ZEITSCHRIFT
FÜR
ETHNOLOGIE.
Organ der Berliner Gesellschaft
für
Anthropologie, Ethnologie und Urgeschichte.
Unter Mitwirkung des Vertreters derselben,
R. Virchow
herausgegeben von
A, Bastian und R. Hartiiianuc
Siebenter Band.
1875.
Mit 17 lithograpliirteri Tafeln.
Berlin.
Verlag von Wiegandt, Hempei & Parey.
T n h a 1 1.
Seite
A. Bastian, Australien und Nachbarschaft (Fortsetzung) 17. 163.
— — , Völkerkreise in Afrika 137.
Hildebrandt, J. M, Vorläufioe Bemerkungen über die Somal. (Hierzu Tafel I. u II.) 1.
Koner, W., Uebersicht der Literatur für Anthropologie, Ethnologie und Urgeschichte
im Jahre 1874 173.
Kuchenbuch, Funde und Fundorte von Resten aus vorhistorischer Zeit in der Umgegend
von Müncheberg, Mark Brandenburg 26.
Lorange, A., Ueber Spuren römischer Cultur in Norwegens älterem Eisenalter . . 245. 330.
Mannhardt, W., Dr, Die lettischen Sonnenmythen 73. 209. 281.
Meyer, K. F., Die Sieben vor Theben und die Chaldäische Woche 105.
Schwär tz, W., Zum Ursprung der Gebräuche der Urzeit 401.
von Stein, F., Die Mongolen. Aus dem Russischen übersetzt 353
— — , Die Skopzensekte in Russland in ihrer Entstehung, Organisation und Lehre.
Nach den zuverlässigsten Quellen dargestellt 37.
— — , Die Tanguten, Aus dem Russischen übersetzt 381.
Miscellen und Bücherschau 70. 203. 273. 345.
Verhandlungen der Berliner Gesellschaft für Anthropologie, Ethnologie und Urgeschichte,
(Ein specielles Inhalts- Verzeichniss der Verhandlungen, sowie ein alphabetisches Sach-Register
befinden sich am Schluss derselben.)
Verzeichniss der Tafeln.
Taf. I— II. Abbildungen von Somal. Zeitschr. S. 1,
„ III. Bronzen von Zuchen in Pommern. Anthropol. Ges. S. 24.
„ IV. Hutmachermaasse von Lappen. Authrop. Ges. S. 31.
» V. Bronzeschalen von Slaaken in der Mark. Anthrop. Ges. S. 45.
» "VI. 1—3. Thongefäss von Persanzig. Anthrop. Ges S. 60.
4. Thongefäss von der Insel Gotland. Anthrop. Ges. S. 61.
5. Gesichtsurne von Möen. Anthrop. Ges. S. 63.
„ VII. Funde von Seelow in der Mark. Anthrop. Ges. S. 85.
„ VIII. Bronzen von Zaborowo in Posen. Anthrop. Ges. S. 95.
, IX. Funde von Stargard u. Lüptow in Pommern. Anthrop. Ges. S. 125.
a X. Bronzen aus dem Braunschweiger Museum. Anthrop. Ges. S. 143.
„ XL Thongefäss, Bronzen u. eiserne Sachen aus dem Gräberfelde von Zaborowo in Posen.
Anthrop. Gesellsch. S. 154.
, XII. Brasilianische Wilde. Anthrop. Ges. S. 165.
, XIII. A. Normannisches Schiffsgrab von Ronneburg in Livland. Anthrop. Ges. S. 214.
B. 4—126. Bronzen und andere Funde von da.
B. a— h. Funde aus dem Opferhügel von Strante in Livland. Anthrop. Ges. S. 224.
„ XIV. Funde aus dem Rinne-Hügel am Burtneck-See in Livland, Anthrop. Ges. S. 218.
„ XV. 1—2. Andamanesen. Anthrop. Ges. S. 254.
3—5. Nicobaresen. Authrop. Ges. S. 185.
„ XVI. 1. Bronzehalsschmuck von Lehmden in Oldenburg. Anthrop. Ges. S. 232.
2- 6. Gräberfund von Ruszcza in Polen. Anthrop. Ges. S. 258.
„ XVII. Sacrale und lumbale Trichose. Anthrop. Ges. S. 279.
Druckfeh 1er- Berichtigung.
S. 261 statt VERANT muss es heissen VERÜNT.
S. 269 unten statt Bratsteine muss es heissen Bretsteine.
Vorläufige Bemerkungen über die 86mal.
Von J. M. Hildebrandt.
Hierzu Tafel I und II.')
Wie auf allen anderen' Gebieten der Erde, so haben sich auch in Afrika
Völkerwanderungen zugetragen, Strömen gleich, hier verheerend, dort segen-
spendend. Oftmals waren es Berglande, aus denen, dem tosenden Wildbach
ähnlich, ein starker Stamm entströmte. Alles vor sich vernichtend und erst
dann seinen Lauf beruhigend, wenn seine erstmals vereinte Kraft in
schwächendem, weit theilenden Geäder sich über weite Strecken breitete.
Solchergestalt erscheinen uns die Orma, von ihren Nachbarn Gala —
was in ihrer eignen Sprache „Heimathsuchende" bedeutet — genannt. Die
Quellen dieses mächtigen Volkstroms scheinen in den Bergen Süd-Abessiniens
und des östlichen aequatorialen Afrlka's und in den weiten Plateaux, aus
denen sie sich erheben, ihren Ursprung zu haben. Diesen Stammsitz halten
sie noch jetzt inne. Ein Arm dieses Stroms ergoss sich südlich über
schwächere Neger und bildete mit ihnen Magai, Wakuafi, Wanika,
Wado e und andere Stämme, bis er den von Süd andringenden Verwandten
der grossen Kafferrace begegnete, die seinem Weiterschreiten entgegen-
standen. Ebenso im Süd- West und West , im Seen- und Nil-Gebiet. Nörd-
lich verbreiteten sich die Orma als Somal, Afer (Danakil) und Schoho,
vielleicht gar, dass Habäb-Völ ker, Beschartn und Hadendoa noch in
das System dieses Volkstroms gehören. Gegen Abessinien hin erscheint
seine Scheide wenig scharf ausgeprägt. Die Zusammengehörigkeit dieser
Völker las st sich anthropologisch — allerdings bis jetzt nur nur durch phy-
siognomische, äussere Aehnlichkeit — in einigen, allen gleichen Gebräuchen
und Sprachverwandtschaft vermuthen, ein endgültiger Beweis für solche
') Nach Photographien, die vom Verfasser theils selbst ausgeführt, theils von ihm iu
Aden erworben sind. Taf. II Fig. 4 gehörte der Sammlung des Herrn Dr. J^or an.
ZeitscUrift für Ethuolügie, Jahrgang 1S75. 1
2 .1. M. Hildebrandt:
Annahme — sei er positiv oder negativ — ist jedoch erst dann zu erzielen,
wenn ein vielartiges Material zur Sichtung herbei gebracht ist. Nun besitzen
wir aber über diese Völkergruppe nur sehr wenige Angaben; nur selten ist
es Reisenden gelungen, bei ihnen Einlass zu finden, nicht alle sind aus
ihren unwirthlichen Landen zurückgekehrt. Besonders die SomaP) sind
seit alters dem Reisenden gefährlich gewesen, Barbarea hiess der District
um den noch jetzt blühenden Marktplatz Berbera. Sie bewohnen die grossen
Ebenen, die sich von Abessinien zum Indischen Ocean hinziehen südlich bis
über den G<')buin2) hinaus. An der Küste des Golfs von Aden erheben sich,
nahe bei Berbera beginnend und im Ra^ Assir (Cap Guardafui) endend, die
Gebirge (Ahl), in denen Weihrauch und Myrrhe ihre Heimath haben. Hier
in Berbera undBulhar und später imBenadir^) besuchte ich die Sömal;
jedesmal war mir jedoch nur sehr kurze Zeit zu verweilen vergönnt, sodass
ich nur wenige Notizen über dieses Volk zu sammeln im Stande war. Ich
säume jedoch nicht, auch diese wenigen hier niederzulegen, da sie theils zur
Bestätigung älterer Nachrichten dienen können, dann auch wohl einiges
weniger Bekannte enthalten dürften.
Die Söinal erinnern sich in Traditionen, dass das Land, in dem sie
hausen , ehemals von Gala besetzt war; glaubensmuthige Araber landeten an
seinen Küsten, mehrten sich untereinander und bildeten ihre Stammältern.
Diese Erzählung fasst manches Wahrscheinliche in sich, nur dass solche
Einwanderung semitischer Völker weit früher stattgefunden haben muss. Der
Weihrauchhandel ist uralt, die Handels-Emporien Seila, Berbera und Hafüu
werden von den ältesten Sclu'iftstellein erwähnt. Die Sömal-Ijänder liegen au
der schon so frühzeitig befahrenen W asserstrasse, auf der Erzeugnisse Indiens
mit denen Süd-Afrikas ausgetauscht werden. Auch der Connex, in dem die
Aethiopier mit den ältesten Culturvölkern standen, kann auf die Somal, ihre
südlichen Nachbarn, nicht ohne Eintluss geblieben sein, da durch deren Gebiet,
wie durch das der Afer (Danakil), der natürliche Weg zum Hochlande führt;
vielmehr deuten einige bei ihnen noch jetzt herrschende Gebräuche, wie sie die
alten Hebräer und Aegypter hatten; auf diesen Einfluss bestimmt hin. In
solcher Weise, theils durch Blutverniischung mit höher stehenden Völkern,
theils durch deren geistig zeitigende Einwirkung sehen wir denn, dass sich
die Sömal zu einer starken Nation heranbildeten; hier, wo der Boden zur
Cultur einladet, wie in lliiniir einen Staat bildend, dort, wo die Knoten-
puncte der (.'arawanenstiiissen . wie in Genane, oder bei deren Mündung an
der Küste, Märkte errichtend. So segensreich nun auch dieser Handelsver-
kehr im Grossen und Ganzen wirkte, da sich mit dem vermehrten Bedürfniss,
welches der Import luxuriöser Waaren anregt, zugleich höhere Cultur ver-
breitet, so wurde doch unter dem Schutze Merkurs neben dem streitbaren
') Siiinal ist l'iurai zu Somfili. Sotnai lieisst in der Landessprache scliwarz, dunkel. D. Verf.
*) (jdliuin lieisst Kluss par exceilence. Ujidi scheint arabisciie Korruption.
■'■) Beiiadir im arali. i'.enadir: Iliifen, heisst die Strecke von Mükdischu bis Kismäjo.
Vorläufige Bemerkungen über die Sömal. 3
Kaufmann auch der Dieb im Kampfe um den Besitz ausgebildet. Dadurch
entstand Fehde unter den Händlern selbst und zwischen ihnen und den un-
gesitteteren Völkern des Innern, von denen die Producte geholt wurden, in
welcher letztere unterlagen. Als nun gar der Islam auftrat, der eine scharfe
Grenze zwischen Gebildeten und Ungebildeten, zwischen Gläubigen und
Heiden zog, ward der Somal immer mehr von seinem Urstamm, dem der
Orraa, entfremdet und überzog dessen Gebiet mit Feuer und Schwert. So
sehen wir heute nocb diese rückläufige Strömung in breiter Fluth, von
Härrär bis zum Indischen Weltmeer südlich weiter ziehend, die Eigenart
der Orma zerstören.
Aus dem Gesagten erhellt, dass die Somal ein Mischvolk sind. Wenn
man, wie in Berbera, Bulhär, ßaraua oder Aden eine grössere Anzahl der-
selben zusammensieht, so gewahrt man, trotz einer gewissen National-Aehn-
lichkeit, dennoch eine bedeutende Divergenz der Endpunkte zweier Typen-
reihen , welches sich vielleicht folgendermaassen in Worten wiedergeben lässt :
Die einen zeigen ein Verharren am Afrikanischen, (so Taf. I,
Fig. 4, G, 8; Taf. II, Fig. 2, 4, 7.). Sie sind characterisirt durch flache
Stirn, Jochscheitel, stumpfe, breite, flügelige Nase, wulstige Lippen,
prognanthen Unterkiefer und Zähne, krauses, kurzes Haar. Der Bart fehlt
meist oder ist nur schwach zur Seite des Kinns ausgebildet. Gestalt plump,
untersetzt mit kräftigen Gliedmassen. Hautfarbe stets sehr dunkel.
Die andere Gruppe deutet auf eine Annäherung des Afrikanischen
ans Semitische. Ihre Repräsentanten (wie Taf. I, Fig. 1, 2, 3, 5, 7;
Taf. II, Fig. 1, 5) zeigen eine hohe, seitlich schmale Stirn, bei vorragendem
Scheitel, leicht gekrümmte Nase mit wenig grossen Oeffnungen, Jochbein
vorstehend, Augen tiefliegend, klein; Mund gut geschnitten, Unterlippe zu-
weilen etwas hängend, Kinn schmal, Zähne regelmässig, wenig vorstehend,
lockiges, nicht krauses Haar, das bis 0,5'" lang, etwas starr ist; zuweilen
einen stattlichen, meist jedoch wenig entwickelten, seitlichen Kiunbart, Ge-
stalt auffallend schlank, oft über 2 "'• hoch, Extremitäten mager, sehr auffällig
lang, Hüften der Weiber schmal, Hautfarbe sehr wechselnd, von licht-braun
bis tief-dunkel.
Dieser letzt genannte Typus ist der bei weitem prädominirende, sowohl
in Zahl der Individuen, als in geistiger Hervorragung des einzelneu. Mau
erkennt bei eingehenderer Betrachtung, dass der negerartige, obgleich weder
durch niedrigere sociale Stellung, noch durch körperliche Schwäche dazu
direct veranlasst, sich dem stolzeren Andern unterordnet. Zwischen den
Somal des Nordens (die sich z. B. in Berbera zur Beobachtung geben) und
denen des Südens (die ich in Baraua und Marka traf) konnte ich keinen be-
stimmten Unterschied erkennen, letztere scheinen jedoch im Ganzen etwas
dunkler. Den arabischen Typus findet man wohl am reinsten erhalten in
den festen Städten an der Küste des Indischen Oceaus, w^enisrstens in eiuisfeu
Familien, die ihren arabischen Stammbaum — natürlich nur iu väterlicher
4 J. M. Hildebrandt:
Linie — verfolgen können. Andererseits finden sich Negersclaven und Scla-
vinnen (besonders über Sansibar eingeführt) unter den Somal, die zu Frauen
genommen und deren Kinder in den Stammverband einverleibt werden. Von
diesen verschieden sind die Paria-Kasten der Somal.') Bei den Wer-
Singelli'si) gi^jj es folgende:
1) Midgan, ihres Zeichens Eisenarbeiter, ^) welche jedoch ebenfalls ,
Handel treiben und oft relativ bedeutenden Reichthum und dadurch Achtung
erlangen, sodass es der noble SoraTdi sogar über sich gewinnt, eine seiner
Töchter an einen Midgan zu verheuern.
2) Tomal: Sie stehen in einer Art Hörigkeit zu den grossen Somalen
und werden als Diener, Hirten und Kameeltreiber benutzt, auch im Kriege
aufgeboten. Der edle Wer-Singelli führt nun Schwert und Speer, während
der Toniali Bogen und Pfeile trägt. '^) Zuweilen wird ihm ein Mädchen der
Midgan, niemals der noblen Somal zur Frau gegeben. Sie gehören jedoch
zum Stamme.
3) Jibbir endlich sind die Verachteten, Geflohenen. Sie haben keinen
bestimmten Wohnsitz; familienweise ziehen sie durch das Land, von Stamm
zu Stamm, als Gaukler und Wunderdoctoren. Jedermann reicht ihnen, aus
Furcht vor Hexenwerk, Speise und Geschenke, wofür sie Amulete aus
Steinen (auch „Schlangenbisssteine") und Wurzeln vertheilen. Sie heirathen
nur unter einander.
Diese unteren Kasten sind, soviel ich wenigstens erkunden konnte,
vom ächten Somnli weder in äusserer Erscheinung, noch durch Sprache unter-
schieden, auch erfuhr ich nichts über ihren Ursprung.
Ich bemerkte nicht, dass sich die S(')malen in irgend einer Weise — sei
es durch Tättowirung, Zahndeforrnirung oder dgl. — Stammesabzeichen an
ihrem Körper anbringen.
Die Beschnei düng wird bei Knaben und Mädchen zwischen dem
achten und zehnten Jahre ausgeführt; letztere werden zugleich „vernäht,"
indem die verwundeten Schanilippenränder mit Pferdehaaren theilweise zu-
sammengenäht wer(h'n und bis auf einen engen Canal verwachsen. Die B e-
schneid ungsw unde w^rd durch Aufstreuen pulverisirter Loosung einer
Hyraxspecies in der Heilung beschleunigt. Zum Stillen des Blutes nach
dem Gebäreji trinkt die Wöchnerin den Decot gerbstoffreicher Acacienrinde;
vom vierten l)is zwanzigsten Tage räuchert sich dieselbe mit verschiedenen
Holzarten, auch wird zur Contrahirung der Vagina halbgelöschtcr Kalk
') Wie hei <leii incisteii oriciitalisclieii Völkora, auch bei den ächten Orma vorliomraend.
-) Ueber die Ivasten der Süd-Sninal ver(il. Kinzelbach's Nachrichten in v. d. Deckens Reisen
Vol. II, p. ?r20. Ehü^o Aiidciit.niiueii fiiidon sich auch in „Harris Gesandtschafts-Reise nach
Schoa.
') Auch die Abessinier, Araber und viele anderen (selbst nordische) Völker verachten und
fürchten den Schmied als Zauberer.
■•) Bei den andern Sf'imal-Stämmcu scheint solcher Unterschied in der Bewaffnung- nicht zu
herrschen.
Vorläufige Bemerkungen über die Somal. 5
eingerieben. Gegen Syphilis (Lfiho im Homali), welche übrigens selten
vorkommt und meist von Arabien diiect eingeschleppt wurde , trinkt man
grosse Mengen ausgelassenen Fettes des Schafschwanzes; l)ei tertiärer unter-
ziehen sie sich der grausamen Marter, dick mit Salz bestreuet einen Tag
lang, leicht von Sand bedeckt, in der Sonne auszuharren. Danach folgt eine
lang fortgesetzte Diät von abgekochtem Sorghum.
Das Hauptremedium der Sömal gegen innere Krankheiten ist das
Feuer. Man sieht oft Gestalten, deren dunkle Haut über und über frisch-
rothe Feuerbrandmale zeigt. Man brennt mit glimmenden Holzspänen, nicht
mit glühendem Eisen. Gegen Fieber z. B. macht man an den Schläfen , aut
dem Scheitel und im Nacken Brandwunden. Nebendem bildet Blutenziehen
ein beliebtes Heilverfahren; so wird z. B. ein durch Gicht oder Verrenkung
steifer Körpertheil dadurch gemartert, dass man seine Haut hier und da
zwischen zwei Fingern faltig kneift und mit einer Scheere abzwickt. Eine
sonderbare Kur wenden die Somal an, wenn sie sich bei Todtenschmäusen
oder andern Gelegenheiten den Magen überladen haben. Man drückt näm-
lich dann die Zungenspitze des Patienten mit einem gabeligen Stäbchen nach
hinten zurück und ritzt mittels eines Messers od. dgl. in beide Seiten ihrer
Unterfläche mehrere Schnittchen, so dass Blut herausläuft, dann — zwei Tage
absolutes Fasten. Ob nun letzteres, oder der Zungenaderlass wirkt, lasseich
dahin gestellt sein.
Gebrochene Gliedmassen werden zwischen Holzschienen mit nassen
Lederstreifen eingebunden. Bis zur Heilung geniesst man hauptsächlich
Kameelfleisch und Milch.
Schnittwunden werden mit Pferdehaaren zugenäht und folgt darauf
eine drei- bis sechstägige Hungerkur.
Wenn, wie es häufig durch Keulenschläge geschieht, die Hirnschale
zersplittert ist, so schneidet man die Kopfhaut auf, nimmt den Knochen-
splitter heraus und begiesst das blosgelegte Hirn mit lauwarmen aus dem
Schafschwanze gewonnenem Fette.
In schmerzende hohle Zähne pinseln sie den Schleim einer laulen Zie-
genbockruthe.
Hat eine Schlange gebissen und ist kein Schlangensteiu zur Hand, so
schneidet ihr der Betroffene den Kopf ab und zerbeisst ihn, ist ihr jedoch
nicht habhaft zu werden, so — isst er eine Dattel, worauf er geheilt
sein soll.
Ist jemand von einem vergifteten Pfeile getroffen, so tupft er mit dem
gleichen Gifte auf seine Zunge, was als Gegengift wirken soll. Besser
ist jedenfalls das ebenfalls bekannte Auswaschen der Wunde mit Urin. Hilft
alles dieses nicht, so wird das verletzte Glied abgeschnitten, nachdem mau
sich vorher überzeugt hat, ob die Kopfhaare noch fest sitzen. Gehen diese
jedoch beim Zupfen los, so ist jeder Rettungsversuch vergeblich.
Das Haar wird vom Manne möglichst lang getragen, in der Mitte ge-
6 .]. M. Hildedrandt:
scheitelt in einem aus lose gedrehten — nicht geflochtenen — Zöpfchen ge-
bildeten grossen Wulste. Es wird mit einem Stäbchen, oder einer zwei-
oder dreizinkigen Gabel (Sarrafi" der Süd-Somal, Tanna im Baraua-Kisuah^li)
geordnet. Dieses bei allen Völkern äthiopischer Verwandtschaft vorkommende
Geräth wird im Haare des Hinterkopfes stets mitgeführt und dient auch zum
„Jucken". Von ähnlicher sehr hübscher Schnitzarbeit ist der „Qurbäl" ge-
nannte Halter der Straussfedertrophäe. Er hat vier im Quadrat
stehende lange Zähne und wird ebenfalls im Haar getragen. Von Zeit zu
Zeit wird die ganze Frisur mit einer dicken Lage von frisch gelöschtem Kalk
beschmiert, der, einige Stunden bleibend, die Läuse zerstört und das Haar
fahlroth bleicht. Auch gelblichen Thon, durch den allerdings beide Zwecke
nicht erreicht werden, verwendet mau. Butter, Talg oder das ausgekauete
rohe Fett des Schafschwanzes wird massig aufgetragen.
Von den Stämmen des Innern wird eine aus Schaffell gefertigte, röthlich
gefärbte Perrücke getragen. Uebrigens scheeren sich strenggläubige Sömal
das Haupthaar und bedecken den Kopf mit einem Turban.
Die Haartracht der Frauen ist verschiedeuartig. Entweder kämmen
sie es zu einem grossen Wulst aus (Taf. I, Fig. 5), flechten es in Zöpfe
(Taf. I, Fig. 6) oder, und dies ist bei weitem die häufigste Art, rollen es
dicht ein und ordnen es zu wenig erhabenen, schmalen Wulstreihen, die,
durch Scheitel getrennt, über den Schädel verlaufen wie Meridiane über
einen Globus. Der Pol, an dem diese Reihen sich zusammenfinden, liegt
am Hinterkopfe. Hier ist uft ein kleiner Zopf gedreht. Der Kamm der
Frauen ist gross und hat viele Zähne, die auf der einen Seite weit von ein-
einander, auf der anderen Seite eng stehen. Er wird nicht im Haar getragen.
Kinder und Mädchen gehen baarhaupts, verheirathete Frauen bedecken den
Kopf mit einem Stück blauen Calico (Taf. I, Fig. 7. Taf. H, Fig. 1, 2).
Einflechten von Perlen etc. in's Haar findet selten statt. Schleier tragen
die Sömal-Weiber gewöhnlich nicht.
Zum Schutze der Frisur dient beim Schlafen den Sömal (wie so vielen
andern Völkern) die Nackenstütze, „Qorbörschi" genannt.
Die ihnen eigenthümliche Bekleidung besteht aus weichgewalktem Scbaf-
leder. Die Männer tragen es als c. 5 Ellen langen und c. H Ellen breiten
Lendenschurz „Keräm", der bei Tage durch einen aus mehreren feinen Le-
dersträngen zusammengesetzten Gurt festgehalten wird, bei Nacht gelöst deu
ganzen Kr.rper bedeckt. Das der Frauen „Du'' genannt, ist bei weitem
grösser und liüllt den Körper vom Halse bis zu den Waden ein; ein Gurt
schnürt es um die Hüften. Es ist an seinem unteren Ende mit Prangen
verziert, in die Gauri-Muscheln') befestigt werden. Jedoch hat Baumwollen-
stoff" dieses primitive Kleidungsmaterial im grössten Theil des Somal-Landes
bereits verdrängt; nur noch die armen Bewohner im tiefen Innern und die
') Die gewöhnliche „Alel" aus Ost- Afrika, die kleinere „Ledjol" vom Rothen Meere
jmportirt.
Vorläufige Bemerkungen über die Somal. 7
der Berge benutzen es. In Härrär und im Inundationsgebiet des Wobbi und
Göbuiu wird Baumwolle in grösseren Quantitäten angebaut und auf Webstühlen,
die den abessinischen ähneln, zu Tüchern („N'guo" im Benadir genannt)
verarbeitet, die aus zwei zusanmicngenilhteu „Breiten'' bestehen. Von diesen
Tüchern gehören zwei gleiche zum vollständigen Anzüge, das eine zum Be-
decken des Unterkörpers, welches durch einen Lendengurt gehalten wird und
beim Manne bis an die Kniee, bei den Weibern noch tiefer hinabreicht.
Das andere dient als lose, oder bei den Weibern Icstan liegen de Be-
deckung des Überkörpers. Ausser diesen beiden Tüchern verwendet der SomAli
noch eine schmale, aber sehr lange Leibbinde (Surei der S<')m. d. Südens,
L kerri im Bar. Kis.),') in welche die Scheide des Schwertmessers einge-
bunden wird. Sandalen werden häufig, jedoch nicht allgemein getragen.
Sie sind, obgleich den arabischen im Ganzen ähnlich, dadurch ausgezeichnet,
dass sie au der hinteren Hälfte der Sohle zu den Seiten einen dreilinger-
breiten, aufrechten Rand haben (bei Taf. JI, Fig. 'i sichtbar). Auch Holz-
Sandalen, oft von enormer Grösse und Schwere, mit hohem Sohlen- und
Fersenaufsatz und einem erhabenen liande um die ganze Sohlentläche , ge-
wahrte ich im Benadir; sie werden von den Weibern bei Regen und auf
Schlammboden angewendet. Die Somal tragen, ausser Amuleten aus Holz
und in Ledertäschchen, nicht viel Zierrath; die Weiber Glas- und
Glasperl -Schnüre, kleine Ringe im Ohrläppchen, Armspangen aus Por-
zellan oder Glasfluss (auch wohl aus Hörn), die Männer gewöhnlich gar
keinen Schmuck, nur sind bei ihnen zwei, bis faustgrosse, roh geschnittene
Bernsteinperlen ^) beliebt. Sie werden vorn am Halse getragen (so Taf. I.
Fig. 1 und 3) auf einen Lederstreif gezogen , dessen eines Ende durch einen
Schnitt im andern, eine Schleife bildend, geht, und Fusslaug den Rücken hin-
unterhängt. Bei den Süd-Somal ist dieser Schmuck übrigens wenig gebräuch-
lich. In letzter Zeit kommt auch eine Glas-Imitation desselben in Aufnahme.
Auf Reisen trägt der Somali ausser den Waffen - wovon gleich unten
Näheres — die „Masalla", eine wappenschildförniig zugeschnittene rothgegerbte
Ziegenhaut, die als Teppich beim Beleu dient, der Länge nach gefaltet über die
Schulter geworfen; ebenso die übbo-uessa, eine aus Bast oder Fasern-*) ge-
flochtene Flasche, in welcher Wasser zum Trinken und zu den religöseu
Abwaschungen mitgeführt wird. Ein kleines Loch im hölzernen Stopfen er-
laubt dem edlen Nass nur in feinem Strahl auszutliesseu , wodurch grosse
Oecünomie erzielt wird. Im Köcher werden die Feuerreibhölzer (Morut)
aufbewahrt, an seinem Gehäng findet sich die Zahnbürste (Rumai) aus
') Bitru der At'or; sie wird ebenfalls von den Habab-Völkern benutzt.
•.') Woher diese Ornamentirune- stammt, kann ich nicht genau anjjjeben: ich erfuhr in
Allen, dass vor nicht vielen Jahren ein dortiger arabischer Kaufmann einen Posten geringeren
Bernsteins aus der Türkei, wo er zu Pfeifeiispitzen zu schlecht befunden worden, erhielt.
Dieser soll seinen Gebrauch als Schmuck eingeführt haben.
^) Aus Bast von Calotropis procera etc., Wnivflta^ern von .Asparagus spec, I>r:io;ipiia
(Ombet?) u. dgl.
8 J. M. Hildebrandt:
der faserigen Lohe der Salvodora persica und eine kleine Pinzette, ,,Teqqe"
genannt, zum Dornausziehen.
An Waffen führen die Sömal zwei Speere, von denen der eine,
„Dochäna'% zum Stich dient. Er hat einen, bis zwei Meter langen, derben
Schaft, und trägt bei dem Nord-Somal ein c. 0,5 "'• langes, schmales, lang zuge-
spitztes Blatt,') welches bei den südlich wohnenden dagegen gewöhnlich
handbreit, fusslang, parallelseitig und erst gegen die Spitze hin plötzlich
unter einem stumpfen Winkel zuläuft. Der andere (Hanta) ist Wurfspiess
und deshalb leichter und mit kürzerem Stiel. Seine Klinge ist kurz und oit
am Grunde widerhakig. Das untere Ende des Schaftes ist durch einen
eisernen Schuh oder Ring geschützt und etwas beschwert. Das Schwert-
messer (Bilän im Süd-Sömal. Ablei, im Bar. Kis.) ist 0,5 '"• lang und länger,
ziemlich breit, mit gewöhnlich ungleichseitig zugerundeter Spitze, zweischneidig,
ohne Stichblatt. Der Griff ist von Hörn und mit Zink, Blei oder Silber-
platten verziert. Es wird, wie in den meisten orientalischen Ländern, an
der Rechten getragen, um es beim Ziehen sogleich in der richtige Lage zum
Stich von oben nach uuten bereit zu haben. Seine Scheide wird von rohem,
nur abgehaarten Leder zusammengenäht und, wenn umgegürtet, wozu ein
Riemen mit Schnalle, durch die bereits oben erwähnte Leibbinde festgehalten,
sodass es selbst beim starken Laufen nicht hindert.
Zum Pariren dient ein runder Schild von kaum 0,5 '"• Durchmesser. Er
ist von Antilopen- (Beisa) oder Rhinoceroshaut gefertigt und durch einge-
drückte Linien verziert (Fig. 5, Taf. II trägt einen solchen). Die meisten
Somalen-Stämme führen Bogen (Qanzo oder Ranzo) und Pfeile (Gamün
oder Fellät). Um das Holz zu ersterem in seiner Form — eine flache Bie-
gung mit leicht aufwärts gerichteten Enden — zu erhalten, tränkt man es
mit Oel und röstet es am Feuer. Zuweilen wird seine Elastiztität durch De-
cimeter bei Decimeter angebrachte Lederbänder verstärkt. Zur Sehne
(Merki) verwendet man meist die Flechsen vom Halse des Rindviehs.
Letztere sind überhaupt vielfach im Gebrauch als Surrogat für Fäden. Die
Pfeile sind vor denen anderer Völker wenig ausgezeichnet. Ihre Spitze
(Filär) ist von Eisen und gewöhnlich relativ breit und in stumpfem Winkel
zulaufend.-) Man vergiftet sie mit dem, zu dickem Brei eingekochten Safte
gewisser Euphorbiaceenarten, der dick aufgetragen und durch Flechsenfäden
festgehalten wird. Die Pfeile werden in einem aus ungegerbter Haut gefer-
tigten Köcher (Gouoia der Süd-Sömal, Dauie der Wer-Singelli) aufbewahrt,
welcher beim Gehen an einem über die Schulter geschlungenen Lederriemen
ziemlich horizontal getragen wird. Neben dem Köcher ist an diesem Gehäng
zuweilen noch eine kleine Tasche angebracht, in der ein Stein zum Schärfen
der Pfeilspitzen, ein Knäuel Flechsen u. dgl. aufbewahrt wird, ferner ein kleines
^) Alle Eisenarbeiten werden von den Midgän aus europäischem Eisen geschmiedet.
*) Steinerne Pfeilspitzen, wie sie bei der alten Ruine Seära von Graf Zichy gefunden
worden, sind, soviel ich weiss, nicht mehr in Anwendung. Sie zeigen ähnliche Form.
Vorläufige Bemerkungen über die Somal. 9
Messer in Scheide und ein eiserner Haken, an dem gelegentlich das frisch
abgeschnittene Glied eines erschlagenen Feindes*) oder andere Beutestücke,
auch wohl ein Wasserschlauch etc. getragen wird. Als Wurfwaife ist — je-
doch selten — knorriges Astwerk in Anwendung, dessen einzelne Zweige
bei Fingerlänge abgeschnitten und scharf gespitzt werden, nachdem eine ca.
fusslange, ebenfalls angeschärfte Handhabe verblieben. Dies sonderbare Ge-
räth erinnert an den „Morgenstern." Keulen (Gurrün in 8üd-Sömal, Schin-
güma in Rar. Kis.) aus einem Stück Holz geschnitzt, lühren nur Arme, die
keine andere Waffe beschaffen können. In den Städten, z B. in Barauu,
trägt fast Jedermann einen c. 2 '" langen Stab mit umher (siehe Taf. H, Fig. G.).
Pferde- und Sclaveii peitschen haben einen kurzen Stiel — der oft mit
Zink- oder Bleiplatten verziert ist — an dem entweder ein fingerbreiter, oder
zwei schmälere, 0,5 "'• lange Riemen befestigt werden. Diese sind beim Um-
hertragen um den Stiel geschlungen.
Die Behausungen der Somal sind verschiedener Art. Hirten und um-
herziehende Händler führen eine Zelthütte („Aqqel" im Norden genannt)
mit. Sie wird errichtet, indem man über ein Bügelgestell Rindshäute, oder
häufiger Palmblatt- oder Bastgeflecht — welch letztere auf der Aussen seite
plüschartig gelassen und regendicht sind — spannt. Sie ist klein und von
Backofenform. In den Küstenstädten jedoch bauet man feststehende, vier-
eckige Hütten, indem man wie in Mächer 2) um Knittelholzfachwork und über
das flache Dach einfach oder doppelt Strohmatten legt, oder — im Benädir —
die Zwischenräume mit Kuhmist oder Lehm ausfüllt Hier wird das Dach
mit iSchilf gedeckt, welches vom Ufer des Wobbi geholt wird. In Mächer
nennt man eine solche Hütte „Hosso". Sie enthält dort gewöhnlich vier
Räume: 1) Das Empfangzimmer „Qulhebet", welches mit buntmusterigen
Domblatt-Matten ausgehangen ist. Auch der Boden desselben ist mit solchen
Matten belegt, auf denen zugleich geschlafen wird. Ein Ruhebett bemerkte
ich nicht, 2) das Frauengemach (Murzin), 3) einen Arbeitsraum der
Weiber (Rölroll), in dem Matten geflochten, Häute gegerbt u. dgl. verrichtet
wird. Der vierte Raum dient als Küche. Hier ist ein backofenartiger,
vorn offener Kochplatz,-') „Ardeät", aus Knitteln und Lehm aufgeführt, in
dem oben eine Oeffnung zum Rauchentweichen gelassen , drei Steine bilden
die Kesselunterlage. Als Küchengeräth ist nur ein kupferner Topf von
arabischer, oder ein gleichgeformter irdene'r von Midgän-Arbeit zu nennen;
ferner einige verschiedene grosse Holz-Tröge (Hörro), welche die Teller ver-
treten; hübsch geschnitzte Löffel vom Ansehen unserer „Salat-Löffel'', oder
') Diese bekannte Trophäe der Gala und ihrer Verwandten wird in den Theilen des
Somaliandes, die ich besucht, nicht conservirt, sondern nur nach beendetem Kampfe vorge-
wiesen und dann weggeworfen.
-) MAchor nennt man den Küstenstrich vor dem Ahl-Gebirge.
^) Eine ähnliche Hinrichtung haben auch die Afer. (Vergl. meine , Reise voji Masstia in
das Gebiet der Afer* in Zeitsch. f. allgem. Erdkunde.)
10 .1. M. Hildebrandt:
grössere, einfachere, die oft sehr langstielig sind und an beiden Enden Mul-
den tragen; ein grosses, dicht geflochtenes thönernes Gelass für den Wasser-
vorrath; einige in einem Netze getragene Strausseneier zum Bewahren des
Oels; ein Getreide-Reibstein und einige Buttrr etc. enthaltende Schläuche,
In diesen Kaum wird auch die „Aqqel" aufgeschlagen, wenn der Hausherr
daheim ist. An der Aussenwand der Hütte ist ein runder Anbau aus
hohem dichtem Gehege, der als Abtritt der Weiber dient. Aus ähnlichen
Hütten wird Berbera und Bulhär jährlich aufgebauet. In den Dörfern trifft
man auch Häuser aus sonngedörrten Lehmsteinen autgeführt und dick be-
worfen, ganz in der Art der südarabischeu, mit winklichen kleinen Stuben,
elenden Treppen und schiess-schartenähnlichen Fensteröfhiungen Zuweilen
schauet ein Kanonenlauf, der aus irgend einem der portugiesischen Piraten-
nester — deren sich ja allenthalben an den Küsten des Indischen Oceans
aus der ,, Glanzzeit" dieses Raubstaats finden — hierhin verschlagen worden,
von den Zinnen des Hauses, oder liegt vor demselben lafettenlos im Sande,
da es den Somal an Einrichtungen fehlte, ihn hinaufzuwinden. Dann fährt
es den stolzen Namen „Qalaa'\ Festung und bildet das Schreckniss der Um-
wohnenden. In Seila, Baraua und Marka jedoch sind feste Häuser aus
Coralleusandstein mit Kalk gemauert. Araber sind Erbauer und Bewohner
derselben. Die Beschäftigung der Sömal ist je nach der Natur ihrer
speziellen Heimath eine verschiedene. In Härrär und an den Ufern des
Göbuin und Wobbi treiben sie Ackerbau, auf den Ebenen des Innern Vieh-
zucht, im Ahl sammeln sie Weihrauch, Myrrhe und Gummi, auf den Strand-
hügeln am Indischen Ocean Orseille, die Bewohner der Küstenstädte sind
Händler. Ueber den Ackerbau vermag ich nichts genaueres anzugeben, da
in den Gegenden, die ich besucht, solcher nicht betrieben wird, oder ich
wenigstens nicht zur richtigen Jahreszeit dort verweilte. Ich erfuhr jedoch
von den grossartigen Kaffeepflanzungen in Härrär und den Vorbergen Abes-
siniens. Das Product derselben, vielleicht das beste der Erde, wird, wenn auch
wegen der Unsicherheit der Carawanenstrassen nur in geringer Quantität,
über Berbera, resp. Bulhär und Seila-Tedjurra nach Aden in den Welthandel
gebracht. Aber auch weit über das Sömalland wird der Kaffee geführt, ob-
gleich er die Küste des Indischen Üceans nicht — oder nicht mehr — er-
reicht, denn im Benädir fand ich nur arabischen angewendet. Er wird hier,
gewöhnlich nicht als Getränk, sondern als Speise verbraucht, indem man die
Bohnen mit oder ohne Schale, braun röstet, dann in Butter schmort und als
Murgenimbiss verzehrt. Mit der übrig bleibenden Butter beschmiert man sich
Gesicht und Hände. Es ist dies nach Somal-Begrifi" ein unentbehrliches Er-
forderniss, um gesund zu bleiben.
Das hauptsäclilichste Getreide der Sömalen ist das Sorghum, welches
so reichlichen Ertrag liefert, dass sehr bedeutende Quantitäten desselben
vom Ben:idir nach Süd-Arabien und selbst zum Gebiet des Rothen Meeres
ausgeführt werden. Mais (Gelei oder Mürdi Sömal. Tereföri Bar. Kis.) wird
Vorläufige Bemerkungen über die Somal. 1 1
weniger häufig gezogen. Man isst ihn meist wie den Kaffee zubereitet, ge-
röstet und in Butter geschmort. Reis wird — so viel ich wenigstens in
Erfahrung l)ringen konnte — nicht angebaut, obgleich der von Indien oder
(über Sansibar) aus Madagascar eingeführte von den Reicheren viel verbraucht
wird; ebensowenig Datteln, die man aus Maskat bringt. Auch Tabak
(Büri im Dialect der VVer-Singelli, ein Wort, welches im Süd-Arabischen
Wasserpfeife bedeutet) wird importirt, besonders aus Indien. Er wird
(wenigstens von den weniger Strenggläubigen) geraucht, und zwar aus den
Markknochen des Kleinviehs („Laff" genannt); mit Holzasche vermischt auch
wohl gekauet. Tabak-Schnupfen bemerkte ich nicht. Bataten werden je-
doch (am Wobbi) cultivirt, Manihot aber wahrscheinlich nicht. Bananen
(Musa iHiradüiacu) (Mos im Somal, vom Arab. Mus, Masv im Patta-Kisuaheli)
trifft man nur hier und da. Die Baumwolle (Suf) cultivirt man in Härrär
sowohl, wie im Inundations-Gebiet des Wobbi. Hier sind die Bedingungen, die
zu ihrem Gedeihen erforderlich, Bodennässe in der Periode des Wachsthums. Luft-
trockenheit zurZeit derErudte, vorhanden. Dies Baumwollenland zieht sich durch
mehrere Breiteugrade parallel der Küste und wenige Stunden von ihr entfernt; es
ist gesund und wäre deshalb eine lohnende Acquisition für eine europäische Macht
oder für Aegypten. Bis jetzt wird nur relativ wenig gebaut, sodass der Verbrauch
des Landes keineswegs gedeckt ist und man fertige Tücher aus Europa ein-
führt. Wichtig ist ebenfalls der Anbau von Sesam, der besonders im süd-
lichen Sömal-Lande im grossartigsten Maassstabe betrieben wird und der
meist über Sansibar nach Europa, vorzüglich nach Frankreich gebracht wird,
um in Huile d'olives verwandelt zu werden. Besonders in den letzten Jahren
ist die Production des Sesam sehr gestiegen, da die Sclaven, welche früher
zum Or.seille-Sammeln angeschafft und verbraucht wurden, jetzt, wo das Pro-
duct der Färberfiechte meist durch Anilin-Farben ersetzt wird, auch bedeu-
tende Massen aus West -Amerika kommen, anderweitig beschäftigt werden
müssen. Aller W eihrauch und der grösste Theil der Myrrhe kommt aus
dem Ahl-Gebirge, wo er von den dort hausenden Wer-Singelli. Mijerten und
anderen Stämmen gesammelt wird. Man kann zwei Arten Weihrauch unter-
scheiden, der ächte Lubän (der t. B. in der kathol. Kirche benutzt wird),
und der liuban-Meithi (su genannt, weil er vorzugweise über den Hafenort
Meith ausgeführt wird); dieser kommt von BosivelUa ijapijri/ent. Er wird,
soviel mir bekannt, in Europa nicht verwendet, obgleich er sich zu Parfu-
merien und Lack wohl eignen' würde und die Haupttugend einer Waare l)e-
sitzt — billig zu sein. Den Somal dient er zum Räuchern, gelegentlich auch
zur Beleuchtuno- der Hütte, indem nuin ihn ins Feuer wirft. \ ou ihnen, den
Afer, Habäb und von arabischen und aegyptischen Weibern wird er (ähnlich
wie Mastix) seines angenehmen, erfrischenden Aromas wegen gekauet. Der
ächte W^eihrauch wird über Aden , Makallah oder Giddah ver>andt. Er so-
wohl, wie der Meithi-Weihrauch wird gewonnen, indem man dem Baum zur
Zeit seiner grössteu Saftfülle mit einem Messer viele kleine C^uerrisse bei-
12 J. M. Hildebrandt:
1">ringt. Der ausquillende Saft trocknet in einigen Tagen und bildet in erster
Emdte die feinste Sorte, „Fusixs", Thräneu genannt. Aus denselben Ver-
wundungen fliesst später noch eine geringere Qualität aus, eine dritte Ab-
lese liefert die geringste. Aus dem Myrrhe-Baum quillt ohne künstliche
Verletzung das kostbare Bitterharz und wird in der Wildniss abgesucht.
Ebenfalls könnten bedeutende Mengen Gummi gesammelt werden, jedoch
ist der Verbrauch desselben, also auch sein Werth, jetzt in Europa so gering,
dass sich das Sammeln kaum noch lohnt. Die Somal essen Gummi , auch
wohl die sehr viel gummihaltenden und deshalb schleimigen Hülsen gewisser
Acacien. Ausser den genannten bringt das Sömal-Land noch manche andere
Harze hervor, die in Europa jedoch wenig bekannt sind. Drachenblat
wird, obgleich hier dieselbe Dracaeua, wie auf Socotra wächst, nicht ge-
sammelt, auch kein Aloe, dessen Mutterpflanze hier ebenfalls vorkommt.
Ueber Hausthiere der Somal und deren Zucht kann ich nur weniges
beifügen. ^ )
Kameel: c^ : Aur, Q: Hall plur Gel, juv: Nirku. Die Rage schliesst sich
der der Afer, HabAb (Hadindoa und Bescharin?) an. Sie ist zwar nichtsehr
starkknochig, aber ausdauernd. Das Kameel gedeiht im ganzen Somal-Lande
und wird zum Lasttragen und der Milch wegen gehalten, geritten wird es nicht.
Man benutzt zweierlei Sattel, der eine für schwere Lasten „Herio", besteht
aus zwei grossen Kissen mit Holzgestell, die dachförmig über den Rücken
gelegt werden, der andere für leichtere „Qore", wird aus zwei Gabeln ge-
bildet, die an Bauch und Rücken zusammengeklemmt werden (derselbe, wie
bei den Afer). Auf der Weide hängen ihm die Somal eine grosse plattge-
drückte Glocke aus Holz (mit oft zwei Klöppeln) an einem Stricke um den
Hals, um durch ihren Ton ein Thier, welches sich verlaufen hat, auffinden
zu können.
Rind. Vieh: Lö , Ochse: Dibbi, Kuh: Sä, Kalb: üilü. Die Zucht
des Rindviehs wird, besonders auf den Ebenen im Innern, in grösserm
Maassstabe betrieben. Häute weiden über Benadir und Seila-Tedjurra aus-
geführt; letztere sind besser, da sie von der Ra<,5e der abessinischen Vor-
berge herstammen. Im Lande selbst werden die Häute nur als Schlafmatten,
zum Bedecken von Hütten benutzt und zum Schutze gegen Dornen und
Regen über die Kameellasten gelegt; auch Säcke zu Harzen u. s. w. näht
man daraus. Sie sind aussen mit drei Stäben überbunden, welche als Fuss-
gestell dient, wodurch der Sack gegen Termiten und Feuchtigkeit geschützt
wird. Auch eine Art Beutel fertigt man aus Kuh- oder auch wohl Kameel-
haut, indem man durch die gefaltete Peripherie eines ungefähr Quadratmeter
grossen, runden Stücks derselben drei Stäbe steckt. Die so gebildete Ein-
sackung wird mit warmen Sande so oft angefüllt, bis der Beutel (Qumba
genannt) trocken ist. Man bewahrt Butter <larin auf. Zum Versenden der
') Diese Hemerkungen mögen zugleich als Nachtrag /u meinen Notizen über Vieh-
zucht in Abessinieu etc. in Z. f. Ethnol. Jahrgang 1874 Heft V. dienen.
Vorläufige Bemerkungen über die Sömal. 13
Butter — was nach Süd- Arabien geschieht — , dienen jedoch grosse thönerne
Gefässe, die eingeführt werden. Die Bereitung der Butter ist nicht verschie-
den von der allgemein im Oriente angewandten. Den Kälbern wird, um sie
vom unrechtzeitigen Saugen abgehalten, ein maulkorbähnliches Geflecht vor-
gebunden.
Schaf. Bock: W'onn. J: Lack, Lamm: Barras. Das Schaf — es gehört
der persischen') Ra(;e an, die ebenfalls über Arabien verbreitet ist — wird
in grosser Anzahl gezüchtet, besonders wegen seines Fleisches und Fettes.
Die Haut wird zu Kleidungsstücken (siehe oben) verarbeitet. Zu diesem Zwecke
knetet man das leicht angetrocknete frische Fell tüchtig durch, zupft die
Wolle saramt der äussersten Hautschicht ab und legt sie dann einen Tag in
Assal (Gerbstofi' aus verschiedenen Rinden z. B. der Boswellien, Acacien
und Anacardiaceen) , der sie zugleich braunroth färbt. Anderen Tags wird
sie so lange gewalkt und geknetet, bis sie trocken und zugleich die Weich-
heit von Tuch erlangt hat. Dann ist sie fertig und näht man die einzehieu
Häute mit feinen Lederstreifen zusammen. Schafmilch wird — wie alle
andere gesäuert — getrunken, auch zu Butter gemacht. Viele Schafe werden
exportirt, besonders nach Aden, wo sie zum Consum am Platze selbst und
zur ProviantiruDg der passirenden Schiffe dienen. Auch Makallah und
andere Städte Süd-Arabiens erhalten Schafe von hier, ebenfalls werden sie
(im N.-O.-Monsün) nach Sansibar gebracht. Sogar Mauritius erhielt vom
Sömal-Lande Schlachtvieh, als Madagaskar den Europäern verschlossen war.
Ziege. Bock: Urgi, c/' : Worridi, juv.: Wohärre. Sie wird, jedoch
mehr im Gebirg, als in der Ebene, in grossen Heerden gezogen. Die Art
ist ziemlich gross, kräftig gebaut, kurzhaarig, meist von silbergrauer Fär-
bung und hat kurzes, ungewundenes Gehörn mit hängenden Uhren. Ausser
der ziemlich reichlichen Milch wird die Haut zum Anfertigen von ScUäuchen
benutzt. Man kennt deren verschiedene Arten: „Qerba'', (die Arab. Qirba)
■wird gegeri)t, jedoch nicht enthaart, „Zebrär", JMilchqirba rasirt man vor
dem Gerben, „Aüli", ein Schlauch, der zum Aufbewahi-en von Esswaareu,
Kleidungsstücken etc. dient; er wird nicht eigentlich gegerbt, sondern nur
gewalkt. Die Haare entfernt man durch Bestreichen von Dattelbrei und
nachherigem äsen lassen.
Pfertl. Hengst: Färras, Stute: Genjü, Hengstfohlen: Farras, junge
Stute : DramAu. Besonders die Bulbahänte-Sömal, die die Hochebenen des
Ahl bewohnen, ziehen viele Pferde, von denen die übrigen Stämme ihren
Bedarf rauben oder kaufen. Sie sind der Abessinischen Art verwandt, jedoch,
wie mir scheint, von etwas längerem Körperbau. Die Noth hat sie genüg-
sam und ausdauernd gemacht. Kiemen- und Sattelzeug gleicht dem von den
Abessiniern benutzten. Auch der Somali sitzt rechts auf, da er das Schwert
') Zur Anfertigung von Perrücken dient das Fell einer anderen Schaf-Race, welche jiin
Innern' vorkommt und liie gute Wolle trägt , also wohl vom Hochplateaux stauunt. Denn in
diesen Erdstrichen hat das Schaf der Niederung ein steifliaariges Vliess.
14 J. M. Hildebrandt:
an der Rechten trägt. Viele Sömal-Pferde werden nach Aden gebracht und
zum Reiten und Tragen benutzt.
Maulthiere werden meines Wissens im Somal-Lande nicht gezüchtet.
Esel. Hengst; Dabber, Stute: Dabbere.
Vom gleichem Ansehen wie der Abessinische und offenbar von dem im
Somal-ljande ebenfalls hiluligen Wildesel (Gumburri) .abstammend. Geritten
wird er nur zuweilen von angeseheneu Frauen. Während das Fleisch des
Hausesels verschmäht wird, isst man das des wilden.
Hund (Ej).
Er wird von den orthodoxen Somal nicht geduldet. Nur einige Hirten
im Innern sollen ihn als Wächter halten. Ich selbst bekam keinen zu Gesicht
Katze. Dummat: lebt herrenlos in den Dörfern, mehr Plage als Nutzen
bringend.
Haushahn.
Hühner werden nach Gala-Sitte von den Somal nicht gegessen, jedoch
in den Küstenstädten gehalten, um sie an Schiffe zu verkaufen. Ich habe
olt bemerkt, dass man sie in den von hohem Gehege umschlossenen Aborten
der Weiber hielt, wo ihre einzige Nahrung in Uurath bestand.
Ob derStrauss gezähmt gehalten wird, kann ich nicht mit Bestimmtheit
angeben. Straussfedern werden in grosser Menge ausgeführt, wodurch Aden
der bedeutenste Markt in diesem werthvollen Artikel ist. Die Händler des
Inneren bringen sie in ganzen Gefiedern nach Berbera zum Verkauf.
Erst hier und in Aden werden sie nach Farbe und Qualität sortirt und in
Gebinden von 20 — 50 — 100, die schlechteren (und auch wohl Holz
und Bleistiickchen) im Inneren versteckt, verpackt. So weit die Posen nackt
sind;, umwickelt man die Gebinde mit einer möglichst dicken Schnur in
engster Spirale. Alles dies geschieht, um das „Brutto-Gewicht" nach dem
sie nun verkauft weiden, zu erhöhen. Ein Oeffnen der Bündel ist nach einer
durch Alter geheiligten Sitte dem Käufer nicht gestattet.
Ausser dem Strausse, wird dem Elefanten vielfach nachgestellt. Es
vereinigen sich zu seiner Jagd mehrere Leute. Der eine besteigt ein weisses
Pferd und reizt ihn so lange, bis er. wüthend folgt. Der Reiter flieht in
einer Richtung, in der seine Kameraden im Hinterhalte stehen, die dem pas-
sirenden Elefanten die Achilles-Sehne mit dem Schwertmesser zerhauen und
ihn so zu Falle bringen. Da ilire Speere und Pfeile zu schwach seien, um
ihm den Garaus machen zu können, so Hessen sie das Thier verhungern,
erzählten sie mir.
Uebrigens ist die Elfenbein-Ausfuhr weder von Berbora, noch vom Be-
nudir bedeutend.
Die Somal essen keine Fische, nur die Seeleute haben sich von dieser
Gala-Sitte emanzipirt und treiben, im Verein mit Süd- Arabern, einen sehr
ausgedehnten Fang', besonders von Haien, an der Mächer-Küste. Diese wer-
den theils gesalzen und getrocknet füi- den Indischen und Ost-Afrikanischen
Vorläufige Bemerkuiicren über die Söm&l. 15
Consum zubereitet, theils ihre getrockneten Flossen über Maskat und Bombay
nach China gebracht.
Auch Perlmutter-Schalen, welche das Meer bei Sturm an den
Macher-Strand wirft, sammeln die Fischer; nach Perlen und Perlmutter ge-
taucht wird meines Wissens nur in der Nähe Tedjurra s.
Gruano findet sich auf der Felseninsel Hur-da-FtebscIii (Bur: Berg,
Rebsch- Guano), der Brutstätte von Seevögelu. Er wird von den nahewoh-
nenden Somal, die sich an arabische Unternehmer vermiethen, vom Gestein
und aus seinen Furchen gekratzt und auf Barken geladen. Guano wird be-
sonders nach Makalhih gebracht, wo er zum Tabakbau Verwendung findet.
Vor einigen Jahren soll er auch nach Mauritius verschiflt sein. In letzter
Zeit hatte ein europäisches Handelshaus aus Aden seinen Agenten hierher
gesandt, um Guano zu holen. Derselbe wurde jedoch von den Wer-Singelii
beraubt und musste zurückkehren.
Im Ahl-Gebirge findet sich Antimon, das jedoch meines Wissens uur
einmal, und zwar von einem arabischen Kaufmann aus Aden geholt wurde.
Eine von demselben ausgeschickte zweite Expedition scheiterte, da ihr An-
führer, ein Somali, mit dem Betriebsfond davonging.
Indem ich nun diese vorläufigen Bemerkungen über die Somal sehliesse,
hoffe ich , da ich in nächster Zeit dieses Volk wiederum besuchen werde,
bald Eingehenderes berichten zu können.
Erklärung zu Taf. 1 und II.
T:it'. I. Fig. 1-4. Männliche Somal nach Photographien von Capt. Elton.
Weibliche Somal nach Photographien von Demselben.
Dergl. nach Photographien von Charles Neiley in Aden.
Tal'. II. Kig l n. 2. Somal-Weiber nach Photographien von NeJey.
Knaben von Demselben.
). Mann uml Weib von Demselben.
Somali von Härrär.
Fig. 7. Somali nach Photographien von .1. M. Hiklebramlt.
Fig.
1-4
Fig.
0, 7,
Fig.
f), 8,
l'ig
l n.
Fig.
3.
Fig.
4u. ;
Fig.
0.
16
J. M. Hildebrandt:
PC
>
TS
u
-*.*
<D
/^>
'S
2
o
o:
u
fe^
02
. rt
.0
^
•rH
«
Ö
Ol
-«
CS
■^o
rS
o
M
S
;~
• r-l
i»
^
cG
■»J
?»,
ä
<
<v
1
■4J
j;
1^
CS
03
NI
,-
a
CQ
u8ZJBM:jsnjg
j>^ aap SuBjoifi
japuBuie
noA u8za'BM:^snja
J9p puB^sqv
aqaZ nassojS
jap we ajqos
-ssn^ jep aSnigi
aSTOiuiag
ööogöggögööggöogcoooog
oöoöoo o oo oo o o
'?'ö'=^'oööööö^ööoö|'googoog
O O O o o o '-'
M
;^
mv aSuBipuBH
er. 0;Cia50aiC005050i050500a5CT50Sff305QOC57<05
ööoö>^ö'?^öö6ö'?^oöö6öooo.-'0
o o
puBH
9uqo aSaBiraiy
>i
X
y.
aSu^ijdmn'a
uni^ srq
punj^ uap aaqu
9SBjii aap uoA.
aSuT?iuas'BN
gqoqaJi^g
•ajdojfiajniH
um 3tinSEJJOAJaH
p^ HOjs^iJBJs an'i! stq [9)
-laiiog aap jaqn aqnaS
-ujiisnassN jap uo/^
uiiiji siq sasqaiiAV
p^ -ivvn sap uinSaH
luoA siiofj-sjqjisay
u9q9:^s:^qoaI
-jny nii aqgH
©ööör'öoör'örr'ör'rr'brT^öör
O i-iOOOOOOO o
Ö'PÖÖ'P'^ÖÖÖOÖ'^ÖÖÖÖÖÖ'PciC^
CÖC>Ö'P"^ÖÖÖCCiÖÖÖClÖC>ÖÖ6ÖÖ
o o
(N O •* 05 lO ■^
05 r.< CO O 00 00
o >, p ^ po
fO'-(C5t~-05<M~*'0^
ifSifjOSfflCSvOOOC^IOiClOOt-OSOO
00 OO C. CO C Cl «3 O
Gi c:' o <r. o M o «: O o o c; ^ o
9 9 ö9 b9 ~ b
9^ö96<='ö9c>öo9pö
o o o o o
o O P o o c
■^0-*pp'*poOP'*oo-*p
6 ö 9 ö ö P o
^ " eopTjlOP'*««
. P^^od op"=öö. -
O O O P o o
•:mo8iqosa9
•ja'HV
saiqt!.)o.nim
I>05<35>0(NCO'-HiOOiOO(MOO>0 — lOCiOSCO^Ojr^-
OOOt-t^OOajCOOOOCßr-Ot^tTiOOOOOOO
i-,>^c)^'^'^99ö9 9 9ö99c>öb9<z>öö
ÖÖÖPO PPO OP P
_l ^ ,0 — -jO e<l lO T(< -^ 'M Ol — I Oi i-H iQ IM CO •* C>J 1-H r-^ --
C005-HCO(?1-H — COCOCOC^O:iiMC0CCOCOCO7OrtCOrT>
• fM ?■:■ i^ CO CO c X ,^ ,^ i- c-i ;_ i. CO -:^ X — — ,v CO ,~
P o o
o P ;- w o o o c
050— '0'Nt--^'H 0»-I05tH05«005IMPCO«)'0«0'*
' T' c b ö T"r' r-
o o o o
O 1-1 iH i-< »^
, ^ ^ ... ^ ^ w. . . >n -c -ri o c >c c 'O lO o o «fs o p
.^f-i-^W'MlM-^r^C-lCO'MCOCOCOOt'-iCOCOT'JCO'^'eO
-r 'J3 P 'O -xi O c; CO
o ■ ■ ■ J3 -<u tö
■«< .O ?ß r- 00 Ol O -^ C-» CO 'i* 'O tO t"- CO Ol O '—1 c^< fC •* 'f^
wcococococo'*-«»«-*"*-*'*'*"*"*"*'«'«'«'«"'"'
w
F4
17
Australien und Naelibarsehaft.
(Fortsetzung.)
Man hat neuerdings im Haar ein ethnologisch geeignetes Eintheilungs-
princip zu linden geghiubt und dann die Vandiemensländer') (im Anschluss
an den Homo papua) zu den Ulotrichen gestellt, den Homo australis dagegen
den Euthycomi unter den Lissotrichen eingeordnet, ob\\ olil hier verschiedene Be-
schreibungen'-) vorliegen, und der Norden des Continents sich wieder (wenn nicht
durch malayische oder polyuesische Einflüsse verändert) dem Gebiet der Paj)ua-')
') Les cbeveux des Iiabitants de Van-Diemen sont courts et laineux. Die Eingeborenen
um Cap Diemen: laissent croitre leur barbc et ont les cbeveux laineux (Labillardiere). Les
naturels (dans la baie des Koches en Nouvelle-IIoilande) ont les cbeveux laineux et se
laissent croitre la barbe. Die Bewohner von Waygiou (Ouarido) ont les cheveux crepus,
tres-epais et assez lougs (Labillardiei-e). Les habitants du Roi-George ont les cheveux bruns
ou noirs, frises sans etre laineux (s. Quoy et Gaimard). Les Negres (les Papous hybrides)
des cotes (de la Nouvelle-Guinee) se distinguent entre eux par la denomination d'Ärfakis ou
de montagnards et de Papouas ou de riverains (Duperrey), während die Eingeborenen (oder
Alfurus) im Innern der Insel Endamenes genannt würden und sich als Schlichthaarige auch über
Neuholland verbreiteten, worauf in Yandiemenslaud das Kraushaarige wieder aus den Neu-
Hebriden und Neu-Caledonien eingewirkt.
^) Das Haar der nordwestlichen Australier war kurz und wollig kraus (nach Dampier), an der
Roebukbay kraus spirallockig (nach Martin) mit Barten, dick lockig oder kraus (auf der Melville-Insel,
dicht kraus auf der Croker-Insel, wogegen auf der Coburg-Halbinsel schlichtes Seidenhaar (b. Earl)
angegeben wird, gelocktes Haar südlich von Port Essington (b. Leichardt), und dort schlicht lang
(b. Campbell) oder wollig (b. d'Urville), auch korkzieherartig gewunden (nach Hombron). Im Süden
wird krauses Haar erwähnt (mit lockigen Barten), auch wolliges (b.Strzelecki), im Südosten gekrätiselt
und am Westernport (b. Peron) lang und glatt. Struppiges Haar beschreibt Koelern (bei Adelaide)
schlichtes im Innern, krauses (b. Peron). Am George-Sound bis Perth wird glattes Haar an-
gegeben (b. Salvado) und nach Norden (b. Peron). Das lauge und feine, aber wollige Haar ist
(nach Haie) durch Mangel an Pllege häufig wie verfilzt (s. Gerland). Das Haar der Tasmanier
war wollig kraus (nach Cook).
') Papous wird pua-pua (brun fonce) erklärt (nach Marchai). Les Papous du littoral (ä Dorey)
se distinguent eux-memes de ceux, qui habitent les montagnes et qu'ils nomment Arfakis ou
Allakis (Quoy et Gaimard). La forme bombee du front fait que leur angle facial u'est point
trop aigu (chez les noirs de File Vanikoro). In den Papua-Schädeln der Urania (Freycinet's)
bemerkte tiall une inegalite, qu'il nomme deformation rachitiqiie. Some time about the year
1770 a number of Papua boats from New-Giunea, the Islands Aroo, Salwatty and Mysol near
the time of the vernal equinox, when the seas are generally smooth, assembled to the nimiber
of more thaii a huudred and sailed up the strait of Patientia from Gilolo (nach Forrest). Der
Raja von Salwatty fiel in die Gefangenschaft iler Holläniler (tlie Outanata unternahmen Sklaveu-
jiigden in den Molukken). In der Louisiade wurden (nach Bougainville) und in Port Prasliu
(nach Duperrey) Schilde gebraucht. Die Insulaner der Louisiade aiment beaucoup les odeurs
(Labillardiere). The practice of boring the septum of the nose has been generally observed
amoug the wiUI Papuans (Earle) 1828. Nach Quoy und Gaimard gehörte die den Negern Ost-
afrikas ähnliche Rasse Neu-Guinea an, während die Papua auf der Insel Vaigiou lebten, deren
Bergbewohner im Besonderen Alfurus hiessen. Les cheveux des Papous sur les iles (Rawak et
Vaigiou) sont noirs, taut soit peu lauugiueux, tres toulfus, ils frisent naturellemeut (s. Quoy et
2eit3chrilt für Ethaologic, Jahrt;au£ ISi',). 2
Ig Australien und Nachbarschaft.
annähert mit ihren Weitverzweigungen nach Melanesien*) sowohl und Mikro-
Gaimard). Aecording to Bruyn Kops the skiu of many of the iiatives were marked with scars,
which have been produced by applications of fire (in Neu-Guinea). Auf Neu-Guinea besteht
das Tättowiren (Panaya) in Strichen. The woUy or twisted hair is peculiar to the füll blooded
Papuans. A comparatively slight mixture with the brown race removes the peculiarity (Earle).
The people of Waigiou are not truly indigenoiis of the Island (which possesses no „Alfuros"
or aboriginal inhabitants). They appear to be a mixed race, partly from Gilolo, partly from
New-Guinea, Malays and Alfuros from the former Island have probably settled here and many
of them have taken Papuan wives from Salwatty or Dorey, while the influx of people from
those places and of slaves, had led to the formation of a tribe exhibiting almost all the transitions,
from a nearly pure Malayan to an entirely Papuan type. The language is entirely Papuan,
bciuo- that which is used on all the coasts of Mysol, Salwatty, the north-west of New-Guinea,
and the Islands in the great Geelviuk Bay (iudicatiüg the way, in which the coast Settlements
have been found). The fact, that so many of the Islands between New-Guinea and the Moluccas
(such as Waigiou, Guebe, Poppa, Obi, Batchian, as well as the south and east peninsulas of
Gilolo) possess no aboriginal tribes, but are inhabited by people, who are evidently mongrels
and Wanderers, is a proof of the distinctness of Malayan and Papuan races and the Separation
of their geographical areas (s. Wallace). Auf Flores finden sich Züge der Papua (nach Moore).
The traders (of Dobbo) are all of the Malay race or a mixture of which Malay is the chief
iiif^redient, with exception af a few^ Chinese. The natives of Arn, on the other band, are Papuans,
with black or sooty brown skius, wolly or frizzly hair, thick-ridged prominent noses, and
rather slender limbs (Wallace). Die Papua auf Ternate stehen in dienendem Verhältniss (Bleeker)-
The people of Dorey (in Neu-Guinea) are simüar to Ke and Aru-islanders (offen tall and
well-made, with well-cut features and large aquiline noses). Their colour is a deep brown, offen
approaching to black and the mop-like heads of frizzly hair are considered an onament (s. Wal-
lace). The hill-men or Arfak (in New-Guinea) were geuerally black, (but some brown like the
the Malays), Their hair, though always more or less frizzly, was sometimes short and matted
(instead of being long, loose and woolly), as indigeners (s. Wallace). Les habitants du port de
Roi-Georges ont les cheveux bruns ou noirs, frises sans etre laineux (Quoy et Gaimard). Les
cheveux des habitants de Vandiemen sont courts et laineux.
1) Les habitants de Vanikoio ont uue chevelure tout-ä-fait laineuse et l'enveloppent soigneuse-
ment dans de longs cylindres d'etoffes qui i)endent jusqu'au bas du dos (Quoy et Gaimard).
The descriptions of the brown Poiynesian race (beyond the Fijis) ofteu agree exactly with the
characters of the brown indigenes of Gilolo and Ceram (s. Wallace). Die Schwarzen Neu-Irland's
(die Haare flechtend) ont les yeux petits et uu peu obliques. Carteret sah bei den Insulanern
Neu-Irland's keine Bekleidung und nur Schmuck und Muscheln, sowie Pudern des Haarres und
der Bürte. Les cheveux crepus et tres bien fournis (dans Tile de Bouka) forment un graud
volume (Labillardiere). Neben der „forme ebouriffee" bei einigen Stämmen Neu-Guinea's, Wai-
gui's, Bouka's, fällt das Haar bei andern (auf Neu-Guinea, Rony, Neu-Bretannien, Neu-Irland)
sur les epaules en meches cordounees et flottantes (Lesson et Garnot). Die Bewohner der Ad-
miralitäts-Inseln ont les cheveux crepus, et sont dans l'usage de ne laisser des poils sur aucune
partie du corps. II parait que la verre volcanique dont ils arment leurs zagaies, leur sert aussi
ä se raser (Labillardiere). Bei den Bewohnern der Admiralitäts-Inseln hing eine Muschel (bulla
Ovum) ä l'extremite de la verge, pour cela ils avaient fait une Ouvertüre au-dessous de la partie
la plus rentlee de cette coquille, alin d'y loger le gland (s. Labillardiere). Bougainville sah
lange P.ärte bei den Bewohnern Ncu-Britanniens. Die Insel Nova-Britannia war (nach Dampier)
inhabited with strong well-limbed Negroes. A\if der Verräther-Insel (neben den Cocos-lnselu)
hiess der Häuptling Latou (nach Schonten). Die Bewohner der Admiralitäts-inseln waren sehr
schwarz (nach Dentrecasteaux). Le Neo-Caledonieu, surtout lorsqu'il est echauflo par la marche,
exhale une forte odeur sui generis, qui rappelle celle des fauvcs de grande taille (Patoudlet).
Kopl'entstelhingen treten inehrlach in Polynesien hervor, wie auch anderswo. Nach Ovington wurde
in Arrakau die Stirn des Kindes mit einer Bleiplatte breit gedrückt (172D). In Yucatan wurde
dem mit dem Gesicht auf die Erde gelegten Kiude der Kopf mit zwei Platteu zusammengedrückt
Australien und^Nacliljarscliaft, 19
nesicn'), wie auch dem Indischen Arcliipelago") in seinen Inselverzweigungen
(s. Landa). Au der Westküste America's /eigen sich im Kunststil poljnesische Reminiscenzen
und auch sonst. Las Indias son bien agestadas, de muy lindos ojos y de rostro, muy modestas
y honestas. Los niilos y niiias son blancos y rubios (en la isla St, Catalina). Usan estos Indios
de unas grandes cabaiias para sus moradas y de vasijas de juncos tapidos, en que tieneu y
traen agua (Viscain) 1602.
') Nach Cautova finden sich auf den Carolinen Neger, die als Sklaven dienten, wie unter
den llalayen Pulo Sabuti's oder Savus (nach Dampier), La variete, qu'on peut appeler negre
(auf den Inseln) en a la couleur, la forme du cräne, les cheveux courts, tres-laineux, recoquilles,
le nez ecrase tres-epate, les levres grosses, et surtout Tobliquite de I'angle facial, tandisque les
Papous ont, sous ce rapport, la tete conformee a. peu de chose pres comme les Europeens
(Quoy et Gaimard).
-) In Ceram and Gilolo a few scattered remnants of the race (of Papuas) still exist, but
they hold little or no iutercoure with their more civilized neighbours, öying into the thickets
(for shelter), The Island of Mysol or Mesual is said to havc been occupied exclusively by
l'apuaus (at the euiopaeen discovery). The Island of Ceram, Ccram-Laut, Bo, Poppo und Geby
and Patana Hoek, the south-eastern extreme of Gilolo are also occupied by people of the mixed
race (the mixture having arisen chiefly from these spots having been the places of refuge for
olfenders agaiust the regulations established for the monopoly of spices in the Moluccas), The
eastern extremity of Ceram, and also the greater portion of the north east of that Island, was
inhabited by Papuaus on the first arrival of Europaeans in the East, but they are now only
to be fouud in the jungles (s. Earle). Accordiug to Modera the iuhabitauts of the inferior did
not differ in any essential particular from those of the coast (in Triton's bay). The people of
Ternate are of three races, the Ternate-Malays (an intrusive Malay race, somewhat allied to the
Macassar people, who settled in the country, driving out the indigenes, who were the same, as
those of Gilolo), the Orang-Sirani (Nazarenes or Christian descendants of the Portuguese, who
resemble those of Amboyna and, like them, spcak only Malay) and ihe Dutch. The people of
Kaioa are a mixed race, having Malay and Papuan aiüuities and are allied to the peoples of
Ternate and of Gilolo. They possess a peculiar langnage (\Yallace). Wallace fand auf der Insel
Batchian vier Rassen, die Batchiau Malayen (denen auf Ternate ähnlich), die Drang Sirani,
Galela-Leute vom nördlichen Gilolo \ind eine Colonie von Tornore, in der östlichen Halbinsel
von Celebes The Goram people are a race of traders. Every year they visit the Tenimber,
Ke and Arn Islands, the whole north-west coast of New-Guinea from Outauata to Salwatty, and
the islaud of Waigiou and Mysol. They also extend their voyages to Tidore and Ternate, as
well as to Banda and Amboyna. Their praus are all made by the Ke-islanders (a race of boat-
ianders), who aunually turn out a hundcrd of boats (s. Wallace), The natives of Bouru consist
of two distinct races (partially amalgamated). The larger portion are Malays of the Celebes
type, often exactly similar to the Tomore people of East Celebes (settled in Batchian), while others
altogether resemble the Alfuros of Ceram (in solcher Nennung). The south-west of New-Guinea
(Papua Kowiyee or Papua Oren) is inhabited by the most treacherous and bloodthirsty tribes
(to the Goram and Ceram traders); in other districts, inhabited by the same Painian races
such as Mysol, Salwatty, Waigiou and some parts of the adjaceut coast, the people (by the
settlement of traders of mixed breed) have takcn the first step in-civilization. Zum Unterschied
von der malayischen in ihren Charakterzügeu niihert sich ilie Schadelform des Battak mehr dem
oval kaukasischen Typus. On the table lands above Dilli (a portuguese settlement ou the
north-west of the islaud) some of the villagers have opaque yellow comple.xion, the exposed
parts of the skin being covered with light, brown S])Ots or freekles, and the hair is straight^
fine, and of a reddish or dark auburn colour. Every intermediate variety of hair and complexion,
between this and the black or deep chocolate colour is short tutled hair of tlio mouutain Papuan,
is to be fouud on Timor (s. Earle). The inhabilants of the south western part of Timor, in
the ueighbüurshood of Coepang (a dutch settlement) are au exceedingly dark, coarse-haired
people (s. Earle). Von den Schwarzen im Uinterhuul (achternal) Timors (,iu der Südostlicbeu
Ecke) eutwicheu deu Ilolläuderü früher die öclaveu,
2*
20 'Australien und Nacbbarschaft.
und vielfach schattirten Stämmen^) alfurischer und anderer Eingeborenen
(wo jenseits der Philippinen') über Formosa hinaus nördliche Erschei-
') The oolour (of the Malay tribes) is a light reddish brown, the hair black and straight
(of a rather coarse texture), the face nearly destitute of hair, the body robust, the stature low,
feet small, the face broad, the brows low, the eyes oblique, the nose small (not prominent, but
straight and well-shaped) with the apex a little rounded (the nostrils broad and slightly
exposed) aud the cheekbones rather prominent, the mouth large, the iips broad, the chin
round (auf den Inseln). In stature the Papuan surpasses the Malay, (the feet larger), the face
is somewhat elougated, the forehead flattish, the brows prominent, the nose is large, rather
arched antl high, the base thick, the nostrils broad, with the aperture hidden (owing to the tip
of the nose beiug oblougated), te mouth large, the Iips thick aud protuberaut. The Alfuros (of
Sahoe and Galela in the northern peninsula of Gilolo) are tall and well made, with Papuan
features and curly hair bearded and hairy limbed, but quite as light in colour as the Malays),
iudustrious and euterprisiug (s. Wallace). The Arru islanders bear a strong resemblance to the
aborigines of Port-Essiugton, but they also possess many characteristics in common with the
Outanatas of the opposite coast of New-Guinea (s. Earle). The Alfuros (the iudigenes of Gilolo)
live ou the easteru coast or in the inferior of the northern peninsula. The iudigenes of Sahoe
(in Gilolo) are distinct from all the Malay races, Their stature and their features, as well as
their disposition and habits, are almost the same as those of the Papuans, the hair is semi-
Papuau, reither straight, smooth and glossy, like all true iVIalays nor so frizzly and woolly as
the perfect Papuan type, but always crisp, waved and rough, such as often occurs among the
true Papuans, but never among the Malays. Their colour is often exactly like that of the
Malays or even lighter. Das Fürstengeschlecht der Malayen in Menangkabo kam von Palembong
(in Djavamt Haus der Fürsten von Meudangkamulan) der Adel von Mandaheling unter den
Battas, die sich (Xll. Jhdt. p. d.) vom Hochlande Tobah aus verbreiteten, stammt von dem,
dem Helden Iskander durch eine Himmelsfrau in Menangkabo geborenen Sohn. Les habitants du
bourg de Cajeh connus sous le uom general de Maures sout les descendants des peuples, qui
out porte la religion mahometaue dans les Indes (s. Dentrecasteaux). L'interieur du pays est
haljite par les naturels du pays, qu"on a desigue en malais Alfourous en Bourou. In Cajeli auf
Bourou wurde (1793) ein Fort gebaut (unter dem Holländischen Resident). The whole of the
great Island of New-Guinea, the Ke and Aru-Islands, with Mysol, Salwatty, and Waigiou are
inhabited almost exclusively by the typical Papuans (the coast people of New-Guinea being in
some places mixed with the browner races of the Moluccas). The same Papuan race seems to
extend over the Islands east of Guinea as far as the Fijis. The people of Ceram seem more
decidedly Papuan, than those of Gilolo, They are darker of colour and a number of them have
the frizzly Papuan hair. Tlieir features also are harsh and prominent (Wallace). In Sapania
the men wear their frizzly hair gathered iuto a tlat circular kiiot over the left temple and in
their ears cylindres of wood (coloured red at the ends). The people (in the Goram island) were
(at least the chief men) of a rauch purer Malay race, than the Mahometans of the mainlaud of
Ceram (where the Alfuros of Papuan race are the puredominant type), a siight infusion of
Pajjuans or a mixture of Malay and Bugis liaving produced a very good-looking set of people.
The Iower class of the populatiou consists almost entircly of the iudigenes of the adjacent Islands
(a fine lace with strongly-marked Papuan features, frizzly hair brown complexions). The Goram
language is spokeu also at the east of Ceram and in the adjacent islantls.
-) De los Indius algunos son infieles, pero lo mas Balanes (eu la Provincio de la Pampanga),
que no pertenecen ä nacion 6 tribu conocidas, y descienden de los fugitivos de los Pueblos civi-
lizados, por algun delito (ildefonso de Aragon), Los Aetas 6 Negritos (los primeros habitantes,
' liuyeiidos de los Malayos) se dividen en varias clases (entra estas hay una llamada Balugas, que
habitu el Monte Irayat, y son los (jue unidos con los Balanes, siguon las costumbres de ostos).
Sur le mont Arayat habitent les Indiens appeles Balanes et les hordos Montcscos qui vivent de
rapines, ces montagncs sout aussi peupleos de Negritos (Mallat). Neben Sjiajiiern, Mestizen und
Tributpflichtigen (als bekehrte Küstenstilmme) unterscheiden sich auf den Philippinen die
Moreuos (Mohamedauer), Sangleys (Cliiuesen)^iind Negros. Nach ßennett gleichen die Negros in
Lu^on denen der Hebriden-Insel Erromango. Nach St. Croix sind die Ygorroles von St. Mattheo
Australien und Nachbarschaft, 21
niingen') auftreten') bis /um Festland), vernmthunfrsweise fortgetragen
in die Tliäler des llimalaya) und den (über die Brücke der Auda-
(leii Aet;is im Berge MurivcllL' slaininvcrwandt. The peciiliar race of Savu and Rolli (Islands
to the wcst of Timor) are very handsomo, with pood fcatiircs, resemhliiig in many charac.leristics
tiie racc prodiiccd by tlic mixturc of thc Iliiidoo and Arai) wilh Ihc Maiay (s. Wallace).
Neben den Tapaicn (im inaiayischen Dialect von tien Bisayos verschieden) unterscheiden sich
(in den Philippinen): die Negritos, die Igorrotes (in der Provinz Pangasinan bis zur Mission
Ituy und von Osten bis zum Thal Aguo), die Burrik (den Igarroten ähnlich), die Busao (mit
verlängerten Ohren), die Itctapancs (zwischen Negritos und Tagalen), die Tiguianes (mit chine-
sischer Mischung), Guinaancs (zwischen Tiguiaanes und Negritos), Yfugaos (mit japanischer
Mischung), (laddanes (zwischen Calauas und Negritos), Calauas (im District Itabes), Apayaos
(den Tagalen ähnlich), Ibilaos mit Isinayes (den Igorroten ähnlich). Die Bangan genannten
Negritos auf Mindoro stehen in Beziehungen zu den Maguianen. Auf der Isla dos Negros werden
die Negritos auf den Bergkammen gesetzt. Unter den Negritos vonMindanao: the chief tribes of
the North are calleil respectively Dumagas, Tagabaloys, Malanos and Manabos (s. Earle). Auf den
Sidu-Inscln wurden die Papua in das Innere zurückgedrängt, als nach den Chinesen (und
<lann den Orang Dampuwan oder Sonpotualan) die Banjar aus Banjarmassin (auf Borneo)
durch Verheirathung einer Prinzessin an den Häuptling festen Fuss fassten (s. Hunt) 1812.
Die von Dalton besclniebenen Wilden (im Norden Borneo's) are looked on and treated by the
Dayaks as wild beasts (1828).
') Wegen ihrer Behaarung hiessen ilie Ainos (Menschen) Haarleute (bei Mongolen und
Chinesen) mit glattem Gesicht, schmal schiefzulaufenden Augen, hohen Backenknochen, niedriger
Stumpfnase. Jebis heissen die rohen Stammgenossen bei den Japanesen. Die Ainos der Insel
Jeso, die der Dynastie Tang Pfeile, Bogen und llirschhäute als Huldigung brachten, wurden
Krol»sbarbaren von den Seekrebsen (Hiai oder Jeso) genannt (in der Art der Tsugaru, Ära
und Niki). Taipe, ein Königssohn von Tscheu, zieht an der Spitze eines zahlreichen Gefolges
zum Mündungsgebiet des Kiang (Kiangnan). Um die dort hausenden Barbaren zu befreunden,
fügen sich die Tscheu ihren Sitten, scheeren das Haar, schneiden Bilder in Arme und Beine
und bereiben sich mit beizender Schwärze. Dann schifft Taipe (Taifak) über das Meer und
gründet auf fernen Inseln eine chinesische Ansiedlung . Nach sechs Jahrhunderten landet Sanmo
(Sinmu, der göttliche Krieger) aus den Lutschu auf Kiusin und erobert (während sich die wilden
Ainos bekämpfen) Nippon, wo sich das Schifflein des vom Himmel zur Erde fahrenden
Götterpaares niedergelassen. Durc hWangschin (Wonin) aus Korea wurde chinesische Schrift in
Japan verbreitet (unter dem Dairi Osin). Mit dem Regierungsantritt des Dairi (Mikado) Katok wurden
die auch in China üblichen Ehrenbenennungen der Regierungsjahre angenommen (Nien-hao oder
Nengo) als Jahrestitel (645 p. d.) Um den Kami zu gefallen (in Japan), muss reines Feuer
unterhalten werden. Kami, god, Superior, the hair of the head, (Hepburn) in Japanese. Cami^
cheveux de la tete, tete, partie superieure, Seigneur, dieu des gentils du Japon (Pages) und
ähnliche Verbindung des Scheitels mit dem Höchsten in Slam (wie auch in königlichen Titeln).
The wild people (in the inferior of Ceram) are described as a particulary small tribe of
very dark complexion, with black frizzled hair, resembling that of Papuans (s. Earle) und ausser-
dem beschreibt Yalentyn andere Alfoereesen im östlichen Ceram, zu Wassoa, Marihoenoe, in
dem Binnenland Sepa und Tanulau, dem Binnenland von Haja, im District Eilan Biuauwer,
dem Binnenland von Cattaroewa u. s. w. (hauptsächlich in den Waringin-Bäumen wohnend). Tufted
wooUy hair is said to be common among the natives of Melville Island (s. Earle), frizzled hair among
several of the aboriginal tribes of Australia (espccially tliose of the north and north east coast). Several
of the coasts tribes near the eastern end of Flores are considered to be Papuans, but their hair
has not the tufted charactcr, being gcnerally long and curly (s. Earle). The moimtainous parts
ofSolor, Pautar, Lombleii and Ombai are occupied by a woolly haired raco. Les cheveux des
Alfours (de ('elebes) sont noirs, lisses et tres longs (Quoy et Gaimard).
'■*) Rousselot sah „boucles laineuses" bei den Bandar-lokh (homme singe) aus dem Stamm des
Djangal östlich von Singoudja. Die Juangas (in Cuttack) heissen Puttouas (weil in Blätter ge-
kleidet). Eine kleine Rasse lebt in den Walddürfern zwischen Palamow, Sumbulpore und Amar-
22 Australien und Nachbarschaft.
manen') erreichten Continent Hinterindiens mit seiner Halbinsel-)' Neben
dem Ahnencultus (in Mikroncsien) und dem Zauberwerk (in Melanesien) wird
von tauben, blinden (einäugigen), alten Göttern geredet, um das Fruchtlose
der (in Westafrika wegen der Entfernung des Himmels nicht erhörten) Gebete
zu erklären, wogegen sich in Polynesien ein Ansatz zu mythologischer Syste-
matisirung findet, wie z. B. bei Wegener zusammengestellt:
„Der Insulaner stellte sich zwei Arten übersinnlicher Wesen vor, die auf Gestaltung irdischer
Dinge Einfluss hätten. Macht, eifersüchtiger Anspruch auf Ehre und Gaben, unerbittliche
Rache gegen jede Vernachlässigung waren Allen gemeinsame Attribute; ein moralischer Vorzug,
eine überlegene Weisheit, eine freiwillige Güte zierte Keinen; Verbrechen vielmehr und Scham-
losigkeit fanden Vorbild und Aufmunterung in der Geisterwelt. Der Ausdruck Atua, wie derselbe
unter den gewöhnlichen Abweichungen durch das ganze stammverwandte Polynesien geht, um-
fasste die eigentlichen Götter; Oromatua tu hiessen die Geister der Abgeschiedenen, besonders
wilder Krieger, die als Mittelwesen zwischen Göttern und Menschen eine verderbliche Gewalt
über die Letzteren übten. Unter den Göttern stand obenan eine Zahl, die man fanau po (Nacht-
geborne) nannte, was vielleicht ihre Unabhängigkeit von der sichtbaren Welt, dem ao (Licht-
reiche) anzeigen sollte. Die vorzüglichsten unter ihnen waren: Taaroa, der Kanaloa der Sand-
wich-Gruppe und Tangaroa der westlichen Inseln, der Höchste von Allen, der Uuerschaffeiie,
seit der Zeit der Nacht her lebend, aber nur auf Tapuamanu (nach Cook) öffentlich vereint;
Oro, der mächtige Nationalgötze von Raiatea, Tahiti und Eimeo, und Tane, der Gott von Hua-
hine und Tahaa, der mit seiner Gattin Taufairei acht Söhne hatte, die alle zu den obersten
Gottheiten gehörten, unter ihnen Temeharo, der Schutzpatron von Pomare's Hause.
Ob die Erde mit den Göttern aus der Nacht hervorgegangen, oder von diesen erst geschaffen
sei, war ein Streitpunkt unter den Priestern, und während Einige der Taatapaari (weisen Männer)
behaupteten, Taaroa habe die andern Götter nicht nur, sondern auch Himmel und Erde erzeugt,
sagten Andere, das Land hätte schon vor den Göttern existirt; ja nach einer Tradition war
Taaroa selbst ein Mensch gewesen, der nach seinem Tode zum Gotte geworden. Ebenso diver-
girten die Meinungen über die Abstammung der übrigen Götter von Taaroa. Die gemeinste
Sage auf Tahiti erzählte: Taaroa ging mit seiner Gemahlin Ofeufeumaiterai aus dem Po hervor
und zeugte Oro, der eine Göttin zum Weibe nahm und von ihr 2 Söhne erhielt. Diese 4 männ-
lichen und 2 weiblichen Gottheiten bildeten den Kreis der obersten Wesen. Taaroa umarmte
einen Felsen, den Grund der Welt, aus dem in Folge dessen Land uud Meer hervorgingen.
Bald darauf erschienen die Vorläufer des Tages, der dunkle und der helle blaue Himmel, und
begehrten eine Seele für ben Sprössling des Gotttes, die noch leblose Welt. Taaroa erwiderte:
Es geschieht, und wies seinen Sohn Raitubu (Himmelsschöpfer) an, seinen Willen auszuführen.
Der Sohn blickte zum Himmel, und derselbe empfing die Macht, neue Himmel und Wolken,
Sonne und Gestirne, Donner und Blitz, Regen und Wind hervorzubringen. Darauf blickte er
niederwärts, und die formlose Masse erhielt die Macht, Erde, Berge, Felsen, Bäume, Kräuter,
Vögel u. s. w. zu gebären. Endlich blickte er zum Abgrunde unb gab ihm die Macht, das
kantak. Nach Ribeyro stammen die Ceylonesen von schiffbrüchigen Chinesen (wie ein ähnlicher
Mythus von dem Hottentotten Schwanzia gesetzt ward).
') Die Andamanen waren (nach den Arabern) von wollhaarigen schwarzen Menschenfressern
bewohnt (IX. Jhdt. p. d.)
^ The race (of Semangs) is only known to exist ön the mountain Jerai, in the Eedah
territory, in the neighbourhood of the mountain ränge, opposite to Perang and in the uplands
of Tringanu etc.) The Sakai and Alias tribes of Perak have curly, but not wooUy hair (retaining
the Papuan custom of i)oring the septum and marking the skin with circles). The Semang
(identical with the Pangan of the inferior of Tringanu) are Papuans in all their purity (s. Earle).
Die Malayen unterscheiden (nach Anderson) Semang Paya, Semang Bukit, Semang Bakow
and Semang Bila. The (dwarfish) Negritos and the Semangs agrce very closely in physical
characteristics with each other, and witli the Andaman Isländers, wliile tliey differ in a marked
manner from every Papuan race. Nach Marsden heisseu die Samang auch Bila oder Dayak.
Australien und Nachbarschaft. 23
purpurne Wasser, die Felsen und Korallen und alle Bewohner des Ozeans zu erzeugen. Auch
mehrere Götter sollten dadurch entstanden sein, dass der ünerschaffene nach seinem Weibe
geblickt [Brahma].
Auf der westlichen Gruppe war dagegen folgende Ueberlieferung, die Barff gesammelt, die
herrschendste; Taaroa, Toivi, der Elternlose, genannt, hatte einen unsichtbaren Körper. Nach
zahllosen Zeitliiufeu warf er seine Paa (Schale) ab, wie die Vögel die Federn, und nach zahllosen
Zeitläufen ward sein Körper wieder erneut. Im Rera oder höchsten Himmel wohnte er
allein. Seine erste That war die Schöpfung der Hina. Nach zahllosen Zeitläufcn machten
Taaroa und seine Tochter Himmel, Erde und Meer. Der Grund der Welt war ein Fels,
den Taaroa's Macht, so wie alles Einzelne in der Welt aufrecht hielt. Darauf erzeugte —
der Ausdruck ist oriori , wogegen für das Schaffen der Welt in der Genesis hamani (machen)
steht — der ünerschaffne die Götter, zuerst llootane, den Friedensgott, nebst neun andern,
darunter den Sciuitzer der Blödsinnigen und mehrere Kriegsgötter, als erste Ordnung; ^ine
zweite Ordnung folgte als Boten zwischen den obersten Göttern und den Menschen; eine dritte
bildete Raa mit seinen Nachkommen; an der Spitze der vierten stand Oro. Der Schatten eines
Brotbaumblatts, von Taaroa's Arm geschüttelt, ging über Hina hin, und sie gebar zu Opoa auf
Raiatea den Oro. Dann erschuf ihm Taaroa sein Weib, und ihre Kinder wurden gleichfalls
Götter. Zur vierten Klasse gehörten als Oro's Brüder auch die Stifter der Areoi's. Auf Huahine
erhob die Sage den Nationalgott Tane zum Vater aller Uebrigeii. Man dichtete ihm einen langen
Schweif an, mit dem er sich oft, wenn er seinen Wohnplatz verlassen wollte, in den Zweigen
des hundertjährigen Baumes, der seinen Marai umschattete, verwickelt habe.
Im Allgemeinen wurde bei der Bildung der Inseln Taaroa als thätig gedacht. Eine Sage
auf Raiatea schildert seine durch das All wirksame Macht. Der Gott schwebte zuerst, in ein
Ei gehüllt, im noch finsteren Lufträume umher. Der ewigen Bewegimg müde, streckte er seine
Hän«e hinaus, richtete sich auf, und sogleich wurde Alles um ihn hell. Er schaute zum Sande
der Küste herab und sprach: Komm herauf! Der Sand antwortete: Ich kann nicht zu Dir in
den Himmel fliegen. Dann sprach er zu den Felsen: [Kommt herauf zu mir! Sie erwiderten:
Wir sind im Boden gewurzelt und können nicht zu Dir in die Höhe springen. Darauf kam
der Gott hernieder zu ihnen, warf seine Schale ab und fügte dieselbe der Erdmasse hinzu, so
dass die letzte bedeutend grösser ward. Dann erzeugte er die Menschen aus seinem Rücken
und verwandelte sich selbst in ein Boot. Wie man ifn Sturm mit demselben ruderte, füllte
sich der Raum, man schöpfte das Wasser aus; es war Taaroa's Blut, das dem Meer seine Farbe
gab. Von dem Meere verbreitete es sich in die Luft und Hess die Morgen- und Abendwolken
erglühen. Zuletzt wurde Taaroa's Gerippe, das Rückenbein oben, auf dem Boden liegend, eine
Wohnung für alle Götter und zugleich das Vorbild für den Bau der Tempel. Nach einer andern
Tradition hatte der Gott an der Erbauung der Inseln so eifrig gearbeitet, dass seine Schweiss-
tropfen die Höhlungen füllten und das salzige Meer bildeten; nach einer dritten war das Land
erst ein zusammenhängender Kontinent gewesen; im Zorn hätten die Himmlischen denselben
zertrümmert und die Stücke, von denen Tahiti das grösste, über den Ozean zerstreut. Dieselbe
Sage erscheint auch unter der Form, dass der zürnende Taaroa die Welt ins Meer gestürzt,
worauf nur wenige Spitzen über der Oberfläche geblieben seien. Eine zweite wichtige Rolle
bei der Schöpfimg wurde einem gewissen Maui beigelegt, wahrscheinlich demselben, der einst
die Sonne festgehalten. Der Himmel lag im Anfang flach auf Meer und Land , von den Armen
eines ungeheuren Tintenfisches herniedergezogen. Jener Maui zerriss^) das Unthier, worauf die
blaue Masse zn ihrer natürlichen Wölbung sich erhob. Diese Erhebung des Himmels, der zuerst
nur durch das Teva- Kraut von der Erde getrennt gewesen, wurde nach Ellis dem Gotte
Run zugeschrieben. Maui soll auch die Menschen gelehrt haben, durch Herumwirbeln eines
spitzen Stockes in der Höhlung eines zweiten Holzes Feuer hervorzulockeu. Endlich berichtet
Forster von einem Gotte und Sch.'lpfer der Sonne Mauwe (derselbe Name nach englischer Aus-
sprache), der nicht nur die Erdbeben bewirke, sondern nach der Sage dereinst auch ein grosses
Land von Westen nach Osten durch das Weltmeer gezogen habe, wovon sich Stücke, die die
jetzigen Inseln bildeten, losgerissen hätten, während dss Land selbst noch im Osten anzutreffen
') In Neuseeland zerreissen die Kinder (als Gott iler Bäume, Fische, Menschen ii. s. w.) ihre
auf einander Hegenden Eltern Ranga und Papa (Uranus uml Gäa). Maiu ist der ieuerbnnger.
24 Australien und Nachbarschaft.
sei. Traditionen, wie diese und die obigen von den Wirkungen des Götterzorns scheinen auf
Erdrevolutionen hinzudeuten, die die Vorfahren, gleich der allgemeinen Fluth, wirklich erlebten.
Nach der verbreitetsten Ansicht ward auch der Ursprung des Menschen unmittelbar auf
Taaroa zurückgeführt. Er wohnte mit seinem Weibe auf allen Inseln und bevölkerte dieselben.
In vielen Traditionen wird als Vater dos Menschengeschlechts Tii genannt. Dieser Tii war
bald mit seinem Weibe, der Mcnschcnmutler, von einem Nachkommen Taaroas durch Umarmung
des Küstensandes erzeugt worden, bald lebte er zu Opoa-, bildete sich selbst sein Weib, und
seine Kinder wurden die Stammeltern der Menschen, bald wird von zwei Tii's erzählt, die zu
Opoa menschliche Leiber annahmen und die Inseln bevölkerten, die vorher nur von Göltern
bewohnt gewesen: Tii maaraa uta (sich ausbreitend über das Land) und Tii maaraa tai (sich
ausbreitend über das Meer). Aber die Meinung ging, dass Tii und Taaroa ein und dasselbe
Wesen seien, nur dass der Letzte im Po, der Eiste im Ao wohne. Auch versicherten Einige
wie von Taarao, Tii sei der erste Mensch gewesen, der nach seinem Tode noch fortleliend ge-
dacht und bei seinem Namen genannt worden sei, woher die Geister der Verstorbenen diese
Benennung erhalten hätten. Die vollständigste Tradition hat Bartl" aufgespürt. Nach ihr war
der Mensch die fünfte Klasse von Wesen, die Taaroa und Ilina erschufen, das Rahu taata i te
ao ia Tii (das Menschenreich an dem Lichtortc durch Tii). ITina') sprach zu Taaroa: ,Was
soll geschehen? Wie soll man den Menschen erhalten? Siehe! Geordnet sind die Götter des Po,
aber es giebt keine Menschen" Taaroa antwortete: Gehe in's Land zu Deinem Bruder! Sie
sprach: Ich bin im Lande gewesen; er ist nicht da. Der Gott sagte: Geh' nach der See,
vielleicht ist er da. — Wer ist auf der See? — Tii maaraa tai. — Wer ist Tii maaraa tai?
Ist er ein Mensch? — Er ist ein Mensch und Dein Bruder. Als die Göttin gegangen, überlegte
Taaroa, wie er den Menschen bilden sollte; er begab sich ans Land und nahm die Gestalt des
Menschen an. Hina kommt zurück von der See, kennt den Gott nicht und fragt: „Wer bist
Du?" — „Ich bin Tii maaraa tai" — ,Wo bist Du gewesen? Ich habe Dich hier gesucht, und
Uu'warst nicht da; ich ging auf's Meer, zu schauen nach Tii maaraa tai, und er war nicht
da." — „Ich bin hier gewesen in meiner Wohnung, imd siehe, Du bist da, meine Schwester
komm zu mir!" „So ist es," sprach Hina, „Du bist mein Bruder; lass uns zusammenleben!"
Sie wurden Mann und Weib, und Hina gebar einen Sohn, den sie Tii nannte, danach eine
Tochter, die sie ihm zum Weibe gab. Der Sohn dieser Beiden war Taata (der Ausdruck für
Mensch durch das ganze verwandte Polynesien'); Hina, seine Grossmutter, verwandelte sich in
ein schönes junges Weib für ihn, und ihre Kinder wurden die Stammeitern des tahitischen
Geschlechts. Auf Huahine nannte man auch den ersten Menschen konsequenter Weise Tane.
An die Nachtgebornen schloss sich eine grosse Zahl allgemein verehrter niederer Gottheiten.
Zuerst erwähnt Ellis eine Klasse, die als gottgewordene Menschen angebetet wurden, ohne mehr
als 9 Namen hinzuzufügen, an der Spitze den Gott Roo. Dann folgen die Beschützer der Ele-
mente und Beschäftigungen.
Gegen 20 Götter regierten das Meer; unter ihnen ragen Tuaraatai und Ruahatu hervor, die
Atua mao oder Haifischgötter genannt, weil sie sich des grossen blauen Haies als Werkzeugs
ihrer Rache bedienten Die Ungethüme wurden mit Fischen und Schweinen häufig gefüttert;
so gewöhnten sie sich ihren Marae's an der Küste zu gewissen Zeiten zu nahen, und die Ein-
gebornen konnten versichern, dass sie, den Priester des Gottes stets erkennend, auf sein Geheiss
herbeikämen und sich entfernten. Doch fügte man auch hinzu, dass sie denselben im Fall eines
Schiffbruchs verschonton und unter der übrigen Mannschaft zuerst die versi'hlängen, die dem
Seegott nicht Opfer brächten. Ja ein früherer Priester von einem solchen Atna-mao behauptete
gegen Ellis: ein Hai habe seinen Vater einst von Raiatea nach Huahine auf dem Rücken ge-
tragen. An der Küste von Huahine soll einst ein Hai aus dem Sand sich hervorgewühlt haben;
ein Marae .wurde sogleich an der Stelle errichtet; ein zweites Thier zog mit der Fluth in den
Tempel ein, und Hess es sich, bespült von dem Meere und umgeben von reichlichen Opfern, eine
Zeit lang dort behagen. Ein berühmter Seegott war auch lliro, ursprünglich ein kühner und
gewandter Raiatger, der sich durch Seeabenteuor hervorgethan, und noch so neuerlich unter
die Schaar erhoben, dass sein Schädel bis zur Zerstörung des Ileidenthnms zu Opoa gezeigt
wurde. Romantische Erzählungen gingen über seine Reisen und Tiiaten, seinen Kampf mit den
") Aehnlich stellt (am Camerun) die weibliche Gottheit das Verlangen an Abassi.
Australien und Nachbarschaft. 25
Göttern der Wimle, '^cin Ruhen auf «Icui Grunde rics Meeres, seinen Veri<ehr mit den Ungeheuern
der Tiefe, die ihn in Schhif lulKen, wiihrend der Sturinosgott seine Anhänger im Schiff bedrohte.
Sie rufen zu ihm; ein verbündeter Geist stört ihn auf vom Schlummer; er erscheint auf der
Fläclie und bcwiiltigt den Sturm. Besonders auf den westlichen Inseln lebte seiu Gedächtniss.
Eine Felsengruppe auf Tahaa wurde Iliro's Hunde genannt, ein Bergrücken sein Schiff, und ein
grosser Hasaltpfcilor ;iuf Hualiiiie hiess sein Riuier.
Unter den Uuftplltern, die oft unter der Gestalt eines Vogels verehrt wurden, stehen obenan
Veromatautoru und Tairibu, Bruder und Schwester unter Taaroa's Kindern, die in der Niihe
des Felsens, der die Welt trug, wohnten. Mit Stürmen und Ungewifteru tjestraften sie jede
Vernachlässigung; (Jeschenke von den Reisenden oder ihren Freunden am Lande besänftigen
sie wieder, die wiederholt werden musstcn, wenn die erste Gabe Nichts fruchtete. Auch um
Erregung von Orkanen rief man sie an, wenn eine feindliche Flotte im Anzüge war, doch mit
weniger sicherem Erfolge. Uiul noch heute glaulien viele Insulaner, böse (ieister hätten ehedem
Ma.hf über die Winde gehabt, da seit der allgemeinen l-5ekehrung nie so furchtbare Stürme
gewüthet wie früher. Belebt mit höheren Wesen war auch die obere Luftregion. Alle Himmels-
körper betrachtete man oft als Gölter; wenn sich Sonne oder Mond verfinsterten, so hatte ein
beleidigter L'ämou sie verschlungen, und durch reiche Gaben ward er vermocht, das Gestirn
wieder aus sich zu entlassen. Ein hell leuchtendes Meteor, das die Missionäre am 22. August
1800 in dem Zuge \on Nordost nach Südwest einige Sekunden lang beobachteten und für einen
Kometen hielten, wurde von den Eingebornen sogleich als Einer ihrer grossen Götter ausgegeben.
Von den Schützern der Berge, Thäler, Abgründe und Klüfte haben die Missionäre 12 Namen
aufgezeichnet; ausserdem war jede auffallende Naturltildung mil Dichtungen hiramliscl^er Wirk-
samkeit nmwobcn. Eine Oeffnung im Felsen bei Afarcaitu, 8 F. im Durchmesser, aber von der
Küste wie die Spur einer Kanonenkugel erscheinend, hatte der Speer in dem Arme eines höheren
Wesens gebohrt. Der grosse Berg, der Talu-Hafen von Cooks-Hafen trennt, und nur durch
einen schmalen Isthmus mit der Insel zusammenhängt, soll früher mit dem Hauptgebirge vereint
gewesen sein. In einer Nacht hätten die Geister, die im Finstern wirken, ihn nach der östlichen
Gruppe tragen wollen, aber der Morgen habe sie bei der Arbeit überrascht. [Java.]
Den Schluss machten die Wesen, die den einzelnen Beschäftigungen vorstanden. Besondere
Götter sandten die Waudertische zu den bestimmten Zeiten nach der Küste; besondere Götter
riefen die Fischer an, wenn sie Netze strickten, ehe sie das Kanot gleiten Hessen, und während
sie arbeiteten auf dem Meer. Ebenso hatten die Landwirthe, die Zimmerer, die Haus- und
Kanotbauer und alle übrigen Holzarbeiter, die Dachdecker, besonders die die Firstenecken
sicherten , eigne Patrone ihrer Kunst. Ein Gott der Zeugbereitung wird nicht erwähnt, viel-
leicht weil dies das Geschäft der Frauen war. Auch über den Spielen wachten 5 — C Götter,
selbst über die einzelnen Laster und Verbrechen, unter ihrer Zahl Hera als Gott der Beschwö-
rungen und Hiro, der Meeresgott, zugleich als Schützer der Diebe. Häuptlinge sogar entblödeten
sich nicht, ihn anzurufen auf heimlichen Zügen, die in der 17„ 18. und 19. Nacht des Monats,
wo die Geister auch wandern sollten, am günstigsten ausfielen. Doch muss das Ausehen dieses
Gottes gegen die Furcht vor den höheren Göttern sehr zurückgestanden haben; denn von dem
gestohlnen Schweine ward ihm oft nur ein Theil des Schwanzes geopfert mit den Worten:
Hier, guter Hiro, ist ein Stück von dem Schwein; sag's nicht weiter! Derselbe beschützte auch
Trug, Mord und Wollust, so wie den Raub zur See und die geschickte Führung des Bootes.
Zu den wohlthätigsten Göltern gehörten vier, welche die bösen Geister austrieben und von
Exorzisten für ilen Gegenzauber angerufen wurden, so wie drei andere, die den Heilmitteln
Erfolg gaben.
Die Liste, welche die Missionäre von allen öfl'entlich verehrten Gottheiten gesammelt haben,
enthält nahe an 100 Namen. Unzählig aber sind die Schutzgötter, die jede Familie von irgend
einem Ansehen und Alter besonders beschirmten. Wenn auch gelegentlich Schutzgottheiteu
aus der Klasse der obersten Wesen erwähnt werden, in der Regel waren dies die Oromatua's,
die man mit sorgfältigem Kultus feierte, mehr um ihr WMedererscheineu in Träumen und Besitz,
nehmungen und ihren leicht erregten verderblichen Zorn zu verhüten , als ihre direkte Gunst
sich zu sichern. Von Huahine erwähnt Ellis drei dieser Geister namentlich , die allgemeinere
Aufmerksamkeit scheinen genossen zu haben."
(Fortsetzung folgt.)
26 Kuchenbuch :
Funde und Fundorte von Resten
aus vorhistorischer Zeit in der Umgegend
von Müncheberg, Mark Brandenburg.
Bei dem oft unmerkbaren Uebergang einer Periode in die andere, und
der meistens schon gründlich ausgeführten Zerstörung der Denkmale aus
denselben hält es schwer, die Funde genau nach der Zeit ihrer Entstehung
und ihren Urhebern einzutheileu. Eine gründliche Sichtung nach dieser
Seite hin wird wohl erst dann möglich sein, wenn aus allen Theilen des
Landes zuverlässige Berichte eingegangen sein werden, und eine Vergleichung
der Funde stattgefunden haben wird.
Es wird desshalb, und da eine allgemein anerkannte Terminologie noch
nicht eingeführt ist, nicht gut möglich sein, in der folgenden nach dem ge-
gebefien Schema versuchten Zusammenstellung Wiederholungen zu vermeiden.
Der Vollständigkeit wegen sind in dieses Verzeichniss aber nicht nur die-
jenigen Funde aufgenommen, welche von uns selbst an Ort und Stelle fest-
gestellt sind, und somit als zuverläs8ig bezeichnet werden können, sondern
auch diejenigen, welche sonst zu unserer Kenntniss gekommen sind.
Wenn in dieses Verzeichniss nur die vorgeschichtlichen (heidnischen)
Alterthümer aufgenommen werden sollen, so muss bemerkt werden, dass für
unsere Gegend der Anfang specieller historischer Nachrichten kaum mit dem
Beginn des 12. Jahrhunderts zusammentrifft, während in Mittel- und Süd-
Deutschland dieser Zeitpunkt schon Jahrhunderte vorher eintrat. Trotzdem
lässt sich annehmen, dass die hiesigen Einwohner schon Vieles ihrer kul-
tivirteren Nachbarn angenommen hatten, dass dadurch aber eine schwer zu
lösende Vermischung in den Resten dieser Zeit stattgefunden haben wird.
I. Reste aus vorgeschichtlicher (heidnischer) Zeit.
a. Wohnstätten.
Man könnte zwar annehmen, dass da, wo Gräber, Artefacte in grösserer
Menge u. s. w. gefunden würden, auch menschliche Wohnstätten gewesen
sein müssten, doch würden unter den hier zu erwähnenden wohl nur solche
Stellen zu verstehen sein, welche noch unzweifelhaft sich als Wohustätten
selbst documentiren, und deren giebt es liier nur wenige.
1. Unsere Stadt Müncheberg selbst, welche erst im Jahre 1232 unter
diesem Namen erscheint, und urkundlich erst in Folge der im Jahre 1224
vom Herzog Heinrich dem Bärtigen dem Kloster Leubus und Trebnitz in
Frinflo unf] Fiindorff von Rosten aus vorhistoriscber Zeit. 27
Schlesien {gemachten Schenkung von 400 Hufen wüsten Landes in hiesiger
Gegend gegründet wurde, bietet Funde dar, welche auf eine vor dieser Zeit
schon vorhanden gewesene Ansiedelung schliessen lassen. Die gegenwärtige
Stadt liegt auf einem Lehmhügel, welcher nach drei Seiten hin von niedrigen
sumpfigen Wiesen und Seen umschlossen gewesen ist, und nur nach Nord-
westen hin mit dem Festland zusammenhing. Dieser Zusammenhang wurde
durch die Anlage eines künstlichen Grabens unterbrochen. Der dadurch ab-
geschlossene Theil bestand eigentlich aus zwei Lehrahügeln durch moorige
Wiesen und Wasser getrennt. Gegenwärtig ist diese Trennung vollständig
ausgeglichen. Bei Neubauten, welche mit tiefergehenden Fundamenten als
die früheren Holzhäuser versehen werden müssen, finden sich nun in dieser
Gegend 8—12 Fuss tief unter dem jetzigen Strassenpflaster eigenthümlicho
in den früheren Moorgrund gelegte Bauwerke, Packbauten, indem Balken,
eichene, kiefernc, birkene etc. quer übereinander gelegt mit Steinen beschwert
in den Moorgrund gesenkt sind, auf denen dann wieder stehende kurze Balken
errichtet waren. Die Tiefe dieser Bauten ist nach dem Terrain sehr ver-
schieden. Es kommen Tiefen von mehr als 20 Fuss vor. Zwischen diesen
Balken fanden sich verschiedene Geräthe aus Holz, aus Eisen, Scherben,
namentlich viel Lederabfälle, wie aus der Werkstatt eines Schusters, Trümmer
eines steinernen Mörsers, Knochen vom Rind, Ziege, Schaf, Hund, vor. Dicke
Lagen von Lehm schienen vom eingestürzten Dach herzurühren. Der um-
gebende Moorboden enthielt vielerlei Sämereien, ganze Lagen von Moos,
vielleicht vom Dach oder von den Wänden herrührend, namentlich in Schichten
viel Stengel von Asplenium adianthum nigrum, welche das Ansehen von
Pferdehaaren boten. Dabei fanden sich Schuppen und Gräten von Fischen,
Puppen von Fliegen und andern Insecten in grosser Menge. Leider kann
man diese Bauten nicht weiter verfolgen, da sie unter den Häusern der Stadt
fortlaufen. In Folge der Erbauung von Häusern ist es öfters auch vorgekommen,
dass eine Vermischung dieser alten Schicht mit Gegenständen neuerer Zeit
herbeigeführt wurde, und ist desshalb Vorsicht gerathen.
2. Eine andere Wohnstätte ist bei der Windmühle bei Platiko gefunden,
in Betreff deren ich mich auf meinen Bericht in der Zeitschrift für Ethnologie
V. 1873 beziehe,
3. Im Scharmützelsee bei Buckow findet sich ein Pfahlwerk, bestehend
aus eichenen oben und unten zugespitzten Pfählen, welche eine Bewehrung
bilden, und somit wohl als Anzeichen einer menschlichen Wohnung gelten
können. (Vgl. meinen Bericht im Anzeiger für Kunde deutscher Vorzeit.
Nürnberg 7. Bd. 1860, S. 442).
4. Bei Seelow, näher kann ich den Ort für jetzt nicht bezeichnen, wurden
vor mehreren Jahren Broucecelte, Broncesicheln (Knopfsicheln) und Bruch-
stücke derselben, und rohe Klumpen Bronceerz gefunden, welches auf eine
Giessstätte schliessen lässt. Formen sind liier nicht entdeckt.
5. Inwiefern auch sog. Schanzen, Ringwälle, Schlösser und Burgen hier
28 Kuchenbuch :
hergehören, stelle ich aaheim. Ich will nur bemerken, dass ich den sogenannten
Schlobsberg bei der Liebenborger Mühle, der offenbar auch die Merkmale eines
Wohnplatzes, und vielleicht einer Töpferwerkstiitte bietet, unter dieBelestigungen
gerechnet habe.
b. \V irthschaftsabfälle.
Anhaulungen von Küchenabfällen, von Thierknochen, Urneuscherben u.s.w.
lassen immer Wohnungen oder Werkstätten vermuthen, und sind bei diesen
berücksichtigt.
Massen von Knochen, zum Theil gespalten, linden sich 1) im Müncheberger
Moorbau, 2) bei der Platkower Mühle, 3) auf der Däberschanze (vergleiche
Zeitschrift für Ethnologie 1870), 4) im Gutsgarten von Jahnsfelde (zerschlagene
Schvveineknochen), 5) auf dem Schlossberg bei Liebenberg (gespaltene
Knochen, Hirschgev^'cih).
Verbranntes Getreide (Uirse) ist bei Platkow gefunden. Nüsse (Hasel)
fanden sich in Müncheberg. Hörner von Ziegen in Menge, Hirschgeweihe
in Müncheberg.
Die grosse Älenge Scherben auf dem Schlossberg bei Liebenberg, welche
sich durch schwarze oder graue Farbe, grosse Festigkeit auszeichnen, aber
meist beim Brennen sich verzogen haben, gebrannte Lehmklumpen mit Stroh-
abdrucken lassen hier eine Töpferwerkstatt vermuthen, wie die grosse Menge
von Lederabgängen in Müncheberg eine Schusterwerkstatt.
c. Geräthschaften.
Steingeräth ist vielfach gefunden; als:
1. Handmühlsteine von Granit. Beim Faulen See (Müncheberg) wurde
ein rundlicher Stein mit ringsum eingehaueuer Kerbe gefunden, der jedenfalls
als jNlühlstein hergerichtet werden sollte. Bei Arensdorf — bei Jahnsfelde
(mit Urnen), Schweineknochen, Eisen) — bei Behlendorf — am Wermelinsee
bei Worin — beim Schützenhaus in Seelow — au der Däberschanze — alle
diese Steine sind aus gröberem oder feinerem Granit, theils wohl erhalten,
theils beschädigt, d. h. gesprungen.
2. Steinäxte oder Beile mit Löchern wurden nur einzeln anf dem Feld
gefunden: Bei Wüste -Sieversdorf (mit auf beiden Seiten angefangenem
konischen Loch) bei Schlagenthin (halb. Beim gerade durchgehenden Loch
zerbrochen.) — Schoenfelde — Hermersdorf (halb.) Jahnsfelde (lang, spitz,
verwittert) — Chörlsdorf (Amazonenform, schön von Granit) — Mühle bei
Platkow (unregelmässig) — Hasenfelde (unvollendetes Beil, noch ohne Loch,
verwittert).
3. Steinkeile, ebenfalls meist vereinzelt gefunden. Elisenhof (Müncheberg.
Serpentin, geglättet) — Eichendorfer Mühle in der Kiesgrube (Feuerstein-
meissel, schön geglättet) — Platkow — 2 Stück Serpentin) — Seelow (Feuer-
steinkeil, welcher noch in einem Knochen gesteckt haben soll). — Sinzzig,
1 Meile südöstlich von Cüstrin (hier sollen in einem Steinkistengrab neben
fünf Skeletten fünf Steinkeile gefunden sein).
Funde unil Fundorte von Resten aus vorhistorischer Zeit. 29
4. Verschiedene Steingenithe. In einem der Werderschen Kegelgräber
fand ich eine roh bearbeitete Kugel aus rothera Granit. Eine andere kleinere
daselbst gefundene ist glatt und einem, gewöhnlichen Kollstein gleich. Auch
bei Werbig wurde eine gut bearbeitete Steinkugel gefunden. Im Obers-
dorfer Torfl)ruch fand sich ein an beiden Enden zugespitzter flacher Feuer-
stein, 5" lang, einer Speerspitze ähnlich. — Im Steinkistengrab bei Tempel-
berg wurde ein zum Schleifen von Steingeräthen benutzter sehr harter Sand-
stein gefunden. — Verschiedene Schleifsteine fanden sich bei der Platkower
Mühle, ein ähnlicher auf der Däberschanze im kohlenhahigen Erdreich. — Bei
Müncheberg ist ein Netzsenker aus Kalkstein mit rundem, sehr glattem Loch
gefunden. — Spinnwörtel oder Spindelsteine von Stein und Thon
werden in der Gegend viel gefunden; da aber bis in's späte Mittelalter, viel-
leicht bis in die Neuzeit noch viel mit der Spindel gesponnen wurde (ein-
zelne Schäfer benutzen sie heute noch), so lässt sich von den einzeln ge-
fundenen schwer ihre Herkunft und ihr Alter feststellen. Andere diesem
Geräth ganz ähnliche Steine sind unter Umständen gefunden, welche ihre
Benutzung zum Spinnen ausschliessen, und möchten solche mehr als Perlen
zum Schmuck gelten können. Dergleichen unzweifelhaft vorhistorische Stein-
perleu wurden bei der Platkower Mühle, bei Seelow und beim Bahnhof
Müncheberg gefunden; sie sind desshalb bemerkenswert!!, weil die beiden
ersten fast ganz gleich sind, alle aber in den Verzierungen übereinstimmen. —
Auf dem Schlossberg bei Liebenberg fand ich einen jedenfalls zum Feuer-
schlagen benutzten Feuerstein. — Bei Platkow fanden sich kleine Vorsteine-
rungen in Ringform, welche offenbar als Schmuck benutzt wurden, da sich
ähnliche kleine Glasringe dabei fanden. In den Müncheberger Moorbauten
fand sich ein steinerner Mörser aus Kalkstein, mit Verzierungen und einem
wohl als Henkel benutzten rohen Gesicht, ferner ein Stein mit mehreren un-
regelmässig stehenden konischen Löchern, welche nicht durchgehen, und
wenn sie nicht als Versuche gelten sollen, vielleicht zum Feueranmaohen
gedient haben. (Steinformen siehe Bronze.)
5. Bearbeitete Knochen- und Horngeräthc haben sich bisher nur gefunden:
auf der Däberschanze und bei Platkow; hier waren es besonders zu Pfriemen
hergerichtete Kehgehörne und Beinknochen. Ein Beinknochen zeigt zwei
Löcher neben einander in seiner Mitte durchgebohrt, andere Knochen und
Gehörne die Spuren der Säge und des Messers. — Eine bei der Arnsdorfer
Schanze gefundene Ilirschgeweihkrone mit Schädelstück zeigt die Hiebe, mit
denen das Geweih abgeschlagen wurde. Im Müncheberger Moorboden fanden
sich abgesägte Spitzen von Hirschgeweihen. — Im rothen Luch wurde 4! Fuss
tief im Torfmoor ein knöcherner, schwarz gebeizter Pfeil gefunden, welcher
in dem Halswirbel eines menschlichen Skeletts steckte. Leider ist der Schädel
wieder weggeworfen.
6. Broncegeräthe. Broncecelte: auf dem Jacob'schen Feld in Schoen-
felde, zwei mit sehr schöner Patina beim PÜügen geluuden. — Auf dem
30
Kuchenbuch:
Werder bei Buckow beim Abgraben eines Weges drei Stack.. Keines von
diesen ist aus ein und derselben Form hervorgegangen. Im Torfmoore des
rothen Luches ein ßroncecelt ohne alle Patina, dessen Schneide gehämmert
erscheint. Bei Seelow wurden Broncecelte mit breiter Schneide (Paalstiibe),
viele Bruchstücke von Knopfsicheln und rohe Bronce-Klumpen (Erzkuchen)
gefunden, so dass man hier auf eine Giessstätte schiessen könnte. Giess-
formen fanden sich nicht hier, wohl aber bei Buckow (3 Meilen davon) fünf
steinerne Formen aus Glimmerschieier, deren je zwei zusammengehören und
die Gussformen zu 4 Messern und einem Meissel, sowie zu einem Sichelmesser
oder Knopfsichel enthalten. Zwei dieser Formen waren zerbrochen und sind
mit Bronceklammern wieder zusammengebracht. (Vergl. meinen Bericht im
Anzeiger für Kunde deutscher Vorzeit 1867 S. 33.) Eine andere Form aus
Stein zum Guss von Amuletten oder Münzen, Zierrathen mit runenartigen
Characteren ist auf dem Begräbnissplatz bei Philippinenhof (Müncheberg)
gefunden.
Am Eichwall beim Kloppiksee fand man beim Verbreitern eines Weges
fünf mit Patina überzogene zusammenhängende Ringe, nicht tief in der Erde.
Bei einer Urne des Begräbnissplatzes bei Philippinenhof fand ich zwei bronzene
Perlen und den Rest eines in der Grösse eines Fingerringes gewundenen spi-
ralförmigen Ringes. — Kleine Broncestückchen, Reste von Zierrathen, wurden
gefunden: in der Vorhaide mit Urnenscherben und gebraunten Knochen, in
einem früheren Kegelgrabe (?). Bei Münchehofe, vor Müncheberg bei Anlage
eines Kanales, 10 Fuss tief. Eine Broncefibel bei Münchehofe, eine Knopf-
ichel bei Alt-Rosenthal.
Ob ein in Dahmsdorf tief in der Erde gefundener Broncekessel, ein ähn-
licher und mehrere Füsse eines solchen im Baugrund eines Müncheberger
Hauses in Berührung mit den Moor])auten, so wie eine Blattangel von Bronce
bei Buckow gefunden, hier hergehören, mag dahingestellt bleiben. In der
alten Ansiedelung bei Platküw wurden gefunden: zwei hohle Ohrringe, einer
am Schädel eines Skelettes, eine Dolchspitze mit Nieten oder Gürtelzunge
in dessen Nähe, der Rest einer ßroncenadel mit Kopf, und eine Broncenäh-
nadel, unsern Stopfnadeln gleich.
Bei dem Funde am Bahnhof fand sich auch eine Bronceschnalle mit
eiserner Stange und eisernem Dorn.
Ein ausgezeichneter Fund von Broncegeräthen wurde bei Göritz (Reit-
wein gegenüber) in der Nähe der Dommühlen gemacht. Dort fanden sich in
flacher Erde: eine ganze Reihe broncener Fibeln, eine solche von Eisen,
zwei von Silber, ein Broncegefäss in Krugform mit kleeblattiörmiger Hals-
ötfnung, Reste eines anderen grösseren Broncegefässes, Stiel und Fuss eines
solchen, eine schöne Bronceschnalle, eine Kasserole von Bronce, am Boden
mit gedrehten Ringen, verziert mit Griff, ein eisernes Scheermcsser, Urnen
aus Scherben. Zwei in einander gedrückte, offenbar starkem Feuer ausgesetzt
gewesene ähnliche Kasseroleu gehören jedenfalls auch zu diesem Fund. Ich
Funde und Fundorte von Resten aus vorliistoriscLer Zeit. 31
mochte diese Gegenstände für römische oder wie man jetzt annimmt, etrurische
Erzeugnisse ansprechen, und bemerke, dasS eine ganz älinliclie Kasseroie
auch bei Frankfurt a. 0. (hinter der l^ebuser Vorstadt) mit Sporen etc. ge-
funden wurde (Eigenthürner Herr Ober-Reichs-Handels-Gerichtsrath Langer-
hanns in Leipzig).
7. Eisen findet sich in vielen Grabstellen und Niederlassungen, so dass
Fälle, wo dies nicht vorkäme, zu den Ausnahmen gehören. (Bei Platkow
wurde bis jetzt noch kein Eisen gefunden.) Es fand sich: auf dem Begräb-
nissplatz bei Philippinenhof (Fibel), bei Jahnsfelde (Fibel mit Scherben,
Mühlstein, Knochen), auf der Däberschanze, Elisenhof (Schabeisen (?) mit
Urne), Schlossberg bei Liebenberg (Axtöse, Hufeisen, Messer), Hermcrsdorfer
Haide (Ring, Splint, Hufeisen, zwei Nägel, Messerklinge, Beschlag), Moor-
bauten von Müncheberg (Nägel, Beschläge, Trense, Hufeisen, Pfriemen),
Bahnhof Müncheberg (Speer mit in Silber eingelegter Runenschrift, ein zweiter
Speer, drei Schildbuckel, Schildnägel und Beschläge. Siehe Anzeiger für
Kunde deutscher Vorzeit 1869), Göritz (Fibel, Scheermesser), Hoppegarten
(Scheeren im Sumpfe). Vereinzelt ist noch manches Stück, namentlich Aexte,
Beile, Hufeisen, Scheeren eher gefunden, doch lässt sich nicht nachweisen,
dass diese Funde aus vorgeschichtlicher Zeit stammen.
8. Funde an edeln Metallen ausser den silbernen Fibeln in Göritz sind
mir nicht bekannt. Vor Jahren soll bei der Jahnsfelder Windmühle ein gol-
dener Ring gefunden worden sein, der in den Besitz Sr. Maj. des Königs
gekommen wäre.
9. Münzfunde aus vorhistorischer Zeit: Bei Eggersdorf eine silberne
Münze von Nerva Trajan. Bei Behlendorf (Grube Franka) eine Kupfermünze
von Antonius Commodus. Bei Platkow eine Goldmünze Numerians. Mittel-
alterliche Bracteaten-Funde kommen öfters vor: in Arnsdorf ein Topf mit
mehreren tausend Stück, einzelne in der Nähe des Schlossberges bei Liebeu-
berg; bei Alt Rosenthal lag auf der Brust eines Skeletts über dem gothischen
Griff eines eisernen Schlüssels ein Prager Groschen und ein Bracteat
Friedrichs I. von Brandenburg.
10. Glasfabrikate fanden sich: am Bahnhof eine lange grünliche Glasperle
gerippt, bei Platkow ein kleines Ringelcheu von grünem Glas. Glas in den
Müncheberger Moorbauten ist sehr zweifelhaft.
11. Holzgeräthe fanden sich in den Müncheberger Moorbauten: Schüsseln,
Kugeln, Quirle (abgebrannt) etc., im Torfmoor bei Hoppegarten eine Falle
von Eichenholz, der im Berliner Museum aufgestellten ganz gleich.
12. Lederreste sind nur in den Müncheberger Moorbauten gefunden und
zwar von Schuhen, Sohlen, Rändern, Abschnitzel, oft noch mit Haaren versehen.
13. Die am häufigsten vorkommenden Zeichen vorhistorischer Cultur sind
die Urnen und sonstigen Thougefässe imd die Scherben von solchen. Sie
zeichnen sich, wenn auch zerstreut auf dem Acker gelegen, dui'ch ihr Material
und ihre Bearbeitung aus, und sind leicht von Erzeugnissen späterer Zeiten
32 Kuchenbuch:
zu unterscheiden. Es kommen gröbere mit viel zerschlagenem Granit und
Glimmer gemengte, daher rauhe und zerbrechliche Geiiisse, meist aus treier
Hand geformt, neben feineren auf der Drehscheibe hergestellten, oft mit
Buckeln, Zierrathen etc. versehenen Gefässen vor; es finden sich auch Ge-
fässe von zwar roher Arbeit, aber festem Material (z. B. Sclilossberg,
Müucheberg). Zumeist sind die noch ganz gefundeneu Beigefässe der Grab-
stätten, andere sind mit Asche und gebrannten Knochen gefüllt, selten kommen
solche vor, welche zum Wirthschaftsgebrauch gedient haben (Platkow) mit
Getreide gefüllt. In den meisten Fällen befinden und befanden sich diese
Thongefässe so flach unter der Erde, dass sie schon vor langer Zeit durch
den Pflug zerdrückt und zertrümmert wurden, ihre Scherben an der Oberfläche
des Ackers aber von ihrem einstigen Standort Kunde geben. Selbst da, wo
sich die Gefässe in sogenannten Kegelgräbern fanden, sind sie meistens zer-
stört, weil man die Hügel behufs Herausnahme der Steine zu Bauten abtrug
ohne die Urnen zu beachten, diese wohl gar absichtlich zerschlug. Bemerkens-
werth ist aber der Umstand, dass die Gräber meistens in dem schlechtesten
Saudboden angelegt gewesen sind, und dass sich gerade hierdurch ihre Er-
haltung erklärt, indem dieser schlechte Boden erst in neuester Zeit mit in
die Cultur gezogen ist, bis dahin aber unberührt liegen blieb. In dem fol-
genden Verzeichniss der Fundorte sind nur solche aufgenommen, au denen
ich selbst mich von dem Yorhandensein der Scherben überzeugt habe und
wo sie in grösserer Menge gefunden werden, oder von denen ganze Gefässe
vorhanden sind. Arnsdorf (Schanze, Falkeutanz, Pfarracker, uud östlich v. A.)
Behlendorf, Bergschäferei, Buckow (Werder, weisse See), Oüstrin (Bahnhof
der kurzen Vorstadt), Dahmsdorf (Bahuhof Müncheberg, Steinberge), Däber-
schanze, Eichendorfer Mühle, Gerzin; Göritz, Gusow, Hasenfelde^ Hermers-
dorfer Haide, Jahusfeldcj Lossow, Müucheberg (faule See, Philippiuenhof,
Schutze, Malzdorf, Elisenhof, Vorhaide), Neu-Hardenberg (Nouncuwiukel),
Pilgram, Platkow, Keitwein (Stallberg), Liebeuberg (Schlossberg)., Schlageutiu
(Insel), Tempelberg, Wooriu (Wermelinsee), Werdci', Alte Mühle.
d. Befestigungen.
Zu deu äusserlich noch erkennbaren festen Plätzen vorgeschichtlicher
Zeit gehören in unserer Gegend:
1. Die Däberschanze zwischen Müncheberg und Buckow (vergl. Zeitschrift
für Ethnologie, 1870).
2. Die Schanze bei Arensdorf, noch kenntlich als ein in Wiesen gelegenes,
sich 8 bis 10 Fuss hoch aus ihnen sich erhebendes PUiteau von etwa 100
Schritt Durchmesser rund, der frühere Wall ist in die Wiese abgetragen uud
war früher mit alten Eichen bestanden.
3. Eine ähnliche Schanze bei der Nadlitzer Mühle.
4. Der Burgwall bei liossow an der steilen Wand noch in dem west-
lichen Wall erhalten.
Funde und Fundorte von Resten aus vorhistorischer Zeit. 33
Ausserdem könnte man noch das Pfalilwerk im Scharraiitzelsee bei
Buckow hierhcrrecbnen, da es doch eine Bcwelu-uug bildet.
Ausser diesen als Belestiguugeu früherer Zeit noch erkennbaren Werken
gibt es noch mehrere Orte, deren Namen und liage ebenfalls auf ihre frühere
Eigenschaft als feste Orte schliessen lassen und die mit jenem ein gewisses
System der Befestigung des Lebuser Laudes erkennen lassen. In dieser Be-
ziehung muss darauf hingewiesen werden, duss das alte Land Lebus (der
heutige Kreis mit Ausschluss des Oderbruches) in vorhistorischer Zeit nach
Nordosten hin von dem weiten sumpfigen Oderthal begränzt wurde, welches
sich von Reitwein ab in südlicher Richtung etwas verengerte, oberhalb Bries-
kow aber wieder breiter wurde. Nach Süden hin breitete sich das nicht
minder geräumige Spreethal aus, welches wahrscheinlich mittelst eines schma-
leren Armes bei Mühlrose mit dem Oderthal zusammenhing, bei Fürstenwalde
aber sich auf eine kurze Strecke wieder etwas zusammenzog. Von hier aus
wird Lebus bekanntlich durch einen schmalen Strich vom Barnim getrennt,
welcher schon mehrmals zu dem Project einer Kanalverbindung zwischen
Oder und Spree Veranlassung gab. Die Mitte dieses Gränzstriches bildet
das rothe Luch, durchschnittlich 1500 Schritt breit und 1| Meile lang. In
der^ Mitte dieses Luches entspringt der Stobber, welcher in südlicher Rich-
tung in die Löcknitz und mit ihr in die Spree, in nordöstlicher Richtung
über Buckow nach der Oder abläuft. Der Ijaudstrich, welchen die Löcknitz
durchläuft, ist flach und sumpfig, der Stobber muss anfänglich bis hinter
Buckow sich durch festeres Erdreich eine Bahn brechen, tliesst aber unterhalb
der Pritzhageuer Mühle auch durch ein breiteres Thal und sumpfige Wiesen.
Das Lebuser Land erhebt sich nun vom rothen Luch ab die Wasserscheide
zwischen Elbe und Oder bildend, immer höher, bis es bei Crossen den höchsten
Punkt des Kreises erreicht. Einigemal wird dieser Höhenzug von Senkungen
durchschnitten, welche Liicher enthalten und nach beiden Seiten hin kleine
Flüsschen entsenden. Der Abfall des Landes nach dem Oderthal hin ist steil
und schluchtenreich, nach Süden und Westen hin Üacher. Die Uebergänge
von Osten und Süden her finden wir nur durch Ringwälle und Schanzen ver-
theidjgt. An der nordöstlichen Spitze liegt der Wallberg bei Reitwein, Göritz
und Oetscher gegenüber. Ueber Oetscher findet sich ein Schlossberg und
Burgberg und ähnliche Burgwälle. Das Oderthal vom Wallberg bis Oetscher
i st etwa J Meile breit. Am nächsten kommen sich die Ufer wieder bei Lossow,
wo au der steilen Wand eine grosse Schanze angelegt ist. Das Thal ist
hier nur etwas über | Meile breit. Die Lossower Schanze war aber gleich-
zeitig gegen Süden hin gerichtet, da unweit von ihr der MüUroser Kanal in
die Oder mündet, also hier das Spreegebiet mit dem der Oder zusammentrifft.
Weiter nach Westen hin Müllrose gegenüber ist bei Dubrow ein Schanzberg.
Das Spreethal ist bei Fürsteuwalde etwa .} Meile breit, und hier war Wi
Molkenberg eine Schanze. Ben Schluss dieser Befestigungen nach Süden
hm mag eine solche bei Kleiu-Wall an der Löcknitz gebildet haben. Nach
Zeitschrift für Etliuulojjic, Juhrt;uug 1875. 3
34 ' Kuchenbuch :
dem Barnim hin oder vielmehr von diesem aus gegen Lebus hin waren wahr-
scheinlich der Schlossberg bei Liebenberg, wo der Stobber in die Löcknitz
fliesst, die Bergschäferei bei Hasenholz solche feste Orte. Nach Nordosten
hin ist mir kein Ort bekannt, der eine Befestigung andeutete. Dagegen
scheinen im Innern des Landes noch Zufluchtsstätten gewesen zu sein, welche
namentlich in durch Wasser geschützten Orten angelegt wurden; dahin ge-
hören die Schanzen bei Arnsdorf und Nadlitzer Mühle, vielleicht auch der
ßurgwall bei Falkenhagen, wahrscheinlich auch Müncheberg und endlich die
D ab erschanz en.
Von anderen grösseren Befestigungsanlagen, Gräben, Verhauen u. s. w.
in hiesiger Gegend ist mir nichts bekannt geworden.
e. Opferplätze.
Bei ßoosen, dem höchsten Punkt des Landes Lebus, scheint ein heiliger
Ort gewesen zu sein, was schon der Name (bozy göttlich, heilig) bezeugt.
Dafür sprechen die vielen hier vorhanden gewesenen Opfersteine (conf.
Bekmann, Beschreibung der Mark Brandenburg), von denen nur noch der
Näpfchenstein beim Vorwerk Numen, und der Raazelstein daselbst übrig ge-
blieben, und die Namen verschiedener 0 ertlichkeiten als Sacksberg, schwarze
Berg, Teufelsberg, Teufelssee.
Ausserdem waren früher noch die von Bekmann beschriebenen Stein-
kreise auf dem Falkentanz bei Arnsdorf (gerade in der Mitte des Landes
Lebus) vorhanden, welche jetzt gänzlich verschwunden sind. Man findet nur
noch Scherben.
f. Grabstätten.
Spuren heidnischer Gräber finden sich in der ganzen Gegend sehr häufig,
wenn mau alle Fundstellen von Scherben alter Thongefässe in grösserer
Menge hierher rechnet. Weniger gelungen ist es bis jetzt, noch ganze Ge-
fässe auszugraben oder zu erhalten. Um von den ältesten Gräbern zu be-
ginnen, so sind zu erwähnen
1. Das Steinkistengrab bei Tempelberg (conf. Zeitschrift für Ethnologie
1872). K\n ganz ähnliches Grab wurde bei Säpzig (1 Meile südöstlich von
Cüstrin am Rande des Wartebruchs) gefunden, in welchem fünf menschliche
Skelette, bei jedem ein Feifersteinkeil, gefunden sein sollen. Bei der Plat-
kower Mühle wurden Skelette frei in der Erde gefunden (Zeitschr. f. Ethno-
logie 1873), nur ein Stein auf der Brust, mit Broncegeräthen.
2. Kegelgräber fanden sich besonders am Rande des rothen Luches
und bei Pritzliagen (also im Barnim). Auch dieser Kand ist, wie der des
Odcrthales, steiler als der gegenüberliegende, und voller Schluchten. Beim
Dorfe Werder, wo sich der Rand erst zu erheben anfängt, zählte ich 27 er-
k(!nnbarc Steinkreise verschiedener Grösse; die Hügel, welche sie umschlossen,
sind zerstört. Ausser Urnenscherben und einem Spielzeug aus Thon, einem
kloincn Brödchcu ähnlich, so wie einer roh bearbeiteten Granitkugel (etwa
()" Durchmesser) und einem kleineren runden Rollstein ist nichts Bemerkens-
Fundo und Fundorte von Resten aus vorbistorischer Zeit. 35
werthes, weder Eisen noch Bronce gefunden. Die Scherben sind meist aus
rohem Material, der Durchmesser der Kreise ist durchschnittlich 10 Schritt.
Eine halbe Meile davon auf demselben Rande liegt die Bergschäferei. Der
Bergrand ist hier durch Schluchten sehr zerrissen. Auf einem südlich
von der Bergsciiäferei gelegenen Vorsprung und neben demselben an der
Schlucht befinden sich in 2 Gruppen /u je 10 und einem einzelnen 21 Stein-
kreise, viele kleiner als die Werderschen. Auch hier waren die Hügel schon
verschwunden und sind gegenwärtig weder Spuren dieser Steinkreise noch
der beiden alten Linden, welche dabei standen, zu sehen. Ein Kegelgrab
(lleidengrab) bei Pritzhagen ist ebenfalls verschwunden, üb auf dem Gräber-
feld bei Philippinenhof, wie mir gesagt wurde, ein Kegelgrab gewesen, Hess
sich nicht mehr feststellen, ebensowenig ob bei Behlendorf befindlich gewesene
Steinhaufen, in denen allerdings Scherben auf einem Mühlstein gefunden
worden waren, von solchen herrührten. In einem Luch bei Münchehofe könnten
einzelne Erhebungen, in denen ich noch Scherben und Broncen fand, von
Kegelgräbern herrühren.
3. Die am häufigsten vorkommenden Gräber sind die in flacher Erde
verborgenen Wendengräber; sie kommen einzeln und in Massen, nicht al)er
in besonderer Regelmässigkeit vor. Unter die Massengräber gehören die
Gräberfelder von Philippinenhof, | Meile südlich von Müncheberg, (Urnen,
Topfgeschirr, Bronce, Eisen, Kohlen, Leichenbrand). Falkentanz bei Arens-
dorf (vollständige schöne Urnen, Scherben). Däberschanze (Scherben, Eisen,
Knochengeräth, Knochen, Kohlen). Neuliardenberg, der Nonnenwinkel (Scher-
ben). Werder bei Buckow (Scherben, Bronce). Einzelne Gräber fanden sich
in der Schäferhaide bei Jahnstelde (Scherben) im Gutsgarten daselbst (Scher-
ben, Knochen, Eisen, Mühlsteine), bei Ai-nsdorf östlich vom Dorl' (vollständige
Urnen), in der Hermersdorfer Haide (Thongefässe, Scherben, Eisen, Leichen-
brand, Schädel, Kalkmörtel), auf der Insel Schiagentin (Urnen), Insel am
Wermelin bei AVorin (Scherben, Mühlsteine), Elisenhof {- Meile östlich von
Müncheberg (ürnenscherben. Eisen), Hasenfelde (Urnen, Scherben), Wetz-
dorfsloos (Urnen), Schützerloos (Scherben), beide östlich von Müncheberg,
Eicheudorfer Mühle (Thongefässe, Leichenbraüd), Vorheide ^ Meile westlich
von Müncheberg (Scherben, Bronce, Knochen gebrannt), Dahmsdorf, Stein-
berge (Scherben), Bahnhof von Müncheberg (Scherben, Eisen, Bronce, Glas,
Leichenbrand), Garzin (Urnen), Alte Mühle (Scherben), Platkow (Urnen,
Scherben, Leichenbrand), ferner in Frankfurt a. 0., Pilgram, Bingen (Thon-
gefässe, Leichenbrand). In den vollständigen Urnen fanden sich in den
meisten Fällen gebrannte Knochen. In den meisten Fällen sind die Urnen
und Gefässe zwischen Steine gepackt oder um sie herum gestellt gewesen,
g. Tliier- und Pflanzenreste.
Abgesehen von den schon bei den Wohnplätzen, Gräbern etc. erwähnten
Resten von Thieren und Pllanzon (Jahnsft'lde, Däberschanze, Schlossbcrg,
Schanze bei Areusdorf, Münchcbcrger Moorbauteu, Platkow) sind noch ein-
30 Kuchenbuch: Funde und Fundorte von Resten aus vorhistcfrischer Zeit.
zelne Stücke vorgekommen, welche genannt werden können und im Hoppe-
gartner Torfmoor wurden Reste des Ur"s, Schulterblatt, Unterkiefer und Horu
(letzteres im Besitz des Herrn Reichs-Ober-Handels-Gerichtsrath Langerhaus
in Leipzig), im Luch bei der Arensdorfer Schanze eine einzelne Stange und
ein vollständiges Geweih eines jungen Elchs, im Luch am Kiesberg ^ Meile
östlich von Müncheberg der Unterkiefer des sus palustris gofunden.
Im Torfluch bei Hoppegarten fand sich auch eine Falle aus Eichenholz,
ganz der aus dem Rhinluch im Königlichen Museum in Berlin gleich, in
den Erbgärten bei Buckow eine Blattangel von Bronce. >
IL Sammler, Sammlungen, Literatur.
Nachdem der Unterzeichnete schon vor länger als 25 Jahren angefangen
hatte, Alterthümer der Urzeit zu sammeln, folgte ihm auch der Uhrmacher,
Stadtverordneten- Vorsteher Herr Ahrendts hier. Seitdem aber vor 10 Jahren
hier ein Verein für Heimathskunde in's Leben gerufen wurde, der es sich
ebenfalls zur Aufgabe rhachte, diese Reste zu sammeln, ist Alles, was ge-
funden wurde aus der hiesigen Gegend, in die Sammlung des Vereins
gekommen.
Sonst besitzt Herr Rentmeister Wallbaum in Gusow eine ansehnliche
Sammlnng von solchen Alterthümern aus der dortigen Gegend und einige
aus Rügen. Auch der Rittergutsbesitzer Herr von Pfuel in Jahnsfelde hat
Einiges aus der Gegend gesammelt. In Frankfurt a. 0. sind in der Bibliothek
und in der Sammlung des historisch-statistischen Vereins Gegenstände vor-
historischer Zeit aus hiesiger Gegend zusammengestellt. Eine schöne reiche
Sammlung solcher Gegenstände hat der Keichs-Ober-Handels-Gerichtsrath
Herr Langerhans in Leipzig.
Die Literatur über Alterthümer hiesiger Gegend ist sehr dürftig. Das
Meiste bringt noch Bekraann, Beschreibung der Mark Brandenburg. In
neuerer Zeit sind im Frankfurter Patriotischen Wochenblatt 1836 No. 7 — 8,
No. 18, 1843 No. 80—88 einige Nachrichten gegeben. Einiges bringen auch
die Mittheilungen des historisch-statistischen Vereins in Frankfurt a. 0. Die
liier vorhandenen Alterthümer aus vorgeschichtlicher Zeit habe ich so gut
wie möglich aufgeführt.
Müncheberg, im Juli 1874. Kuchen buch.
Die Skopzensekte in Riissland, iii ihrer Eiilsteliuiig,
Organisation nnd Lehre.
Nach den zuverlässigsten Quellen dargestellt.
Im Anfange des Jahres 1869 trat in der russischen Presse eine Nach-
richt auf, welche im ganzen Reiche ein ungeheueres Aufsehen erregte. Viele
waren geneigt, dieselbe als ein Ergebniss des nervösen Jagens der Journa-
listen nach sensationellen Tagesneuigkeiten zu betrachten; aber bald musste
man sich von der Authencität des Mitgetheilten überzeugen. In der im
Gouvernement Tarnbow belegenen Stadt Morschansk war ein bis dahin hoch-
angesehener Kaufmann erster Gilde und erbliclier Ehrenbürger, Maxim
Plotizyn, Besitzer mehrerer Millionen, Ritter des Annenordens und Inhaber
mehrerer Medaillen, als Haupt der Skopzensekte 0 entdeckt und mit vielen
Anhängern der Sekte verhaftet worden; in seinem Hause hatte man ein der
Sekte gehöriges Kapital von vielen Millionen Rubeln — nach zuverlässigen
Quellen waren es 48 Millionen — gefunden. Ehe die weiteren Kreise
sich über die Bedeutung dieser Sekte klar geworden, wusste man vor Stau-
nen nicht, was man dazu sagen sollte; aber bald brachten weitere Mitthei-
lungen Licht in die Sache, und man begriff nun, dass das Skopzenthum eine
Monstruosität in religiöser, sozialer und politischer Hinsicht ist, gegen welche
jede Fiber des Menschen, des Bürgers und des Patrioten sich empören muss.
Ein Schrei des Unwillens ging durch ganz Russland, als man erfuhr, dass
das Gold und der Fanatismus der Skopzen von sozialistischen und politischen
Wühlern zu Erneuten ä la Pugatschew hatten benutzt werden sollen, und dass
es schliesslich doch den Intriguen der Skopzen gelungen war, die Unter-
suchung derartig zu lähmen, dass sie ihre Schätze hatten entführen können,
von denen nur armselige 500,000 Rubel gleichsam als Schmerzensgeld für
die Behörden zurückgelassen worden waren. Offizielle Organe suchten diese
Nachrichten zwar abzuschwächen, indem sie dieselben als ungenau bezeich-
neten und namentlich jeden Zusammenhang der Skopzenangelegenheit mit
politischen Umtrieben in Abrede stellten; aber das Publikum liess sich hier-
durch nicht beruhigen und folgte mit fieberhafter Spannung dem Fortgange
der Untersuchung. Die Aufregung wuchs noch, als weiter bekannt wurde,
dass in Moskau ein zweites Skopzennest, das unter der Leitung der Kauf-
leute Gebrüder Kudrin stand, entdeckt worden war.
Das Resultat der Untersuchung erfuhr das Publikum durch das Urtheil,
welches bald darauf das Kriminalgericht in Tanibow tallte. Maxim Plotizyn
wurde zum Verlust der Bürgerrechte und der Ehrenzeichen und zu lebens-
länglicher Verbannung nach einer entfernteren Gegend Sibiriens, wo er unter
') Das russische Wort ^Skopez" heisst ,em Verschnittener".
38 Die Skopzensekte in Russland,
strengster Polizeiaufsicht gehalten werden sollte, verurtheilt. Miitatis mutan-
dis traf eine ähnliche Strafe seine Schwester Tatjana; einige 20 Personen
beiderlei Geschlechts wurden wegen Zugehörigkeit zur Sekte der Bürgerrechte
beraubt und nach Ostsibirien verbannt; dem Bauern Kusuezow wurde wegen
Verstümmelung seiner selbst und 11 anderer Personen noch eine vierjährige
Zwangsarbeit auferlegt, und mehrere Angeklagte wurden ab instantia freige-
sprochen. Die vorgefundenen Summen sollten den rechtmässigen Erben Plo-
tizyns vorbehalten, wegen der verschwundenen Kapitalien aber keine weiteren
gerichtlichen Schritte unternommen werden.
Also die kolossalsten Summen waren unwiederbringlich dahin!
Da Plotizyu erblicher Ehrenbürger war, musste das Urtheil dem Senat
vorgelegt werden, der dasselbe denn auch am 20. August 1869 bestätigte.
Aehnliche Strafen wurden später auch über die Gebrüder Kudrin und
viele andere Mitglieder der Sekte verhängt; denn die Pest hatte sich in den
Hauptstädten St. Petersburg und Moskau und auch auf dem platten Lande
der gleichnamigen Gouvernements, besonders des ersteren, stark verbreitet,
Dass die ganze Skopzenangelegenheit dazu angethau war, die Aufmerk-
samkeit des russischen Publikums auf sich zu ziehen, leuchtet ein. Nichts
ist lehrreicher für die Menschheit, als der Nachweis, dass das echt mensch-
liche ßedürfniss, an höhere Mächte zu glauben, von ihnen Schutz zu erhal-
ten und sich dieses Schutzes würdig zu machen, durch Unklarheit und Fa-
natismus zu so wahnsinnigen Verirrungen führen kann, dass der denkende
Mensch, der aus dem Gange der Weltereignisse den tröstlichen Glauben an
den kontinuirlichen Fortschritt der Menschheit geschöpft hat, muth- und
rathlos vor denselben dasteht.
Namentlich dürfte ein solcher Nachweis in der gegenwärtigen Zeit, in
welcher ein für das 19, Jahrhundert ganz unbegreiflicher Kampf zwischen
Licht und Finsterniss, zwischen dem Streben nach wissenschaftlicher Klarheit
und blindem Aberglauben nothwendig geworden ist, um nur die theuersten
Errungenschaften unserer Zeit zu wahren, von hohem Nutzen sein, .
In diesem Sinne geben wir den Lesern eine kurze Geschichte der be-
sonders in Kussland * stark verbreiteten Skopzensekte. Sie werden finden,
dass sich dieselbe nicht schlechter liest, als ein Sensationsroman von Wilkie
CoUins, während wir doch nur mittheilen, was als unbestrittene Thatsache
den zuverlässigsten Quellen entnommen ist.
Das Eunuchenthum hat seine Heimath in Asien und ist ein Produkt
der Vielweiberei und eines menschcnverachtenden Despotismus. Auch die
Juden kannten Kastraten, und eine Stelle des Propheten Jesaias scheint ein
Gefühl des Mitleids mit diesen verachteten Menschen auszudrücken. Es
heisst nämlich im 5t). Kapitel, Vers H — (>: „Und der Verschnittene soll nicht
sagen: Siehe, ich bin ein dürrer Baum. Denn so spricht der Herr zu den
Verschnittenen, welche meine Sabbathe halten und erwählen, was mir gelallt,
und meinen Bund fest fassen. Ich will ihnen in meinem Hause und in mei-
Die Skopzensektc in Russland. 39
nen Mauern einen Ort geben und einen besseren Namen, denn den Söhnen
und Töchtern; einen ewigen Namen will ich ihnen geben, der nicht ver-
gehen soll."
Als die Römer ihre Herrschaft über Asien ausdehnten, verpflanzten sie
von dort mit vielem Anderen auch diese Werkzeuge des Despotismus nach
Europa. Verschiedene Eunuchen gelangten sogar durch Gewandtheit, in ein-
zelnen Fällen wohl auch durch ihren wirklichen Werth zu den höchsten
Ehrenstellen. So die in der byzantinischen Geschichte bekannten Eunuchen
Eutropius, Oberkämmerer des Kaisers Arcadius, Narses, der nach seinen
Siegen in Italien sogar kaiserlicher Statthalter daselbst wurde, u. A. Später
wurde die Kastration eine politische Massregel, die man als Prophylaxis
gegen das unliebsame Prätendententhum der Nachkommen früherer Kaiser
anwandte.
Alles das hatte aber noch keine religiöse Bedeutung, obgleich es dazu
geeignet war, die Menschheit miC so schnöder Verhöhnung der Naturgesetze
bekannt und vertraut zu machen. Der religiöse Grund für die Kastration
liegt in der falsch verstandeneu Lehre von der Ertödtung des Fleisches, die
zu unterstützen sich folgende Bibelstellen hergeben müssen: „Denn es sind
etliche verschnitten, die sind aus Mutterleibe also geboren; es sind etliche
verschnitten , die von Menschen verschnitten sind; und sind etliche,
die sich selbst verschnitten haben, um des Himmeh-eichs willen. Wer es
fassen mag, der fasse es" (Matth. 10, V. 12.). „Ich aber sage euch: Wer
ein Weib ansiehet, ihrer zu begehren, der hat schon mit ihr die Ehe gebro-
chen in seinem Herzen. Aergert dich aber dein rechtes Auge, so reiss es
aus und wirf es von dir. Es ist dir besser, dass eines deiner Glieder ver-
derbe und nicht der ganze Leib in die Hölle geworfen werde. Aergert dich
deine rechte Hand, so haue sie ab und w^-f sie von dir. Es ist dir besser,
dass eines deiner Glieder verderbe und nicht der ganze Leib in die Hölle
geworfen werde" (Matth. 5, V. 28—30 und die Parallelstellen Matth. 18,
V. 8 u. 9 und Marc. 9, V. 43—47.). „Selig sind die Unfruchtbaren und die
Leiber, die nicht geboren haben, und die Brüste, die nicht gesäugt haben"
(Luc. 23, V. 29.). „So tödtet nun euere Glieder, die auf Erden sind, Hure-
rei, Unreinigkeit, schändliche Brunst, böse Lust und den Geiz, welcher ist
Abgötterei" (Col. 3, V. 5.).
Schon in den ältesten Zeiten der christlichen Kirche fanden sich Fana-
tiker, welche diese Bibelstellen ganz wörtlich nahmen, sie wurden jedoch
verachtet, und nur die Reuigen und an der Verstümmelung selbst Unschuldi-
gen erhielten Aufnahme in den Schooss der Kirche. Von denen, die sich
freiwillig verstümmelt, wurde nur Origenes in den Stand dor Geistlichen aut-
genommen. Die erste Sekte von Verschnittenen stiftete der Araber Valerius
(um 200), ein Schüler des Origenes. Die Valerianer breiteten sich trotz der
Verfolgung durch die von Konstantin und Justin ian erlassenen Gesetze aus,
und es ist nicht unwahrscheinlich, dass die von dieser Sekte ausgegangenen
Traditionen alle Wirrsale des Mittelalters und der neueren Zeit überlebt
40 Die Skopzensekte in Rxissland.
haben und, wenn auch in veränderter Gestalt, bis zu den Skopzen unserer
Tage führen.
Die ersten Verschnittenen, die in Russland erschienen, waren zwei
Metropoliten von Kiew, Johann und Jefrem. Beide waren geborene Grie-
chen und lebten in der zweiten Hälfte des 11. Jahrhunderts, Den ersteren
hatte die Fürstin Anna Wssewolodowna im Jahre 108'* aus Griechenland
mitgebracht. Die Russen waren aber noch so wenig mit der Erscheinung
von Kastraten vertraut, dass sie Johann einen Leichnam (Nawje, wie es in
den Chroniken heisst) nannten. Auch lässt sich nicht nachweisen, dass diese
Männer eine Sekte gebildet haben.
Die ersten Gerüchte von dem Bestehen einer solchen Sekte reichen
nicht weiter, als bis in den Anfang des vorigen Jahrhunderts hinauf.
Im Jahre 1715 wurden in dem Kreise Uglitsch (im Gouvt. Jarosslaw)
einige Ketzer ergriffen, deren Lehren denen »der Skopzen ähnlich waren. Im
Jahre 1717 ereilte dasselbe Schicksal den ehemaligen Moskauer Strelezen
Prokop Lupkin mit 20 Genossen beiderlei Geschlechts, deren Lehrer er ge-
wesen war. Die Untersuchung erwies, dass Lupkin in den geheimen Ver-
sammlungen sich selbst Christus und einige seiner Anhänger Apostel genannt
und verkündigt hatte, dass die Herrschaft des Antichrists und das Ende der
Welt gekommen sei. Ihre Gebete hatten diese Menschen mit Tänzen be-
gleitet, zu denen sie, wie sie annahmen, vom heiligen Geiste angeregt wor-
den waren. Dieser hatte Einigen auch die Gabe des Prophezeiens verliehen.
Eine ähnliche Sekte entdeckte man im Jahre 1733 in Moskau in Folge
der Angaben eines eingefangeuen Räubers, Namens Ssemen Karaiilow. Die-
selbe bestand aus 78 Personen beider Geschlechter, welche sich zu ihren
Andachtsübungen an versteckten Orten versammelt, dann ihre eigenen Ge-
bete gesungen, diese, nachdem si5 den Segen ihres Lehrers erhalten, mit
Tänzen begleitet, sich zur Ertödtung des Fleisches gegeisselt und prophezeit
hatten. Das in der christlichen Kirche sonst übliche Abendmahl hatten diese
Sektirer verworfen, aber doch ein solches mit gewöhnlichen Brodstücken bei
sich eingeführt. Eine gesetzliche Ehe war bei ihnen strenge verpönt und
der Eintritt in die Sekte und die Theilnahmc an den Gebeten als Taufe an-
gesehen worden. Jeder Aufgenommene hatte einen Eid, die Geheimnisse
der Sekte zu bewahren, leisten und sich zur Beobachtung der äusseren
Gebräuche der orthodoxen Kirche verpflichten müssen.
Nach ihren Gebeten, Geisselungen und Tänzen hatten sie die Nächte
oft gemeinschaftlich zugebracht und sich dabei allen möglichen heimlichen
Ausschweifungen hingegeben, so dass viele Theilnehmerinnen Kinder zur
Welt gebracht hatten. Zu dieser Zahl hatte auch eine ihrer Haiiptvorstehe-
rinnon, die aus dem Iwanow-Kloster in Moskau ausgestossene Nonne Aku-
lina Iwanowna gehört.
Die Untersuchung ergab, dass bei den Andachtsübungen dieser Menschen
zuweilen barbarische Ceremonien stattgefunden hatten. So war bei besonders
Die Skopzensekte in Russland. 41
feierlichen Abendmahlen einem jungen Mädchen die Brust ahf^eschnitlen,
in Stücke zerlegt und in diesen den Anwesenden zum Essen dargereicht
worden. Ja, es soll mitunter vorgekommen sein, dass ein Knabe geschlach-
tet und dessen Blut getrunken wurde. In Folge dessen wurden die der
'i'hoiluahmc an dieser Sekte Ueberführten mit sehr strengen Strafen belegt.
Viele wurden hingerichtet, andere mit der Knute bestraft und nach Sibirien
verbannt. Unter letzteren befand sich auch*die erwähnte Akulina Iwanowna,
welche in das Kloster zu Maria Opfer in Tobolsk geschickt wurde. Diese
Person nimmt eine sehr hervorragende Stellung in den Sagen der Sektirer
ein, und es wird noch vielfach von ihr die Rede sein.
Es ist nicht festgestellt, ob bei den Anhängern dieser Sekte, welche
unter dem Namen der Chlysten (Geissler) bekannt sind, während sie sich
selbst Quäker nannten, die Kastration vorgekommen ist; jedenfalls aber ist
diese Chlystowschtschina als die Vorstufe des Skopzenthums zu betrachten,
aus welcher dieses hervorging, als die Verstümmelung das charakteristische
äussere Zeichen der Angehörigkeit wurde. Auf die grossen Unterschiede,
die trotzdem zwischen den Lehren der Chlysten und denen der Sko[>zen be-
standen, werden wir noch später zurückkommen.
Die Skopzensekte gewann ihre Ausbreitung und Kräftigung beson-
ders während der Regierung der Kaiserin Katharina II. und des Kaisers
Alexander I., wozu besonders das Aufgeben der strengen Massregeln beitrug,
die früher gegen diese Ketzer beobachtet wurden. ') Die Milde hatte eben
') Die Gesetze, welche Peter tter Grosse gegen die Sektirer, besonders gegen die als staats-
gefähriich anerkannten, erlassen hatte, waren sehr strenge. Die Ketzer wnrden mit einer dop-
pelten Steuer belegt, von allen Acmtcrn ausgeschlossen, durften vor Gericht kein Zeugniss gegen
Rechtgläubige ablegen und musston in einer besonderen Tracht erscheinen. Die eidbrüchigen
Ketzer, die nach ihrem Uebcrtritt zur Orthodoxie wieder der Irrlehre verfallen waren, die
Proselytenmacher, Sektenhiiupter und diejenigen, welche derartige Personen heimlich l>eherberg-
ten, erlitten zum grössten Theil die Todesstrafe (Ukase vom i:}. Februar 1720 und vom 15. Mai
1722). Die Nachfolger Peters befolgten im Allgemeinen dessen Verordnungen: die Kaiserin
Katharina wich jedoch hiervon ab und glaubte, durch Massregeln der Milde besser gegen die
sich mehr und mehr ausbreitende Pest wirken zu können Sie hob daher alle das bürgerliche
Leben der Sektirer beschränkenden Bestimmungen auf, und nur die Lehrer, lläupter und Prose-
lytenmacher der Skopzensekte wurden mit der Knute bestraft und nach Sibirien verbannt
(Ukas vom 2. Juli 1772,\
Kaiser Alexander huldigte denselben milden Ansichten: nur die Skop/.en wurden etwas
strenger behandelt, indem alle Neuverschnittenen und Proselytenmacher ins Militär, die Lehrer
und Operateure in die in Sibirien und Grusien stehenden Truppentheile gesteckt wurden
(Ukase vom 8. Januar 1807, 9. Oktober 1808 und 4. August 18lii). Die längst Verschnittenen
Hess man ganz unbehelligt und gestattete ihnen sogar freie Uebung ihres Ritus.
Unter Kaiser Nikolai L änderte sich dies vollständig. Die Anhänger der als gemein-
schädlich anerkannten Sekten wurden der Berechtigung zur Anstellung im Dienste und zum
Empfange von Belohnungen l^eraubt, ihre Ehen für ungiltig. ihre Kinder für unehelich erklärt.
Die Skopzcn verloren alle Bürgerrechte um! durften sich ohne Erlaubniss nicht von ihren
Wohnplätzen entfernen. Alle auf das Sektenwesen bezüglichen Einzelgosetze wurden auf Befehl
des Kaisers zu einem systematisch geordneten ,Gesetzbuche über Ketzer" zusammengestellt.
42 Die Skopzensekte in Russland.
keine andern Folgen gehabt, als dass sie dieselben zu dem Glauben veran-
lasste, ihre Sekte werde besonders begünstigt und beschützt.
Das wichtigste und folgenschwerste Merkmal, welches die Skopzen von
allen anderen Sekten unterscheidet und sie gleichsam aus der Reihe der
übrigen Menschheit heraushebt, ist unstreitig die Kastration.
In der ersten Zeit des Bestehens der Sekte wurde diese Operation durch
Brennen der testiculi mit glühenden Eisen vollzogen, woher sie denn auch
den Namen der „Feuertaufe" erhielt. Später wurde sie vermittelst eines
scharfen Instruments, eines Messers oder Meisseis, durch einen besonders
dazu berufenen Meister oder den vorzüglichsten Lehrer bewirkt, nachdem das
scrotum mit einem Faden fest umbunden worden. Die Blutung wurde nur
durch sehr unvollkommene Mittel, wie Brennen mit glühenden Eisen und
einzelne Salben, nie durch Unterbinden der Adern gestillt. Soldaten und
Matrosen vollziehen die Operation oft an sich selbst mit einem Messer oder
auch mit einer Axt, Gefangene zuweilen sogar mit einem Stücke Glas oder
Blech. Diese Art der Verstümmelung nennen die Skopzen „erstes" oder
„kleines Siegel", „erste Weisse", „erste Reinheit", „Besteigung des schecki-
gen Pferdes".
Da aber diese Verstümmelung nach physiologischen Gesetzen den Ge-
schlechtstrieb nicht ganz zerstört und, besonders wenn sie im reiferen Alter
erfolgt, die Fähigkeit zum coitus erhalten bleibt, gingen die Fanatiker noch
weiter und Hessen sich in majorem gloriam auch- den penis abschneiden.
Dies ist die „volle Taufe", das „zweite" oder „kaiserliche Siegel", die „zweite
Weisse" oder „Reinheit", das „Besteigen des weissen Pferdes". Diese Ope-
ration wird derartig ausgeführt, dass entweder scrotum und penis zusammen
unterbunden und dann mit einem Male abgeschnitten oder mit einer Axt
abgehauen werden, oder dass zuerst die Entfernung der testiculi und dann
die Abnahme des penis erfolgt. Die Skopzen halten diese letztere Methode
für weniger gefährlich. Ausnahmsweise kommt auch die Abnahme des penis
allein vor.
Viele der „zweiten Reinheit" Beflissenen tragen zinnerne oder bleierne
Pflöckchen mit einem Kopfe in der Harnröhre, theils um das freiwillige
Fliessen des Urins, theils um die Verengerung oder das Zuwachsen des Harn-
kanals nach der Abnahme des penis zu verhindern.
Von den sonst noch entdeckten Variationen der Spezies „Skopze" wer-
den noch die Perewerty schi genannt, die dadurch verstümmelt worden
sind, dass man ihnen in der Kindheit schon die Samenstränge abgedreht
und somit den Zusammenhaug der testiculi mit dem Körper aufgehoben hat.
J. P. Liprandi nennt auch noch die Prokolyschi, bei welchen der Ge-
schlechtstrieb durch Abbinden des scrotum und Durchstechen der Samen-
stränge mit Nadeln ertödtet worden ist.
Auch die zur Sekte gehörigen Frauenzimmer werden verschnitten.
Bei den verschiedeneu Untersuchungen auf diesem Gebiete hat man stets
Die Skopzensekte in Russland. 43
eine Menge verstümmelter Weiber gefunden. Gewöhnlich werden die Brust-
warzen iibgcbirizt, abgeschnitten oder abgebrannt, oft aber auch die ganzen
Brüste entfernt. Zuweilen beschränkt sich die Operation auf ein e Brustwarze
oder eine Brust, oder auch auf regelmässige Einschnitte auf den Brüsten.
In vielen andern Fällen hat man Theile der inneren Schainlii)|)en allein oder
mit der Klitoris zusammen, oder auch den oberen Theil der äusseren Scham-
lippen zusammen mit den inneren und der Klitoris ausgeschnitten gefunden.
Bei einem Verhör bczeichucte der Skopze P>udylin diese letzteren Arten der
Verstümmelung als die „erste", das Abnehmen der Brüste als die „zweite
Keinheit" bei Frauen.
Keine einzige dieser Verstümmelungen verhindert jedoch den Beischlaf,
das Empfangen und Gebären. Selbst Frauen, bei denen in Folge eines un-
richtigen Verwachsens nach Abnahme der Schamlippen und der Klitoris die
Vagina sich verengeit hatte, haben ganz richtige Geburten gehabt und einige
Exemplare dieser Gattung sich sogar der Prostitution ergeben.
Uebrigens kommen auch ganz unverstümmelte Frauen und Männer in
der Sekte vor. Es sind dies aber ausser den Novizen nur die sogenannten
„Führer" oder „Steuermänner", die nicht verstümmelt sein dürfen, wie es
z. B. auch Maxim Plotizyn nicht war.
Die Frauen, welchen beide Brüste abgeschnitten sind, sehen selbst in
der Blüthe der Jahre welk, larb- und leblos aus. Dasselbe zeigt sich bei
den Männern, die in früher Jugend verstümmelt worden sind. Bei denselben
vollzieht sich der Uebergang von der Kindheit zur Keife in kaum bemerk-
barer Weise. Sie behalten die Diskantstimme der Kinder, auch wachsen
ihnen ebenso wenig Barte, als Haare in den Achselhöhlen und an den Ge-
schlechtstheilen.
Sehr bedeutend sind die Folgen der Verstümmelung hinsichtlich der
geistigen Eutwickelung Einige Theile des Gehirns bleiben auf der Bil-
dungsstufe aus der Zeit stehen, die der Operation unmittelbar vorherging.
Der Verstümmelte tritt in das Jünglingsalter, ohne das sonst hiermit verbun-
dene Erwachen höherer Bestrebungen und des Gefühls der Liebe zu erfahren,
und es entwickeln sich nur die Eigenschaften, welche Leuten mit beschränk-
tem Lebenshorizont eigen sind: Egoismus, Schlauheit, Heuchelei, Geldgier.
Diese Eigenschaften treten um so schärfer hervor, als sie nicht durch das
vorzüglichste Veredelungsmittel der Menschheit, das Familienleben, ein Ge-
gengewicht erhalten können.
Trotz der Gefahr, die mit den hier in Rede stehenden Operationen ver-
bunden ist, hat die Untersuchung, welche in Folge des Plotizyn 'sehen Pro-
zesses angeordnet wurde, bei der Menge konstatirter Verstümmelungen nur
neun Fälle eines tödtlichen Ausganges durch Verblutung nachweisen können,
von denen sechs auf das „kleine" und drei auf das „grosse SiegeP' kommen.
Diese geringe Sterblichkeit nach so getahrlichen, von unkundigen Händen
ausgeführten Operationen darf indessen nicht befremden; denn man weiss
44 Die Skopzensekte in Russland.
nur zu gut, wie geschickt die Skopzen die Spuren ihrer Thaten zu verbergen
verstehen. So wurde im Mai 1834 im Kronstädler Kanal der Leichnam des
Fähnrichs Bjeljakow von der Lastequipage, der an den Folgen der Operation
gestorben war, aufgefunden.
In den grösseren Städten, besonders in St. Petersburg und Moskau, wird
das zur Kastration bestimmte Individuum auf ein kreuzförmiges Gestell ge-
bunden; an anderen Orten wird die Operation im Bade, im Walde oder an
einem anderen verborgenen Orte vollzogen.
Die Basis der skopzischen Traditionen bildet die Annahme, dass
die erwartete zweite und letzte Erscheinung Christi auf Erden erfolgt sei
und der Heiland durch sein abermaliges Leiden die Menschheit bereits er-
löst habe. Diesen nun abermals anthropomorphisirten Gott hat die Kaiserin
Elisabeth PetrowDa, als sie noch Jungfrau war, nach einer Verkündigung des
Johannes Theologus vom heiligen Geiste empfangen. Derselbe gelangte
später unter dem Namen Peters IIL Fedorowitsch auf den russischen Thron.
In Betreff der Details dieses die offenkundigsten geschichtlichen Thatsachen
leugnenden Unsinns gieht es verschiedene Variationeu. Nach der am meisten
unter den Skopzen verbreiteten Annahme wurde die Kaiserin Elisabeth in
Holstein entbunden, und als sie nach Russland gekommen war, führte sie,
da sie zu einem heiligen Leben bestimmt war, nur zwei Jahre die Regierung.
Andere glauben, dass sie gar nicht selbst geherrscht, sondern den Thron
einer ihr an Leib und Geist vollkommen ähnlichen Person überlassen, sich
nach dem Gouvernement Orel begeben, als ein ganz einfaches Frauenzimmer
unter dem Namen Akulina Iwanowna bei einem der Skopzensekte angehöri-
gen Bauern gelebt und den Rest ihres Erdenwallens in Gebet. Fasten und
Wohlthun zugebracht habe. Nach ihrem Tode sei sie in dem zu dem Hause
gehörigen Garten begraben worden, wo ihre Reliquien noch verborgen seien.
Diese Akulina Iwanowna wird nun von den Skopzen als die wahre
Mutter Gottes verehrt.
Nach der Meinung anderer Skopzen wurde die Kaiserin Elisabeth Pe-
trowna in Russland entbunden und ihr Sohn, der spätere Kaiser Peter III.,
gleich nach der Geburt nach Holstein geschickt, wo er, noch im Knabenalter
stehend, verschnitten wurde. Als er sich später mit Katharina verheirathete,
und diese seine Untauglichkeit für das eheliche Leben erkannte, erfasste sie
der grimmigste Hass gegen ihn, und sie beschloss, ihn zu tödten. Die Ge-
legenheit dazu bot sich gleich nach der Thronbesteigung Peters dar. Nach-
dom Katharina die Grossen des Reiches für sich gewonnen, wollte sie ihren
Plan zur Ausführung bringen, während der Kaiser noch im Palais von
Ropscha residirtc. Peter hatte jedoch von der ihm drohenden Gefahr Kennt-
niss erhalten; er bestach die Schild wache, tauschte mit derselben die Kleider
und entfloh. Statt seiner wurde der Soldat ermordet. Andere behaupten,
dass dieser Soldat selbst Skopze gewesen sei und, da er in dem Verfolgten
seinen Erlöser erkannt, freiwillig das Märtyrerthum übernommen habe. Der
Die Skopzeiisekte in Russlaiid. 45
Irrthura wurde zwar bald entdeckt, der ermordete Soldat nichts desto weniger
unter dem Namen des Kaisers bestattet.
Die weiteren Slvopzeu-Legendeu stimmen darin überein, dass Peter Fe-
derowitsch drei Tage lang, ohne Speise zu finden, umhergeirrt sei, sich dann
bei Kolonisten verborgen iiabe und endlich nach Moskau gelangt sei, wo er
seine Lehre zu verkündigen begonnen. Darauf habe er ganz Kussland und
verschiedene andere Länder durchwandert, wobei ihn der „Täufer", den einige
Skopzen Graf Alexander Iwanowitsch nennen, während andere ihn für den
Fürsten Daschkow, den Reisegefährten Feters IIL, halten, begleitet habe.
Ueberall habe er, zahlreiche Wunder verrichtend, verkündigt, er sei der
wahre Christus und das Skopzeuthum das einzige Mittel zur Erlangung des
himmlischen Reiches. In Tula angekommen, sei er mit dem „Täufer" zu-
sammen ergriöen, verurtheilt, im Dorfe Ssosnowska (im Gouvt. Tambow,
Kreis Morschansk) mit der Knute bestraft und er selbst nach Sibirien ver-
bannt, der „Täufer" aber in die Festung von Riga geschickt worden. Auf
dem Wege in die Verbannung habe der mit dem Christus zusammengekettete
Räuber Jwan Blocha allerlei Muthwillen getrieben, sich später aber durch die
unerschöpfliche Geduld der Gepeinigten überzeugt, dass derselbe wirklich
„Gottes Sohn" sei. Dieser Blocha heisst in Folge dessen bei den Skopzen
„der erste Bekenner*'.
Die Skopzen haben eine vollständige Beschreibung des Lebens, der
Lehre und der Leiden ihres Christus, welche sie „Sstrady" (Leiden, Passion)
nennen. Es wird darin von seiner Gefangennahme in Tula und seiner
öffentlichen Züchtigung mit seinen eigenen Worten in der den Skopzen eigen-
thüralichen Weise und Vorliebe für Diminutiven berichtet. Unter Anderem
heisst es: „Und da nahmen sie mich und fingen eine grosse Untersuchung
mit mir an und rissen mir den Mund auf und sahen mir in die Ohren und
in die Nase und sagten: Sehet überall nach, er hat irgendwo Gift. Und sie
stellten grosse Nachforschungen an, fanden aber nichts. Sie spien mir ins
Gesicht und nannten mich einen grossen Hexenmeister, und Alle peinigten
mich und schlugen mich ohne Erbarmen mit dem, was jedem in die Hände
fiel, und da beträufelte manmii' das Köpfchen mit geschmolzenem Siegellack und
schmiedete mich noch fester an die Mauer. Und es wurde ein strenger Befehl
gegeben, dass Niemand mir nahe kommen und auch das Essen nicht briqgen
sollte. Das Brod gab man mir auf einer Stange und das Essen mit einem
1^ Arschin langen Löffel. Und sie sprachen: Füttert ihn, aber fürchtet ihn;
gebt ihm Alles, aber wendet auch ab, damit er nicht auf Jemand blase oder
sehe- Gewiss ist er ein grosser Hexenmeister und Verführer ; er kann Jeden
verführen; (;r könnte euch den Zar verführen, wie viel mehr euch. Und
man nannte mich einen Zauberer, wie man auch den Flenn genannt hat.
Dann führte man mich von Tula nach Tambow. Es war da eine unzählbare
Menge Volkes. Der schalt mich, der spie nach mir, und man beschimpfte
mich auf jede Art. Aber mein Väterchen befahl mir, alles das mit Freuden
46 Die Skopzensekte in Russland.
hinzunehmen, nicht für mich selbst, sondern für meine Kinderchen und zur
Erlösung von den Sünden. Meine Kinderchen standen, weinten und beglei-
teten mich. Man führte mich nach Tambow und warf mich in einen Kerker,
in dem ich zwei Monate blieb. Und darauf erhielten sie den Befehl, mich
hart zu bestrafen, ohne Erbarmen, stärker und stärker, nur dass sie mich
nicht zu Tode schlügen. Und sie führten mich unter grosser Bedeckung
zur Bestrafung nach Ssosnowka. Und da folgte man mir in dichten Schaa-
ren. Die Soldaten hatten blanke Schwerter und die Bauern Stöcke in den
Händen. Und da kamen mir die Kinderchen aus Ssosnowka entgegen, wein-
ten und jammerten und sprachen: Da führen sie unser leibliches Väterchen.
Und zu derselben Zeit erhob sich ein grosser Sturm, und es war ein Brau-
sen in der Luft, und auf dreissig Faden war nichts zu sehen. Und mau
brachte mich nach Ssosnowka, bestrafte mich mit der Knute und schlug
lange Zeit, wie es noch keinem Menschen geschehen war. Und es wurde
mir sehr übel, und ich bat alle Treuen und Gerechten: 0, ihr Treuen und
Gerechten, erbarmet euch meiner und helfet mir diese furchtbare Strafe über-
stehen! 0 mein himmlischer Vater, lass mich nicht ohne deine Hilfe und
hilf mir, alles mir von dir Bestimmte mit meinem Körper aushalten! Wenn
du hilfst, dann gehe gegen die böse Schlange und vertilge vollends alle Un-
reinheit. Da wurde mir leichter, und da kam auch zur rechten Zeit der Be-
fehl, dass man mich nicht zu Tode schlagen sollte. Und sie hielten mich
auf Befehl der Judäer, und von meinen Kinderchen war Iwanuschka statt
eines Baumes und Ulianuschka hielt mir das Köpfchen. Und mein ganzes
Hemde war von oben bis unten blutig, so wie in Beerensaft getaucht. Und
meine Kinderchen erbaten sich dieses Hemde für sich und zogen mir ihr
weisses an. Ich sagte ihnen, dass ich sie mit Allen wiedersehen werde.
Und mir wurde sehr übel und weh. Und ich bat um ungerahmte Milch;
aber die Bösen sagten zu mir: Da, er will sich noch heilen! Dennoch er-
barmten sie sich; sie holten die Milch und gaben sie mir. Und wie ich
trank, wurde mir leichter, und ich sagte: Ich danke dir, Gott! Bald wird
in Ssosnowka auf der Stelle, wo man mich geschlagen hat, eine Kirche er-
baut werden. Und damals waren meine Kinderchen noch arme Menschen.
Aber ich sagte ihnen: Bewahret nur die Reinheit, dann werdet ihr von
Alloni genug haben, vom Verborgenen und vom Sichtbaren ; mit Allem wird
euch mein himmlischer Vater belohnen und euch mit einer Mauer- umgeben,
so dass der Unreine nicht zu euch kommen kann; und andere Propheten
empfanget nicht bei euch. Von Ssosnowka führte man mich mich Irkutsk.
Man setzte mich auf einen Wagen, schmiedete mich mit Händen und Füssen
an die beiden Seiten desselben und mit dem Halse an ein Brett. Und da
befahl der Böse den Unreinen: Sehet, lasset ihn nicht los! Ein solcher
Mensch war noch nicht und wird auch nicht wieder sein: er betrügt Jeder-
inaiiii. Und luan führte mich mit grosser Bedeckung, die blosse Schwerter
hatte, und (be Bauern hatten Knüttel in den Händen, und die Weiber beglei-
Die Skopzensekte in Russland. 47
teten uns von Dorf zu Dorf. Zu derselben Zeit hatten sie auch Pugatschew
ergriffen, und er begegnete mir auf dem Wege. Viele Schaaren führten, ihn
und hielten strenge Wache, aber mich führten zweimal mehr und man war
sehr strenge. Und da gingen die, welche mich führten, mit iiim, und die,
welche ihn führten, mit mir."
Nach der Schilderung seiner Leiden auf dem Transport, die in allerlei
Misshandluiigen und in der Beraubung der 40 Rubel, die ihm „seine Kinder-
chen" in die Kleider genäht hatten, bestanden, fährt er fort: „Nachdem ich
in Irkutsk angekommen, lebte ich lange Zeit daselbst und sah im Traume
die Kinderchen von Ssosnowka; ich sah, wie die Unreinen mein Schiff um-
werfen wollten, und wie ich mit meinem Mütterchen Akulina Iwanowna und
meinem Söhnchen Alexander Iwanowitsch umherging, um die Pfeiler wieder
aufzurichten. Und fünf Jahre hörte ich nichts von ihnen und sie nichts von
mir, und sie wussten nicht, wo ich mich befand. Aber Gott begeisterte
mein Töchterchen Anna Ssafonowna, welcher der Geist offenbarte, wie man
ihren Vater-Erlöser finden könnte, und wen von den Kinderchen man zu
ihm schicken sollte. Und endlich beauftragte Gott mit seiner Sendung
Aleksei Tarassitsch und Mark Karpo witsch. Und es sprach mein Geist, der
Gesandte meines Vaters, durch den Mund der Anna Ssafonowna: Ziehet hin
in die Stadt Irkutsk und suche dort unser Väterchen auf, welches in die
Gefangenschaft geschickt ist. Sie antworteten ihr: Wie sollen wir dahin
ziehen, und wie sollen wir ihn finden? Aber sie sprach zum zweiten Male
nach dem Ratbschlusse Gottes: Geht! ausser euch kann es Niemand; ilu-
werdet ihn nicht finden, sondern er wird euch finden. Und hierauf beteten
sie und sammelten Geld von der ganzen Gemeinde für mich zur Reise und
Säumeten nicht. Nachdem sie gesegnet worden, reisten sie nach Irkutsk ab.
Und als sie dort angekommen waren, brachten sie die Pferde im Posthofe
unter und sprachen unter sich: Was werden wir nun anfangen? Und sie
dachten, auf den Markt zu gehen; aber ich ging damals mit einer Schüssel
in der Stadt umher und sammelte Geld für den Bau einer Kirche und sah
sie und trat zu ihnen und .--agte: Guten Tag! seid ihr denn nicht Russen?
Da erkannten sie mich und vergossen bittere Thränen. Seid still, sagte
ich, seid still ! und geht in den Posthof; ich werde zu euch kommen und mit
euch sprechen."
Es wird nun noch berichtet, wie die Sendboten ihn aufgefordert, mit
ihnen zurückzukehren. Er ging jedoch nicht darauf ein, weil „sein himmlischer
Vater ihm befohlen, nicht zurückzukehren, sondern zu weinen." Er kün-
digte ihnen noch einen Ueberfall durch Riiuber auf ihrem Rückwege an, der
denn auch wirklich stattfand.
Wir haben diesen blühenden Unsinn als Probestück aus dem hauptsäch-
lichsten Erbauungsbuche der Skopzen mitgetheilt; alx'f für Analphabeten,
wie es diese Leute meistens sind, thut das nicht mindere Wirkuug als die
Lebende von der stigmatisirteu Louise Lateau unserer Tage.
48 Die Skopzensekte in Russland.
Wir nehmen unsere Schilderung der Skopzen-Traditioneu bei einem
merkwürdigen Wendepunkte in denselben wieder auf.
Kaiser Paul hatte von einem durch ihn aus Sibirien befreiten Skopzen,
den Moskauer Kaufmann Massonow, erfahren, dass Kaiser Peter III. noch
lebe und unter dem Namen Sselivvanow in der Verbannung schmachte. Die-
ser Sselivvanow wurde nun zurückberufen und zum Kaiser gebracht. Das
Gespräch, welches dieser letztere mit ihrem Christus geführt, kennen die
Skopzen Wort für Wort, und sie überliefern es einander, wie ein besonderes
Ileiligthum. Der zurückberufene Verbannte nennt sich ohne Weiteres den
Vater des Kaisers und fordert von diesem, dass er sich sofort verschneiden
lasse. Du Paul diese Zumuthung zurückweist, S3,gt er ilim sein baldiges
Ende voraus und schliesst mit den Worten: „Ich werde mir einen Diener
erwählen, der als Gott in unserem Kreise herrschen soll, und die irdische
Gewalt werde ich einem milden Kaiser übergeben. Ich werde mit dem Throne
und den Palästen Alexander begnadigen; der wird treu regieren und der
Gewalt keinen Raum geben u. s. w."
Hierauf wurde der Erlöser als Pensionär in ein Armenhaus gebracht,
der mit ihm zugleich befreite „Täufer" nach der Festung Schlüsselburg ge-
schickt. Der erstere wurde jedoch bald befreit und lebte nun, seine Lehre
verbreitend, in Petersburg bis zum Jahre 1820, zu welcher Zeit er nach
Ssusdal ins Kloster geschickt wurde.
Aus diesem Verbannungsorte wird der Messias in erneuerter Herrlichkeit
und Machtfülle hervorgehen, die ganze Welt mit dem Lichte seiner Lehre
erleuchten, den russischen Tlu'on in Beschlag nehmen, die Skopzen aus der
Verbannung und von jeder Bedrückung befreien und in St. Petersburg das
aligeoieine Weltgericht eröffnen.
Viele Skopzen erwarten übrigens die Ankunft des Erlösers aus Irkutsk,
stimmen aber sonst in der Schilderung seiner Thateu mit den anderen
überein.
Dann werden, so singen die Skopzen in ihren geistlichen Liedern, die
irdischen Herrscher vor ihm niederfallen, sich seinem mächtigen Scepter
unterwerfen, ihn als Jesus Christus, den wahren Gottmenschen, anerkennen
und, geängstigt und bekümmert darüber, dass sie ihn unter den Sterblichen
nicht erkannt haben, um 1 lerabscndung der Gnade der Kastriruug flehen,
die ihnen denn auch gnädigst gewährt werden soll. Das jüngste Gericht
wird gemeinschaftlich füi' die Lebendigen — die Verschnittenen — und die
Todten — die Nichtvcrschnitteuen — sein. Aber auch hier wird der skop-
zische Richter noch seine unerschöpfliche Gnade zeigen; denn in alle Enden
der Welt wird er Apostel und Propheten schicken, welche die wahre Lehre
verbreiten sollen, „und in jedem Lande wird er ein Weizenkörnchen säen,
und j(!des Körnchen wird Weizen zur Fracht für 30 Schiffe geben."
Nach Vollbringung des Erlösungswerkes wird (U'V Heiland eines natür-
lichen Todes sterben und sein Körper im Alexauder-Newski-Kloster in dem
Die Skopzensekte in Russland. 49
Keliquienschrcin des Heiligen Alexander-Nevvski aufbewahrt werden. Denn
die Ueberreste des letzteren befinden sich nicht melir in dem Schreine;
dieser ist vielmehr durch die Fügung Gottes und die Blindheit der Ungläu-
bigen zur Aufnahme der Ueberreste des Erlösers vorbereitet worden.
Hiernach wird diese Welt für alle Ewigkeit bestehen, und die Erde
wird ein Paradies sein, wie sie es bei den ersten Menschen vor dem Sün-
denfall war. Dann wird alle Unsauberkeit, d. h. der Fortpflanzungstrieb,
ausgerottet sein, das Menschengeschlecht wird sich nur durch Küsse ver-
mehren, die noch Lebenden werden nicht mehr sterben, sondern in Ewigkeit
fortleben, und die Seelen der verstorbenen Skopzen werden sich im sieben-
ten Plimmel einer ewigen Glückseligkeit erfreuen. Die Seelen der Sünder
aber, die unverschnitten gestorben sind, kommen in die Hölle, in welcher
ein Feuerstrom fliesst, und werden daselbst Martern unterworfen, die jedoch
nur in unaussprechlichen Gewissensqualen bestehen sollen.
Die Skopzen behaupten, dass die von den Aposteln gegründete Kirche
dieselbe gewesen, welche auch sie anerkennen, dass aber später das Skop-
zenthum vernichtet und die Kirche durch den Kaiser Konstantin, nachdem er
die Taufe angenommen, ins Verderben gestürzt sei.
Dies sind die Traditionen, die, einige Variationen ausgenommen, allen
Skopzen gemein sind. Es giebt ausserdem aber noch minder wichtige Fabeln
von grösserer oder geringerer Verbreitung. So wird oft ein Graf Iwan
Gregorjewitsch Tschernyschew als ihr „erster Prophet" genannt. Napoleon I.
soll der Antichrist gewesen sein, aber nachdem er Busse gethan und sich
zum Skopzenthum bekehrt, noch heute irgendwo in der Türkei leben. Man
erzählt auch, er sei eigentlich ein geborener Russe und zwar ein Sohn der
Kaisei'in Katharina. Der Kaiser Alexander I. und dessen Gemahlin, die
Kaiserin Elisabeth Alexejewna, sollen auch noch leben, sich aber, nachdem
sie die Verschneidung angenommen, noch verborgen halten. Den Kaiser
Alexander zählen sie gern ihrer Sekte bei, weil er sie seit dem Jahre 1809
beständig beschützt haben soll und auch ihr Christus ihm, wie in den
„Sstrady" erzählt wird, seine Gnade in Aussicht gestellt hatte.
