanischen werbungs sagen erwähnt (s. 189fgg.).
2) Herrigs archiv 98, s. 25. 26; Liteiaturblatt 21, sp. 1.38. — Vgl. auch
E. Beneze, Orendel, Wilhelm von Oreuse und Robert der teufel, Halle 1897, s. 88,
wo sehr glücklicli von '•anschauungsformeu a piioii' gegenüber den historischen
Charakteren und geschehnissen gespiochen wird.
l'BER VORKTZSCH, KPISHIK STUDIEN 419
zum müidor eiuos voruelimen gogners; des landes verwiesen, gewinnt er an einem
froniden hof eine frau, kehrt; (vermutlich) mit ihr zurück und versöhnt sich mit dem
kaiser. Das ist ein geläufiger brautfaiirtssagentypus, wie er sonst z. b. in der Chil-
derichsage, im Flooveut und anderwärts iiui'ti'itt; und eine erwünschte bestätigung
hierfür gibt ein kiu'zer auszug der älteren Huonsage, den eine fassung dos Lothringer-
epos bewahrt. Geschichtlich bestimmbar ist dabei nur der vater des beiden; wie der
hineingekommen ist. darüber lässt sich durchaus nichts sagen. Hiermit sind wir so
weit zurückgelaugt, wie es das gedieht selber ermöglicht.
Jn diesem vorauszusetzciideu Urhuon ist für die gestalt des hilfreichen zwerges
Auberun kein rechter platz vorhanden. Der frage, was es mit diesem für eine be-
wandtnis iiabe, widmet Voretzsch eine umfangreiche Untersuchung, die zu den
fesselndsten und ergiebigsten des ganzen buches gehört. Der richtige weg, Ver-
knüpfung mit dem germanischen Alberich, ist schon ISGl von G. Paris erkannt und
beschritten, später von Kajna weiter verfolgt worden; im anschlusse vor allem an
ihre arbeiten kommt Voretzsch zu folgenden wichtigen ergebnisseu. Aus den Über-
einstimmungen zwischen den angaben des gedichts und den davon unabhängigen des
belgischen chronisteu Jacques de Ouyse, die trotz der anzweiflungen Ph. A. Beckers
ihren wert behalten (vgl. Voretzsch, Deutsehe litteraturzeitung 1902, sp. 26G1 fg.),
geht hervor, dass Auberon-Albericus ein im walde lebendes zauberwesen, ein elbe
und zwar ein lichtelbe ist. Das einzige, was eher auf einen schwarzelben zii
weisen scheint, der buckel. ist bereits einleuchtend als zutat keltisch -höfischer her-
kunft erklärt worden. Zweifellos rühit diese gestalt in ihi-eu hauptzügon aus ger-
nuiuischer Überlieferung her. Da ist es nun auffällig genug, und es hat längst einen
meiuuugsaustausch hervorgerufen, dass im mittelhochdeutschen Ortnit der , zwerg
Alberich ganz dieselbe i'olle spielt, die eines beschützers und helfers bei einer ge-
fahrvollen biautfahrt. Schon G. Paris hatte das gesehen, eine abhängigkeit des einen
gedichtes von dem andern aber abgewiesen und vielmehr selbständiges schöpfen aus
derselben Überlieferung angenommen. Anders urteilte später, aber ohne von seinem
Vorgänger zu wissen, F. Lindner: er führte den Alberich im deutschen gedieht auf
das Vorbild des französischen zurück, und diese auffassung ist bei den germanisten
herrschend geworden, vor allem wol deswegen, weil sie zu Müllenhoffs anschauuugen
über die Ortnitsage als Hartungenmythus stimmte. Hier setzt Voi'etzschens Unter-
suchung ein, gestützt auf die bereits gewonnene feste anschauung von Alberichs und
Auberons wesenhaften zügen in den beiden gedichten. Den springenden punkt sielit
er mit recht in der eigenartigen Verbindung der beiden motive, des elbischeu schutz-
geistes und der brautfahrt, während jedes motiv füi- sich recht wol durch zufall in
beide gedichte gelangt sein könnte. Erschwert wird die Untersuchung noch dadurch,
dass die Urtnitsage mit der "Wolf dietrichsage verbunden ist, wenn auch in mehr
äusserlicher weise, duich den drachenkampf. Voretzsch unterscheidet somit in der
• »rtnitsagc drei gesondert auf ihre "herkunft zu priifende bestandteilo : Ortnits braut-
fahrt, den Hartuugeninythus (nach Müllenhoifs auffassung), der den rahmen geliefert
hätte, und die fränkische Dietrich.sage. Bei der letzteren sage, als einer noch er-
kennbar geschichtlichen, fängt die Untersuchung am besten an.
Seit Müllenhoff gelten wol allgemein die gleichungen: Hugdietrich ist Chlodo-
vechs unehelicher söhn Theodorich, Wolfdietrich dessen söhn Theodebert. Voretzsch
kommt in gei.streichei' beweisführung zu anderen ergebnissen. Nach ihm ist vielmehr
Wulfdietrichs urbild eben jener Theodorich, dessen uneheliche geburt in der tat ein
zeugendes motiv abgeben konnte: ihre Wirkung erkennt Voretzsch in den dämonischen,
27*
420 SCHLÄGER ÜBER VORETZSCH, EPISCHE STTTDIEN
auf gütUiclie abkuiift weisenden zügen, mit denen die jiigend des vorehelich gebornen
Wolfdietrich ausgestattet ist. Dabei ist in einzelnen zügen ein verwachsen Theodorichs
mit seinem söhne Theodebert* sehr wahrscheinlich, namentlich die Verlegung des
Schauplatzes nach osten findet so eine ungezwungene erklärung. — "Wo haben wir
aber das vorbild Hugdietrichs zu suchen? ■ Dieser frage gibt Voretzsch eine zunächst
verblüffende, bei näherem zusehen aber innerlich wolberechtigte lösung: in dem vater
des geschichtlichen Dietrich, in Chlodovech selber. Und zwar sind es zwei grund-
motive. welche die Verbindung zwischen geschichte und gedieht herstellen : seine be-
kehrung und seine brautwerbung. Man sieht, eine alte forderuug der franzö-
sischen epenforschuüg gewinnt hier greifbares leben; und der tatbestand ist wol nur
deshalb so lange dunkel gewesen, weil der name des helden geschwunden ist, ent-
gegen anderen nachklängen merowingischer sagen. Aber auch hierfür gibt Voretzsch
einen hinweis, der offenbar das richtige trifft. Hugones ist ja ein alter stammname
der Franken, Hugo heisst in den Quedlinburger annalen der sagenhafte Stammvater,
Huga nennt Widukind als vater Theodorichs, wogegen die jüngere benennung
Theodorichs als Hugo Theodoricus nicht aufkommen kann. Den namen Hugdietrich
erklärt sich Voretzsch so, dass Huga in anlehnung an Wolfdietrich und zur unmittel-
baren bezeichnung der geschlechtsverwandtschaft erweitert worden sei. Das ist ohne
■weiteres als möglich zuzugeben, wenn ich auch den eindruck habe, dass noch andere
mythische beziehungen dabei obwalten mögen. Zu den hauptgleichungen stellt
Voretzsch noch ein paar weniger wichtige, so Hiltburg = Chrotchilde, Walgunt =
Gundobad, vielleicht über Gundovald: hierüber denke man wie man will, in jedem
falle scheint mir eine fränkische Hugosage über Chlodovechs brautfahrt und über
seine bekehrung über jeden zweifei erhaben. Und damit ist für das Huongedicht
ein wichtiger anhaltspunkt gewonnen -. — Diese Untersuchung möchte ich als den gipfel-
punkt des ganzen buches bezeichnen, wo Scharfsinn und gelehrsamkeit des Verfassers
sich am glänzendsten betätigen. Wie ungemein vielfältig und verwickelt die be-
ziehungen sind, die es dabei auf schritt und tritt im äuge behalten hiess, zeigt ein
blick auf die s. 319 eingefügte entwicklungstafel.
Wie sah nun die Hugosage aus? Die Verbindung mit der Wolfdietrichsage ist
nur äusserlich und jung, wie sich schon aus den deutschen dichtungen abnehmen
lässt. Wie ist aber das Verhältnis zur Ortnitsage? Diese frage ist zum teil schon
damit beantwortet, denn Ortnitsage und Wolf dietrichsage sind nach Voretzsch erst
durch das mittelglied der dienstmannensage aneinandergebracht. Es scheint mir aller-
dings nicht so ausgemacht, dass die ursprüngliche Zusammengehörigkeit in dem
Hartungenmythus gänzlich zu verwerfen sei, aber das vermag an dem Verhältnis der
beiden brautfahrtsagen natürlich nichts zu ändern. Den kern der Ortnitsage bildet
nach Voretzsch die brautwerbung, und zwar erscheint ihm die elbische hilfe als etwas
ursprüngliches und wesentliches, wie sie denn auch in anderen fassungen desselben
urstoffes (Oswald, Seyfridslied usw.) zu erkennen ist und selbst durch den bericht
Hugos von Toul hindurchschimmert. Mit dieser annähme fällt die von anderen be-
haui)tetü herübernahme Alberichs aus dem französischen Huon in den deutschen Ortnit;
und für die Selbständigkeit des letzteren vermag Voretzsch zwei wichtige beweise ins
feld zu führen: einmal die deutlichere bewahrung der brautfahrt, dann aber die vater-
1) So (Wolfdietrich < Tlicodorich -j- Theodebert) übrigens schon Jiriczek in
seiner kleineu Heldensage (Sammlung Göschen).
2) Sehr interessant ist, dass damit auch ein willkommenes licht auf den kaiser
Hugo von Koustantinopel in der Kai'lsreise fällt.
EHRISMANN VHVM WOLF, STII, DKS Müll. VOLKSKPOS 421
Schaft Alberichs, liio seine hilfe aufs beste begiüudGt, wiilirend im tVanzösisclien ge-
dieht in dieser hinsieht eine Kicke klafft, ja, die helferrollo zur sonstigen art Auberons
durchaus nicht passt, woraus zu entnehmen ist, dass der dichter um der historischen
anknüpfung au Sewin willen diesen zug unterdrückt hat. Dagegen trägt der neben
dem eibischen vorhandene menschliche helfer im französischen Geriaume oder Aliaume
echtere züge als im deutschen Iljas, der von der niederdeutsch -russischen sage aus
beeinflusst ist, und auch der schluss des Huou erweist sich als ursprünglich durch
den vorgleich mit den sogenannten Siogfriedincärchen, die zugleich auch licht auf die
seltsame forderung Karls nach hart und zahnen des emirs werfen.
So hat uns die Untersuchung zu zwei im kerne verwandten, aber von einander
unabhängigen sagen geführt: der Oruitsage und der fränkischen Hugosage. Die letztere
ist im deutschen Hugdietrich den geschichtlichen grundlagcn verhältnismässig treu
geblieben. Anderseits führte die wesensgleichheit dazu, sie mit der Ortnitsage zu ver-
schmelzen, und so kam auf neustrischem gebiet ein vorauszusetzender fränkischer
Urhuon zustande, in dem der lield mit der hilfc seines eibischen vaters seine braut-
fahrt vollbrachte. XI it diesem gcdichte widcrum wurde von einem spielmann aus
St. Omer der andere Urhuon, die erzählung von Huons mordtat im palaste zu Paris
imd seinem exil in der Lombardei, zusammengearbeitet, offenbar auf grund der namens-
gleichheit: so entstand das vorliegende gedieht. Die beiden urgcdichte sind noch dem
12. Jahrhundert zuzuweisen, das überlieferte epos gehört dem anfange des 13. Jahr-
hunderts an.
Es ist selbstverständlich, daß es bei dieser fülle der tatsachen und beziohungen
für manches einzelne eine andere auffassuug geben kann. Aber der festigkeit des
ganzen baues vermag das keinen eintrag zu tun: ein brüchiger stein findet sich nicht
darin. Der grösste wert der Huouuntersuchungen scheint mir jedoch darin zu liegen,
dass sie ims so zwingend, wie es kaum jemals geschehen ist, eine enge Urverwandt-
schaft zwischen deutscher und französischer epenwelt erweisen. Das begründet denn
auch die geschlossenheit des ganzen Luches, der zweite teil stützt aufs beste die im
ersten vorgetragene gesamtanschauung. Denn nach allem, was wir sonst wissen, ist
eine litterarische stoffwanderuug aus Deutschland nach Frankreich in so früher zeit
au.sgeschlossen ; eine ursprüngliche wesensglcichhoit aber deutet mit notwendigkeit auf
gleichen Ursprung. Und so ist ein starkes boUwerk für die französische heldeusago
als Vorstufe der ependichtung gewonnen , wie gegen die positivistische und cuhcme-
ristische betrachtuug der epen selbst.
OBERSTELN A. D. NAHE. G. SCHLAGER.
Leo Wolf, Der groteske und hyperbolische stil des mittelhochdeutschen
volkscpos. Palaestra, Unter.suchungen und texte aus der deutschen und eng-
lischen Philologie, herau.sgegeben von A. Brandl, G. Roethc und E. Schmidt.
Berlin, Mayer u. Müller 1903. 161 s. 4,50 m.
Der Verfasser hat die grenzen seiner Untersuchung weit gesteckt, indem er sie
auf die gesamte mittelhochdeutsche volksepik — vom Nibelungenlied an — ausdehnte.
Bei der fähigkeit, ein grosses gebiet zu überschauen, hat er denn auch weitgreifende
ergebnisse erzielt, indem er allgcmoino grundzüge in der an Wendung der hyperbel
festsetzen konnte. Es lassen sich bei den mittelhochdeutschen volkstümlichen epen
in dieser hinsieht drei stilgruinien unterscheiden (s. 157): 1. höfisch stark beeinüusste
epen (Nib. , Gudr. , Alph., Bit., Klage); 2. epen in verhältnismässig ochteju volkston
422 EHUISMANX
(Dietr. FL, Rab. schl., Ecke, Sig., Virg.); 3. siiielmäuuisch gefärbte epen (Laur.,
Roseng., Ortnit und die Wolfdietriche).
In der einzelausführung miisstc sich der Verfasser, der anläge der abhandlung
entsprechend, auf eine auswahl von boispielen beschränken, die aber doch für die
ineisten abteilungen reichlich ausgefallen ist. Bei der gruppierung ist er von kate-
gorien des Inhalts ausgegangen — 1. der held; 2. der kämpf; 3. elementar- und
fabelweseu; 4. die frau und die liebe; 5. reste — nicht von solchen der, spräche,
d. i. der Stilistik (wie z. b. Baumgarten , Stilist. Untersuchungen zum deutschen Rolands-
lied s. 47fgg.), oder von psychologischen grundformen (wie Roetteken. Die epische
kunst Heinrichs v. Veldeke und Hartmans v. Aue s. 123 fgg.: bestimmte hyperbolische
ausdrücke — unbestimmte hyperbel).
In der eiuleitung (s. 6 fgg.) und am Schlüsse (s. 156 fg.) spricht sich der Ver-
fasser über die entwicklung der hyperbolischen redeweise aus. Mit recht betont er,
dass die stark auftragende manier der späteren mhd. volkstümlichen epen (seit ca. 1250)
eine fortsetzung des älteren spielmannsstils ist und nicht ein rückfall aus der mass-
vollen kunst des Nibelungenliedes. Die volksmässigen unterströmungen gingen vom
zwölften Jahrhundert ununterbrochen ins vierzehnte hinüber, nur wurden sie im drei-
zehnten von der aristokratischen Standespoesie aus der guten gesellschaft verdrängt.
AVie sehr die höfische kunst doch nur äusserlich aufgetragen war, erkennt man daran,
dass von den hier hochgepriesenen tugenden nur so weniges in das sittliche bewusst-
sein des volkes wirklich veredelnd eingedrungen ist.
Wenn aber der Verfasser in den hyperbeln des mhd. volkstümlichen Stils 'roste
alter deutscher art und kunst, stark gewandelt im verlaufe steigender entwicklung'
sieht ('auch hie und da von dem einfluss der französischen chansons de geste leise
berührt' s. 157), so müsste zur genaueren bestimmung dieses allgemeinen Satzes die
exacte einzelforschung einsetzen, es müsste der einzelne hyperbolische ausdruck —
ich denke hier besonders an die kampfschilderungen — historisch untersucht werden.
An das altgermanische epos darf die hyperbel des mittelhochdeutschen nicht unmittel-
bar angeknüpft werden. Der alte epische stil ist durch den spielmann umgebildet
worden, die hyperbel ist durch, ihn noch gesteigert worden (vgl. verf. s. 7), und ob
diese groteske manier so weithin unbeeinüusst deutsche eigenart ist, das ist sehr
fraglich — das burleske in der spielmannskunst ist jedesfalls fremden Ursprungs.
Hier stehen wir vor der schwierigen frage nach der herkunft des spielmannsstils.
Woher stammt überhaupt der deutsche spielmann? Ist er ein unmittelbarer nach-
folger des italienischen niimus (vgl. Reich, Der mimus, bes. s. 811) oder ist er erst
ein ableger des französischen Jongleur? Und wie verhält er sich zum germa-
nischen scop?
Dem germanischeu stil gehörte die eigentlich groteske Übertreibung jedesfalls
nicht an. Diese meint der Verfasser wol auch, wenn er sagt, Beowulf und Hilde-
brandslied zeigten kaum ausätze dazu (s. 5), und nicht die hyperbel im allgemeinen,
denn der stil des Beowulfs ist seinem wesen nach hyperbolisch, hier ist, wie Hcinzel
(Über den stil der altgermau. poesie s. 32) sagt, alles ausserordentlich, alles ungeheuer
gross oder verschwindend klein usw. (Zur Unterscheidung von hyperbolisch und
grotesk vergleiche die besprechung vorliegender abhandlung durch Martin, Deutsche
lit.-ztg. 1.904, 538).
Solche eingehendere, historische beobachtungen über die gesteigerte aus-
drucksweise, die auf den germanischen epischen stil und den der altfranzösischen
chansons de geste zurückgehen müssten, würden zeigen, dass in den hyperbeln der
ÜBER KLAPPEK. ST. UAM.KK Sl'lKI. VON DKK KINDIIKIT JESl' 423
mittelhochdeutscheu epen maticlie fremde elemcntc mit untorlaufen. So entstammt
z. b. die rohe Vorstellung von dem ausspritzen des hirns aus dem schädol in den
kampfschilderungen nicht der anschauung des germanischen voiksopos, dagegen ist sie
geläufig in den afrz. chansons de geste und begegnet mehrfach in Virgils Aeneis, darnach
auch einmal im AValtharius, v. 1018 (verf. s. 80). Diese formel also wird, wemi
sie in den späteren mhd. dichtungen (Dietr. FL, Rabenschi., Laur. Drcsd. hs.,
verf. a. a. o.) auftritt, eine neue erworbung aus der fremde sein. Aber auch die la-
teinische geistliche litteralur hat bei der ausmalung der kihnpfo beigesteuert. So hat
schon das Aunoliod theologische motive: derdc dinmiini diiiniti, diu helli ingegijie
glinniiti v. 453 fg. Auch die Vorliebe des pfaffen Konrad für vergleiche in seinen
schlachtscouen (verf. s. 8fg. , Golthor, Das Rolaudslied des pf. Konrad s. 133 fg.) mag
durch die geistliche beredsamkeit veranlasst sein. — Durch beiziehung der Thidreks-
saga hat der Verfasser das material wertvoll bereichert, aber die boispiele können
nicht alle ohne weiteres als zeugen für den ursprünglichen niederdeutschen toxt gelten,
da die betreffenden Schilderungen zum costüm gehören. Dieses aber ist in der
Thidrekssaga vielfach nordisch stilisiert.
HEIDELBEBG. GUSTAV EHRISMANN.
Joseph Klapper, Das St. Gallcr spiel von der kindheit Jesu. Germanistische
abhandlungen, begründet von Karl Weinhold, herausgegeben von Friedrich Vogt.
21.heft. Breslau, M. imd H. Marcus 1904. VIII, 129 s. 1,40 m.
Das St. Gallcr weihnachtsspiel , zuerst abgedruckt bei Mone, Schauspiele des
mittelalters 1, 132 — 181, hat wol, als ältestes spiel dieser gruppe, eine eigene be-
haiidluug verdient. Die ihm hier zu teil gewordene, in der hauptsaohe gelungen, ist
doch nicht nach allen richtungen befriedigend. AVie in den meisten erstlingsarbeiten
über mittelhochdeutsche texte kommt auch hier die grammatik zix kurz. Schon die
grosse zahl falscher citate und die häufig ungenaue widergabe der belegenden beispiele
wirkt ungünstig, abgesehen von manchen elementaren fehlem, wie dass in heroxelieher
(s. 6) das c eingeschaltet sei, dass in gebern zu wem 'währen, dauern' und in ge-
sellen zu Hellen (s. 7) ungenauer reim e zu e vorliege, dass gilig unverschobenes /
habe (s. 16) u. a. Und doch ist der Verfasser tiefer gegangen als sonst üblich , indem
er bei der lautstatistik der handschrift auch scheinbar geringfügige punkte, wie die
gestalt der umlauts- und anderer vocalzeichen , berücksichtigt. Aber die beispiele
sind nicht reichhaltig genug und auf grund der überlieferten Orthographie hätten
schärfere beobachtungen angestellt werden können.
So verzeichnet der Verfasser die Schreibungen der hs. für den /-umlaut des«,
die sind e und ä. Nun sieht man aber, dass eine Scheidung besteht zwischen ge-
schlossener und offener ausspräche — die allerdings, wie zu erwarten, nicht regel-
recht durchgeführt ist — , also zwischen älterem und jüngerem umlaut: ä tritt ein
in der declinatiou von inagt, gen. sg. und plur. mägt 311. 338. 392. 820 (daneben ohne
umlaut mogle dat. sg. G82, gen. plur. 355, und im reim auf gen-lssugcl dat. sg.
iiiagl 876); in ursprünglich drittletzter silbe, wie in mägt, auch in mächein 315; bei
/-haltigen sufSxen: mägiliches 482, unxällich 11, mänig, män(i)gen 570. 600.603.
606. 703. 899 (aber menger 897, menigfalt 110), lämli 155, erbärmi (-?) 762, an-
gängc (-^) 261; einmal im nom. pl. Iiänd 86 {hend 850, /lendefi 753), sänfter
(dat. sg.) 736. Dagegen steht vor den den altern umlaut hindernden consonanten nicht
ä, sondoru c; merken 200. 917. 988, dax, gcferle 599, xcrxcrreml 1070. — Für c setzt
424 EllKISMANN
dor Schreiber ä nur zweimal, im aclverb här gegen sonstiges her — das aber dem ori-
ginal entsprechend har geschrieben sein müsste — und zwar in den reimen auf gar 529,
Caspar 591 , d.h. also des Schriftbildes wegen. Man kann also daraus schliessen, dass
der Schreiber seine schriftzeichen wol erwogen hat.
Auch für den umlaut des laugen ä Wird doppelte bezeiclmung gebraucht, indem
neben gewöhnlichem ce auch e auftritt, dieses aber nur vor nasalen: sy nenic 279,
er kern 994, ich tven 839, ivmst du 1042. Hält man dazu das häufige niemen für
nemen, so wird man annehmen dürfen, dass der Schreiber das ursprünglich offene (c
und e vor nasal geschlossen sprach. Da aber die heutigen Schweizer mundarten
grösstenteils umgekehrt vor nasal offene ausspräche haben, so kann dieses geschl. e
vor nasal für die heimatsbestimmung des Schreibers in betracht gezogen worden (nach
Hausier, Germ. 34, 123 haben Toggenburg und Appenzell hier nicht offenes e, sondern
eine mittlere nuance.)
Dia 2. 3. pers. plur. habmd 20. 659. 729 und 2. pers. plui-. sagind 658 (s. 7)
sind indicative und nicht conjunctive, und darin ist die echt schweizerische y^-con-
jugation der verba haben und sagen überliefert, vgl. Notkers habint.
Die fürs erste auffälligen reime Ist: du gist 887, pflU : sit(e) 544, auffällig,
weil von einigermassen achtsamen dichtem die bindung von langem i zu kurzem t
gemieden wird, ergeben sich als correct, da im schweizerischen dii gtst, er gtt (dem-
nach auch er pflU) kurzen vocal haben.
u mit dem index e (o) für nicht umgelautetes u steht meist vor m und n:
stünde 158, stünt 246 hora, sünder (= sunder) 1059, niien =^ nu 551. 630. 644.
720. 763. 1081, sün acc. sg. , kütmners 32Q., auch bei langem ü: Mm = küm(e) A03;
das zeichen dient also zur erleichterung des lesens, um die ähnlich aussehenden tc
und in bezw. n voneinander abzuheben.
In glitte für götte heidengöttiar kann noch der alte lautgesetzliche plural guti
erhalten sein, vgl. ahd. dat. pl. cutuni Pa. (Ahd. gl. 102, 2) und in ahd. abeuti.
Ein unterschied ist gemacht zwischen dem diphthong iu und seinem umlaut,
indem jener iu iü oder ui zH, dieser ü {ü) geschrieben wird: hiut 924, hiät 1023,
stiuftochter 2Qil ^ tiufel, tiüfel 56. 74. 78 {tiefeis 1055), artikel dm, ferner tüifels
1041, fluich 980, fuir 1058; aber voc. pl. lüt 199, dat. pl. Uäen 331. 439, tühs
(tiutisch) 343, nüexig {= niunxic) 235, üch ^= zk&. iuicieh.^ für dat. und acc, 439.
554. 556. 560. 562. 573. 586. 594. 598. 667. 700. 745. 821. 907. 941. 963 {iuch 494,
ewch 540), darnach auch Her 444. 623. 718. 725. 728. 815, aber etymologisch rich-
tiger, ohne Umlautszeichen, iuer 662, iuren 843, iuran 547; endlich genüert = ge-
niuivert 931. — Der umlaut von ü ist ü, ü, z. b. Mmsch 203, känschait 334,
künschi 325, künschait 209. 283. 311, sünfcxen 760.
Auf die bestimm ung der herkunft des Originaldichters und des Schreibers hat
der Verfasser durch beiziehung einschlägiger urkundenbücher Sorgfalt verwendet. Beide
gehören der Schweiz an, der Schreiber (um 1400) war wol in St. Gallen zu hause,
das original aber entstand in einer mehr westlichen gegend, vielleicht in Muri (ende
des 13. Jahrhunderts). Nach den oben beigebrachten Unterscheidungen von c und ä,
von c gegen ce vor nasal, von w, ui gegen ü müsste allerdings die mundart des
Schreibers noch einmal einer genaueren prüfung unterzogen werden.
Mit dem litterarhistorischeu teil (s. 38) hat der Verfasser festeren boden ge-
wonnen. Die Untersuchung ist hier knapp aber sicher geführt. Die grundlagen des
Spiels werden entwickelt: es sind hauptsächlich entsprechende stellen dor bibel und
des breviers bezw. antiphonars, vielleicht auch der Historia evangelica des Petras
ÜBER KLAPPER, ST. GALLER SPIEL V0\ DER KINDHEIT JESU 425
Comestor; vieles stammt natürlich aus der Überlieferung, dem allgemeinen theolo-
gischen wissen der zeit. Bei der ausgestaltuug des textes schwebte dem dichter
stellenweise das osterspiel von Muri vor. Dagegen liat er den Benodictbeurer Tjudus
de nativitate Domiui nicht gekannt, vielmehr hat er ein uns verlorenes lateinisciies
weihnachtsspiel nachgeahmt, das auch dem Verfasser des Ludus vorgelegen hatte.
Auch die Verwandtschaft unseres weihnachtsspiels mit der erlösuug beruht darauf,
dass bei beiden ein älteres lateinisches (propheten)spicl benutzt wurde.
Der text, welchen die St. Galler handschrift bietet, ist sehr fehlerhaft, wie
schon aus dem abdruck bei Mono zu ersehen ist. Trotzdem hat sich der Verfasser
mit recht, soweit möglich, an die Überlieferung gehalten und nur olfcnbare irrtiimcr
beseitigt, meistens durch nur leichte eingriffe. Bei einigen stellen Hessen sich auch
andere coujecturen vorschlagen:
V. 47 Ich ricJäer künig David:
richtcr ist in der hs. doch wol verschrieben aus rtchrr.
V. 48 Swie in gewaltc breit und ivit
Ich st hie üf ertriche^
in der hs. fehlt ich^ für gewalte steht gewalt^ demuacli lautete der satz ursprünglich
vielleicht eher: Swie min gcwalt breit vnd wit Si Iiie üf crlriche.
V. 54 Mirst und den andren allen
Der lidegunge michel xit,
die hs. hat viir und die andran alle und statt Der lidegunge: hcrlidcgioig; dafür
lies: Mir und den andren allen tv(cr lidegunge michel xit.
V. 95 Und sin marter sende not
1. siner marter.
V. 135 Den menschen gvp die wisheit,
die hs. hat ich für (/<!}j, darum liegt näher zu lesen lieh; über lihen mid geben vgl.
Kraus, Die gedichto des 12. jahrh., anm. zu X, 75, s. 215.
V. 138 Nach der setzet sich mlns herx,en gir,
fiir setxet 1. sent, nach der phrase des späthöüschen stils sendiu gir.
V. 178 für den %,il, hs. der xil, 1. dax zil.
V. 193 Dax ich nimmer si verklage
Und iemer alle mine tage
Wein hinz an min ende
Und winde mine hende,
das handschriftliche Sol wainen und winden kann beibehalten werden.
V. 200 Merkent eben tmd rerstänt
Ob ie tot wart so angestlich,
das grammatisch richtige nnirde der hs. (hozw. würde) ist zu belas.sen; ebenso ist die
Wortstellung der hs. Wir wissen aber nit 702 nicht in Aber wir ivizxen niht zu
verkehren.
V. 2G7 Wie min stiuftohtcr Maria,
Diu vil sehoiniu selbe da,
Erzogen In dem tempel tvart.,
hs. dir ril schon nun selbe da, urs[irünglich wol Diu vil sclurne und edelc dd.
V. 718 Durch gol, irent hin! dar si uns gdch^
hs. no>ul für ivenf, 1. icol hin.
V. 751 Xü volg in gotes nanicn hin,
1. volgrn. adlioitativus.
426 EHRISMANN ÜBER JANTZEN , LITTERATURDENKMÄLER DES 14. U. 15. JHS.
V. 1042 Wrrnst du dax, leben ta>ten?
Die erde ivilt du rceten
Mit des hluot, der si geschuof?
Wc, din tobesühtig ruof
Wirt auch vil scliier ga^iveigct,
hs. 1044 geschiifl'c^ 104r) We din tob sich wicchcn: diese fassung weist eher auf
urspiüngl. Mit des blnoi, der si geschiiefe (conjuiictiv, da dor ganze gedanke als
ein unhaltbarer waliii dargestellt ist, ivilt du v. 1043 -= meinst du [röten zu können])':'
We, din tobe lieh gciciicfc usw.
HEIDELBERG. GUSTAV EHRISJIANN.
Litteraturdenkniäler des 14. und 15. Jahrhunderts, ausgewählt und erläutert
von dr. Hermann Jantzen. Leipzig, G. J. Göschensche Verlagshandlung 190.').
151 s. 0,80 ni. Sammlung Göschen.
Die litteratur des 14. und 15. Jahrhunderts hat iium von jeher, als eine pcriode
des 'Übergangs' oder des 'Verfalls', möglichst kurz abgetan. Und doch ist niemals
in der entwicklung des deutschen volkes die litteratur in gleicher u'eise der ausdruck
des geistigen und socialen lebens gewesen wie eben in jenem Zeitraum. Die Ver-
schiebungen der stände spiegeln sich hier getreu ab in dem verstiegenen und un-
wahren Idealismus der höfischen epigonendichtung wie in dem scharfsichtigen und
pöbelhaften realismus der bürger- und bauernsch wanke. Alle stände sind jetzt littcratur-
fähig, eine fülle neuer typen aus dem volksieben wird geschaffen, und die prosa er-
langt in der deutschen mystik eine ausdrucksfähigkeit, die, auf dem gebiete der er-
bauungs- und belehrungslitteratur, nie mehr übertroffen wurde. Freilich, die hohen,
ritterlichen ideale der Stauferzeit kennt dieses geschlecht nicht mehr, aber, wo so
viel neue kräfte sich regen, kann man nicht ohne weiteres von 'verfall' reden. Um
diese verschiedenen, zum teil sich entgegenlaufenden Strömungen auch nur einiger-
massen zur geltung kommen zu lassen, dazu reicht der beschränkte räum eines
bändchens der Göschenschen Sammlung nicht aus. Doch hat der Verfasser sein mög-
lichstes getan, um auch in dieser Zwangslage eine gute Übersicht zu liefern. Be-
sonders auf die eiuleitung sei hingewiesen, in welcher die socialen bedingungen und
die sich entgegentreibenden richtungen als ausgangs2)unkte für die darstellung ge-
nommen werden.
Nun kommt aber noch ein anderes hinderuis dazu: wer sich mit der litte-
rarischen production dieses zeiti-aunis eingehender beschäftigt, muss durch schmutz
waten. Die stärksten stücke geben gerade den charakter der zeit am besten widej-,
ja sie sind auch in der tat oft meisterhaft entworfen. Aber solche anstössigen dinge
mussten aus dieser Sammlung ausgeschlossen werden, die folge war, dass z. b. die
fastnachtspiele im stile Rosenplüts gar nicht vertreten sind. Man denke aber an die
litteratur des 15. Jahrhunderts ohne Eosenplüt und seine fastnachtspiele !
HEIDELBERG. GUSTAV EHRISMANN.
EHRISMAXN ÜnKR HEHEL, ALLEM. GEIIICÜTK EI). HEILIG 427
Alleniannische godichte von Johann Potor Hebel auf gruudlage d(!r licimats-
mundart des dichters für schule und haus herau.sgegebeu von Otto Heilig.
Heidelberg 1902, Carl Winters Verlagsbuchhandlung. XV, 137 s. geb. l,2ü m.
Das eigenartige dieser neuen ausgäbe von Hebels gediehten — übrigens nur
einer auswahl — besteht darin, dass die einzelnen stücke einerseits in Hebels Schreib-
weise, andrerseits in genauerer phonetischer Umschreibung widergegeben sind. Die
berechtigung einer 'phonetischen ausgäbe' dürfte schon durch das interesse, das die
kritik ihr zugewendet hat, dargetau sein: hier sei vor allem verwiesen auf die be-
sprechungen von Behaghel im Lit. -blatt 1901, sp. 8fg. und in der Zcitschr. d. allgem.
d. Sprachvereins 1902, 215, von Traugott Schmidt im Lit.-blatt 1904, sp. 9 — 12 und
von Hoffmann -Krayer im Schweiz, archiv für Volkskunde 6, 215 — 218. Diese treff-
lichen kenner der alemannischen muudart haben bei aller Zustimmung im grossen und
ganzen doch auf verschiedene mängel in der Umschreibung hingewiesen, Behaghel
ausserdem hat darauf aufmerksam gemacht, dass selbst die genaueste lautschrift doch
nie im stände sein wird, das zu erreichen, was Heilig beabsichtigt, nämlich: den
leser in den stand zu setzen, die gedichte so zu lesen, wie sie nach dem heimats-
dialekt des dichters in Wirklichkeit zu lesen sind (s. VII). Meinungsverschiedenheit
aber herrscht auch jetzt noch über eine grundfrage, nämlich ob Hebel die unver-
fälschte jnundart eines bestimmten ortes (Hausen) geschrieben oder ob er sich durch
andere alemannische nachbarmundarten sowie durch die Schriftsprache in stärkerem
masse habe beeinflussen lassen.
Jedesfalls gebührt Heilig das verdienst, zum ersten mal die phönotik in wissen-
schaftlicher weise auf die deutsche dialektdiuhtung angewendet zu haben. Er stellt
auch noch andere einschlägige arbeiten in aussieht, vor allem eine lautlehre der inund-
art Hebels. Sehr erwünscht wäre auch eine darstellung der melodik und rhythmik
von Hebels gediehten und des ihnen zukomnieudou eigentümlich ruhig -ernsten, fast
andachtsvollen Vortrags.
ItElDELBERÜ. GUSTAV EHKIS.MANN.
Oskar Vogt, Der goldene spiegel und Wielands politische ansichten.
(Forschungen zur neueren litteraturgeschichte hrg. v. Muncker, XXVI.] Berlin,
A. Duncker 1904. X, 101 s. 3 m.
Vogt stellte sich die aufgäbe, Wielands politische ansichten, soweit sie sich
aus seinem „Goldenen spiegel" entnehmen lassen, darzustellen, nicht ohne sie aus
andern Schriften, einschliesslich der aufsätze über die französische revolution, zu er-
gänzen. Dabei verzichtete er aber doch darauf, die entwicklung von des dichters
politischem denken, wie sie mehrere eroignissc und umstände, vor und nach dem
^Goldenen spiegel", und zwar vor allem eben die französische revolution, mit sich
brachten, erschöpfend zu schildern, und damit wol auf den interessantesten teil der
aufgäbe. Aber auch so i.st seine behandlung des Stoffes dankenswert genug.
Wieland ist, wie der vf. mit recht hervorhebt (s. 36), auf unserm gebiete nie
eigentlich originell. So galt es, allenthalben auf die quellen seiner auffassungen,
auf die beziehungen zu andein denkern, hinzuweisen. Vogt musste sich also die ein-
sieht in alle wesentlichen erschein ungen der damaligen politischen litteratur ver-
schaffen, wobei in erster linic Frankreich zu berücksichtigen war. Er hat sich denn
auch mannhaft an diese, nicht unbedeutende aufgäbe gemacht. Dass er sie ganz
428 WAHL ÜBER VOGT, DER «OLDENE SPIEGEL
gelöst hätte, wird man indessen nicht sagen können. So wird Wieland manchmal zu
andern in einen gegensatz gestellt, der nicht vorhanden ist, oder die art des gegen-
satzes wird verkannt; in andern fällen werden seine quellen nicht ausreichend er-
mittelt, schliesslich auch gelegentlich eine abhängigkeit angenommen, wo keine zu
finden ist. Es ist z. b. nicht richtig (s. 39), dass Rousseau angenommen habe, die
Staaten seien historisch durch einen contract entstanden. Die frage nach der histori-
schen entstehung ist ihm vielmehr bezeichnender weise irrelevant: er nimmt nur au,
dass jedem Staate ein contract, gleichgiltig, ob ein ausdrücklicher oder ein
stillschweigender, zu gründe liege. Ein gröberer Irrtum ist der, dass Vogt (s. 61)
annimmt, bei Rousseau linde sich der „herrschaftsvertrag'', bei dem nur das volk der
„wichtigere" factor gewesen sei; R. kennt vielmehr nur den eigentlichen ^gesellschafts-
vertrag", und die herrschaft beruht nach ihm eben nicht auf einem vertrag, sondern
nur auf einem auftrag, einer commission. Wenn ferner bei den gedankcngängeu Wie-
lands (s. 78), wonach der adel als mächtige stütze des autoritätsgedankens beizube-
halten ist, an Montesquieu erinnert wird, so beruht das auf einem freilich alten und
verbreiteten miss Verständnis: der berühmte satz Montesquieus , „kein adel, keine
monarchie", erhält seine eigentliche bedeutung durch die darauf folgenden worte, „son-
dern eine dcsirotie"; der adel ist ihm die notwendige stütze gegen die monarchie.
Bei seiner interessanten darstelluug der ansichteu Wielands über die verfassungsfrage
(s. 42 fgg.) entgeht es Vogt, dass jener lediglich ganz geläufige, vor allem französische
politische gedankon widergibt: dass die lehre von den grundgesetzen sich ausser im
mittelalter u. v. a. bei Bodin, dann bei Ludwig XIV und Bossuet findet; dass der
gedanke. dass besondere factoren (bei Wieland die proviucialstände) da sein müssen,
welche für die aufrechterhaltung der grundgesetze soi'gen, u. a. bei Montesquieu
steht; dass der satz, der fürst solle die macht haben, „alles gute zu tun, was er
will, ohne auch die traurige freiheit, böses zu tun, zubehalten", den er auf den Anti-
raachiavell zurückführt, sich in Wirklichkeit u. a. schon bei Fenelon und Voltaire
(Lettres sur les Anglais 1734) findet, auch bei beiden keineswegs einen hauptsatz
irgend eines despotismus, wenn auch eines aufgeklärten, darstellen soll, sondern einer
beschränkung des monarchen das wort redet. Die idee der proviucialstände bat Wie-
land, wie mir nicht zweifelhaft ist, aus dem Ami des hommes.
Alle diese ausstellungen können an dem oben ausgesprochenen urteil nichts
ändern, dass unsere darstellung sehr dankenswert ist. Auf den Inhalt von Wielands
politischen ansichteu einzugehen, fehlt hier der räum und der leser muss gebeten
werden, zu Vogts schritt zu greifen. Nur wenige allgemeine bemerkuugen seien noch
gestattet. W. hatte zeit seines lebens lebhafte politische Interessen, und so sind denn
auch seine theoretischen ansichton über diese dinge nicht eben unbedeutend. Allein
es haftet ihnen etwas spielendes an: allenthalben fühlt man durch, dass sie rein
litterarische quellen haben und dass keine praxis läuternd auf sie gewirkt hat, vor
allem, dass das gefühl der Verantwortlichkeit fehlt, wie es denjenigen erfüllt, der
mitten im politischen leben steht. Im übrigen ist Wieland ein geradezu klassisches
beispiel für die zahlreichen humanen Stimmungspolitiker der zeit. Leicht wird er
durch allerhand äussere ereignisse beeinÜusst, seine ansichteu (z. b. über republik,
monarchie, aristokratie) zu wechseln. Ferner war er nirgends radical, überall neigte
er zur Vermittlung (z. b. „pressfreiheit, nicht pressfrechheit"), und er ist, im gegen-
satz zu so vielen Zeitgenossen, historischeu erwägungen durchaus zugänglich. Freilich
finden wir auch gelegentlich mangelnde klarheit und ungenügendes durchdenken
schwieriger probleme. So z. b. in seinen bemerkungen über den letzten zweck des
•lANTZEN ÜBF.I? BKHRF.NS , (iHABnE 429
Staates, der ganz im stil der zeit rein individualistisch im glück des einzelnen gesucht
wird. Von den theoretischen und praktischen Schwierigkeiten, welche diese flache
auf Fassung im gefolge hat, hat er ofTonbar keine ahnung.
FREIBtTKG I. B. ADALBEKT WAHL.
Carl IJehreus, En tysk Digter. Christian Dietrich Grabbe. Hans Liv og
Digtniug. Kjobenhavn, Gyldendalske Boghandels Forlag 1903. 4G1 s. 5 kr,
Besässen wir nicht seit 1902 die ausgezeichnete vierbiindige ausgäbe von Orabbes
sämtlichen werken durch Eduard Grisebach, so hätte das deutsche volk und seine
Wissenschaft begründete ursaclie, etwas beschämt auf den ausländischen iiachharn zu
blicken, der da eine längst fällige dankesschuld an den merkwürdigen und unglück-
lichen dichter abträgt. Denn eine so gute und eingehende Grabbebiogra[)hio, wie die
des dänischen gelehrten ist, besitzen wir in deutscher spräche nicht. Ein gewisser trost
ist es freilich, dass der Verfasser sein werk, wie er selbst dankbar anerkennt, auf der
deutschen forschuug, insbesondere auf (Jrisebachs ausgäbe aufbaut, die uns ja über-
haujit zum ersten male den echten und den ganzen Grabbe kennen lehrte.
Einen vergleich mit den älteren deutschen lehensbeschreibungen zu ziehen,
wäre unbillig, da alle bis auf die Grisebachs im vierten bände der werke unzureichend
sind, und Grisebach selbst hat mit der seinigen, die 62 Seiten umfasst, eben nur eine
skizze, gewissermassen einen commeutar zu den werken und briefen geben wollen.
Behrens aber beabsichtigt, sowol ein klares, deutliches biid des als mensch so un-
glücklichen dichters zugeben, als auch seine werke ausführlich zu besprechen. Wenn
er selbst bescheiden das entstandene bild kaleidoskopartig nennt, weil es aus, zahl-
reichen, den briefen entnommenen einzelzügen zusammengesetzt sei, so dürfen wir
es getrost auch als recht lebensvoll bezeichnen , und wenn er mit den eingehenden
aualysen der werke das ziel verfolgt, einen dänischen leserkrejs für den dichter zu
interes-sieren , so würde er in deutscher Übersetzung gewiss auch zahlreiche deuts(;he
freunde gewinnen; denn anregend, spanjiend, ja unterhaltend liest sich das bucli, und
fast wie ein rom an wirkt darin die tragische geschichte des seltsamen mannes, dessen
Charakterbild so lange unsicher hin- und herschwankte, bis erst die jüngste gegeu-
wart sich seiner annahm und immer tiefer in ihn einzudringen, ihn zu verstehen
sich bemühte.
t'ber den Inhalt des buches ist sonst nicht viel zu sagen; es genüge das urteil,
dass das leben Grabbes klar und sachlich, ruhig, ohne hass und missgunst, ohne
Illinde begeistorung und übeischätzung, aber mit lust und liebe zum gegenstände be-
schrieben ist. Äussere und innere, sociale und psychologische Verhältnisse kommen
gleichmässig zu ihrem rechte, schöne und hässliche züge werden mit gerechter histo-
rischer ti-eue verzeichnet. Alle jene traurigen dinge, seine trunksucht, von der man
ihn doch nicht freisprechen kann, seine Pflichtverletzungen im amte, seine unselige
ehe, an deren entsetzlicher trostlosigkeit übrigens fast alle schuld seiner gattin zu-
kommt, das Verhältnis zu Immermann, das so unerquicklich endete, werden ernst,
zurückhaltend, streng sachlich und ohne überflüssiges breittreten geschildert, und fast
jede einzelheit wird hier wie sonst durch briefstollen belegt.
Gleiches lob ist den besprechungen der werke zu zollen. Es sind eingehende
iiihaltsangabcn, aus denen man hinreichend mit dem gang der handlung bekanntwird.
Natürlich ist das verfahren nicht bloss berichtend, sondern auch kritisch. Die Wunder-
lichkeiten und die eigenart des dichters im guten wie im schlechten sinne werden
430 R. M. meyb:r über Landau, holteis romank
gebührend hervorgehoben, die litterarischeu zusaimnenhünge werden erörtert, ästhe-
tische urteile werden hinzugefügt. Häufig kommt in mitunter umfangreichen über-
setzuugsproben, die, soweit ich das beurteilen kann, auch trefflich gelungen erscheinen,
der dichter selbst zu worte. Auch die späteren Schicksale seiner werke, ihre bearbei-
tungen und aufführuugen werden gewissenhaft verzeichnet, dem einfliiss Grabbes auf
die neueste litteratur wird nachgegangen. Die prosaschriften werden ebenfalls be-
rücksichtigt, so z. b. eingehend die ' Shakespeare manie'. — So kann denn das buch
auch den deutschen fachgenossen bestens empfohlen werden.
Zum schluss teile ich noch ein paar druckfeliler und verseben mit, die mir
aufgefallen sind. S. 9 letzte z. 1. nihil st. nul; s. 14 z. 8 1. ham st. kam; s. lOü z. 11
1. Marius st. Marinus; s. 139 z. 16 1. aabeubare st. aabenhare; s. 202 z. 1(3 1. Loves st.
Lowes; s. 248 z. 16 1.274 st. 247; ebenda ist auch gegen die behauptung einspruch
zu erheben, dass Shakespeare, Goethe und Schiller das 'volk' im drama als homogene
masse aufgefasst hätten, während Grabbe ins einzelne gehe und den wichtigen schritt
tue, das 'volk' realistisch darzustellen; das haben jene auch schon getan. S. 253 z. 14
l.Wien st. Wieden; s. 280 z. 3 v. u. 1. Grabb' st. Grab"; s. 281 z. 1 1. und st. and; s. 287
z. 2 1. Jetzt st. Zetzt; s. 331 z. 11 1. 1835 st. 1837; s. 334 z. 4 v. u. 1. And u. greater
st. Und u. graeter. S. 412 meint Behrens, die schlussscene von Grabbes 'Hermanus-
schlacht' habe unverkennbaren eintluss auf Hebbels -Herodes und Mariamne' geübt,
wo Herodes den befehl zur Vernichtung des neugeborenen königs der Juden erteilt.
Das ist doch sehr zweifelhaft; denn einmal lag ja für Hebbel stofflich die scene ausser-
ordentlich nahe, dann aber hat ja Grabbe auch gar nicht den grausamen, freilich
quellenmässigeu zug, dass alle kiuder unter zwei jähren getötet werden sollen.
BRESLAU (KÖOTGSBERU I. PR.). H. JANTZFN.
P. Landau, Karl v. Holteis romane. Ein beitrag zur geschichte der deutschen
unterhaltungslitteratur. (Breslauer beitrage zui' litteraturgeschichte, herausgegeben
von M. Koch und Fr. Sarrazin. 1). Leipzig, M. Hesse 1904. 168 s. 4,50 m,
subscriptionspreis 3,80 in.
Eine tleissige und umsichtig geordnete arbeit; dass sie nicht sehr interessant
ist, liegt am .stoff, denn Holtei schrieb zwar sehr lesbare unteilialtungsromaue, bietet
aber weder als mensch noch als schriftsteiler tiefere probleme. L. hält sich auch von
jeder Überschätzung fern und weiss die grenzen von Holteis begabung gut zu mar-
kieren. Innerhalb dieser schranken wird seine romantechnik und der allgemeinere
inhalt (an theaterlitteratur, kulturgeschichtlichem stoff, persönlichem erlebnis und
schlesischer art) durchgesprochen und der geringe Spielraum der entwieklung gezeigt.
Besonders die abschnitte „(iomposition" und .,erregung von Spannung" gewinnen durch
ihre ausführlichkeit bedeutung für die geschichte des deutscheu roinans überhaupt.
BERLIN. RICHARD M. MEYER.
NEUE ERBCHEINUNOEN 431
NEUE ERSCHEINUNGEN.
(Die redaction ist bemüht, für allo zur bosproclmiijj: gooiijneten werko aus ilem gebiete der i^erman.
Philologie sachkuiuligo roforonton zu gowiiinoii , übiMiiiuimt joiloch koiiio verpllii-htuni,' , unverlangt
eingeseiideto büeher zu receiisieroi\. Eine zurücklief erung dor reeensions -exein plaro au
diu horrou Verleger findet unter keinen umständen statt.)
Atlas, PaliPografisk. Oldnorsk-islamlsk afdeling, udgivet af komraissionen for det
Arnamagiüyauske legat. Kohenh. og Krist., Gyldendal 1905. XVI s. u. 53 taff.
mit beigefügtem text. Fol. iu mappe. .30 kr.
Beer, .4iitoii, Kloine beitrage zur gotischen syiitax. [Sitz. ber. der kgl. bühni. ge.sell.scb.
der wissensch., phil.-hist. d. 1904. XUI.] Prag 1904. IG s.
Bei'tkold von Regensburg:. — Bernhardt, Ernst, Bruder Borthold von Kegeus-
burg. Ein beitrag zur kirchen-, sitten- und literaturgeschichte Deutschlands im
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lüiiuuiisrbe forschungen. I.| Luzern, J. Eisenring 1905. 82 s.
Cedersohiöld , Gustaf, Rytmens troUmakt. Nägra bidrag tili mäuniskaiis liistoria.
[Populärt-vetenskapliga föreläsningei- vid Göteborgs högskola. Ny füljd. 1.] Stock-
holm, .\lb. Bonnier 1905. (II), 190 s. 2,50 kr.
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Nieniann, (»ottfried. Die dialoglitteratur der reformationszeit nach ihrer entstehung
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läüder 1905. (IV), 92 s. 3,60 m.
432 NACHRICHTEN
Raabe, Willi., Alte uester, erläutert von Paul Gerber. [Deutsche dichter des
19. jhs. . . . hrg. von 0. Lyon. 19.] Leipzig, Teubner 190r). 44 s. 0,50 m.
Schiller. — Bellerniann, Ludw., Schillersdramen. Beiträge zu ihrem Verständnis.
1. u. 2. band. 3. aufl. Berlin, Weidmann 1905. VII, 348 u. VII, 332 s. geb. 12 m.
— Keller, Ludw., Schillers Stellung in'der entwicklungsgeschichte des humanismus.
[Vorträge u. aufsätze aus der Conienius-gesellschaft. XIII, 3.J Berlin, "Weid-
mann 1905. 87 s. 1,50 m.
— Könnecke, G., Schiller. Eine biographio in bildern. Marburg, R. G. Elwert 1905.
(IV), 48 s. gr. 4". geb. 2,50 m.
Schlegel, Dorothea. — Deibel, Franz, Dorothea Schlegel als Schriftstellerin im
Zusammenhang mit der romanischen schule. [Palaestra . . hrg. von A. B ran dl,
G. Roethe und E. Schmidt. XL.] Berlin, Mayer u. Müller 1905. VIII, 188 s.
5,60 m.
Stäheliu-, Felix, Der eintritt der Germanen in die geschichte. [Sonderabdruck aus
der Festschrift zum (iO. geburtstage von Theodor Pleiss.] Basel 1905. 30 s.
Stieler. — Dreyer, A., Karl Stieler, der bayerische hochlandsdichter. Stuttgart,
Bonz & Co. 1905. VIII, 147 s. 2 m.
Stifter, Adalb., Studien, erläutert von Rud. Fürst. [Deutsche dichter des 19. jhs.
. . . hrg. von 0. Lyon. 20.] Leipzig, Teiibner 1905. 44 s. 0,150 m.
Storni, Theodor, Pole Poppenspäler, Ein stiller musikant, erläutert von Otto La-
dendorf. |Deutsche dichter des 19. jhs. . . . hsg. von 0. Lyon. 17.] Leipzig,
Teubner 1905. 40 s. 0,50 m.
Töriieros, Adolf. — Östergren, Olof, Stilistiska studier i Törneros' sprak. [Upsala
uiiiversitets ärsskrift 1905. L] üpsala, Akad. bokhandelu 1905. IX, 150 s.
Wächter, Lcoiih. — Pantenius, Walther, Das mittelalter in Leouh. Wächters
(Veit Webers) ronianen. Ein beitrag zur kenutnis der beginnenden Wiederbelebung
des deutschen mittelalters in der lit. des 18. jhs. [Probefahrten . . . hrg. von
A. Köster. lY.] Leipzig, Voigtländer 1904. VIII, 1.32 s. 4,80 m.
Wolfram von Eschenbach. — Franz, Erich, Beiträge zur Titurelforschung. [Göt-
tiuger dissert.J Leipzig, G. Fock 1904. 52 s.
NACHRICHTEN.
Am 30. märz 1905 wurde prof. dr. Fredrik Tamm in Upsala (geb. 1847),
der seine vortreffliche Ety})iologisk svensk ordbok leider unvollendet hinterlasst, von
langjährigen schweren leiden durch den tod eilöst; am 1. mai verschied zu Berlin
prof. dr. Reinhold Röhricht (geb. 18. nov. 1842 zu Bunzlau), einer der besten
kenner der geschichte der kreuzzüge, in dem aiich unsere Zeitschrift einen treuen
mitarbeiter betrauert.
Prof. dr. W. Braune in Heidelberg wurde zum geh. hofrat ei'nannt; der ausser-
ordentl. professor dr. Arnold E. Berger in Halle als Ordinarius an die technische
hochscliule in Darmstadt berufen.
An der Universität München habilitierte sich dr. Rudolf Unger für neuere
deutsche litteraturgeschichte.
Buehdruckerei des Waisenhauses in Halle a. S.
ZÜE FEIESISCHEN YOLKSEPIK.
An ausdrücklichen Zeugnissen für die pflege des epischen gesanges
bei den Friesen herrscht kein überfluss. Der harfner, dem ein mittel-
friesisches weistum aus der zweiten hälfte des 8. Jahrhunderts dieselbe
höhere handbusse wie dem goldschmied und der feinweberin zuerkennt^,
und der blinde ostfriesische sänger Berulef, der um die wende des-
selben Jahrhunderts die „antiquorum actus regunique certaraina" ge-
fällig vorzutragen wusste^, sind die einzigen bestimmten zeugen, welche
die litterarhistoriker dafür, dass sich einst auch die Friesen an epischem
gesauge ergötzt haben, vorzuführen vermögen. Man hat auch geltend
gemacht, dass unter den germanischen sagen mindestens eine, die von
dem Friesenkönige Finn, auf friesischem boden erwachsen sein müsse.
Doch berechtigt schon das auftreten jener beiden zeugen zu dem Schlüsse,
dass noch im 8. und 9. jahrhunuert in Frieslaud von berufsmässigen
Sängern heldengedichte unter harfeubegleitnng vorgetragen worden sind.
1) Qui harpatorem , qtii cum circido harpare potest, in manum ijercusserit,
componat illud qiiarta parte maiore compositione quam alteri eiusdem conditionis
homini; aurifici similiter; foeminae fresum facienti similiter. Dass die Judicia
WIemari, an deren schluss diese Satzung steht, zur Lex Frisionum gehören, hat
V. Richthofen, M. G. LL. 111, 654 nachgewiesen. Als „capitulare" (Grdr. d.germ. phil. II ',
s. 523) darf man Wiemars Judicia nicht bezeichnen, denn jenes ist im Zeitalter der
Karolinger die technische bezeichnung königlicher Satzungen (Brunner, Deutsche
rechtsgesch. I, s. 377). Jene Judicia aber sind weistümer. Übrigens hat Wlemar nicht
im 9. Jahrhundert (Grdr. IP, s. 523, IIP, s. 71), sondern in dem letzten viertel des
8. Jahrhunderts in Mittelfriesland recht gewiesen.
2) Aldfrids leben des heihgen Liudger, des ersten bischofs von Münster (f 809),
berichtet, dass der heilige einst zu Helwerd einen blinden namens Berulef sehend
machte, der a vicinis suis valde ditigebatur co quod esset affabilis et antiquorum
actus regunique certamina bejie noverat psallendo promere (M.G. SS. II, 412, Ge-
sohichtsquelien des bistums Münster, 4, 30fg.) oder, wie sich eine jüngere handschrift
ausdrückt, t'jc««'s suis adniodum cariis erat, quia antiquorum actus regunique
certamina more gentis suae non inurbane cantare noverat (Brüder Giinun, Deutsche
sagen'-' II, XI). Die vita nennt das landgut, wo den heiligen matrona quacdam Meinsuit
gastlich aufnahm, Hekguuerä (Helcguurd, Helewyrd). Sein heutiger name ist Hel-
werd. Es liegt bei Uskwerd im nördlichen Hunsegau, also in Ostfriesland,,
nicht, wie Grdr. d. germ. phil. 11 ■-, »92 angegeben ist, in Westfriesland.
ZEITSCHRIFT F. UKÜTSCUE l'UILÜLUOIK. HD. XX.WII. 28
434 JAEKEL
Für das ganze übrige mittelalter aber, so meint man allgemein, lasse
sich bei den Friesen, wenn man von dem Icysa der sagenhaften Magnus-
küren und von dem winna song, der nach einer alten formelhaften er-
klärung zu den erforderuissen einer richtigen hochzeitsfeier gehörte,
absehe, weltlicher gesang überhaupt nicht nachweisen.
Indes gibt es noch eine sehr bestimmte nachricht über friesische
Volkslieder epischen Inhalts, die eine eingehende besprechung verdient.
Sie stammt aus dem bekannten Fraemonstratenserkloster Mariengaar de,
das im jähre 1163 durch einen pfarrer namens Friedrich bei Hallum
au der nordwestküste des mittelfriesischen Ostergaus gegründet worden
war^ Das leben des Stifters wurde unter abt Sigehard (-j- 1230) durch
den bruder Sibrand beschrieben, einen Friesen von edler herkunft und
trefflicher bildung, dessen mut und beredsamkeit nicht nur von seinem
biographen, sondern auch von dem Fivelgauer Chronisten Emo von
Wittewierum gerühmt werden 2. Nach Sigehards tode wurde Sibrand
zum abt gewählt und leitete das kloster acht jähre lang (1230 — 1238).
In der culturgeschichtlich recht interessanten Vita Fretherici^ erzählt
nun Sibrand im XXXI. capitel"^ von einer frommen dame jener gegend,
Gertrud von Driezum^'', und bemerkt dabei: Hunts sororem duxeraf
iixorem Asego, vir nobilis de Blitha. Istiiis Asegonis patnä fuere
Asego et Kempo de Blitha, vi?'i fortes et famosi. Asegonem inter-
fecerimt Hexelinga -viri insidiis preocciipatum ; Kempo vero cecidit in
illo 7nemorabili prelio, acto apud Btirne. Horum fortitiidinem et
magnanimitatem vidgiis adhuc solet cantibus attoUere. Kempo autem
extitit pater Wijbrandi, qnem supra memoravi.
Mit der hier angezogenen stelle ist cap. XX gemeint*^, das de
conversione Wgbrandi de Blytha handelt und mit den interessanten
Worten beginnt: Wibrandus quidam, attavi mei fiUus, quem de con-
ciibina susceperat usw. Sibrand stammte also selbst aus Blytha, dem
heutigen Blya im Feerwerderadeel, und die lieder, von denen er im
1) Das kloster, vou Dokkum und von Leeuwarden etwa gleich weit entfernt,
lag im Feerwerderadeel des Ostergaus.
2) M.G. SS. XXIII, 505 und 576.
3) Herausgegeben von Aem. W. Wybiands in den Gesta abbatum Orti Sanctae
Mariae, Leeuwarden 1879, s. 1 — 75.
4) Wybrands s. 34.
5) Driezum im Dantumadeel des Ostergaus.
6) Vgl. den neffen der beiden beiden namens Ascga in der oben angeführten
stelle und die nachkommen des Kempa, die in der Vita Jarici cap. XXIX (Wybrands
s. lS9fg., M.G. SS. XXIII, 588) und in der Vita Ethelgeri cap. XLVI (Wybrands
s. 213, M.G.SS. XXIII, 596) aufgeführt werden.
ZUR FRIESISCHEN VOLKSEPIK 435
31. capitel erzählt, wurden auf seine eigenen ahnen, nämlich auf seinen
urgrossvater Kempa und dessen bruder Asega, gesungen.
Die namen der beiden besungenen männer, die zu den alten
staramnamen dieses geschlechts gehörten^, sind bedeutsam, denn kcinpa
(pugil) war bei den Friesen die uralte technische bezeiehnung des berufs-
mässigen gerichtlichen zweikämpfers, d. i. des ritterlichen kämpen,
welcher um einen vereinbarten lohn für andere das ordal des Zwei-
kampfs auszufechtenj pflegte, und äsega der uralte amtstitel jenes von
der gerichtsgemeiude erlesenen mannes, der eine vollständige kenntnis
des gemeinfriesischen rechtes und des Sonderrechtes seines sprengeis
besitzen musste und auf grund dieser kenntnis im gericht das recht zu
weisen und das urteil zu finden hatte-. Dass aber jene familie nicht
nur in den weltlichen, sondern auch in den kirchlichen Verhältnissen
des mittelfriesischen Ostergaus keine geringe rolle spielte, ersieht man
aus dem lebensgange des abtes Sibrand^ und daraus, dass ein urenkel
jenes Kempa von Blya, "Wibrandus Kempinga, nach dem tode des decans
Hessel vom bischof von Utrecht das decanat des Ostergaus erhielt*.
Auch bei den gegnern jener beiden männer, den Hexelinga -vh'i,
haben wir nach der art, wie Sibrand von ihnen spricht, an ein an-
gesehenes geschlecht des nördlichen Ostergaus zu denken. An bestimmten
nachrichten über diese Hexelingama fehlt es leider. Das x des namens,
der im 13. Jahrhundert im Fivelgau in der form Hesselma erscheint,
weist auf assibiliertes k zurück, doch lässt sich nicht mehr mit Sicher-
heit entscheiden, ob der name jenes Hexel, Ilessel'^, von welchem sich
1) Vgl s. 434, anni. G.
2) "Was den eigennamen Asega angeht, so nennt eine Urkunde von 1439
(Schwartzeuberg, Groot Placaat- en Charterboek van Friesland, I, 518) einen Äsega,
eine andere von 1301 (Driessen, Monumenta Groniugana, s. 68) einen Asego. Man
vergleiche ferner den „ J.;te5ro van Herzense hoefftling" (Bijdragen tot de geschiedenis
van Groningen X, s. 112), die Aesgama oder Assema in Warfum (Bijdragen a. a. o.,
Richthofen, Untersuchungen II, s. 826 und 982).
3) Vgl. die Vita Sibrandi (M.G. SS. XXIII, 576 fgg., Wybrands s. 149 fgg.).
4) Wegen Wibrandus Kampenga vgl. M.G. SS. XXIII, 593. 596. 597 fg.,
"Wybrands s. 205. 213. 219. 220, wegen des decans Hessel M.G. a. a. o. 578fg.,
Wybrands s. 159 fg.
5) Offenbar gehörte der Ostergauer decan Hessel, der ebenfalls aus der gegeud
von Leeuwarden stammte, wie er denn von den Gesta episcop. Traiectensium (M.G.
XXIII, 426) als „Hesselus de TAjuart, decanus j)er tolum Ostergo" bezeichnet wird,
auch zu den Hexelingama. Über das grosse ansehen dieses decans vgl. mau die eben
angefülirte stelle der Gesta epp. Traiect. und die in vorstehender anm. citierten steilen
der Vita Sibrandi.
28*
436 JAEKEL
die Hezelingama herleiteten, Siiii *Hekila {aus *Haküa) oder Siui*Hekila
(aus *Haikila) zurückgeht, wenn auch das letztere das wahrschein-
lichste ist^
Was den streit entfacht hat, ■ in welchem schliesslich Asega und
Kempa von Blya den Hezelingama unterlagen, wird nicht überliefert.
Aber der anlass zur feindschaft wird hier nicht anderer art als bei den
sonstigen friesischen fehden des mittelalters gewesen sein. Eine ent-
führung oder ein im zorn verübter totschlag oder die nebenbuhlerschaft
um ein einträgliches, angesehenes amt und ähnliche Vorkommnisse hatten
in einem lande, wo die blutrache uneingeschränkt geübt wurde, regel-
mässig langwierige blutige kämpfe zur folge, die sich oft zu förmlichen
kleinen kriegen auswuchsen.
Die zeit jenes Ostergauer Streites vermögen wir annähernd zu be-
stimmen. Da nämlich der von Sibrand erwähnte jüngere Asega von
Blya zu der zeit Friedrichs, des Stifters und ersten abtes von Marien-
gaarde (1163 — 1175) lebte, müssen wir den Untergang der beiden brüder
seines vaters spätestens um die mitte des 12. Jahrhunderts setzen. Hierzu
stimmt, dass abt Sibrand (f 1238) ein urenkel des bei Burne gefallenen
Kempa war. Sibrand, der bereits im jähre 1224 in schwieriger missiou
— als procurator der Praemonstratenser äbte von Mariengaarde und von
Dokkum — im Fivelgau eine kraftvolle und geschickte tätigkeit ent-
faltet hattet also damals ein mann in reiferen jähren gewesen sein
muss, war im 12. Jahrhundert geboren. Seines urgrossvaters leben kann
sich also nur vor dem jähre 1150 abgespielt haben.
Von den einzelheiten des Streites, der zum untergange der brüder
Kempa und Asega führte, erfahren wir weiter nichts als dass Asega im
verlauf der fehde in einen hinterhalt der Hezelingama geriet und Kempa
schliesslich im offenen kämpfe fiel. Von diesem letzten kämpfe, dem
„memorabile proelium actum apud Burne", das bei Bornwird im Don-
geradeel ausgefochten wurde', ist sonst nichts bekannt. Wir werden
nicht fehlgreifen, wenn wir diesen kämpf um das jähr 1140 ansetzen.
Die lieder, welche das volk des mittelfriesischen Ostergaus noch
um das jähr 1230 von der tapferkeit und dem hochsinn (fortitudo et
magnanimitas) der beiden brüder Asega und Kempa von Blya sang,
die um 1140 durch die Hezelingama ihren Untergang gefunden hatten,
1) An sich könnte natürlich das z in Hexelingavia auch aus gg entstanden sein,
doch ist dies nicht gerade wahrscheinlich.
2) Vgl. M.G. SS. XXIII, 505 und 576, Wybrands s. 151 fg.
3) Vgl. TVybrands s. 34, anui. 3, der mit recht an Bornwird im Westdongera-
deel denkt.
ZUR FKIESISCHUN VOLKSEFIK 437
waren, wie kaum gesagt zu werden brauclit, episch- historischer natiir.
Man wird sie als preislieder geschichtliclien Inhalts, die von den tagenden
und dem tragischen ende eines heldenhaften brüderpaares meldeten,
charakterisieren können und sie mit den in Oberdeutschhiud gesungenen
historischen liedern, von denen z. b. Ekkehard IV". in den Casus S. Gaüi
berichtet, auf eine stufe stellen dürfen.
Die lieder von dem brüderpaar Asega und Kempa und den Heze-
lingen waren schwerlich die einzigen lieder geschichtlichen Inhalts, die
im 12. und 13. Jahrhundert in Friesland gesungen wurden, zumal die
unaufhörlichen fehden der friesischen geschlechter und die schworen
kämpfe, welche der friesische stamm während des mittelalters mit den
Normannen und mit den benachbarten landesherren zu bestehen hatte,
geeignete Stoffe für episch -historische lieder in fülle darboten. Jedes-
falls kann die alte behauptung „Frisia non cantat" für das mittelalter
keine allgemeine geltung beanspruchen.
Der mittelfriesische küstenstrich, wo jene lieder von Asega und
Kempa zu Sibrands zeiten umliefen, bot von jeher günstige bedingungen
für das gedeihen episch- historischen gesanges. Gerade im Feerwerdera-
und Dongeradeel, wo das reiche geschleoht der mittelfriesischen grafen
ausgedehnten besitz hatte, drängte sich eine auffallend grosse zahl von
familien, die durch edle herkunt't und grossen reichtum hervorragten,
auf kleinem räume zusammen ^ Dass aber auch im mittelalter sanges-
kunst und sänger bei reichen, angesehenen familien am ehesten heimisch
wurden, ist bekannt. Der reichtum dieser Ostergauer geschlechter kann
sich nicht von ausgedehntem grundbesitze herschreiben; dazu sassen sie
zu dicht beieinander. Auch dass sich durch den handel in den bänden
dieser edlen geschlechter grosse vermögen angesammelt haben sollten,
lässt sich wol nicht annehmen. Eher wird man an erbeutetes gut zu
denken haben. Die Friesen machten es gewiss nicht viel anders als
ihre bedränger, die Normannen. Wie diese benutzten sie ihre schiffe
nicht nur zum überseeischen handel, sondern gelegentlich auch zu raub-
zügen. Dazu kam, dass ihnen ihre kämpfe mit den Normannen oft
reiche beute einbrachten. So- hatte im juni 873 ein Normannenheer
unter dem gefürchteten seekönige Rudolf, das von einem in das west-
fränkische reich unternommenen raubzuge heimkehrte, die nordküste
1) Von dem dorfe Hallum im Feerwerderadeel , aus dem der Stifter des klosters
Mariengaarde stammte, beuieikt Sibrand: „villa, quae Hallem dicitur, viris honoratis
et nobilibiis tuiic tempoiis (d. i. um 1140) inclita valde et famosa. Viget tanieu iu
ea moderno temiioie (d. i. um 1230) dignitas prisiina virorutn, opum autcm habun-
dantia et fidei non sie." (Vita Fretlierici cap. I, Wybrands s. 3).
438 BOER
des mittelfriesischeii Ostergaus überfallen. Das unternehmen misslang.
Rudolf wurde mit dem grössten teile seiner leute erschlagen, und die
schätze der Normannen fielen den bewohnern jenes friesischen Striches
zur beutet
In diesem kämpfe war ein Normanne, der christ geworden war
und schon seit längerer zeit in jener friesischen gegend lebte, führer
der Friesen. Es war dies ein vornehmer, angesehener mann, der zu
der alten mittelfriesischen grafenfamilie in beziehung getreten war-'. Die
Normannenzeit ist eben auch für den mittelfriesischen Ostergau als eine
periode zu betrachten, in welcher die alte bevölkerung des landes nor-
mannische demente in sich aufnahm. Die tatsache, dass sich im 9. Jahr-
hundert vornehme Normannen unter den Friesen niedergelassen haben,
wird man jedesfalls, wenn man der Verbreitung und Vermischung ge-
wisser sagenmotive nachgeht, nicht ausser acht lassen dürfen. Denn
seit diesen niederlassungen gab es in Friesland statten, wo nord- und
südgermanische mythen und sagen unmittelbar miteinander in nach-
haltige berührung treten konnten. Zu diesen statten gehörte auch der
mittelfriesische küstenstreif, der sich nördlich von Leeuwarden und
Dokkum hinzog!
1) Jaekel, Die grafen von Mittel friesland s. 39fg.
2) Jaekel a. a. o. s. 68.
BRESLAU. HUGO JAEKEL.
UNTEKSÜCHUNGEN ÜBEE DEN ÜESPEUNG UND DIE
ENTWICKLUNG DEE NIBELÜNGENSAGE.
(Fortsetzung )
III. Die lieder der liicke im Codex regius.
§ 22. Die S i g u r ö a r k V i Ö a e n y n g r i.
Die frage, auf wie viele lieder die in die lücke des Codex regius
fallenden capitel der Vglsungasaga sich verteilen, was der Inhalt eines
jeden liedes war, und wie sie sich einander gegenüber verhalten, ist
für die bestimmung der jedem einzelnen liede zu grimde liegenden
sagenform von dem grössten gewichte. Diese frage ist in den letzten
Jahren von Heusler (Germanistische abhandlungen für H. Paul s. Ifgg.),
darauf von mir (Zeitschr. 35, 464 — 483) besprochen worden. Gegen
mehrere der von mir ausgesprochenen ansichten hat sich Neckel (Zeit-
schr. 37, 19—29) gewandt. ^Yir müssen hier die unsicheren punkte
UNTERSUCHUNGEN ÜBER DEN URSPRUNG UND DIE ENTWICKLUNG DER NIDELUNGENSAGE 439
einer neuen prüfimg unterziehen. Die in den genannten Schriften vor-
liegenden ansichten sind die folgenden:
Heusler nimmt an, dass c. 28, 1 — 16 (streit der königinnen);
29, 144 — 151 (aufstachelung des Gunnarr) und Brot teile eines ge-
dichtes sind und unmittelbar aneinander schliessen. Das gedieht nennt
er SigurÖarkviÖa en forna. Er glaubt, dass der schluss, der nicht in
die lücke fällt, verloren ist. Das übrige von c. 28, 16 an bis zu dem
schluss der lücke verbindet er miteinander und nennt das gedieht
SigurÖarkviÖa en meiri.