Aus der Untersuchung, welche im Jahre 1839 über die in Kronstadt
entdeckten Skopzen gefüiirt wurde, geht hervor, dass sie zwar auch eine
Akulina Iwanowna als Mutter Gottes verehrten, es war dies aber nicht die
Kaiserin Elisabeth Petrowna, sondern eine Hofdame, welche am Hofe
Peters HI. gelebt hatte.
Uebrigens kennt nicht jeder Skopze den ganzen Legendenschatz. Es
scheint, dass dieser nur den höhereu Graden der Eingeweihten vollständig
mitgetheilt wird. Nach der Aussage eines Skopzen, des Stabskapitäus Sso-
sonowitsch, erfreuen sich solcher Gunst nur die in der Sekte Bestätigten,
d. h. diejenigen, die derselben 10 oder 15 Jahre angehört haben.
Diesem ganzen Wust von Erfindungen fanatisirter Phantasten ist eine
solche Monge historischer Namen beigemengt^ dass die Frage nahe liegt, ob
^eitaclirift für Etliuolo-ie, Jahrgang lS7j, 4
50 r>ie Skopzensekte in Russland.
nicht doch irgendwo ein Zusaiurneuhaug mit historischen Thatsachen
zu entdecken wäre. Die aogestellten Forschungen haben denn auch nähereu
Aufschluss hierüber gegeben und wirkliche Ereignisse aufgefunden, welche man
im Zusammenhange bis zum Jahre 1715 hiiuiuf verfolgen kann. Die um diese
Zeit erfolgte Entdeckung der Chlystensekte steht nämlich im engsten Causal-
nexus mit der im Jahre 1733 in Moskau entdeckten ähnlichen Sekte, und
^on der Nonne Akulina Iwanowna, welche diese Ketzerei begründete, reichen
die Fäden bis auf den Pseudo-Erlöser.
Diese Akulina ist keine mythische Person, sondern hat sich einer wirk-
lichen Existenz erfreut; denn sie wird in der Verordnung des heiligen
Synods vom 7. August 1734 ausdrücklich unter der Zahl der Personen ge-
nannt, die 1733 von der geheimen Kanzlei verurtheilt worden waren. Jeden-
falls ist es dieselbe Person, deren Theophilaktus Lopatinski in seinem Buche
„Oblitschenije nepräwdy raskolnitscheskija" (Darstellung der ketzerischen
Irrlehre) erwähnt, und von welcher er sagt, sie habe die Sekte „Akuli-
nowschtschina" gegründet, deren Mitglieder die äusserste Ausschweifung und
Schwelgerei als erstes Gesetz anerkannt hätten.
Ausgiebiger als in diesem Falle sind die Forschungen in Betreff dessen
gewesen, was in dem Leben des Pseudo-Heilands als historisch bezeichnet
werden kann, obgleich diese Untersuchungen dadurch sehr erschwert wurden,
dass derselbe nicht bei allen seinen Anhängern unter demselben Namen bekannt
ist. Viele nennen ihn Kondratij, Andere Andrej, noch Andere Fomuschka, Iwa-
nuschka etc. Durch authentische Aktenstücke wird indessen Folgendes fest-
gestellt: Im Jahre 1770 oder 1771 kamen zwei Landstreicher, welche sich
für Kiew'sche Mönche und Einsiedler ausgaben und sich Andrej und Kon-
dratij nannten, zu dem im Kreise Alexin (im Gouvt. Tula) ansässigen Kauf-
mann Lugannikow und verleiteten den Bauern Jemeljan Retiwow, der bereits
Chlyste w^ar, zur Verschneidung. Dieser Fall bildet das erste erwiesene
Beispiel des Ueberganges von der Chlystowschtschina zum Skopzenthum.
lletiwow ging später nach dem Gouvt. Tambow und verleitete mehrere Be-
wohner des Dorfes Ssosuowka zum Uebertritt, unter ihnen auch den Bauern
Ssafon Popow, dessen Sohn Uljan und den Bauern Iwan Prokudin. Die
l)eiden letzteren sind die in dem „Sstrady" erwähnten Uljanuschka und Iwa-
nuschka, die dem niartyrisirten Erlöser das „weisse Hemd" gaben. Die Tochter
des Bauern Ssafon Po|)ow, die Anna Ssafonowna, welche den „Sstrady"' zu-
folge die Boten nach Irkutsk schickte, ist gleichfalls als eine wirkliche Per-
son anzu(Ml<ennen, denn si(! lebte noch 1844, 00 Jahre alt, in Morschansk,
wo sie noch die „Skojizenprophetin" genannt wurde. Ihre jüngere Schwester
Jcwfrossinija (Euphrosync) h;bte noch in den 50er Jahren unter den St. Pe-
tersburger Skopzen und eri'reute sich eines hohen Ansehens. Sie soll mit
dem skopzischen Kaufmann Kosstrow, von dem noch die Rede sein wird,
verheirathet gewesen sein.
Später zogen auch Andrej und Kondiatij nach Ssosnowka, richteten im
Hause Popow's den Versammlungsort der Glieder der Sekte ein und ver-
Die Skopzensekte in Russlaud. 51
sclinitten in kui/er Zeil über 200 Mensclieii, unter Anderen uucli den Dia-
kon iis und den Küster der dortigen Kirche. Auf eine Anzeige des Geistlichen
von Ssosnowka wurde daselbst im Jahre J775 eine strenge Untersuchung
geführt. Die der Theiluahiue an der Sektirerei Ueberführten wurden hart
bestraft und nach Sibirien verbannt, unter ihnen auch Andrej. Koudratij
war zwar entflohen, aber auch in contumaciam verurtheilt worden. Da man
ihn später in Tichwin ergriü, transportirte man ihn über Tula und Tambow
nach Ssosnowka, wu er gleichfalls mit Knutenhieben bestraft und dann nach
Sibirien abgeführt wurde. Dies ist nun der Pseudo-Peter und der Pseudo-
Christus, dessen eigentlicher Name Kondratij Sseliwanow ist, ein einfacher
Bauer aus dem Dorfe Sstolbowo im Gouvt. Orel.
Aus authentischen Dokumenten ergiebt sich ferner, dass der den Erlöser
spielende Sseliwanow wirklich auf Grund einer Mittheilung des Moskau'schen
Kaufmanns Massonow ') durch Kaiser Paul zurückberufen wurde, mit dem
Kaiser eine Unterredung hatte, aber in Folge derselben ins Irrenhaus ge-
sperrt wurde. Als Kaiser Alexander später einmal das Irrenhaus besuchte
und Sseliwanow daselbst fand, befahl er, denselben in das Armenhaus des
Ssmolna-Klosters zu versetzen, welchem er am ü. März 1802 übergeben wurde.
Durch die Verwendungen und Geldopfer der reichen St. Petersburger Skop-
zen wurde er bald darauf auch aus dem Armenhause befreit, bei welcher
Gelegenheit eine etwas räthselhafte und verdächtige Persönlichkeit, der Staats-
rath Eliansky, ein Pole von Geburt, der Hauptagent der Skopzen gewesen
zu sein scheint; wenigstens findet sich noch ein Betehl des St. Petersbuji'ger
Fürsorge-Komite's vor, durch welchen das Armenhaus angewiesen wird, den
Kondratij Sseliwanow dem Staatsrath Eliansky auszuliefern.^)
Nun lebte SseliM'anow in den Häusern bekannter Skopzen und zwar
zuerst bei Nenasstjew, dann bei Kosstrow und zuletzt bei Ssolodownikow. •')
Während dieser Zeit bildeten die genannten Häuser eine Art heiliger Her-
berge, zu welcher zahlreiche Anhänger des Skopzenheilandes aus "den ent-
ferntesten Provinzen Russlands herbeigeströmt kamen, um seines Anblicks
und Segens gewürdigt zu werden. Geschenke, in Geld und anderen Gaben
l)estehend, ergossen sich wie ein Paktolus über ihn und bereicherten in kur-
zer Zeit die Kasse der Herberge, welche der Kaufmann Ssolodownikow ver-
waltete. Augenzeugen berichteten, dass Sseliwanow selbst diese Opfer nie
') So nennen ihn die Siiopzen; sein eigentlicher Name ist Fedor Kolessnikow.
*) Wie ein späteres Gerücht verlautete, ist dieser Eliansky auch nach Sihirien verbannt
worden, jedocli nicht wegen Angelegenheiten der Sekte.
^) Das Skoii/.entlnim scheint in dieser Familie erblicii zu sein; denn der Name Ssolodow-
nikow ist in ganz letzter Zeit wieder mehrfach in Verbindung mit der Sekte genannt worden.
In dem' Prozesse gegen die Aebtissiu Mitrofanija (Biironesse v. Rosen), der am 31. Oktober v.J.
entschieden wurde, stellte es sich heraus, dass der verstorbene Kaufmann Manufakturrath
Michael Ssolodownikow in Moskau mit vielen andern Personen in die Iliinde dieser Inlriguan-
tin gefallen und unter dem Vorwande, ihn vor der gerichtliciien Verfolgung wegen seiner Zu-
gehörigkeit zur Skopzeusekte zu befreien, um 6i'0,UOO Rubel beschwiudelt worden war.
52 I^i^ Skopzensekte in Russland.
benutzt habe; die ihn umgebenden dienenden Brüder scheinen die Gelegen-
heit um so besser ausgebeutet zu haben, denn einige von ihnen gelangten
bald zu bedeutendem Wohlstande. Noch in den 40er Jaiiren lebte in St.
Petersburg der Bürger Choroschkejew, welcher sich einer solchen Gunst bei
Sseliwanow erfreut hatte, dass dieser letztere nur den von ihm Begünstigten
zugänglich war.
In dem Hause Kosstrow's befand sich der hauptsächlichste Versamm-
lungs- und Betsaal. Derselbe lag ziemlich versteckt, wie denn die Skopzen
überhaupt alle ihre zu gemeinsamer Benutzung bestimmten Räume so ein-
zurichten verstanden, dass, wie sie sagen, „kein Jude und kein Pharisäer"
mit seinen Blicken oder seinem Gehör eindringen könne. In diesem Saale,
der sehr gross war, versammelten sich die Skopzen, hielten daselbst den
Gottesdienst in ihrer Weise und erwiesen ihrem Häresiarchen göttliche Ehren.
Sobald des Nahen desselben angekündigt wurde, stürzten die versammelten
Gläubigen auf die Knie und begrüssten seine Ankunft mit der Hymne:
„Keich, Du Reich, geistiges Reich, in Dir, im Reiche ist grosse Gnade; die
Gerechten weilen in Dir." Sseliwanow erschien gewöhnlich in einem reichen
seidenen langen Gewände, mit einer Mütze auf dem Kopfe und in Saffian-
stiefeln. Gravitätischen Schrittes stieg er zu seinem Thron hinan, der sich
auf einer Erhöhung über der Scheidewand befand, welche den Saal in zwei
Hälften, eine für die Männer, die andere für die Frauen, theilte. Sitzend,
oder vielmehr liegend, von Kissen umgeben, segnete er mit beiden Händen
die Gemeinde, indem er erklärte, dass sie sich bei dem lebendigen Gotte
versammelt hätte, und mit den in gedehntem Tone gesprochenen Worten
schloss: „Gnade, Gnade! Schutz, Schutz!" Dann begannen die Andachts-
übungen. Diese Vorgänge wurden allgemein bekannt, denn die Skopzen er-
freuten sich, da man sie für ungefährlich hielt, vollständiger Duldung, und
sie luden sogar hohe Würdenträger des Reiches, so den Grafen Tolstoi, den
Fürsten A. P. Golizyn, den Grafen Miloradowitsch, Hrn. Balaschow und
selbst den Oberpolizeimeister von St. Petersburg, zu sich ein, und die
Herren hörten ihren Gesäugen, Gebeten und Predigten zu. Freilich hüteten
sich die Skopzen sehr, das sehen zu lassen, was als gefährlich hatte erschei-
nen können.
Sseliwanow liess diejenigen seiner Anhänger, welche er ihrer Gaben und
Fähigkeiten wegen besonders auszeichnen wollte, zu sich, in seine Wohnung
im oberen Stockwerke kommen, wo er ihnen kleine hölzerne Kreuzchen
schenkte. Hierdurch erhielten sie den Rang eines „Lehrers", der allein das
Recht hatte. Jemand in die Sekte einzuführen, oder die Operation des Ver-
schneidens zu vollziehen.
Die Pilger, welche zu Sseliwanow gewallfahrt kamen, erhielten während
ihres Aufenthaltes in der Hauptstadt Wohnung und Unterhalt. Unter dem
Scheine des Interesses für ihr Wohlergeheu wurden sie von den dienenden
Personen scharf ausgefragt; diese berichteten, was sie gehört, au Sseliwanow.
Die Skopzenselite in Russland. 53
Wenn dann jene Wallfalirer vor dem Antlitz ihres Heilands erschienen, er-
füllte er sie durch die Bekanntschaft mit ihren persönlichen Verhältnissen mit
staunender Ehrfurcht. Ein solches schlaues Verfahren verschaffte ihm bald
den Ruf eines allwissenden Propheten, der sich dann auch über ganz Kuss-
land verbreitete.
Alle Skopzenlehrer und die in Gefängnissen befindlichen Brüder empfingen
oft Geschenke aus St. Petersburg. Es waren dies Pfeffernüsse, Kringel, ge-
dörrte Fische, Thee u. dgl. m. von dem Tische ihres Hauptes. Diese Gaben
betrachteten die Empfänger als Heiligthümer, welche sie unter ihre Genossen
vertheilten und mit der grössten Andacht verzehrten, ehe sie noch etwas
Anderes genossen hatten.
Auch gegenwärtig noch betrachtet es jeder Skopze als unerlässlich, irgend
eine Reliquie seines wie ein Dalai-Lama verehrten Propheten, wie einige
Haare, Stücke abgeschnittener Nägel, ein Gläschen, mit dem Wasser angefüllt,
in welchem er sich gewaschen, u. dgl. m. neben dem Kreuze auf der Brust zu
tragen. Dergleichen Sachen sind bei den Haussuchungen und Visitationen
der Personen oft mit Beschlag belegt worden. So fand man z. B. im Jahre
1827 bei der Untersuchung der Zelle der Nonne Paissija sorgfältig aufbe-
wahrte Haare und Nägelschuitzel. Dergleichen und andere Sachen entdeckte
ma"n auch bei der Kaufraannsfrau Podkatowa und ihren Verwandten in Moskau
und bei der Untersuchung des Skopzen -Betsaales in St. Petersburg im
Jahre 1842.
Dieses Treiben der Skopzen dauerte in St. Petersburg volle 18 Jahre.
Durch die ihnen bewiesene Nachsicht und Milde kühner gemacht, wurden sie
eifriger und rücksichtsloser in ihrem Bekehrungswerk, w^ährend ihnen doch
jede Proselytenmacherei strenge verboten war. Sseliwanow nannten sie fast
öffentlich Gottes Sohn und Erlöser, wie sie dies auch dem Beamten Popow
gegenüber thaten, der in ihre Herberge geschickt worden war, um die Wahr-
heit der bereits auftauchenden beunruhigenden Gerüchte zu prüfen. Das
war denn doch zu viel, und die Regierung ergriff nun strengere Massregeln.
Als aber noch der abtrünnige Skopze Rasskasow in dem „Reubriefe", der im
Juni 1818 dem Metropoliten Michael übergeben wurde, nähere Angaben über
den eigentlichen Geist der Skopzenlehre machte, begaben sich der General-
gouverneur Graf Miloradüwitsch und der Ober-Polizeimeister von St. Peters-
burg zu Sseliwanow. Noch einmal wusste die oft bewährte Schlauheit der
Skopzen den Arm der weltlichen Gerechtigkeit abzuwenden, indem es ihnen
abermals gelang, ihr Thun und Treiben als harmlos zu schildern. Das dauerte
aber nur noch kurze Zeit. Im Juli 1820 wurde der Erlöser Sseliwanow plötz-
lich ergriffen und zur Busse nach dem Kloster in Ssusdal geschickt. Hier
lebte er jedoch nicht mehr lange. Durch Alter und die überstandenen
Drangsale, mehr noch vielleicht durch sein späteres Wohlleben und Nichts-
thun körperlich zerrüttet, unterlag er einem hitzigen Fieber. Er wurde in
der Nähe des Klosters begraben, und ein einfacher Grabhügel ohne allo
54 D)'e Skopzensekte in Russland.
weitere Bezeichnung lässt die Statte erkennen, wo der kecke Häretiker, der
den N.tmen seines Kaisers und seines Gottes usurpirt hatte, den ewigen
Schhif schläft.
Der Prior des Klosters, der zu gewissen Zeiten Berichte über Sseliwanow
einsenden musste, meldete unterm 25. August 1820 zwar, dass Sseliwanow
gebeichtet und auch das Abendmahl genommen habe, -ob dadurch aber ein
aufrichtiger Rücktritt zur orthodoxen Kirche erreicht worden, ist um so mehr
zu bezweifeln, als kein Mensch einer so schmeichelhaften Vorstellung, wie
sie Sseliwanow von sich haben musste, gern entsagt und es den Skopzen ja
vollständig freisteht, die äusseren Gebräuche der orthodoxen Kirche mitzu-
machen, ohne dadurch ein Zeichen des Abfalls von ihrem Glauben zu geben.
Vielfach hatten die Skopzen den Kaiser mit Bitten um Befreiung ihres
Häresiarchen bestürmt, und auch nach seinem Tode, an den sie nicht glauben
wollten, liefen noch mehrere Gesuche ein.
Nach der Mutter Gottes Akulina Iwanowna und dem Erlöser Sseliwanow
ist der Pseudo-Johannes Alexander Iwanowitsch einer der Hauptheiligen der
Skopzen. Durch die Aussagen von Personen, die denselben persönlich ge-
kannt hatten, und die über ihn vorhandenen Dokumente ist erwiesen worden,
dass dieser Heihge weder ein Graf, noch der Fürst Daschkow, noch — wie
Andere glauben — ein Ingenieur-Oberst, sondern ein Bauer aus dem Dorfe
Masslowo (im Gouvt. Tula), Namens Schilow, war. Er war wahrscheinlich
einer der ersten, die Sseliwanow im Gouvt. Tambow bekehrte, und dies er-
klärt auch den engen Zusammenhang, den die Tradition der Skopzen zwischen
diesen beiden Menschen, die später nie mehr zusammengetroffen sind, bestehen
lässt. Diese Annahme wird auch dadurch erhärtet, dass Schilow gleichzeitig
mit den in Ssosnowka Verurtheilten mit Stockschlägen bestraft und nach
Dünamünde geschickt wurde. Zur Zeit der Thronbesteigung des Kaisers Paul
befand er sich noch in Gefangenschaft, aber, wie es scheint, nicht allein seiner
Glaubensansichten wegen, da alle Gefangenen, welche wegen Ketzerei in
Riga Sassen, durch den neuen Kaiser begnadigt und in Klöster geschickt
wurden, Schilow aber von dieser Amnestie ausgeschlossen blieb und mit
sechs anderen Skopzen, unter denen sich auch der bereits erwähnte Mos-
kau'sche Kaufmann Fedor Kolessnikow befand, nach Schlüsselburg trans-
portirt wurde. Diese Ueberführung fällt in der Zeit mit der Zurückberufung
Sseliwanow's aus Sibirien zusammen, oder hat wenigstens nicht lange vorher
stattgefunden. Mit dieser Zurückberumng scheint es im Zusammenhange zu
stehen, dass am 6. Januar 1799 ein Kourier in Schlüsselburg erschien, der
Schilow die Freiheit verkündigen sollte; dieser war aber an demselben Morgen
gestorben. Nach einigen Tagen erfolgte der kaiserliche Befehl, ihn unter
Beobachtung der Gel)räuche der Kirche iiiul nicht als Verbrecher zu begraben.
Man beerdigte ihn am Fusse des Preobrashenski-Berges an der Newa, woher
ihn die Skopzen gern Alexander-Newski nennen. Die Skopzen erzählen auch,
dass sein Körper bei der im Jahre 1802 erfolgten Ueberführnng noch dem
Die Skopzensektü ia Russlaad. 55
ganz in der Nülic betindlichen Orte, wo er gcgcnwiirtij,' ruht, noch ganz un-
versehrt gewesen sei. Es war gar nicht so viel nothig, um ihm den Kut
eines ihrer grossen Heiligen zu geben. Sein Grab steht denn auch m der
allgemeinsten Verehrung. Die Pilger Mallfahrten vun allen Seiten herbei,
und um diese Stelle auszuzeichnen, erbaute der 1844 in St. Petersburg ver-
storbene Skopze Ehrenbürger Borissow im Jahre 1818 eine Kirche auf der-
selben, welche freilich, da eine Skopzenkirche einmal nicht denkbar ist, dem
orthodoxen Kitus gewidmet werden musste.
Schilow nannte sich selbst das „liebe Sühncheu Sseliwanow's". Und
wirklich geht aus der Kronstädter Untersuchung vom Jahre 183D hervor, dass
unter den dortigen Skopzen der Glaube herrschte, Peter 111. Fedorowitsch
habe einen Sohn Alexander Iwanowitsch gehabt, und dieser sei in Schlüssel •
bürg bei der Preobrashenski-Kirche begraben.
Wir gelangen jetzt zu dem dogmatischen Theile der Skopzenlehren,
bei welchem, da er von dem bereits mitgetheilten Fabelwesen oft gar nicht
zu trennen ist, Wiederholungen schwer zu vermeiden sein werden.
Der Sündenfall bestand nach Ansicht der Skopzen nicht im Genüsse
der Frucht vom Baume der Erkenntniss, sondern in der fleischlichen Ver-
einigung. Zur Erlösung der Menschheit verkündigte daher Jesus Christus
die Lehre von der Ver&chneidung. Dieser letzteren unterzog er sich selbst,
welchem Beispiele die Apostel und alle ersten Christen nachfolgten. Weich-
lichkeit und Schwcäche veranlassten später die Menschen, von diesem Heils-
wege abzuweichen, und sie verfielen in Sünde. Die Hauptschuld trägt hierbei
Kaiser Konstantin der Grosse, welcher deshalb auch nicht für heilig ge-
halten wird.
Da Gottes Sohn das Menschengeschlecht nicht zu Grunde gehen lassen
wollte, erschien er abermals auf der Erde, um die wahre Kirche der Gläubigen
wieder aufzurichten. Er erlitt zwar aufs neue das Märtyrerthum , aber er
erneuerte auch die Welt durch die Verschneidung. Diese Erscheinung des
Heilands ist, wie in der heiligen Schrift vorausgesagt worden, die letzte.
Für die „Wolken von Zeugen" und die „heiligen Engel«, welche nach den
Worten des Evangeliums die zweite Erscheinung Christi begleiten sollen,
halten die Skopzen sich selbst. Die Leiden und den Tod Christi bei seinem
ersten Erscheinen auf Erden fassen sie in mehr allegorischem Sinne aut.
Sie erkennen auch die Auferstehung des Fleisches des Erlösers nicht au und
behaupten, dass er nur in „seiner Gottheit und deren Vereinigung mit der
menschlichen Seele" auferstanden, sein Körper aber nach dem allgemeinen
Gesetze der Verwesung der Erde verfallen sei.
Die Skopzen leugnen, überhaupt vollständig die Auferstehung der Leiber
am Ende der Welt. Die Qualen, mit denen die heilige Schrift den Sündern
droht, werden nur geistiger Natur sein und in Gewissensaugst bestehen.
Die Welt ist von ewiger Dauer und ihre Veränderungen -bestehen nur
in dem Wechsel der Lebensweise der Menschen-, denn schliesslich werden
56 Die Skopzeusekte in Russland.
alle Menschen Skopzen sein und auf der in ein Paradies verwandelten Erde
ein Dasein ewiger Glückseligkeit führen. Die bereits verstorbenen Skopzen
erlangen diese Glückseligkeit im siebenten Himmel, in dem auch Gott wohnt.
Die heilige Schrift, die kanonischen Bücher und die Schriften der Kirchen-
väter erkennen sie nicht an; sie nennen alles das „todten Buchstaben". Von
den Evangelien sagen sie, dass sie keineswegs in ihrer jetzigen Gestalt ge-
schrieben, sondern später verfälscht worden seien. Als richtig betrachten
sie nur die wenigen Stellen, welche die Grundlagen ihrer Lehre bilden.
Nach ihrer Versicherung befinden sich die echten Bücher der Bibel, die sie
„Taubenbücher" nennen, in der Kuppel der Andreas-Kirche auf Wassili-
Osstrow in St. Petersburg. Sie haben auch keine anderen Gebete als ihre
eigenen.
Die Skopzen essen überhaupt nie Fleisch, sie beobachten aber die Fasten
durchaus nicht nach dem orthodoxen Ritus, sondern ganz nach ihrem eigenen
Belieben. Besonders strenge fasten sie am 15. September, dem Tage, an
welchem ihr Messias in Ssosnowka die Knutenstrafe erlitt. An diesem läge
essen sie positiv nichts. Uebrigens fasten sie auch an den grossen Kirchen-
festen der Orthodoxen mit, da sie es nicht für passend halten, sich bei den
Katastrophen, die den Heiland der andern Menschen betroffen haben, ableh-
nend zu verhalten.
Im Allgemeinen betheiligen sie sich aber nur aus Klugheit an den Ge-
bräuchen der orthodoxen Kirche, da sie dieselben „pharisäisch" und „heid-
nisch" und die Kirche selbst ein „Ameisennest" nennen. Von den Heiligen
derselben erkennen sie nur diejenigen an, welche mit einem kurzen und
schwachen Barte gemalt zu werden pflegen, wie z. B. den heiligen Nikolaus
den Wunderthäter und Philipp, Metropoliten von Moskau, die sie für Skopzen
halten. Am wärmsten verehren sie ihre eigenen Heiligen: Alexander Iwano-
witsch, ihren Johannes den Täufer, einen gewissen Martynuschka, den Ge-
fährten Sseliwanow's in der Verbannung, den dieser selbst seinen „Bruder"
nennt, den Propheten Philipp, welcher „kiihu im Worte einherschritt", den
„göttlichen Menschen" Awerjan, die Prophetin Anna Ssafanowna u. a. Die
Gegenstände der glühendsten Verehrung sind jedoch Sseliwanow oder Peter
Fedorowitsch und Akulina Iwanowna, zu denen sie beständig beten. Jenen
nennen sie den „Gott über den Göttern", den „Kaiser über den Kaisern",
den „Propheten über den Propheten". In einer ihrer Handschriften heisst es:
„Es ist ein einziger Lehrer, unser Vater- Erlöser, und es ist Mütterchen
Akulina Iwanowna und auch noch Alexander Iwanowitsch, sonst glaube ich
an keinen". An einer anderen Stelle derselben Handschrift wird Sseliwanow
„der zweite Sohn Gottes", „der lebendige Gott" genannt. Er selbst sagte
stets von sich: „Ich bin euer wahrhaftiger Christus".
Bei der vom Marine-Ministerium in Kronstadt ausgeführten Untersuchung
über die Skopzen, welche unter der Leitung ihres Propheten, des Unter-
lieutenants Zarenko, standen, zeigte es sich jedoch, dass die Kronstädt'schen
Die Skopzensekte in ßusslaud. 57
Skopzen die GüUlicliUt-it Cbribti leuguctcu und ihn nur für einen der gött-
lichen Gnade thcilhal'tig gewordenen Äleuschen ansahen. Sie behaupteten,
dass diese Gnade nun auch auf den Kaiser Peter Hl. übergegangen sei.
Die Skop/.cn haken diejenigen ihrer Genossen, welche der Sekte die
grössten Dienste geleistet, d h. welciie ihr die meisten Älitglieder zugeführt
haben, für Heilige und Propheten. Wer 10 oder 12 Proselyten gemacht hat,
wird zum Apostel erhöht. Durch den Prozess, der im Jahre 1822 im Gouvl.
Kursk geführt wurde, ist offiziell erwiesen, dass jeder in die Sekte Aufge-
nommene sich durch einen furchtbaren Eid verbindlich macht, Andere zu be-
kehren, und dass derjenige, der 10 Proselyten gemacht hat, lür heilig gehalten
wird. Diete Heiligen oder Apostel benennen sich gerne mit den Namen der
w irklichen Apostel oder anderer Heiligen. In Folge dieser Gewohnheit wurde
vielleicht auch der Name „Mutter Gottes" ein Ehrentitel, der zuerst und zu-
meist der Akul'na Iwanowna beigelegt wird, dann aber auch noch der Anna
i?safonovsna und einem dritten Frauenzimmer, der bereits erwähnten Hofdume
am Hofe Peters HL, welche die Skopzen nach der Aussage Budylin s aus
der Festung in Oranienbaum hatten befreien wollen.
Die Skopzen leugnen die Wirksamkeit der Sakramente der orthodoxen
Kirche vollständig. An Stelle der Taufe setzen sie die Verschneidung, die
„Feuertauie". Das Abendmahl besteht bei ihnen entweder nur im Anhören
skopzischer „Prophezeihungen", oder sie nehmen es auch in Brod oder Kringel-
stücken, die auf dem Grabe Schilow's gew eiht worden sind. Unter den Sachen,
welche in dem im Jahre 1844 im Hause Glasunow's in St. Petersburg ent-
deckten Bettaale in Beschlag genommen wurden, fand man auch viereckige
Stückchen Brod mit kreuzförmigen Einschnitten , weisse Zwiebäcke und ein
süssliches Pulver^), welches alles beim Abendmahl statt der Hostie gegeben
worden war.
Obgleich die Skopzen keine Feiertage anerkennen, finden ihre Versamm-
lungen doch gewöhnlich an Sonn- und Festtagen statt, damit dieselben keinen
Verdacht erregen. Oft versammeln sie sich nach dem buchstäblichen Sinne
der Verordnung des alten Testaments an den Sonnabenden. Deshalb erhielten
die Skopzen im Gouvt. Kursk im Volke den Namen „Ssubbotniki" (Sonnabend-
leute). Dieser Namen gehört jedoch einer andern Sekte au, die wirklich
jüdische Gebräuche angenommen hat.
Wenn ein Skopze stirbt, versammeln sich bei ihm die Genossen in ihren
Betgewänderu und singen ihre Gebete. Einer von ihnen tritt in die Mitte
und hält eine Predigt, in welcher auch die eschatologischen Anschauungen
der Sektirer dargelegt werden. Der Geistliche der orthodoxen Kirche wird
nachträglich nur zur Wahrung des Scheines herbeigerufen. Am Grabe fehlt
es auch nicht an skopzischen Ceremonieen. Die Denksteine werden nicht
der Länge nach auf das Grab gelegt, sondern quer über, so dass sie mit
') Dieses Pulver bcbtund aus zerriobeneiu gedörrteu Hecbtfleisch uiui Zuclier.
58 Die Skopzensekte in Russland.
letzterem die Form eines Kreuzes bilden. So liegt iiuch der Stein auf dem
Grabe Schilow's in Schlüsselburg.
Rinon anderen Kaiser als Peter III. erkennen sie nicht an. In dem
l'rozess gegen den Skopzen Alexander Schockhof, einen geborenen Livländer,
kommt die Angabe des Skopzen Andrej Shagalldn vor, dass er nur Peter III.
anerkenne. Eine ähnliche Ansicht trat in dem Prozesse Budylin's, der 1830
im Gouvt. Tambow verhandelt wurde, zu Tage. Wie überhaupt alle Unter-
suchungen gezeigt haben, bildet das auf das Ungeheuerste besudelte Andenken
dieses Kaisers die gemeinschaftliche Grundlage der Dogmen dieser Sekte,
wenn so der kolossale Blödsinn genannt werden kann, an dessen Vorhanden-
sein man billiger Weise zweifeln müsste, wenn nicht die vollständigsten und
unumstösslichsten Beweise für dasselbe sprächen.
Die Andaclitsüb ungen der Skopzen sind zweierlei Art: ein ausser-
ordentliches Beten bei Aufnahme eines Neophyten und ein einfaches
Beten, das, wie sich gerade die Gelegenheit darbietet, au Abenden vor
Feiertagen oder an diesen selbst stattfindet.
Bei dem ausserordentlichen Beten entfaltet man eine besondere
Feierlichkeit, die jedoch nicht einen sehr scharf ausgesprochenen skopzischen
Charakter hat. Man führt den Neophyten in den Betsaal, in welchem sich
so viele Mitglieder der Sekte als nur möglich eingefunden haben. Er ist mit
dem hemdartigen weissen Betgewande bekleidet, welches auch die andern
Anwesenden tragen ^). Nachdem sie die Lichte vor den Pleiligenbildern an-
gezündet und vor diesen drei Verbeugungen [gemacht haben, grüssen sie
einander. Dann vertheilt der Lehrer der Versammlung an die Anwesenden
Wachskerzen, ergreift das Kreuz mit der rechten Hand und fragt den Novizen,
wen er als Bürgen für die Aufrichtigkeit seiner Absicht, in die Brüderschaft
einzutreten, stelle. Jener, schon vorher instruirt, antwortet, dass Gott sein
Bürge sei. Hierauf lässt der Prophet ihn folgenden Schwur nachsprechen:
„Ich bin, 0 Herr, zu Dir gekommen, auf den rechten Weg des Heils, nicht
aus Zwang, sondern auf meinen eigenen Wunsch und verspreche Dir, Herr,
über diese heilige Handlung selbst unter Gefahr der Todesstrafe Niemand
etwas zu sagen, weder dem Vater, noch der Mutter, weder dem Verwandten,
noch dem Freunde!" Dann küsst der Neophyt das Kreuz und empfängt in
mündlicher Unterweisung folgende Gebote, die er heilig und geheim zu
halten gelobt:
Jedem Bruder, als dem lebenden Abbilde Gottes, ist bei unbeobachtetem
Begegnen durch eine tiefe Verbeugung bis zur Erde und das Zeichen des
Kreuzes Ehre zu erweisen, und er ist mit folgenden Worten zu begrüssen:
„Guten Tag, Bruder (oder Schwester — Namen und Zunamen), Christus ist
auferstanden!" Zum Ausdiucke der Zärtlichkeit sind die Verkleinerungswörter
'y Diese Ileindeii reiclii'ii liis uut' die Fersen und sind in der Weise des Epitraclielions
näht. Die weisse Farbe soll die Reinheit und Sündenlosigkeit der Skopzen andeuten.
Die Skopzensekte in Russland. 59
Iwannsclikn, Fomuschka etc. zu gcljrauclipn und Cliristus unveränderlich als
„Viiterchen", wie er sich selbst genannt, zu preisen ').
Jedes Umdrehen ist als Symbol des stets beobachteten rechten Weges
rechts, mit der Sonne auszuführen.
Für seine heilige Sache darf der ^Keine" nicht Gefiingniss, Verbannung
und Tod fürchten, die Geheimnisse der Gemeinde aber in keinem Falle
verrathen.
Der Umgang mit Frauen ist überhaupt, der mit ungläubigen aber ganz
besonders zu meiden; von diesen hat sich der „Gerechte" wie von einer
rerabschenungswürdigen Unreinigkeit abzuwenden.
Fs dürfen keine spirituöpen Getränke genossen, es darf kein Tabak ge-
raucht, kein Fleisch gegessen werden. Milch, Fische und Gemüse müssen
die alleinige Nahrung sein.
Es ist kein unanständiges oder scheltendes Wort, ebensowenig das Wort
„Teufel" auszuspreclien ; letzterer ist im Falle der N' th mit dem Worte
„Feind" zu bezeichnen.
Es dürfen keine weltlichen Jjieder gesungen, keine erdichteten Geschichten,
noch weniger schlüpfrige Gespräche angehört, am allerwenigsten auf Verfüh-
rung der Sinne abzielende Gesellschaften besucht werden.
Im Umgange mit den Seinigen hat der Bruder allen Streit zu vermeiden;
auch darf er Niemand etwas vorwerfen, es sei denn vielleicht ^Eitelkeit".
Hierauf spricht der Neophyt auf Befehl des Lehrers gleichsam zum
Zeichen des Aufgcbcns alles Irdischen folgende Bitte um Gnade und Verzeihung:
„Verzeihe mir, Herr! verzeihe mir, heilige Mutter Gottes! verzeihet mir, Engel,
Erzengel, Cherubim, Seraphin und alle ihr himmlischen Heerschaaren! ver-
zeihe, Himmel! verzeihe, Erde! verzeihe, Sonne! verzeihe, Mond! verzeihet,
Sterne! verzeihet, Seen, Flüsse und Berge! verzeihet, alle himmlischen und
irdischen Elemente!" Dann begrüsst man ihn und nennt ihn „einen aus-
ländischen Krieger des himmlischen Kaisers" , „einen Erben des Reiches"
u. dgl. m.
Die Ceremonie schliesst mit einem gemeinsamen Gebete.
Ist auf eigenen Antrieb des Neubekehrteu die Kastration schon früher
vollzogen worden, so ist dies die letzte Ceremonie; die Anderen sind durch
dieselbe kaum in die Vorhalle der Gemeinde gelangt, ahnen vielleicht nicht
einmal, welches Opfer man noch von ihnen fordern wird. Uebrigens bleiben
sie hierüber nicht lange im Unklaren. Gewöhnlich theilt man dem Neuauf-
') Der Vorliebe der Skopzen für Verkleineruncrswürtor liaben wir bereits erwähnt. Es ist
aber noch zu bemerken, dass sie für ihre Glanbenssachen ein ziemlich ausgebildetes Jäger- oder
Diebslatein besitzen, wie dies auch schon ans den zahlreichen sonderbaren Benennungen für
die -Verschneidung hat erkannt werden können. Sie seli»st nennen sich nie Skopzen, sondern
,die Reinen", ,die weissen Tauben", „die Gerechten'", .die wahren Gotteskinderchen ", ,die Ge-
weissten"', „die Gebleichten*. Ihre Gemeinden heis^en , Kreise" oder SchilTe", ihre Lehrer,
Prediger und Projiiieten „Steuermänner', ihre Gebete mit Tänzen -Arbeit in Gott". Den Ge-
schlechtstrieb bezeichnen sie mit den Wnrten , Sünde" und „Eitelkeit".
60 Die Skopzensekte in Russland.
genommenen mit, dass alles bis dahin Gelobte und Geleistete zur Erlangung
des vollen Seelenheils nicht hinreiche, dass dazu die Bewahrung jungfräulicher
Reinheit unerlässlich sei, dieselbe aber nur durch die Verschneidung möglich
werde. Die Furcht vor der Operation wird dann durch die Schmeicheleien
und Liebkosungen der Brüderschaft, durch Vorhalten erdichteter Beispiele,
Versicherung des göttlichen Beistandes und Versprechungen aller nur möglichen
irdischen und himmlischen Güter besiegt, und das neue Mitglied des „Schiffes"
entschliesst sich zur Uebernahme der „Feuertaufe". Dann endlich ist er
Skopze, vollständig, im Geiste und im Fleische; dann giebt es keine Wieder-
kehr mehr!
Nicht selten nehmen die Skopzen zu berauschenden oder einschläfernden
Getränken Zuflucht, wenn der Neophyt aus Furcht vor der Operation zu lange
widerstrebt. Man zieht dann dem eingeschläferten Opfer einen Sack über
den Kopf, bindet es an Händen und Füssen, schleppt es in das Erdgeschoss
oder in den Keller und kastrirt es. So sieht und kennt der Unglückliche
nicht einmal die Menschen, die ihn verstümmelt haben. Nachdem er lange
schwer daniedergelegen und durch goldene Versprechungen besänftigt worden,
beruhigt er sich und — schweigt. Und was sollte er auch thun? Er bleibt
einmal fürs Leben verstümmelt, und vor dem Gesetze, das in diesen Ange-
legenheiten keine Entschuldigungen zulässt, ist er jedenfalls schuldig und
straffällig.
Ganz anders treten die Eigenthümlichkeiten skopzischer Andachtsübuugen
in dem sogenannten einfachen Beten hervor.
Die Ceremonie beginnt mit dem von dem ganzen „Schiffe" im Chor ge-
sungenen Gebete, dessen Anfang folgendermassen lautet: „Gieb uns, o Herr,
Jesum Christum, gieb uns den göttlichen Sohn, erbarme Dich unser, Herr!
Mit uns sei der heilige Geist; Herr, erbarme Dich unser! Heilige Mutter
Gottes, bitte, mein Licht, für uns das Licht, Deinen Sohn, unseren heiligen
Gott! Die Welt ist durch Dich erlöst, Herr unserer Seele" u. s. w. Da sich
an dieses Gebet die Herbeirufung der Gnade auf die „Gotteskinderchen"
anschliesst, wird es für so heilig gehalten, dass ein Abtrünniger dasselbe
weder lesen noch sprechen darf. Dann beginnen auserlesene Sänger ihre
Lieder nach der Melodie der gewöhnlichen zum Tanz gesungenen Volkslieder
zu singen, wobei sie taktmässig mit der rechten Hand in die linke schlagen.
Diese Lieder sind alle bäuerisch einfach und enthalten sowohl die beim Volke
üblichen und beliebten Sprüchwürter, wie auch Anspielungen auf skopzische
Anschauungen. Oft sind es einfach die Volkslieder selbst, die, nur in ihrer
Weise umgestaltet, gesungen werden. Plötzlich ertönt dann der Ruf: „Oi,
der Geist, der Geist, der heilige Geist!" und das ist das Signal zum Beginne
der „Arbeit in Gott" , des Tanzes. Zuerst springen und drehen sich Alle
zusammen, indem sie einen Kreis bilden, dann einzeln, einer nach dem andern.
Zuletzt beginnt jeder, sich auf seiner Stelle um die Ferse des rechten Fusses
als feststehenden Punkt nach rechts herum zu drehen, immer geschwinder
Die Skopzensekte in Russland. 61
.und geschwinder, so dass im tollen Wirbel zuletzt nicht mehr die Gesichter
zu unterscheiden sind und die durch den Lul'tzuj^ aufj^el) Iahten Belhemden
wie Segel rauschen. Diese Betübung heisst die „einzelne". Eine andere,
„ein Schiffchen" genannt, besteht darin, dass ein Kreis gebildet wird, indem
sich einer mit dem Gesicht gegen den Nacken des anderen stellt und die
ganze Gesellschalt sich dann mit starken Sprüngen im Kreise herurabewegt.
Eine dritte Art des Betens ist die „im Mauerchen", wobei die „weissen Tauben"
den Kreis in der Art bilden, dass sie Schulter an Schulter stehen, und sich
dann in Sprüngen rechts herumbewegen. Bei einer vierten Art endlich,
der „kreuzförmigen", stellen sich 4 oder 8 Menschen einzeln oder paarweise
in die vier Ecken des Zimmers und bewegen sich dann springend gegen ein-
ander und zurück oder wechseln im Punkte, wo sie zusammentreffen, die Stellen.
Diese Tänze, denen die Skopzen sich bis zur Erschöpfung hingeben,
sollen die böse „Trägheit" schwächen; sie wirken andrerseits narkotisch und
gewähren ihnen eine Art von Wollust. Der Boden des Zimmers ist oft wie
gewaschen, und die Hemden werden vom Schweisse so nass, dass sie stunden-
lang nicht trocknen. Die Skopzen behaupten, dass auch Christus so gebetet
habe und berufen sich hierbei sonderbarer Weise auf die Stelle im 2. B. Sam.
Kap. 6 V. 16, wo es heisst: „Und da die Lade des Herrn in die Stadt David's
kam, kuckte Michal, die Tochter Saul's, durch das Fenster und sah den König
David springen und tanzen vor dem Herrn und verachtete ihn in ihrem Herzen."
In der gleichfalls citirten Stelle 1. B. d. Chron. 16 (sonst 15) V. 29 ist der
Text fast gleichlautend. Wir bemerkten, dass sie sich „sonderbarer Weise"
auf diese Stellen berufen; denn uns will scheinen, dass die Stelle 1. Sam.
6 V. 14, wo es heisst: „Und David tanzte mit aller Macht vor dem Herrn
her und war begürtet mit einem leinenen Leibrocke", viel besser zur Begrün-
dung ihrer „Arbeit in Gott" geeignet gewesen wäre, da in derselben wenig-
stens nicht von Verachtung die Rede ist. Mit den Skopzen ist aber in dieser
Hinsicht schwer zu rechten, da sie alle Bibelstellen in ihrer Weise auslegen
und hier im Ertragen der Verachtung gerade eine skopzische Tugend sehen
mögen.
Medizinisch ist nachgewiesen, dass die schnelle drehende Bewegung eine
Täuschung des Gesichts erzeugt und die Vernunft zuletzt über die Eindi-ücke
dieKontrole verliert, so dass sich, da ja überhaupt Alles unter dem Einflüsse
mehr oder weniger erregter Gefühle und überspannter Ideen geschieht, die
stärksten Sinnestäuschungen einstellen. Es ist daher kein Wunder, dass nach
der „Arbeit in Gott" die Propheten auftreten, in denen der heilige Geist seine
Anwesenheit kund gegeben hat, und durch welche dieser der ganzen Gemeinde
und jedem Einzelneu sein Wohlwollen und auch künftige Schicksale mittheilt.
Diese Prophezeihungen sind daher meistentheils Folge der äussersten Nerven-
aufregung, und werden oft von konvulsivischen Bewegungen begleitet, so dass
der Prophet es dann in solcher Lage auch nur /u unzusammenhängenden,
unverständlichen Lauten und Worten bringt. In amiern Fällen macht sich
(32 Die Skopzensekte in Russland.
die Sache ordnungsmilssiger. Nuclidcm die „GoLteskinderclien" sich nach
Beendigung der Tanze auf ihre Pliitzc begeben haben, tritt der „Prophet"
oder „Redner", der über der Schulter und in der Hand ein Tuch trägt, her-
vor und verbeugt sich mehrmals vor der Versammlung. Dann spricht er in
singendem Tone das einleitende Gebet; „Segne mich, mein Go tt, weihe mich,
Väterchen, in Deinen heiligen Kreis zu treten; würdige mich, des heiligen
Geistes theilliaftig zu werden", und wendet sich mit dem Kufe: „Christus ist
auferstanden!" an die Anwesenden. Diese fallen sammt und sonders auf die
Knie, und der Prophet beginnt zu predigen und zu prophezeihen. Diese Pro-
phezeihungen bestehen meistenlheils in allgemeinen Phrasen, in denen das
baldige Nahen Christi, das Geschenk ewiger Glückseligkeit an alle Gläubigen
u. drgl. m. in rohen Versen, wie sie eben kommen, zugesagt wird. Es gehört
immerhin ein gewisses Talent dazu, sich zur Zufriedenheit der Zuhörer dieser
Autgabe zu entledigen, und daher glauben denn auch die Skopzen, dass diese
Gabe direkt von oben verliehen werde. Der Stabskapitäu Ssosonow gesteht
in seinem „Reubriefe" ganz offenherzig, dass er als Prophet zulet/t eine
solche Fertigkeit im „Prophezeihen" erlangt hatte, dass er stundenlang und
ununterbrochen hätte fortreden können und doch ein ziemlicher Zusammen-
hang darin gewesen wäre. Oft hätte es der Zufall gefügt, dass er unter der
endlosen Masse der Dinge auch solche gesagt hätte, die voreingenommene
Fanatiker hätten überzeugen müssen, dass er die Gabe gehabt, die Zukunft
zu erkennen und die Geheimnisse der menschlichen Seele zu lesen.
Als Zeichen seiner Würde hat der „Prophet" bei den Versammlungen
eines der kleineu hölzernen Kreuze in der Hand, wie sie Sseliwanow seiner Zeit
an diejenigen vertheilte, die er auf eine höhere Stufe der Erkeuutniss und zu
grösserer Würde erhob. Diese Kreuzchen werden als Heiligthümer aufbewahrt
und vererben in der Gemeinde von Geschlecht zu Geschlecht.
In den Betsälen der Skopzen befinden sich zwar Bilder von Heiligen der
orthodoxen Kirche mit Lampen und brennenden Lichten, aber wohl nur zum
Schein. Ihre Gebete richten sie ausschliesslich an die Bilder ihrer eigenen
Heiligen. Am häufigsten sind die Bilder ihres Messias und ihres Täufers,
so fand man dieselben bei den Untersuchungen im Gouvt. Tambow (1830),
in St. Petersburg (1844), in Morschansk bei Maxim Plotizyn (1869), und die
Gebrüder Kudrin in Moskau hatten sogar ein eigenes photographisches
Atelier zur Vervielfältigung dieser Bilder eingerichtet.
Diejenigen, welche Sseliwanov und Schilow gekannt hatten, behaupteten
stets, dass diese allgemein verbreiteten Bilder recht ähnlich seien. Der Skopze
Choroschkejew fand die meiste Aehnlichkcit in dem bei dem Skopzen Leouow
gefundenen Bilde und bemerkte, duss das „herrliche Gesicht" Sseliwanow's
auch denen Verehrung abgenöthigt habe, die auf höchsten Befehl zu ihm
kamen. So haben der Beamte Popow und dessen Begleiter ein Gespräch
mit ihm uchselzuckcnd und in ziemlich wegwerfendem Tone begonnen, und
als sie lortgegaugeu , sei dies fast rückwärts tretend geschehen, worauf sie
Die Skopzeiisektc in Russfaud. 03
häuderingend luisgcriifcn : „Gott, wenn das nicIiL ein Skoi)zc wäre! Hinter
solchem Menschen würden Regimenter und Regimenter (^inherniarscliireu !"
Sseliwanow wird gewfWinlich als ein Greis in dunk(,'ll)lanem oder griiueni
langen Gewände mit Zobelbesatz abgebildet; er trägt ein weisses Tuch un)
den Hals, welches noch mit einem breiten Bande umbanden ist. Er sitzt
gewöhnlich auf einem Lehnstuhle und legt die rechte Hand auf einen roth-
bedeckten Tisch, auf welchem zuweilen ein Körbchen mit einem Weintrauben-
zweige und zw-ei Pfirsichen steht.
Da Sseliwanow und Peter 111. von den Skopzen für ein und dieselbe
Person gehalten werden, betrachten sie auch die Rubel mit dem Bildnisse
dieses Kaisers als ein grosses Heiligthum.
Der Bauart der wohlhabenden Skopzen gehörigen Häuser ist bereits
Hüchtig erwähnt; es verlohnt sich aber der Älühe, sich dieselben nochmals
näher zu betrachten. In einem entfernteren Stadttheile steht ein Haus, wei-
ches fast keine Fenster nach der Strasse hat, dessen Pforten stets verschlossen
sind und dessen Hof oder Garten von hohen Zäunen umgeben ist. Es ist
dies ein Skopzenhaus. Im Innern desselben und zwar mitten darin findet
man unfehlbar ein dunkles Zimmer, dann Erdgeschosse und Bodenräume mit
Verstecken aller Art. Kein Fremder erhält Zutritt. Miether, Dienstboten,
genug Alle, die aus- und eingehen, sind Skopzen oder doch Chlysten. Was
in diesen Häusern geschieht? Niemand aus der Nachbarschaft weiss es. Man
hört nie einen Sckmerzensschrei, nie ein besonderes Geräusch. Und doch
mag in den Kellergeschossen manches Opfer auf dem Schmerzenslager liegen,
oder auch sein Grab finden. Sogar die Häuser der skopzischen Bauern haben
Verstecke über der Zimmerdecke oder unter der Erde; denn es gilt oft genug,
flüchtige Brüder oder eigene Thaten zu verbergen.
In einem der geheimen Räume im Glasunow'schen Hause in St. Petersburg,
wo sich auch der Haupt-Betsaal der Skopzen befand, wurde unter allerlei
Gegenständen, wie Ketten, Panzerhemden, Salben, Verbandstücken, Pllastern,
geweihten Brodstücken zum Abendmahl, auch ein ganz absonderlicher Pass,
„aus der Stadt des Höchsten von Gott selbst" ausgestellt, gefunden. Er ist
in altslawischer Kircheuschrift geschrieben, mit allerlei Schnörkeln verziert
und mit drei bunten Stempeln mit der Legende „Siegel des allerhöchsten
Schöpfers, Gottes des Vaters und des Sohnes und des heiligen Geistes, Er-
halters des Himmels und der Erde" versehen. Mehr kann ein „Gotteskind-
chen" allerdings nicht vom lieben Herrgott verlangen! Die aus feinen Ringen
bestehenden Panzerhemden, die auf dem blossen Leibe getragen worden sind,
und die Ketten lassen vermuthen, dass die Skopzen sich auch noch andern
Kasteiungen als der Kastrirung unterwarfen.
Trotz des lebhaften Gefühls der engsten Zusammengehörigkeit, wie sie
die Besonderheit der religiösen Ansichten der Skopzen erzeugen muss, eines
Gefühls, welches durch das Hewusstsein, dass sie aus der sie umgebeudeu
Menschheit auscreschieden sind, noch erhöht wird, haben sich doch besondere
64 I>ie Skopzensekte in Russland.
Schaf.tirungen in der Sekte erkennen lassen, wenngleich dieselben auch
eben nicht durch sehr zahlreiche Vertreter eine besondere Bedeutung haben.
So gestatten einige nicht die Verschneidung — sind also nicht mehr Skopzen
im eigentlichen Sinne des Wortes — , und Sseliwanow ist für sie nicht ein
neu erschienener Messias, sondern der wahre von der Jungfrau Maria geborne
Jesus Christus, der noch immer auf der Erde weilt, und zur Erlösung der
Menschheit immer neue Leiden auf sich nimmt. Die Anhänger dieser Lehre
heissen das „Fastenschiff", weil sie sich nicht nur das Fleisch, sondern auch
die Fische versagen. Eine andere Schattirung in der Sekte unterscheidet
sich von der Hauptse'kte eben nur dadurch, dass ihre Mitglieder die Göttlich-
keit Sseliwanow's leugnen und diesen nur für einen grossen Lehrer und den rech-
ten Führer zum Wege des Heils halten. Diese Untersekten können gewisser-
massen als ein Verbindungsglied zwischen dem Skopzenthum und der
Chlystowschtschina gelten. Denn wenn auch die Skopzen das Ritual ihrer
Andachtsübungen in der Hauptsache den Chlysten entnommen haben, sind
beide Sekten doch durchaus nicht zu verwechseln. Ja, die Lehren derselben sind
in vielen Funkten einander geradezu entgegengesetzt. Die Chlysten sehen auf
das Fleisch, wie auf eine niedrige Arbeitskraft mit solcher Missachtung, dass
diese zuweilen zur Versündigung gegen das siebente Gebot führt; die Skopzen
dagegen betrachten das Fleisch mit Furcht und als einen solchen Feind,
der durch geistige Kraft allein nicht bekämpft werden kann, woher eben die
Verschneidung nothwendig wird. Während bei den Skopzen der einzige
Christus der zum zweiten Male auf Erden erschienene Peter Federowitsch
ist, kann bei den Chlysten Jeder, der streng die Gebote der Sekte befolgt,
die höchste Vollkommenheit erreichen und Christus werden, woher denn auch
eine ganze Reihe hinter- und nebeneinander bestehender Erlöser vorhanden ist.
Hei den Chlysten endlich haben die „Schiffe" keinen näheren Zusammenhang
unter einander, während sie bei den Skopzen in engster Verbindung mit ein-
ander stehen.
Die erwähnten Abweichungen von dem allgemeinen Skopzenbekenntnisse
innerhalb der Sekte sind so unwesentlich und haben so wenig zahlreiche An-
hänger, dass die Zusammengehörigkeit der Glieder dadurch nicht beeinträchtigt
wird. Ueberall hat es sich bei den Untersuchungen herausgestellt, dass sie
einander mit Leib und Lieben angehören und sich nie verlassen. Sodann
helfen sie sich auch gegenseitig mit grosser Umsicht bei der Proselytenmacherei,
der sie überhaupt ihre ganze Energie zuwenden. Hierbei werden sie nicht
nur durch die Kraft ihrer religiösen Ueberzeugung unterstützt, sondern auch
durch das ihnen innewohnende krankhaft reizbare Gefühl, welches theils phy-
siologisch, theils duich das vielleicht unwillkürliche Bewusstsein begründet
ist, dass sie eine Anomalie in der menschlichen Gesellschaft und ein Gegen-
stand des Spottes und der Verachtung sind. Dazu kommt nun noch ein sehr
wesentlicher Umstand. Li der Apokalypse heisst es im 14. Kap. V. 1:
„Und ich sähe ein Lamm stehen auf dem Berge Ziou und mit ihm 141,000,
Die Skopzensekte in Russland. 65
die hatten den Namen seines Vaters geschrieben an ihrer Stirn"; und in
demselben Ka])itel V. 4: „Diese sind es, die mit Weibern nicht befleckt sind;
denn sie sind Jungfrauen und folgen dem Lamme nacli, wo es hingehet.
Diese sind erkauft aus den Menschen zu Erstlingen Gott und dem Lamme."
Diese Stellen beziehen die Skopzen auf sieh, und sie deuten sie dahin, dass,
wenn ihre Zahl auf 144,000 — nicht, wie lir. Dixon in seinem Werke „Frei-
Russland" sagt, 300,000 — gestiegen sein wird, ihr 'irinrnph beginnen müsse.
Und welcher Triumph! Ihr Christus und Kaiser ist aus Lkutsk, wohin er
sich aus Ssusdal zurückgezogen, nach Moskau zurückgekehrt, liier läutet
er die grosse Glocke der Kathedrale zu Mnriii Himmelfahrt, um seine ,,Kinder-
cheu" um sich zu versammeln. Dann zieht (v mit ihnen hinaus und bemäch-
tigt sich aller Throne und Gewalten; denn er ist ja der Kaiser der Kaiser.
Schliesslich hält er das göttliche Gericht und belohnt seine „reinen Tauben"
für ihren Gehorsam, ihre Geduld und Treue mit ewiger Glückseligkeit.
Dieser Triumph ist also nur eine Finge der Zeit und ihres eigenen Bekeh-
rungseifers. Was Wunder, dass dieser nie ruht und rastet? Trotzdem lassen
sie sich nicht zu Uebereiluugen hinreissen, sie gehen vielmehr bei ihrer Pro-
paganda meist mit grosser Ueberlegung, Sehlauheit und List zu Werke. Zu-
nächst suchen sie den ungebildeten Menschen seiner eigenen Religion zu ent-
fremden, indem sie ihn auf die im Volke herrschenden Laster des Trunkes
und der sinnlichen Ausschweifung, auf die vielen Diebstähle, Räubereien und
Morde aufmerksam machen. Besonders setzen sie die Geistlichkeit herab,
von der sie sagen, dass sie nichts von der wahren Christuslehre verstehe,
dass sie die Menschen verderbe, indem sie ihnen ihre Sünden vergebe, ohne
danach zu fragen, ob sie sich gebessert haben. Dann stellen sie ihre —
allerdings nicht wegzuleugnenden — Tugenden in ein helles Licht: ihr jungfräu-
liches Leben, das beständige Fasten, die Enthaltsamkeit von starken Geträn-
ken u. s. w. Das alles, verbunden mit gewandter Rede voll fi-ommer Sprüche
und mit der Sorge für das Seelenheil des zu Bekehrenden, wirkt mit grosser
Gewalt auf das Gemüth des einfachen Menschen Das Schwierigste bleibt
immer, die Furcht vor der Operation zu überwinden. Aber auch das gelingt —
wie wir bereits gesehen haben — in Güte oder auch mit Gewalt. Mit Ge-
schick werden die bereits angeführten Bibelstellen und andere im Volke ver-
breitete Erbauungsbücher behandelt. So kommt in dem „Wegweiser zum
Himmelreich" folgende Stelle vor: „In jedem Menschen ist Sünde, und die
Sünde ist eine Wunde, welche von selbst nicht heilt. Und bei einigen Leuten
ist die Wunde so tief und gefährlich, dass man sie nur durch Schneiden und
Brennen heilen kann". Diese Stelle deuten sie ganz ihrem Zwecke gemäss.
Ferner geben sie dem körperlichen Schmerze und der Verfolgung ihrer Sekte
durch die Regierung eine streng religiöse Bedeutung, indem sie darthun, dass
der echte Diener Christi alle Schmerzen und alle Verfolgungen dem Verrathe
gegen den Herrn vorzieheu, ja, dass er sich freuen müsse, für den Heiland
zu leiden.
Zeitschrift für Ethnologie, Jahrgang 1S75. 5
66 Die Skopzensekte in Russland.
Die in den Städten ein Geschäft treibenden Skopzen lassen aus ihrem
Geburtsorte Kinder kommen, die sie in dem Geschäft unterweisen, mit ihrer
Lebensweise vertraut macheu und so allmählich zu ihren Ansichten bekehren.
Oft wird die Verstümmelung einfach erkauft, und bei diesem Geschäfte
sind dann besondere Agenten tliätig. Im AnfangCj der 50er Jahre waren
unter den Arbeitern auf den Hüttenwerken in Isliewsk zwei Skopzen,
Namens Ssimonow und Nasarow. Wenn einem Arbeiter Geld zum Trinken
fehlte, riethen ihm die andern: „Gehe zu Ssimonow oder Nasarow und lass
dich kastriren, dann wirst du Geld haben."
Auf Gefangene und Bettler, denen sie als Wohlthäter und Almosenspender
beizukommen suchen, wirken sie oft sehr erfolgreich. Auch borgen sie mit-
unter solchen Menschen Geld, von denen sie wissen, dass sie es nicht wieder
abzahlen können. Dann setzen sie ihnen das Messer an die Kehle, indem
sie ihnen die Wahl lassen, ob sie übertreten oder betteln gehen wollen.
Wie man sieht, ist die propagandistische Thätigkeit der Sekte vortrefflich
orgauisirt. Die Hauptcentren derselben sind St. Petersburg, Moskau, Mor-
schausk, Odessa und ausserhalb des Reiches Jassy und Bucharest. St. Peters-
burg ist den Skopzen als Mittelpunkt der Handelsthätigkeit und der Verwal-
tung, deren Unternehmungen sie liier am besten verfolgen können, von grosser
Wichtigkeit; Moskau ist der erste Ort, wo ihr Messias bei der Rückkehr die
Gläubigen versammeln wird; Morschansk hat Bedeutung für sie, weil es in
der Nähe ihres Mekka's Ssosnowka liegt, und Odessa bietet ihnen eine be-
queme Verbindung mit dem Auslande. In Bucharest und Jassy haben sich
Skopzen-Kolonien aus flüchtigen Russen gebildet, von denen viele zu grossem
Wohlstände gelangt sind.
In letzter Zeit ist die Propaganda besonders eifrig betrieben worden, und
einzelne Skopzen haben sich geradezu ausgezeichnet. So ist durch die ge-
richtliche Untersuchung festgestellt worden, dass Birjukow im Gouvt. Orel 43,
Nossenko im Gouvt. Charkow 60 und Tschernych im Gouvt. Kursk 106
Menschen verschnitten hat.
Von den verschiedenen Provinzen des europäischen Russlands sind die
Gouvts. St. Petersburg und Orel am reichsten mit Skopzen gesegnet; denn
es kommen daselbst mehr als 8 auf je 100,000 Einwohner; dann folgen die
Gouvts. Kosstroma und Rjjäsan mit 5 bis 8, Kaluga, Kursk und Taurien
mit 3 bis 5, Perm, Moskau, Ssamara, Ssaratow und Bessarabien mit 2 bis 3,
Jarosslaw, Twer, Smolensk, Tula, Tambow, Ssimbirsk, Ghersson und Astra-
chan mit 1 bis 2, Archangelsk, Nowgorod, Pskow, Estland, Tschernigow,
Woronesh, Nishni-Nowgorod, VVjätka und Ufa mit ^- bis 1 und Livland,
Wiliia, Minsk, Kasan, Pensa und Jekaterinosslaw mit weniger als ^'^ auf je
100,000 Bewohner. Die andern Gouvts. sind ganz frei von Skopzen, wobei
natürlich einzelne Individuen nicht in Betracht kommen.
Allerdings sind die Skopzen noch weit davon entfernt, die volle Zahl
der „Täubchcn" beisammen zu haben; denn die letzten Nachforschungen, die
Die Skopzensekte in Russland. 67
allerdinf^s nur bis zum Jahre 1866 reichen, haben 5444 Skopzen, darunter
3979 Männer und 1405 Frauen nachgewiesen. Das grösste Kontingent (29()7
Individuen, darunter 2077 Männer und 890 Frauen) stellen natürlich die
Bauern verschiedener Kategorien, wobei zu bemerken ist, dass nur 3 freie bäuer-
liche Besitzer darunter sind. Dann folgen Soldaten und Matrosen der regu-
lären Armee und der Flotte (443 Individuen, darunter 67 Frauen oder Töchter
derselben); nächst diesen sind die Bürger (mit 325 Individuen, darunter 105
Frauen), die Kaufleute (mit 154 Individuen, darunter 6 Frauen) und, was
unter dem Namen Vagabunden zusammengefasst werden kann, (mit 149 Indi-
viduen, darunter 27 Frauen) am zahlreichsten vertreten. Es versteht sich
von selbst, dass die höheren Gesellschaftsklassen sich am wenigsten an dem
Streben nach chiliastischer Glückseligkeit betheiligen. Höhere Bildung und
religiöser Indifferentismus mögen gleichmässig dazu beitragen. Damit soll
keineswegs gesagt sein, dass die in den statistischen Nachweisen genannten
8 Edelleute (darunter 4 Frauen), 15 Offiziere, 14 Beamten und 19 Geistlichen
die Zahl der Skopzen aus den höheren Gesellschaftsklassen erschöpften. Die
Ermittelung ist eben nur eine schwierigere, und leidige Erfahrungen auf andern
Gebieten haben wohl erkennen lassen, dass Aberglauben und religiöser Wahn-
witz ziemlich hohe Stufen erklettern können.
Von den verschiedenen Glaubensbekenntnissen haben das orthodox-
griechische 5024 (darunter 1192 Frauen), das lutherische 409 (darunter 273
Frauen), wahrscheinlich Letten und Esten aus Liv- und Estland und Finnen
aus St. Petersburg und Umgegend, und das römisch-katholische 8 Individuen
den Skopzenschiffen geliefert. Von Nichtchristen haben sich nur ein Muha-
medaner und 2 Juden verführen lassen.
Nach der Art der Verstümmelung bei Männern sind 588 mit dem zweiten
oder kaiserlichen Siegel, 833 mit dem ersten Siegel und 62 mit anderweitigen
Verstümmelungen ermittelt worden; von den Frauen waren 99 an den Brüsten
und Geschlechtstheilen verstümmelt, 300 hatten sich die Brüste, 182 die
Brustwarzen abnehmen, 251 die Geschlechtstheile allein verschneiden und 108
auf verschiedene andere Arten verstümmeln lassen.
Interessant ist auch der Nachweis, wie die Verstümmelung zu Stande
gekommen ist. Selbst verstümmelt haben sich 863 Individuen (darunter 160
Frauen) und von anderen sind verschnitten 1868 Individuen ^darunter G'6S
Frauen). Auf eigenen Wunsch sind 1652 Personen (darunter 448 Frauen),
gewaltsam und gegen den Willen, z. B. bei Krankheiten etc., 982 (darunter
143 Frauen) und in bewusstlosem Zustande, durch genossene Getränke,
Speisen und andere Mittel herbeigeführt, 470 (dai'unter 4 Frauen) der Ope-
ration unterworfen worden. Man ersieht hieraus, dass die „reinen Tauben"
sich fast zur Hälfte in gewaltsamer Weise rekrutirt haben, also wohl dem
Kriminalgericht verfallen sind.
Alle hier angeführten Zahlen sind nur von relativem Werthe und können
keine Ansprüche auf Vollständigkeit machen, da sicher Tausende von Skopzen
68 t>ie Skopzensekte in Russland.
noch nicht in die Hände der untersuchenden Richter und Aerzte gefallen
sind. So lial)en die neueren Entdeckungen von Skopzennestern in Morschansk,
Moskau, St. Petersburg Schaaren von „Täubchen" aufgejagt, und viele von
ihnen sind dann auch eingefangen worden.
Ganz neuerdings ist, wie die russische Zeitung „Börse" meldet, im Gouvt.
Ufa eine neue Skopzengemeinde entdeckt worden, von der man gegen 90
Personen zur Untersuchung gezogen hat.
Wie dem aber auch sei, die apokalytische Zahl ist immer noch nicht
voll. Ob sie je voll werden wird? Der Regierung wird es sehr schwer
werden, der Propaganda Einhalt zu thun. Massregeln der Milde haben eben
so wenig Erfolg gehabt, wie die der Strenge; letztere machen nur neue Mär-
tyrer und rufen neue Fanatiker auf den Kampfplatz. Selbst die Verbannung
nach Sibirien ist eher schädlich als nützlich, weil in diesen wenig bevölkerten
Gegenden eine Ueberwachung noch schwieriger ist und Irkutsk ohnehin als
ihr gelobtes Land betrachtet wird, aus dem der Messias kommen soll. Ja,
selbst in der Nähe der Ceutralregierung wissen die Skopzen durch Heuchelei
und Zähigkeit die gegen sie ergriöeuen Massregeln zu vereiteln. Dazu kommt,
dass eine ihrer Hauptleidenschaften, die nach Verbannung der anderen sich
ihrer Herzen bemächtigt hat, die Geldgier ist, die ihnen kolossale Mittel in
die Hände gespielt hat, und dass sie in Folge dessen goldene Brücken für
jeden Angriff und Rückzug bauen können. Obgleich die Skopzen nicht gerade
durch Bekanntschaft mit den alten Klassikern glänzen, wissen sie als prak-
tische Menschen doch eben so gut wie Horaz, dass „das Gold frei mitten durch
Trabanten schaaren geht und, mächtiger wie der Blitzstrahl, Felsenmauern zu
durchbrechen liebt." Bot doch Maxim Plotizyn dem Morschansker Polizei-
meister Trischatny, dem die Entdeckung des Skopzennestes in Morschansk
zu danken ist, 10,000 Rubel, wenn er drei der verhafteten Frauen nur bis
zum nächsten Morgen — wahrscheinlich zu einer Andachtsübung — frei
lassen wollte. Er scheiterte mit diesem Bestechungsversuche vollständig;
aber in wie vielen anderen Fällen mögen derartige Versuche den besten Er-
folg gehabt haben! Plotizyn allein besass 3, 4 bis 5 Millionen Rubel. In
St. Petersburg und Moskau giebt es gleichfalls viele Skopzen, deren Ver-
mögen nach Millionen zu berechnen ist. In den meisten Geldwechsler- und
Silberläden sieht man die gelben und faltigen Gesichter der Skopzen hinter
den Ladentischen. Man darf sich übrigens über diese Gier nach Erwerb
nicht wundern; denn Personen, welche dem eigentlich veredelnden und er-
ziehenden Element im Menschenleben, dem Hausaltar des Familienlebens,
fremd bleiben, müssen am Ende doch ein lohnendes Streben haben, das offen-
kundig verfolgt werden kann, und das die Leere ihres Daseins ausfüllt.
Ihren Lohn finden sie aber in dem mit dem sich vermehrenden Reichthum
wachsenden Einfluss und in der Vermehrung der Mittel, die ihren erwarteten
Triumph beschleunigen können.
Mögen nun auch — es ist dies eine nur auf Wahrscheinlichkeit be-
Die Skopzenfiekte in Russland.
69
ruhende Annahme — 30 bis 40,000 Skopzen in Russland vorhanden sein, so
wird vorläufig von ihnen keine ernstliche Bedrohung der bestehenden Ord-
nung zu befürchten sein. Aber wie? Wenn ein kecker und genialer Aben-
teurer, wie einst Pugatschew, sich für Peter III. ausgäbe? Wenn er das
chiliastische Reich verkündigte, und schlau das Anschliessen der unzufriedenen
Elemente im Reiche an die in Aufruhr gebrachten Skopzen bewirkte? Zur
Unzufriedenheit giebt es gegenwärtig allerdings nicht mehr solche Veran-
lassungen, wie zur Zeit Pugatschews: dafür b(;mühen sich zahlreiche sozia-
listische Wühler, Keime der Zwietracht zu säen, die über kurz oder lang
mächtig ins Kraut schiessen müssen. Wenn ein solcher Mensch, wie wir ihn
geschildert,, den geeigneten Zeitpunkt wahrnähme, könnte er unter Mitwirkung
der Millionen der Skopzen schon eine ganz hübsche Revolte anstiften. Die-
selbe würde natürlich sehr bald unterdrückt werden, aber doch Tausende ins
Unglück stürzen.
Abgesehen von dieser Möglichkeit, darf der Staat nicht eine Sekte dulden,
welche sich gegen jede l)ürgcrliche und staatliche Ordnung auflehnt, die
Grundlage jeder Gesellschaft, das eheliche Leben, mit Füssen tritt, Menschen
in so ruchloser Weise ihrer natürlichen Bestimmung entzieht und ihren end-
lichen Triumph mit dem Umsturz aller Dinge zu erringen hofft. Es wird ihm
daher sicher Niemand verargen, wenn er diese Sekte mit aller Energie bekämpft.
Daher erklärt sich auch der Schrei des Unwillens, der durch ganz Russ-
land lief, als die Skopzenangelegenheit anlässlich des Plotizyn sehen Prozesses
wieder einmal vor das Forum der öffentlichen Meinung gezogen wurde.
Wir glauben auch durch die Schilderung der Ansichten, Sitten und Tendenzen
dieser „weissen Tauben" klar nachgewiesen zu haben, dass ein solcher Schrei
vollkommen gerechtfertigt war. Gotha. F. von Stein.
Zwei Abbildungen von Skopzen.
70 A. Bastian:
Miscelleii und ßttcherseliau.
WirthmüUer: Encyclopädie der katholischen Theologie. Landshut 1874.
Der Staat (S. 769) „ist weder positiv göttliche Einsetzung und mit der Kirche identisch
oder auf gleiche Linie zu stellen, noch aus der freien Vereinbarung der Individuen hervorgegangen,
sondern entspricht dem natürlich soiüalen Trieb (im Laufe seiner Entwicklung zum Organismus
ausgebildet)" und dadurch erhält er eben unter dem jetzigen Ideenkreis denjenigen Character,
der das Göttliche früherer Auffassungen in sich trägt, wogegen die Kirche, die dem Staat
gegenübersteht, ,als Reich, das nicht von dieser Welt ist" damit auch aus der gegenwärtigen
Weltauffassung ausscheidet.
AudijBferent: Des Maladies du Cerveau. Paris 1874.
II ressort de l'ensemble de ce travail, qiie l'Occident tout entier est malade depuis la fin
du moyen-äge, que la maladie dont il est atteint tire son origine de la ruptiue meme de l'unite
qui fut propre au regime catholico-feodal.
Stamm: Ulfilas, herausg. von Heyne. VI. Aufl. Paderborn 1874.
Der neuesten Auflage ist „eine neue vollständige Ausgabe des Schlusses der neapolitanischen,
sowie der aretinischen Urkunde einverleibt".
The Journal of the Royal Historical and Archaeological Association of
Ireland, originally founded as the Kilkerry Archaeological Society. Vol. II,
Ser. 4. Dublin 1874.
Abbildung auf S. 257 über Bone-hafted Bronze-Sword (das dritte seiner Art) in der Nähe
des Flusses Blackwater (Co. Armagh) gefunden.
Ewald: Eroberung Preussens I. u. II, 1872-1875. Halle.
Bei dem Friedensschluss des Deutschen Ordens mit den Pomeranen (1249) versprachen die
Neubekehrten an Preussen) ,dem Götzen Curche, welchen sie jährlich einmal aus Aehren bilden,
sowie den andern Göttern keine Opfer mehr darzubringen, ebenso auch, keine Tulissonen und
Ligaschonen, welche als Priester bei Leichenfeiern die Laster der Verstorbenen oft für Verdienste
rühmten und mit gen Himmel gerichteten Augen lügnerisch ausriefen, dass sie den Todten in
glänzendem WafFenschmuck, auf der Hand einen Sperber und mit grossem Gefolge durch das
Jenseits reiten sähen; keine solchen und andere heidnische Priester fortan mehr unter sich
zu dulden".
Geze: Elements de Grammaire Basque, dialecte Souletin. Bayonne 1873.
Le Souletin m'a paru offrir les formes verbales, les mieux conservees et les plus completes
Chabas: Etudes sur l'antiquite historique. Paris 1873.
Independamment des flcches, les rois lancaient aussi la javeline, raunie de cordons qui
servaient peut-etre comme l'amentum k augmenter la force du jet [wie in Neu-Caledonien].
Die Osker fügten (nach Virgil) dem Wurfspiess einen Riemen zu.
Devison: La vie de St. Brievc. St. Brieve 1874.
Un venerable Religieux, nomme Marcanus, estant dans une profonde meditation, vid l'äme
de ce Sainct (S. Brievc) sous la figure dune belle Colombe, blanche comme neige, portee dans
le Ciel par quatre Anges, en forme d'Aigles.
Miscellen und Bücherschau. 71
Genthe : Ueber den Etruskisclien Tauschhandel nach dem Norden. Neu er-
weiterte Bearbeitung mit einer archäologischen Fundkarte. Frankfurt a. M. 1874.
Herrn Dr. Ludwig Lindensclimit gewidmet in berechtigter Anerkennung seiner Verdienste
für diese Frage.
Preger: Geschichte der deutschen Mystik im Mittelalter, 1. Thl. Leip-
zig 1874.
Die mystische Lehre des Mittelalters nimmt ihren Ausgangspunct vornehmlich aus des
Pseudodionysius Speculation (den untergeschobenen Schriften des Areopagiten Dionysius), welche
das Ghrislenthum unter die Gesichtspuncte des Neuplatonismus (Flotin's) zu steilen versucht
(s. S. 148).
Berlanga: Los Bronces de Osuua. Malaga 1873.
Epoca en que hubieron de grabarse los bronces (S. 304).
Ebrard: Die iroschottische Missionskirche. Gütersloh 1873.
Die irisch-schottische Missionskirche Patrick 's, die bei der Sendung Augustin's nach Bri-
tannien (wo das mit den Legionen eingeführte Christenthum bereits wieder zu Grunde ging) in
Berührung kam, wird als culdeische bezeichnet von Celi-De (Viri dei).
Lorgucs: L'ambassadeur de dieu et le Pape Pie IX. Paris 1874. (Mit
Columbus' Bilde.)
Im zweiten Theil handelt das neunte Capitel des miracles du serviteur du Ciel pendant
sa vie, das elfte Capitel des miracles apres la mort, und auch der erste Theil ist bereits an
dergleichen reich, denn le Messagcr de l'Evangile, während eines die Schiflfe bedrohenden
Sturmes, fait allumer dans les fanaux deux cierges beniis, et ouvrant l'Evangile de St. Jean
notifie au typhon, qu'au commencement etait le Verbe, que le Verbe etait en dieu et que le
Verbe etait dieu (S. 241), und das Ungewitter zieht ohne Schaden vorbei. Quelle sagacite ne
montra pas la teuipete (S. 445).
Records of the past. Vol. III. London 1874.
The name of the Sumir was written Käme or Ke-en-gi in Turanian and Sn-mi-ri in Semitic,
and the Akkad were called Urdu in Turanian and Ak-ka-di in Semitic {G. Smith). The name
Accada signities „highlander" (Sayce). Synchronous history of Assyria and Babylonia (S. 25).
Smith, G.: Assyrian discoveries. London 1875.
The Izdubar or Flood Series of Legends (Capt. IX).
Townshend: Wild life in Florida. London 1875.
Few traces of its original inhabitants remain except the shell and eartli heaps and what
are called „Indian mounds" sorae thirty feet in height, which have been found, wheii opened,
to contain humain bones, beads, charcoal and pottery and are seen in all parts of the peninsula
and also on some of the larger islands.
Eys, van: Dictionnaire Basque-fraupais. Paris et Londres 1873.
Es sind darin vereinigt „quatre dialectes: le guipuzcoan, le biscaien, le labourdon et le
bas-navarrais".
Bird; The Ilawaiian Archipelago. Scarmouths and London 18(5.
Auf die Briefe folgt (S. 447): A Chapter ou Ilawaiian Atl'airs.
72 Miscellen und Bücherschau.
Vedel: Undersogelser angaaende den Aeldre Jernalder paa Bornholm.
Kjübenhavn 1873.
Der Inhalt begreift Brandpletter (G— 23), Roser (32), Uhraeiulte ürave (42), Andre Grave
(ä8) mit 18 Tafeln Abbildungen.
Cunningham : Archaeological Survey of India(Report for the year 1871-72),
Vol. III. Calcutta 1873.
In der Hindu- Architecture (neben der Muhaiuuiedan Architecture) werden unterschieden
Archaic period (the stone-walls of old Rajagriha or Kusagarapura, the capital of Bimbisara, as
well as the Jarasandha-ka-Baithak and the Baibhar and Sonbhandhar caves, (wo die erste
Syuode der Buddhisten abgehalten wurde), Indo Grecian Period (250— 510 a. d.), Indo-Scythian
Period (with the accession of the later Indo-Scythians or Tochari, the Greek mythology was at
first superseded by the Persian worship of the elements and soon after by Indian Buddhism
which was zealously adopted by Kanishka), Indo-Sassanian Period, (brought to a clcse in Western
India by the Muhammedan conquest of Sindh and Multan), Mediaeval Brahmame Period
( — 120Ü p. d., when the Mohammedans overran the valley of the Ganges and got possessiou
of the ancient kingdoms of Delhi, Kanauy and Gaur), Modern Brahmanic Period (oft mit Zeichen
mohammedanischen Einüusses).
Kelly: A practical Grammar of the ancient Gaelic or language of the isle
of Man, usually called Manks (edited by Rev. W. Gill). Douglas 1870 (London).
Ein durch die (1858 gegründete) Manx Society veranlasster Neudruck (for the publication
of National documents of the Isle of Man) und dann separat herausgegeben.
O'Kelly: The Mambi-Laud or adventures in Cuba. London 1874.
The land of the Mambi is to the world a shadow-land füll of doubts and unrealities. It is
a legend and yet a fact. It is called by mauy names, yet few know where begins or ends
its frontier. Si)aniards call it the Manigua or Los Montes, American talk of it as Free Cuba,
and those, who dwell within its confines, Cuba Libre or the Mambi-Land.
Dawkins: Cave Hupting, researches on the evidence of caves, respecting
the early inhabitants of Europe. London 1874.
Der erste Appendix handelt: On the Instruments and mefhods of cave-huntings (S. 435—441).
Chabas: Etudes «ur Tantiquit^ historique. Chalons s. S. 1872.
8i l'Egypte a eu un äge de la pierre, cet äge correspondrait i'i la periode la plus ancienne
des quatre mille ans, qui ont precede l'epoque historique.
Spiess: Physikalische Geographie von Thüringen. Weimar 1875.
Als 531 das Reich Thüringen den vereinten Franken und Sachsen erlegen war, als es zur
entlegenen und wenig vertheidigten Grenzmark des friinkisclion Reiches geworden, drangen von
Osten her bis tief in das Innere des nördlichen Thüringen und i'ilior den Frankenwald, bis in
das Thal der Itz, slavische Völkerschaften.
Dahn: Westgothische Studien. "W'ürzburg 1874.
Die Prügelstrafe wird (im Westgotlienrecht) ausserordentlich häufig und auch auf die höchsten
Schichten der Freien und des Adels angewandt, eine Entfernung von urgermanischer Empfindung,
welche das Prodiict des Despotismus und des Geistes damaliger Kirchen/ucht ist.
Die lettischen 8oiiiieiimytheii.
Der geniale Scharfsinn A. Kuhns , des Begründers der vergleichenden
Mythenforschung, hat im Veda, dem ältesten Niederschlag arischen Glaubens,
der uns erhalten blieb, den Schlüssel für manches Räthsel der griechisch-
römischen, slavischen, germanischen Mythologie aufgefunden. Die Wahrheit
dieser Entdeckung beruhte vor allem darin, dass hier eine umfangreiche
Gattung religiöser Denkmäler gleicher Art und von demselben Volke, und im
Ganzen und Grossen aus derselben Culturepoche herrührend uns die mythol.
Hüllen uralter Weltanschauung, die Götter und ihre Thaten, noch im Zustande
des Werdens, den Kristallisationsprocess der Naturmythen noch im Flusse
zeigte. So mannigfaltig und wechselnd hier die bildlichen Vorstellungen und
Beschreibungen von jedem einzelnen der besungenen Gegenstände und Vor-
gänge sind, bleiben sie bis zu einem ziemlich hohen Grade verständlich, oder
sind ohne grössere Schwierigkeit zu enträthseln, da in den meisten Fällen
das Object, um welches es sich handelt, unverhüllt genannt, oder unverkennbar
gekennzeichnet wird. Aus diesem Grunde ist die altindische Hymnendichtuug
vorzugsweise geeignet, uns durch lebendige Analogie den Sinn und die Sprache
solcher Mythen bei andern Völkern aufzuschliessen, welche wie sie noch ursprüng-
liche, von der Willkür epischer oder dramatischer Weitcrerzähler unverfälschte
Naturpoesie enthalten. Mit einer gewissen Sicherheit wird die Mythen vorgleichung
nur dort vom Bekannten zum Unbekannten fortschreiten können, wo dieUrsprüng-
lichkeit und Reinheit von Zudichtungen zuvor festgestellt und das Naturgebiet be-
kannt ist, welchem die mythischen Lieder entnommen sind. Es liegt im höchsten
Interesse der noch durch und durch jugendlichen Forschung für den Anfang solche
Felder zu durchmessen, welche dem Irrthum einen möglichst geringen Spielraum
übrig lassen, und die anderswoher gewonnenen allgemeinen und einzelnen Wahr-
nehmungen über das W esen und die Bildung der Mythen an solchen Literaturcom-
plexeii zu prüfen, welche — gleich denHymnen desRigveda — eine grössere Masse
gleichartiger und deshalb commensurabler Ueberlieferungen von unzweifelhaft
ZtiitücUilU tür Klüuolcj^ie, JaUri^itug 1»7&. ti
74 W- Mannhardt:
erkennbarem Hauptinhalte umfassen. Mit andern Worten, es erscheint für
die feste Grundlegung des neuen Baues erspriesslicher, von bekannten ein-
fachen Gegenständen ausgehend, deren mythologische Auffassung zu verfolgen,
als von der Analyse grösserer dichter verschlungener Sagengewebe, deren
Zettel und Einschlag, Grundlage und historische Veränderungen gleich un-
bekannte und darum vieldeutige Grössen darstellen. Von diesen Erwägungen
geleitet, hat der Verfasser dieses Aufsatzes den mythischen Ackerbaugebräuchen
seine Aufmerksamkeit zugewandt. Eine andere ebensowohl alterthümliche
als in ursprünglicher Reinheit erhaltene Schicht mythischer Traditionen von
beachteuswerthem Umfang, gleicher Art und gleichmässiger Beziehung auf
ein und das nämliche Naturgebiet, kannte ich in den lettischen und litauischen
Volksliedern, welche das Leben der Sonne, ihren Aufgang, Untergang und
Nachtaufenthalt schildern. Durch das soeben erfolgte Erscheinen einer längst
erwarteten lettischen Liedersammlung ist mein Vorrath einschlägiger Lieder
auf eine solche Anzahl gestiegen, dass es lohnend erscheint, die Aufmerksam-
keit der Mythenforscher auf das in denselben enthaltene wichtige und lehr-
reiche Material zu lenken.
Die Quellen, aus denen ich die untenstehende Sammlung geschöpft habe,
sind die folgenden:
Spr. Pamjatniki latiischkago , narodnago twortschewstwa ssabränii i
isdanii Iwanom Ssprogissom. Wiljna 1868, mit russischen Lettern gedruckte
und mit russischer Uebersetzung versehene Sammlung lettischer Volkslieder
aus dem Polnischen Livlaud von Iwan Sprogis. Der Verfasser, Custos der
K. Bibliothek zu Wilna, hatte die Güte, mich bei meiner Durchreise durch
Wilua im Frühjahr I86ü mit einem Exemplare seines Werkes zn beschenken,
welches kurz darauf, als ich zu Dohlen in Kurland unter dem gastlichen Dache
August Bielensteiu's, des gründlichsten Kenners nicht allein der lettischen
Sprache, sondern auch der lettischen Volksüberlieferung verweilte, der Gegen-
stand unseres eifrigen Studiums wurde. Bielenstein verdanke ich eine wort-
getreue Uebersetzung der für die Mythologie wichtigen Stücke. Der grosse
Werth der in jeder Weise zuverlässigen Sammlung beruht sowohl auf zahl-
reichen interessanten Varianten zu schon bekannten Liedern, als in vielen
neuen, ihr eigenthümlichen Gesängen Die Heimath des Sammlers, das so-
genannte polnische Livland, jene nordwestliche Ecke des heutigen Gouverne-
ments Witebsk nördlich der Düna zwischen Dünaburg und Luzyn, welche
bei der Eroberung Liviauds durch Schweden im Anfange des siebzehntnn
Jahrhunderts bei Polen verblieb, ist bis auf ganz neuere Zeit weit mehr als
andere von jedem C'ulturleben unberührt geblieben. Von den fast ganz heid-
nisch zu nennenden Zuständen, welche um 1(500 in der entvölkerten, fast
jeder christlichen Kirche entbehrenden Landschaft herrschten, legen die Be-
richte der Kigaei- und Wilnaer Jesuiten über ihre Missionsreisen bei'edtes
Zeugniss ab. Das sparsam und zerstreut in dichten Wäldern lebende Volk
brachte, trotzdem es deu» Namen nach christlich war, zu gewissen Zeiten des
Die lettischen Sonnenmythen. 75
Jahres dnrch sogenannte Popen unter heiligen Bäumen das Opfer eines
schwarzen Stieres, Bocks oder Hahnes, ganzer Tonnen Bier; man trug
schlangeuförmiges oder hundegestaltiges Gebäck unter die Eiche zu Ehren
göttlicher Wesen des Himmels und der Erde, oder mehr untergeordneter
Gottheiten für Fische, Aecker, Gärten, Hausthiere und alle Verrichtungen
des bäuerlichen Lebens. Ein Dämon der Aecker und des Kornes Zeruklis
(d. i. deijenige, auf den man seine Hofl'nung setzt, von zer-et hoffen, vgl.
Bielenstein, die lettische Sprache I. 295) wird u. A. öiter erwähnt. Diese
und ähnliche Angaben wiederholen sich so oft und in durchaus unverdächtigen
und von einander unabhängigen Zeugnissen und werden ausserdem durch
gleichzeitige oder nahezu gleichzeitige Analogien bei den nahverwandten
Litauern und im Samlande gestützt, so dass an ihrer Wahrheit im grossen
und ganzen nicht zu zweifeln ist. i) Um so erklärlicher erscheint es, dass
grade im polnischen Livland, welches der katholischen Gegenreformation ver-
fallen, von den evangelischen Letten in Kurland und im eigentlichen Livland
durch Religion, Mundart uud politische Verhältuisse wie durch eine Mauer
getrennt ist, sich das alte Erbtheil mythischer Lieder am vollständigsten und
reinsten bewahrt hat.
U. Lettische Volkslieder übertragen im Versmaass der Originale von
Karl Ulman. Riga 1874. Diese Sammlung enthält das Wichtigste aus
dem bis dahin zusammengebrachten, theils ungedruckten, theils gedruckten
V^orrath lettischer Volkslieder in Kurland uud dem eigentlichen Livland.
Nächst der altern gedruckten Sammlung von Büttner haben die handschrift-
lichen Aufzeichnungen A. Bielensteins und des Uebersetzers die Originale
für die mit gründlichster Kenntniss der Sprache und des Volksliedes aus-
geführten Uebertragungen geliefert. '')
B. Ungedruckte Stücke aus Bielensteins vorzüglich in Semgalleu ge-
machter Aufzeichnung.
N. Litauische Volkslieder, gesammelt, kritisch bearbeitet und metrisch
übersetzt von G. H. G. Nesselmann. Berlin 1853.
S. Litauische Märchen, Sprichwörter, Rätsel und Lieder. Gesammelt
und übersetzt von A. Schleicher. Weimar 1857.
Rh. Dainos oder Litthauische Volkslieder. Herausgegeben von L. J. Rhesa.
Neue Auflage von F. Kurschat. Berlin 1843.
') Ausführliche ilittheilungen darüber eutlialten ilie im Manuscript vollendeten, von mii*
unter Mit\virkunf)[ von Stadtbibliothekar Berkholz in Riga herauszugebenden , Denkmäler der
letto-preussischen Mythologie".
'-') Seit ich obige Zeilen schrieb, hat auch die Verüffentlichung einer grösseren Ausgabe
lettischer Volkslieder in der Origiiialspraclie von Seiten der lettisch-literarischen Gesellschaft
begouuen: l.atweeschu tautas dseesuias. I. Leipzig 1874.
76
W. Mannhardt;
1.*)
Spr. 309 cf. U. 150,
Ich blicke auf die Sonne
Wie auf mein Mütterchen.
Wohl ist sie warm, wohl freundlich,
Sprache allein fehlt.
Spr. 309.
Die Sonne ist warm,
Das Mütterchen freundlich,
Beide von gleicher Zärtlichkeit,
Die Sonne warm zum Wärmen,
Das Mütterchen treundlich sich zu unterhalten.
6.
U. 152.
Hinterm Berge steigt der Rauch auf,
Wer hat Feuer angezündet?
Lieb' Maria heizt die Badstub',
Drin die Waisenmägdlein baden.
7.
U. 164.
Waislein liefen alle wir
Auf den Berg der Sonnenblumen,
Trockneten uns dort die Thränen
Mit den Sonnenblumenblättern.
3.
ü. 163. Spr. 309.
Was verziehst du, liebe Sonne,
Warum gingst nicht früher auf du?
Hab' gesäumet hinterm Berge,
Um das Waislein zu erwärmen.
N. 2. Rh. 78. Schi. 2.
0 Sonne (Sonnchen, Saulyte) Gottes
Tochter (Die wo Dukte),
Wo säumtest du so lange?
Wo weiltest du so lange,
Seit du von uns geschieden?
Jenseits des Meers, der T->erge
Bewachte ich die Waisen,
Erwärmte ich die Hirten.
Ja, viel sind meiner Gaben.
0 Sonne, Gottes Tochter,
Wer hat denn früh und spät dir
Das Feuer angezündet,
Das Lager dir bereitet?
Der Abendstern (Wakarine Fem.) der Früh-
stem (Auszrine Fem.)
Der Morgenstern das Feuer,
Der Abendstern das Lager.
Ja, groGS ist meine Sippschaft.
5.
U. 161.
Sonne, blick' zurück im Laufe,
Wer in deinem Schatten folgt ;<'
Hundert kleine Waisenkinder
Blossen Fusses suchen dich!
U. 157.
Was strahlt dort noch spät am Abend,
Da die Sonne nicht mehr scheinet ?
Lieb' Maria glänzend gehet.
Hört, dass Waislein sich verlobe.
„Ach du irrst dich lieb Maria,
Schau, wie leer sind meine Hände!"
Geh' nur Waislein, sorg dich nimmer,
Helfen will ich deiner Armut.
9.
U. 170.
Nimm das Waislein Brüderchen,
Wahrlich vornehm ist die Sippe!
Gott ist Vater, Laima (das Schicksal, die
Schicksalsgöttiu) Mutter,
Brüder sind die Gottessöhne.
10.
N. 6. Rh. 67. Schi. 9.
Meine Tochter öimonene (Frau des Simon),
Wie kamst du zum Knaben?
Mutter, Mutter, hochehrwürdge.
Er kam mir im Schlafe.
Meine Tochter Simonene,
Worin wirst ihn hüllen?
Mutter, Mutter, hochehrwürdge.
In des Kleides Zipfel.
Meine Tochter Simonene,
Wer wird ihn denn warten?
Mutter, Mutter, hochehrwürdge,
Gottes schöne Töchter (Diewo Dukruzeles;
Tragen ihn auf Händen.
') Im Folgenden bedeuten dio Citate aus Spr. die Seitenzahl, aus U., N., Seh. die Nummer
des Liedes.
Die lettischen Sormenmythen.
77
Meine Tochter Simonene,
Worin wirst ihn legen?
Mutter, Mutter, hochehr würdge,
In des Taues Decke.
Meine Tochtar Simonene,
Worin wirst ihn wiegen?
Mutter, Mutter, hochehrwürdge,
Wohl in Laimas Wiege.
Meine Tochter Simonene,
Womit wirst ihn speisen?
Mutter, Mutter, hochehrwürdge,
Mit der Sonne Brödchen.
Meine Tochter Simonene,
Wohin wirst ihn senden?
Mutter, Mutter, hochehrwürdge.
Zum Bojarenheere,
Meine Tochter Simonene
Was wird aus ihm werden?
Mutter, Mutter, hochehrwürdge,
Hetman wird er werden!
11.
Spr. 313.
In Kurland sind schwarze Wälder
Mit rothen Beeren;
Das waren keine rothen Beeren,
Das waren Thränchen der Sonne.
U. 426.
Hinterm Bächlein auf dem Berge
Wachsen rothe Beeren viel;
Dort hat Sonne viel geweinet
Und die Thränen abgetrocknet.
12.
U. 435.
Abends geht die Sonne unter,
Schmückt des Waldes grüne Wipfel:
Giebt der Linde goldne Krone,
Einen Silberkranz der Eiche,
Und den kleinen Weiden schenkt sie
Jeder einen goldnen Ring.
13.
Spr. 316.
Der Perkun fuhr übers Meer,
Jenseits des Meers ein Weib zu nehmen;
Die Sonne mit der Aussteuerlade
Fuhr (ging) hinten nach, alle Widder
beschenkend :
Dem Eichbaum einen goldenen Gurt,
Dem Ahorn bunte Handschuhe aus Gold,
Der kleinen Weide einen gedrehten Ring.
14.
U. 452.
üeber's Meer hin fährt der Perkun,
Jenseits sich ein Weib zu holen,
Mit dem Brautschatz folgt die Sonn' ihm,
Alle Wälder rasch durchglühend.
15.
U. 483.
Ihre Tochter gab die Sonne
Fort nach Deutschland über's Meer hin;
Brautschatz führen Gottes Söhne,
Alle Bäume reich beschenkend :
Goldne Handschuh' nahm die Fichte,
Grünes Wollentuch die Tanne,
Alle Birken goldne Ringe
An die zarten weissen Finger!
16.
U. 425.
Warum glühn an jedem Ahend
Roth des Waldes grüne Spitzen?
Sonne hängt ihr Seidenröckche n
Jeden Abend aus zum Lüften
17.
ü. 443.
Sonne schalt den blassen Mond aus.
Warum er nicht heller glänze?
Schnell die Antwort gab der Mond ihr:
Dir gehört der Tag, die Nacht mir!
Leuchte du des Tags den Menschen,
Ich beschau mich Nachts im Wasser.
Spr, 311.
Die Sonne schalt das Mondchen,
Warum es am Tag nicht scheine,
Das Mondchen antwortete:
Dir Tagchen, mir Nachtchen!
18.
U. 455.
Sonne mit zwei goldnen Rossen,
Fährt den Kieselberg hinan.
Nimmer müde, nimmer schwitzend,
Ruhen nicht sie auf dem Weg.
19.
ü. 463.
Welch" ein stolzer Hof erglänzet
Hinter' m Berge dort im Thale?
Führen hin drei hohe Thore,
Alle drei von Silber strahlend 1
78
W. Mannhardt:
Zu dem einen fährt Gott selbst ein,
Durch das andre lieb Maria,
Durch das dritte fährt die Sonne
Mit zwei stolzen, goldnen Rossen.
20.
Spr. 310.
Die Sonne badete
Ihre Rösslein im Meere,
Selbst sitzt sie auf dem Berge,
In der Hand die goldenen Zügel.
31.
U. 456.
Sonnentochter (Saules meita), holde
Jungfrau,
Reitest wohl auf kleinem Rösslein?
Jeden Morgen ist das grüne
Röckchen dir von Thau gefeuchtet.
22,
U. 467.
Sonne die tanzt auf
Silbernem Berge,
Hat an den Füssen
Silberne Schuhe.
23.
Spr. 309.
Sonne, meine Taufmutter,
Gab die II and über die Daugawa (l)nna-
strom ; eigentl. das grosse Wasser).
Weder tauchten ihr ein die Goldquasten,
Noch die silbernen Säume.
24.
Spr. 309.
Was bellten die Hunde des Dorfes
An der Pforte hockend?
Die Sonne fuhr, den Nebel zu löschen,
Ueber den silbernen See.
25.
Spr. 310.
Ich habe mich der Sonne verbündet,
Zu kommen nach Deutschland.
Schon ist die Sonne in Deutschland
Und ich bin noch an der Meeresbucht.
26.
Spr. 313.
Die Sonne säte Silber
Im baumstumpfreichen Kodeland,
Säe doch Sonnchen mein Teilchen
Oben auf den Baumstumpf!
27.
U. 476.
Was hast du den ganzen Sommer
Denn gethan, du liebe Sonne?
Einen Kranz von Rosen flocht ieh
Um den jungen Gerstenacker.
28.
Büttner 19.
Bitterlich weint das Sonnchen
Im Apfelgarten.
Vom Apfelbaum ist gefallen
Der goldene Apfel.
Weine nicht, Sonnchen,
Gott macht einen andern.
Von Gold, von Erz,
Von Silberchen.
29.
Spr. 312. U. 457.
Stehe früh auf Sonnentochter,
Wasche weiss den Lindentisch,
Morgen früh kommen Gottes Söhne
Den goldenem Apfel zu wirbeln (rollen).
30.
Spr 314.
Schlafe, schlafe Sonnchen
Im Apfelgarten.
Voll sind deine Aeuglein
Mit Apfelbaumblü then.
31.
U. 466.
Einfuhr die Sonne
Zum Apfelgarten,
Neun Wagen zogen
Wohl hundert Rosse.
Schlummre, o Sonne,
Im Apfelgarten,
Die Augenlider
Voll Apfelblüthen.
32.
U. 465.
Was weint die Sonne
So bitter traurig?
Ins Meer versunken
Ein golden Boot ist!
Wein' nicht, o Sonne,
Gott baut ein neues.
Halb baut er's golden,
Und halb von Silber.
Die lettischen Sonnenmythen.
79
33.
Spr. 310.
Es geht die Sonne am Abend unter
Und fällt in ein goldenes Schifflein,
Am Morgen geht die Sonne auf,
Das Schifflein bleibt hinter ihr auf den Wellen.
34.
Spr. 312. Büttner 18.
Die Sonnentochter watete im Meere,
Man sah nur noch das Krönchen,
Rudert das Boot, ihr Gottessöhne,
Rettet der Sonne Leben (Var. Seelchen).
35.
U. 469.
Sonnentochter sank ins Meer,
Und die Krone sah man blinken,
Auf dem Berg stand Gottes Sohn,
Schwang ein golden Kreuz in Händen.
36.
Spr. 313.
Ein Schmied schmiedete am Himmel,
Die Kohlen fielen in grosse Wasser (Daugawa).
Dem Gottessohn schmiedete er Sporen,
Der Sonnentochter einen Ring.
37.
U. 477.
Himmelschmied am Himmel
schmiedet
In's grosse Wasser (Daugawa, Düna) fallen
Kohlen.
Breitete mein Wolltuch drunter:
Nun ist's voller Silberstiicke.
38.
Spr. 302.
Der Schmied schmiedete am Meeresstrande,
Was schmiedete er, was schmiedete er nicht?
Er schmiedete des Gottessohnes Gürtel,
Den Wainags (Krone, Mädchenkranz) der
Sonnentochter.
39.
Spr. 316.
Schmettere Perkun in den Quell
Bis in den Grund hinein;
Gestern Abend ertrank die Sounentochter,
Die goldene Kanne waschend.
U. 454.
Schleudre deinen Blitz, o Perkun,
In des Sees tiefste Tiefe;
Dort ertrank die Sonnentochter,
Als sie goldne Kannen wusch.
40.
U. 455.
Schleudre deinen Blitz, o Perkun,
In der Quelle tiefste Tiefe,
Findest dort WaMteufels Tochter,
Wie sie goldne Kannen wäscht.
41.
U. 459.
Wessen Pferde, wessen Wagen
Stehen vor der Sonne Thüre?
Gottes Pferd', Marias Wagen,
Freier um die Sonnentochter.
42. •
Biclenstein.
Warum stehen die grauen Rosse
An der Hausthür der Sonne?
Es sind des Gottessohnes graueRosse,
Der freit um die Tochter der Sonne.
Der Gottessohn reichte die Hand
Der Sonnentochter über das grosse Wasser
(Daugawa) ;
Die Sonne weinte bitterlich
Auf dem Berge stehend.
"Wie sollte sie nicht weinen?
Es war ihr leid um das Mägdlein,
Leid um die Aussteuer,
Die Lade mit Gold beschlagen,
Silberne Gaben.
43.
Bielenstein.
Graue Rösslein, schmucke Wagen
An der Hausthür der Sonne:
Die Sonnenmutter (Saules mäte) gab die Tochter
Und lädt mich zum Brautgefolge.
44.
Spr, 301.
Wessen sind die grauen Rösschen
An Gottchens Hausthür?
Das sind des Mondes Rösschen,
Derer die da freien um die Sonnentochter.
Heute besattelte die Sonne
Hundert braune Rösschen,
Gieb Gottchen dem Monde
Hundert Söhnchen als Reiter,
80
W. Mannhardt:
45. [vgl. 82].
Spr. -298.
Wo wäret ihr Gottessöhne
Mit schweisstriefenden, besattelten Rosschen?
Die Gottessöhne lassen ihre Rosschen
In die Goldkoppel,
Lassen sie hinein in die Goldkoppel,
Stellen mich als Hüterchen hin,
Schärfen Folgendes ein, mich hinstellend:
„Brich nicht ab einen goldenen Zweig".
Ich brach ein Zweiglein ab, lief in 's Thal.
Es suchet mich das liebe Gottchen mit seinen
Dienern ;
Es findet mich das liebe Gottchen
Mit seinen Dienern;
Es legt mich das liebe Gottchen
Zu seinen Dienstmägden.
Ich bitte dich, liebes Gottchen,
Was für einen Lohn wirst du mir geben?
Ich werde dir geben eine goldene Krone
(Krohnis)
Mit silbernen Rändern.
,Ich bitte dich, liebe Laima,
Wo werde ich sie verwahren?"
Am Abend dich schlafen legend.
Lege sie unter den Kopf
Am Morgen irüh aufstehend
Setze sie auf den Kopf.
46.
Spr. 314.
Es sagen die Leute
Der Mond habe kein eigenes Rosschen ;
Der Morgenstern und der Abendstern
Sind des Mondes Rosschen.
47.
Spr. 313.
Wo läufst da hin, Mondchen
Mit dem Sternenmäntelchen?
Ich gehe in den Krieg, u. s. w.
48.
Spr. 314.
In der Nacht fuhr das Mondchen,
Ich als des Mondes Fuhrmann,
Der Mond gab mir
Seinen Sternenmantel.
49.
Spr. 315.
Der Morgenstern ging früh auf,
Hegehrend die Soniienlochter.
Geh auf Sonnchen selber früh,
Gieb nicht die Tochter dem Morgenstern.
50.
Spr. 315.
Alle Sterne sind mir sichtbar,
Der Morgenstern allein ist nicht da;
Der Morgenstern ist hingelaufen
Auf die Freischaft um die Sonnentochter.
51.
Spr. 315.
Wo ist der Morgenstern,
Dass man ihn nicht sieht aufgehen?
Der Morgenstern ist in Deutschland,
Näht einen Sammetrock.
52.
Spr. 313.
Zwei Lichterchen brannten im Meere
Auf silbernen Leuchtern,
Die Sonnentochter sass dabei,
Schmückend ihr Krönchen.
U. 470.
In dem Meere brennen Lichter
Zwei auf hohen goldnen Leuchtern,
Sitzen dort zwei Sonnentöchter
Goldne Kronen in den Händen.
53.
Spr. 303.
Zwei Lichterchen brennen im Meere
Auf silbernen Leuchtern,
Die zünden an die Gottessöhne,
Wartend auf die Sonnentochter.
54.
Spr. 303.
Gottes Söhne bauten eine Klete
Goldene Sparren zusammenfügend:
Die Sonnentochter ging hindurch
Wie ein Blättchen bebend.
U. 471.
Gottes Söhne bauen ein Haus auf,
Goldene Sparren auf dem Dache:
Eingehn dort zwei Sonnentöchter
Wie zwei Espenblättlein zitternd.
55.
Spr. 303.
Hinter dem Berge ein Eichbaum,
Hinter dem Eichbaura ein See.
Der Gottessohn hing auf (an der Eiche)
seinen Gürtel,
Die Sonnentochter das Krönchen.
Die lettischen Sonnenmythen.
8i
56.
Spr. 302.
Wer konnte das ausführen,
In der Mitte des Meeres einen Haufen (Insel)
aufwerfen ?
Das hat Gottes Sohn gethan,
Freiend um die Sonnentochter.
57.
Spr. 303.
Johanuchen zerschlug die Kanne
Auf einem Stein sitzend,
Der Gottessohn bebänderte sie
Mit silbernen Dauben.
63.
Spr. 311.
Die Sonnentochter wäscht sich
In der Bucht des raschen Bächleins;
Gottes Sohn späht (nach ihr) aus
Vom goldenen Weidenbusche.
64.
Spr. 312.
Der goldene Hahn hat gekräht
Am Rande des grossen Wassers (Daugawa),
Dass sich erheben möchte die Sonnentochter
Den Seidenfaden zu zwirnen.
58.
Spr. 302.
Weiss waren des Herren Söhne,
Die meine Kraft niederzogen,
Aber noch weisser die Gottessöhne,
Die mir die Kraft gegeben haben.
59.
Spr. 310.
Hütet euch ihr Gottessöhne,
Heute morgen ist die Sonne zornig aufgegangen,
Warum zieht ihr Abends ab
Den Ring der Sonnentochter?
60.
Spr. 311.
Drei Tage, drei Nächte
War die Sonne mit Gott im Streit.
Die Gottessöhne haben abgezogen
Den Ring der Sonnen tochter.
U. 45S.
Tage zwei und drei der Nächte
Waren Sonn' und Gott in Hader.
Gottes Söhne hatten Ringe
Sonnentöchtern abgezogen.
61.
Spr. 312.
Gestern war die Sonne glanzvoll,
Heute ist sie so verhüllt.
Gestern leuchtete die Sonne selbst
Heute der Sonne Dienstmagd.
62.
Spr. 312.
Die Sonne schalt ihre Töchter
In der Mitte des Himmels stehend.
Die eine hatte nicht gefegt die Diele,
Die andere hatte nicht gewaschen den Tisch.
65.
Sbr. 313.
Sonne, Sonne, Mondchen'.
Was machen eure Knechte?
Die seidenen Wiesen sind ungemäht,
Die goldenen Berge sind ungeeggt.
66.
Spr. 303.
Gottes Söhne geriethen in Streit
Mit dem Waggar (Aufseher der Knechte) des
P e r k u h :
„Die Seidenberge sind nicht geeggt.
Die goldenen Wiesen sind nicht gemäht!"
67.
Spr. 310.
Wo liefst du hin, Sonnen tochter,
Mit der silbernen Harke?
An dem Ufer des grossen Wassers (Daugawa)
Heu zu harken
Gegenüber dem Morgenstern.
68.
Spr. 302.
Schwarze Stiere, weisse Hörner,
Sie frassen Röhricht im grossen Wasser
(Daugawa) ;
Das waren nicht schwarze Stiere,
Das waren Gottes Rösschen.
69.
Bielenstein.
Gottes Gänse, Gottes schwarze Stiere
Fressen auf das grüne Gras.
Die Gottessöhne rodeten aus den Birkenwald,
Und gingen weg nach Deutschland,
Um mit Bechern zu spielen.
Var : auf goldener Kohkle (Harfe) spielend.
82
"W. Mannhardt:
70.
Spr. 311.
Drei Tapfe, drei Nächte
War Gott, mit der Sonne in Streit.
Die Sonnentochter hat abgebrochen
Das Schwert des Gottessohnes.
71a.
Spr. 311.
Drei Tage, drei Nächte
War Gott mit der Sonne in Streit;
Die Sonne schlug (warf) den Mond
Mit einem silbernen Steinchen.
71b.
Bergmann, Lettische Sinn- und Stegreifs-
gedichte 1808, S 42.
Die Sonne zerhieb den Mond
Mit einem scharfen Schwerte.
Warum hat er dem Morgenstern
Die verlobte Braut genommen?
72.
Bielenstein.
Die Sonne zog ihre Tochter gross,
Versprach sie dem Gottessöhnchen.
Als die gross gewachsen war,
Gab sie sie nicht, sondern gab sie dem Monde.
Dem Monde sie gebend, bittet sie
Perkun zum Brautgefolge.
Es schmetterte Perkun herausreitend.
Er zerschmetterte den grünen Eich-
baura.
Es wird bespritzt der grüne Eichbaum,
Bespritzt wird Marias wollene Decke
Mit des Eichbaums Blute.
Du Perkunchen, kluger Mann,
Wo soll ich sie auswaschen?
Wasche sie, Maria, in dem Bache,
Der da hat neun Mündungen.
Du Perkunchen, kluger Mann,
Wo soll ich sie austrocknen?
Suche, Maria, ein Apfelbäumchen
Mit neun Seitenästen.
Du Perkunchen, kluger Mann,
Wo soll ich sie rollen?
Suche eine solche Lindenrolle
Mit neun Mangeln
Du Perkunchen, kluger Mann,
Wo soll ich sie verwahren?
Suche eine solche Lindenlade
Mit neun Schlössern.
Du Perkunchen, kluger Mann,
Wo soll ich sie vertragen?
Trage sie, Maria, an dem Tage,
Wo neun Sonnen scheinen.
73.
Bielenstein.
[Der Mond spricht:]
Drei Abende machte ich das Bette,
Wartete auf den anderen Schläfer (die andre
Schläferin?).
Am vierten Abend machte ich das Bettchen
nicht mehr.
Ich führte das Liebchen heim.
Die Weberin von Sternendecken.
Selbst hatte ich ein graues Rösschen,
Eine Sternendecke auf dem Rücken.
Alle Sterne zählte ich aus.
Der Morgenstern war allein nicht da;
Der Morgenstern war hingelaufen
Nach der Sonnentochter zu schauen.
Der Perkun fuhr durch den Himmel
Mit der Sonne sich zankend.
Die Sonne gehorchte nicht dem Perkun,
Sie verkaufte die Tochter dem Morgenstern.
Der Perkun that es absichtlich,
Er zerschmetterte den goldenen Eich-
baum.
Die Sonnentochter weinte bitterlich.
Die goldenen Zweige auflesend.
Alle Zweige las sie auf.
Der Wipfelzweig allein ist nicht da.
Im vierten Jahr fand sie den Wipfelzweig selber
74.
U. 451.
Mond zählt alle goldenen Sterne>
Die am Himmel nah und fern;
Alle waren hell erschienen,
Fehlte nur der Morgenstern.
Morgenstern ist fortgeritten.
Auf zur Sonne geht sein Flug;
Sonnentochter will er freien
Und der Perkun führt den Zug.
Vor dem Thor das Apfelbäumchen
Spaltet er in raschem Lauf,
Und drei Jahre weint die Sonne,
Sammelnd goldne Zweige auf.
Die lettischen Sonnenraythen.
83
75.
ü. p. 195, 16.
Monrt führt heim die Sonnentochter,
Perkun folgt dem Ilochzeitszug,
Durch die oifne Pforte sprengend,
Spaltet er die goldne Eiche.
Meinen braunen Rock bespritzet
Hoch aufspritzend Blut der Eiche,
Weinend liest die Sonnentochter
In drei Jahren auf die Aeste.
Sage mir doch, liebe Maria,
Wo ich meinen Rock soll waschen?
Wasch ihn, Knabe, in dem Bächlein
Aus, woher neun Ströme fliessen.
Da ging ich zu dem Monde,
Der Mond gab mir zur Autwort:
Bin mit dem Schwert zerhauen
Und traurig ist mein Antlitz.
Da ging ich hin zur Sonne,
Die Sonne gab zur Antwort:
Neun Tage will ich suchen.
Am zehnten auch nicht ruhen.
76.
Schi. 1. N. 2. Rh. 27.
Es nahm der Mond die Sonne
Zur Frau am ersten Frühling.
Die Sonne, die stand früh auf.
Es schied der Mond von dannen.
Sage mir doch, liebe Maria,
Wo soll trocknen meinen Rock ich?
Häng' ihn, Knabe, in den Garten,
Wo neun Rosenstöcke blühen.
Mond wandelte nun einsam,
Fasst Liebe zu dem Frühstem.
Perkun in grossem Zorne
Zerhieb ihn mit dem Schwerte
Sage mir doch, lieb Maria,
Wo soll meinen Rock ich glätten?
Glatt' ihn Knabe auf der Rolle
Welche auf neun Walzen läuft.
Was gingst du von der Sonne?
Was liebtest du den Frühstern
Zur Nachtzeit einsam wandelnd?
Das Herz ist voller Trauer.
Sage mir doch, liebe Maria,
Wo soll ich ihn aufbewahren?
Schliess', ihn Knabe, in den Kasten,
Der neun goldne Schlüssel hat.
Sage mir doch, liebe Maria,
Wann soll ich den Rock vertragen?
Trag' ihn, Knabe, an dem Tage,
Wo am Himmel glühn neun Sonnen.
78.
Schi. 4. N. 4.
Der Frühstern machte Hochzeit.
Perkuns ritt durch das Thor ein,
Zerschlug die grüne Eiche.
Es floss das Blut der Eiche,
Bespritzte meine Kleider,
Bespritzte mir mein Kränzlein.
76.
N. 3, (Rh. 81) Schi. 3.
Am Spät-Abend gestern
Ist mir ein Lamm verschwunden.
Wer wird mir helfen suchen
Mein liebes, einzigs Lämmlein?
Zum Morgensterne ging ich
Der Stern gab mir zur Antwort;
Ich muss der Sonne Morgens
Das Feuer früh anzünden.
Der Sonne Tochter weinte
Und sammelte drei Jährlein
Die abgewelkten Blättchen.
,Wo soll ich, meine Mutter,
Mir meine Kleider waschen.
Das Blut aus ihnen waschen?"
„Mein Töchterlein, mein junges.
Geh' hin zu jenem Teiche,
In den neun Bächleiu fliessen!"
Zum Abendsterne ging ich.
Der Stern gab mir zur Antwort:
Ich muss der Sonne Abends
Das Lager zubereiten.
.Wo soll ich, meine Mutter,
Mir meine Kleidchen trocknen.
Austrocknen sie im Winde?"
,Mein Töchterlein, im Garten,
In dem neun Röslein wachsen".
84
W, Mannhardt:
Wo soll ich, meine Mutter,
Die Kleiderchen dann anziehen,
Die weissgewaschnen tragen ?
„An jenem Tage, Tochter,
An dem neun Sonnen scheinen".
79.
U. p. 186, 13.
In die Kirche ging Maria,
Lud mich ein mit ihr zu gehn,
Selber trug sie gcldnen Gürtel,
Silbergürtel band sie mir um.
Sagte, als sie mich gegürtet:
„Vater hast du nicht, noch Mutter!"
Als ich diese Worte hörte,
Flossen reichlich meine Thränen.
Seiden Tüchlein gab Maria
Mir, die Thränen abzutrocknen,
Als ich sie getrocknet hatte,
Warf ich's in den Nesselbusch.
Geh'n vorbei die jungen Knaben,
Ziehen ehrfurchtsvoll die Mütze;
„Was erglänzt und blitzt so prächtig
Durch die grünen Nesselbüsche"?
's ist Maria's Seidentüchlein
Mit des Waise nmägdleins Thränen,
Und ich fragte: Lieb' Maria,
Wo soll ich das Tüchlein waschen?
Lieb Maria sagte freundlich:
In dem goldenen Bach am Thale.
Und ich fragte: Lieb' Maria,
Wo soll ich das Tüchlein trocknen?
Lieb' Maria sagte freundlich:
In dem goldnen Rosengarten.
Und ich fragte: Lieb' Maria,
Wo soll ich's dann aufbewahren?
Lieb' Maria sagte freundlich:
Schliess' es in ein golden Kästlein,
Häng' daran neun goldne Schlösslein
Mit neun goldnen Schlüsselchen.
80.
Schi. 12. N. 5. Rh. 48.
Unter'm Ahorn ist die Quelle,
Da die Gottessöbnchen
Tanzen gehen in dem Mondschein
Mit den Gottestöchtern')-
In der Quelle bei dem Ahorn
Wusch ich mir das Antlitz,
Als ii'h wusch das weisse Antlitz,
Fiel mein Ring ins Wasser.
Gottessöhne werden kommen
Mit den seidenen Netzen,
Fischen mir mein Fingerringlein
Aus des Wassers Tiefe.
Und es kam der junge Knabe
Auf dem braunen Rösslein,
Und es hat das braune Rösslein
Goldne Hufbeschläge.
„Komm hieher, mein Mädchen,
Komm hieher, du junges,
Komm, lass uns ein Wörtchen kosen,
Lass ims träumen süsse Träume,
Wo der Quell am tiefsten
Und die Lieb' am liebsten!"
„Ach, ich kann nicht, Knabe,
Kann nicht, holder Jüngling,
Schelten würde mich die Mutter,
Schelten würde sie, die Alte,
Spät kam' ich nach Hause,
Spät kam ich nach Hause."
„Sage doch, mein Mädchen,
Sage doch, du junges,
Kamen Schwäne (Entenl hergeflogen
Und die trübten mir das Wasser,
Darum musst' ich warten.
Bis es sich gekläret."
„Nicht so, meine Tochter,
Nicht so, meine junge.
Ei, du sprachst ja mit dem Knaben,
Ei, du kostest mit dem jungen
unterm grünen Ahorn
Zarte Liebes wörtchen."
1) Var.: Unterm Ahorn ist die Quelle,
Reines Wasser quillt da,
Wo der Sonne Töchter kommen
Früh das Antlitz waschen.
Die lettischen Sonnenmythen.
85
81.
Bielenstein.
Mein Mütterchen schickte mich nach Wasser
Mit zwei Kesselchen.
„Geh Mägdlein, laufe Mügdlein
Nach dem Thalqnell!"
An dem Thalquell
Heizen die Gottessöhne die Badstube,
Die Sonne brach einen goldenen Besen,
Die Mehnesnisa (Mondviertel) erzeugte durch
Giessen den Dampf.
Geh' vorsichtig Mehnesnisa,
Damit der Quast nicht ausschmelze (sich
auflöse).
Damit ich heimbringe dem Mütterchen
Doch wenigstens ein Zweigleiu,
82.
Bielenstein.
Gottchen macht eine goldene Umzäunung
Von vielen Ecken und vielen Zweigen.
Es reiten heran Gottes liebe Söhne
Mit schweisstriefeuden Rösslein.
«
Ich armes Waisenmädchen,
Mich setzen sie zur Hüterin.
Hinsetzend schärfen sie ein:
.Brich nicht ab goldene Aeste."
Ich brach ab goldene Zweige,
Lief hinab in s Thal,
Lief hinab ins Thal,
In die Badstube der lieben Maria.
Es bedeckt (versteckt) mich die liebe Maria
Mit (unter) den Quastblätterchen ;
Es sucht mich das liebe Gottchen
Mit seinen Söhnchen.
„Vergieb doch, liebes Gottchen,
Dem armen Waisenmädchen.-
,Ich werde nicht vergeben,
Warum hast du gebrochen
Goldene Zweige?
83.
Bielensteiu.
Ich säte eine schöne Rose
In den weissen Sandberg.
Sie wuchs auf lang, gross.
Bis zum Himmel hinauf.
An den Roseuzweigen stieg ich zum
Himmel hinauf.
Dort sah ich Gottes Sohn
Sein Rösschen sattelnd.
, Guten Morgen, guten Morgen Gottes Sohn
Hast du gesehen Vater und Mutter?
„Vater und Mutter sind in Deutschland,
Sie trinken der Sounentochter Hochzeit.
Die Sonne selbst bereitet die Aussteuer,
Den Rand des Fichtenwaldes ver-
goldend.
84.
Schi. 10. N. 7. Rh. 84.
„0 Zemina (Krdgöttin), Blumenspenderin
Wo pflanz ich das Roseuzweiglein?
„Pflanz" es dort aufs hohe Berglein
An dem Meere, an dem Haffe."
„0 Zemina, Blumenspenderin,
Wo denn fincl ich Vater, Mutter,
Ich Verstoss'ne, Mitleids werthe?'
„Geh dort auf das hohe Berglein
An dem Meere, an dem Haffe."
Aus dem Rosenstöcklein
Ward ein grosses Bäumlein,
Aeste trieb's bis in die Wolken.
Steigen werd' ich in die Wolken
An des Rosenstockes Zweigen.
Und ich traf den jungen Knaben
Auf dem Gottesrösslein.
„Ei du Knabe, ei du Reiter,
Sähest du nicht Vater, Mutter?'
„Du mein Mädchen, meine junge.
Geh hin in der Niedmng Gegend.
Vater, Mutter rüsten jetzo
Dort die Hochzeit deiner Schwester.
Und ich ging hin in die Niedmng:
„Guten Tag, mein lieber Vater,
Guten Tag, mein Mütterlein!
Warum habt ihr mich Verstössen
Klein schon unter fremde Leute?
Ich erwuchs zum grossen Mädchen,
Ganz allein fand ich die Wiege,
Wo ich mich als Kindchen freute."
85.
Spr. 3.
Ein glänzender Stern war am Himmel,
Er fiel in das Meer,
Drei Tage lang verdarb er das Wetter,
Bis er aus Ufer wieder kam.
86 W. Mannhardt:
86. Bruder mir und Schwesterlein
Spr. 315. "Werden dort zur Hochzeit sein.
Nicht ist der Stern die ganze Nacht,
Wo er aufging am Abend. 89.
Um Mitternacht schwankte er hinein U. 4'23.
In das Häusehen der Seelen. Sonnentochter, Sonnentochter,
Gieb den Schlüssel mir heraus!
87. Muss ja meinem einz'gen Bruder
Spr. 220. Nun das dunkle Grab erschliessen.
Regen regnete in der Sonne
Den Wellenes (Seelen) wurde die Hochzeit 90.
getrunken. Spr. 310.
Mein Brüderchen starb jung, Ei Sonne warte auf mich
Hat der genommen ein Liebchen? Was ich dir sagen werde;
Bringe meinem Mütterchen
88. Hundert Abendgrüsse
U. 422.
Regen rinnt im Sonnenschein,
Wenn sich todte Geister frein;
91) Unzweifelhaft aus /emaitischen Dainos hat in der Mitte des sechzehnten
Jahrhunderts J. Laszkowski die folgenden Angaben geschöpft, die wir bei
Lasitius de diis Samogitarum 487, meiner Ausgabe (88) 11] lesen:
Percuna tete mater est fulminis atque tonitrui: quae solem fessum ac
pulverulentum balneo excipit: deiiide lotum et nitidura postera die emittit. —
Ausca dea est radiorum solis vel occumbentis, vel supra horizontem ascendentis.
Die Uebersetzung von Percuna tete durch mater fulminis ist ungenau.
Da es sich nämlich, wie die übrigen litauischen Sätze in Lasickis Schrift
zeigen, um Worte in zemaitischer Mundart handelt, welche den Genitiv der
masculineu A-Declination nicht auf o, sondern auf a bildet (Schleicher Lit.
Gram. S. 30) so ist „Muhme des Perkunas zu verstehen. ^) Für Ausca
scheint Auszra (der Morgenstern) gelesen werden zu müssen.^)
Bei vergleichender Betrachtung springt sofort das hohe Alter der
vorstehenden Lieder in's Auge. Sie enthalten keinerlei Beziehungen auf
moderne Verhältnisse, die Erwähnung der Maria in den aus Kurland und
dem evangelischen Livland herrührenden Liedern 8. 19. 4L 72. 75. 79. 82
führt uns dreihundert Jahre in die Zeit des Katholicisraus zurück, ergiebt
sich aber alsbald als unursprÜDglicli, und zwar entweder als Interpolatitm
(vgl, 19; 41 luit 42, 48), oder als Vertauschung mit einem anderen mythischen
Wesen z. B. der Sonne, der Sonnentochter, dem Morgenstern, dem Perkuu,
der Lainia (vgl. (i mit 4; 79 mit 74. 78. 45.) Auch sonst ist einmal 35 die
Umdeutung einoi- tiiythologisclicn Figur in die gleichnamige des christlichen
Welterlösers und llinzufügung der Attribute des letzteren bemerkbar. ihr
') Ganz stiilschweigciid hat Narbutt, Mitologia Litewska, S. 49 aus Perknna tete Perkuna-
tele gemacht und eine Marya Perkunatele erlogen, und wohl dadurch verleitet, J. Grimm (Namen
des Donners, 316, kl. Sehr. II 415) eine litauische Göttin Perkunatele augesetzt.
'') Ausführlicheres in meinen Denkmälern der letto preussischeu Mythologie.
Die lettischen Sonnenmythen. 87
eigentliches Leben entfalten jedoch unsere Poesien in dem wirksamen Spiele
einer Anzahl mythischer Personifikationen, welche noch in der Periode des
reinen Heidenthums entsprossen sein müssen. Da betreten Perkun der
Donnergott als Lichtspender, die Sonne als Gottes Tochter, als Sonnen-
mutter, der Planet Venus als Sohn Gottes oder, in seiner gedoppelten
Erscheiuuug als Morgenstern und Abeudstern, als Gottessühne; die Däm-
mer uug als Sonnentochter autgefasst, die Bühne und ihre Zustände ge-
stalten sich zu Handlungen. Beweisend ist neben Perkun vornehmlich der
Name Sohn Gottes, der seit der Annahme des Ghristenthums ausschliess-
lich dem Heilande zustand und den für einen anderen Begrifi", zumal ein
Naturphänomen neu zu verwenden, für Blasphemie gelten rausste, eine heilige
Scheu, welche nur das Beharrungsvermögen uralter traditioneller Redeweise,
der ebenfalls etwas Ehrwürdiges innewohnte, zu überwinden vermochte, ist
somit der Inhalt der Lieder nachweislich der Hauptsache nach schon vor
dem Beginne des dreizehnten Jahrhunderts vorhanden gewesen, so führt die
genaue Uebereinstimmung der litauischen Lieder mit den lettischen vielleicht
auch schon hinsichtlich des Contextes der Dichtungen zu einem ähnlichen
Ergebniss. Denn, so viel wir beobachten können, war der Verkehr zwischen
Letten und Litauern seit dem Beginne der Herrschaft des deutschen Ordens
so spärlich und abgebrochen, dass wir den Austausch ihrer Geistesprodukte
in eine Periode vor derselben zu verlegen haben, in der die poetischen Er-
zeugnisse der einen lettischen Nation durch mündliche Verbreitung noch sehr
schnell Gemeingut auch der andern wurden. Einen Austausch fertiger Lieder
aber setzen die üebereiustimmuugeu voraus, 78 scheint — wie wir ausfühi-en
werden — auf lettischem Boden gewachsen, woneben andere nur eine sehr
nahe Verwandtschaft der Anschauung bekunden und z. B. auf litauischer Seite
durch gewisse auf sprachlichem Grunde ruhende Eigenheiten der Auflassung
(wie z. B. die Darstellung des Abendsternes und Morgensternes als dienende
Frauen in 4. 10. 7G) eine Zeit verrathen, in welcher in Litauen ein der
lettischen Sonnenmythologie analoger Gedankenkreis noch in lebendiger,
flüssiger Bewegung war.
Möglicherweise sind manche der uns erhaltenen Lieder Umdichtuugen
noch älterer, ganz in derselben Weise, wie die alliterirenden EddaUeder
Hamarsheiuit, Fjölsvinnsmäl, Gröugaldr, Gripisspä, Sölarljödh im vierzehnten
oder fünfzehnten Jahrhundert in gereimter Modernisirung von Norwegern zu
Dänen und Schweden und umgekehrt wanderten.^) Es scheint mir nämlich
ziemlich deutlich, dass die jetzige Gestalt unserer Lieder die erste und ur-
sprüngliche nicht sein kann. Neben den kurzen Vierzeilen, welche bei den
Letten die Kegel bilden, erscheinen noch längere und ausgetuhrtere Stücke,
denen litauische Seitenstücke entsprechen, erstere müssen somit als Ab-
') Vgl. meine Nachweise Zeitschr. f. D. Myth. IV. 4:>0 uud (^hrist. Rauch, die skand.
Balladen des Mittelalters. Beilin lö73. Progr.
33 W. Mannhardt:
kiirzungen vollständigerer Lieder erscheinen. Mehi'ere derselben haben frei-
lich kein anderes Aussehen als das einlacher poetischer Genrebildchen, wenn
aber dagegen, wie wir sehen werden, in anderen ein mythisches Wesen,
die Sonnentochter oder der Mond u. s. w. redend eingeführt wird, so setzt
dies eiuen anderen bedeuteuderen Zweck voraus, der nicht mehr aus dem
gegenwärtigen Texte erhellt, wohl aber als rudimentäre Bildung, als Ueber-
bleibsel einer älteren Gestalt unserer Lieder begreiflich würde, in welcher
diese noch Hymnen, Loblieder darstellen, der Art, dass auf die epische
Schilderung von den Thaten der Gottheit, die der Dichter der Lebendigkeit
halber zuweilen dieser selbst in den Mund legte, Worte demüthiger Be-
wunderung, oder ehrfurchtvoller Bitte folgten. Vgl. die Aufforderung in 26.
Mögen sich diese Dinge immerhin verhalten, wie sie wollen, in den mit-
getheilten Liedern, welche die Hundertzahl beinahe erreichen, ist unserem
Blick eine reiche Schatzkammer mythologischer Poesie eröffnet, deren stätiges
Thema der Auf- und Niedergang der Sonne mit den sie begleitenden Er-
scheinungen bildet. Da sehen wir das glanzvolle Tagesgestirn bald unter dem
Bilde sachlicher Dinge, bald als menschliches Wesen wahrgenommen und
diese Bilder sind mannigfaltig mit einander zu neuen combinirt oder haben
Veranlassung zu secundären Vorstellungen gegeben, welche erst verständlich
werden, wenn man ihre Ausgangspunkte kennt.
Vielleicht ist es nicht unzweckmässig, bevor wir in die Erörterung der
Einzelheiten eintreten, ein paar Schilderungen des Sonnenaufgangs und Sonnen-
untergangs aus der Feder unbefangener Naturbeobachter, wie sie uns grade
zur Hand sind, vorauszuschicken. Dieselben können dazu dienen, die ob-
jective Grundlage mancher in den Liedern enthaltener Bilder verständlich zu
machen. Zum Schluss des ganzen Aufsatzes wird ein nach dem Anfangs-
buchstaben geordnetes Vcrzeichniss die Auffindung der besprochenen Gegen-
stände dem Leser erleichtern.
Die Tageszeiten.
„Lange vorher, ehe die Strahlen der Sonne den Horizont erreichen, be-
deckt ein grauer, anfangs kaum merklicher Schimmer, von Osten
her die Erde, der Widerschein der wenigen, von den höchsten und feinsten
Schichten unserer Atmosphäre zurückgeworfenen Lichttheile; mit jedem
Augenblicke wird die Farbe der Dämmerung heller, weil das Licht
der Sonne, indem sie sich dem Horizonte nähert, von mehreren und niedrigeren
Lagen der Atmosphäre zurückgeworfen wird; die Schatten der Nacht
entfliehen, die kleinen nud endlich auch die grössten »Sterne verschwin-
den nach und nach, man erkennt alle Gegenstände in ihrer natürlichen,
wi(;wülil schwächeren Farbe, und wir geniesseu das volle Tageslicht,
ohne noch die Sonne zu sehen; bis endlich die liosenünger Aurorens
die Gipfel de)' Berge vergolden, die nahe Erscheinung der Gottheit des Tages
und des Beherrschers unseres Planetensystems verkündigen und jedes fühlende
Die lettischen Sonnenmythen. 89
Herz, selbst die Sänger des Waldes, zur Anbetung des präclitigsteu Schau-
spiels der Natur, des Aufgangs der Sonne, erwecken. In feuchten Schleier
gehüllt, erhebt sich mit stiller Majestät aus den Fluthen des Meeres die
Sonne, als hätte sie ihren blendenden Schmuck abgelegt, um ihre blödsinnigen
Kinder nach und nach an ihren Glanz zu gewöhnen; mit jedem Augenblick
ersteigt sie eine neue Stufe zu ihrem mittägigen Throji, legt einen
neuen Theil ihres königlichen Schmucks an und verbreitet Licht und
Wärme über den Erdkreis, Doch bald lenkt Helios seinen Feuerwagen zum
westlichen Horizont herab, unser Auge gewöhnt sich durch eben die unmerk-
lichen Stufen au den Verlust des Lichts und der Wärme; ein, wenngleich
nicht so prächtiges, doch rührendes Schauspiel beschliesst die Arbeiten
des Tages , die kaum noch glühende Sonnenkugel taucht sich in den
Ocean, um über andere Erdstriche ihr Füllhorn auszuschütten; die
holde Abendröthe tröstet uns über den kurzen Verlust der Sonne und ladet
uns zur Ruhe ein; bis endlich die immer schwächer werdende Däm-
merung den Schatten der Nacht weicht und eine neue mannichfaltigere
Scene, der silberne Mond, von tausend funkelnden Sternen umgeben, die
Stelle einnimmt, die wir kurz vorher nicht anzublicken wagten. Der Mensch,
die Thiere, selbst die Pflanzen haben nun eine Periode ihres Lebensalters
vollbracht; Ruhe und Stille verbreitet sich über eine Hälfte des Erdbodens,
indess auf der andern das unruhige Gewühl von neuem anfängt. Ein ähn-
licher, doch nicht ganz derselbe Kreislauf beginnt mit jedem Morgen, denn
eine grössere und wichtigere Periode unseres Lebens umschliessen die Jahres-
zeiten. (F. J. Schubert, vermischte Schriften. Bd. 3. Stuttgart und Tübin-
gen 1825.)
Der Sommermorgen auf dem Lande.
Schon entweicht der Mond mit seinem bleichen Gefolge; schon fangen
am dämmmernden Himmel die ersten Farben der Morgenröthe an
aufzuglimmen. Allmählich verlassen die falben Schatten die Ebenen
und ziehen sich tief in die Nacht der Wälder zurück, an dem Gipfel der
Berge wallen die Nebel auf und nieder und scheinen unter einander zu streiten,
wie sie vor der Ankunft der Sonne entweichen wollen. Der rasche Lauf
der Flüsse und die stille Fluth der See sind von einem Dampfe bedeckt, der
nach und nach an den angrenzenden Hügeln hinaufzieht, indessen dass hin
und her die Spitzen der Wälder und Landhäuser aus der Dunkelheit empor-
ragen, dort der lange Gürtel grauer Gebirge, die sich mit dem blauen Himmel
mischen, wieder erscheint, hier ein kühler Wind auf den schon erhellten
Bächen schwärmet und im muthwilligen S[)iel die kleinen Wellen kräuselt
und da im frischen Laube scherzend den Thau herabschüttelt. Ein sich
immer melu' aufheiterndes Purpurroth durchströmt die Wolken, und ein vor-
laufender Schimmer der herannahenden Königin des Tages spielet
auf den Häuptern der Felsen und der Hügel, welche die letzten Tropfen des
Zeitschrift für Ethnolugie, Jahrgaug 1875. <
90 !W. Mannhardt:
Thaues empfaugeu, und weckt die ganze Natur, auf .ihre prächtige Ankunft
aufmerksam zu sein. Der ganze Ost entflammt sich; der Himmel glänzt
von einem zitternden Lichte; die Stirnen der Berge glühen; über dem ge-
wölbten Walde zerfliesst eine liebliche Röthe, und weit näher
schimmern schon die Gefilde in einer goldenen Heiterkeit. Endlich erhebt
sich dort die Sonne über den Horizont herauf, ein wallendes Meer von Feuer.
Ihre Strahlen erleuchten Alles; die weite Schöpfung fühlt ihre Gegenwart.
(Chi-. K. L. Hirschfeld;.
Sonnenuntergang.
Und prangend in der Sonne Wandlung Doch, wo der Sonnengott die Zügel
Ging vor uns au des Abends Thor Am Horizont noch fahrend lenkte
In feierlich erhabner Handlung Und sich vom Kamm der fernen Hügel
Ein grosses Schauspiel schweigend vor. Sein Feuerwagen abwärts senkte,
Im Westen war wie Schwanenflaum Da wechselte die Pracht der Bilder:
Ein leicht Gewölke hingegossen, Jetzt brach wie schmelzend Erz dieGluth
Und schien an seinem äussern Saum Hindurch, jetzt war das Leuchten milder,
Von einem Flammenring umschlossen; Dann wieder dunkelroth wie Blut
Daraus erstieg die Strahlengarbe Und musste balde doch verrinnen;
Der Sonne, die sich selbst verhüllte; Als endlich auch der letzte Funken
Vom Purpur bis zur Rosenfarbe Erlosch und von den blauen Zinnen
Das Abendroth den Himmel füllte, Die Sonne scheidend war gesunken.
Und badete mit seinem Glanz Ein rother Fächer ruhig stand.
Die stille Flur, des Flusses Bogen, Der wie ein Hauch im Dunst verschwand.
Der Berge waldesgrünen Kranz,
Des Kornes sauft geschwungne Wogen, -l- Wolf Till Eulenspiegel redivivus. Detmold
Bis im Zenith zu mattem Dämmer 1874. S. 236.
Verblich die weit entrollte Fahne,
Wo tausend blasse Wolkeulämmer
Noch weideten am Hiinmelsplano.
Indem wir nunmehr in die Betrachtung der lettischen Sonnenlieder im
Einzelnen eintreten, folgen wir im Allgemeinen der Ordnung nach den
mythischen Personen, an diese jedoch schliesseu wir sofort die sachlichen
Naturbilder, welche in ihren Kreis gehören.
I. Gott.
Dass der Gott (lit. de was, deVs, lett. dews). Gottchen (lett. dewinach)
unserer Lieder, der Vater der Sonne 4, der Gottcstöchter (lit. de wo dukruzeles,
dewo dukteles 10. .SO.) und der Gottessöhne lit. dewo sunelei 80. (lett. dewa
deli), dessen Rosse vor der Hausthüre der Sonne halten, der mit Maria und der
Sonne auf gleichem Boden steht, mit letzterer auch wohl gelegentlich einmal drei
Tage lang in Hader liegt 70. 71. ein anderer sei, als der jüdisch-christliche,
dass er noch ein Naturgott ist, leuchtet ein. Indem die Lieder diese Auf-
fassung bestätigen, geben sie uns zugleich die grossartige Idee einer in der
Natur, wie im Schicksal der Menschen waltenden Persönlichkeit, welche nahe
daran ist die b'esselu der durch hei'gebrachte polytheistische Redeweise ihr
Die lettischen Sonnenmythen. 91
auferlegten BescLränkung zu duichbrecheo. Wo Gott dalierßihrt, spriesst der
.Segen in der Flur:
Spr. 301. GottcLen hat sanfte Rosse,
Wer war das, su hcrritt Sanft ist Gottes Schlittchen.
Mit rauchfarbigein Rössicin?
Der herbrachte den Bäumen Blätter Spr. 300.
Der Erde grünes Kleeheu? Leise, leise fuhr Gottcheii
Vom Bergleiu ins Thälchen,
Spr. 299. Weder Hess er erbeben die Roggenbliithe,
Sanft, sanft fuhr Gottchen Noch das Rösschen des Pflügers.
Vom Berglein zu Thale,
Mit der Schicksalsgöttin (Laiminga) zusammen naht er der Menschen weit.
Spr, 299. Es reitet Gottchen, es fährt die Laiminga,
Junge Bursche, junge Mädchen Es stolpert das Rösschen der Laiminga.
Reiniget den Wegrand,
Zu erhabenem Schwünge erhebt sich die Schilderung Spr. 300:
Ich fand auf dem Wege Durch den Zaum das Mondchen,
Ein von Gott gerittenes Rösslein, An dem Ende des Zügels
Durch den Sattel ging die Sonne auf. Wirbelte der Morgenstern.
Das ist ganz in der Bildersprache der lettischen Mythologie derselbe
Gedanke, wie in dem alttestamentlichen Jes. ii6, 1 Der Himmel ist mein
Stuhl, die Erde meine Fussbank. Spr, 801 drückt die fromme Erwartung
göttlichen Segens bei demuthvoller Bewunderung göttlicher Grösse naiver
aber kaum minder schön aus, als Göthe's bekanntes Wort vom Kusse auf
den letzten Saum des göttlichen Kleides:
Gottchen stieg aufs Rösslein, Mir gab Gottchen Land
Ich hielt das Steigbügelchen ; Für des Steigbügels Haltung.
Neben anderen göttlichen Wesen stehend, sie jedoch au umfassendem
Wirkungskreiso unendlich überragend, kann der lettische Gott von Hause
aus kaum ein anderer als der auf dem Wege zum Allgott begriffene Gott
des Himmels gewesen sein. Eine Stütze gewinnt diese Ansicht in einer
Schrift, welche zuerst um 1560 unter dem Namen „von der Bockheiligung
der Sudaner" gedruckt, nach meinen Untersuchungen wahrscheinlich der
zwischen lö26 — lf>o0 verfasste amtliche Bericht eines Geistlichen im Samlande
über den Aberglauben der nordwestlichen noch von altpreussischer Bevölkerung
besetzten Kirchspiele gewesen ist. Darin wird an der Spitze einer Reihe
daselbst noch abgöttisch verehrter Wesen Occopirmus der erste got
himels und gestirnes und weiterhin im Text Occopirmus der gott
des himmels genannt und von ihm ausgesagt, dass er (doch wohl als All-
sehender) in Gemeinschaft mit dem unter dem Holunder wohnenden Gotte
Puschkaitis dem Dieb nicht Rast und Ruhe lasse, bis er das Gestohlene
wiederbringe,') Occopirmus d. i. ucka-pirmas, valde primus-) setzt den
') lieber Puschkaitis s, des Verfassers Baumkultus S. G3. 69.
-') L'ebei- ucka, uka vgl. Nesselmauu thesaurus linguae Prussicae 194.
QQ W. Mannhardt:
Glauben an einen hoch über niedere doch wesens-ähnliche Gottheiten hervor-
ragenden Götterherrscher voraus. Der christliche Eingott ohne Seinesgleichen
konnte niemals als der erste bezeichnet werden. Im Hypatejew'schen Codex
der wolhynischen Chronik zum Jahre 1252 wird unter den Göttern, welche
der Litauerkönig Miudaugas (Mindowe) nach seiner Taufe noch heimlich
verehrte, Diveriks genannt und derselbe Name kehrt bei einer späteren
Gelegenheit als Gott der die Stadt Woswägl zerstörenden Litauer wieder.^)
Diveriks kann kaum etwas anderes sein als Dewu-riks (spr. djewuriks)
Götterherr. Riks, rikys Herr fehlt zwar im heutigen Sprachschatz der Litauer,
ist aber aus dem Denominativuni rikauti (vgl. weszpatauti herrschen von
weszpats, karaliauti König sein von karalius König, sawalninkaut, willkürlich
schalten von sawalninkas Tyrann) und aus dem altpreussischen rikys, rikeis
Herr (vgl. buttarikiaus Hausherren) mit Sicherkeit zu erschliessen'^). Hienach
bleibt es es wohl kaum zweifelhaft, dass schon zur Zeit des Heideuthums
selber der Gott des lichten Himmels lit. Dewas, lett. Dews x«/ ^4'>yJi^' —
genannt wurde. Die anderen Götter mögen daneben ständig als Götterchen
gekennzeichnet sein, wie denn Perkunas der Donner in mehreren litauischen
Redensarten von mythischem Gehalt dewaitis genannt ist; als Glosse findet
sich in einer der ältesten Handschriften des Sudauerbüchleins deiwoty für
die preussischen Gottheiten überliefert.
H. Die Sonne.
a. Frau Sonne. Die Sonne wird einmal als ein anthropomorphisches
Wesen, sodann daneben vielfach unter irgend einem sachlichen Bilde (Apfel,
Boot U.S.W.) aufgefasst. Als erst eres heisst die Sonne (lit. Säule, Sauluze, Saulyte
lett. Säule) Gottes Tochter lit. Dewo dukte, dewo dukryte; von ihr müssen
als ihre Töchter die Gottestöchter lit. dewo dukteles, dewo dukruzeles
oder Sonnentöchter Saules dukrytes geschieden werden. Sie heisst 43 auch
Sonnenmutter Saules mute, schwerlich jedoch als Mutter der Sonnen-
tochter, sondern eher in demselben Sinne, in welchem sonst bei den Letten
von einer jüpas mute Meeresmutter, Semmes mäte Erdmutter, Ugguns mute
Feuermutter, Meschamute W'aldmutter, Drusamute Gartenmutter u. s. w., bei
Esten von der Tuule ema VVindesmutter, Marum emme Sturmesmutter, Wete
ema Wassermutter, Uduema Nebelmutter, Muroema Rasenmutter^), in deut-
') Sjögren Wohnsitze der Jatwäjren (S. 204 (44) Anni. 138. 212 {b2) Anm. 160.
'') Wenn der K-I.uut dieser Worte auf Kntlelinung aus dem tieimanischen schliessen lässt,
so muss dieselbe schon in selir früher Zeit vor sich gegangen sein, da das Substantiv Heikeis,
reiks alts. riki Herr, Fürst aiicii in den ältesten deutschen Dialekten nur in Eigennamen noch
vorkommt, vgl. Thiuda-reiks, Airmanareiks; audererseits die offenbar in heidnische Zeit zurück-
rc'ichentle Benennung altpreussischer Gutsherren „reges, reguli, viri regii" als wahrscheinliche
IJebersetzung von rikyai letzteres Wort als vor der Ankunft der Ordensritter beim lettischen
Stamme eingebürgert erkennen lässt.
^) Vgl. liiM ler-Kreutzwald, iler Esten abergl. «.iebräuche S. I4ü. Blumberg, ^ueilen uud
Kt-alieu im Kalewipoeg 8. 20.
Die lettischen Sonnenmythen. 93
schem Volksglauben von der Watermoder, Roggenmoder, Holundermutter, im
skandinavischen von der Hyllemoer (Holundermutter) Eldsmore (Feuermutter) ' )
die Rede ist. Mutter bedeutet in diesen Fällen eine in den betreffenden
Elementen oder Beschäftigungen waltende mütterliche Gottheit, die der Er-
scheinung innewohnende, dieselbe producirende geistige Macht.
In einem serbischen Liede, in welchem ein Mädchen trotzig prahlt, sie
sei doch schöner als die Sonne, als Mond ihr Bruder und der Stern (swesde)
ihre Schwester, tröstet Gott die helle Sonne (Sunce), und nennt sie der
litauischen Auffassung entsprechend sein liebes Kind (cedo). Vuk I, 416
Talvj, Volkslieder der Serben Aufl. 2. II. 405. Vgl. Myth.'O 66t!-
b. Die Sonnenrosse. Die Bewegung der Sonne war als eine Fahrt
Berg auf, Berg ab gedacht. Mit zwei nimmermüden Rossen vollendet
sie die Fahrt 18, gradeso wie in altnorwegischer Mythe die beiden Hengste
Arvakr (frühwach) und Alsvidr (allwissend) den Wagen der S61 ziehen
(Grimnism. 37). So legt auch der nimmermüde {cr/.äuac) Helios täglich auf
dem Sonnen wagen seine Bahn mit seinem Gespann zurück, dessen Rosse
der Korinther Eumelos (bei Hygin fab. 183) Eons, Aethiops, Sterope, Bronte
nennt. In den Veden sind an den Wagen der Sonnengöttin Suryä zwei,
sieben oder zehn Rosse geschirrt, welche haritas d. h. die falben, glänzenden,
rohitas d. h. die röthlichen oder arushis, die rothen genannt werden. ^) Daneben
ist von einem Rosse Etaf;a die Rede, welches das Rad der Sonne trägt.*)
Vom eranischen Sonnengotte Mithra heisst es, dass er auf goldenem Wagen
fahre. „An diesem Wagen ziehen vier weisse Renner von gleicher Farbe
Geistesspeise essend, ohne Krankheit, ihre Vorderhufen sind mit Gold be-
schlagen, die hinteren mit Silber, alle sind sie angespannt an die Deichsel,
die nach oben gekrümmte, die gebunden ist mit gespaltenen, wohlgemachten,
dicken Klammern von Metall." ■')
In den Veden lässt sich noch deutlich beobachten, wie die Fahrt der
Sonne mit Rossen aus verschiedenen bildlichen Anlässen allmählich entstand.
Häufig heisst noch die Sonne selbst einlach der Renner, der hurtige Wett-
läufer, das Ross. Es ist klar, dass die Metapher hier wie in Hellas und bei
den Germanen vom Vergleiche der Bewegung, des Laufes der Sonne ihren
') Aus der auf der Universiüits-ßibliothek zu Christiaiiia aufbewahrten umfangreichen und
ausgezeichneten Sammlung norwegischer Volksüberlieferuugen, welche der im J. 1872 zu früh
verstorbene Volksschullehrer J. Th. Storaker zu Sügne im Distrikt Mandal Stift Christiansand
hinterlassen hat, entnehme ich die folgende interessante Mittheilung. Naar en hvinende Lyd
höres fra Ilden i Kakkelovnen eller paa Skorsteen siger man, at Eldsmoren (som forklares med
Ildens moder; tugter sine Born: „naa dängje Eldsmor Baannan seine, hoir, kosse dei skrige.'"
(Bjelland Finsland). Vgl. die estnische Feuermutter Tule-ema. Boeder a. a. 0. 33—35.
*) Hom. Hymu. in Merc. 69. hymn. in Cer. 88. Vgl. das Gespann der Eos Od. 23, 244.
Preller Griech. Myth. I. Aufl. 3 hrsg. v. Plew S. 350.
2; M. Müller Oxford essays 1856 p. 81—83.
*) A. Kuhn, Herabkunft des Feuers und des Göttertranks S. 55. 62. 64.
*) Windischmauu Mithra. Leipz. 1857. S. 15. XXXI. 124 125.
94 W. Mannhardt:
Ausgang nahmen. Die anderweitige Auffassung der Sonne als anthropopathisches
Wesen führte einerseits dahin, von einer Verwandlung der Sonne in ein
Pferd zu reden. Ein Lied des Dirghotamas R. V. I. 163, 2. preist die Vasus,
dass sie aus der Sonne ein Ross, den aus den Wassern (dem Luftmeer)
aufsteigenden, mit den Schenkeln des Hirsches, den Flügeln des Falken be-
gabten Arvan (d. h. der lichte) gemacht haben'), andererseits ergänzte sich
die Auffassung der Sonne als Rad -) zur Vorstellung eines ganzen Wagens.
Mit Hilfe dieses Bildes oder auch unabhängig davon unter Begünstigung ge-
wisser sprachlicher Einflüsse ward aus der Sonne, dem Rosse, bei weiterem
Wachsthum des Gedankenkreises die mit mehreren Rossen fahrende Gottheit ^).
Auf der zuletzt genannten Entwicklungsstufe sucht die An-
schauung natürlich die Rosse in den glänzenden Sonnenstrahlen.
Mit dem Unterschiede, dass ich die Harits (die Falben, Glänzenden) für kein
primäres, sondern nur für ein sekundäres Bild halten kann, darf ich hier den
Ausspruch Max Müllers anführen: Wenn der Vedadichter sagt: die Sonne
hat die Harits zu ihrem Laufe angejocht, so bedeutete ein solcher Ausspruch
weiter nichts als das, was jedes Auge deutlich sehen kann, nämlich dass die
hellen Lichtstrahlen, welche während der Dämmerung vor Sonnenaufgang
beobachtet wurden, sich im Osten sammelten, indem sie sich am Himmel
gleichsam emporbäumten und nach allen Richtungen hin mit Blitzesschnellig-
keit hervorsprangen und dass sie dann das Licht der Sonne emporzogen, so
wie Rosse den Wagen des Kriegers."*) Es waren mancherlei Variationen
der einmal begründeten Vorstellung möglich. So konnte man die Sonne selbst
noch für ein Ross, die Sonnenstrahlen für dessen Mähne oder Füsse (vgl.
den nordischen Skinfaxi), den Sonnenball für sein Haupt ansehen. So wird
in der That im Veda die Sonne mehrfach auch als Rosshaupt gedacht. ^)
Diese Vorstellungen lassen sich auch auf europäischem Boden noch
weiter verfolgen, und zwar finden wir die verschiedene Helligkeit oder Fär-
bung der Sonnenstrahlen an den verschiedenen Tageszeiten und in den ver-
schiedenen Jahreszeiten mehrfach in verschiedener Farbe der Sonnenrosse
reflectirt. Sehr instructiv ist das russische Volksmärchen von der Wasilissa.
Die Heldin sieht auf dem Wege zur alten Hexe Yaga plötzlich im Walde
einen weissen Reiter auftauchen, er ist weissgekleidet, sein Ross unter ihm
weiss und das Geschirr weiss. Und der Tag beginnt zu dämmern. Nach
einem Weilchen springt ein zweiter Reiter hervor roth, in rothem Gewände,
auf rothem Rosse. In diesem Augenblicke ging die Sonne auf. Weiter gehend
gelangt sie gegen Abend am Hause der Alten an. Da sprengt ein dritter
') Roth Zeitschr. der rnorfrciil. Gesellsch. II. 1848 S. 22:^. Kuhn Zeitschr. f. vgl. Sprachf.
1851 1. f)29.
^ Vgl. Kuhn, IlcrabkiiufL des Feuers um! des (jötlertranks S. 53 ff.
ä) M. Müller, Essays. Lpzg. 18«9 II. S. 118 ff.
*) M. Müller, Vorlesungen über Wissenschaft der Sprache II. 34 ff.
^) Kuhu, Zeitschr. f. vgl. Sprachf. IV. 119.
Die lettischen Sonnenmythen. 95
Reiter vorbei, ganz schwarz, auf schwarzem Rosse, und schwarz gekleidet;
er verschwindet wie wenn er in die Erde gesunken wäre. Zugleich sank die
Nacht herab. Als später Wasilissa die Hexe nach den drei Reitern fragte,
antwortete diese: Der weisse Reiter das war mein leuchtender Tag, der rothe
mein rother Sounenjungo (meine rothe Sonne), der dritte meine schwarze
Nacht'). Die Chorutanier hegen von der Sonne die Vorstellung als von
einem jugendlichen Krieger auf einem von zwei weissen Rossen gezogenen
Wagen, der mit zwei weissen Segeln geschmückt ist, welche Wind und Regen
hervorbringen.-) Die Serben reden vom goldenen Wagen und den weissen
Pferden der Sonne. Nach einer polnischen Erzählung fährt die Sonne auf
zweirädrigem Wagen und (der Zahl der Monate entsprechend) mit zwölf gold-
grauen Pferden. 3) Eine slowenische Ueberlieferung lässt die Sonne im Osten
in einem goldenen Schlosse wohnen; am Johannistage fährt sie aus mit
drei Rossen, einem silbernen, einem goldenen, einem diamantenen.'*) Nach
russischem Volksglauben kleidet sich die Sonne im Monat Dezember in fest-
liches Gewand (Sarafan) und Kopfputz (Kokoschnik) und reist ab in warme
Gegenden; am Johannistage fährt sie, von einem silbernen, einem goldenen
und einem diamantenen Rosse gezogen, aus ihrer Kammer heraus, ihrem
Verlobten, dem Monde, entgegen. Auf ihrem Wege tanzt sie und sprüht
Feuerstrahlen.'*) Afanasieff fügt hinzu, dass bei den Litauern derselbe
Glauben sich wiederfinde, wir vermuthen in einer Daina. ^) Genau ent-
sprechend wird in den zur Wintersonnenwende gesungenenen schwedischen
Steffanshedern Steffan d. h. der personifizirte 2(i. Dezember ein Stallknecht
genannt, welcher bei Sternenschein fünf Rosse, zwei weisse, zwei rothe, ein
apfelgraues besorgte und mit Sonnenaufgang zur Quelle ritt, beziehungsweise
dem Laufe der Sonne folgend, Schwedens Provinzen durchritt.') In einem slo-
wakischen Märchen, dessen Verlauf in mythischer Umhüllung den Wechsel von
Sommerund Winter schildert, besitzt ein König ein Pferd, das eine Sonne im
Kopf hat, welche nach allen Seiten Strahlen verbreitet, und das von Hause aus
dunkle Land mit einem tageshellen Lichte erfüllt, hinter ihm ist schwarze Nacht. *)
Dieses mythische Thier kehrt wieder in dem siebenbirgischen Märchen bei
Haltrich n. 20. Der Schlangenkönig besitzt das weisse, achtfüssige
„Sonnenross", das aus seinem einen Nasenloch Frost, aus dem
') Afanasieff Skazki IV. 44. Vgl. Ralston Folkstales 150 ff. Gubernatis zoological Myth.
I. 298.
■'') Afanasieff poetische Naturanschauungen der Russen, L 605.
^ Afanasieff a. a. 0.
*) Afanasieff a. a. 0. I. 198.
*) Sacharoff II. 09. Tereschtschenko V. 75 bei Afanasieff I. 76.
6) Afanasieff a. a. 0. Sohn des Vaterlandes (niss.) 1839 X. 126. Hieuach ist eine kleine
Ungenauigkeit bei Ralston songs of the Russian people 242 zu berichtigen.
^) Vgl. des Verfassers Baumkultus S. 403.
*) W^enzig, westslav. Märchenschatz 182—190.
96 W. Mannhardt:
andern Hitze schnaubt, schneller läuft als der Morgenwind und
von einer Bergspitze zur andern springt. Setzt man ihm in dun-
kelster Nacht den Karfunkelstein des Schlangenkönigs an die Stirn, so ist
vor ihm immer Tag.') Hier ist deutlich unter dem Rosse der Complex der
der Sonnnenstrahlen, unter dem Karfunkelstein auf seiner Stirn der Sonnen-
ball zu verstehen. In der russischen Erzählung vom Helden Joruslan reitet
der König Feuerschild (cf. Glypeus Phoebi), der unverbrennbar ist, einen
Feuerspeer führt und Flammen von sich ausstrahlt, die seine Feinde verzehren,
jenseits des stillen Wassers auch auf achtfüssigem Rosse.-) Wer erinnerte
sich nicht bei diesen Traditionen des achtfüssigen Sleipnir, den das Ross des
Winterriesen, Suadilfari (Eisführer), zu Sommeranfang mit Loki zeugt. Ohne
das Märchen für einen Odhinmythus zu erklären, dürfen wir ernstlich zur
Frage stellen, ob nicht in der That in dem Sonnenrosse 3) ein Seitenstück
zu Sleipnir^) zu erkennen sei, der Odhinn als dem zum Himmelsgott, Allvater
gediehenen Götterherrscher beigelegt wurde in demselben Sinne, in welchem
die Sonne als sein bei Mimir zu Pfand gesetztes Auge betrachtet ist. Wäre
das richtig, so gliche sich Sleipnir auf das nächste jenem Rosse des lettischen
Dews, durch dessen Sattel die Sonne aufgeht.
Mit diesen Bemerkungen sind wir — so scheint es — vollkommen aus-
gerüstet, um die Aussagen der lettischen Lieder von den Sonnenrossen nach
jeder Richtung hin zu verstehen. Dieselben kennen die Sonnenstrahlen so-
wohl als Wagenpferde, wie als Reiter. Letztere haben wir in den hundert
braunen Rösschen (vgl. die haritas o. S. *j3) welche die Sonne am
Abend besattelt 44, zu erkennen. Erstere Anschauung lebt in den zwei
goldenen, unermüdlichen (ygV'HXiog axa^tac), nimmer schwitzenden
Rossen, mit welchen die Sonne 18 den Kieselberg d. h. das Steingewölbe
emporfährt. In dem grossartigen Bilde des Liedes 20 ist diese Anschauung noch
weiter ins Einzelne durchgebildet. Die Sonnenstrahlen sind zugleich die im
Meere trinkenden Rosse und die Zügel, welche die in der Mitte des Berges,
d. h. des Himmelsgewölbes thronende Sonnenfrau in der Hand hält.^) In
einem anmutliigen Liedchen spielt ein Bursche seinem Mädchen gegenüber
auf das Gefährt der Sonne an:
U. 335.
Silberzügel flocht ich mir Fahren kaun mein Liebchen nun
Und beschlug mein Ross mit Golde, Wie die liebe Sonne glänzend.
') Mit diesem Rosse erbeutet ein junger Held auf Hefchl eines Königs, dem er dient, drei
Kleinode, die goldene Sau mit den goldenen Ferkeln, die Königstochter jenseits des Meeres mit
den goldenen Zöpfen, den auf unterseeischer Wiese weidenden Fohlenhengst mit seinen Stuten.
^) Afanasieir poet. Naturansch. I. 21(i.
3) Vgl. W. Schuster Wodan, nermaiistadt 185G S. 20. Eine Variante Haltrich N. 10 S. 45
„das Zauberross" kennt gleichfalls das achtfüssigc Ross, N. 7. S. 31 „der goldene Vogel" ein
sechsfüssiges.
*) Beiläufig mache ich auf das achtfüssige Ross auf mehreren bei Stephens abgebildeten
gothländischen Runensteinen aufmerksam, worin Sleipnir schwerlich zu verkennen ist.
'•>} Vgl. den Beinamen der Sonne an^uhasta mit Strahlen in den Händen. Zs. f. vgl. Spr. VII. 89.
Die lettischen Ronnenmythen. 97
c. Der Himmelsherg. Der Berg, auf dem die Sorrae thront (20)
oder steht (4J), (wie |35] der Gottessohn), den ihre Rosse hinanstreben (18),
ist die scheinbare Wölbung des Himmels, die wir auch in germanischen
Ueberlieferuugen als Berg, Glasberg aufgefasst finden, z. B. in dem norwe-
gischen Käthsel für den Wind:
Es steht ein Hund auf dem Glasberg
Und bellt ins Meer hinaus').
Die Aulfassung des Himmels als Glasberg entspricht der althebräischen als
grosser Hohlspiegel (Hiob H7, 18); während die den altjüdischen Schriftstellern,
den ältesten Griechen und den asiatischen Ariern gewöhnlichere uralte Vor-
stellung als festes ehernes oder steinernes Ge\sölbe'''), sich hei unsem Letten
als Kieselberg (18) wiederholt. Der nämliche Berg lieisst (22) silbern
von seiner grauglänzenden Farbe bei gewisser Beleuchtung und (7) Berg
der Sonnenblumen, weil an ihm die Sonne als Blume (Rose) gedacht blüht.
An ihm und aus ihm wächst (83. 84) immer höher steigend der Rosenbaum
d. h. die Sonne mit ihren Strahlen empor, im Liede aber wird er zum „weissen
Sandberg", zum „hohen Berg am Meere". Der goldige Sonnenschein macht
ihn (t)5) zum goldenen, der matte Glanz der ersten Frühe (66; zum „seidenen".
Ist die Sonne nicht mehr am Himmel sichtbar, so weilt sie „hinter dem
Berge"; da liegt der Hof, wo sie Nachtruhe hält (19), dort sind während
der Nacht an der Eiche der Gürtel des Abend- und Morgensternes und die
Strahleukrone der Sonnentochter (des Frühlichts) aufgehangen (55). Jenseits
des Berges und des Meeres wärmt endlich die Sonne Nachts die Waisen-
kinder (3). Man kann zweifelhaft sein, ob 4 mit Recht, oder nur aus Miss-
verstand die Sonne jenseits der Berge statt hinter dem Berge weilen lässt,
mit andern Worten ob ein wirklicher Berg, oder der Himmelsberg gemeint
war. Ich glaube, dass in unseren Liedern letzterer gemeint sei, da auch das
gewärmte Waisenkind — wie wir sehen werden — vermuthlich ein mythisches
Wesen ist.
d. Der Himmelssee, Brunnen, Bach. Die Auffassung des Himmels-
gewölbes als Berg wechselt mit derjenigen als See, die wohl jedem Schiller-
leser aus dem Räthsel vom Regenbogen geläufig ist:
Von Perleu baut sich eine Brücke
Hoch über einen grauen See.*)
') J. Aasen, Proever af landsmaalet i Norge 37. üeber die Auffassung des Windes als
Hund vgl. des Verfassers german. Mythen 217. 218. 321, Desselben Roggenwolf Aufl. 2 S. 3 ff.
Vgl. das Kinderlied aus Meurs (Germ, ilyth 4-'5):
Heijo! wären wir do Wo dat sönueken den berg herop geit,
Wo de engelsches sengen, Wo dat klokschen tien ure sleit.
Wo de schellekes klengen, d. h. im Himmel.
') Vgl. Od. III. 1. fifiio; i''fyi'r,()ovat kiTKDi' nttjiy.aXlfcc Xiuyi]r,ovQavoy f'; no).i'/nXxür. —
Zu .-^kmon als Vater des Uranos vgl. zend at^man skr. ä^man Stein als Bezeichnung des Him-
mels. Zeitschr. f. vgl. Spracht. II. 45.
*) Vgl. des Verfassers Götter der deutschen und uord. Völker S. S8.
98 W. Mannhardt:
Im Veda dienen bekanntlich die Wörter für Meer samudra, arna, sagara zur
Bezeichnimg des Luft- und Wolkenmeers.') Mit seinen goldenen Schiffen
(doch wohl Strahlen) segelt Pushan, ein Sonnengott, als Bote des Surya
(Helios) über den Himmelsocean,-) So führt die Sonne in unserem Liede (24),
um den Nebel zu löschen, über den silbernen See. Dieser See ist das
Meer, in welchem (nach 20) die Sonne ihre Rösslein (die Sonnenstrahlen)
badet. In ihm (oder dem wirklichen Meer?) versinkt Abends das Boot der
Sonne (32), ertrinkt die Sonuentochter (39. 84. 3ä). Mitten in diesem Meere
werfen die Gottessöhne eine Insel auf (56), zünden sie zwei Lichter (sich
selbst) an (52. 53). Auf dem Eichbaum 'am See hängt die Sonnentochter
Abends ihr Krönchen auf (55). Man vergleiche, um jeden Zweifel zu heben,
ob etwa nicht doch das irdische Meer gemeint sei, das lettische Uäthsel:
Ein Bruder und eine Schwester gehen alle Tage durch den See. (Aufl. Mond
und Sonne). Wie in den Veden die Atmosphäre als Reservoir der Feuchtig-
keit, des Regens, auch utsa Brunnen heisst, wird an Stelle des Sees das
Luftmeer auch in unseren Liedern zuweilen Quell (Bach, Teich) in der
Schilderung des Sonnenuntergangs oder Sonnenaufgangs Quell im Thale ge-
nannt (81, 79); darin wäscht sich die Sonnentochter (63), dabei tanzt sie mit
den Gottessöhnen, wobei ihr Ring ins Wasser fällt (80); darin wird die vom
Blute des Eichbaums bespritzte Decke gewaschen (70. 78. 75. 72). Dazu
vergleiche man die beiden lettischen Räthsel: Ein Käschen im Grunde des
Brunnens (Aufl. der Mond). Ein Butterstück im Brunnen (Aufl. der
Mond).
Dieselbe Auffassung der Atmosphäre als Quell oder Brunnen tritt auch
in deutschen Sonnenliedern hervor. Der Herrgottskäfer, Frauenkäfer (Sunne-
schinken, auch Sunneküken, Sunnenkalf, Sonnenkuh, Sunnwendkäfer, böhm.
slunicko russ. solnysko, Sonnchen genannt^), mithin wohl als verkleinertes
Abbild der Sonne gedacht wird bei Skandinaviern, Deutschen, Slaven an-
gerufen in den hohen Himmel hinaufzufliegen und von dort Sonnenschein
herabzubringen, die Sonne scheinen zu lassen.*) Dieses Lied lautet in Unter-
östreich :
Frauenkäferl flieg' iu'n Brunn,
Bring uns muaring a schöne Sunn.
Dabei liält man das Thierchen über einen Brunnen; wenn es hinein fällt,
erwartet man schönes Wetter."') Dieser letztere Brauch ist aber Nachbildung
eines himmlischen Vorgangs; denn in Pressburg singen die Kinder beim
Regen :
') Eubn, Zeitschr. f. vgl. Sprach!'. I. 455.
^) Muir, original Sanscrit texts V. 157. 179.
•') Vgl. des Verfassers Gernian. Mythen 243 ff.
♦) Germ. Myth. '-MS— 251. Zeitschr. f. D. Myth. IV. .-52«.
•^) Varianten aus Baiern und andern Ostreich. Gegenden. Genn. Myth. 254. Vgl. C. M. Blaas,
in Pfeiffers (Bartsch) Germania Jahrg. XIX n. E. S. 71.
Die lettischen Sonnenmythen. 99
Liabi Frau machs Thiirl :iuf, D' Engarln sit/en bin terra Brunn,
Läss die liebi Sunn herauf, Warten auf die liabi Sunn
Läss in Regn drina, (Var.: bitten um a warme Sunn).
Läss in Schm* \crl>riiKi.
Kommt dann die Sonne hervor, so fällt der tanzende Kreis nieder und singt:
Sunn, sunn kummt
D' Engarln fall'n in'n Brunn.
Die Mutter Gottes soll den Regen und Schnee hinter der Himmelsthür zurück-
halten, die liebe Sonne herauslassen, das letztere geschieht, wann die Eiigel
(die Lichtalten) in den Brunnen fallen, den blauen Himmel mit ihrem
Glänze erfüllen (Vidblainn).') Hiezu stellen sich noch die beiden mährischen
Räthsel von der Sonne. „Es fällt vs^as in den Brunnen und plumpt nicht."
„Ein Stückchen Gold fällt in den Urunnen (ins Wasser) und zehn Pferde
ziehen es nicht heraus.")
Es ist nun deutlich, wie nach skandinavischer Mythe Odins Auge, die
Sonne, in Mimirs Brunnen zu Pfände liegen kann.
Parallel der Bezeichnung des Luftmeers als Meer, See, Bach, Brunnen,
tritt in unsern lettischen Liedern häufig Daugawa als Name der Atmosphäre
auf. Unter Daugawa versteht der Lette heutzutage die Düna, wörtlich aber
heisst dieses Wort „das viele (grosse) Wasser", ein Ausdruck, der dem
Sinne nach zu jenem vedischen sam-udra Ge-wässer, Ocean (von sam = a/m,
o^iög und udra = gr. xÖloq) stimmt, und in der That nach dem Zusammenhang
der Lieder und der erkennbaren Absicht ihrer Dichter den Luftocean bedeutet
haben muss. Die Sonne reicht ihre Finger, die Strahlen, über die Daugawa
(23); wenn der Himmel bei Sonnenaufgang, oder bei Sonnenuntergang sich
röthet, schmiedet der Schmied im Himmel und Kohlen fallen in die Daugawa
und auf die sich röthende Wolkendecke des Firmamentes (06. 37). Am Rande
der Daugawa kräht Frühmorgens der goldene Hahn, der die Sonnentochter
weckt ((54); ihr Ufer, zu dem Frühmorgens die Sonnentochter hineilt, liegt
gegenüber dem Morgenstern (67). In der Daugawa fressen die schwarzen
Stiere (die verschwindenden Schatten der Nacht) das Röhricht (68)
e. Die Sonne tanzt. Auf dem Berge tanzt die Sonne, mit silbernen
Schuhen an den Füssen (^tl). Dieser Tanz ist das Spiel der Sonnenstrahlen,
welche den Boden zu berühren scheinen. Wir sahen o. S. 95 den nämlichen
Tanz der Sonne auch in einer russischen Ueberlieferung. Eine merkwürdige
Uebereinstirannmg gewährt der griechische Mythus, der dort, von wo die
Sonne aufgeht, von Tanzplätzen der Morgeuröthe spricht: Od. XH. 4:
o&L x 'Hovg rQiyeveirig
nixicc xnl xoqoI eloi xal ccPTolcd He?üoio.
Das ist nicht zufällig, denn auch der Veda weist dieselbe Anschauung auf;
die Morgenröthe, Ushas, wird darin mehrfach mit einer schön geschmückten
>) Germ. Myth. 375 ff. ogl. 322 ff.) 379. 423.
^) Zeitschr. f. D. Myth. IV 374, 38. 30. Germ. Myth, 545—547,
100 W. Mannhardt:
tanzenden Jungfrau verglichen. Muir Orig. Sanscr. texts V. 185. 194. Vgl.
L. Pyrker (bei W. Schwartz, Sonne Mond und Sterne 132):
Denn jetzt aus den Flutheu Auffleugt sie, ilie Soune,
Der rosigen Gluthen Wie schwebend im Tanz.
f. Die Goldhand der Sonne. Ein anderes Bild der Sonnenstrahlen
sind die Finger, lieber das grosse Wasser reicht die Sonne ihre Hand
(23). Ebenso reicht die Sonnentochter dem Gottessohn die Hand über die
Daugawa. In derselben Art heisst der indische Sonnengott goldhandig, schön-
haudig, breithandig; streckt segnend seine starken goldigen Arme aus^) und
dasselbe Bild liegt augenscheinlich der Einarmigkeit des Tyr in der Edda
zu Grunde, d. h. dessen älterer Vorgänger, der Hiramelsgott Tius wird die
Sonnenstrahlen als Hand ausgestreckt haben, die der Wolf (die Nacht, oder
der verdunkelnde Gewittersturm) in den Rachen schlang.
g. Goldquasten, Silbersaum. Zugleich aber gelten die Strahlen
als Goldquasten und silberne Säume (28). Nach 21 ist das grüne Röck-
chen der Sonnentochter (Dämmerung) mit Thau gefeuchtet, d. h. der grüne
Saum ihres Gewandes, Wald und Wiese. So heissen auch im Veda die
Rosse der Sonne und der Morgenröthe (die haritas) „im Thau gebadet",
„mit schönen Fussstapfen" (vgl. in 22 die silbernen Schuhe der Sonne).
h. Silber. Silbern heisst der Sonne Saum (23), wie in 22 von den
silbernen Schuhen, mit denen die Sonne auf silbernem Berge tanzt, und
in 24 von dem silbernen See, über den sie fährt, die Rede ist. So streut
sie (42) .silberne Gaben aus ihrer Lade, so sät sie (26) Silber aus, und
Silberstücke fallen (37) in die Daugawa. Ja zuweilen heisst der Sonnenball
selbst ein silberner Apfel (2.S), ein silbernes Boot (32). Zu vergleichen steht
die merkwürdige Thatsache, dass die epischen Runen der Finnen fast durch-
stehend den Mond goldig, die Sonne silbern nennen.
i. Aussaat. Das Flimmern der ersten oder letzten morgendlichen oder
abendlichen Lichtstrahlen der Sonne muss auch als eine Aussaat betrachtet
sein (26). Vgl. Tegner (ausgew. Werke hrsg. v. Lobedanz. Lpzg. 1867 S. 240
bei Schwartz S. M. St. 26), der die Sonne anredet:
0 du himmlische Maid
Woher kommst du so weit?
Sag' mir, gabst du Rath,
Als des Ewigen Macht
In der dunkeln Nacht
Säte flammende Saat?
Warum aber streut die Sonne ihre Saat ins baumstumpfreiche Rodeland?
Aus 72 geht hervor, dass (bei Sonnenuntergang? bei Sonnenaufgang?) Perkun
einen Baum zerschmettert. Dieselbe Bedeutung scheint das Abhauen oder
Zerschmettern des Birkenwaldes zu haben, dessen Stümpfe die Gottessöhne
') Muir, Original Sanscrit texts V. ]b2. HIO. UJ6. 167. M. Müller, Vorlesungen über
Wissensch. d. Spr. iL '6üb 357
Die lettischen .Sonnenmythen. 101
ausroden, indem sie mit dem eintönigen Grau der abendlichen Dämmerung
oder dem weissliclien Lichte des Morgens die letzten Strahlen der unter-
gehenden, oder die ersten der aufgehenden Sonne auslöschen (vgl. darüber
ausführlicher weitet' unten). In den auf diese Weise auszurodenden Abend-
himniel oder Mor^euliiniinel streut, ergiesst die Sonne ihr Licht.
k. Sonne Triukgeläss. Das Sonnenlicht wird als etwas Fliessendes,
Triefendes, als ein himmlischer Trank augesehen'). Vgl.
Die Sonne übertluthet Berg und Thal Ja dir entquillet jedes Leben,
Uli Glanzf^ewog aus iiner»chöpftem Home. 0 Licht, dich preist des Himmels Thor
(Rückert). — — — — — — ^_^-_
Bis hinaus zum fernsten Ball Die Lämmerheerd am bunten Hügel
— - — ____. — — — _ Trinkt ruhend deinen milden Strahl.
Aus allen Höhen, zu allen Tiefen (Krummacher).
Seh' ich die Strahlen des Lichtes triefen. Sonne lächle der Erd und giess aus strah-
(Rückert). lender Urne
Zerflossener Sterne Glauzmeer ist die Luft, Leben auf die Natur, du hast die Fülle des
Wo Sonne steigt aus Purpurwellenschosse. Lebens.
(Rückert). (Stolberg).
Largus liquidi fous luminis, aetherius sol. Lucrez V. 282, Ganz dieselbe
Anschauung enthalten rumänische W'eilmachtslieder, deren eines beginnt:
Droben, wo am, Himmelsthor
Quillt der Souneuborn hervor.')
Es ist nun wohl verständlich, dass die goldene Kanne, welche nach
unsern Liedern (39. 40) von der Sonnentochter gewaschen, in das Luftmeer
untergetaucht wird, und mit der Ertrinkenden versinkt, die Sonnenscheibe
sein mu8s. Als Mittelglied muss eine kreisrunde Schale als Spenderin des
himmlischen Tianke.s gegolten haben, ein kausis lit kauszelc, jenes uralte
Gefäss, das bei Litauern bis in neuere Zeit in Gebrauch blieb. Solche Schalen
hat man in den Fundstätten der jüngeren Eisenzeit in Skandinavien mehrfach
entdeckt. In einer Lesart des deutschen Regenliedes „Regen, Regen rusch"
tritt die Auffassung der Sonne als Schale noch deutlich hervor:
Sümi, Sünn kumm wedder Mit diu golden Schäl',
Mit din golden Fedder, Beschin uns alltomäl.')
Ein russisches Räthsel nennt die Sonne „eine Schale voll Oel ist der
ganzen Welt genug".*) Vgl das lettische Räthsel vom Monde „Eine Butter-
dose mitten im Gehöft".'') Nach russischen Beschwörungsformeln ist Zora
') Schwartz S. M. St. 29 ff.
*} J. K. Schuller, Kolinda. Henuannstadi 18C0 S. C.
^) Germ. Myth. 375.
*; Kreck, über die Wichtigkeit der traditionellen slav. Literatur S. 06.
*) Vgl. Der Vollmond ist die volle Sc ha le. Dann füllt die Göttersche nkiu Sonne
Die von den Göttern bei dem Mahle Allmählich mit dem Lebeusbroune
Wird uect arieer getrunken. Die ilunkle Schale wieder.
Und ist das goldne Nass entfeuchtet. Und wieder zecht eiu durstger Orden
Das die krystallne hat durchleuchtet, Unsterblicher an vollen Borden
Scheiut sie in Nacht versunken. Beim Schall der Uiuimelslieder.
102 W. Mannhardt:
(die Morgenröthe) eine schöne Jungfrau, welche auf goldenem Stuhle sitzt
und eine silberne Schüssel (die Sonne) in der Hand hält.')
Aus der Schale wird auch wohl ein Eimer oder anderes Gefäss, und
der himmlische Lichttrank, das allbelebende Sonnenlicht zur nährenden Speise.
So lautet ein russisches Kiudergebet:
Sonnchen, Sounchen, Eimerchen, Deine Kinder sie weinen,
Sieh in tias Fensterlein, Bitten um Essen und Trinken.^).
Bemerkenswerth ist das Lied 57. Johannes d.h. die personificirte Sonnen-
wende zerschlägt die goldene Kanne, d. h. die Sonne nimmt ab. Die
Gottessöhne (Abendstern und Morgenstern), die ersten Lichtbringer des
Morgens (s. unten) zu Lichtbringern überhaupt geworden stellen sie wenigstens
mit schwächerem Glänze (silbernen Dauben) wieder her.
Wie aus der Sonnenschale einerseits die goldene Sonnenkanne, ent-
stund auf der anderen Seite aus derselben der Becher. Wenn nach 69 bei
Sonnenaufgang die Gottessöhne nach Deutschland d. h. nach Westen gehen,
wo sie Abends wieder in Function treten sollen, mit goldenen Bechern
spielend (vgl. den goldenen Apfel wirbelnd), so ist dies poetische Verviel-
fältigung eines Bechers, des Sonnenballes, den sie scheidend emponverfen.
1. Das Sonnenboot. Die Sonne fährt auf goldenem Boote durch das
Luftiueer, Nachts versinkt es im Meere, Morgens baut Gott ein anderes halb
golden, halb silbern (32). Wiederum ist der Sonnenball dieses Boot, auf
welchem die Sonnengöttin durch das Luftmeer steuert. Man vgl. dass Heraklit
und Hekatäus die Sonne kahnartig oaa(poeLÖi]g nannten.^) Eine andere
Vorstellung herrscht in 33. Hier fällt die Sonne erst Abends in ein goldenes
Schifflein, auf dem sie Nachts durch den Hiramelsocean vom Orte ihres Unter-
ganges bis zur Stelle ihres Aufgangs rudert. Doit veiiässt sie ihr Fahrzeug
und dasselbe bleibt hinter ihr auf den Wellen zurück. Entweder ist es un-
sichtbar gedacht und nur deswegen angenommen, weil der Sonnenuntergang
als Versinken im Meere gedacht wurde, oder der „Kahn des Mondes"
hat einmal als der Nachen gegolten, auf welchem die Sonne ihre nächtliche
Reise macht. Dasselbe gilt von dem Hoote, auf welchem nach 34 die Gottes-
söhnchen der Sonne Seele oder Leben retten. Nach altgriecliischen Sonnen-
mythen, deren einen Mimnermos (um 630)*) erhalten hat, fährt Helios Nachts
schlafend im goldenen Boote vou den Hesperiden bis zu den Aethiopen, wo
Eos emporsteigt:
Seilt heute randvoll f>l:inzt die Schale!
Die Götter sitzen dort beim Mahle,
Wie wir lieiiii unserii sitzen.
(Riiciiort bei Scliwartz S. M. St. 33 )
') Afanasieff poet. Naturanscli. I. 19S.
■'') Afanasieff poet. Najurausch. I. GÖ.
^) Stob. ecl. phys. I. 26, 1 i)ei Schwartz S. M. St. 7. (If. diu Scliiil'e iles Pushan o. S. 98.
*) Bei Atheniius XI. ('. 4G'.) 11'.
Die lettischen Svnnenmythen. 103
Top fxlv yuij äiu y.vfxa q^(i£i /fo/i'/^oß/o; ftVjj
Koilrj, 'Hffaiarov /foaiy i).riXu^(t>T\
Xovaoü 1 1 fMi']ivi o g , iniömtooi cocttoy ((f' vJojq
EZJoft')' (tonuX^wi, ^ojoou ucfj 'Ennf()id'(i}y
Paiuy ii \-h(tiönun', tvu oS Oouy uniiu y.ut 'unioi
'l''.ai(<(Ti\ '><(</ '//('";,■ rjQiytvsiu ui'i/.rj.*)
Bei Stesichorus (mn 61 1 :i. Chr.) linden wir, wie es scheint, das Bild des
von der Sonne bestiegenen Nachens mit jener anderen Auffassung des Sonnen-
balls als eines Gefässes für den Lichttrank zu einem neuen Ganzen verbunden.
'A4kioi J' ' YnsfyioyCÖHg öinng ea/.ia^ßuive
Xovatov, uifQCi öl £ly.t(iV0i0 nnjunui
AcpixoiH^ tto«S 7701« ß^i'!}f(( yuxjoi f(^iejuyr<s
IIoil /Liai^ott xovotöitiv i' ui.o'/oy
Jlttid'ui; le cpiloug.
Nach der in den Herakleen gangbaren Ueberlieferung entleiht Herakles auf
dem Zuge nach Erytheia vom Helios seinen goldenen Kahn, um über den
Ocean zu gelangen. Beim Peisandros von Kamciros heisst dieser Kahn
daTictg, Panyasis nennt ihn '^HXlnv (piäXij.'^^
Den Aegyptern v\^ar die Vorstellung der Sonne als Nachen sehr geläufig.
Horus (Hör, Har) der Sonnengott steuert auf den Monumenten den Sonnen-
nachen durch die Tagesstunden."*)
m. Der Sonn enap fei. Mit 32 berührt sich 28. Hier heisst die Scheibe
der untergehenden Sonne ein vom Baum gefallener Apfel, um den die Sonnen-
göttin weint. ^) Bei Sonnenaufgang macht Gott einen neuen Apfel, der wegen
der verschiedeneu Nuancen, welche die Färbung der Sonne im Laufe des
Tages annimmt, von Gold, von Erz, von Silber genannt werden kann.*) Den
nämlichen Apfel, den Sonnenball, rollen oder werten (wirbeln) mit anderer
Wendung des Gedankens die Gottessöhne, der der Sonne voraufgehende
Morgenstern und sein Genosse (29). Die am Himmel wahrgenommene schein-
bare Bewegung des Sonnenballes verglich sich einfach der Flugbahn eines ge-
worfenen Gegenstandes. Indem aber die Sonne als Apfel vorgestellt wird,
wird ihr Aufenthaltsort zum Apfelgarten, in welchem die Sonnengöttin während
der Nacht schläft, und die ersten weissen, mit Rosenfarbe leis angehauchten
Wölkchen des frühen Morgens, aus denen später als reife Frucht der goldene
Apfel, die Tagessonne, hervorsteigt, werden zu Apfelblüthen, welche auf die
Augenlider der noch schlummernden, aber bald erwachenden Göttin herab-
') Atlienaeus a. a. 0. Vgl. Schwartz S. M. St, 23.
-) Athen. XI. 38. 39.
^) Parthey, l'lutarch üb. Isis und Osiris S. 192.
*) Wer liat nicht schon die Sonne, im ßegritle, unter den Horizont zu tauchen in der Fär-
bung um! Gestalt der Goldorange gesellen? Aehiilich auch der Mond, von dem Heine sagt:
Auf den Wolken ruht der Mond Ueberstrahlt das graue Meer
Eine Riesenpomeranze, Breiten Streifs mit goldnem Glänze.
*) Vgl. Poi che l'altro mattiu la bella Aurora L'aer seren fe bianco e rosso e giallo. Ariosto
XXXII. 52. M. Müller, essays II. 324. Vgl. o. S. 95 das goldene, silberne, diamantene Ross.
Im Miirchen begegnen (uuserm Apfel gleichstehend) drei Bälle, ein silberner, ein goldener,
ein diamantener, liuhn, westfUl. Sag. II. 251 u. 17.
104 W. Mannhardt: Die lettischen Sonnenmythen.
gefallen sind (30. 31). Es lag eben nahe, das Bild des Apfels durch den
Baum, auf welchem er wächst, zu ergänzen ; diesem begegnen wir in 72. 74.
Doch davon weiter unten.
Zunächst sei das Naturbild des Sonnenapfels etwas weiter durch die
Volkspoesie und Mythologie verfolgt. Ein schwedisches Käthsel sagt: Vär
mor har eu tacke som ingen kan falla: var far bar mer pengar, an nagon
kan räkna, vär bror har ett äpple, som ingen kan bita. Aufl. Var mor:
jorden, tacket: himlen, pengerna: stjernorna, var bror: frälsaren, äpplet: solen^).
Unsere Mutter hat eine Decke, welche niemand falten kann, unser V^ater hat
mehr Geld, als jemand zählen kann, unser Bruder hat einen Apfel, den
niemand einbeissen kann. Aufl. Unsere Mutter die Erde, die Decke der
Himmel,^) unser Vater Gott, das Gold die Sterne, unser Bruder der Erlöser,
der Apfel die Sonne,
In den folgenden deutschen Sonnenliedern ist die Sonne Ei^) oder Apfel
genannt:
1. Hängt ein Engelein au der Wand,
Liabe Frau lass a bissal Sinin heraus, Hat ein Eielein in der Hand.
Lass a bissal drinnat Wenn das Eielein runter fand',
Für de ärman Kinua. Hiitt' die Sonn' ein End'.*}
Stet a schöna Engl af da Bang, „
Hat a roths Gogal (rothes Ei) i da Hand.^) ^. j^^^ .^ ^ guldigs Hus,
2. Lueget drei Mai-eie drus,
Am Glockenbach sind drei Poppelen drinnen, Die ein spinnt Side,
Die ein spinnt Seide, Die andere Floride,
Die andere wickelt Weide, Die dritf schnützlet Ghride.
Die dritte sitzt am Brunnen, Die viert' spinnt Haberstrau,
Hat ein Kindleiii gfuiuien. Die feuff isch eusi liebi Frau.
Wie soll das Kindlein heissen? Sie sitzt ennet an der Wand,
Laperdon und Dida Hat en Oepfel i der Hand.
Wer soll das Kindlein waschen? Sie geht durchab zum Sunnehüs
Der mit seiner Klappertaschen. Und löt die heilig Sunne iis
Und löt de Schatten ine.«)
Zu diesen Liedern vgl. sowohl die oben S. 99 aufgeführten, als des Verfassers
German. Myth. r>24— 536.
(Fortsetzung folgt.)
') Runa 1849 S. 48 n. IC.
'^) So meinen den gestirnten Himmel die folgenden lottischen Räthsel : 1) Dem Vater (Gott)
gehüit ein Pelz voll Aehren. 2) Eine blaue Docke voll von Aehren. 3) Eine graue Wolldecke
voll von weissen Aehren (Erbschen).
^) Ei heist die Sonne oder der Jlond u. A. auch auf ägyptischen Denkmälern. Auf einem
Basrelief zu Philä z. B. hält Ptha-Totoiien eine 'löplcrscheibe mit einem Ei. Nach der hiero-
glyphischen Beischrift ist dies das Ei der Sonne und des Mondes, das von Ptha in Be-
wegung gesetzt wird. Parthey zu Plutarchs Isis u. Osiris S. 224. Auch andere Inschriften
besagen, dass Ptah „das Ei der Sonne und des Mondes bewege", dass er „sein Ei in dem Himmel
wälze*. Ptah ist der Geist des himudischen Lichtes, der Beweger der Himmelskörper. Aber
auch Ra, der Gei-st der Sonne: der „in der Sonnenscheibc thront", „Itewegt sein Ei laut den
Inschriften. Vgl. Duncker, Gesch. des y\lterthums. Md. I. 1874. S. :J5. 3G.
*) Lechwitz in Mähren. Zeitschr. f. d. Myth IV. 347 n. C'J.
*) Panzer, Beitr. z. D. Myth. II. 546. Vgl. German Myth. 706,
*■; Aargau. Rochholz, alemannisches Kinderlied. 140 n. 273.
Die Sieben vor Theben und die ehaldäische Woche.
Als Beitrag zur Begründung einer Wissenschaft der vergleichenden
Mythologie und Religionsgeschichte.
I. Allgemeine Einleitesätze.
1. Zwei Erkenntuissarten: die religiöse und logische.
Es giebt zwei anthropologische Hauptarten menschlicher Erkenntniss:
ii) eiue, auf den religiösen Zusammenhang und abbildlichen Einklang des
Menschen mit Gott und der Welt gegründete, mehr unmittelbare und
ursprüngliche, eine Erkenntniss durch unwillkürliche religiöse Mimik uud
dichterische Gesammtanschauung, die wir desshalb die religio se, bild-
liche, einheitliche (synthetische) Erkenntniss nennen: und
b) eine, aus dieser abgeleitete, auf des Menschen körperlich-geistigen
Dualismus gegründete, mehr mittelbare und willkürliche, eine Erkennt-
niss durch logische Unterscheidung und Wiederverbindung, sowie ge-
brauchsmässige Entbildlichung der in dem religiösen Urbegi'iff enthalteneu
einzelnen Merkmale, welche Erkenntnis« wir desshalb die logische,
abstracte, analytische nennen.
Die Worte oder Rufe: „Licht, Feuer, Tag, Nacht, Thier, Leu" z. B. kraft
deren der Mensch die darin benannten Erscheinungen sich mimisch begreiflich
macht, sind sprachliche Ausdrücke der religiösen (bildlichen, synthetischen)
Erkenntniss : und verwandeln sich auf dem Wege der logischen (abstracten,
analytischen) Erkenntniss in die Sätze: „das himmlische Licht scheint hell
und göttlich'', „das Feuer entbrennt und lodert gen Himmel", „der helle Tag
geht auf im Osten", „die dunkle Nacht folgt auf den Untergang im Westen",
„das schnelle Thier rennt durch die Wüste", „der goldgelbe Leu brüllt und
leuchtet duixh die Dämmerung". Während, wie bemerkt, die erste dieser
beiden Erkenntuissarten, und durch die erste auch die zweite, ihi-en Ursprung
auf das dem Menschen angeborene, mit seiner abbildlichen religiösen Natur
zusammenhängende, Vermögen einer kosmisch-anthropologischen Mimik und
bildlich-geberdenhaften Nacherschaffuug Gottes und der Welt gründet, hat
sich die letztere, die logische, zu ihrer weiteren besonderen Entwicklunü;
hauptsächlich der Sprache, Schrift und Grauiiuatik bedient uud hat vermittelst
Zeitschrift für Ktliuologie, .)ahr(;aii^- lS7i. y
106 K. F. Meyer:
derselben vermocht die ursprüngliche Einheit des ersten bildlichen Gesammt-
begriffes in eine doppelte Reihe formaler und stofflicher Einzelbegrifl'e aufzu-
lösen und aus denselben neu wiederherzustellen, sowie dabei zugleich die
ursprüngliche Bildlichkeit des einzelnen übertragenen Begrifi'es hinter dem
bestimmten Gebrauch der letzten Uebertragung mehr und mehr zurücktreten
und verschwinden zu lassen.
2. Wichtigkeit, anthropologische und historische, der religiös-bildlichen Erkenntniss.
Die, in der Religion und Bildlichkeit der menschlichen Natur begrün-
dete Ursprünglichkeit der religiös-bildlichen Erkenntniss hat derselben für
alle Zeiten eine unbedingte anthropologische Wichtigkeit gesichert, kraft
deren sie dem Menschen auch heute in sehr vielen seiner sowohl gesellschaft-
lichen als gottesdienstlichen Gebräuche und Vorstellungen unentbehrlich ge-
blieben ist und nicht aufgehoben werden kann, ohne dass damit auch die
Innigkeit und Lebendigkeit aller dieser Vorstellungen und Gebräuche, die
Lebendigkeit unseres ganzen menschlichen wie göttlichen Verkehrs erstickt
und aufgehoben würde. Die Fahne des Kriegs und der hochzeitliche Braut-
kranz, der Eid vor Gericht und der Handschlag der Freundschaft, die segnende
Hand und der Ringwechsel der Verlobung, das Knieen und Händefalten beim
Gebet und der Aufblick zu Gott als dem Vater unser im Himmel — sind
bildliche Zeichen und Handlungen deren Unterdrückung für den Menschen
ebenso unnatürlich, ja unmöglich sein würde, als wenn er das Geberdenspiel
des Hauptes und Gesichts unterdrücken, das Lachen und Weinen ersticken,
das Aufleuchten der Augen zurückhalten und den ebbenden und fluthenden
Strom des Erblassens und Erröthens abgraben wollte.') Aber nicht minder
gross als diese anthropologische ist die historische Bedeutsamkeit der
religiös-bildlichen Erkenntniss, als welche, gegenüber der nur sehr allmählichen
Entwicklung der logischen Erkenntniss und zugleich gegenüber der von den
verschiedenen Bildungsstufen der Völker und Stände abhängigen Ungleichheit
dieser Entwicklung, Jahrtausende lang die einzige gewesen ist vermittelst
deren erst die ganze, dann ein grosser Theil der Menschheit Gott, die Welt
und sich selbst zu begreifen vermoclit hat^), und also namentlich auch die
einzige die dem ganzen religionsgeschichtlichen Theil der menschlichen Ent-
wicklung den wir heute Mythologie nennen zu Grunde liegt. Eben wie die
logische Erkenntniss des Menschen in der Sprache und Grammatik, hat die
religiös-bildliche in der Mythologie den eigentlichen Ausdruck ihrer allgomeincn
Entwickolung, ihrer in Sage und Ritus abgelagerten Geschichte gefunden,
und erheischt also auch, zur Begründung eines richtigen , wissenschaftlichen
Verständnisses dieser Geschichte, zunächst eine, jener logisch-sprachlichen
Grammatik und Wörtcrdeutuug entsprechende, psychologische Grammatik und
iJculung der mytliologisclien Bildersprache, — das Leisst, zunächst eine, nach
') vgl. (lies W-if.) ilciitscln' Kirclioibiii'lifra^.' (IlddclhiTo \Si>'.)) S. 31 ff.
*) vgl. Welckei ür. (iL. 1, pu^. r»7. ,M;ui sollte in der l'sycLologie Weltalter unterscheiden.
Die Sieben vor Theben und die chaldäische Woche. 107
der Weise der grammatischen Kategorien, Modi und Casus zu sondernde und
ordnende, Feststellung der allgemeinen Gesetze nach denen wir, vom Stand-
punkt der logischen Erkenntniss aus, die Thätigkeit der religiös-bildlichen
vor sich gehen sehen.
3. Acht Oesetze der religiös-bildlicheu Erkenntniss.
Als solche Gesetze lassen sich acht aufzählen: zunächst, die beiden
schon erwähnten Hauptgesetze: religiöse Einheitlichkeit und mimische Bild-
lichkeit; die uns also nun, vom logischen Standpuncte, als Vereinbarung
und Verbildlich ung entgegentreten: sodann, als weitere Ausführung der
letzteren, der Verbildlichung:
3) die, — immer mit allgemeiner Vermengung und Verschiebung der
Activitäts Verhältnisse verbundene — Verthätli chung; sowie,
4) die, in dieser enthaltene V erpersönlichung; und
5) die, sowohl die Handlung als die Person betreffende. Vergeschlecht-
lich ung: — und sodann, als weitere Ausführungen des Grundgesetzes der
Vereinbarung,
6) die Verörtlicliung,
7) die Vergeschichtlichung, und
8) die sittlich-religiöse Vergöttlichung und Vergeistiguug des Be-
griffes.
Der Sonnenaufgang z. B., in welchem M'ir vom heutigen logischen Stand-
])uncte aus nichts erkennen als die regelmässige, durch die Erdumdrehung
allmählich bewirkte, morgendliche Wiederkehr des Sonnenbildes und den ver-
schiedenen damlf verbundenen Licht- Wärme- und Farbeneindrücke, erscheint
vom religiös-dichterischen Standpuncte aus, mit Anwendung der genannten
acht Gesetze, als die einige') That') eines guten'^) lichten^) — von den
Li chtschallbildern'^) de^ Erzklanges oder ThiergebrüUs gerufenen und
gescliaflenen schöpferis eben ■") Gottes^), der, an der Handseiner
göttlichen Schwester^), der Morgenrothe, aus der geheimnissvollen Grotte
eines heiligen Berges*^) emporsteigend, die bösen **) Geister der Nacht mit
seinem Rufe") verscheucht^), seinen Pfeilen^) erschiesst^), und so,
als der irdisch-himmlische Schutzgeist und Heros-epouymos ^) seines Vol-
kes, demselben zur nacheifernden Bekämpfung^) der Finsterniss und Lüge'')
des Dunkels und Uebels'^) ein mahnendes Beispiel giebt-^).
1. Vereinbarung.
2. Verbildlichung (vgl. u. §, 8 uml Anm. G).
3. Verthütlichung.
4. Verpersönliciiung.
5. Vergeschlechtlichuug.
6. Vorörtlichuug.
7. Vorgeschii'htlioliung.
8. Sittlich-religiöse Vergöttlichung und Vergeistiguug.
108 K. F. Meyer:
4. Doppelte, symbolische und allegorische Eutstehuugsart der religiös-bildlichen
Erkenutuiss.
Diese, vom logischen Standpuncte als eine ümwandelung erscheinende,
Auffassung war, wie bemerkt, während der ersten Entwicklungsepoche des
Menschengeschlechts die allein wirkliche und unwillkürlich ursprüngliche,
und kam als eine absichtliche Rückübertragung aus dem Logischen in's Dich-
terische erst dann zur Anwendung als, bei eingetretener ethnologischer und
castenartiger Ungleichheit der religiösen Entwickelungsstufen, sich selten der
höheren Stute, der der Lehrer und Priester, das Bedürfniss geltend machte,
den von ihnen vorzutragenden esoterischen Lehren und zu gründenden reli-
giösen Einrichtungen einen auch für die übrigen Stufen und Gasten sofort
erkennbaren und fasslichen exoterischen Ausdruck zu verleihen. Die Namen
mit denen sich nach ihrem bereits angebahnten wissenschaftlichen Gebrauche^)
diese beiden verschiedenen Entstehungsarten der religiös-bildlichen Er-
keuntniss am treffendsten von einander unterscheiden lassen, sind: für die
didactisch-absichtliche Entstehung, allegorisch; für die anthropologisch-
unwillkürliche, symbolisch oder auch mythisch, und zwar dieser letztere
Name, sowie das Wort Mythus, vornehmlich für grössere zusammengesetzte,
aus allegorischen und symbolischen ßestandtheilen unwillkürlich gemischte
und erzählend dargestellte Erkenntnisse und Offenbarungen : von welchen dann
wieder der mit deutlicher Verörtlichung oder Vergeschichtlich ung behaftete
Mythus Sage (heilige Sage, Legende); der ohne dieselbe auftretende Mär-
chen heisst: das Wort Parabel (Gleichniss) dagegen immer nur eine di-
dactisch-absichtliche, vorzugsweise auf religiös-sittliche Vergeistigung gerichtete
Allegorie bezeichnet.
5. Acht, nach Gegenstand und Inhalt verschiedene Grattungen Mythen und AUegorieen.
5. Ihi-em Gegenstand und Inhalte nach waren und sind alle alten Mythen
und symbolischen Begriffe, und waren auch die meisten Allegorien, — dem
religiösen Wesen und Ursprung der bildlichen Erkeuntniss gemäss — immer
zunächst theologische, auf die Erkenntuiss Gottes gerichtet; d. h. auf
die Erkenntniss eines im himmlischen Licht empfundenen, im Wechsel der
Gestirne und Elemente, des werdenden und endenden Lebens wiedergefundenen
im Auruf und Gebet, Schall (vgl. u. 8) und Feuer, Lehre und Geschichte
)iachahnieijd verwirklichten und offenbarten höchsten Wesens, das, als ein
unsichtbarer Q,uell des Lichts und Heils, als ein Urbild aller That und Per-
sönlichkeit, aller zeitlich-ewigen Sitte und Geschichte, — als ein Jahve,
Elohiiii, Baal, Piilha, Zeus, ludra-Agni (Indrägnl) und Ahurmazda, — im
Jliuimel thront und die Welt von Tag zu Tag, Jahr zu Jahr, Woche zu
"Woche, ewig neu erschafft und ordnet. Neben diesem ihrem ursprünglichsten,
llu'()l(»gi^( litii Inlialt aber haben die Mythen und Allegorien noch oiucn siebeu-
^) vgl. Welfker Gr. G. C. 1. 50-114.
Die Sieben vor Theben und die chaldäische Woche. 109
fach anderweitigen: und zwar sind sie:
erstens a) chronologisch - astronomische — d. h. gerichtet auf die
Erkenntniss Gottes im Zeitwechsel und in dem diesen Wechsel bestimmenden
Bewegungsverhältnissen der Gestirne; und also
rf) chronologisch-solare und -lunare: z. B. die Mythen von Tag
und Nacht, Jahr und Monat, Sol und Luna, Baal und Baaltis, Apollon und
Artemis: die lunaren Mythen (und Riten) von Tanth und Tanthe, Proitos und
den 3 Proctidinnen nebst Megapenthes (vgl. u. YII): die tages- und jahres-
zeitlichen Mythen von den Ayvinas, Dioskuren und Kyklopen, den drei Teilen
und drei Hekatoncheiren, den Chariten, Hören und Moiren: und die (in allen Re-
ligionen so zahlreichen) Mythen und Märchen von Nachtfuhrt und Wiederkehr,
Kampf und Sieg des Tageshelden: von seinen — wie Kadmos, Kilhuch, Or-
pheus — die schöne Abendmorgenröthe — eine Europa-Electra, Olwen, Eu-
rydike — suchenden und findenden,- oder auch — wie Jason, Odysseus,
Siegfried — zwischen beiden Auroren — einer Medea-Glauke, Penelope-Kirke.
ßrunhilt-Chrymhilt — tragisch getheilten Wanderungen und Schicksalen; von
seinem glücklichen Odysseus-artigen Entrinnen vor den Verfolgungen des west-
lichen Poseidon; oder auch seinem, — als ein Meleagros, Jason, Siegfried,
Vritralianas, Bellerophontes und Apollon Pythoktonos — siegreich bestandenen
Kampfe mit dem Eber, Drachen oder Ungeheuer der Finsterniss:
und i^) chronologisch- planetarische und siderische: wie, vor
allen, die weitverzweigten hebdomadisch-ogdoadischen Riten und Mythen, Dog-
men und Märchen aller Religionen: der ägyptische und thebanische Achtgötter
kreis und der phönikische Mythos von den 7 Kabiren, nebst dem Achten (Esmun)
und den beiden Kabirenältern, besonders der grossen Zeit-bindenden Kabeiro
— der Thuro, Themis, Nemesis: und, daraus entwickelt, dann auch die
ägyptisch-hellenischen Mythen von der Decade und dem zwölfmonatlichen
Sonnenjahr von Horus (Har-Ka) und Herakles, von den Olympischeu Göttern
und den zwölf Rittern der Tafelrunde:
zweitens b) meteorologisch-physische: d. i. gerichtet auf die Er-
kenntniss Gottes in den mehr terrestren Luft-, Licht- und Feuererscheinungeu
zwischen Himmel und Erde: z. B. die, mit dem Tag- und Nachtwechsel ver-
knüpften, Windwechselmythen von Vaju und den Maruta, von den Harpyien
und ßoreaden: die Sturm- und Gewittermythen von ludra und Rudi-a, Zeus
und Thor. : die Nebelsage von dem (am mysischen Quell) entführten Ganymedes,
und die (athenische) Sage von den Thauschwestern; das Luft-, Licht-Märchen
von Echo- Widerhall und Narkissos-Widerschein: die Regenbogenmärchen
von Iris und ßifrost und die heilige Sage von Jehovahs Bundesbogen:
drittens c) geologisch-neptunisch-plutonische : d.h. gerichtet auf
die Erkenntniss Gottes in den Erscheinungen des irdischen Bodens und Ge-
steins, Gewässers und Feuers: z. B. die zahlreichen Sagen und Märchen von
Oreaden und Najadeu, Zwergen und Elfen, Uudineu und Salamandern: die
110 K. F. Meyer;
Mythen von Ge, Okeanos und den Titanen; von des Hephästos Werkstatt
in Lemnos oder im Aetna, und von seiner vaterlosen Gebui't aus dem Schooss
oder Busen (Herodot VI, 82)Heras: und der mannigfache Cultus und sinubildhche
Gebrauch des Gesteins: theils, in aufgerichteter Gestalt, als chronologische
Merk- und Denkmale, Licht- und Feuer-nachahmende Obelisken und Pyra-
miden; theils, in flacher, als Gottessitze und Gerichtsstühle; theils, in bev^^eg-
licher, (z. B. die geworfenen Steine Jasons, Kadmos's, Athenes und Rheas)
als numerische Sinnbilder und Rechenpfennige der Zeitberechnung:
d) zoologische: d.i. gerichtet auf die Erkenntniss Gottes in der Thier-
und Pflanzenwelt: z. B. die Mythen von Dryaden und Satyrn; die vielfachen
Thier- und Pflanzenmetamorphosen der Götter und Heroen; die ethisch-di-
dactische Thierfabel (Thierparabel) : und der magische Cultus gewisser sinn-
bildlich-bedeutsamer — oder auch anthropologisch-wirksamer — Pflanzen und
Thiere, wie der Pinie und Cypresse, Alraune und Mistel, des Epheus und
Lorbers, des Soma und Weines; und von den Thieren, ausser den lichtschall-
und lichtflug- symbolischen (vgl. u. 8), besonders der Schlange, als eines
durch Körper, Gang und Wesen mannigfach bedeutsamen Gleichnisses: und zwar:
«) des (raschen) Gleitens und übernatürlichen Sichbewegens (ßoreas);
ß) des (leisen) Sprossens und Wachsens (Erichthoniot^) ;
y) des (gleitenden) Streicheins und Heilens (Asklepios);
ö) des (schleichenden) chthonischen Dunkels und Todes (Delphine);
«) des (sich schlängelnden) Feuers und Lichtes (Titanen, Medusa);
Q des (gewundenen) chronologischen Kyklos und Kosmos (Surniubel);
r/) der (zungenartig-beweglichen) Zunge, Sprache, Weisheit und Prophe-
zeiung (Schlange des Taut, Hermes und des Paradieses) :
fünftens e) culturhistorisch - technologische: d. i. gerichtet auf
die Erkenntniss Gottes in der Geschichte und Beschaffenheit der von ihm
dem Menschen gelehrten Künste und Einrichtungen, Sitten und Gewerbe,
Unternehmungen und Erfindungen: z. B. die Opfer-, Heerd- und Schmiede-
teuer-Mythen von Agnis und Moloch, Isis und Hestia, Tanais-Arterais und
Neith-Athene, Prometheus und Pandora; die Ankerbaumysterien von Demeter
und Persephone; der Schifi'ahrtsmythus vom Gott- Fisch Oannes; die Erich-
thonios (Erechtheus)-sage von dem als Pflegling Athenes (des Pflugs) und
der Thauschwestern erwachsenen als Vater der Hypermestra (Erndte) und
als reichster aller Sterblichen herrschenden, schlangenfüssigen Wunderkinde;
sowie, damit zusammenhängend, die Märchen von Erysichthon (Brachland) und
Triopas (Dreilelderwirthschaft vgl. u.) von Triptolemos, Keleos, und den
Molioneu (Mühlsteinen) — vom irischen König Muirchertaeli und schottischen
John Barley-Corn: das dionysische Märchen vom Aufziehen, Pflegen, Pflücken
und Keltern des licht- und feuergeborenen Sohnes des Himmels und der Erde;
das Phineusmärclien, vom blinden (unterirdischen) Bergwerkbau, das Krösus-
märchen vom Schmelzen und Klingendmachen des Goldes; das Tantalus-
raärchen vom Opfertische (der, mit den Speisen vor sich, dieselben nicht be-
Die Sieben vor Ttieben und die chaldäische Woche. 111
rühren durf und der mit den Göttern speist um nachher umgestossen zu
werden) :
sechsten«, f) ethnologisch- historische d. i. gerichtet auf die Er-
kenntniss und Erinnerung Gottes in den von je einem einzelnen Volk oder
Volksstamm vollbrachten, als Thaten je eines einzelnen Gottes oder Heroen
(Heros eponymos) verpersönlichten Erlebnisse: z. B. die Sagen von den
Wanderungen. Niederlassungen, und Eroberungen des aramäischen Abraham,
assyrischen Assur, indischen Indra, medischen Mithras, babylonisch-phöniki-
schen Bei (Belitan), phönikisch-hellenischen Kadmos, ägypto-hellenischen
Danaos und iigypto-tyrrhenischen Herakles; die griechischen Sagen von Hellen,
Dorus. Aeulus, die italischen von Tyrrhenus, Latinus, Romulus, die brittanni-
schen von Alu, Aedd, Pryd, die irischen von Gwasc, Bell und Fion, die
deutschen von Irmin und Sax-neot, — bis herab zu der, die Abrahamssage
wieder aufnehmenden, Sage von dem ewigen Juden:
und endlich, siebentes g) anthropologische: d. i. gerichtet auf die
Erkenntniss Gottes in den physisch-psychischen Eigenschaften und Verrich-
tungen des Menschen selbst: z. B. das Vedaische Fingergleiclmiss von den
zehn Schwestern, und die griechischen Märchen von den 5 zählenden
(Idäischen) und 5 heilkräftigen Dactylen; das altcymrische Märchen von
den 5 oder (Sprache und Gewissen eingerechnet) 7 Sinnen (seveu
seuses) als Thürhütern König Arthurs, und die entsprechenden deutschen
Märchen von den Sehsen oder Sieben die durch die ganze Welt kommen:
das deutsche Sprachmärchen von der Springwurzel, die römische Sage von
Ajus Locutius, die vielen etymologischen Sagen und Wortspielmärchen,
und die Mosaische Zungen-Allegorie von der Schlange im Paradiese;
die Homerischen Märchen von Schlaf und Traum (II. H, VHI, XV,
Od. XII) und die dazu gehörigen Mythen von Schlaf, Sirenen und Musen;
die Vermählungsriten und Mythen von dem Musensohn Hymen-Hymenäos,
von Zeus und Hera, und das Märchen von Theseus und Ariadne ; das Wein-
rauschmäri'hen von 'Ayavi] und Avinvori (Heiterkeit und Entschlossenheit);
Med^f], ISaQxalog und HivO^evg (Trunkenheit, Betäubung und Wahnsinn); die
Todes-Allegorien von Schlaf und Abend (Morpheus und Orpheus); Entführen
und Hinführen (Hermes und Charon); Entraffen und Entschweben (Keren und
Harpyien); Verbrennen und Erlöschen (Seheiterhaufen und Feuer); von der
abendlichen Delphinischeu Meeresfahrt und von der Landung im westlichen
abendrothen Paradies des sonuengleichen Heimgangs (Leuke und Elysion).
6. Vereinbaruu^sueisen der versehiedeuen Gattungen Mythen in und unter sich.
Den, schon in der Gemeinsamkeit des theologischen Elementes ent-
haltenen, verein bai-enden Zusammenhang dieser verschiedenen Gattungen
Mythen und Allegorien, sowohl unter einander als einer jeden in sich, hat die
religiös-bildliche Erkenntniss dann auch noch durch eine Reihe besonderer,
theils aus dem Vereiiibarungsgesetze selbst, theils aus den anderen sieben
112 K. ¥. Meyer:
Gesetzen geschöpften Mittel weiter zu verwirklichen und zu der ursprüug-
liehen, religiösen Einheit des Begriffes zurückzuführen gesucht: und hat sich
zu diesem Zweck namentlich acht besonderer Vereinbarungsmittel bedient: als
welche sind :
a) die Anwendung des, auf die vereinbarte Natur des menschlichen Kör-
pers rückbezüglichen, die Pluralität nur als menschliche Gegliedertheit oder
Zusammengesetztheit auffassenden Gollectivbegriffes: und zwar
«) des geometrischen, der z. B. den, aus unzähligen Feldern, Wässern,
Gestirnen gebildeten Gau, Strom, Himmel nur als einen einzigen (verpersön-
lichten) Demos, (Heros Kolonos, Marathon u. a.) Nilos, Uranos begreift: und
ß) des arithmetischen Gollectivbegriffes, der z. B. in dem aus zahlreichen
Thieren, Menschen, Kriegern zusammengesetzten Haufen, nur eine einzige Heerde,
Horde, Volksmasse, Zunft, Sippe, — eine Phyle 7t/;/ r;, Ztvii-inii, — erkennt
b) die Anwendung des, auf die formale Allgemeinheit des menschlichen
Begriffes selbst rückbezüglichen, die Pluralität nur als Variation gewisser,
mehr oder minder allgemeiner Grundtypen auffassenden Gattungsbegriffes:
und zwar
a) des substantivischen Gattungsbegriffes: der z. ß. die Pflanzenwelt
nur als ein einziges Gewächs oder Gesträuch, nur als einen einzigen Tannen-
baum, Eichbaum, Apfelbaum; die Thierwelt nur als ein einziges Gewürm,
Geziefer, Gethier, nur als einen einzigen Käfer, Fisch, Vogel, Aaren, Stier,
Hund, Löwen begreift; und dem also auch die ganze eigene Menschheit nur
unter der Form weniger Grundtypen, - eines Dionysosartigen Priesters,
Zeus-artigen Mannes, Hermes-artigen Jünglings, Eros-artigen Knaben, Artemis-
artigen Mädchens, ja, zuerst und zuletzt, nur unter dem Bilde eines einzigen
Gottsohnes anschaulich und begreiflich wird; und
ß) des adj ectivischen Gattungsbegriffes: der die typische Anschauung
des Substantivs auf dessen trennbare Merkmale und Eigenschaften ül)erträgt,
und also z, B. über den Bäumen und Gewächsen das grüne Wachsthum in
Gestalt einer Flora und eines Silvanus schweben sieht ; allen schnellen Thie-
ren das Schnelligkeitssinnbild des Flügels anheftet; und in der Menschenwelt
dem Manne die Arete oder Virtus, dem Jünglinge die Hebe, der Jungfrau
die Aidos und Elpis, die Spes und Pudicitia, dem Zeus die Themis, Dike
und Nike zur Seite stellt:
c) die Anwendung des Verörtlichungsgesetzes: kraft dessen eine
Anzahl mehr oder minder nahe verwandter Mythen und Allegorien — z. B.
die Götter des Olymp und Asgard, die Personen und Begebenheiten in der
Halle des Odysseus oder König Arthurs, im Lager von Troja und in der
Unterwelt — sich sämmtlich je nach dieser Oertlichkeit unter einander ord-
nen und innerhalb desselben liahmens zu einem einzigen beweglichen Bilde
zusammenfügen:
d) die Anwendung des, in der Verthätlichung enthaltenen, Zeitbegriffes
und Zeitgesetzes: kraft dessen die verschiedeneu Fristen nicht nur in sich
Die Sieben vor Theben und die chuidäische Woche. 113
gebunden werden, sondern sich auch unter einander durch einen gewissen
gesetzmässigen Parallelismus — z. B. der neuen Tages- und Jahressonne,
des den Morgen, Mittag und Abend wiederholenden Frühlings, Sommers und
Winters, des den Wochencosmos wiederholenden gebundenen Jahres, des den
Phönix des Morgens wiederholenden Phönix des grossen (14G1- oder
1500jährigen) Jahres, — chronologisch verbunden zeigen und in demselben
sinnbildlichen Ritus zusammentreffen:
e) die Anwendung des zur Verg eschicht'lichung erweiterten Ver-
thätlichungsgesetzes: das, in dieser Erweiterung, den verbalen Zusammen-
hang von Ursache und Wirkung nicht auf eine oder wenige Thaten und Per-
sonen zu beschränken, sondern auf eine lange Reihe und Kette mehr oder
minder unwillkürlich herangezogener Ereignisse auszudehnen liebt: und kraft
dessen sich also z. B. an dem einen Faden der durchzusetzenden (morgendlichen)
Wiederkehr des Odysseus die ganze, Märchen aller Gattungen einschliessende,
(nächtliche) Märchenwelt der Odyssee; und desgleichen an dem, mit dem
triemerischen Kampf (vgl. u. 13) verschlungenen Doppelfaden des Helena- und
Briseisraubes, der ganze zehnjährige Krieg gegen Ilios, vom Iphigeniaopfer
bis zur Sühnung des Orestes, vom Apfel der Eris und Ey der Leda bis zum
Tode des Achilleus, Paris und Priamos und bis zur Gründung Karthagos und
Roms, mythisch zusammengereiht hat:
f) die Anwendung des Vergeschlechtlichungsgesetzes: das, indem
es (wie schon die Sprache) den übersinnlichen Begriff von Ursache und
Wirkung unter dem sinnlichen von Vaterschaft und Kindschaft auffasst,
gleichfalls einer langen Reihe mehr oder minder verwandter Begriffe Gelegen-
heit giebt sich der wachsenden Verkettung dieses Bildes einzufügen und
untereinander in gewisse genetische, von irgend einem mythischen oder alle-
gorischen Urbegriffe, — einem Ham, Sem oder Japhet, einem Kronos,
Okeanus oder Helios, einer Nyx, Therais oder Metis - abgeleitete Stamm-
bäume zusammenzutreten, welche Stammbäume ihren letzten Ursprung dann
immer wieder in einem obersten göttlichen Elternpaar oder obersten Erzeuger
und Schöpfer zu finden suchen : - -
g) die Anwendung des Verpersönlichungsgesetzes: das kraft des
ihm zu Grunde liegenden synthetischen Anthropomorphismus, — kraft seines
in der Person des Menschen gegebenen physiologischen Monotheismus, die
hergestellte Einheit des Schaffens und Werdens der Zeit und Oertlichkeit,
des Begriffs und Numerus immer auch durch die Einheit des handelnden
Subjects zu vervollständigen sucht, und das also, wie es die verschiedenen
Personen des Tages und Himmels, des Jahres und Zeitenwechsels, des all-
mächtigen Willens und Thuns mit der Person des Lichtgottes vereinbart, so
z. B. auch eine Reihe verschiedener weiblicher Urbegriffe — Nacht, Erde,
Fruchtbarkeit, Luna, Zahl, Ordnung, Saat, Sitte, Ehe — in der ui'sprüng-
lichsten dieser Urgöttinnen, — einer Nyx-Ge-, Rhea-Demeter, Isis-Hestia —
114 K. F. Meyer:
als verschiedene Thätigkeiten uud Eigenscluifteu derselben wieder zusammen-
rinnen lässt:
Und besiegelt wird endlich achtens (h) dieses grosse mythologische
Vereinbarungswerk durch die zusammengreifende Anwendung des Ver-
sinnbildlichungs- und Vergeistigungsgesetzes, von denen letzteres
den metaphorischen Parallelismus der Versinnbildlichung auch umgekehrt auf
sinnliche ßegrifie überträgt und so dem Spiegel der Metapher eine doppelte,
nach beiden Seiten hin umwandelnde und vereinbarende Wirksamkeit ver-
leihet; eine Wirksamkeit, kraft deren z. B. die stürmenden Harpyieu in
Todesgöttinnen, die chronologischen Chariten, Moiren und Erinnyen in
Göttinnen des Liebreizes, Verhängnisses und strafenden Gewissens um-
gewandelt werden; kraft deren der, im Gleichniss des Schalls, (Flugs, Feuers)
begriffene, sonuenhafte Lauf des Tages und Jahres nun wieder seinerseits zu
einem Gleichniss des göttlichen Daseins; der, als Wandel oder Kampf be-
griffene, Vor- und Rückgang des Sommers zu einer in dem Märchen von
Eros und Psycho (nebst ihren zwei jahreszeitlichen Schwestern) erzählten
Allegorie und Parabel von dem die Seele heimsuchenden und prüfenden
himmlischen Bräutigam vergeistigt erscheint: —
Und, kraft dieser acht Vereinbarungsmittel, vermag es also die religiöse
Erkenntniss die ganze unendliche Mannigfaltigkeit der von ihr geschaffenen
einzelnen mythologischen Bilder doch zuletzt, ihrem eigenen monotheistischen
Wesen gemäss, wieder in dem Gesammtbilde einer einzigen göttlichen
Persönlichkeit — eines Jao, Baal, Zeus — neu zusammenzuführen; eines
obersten Gottes, den diese wiedervereiuigte Mannigfaltigkeit bald nur in Form
von Beiwörtern, — als einen Baal-Samin (Himmels -Baal), Baal-Semes
(Sonnen-Baal), Baal-Ghamon und Moloch (Feuer-Baal), Baal Chon (Säulen-
und Satzungs-Baal), Baal-Zedek (Gerichts-Baal), Bel-itan (Zeit-Alters-Baal) —
grammatisch umgiebt; bald aber zugleich sich mit ihm im dichterisch-
lebendigen, alle mythischen Gattungen in sich aufnehmenden Ritus und
Mythus verbindet. Und kraft einer solchen Verbindung erscheint nun z. B.
der hellenische Zeus, ausser seiner höchsten himmlisch -irdischen Gewalt,
zugleich:
a) chronologisch: als der, den Tages-, Jahres- und Zeitwechsel schaffende
Vater des Hermes und der Dioskuren, Apollons und der Artemis; als der
den Tagesanbruch selbst darstellende K()rjtayEvt'ig-^ als der das Gesetz der
Zeit verwaltende Gemahl der Metis und Themis, und von ihr Vater der
Chariten, Hören und Moiren:
b) meteorologisch: als der Wolken und Gewitter zusammenziehende
Donnergott und blitzende Vater Athenes; als der mit der Electra oder Hemera
den Jasiou (von kymr. ias splendor, calor) erzeugende Vater des fruchtbaren
Wärmeglanzes; als der den Ganymedes entführende Nebelgott:
c) geologisch: als der auf dem Olymp oder Ida thronende Sohn und
Gemahl der Mutter Erde (Ge-Rhea-Here) :
Die Sieben vor Theben und die chaldäische Woche. 115
d) zoologisch; als der in Taubengestalt auf seiner Eiche thronende
Zerg ^(odatralog-^ der in Schwan, Kiikuk und Schlange verwandelte Gemahl
Ledas, Heras und Demetcrs; als der, mit dem Adler und der Sphinx neben
sich, selbst löwenartig gebildete König der fliegenden und wandelnden
Thierwelt:
e) culturhistorisch- technologisch: als Vater des Sprach-, Schritt- und
Redegottes Hermes, sowie der kunstreichen Schmiede- und Webegöttin
Athene; als der mit Demeter und Semele (j)cmai\) vermählte Vater
Persephones und Dionysos, des Acker- und Weinbaues; als Gemahl der
häuslich-sittlichen Ilestia, Bruder der ehelich-gesetzlichen Here, und als Vater
der, allen Tugenden und Künsten der Wanderung, Schifiahrt und Palästra
vorstehenden, Dioskuren:
t) ethnologisch: als Vater des Arkas, Pelasgos, Hellen und als
panhellenischer Ahnherr sämmtlicher einzelner griechischer Stammhelden:
g) anthropologisch: als Gott der Träume und Orakel {uccvn/upalog),
Vater Hermes, Apollons und der Musen und des Heilgottes AnoXlihv-Ucnäv;
als göttlicher Bräutigam des lEQog yäfing und Erzeuger oder Ahnherr des
geistig physischen (mit Psyche vermählten) Eros; als Vater der Schuld und
Reue, der sinnverblendenden Ate und der reuig abbittenden ylixal: als Vater
seines, aus dem Chronologischen und Pieligionsgeschichtlichen ins Ethische
übertragenen und vergeistigten Lieblingssohnes, des, trotz Heras macrocosmischem
Hasse, siegreich kämpfenden, büssend irrenden, Tod und Orcus bezwingenden
und den Prometheus erlösenden Gottmenschen Herakles.
7. Mythologie und («) Mythologien.
Wie die sprachliche, erscheint, bei genauerer Betrachtung, auch die
ihr parallele religiös-bildliche Entwicklung der menschlichen Erkeimtniss als
eine gemeinsame, in der die anthropologische Einheit des Urs}u-ungs sich
auch auf historischem Wege durch mannigfache Berührung und Mischung der
Völker erneuert and fortgesetzt hat, und die also, eben wie die sprachliche
Entwicklung, nur in ihrer, alle einzelnen Völkermythologien umfassenden
Ganzheit, als eine vergleichende Wissenschaft wirklich verstanden und,
mit Anwendung der obigen acht Gesetze, wissenschaftlich erörtert werden
kann. Die einzelnen alten Religionen und Mythologieen aber die bei diesem
Vergleich hauptsächlich in Betracht kommen und in denen wir, zufolge der
besonderen Natur, Geschichte und Oertlichkoit des Volkes, immer eins oder
mehrere jener Gesetze und eine oder mehrere jener Gattungen und Ver-
einbarungsweisen vorzugsweise entwickelt und verdeutlicht finden sind, nach
ihrer allgemeinen Entwicklungsstufe geordnet, die folgenden:
a) die (durch den Vergleich vieler noch lebender turanischer Völker-
mythologieen zu ergänzende) turanisch - skythische und gomerisch-
k eltische Mythologie, gegründet auf vorzugsweise, Entwicklung des Ver-
thätlichuugsgesetzes und der solar -lunaren Tages-, Jahres- und Monats-
11(] K. F. Meyer:
Chronologie und ausgezeichnet durch besondere Ursprünglichkeit und Durch-
sichtigkeit der Verbildlichuug und allegorisch-wymbolischeu Fassung:
b) die (gleiclifalls durch den Vergleich mit noch lebenden turanischen
Mythologieeu zu ergänzende) tyrrhenisch-(tuskisch-j lateinische, — gegründet
auf vorzugsweise Entwicklung des Verpersönlichungsgesetzes und zwar mit
besonderer Anwendung auf" die meteorologischen und geologischen, techno-
logischen und anthropologischen Mythen, die diese Mythologie in unzähligen
Verpersönlichungen festgehalten hat:
c) die, auch der hebräischen zu Grunde liegende, chaldäisch-babylonische
Religion und Mythologie, gegründet auf die Einheit und vereinbarende Kraft
des reintheologischen Elements und auf dessen Vereinbarung mit dem
siderisch-, insbesondere planetarisch-chronologischeu :
d) die phönikische und assyrisch-phönikische Mythologie, aus-
gehend von der chaldäischen Hebdomas, mit hinzutretendem (meteorologischem)
Feuerdienste und mit besonderer Entwicklung des Vergeschlechtlichungs-
gesetzes und des technologischen Mythus:
e) die ägyptische, gegründet auf eine chronologische Weiter-
entwicklung des chaldäischen theologisch - chronologischen Siderismus und
auf dessen Vereinbarung mit dem Verörtlichungsgesetze und mit dem durch
dasselbe bedingten geologischen, zoologischen, ethnologischen und anthro-
pologischen Mythus:
f) die altindische, gegründet auf eine neue wunderbar reiche und reine
ethisch - theologische Entwicklung des alten (gomerischen) Morgen- und
Jahreszeitopferdienstes, sowie des darauf bezüglichen meteorologisch- chrono-
logischen Märchens:
g) die altpersische - (zarathustrasche), gegründet auf eine ethisch-
vergeistigte Weiterentwicklung des altindischen Morgen- und Jahreszeit-
dienstes, sowie zugleich jenes altturanischen unbegrenzten Verpersönlichungs-
glaubens, und auf eine Vereinbarung beider mit dem strengen Gesetze der
chaldäischen Hebdomas :
h) die hellenische (und hellenisch-römische) : hervorgegangen aus einem,
durch die eigenthümliche Lage Griechenlands gegebenen, Zusammentluss aller
früheren turanisch-arischen und hamitisch-semitischen religiösen Entwickelungs-
stulen und gegründet auf eine eigenthümliche künstlerisch -anthropologische
Vereinbarung und Verschmelzung derselben zu einem dichterisch -geschicht-
lichen (Janzen, das unserer vergleichenden mythologischen Forschung heute
ebensosehr zum Reiz und zum Wegweiser dient als es derselben zum rich-
tigen Verständniss auch seinerseits nicht entbehren kann, — und als nament-
lich die volksthüinlich- realistische Behandlung die die religiöse Erkenntnis«
in den Homerischen Gedichten erfahren hat eines solchen allgemeineren
höheren Vergleiches bedarf, um uns hinter diesen, aus dichterischer Ver-
örtlichung, Vergeschlechtlichung, Vergeschichtlichung und scherzhafter Ver-
Die Sieben vor Theben und die chaldäische Woche. 117
sinnlichung so reizend gewobenen Schleiern die strengen einfachen Züge der
ursprünglichen Allegorie oder Symbolik wiedererkennen zu lassen.
8. Religiöse Handlung (Ritus), einfach und zusauimeugesetzt: Schall-, Flug-,
Feuerritus, Brand-, Menschenopfer.
Das miraische Ursprungsmittel aller religiösen Erkenntniss M-ar die re-
ligiöse — symbolisch-allegorische — Handlung; die einfachste und ursprüng-
lichste religiöse Handlung aber war die Gott im himmlischen Licht anrufende
und nacherschafiende symbolische Sprachgeberde; was das, als ein Echo des
göttlichen Schöpfungsrufes sich begreifende, anbetende Wort, das, indem es
durch seine Articulation den himmlischen übersinnlichen Begriff Gottes vermittelte,
zugleich durch seinen Klang für das sinnliche Licht selbst ein hörbares
Symbol und Abbild wurde. Und da, zufolge des natürlichen Zusammenhanges
aller Lebensthätigkeiten, eine solche Sprachgeberde dem Menschen nicht
möglich war ohne gewisse begleit-ende mehr- äusserliche Körpergeb erden, —
ohne ein, den Anruf Gottes verdeutlichendes, staunendes Erheben des Hauptes
und der Arme; ein, die himmhsche Höhe gegensätzlich begreifendes,
demüthiges Niederknieen, ein die miraische Erkenntniss in sich selbst
sammelndes frommes Händefalten, — so fand sich schon das einfache ur-
sprüngliche Wort unwillkürlich zu einer mehr zusammengesetzten religiösen
Handlung, einem, von der Gemeinde ausgeführten, gottesdienstlichen Ritus
erweitert, und verfolgte und verstärkte diese Erweiterung dann auch noch
vermittelst verschiedener anderer, auf mehr willkürliche Weise herangezogener
Symbole und symbolischer Handlungen. Als die natürlichste solcher Er-
weiterungen bot sich zuerst die im Klange des Wortes gegebene Lichtschall-
symbolik: und zwar entweder vermittelst des Gebrauches klingender Ton-
stoffe, Tonzeuge und Tonwaffen ~ Zimbeln und Harfen, Zinken und Flöten,
Pauken und Waffentanz; — oder aber vermittelst des Vor- und Uraführeus
oder Uratragens^) gewisser dem Lichte und Himmel gleichstimmiger, und
desshalb auch etymologisch -homophoner Thiere"") — brüllender Löwen und
*) Für den — die Lichtschallsymbolik mit der chronologischen Bewegungssymbolik (s. v^. 10)
verbiudeudou — Ritus des Umtragens insbesondore zeugt z. B. die von den Aegypteru (sieben-
mal) um den Rhatempol f,etrageue ini-QicftQovnt), Kuh cfer Winterwende (Plut. Is. 52): der
lüwentragende assyrische Sandan, der '^ffzA;i'77ioc,^foj'7oi}/o?vouAskalon(Mov.I. 534): die Sage von
der durch Löwenum tragen bewerkstelligten Weihung der Ringmauer von Sardes (Lyd. de mens. 111,
1-1); und so auch wol der Lamm und Hirsch tragende ApoUou Karneios und ililesios.
^) Einige noch besonders deutlich erhaltene luid nachweisbare Beispiele dieser ursprünglichen
Uouiophoiiic sind : das ägypt. ^mui, miau, brüllen (magire) Löwe" homophon mit äg. ,mui Licht,
Glanz, und mit dem Morgonlichtgott Mui: das griech. ^Aixo; Wolf (vgl. rugire)" homophon mit
„Avxr\, Atvy.}] diluculum, lux (vgl. Welcker Gr. G. L 476. Macrob. Sat. L 16)" und mit Apollou. Tau
und Zeus Avy.ioi, Avy.moi, sowie mit den Licht- und Tagesheroen Lykos, Lykaon, Lykurgos,
Lykomedon und den Dämmernngs - Heroinen Lyke und Leuke: das griech. ßniuto, /Soiuw
(brüllen, vom Löwen, Hesych., vgl. fremere und das italien. bramare) homophon mit der Mond-
göttin Uekate Brimo uiul dem solaren Dionysos Bromios: das sanskr vrm, griech. /of/zu««»',
Xofftr*tKnir. (himmern hinnire, haunire) homophon mit der Morgeudämmerungsgöttin Sarama
und dem ü'ojUv^-Saramejas (vgl. das „Mercurium adhinuivisse-' bei Aniob. IV.. 14.): und so eut-
118 K. F. Meyer:
Stiere, himmernder Esel, Hengste und Hirsche, schreiender Widder und
Lämmer, heulender Wölfe und bellender Hunde, — alles Thiere die der ihnen
von der Natur iu die Kehle gelegte mannigfache — bald dunklere, bald hellere,
bald leise dämmernde, bald mittags- und vollmondsartig gellende — Lichtruf
dann auch zu dauernden Symbolen, — und zugleich reichen symbolischen
Mytheiiquellen der verschiedenen Lichtgottheiten gemacht hat^). Und als eine
natürliche Ergänzung trat dieser, den hellen Ton und Glanz des Lichtes ver-
bildlichenden Schallsymbolik dann, zweitens, eine den hohen luftigen Schwung
und Strahlenerguss des Lichtgestirns wiederholende Symbolik des Wurfes,
Schusses und Flugs zur Seite: theils, vermittelst geworfener mond- und
sonnenrunder, - und also zugleich figurativer — Scheiben und Disken,
Kugeln und Bälle (Aepfel)^); theils, vermittelst geschossener schwirrender, —
und also zugleich schallsymbolischer — stralenartiger Speere und Pfeile**);
theils, vermittelst gewisser dem Gott entgegengetragener — und zum Flug
sprang auch wol die hieroglyphische Schreibung (seit der XIX. Dynastie) des semitisch-
ägyptischen Bai (Bar)-Öeth duroh das Bild eines Esels aus einer Homophonie des ägyptischcnen
Wortes ,iu, iu, Esel" mit dem chaldäischeu Bainamen Jao, (vgl Bunsen Eg. I. 439 u. Lepsius
Götterkr. 19. 48, Mov. I. 550.).
^) Aus keiner reicheren, geheimnissvolleren Quelle hat der alte Ritus und Mythus seine
symbolischen Begriffe geschöpfet als aus dieser, bis jetzt nur sehr unvollkommen verstandenen
(vgl. Grimm D. M. S. 707) Lichtschallsymbolik, die — ausser dem welterschaifenden Lichtrufe
Jehovahs theils, auf menschlich-musikalischem Wege, die Leier Apollons und Hermes's, die
Flöte Pans und Marsyas's, die Pauken und Posaunen des Rhea- und Dionysosdienstes und den
Waifentanz der Korybanten hat erklingen lassen; theils, aut animalischem Wege, allen jenen
brüllenden, himmernden. blökenden, heulenden, bellenden Lichtschalltbieren in den verschiedenen
Religionen, — den Lichtlöwen und Sonnenstiereu Mui's, Rha's, Pan's, Moloch's und Rheas, den
Rinderheerden Indra's und Heliot's, den Ross- und Eselheerden Mithras's und des hyperboeischen
Apollon, dem Widder und Lamm Kueph's, Hermes's und des Apollon Karneios, dem Wolfe
Apollons und Ares's und dem bellenden, wachenden Hunde des Hermes-Saramejas — ihre
Heiligkeit verliehen hat.
") Daher z. B. der (sommerliche) Discus mit dem Apojlon den Hyakinthos erschlägt
(Apollod I, 3, :!, vgl. u. s. 12): die (morgensonnenhafte) aiidtnu mit deren Wurf Nansikaa den
Odysseus erweckt (Od. VI, 115) ; der (morgengoldenc) Spielball des Kretischen Zeuskindes (Apollonlll,
132. Philosti-at. jun. 8): und der (morgenabendrothe) Apfel Aphrodites und Atalantes, sowie
der (jahreszeitliche) der Eris und der_ ;i Hesperiden.
") Daher z. B. der nie fehlende (Morgenlicht)-Speer des Kephalos und Oedipus: die nie
fehlenden (Sonnen-)Pfeile Philoktets und Pandaros's: und desshalb auch der skytisohe Ritus des
Gegen-dic-Sonne-schiessens. Vom Schiessen hergenommen scheinen auch die Namen verschiedener
Lichtgottheiten: z.. H der skythisch-assyrisch-ägyptisch-tuskische O/io-ocooj, Sar, A-sur, Usr,
Usil, von dem ägypt. ,sr, Civitk, Pfeil"; und ebenso von dem ägypt „sat, Pfeil, glänzen"
(vgl. cymr. saeth, sagitta;* der seraifisch-hamitische Gott Seth: und so liegt auch wohl dem griech.
Helios und assyrisch-semitischen El, Bei, Bai, Pal (Sardana-pal u. a.) sowie dem germanischeu
Pal, Phol Bald'r und dem griech. ^A-nullwy eine „schiessen" bedeutende, den Lichtgott als Bogen-
ischützen darstellende, (starke) Würze zu Grunde (vgl. lü/.i.uj, pi<i./.«), sanskr. phal (findi),
bebr. palah, cynir. bollt (Holzer) goth. i)alths; — während das von Grimm (D. M. pag. 202)
verglichene litt, baltas, (albus, bellus) wol vielmehr zu der Ak-dlawurzel sanskr. 55^^(lnoere)
cymr. gweled (videre) ägypt. val (oculus) gehört; der von (iriniin auch verglichene Gott Hell
aber zu dem cymr. „bela rugire (bellen) lupas".
Die Sieben vor Theben und die chaldaische Woche. 119
freigelassener — Vögel: Adler, Falken, Schwäne, Tauben, Reiher, Kraniche
die desshalb gleichfalls thierische Attiibute verschiedener Lichtgottheiten
geworden sind'') und von denen sich einige auch mit gewissen Lichtschall-
thieren zu unmittelbaren allegorischen Sinnbildern des tönenden Sonnenflugs —
zu Sphinxen und Greifen, geflügelten Sonnenstieren und Soniienlöwen —
zusammengesetzt haben. — Als das mächtigste und wunderbarste Verstärkungs-
mittel ihrer lichtanbetenden Gotteserkenntniss aber oflenbarte sich den Menschen,
drittens, das Feuer, dieses, bald (als Athene) im Blitze niederzuckende, bald
(als Hephästos) der Erde entquellende, bald (als Pallas Tritogeneia) durch
Reiben selbsterschaö'ene lichtähnliche Element, das in seiner dem Licht ent-
gegen gen Himmel lodernden Pracht für den zu Gott aufsteigenden Ruf und
Begriff das trefi'endste sichtbare Gleichniss, für die Herstellung des göttlich-
menschlichen Zusammenhanges den unmittelbarsten, auf den Ruf des Lichtes
antwortenden, menschlich-göttlichen Gegenruf darbot. Und noch inniger und
wirklicher gemacht wurde diese Herstellung durch den opfermässigen Gebrauch
des Feuers, kraft dessen dasselbe, als ßrandopfer, dazu diente den Genuss
der Früchte und Speisen, die es die Menschen hatte bereiten lehren, nun
auch, als eine fromme, dankbare Gabe, dem Himmel und der Gottheit mit-
zutheilen und zurückzuerstatten : und kraft dessen es ferner, als neben dem Ge-
fühle des Preises und Dankes, im Gewissen des Menschen auch das der Schuld
und das Bedürfniss der Sühne erwachte, sofort für Abtragung dieser Sühne
ein ebenso wirksames Mittel als heiliges Sinnbild darbot und namentlich das
Menschenopfer mit dem Heiligenschein eines von der Gottheit sell)st voll-
zogenen Sühnungs- und Reinigungsactes (auto-da-fe) zu umkleiden wusste.
Chrouologisclie Entwickelung des (xottesbegriffes: Morfireuopfer.
9. Der auf solche Weise ents'iandene, am Licht der Gestirne und
Gegenlicht des Feuers gebildete theologische Gottesbegriff erhielt seine haupt-
sächliche Entwickelung durch die Verbindung mit dem, dem Gang und Wechsel
der Gestirne entnommenen, (chronologischen) Zeitbegriffe, d. i. dem meta-
phorischen Begriffe eines aus Tag und Nacht, Voll- und Neumond, Sommer
und Winter, Auf- und Untergang der Gestirne zusammengesetzten regel-
mässigen Fortganges der Schöpfung, die eben erst in diesem Wechsel dem
Menschen die Dauer ihres göttlichen Daseins, erst im Schwinden und Wieder-
kehren des Lichtes die Freiheit der göttlichen Gnade und der eigenen
menschlichen Schuld zum Bewusstsein brachte. Denn da der Mensch, zufolge
seines Verthätlichungstriebes, jenes Schwinden nicht sehen konnte, ohne die
• ^) Der Adler, wegen seines hohen Flugs, Symbol ilor höchsten Lichtgottheiten; der Falke,
wegen seines ringartigen Schwebens, der kyklisclien ;Esumn, Rha, Horiis, Aj^ollon): Taube,
8ch\v;in, Reilicr. Kranich, wegen ihres von NO. gegen SW. streichenden Zuges, der Tages- und
JahresgottboittMi (,Zeus, Aplirodite, Apollon). Der Hahn dagegen — /.. B. des Aiiollou, Askslepius
lind assyrischen Nergal — ist natürlidips Sciiallsymbol; das Märchen vom Schwanengesang aber
nichts als ein von dieser Schallsymbolik in oincni Flugsymbol iles I^iehts wachgerufener Widerhall.
120 K- F- Meyer:
Furcht vor einer einstigen Nichtwiederkehr, vor einem von Gott verhängten
und von ihm, dem Menschen, selbst verschuldeten Hereinbrechen ewigen
Dunkels, Winters und Todes, so wurde eben diese Furcht, wurde der der-
selben zu Grunde liegende Zeitbegriff die eigentliche Wiege jenes erwähnten
(im Feuer zu sühnenden) allgemeinen Schuldbewusstseins, das dem Menschen
nicht sowohl einzelne Vergebungen und Missethaten als vielmehr sein Dasein
selbst zum Vorwurf machte und ihn dasselbe als einen, dem Rechte Gottes
und Gebote des Gewissens widerstreitenden, nur durch theilweise Selbst-
opferung sühnbaren, Losriss und Uebergriff empfinden liess. Derjenige Zeit-
wechsel aber der diese ganze chronologische Entwickelung des Gottesbegriffes
am ursprünglichsten und einfachsten ins Leben rief, war der Tag- und Nacht-
wechsel, war insbesondere der, vom Schrecken der Nacht erlösende, Sonnen-
aufgang, mit allen seinen, namentlich im Rigveda und im hebräischen Mythus
so lebendig geschilderten, physisch -theologischen Erscheinungen der stufen-
weisen Wiederkehr des Tages, der zwischen Gott und Menschheit neu-
hergestellten himmlischen Stufenleiter: — mit jenen seinen märchenhaften
Wanderungen und geheimen Besprechungen der Dämmerungsgöttin tSarama,
oder Morgenrothgöttin Uschas und zugleich mit seinem männlichen Vritrasieg
und Titanensturz und dem gegen Gott selbst siegreichen Ringkampfe Israels;
mit seinen Allegorien von den gesprenkelten Lämmern und freigemachten
(lichtschallsymbolischen) Rindern, und zugleich mit seiner ethisch-kosmischen
Unterscheidung zwischen A'orn und Hinten, Rechts und Links, und Gut und
Böse. Denn eben wie der Mensch kraft der Anbetung sein Oben und unten,
sein Himmlisch und Irdisch unterscheiden und, gleichsam im Angesicht
Gottes, gegensätzlich begriffen hatte, lernte er nun auch, im Angesicht des
aufgehenden göttlichen Tages, den Unterschied der übrigen vier Himmels-
punkte begreifen: lernte zuerst, kraft des Aufganges selbst, diesen ihm entgegen-
leuchtenden Osten und zugleich dieses sein hinschauendes Vorn von dem
abgewandten Hinten und Westen unterscheiden; lernte sodann, kraft der süd-
lichen Bewegung des steigenden Gestirns, den religiösen Vorzug dieser gott-
begünstigten, glücklichen rechten Seite und Hand vor der finstren unglück-
lichen, nördlichen erkennen und gebrauchsmässig ausüben: und hat den
religiösen Zusammenhang dieser Sitte und Erkenntniss, sowie seinem leib-
lichen Leben, so auch seiner Sprache, — namentlich allen asiatischen Sprachen, —
deutlich eingeprägt und darin als ein noch heute lebendiges Zeugniss für die
religionsgeschichtliche Bedeutung des Morgenopfers zurückgelassen'")-
10. Weiterer cliroiiologischer Ritus, vermittelst der Symbolik a) des Rauiiics und
b) des Kampfes.
Dieser, allen chronologischen Riten und Mythen zu Grunde liegende
Morgeugottesdienst, nebst dem ihm entsprechenden Abeuddienst, übertrug sich
von dem Tag- und Nachtwechsel dann auch auf die übrigen grossen Zcit-
»•) 8- in dem Vortrag „Rechts und Links" s. Z. Heft lli, Sitzung vom 2f>. Jan. 187;i.
Die Sieben vor Theben und die chaldäische "Woche. 121
Wechsel, — den Wechsel der Monate und Jahre, Tag- und Jahreszeiten: —
so dass, kraft des erwähnten chronologischen Parallelismus (s. o. §. 6 d.), die
neue Mondsichel und neue Jahressonne nun als ein andrer Sonnenaufgang,
die abnehmende Luna und weichende Sonne als ein neuer abendlicher Unter-
gang, der den Winter vertreibende Frühling oder auch der den heissen
Sommer vertreibende Herbst als ein andrer Morgen gefeiert und begriffen
wurden. Nothwendig aber trat, bei diesen mannigfachen Uebertragungen,
neben dem theologischen Inhalt der Feier, der chronologische mehr und mehr
in den Vordergrund, und Hess die Mimik des Zeitwechsels selbst, die bei der
ursprünglichen Morgenfeier sich mit dem eigentlichen Gottesdienst in un-
mittelbarer einfacher Symbolik verschmolzen hatte, jetzt in mehr zusammen-
gesetzter Symbolik und Allegorie zu besonderer Geltung kommen und nament-
lich vermittelst zweier rein chronologischer Metaphern und Sinnbildlichkeiten,
der der räumlichen Bewegung und der des Kampfes und der Eroberung, den
verschiedenen grossen Zeitfesten zum Begriff und zur Erläuterung dienen.
Jedenfalls die ältere und allgemeinere dieser beiden Arten chronologischer
Mimik war die vermittelst der räumlichen Bewegung, einer Metapher und
Siunbildlichkeit die nicht nur unseren meisten sprachlichen Bezeichnungen
des Zeitwechsels, unserer Vergangenheit und Zukunft, unserer an- und aus-
gehenden, um- und ablaufenden Zeit, zu Grunde liegt, sondern die auch in
unseren Umgängen und Umzügen, Prozessionen und Wallfahrten eine — mehr
oder minder unbewusste — religiöse Fortdauer feiert. Begegnen wir einer
Metapher und symbolischen Handlung dieser Art doch auch schon in jenen
Wanderungen der Veda'schen Sarama oder Ushas, insbesondere in ihrem
Ueberschreiten des Tag und Nacht trennenden Rasastroms''), und finden
diese Sinnbilder dann auch in vielen anderen (schon oben (§. 5) berührten)
Tages- und Jahresmythen wieder: namentlich z. B. in den morgen -abend-
lichen Wanderungen der Dioskui-en und des Tagesboten Hermes, des Jason
und Odysseus; in den jahreszeitlichen des Hephästos, Apollon und Herakles;
in der Tagesnachtfahrt der Argonauten und der Sage wie Jason, einschuhig,
die (altgewordene) Zeitgöttin Hera durch den Strom der Nacht (Anauros)
ans Ufer des Morgens und der Verjüngung trägti ^). Und wie hier das Sinn-
bild des Raumes, sehen wir in jenem, gleichfalls dem alten Morgengottesdienst
angchörigen, Vritrasieg und Israelskampf auch bereits das andere chronologische
Symbol, den Kampf und Sieg, zur Anwendung gebracht: ja, und finden
dasselbe gerade in der Natur des Tag- und Nachtwechsels so wohl begründet,
dass wir wohl annehmen dürfen, es sei von ihm eigentlich ausgegangen und
sei auf die siegreiche Ueberwindung der übrigen Zeitwechsel erst später über-
1 ragen worden. Wie der Morgen als ein Vritra- oder Chimärasieg, als ein
(dem Zeus mit Hülfe Pans und Hermes gelungener) Typhonssieg und Titanen-
sturz, erschien und wie wir diesen Sieg auch von Jason, Perseus, Simson
") Rigv. III, ;;i, 0. IV. 45, 7. VI, e,4, 4 M. Müller, Science of L. II. S, pg. 4G2. b-2'2.
'-) llygiu fab. 13, 22. Apollon. Rhod. 111, G7, Serv. Virg. Ecl, IV. 34.
Zeitschrift für Rtlinologie, Jahrgang 1875, 9
122 K. F. Meyer:
Siegfried mit Hülfe oder zu Liebe einer schönen Morgenröthe Medea,
Andromeda, Delila, Brunhilt über den Drachen und die Gorgo des Dunkels,
oder auch, mit mythischer Umkehr des Activitätsverhältnisses, über den Löwen,
Stier, Wolf des Sonnenaufganges selbst erfechten sehen; so wurde nun aucii
der parallele Winter - Frühlings- oder Sommer- Herbstwechsel , wurde der
Gesammtwechsel des Nyclit-Hemeron-Tages und des (zwei- oder dreitheiligen)
Jahres, wurde zuletzt auch der Wechsel aller künstlich- gebundenen Fristen,
von der Triemerie und Hebdomas bis zur Octaeteris, als ein solcher Sieg
dargestellt: und wurde diese kriegerische Symbolik dann auch noch mit der
räumlichen auf die Weise verbunden, dass man die wechselnde Frist in Form
eines Lagers oder Walles, einer Burg oder Veste stürmend eroberte und dem
alten Feinde abgewann. Dem starken Verthätlichuugstriebe der alten Mensch-
heit, besonders der kriegerischen (Skythisch-Gomorischen) Völker, konnte
keine chronologische Mimik besser entsprechen als ein solches gewaltsames
Miterzeugen des Wechsels durch Kampf und Schlacht: als ein solches Be-
kämpfen und Ueberwinden der bösen — kalten oder heissen — Jahreszeit in
Gestalt, bald eines Bären, Urs, Wolfs oder Löwen, bald eines grimmigen
menschlichen Streiters; ein Erlegen des abgelebten Gestern in Gestalt eines
von dem jugendlichen Heute erschlagenen vergeblich kämpfenden Feindes; ein
gleichzeitiges Besitz- und Begriffergreifen von der neuen Frist in Gestalt einer
bestüi-mten und eroberten Babel oder Sardes, Thebe oder Ilios. Und indem
dieser rituale Kampf gewiss ursprünglich kein blosser Scheinkampf war, sondern
sowohl den wilden Thieren als den — aus Kriegsgefangenen genommenen -
menschlichen Gegnern einen vollen Widerstand gestattete, freute sich die
kriegerische Gemeinde, ihrem (namengebenden) Gott bei dieser Gelegenheit
ein Schauspiel der eigenen siegreichen Tapferkeit und Tüchtigkeit vorzuführen
und sich vor ihm, kraft der einzelnen ausgewählten Kämpfer, — kraft der,
unter dem Namen eines Vritrahanas-Bellerophontes, eines Löwen- oder Stier-
bezwingers Simson, Herakles und Theseus, mythisch fortlebenden ritualen
Helden — des alten Namens und neugeschenkten Zeitraumes würdig zu
erweisen.
11. Zeitwechselkampf iu Verbindung mit dem Menschenopfer.
Einen ganz besonderen ritualen Werth aber erhielt der Zeitwechsel-
kampf durch seine Verbindung mit dem Menschenopfer, das, wie wir gesehen,
schon seinem Ursprung nach ein chronologisches Fest war und zu dessen
religiöser Vollziehung jener tödtliche Zweikampf den kriegerischen Völker-
sciiaften die unmittelbarste Gelegenheit bot. Der namengebende Gott der
kriegerischen Gemeinde konnte für die menschliche Schuld der alten, für das
gnädige Geschenk der neuen Zeitfrist gewiss mit keiner genügenderen Busse,
keinem vortrefflicheren Kaufpreis befriedigt werden als mit dem iliin geopferten
liobon des Vertreters jener ersteren; konnte, an der S[)itze seijies Volkes, das
Schlachtfeld des Heute nicijt glorreicher betreten als über dem Leichnam des
Die Sieben vor Theben und die chaldäische Woche. 123
ihm zu Ehren erschlagenen Gestern. Wenn aber in diesem Falle, dem des
einfachen Tageswechsels, ein einzelnes Opfer genügte, so war natürlich bei
grösseren, mehrtägigen — oder mehrwöchentlichen — Fristen auch eine dieser
Mehrheit entsprechende grössere Zahl Geopferter erforderlich, und diente dann
zugleich um, neben dem religiösen, auch das logische Bedürfniss der Gemeinde
zu befriedigen, fiir die der schwierige Begriff einer mehr zusammengesetzten
chronologischen Zahl eben nur vermittelst eines solchen sinnlichen Gleich-
nisses, einer solchen Reihe nebeneinander hingestreckter Leichname, fassbar
wurde. Und diese chronologischen Zahlen sind es dann auch die uns in
den vielfachen aus dem Ritus des Zeitwechselopfers, insbesondere Zeitwechsel-
kampfopfers, entsprungenen Mythen sofort als ein fester deutlicher Zug
entgegentreten und uns in diesen 50 geopferten Söhnen des Lykaon, 50 (oder
52) gemordeten Söhnen des Aegyptos, 50 (oder 52) von Tydeus erschlagenen
Kadmeionen'^), sofort die opfermässig gefeierte Zahl der Jahreswochen (oder
Tagesstunden); in den 360 altkymrischen Gwautodinkämpfern die der Jahres-
tage; in den 7 erschlagenen Söhnen der Megara aber und also namentlich
auch in den 2.7 Niübiden und 7 thebanischen Kämpferpaaren die Zahl der
Wochentage wieder erkennen lassen. Vollkommen bewiesen aber zeigt sich
die religionsgeschichtliche Wirklichkeit des alten Zeitwechselopferkampfes
durch eine Reihe hier sofort aufzuführender historischer Beispiele, die aus
den sehr zahlreichen Beispielen des Menschenopfers, insbesondere chrono-
logischen Menschenopfers, im Alterthumi^) gerade diesem Kampfopferritus an-
gehören und die sämmtlich mehr oder minder weit in die christliche Aera
hereinreichen. Ja, und bis ai^f den heutigen Tag werden wir diesen
historischen Nachweis dann noch durch verschiedene — namentlich in den
germanischeu Ländern erhaltene — volksthümliche Gebräuche und Spiele
fortgeführt sehen, in denen der alte blutige Ritus unter milderer Form lebendig
geblieben ist und vermittelst deren die sjmbob'sche Erkenntniss und Erinnerung
des Volkes, getreuer als die logische der Wissenschaft, das in einen heiteren
Mummenschanz umgewandelte grosse tragische Mysterium von Frühling zu
Frühling und von Eindte zu Erndte seit Jahrtausenden unvergesslich
weiterspielt.
12. Historische Beisjüele der verschiedenen clirouologischeii Opferkämpfe: — Tages-,
Jahres- und Jalireszeiteu- Wechselkampf.
Zunächst a) für den alten opferuiässigen T age s w e ch s e 1 - Z w e i -
kämpf für den, — allmorgendlich bei Sonnenaufgang gefeierten — sieg-
reichen Ki"npf des Heute mit dem Gestern ein deutliches Beispiel bietet uns
'^) Apollod. 111, 8, 1. Paiisan. VIII, ;i. 1. — Pausau II, U), 3. Apollod. 11, 1. ö. -
II. IV, 383. — Yfrl. u §. 12, 15, 45, 80.
'<) Plat. Min. por. ;;i5, i-. Le^g. VI., pg. 78->. Porphyr de absfiu 11,12 pg. 50, 10, Seiv. Aen.
VI, 107, (ef. Hom. Od. X, 552). Sil Ital. IV. 770. Moveis Phün. I, 301 ff. Welcker
Gr. GL. 1, 211, II, 7(;!tff.
9*
124 K. F. Meyer:
jener aus Sueton und Ovid, Strabo und Pausanias bekannte^ ^), noch in der
Kaiserzeit fortdauernde skythisch-lateinische Tempelritus der Diana Aricina,
kraft dessen der priesterliche König des Tempels (des kleineren der beiden
von Strabo beschriebenen Fana), der sogenannte Rex Aricinus oder Nemorensis,
immer ein entsprungener Sclave sein und seine Würde auf die Weise er-
werben musste dass er, nachdem er sich in den Hain der Göttin geflüchtet
und einen Zweig ihres heiligen Baumes (Jahresbaumes) abgebrochen, seinen
Vorgänger, den alten Tageskönig, zum Zweikampfe forderte und kampfmässig
erschlug. Dieser, auf solche Weise beschränkte und an die zufällige Ent-
springung eines Sclaven geknüpfte, Ritus nämlich war offenbar, wie auch
Servius andeutet, nur der gemilderte Ersatz für einen ursprünglichen regel-
mässigen Morgenzweikampf, dessen spätere Milderungsweise theils in der
culturhistorischen Minderung des Menschenopfers überhaupt, theils in dem
besonderen ethnologisch -geschichtlichen Umstände ihren natürlichen Grund
hatte dass der, schon im Skythenlande vorzugsweise von Kriegsgefangenen
vollzogene, Ritus sowohl einerseits den Sclavenstand der beiden Kämpfer als
andererseits, mit Anwendung der Activitätsumkehr, die Selbstbefreiung des
Sclaven als nothwendige Bedingungen jener Milderung erscheinen liess, und
dass der Ursprung desselben von dem Mythus eben desshalb auch auf das
Beispiel jenes aus dem Tempel der Diana Taurica dem Opfertode entronneneu
Orestes zurückgeführt wurde ^ ^). Eben dieser Orestes aber dient dann auch
in seiner anderweitigen mythischen Geschichte dem Sinne des von ihm her-
geleiteten Aricinischen Ritus, als eines Tageswechselkampfes, zur Bestätigung:
einmal, schon in seiner Eigenschaft eines rächerischen Morgenheldeu, der,
zusammen mit seiner Schwester Electra-Morgenröthe, die Ermordung des
königlichen Vaters Tag an der verrätherischen Mutter Nacht — oder Abend-
röthe — rächt: und sodann auch, in seiner Eigenschaft eines Tageshelden,
als welcher er (eben wie früher Agamemnon mit Achilleus um die schöne
Briseis) mit dem gestrigen Tage, Neoptolemos, um die schöne Morgenröthe
Hermione (vgl. u. §. 37) hadert, und seinen Gegner am Delphischen (oder
Phthiischen) Altar in einem mythischen Zweikampfe tödtet über dessen, dem
Aricinischen entsprechenden, ritualen Sinn die durchsichtige Allegorie einer
anderen Angabe dieses Delphischen Mythus — die an Neoptolemos, dem
Schutzherrn des Delphischen Opfertisches, nicht von Orestes selbst, sondern
von „Schwertmann des Opferschmauses Sohn (Macheireus Sohn des Daites)"
vollzogene Tödtung*^) — keinen Zweifel lässt. Und zu nicht minder deut-
licher Bestätigung dient unserem Ritus dann auch der andere mit ihm
genetisch verflochtene, — namentlich bei Pausanias und Ovid als Stifter
des Aricinischen Heiligthums erwähnte — mythische Heros, der hellenisch-
'*) Sueton Calig. 35. Ovid. Fast. III, 265. Stral). V, pgr. 23i). Paiisaii. II, 27,4. vgl. Hy^iii
Fb. 201. Serv. Aeii. VI. 130, II, 140.
'") öerv. Aeu. II, 140. lly^iii. Fab. 201.
") Schol Piiid. Nein. VII, 43. Pausau. I, 13, 7. X. 24, 4.
Die Sieben vor Theben und die chaldäische Woche. 125
lateinische Hippolytos-Virbius: dieser, schon in seiner Etymologie deutliche,
Doppclname, darin Hippolytos, ein dem Homerischen ßovXvtos (ßoulviövde)
entsprechender Ausdruck, den Abend — zunächst die rossabspanneude
Abendzeit, dann den verpersönlichten, von Poseidon verschlungenen, himm-
lischen Rosselenker und Abspanner^ ^) — bezeichnet; Yirbins aber, ein (im
Kymrischen erhaltener'-*) altlateinischer Ausdruck, diesem Abend einen
„frischen, neugeborenen" — von Diana Dictynna oder von Aesculapius neu
ins Leben gerufenen^") — Morgen zur Seite stellt und, vermittelst einer
solchen mythisch-etymologischen Verbindung, den Zusammenhang des Gestern
und Heute im Symbole, wenn auch nicht des Wechselmordes, doch des
Wechsellebeus begreiflich macht. Künstlerisch illustrirt und gerechtfertigt
aber wird diese ganze Erläuterung des Aricinischen Ritus endlich noch durch
ein bei Aricia gefundenes alterthümliches (altgriechisches) Marmorrelief- '), das
uns die beiden Tageskönige, — oder vielmehr deren mythische Vorbilder,
Orestes und Neoptolemos, — als nackte, bärtige, mit der Priesterbinde ge-
schmückte Kämpier vorstellt, und zwar in dem Augenblicke des Kampfes, wo
der eine, Orestes, den anderen mit einem kurzen messerartigen Schwerte er-
stochen hat und sich von dem Niedergesunkenen hinweg gleichsam recht-
fertigend gegen zwei ihm folgende bekleidete weibliche Figuren, — wol die
Artemis und ihre Aricinische Priesterin — hinwendet; während an beiden
Ecken nuch je eine andere — wol die Hören des Gestern und Heute be-
deutende — weibliche Figur mit gen Himmel gehobenen Händen ihren Schreck
und Schmerz ausdrückt. Und weiter illustrirt wird der Gegenstand und
weiter gerechtfertigt unsere Erklärung des Aricinischen Ritus dann noch
durch ein mit dem Namen der beiden Helden versehenes altgriechisches
Vasengemälde "^2), das, anstatt des allegorischen Kampfes und. Mordes selbst,
eine demselben unmittelbar vorhergehende Handlung darstellt; nämlich diejenige
von der Göttin Themis mit dem Zeitschlüssel bedeutete Handlung des Tages-
wechscls und Morgenanbruchs, wo der Held des Heute, Orestes, mit seinem
Schwerte noch hinter dem Omphalos (des Delphischen Tempels) kauert.
'*) Ebenso bezeichnet von den drei mondphasenhaften Proitostöchtern, neben Iphinoe, der
jungen, und Iphianassa der vollen, Lysippe die abspannende d. i. abnehmende Lima. — Der
von Ovid (Fast. 1 1.) erzählten Schleifung und Zerreissung des Hippolytos liegt vielleicht nur
(wie später in der Legende des Bischofs Hippolytos) ein Wortspiel, vielleicht auch ein wirk-
licher, mit der Lichtschailsymbolik des Pferdes zusammenhängender, alter Opferritus zu Grunde.
") cymr. „gwryv, frisch, neu", auch „rein, keusch:" welcher Metapher Hippolytos-Virbius
dann wol auch seine entsprechenden Eigenschaften eines jungfräulichen, keuschen Heroen
(Pansan. II, 32, 1. Horat. C. IV, 7, 25) zu verdanken hat.
-") Pansan. II, 27, 4. Hygin Fab. 49.
'-') Gefunden 1791 von Cardinal Despuig, in dessen Museum es sich jetzt auf der Insel
Majorca befindet; abgebildet in Sicklers Almanach (1. pg. 85.) Gerhardts Archäolog. Zeitung
1849, Tav. XI. und Welcker's Alte Denkmäler II, Tav. VIO, 14. und von Zoega, Hirt, Gerhard
(0. Jahn), sowie schon von den ersten römischen Herausgebern in unserem Sinne erklärt,
während Welcker es (gewiss irrig) auf den Mord des Aegisthos deuten will.
^-) Gerhard Vasengeuiälde Tav. .'4. Annali de 1. A. XL.
126 K- P- Meyer:
Neoptolemos aber, der Held des bis Sonnenaufgang dauernden Gestern, erst
von einem anderen, speerbewaffneten Jüngling — einem den Speer des
Morgenrothes führenden Kephalos, Amphitryon oder Melengros (vgl. o §. 8) —
angegriffen wird und sich vor diesem Angriff hinter den Altar geflüchtet hat,
um dann später hier von dem Schwerte des hervorbrechenden Orestes den
Opfertod zu erleiden.
Für den opfermässigen Jahres Wechsel - Zweikampf, zweitens (b)
ein merkwürdiges, gewiss auch historisches Beispiel bietet die in den alt-
kymrischen Gwautodinliedern besungene, grosse Maischlacht der Dreihundert-
dreiundsechzig^ 3), eine allegorische Schlacht, die nach Form und Inhalt jener
alten Bruchstücke selbst^*), sowie nach den Andeutungen verschiedener sie be-
sprechender jüngerer Barden und Commentatoren zu schliessen, in einer der
brittischen Jahresburgen, zuletzt namentlich in Stonehenge, alljährlich 1 — 3. Mai
wirklich geschlagen und gefeiert wurde, und deren unter König Vortigern
(Gwor-theyrn), dem Wiedererwecker des alten Glaubens, dort noch in der
Mitte des v. Jahrh u. A. vollzogene Feier in der Sage von dem Plot of knives
und den durch Hengist und Horsa erschlagenen 360 brittischen Häuptlingen
ein mythisches Zeugniss hinterlassen hat. Die in den Liedern wiederholt
erwähnte, — auch durch die vorschriftliche Rhythmenzahl (363 gworchanau)
und Preissumme (363 Silberpfennige) bestätigte — Gesammtanzahl 363, von
denen aber nur 360 erschlagen werden, bezeichnet wahrscheinlich ein aus
3 je rJOtägigen Jalu-eszeiten nebst 3 Festtagen zusammengesetztes, seinerseits
auf einen zwöl^ährigen (chaldäisch-ostasiatischen) Ausgleich ungscyclus (mit
27tägigem Schaltmonat) berechnetes tropisches Jahr'^-^), dessen drei, sei es
einzeln, sei es zusammen gefeierte Festtage, eben als solche von der allgemeinen
Schlacht und Niederlage ausgenommen blieben und in den alten Liedern
desshalb gewöhnlich unter den 3 allegorischen Namen eines Ort-, Zeit- und ^
Gesangeshelden — Cattraeth, Eidiawl, Cenau (Cathlau) — besonders auf-
geführt werden, — der eine Tag häufig auch unter der Person des vor-
tragenden Sängers selbst, der, in einem Fragment, die opfermässige Bedeutung
des „blutigen Mysterii" (coel certh) dadurch bestätiget dass er ausdrücklich
sagt, er habe mit seinem Lied die Blutschuld abgezahlt und sein Leben frei-
23) F. K. Meyer: Lebende keltische Völkerschaften (Berlin, Hertz, 1863 pg. :35ff. und Buch
der Dichtung (Berlin, P. Scheller 18G9) S. 172.
^^) Morgenhell zogen schnell in Saus und Braus
Jüngst 363 Streiter aus,
Hoffnungsvoll dahin zum hoffnungslosen Strauss;
Bis auf 3 ruhn alle nun in Nacht und Graus:
Mit Gesang und Harfenklang im hohen Haus
Feiern ihr Gedächtniss wir beim Jahresschmauss.
=>*) vgl. Censorinus bei Ideler I, 30 und Scaliger de ciucihI. t. pg. 100. Der von IMin.
H. N. XVI, 44, den Dndden zugeschriebene 30j:Uirigc auf Ausgleichung von Mond- und
Sonnen jähr berechnete Cyclus gehörte vielleicht der gallischen (wostkeltischcn); der, dem
Gwautodinritus zu Grunde liegende zwölfjährige, der lenisch-kymrischeu (ostkeltischen) Wanderung
und Bevölkerung an.
Die Sieben vor Theben und die chaldäische Woche. 127
gekauft^*^). Während aber so dieses Mysterium im westlichen, kimmerischen
Dunkel Brittanniens bis ins fünfte Jahrhundert fortgefeiert worden zu sein
scheint, begegnen wir um mehr als tausend Jahr früher einem ganz ähnlichen
Feste bei verschiedenen asiatischen Völkern; nämlich dem berühmten, in die
mythische Urgeschichte Asiens mannigfach verschlungenen skythisch-assyrisch-
persischen Feste der Sakäen, ra ^äxaua, auch'Eo(;r7) ^yvOiia'i genannt, einem
Feste das mit dem brittischen alle wesentlichsten Züge: Tagezahl und
^ahresburg (Semiramiswall), Steppe und Wanderzelte, Trinkgelag und Nieder-
metzelung, Opferfeuer (das brittische maithin d. i. Maifeuer) und Priester-
tracht, insbesondere Priesterbinde (den brittischen caw), gemein hat, nur mit
Hinzufügung des, den Gwautodinliedern fremden — wol auf die Nächte des
Jahres bezüglichen — weiblichen Elementes: und das uns so in unserer
kymrischen, an Albions Küsten gefeierten Schlacht der Dreihundertdreiund-
sechszig zugleich den letzten historischen Nachhall und den ersten allegorisch
deutlichen Ausdruck jenes in den skythischen Wüsten entsprungenen
wandernden Jahresbegriffes und Opferkampfes erkennen lässt-^).
Ein viel bekannteres Opferkampf- und Opfermordbeispiel als das skythisch-
kymrische für den Jahreswechsel ist drittens (c) das — wahrscheinlich phönikisch-
thrakische — fürden Wechsel der drei Jahreszeiten, jenes vielbesprochene,
in Makedonien (Thessalonike) noch zur Zeit der Kirchenväter aufgeführte
Mysterium des Kabirischen Brudermordes, dessen blutigen Ritus wir besonders
aus Clemens Alexandrinus kennen^ ^) und das, nach dieser Schilderung, seine
besondere Heiligkeit offenbar einer (schon oben §. 12 berührten) Verbindung
der chronologischen mit der ackerbaulichen Symbolik zu verdanken hat.
Der von seinen beiden Brüdern, jedenfalls nicht ohne Kampfritus, ermordete
Kabire, dessen Kopf dieselben dann in Königspurpur gewickelt begruben und
den Phallus in der heiligen Kiste beisetzten, versinnbildlichte nicht sowohl
die verdrängte dritte Jahreszeit als vielmehr, in Uebereinstimmung mit dem
sprachlichen Ausdruck, das, zum Todt- oder Brachliegen bestimmte, diesjährige
Drittel des dreifelderwirthschaftlich geordneten Ackerlandes, und diente,
sowie zur Versinnbildlichung dieses Drittels, so, durch seine Tödtung, Zer-
''*) o'm creu dychiorant — vy gwerth gwnacthaut. s. Kelt. Völkersch. pg. 38. 49.
'■") Berosus bei Athen.- XIV. pg. 6.'i9. cf. XII pg. 531: Ctesias bei Die Chrysost. 0. IV,
und Diod. II, -26, 27. Strab. XI, 8 pg. 431. cf. Hdt. I, 106. 207. -211. Justin I, 8. Hesych s.v.
^äxKin {tj Zxvi^ixi] iooiii) — Die Zeit des Festes, und also zugleich des Jahreswechsels, war,
zufolge obiger Stellen, bei den Babyloniern der 9. Juli, d. i. die Zeit der SommersoimenweHde
lind des aufgehenden Orion (Mov. I, 494); wogegen der in den Gwautodinliedem genannte
(und noch heute auf den l)rittischen Inseln gefeierte) Monat Mai als Anfang des Jahres, sowie,
hiermit zusammenhängend, als Monat des Adonis und der Adouien, auch bei den meisten
Völkern Kleinasiens gefeiert wurde. (Mov. I, 209).
***) Protr. 16. 70»' 11)1101' ecöiXcpöi' anoxidvavitg lyjv xu(fo).>iV lov vixoov (foii-ixidt
fTitxnkvihcht]!' xn) f,')ail'(iir]V — ir]V xiojr]v iy 7/ i6 aiiSoTo)' (loi' Jiovvaov) anixeno tig
Tv^gT)viat' xajtlyayoi\ rtföom xa\ xiOTip' linrjgxsvtiv nnncaiß^ufvoi TvQQTjvötg vgl. Eckhel
D. k. V. III, pg. .174. Arnob. V, 19. Lactant. de f. r. I, 15. Firmic. pg. 25. Lobeck
Aglaopham 1256. Movers Phon 1, 419. Gerhard G. M. pg. 131. Welcker GL. III, 178. —
Ueber die «7i6d(5>jToj ^vaict imd fxvan]gtcc a^iärjiojaja der übrigen Kabirischen und Idäischen
Götter vgl. u. 18. 20. 30.
128 K. F. Meyer:
gliederung und Beisetzung zugleich dazu dass er dasselbe opfermässig
sühne und der Gottheit, insbesondere der Demeter, zur nächstjährigen
fruchtbaren Wiedergeburt empfehle und ans Herz lege. Die anthropologisch-
technologische, ackerbaulich- generative Symbolik der Demetrischeu Kiste und
des Dionysischen Phallus, die der allgemeinen Einrichtung des Ackerbaues
von Anfang an zur religiösen Weihe und Erläuterung gedient hatte, übertrug
sich jetzt auf den religiösen Vertreter der besonderen ackerbaulichen Ein-
richtung der Dreifelderwirthschaft, welche Einrichtung also auch in Italien
(Tyrrhenien) nur kraft dieser Symbolik, sowie vermittelst einer Vereinbarung
des Kabiren mit dem Dionysos, Eingang finden konnte, die sich aber, kraft
der dreifachen Zerstückelung (Glied, Kopf und Körper) des Geopferten, doch
auch wieder mit dessen chronologischer, jahreszeitlich-numerischer Symbolik
in Einklang setzte.
Am längsten forterhalten endlich von allen Zeitwechsel-Opferkämpfen und
durch die jüngsten Beispiele nachweisbar gemacht hat sich viertens (d) der
einfache Jahreszeiten-zweikampf, insbesondere der Zweikampf zwischen
Winter und Sommer (oder Frühling), der bekanntlich als Volks- oder Knaben-
spiel in vielen Gegenden Mitteldeutschlands noch heute fortlebt und der, sowie
durch die für den Kampf gewählte Zeit (gewöhnlich Monat März) und Oert-
lichkeit (gewöhnlich ein Kreuzweg), seine chronologische, so auch durch den
Inhalt der dabei gesungenen Reime und gespielten Gebräuche seine alte
heidnisch-theologische, seine gewaltsame Opferkampf-mässige Bedeutung fort-
während lebendig erhält^^). Zuerst, blutiger, in Mitten der Gemeinde ge-
kämpfter und von derselben mit Gesang begleiteter Zweikampf; dann zweitens,
Niederwerfung und Fesselung des bösen; sowie drittens, Augenausstechung
des finstern Feindes; sodann viertens, Herumtragen entw^eder verhüllt im
Sarg oder frei auf Stangen, des Gefesselten und Geblendeten; und endlich
fünftens, Ertränken, Verbrennen oder über die Grenze werfen (Austreiben)
des bezwungenen Wintertodes: das waren die im heutigen Brauch und Reim
noch deutlich nachklingenden fünf Acte des ursprünglichen Mysterii, kraft
dessen, wie bemerkt, die religiöse Erkenntniss unsrer (Germanischen) Vor-
fahren von dem grossen Frühlingswechsel des Jahres regelmässigen sieg-
reichen Besitz ergreifen und gottesfürchtigen Gebrauch machen gelernt hat.
Und wätu'eud dieses in Mitteldeutschland noch heute lebendige Zweikampf-
spiel zu jenem zwischen Neoptolemos und Orestes gefochtenen Tageswechsel-
zweikampf eine Parallele bildet, erscheint dagegen ein anderer germanischer
Frühlingsritus, der, in Schweden, Dänemark und Niederdeutschland noch bis
vor einem Jahrhundert gefeierte (von Olaus Magnus beschriebene), sogenannte
Mairitt ^") vielmelir als eine Parallele zu der kymrischen Gwautodinschlacht,
und lässt uns in diesen beiden von einem Winter- und einem Maigraven
2») Grimm D. M. 722-729.
=") Grimm D. M. 735 ff.
Die Sieben vor Theben und die ciialdäische Woche. 129
gegeneinander geführten, — dort mit Asche und Funken, hier mit grünen
Birkenzweigen kämpfenden — Reitergescliwadern die beiden von Madoc und
Menoc befehligten, mit Turcli und Priesterbinde geschmückten Streitwagenzüge
der Dreihundertdreiundsechszig wiedererkennen. Ja, auch für jenes in der
assyrischen Form der Sakäen so grell hervortretende weibliche Element, für
jene von Sardanapal als Genossin gewählte und zuletzt mit ihm verbrannte
fünftägige Tageskönigin — Semiramis-Omphale^i) — finden wir eine germa-
nische Frühlingsparallele in der bei dem Mairitt mitspielenden altdänischen
Majinde oder Maigrävin — auch Gadelam, d. i. Schlachtenlamm genannt, —
die sich der auch Gadebasse d. i. Schlachtenbär genannte — Maigrav
aus den Jungfrauen der Gemeinde durch Zuwerfen eines Kranzes zur Ge-
nossin wählte, um mit ihr während des ganzen Monats sonntäglich den Vor-
sitz an dem öffentlichen Festmahl zu führen und den Reigen um den Mai-
baum vorzutanzen=^2). — Und hier, im germanischen Norden, begegnet uns
nun auch, gegenüber den bisher angeführten Beispielen eines, wenn auch
noch erkennbaren, doch mehr oder minder abgeblassten Gebrauches, das
Beispiel eines unmittelbar blutig-lebendigen und tragisch-wirklichen Frühliugs-
opferkampfes, nämlich jener, vor nicht langer Zeit durch die Bronzegru|)pe
des schwedischen Künstlers Malin illustrirte, in Schweden und Norwegen noch
historisch nachweisbare, Gebrauch eines Messerkampfes, den zwei Jünglinge
immer am ersten Mai auf Tod und Leben um den bräutlichen Besitz
einer, die schöne Jahreszeit darstellenden, schönen Jungfrau kämpfen
mussten, so dass also dem einen Kämpfer der Ruhm und Preis des Frühlings
erst durch seinen Sieg, dem anderen der Name und Tod des Winters erst in
Folge seiner Niederlage zu Theil wurden. Eine bedeutsame mythisch-
historische Parallele zu diesem norwegischen Gebrauch aber bildet dann
wieder der, auf einen ähnlichen Ritus bei den keltischen Völkern hinweisende,
in verschiedenen altkymrischen Gedichten und Märchen angeführte '^'O
Mythus von Gwynn ap Nndd d. i. Glanz des Nebelthaus Sohn und Gwythyr
mab Greiddawl d. i. Groll des Grimmes Sohn, die alljährlich am ersten Mai,
^0 Movers Phoen. I. pg. 49-2 if.
'*) s. Mandelstnip. spec. oentilismi etiamnum superatitis (1G84) bei Grimm D. M. ptr. Tot?.
Das von Gr. „Gasselamm und Gassebär" übersetzte Wort leite ich vielmehr von dem kymr.
cad (angels. ead il. Hader) ab, indem das kelt. c. auch sonst in deutsches und dänisches g
übergeht (z. B. ceaug Gang, cearbh Garbe, caw Gau, cog Gauch, car gar, (in Namen). - Dem
Maigraven mit seiner Maigrävin entspricht auch noch unser Bohnenkönig nebst Bohnenköuigiu
am Dreik("migstag.
^) Myvvyrian (Welsb Archeology) I. pg. 165. Cilhwch ac Ohven (Mabinogion Parth IV) pg.
212. Creuddylat, merch Lhid Llaw Ereint.: y vorwyn vwyav y mawred avu yn teir Ynys y
Kedryn ac their Rac-Ynys: ac am honno y mae Gwythyr mab Greidawl a Gwynn mab Nud yn
ymlad bob kalan Mai vyth hyt dydbrawt: Creudel, die Tochter Llüdd's Liaw Ereint (König
Grossenheers mit der Becherhand): und sie war die herrlichste Jungfrau in den drei grossen
Königseilanden und den drei Vorderinseln: und um sie fechten Gwythyr. Greidda\ils Sohn (d.i.
Groll des Grimmes Sohn) und Gwynn Nydd's Sohn (d. i. Glanz des Nebelthaus Sohn), an jedem
erstengMai immer bis zum jüngsten Tage.
130 K. F. Meyer:
immer bis au der Welt Ende, am die schöne Creuddel, Tochter Königs Llyr
oder Lliidd vawr, fechten, — d. i. um niemand anders als um die uns wohl-
bekannte schöne Cordelia, deren Auftreten hier, theils durch ihren Zusammen-
haug mit der Learsage, theils durch die Bedeutung ihres Namens „Blutschuld'^ ')"
eine besondere Wichtigkeit erhält. Dieselbe schöne treue Jungfrau, die wir
dort als jüngste der drei jahreszeitlichen Königstöchter, — als Aschenbrödel-
Wintersonnenwende, — ihrem Vater, dem von Frühlings- und Sommerzeit
verrathenen König Jahr, gewissenhaft zu Hülfe eilen und ihrer Pflichttreue
sich opfern sehen ^ ^), erscheint hier, in dem kymrischen Mabinogi, unter einer
zwar einfacheren aber nicht minder reizenden und bedeutsamen Gestalt, als
eine verhängnissvolle Aphrodite-Erinnys, die, mit der vollen Herrlichkeit des
wiederkehrenden Lenzes in ihrem Antlitz, mit der vollen Blutschuld der
zurückerkauften Wintersonne in ihrem Namen, zugleich den immer wechseln-
den kostbaren Gewinn, und den nie wechselnden kostbaren Kaufpreis des
grossen JahreszAveikampfes darstellt, und die, nachdem sie allwinterlich an
den Sohn des (göttlichen) Zorns und Schreckens verloren gegangen, all-
sommerlich von dem lichten Sohne des Nebelthaus zurückerobert wird.
Und werfen vnr von diesem altkeltischen — vielleicht ursprünglichsten —
Beispiele des Jahreswechselzweikampfes nun auch noch einen vergleichenden
Blick auf die Mythen und Riten der griechischen Religion, so begegnen uns
hier, — neben dem dreijahreszeitlichen Märchen von Conrhil-Athene, Rhagau-
Here, Creuddel-Aphrodite und dem Erisapfel — besonders drei, zugleich
rituale und mythische Parallelen jenes Kampfes: nämlich erstens a) die
Amycläischen Hyakinthien, diese altspartanische dreitägige Sommer-
wendenfeier des von seinem Vater Apollon-Amykläus mit dem Sonnendiscus
getödteten schönen Hyakinthos, d. i. des in seinem Laufe von dem Jahres-
gott plötzlich aufgehaltenen und zurückgeworfenen Sommers, über dessen
Leichnam der Gott dann — seine Bildsäule über dem Grabesalter — als eiu,
die beiden Jahreshälften in sich aufnehmender, vierarmiger, vierohriger Janus,
herbstlich weiterherrschet'^^): — sodann zweitens,
b) die (ursprünglich wol herbstliche, später frühlingsmässige) Nachtgleichen-
feier des grossen Pythischen Kampfspielritus, kraft dessen Apollon alljähr-
^) von craii, Blut, und del, dyl ;dylid, dyliad; Schuld, Schuldigkeit.
•■"*) Buch der Dichtung S. 104 und 170. Durch den ihm gewöhnlich beigelegten Namen
IJudd mawr „grosses Heer" wird König Lyr mit der .'ifiSfachen Gesammtzahl und jahresmässigen
Heerschaar der Gwautodin. sowie durch den Beinamen „Becherhand" mit ihrem Jahresschmaus
vereinbart, (wahrend der Name Llyr wol unmittelbar gleichbedeutend ist mit dem (umgekehrten),
im Namen Con-rhii erhaltenen „ril .Jahr").
'*) s. Welcker (ir. GL. L pg. 473: und vgl. als weiteren Belag für diese alte Zweitheilung
des .Jahres, die Zweizahl der Amycläischen Chariten (Pausan. III, 18, 4): während andererseits
die Dreizahl der Söhne des Amyklas-Apollon (Argalos, Kynortas, Hyakinthos) bereits auf die
(jüngere) Dreitheilung hinweist. Dass aber der so religionsgeschichtlich vereinbarte Apollou-
Amyklas im Hyakinthos seinen eignen Sohn tödtet, i.st auch noch desshall» bedeutsam, weil es
uns die schönen keltisch- persi.sch -germanischen Sagen von Guchulain und Conmaol, Rustam
und Sohreb und Hildebrand und Uadubrat erklären hilft.
Die Sieben vor Tiieben und die chaldäische Woche. 131
lieh, —oder später iiuch, mit Uebertragung auf die Octaeteris, jede« neunte Jahr- -
festlich wiederkehrt, um die zurückgelegte und überwundene Frist in Gestalt eines
Drachen, — d. i. wol ursprünglich nur einer thierischen, mit der nächtigen Del-
phyne vereinbarten Verkörperung des chronologischen Hormos''^ — ^^ erlegen
und durch diesen Sieg das Gleichgewicht des Jahres - - oder des ausgeglicheneu
octaeterischen Kyklos - wiederherzustellen; — und endlich drittens
c) die grosse weitverbreitete, bis in die christliche Aera fortdauernde —
auch bald herbstliche, bald frühlingsraässige — Nachtgleichenfeier der Adon ien ,
eine, den Hyakinthien entsprechende, drei- oder siebentägige Todesfeier, deren
Heros, der schöne Adonis, jedoch nicht von dem Jahresgotte Apollon selbst,
sondern von einem bösen Theil des Jahres, dem — bald feurigen, bald
ßnstern — Ares, ermordet, von der Zeit- und Jahresgottheit aber, in Gestalt
einer liebenden Aphrodite, zärtlich vermisst, gesucht, gefunden und bejammert
wird, um endlich am vierten oder achten Tag als ein heidnischer Ostergott
siegreich wieder aufzuerstehen 3*^), - eine Todes- und Auferstehungsfeier des
Zweijahreszeitenwechsels, die uns unter einer ganz ähnlichen, aber dreizeitigen
Gestalt, auch sofort in einem bekannten altägyptischen Ritus und Mythus
wiederbegegnen wird.
13. Gomerische Triemerie.
Unter den, durch solche Beispiele mehr oder minder historisch be-
glaubigten, verschiedenartigen Zeitwechselkämpfen aber von ganz besonderer
mythologischer Wichtigkeit ist noch eine Art, die sich zwar (meines Wissens)
nicht durch historische Angaben, wohl aber, neben inneren chronologischen,
ethischen und ethnologischen Gründen, durch unverkennbare mythische und
rituale Spuren religionsgeschichtlich herstellen lässt, nämlich, der Ritus einer
durch den ethischen Gebrauch und Begriff der Blutrache verknüpften
Triemerie, d. i. der Ritus einer auf die Weise opferkampfmässig gebundenen
und je am dritten (oder vierten) Tage gefeierten dreitägigen Frist, dass zuerst der
Kämpfer und Vertreter des ersten Tages von dem des zweiten, dann dieser
wieder von dem des dritten den Tod erleiden, der Tod des dritten aber entweder
durch Selbstmord, oder Verbrennen, oder lebendiges Begräbniss gesühnt und
diese Sühnung der Gottheit als ein Opfer für die dreitägige Gesammtfrist
dargebracht werden musste. Die chronologische, sowie, damit zusammen-
hängend, die ethische und ethnologische ürsprünglichkeit dieses Ritus beruht
^) Darauf deutet (ausser vielen anilern, später zu erörternden Riten und Mythen) besonders
die, einen parallelen Ritus betreffende Stelle in Plutarchs Isis, 19, ayotvtov ji nnoßaköviti tii
i.iiaov xmcexönrovai.
^) s. Movers Ph. I, UM tV. und vgl. besonders die Stellen bei Macrob. Sat. I, 21 uml
Ammian M. XIX, init. - Der anstatt des Adonis in vielen Gegenden - z.B. in Argos — ge-
feierte Linos (rnusan. IX. 2!), 3. ApoUod. I, 3, 2. II, •», 9) drückt seine jahreszeitliche Be-
deutung schon durch den Namen (tusc liue, kyuir. llene Jahr) aus; entspricht aber durch
seine von dem .Tahresgott ;Apollon oder Herakles) selbst vollzogene Tödtung vielmehr dem
Hyakinthos.
132 K. F. Meyer:
auf der logisch-numerischen Vollkommenheit der Dreizahl, dieser aus der Zweiheit
der menschlichen Gliederung zuerst frei heraustretenden und als eine zweite
ungerade Eins die eigentliche numcrisclie Reihe beginnenden Mehrzahl an
sich^-'), die, wie sie nebeneinander den räumlichen Begriff der Mitte nebst
beiden Seiten umschreibt, so hintereinander den zeitlichen des War, Ist und
Wird, des Gestern, Heute und Morgen, der Vergangenheit, Gegenwart und
Zidcunft umschliesst, und die aus diesen chronologischen Triaden dann auch
die ethischen der Ursache, Wirkung und Gegenwirkung, der That, Ver-
geltung und Wiedervergeltung, der Schuld, Strafe und Sühne hervorgehen
lässl, von welchen Triaden dann aber wieder die letzte dadui'ch auch ethno-
logisch bedeutsam erscheint dass sie gewissen kriegerischen, namentlich
Skythisch-Gomerischen Völkerschaften ein religiöses Mittel bieten konnte,
um der bei ihnen herrschenden Sitte der Geschlechterfehde und Leben für
Leben fordernden Blutrache**^) eine bestimmte Grenze zu setzen. Und diese
Gomerischen Völkerschaften sind es also auch bei denen wir, auf der Spur
alter Mythen und Riten, das wirkliche vorgeschichtliche Vorhandensein eines
triemerischen Opferkampfritus glauben annehmen zu dürfen, und von denen
ausgehend wir denselben sodann, in mehr oder minder gemilderter Form, sich
auch über einen Theil der nicht-gomerischen alten Welt — über alle
die von Gomers und Assurs Schwert nur zeitweilig bezwungenen und
unterjochten Völker — ausbreiten, und in der allgemeinen Entwickelung
religiöser Erkenntniss eine Epoche begründen sehen, wo der Begriff der
chronologischen — sowie davon untrennbar, der theologischen — Gebunden-
heit nicht anders gefasst wurde und gefasst werden konnte als vermittelst
eines solchen kriegerisch -opfermässigen zwiefachen Kampfes und dreifachen
Todes. Und täuscht uns dieser Blick nicht, so werden wir dann auch wol
berechtigt sein, in der, allen Religionen, und besonders der griechischen, an-
haftenden grossen Menge anderer chronologischer und ritualer Triaden —
z. ß. den drei Tages-, Nacht- und Jahreszeiten'* i), (^rei jahreszeitlichen Kabiren,
(Kureten, Dactylen,) drei Chariten, Hören, Moiren, Erinnyen, Musen und Eilei-
thyien, drei Söhnen des Boreas, drei Fest- und Trauertagen, drei Opferthieren,
Spenden und Libationen; drei Stelen und Stelen weiten der Rennbahn und
drei Gängen im Ringkampf* 2) — nicht sowohl unmittelbare Wirkungen der
Vollkommenheit der Dreizahl, als vielmehr Rückwirkungen und Ueber-
'^) Daher im Altägyptischeu die geschriebene - ursprüii.i'lich wol auch gesprochene —
Pluralbildung durch Verdreifachung.
■•") Uol>er die Blutrache bei den keltischen und keltisch-germanischen Völkerschaften, deren
aifcni luissrechte sie zu Grunde liegt, s. Grimm D. 11. A. pag. ü-IG und Walter Alles Wales
pag. i:38. 1'12: und vgl. Girald. Cambr. Descr. XVI 1. Gcuns itaquc super omnia diligunt el
damna sanguinis acriter ulciscuntur.
*') Ideler I. 243 Apollod. III, 14, 4 II. XXI, 111, Railly (Ilist. de l'Astr. 104) hat sich
diese Dreitbeilung des Jahres nicht anders erklären können als dass er ihren Ursprung in die
Geschichte der Astronomie antediluvienne und unter den 7.)." n. P>. verlegt, wo die Sonne
4 Monate lang unsichtbar ist.
*^ Welcker Gr. GL. I, 53. IH, 5.
Die Sieben vor Theben und die chaldäische Woche. 133
tragungen der Triemerie zu erblicken, die, kraft ihrer mit Blut geweihten
ritualen Heiligkeit, es wol allein vermocht hat den, für die Theilung des
Jalires und räumlichen Horizontes so viel natürlicheren Begriff der Vierheit,
durch den künstlichen, idealen der Dreiheit zu ersetzen, und die uns dann
also auch in diesen Rückwirkungen ein deutliches historisches Zeugniss für
ihr einstmaliges Dasein hinterlassen hat. Die alten Sagen aber aus denen
wir ein rituales und mythisches Zeugniss für dieses Dasein schöpfen zu
können glauben sind namentlich zwei: die ägyptische Osiris-Seth-Horussage,
und die Homerische Palroklos-Hektor-Achilleussage: — jene erstere, die Sage
von dem, regelmässig so genannten „Rächer seines Vaters" Horus'*^), der, in
einem, von dem Tageswechsel später auf den Jahreszeitenwechsel übertragenen,
Kampfe den Tod seines Vaters Osiris an dem Mörder Seth-Typhon rächt,
und der diesen hluträcherischen Kampf und Sieg in der ägyptischen Religion
als den Gegenstand nicht nur eines, von Plutarch umständlich erzählten Mythos,
sondern auch, wie aus eben dieser Erzählung hervorgeht, eines in den Weihen
und Mysterienspielen fortdauernd dargestellten Ritus zurückgelassen hat'**): —
und zweitens, die wohlbekannte Sage von dem zwischen Patroclos
und Hektor, und Hektor und Achilleus gefochteuen tödtlichen Doppel-
zweikampf, diesem Kampf der, verschlungen mit verschiedenen anderen
chronologischen Mythen und Allegorien, den eigentlichen Kern der Ilias
bildet, und dessen ritualer triemerischer Ursprung sich in dem dreimaligen
Gejagtwerden Hektors um die Stadt, sowie in dem dreimaligen Schleifen des
Leichnams um des Patroclos GrabmaH^), wahrscheinlich auch mythologisch
wiedererkennen lässt. — Zur Bestätigung und Ergänzung des aus diesen beiden
grossen Sagen zu entnehmenden Hinweises aber dient dann noch eine Reihe
anderer, auch ihrerseits wieder aus diesem Zusammenhang zu erläuternder,
mehr vereinzelter ritual- mythischer Züge der griechischen Mythologie: und
zwar namentlich die folgenden:
a) Die mit des Horos Beinamen „Rächer seines Vaters" zusammen-
stimmenden und auf eine gleiche bluträcherische Auffassung des Zeitwechsels
hinweisenden drei Tagesheldcn: Tisandros Sohn Jasons, Tisamenos Sohn des
Orestes, und Tisamenos Sohn des (Polyneikossohnes) Thersandros, — während
dem Amphiaraossohn Alkmäon, der den Vater an der Mutter rächt, eine
Tochter Tiai(fnri^ beigelegt wird*^):
b) Der uralte ethische Gottesdienst der TQnnnatoQeg^'^)^ dreier Söhne
des Uranos und der Ge (oder des ältesten Zeus und der Persephone), die
später vorzugsweise als Hüter des Geschlechtsweseus {Geni yevii^hoi, Tuautot)
*^) Lepsius Götterkr. pg. 60.
") riut. Is. 12—19. Der Mythos auch im Todteiibueh und in Sallier's Papyrus s. Buuseu
Egypt. (II. Ed) I, pg. 439.
") II. XXII, 1G5. XXIV, \b cl'. Viig. Aou. I, 487.
«j Diod. IV, 54. - Apollod. II, 8, 2. — Pausan. IX, &, 8 Ili, 15,4. - Apollod. III, 1.
«) Snid. s. V. Hesyoh. s. v. Anecd. IJekk, pg. 407. Cic. N. D. III. :'l. Lobeck Aglaonbaui
pg. 754.
134 K. F. Meyer:
und des Windwechsels verehrt wurden, die aber, in unmittelbarem Zusammen-
hang mit dieser Verehrung, sowie mit dem Namen 'i'(>iTonäxoQ6g, ursprüng-
lich gewiss nichts Anderes bedeuteten, als eine dreieinige Verpersönlichuug
des an jedem dritten Morgen begangenen bluträcherischen (^rr.aTQMng,
yeved-liog) Triemeriewechsels, nebst dem damit zusammenhängenden Wechsel
der Winde^^): und die diese ihre chronologische Bedeutung, ausser den be-
zeichneten Merkmalen, insbesondere noch durch die verschiedenen ihnen
anderweitig beigelegten Gesammt- und Einzelnamen bezeugen, und zwar
a) durch die, fast immer nur für chronologische Gottheiten gebrauchten
Gesammtnamen Jlogxovqol .Avanxeg (^'^vaxeo) ^^Qyj]yeTai-^
ß^ durch die ihnen (in der Stelle des Suidas) beigelegten Einzelnamen
der 3 jahreszeitlichen Heatoncheiren (Korzog, BQLccQsvg, rvyrjg^'^
7) durch die ihnen von den Orphikern beigelegten Einzelnamen
^A(.ialHeidi]g^ nQcozoxlijg, IlQWTOxlaiov^ — die wir wahrscheinlich unter der
Form yi(.iaXaeLÖ(xi und IlaTQOxloi, als Gesammtnamen herzustellen und mit
dem Homerischen Patroklos, sowie mit dem ursprünglichen Namen des
Herakles ('^^.>f£j()/;c) in Verbindung zu bringen haben^^);
c) Der gleichfalls uralte Gottesdienst einer, namentlich auf dem
Korinthischen Isthmos verehrten Kyklopischen Trias^*^), deren kyklisch-
chronologische Bedeutung sich aus dem — später freilich mannigfach um-
gedeuteten - Namen Kvy.lwTreg^^'); ihre Dreizahl aber aus einem Vergleich
mit den 3jahreszeitlichen gigantisch-kyklopischenHekatoncheiren Hesiods''^) er-
giebt, auf die, zufolge jenes mehrerwähnten chronologischen Parallelismus,
die triemerische Trias übertragen und dabei zugleich mit der, dem 350tägigen
freien Mondjahr entspreclienden, allegorischen Zahl von je 100 Armen, nebst
50 Köpfen behaftet wurde; während sie sich in jenem ihrem Korinthischen
Heiligthum, ihrer ursprünglichen kyklopisch-triemerischen Bedeutung gemäss,
48) Hes. Erg. 550, Hdt, VII, 191.
«) Apollod. II, 4, 12 u. vgl. u. §. 23.
=0) Pausan. II, 2, 2.
•^') Der Name Ki'x).mi!', Ki'y.lwntg d i. ,rundgesichtig, nindiimscbaiiend, nindaugig'", be-
zeichnete ursprünglich wol nur die (im Texte erwäluite), gruppeu- oder mehrglicderhafte —
Hekateartige — Darstellung einer kyklischen d i. umlaufenden mehrfach einigen Zeitgottheit —
ausser der tages- und jahreszeitlichen Trias z. 13. auch tler lykisch-thrakischen Hebdomas
(Strab. VIII pg. 372); — wurde aber dann, durch Umdeutung des Ausdrucks, ein, besonders
aus der Odyssee bekannter Name, für die, den einäugigen märchenhaften Arimaspen im Osten
entsprechenden, einäugigen Abbilder des untergehenden (zischend erlöschenden) Tagesauges im
Westen: und ward zugleich, wol mit doppelter Bezugnahme auf die Ilekatoucheiren und auf die
kyklopischen Bauwerke der lykisch-thrakischen Ilcitdoraas (vgl. u. §. 18), ein Name für die riesigen
.Schmiedegehülfen des Zeus und llephästos. Auf cigenthümliche Weise versinnbildlicht findet
sich der Begriff des dreifacheinigeu Zeitumlaufs in dem einen, umlaufend gebrauchten Auge
und Zahn der 3 (nachtzeitlichen) Gräen (Aeschyl. Prom. 795).
»'*) Hesiod Theog. 139 ff. 592 ff. Apollod. I, 1, 4. Schol. Theokr. I, G5. - Dass, wie schon
erwähnt, in der Stelle des Suidas (s. v. T(iiio7irao()eg) die Namen der 3 Uekatonchiron aucli
den l\inonüxonK; beigelegt werden, kann als ein doppelter Beweis für die ms]inn)glichc'
triemerische Bcdentnng sowohl dieser als der kyklupisijien Trias gellen.
Die Sieben vor Theben und die chaldäische Woche. 135
jedenfalls auf mehr natürliche Weise als eine dreieinige — Hecateartige —
Gruppe dargestellt fand:
d) der, diese kyklopische und zugleich jene tritopatorische Trias in sich
vereinigende Zeig TQiionag: ein dreigesichtiger — oder dreiäugiger Zeus ^'O,
dessen altes Xoanon auf der Acropolis Larissas von Pausanias beschriehen
und für seinen Zusammenhang mit dem triemerischen Mythus der Ilias noch
durch die daran haftende Sage besonders bedeutsam gemacht wird, dasselbe
habe ursprünglich, als uraltes Palladium, auf der Burg von Troja gestanden
und habe mit seinen drei Augen oder Gesichtern den Priamos neben sich
ermorden sehen ^^). Und wieder eine seine ursprüngliche Bedeutung be-
stätigende Uebertragung von der Triemerie auf den Dreijahreszeiten Wechsel,
und zwar insbesondere auf den Wechsel der Dreifelderwirthschaft, hat dann
auch dieser Zeus Triopas erlebt, nämlich in der Gestalt des (schon oben
erwähnten) Königs Triopas, Vaters der Aerndte {Mr^or^ta) und des Brachlandes
(EQvaix&Mv)^ der, nachdem er die Pelasger aus der Delphischen Ebene ver-
trieben, wegen dieses seines Sohnes von der Demeter mit unersättlichem
Heisshunger gestraft, durch den Verkauf der immer wieder zu ihm zurück-
kehrenden Tochter aber von seinem Uebel erlöst wird-^^-^).
14. Dreifache Triemerie und 7täg:iges Enneoiar: chaldäische Woche.
Den ihr eigenthümlichen idealen Grundzug, kraft dessen die Gomerische
Triemerie wol als die älteste künstliche Zeitrechnung gelten darf, scheint
dieselbe aber auch, vermittelst einer weiteren Künstlich keit, zu der natürlichen
Chronologie des Himmels in gewissen Einklang gesetzt zu haben: nämlich,
vermittelst einer in einander geschobenen, jeden dritten Tag wieder zum
ersten machenden Verdreifachung, deren Ergebniss, das Ttägige Ennemar, der
ungefähren Frist einer der vier Mondphasen entspricht und also auch mit
einer der natürlichen Haupteintheilungsfristen des alten Mondjahres — den
50 Töchtern Selenes — übereinstimmt. Dass nämlich das, in den alten
Mythologieen. insbesondere der griechischen, sehr häufig erwähnte und als eine
heilige Frist bezeichnete Ennemar eben vorzugsweise eine solche hebdomadischo
Bedeutung — die einer ex tribus Triadibus compactae Hebdomadis gehabt habe,
dafür spricht sein in mehreren der Erwähnungsfälle unverkennbares Eintreten an-
statt der Hebdomas: z.B. das 9tägige Unbestattetbleiben der 2 . (i, — d.h. mit Ein-
schluss des letzten, festlichen Nychthemeron 2.7 — Niobiden bei Homer^ '') ; oder,
*3) Dreiängip war der Triopas von Larissa (Pansan. II, 24, 5), und dreiäugig erscheint
derselbe auch auf Gemmen (Panofka Verlegene Mythen S. 19): eine dreiocsichtige, — dem
:i\veigesiohtigen Apollon Amykliius entsprechende — Darstellung war aber wol die ältere.
*') Pansan. II, 24, 5. Schol. Vatic. Eurip. Tr. 14.
") Diod. V, 56. Ilygin Poet. Astr. II, 14. Tzetz. Lycophr. 130:3.
*") II. XXIV, 6lO (während zugleich die ihxcay der Bestattung auf die statt des Ennemar
und der Hebdomas eintretende — auch der Zehn- oder Zwanzigzahl der Nioldden bei Alkman,
Hesiod u. a. zu Grunde liegende — Decade hinweist, vgl. u. §. 45).
136 K. F. Meyer :
die 9 Jahre lange Rüstezeit der auf 9 Fellen (mit je 50 Kriegern) am
Strand gelagerten 7 Epigonen, bei Antimachus^'), oder die dem Priamos (und
der Hekuba) abwechselnd beigelegte Neun- und Siebenzahl von Söhnen^ ^),
oder das mit dem Ttägigen Schmausen des Odysseus in Aegypten abwechselnde
Ennemar der lykischen Bewirthung des Bellroophontes''^): und dafür spricht
wol auch das Homerisch -Hellenische Heilighalten der Neunzahl überhaupt,
als welches, durch den eigenen Ursprung und Namen der Zahl kaum gerecht-
fertiget^"), auf einen religionsgeschichtlichen Zusammenhang derselben mit der,
alle Religionen mehr oder minder beherrschenden, Heiligkeit der Siebenzahl
hinweist. Und entschieden bestätigt nun wird dieser Zusammenhang, und
wird damit zugleich die Bedeutung des hebdomadischen Ennemar gerade für
unsere hier vorliegende Untersuchung durch die mannigfachen mythischen
Spuren einer ritualen Begegnung und Vermengung des dem Ennemar zu
Grunde liegenden triemeriscben Opferkampfritus mit jeuer anderen Hebdomas
die den eigentlichen religionsgeschichtlichen Gegenstand unserer Arbeit
bildet und von der die Heiligkeit der Siebenzahl begründet worden ist, der
chaldäischen Woche, einer Hebdomas die, obwohl künstlich gebunden wie
die Triemerie, doch, ihrem friedlich- vereinbarenden Ursprung und Zweck
nach, zu dieser kriegerischen Zeitordnung im entschiedenen Widerspruche
stand und die desshalb auch die religionsgeschichtlichen Einwirkungen der-
selben nur als fremde leicht unterscheidbare Abzeichen in sich aufnehmen
konnte. Und indem wir also hinsichtlich der Erörterung dieser Spuren und
Einwirkungen auf den weiteren Verlauf unserer Arbeit, — besonders auf das
Kapitel (VIII) über den eigentlichen Thebanischen Mythus — verweisen,
wenden wir uns sofort der Betrachtung der chaldäischen Woche selbst zu
und versuchen es zunächst den dogmatisch-ritualen, dann den symbolisch-
mythologischen Umriss einer Einrichtung zu entwerfen die von allen
sittlich-religiösen Grundlagen menschlicher Bildung und Erkenntniss wol als
die älteste und mächtigste gelten darf und die, sowie die wesentlichsten
Elemente uusrer noch heute fortlebenden allgemeinen Sittengeschichte, so
auch einen sehr grossen Theil der Mythen und Allegorieen, Sagen und
Märchen aller Völker und Länder ins Dasein gerufen hat. Aus dem vor-
geschichtlichen Chaos babylonischer Völkerverwirrungen sehen wir die chal-
däische Woche wie eine neue Weltschöpfung, einen neuen Kosmos empor-
steigen und vom fernsten Nordosten bis zum fernsten Südwesten für alle
Völker das Weltalter einer festen himmlisch-irdischen Gebundenheit, einer
um strengen Bande der Zeit auch den strengen Gebrauch der Zeit lehrenden
") Athen. XI. pg. 459. Schol. 11. XIII, 7f;3.
»») II. XXIV. 252. Apollod. III, 12, 5. Hygins f. 90.
s») 0(1. XIV. 249 (cf. X. 81). II. VI, 174.
•*") Die urspiüngliclie Bedeutung des numeri.scbeu Neiinvvditos war jcdeMfalis die, mit dem
Adjektiv i'mjs (lat, novus, d. neu, sauskr. navas) zusamincnliängoiide ^Kiud. Neugeborenes"
(vgl. das ägypt. p-sis Kind, 9): welcher sinnliche Begrill denn, mit Bezug auf die 9 Monate,
ein collectives Symbol für den übersinnlichen numerischen wurde. Vgl. u. §. 19.
Die Sieben vor Theben und die chaldäische Woche. 137
Erkenntniss befunden, einer Erkenntniss, die sich, anstatt des Kriegs und
Menschenopfers, vielmehr dem Ackerbau und Fruchtopfer, dem Haus- und
Gemeindewesen, den Künsten und Gewerben zuwendet und deren allgemeine
ethische Bedeutung die besondere chronologische der chaldäischen Woche
weit überdauert und, über den Trümmern der Hebdomas, auch dem Kosmos
späterer Zeitrechnungen zur Grundlage gedient hat. Und da für eine solche
neue b^rkenntniss in jenem urgeschichtlichen Weltalter kein Ausdruck und
keine Entwicklung möglich war als nur auf dem Wege des Ritus und
Mythus, so musste auch für die Geschichte der chaldäischen Woche die
Mythologie, nebst einer Reihe ritualer Bauwerke, die Haupturkunde werden,
und dient als solche nun auch sowohl der hohen Alterthümlichkeit als weitereu
weltgeschichtlichen Verbreitetheit jener chaldäischen Einrichtung zum mannig-
fachen Zeugniss, — von dem achtstockigen Thurme Babylon^; und dem
ägyptischen Achtgötterkreis an bis herab zu Agrippas Pantheon und zum
Kniii.i()g raijf.ng und eingeborenen Esmun der Neu - Platoniker; von den
14 Niobideu, 7 Thoren Thebens und 7 Schwänen Apollons herab zu den
7 Schwänen und 7 Raben, 7 Geisslein, 7 ausgesetzten Kindern und 7 oder
8 Zwergen unsrer deutschen Märchenwelt; und von dem noch heute unter
fast allen Völkern der Erde lebendigen Gebrauch der Woche und WocheuT
taiio bis wieder zurück zu den 7 Schöpfungstageu der Genesis.
Völkerkreise in Afrika.
Das Drängen der Völker nach der Küste, wie es sich besonders im
Westen AtVika's bemerkbar macht, wird weniger durch centralen Impuls, als
durch peripherische Anziehung (in Folge der Bereicherungen durch fremd-
ländischen Seehandel) veranlasst, und so ist die Physiognomie der Straud-
bewohner, an der Gold- und Sklawenküste sowohl, wie am Gabun und Ogowe
verschiedentlich neu umgestaltet worden.
Wie überall, liegt der Ausgang der Wanderungen in den Sitzen von
Nomadenstämmen, also in denjenigen Localitäten , die eine unstete Lebens-
weise (ob an sich oder durch den bestehenden Civilisationsgrad der jedes-
nmligen Bewohner) bedingen, und entweder drangen dann die Eroberer direct
nach dem Meere vor, oder die Züge dahin waren (wie in Senegambieu)
secundäre Folgen der im Innern veranlassten Wanderungen.
Der Knotenpunct in den Versehlingungen afrikanischer ^ ölkerzüge bltMl)t
uusern Blicken entzogen, so lange sich der äquatoriale Theil des Continentes
Zcitsoluili liir Ethuologie, Jahrgang 1875. '^
138 Volkerkreise in Afrika.
hinter dem Geheimniss einer terra incognita verschleiert, bis jetzt schwebt das
geographische Bild Africa's unconstruirbar in der Luft, unsere elementare
Unkenntniss geht so weit, dass wir noch zwischen dem Gegensatze eines
Ja und Nein, von Schwarz und Weiss, des Negativen und Positiven schwanken,
dass wir bald auf eine Depression oder doch Plateau, bald auf ein Hoch-
gebirge rathen. Ersteine Linie, die von Südwesten her in nordöstlicher
Richtung gezogen die Küste Niederguinea's mit den festgestellten Puncten
im oberen Nilgebiet verbindet und den Aequator auf etwa dem 40" Längen-
grad im Innern Africa's schnitte, würde die Thatsachen liefern, um uns im
Verständniss der orographi sehen Wasserscheiden zwischen Benue, Ogowe,
Congo, Zambesi und Bachr-el-Dschebel das Gesammtbild x\frica's abzurunden.
Hiermit würden wir auch erst den Ausgang der Menschheitsgeschichte
verstehen, deren früheste Zeugen auf Afrika's Boden erbaut sind, und
der, wie überaD, unauflöslich mit der topographischen Grundlage verwebt ist.
Stets sind es diejenigen Gegenden, wo sich das Leben aus klimatisch- geo-
graphischen Ursächlichkeiten im Wanderzustand erhält, die das Centrum für
Völkerwirbel bieten, die Umgebung geschichtlich umgestaltend, und während
sich in Asien vornehmlich drei solcher Mittelpuncte erkennen lassen, fanden
sich in Afrika mehr als die doppelte Zahl, so dass im Gegensatz zu den
grossen und mächtigen Zügen, mit denen sich die Geschichtswege (den Strichen
der Gebirgsketten folgend) in Asien und Europa dauernd und unauslöschlich
eingegraben haben, in Afrika aus kurzen Wellenschlägen ein buntes Völker-
getümmel entsteht, das dann freilich ebenso rasch vorüberrauscht, ohne seine
Zeugen zurückzulassen.
Solche Geschichtsstrudel quellen in Afrika von Norden nach Süden, aus
den maurischen Zügen im El-Hodh (auf asiatische Einwirkungen in der Ber-
berei für den ersten Anstoss zurückzuführend), dann von den westlichen und
östlichen Tuareg (als wandernder Verwandter ansässiger Kabylen), den Avelli-
mideu und Kelowi, ferner von Osten nach Westen aus Dongola und Nubien
in Bakara und Tündjur (mit traditionellen Rückweisungen auf Yemen), und
von Westen nach Osten an den Fellatah oder Fulbe.
In Südostafrika zeigen sich die von den Hochländern Chagga's herge-
leiteten Orloikob-Stämme (der Masai und Wakuafi in Berührung mit den
Hirten unter den Wakamba), dann ähnliche, das Südende des Tanganyika-
Sce's umschreitend, von Unyamuezi her, das Binnenland mit den Schrecken
verwüstender Zimba oder Jaga füllte, ferner aus den Strichen der Banyai im
Monomotapa-Stiich (und den Maravi-Ländern am See Maravi oder Zacliaf,
als Nyassa oder Nyanja), in der Beuge des Zambesi, her von Verwandten ■
der in Amaponda, Amatenda und Amakosa nach Süden vordringenden Kaffern,
die mit den von den Zulu abgezweigten Matabelen die Drachenberge durch-
hiac.licii, die Makololo aus den Bassuto mit sich fortreissend , und auf der '
Scheide zwischen Nord- und Sütlafrika stehen im Osteji die der (lallas, wehln
(mit Danakil nach der Küste zu und in Beziehungen zu den Somali) die Beri;-
Völkerkreise in Afrika. 139
insel Abyssinien's umwogend und durchschneidend, sich als Wahuma in die
Seen-Regionen erstrecken, während wir im Innern jetzt Aufschluss über das
Centrum zu erhalten haben werden, dessen Effecte sich als Niam-Niam im
Osten, als Faon im Westen bemerkbar macheu, mit eigenartigen Beziehungen
zur altiigyptischen Cultur im Norden, und im Süden zu jenen mittelafrikanischen
Negerstaaten der Monbuttu, die uns Schweinfurth eröffnete, und jenseits der
Linie des Matua-Yaravo, die jetzt in Angriff genommen werden soll. Schon
die Ueberlieterungen der Faon führen auf eine frühere Abhängigkeit von dem
ileich des Muata-Yamvo, das (nach Barth) über Bimbire vom Sudan aus (wo
es als Muropue bekannt ist) besucht scheint und in den, von den Muruudas
oder Lundas unterworfenen Messiras (des Cazembe) auf den Messira zwisclieu
Waday und Baghirmi deuten.
So würden sich neben dieser inner-afrikanischen noch als Geschichts-
kreisungen ergeben: die maravische, die uniamuesische, die äthiopische und
(hviin iu ihren Wurzeln bis Asien verzweigt, die sudanische, hervorgernfeu
durch die Berber im Norden der Sahara und nach Yemen hineinreichen
Jmpulswirkungen im Osten, mit seitlichem Wellenstoss der (bis in die spa-
nische Geschichte Europa's fühlbaren) Marabuten nach dem senegambischeu
Mesopotamien (und der Reaction der Fulbe von dort nach dem untern Lauf
des Niger hin).
Bergländer wirken trennend und in Dialecte zersplitternd, wogegen das
anfangs eine noch unebersteiglichere Barriere bildende Meer die Küsten-
bewohner nahe verbindet, wenn der Stamm zum Schiff gehöhlt ist, und ebenso
wirkt die Wüste Völker einigend, wenn sie mit dem Wüstenschiff, dem
Kamel, durchzogen werden kann, dessen Einführung in Africa Darius zuge-
schrieben wird.
Wie jetzt berberische (und zeitweis maurisch-arabische) Stämme, versahen
im Alterthum die Garamanten den Handel zwischen Aegypten, Gyrenaica,
Tripolis und Carthago, und diese Garamanten (auf die nach Westen hin die
der Sonne fluchenden Ataranten und dann die Atlanten folgten, die nichts
Lebendes assen und im Traum keine Visionen sahen) waren es, die (zu
Herodot's Zeit) in Phazania (Fezzan) äthiopische Troglodyten jagten, deren
Spi-ache dem Vogeigezwitscher verglichen wurde, wie die der Fels-Tibbu
oder Tibesti (nach Hornemann) von den Bewohnern Augila's (von wo die
Nasamonen zu den Zwergen gelangt waren. Baibus besiegte (19 a. d.) die
Garamanten, von denen unter Tiberius Gesandte nach Rom kamen, und als
ihre Hauptstadt l'ctQaiii)] oder Germa, von wo Septimins Flaccus gegen die
Aethiopier gezogen, von diesen angegriffen wurde, begab sich Julius Mateinus
von Leptis Magna nach Agisymba, unter welcher Bezeichnung Ptolemäos das
südliche Africa begriff.
Als die asiatische Einwanderung (s. Sallusi) sich mit den Libyern ge-
mischt, wurdeu die Gaetuler, als jetzt westliche Nachbarn der Garamanten,
in die Wüste gedrängt, wo sie zum Tlieil den Königen Numidiens unter-
10*
140 Völkerkreise in Afrika.
würfig blieben, im Heere Jugurtha's als Reiter dienend, und bei ihrem Auf-
stand (6 p. d.) in Abhängigkeit von dem mauritanischen König Juba durch
Lentulus bskämpft wurden. In ihrer Berührung mit den Negern entstanden
die Melano-Gaetuler (in den Schattirungen der Pyrrhi-Aethiopier oder Leuc-
Aethiopier) und so grenzten im Süden an die Mauri und Pharusii (quondam
Persae) oder Pheres (vom Stamm Phut), die mit den Nigritae (den i\iy6ii)a
/ii/jTQoTio'Aig am Flusse Nigeir) die Pflanzstädte der Tyrier (zwischen Cap
Bogador und Senegal) zerstörten, die hesperischen Aethiopen (Strabo), die
mit den Aethiopen des Nils verbunden wurden. Dort wurden die Blemmyer
oder (b. Macrizi) Beja (Bischarin und Ababdeh) unter Diocletian \rertrieben,
als dessen Gouverneur die Nobatae Libyeni als Barabra am Nil ansiedelte
und von den (zu Psammetich's Zeit) ausgezogenen Automali') oder Sembritae
hatten sich bei Euonymitae oder Asmach nordwestlich von Meroe nieder-
gelassen (mit der Hauptstadt Sembobis am blauen Nil), lu der Ptolemäer-
Zeit erstreckten sich die griechischen Einflüsse bis Abyssinien und von Addis
führte in (Arrian's) Periplus der erythräische See (I. Jhdt. p. d.) die
Schifffahrt nach Azania, worauf jenseits des Cap Gardafui (oder Aromata)
noch eine Anzahl von Häfen aufgeführt wurden bis zu Rhapta (Quiloa) unter
dem aus Arabien stammenden König Mophoritis, der dem Fürsten von Musa
Tribut zahlte. Die Necho* mitgetheilte Beobachtung der Phoenizier, dass
(nach Süden'-) schiliend) die Sonne zur Rechten sichtbar gewesen, lässt sich
bereits im Rothen Meere machen.
Die indischen Beziehungen, die sich schon vor den persischen Ansiedluugen
(zur Zeit des Islam) an der Ostküste eingeleitet hatten und in den Bauyanen
fortdauern, beeinflussteu die Südhälfte des Continents (während die Nordhälfte
von semitischen Händlern durchzogen wurde, so dass Duncan Kaufleute aus
Tripolis und Adafudia antraf), während dann hier zugleich die politischen
Verhältnisse mächtig durchgreifende Wirkungen übten.
Auch nachdem Ibn Chauschab in Sana die Lehren des Ismaeliteu
Abdallah-ibn-Maimnn gepredigt und der Mahdi die Dynastie der Fatimiden
(909 \). d.) gegründet, erneuerte sich vielfach der (bei dem Aufstaude gegen
Abdarrachman bis Paderborn wiedertönende) Streit zwischen den einst auf
der Wiese Rahit siegreichen Kelbiten oder Jemeniten und den Kaisiten, be-
') hl der Cyrenaica lag die Festung Automala in der Nähe der durch die Kinder fressenden
Lamieii bewohnten Uöhlen. Die Insel Antolata (Madeira) war (nach Ptolemiios) von den Fortu-
natae (oder Canaren) verschieden (als Junonis insuia).
2) Methold schreibt (von den Chinesen), dat derselvet Ileerschappy sij^li heeft uytgestreckt tot
at;n t' Eyland Madagascar (s. de Vries). Garcia findet Kutay (China) in l^uito, Japan in Chia]»;«
und Kaoli (Kerea) wie Cari in Popayaii. Aus Mexico schatft man jetzt alle Japanesen hinweg
(wegen der christlichen Verfoig-unggen in Japan), wogegen den Chinesen der Aufenthalt in
Mexico nnd besondens in Manila erlaubt wird (s. Ehud Nicolai), 1G19. Like the Ciiinese, tiiey
iiüitate iiterally anytliing tliut is giveii theui to do ',s. Mayne) die ilaidah. The Indian mode
of danciiig bears u stränge rcseuiblauce to that in use among the Chinese (Poole) auf Queen-
Charlottu Islands (sehr dem Spiel ergeben). Nach Uomara wurden in (^uivira (/u ('ortes' Zeit
grosse sjchiffe gesehen.
Völkerkreise in Afrika. 141
sonders als Khalif Hischam den Kaisiten Obaidallali zum Statthalter in Afrika
ernannte, wo die Berber mit den Jemeniten sympathisirten, die im aufrich-
tigeren Keligionseifer die Bekehrung höher anschlugen, als die Steuerzahlung
der Ungläubigen. Als die Reste der in Ceuta eingeschlossenen Armee Bal-
dasli's von Abdelmelik nach Spanien übergeführt waren, verbreitete sich auch
dahin der Aufstand der Berber und es waren von den Gränzen der Neger-
länder IJergewanderte, die unter Jusuf-ibn-Teschufin (1086 p. d.) Alfons VI,,
den Kaiser von Leon und Kastilien, bei Sacralias (in der Nähe von Badajoz)
besiegten, als Almoraviden oder Marabuten.
Als Imame unter den Tuaregh angetroffen, bilden die Marabus aus anda-
lusischen Arabern (Mauren) oder Taggarin, wie sie (1492) bei der Ver-
treibung aus Spanien nach Marocco kamen, Dörfer (s. Aucapitaine) unter
den Beduinen oder Bedewin im südlichen Atlas (als Araber der Wüste) und
in Senegambien verknüpft sich die Geschichte der Marabuten löit der der
Mandingo oder Soninkie, von denen die Kanori oder Bornauie als Kaninkie
bezeichnet werden.
Für die vielgestaltigen Mandingo ist der Ausgang vom Lande der von
dem (Morba oder More-ba betitelten) Fürsten Woghodogo's beherrschten
Moni oder More zu suchen, die mit den Gurma (Reste der Garamanten, die
sonst in den Teda's gesucht werden) im Nordosten und den Tombo im Nord-
westen zwischen dem Niger (im Norden) und östlichen Mandingo oder Wan-
garaua (im Süden) am obern Niger herrschten, bis von den Bambara (der
Mandingo) und den Sonrhay vertrieben (s. Barth). Duncan fand eine Be-
völkerung von Mandingo oder Fulfulde auf dem Wege von Abome nach Ada-
fudia. Auf dem Wege von dem (mit Kumassie im Verkehr stehendem^
Handelsort 8salga oder Sselga, wohin (durch das Gurma-Land) eine Handels-
strasse nach Komba (am Niger) führt, nach Tanera oder Tangrera, liegt Kong
(von Wangara oder Mandingo bewohnt). Im Bündniss mit Marocco dehnt
Manssa Musa (König von Melle) seine Eroberungen aus an beiden Seiten
des Niger (1311 p. d.)
Die Ssenhadja (nach Verbreitung des Islam) erobern Ghanata (1076 p. d.),
das dann von den Ssussu (1203 p. d.) besetzt, von den Madingo (Wakore
oder Sserracolet Melle's (unter Mari djatah) erobert wird (1235 p. d.). mit
Ssussu verwandt. Unter Tilutan (Häuptling der Lemtuma) vereinigt Abubekr
ben Oman die Berber der Ssenhadscha, um die Saraceneu Marocco's durch
die Almoraviden zu vertreiben (1056 p. d.) bis zur Herrschaft der Almohaden
(1126 p. d.) Als zu den sieben Stämmen (Branis') gehörig, bildeten die
Senhadja die Rivalen der Zenata unter den vier Stämmen (Madre's). Obwohl
berberischen Ursprungs gelten die Senagha oder Senhadscha auf Grund der
Sprache für Araber (s. Barth) am Tagaret. Die Berberischen Stämme (der
Senagha der Ssenhadscha), als ursprüngliche Bewohner der westlichen Wüste,
wurden (in Baghena, El-Hodh, Taganet, Aderer, El Gibiah, Schemmamah,
Magh-ter, Tiriss, El Gada, Asemmur, El Haha, Ergschesch, Gidi u. s. w.)
1 42 Völkerkreise in Afrika.
durch die (aus dem Süden Marocco's nnd Algeriens herbeigezogenen Araber-
Stiimme (Ode's ben Hassan ben Akil aus dem Stamm der Rhatafan ixler
Gliatafan, von Egypten hergeleitet) zurückgedrängt oder unterworfen (s. Barth).
Die berberischen Bewohner der westlichen Wüsten (seit dem VIII. Jhdt. p. d.)
wurden (seit Ende des XV. Jhdt. p. d.) durch die im Süden Marocco's und
Algerlen's ansässigen Araber-Stämme zurückgedrängt, so dass sich seitdem
vier Klassen unterscheiden (s. Barth), die freien Krieger (Arab oder Hharar),
die Suaie (die freien Gemeinen), die Choddeman oder Lahme (die Unterworfenen)
und die Hawatin oder Mischlinge (Abkömmlinge befreiter Araber). In den
Oasen der Landschait Draa (östlich von Dschemla oder Num) leben Berber
und Neger (während südlich von der grossen Wüste Araber Karaeele füj* den
Handel liefern). Die Provinz Tefilet ist von Scherif bewohnt. Die Schelluk
(Kabylen Algeriens oder Zuaven Tunesien's) oder Amasigh (im nördlichen
Atlas, zu denen die Riffins am Rif gehören) sind meist vom Sultan von
Marocco abhängig. Die Rcgyan (in der Oase Tuat) kämpfen mit den Tuarek.
In den Ksor (Dörfern) der Oasengruppe Tidikelt (mit Jusalah) wird bald
berberisch bald arabisch gesprochen. In Ghadames (zu Tripolis gehörig)
wird berberisch gesprochen (mit den Sklaven das Haaussa). In Udjila wird
berberisch gesprochen (in Siva das Arabische nur wenig verstanden). Das
Innere der Hochebene von Ain-esh-Schehad oder Cyrene mit dem Hafen
F^enghazi (zwischen dem und Tripolis sich die Weidelandschalten der grossen
Syrten mit Salzsümpfen durchziehen) nomadisiren Araber-Stämme. Der ara-
bische Stamm der Tadjakant, der zur Himjaritischen Familie gerechnet wird,
versieht den Handel zwischen E'Sahel oder West-Marocco und Timbuctu.
Von der Wüste gehört die westliche (Sahel oder Sahara Sahel) den Mauren,
die mittlere den Tuaregh oder Imoscharh und die östliche den Teda Fezzans
(zu Tripolis gehörig) oder Phazania (mit Murzuk). Der Sultan von Air (in
Agades^ herrscht über die Kel-owid, als Haupt der Tuareg mit Tinylkum
(von Kyrene nach Fezzan gedrängt)', mit Imorschash von Rhat oder Asgar
und Hogar (des Hauarstammes), mit Auelimmiden (aus Tademakket) und
Kelgeress (aur Itissan). Unter den Tuareg oder Imo-sharh verdrängten die
Auelimminiden oder Lamta, welche (bei Igidi) neben den Uelad Delem
(maurischer Stamm mit Berber- Elementen) wohnten, die Tademekket aus
Aderar (nordöstlich von Gogo) zum Theil bis Bambara. Die Auelimminiden
eroberten (1770 p. d.) Gogo, die (von den Ruraa beherrschte) Hauptstadt
Sonrhay , die zur Gober-Rasse gehörigen Bewohner von Air oder Asbem
wurden von den erobernd von Nordwesten (aus dem Stamm der Auraghen)
eindringenden Kelowi besiegt. Die Uelad Sliman beraubten die Salzkarawanen
der Kelowi, bis sich diese von Air oder Asben aus dagegen gemeinsam er-
hoben. Die (nach Lucas) an Tripolis Krieg erklärenden Waled Sliman
(Herren des Landes von Tripolis bis Fezzan) waren (zu Lyon's Zeit) durch
den Pascha (während ein Theil ihrer Macht sich auf einem Zuge gegen
Aegypten befand) zerstreut (162ä). Vertrieben aus den Wohnsitzen an der
Völkerkreise in Afrika. 143
Syrte weilten die Uelarl Sliraiin oder (in Kunera) Minneminne (Mene-mene
oder Fressei) im alten Königreich Kanem (mit Kel-owi kämpfend), wie sich
die Uchid Ammer oder Ludaraar auf den Trümmern des Reiches Melle nieder-
gelassen (s. Barth). Die Uelad Sliman (in Borku) wnrden durch Zuzüge der
Mgharba (aus ßarka) verstärkt (Nachtigal). In ihrer weiten Versprengung
durch den Sudan mögen auch die Uelad Sliman in die Nähe des Zwerglandes
gerathen, wie die (nach Strabo) an der grossen Syrte nomadisirenden Nasi-
monen oder (bei Plinius) Mesamonen, die (zu Herodot's Zeit) Augila in der
Dattelernte besuchten.
Nach Leo Africanus leiteten sich die Bornu-Könige der Kanori oder (in
Haonosa) Ba-berbertsche (s. Barth) von dem libyschen Stamm der Berdora
(unter den Wüsten-Berbern), während Ssaef (Stifter der Bornu-Dynastie) auf
Ssaef Dhu Yasam, letzten König des himyaritischen Reiches (der mit Hülfe des
Chosru Parvis die Abyssinier vertrieb) zurückgeführt wird. Ein Theil vom Heere
des Edriss Alaoma (worin die Rothen oder El-Ahkmar und Schwarzen oder
Es-Sud unterschieden werden) war aus dem Bcrberstam m(Kabail el Beraber
zusammengesetzt. Ssaef (aus Mekka) kam (als Stifter des Reichs Bornu)
nach Kanem (von wo unter seinen Nachfolgern die Bulala (der Fürstenfamilie
Kanem's verwandt) aus dem von Kukia gestifteten Reiche vordrangen und
zwangen, die Residenz nach Bornu zu verlegen (Ende des XW. Jhdts. p. d.)
Die Häuptlinge in Baghirmi (unter dem Banga oder König) heissen Barma
(Barth). Birni oder Karnak ist die Hauptstadt von Logone (unter den Massa).
Biram's Enkel Bauu gründete die sechs Haussastaaten (neben Biram). Bramas
hatte sich in Loango erhalten. Biram, Enkel Baua's, gründete Biram unter
den Haussa, denen der Stamm Gober (bei der Einwanderung) als edelster
galt, und zu den (neben der von Bornu's Sklaven stammenden Bevölkerung)
ächten ■ ; aussa-Staaten wurde von den sieben unächten (die Banoa bokeu)
Nyie und Yoruba gefügt. Ibrahim Madji, König von Katsena (von Komayo
gegründet) wurde zum Islam bekehrt (1543 p. d.) in Haussa, von den
Fulba (1807) unterworfen. Die Haussa-Sprache schliesst sich der Syrisch-
ali-ikanischen Gruppe an, während das Kanori den Turauischen Sprachen sich
nähert (Barth). Biram gilt als der älteste Sitz des Haussa- Volkes (in dem
die Kano mit ßornu-Elementen gemischt sind), von dem der Gober-Stamm
früher weiter nach Norden wohnte (s. Barth). 15auu, Sohn des Karbagar»
(Sohn des Biram) gründete die Haussa-Staaten durch Zwillingspaare, deren
Mutter dem Berber-Stamm der Deggara angehörte.
In Daura (dem erst gegründeten der Haussa-Staaten) wurde die heidnische
Gottheit Dodo erschlagen (bei Einführung des Islam). Unter den Nachfolgern
Komayo's (Gründer Katsenas in Haussa) wurde Sanäu von Koräu aus Yen-
datu (an den Grenzen Aschanti's) gestürzt, und von der neu gestifteten
Dynastie wnirde (nachdem Katsena durch den Sonrhay-König Hady Mohamed
Askia zeitweis unterworfen worden war) Ihrahim Madji durch Mohamed ben
Abd el Kerim zum Islam bekehrt (1543), worauf die Habe eine neue Dynastie
144 Völkerkreise in Afrika.
gründete bis zu den Eroberungen der Fulbe (1807). Sa Alayamin (Sa el
Ytnieri) gründete (VII. Jhdt. p. d.) in Kukia oder Gotschia die Sa-Dynaslie
(Sonrhay's) worauf Ssonui Ali (1468 p. d.) Timbuktu errberte. Die Nach-
kommen der vom Kaiser Marocco's unter dem Eunuchen Mulai Hamed gegen
Sonrhai (1581) p. d.) gesandten ßuma (Schützen) oder (s. Raffenel) Arania
bilden einen Theil der eingeborenen Bevölkerung in den Städten Sonrhay's
(s. Barth).
Nach Makrizi war der König von Kanem (von den Berbern stammend)
ein Nomade oder Wanderer. Die Bulala in Kanem stützten sich auf die Teda
bei Gründung des Reiches Gaoga, das sich (zu Leo's Zeit) bis Dongola er-
streckte. Die (zur Zeit Leo's) ihre ui'sprüngliche Sprache (das Kannori)
redenden Bulala haben, unter der Völkerschaft der am Batha und Fittri an-
gesiedelten Kula sich niederlassend, das Idiom des von ihnen beherrschten
Volkes, der Kuka, angenommen (s. Barth). Die Kanembu haben sich (aus
Furcht vor den Wadai und den Arabern) in's Innere der grossen Lagune
zurückgezogen. Aus Kanem gründeten die Bulala (unter Djul) im Gebiete
des Stammes Kuka ein Reich (bis Darfur) mit der Hauptstadt Schebina
(s. Barth), wohin die Baghirmi (unter Dokko von Kenga) über die Länder
der Dohr (aus Yemen) einwanderten. Nach Schweinfurth sind die Mosgu,
oder Massastämme, den Wandala und Loggo den Bongo (Dohr) verwandt.
Nach Barth ist die Sprache der Baghirmi mit der der Dohr verwandt, sowie
(nach Nachtigal) mit der der Sana von Schari. Die Kytsh bilden einen an
den Sümpfen verkommenen Stamm.
Die Stifter der Haussa- Staaten führen in ihren Titeln auf Brama oder
am Abrahund als vor-mohamedanischen Propheten^) und Stammherr. Der
') Wenn Mohamed eine Ofl'enbarun^ empfing-, war es ihm bald, als oh ein Mann erschien,
der zu ihm sprach, bald klang es wie eine Glocke (nach Harith Ebn Hisham) [Java|. Um das
Versprechen seines Bniders Sidi Mohammed um Abhülfe der Dürre zu erfüllen, hatte 8idi
Aissa im vieraen Himmel mit dem den Regen zurückhaltenden Engel zu kämi)fen und zeigte
beim Oeffuen der Moschee, worin er verschlossen geblieben, seinen gebrochenen Arm (in Meknes).
Der höchste Zustand der Extase, die Versenkung in den Oceun der Gottesanschauung (shohud)
wird bei den Sufys Vernichtung (fana-uirvana) genannt (s. Kremer). Als die beim Baden über-
raschte Outayi bei Ausziehen des weissen llaares in den Himmel zurückgenommen war, stieg
Kasimbaha mit seinem Sohn (nach den Bantik) auf einen Busih, dem eine Ratte die Dornen
allgefressen,' hinauf (s. van Spreeuwenberg). Von Parapati-si-Ratang und Kei-Tommangongan,
den Gefährten N'oah's stammend, zogen die Malayen von der Insel Langkapura nach Si-GantauK
und dann nach Priaugan, der Hauptstadt Manangkabau's (s. Rigg). Die Bewohner von Si-Maion
(Mog-island) stammen von einer nach Majapaliit verbannten Frau und einem Hunde (s. Backer).
Mithro-Drukhs oder Beliiger Mithra's hiesseu die durch Sünden gegen die Sonne Erkrankten
(hei den l'arsi). Gabriel, zu Ali gesandt, wandte sich, dtirch Familienähnlichkeit getäuscht,
an Mohamed (nach den Garabis). Die vor dem Körper existirende Seele ist in demselben, wie
ein Vogel im Käfig, eingeschlossen (nach den Öhadili). Die durch den Gott Katjanggaboulan,
ilen Mahatara zum Trost des (durch das Spiel verarmten) Radja Pahit gesandt, aus derjenigen
Erde, womit Mahatara den Mond gebildet, verfertigten Waffen belebten sich bei dem unter den
Arbeitern ansgebrocheneu Streit und flohen als Dayak (Borneo's) in die Wälder (s. Hacker).
Nachdem Lmibou-Laugi die auf die Erde gesetzten Söhne in den Himmel zurückgenommen,
verblieben deren Nachkommen, weil sie gesündigt, auf den Nyas-Inselu (s. Backer), Bei Panini
Vskerkreise in Afrika. 145
Gerbergt'selle (in Norfolk) nannte die Ermordung seiner Kinder (auf Gottes
Geheiss) nur Abraham's 0|)fer (1844), wie der von Friedrich M. in s Irren-
haus geschickte Schäfer.
Bei wunderbarer Einbildung sind Gespenster oft die Ursachen von Wir-
kungen auf den Körper (nach Zimmermann), wobei „nichts gerährlicher
ist, als grosse daher entstehende Geschwulst-Entzündungen der Oberfläche
der Haut und sehr schmerzhafte Geschwüre (wie Blatternkrankheit am Kopf
u. dgl. m.) Durch Fixirung der Vorstellungen auf bestimmte Stellen des
Leibes bringt die Phantasie nicht nur Schmerzen, sondern blaue Flecken,
Geschwülste, ja selbst äussere Schäden und Wunden hervor (s. Ennemoser).
Durch psychische Eindrücke geschehene Abbildungen an der äusseren Haut
„und die medicinische Geschichte liefert mehrfache Beispiele, dass auf den
Hautstellen durch blosse scharf dahin gerichtete Gedanken von Verletzungen
diese wirklich entstanden". Jacobus de Voragine führt die glühende Phantasie
des Franciscus als die erste der fünf Ursachen seiner Wundmale an (XHI.
Jhdt.) Die Bulle Sixtus IV. erkannte die Wundmale nur dem hlg. Franciscus
zu, als von den Dominicanern die hlg. Katharina von Siena entgegengestellt
werden sollte. Die Phantasie schafft sich die Bilder der Contemplation in
den frommen Gemüthern zu blendenden Gestalten, die in der That hier eine
plastische Festigkeit in dem Leibe ausgebildet erhalten (s. Ennemoser).
„Weit entfernt von Wundern, ist es überall ein rein physiologischer Process,
dem nur eine psychische Ursache zu Grunde liegt." Als sie einst die Krö-
nung Christi mit Dornen beherzigte, schwoll ihr Haupt in der Gluth des
Mitgefühls übermässig auf (Maria Hueber's). „An Händen und Füssen
fuhren ihr oft grosse Beulen auf in der Betrachtung der Hand- und Fuss-
wunden Christi". Bei Giovanna della Croce (der bei Betrachtung von Christi
Todesschmerz das Haupt anschwoll) „wuchsen drei Nägel aus dem Stoff der
Nierensteine in die Nieren. Das Bett des (1634) stigmatisirten Fräulein
von Mörl (bei Botzen) hatte sonderbare Belege. Auf den Leinentüchern,
Matratzen uud unter denselben, auf dem Strohsack etc. waren Nadeln, Nägel,
Glufen, Haare u. s, w. vertheilt, und kaum reinigte man das Bett, so war s
wird Samani (des Sama-Veda) als guttayah erklärt. A small franie of wicker work, hollow ami
in the shape of an obelisk, stood in the centre of the inner court (of the heiau or temple iu
Hawaii). In this. the priest stationed himself, when in consnltatiou with the god (s. Jarves).
Der Ucros Chrysor erfand für die Phönicier die Angel und den Köder. Nach Chardin wurden
in Ispahan stets zwei gesattelte Pferde gehalten, eins für den Imam Mahdi, das andere für Jesus.
To avert the displeasure of the divinity and to counteract the evil influence of the sorcerers,
regulär dances of propitiation or deprecation are held, in which the whole tribe jougs (in Southern
California). Von Archagathos, Sohn des Agathocles, gelangte Euniachos (beim Krieg mit Karthago)
Jenseits Miltine in eine aflenreiche Gegend, wo die für heilig gehaltenen Affen mit den Menschen
lue Wohnungen theilten. Elephautem miuimus Aethiops jubet subsidcre in genua et amluiiare
per funem (s. Seneca). Nach Plinius lehrte zuerst der Carthager Hanno, die Elephantem zu
zähmen und zu belasten. Die ersten Elephanteu wiu-den Boves lucae genannt, das Rhinoceros
(s. Festus) bos Aegyptus (dann Flusspferde, Seelöwen u. s. w.) Qui unum monumentum vidit,
uullum vidit, qui mille vidit, unum vidit (nach Gerhard;.
146 Völkerkreise in Afrika.
wieder da (Euiieinu.sL'!). Laugin-t, Bisclioi von »Soissons, beschrieb in einem
(.spitter uulndriukten) HucLe das Elieverspredien und die Verheil iilhimg der
Marie Ahic<j(|Uf' (-}- 1(520), von der Christus (den Kopf im ihre Brust gelehnt)
ihr ilerz gefordert hatte (s. Ideler). In Folge der Gaben ßrohon's, der ersten
Victime (1774), die von Christus gebeten wurde, ihn nicht zu verlassen,
erhieh ihr Beichtvater (Abbe Garvy) von Christus das Versprechen des Ge-
horsams. Man schrieb vormals die bei so vielen Mädgen, in Italien und
anderswo in der Harnblase gefundenen Stecknadeln, Haarnadeln und andere
h-emde Körper den Hexen und dem Teufel auf die Rechnung, da sie natür-
lich durch Bosheit dahin kamen (Zimmermann). Nach Ennemoser ist es
„nicht so sonderbai', dass man in Frauengemächern öfter Ueberfluss au Steck-
nadeln antrill't".
DruÜ'el kannte eine Person mit blauen Flecken auf dem Rücken in Folge
eines getragenen Geistes. Papst erzählt von einem am Rücken blutenden Mäd-
chen, weil ihr Bruder Spiessruthen gelaufen. Nach Kerner bluteten an dem Kör))er
eines Russen, der aus seinem Verstecke einem Kampfe zwischen Kosaken
und Franzosen in Moskau hatte zusehen müssen, dieselben Wunden, die ver-
fetzt waren.
Der Hinzutritt materieller Veränderung an den Theilen, deren sensible
Nerven in der Hypochondrie vorzugsweise in Anspruch genommen waren,
schliesst sich (in physiologischer Bedeutung) an ähnliche Phänomene im
hygienen Zustande an (nach Romberg). Lüsternheit bewirkt Speichelerguss,
Ivülirung Thränen und „denkt man sich analoge Einwirkungen permanent
und verbunden mit dem ohnehin die Ernährung so sehr alterirenden Einfluss
der Gemüthsverstimmungen, so dürfte der Hinzutritt der Trophoneurose zur
Hyperästhesie nichts Befremdendes haben, um so weniger, da mit den Af-
lektionen sensibler Nerven so oft Störung vegetativer Processe beobachtet
wird." Petrarch schrieb die Stigmatisation des heiligen Franciscus seinem
erhöhten, plastischem und religiösem Gefühle zu (Ennemoser).
An Festtagen des Heilands, am Kreuzigungstage, Freitags, wird die
Vorstellung lebhafter und das Gemüth noch ergrifi'ener sein, und somit wird
zu solchen Zeiten auch die Blutung begreiflicher (aus den Wundmalen),
welche ohnehin schon nach den physiologischen Gesetzen der Vegetation und
der vegetativen Reproduction einen periodischen Character annimmt (s. Enne-
moser). Der von Budde bemerkte an der Ilandlläche der Katharina von
J'Jmraerich um die Kruste bemerkte weisse Fleck (wie eine Lamelle von Klebe-
werk) sollte; nichts anderes gewesen sein, „als ein kreisförmiges Stück der
Epidernjis, welches durch den Andrang des Blutes und durch die Turgescenz
der aushauchenden Gefässe an diesen Stellen sich losgestossen und mit im
Ausfliessen nach und nach stockendem coagulirtem Cruor sich verklebt hatte"
(die farblose liyniphe bei Blutschwitzen wird allmählig röther). Die aus-
wärtigen Aerzte, auf welche der General-Vikar zur Bewachung der Katharina
Emmerich gerechnet, wurden verhindert hierher zu kommen, und so erhielt
Völkerkreise in Afrika. 147
der Dechant Rensing den Auftrag, „Männer aus der hiesigen Bürgerschaft zu
ersuchen, diese Mühe zu überuehruen". Als der Landri'ith liehe (Joramissair
C. von liönniughausen (1819) Katharina Emmerich zu Dühmen sah, hatten
die periodischen Blutungen bereits (seitdem eine gerichtliche Untersuchung
angeordnet war) aufgehört. „Die Spuren jener Male sind noch ülierall deut-
lich zu sehen und erscheinen gerade wie Narben und andere Wunden, welche
mit Eiterung geheilt sind." Als sich (nach mehrfachem Verlangen am Freitag
(Aug. 18) wieder etwas Blut an der Stirn zeigte, war das Resultat (und die
einstimmige Aussage der Commission), dass die rothen „Flecken an der Stirn
die vollkommenste Aehnlichkeit mit jenen hätten, die man durch Reiben und
Kratzen hervorbringen k()nnte." Nach Calmet kann Blutigsein des Schweisses
vorkommen.
Nachdem Maria Domenica Lazzari von ihrem Arzt an Fieber und Hysterie
behandelt war (1838), erhielt sie (1834) die Wundmale des Leidens Christi
„auf der Stirn, an den Händen und Füssen, an der Seite und auf dem
Rücken." Maria von Mörl wurde eine Nadel aus dem Kopf und ein Brett-
nagel aus dem linken Fuss gezogen (1832). „Die Vorstellung vom Leiden
Christi machte ihr einen empfindlichen Schmerz" und (ö. Febr. 1834) „sah
der Beichtvater von ungefähr frisches Blut au der Hand" (jetzt war's aus).
Der Geist des Joannes Steiulin in Altheim berührte den Stuhl und hinter-
liess an selbigem ein tiefes Brandmal der ganzen Hand sammt allen Fingern
und Gleichen und verschwand darauf mit solchem Getös, dass man ihu über
drei Häuser hörte (Calmet).
Von der süssen Gewalt geistiger Liebe überströmt, wachte Armellc (nach
ihrer Wiedergeburl) ganze Nächte durch und genoss geruhig die Liebesküsse,
womit ihr himmlischer Liebhaber sie in dem geheimsten Grunde ihres Herzens
beschenkte, endlich bildet sie sich ein, sie sei ganz mit ihm zusammengeflossen
(Zimmermann). Am 28. Aug. 1812 sah Katharina Emmerich, im Gebet vertieft,
ihren Heiland in Gestalt eines leuchtenden Jünglings ihr nahen und mit seiner
Rechten das Kreuzeszeichen ülter ihrem Leib machen. Von der Zeit an hatte
sie das einem Muttermale ähnliche Maalzeichen eines Kreuzes auf der Mageu-
gegeud" (Krabbe). Einige Wochen später erhielt sie anf der Brust das blut-
schwitzende Doppelkreuz (in der Figur des Coesfelder Kj-euzes). Am Ende
des Jahres trat die Stigmatisation ein (am 29. Dec, 3 Ulir Nachmittags). Die
Seherin Anna Maria Weiss beschreibt die Gestalt Christi (7. Sept. 1827).
Das Gesicht war graulich blass, länglich, überhaupt etwas mager und an die
nationale Form der jüdischen Nation mahnend, der Ausdruck geistig und
würdevoll (s. A. Schmidt). Die Anhänger der nach Anfertigung der Messias-
kappe oder Wiege (für 200 Thaler) gestorbenen Johanna Southcott (1814) er-
warteten ihre Wiedergeburt (1819). Ezechiel Meth in Langensalza erkläi'te
sich (l(jl4) für den Grossfürst Michael (Gottes Wort) und sein Schwieger-
vater Stielfel (Esaias Christus) für den Gott-Mensch) (s. Ideler). Der Quäker
Nayler zog als alleiniger Sohn Gottes in Bristol ein (165G). Hans Engelbrecht
148 Völkerkreise in Afrika.
von Braunschweig unterschrieb sich aU .,Boten des allerhöchsten Gottes"
(t K54-J).
Als der Herr in dor Nacht des 4. April 1()Ü4 mit einer Dornenkrone gekom-
riirn, sagte Veronica Guiliani: „Mein Geliebter, dieser Dornen mache mich
ihoilhattig, denn sie sind für mich, nicht aber für Dich, mein höchstes Gut."
Tch hörte ihn darauf erwiedern: „Ich komme eben, um meine Geliebte zu
krönen". Zugleich nahm er sich die Krone ab und setzte sie mir auf. So
gross war der Schmerz, den ich sogleich empfand, dass ich mich nie erinnere,
)•' einen wüthenderen empfunden zu haben und als ich wieder zu mir kam,
dauerte die Pein fort (wobei sie betete: Herr bist Du es, der die Dornen
eintreibt, drücke noch stärker zu, damit ich noch mehr Pein empfinde.").
Als die Schwester Florida Ceoli das Hnupt untersuchte, fand sie einen rothen
King mit "Beulen. Später erschien ihr der Herr in Kiudesgestalt und durch-
bohrte ihr das Herz mit einer wie Feuerflamme brennenden Lanzenspitze,
(und so wurde sie auch mit der Seitenwunde bedacht).
Neben Abu-Rom oder Abu-Ram (Abraham) wurde von den Sabiern in
llaran seine Frau Sarah verehrt, als Mutter der Erde [Sarawati.] Der abys-
sinische Patriarch ordinirt die entferntem Bischöfe durch Sendung eines
von ihm aufgeblasenen Schlauches (s. Krapf). Es hatte die Guyon einen
^solchen Uebertluss von Gnade empfangen, dass sie im buchstäblichen Sinne
davon platzte und man sie aufschnüren musste, um die empfangene Gnade
aut die Umstehenden überströmen zu lassen (s. Ideler).
Als Gabriela de Piezolu in Aquila den mit blutender Seitenwunde er-
scheinenden Erlöser im tiefsten Mitgefühl umarmte, wurde ihr selbst die Seiten-
wunde geöffnet. Maria de Sarmiento wurde durch einen Seraph verwundet und
durch einen solchen mit Pfeil die hlg. Teresa (im Herzen). Schwester Angela
delhi Puce wurde mit dem Finger des Herrn (in Kindsgestalt) im Herzen
verwundet, Mariana Villana mit einem Pfeil. Pietro de Alva zählt 75 auf,
die die vollkommene Stigmatisation erhalten und Hesse sich diese Zahl leicht
verdoppeln (nach Görres) nur Frauen (ausser St. Franciscus), doch sind
auch fliu Männer keineswegs ausgeschlossen, obwohl bei ihnen die Erscheinung
8elten<;r auftritt.
Manche Krankheiten sind (wie der Zahnschmerz) mit einem sich steigenden
licdürfniss nach Schmerzen verbunden (s. Steffens). Die Ossener betrachteten
(nach Epi])haniu8) den heiligen Geist als weiblichen Geschlechts (sonst Sophia).
Beliotjc a une pretresse qui se dcchire les epaules avec des fouets, s'enfonce
des couieaux dans les bras et se livre ainsi toute sanglantc ä l'admiration
des fideles (I). Tiliiill) La pretresse est dite consacerdos du prctre (s. Boissier).
Ein Engländer, einer Hinrichtung beiwohnend, bei der dem Delinquenten
mit eisernen Keulen die Glieder zerschmettert werden, stürzte beim ersten
Schlage zusammen und zeigte auf seineu Schienbeinen die blutigen Malzeichen
'l<s Keulenschlages (s. Papst).
An „ßluttagen" versetzte sich der Archigallus Einschnitte (s. Tertullian),
Völkerkreise in Afrika. 149
die Priester der Bellona, der Cybele, der syrischen Göttin suchten das
Volk durch blutige Cereuionien aufzureizen (s. Boissier). Der lieiligen Lut-
gardis war es oft, als sei sie am ganzen Leibe mit Blut übergössen. Ebenso
verhielt es sich mit Catharina Ricci aus Florenz (f 1590). Auch Helena
Brumsin im Kloster Dessenhofen (f 1285) hatte den Herrn um die Schmerzen
der Gcisselung gebeten, und wurde nun an an allen Gliedern von so unaus-
sprechlicher Pein überfallen, dass sie an der Erhörung nicht zweifeln durfte
(nach Steill). Bei Archangela Tardera in Sizilien (1608) zeigte der Leib
„so viele Striemen, Contusionen, Ruthen- und Geisseischläge und Beulen,
dass es schien, als werde sie sogleich den Geist aufgeben" (s. Görros).
Maria Domenica Lazzari (zu Capriani) trug (seit 1834) die Wundmale des
Leidens Christi auf der Stirn, an Händen und Füssen und an der Seite
(s. Hamberger). Bei den Hexenprocessen drückte der Teufel dem Körper
Zeichen auf. Bei Lazzari wurden von ihrem Arzt die schwarzen Flecken
auf der Mitte des Handrückens gleich dem Kopf eines Brettnagels beschrieben,
und so bei Celano (als Nägelmale), wie bei Katharina Emmerich oder (nach
Lillbopp) bei Magdalene von Hadamar (neben den Wundmalen der Doraen-
krone). Bei den Ekstatischen am Grabe des Abbe Baris zeigten sich rothe
Flecken an Fänden und Füssen. Als einmal die (von einem Teufel der
Wollust, einem des Zornes, einem des Hochmuthes, einem der Possen) be-
sessene Priorin der Ursulinerinnen in Loudun ekstatisch und katalepsiit zu
Surin's Füssen niederstürzte, erschien auf ihrer Stirn ein Kreuz, aus dem
Blut hervordrang (dann blutige Buchstaben auf der Hand). Der Dämon
Asmodi gab dem Gesicht der in Loudun besessenen Schwester eignes ein
verzerrtes, der Dämon Behert ein lächelndes Ansehen (1G35).
Nach Lillbop sind den eingedrückten Wundmalen Christi ähnliche Er-
scheinungen vielfach wahrgenommen worden, ohne dass sie für ein eigentliches
Wunder gehalten worden wären. Meistens waren es Frauenzimmer, die an
Hysterie, Unordnungen der Organe des Unterleibes u. .-. w. litten, bei welchen
im lebendigen Gefühl ihnes kränklichen Zustandes und in der Betrachtung
des Leidens Jesu, das exaltirte Gemüth auf den eigenen Körper plastisch
zurückwirkte. Fand man ein Stigma oder Hexenmal (als empfindungslose
Stelle), so wurde auf dieses Zeichen des Teufels die Verurtheilung ausgesprochen
(in den Hexenprocessen). In der spiritistischen Sitzung fand die nieder-
gesetzte Commission (in America), dass die Geräusche von Miss Fox durch
das Kniegelenk producirt wurden.
Die Letzte wegen Stigmatisation (I80I) Tanonisirte ist die Capuzinerin
Veronica Guiliani (f 1727) in Citta di Castello). Zum Andenken an die
Stigmatisation des heiligen Franciscus ist auf den 17. Sept. ein Fest mit be-
sonderem Ofücium angesetzt.
Cette passioii, cette Stigmatisation sur le mont Alvernia est lo poiiit
cuUniiiaiit dt' lliistoire de St. Fiaiirois dAssisi; tont est consomme (s. Chavin).
Ses maius et ses pieds daicnt ptMcrs de il(ui^ daiis Ir uiiliou. los totes des
150 Volkerkreise in Afrika.
clous, rondes et noires, etaient au-dedans des narins et au-dessus des pieds,
les pointes, qui etaient un })eu longues et qui paraissaient de l'autre cöte,
86 recourbaient et surmoutaient le reste de la cbair, dout elles sortaieut. II
avait aussi ä son cote droit une place rouge (s. Bonaventure).
Domine Jesu Christe, qui frigescente mundo ad intlammanda corda nostra
tui amoris igue in carne beatissinii Patris nostri Francisci Passionis tuao
Sacra Stigmata renovasti, concede propitius, ut ejus meritis et precibus cruceni
jugiter feramus et, dignos fructus poenitentiae faciamus, (als Oratio beim
Fest der Stigmation 17. Sept.). Aperte et veracissima Stigmata dominicae
passionis babent in naribus, pedibus ac latere erzählt Kolewink von dem
Mädchen Stina in Hamm (1414) und ähnlich Raynaldus von Gertrudis in Delft.
Von dem an's Kreuz geschlagenen Herrn sah die heilige Catharina von
Siena aus seinen fünf Wunden blutige Strahlen nach Händen, Füssen und
Herzen gehen. Auf ßaymund s Frage, ob nicht auch einer der Strahlen gegen
die rechte Seite gegangen, wurde erwiedert: „Nein, vielmehr zur linken,
zu meinem Herzen hin, denn die leuchtende Linie, von seiner rechten Seite
ausgehend, streifte mich nicht querüber, sondern in grader Richtung" (s. Görres)
1370. Bei Veronica Guiliani wurden Herz, Hände und Füsse von Flammen-
Strahlen (wie Lanze und Nägel) durchzuckt. Als der UrsuUi Agri (1592)
die heilige Catharina mit einem Crucifix erschien, hefteten sich ihr die davon
losgelösten Nägel an Hände und Füsse. Aus der Wunde der Gertrud von
üosten floss täglich siebenmal Blut
Bei der durch die Andeutungen Mignon's angeregten Besessenheit der
Nonnen in Loudun (die zu Grandier's Verbrennung führte) wurde zuweilen
auch der Pater Suriu während der Exorcismen von dem aus der (Gott fluchenden)
Priorin ausfahrenden Teufel niedergeworfen (1G35). In Mahabar werden die
beim Fest aufgestellten Frauen (zur Heilung) nach einander von Siwa besessen,
indem sie nach allen Seiten ausgeschlagen und den Kopf nach vorne und
hinten bewegen, bis niederfallend (1865). In Loudun (1635) schlugen die
I)e8e8senen Nonnen ihre Beine nach rückwärts und den Kopf auf die Schul-
tern und Brust. Das Medium citirte (1868) zur Befragung zuerst den Selbst-
niördor Dongo (s. Patouillet). Die Erklärungen der aus den Ceremouien
der Mysterien gewonnenen Eindrücke hatte Jeder im eigenen Herzen zu vei-
schliessen. Si quis illas adsequitur continere intra conscientiam tectas
jubetur (b. Macrob.)
Diejenigen Cultusformen, ex quibus animi hominum moveantnr, sind (nacli
d(;m Juristen Paulus) zu vermeiden. CatuU betet zu Cybele, ihn vor (Umi
Aufregungen zn bewahren, die aus ihien Begeisterungen fliessen.
Um Pastophoros zu werden, niusste man die Weihen der Isis und i\es
Osiris durchgemacht haben. Der in die Mysterien') der Isis EinzuwoihcMuh»
wurde vorher (s. Appulejus) vom Priester mit Wasser übergössen.
') lllii- i|iii Scrapem lolitiil ('liiisliaiii sunt, vi dcvoti sunt, St-iapi (|(ii sc Cliiisli t-pisi'opos
liicuu (scliri'il)t lladrian; in Alc.N.uidi ii-n (s. N'itjiiscns). InDiixiniiis eaiii de spiritu uostro, cum
Völkerkreise in Atrika. 151
Die Tündjur (aus Dongola) verbreiteten sich über Darfur nach Wadai.
Abd-el-Kerim, der die heidnischen Tündjur in Wadai stürzte, gehörte einer
Familie des Djalia aus der Landschaft Schendi im Nilthal, nördlich von
Chartum an, welche als ihren Stammvater Salah (Suleh) Abn-Abdullahi —
Ibn-Abbass anerkennen und daher Abassiden sind (Nachtigal). Die (l)is
Wadai vordringenden) Tündjur hatten sich in Dongola von dem Aegyptischen
Stamm der Batalessa (ans Benese) abgetrennt.
In den untern (dichter Bevölkerung) sowohl Ackerbau, als VVeideleben
begünstigenden Strichen Kordofan's (mit zerstreuten Bergklippen) sind vom
Westen her die (eine Fur-Sprache redenden) Kundschara eingedrungen
(von den Türken Aegypten's besiegt). Die Fori oder Gonjar's im
Gebirge des (in den Ebenen anbaufähigen) Darfur ziehen zahlreiche
ITeerden. In Wadai (woher die Tündjur aus Dongola kamen, als Besieger
der Dadscho) nomadisiren die von Osten eingewanderten Araber-Stämme mit
einheimischen Negern. In Dongola oder Nubien wohnen an der Bejudah-
Steppe, wie links vom Weissen Fluss, die Hasanieh redenden (bis über
Kordofau und Far erstreckten Kababisch oder Schafhirten (der Oasen), und
dann die (den Abu-Rof verwaudten) Beduinen Bakara^) (die Schilluk, Denka
und Nobah beraubend). Merawi war die Hauptstadt dei- Sheggia-Araber, an
Dongolah grenzend (s. Burckhardt).
Vor den Wahuma oder Galla-Stämmeu herrschten die Funje am Quellsi-e
des Weissen Nil (XVI. Jhdt. p. d.) Am Gesiret-Sennar (zwischen blauen
und weissen Nil) eroberten die Funje des Aloa (im Kampfe mit den
Hassanieh) mit Hülfe der Funje aus den Berglandschaften von Seru und
lloseres am blauen Nil (s. Hartmann) verdrängt, während die von den
Schelluck verstärkten Funje nach Kordofan zogen und das Bergland Takela
(TegeliJ besetzten. Nach Hartmanu stammen die Funje von den Bergen
Djebel - el - Funje am Dar Berun. Tremaux ideutificirt die Funje mit
den Macrobiern am blauen Nil). The Masai call themselves Orlmasni
(pl. llmasai) in distinction from the Wakuatii (Embarawui) or Orloigob
efflavit in aperturam tunicae ejus (Mariae) ad colhun, efflciente Deo, ut flatus ejus perveniret ail
vulvam ejus et ex eo «onciperet Jesuin (Djellalidiu). ^sacti Chaereiuon lebten die (in Ae^ypteu
der Gottheit Geweihten in 'rempeln zusammen, wie die Diener des Serapis (s. Brunet de Presles)
in Klöstern. Nach Lucian verweilten die Priester der syrischen Göttinneu zeitweis auf der
Spitze eines hohen Phallus. Des papyrus grecs (II. siecle a. d.) attestent qu'il y avait dans
le teniple de Serapis des hommes et des ferames, vones au Service divin, astreints ä la claust
ration relif>ieuse (Delauuay). Die Lauren (des hlg. Antonius und dann Ammonius) bilden eine
Mittelstufe zwischen dem Eremiterleben (des Paulus Eremita) und dem eigentlichen Klosterleben
der Cönobieu des hlg. Pachouiius), die Basil zur Klostergemeinde herangebildet und durch
Benedict befestigt (s. Evelt).
') The Bedouins of Kordofau are calieil Bakara (Bakar or cow), diil'ering little from thosf
of Sheudy (Burckhardt). Satha, the forefather of the Noubas aud Mokry, the forefather of the
Mokras. were iiafives of Yemen (acconliug to Selim el Assuauey). Die Störuugeu der Pilgerstrasse
ii!>er Aidal> vcr;iulasstou den Keldzug des Bruders Schaheddius gegen die Bedjas Die (den
Bisharin und lladendoa verwandttMi) Ilassauieh sprechen gutes Arabisch (s. Schweiufurth;.
152 Völkerkreise in Afrika.
(s. Krapf). Oigob (pl. iloigob) is the name, by which the Masai and Wa-
kuafi call themselves as descendauts of a certain Orloigob.
Wolab, Stammvater der Galla') oder Ilma Orma (Kinder des Orma)
kam von Bargamo oder von jenseits des Meeres, welches „grosse Wasser"
(nach Krapf) für den Fluss Godschob oder Bachr-el-Abiad zu erklären sei.
Die Nachkommen der Tochter des abyssinischen Königs Sara Jakob (auf
dem Berg Endoto am Hawaschiluss) mit einem von Süden gekommeneu
Sklaven, bekämpften als Galla die Abyssinier am Fluss Gala. Die Wato
auf dem Berg Dalatscho am Hawaschiluss sind unverletzlich unter den Galla.
Although the numerous Gallas tribes are divided among themselves, there
seems to exist a certain point of uniou for them, consisting in a large tree"),
called Wodanabe, situated on the banks of the Hawash, in the country of the
Soddo Gallas, south of Shoa. From time to time they perform pilgrimages
to this tree (Iseuberg).
In heilem^) Farbenschattiruugen wurden die Galla mit den Fulbe ver-
') L'empereur (d'Ethiopie) fait la guerre au Roys de Galla et de Changalla (Ch. J. Poncet).
Le royaume d'Agou est ime des nouvelles conquetes (1698). Die Bogos sind (nach Hunzinger
eine Colonie der Agows oder Aghagha. Beim Eide der Gallas: They dig a deep and narrow
pit, into which they put some lances. The pit is then covered witli an animars hide and
they sit round it, swearing, that if they do not reform their agreemeuts, they may be thrown
or fall into such a pit, that they may be pierced through with a lance and their bodies may
be hidden, so as to remain unchanged (Isenberg).
^) At the foot of a small tree, which she can easily grasp with both hands, she prepares
her lying-in-couch, on which she lies down as soon as the labor pains come on. When the
pain is on, she grasps the tree with both hands, thrown up backward over her head and puUs
and strains with all her might. thus assisting each pain, uutil her accouchement is over (bei
San Diego). The child (nach Abbinden des mit einem Lederfadeu gebundenen Nabelstranges)
is thrown into the water, if it rises to the surface and cries, it is takeu out and cared for, if
it sinks, there it remains, and is not even awarded an Indian burial (H. Bancroft) [Rhein].
Die Frauen der Navajos gebären unter einem Baum (Velasco) [Maya]. Der Gebrauch, dass ein Pirna,
nach dem Tödten von Apache, sich reinigen muss, durch Fasten uml Vermeiden des Feuers,
wird auf Szeukha zurückgeführt, den ein Ungeheuer getödtet (s. Walker). Die Matlatza huatl
genannte Epidemie, die die Tolteken vernichtete (XI. Jhdt.), verschonte die Weissen (1545 und
1 73ü). Beim Ausbruch einer Epidemie {m Zacalecas) ziehen sich die Indianer in Dorngebüsche
zurück, paraque de miedo de las espinas, ne entren las viruelas (Ariegui).
■') Von einem schiffbrüchigen Capitän und seiner weissen Frau leiten sich aus der Mischung
mit den Eingeborenen einige Familien derselben (nach Hawaii) ab. Those who are supposed to
represent this race at the present day, are distinguished by their lighter skin and by brown
or red curly hair, called ehu (Hopkins) 1866, Die Indianer auf der Insel Santa Barbara (in
Süd-Califoruien) son mas altos, dispuestos y membrodos que otros, que antes se avian visto
(Torquemada) und auf Santa Catalina las muyeres son muy liermosas y honestas, los ninos son
blancos, y rubios muy risuenos Sahneron). Salmeron setzt südlich vom Utah-See, Leute blancos
y rosadas las mejillas (unter den Öhoshoneu) als Tirangapui (bei Escalante). Despues de haber
trascurrido mas de cuacatrocientos aiios desde el discubrimiento de America, la civilizacion primi-
tiva del Nuevo Mundo se halla a un poco conocida (Floreucio Janer), Adam and Eve were
iieither to hunger nor thirst, nor feel their nakedness, which the commentators (of the Koran)
explaiu l)y assuming tliat they were covered with hair (Arnold). Duos, scilicet ursos, non
homines creuverul Dens (iiacli Maracci). Grosse Bauten liiessen in der Vorzeit fiocrimt titya
(uacli l'liitandi; N;ii-Ii Dcltinu seien die Bosiesmau (Busclniiiinner) von RicscngWisse (JTB.^).
Völkerkreise in Afrika. 153
knüpft und anderseits wieder mit Jaga oder ferneren Generalisationen^) der-
selben im Westen.
Regenzauber, mehr oder weniger auf meteorologische^) Beobachtungen
gegründet, findet sich durchweg in Afrika, in seiner feindlichen Form auf
die unbekannten^) Stämme des Innern zurückgeführt, und sonst auch mit
') Nördlich vom Königreich Benii begrenzt, stösst Congo (b. Marmol) im Osten an die im
See Zembere gelegene Insel der Azingues Mondequites, qui confine avec plusieurs peuples
(Pangelingnos, Cuylos). Das westlich an Ambaca stossende Presidio duque de Braganca liegt
nördlich vom reino de Matamba e confina pelo lado tlo Oriente com as pouco exploradas terras
dos Moluas, com os quaes se podem agora travar relayoes utilissimas (s. Lima) 1846.
'^) Kilo was the term applied to that class who predicteti future events, t'rom the appearances
of the heavens, crowing of cocks or barkiug of dogs (Jarves) in Hawaii. Jloaugti setzte die
Yun (Wolken) genannten Beamten ein (die Erde zu befruchten). Die Opatas feiern das Fest
Torem raqui mit Tanzen (für Regen und Ernte). Die von den Römern als Matronae bezeich-
neten Gottheiten der Celtcn (mit Localnamen) kommen meist in der Dreizah! vor, die Dörfer
und Fluren schützend (s. Keller). Das Beschwören der Feldfrüchte war in den zwölf Tafeln
verboten (s. Seneca) und Virgil spricht von Zauberern, die Früchte auf fremde Aecker entführen
könnten [Cougo]. Die den Gamma verwandten y^nengue-Stämme erhalten Mittheiiungen durch
ihre Idole oder Mbuiti (du Chaillu). Innen (in Efik) is a play or conjuration of Abia-inuen, in
which he puts something in his mouth and blows throngh it so as to either a sound like that
of a bird (s. Goldie). [Tibbu). Der Doctor (der Pitt-river Indians) talked to the trees, and to the
Springs, and birds and sky and rocks, to the wind and i-ain and leaves, in der Heilung des
Kranken zu helfen (in Galifornien). Die (Quamas oder Cusiyaes genannten) Zauberer vertheileu
beim Jahresfest die am Baum der Jäger gehängten Felle unter die Frauen (in Unter-Californien).
El siglo de los Muysca.s cunstaba de 20 anos inteicaiares de 37 lunas cado uno) que conespouden
ä 60 aiios), y le companian de ouatro revoluciones contadas de cinco en cinco (Acosta) Hebdo-
madem unicam per splchaskat, septem dies, plures vero hebdomatlas per schaxeus, id est
vexilium, quod a duce maximo qualibet die domiuica suspendebatur (s. Mengarini) bei den Selish),
The wife last chosen is always mistress of her predecessors (Whipple) bei den Navajos. Die
Navajos vermeiden das Fleisch des Löwen, den sie (nach Armin) verehren Bei los Angeles
wurden grosse Jagdthiere nicht gegessen (weil von frühern Seelen in Besitz genommen). In
Galifornien lockt der Indianer die Antilope an, indem er auf den Kopf gestellt, die mit Fell-
streifen des Hermelin besetzten Hacken in der Luft bewegt, und dann aufspringend, schiesst
(s. Bancroft). The hiuiter tlisguised with the head and horns of a stag, creeps through the
long grass to within a few yards of the insuspecting herd and drops the fattest bück at his
pleasure (in California). The ownership of a (white) deer-skin constitutes a claim to chieftain-
ship, readily acknowledged (an der Küste Galifornien's). Nachdem der iu einem Oanoe beräucherte
Körper beigesetzt war, wunle tlas Grab geöö'net, um die Knochen bis auf den des Hinterhauptes,
der aufbewahrt wurde, zu verbrennen (in Darien). Bei dem gemeinsamen Rauchen in Costa Rica
bläst ein Knabe den Rauch der am brennenden Ende im Mund gehaltenen Cigarre in Jedes
Gesicht (wo er mit den hohlen Händen zugefächelt wird). Von dem Scalp bewahrten die Cali-
fornier abgeschnittene Hände und Füsse als Trophäen and they also plucked out and carefully
preserved the eyes of the slain (H. Bancroft).
•') Die Stämme Süd-Californien's kannten nur die nächste Umgebung. Reid relates, that
one who travelled some tlistance beyond the limits of his own domaiu, returned with the report
that he iiad seen men, whose ears desceniled to their hips, then he bad met with a race of
Lilliputians and finally hail reached a people so subtly constituted, that they ,wouJd take a
rabbit or other animal, and merely with the breath, inhale the esseuce, throwing the rest
away, which on examination proved to be excrement'" (U. Bancroft). When bound upon a jouroey,
if they have no other load to carry, they Uli their tonates or nets with stones. This is generally
done by them on the return home from the market place of Tehuautepec [Peru]. Die Jlijes.
verwandten auf ihren Wanderungen die Feuerprobe by puftiug a firebraud over night iuto a
Zeitstbril't lür KtUuologie, JuUrguug ISTJ. j^j^
154 Völkerkreise in Afrika.
pri esterköniglicher 1) Würde verknüpft. Damit die Statthalterschaft durch
Usurpation (atuarat alistyla) Berechtigung erlange, muss der Usurpator (nach
Mawardy) die Souveränität des Chalifen und dessen Befugnisse als religiöses
Oberhaupt anerkennen (s. Kremer). Nachdem die Mongolen das Chalifat in
Bagdad beendet, führte dasselbe der Sohn des drittletzten Chalifen unter den
Ejjubideu in Cairo fort, v^'o der letzte Chalif sein Recht an den türkischen
Eroberer abtrat, so dass sich in den Sultanen der Osmanen weltliche und
hole and if it was found extinguished in the morning, they considered, that the Sun desired
bis children (that is themselves) to continue their journey (H. Bancroft). As it is supposed
that the evil spirit seeks to obtain possessio« of the body, musicians are called in to lull it to
sleep, while praeparations are made for its removal, all at once t'our naked men, who have
disguised themselves with paint, so as not to be recognised and punished by Walasha, rush
out from a neighbouring hut and seizing the rope attached to the canoe, drag it into the woods,
followed by the music and the crowd. Here the pitpan is lowered into the grave with bow,
arrow, spear, paddle and other implements to serve the departed in the land beyond, then the
(Xher half of the boat is placed over the hody. A rüde hut i's constructed over the grave,
serving as a receptacle for the choice food, drink and other articles placed there from time to
time by the relatives (among the Mosquitos). Die Indianer in Tamiltepec errichteten en los
cemeuterios pequenos montones di tierra, en los que mezclan viveres cada vez que entierran
algunos de ellos (Berlandier y '1 hovel). Die Sukias oder Zauberinnen haben Walasha (den Bösen)
zu besänftigen (bei den Mosquito). An den Jahresfesten (Sekroe) wird der Todte gerufen, sonst
aber die Nennung seines Namens vermieden (bei den Mosquito}. Beim Jahresfest der Cahroc
(in Californien) zieht sich der zu Chareya (Gott) Erwählte in die Berge zurück, bis zum Fasten
geschwächt, worauf er durch Träger, deren Augen verbunden sind (da keiner den Gottmensch
sehen dar!) zurückgebracht wird (Bancroft). The Meewois (in California) believe that their male
physicians, who are more properly sorcerers, can sit on a mountain top filty miles distant from
a man they wish to destroy and couipass his death by iilliping poison towards him from
their finger ends (Powers). Bei San Juan Oapistrano wurde die Figur des Gottes Chinigchinich
in den ovalen Tempel (Vanquech) gestellt (s. Boscana). Beim Trost seiner Freunde wegen Marias
Schwangerschaft, will Joseph nicht glauben, quia angelus domini impregnasset eam. Botest enim
fieri, ut quisquam finxerit, se esse angelum domini, ut deciperet eam (in den Apocryphen).