Der Verfasser der vorliegenden abhandlung scheidet a. a.o. aus dem
zuletzt genannten gedichte c. 29, 5 — 48 aus und verbindet dieses stück,
sofern von der unmittelbaren quelle der saga die rede ist mit c. 28,
1 — 16, nimmt aber an, dass ein teil davon in diesem gedichte eine
Interpolation bildete. Er unterscheidet die beiden gedichte als A und B;
A = c. 28, 1 — 16 und alles was damit verbunden wird\ B = der rest
von c. 28 und was damit zusammengehört (d. i. die auch von ihm als
solche bezeichnete Sig. meiri. In c. 26. 27 findet er teile von A und B,
in c. 23. 24 erkennt er B. Er zweifelt, ob die genannten teile von A
mit c. 29, 144 bis 151 (= A3) und Brot zusammengehören, zweifelt aber
nicht an der Zusammengehörigkeit von A 3 mit Brot. Er glaubt ilicht,
dass am schluss von Brot etwas verloren ist.
Neckel polemisiert gegen wichtige teile der hier mitgeteilten auf-
fassung, erkennt aber einiges als richtig an und zwar:
1. dass das von mir aus c. 29 ausgeschiedene stück unmöglich ein
altes stück von B sein kann. Er hält es aber für eine Interpolation
in B, nicht für einen echten oder unechten teil von A. ^
2. dass in c. 26. 27 zwei darstellungen nacheinander aufgenommen
sind, gibt Neckel zu, er glaubt aber, dass meine teilung unrichtig ist.
Dass die eine quelle A war, glaubt auch er, und gleichfalls, dass Heuslers
grund, die andere quelle (nach Heusler: die einzige quelle) von B zu
trennen, durch den nach weis, dass c. 28,5fgg. nicht zu B gehören,
hinfällig geworden ist, aber dennoch trennt er c. 26. 27 und damit c. 24
von B; str. 22. 23 hält er für in diesem Zusammenhang echt und schreibt
sie A zu.
1) Diese bezeichnung wende ich der einfachheit halber auch im folgenden an;
also Al = c.28, 1—16; A2 = c.29,5 — 48; A3 = c. 29, 144— 151, wahrend frühere
stücke von A durch zahlen und Brot durch den gebräuchlichen namen bezeichnet werden.
Darin liegt also voiläufig kein urteil über die Zugehörigkeit der stücke ausgesprochen,
für B gilt auch die bezeichnung Sig. meiri.
440 BOER
Ferner hält er es für ausgemacht, dass 28, 1 — 15 und 29, 144—151
unmittelbar aneinander schliessen, und dass der schkiss von B ver-
loren ist.
Ich gehe im folgenden davon aus, dass eine neue discussion über
den teil meiner anschauungen, deren richtigkeit Neckel anerkennt,
überflüssig ist, und bespreche zunächst die punkte, welche contro-
vers sind, ferner die, über die etwas neues zu sagen ist. Es wird
sich lohnen, die frage etwas tiefer aufzufassen. Gehört c. 29, 5 — 48
(A2) zu A oder zu B und bilden A3 und Brot die fortsetzung von
AI oder A1 + A2? Es scheint mir, dass Neckel bei der beurteilung
von A2 eine starke inconsequenz begeht. Er gibt zu, dass das stück
mit B sich in Widerspruch befindet, aber er glaubt, es vertrage sich
auch nicht mit A. Daraus zieht er den schluss, dass das stück in der
quelle der saga nicht in A gestanden haben kann sondern eine inter-
polation in B bildete. Wie kann Neckel das wissen? Auch ich habe
daraus, dass ein teil von A2 zu AI weniger gut zu stimmen scheint,
geschlossen, dass ein teil von A2 interpoliert sei. Wenn dieses urteil
für das ganze stück gelten sollte, eine frage auf die ich später ein-
gehe, so würde daraus nur geschlossen werden können, dass das
stück ursprünglich, d. h. von anfang an weder zu A noch zu B
gehörte. Aber in welches lied es als interpolation aufgenommen war,
als die saga geschrieben wurde, lässt sich schlechterdings daraus nicht
ableiten. Das muss aus secundären kriterien, die Neckel nicht anwendet,
geschlossen werden. Dafür aber, dass das stück in B unmöglich ist,
liefert Neckel durch seine verdienstliche analyse dieses feiles der Sig.
meiri einen neuen beweis.
Wir müssen absolut zwei fragen auseinander halten. Die eine
lautet: was gehörte zu A, was zu B in dem exemplar der Eddasammlung,
das der Verfasser der VQlsungasaga benutzte? Die andere: waren die
lieder, die in jener handschrift aufeinander folgten, einheitlich, oder ent-
hielten sie Interpolationen, oder waren sie aus mehreren liedern zu-
sammengeflickt? Der ersten frage kommt unbedingt die priorität zu,
und bei der trennung von A und B kommt nur sie in betracht.
Was mich bestimmte A2 von B zu trennen und A zuzuweisen,
waren die folgenden ervvägungen:
1. dass hier an einer stelle, wo ein absoluter Widerspruch mit B
vorhanden ist, eine Situation geschildert wird, die der am schluss von
AI beschriebenen durchaus ähnlich ist (c. 28, 15: pd fglnar hon sein hon
daub vcBi'i. Brynhüdr för heim ok mcdti ekki orÖ um kveldit. C. 29, 5 :
en hon svarar engn ok liggr sem hon sc dauh). Die, sei es absichtliche
UNTERSUCHUNGEN ÜBER DEN URSPRUNG UND DIE ENTWICKLUNG DER NIBELUNGENSAGE 441
sei es durch den stoff bedingte widerholung einer Situation ist ein so
häufig angewandtes mittel, zu einer früher verhissenen quelle zurück-
zukehren, dass ich mir die mühe sparen kann, hier beispiele anzuführen.
2. dass hier ein satz folgt, der nur aus A stammen kann: Hvat
ger^ir Jm af hring peim, er ek selda per usw.
Über das erste argument schweigt Neckel. Gegen das zweite führt
er an, der sagaschreiber könne und müsse die frage im anschluss an
28, 1 — 15 ersonnen haben. Denn aus der frage gehe hervor: „Bryn-
hild sei, indem sie die frage stellt, des unerschütterten glaubens, Gunnarr
und kein anderer habe seinerzeit den ring von ihr empfangen, und
dieser müsse auf unrechtmässige weise, jedesfalls durch die schuld
Gunuars, in SigurÖs bände gekommen sein", nach c. 28, 1 — 16 aber sei
ein solcher glaube eine Unmöglichkeit, und auch im folgenden werfe sie
Gunnarr seine feigheit vor, woraus hervorgehe, dass sie den richtigen
Zusammenhang der ereignisse erkannt hat. Die zweite hälfte dieser be-
hauptung bestreite ich nicht; im gegenteil, anders lässt sich die Über-
lieferung.gar nicht verstehen, aber wo steht, dass Brynhild glaubt, dass
Gunnarr den ring von ihr empfangen habe? Weshalb kann Brynhild
ihren mann nicht nach einem ring fragen, den er, wenn alles richtig
zugegangen wäre, besitzen müsste, und sich an seiner hilflosigkeit,, w^enn
es sich herausstellt, dass er sogar von der existenz des ringes keine
ahnung hat, weiden? Es nimmt denn auch gar nicht wunder, dass er
auf ihre ironische frage keine antwort gibt, denn was sollte er antworten?
Da er also die antwort schuldig bleibt, beginnt sie ihre scheltrede. Wie
viel räum die frage eingenommen hat, lässt sich nicht genau sagen, aber
da Brynhild hinzufügt, sie habe den ring von BuÖli bekommen i, darf man
gewiss annehmen, dass sie eine strophe gefüllt hat. Daran schliesst sich
das folgende ohne eine erzählende bemerkung. In der prosa wäre aller-
dings eine bemerkung wie: kann Jmg^i sem honum vceri i vatn drepit
nicht überflüssig gewesen; im gedichte war sie überflüssig; der saga-
verfasser hat das mienenspiel nicht verstanden. Der anschluss ist so
richtig, dass ich sogar den grund|, der mich a. a. o. s. 478 dazu bestimmte,
hier eine interpolation in A anzunehmen, nicht mehr aufrecht halte. Ein
grund zu der raeinung, dass das stück nicht in A gestanden haben kann,
ist aber gar nicht vorhanden.
Aber auch angenommen, die frage nach dem ring sei vom saga-
schreiber ersonnen, so würde auch das dafür reden, dass er hier zu A
zurückkehrt. Ist es doch, wie schon bemerkt, ein sehr gewöhnliches
1) Weshalb es unmöglich sein soll, dass BuÖIi seiner tochter beim abschied
einen ring schenkte (s. Neckel s. 21), verstehe ich nicht.
442 BOER
und verständliches verfahren, "wenn ein Verfasser zu einer früher von
ihm verlassenen quelle zurückkehrt, dass er die anknüpfung durch eine
widerholung oder eine auf das zuletzt aus jener quelle mitgeteilte hin-
weisende bemerkung zu stände bringt. Eine solche bemerkung fehlt
auch hier nicht. Man könnte die eingangszeilen von c. 29 so auffassen.
Da diese aber mit c. 29, 48fgg. correspondieren, wo der Verfasser zu
B zurückkehrt, fasst man besser c. 29, 48fgg. als eine widerholung von
c. 29, Ifgg. und dementsprechend c. 29, Ifgg. als einen teil von B auf,
und der Übergang zu A ist an dieser stelle durch den stoff bedingt,
aber eine widerholung aus A geht hier unmittelbar vorher; es ist der
Schlusssatz von c. 28 : ok par af stob mikill üfagna'Ör, er pccr genyu
d dna okhon ketidi hringinn, ok ßar af varh peira vibroeha. Dieser
satz bildet ein bindeglied zwischen Bl und A2. Der sagaschreiber,
der sich anschickt, die weiteren folgen der ersten Unterredung zwischen
Brynhild und Gudrun (AI) mitzuteilen, will sagen, dass auch die zweite
Unterredung, die A2 von AI trennt, eine folge jenes gesprächs war.
Die eben besprochene frage hängt mit der anderen, was weiter zu
A gehört, enge zusammen. Ich bin von dem früher ausgesprochenen
zweifei über A3 + Brot zurückgekommen und glaube jetzt mit Heusler
und Neckel, dass diese stücke^ eine fortsetzung zu AI (aber + A2)
bilden. Und das von Neckel wider A2 angeführte material ist gerade
dazu geeignet, die Zusammengehörigkeit dieses Stückes mit Brot zu be-
weisen. Er zeigt, dass nicht nur z. 5 — 22 sondern auch z. 23 — 24
mit der Sig. skamma berührungen aufweisen (zu z. 23 — 24 vergleicht er
Sig. sk. 40, 1). Gerade in diesem punkte besteht eine ganz bedeutende
Übereinstimmung mit Brot, die ich schon a. a. o. s. 479 als wichtigstes
argument für die einheit dieser stücke hervorgehoben habe, und die
mich jetzt bestimmen, meine früheren zweifei an dieser einheit fahren
zu lassen 2- 3. Ich beurteile jedoch das Verhältnis von A zur Sig. skamma
jetzt anders als damals.
Wir müssen damit beginnen, zu constatieren, dass diese berührungen
mit der Sig. sk. tatsächlich das beweisen, was sie beweisen sollen. "Wenn
man mit Neckel glaubt, dass A2 eine Interpolation in B ist, so muss
man annehmen, dass die zwei in der liedersammlung aufeinander folgen-
den gedichte, die der sagaschreiber durcheinander benutzt, unabhängig
voneinander den einfluss der Sig. sk., der wenigstens, wie sich zeigen
1) Von Brot jedoch, wie sich später zeigen wird, nur ein teil.
2) An dieser Übereinstimmung geht Neckel stillschweigend vorüber.
3) Über neue zweifei s. unten s. 448 fgg.
UNTERSUCHUNGEN ÜBER DEN URSFRUNO UND DIE ENTWICKLUNG DER NIHELUNGENSAOE 443
wird, für eines von beiden ein tiefgehender war, erfahren habend Das
wäre schon ein ganz merkwürdiger zufall, den man nicht annehmen
kann, sohmge eine natürlichere erkliirung der tatsachen nahe liegt, die
aber um so weniger möglich ist, als das stück, das Neckel B zuweist,
in nahem Verhältnis zu früheren teilen von A steht-, die sogar in ihrer
inneren structur der Sig. sk. ganz nahe stehen und die annähme einer
oberflächlichen späteren beeinflussung vorbieten. Es lohnt sich, diesen
Zusammenhang weiter zu verfolgen.
Als hierher gehörig wurden von mir a. a. o. bezeichnet: c. 26, 36 bis
etwa 58; c. 27, 1—4. 41—64. 76 — 79; ferner die oben aus c. 28. 29
angeführten stücke. Eine genauere auch in einigen punkten berichtigte
abgreuzung dieser stücke folgt später. Vergleichen wir nun die Sig. sk.,
so zeigt es sich, dass die darstellung in A bis zu einem gewissen punkte
fast vollständig die der Sig. sk. ist. Die abweichuugen sind bis auf
geringe züge ausschliesslich die durch die jüngere sagenform Br II, 2
bedingten.
1. Auf Grimhilds rat und mit Gjükis Zustimmung bietet Gunnarr
dem beiden seine Schwester zur ehe c. 26, 36fgg., vgl. Sig. sk. 2.
2. SigurÖr verweilt darauf noch längere zeit bei Gjüki (und ver-
richtet heldentaten fügt A hinzu) c. 26, 56fgg., vgl. Sig. sk. 2.
3. Man wirbt bei BuÖli (in der Sig. sk. bei Atli) um Brynhild.
Im fall der Weigerung droht man mit krieg c. 27, 1 — 2. 29, 7 fg., vgl.
Sig.sk. 35. 37. Brynhild wählt auf BuÖlis (in der Sig. sk. : Atlis) drohung
(c. 29, 12fgg., Sig. sk. 36) den, der ihre bedingungen erfüllen wird, in
der Sig. sk. wählt sie Sigurör c. 27, 41fgg. 29, 9fgg.'^, vgl. Sig.sk. 38. 39.
1) Dass das verhältuis nicht das umgekehrte ist, hoffe ich unten ausführlich
zu zeigen.
2) Wenn Neckel s. 24 sagt, A2 habe sagenhistorisch fast keinen wert, und
man könne sogar in Versuchung geraten, das ganze stück für eine Sammlung von
reminiscenzen an frühere stellen der saga zu halten, wenn es 'nicht verhältnismässig
zu reich an echt aussehenden einzelheiten' wäre, so hilft uns das nicht weiter. Denn
die 'echt aussehenden einzelheiten' beweisen denn doch, dass das stück noch eine
andere quelle hatte als den köpf des sagaschreibers , und damit ergibt sich für den
forscher die aufgäbe, jener quelle ihre Stellung in der Überlieferung zuzuweisen.
3) Wenn Neckel mir einen Vorwurf daraus macht, dass ich, wo in der saga
dasselbe auf dieselbe weise, zum teil auch in gleichen worten erzählt wird, daraus
schliesse, dass beide stellen aus derselben quelle stammen, und behauptet, die wider-
holung beweise gerade, dass nicht beide stellen in demselben gedichte gestanden haben
können, so hat er mich gründlich missverstanden und wirft zwei verschiedene fragen
durcheinander. Denn auch wo der sagaschreiber sich widerholt, hat die widerholung
eine quelle, und wenn das eine frühere stelle der saga ist, so ist die quelle dieser
stelle mittelbar auch die der anderen. Es ist also nach diesem princip dui'cbaus
444 BOER
Dieser unterschied beruht darauf, dass inBrll der gestaltentausoh und
was damit zusammenhängt eingeführt ist ^-2.
4. Der flammenritt, ein für BrII,2 charakteristischer jüngerer zug,
der in der Sig. sk. fehlt. Der vafrlogi wird als eine maschinerie der
Brynhild vorgestellt (c. 29, 18). Das schwert zwischen ihnen c. 26, 61,
Sig. sk. str. 4.
5. Das hochzeitsfest wird hauptsächlich nach B dargestellt; vgl.
§ 24. Nur BuÖli stammt aus A, vgl, oben 3.
6. Der streit der königinnen c. 28, 1 — 16. In der Sig. sk. nichts
entsprechendes. Es ist ein dement der jüngeren sagenform Brll, 2.
7. Unterredung mit Gunnarr c. 29, 5 — 48. Darin:
a) z. 5 — 7 die frage nach dem ring, vgl. oben s. 441 fg.; folgt aus 6.
b) z. 7 — 22, nahezu = Sig. sk. 35 — 39. Wenn Neckel fragt: 'wem
hat Brynhild sich denn gelobt? dem Graniritter (z. 17), dem manne, der
ihre bedingungen erfüllte {rihi mhin vafrloga ok drcppi . . . tnenn . . .)
oder endlich dem der dgo'xtr var altnn (z. 24)?', so ist zu bemerken,
dass dieser dreizahl der bestimmungen in der Sig. sk. eine doppelzahl
entspricht: der Graniritter = Sig.sk. 39,3 — 4, dem der ägcextr var alinn
entspricht: burar Sig?mmdar 38, 6; an die stelle des namens tritt die
mehr allgemeine bezeichnung, da in der sagenform Br II der name
nicht genannt werden darf, denn Brynhild gelobt sich ja nicht dem SigurÖr
wie in der Sig. sk. Bleibt also: derjenige, der ihre bedingungen er-
füllte; das ist der zusatz von Br. II, 2 wo gerade die bedingung das
charakteristische ist und den betrug veranlasst {ok drcfpi . . . menn ist
ein jüngerer zusatz, und zwar des sagaschreibers, wie sich unten § 24
ergeben wird). Wenn zwischen der mitteilung dieser bestimmungen Bryn-
hild daran erinnert, dass nur SigurÖr das feuer durchritten habe, während
Gunnarr bleich geworden sei wie eine leiche, so ist das eine der neuen
Sagenauffassung angepasste und natürlich an den satz über den vafrlogi
geknüpfte Umbildung von Sig. sk. 39, 5 — 8. Also enthält die stelle
richtig, beide stellen auf dieselbe quelle, also in unserem fall nicht eine auf A, die
andere auf B zurückzuführen. Im vorliegenden fall nun kann auch von einer wider-
holung nicht die rede sein, da die stelle (A2) neue momente bringt, die 27, 41fgg.
fehlen (vgl. die vorige anmerkung); die kriegsbedrohuug kennen wir nur aus A2. —
Dass der sagaschreiber sich keine widerholungeu und missverständuisse habe zu schulden
kommen lassen, will ich der letzte sein zu behaupten, aber es geht auch nicht an,
alles, was man nicht versteht, dem sagaverfasser in die schuhe zu. schieben. Mir
scheint es, dass Neckel widerholt in diesen fehler verfallen ist.
1) Über die Stellung von str. 36 — 38 in dem gedichte, vgl. unten § 23.
2) Dieses stück (z. 41fgg.) enthält auch einige sätze aus der Sig. meiri, s. § 24.
UNTERSrCHUNGEN VBER DEN TTRSPRÜNG UND DIE ENTWICKLUNG DER NIBELUNGENSAGE 445
nichts anderes als den Inhalt von Sig. sk. 35 — 39 mit den Zusätzen,
die die neue auffassung der sage bedingt.
c) Es folgt eine Verwünschung der Grimhild, die in der Sig. sk.
fehlt. Ganz natürlich. Die Sig. sk. weiss auch nichts davon, dass es
Grimhild war, die den rat gegeben hat, dem Sigurör die GuÖrün an-
zubieten. Neckel sieht die stelle für eine widerholung von c. 28, 60
an, aber er übersieht, dass die beiden Verwünschungen den beiden an-
bietungen c. 26, 20 — 35. 36fgg. entsprechen, die erste gehört der Sig.
meiri (B), die zweite gehört A an. Dass Gunnarr der Brynhild darauf
ihre grausamkeit vorwirft, erklärt sich daraus, dass sie sich zum kämpfe
bereit erklärt hat, und der Vorwurf der Unzufriedenheit ist ganz der
Situation angemessen. Ihre antwort ekki hqfum ver icuoipific/ haft sieht
allerdings im Zusammenhang der prosadarstellung wunderlich aus, aber
dass sie echt ist, zeigt str. 40 der Sig. sk. (Unna einum ne ymissimi;
bjöat lim hverfan hiig menskqgid), zu welcher quelle der dichter hier
nach einer kurzen abschweifung zurückkehrt. Die Übereinstimmung im
Wortlaut — nicht im sinn — mit c. 28, 40 ist auf den einfluss der
Sig. meiri, von dem unten noch die rede sein wird, zurückzuführen.
d) Brynhild will Gunnarr töten. HQgni bindet sie, Gunnarr be-
freit sie; sie erklärt, dass ihm das nichts nütze, denn niemals werde
sie wider froh. Das ist ganz im sinne des vorhergehenden; Biynhilds
zorn wendet sich gegen Gunnarr, wie sie auch im vorhergehenden den
Sigurör auf seine kosten erhebt, vgl. auch Brot 17 — 19. Reine erfindung
des dichters ist jedoch auch dieses nicht; es sieht wenigstens aus wie eine
Umbildung des motivs der Sig. sk., dass Brynhild sich töten will, was
Gunnarr zu verhindern versucht, während HQgni ihn davon zurückhält.
Gunuars und Hognis verhalten der Brynhild gegenüber ist dasselbe
geblieben, nur ihre Sinnesart hat sich geändert: anstatt sich selbst, wie
es Br II, 1 gemäss ist, will sie in Übereinstimmung mit Br II, 2 ihren
mann, den sie als einen feigling und einen betrüger erkannt hat, töten.
Dann gehen aber auch die Sig. sk. und A auseinander. In der Sig. sk.
folgen die Vorbereitungen zu Bryuhilds tod, die A nicht brauchen kann;
in A folgt eine neue scene: ,die wehklagen der Brynhild dringen durch
das ganze haus bis zu GuÖrüns obren, und daran knüpft sich widerum
ein stück von B. Noch ein paar mal aber zeigt sich auch in den
folgenden zeilen der einfluss der Sig. sk. — Die bemerkung z. 39fg.:
kra^ hon ser Juit mestan härm, (tt hon ütti eigi Signrh, ist wie z. 25
nü eriun ver eibrofa, er ver eigani hann eigi zu beurteilen, sie beweist
nicht, dass Brynhild den SigurÖ liebt, sondern nur, dass sie zu der ein-
sieht gelangt ist, dass er der gemahl ist, der ihr von rechts wegen zukam.
446 BOER
8. Zweite Unterredung mit Gunnarr (A3 c. 29, 144 — 151), die auf-
stachelung. ßrjnhild ist zur ruhe gekommen; sie hat sich beraten.
Nicht Gunnarr, SigurÖr soll sterben; Gunnarr aber soll zu schänden
gemacht werden. Sie sagt ihrem manne, SigurÖr habe in der nacht,
als er neben ihr ruhte, seine treue gebrochen (über die quelle dieser
stelle des gedichtes s. s. 460).
9. Brot. Jetzt muss Gunnarr seine ehre retten, er tötet Sigurbr
und bricht seinen eid; dann wird er von Brynhild verhöhnt. Hier:
a) Str. 1 — 4. Unterredung von Gunnarr mit HQgni. Dieser rät vom
morde ab. Das ist in Übereinstimmung mit A2 , wo HQgni gleichfalls Bryn-
hild feindlich gegenübersteht, auf der andern seite mit Sig. sk. 15. 17, wo
HQgni wie hier vom morde abrät. Aufstachelung des Guttormr (Sk.sk. 22).
b) str. 5. SigurÖs tod. Hier alte züge der Hagensage (§ 5).
c) str. 6. 7. Begegnung der mörder mit GuÖrün. HQgni tritt in
seiner alten rolle auf (vgl. auch Heusler a. a. o. s. 78 fussnote).
d) str. 8. 9. Brynhild freut sich über Sigurbs tod, dessen Übermut
gebrochen ist. Hier widerura nahe berührung im ausdruck mit Sig. sk. 18,
wo Hogni einen ähnlichen gedanken ausspricht.
e) str. 10. 11. Brynhild freut sich und lobt von neuem die tat der
brüder. Auch hier nahe berührung mit Sig. sk. 30. Gubrün flucht
Gunnarr und HQgni und weissagt räche.
f) str. 12. 13. Gunnars Stimmung; alte züge, die nicht zu der
Brynhildsage gehören (§ 5).
g) str. 14. 15. Brynhild nennt Sigurbs tod einen härm, den sie
laut klagen muss, sonst bräche ihr das herz, wie Gering trefflich über-
setzt. Das Verhältnis zu str. 10 lässt sich wol verstehen. Der freuden-
schrei str. 10 ist ein ausbruch des verhaltenen gefühls, ein ausdruck
der plötzlich eingetretenen entspannung. Aber in der nacht kommen
andere gedanken auf. Diese nacht lässt sich jener anderen nacht, die
zwischen den zwei früheren gesprächen mit Gunnarr liegt, vergleichen.
Auch da war das resultat ihrer erwägungen mit dem ersten ausbruch
des gefühls nicht congruent. Brynhild wollte erst in leidenschaft den
Gunnarr töten; nachher entschloss sie sich, den Sigurbr fallen zu lassen.
So freut sie sich hier über die gelungene räche; in der nacht aber
kommt sie zu der einsieht, dass etwas schreckliches geschehen ist, dass
sie den besten der beiden dem tode übergeben hat, und dass nur ein
Schwächling, jetzt zugleich ein eidbrüchiger, ihr übrig bleibt. Auch
das muss sie jetzt aussprechen, dann ist sie mit Gunnarr fertig.
Sind hier nun Strophen, die Brynhilds tod erzählten, verloren?
Die frage lässt sich noch nicht entscheiden, aber es lassen sich doch
TJNTERSUCHTNGEN ÜBER DEN TTRSPRTJNG TIND DIE ENTWICKLUNG DER NIBELÜNGENSAOB 447
schon einige gesichtspunkte für ihre beurteilung aufstellen. Neckel hat
für seine ansieht, dass der schluss von Brot fehlt, kein einziges arguraent
angeführt. Er postuliert nur, dass es so sein müsse. 'Das thema, oder
vielmehr der stoff war in seinen grundzügen ja gegeben '. Den nach-
weis, dass das nicht der fall ist, dass vielmehr die entwicklung der
ti-adition in den quellen sich schritt für schritt verfolgen lässt, sucht
die vorliegende abhandlung zu führen. In der sagenform, die hier
vorliegt, ist, wie § 18 ausgeführt wurde, für Brynhilds tod kein platz,
weil sie den SigurÖr nicht liebt, und nur als ein aus einer älteren
sagenform herübergeschlepptes motiv Hesse sich hier Br3'nhilds tod
verstehen, wenn er überliefert wäre. 'Ihr entschluss, der Wahrheit
die ehre zu geben, ist der entschluss einer sterbenden'. Das ist eine
petitio principii. Wenn ihr tod hier folgte, so könnte man die sache
so auffassen. Er folgt aber nicht, und die mitteilung der Wahrheit,
die sie keinen einzigen grund zu verhehlen, aber allen grund mit-
zuteilen hat, erklärt sich vollständig aus der Situation. 'Es ist ganz
undenkbar, dass eines dieser gedichte eine lösung der aufgäbe darstelle,
die „"weise" zu besingen, „wie Brvnhild Gunnarr dazu brachte, Sigurd
zu töten".' Mir scheint es 'ganz undenkbar^, dass ein philologe im
20. Jahrhundert im voraus wissen kann, welche aufgäbe ein alter .dichter
sich gestellt hat. Ja, w-enn das nur eine 'logische distinction' wäre, wie
Neckel behauptet. Aber es ist eben die katastrophe der alten sage,
und des gedichtes — SigurÖs tod. Wenn damit 'das nachlassen der
Spannung bei ihm (dem dichter) und den hörern ein aufhören' nicht
'gestattet', so wüsste ich nicht, wo das gestattet sein sollte.
Unter solchen umständen scheint es mir, dass wir uns an die
Überlieferung zu halten haben. Und da fällt es schwer ins gewicht,
dass Brot tatsächlich Brynhilds tod nicht erzählt. Wenn also anderswo
keine directen andeutungen vorhanden sind, dass Brynhilds tod im ge-
dieht mitgeteilt war, so müssen wir Brot glauben. Indessen bemerke
ich schon hier, dass es solche andeutungen gibt, auf die weder Neckel
noch ich früher aufmerksam geworden sind, aber zugleich, dass die dar-
stellung eine kurze war, die auf die sache kein grosses gewicht legte.
Ehe wir darauf tiefer eingehen, müssen wir aber die andere frage be-
sprechen, ob das, was oben als A zugehörig bezeichnet wurde, ein ein-
heitliches gedieht ist.
Fragt man nach der auffassung von Brynhilds Charakter und ihren
motiven, so scheint es mir, dass von dieser seite gegen die einheitlich-
keit von A nichts einzuwenden ist. Die sagenform ist überall dieselbe.
Es ist eine form von Brll, 2, die sich schon stark in der richtung
448 BOER
nach II, 3, wie diese in den deutschen quellen vorliegt, entwickelt hat.
Die frühere erlösung der Brynhild ist ganz vergessen oder beiseite ge-
lassen. Das beruht auf dem einfluss der Sig. sk., die für den anfang
des gedichtes das directe vorbild war, die allerdings die erlösung
kannte, aber sie aus rücksichten der composition fortliess. Hier zählt
die geschichte nicht mehr mit. Nur in der willkürlichkeit, mit der
Brjnhild mit dem flammenwall umgeht, erkennt man die anpassung.
Brynhild hat ihre erwerbung von der erfüUung einer bedingung abhängig
gemacht; allerdings hat sie geglaubt, SigurÖr würde den vafrlogi durch-
reiten, aber sie hat sich darein ergeben, dass Gunnarr die tat vollbracht
hat; sie hat ihn geliebt, bis sie erfahren hat, dass man sie betrogen
hat; auch jetzt liebt sie den SigurÖr nicht, aber sie gönnt ihn auch nicht
der GuÖrün. Wider SigurÖr richtet sich ihr zorn, aber darin mischt
sich bewunderung; den Gunnarr verachtet sie von diesem augenblick an;
sie rächt sich an ihm dadurch, dass sie ihn als ein instrument ihrer
räche an SigurÖr benutzt. Diese anschauung ist durchaus einheitlich;
nirgends kommt eine andere auffassung zum worte.
Einwendungen sind von selten der form gemacht worden. Frei-
lich ist es eine missliche sache, die form eines gedichtes nach einer
paraphrase zu beurteilen. Es will mir auch scheinen, dass Heusler in
der beurteilung des Stiles der verlorenen Strophen weiter geht, als die
prosa gestattet. Aber eine Schwierigkeit ist doch vorhanden. Der stil
von Brot wird mit recht gelobt; viele Strophen sehen altertümhch aus;
der dichter weiss sehr wol seine eigenen werte zu finden. Ist es an-
zunehmen, dass ein dichter von dieser begabung sich für einen teil
seines gedichtes so abhängig von einem fremden gedichte gemacht
habe, wie der anfang von A von der Sig. sk. ist? Sagenhistorisch
kommt hinzu, dass die vielen altertümlichen züge in Brot sich in
einem verhältnismäßig jungen gedichte wie A schwierig erklären
lassen.
Die möglichkeit, dass ein guter dichter, der sich wol auszudrücken
vermag, bis zu einem gewissen punkte einer ihm vorliegenden darstel-
lung auch im ausdruck folgt, und dass seine eigene begabung erst zu
ihrem recht kommt, wenn er in einer späteren partie seine eigenen
wege geht, ist nicht von vornherein zu verneinen. Auch etwaige unter-
schiede im Stil verschiedener teile lassen sich auf diese weise wol er-
klären, und für den stilistischen unterschied zwischen verschiedenen
gedichten, wie die Sig. sk. und Brot, bietet das alter nicht das einzige
erklärungsprincip; es kann auch in der Individualität der dichter liegen.
Wir werden auch später sehen, dass der stil des dichters von A kein
UNTERSUCHUNGEN ÜBER DEN URSPRUNG ITND DIE ENTWICKLUNG DER NIBELUNOENSAGE 449
schlechter war. Positive beweise dafür, dass Brot älter als die Sig. sk.
ist, werden sich aus dem stil kaum erbringen lassen. Doch luuss auch
die möglichkeit erwogen werden, dass A zwei quellen nacheinander be-
nutzt hat. Die eigentümlichkeiten einiger Brotstrophen würden sich
dann daraus erklären lassen, dass der dichter von A aus einer älteren
quelle einige Strophen aufgenommen hätte.
Solange wii- ausschliesslich mit Brot und den vorhergehenden
teilen von A rechnen, scheint auch diese ansieht die einzig mögliche
zu sein. Daraus würden sich mehrere Widersprüche in Brot, die ich
vorläufig nur kurz andeute, erklären lassen. Die doppelte einführung
von Brynhild str. 8 und 10 würde dadurch verständlich werden, dass
Str. 10 aus jener alten quelle stammte, während str. 8. 9 dem dichter
von A gehörten. Ebenso der Widerspruch, dass Hqgni str. 2 von der
tat abrät und dass str. 4 Guttormr dazu aufgereizt wird, während str. 7
HQgni sich der tat rühmt.
Indessen, wir sind mit den liedern der lücke nicht fertig, solange
wir nicht auch c. 30. 31 der YQlsungasaga verstanden haben. Freilich
beruhen diese capitel zum grossen teil auf der Sig. sk.,' und daneben
sind auch Brotstrophen paraphrasiert worden, aber es gibt auch stellen,
die weder aus der Sig. sk. noch aus Brot stammen, und für die es nicht
angeht, den sagaschreiber ohne weiteres verantwortlich zu machen, am
wenigsten da, wo durch die widerhol ungen Unklarheiten in die darstel-
lung hineingetragen werden. Fasst man diese stellen zusammen, so
ergibt sich eine darstellung von Sigfrids tod, die von Brot in wichtigen
punkten abweicht.
C. 30 hebt mit einem gespräch zwischen Gunnarr und Brynhild
an. Der anfang bis z. 25 paraphrasiert sehr genau Sig. sk. 6, 1 — 4.
str. 10 — 20. In diesem abschnitt findet sich nur eine kurze bemerkung,
die aus einem anderen Zusammenhang stammt: z. 15 kvah kann hafa
vell sik i trygh. Das entspricht der darstellung der saga, die am schluss
von c. 29 Brynhilds Verleumdung nach A erzählt hat, und dem ent-
sprechen auch die Brotstrophen^ zu denen der sagaschreiber später zurück-
kehrt. Die bemerkung war hier natürlich unentbehrlich, aber daneben
findet sich der aus der Sig. sk. stammende verschlag, at vela Sigurb
tu fjür. Das stück schliesst mit dem entschluss, den Guttormr auf-
zustacheln.
Z. 25 beginnt ein neues stück, das auf denselben entschluss hinaus-
läuft. HQgni macht von neuem einwendungen z. 25 — 27. Das ist Brut 1
ähnüch; nur dass hier H^gni sich mit einer frage begnügt; doch ist die
ZK1T.SCHR1FT F. DEUTSCHE PHILOLOGIE. bU. XXX VII. 29
450 BOER
möglichkeit zu erwcägen, dass der inlialt von z. 25—27 in Brot vor der
ersten erhaltenen Strophe stand. Oder die warnung entspricht Brot 3
(vgl. unten). Gunnarr sagt, einer von beiden, SigurÖr oder er, müsse
sterben. Aus welcher quelle das stammt, das zeigt c. 29, 150, wo
Brynhild gedroht hat: petta skal vera hani Sigurhar e^a pinn eÖa minn.
Nun heisst es auf einmal (z. 28fg.): hcmn bihr Brynli.ildi upp standa oh
vera kdta; hon siöh upp ok segir p6^ at Gunnarr mun eigi koma fyrr
i sama rekkjii henni, en petta er fram kornit. Und dann: Nu roehax
peir vi^ hrce^r. Diese kurze Unterredung mit Brynhild mitten im ge-
spräch mit HQgni ist überaus auffällig, aber wenn man erwägt, dass
der sagaschreiber die quelle wechselt, so wird sie begreiflich. HQgnis
einwendung und Gunnars antwort z. 25 — 28 hat der sagaschreiber aus
compositionsrücksichteu zum gespräch der Sig. sk. gezogen. Dann be-
richtet er nach A, dass Gunnarr Brynhild bittet, sich zu beruhigen,
dass sie aber die bestimmte bedingung stellt, dass er ihrem wünsche
nachkomme und SigurÖr töte, en Jjetta er fram komit geht direct auf
c. 29, 150. Also z. 1 — 25 Sig. sk., z. 25 — 31 A in der reihenfolge
27 — 31. 25 — 27. Dann heisst es z. 32 fg.: Gunna?T segir ^ at Jjeiia er
gild bonasgk, at hafa tekit megdöm Brynhüdar. Das ist Brot 2. Aber
da der sagaschreiber die mitteilung über den mcydömr schon z. 15
vorausgenommen hat, macht er es hier mit einer kurzen hindeutung
ab, und auch Brot 3, dem schon z. 27 fgg. entsprechen, übergeht er;
dann rät Gunnarr, den Guttormr aufzustacheln, und es folgt str. 26,
eine Variante von Brot 4.
In Brot folgt nun SigurÖs ermordung im freien durch Hogni,
nicht durch Guttormr und dann eine begegnung der mörder mit GuÖrün
und Brynhild. Die saga erzählt Sigurös betttod durch Guttormr. Wenn
die darstell ung sich ganz aus der Sig. sk. erklären Hesse, so raüsste
man annehmen, dass die inconsequenz von Brot, das str. 5 fgg. Hogni
als den mörder darstellt, während doch str. 4 die ermordung durch
Guttormr vorbereitet, sich auch in A vorgefunden habe. Aber die saga
teilt einzelheiten mit, die in der Sig. sk. nicht stehen, und die der Ver-
fasser nicht ersonnen haben kann. Dreimal betritt Guttormr SigurÖs
schlafgemach, zweimal wird er durch den scharfen blick seines opfers
abgeschreckt; das dritte mal findet er ihn schlafend und durchbohrt ihn:
svä at blöhreßllinii stob l dynuin undir honum. Das stammt aus einer
anderen quelle als der Sig. sk. ; es kann nur dieselbe quelle sein, die
auch den zweiten entschluss zur aufstachelung des Guttormr enthielt.
Yon dieser quelle wissen wir nun: 1. dass sie der darstellung der Sig. sk.
folgt, aber sie weiter ausführt, was A auch in fi-üheren partien tut;
TJNTERSTJCHUNGEN ÜBER DEN UTtSPRUNG UXD DIE ENTWICKLUNG DER NIliELUNGENSAGK 451
2. dass ihre darstellimg die von Brot 1 — 4 war. Noch ein weiterei
anklang an die Sig. sk. findet sich hier z. 49, wo ein zog von Brynhild
auf Sigurör übertragen ist: Sigurtw vissi sik ok eigi veln vertan frd
Jmin, vgl. Sig. sk. 5, 5 — 6; sogar die fatalistische benierkung (jengu
pess ü milli grimmar iirjyir (Sig. sk. 5, 7 — 8) fehlt nicht: z. 48 mdtti
härm ok eigi ?'/ö skqpum vinna ne sinu aldrlagi.
Der verwundete SigurÖr hält eine rede (z. 58 — 78), deren liaupt-
teil (bis 72 schluss) genau Sig. sk. 25, 5 — 28 entspricht (nur z. 68fg.:
ok 7iii er pat fram komii er fgrir Iqngu var spdt^ ok ver Ugfum didix vih,
en engi md vib skqjnwi vin7ia, ist wol eine bezugnahme des sagaschrei-
bers auf Grrjpisspä, vgl. jedoch z. 48 fg.), aber dann fährt er fort (z. 74 fg.):
ok ef ek hefha vitat J)etta fyrir, ok stiga ek d mina ftctr wzeÖ min
vdpn, P)d skyldu margir tgiia sinu liß, dhr en ek fella, ok allir Jieir
broebr drepnir, ok torveldra mundi J)eim at drepa mik en enn mesta
visimd eöa villigglt. Bugge verweist zu dieser stelle auf I^S s. 301,
22 — 24: oe ef petta vissa ek. J)a er ek stob uppa mina fcetr. ahr
Jm ynuir petta verk at fa mer banasar. Jja vceri 7)iinn skiolldr hrotinn
oc hialmr spiltr oc niitt sverh skorhott. oc mceiri von aör J)etta vceri
gort, at allir per fiorir vceri daubir. Eanisch hingegen vergleicht
z. 27 (1. 26) — 30: Nu mcelti Haiigni Allan Jjcjina morgin hoföm ver
teilt ceinn villigault oc ver fiorir fengini kann varla sott, en nu a
litilli rib hcefi ek vceitt ceinsanian ceinn biorn eba ceinn visund. oc
verra vceri oss fiorom at siekia Sigiirb svcein, ef härm vceri vib buinn.
en at drepa hiorn eba visimd. — Beide gleichungen haben ihre rich-
tigkeit; es fragt sich nur, wie das Verhältnis dieser stellen zu der VqI-
sungasaga zu beurteilen ist. Dass der sagaverfasser oder ein abschreiber
die beiden stellen der I>S auf diese weise verbunden haben sollte, ist
nicht anzunehmen: c. 22 lehrt, von welcher art die spuren sind, die
die beeinflussung der saga durch eine schriftliche quelle iiinterlässt. Es
ist also die quelle der saga, die in SigurÖs prahlerische rede aus HQgnis
rede die vergleichung mit einem visundr und einem villiggltr auf-
genommen hat. Der grund ist klar. In dem deutschen gedieht tötet
Hagen den beiden und hält darauf die leichenrede; in dem nordischen
gedichte ist der mörder Guttormr schon tot, und niemand als SigurÖr
selbst ist da, um die werte auszusprechen. Die stelle zeigt widerum,
dass, obgleich der dichter im ganzen der Sig. sk. auf dem fuss folgt,
doch seine neuerungen nicht auf seiner eigenen erfindung, sondern auf
einer zweiten quelle beruhen. Und als solche lernen wir hier ein deut-
sches gedieht kennen, dasselbe, auf dem c. 344 der PS beruht. Wir
Averden dieser quelle auch im folgenden begegnen.
liü*
452 BOEE
Von z. 78 an liegt widerum die Sig. sk, zu gründe; z. 78—84 =
Sig. sk. 29 — 32, z. 86 — 88 = Sig. sk. 33. "Dazwischen findet sich eine
im Zusammenhang unmögliche bemerkung in Gunnars anrede an Bryn-
hild. Verbinden wir diese mit dem folgenden nicht aus der Sig. sk.
stammenden stück 88 — 95, so bekommen wir einen richtigen Zusammen-
hang; die Zeilen verteilen sich über zwei auftritte, deren reihenfolge
der sagaschreiber widerum aus compositionsrücksichten umgedreht hat.
Was in der quelle vorangieng, war z. 90 — 95: Gubrün mcElti: Frcendr
tninir hafa clrepit minn mann; nü munu per riba i her fyrst, ok er
per komih til bardaga, ]>d munu per finna, at Sigurhr er eigi d ahra
hqnd y^r, ok munu per Jm sjd, at Sigur^r var ybur gcefa ok styrkr,
ok ef Jumn cetti ser slika sonn, Jm mcciti J)er styrkjax vib hans afkvcemi
ok sina frcendr.
Was liier vor allem auffällig erscheint, ist der Wechsel in der an-
wenduDg der zweiten und der dritten persou. Am anfang heisst es:
frcendr mmir, am schluss: sina frcendr, aber dazwischen: munu per.
er per komib usw. ; siebenmal begegnet per resp. yhr. Der sagaschreiber
hat die worte der GuÖrun in ein gespräch zwischen Hogni und Gunnarr,
woran er auch Brynhild teilnehmen lässt, aufgenommen, daher die zweite
person; durch ein versehen hat er an zwei stellen die dritte person
stehen gelassen. Das richtige ist: 1. gespräch zwischen Gunnarr und
Brynhild (Sig. sk. bis z. 84); 2. monolog der Guörün bei SigurÖs leiche
(nach A); 3. gespräch zwischen Gunnarr und HQgni (nach A; hier-
bei z. 84 — 85). In der saga wird daraus eine Unterredung von vier
personen.'
Wenn GuÖrün die oben citierten worte im schlafgemach über ihren
toten mann spricht, so werden sie verständlich. Sie entsprechen Sig. sk.
27, 1- 4, wo SigurÖr etwas ähnliches sagt: Ribra Jieim sihan pöt sjau
alir systursonr slikr'^ at pingi. Da der dichter von A den Sigurör,
wie wir gesehen haben, in einem ganz andern tone über die brüder
reden lässt, benutzte er Sig. sk. 27, 1 — 4 als ein motiv, worüber er eine
leichenrede der GuÖrün zusammenstellte. Ganz in seiner gewohnten
manier.
Darauf wechselte das gedieht das local; es folgte ein gespräch
zwischen Gunnarr und HQgni. Gunnarr sagt (z. 84fg.): nü verbum ver
at sitja yfir mdgi vdrum ok bröhiirhana. Hggni antwortet: Nu er
fram komit pat, er Brynhildr späht, ok Jjetta et illa verk fäm ver
aldri boeit. Die tendenz der replik ist vollkommen klar und in Über-
einstimmung mit Hognis verhalten in dem gedieht. Nur das ist unver-
1) D. h. ein schwestersohn der mich ersetzt, s. uuteii s. 453 anin.
U.NTERSUCHUNGEN ÜBER DKN URSPRUNG UND DIE ENTWICKLUNG DER NIBKLUNGENSAGE 453
ständlich, dass Hogni von einer Weissagung- der Brynliild redet. Tch
möchte annehmen, dass hier ein missverständnis vorliegt. Denn lier,
der vorausgesagt hat, dass es schlimm ablaufen werde, ist nicht
Brynhild, sondern Hogni. Brynhild aber hat gSAvünscht, dass es so
gehen werde. Wahrscheinlich stand etwas ähnliches in kurzer form in
der quelle der saga, und der sagaschroiber hat den ausdruck nicht richtig
verstanden. Auf jeden fall wäre es unmethodisch, nur wegen des aus-
drucks Brynhildr sjxihi an eine dritte quelle zu denken.
Der anfang von c. 31 beruht auf den schlussstrophen von Brot.
Str. 14 wird übergangen, aber da z. 2 er hon harmcibi meb gräti {= Brot
15, 5 — 6) sich auf sie bezieht, stand sie in der quelle. Der saga-
schreiber hat sie wol übergangen, weil er sie mit c. 30, 80 — 88 nicht
gut in einklang zu bringen vermochte, c. 31, 1 — 11 = Brot 15 — 19.
Dann kehrt der Verfasser zu der Sig. sk. zurück, wo er sie verlassen
hatte; z. 11 — 60 = Sig. sk. 34 — 71. Nur z. 12: meh febr 7ninnm statt
ä fleti hröhur (str. 34, 8) im anschluss an die darstellung der Werbung,
die zum teil nach A erzählt ist. Str. 36 — 41 werden sehr kurz wider-
gegeben, da der inhalt c. 29, 5fgg. durchaus ähnlich ist. Auch der auf-
tritt mit den mägden, str. 47 — 52, ist sehr kurz dargestellt; die pointe
wird — weil nicht verstanden? — fortgelassen. Im übrigen drückt der
sagaschreiber sich zwar kurz aus, aber er lässt nichts wesentliches fort.
Dann aber folgen widerum berichte, die weder in der Sig. sk. noch
irgendwo anders im Codex regius stehen, und für die auch der saga-
schreiber nicht verantwortlich sein kann. Ein Scheiterhaufen wird auf-
geschichtet, darauf werden SigurÖs leiche und die seines sohnes, den
Brynhild hatte töten lassen, sowie Gruttorms leichnam gelegt. Ok er
hälit var alt loganda, gekk Brynhüclr par ä üt ok mcelti vib skemmu-
meyjar sinar, at Jxbt toßki gull pat, er hon vildi gefa peim, ok eptir
petta deyr Brynhildr ok braun par meh Sigiirhi ok lauk svä peira cevi.
Hier ist verschiedenes auffällig: 1. Brynhild hat Sigurös kleinen
söhn töten lassen. Davon wissen die übrigen quellen nichts. Nur die
Sig. sk. hat eine andeutung. SigurÖr fürchtet str. 26, dass sein junger
söhn im hause des feindes nicht sicher sein wird^. Der dichter von A
1) Allerdings gibt Bryuhild iu der Sig. sk. str. 12 den rat, den knabeu zu töten,
aber darau.s wird später nichts, und da der rat auch Brynhilds Stimmung in keiner
weise entspricht, kann man mit recht fragen, ob die Strophe au dieser stelle wol
ursprünglich ist. — Str. 27 riSra peim sidan — at pingi (vgl. oben s. 4.52) bedeutet
nicht, dass der knabe getötet worden ist, denn noch str. 26 redet Sigurör von ihm
als von einem lebenden; was für ein vergleich wäre das auch: ein solcher schwester-
sohn wie dieser — dreijährige! — knabe wird deine bi-üder nicht begleiten! slikr
454 BOER
arbeitet in seiner gewobnf<!'n weise das motiv aus; SigurÖs solm ist er-
mordet worden, .nnd Brynliiid hat ihn töten lassen.
2. In der Sig. sk. hat Brynhikl Gunnarr gebeten, sie neben SigurÖr
auf den Scheiterhaufen zu legen, und das schwert zwischen sie. Das
setzt voraus, dass sie stirbt, bevor sie den Scheiterhaufen besteigt, und
aus dem schluss des gedichtes geht das auch klar hervor. Wenn aber
Brynhild erst, wenn der Scheiterhaufen in lichter lohe steht, denselben
besteigt, so macht sie die erfüllung ihres klar ausgesprochenen Wunsches,
dass zwischen sie und den geliebten ein schwert gelegt werde, geradezu
unmöglich. Das muss doch auch der sagaverfasser eingesehen haben.
Wenn er das nichtsdestoweniger mitteilt, so muss das in einer seiner
quellen gestanden haben. Das kann widernm nur A sein, die es auch
hier besser als die Sig. sk. machen wollte. Das gedieht enthielt nicht
die bitte an Gunnarr und ebensowenig Brynhilds tod durch das schwert;
es erzählte, dass Brynhild, als SigurÖs Scheiterhaufen angezündet worden
war, denselben bestieg, um sich lebendig mit SigurÖr verbrennen zu
lassen. Die lange prophetische rede, die die Sig. sk. der sterbenden
Brynhild in den mund legt, hat der dichter dementsprechend auch fort-
gelassen, und damit ist in Übereinstimmung, dass die paraphrase dieser
rede nichts enthält, was aus einer andern quelle als der Sig. sk. stammt.
Aber er ersetzt das motiv, dass die sterbende framsyn ist, durch einen
träum; der träum ist kurz, aber er charakterisiert die träumerin vor-
trefflich: er weissagt dem Gunnarr böses. Alle einzelheiten fehlen.
Es ist Brot 16, c. 31, 3fgg. Auf diesen träum und die zurücknähme
der beschuldigung wider Sigurör folgten also die z. 61 — 68 entsprechen-
den Strophen.
3. Daraus, dass hier eine zweite darstellung von Brynhilds tod
benutzt worden ist, erklärt es sich auch, dass hier noch einmal von
dem golde die rede ist, das Brynhild den mägden geben will, was
schon z. 29 nach der Sig. sk. mitgeteilt wurde. Den tod der mägde
wird das gedieht nicht enthalten haben, denn er hängt in der Sig. sk.
unmittelbar mit Brynhilds tod durch das schwert zusammen. Dem ent-
spricht, dass z. 61—68 keine von den dienerinnen und dienern, von
denen z. 56fgg. die rede ist, auf den Scheiterhaufen gelegt werden. An
ihre stelle treten Guttormr und Sigurös söhn. Nur das austeilen des
goldes hat der dichter beibehalten. Wir finden bestätigt, einerseits gegen
unsere erwartung, dass in A Brynhild mit Sigurör stirbt, andererseits
geht auf Sigurör: 'wenn du auch sieben söhne gebierst, so wh-d keiner von diesen
jemals ein solcher sein, wie ich war'. — Ich vermute, dass str. 12 durch einen irrtum
der Überlieferung aus A in die Sig. sk. übergegangen ist.
rXTEKSUCnUNGEN fl3ER DEN URSPRUNG UND DIE ENTWICKLUNG DER MItEEUNGENSAGE 155
in iibereiustimnmng mit unserer erwartung, dass der dichter darauf
kein hauptgewiclit legt. Dieser dichter, der sonst überall die angaben
der Sig. sk. ausführt, hat nur hier in sehr bedeutendem grade gekürzt.
Die nackte tatsache entnimmt er der Sig. sk.; die todesart ändert er;
über die niotive äussert er sich nicht. Mit hilfe der schlussstrophen
von Brot können wir constatiereu , dass er 3 P/o Strophen Sig. sk. 40,
5 — 71 auf etwa zwei oder drei roduciert hat. Brot 14. 15 redet
Brynhild noch wie eine, die nicht zu sterben gedenkt; sie sagt, sie
müsse den Jammer klagen, da sie sonst sterben würde; dann folgt str. 16
der träum. Dieser ist mit str. 53 — 64 der Sig. sk. parallel, aber wenn
Brynhild z. 4 geträumt hat, ihr bett wäre kalt, und damit auf ihre
wittwenschaft anspielt, so sieht das widerum aus, als gedenke sie noch
nach (iunnarr zu leben. Auch die langen versuche, sie zurückzuhalten,
die in der Sig. sk. vorangehen, fehlen. Brot 17 — 19 beziehen sich nicht
auf Brynhilds tod. Von Sig. sk. 46 — 52 finden wir nur c. 31, 66 die be-
merkung über das gold. Brynhild stirbt nur, weil es in der quelle des
gedichts so stand. Dass dieser mangel an interesse des dichters für
einen abschluss der erzählung, der in der vorliegenden gestalt der sage
nicht notwendig und daher unschön war, mit der benutzuug einer zweiten
quelle zusammenhängt, wird sich unten noch zeigen.
C. 32 beruht auf dem zweiten GuÖrünlied. Aber am anfang findet
sich eine stelle, die mit dem schluss der darstellung von SigurÖs tod
in der PiÖrekssaga nahe übereinstimmt. Nach dem resiütat, zu dem
wir bei c. 30, 74 — 78 gelangt sind, glaube ich, dass auch diese ähn-
lichkeit nur auf eine weise beurteilt werden kann, nämlich als auf
einer vorschriftlichen berührung beruhend. Die stelle stammt aus der
poetischen quelle der saga, und diese hatte sie dem deutschen ge-
dichte entlehnt, das auch die quelle des entsprechenden capitels der
PS war. Daher ist auch bei vollständiger Übereinstimmung des Inhalts
der Wortlaut der beiden stellen im ganzen verschieden, wie folgende
vergleichung zeigt:
VqIs.s. c. 32, 1— 5: Nil segir Jmt PS c. 348 schluss: Oc er pessi
hverr er pessi ivSendi heyrit:, at t/Mndi spyriax at Sigur^r svcBvmi
engt inajn' iinin pvilikr eptir i er drepinn. pa scegir Jmt hvert
verqldiinni, ok aldri muri sihau ma^r. at ceigi mun eptir Ufa i
borinn sUkr mahr, sem Sigitrhr var i'erolldinni oc alldri sihann inon
fyrir hversvetna sakar, ok haus buriun rerba puilikr uiabr f'irir
uafn mun aldri fyniaz i pfibverskri sakir afls oc reysti oc allrar kurt-
tungii ok d Norhrl^ndum, mehan ccisi. caps oc milldi. er liann hafbi
Jieimrinn stendr. umfram hvern mann annan'a. oc
456 BOER
hans nafn mun alldrigi tynax i
Pll^verskri tungu ok slikt sama
meh Norhmqnnum^.
Wir komiuen zu der schwierigen frage, wie sich diese zweite
quelle von c. 30. 31, die ich im folgenden 30. 81 A nenne, zu den
beiden quellen von c. 27 — 29 (AB) und zu Brot verhält. Es scheint
mir, dass die tatsachen nur eine auffassung zulassen, ob sie auch zu
einem ganz unerwarteten resultat führen. Dass wir die stellen mit den
als A bezeichneten stücken in Verbindung setzen müssen, daran ist
kein zweifei möglich. Wir finden 1. die aus A bekannte klage über
den meydötnr] 2. die paraphrase von Brotstrophen; 3. den für A
charakteristischen nahen anschluss an die Sig. sk., überall wo nicht die
darstellung der begebenheiten auf einer anderen quelle beruht. Die
abweichungen haben zum grossen teil ihren grund in einer deutschen
quelle, die der darstellung der &S und des NL nahe stand. In diesem
punkte besteht eine gewisse ähnlichkeit mit der Sig. meiri, die gleich-
falls auf einer deutschen quelle fusst, aber auf einer ausschliesslich
niederdeutschen, die u. a. Heimir kannte und die zwei besuche bei
Brynhild, und die von der quelle der l^S und des NL weiter absteht.
Die klage über den meydömr wäre auch in der Sig. meiri, in der
SigurÖr nicht neben Brynhild ruht (§ 17. 24), und in der die Wahrheit
nicht durch eine senna an das licht kommt, absolut unmöglich.
Aber wenn in der Eddahandschrift, die der sagaschreiber benutzte,
die hier besprochenen stücke die fortsetz ung von A bildeten, wie ver-
halten sie sich dann Brot gegenüber? Mit der darstellung von Brot
lassen sie sich nur zum teil vereinigen. Also sind entw^eder Brot und
30. 31 A Varianten, oder eine von beiden enthält unechte bestandteile.
In gewissem sinne kann man in Brot und 30. 31 A Varianten sehen.
Eine paraphrase von Brot 1 — 4 oder ähnlichen Strophen und von 15 — 19
findet sich auch in 30. 31 A. Zufällig ist auch eine Strophe in metrischer
form in beiden quellen erhalten (Brot 4, c. 30 str. 26). Die abweichungen
sind hier gross, und die vergleichung fällt nicht in jeder hinsieht zu
gunsten von 30. 31A aus. Aber der unterschied, dass Brot den SigurÖr
im freien von Hggnis band sterben lässt, während 30. 31 A den betttod
durch Guttormr erzählt, dass 30. 31 A Brynhild mit SigurÖr sterben
lässt, wovon Brot nichts weiss, während 30. 31 A nichts hat, was Brot
1) Dass Sigurös namo in Deutschland und im Norden nicht vergessen
werden würde, stand also in einem deutscheu Hede. Das deutet auf die gemeinsame
pflege der sage, der mau sich bewusst war. Es ist keine Schreiberbemerkung, das
beweist die Übereinstimmung der beiden SQgur.
UXTERSUCiaTXGEN ÜBER DEN URSPRUNG UND DIE ENTWICKLUNG DER NIDELUNGENHAÜE 457
5 — 13 entspricht, noch abgesehen von c. 30, 74 — 77. 85. 88 — 95, die
sich nur in 30. 31 A finden, lässt sich auf eine so einfache weise nicht
erklären. Hier muss eine darstellung die ursprüngliche sein, die andere
muss entweder bewusst geändert oder durch einen irrtuni fremde Strophen
aufgenommen haben.
Ich glaube, wir müssen 30. 31 A die priorität zugestehen. Denn
nur diese darstellung schiiesst sich nicht nur an das vorhergehende,
sondern auch an die in beiden enthaltenen Brotstrophen richtig an. Auch
nach Brot 4 wird SigurÖr von Guttormr, also wol im bett getötet, und
nach Brot 3 rät HQgni vom morde ab; in vollständiger Übereinstimmung
damit ist die darstellung des mordes und das urteil HQgnis über die
vollbrachte tat in 30. 31 A, nicht aber in Brot 5fgg., wo nicht nur der
mord anders erzählt wird, sondern auch Hggni sich der Guörün gegen-
über der tat rühmt. Diese grausamkeit der GuÖrün gegenüber hat da,
wo der einzige grund für Sigurös tod der war, dass man der Brynhild
ihren willen geben musste, gar keinen zweck. Sie erklärt sich aus der
alten Vorstellung, dass Hagen, und nach der aufnähme der Burgunden
auch Günther, Sigfrids feind war. Aber mit der motivieriing des mordes,
den Str. 1 — 4 geben, verträgt sie sich nicht. Diese erwägimgen hatten
mich schon veranlasst, diese Strophen (5fgg.) von den übrigen zu trennen,
als die Untersuchung von c. 30. 31 mich von der absoluten notwendig-
keit dieser trennung überzeugte. Jetzt wird der schluss unumgänglich:
die Brotstrophen bilden keine einheit.
Welches sind die 'unechten' Brotstrophen und wie sind sie in diesen
Zusammenhang hineingeraten? Erstere frage betrifft im wesentlichen nur
str. 8 — 10. Denn str. 1 — 4. 14 — 19 haben wir als echt erkannt, und
Str. 5 — 7. 11 — 13 gehören auf der anderen seite deutlich zusammen.
Über str. 8. 9 ist zu sagen, dass an ihrer Zugehörigkeit zu A
kein zweifei bestehen kann. Sie tragen davon die deutlichen nierkmale.
Str. 8,5 — 8 entspricht einer stelle der I^iÖrekssaga, mit der A auch
sonst sich so nahe berührt. Man vergleiche:
Str. 8, 5 — 8: PS c. 344: en nu er kann siia
einn mundi Sif/urhr qUu rdba, stollz olc siia rikr. at ceigi man
ef kann lenyr Ulla lifi heidi. Icmgt heban Uba abr en per mimot
allir honom piona.
Str. 9 aber hat ihre quelle in Sig. sk. 18. Hier redet Hggni und
gibt seine Zufriedenheit mit Sigurös machtstellung zu erkennen. Der
dichter von A konnte die stelle in diesem Zusammenhang, avo das ge-
spräch zwischen Gunnarr und HQgni vor dem mord eine ganz andere
Wendung nimmt als in der Sig. sk., nicht brauchen, er verband sie mit
4Ö8 BORR
einer einigermassen ähnlichen stelle seiner zweiten quelle, wo Brynhild
redet, und legte H^gnis werte in geänderter auffassung der Brynhild
in den mund, gleich wie er c. 30, 90 fgg. SigurÖs werte der GuÖrün
zuweist und c. 30, 49fg. ein motiv von Brynhild auf SigurÖr tiberträgt.
Das alles zeigt aber, dass die beiden Strophen zu der hvgt ge-
hören, was schon Lüning richtig gesehen hat^.- Die reihenfolge der
Strophen in Brot ist also in Verwirrung geraten, und das wird dadurch
bestätigt, dass auch str. 5 nicht an der richtigen stelle überliefert ist.
Sie steht in der hs. nach str. 11; Bagge hat sie an ihren richtigen platz
versetzt. Wir haben es hier also mit einem gedächtnisfehler zu tun,
und daraus erklärt sich zugleich, dass mehrere echte Strophen fehlen,
und dass fremde Strophen aufgenommen worden sind.
Versetzen wir str. 8. 9 nach der hvgt^ so zeigt es sich zugleich,
dass sich ein rest in die saga gerettet hat. Die saga weist auf diese
reihenfolge: 1. klage über den raub des meijdömr (c. 29, 144 — 151);
2. eine trostrede des Grunnarr (c. 30, 29: hann bibr Bnjnhildi (iipp
stamla ok) vera käta, s. oben s. 450); 3. eine widerholte aufforderung,
den SigurÖr zu töten (c. 30, 29 — 31); der inhalt ist hier nur ganz all-
gemein, aber die Stellung entspricht unseren Strophen. Genau dasselbe
finden wir in der PS wider: 1. klage über den raub des meydömr
(c. 344, 11 — 15)2; 2. ermunteruug (hier durch HQgni): pu rika drotning
Brynilldr. grat ceigi lengr oc haf engl orÖ um oc lat sem petta haß
ceigi verit; 3. die unseren Strophen entsprechende stelle. Dann folgt
noch Gunnars versprechen, ihren wünsch zu erfüllen. Da in unserem
gedieht H(^gni nicht zugegen ist, ist die scene vereinfacht; statt HQgni
redet Gunnarr der Brynhild zu; ein gespräch zwischen ihm und HQgni
folgt erst später.
Aber str. 8, 1 — 4 sind eine Variante von str. 10, die nur dazu dient,
um das folgende in den gegebenen Zusammenhang hineinzuzwängen.
Was Str. 10 betrifft, so könnte man versucht sein, sie mit den un-
echten Strophen 5-7. 11 — 13 zu verbinden. Aber auch sie trägt die-
selben merkraale der Zugehörigkeit zu A wie str. 8. 9. Ihre erste hälfte
ist mit Sig. sk. 30, 1—4 fast identisch, und sie setzt gewiss auch die-
selbe Situation voraus; es ist Brynhilds freudenausbruch, als sie GuÖrüns
1) Bugge z. st. hält diese auffassuug auf gruud der practerita mundi, heidi usw.
für unrichtig, aber kaum mit recht. Brynhild kann sehr gut sagen; 'es würde nicht
angehen, dass SigurSr lange leiste', wenn es für sie schon feststeht, dass er sterben
muss. Aber die praeterita hal)en die Versetzung nach dieser stelle, wo sie doch
nach der allgemeinen ansieht unmöglich sind, veranlasst.
2) Über das — nahe — Verhältnis der klage in beiden darstelluugeu s. unten s. 460.
UNTKRSUClIUXüEN ÜBER DEN URSPRUNG UND DIR ENTWICKLUNG DER NIBELUNOENSAGE 459
weinen vernimmt. Den inlialt der rede entnahm der dichter seiner
zweiten quölle: er entspricht J^rynhilds begrüssung der heimkehrenden
hrldon in der PS c. 348 (s. 302, 1): oc inceUti at pceir hafi vceitt allra
mnniia hfeilaster.
Der Sammler, der str. 5— 7. 11 — 13 aufnahm, hat wol geglaubt,
dass sie zu diesem gedichte gehörten. Er schloss str. 11 an str. 10 an.
Aber 5 — 7. 11 — 13 sind ein selbständiges fragment, und wenn da-
zwischen keine Strophen verloren sind, so folgte hier str. 11 auf 7.
GuÖrüns werte: mjqk mcelir pü miklar firnar, 'eine grosse frevel tat
berichtest du', sind an Hqgni gerichtet; die bedeutung 'frevelhafte werte'
die für /?y«r?r sonst nicht bekannt ist, hat man hier nur angenommen, weil
Guörüns antwort im überlieferten Zusammenhang an Brynhild gerichtet
ist, die nicht eine tat berichtet, sondern nur das geschehene gelobt hat.
Die sagenform des fragments ist eine sehr altertümliche. Hogni tötet
SigurÖr. Er tut es aus hass. Schon besteht ein feindseliges Verhältnis
zwischen GuÖrün und ihren brüdern. Schon sind die Burgunden auf-
genommen — man kann nichts anderes erwarten. Aber von Brynhilds
teilnähme an dem mord erhellt noch nichts; wenn sie vielleicht schon
mitschuldig ist, was man nicht wissen kaDn, so war ihr anteil doch
noch ein verschwindend kleiner.
Die ermordung draussen und Hognis feindseligkeit wider GuÖrün
sind Züge, die das fragment mit der oben widerholt citierten darstellung
der &S gemein hat. Man kann fragen, ob das nicht für die Strophen
spricht. Das würde der fall sein, wenn sie sich mit den übrigen Brot-
strophen und 30. 31 A vereinigen Hessen. Da das nicht der fall ist,
muss man wählen. Nun zeigen die übrigen Brotstrophen und 30. 31A
widerholte berührungen im Wortlaut mit den entsprechenden stellen der
PS; das fragment aber zeigt nur eine ähnlichkeit in gewissen zügen,
die nicht für diese darstellungen eigentümlich, sondern altes sagengut
sind. Und die Übereinstimmung ist auch nicht schlagend. Denn während
in der PS die brüder SigurÖs leichnam mit sich führen, haben sie ihn
im fragment im walde zurückgelassen. Die Unterredung zwischen HQgni
und GuÖrün hat auch mit« der entsprechenden in der PS nicht die
geringste ähnlichkeit; das gespräch der PS setzt vielmehr den vergleich
mit einem villi(jf)Ur fort, den wir in A angetroffen haben. Hier ist
also eine Übereinstimmung vorhanden, die für die cj[uellen nichts be-
weist. Wenn aber A im gegensatz zur PS den SigurÖr im bett ermordet
werden lässt, so beruht das nicht darauf, dass der dichter die quelle
der PS nicht kannte, sondern darauf, dass er hier, wie für die haupt-
darstellung fortwährend, die Sig. sk. benutzt. Nur seine abweichungen
4()0 BOEK
beruhen zum grossen teil auf dem liede, das auch der PS zu gründe
liegt.
Wir sind jetzt im stände, die arbeit des dichters von A zu über-
sehen. "Welches seine quellen waren,' hat sich zur genüge gezeigt. Von
anfang bis zum ende liegt die Sig. sk. seiner darstellung zu gründe.
Aber daneben hat er andere quellen benutzt. Bei der Werbung benutzt
er die Sig. meiri. Ihr entlehnt er den flammenritt, den er freilich in
seiner weise umdeutet; eine beeinflussung des Wortlautes durch diese
quelle zeigt str. 22 der saga (s. unten s. 465 anm.). Ähnlich c. 29, 32 fg.,
s. oben s. 444. Auch der rat der Grimhild gehört wol hierher. Aber von
da an steht ihm eine andere quelle zu geböte. Nachdem wir den directen
einfluss der darstellung der PS an mehreren stellen in c. 30. 31 erkannt
haben, werden wir genötigt, die senna^ die gleichfalls in Übereinstimmung
mit der PS erzählt wird, derselben quelle zuzuschreiben. Und auch die
klage über den raub des meydömr stammt dorther. Das beweist der Wort-
laut. Die stelle liefert ein interessantes zeugnis dafür, wie der dichter seine
quellen benutzt. In derPS lautet sie (c. 344, llfgg.): Sigur^r svcc/mi Jicefir
rofit yckor truna^armal oc sagt sinni kono Giimilldi allt. hverso Jm
sag^f'r pinn triniah undir kann, oc pa er pu fect ce/gi sialfr mitt lag
oc letz Sigurh svcein taka minn meydom. pat sama fcerhi Grimüdr
iner i hrigxli i dag prir ollom monnom. — Also: 1. Sigurör hat Bryn-
hilds meydömr genommen. 2. SigurÖr hat dem Gunnarr die treue (d. h.
das versprechen der Verschwiegenheit) gebrochen. 3. Grimhild hat der
Brynhild das vorgeworfen (fcsrbi mer i brigxli, vgl. Vols. s. 29, 151 en
hon brigxlar mer!). Aus der Sig. sk. aber entnaiim der dichter, dass
Sigurör zwischen sich und Brynhild ein schwert gelegt hatte. Er Lässt
nun Brynhild zu Gunnarr genau dasselbe sagen, was sie in der &S
sagt, aber das brechen der treue wird so aufgefasst, dass es den raub
des meydömr bedeutet, und das ganze wird zu einer Verleumdung, denn
Sigurör hat in diesem sinn seine treue nicht gebrochen. Daraus folgt,
dass Brynhild, nachdem sie ihren zweck erreicht, ihre anklage zurück-
nimmt. Die änderung ist mit kunst geschehen, aber die Vorstellung,
dass Brynhild auf diese weise Gunnarr aufstachelt, ist keine freie er-
findung, sondern sie beruht auf einer geschickten combination.
Wenn der dichter die langen reden, die in der Sig. sk. Brj^nhilds
tod vorangehen, auf ein minimum beschränkt, so mag das zum teil auch
darin seinen grund haben, dass seine zweite quelle von Brynhilds tod
nichts wusste.
Die sagenform unseres gedichts ist also keine einheitliche. Der
anfang repräsentiert eine weit vorgeschrittene form von Brll, 2, der
UNTERSUCHUNGEN ÜBER DEN URSPRUNG UTTO DIE ENTWICKLUNO DER NIBELUNGENSAGE 461
schluss berulit auf einer combination von Br II, 1 (Sig. sk.) und einer
sehr jungen form (Br 11, 4), vgl. § 16. Aber die auffassung von Bryn-
hilds Charakter und ihrem Verhältnis zu SigurÖr ist doch zunächst die
§ 1-i als Br II, 2 bezeichnete. Daher haben wir auch dort das gedieht
als ein auf dieser stufe stehendes stück angeführt.
Auf eigenen combinationon beruhen nur wenige positive zutaten,
aber mehrere umdoutungen: BuÖli statt Atli, das beer, das die brüder
bei der Werbung begleitet (§ 23), die umdeutung des flammenwalls, die
motivierung des keuschen beilagers, die umdeutung des treuebruchs,
die kürzung der zweiten hälfte seiner hauptquelle, die ermordung von
Sigurbs söhn.
Wo es angieng, hat der dichter sich an den Wortlaut seiner quellen
gehalten. Daher die wörtlichen Übereinstimmungen mit der Sig. sk., mit
der PS und an der einzigen controllierbaren stelle mit der 8ig. meiri.
Aber den zügen, die er hinzufügte oder anders mitteilte, gab er selbst
die dichterische gestaltung. In diesen teilen zeigt er sich als einen
nichts weniger als unbegabten dichter. Wenn er älteren quellen ganze
Strophenreihen entlehnt, so beruht das nicht auf dichterischer Unfähigkeit,
sondern einftich auf dem allgemeinen brauch, bei der neubearbeitung
alter Stoffe die vorhandenen quellen auf diese weise zu benutzen. • Daran
ist niciits auffälliges; das haben viele dichter getan — ich brauche nur
an den zweiten sehr begabten YqUispadichter zu erinnern. Die meisten
Eddalieder sind ja nur in überarbeiteter gestalt erhalten. Der usus setzt
sich in der mittelalterlichen prosalitteratiir fort; litterarisches eigentum
im modernen sinn ist im altertum und lange nachher unbekannt.