Mohammed considered the Virgin Mary and Miriam, the sister of Moses and Aarou, as identical
(s. Arnold). In Hadramaut wurden die Götzen Galsad und Marhal verehrt, in der Hauptstadt
der Himyariten die Götzen Gumdan und Riam, gleichfalls in Sana, in der Nähe von Sana der
Götze Yauk (als Pferd) und auch Nasar bei den Hiuiyariten-Yagut (als Löwe), der Gott des
Stammes Madhig. Als Frau wurde Sowa in Ruhat verehrt und Waad (als Mann) vom Stamme
Kalb, sowie die Göttin Chalasah in Talabah. In Taif fand sich die Göttin Allat, im Thale
Nahiah die Göttin IJzza und als dritte Göttin Manah (oder Manat, als Stein). In der Kaaba
Mecca's stand Hubal. Bei Jeddah war Saad aus dem Stein gehauen. Bei Medina werden die
Gottheiten Nuhm, Humam, Halal, liagir, Ruda, Aud, Awab, Manaf, Gaum, Kais, Durigel, Fuls,
Darihan etc. erwähnt (s Arnukl). ün ne saurait croire le nombre infini de vices, de crimes et
de pioslitutions que prolegt; et eucourage la morale elastique d'une pretendxie bonne mort.
Les foryats, genies, grands criminels et autres, saveiit aussi arrauger chretiennement leur fin
(Lauvergne;.
') The Chualpays are governed by tlio „chief of the earth" and the „chief of the waters",
the latter having exclusive authority in the fishing season (Kane). Nach Mohamed waren
Abraham von Gabriel Waschungen vorgeschrieben (wie bei St. Barnabas). The New Almaden
cinnabar mine has been from time immemorial a source of contention between adjacent tribes
(by vermilion loving savages) in California (Bancroft). The Hoopahs exacted tribute from all the
surrountiing tribes (in California;, von den Cliimalaquays in Häuten (s. Powers), auch von den
Stämmen am Trinily (die Hunde uiid Küsse oder den Kopf als Trophäen bewahrend). Les Indiens
Volkerkreise in Afrika. 155
geistliche Macht wieder vereinte. Die vielfach durch militärische Usurpation
hergestellte Trennung') wird auch absichtlich erstrebt, wegen der mit magischen
dela Colombie ont porte les jeux de hasard au dernier exces; apres avoir perdu tout ce qu'ils
ont, ils se metteut eux-inemes sur le tapis, d'abord iiiie luain, ensuite Tautre, s'ils les perdent,
les bras, et ainsi de suite tous les membres du corps, la tete suit, et s'ils la perdent ils
deviennent esclaves pour la vie avec leurs femmes et leurs enfants (de Smet). In some parts of
Panama and Darien only the Chiefs and lords received funeral rites. Among the common people
a person feeling bis end approaching either went himself or was led to the woods by bis wife,
family and frieuds, wbo supplying hiia with some cake or ears of corn and a gourd of water,
there left him to die alone or to be assisted by wild beasts (H. Bancroft). König Oswin wandte
sich nach Rom, (um dem zu gehorchen, der den Himmel auf- und zuzuschliesseu die Macht hat)
da Colman in seiner Antwort auf Wilfrid dem Ausspruch für Petrus keinen für Columba ent-
gegensetzen konnte. In Cueba the reiguing lord was called Quebi, in other parts he was called
Tiba. The highest in rank after the Tiba had the title of Sacos, who commanded certain districts
of the country. Piraraylos were nobles, who had become länious in war. Subject to the Sacos
were the Cabras, who enjoyed certain lands and privileges, not accorded to the common people.
Any one wounded in battle, when fighting in presence of the Tiba, was made a Cabra, and bis
wife became an Espave or principal womau (s. H. Bancroft). The slaves (prisoners or Pacos)
were branded or tattooed with the particular mark ol the owner on the face or the arm and
had one of their front teeth extracted. In Goazacoalco wurde eine Art Beschneidung geübt
(in Mexico), proviuciae Goazacoalco, atque Ylutae nee non et Cuextxatlae (s. Laet). The geni-
tals are pierced as a proof of constancy and affectiou for a woman (an der Belize-Küste). The
caciques (in Cueba, Carela etc.) kept harems of youths (camayoas), dressed as women (in Central-
Amerika). Among the men of Cueba paiuting had a double object, it served as an oruameut
to the person, and also as a mark of distinction of rank. The chief, when he inherited or at-
tained bis title, made choice of a certain device, which became that of all bis house (v. Bancroft).
At Porto Belo the king was painted black and all bis subjects red (auf dem Isthmus). Nach
Las Casas wurde der Kopf der Kinder von hinten und vorn zusammengedrückt, die Stirn zu
verbreitern (auf dem Isthmus}. Im Targum zum Buche Esther herrscht die Küuigin von Skeba
(deren verkrüpjjelte Füsse durch den Spiegelboden erkannt wurden) in der Stadt Kitor [CatayJ.
El miembro generativo traen atado per el capnllo, haciendole entrar tanto adentro, que ä algunos
no se les paresce de tal arma sino la atadura, que es unos hilos de algodon alli revueltos
(Oviedo) bei Cartago (in Central-Amerika). The upper teeth extracted seem to say, that the
tribe have cattle, the knocking out the teeth is in Imitation of the animals they almost worship
(bei den Lomame). Zum Stamm Nongo (in the Kuss country) gehören die Maloba (with the
Upper front teeth extracted). The people oi Babisa dress their hair like the Bashukidompo
(Livingstone);
') Tous les empereurs ont porte le titre de grands pontifes (jusqu'au regne de Gratien).
Toutes les fois qu'un culte nouveau essaye de penetrer ä Rorae, il est introduit par un per-
sonnage qui reunit les deux qualites de sacrification et de prophete (sacrificulus et vates),
c'est-ä-dire qui, comme prophete, impose au nom du ciel ä ceux, qui le consultent des offraudes
expiatoires qu'il attribue ensuite comme pretre (s. Boissier). Die neue Götter einführenden
Griechen (s. Plautus) handelten aus Gewinnsucht, quibus quaestio sunt capti superstitione animi
(Livius). Jupiter (n. Pliiiius) parte curarum Über solutusque tantum coelo vacat ^seit Trajan
auf die Erde gesetzt ist für die Angelegenheiten der Menschen). Les iuscriptions montrent de
simples affranchis qui dounent ü leur femme, apres sa mort, le nom de deesse (s. Servius)
appellant le tombeau un temple (s. Boissier), wie dii Manes (als Lares). Augustus hatte seit
seiner Jugend Wunder gewirkt, on lui crea de bonne heure une legende comme ä un dieu
(s. Boissier). Kaiser Claudius bestieg beim Triumph die Stufen des Capitols auf den Knieen.
Der mit dem Titel Augustus Bekleidete wurde eine Art persönlicher oder gegenwärtiger Gott,
dem Huldigung geschuldet wurde (nach Vegetius). Ein ägyptischer Wahrsager erklärte Augustus
für den Sohn ApoUo's (s. Sueton). Ammon bezeichnet (am Tempel von Modiuet Halm) Ammou als
seinen Sohn (Ptolemäos Epiphanes wird mit HuruS; Sohn der Isis und des Osiris verglichen)..
11*
'56 Völkerkreise in Afrika,
Operationen verknüpften Gefahr i), wie man in den Nilländern (und im Süden)
die erfolglosen Regenmacher ausweidet, um das in dem Bauche zurückgehaltene
Wasser frei zu setzen, wie Scythen früher und jetzt Patagonier, die Lügen-
propheten tödten oder Astyages die falschen Magier pfählen Hess (b. Herodot).
In Darius Behistun-Inschrift am Fels von Hamada wird neben dem höchsten
Wesen zuweilen der böse Geist genannt und bei Unterdrückung des Magier-
Aufstandes genannt (während die Elementai'verehrung sich an die der Vedas
Als alleinige Göttin erhielt Isis (b. Apulejus) den Namen Domina (und so Cybele). Brigitta
(der J\Iaria des Gälenlandes) wird Gott als Vater, Jesus als Sohn gegeben (s. Ebrard). Rahman
(der Gnädige) ist der Herr der Himmel und der Erde, es giebt keinen Gott ausser ihm (nach
Mohamed). Ewald findet (vor Jahve) „einen geschlossenen Kreis uralter Götter und Halbgötter"
(der Elohim) im Henoch (dem Ersten der Anfänge), Mahalalel (der Glänzende) Jered oder Irad
(Gott der Niederungen und des Wassers), Methusalah (der Waffenmann) und, 'im Gegensatz zum
guten Geist (Henoch's) Lamech oder der Wilde (Vater der Ada und Zilla (Mütter der Hirten
und Kriegsleute). Die Mendäer (unter den Mauren Spaniens) lehrten, dass alle Materie, zumal
der Erde, nur ein Gefäss (gral) des ewigen Geistes sei, der sich durch Vermittlung der Engel
oder Gestirngeister in sie ergossen habe. Gralhüter sind diejenigen, die das Geheimniss des
Geistes kennen und in der sinnlichen Hülle den Geist erfassen. Dem geistlosen Volke bleibt
Montsalvez verschlossen, ebenso dem lieblosen, hartherzigen, leidenschaftsvollen (s. Schneider).
Als die Insel beim Feueranzünden unter das Meer tauchte, erklärte St. Brandan, dass es der
Erste aller Fische gewesen, der sich immer bemüht, seinen Schwanz mit dem Kopf zusammen-
zubringen, ohne es wegen seiner grossen Länge ausrichten zu können (Jasconius mit Namen).
Inter sacra donaria currum servant aereum, quem, ut siccitas incidit, pulsant et aquam a deo
poscunt, atque impetrant (s. Antigonus) in Thessalien (n. Irenaeus). Im Tempel des Serapis war durch
einen Magnet ein Eisenwagen aufgehängt (nach Prosper Aquit.) Fuerunt hae quadrigae solis ',s. Scheffer).
Nach Irenaeus iiat Gott im neuen Bunde die Israeliten ebenso verstockt und gerichtet, wie die
Aegypter im alten Üunde, um den Kindern Gottes das Heil zu bringen, und auch die Christen nehmen
den Heiden ohne ein Anrecht darauf, manches weg, und zwar bei weitem mehr, als die Israeliten
den Aegyptern, nämlich alle Wohlthaten des heidnischen Staates, nicht nur das ungeprägte,
sondern auch das geprägte und mit dem Bilde des heidnischen Kaisers versehene Gold, und
das Alles ohne eine Schuld zu fühlen (s. Ziegler). Nach Ptolemäos wurden (bei Assyrern und
Persern) die Geschlechtszeichen als Symbole der Sonne, des Saturn und der Venus verehrt (die
Fruchtbarkeit schützend).
') Elisabeth Barton wurde mit den Geistlichen, die sie zu Prophezeiungen gegen Heinrich VIII.
verleitet, nach Eingeständniss des Betrugs enthauptet (1634) Nach Bönninghausen ist es gewiss,
dass Katharina Emmerich nicht ohne Mithelfer gewesen, und dass man diese unter den Per-
sonen zu suchen hat, welche vor und gleich nach dem Erscheinen der Blutungen genauem
Umgang mit ihr gehabt" (wie der französische Geistliche Lambert). Nach Sueton wurden unter
Aujiustus, (der als Pontifex seine Decrete als himmlische Orakel bezeichnete) falsche Prophe-
zeiungen gesammelt und in der Zahl von 2000 verbrannt. Unter den lü89 Kranken, die sich
vom 5. — 7. Febr. (1817) bei der Wunderthäterin in Schönborn vorfanden, sah Dr. Schmalz
, nicht eine, von welcher deutlich ilargethau werden konnte, wie sie durch die Manipulationen der
Hammitzschin (magische Zeichnungen vor den Augen mit einer Stecknadel) hergestellt" (obwohl
viele Getäuschte). Fornicantur etiam quamplures hiijusmodi monialium cum eisdem suis prae-
latis ac monachis et conversis, et iisdem monasteriis plures parturiunt filios et filias, quos ab
eisdem praelatis, monachis et conversis fornacarie, seu ex incesto, coitu conceperunt (Thierry de
Niem). Stupra, raptus, incestus, adulteria, qui jain Pontificalis lasciviae ludi sunt (Petrarch),
In den Tempeln der Isis (in Herculanum) wird Weihwasser dargeboten (aus dem Nil geweiht).
Ovid spottet über diejenigen, welche meinen, mit etwas fliessendem Wasser Verbrechen ab-
waschen zu können. Nach Horaz Messen Fromme im Winter das Eis der Tiber aufhauen, um
sich zu baden. Gott das heisst: Dummheit und Trägheit, Tyrannei und Elend, Gott ist das
Völkerkreise in Afrika. 157
anscbliesst). Durch Arsaces, Gründer des Sassanidenreiches, wurde der
magische Stamm mächtig (nach Agathias). Die Sophi (Weisen) und die
Magi (Priester) bildeten im parthischen Reich (s. Posidonius) die Megistanes
(Grossen oder Edlen). Nach Xenophon setzte Kyros die Magier bei den
Persern als Priester ein. Nach Philo konnte bei den Persern nur König
werden, wer in das Geschlecht der Magier aufgenommen war. Nach Zoroaster
folgten viele Magier, die Ostaner und Astrampsycher und Gobryer und
Pajater (nach Xanthus). Gobryas unter den mit Darius verbundenen Sieben
(gegen Pseudo-Smerdis oder Gomata) heisst Gaubruva (s. Windischmann)
in der Bisitun-lnschrift.
Darius Hess durch Tachamaspates den Aufstand der Sagartier am Elburz
(in Khorasan) unterdrücken, deren Häuptling Chiti atakhsma sich vom medischen
Cyaxares herleitete. Alptegin, dessen Sklave Sebuktigen (sein Geschlecht
auf Jezdezgird zurückführend) die Dynastie der Ghazneviden stiftete, floh
als Statthalter Chorasan's nach Ghazna mit den (auf die Chosroen zurück-
geführten) Sassaniden. Nach Aeschylus war der Adler das Symbol der
Perser. Nisaea war für die von Nishapur (aus Khorasan) stammenden Pferde
berühmt. Nach Ammian wurden von den Parthern die in der Schlacht
Gefallenen besonders selig gepriesen. Die von dem unversehrt aus dem
Feuer hervortretenden Zoroaster bekehrten Magier weihten den Göttern Pferde
(nach Dio Chrysostomos) und verglichen dieses Weltall mit einem rollenden
Uebel (Proiidhoii). Le christianisme, pla(,'aiit son royaume hors de ce monde, n'embrassant point
dans ses vues la societe politique, condaninant le temporel du mosaisme, tut conlraint par la
force des choses k monier lui-meme sur ce trone laisse vide, ä opter entre la servitude et
l'empire, ä mettre ä la place du temporel le spirituel, et ä creer du meme coup Tintolerance
religieuse (Benamozegh). Ecclesia non quaerit, sed possidet veritatem. Premierement les ple-
bejens n avaient pas plus de place dans la religiou que dans la cite (Boissier). Den Ansprüchen
Praetoren oder Consuln zu werden, wurde entgegen gehalten: auspicia non habetis, indem jeder
Magistrat die Auspicien zu consultiren hatte. Sua cuique civitati religio est, nostra uobis (Cicero).
Juvenal ist erstaunt, dass die Bewohner von Ombros und Tentyra sich für ihre Götter streiten
konnten. Ihrer Intoleranz wegen waren die Juden (s. Quintilian) der allgemein verhasste Stamm.
Judaea gens contumesia numiuum insignis (Plinius), Verächter des Menschengeschlechts (Tacitus).
Quoniam enim ipsum verbum dei incarnatum suspensum est super liguum, per multa ostendimus
(Irenaeus), Verbum dei c;iro factus est, et pependit super Jignum. Unter den Tha zyku oder
Nebengötfer des Obergottes Tha schuha findet sieh bei den kaukasischen Abasa, die auch die
Götter der Wälder, Flüsse und Berge (Mesintha, Psitha, Kushamta) verehren, Mara (Maria), als
Mutter des grossen Gottes. Indem dem Griechen die sittlichen Verhältnisse ihre Geltung nicht
haben auf Grund der allgemeinen Menschen-Natur, sondern auf Grund der Volksgenossenschaft
und des Staatsverbandes (indem der Mensch seine Bestimmung u. dgl. verwirklicht als Staats-
bürger), so folgt, „dass dem Griechen die Sittlichkeit noch keine besondere Sphäre neben dem
Recht ist, sondern in diesem noch aufgeht" (Pfleiderer), und statt eine solche zu bilden, hat
sie vielmehr so völlig darin aufzugehen, um dem Menschen eingewachsen zur andern Natur zu
werden, statt nur eine lose darin haftende Anlernuug. Nach Baronius brachie Cougellus das
Mönchthum (530 p. d ) nach Bangor, während Twisden das vor den Beuedictiuern in Britannien
bestehende Mönchthnm (aus dem Orden Basil's) auf Patrik zurückführt (f 473 p. d.) There is
no foundatioü for the opinionj that a hierarchy existed in Ireland before the arrival of Palladins
(Lanigan).
158 Völkerkreise in Afrika.
Wagen, von vier Pferden gezogen. Neben der Magie des Osthanes nennt
Plinius die bei den Juden (des Moses, Jannes und Lotapea), sowie, als noch
jünger, die cyprische. Jeremias kannte die Magier in Babylon. Die gekrampten
Tiaren der cappadocischen Magier, die unauslöschliches Feuer nährten, gingen aui
beiden Seiten so weit herab, dass die Backenstücken die Lippen bedeckten
(nach Strabo). En Zond Mazdaya^no signifie litteralement celui qui fait un
sacritice a Mazda (s. Menaut) oder Ahura Mazda (Ormuzd). Dem in Procon-
nesus wieder auferstandene Aristeas folgte Apoll als Rabe (als Dichter der
Arimaspischen Epen). Der in das Magierthum Einzuweihende verblieb bei
d<m Priester für einen Monat vegetabilischer Kost und wurde dann im Tigris
gereinigt (nach Lucian). Lohrasp von Balkh nahm den Buddhismus an. Nach
Elisaeiis zerfielen die Zoroastrier in Mog und Zendik. Statt „guter Cerus"
(bei Festus) wird Manus Cerus (im salischen Liede) als Manus der Schöpfer
erklärt (durch Lassen). Die Familie Zarathustra's wird von Manuchitra,
Sohn des Manu hergeleitet. Zarathustra aus Westen bildet seine Religion
(deren semitische Elemente aus Babylon kamen) für Ost-Eran (nach Spiegel).
Die Gathas der Zend-Avesta werden vor die Abfassung des Ya-jur Veda
gesetzt (später als Rigveda). Ausser den in Gegenwart eines Magier den
Elementen gebrachten Opfern, für die Sonne, den Mond, Erde, Feuer, Wasser
und Wind, verehrten die in Zeus den Himmelskörper erkennenden Perser die
von den Assyriern Mylitta, von den Arabern Alitta genannte Himmelskönigin
Aphrodite als Mitra, (s. Herodot), sowie das Feuer als Gott. Nach Plinius
hat Hermippus die Bücher Zoroaster^s studirt, von denen auch Abu Jafir
Attavari spricht (s. Hyde). Der Stab der Magier war ein Rohr, womit sie
in dem Kreise stehend ihn aufheben zum Essen (nach Sotion). Yima öffnete
mit seiner Goldlanze für die zunehmende Menschenmenge neuen Raum, nach-
dem bereits dreimal die Länder durch Ahura-Mazda für ihn erweitert waren
(nach dem Vendidad).
Nach iMassudi wurde zu der von Z rathustra verfassten Avesta der
Commentar Pazend geschrieben und später der Yazdah genannte hinzugefügt.
Shahrastani theilt die den Brahmanen und Sabaeern gegenübergestellten Magier
(die in ihrer Kesh-i-lbrahim genannten Religion den Juden angenähert wurden)
in Mazdakhyah (mit der Lehre von der Seelenwanderung), die Kayomarthiyah
(mit einer dem ersten Menschen gewährten Offenbarung) und die Zervaniten
(mit Zervati akarana oder schrankenlose Zeit als höchste Gottheit). Nach
Eznik wurd(! l)ei Zeruau s Opfer für einen Sohn Ormizt empfangen, und in
Folge eines geäusserten Zweifels Arhmen. Nach Theodoros stellte Zarastra-
des an die Leitung der Welt Zartuiara, als Geschick, bei Opfer für Hormis-
das zugleich Satan herrufend (bei Plotin). Firdusi sieht in dem sich (als
Himmel) drehenden Sipihr eine Schicksalsiuacht. Plato macht Zoroaster zum
Sohn des Ormazdes. Mohamod beschuldigt die Juden, dass sie Ezra als
Sohn Gottes betrachteten. Nach Eudemos (bei Damascius) betrachteten die
Magier bald den Raum, Itald die Zeit als Grundursache, die sich in das
Völkerkreise in Afrika. 159
Rute und böse Wesen, oder Licht und Finsterniss spaltete. Spiegel sieht in
Thwasha (dem unendlichen Raum) eine der grenzenlosen Zeit ähnliche Gott-
heit. Nach Herodot fehlte Cambyses gegen die Gebote der Feuerverehrung^
indem er den Körper des Königs Amasis verbrennen Hess, in der Midrash
Rabbi dagegen, liisst der das Feuer verehrende Nimrod den widersprechenden
Abraham zum Verbrennen verurtheilen.
Die Magier unterscheiden zwei Principe, den guten und den bösen Geist,
Oromasdes und Areimanios (nach Eudoxus) Jm Gegensatz zu Oromasdes
schuf auch Areimanios sechs Götter (nach Plutarch). Nach Aristoteles hiess
Zeus (bei den Magiern) ÜQO^iaodrjg^ Hades dagegen ^Qti^iaviog (Diogenes).
Nach Porphyrius wurde Pythagoras vom Cbaldäer Zabratas unterrichtet.
Movers fasst Bei als den Alten der Tage (b. Daniel). Die Assyrer unter
Ninus und die Bactrier unter Zoroaster kämpften als Magier und Chaldäer
(nach Arnobius).
Die erste Dynastie der Assyrier hatte ihren Sitz in Kileh Shergat (bei
Niniveh), bis Shalmaneser I. Kalah (Nimrod) erbaute. Unter dem zweiten
eroberte Tiglathi-Nin oder Ninus Babylonien und später dehnte Tiglath Pile-
ser 1. seine Kriege aus, wie in dem dritten (unter den Sargoniden) Tiglath
Pileser IL Ihm folgte der Usurpator Sargon, Vater des Sennacherib. Auf
dem Obelisk mit der Inschrift Sardanapals I. werden ein zweihökriges Ka-
meel, ein Elephant und eiif Rhinoceros als Trophäen vorgeführt.
Die von Nimrod oder Belus nach Mesopotamien (in Ost-Africa) geführten
Cushiten, mit turanischen Burbur oder Akkad (Armeniens) gemischt, wurden
(nachdem die Semiten nordwärts nach Assyrien gewandert) durch den medischen
König Zoroaster oder Kudur-Nakhunta aus Susa (in Elam) besiegt. Nach
Wiederherstellung der chaldäischen Dynastie (bei Chedorlaomer^s Niederlage)
folgten die arabischen Kriege (mit Khammurabi) und dann beginnen die Kriege
mit dem (durch Belsumilikapi gestifteten) Reich der Assyrer, wodurch Babylonien
(bei den Eroberungen des Krieges Tiglathi-Nin) semitisirt wurde, bis (628
a. d.) die babylonische Monarchie durch die Chaldäer wieder hergestellt
wurde Nach Moses Chor, wurde Semiramis von Zradascht, dem Magier der
Medier, nach Armenien getrieben.
Cham oder Mesraim wurde Zoroaster genannt, als Nimrod (Clem.), durch
den Blitz getödtet, wodurch die Perser durch Verehrung der Kohlen und des
Feuers die Herrschaft erlaugt (und dann hätten auch die Babylonier die
Kohlen gestohlen, um zu herrschen). Der Erste der medischen Tyrannen,
die (bei Berosus) Babylon eroberten, heisst (bei Syncellus) Zoroaster. Hystas-
pes, Medorum rex antiquissimui^, von dem Lactantius den Namen des Flusses
Hydaspes ableitet, wird (bei Justin) mit sibyllinischen Weissagungen in Be-
ziehung gesetzt. Nach Strabo wurde Anaitis Omanes und Anadates (Anan-
dates) von den Persern verehrt neben dem Feuer und nach Pausanias ent-
zündete sich auf dem Altar das Holz ohne Feuer.
Nach Amm. Marcell wurden des Bactrier Zoroaster Lehren ex Chaldaeorum
160 Völkerkreise in Afrika.
arcanis verehrt durch König Hystaspes (Darii pater). Nach Agathias änderte
Zoroaster oder Zarades (zur Zeit des Hystaspes), als Magier die Religion
der Perser, die früher Bei, Sandes, Anaitis und andere Gottheiten (der Assyrer
und Medier) verehrten.
Zerovanes, der (nach Xisuthrus) mit Titan und Japethostes die Welt be-
herrschte, wird (n. Moses Chor.) mit dem Magier Zoroaster identificirt (als
bactrischer König). Ausser einem oder zwei Zoroaster setzte man vor Osthanes:
Zoroastrum allum Proconnesiura (nach Plinius). The High-priest of the whole
Parsee coramuuity was helieved to be the successor of the great founder
Zarathustra Spitama, and to have inherited his spirit (Hang). Kava, Vistaspa,
Jamaspa und Frashoastra werden als Schüler des Zarathustra Spitama genannt.
Nach Hermippus war Agonaces Lehrer des Zoroaster. Nach den Parsee
wurde die Nosk dem Proplieten Zoroaster von Gott überliefert (s. Hang).
Die (von den nördlich verschiedenen) Arimasper (Euergeten) oder Ariaspen
(zwischen Drangiana und Gedrosien) wurden von Zoroaster in der Lehre
vom guten Gott unterrichtet (n. Diodor). Clem. AI. identificirt den Pamphylier
Er mit Zoroaster. Auf Kuhhäute geschrieben sollen Zoroaster's Bücher durch
Alexander M. verbrannt sein. Nach Klearchus stammten die Gymnosophisten
von den Magiern. Neben Druiden oder Semnotheoi (der Kelten und Galatier)
werden die Gymnosophisten der Inder (in Räthselsprüchen philosophirend)
gestellt, dann die (Astronomie treibenden) Chaldäer (der Babylonier und
Assyrier) und die persischen Magier, die den Dienst der Götter (in
Feuer, Wasser und Erde) übten, (wie Opfer und Gebete, die Götterbilder
aber verachtend (s. Diogenes).
Im Gegensatz zur Knechtung der Frau durch schreckende*) Geheim-
bünde kommt im südlichen Africa auch Suprematie^) derselben vor.
') Um die Frauen (der Thatoo) in Ordiiunij zu halten, the husband (in Californien) paints
himself in black and white stripes to personato on ogre, and suddenly jumping in among hi.s
terrified wives, bringr; them speedily to penitence (H. Bancroft). A woman may be slaiightered
for half the snm et costs to kill a man (in Californien). Boys destined to be piaces (sorcerers)
are taken at the age of 10—1-2 years to be instructed (selected for the natural inclination
or their pecuiiar aptitude), confined in a solitary place (with their instructors), subjected to
severe discipiiue (eatirig no flesh nor anything having live, but living solely on vegetables,
drinkirig oiiiy water and not iudulging in sexual iutercourse), ncither parents nor friend being
permitted to see them (only at night visited by professional inasters). In the province of Gueba
masters in the necromantic arts are called Tequinas (s. H. Bancroft). In Südcalifornien wurden
die Jünglinge (zur Prüfung) mit Nesseln geschlagen und dann über Ameisennester gesetzt
(s. H. iJancroft). If a sick per.son has a child or sister they cut its or her little finger of
the right band, and let the blood drop on the diseased part (in Unter -Californien). If the son
succeed the father it e.s because the son has interited the fathers wealth, and if a richer, than
he arisc, the ancient ruler is desposcd (in California). In some of the coast-tribes the chieftaiiiship
is hereditary as with the i'atawats on Mad-River (and the Allequas). lllegitimate children
aro iife-slaves to .somo male relative of the other, and upon them the drudgery falls, they are
'•nly allowed to marry oue of their own Station (in California). Young children underwent a
kind of Itaptisnial ceremony. The Mayas helieved that ablution washed away all evil (H.
Bancroft).
'"0 L)er Stamm der Comanches am Bolson de Mapirai wurde (zu Langbergs Zeit) von einer
Volkerkreise in Afrika. 161
UntPF den Araberstämmen der Aramka Oiir Mabana oder (Schua) Schiwa
(deren von „dem Maghrebi-Idiora verschiedener Dialect in vielen Zügen die
Reinheit und Gewandheit der Sprache der Hidjas bewahrte") in Wadai wohnen
in der Abtheilung südlich von Wara die Missirie bei Domboli, (westlich von
Rass-el-Fil oder Tandjaknak auf dem Wege von Schenini nach Ssilla, wo die
Bewohner sich Einschnitte machen), und diese Missirie zerfallen in die Sosuok
(Schwarzen) und Homr (Rotheii).
Jenseits der Sitze der Kuti (im Süden Runga's) fliesst auf der andern
Seite des (Berges Kaga Banga der Baliar Huta ins Land der Fellata (Nachtigal).
Nach Runga wurden arabische Kriegsgefangene in die Verbannung geschickt.
Ausser den Arabern Kanem's, werden die Dattelgärten Bodo und Tiggis vom
Süden her durch Mahamid und Missirie, vom Osten her von den Anna be-
droht (Nachtigal). Im Gegensatz zu den Arabern an der Küste der Wassiri
(Wassili) heissen die in Bornu ansässigen Araber (s. Barth) Schua (Schiva)
oder (in Wadai) Aramka, aus Nuhien und Kordofan mit Rinderheerden ein-
gewandert (Badjaudi).
Die Wasira (Vacira) oder Messira (lords of the soil) wurden von Can-
hembo, dem Quilolo oder Feldherr des Muropue oder Mwata-ya-Nvo mit einem
Heer von Alondas (die Campacolo-Sprache redend) unterworfen. Die jMessira
bedecken sich mit Einschnitten') (wie die Ho und andere Scratch-faced).
Das Land Chama des Fumo Chipaco (mit dem Dorf des Fumo oder Mfumo
Mouro-Achinto) am Hianbigi oder Chambeze-Fluss (zu Lacerda's Zeit) wurden
später von dem Mfumo Muiza Messire-Chirumba beherrscht (s. Burton).
Die Mussucumas am Chambeze sind mit Muizas gemischt.
alten Frau angeführt (Froebel) The husbaud has no control over the property of his wife
(bei den Navajos), der Neffe erbt (s. Letherman). Appleyard erklärt Mantatees als Bamatantisi,
the people of the mother Tantisi [Bonomotapa]. Die mit Hülfe einer Frau, Namens Bruttia
ein von Afrikanern besetztes Kastell des Dionys erobernden Lukaner nannten sich (nach Justin)
ex nomine mulieris Bruttii (Bqi^ttioi). Dionys, der mit den Galliern (nach Eroberuncr Roms)
ein Bündniss geschlossen (um eine Anzahl ihrer Hülfstruppea zu besolden), schickte (gegen die
Thebaner) auf seinen Schiffen Kelten und Iberer nach Korinth (369 a. d.)"'Bei dem Kriege mit
Epirus schickte Dionys den Illyriern (nel)eu Hülfstruppen) hellenische Rüstungen für ihre tapfer-
sten Soldaten (381 a. d.) Nach Dionys Culoiiisation in llatria (besonders für den Bernstein-
handel) hiess man die Pomündungen noch länger Fossa Philistina (s. Holm). When a woman
was about to be confined, the relatives assembled in the hat and commenced to draw on the
äoor figures of different animals rubbing each one out as soon as it was completed. This Ope-
ration continued tili the moment of birth, and the figure that their remained sketched upon
the ground was called the childs „tona" or second seif. When the child grew old enough, he
procured the animal that represented bim and took care of it, as it was believed, that health
and existence were bound up with that of the animals, and in fact, that the death of both
would occur simultaneously (s. H. Bancroft) bei den Zapoteken (auf dem Isthmus von Tehuan-
tepec). Soon after the child was born, the parents accompanied by friends and relatives carried
it to the nearest water, where it was immersed, while at the same time, tbey invoked the
inhabitants of the water to extend their protection to the child, in like manner they afterwards
prayed for the favour of the animals of the land (bei den Zapoteken), Uevandolos i\ los rios
y sumergiendolos en el agua, hazian deprecacion ä todos los animales aquatiles, y luego ä
los de tierra le fueran favorablcs y no le ofendian (Burgoa).
') The Marundas (über die Vacira herrschend) tattoo.
162 Völkerkreise in Afrika.
Die (gleich den Maraves) auf Handelswegen plündernden Muizas (Moizas
oder Invizas) oder (Wabisa oder Wabisha) Babisa (Abisa oder Aizas), als
Ambios oder Imbies (b. Jarric) und als Vaviza oder Yavua (bei Neves), die
(westlich vom Nyassa bis zum Tanganyika lebend) durch die Moluanes oder
Muembas zerstreut waren, wurden (von Livingstone) mit den Wanyamwezi
identificirt (s. Burton). Oestlich vom Tanganyika liegt Unyamuezi und west-
lich xManuoma. Die Berülirungspuncte der Maravi oder (nach Monteiro)
Muzimba (an die Munhaes Monomotapa's grenzend) und der Muizas führen
auf die alten Schlachtfelder zwischen Monomoezi und Benomotapa. Das west-
liche Vordringen der Zimba oder Jaga scheint durch die west-östliche Bewe-
gung von Kabebe nach Lunda (vom Norden herabkommend) gehemmt-
Die Maraver leben immer in grossen Dorfschaften beisammen, in welchen
sich ein Chef findet, den sie Muene-muzi oder Baba nennen (Peters). Zwi-
schen den Bororos (am linken Ufer des Zambese) und dem Lupata-Gebirge
wohnen die Maganjas (am Skire und Nyassa) und an den Fällen des Zam-
besi finden sich (von den Makololo unterworfen) die Batoka oder Batonga,
unterhalb vom Zambesi dagegen die Banyai. Die Manguros (am Shire)
handeln mit den Mujanos (Wahiao) oder Mujao (nördlich und östlich vom
Nyassa).
Die Muizas (südlich von den Cazembern) wurden durch die Maembas
oder Moluanes (unter den Chiti-Mukulo) in das Land der Chevas (im Norden
an das portugiesische Territorium grenzend) getrieben. Die Cazember
herrschten in Lunda oder (nach Magyar) Tamba-la-meba über die Murundas
(Arundas oder Lundas). Das do[)pelschneidige Messer Pocueh darl am Hof
des Cazember nur von seinen Dienern, von Beamten nnd Soldaten getragen
werden (nach Freitas).
Neben Kabebe (in der Nähe des Liiiza, der in den Kasai tlicsst), Haupt-
stadt der (den Gott Kalumbo verehrenden) Molua liegt die Königliche Be-
gräbnissstadt Galandsche und in Sakambundschi (am Kasai) versammeln sich
die nach Osten ziehenden Karawanen aus Pungo Ndongo, Kassandji und
Bihe. Südlich von dem (den Muata Janwo unterworfenem) Lande Kiboke
(mit dem Häuptling Kanika) liegt (im Osten von Kimbundi) die Grasebene
Inannoana (in Lobale).
Die vom Chiti-Muculu (mucuru oder gross) beherrschten Auembas (Muem-
bas) oder Moluanes (im Nordwesten vom Cazembe-Keich) verbreiten sich, als
Wanderer (und erobernder Stamm), in das Land der vom Muata-ya-Nvo be-
herrschten Alundas oder Warunda (Balonda) oder Arunda (Runda') oder
Dorf), mit denen die Awembe oder Miluana (gemischte Milua oder Warna)
verwandt sind.
') All the petty chiefs of a particTilar portinu of couniry give a sorl of alleffiance to a
paramouiit chief, called the Rniulo or Rondo (8. Livingstone), auf dem Hochland der früher mit
dem Unda betitelten Priester vereinigte Mangan ja (von wo die Hochländer der Maravi erblickt
werden).
163
Australien und Nachbarschaft.
(Fortsetzung.)
In den Mythologien des indischen Archipelago, die aus Buddhismus und
Brahmanismus verschiedene Elemente aufgenommen haben, zeigen sich allerlei
Reminiscenzen an phönizisch-babylonische Vorstellungen aus alter Zeit so-
wohl, wie Beziehungen zu den neuerdings aus Polynesien bekannt geworde-
nen. Die gleichartige Wiederkehr,^) die, wo sie in dem Grundgedanken
hervortritt, sich bei sichtendem Eindringen auch in den Entwickelungsgeset/en
verfolgen lässt, liegt ebenfalls schon in Uebereinstimmungen ^) zu Tage, die
durch Nebenumstände zusammengebracht sind.
Die centralen Battak stammen von Tauan Sorba Si Banoua (Sohn des
ßatara Gourou), der mit der himmlischen Prinzessin Si Baurou Baso Pait
aus der oberen Welt auf die Erde kam, um im Nordosten des Meeres von
Toba den Flecken Lobou Sihalaman zu gründen.
Si-Deak Paroudja, Tochter des Himmelsschöpfers Batara Gourou (Sohn
des schöpfenden Principes Moula Djadi Nabolan) hat die Erde geschaffen
(im Monde spinnend), und sein Sohn Inda-Inda schützt die Menschen, indem
er ihre W^ünsche seinem Bruder Mengala Boulan mittheilt, und dieser seinem
Bruder Saripada, der sie Batara Gourou überbringt, durch welche sie vor
Moula Djadi Nabolan niedergelegt werden. Nach Henney werden von den
Raja der Battak in Gebeten Batara Gourou, Saripada und Mengala Boulan
(durch den Raja Inda-Inda vertreten) angerufen (s. Bäcker).
Nach den Battak wohnt im siebenten Himmel:
Diebata, als allwissend (Diebata manoungal) und schöpfend
(Diebata manganaon),
im sechsten: seine Tochter Si Dayang maonjalanjala di langih (die flammende
Macht) mit Touan Dang Batari (dem Richter der Menschen),
im fünften: Touan Rumbio KayO (Ernten, Vieh und Minen schützend),
') Die Naturwissenschaft liefert der Psychologie das anatomische Gerüst, während die (le-
schichte die Gesetze ihrer Psychologie ausverfolgt.
'0 Der Gouverneur (1590) der Proviiu Macas wurde hei dem Aufstand der Xibaros durch
den Caciquen Quirruba getödtet, indem man ihm (seiner Habsucht wegen) geschmolzenes Gold
in den Mund goss (Velasco) [Cyrus und Tomyris]. In dem 8treit um die Statthalterschaft von
Popaya (zwischen Mier und Velasco) wurden »indianische Kanonen" gefertigt, faits d'une espece
de roseau, tres-courts, entoures de cuir (Anfang des XVll. Jahrh.). Von den Alguasilen wur-
den die Partheien die Pambaso und Tripitinario genannt, et la haine s'est perpetuee entre les
familles (Ternaux-Compans) [Weifen und Ghibellinen]. Die im Prozess zu Arras (14ö6) ver-
brannten Hexen waren der Vaudoisie angeklagt (nach Monstrelet) [Vaudoux der Neger in fran-
zösischen Colonien]. Nach Ebu Abbas wurde Christus durch das Fenster in ein Haus gebracht
und durch das Dach zum Himmel aufgenommen, während der ihm zur Ermordung durch das
Fenster folgende 'l'itianus in seiner Gestalt verwandelt und so gekre uzigt wurde. Principes
itaque tenebrarum cruci est affixus, idemque spineam coronam portavit (Mani).
164 Australien und Nachbarschaft.
im vierten: Si-dayang-Bientang-brayon (medicinische und giftige Pflanzen
schützend),
im dritten: Dato Obal Baloutam (die Krieger mit unsichtbarem Schild
schützend), und Dato Sioubang Hossa (den Athem der Sterben-
den verlängernd oder fortnehmend),
im zweiten: Namora Setau, in seiner Wohnung (Aijora Djoumba horang)
angeschmiedet, aber (wenn Diebata's Zorn auf die Menschen
erregt ist) losgelassen (mit Messerzähnen), um Krankheit und
Zwietracht zu verbreiten (vom Vogel Amporik Garoudon be-
gleitet),
im ersten: seine Gattin Borou Bangopourie Batoutang (Schamlosigkeit und
Laster anregend) mit Namora si Dangbella (zur Wuth aufsta-
chelnd).
Als Hüter der Himmelswelt führt Ompong Randong Namonor die Seelen der
Abgeschiedenen zu Touan Dang Batari, der die Guten (wenn er sie nicht
neben sich wohnen lässt) in Edle auf der Erde einkörpert oder die geringe-
ren Grades zu Dato Obal Baloutan sendet, während die Seelen der Schlech-
ten (gequält und traurig) um die Gräber') und früheren Wohnungen umher-
irren (s. Backer).
Nach Kyabi Karto Moosodho (in Java) wurde Himmel imd Erde (als
Sang Iwang Wiseso nach Bathoro Gosu's Unterricht verschwunden war)
auseinander gerissen und zur Betrübniss des Himmels wurde die Erde von
den Winden auf dem (dann von den Winden Siendoong haliwawor und Sien-
doong baijou bodjiro angegriffenen) Meere umhergetrieben, bis (nach Schöpfung
der Götter und der Landhüter) die Insel Java durch den Berg Djamor Dhipo
befestigt wurde, den die Götter (mit Ausnahme des schmiedenden Hempou
Romadhi) versetzten.
Der höchste Gott schuf den Himmel Baleh Ngaras, als seinen Thron,
und dem gegenüber Bathoro Guru den Himmel Baleh Martjoukoundo, und so
entsprach alle Schöpfung Gottes (in Paradies, Hölle, Brücke u. s. w.) einer
Schöpfung Bathoro Guru's (dem Buche gemäss).
Während die Götter im Baleh Martjoukoundon versammelt, das Lebens-
wasser tranken, zeigte sich (als Bathoro Gourou seiner Schwester Bathari
Houmo Liebeserklärungen machte) ein (vom Meere bis zum Himmel bemerk-
barer) Aufruhr in der Natur, unter welchem die Götter die Erscheinung Kormo
Sahihis bemerkten, der in einen furchterregenden Riesen verwandelt und (als
der erzürnte Bathoro Gourou seine klagende Gattin bei den Füssen, den
Kopf nach Unten, emporhob) eine Riesin zur Frau erhielt, mit der, stete
Liebe pflegend, er dann Houso Kambangngan bewohnt.
') Das Begraben ist nach arabischer Sage durch den Raben gelchrl,, während vorher die Dis-
position über die Leichen Schwierigkeiten venirsachen mag, indem man nicht weiss, was damit
beginnen. Si un Indien venait k mourir, ses parents plavaient le cadavre sur son seant au
milieu de la maison et l'abandonnaient ensuite avec tout ce qu'elle contenait (unter den Cuana-
cas). Ebenso wird das Haus verlassen, in dem eine Frau geboren hat (s. Velasco).
Australien und Nachbarschaft. 165
Durch das Kleinod Retno Dliourailah uDbcrührt von Feuer, Wasser, Waf-
fen, büsste im Meere Kaneko Poutro, der durch Gebete erhaltene Sohn des
Tjator Kenoko (des durch Gebete erhaltenen Sohnes des Iwaug Dharmo Djoko)
und lehrte dem sich als höchster Gott glaubenden Iwang Pramesthi oder
Iwang Gourou (Pramesthi Gourou), dass bereits vor Iwang Wiseso (der bei
der ersten Wüste und Leere als Schöpfer auftrat) die Glockentöne Iwang
Tan Hono's gehört seien (und Alles seinen Gegensatz habe).
Als das von den Göttern begehrte Kleinod Retno Dhoumilah aus Kaneko
Poutro's Hand geschlüpft war, fiel es vom Himmel herab durch alle Erden
hindurch bis in die siebente, wo es von der Schlange Iwang Honto Bogo
(die Erde auf dem Rücken tragend) verschlungen wurde, und diese sich auf-
rollend (ohne Anfang und Ende) verwirrte die sie umlaufenden Götter, dann
verschwindend, als sie in den Himmel getragen werden sollte. Als darauf der
erzürnte Iwang Kaneko Poutro einen weissen Raben aus dem Geschlecht der
Reiher bilden lassen wollte, erschien die Schlange als der Sitz Iwang Gou-
rou's (durch ihn beschützt) und dort gab sie auf Verlangen das das Kleinod
einschliessende Gefäss Manik Hasto Gino, welches (weil keiner der Götter
es zu öffnen vermochte) zerschlagen wurde. Das Kleinod Retno Dhoumi-
lah nahm dann die Form eines neugeborenen Mädchens (Kin Tisuo Wati),
und dieses in den Liebesumarmungen Batoro Guru's verschieden, wurde in
einen von der Sonne beschienenen Hain bei Meudaug Kamolan (wohin sich
die beim Baden überraschte Dewie Srie, Gattin Iwang Wisnou's. vor dem in
in ein Schwein verwandelten und den Körper des Königs Mengen Kouhau
annehmenden Kolo Gouuiarang in den Körper der Königin, Gattin des
Königs Dharmo Nasliti, getlüchtet hatte) begraben. Au temps oii la semence
commence ä poindre, il sortit de la tete de Tisno Wati un cocotier, des par-
ties sexuelles, du padie (riz), des paumes de ses mains un pissang et de ses
dents, un djagong. 11 s'eleva encore quantite des plantes (s. Backer).
Neben Brahma, Gott des Feuers, Vishnu (Gott der Flüsse) und Segara
(Gott des Meeres) verehren die Balineseu Kam (auf einer Insel zwischen
Jumna und Ganges geboren), sowie Ganesa und (auf einer Kuh reitend)
Durga. Nach dem Ousana Bali (s. Friederich) wohnt in einem höheren Him-
mel, als Brahma, der Hüter des Reiches Pasoupati (Siwa), der den Maha-
Meru und die Berge Gunung Agung (Sitz Batara's Maha dewa) und Gunung
Batur (Sitz des Dewah Danouh) spaltete.
Ueber den Göttern Isvara (im Osten), Mahasora (im Südosten), Batara
Brahma (im Süden), Rudra (im Südwesten), Mahadeva (im \\ esten), Saugkora
(im Nordosten), Vishnu (im Norden), Sambu (im Nordosten), Siwadewi (im
Centrum), Sadda-Siwa (weiterhin) und den alten Parma-Siwa thronet auf dem
Berge Lainpujang (mit dem westlichen Berge Baratan des Batara Watukaru,
dem nördlichen Berge Mangu des Hjang Danawa und dem südlichen Berge
Andakasa des Hjanging Tougou) Batara Gni Djaja, (östlich von den Bergen
Lokapala).
IQß Australien uud Nachbarschaft.
Als Sang Koulpoutih die Lehren des Ousana Bali (auf Bali) verkündete
and Opfer brachte, entstand aus dem Weihrauch der Körper Bat ra Siwa's,
aus dem Duft der Sada-Siwa's, aus dem Sandelholz der Prama-Siwa's. Bei
menschlicher Einkörperung erscheint Deva Kaparagan als Outama. In den
die Tempolbiiume von Sindu bewoliiieudeu Vögeln (Mredanga oder Titiran)
werden oder Maha Deva und Devi Danouh verwahrt, die in den Gestalten
eines Jünglings und einer Jungfrau in den Tempel eintreten. Alors on en-
tend clairement dans les airs l'ong sacre (Triaksara ou Trimourti), avec les
hymnes ou Slokas, le murmure des prieres, le son des cloches et le bruit
du tonnerre, qui celebrent ensemblent le triomphe et les amours des deux
diviuites (s. Backer), indem sich die neuen Götter, die Boud janggas, die
Kesis, Sivu und Logata am Fest betheiligen.
Auf Sumatra wird neben Batara Guru (Vater des Menschengeschlechtes)
der Gott Sorie Pada (in der Luft) und der Gott der Erde verehrt. Die von
der Schiauge Nagapadoha getragene Erde wurde von dieser bei der Ermüdung
abgeworfen und versank in's Wasser. Dann stieg Pouta Orla Boulang,
Tochter Batara Guru's auf einer weissen Eule vom Himmel herab (von einem
Hunde begleitet), und damit sie auf dem Wasser einen Ruhepuuct fände,
Hess Batara Guru den Berg Bakarra herabfallen, an dem sich die Erde fest-
setzte, worauf der des Fliegens kundige Layand Mandi (Sohn Batara Guru's)
die Hände und Füsse Nagapadoha s festband, damit die Erde nicht aufs
Neue abgeschüttelt würde, und auf dieser gebar dann Pouta Orlang Boulang
drei Knaben und drei Mädchen, als Vorfahren der Menschen.
Als der grosse Kopf der Schlange Nagapousai im Wasser beständig
durch die Winde umhergeschleudert wurde und der Naga darüber klagte,
sandte der höchste Gott Hat-alla (oder Dewatta) seinen Diener Praman, der
den Kopf auf einen Stumpf legte und mit Erde zum Schutz gegen die Sonne
bedeckte (so dass die Erde jetzt von der Schlange getragen wird). Als dann
Batou Djumpa (Sohn Hat-Alla's) zwei Schlangeneier erblickte, kamen daraus
beim Zerbrechen Mann und Frau hervor, deren 14 Kinder (7 Knaben und
7 Mädchen) ihre Seelen (auf Geheiss des Gottessohnes) von der Schlange
erhalten sollten, aber weil des Mannes (Soupou) Frau sich nicht (wie gebo-
ten) versleckt hielt, von dem heivorbreehenden Winde belebt und deshalb
sterblich wurden (bei den Dayak). Als dei- erzürnte Vater die Kinder dann
in Paaren umherwarf, tiel eins iu\s Wa.-s.ser (den Wassergott Djata gebärend),
wiihr(Mid die andern Felder odei- Luft bevölkerten.
Die Alfureu setzten früher die in Rinde gewickelte jjeiche') auf Baum-
') The futnre abode of good spirits ressembled tlie Sfaiidiiiuvi;iii Valhalla; there, in the
(Iwellin^-I)lace of Iheir (fod, they would live for ever and ever, eating and drinking and dan-
linj.' and bavinf^ wives in altnndanoe (in Galilürnicn). All aci'idents, such as bruken liiubs or
bereavement by death were attributed to the direct vengeance of their god for criuies which
they had committed ^^nach Boscana). Praesunt moenibus urbis (die Lares praestites), praesentes
au.xiiiuimjue ferentes (Ovid). Von den Pariser 'l'heologeii (XV. Jahrb.) wyrde vorherrschend
das weibliche Geschlecht als das schwächere und von dem Teufel leichter zu verführende der
Australien und Nachbarschaft. 167
zweigen bei, ehe sie dieselben in sitzender Form begruben, damit die Seele
sich mit Dewata Sanghiang vereinige.
In Bagwale baten die Insulaner den holländischen Gouverneur Block,
dass die Crocodile, denen reicher Fischfang zu danken sei, nicht getödtet
werden möchten (XVII. Jahrb.).
Durch Kabbai genannte Anschauungen machen sich die Ambanesen un-
verwundbar (Backer). 11s reconnaisseut a leur grand pretre de Bouckit la
puissance de ressusciter les morts.
Bei Krankheiten rufen die Badjonesen zwei Wassergeister an, Touwan
Santri Mouda Laut und Touwan Toliman Laut.
In Maudaheling heissen die mitunter erscheinenden Geister Tinargassas
in Eugano (und bei den Loubu) Koueh (auf Poggi).
Bei den Nias-Iusulanern nimmt Adjou Nowo die Todten auf, und mit
ihnen gelten Lawolo (die Häuser und Dörfer schützend) und Siraha als gute
Geister, denen die bösen Lewaka (die Seele verschlingend;, Saho (im Walde
lebend) und Toukeh (unter der Erde) gegenüberstehen.
Si le dernier soupir du mourant est accompagne d'un doux bruit, les
Koubous disent, que le defuut est devenu uu esprit heureux (ä Palembaug),
die Ahnen verehrend (s. Backer).
Pour les habitants de Limo, Lo Pahalaa l'espace compris entre la terre
et le firmameut est peuple de lati lo oloto, c est-ä-dire d esprits malins, qui
servent de guides aux personnes, sous la figure de Pouggoh ou papillons, et
les exciteut ä dechirer ou percer le coeur du piochain (Bucker).
In Amboiua') wurden die Geister Himmels und der Erde, der Sonne,
Hexerei beschuldigt (Herzog), (jesetzt, dass die Körperverdiehuugen des bezauberten Baueni-
mädcheiis Elisabeth Lohmauu von Keinberg wahr wären, so „kann man solches weder tür
etwas wundersames (mirabiie seu mirum), noch viel weniger für etwas wunderbares oder wuu-
derthätiges (miraculosum) ausgeben, sonst wären die Seiltänzer und andere dergleichen Tausend-
künstler die grössteu Hexenmeister und Besessenen oder Wunderthäter" (17G0). „Es fehlt ihr
weiter nichts, als ein tüchtiger Mann und ein Buckel voll Prügel." In der Walpurgisnacht
pflegte man ilurch Ijreiinende, an hohe Stangen gebundene Strohwische, brennende Besen
u. dir], m. zu verhindern, dass die auf dem Blocksberg reitenden Hexen Menschen und Thieren
Schaden zufügen könnten (s. F. Hahn) Die seligen Menschen glänzen (nach den ludern) in
Sternengestalt, während anderswo die Gespenster als Irrwische spuken. Father Girard, discove-
riug Ihat his mistress had some extraordinary scrofoluus luarks, couceived the idea of proclai-
ming to the world, tliat she was possessed of the Stigmata ;H. Williams;.
') II est generalement admis, parmi les Amboinais, que persoune ne peut perdre la saute
saus riuHuence de sorciers (swangies). Diese werden getöitet und in einem Boot in's Meer ge-
setzt, wobei die Nernrtheilten unbekünanert zum Hinriclitniigsplatz gehen, ("es malheureuses
ne sont pas coupables, mais du moment, quelies sont accusees de sorcellerie, elles se croient
sorcieres (s. Backer). Un jeune homme (de 1:3—14 ans) est plante en terre jusquau cou, puis
il est accable de mauvais traitemenis et on le force par ces cruautes a promettre qu'apres sa
luort il previendra la population de tont ce qui doit Uli survenir. 11 est eusuite tue, son corps
brüle, et ses cenilres deposees dans uu bambou sont suspendnes daus le Poudok, la salle du
conseil, de chaquo Kampong (unter den Batt;ik in Toba). Weun man in der Bewegung dessel-
ben ein Seufzen zu hüreu glaubt, zieht ein Unglück heran (s. Backer). .Avant de couper la
tete de lesclave, on lui n-commande de donner tous ses soius du maitre, quil doit aocom pag-
ner dans l'autre monde (bei den Dayak). Les habitants des iles Poggi (.deren, Seuetou genannte,
Dämone Wälder, Höhleu, Luft, Erde, Wasser bewohueu) ueutrent jamais daus une maison
■toQ Australien und Nachbarschaft,
Mond und Sterne durch die Nitou CSeele der Abgeschiedenen) verehrt (nach
Yalentyn) [Anitu] unter verschiedenen Namen, als Moutouwa Paunoussa
Nitou Amahoiiti (le vieil homme, Tombre du sauveur, le genie protecteur de
lu liourgade) oder Nitou L;ibba (le genie du viu), le roi Saniasse au l'ancien
heros de la guerre, le genie du Pinaug, le genie du rocher, des jeunes filles
au de la nouvelle bourgade (s. Backer).
Nach den Karen fliegt der Kephu, als Magen eines Zauberers umher,
in der Gestalt eines Kopfes mit daranhängenden Eingeweiden, um Seelen zu
verschlingen, die dann sterben, ebenso wie bei den Mintira, wenn der Was-
serdiinion Hantu penyadin Blut aus den Daumen und grossen Zehen saugt.
Nach den Polynesiern krochen die abgeschiedenen Seelen ^ ) Nachts aus den
nouvellement batie, sans y avoir porte, au prealable et en triomphe, la tete d'uue personne,
tuee par eux dans uue des iles voisiues de Pora (pour detourner ainsi les maux de cette demeure).
') Near relatives ot'ten change their iiame, uiuler the iuipressiou, that spirits will be attrac-
ted back to earth, if they hear familiär names often repeated (iu Columbia). Männer und
Frauen desselben Marnga können (bei den Battak) nicht heirathen (nach Willer). Die Frauen
in Cumana (nach Benzoni) were all first submitted (a sverginarle) to the priests, thence by
thein called piaccbi (H. W. Smyth). A Borneo, Thabitant de Banjermassing doit faire k sa
femme, lorsqu'il en prend possession, un don nuptial, qualifie de ,couvre-lit" (s. Backer). Die
Zanadiqa (Atheisten) sagten von deuen sich beim Gehet Niederwerfenden (nach Tabari), (|uils
montraient leur derriere ä leur dieu (s. Zotenberg), Le Persing-iran ou l'etat de gagiste, est
compose des debiteurs neben dem Atoban (l'etat d'esclave) und dem Paugkouugdangi der zeit-
weis F"reieu (bei den l^attak). Tous les proconsuls eureut bientot des autels, surtout les plus
mauvais, parcequ'on les redoutait davantage et qu'on les voulait desarmer. La Sicile institua
des fetes pour Verres avant d'oser le traduire en justice (Boissier). To discover the particular
beast which was to guide bis future destinies, the child was intoxicated and for three or four
days kept without food of any kind Duriiig thi« period he was contniually harassed and
questioned, until, weak from waut of food, crazed witli driuk and iiuportuuity, and knowing
that the persecution would not cease until he yielded, he confessed to seeing bis diviuity and
descrihed what kind of brüte it was. The outline of the figure was then molded in a paste
made of crushed herbs, on the breast and arms of the novitiate This was ignited aml allowed
to l.urn until entiri'ly consumed, and thus the figure of the Divinity remained indelibly deli-
neated in the flesh (ü. Bancroft) in America. They are averse to telling their name to stran-
gers, for fear as they sometimes say, that it may be stolen, tbe truth is, however, that with
them the name assumes a personality, it is the shadow or s[)irit, or other seif, of the tlesh
and blood person, and between the name and the individual there is a mysterious connection
and in Jury cannot be done to one without ail'ecting the other, therefore, to give one's name to
a friend is a high mark of Chinook favor (H. Bancroft). Nach einer Geburt geht eine alte
Krau bei den Navajos mit bedeckten Augen um das Haus, um dann nach dem beim Aufblicken
zuerst Geseheneu den Namen zu bestimmen (Alegre). Die Indianer von San Diego legen das
Neugeborene auf das Wasser, wu es beim Untersiiüien ohne P.egräbniss gelassen wurde (wie am
Rhein die Schildprolte für die Lhrlichkeit diente). Doctors are snpposed to haved power over
life and death hence, if they fall to ell'ect a eure, they are frequently liilled (in California) und
weil für das Leben des Patienten verantwortlich, fallen sie bei Misserlolg oft den Verwandten
zur Rache, wenn sie nicht das Gegenwirken eines Rivaleu vorschützen können. A los que
mueren los entierran en el fogon de la casa, que luego abandonan, o los cuelgan de los urboles
(los Andaquies). Nach den Stoikein dauerten die Seelen beim Tode fort (als Ueroen), die der ge-
wölinli.ii.Mi Menschen lange Zeit, die der philosophisch gebihleten bis zum Weltbrand, von dem
auch diu Dämonen verzehrt werden (s. Uckert). So erreicht die Weltzerslörnng bei den Bud-
dhisten verschiedene Ilimmelshöhen, die der Fluthen bis zum Abhassara i'ater Grillon traf
(nach Charlevoix) in der Tartarei eine in Canada gefangene Uuronenfrau, die von Stamm zu
Stamm weiter geschleppt imd dann übergeschifft war.
Australien und Nachbarschaft. Iß9
Grabbildern hervor, um in die Häuser einzuschleichen und Herz und Einge-
weide der Schläfer zu verzehren (s. Tylor).
Wenn dem Polynesier in seiner Todesstrafe der Atua in der Gestalt
desjenigou Thieres erscheint, in welche die Seele ') einfahren wird, so bedingt
die Natur der Seele die jedesmalige Form, schaut sie abor in der gesteiger-
ten Erregtheit bei bevorstehender Lostrennung vom Körper.
') Die Brahmanen der Coromandeiküste hüteten sich beim Essen der Pflanzen nicht die
Wurzeln auszuziehen, damit keine Seelen zerstört würden (s. Roger). Nach den Dacotah wur-
den die Seelen ihrer Medicinmänuer als geflügelte Saamen hei den Göttern umhergetrieben, bis
sie (nach dreimaligem Sterben und Wiedergeborensein) verschwanden, und dass die Ulme als
Baum der Träume galt, wird (s. Friedreich) aus der Natur ihrer Saamen erklärt. Das Ringen
mit dem Herrn mochte bei semitischen Patriarchen die Propheten zu Gelenksverrenkungeu füh-
ren, und als während einer Dürre in Meknes sich Sidi A'issa für einen Tag lang in die Moschee
hatte einschliessen lassen, zeigte er beim Wiederöffnen seinen rechten Arm, der zerschlagen,
aber neu geheilt war, in Folge des schweren Widerstandes, den er im vierten Himmel in dem
Engel gefunden, der den Regen zurückhielt. Die Angekok lassen sich beim Angriff" auf die
Unterwelt, um die Fische für reichlichen Fang zu befreien, von den Geistern der Vorfahren
unterstützen, wie die Schamanen. On the lips of dead enfants is dropped milk from the
inother's breast, that these innoceuts may have sustenance to reach tlieir place of rest (in
Nord-Mexico) Waffen und Geräthe werden in das Grab gelegt, sowie a small idol, to serve as
a guide and fellow traveler to the departed on the longJourney (s. H. Bancroft). The husband's
conduct was supposed in some manner to affect the unborn child, and he was consequently laid
under certain restrictions, such as not being allowed to leave the house, or to eat fish and
raeat (in Süd-Californien), an der Stelle der Mutter das Wochenbett abhaltend (in Central-Cali-
fornien). The Lagunero and Ahomama husbands, after the birth of the child, remain in bed
for six or seven days, during which time they eat neither fish nor meat (in New-Mexico), the
father being intoxcated and in that State surrounded by a daucing multitude, who score his
body tili the flood flows freely (in other tribes). Die Indianer von Honduras bedürfen für ihr
Wohlergehen Naguas or guardian spirits, whose life became so bound up with their own, that
the death of one involved that of the other. The manner of obtaining this guardian was to
proceed to some secluded spot and offer up a sacrifice, with the beast or bird, which theru-
pon appeared, in dream or in reality, a compact for life was made, by drawing blood from
various parts of the body (H. Bancrot.). Massilienses quotiens pertilentia laborabant, unus se
ex pauperibus offerebat alendus anno Integro publicis et purioribus cibis, hie postea ornatus
verbenis et vcrtibus sacris circumducebatur per totam civitatera cum exsecrationibus, ut in
ipsum reciderent mala totius civitatis, et sie praecipitabatur (Servius). Lustrare civitatem
humana hostia Galliens mos est (s. Lactant). Bei der Thargelienfeier wurden die Pharmakopoi
geopfert (v. Athen). Hawaiians supposed they have two souls (hoapilio ke Kino or close adbering
companions of the body) von denen die eine beim Körper verbleibt, die andere ihn verlassen
konnte (Jarves). Dem Geist eines Todten, wenn er sich unter den Lebenden einschmuggelt,
fehlt der seelenvolle Blick, und umgekehrt wird Thespesios (nach Plutarch) in der Welt der
Abgeschiedenen durch das Blinzeln der Augen und den Schatten, als Lebender erkannt. Im
deutschen Volksglauben wird durch Klopfen, woran die Spiritisten ihre Geister erkennen, der
Tod eines Hausgenossen angekündigt, in Tirol durch ein Klopfen unter dem Fussboden, in
Schlesien durch Gepolter, in der Wetterau für den Hausvater, wenn es am ersten Advent auf
dem Boden rumpelt, und in der Mark wieder, darf man am Neujahrstage nicht mit dem Ham-
mer klopfen, weil man sonst Einen aus dem Hause zum Grabe ruft (s. Wuttke\ So wird hier,
wie überall im Primärdenken, das noch nicht den Faden fester Causalbeziehung aufgereiht hat,
derselben Vorstellung bald active, bald passive Bedeutung gegeben, und bald wird sie wieder
aus anfänglicher Allgemeinheit heraus für Zeit oder die Person specificirt. Wenn dein Gott in
der Hölle wäre, wünlen meine Helden ihn daraus erlösen, bemerkte ein irischer Barde dem be-
kehrenden Patrick.
Zeitschrift für Ethnologie, Jahrgaug 1875. 12
170 Australien und Nachbarschaft.
Die Insulaner von Waye verehrten die Gottheit als Priapus in den
Pissang genannten Bäumen befestigt (s Backer).
In Banka darf in den heiligen Wäldern kein Baum gehauen werden,
ohne vorher die Gottheit befragt zu haben.
In den Toutou-Wo genannten Tempeln wurden die Kinder der Alforesen
von Priestern (Maouwen) erzogen (stumm zurückkehrend).
Der Tempel zu Manipa (auf Amboina) war auf Geheiss der dem Was-
ser entstiegenen Frau Houwanoe erbaut, für Orakel des (von Bajaderen be-
dienten) Geistes (nach Valentyn).
Im Lande Goa auf Celebes war eine reine und unbefleckte Frau aus
den Wolken herabgestiegen, und als Kraing-Bajou (Holz zum Bau eines
Schiffes hauend) in der von einem Hunde gefundenen Quelle die geschmückte
Toumanouroung auf einem elfenbeinernen Throne sitzend sah, zeugte er mit
ihr den Sohn Massalanga bairajang, worauf sie in den Wolken verschwand.
Hangling Darmo (um den Wunsch der Prinzessin zu erfüllen) prononga
une formule d'ensorcellement et en un clin d'oeil son äme passa dans le corps
d'un paon mort (in Sourakarta), worauf Batik Madrim seine Seele in den
zurückgebliebenen Körper versetzte (s. Winter). Nach den Irländern wohnt
in dem Häutchen (der Glückshaube oder dem Wehmutterhäublein) der
Schutzgeist (Fylga) oder ein Theil der Seele (s. Holtzmann), und die damit
Geborenen gelten (im deutschen Volksaberglauben) als Glückskinder
(s. Wuttke).
Unter den Nitu (Geistern) werden auf Amboina verehrt Lanila, als Luft,
Leyntila, als obere Luft, Houwaga, als Krokodil, Toulay, als Dämon, dann
Pessynousytoury, Rysseporcaman, Lehila, Sackinahou, Geuan, Assoulacka,
Mortyla, Lassytoune, Lassyhietto, Sahouworada (s. Backer).
Ais von den sieben Brüdern (Aiouhanasi, Kakasi, Angkanasi, Loung-
glnasi, Maniahati, Bacioungi und Anggalua) der jüngste (Anggalua) von den
andern getödtet wurde, zerhieb die Mutter (als Anggalua zischend aus dem
Munde des leugnenden Aiouhanasi's sprach) den Körper Aiouhanasi's mit
einem Schwert, und aus den Hälften entstanden Flöhe und Mücken.
Bei Krankheiten legen die Orang Lom dem Berggeist (Hantou mapor)
Opfergaben in einen Baum, dem Wassergeist (Hantou Boujout) in ein kleines
Boot.
Da die Hütte, in welche sich die von Namora Poulongan verfolgte Boroh
Si-Ambil geflüchtet, nicht durchsucht wurde, weil von Turteltauben umflogen,
enthielten sich ihre Nachkommen des Genusses der Turteltauben (in Surokarta).
Neben den Samhaou (Geister der Höhlen, Wälder, Berge) verehren die
Battak die abgeschiedenen Ahnen als Begos und befragen sie, frequentant
Ics hommes sous les traits d'un des auciens du kampong (orang batouwa
oder Sie Basso).
Im der oberen Welt wohnen Batara Guru Dolic (Gott der Gerechtigkeit),
Saripada (Gott der Güte) und Mcaigala Boulan (der böse Gott), in der mitt-
Australien und Nachbarschaft 171
leren (der Erde) die Schutzgötter der Bäume und Berge, in der der unteren
Radja Patoka, Erdbeben verursachend (nach den Pak-Pak).
Neben der Dreieinigkeit Brama oder Bramara, Vischnu und Isnor oder
Rudra (von der Schöpferkraft Para Sacti geboren) kennen die Malabareu
als höchsten Gott Para Braman und 33,000,000 Halbgötter unter ludra oder
üevindra. ,
lieber den Elementargottheiten Siva, Vischnu, Brahma (Erde, Wasser,
Feuer) steht (bei den Bewohnern des Tinger-Gebirges) die Pradou Gourou
Inglouhour genannt Wesensmacht (der Anfang und das Ende).
In Titaway wurde die Schlange Riama-Atou, in Erna ein Schwein ver-
ehrt (im indischen Archipelago).
Die Badouin in Bantam zollen dem höchsten und unsichtbaren Gott^)
Poun keine Verehrung, parce qu'ils sont a leurs propres yeux trop au des-
sous de lui pour etre exauces. Leurs prieres lui sont transmises seulement
par Tintermediaire d une divinite speciale, protectrice de chacun de leurs
Kampongs, et dont le nom varie selon qu'il s'applique, ä un dieu ä une
deesse, tantot on la nomme Dalam Balibat Djaija, dieu protecteur, tantot
Poua Poutrie Tjepat Manik, deesse protectrice (s. Backer) [Element des
Protestelurs]. Les Timorais invoquent le Soleil comme un dieu supreme et
les nomment Ousseneuou, mais ils nen attendent ni bien ni mal, pretendant
qu'il est trop haut pour s'occuper du sort des mortels et trop bon pour faire
du mal (nach Rorda van Eysinga).
Nach Valentyn un dieu se tenait sur une coliine (ä Soya), et ou avait
place devant lui un vieux martaran ou grand vase de verre de Siam. Une
foret de roseaux de Boulou Souwangi ou de bambous jaunes etait au pied
de cette coliine. Les habitants de Soya croyaieut que si, apres le sacrifice
d'un coq blanc, on remuait ce vase, avec un bambou coupe dans la foret -),
dieu leur accordat aussitot de la pluie (Backer).
') Ausser dem einzigen Gott Batara Tauiigal (der Badouin in Java), dans chaque Kampong,
il ya un dieu protecteur et une deesse protectrice, qui sont plus honores que lui. La divinite
Sangiang Padagang est chargee de veiller sur la fertilite des champs et Saugiang Djara Anakh
sur la feconditii des femmes; Sangiaug Pakambouang est le geuie de l'eau (s. Backer). A Nal-
lahia un dieu invisihle est adore sous le nom de Kae-Ie. Quand on demande aiLx indigenes
comment ils Tont connu, ils repondent quun de leurs, etant alle ä la foret, rencontra un jour
uu genie sous uiae forme humaine, et qu'il lui demauda d'oü et qui il etait, et que le geuie
repondit: Mon nom est Kae-se et je suis le roi de cette montagne, cette nuit je viendrais vers
toi, je t'apparaitrai et je te parlerai. Et la nuit mCme, ainsi qu'il l'avait dit, Kae-le apparüt
en senge au Nallahianais et l'avertit que s'il voulait vivre heureux, il devait ordonner aux habi-
tants de son Kampong d'elever un autel au dieu Kae-le et de Faderer (s. Bacher). Quant aux
Radjorais, c'est de tleux divinites de la mer, qu'ils attendent et espereiit tout, Touwan Santri,
Mouda Laut et Touwan Toliraan Laut. Lune est de sexe masculin, Tautre de sexe feminin.
2) Ehe neue Felder im Walde angelegt werden, verbrennen die Bewohner Banka's (unter
Beschwörungen und Gebeten) Benzoin neben grossen Bäumen. La repose de Tesprit leur est
notitiee dans la nuit. Certaines Images apparues en songe daus les trois premieres uuiti» la
foiit consiilerer comme favorable, li'autres, au contraire, la fönt envisager comme hostile. Dans
les oalamiles publiques; ils invoquent le secours d'un llautou ou Dewa, uomme Akke Timbang,
12*
172 Australien und Nachbarschaft.
Das Holzstück Morie, von den Bewohnern Sila's (nach der Insel Noussa
Laout) verehrt avait aborde a Sila, puis eile apparut en songe ä un des
indigenes et lui enjoignit d'ordonuer a tous ceux de Sila d'elever un autel
ä Morie (s. Backer).
Der Gott Hayacka der Apoupouwas (in Noussa-Lavut) assistait en trois
pieces de bois lies ensemble [Sparta]. On dit, qu'un certain Laheon, un
des ancetres de la race des Apoupouwas, avait achete ce dieu ä un raarchand
de Solor ou Java (der bei Verehrung seinem Geschlecht Gedeihen zusichern).
A Coracora de Soyo, les indigenes avaient une idole, qu'ils nommaient
Boutoh-Oulisiwa (virilite des Oulisiwa).
Die Alfuren in Minahassa verehrten einen männlichen Stein als Tam-
barouka, einen weiblichen als Parong seraya. A Nallahia un habitant, nomme
Tahitou, etant alle un jour vers le rivage de la mer, apergut aux environs
d'une petite baie, une pierre qui voltigeait dans les airs et l'entendit chauter
comme un joueur de flute. II se mit alors a danser, saisit cette pierre et
vit qu'elle etait entoure de nombreux petits poissons. II la deposa sur d'au-
tres pierres du rivage et la nomma Alalea (welcher Gott ihm dann im Traum
erschien und bei Verehrung reichen Fischfang versprach).
Die „Hampatongs" genannten Fetische (gemalt oder geschnitzt in
menschlicher Form, sowie auch aus Holz, Stein oder Crocodilzähuen gefer-
tigt) etaient presque toujours fabriques ') ä la suite des reves, pendant les-
qiiels un Dayak avait vu apparaitre un Kambi gigantesque ou un antoug
chevelu et terrible (auf Borneo).
(Fortsetzung folgt.)
qu'ils supposent avoir son siege dans une des grands ri vieres de l'ile, des hantous particuliers
veillent sur les montagnes, les roches, les pierres et meme sur les humains (nach Horsfield).
L'opo Rongkouno habitant primitivement sur la montagne Bantik. Son occupation consistait
■d prendre des coqs de bruyeres. Etant une fois ä la chasse, il rencontra une pierre, nomme
Madengke. II pria cette pierre de lui etre favoral)le dans la chasse aux coqs de bruyeres et il
tut exauce. Le jour suivaut, il la pria de nouveau et rencontra une laie souvages avec de
longues defenses, le jour suivant, il la pria de nouveau et rencontra une antilope, le jour
suivant, it la pria de nouveau et recontra un jeune adolescent, lejour suivant, il la
pria de nouveau et rencontra une jeune fille nubile, le jour suivant il la pria de
nouveau et rencontra un homme d'un certain age [Examen bei Heiligsprechung über Wun-
der]. Par ces motifs nous, peuple de Bantik, nous ajoutons foi ä cette pierre (nach Rie-
del). Les Orangs lom de Banka connaissent aussi un esprit nomme Ake Antak, dont ils pre-
tendent descendre et un autre nomme M am bang, qui est pour eux l'Etre supreme (s. Backer).
') Die (Madengke verehrenden) Bantik croient que leur dieu Limounou-out, (Roumou oder,
bei den Alfuren, Loumou) est issu de la mousse qui avait pousse sur une pierre, et que Ka-
rema a tire son origine d'un autre pierre (s. Backer). A Titaway il y avait un dieu Riama-
y\tou, a Pelerin et Abobo un autre nomme Rou-Oumou-Ohouwo, aux iles de Key, il y en avait
un du nom d'Ornousa, A Bali, il y a le Üewu Dalaui, le dieu du mort, Dewa Gede Gounoiig
Agong, le dieu de la montagne saiiite, Dewa Gede Segara le dieu de la mer, Dewa (iede Bali
Agong; le dieu du grand Bali.
lieber sieht
der
Literatur für Anthropologie, Ethnologie und Urgeschichte im J. 1874.
Zusammengestellt von W. Koiicr.
Allgemeines und Einleitendes.
Die 4. allgemeine Vetsamuilung der deutschen Gesellschaft für Anthropologie, Ethnologie und
Urgeschichte zu Wiesbaden am 15.-17. September 1873. Red. von A. v. Frantzius.
Heidelberg (Groos) 1874. gr. 4. % Thlr.)
Kraszewski (J. J), Congres international d'anthropologie et d'archeologie prehistoriques.
Session de 1874 ä Stockholm. Notes de voyage. Paris 1874. 92 S. 8.
Mestorf (J.), Der internationale archäologische und anthropologische Congress in Stockholm
am 7.— 16. August 1874. Hamburg (Meissner) 1874. gr. 8. (1 M.)
Hellucci (G.),- II congresso internazionale di archeologia ad antropologia prehistoriche. VII.
sessione tenuta nel 1874 a Stocolma. Firenze 1874. 8.
Die 5. allgemeine Versammlung der deutschen Gesellschaft für Anthropologie, Ethnologie und
Urgeschichte zu Dresden vom 14.-16. September 1874. Nach stenographischen Aufzeich-
nungen redigirt von Dr. Herm. v. Ihering. Braunschweig (Vieweg & Sohn) 1875. gr. 4.
Bastian (A.), Allgemeine Begriffe der Ethnologie. — Neumayer, Anleitung zum wissenschaft-
lichen Beobachten auf Reisen. Berlin 1375. p. 516.
Jolly (J.), Völkerkunde und Anthropologie — Im neuen Reich. 1874. II. p. 292.
Gerland (G.), Anthropologische Beiträge. Bd. I. (enthaltend: 1. Werth und Aufgabe der An-
thropologie. II. Betrachtungen über die Entwickelungs- und Urgeschichte der Menschheit.
Halle (Lippert) 1875. gr. 8. (3 Thlr.)
Meuser (A.), Kurzgefasste Anthropologie. Mannheim (Bensheimer) 1874. (50 Pf.)
V. Hellwald (F.), Culturgeschichte in ihrer natürlichen Entwicklung bis zur Gegenwart.
Augsburg (Lampart & Co.) 1874. gr. 8. (13 M. 20 Pf)
Müller (Fr.), Ueber Ziele und Methoden der Ethnographie und Anthropologie. — Behm's
geogr. Jahrb. V. 1874. p. 362.
Pütz (W.), Vergleichende Erd- und Völkerkunde. 2. AuÖ. 1. Bd. Cöln (Du Mont-Schauberg)
1874. gr. 8. (2 Thlr.)
Peschel (0.), Völkerkunde. ,2. Aufl. Leipzig (Duncker & Humblot) 1875. gr. 8. (2 Thlr.
12 Sgr.)
Tubino, Antropologia. — Revista de Antropologia. 1874. p. 39. 110.
Huelin (E.), La edad de la tierra, la antiguedad del hombre y la ciencia prehistörica. —
Revista de la Universidad de Madrid. IV. 1874. p. 330.
Bernstein (A.), Naturkraft und Geisteswalten. Betrachtungen über Natur- und Culturleben.
Berlin (Duncker) 1874 gr. 8. {\% Thlr.)
Bastian (A.), Schöpfung und Entstehung. Aphorismen zur Entwickelung des organischen
Lebens. Jena (Costenoble) 1874. gr. 8. (3)^ Thlr.)
Der Zusammenhang der Anthropologie mit Ethnologie und Urgeschichte. — Gaea 1874. p. 193.
Planck (K. Ch.), Anthropologie und Psychologie auf naturwissenschaftlicher Grundlage. Leip-
zig (Fues) 1874. gr. 8. (1 Thlr. 4 Sgr.)
Lauth, Ueber den Begriff des Piähistorischen. — Correspondenzbl. d. deutschen Ges. f. An-
thropologie. 1874. No. 8. ff.
Religion und Theologie. Lose Blätter der Zeit von einem Lehrling im Dienste der Anthro-
pologie. Berlin (Wiegandt, Hempel & Parey) 1874. gr. 8. (l Thlr.)
Douai (A.), Streifzüge in's Gebiet der Menschen- und Völkerkunde. — Gaea. 1874. p. 65.
Klein (H. J.), Aus der Urzeit. — Der Welthandel. IV. 1874. p. 63. 218. 352.
174 Literatur für Anthropologjie etc. im J. 1874.
Darwin (Gh.), L'expression des emotions chez l'honime et les animaux. Traductioii fran-
caise par Sam. Pozzi et Rene Benoit, Paris (Reinwald) 1874. 8.
— , Der Ausdruck der Gemüthsbewegungen bei dem Menschen und den Thieren. A. d. Engl.
von V. Carus. 2. AuH. Stuttgart (Schweizerbart) 1874. gr. 8. (10 M.)
— , The descent of man and selection in relation to sex. 2d. edit. London (Murray) 1874.
690 S. 8. (9 s.)
Ferriere (E.), Het Darwinisme. Uit het fransch vertaald door en met een naschrift \an Dr.
Hartogh Heyse van Zouteveen. s'Hertogenbosch (van Heusden) 1874. VllL 491 bl. 8.
(fl. 4,90.)
Schmidt (0.), The doctrine of descent and Darwinism. With 26 woodeuts. London (King,
International Scient. Ser.) 1874. 336 S. 8. (5 s.)
Spengel (J. W.), Die Fortschritte des Darwinismus. Neuer Abdr. Leipzig (Mayer) 1874.
gr, 8. (2 M. 40 Pf.)
Hodge (Gh.), What is Darwinism? New-York 1874. 12. (7 s. 6 d.)
Zacharias (0.), Zur Kritik des Darwinismus. — Ausland. 1874. No. 28.
Zöckler, Die Darwin'sche Entwickelungstheorie, ihre Anhänger und ihre Kritiker. — Daheim
1874. No. 40 if. 1875. No. 1 f.
Jäger (G.), Li Sachen Darwin's insbesondere contra Wigand. Stuttgart (Schweizerbart) 1874.
gr. 8 (5 M.)
Seidlitz (G.), Darwin's Selections- und Wagner's Migrations-Theorie. — Ausland. 1874.
No. 14 f.
— , Erfolge des Darwinismus. — Ausland. 1874. No. 36 ff.
Spengel (J. W.), Hyper-Darwinismus und Anti Darwinismus. — Gaea, 1874. p. 329.
V. Hart mann (E.), Wahrheit und Irrthum im Darwinismus. - Die Literatur. 1874. No. 31. 34. ff.
— . Wahrheit und Irrthum im Darwinismus. Eine kritische Darstellung der organischen Ent-
wickelungstheorie. Berlin (0. Duncker) 1875. gr. 8. (4 M.)
Schumann (R.), Darwinismus und Kirche. Ein Wort an denkende Ghristen. Potsdam
(Rentel) 1874. gr. 16. (6 Sgr.)
Rahn (H.), Der sittliche Moment des Darwinismus im Vergleich zur mosaischen Schöpfungs-
geschichte. — Das neue Blatt. 1874. No. 30. f.
Darwinismus und Idealismus. — Ausland. 1875. No. 5.
Howarth (H. H.), Strictures on Darwinism. — Journ. of the Anthropolog. Institute. III.
p. 208. IV. 1874. p. 101.
Force (M. F.), Pre-historic Man. Darwinism and Deity: the mound builders. London 1874.
roy. 8. (4 s.)
du Frei (C.), Darwin in der Astronomie. — Die Literatur. 1874. No. 38 ff.
Tubino, Darwin y Haeckel. Antecedentes de la teoria de Darwin, — Revista de Antro-
pologia. 1874. p. 396.
Buchner (0-), Die Darwin'sche Theorie und das menschliche Haar. — Gaea. 1874. p. 334.
Vilanova (J.), El Darwinismo ante la paleontologia. — Revista de la Uni versitad de Madrid.
T. IL 1873. p. 503. IIL p. 385.
Licht hörn (C.), Die Erforschung der physiologischen Naturgesetze der menschlichen Geistes-
thätigkeit auf der Grundlage der neuesten grossen Entdeckungen Dubois Reymond's,
Darwin's und Häckel's über die organische Natur und deren vervollkommende Entwicke-
lung. Breslau (Gosohorsky) 1874. gr. 8. (1 Thlr.)
Haeckel (E,), Anthropogenie. Entwickelungsgeschichto der Menschen. Leipzig (Engelmann)
1874. gr, 8. (4^ Thlr,)
Zacharias (0.), Häckel's Anthropogenia. — Ausland. 1875. No. 11,
Kawall (J.), Zur Abstammungslehre. — Bullet, de la Soc. d. Naturalistes de Moscou. 1873.
II. p. 332.
Gox (Edw. W.), Heredity and hybridism: a Suggestion. London (Longmans) 1875. 66 S. 8.
(3 s. 6 d.)
Caspari (0), Philosophie und Transmutationstheorie. — Ausland. 1874. No. 32 ff.
Lyell (Gh ), Das Alter des Menschengeschlechts auf der Krde und der Ursprung der Arten
durch Abänderung. Leipzig (Thomas) 1874. gr. 8. (4| Thlr.)
Literatur für Anthropulujjie etc. im J. 1874. 175
Liittke (M.), Zur Urgeschichte der Erde und des Menschengeschlechts. — Blätter f. literar.
Unterhaltung. 1874. No. 45.
Weste rmeyer, Die Abstammung des Menschen und die Völkertafel. — Natur und Ofifen-
barung. XX. Ilft. 4.
Siegwart (K.), Das Alter des Menschengeschlechts. 3. AuH. Neuer Abdr. Berlin (Denicke)
1874. gr. 8. (2/» Thlr.).
Vilanova, On'gen, antigüedad y naturaiiza del hombre. — Revista de Antropologia. 1874.
p. 39. 125. 185.
de Hyseru (J.), De la unidad nativa del genero humano (contin.). — Revista de Antropo-
logia. 1874. p. 9. 81. 161. 321.
de Quatrefages über die fossilen Menschenracen, — Ausland 1875. No. 11.
de Velasco (G.), Observaciones sobre el estudio del hombre. — Revista de Antropologia.
1874. p. 32.
Fraas, Bemerkungen über den Tertiärmenschen. — 5. allgem. Vers. d. deutschen Ges. f.
Anthropologie zu Dresden. 1874. p. 57.
V. Petrino (0.), Ueber die Verwendbarkeit des Löss zur Altersbestimmung anthropologischer
Funde. — Mitthl. d. Anthropol. Ges. in Wien. III. 1873. No. 2.
Broca (P.), De l'influence de l'humidite sur la capacite du cräne. — Bull, de la Soc.
d"anthrop(/logie. 1874. p. 63.
— , Etudes sur les proprietes hygrometriques des cränes, considerees daus leurs rapports avec
la craniometrie. ~ Revue d'anthropologie. III. 1874. p. 585.
Lombroso, Studi clinici ed antoprometrici suUa microcefalia ed il cretinismo con applicazione
alle medicina legale a all' antropologia. Bologna 1873. 8.
V. I he ring (H.), Die menschlichen Raceuschädel. - Westermann's illustr. deutsche Monats-
hefte. 1874. Sept.
Spengel ((J. W.), Schädel vom Neanderthal-Typus. Diss. Braunschweig \tlb. 4.
V. Ihering (H.), Ueber aussergewöhnliche breite Schädel. — Mitthl. aus d. Göttinger anthro-
polog. Ver, Hft. 1. 1874. p. 36.
Aeby (Chr.), Beiträge zur Kenntniss der Microcephalie. — Archiv f. Anthropologie. \U.
1875. p. 199.
Weisbach (A.), Bemerkungen über Slavenschädel. — Zeitschr. f. Ethnologie. VI. 1874.
• p. 307.
Rüdinger, Ueber die künstlichen Schädelumiormungen. - Correspondenzbl. d. deutschen Ges.
f. Anthropologie. 1874. No. 7.
v. Ihering, Demonstration neuer craniometrischer und craniographischer Apparate nebst
Bemerkungen darüber - 5. allgem. Vers, der deutschen Ges f. Anthropologie zu Dresden.
1874. p 63.
Das neue Schädelmessungsschema. — 5. Vers. d. deutschen Ges. 1. Anthropologie zu Dresden.
1874. p. 68,
Spengel (J. W.), Ueber eine Modification des Lucae'schen Zeichnen-Apparates. — Zeitschr.
f. Ethnologie. VI. 1874. p. 66.
— , Beschreibung eines neuen Schädelmessungsapparates. — Mitlhl, aus d. Göttinger anthro-
polog. Ver. Ilit. 1. 1874. p. 54.
Tamassia (A.), Craniometria degli alienati e dei deliniiuenti, in rapporto all' antropologia
e la medicina legale. — Archivio per l'antropologia. IV. 1874. p. 164.
Dieffenbach (F.), Riesen und Zwerge als Ergebniss eines Naturgesetzes. — Ausland.
1875. No. 6.
Seligmann (F. R.), Bericht über die Fortschritte der Racenlehre. — Behm's geograph. Jahrb.
V. 1874. p. 366.
Ariza, II diferencias especiücas de las razas humanas (contin.) — Revista de Antropologia.
1874. p. 96. 171. 341.
Racenanlagen und verschiedene Begabung zum Arbeiten. — Globus XXV. 1874. p. 378.
Metschnikoff (E.), Ueber die Beschafl'euheit der Augeulieder bei den Mongolen undKaukasiern.
Eine vergleichend-anthropologische Studie. — Z. f. Ethnologie. VI. 1874. p. 153.
176 Literatur für Aiilhropulogie etc. im J. 1874.
Müller (Friedr.), Eiuheit oder Mehrheit des Ursprunges der menschlichen Sprachen. —
Mitthl. d. anthropolog. Ges. in Wien. Bd. III. No. 8 f.
Steinthal (H.), Linguistik. — Neumayer, Anleitung zum wissenschaftlichen Beobachten auf
Reisen. Berlin 1875. p. 551.
Kilian, Die Theorie der Halbvokale nebst einem sprachlichen Curiosum über die Racenfrage
der semitischen und arischen Sprachbände Strassburg (Trübner). 1874. 8. (8 Sgr.)
Bertrand, Snr la construction de la tour de Babel et la confusion des langues. — Revue
de Philologie. 1. 1874.
Fick, L'unite primitive du language des ludo-Germains d'Europe. — Revue critique, 1874.
No. 10.
Heath (D. J.), Origin and development of the mental function in mau. — Journ. ol the
Anthropolog. Institute. IV. 1874. p. 66.
Distant (W. L), On the mental diöerences between the sexes. — Journ. of the Anthropo.
Institute. IV. 1874. p. 78.
Dünn (R.), Some remarks on ethnic psychology. — Journ. of the Anthropolog. Institute.
1874. p. 255.
Hitzig, lieber Localisation psychischer Ceutren in der Hirnrinde. Nebst Bemerkungen von
Steinthal uud Virchow. — Z. f. Ethnologie. Verhdl. 1874. p. 42.
Westphal, Ueber Aphasie. — Z. f. Ethnologie. Verhdl. 1874. p. 94.
Hitzig, Westphal, Steiuthal, Lazarus, Virchow, Simon, Discussionon über Apha-
sie. — Z. f. Ethnologie. VI. 1874. p. 130.
V. I herin g (W.), Zur Mechanik der organischen Formbildung. — Ausland. 1874. No. 14.
Zur Psychologie der Grausamkeit. — Ausland. 1875. No. 3.
Notes and Queries on Anthropology, for the use of travellers and residents in uncivilised
lands. Drawn up by a committee appointed by the British Association for the avancement
of science. * London (Stanford). 1875. 160. S. 12 (5 s).
Virchow (R,), Anthropologie und prähistorische Forschungen, ■ Neumayer, Anleitung zum
wissenschaftlichen Beobachten auf Reisen. Berlin 1875. p. 571.
Thaulow (G.)., Rathschläge für anthropologische Untersuchungen auf Expeditionen der Marine.
Berlin (Wiegandt, Hempel & Parey). 1874. gr. 8. ('/s Thlr.), vgl. Z. f. Ethnologie. VI.
1874. p. 102.
Fritsch (G.), Praktische Gesichtspunkte für die Verwendung zweier dem Reisenden wichtigen
technischen Hülfsmittel: das Mikroskop und der photographische Apparat. — Neumayer,
Anleitung zum wissenschaftlichen Beobachten auf Reisen. Berlin 1875. p. 591.
Fox (B. Lane"), On the principles of Classification adopted in the arrangement of bis anthro-
pological collection, now exhibited in the Bethnal Green Museum. — Journ. of the Anthro-
polog. Institute. IV. 1874. p. 293.
Tubino, Mitologia comparada. — Revista de Antropologia. 1874. p. 204.
Kuhn (A.), Ueber Entwickelungsstufen der Mythenbildung. — Abh 11. d. Berlin. Ak. d Wiss.
1873 (1874).
Krause, Der Name des Gottes Baal in historischer und sprachgeschichtlicher Beziehung.
Progr. d. Gymnas. zu Gleiwitz. 1872/73.
Whitney (D. T.), Oriental and linguistic studies. Second series. The oast and west religion
and mythology. Orthography and phonology, Hindu astronomy. New-York. 1875. 12.
(12 s. 6 d.)
JocolHot (L.), Fetichisme, polytheisme, monotheisme. La genese de l'humanite. Paris.
1875. 360 S. 8. (6 fr.)
Die Verbreitung de.s Glaubens an Hexerei. — Globus. XXVI. 1874. p. 298.
Buckland (Mi.ss. A. W ), Mythological birds ethnologically considered. — Journ. of the
Anthropolog. Institute. IV. 1874. p. 277.
Schwartz (W.), Der (rothe) Sonnenphallos der Urzeit. Eine mythologisch-anthropologische
Untersuchung. — Z. f. Ethnologie. VI. 1874. p, l67. 407.
Lafitte (P.), Les grands types de l'humanite appreciation systematique des principaux agents
de l'evolution humaine. Vol. 1. Moise, Manon, Bouddha, Mahomet. Paris (Lereux) 1875.
8. (7 fr. 50 c.)
Liloratur für Anthropologie etc. im J. 1874. 177
Schnitze (Marl.), Moses und die ,Zehnwort"-Gosetze des Pentateiichs. Mythologisch-cultur-
historische Untersuchung. — Ausland. 1874. No. 49 u. 51.
Die Todten und der Volksglauben, — Ausland. 1874. No. 35.
Wurmbrandt (GraO, Andeutungen über die Chronologie praehistorischer Funde. — 5. Vers,
d. deutschen Ges. f. Anthropologie zu Dresden. 1874. p. 72.
Kanitz (F.), Die Denkmäler aus vorgeschichtlicher Zeit. — Globus. XXV. 1874. p. :502.
316. 328.
Oliver (S. P.), Non-historic stone relics of the Mediterranean — Journ. ot' the Anthropolog.
Institute. IV. 1874. p. 90.
üle (0.), Die Pfahlbauten und ihre Bewohner. — Die Natur. 1875. No. 1. ff.
Cazalis de Fondouce, Pierre taillee et pierre polie, lacune qui aurait existe entre ces deax
äges. — Revue d'anthropologie. 111. 1874. p. 613.
Schumacher (P.), Die Erzeugung der Steinwalfen. — Archiv f, Anthropologie. VII.
1875. p. 263.
Friedel, Ueber Gnidelsteine. - Z. f. Ethnologie. Verhdl. VI. 1874. p. 155. 200.
Virchow, Ueber moderne Steingeräthe und über die Wege der Broncecultur. — Z. f. Ethno-
logie. Verhdl. V. 1873. p. 166.
— , Ueber nordische bemalte Thongefässe und über die archäologische Bestimmung einiger
Epochen unserer Vorzeit. — Z. f. Ethnologie. Verhdl. VI. 1874. p. 110.
Lisch, Uebers Hausurnen. — Jahrb. d. Ver. f. mekleuburg. Gesch. XXXIX. 1874. p. 130.
Unger, Ueber den Ursprung der Kenntniss und Bearbeitung des Erzes. — Mitthl. aus d.
Göttinger anthropol. Ver. Hft. 1. 1874. p. 1.
Wibel, Ueber die chemische Analyse der Bronze. — 5. Vers. d. deutschen Ges. f. Anthropo-
logie zu Dresden. 1874. p. 68.
Buckland (A. W.), The serpent in primitive metallurgy. — Journ. of the Anthropolog.
Institute. IV. 1874. p. 61.
Dolberg, Beitrag zur Geschichte der Kesselwagen. - Jahrb. des Ver. f. meklenburg. Gesch.
XXXIX. 1874. p. 133.
Virchow, Ueber nordische Bronce- Wagen, Bronce Stiere und Bronce- Vögel. Nebst Bemer-
kungen von Friedel. — Z. f. Ethnologie. Verhdl. V. 1873. p. 198.
Rolle tt (H.), Hünengräber, Malhügel und Tumuli. Wiener Abendpost. 1874. No. 209.
Herscüe (F.), Zur Geschichte der ältesten Fahrzeuge, vornehmlich des Eiubaumes. Schluss.
— Anzeiger f. Schweizerische Alterthumskunde. 1874. p. 487.
— , Der Einbaum von Vingelz. — Ebds. p. 556. 561.
Heibig (W.), Eine uralte Gattung von Rasirmessern. - Im neuen Reich. 1875. 1. p. 14.
Zur Geschichte der Kämme. — Ausland. 1874. No. 50.
Manuhardt, Ueber Menschen- und Thieropi'er bei Neubauten. — Oorrespondenzbl. d. deutschen
Ges. f. Anthropologie. 1874. No. 5.
Brunnhofer (H.Ja Oulturgeschichtliches über Leichenverbrennung. — Globus. XXV. 1874.
p. 361.
Krause, Vom Tätowiren. — Mitthl. aus d. Göttinger anthropologischen Verein. Hft. 1.
1874. p. 46.
Giraud-Teulon (A.), Les origines de la famille. Questions sur les autecedents des societes
patriarcales. Geneve et Paris. 1874. 8. vgl. Revue anthropologique 1874. p. 734.
Ausland. 1875. No. 6.
Bastian (A.), Ueber die Eheverhältnisse. — Z. f. Ethnologie. VI. 187^. p. 380.
Post (A. H.), Die Geschlechtsgenossenschaft der Urzeit und die Entstehung der Ehe. Olden-
burg (Schulze). 1875. gr. 8. (3 M.)
Watson (H. W.), On the probality of the destinction of families. — Journ. of the Anthro-
polog. Institute. IV. 1874. p. 138.
d'Omalius d'HaUoy, Sur la question celtique. — Bullet, de la Soc. d'anthropologie de
Paris. 1874. p. 44.
Lagnean (G.), Sur la question celtique. — Ebds. 1874. q. 48.
Die Zigeuner. — Globus. XXV. 1874. p. 278.
j-jg Literatur für Anthropologie etc. im J, 1874.
Blätter für Kostümkunde. Historische und Volks-Trachten. 1. Hft. Berlin (Lipperheidej. 1874.
fol. (1V-- Thlr.)
Jäger (G ), Die moderne Gesellschaft. — Ausland. 1875. No. 1 f .
V. Düringsfeld (J.) und 0. Frhr. v. Reinsberg-Düringsfeld, Spruchwörter der germa-
nischen und romanischen Sprachen verjrleichend zusammengestellt. Bd. II Leipzig (Fries)
187Ö. Lex. 8. (22 M.)
Eiiropa.
Deutschland.
Die prähistorische Chartographie von Norddeutschland. — Z. f Ethnologie. Verhdl. 1874. p. 27.
Lindenschmit (L.), Die Alterthümcr unserer heidnischen Vorzeit, ü. Bd. 4. Hft. Mainz
(V. Zabern). 1874. gr. 4. (V« Thlr.)
Dahn (Fr.), Ueber die Germanen vor der sogenannten Völkerwanderung. — Im neuen Reich.
1875. I. p. 401.
Klopfleisch, Ueber Gräber der Steinzeit in Deutschland,. - 5. allgem. Vers, der deutschen
Ges. f. Anthropologie zu Dresden. 1874. p. 52,
Virchow, Ueber die Verbreitung brachycephaler Schädel in vorgeschichtlicher und geschicht-
licher Zeit in Deutschland. — 5. Vers, der deutschen Ges. f. Anthropologie zu Dresden
1874, p. 11.
Blind (K.), Germanische Feuerbestattung in Sage und Geschichte - Deutsche Warte. VlIL
1875. 2. Hft.
Angerstein (W.), Volkstänze im deutschen Mittelalter. 2. AuH, Berlin (Lüderitz, Samml.
gemeinverst. wiss. Vorträge). 1874. 8. (6 Sgr.)
Schramm-Macdonald (H.), Aus einer alten Handschrift, (über Rübezahl). — Ausland.
1874. No. 37.
Die ältesten deutschen Häuser. — Globus. XXVI. 1874. p. ;515.
Lohmeyer (K.), Preussen, Land und Volk, bis zur Ankunft des deutschen Ordens. —
Preuss. Jahrb. XXX. Hft. 3.
Die Masuren. — Petermann's Mitthl. 1874. p. 128.
Lissauer, Crania Prussica. Ein Beitrag zur Geschichte der preussischen Ostseeprovinzen. —
Z. f. Ethnologie. VI. 1874. p. 188.
— , Ueber Ausgrabungen in Westpreussen. - 5. Vers. d. deutschen Ges. f. Anthropologie
zu Dresden. 1874. p. 40.
Ein vorhistorischer Pflug aus einem Torfmoore bei Graudenz. - Correspondenzbl d. deutschen
Ges. f. Anthropologie zu Dresden. 1874. No. 8.
Lissauer, Ueber das Gräberfeld bei Münsterwalde gegenüber von Jlarienwerder. — Corres-
pondenzbl. d. deutschen Ges. f. Anthropologie. 1874. No. 6.
Kauffmann, Ueber eine im Herbste 1873 bei üliva in einer Steinkiste gefundene Urne. —
Ebds. 1874. No. 6.
Florkowski, Ausgrabungen in Kommerau im Schweizer Kreise. — Ebds. 1874. No. 9.
Zenkbeler, Ein Beitrag zu den Ausgrabungen in der Provinz Posen. Programm des Kgl.
(lymnas. zu Ostrowo. 1874.
Noack, Gräberfeld von Zarnikow bei Beigard (Pommern). Nebst Bemerkungen von Virchow.
— Z. f. Ethnologie. Verhdl. 1874. p (14.
Guttstadt, Ueber Ausgrabungen in Pomerellen. - Z. f. Ethnologie, Verhdl. VI. 1874. p. 140.
Voss, Ueber eine alte Ansiedelung bei Cammin (Pommern). — Z. f. Ethnologie. Verhdl. V.
1873. p. 129.
Geh rieh, Ueber den Schlcssberg bei Medewitz (Pommern). — Z. f, Ethnologie. Verhdl.
1874, p. 13.
V, Röder, Die Wallberge bei Reitwein bei Podolzig. — Z. f. Ethnologie. Verhdl, V.
1873. p. 161.
Kuchenbuch, Alterthümerfunde bei Platiko an der alten Oder, — Z. f, Ethrwlogie. Verhdl.
V. 1873. p. 156.
Literatur für Anthropdlut^ie etc. im J. 1874. 179
Virchow, Excursion nach Wildberp und Neu-Ruppin. ~ Z. i. Ethnologie. VerhdI. IV.
1874. p. 160.
Immisch, Die slavischen Ortsnamen in der südlichen Lausitz. Progr. d. Gymnas. zu Zittau.
1874. 4.
Geissler, Polygone Steine und Bronzeschwerdt von Brandenburg. — Z. f. Ethnologie.
Verhdl. VI. 1874. p. 128.
Grossmaiin und Voss, Zwei Urnenplätze bei Reinswalde und GöUchau in der Niederlausitz.
— Z. f. Ethnologie. Verhdl. 1874. p. Ü7.
Virchow, lieber die Dreigräben in Niedorschlesien. Nebst Bemerkung von Meitzen. — *
Z. f. Ethnologie. Verhdl. 1874. p. 15. 23.
Gherwe (H.), Ueber die Rostocker ßauerntracht und das Land Drenow. — Jahrb. d. Vor.
f. meklenb. Gesch. XXXIX. 1874. p. 97.
Virchow, Ein Torfschädel und zwei alte Knocheni)feifen aus Neu Brandenburg. — Z. f.
Ethnologie. Verhdl. V. 1873. p. 189.
Funde von Alterthümern aus der Eisenzeit in Meklenburg: Begräbnissplatz von Zarnekow.
Wendischer Wohnplatz von Raben-Steinfeld. Begräbnissplatz von Cremmin. Spindei-
steine von Schwerin und Nieder-Rövershagen. Wendischer Wohnplatz von Ilinter-WendorL
Burgwall Gotebant bei Mölln. — Jahrb. d. Ver. f. meklenburg. Gesch. XXXIX. 1874
p. 136 ff.
Brückner, Gräberfeld bei Bargensdorf (Meklenburg-Strelitz). — Z. f. Ethnologie. Verhdl.
VI. 1874. p, 128.
Krüger, Der Burgwall von Neu-Nieköhr. — Jahrb. d. Ver. f. meklenburg. Gesch. XXXIX.
1874. p. 161 unnd Nachtrag von Lisch p. 166.
Lisch, Der Tempelwaü von Wustrow auf Fischland. — Ebds. p. 168.
— , Wendenfeste bei Bützow. - Ebds. p. 169.
Rönnberg, Wendischer Burgwall von Pinnow. — Ebds. p. 170.
Lisch, Giessstätte von Ruthen. — Jahrb. d. Ver. f. meklenb. Gesch. XXXIX. 1874. p. 127.
Hünengrab bei Kronskamp. — Ebds. p. 115.
Wohnstätten der ersten Steinzeit bei Nenkloster. - Ebds. p. 116.
Moorfund von Redentin. — Ebds. p. 118.
Höhlenwohnung von Roggow. — Ebds. p. 118.
Höhlenwohnung von Schwerin. — Ebds. p. 119.
Kegelgräber von Neu-Zapel und Gädebehn. — Ebds. p. 123 f.
Gräber von Barendorf. — Ebds. p. 125.
Streitäxte von Blässen und Zippendorf. — Ebds. p. 121. 122.
Steinhammer von Zarentin. — Ebds. p. 121.
Feuersteindolch von Prützen. - Ebds. p. 122.
Bronzener Arbeitsmeissel von Zidderich. - Ebds. p. 126.
Die Burg und das Dorf Kussin, jetzt Neukloster. — Ebds p. 158.
Wibel, Ueber Ausgrabungen auf Hamburger Gebiet. — 5. Vers. d. deutschen Ges. f. Anthro-
pologie zu Dresden. 1874. p. 42.
Handelmann (H.), Vorgeschichtliche Steindenkmäler in Schleswig-Holstein. 3. Hft. Kiel
(V. Maack). 1874. gr. 4. (12 Sgr.)
Ein Römerschädel (?) in Holstein. — Correspondenzbl. d. deutschen Ges. f. Anthropologie.
1874. No. 10.
Ein in Holstein gefundenes merkwürdiges Bronceartefact. — Correspondenzbl. d. deutschen
Ges. f. Anthropologie. 1874. No. 10.
Handelmann (H.), Grab und Malhügel der Bronzezeit auf Sylt. - Correspondenzl>l. d. deut-
schen Ges. f. Anthropologie. 1874. No. 9. 10.
Kuhns, Ueber Gräber der Lüneburger Heide. Nebst Bemerkungen von Virchow. - Z. f.
Ethnologie. Verhdl. 1874. p. 33.
Leichenfeld aus vorchristlicher Zeit bei Bohlsen (Hannover). — Anzeiger für Kunde d. deut-
schen Vorzeit. 1873. p. 246.
Müller (J. IL), Ueber vorchristliche Alterthümer im Hannoverschen. — Z. d. hist. Ver. f.
Niedersachsen. 1872 (1873). p. 171.
\ii,Q Literatur für Anthropologie etc. im J. 1874.
V. StolzenberjT (R.^), Eine archäologische Lokalstudie. — Gaea. 1874.
V. I bering (U.), Das Reihengräberfeld zu Rosdorf bei Göttingen. — 5. Vers. d. deutschen
Ges. f. Anthropologie zu Dresden. 1874. p. '20.
Der Pfahldamm, die Moorbrücke im Wrissener Hammrich. — Jahrb. d. Ges. f bild. Kunst zu
Emden. Ilft. 2. 1873.
Hos.tmann (Chr.), Der Armeufriedhof bei Dar] au in der Provinz llannover. Braunschweig
(Vieweg u. S.). 1874. gr. 8. (7 Thlr.)
Victor (N.), Ueber die Graburnen der heidnischen Vorzeit, anknüpfend an Harkenroht's Be-
richt über die im J. 1720 bei Larrelt ausgegrabenen Urnen. — Jahrb. d. Ges. f. bildende
Kunst nnd vaterländ. Alterth. in Emden. Hft. 1. 1872.
V. Alten (Fr.), Mittheilungen über in friesischen Ländern des Herzogthums Oldenburg vor"
kommende Alterthümer vorchristlicher Zeit. 1. Die Kreisgruben in den Watten des
Herzogthums Oldenburg. 2. Ausgrabungen bei Haddien im Jeverland nebst einigen Nach-
richten über Aehnliches im Herzogthum Oldenburg. — Archiv f. Anthropologie. VU.
1875. p. 157.
Sasse (A.), Sur les cränes des Frisons. — Revue d'anthropologie. IIL 1874. p. 633,
Meier (Herm.), Aberglaube in Ostfriesland. — Globus. XX VL 1874 p. 151.
— , Zur ostfriesischen Neck- und Spottlust. — Ebds. XXVL 1874. p. 88. 107.
-, Das Kind und die Volksreime der Ostfriesen. Ebds. XXVL 1874. p. 266. 284, 311.
Snndermann, Ueber ältere Namen der friesischen Inseln., — Ausland. 1874. No. 50.
Schaaffha usen, Ueber Ausgrabungen in Westfalen. — 5. Versamml. d. deutschen Ges. f.
Anthropologie zu Dresden. 1874. p. 44.
Alter Aberglaube in Westfalen. — Globus. XXVL 1874. p. 14.
Fuhlrott, Führer zur Dechenhöhle. 2. Aufl. Iserlohn (Bädeker). 1874. gr. 16. 0/* Thlr.)
Nöggerath, Eine neu erschlossene Höhle in Westfalen. — Ausland. 1874. No. 15.
Lüttgert (G.), Das Varusschlachtfeld und Aliso. Progr. d. Gymnas. zu Lingen. 1873.
Müller, Aliso, die Römerfestung. Progr. d, Gymnas, zu Gross-Glogau. 1874. 4.
Spuren von Menschen und Mammuth in der Wildscheuer-Höhle im Lahnthale, — Corrcspon-
denzbl, d, deutschen Ges. f Anthropologie. 1874. No. 11
Hrewitt, Ueber ein Gräberfeld bei Saarn. — Z, f. Ethnologie Verhdl. 1874. p. 4.
Schneider, Localforschung über die alten Denkmäler des Kreises Düsseldorf. Progr. d.
Gymnas. zu Düsseldorf. 1874. 4.
Spee (J.), Volksthümliches vom Niederrhein. 1. Hft. Aus Leuth im Kreise Geldern. Cöln
(Roemke & Co.). 1875. 8. (30 Pf.)
Nostiz (Ch,), Der Kreis Siegen und seine Bewohner. Neuwied (Heuser). 1874. 8. (8 Sgr.)
Schmitz (J. P.), Ein altdeutsches Frühlingsfest. Culturgeschichtliche Studie. (Feier auf
dem Pulsberge in Trier). Programm des Gymnasiums zu Montabaur 1874. 4.
V. Cühausen, Ueber den Schlacken wall auf dem Limberg bei Saarlouis. — Z. f. Ethnologie.
Verhdl. V. 1873. p. 145.
Schuster, Ueber die frühesten Bewohner der sächsischen Lande vor ihrer Berührung mit
den Römern. — 5. Versamml. d. deutschen Ges. f. Anthropologie zu Dresden. 1875. p. 3.
Ueber ein zu Mühlberg (Reg.-Bez. Erfurt) aufgefundenes, in Stein verwandeltes menschlisches
Skelett. — Anzeiger f. Kunde d. deutschen Vorzeit. 1873. p. 337.
Die Hünensteine bei Derenburg. — Deutscher Reichsanzeiger u. K. Preuss. Staats-Anzeiger.
Beilage. No. 4. 1875.
Ganzhorn, Vorhistorische Funde bei lleilbronn. — Correspondenzbl. d. deutschen Ges. f.
Anthropologie. 1874. No. 8,
Lisch, Höhlenwohnungen in Thüringen. - Jahrb. d. Ver. f. mcklenburg. Gesch. XXXIX.
1874. p. 141.
Uexkiill (Baron A.), Gräberfelder am Rennsteig in Thüringen. — Z. f. Ethnologie. VL
1874. Verhdl. p. 174.
Klopfleisch (Fr.), Die Ausgrat)ungon zu Allstedt und Oldisleben. Forts. — Correspoodenzbl.
d. deutschen Ges. f. Anthropologie. 1874. No. 3. .') f. 8.
Virchow, Torf-Stirnbein eines Menschen aus der Gegend von Leipzig. Z. f. Ethnologie.
Verhdl. 1874. p. 42.
Literatur für Aiithropolofrie etc. im J. 1874. 181
Borne mann, Uober prähistorische Wohnplätze tiei Stregda. - Z. f. Ethnologie. Verhdl.
1874. p. 5.
— , Ueber Reste aus der Steinzeit in der Umgegend von Eisenach. — 5. allgem. Vers d.
deutschen Ges. i. Anthropologie zu Dresden. 1874. p. 46.
V. Cohausen, Rennthierhühio l)ei Steeten (Nassau). — Z. f. Ethnologie. Verhdl. VI 1874.
p. 173.
Sandberger, Eine Grab.stätte ans nierovingischer Zeit l)ei Wurzl)iir!.',. - Corresponden/.l.l.
d. deutschen Ues. i'. Anthropologie. 1874. No, 3.
Kollmann, Ein Grabfeld in Regensburg. - Gorrespondenzbl. d. deutschen Ges. f. Anthro-
pologie. 1874. No. 4.
V. Schonwerth (F. J.), Sprichwörter des Volkes der Oherpfalz in der Mumlart. - Verhdl.
d. bist. Ver. von Oberpfalz u. Regensburg. XXIX. 1874. p. 1.
Luib (K.), Ober.^chwaben, seine Sage, seine Geschichte rfnd seine Altertbümer. 1. Lief.
Die Kelten- und Römerzeit. Tübingen (Fues). 1874. gr. 8. (1 M. 40 Pf.)
Schelbert (J.). Das Landvolk des Aligäns in .seinem Thuu und Treiben dargestellt. Kempten
(Feuerlein). 1874. gr. 16. ('/s Thlr.)
Maier (J.), Eine vorhistorische Niederlassung am Hohenhöven im Höhgau. — Correspon-
denzbl. d. deutschen Ges. f. Anthropologie. 1874. No. 11.
Birlinger (A.), Volksthümliches aus der Baar. - Alemannia. 11. 1874. p. 119.
— Schwarzvsaldsagen. - Ebds. IL 1874. p. 146.
— , Sittenge.'ichichtliches aus Elsass-Lothringen. — Ebds. II. 1874. p. 139.
Ko 11 mann (J.), Altgermanische Gräber in der Umgebung des Starnberger Sees. — Sitzungs-
ber. d. Bayer. Ak. d. Wiss. Math. phys. Ol. 1873. p, 295. vgl. Ausland. 1874 No. 19 f.
üirlinger (A.), Aus Schwaben: Sagen, Legenden, Aberglauben, Sitten, Rechtsgebräuche,
Ortsneckereien, Lieder, Kinderreime. Neue Sammig. 2. Bd. Wiesbaden (Killinger). 1874.
gr. 8. (3 Thlr.)
Oesterreich-Ungarn.
Laube, Ueber Spuren alter Siedelungen in Böhmen. - 5. allgem. Vers. d. deutschen Ges.
f. Anthropologie zu Dresden. 1874. p. 50,
Liedermann (J.), Prähistorische Ansiedelungen im Nikolsburger Bezirk. - Mitthl d. anthro
pol. Ges. in Wien. III No. 5. 6. 1873.
Woldan (H.), Die Slovaken im .südlichen Mähren. — Aus allen Welttheilen. V. 1874. p. 321.
Wankel (H.), Eine Opferstätte bei Raigern in Mähren. — Mitthl. d. anthropol. Ges. in Wien.
HL 1873. No. 3. 4.
Luschan (F.), Die Funde von Briix. — Mitthl. d. anthropul. Ges. in Wien. III. 1873. No. 2.
Wo Ulrich (J.), Geologischer Bericht über die Brüxer Schädel und über weitere Funde der
ßrüxer Gegend. - Mitthl. d. authropolog. Ges. in Wien. III. No. 3. 4. 1873.
— , Eine Opferstätte bei Puikau in Niederosterreich. — Mitthl. d. anthiopolog. Ges. in Wien.
IIL 1873. No. 1.
Virchow, Menschliche Schädel aus Krakauer Höhlen. - Z. f. Ethnologie. Verhdl. V.
• 1873. p. 193.
Lotz (A.), Gerde'ina und die Romannschen Tirols. — Aus allen Welttheilen.. V. 1874.
p. 270. 295.
Albers (J. H.), Ein Runenstein in Tyrol. - Globus. XXVI. 1874. p. 359.
Reichel (R), Kleine Beiträge zur Keuntniss des Volksglaubens und Brauches in der wen-
dischen Steiermark. — Mitthl. d. bist. Ver. f. Steiermark, llft. XX. 1873.
Waizcr (R.;, Bilder aus dem kärntner Volksglauben. - Wiener Abeudpost. (Beil. zur Wiener
Ztg.). 1874. No. 206.
Obermüller (W.), Sind ilie Ungarn Finnen oder Wogulen? Berlin (Denicke). 1874. S.
(12 Sgr.)
llalevy (.1.), Sur la religion des Magyars avaut leur arrivee eu Kurope. — Revue de philo-
logie. 1. 1874.
182 Literatur für Anthropologie etc. im J. 1874.
Die avarischen Alterthümer Ungarns. — Ausland. 1874. No. 33,
Die Siebenbürger Sachsen. — Ausland. 1874. No. 27.
V. Vincenti (C), Rumänische Volksfeste in Siebenbürgen. - Wiener Ahendpost. 1874.
No. 169—74.
Obermüller (W.), Die Zips und die alten Gepiden. Berlin (Denicke). 1874. 8. .(3 Sgr.)
Wanderungen im Buveulande. — Europa. 1874. No. 43.
Les Serbes de Hongrie, leur histoire, leurs Privileges, leur eglise, leur etat politique et social.
2. partie. Prag (Gregr & Daltel). 1874. gr. 8. (2-/3 Thlr.)
Sasinek (F. V.), Die Slowaken. Eine ethnographische Skizze. Prag (Gvegr & Daltel). 1875.
gr. 8. (40 Pf.)
Vilovski (J. S.), üeber Ursprung und Bedeutung des nationalen Namens Serben und Kroa-
teu. - Ausland. 1874. No. 22.
Bogisie (B.j, Zbornik sadaSnjh pravnih obioajan juznih slovena. (Sammlung der bei den
Südslaven noch bestehenden Rechtsgewohnheiten). Bd. I. Agram. 1874. vgl. Ausland.
1874. No. 50 f.
Klun, Das Gewohnheitsrecht der Südslaven. — Ausland. 1875. No. 51.
Die Serben an der Adria. Ihre Typen und Trachten. 7. Lief. Leipzig (Brockbaus). 1874.
Fol. (2 Thlr.)
Schweiz.
Ohermüller (W.), Die Alpen-Völker. Wien (Winter). 1874. 8. (IG Sgr.)
Pol Nicard, Carte archeologique du Dr. Keller (Suisse Orientale). — Revue archeolog.
XXVIL 1874. p. 223.
Dorr (H.), Notiz über drei Schädel aus den Schweizerischen Pfahlbauten. Bern (Haller, in
Comm.). 1873. 4.
Fraas, Ueber die beiden in der Nähe von Schaffhauseu neu entdeckten Knochenhohlen. —
Correspondenzbl. d. deutschen Ges. f. Anthropologie. 1874. No. 3.
Müller (K.), Der vorgeschichtliche Mensch im SchaHhauser Jura. — Die Natur. 1874. No. 41.
Hermes, Ueber die Renthievholile im Freudenthal bei Schaffhausen. — Z. f. Ethnologie.
Verhdl. VL 1874. p. 259.
Aeby (Chr.), Ein merkwürdiger Fund (Schädel gefunden in den Pfahlbauten des Bieler Sees)
— Correspondenzbl. d. deutschen Ges. f. Anthropologie. 1874. No. 11.
Karsten (H.), Studie der Urgeschichte des Menschen in einer Höhle des Schaft'hauser Jura. —
Mitthl. d. antiquar. Ges. in Zürich. Bd. XVHL Uft. 6.
V. Mau dach, Bericht über eine im April 1874 im Dachsenbüel bei Schaflfhausen untersuchte
Grabhöhle. — Ebds. Bd. XVIIL Hft. 7.
Messikommer (J.), Die Nachgrabungen auf den Pfahlbauten Robenhausen und Niederweil
im J. 1873. — Anzeiger f. Schweizerische Alterthumskunde. 1874. p. 495.
Mezger, Alamannische Gräber bei Neuhausen, unweit Schalfhausen. Ebds. p. 499.
Studer (Th.), Ueber die Thierreste der Pfahlbaustationen Lüscherz und Moeringen. — Ebds.
p. 507.
l]nl)ekanntes Geräthe aus dem Pfahlbau von liüscherz — Ebds. p. 511.
Quiquirez (A.), Les cavernes du Jura bernois. — Ebds. p, 512.
— , Caverne ä ossements du moulin de Liesi)erg. — Ebds, p. 527.
Mabille (E.), Fouilles dans les rochers des environs de Baulmes, canton de Vaud. —
Ebds. p. 529.
Zeller (H.), Die gallische Begräbnissstätte auf dem Uetliberge. — Ebds. p 535.
Höhleiifunde im Schweizer Jura. — GorrespondenzI)!. d. deutschen Ges. f. AMthroi)ologie.
1874. No. 10.
Schmid (E.), Altes Erdwerk bei Janzenhaus (Kanton Bern). — Anzeiger f. Schweizerische
Alterthumskunde. 1874. p. 501.
Grangier (L.), Tumulus de Montsalvins, canton ile Kril)üurf.). — Ebds. p 5(12.
Natsch, Stcindenkmal im Weis.>-taiinenllial (Kanton St. (Inllon). - Kbds. p. 552.
Literatur für Anthroijolotfie etc. im .1. 1874. 183
Bachmann, Schalensteine bei Biei. — Anzeiger f. Schweizer. Alterthumsk. 1874. p. 554.
Dcsor (E.), Ia' hei k^e du bronze lacustre eu Sui.sse. Des.sins par L. Favre. Neuchatel
(Sandoz). 1874. gr. Fol. (20 M.)
n hl mann, Einiges über Pflanzenreste aus der Plahlbaustation Möhringen am Bielersee.
(Bronzezeit). - Anzeiger f. Schweizerische Alterthumskunde. 1874. p. 532.
Messikommer (J.), Pfahlbauten Robenhausen. — Ausland. 1875. No. 10.
Gosse, La Station pn^iistoriquo de Veyrier et Tage du renne en Suisse. — Association
fran^jaise poiir Tavancenient des sciences. Conipte rendue de la 2" .se.ssion. Lyon 1873.
p. 674.
Qui<iuerez (A.), Encore rhomme de l'epoque ijuaternaire ä Bellerive. — Anzeiger f. Schwei-
zerische Alterthumskunde. 1874. p. 551.
Volksthümliches aus Graubiinden. 1. Thl. Chur (Gsell). 1874. gr. 8. (73 Thlr.)
Frankreich. Belgien. Die Niederlande.
Freund (L.), Cultus und Recht. Eine historische Skizze aus Frankreichs Vergangenheit.; —
Ausland. 1874. No. 39.
Monnier (D.), et Vingsrinier, Croyances et traditions populaires recuiliies dans la
Franche-Comte, le Lyonnais, la Bresse et le Bugey. 2. edit. Basel (Georg). 1874.
gr. 8. (23/3 Thlr.)
Lagneau (G.), Ethnogenie des populations du nord de la France. — Revue d'anthropologie
III, 1874. p. 577.
Mut hie u (F. P.), L'Auvergue ante-historique. Glermont-Ferrand. 187.'). 95 S. 8.
Joseph, Grottes de Baye. Pointes de fleches a silex ä tranchant transversal. — Revue
archeol. XXVII. 1874. p. 401.
Mignard, Archeologie bourguigonne. Alise, Vercingetorix et Cesar. Paris 1874. 62 S. 8.
Carret (J.), Explorations a la grotte de Challes. — Mem. de la Soc. savoisienne d'histoive
et d'archeologie. T. XIV.
Chantre (E.), Fonderies ou cachettes de Tage de bronze dans la Gote-d'Or et la Savoie. —
Materiaux pour l'hist de rhomme. 2«" Ser. IV. p. 52.
Bnnnafoux (J. F.), Fontaines celtiques consacrees par la religion chretienne, source* mer-
veilleuses, coutumes superstitieuses et legendes diverses, recueillies ponr la plupart dans
le departement de la Creuse. Paris (Gueret). 1874. 43 S. 4.
Indes, Les mouuments prehistoriques dans les environs de Dreux. Chartres. 1874. 24 S. 12.
Harreaux, Excavations prehistoriques dans le departement d'Eure-et-Loir. — Bullet, de la
Soc. archeol. d'Eure-et-Loir. 1874.
Chauvet (G.), Snr la grotte de la Gelie (Chareute). - Association fran(.'ai.se pour Tavance-
nient d. sciences. Compte rendu de la 2'' sessiou. Lyon. 1873. p. 571.
Par rot (J.), Nouvelle note sur la grotte de legli.se a Excideuil (Dordogne). — Revue d'anthro-
pologie. III. 1874. p. 95.
Munier (A.), Decouvertes prehistoriques dans la chaine de montagnes de la Gardeole (Herault).
- Academ. d sciences de Montpellier. VIII. p. 341.
Daleau (F.) et J. B. Gassies, Notice sur la Station de .lolias, commune de Marcamps
(Gironde). — Revue d'anthropologie. III. 1874. p. 470.
Piette, Sur la grotte de Lortet. — Bull, de la Soc. d'anthropologie de Paris. 1873. p. 903.
Prunieres (de Murvejols), Sur les objets de bronze, ambre, verre etc., meles aux silex, et
sur les races humaiues dout on trouve les debris dans les dolmens de la Lozere. —
Association franyalse pour l'avancement d. sciences. Compte rendu de la 2-^ session,
Lyon. p. 683.
Fouquet (A.), Guides des tourists et des archeologues dans lo Morluhan. Nouv. edit.
Vannes. 1874. 204 S. 18.
de Closniadeuc, Sculptures iapidaires et signes graves des dolmens dans le Morbihan.
Vannes, 1874. 80 S. 8.
de Caix de Sain t - A y m o u r, Etudes snr quelques monunieuts megalithiqnes de la vallee
de roise. — Revue d'anthropologie III. 1871. p. 478. G54.
184 Literatur für Anthropologie etc. im J. 1874.
Ein interessanter paläontologischer Fund bei Paris. — Ausland. 1874. No. 21.
Topi naud (P.), Cimetiere boiirgonde de Ramasse. — Association francaise pour Tavancement
d. sciences. Compte rendu de la 2^ session. Lyon. 1873. p. 600.
— , Presentation d'objets provenant du cimetiere bourgonde de Raiuasse (Ain). — Bull, de la
Soc. d'authropologie de Paris. 1873. p. 684.
Chantre (E.), Carte archeologique d'une paitie du bassin du Rhone pour les temps pre-
historiques. — Association francaise pour Pavancement d. sciences. Compte rendu de la
26 Session, Lyon 1873. p. 675.
Platel de Ganges, Note sur les monuments de la lande du Rocher. Yanne. 1873. 8 S. 8,
Lagneau (C), Recherches ethnologiques sur les populations du bassin de la Saone et des
autres afliuents du cours moyen du Rhone. - Association francaise pour l'avancement
des sciences. Compte rendu de la 2^ session. Lyon. 1873. p. 571.
Jeannin et Berthier, Nouvelles stations prehistoriques de Saone-et-Loire. — Association
francaise pour l'avancement d. sciences. Compte rendu de la 2^ session, Lyon 1873. p. 609.
Lapie (Vicomte), Les grottes de Savigny (Savoie). — Materiaux pour l'hist. de Phomme
2e ser. IV. p. 157.
Rabut (L.), Histoire des habitations lacustres de la Savoie. Les Fondeurs de bronze. ■
Sabaudia. 1873. p. 278.
Sur les cranes de Solutre. - Association franc^aise pour l'avancement d. .sciences. Compte
rendu de la 2« session, Lyon 1873. p. 651.
Toussaint (H.), Le cheval dans la Station prehistorique de Solutre. — Recueil de medecine
veteriuaire. 1874. Mai ff. vgl. Association fran(,'aise povir l'avancement d. sciences. Compte
rendu de la 2^ session, Lyon. p. 586.
Sanson (A.), Le cheval de Solutre. — Revue archeol. XXVIII. 1874. p. 288.
Pietrement (C. A.), Le cheval de Solutre. Note additioneile. — Ebds. p. 353.
Ducrost, Sur la Station prehistorique de Solutre. — Association fran(jaise pour l'avancempnt
d. sciences. Compte rendu de la 2« session, Lyon. 1873. p. 632.
Parrot (J.), Note sur quelques habitations de l'homme quaternaire des bords de la Vezere. —
Bull, de la Soc. d'authropologie de Paris. 1874. p. 38.
Van Raemdonck (J.), Cimetiere Celto-ou üermano-Belge a Saint-Gilles. — Annales du
cercle archeol. du Pays de Waas. T. V. Livr. l. 1873.
V, Reinsberg-Düringsfeld (0.), Volksgebräuche in den Kempen (Brabant). — Ausland.
1874. No. 24 f.
Die Stadt Brügge. Der vlamisch-französische Sprachenkampf' in BelLfien. — Aus allen Welt-
theilen. V. 1874. p. 193.
Das Niederdeutsche in Frauzösisch-Flandern. - Globus. XXVI. 1874. p. 10.
Aus dem flämischen Belgien. — Globus. XXVI, 1874. p. 138.
lieber NiederländiscbRothwäLsch. — Ausland. 1875. No. 2.
Grossbritannien und Irland.
Culturbilder aus Altengland. - Ausland. 1874. No. 32.
Das Vorkommen des Damhirsches während der Pleistdcän-Zoil in England. — Ausland.
1875. No. 8.
Discovery of ancient stone mining tools at Alderley Edgo. — Tlic Academy. 1875. p. 301.
Oliver (S. P,), Dolmen-mounds of the Boyne. New Grango and Dowth. — Athenaouin.
1875. No. 2474.
Malet (IT, P.), Boue-Caves. — Geograph. Magazine. 1874. No. 3. p. 94.
Clark (G. T.), Pkrthworks in Brecknockshire. — The Archaeological Journal. XXX. 1873.
p. 264.
Lach-Szyrma (W. S.), The luimoral.s in old Coniish. - The Academy. 1875. p. 207.
Borlase (W. C), Vestigos of carly lial)italion in (^ornwall. — The Arch:i(>(iiogic;il Jourii:i|.
XXX. 1873. p. 325.
Penningtoii (Rooke), Gn the relative ages of crematioii and coiitractcd linrial in Devbyshire.
— Journ. o! the Anthro|)olog. Institute, IV. 1874. p. 265.
Literatur für Anthropologie etc. im J. 1874. 185
Kerslake (Th.), The Celt in the Teuton in Exeter. — The Archaeological Journal. XXX.
1873. p. 2i.
Hughes (T Mck.), Exploration of Cavetta, near Giggleswick, Yorkshire. - Journ. of the
Anthropolog. Instit. III. No. 3. 1874. p. 383.
Virchow, Ueber das Iluller Muschelgrab. - Z. f. Ethnologie. Veihdl. V. 1873. p. 129.
Rarnwall, The Rhosnesney bronze implements. — Archaeologia Cambrensis 1875. p. 70.
On sonie Radnorshire bronze implements. — Archaeologia Cambrensis. 1875. p. 17.
Barn wall (E. L ), Penibrokshire Cliff-Castles. - Archaeologia Cambrensis. 1875. p. 74.
Hughes and D. R. Thomas, On the occurence ol' felstone implements of the Le Moustier
type in Pontnewydd Cave, near Cefn, St. Asaph. — Jouru. of the Anthropolog. Instit.
III. 1874. p. 387.
Moated mounds. — Archaeologia Cambrensis. 1875. p. 63.
Gregor (W.), The healing art in the north of Scotland in the olden time. - Journ. of the
Anthropolog. Instit. III. 1874. p. 266.
Busk, On a human fibula of unusual form discovered in Victoria Cave, Yovkshire. — Journ.
of the Anthropolog. Instit. III. 1874. p. 392.
Wilde (W. R.), Ueber die Bevölkerung Irlands. — Globus. XXVI. 1374. p. 233.
Holden (J. S.), A peculiar neolithic implement frum Artrim. — Journ. ol the Anthropolog.
Institute. IV. 1874 p lü.
Friedel (E.), Ueber einen durchbohrten Steinmeissel im Dorfe Clondalkin, 1»/^ Meilen von
Dublin gefunden. Correspondenzbl d. deutschen Ges. f. Anthropologie. 1874. >io. 10.
Way (A.), Notes on an ünique Implement of Flint, found, as stated, in the Isle of Wight. —
The Anthropological Journal. XXX. 1873. p. 28,
Marshall (W.), On skuUs from the peat of the isle of Ely. — Jouru. of the Anthropolog.
Instit. III. 1874, p. 497.
Co.wie (R), Shetland, descriptive and historical; being a graduation thesis on the inhabitants
of the Shetland Islands, and a topographical description of that couiitry. Edinburgh (Menzies)
1874, 340 S. 12. (4 s. 6 d.)
Scandinavien.
Dyrlund (F.), Tatere og Natmaudsfolk i Danmark. K^ibenhaven. 1872. 8.
Eiio-eihardt, Ueber einen Gräberfund von Rin^sted auf Seeland. — Z. f. Ethnologie.
Verhdl. V. 1873. p. 145.
Kjükkenmödding von Sölager. — Jahrb. d. Ver. f. mekleuburg. Gesch. XXXIX, 1874. p. 143.
Vedel (E), Tillaeg til den aeldre Jernalders Begravelser paa Bornholm. — Aaarbüger for
Nordisk Olkyndighet og historie. 1872.
Worsaae ;.J. J. A.), Russlands og det skandinaviske Nordens Bebyggalse og aeldste Kultur-
forhold. Bidrag til sammenlignende forhistorisk Archaeologie. — Ebds. 1873,
Vedel (E.), Recherches sur le.s restes du premier age de fer dans l'ile de Bornholm. —
Mem. de la Soc. roy, des Antiquaires du Nord, Nouv. Ser. 1872.
Engelhardt (C), Statuettes romaiues et autres objets d'artdu premier äge de fer, — Ebds. 1873.
Montelius (0,), La Suede prehistorique, Trad. par J, H, Kramer. Stockholm. 1874. 30 S. 8.
Hildebrand (H.), Ueber prähistorische Menschenopfer und Kannibalismus in Schweden. —
Z. f. Ethnologie. Verhdl. 1874. p. 73.
— , Ueber schwedische Felsenzeichnungen und Broncezeit. — Ebds. 1874. p, 92,
Die Ausgrabungen auf der Mälarinsel Björkö. — Correspondenzbl. d. deutschen Ges. f. Anthro-
pologie, 1874. No. 4,
V. Nordenskjüld (C), Ueber die FeLsenzeichnungen Ostgothlands. — Z. f. Ethnologie,
Verhdl. V. 1873. p. 196,
Zur Keramik der germanischen älteren Eisenzeit. (Fensterurnen gefunden in Norwegen.) —
Correspondenzbl. d. deutschen Ges. f. Anthropologie. 1874. No, 3. Bemerkungen dazu
von Lisch. Ebds. No. 6.
Scha affhausen, Ueber die frühere Verbreitung der Lappen. — 5. allgeni. Vers. d. deutschen
Ges. f. Anthropologie zu Dresden. 1874. p. 61.
Zeitschrift für Gtbuologie, Jahrgang 1S75. 13
186 Literatur für AiitLropologie etc. im J. 1874.
Virchow, üeber die Geschichte der Lappenfrage. — Ebds. p. 61. 65.
Schaaffhausen, lieber die Lappeiifra^e und die Schädeluntersuchung;. — Ebds. p. C4.
Brauns (D.), Eine Wanderung- im südwestlichen Norwegen. — Globus XXVI. 1874.
p. 264. 279. 296.
Die Landstreicherhorden in Norwegen. - Globus. XXVL 1874. p. 135.
Die Tatern in Noi wegen. — Globus. XXVI. 1874. p 184. 202.
Lisch, Römische Alterthümer im nördlichen Norwegen. — Jahrb. d Ver. f. ineklenburg.
Gesch. XXXIX. 1874. p. 139.
Das europäische Russland.
Daschkow, Verzeichniss von anthropologischen und ethnographischen Aufsätzen über Russ-
land und die angrenzenden Staaten. 2. Buch. Moscau 1873 8. (russisch).
Guthrie (Mrs ), Through Russia, from St. Petersburg to Astrakhan and the Criniea. 2 vols
London (Hurst (fe B.;. 1874. 600 S. 8. (21 s.)
Süd-Russland und die türkischen Donauländer in Reiseschilderungen von L. Oliphant, S. Brooks,
P. O'Brien und W. W. Smyth. 3. Aufl. Leipzig (Senf). 1874. gr. 8. (^u Thlr.)
V. Leubifing, (Th.). Aus dem Zarenreiche. Ausland. 1875. No. Ulf.
Die slawischen Urzustände. — Ausland. 1874. No. 38 f
de Rialle (G.), Sur les cränes russes oft'erts par M. de Khanikoff. Bullet de la Soc.
d'anthropol. de Paris. 1874. p. 12.
Die russischen Todteuklagen. — Ausland. 1874. No. 12.
Land und Leute in Russisch-Lithauen. Im neuen Reich. 1874. II. p, 441.
Büttner, Das lettische Volkslied. - Baltische Monatsschrift. 1874. p. 545.
Lehmann (Ed ), Bericht über die Gräberaufdeckungen bei Stirnian im Herbst 1872. —
Verhdl. d. gelehrten Estnischen Ges. zu Dorpat. Bd. XVII. 1873.
Ueber eine in Livland entdeckte Runeninschrift. — Ebds.
Die Jung-Letteu in Livland. — Globus. XXV. 1874. p. 271.
Virchow, Messungen estnischer Schädel. - Z. f. Ethnologie. Verhdl. V. 1873. p. 163.
Sievers (CG. Graf), Ueber Feuersteingeräthe vom Ufer des Burtneck-See's in Livland. —
Z. f. Ethnologie. Verhdl. VI. 1874. p. 182.
de Boguschefsk y, Note on heathen ceremonies still practised in Livonia. — Journ. of the
Anthropolog. Instit. III. 1874. p. 275.
Zur Geschichte Finnlands. — Ausland. 1874. No. 34.
Topelius (Z.), Eine Reise in Finland. Nach Originalgemäliien von A. v Becker, A. Edel-
felt, R. W. Ekman etc. Leipzig (Weigel). 1874. gr. 4. (geb. m. Goldschn. 12 ThlrJ)
Die Messe zu Nishnij-Nowgorod. — Russische Revue. IV- 1884. Hft. 1.
l'oljakow (J. S.), Physisch-geographische und ethnographische Untersuchungen im Gouver-
nement Olonez. — Iswestija d. Kais Kuss. Geogr. Ges. Bd. IX. Hft. 6.
V. Wald (A.), Kasan und die Kasanschen Tataren. Aus allen Welttheilen. V. 1874.
p. 131.
Koch (K.), Die Krim und Odessa. Reiseerinnerungen. 3. AuH. Leipzig (Senf). 1874.
gr. 8. (Vg Thlr.)
Koppen (W.), Streifzüge in der Krim. — Russische Revue. 1874.
Die Krim'schen Zigeuner. — Ausland. 1875. No. 14.
Blau (0.), Ueber die griechisch-türkische Mischbevölkerung um Mariupol. — Z. d. deutsch-
morgenländ. Ges. XXVIII. 1874. p. 576.
Petzet (C), Nationalitäten und Kirche im östlichen Congresspolen. - Globus.. XXV.
1874. p. 266.
Spanien.
Rose (H. J.), Untrodden S|)ain, an<l her bhuk conntry; being sketches of the lue and cha-
racters of the öpaniards of ihe interior. London (Tinsley). 1875. 750 S. 8. (30 s.)
Literatur für Anthropologie etc. im J. 1874. 187
Thieblin, (N. L.), Spain aiul tlie Spaniards. 2 vols. London (Hurst & B.). 1874. 646 S.
8. (21 s.)
Davillier (Baron ('.), Viaggio in Lspnna. M. MOO Aljl)ildg. von Dore, Milano. 1874.
624 S. 4.
Ohermüller (W.), Die Fueros der Basiien und die Entstehung dieser Vöilier. Berlin (Denicke).
1874. 8. (;i Sgr.)
Die Basken. — Aus allen Weltheilen. V. 1874. p. 147.
Italien.
An der ligurischen Riviera di Ponente. — Globus. XXVL 1874. p, 321 ;}37. 353.
Pigorini (L.), Objets prehistoriques des Liguriens Veleiates. — Revue archeol. XXVIIL
1874. p. 296.
Neue Forschungen über die Etrusker. — Ausland. 1874. No. 29.
Broca (P.), Ethnogenie italienne. Les Ombres et les Etrusques — Revue d'authropologie.
in. 1874. p. 288.
Fabretti (A.), Ueber die Lebensdauer der alten Etrusker. — Moleschott, Untersuchungen
zur Naturlehre d. Menschen etc. XL lift. 4. 1874. p. 390.
Clonestabile (G ), De l'inhumation et de l'incineration chez les Etrusques. — Revue
archeolog. XVIIL 1874 p. 253. 320.
Pigorini (L.), Sepolcro dell' epoca della pietra in Castelguelfo. — Gazetta di Parma.
1874. 11. März.
— , Tombe preromane in Casaltone. — Ebds. 1874. 25. April.
— , Scoperte archeologiche della provincia di Parma. — Ebds. 1873. 3. u. 21. October.
Bellucci (G.), Paleoetnologia dell' Umbria. Territorio di Norcia. — Archivio dell" antropol.
e la etnolog. IV. Fase. 1.
Zennoni (A.), Scavi Benacci, seguite di quelli della Certosa e d'Arnouldi. — Monitore di
Bologna. 1874. 13. Januar; 8. Febr.
Bertrand (A.), Les sepultures ä incineration de Poggio Renzo. Note additioneile. — Revue
archeol. XXVIIL 1874. p. 155. 209.
Heibig (W.), Das Palio in Siena, — Im neuer. Reich. 1874. IL p. 384.
Nardoni (L.) e E. de Rossi, Di alcuni oggetti di epoca arcaica rivenuti nel' interno
di Roma. — II Bnonarotti. 2^ Ser. IX. 1874. März.
Naples en 1873. Son climat, sa population, ses usages, ses rues, ses halles, ses marchees,
ses abbattoires Paris (impr. P Dupont). 1874. 73 S. 8.
Gregorovius (F.), Wanderjahre in Italien. Bd. 111. Siciliana. 4. AuÜ. Leipzig
(Brockhaus). 1875. 8. (5 M. 40 Pf.)
Morselli (H ), Quelques observations sur les cränes siciliens du musee de Modene et sur
l'ethnographie de la Sicile. - Archivio dell" antropologia e la etnologin. III. Livr. 3. 4.
Heioch (G.), Sulla popolazione dell' antica Sicilia. — Kivista di filologia. II. 1874. p. 545.
V. Düringsfeld (Ida), Zaubersprüche auf Sicilien. — Ausland. 1875. No 3.
Die europäische Türkei.
Isambert (G ), Itineiaire descriptive, historique et archeologique de l'Orient. Ir«- partie:
Grece et Turquie d'Europe. Paris (Hachette). 1873. 1171 S. 18. (22 fr.)
Rock Stroh (E.), Ueber das Reisen in der europäischen Türkei. — Aus allen Welttheileu
V. 1874. p. 120. 282. 313.
Die rumänische Sprache. Globus. XXVI. 1874. p 335.
Lejean (G.), Voyage eu Bulgarie, 1867. — Le Tour du Monde. XXVI 2'np semestre de
1873. p 113. vgl. Globus. XXV. 1874. p. 257. 273.
Aus den südslavischen Ländern. — Globus. XXVI. 1874. p. 157.
Herrn v. Kanit/,' Forschungen in Bulgarien. — Ausland. 1875. No. 1.
Kanitz (F.), Brauch und Sitten der Finno Bulgaren. — Ausland. 1875. No. 6.
13'
Igg Literatur für Anthropologie etc. im J. 1874.
Moenrs et coutumes domestiques des Bulgares de Tatar-Bazardijk et des environs. — L'ünivers.
Revue Orientale. 1875. p. 250.
Kanitz (F.), Tirnovo, die altbulgarische Carenstadt. - Ausland. 1874. No. 29.
Berg au (R.), Südslavische Ornamente. — Im neuen Reich. 1874, 11. p. 298.
Kanitz (F.), Zum moslemischen Quellencultus an der Panega in Bulgarien. — Globus.
XXV. 1874. p. 255.
Rockstroh (E), Bericht über eine Reise von Samakof nach Menlik. — XI. Jahresber. d.
Ver. f. Erdkunde, zu Dresden. 1874. p. 35.
Das Fürstenthum Montenegro. - Globus. XXVI. 1874. p. 12. 41.
Bogisic (B.), Die slavisirteu Zigeuner in Montenegro. — Ausland. 1874. No. 2l.
Vambery, Schilderungen aus Konstantinopel. — Globus. XXVI. 1874. p. 73.
Trojansky, Die Bevölkerung von Thessalien und Epirus. — Iswestija d. Kais. Russ. Geogr,
Ges. IX. Hft. 8.
Melena (Elpis), Bilder aus Kreta. - Unsere Zeit. N. F. X. 1. 1874. p. 338. X. 2.
p. 42. 464. 782.
Notes of a tour in the Gyclades and Crete. — The Academy. 1875. p. 295.
Asien.
Howorth (H. H.), The westerly drifting of Nomades. Forts. X. The Alans or Lesghs. XI.
The Bulgarians. XII. The Huns. — Journ. of the Anthropolog. Instit. III. 1874.
p. 145. 277. 452.
Koskinen (Yrjü), Sur l'origine des Huns. — Revue de philologie. I. 1874.
de Ujfalvy (Ch. L.), Etüde comparee des langues ougro-finnoise. — Revue de philologie.
I. 1874.
Myers (P. V. N. A. M.), Remains of lost empires e sketches of the ruins of Palmyra, Ni-
neveh, Babylon, and Persepolis, with notes on ludia and the Cashmerian Himalayas.
Illustrations. New York 1875. (18 s.)
Garre (L.), L'ancien Orient. — Etudes historiques, religieuses et philosophiques sur l'Egypte,
rinde, la Perse, la Chaldee et la Palestinc T. I. Egypte — China. T. II. Inde — Perse —
Chaldee. Paris 1874. XVI. 1016 S. E (12 fr.)
Duret (Th.), Voyage en Asie. Le Japon. La Chine. La Mongolie. Java. Ceylon. L'Inde.
Paris (Levy) 1874. 374. S. 18. (3)^ fr.)
Vambery (H.), Der Islam im 19. Jahrhundert. Leipzig (Brockhaus) 1875. gr. 8. (6 M.)
Eine neue Darstellung des Buddhismus. — Ausland 1874. N. 23.
Ha ring (G. H.), üeber den Buddhismus. — 1. Jahresbericht der geogr. Ges. in Hamburg
1874. p. 24.
Wes termeyer, Die Abstammung der Semiten. — Natur und Offenbarung. XX. Hft. 8 ff.
V. Kremer (A.), Semitische Culturentlehnungen aus dem Pflanzen- und Thieneiche. — Aus-
land. 1875. No. 1. f}'.
Spiegel (Fr.), Ueber den geographischen und ethnographischen Gewinn aus der Entzifferung
der altpersischen Keilinschriften. — Russische Revue 1874. Hft. 12.
Sibirien.
Sidorow (M. K.), Reichthümer der nordischen Gegenden von Sibirien und die dortigen No-
maden. St. Petersburg 1873. 8. (russisch.)
Meynier et d'Eichthal, Note sur les tumuli des anciens habitants de la Siberie. — Revue
d'anthropologie. III. 1874. p. 266.
Desor (E.) and Sir John Lubbock, Exhibition of prehistoric objects from tlie Yeni Sei,
Siberia. — Journ. of the Anthropolog. Instit. III. 1873. p. 174.
Radioff (W.), Skizzen aus Sibirien. — Köln. Ztg. 1874. 2. u. 4. Januar.
Kohn (Albin), Die Russen in Silürien. — Globus, XXVI. 1874. p. 91, 103.
— , Der freie llu.s.so in Sibirien. - Ebds. XXVI, 1874. \>. 154.
— , Die Familie bei den Russen in Sibirien. Kbds. XXVI. 1874. jt. 180.
Literatur für Anthropoluirie etc, im J. 1874. 189
Kohn (All>in), SchiklerunRen aus Sibirien. — Globus. XXVI. 1874. p. 236.
Sorokin (N.), Reisen unter den Wogulen. Kasan 1873. 60 S. 4. (russisch.)
Adam (L.), Une genese vogoule. — Revue de philoiogie. I. 1874. p. 0.
Busk, Description of a Samoiede skull. — Journ. of the Anthropolog. Instit. 111. 1874.
p. 494.
Nachrichten über Tschekanowsky's Expedition nach der unteren Tunguska. — Iswestija der
Kais. Russ. geogr. Ges. Bd. IX. Hft. 7. if.
Kohn (Albin), Die Huriaten in den Steppen Ostsibiriens und im Nertschinskor Lande. — Aus
allen Wolttheilen. V. 1874, p. 166.
— , Der Jakuter Volksstamm in Sibirien. - Globus. XXV. 1874. p. 215. 235. 246.
K. V. Nenmann's Expedition nach dem Lande der Tschuktschen. — Ebds. XXVI. 1874.
p. 313. 329. 347. 362. 376.
Virchow, Uebor Golden-Schädel. - Z. f. Ethnologie. Verhdl. V. 1873. p. 134.
Turan.
de ßialle (G.), Memoire sur l'Asie centrale, son histoire et ses populations. Paris (Rein-
wald & Co.) 1874. gr. 8.
--, Les peuples de l'Asie centrale. — Revue d'Anthropologie. III. 1874. p. 42.
V. Hellwald (F.), Centralasien. Landschaften und Völker in Kaschgar, Turkestan, Kasch-
mir und Tibet. Leipzig (Spamer) 1874. gr. 8. (8 M.)
Wenjukow, Die russisch-asiatischen Grenzländer, üebers. von Krahmer. Leipzig (Brock-
haus) 1874. gr, 8. (5 Thlr.)
Mich eil (R.), Djetyshahr, eastern Turkistan; its sovereign and its surroundings. — Geogr.
Magazine. 1874. N. 5. p. 194.
Skizzen aus Taschkent. Die Ssarten. — Russ. Revue. 1873.
Grimm, Eindrücke eines russischen Militairarztes während der Expedition nach Chiwa im J.
1873. — Russ. Revue. 1874.
Kuhn (A. L.), Berichl über meine Reise durch das Chanat Chiwa während der Expedition im
J. 1873. — Russ. Revue. 1874.
Kosstenko (L.), Die Stadt Chiwa im J. 1873. Ad. Russ von v. Blaramberg. — Peter-
mann's Mitthl. 1874. p. 121.
Krause, Der Ackerbau in Chiwa. — Iswestija d. K. Russ. geogr. Ges. X. p. 40.
Vambery (H.), Die Turkomanen und ihre Stellung gegenüber Russland. — Russ, Revue.
1873,
Schuyier (E.), A month's journey in Kokand in 1873. - Proceed. of the Roy. Geogr. Soc.
XVIIl, 1874. p. 411.
China.
Schlegel (G.), Uranographie chinoise. 2 Prts. avec Atlas. Haag (Nijhoff) 1875. gr. 8.
u. fol. (34 M.)
History of the Heung-Noo in their relations with China. Transl. from the Tseen-Hau-Shoo,
Book 94 by A. Wylie. - Journ. of the Anthropolog. Instit, 111. 1874. p. 401.
Ho wort h (H. H.), Introduction to the translations of the Han annals. — Journ. of the An-
thropolog. Instit III. 1874 1874. p. 396.
Huc et Gäbet, Wanderungen durch das chinesische Reich. 3. Aufl. Leipzig (Senf) 1874.
gr. 8. (% Thlr.)
, Wanderungen durch die Mongolei nach Thibet zur Hauptstadt des Tale-Lama. 3. AaÜ.
Ebds. 1874. gr. 8. (|Thlr.)
Ney Elias, Narrative of a journey through Western-Mongolia, Juli 1872 to January 1873.
— Journ. of the Roy. Geogr. Soc. 1873. p. 108.
Duforest (J.), Dix ans en Chine, 1860—1870. Souvenirs d'un militaire fran^ais ecrits par
lui-meme. Lausanne (Mignot) 1874. 186 S. 8.
190 Literatur für Anthropologie etc. im J. 1874.
Garnier (F.), Voyage dans la Chine centrale (vallee du Yang-Tzee). — Bull, de la Soc. de
Geogr. VI. Ser. VII. 1874. p. 5.
Bus hell (S. W.), Notes of a journey outside of Great Wall of China, - Proceed, the Roy.
Geograph. Soc. XVIII. 1874. p. 149.
Chapman (E. T.), A ride through the bazaar at Yarkand. - Macraillan's Magaz. 1874. Mai.
La tradizioue della formiche che scavano Toro e i minatori del Tibet, — Bellet, d. Soc. geograf.
italiana. XI. 1874. p. 370.
Platü, Die fremden barbarischen Stämme im alten China. - Sitzungsber. d. K. Baier. Akad.
d, Wiss. Philos. hist. Cl. 1874. p. 450.
— , Das Kriegswesen der alten Chinesen. — Sitzungsber, d. K, Baier. Akad. d. Wiss. Philos,
phil. Cl. Hft. III. p. 275.
— , Die Landwirthschaft der Chinesen und Japanesen im Vergleiche zu der europäischen. —
Sitzungsber. d. Baier. Akad. d, Wiss, Philos. phil. Cl. 1873. p. 753.
Zur Naturanschauung der Chinesen. — Ausland. 1874. No. 44,
Die socialen Zustände in China. — Europa. 1875, No, 9.
Zeitvertreib der Chinesen. — Globus, XXVI. 1874. p. 261.
Die Tortur in China. — Ausland. 1875. No, 7.
Hodgson (B. H.), Essays on the language, literature and religion of Nepal and Tibet
London (Trübner) 1874, 8. (14 s.)
Raven stein (E. G,), Formosa, Geogr. Magazine, 1874. No. 7. p, 292.
Thomson (J.), Notes of a journey in Southern Formosa. — Journ. of the Roy. Geogr. Soc.
1873. p. 97,
Campbell (W.), Aboriginal .savages of Formosa. — Ocean Highways. 1874, Januar, p. 410.
Bei den Wilden auf Formosa. — Globus. XXVL 1874. p. 253.
Pelew-Insulaner nach Formosa verschlagen. — Correspondenzbl, d, deutschen Ges. f. Anthro-
pologie. 1874. No, 11,
Japan.
Adams (Fr, 0.), The history of Japan, from the earliest period to the present time. 2 Vols.
London (King) 1874. 8.
V, Kudriaffsky (E.), Japan. 4 Vorträge. Wien (Braumüller) 1874. gr. 8. (5 M.)
Aston (W, G,), Has Japanese an affinity with Aryan language. Asiatic. Soc. of Japan.
1874. p, 223.
Notes of travels in the inferior of Japan. — Illustrat. Travels by Bates. 1874. p. 22, 73.
108. 140. 217. 247,
Brunton (R, H.), Constructive art in Japan. — Transact. of the Asiatic Soc of Japan, 1874.
p. 64.
Warau (J.), Sur l'origine portugaise de queUjues coutume sau Japon. - Annuaire de la Soc.
des etudes japonnaises. II. 1874/75. p. 113.
Sur les mots d'insulte en japonnais. Ebds. II. 1874/75. p. 117.
Satow (E,), The Shinto temples of Ise, — Transact, of the Asiatic Soc. of Japan. 1874.
p. 113.
Der Tempel von Asakusa und die Wunderwerke des Gottes Kuaiion (Japan). .\usland. 187.').
No. 13.
Cochius (FI.), Blumenfeste in Yodo. - Mitthl. d. deutschon Ges. f. Natur- u. Völkerk. Ost-
Asiens. 1874. Hft. 4. p, 26.
Focke, Der Badeort Arima bei Hiogo, -^ Ebds. Hft. 4. 1874. p. 41.
Holland (S. C), On the Ainos, - Journ. of the Anthropolog. Instit, III. 1874. p. 233.
Promoli, Ueber die Ainos, — Correspondenzbl. d. deutschen Ges. f. Anthropologie. 1874.
No. 3, f,
Kaukasusländer. Kleinasien. Syrien. Arabien.
Dnbrowin (N.), Die Geschichte des Krieges und der Herrschaft im Kaukasus. 3. Bd. Eth-
nographie des Kaukasus und Verzeichniss der Quellen für dieselbe. St. Petersburg. 1874.
8. (russisch.)
Literatur für Anthruii'.Iufrie etc. im J. 1874. 101
Koch (K.), iJie kiuika.sischon Länder und Aimeiiien in Rci.soschildcriingen von L. Oliphant,
K. Koch, Macintosh, Spencer und Wilbraham. 3. Aufl. Leipzig (Senf) 1874. gr. 8.
(% Thlr.)
V. Thiel mann (M.), Streifzüge im Kaukasus, in Persien und in der asiatischen Türkei.
Leipzig (Dancker & Humblot) 1874. gr. 8. (3 Thlr. 22 Sgr.)
Radde (G.), Vier Vorträge über den Kaukasus. - Petermann's Mittheii. Ergänzungsheft
No. 36.
Ueber die Bergvölker des Kaukasus. Russ. Revue. lU. Illt. 6.
Auswanderung der Tscherkessen aus dem Kaukasus. Globus. XXVL 1874. p. 22.
Die Gebirgsbewohner Uaghestäns. — Ausland. 1874. No. 17.
Schiefner (A.), Au.sführlicher Bericht über Baron F. v. Uslar's Kürinische Studien, - Me-
moires de l'Acad. Imp. d. sc. de St. Petersbourg. 6« Ser. XX. 1873.
Dorn (B.), Remarques pour servir d'eclaircissement au renseignements d'Abu Hamid el An-
dalusy concernant la peuplade de Koubaetschi. — Bull, de TAcad Imp. d. sc. de St.
Petersbourg. XVIIL 1873. p. 32.
Telfer, Notes on skuUs and works of art from a burial ground near Tiflis. — Journ. of the
Anthropolog. Instit. 1874. p. 57.
V. Seidlitz, Aus der Sagenwelt des Kaukasus. — Ausland. 1874. No 45.
Chantre (E.), L'äge de la pierre et l'äge du bronce en Troade et en Grece. Basel (Georg.)
1874. gr. 8, (^ Tblr.)
Lejean (G.), Une nuit d'hiver dans l'Anti-Taurus. — Le Tour du Monde. XXVL 1873.
2. semestre. p. 171.
Die jetzigen Bewohner von Lydien. — Petermann's Mitthl. i874. p. 311.
(Erzherzog Ludwig Salvator vonToscana), Leukosia, die Hauptstadt von Cypern. Prag
(Mercy) 1873. 4. (nicht im Buchhandel.)
Vambery's Jugendwanderungen. — Globus. XXV. 1874. p. 201. 218.
Hamilton (Gh.), Oriental Zigzag; or wanderings in Syria, Moab, Abyssinia and Egypt.
With lUustrations by Fritz V\/allis, from original sketcbes by the author. London (Chap-
mann & H) 1875. a08 S. 8. (12 s.)
de Vogue (E. M.), Journee de voyages en Syrie. IIL Jerusalem, Juifs, Musulmans et
chretiens. — Revue de deux Mondes. 1875. 15. Janvier, 1. Fevrier, 1. Avril.
Seiff (J.), Reisen in der asiatischen Türkei. Leipzig (Hinrichs, Verl. Cto.) 1875. gr. 8.
(8 M. 75 Pf.)
Renan (E.), Mission en Phenicie. Livr. 7—9 (fin). Paris (Michel Levy freres) 1874. 4.
(cpl. 70 planches. 165 fr.)
Sayce (A. H), The origin of the Phoonician cosmogony and the Babylonian Garden of Eden-
- The Academy. 1875. p. 299.
Büdinger (M.), Egyptische Einwirkungen auf hebräische Gülte (Schluss). — Sitzungsber. der
Wiener Akad. d. Wiss. Phil. bist. Gl. LXXV. 1873. p. 7.
Deutsch (0.), Die Gräber in der Umgegend von Jerusalem. — Aus allen Welttheilen. V.
1874. p. 342.
Tyrwhitt Drake (0. F.) and A. W. Franks, Note on a collection offlints and skuUs from
Palestine. — Journ. of the Anthropolog. Instit. IV. 1874. p. 14
Josua's steinerne Messer. — Ausland. 1 874. No 44.
Die neuen Forschungen im Moabiterlande. — Ausland. 1874. No. 47. ff.
Yemen. — Ocean Highways. 1874. Januar, p. 397.
Buez (A.), Une mission au Hedjaz (Arabie). Contributions ä l'histoire du cholera. La pele-
rinage de la Mecque, les Services sanitaires et los institutions qnarantenaires de la mer
Rouge, les epidemies de cholera de 1865 et de 1871-72 au Hedjaz, le commerce des
esclaves dans le mer Rouge, ethnologie, geographie de la peninsule arabique. Paris
(Massen) 1873. 135 S, 8.
Stevens (G. J.), Report on the conntry around Aden. - Journ. of the Roy. Geograph. Soc.
1873. p. 295.
192 Literatur für Anthropologie etc. im J. 1874,
Mesopotamien. Persien.
Spiegel (F.), L>as Land zwischen dem Indus uud dem Tigris. — Im neuen Reich. 1874.
IL p. 81.
Smith (G.), Assyrian discoveries: an account of explorations and discoveiies on the site uf
Nineveh during 1873 and 1874. With illustr. London (Low) 1875. 463 S. 8. (18 s.)
Das angebliche Turanierthum Babyloniens. — Ausland. 1874. No. 48.
Piggot (J.), Persia: ancient and modern. London (King) 1874, 342 S. 8. (10 s. C d.)
Persia, her cities and people. — Bates, Illustr. Travels. V. 1873. p. 364.
Joily (J.), Kann man die Religion Zoroasters dualistisch nennen? — Ausland. 1874.
No. 32.
Spiegel (.Fr.), Die eränische Sprachforschung und ihre Bedeutung für Sprache und Abstam-
mung der Eränier. - Russ. Revue. IV. 1875. Hft. 1 fl'.
Goldsmid (F. J.), Journey from Bandar Abbas to Mas-had by Sistan, with some account of
the last-named province. — Journ. of the Roy. Geogr. Soc. 1873. p. 65.
Rawlinson (H. C), Notes on Seistan. — Ebds. 1873. p. 272.
Das vorarische Volk der Brahui in Beludschistan. — Globus. XXV. 1874. p. 221.
Stammverwandtschaft der Bahui in Beludschistan. — Ebds. 1874. p. 255.
Vorder- und Hinter-Indien.
Spiegel (F.), Kasten und Stände der arischen Vorzeit. — Ausland. 1874. No. 36. f.
Sinclair (W. F.), Notes on castes in the Dekkau. — Indian Antiquary. 111. 1874. No. 3,
Stokes (H. J.), The custom of Kareyid or periodical redistribution of land in Tanjore. —
Ebds. III. 1874. No. 3.
The Upasampada-Kammaväca being the Buddhist. Manual of the form and manner of orde-
ring of priests and deacons. The Pali Text, with a translatiou and notes. By J. F. Dick-
son. — Journ of the Roy. Asiatic Soc. New Ser. VII. 1. 1874. p. 1.
Wheeler (J. T.), The history of India. Vol. III. Hindu, Buddhist and Brahmanical. Lon-
don (Trübner) 1874. 514 S. 8. (18 s.)
de Charency (H.), De la symbolique des points de lespace chez les Indous. — Revue de
Philologie. I. 1874,
V. Kremer (A.), Die inteüectuelle Bewegung in Ostindien. - Ausland. 1874. No. 12.
Sandreczki, Ein Beitrag zu den Sitten und Gebräuchen der Hindu. — Ausland. 1874.
No. 48, 50.
Wanderungen in Ostindien, - Globus. XXVL 1874. p, 145, 161. 177.
Schneid 1er (C), Bilder aus Ostindien. — Aus allen Welttheilen. V, 1874. p, 323. 371.
Lawrence (Sir George), Reminiscences of forty-three years in India: inchiding the Gabul
disasters, captivities in Affghanistan and the Punjaub, and a narrative of the mutinies
in Rajputana. Edited by W. Edwards. London (Murray) 1874, 320 S, 8. (10 s. 6 d.)
Yule CS.), Visit of Mr. F. Paderin to the site of Karakorum. — Geogr. Magazine. 1874.
No. 4. p. 137.
V. Schlagintweit-S akünlü nski (II.), Die Pässe über die Kammlinien des Karakorum
und die Künklun in Bälti, in Ladäk und im östlichen Turkistan. München (Franz, in
Comm.) 1874. gr. 4. (1 Thir. 14 Sgr.)
Kashmir. — Illustrat. Travels by Bates. 1874. p. 235.
Lahore and Amritsir, the capitals of Runjet-Singh. Illustrat. Travels by Bates. 1874.
p. 135. 161.
Eine eigenthümliche Vergiftungs-Methode in i'endschab. — Ausland, 1874, No. 36.
Watson (J. V7.), Notes on the Dabbi Clan of Rajputs. Indian Antiquary. III. 1874.
No. 3,
Walhouse (M. .J.), Notes on the Megalithic Monuments of the Coimbatorc District, Madras.
— Journ, of the Roy. Asiatic Soc. New Ser, VII. 1. 1874. p. 17.
In Lakhnau, der Hauptstadt von Audh in Indien. — Globus. XXVL 1874. p, 356.
Literatur für Anthroixjlogie etc. im J. 1874. 193
WiLson (J.), The Hcny-Israel ot Bombay — The liidiaii Anti<iHary. 1874. p. 321.
Ärchaeological survey of India. 1874. huportant discoveries at Bharahut. — Geogr. Magaz.
1874. No. 5. p, 200.
Bhawalpur. — Ocean Highways. 1874. p. 401.
Campbell (Ä ), Note on the Valley of Choombi. — Jonrn. of the Roy. Asiatic. Soc. New.
Ser. Vll. 1. 1874. p. 13ö.
Darville (W.), L'liide contemporaine. Ghas.ses anx tigrcs. L'Indonstan. Nuits de Delhi et
rövolte des cipayos. Limoges (Ardaiit) 1874. 312. S. 8.
Dalton, Beschreibende Ethnologie Bengaleus aus oftTcioilen Üocumcnten zusammengestellt,
deutsch bearbeitet von 0. Flex. - Z. f. Ethnologie. V. 1873. p. 329. VI. 1874.
pag. 229- 340.
Schlagintweit (E,), Behar, der Schauplatz des Nothstandes. — Petermann's Mitthl. 1874.
p. 265.
The Bengal famine. -- Ocean Highways. 1874. Februar, p. 441.
Barton (J. A. G.), Bengal: an account of the country from the oarliest times. With füll
information with regard to the manners, customs, religioii etc. of the inhabitants. Lon-
'don (Blackwoods) 1874. 250 S. 12. (5 s.)
In Delhi, der Stadt des Grossmogul. — Globus. XXVI. 187 4. p. 198.
In der Umgegend von Delhi. — Ebds. XXVI. 1874. p. 257.
In Allahabad am Ganges. - Ebds. XXVI. 1874. p. 308.
Wise (J.), On the Barah Bhüyas of Eastern Bengal. - Journ. of the Asiatic Soc. of Bengal.
P. 1. 1874. p 197.
Sinclair (W. F.), Notes upon the Central Talukas of the Thäna CoUectorate. — The Indian
Anti(|uary. IV. 1875. p. 65.
Das Volk der Koihs. — Ausland. 1874. No. 28.
Bei den Santals in Ostindien. — Globus. XXVI. 1874. p. 342.
Burgess (J.), Dolmens at Konus and Aiholli. — The Indian Antiqnary. III. 1874. p. 306.
Das Koptjagen bei den Nagastämmen in Assam. — Globus. XXVI. 1874. p. 169.
J, T. Cooper beim Volke der Mischmis in Assam. — Ebds. XXVI. 1874. p. 59.
Glardon (A.), Explorations de l'Asie centrale. - Notes de voyages. Assam et le pays des
Mishmis. — Bibliotheque universelle et Revue Suisse. LH. 1875. p. 465.
Buddhistische Pagoden in Hinterindien. — Globus. XXVI. 1874. p. 5.
Marshall über die Todas in den Nilgherris. — Ebds. XX VL 1874. p. 71.
Am oberen Brahmaputra. — Ebds. XXVL 1874. p. 313. 347.
Peale (S. E.), The Nagas and ueighbouring tribes. - Journ. of the Anthropolog. Inst. III.
1874. p. 476.
Austen (Godw.), Rüde stone monuments of Naga Tribes. - Ebds. IV. 1874. p. 144.
Gorceix (H.) Apercu geographique de la region des Khassia. — Bull, de la Soc. de Geogr.
VIe Ser. VII. 1884. p. 458.
Clarke (C. B.), The stone monuments of the Khasi Hills. - Journ. of the Anthropolog. Inst.
HL 1874. p. 481.
Leitner, Account of the Siah Posh Kafirs. Ebds. III. 1874. p. 341.
Phayre (A. P.), On the history of Pegu. Journ. of the Asiatic Soc. of Bengal. 1874
No. 1.
de Holländer (J. J.), Berichten vaan eene Maleier over Siam en de Siameezen. — Bijdr. tot
de taal-land- en volkeukunde van Ncderlandsch-Indiö. 3. F. VIII. 1874. p. 229.
Sachot (0.), Pays d'extröme Orient. Siam, Indo-Chine centrale, Chine, Coree, voyages, hi-
stoiie, geographie, moeurs, ressources naturelles. Paris (Sarlit) 1874. 221 S. 8.
Thomson (J.), Across Siam to Cambodia. — Illustrat. Travels by Bates. V. 1873. p. 307.
VI. 1874. p. 43.
Mondiere, Sur l'anthropologie, la demographie et la pathologie de la race annamite. — Bull.
de la Soc. d'anthropologie de Paris. 1874. p. 117.
Childers (R. C), Notes on the Siughalese language. — Journ. of the Roy. Asiatic Soc. New
Ser. VII. I. 1874. p. 35.
•194 Liferatur für Antbv'i'ologie etc. im J. 1874.
Büiiillcvaux (C. E.), L'Annam ot le Caiiibodpe. Voyaffes et notices historiques, accom-
pafjnees d'une carte geographique. Paris 1875. 548 S. 8.
Benoist, Note sur l'inspection de Rach-Gia, Oochinchine. — Revue marit. et colon. 1874.
Avril. p. 47.
Zöllner (R.), Die französische Mckhong-Expedition. — Aus allen Welttheilen. V. 1874.
p. 306.
F. Garnier im nördlichen Laos. — Globus. XXVI. 1874. p. 97.
Bovet, La Coehinchine iranvaise. Paris (Tanera) 1873. -15 S. 8. (50 c.)
La Coehinchine en 1873. Revue marit. et colon. Octobre 1873. p. 153.
Dourisboure (P.), Les sau vages Ba-Huars (Coehinchine Orientale), souvenirs dun missio-
naire. Paris (Soye) 1873. 453 S. 18.
Thomson (J.), The straits of Malacca, Indo China, and China: or ten year.s' travels, adven-
tures, and residence abroad. Illustrat. with upwards of 60 wood engravings by J. D.
Cooper. London (Low) 1874. 550 S. 8. (21 s.)
Baker (Sir Sam, W.), Eight years in Ceylon. New edit. London (Longmans) 1874. 392 S.
8. (7 s. 6 d.)
— , The rifle and the hound in Ceylon. New edit. London (Longmans) 1874. 367 S. 8.
7 s. 6 d.)
Lomonossoff, Die Andamanen. — Iswestija d. K. Russ. geogr. Ges. X. p. 127.
Die Strafcolonie auf den Andamanen. — Petermann's Mitthl. 1874. p. 147.
Der indische Archipel.
Gerlach (A.J. A.), Nederlandsch Oost-Indie. s'Gravenhage (Jjkema) 1874. gr. 8. (fl. 2,50.)
de Baker (L.), L'Archipel Indien. Origines, langues, religions, morals, droit public et prive
des populatioiis. Paris 1874 5J>2 S. 8.
van der Lith (P.A.), Nederlandsch Oost-Indie, beschreven en afgebeeld voor het nederland-
sche Volk. 1. afl. Doesborgh (van Schenk Brill) 1874. vol. 8. (fl. 0,45; cpl. in 14 afl.)
Piccardt (R. A. S), De geschiedenis van het cultuurstelsel in Nederlandsch-Indie. Uitgeg
door de maatschappij : tot nut van't algemeen. Amsterdam (Mooy) 1874. 160 S. 8.
(fl. 0,90.)
Der Hinterindische Archipelagus. — Globus. XXV. 1874. p. 289.
De Indische bedevaartgangers. — Tijdschr. voor Nederlandsch Indie. 1874. I. p. 55.
Meyer (A. B ), Einige Bemerkungen über den Werth, welcher im Allgemeinen den Angaben
in Betrefl" der Herkunft menschlicher Schädel aus dem ostindischen Archipel beizumessen
ist. Berlin (Friedländer & Sohn) 1875. gr. 8. (8 Pf)
de Seriere (V.), Javasche volksspelen en vermaken. — Tijdschr. voor Nederlandsch Indie
1874. p. 81. 165. II. p 81. 171.
Köhler (J. E. H.), Bijdrage tot de kennis der geschiedenis van de Lampongs. — Ebds. 1874.
II. p. 122.
Hoepermans (H.), Het Hindoe-rijk van Doho. — Tijdschr. voor Indische taai-, land- en
volkenkunde. XXL 1874. p. 146.
Pistorius (A. W. P. Verkerk), Palembang.sche schetsen. Ken dag by de wilden. - Tijdscchr.
voor Nederlandsch Indie. 1874. I. p. 150.
Schreiber ':A.), Die Battas in ihrem Verhältniss zu den Malaien in Sumatra. Barmen (Klein).
1874. 8. (IM. 25 Pf.)
Wenzelburger (Th.), Atchin und der holländisch-atchinesische Krieg. - Unsere Zeit. N, F
X. 2. 1874. p. 369.
Giordano (T.), Una explorazione a Borneo. - BoUet d. Soc. geo^;raf. italiana. XL 1874.
p. 224.
Senn van Basel (W. H.), De Maleiers van Borneo's Westkust. — Tijdschr. voor Neder-
landsch Indie. p. 196.
, Een Chineesche nederzetting op Borneo's Westkust. - Ebds. 1874, 1. p. 382.
, Een Dajaksch dorp od Borneo's Westkust. - Ebds. 1874. I. p. 6.
— , De bloedprijs (harga njawa) der Dajaks op Borneo's Westkust. — Ebds. 1874. II. p. 29.
Literatur für Anthropologe etc im J 1874. 195
Arntzeiiius (J. 0. H.), De derde Baiische expeditie in heriniieriiig frebracht. sTTravenhage
(Belifante) 1874. 143 S. 8. (fl 2,50.)
Kern (H.), Oudjavaansche eedformulieren op Bali gebruikelijk. — Bijdr. tot de taal-, land-
en volkenkundc van Nederlandsch-Indie. 3. F. VIII. 1874- p. 211.
Van Eck (R.), Balineesche sproekwoorden ou spreekwoovdelijk uitdrukkingen. — Tijdschr. v.
indische taal-, land- en volkenkunde- XXI. 1874. p. 122.
de Vroom (J.), De telwoorden in't ßalineesch. — Ebds 1874. XXI. p 1(59.
Uilkens (J. Ä.), Soendasche spreekwoorden. — Ebds. XXI. 1874. p. 183.
Wiselius (J. A. B.), Geschiedkundige en maatschappeiijko beschrijving van het eiland Ba-
vean. - Tijdschr. voor Nederlandsch Indio. 1874. I. p. 249. 417.
Jagor (F.), Sobre la poblacion indigena de las islas Filipinas. Trad. del alenian par L.
Matheu. — Revista de Antropologia. 1874 p. 137.
Pincus, Ueber die Haare der Negritos auf den Philippinen. — Z. f. Ethnologie, Verhdl. V.
1874. p. 155.
Afrika.
Chudzinski (Th.), Nouvelles observations sur le Systeme musculaire du negre. — Revue
d'anthropologie. III. 1874. p. 21.
Broca (F.), Les Akka, race pygmee de l'Afrique centrale. - Ebds. III. 1874. p. 279.
— , Nouveaux renseignements sur les Akka. — Ebds. III. 1874. p 46.
Mantegazza (F.) e A. Zernetti, I due Akka del Miani. — Bollett. d. Soc. geograf. italiana.
XI. 1874. p. 489.
, I due Akka del Miani. — Archivio per rantropologia. 1874. p. 137.
de Quatrefages, Observations snr les races naines africaines, ä propos des photographies
d'Akkas envoyees par M. le prof. Panceri. — Compte rendues de I'Acad. d. Sciences.
1874. juin.
Sachs, Ueber die von Miani aus dem Monbuttu- Lande mitgebrachten Pygmäen vom Akka-
Stamme. — Z. f. Ethnologie, Verhdl. 1874. p. 73.
Zwei lebendige Pygmäen aus Centralafrika in Kairo. — Globus. XXVI. 1874. p- 27.
Schweinfurth, Ueber die Art des Reisens in Afrika. - Deutsche Rundschau. 1. 1875.
Hft. 5.
Die Nilländer.
The Stone Age of Egypt. - The Academy. 1875. p. 301.
Lubbock (J.), The discovery of stone implements in Egypt. — Journ. of the Anthropolog.
Institute. IV. 1874. p. 215.
Steinzeit in Aegypten. — Jahrb. d. Ver. f. mecklenburg. Gesch. XXXIX. 1874. p. 145.
Owen, Contributions to the ethnology of Egypt. - Journ. of the Anthropolog Institute.
IV. 1874. p. 223.
Gemälde der altägyptischen Cultur im Lichte der neueston Forschungen, besonders von A.
Mariette und H. Brugsch - Ausland. 1875. No. 14. ff.
Denkmäler aus Egypten und Aethiopien in photographischen Darstellungen. 2. Serie. Berlin
(Nicolai) 1874. qu.-Fol. (12^ Thlr.)
Rohlfs (G.), Das jetzige Alexandrien. — Ausland. 1874. No. 40.
Die Mahmal-Feier in Kairo. — Ebds 1874. No. 37.
d'Escayrac de Lauture, Die afrikanische Wüste und das Land der Schwarzen am Nil.
3. Aufl. Leipzig (Senf) 1874. gr 8. (2 M. 50 Pf.)
Jouveaux (Emile), Two years in East Africa: adventures in Abyssinia and Nuhia, with a
journey t» the .sources of the Nile. London (Nelsons) 1874. 420 S. 12. (3 s. « d.)
Medina, Los pueblos fronterizos del N. de Abissinia. — Revista de Antropologia. 1874.
p. 65.
29g Literatur für Authropülogie etc. im J. 1874.
Hildebraud t (J. M.), Ausflug in die Nord-Abessinischen Grenzländer im Sommer 1872. —
Z. d. Berliner Ges. f. Erdkunde. VIII. 1873. p. 449.
— , Gesammelte Notizen über Landwirthschaft und Viehzucht in Abyssinien und den östlich
angrenzenden Ländern. — Z. f. Ethnologie. VI. 1874. p. 318.
Zichy (Graf W.), Ein Jagdausflug im Bogos. — Wiener Abendpost. 1874. 7-9. April.
Issel (A.), Degli ustensili e delle arme in uso presso i Bogos. — Archivio per I'antropologia.
IV, 1874. p. 94.
Maruo (E.), Reisen im Gebiete des weissen und blauen Nil, im egyptischen Sudan und den
angrenzenden Negerläudern in den J. 1869 bis 1873. Wien (Gerold's Sohn) 1874. gr. 8.
(6^ Thlr.)
-, Ueber Sclaverei und die jüngsten Vorgänge im egyptischen Sudan. Die Nilfrage. —
Mitthl. der Wiener geogr. Ges. 1874. p. 243-
Aus dem Sudan. — Ebds. 1874. p. 335.
Baker (Sir Sam.), Ismailia, a narrative of the expedition to Central-Africa for the suppression
of the slave trade organised by Ismail, Khedive of Egypt. With maps, portraits etc.
2 vols. London (Macmillan) 1874. 10'20 S. 8. (36 s.)
Baker (S. W.), The Khedive of Egypts expedition to Central-Africa. — Proceed. of the Roy.
Geogr. Soc. XVIII. 1874. p. 50. 131.
Hartmann (R.), Waldleben in Hoch-Sennar. — Westermann's illnstr. deutsche Monatshefte.
1874. Sept.
„My parentage and early career as a slave". — Geogr. Magaz. 1874 No. 2. p. 63.
Der Nordrand und Nord-Central-Afrika.
Mercier (E ), Comment TAfrique septentrionale a ete arabisee. Extrait resume de l'histoire
de Tetablissement des .Grabes dans l'Afrique septentrionale. Constantine (Marie) 1874.
18 S. 8.
Schneider (().), Das heutige Tunis. — Aus allen Welttheileu. V. 1874. p. 355.
Velain (Gh.), Observations anthropologiques faites sur le littoral algerien. — Bull, de la Soc.
d'anthropologie de Paris. 1874. p. 121.
Topinard (F.), De la race indigene, ou race berbere, en Algerie. - Revue d'anthropologie.
III. 1874. p. 491.
Wutbied (E.), Etablissement de la domination turque en Algerie. — Revue africaine. 1874
Juill8t f.
Blanc (P.), La popalation de l'Algerie en 1872. Alger 1874. 15 S. 8.
Feraud (L. Gh.), Les Harars, seigneurs de Hanencha. Etudes historiques sur la province de
Constantine. - Revue africaine. 1874. No. 103 — 6.
Nachtigal, Die tributären Heidenländer Baghirmi's. Schluss. — Petermanns Mitthl. 1874
p. 323.
Schweinfurth (G.), The heart of Afrika. Transl. by Ellen E. Frewes. London (Low) 1874.
1000 S. 8. (42 s.) — Dass. 2'' ed. Ebds. 1874.
— , Im Herzen von Afrika. Reisen und Entdeckungen im centralen Aequatorial- Afrika während
der J. 1868 bis 1871. 2 Thle. Leipzig (Brockhaus) 1874. gr. 8. (10 Thlr.)
— , Au coeur d'Afrique. Trois ans de voyages et d'aventures dans les regions inexplorees de
l'Afrique centrale, 1868 — 71. — La Tour du Monde. XXVII. icr semestre de 1874.
p. 273,
Seh weinfurth's Reisen in Inner-Äfrika. - Globus. XXVI. 1874. p. 273. 289.
Rohlfs (G.), Quer durch Afrika. Reise vom Mittelmeer nach dem Tschad-See und zum Golf
von Guinea. Thl. I. IL Leipzig (Brockhaus) 1874.75. gr. 8. (14 M.)
Der Westrand Afrika's.
Rohlfs (G.), Adventures in Marocco and jonrncys through the oases of Draa and Tafilet.
With an intioduction by Winwood Reade. London (Low) 1874. 380 S. 8. (12 s.)
Literatur für Anthropologie etc. im J. 1874. 197
Bastian, Zum westafrikanischen Fetischdienst. — Z. f. Ethnologie. VI. 1874. p. 1. 80.
Tetuan. — Fräsers Magazine. 1875. April.
Reichenow, lieber die Negervölker am Camerun. - Z. f. Ethnologie. Verhdl. V. 1871!.
p. 177.
Auf und an den Oelflüssen West-Afrika's. — Globus XXVI. 1874. p. 56.
Glover (J.), Geographica! notes on the counlry traversed hetweeu the River Volta and the
Niger. — l'roceed. of the Roy. Geograph. See. XVIII. 1874. p. '280
Berenger-Feraud, Etüde sur les populations de la Casamance (cote ouest de rAfri4Ue inter-
tropicale). — Revue d'anthropologie. III. 1874. p. 444
Allen (M.), The Gold Coast: or an Cruise in W^est-African Waters. With an appendix.
London (Hodder & S ) 1875. 178 S. 8. (3 s. 6 d.)
Burton (R. F), Two trips on the Gold Coast. Ocean Highways. 1874. Februar.
p. 448. 460
Boyle (Fr.), Through Fanteeland to Coomassie: a diary of the Ashantee expedition. London
(Chapman) 1874. 420 S. 8. (14 s.)
Brackenburg, (H.), The Ashauti wars: a narrative prepared from the official document: by
permission of Major Gen. Sir Garnet Wolseley. 2 vols. London (Blackwood). 1874. 188 S.
8. (2 s.)
Reade (Winwood), The story of the Ashantee campaign. London (Smith & Co.) 1874,
440 S. 8. (lös. 6d.)
Die Ashanti und der Ashantikrieg. - Unsere Zeit. N. F. X. 2. 1874. p. 254. 336.
Hay (J. D.), Ashanti und die Goldküste, sowie unsere Kenntuiss darüber. Berlin (Stilke)
1874. 8. (12 Sgr.)
Zustände an der afrikanischen Westküste. — Globus. XXV. 1874 p. 305. 321.
Busk, Notice of a skull from Ashantee. - Journ of the Anthropolog. Institute. IV 1874.
p. 62.
Clarke (Hyde), Culture of the Ashantees. — Ebds. IV. 1874. p. 122.
Henry (G. A.), Future of the Fantis ad Ashautis. — Geograph. Magazine. 1874. No. 4.
p. 148.
Skertchly (J. A.), Dahomey as it is; being a narrative of eight months' residence in tbat
country. With a füll account of the notorious annual customs and the social and reli-
gious institutions of the Ffons; also an appendix on Ashantee, and a glossary of Daho-
man words and titles. London (Chapman) 1874. 544 8. 8. (21 s.)
Bon che (rabbe), Le Dahomey. — Bull, de la Soc. de Geogr. VI«- Ser. VIL 1874. p. 561.
Wanderungen an der Westküste von Afrika (Quaquakäste). — Globus. XXV. 1874. p. 192.
Bastian (A.), Die deutsche Expedition an der Loangoküste. Bd. I. Jena (Costenoble) 1874.
gr. 8. (3)^ Thlr.)
— , Ueber die Bewohner der Loangoküste. — Z. f. Ethnologie. Verhdl. 1874. p. 8.
Süd- Afrika. Die Ostküste Süd-Afrika's. Die afrikanischen Inseln.
Stow (G. W), Account of an interview with a tribe of Bushmans in S. Africa. — Journ. of
the Anthropolog. Instit. IH. 1874. p. 244.
Buschmännische und australische Mythologie. — Ausland. 1874. No. 34.
Endemann (K.), Mittheilungen über die Sotho-Neger. — Z. f. Ethnologie. VI. 1874.
p. 16.
Die Zulu-Kaft'ern. - Globus. XXVI. 1874. p. 81.
Manch (C), Reisen im Innern von Süd-Afrika 1866 — 72. — Petermann's Mittheil. Ergän-
zungsheft. No. 37.
Cameron (V. L.), The Slave trade in Lastern Afrioa. — The Mail. 1874. 17. August.
Fritsch, Ueber die Veränderungen der Eingeborenenverhältnisse Südafrika's in historischer
Zeit. - Z. f. Ethnologie. Verhdl. 1874. p. -40.
Ein Blick auf Südafrika. — Gaea. 1874. p. 38ö.
Friedemann (H.), Ein Blick auf Zanzibar. — Aus allen Welttheilen. V. 187-1. p. 139.
The Lufiji river ad the copal trade. — Geograph. Magazine. 1874. No. 5. p. 181.
198 Literatur für Anthropologie etc. im J. 1874.
Stanley (H. M.), How J found Livingstone. New edit. London (Low) 1874, 630 S. 8.
(7 s. 6 d.)
V. Barth (H.), 0.stafrika vom Limpopo bis zum Somali-Lande. Leipzig (Spamer) 1874. gr. 8.
(8 M )
Hart mann (R.), lieber die von J. Hildebrandt eingesandten, von den Somali herrührenden
ethnologischen Gegenstände. — Z. f. Ethnologie. Verhdl. V. 1873. p. 132.
Faidherbe, Quelques mots sur l'ethiiologie de l'archipel canarien. — Revue (ranthropologie.
HI. 1874. p. 91.
— , Sur l'ethüologie canavienne et sur les Tamahou. - I5ull.de la Soc. d'anthropologie de Paris.
1874. p. 142.
ßertbelot (S.), Sur l'ethnologie canarienne. — Ebds. 1874. p. 114.
Amerika.
Monumentüs primitives de America. — Boletin de la Soc, de Geogratia y estadistica Mexicana.
3. epoea, I. 1873. p. 673.
Janer, De las armas ofensivas y defensivas de los primitivos Americanos, Revista de
Antropologia, 1874. p. 386.
Nord- Amerika.
Thompson (J. P.). The heroic age of America, and its legacy. — The International Gazette.
Berlin 1874. 28. Nov.
Clarke (Hyde), Researches in prehistoric ad protohistoric compavative philology, mythology
and archaeology in connection with the origin of culture in America, and its propagation
by the Sumerian or Akkad Families — Journ, of the Anthropolog. Institute. IV. 1874.
p, 148,
Leben in Grönland. — Ausland. 1874. No. 44.
Uuber die Kiiiaivölker im äussersten Nordwesten Amerikas. — Globus. XXVI. 1874. p. 87.
Fuchs (P.), Die Aleuteu. - Ausland. 1874. No. 46.
Dali (W. H.), Notes on pre-historic remains in the Aleutian Islands. — Proceed. of the Ca-
lifornia Academy of sciences, IV. P. V. 1872. p. 283.
Pinart (A.), Eskimaux et Koloches, idees religieuses et traditions des Kaniagmioutes. - Re-
vue d'Anthropologie. 1873. No. 4.
Lloyd (T. G. B.), Notes on Indian remains from Labrador. - Journ. of the Anthropolog. In-
stitute. IV. 1874. p. 39.
The Norman people, ad their existing descendants in the British dominious and the United
States of America. London (King) 1874. 500 S. 8. (21 s.)
Butler (W. F ), The Wild North Land; being the story of a winter journey with dogs across
Northern North America. 4—6. edit. London (Low) 1874. 368 S. 8. (7 s. 6 d )
Horetzky (Gh.), Canada on the Pacific; being an account of a journey from Edmonton to
the Pacific. London (Low) 1874 8. (5 s.)
South eck (Earl of), Saskatchewan and the Rocky Mountains: a diary and narrative of travel
sport, and ad venture during a journey through the Dud.s()n's Bay Gompany's territories
in 1859 and 1860. With maps and illustrations. London (Hamilton) 1875. 480 S. 8.
(18 s.)
Zimmermann (LI.), Vom Sakatschewan bis zum Fräser. — Aus allen Welttheilen. V. 1874.
p. 331.
Ueid (A. P.), Mixed half-breeds of N. W. Canada. - Journ. of the Anthropolog. Instit. IV.
1874. p. 51.
Siuims, Description of a Üatteued skull of an adult American Indian, from Mameluke Island,
Columbia River. - Ebds. III. No. 3. 1874. p. 326.
Von den Indianern Nordamerika's. — Ausland. 1874. No. 12.
Seventh annual report of the trustees of the Peabody Museum of American Archaeology and
IDtbuology. Cambridge 1874. 8.
Literatur für Anthropologie etc. im J. 1874. 199
Rau (Ch.), Ancient aboriginal trade in Nortb America. — Report of the Smithson. Institute.
187i (1873). p. 348.
Trauer um die Todten bei den Wurzelgräbern von Nordamerika — (ilobus. XXVI. 1874.
p. 25G.
Rau (Ob.), North American Stoiie Imitlements. - Report of the Smithson. liist. 1872 (1873).
p. ;J9ö.
Bruff (J. ti.), Indian eiiffraviugs ou the face ot rocks along üreen River Valley in the Sierra
Nevada Range of mountains. — Ebds. p. 409.
Lee (J. C. Y.), Ancient ruin in Arizona. — Ebds. p. 412.
Barrandt (A.), The Haystack Mound, Lincoln County, Dakota. — Ebds. p. 413.
Breed (E. K.), Earth-wurks in Wisconsin. — Ebds. p. 414.
Dean (C. K.), Mound in Wisconsin - Ebds.p. 415.
Warner (J.), The Big Elephant Mound in Grant County, Wisconsin. - Ebds. p. 416.
Cutts (J. B.), Ancient relics in Northwestern Jowa — Ebds. p. 417.
Perrin (T. M.), Mounds near Anna, Union County, Illinois. Ebds. p. 418.
Peter (R.), Ancient mounds in Kentucky. — Ebds. p. 420.
Stephenson (M. E ), Mounds in Bartow County, near Cartersville, Georgia. — Ebds. p. 421.
Mckinley (W.), Mounds in Georgia. — Ebds. p. 422.
Hotchkiss (T. F.), Indian remains found '62 feet below the surface, near Wallace Lake, in
Caddo Parish, Louisiana. — Ebds. p. 428.
Locke tt (S. H.), Mouiids in Louisiana. - Ebds. p. 429.
Peale (T. R.), Pre-historic remains found in the vicinity of the city of Washington. — Ebds.
p. 430.
Kipp (J.), On the accuracy of Catlin's account of the Mandau ceremonies. — Ebds. p. 43G.
Cope (E. D.), Ou stone circles in the Rocky-Mountains. — Proceedings of the Acad. of Natur.
Sciences of Philadelphia. 1873. p. 370.
Lloyd (T. G. ß.), The Beothucs of Newfoundland. — Journ. of the Anthropolog. Institute.
IV. 1874. p. 21.
Rau (C), Der Onondaga-Riese, mit einem Nachwort von v. Frantzius. — Archiv f. Anthro-
pologie. VII. 1875 p. 267.
Catlin (G.), Life among the Indians. London (Gall; 1874. 366 S. 12. (3 s. 6 d.)
Die Indianerkriege in Nordamerika. — (ilobus. XX^I. 1874. p. 225. 241.
Boudinot (E. C), The Indian territory and its inhabitants. — Geograph. Magazine. 1874.
No. 3. p. 92.
Zustünde der Neger im Süden der Vereinigten Staaten. Globus. XXVI. 1874. p. 3Ü0.
Winkler (E. T.), The Negroes in the Gulfe-States — The International Review. 1874.
p. 577.
Beadle, The endeveloped West; or tive years in the territories. Being a complete history
of that vast region between the Mississippi and the Pacific. Philadelphia. 1873.
823 S. 8.
Bei den Mormonen am gros-^en Salzsee. — Globus. XXV. 1874. p. 353.
Mormonen auf der Wanderung. - El)ds. XXV. 1874. p. 372.
Nach Californien. — Ebds. XXVL 1874. p. 33. 49.
South by West, or winter in the Rocky Mountains and spring in Mexico Edited by the Rev.
Ch. Kingsley. London (Isbister) 1874. 430 S. 8. (16 s.)
Bancroft (U. Howe), The native races of the Pacific States of North America. Vol. I.
Wild Tribes. London (Longmans) 1875. 8. (21 s.)
Schumacher (P.), Ueber Kjökkenmöddings und alte Gräber in Californien. — Globus. XXVI-
1874. p. 365.
Münch (R.), Einige Kjökkenmöddings und alte Gräber in Californien. — E)ie Natur. 1S74.
No. 48. f.
Die kalifornischen Indianer und ihre Sagen. — Ans allen Welttheilen. V. 1875. p. 358.
Palmer (W.), De la colonisation du Colorado et du Nouveau-Mexitjue. l'aris 187 1. 82 S. 8.
A year's tramp in Colorado. — Illustrat. Travels by Bales. V. 1873. p. 318. 342. 357.
200 Literatur für Anthropologie etc. im J. 1874.
Loew (0.), Lieutenant Wheeler's Expedition nach New-Mexico und Arizona. — Petermaun's
Mitthl. 1874. p. 401. 453.
Cozzens (S. W.), The marvellous country; or three years in Arizona and New-Mexico, the
Apache's home; comprising a description of this wonderful country, its immense mineral
wealth, its magnificent mountain sceuery, the ruins of aucient town and cities found
therein. With a complete history of the Apache Tribe. lllustr. by upwards of 100 en-
graviugs London (Low) 1874. 532 S. 8. (18 s.)
Olmsted (F. L,), Wanderungen durch Texas und im mexicanischeu Grenzlande. 3. Aufl.
Leipzig (Senf) 1874. gr. 8. (2 M. 50 Pf.)
Mexico. Central-Amerika. Westindien.
Bastian (A.), Mexico. 2. Auti. Berlin (Lüderi^z); Samml. gemeinverst. wiss. Vorträge.
1874. 8. (^ Thlr.)
Woeikoff (A.), Bemerkungen zur Völkerkunde Mexico's. — Ausland. 1875. No 3.
Bastian, Ueber mexicanische Alterthümer mit Bezugnahme auf zwei von D. J. Melgar y
Serrano eingesandte Schriften. -- Z. f. Ethnologie. Verhdl. 1874. p. 97.
Fischer (H.), Ueber mexicanische und südamerikanische (brasilianische) Nephrite oder uephrit-
ähnliche Mineralien. — Correspondenzbl. d. deutschen Ges. f. Anthropologie. 1874. No. 5.
Squier (E. G.), Die Staaten von Central-Amerika. In deutscher Bearbeitung herausg. von
K. Andree. 3. Aufl. Leipzig (Senf) 1874. gr. 8. (2 M. 50 Pf)
Dr. Berendt's linguistische Forschungen in Centralamerika. — Ausland. 1874. No. 45.
Dr. H. Berendt's neueste Reise in Centralamerika. — Correspondenzbl. d. deutschen Ges. für
Anthropologie. 1874.' No. 3.
Bernouilli (G.), Reisen in der Republik Guatemala, 1870. — Petermaun's Mitthl. 1874
p. 281. 373.
Berendt (H.), Zur Ethnologie von Nicaragua. — Correspondenzbl. d. deutschen Ges. f. An-
thropologie. 1874. No. 9.
— , Die Indianer des Isthmus von Tehuantepec. — Z. f. Ethnologie. Verhdl. V. 1873.
p. 146.
Galton (F), The excess of female population in the West-Indies. — Journ. of the Anthro-
polog. Institute. IV. 1874. p. 136.
Ueberreste der Ureingeborenen auf den Antillen. — Globus. XXVI. 1874. p. o78.
0' Kelly (J. J.), The Mambi-Land, or adventures of a Herald Correspondent in Cuba, Lon-
don (Low) 1874 360 S. 8. (9 s.)
Cuba und die Cubaner. — Unsere Zeit. N. F, X. 1. 1874. p. 828. X. 2. p. 122.
Virchow, Zwei Steingeräthe aus einer Höhle von Ilaiti. — Z. f. Ethnologie. Verhdl. 1874.
p. 70.
Turner (G.), Impressions of Jamaica. — Geograph. Magazine. 1871, p. 153. 198. 243.
297. 332.
Turiault (J.), Etüde sur le langage creole de la Martinique. Brest 1874. 120 S. 8.
Süd-Amerika.
Marcoy (P.), Travels in South America, froni the Pacific Ocean to tho Atlantic Ocean.
lllustr. by 525 engravings on wood, drown l)y E. Riou. "2 vols. London (Blackie) 1874.
1028 S. 8. (42 s.)
Engel (Franz), Land und Leute des tropischen Amerika. — Unsere Zeit. N. F. X. 1. 1874.
p. 248. 471).
— , Char.nkterbilder aus dem tropischen Amerika. — Aus allen Welttheilen. V. 1874.
p. 337. 367.
— , Das Sinnen- und Seelenleben der Menschen unter den Tropen. Berlin (Lüderitz. Samml.
gemeinvorständl. Vorträge, No. 204.). 1874. 8. (75 Pf.)
Bornemann (K. A.), Aus Veiiezuela. — Aus allen Welttheilen. V. 1874. p. 187. 214. 202.
Aus SaHVays Reisen in Neugranada. — Globus. XXVI. 1874. p. 113. 129.
Literatur für Anthropologie etc. im J. 1874. 201
Zerda (R.), Alterthüiuer der Siechalaguna bei Bogetu. — Z. f. Ethnologie. VI. 1874.
p. 160.
Mossbach (E.), Die Iiikas-Indianer und das Aymara. — Ausland. 1874. No. 19 f. 23.
Hutchinson (Th. J.), Two years in Peru. With ex|)lanatiüns of its antiquities. With map
and numerous illustrations. 2 vols. London (Low) 1874. 690 S. 8. (28 .s.)
— , Explorations in Peru. — Journ. of the Anthropolog. Institute. IV. 1872. p. 2.
Hutchinson über die Alterthiimer Perus. — Globus. XXVI. 1874. p. 29.
Markham (E. R.), Reisen in Peru. 2. Aufl. Leipzig (SenO 1874. gr. 8. (2 M. 50 Pf.)
Rosen thal (L.), Bilder aus Peru. - Ausland. 1874. No. 46. 49 ff.
Hutchinson (T. J.), Explorations araongst ancient burial grounds of Peru. — Journ. of the
Anthropolog. Instit. III. No. 3. 1874. p. 811.
Bolan (H ), Ueber den peruanischen Guanogötzen. — Z. f. Ethnologie. Verhdl. 1874. p. 93.
Virchow, Holzgötzen von den Guano-Inseln. — Ebds. N'erhcU. V. 1873. p. 153.
Mossbach (E.), Bolivia. Culturbilder aus einer südamerikanischen Republik. Leipzig
(Barth) 1874. 8 (2 M.)
Zoja (G.), Di un teschio Boliviano microcefalo. - Archivio per Tantropologia. IV. 1874.
p. 204.
Virchow, Altpatagonische, altchilenische und moderne Pampas-Schädel. — Z. f. Ethnologie.
Verhdl. 1874. p. 51.
Moreno (Fr. P. tils), Dcscription des cimetieres et paraderos prehistoriques de Patagonie. —
Revue d'anthropologie. III. 1874. p. 72.
Schwalbe (C), Land und Leute in den Laplata-Staaten. — Magaz. f. d. Lit, des Auslandes.
1875. No. 1. 3. 7. ff.
Burmeister, Ueber Alterthümer der Laplata-Staaten. — Z. f. Ethnologie. Verhdl. V. 1873.
p. 171.
Geary (A. A.), The exploration of the Rio Bermejo. — Ocean Highways. 1874. January.
p. 412.
Kahl (A.), Ein Stiergefecht in Montevideo. — La Plata Monatsschrift. 1874. No. 2.
— , Die Ranquela-Indianer. — Ebds. 1874. No. 1.
Die Ranquelas-Indianer auf den argentinischen Pampas. — Globus. XXV. 1874. p. 250.
264. 280.
Bermejo (J. A.), Repüblicas americanas. Episodios de la vida privada, politica y social de
la repüblica del Paraguay. Madrid (Murillo) 1873. 284 S. 8. (4 rs.)
Forgues (L.), Le Paraguay. - Le Tour du Monde. XXVII. 1874. p. 369.
Eine Fahrt auf dem Parana in Argentinien. — Globus. XXVI. 1874. p. 369.
('anstatt (0.), Nach Brasilien. - Ausland. 1874. No. 24. 28. 32. 35. 45.
Denis (F.), Une theogonie des indigenes du Bresil. — Revue de philoIogie. I. 1874.
Die Götter der wilden Indianer in Brasilien. — Globus. XXV. 1874. p. 296.
de Capanema (G. S.), Die Sambaquis oder Muschelhügel Brasiliens. — Petermann"s Mittheil.
1874. p. 228.
Rath (K.), Die Sambaquis oder Muschelhügelgräber Brasiliens — Globus. XXVI. 1874.
p. 193. 214.
Virchow, Ueber einen Schädel und ein Steinbeil aus einem Muschelberge der Insel San
Amaro (Brasilien). — Z. f. Ethnologie. Verhdl. 1874. p. 4.
Keller-Leuzinger bei den Caripunas-lndianern am Madeira. — Globus. XXVI. 1874. p. 1.
— bei den Kautschucksammlern am Madeira. — Ebds. XXVI. 1874. p. 65.
Niederländisch Guiaua. — Unsere Zeit. N. F. X. 2. 1874, p. 594.
Mourie (J. F. IL), La Guyane Franvaise ou uotices geographiques et historiqncs sur la partie
de la Guyane habite par les colons, au point de vue de Uaptitude de la race blanche h.
exploiter les terres de cette colouie. Paris 1874. 360 S. 12.
Australien. Polynesien.
Taplin (G.), Further notes on the mixoil races of Australia. ~ Journ. of the Anthropolog.
Institute. IV. 1874. p. 52.
Zeitschrift für Ethnologie, Jahrgang 1875. \^
202 Literatur für Anthropologie etc. im J. 1874.
Macke nzie (A.), Speciiuens of native anstralian languages. — Ebds. III. 1874. p. 247.
Das Leben in Nord-Queensland. Aus den Aufzeichnungen einer Deutschen. Nach dem Engl.
von Bertha Mathe. — Ausland. 1874. No, 48. 52.
Bonwick (J.), The Victorian aborigines. — Illustrat. Travels hy Bates. 1874. p. 151.
Bastian (A.), Australien und Nachbarschaft. — Z. f Ethnologie. VI. 1^74 p. 267. 2915.
Mundy (G. E ), Wanderungen in Australien und Vandiemensland. Deutsch liearbeitet von
F. Gerstäcker. Leipzig (Senf) 1874. gr. 8. {% Thlr.)
Verrainderung der Polynesier in d^r Südsee. — Globus. XXVI. 1874. p. 220.
Hutton (J.), Missionary life in the southern seas. London (King) 1875. 358 S. 8. (14 s.)
Kennedy (Alex.), New Zealand. 2d. edit. London (Longmaus) 1874. 198 S. 8. (G s. 6 d.)
Johnstone (J. C), Maoria: a sketch of the manners ad custome of the aboriginal inhabitants.
of New-Zealand. London (Chapniann) 1874 214 S. 8. (7 s. 6 d.)
White (J.), The Rou; or the Maori at home: a tale exhibiting the social life, manners, ha-
bits, and customs of the Maori race in New Zealand prior to the introduction of civilisa-
tion amongast them. London (Low) 1874. 342 S, 8. (10 s.)
■ R. Michluko-Maclay's Fahrten an der Südwestküste New-Guinea"s im Frühjahr 1874. — (ilobus.
XXVI. p. 317. 333.
Miklucho Maclay unter den Papuas auf Neu-Guinea. — Ausland. 1874. No, 43.
Murray (A. W.), The mission in New Guinea. - Chronicle of the London Missionary Soc.
1874. p. 145.
Mores by (J.), Recent discoveries in the south-eastern part of New Guinea. Proceed. of
the Roy. Geograph. Soc. XVIII. 1874. p. 22
Gill (W. Wyatt), Three visits to New Guinea. - Ebds. XVIII. 1874. p. 31.
Fortschritte in der Erforschung von Neu-Guinea. - Petermann's Mitthl. 1874. p. 107.
Hamy (E. T.), Sur l'ethnologie du sud-est de la Nouvelle-(iuiiieo. — Bull d<> Im Soc. d'an-
thropologie de Paris. 1874. p. 105.
Die Erforschung von Neu-Guinea. — Gaea. 1874. p. 513.
Virchow, lieber Schädel der Papuas auf Neu-(niiiiea. - Z. f. Ethnologie. Verhdl. V. 1873.
p. 175.
V. M iklucbo-Maclay , Schädel und Nason der Eingeborenen NeuGuineas. Ebds. V.
1873. p 188.
— , Einige ethnographisch wichtige Gebräuche der Papuas an der Moslay-Küste in Neu-Liuinea.
— Istwestija d. K. Rnss geogr. Ges. X. p. 147.
— , Von der Sprache der Papuas. — Ebds. X. p. 186.
— , Das Getränk „Keu" bei den Papuas auf Neu Guinea — Klxls. X. p. 63.
Campbell (F. A.), A year in the New IIel)ri(les, Loyaity Islands and New-Caledonia. Gelong,
Victoria. 1874, 266 S 8. (12 s.)
The Caroline Islands. — Geogr. Magazine, 1874. No. 5, p. 203.
Kubary (J.), Die Ruinen von Nanmatal auf der Insel Ponope (Ascension, Carolinen). —
Journ. d. Museum Godeffroy. I. Hft. VI. 1874. p. 12:!.
Bird (Isabella L.), The Ilawaiian Archipelago: six month among the Palm (hoves, Coral üeefs,
and Volcanos of the Sandwichs Islands Witli illustrat. London (Murray) 1875. 470 S,
8. (12 .s.)
Pechuel-Lösche (M. E.), Erinnerungen an Hawaii. — Aus allen Welttheilen. V. 1874.
p. 257. 292.
de Variguy (C), Voyage aux iles Sandwich. — Le Tour du Monde. XXVI. 1873.
-, Quatorze ans aux iles Sandwich, Paris (Hachette) 1874. 357 S, 18. (3)^ fr,).
Steinberger (A. B.), Report upon Samoa or the Navigators Islands. Senate Executive Doc.
No. 45, Washington.
Mein icke. Der Archipel der neuen llebriden. — Z. d. Berlin. Ges. f Erdk, 1874. p. 27.''), 321.
Michell (W, C), The Fiji Islands. — Illu.strat. Travels by Bates. 1874. p. 211.
Ravonatein (E. G.), The Viti or Fiji islands, — Geograph. Magaz. 1874. No. 2. p. 57.
Aube (F.), Les Fidjis. — Revue marit. et colon Octob. 1873. p. 5.
Bohr (E,), Die Fid.schi-Inseln, - Deutsche Rund.schau. J. 1874. Hft. 3.
Miscellen und Bücherschau. 203
Spengel (.(. W.), Nachtrag zu den Beiträgen zur Keniitniss der Firlschi-InsulHner. — Journ.
d. Mnseum (iodeffroy. Bd. I. Hft. VI . 1874. p. 117.
Girard (.).). La coloiiisation anglo-saxonno aiix ile.s Fidji. - Bull, de la Soc. de Geogr.
VI. Scr. Vll. 1874. p. 148.
Ilarrisüii (.1. l*.), The hieroglyphics of Easlerii Islands. - Journ. of the Anthropolog. Inst.
III. No ;i. 1«74. p 370.
Miscellen und Büeherscliau.
Haeckel, die Anthropogenie. Leipzig 1875.
Das Buch ist gleich den übrigen des Verfassers in einem populär verständlichen Styl ge-
schrieben und behandelt einen lehrreichen Stoff in belehrender Weise, so dass es ohne tlie ten-
denziöse Färbung, die ihm durch die Privathypothese des Verfassers öfter, als nöthig, aufgedrückt
wird, auch für ein weiteres Publicum ganz empfehlenswerth wäre.
Ohne auf Einzelnheiten einzugehen, wollen wir nur an die vom verschiedenen Standpunct
gegebenen Differenzen einige Betrachtungen im Allgemeinen anknüpfen.
Das Streben nach , monistischer" Philosophie (einem neuen Ausdruck zufolge) Uegt in den
Denkgesetzen begründet, und jede Zeitepoche hat sich die Aufgabe gestellt, eine einheitliche
Weltanschauung zu gewinnen. Kämpfe traten ein, wenn mit dem Eindringen neuer Ideenkreise
ilas frühere Gleichgewicht zerrüttet wurde, und nach einem höhereu tertium comparatiouis ge-
sucht werden musste, um den Zustand der Gesundheit zu wahren. Besonders in unserer viel
bewegten Gegenwart, wo die Stützen des alten Glaubens zusammengebrochen sintl und die An-
sichten nach allen Richtungen hin auseinander schweifen, hat sich in einer vielfältig zerbrochenen
Weltanschauung längst das Bedürfniss geltend gemacht, einen neuen Abschluss zu erlangen, in
welchem sich die Resultate der wissenschaftlichen Forschungen geregelt zusammenordneu Hessen.
So musste auch eine monistische Philosophie, die eine wissenschaftliche Erklärung des gesammten
Naturzusammenhanges zu geben versprach, ein beifälliges Publikum finden und leicht ihre Ver-
breitung erhalten.
Obwohl nun aber eine Einheit der Weltanschauung zu wahren oder, nachdem sie verloren
gegangen, wieder herzustellen ist, darf sie doch in einer unendlichen Welt ohne Anfang und
Ende nicht mehr auf ein vom menschlichen Geist ausgebrütetes Gruudpriucip zxu-ückgeführt
werden, sondern sie kann nach der Objectivirung des Denkens nur noch im einheitlichen Zu-
sammenklang geschichtlicher Harmonien gefunden werden. Die Philosophie des Thaies mochte
mit dem Wasser, die anderer lonier mit Luft oder Feuer anheben, aber schon Empedocles (wie
Parmenides) verwarf den einheitlichen Grundstoff, um mit den Elementen zu beginnen, und für
unsere Weltkenntniss liegt eine Verstümmelung derselben involvirt, wenn wir einen jdane-
larischeu Gaszustand als Erstes setzen. Wenn es freilich erlaubt sein mag, denselben unter
hypothetisdier Werthbezeichnung in die Gleichinigen der Denkrechnungen einzuführen, so wird
dagegen an jeiies ferner abgeleitete Glied auch um so strenger der Anspruch einer gegenseitigen
Oontrolle der Richtigkeit zu stellen sein. Der Versuch liegt nahe, von der anorganische» Natur
eine Brücke zur organischen zu schlagen, und der einheitliche Plan in der letztem hat sich
uns bereits durch die Fortschritte uaUirwissenschaftlicher Forschungen euthüUt, in iler Zoologie
besonders durch die vergleichende Anatomie. Sie hat uns die gesetzliche Lebereinstimmuug in
den Thierklassen gelehrt, den Anschluss des Menschen an die Wirbelthiere, unter diesen im
Besoudern an die Säugethiere und hier, wie man wenigstens schon seit Linne's Zeit wusste,
zunächst au den Affen. Alles cUeses lag bereits vor, als liie Hypothese der Pescendenz hinzu-
204 Miscellen und Bücherschau.
trat, und manche der bisher nur den Fachmännern verständlichen Gmndzüge durch populäre
Darstellungsweise einem allgemeinern Verständniss zugänglich machte. Das Bemühen war ein
zeitgemässes und es wurden zugleich manche wichtige Specialarbeiten angeregt, wogegen die
Fundamentalbeweise von den Vertretern der Descendenz weder verändert, noch in ihren wesentlichen
Pimcteu vermehrt wurden. Im Gegeutheil ist aber dasjenige, was die Hypothese der Descendenz
Selbstständiges (eben in der Descendenzhypothese) hinzuthat, ein deutlicher Abfall von den
Grundsätzen der Inductionswissenschaft. Es war ein bahnbrechender Fortschritt, als Darwin
die Wechselwirkung des Makrokosmos und Mikrokosmos in den geographischen Provinzen zu
durchforschen begann und mit einer Fülle thatsächlicher Beweisstücke erläuterte, aber ebenso
war es als unüberlegter Rückschritt zu beklagen, als man naturphilosophische Träumereien und
hermetische Künsteleien in den Theorien über die Descendenz wieder zu beleben suchte. Gewiss
zieht sich ein einheitlich gesetzlicher Faden durch die Gesaramtheit der organischen Natur von
den Moneren durch Würmer bis zu Wirbelthieren, diesen Faden aber als genetischen zu fassen,
fordert kein zwingender Grund, verbietet vielmehr umgekehrt die Beobachtung realer Thatsachen,
denn die Fortpflanzung dient, wie die Natur beweist, zur Erhaltung der Art (nicht zur Aufhebung
oder Umänderung derselben) und erscheint an der Peripherie der möglichen Variationsweiten
immer bereits so abgeschwächt, dass sich deutlich eine abnehmende Reihe da bekundet, wo die
Willkür einer Hypothese eine aufsteigende setzen will. Für die Naturforschung in ihrer heutigen
Gestalt ist es eine Kernfrage ihrer Selbsterhaltung, bei den Erklärungen innerhalb der realiter
umschriebenen Grenzen zu bleiben, und für jenen das Organische verbindenden Faden könnte
bei der jetzigen Sachlage die Erklärung nur metaphysisch gesucht werden , also auf einem Ge-
biete, das der Naturforschung bis zur inductiven Auslnldung der Psychologie verschlossen
bleiben muss. Wie die anorganischen Naturwissenschaften feste Marklinien ihrer Erkläningen
anerkannt haben, ohne dass man ihnen deshalb die Zulassung des Wunders vorzuwerfen wagen
würde, so muss es auch in den organischen geschehen, und gerade diese können das Zugeständniss
um so unbekümmerter gewähren, weil sie bei der beginnenden Durchbildung der Psychologie
bereits auf dem Wege sind, die Hülfsmittel des Weiterschreitens zu erringen.
Wie immer man sich die Nebularhypothese, in der Fortbildung vom Gasförmigen durch das
Flüssige zum Festen, zusammenlegt, so wird doch durch den gegenwärtigen Standpunkt der
Chemie stets verlangt werden, die verschiedenen Elementarstoffe als nebeneinander bestehend
hinzunehmen, und, wie weiter gefolgert wird, auch „Life (living matter) is regarded as one of
the natural results under actual conditions of the growing complexity of the primal nebula."
Wie i)eim galvanischen Einströmen in mineralische Lösung der Silberbaum anschiesst, so könnte
auch das Leben als immaterielles Princip gedacht werden, um ,,dead organic matter" in lebendige
zu verwandeln, welche letztere dann temporär Kraftwirkungen erkennen Hesse, wie das Eisen,
wenn (und so lange, als) magnetisirt. Mit alledem kann ebensowenig wie alchymistische Metall-
verwandlungen erlaubt sind, ein Uebergang organischer Typen ineinander (jenseits „the com-
plexly-interlated individuals constitutiug the vast underlying plexus of Infusorial and Crypto-
gamic life) gefolgert werden, da die Zellcomplexe (und zwar um so mehr, je complicirter) als
ihre Neigungsrichtung (unter verschwindender Selbstständigkeit der Metameren) die Unterordnung
der Theile unter die Abrundung des Ganzen zeigen, und dieses in dor Reproduction den eigenen
Typus (innerhalb der Oscillationssphäre makrokosmisch bedingter Variationen) zu erhalten strebt,
also gerade die der Heterogenesis entgegengesetzte Richtung verfolgt, so weit Beobachtungen
und Thatsachen vorliegen. Und dennoch meint man die hier klaren und unzweifelhaften Aus-
sprüche der Physiologie aus philosophischer Liebhaberei für eine „bequeme" Hypothese ignori-
ren zu köntnm. In der neuen Anordnung des Stammbaums (von Urthieren durch Würmer zu
Wirbelthieren) giebt Haeckel nur den vier höheren Phylen den Werth von Typen, wogegen er
die Urthiere ausscheidet, und l'flanzenthierc und Würmer zwischenstellt.
In dem Streit über „Archebiosis" sind verschiedene Wege eingeschlagen, um die Hypothese
der Entwickelung zu erklären. Wird ein erstes Entslehen des Organischen in jener Vorzeit
beyond the abyss of geologically recorded time (s. Huxley) angenommen, so müsste sich, nach
Spenccr's Theorie vom nothweudigen Uebergang des Homogenen zur Heterogenität, die niede-
ren Wesen längst alle zu höheren entfaltet haben, und die gegenwärtige Fortdauer jener er-
schiene als eine Anomalie. Lässt man dagegen mit William Thomson die ersten Keime des
Organischen aus den Trümmern einer andern Welt (from the ruines of another world) kommen,
Miscellen und Bücherschau. 205
(und sie dann, wenn man will, panspermistisch in der Atmosphäre verbreitet bleiben), so brau-
chen das nicht nur Keime von Vibrionen oder Bacterien zu sein, sondern man könnte dann, in
Uebereinstiinmung mit mythologischen Bildern, gleich auch den ganzen Menschen herabfallen
lassen. Die weiteren Schwierigkeiten, die sich hier erheben, kehren auch bei dem von den
Thiereu aufgestiegenen „Urmenschen" zurück, denn da wir den Menschen realiter immer nur
unter seiner durch die geographische Provinz jedesmal umschriebenen Modificationsform verstehen
können, kann dem aus Hirngespinnst zusammengewebten Urmenschen oder einem Adam Kadmon
so wenig eine Existenz vindicirt werden, wie der Generalisation des Baumes, der erst in fler
Verfeinerung der Denkoperationen geschaffen wird und vorher den Sprachen fremd bleibt.
Wenn sich die Keimblätter in ihrer primitivsten Form bis auf die Gastraea zurückführen
lassen, so ist es allerdings angezeigt, die Bildung hier unter den einfachsten Verhältnissen zu
studiren, um für ihre Verfolgung unter höheren Complicationen einen leitenden Faden zu fin-
den, und wenn man gleiclmissweisc von einer Weiterentwickelung reden wollte, könnte das
immerhin gestattet bleiben. Obwohl es sich dabei indess nur um einen Wortstreit zu handfln
scheinen möchte, zeigt sich präcise Auffassung dennoch durchaus nothwendig, da ein Kernpunkt
unserer naturwissenschaftlichen Forschungsmethode in Frage kommt. Analoges kehrt in ver-
gleichender Psychologie wieder, wo sich in dem Gedankenkreise der Naturvölker einfache Vor-
stellungen ergeben, die, wenn in solcher Durchsichtigkeit richtig erschaut, einen Schlüssel bie-
ten, um die Labyrinthe culturhistorischer Schöpfungen aufzuschliessen, wo sie sich gleichfalls
als primäre Schichtungen hindurchziehen, ähnlich wie das Studium der physiologischen Gesetze
des Pflanzenwachsthums in den Kryptogamen feste Anhaltspunkte gewinnen Hess, um jetzt
dem gleichen Wirken in höheren Organismen nachzugehen. Auch in jenen Fällen Hesse sich
sagen, dass z. B. die primitiven Combinationen, wie sie der Heilighaltung des Feuers bei
Australiern, Sibiriern, Cherokee, Herero u. s. w. zu Grunde Hegen, sich zu den höhern Verehrungs-
formen eines magischen Feuerdienstes entwickelt hätten, wie er sich nicht nur bei den Persern,
sondern auch von den Religionen der Mexicaner, Peruaner, Römer u. s. w. nachweisen lässt.
Es wäre nun aber ein Wiederaufgelten und Zerstören aller Resultate, die mit der ersten Fun-
damentirung durch die Bausteine der Induction nach langen Mühen und Arbeiten endlich ge-
funden sind, wenn man hier aufs Neue aus derartigen Analogien auf eine Abstammung der
genannten Völker aus einander zurückschUessen wollte. So geschah es in der Kindheit der
Ethnologie, wo man sich durch die leichtesten Aehnlichkeiten oder Gleichartigkeiten zu
genetischen Schlüssen verführen Hess, und überall die verlorenen Stämme Israel wieder zu
finden meinte, oder durch hausirende Phoenicier, Etrusker oder sonstige Pelasger verlorenen
Ideenfetzen. Diese kindisch-kindliche Auffassung oberflächlichster mechanischer Naturbetrach-
tung, in welcher es sich am leichtesten und bequemsten ergab, jede Erscheinung als ein von
anderswoher oder von altersher vererbtes Stückgut aufzufassen, brach von selbst zusammen mit
der Erkenntniss, dass es sich hier um tiefere Gesetzlichkeiten handelte, die aus causae efficien-
tes, welche über unseren bisherigen Horizont hinausgelegen hatten, überall auf der Erde gleich-
artige Productionen, je nach den Besonderheiten der geographischen Provinz in verschiedener
Mannigfaltigkeit gefärbt, in's Dasein rufen mussten, und seitdem ein Weg betreten werden
konnte, um aus den Wechselwirkungen des Makrokosmos luid Mikrokosmos mancherlei Erklärun-
gen zu gewinnen. So mag auch die vergleichende Anatomie oder Physiologie in der Gastraea
ein brauchbares Object zu genetisch entwickelnden St\idien sehen, aber von einer realisirten
Genesis kann um so weniger die Rede sein, als die Arterhaltende Fortpflanzung des Individuum
sich unmöglich in eine Artenwandelnde umprägen lässt. Dies wird um so klarer und deut-
licher, je höher wir in die Reihe der Wesen emporsteigen, während sich bei niederen Thiereji
allerlei Verhältnisse finden, welche vielleicht eine veränderte Anwendung der Systematik herbei-
führen mögen, und auf einzelnen Gebieten, wie bei dem Generationswechsel und Aehnlicheni
auch bereits benöthigt halten. Dass in einem gleichartigen Blastem, oder ,Blastosphaera-,
(gleich den ,Plauaeaden-), wo jede Zelle gewissermaassen ihre Selbstständigkeit bewahrt, Diffe-
renzirungen höherer Art zu den Spaltungen der Keimblätter (die Scheidung des vegetativen
Blattes vom auimalen) eintreten könnten, ist nach den längst festgestellten Grundzügen der
Zelltheorien an sich nicht zu bestreiten. Solche directen Metamorphosen hören aber von selbst
auf, sobald die Arbeitstheilung in weiter Durchbildung einmal zur Geltung gekommen ist, da
es sich dann um das höhere Staatsganze in den Zellcomplexen handelt, wo partielle Aenderungen,
206 Miscellen und Buch rschau.
da sie sich während der Spanne der Individual-Existenz nicht bis zur harmonischen üragestal-
tung des Ganzen zu aceumuliren verra/lgen, ohne Potenzirung wieder verklingen müssen, und
Einzelwucherungen wohl zu pathologischen Destructionen, aber sicherlich nicht zu fortschreiten-
der Vervollkommnung führen können.
In ähnlicher Weise, wie die von dem Gewölbe der Felsentempel aus dem Stein ausgehaue-
nen Balken, auf eine frühere Ilolzarchitektur zurückweisen, in der sie ihre praktische Bedeu-
tung besassen, und so als Ueberbleibsel fortdauern, zeigen die rudimentären Organe höherer
Geschöpfe ihren gesetzlichen Zusammenhang mit einander, und diesen hat man desshalb zu
einem genetischen der Entwickelung machen wollen. In jenem Fall liegt die Ursächlichkeit
im Geist des Menschen, der sich von der einen Constructionsweise zur andern erhebt, und jede
dann zu ihrer Zeit abgeschlossen in's Dasein treten lässt. In der Naturwissenschaft war es der
Fortschritt der freien Forschung, wodurch der anthropomorphisirte Schöpfer, der sich dem ersten
Nachdenken zur Vergleichung bot, ausgeschieden wurde, und selbst bei einem von Schöpfungs-
gedanken gebrauchten Bilde (in einer unseren Bli<'ken nur bis auf kurze Entfernung durch-
dringbaren Welt) jede nähere Paralelisirnng zu vermeiden bleibt. Was damit gewonnen ist,
würde wieder verdorben werden, wenn man jetzt die Entwickelung als qualitas occulta ein-
führen und sie sogar mit Eigenschaften bekleiden wollte, die dem thatsächlich Beobachteten
direct gegenüber stehen, indem mau ihr auf die Erhaltung der Arten gerichtetes Streben als
umänderndes suj'ponirte. Der gesetzliche Zusammenhang hat sich dem Auge des Naturforschers
bereits seit länger enthüllt, nicht nur in der organischen, sondern in der gesammten Natur,
aber die Wurzeln der Ding. , aus denen die ursächliche Bewegung quillt, liegen bis jetzt jen-
seits unseres Sehhorizontes, und es wäre eine kurzsichtige Verstümmelung die einigende Ver-
kettung, die sich dort (in jenem Hades des Nichtseins) festgestellt hat, jetzt in den Kreis der
real verwirklichten Existenzen überzuführen, wo der dort geschlungene Ring des Gesetzes durch
Zwischenschieben unvereinbarer Hypothesen nur bedenklich zerrüttet werden würde. Die , ver-
kümmerten-' Organe bewahren diesen Charakter nur für gewisse Variationen des Menschenge-
schlechtes, während sie für dieses im Ganzen eben regelrecht angelegt sind, wie bei den-
jenigen Geschöpfen, von denen sie als überflüssige Erbschaft übernommen sein sollen. Ist der
Mensch auf weiten Ebenen oder durch sonst gel)otene Noth des Lebens in Wildheit oder (wie
etwa bei Madeinoiselle le Blanc, dorn wilden Mädchen von Chalons 1731, und ähnlichen) in
Verwilderung zur Schärfung seiner Sinne gezwungen, wird er bald (oder vielmehr von Geburt
auf^ geübt sein, die Ohrenmuskeln in einer für ihn gleich nützlichen Weise, wie die Thiere,
zu gebrauchen, und dann, im Verhältniss dazu, lässt sich auch verstehen, wie sie im civilisirten
Leben in Ruhestand treten mögen, nicht aber im Verhältniss zu Verhältnissen, mit denen sich
überhaupt kein Verhältinss herstellen lä.sst (selbst nicht in einer Dysteleologie).
Bei andern der als rudimentär l)eschriebencn Organe fällt von vorneherein die Supposition eines
genetischen Zusammenhanges fort, wie der runzelfähige Stirnmuskel allerdings Zusammenhang mit
dem Panniculus carunsus des Pferdes zeigt, aber eben eine für die Menschheit entsprechende
Ausbildung der Anlagen nach der Localität, in welcher sie auftritt Ebenso führen die Ueber-
bleibsel im Gefässsystem auf autogenetische Vorbildungen ohne phylogenetische Beziehungen,
und solche fehK-n auch bei den rudimentären Organen am Harn- und Geschlechtsapparat, die
auf die später sexuelle Differenzirung zurückgehen.
Erklären ist ein Klarmachen innerhalb übersehbarer Verhältnisse, wo also ein Anfangs-
und ein Endpunkt des Ganzen fixirt werden kann, um im Verhältnisse dazu die Werthgrösse
des Theiles abszu.schätzen. So vermag die Chemie ihre Verbindungen zu erklären, nach, den
Proportionen der darin eingehenden Elemente, wogegen die Entstehung dieser als in einen
liis dahin duiikelen l'rsprung zurückgreifend, vorläufig unerklärbar bleil't, nnd ebenso wenig
vermögen wir, ihren festgestellten Typen nach, die erste Entstehung des Organischen (ausser so weit
einfachere Formen sich direct an das Unorganische anschliessen könnten) zu erklären, ohne dass
deshalb das Wunder eingeführt wird, denn das Wunder, eine widernatürliche Zerreissung des
Naturznsammenhiinges, kaini nicht für Betrachtungen gelten, wo der Naturznsammenhang .selbst
noch ausserhalb der Betrachtung liegt. Inwieweit innerhalb des für uns abgeschlossen daste-
henden Typus Umwandlungen statthaben, sind Erklärungen möglich, wie sie auch von Darwin
für manche der Variationssphären in scharfsinniger Weise geliefert sind, und die hauptsächlichsten
Daten derselben waren schon länger in den Lehren iler vergleichenden Anatomie niedergelegt.
Miscellen und Bücherschau. 207
Die Vermuthung eines genetischen Fadens kann hier um so weniger nützen (und bleibt viel-
mehr von vornherein unzulässig), weil sie den beobachteten Thatsachen direct widerspricht,
indem die Fortpflanzung durch lleproduction nach Erhaltung des Typus (also den Gegensatz
für Umgestaltung) strebt, und physiologische Gesetze es verbieten, locale Aendemngen, die sich
bei complicirteren Organisationen während der Spanne individueller Existenz nicht bis zurdurch-
dringentlen Beeinflussung des (ianzen zu accumuliren vermögen, als in der Neuzougung, auf
deren Normalzustand sie nur in pathologischen Störungen influem-iren könnten, für fixirt zu
erachten (und selbst mit tler Kraft der Vervollkommnung begabt). Im Volksmährchen mag
auch aus der liäutenden Schlange ein Prinz hervortreten, und die Metamorphosen der Pflanzen
und Thiere sind oft für mythologische Bilder verwandt, aber die nüchterne Wissenschaft hat
sich an diejenigen Principien zu halten, die durch ihre eigenen Forschungen festgestellt sind,
und diese verbieten sowohl der Chemie die verlockende Einfachheit eines menstruum universale,
wie der Zoologie die bequeme Hypothese der Descendenz.
In der Schlussreciipitulation heisst es, dass die Entwickelung des Menschen nach densel-
ben unveränderlichen Gesetzen erfolge, wie die Entwickelung jedes andern Naturkörpers, „durch
die definitive wissenschaftliche Begründung dieser monistischen Erkenntniss thut unsere Zeit
einen unermesslichen Fortschritt in der einheitlichen Weltanschauung-' und die nur mit der
Reformation des Copernicus vergleichbaren Verdienste Lamarks und Darwins im Umsturz einer
anthropocentrischen Weltanschauung werden für die Descendenz allein in Anspruch genommen,
während es sich hier überhaupt um die Fundameutalsätze unserer inductiven Naturwissenschaft
handelt, die noch mitunter von theologisch "der teleologisch in Anachronismen zurückgeschraub-
ten Köpfen hier und da bekrittelt werden mögen, durch Einführung einer verwirrenden Descen-
denz-Hypothese aber gewiss ernstlichen Schaden nehmen werden. Wenn dem Verfasser über
diese naturwissenschaftlichen Prinzipien erst durch Darwin's scharfsinnige Darlegungen ein
Licht aufgegangen ist, so muss er nicht ein Laienpublikum glauben machen wollen, dass es
früher nicht vorhanden gewesen. Die Entschuldigung mag in der besonderen Welt, in der er
gelebt zu haben angiebt, zu suchen sein, in den Studienjahren, in denen niemals mit einem
Wort von Entwickelungsgeschichte die Rede gewesen, während Zeitgenossen sich recht wohl
der hohen Achtung erinnern werden, die damals bereits Baer s Arbeiten gezollt wurde und ^-iel-
verheis.sende Aussichten auf dem kaum betretenen Pfade eröffnete. Aus früherer Einseitigkeit
sind auch Haeckers Ausfälle gegen die Physiologie, welche die „wichtigste biologische Theorie
(id est: die Descendenztheorie) für eine unbewiesene und bodenlose Hypothese" erklärt, leicht
verständlich, denn für die Physiologie handelt es sich hier um eine Lebensfrage, da ihrer
exacten (und bereits bei jeder Gelegenheit mit einem Seitenhiebchen gemisshandelten Methode
der Todesstoss versetzt sein würde, wenn das Wirrsal der Descendenz in den Schulen eingeführt
würde, und nun beim bellum omnium contra onines im Reiche der Zellen die mühsam aus ge-
setzlichem Zusammenhang verstandenen Organismen wieder zerfallen müssten.
Die Unrichtigstellung der Fragen in diesem Kampfe pro und contra Descendenz ergiebt sich
auch aus folgendem Satz (S. o72), wo bezüglich der Entstehung des Menschengeschlechts nur die
Wahl gelassen ist, „zwischen zwei grundverschiedenen Annahmen", nämlich: „Wir müssen uns
entweder zu dem Glauben bequemen, dass alle verschiedenen Arten von Thieren und Pflanzen,
und ebenso auch der Mensch, luiabhängig von einander durch den übernatürlichen Prozess einer
göttlichen Schöpfung entstanden sind, welcher als solcher sich der wissenschaftlichen Betrach-
tung überhaupt entzieht — oder wir sind gezwungen, die Descendenztheorien in ihrem ganzen
Umfange anzunehmen, und in gleicher W^eise, wie die verschiedenen Thier- und Pflauzenarten,
so auch das Menschengeschlecht von einer uralten einfachsten Stammform abzuleiten. Ein
Drittes zwischen diesen beiden Annahmen giebt es nicht. Entweder blinden Schöpfungsglaubeu
oder wissenschaftliche Entwickelungstheorie."
Dass alle Gesetze, wie sie für PHanzeu und Thiere gelten, auf den menschlischen Organis-
mus anwendbar sein werden, ob es sich nun um Schöpfung oder um Entstehung handelt,
sollte sich in naturwissenschaftlichen Kreisen schon seit lange zu sehr von selbst verstehen,
um besonderer Hervorhebung zu bedürfen, und wäre das in der That noch nicht der Fall, so
würde die wiederholte Polemik dagegen ganz angebracht sein. Diese gleichmässige Application
in beiden Fällen zugegeben, würde es sich jetzt um Schöpfung oder Entstehung handeln. Der
Verfasser setzt indess sogleich eine göttliche ,Schöpfung'' (während er sonst doch genugsam
208 Miscellen und Bücherschau.
die natürliche kennt), verbindet sie mit einem „übernatürlichen" Prozess und nimmt dafür einen
„Glauben" in Anspruch. Da jedoch die iiiductive Naturwissenschaft innerhalb ihres Bezirkes
weder ein Göttliches, noch Uebernatürliches, noch den Glauben kennt, wird mit Streichung die-
ser drei Worte die Vorstellung von der Schöpfung mit der von der Entstehung so ziemlich zu-
sammenfallen, wenn mau die weder von einer philosophischer Betrachtung unendlich-ewiger Welthar-
monien zu rechtfertigende, noch physiologisch denkbare, auch ausserdem durch die exacte Methode,
weil unbewiesen, verbotene Zuthat einer „uralten einfachsten Stammform" fortlässt. Nur be-
denklichster Kurzsichtigkeit kann es entgelien, dass wdr mit solchen Stammformen schliesslich
immer wieder völlig dieselben Schwierigkeiten haben, ob wir sie ein einziges Mal setzen oder
hunderttausendmal, und dass, obwohl sich innerhalb gegebener Wechselwirkung die Gesetze der
Entstehung erklärend ausverfolgen lassen, eine darüber hinausfallende Entstehung auch ebenso
gut als Schöpfung ausgedrückt werden kann, ohne dadurch viel heller oder dunkler zu werden.
Innerhai 0 des von uns durchschaubaren Horizontes planetarischer Ursächlichkeiten lässt sich
die Entstehung der organischen Typen ebenso wenig erklären, wie die der anorganischen Ele-
mente, selbst wenn sich secundäre Uebergänge einleiten Hessen, und da die causae efficientes
über jenen herausfallen, mögen die auf der Erde in Erscheinung tretenden Producte derselben
eben so gut als Schöpfungen aufgefasst werden, obwohl von der früheren Anthropomorphosirung
der W^irkungsweise schon längst keine Rede mehr sein kann. Eine bei Beschränkung der
Natur auf das Planetarische geläufige Abscheidung des Uebernatürlichen fällt bei einer auch
die Fixsternräume umfassenden Natur um so mehr fort, weil die Gleichheit der mechanischen
Gesetze bereits erkannt ist, auch die Chemie allmählig Anknüpfungen planetarischer Propor-
tionen mit solaren und stellaren aufzudecken beginnt, innerhalb inductorischer Studien handelt
es sich aber nur um Relationen, und wenn diese von den kritischen Knotenpunkten auf feste
Typen führen, welche sich in den Berechnungen nicht weiter auflösen, sind sie bis soweit allzu
fest und unverrückbar, als dass sich mit einem aus Gedankenfasern gesponnenen Hypothesen-
faden (am wenigsten einem, der, gleich dem genealogischen, durch die Thatsachen selbst nuUi-
ficirt wird) daran zerren Hess.
In solchem Dunst sind Schöpfungen leicht genug, und ist daraus auch bereits die der
Alaien hervorgegangen. Ist diese Probe geglückt und den Stummen erst die Zunge gelöst, so
kann es unsern Naturdichtern nicht an Stofffülle fehlen, um die Ovide und Berosus weit zu
überflügeln.
So weit wir die Welt in ihren Sphären durchschaut haben, zeigt sie sich als eine einheit-
liche, von denselben Gesetzen durchwaltet, aber diese im Unendlichen erklingende Harmonie,
mit den Klängen des Ewigen tönend, würde in einheitlicher Reduction auf Anfang und Ende,
durch die Verstümmelungen räumlich-zeitlicher Beschränkung, das auf trostvolle Melodien
hoffeiule Ohr mit greller Disharmonie zerreissen.
In der Vorrede wird im Interesse eines Culturkampfes, bei dem es keinem Naturforscher
zweifelhaft sein kann, welche Seite zu wählen, gegen ein Ignorabimus protestirt, — sollte aber auf
dem Arbeitsfelde der Induction wenigstens nicht die präsentische Form gelten und immer da
gelten müssen, wo der Horizont thatsächlicher Beobachtung abschliesstV Auch bei den Fähig-
keilen zu unbegrenzter Entwickelung kann doch immer nur ilas bis zu jedesmaliger Grenze in
der Entwickelung Verwirklichte realiter genossen werden. Dann aber wird die aufwachsende
Jugend mit gesunder Speise genährt und die nächste Generation auf der betretenen Bahn rüstig
vorwärtsschreiten können.
Die lettischen Soiinenmythen.
(Fortsetzung.)
Der schon o. S. 98 genannte Sonneukäfer, ein Repräsentant, der Sonne,
wird auch angerufen:
Sonnevögele flieg' aus,
Flieg' in meines Vaters Haus,
Komm bald wieder,
Bring' mir Aepfel und Bire.')
Des Vaters (Gottes) Haus ist der Himmel; statt der Aepfel und Birnen
war in einer ursprünglichem Fassung wohl nur ein Apfel (die Sonne) ge-
nannt. In einem Schleswiger Liede aus der Gegend von Apenrade") wird
der Storch gefragt, wo er aus zu dienen gewesen sei (d. h. doch wohl, wo er
die Zeit der Dienstbarkeit, des Elendes, der Fremde im Winter zugebracht
habe). Er antwortet:
I min Faders Affildgard;
D?er er Bord a baenke,
Dspr er Mjoe a skaenke,
Dser er Dreng', der kytter Buld,
Daer er Pigger, der Spinner Guld.
In meines Vaters Apfel garten
Da sind Tische, daran zu sitzen,
Da ist Meth einzuschenken.
Da sind Bursche, die werfen Ball,
Da sind Mädchen, die spinneu Gold.
Der Storch ist mit der Sonne im Herbste davongezogen. Im Morgen-
lande, wo die Sonne aufgeht, weilt er. Dort, in der Gegend des Sonnen-
aufgangs ist der Apfel garten, da wird der Sonnenball in die Höhe
geworfen (vgl. o. S. 102 den Becher werfen, S. 103 den goldnen Apfel werfen),
da der goldne Faden gesponnen (vgl. unten S. 217). Die Tische, an denen
gezecht wird, sind einem Nachhall des heidnischen Vallhöll entnommen. Für
') E, Meier, Kinderreime a. Schwaben S. 23, 72.
") Sv. Grundtvig G. D. Minder i Folkemunde II. 148. German. Myth. 420.
Zeitschrift für Ethnologie, Jahrgang lä76. 1^
210
W. Mannhardt:
denjenigen Leser, der mit dem Wesen mythischer Traditionen noch weniger
bekannt ist, wäre hier aufmerksam zu machen auf die so gewöhnliche Häufung
mythologischer Synonyme; die Sonne mit ihren Strahlen in der Auffassung
als Apfel, Goldball und Goldgewebe ist hier zu einem Bilde componirt.
Man vergleiche ferner die Vermländische Anrede an den Weihen (milvus) (?)
GJi gla Glänue')
Lau inig dina Vingar!
Vi ska fara til Sörmoland;
Der ligger spädt Barn, lekar med
Gulliipplet.^).
Gli gla Glänne
Leihe mir deine Sciiwingen!
Wir werden fahren nach Sörmolaud,
Da liegt ein zartes Kind, spielt mit
Goldiipfeln.
Ebenso wird der Wildgans zugerufen;
Gasa, gasa klinger
L:ina mig dina Vingar,
Ilvart skal tlu tljga?
I fremmande Land;
Der bor Göken,
Der gi-or Luken,
Der synger Svanen,
Varper under Granen,
Derunder sitter et litet Barn
Ok leker med Giildapler.
Gans, Gans klinger,
Leihe mir deine Schwingen,
Wohin willst du fliegen?
Ins fremde Land;
Da wohnt der Gauch,
Da grünt der Lauch,
Da singt der Schwan,
Zettelt unter der Fichte
Ein Gewebe an.
Darunter sitzt ein kleines Kind
Und spielt mit Goldäpfeln.
Auch der Weihe und die Wildgans sind Zugvögel, sie folgen vermeint-
lich der in der zweiten Jahreshälfte scheidenden Sonne dorthin, wo diese
ihre Heimath hat, woher sie im Lenze wiederkommt. Diese Gegend konnte
man sich nicht anders denken, als in der Himmelsrichtung, woher die
Sonne auch täglich aufgeht, im Osten, und so rinnt im Mythus der
Jahreslauf der Sonne mit ihrer Tagesfahrt zusammen und der mythologische
Ausdruck für die eine diese Thätigkeiten schmückt sich mit den Kennzeichen
der andern und umgekehrt. Dort nun, wohin die Sonne gezogen ist, singt
jetzt auch die Nachtigall des Nordens, der geliebte Kukuk^), dort grünt, von
der Sonne Kraft geboren, der Lauch,^) während hier ein Schneebett die Flur
deckt; dort endlich spielt ein zartes Kind mit einem Goldapfel, in
dem wir wiederum den Sonnenball anzuerkennen nicht anstehen werden, so-
bald die in der Anmerkung beigebrachten Beweise die Ueberzeugung zu be-
gründen im Stande sind, dass das Kind den am Morgen, oder im Frühling
') Glenne doch wohl dialekt. für gktda diin. glente?
■•') (ierm. Myth. 427.
■') Vgl, des Verfassers Abhandlung Z. f. D. Myth. IIL 294 ff.
*; Vgl. VGL 4.
Sol skein sunnan ä salar steina;
p-d var grund gröin groenum lauki.
Die lettischen Sonneamythen. , 211
neugeborenen Sonnengott bezeichne,^) der Schwan auf ein auch sonst wohl-
bekanntes Sonneuwesen, das Gewebe, gleichsam Goldfäden, auf das Geflecht
der Sonnenstrahlen (s. unten), die Fichte wiederum auf den Sonnenbaum
(s. unten) hindeutet. Ein neues Beispiel für die Häufung verschiedenartiger
Bilder für ein und dasselbe Object.
') Der Marienkäfer, Sonnenkäfer (o. S. 98. 209.) wird in Mittelfranken angeredet
llerrrgottsmoggela (d i. Herrgottskuh) flieg auf,
Flieg mir in den Uimmel nauf,
Bring' a goldis Schüssela runder
Und a goldis W ickelkiindla drunder.
S. Rochholz Schweizersagen a. d. Aargau 1 S. 345. Die Schüssel, welche der sonst um
Sonnenschein angegangene Käfer mitbringen soll, ist nichts anderes als ein Synonym eben
dafür, ist die o. S. 101 besprochene und o. S, 102 gradezu Schüssel genannte Schale, die strah-
lende Sonnenscheibe selbst, und das darunter liegende goldene Kind die ueugeborne Sonnen-
gottheit. Der Käfer heisst, wie Sunnenschinkeu (Wüste 4), auch Sonnenkind (E. Meier Schwab.
Sag. 223.); das schon o. S. 104 erwähnte Lied hat mehrfach die folgende Fassung;
Zu . . , ist ein Schloss,
Zu . . . ist ein Glockenhaus,
Da sehen drei schöne Jungfrauen heraus,
Eine spinnt Seide,
Die andre wickelt Weide,
Die dritte schliesst den Himmel auf.
(Varr: Zieht die Lädle auf; tuts Türle auf; geht zum Sonnenhaus)
Lässt die heil'ge Sonn heraus,
Lässt den Schatten drinnen.
Germ. Myth. 524 ff. n, 1. 2. 3. 4. 6. 7. 19. Dafür tritt die Variante ein:
Die dritte geht ans Brünnchen,
Findt ein goldig Kindchen.
Germ. Myth. 528, 10 oder:
Die dritte geht zum Brunnen,
Hat ein Kind gefunden,
Wie soll's heissen?
Zickel (Bock) oder Geisse?
Germ. Myth. 528 Anm. 2. 529, 12. 533 — 535 vgl. 706. Verbreitet ist auch die Lesart
Hopp hopp Heserlmann
ünsa Kaz häd Stiferln an,
Rennt domit na Hollabrunn,
Findt a Kindl in der Sunn.
(oder: Sitzt a Biawerl auf da Sunn)
(oder: Liegt a kloans Kind in der Sunn)
Wia sulls hoasse?
Kitzl oder Goasse?
Wer wird d' Windeln waschen?
D' Mäd (Kindsdiern) mit der guldan Taschen.
Zs. f. D. Myth IV 345 fl". 67. 67 a 67b. Falls nun diese Lesarten in diesem Zusammen-
hang, in Verbindung mit Erwähnung der Sonne berechtigt sind, was die Vergleichung der
Lieder o. S. 104 wahrscheinlich macht, so muss wohl an das nämliche Sonnenkind gedacht werden,
wie in der Anrede au den Marienkäfer. Aus diesem Sonnenkind dürften denn auch die in
mehreren Reimen Germ. Myth. 347 ff. 7. 10. 12. 14. 15 18. 22 erwähnten goldspinnendeu
Kinder des Käfers hervorgegangen sein. Es sind vielleicht die Sonnen der kommenden Tage,
welche nocli als Kinder im Neste der Alten verweilend gedacht werden. Falls nicht die Jungen,
vermöge des später zu erwähnenden Glaubens, dass Sonne imd tler Mond die Sterne zu Kindern
15*
212 ^' Mannhardt:
Den deutscben und schwedischen Liedern sei ein slavisches aus Monte-
negro angereiht.
Es entsprang ein Wässerlein, ein kühles,
Stand am Wässerlein ein Silbersessel,
Sass darauf ein wunderschönes Mädchen
Goldgelb bis zum Knie ihre Füsse,
Goldrot bis zur Schulter ihre Arme,
Und das Haar ein Srrauss gesponn'ner Seide.
Der Pascha hört von der Schönen, und zieht mit sechshundert Hochzeits-
gästen aus, um sie zum Weibe zu nehmen.
Als das schöne Mädchen sie anschauet, Und des hellen Mondes Bruderstochter,
Hat die Jungfrau dieses Wort gesprochen: Und des Morgensternes Bundes-
„Gott sei Preis und Dank! Welch grosses Schwester?
Wunder!
Ist vielleicht der Pascha toll geworden, Und die Jungft-au hebt sich von der Erde,
Dass er auszieht und begehrt zur Gattin Greift mit ihren Händen in die Tasche,
Sich das Schwesterchen der lieben Dass sie draus drei goldne Aepfel
Sonne, lange,
haben, auf letztere zu deuten sein möchten. Eine rumänische Legende könnte zur Empfehlung
letzterer Deutung dienen. Maria spinnt am Wege zum Himmelsbau goldene Fäden zu einem
schönen Gewände für den heiigen Sohn. Falken rauben den Faden, tragen ihn hoch hinauf
an den Rand des Meeres, machen daraus künstlich ein Nest und brüten darin. Das Nest
ist der Mond, die Jungen aber fliegen aus und werden zum Heer der reinen Himmels-Sterne.
Schuller, Kolinda. Hermanstadt IbGO S. 7 ff Vgl. auch W. Schwartz S. M. St. 63 ft. - Auch
im Veda finden wir die Morgensonne nicht selten als Säugling, als Kind des Himmels (Dyaus)
dargestellt. M. Müller Essays II. 122. „Unser Sonnenaufgang war für sie (die Inder der vedischeu
Zeit) der Augenblick, wo die Nacht einem prächtigen Kinde das Dasein gab." M. Müller Essays
II 59. „Dieses Kind, welches im Westen schlafen ging, wandelt nie allein, indem es zwei Mütter
|Tag und Nacht] hat, doch nicht von ihnen geleitet." R. V. III £.3, 6. M. Müller Vorles. üb.
Wissensch. d. Spr. II 4G7. Es heisst sogar, dass die Sonne schreie wie ein neugebornes Kind.
R. V. IX 74, 1. M. Müller Essays II 32;t. Sehr deutlich tritt auch die Vorstellung, von wel-
cher wir reden, bei den Aegyptern hervor. Plutarch de Iside et Osiride c. 11 setzt auseinander,
die Mythologie der Aegypter enthalte nur Allegorie, die Fabeln vom Hermes seien nicht wört-
lich gemeint „noch auch meinen sie, dass Helios als neugebornes Kind aus dem Lotos
sich erhebe, sondern sie stellen so den Sonnenaufgang dar, um die Entzündung der Sonne
aus dem Nassen anzudeuten". (Jemeint ist der ägyptische Horus Hör, (Har) oder Harpokrates
(Ilarpcchruii) d. i. Horus das Kind oder Har-phre d. i. Horus die Sonne. Man sieht
ihn anf Deukmälern um die erste und zweite Tagesstunde im Sonneunachen sitzen oder er sitzt
anf einem Lotos, wo es die natürlichste Erklärung ist, ihn für den Sonnenaufgang zu nehmen.
Auch unter den Dekanen findet er sich vor, wo er die im Jahre aufgehende, im Frühling
wachsende Sonne bezeichnet. Horus war überhaupt das allgemeinste Symbol der Sonne, seine
Leben.salter wurden mit ihren Phasen verglichen (Lepsius). So findet sich der tägliche
Sonnenlauf als das ganze Leben des Sonnengottes von der Geburt bis zum Tode ,im Grabe
Kamses des Grossen zu Theben dargestellt. Ungefähr dasselbe sagt Plutarch an einer andern
Stelle, de Pyth. orac. p. 400 a. tl'i' yliyriijiiii'i twintxo)? "VX^I'' nvuiolfii TmidCüV vtoyvüv
yQÜijorihi fn) h»i<o xc^hLÜfiirui-. Partliey, Plutarch ülier Isis und Osiris Berl. 1850 S. 189
192. 200. Ein Gebet an den Soimeugott Ra sagt gradezn: „Anbetung dem Gotte Ra, Kind
des Himmels, der sich jeden Tag durch sich selbst neu gebiert".
Die lettischen Sonnenmythen. 213
Wirft gen Ilimmel hoch die in die Höhe;
Sehen's die sechshundert Hochzeitsgäste,
Wer die goldnen Aepfel wol könnt' fangen.
Fahren als drei Blitze da vom Himmel,
Einer trifft den jungen üochzeitsführer.
Trifft der andre auf dem Ross den Pascha,
Trifft der dritte die sechshundert Gäste.
Keiner mal entkam als Augenzeuge,
Zu erzählen, wie sie umgekommen.')
Die besungene Schöne, der Sonne Schwester, des Mondes Nichte, des
Morgensterns Gespielin ist unverkennbar die Morgenröthe, welche umworben
von den Dämonen der Nacht den Sonneuapfel hervorwirbelt und dieselben
dadurch tödtlich trifft. i).
Endlich werde noch eines jener rumänischen von Marianu Marienesku
gesammelten Weihnachtslieder gedacht, in denen uralte ererbte Naturanschauung
und christliche Legende sich innig und reizvoll durchdringen. Die Darstel-
lungd es Christkindes im Tempel wird hier so aufget'asst, dass der heilige
Johannes am Altar eines Klosters von vielen Priestern umgeben die heiligen
Gebete singt. Gottes Mutter, ihr Söhnlein am Arm, hört andächtig zu, das
Knäblein aber zappelt und weint ungeduldig. Um es zu beruhigen, schenkt
ihm Maria zwei Aepfel und Birnen und reicht ihm die Brust. Allein
Einen Apfel nimmt das Kind,
Wirft ihn in den Mond geschwind,
Macht so voll ihn, wie in's Haus
Er uns scheint beim Abendschmaus,
Wirft den andern in die Sonne,
Wie sie morgens früh aufgeht.
Und beim Mahl des Landmanns steht.
Jesus wird erst dann ruhig, als Maria ihm die Schlüssel des Himmelreichs,
das h. Taufbecken, und den Richterstuhl verspricht und ihm erklärt, dass sie
ihn zum Herrn des Himmels und der ganzen Welt machen wolle.-) Hier
sind mithin Sonne und Vollmond, beide, als Aepfel aufgefasst. Durch unsere
Nachweisungen gedeiht auch die schon von Wislicenus^) ausgesprochene
Vermuthung, dass die goldenen Aepfel in den Märchen vom Glasberg
die Sonne bedeuten, zu Wahrscheinlichkeit. Gewissheit wird sich erst künftig
bei grösserer zusammenhängender Untersuchung der Märchenliteratur gewinnen
lassen. Der Glasberg ist deutlich das blaue Himmelsgewölbe (s. o. S. 07),
dahin führt die Reise durch das Land des Windes, der Sonne und des
Mondes, und der Morgenstern weist dahin den Weg.*) Oben auf dem
Berge steht ein Apfelbaum mit goldenen Aepfeln neben dem goldenen
') Vuk I 232. Talvj Volkslieder der Serben. Lpzg. 1853 II 94.
2) J. K. Schuller Kolinda. S. 9 ff.
^ Symbolik von Sonne und Tag. Zürich 1867, S. 32.
*) Germ. Myth, 330—331,
214
W. Mannhardt:
Schloss (vgl. den Goldpalast der Sonne o. S. 95), in dem die verwünschte
Prinzessin haust. Ein Jüngling erlöst die Prinzessin, indem er hinaufgelangt,
die goldenen Aepfel pflückt und damit ihren Hüter, den Drachen, besänftigt. ^
Nach einem norwegischen Märchen reitet Askepot; dreimal auf drei wunder-
baren Pferden in kupferner, silberner, goldener Rüstung den
Glasberg hinan, wo die Königstochter sitzt mit drei goldenen Aepfeln,
deren je einen sie ihm nun zuwirft.') Diesen drei Rossen, dem kupfernen,
silbernen, goldenen, und der kupfernen, silbernen, goldenen Rüstung des den
Glasberg oder dessen Aequivalent hinaufreitenden Helden, welche in vielen
Varianten wiederkehren, oder mit einem kupferne, silberne und goldne
Aepfel tragenden Walde abwechseln, entsprechen genau das silberne, goldene,
diamantene Ross, mit welchen die Sonne fährt (o. S. 95) und die Angabe
vom goldenen, silbernen, ehernen Apfel in unserm Liede 28, vom halb gol-
denen, halb silbernen Boot in 32. —
Sehr belehrend ist das siebenbürgische Märchen Haltrich 55, 11. Ein
Knabe treibt die Geis eines blinden Alten nacheinander in einen Kupferwald,
Silberwald, Goldwald, tödtet da einen das Schloss behütenden Kupferdrachen,
Silberdrachen, Golddrachen, gewinnt je einen Zaum, bei dessen Schüttelung
ein kupfernes, silbernes, goldenes Ross und Gewaffen nebst einem ebenso
gerüsteten Heere zum Vorschein kommt. Durch das Bad in einem Brunnen
gewinnt er goldene Haare. Er verbirgt die drei Zäume in einem Baum
(s. weiter unten), verhüllt sein Haupt und seine Gestalt, giebt vor grindköpfig
zu sein und wird Küchenjunge. Die drei Königstöchter wählen sich Gatten;
ihn nimmt die Jüngste; unerkannt verhilft er mit seinen drei Pferden seinem
Schwiegervater zum glänzenden Siege über mächtige Feinde und zieht endlich
in unverhüllter Schönheit als Sieger ein. Eine Version dieser Erzählung ist
K. H.M. n. 136. Ein Königsknabe mit goldenem Balle wird vom wilden
Mann entführt, erhält im Brunnen Goldhaar, dient mit verhülltem Kopf
als Gärtnerjunge, befreit an der Spitze gewappneter Heerschaaren einen
König von seinen Feinden, fängt auf Rothross, Weissross, Rappen
nacheinander heranreitend dreimal den ihm zugeworfenen Goldapfel
der Königstochter. Hier characterisirt das Goldhaar den Helden als
Sonnengott, seine Verkappung ist nächtliche Umhüllung. Hiermit vergleiche
man die neugriechische Erzählung Hahn n. 6. Drei Königstöchter wählen
sich Gatten, indem sie aus dem Fenster des Schlosses (Abschwäcliung
der Spitze des Glasbergs) je einen Goldapfel auf denjenigen, den sie lieb-
haben, herabwerfen. Ein verkappt beim Gärtner dienender Prinz erhält den
Goldapfel der Jüngsten. Derselbe zieht später gleich seinen Schwägern aus
für den kranken Schwiegervater das Lebenswasser zu holen. Das gelingt
ihm mit Hilfe seiner drei wunderbaren Russe und Kleider, anf deren einem
') Woycicki poln. Volkssagen übers, v. Levestam. S. 115. Germ. Myth. 337.
') Asbjiörnsen norweg. Märchen übers v. Bresemann. Berl. 1847 II n. 21.
• Die lettischen Sonnenmytheii. 215
der Himmel mit seinen Sternen zu sehen ist, so dass er nach Abwerfung der
Hülle reitet strahlend wie der Morgenstern. Die beiden andern stellen den
Frühling mit seinen Blumen und das Meer mit seinen Wellen dar. Nach
Entfernung seiner Verkleidung kehrt er mit dem Lebenswasser zu dem König
zurück auf einem Wege, der mit Tuch und lauter Goldstücken belegt
ist. In Asbjörnsens neuer Sammlung^ hat ein Bursch im goldenen
Schlosse, das neunhundert Meilen ausserhalb der Welt hoch in der Luft
hängt (vgl. o. S. 95) und neben dem die Bronnen mit den Wassern des
Lebens und des Todes befindlich sind, eine Königstochter erlöst, die mit
ihrem und seinem Kinde ihn drei Jahre später aufsucht. Das Kind trägt
einen Goldapfel in der Hand, den es seinem Vater zur Erkennung reicht.
Hiemit stimmt das Märchen bei Hylten-Cavallius n. IX S. 190. Im Lande
der Jugend, weit, weit im Meere, wächst ein Baum mit Goldäpfeln,
welche Jugend verleihen, und dabei rauscht eine goldschimmernde
Quelle mit Gesundheit spendendem Wasser. Ein junger Held gelangt dort-
hin, nimmt Apfel und Lebenswasser mit sich und küsst daselbst eine im
Zauberschlaf befangene Jungfrau. Dieselbe gebiert ein Kind mit einem
wunderbaren Gewächs in der linken Hand gleich einem Apfel, der
sich ablöst, als der Vater über eine goldene Decke (goldene Strasse) zu
der ihn aufsuchenden Geliebten geritten kommt. Vgl. das deutsche Märchen
vom Wasser des Lebens KHM 197. und I1I3 197 ff. Wenn der bis dahin
von der Nacht verhüllte Tag über die goldene Decke des Morgenroths
und der ersten Sonnenstrahlen zu der erlösten Geliebten geritten kommt,
wirft ihm der neugeborne Sonnengott den Apfel entgegen. Die im
goldnen Schlosse (Land der Jugend) schlafend gefundene und zur Mutter
des goldenen Kindes gemachte Jungfrau entspricht der hinter der Waberlohe
(Abend'Morgenröthe) in Schlummer liegenden Walkyre der Sage, dem von
der Spindel in Schlaf versenkten Dornröschen, dessen italische und franzö-
sische Doppelgängerinnen die Kinder Jour et Aurore, Sonne und Mond
gewinnen.
Es würde zu weit führen, diese Andeutungen durch Erwähnung anderer
Märchenreihen zu vervollständigen,') in denen der goldene Apfel eine Kolle
') Norske Foliieeventyr. Ny Sämling 1871. S. 45 ff.
») Nur zwei merkwürdige Märchen in Hahns Sammlung möchte ich noch in Erinnerung
bringen. Ein junges Weib ist verheirathet und guter Hoffnung von ihrem Tags mit einer
Schlangenhaut umhüllton Gatten, der sie verlässt, weil sie das Geheimniss seiner Schönheit
vorzeitig ausplaudert (Psychesage). Sie sucht ihn bei den Schwestern der Sonne: zu denen
sie auf der Spitze eines Berges neben einem Quell tief in der Erde schwarzen Schooss hinab-
steigt, sie hilft den Schwestern der Sonne, die Brod backen wollen, den Ofen reinmachen und
erhält von ihnen eine Nuss mit einer Gluckhenne und goldenen Küchlein, eine Haselnuss mit
goldenem Papagei, eine Mandel mit goldener Wiege. Damit erkauft sie die Erlaubniss bei ihrem
Liebsten zu schlafen, der sich bereits mit einer Anderen verheirathet hat; er erkennt sie, ßhrt
mit ihr zur Oberwelt, öffnet mit silbernem Schlüssel ihren Schooss und sie gebiert ein goldenes
Kind, das bereits neun Jahre alt ist (Hahn u. 100 das Schlangenkind). Ein Mädchen ist mit
218
W. Mannhardt:
spielt. Z. B. diejenigen vom goldenen Vogel K H M. 57 vgl. III3 S. 98 ff.
Ralston Russian folkstales S. 286 ff. Schott wal. Märch. n. 26 Hahns alban.
u. griech. Märch. II n. 70. Hylten-Cavallius n. VIII. S. 175. Ebensowenig
dürfen wir uns auf eine Deutung der angezogenen Märchen im Ganzen ein-
lassen. Es genügt hier auf die Wichtigkeit aufmerksam zu machen, welche
die lettischen Sonnenlieder auch für die Erläuterung der in den Märchen nieder-
gelegten Mythologie haben. Die in denselben mehrfach hervortretende Eigen-
schaft der auf dem Glasberg, im Lande der Jugend u. s. w. neben Brunnen
des Lebens wachsenden Goldäpfel (wofür auch alterthümlich ein Apfelbaum
mit nur einem Apfel eintritt), Gesundheit und Jugend zu verleihen, unter-
stützt dann auch die von Wislicenus a. a. O. S. 38 ff. ausgeführte Hypothese,
dass die verjüngenden Aepfel der Idhun, welche den Äsen das Alter fern
hielten, ebenfalls die belebende Sonne [die Sonne jedes Tages als eine neue
gedacht?] darstellen.
n. Seidenrock und Gewebe der Sonne.
Jeden Abend hängt die Sonne ihr Seidenr öckchen zum Trocknen aus;
es sind die zuletzt nur noch rothgelblich angehauchten gleichsam fettig glän-
zenden Abendwölkchen (16). Aehnlich ist der Morgenstern im Begriff aus
Deutschland (dem Westen), wo er sich deshalb noch aufhält, zu kommen,
angethan mit dem von ihm gewebten rothen Sammetrock (51), den röth-
lichen Morgenwölkchen. Dem vergleiche ich zunächst ein russisches Räthsel:
„Vor'm Walde, vor'm Busch ein rothes Kleid". (Aufl. Zorja d. i. die
Morgen-Abendröthe^). Deutsche Sonnenlieder enthalten dieselbe Vorstellung.
Vgl. die folgenden Varianten des schon S. 104. 111 besprochenen Liedes:
Im Garten steht ein Hühnerhaus,
Sehn drei seidne Döckchen heraus;
Eins spinnt Seiden,
Eins flicht Weiden,
einem Mohren verheirathet, den sie einmal Nachts, da er eingeschlafen ist, als wunderschönen
Jüngling erkennt, welcher ein verschlossenes goldenes Fensterchen auf der Brust
hat, durch das man alle Begebenheiten auf der ganzen Erde sehen kann. Wegen
ihrer Neugier muss Filek Zelebi die schwangere Gattin verlassen. Sie macht sich auf den Weg.
Einen Goldapfel vor sich herrollend, steigt sie in neun Monaten nach einander drei Berge hinan
zu den drei Schwestern des verlurenen Geliebten, die sie Goldwindeln webend, Goldkleider
nähend und Golddecken zurechtlegend antrifft; und als sie die letzte erreicht hat, bricht ihr
Schooss und sie kommt mit einem Knaben nieder, der auch das goldene Fenster auf der Brust
hat. Hahn. n. 7.3. In diesen Erzählungen ist der von der öchlangenhaut oder Mohrgestalt umhüllte
Prinz (wie der Held der ganz ähnlichen Sagen von Amor und Psyche, Pururavas und ürvav'i)
der Sonnengott während der Nacht. Der Sonneuball ist das während der Dunkelheit verschlossene
Fenster auf seiner Brust; seine Schwestern, die Schwestern der Sonne, reinigen den Backofen,
das Himmelsgewölbe, vom Russe der Nacht.
') Afanasieff poet. Naturansch. d. Russen 1 788. Vgl. Fr. Rückert (Frühlingslied): ,Die
Morgenröthe wirkt ihr Kleid^ (Abendlied:) ,ünd hoch wie überm Walde des Abends
Gold netz hing."
Die lettischen Sonnenmythen. 217
Eins schliesst rlen Himmel auf,
Lässt ein bischen Sonn heraus,
Daraus Maria spinne
Ein Röcklein für ihr Kindclein
Ei so fein, ei so fein.
Germ. Myth. 5'25, 3. Vgl: die dritte schloss den Himmel auf, liess ein
bischen Sonne 'raus, liess ein bischen drinnen, dass die heilige Maria
konnte spinnen a. a. 0. Anm. 2. Die dritte spinnt e rode Rock für
den lieben Herregott a. a. 0. 530, 16 vgl. 580, lo. 531, 17. Die dritte spinnt
das klare Gold a.a.O. 527, 8.
Ebenso heisst es in den Anrufungen an den Marienkäfer (vgl. o. S. '.'S
S. 209):
Herrchottstierche Hieg mer fort,
Breng mer ne neue chuldne Rock.
Siegen. — Kuhn Westfäi. Sag. H 78, 237
Muttergotteskäferle
Flieg af die Wäd,
Bring der Muttergottes
A güldenes Kläd.
Brunn. Zs. f. d. Myth. IV 326, 15 übereinstimmende niederöstr. Varr
in Bartschs Germania XIX p. 71.
Ladybird, Ladybird
Eigh thy way home,
Thy house is on fire, thy children all roam,
Except iittle Nau, who sits in her pan,
Weaving gold-laces as fast, as she can.
Germ. Myth. 351, 18. Vgl. Maikäfer fliege fort
Dein Häuschen brennt,
Dein Kreischen brennt.
Die Jungen sitzen drinnen
Und spinnen;
Und wenn sie ihre Zahl (Anzahl Schocke) nicht haben.
Können sie nicht spazieren gan.
Ebds. 350, 16. Vgl. 350, 17.
Wenn der Käfer nach S. 211 als ein Miniaturbild der Sonne galt, so
schrieb man ihm vermuthlich zu, was der Sonne zukam. Es ist daher das
goldene Kleid, welches er der Madonna bringen soll, das Netz, Geflecht
oder Gewebe der Sonnenstrahlen, welches auch ein russisches Räthsel meint,
wenn es von der Sonne sagt „aus einem Fenster in das andere ist das Gold
gesponnen".*) In den Strahlen der untergehenden Sonne ist denn auch das
Gespinnst der Goldfäden zu erkennen, welches Iittle Nan webt, während das
Haus in Feuer steht, der Abendhimmel sich röthet,^) oder wäre dieses
') Kreck traditionelle slav. Literatur S. 66.
») Germ. Myth. 354. 355.
218 W. Mannhardt:
Haus der flammende Sonnenkreis selbst? Der rot he Rock, den Maria aus
der aus dem Himmel herausgelassenen Sonne spinnt, muss die nämliche Er-
scheinung l)eim Abendroth und Morgenrotli bedeuten. Und wenn nach unserm
Liede 64 die Sonuentochter (Dämmerung) früh aufsteht, den Seiden faden
zu zwirnen, so erinnert dies daran, dass es auch in einem offenbar mythischen
schwedischen Liede, von dem Germ. Myth. 656 — 660 eine Anzahl von Texten
gegeben sind, zum Schlüsse heisst a. a. 0. 657, 4
Fru Sole sat pa bare sten
Och spann pa sin forgyllande ten,
Tre timmar, föran solen rann up.
Frau Sonne sass auf nacktem Stein
Und spann auf iiiren vergoldenden Rocken
Drei Stunden, bevor die Sonne ging auf.
Die drei Stunden sind mythische Hyperbel; die Goldfäden der Sonne
aber, die ersten Strahlen, werden schon in der Dämmerung sichtbar, ehe der
Sonnenball selbst in die Höhe steigt.
Dem finnischen Volksdichter sind die Sonnenstrahlen Goldfäden, welche
vom Sonnenball wie von einer Spindel abgesponnen werden. Kullerwo ruft
in Kalew. 33, 19 ff. 405 ff. Schiefner:
Scheine du, o Gottes Sonne,
Leuchte du, o Schöpfers Spindel,
Auf den armen Hirtenknaben,
Nicht auf Ilmarinens Stube.
Darum ist denn besonders Paiwetar, die Sonuentochter, als Weberin be-
rühmt. Von einer tüchtigen jungen Hausfrau, welche Meisterin im Weben ist,
heisst es lobend:
Also webt des Mondes Tochter,
Also webt die Sonnentochter,
So des grossen Bären Tochter,
So der schönen Sterne Tochter.
Kalew. 24, 81 ff. S. 145 Seh.
Das stattliche Gewand des Brautwerbers wird gepriesen; um den Leib
trägt er den wollenen Gürtel, den mit schönen Fingern die Sonnentochter
webte, in den feuerlosen Zeiten, als man noch kein (Schmiede)feuer kannte.
Kalew. 25, 581 ff. 158 Seh. Wainämoinen verspricht der Wasseralten ein
Hemd von reinstem Flachse, das die Mondestochter gewebt, die Sonnentochter
gewirkt habe. Kai. 48, 130 ff, S. 280 Seh. Als er zum erstenmale seinen
göttlichen Gesang zur Harfe hören lässt, da lauschen ihm auch entzückt der
Lüfte Schöpfungstöchter, die eine auf rothem Wolkensaum strahlend;
Hielt des Mondes schöne Jungfrau
Und der Sonne schöne Tochter
In der Hand die Weberkämme,
Heben auf die Weberschäfte,
Die lettischen Sonuenmythen. 219
Weben an dem Goldgewebe,
Rauschen mit den Silberfilden,
An dem Rand der rothen Wolke,
An des langen Bogens Kante.
Als sie aber staunend die wunderbare Musik hören, entgleiten Weber-
kamm und Schifflein ihren Händen und die goldnen und silbernen Fäden
reissen. Kalew. 41, 96 ff. 241 Seh. Auch die estnischen Lieder wissen von
den „Luftmaiden" zu erzählen. Ein mythisches Lied nennt deren vier:
Wassernixe, Sternentochter, Mondenlehrling und Sonnenschwalbe.
Mussten für die Sonne steppen,
Für den Mond das (iold verwirken,
Für die Sterne Hauben sticken.
Für das Wasser Spitzen weben.
An des Nebels Kleidung nähen.')
Ein cosmogonisches Lied spricht noch deutlich die Naturanschaiiung aus :
Aufschlag ward gewebt heim Mittag, Die Gewölke bunt durchbrochen,
Einschlag in des Frühroths Haus, Die Weltgegenden geschmücket,
Andres in der Sonne Halle. Um am Abend aufzuglänzen,
Dorten sind die blauen Seiden, Bei der Sonn' Aufgang zu glühen —
Die moosfarbgen Sammetdecken, Dort ist gestickt der Sternenmantel,
Die umrandet roten Wate Regenbogens bunter Mantel,
Auf dem Webestuhl gewirket, _ Goldgewand gewebt dem Monde,
Auf den Tritten abgetänzelt, Schimmerschleier dem Sönnelein.
Dort ward das Gewand gewoben. Der Altvater, der Altweise
Alles Linnen abgeklöpfelt. Hatte die Arbeit vollendet.
Mit dem einst die Welt verschönet, Hatte schön die Welt geschaffen.^)
Rings des Himmels Rund gefärbt ward,
Zum Seidenröcklein der Sonne in unserem Liede 16, zum Sammetrock
des Morgensternes 51 ist der braune Kock 75, das Kleid 78 (der Sonnen-
tochter), die wollene Decke der Maria (72), das von der Mutter Gottes ge-
schenkte Seidentüchlein (79) als nächstverwandt zu stellen. Welchem Homer-
leser fiele nicht die y.ooynrrei/.oi: Y7wc IL VIII 1 XIX 1 als vollgiltiger
Beweis für die nämliche Anschauung bei den Griechen ein?
o. Sonne mit der Aussteuerlade. Das Gold der scheidenden Sonne,
welches die Bäume des Waldes noch mit seinem Schimmer schmückt, ist 13.
14. 15. 42. als ein Schatz aufgefasst, als Brautschatz der Sonnentochter, als
eine goldene, oder goldbeschlagene Lade, aus der Ringe, Gürtel, Handschuhe,
Wollentücher gespendet werden. Um diese Bilder, so einleuchtend und packend
sie auch ohnehin auf den ersten Blick sind, in ihrer vollen Schönheit würdigen
zu können, muss man sich die lettisch-litauische Hochzeitssitte vergegen-
wärtigen, aus dem Brautschatze auf das reichlichste Gaben auszutheilen. Die
litauische Braut musste bei der Heimführung nach dem Hause des Gatten
■) Kreutzwald und Neuss, mythische und magische Lieder der Esten S. 34.
■^) Kreutzwald u. Neuss a. a. 0. 24. B.
220 ^' Mannhardt:
vor jedem Heck, an jeder Grenze, zuletzt bei des Bräutigams Gehöfte oder
der Klete ein Handtuch, oder einen Gürtel (joste) hinwerfen, welche die
Knechte für den Bruder (Dewerys) und die unverheirathete Schwester des
jungen Ehemanns aufhoben (M. Praetorius). Heutzutage macht der Führer
des Brautwagens (Palags) gewöhnlich vor jeder Hecke und oftmals, wo es
ihm sonst beliebt, Halt und behauptet, die Sielenstränge seien gerissen, bis
man Strumpfband, Josten (Gürtel), Schnüre hervorsucht und ihm zur
Ausbesserung des Schadens überliefert. Zumal der Thorweg des Hochzeit-
hauses öffnet sich der Braut nicht eher, als bis sie nach langem 'Hin- und
Herreden an die Thorhüter nicht unbedeutende Geschenke von Stomenis
(d. h. Stücken Leinewand von Mannslänge) Handschuhen, buntgewirkten
wollenen Bändern ausgetheilt und auch das Heck damit bebunden, anderswo
ein Geschenk von ihrer Hände Arbeit für die Schwiegermutter übergeben
hat. Beim Eintritt in die Klete hängt die junge Frau auf den Thürschlüssel
einen Stomenis. Ist dann später die Ceremonie der Abnahme des Mädchen-
kranzes beendigt und ihr die Frauenhaube aufgesetzt, so wird sie von den
Verwandten aufs herzlichste begrüsst und überreicht ihnen nun die mit-
gebrachten Geschenke, dem Schwiegervater Leinwand, der Schwiegermutter
eine vollständige Bekleidung, den Schwägerinnen gestickte Ueberhemden
(Marschkinelen), den Mädchen, die beim Ausflechten der Zöpfe geholfen haben,
Handtücher. Gisevius erlebte den Vorgang als Augenzeuge folgendermassen:
Die junge Frau umhalste alle Zunächststehenden und empfing feierlich den
Segen der Schwiegereltern. Darauf öffnete sie ihren Kraitisschrank
(Aussteuerlade), holte eine Menge Weisszeug, Linnen und Bänder hervor und
mit denselben beladen fing sie bei den Eltern mit der Vertheilung der Gaben an.
Alle in der Kletis Befindlichen wurden berücksichtigt, und von der Nutaka mit
Stomenis (feinen Leinwandstücken von sechs und mehr Ellen Länge) beschenkt,
deren sie jeglichem eines oder mehrere wie Schärpen um den
Leib band.') Endlich musste die junge Frau (Marti) durch alle Gebäude,
Ställe und Schoppen gehen und vor allen diesen Baulichkeiten tanzen und
sie beschenken. Auf die Schwelle des Ochsenstalles, in die Scheuer, Pferde-
und Schweinestall legt sie Geld, in den Schafstall einen Gürtel fJoste), in
den Kuhstall ein Kopftuch, in die Jauje (Hitzriege zum Dörren des Getreides)
einen Stritzel. Jedem Baum im Obstgarten, jedem Getreidefach in der
Scheuer, jedem Thor, Heck, Brunnen musste sie etwas zuwerfen. Kam sie
mit Tüchern und Gürteln nicht aus, so musste sie sich mit Geld auslösen,
Geld auf die Orte und Schwellen legen. Diese Sachen wurden nachher auf-
gehoben und unter des Bräutigams Freunde vertheilt (M. Prätorius).
Aus Brand (Reisen 147—152) lernt man die lettische Sitte, wie sie sich
am Ende des siebzehnten Jahrhunderts in Livland gestaltete, kennen. Wenn
die junge Frau zum Hause dos Bräutigams geholt wird, „wird der Brautkast
(Hochzeitlade) zum präsent mit sonderlichen Geberden voran-
>) N. Preuas. Proviazialbl. IV 1847 S. 215.
Die lettischen Sonnenmythen. 221
geführet, welcher nun mit einigen bunten Kniebändern Linnyken
(so nennen sie ein Stück sichern Leinwands von 4 Ehlen und dreyviertel
Quart breit oben und unten gantz bunt), etliche Groschen an Geldt, alten
Schuhen, bunten gestrickten Handschuhen, und dergleichen Grillen
angefüllet ist, so ihr ihre Eltern zum Brautschatz mitgeben und davon sie
etliche bunte Bänder an die Gäste austheilet". Noch jetzt vertheilt die lettische
Neuvermählte am Sonntag vor der Kranzabnahme Hochzeitsgeschenke an die
Schwiegereltern und Geschwister des jungen Gatten.^)
Auffällig ist, dass in unsern Sonnenliedern nicht die Braut die Gaben
austheilt, sondern die Sonne und der Abendstern, welche hier wohl als Braut-
mutter (Brautgeleiterin) und Brautführer gedacht sein müssen. Das weist auf
eine locale Verschiedenheit der Hochzeitsitte zurück, wie wir sie bei den
Südslaven noch lebendig finden. Bei den Serben im Banat erhält nämlicTi
die Braut zur Vorhochzeit (prsten-jabuka) ein Geschenk an Hemden, Strümpfen,
Schuhen und Kleidern. Auf der Hochzeit schenkt die junge Frau dem Kum
(dem ersten Beistand) ein Hemd, dem Starisvat (zweiten Beistand), den
Deveri (Brautführern) und andern Gästen ein Tüchlein, Handtuch oder Fuss-
socken, die Mutter des Bräutigams theilt an alle Verwandten und Gäste
Hemden und Tücher aus.-) In Syrmien vertheilt auch die Svekra, die
Mutter des Bräutigams die Geschenke. Sie schmückt die Basspfeife und die
Pferde mit schönen Tüchern und Handtüchern und steckt auf das Dach des
Hauses eine Ruthe und ein Handtuch, welches derjenige als Botenbrod
empfängt, welcher zuerst den herannahenden Brautzug anmeldet. Während
endlich der jungen Frau der Brautschleier abgenommen wird, überreicht die
Svekra persönlich oder durch deu Dudelsackpieiler dem Kum, Starisvat und
Dever vorbereitete Präsente.^) In der Militärgrenze erfolgt die Vertheilung
der Geschenke durch die junge Frau im Verein mit den Deveri, welche die
Gaben auf blankem Säbel tragen.*) Im eigentlichen Serbien vertheilt am
zweiten Hochzeittage der Tschausch, die lustige Person, unter Spässen die
aus Tüchern, Hemden u. s. w. bestehenden Geschenke der Braut, welche an-
geblich unter der Last keuchend zwei Jünglinge herbeitragen, iudess die noch
Verschleierte sich ohne Unterlass verneigt.^)
Mit den in unseren Liedern 13. 14. 15. ausgesprochenen Gedanken be-
rühren sich nach zwei verschiedenen Richtungen hin ein serbisches und ein
finnisches Lied. Das serbische^) erzählt, wie der Morgenstern seinem Bruder,
dem Monde, deu Blitz erfieite und llochzeitgäste einlud als Kum den Herr-
gott, als Prikum, Starisvat und Djeweri die Heiligen Johannes, Niclas, St. Peter,
•) Die dabei gesTingencn Lieders. l.atweeschu tautas dseelmas 1. Lpzg. 1874 n. 497 — 510. S. 41.
*) Rajacsich, Leben, Sitten und Gebräuche der in Oestreicb lebenden Südslaven. Wien
1873 S, 168. 183. 184.
*) Rajacsich 168. 163. li;4.
*) Rajacsich 148.
^) Talvj, Volkslieder der Serben II 17.
«) Talvj a a. 0. II dl. Vuk 1 131.
222 W, Mannhardt:
Pantaleon, als Brautmaid die feurige Maria, als Wageuführer St. Elias. Dann
föugt er an Hocbzeitsgaben auszutheilen, dem Herrgott die Himmelshöhen,
St. Johannes die Winterkälte, St. Peter die Sommerliitze, der Maria lebend
Feuer, dem Elias Pfeil und Donner.
Wenn sich hier sowohl der Blitz (Peruu-Perkun), doch als Braut, und die
Vertheilung von Hochzeitgaben wiederfinden, spinnt eine in der vierteu Kale-
walarune enthaltene Episode den Gedanken, dass die Sonne bei Abend die
Waldesbüume und das Antlitz der Menschen mit goldenem Schein wie mit
leuchtendem Schmuck umkränze, episch fort. Eine Mutter heisst ihre Tochter
in das Vorrathshaus am Berge gehen und den bunten Deckel der besten Kiste
heben. Dort werde sie einen Schmuck finden, den sie anlegen möge, um
dem vornehmen Freier zu gefallen, sieben blaue Röcke und sechs goldne
Gürtel, die des Mondes Tochter webte und der Sonne Tochter nähte. Als
sie einst, so erzählt die Mutter, in ihrer Jugend im Busch am Berge Him-
beeren suchte, habe sie am Saum des Waldes die Mondestochter weben, die
Sonnentochter spinnen hören; sie sei ihnen genaht und habe sie sanft gebeten:
„Gieb dein Gold, o Mondestochter, Trug es eiueu Tag, den zweiten,
Gieb dein Silber, Sonnentochter, Aber schon am dritten Tage
Diesem Mädchen ohne Mittel, Nahm das Gold ich von den Schläfen,
Diesem Kinde, das dich bittet." Und das Silber mir vom Haupte,
Gold gab mir des Mondes Tochter, Bracht' es hin zum Haus am Berge,
Silber mir die Sonnentochter, That es sorgsam in die Kiste,
Gold mir an die schönen Schläfen, Hat bis heute dort gelegen.
Auf das Haupt mir schimmernd Silber, Hab' es nie mehr angesehen.')
Mit den Blumen ging behend ich.
Freudig nach dem Haus des Vaters.
p. Der Sonnenbaum,
a) Sonne = Rose, Rosenstock, Sonnenbaum. Ebenso durchsichtig
wie die Vorstellung als Apfel ist die Auffassung der Sonne als Rose, welche
deutlich ihren Anlass fand in der rosigen Farbe des Morgenroths, von der
schon Homer das Bild der rosenfingrigen d. h, von Rosen an ihren Fingern,
(den ersten fächerartigen Sonnenstrahlen) umgebenen, Rosen mit ihren Fin-
gern ausstreuenden Eos entlehnt. Vgl. Hallers Morgengedanken:
Die frühe Morgenröte lacht,
Und vor der Rosen Glanz, die ihre Stirne zieren.
Entflieht das blasse Heer der Nacht.
Die Rosen ülfnen sich und spiegeln an der Sonne
Des kühlen Morgens Perlenthau.
Vgl. in einem Gedicht von der Morgenrothe:
Das Lächeln, das sie hold umschwebt,
Hat sie aus Hiramelslicht gewobt.
Die Rosen, damit sie sich schmückt,
Hat sie im Paradies gepflückt.
Grube, Buch der Naturlieder. Lpzg. 1851. p. 59 bei Schwartz S. M. St. 208.
') Kalewala R. 4 V. 119-1G6. S. 20 Schiefner.
Die lettischen Sonnnemythen. 223
Eine Reihe unserer Märchen erzählt von dem Mädchen, das in den
Brunnen fällt und unten auf eine schöne Wiese geräth; hier schüttelt sie
einen Apfelbaum, so dass der reife Apfel herabfällt (der Sonnen-
apfel zum Vorschein kommt), hier melkt sie eine rothe Kuh (rothe
Kühe =^ Lichtstrahlen s. u.), hier räumt sie einen Backofen (das am Morgen
wie von innerem Feuer sich röthende Himmelsgewölbe (s. o. ö. 215 tf,), indem
sie das Brod [den runden Kreis der allnährenden Soune vgl. o. S. 102]
herausholt. ISie befreit einen Schafbock von der Last seiner Wolle, oder
findet in einem verschlossenen und verbotenen Zimmer einen goldenen Bock
(s. unten); sie wäscht schwarze Wolle (die dunkele Decke der Nacht) weiss
und gelangt endlich durch ein goldnes Thor im Augenblicke, wenn der
Tag anbricht, helles Taglicht vor sich, schwarze Nacht hinter sich, am gan-
zen Leibe vergoldet, und Goldstücke, P^erlen oder Rosen aus
dem Munde lachend zu den Ihrigen zurück. In dieser Märchengestalt ist
längst die Morgenrothe erkannt.') Unter dem Kranz von Rosen, mit welchem
die Sonne im lettischen Liede 27 den Gerstenacker täglich umkleidet, ist
nach alledem sicher die Morgenrothe zu verstehen. Die Beziehung zum Saat-
feld ist hier genau die nämliche wie die des Helios in den homerischen
Yersen Od. HI 3, wo der Sonnengott Morgens am Himmel emporsteigt
tV äüuväioiai Cfai'tirj
Der Garten aber, in dem neun Röslein wachsen (78), der goldne Rosen-
garten (79), die neun Rosenstöcke, auf denen die Sonnentochter ihren Rock
trocknet (75), stehen dem Apfelbaum mit neun Seitenästen (72) gleich und
bedeuten die Strahlen der Sonne, auf denen oben als fc^pitze die Blume des
Sonnenballes prangt. Vgl. Fr. Rückert: „Die Sonn' ist eine gold'ne Ros'
im Blau" und H. Heine (Buch der Lieder): „Ueber mir in dem ewigen Blau
prangte die Sonne, die Rose des Himmels, die feuerglühende." Aus dieser
Rose d.i. der Sonne ist abgeleitet sowohl der goldene Rosengarten, als der
in die Wolken gewachsene Rosenstock in 83. 84.
Zur hessern Begründung meiner Behauptung muss ich etwas weiter aus-
holen und zunächst nachweisen, dass die Sonne mit ihren Strahlen vielfach
als ein sich verästelnder Baum gedacht ist. So ruft Rückert dem Schmetter-
linge, dem Paradieses vogel, zu:
Streife niciit am Boden, schwebe
Dort hinan im Siegeslauf,
Wo im Blauen unbegrenzet
Blüht der Soune goldner Baum.')
Dieselbe Anschauung enthält ein kleinrussisches VolksräthseP): „Es steht
ein Baum mitten im Dorfe, in jeder Hütte ist er sichtbar" (Aufl. die Sonne
') Grimm Myth. II 1054. Des Verfassers Germ. Myth. 430—440 Sohwartz S. M. St. 257.
-) Der Schmetterling im Herbste. Bausteine zu einem Pantheou. Gedichte. 1836. I 70.
^) Afanasieff poet. Naturansch. d. Russ. I 517 Anm. 2.
224 W. Mannhardt:
und ihr Licht i) Hiezu stimmt ferner ein norwegisches Volksräthsel, dessen
Mittheilung ich S. Bugge verdanke:
Der Stent! eitt tre i Billingsbergje d. i. Da steht ein Baum auf dem Billings b e r g e
dae driuper üt ivi eitt hav, Der tropft (vgl o. S. 101) über ein Meer
heunes greiner lyse som gull, (o. S. 97)
du gjeter dse'k idag. Seine Zweige leucliten wie Gold;
Das rätst du heute nicht.
Aufl.: die Sonne. Dieses Räthsel erläutert den engl. Ausdruck sun-beam
Sonnenstrahl, zu dem auch eine niederdeutsche Beschwörung stimmt (in een
scone Exempel v. 117 in Willems Belg. Museum I 326:
noch bemane ic u meere
by der Zonnen boom en by der manen.
Steckt etwa auch in altnord. sol-gran n. Sonnenstäubchen gran. n.
Fichte, so dass der Ausdruck als totum pro parte zu fassen wäre? Oder liegt
diese Synekdoche nicht vor und muss an gran n. Korn, unbedeutendes
Gewichtstheilchen gedacht werden ?i) Wie dem auch sei, jetzt werden wir
auch im Aachener Kinderreim den Sonnenbaum gewahr werden:
Op Zent Zellester-Berg (St. Salvator bei Do kaucht Maria 'nen Appelbrei (o. S. 104),
Aachen) Do kommen alle Herrgottskenger bei
Do schingt de Sonn' esu wärm; (o. S. 212)
Do steht e gülde Bäumche, Do kommen alle Engelcher (o. S. 99)
Onger det gülde Bäumche Kleng en gruss,
Do steht e gölde Stöulche. Nacks en bluss,
We setzt darop? Maria. Jesus in Marias Schuus.^)
Bliebe noch irgend ein Zweifel hinsichtlich des Sonnenl)aums, so löst
iim die folgende Sage. „Die Bramauen erzählen: der sehr geliebte König
Vicramaarca dachte eines Tages über die Kürze des Lebens nach und wurde
darüber sehr traurig, bis ihm sein Bruder zum Tröste folgenden Rath gab.
In der Mitte der Welt ist der Baum Udetaba, der Baum der Sonne,
welcher mit Sonnenaufgang aus der Erde hervorspriesst, in dem
Maasse, wie die Sonne steigt, in die Höhe steigt, und sie mit
seinem Gipfel berührt, wenn sie im Mittag steht, worauf er wieder
mit dem Tage abni mmt und sich bei Sonnenuntergang in die Erde
') W. Schwartz in seinem Aufsatz „der rothe Sonuenphallus der Urzeit in der Zs. f. Ethno-
logie 1874 S. 178 führt eine Stelle aus diin Talmud an, wo der inoiirfacli vorkommende Aus-
druck „Lichtsiiule der Sonne, des Mondes" für das Licht der aufgehenden Sonne und des auf-
gehenden Mondes folgenderraassen erläutert wird : „Unter Lichtsäule der Sonne wird verstanden
das Aufgehen der Morgenröthe, welche durchbricht, wie eine au frech te Pal me"
„Die Lichtsäule des Mondes steigt säulenartig auf, wie ein Stab, die Lichtsäule der Sonne dagegen
zerstreut und hierhin und dorthin'.
-) .1. Müller und W. Weitz, die Aachener Mundart, Aachen und Leipzig 1830 S. 278. Vgl.
Germ. Myth. .'J2G Anm. la. Die Ilimmelsthür winl offengehn. Kommt .lesus aus der
Schule. Kocht Maria Apfelbrei, setzen sich alle Engelchen bei, nackt und bloss, alle auf Marien
Schooss.
Die lettischen Sonnenmytben. 225
zurückzieht. Setze dich bei Anbruch des Tages auf diesen Baum;
er wird dich, wie er in die Höhe wächst, bis zur Sonne hinauf-
bringen, und diese kannst du bitten, dass sie dir ein längeres Leben als
den übrigen Menschen schenken möge. Der König befolgte diesen Rath und
erhieh ein Leben von zweitausend Jahren voll Kraft und Gesundheit J)
(j) Rosenstock, Sonnenbaum erklettert. Hier haben wir nicht allein
einen Baum, der bis in den Himmel hineinwächst, sondern auch,
wie in unserm Liede 88. 84 die Mythe von jemand, der auf ihm in
die Höhe klettert. Hiemit stehen wir inmitten einer Sagenfamilie, welche
Vertreter in allen Welttheilen hat. E. Tylor, der ihr in seinem Buche „Ur-
geschichte der Menschheit" S. 440—450 eingehende Beachtung schenkte, gab
ihr nach einem einheimischen Repräsentanten, einem englischen Märchen, den
Namen „Hans mit dem Bohnenstengel" (Jack and the beanstalk).
Wir unsererseits beginnen unsere kurze Besprechung mit einem deutschen
Märchen aus Siebenbirgen in Haltrich's werthvoUer Sammlung n. 15 der
Wunderbaum S. 70— 71. Ein Hirtenknabe gewahrt plötzlich auf dem Felde
einen grossen, schönen Baum mit Zweigen, die wie die Sprossen einer Leiter
stehen. Sein Wipfel reicht hoch in die Wolken. Der Knabe steigt neun
Tage lang am Baume empor und gelangt zuerst auf ein weites Feld mit
kupfernem Palaste, einem Kupferwalde und einer Kupferquelle, in der sich
seine gebadeten Füsse mit Kupferglanz überziehen. Er bricht ein Zweiglein
und gelangt an dem grossen Wunderbaume weiter in die Höhe steigend nach
abermals neun Tagen auf ein anderes Feld, wo Schlösser, Bäume, Hahn
und Quelle von Silber sind. Hier färben sich seine Hände mit Silber. End-
lich erreicht er nach neuem Klettern am siebenundzwanzigsten Tage ein
Goldland mit Goldpalästen und goldenem Wald, Hahn, Quell, in dem sein
Haar golden wird. Mit dem goldenen, silbernen, kupfernen Zweige gelangt
er, abwärts gestiegen, in einen Königshof, wo er als Küchenjunge Dienste
nehmend, sich Kopf, Hände, Füsse verhüllt. Später schreitet er unverhüllt
dreimal den Glasberg hinan und legt je einen der drei Zweige der
Königstochter in den Schooss, die er auf diese Weise zur Gemahlin er-
wirbt. Der goldhaarige Bursche ist uns schon als Sonnengott (o. S. 214),
der Glasberg als Himmelsgewölbe (o. S. 97. 218.) bekannt; die kupferne, silberne,
goldene Station erinnert an den ehernen, silbernen, goldenen Apfel, das sil-
berne, goldene, diamantene Ross (o. S. 95 S. 214) und charakterisirt sich damit
als Sonnenbaum.
In einem neugriechischen Märchen aus Kalliopi „das Töpfchen"-) wächst
ein Johannisbrodbaum so hoch, dass er nahe an den Himmel stösst. Ein
alter Mann steigt hinauf, um oben Schoten zu pflücken. Da hört er im Wipfel
') Frau V. Genlis, Botanik der Geschichte, übers, v. Stang I 242 bei Friedreich, Symbolik
der Natur S. 169.
■^) Bei Simrocli, deutsche Märcheu 1804. Anhaug S. 358.
/«itscUrift fiir Ethuologie, Jahrgang 1875. 16
226 ^- Maniihardt:
Sommer und Winter um den Vorrang mit einander streiten. Er schlichtet
den Streit zu Beider Zufriedenheit und erhält dafür von ihnen zuerst ein alle
Wünsche befriedigendes Töpfchen (— Tischchen deck dich), sodann einen
Knüppel aus dem „Sack." Im englischen Märchen „Jack and the beaustalk"
wird erzählt, dass eine bunte Bohne in die Wolken hinauf wächst, ihre Stengel
bilden eine Leiter, an der Hans hinaufklettert, bis er oben in eine unbekannte
Gegend kommt, wo ihm eine alte freundliche Fee von seinem Vater er-
zählt, von dem er noch nie etwas gehört hat. Ein böser Riese hat
denselben getödtet und seine Schätze genommen. Diese Schätze, eine Gold-
eier legende Henne, ein Beutel mit Gold und eine Goldharfe gewinnt Haus
wieder. Als der Riese dem am Bohnenstengel Hinabgestiegenen folgt, hackt
dieser jenen entzwei, so dass der Unhold köpflings in den Brunnen stürzt
und todt ist.^) Die Goldeier legende Henne^) ist ebenso, wie die Harfe
(s. unten) wieder ein Apotypom der Sonne.
») K. H. M. III3 321 ff.
'■') S. 0. S, 104 das Ei - Sonne. Vgl. dazu das Mailänder Regenlied (Germ. Mytli. 4'22)
Pjöv pjöv
La gaijina t'a I'oeuv.
Es regnet, es regnet,
Die Henne legt ein Ei;
d. h. wenn es abgeregnet, scheint die Sonne wieder,
so wie das piemontesische Sonnenlied (Germ. Myth. 396), welches ich der gütigen Mittheilmig
Se. Excellenz des Herrn Ritter Nigra verdanke:
Sei, mirasol
Ire galine suna rol,
tre gai ant un castel,
preghe Dio c'a fassa bei.
Sonne, Wundersonne !
Drei Huhn er auf einer Eiche,
Drei Hähne auf einer Burg;
Bitte Gott, dass es schön werde
Zu diesen drei Hühnern auf einer Eiche halte man das russische Räthsel von der Sonne „Es
sitzt auf einer alten Eiche ein Vogel, den weder König noch Königin noch die schönste
Jungfrau fangen kann. Ralston songs of the Russian people 349. Ein anderes russisches Räthsel
sagt: Der Hahn sitzt auf der Weide, lässt sein (ieiieder (wörtlich Haarzopf) bis auf die
Erde. Aufl.: die Sonne und ihre Strahlen Afanasieif poet. Naturansch. l .iPJ nach Tschernigofl'-
Gouvernements-Zeitung 1854 n. 29. Vgl. den goldenen Weiden buscli im lett. Liede n. 63.
Die Weide ist in diesem Räthsel statt der Eiche als Name des mythischen Baumes gewählt,
um darauf anzuspielen, dass derselbe am oder über dem Wasser (Himmelsmeer oder -Strom)
sich erhebt. Es ist nun wohl deutlich, weshalb die schon mehrfach o. S 98. 209. 211. erwähnten
Käfer coccinella septempunctafa, chrysomcia und cetonia auruta als Abbilder der Sonne (Soiui-
chen, Sonnenschciiicheu) auch Herrgottshähnchen, hiärguothäunken, U. L. Frauen Küchlein,
schwed. Herranshoen, Guilhöna, Geshöna, dän. Marihöne Vorherreshöne, holl. lieven heers
haantje, Zomerhaantje oder tuitje (Henne) höissen. Germ. Myth. 243 ff. 243 ff. Hiezu vgl man
die Anrede der Esten an densell)en Käfer, bei ihnen Lepatrina (d. Erlentriiie, Kathaiina der
Erlen) genannt. (Ueber Katharina als Sonnenheilige und als Name dieses Käfers s. Germ. Myth.
7. 385-388. Zs. f. d. Myth. IV 432.):
Fliege, fliege Erlentrine,
Flieg in jenes Land l)inül>er (d. i. den Himmel),
Die lettischen Sonnenmythen. 227
Mehrere russische Varianten theilt Ralston in seinen Russian folktales
S. 294 — 298 mit;') sie reden fast sämmtlich von einem aus Pfannkuchen,
Semmeln, Pasteten und allen möglichen guten Esswaaren gebauten Hause,
das mehreren (in einer Fassung zwölf) Ziegen zugehörig ist, deren jede
niiclistfolgende ein Auge mehr hat, als die vorhergehende (Einäuglein, Zwei-
iiugleiu, Dreiäuglein u. s. w.) oder von einer durch einen Hahn mit gol-
denem Kamm gehüteten Handmüble, welche Pasteten und Pfannkuchen zu
Tage fördert. Das eine oder das andere dieser Dinge findet derjenige oben
vor, der den zum Himmel hineingewachsenen Erbsenstengel, oder Eich-
baum hinaufklettert. Hier wiederholt sich somit in anderer Form jener
0. S. 226 dem „Tischchen deck dich" gleichgesetzte Topf.
Bei den Wyandots, einem Indianerstamme in der Nähe der grossen Seen,
klimmt Chalabech, der nie grösser als ein Säugling wird (vgl. o.
S. 211 fi. ?) einen Baum hinan, den er anbläst, so dass der wächst und wächst
und endlich in den Himmel hineinreicht. Hier oben legt Chalabech
seine Schlingen für Wild, in denen sich Nachts unversehends die Sonne
fängt, worauf auf Erden der Tag ausbleibt, bis ein Mäuschen die Sonne los-
nagt. Bei den Dogribindianeru im fernsten Isordwesten Amerika's pflanzte
Chapewee, als er nach der grossen Fluth die Erde formte, ein Stück Holz
auf, das zu einem Fichtenbaum wurde, der mit erstaunlicher Schnellig-
keit wuchs, bis sein Gipfel den Himmel berührte. Ein Eichhörnchen lief
diesen Baum hinauf und wurde von Chapewee verfolgt, bis er die Sterne er-
reichte, wo er eine schöne Ebene fand. Hier fing sich die Sonne in der
Schlinge, die er für das Eichhörnchen legte. 2) Die Kasias in Bengalen er-
zählen, die Sterne seien einst Menschen gewesen; sie kletterten auf den
Gipfel eines Baumes, aber andere hieben unten den Stamm ab und sie
blieben dort oben in den Zweige n."*) Bei den malaischen Dayaks auf
Bürneo klettert Si Jura zur Zeit einer Hungersnoth an einem im Himmel
wurzelnden Fruchtbaum, dessen Zweige r.iederhangen, in die Höhe, bis er
ins Land der Plejaden gelangt, hier den Reis mit seinem Anbau
kennen lernt, und dann sich wieder an einem langen Seile unfern von seines
Vaters Hause auf die Erde niederlässt."^) Auch hier wieder handelt es sich
um eine grossartige Nahrungsquelle, welche der Besteiger des Baumes oben
Wo die Ilähne Gold trinken,
Gold die Hähne, Blech die Hennen,
Auch die Gänse blankes Silber
Und die Krähen altes Kupfer,
Bluuiberg, Realien im Kalewipoeg S. 83. Wie sich die goldlegende Henne in aesopischer Fabel
(iiabr. 123. Aesop Für. 153. Cor. 13C.; und die von mir Korndämonen S. 40 Anm. 50 bei-
gebrachten Traditiouou zu den obigen Ueberlieferungen verhalten, steht noch zu untersuchen.
') \'gl. aiich Gubernatis zoolog. Myth. 1 lÖ'J Ö.
'-') Tylor, Urgeschichte der Menschheit. Lpzg. s. a. S. 441 11'.
^) Tylor, Anfänge der Cultur. I 287.
••) Tylor, Urgeschichte 445 ff.
16*
228 "W. Mannhardt:
findet. Bei den gleichfalls malaiischen Bantikern auf der Insel Celebes ist
die Sage, von der wir handeln, mit der Schwanjungfrausage verbunden,
welche von Kuhn, M. Müller u. A. wohl mit Recht gleichfalls als Sonnen-
mythus gedeutet wird. Es entwendet nämlich Kasimbaha, der mit andern
himmlischen Nymphen zum Bade herabgestiegenen Utahagi ihr Taubenhemd
und heirathet sie. Später entweicht sie unter Blitz und Donner zum Himmel.
Da steigt er auf den Rotangranken, die Himmel und Erde verbinden,
und von denen ihm eine Ratte die Dornen abnagt, zu Sonne und Mond empor
und gewinnt dort die verlorene Geliebte wieder.^) Die neuseeländische Mythe
von Tawhaki ist unzweifelhaft mit der vorstehenden historisch verwandt.
Tawhaki, von den Schwägern erschlagen, dann wiederbelebt, [eigentlich ein
Gott der Luft, aus dessen Füssen und Achseln Blitz und Donner hervor-
kommt, und dessen rechtes Auge als Polarstern glänzt] verheirathet sich mit
einer Nymphe, die aus Liebe zu ihm den Himmel verlassen hat, als er sie
kränkt, mit ihrem Töchterchen wieder zur himmlischen Heimath emporfliegt.
Er zieht aus, um sie zu suchen und kommt zu dem Orte, wo seine Ahne
Matakerepo die Enden der Schlingpflanzen bewacht, welche vom
Himmel zur Erde herabhangen. Auf einer solchen, die unten in der
Erde Wurzel schlug, klimmt er, während sein Bruder Karihi an einer los-
hangenden Ranke himmelauf himmelab schaukelt, glücklich empor, und hilft
seinem himmlischen Schwager beim Bau des Kahnes (der Sonne vgl. o. S. 102),
w'ird endlich von seiner Frau erkannt und thut sich als Gott kund.'-) Hiemit
sind, wenn man die o. S. 227 erwähnten Mythen vom Sonnenfäuger in Betracht
zieht, unzweifelhaft die folgenden Maorisagen zu combiniren. Mit der Ranke
einer S chlin gpflanze, die Itu wachsen lässt, bindet ein Krieger auf Samoa
die Sonne fest, bis er sein im Bau begriffenes Haus aus Steinen fertig hat.
Es war eben die Zeit des Jahres, wo die Sonne schwerfällig, müde
und schläfrig ist.^) Auf Tahiti baut Maui (der Himmels- und Sonnengott)
ein Marae (Tempel) und da dieses im Laufe des Tages vor Abend voll-
endet sein muss, ergreift er die Sonne an den Strahlen und bindet
sie an das Marae, oder an einen nahestehenden Baum, oder er fesselt die
Sonne mit Stöcken aus Kokusnussfasern so, dass sie seitdem langsamer als
zuvor ihren Weg geht, oder er hält die Sonne auf und regelt ihren Lauf, so
dass Tag und Nacht gleich sind.^)
Es ist ferner im Maorimythus von einem Baume die Rede, dessen herab-
hangende Aeste die Leiter sind, auf der die Todten auf- und absteigen, und
welche gleichsam in der Erde festgewurzelt dieselbe halten*^), auch dass jener
') Schirren, die Wandersagen der Ncuseeliuider und der Mauiinythus. Riga 1856. S. 120
2) Schirren a. a. 0. 41. 120.
3) Schirren a. a, 0. 37.
*) Schirren a. a. 0. 38.
'') Schirren a. a. 0. 94.
Die lettischen Sonnenmythen. 229
einen Kahn sendet, die Erwählten ins Jenseits abzuholen.') Dieser Kahn
aber findet sich wieder in der Mythe von Hikotoro, der sein Weib verliert
und vom Himmel kommt sie zu suchen. Da er sie in Neuseeland findet,
setzt er sie in einen Kahn, bindet an dessen Enden einen Strick
und so werden sie unverzüglich zum Himmel hinaufgezogen, und
in ein Sternenpaar verwandelt.-) Der Strick dieser Tradition steht der Ranke
gleich, an der man von der Erde zum Himmel gelangt; er ist auch erkennbar
in einer anderen Maoriüberlieferung, nach welcher ein Knabe von der Sonne
zur Erde in einem kleinen Kahne gelangt, der wie ein Siegel einer
Urkunde an einer Schnur hängt. ^) Schirren schöpft aus der eingehenden
Untersuchung aller dieser Mythen das Urtheil „die Ranken, die Flachs-
bündel, (die Stricke mit dem Kahn), an welchen die Erde empor-
gezogen wird und Götter auf und niedersteigen . . . sind die
Strahlen der Sonne vor allem im Aufgang und in der Mittags-
höhe.*) Eine Sage von Hawaii sagt: Maui sitzt im Kahne und zieht die
Erde nach sich. Als einer der Leute im Kahne hinter sich sieht, reis st
die Schnur und nur die Inseln bleiben über Wasser, Dieser Maui, der
hinter sich sieht, ist die Sonne. In der Nacht ist sie gradeaus von Westen
nach Osten gegangen, hinter ihr die Erde. Am Morgen aber wendet sie sich
und kehrt ihr Gesicht der Erde voll entgegen, und wie sie nun umgewendet
mit dem Auge nach Westen am Himmel emporsteigt, reisst das Band,
das sie mit der Erde verbindet; die Masse bleibt auf dem Grunde des Meeres
zurück und nur einzelne Inseln ragen empor. Ist dann im Fortgang die
Sonne über den Horizont hoch hinaus getreten, so erlahmt die mythenbildende
Phantasie. Nur durch die Strahlen verkehrt die Sonne mit der Erde. Wen
sie nicht von dort im luftdurchsegelnden Kahne mit sich emporgenommen,
der sucht den Weg zu ihr durch Ranken.^)
Combiniren wir diese Bemerkungen mit den vorhin dargelegten An-
schauungen vom Sonnenbaum, so ist es klar, wie die Sonnenstrahlen einmal als
Zweige eines Baumes, das andremal als herabhangende Ranken einer Schling-
pflanze, das drittemal als Stricke aufgefasst werden konnten, so dass das
Hinaufklettern an ihnen als eine den verschiedensten Völkern gemeinsame Idee
erscheint. Wenn damit in mehreren Sagen die Mythe vom Sonnenlänger
verbunden ist, so wird das auf irgend eine Weise im Zusammenhang mit der
naiven Vorstellung stehen, der regelmässige Lauf der Sonne werde dadurch
hervorgebracht, dass diese schnelle Läuferin mit einem Stricke gebunden sei,
um sie aufzuhalten,'') und dass man diesen Strick eben in den Sonnenstrahlen
') Schirren a. a. 0. 110.
2) Schirren a. a. 0. 41.
ä) Schirren a. a. 0. 109.
*) Schirren a a. 0. 145.
*) Schirren a. a. 0.
«) Vgl. M. Müller Essays U 100:
Dazu so wohl stimmt der bescheidne Schritt,
230 W. Mannhardl:
erblickte, sodann aber das Bild übertrug auf die Schwächung der Sonne,
ihr Gebundensein im Winter')
Unzweifelhaft reihen sich das litauische und lettische Lied 83. S4. dem
Kreise dieser weitverbreiteten Mythen ein, deren Gemeinsames dies ist, dass
jemand auf einem Baum, oder einer Ranke in den Himmel hinaufsteigt. Die
weitere Geschichte des Hinaufsteigenden wird fast überall verschieden erzählt;
aber in vielen Fällen lässt sich nachweisen, dass er die x^ttribute eines Sonnen-
gottes besitzt, oder die Thaten eines Sonnengottes begeht. Wenn in mehreren
Fassungen der (die) Hinaufkletternde ein Tischchen deck' dich oder dessen
Substitut oben auf dem Baume findet, so geht das auf die Sonne als die
grosse Nahrungsspenderin des Weltalls, wie deutlich das Märchen vom Tisch-
chen deck' dich,'^) so wie der Sonnentisch der Aethiopen in griechischer Sage^)
erweist. Und offenbar gehört hieher auch der Wunderbaum Manoratha-
Der sich den Ketten beugt,
Die an den Pfad dich fesseln, den dir Gott
Zu wandeln anbefahl.
') Vgl. Steinthal Zs. f. Völkerpsych. II 141. Grimm Myth.2 706.
') Ueber dieses Märchen können hier nur Andeutungen gegeben werden. Mehrere Wnnsch-
dinge werden von dem Helden oder seinen Brüdern erworben, aber durch einen bösen Wirth
gestohlen und mit Hilfe eines Knüppel aus dem öack wiedergewonnen. Diese Wunsch-
dinge sind : Tischchen deck' dich, goldmachendes Schaf (Asbjörnsen, Schleicher, Stier) Tischchen
deck' dich, «^cldmachender Esel (Grimm, Schott, Basile) Tischchen deck' dich, goldeierlegende Henne
(Zingerle) Flasche mit Tischchen deck' dich, Tischtuch, "Widder, Huhn (Woicicky), Tischchen deck'
dich, Esel, Goldhenne (Zingerle S. 185) Ir. Elfenm., E. Meier). Gegen Benfeys Ansicht, der Pantscha-
tantra I 379 die Meinung ausspricht, dass die goldmistenden Fabelthiere durchaus buddhistischen Ur-
sprung sseicn, wird sich mit Wahrscheinlichkeit ein älterer mythischer Ursprung dieser Figuren be-
haupten lassen. Wie so häufig im Mythus, sind verschiedene Bilder für einen und denselben Gegen-
stand zusammengehäuft. Die Goldeier legende Henne = Sonne ist o S. 226 besprochen, über den
Schafbock s. unten; der Prügel aus dem Sack scheint der Donnerkeil, der die vom nächtigen Un-
hold geraubte, mit Wolkendunkel verhüllte Sonne zurückerobert. Vgl des Verfassers G(")tterwe]t
S. 203. Es bleibt zu untersuchen, einerseits wie sich die sonstigen im Märchen genannten
Wimschdinge, andererseits wie sich der nach den Sagen aus der Ackerfurche oder dem See
aufsteigende mit Schüsseln und Speisen besetzte Tisch, das mit Kuchen, Erodlaib u. s. w
belegte Tuch der Eiben zum Tischchen deck' dich der Märchen verhalte s. u. A. Müllenhoff
n. 390. 599. Grimm D. S. I n. -298. 34. Vernalekeu, Alpensagen n. 151. Schambach u. Müller
n. 143. Rochholz Aargaus. I n 78, 3. Hagens Germania IX S. 97. Vgl. Kuhn westf. Sag. I
n. 414 Anm.), Enthalten die Sagen etwa nur irdische Lokalisirungcn des himmlischen Wunsch-
tisches der Sonne in Verbindung mit dem Glauben an eine andere in den Kräften der Vegetations-
geister begründete allgemeine Nahrungsquelle? (s. Baumkultus S. 80).
^) An dem Orte des Sonnenauffjangs bei den Aethiopen soll ein ewig gedeckter Tisch aus
der Erde aufgestiegen, voll der verschiedenartigsten Speisen und Gerichte dastehen, von dem
jeder nach Belieben essen könne. Diese Tafel heisse der Sonnentisch (lo('<^^C(t »oT' r)j.iov).
Das Aufgegessene ergänze sich über Nacht. Zu Herodots Zeit hatte sich bereits der Euhemerismus
in die Sage eingeschlichen, die Einwohner vun Ammouiuni sollten Nacht für Nacht die Ergänzung
des Verzehrten vollziehen, die Speise war zu Fleischspeise geworden. Herod. III 18. Vgl. auch
Preller griech. Myth. P 353. Uebrigens liegt die oben entwickelte Vorstellung bereits ver-
dunkelt auch dem homerischen Glauben zu Grunde, dass die olympischen Götter von Zeit zu
Zeit zum Mahle der Aethiopen an tles Okeanos Fluth gehen. II. i 422.
Die lettischen Sonnenmythen. 231
dayaka (Wunschgeber), der im Garten der Vidyadharas steht, Kinder verleiht,
Gold auf die Menschen herabregnet und jeden Wunsch befriedigt.')
Schliesslich sei es erlaubt noch eine erst neuerdings aufgenommene indische
Volkssage beizubringen. Der See Taroba im Chandadistrikt soll durch Zauberei
entstanden sein. Einst kam ein llochzeitzug durch die Chimurhügel. Er
dürstete, Braut und Bräutigam machten sich daran nach Wasser zu graben.
Da sprang ein Quell hervor, der zum See anwachsend den Hochzeitzug
verschlang, aber Feenhände bereiteten den Ertrunkenen in der Tiefe einen
prächtigen Palast. Am Ufer des Sees sprosste eine Palme auf,
welche nur bei Tage erschien und mit der Dämmerung jedesmal
in die Erde versunk. Eines Morgens setzte sich ein unvorsichti-
ger Pilger in die Baumkrone und ward von dem emporwachsen-
den Baume in die Lüfte emporgetragen, wo die Flammen der
Sonne ihn verbrannten. Dann zerfiel die Palme in Staub; an ihrer Stelle
erschien ein Bild vom Geiste des Sees, der unter dem Namen Taroba verehrt
wird. Ehemals erhoben sich alle zu dieser Verehrung erforderlichen Geräthe
(Schalen mit Opferspeise gefüllt u. s. w.) auf den Ruf der Pilger aus dem
See und kehrten, nachdem sie benutzt und gereinigt waren, wieder ins Wasser
zurück. Als sie aber ein böswilliger Mann mit nach Hause nahm, ver-
schwanden sie schnell und es hörte die mystische Versorgung auf. In ruhigen
Nächten vernehmen die Landleute den Klang der Trommeln und Trompeten
die um den See herumziehen. Als einst das Wasser bedeutend sank, sah
man die Zinnen des Feentempels in der Tiefe schimmern.^) Der Sonnenbaum
ist nach S. 224 unverkennbar; die aus dem See aufsteigende Schale mit
Opferspeise steht nach S. 101-102 und S. 230 dem Tischchen deck" dich
und dem Sonnentisch der Aethiopen gleich.
Mit diesem Sagenkreise also stimmt die in unserem Liede 83. 84 erhaltene
Mythe von der in den weissen Sandberg gesäten Rose, welche zu einem in
die Wolken reichenden Baume erwächst, an dem die Sprecherin in den Him-
mel hinaufsteigt. Es ist die Sonnentochter, die zur Tageshelle werdende
Dämmerung, die in den noch weisslichen Morgenhimmel die Rose, die in der
Umhüllung des Morgenroths eben über den östlichen Horizont emporsteigende
Sonne sät, und an dem daraus wachsenden Sonnenbaum bis zur Mittagshöhe
emporklettert; dort sieht sie nun schon aus der Ferne den Gottessohn, den
Abendstern sein Rösschen satteln. Auf die Frage nach Vater und Mutter
I grade so erfährt Hans vom Bohnenstengel oben von seinem Vater], weist
dieser sie in die Niederung; mit der sinkenden Sonne steigt sie hinab und
findet am Abend (als Abenddämmerung) die Stätte ihrer Kindheit, das
Haus ihres Vaters wieder, aber Vater und Mutter bereits beschäftigt, ihrer
Schwester, der Sonnentochter von morgen früh, die Hochzeit auszurüsten.
') Somadeva Kathasaritsagara übers, v. Brockhaus II 84.
■'') Magazin f. Literatur des Auslandes 1875 n. 5 S. 78.
232 W. Mannhardt:
Nicht wesentlich anders liegt die Sache, wenn wir etwa unter dem Rosenbaum
die Abendröthe zu verstehen haben, an der die Dämmerung hinanklettert, um
oben den Gottessohn und die Stätte ihrer Heimath wiederzufinden. In diesem
Falle ist das Bild des Baumes nicht aus der Anschauung, sondern aus der
Analogie der Vorstellung vom Sonnenbaum geschöpft, ein Vorgang, der sich
vielleicht in noch einem anderen Falle wiederholt.
/. Die zerspaltene Eiche. Eine eigeuthümliche Mythe nämlich ist in
den Liedern 45. 72. 73. t'4. 75. 78 enthalten. Abends, wenn die Sonnentochter
sich mit dem Monde (72. 75) vermählt, oder mit dem Morgenstern in das
Brautgemach geht, aus dem sie mit ihm Morgens glänzend hervorgeht, spal-
tet oder zerschmettert Perkun den goldenen (73. 75J, den grünen
(72) Eichbaum, dessen Blut der Sonnentochter, oder der Mutter Gottes
wollene Decke bespritzt und roth färbt; oder er spaltet den Apfelbaum,
der vor dem Thore (des Nachthimmels) steht (74). Weinend liest die Sonnen-
tochter, oder die Sonne selbst die goldenen Zweige auf; den Wipfelzweig sucht
sie lange vergebens, bis er im vierten Jahi'e sich findet. Apfelbaum
(o. S. 103 ff.) und Eiche (o. S. 226} wies ich bereits als Gestalten des
Sonnenbaums nach, wahrscheinlich ist der letztere gemeint; er erscheint zer-
spalten, wenn die Sonne hinter den Horizont hinabsinkt. Nur noch einzelne
Strahlen, losgerissene Zweige irren umher am Himmel, der Decke (o. S. 104),
welche sich im Abendröthe mit dem Blute der zertrümmerten Eiche färbt.
Die Sonnentochter, die Dämmerung, sammelt die einzelnen goldenen Blätter
und Zweige ab, der Himmel nimmt zuletzt eintöniges Grau an. Das Blutig-
werden des Abendhimmels findet sich ähnlich in der tahitischen Cosmogonie
wieder. Von dem aus dem Ei geborenen Sonnengott Taroa heisst es, als
sein Kahn unterging, füllte derselbe sich mit seinem Blute; dieses Blut färbte
die See, ward in die Luft getragen, bildete die Abend- und Morgenröthe.^)
Weit näher liegt zur Vergleichung wieder ein Lied an den Marienkäfer aus
Böhmen zur Hand;
Sommerwörmel flieg aus,
Dein Hiius'l brennt auss!
Deine Kinner sein drinue,
Das Blut rinnt über d' Rinne!')
Hier ist das Abendroth doppelt als Feuersbrunst und als Blut appercipirt.
Dass die Zerschmetterung der Eiche nicht, wie es nach einigen Liedern
scheinen könnte, am Morgen, sondern am Abend vor sich geht, scheint durch
die Betrübniss, das Weinen der Sonnentochter (oder Sonne) erweislich. Es
scheint aber in den von diesen handelnden Liedern — wie auch sonst mehr-
fach — die Abenddämmerung und Morgendämerung, mithin auch wohl Abend-
röthe und Morgenröthe als ein zusammengehöriges einheitliches Phänomen
') Benuet-Iyerman II 175— 17e, Schirren :i. a. Ü. 70 146. 147.
•) Zs. f. D. Myth. IV 328, 23.
Die leitischen Sonnenmythen. 233
betrachtet zu sein, ho dass das Morgenroth noch immer als die Abends vorher
vom Baumblut bespritzte Decke angeschaut wird. Diese rothgewordene Decke
nun (vgl. o. S. 216 ff) wäscht die Sonuentochter, die auch hier wieder zur
Tageshelle sich ausdehnende Dämmerung im goldenen Bach im Thale (79),
in dem Bache mit neun Mündungen (72), im Quell (Teich), in den neun
Ströme fliessen (75. 78). Sie trocknet sie am Apfelbaum (d. h. Sonnenbaum)
mit neun Seitenästen (72), im goldenen Rosengarten (79), wo neun Rosen-
stöcke blühen (~5), neun Röslein wachsen (78). Sie glättet sie mit der
Rolle, welche auf neun Walzen läuft (75 vgl. Lindenrolle mit neun
Mangeln 72).') Sie trägt sie an dem Tage, wenn am Himmel neun Sonnen
glühen (72. 75. 78), Sie bewahrt sie in der Lindenlade, welche neun
Schlösser und neun goldene Schlüssel hat (75). Die Zahl neun drückt, wie
es scheint, irgend ein Verhältniss des Sonnenlaufs aus. Darf die Hypothese
gewagt werden, dass im frühesten Altorthum Tag und Nacht in je 9 Abschnitte
getheilt waren, zu denen man für den Tag durch die Dreith eilung Morgen,
Mittag, Abend, für die Nacht durch Analogie auf sehr natürliche Weise ge-
langt sein konnte? Oder ist neun in unseren Liedern nichts anderes als
icaz l'ioyjjv heilige Zahl ohne spezielle Naturbeziehung?
d) Der Nachtsonnenbaum.
Eine Reihe von Thatsachen, welche wir in den nächstfolgenden Zeilen
zur Erwägung stellen wollen, nöthigen möglicherweise die Auffassung der
zerschmetterten Eiche als Sonnenbaum in etwas zu modificiren. Ursprünglich
war wohl der vom Baum gefallene Goldapfel, die Sonne, als am anderen Morgen
erneut gedacht (o. S. 103), nach anderer Vorstellung blieb er bis zum näch.sten
Tage verwahrt und bildete so zunächst den alleinigen _Gegenstaud nächtlicher
Hut; allmählich ergänzte sich dieses Bild zu einem Apfelbaum, an welchem
der Goldapfel nächtlicher Weile hängt, zu einem Apfelgarten, in welchem die
Sonne schläft. Man dachte sich also entweder den ganzen Sonnenbaum Nachts
den Mächten der Finsterniss verfallen, oder bildete sich vermöge der Analogie,
welche in der Mythologie eine schöpferische Rolle von ausserordentlicher
Fruchtbarkeit spielt, gegenüber dem Tagsonnenbaum einen Nachtsonnenbaum,
an welchem die Lichterscheinungen des Tages nächtlicher Weile ihren Auf-
enthalt nehmen, entweder für menschliche Augen unsichtbar, oder in Gestalt
des Mondes und der Sterne, die nun möglicherweise als Aepfel (vgl. o. S. 103
die Mondpomerauze) oder Eicheln an solchem Baume gelten konnten. Er-
innern wir uns an das russische Räthsel von der Sonne „Ein Vogel (die
Sonne)2) auf einer alten Eiche" (vgl. o. S. 226). so wird es nicht zufällig,
sondern auf mythischem Grunde beruhend erscheinen, dass Kalew. R. 47, 5 ff .
') Die Rolle, Mangel bezieht sich wohl auf den Umlauf der Sonne.
^ Ueber die Sonne als Hahn oder Henne s. o. S. 226. Im Veda heisst sie patanga (Vogel),
oder hansa (Flamingogans) Zs. f. vgl. Spracht". IV 120, oder Geier und Falke, Weber, ind.
Literaturgeseh. 195. Aeschylos nennt sie Zijvö^ önn-. In deutschen Liedern hat sie goldene
Federn. Germ. Myth. 37ö. Ueber ihre Vorstellung als Schwan s. Germ. Myth, 39.
234 W. Mannhardt:
beim Spiele Wainämoinens Mond und Sonne aus ilirer Stube kommen und der
eine im Stamm einer Birke, die andere im Wipfel einer Tanne sich nieder-
lassen, von wo die winterliche Königin des Nordlands sie stiehlt und im
Felsen einschliesst. Ilmarinen schmiedet R. 49, 47 ff. einen neuen Mond aus
Gold, eine Sonne aus Silber und trägt den Mond zum Fichtenwipfel, die
Sonne zur Tannenspitze, doch die künstUchen Gebilde wollten nicht leuchten.
Mau muss doch wohl geglaubt haben, dass beide Himmelslichter an der Krone,
oder als Krone eines solchen Baumes strahlten, ganz den entwickelten An-
schauungen vom Sounenbaum gemäss. Dass aber die Vorstellung des Baumes,
in dessen Krone die Sonne sitzt, auf den Nachthimmel übertragen wurde,
lehrt noch deutlicher, als die soeben beigebrachte Erwähnung des am Wipfel
der Fichte weilenden Mondes, R. 10 V. 100 — 174: Wainämoinen zeigt dem
Schmiede Ilmarinen am Rande des Osmofeldes d. h. am äussersten Ende der
Menschenwelt') die wunderbare Fichte, in deren goldener Blüthenkrone das
Mondlicht leuchtet, in deren goldenen Zweigen der Himmelswagen (Bär)
steht. Ilmarinen steigt hinauf, um den Mond und den grossen Bären herab-
zuholen, wird von da aber durch Wainämoinen mittelst eines Sturmwindes
nach Nordland geblasen. Nun verstehen wir den hinter dem Berge (o. S. 97)
stehenden Eichbaum in unserem Liede 55, an welchem Gottessohn und Sonnen-
tochter Gürtel und Krönchen aufhängen. Ebenhieher gehört der Ahorn,
unter dem am Quelle die Gottessöhne mit den Gottestöchteru im Mondschein
tanzen (80).
Im Allgemeinen wird nach diesen Auseinandersetzungen ein Zweifel
darüber nicht mehr gestattet sein, was die griechische Sage mit den goldenen
Aepfeln meinte, die in der Gegend des Sonnenuntergangs dort, wo Helios
seine nächtliche Fahrt nach dem Osten beginnt (s. o S. 102 die Worte des
Mimnermos) in den Tiefen des finsteren Landes, der Nacht, jenseits des
Okeanos an einem Baume hängend von Jungfrauen, den Hesperiden, ge-
pflegt und von einem Drachen bewacht werden. Hes. theog. 215: Die Nacht
gebar den Tod und den Schlaf
'Ko ifoiJus {j\ ctig ftP^i.« niQm' xluiou 'SlxtapoTo
Theog. 275 : Die Gorgonen wohnen
fo/titni TToOi rvy.ii);, /V '/^autuiöti J.iyv (fcoyoi.
Theog. 3.1 5: Keto umarmt den Phorkys
yt-ifuin (J'tM'ör (Xf n\ og fntjut'ijg xn't'hoi ;'(a'»;s').
utiQuriit' iv utyäloig jzciy^orotfe /u ij X c( qvknoan.
Es ist der zur mythischen Mehrzahl gewordene, zu einem ganzen Haum
ergänzte Sonnenapfel während der Nachtzeit; oder wäre an Mond und Moud-
') Castren, finn. Myth. übers, v. Schiefner 8. 243.
^ Vgl. 0. S 103 noi'i ßt'i'Ota yuxiüi (ot/ni'ug.
Die lettischen .Sonnenmythcn. 235
bäum (?) zu denken?') Ich glaube nicht, denn einmal liegt für diese Vor-
stellung kein bestimmteres Anzeichen vor, andererseits scheint die Sage, dasa
Herakles die Ilesperidenäpfel holte, wenn auch sekundär, so doch noch in
einer Zeit entstanden zu sein, welche ihn als Sonnenheros, den Hesperiden-
apfel als 8onne verstand.
Ist aber überhaupt die Annahme eines mythischen Nachtsonnenbaumes
begründet, so ist die Frage berechtigt, ob nicht die Zerschmetterung der
Eiche unserer vorherigen Auslegung entgegen erst am Morgen geschehen,
der Baum als der Nachtsonnenbaum zu erklären sei. Mein Hauptgrund gegen
diese Annahme ist die Lebendigkeit und Kleinmalerei der Schilderung, welche
meinem Gefühle nach in diesem Falle unmittelbare Anschauung des bildlich
beschriebenen Gegenstandes vorausetzt.
«) Sonnenfrau im Sonnenbaum, das älteste Märchen
und seine Sippe.
Der Zug, dass das Blut der Eiche fliesst, beweist, dass man den
meteorischen Vorgang nach der Analogie einer anderen abergläubischen Vor-
stellung appercipirt hat, wonach gewisse heilige Bäume nicht allein von einer
Persönlichkeit beseelt, sondern auch mit menschlicher Körperlichkeit erfüllt
sind. 2) Nach der Weise des in irdischen Bäumen immanenten Baumgeistes
wird man ursprünglich die Sonnengöttin dem Sonnenbaum innewohnend sich
vorgestellt haben.
Diese Vorstellung konnte oder musste die Wendung nehmen, dass die
Sonnenfrau in dem Baume eingeschlossen sei, oder dass sie zwischen den
Zweigen des Baumes, oder unter demselben sitze. Ich stehe nicht an, diese
Form der Vorstellung in Märchen wiederzufinden, wie wenn Guhachandra
seine himmlische Gemahlin und deren Schwester oben zwischen den
Zweigen eines grossen mit reifen Früchten prangenden Feigen-
baumes auf einem Thronsessel sitzend findet.^) Mit dieser Erzählung
stimmen nämlich die mehrfachen indischen Erzählungen von einem himmlischen
Mädchen, welches unter einem Wunderbaume ruhend aus dem Meere
auftaucht. Ein Prinz, von ihrer Schönheit hingerissen, lässt sich am Baum
herab, versinkt mit ihm auf den Grund des Meeres und gelangt in eine gol-
dene Stadt, woselbst er die Schöne in einem goldenen Hause, bedient von
Vidhyadharis linda.-") Dieses buddhistische Märchen gehört offenbar zu
denen, welche eine weit ältere mythische Grundlage haben, und zwar gehört
es einem vorzüglich durch das Märchen von Saktideva vertretenen Kreise
') Vgl. auch Wisiiceiius Symbolik von Sonne und Tag S. 37. Gubernatis deutet die
Hesperidenäpfel auf den Mond. Zoolog. Myth. 1. -.'74. II 410. 418.
*) S. des Verlassers Bauuakultus der Germanen S. 34 ff.
^) Somadeva übers, v. Brockhaus I 19K.
*) Benfey Pantschatantra IS. 151. Vgl. dazu die Erzahhmg der Vetalapancavinvati. Benfey
a. a. 0. I 1Ö4.
236 W. Mannhardt:
von Erzählungen an, als dessen nächsten Verwandten Benfey das o. S. 215
besprochene Märchen vom Lande der Jugend^) und dessen Sippe constatirt,
wo der Baum mit den Goldäpfeln und die Quelle dem Wunderbaum
im Meere entspricht. 2) Das Meer, aus welchem der Baum mit der Schönen
aufsteigt, ist unzweifelhaftt das Luftmeer, auf dessen Grunde die Goldstadt
(vgl. o. S. 95 das goldene Schloss der Sonne) ruht.
Der Baum, auf dem die go Idgewandige (vgl. nQonönenloc) Aller-
leihrauh mit ihrem rauhen Pelze darüber sitzt, dürfte ganz analog den vorhin
(0. S. 233) besprochenen Nachtsonnenbaum zu bedeuten haben. 3)
Ein in Südeuropa verbreitetes Märchen erzählt von der aus einem Gold-
apfel (Citrone, Pomeranze) hervorgegangenen, durch Wasser belebten,
auf dem Baume neben einem Quell sitzenden Schönen, welche mit
einem Königssohne sich verlobt. Yon diesem auf einige Zeit verlassen, wird
sie von einer Mohrin (Zigeunerin), die nun ihre Stelle einnimmt, mit einer
Nadel getödtet (vgl. Brunhilds Schlafdorn); nach einander in einen golde-
') Hylten-Cavallius n, 9.
-) Vgl. auch Schott, Wal. Märchen n. 26. Das goldene Meermädchen und Haltrich n. 20
S. 104 ff. Bei Schott lockt der Prinz das aus den Wassern aufsteigende goldene Meer-
mädchen in den wunderbaren Kahn, in den sieh der getreue Wolf verwandelt hat; bei Haltrich
lockt der Junge die Königstochter mit den goldenen Zöpfen, die jenseits des Meeres
wohnt, auf sein Schiff, auf dem sich das „weisse Sonnenross" (0. S. 95) und ein Bett
mit dem wie die Sonne strahlenden Karfunkelstein des Schlangenkönigs befindet.
Weit ursprünglicher lassen russische Volksmärchen diese Königin mit dem Goldzopf, die un-
bekleidete Schönheit, die am Ende der weissen Welt wohnt, wo die Sonne aus der See aufsteigt,
im silbernen Kahn auf dem Wasser schwimmen und mit goldenen Rudern
rudern. Sie heisst auch Maria Morewna d. h Maria Meerestochter. Afanasieff Skazki VII 6.
12. VIII 8. Derselbe, poet. Natiiranschauungen II Ti-l. In slovakischen Traditionen heisst sie
krasna panna, slata panna, Morska panna (die schöne, goldene Prinzessin, die Meeresprinzessin)
Tochter des Meerkönigs fährt sie auf goldenem Kahn und ist von so blendender Schönheit,
dass man allmählich die Augen an sie gewöhnen muss, um nicht zu erblinden. Slov. pohad
100-112. 627. Ueber den Kahn s. 0. S. 102.
3) Allerleihrauh K H M. n. 65. Vgl. Hahn 27. Schott n. 3. Dass Allerleihrauh minde-
stens in den Bereich der Sonnenmythologie gehöre, scheint aus mehreren Varianten dieses
Märchens schlagend hervorzugehen. Bei Schott 3 hat sie ein silbernes, ein goldenes, ein dia-
mantenes Kleid (vgl. die Sonnenrosse 0. S 95). Bei Schleicher 10 trägt sie um die Stirne
die Sterne, auf dem Kopfe die Sonne, am Hinterhaupte den Mond. Nächst verwandt ist
das bulgarische Lied von Grozdanka, die der Sonnengott (Slunce männl. die Sonne) am
Tage des h. Georg in einer goldenen Wiege als Braut zu sich empor hebt, wo sie neun
Jahre stumm ist; weshalb sie einer anderen Braut den Platz räumen und selbst als Braut-
führerin bei der Hochzeit eintreten muss. Dabei entzündet sich der Schleier der unrech-
ten Braut 'Morgenroth), jene findet ihre Sprache wieder und wird des Sonnengottes Gemahlin
(Krcck trad. Lit. S. 82). In einer slowakischen Variante wird Nasta an einem goldenen
Schwungseil (vgl. 0. S. 228 die Ranke) zum Sonnengott in die Höhe gezogen. Bei Hahn n. 41
heisst das Mädchen Sonnenkind, der Sonnengott (Sonnenball, Sonne männl.) zieht sie an
einem Sonnenstrahl zu sich empor; oben macht er ihr alimählich die Pantoffeln kürzer, den
Ueberrock kürzer, die rothe Mütze enger. Zuletzt entsendet er sie nach Hause; unterwegs wird
sie auf einem Baume sitzend von einer Hexe zu bezaubern gesucht (Nacht?). Sie entrinnt
derselben und gelangt nach Hause in einer Situation, welche der von Goldmariken (0. S. 223)
entspricht (Morgendämmerung?).
Die lettischen Sonnenmythen. 237
nen Fisch (Taube) und einen goldenen Baum mit goldenen Früchten
verwandelt, geht sie endlich aus den zersplitterten Spänen (resp. einer
Frucht) des letzteren in menschlicher Gestalt wieder hervor und beseitigt
die lulbche Nebenbuhlerin, i) Schon Hahn bemerkte die Verwandtschaft die-
ser Verwandlungen mit denjenigen einer andern Märchenlaniilie, die ich Zs.
f. d. Myth. IV 251 besprochen habe. Eine Königin hat zwei wunder-
liebliche Kinder, einen Knaben und ein Mädchen, mit goldenen
Ilaaren geboren. Die neidische Oberköchin tödtet die Kinder und ver-
gräbt sie in den Mist, aus dem nun zwei goldene Tannenbäumchen
hervorwachsen. Die Mörderin selbst Königin geworden, nachdem sie die
wahre Königin verdrängt, bewegt ihren Gemahl dazu, die Bäumchen
abhauen und Bettstellen daraus macheu zu lassen. Aus den Brettern der-
selben reden die ermordeten Kinder zu ihr. Da veranlasst die Königin die
Zertrümmerung und Verbrennung der Bettstellen und sieht selbst
zu. Zwei Funken fallen in daneben stehende Gerste, von der ein
Mutterschaf isst, das nun zwei goldene Lämmer zur Welt bringt. Die
Königin verlangt deren Herzen. Aus den in den Fluss geworfeneu
Gedärmen entstehen auf einer Insel wieder zwei splinternackte Gold-
kinder mit Goldhaaren, ob deren Schönheit die Sonne sieben Tage
im Laufe inne hält. Der liebe Gott nimmt sich ihrer an, erzählt ihnen
ihre Geschichte als Märchen und heisst sie das dem Könige vortragen. So
werden sie vom Vater erkannt, und nach Beseitigung der Stiefmutter in ihre
Rechte eingesetzt. Haltrich Siebenb. Märch. n. 1. S. 1—8. Eine fast
gleichlautende rumänische Variante bei Schott w^al. Märch. u. 8. S. 121 — 125
nennt statt der Tannenbäume Bäume mit Goldäpfeln. Aus einem Darme
des getödteten Goldlamms wieder als Knaben zur Welt gekommen, erzählen
die goldenen Jünglinge als Bettler verkleidet in grosser Versammlung die
Geschichte ihres Lebens, da löschen sie die Lichter aus und streifen
die Lumpen vom Leibe, so dass sie herrlich prangend daste-
hen, wie die Frühlingssonne im Mai. Kommt an mein Herz, ihr
meine goldenen Söhne, ruft der Vater.
Wichtig ist eine neugriechische Version. Asterinos (der Morgenstern)
ist durch den Trunk aus einem Quell in ein Lamm verwandelt, seine
Schwester Pulja, d. h. Gluckheune (Sonne? o. S. 226 oder Siebengestirn,
Myth. 2 G'Jl)' hütet dasselbe, auf einem goldenen Thron inmitten des
Wipfels einer Cypresse sitzend, von ihr laufen glänzende Strahlen
aus. Pulja wird Gemahhn des Königssohnes, aber auf Anstiften ihi-er Schwie-
germutter in einen Brunnen geworfen, das Lamm geschlachtet. Pulja
') Basile Pentamerone, le tre cetre V g (49). Stier iiugar. Märchen n, 13. Simrock
Deutsche Märchen. Stuttgart 1864. S. 366-72 (ueugr. aus Kailiopi) Zs. f. d. Myth IV, 320
(aus Zakyuthos) Hahn n. 49 (Kleiuasieu). Scholl n. -25. Ziugerle n. 11. Vgl. auch Guber-
uatis Zoological mythol. II. 409.
238 W. Mannhardt:
springt aus dem Brunnen heraus, sammelt und vergräbt die Knochen
des Lammes mitten im Garten. Daraus erwächst ein ungeheurer Apfel-
baum mit einem goldenen Apfel, der immer höher steigt, sobald Jemand
ihn l)rechen will. Nur Pulja pflückt den Apfel, steckt ihn in die Tasche und
zieht davon. (Hahn griecb. u. alb. Märchen 1864. Thl. 1. n. 1. S. 65 ff.)
Eine weitere Variante ist K H M. n. 130. Zweiäuglein hat eine Ziege,
bei deren Anrufung ein Tischen deck' dich (o. S. 230) vor ihr steht. Die
neidischen Schwestern Einauge und Dreiauge tödten die Ziege, aus deren
vergrabenen Gliedern wächst aber vor der Hausthüre ein Wunder-
baum mit silberneu Blättern und goldenen Aepfeln auf, der sich
nur vom Zweiäuglein pflücken lässt, und Ursache wird, dass sie den schön-
sten Ritter heirathet. Hiezu stellt sich nun ganz nahe das russische Märchen
(Afanasieff Skazki VI 04). Maria hat drei Stiefschwestern, Einäuglein, Zwei-
äuglein, Dreiäuglein. Ihre Stiefmutter giebt ihr für eine Nacht als Aufgabe
5 Pfund Wolle zu spinnen, zu weben, zu bleichen. Ihre Kuh heisst sie in
eines ihrer Ohren kriechen und zum anderen heraus „und Alles wird gethan
sein." Einäuglein, Zweiäuglein, die sie belauschen wollen, werden ein-
geschläfert; Dreiäuglein behält ein Auge wach; die Kuh wird getödtet,
Marie sammelt ihre Knochen, vergräbt und begiesst sie. Ein Apfelbaum
mit Silberzweigen und Goldblättern spriesst auf, der mit seinen
Spitzen die drei Stieftöchter sticht, doch Marien seine Früchte selbst darbietet,
und ihr so zur Heirath mit dem schönsten Prinzen verhilft, i)
Eine andere russische Lesart (Erlenwein n. 5) kenne ich nur in dem
kurzen Auszuge bei Gubernatis I, S. 294. Ein Kosack kommt in den Wald
und fa,llt in die Hand seines Feindes, der ihn in Stücke hauen und diese in
einem Sacke seinem Rosse auf den Rücken binden lässt. Das Ross trägt
ihn zum silbernen und goldenen Schlosse, wo er wiederbelebt
wird. Seine Wirthe, ein alter Mann und eine alte Frau, ziehen ihn, um
ihn aufzuwecken, in der folgenden Nacht durch das Kreuz, das an seinem
Halse hängt, und er wird in ein Ross von Gold und Silber verwan-
delt. Der Zar lässt am Abend das Ross tödten, und daraus entsteht ein
goldener und silberner Apfelbaum. Der Apfelbaum wird ge-
hauen und zur goldenen Ente. Im ungarischen Märchen vom Eisenlaci
(Stier n. 15) wird Eisenlaci, der ausgezogen ist, seine drei Schwestern im
Sonnenkleide, Mondkleide und Sternenkleide zu suchen, vom zwölfköpfigeu
Drachen in hundert Stücke zerhauen, die der Mörder dem Rosse des Helden
auf den Rücken bindet. Dieses bringt sie zum Schlangenkönig, der Eisen-
laci wiederbelebt. Letzterer kehrt, in ein Ross verwandelt noch einmal zum
Schlosse des Drachen zurück. Derselbe schlachtet auf das Andringen seiner
Frau das Pferd, aber aus dessen beiden ersten Blutstropfen erwächst im
Garten ein Baum mit Goldäpfeln. Der Baum wird auf Begehr der Drachen-
') Vgl. auch Afanasieff II, 55. Gubernatis zoological mytli. I, 179. 181. 182.
Die lettischen Sonnenmythen. 239
frau abgehaueu, aber zwei Späne in den Teich geworfen wandeln sich in ein
goldenes Fischclicn. Als der Drache dieses fangen will, steht Eisenlaci da
und tüdtet ihn.
Die älteste und wichtigste Version dieses Märchens indess ist, wie ich
bereits vor Jahren (1859, Zs. f. d. Myth. IV, S. 232-253) dargethan habe,
in der ägyptischen Erzählung des Papyrus d'Orbiney von Auepu und Uatau
erhalten. Zuerst vom Vicomte de Rouge in der Revue archeologique 1852,
p. 385 ff. auszugsweise mitgetheilt, ist es später von H. Brugsch nach dem in-
zwischen durch Birch veröffentlichten Originaltext in seinem Buche „Aus dem
Orient", Berlin 18(34 II, S. 1 — 29, vollständig übersetzt worden. Von den
beiden Brüdern Anepu und Batau hat der Letztere, in Folge der ungerechten
Beschuldigung, dem Weibe seines Bruders Gewalt angethan zu haben'), die
Heiraath verlassen, nachdem er im Unwillen das angeklagte Glied seines
Körpers abgeschnitten. Er geht nach dem Cedernberge und legt, weil er
so muss, seine Seele in die Spitze der Blüthe einer Ceder, mit
welcher fortan sein Leben verknüpft ist. Die neun Götter machen dem
Batau, dem Stier (.1er Götter, ein Weib aller Schönheit voll. Doch die sieben
Hathors bestimmen ihr einen gewaltsamen Tod. Batau liebt sie und vertraut
ihr das Geheimniss seines Lebens an. Einst, als sie aus dem Hause tritt,
erbittet sich das Meer von der Ceder eine Locke ihres Haars,
erhält dieselbe und trägt sie nach Aegypten zu den Werkstätten des Königs,
wo sie köstlichen Geruch verbreitet. Die Schriftgelehrten des Pharao ver-
künden, dass die Locke einer Tochter des Sonnengottes zugehöre. Durch
Weiberschmuck verlockt, lässt diese sich von den Abgesandten des Königs
hinwegführen und wird dessen Gemahlin, die Ceder aber wird abge-
hauen und die Blume abgeschnitten, in welcher Bataus Herz
steckt, letzterer fällt todt auf die Matte. Anepu, der das wohl an ge-
wissen Zeichen wahrnimmt, macht sich auf den Weg nach dem Cedernberge
und sucht das Herz, die Seele, des jüngeren Bruders vier Jahre lang. Im
vierten Jahre sehnt sich Bataus Herz nach Aegypten zurück und wird in einer
Frucht des Cederbaumes gefunden, in einem Gefäss mit Wasser belebt, dem
ausgestreckt daliegenden Körper des Todten eingetlösst und dieser kehrt
zum Leben zurück. Jetzt verwandelt sich Batau in einen Apisstier,
nimmt den Bruder auf seinen Rücken und ist mit ihm bei Sonnenau fsran ir
am Königshofe, wo er wohl aufgenommen und göttlicher Ehren theilhaft
wird. Einst im Heiligthum fängt der Stier an zu reden und offenbart sich
der Königin als den verwandelten Batau. Sie begehrt nun vom Könige
die Leber des Thieres. Als der Stier geschlachtet wird, springen zwei
Blutstropfen vor die Thürpfosten des Königspalastes und es erwachsen über
') Dieser vermutiilich frenule, der Geschichte von Potiphars Weib iihiiiicho, erste Theil des
Mürciieus sei hier nur angedeutet. Lieber ihn sieiie des Verfassers Aufsatz in der Zs. f. d.
Myth. IV. '243 — M. Ebov.-i Aeiij-pleu luul die fünf I'ücher Uoses. S. oll IV.
240 "W. Mannhardt:
Nacht zwei Perseabäume. Als das Königspaar dieselben beschaut, spricht
der eine zur Königin: Du hast mich tödten wollen, ich lebe dennoch, ich bin
Batau. Die Schöne bestimmte ihren Gemahl dazu, die Perseabäume absägen
zu lassen, um schöne Bretter daraus zu machen. Als dies geschieht, fliegt
ein Holzspan in ihren Mund, sie wird schwanger und gebiert ein
Knäblein, das erwachsen und König von Aegypten geworden sich als
Batau enthüllt, den versammelten Grossen in Gegenwart der Köni-
gin-Mutter die Geschichte seiner Verwandlungen erzählt und dieselbe vor
Gericht stellt.
Schlagend erhellt die Identität dieses zur Zeit des Moses von einem der
vorzüglichsten Schiiftgelehrten, Annana, in klassischer Darstellung aufgezeich-
neten Märchens mit der vorstehenden südeuropäischen Märchenfamilie aus
der Nebeneinanderstellung auf beifolgender Tabelle.
In dreien Versionen beginnt die Erzählung mit einem Baum, in welchem
der Held oder die Heldin sitzt oder so zu sagen immanent ist; es ist (obschon
im ägyptischen Märchen in Ceder und Persea auseinander gefallen) vermuth-
lich mythisch derselbe Baum, welcher in etwas anderer Form nachher wieder
zum Vorschein kommt und welcher durch seinen Goldapfel sich als Sonnen-
baum auszuweisen scheint. Hiezu stimmt, dass der Perseabaum rothe ßlüthen
hat und nach Brugsch bei den Aegyptern ein Sinnbild der Sonne war; auf
ihm weilte die Sonnenkatze. ^) Er ist als Trostbild auf Mumienkasten und
anderen Todten-Denkmälern abgebildet und heisst auch Baum des Harpokra-
tes oder Horus, d. h, der Sonne. In I, IV, VI sind die Helden dem Gold-
baum immanent. In II, IV drückt der Zug, dass sie allein den Apfel pflücken
können, die nämliche enge Beziehung mit anderen V\^ orten aus. Die Haupt-
person ist bald männlich, bald weiblich, trägt aber in fast jedem einzelnen
Falle Merkmale eines Sonnenwesens an sich. Dahin rechne ich in III die
Goldhaare, welche (nach Auslöschung der Lichter) die Nacht gleich der
Morgensonne im Mai durchleuchten (vgl. o S. 225), in I den Gegensatz der
Mohr in (der Nacht) zur goldigen Fee.
In der Reihenfolge der Verwandlungen Mensch, Baum, Schaf (Stier oder
Kuh, Ziege, Fisch), Baum, Mensch werden allein in III zwei Glieder ver-
tauscht und in die Ordnung Kind, Baum, Lamm, Kind verwandelt. Die reden-
den Bretter des Goldapfelbaumes in III, der zu Brettern bestimmte Persea-
baum in VI, die aus jenem herausfliegenden Funken III, von denen ein
Schaf trächtig wird, die aus diesem abfliegenden Holzspäne, die die Königin
guter Hoffnung machen in VI; das Gericht über die böse Königin durch
Erzählung der Lebeusgeschichte in III u. VI sind Züge ganz specieller
Uebereinstimmung, welche kaum zufällig sein dürften.
0 Zu Ileliopolis hatte Ra der Sonnengott die Gestalt eines Katers; seine Tochter Pacht
trügt die Souneuscheibe uuf dem Haupt, oder Katzenkopf. S. Duncker, Gesch. des Alterth. I
Aufl. 4. 8. 39.
Die lettischen Sonnenmythen.
241
w
■^ o
W ^ P3
> a
•3 m
S W
(X) *1>
"1 -r
-»^ ■" 1-5 ■£
^ O O »
*i S '3 <»
'S -i^ 'o Sic
CQ e£
M =
^
_o
K
<v
^
O)
r^
hß
<D
Ö
a
'C
^
a.
:rt
s i2 -3 c
<1 C
W
» "5 o .a 'S
tue
k. bc
= - 'S <^ o So
■55 E5
a
es
a.
03
o op
J3 'S
M
5
.2 =3 "S a ß
w W CQ 2 S
<i>
-5 ö
a "^
CS
9 -=
c»
«3
Ö -c >-
I- S
CO a>
<v
« £
a t;
a>
bD sS
u J3
-ö 2 'S
.«'o^a'J-Äi^ — —
s ^' a ~
CD ^ O
2 aj >
o -p
a 5
fc< CO '='ä
•" -^ s
.s o .-;: ^ ■" 1=1 a
s « M <i S !§ 'S
-q
.s ^
'S fe
^ ^
■a t-
a "-^ e
(D CO
■»SS
a ^ ^
a .i:
3 &
5 !^
öc < -fl 'O
fc- "O U (U
f— a cfl
S .- a
bD ^ es D. OJ -ö a
W
a* X o 'a "
C a <u
K"
4)
•D
11
CQ
N
a
3 -q
_, ^ J-i c»
g 'S oj o
a - 3 (c
'S « a ^
a +j <u a
O ct3 bC <ü
> .t: <r> a
T t>C " CO
aj _bc 4> g
X 'a 'S -3
o £ a
.2 a
C a
a
t- a
a-^
hJ Ol
a a TS
CQ .ä a
5 i
§ a ^ >
Cm
g a C a>
^ a -g -3
§ =« =s
ö M -'S
M « ^
a .2 "
a r^
^ Co
"^ H^ "« a .
CO -a '"" 'S SP
3 a> o ^ cS
<i 1^ o 13 a
a, r,- g ^
5 O
;s5
S5 faß
a
_ o; k, (U
.5 i- 'w 'S -t^
bc^ s; TS
o .2 g ^ ■£
^^ w »-« rt-i
O) a> <» 's
c g cö -a a
2 r =3 I S ^ g
^ a oj -2 '^ *-
a> 13 3 ^ - ö
! - =
^ a
fe
:03 O)
bc
:ei3
bc aJ
a
>- T? -a
a
t- a
"^ :=* « CQ fcS
r; "O -a " *- ►.
^ — ' o -^ _o
■- o i2 '^ «J S ►-
O <iS '3 Q CQ >
S3 Ol
ö 6:
a
'Sd
'^ j ^ —
S =« a
*• fe OJ !^ S
-M 1^ z: ^ a
a m a ■"
s ^ ö= "Sc
^ * 2 a S
«> .2 O J' 'T
ri Q, bc a> Ol
•«'1t» '^3 ;-
O 'm
b£ S
a
a
> a> Ol G a J3 _
? :s -a S « ::« a
a t. fc, Ol s r^ »►
g ::; t, 3 c ^ J
a 2 r-, -S !n fe J ®
< ^
d a
§ » a ^
rir Ol "^ ^'^
-ä a *^ Q
o 2 N a
fe £ =" ^
i£ Ol „Ol
CO O 'S
a -- a a
a> cä
*> a
Ol
a •-' ii •
a> *- oj a
^^ Ol xi m 0}
-- »2 -, fc« in
cö "-^ a> CO
^ -ü j:^ T3 5
a j' a CO
o ^ ., 5 *>
> <» -^ bc
a — bc fe
- ?. "^ e i
-a ^ «
bc
:cd
o
-s^
Ö 1> ''^ t I
^ a 3 ^ ^
S ,2 ^ -« Q
J3 'S -™ O
^ a 43 CO „
5 « ^ra
bc;g
'53 Js)
es: 'zj tsj
CO p "O
C? iH a Sc
— a> •'-
« fi W a
bc 'o g a>
." a s ä^
ciS <u
pa CO
OQ a o) ^ .;; a —
C .2
1 " I
es S :0
& O ^
>- O 3
> a 'E
Ol ^
•2 .3 "
<Seitscbrift für Ktbnologie, .labrgaug lä7j.
g 'S" S -s "S .
« -g m o j| e
03 2 a ^ . ^
bD fc^ ,-^ -^ a c
^ ^ ' - = « £
a
a w
"^ a
a=§
a :2 aj " 'S ^
<u 'S Sit a
■« & .2 c«
_r a
l> .« CO "
a .2 Ö e U ^
-< W -3 'S c« :cs
B ö
I» C2
a
a> a
ios
o a
a S s
'O W ■»->
. -a
a a :=
<5 '5 *
<D 0?
a ^
a
CQ ^
^ ^ a
-a '^ a
1- >^ a>
^ — -^
17
242 W. Mannhardt:
Erwägen wir nun die folgenden Thatsachen. Anepu geleitet seinen
in den heiligen Stier verwandelten Bruder zum Könige. Der Name Anepu
ist gleich Auubis, Auuphu, Anupu'), dem Geleitsmann der Seele, der u. A.
auf einer Stele von sich aussagt: „Ich bin gekommen zu Dir, um zu heilen
Deine Gebrechen, um zu beleben Deine Glieder, um zusammen zu führen
Deine Gebeine". Auch sucht er mit Isis den verlorenen Horus. Der heilige
Stier Apis (Hapi) galt als ein Abbild der Seele des todten Osiris, d. h. der
Sonne während ihres nächtlichen und winterlichen Laufes. Auf dem Sar-
kophage eines um 1450, etwa 120 Jahre vor der Abfassungszeit unseres
Märchens, bestatteten Apis heisst es: „Apis Osiris (Osar Hapi), der grosse
Gott, welcher im Amenti (Unterwelt) sitzt, der ewig lebende Herr". Auf
späteren Apisgräbern liest man die Inschriften: „Der wieder lebend gewor-
dene Osiris", „der wiederauflebende Apis des Ptah", „der lebende Apis, wel-
cher Osiris weilend in Amenti ist". Harpokrates (Harpechruti), d. i. Horus
das Kind, ist der sterbliche Lichtgott, den Isis von Osiris in der Unterwelt
empfängt. Er wird als nacktes Kind mit an den Mund gelegtem Finger ab-
gebildet.
Man vergleiche, wie G. Ebers die Osirismythe zusaramenfasst. „Osiris
ist die Seele des Sonnengottes Ra, er wandelt selbst durch die diesseitige
Welt als Ra und ändert nur die Namen und die Existenzform, wenn er all-
abendlich wieder in seiner jenseitigen und eigentlichen Heimath bei sich selbst
wieder anlangt, wo er die Regierung führt, wie er sie hier als Ra geführt
hatte. Am andern Morgen erzeugt er dann aus sich den Ra in verjüngter
Form als Horus Ra, den Kreislauf aufs Neue beginnend." ^) Sollte nun
uicht die Reihe: der Baum, welchem Batau immanent ist, am Meere (Luft-
meer?) mit Batau-Ra zugleich vernichtet; Batau's Gattin heirathet einen
anderen (Unterwelt, Nacht, Winter); Batau unter des Anubis Händen wieder
auflebend (gegen Sonnenaufgang) wird Apis (Sonne während ihres nächt-
lichen Laufes von Westen nach Osten); geht bei Tagesanbruch über in den
Sonnenbaum und wird aus diesem ein Kind (Harpokrates, Horus das neuge-
borene Sonnenkind); sollte — meine ich — diese Reihe nicht geeignet sein,
wahrscheinlich zu machen, dass das ägyptische Märchen ein uralter verdun-
kelter Sonnenmythus war, ein Mythus, die Geschicke des Sonnengottes dar.
stellend, vom Abend, wann er sich das Zeugungsglied abschneidet^), bis zur
Nacht, wann er mit dem Sonnenbaum, in dem er lebt, stirbt und in den
Amente geht, sich in die Nachtsonne wandelt, und endlich zum Morgen,
wann aus der Nachtsonne wieder der Sonnenbaum wird und aus diesem das
neugeborene Tagessonnonkind emporsteigt? Offenbar gab es im Laufe eines
') G. Ebers Aegypten und die fünf Bücher Mosis. S. 314. Parthey Plutarch über Isis
und Osiris. S. 195.
'■') Anmerk. zur Aegypt. Königstochter. Bd. I. 219.
■*) Vgl., dass das ycharaglied des von Typhon zerstückelten Osiris allein verloren geht, von
den Fischen verzehrt. Plut. Is. Osir c 18. p. 30. Parthey.
Die lettischen Sonnenmytheu. 243
Jahrtausends sehr verschiedene Forraen der Osirismythe, von denen diese
und jene sehr wohl der Brotomorphose unterliegen konnte, ohne dass die
anderen aufhörten, in religiöser Geltung zu stehen. Doch den Aegyptologen
gebührt in dieser Sache das nächste Wort.
Eine genauere und eingehendere Untersuchung würde vermuthlich zeigen,
dass auch die europäischen Varianten in ihren ständigen Einzelheiten einen
Sonnenniythus noch durchschimmern lassen. In Bezug auf die in mancher
Beziehung dem ägyptischen Mäixihen am nächsten stehende fünfte Erzählung
bei Erlenwein von dem Kosacken (vgl. die ungarische von Eisenlaci o. S. 238)
äusserte schon Gubernatis 1, 295: „The golden duck is the same as the gol-
den horse, or as the hero cut in pieces represent the voyage of the sun in
the gloom of night, or the voyage of the grey horse". Wir werden im Fol-
genden die von uns ausgesprochene Vermuthung noch durch einige weitere
Beobachtungen verstärken.
u) Die Eiche und das goldene Fliess der Argonautensage.
Um in den euro])äisclieu Märchen der in Rede stehenden Familie über-
einstimmend mit anderen — wie es scheint unabweisbaren Spuren, s. o. S. 237
— Sonnenmythen erkennen zu können, werden wir vor allem das goldene
Schaf oder Lamm, welches in ihnen eine so grosse Rolle spielt — als
Apotypom einer Lichterscheinung darthuu müssen. Der Beweis für das Vor-
handensein der mythischen Vorstellung eines Sonnenwidders geht indess
aus den mährischen Sonnenliedern (Zs. f. d. Myth. IV S. 34() ff. n. 68. 74.
74a; S. 392 mit vollkommener Deutlichkeit hervor:
74: Kouiui heraus, komm heraus Sonne, Verirrt sich vier Meilen,
Hinterm Mühnkönicheu. ') Vier Meilen hinter Prag.
Kommst liu nicht heraus.
Führe ich Dich zum Süulchen. 74a: Es regnet! Es regnet! Wacholder!
Dreh' Dich um Titnbchen. Fünf Schafe gingen verloren,
läubchen hat sich umgedreht, Und der sechste ein Widder
— — — — - — — Mit goldenen Hörnern.
Die Alte ging hinaus auf den Hügel, Wer die Hörner findet,
Sah dort fünf Schäfchen. Umgeht vier Meilen,
Der sechste war ein Widder Vier Meilen hinter Prag.
Mit go hl enen Hu rnern. — — — — — — u. s. w.
Wer die Hörner findet,
S. 392: Beim Regen wird dem Marionkiifer (o. S. 98. 209. 217. 226.
232. zugerufen:
Regne nicht, regne nicht Regen! Dir geben wir auch.
Wir fahren Roggen ein Marnnka, Marunka,
Auf Kuchen, auf Kuchen!*) Gieb Gottes Sönnchen.
') d. h. aus Deiner Schlafkammer, aijs dem Orte, wo Du geschlafen hast,
*) d. h. um Kuchen zu macheu.
17*
244 W. Mannhardt: Die lettischen Sonnenmythen.
Sie flog hinaus auf den Hügel, Unser Vater ging hinaus,
Fand da fünf Schäfchen, Einen Sack Geldes fand er;
Den sechsten einen Widder Unsre Mutter ging hinaus,
Mit goldenen nörneru. Einen Laib Brod fand sie.
Wer die Eörner findet,
Einen Sack Geldes er findet.
Was die Sechszahl der Schafe soll, weiss ich nicht zu sagen, aber der
Widder mit goldenen Hörueru, deren Enden vier Meilen hinter Prag,
d. h. in weiter Ferne den Erdboden berühren, ist nichts anderes, als die
Sonne mit ihren Strahlen. Vgl, den skandinavischen Solarhjörtr (Sonnen-
hii-sch), dessen Füsse auf der Erde stehen, indess das Geweih an den Him-
mel rührt. Wer die Hörner auffangen könnte, trüge einen Sack Gold (Son-
nengold) heim, er hättedie Allerweltsspeise, das allnährende Brod = Tischchen
deck dich o. S. 230. Wie hier das Brod gefunden wird, dort wo das Gold-
horu des Widders aufliegt, besitzt Zweiäugleins Ziege ein Tischchen deck
dich. o. S. 238.
Eine weitere Spur der Apperception der Sonne als Goldwidder oder
Goldbock finde ich in einer Märchengestalt, welche bereits Germ, Myth.
175 — 178 von uns besprochen, aber dem damaligen Standpunkte der ver-
gleichenden Mythenforschung gemäss auf die blitzdurchzuckte Gewitterwolke
gedeutet ist. In dem verbotenen Zimmer des unter dem Brunnen befind-
lichen Reiches, wohin ein (in den Varianten des Märchens von Goldmarikeu
u. s. w. auf das Morgenlicht (?) zu deutendes) Kind geräth, oder unter den
Schätzen des Riesen befindet sich ein Goldbock, oder mit goldenen
Böcken bespannter Wagen. Hinsichtlich der Schätze des Riesen sprach
nun schon 1866 Orest Miller i) von dem mythischen Gehalt der Märchen
redend es aus: „Das Himmelslicht ist in verschiedenen Wunderdingen zu
erkennen, die der Heldenjüngling bald für den Vater, oder den König, bald
auch für sich zu gewinnen hat. Derart sind die goldenen Aepfel,'^) der
goldene Vogel-*), der goldgeweihige Hirsch'*), das goldmähnige Ross^); das
goldborstige Schwein*^), wobei das Gold auf ein lichtes Wesen hinweist und
auch die slavischen Gebräuche es zur Genüge darthun, dass man darunter
verschieden gestaltete Sonnenwesen zu denken habe." In gleicher Richtung
deutbar scheinen die sonstigen im Besitze der Riesen gefundenen Kostbar-
keiten, z. B. Goldlampe neben Mondlampe auf das Sonnenlicht, goldene Hühner
(o. S. 226) auf die Sonne, Goldharfe (vgl. die Harfe der Gottessöhne in
unserm Liede 69) auf die ersten Strahlen der Morgensonne, das Goldfell,
oder Goldpelz auf den goldgewölkteu Abend- oder Morgenhimmel. ^)
(Schluss folgt,)
') Üpuit p. 144 ff, bei Kreck trad. Liter. S. 35.
-') Vgl. 0, S. 103 ff. •') S. 0. S. 226. 233.
*) Vgl. den nordischen Sonnenhirsch, Solarhjürtr.
^') Vgl, das skand, Ross des Tages Skint'axi und o. S,
'') Vgl. des Sonnengottes Freyr Eber üullinbursti.
') In Rescliwüningsfoiineln ans dem «istl. Russlanil wird die Morgenröthe augerufen mit
ihrem rothen Tue he die Zauber feindlicher Mächte zu decken. Äfauasieffpoet. isaturausch. 1 6b.
245
lieber Spuren römischer Cultnr in Norwegens
älterem Eisenalter.
Von A. Lorange.
Aus dem Norwegischen übersetzt').
Bald nach der Ausbildung der Archäologie, — als man in den Alter-
thümern eine gänzlich neue Quelle für unsere Kenntniss von der ältesten
Ansiedelung des Nordens, von dem frühesten Culturzustande des skandina-
vischen Volkes und seinen Beziehungen zu dem übrigen Europa erkannt
hatte, machte sich die Frage aufs Neue geltend: wann und auf welchem Wege
haben unsere Vorfahren — das Volk des Eisenalters — von den nördlichen
Ländern Besitz ergriffen?
Neue Funde, Entdeckungen und Erfahrungen legten in ununterbrochener
Reihefolge Zeugniss davon ab, wie ausserordentlich mangelhaft noch die Kennt-
niss von dem ältesten Zustande des Eisenalter-Volkes im Norden war, als
die erwähnte Frage zuerst auftauchte. Dieselben Funde beweisen, wie un-
vollständig auch heute noch das zu einer endgültigen Lösung jener Frage
vorhandene Material ist; aber sie enthalten doch auch neue Winke, auf wel-
chem Wege die Wahrheit zu finden, und neue Verheissungen, dass sie dem-
nächst gefunden werden kann und wird.
Unumgängliches Erforderniss hierzu ist aber die Rekanntschaft mit den
Eigenthümlichkeiten der Alterthümer in jedem der nordischen Länder; und
diese lässt allein durch zahlreiche, planmässige Aufgrabuugen und durch
Ansammlung beglaubigter Funde von nationalen Alterthümern sich erwerben.
Nur Dänemark hat es bis jetzt verstanden, einigermassen vollständige
Illustrationen zur Aufhellung seiner vorgeschichtlichen Zeit zu liefern, und
den dänischen Forschern hat man hauptsächlich zu danken für die neuen und
wichtigen Beiträge, die bisher zur besseren Kenntniss der ältesten Geschichte
des Nordens erschienen sind.
Damit indessen die Beweiskraft der dänischen Alterthümer auch über die
') [Die Abhandlung erschien unter dem Titel. „Om Spor af romersk Kultur i Norges aeldre
Jernalder% in den Verhaudlunfjen der norwegischen Gesellscbalt der Wissenschaften, Christiania
1873. Der Herr Verfasser, früher in Frederikshald, ist gegenwärtig Director des antiquarisch-
historischen Museums in Bergen.] Anm. d. üebersetzers.
246 A. Lorange:
Grenzen Dänemarks hinaus auf die andern nordischen Länder sich erstrecken
können, ist die Kundschaft von den vorgeschichtlichen Denkmälern dieser
Länder eine nothwendige Bedingung; denn nur angesammelte Funde und
ebenso vollständige Aufdeckungen aus allen Theilen des Nordens können
eine Vergleichung ermöglicheu und zu Schlüssen berechtigen, die für den
ganzen Norden Geltung haben sollen.
Welche Aufklärungen aber ist man in Schweden und Norwegen beizu-
bringen im Stande über das erste Auftreten der Eisenzeit? Die Armuth der
schwedischen Museen an Alterthümern der Eisenzeit im Allgemeinen und an
zusammengehörenden Grabfunden im Besondern muss unwillkürlich jedem
Besucher die Ueberzeugung aufdrängen, dass die schwedischen Alterthümer
noch bei Weitem nicht ausreichen, unl eine entscheidende Stimme abgeben
zu können;!) und was Norwegen anbetrifft, so will ich mir nur erlauben
drei Citate anzuführen, die hei aller Verschiedenheit doch gute Beweise dafür
sind — was ich hier nur andeuten, aber weiter unten näher erörtern werde — ,
dass alle schwedischen und dänischen Schriftsteller, welche von dem älteren
Eisenalter in Norwegen gehandelt haben, eine ebenso geringe Kenntniss be-
sassen von dem Auftreten dieser Culturperiode in Norwegen, als sie überhaupt
Gelegenheit hatten dieselbe kennen zu lernen; und dass es ohne Zweifel noch
lauger Zeit und vieler Arbeit bedürfen wird, ehe nordische Forscher iu der
Lage sein werden eine Schilderung des älteren Eisenalters in Norwegen zu
geben, die iu befriedigender Weise sowohl die Uebereinstimmungen mit den
Brüderländern, wie auch die nationalen Eigenthümlichkeiteu nachwiese, oder,
um es kurz auszudrücken, die eine sichere Grundlage und einen Ausgangs-
punkt für historische Schlussfolgerungcn abgeben könnte.
Dr. C. F. Wiberg hat in seiner bekannten Abhandlung vom Jahre
1868 „über den Einfluss der klassischen Völker auf den Norden" alle ihm
bekannten Funde von römischen Alterthümern in Dänemark, Schweden und
Norwegen zusammengestellt, da er in diesen Funden die Zeugnisse von dem
ersten Auftreten der Eisenzeit im Norden erkannte und nach deren geo-
graphischer Ausbreitung die Grenzen gleichsam abstecken zu dürfen glaubte,
innerhalb deren sich das ältere Eisenalter über die verschiedenen Länder des
Nordens verbreitete.
Das Resultat seiner Uebersicht war folgendes: „Dänemark ist nament-
lich reich an römischen Funden".^) „In Schweden fehlt es keineswegs an
Denkmälern einer mehr oder minder directen Verbindung mit der alten Welt.
Innerhalb der Grenzen des heutigen Schwedens wurden ungefähr 143 antike
Funde gemacht, von denen c. 50 auf Gotland, 53 auf Oeland und c. 40 auf's
') N, G. Brueelius, Svenska fornlemningar, Andra häft. 1860 pag. 80 ff., wo der Verfasser
alle ihm bekannten Funde aus der älteren Eisenzeit in Schweden zusammenstellt,
-■) Wiberg, De Klassiska folkeus lörbindelse med norden. Geile 1867, pag. 45. Deutsche
Ausgabe, Hamb. 1867, pag. 59.
Ueber römische Ciilttir in Norwegen. 247
Festland fallen werden."' Sowohl das Schweigen der alten Schriftsteller, wie
die ßesshaffenheit der dortigen Funde beweist, dass Norwegen innerhalb
seiner heutigen Grenzen der alten Welt durchaus unbekannt blieb; doch ist
es möglich, dass irgend ein, an die Küste von Bohuslän verschlagener Körner
in's Land kam und dass auf diese Weise der eine oder andere Gegenstand in
die südlichen Gebirge Norwegens gelangen konnte; jedenfalls hat Norwegen
seine Civilisation ohne römischen Einfluss begonnen."'^)
Das andere Citat entnehme ich dem neuen Werke des Dr. 0. Montelius,
Kemains from the Iron Age, Stockhohn 1869, weil der gewissenhafte, vor-
sichtige Verfasser in seiner Arbeit die Resultate sammeln wollte von den
neuesten Entdeckungen in Betreff des nordischen Eisenalters, namentlich alles,
was dazu dienen konnte, das erste Auftreten des Eisens in den verschiedenen
Ländern des Nordens zu erklären; und weil er seinen Stoff mit dem offen-
baren Bestreben sich frei zu halten von der in altern Schriften nicht selten
hervortretenden nationalen Parteilichkeit behandelt hat. Es scheinen indessen
die Funde von Saetrang und Veien (von Prof. Keyser beschrieben, Annal. f.
nord. üldkynd. 1836/37, pag. 142 — 1Ö9) in Verbindung mit dem Funde von
Aug«raldsnaes (Urda, Bd. II, pag. 589—594) die einzige Grundlage für seine
Beurtheilung der altern Eisenzeit in Norwegen zu bilden. Er kommt daher
auch nur zu einem von Wiberg wenig abweichenden Resultate und gibt
pag. 18 folgende Uebersicht seiner Erfahrungen: „die häufigen Funde römischer
Münzen aus den ersten drei Jahrhunderten nach Ckristus und anderer römischen
Fabrikate aus ungefähr derselben Zeit, namentlich auf den dänischen Inseln,
aut Oeland und Gotland, machen es wahrscheinlich, dass die Cultur des Eisen-
alters sich im östlichen Dänemark und südlichen Schweden nicht später ver-
breitete als im südlichen Jütland", — wo seiner Meinung nach die grossen
Moorfunde den Beginn des Eisenalters „spätestens im '2. Jahrhundert n. Chi'."
ieststellten. „Dagegen wird man bis jetzt nicht sagen können, wann das
Eisenalter in Norwegen seinen Anfang nahm; es sind dort keine römischen
Münzen aus den ersten Jahrhunderten n. Chr. gefunden und auch andere
Gegenstände, die in dieselbe Zeit fielen, sind dort selten. Freilich wurden
dort mehr Funde als die vier von Wiberg angegebenen aus der älteren
Eisenzeit bekannt, aber die meisten gehören einer Jüngern Periode dieses
Zeitalters an."
So stand es um die Meinung fremder Archäologen in Betreff' der älteren
Eisenzeit in Norwegen als Prof. Rygh in seinem bei Gelegenheit der Natiu--
forscher- Versammlung in Christiania 1868 gehaltenen Vortrage über die ältere
Eisenzeit in Norwegen^) aufmerksam darauf machte, „dass man in Norwegen
über 500 Funde aus der älteren Eisenzeit kenne''; eine Anzahl, die bei weitem
') A. a. 0. pag. 49 ; resp. pag. 62.
■■0 A. a. 0. pag. 57 und 58 ; resp. pag. tJO xi. 70.
^) Der Vortrag wurde veröffentlicht Aarböger f. n. Oldk. f. 1869,
248 A. Lorange:
die Summe aller Funde aus der älteren Eisenzeit iibertriflft, welche bis jetzt
in Schweden und Dänemark zusammen bekannt wurden, und „dass diese
Funde bewiesen, dass Norwegens Bebauung sich im älteren Eisenalter ebenso
weit nach dem Norden hinauf erstreckte wie zu Anfang des christlichen
Mittelalters und auch ebenso weit in die höchsten Gebirgsgegenden im Innern
des Landes".^)
Welch ein überraschender Gegensatz oder Protest liegt doch in diesem
letzten Zeugniss gegenüber den beiden vorhin erwähnten; und wie wird dadurch
der Glaube geschwächt an Schlussfolgerungen, die auf so mangelhafte, irrige
Voraussetzungen sich stützten!
Und ebensolche Ansichten standen eine Reihe zon Jahren hindurch bei
allen antiquarischen Schriftstellern in Geltung, sowohl im Norden selbst, wie
ausserhalb desselben. Man glaubte allgemein, dass die Ueberreste der älteren
Eisenzeit in Norwegen nicht nur bei weitem seltener, sondern auch erweislieh
jünger wären als in den beiden andern nordischen Reichen.^)
Eine der Ursachen, wodurch die Vorstellung von Norwegens Armuth an
Gegenständen der älteren Eisenzeit sich festsetzte, darf man in der besonderen
Bedeutung suchen, die sowohl den römischen Münzen wie den im Norden
gefundenen römischen Alterthümern für die Beantwortung der Frage nach
dem Ursprung und der Ausbreitung des älteren Eisenalters zugeschrieben
wird. Sowohl Herr Staatsrath Worsaae in seinen letzten Arbeiten, wie
Prof. Engelhardt in seinen Moorfunden, Dr. Moutelius in seinem Werke
über das Eisenalter und Prof. Rygh in dem ebengenannten Vortrage gehen
von der Voraussetzung aus, dass die ältere Eisenzeit, wie sie mit stark rö-
mischem Einfluss in den grossen dänischen Moorfunden und in den Gräbern
Seelands auftritt, sich überhaupt als das erste Auftreten der Eisenzeit im
Norden kennzeichne. Darum glaubte man auch sowohl den Weg und die
Zeit des Eindringens der älteren Eisenzeit in den Norden, wie auch ihre
Ausbreitung und Entwicklung, nach der Anzahl der in den verschiedenen
Ländern entdeckten römischen Funde gleichsam berechnen zu können.