Will man dem gedieh te einen namen geben, so geht aus dem
schluss, der in c. 32 und PS c. 348 bewahrt ist, hervor, dass es eine
SigurbarkviÖa ist. Man konnte versucht sein, die bezeichnung „SigurÖar-
kviöa en meiri" auf dieses gedieht anzuwenden. Denn es ist zum teil
wenigstens eine erweiterung der Sig. sk. Da indess die bezeichnung
„en meiri" schon früher für ein anderes gedieht benutzt worden ist,
das wenigstens nicht kürzer als dieses war, und für welches der name
SigurÖarkviba quellenmässig tiberliefert ist, bezeichne ich das hier be-
sprochene gedieht als „SigurÖarkviÖa en yngri". — Das gedieht, dem
Str. 5 — 7. 11 — 13 entstammen, kann man mit gutem fug mit Heusler
„SigurÖarkviÖa en forna" nennen.
§23. SigurÖakviba skamma str. 36 — 38.
Im Zusammenhang mit der oben besprochenen frage ist die nach
der Stellung von str. 36 — 38 der Sig. sk. von grosser bedeutuug. Zu
462 BOEE
unterscheiden sind 1. ihr Verhältnis zur Sig. en jngri; 2. ihr Verhältnis
zu den übrigen Strophen der Sig. sk. Dass diese Strophen älter als die
entsprechenden Strophen der Sig. yngri sind, folgt direct nicht nur aus
dem Verhältnis dieses gedichtes zu der Sig. sk. im ganzen, sondern auch
der entsprechenden partie jenes gedichtes zu unseren Strophen. Wir
haben gesehen, dass die Sig. yngri zwar unsere Strophen benutzt oder
sogar aufnimmt, aber etwas hinzufügt, und dass dieses neue element
aus der neuen sagenauffassung stammt, die forderung, dass der freier
Brjnhilds bedingungen, als deren vornehmste der flammenritt erscheint,
erfülle. Das Verhältnis ist also dasselbe wie bei den übrigen partien
der Sig. yngri; die stelle der Sig. yngri lässt sich zwar aus der der
Sig. sk., diese aber nicht aus jener ableiten. Deshalb ist es unrichtig,
wenn Sijmons, Zeitschr. 24, 26 str. 36 bis 38 für eine Interpolation aus
der Sig. yngri erklärt.
Eine andere frage ist die, ob die Strophen von alters her zu der
Sig. sk. gehören. Sollte es sich ergeben, dass das nicht der fall war,
so würde daraus folgen, dass sie eine ältere Interpolation wären; sie
müssten aufgenommen worden sein, bevor die Sig. yngri entstand.
Dass Bugge str. 39 mit recht versetzt hat, scheint aus der ent-
sprechenden stelle der V^lsungasaga hervorzugehen. Wenn Sijmons in
seiner ausgäbe die notwendigkeit der Versetzung unter hinweis auf seinen
oben citierten aufsatz leugnet, so folgert er das nur aus der von ihm
und anderen angenommenen unechtheit von str. 36- — 38; ein argument
für die richtigkeit der überlieferten reihenfölge bringt er nicht vor.
C. 31 der V^lsungasaga hat aber die reihenfölge z. 14: pä er per rihuh
at garhi pnr konimgar -= str. 35 \ z. 15: s^Öa?^ le/ddi Atli mik ä tal ok
spyrr = str. 36; ef ek vüda pann eiga, er ribi Graiia, sä var yhr ekki
likr (str. 39; 37 übergeht der Verfasser); ok pä hetumx ek sgnl Sig-
mundar konungs (str. 38, aber hetiimz ek aus 39). Also steht ein teil
des Inhalts von str. 39 allerdings vor 38, aber nach 36, und die Vor-
stellung ist jedesfalls die, dass zuerst eine Unterredung mit Atli statt-
findet, und dass Brynhild darauf sich entschliesst, den SigurÖr zu
wählen.
Aber das ist von untergeordneter bedeutung. Mag sein, dass der
sagaverfasser sich die Strophen auf diese weise zurechtgelegt hat. Er
hat dann getan, was ein jeder tun muss, der die Überlieferung in ihrem
zusammeniiang verstehen will. Denn dass dieses gespräch dem entschluss
vorangeht, ist selbstredend.
Die frage ist nun, ob str. 36 — 38 der darstellung der übrigen
Strophen widersprechen. Brynhild will nach str. 35 keinem manne ange-
I
TJNTEESUCHUNGEN ÜBER DEN URSPRUNG UED DIE ENTWICKLUNG DER NIBELUNGENSAGE 463
hören. Nun erzählt 36, dass Atli ihr ihr erbe zu nehmen droht, falls
sie sich nicht fügen sollte. Er sieht natürlich ein, dass die brüder
sich mit einer Weigerung nicht begnügen und iim — nachher, denn sie
sind jetzt von keinem beer begleitet (r/Öz/Ö prir at garhi 35) — mit
krieg überziehen werden. Deshalb erwägt Brynhild, ob sie es so weit
soll kommen lassen; wenn es daiiin kommt, ist sie bereit, selbst die
waften zu ergreifen (str. 87). Die stelle drückt nur stärker aus, was
schon str. 35 steht, dass sie keinen mann haben will. Am ende lässt
sie sich doch überreden. Aber sie sagt, sie wolle nur den Sigurör
heiraten (lek mer meirr — d.h. mehr als zu kämpfen — i mun mei^mar
Jtiggja burar Sigmundar) , einen anderen mann will sie nicht haben
(38, 7 — 8). Sie wird mit Atli darüber einig (38, 1 — 2), dass sie den
könig iieiraten werde, der auf Grani sass (str. 39), und dieser war Gun-
narr nicht ähnlich. Es folgt die nächtliche scene, die str. 4 mitteilt.
Kein wort widerspricht also dem übrigen Inhalt des gedichtes, und
wir haben nicht den geringsten grund str. 36 — 38 auszuscheiden.
Sehen wir nun noch einmal, was der dichter der Sig. yngri daraus
macht. C. 29, 7fgg.: er per Gjükwigar kömub til hans (=Sig. sk. 35,
aber nicht Jrrlr pjötSkoiuingar) ok heiiih at her ja eba hrenna, nema pter
ncehib mer; dann folgt die str. 36 — 38 entsprechende stelle mit dem
bekannten zusatz. Hier sind also die Gjükungar mit einem beere ge-
kommen, und Brynhild hat die wähl zu kämpfen oder sich zu ergeben;
da sie aber von Buöli keine hilfe zu erwarten, sondern sogar seinen
zorn zu befürchten hat, entschliesst sie sich in ähnlichem sinne wie in
der Sig. sk.
Hier ist also von einer kriegsfahrt die rede, aber dieselbe ist aus
der Vorstellung der Sig. sk., dass ein krieg die folge der Weigerung sein
könnte, abstrahierte
Jetzt wird uns noch eine stelle deutlich, nämlich str. 22. 23 der
Volsungasaga (c. 27). Über die Strophen hat Neckel a. a. o. s. 28fg. eine
meinung geäussert, die sich an Heusler anschliesst. Er glaubt, dass
die Strophen mit Brot, das er als eine einheit betrachtet, zusammen-
gehören. Daraus schliesst er, dass der flammenritt in der saga nicht
nach der Sig. meiri, sondern nach jenem gedichte erzählt worden sei.
Die inconcinnitäten zwischen den Strophen und dem prosatext schreibt
er widerum einer freiheit des sagaverfassers zu. Ich kann auch nur
die möglichkoit, dass das richtig sei, nicht zugeben. Wenn Neckel glaubt,
eine nicht überlieferte Strophe vor 22 habe den zweimaligen versuch
1) Dagegen lässt sich Üddr. 17. 18 nicht auführen. Die stelle ist absolut fern-
zuhalten, s. oben s. 316 anm.
464 BOER
Gunnars, die lohe zu durchreiten, mitgeteilt, so ist dazu zu bemerken,
dass erst str. 22 das feuer zu lodern anfängt, also wäre das ein wunder-
licher platz für die angenommene Strophe. Aber der Widerspruch, dass
in der prosa Gunnarr nur von Sigurör und HQgni begleitet ist, während
str. 22 davon redet, dass wenige (d. i. keiner) aus dem gefolge des fürsten
die lohe zu durchreiten wagen, lässt sich durch eine berufung auf die
freiheit des sagaschreibers nicht weginterpretieren, um so weniger als
jene Vorstellung alt und sagengemäss, diese in der strophe überliefert
ist. Es liegen also im capitel zwei darstellungen des flanimenrittes vor.
Ich habe früher (Zeitschr. 35, SlOfgg.) vermutet, dass die Strophen aus
einem anderen Zusammenhang hierher geraten seien, und sie damals
der HelreiÖ zugeschrieben. Jedoch muss ich die willkürlichkeit jenes
Verfahrens zugestehen. Es geht nicht an, Strophen, die man nicht ver-
steht, dahin zu versetzen, wo man sie brauchen kann, wenn man den
grund nicht angeben kann, weshalb sie von der stelle gerückt wurden.
Wenigstens kommt man auf diesem wege nicht weiter als zu Vermutungen,
die sich nicht beweisen lassen. Jetzt, wo wir die quellen des capitels
und der folgenden besser auseinander zu halten im stände sind, glaube
ich doch, dass auch der zwei fei über diese Strophen sich löst. Der
flammenritt ist nämlich, auch in der prosa, nach beiden quellen mit-
geteilt. Zuvorderst steht die darstellung der Sig. meiri. Nur die drei
blutsbrüder sind anwesend. Das feuer lodert schon vor ihrer ankunft.
Zuerst schickt Gunnarr sich an, den flammenwall zu durchreiten. Als
es auch auf Grani ihm nicht gelingt, tauschen Gunnarr und SigurÖr
ihre gestalt, und SigurÖr reitet.
Dann folgt die darstellung der Sig. yngri: zuerst eine paraphrase
von Str. 22. 2B, dann die Strophen selbst. Hier waren die brüder mit
einer heerschar zu BuÖli geritten. Die waberlohe brannte noch nicht,
denn Brynhild hatte noch nicht die bedingung gestellt, dass der freier
dieselbe durchreiten müsse; sie kann die maschinerie in bewegung setzen,
sobald sie es wäll, und sie tut es, als die schar sich naht. Darum
heisst es: eldr nam cd esaz, wo nam also richtig bedeutet: 'hub an'.
Darauf wagt keiner der männer aus Gunnars schar (fdr fylkis rekka) es,
in das feuer zu reiten; als SigurÖr es versucht, erlischt das feuer. Diese
stelle beweist sonnenklar, zu welchem gedieht die Strophen gehören;
die Sig. yngri ist von allen quellen die einzige, in der Gunnarr von mehr
als zwei genossen begleitet ist, als er um Brynhild wirbt. Und noch
ein merkwürdiger unterschied mit der Sig. meiri ergibt sich hier. In
der Sig. meiri macht Gunnarr den zweimaligen versuch zu reiten; dass
es nicht gelingt, kann ihm nicht vorgeworfen werden, es ist ihm nicht
TJNTERSUCHU>TtE\ über den n^SPRTTNG ITJCD DIE ENTWICKLUNG DER NIIiELUNGENSAGE 465
beschieden, den ritt zu tun. Das ist die ältere auffassung, die noch
weiss, dass nur einer, dem es bestimmt ist, die Jungfrau befreien kann,
hier wie in der Sig. yngri auf die Werbung übertragen. Letztere quelle
vertritt den weiter vorgeschrittenen Standpunkt. Der ritt ist zu einer
probe des mutes geworden. Deshalb heisst es: fdr treystix . . eld cd
riha. Und dem entspricht, dass Brynhild c. 29, 21 zu Gunnarr sagt:
pü fylnah/r sem mir. In der darstellung der Sig. meiri hätte dieser
verweis keinen sinn^
"Wenn SigurÖr später durch dasselbe teuer zurückreitet, so stammt
das wider um aus der Sig. meiri, wo nicht gesagt war, dass es erlosch,
und dem entspricht dass Gunnarr und SigurÖr auf der stelle widerum
ihre gestalt tauschen, was die Sig. yngri, soweit wir ersehen können,
nicht mitteilt, obgleich sie den gestaltentausch voraussetzt. Näheres
über die Sig. meiri § 24.
Wenn Heusler und auch Neckel stilistische Verwandtschaft zwischen
Str. 22. 23 und Brot wahrzunehmen glauben, so bestätigt das das resultat,
wozu wir § 22 gelangten, dass mehr als die hälfte der Brotstrophen
dem dichter der Sig. yngri gehören.
§ 24. Die SigurÖarkviÖa en meiri.
Das wichtigste von c. 24, vielleicht ein teil von 28, und alles was
c. 26 — 29 weiter enthalten, stammt bis auf wenige sätze aus der Sig.
meiri. Die litterarhistorischen gründe, die mich dazu führten, c. 23. 24
und teile von 26. 27 der Sig. meiri zuzuschreiben, habe ich Zeitschrift
35, 468 fgg., die sagenhistorischen oben § 14 mitgeteilt. Neckel wendet
gegen meine auffassung ein, die Gripisspä spreche dafür, dass in der
Sig. meiri die Werbung ohne waberlohe erzählt wurde. Das ist ein
argumentum ex silentio, das, wo von der Gripisspa die rede ist, noch
weniger beweisen würde als anderwo, vorausgesetzt, dass die beraerkung
richtig wäre. Aber die Gripisspä nennt sogar in drei aufeinander
1) Freilich wirft Brynhild in der Sig. meiri (YqIs.s. str. 24) der GuSrün vor,
Gunnarr habe nicht zu reiten gewagt, aber das ist nur ihre sehr subjectiv gefärbte
darstellung der begeben lieiten, der von GuSrün unmittelbar widersprochen wird. Guönin
antwortet, Gunnarr habe es versucht, aber Grani habe ihn nicht durch das teuer
tragen wollen. In der Sig. yngi'i wird dem Vorwurf nicht widersprochen. "Wir sehen
auch hier, wie der dichter dieses liedes eine andeutung einer seiner quellen ausführt.
Denn dass er die Sig. meiri gekannt hat, zeigen die berührungen im Wortlaut zwischen
.Str. 22 und 24 (z. 7 — 8: eld at riÖa ne tjfir stiga). (Ich habe Zeitschr. 35, 312 das
Verhältnis von str. 22 zu 24 unrichtig beurteilt.) Das verfahren ist ganz dasselbe
wie da, wo er aus Sig. sk. 37 die consequenz zieht, dass die brüder mit einem iieei'
zu Bubli gekommen .sind.
ZEIISCUiUFT F. DKÜTSCUE PHILOLOGIE. BD. XXXVII. 30
466 BOER
folgenden Strophen den gestaltentausch. Welchen zweck kann dieser
haben, wenn nicht den, dass SigurÖr eine tat vollbringen muss, die
Gunnarr nicht vollbringen kann? Diese tat aber ist die durchreitung des
vafrlogi.
Übrigens redet Brynhild in den gesprächen in c. 28. 29, die auch
Neckel der Sig. meiri zuschreibt, widerholt von der durchreitung des
feuers. Und die darstellung, die sie gibt, ist die aus der ersten hälfte
von c. 27 bekannte. C. 29, 89 sagt sie bloss: pü Siyiirhr vätt orminn,
ok reitt eldinii, ok of mina sqk, aber c. 28, 58 sagt GuÖrün gerade
aus: Grani rann eigi eldinn undir Ounnari konungi, ok kann Jwr^i
cd riöa, ok ßarf honiim eigi huga)' at fryja. Wenn also das das einzige
argumeut gegen c. 27 ist, dass es den flaramenritt erzählt, so können
wir die Sig. meiri das nicht zur Sig. yngri gehörige stück und damit
den entsprechenden teil von c. 26 und das meiste von 24 ruhig be-
halten lassen.
Eine andere frage ist, ob c. 23 und die sagenhistorisch ziemlich
wertlosen teile von c. 24 in der Sig. meiri gestanden haben. Wenn
SigurÖr zuerst, von einem vogel geführt i, Brynhilds türm besteigt,
dann wider herunterklettert und erst am folgenden tage sie besucht,
so ist das eine eigentümliche Verdopplung, die natürlich nicht ur-
sprünglich ist, aber doch gewiss aus der Sig. meiri stammt, denn es
ist ebenso undenkbar, dass der sagaschreiber daran schuld sei als dass
eine dieser begegnungen aus einer unabhängigen quelle stammen sollte.
Es ist auch sehr wol möglich, dass der Zusammenhang in dem liede
natürlicher war als in der saga; was sich von dem liede erkennen lässt,
zeigt, dass es keine unbedeutende dichtung war. Auch Heimir, Bekk-
hildr, AlsviÖr werden schon in der Sig. meiri genannt gewesen sein.
Daraus folgt nicht, dass nicht ein teil dieser personen eine nordische
zutat sein könne; auch die andeutungen von Brynhilds walkürennatur
sind ja nordisch.
Hingegen wird c. 25, GuÖrüns besuch in Brynhilds halle, auf einem
besonderen liede beruhen. Das beweist schon der directe anschluss von
c. 26 an 24. ■ Stilistisch und in der Vorstellung der ereignisse steht c. 25
der Sig. meiri sehr nahe, aber es blickt weiter in die zukunft hinaus
als dieses gedieht (bis zu Atlis tod), und dass es von SigurÖs früherem
besuch bei Brynhild wusste, ist trotz z. 75 (sä er ek kaus mer til manns)
nicht sicher, da GuÖrüns träum keine sichere andeutung gibt (vielleicht
1) Ist dieser haulcr eine höfische Umbildung der igdur der SigrdrifuniiU und
der fuglar von c. 116 der fS?
UNTEESUCHTJKGEN ÜBER DEN URSrntTNC. UND DIE ENTWirKLUNG DER NIBEI-CNGENSAGE 467
doch z. 69: vcr vildum allar talia dyrit, was jedesfalls andeutet, dass
Biynhild Sigur^r liebt). Über die beiden träume s. Heusler a. a. o.
s. 39fgg.
C. 26, 16 ein beginn der später sehr verbreiteten darstellung dos
SigurÖr als eines riesen (Norn. \). c. 7).
Da in c. 27 beide darstellungen der Werbung aufgenommen sind,
dürfen wir erwarten, daselbst auch in SigurÖs Unterredung mit Brjn-
hild die beiden quellen widerzutinden. Das ist auch tatsächlich der
fall. Zweimal nacheinander wird die Situation beschrieben. Zuerst z. 41:
Ok er Sigurbr hom inn um logann fann ]iann Jmr eitt fagrt he?'-
bergi , ok pnr seit i Bnjnhildr. Sodann z. -1:7: Signrbr stob rettr d gölfinu
ok stnddix d sverhsltjoltin ok mcelti .... Hon svarar^ .... ok hefir
sverh i hendi ok hjdlm d hgfbi ok rar i brynju.
Schon hier ergibt sich, dass die zweite darstellung die der Sig.
meiri ist. Bei Sigurös erstem besuch hat sie ihm zu erkennen gegeben,
dass sie eine walküre werden wird; jetzt erscheint sie im panzer und
heim. Hingegen versetzt die Sig. yngri, die den vafiiogi als eine Spielerei
benutzt, Brjnhild in eitt fagrt herbergi.
Damit in Übereinstimmung ist der Inhalt des gesprächs. Z. 43 — 45
erinnert SigurÖr Brynhild daran, dass sie sich dem gelobt hat, der ihren
vafrlogi durchritte 2. Das ist die Vorstellung der Sig. yngri. Sie erscheint
darauf unentschlossen (z. 46). Z. 54fgg. aber sagt Brynhild, sie sei im
kämpf gegen den GarÖakonungr gewesen, und sie wünsche dieses leben
fortzusetzen. Und auf Sigurös Worte per i vwt skal ek gjalda — grtpum
(z. 48 — 49) beziehen sich in der Sig. meiri c. 29, 91 : ok galt vih per mirnd
dgcetr koymngr. Eine Schwierigkeit bereiten hier z. 51 — 53. Brynhild
sagt zuerst, Gunnarr dürfe ihr von liebe nicht reden, wenn er nicht der
beste der beiden sei, ok pd skaltu drepa er min hafa bebit. Das scheint
ein ganz neues motiv. Weder die Sig. yngri noch die Sig. meiri scheinen
von einer mehrzahl von freiem etwas zu wissen. Aber da uns jetzt
bekannt ist, aus welchem gedichte die stelle stammt, wird es vielleicht
auch gelingen, sie zu verstehen. Ich glaube, dass der sagaschreiber
die verse missverstanden hat.
Freilich war im früheren nicht die rede von freiem, aber aller-
dings von einem freier — denn Brynhild hatte in der Sig. meiri sich
dem SigurÖr verlobt. Hier sagt sie also: 'wenn du dich getraust,
1) Das folgende af shiu sceti bildet wol eine verbiuduog mit der darstellung
von z. 41; die folgende beschreibung lässt vermuten, dass sie steht, sem älpt uf
hdru bat noch niemand verstanden; ich verstehe es auch nicht.
2) oJc föstra Jrins (z. 4.5) ist natürlich ein zusatz des sagaschreibers.
30*
468 BOEE
mein gatte zu heissen, so musst du tüchtiger als jeder andere held sein,
und du wirst mit dem mann, dem ich mich früher gelobt, kämpfen
müssen und ihn besiegen'. Der sagaschreiber, der das nicht verstand,
hat den plural für den singular eingesetzt.
Leider vernehmen wir nicht, was SigurÖr darauf antwortet, denn
z. 56 hebt die paraphrase der anderen quelle wider an. Über unsere
stelle ist aber noch zu sagen, dass auf sie eine kurze bemerkung in
Brjnhilds rede mit SigurÖr c. 29, 5—48 sich bezieht. Wo Brynhild
z. ITfgg. ihre bedingungen widerholt, sagt sie auch ok drcepi pä 7nenfi
er ek kvah ä; dann lässt sie darauf folgen, dass SigurÖr ihre bedingungen
erfüllt habe, aber davon, dass er männer getötet habe, kein wort. Hier
ist es also einmal der sagaschreiber, der sich widerholt, und zwar ab-
sichtlich, weil er das töten der männer c. 27 unter die bedingungen
aufgenommen hat. Da aber hier daraus nichts wird, so bleibt es auch
c. 29 bei der bedingung, die nicht erfüllt wird^.
Sigurös antwort z. 56 beginnt widerum mit einer Übergangsphrase:
Mqj-g störvirki haß per unnit (bezieht sich auf das unmittelbar vorher-
gehende), dann folgt die antwort auf z. 45 — 46. Brynhild war unent-
schlossen: Eigi vcit ek ggrla, hversu ek skal pessu svara; darauf erwidert
nun der held mit einer dringenderen hervorhebung ihrer Verpflichtung:
minnix nü cd heit ybur, ef Jjessi eldr vceri riM/m, at J)er mundib
meb pteim manni ganga, er J)eUa gerbi. Darauf hat sie nichts zu er-
widern und sie fügt sich. Das ist also die Sig. yngri, und daraus stammt
auch das beilager, denn nach der Sig. meiri wird die hochzeit daheim
bei Gunriarr gefeiert. Das war zu erwarten, denn die scene beruht auf
der Sig. sk. (str. 4); nur ist die Situation breiter ausgemalt, und SigurÖr
bleibt drei nachte bei Brynhild, was so, wie die stelle überliefert ist,
töricht genug aussieht, aber sich aus der Verbindung zweier darstellungen
erklärt (s. unten).
Auch der ring Wechsel gehört der Sig. yngri an, denn er bereitet
die scene am flusse vor — eine erfindung des sagaschreibers ist es,
dass der ring, den SigurÖr der frau nimmt, der Andvaranautr ist, denn
in der Sig. yngri war SigurÖr früher nicht bei Brynhild gewesen, konnte
ihr also auch den Andvaranautr nicht gegeben haben, und die Sig. meiri
kannte, da die Wahrheit von Brynhild selbst erraten wird, in diesem
Zusammenhang überhaupt keinen ring (§ 17). — Mit z. 66 hebt die Sig.
meiri widerum an und wird nur noch an zwei stellen kurz unterbrochen :
1) Schon oben s. 444 erkannteu wir, dass die worte oA; drcepi — kraif d nicht
echt sein können. Ich hielt sie für einen zusatz in der Sig. yngri, bis aus der analyse
von c. 27 ihre bedeutung mir klar wurde.
UNTERSUCHUNGEN ÜBER DEN URSPRUNG UND DIE ENTWICKLUNG DER NIBELUNGENSAOE 469
z. 73 — 77 wo Äslaug bei Heirair untergebracht wird — eine erfindung,
die der anknüpfung der Ragnars saga lobbrokar dient — und wo Bryn-
hild zu ihrem vater reist, und z. 79 wo Atli und BuÖli der hochzeit
an Gjükis* hof beiwohnen. Die Vorstellung der beiden quellen ist voll-
ständig klar. In der Sig. yngri wird die liochzeit bei BuÖli gefeiert;
nach drei tagen reisen die brüder mit Brynhild ab; das bedeuten die
drei nachte, die SigurÖr bei Brynhild zubringt ^ In der Sig. moiri holt
SigurÖr die Jungfrau ab; er reitet sofort mit ihr durch den flammen wall
zurück; dann reitet man zusammen heim, und die hochzeit wird ge-
feiert-. Yon Bubli war hier keinen augenblick die rede. Der saga-
schreiber, der erzählt hatte, dass man zu Buöli fuhr, um um. Brynhild
zu werben, konnte die hochzeitsfeier nicht ohne Buöli ablaufen lassen;
deshalb Hess er Buöli — und Atli — zu Gjüki reisen. Und die hoch-
zeit der Sig. yngri bei Buöli machte er zu einem dreinächtlichen bei-
lager im flamraenwall, während dessen Gunnarr draussen steht und wartet!
Also ist c. 27 auf die beiden quellen und den sagaschreiber
wie folgt zu verteilen: Sig. yngri z. 1 — 4.20 — 46 (ausgenommen 45:
ok föstra pi7is); 5Q{mi7inix) — 66. Sig. meiri z. 4- — 20.47 — 55.66 — 82
mit ausnähme zweier kürzerer zusätze. Sagaschreiber z. 45 ok föstra
J)ins, 56 Mfjry — uimit, 73 — 77 ok er — fehr sins, 79 parkom —
son hans.
In c. 28, 16fgg. ist z. 28 angrar pik okkart vih'tal eine bemerkung
des sagascbreibers, der eine Verbindung mit dem auftritt der Sig. yngri
herstellt. — Z. 78 langt ser hiigr pinn um fram. Da von einem schauen
in die zukunft im gegebenen Zusammenhang nicht die rede sein kann,
bedeuten die werte: 'du durchschaust klar die (dir verhehlten) dinge';
sie bestätigen, dass Brynhild den Zusammenhang der Vorgänge bei der
Werbung richtig erraten hat (s. § 17). — Das gedieht hat nach der
Vermählung nur zwei gespräciie der Brynhild: 28, 26fgg. mit GuÖrün,
wo die Wahrheit ans licht kommt, 29, 71 mit SigurÖr. Ferner als Über-
gänge zwei kurze, parallele gespräche des SigurÖr mit GuÖrün; im ersten
28, 16fgg. rät er ihr davon ab, mit Brynhild zu reden, im zweiten
29, 62fgg. fordert sie ihn zu einer solchen Unterredung auf. Die er-
wartung aller ist, dass es nur dem SigurÖr gelingen wird, Brynhild zu be-
ruhigen, auch Gunnarr hat ihn dazu aufgefordert, zu ihr zu gehen,
Ij Der flammenwall war in der Sig. yngri erloschen (str. 23); die nächto können
also nur officielle hochzeitsnächte bedeuten.
2) Darin besteht also eine wol zufällige Übereinstimmung zwischou der Sig.
meiri und dem Nibelungenlied. Denn die directe Vorstufe des NL, c. 228 fg. der
I'S, lässt die hochzeit in SaegarÖr gefeiert werden.
470 HOEK
aber vergebons. Gunnarr und HQgni haben ihr ohne erfolg zugeredet.
29,3—4 haiui Idttir — dait^, die als cinleitung zu einem stück des
anderen gedichtes benutzt werden, und 29, 56 fg. pö ferr — svgrin gehen
auf eine einzige poetische stelle, Gunnars vergeblichen versuch mit
Brynhild zu reden, zurück.
Der Zusammenhang des ganzen ist vollkommen verständlich. Bryn-
hild ist längere zeit traurig, GuÖrun gibt SigurÖr das vorhaben zu er-
kennen, nach dem grund zu fragen; obgleich er ihr davon abrät, versucht
sie es doch; die folge ist ein ausbruch des Schmerzes, der zur gewiss-
heit über den betrug führt. Am schluss dieses gesprächs, in dem auch
Guörün sich zu unfreundlichen Worten bat hinreissen lassen (z. 69fgg.),
ist Brynhild scheinbar beherrscht (leggjimi 7ii^r ünytt hjal). Brynhild
sinkt in ihr brüten zurück. Am folgenden tag (29, 49) wünscht GuÖrün
das geschehene gut zu machen; selbst aber wagt sie es nicht, zu Bryn-
hild zu gehen, um sie nicht von neuem zu reizen; sie will ihre vinkona
senden, um in ihrem namen ein freundliches wort zu reden (seg oss
illa kiinna hetinar memi) ; diese aber fürchtet sich vor Brynhild. Wenn
sie sagt: ingrg dcegr drakk hon eigi mjgh ne vin usw., so bedeutet das
nicht, dass nach dem gespräch mit GuÖrün viele tage vergangen sind,
sondern es deutet auf den zustand, der schon früher eingetreten war,
und der auch Gubrün bewogen hatte, der Brynhild zuzureden. Dann
versucht GuÖrün es, den Gunnarr zu senden, aber er bekommt kein
wert aus ihr heraus, und ebenso ergeht es Hggni. Es bleibt nichts
anderes übrig, als dass Sigurör geht. Er niuss von GuÖrün dazu ge-
trieben werden. Endlich entschliesst er sich dazu, und ihm gelingt es,
sie zum reden zu bringen. All ihren härm ergiesst sie über den früheren
geliebten. In das gespräch ist nur sehr wenig unechtes eingedrungen,
z. 123: ä fjallimi, eine bezugnahme des sagaschreibers auf c. 21 und
127/8: pmm mann er r/bi ininn vafrloga (anschluss an die darstelluug
der saga). Z. 82: ok eigi galt liann mer at ?mmdi feldan val ist wol
wie z. 18 fg. drd'pi pd menn — ä zu beurteilen. Fäfnir kann mit dem
valr nicht gemeint sein. Z. 86: peir drdpu Danako7iung ok mikinn
hgfhingja bröbur Buhla konungs ist darum interessant, weil diese taten
zu Gunnars lob angeführt werden. Die stelle zeigt, dass die Sig. meiri
von einer Verwandtschaft zwischen Brynhild und Buöli nichts wusste.
Die aageführten taten haben übrigens für die goschichte der sage keine be-
dcutung; es sollen nur tapfere kriegstaten erwähnt werden; möglicherweise
bat der dichter an den letzten kämpf der Nibelunge und bei dem bruder
des Buöli an Attilas bruder Bloedelin gedacht. Das würde den einfluss
einer ziemlich weit vorgeschrittenen deutschen sagenform verraten.
UXTERSUCUUN'GEN ÜBER DEN URSPRUNG UNU DIE ENTWICKIA'NU DER N'IHELUNGENSAGE 471
Stammbaum der üborlieferuiiii- von ßr IL
l + II, la.
Sigfrid tritt Brynhild dem Günther ab
(belegt fS c. 227).
I
I + II,lb
I
Sig.kv. sk.
(verlust von Br I)
I
I + n,2a
Sig.
(nordisc
der er
ueiri
le form
ösuug)
11, 3
(hat I ganz in II
aufgenommen)
1 1
liolreid 11,4
quelle von PS
c. 228 — 230
1 1
!'Sc.228— 230 NL
II, 2b
SigurÖarkviSa en yngri.
lY. Der drachenkampf und die Nibeluiige.
§ 25. Gehört der drachenkampf zur Sigrdrifasage?
Wer der mythischen auffassung der Sigfridsage huldigt, braucht
die frage nicht zu stellen, ob der drache ursprünglich zu Brjnhild oder
zu Sigfrid gehört, oder ob er als ein selbständiges motiv zu betrachten
ist, denn die drei elemente bilden für ihn ein zusammengehöriges ganzes.
Doch stellt man sich gewöhnlich den drachen in einem nahen Verhältnis
zu der Jungfrau, und zwar als deren hüter, vor. Es lässt sich nicht sagen,
dass die quellen zu dieser auffassung nötigen. Das Nibelungenlied trennt
die erwerbung der braut absolut von dem drachenkampf, aber es trennt
auch den drachenkampf von der horterwerbung, die mit einem kämpf
mit Nibelungen in Verbindung gesetzt wird. Die I^S kennt den drachen-
kampf aber ohne horterwerbung oder erlösung der Jungfrau. Freilich
kommt der held bald darauf zu Brynhild, aber ein anderer Zusammen-
hang ist nicht vorhanden, als dass er jetzt den schmied tötet und in
die weit hinauszieht, Avorauf dann sein erstes abenteuer Brynhild gilt.
Die Edda kennt die horterwerbung im causalzusammcnhang mit dem
drachenkampf, darauf reitet SigurÖr nach Hindarfjall. Dass der hört
ganz anders zu Fäfnir gehört als die Jungfrau, ist leicht zu sehen. Der
sciiatz liegt in Fafnirs wohnung; der besuch bei Sigrdrita schliesst sich
nur chronologisch an den drachenkampf. Ein vogel muss Sigurd zu
472 BOER
dem ritt auffordern; dann reitet er ein stück, dann erst sieht er aus
der ferne den ilammenwall. Dass Fäfnir Sigrdrifa hütet, lässt sich
schlechterdings aus diesen angaben nicht ableiten. Die quellen, die die
geschichte vom Standpunkte der ßrjnhild erzählen (Sigrdr. Helr.) wissen
auch von dem drachen nichts; sie berichten von dem zauberschlaf, von
ÖÖins zorn, aber von Fäfnir kein wort. Freilich nennt HelreiÖ als zu-
künftigen erlöser: panns mer fmr^i gull pats und Fäfni lä, aber das
soll doch nur heissen, dass der erlöser der beste der beiden sein musste;
irgend ein Verhältnis der Brynhild zu Fäfnir geht daraus nicht hervor.
Auch ist der hütende drache nicht ein festes dement der erlösungs-
sagen. Im gegenteil, die nächsten verwandten der Sigrdrifasage kennen
keinen drachen, weder KHM 111 noch Fjolsvinnsmäl, noch die etwas
weiter abstehende sage von GerÖr. Denn es geht nicht an, Fäfnir mit
dem riesen FJQlsviÖr, der am eingang zur wohnung der MenglQÖ steht,
den Svipdagr nicht zu besiegen braucht, der im gegenteil frohlockend
seiner herrin des beiden ankunft mitteilt, zu identificieren, und eben
so wenig hat der hirte, der bei Gjmis garöar sitzt und mit Skirnir einige
unfreundliche werte wechselt, mit Fäfnir etwas gemein. Andererseits
ist ein drache, der die Jungfrau hütet, im erlösungsmärchen wol be-
kannt; so in KHM nr. 60. 91 und mehreren Varianten bei Raszmann,
Die d. heldensage I, 360fgg. (vgl. oben s. 319). KHM 111 steht diesen
insofern nahe, als die drei riesen, die der held hier besiegt, mit dem
drachen in 60 u. a. einige züge gemein haben (s. hierüber § 36). Und
auch im Sigfridsliede begegneten wir einem solchen drachen. Wenn wir
denselben oben richtig beurteilt haben, so kann er mit Fäfnir nicht
identisch sein. Sieht man genauer zu, so ist er auch ganz anderer art.
Er gehört der kategorie der fliegenden drachen an. Man vergleiche
mit der weise, wie dieses vielköpfige ungeheuer hergefahren kommt,
Fäfnis ruhigen, altgewohnten gang zur tränke. SigurÖr weiss den weg,
den er wählen wird, im voraus so genau, dass er, obgleich draussen im
freien, vollständig richtige locale Veranstaltungen zum kämpfe treffen
kann. Auch hütet der drache des Sigfridsliedes keinen schätz. Natür-
lich findet der held schliesslich auch viele kostbarkeiten; das gehört'
mit zum Inventar, aber von der unheimlichen unmittelbaren Verbindung
des drachen mit einem bort, auf dem er liegt — denn auch das ist
bei Fäfnir sehr w^esentlich — keine spur. Wir können aus diesen und
den § 11 mitgeteilten gründen den drachen des Sigfridsliedes nicht als
mit Fäfnir verwandt anerkennen, sondern setzen ihn, wie schon früher
bemerkt, dem flammenwall der Sigrdrifa, dem gefährlichen wasser um
Brynhilds bürg in der PS und dgl. parallel.
TTXTERRTJrniTNGEN fBER DEN URSPRITNO UND DIE ENTWIr■KLU^fG DER NinEI.TTNG EXSAGE 473
Es verdient beachtimg, dass auch aus dem Sigfridsliod ein nach-
klang von dem echten drachenkampf zu vernehmen ist. Das ist aber,
wie man auf deutschem boden erwarten kann, nicht mehr als eine dürf-
tige notiz. Str. 38, 7 — 8 in Golthers ausgäbe steht: Er het ein ivurm
erschlagen , vor dem hetletis keyn raw. Das vernehmen wir, während
Sigfrid schon auf der spur des draciien, der die Jungfrau geraubt, dem
ti'acJien stayn ganz nahe gekommen ist. Wol eine anweisung, was man
von dem auf dem stayn hausenden drachen zu denken hat^.
AVir schliessen, dass in keiner unserer quellen der dracbenkampf
und die erlösung der Jungfrau als zwei teile einer einheitlichen handlung
erscheinen. Der drache des Sigfridsliedes ist von Fäfnir zu trennen; das
abenteuer mit Fafnir geht freilicii der erlösung voran, gehört aber nicht damit
zusammen. In engem Zusammenhang steht der drache mit dem schätze;
beide werden auch in der Sigfridsage älter als die erlösungssage sein.
§ 26. Die besitzer des hortes.
Ein dracbenkampf mit hortgewinnung ist ein bekanntes mythisch -
episches motiv. Ohne Jungfrau ist es in Skandinavien weit verbreitet.
Die sogur bieten mehrere beispiele. Ragnarr loöbrök erschlägt einen
schatzhütenden drachen. Ebenso der dänische könig Frotho bei Saxo.
Insbesondere sind zu erwähnen Beowulfs und Sigmunds drachenkänipfe.
Mogk hat (Neue Jahrb. f. d. klass. altert. I, 68fgg.) richtig bemerkt, dass
der drache, mit dem Sigmund kämpft, von dem von Sigfrid erlegten
schwerlich getrennt werden kann. Weniger richtig schliesst er daraus,
dass der dracbenkampf von Sigmund auf Sigfrid übertragen sei. Dafür
ist das motiv in seiner Verbindung mit Sigfrid zu sehr verbreitet. Edda,
I^iörekssaga, Nibelungenlied, Sigfridslied (38, 7 — 8) — diese Zeugnisse
bedeuten mehr als die eine Beowulfstelle. Wir haben also gruud zu der
annähme, dass der kämpf als Sigfrids tat relativ ursprünglich ist und
von ihm auf Sigmund übertragen wurde. Dann bietet die Beowulfstelle
uns ein beispiel von Sigfrids dracbenkampf ohne Jungfrau.
Gehört darum der dracbenkampf zu der alten Sigfridsage? Die
richtige antwort muss sich" aus unseren früheren resultaten ergeben.
Wenn die sage von Sigfrid und Hagen eine rein menschliche ist, so
kann auch der dracbenkampf nicht von anfang an mit ihr verbunden
gewesen sein. Wir haben es widerum mit einem fall wie mehrere oben
besprochene zu tun: das resultat ist das primäre, die motivierung ist
1) Die ausführlichere dar.stelluug des echten dracheukampfes in der eiuleituug
des Sigfridsliedes geht wie bekannt auf eine andere quelle zurück. Hier folgt nicht
die erlösung einer Jungfrau, und wie in der fS fehlt der hört.
474 BOER
jüngeren datiims. Hagen tötet Sigfrid, Attila tötet Hagen. Die frage
lautet: warum? Antwort: wegen des Schatzes. Nun fragt man weiter:
woher stammt der schätz? Und die dichtung hat bald die antwort fertig:
von einem drachen.
Aber das ist nur eine antwort. Eine abweichende Überlieferung,
die namentlich in Deutschland zu hause ist, sagt, der schätz stamme
von den Nibelungen. Dass die Nibelunge mit dem drachen identisch
seien, ist eine sehr verbreitete ansieht, aber auch sie findet in den
quellen keine stütze. Im Volksglauben sind sowol drachen wie zwerge
schatzhüter, aber ein zwerg ist kein drache und ein drache kein zwerg;
die beiden mythischen Vorstellungen liegen weit auseinander und haben
nur das gemein, dass beide in Zusammenhang mit schätzen gedacht
werden. Der narae Nibelunge findet sich, abgesehen von der Übertragung
auf Hagen, über welche vgl. § 29, nur für die zwerge belegt, und er
passt für sie ausgezeichnet. An nebeldämonen, sei es der nacht, sei
es des winters, braucht man dabei nicht zu denken. Die namen Niflheirar
und Niflhel, die man wol richtig damit in Verbindung bringt, können
das nicht beweisen; Niflheimr und Niflhel befinden sich tief unter der
erde, und dort wohnen auch die zwerge.
Die zwerge und Fäfnir werden in den quellen richtig auseinander
gehalten. Das Nibelungenlied kennt ein abenteuer mit beiden; die hort-
gewinnung ist nur mit den zwergen verbunden, der drache hat den
zug aufgeben müssen. Ähnlich die einleitung des Sigfridsliedes: drache
8 — 12, Nibelunge 13—14. Die PS kennt den drachenkampf, weiss
aber von den zwergen nichts; Mimir ist anders zu beurteilen, vgl. i?27.
Ebenso das Sigfridslied; die rolle des aus verwandten märchen be-
kannten Zwerges Eyglein hat mit den Nibelungen nicht die geringste
ähnlichkeit. Eyglein ist der typische helfer aus der not (über einen
einzelnen zug anderer art s. § 9), und von dem alten drachenkampf ist
nur kurz als von einem zurückliegenden ereignis die rede (s. oben s. 473).
In den nordischen quellen liegt eine contamination vor. Zuerst wird
die geschichte von HreiÖmarr und seinen söhnen erzählt. Diese hat
mit der von Schilbunc und Nibelunc grosse ähnlichkeit und wird auf
dieselbe quelle zurückgehen. Der vater stirbt und lässt einen schätz
nach, die söhne streiten um den schätz; dann kommt Sigurör und
nimmt ihn beiden ab. Doch enthält sie in dem schwesterpaare LyngheiÖr
und LofnheiÖr ein wol jüngeres dement, von dem die deutsche Über-
lieferung nichts weiss. Diese erzählung erscheint nun auf die folgende
weise mit dem drachenkampfe verbunden. Der eine söhn des HreiÖmarr
wird mit dem drachen identificiert. Daraus folgt, dass der andere bruder
ÜNTKRSUCHüNGE.V ÜBER DEN URSPRUNG UND DIE ENTWICKLUNG DER NinELUNGENSAOE 475
mit einem nebenbuhler des SigurÖr in der drachensage, über den § 27
zu vergleichen ist, als identisch aufgefasst wird, und nun heisst es, dass
Fafnir nach der erbeutung des Schatzes zu einem drachen wird. Er war
.also von anfang kein drache, sondern ein zwerg. Sein name beweist
das gegenteil.
Olrik hat (Dania I, 238) eine ansprechende erklärung vieler sagen
von schatzhütenden drachen aufgestellt. Nach ihm liegt die Vorstellung
von einem geizhals, der beim brüten über seinem schätze zum troll
wird, zu gründe. Er vergleicht die erzählungen von schatzhütenden
Wikingern und draugar in grabhügeln, die von drachen in vielen fällen
kaum zu unterscheiden sind. Die vergleichung ist zutreffend, aber man
kann daraus nicht schliessen, dass jeder schatzhütende drache aus einem
geizhals entstanden sein muss. Im gegenteil, die Vorstellung von einem
geizhals, der zum troll wird, ist ein landläufiges motiv, das man brauchen
konnte, wo man es nötig hatte. Auch im vorliegenden fall ist widerum
die scheinbare folge das primäre. Der drache war vorhanden; um seine
herkunft zu erklären, dichtete man den geizhals hinzu. Dieses motiv
hat die skandinavische tradition benutzt, um die drachensage mit der
erzählung von HreiÖmarr und seinen söhnen zu verbinden.
Die Verbindung der zwei erzählungen von den streitenden brüdern
und von dem drachen scheint nicht sehr alt zu sein, aber sie ist doch
nicht eine hypothese des redactors der Reginsmäl. Denn sie gehört der
poetischen tradition an. Der name Fafnir ist in beiden erzählungen
poetisch überliefert (Rm. 12, Fm. 21 und passim).
Es gibt demnach zwei voneinander unabhängige erklärungen für die
herkunft des Schatzes, die in den quellen concurrieren und in der Edda
contaminiert erscheinen. Es wird sich kaum ermitteln lassen, welche Vor-
stellung die ältere ist. Aber ein geographischer unterschied ist leichter
zu erkennen. Die zwergensage ist die südlichere. Sie wird ausführlich
mitgeteilt und treibt einen neuen spross (Sigfrids reise zu den Nibelungen
während des aufenthaltes bei Brynhild) im Nibelungenlied; im norden
finden wir sie nur secundär mit der wichtigeren drachensage verbunden.
Hingegen wird die drachen'feage die skandinavische erklärung repräsen-
tieren. Auf der kimbrischen halbinsel, dem klassischen gebiete der schatz-
hütenden drachen \ wo auch die Beowulfsage zu hause ist, wird sie
entstanden sein. Von dort kam auch die Sigmundsage nach England.
Südwärts verliert die Vorstellung an stärke. Die PS erzählt noch einen
1) Über die grosse Verbreitung des motivs s. Grimm, Myth.' 817fgg. und passim.
Eine so reiche litterarische Verwertung wie in Dänemark hat es aber in der littoratur
des mittelalters sonst nicht gefunden.
476 BOER
ausführlichen bericht, aber der schätz fehlt; das NL tut die sache ganz
kurz ab, und benutzt sie im gründe nur, um daran die neuerung zu
knüpfen, dass Sigfrid eine hornhaut hatte. Ähnlich die kurze beraerkung
im Sigfridsliede (38). Diese geographische Verbreitung des drachenkampfes
ist zugleich eine letzte au Weisung dafür, dass der drache, der im Sigfrids-
liede die Jungfrau hütet, nicht Fäfnir ist.
Die skandinavische Überlieferung erzählt von einem fluche, der
an dem schätze haftet. Fäfnir droht: per verta peir haugar at bana
(Fm. 20, 6), und der vogel, der 40, 1 — 2 den Sigurör auffordert, die
schätze sich anzueignen, nimmt darauf z. 3 — 4 bezug: ei'a konunglikt
hviha mqrgu (vgl. Zeitschr. 35, 306). Fäfnirs drohung kann alt, vielleicht
älter als die aufnähme des Brynhildmotivs sein. Auch in der deutschen
Überlieferung fehlen die spuren einer ähnlichen auffassung des Schatzes
nicht. Erst nachdem der schätz in den Ehein versenkt worden, wird
der reihe der mordtaten ein ende. Der fluch hängt gewiss mit der
herkunft des goldes direct zusammen. Wenn wir in Hreiömarr und seinen
söhnen die Nibelunge richtig erkannt haben, so ist es auch klar, dass
der fluch nicht von dem drachen, sondern von den Nibelungen stammt.
In der elbensage ist der fluch ja zu hause. Die erzählung ist anderen
sagen von zwergenkostbarkeiten durchaus parallel; die Nibelunge sind
den schmieden der Hervararsaga und der Äsmundar saga kappabana zu
vergleichen. Eibengold bringt keinen segen. Die ähnlichkeit mit brüder-
paaren wie Dulinn und Dvalinn lässt sogar vermuten, dass Sigfrid ur-
sprünglich Schilbuuc und Nibelunc nicht wie das NL erzählt erschlagen,
sondern sie nur zu der herausgäbe des Schatzes genötigt habe. Bei
dieser gelegenheit sprachen sie den fluch aus. Die Vorstellung, dass
Sigfrid ihnen die herrschaft über die Nibelunge abgewinnt, ist jedesfalls
eine groteske Übertreibung.
In der skandinavischen tradition, die Fäfnir mit dem elben iden-
tificiert, wurde der fluch, den der dem beiden sich entziehende zwerg
spricht, dem sterbenden Fäfnir in den mund gelegt. Aber der von
Zwergen ausgesprochene fluch ist durch eine widerholung des zwergen-
motivs bewahrt. Die Überlieferung knüpft die geschichte von Andvari
an, die in ihrem ausgang der von den Nibelungen durchaus parallel
ist. Fäfnirs fluch wird nun zu einer von einem fremden überkommenen
botschaft, die er seinem feinde als etwas, das ihn selbst nicht angeht,
mitteilt.
S 27. Reginn und Mirair.
Von Reginn wird in der Edda das folgende erzählt: 1. Er ist
Sigurbs föstri und begleitet ihn bei der vaterrache. 2. Er schmiedet
trNTERSUCHUNGEN 'CBER DEN TTRSPRUNG UND DIE ENTWICKLtTN'G DER NinELTJNGENS A GE 477
SigurÖs Schwert. 3. ErwünschtSigurÖr zu töten und wird von ihm erschlagen.
4. Er ist Fafnirs bruder. 5. Er belehrt den SigurÖr über seine abkunft.
1. Die rolle eines besonderen erziehers des beiden ist in der Edda
-ziemlich überflüssig. SigurÖr wächst bei Hjälprekr auf, und dieser ist
also als sein fostri zu betrachten. Die vaterrache gehört auch niciit zu
der alten Sigfridsage. Ich habe früher (Beitr. 22, 373) die Vermutung
ausgesprochen, dass SigurÖr diese tat von Helgi Hundingsbani über-
nommen habe. Nachdem Helgi zu einem söhne des Sigmundr geworden
war, ist es nur natürlich, dass seine vaterrache, die nun eine räche
für Sigmundr geworden war, auf die gestalt übergieng, die als Sigmunds
söhn jedermann bekannt war. Helgis vaterrache aber hat von hause
aus mit Sigmundr nichts zu schaffen, sondern mit Hälfdan, denn Helgi
Hundingsbani ist der SkJQldung Helgi, Hälfdaus söhn. Dieser Helgi
nun hat Beginn zum erzieher, und bei der vaterrache ist dieser ihm
behilflich. Dass diese rolle des Reginn und sein name aus der Helgi-
sage stammen, unterliegt kaum einem zweifei.
2. In der PiÖrekssaga wächst SigurÖr bei Mimir auf. Das ist hier
ein secundärer zug. Als erzieher tritt Mimir sonst nur noch in der von
der Sigfridsage durchaus abhängigen stelle der PS, wo er Velent er-
zieht, auf. Das wesentliche an Münir ist, dass er dem beiden das
Schwert schmiedet, mit dem — obgleich die PS das vergessen hat —
der drache erlegt werden kann. Das geht schon daraus hervor, dass
die deutsche sage Mimir durchaus als den trefflichsten der schmiede
auffasst (Velents seh wert Miming; vgl. die Zeugnisse bei Golther, Hand-
buch s. 180). Es ist nur ein specialfall seiner Wirksamkeit, wenn er
für Sigfrid ein schwert schmiedet. Der zug knüpfte sich secundär an
den drachenkampf. Es ist eine erklärende erzähluug, die keinen anderen
zweck hat als z. b. der bericht, dass Beowulf, bevor er den drachen-
kampf besteht, für sich einen schild von einer bestimmten beschaffenheit
anfertigen lässt. So kommt Sigfrid zu dem schmiede. Mit der Vor-
stellung, dass Sigfrid als ein fremder aus der ferne kommt, wovon § 9
gehandelt wurde, hängt es nun zusammen, dass man ihn längere zeit,
nach der darstellung der JS sogar von seiner kindheit an, bei dem
schmiede verweilen Hess. Diese Vorstellung war nicht nur in N^ord-
deutschland, sondern auch im norden verbreitet. Die niederdeutsche
tradition benutzt weiter die gelegenheit, das märchen von dem schmiede-
gesellen, der den schraied und die lehrbuben durchprügelt, aufzunehmen.
Hier war nun mit Reginn eine ähnlichkeit vorhanden. Reginn erzieht
Sigfrid und Mimir erzieht Sigfrid. Die folge war eine Identification in
der skandinavi.schen tradition, wo nun Reginn zum schmiede wurde.
478 BOER
3. Reginn wünscht Sigfrids tod und wird von ihm erschlagen. Das
hat er mit Mimir gemein, und das stammt wenigstens in seiner ersten
hcälfte von Mimir^ Die feindschaft des Schmiedes wird verschieden
motiviert. Nach der PS zieht SigurÖr durch sein unfreundliches be-
nehmen sich diese feindschaft zu. Das ist offenbar eine noterklärung.
In der Edda wünscht Reginn des Schatzes des drachen habhaft zu werden.
Das sieht ursprünglicher aus. Da in der I>S der drache keinen schätz
mehr besitzt, musste auch dieses motiv verschwinden. Ein ursprüng-
licher zug ist aber auch die neidische begehrlichkeit des Schmiedes nach
dem schätze nicht. Sie gehört nicht notwendig zu der schmiedesage,
konnte sieh aber leicht entwickeln. Der beste der schmiede ist kein ge-
wöhnlicher Schmied, er hat wie andere elbische schmiede dämonische züge.
Man kann daher erwarten, dass er seinen dienst nicht unentgeltlich leisten
wird; die erklärung liegt nahe, dass es ihm um den schätz zu tun ist.
4. Reginn ist Fäfnirs bruder. Das kann kein ursprünglicher zug
der dracheusage sein. Aber auch zu Reginn, dem erzieher des beiden,
kann Fäfnir nicht gehören, ebensowenig wie zu Mimir* der ursprünglich
ein Wassergeist, später ein schmied ist, aber nirgends einen bruder, viel
weniger einen drachen zum bruder hat. Ich glaube, man kann sicher
sagen, dass dieser zag aus der zwergensage stammt. Wir finden in der
Edda die beiden erzählungen combiniert: Hreiömars söhne streiten um
den schätz, den SigurÖr am ende in seine gewalt bekommt, und SigurÖr
tötet den drachen wegen des Schatzes, hat aber an Reginn einen con-
currenten. Die Verbindung kam durch die Identification des einen bruders
mit dem drachen zu stände. Eine directe folge davon war, dass der
Schmied, der den schätz wünscht, mit dem anderen bruder identificiert
wurde. Der zug ist auf litterärem wege in die 5S übergegangen; die mit-
teilung, dass der drache, der hier, wohlgemerkt! Regiiin heisst, ein bruder
des Mimir ist, kommt hier ganz unerwartet aus der luft gefallen, an einer
stelle, die auch sonst unter skandinavischem einfluss steht (s. § 28). —
Die einleitung des Sigfridsliedes teilt ganz richtig mit, dass der schmied,
um sich des jungen beiden zu entledigen, ihn in den wald zu dem
drachen sendet; von einer Verwandtschaft aber zwischen den beiden weiss
sie nichts.
5. Reginn belehrt Sigfrid über seine abstammung. Dieses motiv
wurde schon § 9 erörtert. Hier ist noch zu bemerken, dass wo es
vorhanden war, es auch ganz natürlich ist, dass es an den erzieher
des beiden geknüpft wurde.
1) Über Mimirs tod s. § 28 schluss.
TJNTEESüCHtTNGEN ÜBEK BEN XIRSPRTJNG UND DIE ENTWICKLUNG DER NIBELUNGENSAOE 479
Die gestalt des Reginn lässt sich also vollkommen verstehen. Durch
völlig durchsichtige anknüpfungen sind in ihr vier gestalten combiniert,
Helgis erzieher, der schraied der&S. der bruder des zwerges, der den
schätz besitzt, der Wächter, der mit dem beiden sich über seinen namen
unterhält. Wenn Regiim ein zwerg genannt svird (Reginsm. pr. vor 1), so
stammt die bezoichnung aus der zwergensage; wenn er an einer anderen
stelle (Fäfn. 38) om hrimhaldi jotunn heisst, so ist daran zu erinnern,
dass Mimir von hause aus ein riese ist.
§ 28. Die hornhaut und das Verständnis der vogelsprache.
Den Ursprung der Vorstellung, dass man durch ein bad im drachen-
blut eine hornhaut erwerbe, bespreche ich hier nicht. Dass das motiv
in der Sigfridsage jung ist, hat schon Wilhelm Grimm (Heldensage •'' 439
und passim) erkannt. Ein organischer teil des drachenkampfes ist die
hornhaut nicht; sie ist gewiss jünger als der kämpf. Dafür spricht auch
ihre verhältnismässig geringe geographische Verbreitung.
Ein skandinavisches gegenstück ist die erzählung, wie Sigurör
Fäfnirs herz isst und darauf die vogelsprache versteht. Hier liegt die
uralte aus riten sehr bekannte Vorstellung zu gründe, dass man durch
den gcnuss eines zauberischen gegenständes dessen Zauberkraft in sich auf-
nimmt (s. Oldenberg, Religion des Veda s. 357 fgg.; so Brot 4, wo Guttormr
durch das fleisch eines wolfes und einer schlänge wild gemacht wird,
vgl. auch Lokis schwangerschalt durch den genuss eines frauenherzens
Hyndl. 41). Dieser zug ist in der prosaerzählung der Fäfn. mit der
Weissagung der vögel in der weise in Verbindung gebracht, dass das
essen des herzens die Ursache des Verständnisses der vogelsprache ist.
Die motive gehören nicht von anfang zusammen; weissagende vögel
gibt es viele, auch in der Edda, und dass man ihre spräche versteht,
wird als selbstverständlich angesehen. So verstehen z. b. Gunnarr und
H(;;gni ohne irgend eine vorhergehende zauberische handlung die spräche
des raben, der ihnen ihren Untergang weissagt (Brot 5). "Wir müssen
demnach untersuchen, welche bewandtnis es mit der zauberischen Wirkung
des drachenherzens hat.
Der erste rat, den die vögel Fäfn. 32 dem iielden erteilen, ist in
dem Zusammenhang der erzählung überaus auffällig, Sie raten ihm,
Fäfnirs herz zu essen. Wenn Sigurör das herz des drachen schon ver-
speist hat, so brauchen die vögel ihm diesen rat nicht zu geben; wenn
er es nicht gegessen hat, wie versteht er dann die vogelsprache? Die
prosa erklärt freilich, der held habe an dem herzen, das er für Reginn
rüstete, seinen finger gebrannt, dann iiabe er denselben in den mund
480 I BOEB
gesteckt und darauf verstanden, was die vögel redeten. Aber das ist
doch nur eine müssige widerholimg desselben motivs. Denn wenn SigurÖr
schon durch die einfache berührung des drachenblutes mit seiner zunge
die vogelsprache versteht, was soll dann durch den genuss des herzens
noch weiter bewirkt werden?
Die Sache wird vollständig klar, wenn wir von der prosa, die
widerum nichts quellenmässiges, sondern nur die meinungen des redactors
mitteilt, absehen. SigurÖr versteht die vogelsprache, wie Atli und Hqgni
den raben verstehen; die meinung ist wol, dass der vogel in mensch-
licher spräche redet. Wenn nun der vogel ihm rät, Fäfnirs herz zu
speisen, so kann das unmöglich den zweck haben, ihn der vogelsprache
kundig zu machen. Und das ist auch ganz natürlich. Denn die eigen-
schaften, die der held durch den genuss des herzens gewinnt, können
nur solche sein, die für den drachen typisch sind. Die charakteristische
eigenschaft eines drachen aber ist nicht sein Verständnis der tiersprachen,
sondern seine ungeheure kraft. Durch das essen des herzens soll SigurÖr
zu dem stärksten der beiden werden.
Dadurch wird es auch verständlich, weshalb Reginn den beiden
aufgefordert hat, für ihn das herz zu braten. Er will sich Fäfnirs kraft
zueignen; darauf hofft er SigurÖr zu erschlagen^. Das weiss der vogel;
deshalb gibt er dem beiden den rat, selber das herz zu essen. Man
muss annehmen, dass SigurÖr unmittelbar diesem rat nachkommt, also
nach 32. Dann folgt der zweite rat: töte Reginn. Durch den genuss
des herzens gestärkt, vollbringt SigurÖr die tat (prosa nach 89). Darauf
folgt der hinweis des vogels auf Brynhilds felsen^.
Der redactor hat also die absieht des dichters nicht verstanden.
Er führt ein motiv ein, das dem gedichte widerspricht. Aber ersonnen
hat er das motiv nicht; hier stützt er sich ausnahmsweise auf eine
bestehende tradition. Das beweist die einleitung des Sigfridsliedes. Nach-
dem Seyfrid den drachen erschlagen, verbrennt er ihn. Dann heisst
1) In diesem Zusammenhang ist die stelle der VQlsungasaga (c. 26) interessant,
wo Sigurbr der GuSrün von Fäfnis herz zu essen gibt, ok sulan i;ar hon miklu
grimmari en äSr ok vitrari; die worte ok vitrari gehen wol auf das verstehen der
vogelsprache; grimmari aber verrät die alte anschauung.
2) Ich leugne nicht, dass die schlänge — nicht der drache — auch von alters
her für ein listiges tier gilt, so dass es nicht unmöglich ist, dass auch Verständnis
von tiersprachen durch den genuss einer schlänge erworben werden kann — ein bei-
spiel liefert EHM 17; aber der verlauf der begebenheiten in Fäfnismäl verbietet hier
diese auffassung. Der Verfasser der prosa hat also die von ihm eingeführte änderung
des motivs nicht frei ersonnen , sondern eine landläufige Vorstellung in die darstellung
aufgenommen.
UNTERSUCHUNGEN ÜBER DEN' URSPRUNG UND DIE ENTWICICLUNÜ DER NIBELUNGENSAGE 481
es str. 10: das hörn der icürm gund iveychen, ein bechlein her thet
fliess; des wiuidert Seijfrid sere, ein finger er dreyn stiess; do im
der finger erkaltet, do tcas er iin hiirneyn; icol mit demselben backe
schmirt er den leybe scyn. Die probe mit dem finger ist also verh[ilt-
nismässig altes sagengut. Aber sie hat nur da einen sinn, wo die wider-
holung der handlung (des scbmierens oder essens) einen zweck hat. Also
nicht, wo es sich uni das Verständnis der vogelsprache handelt, wol
aber wo von einer hornhaut oder von einer niehrung der kraft die rede
ist. Eine vernünftige widerholung ist also auch das, dass Reginn, der
schon von dem blute des drachens getrunken hat, dennoch dessen herz
zu essen wünscht. Ich glaube, wir können auf grund dieser betrach-
tungen auch die den strophcn der Fäfn. zu gründe liegende sagenform mit
Sicherheit reconstruieren. Die Vorstellung muss die gewesen sein, dass
SigurÖr, als er beim braten des herzens seinen finger verbrannte und
darauf in den raund steckte, seine kraft wachsen fühlte. Darauf entschloss
er sich, auch das herz zu essen. Als er das getan, tötete er Reginn.
Selten liegt ein fall vor, wo man einen alten dichter so bei der
arbeit belauschen kann, wie hier. Die innere stimme wird plastisch
nach aussen verlegt, sie wird zu einer vogelstimme. Aber während die
innere stimme durch einen äusseren anlass, — das zufällige kosten von
dem blute des herzens, — geweckt werden muss, redet der vogel aus
sich selbst, und das motiv von dem verbrannten finger wurde überflüssig.
Der dichter Hess es unbenutzt. Aber die volkstümliche tradition hat
das motiv behalten. Daraus hat der redactor es aufgenommen aber es
sehr unrichtig benutzt, um dadurch das Verständnis der vogelsprache
zu motivieren. Wie durchaus er die bedeutung des essens missverstanden
hat, ersieht man daraus, dass er (pr. nach 39) Sigurö auch Reginns blut
trinken lässt! Einem solchen autor gegenüber hat man wol das recht,
sich ausschliesslich an die Strophen zu halten.
Auch die PS bringt die erzähl ung von der vogelsprache und moti-
viert sie wie die prosa der Fäfn. dadurch, dass SigurÖr den schäum
von des drachens herzen kostet. Aber die ganze stelle ist von unserer
liedersammlung und deren' dogmatischer anschauung durchaus abhängig.
Es ist dieselbe stelle, wo sich die bemerkung findet, dass Mimir ein
bruder des drachens war^ Dass die stelle mit recht auf den einfluss
der nordischen tradition zurückgeführt wird, wird dadurch bewiesen,
dass die echte darstellung unmittelbar darauf folgt; SigurÖr bestreicht
sich mit dem blute des drachens. Das stimmt mit der einleitung des
1) Beisammen fiadet sich das Fäfu. 33, wo der vogol sagt: i-ill bqlca sinidr
brodur hcfna.
ZEITSCHRIFT ¥. DEUTSCHE PHILOLOGIE. HD. XXXVII. 31
482 BOEE
Sigfridsliedes überein. Das wahrscheinlichste ist, dass die quelle des
capitels Avie die einleitung des Sigfridsliedes die nachricht, dass Sigfrid
mit dem finger das blut des drachens berührte, enthielt, und dass der
Verfasser dadurch an die officielle darstellung von Fäfn. (mit prosa) er-
innert wurde, was ihn dann zu der aufnähme von motiven aus dieser
quelle veranlasste. Vielleicht gehört auch hierher, dass Sigurör Mimir
tötet; in der einleitung des Sigfridsliedes kehrt er nach dem drachen-
kampf nicht zu dem schmiede zurück. Und sicher ist so die unsinnige
Vorstellung, dass der held den drachen in stücke schneidet, um sich
eine mahlzeit zu bereiten, — vojq der er nachher kein stück zu sich
nimmt, t- zu beurteilen.
§ 29. Nibelung als geschlechtsnamen für Hagen.
Wie ist nun das zu beurteilen, dass auch Hagen und seine ver-
wandten in der sage Nibelunge heissen? Die mythische sagenauffassung
schliesst aus dieser nameusgleichheit auf wesensgleicheit und baut darauf
weitreichende hypothesen. Wenn diese identität gelten soll, so müssen
wir alle bisher gewonneneu resultate widerum fallen lassen. Denn die
Nibelunge sind zwerge; wenn Hagen mit ihnen identisch ist, so ist
auch er ein zwerg, so stehen wir von neuem weit ab vom menschlichen
leben und befinden uns mitten in der mythologie. Die einheit der
Hagensage wird sich dann auch nicht retten lassen. Denn die ge-
schichte des Schatzes ist dann diese: Sigfrid raubt ihn den dämonen
der finsternis, darauf wird er von ihnen getötet, und sie nehmen den
schätz zurück. Was soll dann Hagens tod bedeuten? Unmöglich kann
das heissen, dass der schätz wider zu den menschen kommt. Der schätz
liegt wolverwahrt in dem Rheine. Für die zv/eite hälfte der Hagensage
bleibt kein platz übrig, diese muss widerum ein heterogenes dement
sein. Aber wie erklärt sich dann die widerholung des motivs vom
schwagermorde, das den eigentlichen kern der Hagensage bildet? Wer
einmal eingesehen hat, dass die ereignisse von Sigfrids erster berührung
mit Hagen bis zu Attilas tod eine unlösliche kette von begebenheiten
bilden, wird verlangen, dass für die gewaltsame auseinanderreissung
der Hagensage andere gründe als der name Nibelung angeführt werden.
Einer mythologischen erklärung zu liebe wird er nicht die identität
von Hagen mit Schilbunc und Nibelunc anerkennen.
Ist das nun so absolut unerklärlich, dass der name Nibelunge von
Sigfrids zu seiner ursprünglichen sage nicht gehörenden mythischen
feinden auf seine menschlichen feinde übertragen wurde? Das kann
man auch nicht mit einem schein von recht behaupten. Sobald die
UNTERSUCHUNGEN ÜBER DEN URSPRUNC, UND DIE ENTWICKLUNG DER NinELUNGENSAGE 483
Nibelunge als menschliche wesen aufgefasst wurden, — die auffassung
herrscht im NL, wo Sigfrid tausend nibelungische ritter nach Island
holt, und auch HreiÖmarr und seine söhne sind als zvvergo kaum mehr
widerzuerkennen, — lag eine solche namen Übertragung überaus nahe.
Die feinde eines beiden aus früherer und aus späterer zeit werden bis
zu einem gewissen grade einheitlich aufgefasst und mit einem gemein-
samen geschlechtsnaraen angedeutet. Das konnte um so leichter ge-
schehen, da Hagen von anfang an keinen geschlechtsnamen hatte. Viel-
leicht hat dazu auch das bewusstsein mitgewirkt, dass beide kämpfe,
der mit den Nibelungen und der mit Hagen, um denselben schätz ge-
führt wurden, so dass eine schwache Vorstellung von einer geschlechts-
fchde sich entwickelte. Ein ganz analoges beispiel bietet Hagens feind
Sigfrid. Warum wird dieser in den an. quellen mehrfach enn hünski ge-
nannt, und warum erzählt die Vglsungasaga, dass die Vglsunge im
Hünaland regieren? Ist eine andere erklärung möglich als die, dass
Attila dort regiert? Dass in diesem fall die namonübcrtragung jünger
ist, tut nichts zur sache. Hagens feinde werden unter dem namen
Hunnen, wie Sigfrids feinde unter dorn namen Mbelunge zusammen-
gefasst. Wer aus dem namen auf die identität von Hagen mit den
Nibelungen schliesst, nvuss consequenterweise auch aus dein namen
schliessen, dass Sigur<>r und Attila einem und demselben geschlecht
angehören. Die durchaus natürliche namenübertragung beruht nicht
auf mythischen, sondern auf menschlichen Verhältnissen^.
Ganz ins menschliche sind jedoch die Nibelunge nicht übergegangen.
In einzelnen zügen zeigen sie ihre elbische art, zumal in ihrem uner-
messlichen reichtum und sonstigen märchenhaften besitztümern. Damit
hängt es wol zusammen, dass die PS Hagen den söhn eines elben nennt,
obgleich das auch einen anderen grund hat (§ 40).
Diese verhältnismässig junge abstammung von einem elben ist in
Hagens gestalt der einzige dämonische zug. Er hat aber in seinem
Charakter etwas, was zu einer dämonisierung führen konnte, seine ganz
ausserordentliche unerschrockenheit und seine freiheit von verurteilen,
seine Verschwiegenheit und seinen sarkasmus. Das sind aber mensch-
liche eigenschaften, die auch in den SQgur in mehreren sehr bewun-
derten exemplaren sich zusammenfinden.
Hagen ist der vortrefflichste repräsentant des reifen, besonnenen
kriegers. Die Nibelungensage stellt ihm den jugendlichen, arglosen
1) Dor naine Nibelunge für Hagens geschlecht stammt gewiss wie die zwergi-
schen Nibelunge aus dor deutscheu traditiou. In deu nordischen poetischen quellen
ist er überaus selten.
31*
484 BOEH
beiden gegenüber, und gewiss nicbt mit dem zweck, ibn berabzusetzen.
Freilieb bat auf die dauer der besiegte die allgemeine sympatbie ge-
wonnen. Hagen entfaltet nun seine kraft nur mebr in der zweiten bälfte
seiner sage, wo er selbst besiegt wird. Dort erkennen wir in dem
grimmen Hagen trotz des abstandes, den eine lange entwicklung der
sage in verscbiedener ricbtung bewirkt bat, die anziebende gestalt der
Hildesage, den wabrsten typus des altgermaniscben kriegers. Wäbrend
Sigfrid idealisiert wird und neben der poesie der Jugend aucb die der
liebe ibn umgibt, bat Hagen alle fugenden und febler des erfabrenen
mannes.. An tapferkeit stebt er binter Sigfrid nicbt zurück, und es ist
gewiss eine auf sympatbie für den mebr romantiscben liebling der
späteren poesie berubende neuerung, wenn das NL den todwunden
Sigfrid Hagen zu boden scblagen lässt, aber Hagen ist nicbt ausscbliess-
licb tapfer, er ist aucb vorsicbtig und listig, er verscbmäbt es nicbt,
die mittel, die zum ziele fübren, anzuwenden. Sein Überfall auf Sigfrid
bernbt auf der einsiebt, dass ein offener kämpf zu gefäbrlicb wäre. Die
jüngere sage stellt Hagen dadurcb in ein scblecbtes liebt, dass Sigfrid
der woltäter der Burgunden ist. Man siebt in Hagens sieg den sieg
der falscbbeit über unscbuld, offenberzigkeit und eine reibe ritterlicber
fugenden. Aber so einseitig die sympatbie sieb entwickelt bat, durcb
die Zeilen bindurcb scbimmert nocb eine andere an und für sieb gleicb
berecbtigte auffassung von Hagens tat, nämlicb als eines Sieges der ein-
siebt über unvorsicbtige dreistigkeit.
V. Die frauennameii der Nibelungcnsage.
§ 30. GuÖrün oder Grimbild?
Dass Hagens scbwester Grimbild gebeissen babe, kann die viel
jüngere erzäblung von Ildico, aucb wenn Ildico spracblicb = Grimbild
wäre, nicbt beweisen. Nun aber ist Ildico nicbt = Grimbild, sondern
Hild, was freilieb als eine abkürzung von Grimbild aufgefasst sein kann
aber nicbt braucbt, und der name Hild ist so bäiifig, dass bier eine
zufällige ähnliclikeit in keiner weise ausgescblossen ist. Die spätere
identification der germauiscben prinzessin, in deren armen Attila starb,
mit der beldin unserer sage braucbt, wenn sie tatsäcblicb stattgefunden
bat, nicbt auf einer nameusäbnlicbkeit zu beruhen, sondern kann ihren
gi'und darin liaben, dass sie, wie nacb der identification von Hagens
feind mit Attila aucb Giimbild, Attilas frau war, und da die erzäblung
von Grimbilds bruderracbe älter als das gescbicbtlicbe ereignis von Attilas
tode ist, muss wenigstens mit der möglicbkeit gerechnet werden, dass
die Vorstellung, Ildico babe Attila ermordet, aus der Nibelungensage
TJNTERSUCHÜ.VGEN l'BER PEN TRSPRrXG UND DIE ENTWICKLUNG DER NIBELTjNGENSAGE 485
entlehnt ist. "Wenn man aber andererseits in betracht zieht, dass die
deutsehe tradition von Grimhilds bruderrache nichts weiss, und dass
ihre räche für den g-atten sehr alt ist, so erhebt sich ein gerechter
.zweifei an jedem Zusammenhang mit der erzählung von Ildico.