Nun ist allerdings Norwegens Boden sehr arm an römischen Münzen.
Wenn man aber beobachtet, in welcher Art sich die Münzfunde in Dänemark
und Südschweden vertheilen ; wie sie sich nur an den nach Deutschland zu
gelegenen Küsten vorfinden uud weiter hinein ins Land sofort verschwinden;
so scheint mir wenigstens, dass man diesen Mangel an Münzen in Norwegen
sehr wohl erwarten durfte, und daher eine andere Erklärung dieses Verhaltens
suchen müsse, als sich mit der kühnen Behauptung zu begnügen, dass der-
jenige Theil von Skandinavien, wo keine römischen Münzen gefunden wurden,
auch ausserhalb des römischen Culturstroms nach dem Norden gelegen
habe. Selbst in Schweden mit seineu 4000 Denaren sind — wie wir unten
') Aarböger 1869, pag. 173.
■'') Aarböger 1869, pag. 10.
Ueber römische Cultur in Norwegen. 249
sehen werden - doch nur 12 Stück nördlich von Schonen gefunden; und
aus Jüthind kennt raun sogar nur einen einzigen Fund. Ich möchte es für
wahrscheinlicher halten, dass die römischen Münzen, sobald sie ins Land
kamen, eingeschmolzen wurden, indem die Bevölkerung das Metall eher zur
Darstellung nationaler Schmucksachen zu benutzen, als das ihr unverständ-
liche geprägte Geld aufzubewahren suchte; Goldschmuck ist bekanntlich sehr
allgemein in nordischen Funden der älteren Eisenzeit und oft von grossem
Metallwerth. Indessen ist Norwegen doch keineswegs gänzlich von römischen
Münzen entblösst; denn nach der Mittheilung des Prof. 0. Rygh'), Aars-
beretn. for 1871, pag. 164, kennt man in Norwegen gegenwärtig aus der
älteren Eisenzeit folgende Funde von römischen Münzen oder offenbaren
Nachbildungen derselben:
1. Denar des Antoninus Pius, gef. in Hedemarken.
2. Goldmedaille von Valentiniau I., gef. in Lister.
3. Nachbildung, gef. in einem Grabhügel in Sogn. jAntiq. Atlas
4. desgl. , gef. in einem Grabhügel in NordhordlandiPl. L fig. 14,
5. desgl. , gef. in einem Grabhügel, Amt Bratsberg | 15 et 5.
6. desgl. , gef. in einem Grabhügel, 1872, in Romsdal.
„Diese Funde", sagt Prof. Kygh, „lassen muthmassen, dass wirkliche römische
Goldmünzen des IV. Jahrhunderts nicht ganz selten in der älteren Eisenzeit
in Norwegen vorgekommen sein können". Münzfunde beweisen demnach,
wie mir scheint, wenig oder gar nichts ; aber von dem Verhältniss der Münzen
hat man auf Funde anderer römischer Fabrikate schliessen wollen und diese
irrige Ansicht dänischer und schwedischer Forscher ist lediglich dem, bis zu
der obengenannten Abhandlung des Prof. Rygh herrschenden vollständigen
Mangel an eiuer kritischen Bearbeitung der nordischen Funde und der daraus
für den Ausländer sich ergebenden Schwierigkeit die antiquarischen Verhält-
nisse Norwegens genügend kennen zu lernen, zuzuschreiben.
Alterthümer von römischer Herkunft und ebensolche in römischem Stil
gearbeitete sind nemlich durchaus nicht selten in Nqrwegen. Aber selbst
wenn diese gefehlt hätten, würde man daraus nichts' Bestimmtes haben
schliesssn dürfen auf den Beginn des Eisenalters in Norwegen; denn durch
Betrachtung der nordischen Alterthümer, speciell durch meine zahlreichen
Untersuchungen nordischer Grabhügel, glaube ich, soweit wenigstens die nor-
wegischen Verhältnisse in Betracht kommen, allen Grund zu haben, an der
Richtigkeit der obengenannten Voraussetzung zweifeln zu müssen: „dass die
Ankunft des römischen Cultnrstroms im Norden auch gleichzeitig sei mit
dem ersten Auftreten des Eisens in Dänemark, Schweden und Norwegen".
Aber, wie dem auch sei, in jedem Falle ermöglichen doch diese römischen
Funde vermittelst der im südlichen Schweden und in Dänemai'k bei ilinen
') Foreningen til norske Fortidsmindesmerkers Bevaring. Aarsberetning for 1871. Kristia-
nia 1872.
250 ^' Lorange:
vorkommenden Münzen die gegenwärtig ältesten Zeitbestimmungen innerhalb
des Eisennltf.rs, indem die römischen Münzen zugleich die Ankunft der andern
südländischen Erzeugnisse in dem Norden datiren und dadurch, wenigstens
in dieser Hinsicht, sichere Ausgangspunkte für historische Schlussfolgerungen
bilden. Es würde sich daher als ein wesentlicher Mangel bei der Bearbeitung
von Norwegens älterer Eisenzeit fühlbar machen, wenn wir wirklich -~ wie
man bis dahin angenommen hat — diese für die Zeitbestimmung so wichtigen
römischen Funde gänzlich entbehren müssten. Aber, wie schon gesagt, ist
dies keineswegs der Fall.
Ehe ich indessen dazu übergehe, die in nordischer Erde gefundenen
römischen Alterthümer zu beschreiben, möge es mir gestattet sein, der Ver-
gleichung wegen, und zur bessern Erläuterung der norwegischen Funde kurz
zu schildern, in welcher Weise die römischen Funde in Dänemark und
Schweden auftreten.
Nach den bis jetzt gemachten Erfahrungen herrscht eine wesentliche Ver-
schiedenheit unter dänischen und schwedischen Funden von römischen Alter-
thümern. Die dänischen bestehen im Wesentlichen in Hausgeräth, besonders
in verschiedenartigen Gefässen von Bronze und Glas, deren vollendete Ar-
beit — ebenso wie die Fabrikstempel — die römische Abkunft beweisen, und
ausserdem auch in Waffen und Schmuckgeräth. Die schwedischen Funde
dagegen zeigen „weit seltener solche antike Gegenstände, welche dem häus-
lichen Comfort oder der eleganteren Toilette angehören".') Sie bestehen
wesentlich in römischen Silbermünzen — Denaren — aus dem ersten, nament-
lich aber aus dem zweiten Jahrhundert nach Christus, nebst römischen und
byzantinischen Goldmünzen aus dem V. und VI. Jahrhundert.
Nach schwedischen und dänischen Verzeichnissen wurden römische
Denare an ungefähr 100 verschiedenen Stellen in Dänemark und Schweden
gefunden. Von diesen Funden kommen 22 auf Dänemark (Seeland 6, Fyen
5, Bornholm 7, Süd-Jütland H), während man für ganz Nord-Jütland nur einen
einzigen kennt. ^)
In Schweden wurden ungefähr 4000 Silberdenare gefunden — aber wohl
zu merken: nur 12 von diesen kamen auf dem schwedischen Festlande, mit
Ausnahme von Schonen, zu Tage (Gotland c. 3,200; Oeland c. 100 und
Schonen c. 600).^) Welches sind denn nun die andern Beweise für eineu
directen Einfluss römischer Cultur auf das eigentliche Schweden? Dr. Wiberg
zählt in seinem Fundverzeichnisse für das schwedische Festland 13 römische
und römisch-byzantinische Funde auf; für Oeland 8 und für Gotland 2 Funde
von römischen Kunst- oder Industrie Gegenständen. Hierzu kommen noch
für das Festland, nach den von Dr. Hiidebrand gegebenen Mittheilun-
') Wiberp, 1. c. pap. 47; resp. pag. 63.
') Aarböger for 1871, pag. 440.
^) Förr och nu, 2<''-» bandet, pag. 284.
Ueber römische Cultur in Norwegen. 251
gen,') ein Bronzegefäss, gefunden 1810 in Medelpad, gelullt mit verbrannten
Knochen nebst einigen im Feuer zerllossenen Ghisstückchen, die nach llilde-
brand für Keste eines zerstörten Glasgefässes angesehen werden können;
dann eine kürzlich in einem Grabhügel in Ilelsingland entdeckte Bronzeschale
und ein in Jämtland gefundenes Glasgefäss. Ausserdem fand man 1871 im
Kirchspiel Sjonlieim auf Gotland ein grosses römisches Bronzegefäss mit zwei
beweglichen Ringen als Ilandgrifi' an, ein kleines gegossenes schönes Bronze-
tellerchen mit ausgezackter Kante nebst einem goldenen Berlock; und in dem-
selben Kirchspiele 1872 einen 6 Zoll hohen Becher aus weissem Glase.
Da übrigens Gotland in antiquarischer Hinsicht ein selbständiges Ganze
bildet, weswegen auch die Funde von dieser Insel im Stockholmer Museum
für sich allein geordnet sind, so lassen wir die gotländischen Funde bei unsrer
Betrachtung am zweckmässigsten ganz bei Seite und es bleiben übrig für
Schweden, Schonen und Oeland im Ganzen 25 Funde von römischen Gegen-
ständen.
In der Beschreibung des Moorfundes von Nydam zählt Prof. Engelhardt
ungefähr 80 römische Funde aus verschiedeneu dänischen Gegenden auf.
Von diesen sind, wie schon oben bemerkt, 22 Münzfunde; so dass demnach
ungefähr 58 Funde von andern Gegenständen vorhanden sind, die zum gröss-
ten Theil auf Seeland entdeckt wurden. 2)
Nach dieser Zusammenstellung nun, die am einfachsten den relativen
numerischen Verhalt zwischen den in Dänemark, Schweden und Norwegen
bis dahin aufgefundenen römischen Industrie- und Kunstgegenständen nach-
weisen wird, gehe ich dazu über ein möglichst vollständiges beschreibendes
Verzeichnis« von den in Norwegen aufgefundenen, zu allgemeiner Kenntniss
gekommenen Alterthümern der hier in Betracht kommenden Gattung zu geben,
und beginne mit den römischen Glasgefässen, diesen zerbrechlichen Kunst-
produkten, die, weil sie einen längeren Weg zu uns hatten als nach Däne-
mark und Schweden, selbstwerständlich auch bei weitem weniger Aussicht
hatten in die Nähe Norwegens zu kommen; und die im Norden ohne Zweifel
grosse Kostbarkeiten sein mussten, da bekanntlich noch zu Plinius Zeiten in
Rom das Glas in höherem Preise stand als Gold und Silber, ungeachtet Glas-
fabriken dazumal bereits in Spanien und Gallien eingerichtet wai-eu und in
Rom bereits seit Kaiser Tiberius betrieben wurden.
Dass die römischen Fabrikate nach Norwegen den längsten Weg zu
nehmen hatten, ergibt sich daraus, dass sie aller Wahrscheinlichkeit nach durch
den Zwischenhandel über Norddeutschland in den Norden hinaufkamen. Denn
wenn die römischen Artikel von dem durch die Römer eroberten und civili-
sirten Britannien gekommen wären, so würden ohne Zweifel römische xNlünzen
') Den äldre Jernalderii i Norrland, in antiq. Tidskrit't för Sverige, Andra Deleu, Stock-
holm 1869, pag. 222— 332.
■'*) C. Engelhardt, Aarböger f. 1871, pag. i-lO.
252 A- Lorange:
ebenso zahlreich an den Küsten von Norwegen gefunden werden wie an
Schwedens Südküste und auf den dänischen Inseln. Auch geben die nor-
wegischen Alterthümer durchaus keinen Grund zu der Annahme einer Ver-
bindung zwischen Britannien und Norwegen vor Mitte des V. Jahrhunderts,
als die Herrschaft der Römer über Britannien bereits erloschen war und Angel-
sachsen sich im Lande festgesetzt hatten.
Wenn aber auch die Handelsverbindungen des Nordens mit dem Welt-
reiche über Norddeutschland gingen und der römische Cultureinfluss durch
den Handel in der Richtung von Süd nach Nord nach dem Norden ge-
langte, ist damit auch im allergeringsten bewiesen oder nur wahrscheinlich
gemacht, dass die Einwanderung des ersten Eisen verwendenden Volkes in
den Norden genau denselben Weg ging, oder, dass das erste eisennützende
Volk gleichzeitig mit den ältesten dieser römischen Fabrikate in den Norden
einzog? Davon werden wir uns später zu unterhalten haben.
I. Amt Smaalenene. Süd-Langsäter, Kirchspiel Thrygstad:
ein grosser Becher aus grünlichem Glase, von der Form eines ' umge-
stürzten Kegels. Unterhalb der Mündung sitzt ein breites Band von
aufgelegten Glasfäden. Die Seiten sind ausserdem mit langgehenden
etwas dickeren, aufgelegten Fäden verziert, die ein wenig oberhalb des
halbkugelförmigen Gefässbodens auslaufen. Der Becher wurde 1708 in
einem Grabhügel neben einem kSkelet gefunden, kam dann in die Alter-
thumssammlung zu Kopenhagen und ist abgebildet bei Worsaae, Nord.
Oldsager Nr. 312. Im Grabe sollen ferner ein kleiner schlichter Gold-
reif, einige Perlen von abgebranntem Thon, ein Stück von einer Bronzefibula,
(auch ein Stück von einem Eisenschwert?) vorgefunden sein. Vgl. Antiq.
Tidskrift for 1843—45, pag. 114; Norske Fornlevn. pag. 8 und pag. 716;
Boye, Oplys. Fortegn. 51. — Der Glasbecher ist ausserdem abgebildet Aars-
beretn. for 1857, PI. II, fig. 9. —
II. Amt Akershus. Fröhou, Kirchspiel Naes: geschmolzene Stücke
eines Glasgefässes, gefunden 1865 in einem mit verbrannten Gebeinen ge-
fällten Messingkessel; obenauf lag ein zusammengebogenes zweischneidiges
Schwert und einige Verzierungen, darunter auch eine menschliche Figur aus
Bronze mit drei runenähnlichen Zeichen am Unterleibe, abgebildet bei Prof.
G. Stephens, Old-Northern runic Monuments Vol. I, pag. 250. Ausser-
dem fand man zwei absichtlich zerstörte Wurfspeerspitzen, eine Lanzen-
spitze, einen Schildbuckel und ein Messer. Der Fund wnrde aufgepflügt,
wahrscheinlich aus einem unvollständig planirten Grabhügel. Vgl. Norske
Fornlevn. pag. 740.
Hedemarken. In diesem Amte sind, soviel man weiss, keine Glasgefässe
aufgefunden.
III. Amt Kristian. Söndre Kjörstad, Pfarrbez. Süd-Frons: Schale
oder richtiger Tasse von Glas, durchsichtig bei etwas grünlichem Schimmer, 2|Zoll
hoch und 4 Zoll weit, mit einem erhöhten Streifen gleich unterhalb der Kante und
üeber römische Cultur in Norwegen. 253
ebensolchen, die am Boden zusammentrefPen und ungefähr bis zur Mitte des
Glases reichen; abgeb. Aarsberetn. for 1867, PI, I, Fig. 1». Das Glas wurde
neben einem Skelet ') in einer aus grossen Steinl)lücken errichteten Grab-
kammer gefunden, daneben noch ein vortreffliches römisches Bronzegef'äss,
einige Thonurnen, drei Holzeimer mit Bronzebeschlag, drei Fingerringe von
Gold (wovon einer mit einem eingefassten ovalen Glasfluss verziert ist), eine
grosse mit gepressten Goldblättchen belegte Fibula, eine kleinere von Silber,
eine desgleichen von Bronze, ein kleines Futteral oder eine Toilettedose von
Bronze und verschiedene Kleinigkeiten, auch eine Scheere und zwei schwert-
förmige zweischneidige Geräthe aus Eisen'). Der Fund ist beschrieben und
theilweise abgebildet Aarsberetn. for 1867, pag. 53 ff., PI. I.
IV. Vöyen, Pfarrbezirk Gran: Stücke eines geschmolzenen Glas-
gefässes von grünlich- weisser Farbe, angeblich 1868 gefunden. Sie lagen in
einem mit der Spitze nach unten gerichteten Schildbuckel, der in einem
runden, aus zusammengetragenen Steinen errichteten Grabhügel gefunden
wurde und der ausserdem einen silbernen Beschlag zu einem Schwertgriffe,
verschiedenen Bronzebeschlag zu der Scheide, Riemenbesatz und eine Bronze-
spange enthielt. Ein zweischneidiges Schwert von ?ä^ Zoll Länge, eine
Lanzenspitze, eine Speerspitze und zwei Messer lagen zur Seite des Schild-
buckels nebst einem schwertähnlichen Gegenstände von 12^ Zoll Länge und
von derselben Art, wie in dem Grabhügel von Kjörstad. Der Fund ist be-
schrieben und zum Theil abgebildet Aarsberetn. for 1869, pag. 77 ff.
V. Ringsaker, Pfarrbezirk Nordre-Aurdal: Glasbecher von heller,
grünlicher Farbe mit dicker Kante und verziert mit zwei, ungefähr | Zoll
unterhalb der Mündung rundlaufenden, erhöhten Linien von weissen Glas-
filden. Um den Boden befindet sich ein sternartiges Ornament aus ähnlichen
weissen Glasfäden, die in Spitzen zusammenlaufen. Der Becher hat einen
niedrigen Fuss und die Eigenthümlichkeit, dass er an der 2^ Zoll weiten
Mündung und etwas unterhalb derselben enger wird. Er wurde in einem aus
Steinen errichteten, angeblich eine kleine runde Grabkammer enthaltenden
Grabhügel gefunden, in welchem sich ausserdem ein bandförmiger Goldfinger-
reif, eine oder zwei Speerspitzen und ein mehrere Zoll langes ellipsenför-
miges vergoldetes Stück aus getriebenem Silber vorfand, das als Zierrat auf
einen oder den andern, jetzt aus dem Funde verschwundenen Gegenstand
aufgelegt war.
VL Amt Buskerud. Saetrang, Kirchspiel Norder ho v: ein hell-
grüner Glasbecher mit eingeschliffenen Ovalen und abgerundetem Boden, ge-
funden 1834 in der nördlichen Holzkammer des bekannten Saetranghügels,
nebst 5 Holzeimern mit Bronzebeschlag, 4 Thongefässen und einer kleinen
1) Angeblich auf der Brust des Skelet>.
2) Aarsberptn. for 18G9, PI. 1, Fig. 9.
'254 A- Lorange:
Holzschale. Der Fund ist beschrieben von Prof. Keyser, Annal. f. uord.
Oldkyud. KS3(), 37, pa^. 150 ff., wo auch der Becher abgebildet ist.
VIT. Solberg, Kirchspiel Eker: Bruchstücke einer Glasschale, wahr-
scheinlich einer der merkwürdigsten Anticaglien, die bis jetzt in Norwegen
zu Tage gekommen sind. Die Schale wurde, weil nur so wenig Bruchstücke
von ihr erhalten sind, bis jetzt nicht abgebildet; aber diese Reste sind doch
hinlänglich gross, um den Beschauer in Verwunderung zu setzen. Während
nemlich sämmtliche antike Glasgefässe des westlichen und nördlichen Europas
— mit vielleicht ganz geringen Ausnahmen i) — einfarbig sind, war dieses
Gefäss aus dunkelblauem Glase angefertigt und mit erhöhten menschlichen
Figuren aus weissem Glase und von ausgezeichneter, römischer Arbeit ge-
ziert; in ähnlicher Weise wie die berühmte Barbarini- oder Portlandvase, die
im XVI. Jahrhundert in einem Marmorsarkophag in der Nähe von Rom
(Grab des Alexander Severus) gefunden wurde, jetzt im British Museum auf-
bewahrt wird und eine der schönsten Glasarbeiten sein soll, die aus den
besten Zeiten der antiken Kunst uns erhalten blieb. Die ursprüngliche Form
der Schale von Solberg lässt sich leider nicht mehr bestimmen; sehr möglich,
dass sie ebenfalls einen Fuss hatte, d. h. eine Vase bildete. Um die Kante
herum hatte sie einen in barbarischem Stile gearbeiteten Beschlag von dünnem,
getriebenem Golde.
VIII. Amt Jarlsberg und Laurvig. Stokke, Langlo: Glasbecher
aus dünnem, grünem Glase, 10 Zoll hoch, 4|^ Zoll weit oberhalb der Mündung
und ungeführ 1^ Zoll über dem Fussstück, das aus einer kleinen, dicken
Platte gebildet wird. Die Form des Glasbechers ist gleichfalls die eines
umgestürzten Kegels. Um die Mündung liegt ein stärkerer Wulst und unter
diesem noch 11 Reifen aus Glasdraht. Vom Fussstück aufwärts bis gegen
diese Querstreifen sind die Seiten mit aufgelegten Glassfäden verziert. So-
wohl zwischen den letzteren, wie zwischen den Querstreifen finden sich fein
gebohrte Löcher, um mittels Nieten den Beschlag und Zierrat zu befestigen.
(Vgl. den Becher von Vatshus, No. XVI.) Dieser schöne grosse Glasbecher
wurde 1872 in einem für Norwegen höchst ungewöhnlichen Grabe entdeckt.
Unter einem runden flachen Steinhaufen befand sich eine 18 Zoll tiefe Gruft
mit flachem Boden; hierin lagen ausser dem Glasbocher noch 4 Thonurnen,
eine grosse Silberfibula, drei kreuzförmige Bronzespangen, ein kleiner Gold-
spiralring, zwei Silberringe, Bruchstücke eines grossen Hängeschmucks von
Silber, zwei Silberperlen - von der Form wie die Henkel aus Brakteaten — ,
13 Glasperlen, Reste von eisernen Handgriffen und die Randbeschläge zu
mindestens 2 Holzeimern. Ueber die Gebeine fehlt es an Nachrichten; aber
aller Wahrscheinlichkeit nach war die Leiche uuverbrannt beigesetzt. Das
Grab, welches eine bis dahin einzig dastehende Mischung norwegischer und
1) Aarböger 1871, p;ig. 444.
üeber römische Cultur in Norwegen. 255
dänischer ßegräbnissweise vom Schlüsse der älteren Eisenzeit darbietet, wurde
pliinmässig aufgegraben und untersucht von N. Nicolayseu, und ist näher
beschrieben Aarsberetu. for 1872, pag. 108 ff. Das Glas hat mit dem unter
No. I beschriebenen die grösste Aehnlichkeit.
IX. Amt Nedenaes. Glamsland, Pfarrbez. Vestre-Moland: ein-
farbiger Becher aus grünlichem Glase, 5 Zoll hoch und '^ Zoll im Durch-
messer, mit zwei erhöhten Streifen um die Mündung; unmittelbar unter diesen
und abwärts bis zum Boden laufen tief eingeschnittene Rillen. Er wurde
185H in der grossen Grabkammer eines Hügelgrabes nebst einigen verrosteten
Eisensachen, einigen Thongefässeu, Glas- und Bernsteinperlen gefunden. Vgl.
Norske Fornlovn. pag. 247.
X. Amt Lister und Mandal. Lundegard, Kirchspiel Van se: Glas-
urne mit eiugcschliffenen Ovalen; unter dem spitzen Fussende abgeschliffen-
gefunden 1743 in einem Grabhügel, auf dem zwei Bautasteine standen. Im
Hügel war eine 4 Ellen lange Grabstube, in deren nordwestlicher Ecke das
4 Zoll hohe, 1 Zoll am Fussende und 4 Zoll über der Mündung messende,
mit schwarzer Erde angefüllte Glasgeföss lag. In jeder der anderen Ecken
der Kammer stand eine mit Henkeln versehene Thouurne, ausser denen noch
Perlen von Glas und Bernstein, zwei Ringe, eine kupferne Kugel, eine kleine
runde Goldplatte und Anderes gefunden wurde. Vgl. Aarsberetn. for ISHO,
pag. ()4 und 65.
XI. Amt Stavanger. Jaederen: Trinkhorn aus grünlichem Glase
mit Zierraten von aufgelegtem Glasdraht und Band, ursprünglich ungefähr
einen Fuss laug; gefunden 1844 in einer grossen Grabkammer nebst einer
mit verbrannten Gebeinen gefüllten Thonurne, die, wie Verzierung und Form
erkennen lassen, nach einem Glasgefässe gearbeitet wurde. Der in einem
Grabhügel bei Hove-Kirke im Kirchspiel Vik, Amt Nordre-Bergenhus, ge-
fundene Glasbecher (No. XVIII) könnte füglich das Modell abgegeben haben ^).
Das Trinkhorn, abgebildet Urda III, PI. I, Fig. 1, ist bis jetzt ohne
Seitenstück in Norwegen und Schweden-). In Dänemark kennt man dagegen
zwei: das eine aus einem Grusgrabe bei Slangerup, Hjörlunde, Seeland, von
8 Zoll Höhe; das andere aus dem grossen Funde von Himlingöie, Amt Praestö,
abgeb. bei Worsaae, N. 0. No. 320, und beschrieben von Eugelhardt,
Trouvailles danoises, der geneigt ist, beide dänische Trinkhörner wegen ihrer
iohen Ausführung und eigenthümlichen Form für barbarischen Ursprungs zu
halten (Aarböger 1871, pag. 445), obgleich unter den reichen römischen Funden
aus Ileddernheim, die jetzt im Museum zu Wiesbaden sich betinden, doch
mehrere Exemplare von ganz ähnlichen Triukhörnern enthalten sind.
>) Urda II, PI. II, Fig. 13.
^ INach gef. Privatiiiittbeiluns; des TTerrn Verfassers wurde indessen kür^licb in Nor-
wegen ein zweites, gut erhaltenes gläsernes Trinkhorn in einem Grabhügel aufgefuudeu]
Anm. d. Uebers.
256 A. Lorange:
XII. Ly, Pfarrbez. Ly: Stücke einer Glasurne, gefunden 1866 zusammen
mit einem Goldbrakteateu , mit Stücken einer Thouurne und eines Schwertes
in einem Hügel mit Grabkammer aus Bruchsteinen, überdeckt mit Fels-
blöcken, 6 Ellen lang und '2 Ellen hoch und breit. Vgl. Aarsberetu. for 1866,
pag. 81, No. 19.
XIII. Hange, Pfarrbez. Kiep: Glasbecher mit Fuss, 7^ Zoll hoch,
8f Zoll innere Weite an der Mündung; gefunden 18()9 in einem Hügel mit
grosser Grabkammer aus Felsblücken. Der Fussboden der Kammer war mit
Birkenrinde belegt; ihre Wände, sowie die Decke mit Eichenplanken be-
kleidet. Man fand ausserdem: ein flaches römisches Bronzegefäss auf uie-
drigem Fuss, verseheu mit drei wie menschliche Köpfe geformten Krampen,
von denen ein gekrümmter, in einen Thierkopf mit aufgerichteten Ohren
endender Bügel ausgeht, worin ein loser sechsseitiger Ring hängt; ferner
drei Bronzehenkel von anderen gänzlich zerstörten Bronzegefässen, eine kreuz-
förmige Spange, belegt mit gepressten Goldplatten, eine Silberfibula, drei
Thongefässe, sechs Adlerklauen, einen dünnen, runden Goldschmuck, einige
kleine Silbersachen, eine kleinere Perle und einzelne verrostete Eisensachen.
Nachricht, ob die Leiche verbraunt oder unverbrannt beigesetzt war, fehlt.
Vgl. Aarsberetu. for 1869, pag. 143, PI. III, Fig 19.
XIV. Tuv, Pfarrbez. Kiep: Bruchstücke eines dunkelblauen Glas-
gefässes mit erhöhten blauen Verzierungen, die ein netzförmiges Muster ge-
bildet haben, ungefähr wie bei Worsaae, N. 0. No. 317; gefunden nebst
drei gleicharmigen 1^ Zoll langen Bronzespangen, Mosaikperlen und Bern-
steiuperlen, einer Scheere und mehreren Eisensachen Vgl. Norske Fornlevn.
pag. 789.
XV. Thjötte, Pfarrbez. Kiep: Stücke eines Glasbechers, in Grösse
und Form wie No. XIH; gefunden 1869 in einem Hügel mit einer aus Fels-
blöcken errichteten Grabkammer — zusammen mit zwei Thongefässen, einer
Glasmosaikperle, zwei Messiugringen und einigeu kleinen Eisensachen. Auch
hier fehlt über die Art der Bestattung näherer Nachweis. Vgl. Aarsberetu.
for 1869, pag. 59, No. 38.
XVI. Vatshus, Pfarrbez. Kiep: gräner Glasbecher ohne Fuss mit
Randstreifen und breiten eingeschliffenen, längs der Seiten beinahe bis auf
den Boden hinabreichenden Hohlkehlen, zwischen denen kürzere und schmälere
Rinnen sich hinziehen. Dieser Becher ist dadurch besonders merkwürdig,
dass sowohl um seinen Rand, wie an den Seiten hinunter sich kleine ein-
gebohrte Löcher zeigen, die für die Nägel des Silberbeschlages und Zierrates
bestimmt waren. (Vgl. No. VIII.) Er wurde 1863 in einer grossen Steiu-
kammer gefunden nebst einem in der Scheide steckenden zweischneidigen
Schwerte, einem ebensolchen einschneidigen, zwei Speerspitzen, einem Messer,
einigen Pfeilspitzen mit Schaftröhren („med Fal"), einem Schleifstein, einem
Kamm, einer Broiizefil)uhi und sechs vergoldeten Knöpfen. Ausserdem fanden
sich noch Stücke von zwei sehr grossen, kesseiförmigen Bronzegefässen und
üeber römische Cultur in Norwegen. 257
ein glatter Goldreif. Der Boden der Kammer war mit kleinen Steinen
gepflastert, worüber Birkenrinde ausgebreitet lag. Vgl. Norske Fornlevn.
pag 791.
XVII. Amt Söndre Bergenhus. Stordöen: ein Glasbecher mit ein-
geschlifibncu Ovalen, 4.] Zoll hoch, mit abgerundetem Boden; gefunden
1870 in einem Grabhügel ohne Kammer. Der Becher scheint in einer
Thouurne niedergesetzt gewesen zu sein, von welcher Bruchstücke gefunden
wurden nebst Stücken eines Schwertes, einer Speerspitze, einer Bronze-
fibula, geschmolzenen Glasperlen u. s. w. Verbraunte Gebeine fanden sich
zerstreut über einen Kohlenhaufen auf dem Boden des Hügels. Vgl. Aars-
beretn. for 1870, pag Gl.
XVIIL Amt Nordre Bergenhus. Hove, Pfarrbez. Vik: ein Glas-
becher, 5^ Zoll hoch, 3^ Zoll weit über der Mündung und 8| Linien über
dem Bodenstücke. Die Farbe ist grün; zwei Ränder sind dicht unter der
Mündung eingeschliffen. Die Seiten sind verziert mit einer Reihe kleiner
eingeschliffen er Ovale, von denen einige eingeschliffene perpendikuläre Linien
zeigen. Der Becher fand sich in einem Grabhügel, der zu einer Hügelgruppe
gehörte, in welcher noch mehrere Glasgefässe gefunden, leider aber bei der
fahrlässigen Ausgrabung zerbrochen und fortgeworfen wurden. Das einzige
erhaltene ist abgebildet Urda II, PI. I, Fig. 13.
XIX. Hove, Pfarrbez. Vik: Glasbecher mit eingeschliffenen Ovalen,
gefunden im Anfang dieses Jahrhunderts in einem Hügel mit Grabkammer,
nel)st drei Speerspitzen, Pfeilen und anderen Eisensachen; Bericht über die
Gebeine fehlt. Vgl. Norske Fornlevn. pag. 479.
XX. Eide, Pfarrbez. Sei je: ein Glasbecher mit eingeschliffenen Ovalen,
4^ Zoll hoch, 3| Zoll weit oberhalb der Mündung; gefunden 1856 in einer
mit feinem Sande angefüllten Grabkammer. Von den übrigen Fundgegen-
ständen kennt man nur den Knopf eines Schwertgriffes. Vgl. Norske Forn-
le[)u. pag. 825.
XXI. Amt Romsdal. Bremsnaes, Pfarrbez. Kristiansund: dicht
neben der Kirchhofsmauer ein Glasbecher mit abgerundetem Boden, verziert
mit ungleich grossen Ovalen und Querstreifen. Er wurde 1673 gefunden,
angefüllt mit verbrannten Knochen und umgeben von einem goldenen Spiral-
lu-mriuge, beides bedeckt mit einem Bronzegefässe, das Ganze zwischen vier
Steinen in einem Steinhauten stehend. Die Glasurne wird in der Kopen-
hagener Sammlung aufbewahit und ist abgebildet Anal. f. nord. Oldk. 1844/45,
Tab. XII, Fig. 108; Aarsberetu. for 1857, PI. II, Fig. 10. Der Armring, in
derselben Sammlung betindlich, ist abgebildet bei VVorsaae, N. 0. No. 380.
XXli. Amt Söndre Throndhjem. Ven, Pfarrbez. Melhus: Becher
aus bräunlichem Glase, unten abgerundet und ohne Fuss, beinahe 5 Zoll
hoch, 3 Zoll weit über der Mündung, mit vier horizontalen Reihen von
eingeschUffenen kleineu Ovalen, unter welchen ein einzelnes sich befindet;
längs der Kante zwei eingeschhffene Hohlkehlen. Er wurde 1865 gefunden
Zeitschrift für Ktliiiologic, .lalirgaiiij 1875. ^«j
258 ^- Lorange:
in der Steinkammer eines Grabhügels zusammen mit einem Thongefässe,
einem Fingerringe von Gold, einer Speerspitze und Lanze, einem Schildbuckel
und einem in der mit Bronze beschlagenen Scheide niedergelegten, zwei-
schneidigen Schwerte. Ausserdem fand man noch andere Beschlagstücke aus
Bronze. Vgl. den Katalog der Alterthümer der Kgl. Ges. d. Wissenschaften
zu Drontheim, No. 36.^—379.
XXIII. Amt Nordre Throndhjem. Vist, Pfarrbez. Verdalen: ein
Glasgefäss, gefunden 1810 in eiuem Grabhügel zusammen mit einem Thon-
gefass, einer Speerspitze und einigen Nietnägeln. Ueber die Gebeine sind
keine Nachrichten vorhanden. Vgl. Norske Fornlevn. pag. 638.
XXIV. Halleim, Pfarrbez. Verdalen: ein Glasbecher in Bruchstücken,
Form und Grösse wie Worsaae, N. 0. No. 318, mit zwei Rändern längs
der Kante und eingeschliffenen Ovalen; gefunden 1870 in einem Grabhügel,
oben in einer Thonurne liegend, zusammen mit einem Messer, einem weber-
scliiffförmigen Wetzstein, einem Schildbuckel, einer Bügelspange von Bronze,
zwei Pfeilspitzen und etwas Beschlag von Silber und Bronze. Vgl. Aarsberetn.
for 1870, pag. 16.
Endlich hat man in norwegischen Grabhügeln noch drei merkwürdige
Thongefässe gefunden, in welche kleine Bruchstücke von durchsichtigem
Glase eingesetzt waren — ein unzweifelhafter Beweis für die Seltenheit des
Stoffs und für den hohen Werth, den man damals dem Glase beilegte.
Eine in dem Jahresberichte für 1^70, PI. II, Fig. 12 abgebildete Urne
zeigt mitten im Boden eingesetzt ein gereiftes, ungefähr einen Quadratzoll
grosses Stück von grünlichem Glase. Sie wurde gefunden in einem Grab-
hügel bei Skagestad, Pfarrbez. Holme, Amt Lister und Mandal.
Eine andere mit 11 eingesetzten Glasstückchen gezierte Urne, die 1865
in einer 6 Fuss langen, 4 Fuss breiten und 2 Fuss hohen Steinkammer eines
runden Grabhügels beiVemestad in Lyngdal gefunden wurde, ist abgebildet
Aarsberetn. for 1871, PI. II, Fig. 7. In der Kammer fand sich nur noch
eine Graburne, die wie die erstere mit verbrannten Gebeinen angefüllt war.
Vgl. Aarsberetn. for 1871, pag. 96.
Die dritte auf diese Weise verzierte, in Norwegen gefundene Thonurne
befindet sich im Kopenhagener Museum. Sie ist nur klein, beinahe schwarz
und enthält im Boden ein kleines Stückchen dunkelgrünen Glases.
Eine in England gefundene geriffelte Urne, die ebenfalls mit einem in
den Boden eingesetzten Glasstückchen versehen ist, ist abgebildet bei Roach
Smith Collect, antiqua Vol. IV, pag. 159, woselbst eine ähnliche Urne aus
dem Lüneburgschen erwähnt wird ^).
') [Diese von Roach Hmith erwühnte Urne ist ohne Zweifel die im Jahre 1842 in der Nähe
von Stade aus}ref(rabeiie, mit verbrannten Knochen gefüllte Urne, welche im Archiv des histor.
Vereins für Niedersachsen, N. F. Jahrgang 1846, pag. 381 abgebildet ist. Vgl. auch Mecklenb,
Jahrb. XVI 1, pag. 37-.\ Sie gehört dem IV. Jahrhundert an. Ein Glasstückchen sitzt im
Boden, drei Stückchen ira untern Theil des Kusses, von denen zwei ein rautenförmiges Muster
üeber romische Cultur in Norwegen. 259
Ganz abgesehen von diesen eigenthümlichen Thongefässen, haben wir
also sichere Kenntniss von mehr als 24 norwegischen älteren Eiseuzeit-
funden'), welche verschiedene Glasgefüsse enthielten, die zum grössten Theil
dieselben Formen, dieselben Ornamente, dieselbe Farbe und Art der Arbeit
zeigen, wie die in dänischer und schwedischer Erde gefundenen Glasgefässe,
und dalier das Zeugniss für eine und dieselbe Herkunft gleichsam in sich
selber tragen. In Dänemark — das, wie oben bemerkt, so besonders reich
sein sollte an römischen Gefässen — kannte man bis 1871 nur 23 ähnliche
Glassachen enthaltende Funde. Vgl. Aarböger 1871, pag. 445 ff. Aber in
den schwedischen Museen werden in Allem nicht zehn ähnliche Gefässe vom
o
Festlaude und von Schonen angetroifen. Vgl. Manadsblad 1872, pag, 38.
Ausser solchen Glasgefässen sollten nun vorzugsweise römische Bronze-
gefässe von verschiedener Form und Grösse in Dänemark während der älteren
Eisenzeit vorkommen. Ich beklage es, dass ich nicht ganz genau anzugeben
vermag, wie viele solcher Alterthümer man gegenwärtig in Danemai'k kennt.
Aber in seinem Verzeichnisse über „Funde der älteren Eisenzeit in Däne-
mark" (Moorfund von Nydam, pag. 48 ff.) erklärt Prof. Engelhardt, dass
unter 186 bis zum Jahre 1865 bekannt gewordenen Funden es nur etwa 29
seien, in denen keine mehr oder weniger sicher römische Gegenstände vor-
kämen. In 52 Funden waren Bronzegefässe von möglicherweise römischer
Abkunft enthalten; doch kamen in mehreren Funden ovale Bronzegefässe vor,
so dass z. B allein von römischen Casserolen und Sieben im Jahre 1870
gegen 28 Exemplare im Kopenhagener Museum vorhanden waren 2).
In Betreff Schwedens verzeichnet Dr. Wiberg in seiner Fundstatistik
vom Jahre 1868 an römischen Bronzegefässen: für Oland einen sichern Fund,
bestehend in einem Bronzehandgriff, der in einen schönen Bachuskopf mit
silbernen Augen endet. Dazu kommt noch ein im Jahre 1836 im Kirchspiel
Ruusten gefundenes Frauenkopf- Profil, das zu einem grossen Brouzegefiisse
gehörte. Für das schwedische Festland 7 Funde: 1) eine Brouzeurne aus
mit abwechselnd hellgrüner und brauner Farbe zeigen. Die Urne ist jetzt in Lüneburg in
Privatbesitz befindlich.
Neiiertiings wurde in Schweden in einem Grabhügel bei Greby, im nördlichen Bohuslän,
ebenfalls eine Urne gefunden, in deren Boden ein kleines Stückchen von weissem, durchsich-
tigem Glase eingesetzt ist. Glasperlen, rothe, blaue und weisse, und Beinkämme, die häufig in
benachbarten Urnen vorkommen, deuten vielleicht auf das 111. — IV. Jahrhundert. Vergl.
Manadsblad, October 1873.] Anm. d. Uebers.
') Im Funde von Borre (Aarsheretn. for 1852), der dem Jüngern Eisenalter angehört,
wurde ein in Norwegen, Schweden und Dänemark bis jetzt einzig dastehender dunkelblauer
Glasbecher, mit von allen Seiten hervorragenden kleinen Hörnern, gefunden, abgeb. Aarsberetn.
for 1857, PI. III. Vgl. auch Akermau, Remains PI. II; R. Smith, Inventor. sepulcrale,
lutrod. XIV imd PI. 18, Fig. 2; Cochet, Normandie souter. PI. 10, Fig. 1, und Linden-
schmit, Todtenlager bei Selzea, pag. 6.
*) Extrait des Meuioires de la Societe R. des Antiquaires du Nord, pag. 270: ,et circon-
stance reniarquable on en rencontre dans presque toutes les grandes trouvailles romaines des
provinces l)altiques.''
18*
260 ^' Lorange:
Smalaud; ) eine ebensolche mit zwei Oehren in der Form von Köpfen aus
Waksala; 3) die berühmte Apollovase aus ^'estmanland; 4) eine Kupfer-
schale mit zwei kleinen Henkeln und 5) Stücke einer ebensolchen, gefunden
zu Christianstad; 6) Handgriff und Füsschen zu einem Bronzegefässe, gefunden
in Bohnslän, und 7) ein römisches Bronze-Casserol, gefunden in Helsingland,
bis dahin das einzige seiner Art in Schweden.
Dazu kommen dann noch 8) das von Dr. Hildebrand in seiner Ab-
handlung über die ältere Eisenzeit in Nordland, pag. 51 beschriebene, im
Jahre 1810 in einem Grabhügel in Medelpad gefundene Bronzegefäss ; 9) eine
zweifelhafte Bronzeschale aus einem Grabhügel in Helsingeland (a. a. 0.
pag. 62) und endlich 10) eine im Jahre 1708 in einem Grabhügel in Uppland
gefundene Bronzeurne, die im Stockholmer Museum aufbewahrt wird.
Im Ganzen sind demnach in Schweden 12 römische Bronzegefässe ge-
funden, ohne Gotland mitzurechnen').
Ich werde nun versuchen in älmlicher Weise, wie bei den Glasgefässen,
das Verhältniss zwischen den in Norwegen und den in Schweden und Däne-
mark gefundenen römischen Bronzegefässen näher zu erörtern und gebe hier,
so weit es möglich, ein vollständiges Verzeichniss dieser letzteren, wie sie
aus norwegischen Gräbern der älteren Eisenzeit zu Tage gekommen sind.
I. und H. Amt Smaalelene. Löken, Pfarrbez. Raade: ein unver-
sehrtes und ein zerbrochenes Bronzesieb, im Jahre 1811 in der 6 Ellen lan-
gen, aus Felsblöcken errichteten Steinkammer eines Grabhügels gefunden, die
mit Sand angefüllt war und an sonstigen Alterthümern enthielt: zwei Bronze-
benkel, zu einem Holzeimer gehörend, zwei Trinkhornbeschläge von Bronze
(sehr selten in Norwegen), eine Goldstange, einen Silberknopf, ein Glied von
einer goldenen Kette und das schöne, bei Worsaae, N. 0. No. 378 abgebildete
Goldberlok^). Vgl. Norske Fornlevn. pag. 22 und pag. 837.
III. Kirchhof von Berg: ein Casserol von Silber 2) (versilbert oder ver-
zinnt?), worin ein Spiraltingerring von Gold lag; gefunden im Jahre 1847
beim Aufwerfen eines neuen Grabes. Der Fund wurde eingeschmolzen. Vgl.
Aarsberetn. for 1866, pag. 72.
IV. Östby, im Pfarrbez. Rakkestad: ein rundes Bronzegefäss mit
kleinem, niedrigem Fusse. Der Boden ist beinahe horizontal und die Seiten
sind nur wenig nach aussen gebogen. Gefunden 1866, mit verbrannten Ge-
beinen angefüllt und in Birkenrinde eingehüllt, in der kleinen vierseitigen
Grabkammer eines runden Grabhügels. Zwischen den verbrannten Knochen
') Nach Wiberg wurde auf Gotland ein Bronzecasserol gefunden, und nach Antiq. Tidskr.
f. Sverige, II. pag. 77 .seitdem noch ein zweites. Ausserdem noch im Jahre 1871 ein römisches
Bronzegefäss und ein Bronzetellerchen.
'■') Das dritte im Amte .Smualeneue gefundene Berlock, von denen zwei in meiner Sammlung
(zu Frederikshald) enthalten sind.
=») Casserole von Silber wurden u. a. in Mecklenburg gefunden; vgl. Mecklenb. Jahrb. 111,
pag. 52 — 57; V, Anhang Tab. I.
lieber römische Cultur in Norwegen. 261
fanden sich Reste eines halbkreisförmigen Knochenkammes und anderer ge-
schnitzter Knochen. Vgl. Aarsberetn. for 1866, pag. 56; Aarböger 1869,
pag. 159; L indenschmit, German. Todtenlager bei Selzon, pag. 15.
V. Amt Akershus. Vestre Holstad, Kirchspiel Aas: ein grosses
kesselförmiges , dünnr^s Bronzegefäss mit nach aussen umgebogenem Rande
und drei hakenförmigen Ansätzen. Diese Krampen (Kroge) gehen aus von
versilberten (oder verzinnten) dreieckigen Beschlägen, die sich als etwa ^ Zoll
breite Bänder an den Seiten des Gefässes hinziehen, zwischen getriebene
Falze eingelegt und ebenso wie der oberste Theil des Beschlages mit Niet-
nägeln befestigt sind, deren hohe, halbkugelige Köpfe im Innern des Gefässes
liegen. An Stelle des fehlenden Fussstückes ist der Boden in Form eines
umgewendeten Tellers ausgetrieben und hat in der Mitte ein Nagelloch.
Obgleich dies Gefäss nicht zu den gewöhnlichen römischen gehört, so
beweist doch die Art der Arbeit dessen fremde Abkunft, und der eigenthüm-
liche Beschlag zeigt zugleich, dass es eine ganz besondere Bestimmung haben
muss. Versilberte (oder verzinnte) Zierraten sind keineswegs selten an rö-
mischen Gefässen (vgl. Mecklenb. Jahrb. XXXV, pag. 102; Extrait des Me-
moires de la Soc. royale des Antiq. du Nord 1870, pag. 269; sowie die
folgenden Funde No. XXI und XXV), obgleich man auch an inländischen
Fabrikaten, z B. an den schalenförmigen Spangen des jüngeren Eisenalters,
Proben dieser Kunst bemerken kann. Das Gefäss wurde 1840 in einem
kleinen Grabhügel gefunden, zusammen mit einem Gewichtstück aus Bronze,
einem Wetzstein und kleineren Sachen von Eisen. Vgl. Norske Fornlevn.
pag. 40.
VI. Amt Hedemarken. Farmen, Kirchspiel Vang: eine Bronze-
Urne, abgebildet in halber natürlicher Grösse auf anliegender Tafel, gefunden
1865 in der kleinen Steinkammer eines runden Grabhügels, den der Besitzer
planiren liess. Die Urne ist von unzweifelhaft römischer Arbeit und ge-
gossen, obgleich der Boden um den etwa 1 Zoll hohen Fuss sehr geschickt
mittelst einer dichten Reihe von kleinen Nietnägeln, deren Köpfchen wie ein
Perlenband einen vollständigen Schmuck des Gefässes bilden, angenietet
wurde.
Der Boden und die untere Hälfte sind stark mit Russ bedeckt. Das
Obertheil dagegen ist schön oxydirt, wie mit grünem Email überzogen, und
hier — ungefähr in der Mitte zwischen der grössten Bauchweite und dem
Halse — steht in grossen, deutlichen und einzelnen Buchstaben eingravirt:
APRVS °ET LIBERT1NVS° CVRATOR VERANT°
Wie es bei römischen Inschriften gewöhnlich der Fall ist, sind die
Wörter durch ein Zeichen getrennt, und zwar durch kleine, in der mittleren
Höhe der Buchstaben eingravirte Kreise. Ein Loch an der einen Seite der
Urne, das durch den Druck eines Steines in der Grabkammer veranlasst
wurde, schneidet unglücklicher Weise einen Theil der Inschrift weg, die man
indessen folgendermaassen zu ergänzen suchte:
262 A. Lorange:
CVRATORES- POSYERVNT°.
Uebersetzt: „Aprus und Libertinus in ihrer Eigenschaft als Tempelvorsteher
(Curatores sc. templi oder sacrorum) haben aufgestellt diese Urne", als Gabe
(aväOtiUa) in des Gottes Heihgthuni, dem sie als Curatores dienten.
Die Urne ist demnach ursprünglich ein Weihgeschenk gewesen, ebenso
wie die berühmte Apollovase aus Westmanland, und auch der Inhalt beider
Inschrilten auf diesen heiligen Gefässen ist im Uebrigen durchaus analog, nur
dass auf dem meinigen der Name des Gottes nicht genannt, und nicht aus-
drücklich erwähnt wurde, was für Curatoren die Herren Aprus und Libertinus
gewesen sind ').
Jene schwedische Apollovase werden wir weiter unten näher behan-
deln; denn nicht sowohl in Folge der U eberein Stimmung, die zwischen den
Inschriften beider Gefässe und zwischen ihrer ursprünglichen Bestimmung
besteht, sondern mehr noch wegen der wunderbaren Gleichheit ihrer späteren
Schicksale werden diese beiden heiligen römischen Gefässe fortan miteinander
verbunden bleiben. Wie zwei offenbar gleichzeitige, doch selbständige und
beinahe gleichartige Dokumente, wird eines das andere ergänzen und beide
werden gegenseitig ihre Beweiskraft verstärken.
Krieg oder Raubzug wird man als nächste Veranlassung betrachten
müssen, um die Fortführung dieser Tempelgefässe aus ihrer geheihgten Hei-
matstelle, sowie ihren späteren Uebergang zu Handelswaare erklären zu
können ; denn ohne Zweifel sind sie eben als solche zu den Barbaren Skandi-
naviens gekommen, wo Niemand ihre frühere Bedeutung kannte oder ver-
stand, wo man aber sehr wohl diese prächtigen, schön gearbeiteten und
seltenen Gefässe zu schätzen wusste, die im Haushalte nützlich zu verwenden
w^aren. Im Allgemeinen gehörten Bronzegefässe sicherlich nur in des Reichen
') Obenstehende Auslegung hatte Herr Professor 0. Rygh die Güte, mir mitzutheilen.
Einige glaubten auch die Inschrift als Grabschrift deuten zu müssen: die Curatoren Aprus
und Libertinus haben dies Grabgeschenk gestiftet, wonach also die Urne ursprünglich zur Auf-
nahme der Asche eines Römers bestimmt gewesen wäre. „Aber in römischen Grabschriften ist
jederzeit der Name des Verstorbenen die Hauptsache und fehlt niemals, wogegen nur ganz aus-
namsweise der Name dessen oder derjenigen vorkommt, welche Grabgeschenke gestiftet hnben;
daher auch die Inschrift auf der Urne als Grabschrift etwas höchst Besonderliches sein würde."
(0. Rygh.)
In Betreff der lateinischen Sprachformen hatte Herr Professor S. Buggc die Freundlich-
keit, mir folgende Erklärungen zu geben: , besonders zu beachten ist die Naioensform Aprus
für Aper. Die incorrecte Nominativform aprus von dem Appellativ, welches Wildschwein be-
deutet, wird bei Probus, Appendix Institut, art 3ö als verwerflich bezeichnet. Diese Namens-
form, ebenso wie der Name Libertinus, spricht dafür, dass die Inschrift keinen eingeborenen,
edeln Römer bezeichnet. Aprus und Libertinus waren ohne Zweifel Provincialen , die der ge-
meinen Volkssprache sich bedienten. Die Form der Buchstaben gestattet entschieden nicht, die
Inschrift über die Kaiserzeit hinaus zu setzen Ebenso ist die Form Aprus wahrscheinlich erst
in späterer Zeit in Gebrauch gekommen. Das Verbum am Schluss würde ergänzt werden:
POS VERVNT. Zwischen S und V scheint indessen möglicher Weise Platz für zwei Buchstaben
zu sein, so dass man an POSI VERVNT denken könnte, wenn diese Form für die Inschrift nicht
zu alt sein würde.
Ueber römische Cultur in Norwegen. 263
Haus. Jedenfalls machen diejenigen nordischen Gräber, in denen dergleichen
gefunden wird, unwillkürlich den Eindruck von Wohlhabenheit 0, und es
kann demnach nicht daran gezweifelt werden, dass diese beiden Tempelgefässe
hier zu Lande als Gegenstände von grossem Werthr betrachtet wurden.
Dass die Vase von Farmen nach ihrer Ankunft in Norwegen als ge-
wöhnliches Haushaltsgefäss benutzt wurde, davon zeigen sich Spuren sowohl
in einem Eisenbande, das theils zur Verstärkung des Gefässes, theils zur
Befestigung eines Henkels um dasselbe gelegt war ), wie auch in der dicken
Russschicht, die den Boden überzieht, was fast ohne Ausnahme bei allen in
den hier behandelten Gräbern niedergesetzten Bronzegefässen der Fall ist.
Dasselbe lässt sich auch von den steinernen Schalen oder Töpfen aus dem
jüngeren Eisenalter behaupten, worin zugleich — was wir an anderer Stelle
schon früher bemerkten — ein Beweis liegt, dass unsere heidnischen Vor-
fahren keine bestimmte Art von Graburnen für die verbrannten Gebeine be-
sassen, vielmehr ihr Hausgeräth nahmen, wie sie es eben den Umständen
nach am geeignetsten hielten, als Opfer gebracht zu werden.
Solchen Umständen haben wir es nun zu danken, dass sowohl die west-
manländische Vase, als auch die hier in Rede stehende trotz ihrer langen
Reise und demjenigen unbewusst, der sie in die Grabkammer niedersetzte, in
gewisser Hinsicht wieder an ihren rechten Platz kamen oder doch wenigstens
eine, ihrer ursprünglichen Bestimmung besser entsprechende Nutzung fanden,
wenn auch wohl unter Anrufung anderer Götter, als die waren, denen man
sie ursprünglich geweiht hatte. Dadurch blieben sie Jahrhunderte hindurch
erhalten, bis sie endlich in unsern Tagen aus ihrer sichern Ruhe empor-
gehoben wurden; doch diesmal nicht, um sie abermals zu entwürdigen, son-
dern um sie zu schätzen und werth zu halten als zwei der denkwürdigsten und
inhaltreichsten Dokumente, die bis jetzt aus einer Zeit, von der die Geschichte
des Nordens noch nichts weiss, erworben wurden.
Es würde von grossem Interesse sein, wenn man Stadt und Land kennte,
wo jener Tempel stand, den Aprus und Libertinus mit ihren W'eihgeschenken
bereicherten. Ohne Zweifel hat nur ein Bruchtheil der sogenannten römischen
Alterthümer jemals Rom oder Italien gesehen. Im Allgemeinen entstanden
sie in den Provinzen und, wie bekannt, hatten Gallien, Britannien und ein
Theil von Germanien römische Cultur bereits im zweiten Jahrhundert nach
Christus, daher man auch in diesen Ländern so zahbeiche Spuren von rö-
mischen Bauten und eine Menge römischer Gräber antrifft. Dergleichen
Spuren hat man geglaubt noch weiter verfolgen zu können; denn vor Kui-zem
') Vgl. hiermit auch Lindenschmit, Alterthümer von Sigmaringen, pag. «iO: „Metallene
Btcken, und zwar nur aus Erz, sind blos in reich ausgestatteten Gräbern gefunden. -
■-) Auch die wahrscheinlich gleichzeitigen oder doch nur wenig jüngeren blumentopftormigen
Thonurnen haben meist alle ein Eisenband um den oberen Hand. Diese, in der Regel giau-
farbigen, gut gearbeiteten und reich verzierten Gelasse, die in den grossen Grabkammern Nor-
wegens vorkommen, wurden nie in Dänemark beobachtet.
264 A. Lorange:
wurden bei Häven und Grabow') in Mecklenburg einige Gräber aufgedeckt,
nach Li seh' s Annahme Römergräber, die von einer römisclieu Handels-
factorei oder einer kleinen Wandercolonie nach den Küsten der Ostsee
hinterlassen wurden. Diese Funde, in Verbindung mit mancherlei neuen
Entdeckungen in verschiedenen Ländern des Nordens, haben es mehr und
mehr annehmbar erscheinen lassen, dass die römischen Handelsleute-) ihren
Markt auch über Skandinavien ausbreiteten, wodurch sich dann manches Ver-
hältniss im älteren Eisenalter des Nordens besser aufklären dürfte.
Es wird natürlicher sein, die Stelle des römischen Tempels, dem die
Vase von Farmen dargebracht wurde, lieber innerhalb als ausserhalb der
Grenzen des Römerreichs zu suchen, und zwar in einem Lande, wo römische
Gesetze, Religion und Cultur bereits vollständigen Eingang gefunden hatten.
Wenn es später gelingen sollte, ihr Alter mit Genauigkeit zu bestimmen,
dann wird man vielleicht in der Lage sein, auch den Umkreis schärfer zu
begrenzen, innerhalb dessen man ihren Ursprung wird suchen müssen. Gegen-
wärtig ist das Gebiet , auf dem man ihre Heimat und die der Apollovase
suchen könnte, noch ein viel zu ausgedehntes.
Man wird auch der Frage dadurch nicht näher kommen, wenn man an-
nimmt, die Farmen vase sei ein römisches Grabgefäss gewesen, ursprünglich
dazu bestimmt, die Asche eines Römers einzuschliessen. Denn der Umstand,
dass die Leiche verbrannt wurde, giebt uns keinerlei Anhalt, da bei den
Römern mit der Einführung des Christenthums der Leichenbrand keineswegs
gänzlich aufhörte. Auch gehören römische Graburneu von Bronze keines-
wegs einer bestimmten Zeitperiode an. In den Katakomben und den Nischen
der Grabkammern findet man Aschenkrüge aus den verschiedensten Stoffen,
aus Stein, gebranntem Thon, Glas oder Metall. Aschenkrüge aus Bronze
sollen indessen verhältnissmässig doch am wenigsten vorkommen und Bronze-
Grabnrnen mit Inschrift überhaupt zu den antiquarischen Seltenheiten ge-
hören. Doch wie dem auch sei, die Urne von Farmen war allem Anschein
nach ein Tempelgefäss und keine Todtenurne,
Nach dem Gutachten des Herrn Professor Ussing würde die Form der
Buchstaben sich zunächst auf das I. Jahrhundert, vielleicht auch auf das
IL Jahrhundert zurückführen lassen. Nach Norwegen hinauf wird die Urne
aber wol nicht früher als um die Mitte des III. Jahrhunderts gekommen
sein, da die jüngsten Münzen aus allen weströmischen Münzfunden in Schonen
und Dänemark zwischen den Jahren 180 — 218 nach Chr. geprägt worden,
und diese fremden Münzen die besten oder einzigen Zeitangaben sind, die wir
augenblicklich für den Anfang der römischen Handelsverbindungen besitzen.
') [Der Herr Verfasser hat übersehen, dass rler Fund von Grabow schon vor dem Jahre
1839 gemacht wurde, inid dass über seinen Charakter als Grabfiuid nichts Näheres bekannt ist.]
Anm. d. Uebers.
'-) Vgl. Lisch, Römergräber in Mecklenburg. Jahrb. XXXV, und Engelhardit, Aarböger
187], pag. 440.
Ueber römische Cultur in Norwegen. 265
Jene Vase von Farmen enthält die einzige römische Inschrift, die man,
von Münzen und Fabrikstempeln abgesehen, bis jetzt in Norwegen und Däne-
mark kennt'). Nur Schweden besitzt seine zugleich als Kunstwerk merk-
würdige, 18 Zoll hohe Apollovase, die 1818 in einem Grabhügel des südlich-
sten Thelles von Westraanlaud gefunden wurde und folgende Inschrift in fünf
Linien zeigt:
APOLLINi- GRANNO
DONVM- AMMI. LIV. S
CONSTANS. PRAEF. TEMP
IPSIVS
VSLLM.
welche besagt, dass die Vase dem Apollo Grannus von Aemilius Constans
geweihet wurde, dem Vorsteher seines Tempels. Diese Vase war jederzeit
geschätzt als einzig dastehend zwischen den nordischen Alterthümern und
als eines der interessantesten Prachtstücke des Stockholmer Museums 2). Beide
heilige römische Gefässe aber werden stets zu den wichtigsten Hülfsmitteln
gerechnet werden, die wir besitzen, sowol über den Culturzusammenhang und
die Verbindung der älteren Eisenzeit mit der römischen Civilisation — als
auch über deren Ausbreitung und Verhalten innerhalb der verschiedenen Länder
des Nordens Aufklärung zu erhalten.
Die Bronzeurne von Farmen war, als sie entdeckt wurde, mit verbrannten
Knochen angefüllt. Ihr zur Seite lag der obere Theil eines andern, ebenfalls
gegossenen Bronzegefässes von ungefähi* derselben Grösse, aber von etwas
anderer Form. Auch dieses war ursprünglich in unversehrtem Zustande bei-
gesetzt worden, wurde aber zertrümmert oder zusammengedrückt unter einem
Steine gefunden, der wahrscheinlich — wie es oft vorkommt — als Deckel
auf der Mündung gelegen hatte und im Laufe der Zeiten zu schwer geworden
war. Nach dem Zusammenbrechen des Gefässes beförderte das Gewicht des
Steines noch die Zerstörung, so dass die Seitentheile und beinahe der ganze
Boden nun vollständig fehlen, während der Hals mit dem Obertheil, das in
der Regel stärker und dicker ist als die Seiten, sich allein erhalten hat.
Noch schlimmer war es indessen, dass der Stein bei seinem Fall auch
die andere Urne berührte, sie fest gegen die Wand der Grabkammer an-
drückte und mit seiner Kante ein Loch in ihre eine Seite bohrte, während
der Wandstein von der andern Seite ein ebensolches, aber etwas höher lie-
gendes Loch machte, und dadurch zugleich einen Ausfall von vielleicht fünf
Buchstaben der Inschrift verursachte.
Eine ähnliche Begräbnissart nämlich die Beisetzung verbrannter Gebeine
in einem grossen, entweder in kleiner Grabkammer oder unter einem Fels-
') Im Thorsbjerg-Moorfimde kommt allerdings ein Schildbuckel vor, worauf der Name
AEL. AELIANUS. eingestochen ist.
'-) Vgl. Halienberg, om et tbrntids romersk Metallkärl, Stockholm 18i;t, wo auch das
Gefäss abgebildet ist. Bruzelius, 11, 80. Auualer ISig, pag. 391. Wiberg, pag. 5ö.
266 A. Lorange:
stück, oder frei in dem Erdreich des Hügels niedergesetzten Bronzegefässe,
war in Norwegen während der altern Eisenzeit ziemlich allgemein in Ge-
brauch und wurde mit Ausnahme von Nordland und Finmarken, sowie von
Jarlsberg und Lauroik in allen norwegischen Amtsbezirken angetroffen.
Ich kenne gegenwärtig etwa 80 Funde dieser Art, von denen 22 zugleich
Waffen enthielten. In andern wurden einzelne Schmucksachen und Kleinig-
keiten vorgefunden, aber von vielen weiss man nur, dass ausser den ver-
brannten Knochen nichts in der Urne vorhanden war. Jene wenigen Schmuck-
und kleinen Gegenstände müssen daher unsere Wegweiser abgeben bei der
Beantwortung der Frage nach dem Alter und der Dauer dieser Begräbnissail.
In Dänemark ist kein Fall von dergleichen Gräbern bekannt geworden,
wenn nicht vielleicht der Fund von Saebyhöi, Amt Hjörring, Nord-Jütland,
zu vergleichen ist. Vgl. Annal. f. n. Oldk. 1860, pag. 49 ff. ').
Auch in Schweden sind sie bis jetzt nur selten beobachtet worden und
weder in den Museen von Lund noch von Stockholm findet man Exemplare
von den in diesen Gräbern in Norwegen so häufig vorkommenden, eigenthüm-
lichen Kupfer- oder Bronzekesseln mit Eisenhenkeln und von einheimischer
Arbeit. Doch wurde das obenerwähnte Bronzegefäss von Medelpad in einem
Grabhügel gefunden, dessen Einrichtung mit den in Frage stehenden norwe-
gischen Grabhügeln sehr übereinstimmt; „auf dem Grunde des Hügels lag
auf einer Schicht von Kohlen ein flacher Stein, auf welchem das Bronzegefäss
stand, das umgeben war von vier, eine Elle hohen Steinen, die mit einem
andern überdeckt waren. Das Bronzegefäss war mit Asche und verbrannten
Knochen angefüllt." ^)
Die westmanländische Apollovase ist ebenfalls unter ähnlichen Verhält-
nissen gefunden worden ■*), und es wird nicht ausbleiben, dass diese Gräber-
form sich bei späteren Untersuchungen keineswegs als so ungewöhnlich in
Schweden erweisen wird, wie dies gegenwärtig der Fall zu sein scheint.
Bevor ich weiter gehe in dem Verzeichnisse der in Norwegen gefundenen
römischen Bronzegefässe, sei mir gestattet zu berichten, in welcher Weise
jene merkwürdige Vase in meinen Besitz gekommen. Im Sommer 1872 nahm
ich in Folge einer Aufforderung des Herrn Gutsbesitzers und Storthingsmanns
A. Saehlie in Hedemarken einige Untersuchungen von Alterthümern auf
seinem Eigenthume vor, woselbst ich u. a. ein interessantes Grab mit unver-
brannter Leiche aus der älteren Eisenzeit aufdeckte, deren Schädel nun der
einzige ist, den die Universitätssammlung aus dieser Zeitperiode besitzt. Bei
dieser Gelegenheit theilten mir meine Arbeiter mit, dass man auf dem Gute
') Kragehul Mosefuud, PI. IV, Fig. -24, hat sicher die für die nordischen Kessel allgemeine
Form gehabt.
') Antiq. Tidskr. f. överige, II, pag. •272.
•*) N. G. Bruzelius, Svenska Fornlemn., II, pag >0: ..beim (iraben und Steinebrechen in
einem ansehnlichen Ättehügel gffunden" und , verbrannte Gebeine, nebst Stückchen von einer
harten Öteinart oder Glas" enthaltend.
Ueber römische Cultur iu Norwegen. 267
Farmen vor längerer Zeit zwei „Kupferurnen" entdeckt habe. Ich reiste
dorthin und der Gutsbesitzer Herr Helge Nielsson Farmen Hess die Kömer-
vase von der Bodenkammer, wo sie seit acht Jahren — so lange war es her,
dass sie gefunden ward — ruhig gestanden hatte, herbeiholen. Ungeachtet
ich aufmerksam machte auf deren grosse Seltenheit, verehrte sie mir der
Eigenthümer ohne die geringste Entschädigung.
Vn. Amt Kristian. Kjörstad, Pfarrbez Söndre Fron: ein ausser-
gewöhnlich schönes, gut erhaltenes Bronzegefäss auf einem niedrigen runden
Fusse. Es ist 3 Zoll hoch, aber 12 Zoll weit über der Oeffnung, deren Rand
nach einwärts gebogen ist. Die Schale ist abgedreht und unterhalb des
Randes mit zwei feinen parallelen Linien geziert; auf dem Boden, im Innern
des Fusses zeigen sich concentrische ausgedrehte Ringe. Die Grundform ist
wie bei Worsaae, N. 0. No. 301, doch hat das Gefäss von Kjörstadt keine
Henkel und ist geschmackvoller geformt. Es ist abgebildet, leider in sehr
mangelhafter Weise, im Jahresbericht für 18G7, PL I, Fig 7, und stand zu
den Füssen des Skelets in dem bei dem Glasgefäss No. Hl von uns erwähn-
ten grossen Funde von Kjörstad.
Vni. Brunsberg, Pfarrbez. Östre T boten: kesseiförmiges Bronze-
gefäss, vorzüglich gut erhalten und mit schönem Edelrost überzogen. Aui
dem Rande, der nach aussen umgebogen ist, sitzen zwei besonders ge-
gossene, mit Ornamenten versehene Oehre festgelöthet, in denen ein gewun-
dener Henkel aus Bronze sich bewegt. Die Seiten des Gefässes sind stark
gebogen und mit getriebenen Sförmigen Rippen bedeckt. Um den Hals be-
merkt man erhöhte Ränder und feine Streifen. Es wurde 1863 in einem
kleinen Grabhügel ohne Kammer, aber mit einem Steinkranze, gefunden und
war mit verbrannten Knochen angefüllt, zwischen denen noch eine Thonurne
lag. Zu demselben Funde gehören: ein zweischneidiges, zusammengebogenes
Schwert, zwei Speerspitzen, der Beschlag eines Schildhandgriffes, zwei kleine
Brouzesporen von römischer Form und ein Riemenbeschlag. Vgl. Norske
Fornlevn. pag. 751. Das Gefäss hat einige Aehnlichkeit mit Worsaae,
N. 0. No. 505, ist aber weit grösser.
IX. Amt Buskerud. Fosnaes, Pfarrbez. Sandsver: Bronzenapf,
gefunden im Jahre 1840 oder früher in einem Grabhügel mit einer aus Fels-
blöcken errichteten Kammer, die mit Sand angefüllt war. „Das Gefäss ent-
hielt verbrannte Knochen, war geformt wie ein quer durchschnittenes Ei, von
13 Zoll Höhe und 10 Zoll Weite, sorgfältig polirt, auswendig mit einigen
Punkten und eingeritzten Linien längs dem Rande verziert. Das Fussstück
und die Henkel, mit denen das Gefäss ursprünglich versehen w^ar, hatte man
bei dessen Benutzung als Graburne entfernt und die Stellen, wo sie gesessen,
förmlich abgeputzt." Vgl. Norske Fornlevn. pag. 171. Dieses Gefäss bildete
ohne Zweifel einst das Obertheil eines glockenförmigen Kraters, wie sie in
römischen Funden des Nordens einigemal vorgekommen. Vgl. z. B. Wor-
saae, N. 0. No. 302; Urda 11, pag. 1; Mecklenb. Jahrb. XXXV, pag. 102.
268 A. Lorange:
X. Amt Lister und Mandal. Houe, Pfanbez. Vanse: Bruchstücke
eines Bronzegefasses, das „wahrscheinlich eine Vasenform hatte", mit Hen-
keln, gefunden 1867 in einem Grabhügel, nebst drei Perlen und einer grossen
römischen Goldmedaille des Kaisers Valentiniau l., die mit Rand und Oese
wie die Brakteaten versehen war. Vgl. Aarsberetn. for 1867, pag 96, und
1868, pag. 9c^, woselbst auch die Medaille abgebildet ist
XI — XV. Amt Stavanger. Pfarrhof Avaldsnaes: 6 römische Ge-
fässe, gefunden 1834 beim Aufgraben eines grossen Rundhügels — genannt
der Flaggenhügel — , der, wie es scheint, eine von Holz gebaute Grabkaramer
enthalten hat ').
1, Das merkwürdigste von diesen Gefässen ist ohne Zweifel die un-
gefähr 9 Zoll hohe, reich verzierte und vergoldete Bronze- oder Kupferurne
(Krater), die abgebildet ist Urda Bd. H, PI. I, Fig. 11, und von welcher der
Bischof Neumann begeistert erklärte: „es sei das schönste von allen an-
tiken Gefässen des ganzen Nordens".
In der Grundform stimmt diese Form überein mit dem bei Worsaae N. 0.
No. 302 abgebildeten Bronzegefässe aus dem grossen, eine so charakteristische
Mischung von römischen und barbarischen Gegenständen enthaltenden Funde
von Himlinghöie, der von Boye in die Uebergangszeit vom älteren zum
mittleren Eisenalter, also etwa ins Jahr 450 angesetzt wird. Während aber
an dera dänischen Gefässe die Verzierungen nur eingravirt sind, war das hier
in Rede stehende Gefäss mit rundlaufenden Reihen von eingelegtem Glas-
fluss und von aufgelöthetem , getriebenem Silberzierrath in reichen Mustern
geschmückt. Unter dem Boden befinden sich eingedrehte concentrische Ringe
mit einem Stern in der Mitte. Es hat zwei Oehre, jedes mit drei Löchern
(ähnlich wie Mecklenb. Jahrb. 1870, Taf. I, Fig. 1) und einen gewundenen
Henkel. Beim Auffinden enthielt es verbrannte Gebeine.
2) Weniger kunstvoll verziert, aber von derselben ausgeprägt römischen
Abkunft ist ein anderer glockenförmiger Krater aus demselben Funde. Er
misst in der Höhe lO.i Zoll, in der Weite 10 Zoll, hat einen gewundenen
Henkel, aber keine Verzierungen. Nach Norske Fornlevn. pag. 343 ist er
vergoldet und war, als man ihn fand, ebenfalls mit verbrannten Gebeinen ge-
füllt. Er gleicht dem in den Gräbern von Hävcn (Mecklenb. Jahrb. XXXV,
PI. II, Fig. 17) gefundenen und ist abgebildet Urda 11, Fig. 10.
3. Das dritte ist ein schalenförmiges ßronzegefäss, leider aber so zer-
stört, dass seine ursprüngliche Form nicht mehr zu erkennen ist, aber un-
gefähr wie Worsaae N. 0. No. 304 gewesen sein mag. Es maass über der
Oeffnung 12 Zoll und hatte an den Seiten als Verzierung drei gut erhaltene
.liöwcnköpfe von vollendet römischer Arbeit. Einer der letzteren ist ab-
gebildet Urda II, PI. I, Fig. 9.
') Aehnlich wie bei Veieii, Nicolayseu, Norske Fornlevn., pag, 144, und bei Saetrang,
1. c. pag. 146.
lieber römische Cultur in Norwegen. 269
4. Bronzeschale mit Fuss und ursprünglich wahrscheinlich von einer
Grundform wie die Schale von Kjörstad, auch wie Worsaae, N. 0. No. '^01
oder Meckleub. Jahrb. 1870, Tab, I, Fig. 2.
5. Reste von einem verzierten, 3|- Zoll im Durchmesser haltenden Silber-
gefässe. Da ich indessen nicht so glücklich gewesen bin, diesen Fund zu
sehen und eine sachkundige Beschreibung desselb(;n nicht veröfientlicht wurde,
so kann ich nicht mit Bestimmtheit angeben, ob das Gefäss von römischer
Abkunft ist; doch kommen bekanntlich Silbergefässe in römischen Funden
Dänemarks nicht selten vor.
6. Ein Bronzesieb von der in manchen Romerfunden vorkommenden Form.
Der Hügel von Avaldsnaes ergab demnach den an römischen Bronze-
gefässen reichsten Fund des ganzen Nordens; vr enthielt aber ausserdem
noch manche andere, unzweifelhaft römische Gegenstände, u. a. 28 ganze und
zerbrochene Bretsteine aus dunkel- und hellblauem Glase, wie solche oft in
norwegischen Grabhügeln bis zum Amt Nordland hinauf (Sömnaes, Helgeland)
gefunden wurden'). In Dänemark kamen ebensolche neben uuverbrannten
Leichen vor (Antiq. Tidskr. 1846, 22; Annal. 1850, pag. oOl und 1861,
pag. 305; Nydam Mosef. pag. 51, No. 52); dagegen, soviel ich weiss, nie-
mals in Schweden, wo nur Bretsteine von Knochen angetroö'en werden 2),
(ÜUtuuafund und Bruzelius, H, pag. 91), die ebenfalls in norwegischen
und dänischen Gräbern vorkommen.
Von den Waffen im Avaldsnaesfunde kann mau das Schwert sicher-
lich als ausländische Arbeit betrachten ; es war in einer mit Bronze- und ver-
goldetem Silberbeschlag reich verzierten Scheide festgerostet. Ausserdem
fanden sich sechs Fingerringe von Gold, eine Goldnadel und ein pracht-
voller offener Halsriug von Gold (Metallwerth 350 Spd.) nebst einem Bronze-
kessel von gewönlicher Form (vgl. Rygh, Aarböger 1871, pag. 158, Note).
XVI. Hauge, Pfarrbez. Kiep: grosses Bronzegefäss, gefunden in eiuer
langen Grabkammer, ohne bestimmtere Nachricht, ob mit verbrannten oder
un verbrannten Gebeinen. Das Gefäss hält 19| Zoll über der Mündung, ist
3.y Zoll tief, hat einen niedrigen Fuss, flachen Boden und aufrechtsteheude
Seiten. Seine römische Herkunft wird bezeugt durch drei Griffe in Form
von Meuschenköpfen, von denen krumme in Thierköpfen mit aufgerichteten
Ohren endigende Bügel ausgehen, in denen lose, sechsseitige Ringe hängen.
Der Fund wurde schon oben unter Glasgefäss No. XIII erwähnt. Das Bronze-
gefäss ist abgebildet Aarsberetn. for 1869, Fig. 19.
XVII. Anda, Plarrbez. Kiep: ein ungewöhnlich gut erhaltener Bronze-
Eimer von einer Form wie der obenerwähnte Krater bei Worsaae, N. O.
No. 302, 9.1 Zoll hoch und 9| Zoll weit. Der Fuss ist etwas über einen
^) Aarsberetn. for 18GG, pag. 89.
*) Die Allgabe, dass die in der Apollovase enthaltenen geschmolzenen Glasstücke - ßrat-
yleine gewesen wären, ist inelir als nnsiclier. ^Vahrscheilllich waren es Glasperlen.
MQ A. Lorange:
Zoll hoch und misst quer 4^ Zoll. Unterhalb des sehr dicken Randes, an
dem zwei in Blattform ornamentirte Oehre befestigt sind, sieht man sieben um
das Gefäss eingedrehte Linien. Zwei ebensolche zeigen sich gleich oberhalb
des Fasses. Der Henkel fehlt freilich; aber die Löcher in den Oehren tragen
deutliche Spuren des Gebrauchs. An einer Seite des Gefässes ist über einer
kleineu Bruchstelle eine runde Metallplatte von ungefähr 1^ Zoll Dui'chmesser
aufgenietet.
Dieses schöne römische Gefäss, das bis jetzt nicht veröffentlicht wurde,
fand man 1871 oder 1872, augefüllt mit verbrannten Gebeinen, unter einem
Felsblock in einem Grabhügel. Es ist im Besitz des Herrn Zeichenlehrers
und Hafbesitzers Hansson auf Tjensvold bei Stavanger.
XVIII. Hove, Pfarrbez. Höjland: Bronzegefäss mit Fuss, Oehren und
Bronzehenkel (Krater), Grundform wie Worsaae, N. 0. No. 302; gefunden
1843 in einem Grabhügel mit grosser Steinkammer. Der Fuss dos Gefässes
ist ungefähr 1^ Zoll hoch; die Seiten steigen ziemlich gerade aufwärts; die
Oehre sind dreikantig, mit Einem Loche versehen und nicht festgelöthet. Der
Henkel ist in der Mitte rund, im üebrigen aber flach. Zum Funde gehören
ausserdem Bruchstücke von Thougefässen, von einem Schwerte und andern
Waffen, zwei durchbohrte runde Steinscheiben (Wirtel), zwei goldene Finger-
ringe und zwei ebensolche Armringe, ähnlich wie die bei Engclhardt,
Thorsbjergf PI. 16, Fig. 20 und 21 abgebildeten.
XIX und XX. Amt Söndre Bergenhus. Pfarrbez. Fane: zwei
Bronzegefässe, gefunden 1847 in einem Grabhügel. Das eine hat drei Oehre
in Gestalt von Thierköpfen und war mit verbrannten Knochen angefüllt, die
mit dem andern Gefässe überdeckt waren. Letzteres ist von derselben Form,
aber ohne Oehre. Mir sind diese Gefässe nur nach der, Norske Fornlevn.
pag. 413 gegebenen Beschreibung bekannt. In demselben Grabe fanden sich
vier runde Steinscheiben, eine ebensolche aus Knochen und einige kleine
Silbersachen.
XXI u. XXI. Amt Nordre Bergenhus. Kvale, Pfarrbez. Sogndal:
eine Bronzeschale und ein Bronzecasserol, gefunden 1868 beim Abfahren eines
Grabhügels. Andere Alterthümer oder Spuren eines Begräbnisses wurden
nicht bemerkt. Die Schale misst im Durchmesser 11 i Zoll, in der Höhe un-
gefähr 2J Zoll und ist auswendig mit zwei in 2 Zoll Abstand von einander
gleich unterhalb des Randes eingedrehten Kreislinien vorsehen. Das Casserol
ist inwendig versilbert, oder richtiger verzinnt, und auswendig mit zwei Kreis-
linien verziert. Auf dem 4 Zoll langen Griff zeigen sich verschiedene ein-
gravirte Zeichnungen.
XXIH Amt Nordre Throndhjem. Over-Rein, Pfarrbez. Beit-
s laden: ein liroiizehenkel nebst zwei Oehren, worauf Brustbilder mit einem
lluUband und darunter Pahuetten. Der Henkel ist fünfkantig, hat in der
Mitte einen aufrecht stehenden Riug, der durch zwei Schlangen gebildet
wird, und wurd«- vor mehreren .ialircn y.nt'äHig in einem b^rdhügel gefunden.
üeber romische Cultur in Norwegen. 271
Er hat Aehnlichkeit mit Worsaae, N. 0. No. 307, ist aber weit zarter und
})es8er gearbeitet. Vgl. Aarsberetn. for 1^67, PI. II, Fig. jO.
XXIV. Halleim, Pfarrbe/,. Verdalen: stark beschädigtes Brouzesieb,
gefunden 1<S70 in einer kleinen Steinkamraer, zusammen mit verbrannten
Knochen, Birkenrinde, einer Bronzefibula, einer Nadel und einem cylindrischen
Bronzeblech. Vgl. Aarsberetn. 1870, pag. 15.
XXV — XXVIII. Gjete, Pfarrbez. Levanger: vier römische Bronze-
gefässe, darunter ein Casserol nebst Sieb, mit ungefähr 5 Zoll langem Griff,
Die beiden andern Gefässe bestehen: a) in einem Bronzekessel mit auf dem
Buden eingedrehten Kreisen. Die Seiten sind stark geschweift und schräg
geriffelt. Unter dem Halse liegen zwei Bänder und zwei eingedrehte Reifen.
Der Henkel ist rund und glatt in der Mitte, aber nach unten flacher und
verziert mit kleinen eingepunzten Kreisen. Die Oehre waren mit Nägeln an
den Kesselwänden befestigt. Sie sowol wie der Henkel sind versilbert,
b) Ein Bronzegefilss mit zwei auf dem Boden und ebensolchen unten an der
Seitenfläche eingedrehten Kreisen. Vom Boden bis zu der Mitte der Seiten
ziehen sich getriebene Linien, die paarweise in Spitzen zusammenlaufen. Der
Gefässrand ist weit ausgebreitet und mit einer eingedrehten Liuie verziert.
Diese vier römischen Gefässe wurden 1868 unter drei Steinblöcken auf dem
Grunde eines Grabhügels gefunden. Neben ihnen lagen verbrannte Gebeine,
eine Vogelklaue, eine Silberfibula, zwei glatte Goldringe, eine Nadel, kleine
getriebene Silberzierraten und Zeugstücke. Vgl. Aarsberetn. for 1868, pag. 16
und 17.
Dieses Verzeichniss, das in Folge der unvollkommenen Hülfsmittel, die
mir zu Gebote standen, keineswegs Anspruch darauf macht, ganz vollständig
zu sein, weist trotzdem doch mindestens 28 römische Bronzegefässc aus der
älteren Eisenzeit in Norwegen auf^).
Stellen wir nun diese Resultate mit dem zusammen, was wir bereits
oben in Betreff Dänemarks und Schwedens anführten, so ergiebt sich folgendes
Verhältniss :
r '^ Funde, 1 24 Fimde des älteren Eisen-
^0"" ! alters,
In Norwegen 1872 [ 28 römische Bronzegefässc, | Norwegen 18 72 <^ wonn
•i^"" i \ 24 Glasgetässe.
7 Casserole und Siebe, i
') [Seit dem Erscheinen dieser Abhandlung veröffentlichte Herr Studiosus J. Undset, Aaars-
beretn. for 1873, pag. 21 ff., die Beschreibung eines auf der Insel Lines (unter 64° 1' nördl.
Breite liegend) gemachten Fundes von römischen Bronzegefössen , bestehend in einem flachen
Krater, der in Form und Grösse ganz übereinstimmt mit dem von Häven (Mecklenb. Jahrl). XXXV,
PI. I, Fig. 2), imd in einem gut erhaltenen Casserol nebst Sieb. Die Gefässe lagen auf dem
Grunde eines flachen Steinhaufens über einer Schicht von Kohlen und Asche; ob Knochen vor-
gefiuiden, wird nicht erwähnt. — Es beläuft sich sonach augenblicklich (Ende 1874) die Ge-
sammtzahl der in Norwegen bekannten römischen Bronzegerässe auf 151 Stück mit n Tasserolen
und Sieben.) Anni. des l'ebers.
272
A. Lorange: üeber römische Cultur in Norwegen.
lu Dänemark 1865
In Schweden 1872
52 Funde,
worin
93 Bronzegefässe
(von wahrscheinlich
römischer Abkunft),
davon
20 Casserole u. Siebe.
1 1 Funde,
worin
12 Bronzegefässe,
davon
1 Casserol.
Dänemark 1871 ')
Schweden
23 Funde,
worin
3G Glassrefässe.
I 0 Funde,
1872 J
worin
9 Glasgefässe.
') Aarböger 1871, pag. 445.
Anmerkung. Ich will hier gleich noch eine andere Art von Gefässen erwähnen, die
beständig in Verbindung mit diesen nordisch -römischen Funden vorkommen und wegen ihrer
Gleichartigkeit, sowol hinsichtlich der Technik, wie der Ornamente, von vielen Gelehrten, ebenso
wie die Glas- und Bronzegefässe für importirte Industrieartikel gehalten werden. Dies sind die
eigenthümhcheu Holzeimer mit Bronzebeschlag.
In Dänemark kommen sie häufig vor in den Gräbern Seelands (das bei Worsaae, N. 0.
No. 311 abgebildete Gefäss stammt übrigens aus einem norwegischen Grabhügel). Auch in den
Moorfunden fehlen sie keineswegs, vgl. Nydamf. pag. 37. Nach der oben citirten Fuudstatistik
des Hrn. Prof. Engelhardt kannte man im Jahre 1865 in Dänemark 15 Funde mit zusammen
17 Holzeimern mit Bronzebeschlag. Herr Amtmann Vedel hat später auf Bornholm noch ein
klares Exemplar in einer Grabkiste mit Skelet aufgefunden.
Nach Lisch, Römergräber in Mecklenburg, wurden dort zwei Holzeimer aufgefunden, und
in der Beschreibung erwähnt der Verfasser noch einige andere deutsche Funde von Holzeimeni,
die in der Regel verbrannte Gebeine enthielten.
In fränkischen Gräbern sind sie einigemal als grosse Seltenheit vorgekommen; vgl. Goch et,
Normandie souter., pag. 397, vier Holzeimer mit Bronzebeschlag, die indessen von den im Nor-
den gefimdenen darin abweichen, dass die drei untersten Bänder aus Eiseu bestehen, was nie-
mals bei den nordischen Eimern beobachtet wurde.
Etwas häufiger wurden sie in angelsächsischen Gräbern gefunden (vgl. Akerman, Re-
mains, pag. 55 und PI. XXVII; R. Smith, Collect, antiq. Vol. II, pag. 160, 161 und 169),
doch bei weitem nicht so oft, wie z. B. in dänischen Gräbern. Akerman erwähnt, dass sie
sowol in Männer- wie in Weibergräbern angetroffen würden; dass aber diese schön gearbeiteten
und beschlagenen Gefässe erfahrungsmässig nur den reichen Leuten angehören konnten.
Aus dem ganzen schwedischen Lande kennt man auffallender Weise nur einen einzigen
Fund, der ein Gefäss von der in Rede stehenden Gattung enthalten hat (Jored, Bohnslän).
Aber in keinem der hier erwähnten Länder zeigten diese Gefässe sich so häufig wie in Nor-
wegen. Oft genug ist es geschrieben und ausgesprochen, dass Dänemark auch an dieser Art
von Alterthümern so besonders reich wäre, reicher als irgend ein anderes nordisches Land.
Aber in Norwegens Sammiungpn werden mehr als 30 Holzeimer mit Bronzebesclilag aufbewahrt,
die vollständig gleichartig sind mit den dänischen.
Der Regel nach enthält kein Grab mehr als eines von diesen Gefässen. In zwei dänischen
Funden kamen indessen je zwei Holzeimer vor. In Norwegen sind ebenfalls mehrere Funde mit
zwei Holzgefässen bekannt, u. a. bei Löken; aber bei Kjörstad und Iloltan kamen drei vor, bei
Saetrang fünf, und nach Prof. Rygh's Bemerkung (Aarböger 1869, pag. 165) sollen sogar sechs
Eimer in einer einzigen Kammer gefunden sein. In denjenigen grossen Grabkammern Nor-
wegens, welche viele Gefässe enthalten, fehlen diese Eimer nur sehr selten. Meistens pflegen
sie leer zu sein, wenn sie gefunden werden; doch hat man auch Nachricht, dass sie in einzelnen
Fällen als Graburnen dienten und verbrannte Gebeine enthalten haben.
Also: in Norwegen mehr als 30 Holzeimer mit Bronzebeschjag :
in Dänemark bis 1865 17 „ in 15 Funden:
i» «•^l'^eden 1 . ^y^j^l^^^ f^,g^^^
Miscellen und Bücherschau. 273
Miseelleii und Rüeherschau.
Dodel: Die neue Schöpfungsgeschiclite, 1875. Leipzig.
In dem Streben nach einheitlich bequemem Abschluss führen die Genealogien der Griechen
sowohl, wie der ludier und anderer Völkerstämme auf einen Ersten Menschen und versuchen
dann in den Theocronien den Sprung zu den Göttern, wie die Descendenzlehre den Sprung zum
Affen. Innerhalb des Menschengeschlechts bleibt die Abstammung discutirbar, obwohl bei
unendlicher Welt innerhalb der Zeit niclit zulässig, dass dagegen der Sprung zu den Göttern
in metaphysische Gebiete hinausführt, hat der früher benöthigte Kampf gegen dieselben sieg-
reich bewiesen, und ebenso wird, wenn auf den gegenwärtigen Rausch neuer Hypothesen die
Entnüchterung folgt, der Sprung zu den Affen aus dem Bereich objectiver Forschung verwiesen
werden.
Die Genealogien liefern für die Erklärung nur Verhältnisswerthe, sei es in gleichgradigen
Gliedern durch die Wiederholung, sei es in dem Index potenzirten Aufsteigens, um Relati-
vitäten innerhalb des Werdens zu verstehen, aber im absoluten Sinne bleibt der Urgrund gleich
unberührt, ob von einem einzelnen Sein ausgegangen wird, oder von einem Sein, das genea-
logisch aus einer Mehrzahl von Gliedern zusammengesetzt ist, so dass die Descendenzhypothese
keine neue Erklärungen denen hinzuzufügen vermag, die durch die vergleichende Anatomie
bereits gewonnen sind, und sich ausserdem bei Beobachtung des objectiven Thatbestandes
ilvu'ch die Gegenaussage desselben verbietet.
Hinsichtlich der Bastardbildung ist „constatirt, dass die Bastarde zwischen nahverwandten
leichtern Varietäten fruchtbarer und kräftiger sind, als die Nachkommen derselben Varietäten
bei fortgesetzter strenger Inzucht, dass aber andererseits die Bastarde distincter nicht mehr
nahe verwandter Arten derselben Gattung meistens gänzlich steril oder nur mit einer der beiden
Stammarten fruchtbar sind", indem hier, wie überall beim Typus, das mittlere Gesetz gilt, das
ebensowohl die Verknöcherung der Art, wie die Umgestaltung derselben verbietet, sondern
eben, dem factischen gemäss, die Art in der Weite ihrer Variationen erhält und fortpflanzt.
Wenn mitunter beim Pferd oder Esel die am Zebra und Quagga vorkommende Streifirag
auftritt, so zeigt das, wenn der Atavismus auf den Rückschlag übersehbarer Verwandtschafts-
reihen beschränkt wird, die alle Equinae verbindende Gemein-Anlage, die, wie das System
selbst beweist, lange vor der Descendenzlehre bekannt war, und ebenso wenig kann diese den
gesetzlich begründeten Thatsachen des gehörnten Uterus, des Nichtverwachsens der Kopfknochen
u. s. w, aus eigener Erfindung weitere Aufklärung zufügen. In dem fletschenden Gesichtsaus-
druck zum Biossiegen der sonst besonders zum Beissen dienenden Eckzähne sieht Darwin die
thierische Natur im Menschen, die indess auch sonst zu deutlich zu Tage liegt, um für weitern
Beweis dieser von selbst auf die entsprechende Lagerung der Gesichtsmuskeln zurückführbaren
Beobachtung zu bedürfen, denn nicht das Menschen und Thier gemeinsame Band ist zurück-
zuweisen oder von den Zoologen je zurückgewiesen, sondern nur die Trübung der Unter-
suchung durch hypothetische Verallgemeinerung des genealogischen Zusammenhanges, der viel-
mehr in den Detailuntersuchungen für die Einzelnfälle scharf zu limitiren ist. Gesucht wird
das natürliche System, wie in der Sprache der Thatsachen ausgedrückt, die bei Erdichtungen
blutsverwandtschaftlicher Beziehungen nur Täuschungen werden würden.
Darwin fasst die Arten als gesteigerte Varietäten, oder es Hesse sich sagen, dass innerhalb
der Peripherienweite der Typus derselben in einer Vielfachheit von Variationen erscheine, von
denen die centralste als Charakter der Art hingestellt werden mag. Mit einem Ueberschreiteu
der Peripherie wäre dann aber der Kreis gerissen und demnach auch das Centrum annihilirt, so
dass also Variationsübergänge innerhalb des Typus nicht nur gedacht werden können, sondern
selbst müssen, Vorstellungen von Typus-Uebergängeu dagegen oder von l'ebergängen der jedes-
mal einen Typus repräsentirenden Arten in einander, eine contradictio in adjecto mit sich führen
würden.
Zeitschrift für Ethnologie, Jahrgang 1S70. 19
274 Miscellen und Rücherschau.
Wie Dodel (S. 55) ganz richtig bemerkt, handelt es sich bei der Entscheidung über die
Abstammungstheorie um die Frage: „Wie gross kann der Betrag der Variation werden, oder:
wie weit kann sich die Ahünderung der Merkmale erstrecken?" und bei der Argumentation
dient besonders (wie gewöhnlich/ Darwin's erschöpfende Untersuchung über die Taubenrassen,
deren wohlcharacterisirte Formen, wenn wild gefunden, von den Ornithologen als verschiedene
Species würden aufgeführt worden sein, in extremen Fällen (wie etwa bei der Barbtaube) auch
als neues Genus. Da indess alle die Kennzeichen, welche zur Eintheilung im System dienen,
vor der in der gemeinsamen Abstammung von Columba livia begründeten Einheit zurücktre-
ten, beweist Darwin selbst durch seine Argumentation, dass der Typus hier ebenso unberührt
bleibt, wie in der anorganischen Natur das Element, in wievielfachen der besonders für
Salze anderer Elemente charakteristischen Farben unter neu com.ponirten Verbiiidimgen die
seinigen auch schillern mögen.
Wenn die untergegangenen Schöpfungen der Molasseperiode in ihren fossilen Resten die
vermittelnden Glieder zwischen den Pachydermen und Ruminantien in solcher Menge und
Mannigfaltigkeit der Abstufungen zeigen, dass es gegenwärtig nicht mehr möglich ist, eine
andere als willkürliche Grenze zwischen diesen beiden Ordnungen zu ziehen (nach Bronn), so
wird sie das System vereinen, aber weder dadurch, noch wie früher für Dickhäute und Wie-
derkäuer unter einander bei Festhalten einer physiologischen Consequenz zu genetischen Schlüs-
sen verleitet werden.
Aus den bei Uebergang vom oberen Tertiär in die quaternäre Formation bei den Abstu-
fungen von Flora und Fauna hervortretenden Thatsachen kommt Heer zu der Ansicht, „dass
ein genetischer Zusammenhang der ganzen Schöpfung bestehe", nicht jedoch in der Weise
einer allmähligen Transmutation unter dem steten Wirken der natürlichen Zuchtwahl, sondern
indem die eine lange Zeit in bestimmten Formen verharrenden Arten durch das Eingreifen eines
Schöpfers jeweilig in kurzer Zeit umgeprägt wurden. Dies habe ,für den grossen Gedanken der
Abstammungstheorie keine entscheidende Bedeutung", meint Dodel, während der Gedankengang
eben ein gradezu diametraler ist, und nur die gewählte Wortbezeichnung übereinstimmt. In
der obigen Vorstellung liegt nur ausgedrückt, dass die organischen Mikrokosmen stets ihrer
makrokosmischen Umgebung entsprechen, und wenn sich ein Fortgang der Paläontologie für
die geologische Entwickelung der Erde (wie es in der jetzt vorwaltenden Theorie bereits ge-
schehen ist) herstellen lässt, würde dieser auch für die Organismen festzuhalten sein und die-
selben deshalb in der Zeichnung eines Stammbaumes verbunden werden können. In solch bild-
licher Weise hatte auch die vergleichende Anatomie, als sie das alle Organismen, von den nie-
dern bis zu den höchsten, verbindende Gesetz erkannte, genealogische Gleichnisse verwenden
können, und ein darüber philosophirender Laie hätte auch dann solch ideale Genealogie für
eine reelle missverstehen können, während klare Erkenntniss der physiologischen Gesetze dies da-
mals, wie jetzt ausschloss Hinsichtlich der jenseits Raiim und Zeit wirkenden Ursächlichkeiten
mag dann von Entstehung oder Schöpfung geredet werden, aber die Personification eines Schöpfers
bleibt unter der heutigen Weltanschauung eliminirt, da die bei einer centralen Erde zulässige
Vermenschlichung der höchsten Conception in einer unendlichen Welt, welche die Erde ande-
ren Himmelskörpern neben- und selbst unterordnet unzulässig geworden ist.
Nägeli sucht das Nützlichkeitsprincip von dem Darwin's Theorie durch Kölliker gemachten
Vorwurf der Teleologie zu befreien, aber wenn diese bei dem Abweisen theologischen Eiu-
sprechens in naturwissenschaftliche Untersuchungen von selbst fällt, hat die Descendenzhypothese,
die der Beschuldigung nach ihrer Interpretation ai)lehnen mag, auf der anderen Seite ani wenig-
sten das Anrecht; sich ein besonderes Verdienst in einer Frage zuzuscheiden, die erst durch
sie wieder verwirrt worden ist.
„Die in Folge anhaltenden Druckes an der Fusssohle des Menschen dick gewordene Haut
wird nicht erst beim Gehen erworben, sondern sie tritt schon beim Kinde im Mutterleibe auf,
bemerkt Dodel, und wenn man hinzufügt, dass das für das Sehen erforderliche Auge am Kinde
im Mutterleii)e schon auftritt, so ist wieder jene Kreislinie zwischen causae efficientes und
finales geschlossen, in deren schwindligen Ringen sich die Maskentänze der Naturphilosophen
drehten, während einer kurzen Carnevalszeit der Naturwissenschaft, der sich auch willenskräftige
Philosophen zu erfreuen wussten.
Die Aehnlichkeit der embryologischen Anlagen in der Reihe der Säugethiere bis zum Mensch
Miscellen und Bücherschau. 475
hinauf, war seit Ausbilduug der vergleichenden Anatomie bekannt und in ihrer Durchführung
berücksichtigt. Die letzte Erklärung verschlingt sich in jenem Räthsel, dem wir uns erst nach
inductiver Fundamentiriing der Psychologie allmählig annähern können, und es be?eichnet
kurzsichtige Ueberhcbung, wenn man in jeder verführerisch auftauchenden Idee bereits einen
Schlüssel gefunden zu haben meint, besonders wenn derselbe, wie derjenige, mit dem die De-
scendenztheorie die Oeirnung simuliren will, sich durch seine rnvereinbarkeit mit physiologischen
(besetzen dem vorsichtigen Denker von vornherein als nutzloser erweisen muss.
Es wird den Gegnern der Abstammungslehre vorgeworfen, „dass sie die Vollständigkeit der
geologischen Berichte überschätzen, und dass es gefährlich ist aus negativen Resultaten positive
Schlüsse zu ziehen", aber noch etwas ganz anders, als nur gefährlich, würde es sein negative
Thatsachen zu positiven umzustempeln, wie nicht selten in der Descendenzhypothese, und bei
der linvollkommenheit der geologischen Chronik bleibt ihre Verwendung auf beiden Seiten aus-
geschlossen, besondersjedochauf der einer neuen Theorie, die sich ihren Besitz erst zu erkämpfen
hat, während der alte an bisherigen Anrechten festhalten darf. Der revolutionäre Gesichtspuuct,
der bei dergleichen Argumenten durchschimmert, wäre nur gerechtfertigt, wenn in einer Par-
teisache i)ro ara und domo gekämpft würde, während die inductive Wissenschaft nicht um
Theorien streitet, sondern unpartheiisch die Aussagen der Thatsachen auf beiden Puncten ab-
wägt. Neue Untersuchungen werden stets zur Reform eines soweit gültigen Systemes führen,
aber zum Aufgeben dest.elben ist vorläufig noch nirgends eine Veranlassung, und sollte es je
dazu kommen, müsste man erst dasjenige kennen, welches an die Stelle zu setzen sei, denn
das genetische trägt bei seinem Widerspruch mit physiologischen Gesetzen auf der selbstge-
wählten Fahne ein unwiderrufliches Veto eingeschrieben.
„Dass neue Varietäten und neue Rassen durch natürliche Züchtung entstehen", sowie ,dass
durch Züchtung aus einer Stammform Varietäten und Rassen hervorgehen, die schliesslich so
weit von einander abweichen, als verschiedene Arten und Gattungen im Naturzustand', (zwei
gesperrt gedruckte Thesen), und etwa ferner noch, „dass zwischen Varietät und Rasse einer-
seits und der Species der Art andererseits in der Natur keine scharfe Grenze existirt", nämlich
wegen „der Meinungsdifferenz der Systematiker", dies sind die Hauptsätze, welche Dodel nach
„einleitenden Thesen", die je nach dem Partheistandpuncte vor- oder rückwärts zu lesen sind,
für die .Basis der Darwin'schen Theorie" verlangt, und wird der in den frühern Capiteln des
Buches in schwindligen Phantasieflügen umhergezerrte Leser solch' bescheidene Forderung um
so lieber zugestehen, weil, wenn keine weiteren Prämissen verlangt werden, es ruhig jedem
kühlen Denker überlassen bleiben kann, wie viel von den ferneren Thesen (12 -35) noch stehen
bleiben werden.
Die Descendenztheorie (welcher zufolge sich die ganze organische Schöpfung aus einfach-
sten Formen entwickelt mit Diflerenzirung der verschiedenen Arten in Gattungen, Ordnungen
und Klassen) harmonirt mit den Lehren der Embryologie, „dass jedes Lebenswesen mit einer
einzigen Zelle beginnt, und von da an die hauptsächlichsten Stadien der Entwickelung niederer
Organismen durchläuft, bis es schliesslich die Organisationsstufen seiner Aeltern erreicht", heisst
es bei Dodel, um nach Haeckel's Wiederauffrischung naturphilosophischer Mythenbilder die
Entwickelungsgeschichte des Individuum als eine abgekürzte Wiederholung der Entwickelungs-
geschichte des Stammes darzulegen.
Dass aber diese jedesmal einzigen Zellen, welche den verschiedenen Lebens wesen zu Grunde
liegen, keinenfalls in jener Einfachheit, die das ungeübte Auge des Laien darin finden möchte,
parallelisirt werden dürfen, dass vielmehr sie alle und eine jede ihre specifische Markirung be-
reits in sich tragen, das wird eben durch die differenzirte Entwickelung des einer jeden von
Ursprung her innewohnenden Characters bewiesen, in einer für naturwissenschaftliche Anschaung
ebenso überzeugenden Weise und mit gleicher Entscheidungskraft, wie sie in anorganischer
Natiir ilie kräftigsten Reactionen zu gewähren vermögen.
Im Gegensatz zu der .\nsicht, dass neue Arten oder Varietäten allein durch den Einfluss
.lusserer Momente, des Klimas und des Bodens entstehen, bemerkt Nägeli .der die Pflanzeu-
formeu meistens gesellschaftlich entstehen lässt): „Die Bildung der mehr oder weniger constan-
te)i Varietäten und Rassen ist nicht die Folge und der Ausdruck der äussern Agentien, sondern
wird durch innere Ursachen bedingt", und neben Darwins auf physiologischen Vorrichtungen
gegründeten Nützlichkeitstheorien (im Kampfe ums Dasein) wird dann aus morphologischen
19 ♦
27ß Miscellen und ßücherschau.
Gliederungen auch die Vervollkommnung geltend gemacht, indem ,die individuellen Verände-
rungen nicht unbestimmt, nicht nach allen Seiten hin gleichmässig, sondern vorzugsweise und
mit bestimmter Orientirung nach oben hin, nach einer zusammengesetzten Organisation zielen",
sowie auch (nach Askenasy) die Abänderungen der Organismen bei der Bildung neuer Varie-
täten und Arten, da sie als stets in einer mehr oder weniger scharfbestimmten Richtung erfolgend,
olt nur morphologischer Natur sind, nicht der natürlichen Zuchtwahl, weil physiologisch indifferent,
unterliegen können, obwohl dagegen wieder (trotz Darwin's späterem Zugeständniss) sich ein Ein-
wand erhebt, denn „was die heutige Naturgeschichte nur als reine morphologische Merkmale
dieser oder jener Art bezeichnet, kann morgen als von hoher physiologischer Bedeutung erkannt
werden". Nach Kerner ,der den Einfluss des Bodens und des Klimas auf die Artenbildung als
direct zu beweisen gesucht hatte) werden besonders die Grenzen der Verbreitungsbezirke zu
Bildungsheerden neuer Arten (bei den Pflanzen).
Bei der Abhängigkeit des Organismus von der geographischen Umgebung handelt es sich
nicht (wie nirgends in inductiver Naturwissenschaft, die, als innerhalb des Kreislaufes stehend,
des von Archimedes schon ausserhalb verlangten Fusspunctes noch ermangelt) um absolute
Schöpfung, sondern um ein relatives Bestehen unter den Proportionen gesetzlicher Wechsel-
wirkung. Der Typus ist vorhanden, ideal, wenn man will, wie in anorganischer Natur das
Element sinnlich fassbar, und wie sich dieses je nach den Agentieu chemischer Art in bunter
Vielfachheit der Salzverbindungen verwirklicht, so der organische Typus unter klimatischen
Agentien in einer Mannigfaltigkeit der diesen entsprechenden Formen. In der Chemie schon
haben wir ein halb ideelles Element oder Radical im Ammoniak, das nur unter einem bei
jetziger Erdconstitution nicht vorhandenen Atmosphärendruck in flüssigem Zustande der Schwere
unterworfen bleibt, sonst aber auch stets als vorhanden zu setzen ist, wenn Stickstoff und
Wasserstoff in dem geforderten Mischungsgewicht und physikalischen Bedingungen zusammen-
treten. In gleicher Weise besteht ein festes Gesetz des Gleichgewichtes zwischen dem geogra-
phischen Typus mit seinem Milieu, und da sich auf dem Areal dieses eine Menge localer Modi-
ficationen finden mögen, mag auch der Typus in einer Fülle von Wechselgestalten erscheinen,
die sich je nach systematischer Anordnung als Varietäten, als Unterarten oder Arten auffassen
lassen. Dass es sich dabei nur um die gleichgültigen, „für die grosse Erscheinung der fort-
schreitenden Entwickelung indifferenten Arten handelt" (wie 0. Schmidt will), wäre freilich be-
denklich zuzugeben, da eben die Detailuntersuchungen prüfende Controlle für Generalisationen
abzugeben haben, aber Darwin's Princip der Zuchtwahl liefert hier in der Arbeitstheilung manch
erhellenden Einblick, wenn man es in der Peripherieweite des Typus verwendet, und nicht zur
Zerstörung dieses. Wie in den Insectenstaaten oder menschhcher Gesellschaft mögen eine Menge
Schattirungen gleicher Grundideen neben und unter einander bestehen, und gerade bei den
Pflanzen werden sich hierfür manche Aufschlüsse aus dem Boden (den, wie bei wechselnder
Feldwirthschaft, eine Varietät geradezu für die andere präpariren mag), aus seinen Elevations-
differenzen, Exposition an meteorologische Prozessen u. s. w. entnehmen lassen, wobei zugleich
die Grenzen der Verbreitungsbezirke besonders instructive Beobachtungsareale abgeben müssen.
Dass im Uebrigen eine Spaltung in morphologische und physiologische Eigenthümlichkeiten un-
zulässig ist, ergiebt sich aus der Natur des Organismus, da ein morphologisches Merkmal stets
direct oder doch indirect auf seine physiologische Wurzel zurückgeben muss, und ohne solche
eine ursachlose Wirkung darstellen würde, also ein Wunder, wenn dieser Ausdruck nicht von
vornherein in der Inductionswissenschaft ausgemerzt wäre. Dass den äussern Einflüssen aus-
gesetzte Organismen dann aus inneren Ursachen variiren, ergiebt sich aus der auf eigener Reaction
beruhenden Natur des Organismus von selbst, und die Nützlichkeit oder doch Angemessenheit
der Abänderungen wird sich dann, bei richtigem Verständniss des hier geltenden Prinzipes,
in Einzelfällen mehr oder weniger deutlich nachweisen lassen, wogegen eine nach den Zielen der
Vervollkommnung eingeschlagene Richtung um die Klippe einer Qualitas occulta nur dann
frei steuern könnte, wenn sich mit naturwissenschaftlicher Durchbildung der Psychologie das
Räthsel des Woher und Wohin zn erhellen beginnen sollte.
Die Verirrungen, wodurch lierauschte Enthusiasten Darwin"s gesunde Reform in Miscredit
gebracht haben, folgen besonders aus ihrer Nichtachtung und Nichtkenntniss der Physiologie,
und diess tritt am eclatantesten hervor, wenn mau in ihren Schriften auf die Correlation des
Wachsthujns stösst, die nur da, wo sie auch dem Blödesten erkennbar sein muss, nämlich bei
Miscellen und Bücherschau. 277
den homologen Organen eine kurze Betrachtung zu finden pflegt. So sagt Dodel: Ehe wir an
die Betrachtung speciciler Beispiele von Anhiiufungen iiHlividueller oder neu erworbener Merk-
male i'ibergehen, haben wir noch einer eigenthümlichcn Erscheinung zu erwähnen, die auf
den ersten Blick etwas wunderbar erscheinen mag, aber doch nur auf ganz natürlichen Prozes-
sen beruht", und diese ,eigenthümliche-' Erscheinung, die sogar halb „wunderbar" erscheint, ist
nun eben das gewissermaassen elementarste Grundgesetz der Physiologie, ohne welches sie in
ihrer heutigen Fassung überhaupt nicht gelesen werden kann, so dass es selbst einem Laien kaum
einfallen sollte, hier noch im Besonderen die Nothwendigkeit des Hinweises zu fühlen, wie diese
Erscheinung „nur auf ganz natiirlichen Prozessen beruht". Wenn sich irgend etwas für die
Phy-siologen aus .loh. Müller's Schule von selbst verstehen muss, so ist es doch eben diese auf
der virtuellen Einheit des Organismus beruhende Correlation des Wachsthuras und gerade sie
ist es auch, die kategorisch verbietet, dass .Anhäufungen individueller oder neu erworbener
Merkmale" jemals eine genealogische Bedeutung gewinnen könnten. Wer das nicht als noth-
wendiges Postulat instinctmässig versteht, wird besser thun, vorher wieder einen Cursus über
Physiologie zu hören, ehe er seine Zeit noch weiter mit dem Zeichnen von Stammbäumen ver-
trödelt.
Die Art in ihrer Variationsweite (die Art, erweitert bis zu der Peripherie ihrer Vanations-
raöglichkeiten) ist in der organischen Natur als Typus aufzufassen von ebenso fester Constanz,
wie in der anorganischen für den jetzigen Standpunct der Forschungen das Element (wobei
dann, wie in der Chemie vielfach scheinbare Elemente später diesen Character verloren, auch
weder Botanik noch Zoologie im Gange der Untersuchungen hinsichtlich der Definirung der Art
an ein bisheriges System gebunden bleibt). Wie Darwin bemerkt, gleicht kein Gezeugtes genau
dem Zeugenden, sondern weist Abänderungen auf, die im Kampf' ums Dasein erblichen Bestand
erlangen können, aber es hiesse die Sache auf den Kopf stellen (wie dieses so häufig^ bei einer
aus gegenseitigen Gleichungen abzuleitenden Schematisirung ungeübten Rechnern passirt), wenn
man "diese Abänderungen bis zum Ueberführen verschiedener Typen in einander steigern wollte,
da die Weite der beobachteten Abänderungen eben erst den Typus selbst bestimmen würde, indem
eine durch Accumulation bis zur Totalreform des Gesammtorganismus potenzirte Steigerung
partiell localer Abänderungen nach physiologischen Gesetzen zur Selbstvernichtung des Typus
führen müsste, und also eine später in die Erscheinung tretende Sequenz mit ihren Wur-
zeln über die Wechselverhältnisse der Induction hinausliegen müsste, demgemäss aus einer Region
auftauchen, die erst nach naturwissenschaftlicher Durchbildung der Psychologie allmählig zu-
gänglich werden kann.
Dass Transmutationen stattfinden, liegt zu Tage, und es ist Darwin's Verdienst, dieselben
in ihrer Bedeutung und vollen Tragweite nachgewiesen zu haben, dieselben verlaufen indess
stets nur innerhalb des organischen Typus, der als solcher ebenso unverrückbar gelten muss,
wie in anorganischer Natur das chemische Element Wie die einzelnen derselben bald eine
grössere, bald eine geringere Zahl von Salzverbindungen bilden, so schwingen auch die Species
bald in einer weiteren, bald in einer engeren Peripherie ihre Varietäten, wie es durch die
äusseren Verhältnisse makrokosmischer Umgebung in der geographischen Provinz bedingt wird.
Die Auffassung ist hier schwieriger als in der Chemie, wo das analysirbare Element objectiv
vor Augen liegt, indem der Typus nur in der Gedankenoperation analysirbar ist, und deshalb
beständig als unbekannte Grösse, oder als das erst zu lösende X, in den Gleichungen der For-
meln mitgeführt wenden muss. Dem Ungeübten muss dies ebenso unmöglich sein, wie dem nur
mit Geometrie und Arithmetik Vertrauten, die Aufgaben höherer Analysis richtig zu lösen, und
so folgt beständige Substituirung von Werthen, die als hypothetisch gelten könnten, aber da
sie, wenn fest genommen, falsch sein müssen, auch die Resultate der Descendenztheorie fälschen.
In der anorganischen Natiu" ergiebt sich das Element als materiell dauernd, und in der
organischen kommen wir in unserer (iedankenoperation auf den Begriff des Typus, der sich
unter der Construction des Organismus bei den physiologischen Kenntnissen der Gegenwart
als unzersetzbar erweisen muss, und der sich mit dem System, aus dem er hervorgegangen, so
eng verwoben erweist, dass die Ersetzung des natürlichen Systems durch ein genealogisches
nur bei völliger Revolution aller bis soweit gültiger Naturanschauungen möglich wäre.
Dass die Physiologie hier als Gesetzgeberin zu betrachten bleibt, ergiebt sich als eine
Petitio principii, und da die Descendenztheorie unter ihrer jetzigen Form undenkbar bleibt,
278 Miscelleii uud Bücherschau.
müsste sie erst die Urüntie zu totaler Reform (iarlejren. Es wäre Liebhabereien oder, je nach
der Absicht, dein Gesichtspuiicte derZweckmässiijkeit zu überlassen, wenn man die Maschinenlehre
nach Zahl der Oylinder oder Sicherheitswalzen eintheilen wollte, wenn sie jedoch nur durch
äussere Zufügiiufj eines Cy linders oder einer Valve eine Maschine in die andere umwandeln zu
können meinte, so würde die Mechanik ihr quod uon sprechen, weil es einer Umgestaltung von
Innen heraus bedürfte. Und in gleicher Abhängigkeit verbleibt der Natur der Sache nach die
organische Morphologie von der Physiologie.
Der Typus mag innerhalb seiner Sphäre variiren, um all den Modificationen der wandeln-
den Umgebungswclt zu entsprechen. Uebergang eines Typus in einen andern liesse sich aber
nur unter zwei Bedingungen annehmen, einmal bei einem im individuellen Sein liegender Eut-
wickeluugstrieb oder bei geschlechtlicher Differenzirung durch Kreuzung
Der Entwickelungstrieb würde als qualitas occulta wieder einen jener Popanzen einführen,
welche die Naturwissenschaft seit ihrer fruchtbringenden Reform zu eliminiren gesucht hat,
und die Hypothese selbst würde erst dann einen Schein der Berechtigung besitzen (wie die des
Aethers in der Physik), wenn alle Thatsachen, besonders in den paläontologischeu Schlüssen
auf ihre vorläufige Statuirung führten und so, wenigstens zur Erleichterung der Rechnungen,
ihre conditionelle Annahme wünschenswerth machten, während gerade der Fortgang paläontolo-
gischer Detailstudien gezeigt hat, dass die strenge und scharfe Stufenleiter, welche man eine
Zeitlang vermuthen zu dürfen glaubte, keineswegs existirt, und so lange wenigstens jedenfalls
die Zuthat einer partheiisch entscheidenden Hypothese schon den objectiven Thatbestand fäl-
schen würde, ehe noch feststeht, ob derselbe überhaupt die Aushülfe einer Hypothese erlaubt.
Zugleich erscheint solche Hypothese völlig nutzlos, da sie uns weder das Warum der Entwicke-
lung erklärt, noch im Woher oder Wohin über enge Grenzen hinauszugehen vermag, also das
Absolute in demselben Dunkel lässt, wie vorher, und der richtigen Valuirung relativer Propor-
tionsverhältnisse von vornherein nur schadet. Zulässig kann die Entwickelung nur für die
einfachsten Organismen sein, wo jeder einzeln einfallende Reiz oder doch eine beschränkte Zahl
von Reizen bereits während der Dauer der individuellen Existenz genügen kann, das Ganze,
also die virtuelle Einheit des Organismus selbst, umzugestalten, so dass sie sich dann erblich er-
halten wird, und bei niederem Thierwesen, deren Constitution sich mehr oder weniger auf die
primäre Zelle beschränkt, können dabei die causae efficientes in veränderter Umgebung, bei
Versetzung unter dieselben, gedacht werden. Dabei wäre dann aber nur die Peripherie des
Typus im System weiter zu ziehen, damit solche Variationen darin eingeschlossen bleiben.
Bei höher potenzirten Individuen dagegen bleibt die Unmöglichkeit bestehen, dass partiell be-
ginnende Aenderungen das Centrura selbst bereits mit correlativ umgestaltetem Wachsthum in
alleu Theilen gleichmässig durchdringe, und wenn sie also nicht pathologische Degenerationen
herbeiführen, die durch revolutionäre Wucherung eines Theüs den Bestand des Ganzen unter-
graben, müssen sie bei der Fortpflanzung wieder nothwendig in der eintretenden Umschmelzuug
verklingen, ohne eine Transmutation erblich zur Geltung zu bringen, da selbst ein im einzelnen
Gliede des Ganzen hereditäre Monstruosität im Grossen und Ganzen nach der Wahrscheinlich-
keitsahnung viel mehr Möglichkeiten des Verschwindens haben würde, als dass sie nun für
Generationen hinaus immer in gleicher Richtung steigernd fortgeführt würde, zumal sich da-
durch auch nur das Missverhältniss zum Ganzen, und somit der feindliche Angriif auf diese,
steigern würde.
Bei geschlechtlicher Kreuzung geht man besser von deutlichst anschaubaren Verhältnissen
aus, wie für die Racen geltend innerhalb des Menschengeschlechtes, das wegen ihrer den Varie-
täten zukommenden Fruchtbarkeit miteinander, nicht für ein Genus, sondern eine Species erklärt
ist. Nahestehende Racen können sich durch Wahlverwandtschaft in der Kreuzung veredeln,
wie unsere Culturvölker zeigen, aber die Entfernung zwischen den höchsten und niedrigsten
Menschenstämmen ist bereits eine so bedeutende, dass, wie bis jetzt alle Beispiele beweisen,
die Lebensfähigkeit kaum für eiiuge Generationen gewahrt wird, da zunehmende Schwächung (wie
ebenso bei den durch künstliche Züchtung veränderten Hausthieren) das Aussterben herbeiführt.
«Jbwohl nun gesagt ist, dass manche Affen dem Menschen näher stehen, als andere ihrer Ver-
wandten, wird doch kaum behauptet werden, dass die niedersten Menschenstämme den höchsten
fremdartiger gegenüberstünden, als einigen des Affengeschlechts, dass also die Differenz zwischen
niedersten Menschen und höchsten nach Oben hin geringer sei, als nach Unten hin zwischen
Miscellen und Bücherschau. 279
niedersten Menschen und höchsten Afl'en. Ist dies jedoch der Fall, so bleibt damit von vorn-
herein eine dauernd lebensfähig^e Kreuzung zwischen Menschen und Allen sogleich ausgeschlos-
sen, da sie bereits für die Differenz zwischen niedersten und höchsten Menschen auf ein Minimum
rediicirt ist. Ob weitere Auffindungen von Mittelgliedern zu erwarten sind oder nicht, bleibt dahin
gestellt, jedenfalls wäre es die Höhe der Willkür, bereits eine Hypothese zu formuliren, ehe auch
nur die mindesten Stützen thatsächlicher Darlegung gewonnen sind, um sie a.i sich zu basiren.
Ausserdem würde, wieviel Mittelglieder sich auch zwischen die vorläufigen, und nach früherer
lleberschau des Thatbestaiides gesteckten Marken des Systems aus späteren Entdeckungen oder
Untersuchungen zwischenschieben Hessen, damit nie ein fiiessender Uel)ergang die in typischen
Accumulationen gesetzlich geschlungenen Knotenpuncte der Existenzmöglichkeiten verwischen, da
schon in der nnorganischen Natur die Salze nicht in allen theoretisch zählbaren Bruchtheilen,
sondern nur unter bestimmten Proportionsverhältnissen hervortreten, und in der organischen
Natur, wo sinnliche Anschauungen fehlen, gerade deshalb eben in unseren Denkoperationen
das Hand des gesetzlich Typischen um so heiliger und unantastbarer sein muss
Man hat gemeint, dass, wenn sich Zwischenglieder finden sollten, die von den Affen der
eocönen Zeit zum Menschen führten, die Frage von der Abstammung entschieden sein würde.
So sehr sich aber dadurch auch unsere Anschauungen erweitern und zum Theil verändern
würden, so wenig können solche oder irgend sonst vereinzelte Entdeckungen einer in natur-
wissenschaftlicher Logik unrichtigen Bezeichnung reale Berechtigung geben, welche die Funda-
mente unserer jetzigen Naturwissenschaft zerstören und ihren gänzlichen Umbau verlangen würde.
Es können Mittelformen gefunden werden, aber wenn sich dieselben zwischen den jedes-
maligen Extremen der bisherigen Typen einschieben, bilden sie hier ebenso wenig üebergangs-
formen, wie sie die Chemie für ihre Elementarstoffe statuiren darf. Als das Tantal, Niobicum,
Pelopiura entdeckt wurde, sah sich die Chemie genöthigt, sie als Elemente zu proclamiren und
die Zahl derselben zu vermehren, um nicht durch Speculationen über l'ebergänge zwischen
Eisen und Mangan in alchymistische Abirrungen zurückzufallen Ist der Typus an der äusser-
sten Sphäre seiner Variationsweite angelangt, hört mit der zunehmenden Abschwächung die
fernere Bildungsmöglichkeit auf, und das Umschlagen eines Typus in einen anderen bleibt des-
halb von selbst ausgeschlossen.
Arnold: Islam, its history, charakter and relation to Christiauity, III. editiou.
London 1874.
The mystery of Holy Trinity is beyond comprehension and above definition and cannot
either l)e established or disproved ex ratione naturali. It is against the laws of thought, thaf
a part should be cqual to the whole and the whole eqnal to the pari. It is secondly against
the law of causality, that generatio, however conceived, should take place beyond the limits of
time It is, thirdly, against the idea of absolute perfection, since the chnracter-hypostaticu.s
of the old divines is either something accidental and therefore imperfect or something essential,
and therefore perfect, which perfection however would be lacking to the Son and the Holy
Spirit. The dogma is altogether one of the postuiata of Christiauity , which claims to be far
above all human understanding, and which is calmly and fearlessly advanced with its apparent-
ly inrecoucliable Unity in Trinity and Trinity in Unity. It would have been better for the
interests of trutli, if Christian' apologists had never attempted to make the mystery acceptable
to Mohommedans by illustrations and comparisons, which, moreover, have not always been thu
happiest or most elevated. The Scriptures simply reveal the fact and demand simple and child
like faith (für den Liebhaber).
Liger: Fosses d'aisances. Paris 1875.
C'est cette maniere d'excreter assis sur un siege, que les auteurs comiques appellent coxim
cacare, mots qui rendent l'idee d'excreter sur Tos. Toutefois ce netait pas la plus ordinaire.
les Romains, comme les Orientaux, avaient pour habitude de s'accroupir pour se mettre ä laise,
wie es (bei Vermeidung der Heiuitzung eines von Andern gebrauchten Sitzes) nicht nur rein-
licher, sondern der Natur der Hauchpresse angemessener ist (also ninnclion Krankheiten vor-
beugen könnte).
280 Miscellen und Bücherschau.
Menant: Les Achemenides et les inscriptions de la Perse. Paris 1872.
Toutes les inscriptions donnent ou empruntent uue certaine importance aux lieux, oü elles
sont gravees, aussi il m'a paru de quelque utilite de ne pas separer les textes des monumeuts
sur lesquels nous les avons reeueillis.
Worsaae: La colonisation de la Russie et du Nord Scandinave (traduit
par Beauvois), Copenhague 1875.
On ne conuait qu'uu exemple certaia d'un uiouvement de population parti de TAsie septen-
trionale et arrive an nord par Test, c'est la migratiou des peuples tinnois et lapons, qui tra-
verserent la Russie septentriouale et la Finnlande pour se rendre au nord de la Suede et en
Norvege.
Gerland: Anthropologische Beiträge. Halle 1874.
Dieses mit dem gewohnten Fleiss des Verfassers, des geschätzten Fortsetzers der von Waitz
begonnenen Anthropologie der Naturvölker, gearbeitete Buch giebt in der zweiten Abtheilung
(Betrachtung über die Entwicklungs- und Urgeschichte der Menschheit) im dritten Capitel (Ein-
heit und Vielheit der Menschen) eine die quellenmässigen Thatsachen sichtende Abhandlung über
,das Haar als ethnologisches Eintheilungsprincip."
Maurel: Die Ablässe, ihr Wesen und ihr Gebrauch, übersetzt von
Schneider. Paderborn 1874.
Ob und wie die Ablässe den armen Seelen im Fegefeuer zugewendet werden können auf
S. 47.
Hankel, H.: Zur Geschichte der Mathematik im Alterthum und Mittel-
alter. Leipzig 1874.
Ein durch den Vater des allzu früh Verstorbenen aus dessen Nachlass herausgegebenes
Werk, dessen Vollendung als eine Geschichte der Matliematik, jetzt leider abgeschnitten ist, eben-
so wie die für Fachgenossen berechnete Darstellung, welche späterhin beabsichtigt war.
Cooke: Fungi, their nature, iufluence and uses (edited by Berkeley).
London 1875.
Instead of insinuating that there are no good species, modern investigation tends rather
to the establishnient of good species, and the elimiiiatiun < \ those that are spurious. It is
chietly amongst the microscopic species, that polymorphism has been determined. In the larger
und fleshy fungi nothing has been discovered, which can shnke our faith in the species de-
scribed half-a-century, or more, ago.
Escudier: Les Saltimbanques. Paris 1875.
Chapitrelll: Commeut Ton fabrique les monstres etc.
Guillemin: Les Cometes. Paris 1875.
Les natural istes ont aujourd'hui toutes raisons de croire que les transformations revelees
par les etudes paleontologi(|ues ont ete produites, aux divers äges de la terre, par des modi-
fications correspondentes, lentes ou brusques peu Importe, dans l'etat physique de l'atmosphere
et du sol. Cependant pour expliijuer ces changeinents, ils n'ont pas besoin de supposer aux
modifications, dont il s'agit, uue etendue ä beaucoup prcs comparable :i celle, (jue donnerait :\
la terre sa transformation en .satellite de comi-te, accompagnee il'un ecart de temperature ou de
chaleur revue, passant de 28000 fois la chaieur iictueilt; ä unc quuntite 19000 fois moindre.
Die lettischen Soniienmytlien.
(Schluss.)
In einer anderen Märchenfamilie, derjenigen vom Tischchen deck' dich,
spielt ein goldspeiender Bock eine Rolle. [Bock mach Gold. Asbjörnsen
Norske Folkeeventyr n. 7. Tredie Udg. p. 3L Schäfchen schüttel' dich,
Schleicher Lit. Märch. S, 106. Lämmchen, Lämmchen lege Gold. Stier ungar.
Märch. S. 79. Widder, der aus dem Fliess Dukaten schüttelt. Woycicki poln.
Volkss. übers, v. Lewestam. S. 108 ff.J Auch dieser Bock wird nach dem
Vorstehenden in Verbindung mit den o. S. 230 vorgetragenen Thatsachen auf
die Sonne oder die rothe Morgenwolke zu deuten sein.
Wir gewinnen durch diese Analogien eine Brücke, welche uns hinüber-
führt zum Verständniss des griechischen Mythus vom Fliesse des gol-
denen Widders, das in Aia am Eichbaum aufgehäugt ist und von
Jason und den Argonauten zurückgeholt wird. Ueber diese Sage hat zuletzt
A. Kuhn') in anregender Weise, doch ein wenig verschieden von der nach-
stehend zu begründenden ihren eigenen Weg gehenden Auffassung gehandelt.
Die Argofahrt enthüllt sich immer mehr ihrem Kerne nach als der Rest eines
alten Sonnenmythus, der sclion vor Homer in epische Erzählung überging,
aber noch in den Nachdichtungen dritter, vierter Hand, aus denen allein wir
seine Details kennen, viele echte Züge der ursprünglichen Naturdichtung be-
wahrte. Als einen solchen Zug hat z. B. E. B. Tylor (die Anfänge der Cultur
I S. 342 ff.) die Fahrt der Argo durch die Symplegaden (Od. XII 70 ff.)
nachgewiesen. Nach dem Glauben mancher wilden Völker steigt die Sonne
Abends beim Untergange im Westen zwischen zwei massiven Felsschichten
hinab, die sich beständig öffnen und schliessen. Die Argo selbst vergleicht
sich dem Boote, auf welchem Helios, wie die Sonne im lettischen Liede,
die nächtliche Fahrt durch den Himmelsocean von Westen nach Osten macht.
Nach der Od. XII 70 gelaugt die Argo zu den Flankten naQ Ah^rcio :T?.iovoa^
*) üeber Eutwickelungsstufen der Mytheubildung. Berlin 1874 S. 138 — 151.
Zeitschrift für Etbuologie, Jabrgaug 1875. 20
282 W. Mannhardt:
auf der Rückfahrt vom Aietes, dem Herrscher (d. h. Eponymos, Personification)
von Aia und Bruder der Kirke, (d.h. Kreis, Scheibe). In Aia ruht, wie
Mimnermos sagte (bei Strabo I 2), des schnellen Helios Strahlenkrone (^axclveg)
[während der Nacht] am Ufer des Okeanos in goldener Schatzkammer
(^a?Munc). Man vgl. die verbotene Kammer unserer Märchen o. S. 223
Die spätere Dichtung unterschied ein westliches Aia, wo Kirke wohnt, und ein
östliches, den Sitz des Aietes und das Ziel der Argofahrt. Die Odyssee aber
kennt nur die Aia im Westen d.h. am Orte des Sonnenuntergangs; dort ist
zugleich der Tanzplatz der Eos und die Stelle, von wo Helios bei seinem
Aufgange am Morgen aufbricht, wo er mithin die Nacht ruht, ehe er von
Westen nach Osten zieht, um dort seinen Tageslauf zu beginnen. Aietes
und Kirke sind die Kinder des Helios und der Perse (Od. X. 136) oder
Perseis (Hes. theog. 956). Somit ist Kirke (vgl. lat. circus, circulus, gr.
xiQy.og ahd. bring Ring) gleich der Mondgöttin Hekate eine Perseis ; es liegt
also nahe in ihr die Scheibe der untergehenden Sonne oder auch des Mondes
und in der Verwandlung der Gestalten, welche ihr Zauberstab hervorbringt,
die alle Gestalten und Formen gespenstisch verändernde Wirkung der abend-
lichen Dämmerschatten oder des fahlen Mondlichtes zu erkennen. In die
Odysseussage ist die Gestalt der Kirke nach Kirchhoffs Untersuchungen erst
spät, und zwar im Anfange des siebenten Jahrhunderts, hineingekommen,
indem ein Rhapsode, der die Geschichte des Odysseus sang, die Neigung
verspürte, der den Helden wider Willen zurückhaltenden Nymphe Kalypso
noch eine zweite ähnliche Sagengestalt mit gleicher Function an die Seite zu
stellen, oder erstere durch letztere zu ersetzen. Das Material dazu, die Person
der Kirke selbst, ihre phantastische Umgebung und die Flankten entlehnte
er einer der damals gangbaren Versionen der Argonautensage, wohl nicht
ohne die mythischen Elemente der Sage in einige Verwirrung zu bringen ;
alles was Kirke in Bezug auf Odysseus und dieser bei ihr thut, ist freie
Erfindung des Dichters. i) Es wird danach klar, einerseits weshalb die Flankten
in der Nähe von Aia liegen, andererseits dass es schon ein leicht verzeih-
liches Missverständniss der ursprünglichen Ueberlieferung war, die Argo auf
dem Rückwege von Aia, statt auf der Reise dorthin die Flankten passiren
zu lassen. Ucbrigens muss es noch in jener Zeit, als die Naturbedeutung
des Argonautenmythus noch verständlich war, Versionen desselben gegeben
haben, welche das östliche Aia kannten, denn Idyia (die Sehende), die
Gemahlin des Aietes, ist deutlich eine Personification des Morgenlichtes.
Wie dem auch sei, offenbar haben wir es hier überall mit der mythologischen
Ausgestaltung der Vorgänge des Sonnenuntergangs und Sonnenaufgangs zu
thun. Mit der Sonneninsel Aia vergleicht sich daher die Insel,
welche nach unserem Liede 56 der Gottessohn bei der Freiwer-
') Ygl. Kirrliliofl; (iio ('oiii])ositioii der Odyssee. 1869. S. 84 ft'. 129. Vgl. MüUenhoff
D. Alterthumsliuiide I 31. Steiiuliiil Zn f. Vülkerpsycbol. VII. 44.
Die lettischen Sonnenmythen. 283
bung um die Sonnentochter aufwirft. Auf Aia nun war, von
einem Drachen bewacht, an einem Eichbaum das goldene
Fliess des Widders aufgehängt, welcher die Kinder der Nephele
Helle und Phrixos über das Meer getragen hatte, Helle aber hatte in dasselbe
hinabgleiten lassen. Helle ist etym. = -FeAja = skr. SuryPi d.i. Sonnengöttin;
der goldene Widder, auf dem sie reitet, wird nach unseren vorstehenden Aus-
einandersetzungen die Sonne mit ihren Strahlen sein. Ihr Bruder Phrixos
mag das Tageslicht und eben diese Strahlen in einer selbständigen, neuen
Personification bedeuten. Denn (pQi^og anscheinend eine andere Form von
(fQiy.-xiog ist doch schwerlich zu trennen von qQioac'j emporstarren, (pQi^ös
emporstarrend, aufrecht stehend, einem Stamm, welcher vorzugsweise vom
Aufrechtstehen, Emporsträuben der Haare gebraucht wird. Haare aber sind
bekanntlich ein sehr gewöhnliches Apotypom der Sonnenstrahlen [vgl. o. S. 236
die „Meerprinzessin mit dem goldenen Zopf"]. Hat diese Deutung Grund,
80 ist einerseits erklärlich, dass Helle ins Meer sinkt und ertrinkt, wie die
lettische Sonnentochter im Liede n. 34. 39, andererseits aber auch ebenso klar,
weshalb Phrixos nach ihrem Untergang noch eine Strecke M^eiter bis Aia
gelangt. Das Goldfliess steht mithin der wollenen Decke, dem rothen
Rock u. s. w. in unseren Liedern s. o. S. 216 S. 219 unverkennbar gleich.
Phrixos hängt es in Aia an dem vom Drachen bewachten Ei chbaum auf.
Diesen Eichbaum kennen wir aus unsern Sonnenliedern.
Es ist derselbe Eichbaura am See, hinter dem Berge, an
dem nach 55 der Gottessohn seinen Gürtel, die Sonnen-
tochter ihre Krone aufhängt, um sie am Morgen wieder in Empfaug
zu nehmen^) (s. o. S. 233.) Was die Bewachung des Baumes durch den
Drachen betrifft, so vergleicht sich ihm am treffendsten die Schlange Apep
(Apopis), welche nach Mittag dem Horus, der Sonne, nachstellt d. i. die
Dunkelheit, bei den Aegyptern.
Ich festige diese Auseinandersetzung durch noch eine andere Erwägung.
Nach Hesiod Th. 375 ist der Titane Krios (Widder) der Vater des Sternen-
manns (Astraios), der mit Eos den Morgenstern und die Winde zeugt, und
des Perses, der von Asterie (Sternenhimmel) der Tochter des Koios und
der Phoibe, den Mond, die Hekate erhält (Hes. theog. 405 ff.) Dieser Titane
Perses, der aus der Vermählung mit dem Sternenhimmel den Mond, die
Hekate, hervorbringt, ist doch mythologisch untrennbar von der aus dem
') Kuhn (Entwickelungsstufen der Myth.) deutet geistvoll noch andere Züge der Argo-
nautensage als Sonnenmythologie. Ich füge einige Ergänzungen seiner Ausführungen aus un-
sern Liedern hinzu. Jason befreit am Morgen das goldene Fell aus der Gewalt des Drachen,
ihm hilft dabei Medea, die Tochter der Idyia, der Sehenden, man kann wieder die
Gegenstände unterscheiden. Er pflügt zuvor mit erzhufigen Stieren, rothen Morgen-
wolken (vgl. das Eggen der Seidenberge n. 6G, die Stiere n. 68.) Er sät die Drachenzähne
vgl. das Säen der Sonne u. 26. Es entstehen daraus Speertriiger s. unten S. 300. Er vernichtet
dieselben durch den Wurf eiues Steines. Vgl. u. S. 287.
20*
284 W. Mannhardt:
Ocean aufgestiegenen Heliosbraut Ferse (Od. X 139) oder Perseis (Hes. theog.
956) der Mutter der Kirke und des Aietes. Mit Beiden endlich hängt Per-
seus, der Lichtheros, den die im finsteren Thurm (der Nacht) eingeschlossene
Danae durch den goldenen Regen (Samen erguss vgl. o. S. 100 das Säen
der So nne) d. h., wie Preller ganz richtig sah, den sich ergiessenden Licht-
schimmer des Morgens empfing, unverkennbar zusammen. Wenn wir Sonne
(Zs. f. vgl. Sprachf. X 104) in Ausetzung der Wurzel parsh (spargere) für
7ia()orj folgen dürfen, so gelangen wir für Perses und Perse etwa auf den
Begrifi" der Dämmerung, die als Abenddämmerung dem Sternenhimmel die
Hand reicht und den Mond heraufiührt, als Morgendämmerung die Mächte
der Nacht überwindet, ihnen (den Graien) das eine, das Sonnenauge, entreisst,
und den ersten schwertartig hervorschiessenden Strahl (Chrysaor) aus ihrem
(der Gorgo) Rumpfe hervorlockt. In demselben Sinne, wie Phoibe die Mutter
der Asterie hiess, konnte nun auch Krios, die Sonne, als Vater des Astraios
und Perses (der Dämmerung) genannt werden.
Krios bietet auf diese Weise eine nicht geringe Unterstützung der Deu-
tung des goldenen Phrixoswidders auf eine himmlische Lichterscheinung,
und der Eiche, an welcher dessen Fell hängt, auf den Nacht-
sonnenbaum.
Noch auf eines will ich aufmerksam machen. Helle und ihr Bruder
Phrixos vergleichen sich in vieler Beziehung den Geschwisterpaaren Pulja
und Asterinos o. S. 237 und Goldbruder und Goldschwester o. S. 237
Pulja wird in den Brunnen gestürzt, wie Helle ins Meer sinkt, der Bruder
Asterinos (Morgenstern) verwandelt sich in einen goldenen Widder, der
nachher zum Baume mit goldenem Apfel wird. Eine bestimmtere Durchfüh-
rung dieser Parallelen wäre noch verfrüht. Soviel jedoch dürfte auch aus die-
ser Beobachtung wahrscheinlich werden, dass das goldene Schaf in den o.
S. 236 fi". besprochenen Märchen, ebensogut wie der Apis in der ägyptischen
Yersiou als die Sonne (Sonnenstrahlen), mithin doch wohl der Baum, in den
es sich wandelt, als der Sonnenbaum gedeutet werden dürfe.
rj) Goldmaid unter der Baumrinde.
Wäre es richtig, dass zu irgend einer Zeit einmal die Sonne als eine in
einem Baume (Souuenbaum ?, Nachtsonnenbaum?) immanente Frau gedacht
wurde, so könnte füglich ein Naclihall dieser Anschauung sich in dem Märchen
„das Lorbeerkind bei Hahn u. 21 erhalten haben. Einem alten Ehepaare
wird statt eines Kindes ein Lorbeerkern geboren, aus dem ein goldener
Lorbeerbaum in die Höhe wächst, dessen Gezweige wie die Sonne
glänzt. Einst schlägt ein Königssohn bei diesem sein Gezelt auf, da öffnet
sich die Rinde und ein wunderschönes Mädchen kommt zum Vorschein.
Mit ihm verlobt sich der Prinz, vergibst und verlässt sie dann aber und will
eine andern heirathen, aber am Hochzeitstage erscheint das Lorbeerkind
mit goldenem Kleide angethan, leuchtet wie die Sonne und ver-
Die lettischen Sonnenmythen. 285
breitet solchen Glanz, dass alle Welt geblendet wird. Der Prinz
erkennt sie, verabschiedet die andere Braut, und feiert mit ihr die Vermählung.
Die Vertauschung der wahren Braut durch eine falsche ist bekannter mythischer
Ausdruck für Nacht und Winter; das goldene Lorbeerkind scheint also am
Morgen endgiltig aus dem Baum hervorzukommen und Hochzeit zu feiern.
Einen ähnlichen Gedankeninhalt dürfte dann das serbische Lied (Vuk I 505
Talvj Volksl. d. Serben 2. Aufl. Lpzg. 1853 II S. 55) haben.
Fleht zu Gott ein junger Knabe: Gab das silberne Geweih iinn,
„Gieb, 0 Gott, mir goldne Hörn er, Und er spaltete die Kiefer,
Gieb mir silbernes Geweihe, Sass ein junges Mädchen drinnen,
Dass ich diese Kiefer spalte, Das gleich einer Sonne strahlte.
Dass ich sehe, was darinnen".
Der Knabe ist unschlüssig, ob er um sie werben, sie rauben, oder sie
lockensoll, ihm zu folgen. Sie weist die beiden ersten Fälle zurück: „Lieber,
locke mich, ich komme!" Dieselben ersten Lichterscheinungen des Morgens,
welche im lettischen Liede bald als Zweig, oder als Besen (Badequast) bald
(wie wir sehen werden) als Harke, oder Egge aufgefasst werden, können
auch als Hörner oder Geweih beschrieben werden. So heisst im Veda
das aus den Morgennebeln emporsteigende Sonnenross goldgehörnt (hiranya-
9rngai), auch wird die Sonne mehrfach als Hirsch (altn. solarhjörtr) aufgefasst.
Scheinen wir demnach nicht berechtigt, falls das sonnengleich strahlende, im
Nachtsonnenbaum eingeschlossene Mädchen für die Sonnengottin selbst ge-
nommen werden dürfte, in dem Knaben den Tag zu vermuthen, der mit den
Geweihzacken der ersten Lichtstrahlen des Morgens den Baum spaltet,
die Jungfrau herausholt und zur Seinen macht?
d^) Die finnisch-estnische Wundereiche.
Wir können vom Sonnenbaum nicht Abschied nehmen, ohne noch einiger
estnischer und finnischer Lieder zu gedenken, in denen von einem Wunder-
baum die Rede ist, der den Namen estn. Taaras Eiche (Taara tamme)
oder finn. Gottes Eiche, Gottesbaum (puu Jumalan) trägt und vom
Sonnensohn estn. Paiwapoega oder Taaras Sohn gepflanzt wird. Die
betreffenden Lieder sind a) Kalewala R. II V. 1—224 b) Neuss estnische
Volkslieder n. 10 S. 47 „die Wundereiche" c) Kreutzwald und Neuss mythische
und magische Lieder Abt. I n. 3. S. 28 „die Wundereiche und d) ebends. I
n. 2. c. S. 26 „Schöpfungsmythen" v. 31—40. Der Baum entsteht nach a und
d in den Urtagen der Schöpfung. Nach c ist die Eichel vom Sohn der Sonne
in den Schwendboden eingepflanzt, auch a lässt einen aus dem Meer auf-
steigenden Riesen die uranfänglichen Gräser lichterloh entflammen, und in
die Asche und das ungehackte Land die Eichel säen. In b wächst der
Baum aus goldenen Spänen, oder Kehricht, der vom Meeresufer ins Meer
•) Vgl. Kuhn, Entwickelimgsstufen S. 143.
236 W" Mannhardt:
o-estäubt worden. Die Eiche erhebt sich in den Himmel und steht
nach d als die schönste inmitten der Welt. Nach b will sie die Wolken mit
den Aesten ändern, des Himmels Wölbung theilen. Nach c sprengt ihr
Wipfel die Wolken, hüllt das Sonnenlicht und den Mondschein ein und löscht
das Sternlicht aus. Nach d sinnt die Eiche die Wolken zu zerstreuen, des
Himmels Dach zu stürzen, den Mond auszulöschen, die Sterne zu verdecken.
Nach a hält sie mit ihrem hundertfachen Wipfel die Wolken im Laufe auf
und missgönnt Sonne und Mond zu leuchten. Die Eiche wird umgehauen
in a von einem aus dem Meere aufsteigenden ganz kupfernen
Zwerge, der zu Riesengrösse emporwächst, in b durch die Axt des
lieben Bruders.
Der Eiche Stamm fällt in a nach Osten, der Wipfel nach Westen, die
auf dem Meere schwimmenden Späne sammelt die Nordlandstochter,
damit der Zauberer sich daraus P feile schaffe, jeder abgeschnittene Zweig ge-
währt ewige Wohlfahrt, das Laub beständige Wonne, der Wipfel Zauberkunde.
Nun können die Wolken sich verbreiten, scheint die Sonne, leuchtet der Mond.
Nach b werden aus den Splittern des Eichbaums allerlei Wunschdinge, Wiegen,
Speisetische, des Küsters Sangtisch, vor allem jedoch des lieben Bru-
ders Badehaus geformt, dem der Mond als Thüre dient, über dem
spielend die Sonne steht und in welchem die Sterne tanzen. In c
wird der Abfall der Eiche mit silbergezähntem Goldrechen zu Nutzholz
aus dem Meere aufgeharkt.
Es ist leicht einzusehen, dass diese vom Sonnensohn gepflanzte
am Meeresufer emporwachsende Himmelseiche, die zerschmettert wird und
deren Wipfel und Splitter aufgelesen werden, mit dem zerschmetterten Eich-
baum in den lettischen Sonnenliedern identisch sei. Bestätigend kommt
hinzu, dass das Bild des Harkens in den Liedern 65. 66. 67 ebenfalls vor-
handen ist. Nach dem estnischen Liede (b) scheint der Tagesssonnen-
baum gemeint. Die Eiche wächst an dem mit goldenem Besen gekehrten
Uferrande des Meeres, sie will des Himmels Wölbung theilen, Wolken mit
ihren Aesten verändern. Aber sie wird umgehauen (vom Mittag bis Abend)
und aus ihr die Badstube (das Dampfbad) des Bruders (Abendroth) gebaut,
dessen Thüre der Mond ist, und in dem die Sterne tanzen (Nachthimmel!).
Wenn in zwei anderen Fassungen die Zweige der Wundereiche so dicht
wachsen, dass sie das Licht von Sonne und Mond auslöschen, so kann das
nur misverständliche Uebertreibung sein, welche sich natürlich leicht einstellte,
sobald man die Naturbedeutung des wunderbaren Baumes vergessen hatte.
Der Prairiebrand, das Schwenden, welches dem Säen der Eichel vorauf-
geht, erklärt sich nunmehr als das Morgenroth, gegenüber dem Abendroth,
als dem Bad efeuer des Bruders.
Afanasieff (poetische Naturanschauungen H S. 297) erklärt den Baum
in Kalewala H 1—224 für den „Wolkenbaum". Das Verdunkeln des Sonn-
und Mondlichtes könnte au den bedeckten Wolkenhimmel, der durch „den
Die lettischen Sonnenmythen. 28 7
Gewitterzwerg" zu Falle kommt, erinnern, wenn einerseits die Uebertragung
der Benennung und Auffassung des „Wetterbaumes'^ von der Federwolke
auf die dicke Gewitterwolke (Grummelkopp) nachweisbar wäre, andererseits
diese estnisch-finnische Eiche von der durch Perkun zerschmetterten Eiche
der lettischen Sonnenlieder getrennt werden milsste.
q) Sonncnthränen. So anmuthend der Gedanke sein möchte, etwa
die runden rothen Preisseibeeren wegen ihrer rothen Farbe für die in 11 ge-
nannten Thränen der Sonne zu halten, so glaube ich doch, dass einzelne
rothe Abendwölkchen mit den rothen'^ Beeren gemeint seien, welche die
Sonne aus Trauer über ihren Untergang (vgl. 28. 32) weint. Auch sonst
werden die Sonnenthränen als etwas sehr Liebliches erwähnt. U. 45:
Mir erwuchsen zwei der Brüder,
Beide Erbsenblüten schön!
Für sie freit' ich Schwägerinnen,
Wie zwei lichte Sonnentrilhiien.
r) Die Sonne warf den Mond mit einem silbernen Stein 71a. Hier
ist einmal wieder ein täglicher Vorgang in der Weise des echten Mythus zu
einer einmaligen Handlung gemacht und deshalb konnte der dreitägige Streit
mit Gott hinzugefügt werden. Der Steinwurf ist nämlich nichts anderes, als
der Sonnenaufgang, durch den der Mond stirbt, der Stein, mit welchem
die Sonnengottheit wirft, gradeso wie oben der Apfel, Becher u. s. w. der
Sonnenball selbst. Das Verständniss dieses Bildes hat Kuhn durch die
Nachweisungen in seiner Abhandlung „über die Entwickelungsstufen der
Mythenbildung" Schriften der Berl. Akad. phil. histor. Kl. 1874 S. 144— US
angebahnt, indem er nach dem Vorgang von Schwartz, Sonne, Mond und Sterne
S. 1 — 3 bei Griechen, Russen, Deutschen, Indern die Auffassung der Sonne
als eines glühenden Steines oder eines Edelsteines darthat. Noch Anaxagoras
soll dieser Ansicht gewesen sein. Plat. Apol. p. 2G D. l:itl lov jtiiv rj?uoi'
lil^ov (prjalv thai. Im ags. Gespräch zw. Ritheus und Adrian hcisst die Sonne
bymende stän (brennender Stein), wie sonst Edelstein des Himmels heofones
gim altn. gimsteinn himins. In russischen Zaubersprüchen zagovorui ist viel
die Rede von der im Osten liegenden Insel Bujan, einer der vielen Formen
des Paradieses Rai, dort ist die Heiraath der Sonne, dahin begiebt sie sich
jeden Abend nach Sonnenuntergang, von dort beginnt sie Morgens ihren Lauf.
Dort befindet sich die tröpfelnde Eiche (vgl. den tropfenden Sonnenbaum
des norwegischen Räthsels), unter der der Drache Garafenu liegt und dort
wohnt die göttliche Jungfrau Zoryä (die Morgenröthe, Dämmerung). Dort
auch liegt (auf der Insel Bujan) der feurige oder leicht in Flammen
zu setzende Stein Alatir, mit dem in allen Varianten die Idee der
Wärme verbunden ist. „Schau auf die See, sagt in einem Liede ein Gatte
zu seiner Frau, wenn der feurige weisse Stein kalt wird, kehre ich
288 W. Mannhardt:
zurück" d.h. niemals.') Schon 0. Miller') hat in dem feurigen Stein Alatir
die Sonne erkannt. Die Inder endlich benennen die Sonne dinamani oder
aharmani, Edelstein des Tages, im Rigveda wird sie als der bunte Stein be-
zeichnet R. V. 5, 47, 4. „der in die Mitte des Himmels gestellte bunte
Stein schreitet daher und schützt des Luftkreises Grenzen. 2) 7gl. den
das Augenlicht wiedergebenden, alle Wünsche befriedigenden Stein cintä-
mani, den Mondstein candrakanta und Sonnenstein süryakänta der buddhis-
tischen Legende und Märchen.^) Die griechischen Sagen von Kadmos, Jason,
Sisyphus, die nordischen von Odhinn und Baugis Knechten, in denen von
einem Stein wurf die Rede ist, werden von Kuhn nicht ohne Wahrscheinlich-
keit als Sonnenmythen in Anspruch genommen ; und schon Schirren fand die
nämliche Idee in der neuseeländischen Sage ausgedrückt S. 145: „die Sonne
ist der Stein, den Tangaroa vom Himmel wirft."
s) Das Thor der Sonne. „Wo eine barbarische Kosmologie — be-
merkt Tylor mit Recht-^) — der Lehre von einem Firmamente huldigt, das
sich über der Erde wölbt, und von einer Unterwelt, wohin die Sonne hinab-
steigt, wenn sie untergeht, da ist die Vorstellung von Thoren oder Portalen,
mag sie wirklich oder metaphorisch gemeint sein, an ihrem Platze. Dahin
gehört das grosse Thor, das nach der Ansicht des Negers von der Goldküste
der Himmel jeden Abend für die Sonne öffnet." Nach dem lettischen Liede
19 fährt die Sonne Abends zu Hof durch ein silbernes Thor. Im deutschen
Sonnenlied aus Pressburg (0. S. 99) lautet es entsprechend:
Liabi Frau mach's Türl auf,
Läss di liabi Sunn' herauf,
Läss 'n Regn diina.
Die Märchen von den in den Brunnen gefallenen Mädchen (Goldmariken
und Pechmariken o. S. 223) lassen die eine durch ein goldenes, Gold
herabschüttendes Thor [das Thor des Morgens], die andere durch ein
mit schwarzem Pech bestreuendes Thor [dasjenige der NachtJ zurückkehren.*^)
Das lettische Lied n. 19 spricht aber nicht allein von einem, sondern von
drei hohen silbernen Thoren, durch deren eines Gott selbst einfährt, durch das
zweite fährt Maria, durch das dritte die Sonne. Ich weiss das noch nicht zu deuten,
augenscheinlich aber steht die von Schröer in Bartsch's (Pfeiffers) Germania XIX
1874S.430 angeführte Redensart aus Gottschee „die Sonne geht Gott folgen"
statt „die Sonne geht unter" hiemit in Zusammenhang. Die drei Thore führen der
in 19 ausgesprochenen Vorstellung nach zu einem prächtigen Hofe, der eins
') Ralston Songs of the Russian people 375 ff.
■■'') Bei Krek die Wichtigkeit der siav. tradition. Literatur S. 83.
^) Justi in Bcnfcys Orient und Occidcnt II (31. Krek a. a. 0. C4. Kuhn, Entwickelungs-
stufen S. 146.
*) Benfey Pantschatantra I S. 215. 169.
*) Anfänge der Cultur I 342.
«) Germ. Myth. 438.
Die lettischen Sonnenmythen. 289
ist mit dem goldenen Schlosse der slovenischen Ueberlieferung (o. S. 95)
und zahlreicher Märchen (z, B. o S. 214 S. 225). Von einer Burg, in wel-
cher die Sonne zur Ruhe geht, sprechen mehre mittelalterliche Quellen.
Hvät hPitte seo burh, paer sunne up on morgen ga<y? Jaiaca hätte seo
burh (Adrianus und Ritheus 29) hvar gä(5" seo sunne on sefen to setle.
Garita (Janita) hätte seo burh (Salomon and Saturnus 2f5 Adr. a. Rith. 30)
Ez was nu worden späte, der sunnen schin gelac verborgen hinder wölken ze
Gus träte verre (Bartsch: Gulsträte nach Parziv. 1 251 Gylstram) Kudr.
1164, 2. Ze Geiläte, da diu sunne ir gesidel hat. Morolf 146. Die Her-
kunft dieser Ausdrücke ist noch ungewiss, s. darüber MüUenlioti und Scherer
Denkmäler 1864 S. 346. Schröers Ausführungen in Bartsch's Germania XIX
4.30, der in Gusträte, Gulsträte eine Verderbniss von Guldsträte (vgl. die
Goldstrasse o. S. 215), in Geiläte eine auf angelsächsische Quellen, und zwar
die Redensart „sun go to glade, die Sonne geht zu Glänze d. h. sie geht
unter" zurückleitende Formel erkennen will, verdienen genauere Prüfung.
t. Abend- und Morgenstern bedienen die Sonne. Percuna
tete. Der Sonne Dienstmagd. Nach den beiden litauischen Liedern 4
und 76 macht der Abendstern Abends der Sonne das Bett, der Morgenstern
facht ihr Morgens das Feuer (d.h. die Morgenröthe) an. Diese Personi-
ficationen sind dabei entsprechend dem weiblichen Geschlecht von Wakarine
und Auszrine als Frauen zu denken. Aus 6 schöpfe ich die Vermuthung,
dass das Feuer der Badstube damit gemeint sei. Ist dies richtig, so wird
die Angabe Laszkowskis in 91, dass die Donners-Muhme die ermüdete und
staubbedeckte Sonne Abends mit einem Bade empfange und Morgens ge-
reinigt wieder entlasse, vollständig verständlich. Denn die Percuna tete, die
Muhme des Donners, ist sicherlich niemand anderes, als die Wakarine-
Auszrine, der Planet Venus. Ich erhärte diese Behauptung durch die Ana-
logie eines serbischen Liedes (Vuk I 131. Talvj Volksl. d. Serb. 2. Aufl.
II 91. vgl. 0. S. 221). Der Morgenstern freit für den Mond, seinen
Bruder, um den Blitz der Wolken, erscheint also als des Blitzes
Schwager. Mit gleichem Recht durfte er dem Litauer als Vatersschwester
des Morgensternes gelten.
Erscheinen hienach dem Litauer Morgenstern und Abendstern als Dienst-
mägde der Sonne, so werden wir sie weiterhin aus lettischer Ueberlieferung
als Arbeiter des Perkun kennen lernen.
Eine andere Bedeutung jedoch muss die Dienstmagd der Sonne in
61 haben, welche an Stelle ihrer Herrin, wenn diese verhüllt ist, leuchtet.
Dieses Lied erinnert vielmehr an den norwegischen Ausdruck Solmoy^) d i.
Mädchen, Dienstmagd der Sonne für Nebensonne, LichtÜecken in der Nähe
der Sonne bei nebliger Luft.
u. Panu. Neben allen diesen Vorstellungen von der Sonne muss es
') J. Aasen norsk Ordbog s. v. Solmoy und moy.
290 ^' Mannhardt:
im lettischen Alterthum noch eine andere, abweichende gegeben haben, wo-
nach die Sonne selbst Feuer ist, welches jeden Morgen von Panu, dem
Feuergotte, in einen Kupferring getragen, oder darin durch Drehung erzeugt
wird. Das heilige Feuer des Hauses oder Götterheiligthums galt als Ab-
bild dieses Sonnenfeuers und wurde wahrscheinlich auch durch Drehung
erzeugt.
Ein heiliges, immerwährendes Feuer wird bei den lettischen Völkern
mehrfach erwähnt. Ein solches unterhielt nach Dusburg der Kriwe in Romowe
(fovebat jugem ignera). Dlugosz zählt bei der Bekehrung Oberlitauens zum
Christenthum unter den vornehmsten Gegenständen der Verehrung das Feuer
auf: „Ignis, qui per sacerdotes subjectis lignis nocte atque interdiu colebatur".
Von Wladislaw Jagiello heisst es sodann, dass er das ewige Feuer in der
Hauptstadt Wilna unterdrückt habe. Von Witold, dem Zerstörer des Heiden-
thums in Zemaiten Anfangs des fünfzehnten Jahrhunderts sagt er „et ad
praecipuum Samagitharum numen, ignem videlicet, quem sacrosanctum et
perpetuum putabant, qui in montis altissimi jugo super fluvium Nyewasza
sito lignorum assidua appositione a sacrorum sacerdote alebatur, acce-
dens, turrim, in qua eonsistebat, incendit et ignem disjicit et extinguit".
Wenige Zeit später kam der Missionar Hieronymus von Prag in Zemaiten
zu einer Gegend, wo ein ewiges Feuer unterhalten wurde. „Post hoc gentem
reperit, quae sacrum colebat ignem eumque perpetuum appellabant. Sacer-
dotes semper materiam, ne deficeret, ministrabant." Das heilige Feuer muss
in feierlicher Rede mit dem alten Worte panu bezeichnet sein, welches im
Elbinger altpreussiscben Vocabular durch die Formen panno Feuer, panustaclan
Feuerstahl bezeugt wird.*) Im Sudauer-Büchlein, einer zwischen 1526 — 1530
verfassten Denkschrift, nimmt die sudanische Braut in der nordwestlichsten
Ecke des Samlands von der Feuerstätte des Elternhauses mit der Anrede
Abschied „Oho mey mile swente panike" d. i. o mein liebes heiliges
Feuerchen! Noch im 17. Jahrhundert sprach nach des Matthäus Prätorius
Schaubühne der Litauer um Gumbinnen von dem Feuer als der „szwenta
Ponyke" und namentlich Abends beim Verscharren redeten sie es an „Szwenta
Ponyke (ugnele) ich will dich recht schön begraben, damit du nicht über
mich zürnen mögest." Andere ältere und jüngere Zeugnisse für den Feuer-
kult übergehe ich hier, um sofort auf den finnischen Feuergott Panu hinzu-
weisen, dessen aus uralaltaischem Sprachschatz nicht erklärlicher, im Finnischen
allein stehender Name, offenbar den Letten entlehnt, 2) auch die Herübernahme
der an ihm haftenden Mythen aus altlettischer Ueberlieferung wahrschein-
lich macht. Er heisst der Sohn der Sonne Paiwan poika. Wainä-
moinen, über die verheerenden Wirkungen des Feuers bestürzt, redet ihn
Kalew. 48 v. 301 ff. an:
') Urverwandt sind gr. naföi Fackel, Feuerbrand, goth. fon Feuer.
') Kuhn (Ilerabk. 113) leitet Panu mit Schiefner irrig von schwed. fan Teufel.
Die lettischen Sonnenmythen. 291
Feuer, du, von Gott geschaffen, Dass du meine Wangen sengtest,
Panu, du, o Sohn der Sonne! Meine Hüften mir verbranntest?
Wer hat dich so sehr erzürnet,
Ein Gebet in der älteren Ausgabe der Kalewala R. 24 V. 431—441
(bei Castren, Finn. Myth. übers, v. Schiefner S. 56) heisst ihn den Ring der
Sonne mit Feuer füllen:
Panu, du, o Sohn der Sonne, Trag es, wie ein Kind zur Mutter,
Du, 0 Spross des lieben Tages! In den Schooss der lieben Alten —
Heb' das Feuer auf zum Himmel Stell' es hin den Tag zu leuchten,
In des goldnen Ringes Mitte, In den Nächten auszuruhen.
In des Kupferfelsens Innre! Lass es jeden Morgen aufgehn.
Jeden Abend niedersinken.
Eine Feuerbeschwörung in Topelius finnischen Runen III p. 17 — 19
(vgl. Kuhn Herabkunft des Feuers S. 110) ruft Panutar an mit Schnee, Reif
und Eis dem Panu die Manneskraft zu rauben.
Tuonis Sohn, der arme Panu,
Butterte im Feuerfasse,
Fleissig Funken um sich werfend,
Angetan mit reinem Anzug
In dem glänzenden Gewände.
Kuhn a.a.O. 113 folgerte aus diesen Ueberlieferungen wohl mit Recht, dass
Panu Morgens das Feuer der Sonne anzuzünden die Aufgabe hatte, und dass
man diesen Vorgang nach Art der Butterung, als Umrührung in einem Fasse
mit einem Stössel gedacht hat, nur scheint es mir, dass man das Buttern im
Feuerfasse nicht auf den Aufgang der Sonne zu beschränken, sondern als
eine sinnliche Auffassung der flimmernden Bewegung des Lichtes in der
Sonnenscheibe während des ganzen Tages zu deuten habe. Offenbar aber,
80 glaube ich weiter folgern zu dürfen, war diese Anschauung nur eine Ueber-
tragung, ein Schluss von dem heiligen Feuer auf Erden, das als Abbild des
Sonnenfeuers galt, auf die Entstehung des letzteren, und so dürfte sich auf
diese Weise ergeben, dass das heilige, ewige Feuer der Letten (Preussen,
Litauer, Letten^, wenn es doch einmal erlosch, ebenso wie in gleichem Fslle
dasjenige der Vesta, durch Drehung oder Reibung nach der ältesten Weise
der Feuerbereitung wieder angezündet worden ist.
V. Raub und Befreiung der Sonne.
In dem im Jahre 1432 mündlich erstatteten, und von Aenea Silvio di
Piccolomini, später Papst Pius II. sofort im Tagebuch verzeichneten, sodann
nach Jahrzehnten in dessen „Europa" veröffentlichten Bericht des Calmaldu-
lenser Mönchs Hieronymus aus Prag über einige Erlebnisse auf seiner
Missionsreise in Niederlitauen findet sich auch die folgende Angabe : Profectus
introrsus (Hieronymus) aliam gentem reperit, quae So lern colebat et mal-
leum ferreum rarae magnitudinis singulari cultu venerabatur.
Interrogati sacerdotes, quid ea sibi veneratio vellet, responderunt olim pluribus
mensibus non fuisse visum solem, quem rex potentissimus captum reclusisset
in carcere munitissimae turris. Signa zodiaci deinde opem tulisse Soli in-
292 W- Mannhardt:
gentique malleo perfregisse turrim, Solem liberatum hominibus restituisse.
DigDum itaque veneratu instrumentum esse, quo mortales lucem reperissent.
Risit eorum simplicitatem Hieronymus inanemque fabulam esse demonstravit.
Solem vero et lunam et Stellas creatas esse ostendit, quibus maximus Deus
ornavit coelos et ad utilitatem hominum perpetuo jussit igne lucere. Die
nächtliche oder winterliche Verfinsterung der Sonne als einen Raub darzu-
stellen, ist die Sache vieler Mythen bei verschiedenen Völkern. In der Form
am nächsten liegt wohl die finnische Erzählung, dass die finstere Nordlands-
königin Sonne und Mond ergriff und in einen eisenfesten Steinberg einschloss.
Im zemaitischen Mythus ist die winterliche Verfinsterung des Tagesgestirnes
gemeint. Dass die Zeichen des Thierkreises, oder vielmehr Personificationen
derselben als die Befreier gedacht werden, ist nicht auffällig. Sie finden
auch in der slavischen Mythe Berücksichtigung. Nach russischer Sage herrscht
König Sonne über zwölf Reiche, die zwölf Stationen des Thierkreises,
er selbst wohnt in der Sonne und seine Söhne in den Sternen; nach slova-
kischera Glauben dienen der Sonne, als dem Beherrscher von Himmel und
Erde, zwölf Mädchen, immer jung, immer schön.') Ebensowohl konnten
die zwölf Monate, oder die zwölf Zeichen des Thierkreises zur Erlösung der
gefangenen Himmelstochter im regelmässigen Jahresumlauf persönlich gemacht
werden.
Der Hammer, mit dem dies geschehen sein sollte, und als dessen Abbild
ein grosser eiserner Hammer galt, lässt die Vermuthung autkommen, dass
die Befreiung durch die zwölf Zeichen des Thierkreises in den Gewittern
des Frühlings geschehen vorgestellt wurde. Es stimmt nämlich zu dieser
Angabe des Hieronymus von der Aufbewahrung eines grossen eisernen
Hammers in Zemaiten die Erzählung des Saxo Grammaticus (Histor.
Dan. XIII 630 P. E. Müller) von der Beute, welche der dänische Prinz
Magnus, der Sohn des Königs Nicolaus (Niels 1105—1134) aus einem Kriegs-
zuge nach Osten (Estland, wie es scheint) mitbrachte. Inter caetera tro-
phaeorum suorum insignia inusitati ponderis malleos quos Joviales voca-
bant apud insularum quandam prisca virorum religione cultos in patriam de-
portandos curavit. Cupiens euim antiquitas tonitruorum causas usitata rerum
similitudine comprehendere, malleos, quibus coeli fragores cieri cre-
debat, ingenti aere complexa fuerat, aptissime tantae sonoritatis vim
machinarum fabrilium specie imitandam existimans. Magnus vero Christianae
disciplinae studio paganam perosus et fanum cultu et Jovem insignibus spoliare
sanctitatis loco habuit.
In Skandinavien verfertigte man Thorshämmer, Nachbildungen des Miöl-
nir zu Zauberzwecken bis in neuere Zeit^) und in Gräbern des jüngeren
') Journal des Ministeriums der VolksaufkläruBg 1846 VII S. 38. 43. 46. bei Afanasieff,
poetische Naturanschauungen dor Russen I S. 82.
=0 Noch 1858 sah Konrad Maurer zu Husavik auf Island einen solchen roh aus Erz geschmie-
det, drei Zoll lang mit einem losen, etwas kürzeren Schaft, der sich mittelst eines Loches in den
Die lettischen Sonnenmythen. 293
Eisenalters hat man in Schweden und Dänemark kleine Hämmer von Silber,
Nachbildungen des im jungem Eisenalter gebräuchlichen Eisenhammers, mehr-
fach mit noch daran hangender Halskette, gefunden, welche unzweifelhaft als
Amulete getragen wurden und den Hammer des Donnergottes Thor darstellten.
Die schwedischen Funde dieser Art sind zusammengestellt und abgebildet
von H. 0. H. Hildebrand in Kongl. Vitterhets Historie och Antiquitets
Akademiens Mänadsblad 1872 n. 4 p. 49—55. Vgl. Montelius, Svenska Forn-
saker. S. 174—175 Fig. 624—628. Ein dänischer Thorshammer (Amulet)
aus Silber, bei J. Worsaae, Afbildninger Kbhvn. 1854 S. 89 Fig. 351.
Kein Zeugniss freihch, so weit meine Kenntniss reicht, spricht dafür,
dass der lettische Stamm seinen Perkun ebenfalls mit dem Attribute eines
metallenen Hammers ausgerüstet habe, nur der rohere und ältere und so zu
Kopf stecken Hess. Der Volksglaube schrieb vor, dass "solcher Hammer aus dreimal gestohlener
Glockenspeise am Pfingstsountage geschmiedet und mit Menschenblut gehärtet werde. Ist dann
Jemand bestohlen, so sticht er mit dem Stiele lu den Kopf des Hammers und spricht: rek eg
i augu Vigfödurs, rek eg i augu Valfüdurs, rek'eg 1 augu Asapors, ,ich treibe in das Auge
des Kampfvaters (Odins), ich treibe in das Auge des Todtenvaters (Odins), ich treibe in das
Auge Asathors". Dann bekommt der Dieb eine Augenkrankheit, die ihn seine Augen verlieren
lässt, wenn er bis zur dreimaligen Wiederholung der Ceremonie das Gestohlene nicht zurück-
gebracht hat. K. Maurer Island. Volkss. d. Gegenwart S. ICD ff. Oder man zeichnet mit seinem
Blute einen Kopf und zwei Augen auf ein Blatt Papier, sticht mit einem stählernen Stift in
die Augen und schlägt mit dem ThorshBmmer drauf. J. Arnason, Islenzkar Thjodsügur I 445.
Diese letztere Art des Zaubers war auch in deutschen Landen verbreitet. „Ex oculo excusso
sie für cognoscetur. Primum leguutur Septem Psalmi cum Letania: deinde formidabiiis subse-
quitur oratio ad Deum Patrem et Christum, item exorcismus in furem hinc in medio ad
oculi similitudinem vestigio figurae circularis nominibus barbaris notatae, figitur
clavus aeneus triangularis, conditionibus certis consecratus, incutiturque mal-
leo cypressino et dicitur: Justus es. Domine, et justa judicia tua. Tum für ex clamore
prodetur. J. Wieri de praestigiis Daemonum. Basileae 1583. 1. V. p. 521. Mehrere Beispiele
solches Verfahrens aus Rostock und Güstrow, wo der beim Sclimiede Rathsuchende selbst das
Auge verlor, weil das vermisste Gut gar nicht gestohlen war, im anderen Falle das Söhnchen
des Abergläubigen als Verbringer des silbernen Löffels ums Auge kam, bringt Delrio, disquis,
mag. IV. c II qu. VI sect. IV p. 480 Moguntiae 1617 bei, daraus u. a. Gödelmann, J. W. Wolf
D. Sagen S. 459. H. Pröhle D. Sag. 108. n. 69. Vgl. (wol aus dem Meisuischen) Rivanders
Exempelbuch: „Es wird ein Auge auf den Tisch gemalt und ein besworener Nagel hinein
geschlagen. Wird er feucht, dann ist der Dieb getroffen. Item er ;habe niemand kein Auge
aussgeschlagen, wiewohl ers einmal versucht, es sei ihm aber nicht gelmigeu, denn ob er wol
durch den beschwehrten Nagel auff das Auge, so er auff einen Tisch gemahlet, geschlagen, so
sei doch das nichts gewesen, weil das geschriebene Auge nicht feucht sei geworden." — Aus
Holstein gewährt einen interessanten Belag die von G. Freytag Neue Bilder a. d. Leben d. D.
Volkes S. 226 mitgetheilte Lebensbeschreibung des Hofpredigers in Eutin, Petersen. Einem
Kammerjunker des Bischofs von Lübeck, Herzogs von Holstein, waren im Jahre 1671 500 Rthlr.
aus seiner Kammer verschwunden. Damit er wieder zu seinem Gelde käme, ging er zum Erb-
schmied nach dem Dorfe Zernikow, um dem Dieb das Auge ausschlagen zu lassen, und damit
dieser es thun möchte, Hess er ihm durch einen Einspänner (beritteneu Söldner) sagen, dass der
Bischof es so haben wollte. Wenn der Schmied solches Werk verrichten will, muss er drei Sonn-
tage nacheinender einen Nagel verfertigen, und am letzten Sonntag diesen Nagel an einem dazu
gemachten Kopf einschlagen, worauf dem Dieb, wie sie sagen, das Auge ausfallen muss. Er
muss auch um Mitternacht nackend aufstehen und rücklings nach einer Hütte, die er neu im
freien Felde aufgebaut hat, hingehen und zu einem neuen grossen Blasebalg treten, ihn ziehen
294 ^- Mannhardt:
sagen über die ganze "Welt verbreitete^) Glaube, dass im Gewitter ein Stein
oder eine Kugel herabgeschleudert werde, ist nachweisbar. Der Belemnit
heisst Perkuno akmu, Perkun8(?) oder des Donners Stein. Der Stein wird
mehrfach als Kugel gedacht. Denn man redet lettisch von Perkuna lohde,
lit Perkuno kulka, Donnerkugel. Man sagt, die Perkuna lohde, der Donner-
keil, fahre mit dem Blitz in die Erde und komme nach sieben Tagen wieder
heraus. Sie schützt das Haus vor Blitzschlag, die Milch vor Sauerwerden u. s. w.
Der Name P er kun kulka geht auch über auf in der Erde gefundene Stein-
hämmer. Dieselben sollen ebenfalls vor Gewitter schützen, kranke Glieder
heilen u. s. w.^) Und schon in heidnischer Zeit (im Eisenalter oder der
Bronzezeit) hat man in jenen Waffen aus der Steinzeit die aus dem Gewitter
gefallenen Blitzsteine erkennen wollen, oder — was noch wahrscheinlicher
ist — schon Menschen des Steinalters dachten sich den Natur-
vorgang der Art, dass eine göttliche Persönlichkeit eine Waffe
der damals gebräuclhlichen Art herunterschleudere. Dies geht aus
einem merkwürdigen Fundstück in der reichhaltigen Sammlung des Herrn
Dr. Marschall in Marienburg i. W. Pr. hervor. Auf dem an Alterthümern
vorzugsweise des jüngeren und jüngsten Eisenalters, aber auch der Bronze-
und selbst der Steinzeit [Fabrik von Flintstein-Pfeil-Spitzen, Hämmer u. s. w.]
reichen Terrain von Willenberg, wo vor der Marienburg der altpreussisch
heidnische Gauvorort und Culturmittelpunkt (Alyem, d. i. Algemin) lag, ist
iu losem Sande ein kleines B ernsteinamulet in Form eines polirten
Steinhammers (ähnlich von Sacken Leitfaden 1865 Fig. 10) aufgelesen
worden, das offenbar ein Gegenstück zu den skandinavischen Thorshämmern
bildet. Da auf dem nämlichen Terrain ziemlich häufig Bernsteinschmucksachen ^)
gefunden werden, welche gewissen in Dänemark und Schweden sehr oft und
zahh-eich in Gräbern der Steinzeit entdeckten Bernsteinperlen*) (Worsaae
Afbildniuger. Khvn. 1854. Fig. G8. 65. Montelius Svensk. Fornsak. Fig. 84)
entsprechen, so spricht freilich die grössere Wahrscheinlichkeit dafür, dass
und das Feuer anblasen. Dazu finden sich zwei grosse hüllische Hunde ein. — In Dänemark
schlägt der kluge Mann, um den Dieb zu entdecken, einen Nagel in einen Thürpfosten. Der
erste Einäugige, welcher dem Bestohlenen begegnet, ist der Dieb, der Nagel hat ihm das
zweite Auge ausgestossen Sv. Grundtvig Gamle Danske Minder i Folkmuude II 245, 407. Den
offenbar mit der Auffassung der Sonne als Himmelsauge zusammenhängenden Aberglauben hier
iin Einzelnen zu erläutern, würde zu weit führen.
') S. die reichhaltigen Nachweise bei Tylor Urgeschichte der Menschheit übers, v. H. Müller
S. 267. 271. 285—291.
'^) N. Pr. Provinzialb. 1849. IV 205.
^) Eine gleiche Bernsteinperle ans Windau ist abgebildet bei Hartmanu das vaterl. Museum
zu Dorpat. Taf. III 25 (Verhdl. d. estn. Gesellsch. B. VI).
■*) Wäre es so gar ungereimt, die Grundform dieser Perlen, aus der sich allmählich die
andern entwickelten, auch für eine Steinaxt (Worsaae Fig. 26. Montelius Fig. 42) zu halten?
Anfangs einzeln als Amulet, auf der Brust oder Hals getragen, ward die Perle wohl später bei
massenhafter Verwendung als Halsschmuck voji dem ursprünglichen Vorbilde um ein weniges
entfernt.
Die lettischen Sonnenmythen. 295
mit letzteren auch der vereinzelte Bernsteinhammer der Steinzeit zuzuweisen
sei. Darf dieser somit schwerlich als ein Beweisstück für die Vorstellung
der Letten von der Waffe ihres Perkun herangezogen werden, so tritt auch
das Schweigen unserer allzuspärliciien Quellen über letztere, so wie die volks-
thümliche Rede vom Donnersteine und der Donnerkugel, ja — im Falle jenes
Bernsteinamulet dennoch der lettischen Periode angehörte — träte selbst
dieses nicht hindernd der Annahme in den Weg, dass man in der letzten
Periode der Heidenzeit mindestens landschaftlich Perkuns Rechte mit einem
Eisenhammer bewehrte, da auch auf germanischem Boden Donnerhammer und
Donnerstein nebeneinander herlaufen. Es erscheinen mir somit die mitgetheilten
Thatsachen zwar erwähnenswerth, aber nicht gewichtig genug, um die Ana-
logie des von Hieronymus gefundenen Hammers mit den von Prinz Magnus
heimgebrachten mallei Joviales aufzuheben.
III. Die Sonneiltochter.
Unverkennbar ist unter der Sonn entochter (Saules melta) oder Gottes-
tochter (Dewo duktele, dukruzele ebenfalls eine Lichterscheinnng und zwar
die Dämmerung, die Helligkeit zu verstehen, welche schon da ist, wenn die
Sonne noch nicht über den Horizont emporstieg und welche noch längere
Zeit bleibt, wenn der Sonnenball schon aus dem Gesichtskreise verschwunden
ist. Sie spielt somit Abends sowohl, als Morgens eine Rolle und es kann
bald von einer, bald von mehreren Sonnentöchtern die Rede sein, je nachdem
man Abend- und Morgendämmerung als eine einzige Erscheinung oder als
zwei verschiedene Individualitäten auffasst und personificirt. Abends ver-
heirathet die Sonne ihre Tochter übers Meer hin, nach Deutschland d. h. nach
Westen (14). Sie ist auch die Sprecherin in 25, welche noch an der Meeres-
bucht weilt, wenn die Sonne längst in Deutschland, im Westen, zur Rüste
gegangen ist. Sie versinkt Abends ins Meer (34. 35), ja ertrinkt darin (39);
eine Zeit lang watet sie noch im Wasser und nur die Spitze ihrer Krone ragt
aus demselben hervor (34). Diese Krone ist vom Himmelsschmied im Morgen-
roth geschmiedet (38). Sie bedeutet vermuthlich die ersten und die letzten
(fächerartigen Strahlen^) des unmittelbar unter dem Horizont verborgenen auf-
gehenden und untergehenden Sonnenballs o. S. \)0. Drum sitzt die Sonuenmaid
mit ihr angethan dort, wo zwei Lichter im Meere [Abendstern und Morgen-
stern im Himmelsocean] angezündet brennen (52) ; es ist deutlich, wie wohl
in einer Variante Abenddämmerung und Morgendämmerung als zwei Sonnen-
töchter bezeichnet werden mochten. Deshalb aber auch ist die Krone an
') Eine Beschreibung des lettischen Wainags ist mir augenblicklicli zwar nicht zur Hand,
dieselbe winl jedoch wenig von der estnischen und iuselschwedischen Brautlirone abweichen,
einem Cylinder aus Pappe oder Rinde, der mit Seide oder Tressen überzogen, strahlenartig
mit Perlen, Glasstückcheu, Rechenpfennigen, Federn u. s. w. geschmückt ist und von dem zwei
rothe B-inder herabhängen, gradeso wie um die westfälische Brautkrone ein rothes Band rings
herum läuft. Russwurm Eibofolke II 73. Kuhu westf. Sag. II 41, 110.
296 W. Mannhardt:
der Eiche, dem Nacbtsonnenbaum, aufgehängt (55) vgl. o. S. 283. Offenbar
von ihr ist die Rede in dem mährischen Reime vom Sonnenkäfer Zs. f. D.
Myth. IV 326, 11: (Cf. o. S. 98. 209. 211. 217. 232):
Marienkäferchen flieg in den Himmel
Und bring' mir ein goldenes Krünchen
(zJatä korunku)')
Das Ertrinken der Sonnenmaid und das Versinken ihrer Krone ins Meer
hat wiederum in polynesischen Mythen verschiedene Analogien. „Auf Neuseeland
erscheint die untergehende Sonne wie ein Ertrinkender, der aus dem Kahn
geworfen wird. Beim Landen werfen die Seinen ihren Kopfschmuck ins
Meer und finden dann, da sie das Ufer betreten, die Fussspuren der über
Bord Geworfenen. Die Sonne ist unsterblich"^). Ueberhaupt ist das Ueber-
bordwerfen der rothen Kopfbinde, oder des königlichen Diadems bei
Beendigung der Schifffahrt an der Schwelle der Unterwelt oder sonstigem
Wanderziele ein wiederholter und wesentlicher Zug in der Mythologie des
Sonnengottes Maui und anderer, verwandter Götter^).
Die Sonnentochter ertrinkt, indem sie die goldene Kanne (39) wäscht,
die wir bereits o. S. 102 als Sonnenscheibe erkannten. Somit könnte der
Ring, den Morgens der Himmelsschmied ihr fertigt (36), Abends die Gottes-
söhne (Abendstern und Morgenstern) ihr abziehen (59. 60), oder den dieselben,
wenn er ihr am Abend beim Waschen ins Wasser gefallen, Morgens wieder
herausfischen (80), möglicherweise auch nichts anderes sein, als die Sonne.
Zwar bei einem Ringe, den ein Himmelsschmied schmiedet, wird man geneigt
sein, zunächst an den Regenbogen zu denken, zumal da die Sonne eher eine
Scheibe als ein Ring genannt werden darf. Aber der Regenbogen wird
nicht Abends von dom Gottessohne abgezogen, noch, ins Wasser gefallen,
wieder aufgefischt. Auch finde ich bei Björn Haldorson in der That solar
hringr Sonnenring circulus solis, Solens omkreds und griech. 'Hliov xvxXng
entspricht altnord. fagrahvel, sunnuhvel (orbis solis). G. Wislicenus hat in
seiner Schrift „Symbolik von Sonne und Tag" S. 40 Odins von Zwergen zu-
gleich mit Thors Donnerhammer und Freys Eber geschmiedeten Ring Draup-
nir (Tropfer), von welchem in jeder neunten Nacht acht gleichschwere Ringe
abtropften, auf die Sonne gedeutet, welche im Laufe einer achttägigen Woche
nach Verlauf jeder Nacht ein Ebenbild ^us sich selbst gebäre. Wir erörtern
diese Frage hier nicht weiter; sie wird in Verbindung mit dem 233 S. be-
' In einem serbischen Liede ist die Sonne selbst „von Gold eine Krone" genannt
Afanasieff poet. Naturansch. d. Russen I 219. Derselbe erzählt a. a 0, und I 603 nach Züge
a. d. lit. Volksl, ö8. Mosk. 1816. XI— Xli 251 eine litauische Tradition, in welcher von einer
Prinzessin (Karalune) die Rede ist, einer schönen jungen Frau, deren Haupt die Sonne als
Krone ziert; sie trügt einen Sternenmantei und den Mond als Agraffe. Das Morgenroth ist ihr
Läclielii, der Regen ihre Thrüneu, welche, zur Erde fallend, Diamant werden. Wenn es bei
Sonnenschein regnet, sagen die Litauer „Karalune weint".
■0 Schirren, Mauimythus und Wandersagen der Neuseeländer S. 164.
2} Schirren S. HO. 128. 131.
Die lettischen Sonnenmythen. 297
rührten Problem zu erledigen sein. Das Abtropfen der Ringe beruht, wenn
die Deutung im Ganzen und Grossen Recht hat, auf der Auffassung des
Sonnenlichtes als einer goldigen Flüssigkeit o. S. 101 und stimmt zu der
Eigenschaft des Tropfens, welche ein norwegisches und ein russisches Räthsel
o. S. 224 S. 287 dem Sonnenbaum beilegen. Kuhn (Entwickelungsstufen der
Mythenbildung S. 139) hat die von Schmied Völundr (Völunuarqu 8) besessenen
700 Goldringe für die 350 Tage und 350 Nächte (Verdoppelung der 350
Sonnen des Mondjahres) genommen. Dieser Besitz geziemte gar wohl dem
Beherrscher der Alfen (alfa lioui), die lichter als die Sonne genannt werden,
und von denen die Sonne Alfenstrahl (alfröduU) heisst. Vgl. auch den auf
dieser Anschauung fussenden Frauennamen Alfsol Alfensonne. Sprechen also
diese Thatsachen für die Deutung des Ringes Draupnir auf die Sonne und
letzterer für die Möglichkeit in dem Ringe der Sonnentochter das Tagesgestirn
wiederzufinden, so ist doch ebensosehr jener o. S. 90 von J. Wolf beschi-iebene
„Flammenring" in Erwägung zu ziehen, der im Beginne des Sonnenunter-
gangs das Gewölke des Abends umkränzt, und daher wohl als Schmuck der
Dämmerung bezeichnet werden konnte.
Da zur Zeit der Dämmerung Tag und Nacht sich berühren, die Abend-
dämmerung mit dem Abendstern, die Morgendämmerung mit dem Morgenstern
tanzt, konnte diese doppelte Handlung in eins gefasst werden: es tanzen die
Gottestöchter mit den Gottessöhnen (80). So handeln die Gottessöhne, als
an ein und derselben Handlung betheiligt gedacht, auch 34 gemeinsam, indem
sie das Boot rudern, um der ertrinkenden Sounentochter Leben zu retten.
In 54 bauen sie beide eine Klete (ßrautkammer) für die Sonnentochter. Bebend
wie Espenlaub geht die Maid hinein, weil die Gottessöhne um sie freien.
Vgl. U. 41.
Zittre, zittre Espenblättlein
Bebend in dem leichten Winde.
Also bebten unsre Schwestern,
Als sie mit den Freiern sprachen.
Bald übrigens ist der Abendstern, bald der Morgenstern der Freier der
Sonnentochter. In 42 ist der Gottessohn, dessen graue Rosse an der Haus-
thüre der Sonne stehen, deutlich der Abendstern. Die Sonnentochter reicht
ihm die Hand über die Daugawa, das Luftmeer, wie es 23 von der Sonne
heisst, dass sie der Sprecherin (wohl ebenfalls der Sonnentochter) die Hand
über das grosse Wasser gebe. Zugleich aber weint die Sonneumutter um die
Aussteuerlade (vgl. o. S. 219). Gottes Pferde und Marias Wagen (41) vor
der Thüre der Sonne bedeuten auch wohl, dass Gott und Maria für den Abend-
stern um die Sonnentochter werben. Dagegen scheint der Gottessohn, der
in 63 nach der Sonnentochter vom goldenen Weideubusche her aus-
späht (vgl. 53 wartend) den Morgenstern zu bedeuten: der Weideubusch
(gleich dem Zweig, Besen, Badequast in anderen Liedern) die Lichtgarbe
der aufgehenden Sonne. Vielfach wird der Morgenstern der glücklichere
Zeilactirilt lür Elhuülojjie, Jabr^aiiK lüTj. '21
298 W- Mannhardt:
Bewerber genannt. Er entfernt sich aus der Schaar der übrigen Sterne und
läuft oder reitet fort, nach der Sonneutochter zu schauen und um sie zu
werben (50. 73. 74). Zwar widerräth mau der Sonne, ihre Tochter ihm zu
geben (49), aber sie verkauft sie ihm (73). Dagegen verspricht sie sie nach
72 zwar dem Morgenstern, giebt sie aber zuvor dem Monde (72. 71b), der
Abends iu der Dämmerung zuerst sichtbar wird und dem die Morgendämmerung
heraufführeuden Frühstern vorangeht, und nach 44 mit hundert Rösschen bei Gott
um sie freit. Der Mond führt sie heim (75). Zuweilen jedoch sind die Gottes-
söhne nur als Führer des Brautwageus gedacht (15). Perkun, der Donner-
gott, als Lichtziinder, ist der Hochzeiter, der seine Vermählung in Deutschland
d. h. im Westen (13. 14) vollzieht, um dann Morgens im Osten die Sonne
und ihre Tochter aus der Kemenate herauszuführen.