Um die alte namensform zu bestimmen, wenden wir uns den Ur-
anfängen der sage zu und versuchen iliren ältesten verwandton eine
mitteilung abzugewinnen. Es fällt auf, dass die drei nanien Hagen -
Ilild-Gucirün sich auch in der Hildesage beisammen finden. Hier liegt
eine Verdopplung vor, wie wir oben mehreren beispielen begegneten; die
geschichte von Hagen -Hildr-Heöinn wird in der trias HeMnn-GuÖrün-
Hartmuot widerholt. In beiden sagen nimmt die frau die Stellung ein,
die der Grimhild-GuÖrün der NS entspricht, nur das sie die tochter,
nicht die Schwester des beiden ist. Also sind beide namen (für Grim-
hild das kürzere Hild) schon in der periode der ersten sagenbildung
bezeugt. (Dass die trias HeÖinn-GuÖrün-Hartmuot nur auf deutschem
boden belegt ist, beweist natürlich nicht, dass die Verdoppelung der
geschichte jung ist). Aber wir finden hier Hagen mit Hild verknüpft,
und wir finden, dass Hild die mutter der GuÖrün ist. Jener zug findet
sich in der hochdeutschen, dieser in der nordischen form der NS wider.
Daraus lässt sich mit Wahrscheinlichkeit schliessen, dass diese züge alt
sind. Daraus ergibt sich für die älteste NS diese grundform: Hagen
ist (Grim)hilds bruder; ihre tochter hiess GuÖrün. Die eigentümliche
entwicklung der NS liess aber von anfang an einer tochter der heldin
keinen räum. Diese konnte auf zwei weisen eliminiert werden. Ent-
weder hielt man daran fest, dass Hagen und (Grim)hild zusammengehören.
Dann musste man GuÖrün fallen lassen. So die deutsche tradition.
Oder man hielt daran fest, dass GuÖrün die tochter der (Grim)hild sei.
Dann mussten die beiden trauen eine generation hinaufgerückt werden,
so dass die heldin den namen Guörün bekam, während nun ihre mutter
Grimhild auchHagens mutter wurde. So in der skandinavischen tradition.
Da es sich ergibt, dass Guörün ursprünglich eine tochter der heldin
war, während im gründe für eine solche gestalt in der NS kein platz
ist, wird man mit recht sohliessen, dass die anfange der Hildesage, zu
der eine tochter der heldin organisch gehört, älter als die der NS sind.
Und das stimmt widerum damit überein, dass die Vormundschaft des
bruders über die Schwester das abgeleitete, die des vaters über die
tochter das natürliche, also ältere Verhältnis ist.
So alt sind diese namen in der sage. Sie haben die ganze ent-
wicklung von einfachen motiven zu äusserst zusammengesetzten in ver-
schiedenster weise motivierten sagen mitgemacht.
48(3 ROER
Was die bedeutimg dieser namen angeht, etwas mythisches ist
darin nicht zu erkennen. Guörün ist gebildet wie Sigrün, Oddrün und
andere und schickt sich trefflich für eine einem heldengeschlechte zu-
gehörige frau. Über seine anwendung lässt sich sagen, dass er wenigstens
in historischer zeit von gewöhnlichen frauen nicht selten getragen wird.
Hild ist einer der gebräuchlichsten frauennamen des altertums; die an-
wendung auf Walküren ist natürlich jünger als der name. Über Grim-
hild s. i> 31.
§ 31. Brynhild und Grimhild.
In Grimhild- Brynhild hat man vielfach einen symbolischen gegen-
satzt gesucht: 'die verhüllte kämpferin' und 'die kämpferin im panzer'.
Wenn eine beziehung zwischen beiden besteht, so sind es eher parallele
bildungen als solche, die einen gegensatz ausdrücken. Weshalb muss
man bei grim- an eine maske und nicht an einen heim denken, und
das dann weiter so auslegen, dass die maske im gegensatz zu dem panzer
zum versteckspielen dient? Und was soll man mit diesem gegensatz
anfangen? Dass Brynhild öffentlich kämpft, Hesse sich noch einiger-
massen verstehen, obgleich man nicht richtig einsieht, worauf das deuten
soll. Aber von Grimhilds verdecktem kämpf weiss nur die mythologische
construction. Ja, wenn man auf die junge erfindung, dass SigurÖr einen
Vergessenheitstrank trinkt, grossen wert legt, wenn man hinzuphantasiert,
dass das mädchen den trank gebraut hat, und dass sie dabei die absieht
hatte zu schaden, dann kann man ihr betragen einen geheimen kämpf
nennen. Aber wo stebt das alles? Der dichter, der um die beiden
formen der Brynhildsage (Br I und Br II) zu einer fortlaufenden er-
zählung zu combinieren, den trank ersann, hat dabei nicht einmal an
die tochter gedacht, sondern die mutter dafür verantwortlich gemacht.
Um daraus eine höllische raachination der GuÖrüu herzuleiten, muss
man überdies den becher mit dem geheimnisvollen trank bis in den
mythus zurückversetzen. Dort lässt sich vielleicht auch eine böse ab-
sieht herausfinden; in den quellen liebt GuÖrün- Grimhild ihren mann
ohne falschheit mit der innigsten liebe.
Wenn die namen zusammengehören und ausdrücken, wie die frauen
kämpfen, so scheinen sie nur bedeuten zu können: 'die unter dem helme
kämpfende' und 'die im panzer kämpfende', also die kriegerinnen, nichts
mehr. Aber es ist doch sehr die frage, ob das die richtige deutung
ist. Denn hüdr bedeutet nicht appeliativisch 'die kämpfende', sondern
'kämpf; als nomen proprium hingegen ist es ein frauen- und walküren-
name. In den in frage stehenden compositis nun kann gewiss nicht
das abstracte substantivum, sondern nur das n. pr. Hildr zu suchen sein.
UNTERSUCHUNGEN ÜBER DEN URSPRUNG UND DIE ENTWICKLUNG DER NIRELUNGENSAGE 487
Dann aber bedeutet Brynhildr: 'die in eine brünne gekleidete Hildr',
und HelreiÖ hat die erinnerung daran, dass ihr eigentlicher nanie Ilildr
ist, wie die Snorra Edda richtig bewahrt. Dieselbe stelle der HelreiÖ
zeigt, dass Grirahildr tatsächlich dasselbe bedeutet, denn Brynhildr lioisst
hier (7, 3) Hildr nml lijälmi; das ist aber Gnuihildr.
Der name Brynhild deutet also auf die brünne, die die im zauber-
schlaf liegende Jungfrau bedeckt. Er kann demnach nicht so überaus
alt sein, nicht älter als die auffassung der schlafenden frau als einer
kämpferin. Diese auffassung ist nicht die des der sage zu gründe liegen-
den niärchens. Eine beziehung zu Brynhilds walkürennatiir ist kaum
abzuweisen, aber diese kann secundär sein. Denn der walkürenglaube
gehört gewiss erst der wikingcrzeit an. Und der name Brynhild ist doch
vielleicht älter. Das Brynhildenbett im Taunus beweist das freilich
nicht. Eher spricht gegen ein so junges alter des namens der umstand,
dass er im 6. Jahrhundert im geschlechte der Merovinger historisch be-
legt ist. "Wenn die austrasische königin als ein zeugnis für die sage
gelten darf, so zeigt das, dass die entwicklungsstadien der gestalt ge-
wesen sind: 1. die in ihr kleid eingenähte Jungfrau; 2. die Jungfrau
im panzer; 3. der name Brynhild; 4. die Avalküre; 5. die bestrafte
Walküre. Andererseits ist zu erwägen, dass die austrasische königin
eine westgotische prinzessin war. Man müsste also bekanntheit der
Brynhildsage bei den Goten im 6. Jahrhundert annehmen. Da der name
durchaus richtig gebildet ist, nimmt man wol besser an, dass diese Über-
einstimmung zufällig ist. Dennoch muss die Vorstellung von der ge-
panzerten frau älter als die von der walküre sein. Denn der panzer
ist direct aus dem zauberhemde entstanden, und ein grund, die frau
als eine walküre aufzufassen, war erst vorhanden, nachdem die zauber-
bekleidung als ein panzer aufgefasst worden war.
Den namen Grimhild halte ich freilich in gewisser hinsieht für
ein gegenstück zu Brynhild. Aber mit der mythologie hat das nichts
zu tun — nur mit der deutlichkeit. Das Verhältnis zu den namen der
Hildesage deutet darauf, dass der alte name nicht Grimhild, sondern
einfach Hild war. Wenn ^lun Brynhild, wie Helreiö angibt, und was
auch die Snorra Edda von Sigrdrifa sagt, ursprünglich Hild hiess, so
mussten die beiden trauen unterschieden werden. Doch sind die ge-
nannten verhältnismässig jungen Zeugnisse für die beurteilung dieser
frage nicht zwingend. Aber zugegeben, dass wir für die erlöste Jung-
frau ausschliesslich mit dem namen Brynhild zu rechnen haben, so gieng
es doch nicht an, dass die frau, die in der sage ihr fortwährend gegen-
übergestellt wurde, den namen Hildr tragen sollte, der als eine kürzung
488 BOER
ihres namens erscheinen musste (vgl. die s. 487 citierten stellen und
andere cähnliche, z. b. Fas. I, 174, III, 365). Deshalb musste auch hier
Hild in eiue Zusammensetzung eintreten; das resultat war eine syno-
nyme parallelbildung, die keinen gegensatz ausdrückt, aber zur Unter-
scheidung genügt.
Dass Grimhildr als personenname in Skandinavien nicht vorkommt
(Jiriczek, Ztschr. f. vgl. litteraturgesch. n. f. 7, 57 fg.), stimmt zu diesem
resultate. Der name ist für die sage gebildet worden. Und die gestalt
w^ar, w^enigstens im norden, wo die mutter diesen namen trag, anfäng-
lich kaum bekannt, später, als die mutter als eine zauberin aufgefasst
wurde, vielleicht auch nicht sympathisch genug, um in den alltäglichen
gebrauch durchzudringen. Die stellen, wo Grimhild eine flay^kona an-
deutet, wurzeln in dieser späteren auffassung der mutter; sie sind alle
jung und für eine mythische deutung der älteren sagengestalt nicht
brauchbar.
Ein märchenmotiv kann sich leicht an einem berühmten beiden
festsetzen. Aber man möchte doch den grund wissen, weshalb die er-
lösuugssage an Sigfrid geknüpft ist. Ich will hier nur auf die möglich-
keit hinweisen, dass derselbe in der oben besprochenen namensgleichheit
der beiden frauen gelegen ist. "Wenn Sigfrids frau und die erlöste Jung-
frau beide ursprünglich Hild hiessen, so kann das ein grund zu der
Übertragung gewesen sein. Indessen fehlen hier nähere audeutungen,
und so gebe ich die bemerkung vorläufig nur für das, was sie ist, eine
schwache Vermutung. Wir sind hinfort der aufgäbe nicht überhoben,
dieser frage unsere aufmerksam keit zu widmen.
VI. Sigfrids al)kuiift.
§ 32. Sigfrids unbekanntschaft mit seinen eitern.
Die frage ist § 9 in anderem Zusammenhang besprochen. Es hat
sich dort ergeben, dass dieser zug nicht ursprünglich, sondern aus dem
missverständnis des zu der Brynhildsage gehörenden namentabumotivs
entstanden ist. Wir haben keinen grund, hier darauf von neuem ein-
zugehen.
§ 33. Sigmund als Sigfrids vater.
Fragen wir, was die alte mit der Brynhildsage nicht verbundene
Sigfridsage von der abkunft des beiden berichtete, so ist zunächst zu
bemerken, dass sie nichts davon w-usste, dass dieselbe unbekannt war.
Sie wird daher das umgekehrte vorausgesetzt haben. In den quellen
finden wir ferner Sigmund als Sigfrids vater genannt. Da er nicht aus
I
UNTKRSUCHUNGEN f BER DEN URSPRUNG UND DIE ENTWICKLUNG DER NlßELUNGENSAGE 489
der Biynhildsago stammt, muss er aus der Sij^frid- Hagensage stammen.
Daraus folgt aber nicht, dass diese Sigmund von anfang gekannt hat. Es
ist auch möglich, dass sie ursprünglich den vater des helden nicht nannte.
-Es ist nicht einerlei, ob ich nach dem namen einer mir gleichgiltigen
person nicht frage, oder ob ich positiv aussage, dass dieser name un-
bekannt ist. Im ersteren fall wird freilich kein name genannt, es wird
aber vorausgesetzt, dass über den namen kein zweifol besteht. Und das
ist bei mehreren helden der fall. Auch den namen von Hagens vater
nennt die alte sage nicht. Erst die jüngere genealogisierende und histo-
risierende Überlieferung kann eines namens nicht entbehren und gibt
ihm Aldrian, Gjüki oder in der Hildesage Sigebant zum vater. Es be-
stätigt sich hier, was sich auch an den motiven beobachten lässt: der
söhn ist älter als der vater. Ähnlich Hagens gegner in der Hildesage
Heöinn; die ansieht, dass sein vater Hjarrandi hiess, hält Panzer, Hilde-
Kudrun s. 309 fgg. wol mit recht für abgeleitet. Die alte sage begnügt
sich durchaus mit den namen, die sie nötig hat; alles übrige ist neben-
sächlich und daher überflüssig. Wo genealogien vorliegen, die mehr als
das notwendige bringen, hat man es schon mit historisierenden specu-
lationen zu tun. Es kann uns daher nicht auffallen, wenn wir bei Sigfrid
auf dasselbe Verhältnis stossen.
Die Vorstellung, dass Sigmund Sigfrids vater war, ist gewiss alt,
älter als die aufnähme der Brynhildsage; daraus erklärt sich der Wider-
spruch, der § 9 besprochen wurde. Aber dass sie ursprünglich ist, dafür
haben wir keine gewähr. Und sieht man zu, so sprechen die quellen nicht
dafür. "Was die deutsche Überlieferung von Sigmund erzählt, sind blosse
phrasen; in der nordischen tradition hat Sigmund seine eigene sage, aber
die Verbindung mit Sigur?)r ist sehr äusserlich. Erst im hohen alter nach
einem tatenreichen leben erzeugt Sigmund diesen söhn, um vor dessen
geburt zu sterben. Mag man auch annehmen, Avas viel Wahrschein-
lichkeit für sich hat, dass die Vorstellung, die die V^lsungasaga von
Sigmunds leben gibt, nur die chronologische darstellung verschiedener
unabhängiger sagen ist, es ist doch leicht zu sehen, dass Sigmunds Ver-
bindung mit SinfJQtli weit inniger ist als die mit SigurÖr. Nimmt man die
mit SigurÖr in keiner Verbindung stehenden züge und Sigmunds aus
der Helgisage stammenden tod fort, so bleibt weiter nichts übrig, als
dass SigurÖs vater Sigmund hiess. Die genealogische anknüpfung an
die Sigmundsage ist also, wie man auch vielfach angenommen hat,
secundär.
Aber schon bevor die genealogische Verbindung zu stände kam, war
zwischen der Sigmundsage und der Hagen- Sigfridsage eine beziehung
490 BOER
vorhanden. Wir erkannten früher (s. § 1. 4) in der Sigmundsage eine
Variante eines teiles der Hagen -Sigfridsage. Freilich hat die erzählung
mehr ähnlichkeit mit dem Überfall auf Hagen als mit dem Überfall auf
Sigfrid, aber das grundmotiv ist für alle drei erzählungen dasselbe. In-
sofern ist die Sigmundsage als eine Variante der Sigfridsage zu be-
trachten. Wenn wir nun in den quellen eine genealogische Verbindung
finden, so scheint mir das zu beweisen, dass, obgleich die sagen sich
verschieden entwickelt haben, doch das gefühl für ihren Zusammenhang
nie ganz erloschen gewesen ist. Es fand später in der Vorstellung einer
Verwandtschaft der personen ausdruck, und diese wurde so aufgefasst,
dass Sigmund Sigfrids vater war. Im lichte dieses ergebnisses bekommt
die Beowulfstelle, die zwar Sigmund, aber nicht als Sigfrids vater, kennt,
eine besondere bedeutung.
§ 34. Sigfrids dienstbarkeit.
Dass bei der beurteilung von Sigfrids dieustbarkeit die mytho-
logische erklärung uns im stiebe lässt, wurde § 2 gezeigt. Wir müssen
nun damit anfangen zu fragen, ob denn die sage den beiden als dienst-
bar auffasst. Es kann hier nur das NL in betracht kommen; die übrigen
quellen bieten für diese annähme gar keinen halt^ Und die antwort
muss lauten: nirgends wird diese ansieht von Sigfrids Verhältnis zu
Günther in einer solchen weise ausgesprochen, dass man sie für die
auffassung des dichters halten kann. Überall tritt Sigfrid als den brüdern
ebenbürtig auf. Sigfrids dienstbarkeit ist einerseits eine ausrede, der er
Brynhild gegenüber sich bedient, um sich zu entschuldigen, dass er
nicht um sie freit, andererseits eine Unfreundlichkeit ihrerseits, wo sie
ihn zu beleidigen wünscht.
1) Fäfnirs Worte : nu ertu haptr oh hernuniinn reden von keiner dienstbarkeit,
sondern davon, dass Sigfrids mutter auf dem schlachtfelde von Wikingern gefunden und
fortgeführt wurde. Sigfrids Verhältnis zu Mimir ist ganz anderer art, s. § 27. Gar
keinen wert hat die stelle in der einleitung des Sigfridsliedes, str. 12: Er dienet
tvilligklichen dem k-ünig seyn tochter ab. Das ganze stück str. 11 — 15 teilt in wirrem
durcheinander eine reihe nicht zusammenhängender züge aus der sage mit, aber etwas
altertümliches ist darunter nicht: str. 11 hornhaut, ankunft bei Günther; 12 das dienen
um Kriemhilt, achtjährige ehe; 13. 14 (nb.!) das gewinnen des Nibelungenschatzes (die
wunderliijhe reihenfolge weist als quelle auf eine darstellung hin, in der die gewinnung
des Schatzes wie im NL nachträglich erzählt wird, also wol das NL); 14 der Hunnen-
kampf; 15 niemand entrinnt ausser Dietrich und Hildebrand. Das dienen muss hier
motivieren, dass der hergelaufene recke (er hat str. 4 seine eitern mutwillig verlassen)
die königstochter bekommt; das motiv ist dem NL oder einer directen Vorstufe des
liedes entnommen und der Situation angepasst.
IINTERSTTIIUXnEN ÜBER DEN T'RSrKUXG UND DIE ENTWICKIAJNG DER NIBELUNGENRAGE 491
Wir haben keinen grund, aus diesen angaben ohne weiteres mehr
zu abstrahieren als sie enthalten, zu behaupten, diese anspielungen seien
eine reminiscenz an eine sagenform, die Sigfrid als tatsächlich dienstbar
vorstellte. Eine solche sagenform lässt sich weder nachweisen noch aus
der Überlieferung erschliessen. Aber die anspielungen sind allerdings
der erldärung bedürftig. Die crklärung, die das lied gibt, ist absolut
ungenügend. Als Brynhild den Sigfrid begrüsst, zeigt er auf Günther
und entschuldigt sich einer früher getroffenen Verabredung gemäss mit
seiner dienstbarkeit. Das hat für die ontwicklung der begeboniieiten gar
keinen zweck. Er konnte sagen, dass derjenige, der um die königin
werbe, Günther sei, nicht er, ohne dass er deshalb genötigt wäre, die
ihn selbst herabsetzende lüge auszusprechen. Er konnte sagen, er sei
Günthers zukünftiger schwager. Er konnte sich zurückhalten oder auch
wie später bei den kampfspielen die tarnkappe anziehen. Mit der dienst-
barkeit muss es also irgend eine bewandtnis haben. Und später, wenn
Brj'nhild darüber weint, dass Kriemhilt einem dienstmann zur ehe
gegeben wird, und noch in höherem grade, wo sie jähre nachher von
ihm tribut fordern will, wundert man sich über ihre einfältigkeit, die
aus Sigfrids notlüge so viel wesens macht, die noch nicht bemerkt hat,
dass das nur eine lüge war, dass Sigfrid vielmehr ein mächtiger könig
ist, was übrigens Günther selbst ihr beim feste gesagt hat^ Dass das
alles in Sigfrids absolut unnötiger aussage über seinen stand seinen
gruud habe, ist nicht anzunehmen.
Ich halte Sigfrids dienstbarkeit vielmehr für eine gehässige be-
hauptung der Brynhild. Die stellen, wo sie ihn einen dienstmann nennt,
sind die älteren; die erklärung hinkt wie gewöhnlich hinterdrein. Die
Verleumdung beruht darauf, dass Sigfrid ein recke ohne land war, der
an Günthers hof lebte. Das zeigt, dass wir es widerum mit der Bryn-
hildsage, nicht mit der Sigfrid -Hagensage zu tun haben. Die unbekannte
herkunft des beiden wird in Br II zu einem motiv, das den streit der
königinnen einleitet. Von wirklicher dienstbarkeit kann auch in Br II
nicht die rede gewesen .sein; das zeigen die stellen, wo die alte auf-
fassuug durchbricht. Hier-ist Sigfrid hochmütig und behandelt die
brüder mit geringschätzung. Er will mit Günther um sein land kämpfen.
So spricht nicht ein mann, der sich in den dienst eines andern zu be-
geben gedenkt. Er bleibt am hofe, aber mau muss sich viel mühe
geben, ihn zu behalten; alles, was er für Günther tut, tut er freiwillig
1) Eine ganz andere frage ist natürlich die, ob der schmerz über die ver-
schwägerung mit einem dienstmann Biynhilds traurige Stimmung genügend erklärt.
Mir scheint das nicht der fall zu sein, aber ich gehe darauf hier nicht ein.
492 nOET?
auf freundliche bitte; schliesslich erweist er dem könig den grossen
dienst, dass er ihm die braut verschafft, aber der dienst wird durch
einen gleichen erwidert. Sigfrid ist ein gast, der gehen kann, sobald
er es wünscht.
Aber der Sigfrid der Brynhildsage ist und bleibt ein fremder, ein
recke ohne land. Daraus konnte auf ein dienstverhältnis geschlossen
werden. Und das tut Brynhild in raffinierter feindseligkeit. Da hilft
es nicht, dass Günther sie zu beschwichtigen sucht; immer von neuem
kehrt sie zu dem einmal ausgesprochenen gedanken, dass Sigfrid ein un-
freier sei, zurück, und schliesslich spielt sie diesen gedanken gegen
Kriemhilt aus^.
Aber das epos hat die Vorstellung, dass Sigfrid ein recke ohne
land war, fallen lassen. Es hält an der Vorstellung der alten sage
(S2), dass er Sigmunds söhn ist, fest und localisiert sein königreich
in Niederland. Infolgedessen musste Brynhilds behauptung als eine
absolut unmotivierte fixe idee erscheinen, und nun wurde die scene
hinzugedichtet, in der der held selbst von seiner dienstbarkeit redet.
Dadurch bekommt Brynhilds Verleumdung den schein eines grundes,
sie wird sogar zu einem erklärlichen Irrtum; der held hat es ihr selbst
gesagt.
§ 35. Sigfrids hochzeit.
Sigfrids hochzeit wird in den quellen nur in der darstellung Br II
mitgeteilt. Eine ausnähme bildet das Sigfridslied, aber hier liegt die
Identification Grimhild = Brynhild vor; diese quelle ist für die Unter-
suchung nach der ursprünglichen Vorstellung vollständig unbrauchbar.
Die PS verbindet Sigur^üs hochzeit mit einem abhängigkeitsverhältnis
von PiSrekr, in das der held durch die kampfspiele an Isungs hof gerät.
Die ältesten Vorstellungen sind demnach in der Edda und dem NL zu
suchen. In beiden quellen steht die geschichte in unmittelbarem Zu-
sammenhang mit der fahrt zu Brynhild.
Im NL reist Sigfrid nach der hochzeit mit Kriemhilt nach hause.
Nach verlauf mehrerer jähre wird das paar nach Worms eingeladen;
sie leisten der einladung folge, und es folgt die katastrophe. Das ist
ziemlich lang und langweilig. Die reise hin und her hat für die ent-
wicklung der handlung keine bedeutung; man kann kaum annehmen,
1) Dass Brynhild die Urheberin der Vorstellung von Sigfrids dienstbarkeit ist,
zeigt auch die Vorstufe des NL, die darstellung der fS. Denn hier klagt Brynhild
c. 344, 18fgg. in ähnlicher weise darüber, dass eiu hergelaufener recke am hofe eine
solche überwiegende Stellung einnehme. Es ist dieselbe stelle, aus der Brynhilds
klage über SigurSs hoffart in der Sig. yngri stammt (§ 22).
■UNTERSUCHUNGEN ÜBER DEN URSPRUNG UND DIE ENTWICKLtTNG DER NIBELUNGENSAGE 493
dass sie ursprünglich sei, aber dass sie ohne irgend eine veranlassung
aus dem einzigen wünsch, die erzählung in die länge zu ziehen, ent-
standen sei, ist doch auch nicht wahrscheinlich.
In den nordischen quellen ist die darstellung einfacher. Bald nach
Gunnars hoclizeit, der hier SigurÖs hochzeit vorangeht, streiten die
königinnen, und die folge davon ist SigurÖs ermordung. Das ist logisch
und ästhetisch befriedigender, aber kaum ursprünglicher, denn von an-
fang an stand die hochzeit zu der ermordung in keiner beziehiing.
Aber Sigfrid hat hier nach Br II kein eigenes land; er konnte daher
nicht heimreisen.
Irgend etwas muss doch auch in der alten sage zwischen der
hochzeit und der ermordung vorgefallen sein. Wenn das nicht der streit
der königinnen oder ein ähnliches ereignis war, was war es dann? Und
auf irgend eine weise muss Sigfrid, sei es vor, sei es nach der hoch-
zeit zu Hagen gekommen sein. Vielleicht gelingt es uns, darüber etwas
zu ermitteln.
Es verdient beachtung, dass die erzählung des NL eine einladung
enthält. Dieselbe ist in der gewöhnlichen schablonenhaften weise er-
zählt. Aber daraus folgt nicht, dass sie nicht alt sein kann. Eine
parallele hat sie an Hagens (und Günthers) einladung durch Attila, und
in den Varianten in Sigmunds einladung durch Siggeirr, Hnsefs durch
Finn. Es würde demnach ganz sagengemäss erscheinen, wenn der alte
Zusammenhang dieser wäre, dass Hagen seinen schwager Sigfrid ver-
räterisch einlädt, um darauf seinen gast zu überfallen. Es fällt auf,
dass gerade in diesem abschnitt (Bartsch str. 774) Hagen in starken
Worten den wünsch nach dem Nibelungenschatze ausspricht: hört der
NibeliiJiye beslozxen hat sin hant: hey sold er komen immer {sohlen
U'ir den teilen [!] C) )ioch in Burgimden laut.
Die ermüdende hin- und rückreise ist aber schwerlich altes sagen-
gut. Zieht man in betracht, dass Br II voraussetzt, dass die hochzeit
in Worms gefeiert wird, so kann man die Vermutung nicht unterdrücken,
dass hier eine durch Br II bedingte änderung vorliegt, und dass in der
ursprünglichen Sigfridsage die feier an einem andern orte, also in Sigfrids
land, stattfand. In der Attilasage wirbt Attila durch boten \ eine sehr
gebräuchliche form der Werbung in der altgermanischen poesie. Wenn
urspi'ünglich auch Sigfrid durch boten warb, so würde dadurch die
ähnlichkeit mit der Attilasage noch grösser werden. Wir würden da-
durch die heimreise ersparen imd für die einladung eine erklärung
1) Dass in der fS Attila darauf selbst die braut abholt, beruht auf einer
fiuellenmischuDg, vgl. § 43.
494 BOER
finden. Bei der Übersendung der braut ergieng zugleich von Hagens
Seite eine einladung an das junge paar für den nächsten sommer
(vgl. auch die Sigmundsage). Nach der ankunft bei Hagen wurde Sigfrid
überfallen und getötete
Durch die Verbindung mit der Brynhildsage wurde Sigfrids hochzeit
an Günthers hochzeit geknüpft. Die folge davon war, dass sie in Worms
gefeiert wurde. Bei seiner ermordung war Sigfrid widerum in "Worms.
Wollte man die einladung beibehalten, so musste man nun Sigfrid nach
seiner hochzeit mit Kriemhilt heimreisen lassen. Aber zum schaden
der erzählung. Denn da die einladung nach der neuen motivierung
der ermordung nicht länger den verräterischen zweck hat, ist auf diese
weise eine müssige hin- und herreise entstanden. Ein versuch, die alte
motivierung neu zu beleben, ist jedoch gemacht worden, wo Brynhild
gerade bei der einladung widerum von Sigfrids dienstbarkeit und dem
tribut, den er ihr zolle, redet. Hier liegt ein ansatz zur Übertragung
von Hagens habgier auf Brynhild vor, ganz parallel mit und kaum unab-
hängig von der Übertragung von Attilas habsucht auf Kriemhild in dem-
selben gedichte.
Ein anderer ausweg war, dass man die einladung fallen liess. Das
ist in der skandinavischen tradition und auch in der PS geschehen, in
der nun SigurÖs tod sich bald an die hochzeit anschliesst, wodurch die
erzählung an geschlossenheit gewinnt und das Verständnis für den neuen
Zusammenhang zwischen Brynhilds erwerbung und Sigfrids tod in hohem
grade gefördert wird.
Vn. Die sogenaunteu Sig'fridmärchen.
§ 36.
Es wurde im vorhergehenden absichtlich nur bei der besprechung
von Br I von märchen gebrauch gemacht. Man kann bei der beurteilung
complicierterer gebilde mit der heranziehung von märchen kaum vorsichtig
genug sein. Einzelne märchenmotive mögen für die sagengeschichte die
grösste bedeutung haben, die Zusammenstellung längerer märchenhafter
erzählungen ist so variabel, dass man hier der gefahr, auf zufällige Über-
einstimmungen zu grosses gewicht zu legen, besonders ausgesetzt ist. Ich
sehe mich dennoch veranlasst, auf eine gruppe von Sigfridmärchen, denen
man eine besondere bedeutung beüegt, näher einzugehen. Die gruppe
1) C. 226 der fS, das Sigur5r seine hochzeit im Niflungaland feiern und von
da an bei Gunnarr bleiben lässt, spricht nicht gegen die echtheit der einladung im
NL, denn die quelle dieses capitels ist nicht die des Nibelungenliedes. C. 226 ver-
tritt eine tradition, dis in diesem punkte mit der nordischen übereinstimmt.
TTNTERSTJCHIINGEN ÜBER DEN URSPRUNG UND DIE ENTWICKLUNG DER NnBELUNGENSAGE 495
ist u.a. von Raszmann, Die deutsche heldensage I^, 360fgg. ausführlich
besprochen. Raszmann sieht in ihnen Zeugnisse für das weiterleben der
Sigfridsage. Wenn das sicher wäre, so wäre kein grund vorhanden, sie
in diesem zusammenhange zu besprechen, es sei denn insofern sie ein-
zelne Züge der S. enthalten dürften, die die Überlieferung vergessen hat.
Seit Raszmann aber haben sich die ansichten über das Verhältnis zwischen
märcheu und litterarisch ausgebildeten sagen sehr geändert. Man ist jetzt
mehr geneigt, in den märchen den rohstoö' zu suchen, aus denen höhere
sagengebilde aufgebaut sind. Aber wie soll man es nun beurteilen, wenn
man in märchen mehrere motive beisammen findet, die in einer sage
gleichfalls begegnen, dort aber durch die kritik als nicht von anfang
an zusammengehörig erkannt werden? Da hat man die wähl zwischen
den folgenden erklärungen: 1. die Übereinstimmung ist nur scheinbar;
2. sie ist zufällig; 3. das märchen ist von der sage abhängig. "Wenn
keine dieser erklärungen zutrifft, so rauss man in der sage beisammen
lassen, was sich im märchen beisammen findet. In mehreren der er-
wähnten Sigfridmärchen hat man nun Sigfrids Werbung zusammen mit
Günther und Hagen widerzuerkennen geglaubt. Die richtigkeit dieser
annähme wird im folgenden geprüft w-erden.
Der held zieht aus, sei es um etwas zu suchen (z. b. das wasser
des lebens), sei es, wie in den meisten erzählungen, aufs geratewol.
Dann begegnet er manchmal leuten, mit denen er freuudschaft schliesst
und mit denen er den weg findet oder die ihm den weg zeigen nach
einem bezauberten schlösse. Den freunden ist es um die braut zu tun,
die er für sie gewinnen soll. Der junge mann verrichtet treu die kraft-
taten, die von ihm verlangt werden. Er findet das schwert, er tötet
den drachen oder andere ungeheuer — in 111 sind die riesen, die ihn
begleiten, selbst die unholde, die er besiegen muss. Er sorgt auch
dafür, dass er die nötigen Wahrzeichen zu sich steckt, drachenzungen,
riesenzungen , einen zipfel eines hemdes, eine halsbinde, einen pantofifel
oder was es sei. Dann wird er regelmässig betrogen, und zwar entweder
von seinen freunden, oder durch einen marschall oder einen anderen
herrn aus des königs gefolge, der seine heldentaten aus der ferne er-
blickt oder auf andere weise zuerst die geänderte Sachlage wahrgenommen
hat, auch wol von seinen brüdern, denen er das leben gerettet hat,
und die ihm mit undank lohnen. Solch ein freund, bruder oder marschall
soll nun die königstochter heiraten. Aber die hochzeit wird aufgeschoben,
und nach einem jähre meldet sich der wahre held; durch die Wahr-
zeichen, die er bei sich hat, gibt er sich zu erkennen, und nun be-
kommt er die braut; die Übeltäter aber werden gestraft.
496 BOER
Die beliebte erklärung ist diese: die falschen freunde sind Günther
und Hagen; diese nehmen dem Sigfrid die braut, wie die freunde oder
brüder dem beiden des raärchens. Sie töten Sigfrid, wie die freunde
oder der marschall den beiden des märchens zu töten wünschen, oder
in einer Variante (60) auch wirklich töten (hier wird er jedoch durch
seine wahren freunde, die ihn begleitenden tiere, wider um ins leben
zurückgerufen).
Wenn diese märohen von der Sigfridsage abhängig sind, so be-
weisen sie natürlich gar nichts. Ich gehe aber davon aus, dass das
nicht der fall ist, und frage: was beweisen auch dann diese märchen
für die sage von Sigfrid, Günther und Hagen? Zusammen ziehen die
freunde aus, um die braut zu suchen. Aber in der Sigfridsage weiss
der held den weg, seine genossen nicht. In den märchen weiss keiner
ihn und man gelangt durch einen zufall zu dem bezauberten schlösse,
oder die freunde wissen den weg, er aber nicht. In anderen fällen
(97, ähnlich auch 57) gelangt der held allein dahin mit hilfe eines ehr-
lichen freundes, während die bösen brüder schon beim beginn der reise
verirrt sind und später von ihm erlöst werden. Sigfrid hat die absieht,
die braut für Günther zu holen und liefert sie ihm richtig aus; die
freunde des märchens aber bemächtigen sich der braut, die dem beiden
von rechts wegen zukommt, gegen seinen willen und betrügen ihn.
Günther und Hagen suchen Sigfrid zu töten aus gründen, die mit dem
abenteuer nur entfernt zusammenhängen, und sie tun das, lange nachdem
sie schon die braut bekommen haben. Die freunde des märchens wollen
ihren freund töten, weil nur so für sie die möglichkeit besteht, die
braut zu erwerben. Sigfrid wird wirklich getötet, der held des märchens
kommt ausnahmslos glücklich davon, und die bösen freunde bekommen
die verdiente strafe. Wahrlich, hier ist alles wesentliche verschieden;
nur die begleitenden freunde, die schhesslich keine freunde sind, lassen
sich einigermassen vergleichen.
Es kommt noch hinzu, dass man nicht in allen märchen dieselben
personen dem Günther und Hagen vergleichen kann. In den erzählungen
vom typus 97. 91 sind es die brüder oder die unterwegs gefundenen
freunde. In 60. 111 aber ist es der marschall, der hauptmann, mit
dem der held nichts anderes zu schaffen hat, als dass dieser ihn um die
braut betrügen will. In dem zuletztgenannten märchen kommen neben
dem hauptmann auch falsche freunde vor, aber sie erweisen sich am
ende als mit dem ungetüm, das in anderen erzählungen besiegt werden
muss, aber in diese form ursprünglich nicht hineingehört (§ 11), identisch.
Wenn mau die thcorie, dass die freunde Günther und Hagen seien.
UNTERSUCHUNGEN ÜBER DEN URSPRUNG UND DIE ENTWICKLUNG DER NIBELUNGENSAGE 497
aufrecht erhalten will, so mnss man schon die märchen so gruppieren,
dass die typen, die mit der erzählung von Sigfrids und Günthers Werbung
die verhältnismässig grösste ähnlichkeit haben als die ursprünglichen,
alle die übrigen aber als entstellungen bezeichnet werden. Das wäre
aber ein sehr willkürliches verfahren. Die grosse Variabilität dieser
motive bedeutet nur, dass der held auf dem wege zu der bezaubei'ten
Jungfrau von tausend gefahren umringt ist; offene und tückische feinde
versuchen ihn von seinem glück fernzuhalten; noch im letzten augen-
blick hätte er alles, Avas schon gewonnen war, beinahe wider verloren,
aber das glückskind überwindet alle Schwierigkeiten.
Ein Zusammenhang mit der Biynhildsage ist bei vielen dieser
erzählungen tatsächlich vorhanden. Es gibt darunter auch solche, für
die es feststeht, dass sie wenigstens von den überlieferten litterarischen
quellen unabhängig sind. Wenn in 93 die namen Glasberg und Strom-
berg, die in der Br3'nhildsage auf zwei quollen verteilt sind, neben-
einander erhalten sind, so zeigt das zugleich den Zusammenhang und
die Unabhängigkeit des märchens (§ 8). Wenn 111 das kleid, worin die
Jungfrau geschlossen ist, noch nicht als einen panzer auffasst, so sind
wir zu demselben Schlüsse berechtigt (§ 7). Wenn in 92 der held, der
die Prinzessin erlöst, in einem schiff lein in die weit hinausgeschickt
wird, so fehlen noch die geburt im walde und der auf enthalt bei Mimir
(§ 9). Aber das sind alles züge von Br I. Von den burgundischen
brüdern keine spur.
Eine secundäre ähnlichkeit besteht darin, dass Günther und Hagen
Sigfrid begleiten wie die freunde des märchens. Aber das ergibt sich
aus der Sachlage von selbst. Wenn Sigfrid für Günther freit, und dieser
die braut so schnell wie möglich nach der hochzeit übernehmen muss,
so besteht keine andere möglichkeit als dass sie zusammen reisen. Ferner
überwindet der held im märchen hindernisse, denen seine bogleiter nicht
gewachsen sind. Das beruht auf der gemeinsamen grundlage; es ist
nun einmal für diesen beiden eigentümlich, dass er taten verrichtet, zu
denen kein anderer im stände ist. Wenn er also begleiter hat, so werden
diese hinter ihm zurückstehen. Das ist alles; weiter erstreckt sich die
gleichheit nicht. Die art der hindernisse ist sehr verschieden. Unter
den Probestücken begegnet auch das reiten nach einer bürg, und zwar
in fassungen, die von der Brynhildsage ziemlich weit abstehen. In
97 sind es die falschen brüder, die zu beiden selten des weges reiten,
während der wahre held daran erkannt wird, dass er die mitte wählt.
Die geschichte ist äusserst compliciert. Die erlösung der Jungfrau ist
schon früiier geschehen, die brüder haben den holden schon einmal
ZEITSCHUIFT F. DKÜT8CHE PHILOLOGIE. HD. XXXVII. 32
498 BOER
betrogen und sind schon halbwegs entlarvt, bei dieser letzten probe
fallen sie vollständig durch. Auch hier mag eine reminiscenz an den
ritt zu der bürg Brjnhilds oder besser der dieser zu gründe liegenden
erzählung vorliegen, aber die vergleichung mit Günther und Hagen führt
wie sonst nur zu einem negativen resultat. Der held wählt den rechten,
die brüder aber den falschen weg; in der Brynhildsage ist SigurÖr der
einzige, der den weg gehen kann oder nach jüngerer tradition zu gehen
wagt, während die beiden anderen gar nicht reiten i.
Übrigens fällt bei der vergleichung der märchen für Br I noch
hier und da etwas ab. In 93, das auch sonst der Brynhildsage so be-
sonders nahe steht und so viel altertümliches bewahrt, finden wir die
bestätigung unseres resultats in § 19, dass Sigfrid unmittelbar vor dem
besuch bei Brynhild das ross erwirbt, mit dessen hilfe er sie erreichen
kann. Es ist die begegnung mit den beiden räubern, die sich um die
zauberdinge schlagen. Die gegenstände sind alle drei aus der Sigfrid-
sage bekannt: der stock, mit dem man jede tür öffnet (vgl. SigurÖs
Vergewaltigung des gitters, das vor Bryuhilds bürg steht c. 168 der
5S [§ 9]), der unsichtbar machende mantel (d. i. die tarnkappe) und das
zauberpferd. Der erste und der dritte gegenständ finden sich schon in
der 5S beisammen (nur dass wol das gewaltsame öffnen des gitters aber
nicht der stock genannt wird), den zweiten hat das märchen hinzu-
gefügt, und das zeigt, dass es, obgleich in gewisser hinsieht über die
geschriebenen quellen der sage hinausgehend,, doch in anderer hinsieht
von der sage abhängig ist. Denn die tarnkappe stammt von den Nibe-
lungen, und die räuber sind auch die Nibelunge Schilbunc und Nibelunc;
das zeigt noch deutlicher 92, wo die zauberischen gegenstände geändert
sind — der stock ist zu einem degen, das pferd zu einem stiefelpaar
geworden; nur der unsichtbar machende mantel ist geblieben — aber
wo statt der räuber zwei riesen sich streiten und zwar um ihres vaters
erbschaft.
1) Wenn die läbnlichkeit grösser wäre, so köonte mau die frage stellen, ob
nicht Günther und Hagen secundär in die märchen eingeführt worden sein können,
wie wir auch Schilbunc und Nibeluuc in einigen fassungen widerfinden, und zwar
an einer stelle, wo sie unmöglich alt sein können (s. unten s. 499 fg.). Aber die
Voraussetzung zu einer solchen fragestellung — eine wirkliche Übereinstimmung —
fehlt. Die brüder oder freunde im märchen sind in gewissem sinne nur eine Ver-
dopplung des beiden, wie es auch in vielen erzählungen drei Jungfrauen gibt — eine
sehr gewohnte Steigerung eines motivs. Wer sein haupt lösen will, miiss drei fragen
beantworten; wer ein von unholden bewohntes schloss erlösen will, muss drei nachte
darin zubringen, usw.
UNTERSUCHUNGEN ÜBER DEN URSPRUNG UND DIE I.NTWICKLUNG DER NIDELUNGENSAGE 499
Was finden wir also hier? Den ritt nach Brynhilds bürg in der
deutschen, spociell niederdeutschen form (I>S) verbunden mit einem
anderen Sigfridmotiv, der er Werbung des dcQi Schilbunc und Nibelunc
•gehörenden Schatzes. Beweist das nun, dass Schilbunc und Nibelunc
etwas mit Brynhild zu schaffen haben? Nicht im mindesten. Die alten
quellen halten die gestalten durcliaus voneinander getrennt. Die Nibe-
lunge besitzen einen schätz; um zu Brynhild zu gelangen, ist ein be-
sonderes pferd oder ein besonderer stock oder beides unentbehrlich.
Diese Sachen befinden sich in dem besitz eines wie sich versteht über-
natürlichen Wesens, in dessen rolle in der norddeutschen fassung der
Brynhildsage Heimir eintritt. Das märclien hat die besitzer der beiden
gruppen von zauberischen gegenstanden zusammengeworfen, und so er-
zählt es, dass der held das pferd, auf dem er zu der Jungfrau reiten
wird, bei den Nibelungen holt.
Die uunatürlichkeit der Verbindung zeigt auch der ausgang klar
genug. Nachdem in 93 der held den glasberg bestiegen und die bürg
geöffnet, tritt er ein und erweckt die Jungfrau durch einen ring, den
er in ihren kelch wirft. Sie erwacht, und damit sollte die geschichte
aus sein. Aber er muss nun weiter noch seine tarnkappe versuchen.
Deshalb hat er den mantel über sich und wird also von ihr nicht ge-
sehen. Nun geht er hinaus, und nachdem man drinnen vergebens nach
ihm gesucht, findet man ihn schliesslich auf seinem pferde sitzend vor
dem tor. Die Verlängerung der geschichte ist völlig sinnlos; sie dient nur
dazu, um ein dem Stoffe fremdes motiv, das nun einmal aufgenommen
ist, auch zur geltuug zu bringen, und sie zeigt, dass die nibelungischen
brüder Schilbunc und Nibelunc in diesen Zusammenhang ebensowenig
gehören als Günther und Hagen i.
KHM 90 hat mit der Sigfridsage nur das gemein, dass der held
eine Zeitlang bei einem schmiede sich aufhält und seinen meister miss-
haudelt. Dann folgen nicht die erlösung einer Jungfrau, sondern einige
kraftproben in einer mühle. Die geschichte beweist für den Zusammen-
hang von Sigfrids lehrjahren mit anderen ztigen der Sigfridsage nichts,
sie ist nur insofern interessant, als sie das märchen ausserhalb des
Zusammenhangs der Sigfridsage, in die es gewiss spät aufgenommen
worden ist, zeigt.
]) Auch in 92 ist das motiv der tarnkappe in ganz roher und unnützer weise
ven\'eDdet. Aber auch die beiden anderen inotive sind liier sehr entstellt. Das schwert
dient nicht wie der stock in 93 dazu das tor der bürg zu öiriieu, sondern um alle an-
wesenden mit liilfe einer Zauberformel zu köpfen.
32*
500 BOER
Die märchen bieten nach alledem ziemlich reiches material für
die älteren formen der Brynhildsage, und zwar für alle drei hanptformen
(vgl. § 7 — 11), aber von der durchaus litterarischen contamination mit
der Burgundensage sind sie nicht berührt. Hingegen haben sie in
einigen exemplaren andere volkstümliche elemente der Sigfridsage mit
der erlösungssage secundär verbunden (die Nibelunge in 92. 93), in einem
anderen fall enthalten sie züge (90), die secundär in die Sigfridsage auf-
genommen sind. Inwiefern man recht hat, von Sigfridmärchen zu reden,
hängt davon ab, was man darunter versteht. Ihren Inhalt bildet eines
der wichtigsten ereignisse aus Sigfrids leben. Aber kein ursprüngliches.
Mit der ältesten Sigfridsage, die nur den tod des beiden durch Hagen
berichtete, haben sie nichts gemein.
Till. Schematische Übersicht der entwieklung der Sigfridsage.
§ 37.
Es soll hier der versuch gemacht werden, auf grund des oben-
stehenden teils unserer Untersuchung das Verhältnis der einzelnen motive
der Sigfridsage zu einander und zu verwandten erzählungen in einer
schematischen darstellung in ihren hauptzügen zur anschauung zu bringen.
Die resultate der folgenden capitel, deren stoff bei weitem nicht so com-
pliciert ist wie die Sigfridsage und die sich daher leichter übersehen lassen,
werden nur in einem ganz vereinzelten fall darin aufgenommen.
A. Grundmotiv, feindschaft zwischen anverwandten;
1. zwischen Schwiegervater und Schwiegersohn;
2. zwischen Schwägern.
a) Einfaches motiv:
1. Helgisage (Hagen -Helgi);
2. Finnsage;
1 -|- 2. Sigmundsage.
b) Widerholung des motivs:
1. Hildesage (entwieklung zum gegenseitigen mord). Weitere
Verdopplung durch die Guörünsage;
2. Hagensage (Hagen -Sigfrid; Attila- Hagen). Ähnlich in der
Vorgeschichte der Vqlsunge.
In b 1 und b2 die namen: Hagen, Hild, GuÖrün. 1 und 2 gehen
zufolge ihrer motivicrungen und weiterer anknüpfungen vollständig aus-
einander. Die zu 2 gehörigen sagen (a2. al-1-2. b2) entwickeln sich
zwar selbständig, ein gegenseitiger einfluss macht sich aber lange zeit
geltend.
UNTERSUCHUNGEN ÜRKR DEN URSPRUNG UND DIE ENTWICKLUNG DER NIBELUNGENSAGE 501
1. Gemeinsame züge der ganzen reihe: der ermordete held ist bei
seinem schwager zu gast: Hnsef, Sigmund, Hagen, Sigfrid (NL).
2. Gemeinsame züge der Finnsage und der Hagensage: der Waffen-
bruder des beiden, die nachtwache, der tod eines sobnes der
bei diu bei der katastropbe.
3. Gemeinsame züge und borübrungen der Hagensage und der
Sigmundsage:
a) H 2 und Sigmund : die scbwester racbt den bruder. Aucli
in den einzelbeiten der räche ist die Übereinstimmung gross.
b) Hl (=S2) und Sigmund: genealogische Verbindung.
Das chronologische Verhältnis von 2 zu 3 (1 ist das älteste) und
zu anderen zügen lässt sich zum teil nichts zum teil nur ungefähr er-
schliessen. 3 ist älter als die aufnähme der Brynhildsage.
B. Entwicklung der Charaktere durch die innere begründung der sage.
Man fragt nach den motiven der handlung.
Frage: warum tötet Hagen und später Attila seinen schwager?
Antwort: weil dieser einen kostbaren schätz besass. .
Frage: woher stammte der schätz?
Antwort: 1. von einem drachen;
2. von Zwergen.
1. Entwicklung des motivs vom drachenkampf;
a) der drachenkampf verbunden mit horterwerbung ohne andere
motive. In zahlreichen altnordischen erzählungen. Ferner
zumal Beowulf;
b) dasselbe motiv ohne andere Verbindungen an Sigfrid geknüpft.
Belegt durch die Übertragung auf Sigmund (B6ow.);
c) dasselbe motiv von Sigfrid bezeugt in chronologischer Ver-
bindung mit jüngeren motiven (Sigrdrifasage): Edda;
d) ein drachenkampf in grober entstellung mitverlust des hortes:
PS. Einl. Sigfr.l. — Sciiwache nachklänge: NL. Sigfr.l.;
e) (im anschluss an c): durch den genuss des fleisches des
drachens eignet der held sich dessen eigenschaften an:
I. a) durch das essen des herzens bekommt er die kraft des
drachens: Fäfn. Strophen;
ß) umdeutung dieses motivs zum Verständnis der vogel-
sprache: Fäfn. prosa;
1) Im allgeaieineu bemerke ich, dass in diesei' übeisiciit der chronologische
gesichtspunkt nur in hauptzügen und bei der entwicklung der einzelnen motive fest-
gehalten werden konnte.
502 ROKR
IL durch das bad im blute des drachens gewinnt der held eine
hornhaut: NL. Einl. Sigfr.l.
2. Entwicklung des zwergenmotivs.
a) Zwerge sind Schatzbesitzer. So in zahllosen zwergensagen.
An auf gewaltsamem wege erworbenen zwergengute haftet
ein fluch (Dulinn und Dvalinn u. a.).
b) Sigfrids schätz stammt von zwergen: NL. Einl. Sigfrl. Der
fluch: Fäfn.; als Verhängnis an mehreren stellen im NL.
c) Übertragung des Nibelungennamens auf Hagen und sein
geschlecht: NL. Edda, I>S.
1 -f 2. Verhältnismässig jung: Edda.
Identificierungen : des zwergenschatzes mit dem drachenschatze;
des schatzhütenden zwerges mit dem schatzhütenden drachen; des dem
zwerge feindlichen bruders mit dem schmiede (s. unten).
Verbindendes motiv: ein geizhals wird zum schatzhütenden drachen.
Widerholung des fluchmotivs (Andvari).
Um den drachen zu erlegen, ist ein treffliches schwert unentbehrlich.
Frage: woher das schwert?
Antwort: das hat Mimir, der beste der schmiede, gemacht.
Entwicklung des schmiedemotivs:
a) Zwerge schmieden gute Schwerter. Sie sind hinterlistig: Olius
und Alius. Dulinn und Dvalinn usw.
b) Mimir ist der beste schmied: Das schwert Mimunc und
mehrere stellen im DHB.
c) Sigfrid bei Mimir. Der hinterlistige schmied wünscht Sigfrids
tod : PS. Einl. Sigfr.l. Edda (hier auf Reginn übertragen).
d) Sigfrid hält sich längere zeit bei Mimir auf (einfluss der
jüngeren Sisibesage). I>S.
Aufnahme des märchens von dem schmiedegesellen: PS.
Einl. Sigfr.l. Edda prosa (hier bezeugt durch die ambossscene).
e) Identification mit Reginn: Edda (vgl. oben).
Entwicklung von Regins gestalt:
a) Reginn ist Helgis föstri und helfer bei der vaterrache:
Hrölfs s. kr.
b) Helgi ein söhn des Sigmundr: Edda.
c) Reginn Sigurös föstri und helfer bei der vatersage: Rm.
d) Reginn = Mimir (folgt aus c).
e) Reginn belehrt Sigiirö über seine abstammung. Stammt aus
einer form der Biynhildsage. Angeknüpft an c.
UNTERSUCllUNGEiN ÜßEK UEX URSPim.NTt UNU DIE ENTWICKLUNG DEK MliELUXUENSAGE 503
Änderung- der motivierung: Daraus, dass Grfmhild Sigfrids witwe
ist, entwickelt sich die vürstelluug, dass nicht Attihi sondern Grimhild
Hagen feindlich gesinnt ist, I^S II ^. NL. — Übergangsform: beide sind
schuldig PS I; schwache spuren im NL (Übertragung von Attilas habgier
auf Grimhild). — Folge: tödliche feindschaft zwischen Hagen und Grim-
hild in die frühere zeit zurückverlegt (NL passim, alte Brotstrophen u. a.).
C. Die entwicklung der sage unter dem einfluss des Brynhildmotivs.
1. Die erlösung einer Jungfrau aus einer bezauberung.
a) Der zauber besteht aus:
I. einem zauberschlaf. Erweckung durch a) aufschneidung
eines kjeides: KHM 111; ß) das aussprechen eines namens:
FJQlsvinnsmal; /) die entfernung eines schlafdorns: freies
motiv, u. a. in mehreren an. erzählungen. Verursachung
des Schlafes durch einen dorn auch in Dornröschen; d) die
blosse ankunft des beiden: Dornröschen;
n. einem entrücktsein nach einem unzugänglichen ort, wäh-
rend der zustand der person sonst normal ist (KHM
60. 91 u. a.).
b) Die sich dem erlöser entgegenstellenden hindernisse sind:
L ein flammenwall. Skandinavisch: FJQlsvinnsmal, vgl. die
weiter abstehende erzählung von Gerör;
n. ein gefährliches wasser oder ein krystallener berg: KHM
92. 93. 111;
m. ein drache: KHM 60. 91.
IV. Nebenmotiv: ein schweres tor; ein gitter, das nur mit einer
bestimmten zauberrute geöffnet werden kann: KHM 93.
2. Die erlöste Jungfrau in der Sigfridsage.
a) Form la la (zauberschlaf, aufschneidung eines kleides)+ Ibl
(flammen wall) : Edda.
b) Form 1 a I /^ (namentabu) -|- 1 b II (gefährliches wasser oder
krystallberg): PS (mit IV, dem öö'nen des gitters verbunden).
NL. Secundäre' spuren von In Iß in Sigrdrifumäl.
c) Form la ly (schlafdorn): secundär in der prosa der Sigrdri-
fumäl.
d) Form lall (das entrücktsein) + 1 b III (drache): Sigfridslied.
e) Form lalr)' (erlösung durch die blosse ankunft des beiden):
nicht belegt.
1) Über den gegensatz f S I : fS II s. § 38fgg.
504
3. Auffassung der schläferin und ihres kleides;
a) das kleid ist ein gewöhnliches kleid: KHM 111;
b) das festgeschlossene kleid ist ein panzer: Edda. Name Brjnhild ;
c) also ist die Jungfrau einö walküre;
d) die Walküre ist von Oöinn bestraft.
4. Einfluss der Brynhildsage auf Sigfrids gestalt;
a) der erlöser kommt aus weiter ferne: die märchen;
b) anknüpfung des Sceaf-motivs (ankunft nach einer langen
wasserfahrt): KHM 92. JS;
c) Verbindung dieser Vorstellung mit der älteren, dass Sigfrid
Sigmunds söhn ist, durch die Sisebesage: &S;
d) der schluss, dass Sigfrid seine eitern nicht kennt: PS. Sig-
fridslied (hier die andere auffassung daneben). Secundäre
spuren in der Edda: Rm. prosa;
e) Umgestaltung des namentabumotivs unter diesem einfluss:
I. Sigfridslied und Rm. prosa. IL unabhängig davon und
anders I>S (litterär);
f) im anschluss an d Brynhilds an eine in der I>S überlieferte
höhnische bemerkung anknüpfende behauptung, dass Sigfrid
ein unfreier ist: NL. Daraus: Einl. Sigfridslied (hier be-
hauptung des dichters).
g) erklärung von f durch Sigfrids aussage über seine dienst-
barkeit: NL.
5. Änderungen der localität.
a) Alte namen für Brynhilds aufenthaltsort:
a) Hindarfjall (d. i. felsen der hindernisse? : Edda), ß) SaegarÖr
(&S). y) Isenstein (NL). d) Drachen steyn (Sigfridslied). Ent-
sprechend dem ß) Stromberg; y) Glasberg (vgl. auch den
Goldenen berg); d) Drachenberg der märchen.
b) Aus Isenstein wird Island abstrahiert: NL.
c) Demzufolge ersetzung der wahrscheinlich schon verlorenen
gefährlichen wasserfahrt durch eine gemeinschaftliche Seereise
in einer jungen fassung der mit der Burgundensage con-
taminierten sagenform: NL.
d) Demzufolge ersetzung der erlösung durch eine bezwingung:
PS. NL.
e) Yerlegung der hochzeit und dementsprechend der bezwin-
gung in einen späteren Zeitpunkt. Einführung der kampf-
spiele: NL.
UNTERSUCHUNGEN ÜBER DEN URSPRUNG UND DIE ENTWICKLUNG DER NIBELUNGENSAGE 505
D. Entwicklung der sage unter dem einfluss der Burgundensage.
1. Verbindung von Hagen mit Günther, der zum teil in die alte
rolle von Hagons Waffenbruder tritt, übrigens zum könig in
der sage "wird: alle quellen.
2. Sigfrids unklares Verhältnis zu den zwei trauen wird beseitigt.
a) Brvnhild wird mit Grimhild identificiert: Fäfn. 40 — 44.
Sigfridslied.
b) Brvnhild wird dem Günther zur frau gegeben.
I. Sigfrid tritt Brynhild dem Günther ab.
a) Sie ist damit zufrieden: I>S c. 227.
ß) Sie zürnt darüber: Sig. sk.
n. Brynhild widersetzt sich. Aufnahme der hindernisse und
des betrugs in Br II.
a) Sie bleibt an dem ursprünglichen orte: Sig.kv. meiri.
ß) Sie verfügt frei über den flammenwall: Sig.kv. en yngri.
III. Sigfrid freit von anfang an nur für Günther: NL. HelreiÖ.
3. Brynhild wird an Sigfrids tod mitschuldig.
I. Sie wünscht ihn: Sig.kv. meiri.
IL Sie führt ihn herbei:
a) aus liebe: Skv. sk.;
ß) aus rachsucht wider Günther gemischt mit bewunderung
für Sigfrid und abgunst wider Grimhild: Sig.kv. yngri
(beruht jedoch auf einer mischung von a und /). Ähn-
lich GuÖr. I, wo hass das einzige motiv ist;
y) aus gekränktem frauenstolz: PS;
ö) aus gekränktem hochmut: NL;
s) sogar aus habsucht (übertragen von Hagen auf Brynhild):
spuren in NL.
(Schluss folgt.)
AMSTERDAM. R. C. BOER.
506 .IKLLINEK
RICHARD HEINZEL f.
Richard Heinzel wurde am 3. november 1838 zu Capo d'Istria im österreiciiisehen
küstenland geboreu. Seiu vater Wenceslaus H., gymnasialpräfect in Capo d'Istria,
später in Görz, war einer der tüchtigsten söhulmänner des vormärzlichen Österreich.
Seine söhne haben ihm durch herausgäbe seines briefwechsels mit Enk von der Burg
pietätvoll ein denkmal gestiftet'. Heinzeis mütterlicher grossvater war Friedrich John,
aus "Westpreussen gebürtig, der am ende des 18. jhs. in Wien eingewandert war und
sich als kupferstecher einen bedeutenden namen machte.
Nach dem frühen tod seines vaters kam Heinzel nach Marburg an der Drau,
wo er auch die gymnasialstudien begann; fortgesetzt und vollendet wurden sie in "Wien.
Im jähre 1856 bezog er die Wiener Universität, um classische und deutsche philologie
zu studieren. Professor der deutscheu spräche und litteratur war damals K. A. Hahn,
der jedoch -schon im februar des folgenden Jahres starb. Mit seinem nachfolger Franz
Pfeiffer hat Heinzel wol näher verkehrt, aber kaum stärkere ein Wirkungen von ihm
erfahren. Von allen seinen lehrern scheint nur Johannes Yahlen auf ihn eindruck ge-
macht zu haben. Von der grössten bedeutung für seine wissenschaftliche entwicklung
wurde der freundschaftsbund, den er während der universitätsjahre mit dem jüngeren
studiengenossen AVilhelm Scherer schloss. Heinzel hat sich einmal öffentlich als
Scherers ersten und ältesten schüler bezeichnet und bekannt, dass er mehr von ihm
als von seinen professoren gelernt habe, was wissenschaftliche arbeit heisst.
Mit einer in die jähre 1864 und 1865 fallenden Unterbrechung war Heinzel von
1860 — 1868 an verschiedenen österreichischen gymnasien tätig, zuletzt als professor
am Wiener communalgymnasium in der Leopoldstadt. Im juli 1868 wurde er zum
ordentlichen professor an der Universität in Graz ernannt, im februar 1873 nach Wien
versetzt.
Vom Sommersemester 1873 bis zu seinem am 4. april 1905 erfolgten freiwilligen
tode hat Heinzel in Wien gewirkt, und zahlreiche germanisten nennen sich dankbar
seine schüler, schüler freilich nicht in dem sinne, alö ob wir jemals auf bestimmte
lehrmeinungen eingeschworen oder auch nur auf gewisse forschungsgebiete und zu
gewissen forschungsmethoden hingedrängt worden wären. Jede stärkere beeinflussung
des einzelnen Studenten widerspi'ach so wol Heinzeis zurückhaltender art, als auch
seinem ideal akademischer lernfreiheit, und für cliquen- und parteiwesen stand der
wahrhaft vornehme mann viel zu hoch. Von den heftigen kämpfen, von denen noch
in den achtziger jähren die germanistische weit bewegt wurde, haben wir durch
Heinzeis collegien nichts erfahren, aber wol sind wir durch diese collegien auf das
beste in die einzelnen disciplinen unseres fachs eingeführt worden, und in seinem
Seminar haben wir gelernt, was wahre philologie ist. Für die aufgäbe, den sinn der
alten dichter zu erfassen und ihi-er sprachlichen und poetischen technik gerecht zu
werden brachte Heinzel die gäbe feinsten ästhetischen empfindens und ein durch
unablässige lectüre geschärftes Sprachgefühl mit. Seine bolesenheit war erstaunlich
und keineswegs auf die altgermanischeu litteraturen beschränkt. Er hat sich mit den
meisten europäischen sprachen und ihrem Schrifttum beschäftigt, und namentlich eine
seltene kenntnis der neueren deutschen, französischen, englischen und italienischen
litteratur besessen. So strömten ihm von allen selten parallelen zu, wenn es galt
schwierige stellen in den alten texten aufzuklären und zu beleuchten.
1) Ein briefwechsel zweier altösterreichiscber schulmänner (K. Enk von der Burg
und W, Heinzel). Herausgegeben von Ludwig und Richard Heinzel. Wien 1887.
KICHARI) HKINZKL (NKKKOLOG) 507
Tu der ersten periode seiner wissenschaftlichen tiltigkeit ist Heinzel sehr stark
durch Scherer beoinflusst gewesen, wenngleich schon in jener zeit manche züge seiner
eigentümlichen, von Scherer abweichenden wissenschaftlichen art sich dem schärfer
zusehenden enthüllten, namentlich sein kritischer, zur Skepsis neigender verstand und
seine abneigung gegen jede einseitigkeit, gegen die Unterordnung aller tätigkeit oder
betrachtung unter ein einziges eifersüchtiges princip.
In die zeit der beeintlussung durch Scherer fallen eine reihe von Schilderungen
litterarischer persönlichkeiten und gattungen, so die Charakteristik Ileinrichs von Melk
in der einleitimg zu der ausgäbe seiner gedichte (1867), die Charakteristik üotfrids
von Strassburg (Zs. f. ö. g. 18(38), die schritt Über den stil der altgermanischen poesie
(1875). Vor allem ist aber hier zu nennen die viel zu wenig bekanute Charakteristik
der deutscheu höfischen dichtung und ihres gegensatzes zur altfranzösischen (Öster-
reichische Wochenschrift 1872). über diesen gegenständ ist nach meiner Überzeugung
bis heute nichts besseres geschrieben worden.
In allen diesen abhandlungen zeigte sich Heinzel als gewandter darsteiler, mit-
unter als glänzender Stilist, und man erkennt, dass die überaus spröde form seiner
späteren Schriften keineswegs dem Unvermögen, sondern der absieht entsprang, dem
freilich zu weit getriebenen bestreben, nicht durch die form, sondern bloss durch den
Inhalt zu wirken, zu überzeugen, nicht zu überreden.
Mit grammatischen arbeiten trat Heinzel nur in den siebziger jähren hervor.
Wol hat er sich bis zu seinem tode auf das eifrigste mit Sprachstudien beschäftigt,
aber was ihn dabei vornehmlich interessierte, war das Verhältnis von gedanken und
ausdruck, syntax und Stilistik; der historischen lautlehre wollte er in seinen letzten
Jahren nicht mehr als selbständiger forscher nahe treten.
Heinzeis sprachwissenschaftliches hauptwcrk ist die Geschichte der niederfrän-
kischen geschäftssprache (1874), in welcher er die Spielarten der in den nieder-
rheinischen canzleien geschriebenen spräche charakterisierte und in ausführlichen
excursen die wichtigsten probleme des germanischen vocalismus und consonantismus
erörterte. Die scharfsinnigen Untersuchungen sind heute zum grössten teil veraltet,
aber in einem punkte hat man sich den damals von Heinzel vertretenen anschauungen
wider genähert. Denn kein urteilsfähiger wird an der längere zeit herrschenden meinung
festhalten, dass die canzleisprachen den dialekt treu widerspiegeln. Wir haben nament-
lich durch Renward Brandstetters arbeiten gelernt, wie stark schon im mittelalter
mundart und canzleisprache voneinander abweichen konnten und weiter, dass diese
canzleisprachen beeintlussung von aussen erlitten, also dasjenige, was Heinzel cultur-
übertragung nannte.
Im jähre 1880 veröffentlichte Heinzel seine beschreibuug der isländischen saga.
Er machte sichs hier zur aufgäbe, die eindrücke, die der leser jener prosaerzählungen
erhält, nach gewissen kategorien, zu ordnen. Er fragt, was erzählt der Schriftsteller,
wie sind die träger der handlung beschaffen, wie viel wird von den Vorgängen mit-
geteilt, in welcher anorduung geschieht dies, in welcher sprachlichen form und end-
lich welche ästhetischen eindrücke werden hervorgerufen. Heinzel stellt sich also ent-
schlossen auf den Standpunkt des lesenden publicums. Man kann bei der betrachtung
eines kunstwerks auch einen andern weg einschlagen, man kann vom dichter aus-
gehen und sehen, wie das, was in seinem Innern ruht, gestalt gewinnt, in welcher
weise er seine absiebten verwirklicht. Aber Heinzeis betrachtungs weise ist, wenn
auch nicht die einzig mögliche, doch eine mögliche, und sie wendet mehr oder weniger
jeder an, der sich mit der technik einer kunstgattung befasst. Allein zur zeit des
508 JELLINEK, niCHAKD HEINZEL (NEKROLOG)
erscheinens jener schrift scheint man dies nicht allgemein eingesehen zu haben, denn
sonst wäre es unerklärlich, dass ein so eminenter gelehrter wie Konrad Maurer Heinzel
gänzlich missverstehen konnte. Maurer warf Heinzel vor, dass er keine innerlich
zusammenhängende Schilderung des öffentlichen und privaten lebens auf Island ge-
liefert habe , als ob Heinzel es auf culturgeschicbte und nicht auf dichterische technik
abgesehen hätte, und er tadelte es, dass Heinzel den Inhalt der saga als einen vom
sagaschreiber teils aus der Wirklichkeit, teils aus der tradition willkürlich ausgewählten
betrachtete. Maurer hat da nicht erkannt, was Heinzel unter auswahl verstand. Heinzel
wollte damit sagen, dass doch unleugbar die einzelne saga nicht die ganze unendliche
fülle der Wirklichkeit oder der tradition widergibt, dass sie vielmehr nui" einen teil
derjenigen ereignisse, motive und Charaktere zur darstellung bringt, die in der weit
der realität oder der weit der tradition vorkommen. So gefasst hat der begriff der
auswahl gar nichts damit zu tun, ob man die isländischen SQgur, wie Heinzel tat, als
historische romane betrachtet, oder ihren historischen wert wie Maurer höher ein-
schätzt. Ulrichs von Liechtenstein Frauendienst berichtet zum guten teil historisches;
aber wenn auch alles, was er erzählt, wahr wäre, ein getreues Spiegelbild seines
lebens würde sein gedieht doch nicht sein, man würde nun und nimmer auf den
gedanken kommen, dass dieser mann, dessen Interessen sich in sport und galanterie
zu erschöpfen scheinen, eine der ersten politischen rollen in der geschichte der öster-
reichischen lande gespielt hat. Und auch der moderne historiker wählt notwendig aus.
Er wählt aus der grossen masse historischen geschehens den ihm zusagenden stoff,
und er berichtet nicht alles, was seine beiden in Wirklichkeit getan haben. Es wäre
unerträglich, wenn wir etwa in einem werk über Napoleon erführen, wann der kaiser
jedesmal seine haare gekämmt hat. Aber allerdings wird der eine historiker mehr
details aus dem täglichen leben vorbringen als der andere, und die feststellung der
menge dieser einzelheiten gehört zu den aufgaben einer darstellung der historio-
graphischen technik.
In demselben rahmen wie die beschreibung der isländischen saga bewegt sich
die 18 jähre später erschienene beschreibung des geistlichen Schauspiels im mittelalter.
Hier führte Heinzel die Unterscheidung zwischen ersten und zweiten eindrücken ein,
wobei er unter den ersten eindrücken die gesichts- und gehörwahrnehmungen an sich
verstand, denen sich erst später als zweiter eindruck das erfassen der bedeutung des
wahrgenommenen hinzugesellt.
Zwischen diese beiden beschreibungen fallen eine reihe ganz anders gearteter
untersuciiungen, die schritten Über die Nibelungensage (188.5), Über die Hervarar-
saga (1887), Über die Waltersage (1888), Über die ostgotische heldensage (1889),
Über die französischen Gralromane (1891), Über das gedieht vom könig Orendel (1892),
Über AVolframs von Eschenbach Parzival (1893). Mit Scharfsinn, combinationskraft
und bedeutender gelohrsamkeit zerlegte Heinzel die einzelnen sagen in ihre demente,
gieng der herkunft dieser demente nach und suchte die Ursachen ihrer Verknüpfung
zu ermitteln. Die schrift über den Parzival reconstruierte die quelle "Wolframs, denn
Heinzel war der ansieht, dass nicht Cretiens Perceval die vorläge Wolframs war,
sondern ein französisches gedieht, das dieselbe quelle wie Cretien benutzte.
Heinzeis letztes werk war die in gemeinschaft mit Ferdinand Detter imter-
nommene ausgäbe der Saemundar Edda (1903). Im commentar sind seine reichen
stihstischen und syntaktischen Sammlungen verwertet.
WIEN. M. H. JELLINEK.
KOPP, DARMSTÄDTER IIS. 509
MISCELLE.
Die Darmstädtci- liaudscluift iir. 1213.
Ende miü'z 1903 schrieb mir der jotzigo leitcr der Dannstädter bofbibliothek,
Adolf Schmidt:
„Unter unseren handsehriften fand ich eine, die für Sie von interesse sein
dürfte. Es ist gewissermassen ein seitenstück zu Ihrer niederrheinischen liederhand-
schrift, sie enthält lieder jeder art in hochdeutscher, kölnischer, französischer und
italienischer spräche und gehört dem ende des 16. Jahrhunderts an. Als besitzer nennt
sich auf dem schön gepressten einband Arnoldus Krouft dictus Creudener 1587, im
band widerholt Arnolt von Krufft genandt Crudenor. Er gehörte dem Kölner patricier-
geschlechte dieses namens an und war der söhn des 1591 gestorbenen Kölner büi'ger-
meisters Henrich Krufft genannt Crüdener, vgl. A. Fahne, Geschiciite der Kölnischen
geschlechter (1848) 1,71. Zu ende des 17. Jahrhunderts war die handschrift im be-
sitze eines Kölner bürgers namens Vreydell , von dem ebenfalls mehrere eintrage her-
rühren. Nach Darmstadt ist sie 1805 mit der bibliothek des Kölner Sammlers Baron
Hüpsch gelangt. Sie trägt hier die nr. 1213 in 8" . . . Die handschrift, die noch
ganz unbekannt ist, steht Ihnen jederzeit zur Verfügung" . . .
Die genauere prüfung der handschrift ergab, dass hier nicht besonders viel für
das deutsche lied abfällt; von grösserer bedeutung erscheinen die darin befindlichen
Sprüche. Doch bekunden diese gleichermassen wie die lieder äusserste nachlässigkeit
und Verwilderung. Viele selten werden durch knabenhafte Schmierereien und Sudeleien
entstellt, zahlreiche blätter sind ausgerissen, zum grossen teil wol schon vom ersten
besitzer, bei dem dürftigen Inhalt finden sich ungewöhnlich viele widerholuogen, kurz,
das ganze macht einen unerquicklichen, lüderlichen und widerlichen eindruck. Durch
neue proben von dichterischem wert kann die handschrift weder lied noch Spruch noch
sonst eine poetische gattung bereichern. Im vergleich zu der schmucken, feinsinnig
angelegten niederrheinischen handschrift (vom jähre 1574) der Königlichen bibhothek
zu Berlin muss diese Darmstädter durchaus minderwertig erscheinen. Indessen darf
man sie nicht so tief einschätzen, dass man die mühewaltung für überflüssig und
verloren halten dürfte, wenn hier auf ein paar blättern der Inhalt, soweit er für
die deutsche Volksdichtung in betracht kommt, ausgezogen und zugleich mit einigen
nachweisungen versehen wird, die das einzelne mit dem litterarischen Zusammenhang
verbinden und in denselben einordnen.
Vorderseite des deckeis: bin nicht alß dhe blomen die allen win-
Arnoldvs Krovft. deken weidt ... 6. Preinßseßen leiffgen
Dictvs. Crev- gepreßen beniyn[t] seidt ir nest gott . . .
dener. 2'': Vne chanfon. 1. Fortune helas
Rückseite: 15 , pourquoy rens tu tout langoureux ... 4 str.
87 4": Ein ledgenn. 1. Eilend ist mir
Darin sind 164 blätter gezählt, ausser- gekomen der von ich nicht euweiß ... 6 str.
dem sind viele noch ausgerissen, sogleich ö**: Ein ander leidgen. Allein auff di-
voi-n 7 bis 8. ser Erden , bist du mir die hoechste freudt
Bl. 1*: 2. Mucht ich eins drost er- ... 3 str.
werben 0 suyuer Roßamerin . . . 3. Daß 6": Ein ander leidgen. Ich kan noch
wilt mein bitter karmen schon leffgen mag nicht frolich sein ... 8 str. P. v. d.
gedenck daran ... 4. Mein tiawe wil ich Aelst, Blumm u. aussb. 1602 s. 23 nr. 35
euch geben 0 suete leiffken fin . . . 5. Ich ebf. 8 str.
510
8*: Ein dauß leidgen. Nu haltt al an
vnd rurt eur bellen ... 4 sti'.
Am schluss: Ich wil vertrauwen gott
meinen herren ... 4 z.
9": Als neulich schein dhe sonne...
16 str. 1 bis 4 davon akrost. „Anna".
Hil. Lustig von Freudenthal, Zeitvertreiber
nr. 98 mit 15 str. Berglbchl. s. 197 nr. 162
mit 5 str. Fl. bl. Strassburg, sammelm.
Cd XII f.: Drey schöne newe Weltliche
Lieder, Vormals nye gedruckt. Das Erste:
Einsmals scheint mir die Sonne . . . Augf-
purg, bey Marx Antonj Hannas. (4 bl. 8"
0. j.) „Einsmals" 15 str. Offenbar nach
eben diesem einzeldruck Frh. v. Ditfurth,
Deutsche volks- und gesellschaftslieder
des 17. u. 18. jahrh. (1872) s. 8 in 15 str.
— London, Brit. mus. 11522 df 72: Fünff
schöne newe weltliche Lieder. Das Erste.
Einsmals scheint mir die Sonne . . . Ge-
druckt im jähr 1663. (4 bl. 8" o. o.)
„Einsraals" 15 str. — Wunderhorn IV
(hrsg. V. Erk 1854) s. 165 fassung des
Bergliederbüchleins. — Böhme, Altd. Ha-
der buch s. 127, erwähnt seltsam genug
dieses lied unter den „Schamperliedern".
13*: Rehmme. "Wiren alle wasser
wein ...4z. Dasselbe noch einmal bl. 34^
13":
Ach Gott der wissen kondt
Wan er wer auff gudten gruntt
E daß er sinen ancker sinckeu leiß
Daß wer der ärgste schiffman uit.
Vgl. hdschr. v. j. 1568 nach nr. 43: Ztschr.
32, 517.
14*: Französische verse.
16'': Ein liedtgeu. 1. Nun grues dich
Gott in hertzeu, du auserwelte mein . . .
4 Str. Vgl. hdschr. f. Ottilia Fenchler v.
j. 1592 nr. 24: Alemannia 1,32. — Nie-
derd. liederb. nr. 152 (138): Jahrbuch f.
nd. .sprachf. 26 (1900) s. 47.
\7^: Schlag donner mit schmertzen
Ihn alle falße hertzen
Die mitt vntrew thunn schertzen.
Derselbe Spruch noch einmal unten bl. S?*».
Vgl. Wcrltspr. 1562 bl. C 1*.
19*: Ein Lidgen. 1. Zwey ding wünsch
es ich auff erden ... 15 str. Blumm u.
aussb. 1602 s. 7 nr. 14 in 15 str. — Fl.
bl. Ye686 (Basel, J. Schröter 1597); Yd
7850 St. 11 (Augfpurg, V. Schönigk o. j.);
Ye 1653 (o. o. 1646); Ye 1773 (o. o. u. j.)
— in je 15 str. — Zürich XVIII 2016
St. 1 (o. 0. u. j.) in 17 Str. — Hdschr. f.
Ottilia Fenchler 1592 nr. 32: Alem. 1,42.
— Dieses lied wie das vorige stehen in
dem verschollenen Frankfurter liederbuche
v.J. 1599: nr. 267 Zwei Ding wünsch ich
auf Erden... 15 str., nr. 273 Nun grüß
dich Gott im Herzen ... 4 str.
21^: Hertz Leiff sonder ar[g]list ...4z.
22*:
Edell dinck ist niemals gefunden
Dan trew von hertzen vnnd steill von
munden.
Bewahr dein ehr vor allen Sachen
Oderwirst dich selber zu nicht machen . . .
28 z. Z. 1 u. 2 s. hdschr. des P. Fabricius:
Alemannia 17, 251 nr. 15.
22'':
Flux, heymlich vnd steill
Ist aller Jungfrauwen weill.
Freichs, frolich, freundtlich vnd frohm
Ist aller Junger gesellen schätz vnd rich-
tumb.
Z. 1 u. 2 s. hdschr. v. j. 1574 bl. 108*,
z. 3 u. 4 ebenda bl. 3'': Euphorion 8,511
u. 9, 300.
23*: Frolich in allen ehren bin ich zur
jnancher stund ... 4 achtz. str. Vgl.
hdschr. des Frdr. v. Reiffenberg v. j. 1588
nr. 18: Nouv. Souvenirs 1,248: Archiv f.
d. Studium d. neueren spr. 105, 280. —
Liederb. v. j. 1599 nr. 263; Berglbchl.
(1700/10) s. 198 nr. 163. — Hdschr. des
P. Fabricius nr. 153. — Niederd. liederb.
128 (114). - Venusgärtlein 1659 s. 29,
V. Waldberg s. 23. - Fl. bl. Berlin Yd
7852 st. 10 „Acht Schöne Newe Lieder"
(0. 0. u. j.) 2. Frolich in allen ehren . . .
9 achtz. str. — Nürnberg, Germ, national -
mus. L. 1731'^'' „Drey Schone Weltliche
Lieder" 1641 o. o. 3. Frolich in allen
Ehren ... 9 achtz. str.
DARMSTA.DTER HS.
511
24": Ein Curraut. Es gab ein schwäb
sein Dochterliu hynn | Die ducht sich veill
zu kleynn ... 4 stf.
25": Del crudo amor io sempro mi
lamento ...
26": Mein hoffnungh ist Gott alleinn,
Dan des Menschen troist ist kleyn . . .
8 z. Vgl. dazu die Sprüche bl. 83^ u 88»'.
Leyden thoitt gar wehe ... 4 z.
Der eynen schonen apfel hatt vnd den
nicht eist ... 4 z. Vgl. hdschr. v. Reiffen-
bergs 1588: Nouv. Soiiv. 1,276. — Hoff-
mann, Findlinge s. 459; Lobe s. 89; AVolf-
ram, Nassauischc Volkslieder s. 144; Mar-
riage , Volkslieder a. d. bad. Pfalz s. 333 usw.
0 Gott himmelscber Vatter, | Bescherr
mir Röß vnd sadell . . .
Schlaugen bloidt ist böeß feneyn.
Noch fiudt man sungeu die arger seint.
Ach wehren sie alle zerspleissen
Die mehr sagen dan sie wissen.
Z. 1 u. 2 s. hdschr. 1568 hinter nr. 52, z. 3
u. 4 hinter nr. 63: Ztschr. 35, 519 u. 522.
Vgl. zu z. 3 u. 4 Werltspr. 1562 bl. H 4^.
27»:
Frauwen zusagen vnd lirchen gesanckt
Kleincken woU vnd wehren nit langh.
Vgl. hdschr. 1574 bl. 130^: Euphorion
9, 625 usw.
28": Fragh.
Schone Jungfraw außervvelt
Ist stedige leib besser oder bär geltt.
Antwortt.
Junger gesell rechte leib ich nicht veracht . . .
Eß kompt seiden her das ich beger.
Eß kompt gar weill das ich nicht weill.
Such wur dich traw ist mißlich.
Vgl. hdschr. 1574 bl. 60'' u. 130": Eupho-
rion 9,89 u. 625.
28":
Ach was moissen zwey hertz leiden,
Die sich lieben vnd moissen sich meiden.
Vgl. hdschr. 1574 bl. 125": Euphorion
9, 310; hdschr. des P. Fabricius: Alem.
17, 256 nr. 23.
29":
Hertzs leiff laß mich nicht mißgelten,
Das meine äugen euch sehen selten.
Ob ich schon fehrn von euch beynn,
Seidt ihr doch zur aller stundt in moynem
seynn.
Z. 1 u. 2 s. hdschr. 1574 bl. 45'': Eupho-
rion 9, 26.
Dar die loib bekompt gewaldt
Dar seindt die gedancken manichfaldt.
Derselbe spruch noch einmal unten bl.83".
Hdschr. 1568 hinter nr. 58: Ztschr. 35,520.
30'': 0 Luna durch mein vmbgeben
vnd süsse Mynen, Wirstu schon stavck
vnd gewaltigh alß ich binne . . .
32": Ein harte Nuß ein stumpffer
Zant . . . Vgl. Hoffmann, Findlinge s. 443;
Alemannia 17,250; Lobe s. 163. — Erster
Theil , Allerhand Oden vnd Lieder . . .
Durch Gabrielen! Voigtländer (Lübeck
1650) nr. 32: Auff eine Zeit ein alter
schwacher Mann | Sprach eine hübsche
junge Dirne an, | Und wolte haben sie zu
einem Weib, | Sie sprach, ich bitt dich,
Alter, von mir bleib.- | Denn eine harte
Nuß und stumpfer Zahn | Sich nicht gar
wol zusammen schicken kan. ^- Hdschr.
V. Reiffenbergs 1588: Nouv. Souv. 1,276:
Ein harte noß, ein stompfer zahn, | ein
junges weib, ein alter man | sich nit zu-
sammen schicken wol, | ein jeder seins
gleichen freien sol. — Fl. bl. Ye 1221.
33":
Den wer einen gutten Namen lest
Der brengt daruon das allerbest.
Arnolt von krufft gnandt Creudener.
34": Junger gesell haltt dich woll . . .
Woltt Gott vnnd Ein
So wer mein sorgen klein.
Hdschr. 1574 bl.66'': Euphorion 9, 281 usw.
34'' unten: Französische Sprüche.
45'': Rimen | Ich haff ein willtt in
meiner jagtt ...4z, Hdschr. 1574 bl. 23'':
Euphorion 8, 522 usw.
47": Französische verse.
51": Eyn gotsehlich leydt | 0 ach wyr
ich inn mynes vatter landtt ... 12 str.
53": Dye leyffden ist starcker dan der
dott ... 4 str. Am schluss:
Myr genocht wye mir gott zufeugt.
Reychmodt Crudoners von Krufft
512
Beyn ich genandt raeyn geluck
stehet in gottes haudt.
^Mir genügt wie Gott fügt" beliebter leit-
spruch, z. b. hdschr. 1575 hinter nr. 3:
Archiv f. d. Studium d. n. spr. 111,8.
57^: Französische verse.
67*: Der Lustelicher Mey: französ.
lied. Ygl. bl. 135^
70'': Ein ander Leidtgen. Ich stundt
an einen morgen ... 7 str. Dahinter:
Bei geltt vnd gudtt ist mancher arm . . .
Zum Hede vgl. Pal. 343 nr. 153: Deutsche
texte des raittela. 5, 166.
72'': Hefen sin vnd moet auch roeßen
bletter ... 4 z. Derselbe spruch noch ein-
mal unten bl. 82''. Vgl. hdschr. 1568
hinter nr. 22: Ztschr. 35,513 usw.
72'': Französische verse.
76": Ein leidgen | In der leifften bin
ich vmbfangen hartt... 9 str. Dahinter:
Mercke vnd Melde ... 4 z. Vgl. Werltspr.
1562 bl. G2"; 1601 bl. 27 ^
78'': Französische verse.
79'': Mocht meia hoffen seicher sein ...
80«: [4 z.
Mancher dreibt vmb Junfferu vnd heren
gunst
Vil kosten vnd arbeitt vmb sunst . . .
Derohalbe große heren vnd schone Juuf-
frawe
Sol man vil deinen vnd nit allenthalbe
vertrawen,
Wan ir hertz ist wehe im thaubeu hauß.
Der inner flucht im der ander derauß.
Hdschr. 1574 bl. 130": Euphorion 9, 625.
Schweig meid vnd leidt
alle dingt habt sein zeit.
Vgl. bl.88^
81": Lachen schimpffen vnd schertzen|
Erfrewent offt trawrige hertzen . . .
81'': 0 Jmigfraw schonn vnnd fein |
wie wol gefeit ewere person dem hertzen
mein ...
82":
Heren gunst vnd Jungfraw lieb vnd Rosen-
bletter
verkehren sich wie das aprillwetter.
Vgl. oben bl. 72".
82":
0 Jungfraw mocht es m.ir gelucken
Daß Ich dhe frische roselen mit euch mocht
plucken
So woltt Ich die hestlichen laßen sthan
Vnd die Schonesten in ewer Juuffrewlichen
schoß plucken than.
Hin ist hin.
Z. 1 u. 2 s. hdschr. 1574 bl. 57": Eupho-
rion 9, 34 usw.
83": Schweigen sonder dencken | Ahn
stoeßen sonder wencken . . .
Da die liebte leidt gewalt
Da seind die gedanncken mannigfalt
Derselbe spruch schon oben bl. 29".
Leid vnnd Meidt. Vgl. 88".
83":
Ich trag im meinen hertzen
Groß leiden vnd schmertzen,
Daß wil ich allein verborgen tragen
Vnd wil eß niemand auf erden klagen,
Sounder got dem heren allein,
Dan bie den minschen trost find ich glau-
ben klein,
Vnd wil meinen sein mit hoffnung stercken.
Das eß kein minsch auff Erden sali mercken.
Derselbe spruch noch einmal bl. 88 ".
Hdschr. 1574 bl.8": Euphorion 8, 514 usw.
Lieb ist leids ahnfangh
Eß kom vber kurtz eß kom vber lanck.
Hdschr. 1574 bl. 76": Euphorion 9,285.
84": Ich glaube nit daß ihn dieser
weltt I Etwas sei das einen mifgefelt . . .
Vgl. unten bl. 88".
84": K L W D
Dan Gott vnd Ich.
Hdschr. 1574 bl. 139": Euphorion 9,628.
85*: Wer krancheit leid mit gedult |
Der mag verkrigen gottes holftt . . .
86": Ein Leidtlein. 1. Lieblich hatt
sich gesellett ... 4 str. Ende. Vgl. Pal. 343
nr. 164: Deutsche texte 5,182 usw.
Blatt ausgerissen.
87": 3. Gedultt thutt vberwinden | daß
junge hertzen mein ... 4. Schönes leib
thu mich nicht schießen | wol auß dem
hertzen dein ... 5. Gott grüß mir die
im hertzen. 1 die mir ist wol bekannt...
DAKMSTADTER IIS.
513
Dieses lied s. noch einmal vollstiiiulig
bl. 119\ Dahinter:
87'': Schlag donner mit schmertzea
Ihm alle falsche hertzen
Dhe mitt vntrew thun scheitzeu.
Derselbe spruch schon oben bl. 17''.
Dhe äugen ins gemeint
Das hertz doch im allein.
Derselbe spruch noch einmal unten bl. 103''.
88*': Ich glaube nitt daß ihn dießer
weltt I Etwas sei daß einen mihr mißgefelt. . .
8 z. Vgl. oben bl. 84\
Da die leib leidtet gewaltt
Da sein die gedannckcn mannigfalt.
Derselbe spruch schon oben bl.29".
Leid vnd ineidtt
alle dingt hat sein zeitt.
Vgl. bl. 80" u. für z. 1 auch 83\
Beider wil dhut vill.
Vgl. hdschr. 15()8 hinter ur. 4.5: Ztschr.
35, 517.
88":
Ich trag ihun meinenn hertzenn
groß leiden vnd schmertzenu,
daß wil ich allein vorborgen tragen
vnnd will eß nieniandt auf erden klagen,
sonder gott denn herren alleinn,
dhan bie denn menschen trost find ich gar
klein,
vmid wil meinen sin mit hoffuung stercken,
daß eß kein minsch aufl erden sol mercken.
Derselbe spruch schon oben bl. 83 ''.
Ich hoffen datt besten helff mir got
au letzsten.
89": Französische verse.
92": Sonder Leidt Lassen Leiben | dem
ich mein hertz haben ergeben . . .
92'': Französische verse.
97": Ein geistlich Leidtt. 1. Och her
ich für so große klag | ich hab gesundig
so manig dagh ... 4 füufz. str. Dahinter:
Schon von leib vnd juugh von jaren...
4 z.
98'': Ein neu Leidtt. Nu Iiat mich
deissen somer | Daß vngeluck verlaßeu...
4 vierz. str. Dahinter:
Trawlicli von P^ i.st der ordeu mein . . .
4 z.
ZEITSCHRIFT K. DEUTSCUK PllILOLOÜIK. BD,
Nichst ohn Gott. Vgl. unten bl. 120\
Rien sans Dieu in der hdschr. v. Reiffen-
bergs: Nouv. Souv. 1,278.
99'': Französische verse.
101": Ein Leidtt. Weinig treuwen ist
auff erden | dar zu kein stehtigkeitt . . .
3 achtz. str. 2. Allein auf gott ver-
trauwen ... 3. Vill leudt haff ich ver-
trauwott . . . Hdschr. 1568 nr. IIG; 1575
nr. 106; hdschr. v. Reiffenbergs 1588 nr. 11:
Nouv. Souv. 1, 236 usw.
102": Französische verse.
102'': Von Gott ist mihr nach hertzen
beger ! Ein Jungfrauwlein außerkoren . . .
5 str. 4. Denn du bist mein und ich bin
dein. Dahinter:
103'': Dhe augeu in eß gemein
Dhe hertz ilimm doch allein.
Vgl. oben bl. 87".
104-»: Ein Ander Leidtt. Ach hertzes
hertz, mitt schmertz ehrkennen du...
7 str. Hdschr. des P. Fabricius nr. 23;
Blumm u. außb. s. 134 nr. 140; Niederd.
liederb. nr. 142 (128) u. ö.
105": Ein Ander Leidlen. Ich schlaff
ich wach oder waß ich thun, ich hab kein
Rew . . . Anno 1689. Vgl. unten bl. 107".
105": Anno 1689 — Den 28 Januarj
pauli bekehrung Tag sein meines Broders
Kinder ihn die Schul gegangen alß Martin
vnd Johannes Ernestus vnd Henricus.
106": Die hoffart ist gar hoch . . .
omnia tempus habet Ao 1689.
106": Französische verse.
107": "Ein Leidlein. Ich schlaff ich
wach oder was ich thun . . . 8 str. Kehr-
reim „Sie ist die schonst auff erden |
uiachtt mich leben vnd sterben | ach Gott
mocht sei mir werden". Vgl. oben bl. 105*.
109": Ein schonnes Leiddgen. | Pur
klar vnd herlich leuchten | Gottes wercke
wunderbar... 8 achtz. str. Dahinter:
111":
Scheiden ist druck,
Yv'idderkunren ist geluck
Doch wir widderkoinon nicht erdacht,
So wir scheiden nicht geaclitt.
xxxvii. 33
514
KOPP, DARMSTADTER HS.
112*: Ein schonn leidekhen off dhe
wise hett Nachtegaelkeu. ü ß. droff von
sinen | Laitt varen alle vreuchtt ... 7 str.
115'': Alle die in Sion zeitt | verblitt
V all gelickea ... 6 str.
116'': Ein geistliche leidtt. Es ist alle
leiden vnd verdreiß | wo daß ich mich hin
keren ... 11 vierz. str.
119"^: Ein feins Leidelein.
Mit lust so will ich singen
ein leidt gar neuwe erdacht
von wnuderlichen dingen,
wolts gott ich hets volbracht,
von einem Juugfrauwelin
die mich auch leibt allein,
mein hertz thutt sich erfreuweu
wan ich bey ihr thun sein.
2. Gediilt nioiß ich ietzs tragen,
wiewoU mich sehr verdrußt,
ich darfs auch niemants sagen,
mein hertzs mir gar darfleußt,
das ich von ir moiß sein,
macht mir schwere pein,
docli trag ich gedolt von hertzen,
dieweill eß nit anders khau sein.
3. Geduit thut vberwinden
das junge hertze mein,
ich will sei noch woU finden,
die hertzlich schon vnd fein,
die mir verheischen ist,
doch gar ohn falschen list,
der zeitt will ich gedencken, vnd er-
wartteu,
ich weiß weil das sei nit sehr weidt ist.
4. Schönes leib thu mich nit
schleischen
woU auß dem hertzen dein,
laß mich auch des geneissen,
du weiß woll waß ich mein,
ach hertz allerleibste mein,
laß mich der traw geneißen fein,
deiner khan ich nit vergessen,
du bist gauß eig'en mein.
5. Gott gruiß mir 'die im hertzen
die mir ist woll bekandt,
mit ir mocht ich woll schertzen,
doch freundtlich vnuerschampt,
gar mich nichts böß erfreuwet,
das mir mehr freuden gibt,
dan du hertzs allerleibste mein,
mein hertzs durch auß gar erfreuwes
fein.
Arnolt von krufft genandt | Crudener
in seiner Jugt, alle zeitt | in ehren vnd
zucht mit Gottes | frocht ist begnungt.
120^: Ein amoreus leidgen. | 0 Herr
Almechtigh ich moß v clageu | Ich was
der wereltt ein feinens thier . . 5 achtz. str.
Nichtt ohn Gott. Vgl. oben bl. 98^.
121'': Ein Amoreus Lidgen. 0 Magett
schoen min leiff bemint ... 11 str. "Wech-
selgespräch. Dahinter :
124^: Leiffde Ein Ehr khan ghin man
kheren. Vgl. hdschr. 1574 bl. TS-"^: Eupho-
riou 9, 286 usw.
124'' : Ein Geistlich Leidgen. In Ba-
bilon ... 3 Zeilen, sodann noch einmal: Ein
Leidgen. In Babilon ... 13 str. Dahinter:
127":
Man sali Gott setzen ghin zil noch weil,
daß Gott hatt bescheirdt daß kompt in Eil.
Der Gott betrau[t] der nimer geraut.
128'': Ein geistlich leidgen. Schon
leiff gi seidtt preiß wert allein verkoren
bouen all . . . 5 str. Dahinter :
129^:
Der hatt an seiner leiff nicht verloren
Der den Almechtigen Gott hat außerkoren.
129'': Ein leidgen. Glich alß der weiße
schwanen . . . erste Strophe , sodann ein
blatt ausgerissen, sodann 130*" die vierte
Strophe. Blumm und außb. 1602 s. 185
nr. 192 in 8 str.
130'': Französische verse.
131^: Ein leidlein. | Ein leidlein will
ich singen | auß grosser ti'aurichlicheit . . .
7 achtz. str.
133'': Ein neu Liedgen. ] Die winter
is vns verganghen | En ich sien des Meies
virtuit ... 6 achtz. str.
135^: Dhe luchstige Meij. Dhe luste-
lich Mei is nu in den tidt 1 mitt sinen
EHMSMANN ÜBER PANZKR, HILDE -GUDRUN 515
gronen bladen ... 3 achtz. str. Nach 146": Ao 1090 haben wir ein Jiibel-
einer für die vierte Strophe gelasseneu jähr gehatt . . .
lücke folgen die Strophen 5 u. 6. Vgl. 146'' u. 147'': Notizen über Familie
bl. 67". Antw. liederb. 1544 nr. 128 0 VreydeU zu Cöln; vgl. 105 ^ Vater Vrey-
lustelike mey ghi zijt nu in saisoene . . . dell zählt seine zahlreichen kinder aus
5 sechsz. str. seinen beiden eben auf.
136^: Rheni. Der mir nur ist holdt ... 163" : Heyza viua Trompeta wie sitzen
4 z. Rhim. Bistu eiu Richter ... 4 z. wir hier so still | Eß kann nit all ge-
137": Französische verse. s[ch]ehen ein jeder nach seinem will, |
145": Hab Gott vur den äugen deyn . . . Frisch auf einmahl getruacken . . . Ao 1689.
FRIEDE.VAU. A. KOPP.
LITTERATUE.
Friedrich Panzer, Hilde-Gudrun. Eine sagen- und litterargeschichtliche Unter-
suchung. Halle a. S. , M. Niemeyer 1901. XY, 451 s. 12 m.
Panzer stellt sich mit diesen Studien das ziel, das gedieht 'als das einheitliche
werk eines Verfassers' zu erweisen. Er löst das problem, das schon von andern ge-
lehrten, besonders von Sijmons, so erfolgreich gefördert wurde, nun endgültig mit
umfassenden mittein, indem er alle formalen bestandteile sowie den Inhalt unter diesem
gesichtspunkt untersucht. Die bedeutung seines Werkes reicht aber weiter: die zweite
hälfte, die Untersuchungen über die sage sind von grundlegender Wichtigkeit für die
erkeuntnis der entstehuug der mhd. volksepik.
Der erste teil (das epos) erfüllt seine aufgäbe, das gedieht als einheitliche
Schöpfung eines Verfassers zu begründen, dadurch, dass die spräche, die metrik, der
stil, die composition, die Charaktere als geschlossene einheiteu dargetan werden.
Der sprachliche charakter ist gleichartig durch das ganze gedieht und die mund-
artlichen Sonderheiten finden sich ebenso in den 'unechten' wie in den 'echten' Strophen.
Dasselbe Verhältnis zeigen die reime. In der beurteilung der cäsurreirae folgt
Panzer Sijmons, weicht jedoch bezüglich der Nibelungenstrophen insofern von ihm
beträchtlich ab, als er auch hier nur nebensäcliliche änderungen finden will (die
letztere hypothese ist ausgeführt in dem artikel 'Beiträge zur kritik und erkläruug
der Gudrun', Zeitschr. 34, 425 — 453). Das niass des unechten in der überliefeining
der Gudrun schätzt Panzer also nur sehr gering ein, doch wol zu gering. Über die
annähme gewisser Interpolationen und Umstellungen können wir doch nicht hinaus-
kommen. Aber allerdings mögen diese immerhin so unwichtig sein, dass sie das
werk des Gudrundichters kaum nur stellenweise anders färben.
Die folgenden abschnitte über den stil und die composition gewinnen allge-
meine bedeutung für die darstellungsweise des mhd. volksepos überhaupt. Als charak-
teristische erscheinungen des stils erkennt P. die widerholung und den mangel an
anschaulichkeit (letztere indessen ist auf dem gebiete des stils in engerem sinne von
geringerer bedeutung). Eine sehr fleissigc, vollständige Sammlung aller Variationen
und widerholuDgen gibt ein bild davon, wie die typische Verwendung des sprach-
lichen matei'ials gleichsam den festen grundbestand des gesamten sprach,stoffes bildet.
In der composition kommen hauptsächlich die Widersprüche in betracht. Den
innern anstoss zu diesen gaben widerum jene schon im stil begründeten eigentümlich-
keiten, die widerhulung und die unauscliaulichkoit.
33*
516 EHRISMANN
So von den äusseren , formalen elementen weiter ins innere dringend , sucht P.
schliesslich, die einheit der Charaktere darzulegen. Dieses kriterium ist natürlich
viel unsicherer, weil die hewegungen des Seelenlebens überhaupt in einer uns nicht
genau zu übersehenden folge ablaufen und weil wir, noch weniger, kaum jemals die
natur eines mittelalterlichen dichters so tief hinein kennen, dass wir eine psycho-
logische gesetzmässigkeit seines Schaffens nach allen richtungen beurteilen könnten.
Eine vergleichende beobachtung der feineren seelischen Vorgänge im bereich der
mittelalterlichen litteratur (für die äußerungen der roheren affecte sind wir ja ziem-
lich gut unterrichtet) wird uns doch manche erscheinung genauer beurteilen lehren.
Es widerspricht z. b. unserm empfinden, wenn Gudrun sich verstellt und vorgibt,
Hartmuot, den lange verschmähten, endlich zum manu nehmen zu wollen. Panzer
findet dieses verhalten im Inhalt psychologisch begründet, sie folgt 'einer notwendigen
eingebung .des augenblicks' (s. 138). Aber nicht nur dieses. Wir können dieses be-
nehmen der Gudrun historisch, aus der anschauuug des mittelalters heraus, recht-
fertigen. Es hatte für jene menschen nichts anstössiges, denn dasselbe tut Euodiieb,
das muster eines fertigen edelmanns, indem er die leichtsinnige dame, die ihn hei-
raten will, zum uaiTen hält. List gegen den feind oder gegen einen schlechten ist
erlaubt. Gilt es doch für eine verdienstliche handluug, den schlimmsten feind, das
prinzip des bösen, den teufel selbst zu prellen.
Panzer nun findet die Zeichnung der Charaktere in unserem gedieht folgerichtig
durchgeführt. Aber die strebungen und handlungen dieser personen ei-klären sich
doch nicht durchweg so harmonisch als einheitliche äusserungen geschlossener psy-
chischer Individualitäten, und die Widersprüche, die ja schon genugsam betont worden
sind, werden durch seine aualyse nicht alle beseitigt. Doch wird der feine poetische
sinn, der ihn bei der deutung der Charakterbilder leitete, auch den anmuten, der aus
der darstellung unseres dichters da und dort andere empfindungen herausliest.
Der ästhetischen methode Panzers könnte man eine historisch -entwickelnde zur
Seite stellen, nach welcher die Charaktere auf ihre entstehung zurückgeführt werden.
Dem dichter schwebten, soweit es sich nicht um blosse Statisten handelt, lauter be-
stimmte typen vor, deren inneres wesen, mit ausnähme der Gudrun, in einer oder
einigen wenigen eigenschaften concentriert ist. Man kann sie teilen in spielmännische
figuren und solche der modernen, ritterlichen kunst in der art des Nibelungenliedes
(vgl. unten s. 525fg.). Zu jenen gehören Hagen, Hilde und Hetel. Die keime zu
Hagens natur, in welcher zwei eigenschaften besonders hervortreten (P. s. 121 fgg.),
liegen schon iu der alten entführungssage : seine Wildheit hat er als tyrannischer
vater, der alle freier umbringt, sein gutmütig -herzliches Verhältnis zu seiner frau
und besonders zu seiner tochter ist eine einer höheren kulturstufe entsprechende
Umbildung jenes sageuzuges, demzufolge der vater in seine tochter verliebt ist und
sie selbst heiraten will.
Hilden ist keine besondere seelengestalt verliehen, wie denn auch in der Spiel-
mannsdichtung die liebe nicht als eine tiefere enipfindung interessiert, sondern eigent-
lich nur ein motiv für den fortschritt und die Verwicklung der handlung bildet.
Da Hetel nie die führende rolle übernimmt, so treten auch die diese figur
sonst auszeichnenden momente, tapferkeit und list (vgl. Rother, Ortnit) zurück.
Die gestalt Wates ist ebenfalls aus der spielmannskunst hervorgewachsen,
von unserm viel gebildeteren dichter aber weit über jenen Standpunkt hinaus-
gehoben durch die feiae, auf einer fülle von einzelzügen beruhende Charakterisierung
(P. s. 126 fgg.).
ÜBKK PANZER, HILDK- GUDRUN 517
In einem gewissen gegensatz zu diesen figuren stehen die seelisch vei"tieften
personen der eigentlichen Gudrun sage. Die heldin selbst ist eine ganz aus dem
idealisierenden geiste der österreichisch- ritterlichen dichtuug geschalTeno fraucngestalt,
die liebe ist bei ihr, im gegensatz zu Hilde, wirkliche herzenssache; das Verhältnis
-des liebenden, Herwigs, zu ihr, nähert sich schon der modernen form des dienstes.
Im übrigen ist Herwig keine scharf ausgeprägte persönlichkeit (P. s. 131), in der sage
kam ihm (d. i. Herbort) von vornherein nur die sich von selbst verstehende recken-
tugend der tapferkeit zu, welcher der dichter noch die höfische des conventiouellen
liebhabers beigefügt hat.
Der Charakter der Gerlind war dem dichter schon durch den stofT selbst vor-
gezeichnet als der einer bösen stief- oder pflegemutter und infolge davon auch der
ihres gatten Ludwig, insofern er an energie zum bösen ihr nachstehen musste; und
endlich ist auch der typus des zurückgewiesenen, aber edelgesinnten freiers, d. i.
Hartmuots, dem mittelalterlichen Stoffgebiete nicht fremd (s. unten s. 525).
Der dichter hatte also in seiner vorstellungsweit schon bestimmte modelle für
seine personen bereit liegen und somit waren ihm die linien für seine Charakterbilder
vorgezeichnet. Diese Charaktere waren also in iliren grundbedingungen gegeben, doch
blieb dem dichter ein grosser Spielraum für freie tätigkeit in der detailausarbeitimg.
Es kreuzten sich aber dabei verschiedene äussere einüüsse, die Überlieferung der
ursprünglichen sagenge.stalt , jene der spielmannsmanier und endlich die höfische ten-
denz. und schon dieses widerspiel musste der Störung einer folgerichtigen psycho-
logischen entfaltung förderlich sein.
Den schluss des ersten teiles bildet der nachweis, dass die einholt des gedichtes
auch durch das Verhältnis zu andern epen bestätigt wird, indem sich die , benutzung
des Nibelungenliedes, der klage, Wolframs und des K. Rother gleicherweise auf
'echte' wie auf 'unechte' Strophen erstreckt (s. 140 — 152).
Im zweiten teil des Werkes (Die sage, s. 153 bis zum schluss, s. 448) tritt
die für den ersten teil massgebende einheitsfrage in den hintergrund. Die Unter-
suchung schreitet zu andern, über den rahmen des einzelnen gedichtes hinausgehenden
Problemen vor. Ursprung und eutwicklung der sage werden in einer weise geprüft,
die für alle sagwissenschaftliche forschung vorbildlich ist. Nicht nüt aprioristischen
ideen und subjectiven kunsturteilen wird gearbeitet, sondern auf exactem wege prüft
der Verfasser jeden einzelnen sagenzug und sucht ihn zu erklären durch beiziehung
vergleichbarer erscheinungen auf dem gebiete der allgemeinen sagenlitteratur. Diese
methode ist noch niemals bei einem mhd. gedichte so folgerichtig und mit so um-
fassender kenntuis des einschlägigen materials durchgeführt worden. Die ergebnisse
sind denn auch überraschend: die einzelnen elemente des Stoffes sind fast durchweg
überlief erungsgemäss. Der Vorgeschichte liegen Volksmärchen zugrunde, dazu ist
der herzog Ernst und der ApoUoniusroman benutzt, für die composition hat Ulrichs
Lanzelet das muster abgegeben; die Hildesage (der zweite teil des epo.s) beruht auf
dem Goldenermärchen, aus dem auch der ApoUoniusroman stammt; der dritte teil
besteht aus der Horwigsage, die ebenfalls aus dem Goldenermärchen abgeleitet ist,
und der geschichte Gudruns, zerfallend in leidenszeit und rückführung, zu deren aus-
bildung ebenfalls die Hist. ApoUonü, ferner die Salomosage und das motiv des liedes
von der widergefundenen Schwester mitgewirkt haben.
Das deutsche gedieht i.st also, nach dieser theorie, aus einer fülle getrennt
liegender, üherkommener motivo zusammengesetzt, im mittelpunkt aber stellen die
motive des märchens vom Goldener. Den ersten teil dieses satzes hat der Verfasser
518 EHRISMANN
m. e. erwiesen, der zweite, vom märchen als grundlage, muss in. e. entschieden
abgelehnt werden.
Nur die Vorgeschichte Hagens ist ein erzeugnis der märchenphantastik.
Panzer erkennt zwei märchenstoffe, aus denen sie zusammengesetzt ist, das ist die
Greifensage (entführung Hagens) und das märchen vom königssohn, der drei Jung-
frauen aus der gewalt von unter der erde hausenden drachen befreit, dann von einem
riesigen vogel aus der höhle an die oberweit getragen wird (märchen vom erdmänneken
[bärensohn], Grimm nr. 91). Zur detailausführung ist zumeist das gedieht vom herzog
Ernst und eine Version des ApoUonius von Tyrus, die dem Orendel nahe stand, bei-
gezogen. Den gedanken, eine entführungsgeschichte als eingang seinem epos voraus-
zuschicken, zog der dichter aus Ulrichs Lanzelet.
Nun beruht aber auch die Hildegeschichte nach Panzer auf märchenhafter
grundlage, nicht auf einer heldensage, 'die Hildesage ist aus dem Goldenermärcheu
entsprungen' (s. 267). Das Goldenermärchen (Eisenhans bei Grimm, nr. 136) als
quelle litterarischer Stoffe ist von Laistner in die Wissenschaft eingeführt worden, der
den ApoUonius, Orendel imd Rother daraus ableitete (Zs f.d.a. 38, 113 — 135); von
einer inhaltsangabe des märchens kann demnach hier abgesehen werden und es möge
genügen, die leitenden züge auszuscheiden, welche das gerüste der fabel bilden:
1. ein junger königssohn ist, unerkannt, in niedern diensten an einem fremden königs-
hofe; 2. ein schützender dämon verleiht ihm wunschdinge (besonders 'goldenes haar');
3. durch diese erringt er die könig.stochter zur frau. Stellen wir diesen merkmalen
des märchens die grundzüge der Hildesage gegenüber: 1. ein königssohn raubt die
tochter eines andern königs; 2. der vater verfolgt den entführer; 3. es kommt zum
kämpf [der mit dem tode des vaters enden muss]. Es stehen sich also gegenüber:
das Goldenermärchen mit folgenden motiven: 1 das motiv vom männlichen Aschen-
brödel, 2. das motiv vom schützenden dämon, 3. erringung der braut durch wunsch-
dinge — und die Hildesage mit folgenden motiven: 1. brautraub, 2. Verfolgung, 3. end-
gültige erringuug der braut durch kämpf; dort das spiel einer sich über die Wirklich-
keit heiter hinaussetzenden märchenphantasie, hier die kennzeichen echten heldentums,
dem leben entnommen oder wenigstens in dasselbe umsetzbar. Und so können denn
diese beiden vorstelluugsreihen nur dadurch miteinander vermittelt werden, dass
grundgedanken zu nebendingen herabgedrückt und umgekehrt, nebenzüge zu haupt-
zügen emporgehoben werden. Denn, messen wir die merkmale des märchens ab an
der Hildesage, so finden wir in dieser das Ascheubrödelmotiv (1) gar nicht, den
schützenden dämon (2) nur im deutschen epos, nicht auch in den nordischen fas-
sungen, und die erringung der braut geschieht nicht durch wunschdinge (3), sondern
durch kämpf auf leben und tod; umgekehrt: das kernmotiv der Hildesage, die ent-
führung der braut (1), dazu die Verfolgung und der kämpf (2 und 3) können nur
mit einigen in gewissen Versionen des märchens vorkommenden unwesentlichen neben-
seiten zusammengebracht werden.
Nun liegt es gewiss gerade in dem wesen dieser willkürlich entworfenen
märch engebilde, dass sie in sehr verschiedenartige gestalten sich verwandeln können,
so mannigfaltig, dass häufig kaum mehr eine Verwandtschaft zu erkennen ist. Aber
wenn, wie hier, die kernmotive so stark voneinander abschwenken, dann ist das
geistige band zerrissen, dann liegen eben zwei schon in der conception verschiedene
typen vor.
Die Hildesage gehört zu den brautraubsagen und ist nicht zu trennen von der
grossen zahl anderer ablcger dieses kreises, z. b, von den griechischen entführungs-
ÜBER PANZER, HILDE- GUDnUN 519
geschichten der lo (P. s. 273 fg.), Theseus und Ariadne, Jason und Medea, der ger-
niauisclien Walthersage, der Salomosage usw. Man müsste also auch diese fassungen
aus dem Goldenermärchen ableiten, da aber dieses untunlich ist, so niuss auch die
Hildesage, als angehörige dieser sippe, vom märchea getrennt bleiben.
"Wir sind nun ausserdem in der läge, die entstehung der Hildeerzählung, die
conception, im bewusstsein des dichters psychologisch verfolgen zu können. Die
werbungs- und entführungssage war ein lieblingsthema der spielmannspoesie, wenn
diese dichter die empßndung der liebe zum au.sdruclc bringen wollten, so kleideten sie
sie in die form einer Werbung oder eutführung (s. unten s. 527). Die stoffwahl war
also aucli dem Verfasser der Hildeerzählung vorgezeichnet. Er nahm, dem herkommen
gemäss, die brautentführung zum gegenständ seiner darstellung, diese bildet den
mittelpunkt, um den sich alle andern gedanken gruppieren. Das Goldenermärchen aber
hätte ihn niemals auf den einfall bringen können, eine entführungsgeschichte zu dichten.
Und noch eins gibt bei Panzers Standpunkt zu bedenken anlass. Er geht bei
der vergleichung der sage mit dem märcheu aus von dem mhd. epos und setzt dessen
darstellung der Hildesage gleich (s. 267). Zunächst aber müsste vorher die frage ent-
schieden sein: kommt die einfache, westnordischo fassung der ursprünglichen gestalt
der sage näher oder die viel umfangreichere des deutschen gedichtes? ist also die
nordische fassung eine Verkürzung oder ist die deutsche eine erweiterung? Die ent-
soheidung hängt zusammen mit der ansieht, die man über die materielle (nicht über
die historische) entstehung der verschiedenen typen der entführungssage überhaupt
hat. Den auf bau einer solchen, wie den jeder erzählung, bilden zweierlei elemente:
1. die grundlegenden (fundamentalen) motive, 2. die erweiternden motive [aj begrün-
dende, motivierende, und b) ausschmückende, ornamentale, decorative]. Die ersten
sind ein für allemal gegeben, es sind hier: entführung, Verfolgung j kämpf (natürlich
kann eines der motive, z. b. der kämpf, auch fehlen, aber dann ist der urtypus nicht
vollständig ausgebildet). Dieses gerüste lag demjenigen vor, der eine entführungs-
sage litterarisch ausarbeiten wollte. Die erweiternden elemente konnten beliebig hinzu-
gewählt werden und sind, besonders die ornamentalen, fast immer dem allge-
meinen formelschatz entnommen. Sie gehören zu dem in dem gedächtnis der dichter
bereitliegenden vorrate allgemein bekannter motive, die nach belieben in die erzäh-
lung eingeflochten werden konnten, es sind stereotype littei'arische formein. Gerade
an den entführungsgeschichten lässt sich diese construierung anschaulich darlegen.
Ein besonderes beleuchtendes beispiel gibt die Fridlevsage (Saxo ed. Holder VI, 177):
Fridlev wirbt um Frogerd, die tochter Amunds, die tochter ist ihm wolgesinnt, aber
der vater weist ihn ab. Da vollbringt Fridlev die besiegung eines riesen und hofft,
durch diese heldentat das herz des mädchens günstig für sich zu stimmen. Dies
war aber doch unnötig, da sie ihn schon vorher liebte, man sieht also, wie rein
äusserlich hier ein schon in andern , verwandten sagen bestehendes motiv — besiegung
eines riesen — hier in die brautwerbungssage hereingestellt wurde, lediglich zu orna-
mentalen zwecken.
Auf diese weise also, durch einschal tung ausmalender züge, entstehen eine
reihe einzelner Variationen des grundtypus der werbungs- bezw. brautraubsage. Die
wichtigsten sind folgende: 1. der held freit nicht in eigener person, sondern durch
Werber; 2. er, oder seine Stellvertreter bringen die Werbung in Verkleidung vor;
3. er erringt die Jungfrau mit hilfe eines schutzgeistes; 4. gegner im kämpf ist nicht
der vater sondern der nebenbuhler; 5. der kämpf endet nicht tragisch, sondern hiit
gegenseitiger Versöhnung; besonders mannigfaltig .sind die listmittel, durch welche der
520 EHRISMANN
held oder werbev sich zutritt zu dem mädclien verschafft, um seine Werbung vorzu-
bringen, weniger zahlreich jene, durch welche ihre liebe errungen wird.
Eine solche werbungs- oder entführungsgeschichte wurde nun übertragen auf
Personen der heldensage oder auch der lebepdigen geschichte. Sie bildet die liebes-
geschichte im leben des beiden, gleichsam den lyrischen einschlag in den reckentaten,
und gehört zu den wesentlichen bestandteilen der biographie eines heldenlebens,
vgl. Axel Olrik, Tvedeling af Kilderne til Sakses Oldhistorie s. 8. Der name der
Jungfrau. Hilde, wird oft festgehalten, oder er wird, wie der des vaters, auf die
Verhältnisse des beiden hin umgewandelt. Wurde z. b. Attila als held der entfüh-
rungssage eingeführt (Thidrekssaga) , so trat an Hildes stelle Erka (= Helche) und
für den vater Osantrix, da die geschichte Attilas in die sage von Osantrix ver-
flochten ist.
Nach alledem wird man, wenn man kritik über eine entführungssage zu üben
hat, von der einfachsten form, die möglichst auf die grundbildenden motive zuge-
schnitten ist, ausgehen — und das ist in unserm fall die westnordische — und wird
die ornamentalen elemeute der umfangreicheren formen so lange für spätere erweite-
rungen halten, als kein genügender gegengrund vorliegt.
Um den nachweis zu liefern, dass die Hildesage aus dem Goldenermärchen
entstanden sei, prüft Panzer alle züge der sage bezw. des deutschen epos auf einen
möglichen Zusammenhang mit dem märchen. Um meine ablehnende haltung zu
rechtfertigen, bin ich verpflichtet, zu den wichtigsten gleichsetzungen Stellung zu
nehmen.
1. Zu den gruudlinien des märchens gehört der zug, dass der prinz in
niedriger Stellung (Aschenbrödel) dient. Das ist aber in den Versionen der Hildesage
nirgends der fall. Eine verblasste erinnerung an den geringen stand des freiers findet
nun Panzer in dem satze, Hagen wollte seine tochter keinem geben, der swacher
dcmne er tvmre 201 , 3 : „die alte sage muss gewusst haben , dass Hetel in swaehem,
d. h. ärmlichem aufzuge an Hagens hofe auftrat" (s. 2(57). Aber es ist doch misslich,
aus einer so wenig charakteristischen äusseruug so schwerwiegende Schlüsse zu ziehen,
um so mehr, wenn mau mit P. annimmt, dass die behütung der Hilde dnrch Hagen
und die Zurückweisung der freier , also die ganze Umgebung , aus welcher heraus erst
jener gedanke des '■swacher seins' entstanden sein kann, 'secundäre zutat' ist. Das
mörderische verhalten Hagens gegen die freier entspricht auch nicht dem Zweikampf
Hognis mit Hedin im SQrlaj^attr und jenem zwischen Hagen und Wate im deutschen
gedieht, sondern es ist ein bestandteil eben jener sage von dem vater, der alle freier
abweist bezw. tötet, weil er seine tochter selbst haben will (P. s. 217). Die begründung
durch '•sivaeher^ ist kein echtes altes motiv, sondern erst im deutschen gedichte
hinzugekommen, da der wahre beweggrund, die schlimme absieht des vaters auf den
besitz der tochter, zu anstössig war. Die ganze eiuleitung gehörte allerdings, wie
Panzer mit recht annimmt, nicht ursprünglich zum Hildetypus. Sie wurde aufge-
nommen, weil es ein ausserordentlich beliebter stoff der Spielmannsdichtung war. Sie
kann nichts gegen, aber auch nichts für die abstammung der Hildesage aus dem
Goldenermärchen beweisen.
Einen andern beweis dafür, dass in der sage noch eine erinnerung an die
niedrige Verkleidung des Goldener nachklinge, findet P. in dem namen HeSinn, indem
der held darum 'Pelzrock' heisse, „weil er ursprünglich an Hagens hof unter einem
fellkleide seine Goldenerherrlichkeit geborgen" habe (s. 308). Aber Heäinn ist nicht
wie der bärenhäuter im märchen, der graurock im Orendel, eine aus einem bestimmten
ÜBER PANZKR, HILDE -GUDHUN 521
anlass gegebene symptomatische bozeichiiung eines bestimmten individuums, sondern
ein geläufiger cigennamo von verblasster bedeutung. Der ursprüngliche sinn, = hjarn-
heSinn, idfheSinu, d. i. der mit einem baren- oder wolfsfeil bekleidete kämpfer,
der berserker, auch der werwolf (J. Grimm, Mythol.-* 916, Cleasby - Vigfussoa
s. 61", 668", Fritzuer- 1, 132'', 746") führt weit ab von der person des aschen-
brödels Goldener.
2. Das zweite grundmotiv des märchens ist das vom hilfreichen dämon.
Diesen, den Eisenhans, findet P. in dem Wate der sage wider. Aber der helfende
Schutzgeist ist eine überaus beliebte, keineswegs auf die erzählung vom Goldener be-
schränkte märchenfigur und ist vor allem im Volksglauben selbst begründet. Ihm
entspricht in der verwandten entführungssage von Ortuit der zwerg Alberich, der
Auberon des Huon von Bordeaux, Albrich bei der Werbung Sigfrids um Brüuhild im
Nibelungenlied. Eugel im lied vom Hürnen Seyfrid, der zwerg im Ruodlieb. Sollte
überall, auch in der Sigfridssage, der schützende dämon aus dem Goldenermärchen
stammen'? Aber die besondere Stilisierung, die diesem riesischen Schutzgeiste
im deutschen epos verliehen ist, bringt ihn allerdings dem Eisenhans des märchens
nahe. Und Panzer hat auf zwei nordische berichte hingewiesen, die zweifellos mit
dem märcheu in Zusammenhang stehen: gerade wie der riese Eisenlians, so hat auch
der riese in der Fridlevsage den spielenden königssohn Hithin geraubt und sich zu
diensten gezwungen; und Haraidr härfagri, der schon durch seinen beinamen an
Goldener erinnert (P. s. 292, 294, 300), befreit den riesen Dofre aus banden, wofür
ihm dieser verspricht, ihm im kämpfe helfen zu wollen. Nun kann aber die gestalt
"Wates nicht der Urhildesage angehört haben, denn hier entführte, wie P. .selbst ge-
zeigt hat, Hetel allein ohne fremde beihilfe die Hilde und was von Wate und Horaud
erzählt wird, das kampfspiel mit Hagen und Horands gesang, gilt ursprünglich ledig-
lich von Hetel. Man wird somit zu der annähme genötigt, dass im norden der
Goldenerstoff bekannt war und dass züge aus demselben in andere sagen übcrgiengen,
in die lebensgeschichte von Haraidr härfagri und vielleicht in eine uns verlorene
Hedinsage, woraus der bericht in der Fridlevsage ein fragment wäre — und endlich
ebenso in die Hedin -Hildesage.
3. Von dem dritten hauptmotiv des märchens, den wunschdingen, durch
welche die braut errungen wird, weiss die sage nichts. Vor allem vermissen wir
jenes hervorstechende merknial, das den armen gärtnerburscheu der prinzessin so inter-
essant macht, das goldene haai\
Gehen wir nun umgekehrt von der sage aus. Die hauptmotive sind entfüh-
rung, Verfolgung, kämpf auf leben und tod. Auch für diese findet P. anhaltspunkte
im märchen. Aber während diese drei scenen wesentliche bestandteile einer entfüh-
rungssage sind, spielen sie nur unbedeutende nebenroUen in einzelnen Versionen des
Goldenermärchens. Man würde, also eher zu dem umgekehrten Schlüsse berechtigt
sein, die darstellung der sage für das urs|)rünglichero zu haiton.
Und so gehen denn auch die uebenzüge, welche die entführung im deutschen
gedichte begleiten, nicht aus dem märchen hervor, sondern es sind wandermotive,
wie sie ein dichter zur ausschmückung dieses beliebten themas ohne mühe bereit
1) Die Schicksale Sigfrids sind ähnlich wie die des Goldener: er wächst, ein
königssohn, bei einem dämonischen wosen auf, dem er dient, trennt sich von ihm
und nimmt wunschdinge mit (schätz, heim, hämisch, Schwert und ross), kommt in
die dienste einer fremden küuigsfamilie, erhält die königstochter zur frau durch
tapfere taten.
522 EHRISMANN
hatte. Möglich ist, dass bei einigen der Apolloniusroman mitgewirkt hat (ächtung
der Werber, fechtscene, Horands gesang, kemenatenscene). "Wenn ferner Wate,
wie Eisenhans, die wunden heilt, so beweist das nach oben s. 521 nichts für die
ursprüngliche form der Hildesage ; ebensowenig wenn durch das eingreifen Hetels der
von "Wate bedrängte Hagen gerettet wird wie der köuig im märchen durch das recht-
zeitige eintreffen des Goldener in der Schlacht, da jene hilfeleistung Hetels auf die
bitte der Hilde geschieht, welcher zug nicht schon der alten sagengestalt augehörte,
sondern erst von dem humaneren empfinden einer späteren generatiou eingegeben ist.
Nur der schluss der Hildegeschichte im deutschen gedieht klingt wider zusammen mit
dem ende des märchens: wenn der alte haudegen Hagen behaglich schmunzelnd zu
hause mit seiner frau das glück seiner wolverheirateten tochter überschlägt, so liegt
darin wirklich etwas von märchenstimmung (P. s. 318) , — jedoch gemischt mit spiel-
mannshumdr. Aber auch dieser fröhliche Schlussakkord ist kein zeichen für die her-
kunft der sage aus dem Goldenermärchen. Denn der abschluss der echten Hildesage
ist nicht so vergnügt, der kämpf endet nicht versöhnend, damit dass Hagen nunmehr
Hetel als einen ebenbürtigen eidam anerkennt, sondern tragisch mit dem todo des
vaters. Diesen abschluss hat noch die notiz des Alexanderliedes bewahrt und er
kehrt wider in der schlackt auf dem "Wülpensande in der geschichte der Gudrun,
hier nur auf Hetel übertragen Denn dieses grause ende verlangt die entwicklung
der echten entführungsgeschichte , sobald der kämpf den abschluss bildet. Der ganze
innere sinn drängt darauf hin. Mag ein mythus zugrunde liegen oder die sitte einer
wilden zeit: in gute geht es nicht ab, einer muss fallen und das kann nur der vater
sein, denn dem räuber gehört das weib; ein resultatloser ausgang wie in der nordischen
Überlieferung ist unmöglich. Auch von diesen erwägungen aus muss man Panzer
zustimmen, wenn er die widererweckung der gefallenen durch Hilde für speciell
nordische anfügung eines weitverbreiteten motivs erklärt (s. 329).
Dem bericht Saxos kann ich keinen so stark altertümlichen sagengehalt zu-
schreiben wie Panzer s. 818 fgg. Man muss bei seiner beurteil ung immer im äuge
behalten, dass Saxo hier von einer bestimmten tendenz geleitet wurde, nämlich den
rechtssinn I^rodes in ein helles licht zu setzen (Axel Olrik, Sakses oldhistorie
s. 191 fgg.). Damit hängt die dreiteilung des entscheidungskampfes zusammen. Die
auffallende wörtliche Übereinstimmung zwischen Saxos Schilderung und jener der
beiden dänischen Goldenermärchen: er, Hedin, konnte den blick nicht von ihr, Hilde,
wenden, ist nur eine typische formel für rasch auflodernde liebe, ein liebeszauber,
die nicht auf abstammung der Hildesage aus dem märchen schliessen lässt; endlich
die Verleumdung, die Hedin angeheftet wird, er habe Hilde vor der hochzeit verführt,
ist vielleicht erst ein zusatz Saxos (vgl. Olrik a. a. 0. s. 193).
Nach diesen erörteruugeu möchte ich mein urteil dahin zusammenfassen:
die Hildesage ist von haus aus eine entführungssage , in die, zu weiterer aus-
schmückung, elemente aufgenommen wurden, die auch im Goldenermärchen vor-
kommen, zum teil auch diesem wirklich entstammen.
Auf zwei erfordernisse möchte ich noch Imrz hinweisen. Gar oft wird der
mangel fühlbar, dass wir über die grundgestaltungen des märchens so wenig wissen,
nicht wissen, welche züge diesen wesentlich angehören, welche erst zufällig und
secundär sind, kurz, dass wir keine kritische Untersuchung über das Goldeuermärchen
haben. Es ist ja freilich nicht möglich, die urgestalt des märchens herzustellen oder
gar diejenige bestimmte gormanische gestalt, von welcher etwa die Hildesage ihren
ÜBER PANZKR, IIILUK - GUDRUN 523
ausgang geoommon haben köuute, aber es Hessen sich doch vielleicht haupt- und
nobenzüge strenger scheiden, zweitklassige motive durch die gesichtspunkto der Varia-
tion, einführung aus verwandten niärchen, begriindung, Steigerung u. dgl. stärker ab-
sondern als dies bisher geschehen, so dass wenigstens ein etwas sichererer boden für
■die Weiterforschung bereitet wäre.
Ein weiteres mittel, um in diesen fragen zu grösserer Sicherheit zu gelangen,
wäre die beiziehung verwandter Stoffe, so vor allem der Walthersage. Panzer hat
mehrfach auf dieses bedürfnis hingewiesen und fernere Untersuchungen in aussieht
gestellt, durch die er, als der berufensten einer, gewiss vielem schwankenden eine
stärkere stütze verleihen wird.
Mit s. 332 beginnen die Untersuchungen über die gcschichto der Gudrun:
die erzählung von Gudrun zerfällt in zwei teile (s. 334) : der erste reicht bis zuj-
heimkehr der Hegelinge von der Schlacht auf dem Wülpensande, nach dem holden
kurz 'Herwigsage' benannt; der zweite teil umfasst das übrige, av. 20—32, 'die
Gudrunsage', da Gudrun hier im mittelpunkt der ereignisse steht. Die Herwigsage ist
aus demselben Goldenermärchen entsprungen, das die unterläge für die Hildesage ab-
gegeben hat. Die geschichte der Gudrun zerfällt wider in zwei hauptabschnitte:
Gudruns leiden, str. 951 — 1070, und Gudruns rückführung, str. 1071 bis sum
Schlüsse. Hauptquelie für Gudruns leiden ist die Historia ApoUouii, Gudruns nickführung
ist zusammengearbeitet aus verschiedenen erzählungsstoffen : am meisten trugen bei die
Salomosage und dann die Historia ApoUonii, für einzelne stellen gaben das muster
scenen aus der Brandanlegende und aus der erzählung von der widergefundenen
Schwester. Sehr scharfsinnig ist hier eine reihe verschiedener vorstellungskreise auf-
gedeckt, aus welchen der dichter sein material bezog, besonders ist auch 'die volks-
tümliche litteratur, das Volkslied, in weitem umfang zur erklärung beigezogen, ebenso
aber auch historische ereignisse.
Über die berechtigung, die Herwigsage aus dem Goldenermärchen abzuleiten,
kann ich nicht anders urteilen als über die herleitung der Hildesage aus demselben.
Die leidensgeschichte der Gudrun hat gewiss in manchen einzelheiten ähnlich-
keit mit den drangsalen, welche des Apollonius tochter Tbarsia bei ihren pÜegeeltern
zu erdulden hat. Doch nehmen wir die urbedingungen, unter welchen diese episode
entstand. Als thcma, um den auf enthalt der Gudrun in der fremde ausfüllen zu
können, wählte der dichter die erzählung von der bösen stief- oder schwieger- oder
Pflegemutter. Nachdem er einmal diesen stoff festgestellt hatte, das leiden einer
königlichen Jungfrau unter dem hass eines unbarmherzigen weibes zu zeichnen, so
ergab sich ihm die ausführung im einzelnen ohne grosse Schwierigkeit, denn die
charaktertypen und die Situation waren ja geläufig genug. Gewiss mochten ihm dabei,
nachdem einmal die Stimmung angeschlagen war, aus seinem gedächtnis, mehr oder
weniger bewusst, gleichgeartete erinnerungsbilder auftauchen, die auf seine darstellung
einen einfluss ausübten, denn auf einen gewissen gleichmässigeu, nicht allzuweiten
kreis von Vorstellungen ist ja das bewusstsein bei allen unsern mittelhochdeutschen dich-
tem beschränkt. "Wir stehen eben hier in letzter hinsieht bei der denkweise der
mittelalterlichen menschen — wenigstens ihrer künstlerischen bewusstseinstätigkeit — ,
diese ist typisch, nicht individuell, zumal bei den bearbeitern volkstümlicher Stoffe
(vgl. Panzer, Das altdeutsche volksepos). Sind dabei einmal die grundbedingungen in
zwei gedankenläufen sich ähnlich, dann müssen unabhängig voneinander des öftern
auch gleiche formen sich eigeben.
524 EHRISMANN
Nachdem Panzer die einzelnen bestandteile der Gudrungeschichte ausgelöst hat,
bespricht er das Verhältnis der Herwigsage zur Herbortsage (s. 411). Beide sind,
dieses ergebnis dürfen wir ni. e. für durchaus gesichert halten, ursprünglich identisch.
Doch, so möchte ich scharf betonen, gleich mit der Herwigsage ist nur dte kürzere
gestalt der Herbortsage, die im Biterolf überliefert ist, nicht die längere der Thidreks-
saga, also: 1. Herbort erringt Hildeburg durch kämpf mit ihrem vater Ludwig und
ihrem Bruder Hartmuot (eine ältere Variante davon ist die RuodHebsage); 2. die er-
kämpfte braut wird ihm durch zwei uebenbuhler, Dietrich und Hildebrand, abspenstig
gemacht; 3. aber er behauptet ihren besitz in siegreichem kämpfe (die heimliche Wer-
bung kannte der Biterolf so wenig wie der Ruodlieb, anders P. s. 415). Aus den-
selben drei acten besteht auch der grundstock der Herwigsage: Herwig erkämpft
Gudrun von ihrem vater, sie wird ihm durch zwei nebenbuhler, Ludwig und Hart-
muot, abspenstig gemacht, er erkämpft sie wider zurück; in dieselben drei Acte
zerfällt auch der Rother, von dem die Gudrun beeinflusst ist (P. s. 151 u. ö.).
Die längere fassung der Herbortsage, welche die Thidrekssaga bietet, ist eine
erweiterung der kürzeren im Biterolf. Jene enthält nun eine reihe überschüssiger
züge, welche in der kürzeren fassung nicht vorkommen. Eine anzahl derselben
führt P. wiederum auf das Goldenermärchen zurück. Aber da die kürzere fassung
sicher die ursprünglichere ist, so müssen jene überschüssigen teile der Thidrekssaga
spätere erweiterungen sein und können, selbst wenn sie mit dem Goldenermärchen
in Zusammenhang stehen (doch wird hier manches auszuscheiden sein, vgl. Dorsch,
Zur Herbortsage s. 43fgg.), für die entstehung der Herbortsage aus dem märchen
nicht beweiskräftig sein.
Darauf erörtert der Verfasser noch die herkunft und Wanderung der Hilde -
und Herwigsage: Dänemark ist die eigentliche heimat der Hildesage, aber die Dänen
können doch nicht die erfinder gewesen sein, da das älteste Zeugnis, der "Widsid,
Hagen als könig der Holmrygen kennt. Diese angäbe weist zu den Ostgermanen, zu
den Rugiern. Von diesen, die schon im 4. Jahrhundert von den Ostseegegenden aus-
wanderten, gelangte sie über die Angeln zu den Nordgermaneu, in Deutschland über-
nahmen sie am frühesten die salischen Franken, und zwar von den am untern Rhein
ansässigen Angeln (der name Chedinus bei Gregor von Tours kommt aber für die Zeit-
bestimmung nicht in betracht, da er nicht der sage zu entstammen braucht, indem
Hedenulf bei den Franken ein nicht ganz ungeläufiger personenname war). — Die
Herwig - Herbortsage stammt von den Franken.
Endlich sucht der Verfasser auch zu dem Ursprung des Gold euer mär che ns
vorzudringen und vermutet, dass es von den Römern aus zu den Ostgermanen ge-
langte, denn es stimmt in mehreren zügen mit der im 3. Jahrhundert nach Christus
in Italien entstandenen Historia Apollonii überein. Ich möchte hier anschliessend
jenen märchenstoff zusamt dem des ApoUonius noch weiter verfolgen. Wer auf dem
gebiete der klassischen litteratur einer schiffererzähluug nachgeht, der wird natur-
gcmäss zuerst bei der Odyssee auflagen. Und in der tat sind schon in der erzählung
von Odysseus und Nausikaa mehrere grundzüge des Goldenermärchens enthalten.
Odysseus kommt als schiff brüchiger, als bettler an den fremden königshof ; sein schutz-
geist, Athene, verleiht ihm eine herrliche gestalt und vor allem
Od. VI, 230 xcc^ dt y.ii()i]Tog
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ÜBER PANZER. HILDE- GUDRUN 525
i&Qcg, ov "JI(f«taTOg StSatv xal FltiXkag 'yiO^ijvr]
rfyvi]v TiavToujv, ^«oievra (f^ f?}'« reif i ff
wf ÜQK T(i) y.mtx^vt yÜQiv xetpcdrj rf xcu ä/xoig^.
Also schon Odysseus ist ein Goldener und in dieser strahlenden Schönheit gewinnt er
die neigiing der königstochtor, er, der ihr vorher hässlich geschienen (v. 242); auch
die tapferkeitsprobe — der wcttkanipf — fehlt nicht noch die macht des gesanges.
Durchaus auf der orzähluug von Nausikaa beruht die episode von Apollonius aufenthalt
beim könig Archistrates. Darauf hat schon Rerger, Orendel s. XCI hingewiesen, doch
lassen sich die bis in einzelheiten übereinstimmenden züge erheblich vermehren.
Zum schluss beantwortet der Verfasser die frage (s. 445): „Was hat nun dieser
dichter aus der Überlieferung gemacht, bzw. was war ihm überhaupt über-
liefert und wieviel wird in seinem werke erst seiner erfindung verdankt?" damit:
der eigentliche kera des gedichtes, die geschichte Iletels und Herwigs, ruht auf alter
überheferung, die geschichte Gudruns aber ist eine rein persönliche erfindung des
Gudrundichters. Diese mag er wol in der alten Überlieferung nicht vorgefunden
haben, immerhin aber möchte ich wenigstens erinnern an die ähnlichkeit, die das
Schicksal der Gudrun mit dem der Aslaug in der Ragoars saga loSbrökar hat: Aslaug
wächst auf bei einem bauern und seiner frau, die ihren pflegevater erschlagen haben.
Das weih ist auch hier die anstifterin der Übeltaten, die königstochter muss die
niedrigste arbeit verrichten, in schlechter kleidung (Gudr. 1024, 2 deheiniu guote
Meicler tragen sie enliex, Gerlint diu übele)^ sie muss am strande vieh hüten; die
leute Raguars finden sie, sie geht nicht mit ihnen, sondern wartet des folgenden
tages, auch nicht sofort mit Ragnar, sondern kehrt zuerst in ihre armut zurück; sie
weist das ihr von Ragnar angebotene goldbesäumte hemd zurück (Gudrun 1232 fg.);
zu königlichen ehren berufen erweist sie sich edelmütig gegen ihre peinigor; in die
ehe eingetreten verlangt sie von Ragnar ein jähr keuschheitsfrist (ähnl. Gudrun 666 fg.,
dazu Panzer s. 243, 341).
Aber auch die edeln charakterzüge Hartmuots können wir in einer gestalt einer
nordischen sage widererkennen. Dieselbe rücksichtsvolle, zarte liebe zu dem wider-
strebenden mädchen bildet die ethische grundlage in der gesinnung des Otharus gegen
Syritha (Oder und Sigrid, Saxo ed. Holder VII, 225 fgg.). Fortgesetzt entzieht sie
sich seinen Werbungen und er, obgleich sie in seiner macht ist, sucht ihre Starrheit
doch nur durch freundliche bitten zu brechen. Dabei ist die äussere läge der Jung-
frau jener der Gudrun nicht unähnlich: sie ist in der gewalt einer bösen waldfrau,
welche sie zu niedern diensten zwingt (schafe hüten). Aus diesem elend will sie
Otharus befreien, wenn sie ihn zum mann nimmt. Später in das haus des Otharus
gekommen, wird sie von dessen mutter liebreich behandelt: die rolle der bösen
gebieterin ist eben schon an das waldweib vergeben.
Einen Wesensunterschied zwischen der Hilde- und der Gudrungeschichte
möchte ich noch berühren, der mit der Scheidung von Überlieferung einer- und neu-
schöpfung des dichters andrerseits zusammenhängt. Die Hildedarstelluug ist schon
durch spielmannshände gegangen oder wenigstens im spielmannston gehalten, in der
Herwig- Gudrunerzählung dagegen hat der dichter die ihm überlieferten äusseren daten
aus seiner eigenen künstlerischen anschauung heraus in die poetische gestalt gebracht,
die das mittelhochdeutsche gedieht bietet. Die Hildeerzählung ist im spielmannston ge-
1) Indem Virgil diese verse auf seinen beiden übertrug, ist sogar Aenoas zu
einem Goldener geworden (Aen. 1,588).
526 EHBISMANN ÜBER PANZER, HILDE -GUDRUN
halten, eine leichte, auch leichtfertige hehandlung selbst ernster lebensfragen geht
durch. Die absieht herrscht, zu unterhalten und zu erheitern. Sie kommt besonders
durch einzelne, in burlesker spiel mannsmanier gehaltene scenen zum ausdruck, auf
das innenleben wird bei dieser rein äusserlichen lebensauffassung gar nicht einge-
gangen. Immerhin geht die individualisierung der gestalten auch hier weit über das
gewöhnliche spielmaunsmass hinaus, und darin mag man die retuschierende band des
dichters erkennen. Im gegensatz dazu ist die Gudrunerzählung ganz durchgeistigt
und der Schwerpunkt der erlebuisse (wenigstens bei einigen Charakteren) ins innere
der menschen verlegt. Eine andere anschauung von der menschennatur herrscht hier,
die Personen sind unter dem gesichtspunkt ihres ethischen wertes aufgefasst, sie sind
träger sittlicher ideen. Der dichter will hier nicht bloss unterhalten, sondern er will,
wie der dichter des Nibelungenliedes, ein lebensbild geben, das den ausdruck bildet
für die ideale der ritterlichen gesellschaft seiner zeit und seiner heimat. Dazu aber
gehörte nicht nur die Schilderung von männertaten und kämpfen, sondern, ergriffen
von der neuen entdeckung seiner zeit, der psychologischen ergründung des weiblichen
gemütes, lag es ihm am herzen, die Vorgänge in einer leidenschaftlich bewegten
frauenseele darzustellen. Dazu hatte ihm der dichter des Nibelungenliedes das Vor-
bild gegeben in Kriemhild, und wie jener das wesen seiner heldin auf die treue
stellte, die treue gegen den ermordeten gatten, so stellte er in den mittelpunkt der
sittlichen natur seiner lieblingsgestalt die treue gegen den gatten und den er-
schlagenen vater.
Man könnte die Hildegeschichte eine novelle nennen, die geschichte der Gudrun
einen roman, jene verfolgt fabulistischen zweck, diese psychologischen. Die Urheber
nahmen verschiedene Stellung zu ihrem stoffe, der spielmann steht ihm ironisch gegen-
über, der ritterliche dichter glaubt an seine gestalten. Das sind durchgehende wesens-
unterschiede , die beiden teile können demnach nicht unter gleichen bedingungen con-
cipiert sein. Da nun aber das mittelhochdeutsche gedieht, wie P. erwiesen hat, doch
einen dichter voraussetzt, so liegt die annähme nahe,.dass dieser für die geschichte
der Hilde ein fertiges spielmannsepos benutzte, den stoff für die geschichte der
Gudrun aber' litterarisch unverarbeitet vorfand oder wenigstens nicht weithinein zu-
bereitet, so dass er ihn frei nach seinem künstlerischen ermessen ausbilden konnte.
Die bedenken, die sich im laufe der prüfung gegen eine reihe von Panzers
Voraussetzungen einstellen mussten, sind m. e. zu gewichtig, als dass man das Schluss-
ergebnis, wonach die Gudrun aus unserer alten heldensage zu streichen wäre, im
vollen umfange annehmen dürfte. Der wundersame bau ist umwuchert von einem
vielverschlungenen einheimischen und exotischen rankenwerk, aber wenn wir dieses
durchdringen, werden wir nicht auf ein heiteres märchen, vom Goldener oder Eisen-
hans, stossen, sondern auf die herbe sage von der erringung des weibes durch raub
und kämpf.
Im vorhergehenden habe ich einer reihe von einzelheiteu gegenüber eine ab-
lehnende haltung einnehmen müssen. Um so nachdrücklicher möchte ich nun her-
vorheben, dass in diesen capiteln eine fülle trefflicher erklärungen und überraschender,
neuer und fruchtbarer gesichtspunkte enthalten ist, eingegeben von grossem Scharf-
sinn und einer ganz hervorragenden combinationsgabe. Der reichtum an ideen ist
in diesem buche so gross, dass alle einwände im einzelnen seinem hohen werte
keinen abtrag tun können. Die Gudrunforschung nicht nur, sondern die forschungeu
über die mittelhochdeutsche heldendichtung überhaupt sind damit in ein neues Stadium
getreten. Die hier geübte methode ist vorbildlich für jede künftige arbeit über die
TU. A. MEYER ÜBER GOLDSTEIN, MENDELSSOHN 527
quellengeschichte eines mhd. volksepos. Sie beruht auf der beobachtung sämtlicher
einzelner erscbeinungen unter beiziebung eines möglichst umfassenden materials von
parallelen. Die einzelnen motive sind typisch, der ganze gedankenkreis eines mittel-
hochdeutschen epos ist im detail bestimmt und gemeingut der dichter von profession.