Ganz anders liegt die Sache im Litauischen. Hier sind die Benennungen
des Abendsternsund Morgensterns weiblich (Wakarine, Auszrine abend-
licher, morgenlicher, sc. zwaigzde Stern); deshalb eignen sie sich nicht zu
Bewerbern um die Sonnentochter, daher buhlt jetzt der Mond einerseits um
die Sonne selbst, andererseits um die Morgensternnymphe (77). Auch in 78
ist der Frühstem die Braut, und dadurch hört die auch in demselben Liede
das Gezweige auflesende Sonnentochter auf mit dieser identisch zu sein, ein
Umstand, der mir nicht wenig dafür spricht, dass dieses Lied eine üebertra-
gung aus dem Lettischen war und in Folge dessen den angedeuteten Ver-
änderuugen unterlag. Auch in der o. S. 95 aus Tereschtschenko für Litauen
bezeugten Ueberlieferung tanzt die Sonne ihrem Verlobten, dem Monde, ent-
gegen.
Vielleicht lassen sich jene beiden anscheinend verschiedenen lettischen
Auffassungen vom Abeudstern und Morgenstern als von den Freiern der
Sonnentochter dahin vereinigen, dass man Abendstern und Morgenstern (der
Wirklichkeit gemäss) als eine Person fasste, den Gottessohn, zuweilen Morgen-
stern genannt (74. 78), die Vermählung mit Austheilung der Brautgeschenke
aus der Aussteuerlade schon am Abende vor sich gehen liess (vgl. 42), die
Nacht als Verweilen des Paars im Brautgemache, den Morgen als Heraus-
treten aus dem Brantgemache oder als Vollendung der unterbrochenen Ver-
mählung ansah. 1) Lässt ja doch schon der Psalmist 19, 6 die Sonne (männ-
lich gedacht) Morgens wie einen Bräutigam aus der Hochzeitkammer treten.
Das Ergebniss der bisherigen Auseinandersetzungen macht auch n. 45
wohl verständlich. Die Gottessühne (Abendstern und Morgenstern) lassen
ihre Rosse in die Goldkoppel (den goldigen Abendhimmel) und stellen die
Sonnentochter, die Dämmerung, als Hüterin hin mit dem Befehl, keinen Zweig
(s. o. S. 297) zu brechen; sie vernichtet aber grade mit ihrem Grau die
>) Auf letztere Anschauung scbeint die in den Miirchen (vgl. o. S. 236 ff.) so häufige Unter-
brechung der Ehe des Soiinenheldeu und Ersatz.der Braut durch eiue Mohrin (wo nämlich nicht
j er Jahreslauf der Souiie statt des Tageslaufs dargestellt werden soll) sich zu begründen.
Die lettischen Sonnenmythen.' 299
letzten fächerartigen Strahlen der untergehenden Sonne; sie bricht den Zweig
und läuft bergab der Nacht zu,- vom Himmelsgott und seinen Dienern er-
griffen, wird sie zu Gottes Dienstmägdeu (dem ihr ähnlichen Mond- und
Sternenlicht??) gelegt. Als Lohn verspricht ihr Gott eine Krone mit sil-
bernen Rändern (o. S. 296), die sie Abends beim Schlafengehen (bei Abend-
dämmerung) unter den Kopf legen, Morgens strahlend auf die Stirne setzen
setzen soll. Mit einigen besonderen Zügen stellt denselben V^organg 82 dar.
Die Zweige bilden hier eine goldene Umzäunung. Die Sonnentochter läuft,
nachdem sie die Zweige abgebrochen, in die Badstube der Maria, wie wir
später sehen werden, das Abendroth, das noch vereinzelte Sonnenstrahlen,
die Quastblätterchen, durchirren. Grössere Eigenthümlichkeiten hat 81. An
dem Thalquell [Thal, Niederung = Gegend des Sonnenuntergangs] heizen die
Gottessöhne die Badstube d.h. sie entzünden das Abendroth; die Sonne bricht
(untergehend) dazu einen goldenen Strauchbesen als Badequast (vgl. die Zweige
45. 82 und den rothen Fächer o. S. 90), der doch in Gefahr ist sich leicht
aufzulösen, auszuschmelzen unter dem Einfluss der Nachtschatten, welche
die Mehnesniza bewirkt. Die Dämmerung möchte wenigstens ein Zweiglein
des Badequastes noch festhalten.
Die gleichmässige, hellgraue Färbung, in welche die Dämmerung allmäh-
lich hier die grellen Lichttöne des Tages, dort die schwarzen Schatten der
Nacht übergehen lässt, scheint als Wäsche der Sonnentochter aufgefasst zu
sein. Sie ertrinkt, die goldene Kanne waschend (39). Der Gottessohn be-
lauscht sie, wie sie im Bächlein ihr Antlitz wäscht (63). Unter dem Ahorn
waschen frühmorgens die Sonnentöchter ihr Antlitz im reinen Wasser des
Quellborus (80). Das Auswaschen der vom Blute des Eichbaums (Abend-
röthe) gefärbten Decke des Wolkenhimmels ist das darauf folgende erste Ge-
schäft der Sonnentochter (72. 75. 78. 79). Wenn 75 dabei der Sonnentochter
einen „Knaben" substituirt, so ist an den jugendlichen Helden, „den Tag",
zu denken. Die Sonne schilt ihre Töchter, Abenddämmerung und Morgen-
dämmerung, dass sie nicht die Diele (das Vorhaus), nämlich des Hauses, in
das sie Abends zur Nacht eintreten will, gefegt [vgl. o. S. "^97 den Strauchbesen],
noch die Tafel, auf der sie, die Allnährerin, selbst Morgens der Welt als
volle Schale, als Tischchen deck' dich, als Göttermahl, kredenzt werden wird,
von den Flecken der Nacht rein gewaschen hat. Der Ungeduld des Dichters
kamen Tagesende und -Anfang zu spät. Darum wird 29 die Sonnentochter
ermahnt, früh aufzustehen und den Ladentisch weiss zu machen.
Im Uebrigen wechseln die auf die Sonnentöchter bezüglichen Bilder in
mehrfacher Weise. Während sie z. B. nach mehreren Liedern mit dem Gottes-
sohne sich verheirathet, bricht sie ihm nach 70 das Schwert ab. Unter
diesem Schwerte wird man, so meine ich, die ersten in der Dämmerung empor-
schiessenden Sti'ahlen der Sonne verstehen müssen.') Dieselben können,
') Vgl. die Beschreibung eines Sonnenaufgangs in der afrikanischen Wüste von H. ßrugsch.
21»
300 W. Mannhardt:
insofern der Sonnenball noch nicht sichtbar ist, sehr wohl als Schwerter
des Morgensterns bezeichnet werden, die zur Tageshelle fortschreitende Däm-
merung macht ihnen ein Ende. Träfe diese Deutung zu, so wäre damit zu-
gleich das Verständniss für einen Zug des Freymythus gewonnen. In dem
Mythus von Freys Brautwerbung tritt der Gott, der vielleicht die weitere
Bedeutung der zeugenden Naturmacht in der Sommerhälfte des Jahres hatte
(s. Baumkultus S, 591 ff.) entschieden in der Rolle des Sonnengottes auf.
Ich stimme M. Müller bei, der die von Freyr ersehnte, von der Gluth wabender
Lohe (vafrlogi) eingeschlossene Gerdr (d. h. die Begehrte, Ersehnte vgl. ahd,
kerön), die von dem Glänze ihrer Arme Luft und Meer wiederleuchten macht,
auf die Morgenröthc (resp. Abendröthe) deutet.^) Man wird durch sie sofort
an jene montenegrinische Sonnenschwester und Morgensterns-Gespielin
mit goldgelben Füssen und goldrothen Armen erinnert, die drei goldene Aepfel
wirft (o. S. 212). Zum Brautgeschenk erhält auch Gerdr den Ring Draupnir
(s. o. S. 296) und 11 Aepfel, beides mythische Ausdrücke für den Sonnen-
ball. Freys Brautwerber, der Hellmacher Skirnir, ist ein männlicher College
der lettischen Sonnentochter, von ihm, dem Repräsentanten des Zwielichts,
durfte es gesagt werden, dass Freyr ihm sein Schwert, das sich von selbst
Aue dem Orient I S. 75: Allmählich schwindet die Nacht mit ihrem Sternenmeer, aber noch
lange verhüllt ein dichter Nebel die Aussicht über die Wüste hin — . Plötzlich erhellt ein
matter Lichtstreif am östlichen Himmel die dunkle Erde und lange hellgraue Schatten
gehen der Karavane vorauf. Aber bald verschwinden auch sie wieder, und eine blendend
helle Kugel erhebt sich rollend über weissen Nebelstreifen, umgeben von schiessenden
Strahlen, wie der Kopf eines Heiligen von leuchtender Glorie. Es ist die Sonne, welche der
Nacht den Sieg abgewonnen hat. Vgl. auch H. Heine Atta Troll Kap. 20:
Sonnenaufgang. Goldne Pfeile Endlich ist der Sieg erfochten
Schiessen nach den weissen Nebeln, Und der Tag, der Triumphator,
Die sich röten, wie verwundet, Tritt in strahlend voller Glorie
Und in Glanz und Licht zerrinnen. Auf den Nacken des Gebirges.
Denselben Gedanken finden wir in Rückerls Ghaselen des Dschelaleddin Rumi (Gedichte B II
1836 S. 424 ausgedrückt:
Das Sonnenschwert giesst aus ins Morgenroth
Das Blut der Nacht, von der es Sieg erficht.
Wäre — was doch noch Bedenken gegen sich hat — M. Müllers Deutung des vedischen Sara-
meyas als Sohn der Dämmeiimg, als erster Lichtblick des Tages (Vorlesungen üb. Wissensch.
d. Spr. II 439) richticr, so würde der Vers des Rigveda VII 54 ,wenn du, glänzender Särameya,
deine Zähne öffnest, o Rother, so scheinen Speere an deiner Kinnlade zu glänzen,
während du schluckst", trefflich auf die beschriebene Lichterscheinung passen; die Kinnlade
deckte sich wohl mit der mehrfach besprochenen von der Harke, Egge, Wipfelzweig in den let-
lischen Sonneiiliedern. Die Metapher eines Kinnbackens der Dämmerung spielt auch im
neuseeländischen Mauimythus eine Rolle (vgl. Tylor Anfänge der Cultur I 338), und nun wird
auch wohl der Kinnbacken, mit welchem Simson die Philister schlägt, auf die ersten Licht-
strahlen des Morgens statt (wie Steinthal wollte Zs. f. Völkerpsychol. II S. 136 ff.) auf den
Blitz deutbar.
') Vorlesungen über Wissenschaft der Sprache II 352. Vgl, Wisliceuus Sonne und Tag
S. 40 11. 50 fl.
Die lettischen Sonnemnythen. 301
gegen den Riesen schwingt (den schiessenden Lichtstrahl der aufgehenden
Sonne) zum Geschenk macht. Dass Freyr später sein Schwert vermisst, ist
Misverstand der zum Epischen gewendeten, mythenverknüpfenden Sage. Zur
Bekräftigung dieser Auffassung dient das mit den lettischen Sonnenliedern
vielfach verwandte estnische „Abendlied" (Päwawerimisse laul). Dasselbe
ist im estnischen Original mit beigefügter Uebersetzung abgedruckt in „Neuss
estnischen Volksliedern" Reval 1850 S. 100 n. 31:
Sinke Sönnlein, o sinke, Säuberlich ging ich nun seiher
Schwinde, goldnes Stündlein schwinde, Längs des Kiespfads hin die Kleine,
Sink' aufs Badehaus der Herrschaft, Längs des Landwegs hin die Niedre;
Hin auf Könighauses Schwelle Trat in die Tiefe klafterweit,
6 Unter auf des Herren Fenster! Bis zum Hals in die Brut der Fische, 30
In die Bäche bis zum Busen.
Liebt dasSönnelein derHerr nicht.
Liebt's im Badehaus der Herr nicht, Was ist kommen mir ans Knie da,
Nicht der König auf der Schwelle, Ist mir an den Hals gesprungen?
Unterm Fenster auch die Herrschaft. KommenistausK nieein Sc hwertmir.
An den Hals ein Schwert gesprungen. 35
10 Sinke Sönnlein, sinke dorthin! Hob heraus das Schwert mit Händen,
Dort im Saale sitzt der Wächter, Trug das Schwert zum Edelhofe,
Sitzt im Saal die Frau des Wächters, Tat es auf den Tisch des Herren.
Kämmet dort der Knechte Häupter,
Dorten rieten drauf die Herren,
Säubert der Hirtenbuben Häupter, Wunderten sich sehr die Wächter: 40
15 Bürstet die Häupter ohn' Erbarmen, „Wo ist her das Schwert hier kommen?
Hält die goldene Strähl' in Händen, Kommen aus dem Krieg das Sch;/;ert ist,
Sammt dem Silbersäuberbrette. Aus der Helden Handgebeinen,
Stürzte tief die Strähl' ins Meer, Aus der Knäbchen Kniegebeinen.
In die Bäche das Säuberbrettleiru
Ich vernahm es, Antwort hatt' ich: 45
20 Ich zu Peter, um zu bitten: Aus dem Meer das Schwert ist
0 Peter, heil'ger Knecht des Herrn, kommen;
Pawel, du des Schöpfers Diener, Ward am Strand des Meers geschlilfen,
Aus dem Meer lang' mir die Strähle, In des Meeres Wasser blinkend.
Aus den Bächen das Säuberbrettlein —
25 Nicht ging Peter, nicht ging Pawel.
Der Herausgeber kannte noch eine andere Fassung, welche wie die Räthsel-
lieder eingeleitet wird. Nach der Angabe des hersagenden Esten sind der
V. 11 u. 12 erwähnte Wächter und dessen Frau Waisen (Pflegekinder) des
Königs; eben diese Frau ist von V. 20 an die Sprecherin, sie findet das
Glücksschwert und wird dadurch nachmals reich.
Blicken wir auf den Inhalt des Liedes zurück, so sinkt die Abends nieder-
gehende Sonne immer tiefer bis zuletzt bis dahin, wo die Pflegetochter des
Königs einen Kamm in Händen haltend sitzt. Im Augenblicke des
Sonnenuntergangs fällt dieser Kamm tief ins Meer. Da kein Heiliger
sich erbarmt ihn herauszuholen, so steigt sie selbst ins Wasser, da kommt
aus dem Meere und springt ihr bis an den Hals ein Schwert,
dessen Besitz Reichthümer schafft. Die Wächterin und Königswaise ist offen-
302 W, Mannhardt:
bar dieselbe, wie die lettische Sonnentochter, die Sprecherin in mehreren
Sonnenliedern, die Abenddämmerung. Der Kamm, die Strähle, welche ihr im
Augenblicke des Sonnenuntergangs ins Meer fallt, findet sich in den lettischen
in Form der Harke wieder, womit jene das Heu harkt (s. unten); des Kammes
(der Harke) Zinken sind den letzten Strahlen der untergehenden Sonne ^)
(vgl. o. S. 90 den rothen Fächer). Als Morgendämmerung steigt sie ins Meer,
den Himmelsocean, um den Kamm wieder aufzufischen; da steigt ihr das
Schwert entgegen, der erste aufblitzende Sonnenstrahl der Frühe.
Nach 67 harkt die Sonnentochter gegenüber dem Morgenstern an dem
grossen Wasser mit silberner Harke her. Der Wiese, auf der das vor sich
geht, entspricht die Goldkoppel in 45, der Harke mit ihren Zinken die in
anderen Liedern Zweig, Badequast, Besen genannte Lichterscheinung, die vor
Aufgang der Sonne in den Himmel emporschiessende Strahlengarbe. Das
entsprechende Phänomen am Abendhimmel schildern unter ganz verwandtem
Bilde 65. 66. Hier sind die seidenen (s. o. S. 97) oder goldenen Berge
(s. 0. S. 97) das Himmelsgewölbe im goldigen Abendschein, die seidenen
oder goldigen Wiesen = Goldkoppel (vgl. o. S. 299) ein zweiter Ausdruck für
denselben Gegenstand; die Egge steht der Harke in 67 gleich. Die Gottes-
söhne Morgenstern und Abendstern, als Arbeiter der Sonne und des Mondes
oder als Knechte des Perkun gedacht, werden ausgeschulten, dass sie nicht
durch die den Sonnenuntergang vorbereitenden Lichterscheinungen die süsse
Nacht herbeigeführt haben (65. 66). Die Sonnentochter (als Morgendämmerung,
Zwielicht) führt also mit silbernem Rechen harkend schon die ersten Licht-
erscheJnungen des Tages herbei; sie zwirnt auch den Seidenfaden, den Sonnen-
strahl (64), vgl. S. 218. Zuweilen geht sie dann unmerklich in den Begrifi"
des Tageslichtes, der Tageshelle, über; so 42, wo sie dem Gottessohn, dem
Abendstern, die Hand über das grosse Wasser schon dann reicht, als die
Sonne noch auf dem Berge steht; und möglicherweise auch 83 — 84, wenn
man sich die Situation so zu denken hat, dass die Sonnentochter am Rosen-
stock d. h. Baum der Sonne hinauf- und herabklettert. Solcher Personification
des Taglichtes steht 73 das Mondlicht, in einem weiblichen Wesen persönlich
geworden, ganz parallel. Der Mond wartet vergeblich auf das Tageslicht-
Zwielicht, die Sonnentochter, um die er freit, die Sonne verkauft sie dem
Morgenstern. Da führt er die Weberin der Sternendecken, den matten
Glanz des mondhellen und sternklaren Nachthimmels, ins Brautbett.
Eine gewisse Schicht mythischer Anschauungen, in denen die Sonnen-
tochter eine Rolle spielt, beruht ursprünglich auf dem Axiom, dass die Sonne
Abends den Tod finde, in den Wellen ertrinke u. s. w. Dann musste natür-
lich die hinter ihr zurückbleibende Sonnentochter, die Dämmerung, als Waise
') Vgl. das bei Tertullian adv. Valentinian. 3 angedeutete römische Märchen: ,nonne tale
aliquid dabitur, te in infantia inter somni difficultates a nutricula audisse lamiae turres et
pectines solis?"
Die lettischen Sonnenmythen. 303
erscheinen. Als ein solches Waisenmädchen erscheint dieselbe 82 ; ebenso
in 79, wo dieses Waisenmägdlein einen Silbergürtel trägt und ein seidenes
Tüchlein hat, das sie mit ihren Thränen (Thautropfen ?) benetzt. Sie wirft es
in den Nesselbusch (d. i. brennenden Busch == Weidenbaum o. S. 297 Eiche
o. S. 232 S. 285) dort blitzt es am Morgen den jungen Knaben, den Gottes-
söhnen, entgegen und wird während des Tages ausgewaschen. Auch 84 ge-
hört als ähnlich hieher, wo die Sonnentochter als eine unter fremde Leute
Verstossene bezeichnet wird, jedoch nur nach Analogie von Liedern, wie die
vorigen, denn die Eltern sind noch als lebend gedacht, sie rüsten im fernen
Westen der Schwester der Verstossenen, der Sonnentochter (Dämmerung)
des nächsten Tages die Hochzeit. Aber nach 8 dürfte das Waislein doch
wohl wieder die Sonnentochter selbst (die Abenddämmerung) sein, die hier
nach dem Tode der Mutter mit dem Gottessohne sich verlobend gedacht wird.
Von der in 82. 79 besungenen Waise, aca i^oy/jv. der Dämmerung, sind
vermuthlich die vielen Waislein zu unterscheiden, welche die Sonne Nachts
hinter dem Berge wärmt. Sehe ich recht, so verhält es sich damit so. Es
gab von Stender und Andern bezeugte lettische Lieder, in denen die Sterne
als die Kinder der Sonne und des Mondes genannnt wurden.^) Als litauischen
Glauben bezeugt dasselbe Afanasieff^), ja in einer Daina erscheint sogar die
Auszrine (der Morgenstern), die gewöhnlich Nebenbuhlerin der Sonne in der
Liebe des Mondes ist, als Tochter derselben. Dieselbe Anschauung kehrt in
kleinrussischen Weihnachtsliedern ^) wieder, indem diese das Firmament als
einen grossen Dom darstellen und den Mond als Herrn, die Sonne als Frau
darin darstellen.
Die helle Sonne, das ist die Hausfrau,
Der helle Mond, das ist der Herr,
Die hellen Sternchen, das sind ihre Kinder.
An diesen Glauben knüpfte sich leicht die Anschauung, dass die Sterne,
wenn die Sonne nicht da sei, Waisen seien. Man vgl, nur H. Heiners
„Sonnenuntergang".
Die glühend rothe Sonne steigt Einst am Himmel glänzten,
Hinab in's weit aufschauernde, Ehlich vereint,
Silbergraue Weltmeer. Luna, die Göttin, und Sol, der Gott,
Luftgebilde, rosig angehaucht. Und es wimmelten um sie her die Sterne,
Wallen ihr nach; und gegenüber. Die kleinen unschuldigen Kinder.
Aus herbstlich dämmernden Woikenschleiern, Doch böse Zungen zischelten Zwiespalt,
Ein traurig todtblasses Antlitz, Und es trennte sich feindlich
Bricht hervor der Mond, Das hohe, leuchtende Ehepaar.
Und hinter ihm, Lichtfünkchen
Nebelweit, schimmern die Sterne.
*) Stender lett. Myth. s. v. svaigsnes.
') Afanasieff poet. Naturansch. I 79—80. Züge a. d. Leben des lit. Volks 125—126.
^ Metlinski 342 ff. Afanasieff a. a. 0. I 79.
304 '^- Mannhardt:
Jetzt am Tage, in einsamer Pracht, Aber des Nachts
Ergeht sich dort oben der Sonnengott, Am Himmel wandelt Luna,
Ob seiner Herrlichkeit Die arme Mutter,
Angebetet und vielbesungen Mit ihren verwaisten Sternenkindern,
Von stolzen, glückgeh arteten Menschen. Und sie glänzt in stiller Wehmuth,
Und liebende Mädchen und sanfte Dichter
Weihen ihr Thränen und Lieder.
Ganz ähnlich, meine ich, galten dem Letten die Sterne, wenn die Sonne
nicht da war, als von der Mutter verlassen, mit starkem bildlichem Ausdruck
verwaist. Ging sie unter, so wärmte sie, uns unsichtbar, hinter dem Berge
(o. S. 97) die verlassenen Waislein. Nach anderer Anschauung streben
diese der Fliehenden nach, ohne sie zu erreichen. Kaum ist die Sonne fort,
so folgen ihr eiligen Laufes in ihrem Schatten (der Nacht) hundert verlassene
Sternlein (5), Maria heizt ihnen die Badstube (das Abendroth) (6). Sie
nehmen in ihrem Laufe den Berg ein, auf dem die Blume (die Rose) der
Sonne (s. o. S. 222) blühte (7). Einmal geschaffen, fand dieses Bild der
mythischen Waislein vielfache Uebertragung auf irdische Waisenkinder, um
so eher, als der Lette die erquickenden Wirkungen des Sonnenscheins und
der Sonnenwärme mit den wohlthuenden Empfindungen in Ideenverbindung
zu bringen liebte, welche das Kind in der Nähe der liebenden Mutter zu
durchströmen pflegen (1. 2). Deshalb heissen Morgenstern und Abendstern,
die Gottessöhne, wie sie Geschwister der Sternwaislein sind, in 9 auch Brüder
des irdischen Waisenmägdleins; und in 10 wird von einem vaterlosen (un-
ehelichen?) Knaben gesagt, dass die Gottestöchter (Sonnentöchter) ihn warten
werden.
Die Sonnentochter, um noch einmal auf diese zurückzukommen, galt für
die ersehnteste, allgemein beliebte und angenehmste Erscheinung der Welt,
daher glaubte der Litauer einen an Allem, selbst am Schönsten Mäkelnden
nicht besser als durch die zum Sprichwort gewordene Phrase bezeichnen zu
könnnen: „Selbst eine Sonnentochter kann's ihm nicht recht
machen".^)
Spuren der nämlichen Vorstellungen von der Gottestochter oder
Sonnentochter finden wir auch bei den Slaven wieder Nach gewissen
russischen Ueberlieferungen werden König Sonne und seine in den Sternen
wohnenden Söhne von Sonnenmädchen bedient, welche sie waschen und
ihnen Lieder singen.^) Oefter ist von der Schwester der Sonne, oder
den Schwestern der iSonne die Rede (vgl, o. S. 215). Die ser-
bischen Lieder nennen den Morgenstern Schwester der Sonne, die Russen
die Morgenröthe,'*) Von einem schönen Mädchen sagt man, es sei so
') Schleicher Lit. Märchen 8. 170. Vgl. AfanasiefT poet. Natiiransch. 1 82.
*) Afanasieff poet. Naturansch. d. Russ. I 82.
^) Afanasieff I S. 86. 87. - Talvj Vplksl. d. Serben 1853 II S. 381. 105.
Die lettischen Sonnenmythen. 305
schCn, als ob es der Sonne Schwester wäre.') Ein slovakisches Lied
beginnt:
Morgenröte, mein Morgenrötchen,
Röte, Schwesterchen der Sonne.')
Zuweilen aber tritt statt dessen der Name Gottestochter ein. Nach eben-
falls slovakischer Tradition dienen die Zori (Röthen, d.h. Abend- und
Morgenröthe), die Gottestöcliter zusammen mit dem Morgen-
stern der Sonne und schirren ihr die weissen Pferde an.'O
Das folgende russische Lied aber aus dem Kreise Lipetzk Gouvernement
Tambow in Grossrussland zeigt uns — wie es scheint — deutlich wenigstens
der Sache nach die Dämmerung als Sonnentochter. Eine Jungfrau bittet
den Fergen, sie über das Wasser (den nächtlichen Himmelsocean) auf das
andere Ufer zu setzen:
Fuhrmann, guter, Ich bin nicht von grosser Geburt,
Fahr' mich auf die andre Seite hinüber. Nicht von kleiner.
»Ich werde dich hinübersetzen. Ich habe zur Mutter die helle Sonne,
Aber ich nehme dich (zum Weibe)" Zum Vater den hellen Mond,
Du wirst mich fragen Brüder sind mir die unzähligen Sterne,
Von welcher Geburt ich bin, Schwestern die hellen Morgensternchen.*)
Von welchem Stamme.
IV. Die Gottessöhne.
Die Gottesöhne lett. dewa deli, lit. dewo sunelei. In vielen Liedern
ist nur von einem Gottessohn die Rede, in anderen von mehreren. Die Be-
deutung dieses Namens erschliesst uns der Vergleich von 73 und 63, 71b
und 72. In 63 späht der Gottessohn nach der Sonnentochter aus; in 73 ist
der Morgenstern hingelaufen, um nach ihr zu schauen. In 71b nimmt der
Mond dem Morgenstern, in 72 dem Gottessohn die verlobte Braut. Mithin
') Krek trad. Lit. 83,
^) Afanasieff I 80.
■■') Journal des Ministeriums der Volksaufkl. 1846, 7. Afanasieff poet. Naturansch. I 694.
Vgl. auch das ukrainische Märchen von der Sonnenschwester bei Afanasieff Skazk. VI n.
57, woraus Ralston Russian Folkstales S. 170 -175 einen grösseren, Gubernatis Zoological myth.
I 183 einen kürzeren Auszug giebt. Iwan Zarewitsch, der jungmachende Aepfel besitzt,
hat zur Schwester eine drachenartige Hexe, die schon Vater wxd Mutter verschlungen hat und
den kleinen Iwan verfolgt. Er flieht vor ihr auf einem Zauberross bis vor die Wohnung- der
ihm holdgesinnten Schwester der Sonne. Die Hexe macht ihm da den Vorschlag, sich mit
ihm wiegen zu lassen; kaum sitzen sie jeder in einer Wagschale, so schnellt er empor zum
Himmel grade in die Kammer der Sonnenschwester. Gubernatis deutet dieses Märchen so:
Iwan ist die Sonne, die Sonnenschwester d.h. die Morgenröthe oder Dämmerung ist seine
rechte Schwester, der weibliche Drache d. h. die Nacht seine Stiefschwester, welche bereits die
Eltern (die Abendsonne und Abendröthe von gestern) verschlungen hat und die aufgehende
Sonne verfolgt und noch vor der Thür der Morgenröthe mit ihren Schatten bedroht, bis sie
sich auf der Schale = Sonnenscheibe in den Himmel erhebt.
*) Afanasiefif poet. Naturansch. I 79.
306 W. Mannhardt:
ist der Gottessohn mit dem Planeten Venus gleich zu stellen. Weitere Unter-
suchung zeigt, dass dessen scheinbar doppelte Erscheinung als Abendstern
und Morgenstern, bald als einheitlich gefasst, bald im Singular der Gottes-
sohn geheissen war, bald zur Annahme zweier Gottessöhne Anlass gab, die
dann wieder häufig, sei es am Abend, oder am Morgen gemeinschaftlich han-
delnd gedacht wurden. Den Beweis für diese Angabe liefert 52 — 54, wo die
zwei im Meere (o. S. 98) brennenden Lichter, welche einmal von den
Gottessöhnen angezündet werden, das anderemal diese selbst sind, nicht wohl
anders als auf Abendstern und Morgenstern bezogen werden können. Wenn
ein Gottessohn einzeln mit Namen genannt wird, so ist das der Morgenstern
und das zuweilen in solcher Verbindung, dass er als Zusammenfassung des
Abendsternes un^ Morgensternes, als der einheitliche Planet Venus aufgefasst
werden zu müssen scheint. Nach 44 scheint der Begriff der Gottessöhne auf
alle Sterne sich auszudehnen, da nicht Mondessöhne gemeint sein können,
um die für den Mond nicht erst zu bitten erforderlich wäre.
Die meisten Angaben, welche über die Gottessöhne in den Liedern ge-
macht werden, haben wir bereits bei Besprechung der Sonnentochter in Er-
wägung gezogen. Zugleich mit der Krone der Sonnentochter wird der Gürtel
des Gottessohnes genannt, beide schmiedet der Himmelsschmied, beide hängen
Nachts am Eichbaum (38. 55). Wird die Krone von den letzten, beziehungs-
weise ersten Strahlen der unter- und aufgehenden Sonne gebildet (o. S. 295),
so weiss ich für den Gürtel keine andere Erklärung, als das Abend- resp.
Morgenroth, da die griechische Benennung des Regenbogens Q(x)vri oder QtovdqLov
Trjg Jlc(i>ay/ag Gürtel der Madonna^) und die litauische Laumes j&sta, dangaus
jüsta Elfengürtel, Himmelsgürtel hier nicht einschlägt. Wenn es richtig wäre,
was M. Müller Vorles. H 351 als Ergebniss seiner Untersuchungen ausführt,
„Aphrodite, die dem Meeresschaum Entstiegene, war ursprünglich die
Morgenröthe, jenes lieblichste Phänomen am Himmelsgewölbe und von dieser
Grundidee aus wurde sie im Geiste der Griechen naturgemäss zum Range einer
Göttin der Schönheit und Liebe erhoben", so erhält nun auch der Gürtel der
Venus II. XIV 214 ff. die gleiche Bedeutung des umkränzenden (vgl. unser
Lied 27) lieblichen Morgenroths*.
^Jl /.(u fino aiijOta(fiv Sliacuo xtoiby l/jüvia
lloixikov' I»'i9« Si ot mkxit'jnia nävja i^ivxio'
"/^V.y ffi fxty (//Ao'riyf, tf 6' J'|Uf(>of, If d'oatjtati'i,
lläntpaoii, rji fxXt\lJt vöov nvxa 7itf> (f noytönwv.
Der Abend- oder der Morgenstern erscheint gleichsam umgürtet von der Abend-
oder Morgenröthe.
Anders gewendet erscheint dasselbe Bild, wenn es 81 heisst, die Gottes-
söhne heizen die Badstube. Wir fanden diese Angabe schon melirfach be-
stätigt. Der Morgenstern (Auszrine) facht der Sonne das Feuer an (4. 76),
') Schwartz Ursprung der Mythologie S. 117.
Die lettischen Sonnenmythen. 307
die Donnersmuhme (Percuna tete, Abendstern — Morgenstern) bereitet ihr
Abends die Badstube, aus der sie Morgens gereinigt hervorgeht (91, vgl. o.
S. 289), Maria heizt den Sternen die Badstube (6, vgl. o. S. 304), die est-
nische Wundereiche wird zertrümmert zur Badstube des Brüderchens (o. S. 286).
Wir haben uns hier überall den Feuerschein eines russischen Dampfbades
(pirtis) zu vergegenwärtigen und an die Abend- und (oder) Morgenröthe
zu denken. — Ausser dem Gürtel wird dem Gottessohn einSchwert beigelegt.
Wir erkannten darin bereits o. S. 299 den ersten Lichtstrahl des Morgens.
Morgenstern und Abendstern heissen 46 die Rösschen des Mondes,
der kein eigenes Koss habe, wogegen ihm nach 73 ('falls ich richtig
deutete) ein graues Rösschen eignet. Nach anderen Stellen sind die
Gottessöhne Reiter auf grauen Rossen und (wohl im Verein mit anderen
Sternen) Freiwerber des Mondes vor der Hausthür der Sonne (Abends) 44;
dagegen halten die grauen Rosse des Gottessohnes in 42. 43 auf der Frei-
werbung für ihn selbst vor der Hausthür der Sonne. Wenn die Sonnen-
tochter den Rosenstock zum Himmel hinaufsteigt, sieht sie schon von fern
den Gottessohn sein Rösslein satteln (83, vgl. 84). Gottes liebe Söhne reiten
heran und lassen ihre Rosse in die Goldkoppel (45, vgl. o. S. 302) oder in
die goldene Umzäunung (82). Auch eine litauische Daina, welche Afanasieff
I 84 nach Zügen aus dem Leben des lit. Volkes 128 — 134. 148 erwähnt, sagt:
Wohin sind gekommen Gottes Pferde? Gottes Söhne sind damit hinweg-
geritten, suchend die Töchter der Sonne." Dem Gottessohn als Reiter kommen
dann auch die goldenen Sporen zu, welche der Himmelsschmied schmiedet (36).
In 45 sind die Gotteissöbne wohl unter den Dienern des lieben Gottchens
gemeint, mit denen dieser die Sonnentochter (die Dämmerung) sucht. Denn
65 erscheinen sie wieder als Knechte der Sonne und des Mondes, wie 66
als Arbeiter des Perkun, welche mit ihrem Aufseher in Streit gerathen, weil
sie die goldenen (seidenen) Wiesen nicht gemäht, die goldenen (seidenen)
Berge [o. S. 302] noch nicht geeggt haben. Die Egge beruht auf derselben
Naturerscheinung wie die Harke, mit welcher nach 67 die Sonnentochter
gegenüber dem Morgenstern Heu harkt (vgl. o. S. 302), aus diesem Heu-
harken sind erst die weiteren Bilder des Grasmähens, der Wiese, Goldkoppel,
sekundär abgeleitet. Ich scheue mich nicht, auch die Harfe, auf welcher 69
der Gottessohn spielt, für eine neue Auffassung des nämlichen Phänomens
zu erklären.
Doch verdient das Lied 69 (nebst 68) noch eine etwas eingehendere Er-
klärung. Die Scene spielt am Abend, die Gottessöhne roden den Birk-
wald d. h. sie machen die Stümpfe des zerschmetterten Sonnenbaums im all-
gemeinen Dämmerungsgrau verschwinden (o. S. 332) und gehen nach Deutsch-
land (der Abendstern steht im Westen), um von da Morgens im Osten auf-
zutauchen, und die Sonne her aufzuführen, oder mythisch ausgedrückt, mit
Bechern zu werfen (o. S. 102), auf der goldenen Harfe zu spielen,
den Apfel zu rollen (29). Zu den täglichen Obliegenheiten der Gottes-
308 ^- Mannhardt:
söhne gehört es auch wohl, die Kanne — Becher der Sonne (s. o. S. 102)
zu bebändern; in 47 ist dieses Geschäft auf den Jahreslauf, auf die Sonnen-
wende übertragen.
Während bie Gottessöhne den ßirkwald roden, fressen Gottes Gänse,
Gottes schwarze Stiere mit weissen Hörnern das Gras der Himmels-
wiese, oder Röhricht im grossen Wasser (Luftmeer). Diese schwarzen Stiere
sind offenbar die hereinbrechenden Schatten der Nacht, welche vereinzelt schon
am Abendhimmel sichtbar werden. So heisst in Russland die Nacht gradezu
die schwarze Kuh, der Tag der graue Ochse oder weisse Ochse, die Dämmerung
der graue Bulle. ' ) Und gradeso werden im Veda die Abendschatten schwarze
Kühe genannt im Gegensatz zu den rothen Kühen, den Lichtstrahlen des Morgens.
Die der Morgenröthe voraufgehende Zeit, wenn das Licht beginnt, allmählich
der Finsterniss zu widerstehen, schildert Rigv. X 61, 4. Wenn eine schwarz e
Kuh mitten zwischen rothglänzenden Kühen sitzt, rufe ich euch Söhne
des Dyaus, o A^vins, an^) [das ist ja fast wörtlich unser Lied 69], wo-
gegen statt es dämmert Rigv. 1 92, 1 gesagt wird „die lichten Kühe kehren
wieder" oder Rigv. X 8, 3 „da die Sonne emporstieg, erfrischten die lichten
Kühe, die Arushis (d. h. die rothen Lichtstrahlen) ihre Leiber im Wasser.^)
Nach noch anderen Stellen treibt die Morgenröthe diese Kühe auf die Weide.
Nach 56 wirft der Gottessohn in der Mitte des Meeres eine Insel
(Haufen) auf. Das steht in unverkennbarer Parallele zum Sonneneiland Aia,
wo Helios untergeht oder aufgeht, und bedeutet unzweifelhaft entweder die
ersten dunkeln Schattencomplexe am Abendhimmel oder die ersten Helligkeits-
flecke, welche Morgens am nächtlichen Firmamente auftauchen.
In einem engen Yerhältnisse stehen die Gottessöhne zur Sonnentochter.
Wenn sie den Rosenstock hinaufklettert, begegnet ihr der Gottessohn (83. 84).
Die Gottessöhne sind Brautführer, wenn die Sonnentochter im Westen ver-
heirathet wird (15). Sie finden im Nesselbusch das Seidentuch der Maria
(79), [o. S. 303, u. wie der Morgenstern den Sammetrock, das Morgenroth
näht, 51J. Es heisst andererseits, dass die Gottessöhne der Sonnentochter
den Ring abgezogen haben (60), den sie nach anderen Liedern ihr Morgens
wieder aus der Tiefe fischen. Sinkt sie in's Meer, so steht der Gottessohn
auf dem Berge (35). Aber die Gottessöhne rudern auch das Boot, um ihr
Leben durch die Nacht hindurch bis zum Morgen zu retten (34). Sie zünden
') Afanasieff poet. Naturansch. I «59. S. die lolRendeTi Räthsel: Die schwarze Kuh hat alle
Menschen todtgestossen, die weisse Kuh hat sie wieder lebendig gemacht, oder die schwarze Kuh
hat alle Menschen besiegt, die weisse Kuh hat alle wieder herausgesführt (Tag und Nacht),
Die schwarze Kuh hat das Thor verrammelt (Nacht). Der graue Bulle sah durch's Fenster
(Dämmerung). Dal Sprichwörter der Russen 1063. Mosk. 1852. Tereschtschcnko VII 164.
Rementoff VII. — Kleinniss.: Der graue Ochse hat alle Menschen zusammengerufen (Tag).
Slowak.: Ein weisser Ochse hat, alle Menschen auf die Beine gebracht (Tag).
*) S. M. Müller Vorles. üb. Wissensch. d. Spr. II 451. Muir, original Sanscrit texts V 239.
') M. Müller Essays II 121.
Die lettischen Sonnenmythen. 309
zwei Lichter im Meere au, bei denen die Sonnentochter sitzt (53). Dieselbe
harkt dem Morgenstern gegenüber (67), doch_^briclit sie ihm das Schwert ab
(70). Zumeist jedoch tritt der Gottessohn als Freier um die Sonnentochter
auf. Während sie sich wäscht, späht er vom Busche nach ihr aus (63).
Die Rosse seines Gefolges stehen (Abends) vor der Hausthür der Sonne,
wenn er um die Sonnentochter freit; er reicht der Ankommenden die Hand
über das grosse Wasser (42. cf. 44). Der Morgenstern verlässt den Reigen
der Sterne, um auf die Freischaft nach der Sonnentochter zu laufen (50. 73.
74); früh geht er auf, der Sonnentochter begehrend (49). Die Gottessöhne
bauen für sie ein Brautgemach, in das sie zitternd hineingeht (54), nach 72.
71b nimmt aber der Mond dem Morgenstern die verlobte Braut. Eigenthüm-
lich ist — wie schon oben erwähnt — 44, wo von 100 Gottessöhnen als
Reitern die Rede ist, der Name des Gottessohns mithin, wie es scheint, auf
die Sterne überhaupt ausgedehnt wird.
Dioskuren und A(,;vins.
Der Kundige muss bald gewahr werden, wie genau mit den lettischen
Mythen von den Gottessöhnen und der Sonnentochter oder Gottestochter die
griechischen von den beiden Dioskuren und ihrer Schwester Helena überein-
stimmen. Ihr Mythus ist zwar bei Homer sowohl, als auch in den Kyprien
(bei Pindar) bereits durch verschiedene fremdartige Motivirungen verdunkelt,
im ganzen und grossen scheint jedoch in beiden eine ältere Ueberlieferuug
ziemlich rein bewahrt, welche unzweifelhaft im letzten Grunde auf mehreren
Sonnenliedern nach Art der vedischen Hymnen, oder unserer lettischen Lieder
beruhend, verschiedene Bilder für einen und denselben Gedanken zu einer
Erzählung vereinigte.
Dem Namen dewa deli, dewo sunelei entspricht der griechische Jiog
xnvQüi dem Begriffe nach fast genau. Wie jene, bedeuten diese Morgenstern
und Abendstern'), deren einer am Anfange der Nacht dort, wo die Sonne
untergeht, und der Eingang zur Unterwelt sich befindet, der andere am Be-
ginne des Taglichts erscheint. Deshalb leben sie Tag um Tag abwechselnd
der eine im Grab, der andere im Lichte des irdischen Tages oder bei Vater
Zeus. 2) So ist auch, wie Welcker^) bemerkt, da sie es den Worten nach
kann, die Stelle in der Odyssee XI 299 — 304 zu verstehen und nicht so
wie der Scholiast und Eustathius meinen, als ob beide zugleich einen Tag
um den anderen lebten. Ihre Namen Kas-tor der Schimmernde von Wurzel
kas (splendere (cf. lat. cas-cus blank, cä-nus aus cas-nus weiss, grau), altnord.
hösvi grau ahd. haso schön glänzend,*) und Polydeukes nach G. Curtius
Gr. Etym. Aufl. 2 589 der Ruhmreiche, nach M. Müller Essays II 90, wie
') "Welcker griech. GtJtterlehre I C06 fl".
"*) Kyprien bei Pindar. Nein. X 8C H,
^) Griech. Gütterl. I 612.
*) Zs. f. vgl. Sprachf. II 152. VIII 208.
310 W. Mannhardt:
auch Pott für möglich hält 1), der vielleuchtende, mit vielem Lichte Be-
gabte stimmen mit jener sachlichen Bedeutung überein. Ihre Schwester Helena
'EXevr/ neben 'Eltmo, gebildet von Wurzel oVfk = svar, wie naQ^evng von
Wurzel vardh wachsen^), die glänzende, die Morgenröthe oder das Licht der
Morgensonne, heisst bei Homer wie die Sonnentochter, Gottestochter
^lO'^ i<oi()tj, xovQp^ /Jiog aiyiöxoio, ^los ^itysyaiüa. IL III 426. Od. IV
184 u. s. w. Sie entstand sammt Polydeukes aus dem Ei [Schale des Himmels-
gewölbes? Weltei? Sonnenball?], das Leda von dem in Schwangestalt^)
verwandelten Zeus empfangen. Wenn ausser Zeus, ihrem wirklichen Vater,
Tyndareos als ihr Vater vor der Welt genannt wird, so beruht das unzweifel-
haft in letzter Instanz auf verschiedeneu Sagen oder Hymnen, in denen ihr
statt des Zeus Tvvd-d()-eog Tvvö-cxQtjg zum Vater gegeben war, der Stos sende,
Stechende*). Man fühlt sich versucht, dabei an jenes pfeilartige Hervor-
stossen, Empor-schiessen der ersten Lichtstrahlen des Morgens (o. S. 307)
zu denken.
Aus demselben Grunde, wie die Dewa deli, sind auch die Dioskuren
mit Ross und Wagen begabt. Die llias III 237 nennt Kastor innoda/iiog
') Zs. f. ygi. Sprachf. V 288.
' Zs. f. vgl. Sprachf. VIII 46.
^) Der Schwan ist ein altes Naturbild der Sonne, der rothe Schwan des bei Sonnenaufgang
oder Sonnenuntergang sich röthlich färbenden Himmels. Vgl. E. Tegner von der Sonne
Wo schwammst du im Meer
Goldbefiederter Schwan?
Schwartz S. M. u. St. 27. Vgl. o. S. 90 den Schwanenflaum im Westen. Dem Inder heisst
die Sonne hansah (.'uki.sad im Aether schwebender Schwan (eigentl. Flamingo). Rigv. V 40, 5.
Kuhn Entwickelungstufen S. 139. Die germanische Anschauung spricht sich in der Genealogie
Tag und Sonne, Schwanweiss, Gold fede r (Svanhvit GuUfiödhr), Schwan der Rote
(Svanr hinn Hauiii) aus. Fornaldarsög. II 7. Germ. Myth. 38. 375. Vgl. den Mythus der Al-
gonkins bezüglich des Sonnenuntergangs. Odschibwä sieht einen schönen rothen Schwan,
dessen Gefieder wie Sonnenlicht glänzt und die ganze Luft roth färbt. Er verwundet ihn
mit magischem Pfeil, so dass der Purpur seines Blutes alle Wogen färbt. Der Vogel flieht
langsam der sinkenden Sonne zu, Odschibwä folgt ihm ins Land, woher niemand wiederkehrt.
Der Schwan ist die Tochter eines alten Zauberers, der seinen Skalp verloren
hat, welchen Odschibwä ihm wiederholt und aufs Haupt setzt, worauf der Alte sich von der
Erde erhebt, nicht mehr greise und gebrechlich, sondern in jugendlicher Schönheit
strahlend. [Er ist also die Sonne, der Schwan eine Sonnentochter.] Der Zauberer ruft die
schöne Jungfrau hervor, die nun nicht mehr seine Tochter, sondern seine Schwester ist, und
giebt sie dem siegreichen Fremden zum Weibe. Schoolcraft Algic researches II 1—33, bei Tylor
Anfänge der Cultur I 140. Halten wir diese Analogien zusammen, so bekommen wir eine Ahnung
davon, was mit der Rede gemeint sein konnte, dass der in den Schwan [die aufgehende oder
untergehende Sonne? oder das mit weiss-röthlichen Wolken gleich Schwanenflaum (o S. 90)
überzogene Firmament?] verwandelte Himmolsgott mit Leda [der Nacht?] den Abendstern und
Morgenstern und die Morgenröthe zeugte. Apollons heiliger Singschwan dürfte zur Bestätigung
der solaren Naturbedeutung des Schwans in einer so alten Mythe, wie die Dioskurensage ist,
nicht verwerthet werden, wenn die Ausführung von J. H. Voss Mytholog. Briefe II Br. 10—13
S. 84-114 Recht behält, dass der Schwan erst durch den Eintluss der bildenden Kunst dem
Apollo beigesellt und als dessen heiliges Zugthier iu die Poesie eingeführt sei. Doch bedarf
dieser Gegenstand noch erneuter Untersuchung.
«) Curtius Grundz. Aufl. 2. 204.
Die lettischen Sonnenmythen. 311
rossebändigend, der Homer'sche Hymnus auf die Dioskuren beide Brüder
raxtMv mißr'jCni)£i; 'inniov^ was Voss^) wie in Od. 18, 263 auf das Besteigen
des mit Rossen bespannten Wagens bezog. Daneben stellten andere Dichter,
denen die frühesten Künstler, z. B. der Bildner des amykläischen Thrones in
der Zeit des Krösus folgten, sei es auf Grund älterer Ueberlieferung, sei es
nach subjectivem Gutdünken, die Dioskuren als Reiter dar. Noch zu einer
Zeit, welche sich der Naturbedeutung derselben bewusst war, beschäftigte
man sich mit den Rossen ihres Gespannes im Einzelnen. Diese galten bald
für ein Geschenk des Hermes, hiessen Ilarpagos und Phlogeos, und waren
Kinder der Harpyic (Stnrmgüttin) Podarge, Bezeichnungen ihrer Lichtoatur
und der an ihnen vorausgesetzten Götterschnelligkeit. Andere machten
sie zu einer Gabe der Here und gaben ihnen die Namen Exalithos und
K|yllaros (vgl. xvXuo = xvXird(o^ vom Kreislauf der Gestirne, Stesichorus
(s. V. KvHa()og. Cram Anecd, II p. 456) vereinigte beide zu einem Vier-
gespann. Noch bei Euripides bricht eine ältere Anschauung durch. Die
Dioskuren heissen die Lenker der weissen Rosse levy.Lnnni (Hei. 646)
und werden 1511 angerufen,
fiöknirt 7707' 'tTiTjtov uQ^n
dl cci'ßfooi i(fx(voi,
na^ötq TvvöanCöat,
i.ctf.iTjaiuv üninwy vn udi.uiaiv.
Pindar Pyth. I 126. Ol. 3, 39 nennt die Dioskuren Xevxömolm^ avinnm.
Die Echtheit dieser Benennung findet ihre Bestätigung in der Mythe, dass
die Zeusknaben sich die Leukippiden Phoibe (die reine, helle. Curtius
Grundz. Aufl. 2 581) und Hilaira die heitere (vgl. 'tlaooi' ifty^ng die frohe
Tageshelle) zu Gattinnen rauben, über welche Preller H 9fS mit Recht sagt:
Ihre Namen Hilaira und Phoibe verkünden strahlendes Licht und heitern
Glanz, ihr Vater Leukippos ist zu verstehen wie Itvxö.ivjkoL: rjitQa. Vgl.
ebenda das weisse Ross des Tages, und oben S. 95. Die Himmelsknaben
haben mithin das lieblichste aller Weiber, die Morgenröthe, die Dämmerung
zur Schwester; werbend strecken sie ihre Hand nach den Genien des schon
vorgeschritteneren Morgenlichtes oder der Tageshelle aus.
Als eine andersgewandte Mythe von nächstverwandtem Inhalt lehren uns
die lettischen Sonnenlieder, die wohl aus den Kyprien bei Pindar Nem. X
55 ff. Apollod. III 11,2 erhaltene Tradition verstehen, dass die Dioskuren
mit den beiden Apharetiden Lynkeus (Lichtmann Lichtniacher? oder der
wie ein Luchs sehende?-) und Idas (der Sehende?, Sehenraachende?)^ wegen
einer Rinderheerde in Stielt geriethen. Die Dioskm'Cn verbergen sich (setzen
sich), um ihrenFeinden aufzulauern in eine hohle Eiche (öqvo^ tv oieltjei)^
•) Myth. Briefe II 1.
312 W. Mannhardt:
Lynkeus aber, der von allen Erdbewohnern das schärfste Auge
hatte, erschaute sie, vom Berge Taygetos herabspähend ^). Idas ersticht
den Kastor und schleudert dem Polydeukes einen Stein vom Grabe
seines Vaters Apbareus an die Brust^), wird aber selbst von Zeus Blitzstrahl
zerschmettert, nachdem Polydeukes den Idas mit der Lanze durchbohrt hat.
Da Polydeukes mit dem geliebten Bruder sterben will, gewährt Zeus seinen
Söhnen, abwechselnd bald im Himmel, bald in der Unterwelt weilen zu dürfen.
Ich bin nicht der hergebrachten Ansicht, dass die Aphariden messenische
Dioskuren seien, sondern erblicke in ihnen gegenüber dem Morgenstern und
Abendstern zwei Personificationen jener Zeit, wann man wieder anfängt deut-
lich zu sehen, männliche Doppelgänger der Leukippiden und der lettischen
Sonnentochter. Wie nun letztere bald des Gottessohnes Braut ist, bald mit
ihm unter dem Ahorn tanzt, mit ihm zusammen ihren Ring an die Eiche
(Nachtsonnenbaum) hängt, bald aber im Gegentheil ihm das Schwert zer-
bricht, konnten die Apharetiden im Streite um die Kühe, die rothen Licht-
strahlen des Morgens (vgl. die 350 Rinder des Helios und oben S. 308),
als die Gegner (Auslöscher) der Dioskuren gedacht sein, welche in der
Eiche sitzen, wie o. S. 237 Asterinos unter dem Baum, in den er später
verwandelt wird. Der Tod des Kastor durch den Steinwuri des Idas
stellte sich dann genau dem Steinwurf der Sonne gegen den Mond in un-
serm lettischen Liede 71 zur Seite. Der Stein ist die Sounenscheibe,
welche dem Glänze des Morgensterns ein Ende macht. Dass der Stein vom
Grabe des Vaters der Apharetiden genommen sei, hatte guten Sinn, wenn
unter Apharetos (die Form Aphareus ist Hypokoristikon) der zu seinen Vätern
versammelte Sonnengott des vergangenen Tages, der (von der Decke der
Nacht) noch Unverhüllte {a-ipdiiijiog von (pa()ng, cfä{)og Decke Leichentuch
vgl. a-x6of.irjTog von xöa/.ing') verstanden werden dürfte.
Schon Welcker und Preller erkannten die nahe Verwandtschaft der grie-
chischen Dioskuren mit den beiden Ayvins der Inder an-, noch deutlicher
tritt die Analogie der letzteren zu den Gottessöhnen der lettischen Sonnen-
lieder hervor. Die A9vin8 heissen Söhne des Dyaüs, des Himmels, Divö
napätä.^) Ihr Name A^vinau, mager ursprünglich die beiden Pferdebesitzer
oder Reiter, oder Söhne des Rosses (apva Hengst = Soune, apvä Stute
= Morgenröthe) bezeichnen, führt uns wieder die Lichtstrahlen in der Auf-
fassung als Rosse vor Augeu.*) In der Beschreibung, welche der Veda von
') So späht der üottessohn vom Weidenbusche o. S. 297 S. 309
3) Toi (V h'ar
I« aiüilH' Ti'j/Lißoj n^tJuy nai(iujtio.
"Eviliy i\ (in ü'iavi a u-
yalf.1 'Aida, ^tojöu n ( i ti o y
"Efjßakoy ai(iiVü) Ilokvöti-
xtoi. — _ ' ' Pindar Nem. X 123 ff.
^) Muir original Öauscrit texts Vol. V London 1872 S. 235.
*) Vgl. M, Müller, Vorlesungen üb. Wissenscb. d. öpr. II 451.
Die lettischen Sonnenmythen. 313
ihnen giebt, ist unschwer die Personification von zwei Gestirnen und zwar
von zwei nie zu gleicher Zeit erscheinenden zu erkennen; ich vermuthe auch
in ihnen Abendstern und Morgenstern. JJennoch sind sie eng verbunden,
weil ihre Stellung zur Sonne und Morgen- und Abendrothe zu beiden Tages-
zeiten eine ilhnliche ist. Sie werden aber voizüglich als am Morgen sichtbar
und thütig gedacht, weil der Sonnenaufgang zu allen Zeiten den Menschen
tiefer ergriö", als der Sonnenuntergang. Der berühmte Vedacommentator
Yäska führt ein altes J^ied au, wonach der eine Sohn der Nacht, der andere
Sohn der Morgenrüthe genannt wird, der eine durchdringe Alles mit Feuchtig-
keit, der andere Alles mit Licht, und auch in einem Verse des Rigveda wird
der eine siegreich, in der Luft weilend, der andere glücklich und des Dyaus
Sohn genannt, so wie mit der Sonne identificirt. Gleichwohl werden beide
zusammen angerufen, und mit denselben Opfergaben geehrt. Gemeinsam
nahen sie zuerst von allen Göttern vor Sonnenaufgang; wenn nach Mitter-
nacht das Licht der Finsterniss zu widerstehen anfängt, und die Nacht der
Morgenrüthe weichen will. Dann im ersten Zwielicht schirren sie ihre
Rosse vor den Wagen und steigen zur Erde nieder, um die Anbetung
und Opfer ihrer Verehrer zu gemessen.') Deshalb heisst die Dämmerung
oder Morgenrüthe (Ushas) ihre Schwester. Diese wird in vielen andern
Hymnen, wenn von ihrer Verbindung mit den A^vins die Rede ist, xar'
t^ox/^v Suryu, d.i. griech. Hello, oder Divo duhitfi, Himmelstochter,
Jiog d^vyaxr'jQ genannt, wie jene selbst Himmelssöhne. Sie wird bei An-
schirrung ihres Wagens geboren. 2) Ushas heisst aber auch Suryasya
duhitä, Sonnentochter, und die Vedendichter sagen, dass die Sonnen-
tochter auf dem Wagen der A^vins stehe, dass sie dieselben zu ihren zwei
Gatten gewählt habe. Nach einem Hymnus Rigv. X 85, 9. 14 war jedoch
Soma der glückliche Bewerber um die Sonnentochter Suryä, und die A^vins
sind zwei Freunde des glücklichen Bräutigams, welche zum Hochzeitzucre
kommen, als Savitar (der Sonnengott) seine Tochter dem Soma giebt. 3)
Und Sayaua erzählt nach einem Brahmana: Savitar hatte seine Tochter Suryä
dem Könige Soma zum Weibe bestimmt. Alle Götter bemühten sich um ihre
Hand und kamen überein, wer bei einem Wettrennen mit der Sonne als Mal
siegen würde, solle sie bekommen. Die A(?vinen ersiegten sie und sie bestieo-
ihren Wagen.*) — Soma ist der personificirte Göttertrank des vedischen
Zeitalters; dürfte man ihn in den beiden angeführten Stellen, wie schon mehr-
fach im Atharvaveda, in den jüngeren Hymnen des Rig und in den Brahmauas'^)
als Namen des Mondes fassen, so läge der Gedankengang klar. „It is not
uunatural, from the relation of the two luminaries, that he (der Mond) should
') Muir a. a. 0. 238.
2) Muir a. a. 0. 238. M. Müller Essays II 82.
^) Muir a. a. 0. 237.
*) Muir a a. 0. 236.
*) Muir a. a. 0. 271.
Zeitschrift für EtUuglogie, Jahrgang 1875.
314
W. Mannhardt:
have been regarded as son in law of the sun."') Man wird^ vielleicht an-
nehmen dürfen, dass in diesen Ueberlieferungen der Name Soma eine andere
Bezeichnung des Mondes in einer älteren Fassung ersetzt. Dies vorausgesetzt,
gewähren die lettischen Lieder von den den Brautschatz der Sonnentochter
führenden Gottessöhnchen, von der Sonnentochter, die in das Brautgemach
der beiden Gottessöhne eingeht, von der Nebenbuhlerschaft des Mondes und
der Gottessöhne, bei der Freiwerbung um die Sonnentochter schlagende
Uebereiustiramuugen. Die mythische Grundlage der Leukippiden findet
M. Müller-) mit Recht in Rigv. I 115, 2 wieder. „Sie, die Morgenröthe,
die von weissen Rossen gezogen wird, wird im Triumph von den A^vins
heimgeführt."^)
Estnische Parallelen.
Augenfällige Berührungspunkte mit den lettischen Liedern 42 ff. weisen
mehrere estnische und finnische Runen von der Freischaft der Sonne, des
Mondes und des Sternes (resp. des Polarsterns) um eine aus dem Ei ge-
borene Jungfrau auf. Von dem estnischen Lirde giebt es viele Varianten;
es wurde vor kurzem noch öfter bei feierlichem Festtanz, dem Kreuzesreigen^),
o-esuno'en, und liegt in Neuss's estnischen Volksliedern Reval 1850 I S. 9 — 23
in vier verschiedenen Fassungen, in einer fünften im Kalewipoeg, Gesang I
V. 126—863 vor. Nach den vier Liedern bei Neuss findet ein Weib ein
Hühnchen auf der Strasse, das sich in eine Jungfrau, Salme, wandelt. Drei
Freier, der Sonnensohn, des Mondes holder Knabe und der Spross
der Sterne erscheinen jeder mit fünfzig Rossen und sechzig Len-
kern; Salme verschmäht den Sonnen- und Mondesfreier und erwählt sich
den Sterneusohn. Im Kalewipong findet eine Wittwe in der Wiek ein Küch-
lein, ein Birkhuhnei und vor dem Dorfe eine junge Krähe. Sie trägt alle
drei nach Hause, schliesst Ei und Hühnchen in einen Brutkasten,
dessen Deckel sie verschliesst, und wirft die Krähe in den Winkel
hinter dem Kasten. Nach vier Monaten ist aus dem Hühnchen die Jungfrau
Salme, aus dem Birkhuhnei ein zweites Mädchen Linda, aus der Krähe ein
Waisenmädchen, eine Sklavin geworden. Es stellen sich als Freier Sonne,
Mond und des Polarsterns ältestes Söhnchen, jeder mit fünfzig Rossen
und sechzig Rosselenkern ein, und werben um Salme; sie verlobt sich
dem Sternknaben. Während ihrer Hochzeit nahen abermals Sonne und
Mond, sodann der König der Meereswogen und der Kunglakönig^), und be-
gehreu Linda zur Frau; sie weist Alle ab; sie vermählt sich dem Kalew.
') Muir a. a. 0. 237.
'^) Essays II 82.
3} Dieselbe Idee steckt in der Sage vom weissen Rosse, das die A^vins dem Pedu
schenken, so wie von der Blendung und Heilung des Rijrav'va {='^Qyinnoi) der sein Auge ver-
loren hat, weil er der Wölfin (vriki d. i. der Nacht) 100 Schafe schenkte. Muir a.a.O. 245. 247.
*) Eine Beschreibung desselben liefert Blumberg, Realien zum Kalewipoeg. S. 81.
^) Der öfter genannte König eines mythischen Landes. Blumberg a. a. 0. S. 3 6.
Die lettischen Sonnenmythen. 315
Die finnische Ueberlieferung erzählt ebenfalls von einer Fahrt, welche die
Sonne, der Mond und der Nordstern unternahmen, um sich eine Gemahlin
zu holen. Nach Lönnrots Kanteletar III 1 galt die Freierfahrt der schönen
und aus einem Gänse ei ausgebrüteten Jungfrau Suometar; in Rune
XI V. 20—60 der Kalewala heisst die Schöne Kylikki. Sonne, Mond und
Sterne warben um sie, jeder für sein Söhnlein. Sie schlägt alle aus und wird
schliesslich von Leraminkainen geraubt.
Der Sternensohn, welclier die Braut davonträgt, gleicht sich dem lettischen
Gottessohn, dem Morgenstern; vielleicht ist hier der Polarstern nur eine Ver-
schiebung von Venus zum Schwanzstern des kleinen Bären. Die aus dem
Ei des Birkhuhns oder der Gans geborene Salme oder Suometar erinnert
au Helena, die aus Ledas Schwanenei hervorging; das Hühnchen, welches
zur Jungfrau ward, an die o. S. 226 erwähnten Auffassungen der Sonne, des
Sonnenlichtes als Hahn, Huhn u. s. w. Hält man den estnischen Spruch,
darin der Sonnenkäfer aufgefordert wird in das mythische Land zu fliegen,
wo die Hähne Gold, (die Hennen Blech), die Gänse Silber und die
Krähen altes Kupfer trinken^) (o. S. 227) mit dem Funde der Wittwe
Ei, Birkhuhn und Krähe zusammen, so wird man geneigt sein, in diesen
Fundstücken Lichterscheinungen des Morgen- und Abendhimmels, in Dienst-
magd und Krähe das dicht an die schwarze Nacht grenzende Stadium der
Dämmerung zu erblicken. Auf diese Weise wird der Vorzug erklärlich, den
der Sternensohu erhält.
V. Der Mond.
Weniger bedeutend als die Sonne, Dämmerung und der Planet Venus
tritt der Mond in unsern Liedern hervor, am natürlichsten in 17, wo die
Sonne sich mit ihm in die Arbeit, den Menschen zu leuchten, theilt, und
jedem sein Gebiet abgrenzt. Eine ähnliche Unterhaltung zwischen den Genien
beider Himmelskörper enthält das nachfolgende russische Lied aus dem Gou-
vernement Tschernigoff;
Da hinter dem Berge, hinter dem Walde, „Mein helles Sonncheu,
Hinter dem grünen See, Was geht dich das au.
Dort hat die Sonne gespielt, Wie ich untergehe?"
Mit dem Monde sich unterhaltend. Ich gehe auf leuchtend
Ich Trage dich, Mond, Und gehe unter verdunkelt."
Gehst du früh auf, gehst du spät unter?
Weiter folgt ein vergleichendes Gespräch zwischen einem Knecht und
einer Magd, welche sich erkundigt, ob er ein Pferd habe, und weshalb er
sie besuche,')
') Bei Neuss B. a. a. 0. S. 13 wird statt des lluhujs allein ein Hahn und ein Hühnchen
gefunden; Hühnchen scharrte schöne Seiden, Hähnchen goldne Franzengarne (vgl. o.
S. 217 die goldlaces). Aus dem Hühnchen wird Salme, der Hahn kommt nicht weiter vor, ist
mithin wohl reiner Pleonasmus von der Mache eines jüngeren Ueberarbeiters.
') Afanasietf, poet. jSaturansch. I 76.
316 W. Mannhardt:
Nach 47 trägt der Moud den Sternenmantel, es ist also der Nachthimmel
als sein Gewand gedacht, die Sterne als Verzierungen daran. In 73, wo
offenbar er der Sprecher ist, führt er dagegen als sein Liebchen die Weberin
von Sternendecken (das Mondlicht?) heim und dasselbe Wesen wird es
sein, welches 48 seinen Fuhrmann spielt. Während ein russisches Räthsel
den Moud grade so wie den Tag, ein graues Ross nennt^) (vgl. o. S. 95),
behauptet unser Lied 46, der Mond habe kein eigenes Rösschen, Morgenstern
und Abendstern seien seine Rosse; während nach 44 hundert Reiter, seine
oder Gottes Söhne (vgl. o. S. 306. SO") auf grauen Rossen für ihn
auf die Freiwerbung um die Sonnentochter ausziehen. Es sind alle Sterne
gemeint und nach 73 besitzt er in der That selbst ein graues Rösschen.
Er freit um die Sonnentochter (44), die Sonne giebt sie ihm, obgleich
sie dieselbe dem Gottessöhnchen versprochen (72); während sie nach 71b
grade zürnt, weil er dem Morgenstern die verlobte Braut genommen. Nach
75 führt er die Sonnentochter heim und Perkun führt den Hochzeitzug. Nach
73 dagegen wartet er auf die ihm verlobte Sonnentochter und da diese nicht
kommt, weil der Morgenstern nach ihr schaut und sie sich von der Sonne
erkauft, vermählt er sich mit der Weberin der Sternendecken. Der (mit der
Sonnentochter verlobte) Mond zählt alle Sterne, alle sind da, ausgenommen
der Morgenstern, der nach jener auszuschauen lief (74, 50, 73).
Die litauische Poesie setzt an die Stelle der Freischaft des Mondes um
die Sonnentochter seine Liebe zur Sonne selbst (77. vgl. o. S. 95), und sein
Nebenbuhler, der Morgenstern, erhält nun diese zur Nebenbuhlerin. Abends
reicht der wankelmiithige Liebhaber der Sonne die Hand, Morgens der
Auszriue. Die Verbindung der Sonne und des Mondes ist den Letten übri-
gens nicht unbekannt, da sogar die Sterne zuweilen als Kinder dieser Ver-
bindung genannt werden (o. S, 303). Als Liebhaber des Sternes kennt den
Mond auch ein weissrussisches Lied:
Halte Musterung, Mondchen, Musterung!
Er hat alle Sternchen durchmustert!
Ein Sternchen hat ihm gefallen.
Wenn sie (die Sternjuiigfrau) auch klein ist, ist sie doch hell,
Und unter allen Sternen hervorragend.*)
Doch auch die slavische Sage weiss von dem Verhältniss zwischen Sonne
und Mond und zwar wird dasselbe nicht bloss als tägliches, sondern auch
als ein im Jalireslaufe sich vollziehendes gedacht. Die Liebenden, Sonne
und Mond, gehen zum Winter, in den ersten Tagen des Frostes, nach ver-
schiedenen Seiten auseinander und treffen erst wieder in den ersten Tagen
des holden Frühlings zusammen.^) Auf einer ähnlichen Anschauung mag
') Ein graues Pferd (Füllen) sieht durch das Thor (Hecke). Tereschtscheuko VH 164.
Sacharoff I 96, bei Afanasieff poet. Naturansch. 1 597,
-■) Kostomaroff weissruss. Volksl. II 57, bei Afanasieff poet. Naturansch. I 78.
*/ Afanasieff a, a. 0. I 77,
Die lettifichen Sonnenmythen. 317
es beruhen, dass 77 die Hochzeit des Mondes und der Sonne in
den Frühling verlegt; dass der erste Frühling (der Welt) genannt wird,
ist ein sehr passender Zeitpunkt, sobald einmal nach der Regel des Mythus
der wiederholte Naturvorgang durch einen einzelnen Moment sich ersetzt.
Wegen seiner Untreue wird der Mond von Perkun mit dem Schwert zer-
hauen (76. 77); auch das lettische Lied hat diesen Zug, nur übt die Sonne,
nicht Perkun, das Richteramt (71a). Hier hat der Mythus ganz ähnlich wie
bei dem vorhin genannten Beispiel Vorgänge der Tagesgeschichte des Mondes
(Sonnenuntergang, Mondschein, Morgendämmerung) dazu verwandt, um den
monatlichen Verlauf des Phänomens (Zu- und Abnahme des Mondes,
Mondviertel) zu erklären. Und so geschieht es überhaupt im Be-
reiche der Mythologie der Sonne und Gestirne sehr gewöhnlich, da SS
Tageslanf, Monatslanf, Jahreslaiif der Natiirobjecte in
der mythischen Erzählung zu einem Ganzen verschmol-
zen werden.
VI. Perkun.
Perkun, der Gewittergott, wird in unsern Liedern in folgenden Bezie-
hungen erwähnt Perkun fährt nach Deutschland über das Meer, ein Weib
zu nehmen (13. 14). Er schmettert in den Quell (See), wo die Sonnentochter
ertrank (39. vgl. 40).') Er ist Brautführer auf der Hochzeit des Mondes und
der Sonnentochter (72. 75). Er zerschmettert den goldenen (grünen) Eich-
baum (72. 73. 75. TS). Er spaltet den Apfelbaum (74). Er zerhaut den
Mond (77). Seine Muhme (der Abend-Morgenstern) heizt der Sonne Abends
die Badstube (91. vgl. o. S. 289).
In der Sprache und im Liede tritt Perkun sonst zunächst als Gewitter-
gott auf. Spr. 316:
Der Perkun Vater
Hatte neun Söhne,
Drei schmetterten, drei donnerten,
Drei blitzten (flimmerten).
Von den verschiedenen Momenten des Gewittervorgangs werden die einzelnen
Anlass zu verschiedenen Verrichtungen des Perkuu in übertragener Bedeutung;
• theilweise sind diese Verrichtungen in verschiedenen Söhnen des Gottes — wie
wir soeben sahen — hypostasirt. Er verfolgt und zerschmettert nicht allein die
Johdi (d. i. die Schwarzen, die Teufel, eigentlich die Dämonen des Dunkels der
der Wolke und vielleicht auch der Nacht), sondern wird auch angerufen, die
böse Schwiegermutter zu zerschmettern oder den über die Daugawa (diesmal
den Fluss Düna) vordringenden Feind zurückzuhalten. Spr. 316:
Ihr Donner, ihr Blitze
Zerschmetttert die Schwiegermutter!
Damit ich selbst Freiheit habe,
Die Schlüssel erklingen zu hissen.
') Der hier genannte Waldteufel ist der weiter unten erwähnte Johds.
318 "W. Mannhardts
Grolle, grolle, Perkunchen,
Zerspalte die Brücke über die Daugawa,
Damit nicht kommen die Polen,
Die Litauer in mein Vaterland.
Er segnet den Acker:
Leise, leise drohend
Kommt über das Meer der Perkunchen,
Nicht verdarb er die Faulbaumblüte,
Nicht wo der Pflüger gegangen ist.
Der Donner ist sein Lied und Spr. 315 bittet:
Der Perkunchen hat fünf Söhne,
Alle fünf sind in Deutschland.
Ich bitte dich Perkunchen,
Führe einen in dies Land,
Damit er mir helfe diesen Ort
Erzittern zu lassen durch Lieder.
In den Erscheinungen des Sonnenuntergangs und Sonnenaufgangs kann
Perkun hienach nur durch Uebertragung, nur durch Vergleich der Morgen-
röthe und Abendröthe mit dem Gewitterfeuer, der ersten Lichtblitze des Mor-
gens mit dem grossen elektrischen Phänomen als Lichtzünder wirksam ge-
worden sein. Wahrscheinlich war der Anfang der hiehergehörigen Vorstel-
lungen die in 39 geschilderte; die ersten Lichtblitze des Morgens erschienen
als Perkuiis rächender Strahl, mit dem er in das Himmelsgewässer schlug, wo
die Sonnentochter ertrank. Von hier aus mag dann durch Analogie die An-
nahme einer Betheiligung des Gewittergottes an den Phänomenen des Morgen-
lichtes und Abendlichtes von Stück zu Stück, von Bild zu Bild immer weiter
um sich gegriffen haben.
VII. Der Himmelsschmied.
Die Lieder 36. 37. 38 bringen uns Kunde von einem himmlischen Schmied,
welcher dem Gottessohne Sporen oder einen Gürtel, der Sonnentochter Krone
und Ring verfertigt. Seine Schmiede liegt am Himmel und am Saume des
Meeres oder des grossen Wassers, der Daugawa. Man wird bei flüchtigem
Hinsehen geneigt sein, zunächst an eine Beschreibung des Gewitters zu denken,
in welchem der bald als Gürtel'), bald als Krone oder Ring^) gedachte
Regenbogen geschmiedet werde, allein diese Deutung verträgt sich nicht mit
dem Sinne, den wir vorhin für den Gottessohn und die Sonnentochter und
') Vgl. 0. S. 306. Bei den Gallas in Afrika heisst der Regenbogen zabata scarf, Schärpe,
Leibbinde, uud zabata wacayo, Leibbinde des Himmels, wie lit. dangaus josta, Gürtel des Him-
mels. Auf türkisch heisst der Regenbogen giboh kiemeri, des Himmels Leibgürtel, Schärpe. Pott
in Zs. f. vgl. Sprachf. II 430.
'"0 In Lothringen heisst der Regenboge» couronne de St. Bernard, die Karaiben nennen ihn
den bunten Federkopfputz, das Diadem des Gottes Joulouca, die Zigeuner Gottes Ring. Zs. f.
vgI._Sprachf. II 426. 430. 432. 428.
Die lettischen Sonnenmythen. 319
für deren Krone, Ring und Gürtel ermittelt haben. Wenn es wahr ist, was
wir in früheren Abschnitten dieser Abhandlung auseinanderzusetzen suchten,
dass der Gottessohn der Planet Venus, die Sonnentochter die Dämmerung,
der Gürtel Abend- und Morgenroth, der Ring die Sonne, die Krone die letz-
ten und ersten Strahlen des niedergehenden und aufgehenden Tagesgestirnes
bedeute, so muss der Vorgang des Schmiedens am Abend oder Morgen ge-
schehen und als das Schmiedefeuer das Abendroth oder Frühroth
gedacht sein. Ahne ich recht, so kann die Verfertigung der in unseren Lie-
dern genannten Lichterscheinungen nur eine Verdunkelung, eine abgeleitete
Form des eigentlichen Geschäftes sein, welches die alte Sage dem im Morgen-
roth am Himmel schmiedenden Künstler beiraass. Ich meine, dasselbe müsse
darin bestanden haben, jeden Morgen die neue Sonne zu schmieden.
Irre ich nicht, so liegt diese Gestalt des im Morgenroth oder Abendroth
schmiedenden Himmelskünstlers den Figuren mehrerer aus finnischer, ger-
manischer griechischer Sage bekannter göttlicher Schmiede zu Grunde.
Der erste derselben ist der finnische Ilmarinen. Ihm werden mancherlei
Wunderwerke beigemessen. Er hat den Himmel geschmiedet und den Deckel
der Luft (ilman kansi) gehämmert (Kalew. 10, 273 ff.) Seine zweite That
war es, den Sampo zu schmieden, eine wunderbare Mühle mit buntem
Deckel (kirjo kansi), die von selbst Mehl, Salz und Gold (Geld) mahlt, so
dass das ganze Land, in dessen Besitz sie ist, in Ueberfiuss lebt. In dem
Sampo hat die neuere Forschung übereinstimmend die Sonne erkannt. i)
Die Wirthin des finsteren Nordlands verschliesst dieses Kleinod in denselben
Felsen, in welchen sie nach anderen Liedern Sonne und Mond verbirgt; hier
haben wir mithin zwei synonyme Mythen für die winterliche Verdunkelung
der Sonne. Wenn nun Ilmarinen aus Gold und Silber einen neuen Mond
') J. Grimm, Finn. Epos in Höfers Zeltschr. f. Wissensch, d. Spr. I 29. Kl. Sehr. II 89
hatte schon, indem er die über Nacht oder an jedem Morgen .ganz wie Kalewala erste
Ausg. 5, 299. 347 puhtehessa tempore antelucano" Gold und Silber mahlenden Mühlen der
germanischen Sage und des germ. Volksliedes verglich, gefragt „ist es (das Goldmahlen) von
der aufsteigenden, den Horizont vergoldenden Tagesröthe hergenommen?" A. Schiefner erklärte
in seiner am 22. Miirz 1850 in der Petersburger Akademie gelesenen Abhandlung „zur Sampo-
mythe" Bull, histor.-phil. T. VIII n. 5. p. 8, dass unter dem Sampo ursprünglich das glanz-
vollste, strahlenreiche Tagesgestirn, unter dem Deckel der Himmel, das Firmament gemeint ge-
wesen sei. Kirjokansi (bunter Deckel) ist Kalew. R. 27, 109 ff, 49, 51 Synonym des Himmels.
Schiefner a.a.O. p. 7. A. Kuhn, Herabkunft des Feuers S. 115 ff. trat dem bei und suchte
die Auffassung der Sonne als Mühle verständlich zu machen. Neuerdiags hat 0. Donner, Mythus
von Sampo (Abdruck a. d. Acta Societ. Fennic. Tome X Helsingfors 1871) gegen die inzwischen
von J. A. Friis aufgebrachte Deutung des Sampo auf eine lappische Zaubertrommel Schiefners
Erklärung desselben als ,die goldglänzende Sonnenscheibe, die sich vor den Blicken der Men-
schen im Winter verbirgt', ausführlich vertheidigt, indem er zugleich abweichend von Schiefner
den Namen aus finnischer Sprache zu erklären sucht. Ich füge hinzu, dass die Aotioii des
Mahlens aufzufassen sein wird wie o. S. 291 das Buttern im Feuerfasse, als die flimmernde
Bewegung der Lichttheilchen an der Sonnenscheibe; und dass das Mahlen des Goldes durch
den Lichterguss am Morgen, das Mahlen des Mehlcs durch die Analogie des Tischchen deck'
dich (0. S. 230) sich treffend zu erklären scheint.
320 W. Mannhardt:
und eine neue Sonne schmiedet, aber dieselben nicht zum Leuchten zu bringen
vermag, so liegt in diesem Zuge eine Doppelform der Schmiedung des Sampo
vor, und das Ausbleiben des erwünschten Erfolges ist lediglich auf Rechnung
des mythenverknüpfenden Epos zu schreiben. Diese unabweisbare Beobach-
tung heisst mich vermuthen, dass es sich mit einem dritten Meisterstück
Ilmarinens ganz ähnlich verhalten müsse. Nachdem ein goldenes Schaf [vgl.
0. S. 243 ff.], und ein goldenes Füllen [vgl. o. S. 93 ff.] aus seiner Esse empor-
gestiegen und wieder dahinein zurückgesunken sind, bildet er sich eine
goldene Frau von wunderbarer Schönheit, aber er vermag ihr weder
Sprache noch Wärme einzuflössen und kalt ruht sie Nachts an seiner Seite
(Kalew. R. 37), Wie aber, wenn er nach älterer Sage sein Ehegemahl sich
wirklich schmiedete und wenn die goldene Jungfrau (ein drittes Synonym
zu Sampo und Sonnenball) Frau Sonne selber war? Tritt somit die Ver-
fertigung der Sonne als das Hauptwerk des göttlichen Bildners in den Vorder-
grund, so wird wahrscheinlich, dass auch die erste Schöpfungsthat Ilmarinens,
die Schmiedung des Himmels, nur eine Erweiterung der Verfertigung der
Sonne ist, und dass diese cosmogonische Mythe aus einer altern entstand,
welche einen der lebendigen Anschauung zugänglichen, periodischen Natur-
vorgang verbildlichte. Da nun bei Ilmarinen kein Zug auf eine Wesensgleich-
heit mit dem Gewittergott Ukko hinweist, liegt es sehr nahe seinem Ursprünge
nach sich jenen nach Analogie des lettischen Himmelsschmiedes als den im
Morgenroth die Sonne wirkenden göttlichen Bildner zu denken.
Von Schmied Wieland (Welant, Wiolant, Völundr) ist schon o. S. 297
die Rede gewesen. Die fabelhafte Geschichte dieses berühmten Künstlers
besteht aus einer Zusammenhäufung mehrerer Begebenheiten, deren jede ein-
zelne als Verbildlichung des Sonnenaufgangs ohne Zwang deutbar erscheint.
Als Lichtheros characterisirt ihn das Beiwort Alfa Ijödhi Alfenfürst (o. S. 207).
Er holt über Nacht den siegbringenden Stein, Sonne (vgl. o. S. 287)
herbei, er vermählt sich mit einer Schwanjungfrau ('Walkyre, Sonne? Morgen-
röthe?) und verfertigt sich selbst ein Vogelhemd, Schwanhemd, i) In den 700
Ringen, welche er schmiedet, sucht Kuhn die 350 Tage und Nächte d.h.
eine Verdoppelung der Sonnen des Mondjahrs; ausserdem wird ihm die Ver-
fertigung eines kostbaren Schwertes (vgl. o. S. 300) beigemessen, auch hat
') Vgl. Kuhn Entwickelungsstufeu 144. Dass auch die vedische Poesie die ersten Sonnen-
strahlen des Morgens zu bewaffneten Jungfrauen (den Morgenröthen, denen sich die gleich
ausgestatteten Walkyrien zur Seite stellen) umgestaltet, sehen wir aus Rigv. I 92, 1 wo von ihnen
gesagt wird „wie tapfere Männer ihre Waffen rüstend". Vgl. Wislicenus Symbolik von Sonne
und Tag 9—11. Die Waberlohe, von welcher umgeben die Walkyre schläft = dem die Nacht
begrenzenden Attend-Morgenroth. Kuhn Zs. f. vgl. Sprachf. III 451. Wislicenus a. a. 0. 50—59,
Schwan in den Veden - Sonne. Kuhn Zs. f. vgl. Sprachf. IV 120. Herabk. d. Feuers S. 91.
Vgl. auch zu dem die Schwanjungfrau heiratenden Alfenfürsten, der sich ins Feder-
gewand wirft, die Genealogie Svanhildr Gullfjödr (Goldfeder), die Tochter von S61 und
Dagr (Sonne und Tag) heiratet den Alfr und gebiert ihm Svanr hinn Raudi (Schwan den
Rothen). Vgl. o. S. 310.
Die lettischen Sonnenmythen. 321
er aus den Schädeln zweier von ihm getodteter Knaben Trink schalen,
aus ihren Augen Edelsteine (jarknasteina) geschmiedet. Das erinnert an
die Ausdrücke Ymirs Hirnschale (Ymisbauss) für Himmel, Auge Gottes für
Sonne, Augen der Engel für Sterne, Falls also diese Thaten ursprünglich
zu Völundr (Wieland) gehörige mythische Züge und nicht bloss epische An-
flüge oder Weiterbildungen waren, dürfte es wohl nicht unwahrscheinlich
sein, dass ihnen in einfachster und ursprünglichster Form ein ßild für die
vermeintliche Schraiedung des Himmels (vgl. Ilmarinen) und der Sonne oder
des durch Sonnenaufgang getödteten Abend -Morgensterns zu Grunde lag.
Dass Welent (Thidrckss. c. 60) ein Mannsbild schafft, welches so lebensvoll
ist, dass der König ihm zur Begrüssung die Hand entgegenstreckt, scheint
ein verdunkeltes Seitenstück zu llmarinens Schöpfung einer Frau. Die Läh-
mung Völunds (Welents) durch Nidung geht vielleicht im Gegensatz zu den
vorhin erwähnten Mythenzügen aut die Schwächung des Lichtes im Winter,
wenn sie nicht gleich der Lahmheit des Hephästos auf einem anderen, noch
nicht deutlich erkennbaren Grunde ruht. Den Namen Welandes smiade
(Wielands Schmiede) finden wir in England auf ein altes Steindenkmal über-
tragen,') an dem eine auch in Deutschland weitverbreitete und mit der Wieland-
sage nächstverwandte Zwergsage haftete,^) wonach in einem Hügel ein zwerg-
bafter Schmied (oder ein ganzes Zwergenvolk) wohnt, bei dem man eine
Schmiedearbeit (vorzugsweise Pflugscharen) bestellt, die am anderen Mor-
gen fertig auf dem Steine vor der Berghöhle liegt. Der Schmied besitzt
einen Bratspiess, den er ausleiht; er lässt sich in Gestalt eines glühenden
Rades sehen. Verwandte Sagen lassen die Zwerge goldene oder silberne
Schüsseln oder Braupfannon schmieden, die sie ausleihen. 3) Fusst die
Wielandsage auf einem altern Mythus vom Himmelsschmied, so werden auch
diese Zwergsagen irdische Localisationen eines himmlischen Vorgangs sein
und derselben Art angehören, wie die Erzählung von Verfertigung des Ebers
GuUinbursti (der Sonne), des Hammers Mjölnir (Blitz und Donner), des Rings
Draupnir (Sonne) durch die Zwerge; diese schmieden über Nacht und stellen
zum Morgen fertig aus dem Berge (dem nachtumzogenen Himmelsgewölbe)
heraus die Pfanne oder Schüssel = Sonne (o. S, 102), die Pflugschar
(== Harke? Egge? o. S. 302), den Spiess (=-- au fschi es senden ersten
Sonnenstrahl o. S. 300?.)*)
Endlich gelangen wir zu dem Ahnherrn der griechischen Künstler,
Hephästos, dessen hohe Uebereinstimmung mit Wieland schon von mehreren
Forschern bemerkt worden ist. Er hat sich aus Erz sein unvergängliches
von Sternen durchleuchtetes Haus ((^o'/oj- cafHiior aoienon'ia, ueta.-rQene
') Zs. f. D. Altert. XU 263, VI. W. (iriinm \). lleldens. 323 Aufl. 2 S. 333 n. 170.
2) Es genügt, auf Kuhn westfäl. Sag. 1 S. 41 n. 36 S. 66 n. 52 ff. S. 84 ii. 76 ff. zu ver-
weisen. Cf. auch Kuhn in Zs. f. vgl. Spracht. IV 96 ff. Rassmann deutsche Heidensage II S. 268.
3) Vgl. meine Nachweise Altpr. Monatschr. III 324 ff. und o. S. 231 die aus dem See auf-
steigende Schale mit Opferspeise in Indien.
*) Als Sonnenschmied Hesse auch Mime mit Mimir, in dessen Bnmnen Odhins Auge zu
Pfand steht, sich vermitteln.
322 W. Mannhardt:
ad^avdiniöir xal-xenv) verfertigt IL 18, 370, der Here den d(xlaf.iog II. 14, 166,
jedem der Götter kunstreich die Wohnung (dwfia) 11. I 60() £P. Diese Indivi-
dualisirung war durch die scharf umrissene Anthropomorphose der homerischen
Götter geboten, wer aber sähe nicht mit geistigem Auge dahinter die ältere
Gestalt des Künstlers hervortauchen, der „das Haus der Götter", das
eherne Himmelsgewölbe (^ovnavni' noXlyuhAov Od. III 2) wie Ilmarinen ge-
schmiedet? Er verfertigt wunderbare Kleinode aller Art, sein berühmtestes
Werk scheint jedoch das Schmieden eines Schildes gewesen zu sein, ein
Mythus, dessen die homerische Epik sich bemächtigte, um ihn zur Aus-
schmückung der Achillessage zu verwenden. Wären wir berechtigt, aus dem
Gewicht, w^elches der Dichter der Verfertigung gerade dieses Stückes beilegt,
auf ein besonderes Hervortreten dieses Kunstwerks unter den Arbeiten des
Hephäst in dem vorhomerischen Mythus zu schliessen, so läge es nahe, den
Schild der Sonne für die Naturbedeutung jener Schutzwaffe anzuerkennen,
welche späteren Sängern zum Vorbilde ihres von Hephäst geschmiedeten
Achillesschildes geworden ist. Die beiden goldenen Mägde, welche
Hephästos sich geschmiedet hat II. 18, 417 ff., erinnern wieder an jene von
Ilmarinen geschmiedete goldene Hausfrau und könnten Verdunkelung derselben
Vorstellung sein. Unserer Zwergsage begegnet die von Pytheas verzeichnete
Volkssage: ^Ev %7^ ^Un(x()a xal 2^T()oyyi'ltj (^iwv ^inlov de. v/jOtov avtai)
doxtl o ^'H(paiaiog diarQlßeiv di o xal Tr.v()ng ßQÖf.i()v axoviad^at xai yi%ov
acpoÖQov To de ncclaiov iliysco, rhv ßnvlouevnv aQyov oidrjQov snifpsQSiv
xal 6711 zrjv avQiov lld^nvxa lafißäveiv r ^l(pog r] el zi d Xlo fjd^ele
xf/.raaxevaaai^ xarceßalovca iiioOov.^) Namentlich stimmt der Zug, den wir
auf das Schmieden in der Morgenfrühe deuten zu müssen glaubten, dass der
Besteller tTii to cn'Qiov das Schmiedewerk fertig finde.
Als Schmieder der Sonne käme Hephästos auf die einfachste Weise zu
der Ehre, Gemahl der Morgenröthe zu sein, welche die o. S. 306 schon ein-
mal angezogene Erörterung M. Müllers ihm zuweisen will: Bei Homer wurde
Charis noch als einer der vielen Namen der Aphrodite gebraucht und wie
Aphrodite wird sie die Gemahlin des Hephästos genannt. Aphrodite, die
dem Meeresschaum Entstiegene, war ursprünglich die Morgenröthe, jenes
lieblichste Phänomen am Himmelsgewölbe und von dieser Grundidee aus
wurde sie im Geiste der Griechen naturgemäss zu dem Range einer Göttin
der Schönheit und Liebe erhoben. So wie die Morgendämmerung in den
Vedas Duhitä Divah, die Tochter des Dyaus, genannt wird, so ist Charis,
die Dämmerung, den Griechen die Tochter des Zeus.') Dagegen vergleiche
man die gewichtigen Einwürfe, welche G. Curtius Grundzüge der griech.
') Schol. Apoll. Rhod. IV 761. F. Wolf Altd ßl. 1 i?. Grimm Myth.2 440. Kuhn Zs.
f. vfrj. Sprachf. IV 97.
'') M. iMüller Vorlesungen über "Wissenscb. d. Spr. II 1866 S. 351 ff. Derselbe, Essays
Lpzg. 1869 II 119. 124. 325. Vgl. Leo Meyer Bemerkungen zur ältesten Gesch. d. griech. Myth,
1857. S. 35 ff.
Die lettischen Sonnenmythen. 323
Etym. Auflf. 2 1866 97 S. 115 erhoben hat und welche durch M. Müllers
Gegenbemerkungen noch nicht widerlegt sind, wenngleich unsere Erörterung
über den Gürtel des Gottessohnes und denjenigen der Aphrodite geeignet
scheint, die Deutung dieser Göttin auf das Morgenroth von anderer Seite her
zu unterstützen. In jedem Falle reichen die beigebrachten Thatsachen aus,
um die Aufmerksamkeit tiefer eindringender Forscher auf die Frage zu richten,
ob nicht Hephiistos dem Wesen nach mit dem lettischen Hiramelsschmiede
identisch und ursprünglich im Morgenroth die Sonne schmiedend gedacht
war? Aus dieser Thal konnte sich am natürlichsten das künstlerische Bilden
von allerlei Geräth (Schüsseln, Becher) und Waffen (Schild, Speer, Schwert)
für die Götter im weitereu Verlauf des Mythus ableiten. Die Morgenröthe
wäre demnach als des Hephästos Schmiedefeuer gedacht und dazu stimmte,
da&s die homerische Metonymie 'firpaiarng für Feuer II. II 426 IX 468 XXI
342 ff. in ihm einen griechischen Verwandten des Agni erkennen lässt, dem
die Veden eine dreifache Existenz im Feuer der Sonne, im Blitze und im
irdischen Feuer zuschreiben, der nach Rigv. X 156, 4^) die Sonne, die un-
vergängliche Scheibe, am Himmel hinaufsteigen lässt, und dessen Erwachen
nach Rigv. I 157, 1 das Aufsteigeu der Sonne, das Leuchten der Morgenröthe
und die Ausfahrt des A^vins begleitet, der aber auch zugleich mit Indra ver-
bunden oder identificirt wird. Es würde mithin der in Rede stehenden
Deutung, der in doppelter Form bei Homer erhaltene Mythus, dass Hephaistos
aus dem Olymp in die Tiefe gewiesen wurde (II. XIV 16ü ff. von Zeus auf
Lemnos, XVIII 394 ff. von Here ins Meer) auch dann nicht im Wege stebn,
wenn derselbe auf das Gewitter zu beziehen wäre und den Gedanken ent-
hielte, den schon Cornutus darin finden wollte, dass die Blitze des Zeus die
Urquelle alles Feuers seien. 2) Da aber sonst keine sichere Spur von einem
Zusammenhange des Hephaistos mit dem Gewitter vorhanden ist (denn seine
Verbindung mit den Kyklopen gehört lediglich späterer Sage an) so fragt es
sich, ob nicht das Hinal)werfen aus dem Olymp lediglich eine ätiologische
Fabel zur Erklärung der Lahmheit des Gottes war, deren Bedeutung noch
keine der bisherigen Untersuchungen zu völlig klarem Verständniss gebracht hat.
Kehren wir noch einen Augenblick zum lettischen Himmelsschmiede
zurück. Die Wolldecke, welclic von den herabfallenden Kohlen seiner Esse
geröthet wird, ist der im Morgenroth erglühende Wolkenbimmel, kurze Zeit
darauf erglänzt sie silbern im Lichte der Sonnenstrahlen, die Kohleu haben
sich in Silberstücke gewandelt. Diese Wandlung von Kohlen in Gold oder
Geld begegnet in den deutschen und altrömischen Schatzsagen wieder und man
geräth leicht in Versuchuug, dieselben als irdische Niederschläge einer bild-
lichen Auffassung dos Sonnenaufgangs zu deuten. Da aber ganz ähnliche
') Muir a. a. 0. 214. 239. Doch ist Apni nicht der Schmied der Götter, sondern dieses
Amt fällt im Veda Tvashtri zu.
=*) Vgl. Welcker griech. Götterl. I 661.
324
W. Mannhardt:
Vorstellungen und Bilder vielfach aus gänzlich verschiedenen Anlässen ent-
stehen, so ist von einer voreiligen Annahme dieser Conjectur abzusehen.
VIII. Der Nachthimrael als Seelenaufenthalt.
In den lettischen Sonnenliedern tritt häufig die sehr alte Anschauung
hervor, dass die Seelen der Verstorbenen in der Unsichtbarkeit des Himmels-
raums, resp. in der Finsterniss des Nachthimmels ihren Aufenthalt haben.
Deshalb trägt das Kind in 90 der scheidenden Sonne tausend Abendgrüsse
an die todte Mutter auf, deshalb passirt der Abend-Morgenstern auf seinem
Wege von Westen nach Osten in 86 das Häuschen der Seelen, und wir
werden nun verstehen, dass das grosse Himmelswasser gemeint ist, wenn
Spr. S. 12 gesagt wird (vgl. o. S. 99):
Daugawiega Schwarzäuglein,
Schwarz fliesst sie am Abend.
Wie soll sie nicht schwarz einherlaiifen
Voll von teuren Seelchen?
Nur in Lichtblicken, wenn (bei abwechselndem Regen und Sonnenschein)
die Geister Hochzeit machen, werden die Unsichtbaren sichtbar (87. 88).
Zum Hause der Seelen, der Nacht, hat die Sonnentochter (die Dämmerung)
den Schlüssel. Sie wird in 89 angerufen, diese Wohnung für die Seele auf-
zuschliessen, wenn andererseits dem Leichnam seine künftige Behausung er-
schlossen wird. Deutlich geht dieser Sinn aus mehreren beim Begräbniss
gesungenen Liedern hervor. Vgl. zunächst zwei an die Erdmutter (Semmes
mäte) bei Spr. 218:
Lebe wol, Vater, Mütterchen!
Guten Abend Semmes mäte.
Guten Abend Semmes mäte,
Behüte meinen Wuchs!
Vgl. ferner U. 402:
Weh der du geboren wirst! Semmes mäte,
Gieb mir das Grabschlüsselchen,
Dass ich könne das Grab schliessen
Für das alte Mütterchen.
Vormittags führt mich zum Grabe,
Führt mich nicht am Nachmittage,
Denn Nachmittags schliessen Gottes
Kinder zu die Himmel spforten.
Zu bemerken Ist, dass abweichend von den dargelegten Anschauungen andere
Ueberlieferungen auch den Seelen den Aufenthalt unter dem Rasen zuschreiben.
Wenn E. Schraders Entzifferung eines vor kurzem in der Bibliothek des
Sardanapal aufgefundenen altbabylonischen Epos') glaubhaft ist, so gewährt
dieses Gedicht eine sehr alte Parallele zu dem Mythus unseres Liedes 86.
Istar, der Abend- und Morgenstern, die Göttin der Befruchtung, entschliesst
sich in die Unterwelt zu gehen, offenbar weil man ursprünglich die Göttin
*) E. Schrader, die Tlöllenfahrt der Istar, ein altbabylonisches Epos. Giessen 1874. Vgl.
Steinthal Zs. f. Völkerpsychol. VIII 344—347 und Fr. Lcnormant, die Anfänge der Cultur.
Jena 1875 II 57—74, wo I 249-267 auch das ägypt. Märchen (ob. S. 239 ff.) ausführlich be-
sprochen ist.
Die lettischen Sonnenmythen. 325
während der Nacht im Hause der Seelen, in der Unterwelt sich dachte.
Drohend verlangt sie Einlass, der Pförtner führt sie durch sieben Vorhöfe
und sieben Thore, an jedem rauss sie verschiedene Gegenstände ihres Schmuckes,
Krone, Ohrringe, Halsgeschmeide, Mantel, Gürtel u. s. w. ablegen, Bis sie
jedes Zeichens der Würde entkleidet, ganz arm, nackt und bloss dasteht.
Auf Erden hört jede Begattung, jede Ordnung des Befehlens und Gehorsams
auf. Da fordert der Sonnengott Samas vom Götterkönige Ao Istars Wieder-
kehr; zürnend muss die Fürstin der Unterwelt sie (Morgens) auf göttlichen
Befehl entlassen.
Nachwort.
Die Analyse der lettischen Sonnenlieder zeigt uns einen ähnlichen Zu-
stand, wie er in den Vedahymnen zu Tage tritt, wir können in ihnen eine
Mythenwelt noch im Werdeprocess belauschen. Wie aus der in ewigem
Flusse befindlichen Masse eines brodelnden Zauberkessels steigen da vor
unseren Augen in unendlicher Reihe immer neue wechselnde, sich häufig aus-
schliessende, einander widersprechende Naturbilder für ein und dieselben
Zustände des Tagesgestirnes und der dasselbe begleitenden Lichterscheinungen
in die Höhe, immer neue Versuche das Unbegreifliche derselben fasslich,
durch Vergleich mit bekannten Gegenständen aus der Nähe sich verständlich
zu machen.
Diese verschiedenen Anschauungen laufen, obschon theilweise unzweifel-
haft zu sehr verschiedeneu Zeiten entstanden, grösstentheils wohlverstanden
in einem und demselben Volke neben einander her. Bald aber sehen wir
mehrere einfache Naturbilder mit einander zu einem Gesammtbilde combinirt,
bald auch aus einem vorhandenen ein neues und aus diesem ein drittes ab-
geleitet, vielleicht ein viertes, das schon rein traditionell wird (vgl. o. S. 103
Apfel, Apfelgarteu, Apfelblüthe, Apfelbaum) und dann durch die Allmacht
der Analogie und Uebertragung der Metapher wohl zu solcher Ausdehnung
und Selbständigkeit gelangt, dass es nicht mehr genau für den Naturvorgang
passt, für den es gebraucht wird (vgl. den von Perkun zerschmetterten Apfel-
baum o, S. 232). Die grosse Fülle dinglicher Naturbilder sehen wir in ver-
schiedenartigster Weise zu einer kleinen Anzahl persönlicher Wesen in Be-
ziehung gesetzt, welche als handelnde Persönlichkeiten in oder hinter den
Naturerscheinungen stehend Gegenstände eines realen Glaubens bilden (Sonueu-
mutter, Sonnentochter, Perkun, Gottessohn, Himmelsschmied). Indem ihren
ursprünglich nur das gegenseitige Verhültniss von Naturerscheinungen ab-
bildenden Handlungen freie menschliche Motive untergeschoben werden, bilden
sich Erzählungen, in denen wiederholte Vorgänge zum einmaligen Factum,
in regelmässiger Wiederkehr zu ganz verschiedenen Zeiten sich abspielende
Ereignisse zu einem einzigen gleichzeitigen Geschehen sich' umwandeln.
326 W. Mannhardt:
Die Sonne (als Person gedacht) tödtet täglich Morgens den Mond mit dem
silbernen Stein, der Sounenscheibe; das Lied lässt dies einmal geschehen
und Gott darüber drei Tage mit der Sonne zanken (71). Ebenso zanken
beide drei Tage, drei Nächte, weil die Sonneutochter das Schwert des
Gottessohnes abgebrochen hat, eine Begebenheit, die in Wirklichkeit täglich
vor sich geht (70) [gradeso bleibt bei Ovid Helios um Leukothoes willen
länger am Himmel stehen, versäumt im siebenbirgischen Märchen die Sonne
um der Goldkiuder willen sieben Tage das Untergehen]. Täglich wird der
Eichbaum zerspalten, die graue Himmelsdecke mit seinem Blute bespritzt
und doch weint die Sonnentochter drei Jahre lang darüber (78). Der Mond
vermählt sich täglich, zuerst Abends mit der Sonne, hernach Morgens mit
dem Früh Stern; der Mythus macht diese Vermählung zu einem einmaligen
Akt, und verlegt ihn in die Zeit der Tag- und Nachtgleiche in den Frühling,
sodann rückwärts in die Zeit der Weltschöpfuug. Damit nicht zufrieden, fügt
er auch noch die Erzählung des monatlichen Schicksals des Mondes hinzu.
Für seine Untreue an der Sonne wird der Mond mit der Zertheilung in die
vier Mondviertel bestraft (o. S. 317). Die Lieder von Zerschmetterung des
Eichbaums nun vollends sind aus der unmittelbaren Naturschilderung hervor
in die volle Mythologie hineingetreten; sie sind erst das Endergebniss eines
längeren Entwickelungsprocesses, dem ein einfacheres Naturbild unterlag.
Auf diese Weise breitet sich vor uns nun ein wichtiger und reichhaltiger
Theil einer echten Mythologie des Letten-Volkes und seiner Bruderstämme
aus, welcher einen ganz anderen Einblick in die Geisteswelt der alten Letten,
Litauer, Preusseu thun lässt, als die gefälschten und erdichteten oder trüben
Quellen, aus denen man bis dahin schöpfte, Simon Grünau, Mäletius, Lasicki,
Stender u. A., die auf ihren wahren Werth zurückzuführen eine Hauptaufgabe
des in Aussicht gestellten Buches, Denkmäler der lettopreussischen Mytho-
logie, ausmacht. Von wie hohem Werthe sich die lettische Mythologie für
die Erforschung der Mythologie im Allgemeinen, lür die Entzifferung der
Mythen anderer Völker erweist, zeigt der vorstehende Commentar durch zahl-
reiche Belege. Zunächst freilich zielt die Absicht desselben auf nichts anderes
ab, als auf die Erläuterung des Inhalts der lettischen Sonneulieder durch
Analogien aus anderen Quellen, welche die nämlichen Naturerscheinungen in
denselben, oder sehr ähnlichen Formen verbildlicht zeigen, als diese, aber
bald stellt sich heraus, dass durch den Vergleich das Verständuiss der fremden
Ueberlieferungen nicht weniger gefördert wird, als das der lettischen. Jene
Quellen, denen die Belege entnommen wurden, sind sehr verschiedener Art,
sehr verschiedenen Alters, von sehr verschiedener volklicher Abkunft und
von sehr verschiedenem Werthe: a) die Poesien kunstmässiger Dichter,
b) Yolkspoesien (Käthsel, Kolinden u. s. w.), in denen Sonne, Mond, Morgen-
roth, Sterne mit Bewusstsein unter poetischem Bilde gefeiert werden; sodann
c) deutsche Sonnen- und Uegenlieder, sowie d) solche Mythen und Helden-
sagen verschiedener Völker und endlich e) Märchen^ in welchen allen die
Die lettischen Sonnenmythen. 327
Beziehung zur Sonne theils offen ausgesprochen wird, theils mit grösster
Wahrscheinlichkeit erschlossen werden kann. Am wenigsten sicher und nur
mit Vorbehalt auszusprechen ist natürlich diese Bestimmung bei einem Theile
der Märchen, da die Einzelheiten darin und deren Aufeinanderfolge in der
Tradition leicht veränderlich und vertauschbar sind und es gemeinhin nicht
angenommen werden kann, dass die Varianten der Erzählungen schon zu
einer Zeit entstanden seien, in der man noch ein Bewusstsein von deren
Naturbedeutung hatte und dies umsomehr, als die meisten Volksdichtungen
dieser Art nicht auf dem volklichen Boden wuchsen, wo sie gefunden werden,
sondern aus weiter räumlicher und zeitlicher Ferne auf mannigfachen Wegen
eingeführt sind. Es soll hier nicht im entferntesten behauptet werden, dass
jedem Märchen eine Naturbeziehung einwohnt, da aber manche von ihnen
eine solche unumwunden aussprechen (vgl. z. B. o. S. 95), so darf sie anderen
zugetraut werden, wo sprechende Anzeichen dafür eintreten. Das Beispiel
des ägyptischen Märchens und seiner europäischen Verwandten (o. S. 239)
legt, wenn ich richtig gesehen habe, den entschiedensten Beweis für die
Zähigkeit der Ueberlieferung in Bezug auf den Grundstock und die Haupt-
züge gewisser Märchen ab; gelingt es aus den Varianten diese heraus zu
erkennen, so mögen wir auch wohl die alten Naturbilder fassen, wo die ersten
Erzähler in solche ihre Ideen kleideten. Falls Benfeys Hypothese Recht be-
hält, dass ein wesentlicher Theil der europäischen Märchen buddhistischen
Ursprungs sei, fällt damit die Behauptung eines mythischen Inhaltes keines-
weges zu Boden, vielmehr werden sie sich vielfach als nur im Sinne bud-
dhistischer Dogmatik umgeformte altarische Mythen ergeben. Manche Mär-
chen mögen schon indoeuropäischer Abkunft, andere auf europäischem Boden
entstanden sein. Täuschte ich mich darin nicht, dass die unabweisbare Ueber-
einstimmung des Märchens von Batau und Anepu mit heutigen südeuropäischen
Traditionen mehr als ein Spiel des Zufalls sei, so muss angenommen werden,
dass ein schon zur Zeit des Auszugs der Israeliten, d. h. ungeiähr um dieselbe
Zeit, in welche man die Entstehung des Rigveda verlegt, zum Märchen ge-
wordener und aus dem Volksraund aufgezeichneter ägyptischer Sonnenmythus
auf die Wanderschaft gegangen und im benachbarten Kleinasien und Südeuropa
dreitausend Jahre von Volk zu Volk, von Zeitalter zu Zeitalter fortüberliefert
sei, oder dass die Geschichte des Batau umgekehrt die ägyptische Umformung
eines aus der Fremde entlehnten Sonnenmythus war, auf den die diesseitigen
Formen der Erzählung zurückgehen. Sicherlich liegt der Standpunkt J. W. Wolfs
hinter uns, welcher die Märchen als Quelle der jedesmaligen vorchristlichen
Mythologie desjenigen Landes benutzt wissen wollte, in dem sie erzählt
werden; eben so gewiss bleibt Jacob Grimms Ausspruch hinsichtlich der
Märchen bestehen „Es ist der Wahn beseitigt, als beruhen diese Stoffe auf
läppischen, der Betrachtung unwürdigen Erdichtungen, da sie vielmehr für
den Niederschlag uralter, wenn auch umgestalteter und zerbröckelter Mythen
zu gelten haben, die von Volk zu Volk fortgetragen, wichtigen Aufschluss
328 W. Mannhardt:
darbieten können über die Verwandtschaft zahlloser Sagengebilde und Fabeln,
welche Europa unter sich und noch mit Asien gemein hat." Wenn wir es
bei dem gegenwärtigen Stande der Wissenschaft für verfrüht erklären müssen,
die Frage nach der Herkunft der Märchen ganz allgemein zu stellen, so
rechtfertigt es sich doch völlig, unter Umständen dem Märchen Belege für
bestimmte Metaphern von Naturerscheinungen zu entnehmen. Wir haben
dabei wichtige Uebereinstimmnngen des volklosen Märchens mit ethnischen
Mythen (Jack of the beanstalk — den Sonnenbaum hinaufkletternde Sonnen-
tochter 0. S. 225; Tischchen deck dich, Sonnentisch der Aethiopen, mährisches
Sonnenlied o. S. 244) wahrzunehmen Gelegenheit gehabt. — Ziemlich dasselbe,
was von den Märchen, gilt von den Götter- und Heldensagen der Skandinaven,
Hellenen und anderer fremden Völker, deren Erklärung nicht in den Namen
der handelnden Personen (Helios u. s. w.) nahezu vollständig gegeben ist,
ihre Deutung wird selbst dann, wenn kaum verkennbare Merkmale sie der
Klasse der Naturmythen zuweisen und zugleich das Naturgebiet bezeichnen,
auf welches sie sich beziehen, vielfach unsicher ausfallen, weil die Armuth
und Lückenhaftigkeit unserer literarischen Ueberlieferung nur zu häufig im
Ungewissen darüber lässt, was echter mythischer Kern, was Schale und
Schmuck, was Zusatz, Weiterbildung, Veränderung epischer oder dramatischer
Weitererzähler sei. Die grosse Masse der skandinavischen und griechischen
Mythen ist, wie sie vorliegt, unverkennbar das Werk der Dichter, häufig das
Produkt umgestaltender und häufender Thätigkeit vieler auf einander folgender
Dichtergenerationen. Bildliche Naturanschauungen, insofern sie nicht mit
Bewusstsein von den Erzählern als Schmuck und Beiwerk verwandt werden,
sind selbstverständlich, falls sie — und nicht ethische Vorstellungen — den
Ausgangspunkt bildeten, nur in deren ältester Ausgestaltung zu suchen-, wie
selten wird es möglich sein, dieselben aufzufinden? In Varianten darf man
nur in den seltenen Fällen erwarten ebenfalls echte Naturpoesie anzutreffen,
falls diese noch einer Zeit ihre Entstehung verdanken, in der die Bedeutung
der mythischen Erzählung unvergessen war. Unter Berücksichtigung dieser
Grundsätze ward es uns gleichwohl möglich, mit bald grösserer, bald gerin-
gerer Wahrscheinlichkeit die Sagen von den Dioskuren (o. S. 309 ff.), von den
Hesperiden (o. S. 234), vom Gürtel der Aphrodite (o. S. 306), von Hephästos
(o. S. 321), den Argonauten (o. S. 243 ff,), von Freyr und Skirnir (o. S. 300),
von Idhun (o. S. 216) und Völundr (o. S. 320) zu deuten. Mehrere legen
die Vermutliung nahe, dass in Hellas auch Hymnen oder Lieder von Art der
vedischeu oder der lettischen Sonnenlieder bestanden haben mögen, aus denen
die ältesten Epiker schöpften, und aus deren verschiedenen Versionen die
Varianten der einfacheren Sagenformen, aus deren Verbindung zusammen-
gesetzte Sagenknäuel (wie die Geschichte des goldenen Fliesses) geflossen
sind. — Die Käthsel zählen im Ganzen und Grossen zu den ältesten' Stücken
der Volkspoesie, in ihnen sind häufig noch dieselben der modernen Auffassungs-
weise schwer begreiflichen Metaphern geläufig, und durch die mitüberlieferte
Die lettischen Sonnenmythen. 329
Auflösung mit einem Schlüssel versehen, welche naiver Glaube in den Götter-
und Heldensagen zur mythischen Einkleidung di-s Gedankens verwandte. Sie
sind somit auf's uiichstc mit dem Mythus verwandt, wie denn auch im ger-
manischen wie slavischen Alterthura das Wissen um die Geheimnisse des
Weltzusamnienhaugs in Form des traditionellen Mythenschatzes mit der
liäthselfragc auf das engste verbunden war. Somit ist ihre Vergleichung
vorzugsweise geeignet zur Aufhellung und Bestätigung analoger Anschauungen
in den „Sonnenliedern" beizutragen.') — Die deutschen Lieder beim Regen,
au den Marienkäfer, von den drei spinnenden Frauen im Sonnenhaus erhalten
durcli die Bildersprache der lettischen Sonnenlieder grossentheils jetzt erst
völliges Verständniss; sie ergeben sich als unzweifelhaft alte Dichtungen von
ganz ähnlicher Natur wie die lettischen Sonnenlieder, aber die bildreiche
Anschauung, in der sie sich bewegen, muss noch bis in ziemlich späte Zeit
verständlich uud dem singenden Volke geläufig geblieben sein, wie die
Varianten (z. B. Ei neben Apfel o. S. 104) schlagend darthun.
Unzweifelhaft erwiesen ist durch die aus den soeben gemusterten Quellen
ausgehobenen Beispiele eine auf gleicher Organisation des Geistes und ähn-
lichen Denkprocessen beruhende vielfache Uebereinstimmung der mythischen
Naturauifassung bei Polynesiern, Aegyptern, Hellenen, Skandinaven, Germanen,
Slaven, Letten. Dem aufmerksamen Beobachter können jedoch innerhalb dieses
weiten Kreises kleinere Gruppen von näherer, vermuthlich historischer Ver-
wandtschaft kaum entgehen. Wir beobachteten mehrfach eine sehr nahe
Berührung der lettischen und finnischen Tradition (o. S. 92. 282. 285. 290. 292.
HOL 314.), dieselbe ist unverkennbar auf Rechnung der unmittelbaren Nachbar-
schaft beider zu setzen; sie bezeugt einen fruchtbaren uud intimen Ideen-
austausch zwischen beiden durch die Sprache scharf von einander geschiedenen
Nationen. Ausserdem aber stimmt im Ganzen der lettische Sonnen-
mythus so genau mit dem altarischeu im \ eda und dem altgrie-
chischen überein, dass derjcTiige schwerlich auf Widerspruch
stossen wird, welcher in ihm ein ziemlich treu erhaltenes Nach-
bild der proethnischen, indoeuro päi scIi eu Sonne n uiyt hol og i e
vor sich zu haben vermuthen möchte.
ßericlitigimg*en.
Zu S. 74. Ein liei der Nieilersohrift durcli augenblicljliehen Mangel an Spezialkarteu ver-
sclinldeter Intlmiu ist dahin zu liericlitigen, dass .1. Sprogis Ueimath und das Lokal der von
ihm gesauiiuelten Lieder, die Gegend zwischen Kokenlinseu und Stockmannshof, noch nicht im
polnischen Livland, sondern hart an der westlichen Grenze desselben auf der Scheide der drei
<iOuvernements Livland, Kiuland und Witebsk gelegen und daher der o. S. 74—75 gegebene
') Vgl. hierüber die treffende Aiisführung von AfanasieR poet Naturansch. I 22— 2C> und
Kreck traditionelle Literatur S. CA -- C^t.
Zeitschrift für Etbiiologie Jahrgang 1870, 23
330 W- Maimhardt: Die lettischen Soimenmythen.
Hinweis auf die durch die katholische Gegenreformation hervorgerufene Abschliessung der Land-
schaft nicht ganz zutreffend ist. Uebrigens waren auch die angrenzenden kurländischen und
livländishen Kreise Selbuig mit Sezzen und Wenden wegen zähen Festhaltens heidnischer und
papistischer Bräuche und Superstitionen berüchtigt. Davon Näheres demnächst in u. Denk-
mälern der lettopreussischen Mythologie.
Zu S. 85. Die zu n. 81 in Parenthese zu Mehnesniza (Moudverderben? oder Mondverderber?)
beigesetzte Bedeutung Mondviertel ist blosse Gonjectur; das dunkele Wort verdient später eine
besondere Untersuchung.
Inhalt*
Die Quellen S. 73 — 75. Die lettischen Sonnenlieder 76— 8G. Die Zeit ihrer Entstehung
S. 86—88.
Erläuterung der ^jaturbilder.
Beschreibungen des Sonnenaufgangs und Sonnenuntergangs S. 88 — 90. I. Oott. 90 — 92. —
II. Sonue 92—104. 209 — 244. 281—295. a) Frau Sonne 92. b) Sonnenrosse 93 c) Himmels-
berg 97. d) Himmelssee 97. e) Tanz der Sonne 99. f) Goldhand der Sonne 100. g) Gold-
quasten 100. h) Silber 100. i) Aussaat 100. k) Sonne Trinkgefäss 101. 1) Sonnenboot 102.
m) Der Sonnenapfel 103. 209. (Sonnenkind 211). n) Seidenrock und Gewebe der Sonne 216.
o) Sonne mit der Aussteuerlade 219. p) Sonnenbaum 222—244. 281—295 «) Sonne-Rose,
Rosenstock, Sonnenbaum 222. ß) der Rosenstock, Sonneubaum erklettert 225. y) Die zerspaltene
Eiche 232. iS') Der Nachtsonnenbaum, Hesperiden 233. e) Sonnenfrau im Sonnenbaum. Das älteste
(ägyptische) Märchen und seine Sippe 235. t) Die Eiche und das goldene Fliess der Argonauten-
sage 243. }]) Goldmaid unter der Baumrinde 284. /) Finnisch-estnischer Wunderbaum 285.
q) Sonnenthräne 287. r) Sonne-silberner Stein 287. s) Das Thor der Sonne 288. t) Abend-
und Morgenstern bedienen die Sonne; Percuna tete; die Dienstmagd der Sonne 289. v) Panu.
v) Raub und Befreiung der Sonne. (Vom Thorshammer und Perkunhammer ) 291. — III. Die
Sonneutocllter 295—305. Erläuterung von Skirnisför; estnische Parallele; das Waisenmädchen;
Die slavische Sonnenschwester. — IV. Die Gottessöhne 305—315. (Die Dioskuren. Die
Avvins. Estnische Parallelen) — V. Der Mond 315—317. — VI. Perknn 317—318. -
VII. Der Himnielsschniied 318—324. (Ihnarinen Wieland. Hephästos.) - VIII. Der Naolit-
himuiel als Seelenanfentlialt 324-325. — Nachwort 325—329.
W. Mauubardt.
lieber 8pureii römischer Cultur in Norwegens
älterem Eisenalter.
Von A. Lorange.
(Aus dem Norwegischen übersetzt.)
Schluss.
l)io liior sic-li zciäTfonde Verschiedenheit ist oliiie Zweifel cjerini^er, als
nian ii;i(li der L!;('f)<i;ia[)hischen Jiiv^e unseres Landes voraussetzen konnte.
lieber römische Cultur in Norwegen. 331
Aber zielion wir in Betracht, wie bei weitem sorgfältiger das antiquarische
Feld in Dänemark untersucht und bearbeitet wurde als in Norwegen, so
haben wir Grund zu der Annahme, dass künftige Grabfunde den gegen-
wärtig vorhandenen Unterschied zwischen den in Dänemark und in Norwegen
gefundenen römischen Gegenständen noch mehr verschwinden lassen werden.
In jedem P'alle ist so viel sicher, dass durchaus kein Unterschied zu erkennen
ist in dem Einflüsse, den die römische Culturströmung ausübte auf die in
Dänemark und in Norwegen ansässige Bevölkerung der älteren Eisenzeit;
denn die nationalen Alterthämer jener Zeit sind in beiden Ländern in über-
raschender Weise gleichartig. Wir finden in allen drei nordischen Reichen
dieselbe Tüchtigkeit in der Behandlung der Metalle, dieselben geschmack-
vollen Formen, dieselbe feine Ornamentik und dieselbe Mischung von rö-
mischem und nordischem Geschmack, was eben Veranlassung dazu gegeben
hat, ein „nordisches" älteres Eisenalter aufzustellen als eine besondere Ab-
theilung des grossen nord- und westeuropäischen älteren Eisenalters. In
seiner Abhandlung „über die ältere Eisenzeit in Norwegen" erklärte bereits
Professor Righ, dass die Ungleichheit zwischen dänischen und norwegischen
Aherthümern bei weitem geringer sei, als man nach der \'erschiedenheit der
Naturbeschaffenheit und der Lebensbedingungen beider Länder und Völker
erwarten musste^). Diese Einheit und Gleichartigkeit muss, um erklärlich
zu scheinen, auch einen und denselben Grund gehabt haben; beide Länder
müssen ungefähr gleichzeitig Gegenstand derselben fremden Einwirkung ge-
wesen sein, von der man annehmen darf, dass sie eine directe, langdauernde
und friedliche war und sicherlich nicht allein ihren Ausdruck fand im Kuust-
stil, im Geschmack und in praktischer Richtung, sondern zugleich auch auf
die geistige Cultur und die religiösen Anschauungen der Bevölkerung den
grössten Einfluss ausübte. Das ergiebt sich aus den Gräbern — die zugleich,
nach meiner Ueberzeuguug, so weit es wenigstens Norwegen betrifft, zahl-
reiche und deutliche Proteste ablegen gegen die vorhin citirte und so oft
aufgestellte Behauptung, „dass die römische Cultur plötzlich und voll ent-
wickelt hier herauf gekommen sein müsse, gleichzeitig mit dem nationalen
oder barbarischen älteren Eisenalter". Denn, wie ich annehme, hat ein Eisen
bearbeitendes Volk lange Zeit in Norwegen gewohnt, ehe auch nur eine
Spur von römischer Cultur so weit hinaufdrang. Der römische Einfluss muss
durch den Handel und andere Verbindungen ganz allmählig — Schritt vor
Schritt — in das Land eingedrungen sein, aber doch ziemlich rasch ein ge-
lehriges Volk zu der verhältnissmässig hohen Culturstufe gebracht haben, auf
der es, nach dem unzweifelhaften Zeugnisse der Alterthümer, am Schlüsse der
älteren Eisenzeit stand.
Die vorhin erwähnte Uebereinstimmung erstreckt sich nämlich nicht über
das ganze Eisenalter, so weit es sich wenigstens aus der Keuntniss, die mau
") Aarl)öü;er 18G9, pag. 172.
332 A. L orange:
gegenwärtig von den Alterthüraern der nordischen Länder besitzt, beurtbeilen
Ulsst; sie beschränkt sieb vielmehr auf die Mischuugsperiode: die nordisch-
römische, die in Dänemark besonders ausgeprägt erscheint in den ältesten
Moorfunden und in den seeländischen Gräbern, bei uns aber voll entwickelt
auftritt in denjenigen Gräbern, die den letzten Jahrhunderten der älteren
Eisenzeit angehören.
Unter den norwegischen Grabhügeln der älteren Eisenzeit glaube ich
nämlich drei grosse Gruppen oder Gräberformen unterscheiden zu können:
1) kleinr runde Hügel ohne Kammern, mit verbrannten Gebeinen und
verbrannten Beigaben (gravgods);
2) Hügel mit vierseitigen Kammern, verbrannten Gebeinen und zum Theil
verbrannten Beigaben;
3) Hügel mit grossen, bis zu 'l'l Fuss langen Grabkisten, entweder mit
verbranntem oder mit unverbranntem Gebein, aber mit unverbrannten
Beigaben.
Alle drei Gräberformen oder richtiger Bestattungsweisen treten in den-
selben Gegenden auf und bilden daher keine lokalen Eigenthümlichkeiten,
sondern eine fortschreitende Entwickelung. Sie stehen nicht als verschiedene,
begrenzte Klassen einander gegenüber, sondern haben sich mit einer Mannig-
faltigkeit von Uebergängen ausgebildet, von denen man allerdings keine Vor-
stellung zu geben vermag durch Fundreihen allein, oder durch Alterthümer
in den Museen; die aber jeder leicht entdecken und verfolgen könnte, der
eine grosse Anzahl von norwegischen Grabhügeln der älteren Eisenzeit unter-
suchen würde.
In Einzelheiten weichen allerdings die Grabhügel unter einander al);
aber wenn man obige Eintheilung zu Grunde legt, so glaube ich doch, dass
sich alle verschiedenen Gräberformen den erwähnten, am meisten charakte-
ristischen Gruppen einreihen lassen, und damit die Möglichkeit einer Zeit-
bestimmung erweitert und Ordnung in die Mannigfaltigkeit gebracht wer-
den kann.
Von der erstgenannten Gattung — kleine runde Grabhügel, selten l)is
8 Ellen hoch und zu grossen gemeinschaftlichen Friedhöfen angesammelt —
findet sich ohne Zweifel in Norwegen ein grosser Reichthum. Dieser Mei-
nung ist auch Herr Professor Rygh'); aber bis in die neueste Zeit wurden
sie wegen ihrer Armuth an Beigaben nur wenig beachtet, und die Museen
vermögen im Allgemeinen nur geringe Aufklärung über dieselben zu geben.
In Smaalenene habe ich mehrere Hundert untersucht^), und im Jahre 1870
hat Prof. Rygh einen grossen Begräbnissplatz bei Ringerike aufgedeckt und
beschrieben; vgl. Aarsberetn. for 1870. Diese Grabhügel enthalten ohne
Ausnahme verbrannte Gebeine, Leichenbrand war die ursprüngliche nationale
') Aarböger ISr.O, p;io. h'.O,
') Ueber ilie Hegrübnissart dieser Zeit vergleiche ineinen Bericht vom Jahre 1863.
üeber römische Cultur in Norwegen. 333
Sitte in Norwegen und hat hier auch vor der Einführung des Christenthums
niemals gänzlich aufgehört. Die verbrannten Knochen wurden entweder auf
dem C> runde des Hügels über eine Schicht von Kohlen ausgestreut - was ich für
die älteste Begräbnissform der P^isenzeit in Norwegen halten muss — , oder sie
liegen in einem Haufen zusammen, entweder — und zwar der Regel nach —
mitten im Hügel, oder in einzelnen Fällen in einem, unter dem Hügel aus-
gegrabenen Loche"). Jener Haufen besteht aus den auf dem Grunde des
Scheiterhaufens angesammelten, gereinigten Knochen, und es war daher nur
eine unb(!deutende Veränderung, ein kleiner Schritt vorwärts, dass man, nach-
dem man sie, um sie von der Brandstelle zu tragen, in ein Gefäss gelegt
hatte, nun auch in diesem Gefässe Hess, anstatt se auszuschütten '). So ent-
standen die am häufigsten vorkommenden Grabhügel, die „eine Thonurne mit
verbrannten Knochen" einschliessen. Oft findet man auch nur die Scherben
eines Thongefässes. Zwischen den verbrannten Gebeinen liegen in der Kegel
einige geschnitzte Knochenstücke, kleine mehr oder weniger vollständige
Kämme und einzelne geschmolzene Glasperlen, als erste Beweisstücke einer
Verbindung mit der Aussenwelt, als früheste Vorläufer sowol damals, wie
noch in der Neuzeit, von dem Eindringen des Handels und der Civilisation
zu den Naturvölkern ^).
Diese Begräbnissform war ohne Zweifel von sehr langer Dauer. In
Smaalenene, dem einzigen Amtsbezirk, in dem die Sache einigerjnaassen
untersucht wurde, ist sie ungleich zahlreicher vorhanden, als irgend eine der
anderen, s]>äteren Begräbnissarten, und macht durchaus den Eindruck, als ob
sie hinterlassen wäre von einem friedfertig still dahin lebenden Volke, das
auf einer nicht ganz niedrigen Culturstufe stand. Nur zweimal habe ich
Waffen gefunden in diesen Gräbern, eine Pfeilspitze und einen Wurfspeer.
Bei Ringerike fand dagegen Prof. Rygh Spuren von Waffen in 11) von
66 Hügeln , doch kein Schwert. Diese etwas abweichende Ausstattung der
Gräber scheint eben ein unzweifelhafter Beweis für deren jüngere Zeitstellung
zu sein, eine Spur gleichsam von der Zunahme des Handels und einer da-
durch erweckten grösseren Regsamkeit im Lande.
Importirte Industrie- und Kunstartikel begannen nunmehr gute Vorbilder
abzugeben, an denen sich der Geschmack und die Fertigkeit der Eingeborenen
heranbildeten.
') Brandgnibcnartigc Gräber in Norwegen hciianilell mein citirtcr Jahresbericht, p;ig. 74,
und Prof. Rygh's Beretn. 1870, pag 121.
-) Vgl. meinen Bericht in Aarsberetu. for 1868, pag. 78; Prof. Rygh s Bericht, Aars-
heretn. for 1870, pag. 125, nnd Amtmann Vedel, ,über die Gräber der älteren Eisenzeit auf
Bornholm", Aarböger 1872, pag. 12, 14, 15, 22 und 100.
•') [Zwischen diesen Friedhöfen mit kleinen ruiuien Grabhügeln und den mecklenburgischen
und hannoverschen Urnenlagern mit schwar/en Punktgefässen herrscht hinsichtlich ihres Inhalt.s
an sogenannten Wendenspaugen, eisernen Messerchen, Nadeln, Kämmen, Perlen, Wirtein n. s. w.
eine so auffallende Uebereinstimmung, dass deren Gleichzeitigkeit unverkennbar ist.j Anmerk,
des Uebers.
334 A- Lorange:
Die ersten Bronzegefässe erscheinen in den Gräbern; die meisten wahr-
scheinlich als inländische Arbeit von jener für Norwegen so charakteristischen
Form, die gleich über dem Boden, der mit den Seiten einen scharf vorsprin-
genden Winkel bildet, am weitesten ist; eine Eigenthümlichkcit, die sicherlich
von den älteren Thougefässen übernommen wurde, welche bekanntlich sehr
zahlreich diese Grundform zeigen, obgleich sie niemals ganz so gross sind,
wie die Bronzegefässe.
Es müssen indessen, wie vorhin erwähnt, diese Bronzegefässe doch ziem-
lich kostbar gewesen sein und wurden daher auch wohl nur benutzt, um die
Asche vornehmer Männer oder Frauen aufzunehmen. Ob es nun allein aus
der Rücksicht geschah, diese werthvoUen Gefässe gegen den Druck des
Hügels zu schützen, oder wie es wahrscheinlicher ist, aus irgend einer an-
deren tiefer liegenden Ursache, genug, es treten gleichzeitig mit ihnen die
ersten eigentlichen Grabkammern auf, kleine viereckige und gleichsam der
Grösse des Gefässss angepasste Steinbehälter. Nicht allein die Bronzekessel,
sondern ebenso auch die Thonurnen finden wir in dieser Weise niedergesetzt
und von einer solchen Steinkammer geschützt.
Es scheint jedoch, als ob diese Begräbnissart in kleinen Steinkammern
niemals recht allgemein oder auch nur für einige Zeit allein herrschend
gewesen wäre. Man findet sowohl einzelne Bronzegefässe frei in dem Grab-
hügel oder in einer Höhlung unter einem Felsstück niedergesetzt, wie man
auch eine grosse Menge offenbar gleichzeitiger Funde antrifft, in denen die
Alterthümer ohne irgend welchen sichtbaren Schutz, doch dergestalt nieder-
gelegt wurden, dass z. B. ein Schildbuckel als Graburne diente, oder doch
wenigstens dazu, die kleineren Beigaben aufzunehmen.
Aber ungeachtet wir in diesen Gräbern bereits römische Schmuck- und
Toilettegeräthe vorfinden, sogar römische Bronzegefässe und Glas, zahlreiche
Belege mithin, dass die römische Cultur, oder richtiger Handelsverbindimg,
bereits einen grossen Schritt in Norwegen vorwärts gethan hatte, so bleibt
doch der Leichenbrand der vorherrschende Grabgebrauch. Und obgleich
Waffen nun bereits häufiger als Beigabe angetroffen werden (in 22 Gräbern
von 78 mit Bronzekesscln), so sind sie doch noch nach der altnationalen
Weise behandelt, das heisst, sie werden noch auf dem Scheiterhaufen mit-
verbrannt und in den Gräbern in unbrauchbarem Zustande, zusammengebogen
und absichtlich zerstört, niedergelegt. Dagegen hat man die kleineren Schmuck-
sachen geschont, und diesem ersten Schritte zu einer neuen, fremden An-
schauungsweise haben wir auch die ersten Hülfsmittel ' für eine ungefähre
Zeitbestimmung innerhalb des älteren Eisenalters in Norwegen zu denken:
bei Ringerike fand Prof. Rygh in einer solchen kleinen Kammer unter anderm
einen Beschlag zu einem Schildhandgriff, wie der aus dem Thorsbjergfunde,
PI. VllI, Fig. 9 '); und in dem Jahresberichte für 1870, pag. 98 berichtet der-
') Aarsberetn. ior 1870, pag. 101.
Ueber römische ('ultur in Norwegen, 335
selbe, dass in einem Bronzekesscl, der 1862 bei Braaten, Fiingerike gefunden
wurde, zwei kleine Goldringe mit Schlangenkcipfcn („ormhufrudringar" ' )
lagen, die in der Form der Zierraten nahe übereinstimmen mit Bruchstücken
von Armbändern aus dem Thorsbjergfunde^), der, wie man annimmt, etwa der
Mitte des 111. Jahrhunderts angehört; bei Hannem , Hedemarken, fand ich
unter einem solchen Kessel einige Pensilien aus Bronze, die in Norwegen zu
den selteneren Gegenständen gehören, in Dänemark aber in grösster Anzahl
in den ältesten Moorfunden vorkommen; bei Lunde, Eker, Amt Buskerud
fand sich in einem Bronzekessel oben auf den verbrannten Gebeinen eine
Silberfibula, auf deren Nadel ein Goldberlock und ein Spiralring steckten;
und in Tune, Smaalenene, fand ich neben einer „Thonurne in Kammer" ein
ebensolches Goldberlock, Mosaikperlen und zwei kleine bügeiförmige Span-
gen. Aehnliche Berlocks wurden in Dänemark mit römischen Alterthümern
des Denaralters zusammen gefunden 3), ebenso auch in Schweden. Dann
fand man bei Hauge, in Fortun, in einem sog. Bronzekessel einen Gold-
brakteaten und endlich im oben erwähnten Funde No. IX, bei Vanse, eine
Münze oder Medaille des Kaisers Valentinian I; also Gegenstände, die der
älteren nordisch-römischen Eisenzeit, wie auch in einzelnen Fällen solche,
die nachweislich dem Schlüsse dieser Periode angehören. Wir dürfen daher
annehmen, dass ebenfalls diese Gräberform mit ihren Unterabtheilungen eine
nicht geringe Dauer gehabt hat, während welcher die römische Cultur mehr
und mehr in das Land eindrang. Und darin eben liegt das grosse Interesse
für diese Bestattungsweise, dass sie, während sie eigenthümlich ist füi- Nor-
wegen und die ersten Alterthümer enthält, von denen Seitenstücke in den
dänischen Moorfunden und seeländischen Gräbern aufzuweisen sind, — gleich-
sam das erste Zeugniss von einer directen Verbindung Norwegens mit dem
römischen Weltreiche, das erste Zeichen von dem Einwirken der ft-emden
Cultur auf die Ideen und religiösen Gebräuche der Bevölkerung — , den Ueber-
gang bildet von den rein nationalen Gräbern zu den, w^enn ich mich so aus-
drücken darf, rein römischen in den grossen Grabkammern. Die kleinen
vierseitigen Grabkammern sind ein unentbehrliches Glied in der Beweiskette
dafür, dass die römische Culturströmung der älteren Eisenzeit nicht allein
römische Fabrikate nach Norwegen gebracht hat, sondern auch nach und
nach eine Aenderung in der Einrichtung der Gräber verursachte.
In jene Zeit werde ich demnach rechnen z. B den, unter den norwe-
gischen Glasgefassen aufgezählten Fund von Vögen mit dem prachtvollen
silbernen iSchwertgriff beschlag , der in einem Schildbuckel niedergelegt war;
') Vgl. Manadsblad 1873, pag. 24, wonach 11 Schlangenkopfringe in der schwedischen Staats-
sammlung vorhanden sind.
') Engelhardt, Thorshjerg Mosef. pag. Gl nud PI. 16, Fig. 20 und 21. In der Uni-
versitäts - Sammlung zu Christiania finden sich mindestens vier Armringe von diesem Typus:
im Museum zu Bergen zwei.
') Annaler 1849, pag. 393.
336 A. Lorange:
dann den eigenthümlichen Grabfund von By bei Ringerike, mit einer schwert-
förmigen Eisenbarre oder einem unvollendeten Schwerte (es ist nemlich ganz
und gar nicht geschliffen), das auf einer Seite der Griffzunge einen runden,
aber etwas undeutlichen Stempel zeigt und bei Engelhardt, Vimosefund
pag. 18 abgebildet und beschrieben wurde, wo ausserdem erwähnt ist, dass
ähnliche Marken auf Schwertern in Nydam und Vimose vorkämen.
Ferner eine Anzahl von Grabfunden bei Einang, Vestre Slidre in Val-
ders, die, gleich den ebeuerwähnten, mehrere Gegenstände erhielten, von
denen Seitenstücke im Nydamfunde vorkommen. Diese Funde, die aus ver-
schiedenen Gründen von besonderem Interesse sind, werde ich etwas näher
zu beschreiben suchen.
Ungefähr in der Mitte des östlichen Abhanges des Slidre-Thales, gegen-
über dem Olberg, liegt eine bis dahin unbekannt gebliebene grössere Zahl
von Grabhügeln, die alle gleichartig sind, d. h. ziemlich umfangreich und
flach, in kleinen Gruppen von 3 — 5 Stück beisammen liegen, aus mit Erde
vermischten Rollsteinen aufgebaut sind und von Steinkränzen (Fodkjaeder)
umgeben werden, welche an der, dem Abhänge zugewendeten Seite der Grab-
hügel beinahe den Charakter einer Mauer zeigen. Mehrere dieser Hügel
tragen Bautasteine, von denen einer mit Runen versehen ist, der einzige
Runenstein aus der älteren Eisenzeit, den man als „unberührt auf seinem
Grabe stehend" gegenwärtig in Norwegen kennt.
Bis zum Jahre 1870 war dieser Runenstein, ebenso wie die Grabhügel,
unbekannt, als ich durch den Ingenieurlieutenant Heyerdahl Nachricht von
dem Vorhandensein dieser Alterthümer empfing. Durch die Dienstwilligkeit
des Herrn Districtsarztes H. G. Printz erhielt ich dann im Jahre 1871 Ab-
drücke und Zeichnungen von diesen Runen, und im Jahre 1872 wurde die
Inschrift, die vollständig zu entziffern war, von Herrn Prof. S. Buggc ge-
deutet. Zugleich untersuchte ich selbst den Grabhügel, wobei es sich dann
leider herausstellte, dass derselbe bereits angegraben war, und somit meine
Hoffnung auf einen Fund, der zugleich etwas Licht verbreitet hätte über das
Alter der Runen und andererseits wieder durch diese erläutert worden wäre,
getäuscht wurde. In demselben Frülijahre hatte ich von Herrn Printz zwei
aus einer Hügelgruppe, einige hundert Schritte nördlich von demRuuensteinhügel,
aufgenommene Funde erhalten, worunter auch das auf anliegender Tatel ab-
gebildete Schwert enthalten wai-, das sowohl nach seiner Arbeit, wie nach
seinem dop])elten Fabrikstempel sich nahe verwandt zeigt mit den im Nydam-
funde entdeckten Schwertern') und daher sich selber datirt'-*).
In dieser Gruppe liegen drei Hügel in einer Reihe oben auf der Anhöhe.
') Vgl. Nydam Mosef. PI. VIII, Fig 18.
2) Bekanntlich wurden im Moorfunde von Nyriam 84 römische Silbermünzen gefunden, ge-
prägt zwischen 6'J— 217 p. Chr., wonach man die Zeit der Niederlegung dieses Fundes ungefähr
der Mitte des III. Jahrhunderts zuschreibt;
Ueber römische Cultur in Norwegen. 337
Das Schwert fand sich in dem unteren und kleinsten, mitten auf einer Schicht
von Kohlen auf dem Grunde des Ilügel.s. Neben dem Schwerte lag eine vier-
seitige, schön geformte Lanzenspitze und auf dieser ein Speer mit Widerhaken
und zwöltkantiger hvnger Schaftrölire, stark verdreht und zu einem Halbkreis
umgebogen, der einen Schildbuckel umschloss, worin einige Spangen, eine
verbogene Messerklinge, eine Ahle und mehr dergleichen lag. In dem mitt-
leren Hügel fand sich eine Lanzenspit/.e und ein Schildbuckel, beide von
derselben Form wie die des vorigen Hügels und in gleicher Weise auf einer
Schicht von Kolden und verbrannten Knochen, auf dem Grunde desselben
liegend. In dem obersten und grössten Hügel wurden nur Bruchstücke eines
Schildbuckels, aber unter denselben Umständen wie die vorhergehenden, ge-
funden.
Ein vierter Hügel in gleicher Höhe mit dem obersten wurde von Prof.
S. Bugge untersucht, der darin eine Lanzenspitze und eine Speerspitze mit
Widerhaken fand, beide ungefähr von derselben Form wie die des ersten
Fundes.
Nun ist zu bemerken, dass nicht allein jenes Schwert, sondern auch
sämmtliche anderen Gegenstände aus diesen Hügeln ihre Gegenstücke im
Nydamfunde haben: die Lanzens|)itzen sind gleich Nydam, Fl. X, Fig. 20
und PI. XI, Fig. 39; die Speerspitzen sind gleich Nydam, PI. X, Fig. 29
und PI. X, 31; die Schildbuckel sind wie Nydam Pag. 21, ja selbst das
Messer und die Spangen kann man wiederfinden unter den Abbildungen aus
jenem Moorfunde, und doch wurden sie im Hochgebirge von Valders ge-
funden !
In Folge der grossen üebereinstimmuug und Gleichartigkeit, die zwischen
diesen Grabfunden besteht, würden sie vielleicht das Fehlen der Alterthümer
in dem Runensteinhügel ersetzen und zu einer näheren Bestimmung des Alters
der Runeninschrift benutzt werden können, wenn nicht allein schon das Schwert
ein hinreichend glaubwürdiger Zeitangeber sein würde. Dean dies Schwert
ist selbsverständlich das merkwürdigste und am meisten charakteristische
Stück unter den gefundenen Alterthümern. Es ist zweischneidig, damascirt
und mit doppelten Hohlkehlen auf jeder Seite der Klinge versehen. Die
Stempel sind auf der einen Breitseite gleich unterhalb der Griifzunge an-
gebracht; zuerst ein radförraiger, darauf ein länglich vierseitiger mit erhöhten
lateinischen Buchstaben, muthmaasslich ein Name, von dem man RANVICI
lesen kann. Nebst den übrigen Gegenständen wurde das Schwert dem Feuer
des Scheiterhaufens ausgesetzt, darauf gebogen, gleichsam doppelt zusammen-
gelegt, und bedeckte sich mit einer starken Glüh^chicht, die es später beinahe
gänzlich gegen den Angriff des Rostes geschützt hat.
Ebensolche damascirte und gestempelte Schwerter sind bis jetzt nur in
einzelnen von den dänischen Mooren gefunden. In Norwegen waren sie bis
dahin, vielleicht mit Ausnahme des obenerwähnten von By bei Ringerike,
gänzlich unbekannt. Dasselbe ij^t in Schweden der Fall; auch fehlen sie,
338 ^- Lorange:
meines Wissens, in den dänischen Grabfunden, obwohl sie einzeln als Mark-
funde angetroffen wurden').
Was die Abkunft dieser Schwerter anbetrifft, so sind die Meinungen
darüber getheilt; denn ungeachtet der lateinischen Buchstaben in den Stem-
peln, hat man doch noch keinen Namen gefunden, der gleichwie die Fabrik-
stempel auf den Casserolen, römischen Klang hätte. Auch aus der Form der
Schwerter ist nicht das mindeste zu schliessen, da man unglücklicher Weise
von den römischen Schwertern nur geringen Bescheid weiss. Einige haben
geglaubt, ihnen in Folge der Damascirung einen orientalischen Ursprung zu-
schreiben zu müssen; aber wahrscheinlich werden erst künftige Funde in
dieser Sache Gewissheit verschaffen können.
Da man indessen weiss, dass mehrere der von den Römern sogenannten
Barbaren sich vor den Römern auszeichneten als tüchtige Waffenschmiede,
so dass z. B. iberische und norische Schwerter in Rom sehr gesucht waren,
so hat man in Uebereinstimmung mit der Namensform der Stempel sich vor
der Hand begnügt, diese Schwerter füt „nicht römisch" zu erklären und ihnen
den allerdings weitumfassenden Titel „barbarisch" beigelegt.
Im Nydammoore wurden unter 100 Schwertern 90 damascirte gefunden;
in dem jüngeren Vimosefunde dagegen nur 14 unter 67. Fabrikmarken waren
indessen selten, und noch seltener die Stempel mit lateinischen Buchstaben
(in Nydam etwa 8— 10-); dagegen ist es gar nicht unmöglich, dass unter
den zahlreich in Norwegen ausgegrabenen Schwertern aus der älteren Eisen-
zeit sich noch mehrere von fremdem Ursprünge finden werden.
In jedem Falle wird das Schwert von Einang sein besonderes Interesse
behaupten, weil es sich offenbar ganz von selbst der im Nydammoore auf-
gefundenen Schwertgruppe einreiht. Es muss beim Niederlegen so gut wie
neu gewesen sein; wenigstens zeigt es nicht die geringste Spur einer Ab-
nutzung und kann daher von der unbekannten Werkstätte bis hinauf nach
Norwegen wohl nicht lange unterwegs gewesen sein. Undenkbar oder un-
wahrscheinlich wäre es indessen keineswegs, dass ein nordischer Kriegsmann,
der im Süden in Diensten stand, diese vorzügliche Waffe mit zurückgebracht
hätte. In diesem Falle würden wir einen neuen Beweis besitzen für die frühe
Verbindung der Nordmänner mit der Cultur des Südens; gleichwie auch der
Fund von Valdors in seiner Gesaramtheit ein merkwürdiges Zeugniss bietet
für die grosse Uebereinstimmung im Geschmack und Stil, die in Folge der
Einwirkung römischer Cultur bereis im III. Jahrhundert sich im ganzen Nor-
den geltend machte, von Hüd-Jütland bis in die Gebirge Norwegens. —
Im Jahre 1868 kannte man in Norwegen etwa 90 Hügel mit grossen
') Vgl. Nydam Mosef. pag. 22.
■') Alle in Dänemark frefun.lenen , mit römischen Fabrikstempeln versehenen Alterthumer
werden aufgezählt von Engelhardt, Aarböger 1871, pag. 432.
üeber römische Cultur in Norwegen. 339
Steinkammern oder Grabkasten '). Gegenwärtig kennt man jedenfalls mehr
als 120. Die Kammern sind selten unter Manneslänge, 2-4 Fiiss breit und
hoch^), oft reich an Grabgütern und, was wohl zu bemerken ist, nicht nur
die Schmucksachen, sondern auch die übrigen Beigaben findet man bei dieser
Gräbergruppe stets in bester Ordnung und in wohlerhaltenem Zustande nieder-
gelegt. Mir wenigstens ist kein einziger solcher Fund bekannt, in welchem
Spuren von vorsätzlicher Zerstörung zu finden gewesen wären.
Die Beigaben sowohl, wie die Einrichtung der Gräber zeigen in vielen
Fällen eine gewisse Uebereinstimmung mit jenen Gräbern auf Seeland, welche
unverbrannte, in Sandhügeln begrabene Leichen enthalten und als gleichzeitig
mit den schleswigschen Moorfunden betrachtet werden '). Um diese That-
sache näher zu beleuchten, die, wie es scheint, bisher nur zu sehr der Auf-
merksamkeit der dänischen Alterthumsforscher entgangen ist, wollen wir hier
ein solches dänisches Grab der älteren Eisenzeit mit einer norwegischen
„grossen Grabkammer" vergleichen und wählen dazu:
denStröbyfund(Varpelev), AmtPraestö^ und denKjorstadfund, Gudbrandsdal'').
Grab 9 Fuss lang, ungefähr halb so breit . . . j Grabkammer, 8 Fuss lang, 4 Fuss breit.
Gefüllt mit Sand Halbgefüllt mit Stein und Sand.
Unverbrannte Leiche ! Unverbrannte Leiche.
Römische Bronzevase Römische Bronzevase.
Gasseroi mit Sieb
Holzeimer mit Bronzebeschlag . .
Drei Glasschalen neben der Brust
Thonurnc
Fingerring von Gold
13 Steine zum Bretspiel
do. do.
do. do.
do. do.
do. do.
Zwei Holzeimer mit Hronzcbeschlag.
Holzeiraer mit Bronzebeschlag.
Eine Glasschale auf der Brust der Leiche.
Thoniirne.
Drei Goldfingerringe.
Ein beinahe kugelförmiges Stück Bronze.
Haarnadel.
Zwei Spangen
Schere von Eisen.
Zwei eiserne Messer u. s. w.
Hier zeigt sich also eine überraschende Gleichartigkeit; kaum ein an-
derer Unterschied, als dass der norwegische Fund, wie immer, in einem Hügel
lag und der dänische acht Fuss unter einer Anhöhe. Beide verrathen einen
stark römischen Einfluss — ja, sie entsprechen beinahe vollständig der rö-
mischen Aiaffassung von der Bestimmung der Gräber, wonach diese lediglich
die Wohnung waren, in welche der Todte sich zu einem ungestörten, seinem
früheren ganz gleichartigen Leben zurückzogt Der Tod galt eben nur als
Fortsetzung des Lebens'), und deswegen gab mau den Verstorbenen Kleider,
') Aarböger 1860, pag. Ii56.
2) Aarböger 1869, pag. 162.
') Nydam Mosef. pag. 50.
*) Annaler 1861, pag. 305.
*) Aarsberetn. for 1867, pag. 57.
6) Marquardt, Römische Privatalterthümer, I, pag. 367.
^) Cochet, Normandie souterraine, pag. 197.
340 ^- Lorange:
Schmuck und Lebensmittel mit, Kriegern ihre WaflFen, Handwerkern ihre
Geräth Schäften und Weibern ihre Toilettesachen.
In vielen der grossen norwegischen Grabkammern zeigt gerade dieser
Gesichtspunkt sich besonders berücksichtigt; so fand man Grabgefässe mit
Holzlöffeln') zum deutlichen Beweis, dass wirklich Speise und Trank in den
vielen verschiedenen Gefässen der Kammern niedergelegt waren. Und nicht
selten fand man, wodurch die Uebereinstimmung vollständig wurde, auch
Räucherwerk 3). Wie bereits oben bemerkt, ist ebenfalls der altnationale Brauch,
die Mitgaben vorsätzlich zu zerstören, gänzlich aufgegeben; kurz, wir finden
solche grosse Grabkammern derartig eingerichtet, dass sie eben so gut von
Römern geordnet und für Römer bestimmt sein konnten, wie die Gräber von
Häven, Grabow und die von Seeland. Und doch kann kein Zweifel daran
sein, dass auch diese Gräber von Eingeborenen errichtet und für dieselben
bestimmt waren. Zunächst sind nämlich sowohl die Grabhügel, wie die
grossen, sorgfältig aufgebauten Grabkammern eigenthümlich für Norwegen;
und dann lässt sich auch die Ausbildung dieser Klasse von Gräbern durch
eine Mannichfaltigkeit von Uebergängen, namentlich in Betreff ihrer Einrich-
tung, genau verfolgen. Von zwei Thongefässen und kleinen vierseitigen Kam-
mern an lassen sich alle Stufen nachweisen mit immer reicheren, aber auch
immer mehr fremden Mitgaben bis zu jenem vollentwickelten römischen Typus,
von dem der erwähnte Fund von Kjörstad ein Beispiel bildete.
Die verwirrte Zusammenmischung von Neuem und Altem, von Einhei-
mischem und Fremdem, die sich oft in der Einrichtung der grossen Grab-
kammern zu erkennen giebt, ist begreiflicher Weise der bei den Eingeborenen
herrschenden unklaren Vorstellung von dem neuen Ritus zuzuschreiben. Trotz
der Einführung der grossen Grabkammern liegt gewissermassen der nationale
Brauch des Leichenbrandes mit der neuen Bestattungsweise einer fremden
Cultur noch im Kampfe. Grosse kistenartige Kammern zu bauen und darin
nur eine Handvoll verbrannter Knochen niederzulegen, das scheint bereits
ein Missverständniss anzudeuten; aber auch in der sonstigen Einrichtung
der Gräber findet man Beweise dafür, dass die neue Gräberart in ihrer Be-
deutung und Bestimmung von der Bevölkerung nicht verstanden wurde, die
gleichsam mitunter in Zweifel darüber gewesen zu sein scheint, wie man sich
eigentlich am besten mit jener vertragen sollte.
Wie die Fundberichte ausweisen, sind die grossen Grabkaramern bald
mit Erde angefüllt, bald offen. Als einfachste Erklärung dieses Umstandes
habe ich mir gedacht, dass die ersteren verbrannte Gebeine enthalten haben,
die anderen dagegen — unverbrannte Leichen. Es scheint auch am natür-
lichsten, die grossen Kammern mit J^eichen für jünger zu halten, als diejenigen
mit verbrannten Knochen, und diese Annahme findet auch in der Beschafien-
') Norske Fornlevn. pajr. -'85.
O Aarsberetu. t'or 1867, pag. 57; Norske Fornlevu, pag. 285, 392 und 407.
üeber römische Cultur in Norwegen 341
heit der Beigaben hinreichende Bestätigung. Bis jetzt liisst sich ullerdinf^s
eine vollständige oder genügende Classificirung dej- Altertliiiniei- sehr sciiwer
durchfuhren; aber in dem Funde von Kjörstad mit unvorbranuter Leiche war
u. a. ein Goldring mit eingefasstera, ovalem Glasfluss enthalten, von einer
Form wie Worsaae, No. 381, die in Dänemark zum mittleren Eisenalter
ffereclmet wird; in dem F'unde von Uolmegaard neben verbrannten Kno(h<Mi
zwei drachenkopfförraige Fibula mit drei Knöpfchen am Obertlieile, in dä-
nischen Gräbern, die noch nie gefunden wurden, dagegen zahlreich, einige
Male sogar schon in den kleinen vierseitigen Kammern, in Norwegen vor-
kommen (vgl. Aarsberetn. for 1889, pag. 101, No. 2 ') • Die grossen kreuz-
förmigen Bügelspangen treten in Norwegen zuerst auf in diesen grossen Kam-
mern, aber es ist nicht sichei-, ob man sie nur in Gräbern mit unverbrannten
oder auch mit verbraunten Gebeinen findet.
Auf die Frage nun, ob man in Norwegen unter den Grabhügeln ein be-
stimmt ausgeprägtes mittleres Eisenalter auszuscheiden vermöge-), antworte
ich, dass alle die Eigenthümlichkeiten, welche man als Merkmale dieser durch
oströmische Einwirkung charakterisirten Culturperiode bezeichnet hat, ganz
sicher nicht minder kräftig in Norwegen auftreten, als in irgend einem an-
deren der nordischen Reiche; dass es nicht schwieriger ist in Norwegen, als
in Dänemark, dergleichen Gräber, welche alle jene Eigenthümlichkeiten tles
mittleren Eisenalters •^), nämlich die den oströmischen Goldmünzen nachgear-
beiteten nordischen Brakteaten, die grossen Bügelspangen, Niollo-Ornamente
uud eingefasste Glasstücke enthalten, nachzuweisen; dass aber auch alle diese
Gräber dem Anscheine nach eine so grosse Uebereinstimmung mit den letzt-
genannten der älteren Eisenzeit darbieten, dass man vorläufig wenigstens noch
nicht im Stande ist, mit Sicherheit zu entscheiden, ob ein Grab, wenn es
nicht gerade die erwähnten Schmucksachen oder doch die betreffenden Orna-
mente enthält, in die Brakteatenzeit (Solidusperiode), oder aber in die ältere
Denarperiode gehört. Die Schwierigkeit liegt also niclit darin, überhaupt
Gräber des mittleren Eisenalters nachzuweisen, sondern darin, alle dieser
Periode angehörenden Gräber zu sammeln und auszuscheideu. Und bevor
nicht eine solche Trennung vorgenommen werden kann, falls sie überhaupt
durchzuführen sein sollte, verstehe ich in der Thal nicht, welchen praktischen
Nutzen sowohl in Dänemark, wie in Norwegen es haben kann, eine besondere
') Vgl. FI. Hil(lel)rand, „den äldre Jernalderen i Norrland", Ausser den dort an<refülirten
Funden aus Norwegen würden zu nennen sein: Aarsberetn. für 1870, pag. 4S, drei dracben-
kopfföruiige : Aarsl)eretn. for 1871, pag. 65. eine ebensolclie; Aarsberetn. pag. 9., eine ilesgl.:
der Fund von Eigner, lledeuiarken 1872, mit -2 nnd der Fund von Langebo, Stokke, Jarisberg
1372 mit 3 ebensolchen Spangen.
-) Vgl. Antiq. 'i'idskrift for Sverige, II. H ilile brand 's angeführtf Abbaiulhmg. pag. (! u. 7 ;
Aart)üger 18G;>, pag. 180, 181, nnd H. Hildebrand, Svenska Folket under Hednatideu, 2. Udg.,
bdedu.
") Kragebul Mosefund, pag. *.).
342 A. Lorange:
Gräbergruppe für ein mittleres Eisenalter aufzustellen. Mit Ausnahme der
erwähnten einzelnen neuen Schmucksachen schliessen sich die Alterthümer
der sogenannten mittleren Eisenzeit im Uebrigen unmittelbar an die ältere
Eisenzeit an, und irgend ein Uebergang zum neuen Stil, der so ausgeprägt
und durchgeführt in Norwegens letzten heidnischen Jahrhunderten, in dem
sogenannten jüngeren Eisenalter vorherrscht, ist durchaus nicht zu bemerken.
Das Verhältniss zwischen der Anzahl von grossen Grabkammern, worin
verbrannte Gebeine und worin unverbrannte Leichen vorkommen, lässt gegen-
wärtig, nach den vorliegenden leider so mangelhaften Fundberichten, sich
noch nicht genügend bestimmen; doch bin ich nicht abgeneigt, anzunehmen,
dass die Verhältnisse, welche Prof. Rygh im Jahre 1868 zwischen allen nor-
wegischen Grabhügeln der älteren Eisenzeit mit unverbrannten und mit ver-
brannten Gebeinen aufstellte, nämlich wie 1 zu 8, sich am nächsten für jene
eine Classe von Gräbern der älteren Eisenzeit anwenden lässt. Diese Ver-
hältnisszahl war nämlich nur der Ausdruck für die 412 Grabfunde, von denen
man bis zum Jahre 1808 Nachricht hatte, wo man kaum etwas wusste von
jenen grossen, oben erwähnten Hügelfriedhöfen des älteren Eisenalters, die
ohne Ausnahme Gräber mit Verbrennung enthalten und in so grosser Anzahl
vorkommen, dass ich z. B. allein aus dem Amte Smaalenene gegenwärtig ebenso
viele Brandgräber der älteren Eisenzeit nachzuweisen vermag, wie man im
Jahre 1868 Gräber aller Art aus derselben Zeitperiode im ganzen norwe-
gischen Lande kannte. Ich bin völlig überzeugt, dass künftige Untersuchun-
gen dieser grossen Hügelfriedhöfe die Anschauungen von Norwegens älterer
Eisenzeit ebenso wesentlich verändern werden, wie die Entdeckung des rich-
tigen Alters der „Wendenkirchhöfe" die Auffassung von dem ersten Auftreten
der Eisencultur in Nord- Deutschland umgestalten müsste. Sie werden den
naturgemässen Ausgangspunkt bilden für die Entwickelung der Eisenzeit in
Norwegen; sie werden wahrscheinlich die beste Erklärung liefern für die
nationalen Eigenthümlichkeiten des Eisenalters in Norw^egen unter der später
so mächtigen fremden Einwirkung, zugleich aber auch in Folge ihres primi-
tiven Charakters, ihrer Mannichfaltigkeit, Gleichartigkeit und stätig fortschrei-
tenden Cultur ein grosses Hinderniss sein für jede Behauptung, die zu er-
weisen versuchte, dass die norwegische ältere Eisenzeit nur als ein Keim
der damals in Dänemark bereits alten Eisencultur zu betrachten sei, ein Keim,
der, wie man meinte, nur schwach blieb, jung und von geringer Triebkraft.
Ich habe oben nachgewiesen, dass die Grabfunde aus der nordisch-
römischen Zeit nicht allein zahlreich sind in Norwegen, sondern auch reich-
lich so zahlreich — nach dem, was man bis jetzt darüber kennt — wie in
Dänemark und ungleich zahlreicher sogar als in Schweden; weshalb denn
auch die Spuren der römischen Cultur in Norwegen ebenso stark hervortreten,
wie in irgend einem der anderen nordischen Reiche, sowohl mit Hinsicht auf
die inländische Nachbildung fremder Muster, wie auf die Gräbereinrichtung
und auf andere Zeugnisse von der geistigen Auffassung und Auscbauungs-
Ueber römische Cultur in Norwegen. 34
weise der damaligen Bevölkerung. Ich habe weiter nachgewiesen, dass die
Anzahl echt römischer Alterthiimer in norwegi.schcn Gräbeni sehr bedeutend
ist, — weit grösser, als Schweden solche bis jetzt dargeboten hat, wenn auch
nicht ganz so bedeutend, wie in den dänischen Funden; dsss die Verschieden-
heit zwischen Dänemark und Norwegen nicht erheblich ist und dass sie voll-
ständig erklärt werden kann durch Norwegens zu jeder Zeit geringere Be-
völkerung und mehr abgelegene Lage; und endlich, dass jene norwegischen
Gräber fremden Stils nicht vorzugsweise auf einen einzelnen Theil des Landes
beschränkt sind, sondern sich ausbreiteten über das ganze Land, bis hinauf
zu den Küsten des Drontheimfjord.
Allerdings fehlen uns, wie gesagt, römische Münzen in diesen Funden,
um sie selbständig datiren zu können; aber Dank den dänischen und süd-
schwedischen Münzfunden, die das Alter der seeländischen (und südschwe-
discheu) Gräber feststellen (von ca. 250 bis zu 400 p. Chr. ; mit einer weiteren
selbständigen Ausbildung bis ca. GOO), sind wir in den Stand gesetzt, auch
das ungefähre Alter dieser norwegischen Grabhügel bestimmen zu können,
denn ihre Gleichzeitigkeit mit den seeländischen (und schwedischen) Begräb-
nissen ist durch die Gleichartigkeit und die zum Theil gemeinsame Abkunft
der Mitgaben hinlänglich erwiesen.
Der Wimische Culturstrom war mächtig genug, um mit ungehemmter Kraft
sowohl bis Dänemark, wie nach Schweden und Norwegen vorwiirts zu dringen.
Er hat in allen drei Ländern einen starken Einfluss ausnefibt und eine so
hohe Culturentwickelung begründet, wie man sie niemals hätte voraussetzen
können, wenn nicht die Alterthümer uns unzweifelhafte Beweise davon ab-
legten.
Die gleichartigen Wirkungen dieser Cultur, in Dänemark sowohl wie in
Schweden und Norwegen, sind Zeugnisse für deren ebenmässiges. gleich starkes
Auftreten bei drei verwandten und auf derselben Bildungsstufe stehenden Völ-
kerschaften; die trotz der grössten Uebereinstimmung gleichwohl in jedem
dieser drei Länder hervortretenden Ungleichheiten sind der Ausdruck der
nationalen Besonderheiten und mithin Zeugnisse dafür, dass der römische
Culturstrom gekommen ist zu drei — in Folge der ungleichen natürlichen
Beschaffenheit ihrer Länder — schon damals so wesentlich von einander ver-
schiedenen Brüderstämmen.
Wenn die dänischen Archäologen dessenungeachtet bis jetzt noch keine
andere Gräbergruppe der älteren Eisenzeit aufgestellt haben als jene nordisch-
römische, so wird es doch unfehlbar noch dabin kommen; denn andernfalls
müsste man voraussetzen, einmal die Möglichkeit, dass die Cultur der ältesten
Eisenzeit auf ihrem wahrscheinlichen und natürlichen Wege von Süd nach
Nord einstweilen Dänemark übersprungen habe, und dann, dass später nach
Dänemark eine specielle Einwanderung eines nordischen Stammes, der al)er
ausserhalb Dänemarks sich den stark ausgeprägten römischen Charakter zu
eigen machte, stattgefunden luilic. Blicken wir aber darauf hin, was erst
344 A. Lorange:
kürzlich durch die ausgezeichneten Untersuchungen des Amtmanns Yedel
in Beziehung auf das Auftreten und die stufenweise Entwicklung des Eisen-
alters auf Bornholm nachgewiesen wurde, und auf andere ähnliche Entdeckun-
gen in anderen Ländern, wie z. B. auf jene „Wendenkirchhöfe" in Nord-
Deutschland, so ist gar nicht daran zu zweifeln, dass die Eisenzelt ebenfalls
in Dänemark älter ist, als die ältesten der „seeländischen Begräbnisse". —
Wie schon oben erwähnt, lassen die norwegischen Grabhügel aus der
älteren Eisenzeit sowohl in ihrer Bauart, wie in ihrem Inhalte eine beständig
und gleichmässig fortschreitende Culturentwickelung — wie ich annehme —
eines und desselben Volkes erkennen. Ich wenigstens finde an keiner ein-
zigen Stelle in der Reihenfolge der Ausbildung der norwegischen Grabhügel
irgend eine plötzliche Veränderung oder bedeutende Umwälzung, die den ge-
ringsten Grund zu der Annahme geben könnte, dass eine Einwanderung eines
fremden Stammes oder eines ganz neuen Volkes stattgefunden habe. Die Grab-
funde machen im Gegentheil durchaus den Eindruck einer natürlichen, durch stä-
tige stärkere südländische Einwirkung veranlassten Entwickelung; und obgleich
die Annahme, dass die Cultur der Eisenzeit ursprünglich zugleich mit einer
Einwanderung nach Norwegen gekommen sei, immerhin wahrscheinlich und
natürlich erscheinen wird, so ist doch diese Annahme nun weniger nothwendig
geworden, nachdem ich bereits früher nachgewiesen habe — vorläufig treilich
nur für einen einzelnen Landestlieil — , dass Norwegen gleichfalls ein vollent-
wi(;keltes Bronzealter gehabt hat, wovon zahlreiche und charakteristische, bis
dahin unbekannte und unbeachtete Gräber Zeugniss ablegen.
iSowohl der Gang in der nordisch-römischen Culturentwickelung, wie ihre
Eigenthümlichkeiten in den einzelnen nordischen Ländern würden sich ohne
Zweifel schon längst weit deutlicher vor Augen gelegt haben, wenn nicht
auch darin eine gewisse Uebereinstimmung zwischen diesen gleichzeitigen und
gleichartigen Gräbern Dänemarks und Norwegens obgewaltet hätte, dass bei-
nahe sämmtliche Funde dieser Art in beiden Ländern eigentlich nur durch
Zufall zu Tage gekommen sind, mit Unverstand und Unvorsichtigkeit aus-
gegraben wurden, und daher bei weitem nicht so lehrreich zu werden ver-
mochten, als sie es hätten sein können, wenn sichere und ausreichende Fund-
berichte darüber vorgelegen hätten.
Deswegen können wir auch in Norwegen noch nicht mit Bestimmtheit
die Gräber vom Schlüsse der Periode aussondern, und ebenso wenig die wei-
tere nationale Ausbildung verfolgen, welche eintrat, nachdem die Verbindung
mit Rom oder genauer die mit Byzanz, vielleicht gegen Ende des VI. Jahr-
hunderts, ihr Ende erreicht hatte. Ehe das nicht geglückt ist, werden wir
uns auch den späteren ausgeprägten Charakter des „jungen Eisenalters", sein
Verhältniss zu der so verschiedenartigen Cultur der älteren Eisenzeit und zu
dem Zeitpunkte jenes merkwürdigen, räthselhaften Ueberganges nicht genügend
erklären können. Aber in Norwegens historischer Schatzkammer, in den zahl-
üeber romische Cultur in Norwegen. 345
reichen Grabhügeln wird man sicherlich auch für diesen, jetzt noch so dun-
keln Zeitabschnitt demnächst Aufklärung finden.
Das Material, welches Norwegens Grabhügel geliefert haben zu einer
besseren Aufklärung über die vorgeschichtlichen Verhältnisse des Landes und
des Nordens, ist bereits ein sehr reiches; aber wir haben doch oben gesehen,
wie unbekannt dessenungeachtet sowohl die Grabhügel, wie deren historische
Beweiskraft sogar den uns benachbarten Alterthunisforschern geblieben waren.
Die Schuld daran tragen allerdings nicht jene Fremden. Das Material au
und für sich ist eben nicht genügend: es muss bearbeitet werden, damit
Andere es zu benutzen vermögen, und derartige Bearbeitungen fehlen bis jetzt
in Norwegen weit mehr, als in irgend anderen der nordischen Reiche.
Deswegen konnten auch die vorhin citirten unrichtigen Ansichten un-
widerlegt dastehen und in Folge dieses Stillschweigens eine Glaubwürdigkeit
erlangen, die ihnen an und für sich vollständig ermangelte.
Ich läugne nun keineswegs, dass der römische Culturstrom sich in der
Richtung von Süden nach Norden über die nordischen Länder ergossen habe,
aber ich kann nicht den Beginn jener Cultur für gleichzeitig ansehen mit dem
ersten Auftreten des Eisens im Norden.
Ich nehme ebenso wenig die Möglichkeit oder Wahrscheinlichkeit in Ab-
rede, dass die ersten Stämme der Eisenzeit sich in der Richtung von Süden
nach Norden über den Norden ausbreiteten — aber darauf muss ich bestehen,
dass bis jetzt Niemand das Recht hat, die nordischen Alterthümer als einen
Beweis für diese Lehre anzuführen.
Miscelleu und Büelierscbau.
Jäger: In Sachen Darwin's, insbesondere contra Wigand. Stuttgart 1874.
Der Verfasser erblickt , einen Gegensatz zwischen starren, unveränderlichen Arten und
anderen, die mehr oder weniger rasch sich im Laufe der Generationen verändern", er steht
zwischen den Constanzianern und Transrautisten (S. 5), so dass der bittere Ton, der gegen das
angegriffene Buch angeschlagen wird, eigentlich seiner Begründung entbehrt, und in den Augen
eines unpartheiischen Lesers jedenfalls nicht zur Einpfelilung dient. Kach der beliebten Mode
der jetzt so üppig quellenden Schüpfungsbüclier, die mit Fuiulamentirung elementarster Prin-
zipien noch vollauf zu thun haben sollten, geheu die letzten Capitel bereits auf das psychische
Gebiet über, auf Sprache, Bewusstsein, Religion u. s. w., wobei die Moralitüt .als etwas erst
durch die Erziehung von jedem Einzelnen zu Erwerbendes behandelt" wird, und würde sich
ilann Vielerlei über , socialen Instinct" für und wider sagen lassen.
In den Erörterungen mit den Anhängern der Descendenzlehre ist vier Unterschied, um den
es sich bei der Streitfrage handelt, ein grosser oder kleiner, wie man will, — eiu kleiner, weil"
Zeitbchrift für Etliiiologie, Jabrgaag lS7ä. 24
346 Miscellen und Bücherschau.
es sich ohne Aenderung der Thatsachen, nur um Worterklärungen zu drehen scheint, je nach
der Termiuologie in vergleichender Anatomie oder bei genealogischer Hypothese, ein grosser, weil
ein Cardinalprinzip der exacten Naturwissenschaft berührt wird, nämlich ihre durch die Induc-
tion geforderte Beschränkung auf das jedesmal in gegenseitiger ControUe Bewiesene, das factisch
Gesicherte.
Es steht unwiderleglich fest, dass, wenn der Organismus mit der jeder Species zukommen-
den Peripherieweite zu variiren beginnt, die Fortzeugungeu, wie sich aus physiologischen
Gesetzen mit Nothwendigkeit ersieht, mit der Entfernung vom Centrum um so lebensunfähi-
ger werden müssen, dass also die Wiederholungen des gleichen Typus nicht die aufsteigende
Reihe der Entwickelung zeigen, sondern in abnehmender Reihe zum Untergang führen werden.
In allen Fahrzeugen, vom Canoe bis zum Kriegsschiff, kehren ähnliche Analogien wieder,
in Rippen, Kiel, Steuer u. s. w., wie sie für die Zwecke der Schifffahrt erforderlich sind, ebenso
in den Häusern, von Hütte zum Pallast, in Dach, Fenster, Thür u. s. w , für die der Woh-
nung, aber so wenig deshalb hier in der für die Auffassung des Verfertigers bestehenden Ent-
wickelung eine objective Abstammung gelten kann, ebenso wenig auch bei Pflanzen und Thie-
ren, und ihre zur Erhaltung des Typus dienende Zeugung kann dabei um so weniger eine
Differenz herstellen, da sie, wenn überhaupt in Betracht gezogen, nur das Gegentheil (wie ge-
sagt) der von den Descedenztheorien aufgestellten Behauptungen in den Ergebnissen thatsäch-
licher Beobachtungen zeigen würde.
Der genetische Zusammenhang, der Häuser oder Fahrzeuge unter einer höheren Einheit
verbindet, liegt auf einem, diesen existirenden Gegenständen, als solchen, völlig fremden Gebiet,
nämlich im Geist des Menschen, und so der der Pflanzen und Thiere in einer für die in der
Mittagshöhe der Tagessonne arbeitende Naturwissenschaft durch verschleierndes Dunkel un-
zugänglichen Region einer Schöpfung oder Entstehung aus der Nacht des Hades, Erst wenn
die Dinge aus dem Nichtsein in das Sein getreten, sind sie Gegenstand der Beobachtung und
inductiver Behandlung in Comparation, und obwohl jener Ursprung, den die Philosophie bisher
umsonst auf Speculationsflügen anzunähern oder in mystischer Versenkung zu ergründen suchte,
nach naturwissenschaftlicher Durchbildung der Psychologie ebenfalls, wie so viele andere Räthsel,
bei dem unaufhaltsam siegreichen Vordringen der Naturwissenschaften graduell sich wird enthüllen
müssen, werden diese solche Erfolge doch nur dann zu erringen hoffen dürfen, wenn sie ihre
Stärke darin verstehen, ihre eigenen Schwächen zu kennen, und sich deshalb mit verständiger
Mässigung jedesmal auf die Grenzen des so weit gesicherten Forschungsterrains zu beschränken.
Erklärungen können nur innerhalb der umschriebenen Peripherielinie eines Horizontes (wo
immer gezogen) statthaben, um den Werth des Theiles aus dem Ganzen zu berechnen, und so
lange wir noch mit deu Elementarope 2 tionen des Rechnens beschäftigt sind, lassen sich nicht
die in das Unendliche laufenden Tangenten verfolgen, indem dafür erst im spätem Fortschritt
Methoden einer höheren Anaiysis sich finden lassen werden. Bis dahin handelt es sich um
Detailvertiefung, damit der Causalnexus des Gesetzlichen erlangt wird, da solcher, wenn einmal
gefunden, auch weiter als Schlüssel zum Oeffnen schwieriger Räthsel dienen mag.
Gleichsam aus instinctmässigem Drange legt sich der Mensch schon früh die Scheidung
des Erlaubten und Unerlaubten auf, in Uebernahme der Gelübde, die ihren speciellen Gegen-
stand verbieten, in Trennung der Welt in die des Tabou und des Nua. An sich hat jedes
Sein und Werden seine Berechtigung, als naturgemässes, die Existenz und also auch die (durch
äussere und innere Verhältnisse bedingten) Existenzformen des Organismus, in gleicher Weise
ferner die Willensrichtungen und die Ausführung, zu welcher sie veranlassen. Erst bei tieferem
Eindringen in die Motive, bei Auffinden einer Vielfachheit derselben und daher der Möglichkeit
der Wahl, tritt in der Leitung des (somit frei erscheinenden) Willens das moralische Urtheil
von Gut und Böse hinzu, je nachdem bei weiterem Ueberblick sich Ursache und Folge m regel-
mässig richtigem Zusainmeidiang, also gesund, erweisen, oder durch augenblicklich überwiegende
Störungen pathologisch abgelenkt worden, indem ilie ethische Betrachtung idclit vom Individuum
auszugehen hat, sondern von ilem Menschen, als Gesellschaftswesen, werden sich, als zum Bestände
und der Erhaltung desselben nothwendig, immer schon ethische und moralische Gesetze im
Voraus ergeben, als bereits potentia vorhanden, oder actu wenn erkannt, Columbus had been
scoffed at as a visionary, by tbe vulgär and ignorant, but he was convinecd, that he only
acquired a body of enlighteued men to listen dispassionately to his reasouings to iusure
Miscellen und Bücherschau. 347
triumphant conviction (s. Irving). The very children, it es said, pointed to their forehead, as
he passed, being taught to rcgard him as a kind of madman.
Neumayer: Anleitung zu wissenschaftlichen Beobachtungen auf Reisen.
Berlin 1875.
Ein Werk, das, wenn irgend ein anderes, einem Zeitbedürfnise entgegenkommt, und um
welches sich der Herausgeber, Hr. Prof. Neumayer, der neben der Ausarbeitung seines eigenen
Beitrages (Hydrographie und Occanographie) die Mühe der Gesammtanorflnung zu tragen hatte,
ein dauerndes Verdienst erworben hat, dem die vollste Anerkennung nicht fehlen wird. Wenn
practische Reisende, die zugleich in ihren Fächern als Autoritäten dastehen, wie Richthofen,
Hartmann, Schweinfurth, Fritsch u. s. w., in gedrängter Form ihre Erfahrungen darlegen, wenn
Gelehrte, die zugleich an Hochschulen lehren, wie Kiepert, Förster, Virchow, Orth, v. Martens,
Ascherson, Gerstäcker, Oppenheim, Seebach, Grisebach, Steinthal u. s. w., wenn Vorsteher wis-
senschaftlicher Institute, wie Peters, Hann, Weiss, Tietjen, Günther, Wild, Möbius, oder in
ihren Specialstudien so bekannte Namen, wie Koner, Hartlaub, Friedel zusammenwirken, bedarf
es keiner besonderen Empfehlung. Für anthropologisch-ethnologische Zwecke sind besonders
zu erwähnen die Aufsätze Nr. 8, 9, 10, 10, 13, 23'), 24, 26, 26, 27, doch finden sich auch schon
für diese in allen übrigen nützliche Bemerkungen.
') Im Grossen und Ganzen trägt der menschliche Typus den Gesammtzug des von ihm be-
wohnten Continentes, fler je nach seiner Küstenentwickelung, nach den Flussgebieten und deren
Schiffbarkeit, sowie nach der Zerwerfung oder dem organischen Streichen der Bergketten zu
geschichtlicher Entwickelung prädisponirt, oder auch, bei Mangel ihrer Spontaneität, aus der
Fremde übergepflanzte Culturkeime zeitigen mag. In den dadurch eingeleiteten Veränderungen
der Cultur kann dann oft der social-politische Charakter, den die Naturverhältnisse selbst be-
dingen werden, verschwinden.
Gewisse Grundlinien sind als durchgehende an sich klar.
1) Ebenen, die, weil des Wassers, jeder Vegetation sowohl, wie des Thierlebens ent-
behren, sind unbewohnbar, ausser etwa, wenn zum Durchgangsort der Karawanen benutzt von
Räubern (gleich den Piraten des Meeres) durchschweift.
2) Ebenen, die, ohne die Bedingungen zur Humusbildung, mit spärlichem Wasser versehen
sind, können der Viehzucht dienen, indem weidende Hirten die Wasserstellen nach einander
abweiden. Bei zahlreicher Thierwelt kann als eine Vorstufe das Jägerleben betrachtet werden,
indem die schädlichen Thiere erst (wenigstens zum Theil) ausgerottet werden mussten, ehe sich
die zahmen erhalten Hessen. Ob die Domestication selbst an den Moment angeknüpft werden
darf, wo man den Rest der durch die Jagd verminderten Thiere bewahrt zu werden sucht,
bleibt den Erörterungen über den Ursprung der Hausthiere überlassen.
3) An Bergen gelagerte Ebenen oder Thäler mögen in den entsprechenden Breitegraden
die wechselnde Viehzucht mit Alpenwirthschaft zur Folge haben.
4) Wälder auf Ebenen oder Bergen, die für die eine oder andere Thiergattung stets Unter-
halt bieten werden, herbergen den Jäger, wenn sie nicht unter den Tropen genügende Fülle
der auch für den Menschen essbaren Früchte erzeugen. Bei Verminderung derselben in der
Nähe der Ansiedelungen beginnen sich auf die zurückbleibenden Reste Eigenthumsrechte gel-
tend zu machen, und mit Ausroching von Waldstrichen folgt die (Anfangs in periodischen Wan-
derungen wechselnde) Feldwirthschaft mit der Bebauung des Bodens.
5) Flüsse in unwirtblichen Zonen ernähren den Fischer. Bei günstigem Klima wird nicht
nur das Uferland, sondern in Ausdehnung der Ueberschwemmung durch künstliche Bewässerung
auch weiteres Areal für den Ackerbau gewonnen. An schiffbaren Flüssen leitet die Verschie-
denheit der Wohnsitze (auf dem Zwischenraum von hochgelegenen Quellen bis zur tiefen Mün-
dung im Meeresniveau) und der dort einheimischen Productionen mit den Communicationen des
Verkehrs den Handel ein und die dadurch hervorgerufenen Städtegründungen.
6) Rergmassen, die in niederen Breiten bis zu genügender Höhe bewohnbar sind, um ver-
schiedene Zonen an ihren Abhängen zu repräsentiren, zeugen von dem Gegensatz der daraus
348 Miscelleu und Bücherschau.
folgenden Differenzen ähnliche Culturschöpfnngen , wie die Zwischenflussländer oder See-
Regionen.
7) Meeresküsten führen in den Häfen verschiedene Reize herbei, die, aus je fernerer Weite
sie kommen, desto fremdartiger sind und also um so mächtiger und belebender einwirken
müssen. Allerdings muss das Culturleben an der Küste bereits genügende Spannung erhalten
haben, um durch Erfindung der Schifffahrt den trennenden Zwischenraum (der in einem Archi-
pelago am kleinsten, und also am raschesten beseitigt ist) überspringen zu können, und dann
dient die vorher isolirende Meeresfläche als engstes Vereinigungsband zwischen gegenüberliegen-
den Küsten, also ziigleich als gewaltigster Beweger der Cultur im Seehandel, wie auch die
früher trennenden "Wüsten mit den Karavanen der Cultur vielfach betretene Bahnen eröffnen.
Nachdem der jedesmalige Mikrokosmus des Volkswesens sich mit seiner Umgebung abge-
glichen hat, tritt ein periodischer Stillstand ein, bis allmählich mit weiterer Ausdehnung des
historischen Horizontes entlegenere Strömungen hineingeleitet werden, und dann durch ihren
anfangs wieder fremdartigen Gegensatz zu neuen Fortschöpfungen anregen und so die Spirale
der Civilisation höher emportreiben.
Aus dem täglichen Leben sind die Arten und Bereitimgsweisen der Nahrung, der Beschäf-
tigungen, die bei denselben gebratichten Geräthschaften der Zeiten und Objecte zur Erholung zu
beachten. Ueber das Verhältniss der Geschlechter zu einander, die Geburten und Todesfälle,
die Stände, die Dichtigkeit der Bevölkerung, Zahl und Art der Verbrechen sind nach den ge-
gebenen Anhaltspunkten Ueberschläge zu machen, wo statistische Aufnahmen fehlen. Die Un-
terhaltungskosten einer Familie und Abschätzungen eines reichen oder beschränkten Einkom-
mens berechnen sich aus dem localen Geldwerth oder dessen Substitute für die Weltlage des
Landes.
Als Zoon politikon vermag der Mensch nur in der Geselligkeit seine Eigenthümlichkeiten
zu erfüllen vmd der Gesellschaftszustand verlangt deshalb die erste Aufmerksamkeit.
Die einfachste Form derselben findet sich in den Familien, die sich nicht auf eingeschlecht-
liches Zusammenleben, wie zeitweise oder dauernd auch bei Thieren, beschränkt, sondern zu-
gleich die nächste Generation, oft noch eine fernere mit dem Bande der Zusammengehörigkeit
umschlingt.
Aus dem Zusammenbleiben der Generationen, aus dem Eintritt freiwillig oder gezwungener
Zugehöriger in die Familie, aus der Vereinigung verschiedener Familien erwächst der Stamm,
der in den verschiedenen Formen der Gens, des Clan, des Geschlechts u. s. w, erscheint, der
staatliche Ausbau des Gemeinwesens ragt vielfach auf ethnologischem Fundament bereits in
die Geschichtshöhen hinaus.
Schon in dem gegenseitigen Verhältniss der Geschlechter tritt das in der physischen Natur
begründete (und durch die psychische erst zu mildernde) Recht des Stärkern hervor, indem die
schwächere Hälfte von ihren Herren geknechtet wird, der auch die Kinder als Sklaven betrach-
tet, bis der aufwachsentle Sohn sich stark genug fühlt, den Vater im sinkenden Greisenalter zu
verdrängen, oder ganz auf die Seite zu schaffen. Ist dagegen der Nutzen der von den Bejahrten
angesammelten Erfahrungen anerkannt, so constituirt sich aus diesen Alten der Rath der Alten
oder Senatus.
Je weiter sich die Peripherie der Stammesverfassung ausdehnt, desto mehr tritt aus der
Entfernung die centrale Gestalt des Patriarchen in einen heiligen Nimbus zurück, der sie bald
mit überirdischen Kräften ausstattet, und diese werden dann vor Allem für die Witterung in
Anspruch genommen, deren günstiger Verlauf Misswachs und den daran geknüpften Plagen vor-
beugt. Tritt mit Erblichkeit zunehmende Degeneration ein, so wird neben dem König in
Kriegsgefahren ein der Tapferkeit wegen gewählter Herzog verlangt und neben dem Priesterkönig
mag sich dauernd ein Kronfeldherr stellen. Wie oftmals die weltliche und geistliche Herrschaft
in Stadt- und Buschkönig zerfällt, so mag sich aus der Umgebung des letzteren die Klasse der
Regenmacher abscheiden, und die zur Polizei verwandten Fetische unterstützen in der Scheidung
zwischen weisser und schwarzer Magie die officiell zur Hexeuverfolgung authorisirten Orthodoxen,
wie die (mohamedanischen) Aegypter in der Magie die hohe, als rahmanih (göttliche) und die
niedere (suflih oder shaytanih) unterscheiden. Es kann geschehen, dass gesetzlose Zustände
das Eingreifen von Geheimbünden verlangen, deren Weihen stufenweise verliehen werden, und
da ihre gegen die Sklaven vorzugsweise gerichtete Massregeln mit den Kindern auch die
Miscellcn und Bucherschau. 349
Frauen betreffen, können sich diese bei gynaikokratischen Teberbleibseln ans dem Mutterrecht
zum Widerstand in selbstständig constituirten Orden zusammenschaaren.
Republicanische Gemeinwesen führen zu gegenseitiger Haftbarkeit der Mitglieder, zu Ver-
pfändungen und complicirten Formen des Schuldwesens.
Die Gliedening der Kasten, wenn nicht länger an die Altersklassen angeschlossen, mag
mit der Betreibung bestimmter Gewerbe zusammenfallen und neben der grossen Masse des
Volkes bestehen, über welches, wenn zum Sklavenstande herabgedrückt, wieder die durch einen
Tabu abgetrennte Schaar der Wiedergeborenen, als die Freien oder Edlen, schwebt.
Wenn aus dem allgemeinen Anrecht auf die Frauen, eine bestimmte Form der Eheschiies-
sung hervortritt, wird je nach den herrschenden Ansichten über Blutreinheit bald in engern
Verwandtschaftsgraden geheirathet, bald, wenn auch die fernsten verboten sind, nur ausserhalb
des Stammes, und danach gestalten sich wieder verschieden die Rechtsverhältnisse der Kinder,
die bald dem Vater, bald der Mutter folgen, sowie die Erbansprüche. Je nach der Heiligkeit
oder den Ungebundenheiten der Ehe ändern sich die Strafen des Ehebruchs.
Der Begriff des Eigenthums haftet zunächst nur an dem eigenen Händewerk des Einzelnen
und, wenn er sich auf dem Boden ausdehnt, bleibt er ein gemeinsamer des Stammes, bis all-
mählig der Wunsch nach individueller Parcellirung durchbricht.
Ebrard: Die iro-schottische Missionskirche. Gütersloh 1873.
Durch die Lollarden (vor WyclifT) knüpfte sich die culdeische Kirche Patrick's an die Re-
formation (S 481).
B an er oft, H.: Native Races of the Pacific States, Vol I, New-York
and London 1874.
Ein Buch nach derjenigen Methode angelegt, wie sie bei der Anwendung der inductiven
Behandlung auf die ethnologischen und weiterhin auf die historischen Wissenschaften auch für
diese benöthigt werden wird, eine Methode, die, weil noch ungewohnt, in bisherig unvollkom-
menen, immerhin jedoch unumgänglichen Vorarbeiten Anlass zu harter Tadelung ungeordneter
Materialanhäufung gegeben hat, aber eine .Methode, die, wenn mit den hier zu Gebote stehen-
den Mitteln durchgeführt, unter Concenlrirung !n Detailarbeit und Verfügung genügender Zeit,
ihre Rechtfertigung allzusehr in sich selb strägt, um in den Augen eines naturwissenschaft-
lich Geschulten fernerer Rechtfertigung zu bedürfen. Seit 15 Jahren hat der Verfasser durch
seine in Amerika und Europa thätigen Agenten an der Vervollständigung seiner Bibliothek ge-
arbeitet, die jetzt ein Stockwerk von Bancroft's building (Market-Street) San Francisco einnimmt.