Ihre arbeit besteht nicht in der erfindung des Stoffes, nicht einmal einzelner stoff-
teile, sondern in der eigenartigen Verwendung der motive und im Innern ausbau, in
der causalen Verknüpfung der bestandteile, in der ausmalung der Charaktere, in der
dem ganzen oder einzelnen scenen verliehenen Stimmung usw.
Nicht nur die einzelnen motive sind dem dichter schon vorher gegeben, sondern
vor allem auch der kern der erzählung. Und hier sind es nur wenige typen , die von
den Verfassern immer und immer wider variiert werden. Der liebesroman wird dabei
fast immer in die form einer brautwerbung (brautraub) gekleidet, so schon im "Wal-
tharius und Ruodlieb, so im Nibelungenlied (Sigfrid und Kriemhild, Günther und
Brünhild, Etzel und Kriemhild), in der Gudrun (Hilde und Gudrun), Rother, Ortnit,
Hugdietrich, Wolfdietrich und die Heidenprinzessin. Nach dieser Sachlage ergibt sich
Panzers anschauung von dem entstehen der Gudrun aus einem verbreiteten urtypus
principiell als notwendig. Wenn wir auch den einzelfall, den er als ausgangs-
punkt, als uitypus aufstellt, das Goldenermärchen, zurückweisen, so wird doch die
lehre, die wir aus seiner methode ziehen, massgebend bleiben für unsere auffassung von
dem wesen des deutschen volksepos. Auf eine ganz geringe zahl von urtypen geht alles
spielmannswerk zurück (und dazu gehören auch die dichtuugen unseres 'deutschen
heldenbuchs', soweit sie nicht höfische erzählungsstoffe aufgenommen haben). Nur
beim Nibelungenlied sind andere, gewaltigere kräfte an der arbeit gewesen, die aus
der tiefe der Volksseele aufgestiegen sind.
HEIDELBERG. G. EHBISMANN.
Goldsteiii, Ludwig', dr. i)hil., Moses Mendelssohn und die deutsche ästhetik.
[U. a. t. : Teutonia, Arbeiten zur germanischen pbilologie herausgegeben von dr.
phil. Wilhelm Uhl, ao. prof. an der Albertus -Universität. 3. heft.] Königsberg i. P.,
Gräfe u. ünzer 1904. Vm, 240 s. 5 m.
Der Verfasser findet die wertvolle arbeit, die Mendelssohn geleistet hat, nicht
in den speculationen desPhädon, sondern zumeist auf ästhetischem gebiet, und so hat
er sich in seiner widergabe der Mendelssohnscben gcdankenwelt auf die ästhetik be-
schränkt. So warm seine begeisterung für den Berliner pbilosopheu ist, so überschätzt er
ihn doch keineswegs; er weiss , dass Mendelssohn kein theoretiker und systematiker ersten
ranges, sondern nur ein mann der mannigfaltigen anregungen war, aber er glaubt,
dass Mendelssohns einfluss nicht genügend beachtet und dass seine Stellungnahme zu
den einzelnen problemen der ästlietik vielfach falsch beurteilt wird; wol hat Fr. Brait-
maier in seiner Geschichte der poetischen theorie und kritik von den Discursen der
maier bis auf Lessing eine ausführliche analyse der ästhetischen Schriften Mendelssohns
gegeben, die in den meisten punkten wirklich erschöpfend genannt werden darf; trotz-
dem hofft der verf. neben einigen glücklichen ergänzungen und correcturen auch
wirklich neue gesichtspunkte für die beurteilung der frage beizubringen, welchen
einfluss Moses auf die entwicklung der ästhetisclien kritik und theorie geübt hat (s. 6/7).
Lnmerhin mag es nach diesem geständnis des Verfassers zweifelhaft ei-scheinen,
ob ein ausführliches buch von 240 enggedruckten selten über Mendelssohns ästhetik
528 TH. A. MEYER ÜBER GOLDSTEIN, MENDELSOHN
bedürfnis war und ob Dicht vielmehr eine abhandlung genügt hätte, die die notwen-
digen Verbesserungen zu Braitniaier nachgetragen hätte. Nachdem sich der verf. aber
für eine neue ausführliche darstellung entschieden hat, muss anerkannt werden, dass
man an ihm einen zuverlässigen und erschöpfenden führer durch die nicht gerade
reiche und tiefe ästhetische gedankenweit Mendelssohns findet. Mit der genauesten
in langjährigem Studium gefesteten kenntnis aller litterarischen äusserungen Mendels-
sohns verbindet er ein sicheres wolgeschultes urteil in ästhetischen dingen. Die klare
Sachlichkeit seiner darstellung und die glückliche nüchternheit in der beurteilung seines
helden machen sein buch zu einer sympathischen lectüre. Vor allem berührt es au-
genehm, dass Goldstein — redacteur der Hartungschen zeitung — sich vollständig
freihält von einem gespreizten geistreichtun. Goldstein scheint seinen stil an Mendels-
sohn selbst gebildet zu haben; sein buch ist ein ehrendes zeugnis für den fördernden
einfluss, den Mendelssohns gewissenhafter erust und sein ehrlicher im dienst der sache
aufgehender idealismus noch heute auszuüben vermag.
Die ästhetischen probleme, zu denen Mendelssohn Stellung genommen, werden
in der reihenfolge behandelt, in der sie in den ästhetischen Schriften Mendelssohns
auftauchen; durch sorgfältige beiziehuug der kritiken und briefe glückt es ihm, manches
schwankende und unsichere festzustellen und missverständnisse seiner Vorgänger in
glücklicher weise zu berichtigen. Er zeigt im gegensatz zu Braitmaier, der Mendels-
sohn in Gottscheds ansichten befangen sein lässt, wie Mendelssohn in der frage, ob
genie oder regel das grosse kunstwerk schaffe, zwar die regel nicht ausschliessen will,
aber dem genie die grandlegende aufgäbe im entstehuugsprocess des kunstwerks zu-
gewiesen hat. Der nicht vollständig zum ziel gelangte versuch Mendelssohns, die
ästhetik aus den banden der moral zu befreien, den übrigens schon Braitmaier ge-
würdigt, findet eine ausführliche lehrreiche behandlung, doch steht u. e. Mendelssohn
nicht in der unmittelbaren nähe Schillers, in der ihn Goldstein sieht, auch hätte
Goldstein eine grössere Unsicherheit bei Mendelssohn einräumen dürfen, als er es
tatsächlich getan hat. Im streit Lessings und Winkelmanns über die allegorie, in
dem ihn Braitmaier auf selten Lessings stehen lässt, weist ihm Goldstein eine ver-
mittelnde Stellung zu, der freilich jegliche schärfe der Unterscheidung fehlt. Mendels-
sohns bemühungen, als der erste in Deutschland ein System der künste aufzustellen
und das wesen des naiven zu ergründen, werden dargetan und in. feiner entgiltiger
Untersuchung die genealogie der begriffe reiz, grazie uud anmut bei Mendelssohn und
seineu beiden nachfolgern Lessing und Schiller festgestellt. Des weiteren wird ihm
(wider gegen Braitmaier) das verdienst zugeschrieben, zuerst den eigentlichen Charakter
der ästhetischen Illusion als 'bewusster täuschung' erkannt oder wenigstens geahnt
zu haben und in der behandlung des erhabenen sich über die enge auffassung Burkes,
seines englischen vormanns, zu einer anschauung erhoben zu haben, die zu Kant
und Schiller hinüberführt. Die gewonnenen ergebnisse verwertet Goldstein in feiner
und besonnener Untersuchung, um die einwirkungen aufzuzeigen, die von Mendelssohn
auf die bedeutendsten ästhetiker seiner zeit, auf Lessing und Herder, auf Kant und
Schiller ausgegangen sind.
STUTTGART. TH. A. MEYER.
HINZ VBER TRAUTMANN, FINN UND HILDEBRAND 529
Bonner beitrage zur anglistik, herausgegeben von M. Trautmaiiii. Tieft VII:
Finn und Hildobrand. Zwei beitrage zur kenntuis der altgermanischen helden-
dichtung von Moritz Trautiuaiiii. Bonn, P. Hansteins verlag 1903. VIII, 131s.
4,50 m.
Im ersten teil dos vorliegenden heftes druckt Tr. zunächst die auf Finn bezüg-
lichen texte, die einlage im Beowulf und das bruchstück vom Überfall in Finusburg
ab. Er benutzt dazu besonders hergestellte, der Beowulf handschrift möglichst ähn-
lich nachgebildete typen und glaubt, damit einen wichtigen schritt zur erleichterung
des Verständnisses der Überlieferung und ihrer Verderbnisse getan zu haben. Ich
bedaure, darin keinen fortschritt sehen zu können. Die normalisierung der form, die
für den druck notwendig wird, hat eine fast ebenso grosse abweichung von dem
mannigfach wechselnden aussehen der handschrift /,ur folge, als die Verwendung
unserer gewöhnlichen antiquatypen. Einen richtigen begriff von der handschriftlichen
Überlieferung kann ja doch nur die photographische nachbildung geben; die beigäbe
einiger facsimiletafeln würde diesem zweck genügend entsprechen. Die an sich ge-
fälligen typen Tr.s haben zweifellos den nachteil, dass sie für die mehrzahl der be-
nutzer unbequemer sind als gewöhnliche antiquatypen, ohne doch ihre bestimmung
wirklich zu erfüllen. Es ist darum kaum zu wünschen, dass Tr.s vorgehen nach-
ahmuug finde. Aus seiner jüngst erschienenen Beowulfausgabo ist übrigens zu er-
sehen, dass er selbst seinen plan, auch dieses grössere denkmal mit seinen neuen
' Stäben' drucken zu lassen, wider aufgegeben hat.
Auf den abdruck der hsl. texte folgt sodann eine eingehende discussion der
Überlieferung und der bisherigen bemühungen um die herstellungdes tcxtes mit einer
menge eigener besserungsvorschläge , die schliesslich in einem eigenen text mit daneben
stehender deutscher Übersetzung zusammen gefasst werden. Zu einigen von den wich-
tigeren dieser vorschlage mögen die folgenden bemerkungen gestattet sein.
Beow. v. 1064 wollte T. früher Healfdenes in Hröögwres ändei'u; jetzt zieht
er diesen verschlag zurück zugunsten von Healfdena. Ileulfdcne sei, wie sich aus
V. 1069 ergebe, nichts anderes als einer der vielen namen, welche den Dänen bei-
gelegt werden, der heretctsa Healfdetia sei somit Hrödgär. Das halte ich nicht für
möglich. Dass die Dänen mit auszeichnenden beiwörtcrn oder nach der geographischen
läge der einzelnen abteilungen Hring-, Gär-, East-, West-Dene usw. heissen, ist
ganz in der Ordnung; Healfdene aber, das doch mischlinge bezeichnen müsste, hat
für die reinen Dänen keinen sinn und könnte höchstens von einem verwandten, nicht
rein dänischen stamme gebraucht werden, nicht aber von dem volke des HröSgär.
Tr.s früherer verschlag, HröÖgäres statt Healfdenes einzusetzen, ist daher wol vor-
zuziehen. Die verschreibung wäre nicht unerklärlich, da wenige Zeilen weiter oben
HröÖgär als siinu Ilcalfdenes bezeichnet war und andrerseits das äuge des abschrei-
bers leicht auf das ludeÖ Healfdenes von v. 1069 (so die meisten herausgeber gewiss
richtig statt des hsl. Healfdenai) abirren konnte. — V. 1066 fgg. verbessert Tr. fol-
gendermassen :
Fonne heal-gutna Hröjjgäres seop,
cefter medo-bence rncenan scolde
Finnes gefcran, Sä hie se fcer begeat.
Da.ss in lieal-gamen ein fehler steckt, sclieint auch mir gewiss und die bedenken
gegen eaferum v. 1068 teile ich ebenfalls; aber Tr.s abhilfe befriedigt wonig. geferan
weicht doch einmal von der Überlieferung rocht bedeutend ab; zweitens glaube, ich
trotz des hinwcises auf Orendles luiegu»! nicht, dass Finnes gejUran heissen kann
ZKriSCHKlKT V- UKUT.SCHK I'IIILOI-UUIK. Ul). XXX Vll. 31
530 BINZ
Tinn und seine gefährten', was für den Zusammenhang unbedingt erforderlich wäre.
In eaferum, sucht man allerdings unwillkürlich das object zu mcenan. Da bietet sich
mit leichter änderung earfeSu dar: in healgamen wird dann wohl die bezeichnung
derer stecken, denen der sänger von den nöten des Finn vorsingt, man braucht also
einen dativ, somit eher healgunmm; ich möchte deshalb lieber so lesen:
gid oft wrecen,
Öonne healgumum Hrößgäres scop
cefter niedobence mäman scolde
Finnes earfeßu da hine se f^r begeat.
Dann braucht die einlage noch nicht mit v. 1069 zu beginnen; es erscheint natür-
licher, 1069 fg. als einen weiteren bestandteil des mit Sä eingeleiteten satzes zu neh-
men und die not des Finn mit dem fall des Hntef in Verbindung zu bringen.
V. 1069 sollen die beiden genetive Healfdena und Scgldinga von hceled ab-
hängen imd der ganze vers soll bedeuten: 'Hna?f, der held der Halbdänen, der Scyl-
dinge'. Was es mit den Halbdänen als synonym der Scyldinge für eine bewandtnis
habe, ist schon gesagt worden. Hncef Scyldinga ist aber die gewöhnliche formel,
wo es sich darum handelt, die uationalität des Hntef auszudrücken, der damit nicht
als zur familie der Scyldinge gehörig hingestellt werden soll, sondern einfach als Däne
bezeichnet wird (vgl. auch Sievers Beitr. 29, 309). — V. 1083 fg. will Tr. iinc statt
ivlg lesen und in gefeohtan nicht einen Infinitiv, sondern den dativ eines feminin.
Substantivs gcfeohte sehen und übersetzen: „der kämpf raffte alle mannen Finns hin
ausser einigen wenigen , so dass er auf dem schlachtfelde die wohnstätten dem Hengest
mit nichten durch gefecht noch die traurigen Überbleibsel durch kämpf dem degen
des fürsten entreissen konnte". Das bedenkliche der annähme eines femin. gefeohte
neben dem gewöhnlichen neutrum gefeoht sieht Tr. selbst ein, er setzt sich aber zu
leicht darüber hinweg mit der Vermutung, dass Hnht gefeohtan ans ivihte feohtan. \ev-
dorben sei. Er meint, mit seiner besserung ein wahres muster epischen Stiles ge-
schaffen zu haben, da tvw und wealäfe, feohtan und unge, Hengeste und ßeodnes
pegne einander entsprächen. Meinem gefühl nach verlangt aber der epische stil eher
eine Variation ('gespiel' nennt sie Tr.) zu forpringan, die in gefeohtan als Infinitiv
vorhanden wäre, durch Tr. aber beseitigt wird. Auch wie scheint mir als object des
kampfes nicht ganz geeignet. Ich ziehe vor, den überlieferten text beizubehalten bis
auf die kleine änderung iviht Hengeste ivlge gefeohtan. Die grosse ähnlichkeit der
aufeinander folgenden zweiten halbverse im bau würde allerdings keinen bedeutenden
verskünstler verraten, in einem kürzenden auszug, dessen fassung auch sonst nicht
immer die glücklichste ist, wäre sie aber doch wol nicht unmöglich.
In den vv. 1086 fgg. muss sich die abhängige rede, die den Inhalt des Ver-
trages widergibt, nicht nur bis v. 1088, sondern bis v. 1094 erstrecken. — Die Schwie-
rigkeiten des verses 1101 fg. scheinen mir doch in gem^nden, nicht in ^ea/t zu liegen.
Mit der leichten änderung zu gen/erde (anglische form statt geniyrde) erhalten wir
auf einmal die vermisste Variation zu brieee und den vom Zusammenhang verlangten
sinn. — V. 1103 wird am leichtesten geheilt durch weglassung des r von geßear-
fod > gejjeafod, gejxtfod. — Für den comparativ frecran im sinne von 'zu dreist'
V. 1104 wird es schwer sein, ein analogen aus dem englischen beizubringen; warum
nicht frecre? — V. 1107 sclieint die uotwendigkeit der änderung von äS ^ äd evi-
dent (trotz V. Grionberger Anglia 27, 331). Die deutung von v. 1107 *fg. and icge
gold ahcefen of ho nie wird durch Tr.s Vermutungen kaum gefördert. — V. 1118 wird
(judrinc nach arialogie von v. 3144 wudurec äatäh eher zu gud'rec als zu guSreoc zu
ÜBER TRAUTMANN, FINN UND HILDKBRAND 531
ändern sein. — V. 1122 scheint mir Tr. weiter als nötig vom überlieferten Wortlaut
abzuweichen; mit geringeren änderungon gäbe wol laöbite liges llc eall forsivealg
einen der Sachlage angemessenen sinn. — V. 1 126 finde ich den gedankea an die ge-
fallenen bei der rückkehr von der totenfeier nicht unnatürlich; Tr.s frmndum bi
. feolan 'sich zu den freunden zu begeben' statt freondum befeallcn scheint mir syn-
taktisch anfechtbar; die angeführten parallelen stimmen nicht. — V. Il28fg. scheint
mir Tr.s verstreunung mid Finne. j [EÖe]l einleuchtend : bei seiner weiteren conjectur
unblinne 'unaufhörlich' statt unhlitme ist mir die art der Wortbildung nicht klar, da
wir doch ein compositum wie ed- finde nicht als Vorbild für ein mit un- zusammen-
gesetztes wort gelten lassen können. — Die bedenken, die sich gegen u-orodrädenne
statt woroldrcedenne v. 1142 erheben, sind nicht so schwer wie diejenigen gegen Tr.s
jetzigen verschlag icrää-rä'denne 'Unterstützung'.
Im bruchstück vom Überfall in Finnsburg sind v. Ifg. hornas byrnaÖ
nmfre und hleoßrode da metrisch unmögliche halbverse; nätfre hleoßrode Sä wäre
metrisch nicht besser und sinnlos. Tr. vermutet deshalb, dass ursprünglich gar nicht
ncefre^ sondern Hncef Jm hleoßrode dagestanden habe. Dass durch seine änderuug
ein zweiter stab in die halbzeile hereinkomme, könne ihr nur zur empfehlung dienen.
Dieser verschlag ist bestechend. Ist er richtig, so kann auch die antwort auf die
viel umstrittene frage nach der einordnung der scene des Überfalls in die Beow\ilf-
eiulage nicht mehr zweifelhaft sein. Das fragment muss dann ereignisse betreffen,
die den im Beowulf erzählten vorausliegen. Diese aiiffassung ist schon aus anderen
gründen von Bugge u. a. vertreten worden und hat meines erachtens die grösste
Wahrscheinlichkeit für sich. Auch von diesem gesichtspunkte aus könnte man also
Tr. zustimmen. Sein bedenken gegen heapogeong wird man ebenfalls teilen und ein
heapogeorn vorziehen. Dagegen werden kaum viele gefallen finden an Tr.s her-
stellung von v. 5: ae her forß berap fugelas stvinsaß = 'sondern hier bringen vögel
geschrei hervor'. Nicht jeder wird .so leicht wie Tr. bereit sein, ein Substantiv sivinsaj)
nach dem muster von huntoßj, langop, drohtoß zu erfinden und einem forÖ beran
die abgeblasste bedeutung 'hervorbringen, verursachen' beizulegen. — V. 11 ist das
überlieferte landa sinnlos. Die grosse ähnlichkeit der ganzen stelle mit Exodus v. 218
bringt Tr. auf den glücklichen gedanken, dafür hlencan einzusetzen. — Den zweifel-
los unvollständigen v. 13 da äräs mcenig ergänzt Tr. so: ffä äräs of reste rondwlgend
ma-nig. — Tr. bestreitet, meines erachtens mit recht, dass aus dem zusatz sylf zu
Hengest v. 18 gefolgert werden dürfe, dass Hongest der könig sei, von dem zu anfang
des bruchstücks die rede ist. Hengest muss doch , da ihm nach Hnaäfs tode die füh-
mng zufällt, von vornherein der bedeutendste gefolgsmann gewesen sein: es ist daher
nicht verwunderlich, wenn er durch sylf über die anderen hervorgehoben wird. —
Für v. 19 nimmt Tr. eine anregung EttmüUers wider auf und ersetzt styrode durch
styrde = 'steuerte, wehrte'. Dazu braucht er als ergänzung einen dativ; diesen
bietet einzig ein Gärulfe statt "des überlieferten Gärulf, wodurch zugleich auch der
metrisch mangelhafte halbvers auf sein richtiges mass gebracht wird. GüÖere ist
dann natürlich subject. — Für das im anschluss an ByrhtnoS v. 283 vorgeschlagene
cellod von v. 30 bringt Tr. eine neue deutung: es soll eine südliche form (woher
käme diese?) für *cyllod sein, die von cyll 'sack, lederschlauch' abgeleitet werden
mü.sse, also = 'mit leder überzogen'. Fraglich bleibt mir aber, ob man ein solches
fremdwort dem alten poetischen Wortschatz zuschreiben darf. — eordbüendra v. 33
soll nicht heissen 'der menschen', sondern 'der bewohncr des landes' = der Friesen,
wie Beow. 1155 eordcyning den könig des landes, nandich den Fricseuköuig Fiuu,
34*
532 BiNz
bezeichne. Kaum glaublich. Dieser geuetiv in Verbindung mit dem Superlativ klingt
ganz formelhaft und dadurch in seiner bedeutung abgesch^yächt = 'zu allererst';
auch die beziehung von eord- in eoröcyning auf ein bestimmtes land scheint mir
der sonst allein nachweisbaren weiteren bedeutung von eorde gegenüber unstatthaft. —
Dass der in v. 34 überlieferte GuSläf nicht, mit Hnaefs mann Oüdläf identisch sein
kann, ergibt sich aus der ganzen Situation mit gewissheit. Tr.s abänderung zu QüSere
wird also, wenn man an zufällige nameugleichheit der gegner nicht glauben will, die
nächstliegende sein. — Nimmt man Tr.s besserung von v. 35 ^ hremvhläcra [oder eher
hreoicUcra?] hicearf = 'schar der totenbleichen' an, so wird man diesen ersten
halbvers als Variation zu gödra fela ansehen und darnach einen punkt setzen müssen.
Tr. verwirft diesen gedanken und zieht den ersten halbvers als object zu wundrode,
wie er statt loandrode lesen will. Diese conjectur scheint mir überflüssig. — Den
sinnlos überlieferten v. 40 ne ncbfre sioä noe htvitne medo sei forgyldan hält Tr. für
verdorben aus ne näjfre stvetne medo s. /"., indem er in stvä noe bezw. hwUne zwei
versuche sieht, ein unleserlich gewordenes swetne widerzugeben. Das ist recht ge-
künstelt. Eine andere, wie mir scheint, einfachere und der Überlieferung besser gerecht
werdende lösung möge hier ihren platz finden: sica noe hivitne ist vermutlich entstellt
aus hira fnondrilitne und näfre überflüssig widerholt aus v. 38, somit der ganze
vers ursprünglich im besten anschluss an das vorhergehende und ebensogut zum fol-
genden passend: ne hira mondrihtne medo sei forgyldan.
Mit Tr.s reconstruction des Inhalts der Finnsage aus bruchstück und einlage
kann ich mich im grossen und ganzen einverstanden erklären. Wie schon vorhin
betont, ist die aulTassung, wonach das bruchstück den kämpf darstelle, in dem
Hnsef schliesslich fällt, die wahrscheinlichste und wird durch Tr.s glückliche con-
jectur Hncßf ßa hleoßrode fast zur gewisshoit. In einzelheiten wären aber doch ein-
wendungen zu erheben. Was Hnasfs reise zu seinem Schwager Finn veranlasst, wissen
wir nicht. Tr. meint, er sei vielleicht einer heimtückischen einladung Finns gefolgt.
Dafür, dass der einladung verräterische absiebten zugrunde lagen, haben wir kaum
einen anhält. Man könnte sich sehr wol denken, dass der ausbruch des Streites unter
ähnlichen umständen erfolgt und durch ähnliche gründe veranlasst gewesen wäre, wie
in der geschichte des Ingeld und der Freawaru. Tr. meint ferner, dass Hn^ef mit
seinen verwandten nicht im eigentlichen Friesland, sondern in einem ungenannten
lande, wo Finn einen herrschersitz hatte, zusammengetroffen sei. Das ist doch wenig
wahrscheinlich. Ein Freswcel sucht man in Friesland selbst; auch erwartet man, dass
der bruder seine Schwester und ihren söhn an ihrem gewöhnlichen wohnsitz besucht.
Diese natürlichste anschauung wird wol nur wegen Fryslond geseon von v. 1126, das
in der tat auf den ersten blick einen gegensatz zu Finns bürg hereinzubringen scheint,
zurückgewiesen. Aber der dichter wollte damit vielleicht nur betonen, dass Hengest
und seine mannen nicht in die heimat zurückkehren, sondern kraft des Vertrags mit
Finn in dem fremden Friesland bleiben, wo sie doch nach dem tode des Hnfef nichts
mehr zu suchen haben; die wie, die sie beziehen, sind wol nur dem Schauplatz der
leichenverbrennung, der nicht sehr entfernt gedacht werden muss, gegenübergestellt.
Was Tr. über die näheren umstände vermutet, unter denen Hnief und sein neffe
fallen, ist reine phantasie; nur soviel wird man mit ihm aus unsynguni v. 1072
schliessen dürfen, dass Hildburhs söhn ohne sein verschulden in den kämpf hinein-
gezogen wurde. Nicht besser begründet scheint mir die annähme, dass Hengest mit
Hun („wahrscheinlich ist dieser ein von Finn unterdrückter fürst, der durch das
bündnis mit Hengest verlorene reclite wider zu erlangen hofft") ein bündnis geschlossen
ÜBER TKAUTMANN, FINN UND IIII.DKHRAND 533
habe. Tr. hätte freilich auf den Hun, der Hetware fürsten, des "WidsiS hinweisen
können; aber aus dem zusammenhange folgt notwendig, dass Hun zu der ivorodr^den
des Hengest gehört, also ein Däne ist. Tr. will ja allerdings rvorodrchdenne ersetzen
durch wraSrcBdenne; aber diese änderung ist keine Verbesserung.
Über den zweiten teil von Tr.s schritt darf ich mich angesichts der schon
erschienenen besprecliuugen desselben im Lit. centralblatt, in der beilage zur Allg.
Zeitung und in den Engl. Studien kürzer fassen. Tr. versucht darin den nachweis,
dass das Hildebrandslied eine schlechte oder schlecht überlieferte Übersetzung aus
dem englischen sei, und ist sogar imstande, das von ihm reconstruierte original an
der Seite des überlieferten, von ihm 'berichtigton' textes und einer nhd. Übersetzung
vorzulegen. Über die tragweite einer solchen entdeckung für die deutsche und eng-
lische litteratur- und sagengeschichte brauche ich keine werte zu verlieren. Wenn
gar auch Heliand und Muspilli, wie das schlusswort Tr.s andeutet, sich als Über-
setzungen aus dem englischen herausstellen würden, so wären ja alle unsere bisher
geltenden Vorstellungen über altdeutsche dichtung über den häufen geworfen. Ganz
überraschend kommt allerdings demjenigen, der Koegels argumente für den nieder-
deutschen Ursprung des Hildebrandsliedes genauer geprüft hatte, diese Schlussfolgerung
Tr.s nicht. Schon Kauffmann hatte in den Philolog. stud. s. 127 darauf aufmerksam
gemacht, dass bei objectiver beurteilung der von ihm vorgebrachten statistischen tat-
sachen Koegel consequenterweise hätte zu dem ergebnis gelangen müssen, dass ein
Angelsachse das lied verfasst habe. Indem Tr. sich im wesentlichen derselben mittel
zu seiner beweisführung bedient wie Koegel, kommt er tatsächlich zu diesem schluss.
Während aber Koegel bestrebt war, sich mit dem überlieferten texte abzufinden,
stellt sich Tr. auf den Standpunkt, dass mit einem so jämmerlich zerriitteten text
„ohne einen mutigen schnitt ab und zu nichts zu machen" sei.
Die gründe, die ihn zu seiner behauptung bestimmen, fasst Tr. in folgende
sechs gruppen zusammen:
1. Der altdeutsche Hildebrandstext enthält altenglischo buchstaben : f, Ö, t, p,
oder altenglische längenzeichen: ccnon, se, er.
2. Der Hildebrandstext enthält eine anzahl ae. Wörter, viel mehr als Kauff-
mann anerkennen will.
3. Ganze Wendungen stimmen mit Wendungen überein, die wir aus der spräche
ae. dichter kennen:
fera/ies frötöro, fireo in folche, Hadubrant gimahalta, beim timcnlisan , folches
at ente, inmtanc bouga, inan wie furnam, banun ni gifasta, bretön mid billiu,
ibu dir din eilen taoc, scarpen scurim usf.
4. Richtige ahd. verse, wörtlich ins ae. übersetzt, ergeben richtige ae. verse:
Öat sili urhetfim = dad hlc öretian, Tcnon muotin = änan[?]metten, Hiltibrant
gimahalta = Hildebrand geiruelde, wer sin fater tvüri = hicä his fceder wtire,
chind in ckunine - rlehe = eild in cynerlce, dat sagetun ml = Scet scegdon nie.
5. Fehlerhafte althochdeutsche verse werden bei wörtlicher Übersetzung rich-
tige altenglische:
Hiltibrant enti HaÖnbrant = Hildebrand and Headubrand, heiidös tibar ringä
= hfcleSas ofer /iringas, her toas heröro man = he icces härra man, enti slnero
degano filu = and his Jjegna fela, uestar iibar wentil-slo = iccst ofer icendel-scK,
reccheo ni wurti = tcreccea ne unirde.
6. Tilgt man unnötige und der spräche der ao. dichter ungemässe werte, so
entstehen beim übersetzen tadellose ae. verse:
534 BiNz
f/arutun se iro güÖ-hamun = gyredon güd-haman,
do sie tö dero hiltiu rifun = ßä hie tö hilde ridon,
spenis fnih mit dmem tüortun = spenes mee mid wordum,
icili mih dinu spertc icerpan = teilt mee [mid] spere iveorpan,
bretön mid smu hilliti = breotan m^id bille,
ibu du dar enie reht habes ^^ gif ßü p7er reht hafas,
der sl doli nü argösto = si nü eargosta,
erdo desero brunnöno = oSde byrnena.
Dass diese gründe nicht alle wirklich brauchbar sind, darüber täuscht sich Tr.
keineswegs. Er hat selbst die einwände, die sich sofort dagegen aufdrängen, kurz,
aber so treffend vorgebracht, dass wir uns der pflicht, sie zu widerholen, enthoben
fühlen dürfen. Es ist klar, dass nur die unter 2. und 5. bezw. 6. aufgeführten kri-
terien etwas beweisen könnten. Kraus hat aber in der Zs. f. öst. gymn. 47, 317 fgg.
die bedeutung, die den Schlüssen aus dem wortvorrat zukommt, mit solcher metho-
dischen schärfe dargelegt, dass man sich nur über die Zuversicht wundern kann, mit
der Tr. den ahd. gegen den ae. wertschätz abzugrenzen sich getraut. Wichtiger als
die Wörter sind solche für eine bestimmte mundart charakteristische formen, die
sich nicht ohne Verletzung des Versbaues beseitigen Hessen: in unserem falle nament-
lich suäsat und fateres, die für die as.-ae. hypothese recht unbequem sind. Tr. muss
die erste, die absolut unengiisch ist, aus dem wege räumen. Aber das will nicht'
gelingen. Man höre, was er darüber zu sagen hat: „Das ae. lied muss hier die
schwache form siccese gehabt haben, schon weil die starke siväis einen unguten vers
gäbe. Wie nun kann es gekommen sein, dass wir im ahd. texte die starke form
finden anstatt der zu erwartenden schwachen ? Ich glaube folgendermassen : der Über-
setzer wird dem urtexte gemäss die schwache form suäsa (vgl. luttila und arbeo
laosa) gesetzt haben. Ein abschreiber aber fügte, getäuscht durch das unmittelbar
folgende c vor chind ein c an, das dann später t ward; er kann auch unmittelbar t
für c geschrieben haben bei der ähnlichkeit der beiden zeichen. Dass suäsat im
überlieferten texte am ende einer zeile, chind am anfange der folgenden steht, ist
kein genügender grund an dieser entstehung der form zu zweifeln; denn suasa und
chint brauchen nicht von aufang an in verschiedenen Zeilen gestanden zu haben. Das
schwache adjectiv ist hier durchaus am platze: 'jetz soll mich dies mein kind
töten'. Vgl. mm ßcet swäse bem'ii GuSl. 1053. Die ahd. werte geben ohne weiteres
den guten ae. vers: nü sceal mee swäse cild (oder bearn).^'- Die widerholung einer
behauptung ersetzt nicht ihre begründun g. In der Verbindung adjectiv + Substantiv
ist die schwache form des adjectivs weder im deutschen noch im englischen regel
und speciell für swws finde ich im ae. ausser GuSl. 1053, wo der bestimmte artikel
dabei steht, keine einzige schwache form belegt. Die für das ae. vorauszusetzende
form swces aber würde den vers zerstören. Zur Unterstützung seines ae. genetivs
fcederes beruft sich Tr. auf Sat. 580, wo allein gegenüber sonst in der poesie regel-
mässigem fceder die dreisilbige form belegt ist; sie kann natürlich für den mindestens
um hundert jähre älteren sprachzustand des supponierten ae. Hildebraudsliedes gar
nichts beweisen.
Den unter 5. genannten gesichtspunkt mit erfolg geltend zu machen, hindert
die Unsicherheit über die regeln des ahd. allitterationsverses , die bei dem spärlichen
umfang des ahd. materiales sich lange nicht so genau feststellen lassen wie beim ae.
oder as. vers; man wird also gar nicht immer einen ahd. vers mit bestimmtheit für
fehlerhaft erklären können, ebensowenig wird es dann erlaubt sein, einem verdacht
ÜBK» TRAUTMANN, FINN UND IIILDKBHANI) 535
zuliebe an dem überlieferten ahd. Wortlaut so lange herumzuänderu, bis ein vermeint-
lich richtiger vers herauskommt. Jedesfalls aber dürfen verso , die nur auf conjectur be-
ruhen , nicht als sichere grundlage für einen beweis dienen. Es ist übrigens noch
fraglich, ob Tr.s behauptung, dass bei der Übertragung ins ae. correcte verse ent-
stehen, in allen fällen den tatsachon entspricht. Wodurch sich z. b. der vers Tlilde-
hrand [richtig ae. Hildbrand.'] and HeaSubrand gegenüber dem ahd. Hiltibrand cnti
Hadubrant auszeichnen soll, ist mir nicht klar; ebensowenig vermag ich an hf/'le<1as
ofer hringas einen vorzug gegenüber dem natürlich auch für das Hildebrandslied vor-
auszusetzenden helidös tdmr hritiga zu erkennen.
Es ist vorhin schon angedeutet worden, dass Tr. nicht zu denen gehört, die
es für die pflicht des textkritikers halten, so lange bei der Überlieferung zu bleiben,
als sich mit derselben ein sinn verbinden lässt. Es ist ja nicht zu bezweifeln, dass
starrer conservativismus auch auf diesem gebiet vom übel ist; einige neuere leistungen
der Beowulfkritik zeugen deutlich genug dafür. Aber die reaction dagegen überschreitet
bei Ti". das zulässige mass. Ihm gilt die überliefei'ung nur sehr wenig; sie ist für ihn
oft nicht viel mehr als eine anregung zu eigener texterfind ung, die ganz geistreich
sein mag, aber nicht den anspruch erheben darf, das gesuchte original zu repräsen-
tieren. Wo es ihm passt, nimmt er änderungen vor, die von dem auf uns gekom-
menen text kaum mehr etwas erkennen lassen. Ich müsste fast seine ganze abhand-
lung ausschreiben , wenn ich dieses urteil begründen wollte. Ein paar der schlagendsten
beispiele seines Verfahrens mögen genügen.
V. 16^ dea erhina wärun hält Tr. für verderbt. Angesichts des misslingens
der bisherigen deutungsversuche wird man das zugeben. Statt dass er nun aber eine
lösung suchte, die sich mit dem, was da steht, vereinen lässt, trägt er keih bedenken,
eine auch den nächsten vers stark in mitleidenschaft ziehende correctur zu empfehlen.
Er drückt sich so aus: „Was an seiner stelle gestanden haben muss, lehrt ein blick
auf V. 17 S der metrisch ein ungeheuer ist: in dat Hiltibrant hfdti vnn fater haben
die beiden letzten worte keinen räum; und ich kann sie nur für einen zusatz halten,
der erst gemacht worden ist, nachdem v. 16^ schon zu dea erhina u-arun entstellt
war. Gewiss, die worte ?}im fater sind unentbehrlich; aber da sie in v. 17' nicht
unterzubringen sind, werden sie in v. 16* gestanden haben. Ich habe keinen zweifei,
dass der Übersetzer schrieb dat min er -fater und dass der ae. urtext hatte:
ealde ond fröde, ßcet mm cer-fceder
Hildebrand hätte,
'dass mein verstorbener vater Hildebrand hiess'. Das wort (7:r-fceder steht noch
Beow. 2622 und heisst auch dort 'der verstorbene vater'. Dea erhina ivornn und
dat mm er fater sind ja in den schriftzügen unähnlich genug, ab^r doch nicht so
unähnlich, dass die hier angenommene Verderbnis undenkbar wäre: er ist da; und die
paare tvarun und fater, hina und min, dea und dat haben jedes gemeinsame buch-
staben."
Die bedenken gegen die metrische structui' von v. 17' scheinen sich mir nach
dem über Tr.s metrische argumente bemerkten und in anbetracht der vielfach wahr-
nehmbaren Verderbnis des textes zu erledigen; eine berechtigung zur änderung von
V. 17*, der einen ganz passenden Inhalt hat, ist somit kaum vorhanden. Wie aber
Tr. seinen Wortlaut aus der Überlieferung graphisch ableiten will, verstehe ich nicht.
Wäre es nicht möglich, ohne so tief einschneidende abweichungen von der hs. aus-
zukommen? Wenn man bedenkt, dass spuren eines ags. Schreibers in schrift und
wortformen unleugbar vorhanden sind, läge es doch gewiss näher, die Verderbnis auf
536 FKANCK
tvarun zu beschränken und dieses als eine bei ags. Schrift leicht erklärliche Verlesung
für sä^«;^m aufzufassen , alles übrige aber unangetastet zu lassen, Äma natürlich (unter
ags. einfluss?) i\\x ina, somit dea er hina säivun = 'die ihn früher sahen'.
Zu dem schwierigen neo dana halt v. 31 ' citiert Tr. Jellineks äusserung zu
seinem deutungsversuch (Zs. f. d. a. 37, 20fgg.): , Allein ich trage bedenken, diese
deutung vorzuschlagen, da die dabei vorauszusetzende bedeutung von neo dana halt
in der poesie sonst nicht zu belegen ist und der vers auch durch den mangelnden
Stabreim anstoss erregt." Dann fährt Tr. mit verblüffender Sicherheit fort: „Ei da
wollen wir doch das schöne neo dana halt kurz und gut in sicertu ni scalt = ae.
siveorde ne scealt ändern!" Er muss dann natürlich auch im folgenden vers statt
dinc ni gileitos lesen dinc gileiton.
So macht Tr. aus v. 51 dar man mih eo scerita in folc sceotantero , da dieser
Wortlaut unsinnig sei, kurzerhand dar nnnan seilt scertitun sceotantero fole 'wo
meinen schild verhieben die scharen der krieger'. Und kategorisch erklärt er zu
niuse de motti v. 60'^: „A.uf die z. t. sehr wunderlichen versuche diese werte zu
erklären, geh ich nicht ein. Für mich liegt Verderbnis vor aus ae. nü unc gnd
ämete 'jetz (!) messe gott uns zu'. Den ersten anlass zur 'Verhunzung' der stelle
werde die abkürzung d (= deus) für god gegeben haben.
Ich brauche mit der aufzählung von beispielen nicht fortzufahren. Aber eines
muss noch erwähnt werden : Tr. weiss ganz wol , dass in dem überlieferten texte
Wörter auftreten, die wir nur im deutschen, nicht aber im englischen kennen. Sie
sind für seine these etwas unbequem und müssen daher beseitigt werden. Nach den
oben gegebenen proben von Tr.s findigkeit im aufspüren des ursprünglichen Wortlautes
wird niemand überrascht sein, zu sehen, dass Tr. auch diese Schwierigkeiten mitspie-
lender leichtigkeit aus dem wege räumt, indem er passende (oder auch unpassende)
englische Wörter an stelle der deutseben einsetzt. Dass aber damit die gegenprobe
geleistet, der beweis für den ae. Ursprung des Hildebrandsliedes unwiderleglich erbracht
sei, glaube ich so wenig als alle anderen fachgenossen,- die bis heute ihre meinung
über Tr.s schrift öffentlich ausgesprochen haben. Zum Schlüsse muss ich mein be-
dauern darüber ausdrücken, dass Tr. so viel mühe und Scharfsinn auf die lösung
einer aufgäbe verwandt hat, die auf dem von ihm eingeschlagenen wege nie erreicht
werden kann.
BASEL, .JANUAR 1905. GUSTAV BINZ.
P. H. van Moerkerken jr., De Satire in de Nedorlandsche Kunst der Middel-
eeuwen. (Utrechter doctordissertation). Amsterdam, van Looy 1904. VI, 243 s. 8".
Der Verfasser dieser kunstsinnigen dissertation will „nur eine Übersicht geben
über das, was an satirischen und verwandten Schöpfungen der litterarischen und
bildenden kuust des mittelalters in den Niederlanden übrig geblieben ist, in der
hoffnung damit zugleich einen kleinen beitrag zu liefern für die kenntnis des äusseren
und inneren lebens der vorfahren."
• Gegenüber einer anwendung des wertes Satire, die viele dinge unter dem namon
zusammenfasst, die eigentlich nichts damit zu tun haben, oder die die grenzen allzu
unbestimmt lässt, sucht der Verfasser in der cinleitung zu einer geschlosseneren begriffs-
bestimmung zu gelangen. Wenn wir ihm auf dies gebiet folgen wollen, so scheint
sie mir trotzdem noch zu weit. Denn einerseits kann man wol nicht alles Satire
nennen, was die menschlichen fehler der lächerlichkeit oder Verachtung preisgeben
ÜßER MOERKKRKKN, RATIRE 537
will. Die Schilderung einer fran, die aus putz- und Vergnügungssucht sich ihrer
pflichten ledig macht, eines priesters, der nach weltlicher macht und genüssen strebt,
oder der menschen, die über den kurzen weltfreuden die ewigkeit vei'gossen, scheint
mir, wenn sie noch so warm und seelenvoll ist — eigenschafteu durch die v. M. die
Satire von der didaktik scheiden will — darum allein noch nicht satirisch zu sein. Es
muss doch wol noch ein anderes moment hinzukommen, der künstlor muss durch
witz, durch übertreibende bilder oder durch andere geistreiche und treffende ausdrucks-
mittel den gegensatz zwischen ideal und Wirklichkeit so zu gestalten verstehen, dass
in dem beobachter zugleich auch ein gewisses lustgefühl hervorgerufen wird. Mit
anderen worteu, er muss nicht nur das gemüt treffen, sondern auch den verstand —
den witz in der älteren bedeutung des wertes — anregen. In diesem sinne habe ich
manches in dem buch gefunden, was ich nicht darin gesucht hätte.
Anderseits berücksichtigt der Verfasser zwar als einen bostandteil der satire
auch ihre 'aufbauende arbeit', „da sie die äugen für das schlechte und törichte öffnet
und so die liebe zum guten und vernünftigen erzeugt." Mir scheint jedoch die
absichtlichkeit dieses momentes stärker betont werden zu müssen. Will der künstler
wirklich tadeln und bessern, oder will er bloss belustigen? Zum mindesten müsste
man zwischen dem menschen und dem künstler scheiden. Die tropfe von ehemännern,
denen wir in den schwanken hörner aufsetzen sehen, die Junker von Bleichenwang,
die Malvolios und Falstaffs sollen gewiss keine ideale sein. Aber die dichter wollten
die.se exemplare doch gewiss auch nicht aus der weit schaffen, noch möchten wir sie
uns nehmen lassen. Ich kann keine satire in ihnen erblicken', und mir will eine auf-
fassuug nicht in den köpf, die den mit überlegener Ironie getränkten humor des
Reinaert mit den gedichten eines pathetischen aber humorlosen moralischen eiferers
wie Maerlant unter einen hut bringt. Der Reinaert ist im laufe der zeit zu einer
satirischen dichtung geworden. Aber gerade der umstand, dass man sich von dieser
späteren aiiffassung nicht ganz hat losmachen können, steht meiner ansieht nach der
gerechten Würdigung eines so wundervollen Werkes wie es der alte Reinaert ist im
wege. Auch v. M., obwol er sich von mancher schiefen auffassung der Vorgänger
frei hält und die hauptsache, dass sich darin — wie Goethe es ausdrückt — ,,das
menschengeschlecht in seiner ungeheuchclten tierheit ganz natürlich vorträgt" richtig
erfasst, wird dem dichter, meine ich, immer noch nicht völlig gerecht. Die alten
Isengrini- und Reinhardschwänke, deren höhepunkt das flämische epos aus dem 13. jh.
bildet, haben m. e. keinen didaktischen oder satirischen charaktor gehabt. Neben der
vermenschlichung der tiere an sich, der Unbefangenheit, mit der menschhche und
tierische eigenschafteu nebeneinander walten, der unwiderstehlichen komik der ereig-
nisse besteht ihre Wirkung vor allem eben in der freien entfaltung der tierheit. Die
vermummung gab dem leser die möglichkeit, aus der Vorstellung zu flüchten, als ob
er menschen seinesgleichen oder "gar sich selber vor sich sehe, anderseits ermöglichte
sie es dieser dichtung, die auch nur eine der häufigen reactionserscheinungen gegen
übertriebene dichterische ideali.sierung ist, die niederen triebe auch bei königen und
hohen baronen in einer weise walten zu lassen , wie es sonst gai' nicht möglich ge-
wesen wäre. Natüilich waren die Verfasser sich der ironie gegen die menschen, die
von gleichen trieben geleitet werden und ihre gemeinheiten in ihien eignen äugen
1) Wenn mich stücke wie Kleists Zerbrochener krug oder Hauptmanns Bieber-
pelz oder ein Charakter wie Wagners Beckmesser peinlich berühren, so schreibe ich
das eben dem umstände zu, dass die grenzlinio zwischen dem, was gegenständ bpiegeln-
den humoi"s oder .strafender satire sein sollte, nicht inne gehalten ist.
538 FRANCK
sogar zu tugeuden zu gestalten wissen, voll bewusst. Das hat sie aber nicht im
mindesten abgehalten, ihr bestes zu tun, um unsere volle Sympathie für den zu er-
wecken, der nicht weniger schlecht ist als die übrige gesellschaft, nur mehr witz
besitzt and nicht so weit von der Selbsterkenntnis wie sie entfernt ist. "Weil diese
Vorzüge so kräftig und vorzüglich ausgebildet waren, und alle zeiten sie, wenn auch un-
bewusst, lebhaft empfanden, hat sie die didaktische und satirische auffassung, die sich
später des Stoffes bemächtigte, nicht zugrunde zu richten vermocht. Auch die nach-
folger haben zum teil noch ganz im sinne des alten tierschwankes erzählt und weiter
erfunden, und v. M. geht wol fehl, wenn er (s. 5f) aus der geschichte von der teiiuug
der beute, bei der Reinaert schlau genug ist, sich durch Isengrims blutige erfahrung
belehren zu lassen und zugleich die gelegenheit benutzt, sich lieb kind zu machen,
auch zu viel von Standessatire und dergleichen herauslesen will. Manchmal verrät
übrigens der Verfasser, dass er selber dinge, die er bespricht, als nur in losem Zu-
sammenhang mit seinem Stoffe stehend betrachtet, und bei einer grösseren anzahl von
beispieleu der tierornamentik und anderer figuren in stein, in holz und in miuiatureu
stellt er die verschiedenen ansichteu, ob diese dinge satirisch gemeint seien oder nicht,
nebeneinander ohne sich zu entscheiden. Manches ist gewiss nur ausfluss des witzes
oder des Schaffensdranges ohne irgendwelche satirische absieht. "Wenn in einer hand-
schrift des 14. jhs. ein grosser äffe mit einem kleinen auf den schultern wirklich den
heil. Christophorus darstellen soll, so halte ich es für ausgeschlossen, dass man sich
damals etwas derartiges in der absieht des spottes mit so heihgeu dingen erlaubt
habe. Die handschriftenbilder waren übrigens auch gerade keine geeignete stelle für
Satire. "Wer bekam sie denn zu gesiebt?
Aber schliesslich ist es ja sache des Verfassers, wie weit er sich die grenzen
seines gebietes stecken will. Es ist eine fülle von stoff und belesenheit, die v. M. au
unseren äugen vorüber ziehen lässt. Nach der einleitung werden die didaktiker Maer-
lant, dieser hauptsächlich in seinen strophischen gedichten, Boendale und Jan de "Weert
behandelt. Das folgende capitel ist den fuchsdichtungen , Ysengrimus, dem älteren
und jüngeren Reinaert geweiht. Für das lat. werk scheint die gehaltreiche schrift
von Leon "Willems, Etudes sur l'Ysengrimus, Gent 1895, nicht beachtet zu sein.
Dann folgen lieder, schwanke und Sprüche, weiter dramen und festspiele. Ein ferneres
capitel handelt vom teufel und jüngsten gericht, das folgende vom tod und den toten-
tänzen. Das 8. betrifft die Satire in der bildenden kunst, und das schlusscapitel führt
uns den 'Rederyker' Anthonis de Roovere aus Brügge, Desiderius Erasmus, Anna
Bijns aus Antwerpen, die fanatische gegnerin Luthers, und den maier Pieter Brueghel
(sprich Brögel) den älteren, den Bauernbrueghel, vor.
V. M. versteht es, uns in vortrefflicher darstellung den reichen stoff übersichtlich
und lebendig vor äugen zu bringen und die art und weise, wie der einzelne künstler
im wort oder in form und färben die verschiedenen menschlichen schwächen und laster
behandelt, zu veranschaulichen. Der Zusammenhang der ideen in der litterarischen
und bildenden kunst wird lehrreich hervorgehoben. "Wer zu historischer auffassung
neigt, wird freilich eine Vertiefung der lebendigen bilder nach der Vergangenheit hin
sehr vermissen. Eine eindringendere historische betrachtung lehnt der Verfasser an
der eingangs angeführten stelle ab. Aber der mangel greift doch auch in das ein,
was das buch zu geben beabsichtigt. "Wir erfahren nichts davon, dass z. b. Maerlant
grossenteils bloss Übersetzer ist, dass er erzeugnisse fremder sprachen, die ihm zeit-
gemäss dünken, seinen landsleuten zugänglich macht und dabei auch münze weiter
gibt, die viele Jahrhunderte vorher geprägt ist. "Wo sich eine derartige abhängigkeit
ÜBER MOEKKERKRN, SATIRR 539
von fremder kunst von selbst aufdiängt, gelit der Verfasser der frage nicht weiter
nach oder gar aus dem wege. Damit verschiebt sich das richtige bild von den künstlern
und von den zeitverliältnissen, auf die aus ihren werken geschlossen wird. Sie haben
vielleicht fremde Vorbilder, die unter umständen ihrer eigenen zeit gar nicht einmal
so nahe liegen, mehr oder weniger getreu nachgeahmt, allerdings weil die Stoffe, die
sie behandelten, ihnen zeitgemäss schienen, und die art und weise, in der sie es
taten, mode war, eine mode, die rascher oder auch laugsamer zu ihnen gelangt war.
Gerade bei den Stoffen, die unser buch behandelt, könnte an sich zwischen vorbild
und nachalimung recht geraume zeit liegen, weil sie Verhältnisse betreffen, die zu
allen zelten widerkehren: es hat immer untreue frauen, eigennützige geistliche usw.
gegeben. Wenn aber die darstellung, obwol sie gelegentlich auf den internationalen
Charakter der kulturverhältnisse aufmerksam macht, doch dem uneingeweihten die
möglichkeit des eindrucks lässt, als ob die niederländischen künstler des 13. — 16. jhs.
die münzen selber und auf die Verhältnisse ihrer zeit und ihres landes geprägt hätten,
so gibt sie eben kein ganz richtiges bild. Eine grössere philologische gründlichkeit
würde sich vielleicht auch nicht begnügt haben , auszüge aus texten, die zufällig ohne
modei'ne iuterpunction vorlagen, in diesem zustand weiter zu geben. Man hat für
ein gutes Verständnis öfters nicht bloss die iuterpunction, sondern auch den Wortlaut
zu ändern.
In der anmerkung auf s. 23 bekommen wir neuesten herausgeber von Maerlants
Strophischen gedichten eine kleine boshaftigkeit zu hören, weil wir „auf ziemlich vage
grände hin urteilen, dass 'vielleicht' besser der Korken Klaghe als Van den Lande
van Overzee für Maerlants schwanengesang anzusehen sei." Nun, die vagen gründe
beruhen einerseits auf eindringlichen Untersuchungen der metrik, de^ grades der Über-
einstimmung zwischen deni natürlichen und dem versrhythmus und anderer intimer
Stilistischerbesonderheiten, Untersuchungen, denen ich doch mehr beachtung wünschen
möchte, als sie hier gefunden haben, anderseits auf einer gewissen gedanklichen
unausgeglichenheit des sonst hoch stehenden und ohne zweifei der reifsten lebenszeit
angehörigen ersteren gedichtes. Die mehr landläufige ansieht gründet sich auf die
tatsachen, dass das andere gedieht nach 1291 fallen muss, Maerlant in den 90er
Jahren gestorben ist, und einige das lied für das schönste des dichters halten. Als
sein 'schwanengesang' aufgefasst macht es in einer Schilderung von Maerlants leben
und werken darstellerisch zweifellos eine besonders gute figur. Unser wörtchen ' viel-
leicht', das v.M. in anführungszeichen setzt, soll besagen, dass zwar beide lieder
Maerlants spätester zeit angeliören, aber die bekannten tatsachen die möglichkeit nicht
ausgeschlossen sein lassen, dass er nach ihnen noch etwas anderes gedichtet habe.
Ich gestehe gerne zu, dass wir mit unserem vorsichtigen ausdruck denen gegenüber
im nachteil sind, die einen bestimmteren ton anzuschlagen wissen und anzuschlagen
für gut halten, weil das publicun^ möglichst abgerundete und bestimmte urteile liebt.
Ich denke auch nicht gering von der tätigkeit, die die ergebnisse der Wissenschaft
mit geschick zur anregung grösserer kreise verwertet und es nicht für nötig hält,
dabei alle bedenken, die im hintergrund noch geblieben sind, in den Vordergrund zu
rücken. Aber wir sollen doch nicht vergessen, dass es daneben auch eine Wissen-
schaft gibt, die sich verpflichtet fühlt, allen sich aufdj-ängenden fragen rede und
antwort zu stehen und keines der bedenken hintan zu halten, auch auf die gefahr
hin dem publicum weniger zu behagen.
Das buch ist ganz vorzüglich ausgestattet und mit einer grösseren auzahl ver-
anschaulichender Zeichnungen versehen. Nicht weniger als 30 thosen sind angefügt.
540 R. M. MEYER ÜBER KIRCHEISEN, LITT. PORTRAIT
die die fähigkeit des Verfassers zu einem selbständigen urteil auf den verschiedenen
gebieten beweisen sollen , in denen der ,.doctorandus in de nedeiiandsche letteren" be-
schlagen sein muss.
BONN. J. FRANCK.
Friedrich M. Kirchelsen , Die geschichte des litterarischen portraits. Bd. I.
Leipzig, Hiersemann 1904. VIII, 170 s. .5 m.
Ein interessanteres thema ist nicht leicht zu finden als die geschichte des
litterarischeu portraits. Die eutwicklung der kunst, den Charakter gleichsam in festen
umrissen greifbar hinzustellen, ist ja für die technik des epos oder dramas, der
geschichtsschreibung, der psychologie von gleich fundamentaler bedeutung. Freilich
aber musste die aufgäbe etwas weniger leicht genommen werden, als es in dieser
splendid gedrackten arbeit geschehen ist. Ein eiliges ausstechen von portraitstellen
aus volksepik und Monum. germ. bist, mit oberflächlichen Schlussfolgerungen konnte
natürlich nicht genügen. Eine bequeme belesenheit, die sich jeder auswahl in der
kritik entschlägt, vermag für das übersehen einer grundlegenden Studie wie der
Seemüllers in den Festgaben für Heinzel ~ entlegenere aber wichtige werke wie
Bernoullis „Heilige der Merowinger" wollen wir nicht einmal verlangen — dadurch
nicht zu entschädigen, dass sie Müllenhoffs „ Geschichte der Nibelunge not" unter
zwei titeln wie zwei verschiedene wei-ke citiert. Die Sicherheit, mit der aus den
figurenbildern des Nibelungenlieds Schlüsse auf seine entstehuugszeit gezogen werden,
kann über die ergebnislosigkeit der Untersuchung nicht wegtäuschen, durch die für
eine (s. 3 fg.) vorausgeschickte, an sich nicht unwahrscheinliche, skizze der entwickelung
kaum ein wirklicher fester baustein geliefert wird.
Dem verf. fehlt es durchaus an historischem sinn. In die „Heldenlieder"
springt er „s«e/ inde kuoni^'- hinein, ohne sich irgend gefragt zu haben, was die
Edda, was Heinzeis Beschreibung der isländischen saga oder meine Altgermanische
poesie etwa zu der beurteilung ihrer Charakterisierungskunst an die band geben. Bei
dei' rein äusserlichen beurteilung historischer portraits aus verschiedenen (aber hierin
wenig verschiedenen) epochen fragt er sich nie, ob nicht das verschiedene mass der
merkbaren eigenart (Karl der grosse gegenüber einem beliebigen durchschnittsbischof !),
ob nicht der verschiedene grad der bekanntschaft mit dem original (Einhard!), ob
nicht vor allem der jedesmalige stil der darstellung für das grössere oder geringere
mass individualisierender Charakteristik mit verantwortlich sei. Ein panegyrikus stili-
siert zu allen zeiten; und gewisse artikel der ADB sind in ihrer furcht, durch allzu
menschliche züge dem „idealen bild" zu schaden, der gefahr ausgesetzt, von dem
geschichtschreiber des Litterarischen portraits hinter die Vita Karoli zurückdatiert zu
werden.
Es ist zu hoffen, dass der verf. sich selbst, ehe er fortfährt, von den Schwierig-
keiten seines schönen themas rechnung zu geben lernt; wir werden sonst trotz alles
äusseren lesefleisses nichts erhalten, als das litterarische selbstportrait eines wol-
gemuten dilettanten.
BERLIN. RIGUÄRD M. METER.
VON GRIKNBEROKR ÜBKR MKYKR - I.ÜBKK , ROMANISCHR NAMKNSTDDIKN 541
Wilhelm Meyer-Lübke, Roinanischo uamonstudion. I. Die altportugie-
sischen Personennamen germanischen Ursprungs [Sitzungsberichte der
kais. akademie der wiss. in Wien, philos. histor. klasse bd. 149 abhandluug 2].
Wien, Carl Gerolds söhn 1904. 102 s. 2,40 m.
Bevor noch jemand sich der mühe unterzog, aus dem mittelalterlichen namen-
material der pyrouäischen halbinsol die noch immer schmerzlich entbehrte grammatik
des westgotischen in Spanien herauszurechnen, hat M.-L. seine band auf einen teil
dieses materials gelegt und über die im 1. bände der Portugaliae monumenta histarica,
(liplomata et ckariae, Olisipone 1867 f enthalteneu namenformen, die entsprechend
den datierungen der 952 Urkunden den jähren 850 bis 1100 angehören, eine Unter-
suchung veröffentlicht.
Die gewählte bezeichnung der schritt belehrt von vornherein darüber, dass das
Sprachmittel, aus dem die uamen in den lateinischen text eingegangen sind, kein
germanisches, sondern ein romanisches sei, so dass wir, das scheint ziemlich klar,
zu einer grammatik des westgotischon, die sich dieses sowie vorwandten materials als
grundlage bediente, erst durch die vorhalle der grammatik einer bestimmten gruppe
westgotischer lehnwörter im altpoitugiesischen, beziehungsweise altcastilischeu zu ge-
langen vermögen.
Für die Schätzung des ertrages, den das Studium der im romanischen gebrauche
fortgepflanzten nameu germanischen Ursprunges für den bezüglichen germ. dialekt ab-
werfen kann, ist die arbeit M. -L.s von grundsätzlicher bedeutung, und ich denke,
sie werde in hinsieht auf die benutzung derartigen Sprachstoffes für grauimatiken nicht
überliefeiter germ. dialekte oder dialektepochen klärend und einschränkend wirken.
Denn nicht nur dort, wo die nationalität der träger von namen germanischer abkunft
gewechselt hat — ein Vorgang, der weit in die römische kaiserzeit hinaufreicht — ,
werden wir uns auf eine strengere kritische Scheidung des ursprünglichen und des
späteren Sprachmittels einzurichten haben, sondern auch dort, wo es sich innerhalb
der antiken und der mittelalterlichen geschichtlichen Überlieferung lateinisch schrei-
bender autoren um die widergabe von namen zweifellos germanischer persönlichkeiten
handelt.
Allerdings die ursprüngliche germanische oder, um auf unsern fall zu kommen,
gotische form kann ja vollständig unberührt erhalten sein; ich wüsste nicht, was
man an formen wie Oiima n. 28, Ansila n. 5, Brandila u. 20 auszusetzen hätte,
allein so schöne und selbst orthographisch einwandfreie citate des got. sprachgutes
sind nicht die regel; lateinisch -romanische Orthographie, laut- und formersätze, laut-
entwicklungen verändern das bild der vorläge — Aragunti n. 7 z. b. erhält eine
fremde dentalis, ebenso Trudüo (uxor) n. 102, Argilo n. 600 verliert sein anlau-
tendes Ä, Attüla n. 19 erfährt mechanische gemination des l, Guandila n. 82 zeigt
romanische darstellung des germ. w; es ergeben sich neben den gewöhnlichen latini-
sierten formen auch solche von c-omplicierter geschichte wie Minixus n. 13 auf grund-
lage eines mit roman. -o (-um) confundierten latein. -o (n- stamm) als ersatzbildung
für got. -a (7j-st;imm), Eronius test. n. 68 neben einfacherem latein. Ero . . . fest,
n. 56, vermittelt durch eine romanische form aus lat. 'Onem, Froilonia n. 232 zu
Froiloni nom. n. 12, Uistregia fem. n. 281 zu dem masc. demin. Visterga u. 1; neben
den geradlinigen romanischen entwickluugen wie ego Balteiru n. 268 finden sich
auch Umbildungen mit neuen suffixen an stelle von ehemals selbständigen Wörtern,
die den anschein von suffixen erhalten haben, wie in Toderago n. 689 gegen Teoderigo
n. 102 l-acus :-icus) . odei' in \'laria<jti n. 108 gegen ego Viarigo n. 109 (-iacus
542 VON GRIENBKRGER
: -icus) — so dass sich dem i)mfendeii äuge der dargebotene stoff in eine reihe
spracbgeschichtlicher Vorgänge und entwicklungsstufen gliedert, von denen jede etwas
lehrt, aber kaum vorzugsweise für den germ. dialekt, aus dem die wörter ihren
Ursprung haben , sondern mehr für das romanische , das sich ihrer bemächtigte , und
für das gleichzeitige latein, das beides in seine weiten kreise zieht.
M. -L. ordnet seine studio in drei abteiluugen, von denen die erste A mit
122 uummern nach dem ersten teile der composita, die zweite B mit 43 nummern
nach dem zweiten angelegt ist, die dritte C endlich einfache namen, deminutiva und
anderweitig abgeleitete gebilde vorführt. Vier selten Schlussbetrachtungen stellen das
wesentlichste der vocalischen und consonantischen Verhältnisse des bearbeiteten Stoffes
gegenüber den jeweiligen got. vorlagen zusammen.
So reich aber diese schritt an grammatischen gedauken ist und so sehr sie
befruchtend wirken kann, so ist sie doch weder erschöpfend noch eine solche, deren
belegstellen- man mit voller beruhigung eitleren dürfte. M. -L.s absieht ist die, den
namenschatz gotischer abkuuft festzustellen, der romanische auslaut ist ihm von ge-
ringer Wichtigkeit; er bevorzugt, wo er die wähl hat, die formen mit latein. auslaut,
wogegen nichts einzuwenden wäre, aber er latinisiert auch, was sich mit philologischer
genauigkeit nicht verträgt, formen, die in den bezogenen Urkunden eben in romau.
gestalt auftreten; die urkundlichen belege, z. h. Astnialdu n. 35, Ermemirii u. 3"),
Oafildo n. 906, Gidenwndü n. 91, Soniarigii n. 35, Aiiomari aiWe drei belege mit -«',
Gitesinde n. 8 erscheinen bei M.-L. als einheitliche ?<s- formen, nebenbei noch mit
manchen unconectheiten der widergabe, wie Avemariis, Outumundus^ Soniorigus.
Eine weitere anzahl von namen, deren sich M.-L. bedient, ist, insoweit man seinen
citaten nachgeht, überhaupt nur aus patrouymicis oder Ortsnamen erschlossen, wie
Gidislus, Lividus, Rugemirus aus den patronymischen gebilden Gidislix, u. 692,
Liuidiz n. 671, Rugeniirhi n. 648, oder Logo- richtiger Logefredus, Gumila aus
den Ortsnamen in Logefrei n. 755 und in GtimHaiws n. 223, de G%imilaes n. 407,
und wenn auch diese rückschlüsse im wesentlichen als zutreffend bezeichnet werden
können, so müsste man denn doch wünschen, dass sie als solche von den wirklichen
belegen durch ein graphisches hilfszeichen geschieden würden.
Mitunter ist freilich auch der rückschluss verfehlt, denn aus dem patronymikou
Prouesendix n. 257 z b. folgt allem erwarten nach ein masculiner *Prouesendus und
nicht das femininum M.-L.s s. 26, oder aus Daildo n. 39 eher der in der gruppe 31
ohnehin verzeichnete, zu daga gestellte name als *Danildus. Ausser diesen still-
schweigend geübten freiheiten des verf., die dem credit seines materials abträglich
sind, erschüttern denselben in höherem masse die zahlreichen Verlesungen und die
nicht vereinzelte unverlässlichkeit der von ihm gegebenen Urkundenzahlen. So sind
die citate Legesinda n. 885, Fauldis n. 910, Belerigns n. 48, Frugendus n. 43,
Astcmlf u. 31 und 39, Gonfru n. 452, die drei belege für Rudmi-, Rudmaricus
n. 28, 26, 110, Trastemirus n. 13 einfach zu streichen, da die bezüglichen Urkunden
vielmehr dielesuugen Segisinda^ Facildix,, Beterigus^ Froigendo, Ataulfus, Adaulfix,
Guntrode^ patron. Rudurici, Romarigus und Romarigu, Tractemiri gen. gewähren.
Andere belege sind nicht zu finden: Obturigiis nicht unter 461, Seniorlgus nicht
unter 663 (das patronym. Seniorix n. 386 kann auf Senior n. 42 beruhen), und es
steht keineswegs fest, dass sie eben unter anderen zahlen, wie Sugerius unter 633
statt 933, zu finden seien, denn bei dem namen Leoderius z. b., der in n. 591 fehlt
ist es nicht unmöglich, dass er nur eine falsche abschritt oder lesung des in 590
stehenden Leoderigu sei.
ÜBER MEIKR-LÜBKE, ROMANISCHE NAMENSTÜDIEN 543
Unter diesen umständen konnte ich in eine besprechung der Schrift, die ja
trotzdem vermöge der gesichtspunkto, die sie aufstellt, von unläugbarer Wichtigkeit
ist, nicht eingehen, ohne mir zu den einzelnen artikelu, an die ich bemerkungen zu
knüpfen habe, das material selbst verschafft zu haben, wobei mir der wünsch nahe
trat, es möge entweder ein dritter oder M.-L. selbst der doch nur allgemein orien-
tierenden Studie eine wirkliche bearbeituug des gesamten in unserer Sammlung nieder-
gelegten germanisch -romanischen sprachstoffes folgen lassen.
Die Verbindung der namen der ersten gruppe Atrauarius n. 29, Atraidfus
n. 77 mit ahd. atar, as. adro, ags. oidre^ die ich teile, empfängt erst volles licht
aus der verkehrten Schreibung Atriano n. 56 gegen Adrianu n. 30, Adriani n. 5
d. h. weil lat. patrcin pg. imdre wird, kann gesprochenes d in latinisierender ortho-
grajjhio durch t dargestellt werden.
lu der zweiten gruppe beruhen Eüleum n. 24 (nominativ) und Eile?ma n. 48
sicher auf agila-, Agesendo n. 952 und Eh-igu n. 935 allerdings wahrscheinlich auf
agja-, doch möchte ich die got. sippe agis, unagei, usagjan beiseite lassen und
lieber germ. *agja-^ an. egg f. 'acies' zugrunde legen. Den ersten teil von Agromiri
n. 13 (genit.) erweisen auch Agroinns und Agraldin^- Piper Libri coufrat. neben
westfränk. Agrisma.
Bei den namen der vierten gruppe z. b. Euenando n. 16 ist mir kein anderes
etymon deutlich als das von got. aihica-tundi^ as. elm-skalkos.
Der einzige beleg zur fünften gruppe albi- findet sich nicht in n. 470. Die
vermutlich hierhergehörige form Albura masc. n. 117 fehlt.
Hinsichtlich der folgenden gruppe, beispiele Ahiiundis test. n. 40 (fehlt bei
M.-L.), Alatrudia n. 57, stimme ich dem verf. darin bei, dass es nicht geboten sei,
für das element al(a)-, got. in alaparba^ auf die spätere westfränk. und deutsche
contraction aal-, äl- aus adal-, Aalsendis Cluuy, Longuon Pol. Irm. 1, 277,
Alfrid neben Adalfrit Libr. confr., die der von chadal-, nodal-, madal- zu chal-,
uol-, mal- parallel geht — vgl. ChaloJi, Ulrich, Malgox, neben Chadaloh, Udalrich,
Madalgox Libr. confr. — rücksicht.zu nehmen, aber diese contraction überhaupt zu
bezweifeln, war nicht am platze.
Dagegen ist der name Aliuergu n. 142, Aliaergo cognomento domna bona
n. 502 auszuscheiden — sein erster teil wie der von Aliuertus n. 53 ist sicherlich
dissimiliertes liari- — vgl. ital. albergo 'herberge' — und bezüglich der namen mit
au-: Ausindus n. 26, Ausinda n. 623, bei denen M.-L. schwankt, ob sie gleich
npg. souto, apg. sauto n. 1, lat. saltus vocalisiertes l besässen oder als contraction
aus liadu- zu betrachten seien, muss ich bemerken, dass mir weder dieses element
noch ala- auch nur annähernd so wahrscheinlich ist, als einfache rf-syukopo vor s,
wonach dieselben in die nächste mit aldi- überschriebene gruppe gehören. Bei dieser
aber mit den weiteren namen: Auderigus n. 470, Menendo Audinix n. 220, Hou-
donius ... prineeps n. 50 (die letzteren zwei nicht bei M.-L.) stimmt die position
des glaublichen l vor consonant (dentalis) so genau zu sauto ^ dass man keinen an-
stand erheben kann, die form aude- als gelegentliche vocalisiemng neben nicht voca-
lisiertem Aldemir n. 113 z. b. zu verstehen.
Aus dem patronymikon in Bertiario Maloquiniei ic lest. n. 90 (nicht 890)
hat M.-L. einen frauennamen auf -qino geschlossen. Nun ist es allerdings richtig,
dass die Eldequina n. 57 und hiderquina n. 84 — dieselbe persönlichkeit Eiulerkina
XX. 117 — frauennamen sind, aber für -qino sind sie nicht beweiskräftig, da ry« auch
orthographische darstellung des k ist, z. b. Iquila . . . test. n. 117, somit -kina blosse
544 VON GRIKNBEKGER
suffixconibinatiou seiu kann, deren zweiter teil gar nicht got. zu sein braucht. So
lange man nicht beweist, dass Maloquiniei metronymische bildung sei, wird man
*Maloquinns ansetzen und diesen uamen den übrigen , und zwar am ehesten den
roman. Mms-formen der urkundensammluug anreihen.
Für die namen com-, gruppe 9, concurHeren ahd. ano 'auus' — und dazu gewiss
Anagast Fstm. ubch. I- — sowie das adv. a7ia-, das zugleich gotisch für Anayüdus
n. 13 am sichersten anzunehmen ist. Ein verbuni ^anagüdan 'attribuere' führt auf
die in den alten personeunamen so mannigfach variierte Vorstellung des kiudes als
geschenk. Die deutsche kurzform Anno muss man für assimiliertes Arno halten,
ebenso wol auch die got. kurzform Anna Cassiod. ; mit der vorliegenden gruppe a«a-
war sie in keinem falle zu verbinden.
In Andiarius n. 18, A)ideiro u. 1 liegt wol got. andeis ^rtlog, äy.nov , TiSQag'
mit einem sinne, der z. b. in folches at ente Hild. oder ags. heri^es on 6re wider-
kehrt, ob aber auch in Andulfo n. 75 scheint mir unsicher. Für die gr. 13 Aruomar
n. 462 (fehlt bei M.-L.), Ariialdus n. 470, Arayunti n. 4, Arulfus n. 71 hat der
verf. mit vollem rechte got. *arica- allein zugrunde gelegt, aber den namen in n. 16
— in 10 überhaupt nichts vei'gieichbares ! — liest der text Asagili^ nicht Ära-.
Asperigu n. 14 ist kein pendant zu Ascarigus n. 26, wozu übrigens Asquiro n. 359
nachgetragen werden soll, sondern composition mit dem demente, das sowol in
Asperulfo Lib. confr. als auch als selbständiger name Aspar Jorianes erscheint.
Die Variationen Ataulf iis n. 76, Adaidfus n. 32. Adulfus n. 53, selbst Aufo
(sprich Aüfo) n. 511 als ergebnisse dissimilatorischen Z-ausfalles in ajmla- zu ver-
stehen, liegt ja nahe, doch das element apana-.^ in Atanagildns n. 13 z. b., habe ich
vorlängst und meines erachtens sicherer mit got. atajmi zusammengestellt.
Das element one- (gr. 18): Onegüdu n. 653, Honorigo n. 21 ist natürlich mit
ags. ea?z-, urnord. run. auna (bracteat von Seeland) identisch.
Unsicher ist or-: Orgildo n. 592 — kein ovo- daneben, denn n. 946 hat
Orrgildo — der vergleich von Auricus bei Jordanes nicht schlagend, da au- wie in
Ausebia, J^«fsemMS Libri confr. gleich eu- sein kann\ der von an. AtcrvatidüP eben-
sowenig, da es möglich ist, dass nord. aur- auch hier auf abur- (Noreen An. gramm.
I^ § 227,2) beruht. Man könnte wol eher an eine entsprechung zu ags. or denken,
dessen vocal vortonig gekürzt als o, nicht «, erscheint. Völlig überzeugend ist die
zurückführung der gr. 21: Astramiriis n. 54, Astrualdu n. 35, Astridfus n. 20,
Astorulfus n. 81 auf austra-. wobei übrigens die apoko[)e Strulfo n. 75 beweist,
dass die vortonige conti'action im romanischen nicht langen , sondern kurzen vocal
hinterlässt. Und deshalb ist es auch ganz unbedenklich, die Schreibung mit a in
unsern Urkunden gegenüber älterem Ostrulfus der Concilsacten als historische folge,
oder allesfalls auch zu verschiedenen zeiten schwankende darstellung eines gesprochenen
lautes ä aufzufassen, wogegen die entwicklung von Astocia n. 41 durch ein Stadium
mit anlautendem o aus Etisiackia, M.-L. a. a. o., am allerwenigsten streitet.
1) Auf diesen lautwandel begründet M.-L. s. 8 note auch die apg. formen
Oseuio n. 56, 623, Olalia n. 57, ich füge noch hinzu Ogenia n. 10, 207; mit un-
recht, _ denn die mittelformen zwischen diesen und den lateinischen Enseuius n. 663,
Eulalia n. 13: Eolaliae n. 17 (gen.) und Eogenia n. 572 lehren, dass o über eo
aus eu durch verstummen des helleren anlautes entstanden sei, nicht anders wie in
vulgärlat. erminomata gegenüber der schulform crmenenmata der Appendix Probi
(Arch. f. lat. lexicographie bd. 11).
[2) Diesen von Müllenhoff nur erschlossenen namen sollte man doch aus dem
spiele lassen. Ked J
tJBER MEYER -LÜBKE, ROMANISCHE NAMESSTÜDIKN 545
Ortrefredus n. 35 ist mit der grappe keinesfalls zu vereinigen, der name ent-
hält zweifellose /-assimilation zu r und beruht auf *oltre-, got. *wulpri-.
Ich greife auf die gr. 20, ans- nach M.-L.. zurück. Die uamen Osgildi (lat.
gen.) n. 407 und Osorio ebenda können m. e. got. us- enthalten und zu usgildan
einerseits und einem verbum *usn-arjan anderseits gehören.
Aber Osoredo n. 27 erfordert allerdings andere bourteilung, nur dass man nach
den unten zu Oseuio gegebenen aufklärungen nicht gezwungen ist, eine uubezeugte
got. grundform *ausa- anzusetzen, sondern mit der aus iusixa und iusila sich tat-
sächlich ergebenden form *iusa- auskommen kann, die im apg. ebenso oso-
werden konnte, wie teode- gelegentlich zu tode-, todo- wird. Gehört nun dazu auch
Asoredi (gen.) n. 420, so wird man berechtigt sein, Asualdo n. 952 derselben gruppe
anzuschliessen. Die etymologie von Oduarius n. 19 scheint klar. Der zweite teil
ist ein stm. nomen agentis zu got. uarjan; i<;- Schwund zeigt Odario neben Oduario
in n. 14. Die kurzform in n. 634 hat prothetisches h: Huario^ aber n. 619 bietet
allerdings Uario; ihre Zugehörigkeit gerade zu dem compos. mit od- im ersten teile
ist natürlich nicht ausgemacht. Der n&mQ Auomari n. 79, 281, Abomari n.2b^ hat
eine parallele in wand. Visumar bei Jord., abzüglich der pg. nominativbildung auf-*'
vermutlich aus lat. -em. Genauer ist die parallele von Vimara masc. n. 17 zu got.
Erpamara gleichfalls bei Jordanes. Der zweite teil dieser bildungen ist ohne zweifel
germ. ?war/ia- 'ross', M.-L.s gleichung von auo-, abo- aus *aue-, das ich jedoch
nicht belegt finde, mit got. aivi- ist zwar nicht augenfällig, aber nach Ildosindo
n. 885 mit secundärem o in der compositionsfuge allerdings möglich.
Barualdo n. 117 könnte mit Vermudus n. 20 nur unter der bedingung in eine
gnippe gehören, dass das e des zweiten namens vortonige erleichterung aus a' sei, wie
etwa in Beilid n. 880 gegen Valid n. 68, Abul Ualit n. 95, oder 1/rgesettda n. 952
gegen ursprüngliches Arge- in anderen compositis. Nicht verzeichnet ist bei M.-L. der
name Uirlemimdo n.35, der ein secundäres namencompositum mit *Birila zu sein scheint,
sowie der zweite name des patronym. systemes Tanoy Braolioiii . . . conßrmo n. 17, der
sicher germ. ist und aus got. brahw '-{- lat. leo als got. lehnwort bestehen kann.
Die namen der gr. 30 Bretenandus n. 81 imd Bretus n. 10, 21 werden durch
Brechts n. 223 (fehlt bei M.-L.) als metathesen aus bairhta- erwiesen. Ebenso sind
Daildu n. 49 und Damiro n. 59 wand. fem. Dümirä sichere Synkopen aus daga-
(vgl. die Synkope in Deiluo M.-L. s. 24), der zweite name deutschem Taganiar Libr.
confr. entsprechend, nicht überraschender und für den got. dialekt ebensoviel oder
wenig beweisend wie Aufo neben Adaulfus. Die gleiche Synkope begegnet übrigens
auch in ahd. tälanc.
Der erste teil von Donadildi n. 35 erinnert sehr an Ouanadildi n. 69, ist
aber doch ungleich dem zweiten als romanisch Donado test. n. 47 zu fassen, guanad-,
bei M.-L. gr. 110 als walha- missyerstanden, als frauenname auch in Giianadi {uomi-
nativ) n. 75 lebt in den deutschen namen Vuanathere Libri confr., Wonadheri Dronke
u. a. bei Fstm. I*, 1635 fort und ist mit as. ivonodsam, tvunodsam in beziehuug
zu setzen. Die gr. 38 reducieii sich von zwei auf einen namen Fagildus n. 81,
Fagildo n. 14, dessen erster teil got. faiva- ist.
Unter gr. 42 erfahren wir, dass u correcte galizische Umgestaltung aus oi sei,
dass also die Fruila n. 46 und Frugulfus n. 18, Frcgufa test. n. 935 neben Fro-
gulfu presbiter n. 54 sich anstandslos unter frauja fügen. Da aber die eiste form
auf *fraujila beruht und in der zweiten das j als g geschrieben noch da ist, da
ferner die hierhergehörigeu Fraiulfo n. 883 und Fragulß (gen.) u. 4 kein u zeigen,
ZKITSOHRIKT F. L1EUT.SCIIE PHILOLOOIE. BD. XX.XVII. 35
546 VON GRIENBERGER
wird man wol besser tun, hier nicht von einem gelegentlichen wandel von oi, son-
dern von 0 zu u zu sprechen. Frogetia n. 57 ist natürlich gleich der Godegeua
(uxor sua) n. 554 ein frauenname auf giba, dessen sinn der in derselben n. 554
stehende frauenname Doradea beleuchtet. , Dass der name Fernandus n. 521 nur
metathese aus Frenandus n. 50 und dieses silbische Synkope aus Fredenando n. 91 sei,
wird durch die Urkunde n. 76 bewiesen, die für ein und dieselbe person im regestencodex
Livro de D. Mummadona die form Fernandus , in einer abschrift des 12. jhs. aber
Fredenandus gewährt. Demnach wird es mir, auch mit rücksicht auf ags. -ferS aus
-freS, recht wahrscheinlich, dass zum mindesten für as. Ferthesuth^ aber vielleicht
auch für langob. Ferdulf Paul. Diac. und rüg. Fcrderuchus Eugipp. kein von fripu-
verschiedenes element behauptet werden dürfe.
Aber die namen Fradiulfus n. 89, Fradixillo n. 655 (a:; = s), Fradäa n. 32
sind allerdings auszuscheiden und auf grund von got. fraßi '■vovg, (fQÖvij/na' zu
erklären.
Ftdderone ist kein compos. mit runa^ wie M. -L. s. 75 glaubt, überhaupt kein
frauenname, sondern nach n. 25 de suos parentes nominibus suis Ftdderone et Palma
ein mannsname, der lat. als *Fuldero anzusetzen wäre und zu dem bei Otfrit vor-
kommenden nomen fidter (Graff 3, 517) gehört.
Von Wichtigkeit ist der unter gr. 46 erbrachte nachweis der rom. entwicklung
von 0 zu c in vortoniger silbe: span. hermoso aus lat. formosus auch für die per-
sonennamen. der uns der aufgäbe entbindet, für Fremosindo n. 570 neben Fromo-
sindo n. 255, Fromaricus n. 88 ein von got. fruma- verschiedenes etymon zu suchen.
Dieser Übergang, zu dem man npg. redondo, apg. o. n. Redondela n. 27 neben satdo
rodondo n. 1, sowie pg.-lat. previsores n. 17 für provisores halte, lehrt zugleich
das Verhältnis der von M. -L. fälschlich unter fairhwu- eingereihten namen Perui-
senda n. 91 und Pronesendix n. 257 als ein solches von doubletten mit einem ele-
niente *proue- verstehen, dessen Ursprung wol in lat. pröbus und zwar möglicher-
weise als got. lehnwort *pruba- gesucht werden muss. Hierher gehört wol auch
der häufige name Menendus^ den ich mit lat. Monendus (irischer bischof, zum 21. märz
Stadler heiligenlexicon) gleichsetze.
Der name Gafildo n. 906 ist mit Gabuard Fstm. I-, 562 zusammenzuhalten,
nur dass er im ersten teile nicht eine entsprechung zu ahd. gdba enthalten kann,
sondern eine kurzvocalische ableitung aus giban wie got. in gabei^ gabeigs. Unter
gr. 48 sind offenbar zwei stamme gemischt, von denen der eine domna Oeolidra
n. 621 die grundlage von got. jiuleis zu enthalten scheint, der andere Gilemirns
aber allerdings vortoniges i durch e aus germ. ai besitzen kann, wie npg. igual aus
lat. aequalis^ nur dass man in diesem falle sich mit got. *gaila-, enthalten im vei'bum
gailjan^ begnügen wird, ohne ein sonst nicht erweisbares wort mit der bedeutung
'Speer' aufzustellen. Langobard.-fränk. gaine-, gain- ist contraction aus ^a^'iVw; da
agila-, sonst eil-, in Elleuua n. 680 als el- auftritt, ist es in der tat möglich, dass
der erste teil in Gemdfo n. 952 auf demselben elemente gagina- beruhe, ebenso der
von M.-L. s. 86 als * Getto erklärte frauenname Genlo n. 619 u. ö. Zu dem unter
gr: 51 erwähnten langobard. werte gaida könnte wol die kurzform Geda u. 56 (M.-L.
s. 86) gestellt werden und bei dem singulären magister Galaminis n. 952 bin ich
versucht, falls nicht doch ^ ^ german. ir ist, an den volks- oder auch p.-n. Gallus
zu denken.
Die gruppe 54 reduciert sich auf einen namen Gosuldi (gen.) n. 93, der vorher-
gehende lautet n. 88 richtig Goiiiiirus^ gehört also zur folgenden gr. gauja-. Die
ÜBER MEYER -LÜBKE, ROMANISCHE NAMENSTUDIEN 547
auffassung von gucle- als göda- (mit ü aus ö) und von gode- als guda- (mit ö
aus n) ist theoretisch richtig, aber eine strenge Scheidung nur auf grund der apg.
vocale verbietet schon die nicht vereinzelte Schreibung Oudesteo n. 54 neben Oodesteo
n. 52, abgesehen davon, dass ja die vocale der Stammsilben im pg. nicht mehr nach
kürze und länge geschieden, sondern in der vortonigen position einheitlich kurz sind.
Dass übrigens M.-L. s. 79 die masc. form im sinne von ego faniulo dei n. 940 (oder
serbus dei u. 9), die fem. nach ego fa7nula dei n. 511 erklärt und einem zu got.
stiwiti gehörigen demente hier keinen räum gewährt, kann icli mit rücksicht auf
die deutschen analoga Cotesdegan, Cotesinan, Cotesscalc, Cotesdiii Libri confrat. nur
billigen.
Die formen mit inlautendem /, wie Cniteinondo n. 91 , bieten, insoweit sie zu
goda- gehören, verkehrte Schreibung der dentalis, wie Ermefrety n. 27, die man aber
wegen der zwischenvocalischen position besser mit Alam test. n. 287 gegenüber Adaum
n. 24 als mit dem beispiele M.-L.s illustriert, d. h. ein lat. orthographisches t ist wegen
des Überganges beispielsweise von retcm zu npg. rede hergestellt, wie umgekehrt in
das latein , der Urkunden, z. b. in terridorio, toda, podestade (n. 206), die pg. sprech-
form eingedrungen ist. Doch bin ich nicht sicher, ob nicht Cutwn presbiter n. 79
besser auf den gotennamen bezogen würde, der mir in dem patronym. Outüyx n. 27
für *G/(tä)iiz doch recht wahrscheinlich ist. In gr. 59 ist die cousonautische inten-
sitätsverminderung im Inlaute bei Oiindebredo n. 13, Cmndubn'du n. 24 gegenüber
anderen compp. mit -fredo zu beachten. Das patvunymikon von Nanu Ouiidix,idiz,
test., so richtiger n. 696, wird in der tat ein comp, mit Zidi eutlialten. Die zurück-
führung des ersten teiles von Astileoua (uxor tuet) n. 247 und Astitplio n. 8 auf
Iniifsti-, beziehungsweise eine form dieses wortes ohne /", leuchtet mir wenig ein.
Eine solche auf ansti- scheint mir sachgemässer, und wenn auch n vor s in den
namen mit ansi-: Ansemundus und Anssenwndus n. 13 z. b. , erhalten bleibt, so
steht es doch hier oonsonantisch gedeckt unter anderen sprechmechanischen bedingungen,
die seinen schwund erklären können.
Ein schöner gewinn ist die gleichung des elomentes argi- gr. 62: Argileuua
n. 60, Argerigu n. 112, Ariulfo n. 90 mit harja-, doch sind die Arualdus n. 63,
Arulfus n. 71, Argu'ro n. 6 besser bei arica- unterzubringen, während Argilo
(filia) u. 258 allerdings *Rarjilo sein wird.
Germ, hasiva- als basis der gr. 63 i.st unwahrscheinlich, aber hadu- ist in
Adosenda n. 588 z. b. sicherlich unverkennbar. Die subsumierung von Eronius n. 68
unter, das thema hairu- ist angesichts der formen Edcroiiio test. n. 675 und patronym.
Edero?iix, Eeronix n. 942 nicht möglich. Wir haben es bei diesem namen doch wol
eher mit einer fortbildung aus einem zum ags. edor entsprechenden worte zu tun.
Itimondo n. 89 hat wegqn Idilo (oxor tua) n. 105 verkehrte Schreibung der
dentalis und kann etymologisch das got. praefix id- enthalten.
Bei liuha- und liuda- gr. 72, 73, sowie vorgreifend bei ßiuda- gr. 103
sind die gelegentlichen vortonigen Veränderungen des diphthongen eo: Leovesendo
n. 71, Leodemundo n. 21, Teoderedu n. 58, zu e: Leuccoto (mater vica) n. 688,
Ledegundia n. 616, Tedegundia n. 424, zu o: Louegildo n. 21, Loderigu n. 555,
Todemondi gen. n. 25, mit vocalharmouischer angleichung dos compositionsvocales
Todomiro n. 105, endlich zu u: Lluuigildi n. 24, Tudcsindo n. 179 anzumerken.
Aus dem patronymikon Loticneiut n. 374 ergibt .sich der bei M.-L. fclilcnde namo
*LuueHeus got. '" Liuba>iii(s.
35*
548 VON GRIENBERGER
Der in dem patronymikon von Johannes Liuidix n. 671 gelegene name darf
vielleicht als *Liv-iddus verstanden werden, d. h. er enthält die bei Eddeges neben
Eldeges n. 79 vorkommende assimilierung dd aus Id in vereinfachter Schreibung.
Aus dem o. n. inter Duniio et Lesmiri, in termino de Lesmiri n. 17 scheint
sich ein p. n. *Lesmt^re?n zu ergeben, dessen erster teil leicht auf */eos-, got. */msa-
als entsprechung zu an. Ijoss zurückgeführt werden könnte. Der name Mirualdo fest.
n. 122 mit anlautendem mers fehlt bei M.-L. Der name zu muni-: Monobreda n. 887
lautet in n. 486 ursprünglicher Monebreda, woraus sich ergibt, wie M.-L. s. 100 — 101
mit recht bemerkt, dass dunkler compositionsvocal an stelle eines älteren hellen pg.
assimilation oder vocalharmonie ist. Naltildus lest. n. 63 ist um so sicherer nach
Flomarico n. 5 neben Fromarieus ebenda (ein und dieselbe person!), nach Fla-
gildu n. 28 .zu got. fragildan, i. b. nach plolis n. 470 für proles als r-dissimilation
zu beurteilen, als Pol. Irm. Longnon 337 eine zugehörige Narthildis nachgewiesen ist.
Noliuado n. 89 mit dem offenbar griechischen namen Naulibatus'^ zu identi-
ficieren, halte ich nicht für ratsam. Da in unsern Urkunden gelegentlich pg. l für
got. d auftritt, z. b. kasale Oundefreli n. 13, möchte ich doch am ehesten noli- mit
got. naudi- gleichsetzen.
Die bedeutung von ufta- in germ. personennamen ist die von griech. nvxvög,
wie ich wol schon einmal nachgewiesen habe.
Inwieweit für die kurzformen unter gr. 84 z. b. Quitila n. 28 an got. qipus
gedacht werden soll, ist zweifelhaft; für ein compos. wie Quetenando n. 294 kommt
natürlich nur das dem an. liviSa entsprechende got. wort in betracht.
Die namen der gr. 87: Ranimirus n. 61, Ranosindi nominativ n. 27 enthalten
ein dem an. neutr. rän 'raub', ahd. in rahanen 'spoliari', entsprechendes *rahna-^
so schon der run.-got. Ranja (Müncheberg). Das anlautende dement in Regaulfi gen.
n. 281 erweist sich nach uilla de Ragolfe n. 130 als vortonige Veränderung einer
form mit a, die ich mit anlautendem iv: *tvrag ansetze, mit ostgot. Oraio^ OvQuTag
Lit. bl. f. germ. u. rom. phil. XII, 335 verbinde und als ablaut zu got. wrohs erkläre.
Die gr. 89: Recaredo n. 52, Riquila n. 91, Recemondus n. 107, patronym.
Raxamondix ü. 696, die zum teil den got. Ä;-laut bewahrt {qu=^k!)^ zum teil den
wandel der palatalen affricata zu x zeigt, und zwar in dem letzten beispiel auch vor
secundärem themavocal a an stelle eines älteren e (M.-L. s. 100, der auch reca- als
re^a- fasst) bringe ich mit got. icrikan '■Svusxhv' zusammen, wozu sich nominale
bildungen got. wraka stf., wraks stm., ahd. tvreh adj. 'esul' nnd garih m. 'ultio, poena,
defensio' dai'bieten. Die doppelform des stammvocales der apg. namen kann also
auf ablautenden repräsentanten der sippe beruhen, die von M.-L. geforderte gemina-
tion des k aber auf folgendem _; wie in got. wrakja; doch möchte ich selbst got.
wrekei swf nicht ausschliessen, da das aus wulfil. e entwickelte westgot. 1 in der
vortonigen Stellung gekürzt wird.
A.hev Recimefredo n. 28 gehört nicht in diese reihe, sein erster teil ist augen-
scheinlich got. airkna-^ ahd. erchan-, mit metathese des anlautes, vorgebildet in
ahd. Eraehanfrid Libri confr.
Der aus dem patron. Rugemirixi n. 648 zu folgernde name enthält wol got.
tvrohi- im ersten teile.
Bei den namen mit sigis- gr. 95: Segemundus n. 52, Sigericus n. 71, Sege-
fredo n. 400 (fehlt bei M.-L.) ist der neutrale s- stamm in der composition als
1) Vgl. vavocßditjg, vccvßicT)]g 'Schiffer' und -ßcnog Fick-Bechtel s. 78.
ÜBER MEYKK-LÜBKE, ROMANISCHK NAMENSTUÜIBN 549
«■-stamm behandelt, nicht anders denn griech. tu (ot/ioi in dev composition foeßoffv/jg,
^tußCänig als o-stamm, und dieser Vorgang ist nach 8tva.hos ZtyiuoDvToi; schon alt'.
Da wir aber andere gleichfalls alte composita kennen, die entsprechend dem
got. sigislaun den unverkürzten s- stamm enthalten, wie Sigismereiti acc. bei Cassiod.,
Ziyi'aßiQTog bei Menander, so ist es wol wahrscheinlich, dass in den formen unter
gr. 89 Sisiiado n. 91, Sis7nir n. 104, Sisuandus n. 435 der ahd. contractiou Si-holt
Libr. confr. aus sigi- entsprechend contrahiertes sigis gelegen sei und nicht einmal
formen mit mittelvocal, wie Sisiuertus n. 89, wären unbedingt einem anderen de-
mente zuzuweisen, da es nach den aus s- stammen erwachsenen got. stff. aqixi,
jukuxi auch ein erweitertes *sigixi, vieUeicht mit besonders abgetonter bedeutung
gegeben haben kann.
Der lautwert des se in Scclemondo n. 5 ergibt sich aus scimitermm n. 407
gleich sonstigem z oder npg. p. Da, wie wir sehen werden, mit diesem laute
romanischer horkunft auch germ. s bezeichnet werden kann, möchte ich den vor-
liegenden namen als apokope aus *Oiscele-, * Oiselemondo erklären.
Das etymon der gruppe 100 ist hinfällig; der einzige name derselben Suimirus
n. 77, 82 hat pg. ?«-syukopo und gehört zu sunja- gr. 102. Dass aber Similla test.
n. 570 zu dieser gehöre, ist nicht so ausgemacht, wahrscheinlicher ist doch sunus die
grundlage dieser deminutivbildung. Die vereinzelte Schreibung Zoderedo n. 595 wird
sich weder gleich Zurgils, Zurgrhn, Zore libr. confr. als Substitution von x für
germ. p noch wie ostgot. Txalico^ Zeia neben Theia, Tladgüo, Thüarix als roman.
entwicklung x aus germ. aspirata V (Lit. bl. f. germ. u. rom. phil.- XII, 334) erklären
lassen, sondern eher nach wand. Stotxas als assibilierung von teö- in Teoderedu n. 58
zu x6-. Die beziehung des patronymikons Trasteinirixi n. 273, des frauennamens
Trastalo cocnomentiim Trastina n. 60 auf got. prafstjan ist natürlich in Ordnung;
wir werden ein fem. *ßrafsti' zu erschliessen haben.
Aus dem got. abstractum auf -ei (Skeir. 45) folgt ein adj. *prasabalps, zu
dem der p. n. Trasmiro n. 21, mit verkehrter Schreibung Transmirii n. 883, eine
genaue parallele ist. Die formen Tramiro u. 111, Tramondu n. 7, Trarigu n. 26
zeigen die entwicklung von lat. träueho aus träsueho gespi'ochenem transuelio oder
npg. tranar. Got. *prasa ist als stf. verbalabstractum anzusehen.
Für den ersten teil von Tundulfus n. 60, Tumtiddo n. 4 ist der appellativische
wert des öSinischen beinamens Pundr , gen. Pundar massgebend, der sich aus dem
zusammenhalte mit dem fl. n. Pimd als dentale ableitung zu ags. [junian 'donnern'
feststellen lässt.
Auf grund des romanischen vortonigen e aus o (u) ist M. -L.s erkläruug von
Esdulfu n. 1 als Ortolf tadellos und nach dieser gruppe (109) wäre wol der über-
sehene name Qualatrudia n. 140 (mit qu = uu) zu behandeln gewesen. Ebenso nach
gr. 111 oder mindestens in der ^Yrt-gruppo s. 92 der name Guardila Destrigox n. 410.
Dass das erste element in Uidragildus n. 29, Uedragese gen. n. 4 gleich dem
in got. wipranairps sei, ist nicht zweifelhaft. Die dentalis (/, für die man t envartete,
ist wol romanische erweichung nach dem bereits erwähnten beispiel pg. padre aus
lat. patrem. Nach den namen mit wilja-, vgl. got. *wiljahal[js ^ gr. 116, denen
gewiss auch der in n. 25 auftretende diuidit cum domno Uilifi — von M.-L.
unter 112 angeführt — zugehört, durch die form de Viluß n. 27 aus Viliidfus n. 5
vermittelt, fehlt eine gruppe für Ovimarigus n. 03, Oimaemirus n. 395, Uiinaredo
[1) Vgl. jedoch Arkiv f. nord. filol. 4, 34. Red.]
550 VON GRIENBERGEU
n. 110, beziehungsweise, falls das w wie in npg. uma nasalieruug ausdrückte, die
aber hier wie in den.pg. beispielen M.-L.s s. 71 secundär wäre, eine entsprechende
bemerkung unter uia- gr. 112. Abstraction eines pseudoelementes *wima- aus Vitnara
n. 4, M. -L. s. 73, halte ich für nicht annehmbar. Das deminutivum zu wistra-
gr. 118 *Wistrila habe ich nur in der form Uisterla z. b. n. 105 (auch mit II) ge-
funden. In n. 717 steht zweimal Uistilla^ das man aber doch wol selbständig be-
urteilen muss. Eine nebenform mit /i;-suffix ist Vistei-ga n. 1.
Der name unter gr. 121 got. umlpri- kommt nur als fem. vor domna Ooldro-
godo n. 87, de matre mea Gnldregudu n. 886, ego Ixila ei Oolderegodo (ehepaar)
n. 935. Die masc. form M. -Ls ist zu tilgen. Der name zviwulpu- gr. 122, Ooldoauo
n. 723 zweimal, dessen zweiter teil auf -hadus beruht, zeigt secundäre hiatusfüUung
mit schwach artikuliertem, mehr bloss orthographischem u.
Die beiden uameu auf *-bergo M. -L. s. 56: Aliuergu und Adadmergo
-utiergo n. 724 (bis), nach den bezüglichen texten zweifellose frauennamen, können
nur got. swfl'. sein. Der erste teil des zweiten namens ist vielleicht in *Acladi- zu
berichtigen gleich dem elemente Acled- im Pol. Irm. Lougnon s. 291.
Die form Pederagildu n. 137 M.-L. s. 60, zu der die Libri confr. die parallelen
Pedarberga und Pederberto gewähren, enthält wol den p. n. lat. Petrus in roman.
gestalt apg. Pedro n. 466, nicht das appellativum npg. pedra aus lat. ^9e<r« 'stein'.
Dass man aus dem patronym. in Quitüa Teodisdi n. 28 nach dem nominativ
Uidisclum n. 21 einen namen *Teodisclus folgern müsse, ist richtig, aber die cor-
rectur zu -isclus hat sich keineswegs auch auf die beiden anderen belege eines vielleicht
einheitlichen namens Gidisliz und Uidisilu n. 331, Uedisilo n. 115 zu erstrecken,
die eben germ. glsla- z. t. mit secundärvocal zwischen s und / besitzen. Dieser
bildung schliessen sich auch die von M.-L. nicht erkannten raasculinen composita
Fridixillo Egikaxi (famulo dei) n. 649 und Fradixilo test. n. 655 an, die nach
dem s gesprochenen etymologischen x in Exemeno n. 119 gegen Ecemeno n. 147,
Semena n. 58, lat. Eximinus n. 689 verkehrtorthographisches x für s besitzen, somit
*Fridisilo, *Fradisilo zu sprechen und zu betonen sind.
Der Ä;-einschub in -gisclus, -isclus ist nach ahd. sclagan für slagaii^ be-
ziehungsweise nach lat. Selaueni, Viscia zu beurteilen; dass er gesprochen wurde,
ist nach ital. schiavo fraglos, aber als wandel von sl zu sei kann man die entwick-
lung eines parasitären lautes nicht bezeichnen. Der einschub des consonanten hat
sich vermutlich in den flexivisch gedeckten casusformen entwickelt, während der
secundärvocal -gisil zuerst im ungedeckten vocativ eingetreten sein wird. Den zwei
fem. namen mit -godo, -giidu und -coto^ so richtig n. 688, d. i. *-guto^ schliesst sich
der masc. Sesgudus n. 39 an, der auf *Sigisguta beruhen kann und eine latini-
siening, im resultate wenigstens, wie Minixus ist.
Der meinung M.-L.s, dass die formen auf -gundia: Astragundia n.5, Leode-
gundie prolis Eroni . . . confirmo n. 159 got. accusative darstellen, kann ich nicht
beitreten, -gundia ist vielmehr latinisierung der nationalen form *-gmipi, die in
Aragimti n. 4 mit der zweiten romanischen nominativbildung -i aus -em zusammen-
gefallen ist, und -gimdie ist echt pg. lautbezeichnung des im auslaute wie e ge-
sprochenen lat. ä. Wenn dem vorwiegenden -gundia der apg. namen langobard.-
latein. -gunda (Brückner s. 263), fränk.-latein. -gundis (so durchweg in Pol. Irm.
Longnon s. 326) gegenübersteht, so beweist das nur, dass bei den fränk. namen,
deren nationale basis -gundi sein wird, die andere art der latinisierung nach der
t-decHnation beliebt wurde, die wir in den pg. namen bei -hildis treffen, und dass
ÜBER M1<:YER - LÜBKE , ROMANISCHE NAMENSTUDIEN 551
im langobard. das auslautendo i wie im ahd. verstummt war, weshalb die latini-
sierun«; uach der lat. a-doclination erfolgte. In der gleichen weise erklärt sich älteres
fränl{.-latein. -meris z. b. bei Gregor von Tours, alemann. -lat. (Ammianus) und langob.-
lat. vorwiegend -marius (Brückner s. 281) aus nominativformeu auf -«, wälirend das
Tvestgot. -latein. -viirus der pg. uamen, sowie das spätere westfränk. -mancs des
Pol. Irm. Longuon s. 350 fg. auf got. mUrs. westfränk. Diür mit Wegfall des thema-
vocales zurückgeht.
Der name Ansito test. n. 672 ist klärlich eine romanische deminutivbildung
mit ^-Suffix wie Garitus n. 111 zu carus, Bellita fem. n. 595 'mbelliis, Uelasqiiefa
n. 97 zu Vclnsco n. 185, Jouito n. 67, ferner auf germ. basis Goglto u. 219 {(iogio
u. 952), Alderetto n. 67 oder Carlittus Fstm. nbch. I^
Zur a?-M<s-gruppe s. 64fg. ist Truitero n. 16 nachzutragen, mit monophthon-
giening {-ero aus -eiro) ähnlich wie vortonig Elleuua n. 680 neben eil- (arjila-),
ferner Venedario n. 109.
Die namen auf -atiis^ insoweit sie auf germ. -hadtis beruhen, wie Viliatiis
n. 6 gegen Uiliado n. 10, haben wider verkehrte Schreibung: orthographisches t für
gesprochenes c?, die auf falsclier anwendung der richtigen relation lat. in omnique
circuitu u. 9 z. b. zu pg. -lat. in omne cireuidu n. 21 beruht.
Das in Monderico n. 5, langob. mnnduald anlautende, in Segcmundus n. 52
auslautende element scheint mir wegen des wechseis von -mundus und -mndtcs, in
der Überlieferung einzelner hierhergehöriger namen, z. b. bei Jordanes, nicht als
gevm. *mtmdux, 'band, schütz', sondern als eine dentale ableitung zumunan^ got. im
stf. gamimds und im adj. *ainamunds aufgefasst werden zu sollen, so dass also der
begriff der über etwas ausgeübten gewalt aus geistiger tätigkeit 'denken -an etwas,
sorgen für etwas' abgeleitet wäre.
In gleicher weise beurteile ich die composita Bretenandus n. 81, Euenando
n. 16, Fredenando n. 91, Fredenanda ebenda, Quetenando n. 294 als bahuvrihi-
bildungen mit dem in ahd. nande 'temeritate' bezeugten abstractum, und es ist wol
anzunehmen, dass diese zweiten teile im compos. des öfteren persönliche bedeutung ange-
nommen haben, wie das bei den bildungen mit -sinßs der fall ist, die durchgängig
den übertritt des ursprünglichen nomen actionis zu einem persönlichen nomen agentis
'genösse': Teodesindus n. 44 'Volksgenosse', Gondesindus n. 12 'kampfgenosse',
Ergesenda u. 952 'heergenossin' zeigen. Auf einem älteren stände scheint mir nur
Gitesinde n. 8 (mit g für gn?)^ ags. Widsid sich zu befinden, mit der bedeutung
'der weitgereiste', hi Span usindo n. 64, dessen erster teii Hispaiins ist, scheint sich
das zweite element zu einem bloss ableitenden: 'Spanier' zu entwickeln.
Die ursprünglichkeit des elementes *salwa-, ahd. salo, in Gundisaluus n. 2,
Gunxalvo n. 648 wird wol dui'ch die appellativische durchsichtigkeit des composituras
'proelio fuscatus' empfohlen. Das comjws. mit -skalks: Guiscalco n. 585 fehlt.
Doppelte nominativbildung zeigen die paar namen auf *-prüdi: Alatrudia
n. 57 (vgl. coniugea vica n. 5) und Guntrode n. 523, Gontrode n. 522 (lat. -em).
Für die gruppe auf -ualdiis M.-L. s. 81 bedarf es keines germ. abstractums
auf u, sondern es genügt das in an. All-, Herualdr bezeugte, poet. auch uncompo-
niert vorkommende nomen agentis ualdr mit a-thema. Silualdn n. 48 kann mit
ahd. selbwalt f, 'arbitrium, priuilegium', -ig adj. 'über' verbunden werden, der zweite
teil in Arguiro (masc.) n. 6, got. in *tu>i,ivers^ kann unmöglich 'freundlich' bedeuten,
wol eher 'treu', nach an. vdravargr 'a trucebreaker'; germ. ^icinix hat kein
langes l. Für den aus dem patronym. Doslrulfixes n. 110 zu erschliessenden namen.
552 VON GRIEN BERG ER
der im ersten teile mit de Destrico n. 952 sich decken kann, ist das nebeneinander-
bestehen der Schreibungen de Egas et de Esparilli und « Degani et Dcsparilli in
ein und derselben Urkunde n. 952 in dem sinne beweisend, dass es sich um au-
schleifung eines nicht zum uamen gehörigen d handle.
Das entschiedene urteil M.-L.s, dass die namen des typus Framuldo n. 109,
Sesuldu n. 41 nur got. wulßus ^Sö'^a (alem. vielleicht in Gibuldus bei Eugippius)
oder Imlps^ nicht auch -ualdns enthalten können, möchte ich nicht unterschreiben.
Dem zweiten der beiden namen steht Sisualdo ^. 71 doch ebenso nahe als got. -lat.
SigisHolthiis und Übergang von ua zu tc, auch unterm romanischen hochton, be-
ansprucht M. -L. s. 37 doch selbst bei Eldura (uxor) n. 583.
In der gruppe der deminutiva mit /: masc. Ansila n. 5, fem. Froilo n, 12 ist
einerseits doppelschreibuug des suffixconsonanten Attilla n. 19, Froilla n. 89, ander-
seits ausfall desselben Biquio (fem.) n. 8d7, Faßa n. 633, endlich synkope des suffix-
vocals Ouadla n. 146, Frola n. 86 (mit dem Froila von n. 60 identisch), sowie die
seltene, von der historischen Orthographie abweichende darstellung des suf fixes -ila
durch -de, z. b. Leobele Sisiiulfix n. 180 zu beachten, die auf der pg. ausspräche
des auslautenden a als e beruht. Bei M.-L. fehlt nicht nur dieses demimitivum,
sondern auch andere, wie Tanquila n. 219 oder das zu erman- gehörige, dem
ahd. Imilo 11. jh. Fm. nbch. P entsprechende Emila n. 57. Die ausführungen des
verf. zu Giandila n. 4 sind gegenstandslos, i. b. der verweis auf das wort der spange
von Charnay {liano nach Wimmer, nicht kiano!)^ denn der name ist (^andila zu
lesen und nur eine andere Schreibung für Sandila (z. b. n. 432).
Bei den /-deminutiven hat M.-L. auch die frauennamen auf -?7^i untergebracht,
die er s. 95 als entsprechuugen zu den ahd. neutralen deminutiven auf -ili erklärt.
Aber die herkunft der bildungen auf -Uli, deren auslaut im sinne des pg.
wider nur lat. -em sein kann, wird durch das nebeneinanderbestehen von Astrildi
n. 24, Donadildi n. 35, Trasuildi n. 29, Trudildi n. 21 und Astrilli n. 10, Dona-
dilli n. 222, Trasilli n. 885, Trudilli n. 14, 16 vollkommen einwandfrei in dem
sinne gesichert, dass die endung Uli-, vereinfacht auch -^7^, als assimilationsproduct
aus dem zum Suffixe gewordenen zweiten namensteile got. *-hildi zu betrachten ist.
M.-L. nimmt daran austoss, dass weder im pg. noch im westgot. eine derartige
assimilierung kl zu // anderweitig nachweisbar sei. Dieser einwand aber wiegt nicht
schwer, wenn man sieht, dass auch die namen auf -gildus dieser Umformung unterzogen
werden, wie in Oresconio Ermigilli n. 109, ego Aluitu Toegüix n.926, und dass die-
selbe sich nicht bloss innerhalb unserer apg. urkuudensammlung, sondern auch ander-
wärts findet, wie Vlfgillus und Bertegülus Libri confr. , Bertgilus Pol. Irm. Longnon
s. 291, welche letzteren namen ich schon A.f.d.a. 27, 136 in diesem sinne erklärt habe.
Dazu kommt, dass die gelegentliche apokope der auslautenden dentalis nach
liquida oder nasalis in deutschen namen Adalhel, Adalhil, Alpol, Aspran neben
Adalheld, Adalhild, Alpold, Asprant Libr. confr. ein ohne zweifei verwandter, auf
assimilierung beruhender process ist, sowie dass sich die neben diesem assimilatorischen
abfall bestehende andere art der gelegentlichen behandlung des auslautenden Id, das
ist die assimilierung nach dem zweiten consonanten, wie Abirhit, Adalhid, Albhid
neben Abirhilt, Adalhilt Libr. confr.; langob.-run. Oodahid (Bezenye), ausser in
Eddeges^ wo die position eine andere ist, doch wenigstens einmal in dem apg. frauen-
namen Nantidia u. 306 belegen lässt, der allem ermessen nach auf eine vorläge
*Na')ip(h)iddi zurückgeht, sowie dass wir auch eine assimilierung sinpa- zu *smna-
in Sennamiru n. 46 nachweisen können.
ÜBKK MKYEU-LÜBKK, HOMANISCHK NAMKNSTUDIKN 553
Die genesis der ableitung -Uli aus -iUH unterliegt demnach gar keinem be-
denken, desto grösserem aber, dass die hierliergehörigeii bildungcn jemals deminu-
tivisch gemeint waren. Gewiss nicht im germ., wo sich ein zum suffix entwertetes
dement -hildi gleich ableitendem, keineswegs deminuierendom -olf und -hold ver-
halten nuissto and in diesem sinne sowol in Spothild fem. 10 jh. Fm. nbch. I^ als
auch in dem als o. n. fixierton frauennamen Schanthüt, heute Schantill in Salzburg
begegnet, aber auch kaum im romanischen, wo der Übertragung eines deminutiven
wertes von selten der wirklichen deminutiva ego . . . pusilla Munna n. 107 oder
Nunillo n. 29 neben Nunitu n. 450 zu Nunu n. 69ü her doch die im verschiedenen
auslaute begründete formdifferenz entgegensteht.
Inwieweit das suffix -iniis, M.-L. s. 96 — 97, überhaupt auch germ. herkunft
sei, wage ich den sicher rom.-lat. bildungen Pepino n. üG zu Pepi n. 86, nsp. Pepe
'Joseph', Flamulina u. 91 zw Flamula 67 (vielleicht latinisiert aus *i^ra?;«7o) gegen-
über nicht zu entscheiden. Ja selbst Gondelini gen. n. 22 scheint mir eine auf got.
*Gundila fassende roman. bildung zu sein, und sicher Ounxina n. 470, das die
roman. assibilation *Gunxa voraussetzt. Übrigens gibt es im got. neben -eina auch
ein kurzvocalisches suffix -ina (fulgins) , das z. b. für Quedino n. 423 mit einiger
Wahrscheinlichkeit behauptet werden könnte. Die grundlage von Eidinus n. 67 ist
offenbar in deutschem Agido fm. (aus AYg. trad. Corb.) gegeben.
Die auffassung des namens Vitixa n. 33, Vittixe n. 34 als got. comparativ
wird durch Minixiis sowie durch den Superlativ Medoma lest. n. 63, wozu ahd.
Meiama fem. Libr. confr. , empfohlen. Dass x vorzugsweise lautqualität, nicht laut-
starke bezeichne, beweist seine Verwendung in Zacarias n. 116.
Diesem referate über M. -L.s arbeit möchte ich noch hinzufügen, -was ich mir
bei der lectüre der Urkunden an orthographischen und lautlichen beobachtungen,
weiter hinsichtlich der romanischen auslaute, der patronymica auf -ix und der
betonung angemerkt habe, wobei ich mich aber keineswegs auf germ.-pg. material
beschränken mag, denn die erscheinungen sind nicht german. sondern romanisch
oder lateinisch und werden als solche erst völlig klar, wenn man auch Wörter
ungerm. herkunft nicht ausschliesst. Accente ' und trennungszeichen ' finden sich
nicht in den urkundlichen formen, ich bediene mich ihrer zuweilen zur Verdeut-
lichung von tonstelle und Silbentrennung.
A. Orthographische und lautliche beobachtungen.
I. Graphisches.
1. Dittographie: dodonationis n. 430, Ososoredo n. 146, Requiuilo u. 672.
2. Verkehrteschreibung: 2Va«swm* n. 883 , Gemnadius n. 19 1 Sanmon n. 20.
Sparsandi (neben Spasandi) n. 13, Tutesindo n. 396, Citi n. 382, Gontato n. 69,
Lucitu n. 56 (Läieidus n. 76).
3. Contamination : Diadagu n. 885 (aus Diagu und Didagu).
4. Orthographisches ei für i: Ceide n. 40, Zeide n. 56, Queiriaciis n. 88,
Creixemiro n. 75.
5. Orthographisches uu für m (b): Adadiuuergo n. 724.
6. Orthographisches g für i: Goluira n. 553, Argifredus n. 20, Songemirus
n. 2, Gogilli (fem.) n. 125.
7. Orthographisches * für g: lesiilfo n. 111, iermana n. 910.
8. Orthographisches m für n: Potemxo n. 268, Oumdesimdixi n. 513, Me-
nimdo n. 594, Sesnamdo n. 483.
554 VON GRIENBERaER
9. Orthographisches qti gleich k: Quintüa n. 124 {Kintila n. 138), Iquila
D. 40 (Ikila n. 47).
10. Orthographisches c für x: Coleiman n. 932 (Zolehnan n. 52), Ouncaluo
(neben Gunxaluo) n. 460, infan^ones n. 421, Sesnandic u. 675, Sesnandiei n. 90.
11. Orthographisches t für *: Spetiosa n. 634, T"?^* n. 206 {Zidi n. 124),
kalendas Fcbruarit n. 621, Tioteuadit 13.88, Ennegot n. 77 {Ennegox n. 410), G^ar-
^tas n. 616 {Garsias n. 57), Florite n. 83, Gundilat n. 410.
12. Orthographischesa: für s, ss: iprolix n. 590, nodexinms (d. i. notissimus)
n. 21, T^^4a;eo ii. 464, Fridixillo n. 486.
13. Orthographisches sc für s: Scemeno n. 114.
14. Orthographisches s für :?^: patronymika: Uenegas n. 880, Guteris n. 633,
Gtmdemarus n. 109.
15. Orthograph. gemination im anlaut: in llogo n. 408, IJeodegundia ebenda,
Rramirus ebenda.
II. Vocale.
1. Prothese vor s (npg, esposo -.IdX. sponsus): istrada u. 24, Eskapa u. 47
{Scapa n. 114), Espasandix n. 76 {Spasandus n. 55).
2. Secundärvocal: Uidisilu n. 331, Fradixilo n. 655, Golderegodo n. 935,
Astoridfus n. 81, domna Unisco n. 511'^ ^ uilla Sinobilani a. 1 (zu ahd. stuioba
f. 'uitta' Graff VI, 838).
3. Apokopo im anlaut: scumunicatus n. 247, m s*7Ma sci^ra n. 13 (obscura),
Strulfo n. 75 {Astrulfus n. 20), Tanagildus n. 5 (Ätanagüdo n. 4), Venandus n. 406
{Euenando n. 16), Stobredo n. 177 (viell. *asto-).
4. Vortonige vocale verändert und zwar a zu e: Ergesenda n, 952, Ergonxa
n. 401, Ergemiro n. 298, Serracino n. 575 {Sarraxinus n. 114), Uelasco n. 196
(Valascus u. 247); o, m zu a: Ä/w^rem/ro n. 134, IVf/ctew/r?' (kasa) n. 13; o, «< zu e:
Fremosindo n. 570.
5. Auslautverkürzung: Auriol n. 880 {Anriolus u. 15), Sensal n. 5, Astruäri
n. 160 {Astruario n. 139), Fz*o? n. 108.
III. Diphthonge.
1. Alte diphthonge monophthongiert und zwar aw zu o: Odeiro n. 468, froi-
wm<s n. 88; au zu a: Astrualdu n. 35; m f^eo^ zu e, o, u: Thedemirus n. 60,
Todiuerto n. 468, Tudemiro n. 57, Goluira u. 511.
2. Neue diphthonge entstehen und zwar «) durch synkope a», ei aus a^«:
Airigus n. 67, Eilemia n. 927, Reirigu n. 116; /S) durch attraction e»V aus ari
(vgl. npg. /erretVo : lat. ferrärius): Senteiru n. 49; o^V aus ori: Osoyro n. 138 (var.
lect. Osoritcs); y) durch vocalisierung von consonanten; mit dentalis gedecktes cd zu
au: Auderigus n. 470; mit dentalis gedecktes oc, uc (got. öh) zu oi, ui (vgl. npg.
feito-.lat faetus)^ später auch ei": oitaua n. 41 (octauaj, Troytesendo n. 616, Truite-
sendo n. 754, Treitegundia n. 90; germ. «•^■ nach / zu o^■, später auch e^■: Aloito
n. 36 {-.Alvihi, n. 103), J./e«;7e u. 108 (das steigende Verhältnis tvi in ein fallendes 6i
verwandelt).
3. Die neuen diphthonge monophthongiert: Aerigus n. 82, Elleuua n. 680,
Truitero n. 16.
1) Dazu ein masc. deminutivum ostgot. Unscila (Lit. bl. f. germ. und rom.
phil. XII, 335).
CBEIl MEYKR-I.ÜBKF., ROMANISCHE NAMENSTUDIEN 555
4. Orthographische neuauflösuug derselben: Erjica n. 26, Hegelo n. 4 (gegen
Eika n. 30, Eilo u. 64).
5. Scheinbare neue diphthonge oder doppolschreibung durch zusaninieuriickuDg:
Aüfo n. 511, Dondili u. 563, Toereti n. 942, Hermiildo n. 488, Tuülfix, n. 504,
Trasuildi n. 50 (aus * Prdsahildi).
IV. Consonanten.
1. Germ. u\ «) Vor hellem vocal; einfache Schreibung u, v: Vmiara n. 4,
Uiliulfus n. 29, Aluitits n. 504, Ocluira n. 573; romanischer gutturalis Vorschlag:
Qunnirix n. 262, Guistrarix, u. 891; Quilifredo n. 868, Quixoi n. 612; romanische
vocalisierung im inlaut: Geloira u. 19, Ildoie n. 4 genit. , ZJi^o« u. 16, Quixoi n. 918,
Belloy n. 35; /S) vor dunklem vocal; einfache Schreibung u: Aluaro n. 4, Arualdus
n. 63, Astriialdu n. 35; b : Albarus n. 55, Oumlisalbo n. 502, Benegas n. 535;
roman. gutturalis Vorschlag: G na nadi (fem.) n. 75, (luardila n. 410, Qiiandila n. 208,
Qiialatrudia n. 140; zu ^r vereinfacht vor o und ?/: Goldrogodo n. 87, Oulfarix
n. 952, Ebreguldiis n. 5, Ebrcgulfo n. 263^; apokope we< zu «, o: Unisco n. 503,
Ortrefredus n. 35; synkope im inlaut ^t'?^ zu ?«: Adaulfus n. 32, «<■« zu a: Bernaldo
n. 63, Arognnti n. 4, «-a zu o, m, Arosinda n. 952, Eldora n. 691, Eldura n. 583,
.•l/i?/m n. 110.
2. Germ. /. «) Assimilation und assimilatorischer ausfall vor f: Affonso n. 888,
Adeffotisus a. 19, Asthupko n. 8, Randufix, n. 891^; ß) zwischenvocalische synkope
(vgl. npg. fiar : lat. filwre^ npg. geraes : lat. generäles): Peaio n. 859 {Felagius n. 889),
Pelaio n. 948, Riquio (fem.) n. 867, Sindea n. 490, i^a/?a n. 927; y) dissimila-
torischer ausfall: Ataulfus n. 81; cT) assimilatiou an folgendes d: Eddeges n. 79,
Nantidia n. 306; f) fornwirkende angloichung Z zu r: Ortrefredus n. 35.
3. Germ. r. «) Übergang zu Z, z. t. dissimilatorisch: Pf//e«<e n. 215 (patronym.
Parentix n. 208), Belmirus n. 5, Aliuergo n. 502, Flomarico n. 5 {Fromaricus
n. 81); /?) metathese von vocal -f r: Brectus n. 223, Brettis n. 10 und 21, 5re^e-
nandus n. 81, Recimefredo n. 28; von r-|- vocal: Fertiandus n. 76, 421 {Frenandus
n. 50, Fredetiandus n. 420); rückläufige metathese: Eldreuedo n. 506 (gegen £'We-
bredus n. 21).
4. Germ. ??. «) Synkope, in der compositionsfuge : Ermegildus n. 42, Ermo-
ricus n. 429, Reimundus n. 77; zwischeuvocalisch ^vgl. npg. geral, padroado, dra-
goaAat generalis, pätrönätus, *dräcöna): Meendo n. 515, coutrahiert Mendo n. 396
(Menendu n. 513), Fufiix n. 942 {Fofinu n. 6 masc), senrd . . .de Gwnilaes n. 407
nom. pl. familienname als Ortsname (vgl. in uilla Sunilanes n. 222); ?2-schwiind
vor s: Quxaluo n. 535, asti-\ ß) secundäre nasalierung: Inuenando n. 861 {Etienando
n. 16) nach lat. in zu npg. em.
5. Germ. d. «) Zwischenvocalische synkope (vgl. npg. fiel :\at. fidelis, suor :
südörem): Diagu n. 923 {Didacus n. 92), Goesteo n. 605, Le'egundia n. 942, Aülfu
n. 496, Aüfo n. 511, Truilo n. 644, Trtäu (uxor) n. 923, Osoreu n. 594, Osoreex
n.511, Todereo n. 943, Toereu n. 942., Egareus u. 1, C/enwtm n. 594, C/er/»M n. 571 *;
/S) neuer hiatusbuchstab an stelle der rf- synkope: in Logefrei n. 755, TegJno n. 146
(aus *Tedino), Goldoauo n. 723; y) d als hiatusbuchstab: Peladix n. 860 {-.Pelagio
u. 861, Pelaio n. 946), Madii n. 232, gen. des monatsnamens ; (T) assimilierung </s
1) g für ^?< vor a vielleicht in Gu7idilax n. 27, vor i in Qimaeuiirtis n. 395.
2) Dieser Vorgang aucii ahd.: Adalof, Adalufns, Vuoffo Libri confr.
3) So auch Uulforaus Libri confrat.
556 VON GRIENBERGER
ZU ss: Rossendo n. 124; Id zu // in -^7/^, vereinfacht -ili aus -ildi; t) assibilierung
dizwx: Eldonxa n. 680, lldoncia n. 77, Öo«*an. 505, Ergonxa n. i()\ ^ Ermegonxa
n. 680; C) rf-einschub nach n: Guimandus n. 41.
6. Germ, ^-synkope im wortinnern: Hermiildo u. 488, -isclus, -isilo (aus
*-gisla-); igo zu o ursprünglich io: Ermionda n. 450, Eldonxa n. 680; aga zu a:
Damiro n. 59, Daildu n. 49.
7. Consonantische Stärkeverminderung, a.) t zw d: Ooldrogodo n. 87 ^ Sesgudus
n. 39; ß) k zu. g: uiam monastigam n. 26, solidos galliganos n. 35, pegora n. 590,
Asgarigus n. 63 (Ascarigus n. 26), -rigus neben seltenerem -ricus, Ardega n. 680,
Visterga n. 1; y) f zw. b (u): Eldebredus n. 21, Monebreda n. 486, Uiliauredi
n. 58 gen.
8. Germ. /i. «) Apokope: J.r5'e?wfZ* gen. n. 67, Argifredus n. 20, Romarigus
n. 26, Rudcsindi gen. n. 31, dazu im anlaut des zweiten teiles -arius, -adus, -ildi\
ß) Synkope bei inlautenden cousonantischen biudungen; luv zvlw: Feruilum fem. nom.
n. 24, Euosindo n. 69; A< zu ^: Bertiario u. 90, Bretenandus n. 81; ZA zu Z: Sindofalix
n. 105; rA zu r: Qundemarus n. 101, Vimara n. 4 masc. ; /) Ä< zu e<: Tructesendo
n. 28; d") ^ -|- A zu ^: Baltario n. 67, Balteiro n. 70, Oontado n. 1; «) prothese:
Hegelo n. 4, Hegten n. 71, Hodoarius n. 29, Honorigo n. 21, Honneca n. 88.
9. Einzelne lautgnippen in der compos. fuge. «) germ. %'«: Arnomar n. 462,
Arosinda n. 952, Aragunti n. 4, Arulfus n. 71; Fagildus n. 81 (vgl. Fauyla n. 27);
/3) /;■«: Vüiamirus n. 410, Uiliefredus n. 35, Villivado n. 595, TJiliulfus n. 35;
y) r;"a: Arge-, Argi-, Ari-; S) nja: Suniemirus n. 77, Songemirus n. 2, Songi-
inera n. 110, Sunimiro n. 110.
10. Silbische apokope und Synkope: Seelemondo n. 5 {*giscele-), Frenandus
n. 50 (frede-J, Leomirus n. 52 (leode-J.
B. Nominativbildung bezw. roman. casus generalis.
1. Flexionslose masculina, auslaut Verkürzung auf grundlage des romanisch
betonten Wortes: ^'^7/ö Argemir n. 585, Eldeges n. 79, Atiomdr n. 476, Oondomdr
n. 12, Sismir fest. n. 104 wie rom. Auriol . . . test. n. 880, frater Maurän n. 248,
Sensal n. 5; unsicher, ob latein. betont Saludtor test. n. 116, oder ob roman.
5'aZMa^or.
2. Roman, masculina (casus generalis) aus lat. -wm. «) Auslaut o: Uedisilo
n. 115, Fromarigo n. 91, Aldulfo n. 213, Vilifonso n. 28, Atanagildo test. n. 44,
Outemondo n. 91, Leouegildo n. 185, Venedario n. 109, Monderico test. n. 5, e(;fo . . .
Fridixilo (famulo dei) n. 649 wie Romano . . . test. n. 116, Lucido test. n. 106, e^o
Saluato n. 570, Menendo notuit n. 7, Foßnio n. 185, l7e/asco test. n. 196, Serraemo
test. n. 575; damit zusammengefallen Gudesteo serbus dei n. 9 (got. -^^^« asigmat.
form); /3) auslaut w: Ermemiric test. n. 35, Romarigu n. 110, Sandemiru n. 138,
Tramondu test. n. 7, Astrualdu con/'(irmans) n. 35, Leoderigu n. 146, Branderigu
test. n. 108, Oundesindu n. 647, wie Nunitu n. 450, Adrianu test. n. 30; j') der
roman. auslaut umgeschrieben in lat. -wm; Uidis dum (nom.) n. 21, Cutum presbiter
scrisit n. 79, Veulft testes (d. i. -*s), Oudesteum n. 91, wie Adaum n. 24 (npg Adäo).,
Sandinum n. 91, Out inum .. .test. n. 160, Benedictum . . . testis n. 180. Toresarium
test. n. 24.
3. Rom. -lat. feminina auf -a: Oundila (coniugea mea) n. 5, Oonderona
n. 929, Eileuua (iermana) n. 910, Oodegeua (uxor) n. 554, Sindileoua n. 110,
Arosinda n. 952, Flamula (uxor) n. 52, Oondisalba n. 72, Oudesteua n. 79, wie
iJBlSR METER -LÜBKE, ROMANISCHB NAMENSTUDIKN 557
Bellita n. 595, Eldequina test. n. 57, ego Crcscidura n. 43; auslaut später auch -e:
ego Onece (fem.; var. lect. Oncca) n. 76, hievon reflectieren (hindila^ Omca und
walirsclieinlich auch Flamula alte got. swff. auf -o, die übrigen stff. auf -a.
4. Eoman.-lat. feminina auf -ia. «) Auslaut -ia: Astragundia n. 5, Frade-
gundia n. 885, donnia Ledegundia n. 616, Uestregia (auia) n. 858, wie Eogenia
n. 572; ß) auslaut -ie\ Lcodegundie . . . confirmo n. 159.
5. Roman, masculina und feminina (casus generalis) aus lat. -ew. «) Masculina,
Schreibung -e und -i: iiilla de Ragolfc n. 130, Gitesinde testes (d. i. -»'s), Oomexe . . .
test. n. 114, Gomixe n. 407 (beidemale das patronj'm. als hauptname), de Nantomari
n. 570, Auomari . . . test. n. 79, ... Qumeci patron. n. 629, Nausti . . . test. n. 16,
wie Patre test. n. 111, Bellide n. 624 (gegen Valid n. 68), Salude presbiter n. 106,
Zidi presbiter n. 14, Crcscenti presbiter n. 44, Vincenti presbiteri (nom.) n. 74
(npg. Vincente)., Joone presbiter n. 126; ß) feminina: Gontrode n. 408, Donadildi
n. 35, Guanadi {uxori mea nom,) n. 75; }') der roman. auslaut umgeschrieben in lat.
-em: Aniatorem . . . test. n. 117.
6. Latein, masculina auf -us. u) Schreibung -us: Astrulfus n. 20, Gundi-
saluus n. 696, Sigericus presbiter n. 71, Tructesindus . ..test. n. 880, Recemondus
diaconus n. 107, Uidragildus presbiter n. 29, Mimius Giitierrix conf. n. 40, Naustus
episcopus n. 11, wie Caritus test. n. 111, Lucidus n. 17, iSarraxinus presbiter n. 114;
ß) Schreibung -os: Gundiscalcos presbitero n. 219, Aluitos presbiter u. 197, Gotna-
dos . . . episcopus n. 5, Modericos presbiter n. 126, wie diaconos n. 77, clericos n. 161,
Damianos n. 5. Die Umschrift Munius dürfte auf lat. -o, -önis beruhen.
7. Lat. masculina und feminina auf -is: «) Almudis test. n. 40 unter masc.
zeugen; ß) Ounterodis zweifellos fem. und nom. n. 124.
8. Lat. masculina auf -o (-on)\ Munio testis n. 648, Gimdisaluus Muneonis
conf. n. 34; dazu viell. auch ego Leobello (masc.) n. 447.
9. Romanische masculina (casus generalis) aus -önem. «) Auslaut -one oder
-oni: Tedone scripsit n. 86, Agione frater n. 54, Fulderone (masc.) n. 25, Froiloni
(confirmo) n. 12, Tedoni abba n. 74, Eroni prolis test. n 197, Siloni presbiter
n. 51, mit w- Synkope: Manioi test. n. 87, wie Crescani prolis test. n. 197; ß) ge-
kürzte form Schreibung -on, selten -o?«: Brandon test. n. 93, Lubon abba n. 93,
Tedon . . . test. n. 81, ego Godon n. 59, Carlen test. n. 106, Santom presbitero n. 8,
Zcmdom . . . test. n. 144, wie Dou/nicon test. n. 112; y) der rom. auslaut umge-
schrieben in lat. -onem: Agioncm (nom.) n. 54.
10. Gotische masculina auf -a. «) Auslaut -a: Frogia presbitero n. 663,
Guma . . . test. n. 28, Vimara diaconus n. 4, Froila n. 9, Sandila presbiter n. A:'i2.,
Manila test. n. 33, Brandila test. n. 110, Kintila n. 138, Fandila n. 458, Ansila
jjresbiter test. n. 5, Vitixa test. n. 33;-/?) auslaut -e und -i: Vittixe presbiter n. 34,
Leobele ... testis n. 180, donino^Kiquili (var. lect. Riquila) n. 423.
11. Roman, masculina (casus generahs) aus got. -lat. -ä?je»i. «) Auslaut -öm/.
Manilani abba n. 63, Ikilani ... episcopus n. 132, ego Fradilani presbiter n. 15,
Vimarani presbiter n. 76, Donnani abba n. 28; ß) auslaut gekürzt am: Ooiatn . . .
test. n. 142, Donam abba n. 64, Atinam test. n. 24.
12. Griech.-lat. -as: Garsias test. n. 57, Oarseas presbiter n. 121 (neben
Garsea n. 114), Gaudinas . . . test. n. 116, Cendas n. 13, Arias presbiter n. 69, de
Egas (neben a Degani) n. 952, wie Zacarias n. 116, Elias test. n. 40.
13. Gotische feminina auf -o. «) Schreibung -o und -u: domna Goldrogodo
n. 87, Froilo (isla) n. 12, Unisco (uxor) n. 625, Idilo (oxor) n. 105, Eilo (uxor)
558 VON GRIENBERGER
n. 10, Leuecoto (mater) n. 688, ego Teodüo (a me ipsaj n. 110, Uniscn (fem.)
n. 458; ß) der got. auslaut roman. gefasst und umgeschrieben in lat. -um: Feruilum
(i(ssor Um) n. 24.
C. Patroiiyniisclie formen.
1. Lat. gen. mit Zusätzen die abstammung ausdrückend: ego . . . Gundisalhus
fllius Gonsalui . . . n. 76, Uelasqueta Pelagii filia n. 97, Leodegundie prolis Eroni
n. 159, Ahdtos . . . Eroni prolis n. 197, Odorius . . . Gresconi prolis n. 197.
2. Lat. gen. ohne zusatz «) auf -i: Rammiru Uilimiredi n. 58, Froila
Gundesindi n. 31, Arias Dagaredi n. 35, Teton Adefonsi u. 20, Fromarieus Spo-
sandi n. 88, Menendus 3Ienendi n. 76, Aloitns Lueidi n. 107, ego Goldoauo Marcii
a. 723, Mendo Pelagi n. 396, Frogiiilfo Beati n. 151, Anagildus Brandihmi n. 13,
Oueco Garseani n. 147, Gtmdesindtis Froiani n. bO ^ Begica Etmeconi n. 97 , Ennego
Ucgilani n.'921, hausti Uandilani n. 31, Liieidus Vii/iarani n. 17, Vimara Froi-
lani u. 17; ß) auf -«'s: Gundisahms Moneonis n. 85. Oueco Muneonis n. 84, Floriti
Joliannis n. 673, Osorio Johannis u. 678.
3. Roman, casus generalis oder got. nom. auf -« mit Zusätzen. «) Lateinische:
Gcmdilli filia Sando Gauinizi n. 634, Ariulfo filio de Demi n. 90; ß) arabisch:
Romano iben Froila n. 116, Amatorem iboi Uassalo n. 117. Zalama ibcn Becc-
mondo n. 85, Zacarias iben Unsuito n. 116.
4. Patronym. bildung auf -ix mit Zusätzen verbunden: Leoderigus prolix
Leoderiqix n. 590, Nunus dictus Silonix n. 76, Geluira prolis Nunix n. 151.
6. Patronymikon auf -ix ohne zusatz; form -ix voll, synkopiert -x, Ortho-
graphie einerseits: -iz, -ixi, -ixe, -ic, -ici, -it, -iti, -is; anderseits: -x, -c, -ei,
-f, -s, -X. Grundlage der bildung ebensowol namen got. herkunft, als solche lateinischer,
arabischer, biblischer abstammung. Das patronymikon gilt sowohl für männer als frauen.
«) Consonant. auslautende masculina: Golvira Chrislovaix n. 511, Fofbiio Beniamix
n. 185, Gila Dauidici n. 90, Petrus Danielx n. 866, Riquio Zoleimax n. 867
(aber auch vocalisch ausl. Zoleima n. 66); ß) roman. masc. auf -o (-uj, selten
auch -io, gekürzt -i: Gudinus Gundesalbix n. 12, Loderigu Gtidesindix n. 146,
Atriano Laudandix n. 56 {Laudandus presbiter u. 62), Pejn Sentarix n. 219, Uelasco
TJelasquix n. 185, Aliiito Erinoriquix n. 185, Oueco Gudesteix u. 114, Petrus
Pelaix n. 945 {Pelayus n. 77), Geluira Nunnix n. 124, Tedon Gontemirix n. 81,
Gtitinmn Fofix n. 160 {Fofu n. 90), Leobele Sisulfix n. 180, Unisco Gunxahcix
(uxor) n. 625, ego Idilo Facildix (fem.; de nostro patre Fagildo Gundesindix) n.910,
Nausti Ti-uiteiuirix n. 16, Bellide Justix n. 624, Ueremudo Uermuix n. 76, Gundi-
sahms Petrix n. 880, Auriol Martinix n. 880, Tructesindus Truetesindix n. 880,
Gundulfu Antonix n. 160, Senduara Asiulfixi {Asiulfu, vater der S.) n. 634, Nunitu
Astrufixi n. 450, Sandemiru Ghristovalixi n. 138, Aluito Benedictisxi n. 147 {Bene-
dicttis n. 52), ego Tellus Sesnandic n. 675, Monderigo Tanoix n. 185 {Tanoy n. 17)',
Suerio (dat.), Fromariguic n. 675, Eluire (dat.) Nunic n. 675, Gundesindu Toderaquic
n. 647; Tructesendo Osoredici n. 28, Gutiere Roderici n. 71, Bertiario Maloquiniei
n. 90, Dauid Sesnandici n. 90, Reeunefredo Egaredici n. 28, Vilifonso Rudurici
n. 28, Fagildus Astrid fit n. 251, Fagildus Berulfit n. 221, Queiriacus Tioteuadit
n. 88; Floriti (als hauptuame) n. 673; Synkopen: ego Saluato Louerigox n. 570,
1) Zu entscheiden, ob das patronymikon der Zidi Cresconix n. 124 und Olide
Cresconix n. 195 auf einem namen mit -önetu oder -önius beruhe, versagen die
mittel. Crcsconius findet sich n. 474. Gresconi n. 197.
ÜBER MEYKR-LÜDKE, ROMANJS'CHE NAMENSTÜDIEN 559
Scemeno Sauaricox, n. 114, ego Froila Leoderigux n. 146; Menendo Godesteoxi
n. 100; Hegica Ennegot u. 71 {En/icgus n. 71); Aluitus Gundemarus n. 109, Fra-
miildo Tcoderedus n. 109; ferner mit Schwund eines suffixalen c fgj: Onorigu Didax
n. 185, Gunsahio Diax n. 373, Egas Didaxi n. 220 (Didaeus oft), Cresconius Qui-
ridxi n. 37 {Queiriäciis n. 88), Ansemiru Branderix n. 160 {Branderigu n. 108);
ego Ansur Dias n. 373; y) rouian. masculina auf -e, -i: Cidi Parentix n. 208
[Parentc n. 142), Faßa Guter is n. 633 (Gufiere n. 71); J) lat. masculina auf -o
(«-stamm): Osoyro Ouequix n. 38 var. lectio {Ouecco n. 139), Feiagio Munix n. 945,
Gomexe Munix n. 114 {Munio n. 22, 648), Didacu Ennequix n. 491, Osorius Ovequis
n. 138'; f) roman. masculina auf -one, -otii, -on: Pelagio Qetonix n. 56 (Oatön
testes n. 8); C) got. masculina auf -a: Benedicttmt Egiquix n. 180 {Hegica n. 71),
Sandu Brandilix n. 160 {Brandila n. 158), Uelasco Garceix n. 196, Pelagio Requix
n. 180 (synkope *Pequia aus liiquila n. 423); J//(/o Guandilixi n. 163; Tedotie
Quixexi n. 86 (*§««'*»); Froila Gumeci n. 629 {Gimia n. 28); Rodorigo Froilax
n. 145, Nunus Floilax n. 76, Uixoi Emilax n. 146, Fafila Guandilax n. 146,
Fauyla Gandilax n. 27, wie e^o Sindinu Abormax et iermana mea Gudina
Abormax . . . de pater nostro Aborma Didax n. 257; Gontado Uisterlaxi n. 20,
Kintila Kintilaxi n. 138, Petrus Tructaxi n. 28; Jonas Aldonaci n. 28; Gotnixe
Egicat n. 407; Munio Uenegas n. 583, I'e^7a Venegas n. 880, Gundisaluiis Venegas
n. 880, Godina Fafilax (neben Fafilax) n. 349; /;) roman. masculina auf -«?w, -aw:
Mourili Froyanix n. 27, Guma Arianici n. 28, Fo/^« Gudilanici n. 90; Enego
Giitayx n. 27.
Das ursprüngliche gotische System *Liudareiks sunus Liudareikis schimmert
in Leoderigus prolix Leoderiquix noch deutlich durch. Die Setzung des blossen
patronymischen geuitivs ist also die auch intern germ. bekannte ellipse. Die
bildungen auf -ix bei den masc. «^w^- stammen, wie Sandu Brandilix, können
im typus auf den entsprechenden got. gen. *Brandilins zurückgehen, wobei der ein-
tritt von -is für -his am besten als roman. ausgleich gefasst wird, wenn es auch
möglich wäre, ihn als schon got; Übertragung anzusprechen und mit den north, starken
genitiven sing, auf -es bei masc. «-stammen (Sievers Ags.gr. §276 anm. 5) zu ver-
gleichen, oder sogar auch eine lautliche entwickluug von -ins zu -is anzunehmen.
Die orthographischen Varianten zu -ix haben gar nichts zu sagen, es ist einheitlich
-is zu sprechen. Der auslautende vocal in den Schreibungen -ixi^ -ixe, -ici, -iti
ist wol nur graphisches hilfszeichen , wie in Ciandila = Sandila, zuweilen vielleicht ein
versuch, dem patronymikou die form eines rom. nominativs auf -i aus -em. zu geben.
Die bildungen auf -ix sind die primäre form, secundäre roman. bildungen aus der pro-
ductiven kategorie sind die Synkopen -x, -c usw. mit bewahrung des nach roman.
Stande auslautenden vooales -o, -ti, -a. Die wähl vorwiegend des buchstabens x
neben c und t = ^ für die da^rstellung des aus dem got. ererbten lautes hat vermut-
lich ihren grund in einer Vorstufe der npg. ausspräche des auslautenden s lat. her-
kunft als s.
D. Accent.
Die betonung der naraen ist die latein. -romanische, der hauptton liegt bei den
zweistämmigen namen auf der ersten silbe des zweiten teiles und zwar nicht bloss,
wenn dieselbe ursprünglich langvocalisch wie in Rudorigu n. 346, Tcodem/ro n. 347,
1) Munix kann auch aus Munia Aluitix n. 20 stammen; ebenso die übrigen
aus a- formen; die kategorie schal f zu begrenzen, scheint noch nicht möglich.
560 VON QRIENBER&ER ÜBER METER -LÜBKE, ROMANISCHE NAMENSTUMEN
Oondoredo n. 347, oder positionslang wie in Louegildo n. 267, Tudetldus n. 347,
Fredendndo n. 352 ist, sondern auch bei ursprünglicher kürze: Argifredus n. 20,
Guntddo n.^Xfi^ Gudesteo n. 348, fem. Goldregödu u. 269^ d.h. es ist in allen diesen
fällen der germ. nebenton zum hauptton geworden und zwar auch dann, wenn, wie
bei Uidisilu n. 331, ein secundärvocal auf die Stammsilbe folgt. Es ist demnach
zweifellos, dass die bildungen -Uli auf der ersten silbe dieses elementes Teodilli
(uxor) n. 78 z. b. zu betonen sind, ebenso, dass die formen Eldeges n. 79, Auomdr
n. 476, Sismir romanischen ton besitzen und als romanische Verkürzungen, nicht als
flexionslos gebliebene ursprünglich got. formen angesprochen werden müssen. Die
erstarrten got. ableitungen auf -ila, -ica und -ilo, -ico bewahren die alte germ.
tonstelle Fundila n. 268, Vdndila n. 76, Ardega n. 680, Riquilum (fem.) n. 79,
Giindilu (uxor) n. 80, Trästalo n. 60, die in Übereinstimmung mit den latein.-
roman. analogien Lüxido n. 371, Didagu n. 474 festgehalten werden musste. Und
hieran schliessen sich andere mit kurzer paenultima, wie Münio n. 583, MMoma
n. 63, Vitixa n. 33, Christöualo n. 67, nach dessen beispiel auch der in Sindofaliz
n. 105 gelegene name * Sindofalus betont sein muss, auch wenn der zweite teil
ursprünglich positionslanges *falha gewesen sein sollte. Dagegen dürften die Um-
bildungen Uisterla, Uisterga die germ. tonstelle aufgegeben haben. Ebenso haben
die romanischen bildungen aus -önern und -änem sicher auch die neue romanische
tonstelle: Tedöne n. 86, Tedoni n. 74, Tedön n. 81, Santöm n. 8, Domiäni n. 28
und die den -om entsprechenden bildungen auf -am sind demnach aualogisch: Dondm,
Goiäni zu betonen. Dass die m«s- ableitungen, insoweit sie romanisch sind, auf dem
i betont werden müssen: Pepino n. 66, Seniorinu n. 21 z. b. , ist zweifellos, aber
auch bei germ. ez«a- bildungen müsste diese betonung eingetreten sein, so dass bei
Sandiniis n. 20, Godinus n. 63, Trastina n. 60 sich aus der betonung nichts für
oder wider die eine oder andere abkunft des suffixes ergibt, obwol ich annehme, dass
dasselbe überhaupt roman. sei. In der lehrreichen combinalion von n. 60 Trästalo
cocnomentum Trastina (ucsor) scheint geradezu ursprünglich germanische und spätere
romanische kurzformbildung gepaart zu sein. Betonung auf der vorletzten silbe kommt
natürlich auch den romanischen deminutiven mit etymologischem tt: Ansito n. 672,
Alderetto n. 67, Maxitus n. 63, BelUtiis n. 15, sowie den ursprünglich germ. ing-
ableitungen zu Froarengus episcopus n. 3, 13, 15, 17, dissimiliert Fralengo test.
n. 87 ', Gaudmgu n. 757, die formell mit lat. -inicus wie Domengus n. 391 zu-
sammengefallen sind. Die zweisilbigen namen mit got. oder lat. enduug müssen
Stammbetonung besitzen und zwar auch dann, wenn dieselben durch einschaltung
eines secundärvocales, wie unisco n. 511, dreisilbig geworden sind, endbetonung
aber die als zweisilber erscheinenden entwicklungen aus -o/iem: Falcönn.Sl^ Baron
n. 20, Cendon n. 414. Die betonung der patronymika ist die des zugrunde liegenden
roman. namens, also Ermoriqtiix^ Osoredici, Christovalixi , Sauaricox, Getönix,
Brdndiliz, Gomexe, Quixexi, GuändUax, Froydnix , Gutdyx, Diax^ ohne irgend-
welche änderung. Endbetonung findet nur in dem falle der Verschmelzung der ton-
silbe mit dem -is der patronym. bildung statt. Von einer änderung der tonsilbe ist
aber auch bei dem typus Branderix nicht die rede.
1) Von einem zweistämmigen namen *Frodrius ausgehend.
CZERNOWITZ. VON GEIENBERGER.
KRUMM ÜBER IfEBBELS WERKE ED. R. M. WERNER 561
Friedrich Tic b bei. Sänitlielie werko. Historisch -kriti.sclie au.sgabc besorgt von
Riebard Maria Werner. B.>rlin lÜOl — li»03. B. Behrs verlag (E. Bock). Achter
band: Novellen und erzählungon. — Muttor und kind. — Pläne und Stoffe.
(1835—1863). Neunter band: Vermi.sclito Schriften I (1830 — 1840). — Jugend-
arbeiten. — Historische schrifteu. — Reiseoindrücke I. Zehnter band: Ver-
inischto schrifteu II (1835 — 1841). — Jugendarbeiten II. — Keiseeindrücke II. —
Kritische arbeiten I (1839-1841). Elfter band: Vermischte Schriften lU
(1843 — 1851). — Kritische arbeiten II. Zwölfter band: Vermischte Schriften IV
(1852 — 1863). — Kritische arbeiten III. ä 2,.50 m.
Die letzten bände, mit denen die mühevolle arbeit des herausgebers ihren vor-
läufigen abschluss findet, enthalten manches von den früheren ausgaben ausgeschlossene,
meistens von geringerer, zum teil jedoch von ganz hervorragender bedeutung.
Als erzähler wird Hebbel sicherlich nie hoch bewertet werden, seine entwick-
lung auf diesem gebiete der dichtung erscheint, im vergleich zu derjenigen des lyrikers
und dramatikers, dürftig. Immerhin war es von Interesse, auch diese entwicklung
lückenlos vorzuführen. So mögen denn auch die in den achten band aufgenommenen
erzählungen des jungen Hebbel aus der Wesselbu rener und Münchener zeit, ästhetisch
betrachtet sicherlich das wertloseste aus seiner hinterlassenschaft, mit dank begrüsst
werden. Wir können jetzt verfolgen, wie der nachahmer C. "W. Contessas und
E. Th. A. Hoffmanns, sobald er der Wesselburener ein.samkeit entronnen ist, sich mit
Klei.st und Jean Paul berührt und sich schliesslich zu einer leidlich selbständigen
eigenart der epischen darstellung hindurchringt. In den während . seiner universitäts-
jahre entstandenen erzählungen erkennt man deutlich die neuen muster, nach denen
er sich bildet, doch mischen sich in ihnen die an und für sich schon widerstreitenden
eiemente, die herbe, concentrierte tragik und der bittere, etwas forcierte humor zum
übertluss auch noch mit den fräheren mehr Conventionellen motiven, so dass fast alle
diese arbeiten, mit ausnähme etwa des 'Schnock', einen zwiespältigen, unerfreulichen
eindruck machen. Selbst spätere producte des gereiften künstlers, die bereits jene ge-
schlossene Weltanschauung spiegeln,- welche Hebbels tragödie trägt, wie 'Matteo' (1839)
und 'Die kuh' (1849) erscheinen dem kritischen betrachter fast nur als karrikaturen
seiner gewaltigen dramen. Doch w-enn denn auch die ästhetische minderwertigkeit
der erzählungen Hebbels, vor allem der hier zum ersten male, nach langer Ver-
gessenheit, wider abgedruckten aus dem anfang seiner schriftstellerischen tätigkeit,
von niemandem geleugnet werden wird, so ist ebenso unbestreitbar, dass sie für
den biographen, der diese persönlichkeit nach allen Seiten hin scharf umreissen
möchte, sehr beachtenswert sind. Und auch der ästhetiker geht nicht ganz leer aus,
da es sich wol verlohnt, mit den in vorreden, tagebuchaufzeichnuugen und briefen
dargelegten theoretischen anschauungen des grossen dichters über eine kunstgattung,
in der er seihst es nicht zur Vollendung brachte, sich auseinander zu setzen, sie an
dem, was er leistete, zu messen. Hierüber bringt die einleitung zu bd. VIII nicht
wenig neues bei. Besonders verweisen möchte ich auf die fruchtbaren vergleichungon
Hebbels mit Hoffmann, obgleich mir der herausgeber in der aufspürung von be-
ziehungen zu ihm wie zu Contessa im einzelnen zu weit geht (s. namentlich s, XIV
bis XV). Sehr lichtvoll sind ferner die Untersuchungen über einzelne als verschollen
geltende novellenskizzen, die Hebbel in einem an Elise Lensing gerichteten briefe aus
dem jähre 1836 envähnt. Die auf s. XXI ausgesprochene Vermutung, dass 'Pauls
merkwürdigste nacht' (1837) mit dem daselbst genjinnten 'Johann' eins sei, ist so
ausreichend begründet, dass man sie fast als sicher bezeichnen kann. Auch die
ZEITSCHRll'T F. DEUTSCHE PHILOLOOIK. BD. XXXVIl. 36
562 KRUMM
Identität der 'beiden vagabunden' nnd des 'Meister Jakob' ist unbestreitbar, glaube
ich, wogegen diejenige des 'Herrn Weiss' und der späteren novelle 'Herr Haid-
vogel und seine familie' mir niclits weniger als erwiesen scheint. Übrigens erinnert
Werner bei der analysierung des 'Haidvogel' (s. XXXI) mit unrecht an Hebbels vater;
die renommage und grossmannssucht Haidvo'gels hat mit dem finsteren, trotzigen
stolz des alten Hebbel garnichts verwandtes. Schon eher kann man es sich gefallen
lassen, wenn er beim 'Nepomuk Schlägel' an ihn erinnert (s. XXXIX), doch wird
der schwarzgallige humor dieses letzteren am einfachsten aus der dumpfen Ver-
zweiflung, die sich des dichters in den schaurigen Münchener jähren immer mehr
bemächtigte, erklärt. Der 'Schlägel' ist das am wenigsten objective unter diesen
Charakterbildern und schöpft die ganze bitterkeit der Stimmung seines Verfassers bis
auf die hefe aus. — Übrigens halte ich es nicht für richtig, dass die erzählungen
von Werner- nicht chronologisch geordnet sind, obgleich ich die gründe, die ihn
bewogen, die von Hebbel selbst im jähre 1855 für den druck getroffene anordnung
nicht zu zerreissen, sehr wol zu würdigen weiss. Noch weniger billige ich, dass
die Idylle 'Mutter und kind' erst hier hinter den erzählungen eingereiht wird,
das widerspricht doch zu sehr dem, soweit ich sehe, sonst in klassikerausgaben
befolgten brauch. Die einleitung dieses bandes bringt eine ausführliche und liebe-
volle analyse der herrlichen dichtung und widerlegt die einwände, die Otto Ludwig
und Emil Kuh gegen sie erhoben haben; die polemik gegen R. M. Meyer (s. LV)
halte ich für überflüssig. Eine vergleichung mit 'Hermann und Dorothea' war nahe-
liegend, doch ist der herausgeber wenig glücklich in dem nachweis von ähnlichen
Wendungen (s. L). V. ISlOfg. ist allerdings dem anfang von 'Urania' offenbar nach-
geahmt, woran sich aber v. 1937 anlehnen soll — wahrscheinlich liegt ein druckfehler
vor — , ist mir unerfindlich. Interessanter wäre es jedesfalls gewesen, nachzuweisen,
wie sich die Verschiedenheit der beiden dichterindividualitäten und der dargestellten
Zeiten in stil und Charakteristik ausspricht. — Die am Schlüsse aus den tagebüchern
und zerstreuten blättern des nachlasses gesammelten 'Pläne und stoffe' stehen hinter
den dramatischen embi'yonen des fünften bandes erheblich an wert zurück. Von kaum
zu überschätzender bedeutung ist dagegen das in den anmerkungen (s. 387 — 399) ab-
gedruckte material zur Selbstbiographie aus Hebbels nachlass, das sicherlich verdient
hätte , in die ' Werke ' aufgenommen zu werden. Diese flüchtig hingeworfenen hiero-
glyphen sind freilich nicht leicht zu deuten. Der herausgeber war mit den Verhält-
nissen und persönHchkeiten in Hebbels heimatsort nicht vertraut genug, um vor Irr-
tümern geschützt zu sein. Eine reihe von namen sind sicher verlesen, worauf ich
an dieser stelle nicht näher eingehen kann, eine sorgfältige nachprüf ung der in dem
Weimarer archiv aufbewahrten notizen ist unerlässlich.
Der neunte band enthält nur neues. Ausser einigen noch ganz unreifen pro-
saischen beitragen zum 'Dithmarser und Eiderstedter boten' aus den jähren 1830—33,
von denen wahischeinlich nur ein teil aus seiner feder stammt, finden wir hier zu-
nächst die in s|)äteren bänden vervollständigte reihe seiner kritiken für den 'Wissen-
schaftlichen verein von 1817' in Hamburg. Sie schliessen sich vielfach an die ersten
ausführungen des tagebuches, das er am 25. märz 1835 begann, eng au und weisen,
neben allerhand rohem und abstrusem, wie jene bereits eine fülle scharfsinnigen und
originalen denkens auf. Das genie tritt _plötzlich fertig aus dem dunkel hervor; jeder
versuch, sein wachsen mit unseren gewöhnlichen massstäbon nachzumessen, muss
missliugen. Vor allem gehört der aufsatz über Theodor Körner und Heinrich von Kleist
(s. 31 — 59), trotz seiner Übertreibungen, bereits zu den bedeutendsten kritischen
ÜTIER irEBBELS WERKE ED. R. M. WERNER 563
arbeiten Hebbels. "\\'ei' ihn liest, erkennt staunend, wie abgeklärt des dichters ästhe-
tische auschauuugen damals schon waren, mit welclior Sicherheit schon der Jüngling
dem urteil seiner zeit entgegentrat; das gegen den ström schwimmen war ihm natur.
— Es folgen dann die beiden historischen Schriften über den 30jährigen krieg und
über die Jungfrau von Orleans, welche er während seines zweiten aufenthaltes in
Hamburg (1840), als die not des lebens ihn zu ersticken drohte, für die 'Wohlfeilste
Volksbibliothek' unter dem pseudonyni dr. J. F. Franz schrieb. Werner vermutet wol
mit recht, dass er dieses psoudonym in erinnerung an seinen Jugendfreund Franz,
den apotheker auf Helgoland, gew-ählt habe, er hätte auch auf die auffallende tat-
sache verweisen sollen, dass Hebbel im folgenden jähre (1841) sein lustspiel 'Der
diamant' zur preisbewerbung in Berlin unter dem verstecknamen : König Franz ein-
sandte. Dass er seine anonymität durch eine erklärung der B. S. Berendsohnschen
buchhaudlung wahren lies, als ein vorlauter Zeitungsschreiber ihm aus persönlicher
gehässigkeit die maske abzureisseu suchte, können wir jetzt sehr gut begreifen. Werner
verteidigt ihn warm gegen den von 0. Karpeles, der den hierauf bezüglichen brief
Hebbels an Gustav Kühne in dem 'Magazin für litteratur' zuerst veröffentlichte (1894),
erhobenen Vorwurf eines angeblichen 'banges zu zweideutiger haltung', der einem
manne gegenüber, der fast Wahrheitsfanatiker war, ganz töricht erscheint. Er be-
tont, dass es dem dichter, der eben erst seine Judith auf das theater gebracht hatte,
nicht lieb sein konnte, als Verfasser von .Schriften, die nur des broterwerbs halber
verfasst waren, an die öffentlichkeit zu treten. Er hätte hinzufügen können, dass
die vorschlagendste eigenschaft in Hebbels charakter, sein stolz, die triebfeder seines
Verhaltens war. Seine trostlose läge, die ihn auf eine linie stellte mit scribenten,
die er verachtete, mochte er sich selbst kaum eingestehen, er wäre lieber gestorben
als sie der weit zu verraten. Es ist klar, dass diese Schriften, die in wenigen mo-
naten zusammengeschrieben wurden, keinen anspruch auf wis-senschaftlichen wert
machen können. Emil Kuh schloss sie aus der ersten gesamtausgabe aus, wahrschein-
lich weil er fühlte, dass Hebbel sie auch später am liebsten verleugnet hätte. Trotz-
dem verdienen sie den platz in seinen werken, der ihnen von jetzt an für immer an-
gewiesen ist. Der energische und flüssige stil, die geschickte und straffe disposition
des Stoffes, die, trotz aller anlehnung an seine Vorgänger, nicht selten bewiesene
Selbständigkeit in der beurteilung historischer personen und ereignisse, stehen mit dem
kerne der Hebbelschen persönlichkeit in unverkennbarem Zusammenhang, ex ungue
leonem gilt ebenfalls für diese ihm scheinbar so fernliegenden arbeiten. Bisweilen
stossen wir auch auf gedankenreihen, die das eigentümliche gepräge seines geistes
tragen und dem kundigen seine autorschaft verraten würden, auch wenn sie sonst nicht
urkundlich feststände. Der '30jährige krieg' braucht den vergleich mit Schiller nicht
zu scheuen, die 'Jungfrau von Orleans' ist schon deshalb von noch grösserem Inter-
esse, weil sich Hebbel seit seinen Müncheuer tagen mit diesem dramenstoffe getragen
hatte. Dass er für die letztere historische Schrift Fouques 'Geschichte der Jungfrau
von Orleans', die sich auf das umfassende material des Le Brun de Charmettes stützt,
sowie das buch von Guido Görres als quellen benutzt hat, weist der horausgeber in
einleitung und anmerkungen überzeugend nach. Wie weit er im '30jährigon kriege'
sich an Galletti, Schiller, Weltmann, die er selbst im Vorwort als seine Vorgänger
nennt, im einzelnen angeschlossen hat, muss eine besondere Untersuchung klarlegen;
was Werner darüber auf s. XXI der einleitung sagt, ist viel zu allgemein. Galletti
war mir nicht zugänglich; eine sorgfältige collation mit Schiller ergab, dass Hebbel,
im ausdruck vielfach von ihm abhängig, — manches stark gekürzte bleibt geradezu
30*
564 KRUMM
unverständlich, wenn man nicht auf Schiller zurückgeht, z. h. s. 89, 33 'zumärgernis
der schwachen' oder s. 202, 32 'durch einen unbesetzten pass' (bei Schiller: 'durch
den unbesetzten pass zwischen Schleswig und Stapelholm') — in der gruppieruug der
tatsachen, in dem, was man composition nennen könnte, überraschend selbständig ist.
Bei seiner darstellung des westfälischen friedens schöpfte er aus dem buch von Karl
Ludwig Weltmann: 'Gesch. d. w. fr.', Leipzig, Göschen, 1808 — 9. Es ist bewunderns-
wert, wie er es verstanden hat, auf wenigen selten dieses zweibändige werk zu
epitomieren, ohne es auch nur an einer einzigen stelle auszuschreiben. — Auch als
journalistischen berichterstatter lernen wir den dichter am Schlüsse dieses bandes aus
seinen correspondenzeu für das 'Morgenblatt' (183G — 38), sowie aus seinem für
Gutzkows 'Telegraph' im Jahre 1839 verfassten 'Gemälde von München' näher kennen.
Namentlich letzteres beweist, dass er ein äusserst scharfer beobachter war und das
klar geschaute ebenso anschaulich widerzugeben verstand. Diese artikel sind für die
damaligen zustände Münchens wie für den jungen Hebbel in gleicher weise charak-
teristisch, wenn sie auch stilistisch noch recht ungleich sind und aus diesem gründe
vor allem den längst bekannten späteren skizzen aus Paris, Agram, Berlin und Ham-
burg nicht au die seite gestellt werden können. Von den correspondenzberichten ist
übrigens der vierte (s. 384—389) sicher nicht von Hebbel, obgleich der heraus-
geber ihn in dem Inhaltsverzeichnis nicht einmal mit einem Sternchen versehen hat;
auch nr. 5 erscheint mir wenigstens sehr verdächtig. Der bericht über 'Strauss in
München' setzt mehr musikalische kenntuisse voraus, als Hebbel damals oder später
i)csass; der schluss von 386, 7 au ist nichts als widerwärtiges geträtsch, das niemals
aus seiner feder geflossen sein kann. Auffallend ist auch, dass das urteil über
Halms 'Griseldis' (s. 385) demjenigen, das Hebbel ein jähr später am 18. november
1838 in einem briefe an Elise Lensing aussprach, im hauptpunkte widerspricht. Zum
schluss lesen wir gar unter dem titel: Kunst. Über die Gly])tothek: 'In freudiger Un-
geduld — — — — stieg ich die stufen hinan, auf denen ich als kind geträumt von
Aspasia, Sokrates und Akademie' — — — . Konnte Hebbel das schreiben? Gegen
solche innere kriterien wollen alle äusserlicheu anhaltspunkte, die übrigens recht
schwach sind (vgl. s. XVHI der einleitung), wahrlich nichts besagen.
In der einleitung zum zehnten bände, welcher unter anderem die von mir im
jähre 1892 zuerst veröffentlichten berichte Hebbels an die Augsburger Allgemeine
zeitung aus dem jähre 1848 enthält, wird seine Stellung zu den politischen fragen,
welche die gemüter damals bewegten, gekennzeichnet. Der herausgeber weist nach,
wie leuchtend sein mannhaftes verhalten in jenen tagen von dem entschlusslosen,
schwächlichen quietismus Grillparzers sich abhebt. In der tat lässt sich der tief-
reichende gegensatz dieser beiden naturen, der sich auf die Verschiedenheit des
Volksstammes, aus dem sie hervorgiengen, gründet, gerade in diesem punkte be-
sonders klar erfassen. Neu hinzugefügt werden dann Wiener briefe für die 'Illustrierte
zeitung' aus den jähren 1861—1862. Sie erreichen längst nicht die höhe der be-
richte aus dem jähre 1848, da sie sich mit den verschiedenartigsten dingen beschäf-
tigen und infolgedessen sehr ungleich in ton und ausführung sind. Wahrhaft gross
tritt uns Hebbel nur dann entgegen, wenn ihn innerste nötigung zum schreiben zwingt,
und die starke leidenschaft, die ihn beseelt, mit voller resonanz erdröhnt. Immerhin
beweisen diese briefe, dass er auch scheinbar gleichgiltige ereignisse des tages stets
sub S])ecie aeterni sah. In der erkenntnis der gefahren, die dem österreichischen
Staate aus der Zuspitzung der rasseugegensätze drohten, und der energischen betonung
des deutschen Standpunktes erweist er aufs neue, wie in jenen früheren berichten.
i'^BER IIEHBELS WERKE Ed. K. M. WEHiN'EK ÖtiÖ
seiueu politiscbon Scharfblick und seinen warmen Patriotismus. — Zu den briofen für
Campes 'Oriou' aus dem jähre 1863 ist nr. G hinzugekommen, der eine in seinen tage-
büchern und briefen widerholt berührte wissenschaftliche frage, die 'Viel Vaterschaft'
der Nibelungen, erörtert. Diesen vorzüglieli geschriebenen brief legte Emil Kuli seiner-
zeit zurück, wie ich vermute, wegen des satirischen tones, den Hebbel hier gegen Lach-
iiiann und seine Schüler und gegen Pfeiffers Kürnberger-theorie anschlägt. Nur wenige
werden jetzt noch bezweifeln, dass der dichter im kernpuukte recht hatte. In ästhetischen
dingen sieht die geniale Intuition des künstlei'S schärfer als die gelehrte forschung.
Die kritischen arbeiten Hebbels, bereits im 10. bände mit den aufsätzen für
Gutzkows 'Telegraph' aus den jähren 1839 — 1811 eingeleitet, füllen im übrigen den
elften und zwölften band. Das streng chronologische prinzip, das der herausgober
bei ihrer anordnung durchführt, will mir nicht gefallen. Es macht einen verwir-
renden eindruck, wenn die verschiedenartigsten materien unmittelbar nacheinander
behandelt werden, tiefgründige abhandlungen und llüchtige besprechungen von uovi-
täten miteinander abwechseln. Namentlich der 12. band ist infolge der durchführang
dieses prinzips sehr buntscheckig, ja ganz unübersichtlich geworden. Kann man es
denn billigen, dass nicht nur die 'Litcraturbriefe', sondern selbst die 3 aufsätzo über
Shakespeai'e und seine Zeitgenossen, die polemik gegen Bodenstedt, aus chronologischen
gründen zerrissen wurden? Hebbel hat die geplante herausgäbe seiner kritischen
Schriften nicht mehr selbst durchführen können. Da wäre es meines orachtens allein
richtig gewesen, die von Kuh aufgestellten grossen kategorien: zur theorie der kuust,
Charakteristiken, kritiken beizubehalten und das neu aufzunehmende in diese rubiiken
einzureihen. Diese sehr geschickte gruppierung bedarf nur in einzelheiten der cor-
rectur. — Zu den 'Telegraphenaufsätzen', welche sich durch das jugendlich ungestüme
feuer, bisweilen auch durch das etwas geschraubte pathos vor den späteren kritischen
arbeiten auszeichnen, sind 2 hinzugekommen; die nummern 22 und 23, die auch der
herausgeber anzweifelt, kann ich Hebbel nicht zuschreiben. Die in den späteren
bänden zum ersten male abgedruckten artikel ergänzen das bild, das man sich bis
dahin von Hebbel als kritiker machen konnte, in sehr dankenswerter weise. Vor allem
möchte ich in bd. XI auf nr. 36 (über Schillers AValienstein), ur. 47 (besprechung der
ersten aufführung des 'Rubin', die für des dichters mutige Wahrheitsliebe ein schönes
Zeugnis ablegt) und auf nr. 69, die aus den papieren des nachlasses veröffentlichten
anmerkungen Hebbels zu den ihm als preisrichter vorgelegten preisnovellen, dies
sehr interessante seitenstück zu Grillparzers anmerkungen über die 'Preislustspiele'
(Gr. werke, ausg. 5, bd. 18) aufmerksam machen. In band XII sind unter den zum
ersten male wieder hervorgezogenen aufsätzen nr. 74 (dramaturgische aphorismen),
nr. 75 (über Raupachs 'Nibelungenhort'), nr. 106 und 107 (sehr charakteristische
invectiven gegen die bildersucht der österreichischen poeten, namentlich Lenaus, und
gegen die 'schönen verse' Platens) besonders erwähnenswert, nr. 113 gehört in die
biographie, nicht in die werke. Bemerkt mag übrigens werden, dass die nr. 79
'Ernst freiherr von Feuchterslcben. Umrisse zu seiner biographie und Charakteristik'
durch, die vom herausgeber der raumersparnis halber vorgenommenen Streichungen,
nach meiner meinung, an Wirkung erheblich eingebüsst hat, mit genuss wird den
aufsatz nur lesen, wer das original, den nicht leicht zu beschaffenden siebenten band
der werke Feuchterslebens, sowie Grillparzers werke (bd 18) zur füllung der lücken
bei der band hat. Die nummern 75, 81, 107 und 121 sind in der inhalt.sangabe mit
einem Sternchen versehen, weil Hebbels autorschaft nicht belogt werden kann. Wer
mit seiner stilistischen eigenart vertraut ist, wii-d sie ihm ohuo jedes bedenken zu-
566 KRUMM
sprechen. Die kritische vorsieht des heraiisgebers ist gewiss lobenswert, doch scheint
sie mir in diesem falle zu weit zu gehen. Vielleicht sind einzelne der nach dem
Schlusswort (bd. XII, s.400) vorderhand noch nicht aufgenommeneü aufsätze mit unrecht
ausgeschlossen worden. Im wesentlichen kann die Sammlung freilich als vollständig
gelten. Nur ein glücklicher zufall könnte noch etwas zu tags fördern, was dem
unermüdlichen, bewuudcrswerten eifer Werners entgangen ist, wie es denn z. b.
bedauerlich ist, dass von der 'Oesterreichischen reichszeitung', deren feuilleton Hebbel
bis zum 15. niärz 1850 leitete, die nummern bis jetzt nur bis zum 31. dec. 1849 zu
erlangen waren. Mit der w'ertung der ästhetischen aufsätze und kritiken Hebbels durch
Werner bin ich, zu meinem bedauern, grundsätzlich nicht einverstanden. Er nennt
sie 'gelungener in der conception als in der ausführuug' (einleitung zum 12. bände,
Sx XIV). Das gilt doch nur für die vom Hegelianismus angekränkelten, wie vor allem
das 'Vorwort zur Maria Magdalena'. Sobald er den einfluss dieses damals die philo-
sophischen lehrstühle Deutschlands beherrschenden philosophen, den er in Kopenhagen
und Paris (1843 — 44) studierte, überwunden hatte, ihn, 'schon seiner Stilfehler wegen,
nicht mehr lesen konnte' (tagebuch vom 16. sept. 1846), ist von der Schwerfälligkeit,
dem 'lasterhaften deutsch', das seine geguer ihm so gerne vorwarfen, nichts mehr
zu spüren. Noch weniger kann ich dem herausgeber beistimmen, wenn er die von
Hebbel selbst eingeräumte tatsache, dass ästhetische aufsätze, im vergleich zu der
raschen production seiner poetischen werke, ihm langsam von der haud giengeu, aus
der 'Zaghaftigkeit des autodidakten' erklärt. Hebbel war einer der gewissenhaftesten
autoreu, die es je gegeben hat. A.ls er seinen aufsatz: 'mein wort über das drama',
die erwiderung an professor Heiberg, vollendet hatte, schrieb er in sein tagebuch
(juli 1843): „Ich habe die factoren meines geistes einmal in ihrem geschäft belauscht.
Es sind deren zwei wirksam: ich habe immer das grösste vertrauen, soweit es die
Sache und ihre richtigkeit im allgemeinen betrifft, aber zugleich auch das grösste
misstrauen im einzelnen. Jenes gibt mir die Sicherheit, die mich nie verlässt; dieses
die Vorsichtigkeit, die mich oft am weitergehen hindert." Das bedarf keines com-
mentars, findet übrigens in den sehr verwandten äusserungen eines Hebbel an impul-
siver leidenschaft noch weit übertreffenden Schriftstellers, J. J. Rousseau, eine merk-
würdige parallele. (Confessions, Partie I, Livre III). Eine scheu vor der Veröffent-
lichung der resultate seines denkens ist aus diesen und ähnlichen bekenntnissen
keinesfalls herauszulesen. Auf anderen gebieten des wissens verleugnet sich nirgends
Hebbels demut voller respect vor den überragenden leistungen anderer; in der erkeuntnis
ästhetischer dinge durfte er sich selbst die höchste norm und autorität sein.
Sollte der mann, der mit berechtigtem stolze in seiner autobiographischen skizze für
den Verleger Brockhaus (1852) von sich sagte: „Ich habe seit meinem 22. jähre, wo
ich den gelehrten weg einschlug und alle bis dahin versäumten Stationen nachholte,
nicht eme einzige wirklich. neue idee gewonnen; alles, was ich schon mehr oder weniger
dunkel ahnte, ist in mir nur weiter entwickelt und links und rechts bestätigt oder
bestritten worden", sich auf seiner eigensten domäne vor einem 'fachmann' gebeugt
habe? Eins freilich ist zuzugeben, was sich aus dem eben gesagten von selbst ergibt:
er verleugnet auch in seinen aufsätzen niemals die künstlerische natur, er schreibt
keine erschöpfenden abhandlungen, er überspringt öfters glieder der gedankeuentwick-
lung, die der strenge logiker vermisst, er wendet sich nie an lernende, immer nur
an solche, die mit ihm auf der höhe wandeln. Im letzten gründe verständlich und
sympathisch ist er nur künstlerisch empfindenden menschen — dieser vorzug ist zu-
gleich auch seine schranke. Deswegen kann nichts zweckloser sein, als aus seinen
i'BER HEBUELS WKUKE ED. U. M. WERNEK 567
verstreuten, durch Stimmung und gelegenhelt subjectiv gefärbten äusserungcn ein
'systom' zusammenzusetzen, wie es der von Werner citierte Arno Sdieunert in seinem
buciie: „Der pantragismus als systom der woltanscliauung und ästhetik Fi-. Hebbels.
Beiträge zur ästhetik VIII." Hamburg und Leipzig 1903) versucht hat. Das kann nur
zur karikierung, nicht zur erkonntnis seiner kunsttlioorie und seiner aufs engste mit ihr
verknüpften kunstpraxis führen. Nach meiner meiuung stellen die ästhetisch -kritischen
Schriften Hebbel unter die grossen moister unserer prosa, sie enthalten so viel neuen
Inhalts in klassisch vollendeter form, dass es noch recht lange dauern mag, bis sie für
kunst und Wissenschaft in ausgiebiger weise fruchtbar gemacht sind. In erster linie wird
es sich zunächst mehr darum handeln, sie zu ergründen, als kritik au ihnen zu üben.
Meine bomerkungen zu der kritischen arbeit, welche der herausgeber für die
herstelluug eines correcteu textes der schlussbände geleistet hat, müssen, aus den
bereits in den besprechungcn der früheren bände entwickelten gründen, kurz sein.
Dass mit dieser ausgäbe die philologische kritik des Hebbeltcxtes sehr erheblich ge-
fördert wurde, ist sicher, abgeschlossen ist sie dagegen ebenso wenig wie das jetzt
schon seit Jahrzehnten fortgesetzte bemühen, durch minutiöse gelehrte forschung einen
durchaus einwandfreien Goethetext zu schatTen. Auf die unvermeidlichen druckft'hler,
die jede noch so sorgfältige ausgäbe, die nicht von fremden äugen mehrfach nach-
geprüft wurde, enthalten muss, an denen folglich auch diese nicht gerade arm ist,
will ich nicht eingehen. Bemerken will ich nur, dass dieselben in bd. XII, s. 389 fg.
keineswegs alle verbessert sind; gerade die letzten bände bedürfen noch einer gründ-
lichen revision. Aus der fülle des übrigen materials, das ich "mir für spätere Ver-
wendung sammelte, will ich einzelnes zusammenstellen, nicht um an den hervor-
ragenden Verdiensten des herausgebers zu mäkeln, sondern um, nachzuweisen, dass
der vorliegende text noch nicht überall verlässlich sein dürfte. AVerners textkritik ist
eine sehr conservative. wofür ihm jeder verständige seine besondere anerkennung
aussprechen wird. Da jedoch für die letzten bände, mit wenigen ausnahmen, statt
der handschriften nur drucke vorlagen, über deren naclilässigkeit Hebbel bisweilen
klagt (vgl. den brief an Christine vom 18. 8. 1862, nachlese zu Hs. briefen II,
s. 257), so brauchte das sonst lobenswerte vertrauen des herausgebers zu den quellen
schwerlich so weit zu gehen , dass offenbare versehen , deren correctur sich von selbst
ergibt, stehen blieben. Am wenigsten war dies verfahren gut zu heissen, wenn
Werner sich dadurch in gegensatz zu dem ersten herausgeber Emil Kuh setzte, der
vielleicht noch handschriftliches benutzen konnte, das, bei seiner bekannten gleich-
giltigkeit, verloren gegangen ist. Als solche evidente textemendationen Kuhs, die
Werner, im vertrauen auf die druckvorlagen, mit unrecht strich, führe ich u. a. an:
X, 32-' (knickbeine statt Strickbeine), X,34-*' (gläsern dünn statt gläsern dürr),
X,416^' (veto statt votum), XI, 77'^ (stufe statt höhe). Als notwendige correcturen
füge ich meinerseits hinzu — ieh beschränke mich auf solche, die mir unwiderleglich
scheinen: — X, 61-® (sein statt ein gegen den text der A. a. z.), X, .304-" (mündig
statt würdig), XI, 24*'' (ausgewirkt statt auswirkt; kein teil des relativsatzes, sondern
zweites prädicat des hauptsatzes, im anschluss an z. 8), XI, 144'-' (es fehlt ein wort
vor ausge.statteten , etwa -verschwendcri-sch'), XI, 189 '^ (angeben statt angegeben),
XI, 207 -^ "• '^ (.seiner anstatt einer, ein anstatt sichj, XI, 271'-' (litteraturgeschichte
anstatt naturgeschichte), XII, 20''- (erschütternderer statt erschütternder), XII, 21'"
(Nur statt Und), XII, 194'^ (schläfrig statt schlüpfrig), XII, 197" ('war' statt 'wen'),
Xn,242-'' (schleienden statt schneidenden), XII, 296-° (an statt aus). — Auf grund
von erneuten vergleichungen mit gedruckten texten (A. A. z., Briefwechsel zwischen
568 KRUMM
Schiller und Körner) müssen folgende stellen geändert werden : X, 107 ' (das wörtchen
nur ist vor noch ausgefallen), X, 134^^ (eins statt es), XI, 113'*' (es anstatt er),
XI, 127-^ (es fehlt das wörtcheu zu vor eifersüchtig); XI, 234-* und 237-* ist dagegen
EHsa anstatt des richtigen Elias beizubehalten, da es sich auch in Meinholds 'Bern-
steinhexe' findet, obgleich ein versehen vorliegt (vgl 1. Könige, 17j. — Besonders
liederlich gedruckt wurden die bei Berendsohn erschienenen historischen Schriften,
vor allem die nanien. Ob es richtig war, alle incougruenzen beizubehalten, erscheint
mir mehr als fraglich. Es muss verbessert werden: IX, 51-° (Passau statt Breslau),
IX, 106'- (Ribnitz, Dammgarten, nach Schiller), IX, 183^- (Havelberg statt Gavel-
berg), IX, 322 -^"•^- (Peter Cauchou statt Pater C.)- — Als fehlergruppen , die sich
öfters widerholen, kennzeichne ich zwei: 1. die Verwechslung von eben und aber, in
Hebbels Schrift, wie ich mich überzeugt habe, kaum zu unterscheiden (VIII, 29'-;
IX, 33«, IX,127-''; XII, 71'*, XII, 328 s); 2. die vertauschung des präsens mit dem
imperfectum; sowol in der endung wie im ablaut (VIII, 184'-', VllI, 194^", VIII, 195-*;
X, 171-- [bereits von Kuh geändert], X, 367"; XI, 322-»; XII, 134^ XII, 149^^
XII, 197^). — Einzelne Vermutungen Werners, die ein bescheidenes plätzchen unter
den anmerkungen und lesarten gefunden haben', wüi'de ich ohne weiteres bedenken
in den text setzen: X, 343" (vgl. s. 457, anm.), XI, 21-° (meisterschütze statt muster-
schütze), XI, 55'^ ( falten anstatt fallen), XI, 129-" (furchtbarer anstatt fruchtbarer,
von mir bereits früher in dem handexemplar meiner Hebbelausgabe geändert). — Nur
an einer stelle, VIII, 43'--, hat der herausgeber meines eraohtens ohne not geändert.
Er fügte dort das w'ort 'erlebt' hinzu, weil er den norddeutschen, vielleicht speciell
schleswig-holsteinischen provincialismus 'man hat es' = es kommt vor, nicht kannte.
Zum Schlüsse noch einige randglossen zu den anmerkungen , die im allgemeinen
sehr reichhaltig sind und die weitesten ansprüche des lesers befriedigen werden! —
Zu bd. VIII. Zu dem biographischen material (s. 387 fg.) hätten im einzelnen noch
manche Verweisungen auf Emil Kuhs biographie hinzugefügt werden können, über
deren quellen in bezug auf die Wesselburener zeit Hebbels wir allerdings so gut wie
garnicht orientiert sind. Zu nr. 147 (s. 395) vermisse ich ferner die erwähnung einer
sehr merkwürdigen parallelstelle in dem briefe an Elise Lensing vom 30. märz 1845,
desgl. zu nr. 168 sowie nr. 173 (s. 397) den hinweis auf das tagebuch voni 20. fe-
bruar 1848 und auf das Vorspiel zum 'Demetrius'. — Zu bd. IX. Das original der
beiden einander gegenübergestellten Übersetzungen aus Byron (nr. III, s. 427) ist:
Lines, written beneath a picture. Athens, Jauuary, 1811. — Eine empfindliche Kicke
bemerke ich zu IV (Wie die Krähwinkler ein gedieht verstehen , ebenfalls auf s. 427).
Es ist nicht hervorgehoben, dass die erste Strophe der auf s. 9 abgedruckten 'verse'
sich auch in Hebbels am 15. april 1830 gedichteter 'Elegie am grabe eines jünglings'
findet (vgl. bd. VII, s. 24). — Ich vermisse anmerkungen zu s. 12, 45 (Jürgensen)
und s. 41, 1 (Zimmermann); trotz aller bemühungen ist es mir nicht gelungen, aus-
findig zu machen, wen Hebbel hier im äuge hatte. — Das auf s. 36 erwähnte gedieht
Th. Körners 'Deutschland' steht weder in "Leier und Schwert' noch sonst in seinen
werken; gemeint ist wahrscheinlich 'Mein vaterland'. — Zu bd. X. Werner ver-
mutet (s. 446), dass zu 176, 3 nach Schülers ein name ausgefallen sei; ich
glaube, dass schüler hier in dem sinne von scholar, student gebraucht ist.
— Die auf s. 457 zu 347, 20 citierte stelle aus Luthers 'Sendbrief vom dol-
metschen' war dem dichter bekannt, weil Klaus Groth sie als motto vor seinen
'Quickborn setzte. — Zu 408, 28fgg. (s. 466) hätte vor allem auch auf das zweite
gedieht unter dem titel: 'Dem schmerz sein recht' verwiesen werden müssen. —
ÜBER HEBBELS WEWKE ED. K. M. WERNER 569
Über die aufs. 03 u. 142 erwähnten, in der vomiärzlichou zeit auf dem hofburgtheater
aufgeführteu stücke wird der lescr gorno aufklärung haben wollen, da nur Bauern-
felds 'Bügerlich uud romantisch' bekannter ist; ,Der puls' von Babo, ,Er muss aufs
land' von Bayard, ,Dorf uud Stadt' von der Birch- Pfeiffer enthält Reclams universal-
bibliothek (ur. 217, 349, 3930). — Dass Hebbel auf s. 101,28 auf Grillparzers ge-
dieht 'Feldmarschall Radetzky' (anfang juui 1848) anspielt, musste auch erwähnt
werden. — Zu bd. XI. Ich halte es für unmöglich, dass der dichter den aufsatz
J. L. Heibergs aus Ftedrelandet nr. 12G1 selbst ins deutsche übertragen habe. Zunächst
war er sicher des dänischen nicht hinlänglich mächtig; vor allem aber enthält diese
Übersetzung so viel uudeutsches in Wortstellung und Wendungen (u. a. s. 429, 29 u.
430,32 gewiss genug = freilich, dän. vist nok^ s. 430, 2G befas.st = besagt, dän. be-
fatte^ s. 341, 14 läpperci ==flickwerk, dän. lapperi^ s. 435, 17 aufducken = auftauchen,
dän. f////r/iY' oyj, s. 430, 5 zurückgelegt = überwunden, dän. tilbagelagt^ s. 438, 8 ned-
su'iies iil »loinenicr = sich zu momonten uiedersetzen), dass sie nur von einem
Dänen, der das deutsche nicht idiomatisch sprach, vielleicht von P. L. Moeller, mit
dem Hebbel in Kopenhagen viel verkehrte, nicht von einem Deutschon, geschweige,
dem dichter selbst angefertigt sein kann. Er wird die ihm übersandte für seinen ge-
brauch copiert uud an besonders dunklen stellen mit den im text widergegebenen
fragezeichen versehen habeu. Es war deshalb auch nicht zu billigen, dass diese zum
teil geradezu unverständliche Übersetzung, als ob sie Hebbels eigenes elaborat wäre,
zur erläuterung der dänischen werte in fussnoten hinzugefügt wurde. — Übrigens
fehlt zu s. 435, 9 die Verweisung auf Heinrich Heines Schnabelewopski, kap. III. —
IiTtümlich wird auf s. 443 zu 50, 22 (Goethe an Zelter 4. 10. 1831) auf Heinrich
Laubes 'Neue reisenovellen' verwiesen, die Hebbel am 5. 12. 1837 für sein ttigebuch
ex'cerpierte. Die betreffende stelle des tagcbuches enthält nichts auf 50, 22 bezüg-
liches; den brief Wechsel zwischen Goethe und Zelter las Hebbel bereits im jähre 1836
in Heidelbei'g (vgl. Tgb. I, ausg. Werner, s. 44). — Auf s. 453 haben wir es mit einem
Irrtum Hebbels, nicht des herausgebers, zu tun. Im tagcbuch vom 20. 2. 1837 ver-
spottet er allerdings ein urteil Ben Johnsons über Shakespeare; es liegt aber eine
Verwechslung zwischen dem dichter und Zeitgenossen Shakespeares Ben Jenson und
seinem herausgeber und commentator Samuel Johnson vor. — Auf s. 455 zu 131, 26
kann ich keine beziehung zu der citierten tagebuchstelle aufspüren; auf s. 473 zu
'Über die preisnovellen' fehlt der hinweis auf den brief an Th. Rötscher vom 0. 10.
1851. — Auf s. 200 sagt Hebbel, dass er Grillparzers 'Ahufrau' bis dahin (1849) nicht
gelesen habe. Das steht in einem unerklärlichen Widerspruch zu einer briefstelle
aus dem jähre 1845 (Brw., ausg. Bamberg I, s. 392). — Zu bd. XII. Unter hinweis
auf Genesis 38,15 möchte der herausgeber auf s. 290,3 Schwester jn schnür
ändern (anm. s. 383). Dies sonst unbegreifliche versehen ist nur dadurch zu erklären,
dass Hebbel an der fraglichen stelle irrtümlich Juda anstatt Amnon schrieb. Das
richtige ergibt sich aus dem von ihm citierten stück Calderons; es ist kaum nötig,
noch auf 2. Sam. cap. 13 sowie auf bd. XII, s. 307, 18 zu verweisen. — Die auf s. 4
erwähnte 'Lelia' ist jedesfalls der roman von George Sand (1833). — Zu s. 127, 20 fg.
hätten die anmerkuugen auf Apostelgesch.il, v. 5 — 10, zu s. 240,24 auf Josua,
cap. 20 verweisen dürfen. — Auf s. 232, 25 citiert Hebbel sich selbst (prolog zum
'Diamant'). — Zu s. 295,30 hätte der herausgeber darauf aufmerksam macheu sollen,
dass der englische dichter Ford seinem von diMu Übersetzer Bodenstodt 'Giovanni und
Arabella' getaufton stück den titel: 'Tis a pity she's a whoro' gegeben hatte. — Hebbels
aufsatz über Johann Meyers 'Plattdeutsche gedichto' ist ein beweis für die Wahrheit
570 BEHICHTIGTINO ~ NEUK ^;RSCHHINUNGE^f
des Horazischen : quandoque bonus doi'mitat Homerus. Nur seine Daive freude an
den heimischen plattdeutschen lauten erklärt und entschuldigt es, dass er alles ernstes
einen vergleich zwischen Groth und Meyer, der ohne den ersteren in der litteratur
gar nicht existieren würde, anstellte. Seine leider sehr unbesonnene kritik ist seit-
dem öfters gedankenlos nachgeschrieben worden.
Dieser ersten abteilung der 'Sämtlichen werke' Hebbels ist inzwischen die
zweite, welche die tagebücher enthält, gefolgt, während die dritte, welche seine
briefe bringen soll, im erscheinen begriffen ist. Es ist damit in schuldiger pietät
der wünsch des dichters erfüllt, der, als er kurz vor seinem tode eine gesamtausgabe
plante, in einem briefe an seinen Verleger Campe vom 28. 5. 1863 ausdrücklich fest-
legte, dass sowol tagebücher wie briefe in dieselbe aufzunehmen seien. Sowol ihr
innerer wert als ihre enge Verknüpfung mit Hebbels schaffen rechtfertigen, ja fordern
diese erweiterung. Hoffentlich werden von jetzt an beide in jeder gesamtausgabe
seiner werke, die den uamen verdient, ihren platz finden. Mit der ausgäbe der tage-
bücher für Max Hesses vorlag beschäftigt, die im Spätherbst des vorigen jahres er-
schienen ist, habe ich alle stellen der zweiten abteilung der Wernerschen ausgäbe,
die mir irgendwie zweifelhaft schienen, mit den originalen des Weimarer archivs
verglichen, sowie alle mir erreichbaren autoreu, mit denen sich Hebbels denken be-
rührt, durchgearbeitet. Was ich zu AVeruers ausgäbe der tagebücher zu bemerken
hätte, ist also dort bereits gesagt, so dass ich auf widerholte ausführungeu ver-
zichten kann. Die bände, welche die briefe Hebbels enthalten, werden später in
dieser Zeitschrift besprochen werden.
KIEL. HKIJJIANN KEtTMll.
BERICHTIGUxNG.
S. 286 z. 3 lies: gesprochene decoratiouen st. gesprochene declamationen.
NEUE ERSCHEINUNGEN.
(Die retlaction ist bomülit , für alle zur besprechung- geeigneten werke aus dem gebiete der german.
Philologie sackkundige referenten zu gewinnen, übernimmt jedoch keine Verpflichtung, unverlangt
eingesendete bücher zu recensieren. Eine zurücklief erung der recensions-exemplare au
die herren Verleger findet unter keinen umständen statt.)
Anz, lleini*. , Die lateinischen magierspiele. Untersuchungen und texte zur Vor-
geschichte des deutschen weihnachtsspiels. Leipzig, J. C. Hinrichs 1905. VIII,
163 s. 5,40 m.
Beowulf, altenglisches heldengedicht, über.setzt und mit einleitung und erläuterungen
versehen von Paul Vogt. Mit einer karte der Nord- und Ostseeküsten. Halle,
Waisenhaus 1905. 104 s. 1,50 m.
— Routh, James Edward, Two studies on the ballad theory of the Beowulf together
with an introductory sketch of opinion. Baltimore, J. H. Fürst Company 1905. 57 s.
Bug-ge, Sophiis, Norges inskrifter med de aeldre runer. 2det bind, udgivet med bistand
af Magnus Olsen. 1. hefte (s. 461 — 595). 4. Christiania, A. W. Broggers
bogtrykkeri 1904. 6,80 kr.
— — Indledning: Runeskriftens oprindelse og teldste historie. Iste hefte. 128 s. 4.
Christiania 1905. 0,40 kr.
Dittrieh, Ottmar, Die grenzen der Sprachwissenschaft. Leipzig u. Berlin, B.G.Teubner
1905. 20 s.
NEUE ERSCHEINUNGEN 571
Goethe. — Goethes untorüaUungeu mit Friedrich Sorot. Nach dein französischen texte,
als eine bedeutend vermehrte und verbesserte ausgäbe dos 3. teils der Ecker-
manuschen Gespräche hrg. von C. A. If. Burkhardt. Weimar, Böhlau 1905.
XVII, 158 s. 4 m
Hebbel. — Behrens, Carl, Friedriuli Hebbel. Hans liv og digtning. Kjobenh.,
Brödrore Salmonsen 1905. (VIII), 351 s.
Hermann von Reuu. — Schönbach, Anton E., Über Hermann von Reun. [Sitz.ber.
der Kai.serl. akad. derwissensch. in Wien. GL.] Wien, Carl Gerold 1905. (II), 50 s.
Hertz, Uilh. , Gesammelte abhandlungen, hrg. von Fr. v. d. Loyen. Stuttgart und
Berlin. Cotta 1905. YIII, 519 s. lU m.
Hollander, Lee Milton, I'rehxal .s in Germanic together with the etymologies of
fratxe, schraube, guter dimje. [Dissert. der Johns Hopkins univ.J Baltimore,
■T. M. Fürst comp. 1905. 34 s.
Lessing.— Frey, Adolf, Die kuustform der Lessingsclien Laokoon mit beitragen zu
einem Laokooukommentar. Stuttgart und Berlin, Cotta 1905. IV, 194 s. 3 m.
Loewe, Riehard, Germanische Sprachwissenschaft. Leipzig, Gösclieu 1905. 148 s.
geb. 0,80 m.
Luther. — Herrmann, Max. „Ein feste Burg ist unser Gott-'. Vortrag, gehalten
in der Gessllschaft für deutsche litt, zu Berlin und mit ihrer Unterstützung heraus-
gegeben. Mit 6 tafeln und einem bibliographischen auhang. Berlin, B. Behr 1905.
32 s. 4° und 6 taif. geb. 4 m. [Nachweisung, dass eine angeblich von Luther
herrührende uiederschrift des liedes in einem drucke von 1516 eine fälschung ist]
3Ieyer, Conr. Ferd. — Blaser, Otto, Conr. Ferd. Meyers Renaissancenovellen.
Bern, A. Francke 1905. [ünter.suchuugen zur neueren sprach- und litt.gesch.
hrg. von Oskar F. Walzel. VHL] IX, 151 s. 2,80 m.
Meyer, Wilh. [aus Speyer], Gesammelte abhandlungen zur mittellateinischen rytmik.
Berlin, Weidmann 1905. 2 bde. (VIIIj, 875 und (IV), 403 s. 16 m.
— Übungsbeispiele über die satzschJüsse der lat. und griech. rytmischen prosa. Berlin,
Weidmann 1905. 32 s.
Minnesinger. — Lüderitz, Anna. Die liebestheorie der Proven^alen bei den minne-
singeru der Stauferzeit. [Lit.-hist. forschungen hrg. von Jos. Schick und M. frhr.
V. Waldberg. XXIX.] Berlin und Leipzig, E. Felber 1904. (VI), 136 s. 3 m.
Mörike. — Krauss, Rudolf, Eduard Mörikes leben und schaffen, nebst einer aus-
wabl seiner briefe. [Sonderabdruck aus: Eduard Mörikes sämtl. werke in 6 bdn.,
hrg. von Rud. Krauss.] Leipzig, Max Hesse o. j. 261 s., 2 portr. und 1 facs. 1,50 m.
Ordbok öfver svenska spräket utgifven af Svenska akademien. Hafte 28. 29. 30.
besittningsrätt-be.sold; cent-dag. Lund, Gleerup (Leipzig, Nils Pehrsson) 1905.
sp. 1441-1600; 49 — 304; 1—64. ä 1,50 kr.
Origines Islandicae. A collection of the morc important sagas and other native
writings relating to the settlement and early history of Iceiand edited and trans-
lated by Gudbrand Vigfusson and F. York Powell. 2 voll. Oxford,
Clarendon press 1905. XVI, 728 und VII, 787 s. 42 sh.
Otfrid. — Stümbke, Wilh., Das .schmückende beiwort in Otfrids Evangelieubuch.
[Greifswalder dissert.] Gieifswald 1905. (IV), 71 s.
Platen. — Aug. graf von Platen, Tagebücher, im auszuge hrg. von Erich Petzet.
München und Leipzig, R. Piper & co., o. j. XX, 400 s. 2 abbild. und L facs.
Prost, Johann, Die sage vom ewigen Juden in der neueren deutschen literatur.
Leipzig, Georg Wigand 1905. VIII, 167 s. 3 m.
572 NEUK ERSCHEINUNGEN
Rudolf von Ems. — Rudolfs von Ems Willehalm von Orleos, hi'g. aus dem Wasser-
burger codex dur.Fürstenbergiscben liofbibliothek in Douaueschingen von Victor
Junk. [Deutsche texte des mittelalters, hrg. von der Kgl. preuss. akad. der
wissensch. IL] Berlin, Weidmann 1905., XLIII, 277 s. und 3 taff. 10 m.
Salir, Julius, Das deutsche Volkslied, ausgewählt und erläutert. 2. aufl. Leipzig,
Göschen 1905. 189 s. geb. 0,80 m.
Schiller. — Burdach, Konr., Schiller-rede gehalten bei der gedächtnisfeier in der
Philharmonie zu Berlin am 8. mal 1905. Berlin, Weidmann 1905. 33 s. 0,60m.
— Pol, H., Die Vorbedingungen zu einem richtigen Verständnisse Schillers. Festrede
zur erinnerung an Schillers 100 -jährigen todestag Groningen, P. Noordhoff 1905.
24 s. 0,80 m.
Schlegel, Friedr. — Fr. Schlegels Fragmente \ind ideen, hrg. von Franz Deibel.
München und Leipzig, R. Piper & co. o. j. XXXIII, 290 s., 1 portr. und 1 facs.
Schmidt, Ludwig-, Geschichte der deutschen stamme bis zum ausgang der Völker-
wanderung. [Quellen und forschungen zur alten gesch. und geogr. hrg. von
W. Sieglin. X.] Berlin, Weidmann 1905. s. 103—231 und 2 karten. 5,60m.
Sehwarzeuherg'. — Scheel, Willy, Johann freiherr zu Schwarzenberg. Berlin,
J. Guttentag 1905. XVI, 381 s. und 1 abbild. 8 m.
Steyrer, Johaun, Der Ursprung und das iwachstum der spräche indogermanischer
Europäer. Wien, Alfr. Holder 1905. (IV), 176 s. 5,20 m.
Volks- und gesellschaftslieder des XV. und XVI. Jahrhunderts. I. Die lieder der
Heidelberger hs. Pal. 343 hrg. von Arthur Kopp. [Deutsche texte des mittel-
alters hrg. von der Kgl. preuss. akad. d. wissensch. V.] Berlin, Weidmann 1905.
XX, 254 s. und 1 facs. 7,60 m.
Wallner, Anton, Deutscher mythus in der tschechischen ursage. Laibach, v. Klein-
mayr & Bamberg 1905. 35 s. 0,60 m.
Waltharius. — Walthari poesis. Das Waltharilied Ekkehards I. von St. Gallen,
nach den Geraklushandschrifteu herausg. und erläutert von Hermann Althof.
Zweiter teil: Kommentar. Leipzig, Dietrich 1905. XXII, 416 s. 13 m.
Weihenstephaüer chrouik. — Freitag, Otto, Die sogenannte chrouik von Weihen-
stephan. Ein beitrag zur Karlssage. [Hermaea . . . herausg. von Ph. Strauch. I.]
Halle, Niemeyer 1905. XII, 181 s. 5 m.
Welse, Oskar, Ästhetik der deutschen spräche 2. verbess. aufl. Leipzig und Berlin,
Tcubuer 1905. VIII, 328 s. geb. 2,80 m.
Wenger, Karl, Historische romane deutscher romantiker. Bern, A. Francke 1905.
[Unters, zur neueren sprach- und litt.gesch. hrg. von Oskar F. Walzel. VII.]
VII, 123 s 2,40 m.
Wilser, Ludwig-, Die herkunft der Baiern, mit anhang: Stammbaum der langobar-
dischen könige. Zur runenkunde. Zwei abhaudhmgeu. Leii>zig und Wien. Akad.
Verlag für kunst und Wissenschaft 1905. 80 s.
Wimmer, Ludw\ F. A., De danske runemindesmgerker. Afbildningerne udforte af
J. Magnus Petersen. III. Runestenene i Skane og pä Bornholm. Kobenhavn,
Gyldendal 1904 — 1905. (IV), 328 s. gr. 4. 40 kr. = 45 m.
Wünsche, Aug:., Die i)flanzcnfabel in der Weltliteratur-. Leipzig und Wien, Akad.
Verlag für kunst und Wissenschaft 1905. (VI), 184 s.
Zehnjungfrauenspiel. — Das spiel von den zehn Jungfrauen und das Katharinenspiel
untersucht und hrg. von Otto Beckers. [Germanist, abhandlungen hrg. von
Fr. Vogt. 24.] Breslau, Marcus 1905. VIII, 158 s. 5 m.
NACHRICHTEN — I. SACHREGISTER
573
NACHRICHTEN.
Ende juli 1905 verschied zu Müustei- der geh. regieruugsrat prof. dr. Wilhelm
Storck (geb. zu Letmathe 5. juli 18J9); am 3. sept. 190.5 prof. dr. Robert Sprenger
iu Northoim (geb. zu Quedlinburg 20. febr. 18.51), in dem auch unsere Zeitschrift einen
mitarbeiter betrauert.
Prof. dr. J. Seomüller in Innsbruck ist als nachfolger Richard Heiuzels nach
Wien, prof. dr. J.Schatz in Innsbruck an die Universität Lemberg berufen.
Prof. dr. Fried r. Vogt in Marburg ist zum geh. regierungsrat ernannt, der
privatdocent prof. dr. Franz Saran in Halle zum extraordinarius befördert worden.
Es habilitierten sich: iu Marburg dr. Harry Maync für neuere litteratur-
geschichte, in München dr. Friodricli Wilhelm für deutsche spräche und litteratur,
iu Wien dr. Stefan Iloek für neuere deutsche litteraturgeschichte , iu Berlin dr. Georg
Baesecke für germanische philologie.
I. SACHREGISTER.
Alexandreis vgl. Eschenbach.
Atli, Attila vgl. Nibelungen.
Brynhild vgl. Nibelungen.
Cynewulf : Elene s. 1 fgg. , Verzeichnis aller
bearbeitungeu der legende s. 2fgg., ver-
gleichuug von Cynewulfs dichtung mit
den anderen bearbeitungeu der legende
s. 4 fgg.
Dietrich von Bern, vgl. PiSrekssaga.
drama: ausstattung der mittelalterlichen
bühne s. 283 fgg.
Edda, vgl. Nibelungen, vgl. V(jlsungasaga.
epos vgl. friesisch, vgl. heldensage, vgl.
hyperbel.
Eschenbach, Ulrich von: Ochsenfurter frag-
mente der Alexandreis , beschreibung der
hs. s. 348 fg., Verhältnis zu den anderen
hss. s. 348 anm., text s. 350 fg.
Faust vgl. Goethe.
Finnsage: vgl. Nibelungen; reconstruction
der sage s. 532 fgg.
flexion : nominaler genetiv im idg. s. 20 1 fg. ;
der genetiv in der Luzerner mundart
s. 273 fg.
fränkische psalmenfragmente: toxtkritische
bemerkungen s. 29 fgg.
friesische volk.sepik: die Volkslieder von
Asega und Kempa s. 433 fgg.
St. Galler spiel von der kiudheit Jesu
s. 423 fgg.
Gengenbach, Painphilus: lebensbe.schrei-
bung s. 43 fgg., Charakteristik s. 50 fgg.,
Stellung zur reformation s. .53 fgg., seine
dichtungen s. 56 fgg., seine spräche
s. .59 fgg., sprachliches Verhältnis der
Totenfresser und der Novella zu G.s
werken s. 00 fgg., s. 207 fgg., s. 220 fgg.,
G.s heimat ist Basel s. 218fgg. , auch
Tot. und Nov. stammen aus der Schweiz
s. 220 fgg., G. ist der Verfasser der Tot,
und der Novella s. 229 fg., s. 248 fgg.,
metrik der werke G.s und der Tot. und
der Novella s. 230 fgg.
Goethe: Faust s. 262 fg.
Goldenermärchen vgl. Gudrun.
gotisch vgl. Wulfda, vgl. westgotisch.
Gudrun: vgl. Nibelungen; einheitlichkeit
des Gudruuliedes s. 515fgg. , Ursprung
und entwicklung der sage s. 517 fgg.,
beziehungen der Hildesage zum Gol-
deneimärchen s. 518fgg. , s. 524fg., be-
ziehungen der Gudrunsage zur Historia
Apollonii s. 523 fg., der Herwigsago zur
Herbortsago s. 524, die Gudrunsage und
die Ragnars saga loöbrökar s. .525, die
sage von Oder und Sigrid s. 525, unter-
schied zwischen der Hilde- und der
Gudrungeschichto s. 525 fg.
Günzburg, Johann Eberliu von: nicht
der Verfasser der roformationsschrift
574
I. SACHREGISTER
„Klag und Autwort" s. 66fgg. ; vgl.
Rhegius.
Hagen vgl. Nibelungen.
Hebbel 561 ff. ; als eizähler von E. T. A.
Hoffmann, Contessa und Jean Paul be-
eiuflusst, aberunbcdeuteudöGl ; kritische
und histor. abhandlungen 562 fg., 565;
polit. aufsätze 564 fg.; seine Stellung zur
. Nibelungenfrage 565.
Heinzel, Richard, s. 506fg.
Heldensage: volkstümliche auffassung der
geschichte s. 412fg., die kautilenen-
theorie s. 413 fgg.
Helgi vgl. Nibelungen.
Heliaud s. 533.
Hehverd s. 433.
Hessus, Simon, vgl. Rhegius.
Hilde, vgl. Gudrun, vgl. Nibelungen.
Hildebrandslied: heimat des gedichtes s.
533 fgg.
Huon von Bordeaux s. 417 fgg.
hyperbel: groteske Übertreibung im mhd.
epos ist fi'enidländischen urspiungs
s. 422 fg.
Kindheit Jesu, St. Galler spiel, s. 423 fgg.
kunst vgl. Ornament.
lied: vgl. friesisch, vgl. heldensage; Darm-
städter liederhs. aus dem 16. jhd. s.
509 fgg.
Luzerner mundart vgl. flexion.
märchen: Verhältnis zur sage s. 494 fgg.
Maerlant s. 538 fg.
Mendelsohn, Moses, s. 527 fg.
Meyer, Sebastian, humanist, verf. des
Pfründmarkts der curtisanen s. 195 fg.
Muspilli s. 533.
Nibelungensage: älteste gestalt und ent-
wicklung der Hagensage s. 289 fgg.,
s. 295 fgg., s. 500 fgg., Sigmundsage
s. 290 fgg., Sigfridsage kein mythos
s. 292 fg., älteste form der Sigfridsage
s. 295 fgg., S.298, s. ,500 fgg., das motiv
vom Verwandtenmord s. 296 fgg., s.
500 fgg., bezieh ungen zwischen Hagen-,
Sigfrid-, Sigmund-, Helgi- und Hilde-
sage s. 296 fgg., s. 484fgg., s. 488 fgg.,
s. 500 fgg., der causälnexus innerhalb
der Hagen -Sigfridsage s. 300 fgg., s.
500 fgg. , die gier nach dem schätz als
beweggrund zu dem zweifachen mord
s. 302, die verquickung der Brynhild-
sage mit der Hagensage s. 303 fgg.,
s. .321 fgg, s. 344fgg., s. 500 fgg., der
zauberschlaf Brynhildens s. 304 fgg.,
s. 317 fg., s. 438 fgg., s. 500 fgg., Sig-
frids Unkenntnis seiner herkunft s.
309 fgg., S.488, s. 500 fgg., Günther s.
322 fgg., Sigfrids und Günthers ehe mit
Brynhild s. 324 fgg., s. 438 fgg., der
streit der königinnen s. 336 fgg., s. 438 fgg.,
Brynhildens zorn s. 339 fgg., s. 438 fgg.,
Heimir s. 343 fg. , identificierung der
Brynhild mit Kriemhilt s. 344 fgg.,
s. 500fgg. , Kriemhilts räche s. 346fgg.,
die lieder der lücke im Codex regius
s. 438 fgg., Strophe 36 — 38 der Sig.
sk. s. 461 fgg., die Sig. meiri s. 465 fgg.,
der drachenkampf und Brynhildens
erlösung getrennte stücke s. 471 fgg.,
s. 500 fgg. , einfügung des drachen-
kampfes in die alte Sigfrid -Hagensage
s. 473 fgg., s. 500 fgg., die Nibelungen
s. 474 fgg., s. 482 fgg., Regins Verhältnis
zu Sigurd s. 476 fgg. , Mimir s. 477 fg.,
die hornhaut s. 479, das drachenherz
und das verstehen der vogelsprache
s. 479 fgg. , die frauennamen s. 484fgg.,
Sigfrids vater s. 488 fgg., Sigfrids dienst-
barkeit s. 490 fgg., die hochzeit und die
einladnng nach Worms s. 492 fgg., die
sogenannten Sigfrid märchen in ihrer
heziehung zur sage s. 494 fgg.
Novella s. 40 fgg., s. 207fgg.
Ornament: german. orn. der völker-
wanderungszeit s. 264 fgg.
Pfründmarkt der curtisanen : Verfasser ist
Sebastian Meyer aus Neuenburg am
Rhein s. 194 fgg.
Platen s. 272 fg.
psalmer vgl. fi-änkisch.
reformationsschrif ten : Totenfresser und
Novella s. 40 fgg., s. 207 fgg.; vgl.
Rhegius.
Reinaert s. 537 fg.
Rhegius, Urban: Verfasser von Satiren
s. 66 fgg., Klag und Antwort s. 66 fgg.,
II. VERZEICHNIS DER BESPROCIIENEN STFXLEN
575
Weggespräch s. 70 fgg., Gespräch
zwischen edelmann, möuch und cur-
tisan s. 72 fgg., Ein iinterred s. 74 fg.,
Ayn freuntlich gesprech s. 75fg., ge-
dieht vom almosen, toxt s. 79fgg.,
quelle s. 85, sprachliche beweise für
des Rhegius autorschaft s. 91 fgg., be-
ziehungen zu den Hessusschriften s.
I02fgg. . Dialogus zwischen Kunz und
Fritz s. 106 fgg,, datieruug der Schriften
s. 111.
romanisch : aitportugiesische personen-
namen s. 541 fgg.
ruuen s. 271 fg.
Satire: begriff s. 536, Reinaert s. 537fg. ;
vgl. Rhegius.
schüttelformeu s. 256 fgg.
Sigfrid vgl. Nibelungen.
Syntax s. 261 fgg., s. 274.
tierschwank vgl. Reinaert.
Totenfresser s. 40fgg., s. 207 fgg.
Volkslied vgl. friesisch.
YQlsungasaga: die cinheitlichkeit der dar-
stellung in den cc. 28 und 29 und die
bedeutung der Y(jls. für die rekon-
struktion der lieder der lücke im Cod.
regius s. 19 fgg., s. 438fgg. ; vgl. Nibe-
lungen.
westgotisch: erschliessung des westg. auf
grund altportugiesischer personenuamen
s. 541 fgg.
"Wieland : politische anschauungen s. 427 fgg.
Wlemar s. 433.
Wulfila: ältere urteile über die über-
setzungstechnik des W. s. 145 fgg., ab-
weichungen des got. textes vom grie-
chischen s. 166 fgg., s. 253 fgg, s. 3.52 fgg.
s. 388 fgg., besonders bemerkenswerte
fälle wörtlicher Übereinstimmung zwi-
schen got. und griech. text s. 384 fg.,
Ws. Übersetzungstechnik s. 384fgg., die
gotisch- griechische litteratursprache s.
386 fgg.
?i5rekssaga: vgl. Nibelungen; Verhältnis
der hss. zu einander s. 126 fgg.
IL VERZEICHNIS DER BESPROCHENEN STELLEN.
Beowulf:
Beowulf:
Beowulf:
V.
242 fg.
s. 113.
V.
1002 fg.
s. 116.
V.
1174
s. 116.
■!)
252 fgg.
s. 113.
„
1014 fgg.
s. 116.
„
1177 fgg.
s. 117.
V
262
s. 113.
Tl
1064
s. 529.
n
1280 fg.
s. 117.
305
s. 113fg.
11
1066
s. 529 fg.
n
1285
s. 117.
V
328fg.
s. 114.
T,
1069
s. 530.
71
1333
s. 124.
•n
386 fg.
s. 114.
n
1072
s. 532.
V
1378 fg.
s. 117.
V
457 fgg.
s. 114.
„
1083
s. 530.
n
1382
s. 124.
n
489 fg.
s. 114.
11
10S6fg.
s. 530.
11
1408
s. 124.
„
522 fg.
s. 114.
„
1101
s. 530.
,,
1451
.s. 124.
75
574
s. 114.
n
1103
s. 530.
„
1.506
s. 124.
»
668
s. 115.
11
1104
s. 530.
„
1514
s. 117.
:,
681
s. 115.
11
1107
s. 530.
11
1604 fg.
s. 117.
7)
693
s. 115.
^
1118
s. .530 fg.
71
1624fg.
s. 117.
T)
728 fgg.
s. 115.
n
11 19 fg.
s. 116.
,r
1728fg.
s. 117fj
■n
7.39
s. 115.
^
1122
s. .531.
H
1755 fgg
s. 118.
T,
779
s. 11.5.
V
1126
s. .531.532.
.,
1832 fg.
s. 118.
V
788
H. 124.
^
1128
s. 531.
„
1840
s. 125.
n
844 fgg.
s. 115.
1
1142
S.531.
71
1860 fg.
s. 125.
■n
850
.s. 115 fg.
n
1151 fg.
s. 116.
n
19u3fg.
s. 118.
n
941
s. 124.
71
1171 fgg.
s. 116.
n
1925 fg.
s. 118.
576
in. WORTREGISTER
eo
wulf:
Beowulf:
FiuDsburgfragment:
V.
1931 fg.
s. 118. 125.
V.
2659 fg.
s. 121.
V. 13 s. 123. 531.
•n
1935
s. 119.
11
2661 fg.
s. 121.
„ 18 S.531.
V
1955 fgg.
s. 119.
17
2724 fg.
s. 121.
„ 19fg. s. 123. 531.
V
1980 fg.
s. 119.
„
2740
S.121.
„ 29 fg. s. 123.
r>
1982 fg.
s. 125.
11
2 7 64 fgg
. s. 122.
„ 30 8.531.
«
2035
s. 119.
n
2788
s. 122.
„ 33 s.531 fg.
n
2041
s. 119.
11
2930 fg.
s. 122.
„ 34 fg. s. 124.
11
2048
.s. 119.
11
3055 fg.
s. 122.
„ 35 S.532.
11
2152
s. 125.
11
3069 fg.
s. 122.
„ 40 s.532.
n
2226
s. 119.
„
3071 fg.
s. 122.
„ 41 s. 124.
n
11
V
11
n
2239 fg.
2251 fg.
2280 fgg.
2283 fg.
2337 fgg.
s. 119.
s. 120.
s. 125.
s. 120.
s. 120.
n
11
11
n
n
3073 fg.
3 118 fg.
3 126 fg.
3131
3180 fg.
s. 122.
s. 122.
s. 122.
s. 123.
s. 123.
Gotische Bibelübersetzung
Mc. 1,10 s.253.
Hildebrandslied:
V. 16 fg. s. 535 fg.
71
2395
s. 120.
Edd
a:
VQlsungasaga:
11
2430 fg.
s. 120.
Brot s
• 19fgg-,
438 fgg., 457.
V. 23 und 24 s. 465 fgg.
11
2441 fg.
s. 120.
Fäfnismql str. 40-46 s. 345.
0.26 fgg. s. 26, s. 438 fgg
11
2456 fg.
s. 120.
SigurS
arkviSa
en skamma
s. 465 fgg.
n
2464 fgg.
s. 120.
Str.
35-39 s
.22.
„ 28,16 S.20. 26. 469 fg.
11
2486
s. 120.
.Str.
36 s. 327 fg., s. 461 fgg.
„ 29,4—48 s.20. 440 fgg.
n
2489
s. 121.
Fini
isburgfragment:
„ 29, 144 s 20. 25.
11
2556
s. 121.
V.
Ifg. s.
123. 531.
„ 30 und 31 s. 449 fgg.
D
2573
s. 121.
11
5 s.
531.
„ 32 s. 455 fgg.
11
2645 fg.
s. 121.
n
11 s.
531.
III.
Jfeülioclideiitscli.
egge s. 397 fg.
fleiss s. 394 fg.
ohrfeige s. 396 fg.
puter s. 259 fg.
roggen s. 397 fg.
Schärpe s. 398.
schuft s. 260 fff.
WORTREGISTER.
tüte s. 396.
vergeuden s. 395 fg.
verquisten s. 395 fg.
weif s. 393 fg.
Sclnvedisch.
gäut s. 277.
hielmult s. 276 fg.
Buchdruckorei dos Waisenliauses iii Halle a. S.
/■'
PF
3003
Z35
Bdo7
Zeitschrift für deutsche
Philologie
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