Unter Aufsicht und Leitung des Bibliothekars sind seit mehreren .Jahren ununterbrochen 15—20
Literaten beschäftigt, um das Gesammt-Material in den verschiedenen Fächern zu ordnen, aus
denen es durch den Verfasser zum Drucke vorbereitet wird, und das Werk selbst ist in dem
umfassendsten Styl angelegt, nämlich:
Vol. L Wild tribes, their manner and customs.
, IL Civilized nations of Mexico and Central America.
, in. Mythology and languages of both, savage and civilized natives.
„ IV. Antiquities and architectural remains.
, V. Aboriginal history and mignitions (Index to the whole work).
Wenn diesem Werk ähnliche über andere Theilc folgen, wird die Ethnologie schliesslich auf
die gesicherte Basis gestellt sein, in der nicht mehr Meinungen entscheiden, sondern die Sprache
der Thatsachen.
Vincarts: Histoire de Notre Dame de la Treille. Lille 18V0.
La Sainte Viergc avait ete honoree dans sa treille depuis quelques annees, mais toutes
ses graces y etaient renfermees, comme les eaux dans un estang, ä qui les esciuses et les
digues empechent l'ecoulement; enfin la piete et la devotion des Lillois envers cette Image
rompit les digues et leva la bonde de cette Treille, d'on aussitost se sont respandues des miracles,
die Capitel 9-21 füllend.
350 Miscellen und Bücherschau.
Gan^anelli: A Egreja e o Estado. Rio de Janeiro 1873.
Im Cap. 50 behandelt sich: Necessidade absoluta e indeclinavel de deparacäo da Egreja
do Estado.
Declat: Traite de Tacide phenique. Paris 1874.
Das dritte Capitel zertallt in zwei Abtheilnngen die Maladies dont le parasitisme fest de-
montre und die Maladies dont le parasitisme est tres-probable ou en partie demontre.
Ascoli: Vorträge über Glottologie. I. Band: „Vorlesungen über die ver-
gleichende Lautlehre des Sanscrit, des Griechischen und des Lateinischen",
übersetzt von Bazziger und Schweizer Sidler. Halle 1872.
Darauf wird die allgemeine Einleitung zur Morphologie, die vergleichende Morphologie des
Sanscrit, des Griechischen und des Lateinischen, und die iranische Lautlehre folgen.
Handelmann: Volks- und Kinderspiele in Schleswig-Holstein. Kiel 1874.
Das Rolandsreiten (ein Quintaner - Rennspiel) nimmt jetzt im Ditmarschen, vielleicht nur
noch in Meldorf einen nicht unerheblichen Platz unter den Fastnachtsspielen ein.
Der Kampf der Siebenbürger-Sachsen. Budapesth 1874.
Die Sachsen haben ihre bürgerlichen und ein deutsches Gepräge tragenden Privatrechte,
welche von denen der ungarischen Adligen völlig abweichen, schon 1535 zusammengestellt, die-
selben durch Stephan Bathory, König von Polen, welcher vordem Fürst von Siebenbürgen gewesen,
und auch jetzt noch seine Hand auf dem Lande hielt, bestätigen und mit bindender Kraft in
ihrem Gremium in Gestalt eines Privileges herausgeben lassen.
Amira, die Erbenfolge und Verwandtschaftsgliederung nach den altnieder-
deutschen Rechten. München 1874.
Die volksthümliche Auffassung vom Constructionsprincip des Geschlechtsverbandes ist nieder-
gelegt in einer , Statistik der Verwandtschafts-Namen,*
Weske: Untersuchungen zur vergleichenden Grammatik des finnischen
Sprachstammes. Leipzig 1873.
Der Ton der dritten Silbe oder der Nebenton eines dreisilbigen Wortes ist, nach Ausfall
ihres Consonanten und nach Verkürzung des dadurch entstandenen langen Vocals allmälig ganz
auf die erste Silbe, die Trägerin des Haupttons jedes Wortes, übergegangen und hat jeden
langen Vocal und Diphtongen und die Consonanten noch um eine Lautstufe verstärkt (als
Grundgesetz der Firmation).
Wachsmuth: Die Stadt Athen im Alterthum, Thl. 1. Leipzig 1874.
Capitel IV des ersten Abschnittes giebt „die moderne topographisch-antiquarische Wissen-
schaft" über Athen in ihrer historischen Entwicklung seit den Arbeiten des Cyriacus von
Ancona.
Hornstein: Les Sepultures. Paris 1868.
Dans Tinhumation des corps on s'astreignait k une regle d'orientation, les pieds etaient
places vers l'Orient, de maniere qu'au jour de la resurrection , quand les morts secoueront la
poussiere du tombeau ils auront la face tournee du cote, oü, selon la croyance commune, le
Christ, le vainqueur de la raort, apparaitra, triomphant sur les nuees du ciel.
Miscellan uud Bücherschau. 351
Corssen: Ueber die Sprache der Etrusker. Leipzig 1874.
Aus den Gräbern Etrurieu's und Campauieirs ist das Erf^ebuiss (rewonnenen, dass „die italischeu
Alphabete in zwei Hauptgruppen gesondert, von einem und demselben Westgriechischen Multer-
alphabete ausgegangen sind, von dem auch das Alpbabet der Campauisclien Griet-hen von Cumae
herstammt" und das „Etriiskische Alphabet spaltet sich in drei geographisch gesonderte Zweige",
als etrurisch - etruskisches (gemein etrusliisches), campanisch - etruskisches und nordetruskisches.
Schrifttafeln sind beigefügt.
Vincart; Histoire de Notre dame de la Treille. Lille 1874.
La Sainte Vierge avait ete honoree dans sa treille depuis quelques aniiees, mais toutes ses
graces y estoient renfermees, comme les eaux dans un estang, a qui les escluses et les digues
empeschent recoulement; enfiii la piete et la devotion des Lillois envers cette Image romput les
digues et leva la bonde de cetle Treille, d'ou aussi tost se sunt respondues des mirades, die
Capitel 9-21 füllend.
Teil: Les Grammairiens fran^ais. Paris 1874.
Quand Marie de Medicis vint en France, eile pronon^a avec son accent Italien: Frau^ais,
Anglais, avait, chantait, promenait," les courtisans Timiterent, puis le peuple imita les cour-
tisans. Enfin le laiiguage a ete change. (Hesain). Voilä toute l'histoire du oi transforme en ai.
Declat: Traite de l'acide pheniqiie. Paris 1874.
Das dritte Capitel zerfällt in zwei Abtheilungen der ilaladies dont le parasitisme est de-
montre und der Maladies dont le parasitisme est tres-probable ou en partie demontre.
Charency: Essai d'Analyse Gramm aticale d'un texte eu langue Maya.
Caen 1873.
Mayali oder Mayas könnte statt sans eaux (nach Ordonez) oder la mere des eaux (nach
Brasseur) auch erklärt werden, als Moujac oder peuple du graud pretre (may).
Bonuafoux: Fontaiues Celtiques. Gueret 1874.
D'anciennes legendes, dont la raciue remoute ä l'ere celtique, uous signalent des menhirs,
des dolmens, des tumulus gardes par un serpent sacre, la Guivre.
Convvay: The Sacred Anthology. Londou 1874.
The editor has believed that it would be useful for moral and religious culture it the sym-
pathy of Religions could be more generally made kiiown and the converging testimonies of ages
aiid races to great principles more widely appreciated.
Foerster: Der Raub und die Rückkehi* ner Persephoue. Stuttgart 1874
Der Ursprung des Mythus liegt noch jenseits des Processes der Umwandlung der Pehisger
und Helleneu, somit auch vor der dorischen Wanderung.
Herr V, Hall (vom Geological-Survoy of Iiulia) hat vor Kurzem der Asiatic Society of Beuiral
^Beuicrkiingeii über Kiiuicr, die unter Woifeu in den Nordwest-Provinzen und Oudh
lebend gefunden nurdcn'* vorgelegt. Ein Auszug von diesen Noten erscheint in der letzten
Nummer der ^l'roceediiigs" der Gesellschaft In all dii'seu Berichten haben die Wölfe viel von
ihrer natürlichen Wildheit uud l'nzäiunbarkeit ihren Pflegekindern mitgetheilf. So führt Herr
Ball zwei Fälle vor, wo die Kinder wie wilde Thiere gfschildert werden. I>ie Kinder wurden
in dem Waiseuhause zu Secundra aufgenommen und wird ihr Benehmen von dem Oberaufseher,
352 Miscellen und Bücherschau.
Rev. Mr. Erhardt, beschrieben. Von einem der Knaben sagt er: „Er trank wie ein Hund, und
liebte Knochen und rohes Fleisch mehr wie irgend Etwas; er wollte nie unter den anderen
Knaben bleiben, sondern versteckte sich in irgend einer dunkeln Ecke. Kleider wollte er niemals
tragen, sondern zerriss sie "
Der arme Bursche starb bald, aber der andre Knabe lebte in dem „Orphanage" für 6 Jahre.
Obwohl 13 oder 14 Jahr alt, hat er nicht sprechen f^elernt, aber er ist soweit gezähmt worden,
dass er auf rohes Fleisch weniger als früher versessen ist. Das Athenaeum (1874, No. 2423,
S. 464) fügt hinzu: „Es ist sehr zu wünschen, d; ss die Sache gründlich untersucht werden
sollte, denn die Thatsachen, wenn wohl begründet, sind von grossem Interesse für die Anthro-
pologie." —
Es ist nicht minder interessant, was hier als Thatsache behauptet wird, als vülkerpsycho-
logische Vorstellung zu verfolgen.
Eine Wölfin ist es, die sich der Zwillinge Romulus und Remus annimmt, noch jetzt
wird ihre Höhle, das Lupercal in der Roma quadrata am Westabhang des Palatinus gezeigt;
daneben fand ich im Sommer 1873 eine lebende Wölfin, desgl. eine auf dem Capitol nahe der
antiken Statue der säugenden Lupa zum Andenken gehalten. Wilde, wölfische Sinnesart zeichnen
die Gebrüder aus, die sich nach Wolfsart untereinander bekämpfen, wobei Remus das Leben
verliert.
Eine russische Wölfin gibt ihre Milch dem Iwan Karoliewitsch, damit er sie der Hexe,
seinem Weibe, bringe, welche sie von ihm in der Hoffnung verlangt hatte, dass er dabei ums
Leben komme. In einem esthnischen Märchen kommt eine Wölfin auf das Geschrei eines
Kindes und nährt es mit ihrer Milch. Das Märchen (bei Gubernatis: die Thiere in der indo-
germ. Myth. 1874 S. 451) erzählt, dass die Mutter des Kindes selbst Wolfsgestalt angenommen
hatte und wenn sie allein war, ihre Wolfskleidung auf einen Felsen legte, um als nacktes Weib
ihrem Kinde die Brust zu reichen. Nach der Wölnspa (32. 33) und der jungem Edda
sind die Nachkommen des Riesen weibs im Eisenholzwalde (Jarnwidr) Wolfskinder, Welpe, die
sich gleich jenen modernen indischen Wolfskindern von Mark und Blut, freilich der Menschen,
nähren.
Diese Idee führt von selbst zu der Vorstellung des Währwolfs (vgl werewolf, man-wolf,
soz. loup-garou, ogre, it. lupo mannaro, holl. weerwolf, dän. Varulf), der zumal in der germa-
nischen und slavischen Phantasie, z. Th. noch jetzt, eine so unheimliche Rolle spielt. Harter
Sinn wird in der höfischen mittelalterlichen Poesie gerade zu wölfisch genannt, so im Nibe-
lungenlied. Die grausame Gerlind, welche die Gudrun misshandelt, heisst „diu wülpinne"
(Kudrun, Bartsch's Ausg 1015.) Ich entsinne mich in einem deutschen Buch, aus dem
18. Jahrb., dessen Titel mir leider entfallen, ebenfalls ganz ernsthaft eine Reihe von solchen
Menschen, die unter Wölfen und Löwen aufgewachsen und deren Wesen und Laute angenommen,
beschrieben und abgebildet gesehen zu haben.
Neben alten bewussten oder unbewussten mythol. Traditionen, wie'man sie bei Gubernatis,
Grimm, Simrock, Mannhardt etc. nachlesen kann, spielen hier gewiss in einzelnen Fällen miss-
verstandene psychopathische Zustände (verthierte Idioten und Cretins, halbwilde, oft mit gewal-
tiger Kraft begabte Microcephalen, offenbare Tobsucht) mit hinein.
Für jeden Zug, den Erhardt in seinem unvollständigen Bericht gibt, lassen sich Bezie-
hungen finden. In dunkeln Höhlen und Klüften verstecken sich die zwei wilden Männer am
See Geenezareth, welche die ganze Gegend unsicher machen und schliesslich eine ganze Heerde
Säue umbringen (Matth. 8, 28). Nach Marc. 5, 1 zerreisst der Wilde sich die Kleider und
treibt sich bei Tag und Nacht auf den Bergen herum Vgl. auch Luc. 9, 20. — Selbst für
das Wasserschlaufen wie ein Hund findet sich eine schöne historische Parallele Rieht. 7, 5.
Der Herr sprach zu Gideon: Welcher mit seiner Zunge des Wassers leckt, wie der Hund
leckt, den stelle besonders; desgleichen welcher auf seine Kniee fällt um zu trinken. Da war
die Zaiil derer, die geleckt hatten, 300 Mann; das andere Volk alles hatte knieend getrunken.
Mit diesem Häuflein — hier Schwert des Herrn und Gideon! — wird das Heer der Midianiter
vernichtet. Die Commentatoren erklären: Die 300, welche ohne Umstände, wie der Hund und
der Wolf, das Was.ser geschluckt, seien auch, wie dieses Thier, die entschlossensten und ver-
wegensten Kämpfer naturgemäss gewesen. — E. Fr i edel.
Die Mongolen.')
Wenn man das Aeussere eines Mongolen beschreiben will, muss man
unstreitig einen Bewohner der Provinz Chalcha wählen, wo sich die unver-
fälschte Signatur der mongolischen VoUblutrace am besten erhalten hat. Ein
breites flaches Gesicht mit hervorstehenden Backenknochen, eine Plattnase,
kleine, enggeschlitzte Augen, ein eckiger Schädel, grosse, abstehende Ohren,
schwarze, harte Haare, ein sehr schwacher Bart, eine bräimliche Hautfarbe,
ein fester, muskulöser Körperbau bei mittlerem oder auch grossem Wüchse —
das sind die charakteristischen Merkmale eines jeden Chalcha-Bewohners.
In anderen Theilen ihres Heimathlandes haben die Mongolen bei weitem
nicht immer einen so reinen Typus bewahrt. Die äusseren Einflüsse des
Auslandes treten am deutlichsten in den südlichen Grenzstrichen der Mon-
golei hervor, die von Alters her au das eigentliche chinesische Gebiet gegrenzt
haben. Und obgleich das uastäte Leben des Nomaden sich schwer mit den
Kulturbedingungen eines ansässigen Stammes aussöhnt, haben die Chinesen
doch im Laufe der Jahrhunderte auf eiue oder die andere Art ihren Einfluss
auf die wilden Nachbarn so zu befestigen gewusst, dass diese letzteren in den
hinter der grossen Mauer liegenden Gegenden halb und halb Chinesen ge-
worden sind. Zwar lebt der Mongole mit wenigen Ausnahmen auch hier
noch in der Filzjurte und weidet seine Heerden; aber in seinem Aeussern
und mehr noch in seinem Charakter unterscheidet er sich scharf von seinem
nördlicher wohnenden Stammesgenossen und gleicht viel mehr als dieser einem
Chinesen. Die groben Züge seines flachen Gesichts haben sich bei ihm in
Folge häufiger Ehen mit Chinesinnen zu der mehr regelmässigen Physiognomie
des Chinesen umgestaltet, und hinsichtlich der Kleidung und häuslichen Ein-
richtung rechnet es sich ein solcher Nomade zum Stolz und Verdienst an,
sich der chinesischen Mode angeschlossen zu haben. Selbst seine Lebensweise
hat sich hier bereits wesentlich verändert: für ihn hat die wilde Einöde
^) Aus dem Werke: Die Mongolei und das Land der Taiiguten. Dreijährige Reise im ge-
birgigen Ostasien. Von N. Prshewalski, Obersten im Geueralstabe, wirklichem Mitgliede der
Kaiserl. Russ. Geographischen Gesellschaft. St. Petersburg lö7ö. Aus dem Russischen übersetzt
von F. von Stein.
Zeitschrift für Ethnologie, Jahrgang Wb. 3ö
354 ^iß Mongolen,
schon einen schwächeren Reiz, als die dichtbevölkerten Städte China's ihn
ausüben, in welchen er sich bereits mit den Yortheilen und Genüssen eines
civilisirteren Lebens bekannt gemacht hat. Aber indem der Mongole so mit
seiner Vergangenheit bricht, nimmt er von seinen Nachbarn eben nur die
schlechten Charakterseiten an, ohne die seines früheren Lebens abzulegen.
Schliesslich muss das Volk entarten, das der chinesische Einfluss nur ver-
derbt, aber keineswegs auf eine bessere Stufe des gesellschaftlichen Lebens
erhebt.
Gleich den Chinesen scheren die Mongolen den Kopf, wobei sie am
Hinterhaupte nur ein kleines Büschel Haare stehen lassen, das sie zu einem
langen Zopfe zusammenflechten. Die Lamen — Priester — scheren sich den
ganzen Kopf.^) Barte werden nicht getragen; auch wachsen dieselben sehr
schlecht. Die Sitte, Zöpfe zu tragen, haben die Mantschuren in China ein-
geführt, als sie sich in der Mitte des 17. Jahrhunderts des Himmlischen
Reiches bemächtigten. Seitdem gilt der Zopf als ein Zeichen der Unterwerfung
unter die herrschende Dynastie Tsing, einen solchen Zopf müssen daher auch
alle China unterworfenen Völker tragen.
Die Mongolinnen scheren die Haare nicht, sondern flechten sie in zwei
Zöpfe, die sie mit Bändern, Korallen oder Glasperlen verzieren und vorne
zu beiden Seiten der Brust tragen. Auf die Haare werden Platten von Silber-
blech gelegt, die mit rothen Korallen verziert sind; letztere werden in der Mon-
fifolei sehr geschätzt. Die Armen ersetzen die Korallen durch einfache Glas-
perlen; die Platten sind aber gewöhnlich von Silber und nur in seltenen Aus-
nahmefällen von Kupfer. Ein ähnlicher Schmuck wird auf dem oberen Theile
der Stirn angebracht. Ausserdem tragen die Frauen in den Ohren grosse
silberne Ohrringe und an Händen und Armen Ringe und Armbänder.
Die Kleidung der Mongolen besteht aus einem Chalat (langem Rocke
von orientalischem Schnitte), der gewöhnlich aus blauem chinesischem Daba
angefertigt wird, aus chinesischen Stiefeln und einem flachen Hute mit auf-
wärts gebogenem Rande. Im Winter tragen sie warme Beinkleider, Schaf-
pelze und warme Mützen. Die Sommerchalate werden zum Staate oft auch
aus chinesischem Seidenstoffe angefertigt. Ausserdem tragen die Beamten
chinesische Pelze. Sowohl die Chalate, wie auch die Pelze werden stets mit
einem Gürtel umgürtet, an welchem auf dem Rücken oder an den Seiten das
unabänderliche Zubehör jedes Mongolen, der Tabaksbeutel mit Tabak, die
Pfeife und das Feuerzeug, getragen wird. Ausserdem führt jeder Bewohner
von Chalcha im Busen eine Tabaksdose mit Schnupftabak mit sich, und das
Darbieten dieses letzteren bildet stets die erste Begrüssung bei jeder Begegnung.
Den Hauptluxus entfaltet der Nomade aber im Zaum- und Sattelzeuge, das
oft mit Silber beschlagen ist.
') Zum Rasiren werden chinesische Messer gebraucht und die Haare mit warmem Wasser
erweicht.
Die Mongolen. 355
Der Chalat der Frauen weicht im Schnitte etwas von dem der Männer
ab und wird ohne Gürtel f^etragcn; gewöhnlich ziehen sie noch eine Art
Kamisol ohne Aermel darüber, üebrigens sind der Schnitt des Kleides und
die Haartracht in den verschiedenen Theilen der Mongolei verschieden.
Die allgemeine Wohnung der Mongolen ist das Filzzelt oder die Jurte
(gyr), von einer Form, die in allen Theilen ihrer Heimath, selbst in den ent-
ferntesten, eine und dieselbe ist. Jede Jurte ist rund und hat einen konischen
Obertheil, in welchem sich das Rauch- und Luftloch befindet. Die Seiten
des Zeltes weiden aus Holzstäben gebildet,') welche derartig mit einander
verbunden sind, dass sie auseiuandergezogen ein quadratförmiges Gitterwerk
von einem Fuss im Durchmesser bilden. Beim Aufstellen des Zeltes werden
mehrere solcher Gitter mit Stricken zusammengebunden, doch bleibt an einer
Seite eine Stelle oöen, in welche die hölzerne Thür von drei Fuss Höhe bei
etwas geringerer Breite gestellt wird, durch die man in das Innere des Zeltes
hineinschlüpft. Letzteres hat eine verschiedene Grösse, gewöhnlich aber 12
bis 15 Fuss im Durchmesser und ist bis zum Rauchloch ungelähr 10 Fuss
hoch. Oberhalb der Seitengitter und der Thür werden Stäbe vermittelst
SchHugen an die Spitzen der Gitter befestigt und mit den freien Enden in
die Löcher eines aus hölzernen Reifen angefertigten Ringes gesteckt. Dieser
Ring nimmt die Stelle in der Mitte der Jurte ein, hat 3 bis 4 Fuss im Durch-
messer und bildet die obere Oeffnuug und das Rauchloch.
Wenn das ganze Holzgestell des Zeltes aufgestellt und mit Stricken ge-
hörig befestigt ist, wird es von allen Seiten mit Filzdecken, im Winter ge-
wöhnlich doppelt umwickelt. Ueber die Thür und das Rauchloch werden
Filzdecken gehängt und — die Wohnung ist fertig. Im Inneren derselben,
gerade in der Mitte, wird der Herd angebracht; auf der dem Eingange gegen-
überliegenden Seite werden die Burchanen (Götter) aufgestellt; seitwärts findet
allerlei Hausgeräth Platz. Rings um den Herd, auf welchem den ganzen Tag
Feuer brennt, werden Filzdecken und in den Jurten Wohlhabender sogar
Teppiche gelegt, die zum Sitzen und Schlafen benutzt werden. Ausserdem
werden im Innern die Seiten der Jurten, die reichen Personen, besonders
Fürsten, gehören, mit baumwolleneu, zuweilen sogar mit seidenen Steifen be-
hängt und hölzerne Fussbödeu hergestellt. Dem wenig anspruchsvollen No-
maden kann seine Jurte durch nichts ersetzt werden. Er kann sie schnell
ausciuanderueiimen und auf eine andere Stelle versetzen, und sie gewährt ihm
zugleich Schutz gegen Kälte, Hitze und jede Unbill der Witterung. In der
That ist CS im Filzzelt, wenn das Feuer auf dem Herde brennt, selbst beim
strengsten Froste ziemlich warm. Zur Nacht wird das Rauchloch mit seiner
Filzdecke verschlossen und das Feuer ausgelöscht; wenn die Temperatur in
solchem Filzzelt auch nicht gerade eine hohe ist, so ist es in demselben
') Das zu deu Jm-teu nöthige Holz erhalten die Mongoleu vorzugsweise aus dem holzreichea
Tlieile vou Chalcha.
2Ö»
356 Die Mongolen.
doch stets viel wärmer als im Leinenzelt. Im Sommer schützt die Filz-
umhüIluDg ganz vortrefflich gegen die Hitze und den Regen, sollte letzterer
auch noch so stark sein.
Im täglichen Leben der Mongolen fällt dem Reisenden vor Allem ihre
entsetzliche Uureinlichkeit in die Augen. ' Im Laufe seines ganzen Lebens
wäscht der Nomade nicht ein einziges Mal seinen Körper; sehr selten und
ganz ausnahmsweise waschen einige von ihnen sich hin und wieder Gesicht
oder Hände. In Folge des beständigen Schmutzes wimmelt die Kleidung der
Nomaden von ganzen Schaaren von Parasiten, die sie vertilgen, ohne sich
durch irgend Jemandes Gegenwart geniren zu lassen. Jeden Augenblick
sieht man, wie ein Mongole, zuweilen sogar ein Beamter oder ein vornehmer
Lama seinen Pelz oder Chalat umwendet, die Plagegeister fängt und sofort
zwischen den Vorderzähnen tödtet.
Der Schmutz, in welchem die Mongolen leben, wird zum Theil durch
ihren Widerwillen gegen das Wasser, der sich oft sogar zur wirklichen Furcht
vor demselben steigert, bedingt. Abgesehen davon, dass der Nomade für
nichts in der Welt zu Fuss durch die unbedeutendste Pfütze gehen wird, in
der man sich kaum die Füsse benetzen kann, vermeidet er es auch auf das
Sorgsamste, seine Jurte in der Nähe einer feuchten Stelle, z. B. einer Quelle,
eines Baches, eines Morasts, aufzustellen. Die Feuchtigkeit übt auf ihn einen
ebenso verderblichen Einfluss, wie auf das Kameel, was sich freilich dadurch
erklärt, dass der Organismus an ein beständig trockenes Klima gewöhnt ist.
Der Mongole trinkt sogar niemals rohes kaltes Wasser, er ersetzt dasselbe
durch seinen Ziegelthee, der zugleich ein Universal-Nahrungsmittel der No-
maden ist.
Dieses Produkt erhalten die Mongolen von den Chinesen, und sie haben
eine solche Leidenschaft für dasselbe gefasst, dass kein Nomade, sei es Mann
oder Frau, auch nur einige Tage ohne dasselbe bestehen kann. Den ganzen
Tag, vom Morgen bis zum Abend, steht in jeder Jurte der Kessel mit Thee
auf dem Herde, und alle Mitglieder der Familie trinken ihn unaufhörlich.
Dieser Thee wird auch sofort jedem ankommenden Gaste dargeboten.
Die Bereitung desselben geht in der widerwärtigsten Weise vor sich.
Zuvörderst ist zu bemerken, dass das Geschirr^), in welchem man diesen
Nektar kocht, nie gewaschen und nur selten einmal mit Argal, d. h. trockenem
Pferde- oder Kuhmist, ausgewischt wird. Dann brauchen sie gesalzenes
Wasser, und wenn solches nicht gleich zu haben ist, fügen sie absichtlich
dem siedenden Wasser Salz hinzu. Hierauf wird der Ziegelthee mit einem
Messer zerbröckelt, oder in einem Mörser zerstossen und eine Handvoll davon
') Die Geschirre eines mongolischen naushaltes sind nicht f^erade sehr mannichfaltig. Die
hauptsächlichsten sind : ein eiserner Kessel zum Kochen der Speise, eine Theekanne, Tassen,
ein Schaumlönel, ein lederner Schlauch oder ein hölzerner Zuber zum Wasser oder zur Milch
und kleine hölzerne Trüge zum Vertheilen des Fleisches; auch gehören noch hierher: ein eiseruer
Dreifuss, eine Zange zum Auflegen des Argais und hin und wieder eine chinesische Axt.
Die Mongolen. 357
in das siedende Wasser geworfen, dem noch ein paar Tassen Milch zugesetzt
werden. Um den steinharten Ziegelthee zu erweichen, legen sie ihn vorher
auf kurze Zeit in heissen Argal, was allerdings dem ganzen Getränk noch
mehr Aroma und Schmackhaftigkeit verleiht. Für's Erste ist dünn das Labsal
fertig. Aber in solcher Gestalt dient es nur als Getränk, wie unsere Choko-
lade, unser Kaffee oder die erfrischenden Getränke. Soll ein substantiellerer
Genuss erzielt werden, dann schüttet der Mongole in seine Tasse trockene,
geröstete Hirse und legt endlich, um das Maass des Schönen voll zu machen,
Butter oder rohes Fett von den Fettschwänzen der Hammel dazu. Man kann
sich nun wohl vorstellen, welcher ekelhafte Gräuel eine solche Speise ist,
die die Mongolen in unglaublicher Menge vertilgen. Im Laufe des Tages
zehn oder fünfzehn Tassen, deren Inhalt dem eines Glases gleichkommt, aus-
trinken, — das ist so die gewöhnlichste Leistung selbst eines mongolischen
Fräuleins; die erwachsenen Männer trinken das Doppelte davon. ^) Es ist
hierbei zu bemerken, dass die Tassen oder Schalen, aus welchen die Mongolen
essen, ein ausschliessliches Eigenthum jedes Einzelnen sind. Sie werden
gleichfalls nie gewaschen, sondern nach dem Gebrauche nur mit der Zunge
ausgeleckt und in den Busen gesteckt, wo es von Insekten jeder Art wimmelt.
Die Tassen sind Gegenstand eines gewissen Luxus, und bei den Reichen
trifft man oft silberne von chinesischer Arbeit. Die der Lamen bestehen
zuweilen aus Menschenschädeln, die mit Silber eingefasst sind.
Neben dem Thee bildet die Milch in verschiedenen Gestalten eine be-
ständige Speise der Mongolen. Aus derselben bereiten sie Butter, trockenen
Rahm, Käse und Kumys. Der trockene Rahm wird aus ungerahmter Milch
gemacht, die sie kochen und von der sie den verdichteten Rahm abnehmen
und trocknen lassen; des Geschmackes halber wird demselben zuweilen noch
geröstete Hirse zugesetzt. Den Käse bereiten sie aus sauerer gerahmter
Milch; aus derselben werden auch die „Arekas" gemacht, die trockenen
kleinen Käsestücken gleichen. Der Kumys (Tarassun) endlich wird aus
Stuten- oder Schafmilch gewonnen. Im Laufe des ganzen Sommers ist er
ihr bestes Labsal, so dass die Mongolen beständig Einer zum Anderen reiten,
um den Tarassun zu kosten, den sie gewöhnlich so lange geniessen, bis sie
trunken sind. Ueberhaupt sind alle Nomaden den Spirituosen Getränken sehr
zugethan, obgleich das Laster der wirklichen Trunksucht bei ihnen lange
nicht so allgemein ist, wie bei anderen, civilisirteren Völkern. Branntwein
erhalten sie von den Chinesen; sie kaufen denselben entweder in China
selbst, wenn sie sich mit ihren Karawanen daselbst befinden, oder auch von
den chinesischen Händlern, welche im Sommer mit verschiedenen kleinen
Waaren die ganze Mongolei durchziehen und dieselben gegen Wolle, Felle
und Vieh umtauschen. Von dieser Art des Handels erzielen die Chinesen
') Eine bestimmte Zeit für das Mittagsessen haben die Mongolen nicht; während des ganzen
Tages essen sie und trinken sie Thee, wenn es gerade beliebt, oder die Gelegenheit mit sich bringt.
358 I^iö Mongolen.
einen grossen Gewinn, da sie die Waaren gewöhnlich darlehns weise gegen
ungeheuere Procente abgeben und andererseits die Gegenstände, die statt
des Geldes als Bezahlung dienen, zu sehr niedrigen Preisen annehmen.
Wenngleich nun der Thee und die Milch im Laufe des Jahres die haupt-
sächlichste Nahrung der Mongolen bilden, dient doch als eine sehr wichtige
Ergänzung derselben, besonders im Winter, das Hammelfleisch. Es ist dies
ein solcher Leckerbissen für jeden Nomaden, dass er, wenn er etwas Gegessenes
rühmen will, stets sagt: „es ist so schmackhaft wie Hammelfleisch." Der
Hammel wird, wie auch das Kameel, sogar für ein heiliges Thier gehalten.
Uebrigens dient bei den Nomaden alles Hausvieh als Maass und Emblem
der Güte, so dass selbst einige Formen des Pflanzen- und Thierreichs mit
den Beinamen „Hammel-", „Pferde-" oder „Kameel-" belegt werden. ') Für
den leckersten Theil des Hammels wird der Fettschwanz gehalten, der be-
kanntlich aus reinem Fette besteht. Die mongolischen Hammel haben sich
zum Herbste, zuweilen an dem scheinbar elendesten Futter, dergestalt gemästet,
dass sie ringsum von einer zolldicken Schicht Talg umgeben sind. Je fetter
aber dieses Thier ist, desto mehr behagt es dem mongolischen Gaumen. Von
einem geschlachteten Hammel geht entschieden nichts verloren, selbst die
Gedärme werden verbraucht; man drückt den Inhalt derselben aus, dann füllt
man sie, ohne sie weiter auszuwaschen, mit Blut und kocht die auf diesem
Wege gewonnenen Würste.'^)
Die Gefrässigkeit der Mongolen übersteigt, wenn es sich um Hammel-
fleisch handelt, alles Denkbare. In einer Sitzung kann der Nomade mehr
als zehn Pfund Fleisch verzehren; es kommen aber auch solche Gourmands
vor, die im Laufe des Tages einen ganzen Hammel von mittlererer Grösse
vertilgen können. Auf Reisen bildet eine Hammelkeule die gewöhnliche
Tagesportion eines Mannes, wenn die Vorräthe mit einiger Sparsamkeit zu
behandeln sind. Dafüi' kann der Mongole volle 24 Stunden ohne Nahrung
bleiben; wenn er sie aber einmal vor sich hat, dann isst im buchstäblichen
Sinne des Wortes „Einer für Sieben".
Zum Essen wird das Hammelfleisch stets gekocht; nur das Bruststück
wird zuweilen des Wohlgeschmackes wegen gebraten, und zwar am Spiesse.
Wenn bei den Reisen im Winter das Fleisch längere Zeit erfordert, um gar
gekocht zu werden, essen es die Mongolen halb roh, indem sie die oberen,
etwas gekochten Stücke abschneiden und, wenn sie bis auf die ganz rohe
Schicht gekommen sind, das Uebrige nochmals in den Kessel stecken. Bei
grosser Eile nimmt der Nomade sich ein Stück Hammelfleisch auf den Weg
mit und legt es zwischen den Rücken des Kameeis und den Sattel, um es
') So nennen sie den baumförmigen Wachholder Choni-arza, d.h. Hammel-Arza, die
Thuja Jama-arza, d.h. Bock-Arza, den Luchs Choni-tulüssun u. s. w.
'•') Hcmerkeiiswerth ist die Art, wie die Mongolen die llaiumel zum Essen schlachtpii: sie
schneiden dem Thier den Bauch auf, stecken die iland hinein, und wenn sie das Herz gefunden
haben, drücken sie dasselbe so lange, bis der Hammel stirbt.
Die Mongolen. 359
vor dem Froste zu schützen. Unterwegs nimmt er seinen so vortrefflich auf-
bcwalirten Imbiss hervor, der dann stark nach Kameelschweiss riecht und
an dem auch Wolle klebt; das verleidet aber dem Mongolen durchaus nicht
den Appetit. Ilaramelbouillon trinken die Nomaden wie Thee; zuweilen fügen
sie zu derselben noch Hirse oder Teichstückchen in der Art unserer Nudeln
hinzu. Vor der Mahlzeit schütten Lamen oder gottesfürchtige Individuen des
einfachen Volkes eine kleine Quantität aus der Schale, die sie für sich gefüllt
haben, als eine Opfergabe in das Feuer oder, wenn solches nicht da ist, auf
den Boden. Zur Opferdarbringung von llüssiger Nahrung tauchen sie den
Mittelfinger der rechten Hand ein, von welchem sie dann die hängen geblie-
benen Tropfen an den betreffenden Ort spritzen.
Die Mongolen essen immer mit den Händen, die gewöhnlich bis zum
Ekel schmutzig sind. Das Fleisch führen sie gewöhnlich in einem grossen
Stücke zum Munde, erfassen davon soviel sie können mit den Zähnen und
schneiden dann das Erfasste dicht an den Lippen ab. Die Knochen benagen
sie bis zur tadellosesten Reinheit, und Viele zerschlagen noch dieselben, um
das im Innern befindliche Mark zu erhalten. Die Schulterbeine der Hammel
werden stets zerbrochen und dann erst fortgeworfen; dieselben ganz zu lassen,
wird für eine Sünde gehalten.
Ausser dem Hammelfleisch, als ihrer speziellen Speise, essen die Mon-
golen noch das Fleisch von Ziegen, Pferden, seltener vom Hornvieh und noch sel-
tener von Kameelen. Die Lamen essen kein Pferde- und Kameelfleisch, aber das
Fleisch gefallener Thiere, besonders wenn es etwas fett ist, hat für sie, wie über-
haupt für alle Mongolen, nichts Abschreckendes. Brod kennen die Mongolen für
gewöhnlich nicht, obgleich sie es nicht verschmähen, chinesisches Weissbrod
zu essen, und zuweilen bereiten sie auch bei sich zu Hause Fladen und
Nudeln aus Weizenmehl. In der Nähe unserer Grenze essen die Nomaden
sogar Schwarzbrod, aber weiter im Innern kennen sie dasselbe nicht, und die
Mongolen, denen wir von unsern schwarzen Zwiebäcken gaben, sagten ge-
wöhnlich, nachdem sie sie gekostet hatten, dass eine solche Speise nichts
Angenehmes habe, und dass man sich daran nur die Zähne ausbreche.
Vögel und Fische essen die Mongolen mit wenigen Ausnahmen ganz und
gar nicht; sie halten dieselben sogar für unrein. Ihr Widerwille dagegen ist
so gross, dass einmal am Kuku-noor einer unserer Führer sich erbrach, als
er sah, dass wir eine gekochte Ente assen. Dieser Fall beweist, wie relativ
die Begriffe der Menschen selbst von solchen Dingen sind, deren Beurtheilung
scheinbar einzig und allein vom Geschmacke abhängt. Derselbe Mongole,
der im grässlichsten Schmutze geboren und aufgewachsen ist, mit grösstem
Gleichmuth das Fleisch gefallener Thiere und ungewaschene Hammeldärme
verzehrt, konnte es ohne die äusserste Erschütterung seines sittlichen Gefühls
nicht mit ansehen, dass fremde Menschen eine sauber zubereitete Ente assen!
Die ausschliessliche Beschäftigung der Mongolen und die einzige Quelle
ihres Wohlstandes bildet die Viehzucht. Nach der Zahl seiner Hausthiere
360 Die Mongolen.
wird hier der Reichthum eines Menschen gemessen. Besonders werden Ham-
mel, Pferde, Kameele und Hornvieh, Ziegen aber in geringerer Menge gehal-
ten.^) Uebrigens variirt auch das Vorwalten einer oder der anderen Vieh-
gattung in den verschiedenen Gegenden der Mongolei. So sind die besten
Kameele, und zwar in grösserer Menge als sonst wo, in Chalcha anzutreffen;
das Land der Zacharen ist reich an Pferden; in Ala-schan werden vorzugs-
weise Ziegen gezüchtet. Am Kuku-noor wird die gewöhnliche Kuh durch
den Yak ersetzt.
Hinsichtlich des Reichthums an Hausvieh nimmt die erste Stelle die
Provinz Chalcha ein, deren Einwohner im Allgemeinen sehr wohlhabnd sind.
Ungeachtet des Viehsterbens, das unlängst eine zahllose Menge von Hornvieh
und Schafen hinweggerafft hat, kann man hier immer noch ungeheuere Heer-
den sehen, die einem Besitzer gehören. Selten hat ein Bewohner dieser
Gegend weniger als einige Hunderte von Hammeln. Letztere sind ohne Aus-
nahme fettschwänzig, nur in der südlichen Mongolei sind sie breitschwänzig,
und am Kuku-noor giebt es eine besondere Spezies mit langen (bis 1^ Fuss
messenden) spiralförmig gewundenen Hörnern.
Da der Nomade von seinem Vieh alles ihm Nöthige erhält, wie Milch
und Fleisch zur Nahrung, Felle zur Kleidung, Wolle zu Filz und Stricken,
und er ausserdem noch theils durch den Verkauf dieser Thiere, theils dadurch,
dass er mit seinen Kameelen den Transport verschiedener Frachten durch
die Steppen übernimmt, viel Geld verdienen kann, lebt er ausschliesslich für
sein Vieh; die Sorge für sich selbst und seine Familie steht erst auf dem
zweiten Plane. Die Wanderungen von Ort zu Ort richten sich einzig und
allein nach den Vorzügen, welche die Weideplätzedem Vieh gewähren. Wenn
dieses letztere es gut hat, d. h. wenn das Futter reichlich ist und Tränken
in der Nähe sind, dann beansprucht der Mongole nichts weiter mehr. Das
Verständniss, welches er in der Behandlung seiner Thiere zeigt, und die
Geduld, die er hierbei entfaltet, sind wahrhaft bewunderungswürdig. Das
widerspenstige Karaeel wird unter der Hand des Nomaden ein demüthiger
Lastträger und des halbwilde Steppenpferd ein gehorsames, ruhiges Reitpferd.
Ausserdem liebt er seine Thiere und hat Erbarmen mit ihnen. Für nichts
in- der Welt wird er einem Kameel oder einem Pferde vor der bestimmten
Zeit den Sattel auflegen, für keinen Preis ein Lamm oder ein Kalb verkaufen,
da er es für eine Sünde hält, Thiere im jugendlichen Alter zu schlachten.
Da die Viehzucht allein fast das ganze Interesse der Mongolen in An-
spruch nimmt, ist ihre Industrie im höchsten Grade unbedeutend. Dieselbe
•) Der Preis des Viehes ist in den verschiedenen Theilen der Mongolei sehr -verschieden.
Es kostet in Chalcha im Lande der Zacharen am Kuku noor
ein Hammel 2 — 3 2—3 1— Ij]
„ Ochs 12 — 15 15 7— 10 Ichinesische Lan (ein Lan
„ Kameel 30-35 40 2ö | ungefähr = 2 Rubeln.)
, Pferd 12—15 15 25;
Die Mongfolen. 3G1
beschränkt sich nur darauf, einige im häuslichen Leben unumgänglich noth-
wendige Gegenstände herzustellen, wie Häute, Filz, Sättel, Zäume und Bögen;
selten werden Feuerstahle und Messer fabrizirt. Alle übrigen Gegenstände
der häuslichen Einrichtung und der Kleidung erwerben die Mongolen von
den Chinesen und, wenngleich im unbedeutendsten Maasse, von den russischen
Händlern in Kjachta und Urga. Bergbau wird von den Nomaden nicht be-
trieben. Der innere Handel in der Mongolei ist fast ausschliesslich Tausch-
handel, der auswärtige beschränkt sich auf Peking und die benachbarten
chinesischen Städte. Die Mongolen treiben ihr "Vieh zum Verkaufe dahin,
bringen noch Salz, Häute und Wolle und erhalten dafür Manufakturwaaren.
Der hervorragendste Charakterzug des Nomaden ist unstreitig die Faul-
heit; das ganze Leben dieses Menschen geht im Müssiggange hin, den auch
die Bedingungen des Nomaden- und Hirtenlebens nur zu sehr begünstigen.
Die Pflege des Viehes ist die einzige Sorge des Mongolen, aber die erfordert
durchaus keine angestrengte Arbeit. Die Kameele und Pferde streifen ohne
alle Aufsicht in der Steppe umher und kommen nur im Sommer einmal täg-
lich zum Brunnen, um getränkt zu werden. Das Hornvieh und die Schafe
weiden Frauen oder Kinder. Bei reichen Mongolen, die Tausende von Thieren
besitzen, versehen gemiethete Arbeiter das Amt der Hirten, dasselbe über-
nehmen jedoch nur die ärmsten heimathlosen Menschen in der äussersten
Noth. Das Melken des Viehes, die Aufbewahrung der Milch und Butter, die
Bereitung der Speisen — alles das liegt, mit vielem Anderem zusammen, auf
den Schultern der Frauen. Die Männer thun gewöhnlich nichts und reiten
nur vom Morgen bis zum Abend aus einer Jurte in die andere, um mit den
Nachbarn Thee zu trinken und zu plaudern. Die Jagd, welcher die Nomaden
gewöhnlich leidenschaftlich ergeben sind, dient ihnen gewissermaassen als
Zerstreuung in dem langweiligen, einförmigen Nomadenleben. Die Mongolen
sind jedoch mit wenigen Ausnahmen schlechte Schützen; dazu kommt, dass
sie keine guten Waffen haben. Selbst einfache Luntengewehre haben nicht
Alle, und dann müssen Bögen und Pfeile ausreichen. Ausser der Jagd ge-
währen den Noraaden die Wallfahrten zu ihren Götzentempeln und die Pferde-
rennen keine geringe Abwechselung.
Mit dem Eintritt des Herbstes erleidet das faulenzerische Leben der
Mongolen wohl einige Veränderungen. Sie sammeln ihre Kameele, die sich
während des Sommers im Freien erholt haben, und fuhren sie nach Kaigan,
oder nach Kuku-choto, um Frachten zum Transport zu übernehmen. In
Kaigan empfangen sie Thee, der nach Kjachta bestimmt ist, und in Kuku-
choto Verpflegungsgegenstände für die in Uljassutaiund Kobdo garnisonirenden
chinesischen Truppen, oder auch Kaufmannsgüter für dieselben Städte. Ein
dritter, obwohl ungleich geringerer Theil der Kameele wird zum Transport
des Salzes von den Salzseen der Mongolei in die nächsten Städte des eigent-
lichen China's verwendet. Auf diese Weise befinden sich im Laufe des
Herbstes und Winters alle Kameele der nördlichen und östlichen Mongolei
362 Die Mongolen.
in Arbeit und bringen ihren Besitzern kolossalen Gewinn. Mit dem April
hören die Transporte auf, die erschöpften Thiere werden in die Steppe ent-
lassen, und ibre Besitzer überlassen sich für fünf bis sechs Monate der Ruhe
und Faulheit.
Der träge Charakter des Nomaden ist auch die Ursache, dass er stets
reitet und alles Gehen zu Fuss ängstlich vermeidet. Die unbedeutendsten
Entfernungen, mögen dieselben auch nur einige Hunderte von Schritten be-
tragen, wird der Mongole nie zu Fuss zurücklegen; deshalb steht auch jeder-
zeit ein Pferd neben der Jurte angebunden. Seine Heerde weidet der Mon-
gole gleichfalls reitend. Während der Reise mit den Karawanen klettert er
nur bei der furchtbarsten Kälte vom Kameel, um eine, höchstens zwei Werst
zu Fuss zu gehen und die erstarrten Glieder zu erwärmen. Von dem be-
ständigen lleiten sind seine Beine sogar etwas nach aussen gebogen, und er
umfasst mit denselben den Sattel so fest, als ob er mit dem Pferde zusammen-
gewachsen wäre. Das wildeste Steppenpferd vermag nichts gegen einen sol-
chen Reiter, wie es jeder Mongole ist. Auf einem flinken Pferde fühlt sich
der Nomade wirklich auch in seinem Element. Er reitet nie im Schritte,
selten im Trabe, sondern fliegt stets wie der Wind durch seine Einöde.
Dafür liebt und kennt der Mongole auch seine Pferde. Ein guter Renner,
oder ein Passgänger ist sein vorzüglichster Luxus, und selbst in der äusser-
sten Noth verkauft er ein solches Pferd nicht. Das Gehen zu Fuss wird
so allgemein von den Nomaden verachtet, dass jeder es für eine Schande
hält, zu Fuss bis zur Jurte seines nächsten Nachbarn zu gehen.
Von der Natur mit einem kräftigen Körper begabt, und von Kindheit
auf an alle Unbilden der W^itterung ihrer Heimath gewöhnt, erfreuen sich
die Mongolen im Allgemeinen einer ausgezeichneten Gesundheit. Sie sind
ungemein befähigt, alle Mühsale des Lebens in der Wüste zu ertragen. Im
tiefsten Winter ist er einen ganzen Monat lang ununterbrochen und ohne
auszuruhen mit den Karawanen der mit Thee befrachteten Kameele unterwegs.
Tag für Tag erreicht der Frost 30 Grade, und ein beständiger Nordwestwind
macht die Kälte unerträglich. Dabei hat der Mongole, der von Kaigan nach
Kjachta zieht, den Wind stets entgegen, und trotzdem sitzt er 15 Stunden
hintereinander auf seinem Kameele. Man muss wirklich eine eiserne Natur
haben, um eine solche Reise zu ertragen. Der Mongole macht sie jedoch
im Winter, auf zwei Hin- und zwei Rückreisen, viermal, was im Ganzen
eine Strecke von 5000 Werst ergiebt. Man erlege demselben Mongolen
andere, unvergleichlich leichtere, aber ihm unbekannte Lasten auf, und man
wird sehen, was herauskommt. Dieser Mensch mit einer eisenfesten Gesund-
heit kann nicht 20 oder 30 Werst zu Fuss zurücklegen, ohne sich auf das
Aeusserste zu ermüden. Wenn er eine Nacht auf feuchtem Boden zubringt,
erkältet er sich, wie ein verzärteltes Herrchen; wenn er zwei oder drei Tage
seinen Ziegelthee entbehren muss, wird er laut gegen sein trauriges Schicksal
murren. Passives Ausharren im gewohnheitsmässigen Leben ist die Sache
Die Mongolen. 363
des Mongolen. Bei ihm erwacht nicht die Energie der Seele, wenn er auf
Schwierigkeiten stösst, die er nicht aus Erfahrung kenneu gelernt hat; er
wählt alsdann immer i:ur Mittel, um dieselben zu vermeiden, nie, um sie zu
überwinden. Er hat nicht den schmiegsamen, muthigen Sinn des Europäers,
der diesen befähigt, sich Allem anzupassen,- mit allen Unglücksschlägen zu
kämpfen und sie zu besiegen; er l)esitzt nur den unbeweglichen, konservativen
Charakter des Asiaten, voll passiver Apathie bei allen Unglückställen, deren
Grenzen und Bedeutung er einmal kennen gelernt hat, bleibt aber jeder akti-
ven Energie fremd.
Neben der Trägheit bildet die Feigheit einen hervorstechenden Charakter-
zug des Nomaden. Abgesehen von den in der Nachbarschaft China's lebenden
Mongolen, bei denen der unmittelbare demoralisirende Einfluss der Chinesen
den kriegerischen und energischen Geist bis auf die Wurzel ausgerottet hat,
gleichen selbst die Chalcha-Bewuhner im Entferntesten nicht mehr ihren Vor-
fahren aus der Zeit Tschingis-Chan's nnd Ugedei's. Im Laufe zweier Jahr-
hunderte unter dem Joche der Chinesen lebend,^) haben diese die kriegerischen
Neigungen der Nomaden systematisch eingeschläfert, und in der Einförmig-
keit und ijangweiligkeit des Nomadenlebens haben die Mongolen vollständig
ihre frühere Kühnheit verloren. Die Einfälle der Dunganenbanden in die
Mongolei haben deutlich gezeigt, wie feige die jetzigen Bewohner derselben
sind, da dieselben gewöhnlich bei dem blossen Namen des Feindes die Flucht
ergriffen und demselben nicht ein einziges Mal ernsten Widerstand entgegen-
setzten. Indessen waren dem Anscheine nach alle Chancen des Erfolgs auf
Seiten der Mongolen: sie konnten in ihrem eigenen Lande operiren, hatten
also die Kenntniss der Lokalität für sich, was besonders in einer so wasser-
armen Oede wie die Wüste Gobi von so hoher Wichtigkeit ist; dann konnten
sie den Dunganen gegenüber stets in überlegener Zahl auftreten; endlich
bestanden die Banden ihrer Feinde selbst aus einem feigen, zur Hälfte un-
bewaffneten Gesindel. Trotz allem dem plünderten die Dunganen Ordos und
Ala-schan, nahmen Kobdo und Uljassutai, die beide durch reguläre chinesische
Truppen vertheidigt wurden, drangen zu wiederholten Malen in die Provinz
( 'halcha ein, und wenn sie das Schicksal Urga's nicht entschieden, so geschah
dies nur, weil sich dort ein Detachement russischer Truppen befand.
In geistiger Hinsicht kann man den Mongolen wieder nicht einen grossen
Scharfblick absprechen, mit welchem sich oft Schlauheit, Heuchelei und Nei-
gung zum Betrügen paaren; diese letzteren Eigenschaften sind besonders in
den China benachbarten Grenzdistrikten entwickelt. Inmitten der rein mon-
golischen Bevölkerung zeichnen sich durch moralische Yerderbtheit besonders
die Lamen aus. Die einfachen Mongolen oder, wie sie sich nennen, „Chara-
') Von der Zeit der Unterwerfung Chalcha's unter die Herrschaft Chinas während der
Regierung des Kaisers Kang-hi, im Jahre 1691; die wesfliche Mongolei oder die sogenannte
Dshungarei wurde erst im Jahre 1756 von den Chinesen unterworfen.
364 Diß Mongolen.
chun", d. h. schwarze Leute, sind, wo sie weder durch die chinesische Nach-
barschaft noch durch die Lehren der Lamen verderbt sind, grösstentheils
gute, einfache Menschen. Wenn nun aber dem Mongolen auch in geistiger
Hinsicht Scharfblick zuerkannt werden muss, ist dieser doch andrerseits aus-
schliesslich nach einer Richtung hin entwickelt; dasselbe gilt von allen seinen
Charakterzügen. Der Nomade kennt ganz vorzüglich seine heimathliche Steppe
und versteht es, sich hier in der hoffnungslosesten Lage herauszuhelfen; er
sagt den Regen, den Sturm und andere Veränderungen in der Atmosphäre
voraus, findet nach den geringfügigsten Kennzeichen ein verirrtes Pferd oder
Kameel, erräth durch den Geruch die Nähe eines Brunnens u. dergl. m. Man
versuche aber, ihm etwas zu erklären, was aus dem Kreise seiner gewöhn-
lichen Thätigkeit heraustritt; er wird dann mit aufgerissenen Augen zuhören,
mehrmals eins und dasselbe fragen und doch nicht die einfachste Sache von
der Welt begreifen. In solchem Falle erschüttert sein Stumpfsinn auch die
ausdauerndste Geduld; er ist dann nicht mehr derselbe Mensch, als welchen
man ihn in seiner täglichen Umgebung und Beschäftigung gekannt hat, son-
dern ein kindisch neugieriger Knabe, der unfähig ist, sich die einfachsten
und alltäglichsten Begriffe anzueignen.
Ueberhaupt ist die Neugierde, die oft bis zum Aeussersten geht, den
Mongolen eigenthümlich. Während des Marsches einer Karawane durch be-
völkerte Gegenden kommen sie rechts und links, oft mehrere Werst weit
herbeigeritten, und nach dem üblichen „mendu", d. h. guten Tag, beginnen
die Fragen: Wohin und weshalb reisen Sie? Was führen Sie? Sind Waaren
zum Verkaufe dabei? Wo und zu welchem Preise haben Sie die Kameele
gekauft? u. dergl. m. Ein Ankömmling löst den anderen ab, zuweilen er-
scheint ein ganzer Haufe, und alle kommen mit denselben Fragen. Noch
schlimmer ist es auf den Halteplätzen. Kaum sind die Kameele ihrer Bürde
entledigt, so erscheinen auch von allen Seiten Mongolen; sie besehen, betasten
die Sachen und drängen sich schaarenweise in das Zelt. Nicht nur die Waffen,
sondern auch die unbedeutendsten Sachen, z. B. Stiefel, eine Scheere, ein
Hängeschloss am Kasten, mit einem Worte die geringfügigsten Kleinigkeiten
erwecken die Neugierde der Gäste, die hierbei unfehlbar mit der Bitte heraus-
rücken, ihnen bald dieses, bald jenes zu schenken. Die Fragen nehmen kein
Ende. Jeder Neuangekommene beginnt von vorne, und dann zeigen und
erklären ihm die früheren Besucher die Sachen, wobei, wenn es nur irgend
möglich ist, etwas gestohlen wird, gleichsam zum Andenken.
Von den Sitten der Mongolen fällt dem Reisenden ganz besonders ihre
Gewohnheit auf, sich stets nach den Himmelsgegenden zu orientiren; sie ge-
brauchen nie die Wörter „rechts" oder „links", als ob diese Begriffe gar nicht
für die Nomaden vorhanden wären. Selbst in der Jurte sagt er nicht, dass
eine Sache rechter oder linker Hand, sondern westlich oder östlich liege.
Hierbei ist zu bemerken, dass sie sich bei Bestimmung der Himmelsgegend
Die Mongolen. 365
mit dem Gesicht nach Süden und nicht wie der Europäer nach Norden
stellen, so dass der Osten auf der linken Seite des Horizonts liegt.
Alle Entfernungen messen die Mongolen nach der Dauer eines Rittes
auf Kameelen oder Pferden ; von einem anderen, genaueren Maasse haben sie
keine Idee. Auf die Frage: wie weit ist es V)is zu diesem oder jenem Orte?
antwortet der Mongole: so und so viel Tagereisen mit Kameelen, so und so
viel zu Pferde. Da aber die Schnelligkeit des Rittes sowohl, wie auch die
dazu im Laufe eines Tages verbrauchte Zeit infolge lokaler Umstände oder
des Willens des Reiters sehr verschieden sein können, unterlässt der Nomade
es nie, hinzuzufügen: „wenn man gut", oder „wenn man langsam reitet". Es
ist hierbei zu bemerken, dass in Chalcha eine mittlere Tagereise mit Last-
kameelen zu 40 und zu Pferde zu 60 bis 70 Werst angenommen werden kann.
Am Kuku-noor bewegt man sich mit Kameelen etwas langsamer, so dass
daselbst 30 Werst als eine mittlere Tagereise gelten können. Ein gutes
Kameel legt mit Ladung 4 bis 4^ Werst, ohne dieselbe 5 bis 6 Werst in
einer Stunde zurück.
Als Einheit der Zeitmessung dient den Mongolen der Tag von 24 Stunden,
ßruchmaasse desselben, wie z. B. unsere Stunden, kennen sie nicht. Ihre
Kalender sind eben so wie die chinesischen und werden in mongolischer
Sprache in Peking gedruckt. Die Monate werden nach den Mondphasen
berechnet, einige dieser Monate haben jedoch 29, andere 80 Tage. Hiernach
bleibt von jedem Mondjahr bis zum vollendeten Umlaufe der Erde um die
Sonne eine Woche übrig; aus diesem Rest wird in jedem vierten Jahre ein
Ergänzungsmonat gemacht, welcher, nach der Prophezeiung der Pekinger
Astrologen, bald dem Winter, bald dem Sommer, bald anderen Jahreszeiten
zugezählt wird. Dieser Monat hat keinen besonderen Namen, sondern ist
das Duplikat irgend eines der bekannten Monate, so dass es im Schaltjahre
zwei Januare oder zwei Juli etc. geben kann. Das neue Jahr beginnt mit
dem ersten Tage des „Zagan-ssara", d. h. des weissen Monats, und fällt ge-
wöhnlich in die zweite Hälfte unseres Januar oder in die ersten Tage des
Februar. Von dem Zagan-ssara wird der Frühlingsanfang gerechnet, und
dieser Monat wird in allen buddhistischen Ländern als eine Festzeit gefeiert.
Ausserdem betrachten die Mongolen den L. 8. und 15. jedes Monats als
Feiertage, die den Namen „Zertyn" führen.
Als Maass längerer Zeiträume dient die Periode von zwölf Jahren. In
diesem Cyklus trägt jedes Jahr irgend einen Thiernamen, und zwar:
Das L Jahr Chuluguna (Maus), Das 7. Jahr Mori Pferd),
Choni (Schaf),
Metschit (Affe),
Takja (Huhn),
Nochoi (Hund),
Gachai (Schwein).
Fünf solcher Dodekaden l>ililon einen neuen Cyklus, der einem Zeitmaasse
2.
„ Ukyr (Kuh),
„ 8.
3.
„ Bar (Tiger),
. 9-
4.
„ Tolai (Hase),
„ 10.
f).
„ Lu (Drachen),
. IL
6.
„ Mogo (Schlange),
„ 12.
366
Die Mongolen.
in der Art unserer Jahrhunderte entspricht. Das Alter des Menschen wird
ijtets nach dem ersten Cyklus berechnet, und wenn ein Mongole, der, nehmen
wir an, 28 Jahre alt ist, sagt, dass jetzt sein Jahr „Hase" sei, so bedeutet
dies, dass er nach zwei vollendeten Dodekaden im vierten Jalire der drit-
ten steht.
Was die Sprache der Mongolen betrifft, so halte ich es zuvörderst für
meine Pflicht, zu erklären, dass es uns bei den vielen anderen Arbeiten der
Expedition und in Ermangelung eines guten Dolmetschers unmöghch war,
uns gründlich mit dem Studium dieser Sprache zu beschäftigen. Es ist dies
eine sehr grosse Lücke in den ethnographischen Forschungen; dieselbe wurde
aber durch die unzulänghchen materiellen Mittel, über welche die Expedition
verfügen konnte, verursacht. Bei reichlicheren Mitteln hätte ich einen guten
Dolmetscher, der seine Sache speziell kannte, gewinnen können. In der
Lage, in der wir uns befanden, konnte der einzige Dolmetscher, den wir
hatten, oft im Laufe eines ganzen Tages nicht eine einzige Minute findep,
um seiner direkten Obliegenheit nachzukommen. Ausserdem konnte derselbe
bei seiner geistigen Beschränktheit überhaupt nicht in denjenigen Fällen, die
Scharfsinn und Takt erforderten, nützlich werden.
In der ganzen Mongolei herrscht allein die mongolische Sprache, die im
Allgemeinen reich an Wörtern ist; aber in den verschiedenen Theilen des
beschriebenen Landes zeigen sich in derselben mancherlei, wenn auch nicht
bedeutende Abweichungen. Diese sind besonders in der Sprache der süd-
lichen Mongolen zu bemerken; einzelne Wörter der letzteren sind den Chalcha-
Mongolen sogar ganz unverständlich.') Ausserdem unterscheiden sich die
südlichen Mongolen durch eine weichere Ausspräche einzelner Buchstaben.
So sprechen sie k und z wie ch und tsch. Zagan, weiss, wird bei ihnen
tschagan, Kuku-choto — Chuchu-choto u. s. w.
Wahrscheinlich kommen bei den südKchen Mongolen auch in der Kon-
struktion der Sätze Abweichungen vor, da unser Dolmetscher zuweilen einen
ganzen Satz nicht verstehen, zugleich aber auch nicht angeben konnte, worin
gerade die Schwierigkeit lag. „Das ist nicht zu verstehen", pflegte er in
solchen Fällen zu sagen, und dabei Hess er es dann bewenden.
Mir scheint es, dass nur sehr wenig chinesische Wörter in die verun-
staltete mongolische Sprache eingedrungen sind, dafür haben die Mongolen
am Kuku-noor und von Zaidam viele tangutischen Wörter aufgenommen; der
>) So z. B.
Nacht . .
Hammel .
Abend
Theekanne
Stiefel
Fleisch
Pelz . .
In Chalcha In Ala-schan
Scbuiii
Choni
Ud Uschi
Schachu
Gutul
Machan
Del
Ssu
Choi
Asscbün
Debür
Gudussu
Ide
Dübül
Chalat . .
Schale, Tasse
Tuch . . .
Pulver . .
Milch . . .
Hierher . .
Dorthin . .
In Chalcha In Ala-schan
Supssa
lmi)\i
Zyiiibu
Daii
Ssu
Nascha
Inschi
Labüschlk
Chaissa
Dachar
Schoroi
Jussu
Naran
Tügei.
Die Mongolen. 3ß7
chinesische Einfluss auf die südöstlichen und südlichen Grenzdistrikte der
Mongolei hat zwar wesentlich den Charakter der Bewohner derselben um-
gewandelt, zeigt sich in ihrer Sprache aber weniger in dem Zuströmen fremder
Wörter, als in der Veränderung des allgemeinen Charakters der Ausdrucks-
weise, die hier einförmiger und phlegmatischer ist, als in Chalcha, wo der
Vollblutmongole stets laut und abgebrochen spricht.
Die mongolische Schrift hat, wie die chinesische, vertikale Zeilen, die
von links nach rechts gelesen werden J) Die Mongolen haben ziemlich viele
in ihrer Muttersprache gedruckte Bücher, da gegen Ende des vorigen Jahr-
hunderts auf Anordnung der chinesischen Regierung verschiedene auf Ge-
schichte, Unterricht und Religion bezügliche Werke von einer besonderen
Kommission ins Mongolische übersetzt wurden. Das mongolisclie Gesetzbuch
ist gleichfalls in mongolischer Sprache abgefasst und wird in allen Prozessen
gleichmässig mit dem mandschurischen angewendet. In Peking und Kaiman
sind Schulen, in welchen das Lesen und Schreiben in mongolischer Sprache
gelehrt wird; der Kalender und einige Bücher werden stets in mongolischer
Sprache gedruckt. Lesen und schreiben können bei den Mongolen nur die
Fürsten, Edelleute und Lamen ; letztere werden auch in der tibetanischen,
die Fürsten und Edelleute in der mongolischen und mandschurischen Sprache
unterrichtet. Das einfache Volk ist gewöhnlich des Lesens und Schreibens
unkundig.
Alle Mongolen, die Frauen nicht ausgeschlossen, sind sehr gesprächig.
Mit jemand bei einer Tasse Thee zu plaudern, ist ein Hauptvergnügen des
Nomaden. Bei jedem Begegnen fragt er sofort: „was giebt's Neues?" und
es ist ihm nicht zu viel, 20 oder 30 Werst zu reiten, nur um seinem Freunde
irgend eine Neuigkeit mitzutheilen. Infolge dessen verbreiten sich die Nach-
richten und Gerüchte in der Mongolei mit einer für den Europäer ganz un-
begreiflichen Schnelligkeit, förmlich wie mit dem Telegraphen. Bei unserer
Reise waren die Ortseinwohner gewöhnlich einige hundert Werst voraus über
uns unterrichtet, oft über die unbedeutendsten Einzelnheiten, und noch häufiger
kamen endlose Uebertreibungen dazu.
Im Gespräche der Mongolen fällt der unaufhörliche Gebrauch der Wörter
„dse" und „sse" auf; beide heissen „gut" und werden fast jedem Satze an-
gehängt. Ausserdem dienen diese Wörter auch als Ausdruck der Bestätisun»
wie „ja", „so^'. Wenn der Mongole irgend einen Befehl eines Beamten
empfängt, oder einer Erzählung desselben zuhört, wirft er gewöhnlich in »e-
wissen Zwischenräumen das unvermeidhche „dse" oder „sse" ein. Um die
gute oder schlechte Eigenschaft eines Gegenstandes zu bezeichnen, oder über-
haupt etwas zu loben oder zu tadeln, erhebt der Mongole, während er sein
„dse" oder „sse" spricht, zuweilen auch ohne diese Wörter, den Daumen
') Die jetzigen mongolischeu Buchstaben siuil im 13. Jahrhundert nach Christi Geburt, zui-
Zeit des Chans Chubilai ei-fundeu worden.
368 ^^® Mongolen,
oder den kleinen Finger der rechten Hand. Ersteres Zeichen drückt ein
Lob, letzteres eine schlechte Eigenschaft oder überhaupt die Verneinung des
Guten aus. Seinesgleichen redet der Mongole mit „Nochor," d. h. Kamerad,
Gefährte, an ; es entspricht dies unserem „Mein Herr" oder dem französischen
„Monsieur".
Die Lieder der Mongolen sind immer traurig; Gegenstand derselben sind
die Erzählungen von ihrem früheren Leben und ihren einstigen Heldenthaten.
Der Nomade singt am häufigsten unterwegs, wenn er mit den Karawanen
zieht; doch kann man auch in der Jurte singen hören; die Frauen singen
jedoch viel seltener als die Männer. i) Die besonderen Sänger, die zuweilen
in der Mongolei umherziehen, werden stets mit grossem Vergnügen gehört.
Von musikalischen Instrumenten haben die Mongolen nur die Flöte und die
Balalaika. '0 Tänze haben wir bei den Nomaden nie gesehen; wie es scheint,
kennen sie dieselben gar nicht.
Das Schicksal der mongolischen Frauen ist kein beneidenswerthes an
und für sich. Der enge Lebenshorizont des Nomaden zieht sich für sie noch
mehr zusammen. Die Mongolin ist ganz und gar dem Manne untergeordnet
und bringt ihr Leben in der Jurte zu, wo sie beständig mit der Wartung
und Pflege der Kinder und mit verschiedenen wirthschaftlichen Arbeiten be-
schäftigt ist. In der freien Zeit näht sie Kleider oder irgend einen Ausputz,
wozu in ganz Chalcha chinesische Seide verwendet wird. Die Handarbeiten
der mongolischen Frauen zeichnen sich oft in bemerkenswerthem Grade durch
Geschmack und Sauberkeit der Ausführung aus.
Der Mongole hat nur eine rechtmässige Frau; es ist ihm aber gestattet,
Beischläferinnen zu haben, ^) die mit der legitimen Gattin zusammen wohnen.
Letztere wird als die oberste angesehen und leitet die Wirthschaft. Die von
ihr geborenen Kinder geniessen alle Rechte des Vaters, während die Söhne
der Beischläferinnen nicht als legitim gelten und kein Anrecht auf die Erb-
folge haben. Nur mit Genehmigung der Regierung darf der Mongole ein il-
legitimes Kind vollständig adoptiren.
Bei den Ehen ist nur die Verwandtschaft von Seiten des Mannes und
zwar bis zu einem entfernten Grade von Wichtigkeit; die Verwandtschaft von
Seiten der Frau kommt nicht in Betracht. Ausserdem ist zum Wohlergehen
der Neuvermählten eine günstige Konstellation der astrologischen Zeichen,*)
unter denen Bräutigam und Braut geboren sind, unerlässlich ; zuweilen ver-
hindert sogar eine ungünstige Konstellation eine Ehe.
Der Bräutigam muss oft für seine Braut den Eltern derselben nach einem
vorangegangenen Vertrage eine bedeutende Kaufsumme (Kalym) in Vieh.
') Das verbreitetste Lied, das mau in der ganzen Mongolei hören kann, ist „dagn-cljara' ,
d. b. „von dem schwarzen Füllen".
2) Eine Art Guitarre mit zwei oder drei Saiten.
■') Diese treten ohne weitere llochzeitsformalitiiten unter die Botmässigkeit des Mannes.
*) Nach den Zeichen des Thierkreises berechnen die Mongolen ihre zwölfjährigen Zeitperiodon.
Die Mongolen. 369
Kleidungsstücken und zuweilen auch in Geld zahlen; die Frau bringt ihrer-
seits die Jurte mit der Einrichtung. Bei eintretender Uneinigkeit im Familien-
leben, oder einfach aus Laune kann der Mann seine Frau fortjagen; aber auch
die Frau hat das Recht, einen ungeliebten Mann zu verlassen. Im ersteren
Falle kann der Mongole nicht den iür die Frau gezahlten Kalym zurück-
fordern; er behillt nur einen Theil des Mitgebrachten; wenn aber die Frau
sich vom Manne trennt, muss ein Theil des Viehes, das vor der Hochzeit
für sie gegeben worden, zurückerstattet werden. Nach einer solchen Trennung
gilt die mongolische Frau als frei, und sie kann sich wieder verheirathen.
Aus dieser Sitte ergeben sich mancherlei Liebesgeschichten, die sich in der
Einöde der Steppe abspielen, ohne je das Sujet eines Romans zu liefern.
Was die moralischen Eigenschaften der mongolischen Frauen anbelangt,
so sind dieselben gute Mütter, ausgezeichnete Hauswirthinnen, aber bei weitem
nicht vorwurfsfreie Gattinnen. Sinnliche Ausschweifung ist hier die gewöhn-
lichste Sache und nicht nur unter den verheiratheten Frauen, sondern auch
unter den Mädchen. Dergleichen Dinge bilden in der Mongolei kein Geheim-
niss und werden nicht für ein Laster gehalten.
Im häuslichen Leben ist die Frau fast gleichberechtigt mit dem Manne;
dafür treffen die Männer in allen äusseren Geschäften, die z. B. den Umzug
von einer Stelle auf die andere, den Ankauf irgend einer Sache u. dergl. be-
treffen, allein die Entscheidung, ohne ihre Frauen zu befragen. Als Ausnahme
von der allgemeinen Regel sind uns jedoch auch solche Mongolinnen vor-
gekommen, die nicht nur die innere Wirthschaft, sonder^ auch alle anderen
Geschäfte führten und ihre Männer im buchstäblichsten Sinne des Wortes
unter dem Fantofi'el hielten.
Hinsichtlich des Aeusseren der mongolischen Frauen wird es dem Euro-
päer schwer, etwas Lobendes zu sagen. Der Racentypus, besonders das flache
Gesicht und die hervorstehenden Backenknochen verunstalten von Hause aus
jede Physiognomie. Dabei schliessen das in groben Arbeiten in der Jurte
sich bewegende Leben, der Einfluss des rauhen Klimas und die Unsauberkeit
jede Zartheit und hiermit allen Reiz in unserem Sinne aus. Uebrigens kommen
in der Mongolei als seltene Ausnahmen, vor allen anderen in den fürstlichen
Familien, auch recht hübsche Mädchen vor. Diese Glücklichen sind denn
auch' von Schaaren von Verehrern umgeben, da die Nomaden im Allgemeinen
dem schonen Geschlechte äusserst ergeben sind. Die Zahl der Frauen ist
in der Mongolei bedeutend geringer als die der Männer, was hauptsächlich
durch die Ehelosigkeit der Lamen herbeigeführt wird.
Im häuslichen Leben ist der Mongole ein ausgezeichneter Familienvater,
und seine Kinder liebt er leidenschaftlich. Wenn wir einem Nomaden etwas
gaben, vertheilte er es stets zu gleichen Theileu unter alle seine Familien-
glieder, wenngleich bei einer solchen Theilung, z. B, der eines Stückes Zucker,
nur ein kleines Körnchen auf jeden Einzelnen kam. Den älteren Mitgliedern
der Familie wird eine grosse Ehrerbietung gezollt; besonders wird eine solche
Zeitschrift für Ethnologie, Jahrgaug lS7i>. 26
370 Die Mongolen.
den Greisen zu Theil, deren Rathscliläge oder Befehle stets mit grosser Pietät
befolgt werden. Dabei ist der Mongole ausserordentlich gastfrei. Ein Jeder
kann in jede beliebige Jurte treten und sicher sein, sofort mit Thee oder
Milch bewirthet zu werden; für einen guten Freund wird der Nomade es
aber nicht unterlassen, Branntwein, oder Kumys herbeizuschaffen, oder gar
einen Hammel zu schlachten.
Wenn der Mongole unterwegs Jemandem begegnet, mag dies ein Be-
kannter sein, oder nicht, begrüsst er ihn unter allen Umständen mit den
Worten ,,mendii, mendu-sse-beina", was unserem „Guten Tag" entspricht.
Hierauf beginnt das gegenseitige Darreichen der Schnupftabaksdosen, und
hierbei wird gewöhnlich gefragt: „mal-sse-beina?" „ta-sse-beina?" d. h. ist
Dein Vieh gesund? bist Du gesund? Die Frage nach dem Vieh steht auf
dem ersten Plane, so dass der Mongole sich erst dann nach der Gesundheit
seines Amphitryon erkundigt, wenn er darüber beruhigt ist, dass die Hammel,
Kameele und Pferde desselben gesund und fett sind. In Ordos und Ala-schan
wird der Gruss mit den Worten ausgedrückt: „amur-sse?" bist Du gesund?
und am Kuku-noor hat man gewöhnlich das tangutische „temu", d. i. guten
Tag. Das gegenseitige Tabakanbieten ist in der südlichen Mongolei viel
seltener; am Kuku-noor ist es gar nicht üblich.
Aus Anlass der Frage nach der Gesundheit des Viehes ereignen sich
zuweilen mit den europäischen Neulingen, die von Kjachta nach Peking
reisen, komische Geschichten. So reiste eiust ein junger OfQzier, der unlängst
aus Petersburg nach Sibirien gekommen war, als Kourier nach Peking. Auf
einer Station, wo die Pferde gewechselt wurden, rückten ihm die Mongolen
mit der ihrer Ansicht nach ehrerbietigsten Begrüssung, mit der Frage nach der
Gesundheil seines Viehes, auf den Leib. Als er durch den kosakischen Dol-
metscher erfahren hatte, dass man von ihm wissen wollte, ob seine Hammel
und Kameele fett wären, schüttelte der junge Reisende verneinend den Kopf und
versicherte, dass er gar kein Vieh besitze. Die Mongolen wollten nun für nichts
in der Welt glauben, dass ein wohlhabender Mensch und noch dazu ein Beamter
ohne Hammel, Kühe, Pferde und Kameele bestehen könnte. Uns selbst sind
auf der Reise vielfach die eingehendsten Fragen vorgelegt worden, wem wir
bei unserer Reise in ein so fernes Land unser Vieh anverti*aut, welches Ge-
wicht die Fettschwäuze unserer Hammel haben, ob wir oft einen solchen Lecker-
bissen essen, wie viel gute Rennpferde, oder Passgänger, wie viel fette Ka-
meele wir besitzen u. dergl. m.
In der südlichen Mongolei dienen als Zeichen des gegenseitigen Wohl-
wollens die „Chadaki", d. h. kleine Stücke Seidenstoff in der Form unserer
Handtücher, die Gast und Wirth austauschen. Diese „Chadaki" werden von
den Chinesen gekauft und sind von verschiedener Güte, durch deren Grad
in gewisser Hinsicht die gegenseitige Disposition der sich begegnenden Per-
sonen ausgedrückt wird.')
') lu Chalcha dienen die „Chadaki'' statt der Münzen, weniger zu gegenseitigen Geschenken.
Die Mongolen. 37^
Unmittelbar nach der Begrüssung beginnt bei den Mongolen die Be-
wirthung mit TLee, wobei es als eine besondere Höflichkeit angesehen wird,
dem Gaste eine angerauchte Pfeife zu präsentiren. Die fortgehenden Gäste
verabschieden sich gewöhnlich nicht, sondern stehen ohne Weiteres auf und
verlassen die Jurte. Einen Gast bis zu seinem in der Entfernung von einigen
Schritten angebundenen Pferde begleiten, heisst ihm eine besonders wohl-
wollende Hochachtung beweisen; einer solchen Elire werden immer die
Beamten und hohen Lamen gewürdigt.
Obgleich bei den Mongolen Knechtessinn und Despotismus in hohem
Grade entwickelt sind und die Willkür des vorgesetzten Beamten gewöhnlich
mehr als alle Gesetze gilt, zeigt sich neben dieser sklavischen Gesinnung
wie eine Anomalie eine grosse Freiheit in dem Verkehr zwischen Vorgesetzten
und Untergebenen. Wenn der Mongole einen Beamten sieht, kniet er vor
ihm nieder und begrüsst ihn; nach diesem erniedrigenden Ausdruck seiner
Unterwürfigkeit setzt er sich aber, ohne sich weiter zu geniren, neben den-
selben Beamten, spricht mit ihm und raucht seine Pfeife. Von Jugend auf
daran gewöhnt, sich durch nichts beengen zu lassen, fügt er sich auch in
diesem Falle nicht lange einem Zwange, sondern lässt sofort seinen Gewohn-
heiten freien Lauf. Dem neuangekommenen Reisenden dürfte ein solcher Vor-
gang als ein bemerkenswerthes Zeichen der Freiheit und Gleichheit unter
den Mongolen erscheinen; wenn er aber tiefer in das Wesen der Sache ein-
dringt, wird er leicht bemerken, dass sich hier nur die wilde, ungezügelte
Natur des Nomaden hervordi'ängt, die selbst für seine kindischen Gewohn-
heiten freien Spielraum fordert, sich aber gegen den furchtbaren Despotismus
im gesellschaftlichen Leben vollständig apathisch verhäh. Derselbe Beamte,
mit welchem der Mongole seine Pfeife raucht und wie mit Seinesgleichen
spricht, kann diesen bestrafen, ihm einige Hammel fortnehmen und überhaupt
ohne alle Widerrede jede beliebige Ungerechtigkeit gegen ihn verüben.
"Bestechlichkeit und Bestechung sind in der Mongolei, wie auch in China,
bis zum äussersten Grade entwickelt. Wenn man besticht, kann man hier
Alles machen, wenn man dies nicht thut, geradezu Nichts. Das schreiendste
Verbrechen bleibt straflos, wenn nur der Verbrecher den betrefienden Gewalten
ein gutes Stück Geld zukommen lässt; umgekehrt, bedeutet eine vollkommen
gerechte Sache nichts ohne eine gewisse Beigabe. Und diese Fäulniss geht
durch die ganze Stufenleiter der Administration, vom Gemeindeschreiber bis
zum regierenden Fürsten!
Wenn wir uns jetzt zu den religiösen Anschauungen der Nomaden wenden,
so finden wir, dass die lamaistische Lehre hier so tiefe Wurzeln geschlagen
hat, wie vielleicht in keiner andern Gegend der buddhistischen Welt.i) Da
1) Die Zeit der Ausbreitung des Buddhismus in der Mongolei ist unbekannt; neben dem-
selben bestehen hier jedoch noch einzelne Ueberreste des Schamaneuthums, emer der ältesten
Religionen Asiens.
26*
372 Die Mongolen.
dieselbe ihr höchstes Ideal in der Beschaulichkeit findet, hat sie sich vor-
trefflich dem trägen Charakter des Mongolen angeschmiegt und jene furcht-
bare Asketik erzeugt, welche den Nomaden veranlasst, jedem Streben nach
Fortschritt zu entsagen und in nebelhaften und abstrakten Ideen, im Grübeln
über das Wesen der Gottheit und das Leben nach dem Tode das Endziel
des irdischen Daseins zu suchen.
Der Gottesdienst der Mongolen wird in tibetanischer Sprache celebrirt,
in welcher auch ihre religiösen Bücher abgefasst sind.^) Das berühmteste
derselben heisst Gantschur; es besteht aus 108 Bänden und enthält ausser
den religiösen Gegenständen auch noch Geschichte, Mathematik, Astronomie
u. s. w. In den Götzentempeln findet gewöhnlich dreimal täglich Gottesdienst
statt: Morgens, Mittags und Abends. Der Ruf zum Gebet erfolgt durch
Blasen auf grossen Seemuscheln. Nachdem man sich im Tempel versammelt
hat, setzen sich die Lamen auf den Boden, oder auf Bänke und lesen in sin-
gendem Tone ihre heiligen Bücher, Von Zeit zu Zeit vereinigen sich mit
diesem monotonen Lesen Responsorien, welche der Aelteste der Anwesenden
macht und dann alle anderen wiederholen. Bei gewissen Pausen werden
Schellentrommeln oder kupferne Becken geschlagen, was den allgemeinen
Lärm noch verstärkt. Ein derartiges Beten dauert zuweilen einige Stunden
hintereinander fort und wird noch feierlicher, wenn der Kutuchta im Tempel
anwesend ist. Derselbe sitzt in einem besondern Gewände auf dem Throne
und hat das Gesicht den Götzenbildern zugewendet; die celebrirenden Lamen
stehen mit den Räucherfässern in den Händen vor dem Heiligen und lesen
die Gebete.
Das üblichste Gebet, das die Lamen und oft auch die einfachen Mongolen
beständig im Munde haben, besteht im Ganzen aus den vier Wörtern: „Om
mani padma chum". Wir haben uns vergeblich bemüht, eine Uebersetzung
dieses Spruches zu erhalten. Nach der Versicherung der Lamen ist in ihnen
alle buddhistische Weisheit enthalten, und diese vier Worte finden sich nicht
nur in den Tempeln, sondern immer und überall als Aufschrift vor.
Ausser den gewöhnlichen Götzentempeln-) werden in den von diesen
entfernter liegenden Gegenden auch Jurten zu Tempeln eingerichtet, die dann
„Dugunen" heissen. Endlich werden überall auf den Pässen und den
Gipfeln hoher Berge zu Ehren des Berggeistes Steine aufgeschichtet, welche
oft ansehnliche Haufen bilden, die Obo heissen. Die Mongolen zollen den-
selben eine besondere Verehrung und werfen, wenn sie vorüberkommen, stets
als eine Opferspende einen Stein, irgend einen Lappen oder einen Flocken
') Das Tibetanische verstehen oft selbst die Lamen nicht. Die tibetanische Schrift hat,
abweichend vom Mongolischen und Chinesischen, horizontale Zeilen, die von links nach rechts
gelesen werden. Die religiösen Bücher sind Jedoch auch, wie bereits früher bemerkt, ins Mon-
golische übersetzt worden.
-; Dieselben heissen in der Mongolei Ssumo, seltener Kit oder Dazan.
Die Mongolen. 373
Wolle von ihrem Kameel hinauf. Bei den wichtigem Obo's celebriren die
Lamen zuweilen Gottesdienst, und das Yolk versammelt sich zu dieser Feier,
An der Spitze der buddhistischen Hierarchie steht bekanntlich der tibe-
tanische Dalai-Lama, welcher in Hlassa residirt und Tibet mit den Rechten
eines Fürsten beherrscht, der sich als einen Vasallen China' s betrachtet. Im
Grunde ist aber die Unterwerfung des Dalai-Lama unter den chinesischen
Kaiser nur nominell und findet ihren Ausdruck in den Geschenken, welche
er einmal in drei Jahren dem Bogdo-Chan sendet. i) Für gleichberechtigt
mit dem Dalai-Lama wird hinsichtlicii seiner Heiligkeit (nicht aber seiner
politischen Bedeutung) ein anderer tibetanischer Heiliger, der Ban-tsin-
Erden, gehalten; die dritte Person der buddhistischen Welt ist der Kutuchta
von Urga. Weiter folgen die übrigen Kutuchta's oder Gygen, die in ver-
schiedenen Götzentempeln der Mongolei oder in Peking selbst wohnen.
Solcher Gygen giebt es in der Mongolei 103, Sie alle sind irdische Menschen
gewordene Heilige, die ihre moralische Natur bis zum höchsten Grade ver-
vollkommnet haben, nie sterben, sondern nur aus einem Körper in den anderen
übergehen. Der neue wiedergeborene Gygen wird von den Lamen des Götzen-
tempels, in welchem sein Vorgänger gelebt, gewählt und vom Dalai-Lama in
seiner Würde bestätigt. Der Dalai-Lama soll meistentheils selbst seinen
Nachfolger bezeichnen, aber hierbei spielt die chinesische Regierung im Ge-
heimen eine Hauptrolle, und unter ihrem Einflüsse wird der Stellvertreter des
grossen Heiligen am häufigsten aus armen, unbekannten Familien gewählt.
Die persönliche Unbedeutendheit des Dalai-Lama und der Mangel aller ver-
wandtschaftlichen Verbindungen mit den mächtigen Familien des Landes dienen
den Chinesen als beste Bürgschaft, wenn auch nicht für die Unterwürfigkeit
Tibets, so doch dafür, dass sie nicht von einem unbotmässigen Nachbar beun-
ruhigt werden. Und in der That hat China alle Ursache, dafür Sorge zu
tragen. Sollte einmal eine talentvolle, energische Persönlichkeit den Thron
des Dalai-Lama besteigen, so könnte dieselbe durch ein einziges Wort wie
auf die Stimme Gottes selbst alle Nomaden vom Himalaya bis Sibirien zum
Aufstande aufreizen. Durch religiösen Fanatismus und Hass gegen ihre Be-
drücker angetrieben, würden die wilden Horden an den Grenzen des eigent-
lichen China's erscheinen, und sie könnten daselbst grosses Unheil anrichten,
Ueberhaupt ist der Einfluss aller Gygen auf die rohen Nomaden ganz un-
begrenzt. Zu dem Heiligen beten, seine Kleider berühren, oder seinen Segen
erhalten, wird für ein grosses Glück gehalten, das übrigens theuer zu stehen
kommt, da jeder Gläubige hierbei unbedingt eine gewisse, oft recht bedeutende
Gabe darzubringen hat. So häufen sich denn auch in den Götzentempeln,
besonders in den grösseren und in denen, die durch irgend etwas berühmt
sind, grosse Reichthümer an, die von den oft aus sehr entfernten Gegenden
kommenden Pilgern gebracht werden.
') Die chinesische Regierung hält in Hlassa eine Abtheilung Truppen und eiueu bevoll-
mächtigten Gesandten.
374 ^^^ Mongolen.
Dergleichen Pilgerfahrten sind indessen nur von untergeordneter Bedeu-
tung. Das Hauptheiligthum aller Mongolen ist Hlassa, und dahin gehen jähr-
lich ungeheure Karawanen von Verehi'ern, welche es trotz der tausend man-
nigfachen Schwierigkeiten eines so weiten Weges für das grösste Glück und
ein besonderes Verdienst vor Gott halten, eine solche Reise zu unternehmen.
Der Dunganenaufstand hatte während ganzer elf Jahre den Wallfahrten der
mongolischen Pilger nach Tibet Einhalt gethan ; nachdem aber die chinesischen
Truppen die Sicherheit der Wege hergestellt, sind diese Reisen wieder auf-
genommen worden. Dieselben werden zuweilen sogar von Frauenzimmern
unternommen, denen man zu ihrer Ehre nachrühmen kann, dass sie weniger
scheinheilig sind als die Männer; zu erklären ist dies vielleicht durch die
Ueberbürdung mit häuslichen Arbeiten, welche ihnen weniger Zeit lässt, sich mit
religiösen Fragen zu befassen. Es ist noch zu bemerken, dass die Religiosität
in den China benachbarten Grenzdistrikten bei weitem geringer ist, als in
den inneren Landestheilen.
Der Stand der Geistlichen, der sogenannten Lamen,^) ist ausserordentlich
zahlreich. Zu demselben gehört mindestens ein Drittel — wenn nicht mehr —
der ganzen männlichen Bevölkerung. Alle Lamen sind von jeder Steuer be-
freit.^) Lama zu werden, ist durchaus nicht schwierig. Die Eltern bestimmen
auf ihren eigenen Wunsch ihren Sohn schon in der Kindheit zu dieser Lauf-
bahn, scheren ihm den ganzen Kopf und geben ihm eine rothe oder gelbe
Kleidung. Dies ist das äussere Merkmal der künftigen Bestimmung des Kindes.
Später wird es in einen Tempel gebracht, wo es im Lesen und Schreiben
und in buddhistischer Weisheit von den älteren Lamen unterrichtet wird.^)
In einigen berühmten Tempeln, wie z. B. in Urga und Gumbum*) sind zu
diesem Zwecke besondere Schulen mit einer Eintheilung in Fakultäten ein-
gerichtet. Nach Beendigung des Kursus in einer solchen Schule tritt der
Lama in den Etat eines Tempels, oder er beschäftigt sich auch als Arzt mit
Behandlung der Kranken.
Um die höheren geistlichen Würden zu erlangen, muss jeder Lama sich
einem bestimmten Examen unterwerfen, um seine Kenntniss der buddhistischen
Schriften und der strengen Regeln des Mönchthums nachzuweisen. Die
Grade der geistlichen Weihe sind folgende: Kamba, Gelun, Gezul und
Bandi. Jeder dieser Grade hat ein besonderes Unterscheidungszeichen in
>) Lamen heissen eigentlich nur die der höheren üeistlichkeit angehörigen Personen; die
ganze Geistlichkeit führt im Allgemeinen den Namen Chuwarak. Erstere Benennung wird
indessen viel häufiger gebraucht, als die zweite.
'0 Die etatsmässigen Lamen, d. h. diejenigen, welche gewisse Aemter in den Götzentempeln
bekleiden, sind von allen Abgaben befreit; für die nichtetatsmüssigen werden diese von den
den Angehörigen entrichtet.
') Zuweilen treten auch solche Schüler in den Stand der Lamen, die nicht in den Tempeln,
sondern zu Hause in der Jurte gelebt haben.
*) Der Götzentempel Gumbum befindet sich in der Provinz Gan-ssu, in der Nähe der Stadt
Sining.
Die Mongolen. 375
der Kleidung'), besondere Plätze beim Gottesdienst und besondere Regeln
strengen Lebens. Den wichtigsten geistlichen Rang bekleidet der Kamba
oder Känbu; er empfängt die Weihe direkt vom Kutuchta und weiht selbst
zu den niedrigeren Graden. Uebrigens sind auch die Kutuchta's verpflichtet.
alle Grade der Weihe durchzumachen; es geschieht dies aber bei ihnen viel
schneller, als bei gewöhnlichen Sterblichen.
Je nach dem Grade der Weihe haben die Lamen in den Tempeln ver-
schiedene Funktionen: als Zjabarzi, Kirchendiener; Pjarba, Oekonom;
Kessgui, Tempelaufseher; Umsat, Leiter des Gesanges; Demzi, Kassen-
verwalter; Ssordshi, Oberpriestcr des Tempels.
Ausser den beamteten Lamen befinden sich bei jedem Tempel noch viele
(oft einige Hunderte, zuweilen tausend und mehr) andere, welche ausser ihren
Gebeten nichts Anderes verstehen und ausschliesslich von den Spenden opfer-
williger Gläubigen leben. Endlich giebt es auch solche Lamen, die von ihren
Eltern keineswegs der Wissenschaft halber in den Tempel gegeben worden
und denn auch des Lesens und Schreibens unkundig geblieben sind; nichts
desto weniger tragen sie das Lamengewand und den Lamentitel, welcher letz-
tere bei den Nomaden stets für ehrwürdig gehalten wird.
Die Lamen sind zum ehelosen Leben verpflichtet; in Folge dieser un-
natürlichen Stellung blüht unter ihnen die Sittenverderbniss in allerlei Formen.
Frauenzimmer können sich vor Erreichung eines bestimmten Alters gleich-
falls dem geistlichen Stande widmen. Sie empfangen alsdann die Weihe,
rasiren sich den Kopf und geloben, die Regeln eines strengen Lebens zu
beobachten. Gleich den Lamen tragen sie gelbe Kleidung. Diese Nonnen
heissen Schabganzsa, und man sieht sie ziemlich häufig, besonders unter
den verwittweten Alten.
Der Lamenstand ist die furchtbarste Pest der Mongolei, da er den besten
Theil der männlichen Bevölkerung umfasst, parasitisch auf Kosten der Anderen
lebt und durch seinen unbeschränkten Einfluss dem Volke jede Möglichkeit
verschliesst, sich aus der tiefen Rohheit, in der es lebt, emporzuarbeiten.
Wenn aber einerseits die religiösen Ueberzeugungen inmitten der Nomaden
so tiefe Wurzeln geschlagen haben, ist andererseits in nicht geringerem Grade
der Aberglaube entwickelt. Allerlei böse Geister und Zaubereien treiben mit
dem Mongolen bei jedem Schritte ihr Spiel. In jeder ungünstigen Natur-
erscheinung sieht er die Wirkung eines bösen Geistes, in jeder Krankheit
eine Heimsuchung durch denselben. Das tägliche Leben des Nomaden ist
erfüllt von den abergläubischsten Anschauungen. So darf er bei trübem
Wetter und nach Sonnenuntergang keine Milch geben oder verkaufen, weil
sonst das Vieh fallt; dasselbe geschieht, wenn Jemand auf der Schwelle der
') Die Kleidung der Lamen ist immer gelb mit rothem Gürtel oder mit rother Schärpe auf
der linken Schulter. Beim Gottesdienst halben sie Je nach dem Grade der Weihe besondere
gelbe Pallien und hohe, gleichfalls gelbe Mützen.
376 Die Mongolen.
Jurte sitzt. Vorher über eine Reise zu sprechen, ist nicht erlaubt, weil als-
dann schlechtes Wetter oder Schneetreiben eintritt; nach der Heilung eines
Stückes Vieh darf im Laufe dreier Tage nichts fortgegeben oder verkauft
werden u. dergl. m.
Alles das ist aber nur der unbedeutendste Theil des mongolischen Aber-
glaubens ; man muss erst sehen, wie verbreitet hier die Wahrsagerei und
allerlei Zaubereien sind. Diese Künste üben nicht allein alle Schamanen und
der grösste Theil der Lamen, sondern oft auch gewöhnliche, einfache Menschen,
nur keine Frauen. Die Wahrsagerei wird gewöhnlich nach den Rosenkränzen
der Lamen und andern Dingen ausgeführt, wobei es natürlich nicht an man-
cherlei Beschwörungsformeln fehlt. Hat der Mongole ein Stück Vieh, seine
Pfeife oder sein Feuerzeug verloren, so läuft er sofort zum Wahrsager, um
zu erfahren, wo er das Verlorene zu suchen habe. Soll er eine Reise unter-
nehmen, lässt er sich unfehlbar prophezeien, ob dieselbe glücklich sein werde.
Tritt Dürre ein, so ruft die ganze Gemeinde den Schamanen herbei und zahlt
eine bedeutende Summe Geldes, damit derselbe den Himmel veranlasse, das
wohlthätige Nass auf die Erde fallen zu lassen ; ergreift den Nomaden plötz-
lich eine schwere Krankheit, so erscheint statt des ärztlichen Helfers ein
Lama, um die Teufel zu beschwören, die in den sündigen Körper des Kranken
gefahren sind.
Zehn, hundert Mal überzeugt sich der Mensch davon, dass die Wahrsager
und Zauberer betrügen, aber sein kindlicher Glaube an ihre Macht wird da-
durch nicht wankend gemacht. Ein zutreffender Fall — und alle vorher-
gegangenen Irrthümer des Wahrsagers sind vergessen; er gilt dann wieder
für einen richtigen Propheten. Dabei sind die Weisen dieser Gattung ge-
wöhnlich solche durchtriebenen Schlauköpfe, dass sie leicht schon vorher
Alles auszukundschaften wissen, was ihnen für ihre Profession zu wissen
nöthig ist. Viele von ihnen haben so oft Andere betrogen, dass sie zuletzt
selbst an ihre übernatürliche Kraft glauben.
Nach dem Tode eines Mongolen wird dessen Leichnam gewöhnlich auf
das Feld geworfen, damit ihn Raubvögel und wilde Thiere auffressen. Die
Lamen bestimmen hierbei, nach welcher Himmelsgegend der Verstorbene mit
dem Kopfe gelegt werden soll. Die Leichen der Fürsten, Gygen und ange-
gesehener Lamen werden in die Erde vergraben, mit Steinen beschüttet, oder
endlich auch verbrannt. Die Gebete für die Verstorbenen werden von den
Lamen gegen eine gewisse Entschädigung im Laufe von 40 Tagen gehalten.
Die Armen, deren Verwandte den Lama nicht bezahlen können, gehen einer
solchen Ehre verlustig; dafür vertheilen aber die Reichen oft eine bedeutende
Menge Vieh an verschiedene Götzentempel, und die Gebete zum Andenken an
einen verstorbenen Verwandten dauern dann zwei, drei Jahre fort.
Derselbe Mongole, der strenge alle religiösen Gebräuche erfüllt und im
Grunde ein guter, wenngleich geistig und moralisch beschränkter Mensch ist,
erscheint in denjenigen Fällen als ein echter Barbar, in denen er seinen
Die Mongolen. 377
wilden Leidenschaften vollkommen den Zügel schiessen lässt. Man hat eben
nur zu sehen, wie unmenschlich sie mit den Dunganen umgehen. Derselbe
Nomade, der Tags zuvor sich gefürchtet hat, ein Lamm zu tödten, und dies
für die grösste Sünde hält, schneidet jetzt seinem in Gefangenschaft gerathenen
Feinde mit aller Seelenruhe den Kopf ab. Weder Geschlecht noch Alter
wird berücksichtigt, und die Niedermetzelung der Gefangenen ist allgemein.
Freilich zahlen die Dunganen mit gleicher Münze. Ich führe diesen Fall
auch nur zum Beweise dafür an, dass die Religion allein, ohne die an-
deren Hilfsmittel der Civilisation, nicht die barbarischen Instinkte eines Volkes
mildern und umgestalten kann. Die buddhistische Lehre verkündet bekannt-
lich die höchsten moralischen Prinzipien; sie hat den Mongolen aber nicht
dahin gebracht, in jedem Menschen seinen Bruder anzuerkennen und selbst
gegen den Feind barmherzig zu sein.
Nehmen wir ferner die Sitte, die Todten nicht zu begraben, sondern sie
den Raubvögeln und wilden Thieren zum Frasse hinzuwerfen. Sicher ist ein
Schauspiel, wie es jedem Reisenden selbst in der Nähe von Urga aufstösst, wo
jährlich Hunderte von Leichen von Raben und Hunden aufgefressen werden,
ganz dazu angethan, auch den rohesten Menschen zu empören; der Mongole
schleppt indessen ganz ruhig ihm nahe und theuere Personen auf einen sol-
chen Kirchhof. Vor seinen Augen fangen die Hunde an, den Leichnam seines
Vaters, seiner Mutter oder seines Bruders zu zerreissen, und er sieht wie ein
vernunftloses Thier diesem Schauspiel zu.
Und das ist eine hochwichtige Lehre für alle künftigen Prediger des
Christenthums. Nicht in der äusseren Form des Ritus allein muss hier die
neue Propaganda erscheinen, sondern Hand in Hand mit ihr muss der civili-
satorische Einfluss der Kultur einer höher gebildeten Race gehen. Lehrt den
Mongolen vor allen Dingen nicht in dem Schmutze leben, in welchem er
heute starrt, macht ihm begreiflich, dass Gefrässigkeit und absolute Faulheit
Laster und nicht Lebensgenuss sind, dass das Verdienst jedes Menschen vor
Gott in guten Werken besteht und nicht in einer gewissen Zahl von Gebeten,
die er täglich ableiert, und dann erst erklärt ihm den Ritus des christlichen
Glaubens. Die neue Lehre soll den Nomaden nicht nur in eine neue Welt
geistigen und moralischen Lebens versetzen, sondern auch sein häusliches
und soziales Leben von Grund aus reformiren. Dann erst wird das Christen-
thum hier ein fruchtreiches Prinzip in der Wiedergeburt des Volkes sein, und
der von demselben ausgestreute Samen wird inmitten der rohen und ungebil-
deten Bevölkerung tiefe Wurzeln schlagen.
Als die Chinesen gegen das Ende des 17. Jahrhunderts fast die ganze
Mongolei unter ihre Botmässigkeit gebracht hatten,*) liessen sie daselbst die
') Die heutiffe Mon|;olei erstreckt sich vom oberen Irtyscti im Westen bis zur Mantschurei
im Osten und von der sibirischen Grenze im Norden bis zur grossen Mauer und dem moha-
medanischeu Gebiete des Thiau-Schan im Süden. Im Bassin des Kuku-noor geht die südliche
Grenze in einem tief nach Süden vorspringenden Bogen über die grosse Mauer hinaus.
378 Jf^ie Mongolen.
feudalartige Organisation fortbestehen, brachten dieselbe jedoch in ein stren-
geres System, und indem sie den Fürsten volle Selbstständigkeit in der inne-
ren Verwaltung gewährten, unterwarfen sie dieselben doch auch einer strengen
Kontrole von Seiten der Regierung zu Peking. Hier vereinigen sich im
Ministerium der auswärtigen Angelegenheiten (Li-fan-juan) alle Geschäfte,
welche die Mongolei betreffen, und die wichtigeren werden zur Entscheidung
dem Bogdochan unterbreitet. In administrativer Hinsicht hat die Mongolei
eine militärisch-territoriale Organisation und wird in Lehen oder Fürstenthümer,
Aimake genannt, getheilt. Jedes Aimak besteht aus einem oder mehreren
Choschunen, d. i. Fahnen, die ihrerseits in Regimenter, Schwadronen und
Zehnersektionen eingetheilt sind.^) Sowohl die Aimake wie die Choschunen
werden erblich von Fürsten verwaltet, die sich als Vasallen des chinesischen
Bogdochans bekennen und nicht das Recht haben, mit Umgehung Peking's
irgend welche auswärtigen Verbindungen anzuknüpfen.
Die nächsten Gehilfen des Choschunfürsten in Sachen der, inneren Verwal-
tung sind die T ossalaktschen, deren Würde gleichfalls erblich ist; es giebt
deren in jedem Choschun einen, zwei oder vier. Der Choschunfürst ist zu-
gleich auch der Befehlshaber der Truppen seiner Fahne; als solcher hat er
zwei Gehilfen (Meiren-tschshangin), und in jedem Regiment befindet sich ein
Oberst (Tschshalin-tschshangin) und die Schwadronsführer (Ssomun-tschshan-
gin)2). An der Spitze aller Choschune eines Aimaks steht ein besonderer
Dsjan-dsjun aus einem mongolischen Fürstengeschlecht,
Die Choschunfürsten treten alljährlich. zu einer Versammlung (Tschulchan)
zusammen.'^) Der Präsident derselben wird aus der Zahl der Fürsten erwählt
und vom Bogdochan bestätigt. Auf diesen Provinzial-Landtagen werden jedoch
nur Angelegenheiten der inneren Verwaltung verhandelt und entschieden;
die Oberaufsicht über dieselben führen die Gouverneure der nächsten chine-
sischen Provinzen.'^)
Einige dem eigentlichen China benachbarte Provinzen der Mongolei sind
vollständig dem chinesischen Staatsmodell angepasst. Es sind dies das Ge-
biet Tschen-du-fu hinter der grossen Mauer, nördlich von Peking; das Aimak
') Die nördliche Mongolei, d. i. Chalcha, besteht aiis 4 Aimaken mit 86 Choschunen; die
innere und östliche mit Ordos umfasst 25 Aimake, die in 51 Choschune getheilt sind; das
Land der Zacharen zerfällt in 8 Fahnen; Ala-schan bildet ein Aimak mit 3 Choschunen; die
westliche Mongolei oder die sogenannte Dshungarei enthält 4 Aimake mit .32 Choschunen; da hier
die Zahl der Mongolen im Vergleiche zu der der chinesischen Eingewanderten unbedeutend ist,
wurde sie vor dem Dunganenaufstande in 7 Militärbezirke eingetheilt. Kuku-noor mit Zaidam
hat 5 Aimake mit 29 Choschunen; das Aimak der üränchen endlich wird in 17 Choschune
eingetheilt.
*) In jeder Schwadron befinden sich zwei Offiziere, sechs Unteroffiziere i^nd 150 Gemeine.
•'') Ausserdem werden auch ausserordentliche Landtage einberufen.
*) So hat z. B. der Gouverneur in Kuku-choto die Oberaufsicht über Ordos, das westliche
Tumyt und andere zunächst gelegene mongolische Aimake; dem Gouverneur der Stadt Ssining
(in der Provinz Gan-ssu) ist der ganze Distrikt des Kuku-noor mit Zaidam untergeordnet; der
Dsjan-dsjun von Uljassutai überwacht die beiden westlichen Aimake Vbn Chalcha u. s. w.
Die Mongolen. 379
der Zacharen nordwestlich von Kaigan und das Gebiet Gui-chuatschen (Kuku-
choto), welches noch weiter westlich an der nördlich gerichteten Biegung des
Gelben Flusses liegt. Ausserdem wurde, wie bereits bemerkt, die westliche
Mongolei (Dshungarei) vor dem Dunganenaufstande in sieben Militärbezirke
eingetheilt, ') die auf Grundlage einer besonderen Verordnung verwaltet wurden.
Die fürstliche Würde hat in der Mongolei sechs Grade, die in folgender
Ordnung abwärts gehen: Chan, Zin-wan, Zsjun-wan, Beile, Beise
undGun; ausserdem bestehen noch die regierenden Zsassak-taitsi.-) Die
meisten regierenden Fürsten leiten den Ursprung ihrer Geschlechter von
Tschingis-Chan her. Der fürstliche Titel vererbt sich auf den ältesten Sohn
aus legitimer Ehe, nachdem derselbe das 19. Lebensjahr erreicht hat, und
muss vom Bogdochan bestätigt werden. In Ermangelung eines legitimen
Sohnes kann der Fürst seinen Titel jedoch auch einem seiner unehelichen
Söhne oder dem nächsten Verwandten verleihen, es muss hierzu jedoch die
Genehmigung des Kaisers eingeholt werden. Die übrigen Kinder der Fürsten
gehören dem Stande der Adligen (TaitsiJ an, die ihrerseits in vier Klassen
zerfallen. In Folge dieser Sitte vermehrt sich zwar nicht die Zahl der Fürsten,
deren es im Ganzen ungefähr 200 giebt, dafür wächst aber die Zahl der Edel-
leute von Jahr zu Jahr.
Wie bereits bemerkt, haben die Fürsten gar keine politischen Rechte, sie
sind vielmehr vollständig abhängig von der Regierung zu Peking, die alle
ihre Handlungen scharf kontrolirt. Sie empfangen Alle Jahrgehalte vom
Bogdochan,^) von welchem auch ihre Erhebung in eine höhere Rang-
klasse abhängt. Einigen dieser Fürsten werden auch noch Prinzessinnen des
kaiserlichen Hauses zu Gattinnen gegeben,*) um durch derartige Verwandt-
schaftsbande die Botmässigkeit der Nomaden-Seigneurs zu befestigen. Jeder
Fürst ist verpflichtet, einmal in drei oder vier Jahren zum Neuen Jahre in
Peking zu erscheinen, um den Bogdochan zu beglückwünschen; bei dieser
Gelegenheit hat er in der Form eines Tributs Geschenke darzubringen, die
grösstentheils in Kameelen und Pferden bestehen. In Erwiederung derselben
empfängt er gleichfalls Geschenke (Silber, Seidenstoff, Anzüge, Mützen mit
Pfauenfedern etc.), die stets viel werthvoller als die von ihm dargebrachten
sind. Ueberhaupt erfordert der Besitz der Mongolei jährlich bedeutende Opfer
^) Zwei derselben (Urumzy und Barkul) gehörten zur Provinz Gan-ssu.
*) Das Wort „Zsassak' bezeichnet jeden regierenden Fürsten der Mongolei.
^) Der Fürst ersten Grades erhält jährlich 2000 Lan Silber und 25 Stück Seidenstoff.
„ „ zweiten , , , l'^OO , , „ 15 , «
, „ dritten „ „ „ 800 „ r> » 13 „ ,
, vierton „ „ „ 500 „ „ , 10 ,
„ fünften „ „ , 300 „ , , 9 ,
sechsten „ , , 200 , , . 7 ., „
Der Zsassak-taitsi ., , 100 , , . 4 .
♦) Diese Prinzessinnen empfangen gleichfalls bestimmte Jahrgehalte vom Hofe in Peking:
ihnen ist nur einmal in 10 Jahren nach Peking zu kommen gestattet.
380 Die Mongolen.
von Seiten China's,i) dafür sichert er das Reich der Mitte vor möglichen
Einfällen der unruhigen Nomaden.
Die Zahl der Bewohner der Mongolei ist nicht mit Genauigkeit fest-
gestellt. Joakinf giebt drei, Timkowski nur zwei Millionen an. Jedenfalls
ist die Bevölkerung im Verhältniss zum Areal äusserst unbedeutend, wie dies
beim Nomadenleben und bei der Unfruchtbarkeit des grössten Theiles der
mongolischen Ländereien nicht anders sein kann. Die Zunahme der Bevöl-
kerung ist aller Wahrscheinlichkeit nach eine sehr geringe, wozu die Ehe-
losigkeit der Lamen und verschiedene Krankheiten (Syphilis, Blattern, Ty-
phus etc.), die zuweilen unter den Nomaden herrschen, das Ihrige beitragen
mögen.
Die Fürsten, der Adel (Taitsi), die Geistlichkeit und das einfache Volk
bilden die Stände der mongolischen Bevölkerung. Die drei ersten Klassen
erfreuen sich aller Rechte ; das einfache Volk besteht aus halbfreien Menschen,
welche die Landessteuern zahlen und Kriegsdienste leisten müssen.
Die mongolischen Gesetze sind in einem besonderen Gesetzbuche ent-
halten, das von der chinesischen Regierung herausgegeben worden ist. Nach
diesem Codex haben sich die Fürsten in ihren Verwaltungsgeschäften zu
richten; minder wichtige Sachen werden stets der althergebrachten Sitte
gemäss entschieden. Das Strafsystem beruht auf Strafzahlungen; dann folgt
die Verbannung. Mord und grosse Diebstähle werden zuweilen mit dem Tode
bestraft. Die Körperstrafe besteht für das einfache Volk und auch für die
durch richterliches Erkenntniss degradirten Adligen und Beamten. Bestechung,
Bestechlichkeit und andere Missbräuche sind in der Administration sowohl
wie im Gerichtswesen bis zum äussersten Grade entwickelt.
Abgaben entrichtet das Volk nur seinen Fürsten und zwar vom Vieh;
in ausserordentlichen Fällen — z. B. bei der Reise des Fürsten nach Peking
oder zur Volksversammlung, bei der Verheirathung der Kinder desselben,
bei dem Wechsel der Lagerplätze u. dergl. m. — werden spezielle Beisteuern
erhoben. An China entrichten die Mongolen keine Abgaben, sie leisten
ihm eben nur Kriegsdienste, von denen jedoch die Geistlichkeit befreit ist.
Das Heer besteht ausschliesslich aus Reiterei. Je 150 Familien bilden
eine Schwadron,^) sechs dieser Schwadronen ein Regiment; die Regimenter
eines Choschuns heissen „Fahne". Die Bekleidung und das Pferd hat der
Mongole für eigene Rechnung zu beschaffen, die WajSen werden ihm vom
Staate geliefert.^) Bei einem vollen Aufgebote soll die Mongolei 284,000
Mann stellen, in der Wirklichkeit kommt aber kaum der zehnte Theil schnell
') Die Jahrgehalte der Fürsten betragen allein 1 20,000 Lan Silber und 3,500 Stück Seiden-
stoff jährlich.
*) Die Dienstpflicht erstreckt sich auf die Männer von 18 bis ßo Jahren; von drei Männern
einer Familie wird einer zum Dienst gestellt.
^) Die Bewaffnung ist äusserst mangelhaft; sie besteht aus langen Piken, Säbeln, Bögen
und Luntengewehren.
Die Tangiiten. 381
zusammen. Die Dsjan-dsjune der Aimake sind zwar verpflichtet, Musterungen
abzuhalten und sich von dem guten Zustande der Waffen zu überzeügeu, von
aHem dem kauft sich aber gewöhnlich das Choschun .durch Bestechung los.
Der faule Nomade zahlt lieber diese Loskaufssumme, als dass er die Mühen
des Dienstes übernähme. Der chinesischen Regierung ist diese Erscheinung
auch durchaus nicht unlieb, da sie beweist, dass der frühere kriegerische Sinn
der Mongolen mit jedem Jahre mehr und mehr erschlafft.
Die Tanguten.
Die Tanguten oder, wie die Chinesen sie nennen, Ssi-fan sind gleichen
Stammes mit den Tibetanern.^) Sie bewohnen das Gebirgsland Gan-ssu, die
Gegend westlich vom Kuku-noor, den östlichen Theil Zaidam"s, besonders
aber das Bassin des oberen Hoang-ho und erstrecken sich nach Süden bis
zum Blauen Flusse, vielleicht noch weiter. Diese Gegenden — mit Ausnahme
des Kuku-noor und Zaidam's — führen bei den Tanguten den allgemeinen
Namen Amdo und gelten als ihr Territorium, obgleich sie daselbst mit Chi-
neseu, zum Theil auch mit Mongolen vermischt leben.
In ihrem äusseren Typus unterscheiden sich die Tanguten scharf von
beiden und erinnern an die Zigeuner. Im Allgemeinen haben sie einen mitt-
leren, zum Theil sogar grossen Wuchs, untersetzten Körperbau und breite
Schultern. Haare, Augenbrauen und Barte sind bei allen ohne Ausnahme
schwarz; die Augen sind schwarz, gewöhnlich gross, oder doch von Mittel-
grösse, aber nicht eng geschlitzt, wie bei den Mongolen. Die Nase ist gerade,
zuweilen (nicht besonders selten) gebogen, oder aufgestülpt; die Lippen sind
gross und ziemlich oft aufgeworfen. Die Backenknochen stehen zwar auch
etwas hervor, aber nicht so stark, wie bei den Mongolen; das Gesicht ist im
Allgemeinen länglich, aber nicht flach, der Schädel rund; die Zähne sind
ausgezeichnet und weiss. Die allgemeine Hautfai-be ist braun, bei den Frauen
zuweilen matt. Letztere sind gewöhnlich von kleinerem Wüchse als die
Männer.
Im Gegensatze zu den Mongolen und Chinesen haben die Tanguteu
starken Bartwuchs, sie scheren aber die Barte beständig. Ebenso scheren
') Die Vorfalneu der jetzigeu Tibetaner waren Tanguten, die im 4. Jahrlnuidert vor Christi
Geburt vom Kuku-noor nach Tibet auswanderten, (Statistische Besehreibimg Chinas von Joa-
kiuf, Bd. II, S. 145}.
382 Die Tanguten.
sie das Haupthaar, von dem sie nur einen Zopf am Hinterhaupte stehen
lassen; die Lamen scheren, wie auch bei den Mongolen, den ganzen Kopf.
Die Frauen tragen lange Haare, die sie in der Mitte theilen und zu
beiden Seiten in kleine Zöpfe flechten, von denen 15 bis 20 auf jede Seite
kommen, und in welche zum Schmucke Perlen, Bänder und ähnliche Ver-
zierungen eingeflochten werden. Ausserdem schminken sich die Frauen das
Gesicht, zu welchem Zwecke sie chinesische Schminke, im Sommer aber
Erdbeeren verwenden, die im Ueberflusse in den Gebirgswäldern wachsen.
Uebrigens haben wir die Sitte des Schminkens nur in Gan-ssu bemerkt, aber
nicht am Kuku-noor und in Zaidam, wo vielleicht die dazu nothigen Ingre-
dienzien schwer zu erlangen sind.
So ist das Aeussere der Tanguten beschaffen, welche Gan-ssu bewohnen.
Ein anderer Zweig dieses Volkes sind die sogenannten Chara-Tanguten^).
Dieselben wohnen im Bassin des Kuku-noor, im östlichen Zaidam und am
oberen Laufe des Gelben Flusses und unterscheiden sich von ihren Stammes-
genossen durch einen grösseren Wuchs, durch dunklere Hautfarbe und am
schärfsten durch ihren räuberischen Charakter. Ausserdem tragen die Chara-
Tanguten keine Zöpfe, sondern scheren das ganze Haupt.
Die Erforschung der tangutischen Sprache bot uns ungeheure Schwierig-
keiten, einmal, weil wir keinen Dolmetscher hatten, dann aber auch wegen
des ausserordentlichen Misstrauens der Tanguten. Irgend ein Wort in Gegen-
wart des Sprechenden aufschreiben, hiess sich für immer die Möglichkeit ver-
schliessen, irgend etwas zu erfahren,- das Gerücht von einem solchen Falle
wäre über das ganze benachbarte Land geflogen und des Misstrauens dann
kein Ende mehr gewesen. Da mein kosakischer Dolmetscher, der ohnehin
ein schlechter Dragoman war, das Tangutische gar nicht kannte, konnten wir
uns durch ihn nur mit denjenigen Tanguten verständigen, welche die mon-
golische Sprache verstanden, und das traf sich äusserst selten.^) Viel eher
konnte man einen Mongolen finden, der das Tangutische verstand, und einen
solchen hatten wir denn auch wirklich während unseres Sommeraufenthalts
in den Gebirgen von Gan-ssu bei uns. Aber auch unter solchen Umständen
musste bei der Unterhaltung mit Tanguten jeder Satz richtig gehört und durch
zwei Personen einer dritten übersetzt werden, was selbstverständlich äusserst
ermüdend und unbequem war. Gewöhnlich sprach ich mit meinem Kosaken
russisch, er übersetzte das Gesagte dem Mongolen ins Mongolische und dieser
letztere dem Tanguten in seine Sprache. Wenn man hierbei noch die geistige
Beschränktheit unseres kosakischen Dolmetschers, die Einfalt des Mongolen
und das Misstrauen des Tanguten in Betracht zieht, wird man sich vorstellen
können, wie bequem es uns sein musste, linguistische Forschungen im Tan-
gutenlande zu machen. Nur bei einer besonders günstigen Gelegenheit, die
') D. i. schwarze Tanguten.
^) Chinesisch sprechen fast alle Tanguten in Gan-ssu.
Die Tanguten.
383
sich bei der Menge anderer Beschäftigungen nur zufällig darbieten konnte,
gelang es mir, mit einem Tanguten zu sprechen und verstohlener Weise einige
Wörter aufzuschreiben. Selbstverständlich konnte unter solchen Umständen
die Ausbeute an Wörtern einer den Europäern vollständig fremden Sprache
nur sehr dürftig sein.
Die Tanguten sprechen stets schnell und ihre Sprache wird, wie es
scheint, durch folgende Besonderheiten charakterisirt:
Durch einen Reichthum einsilbiger, abgebrochen ausgestossener Wörter;
z.B. tok (Blitz), tschssü (Wasser), rza (Gras), chzja (Haare);
Durch Zusammenstellung einer grossen Menge von Konsonanten; z.B.
mdsugöö (Finger), nämrzaa (Jahr), rdsäwaa (Monat), lamrton-lamä (Paradies).
Die Vokale am Ende der Wörter werden häufig gedehnt ausgesprochen:
ptschii (Maulesel), schaa (Fleisch); dsää (Thor), wöö (Ehemann), ssää (Hut);
zuweilen werden aber auch die Vokale in der Mitte der Wörter gedehnt:
ssäasüü (Land), döoa (Tabak).
Das n am Ende der Wörter wird gedehnt und mit dem Nasallaut — wie
das französische n — ausgesprochen: lun (Wind), schan (W^ld), ssübtschen
(Bach); das m am Ende wird kurz herausgestossen: lam (Weg), onäm (Donner).
Das g am Anfange der Wörter klingt wie h: goma (Milch); k erhält zu-
weilen noch einen Kehlhauch und klingt dann ein kch : kchika (der Gebirgs-
rücken), diidkchük (Tabaksbeutel); tsch wird zuweilen wie ztsch ausgesprochen:
ztschö (Hund); das r am Anfange der Wörter in Verbindung mit einem oder
mehreren Konsonanten ist kaum hörbar : rgänmu (Ehefrau), rmüchaa (Wolke).
Folgende tangutischen Wörter habe ich überhaupt aufzeichnen können:
Berg rii')
Gebirgsrücken . . . kchika
Fluss tschssü-tschen
Bach ssiib-tschen
See ZOO
Wasser tschssü
Gras rza
Wald schan
Baum schau-kyrü
Holz mii-schan
Feuer mii
Wolke rmüchaa
Regen zssär
Schnee kün
Donner onam
Blitz
Frost
Hitze
Wind
Weg
Theo
tok
chabssü
ilsättschige
lun
lam
dsää
Jurte kürr
Herd chzäktäb
Zelt rükärr
Milch göma
Butter marr
Fleisch schaa
Hammel lük
Bock ramä
Kuh ssok
Stier olunmu
1 Stier .... yak
jKuh .... udshö=)
Hund ztschö
Pferd rtaa
Esel onlö
Maulthier .... ptschii
Bär bssügdshet
Flussotter .... tschüchram
Wolf küadam
Fuchs gaa
Steppenfuchs . . . bee
Yak
') Die gedehnten Vokale sind doppelt geschrieben.
*) sh ist der Laut des französischen j.
384
Igel . . .
Fledermaus
Springhase
Hase . .
Hasenmaus
Maus . .
Murmelthier
Moschusthier
u- i, \ Bock
^''''^ } Kuh
Argali . .
Kameel . .
Filz . . .
Pelz . . .
Hut . . .
Sattel . .
Chalat') . .
Stiefel . .
Hemd . .
Pfeife . .
Feuerstahl .
Tabak . .
Hufeisen
Tabaksbeutel
Mann . .
Frau . . .
Kind . . .
Ehemann .
Ehefrau . .
Mensch . .
Kopf . . .
Auge . . .
Nase , . .
Stirn . . .
Ohren . .
Augenbrauen
Mund . .
Lippen . .
"Wangen
Gesicht . .
Haare . .
Schnurrbart
Backenbart
Bart . . .
Zähne , .
Zunge . .
Herz . . .
Blut . . .
Hals . . .
Eingeweide .
Brust . . .
Hände . .
Finger . .
Die Tanguten.
0
rgan Nägel zinmu
pänaa Rücken zänra
rchtilu Leib tschömbu
rügun Beine künaa
btschshaa, dshäksüm Fusssohle .... känti
charda Knie ormü
schoo Schienbein .... chzinar
laa Gott sschaa
Schaa? Engel tünba
imü Teufel dshee
rchän Paradies lämrton-lamä
namün Hölle uardu
dsügon Himmel nam
rzöcha Sonne nima
ssää Sterne ... . . . kärama
rtrga Mond däwa
loo Erde ssäasüü
cham Jahr nampzaa
zolin Monat rdsäwaa
tötchuu Woche nimaP-abdün
mizä Tag nima?
döoa Nacht nämgun
michzäk Gehen dshöo
düdkchük Stehen läniöt
chtscheibssa Essen tassa
jörchmät Trinken tun
Ssäsi Schlafen rnit
wöö Liegen nää
rgknmu Sitzen dök
mni Schreien küpsset
mni-gou Sprechen .... schöda
nik Beten schägamza
chnaa Sehen chzirkta
tombä Bringen zeraschok
rna Reiten dangdshö
dsüma Laufen dardshük
ka Er kan
tschöli Ist jöt
dsämba Ja rit
noo Nein mit
chzä 1 chzik
kobssü 2 ni
dsära 3 ssum
dsämki 4 bshö
ssoo 5 rna
chze 6 tschok
rchin ^ dün
tschak 8 dsät
chnä 9 rgü
dsünak 10 ...... zü-tambü
ptschan 11 zü-chzik
löchwa 12 zü-ni
mdsugüü 20 ni-tschi-tambü
') Orientalisch geschnittener Rock.
Die Tanguten.
600 .. .
. tschök-rdsä
700 .. .
. düu-rdsä
800 . .
. dsiit-nisii
900 . .
. rgü-rdsä
1,000 . .
. rtün-tyk-chzik
2,000 . .
. . rtün.tyk-ni
10,000 . .
. tschi-zok-chzik
20,000 . .
. . tschi-zok-ni
100,000 . .
. . biima
200,000 . .
. büma-ni
aoo.ooo . .
. . büma-ssum
) ,000,000 . .
. . ssiwa
10,000,000 . .
. . dünchyr
385
30 ssiim-tschi-tambä
40 bshöp-tschi-tambä
ftO riiop-tschi-tainbü
C<0 tschok-tschi-tainbä
70 dün-tschi-tambä
-SO dsüt-tschi-tambä
90 rgüp-tsclii-tambä
lt)0 rdsä-tambä
101 rdsä-ta-chzik
102 rdsä-ta-ni
200 ui-rdsä
300 ssiim-rdsä
400 bshö-rdsil
500 riiü-rdsä
Die Kleidung der Tanguten wird je nach dem Klima, das im Sommer
ausserordentlich feucht und im Winter kalt ist, aus Tuch oder aus Schaffellen
angefertigt. Die Sommcrkleidung der Männer sowohl wie der Frauen besteht
aus einem Chalat von grauem Tuche, der nur bis zum Knie reicht, chinesi-
schen oder eigen angefertigten Stiefeln und einem niedrigen, gewöhnlich
grauen Filzhute mit breitem Rande. Hemden und Beinkleider kennen die
Tanguten nicht, so dass sie selbst im Winter die Pelze auf dem nackten Leibe
tragen; die oberen Theile der Unterschenkel bleiben gewöhnlich unbedeckt.
Die Reichen tragen Chalate von blauer chinesischer Daba, was jedoch schon
für Luxus gehalten wird, und die Lamen haben, wie auch bei den Mongolen,
eine rothe, seltener eine gelbe Kleidung.
Im Allgemeinen ist die Kleidung der Tanguten weit ärmlicher, als die
der Mongolen, so dass ein seidener Chalat, wie man ihn in Chalcha häufig
sieht, im Tangutenlande eine Seltenheit ist, die nur au.snahmsweise vorkommt.
Welches aber auch sonst die Kleidung, welches auch die Jahreszeit sein
mag, der Tangute lässt beständig den rechten Aermel herabhängen, so dass
der Arm und ein Theil der Brust auf dieser Seite nackt bleiben; diese Ge-
wohnheit behält er selbst auf Reisen bei, wenn das Wetter es nur irgend
gestattet.
Tangutische Stutzer geben ihrer Kleidung oft eine Einfassung von Pauther-
fell, das sie aus Tibet erhalten, und tragen ausserdem im linken Ohr einen
grossen silberneu Ohrring mit einer rothen Granate. Dann sind der Feuer-
stahl und das Messer am Gürtel auf dem Rücken, Tabaksbeutel und Pfeife
an der linken Seite unerlässliche Bestandtheile des Kostüms jedes Tanguten.
Ausserdem tragen am Kuku-noor und Zaidam alle, ebenso wie die Mongolen,
noch lange, breite tibetanische Säbel im Gürtel. Das Eisen dieser Säbel
ist äusserst schlecht, obgleich der Preis derselben sehr hoch ist: man zahlt
drei oder vier Lan für die einfachste Klinge und gegen 15 Lan lür eine
besser gearbeitete.
Die Frauen haben, wie bereits erwähnt, dieselbe Kleidung wie die
Männer; nur bei grosser Toilette hängen sie über die Schultern noch breite
Handtücher, welche mit weissen kreisförmigen Verzierungen von einem Zoll
Zcitsi'brift für Ethnologie, .I;ilirgaiig ISi.'i. 27
386 I Die Tanguten,
im Durchmesser geschmückt sind. Diese Verzierungen werden aus Muscheln
angefertigt und eine von der anderen etwa zwei Zoll entfernt aufgenäht. Ausser-
dem bilden noch, ebenso wie bei den Mongolinnen, rothe Glasperlen den
wesentlichsten Bestandtheil des Schmuckes reicher Frauen.
Die allgemein übliche Wohnung des Tanguten ist ein schwarzes Zelt,
welches aus einem groben, siebartig dünnen Wollengewebe^) hergestellt wird.
Dasselbe ruht auf vier Pfählen, welche die Ecken bilden, und wird an den
Seiten vermittelst Schlingen bis zur Erde herabgezogen; in der Mitte des
fast flachen Obertheils befindet sich ein länglicher Ausschnitt von ungefähr
einem Fuss Breite, durch welchen der Rauch hinausgeht, und der bei Regen-
wetter und Nachts zugedeckt wird. Im Innern des Zeltes ist in der Mitte ein
Herd aus Lehm befindlich; an der dem Eingange gegenüber liegenden Seite
sind die Burchanen aufgestellt und an den Seiten die Lagerstätten der Be-
wohner selbst hergerichtet. Dieselben bestehen oft nur aus einem Arm voll
Reisig, das ohne Weiteres auf die vom Regen und von der Feuchtigkeit in
Schmutz verwandelte Erde geworfen wird.
Nur in dem waldreichen gebirgigen Gebiete Gan-ssu wird das schwarze
Zelt da, wo die Tanguten mit den Chinesen zusammen leben und sich gleich
diesen mit Ackerbau beschäftigen, zuweilen durch eine hölzerne Hütte (Fansa)
ersetzt. Diese Hütten erinnern in ihrer äusseren Form stark an die weiss-
russischen Rauchstuben, sind aber noch elender gebaut. Sie haben nie einen
hölzernen Fussboden und die Wände sind keine Balkengebinde, sondern be-
stehen aus unbehauenen Balken, die über einander gelegt und zwischen
denen die Zwischenräume mit Lehm verkittet werden. Das flache Dach be-
steht aus Streckbalken, auf welche Erde geschüttet wird; in der Mitte des
Daches ist eine Oefi'nung zum Hinauslassen des Rauches angebracht, die
auch die Stelle des Fensters vertritt.
Aber auch eine solche Wohnung ist unendlich komfortabel im Vergleich
zu dem schwarzen Zelte. In derselben ist der Tangute wenigstens gegen
die Unbill des Wetters geschützt, während er im schwarzen Zelte bald vom
Sommerregen durchnässt, bald von der Winterkälte heimgesucht wird. Man
kann ohne üebertreibuDg sagen, dass die Höhle des Murmelthiers, das neben
dem Tanguten lebt, zehnmal komfortabler ist, als die Wohnung dieses Menschen.
Dort hat das Thier wenigstens eine weiche Lagerstätte, der Tangute aber
begnügt sich in seinem schmutzigen Zelte mit einem Lager, das aus einem
Arm voll Reisig oder verfaulten Filzdecken besteht, die auf die feuchte, oft
nasse Erde geworfen werden.
Die llauptbeschüftiguug der Tanguten ist die Viehzucht, die ihnen alles
liefert, was ihrem überaus einfachen Leben nothwendig ist. Von Hausthieren
züchten die Tanguten ganz besonders Yaks und Hammel (ohne Fettschwänze);
Pferde und Kühe halten sie in geringerer Menge. Der Reichthum an Vieh
') Dieses Gewebe wird aus Vakwollc bereitet.
Die Tanguten. 387
ist im Allgemeinen sehr bedeutend, was sich freilich durch den Ueberfluss an
herrlichen Weiden auf den Gehir£;en von Gan-ssu und in den Steppen am
Kuku-noor leicht erklärt. An beiden Orten haben wir oft Heerden von
einigen Hunderten von Yaks und von einigen Tausenden von Hammeln, die
einem Eigenthümer gehörten, gesehen. Indessen leben die Besitzer solcher
Heerden in eben so schmutzigen schwarzen Zelten wie ihre ärmsten Stammes-
genossen. Es ist viel, wenn der reiche Tangute einen Chalat von Daba statt
des einfachen tuchenen anzieht und ein Stück Fleisch mehr isst, — in allem
Uebrigen unterscheidet sich sein Leben in keiner Weise von dem seiner
Dienstboten. Er ist eben so unreinlich wie diese, denn er wäscht sich nie.
Seine Kleidung wimmelt von Parasiten, die er, eben so wie der Mongole,
öffentlich vertilgt, ohne sich durch die Gegenwart irgend Jemandes ge-
niren zu lassen.
Das charakteristischste Thier des ganzen Landes und der unzertrennliche
Begleiter des Tanguien ist der langwollige Yak. Dieses Thier wird auch in
den Gebirgen von Ala-schan gezüchtet und in grosser Zahl von den Mon-
golen im nördlichen Theile von Chalcha, der reich an Gebirgen, Wasser und
guten Weiden ist, gehalten. Das Zusammentreffen dieser Bedingungen ist
nothwendig, denn der Yak gedeiht nur in gebirgigen und zugleich hoch über
das Meer sich erhebenden Gegenden. Wasser ist diesen Thieren ein noth-
wendiges Erforderniss; denn sie baden sich gern und schwimmen vorzüglich.
Mehrfach haben wir sie, selbst mit Lasten auf den Rücken, über den reissen-
den Tätung-gol schwimmen sehen. In Betreff der Grösse gleichen die Yaks
unserem gewöhnlichen Hornvieh, von Farbe sind sie schwarz oder bunt, d. h.
schwarz mit weissen Flecken; ganz weisse Yaks sind seifen. Ungeachtet
seiner uralten Sklaverei hat der Yak doch noch die ungestüme Weise des
wilden Thieres behalten; seine Bewegungen sind schnell und leicht; wenn er
gereizt ist, wird er dem Menschen durch seine Wildheit gefährlich.
Als Hausthier ist der Yak im höchsten Grade nützlich. Er giebt nicht
nur Wolle, vorzügliche Milch und gutes Fleisch, er wird auch zum Tragen
von Lasten gebraucht. Es erfordert allerdings grosse Geschicklichkeit und
Geduld, um einen Yak zu beladen, dafür geht er aber auch ganz ausge-
zeichnet mit einer Ladung von fünf oder sechs Pud über hohe und steile
Gebirge, oft auf den gefährlichsten Fusspfaden. Die Sicherheit und Festig-
keit des Trittes dieses Thieres sind erstaunlich ; der Yak haftet auf Felsvor-
sprüngen, auf welche keine wilde Ziege gelangen könnte. Da es im Tan-
gutenlande wenig Kameele giebt, sind die Yaks fast die ausschliesslichen Saum-
thiere, und mit ihnen werden grosse Transporte von dem Kuku-noor nach
Hlassa befördert.
Auf den Gebirgen von Gan-ssu weiden die Yakheerden fost ohne jede
Aufsicht; den ganzen Tag tummeln sie sich auf den Weideplätzen umher,
und zur Nacht werden sie an die Zelte ihrer Besitzer getrieben.
Die Milch der Yakkühe ist von vorzüglichem Geschmack und dick wie
27*
388 Die Tanguten.
Rahm; die aus derselben bereitete Butter ist gelb von Farbe und von viel
besserer Qualität als die Kuhbutter. Mit einem Worte, der Yak ist in jeder
Beziehung ein überaus nützliches Geschöpf, und man kann nur wünschen,
das dieses Thier in Sibirien und in denjenigen Theilen des europäischen
Russlands akklimatisirt würde, die ihm die nothwendigen Lebensbedingungen
gewähren, so z. B, im Ural und im Kaukasus. Es ist dies um so mehr zu
wünschen , als die Akklimatisation keine grossen Schwierigkeiten haben
würde. In ürga kann man so viel "Yaks, als man haben will, für 20 — 30
Rubel pro Stück kaufen, und ihr Transport nach dem europäischen Russland
würde nicht zu theuer zu stehen kommen.
Die Tanguten reiten sogar die Yaks. Zur Führung des Thieres beim
Reiten sowohl wie beim L&sttragen wird ihm ein grosser, dicker hölzerner
Ring durch die Nasenlöcher gezogen, an welchen ein Strick befestigt wird,
der als Zügel dient.
Man kreuzt die Yaks gern mit Hauskühen, und die Stiere der so ge-
wonnenen Mischlingsrace, die von den Mongolen und Tanguten Chainyk
genannt werden, sind viel stärker und ausdauernder beim Lasttragen und
W'erden daher auch höher geschätzt.
Ein kleiner Theil der uns zu Gesicht gekommenen Tanguten, der mit
Chinesen vermischt in der Umgegend von Tschöbsen lebt, beschäftigt sich
mit Ackerbau, aber ein sesshaftes Leben entspricht augenscheinlich nicht der
beweglichen Natur dieser Menschen; denn die ansässigen Tanguten beneiden
stets ihre nomadisirenden Stammesgenossen, die mit ihren Heerden von einem
Weideplatze zum anderen ziehen; dazu kommt, dass das Hirtenleben die
wenigsten Sorgen mit sich bringt, was bei dem trägen Charakter dieses Volks
durchaus nicht unwesentlich ist.
Auf ihren Weideplätzen vereinigen sich die Tanguten zu Partien von
mehreren Jurten; sehr selten lebt eine Familie allein, was bei den Mongolen
wieder oft der Fall ist. Im Allgemeinen bilden der Charakter und die Sitten
dieser beiden Völker einen vollständigen Gegensatz. Während der Mongole
ausschliesslich an der trockenen, unfruchtbaren Wüste hängt und die Feuch-
tigkeit mehr als alles andere Elend seiner Heimath fürchtet, isl der Tangute,
der ein an die Mongolei grenzendes, aber in seinem physischen Charakter
dieser ganz entgegengesetztes Land bewohnt, ein Mensch ganz anderen Schla-
ges geworden. Feuchtigkeit des Klimas, Gebirge, reiche Weiden — das ist's,
was den Tanguten anlockt; die Wüste hasst und fürchtet er wie seinen Tod-
feind. So sind auch die charakteristischen Thiere dieser Nomaden Völker :
das Karaeel des Mongolen ist nach seinen Eigenschaften das vierfüssige Eben-
bild seines Herrn, und der Yak vereinigt in nicht geringerem Grade die vor-
waltenden Eigenschaften der Tanguteu in sich.
In den waldigen Gebirgen von Gan-ssu beschäftigen sich einige — aller-
dings nur sehr wenige — Tauguten mit dem Schnitzen von hölzernen Geschirren:
Schalen zur iienutzung beim Essen und zur Aufbewahrung der Butter; letz-
tere wird übrigens meistentheils in Yak- oder Hammeldärmeu gehalten.
Die Tanguten, 389
Die mehr als jede andere entwickelte, man möchte sagen, einzige Be-
schäftigung der Tanguten ist das Spinnen der Wolle der Yaks (seltener der
Hammel), die zur Bereitung des Tuches dient, aus welchem die landesüblichen
Kleidungsstücke angefertigt werden. Das Spinnen wird sowohl zu Hause,
wie auf Reisen ausgeführt, und man bedient sich dazu eines 3 Ins 4 Fuss
langen Stockes, an dessen Spitze ein krummer Ast für die herabhängende
Spindel befestigt ist. Die Tanguten weben jedoch nicht selbst die von ihnen
gesponnene Wolle, sondern überlassen diese Arbeit den Chinesen. Eigen-
thümlich ist es, dass in Gan-ssu das Tucli beim Kaufe (wenigstens bei den
Tanguten) nach Armlängen gemessen wird, so dass die Grösse des Maasses
und somit auch der Preis von dem Wüchse des Käufers abhängt.
Die Wartung des Viehes ist die einzige Beschäftigung, welche die Tan-
guten, wenn auch in nicht zu beträchtlicher Weise, der absoluten Faulenzerei
entreisst, der sich diese Menschen ihr Leben lang hingeben. Während langer
Stunden sitzen Erwachsene und Kinder am Herde des Zeltes ohne jede Ar-
beit, nur Thee trinkend, der für die Tanguten ein eben so unumgängliches
Lebensbedürfniss ist, wie für die Mongolen Im Lande der Tanguten wird
jedoch der Ziegelthee, der hier in Folge der Dunganenunruhen sehr theuer
ist, durch die getrockneten Zwiebdbollen des gelben Lauches ersetzt, der auf
den Gebirgen im Ueberfluss wächst; dazu kommt noch ein anderes Kraut,
das getrocknet und wie Tabak gepresst wird. Dieser Thee wird besonders
stark in der Stadt Donkyr') fabrizirt, woher er auch unter dem Namen
„Donkyrscher Thee" bekannt ist. Das widerliche Dekokt dieses Zeuges, dem
die Tanguten noch Milch hinzufügen, wird in unglaublichen Mengen konsumirt.
Ganz wie bei den Mongolen kommt der Kessel mit Thee den ganzen Tag
über nicht vom Herde, und sicher w^ohl zehnmal täglich wird Thee getrunken;
jeder Gast wird unfehlbar damit bewirthet. Eine unerlässliche Zutliat zum
Thee ist die Dsamba, von der eine Handvoll in die halb mit Thee angefüllte
Trinkschale geschüttet und darin mit den Händen zu einem festen Teige ge-
knetet wird ; des Wohlgeschmacks wegen wird dann noch Butter und trockener
Käse (tschurma) hinzugesetzt. Diese letztere Beigabe ist indessen nur bei
den Wohlhabenderen üblich; die Armen begnügen sich mit Thee und Dsamba.
Dieses widerwärtige Gemenge bildet die Hauptnahrung der Tanguten, 2) die
überhaupt wenig Fleisch essen. Selbst der reiche Tangute, dessen Heerden
nach Tausenden von Köpfen zählen, schlachtet für sich sehr selten einen
Hammel oder Yak. Der Geiz und die Geldgier dieses Menschen sind so
gross, dass er sich das Stück Fleisch versagt, nur um einen Silberlan mehr
zu haben. Dafür verschmähen die Tanguten eben so wenig wie die Mongolen
gefallenes Vieh, und mit Genuss verschlingen sie jedes Aas.
Nächst dem Thee und der Dsamba essen die Tanguten am meisten
') Diese Stadt liegt 20 Werst west-nord-westlich von Sining.
') Eb^o wie auch die der Mongolen, die in Gan-ssu, am Kuku-uoor und in Zaidam leben.
390 Die Tanguten. .
„Taryk", d. i. aufgekochte sauer gewordene Milch, von der vorher der Rahm
zur Butter abgenommen worden. Dieser Taryk ist die beliebteste Milchspeise
der Tanguten, und man findet ihn in jedem Zelte. Ausserdem bereiten die
Reichen aus Käsequark mit Butter eine besondere Art von Käsen; dies wird
aber schon für einen grossen Luxus gehalten.
Die ünreinlichkeit der Tanguten in ihren Speisen und in allem Uebrigen
überschreitet alle Grenzen. Die Geschirre, in welchen sie die Speisen be-
reiten, werden niemals gewaschen; nur die Trinkschalen werden ausgeleckt
und in den Busen gesteckt, in dem allerlei Insekten uraherkriechen. Wenn
der Tangute diese eben geknickt hat, knetet er mit denselben ungewaschenen
Händen seinen Dsamba. Beim Melken der Kühe werden die Euter nie ge-
waschen; die Milch wird in ein unbeschreiblich schmutziges Gefäss gegossen,
und zum Buttern dient ein an einen Stock befestigtes feuchtes Stück Hammel-
feil, von dem mau nicht die Wolle entfernt und das im Kothe umher-
gewälzt ist.
Da sich die Tanguten bis auf sehr geringe Ausnahmen nicht selbst mit
Ackerbau beschäftigen, begeben sie sich zum Ankaufe von Dsamba und allem
anderen Nöthigen nach Donkyr, welches der wichtigste Handelsplatz dieses
Volkes ist. Hierher treiben sie das Vieh , bringen sie Felle und Wolle und
tauschen alles das gegen Dsamba, Tabak, Daba, chinesische Stiefel u. drgl. m.
ein, so dass der Handel in Donkyr hauptsächlich ein Tauschhandel ist. Auch
am Kuku-noor und in Zaidam wird der Preis der Waaien nicht nach Geldes-
werth, sondern nach der Zahl der zum Tausche nöthigen Hammel berechnet.
Wie in ihrem äusseren Typus, so unterscheiden sich die Tanguten auch
in ihrem Charakter von den Mongolen; sie sind kühner, energischer als diese;
ausserdem sind die Tanguten, besonders die vom Kuku-noor und aus Zaidam,
verständiger und überlegter, als die Mongolen; weit entfernt sind sie von der
Gastfreundschaft, die alle echten Mongolen in so hohem Grade auszeichnet;
dafür ist bei ihnen, besonders bei denen, die neben den Chinesen leben,
Gaunerei und Krämersinn im höchsten Grade entwickelt. Auch den gering-
sten Dienst leistet der Tangute nicht ohne Lohn; er bemüht sich vielmehr,
so viel Gewinn als nur irgend möglich, selbst von seinen -Stammesgenossen,
zu erlangen.
Wenn Tanguten sich begegnen, strecken sie einander zur Begrüssung
beide Arme horizontal entgegen und sagen „Aka-temu" , d. h. guten Tag.
Das Wort „Aka" heisst, wie auch das mongolische „Nochor", so viel wie
unser „Herr" oder „geehrter Herr" und wird im Umgange viel gebraucht.
Bei der ersten Bekanntschaft und überhaupt beim Besuche irgend Jemandes,
besonders einer angesehenen Person, schenken die Tanguten stets ein seidenes
Chadak. Durch die Qualität dieses letzteren wird bis zu einem gewissen
Grade die gegenseitige Stimmung zwischen Gast und Wirth bezeichnet.
Die Tanguten haben nur eine legitime Frau, halten sich ausserdem aber
Beischläferinnen. Die Frauen verrichten alle häuslichen Arbeiten <tünd sind,
Die Tanguten. 391
wie es scheint, im häuslichen Leben gleichberechtigt mit dem Manne. Merk-
würdiger Weise besteht bei den Tanguten die Sitte, fremde Frauen — natür-
lich mit deren Zustimmung — zu rauben. In einem solchen Falle gehört
die Frau dem Entführer, der dafür dem früheren Gatten eine Loskaufssumme
zahlt, die oft recht bedeutend ist.
Frauen sowohl wie Männer berechnen ihre Lebensjahre vom Tage der
Empfängniss an, so dass sie zur Zahl der durchlebten Jahre stets noch die
Zeit hinzurechnen, die sie im Mutterschoosse zugebracht haben.
Gleich den Mongolen sind die Tanguten eifrige Buddhisten und dabei
entsetzlich abergläubische Menschen. Allerlei Zauberei und Wahrsagung
trifft man bei diesem Volke neben den Prozessionen religiösen Charakters
bei jedem Schritte an. Glaubenseifrige Wallfahrer begeben sich jedes Jahr
nach Hlassa. Die Lamen stehen bei den Tanguten in hoher Achtung, ihr
Einfluss auf das Volk ist unbegrenzt. Nur die Klöster trifft man im Tan-
gutenlande seltener, als in der Mongolei, und die Gygen, deren es auch
hier ziemlich viele giebt, wohnen zuweilen mit einfachen Sterblichen in den
schwarzen Zelten zusammen. Die Leichen der gewöhnlichen Menschen werden
nicht beerdigt, sondern in den Wald oder die Steppe gebracht und den Geiern
und Wölfen zum Frasse überlassen.
Alle Tanguten stehen unter der Verwaltung eigener Beamten, die dem
chinesischen Gouverneur vou Gan-ssu untergeordnet sind. Dieser letztere
residirt in Sining; er hatte sich zwar, als die Insurgenten sich dieser Stadt
bemächtigt, nach Dshun-lin übersiedelt, aber nach Wiedereinnahme Sinings
durch die Chinesen im Jahr 1872 nach seiner alten Residenz begeben.
Die neuste, durch die deutsche anthropologische
Gesellschaft veranlasste Sagenbildung.
Eine anthropologisch-mythologische Studie von W. Schwartz.
Durch Vergleichung analoger, gleichzeitiger und naheliegender VerhäU-
nisse lernt man leicht fernerliegende verstehen. Von diesem Standpunkte aus
ist in dieser Zeitschrift die Besprechung der Sagenbilduug berechtigt, zu
welcher die deutsche anthropologische Gesellschaft unschuldiger Weise Ver-
anlassung gegeben, und welche die gebildete Welt im höchsten Grade über-
rascht hat, da letztere durch die Entwicklung der modernen Culturverhältnisse
zum Theil die Fühlung mit den volksthümlich unteren Schichten, selbst des
eigenen Volks verliert
392 W. Schwartz:
Auf Veranlassung jener Gesellschaft ordneten bekanntlich die Behörden
eine Aufnahme der Kinder in den Schulen in Rücksicht auf Hautfarbe, Haare
und Augen an, damit vielleicht aus den gewonnenen Resultaten Schlüsse auf
die Abstammungsverhältnisse der Bevölkerung gezogen werden könnten.
Daraufhin liefen in der Gegend von Danzig, Kulm und Thorn und dann auch
allgemein in der Provinz Posen nicht bloss bald allerhand wunderliche Ge-
rüchte unter dem Landvolke und allmählich auch in den Städten um, sondern
es kam auch vielfach zu halb ärgerlichen , halb komischen Auftritten. Die
wahnsinnigste Angst verbreitete sich unter den Eltern, als habe man mit ihren
Kindern etwas Besonderes vor; sie schickten sie entweder nicht nach der
Schule oder holten sie plötzlich in Masse unter Lärmen und Schreien mit
Gewalt "wieder fort, indem sie die Lehrer als Theilnehmer an dem beab-
sichtigten Verrath bezeichneten u. s. w. Ende Mai verbreitete sich das
Gerücht ziierst in der Olivaer Gegend von einem beabsichtigten Kinder-
Export nach Russlaud besonders in den niederen katholischen Schichten
der Bevölkerung. „In mehreren Ortschaften des Karthauser und Danziger
Kreises erschAenen", so lauteten die Nachrichten, „die Eltern mit verstörten
Mienen bei den Lehrern und fragten, ob es richtig sei, dass sämmtliche
katholische Kinder mit schwarzen Haaren und blauen Augen nach Russland
geschickt werden sollten".') Statt Russland trat dann „der Sultan" ein.
„Der König von Preussen", hiess es nämlich unter d. 3. Juli aus der Kulm-
Thorner Gegend, „habe an den türkischen Sultan im Kartenspiel 10,000 Kinder
verloren, und der Sultan habe nun Mohren hergeschickt, welche die Kinder
holen, sie namentlich bei der Rückkehr aus der Schule aufgreifen sollten;
die Lehrer begünstigten den Raub, denn ihnen würde für jedes Kind, welches
sie den Mohren in die Hände lieferten, der Preis von 5 Thlr, gezahlt".
Die Polizei musste verschiedentlich einschreiten, Lehrer selbst und Schul-
häuser in besonderen Schutz nehmen. Wie ein Lauffeuer verbreitete sich
nun dieselbe Geschichte unter einzelnen Nüancirungen mit demselben Erfolge
auch im Posenschen. Unter dem 16. Juli berichtete die Posener Ztg. aus
dem Krotoschiner Kreise: „das Gerücht der Kinderverschleppung hat auch
bei uns Eingang und leider bei einem grossen Theile der ungebildeten pol-
nischen Bevölkerung Glauben gefunden. Man erzählte sich da, dass der
König an den türkischen Sultan 40,000 blauäugige und blondhaarige Kinder
in den Kartßn verspielt habe und dass gestern die Aufgreifung erfolgen werde.
In Folge dessen waren in den Klassen der hiesigen katholischen Schule
Montags nur etwa 0^ der Kinder erschienen, bei welchen die Furcht gleichfalls
gross war". Dann kamen ähnliche Nachrichten aus dem Kreise Pleschen.
') „Ein Lehrer des Karthauser Kreises — dieser humoristische Zug sei nebenbei bemerkt, —
sagte den unwissenden Leuten zur Beruhigung, dass es nur auf die Kinder mit blauen Haaren
und grünen Augen abgesehen sei, was die Leute auch wirklich glaubten und wobei sie sich
dann beruhigten",
Die neuste Sagenbildung. 393
„In einem Dorfe Grudzielec hatten sich, hiess es, als der Kreisschulinspector
gerade zur Revision dort eintraf, und die Kinder dem Lehrer unter den Händen
durch Thüren und Fenster durchgeschlüpft waren, um einen Versteck in den
Kornfeldern und in den Gräben zu suchen, verschiedene Weiber und mit
Knitteln bewaffnete Männer vor der Schule eingefunden, um ihre Kinder /u
schützen". Dieselbe Scene wiederholte sich im Kreise Chodziesen. Von
allen Seiten liefen nun Alarmgerüchte ähnlicher Art ein. In Zduny hiess es,
„die Kinder seien au die Mohren nach Amerika verkauft und Lieferungs-
zeit und Lieferungszahl ganz genau abgemacht." Auch in der Stadt Posen
selbst gab es auf der Wallischei nach der Posener Zeitung vom 23. einen
Slrassenlärm deshalb, indem man in den „Mohren und Arabern", die im
Volksgarten daselbst auftraten, die Leute vermutliete, welche die Kinder auf-
greifen sollten. Aus Pinne berichtete dieselbe Zeitung vom 24. ejusd.:
„Auch in unserer Stadt und Umgegend verbreitete sich besonders vor-
gestern und gestern die alberne Mähr von der Kinderverschleppung nach
Russland und rief unter der polnischen Bevölkerung einen panischen
Schrecken hervor. So sah man vorgestern, am Sonntag, eine grosse Anzahl
von Landleuten, die in die Stadt gekommen waren, theils um ihre Andacht
zu verrichten, theils die üblichen Einkäufe zu machen, ihre Kinder mit einer
gewissen Aengstlichkeit an der Hand führen. Als man dieselben nach der Ur-
sache fragte, erklärten die bethörten Leute unter Thränen, dass ihnen in Bezug
auf die Kinder ein grosses Unglück bevorstehe. „Der deutsche Kaiser, so erzähl-
ten sie, habe dem Kaiser von Russland für dessen Friedensvermittlun-
gen in jüngster Zeit etliche tausend blauäugiger und blondhaariger Kinder
zugesagt. Zu dem Ende seien nun die Kinder dieser Tage seitens der Lehrer
hinsichtlich der Augen und Haare untersucht und die geeigneten zur Trans-
portirung nach dem gedachten Reiche notirt worden. Jeden Augenblick er-
warteten sie einen verdeckten Wagen, der die bezeichneten Kleinen hinweg-
führen solle. Damit solches nicht während ihrer Abwesenheit geschähe, hätten
sie die Kinder mitgenommen". Der ominöse Wagen spielte auch anderweitig
eine Rolle.
Die Sage verbreitete sich aber auch noch weiter. Aus dem Lauenbur-
gischen meldeten l. B. die Zeitungen, dass man d ort erzähle, „Fürst Bismark"
habe die Kinder verspielt, und an dem Tage, wo dieses geschrieben wird,
(1. 25. Juh, berichtet die „Post" von demselben Spuk aus Glatz. Ja selbst
über die preussisch-deutschen Grenzen hinaus wandert das Gerücht, ohne
dass dort das Substrat — die anthropologischen Tabellen — vorhanden. Dii*
Pos. Ztg. V. 21. Juli meldet aus Warschau: „Das alberne Gerücht von
der Kinderverschleppung in ferne Länder hat seinen Weg auch nach dem
Königreich Polen gefunden. In der Umgegend des Städtchens Dubno tauchte
unter der ländlichen Bevölkerung plötzlich das Gerücht auf, die russische
Regierung habe an einen Araberfürsten für eine grosse Summe 6000
hübsche junge Mädchen, lauter Blondinen, verkauft. Dies allgemein ge-
glaubte Gerücht erregte imter den ländlichen Schönen einen solchen Schrecken,
394 W. Schwartz:
dass sie, um der eingebildeten Gefahr zu entgehen, sich Hals über Kopf
verheiratheten, ohne ihre Neigung dabei zu Rathe zu ziehen".^)
Ich habe die obigen Anführungen etwas ausführlicher wiedergegeben,
nicht bloss um die Entwicklung der Sache in den verschiedenen Nüancirungen
hervortreten zu lassen, sondern auch damit sie von der Verbreitung derselben,
von dem Ernst, mit dem sie in den unteren Schichten der Bevölkerung ge-
glaubt, Zeugniss ablegen. Die Sache ist nämlich nicht bloss für die anthro-
pologische Wissenschaft in ihrem ziemlich klar zu legenden Entstehen höchst
interessant und lehrreich, sondern hat auch eine allgemeinere öfientliche Be-
deutung, indem sie die gebildete Welt daran erinnern kann, welche wunder-
liche Vorstellungen oft in den in ihrem Horizont und Wissen, so wie im
Denken und Empfinden beschränkten unteren Volksschichten herrschen, resp.
plötzlich geweckt werden können und namentlich durch die immer leicht er-
regbare Frauenwelt, wenn sie diese (resp. die Familie) besonders afficiren,
leicht zu allerhand wahnwitzigen Ausbrüchen führen können. Wie man der-
artiges besonders häufig bei Epidemien gesehen hat, wo von Brunnenvergif-
tung und dergl. gefabelt worden, so gehen immer im Volke eine Monge Vor-
stellungen um, mit denen die Leute sich die ihrem Verständniss ferner lie-
genden Welt- oder Culturereiguisse oft in der wunderbarsten Weise zurecht
legen. Ich habe gelegentlich aut politischem Gebiete derartige Beispiele aus
der Zeit des Grossen Kurfürsten bis zum letzten französischen Kriege ange-
führt^) und auf dem Gebiet ländlicher Kreise jene Eigenthümlichkeit selbst
bei dem Sammeln der Sagen und Gebräuche so recht in ihrer Naivität kennen
gelernt. Aber auch besonders in kleineren Städten latitirt genug der Art oder er-
erzeugt sich bei besonderem Anlass immer wieder und die Kinderwelt spielt oft
eine grössere Rolle dabei als man denkt. Ich hatte öfter Veranlassung zu beob-
achten, wie manche grausige Geschichte in diesen Kreisen entsprungen, dann
namentlich durch die Dienstboten in die Familien drang, und wenn auch all-
mählich so gewissermassen dann geläutert und modificirt, so doch schliesslich
ein ganzes Städtchen wenigstens momentan erfüllte. Die gebildetere Welt
streift dann bald freilich wieder derartiges ab, aber die Phantasie der Massen
hält es oft fest und spinnt es weiter aus. Der Aberglaube ist auch in dieser
Hinsicht zäh. Nicht bloss in andern Ländern, auch in Deutschland giebt es
noch Tausende und Abertausende, die an Tischrücken und Psychographen
fortglauben , ebenso wie einige Schichten in der Bevölkerung tiefer man die
Vorstellung eines Bündnisses der Freimaurer mit dem Teufel noch vielfach
') Wenn der Artikel hinzusetzt: »der Polizei gelang es, die Verbreiter dieses Gerüchts in
der Person des Bauern Siengcich Mosiejczak und des jüdischen Handelsmanns Jankel Moses zu
ermitteln und zur gerichtlichen Bestrafung zu ziehen", so wird damit die Bedeutung der Sache
in Betreff analoger Auffassung und Behandlung mit den übrigen Versionen der Sage nicht ab-
geschwächt.
*) W. Schwartz, Sagen und alte Geschichten der Mark Brandenburg. Berlin 1871. VIII.
cf. Bilder aus des Brandenb.-Preuss. Geschichte. Berlin 1875. p. 47.
Die neuste Sagenbildung. 395
festhält, meint, dass zu Johannis der „verrätherische" Bruder dem Tode ge-
weiht werde u. dergl. mehr. Es giebt in dieser Hinsicht die eigenthümlich-
sten epidemischen Krankheitserscheinungen. Aus Berlin kannte ich z. B. den
Glauben der Dienstmädchen, dass, wenn ihnen die Aerzte Kicinusöl ver-
schrieben, dies Menschen fett sei und deshalb so schlecht schmecke. Ge-
legentlich verbreitete sich dann auch das Gerücht, wenn eine besonders starke
Person aus den unteren Schichten starb, sie hätte sich noch bei Lebzeiten
den Apothekern zur Bereitung des Ricinusöls verkauft! — und eine der ersten.
Erzählungen, die mir bei meiner Uebersiedlung nach Posen meine jüngsten
Kinder aus der Schule mitbrachten, war „am Alten Markt sei eine alte dicke
Frau gestorben, die habe sich schon bei Lebzeiten den Apothekern verkauft;
u. 8. w." und ganz dieselbe Geschichte, derselbe Aberglaube zeigte sich hier.')
Doch kehren wir nach diesen Vorbemerkungen zur Behandlung der „Kinder-
verschleppungsgeschichte" zurück. Ich habe jene gemacht, um das Terrain
zu kennzeichnen, auf dem diese erwachsen ist. Von einer directen Erfindung
von ultramontaner Seite, um Aufregung hervorzurufen, worauf einzelne Bericht-
erstatter hindeuten, liegt für den, welcher sich mit derartigen Erscheinungen
beschäftigt, gar keine Nöthigung vor, abgesehen davon, dass immer noch zu
erklären bliebe, wie es gekommen, dass die Sache so allgemeinen Glauben
und schnelle Verbreitung erhalten hat. Mag auch von der erwähnten Seite
von den Geistlichen vielfach nicht rechtzeitig und energisch genug dem ent-
gegengetreten sein, das Ganze ist eine Erscheinung, die sich ähnlichen epi-
demischen innerhalb der unteren Bevölkerungsschichten zur Seite stellt und
als solche gefasst sein will.
Zwar wird man zugeben müssen, dass die ländlichen Kreise in den letz-
ten Jahren in vielfacher Weise überhaupt eine gewisse Aufregung erfahren
haben. Die tief einschneidenden Umwandlungen schon in Maass, Gewicht
und Geld, zu denen derjenige, dessen Horizont bloss sein Dorf und höchstens
die nächste Stadt umfasst, keine Veranlassung sah, auf der einen Seite, auf
der andern die Auseinandersetzung zwischen Staat und Kirche, müssen in
diesen Kreisen manches Kopfschütteln und die wunderbarsten Combinatiouen
erregt haben, wobei in letzterer Hinsicht der Parteistandpunkt der Geistlichen
namentlich auf katholischer Seite vielfach die Gemüther sicherlich noch mehr
beschwert hat. Das Volk liebt aber selbst, wie man schon auf allen Jahr-
märkten, wenn man will, erfahren kann, das Tragisch-grausige; Mordthateu
und dergl. schildern zu hören, ist' es unersättlich. Geheimnissvoll ahnend,
oft bangend schaut es in die Zukunft und sucht nach allerhand wunderbaren
Wahrzeichen. So versicherte mir einmal ein Fuhrmann, von seinem Pferde-
*) Die Eibisch- oder Altheesalbe heisst, wie ich zufällig höre, vielfach ihrer gelblichen, dem
Menschenfett ähnlichen Farbe halber beim Volke „Menschen- oder Armesündersalbe". Beim
Bicinusül hat vielleicht iler abscheuliche Geschmack die Vorstellung vermittelt, dies sei das
Menschenfett, von dem man also schon angeblich wusste, dass es' in der Apotheke verkauft
würde.
396 W. Schwartz:
Standpunkt aus die Welt betrachtend, ganz treuherzig, er hätte das Jahr 48
schon lange vorher kommen sehen. Als die Menschen angefangen, in den
40er Jahren Pferdefleisch zu essen, hätte er schon zu seiner Frau gesagt:
^Gieb Acht, Mutter, das ist ein Zeichen, dass die Welt aus den Fugen geht^
wenn so etwas geschieht". Ebenso fand man jüngst in Kreisen, wo die
Phantasie sich gerade auf Veranlassung verschiedener Predigten viel mit den
letzten Dingen beschäftigte, in dem Auftreten der Reblaus schon ein Wahr-
zeichen der nahenden Vernichtung nach Art der ägyptischen Landplagen!
Vergegenwärtigen wir uns nun solche einfachen, beschränkten Kreise,
denen nach verschiedenen Vorgängen jetzt zumal Alles fast möglich erschien,
die mit Misstrauen auf Alles sahen, was etwa noch kommen würde, so musste
in ihre Gemüths- und Verstandeswelt die bekannte anthropologische Aufnahme
wie eine Bombe fallen. Wozu wollte man wissen, ob ihre Kinder blaue
oder braune Augen, blonde oder braune Haare hatten? Wozu eine Aufnahme
der Kinder in dieser Hinsicht im ganzen Lande in besonderen Listen von
der Regierung veranstaltet? Da musste eine Teufelei dahinter stecken. Man
hatte etwas mit den Kindern vor, das war sicher, aber was? Welche Ana-
logien boten sich der aufgeregten und grübelnden, einander in Hypothesen
überbietenden Phantasie? Zunächst die Aufnahmelisten zur Aushebung für
das Militär?— Aber Kinder, Jungen und Mädchen, konnten dazu doch nicht
gebraucht werden, das musste anders zusammenhängen. Und nun waren aus
jenen Gegenden die Mennoniten ausgewandert nach Russland, Andere nach
Amerika, denen es zum Theil gar schlecht gegangen und die theilweise zurück-
gekehrt. Damit vermittelte sich die Vorstellung von Verkauftgewesensein
durch Agenten und dergl. mehr. So schoben sich leicht die unklaren und
verwirrten Bilder in Gegenden zumal, wo bei den früheren Zuständen der
Leibeigenschaft der Einzelne oft als Waare von einem Herrn zum andern
gewandert war, (was sich dunkel in der Tradition erhalten, besonders da im
angrenzenden Russland ähnliches bis in die neusten Zeiten bestanden hatte,)
zumal bei einer Bevölkerung, die vielfach mit dem Misstrauen erfüllt wor-
den, als wollte man ihnen ihre Kirche nehmen, in den Schulen ihre Kinder
in einem andern Glauben erziehen, zu der tollen Vorstellung zusammen, da
stecke ein Handel dahinter, der ihren Kindern gelte. Die Aufnahme der
Augen und Haare hätte entschieden die Bedeutung, dass von einer bestimmten
Art welche geliefert werden sollten.
Besonders interessant sind nun die Nüancirungen in dem Weiteraus-
spinnen dieser Ansicht in sagenhafter Form. Die Einen meinten also, „nach
Amerika" würden die Kinder verkauft, die Anderen „nach Russland" (wie
die Mennoniten, denn dass die freiwillig ausgewandert, wussten nur die Näher-
stehenden) und wesshalb verkauft? zum Dank dafür, „dass der Kaiser von
Russland den Frieden vermittelt!" Wenn diejenigen, die dies meinten, schon
vom Zeitungslesen etwas profitirt hatten, so war die andere Version „im
Kartenspiel verloren" acht bäurischj denn dem Bauer käme es oft unter Um-
Die neuste Sagenbildung. 397
ständen auch nicht darauf an, Alles zu verspielen, was er hätte. Und wie
oft hört er in den östlichen Gegenden nicht von grossen Herren sagen,
„der oder der hat sein Gut verspielt" , was er dann buchstäblich nimmt, so
dass ihm eine solche Vorstellung ganz mundgerecht ist. War es nicht der
König seilest gewesen, der sich auf das verhängnissvolle Kartenspiel ein-
gelassen, dann musste es Bismark sein, der ül)erall seine Hand jetzt in
der Welt im Spiele hat. Das ist ganz etwas Analoges, wie wenn jener Rup-
pinsche Bürger dem alten Fritz erzählte, die Schlacht von Fehrbellin sei
daher gekommen : „der grosse Kurfürst und der König von Schweden hätten
zusammen in Leiden studirt und sich da erzürnt. Und das sei nun die Pike
davon gewesen". i)
Wenn jenes die eine Art Version der Sage war, welche sich gebildet
hatte und die man sich zuerst geheimnissvoll, dann immer lauter zuflüsterte,
so bekam plötzlich die Sache nicht bloss eine neue Wendung, sondern eine,
jeden Zweifel bannende Bestätigung. Zufällig durchzog nämlich, als sich jene
Sage anfing zu bilden, eine Gesellschaft von Mohren und Arabern die Pro-
vinz mit ihrem Wagen und gaben überall ihre Vorstellungen. Nun war es
richtig. Die kamen, um die Kinder aufzugreifen, wie man sonst den Zigeu-
nern und Kunstreitern dergleichen nachgesagt hat und immer gelegentlich es
noch wieder auftaucht; und an den Sultan sollten sie geliefert werden, wo
dann, wie im Warschauischen, die Vorstellung vom Harem bestimmter oder
unbestimmter hineinspielte.' Die Posener Ztg. vom 23. Juni spricht dies zu-
nächst allerdings nur für die Stadt Posen ausdrücklich aus, wenn sie berichtet:
„Die Mohren und Araber, welche gegenwärtig im Volksgarten auftreten, und
auch wohl sonst mehrfach in der Stadt gesehen worden sind, haben hier zum
Auftauchen desselben albernen Gerüchts der Kinderwegschleppung, welches in
den kleineren Städten und Ortschaften der Provinz seit Wochen kursirt, Veran-
lassung gegeben. Mit Blitzesschnelle hatte sich unter den polnischen Weibern
der niederen Schichten das Gerede verbreitet, es seien die Mohren, welche
die Kinder wegschleppen sollten, Sultan und Kaiser hätten mit einander ge-
spielt und letzterer hierbei 4Ü0 Kinder (bei der Zahl dachte man nur an die
Stadt) verloren; es wüi'den diejenigen genommen werden, welche vor einigen
Wochen bei Feststellung der Farbe von Augen, Haaren u. s. w. besonders
aufgezeichnet seien".
Wenn man es schliesslich vielleicht auffällig tindet, dass der Sultan hin-
eingezogen, so liegt einmal der Türk und der Sultan da weit hinten dem
Mohrenlande zu, wenn auch nebelhaft, im Horizont des Volkes, und was die
geographischen Begritt'e überhaupt anbetriöt, so hat das Volk in dieser Hin-
siclit, trotz aller Elcmantarschuleu, die curiosesten Vorstellungen, oft gerade
auch durch dieselben, indem der Einzelne das Gehörte in seiner Weise sich
zurecht legt. So sagte mir einmal ein sonst sehr verständiger Bauer in
Boitzenburg, als er Kuhn und mich bei einer Sagenwanderung, die uns nach
c. 3 Jahren wieder nach Boitzenburg führte, wiedertraf und erkannte: „Ich
») Cf. S. 394 Anm. 2.
398 W. Schwartz :
habe Sie gleich wiedet-erkaunt und dem Wirth gesagt: das sind die Herren,
die die Welt herumreisen und hören, was sie überall für Sprachen'
sprechen und Geschichten erzählen, das ist nun 3 Jahre her, jetzt kommen
sie wieder herum". Er hatte also in seiner Schule gelernt, drei Jahre brauche
man zu einer Reise um die Welt, und meinte nun in seiner naiven Weise,
als er uns nach 3 Jahren wiedersah, wir wären inzwischen um die Welt herum
gewandert und kämen so wieder nach Boitzenburg.
Ueberblicken wir nun die geM'onnenen Resultate, so sehen wir also aus
verschiedenen Umständen, die das Volk sich nicht richtig erklären kann, sie
sjch aber in seiner Fa^on zurechtzulegen versucht, plötzlich ganz naturwüchsig
eine derartige unserm öffentlichen Leben contrastirende Sage entstehen und
sich über einen ganzen Landstrich, wo sie Anknüpfungspunkte vorfindet, ver-
breiten und überall den Umständen gemäss sich nüanciren.
Gerade so oder in ähnlicher Weise haben frühere Generationen sich vor
Tausenden und Abertausenden von Jahren die Wundererscheinungen des Himmels
und der sie umgebenden Welt, die sie nicht verstanden, ihrem Horizont und
Begriffsvermögen entsprechend zurechtzulegen versucht und so die Sagenmassen
und Mythen geschaffen, innerhalb deren allmählich die Naturreligionen gekeimt.
Wenn bei dieser Parallele nur das Substrat verschieden ist; hier der Wunder-
bau der Welt, dort ein anscheinend räthselhaftes, von der anthropologischen
Gesellschaft ausgehendes Factum den mythenbildenden Trieb geweckt hat,
so ist der Prozess schliesslich derselbe. *
Wie diese Sagenbildung sich aber gruppenweise je nach verschiedenen
Centren gleichsam zu entfalten angefangen, hier der König, dort Bismark,
dann das Hineinspielen von Amerika oder Russland oder des Sultans mit den
Mohren die Sache zu nüanciren angefangen und die Möglichkeit der ver-
schiedensten Weiterentwicklung geboten hat, so nehmen wir auch in den
mythischen Massen eine mannigfache Entwicklung derselben mythischen Sub-
strate je nach den verschiedenen Volkskreisen wahi', dass sie oft schliesslich
ganz aus einander zu gehen, nichts Gemeinsames mehr zu haben scheinen.
So sind z. B. in der griechischen Mythologie die Drachensagen, nämlich die
Sagen vom Kampfe eines Herakles, Perseus, Bellerophon u. s. w. mit einem
Drachen sämmtlich nur locale Spielarten desselben Mythos, der innerhalb der
Götterwelt sich dann an Zeus und Typlion, sowie an Apollo und Python
knüpft.^) Ebenso zeigt uns die deutsche Sage vom Hackelberg, Förster Berend
u. s. w. ja die Sagen vom wilden Jäger überhaupt, nur mannigfache Spiel-
arten desselben Mythos. Auf die Anfänge derartiger Centren auch bei der
Sagenbildung, mit der wir uns eben beschäftigt haben, wollte ich der Verglei-
chung und des Verständnisses mythologischer Bildung halber, namentlich auch
innerhalb des classischen Gebietes, noch zum Schluss hingewiesen haben,
denn wenn man nicht diesen Fäden und den damit sich dann verschlingenden
') Cf. Schwartz, Ursprung der Mythologie, Berlin 1860, „das Kapitel von den Schlangen
nnd Drachengottbeiten",
Die neuste Sagenbildung. 399
der localen Culte und deren Peripherien nachgeht und das Gewebe blosslegt,
-wird man nicht zum richtigen Yerständniss der Volksmythologien und der
dadurch mit begründeten Phasen in der Gesammtentwicklung des Glaubens
der Menschheit gelangen.
Posen, den '25. Juli 1875. W. Schwartz.
Erzählnngen im Astor-Tlial, Kashmir.
Von Colonel Lyttelton Aunesley, 1874 gesammelt.
Vor vielen Jahren verwundete ein Jäger aus dem Dorfe Tusching, wel-
ches am Fusse des Diamir (Dayarmar) oder Manga Purbat (26(529' engl.) liegt,
ein grosses Markhur (wildes Schaf) auf dem Abhänge des Berges. Das Thier
zog sich eilig in die Felsen an der Schneegrenze zurück. Sein Wild ver-
folgend, kletterte der Jäger höher und höher, bis er plötzlich an eine den
Blicken bisher verborgene offene Stelle kam, die sich zwischen dem höchsten
und zweithöchsten Gipfel ausdehnte. Inmitten dieser Ebene gewahrte er eine
Stadt mit Mauern und Zinnen und eine Barg; ein alter Baum stand in der
Nähe des Stadtthors. Ueber den unerwaiteten Anblick erstaunt, ging der Jäger
auf die Stadt zu, und sah, als er an den Baum kam, eine grosse Menge
Perlen und Korallen am Boden liegen. In aller Stille füllte er damit seinen
Sack bis an den Rand und machte sich schleunig auf den Rückweg, damit
ihm die Leute der Stadt nicht folgen und seine Beute abnehmen möchten.
Als er die Ebene bereits hinter sich hutte und am Abhang hinabstieg, hörte
er plötzlich Geräusch wie Zischen hinter sich und erblickte, als er sich um-
wandte, eine grosse Anzahl Schlangen, die ihn verfolgten. Er lief, so schnell
er konnte, die Schlangen aber folgten ihm. Endlich warf er, da ihm der
Sack zu schwer wurde, einen Theil der Perlen und Korallen fort, und sah
zu seinem Erstaunen, daes jede Perle und Koralle von einer Schlange auf-
gerafft wurde, die damit forteilte. Er schüttelte nun den ganzen Sack aus,
und zu seinem Tröste verschwanden alle Schlangen bis auf eine, die ihn
hartnäckig bis an den Fuss des Berges verfolgte. Dort machte sie Halt;
der Jäger zog sich in sein Haus zurück. Mitten in der Nacht hört er
draussen lautes Zischen und gewahrt, als er an die Thür tritt, eine jener
Schlangen, Ueberzeugt, dass eine der Perlen oder Korallen in seinem Sacke
zurückgeblieben sein müsse, schüttelte er ihn aufs neue; und siehe, es fiel
eine Koralle heraus, mit der die Schlange davoneilte. Der Manu legte sich
400 Annesley: Erzählungen im Astor-Thal.
wieder in sein Bett, stand aber nicht mehr auf. Er starb nach wenigen
Tagen. [Dieselbe Erzählung findet sich mit geringen Abweichungen in Leit-
ner's Dardestan III. pg. 4.J
Die Bewohner von Tushing (s. o.) versichern, dass sie die Berggeister
(des Nanga Parbali) klagen hören, wenn eine vornehme Person dem Tode
nahe ist.
Sie behaupten, dass es unmöglich sei, Hühner in Tusching zu halten,
da die Parizäd (Feen) sie nicht leiden mögen, und deshalb die Eier ver-
nichten, und dass alle nach Tusching gel)rachte Hühner ohne Ausnahme als-
bald sterben.
Zwischen dem höchsten und zweithöchsten Gipfel des Nangaparbat sollen
die Feen (Parizäd) von Pari (Peri, Fee) einen Maidan (ebenen Platz) haben
und eine Festung. In früheren Zeiten sollen die Feen nach Tusching herunter-
gekommen sein, um dort auf dem Rasen zu tanzen. Seitdem aber die Truppen
des Maharaj (von Kashmir) und so viele andre Leute ins Land gekommen,
haben sie ihre Besuche eingestellt. Viele Leute haben die Feen gesehen,
Alle aber haben darüber den Verstand verloren (be-bosch d. h. von Sinnen).
Einige Leute versichern, dass die Feen seit der Besitznahme von Astor
den Nanga-Parbat gänzlich verlassen haben.
Hinter dem Dorfe Astor erhebt sich der schöne Kegelberg Keinion, von
dessen Gipfel nach Versicherung des Bakshi Sahib (Gouverneur von Astor)
die Sterne so gross wie Monde erscheinen; so hoch ist der Berg.
Die wenigen von Colonel Annesley aus Astor mitgebrachten Gegenstände
sind im Kataloge verzeichnet und mit den Kashmir.sachen verpackt. Es war
sehr schwer sie zu erlangen; die AVeiberkappe wurde auf Dringen des Dorf-
ältesten unter Heulen und Weinen abgetreten. Für Geld waren die Leute
sehr unempfänglich: „Gott hat uns zu Essen und Trinken gegeben; was soll
uns Gold?«
Zum Frspruiig der Gebräuche der Urzeit.
Miscelle von W. Schwartz.
Wenn die Analogie in den auf Naturanschauung beruhenden mytho-
logischen Gebilden eine grosse Rolle spielt, so spielt die Nachahmung eine
nicht geringere in den Gebräuchen; sie gab dem menschlichen Leben
vielfach die ersten Formen. Gleich wie das Kind den Eltern nachahmt,
jedes Geschlecht überhaupt von dem ihm vorangehenden auf diesem Wege
die Formen des Lebens empfängt und sie erst allmählich seiner eigenthüm-
lichen Entwicklung entsprechend ummodelt, so war es auch in der Urzeit,
nur dass diese mehr die Formen von aussen her nahm, indem sie in der
umgebenden Natur das Vorbild fand, welches sie nachahmte. Ich habe schon
verschiedentlich auf diese merkwürdige Erscheinung hingewiesen, der eine
unendliche Fülle von (sonst ganz unverständlichen) Gebräuchen bei allen
Völkern ihren Ursprung verdankt, abgesehen natürlich von denen, die aus
realen Verhältnissen entstatiden sind.
Wenn man Gräber oder Leichname, die man fand, mit Steinen, Zweigen
und dergl. bedeckte, so hatte dies einen realen Grund, es geschah zunächst,
um jene gegen die wilden Thiere zu schützen.^) Wenn aber tuscischer
Gebrauch das Rollen von Steinen bei eintretender Dürre, um Regen herbei-
zulocken, gebot (das sogen, aquaelicium) , so war dies eine Nachahmung
des Rollens des dem Regen vorangehenden oder ihn begleitenden Donners,
in dem man ein ähnliches Hantieren mit Steinen erblickte. 2) Wie man dort
oben beides verbunden wähnte, aus dem äusseren Nebeneinander sich einen
Causalnexus construirte,'^) so glaubte man hier unten Aehnliches reproduciren
zu können. Die Ideenassociation war dieselbe wie bei jenen Negern, die,
weil Barth beim Regen den Schirm aufspannte, von ihm dann, als Dürre ein-
trat, verlangten, er solle Regen machen, indem sie meinten, dieser würde
kommen, wenn er den Schirm aufspanne.
In den primitivsten Lebensverhältnissen tritt die erwähnte culturhistorischc
Erscheinung, oft mit den wunderlichsten Gebräuchen, am umfangreichsten
hervor, aber sie l)egleitet die Völker auch noch lange durch die entwickelteren
Stufen. Sind so zunächst viele Gebräuche zu erklären, die sich z. B. auf
den Schutz des Hauses,*) das erste Austreiben des Viehs im Frühjahr,*) das
') cf. meine Abhandlung m der Berliner Zeitschrift f. Gymnasialwesen Jahrg. 1866 p. 796,
») Urspr. d. Myth. p. 86.
3) cf. auch Fritz Schnitze. Der Fetischismus. 1871. p. 79 sqq.
*) cf. z. B. Urspr. p. 169. Anm.
*) Der heutige Volksglaube u. s. w. II. AuH, p. 127 ff. cf. Kuhn, d. Herabkunft d. Feuers
u. s. w. p- 189. ,
Zeitachrift für Ethnologie, Jahrgang 1875, 28
402 ^- Schwartz:
Brauen von Getränken i) und ähnliche Verhältnisse beziehen, so tritt uns das-
selbe Princip entgegen bei griechischen oder römischen Hochzeitsgebräuchen^)
oder auf anderem Gebiete, auf dem des öffentlichen Lebens, wenn z.B. der
Römer den Krieg dann nur für rite erklärt wähnte, sobald der Fetiale die mit
Eisen beschlagene oder blutige, an der Spitze aber versengte Lanze oder Fackel
ins feindliche Land geschleudert hatte, gerade wie der Kampf im Unwetter
dort oben durch das Schleudern der blutig rothen oder feurigen Blitzeslanze
resp. Fackel eröffnet zu werden schien. 3) Auch als die Mythologien reicher
sich entwickelten, setzt sich in den Festgebräuchen der Culte die Sache fort.
Ein einfaches Beispiel führt Plut. de Iside c 19 an, wenn er sagt: ylsystaL
ÖE OTi nolhüv (.lETazid^E^ievcov asl n^og ' ^qov xal rj nallaT^r] tov Tvcpiovog
arpixsTo Qnut]Qig- ocpig ös rig iniöiwxcov avzrjv vnh ztov tteqI tov 'Q()nv
xaiexonrj xal vvv diä tovzo G%oi,viov zl nQißalövrsg elg f-tsaai^ xara-
xn movaiv. Wie mau hier den himmlischen Vorgang im Cult des Gottes
einfach nachahmte, so waren die mimischen Darstellungen mythischer Scenen,
welche sich an die Feste vieler Gottheiten anschlössen, schliesslich auch
nichts Anderes.
Wenn sich aber in letzteren die religiöse Bedeutung immer mehr ab-
schwächte, und sie allmählich in das Gebiet der Kunst übergingen, so tritt
jene bei den Gebräuchen, die sich auf die einfachsten Lebensverhältnisse be-
zogen, in um so grösserer Wichtigkeit hervor. Die Urzeit fand so für
Vieles, was noch der Gestaltung entbehrte, eine bestimmte
Form, die meist dort oben am Himmel hervortretend, einen,
wenn auch unbekannten Grund zu haben und deshalb heilsam
und nachahmungswürdig zu sein schien, so dass man sich ihr
ans chloss.
Man hat dies von mir im Urspr. der Myth. aufgestellte Prinzip theils
verkannt (z. B. Rückert in seiner griechischen Mythologie), theils wird es
immer noch zu wenig beachtet, und doch ist es für die Culturgeschichte
gerade der Urzeit höchst wichtig und überall liegen in den Gebräuchen, die
ich im Urspr. der Myth. und in den Naturanschauungen u. s. w., so wie
Kuhn und Mannhardt in ihren Werken behandelt haben, die augenschein-
lichsten Beispiele vor*). In dem Artikel, der in dieser Zeitschrift über den
Sonnenphallos handelt, hatte ich auch wieder Gelegenheit darauf hinzuweisen,
wie der Gebrauch der Gallen, sich zu entmannen, auch nur eine Nacliahmung
der im Gewitter geglaubten Entmannung des Sonnen wesens sei, welcher man in
der Extase meinte folgen zu müssen. Inzwischen habe ich in Steller's Reisen
in Sibirien v. J. 1774 zwei Facta gefunden, von denen das eine die aufge-
') cf. d. erwähnte Abhandig. in d. Berliner Gymn. Zeitschrift.
2) Böttiger. Ideen zur Kunstmythologie II 252 sqq. sowie Urspr. d. Myth. p. 24.
') Poet. Nyturansch. u. s. w. p. 200.
*) cf. u. A. auch Landsteiner, die Reste des Heidenthums in Nieder-Oestreich. Krems
1869. p. 2.
Zum Ursprung der Gebräuche der Urzeit. 403
stellte Theorie an einem einfachen Beispiele wieder glänzend bestätigt, das
zweite die Grenze der behaupteten Einwirkungen auf die Gestaltung der
Lebensweise der Menschen in dieser Hinsicht nicht bloss auf die Vorgänge
beschränkt, die man am Himmel wahrzunehmen glaubte, sondern jene noch
viel weiter zieht.
Steller sagt p. 63: „Den Hagel erklären die Kamtschadalen ebenmässig,
dass es der Urin von Billutschei (dem Himmelsgotte) wäre; wenn er aber
genug uriniret, so ziehe er ein ganz neues Kuklanke oder Kleid von
Rospomak-Fellen, wie ein Sack gemacht, an; weil nun an diesem Staatskleid
Franzen von roth gefärbten Seehundhaaren und allerhand bunten Ri emiein
Leder, so glauben sie sicherlich, sie sähen selbes in der Luft unter der Ge-
stalt des Regenbogens. Die Natur nun in dieser Farbenschönheit zu
imitiren, ziehen sie ihre Kukhmken mit eben dergleichen bunten Haaren
aus, welche Mode also aus der kamtscliada li seh en Physik und
dem Regenbogen seinen Ursprung". Dasselbe wiederholt Steller
p. 304 im Kapitel von der Kleidung. „Zwischen den Lederstreifen ihrer
Kleidung unten nähen sie Büschlein rothgefärbter Seehundshaare, und
halten sie dafür, dass der Beherrscher des Himmels eben einen solchen Saum
oder Borte an seinem Kleide trage, welches der Regenbogen sei, welchen
sie hierin imitiren wollen."
Wenn hier das behauptete Gesetz bei der Kleidung hervortritt, so er-
scheint es in einem andern Punkte noch überraschender, sowohl der Verhält-
nisse halber, woher die Parallele genommen, als vor Allem wegen der Sache,
der es den Stempel aufgedrückt hat. Um letzteres noch mehr in seiner Be-
deutung hervortreten zu lassen, schicke ich Steller's Charakteristik des betr.
Volkes voraus (p. 245). „Sie halten nichts für eine Schande und Sünde, als
was ihnen Schaden bringt; und kann mau an der Simplicität dieser Völker
recht deutlich sehen, wie ein jeder Mensch, so in der natürlichen Freiheit
lebet, nach seinem Temperament, ohne einige Cultivirung des Gemüths und
Sittenlehre, beschaffen sein müsse. Man suchet die Zufriedenheit in anima-
lischen Ergötzungen der äussern Dinge. Man will gut essen und trinken,
wohl schlafen, öfters Stelle und Personen verändern, um nicht verdriesslich
zu werden; man suchet öftern und differenten Beischlaf, phantasirt wollüstig
u. s. w., fliehet nur den Schaden und Verdruss u. s. w." Von diesem Stand-
punkt ist es nun doch höchst characteristisch, wenn Steller weiter unter dem,
was der Kamtschadale als sündhaft halte, anführt: „Wer den Concubitus
verrichtet, dergestalt, dass er oben auflieget, begehet eine grosse Sünde.
Ein rechtgläubiger Itälmene muss es von der Seite verrichten, aus
Ursache, weil es die Fische auch also machen, von denen sie ihre
meiste Nahrung haben."
Die Menschen also, die sich noch auf dem rohesten Standpunkt der un-
gezügeltsten Sinnlichkeit bewegen, haben dennoch gerade in diesem Punkte
von der sie umgebenden Natur, von welcher sie sich in ihrem Leben
28*
404 Miscellen und Bücherschau.
abhängig fühlen, eine Form entlehnt und lassen sich von ihr beherrschen^).
Ein schlagenderes Beispiel dürfte sich kaum für die von mir behauptete Art
der Entstehungjvieler Gebräuche finden lassen.
Posen, 3. Sept. 1875. W. Schwartz.
3riscelleii und Büclierschau.
Seefeld: Die modernen Theorien der Ernährung und der Vegetarianismus.
Hannover 1875.
Dem Naturarzt Th. Hahn auf der Waid bei St. Gallen gebührt das Verdienst, mit Energie
und Erfolg das vegetarianische Banner aufgepflanzt zu haben (S. 15).
Zittel: Briefe aus der libyschen Wüste. München 1875.
Volk und Cultur in den libyschen Oasen einst und jetzt (Cap. VIII)
Dreher: Die Kunst in ihrer Beziehung zur Psychologie und zur Natur-
wissenschaft. Berlin 1875.
Der Begriff der Schönheit entwickelt sich bei den Völkern erst ganz allmäblig, wie er sich
auch bei dem Einzelnen erst durch scharfes und vieles Beobachten, Vergleichen und Denken
heranbildet (S. 13).
Ule: Die Bedeutung der Nahrungsmittel für die Kulturentwicklung der
Völker. Halle 1874.
Unter allen den Einflüssen, welche das Leben des Einzelnen bestimmen, von denen sein
Wohl und Wehe abhängt, gehört jedenfalls die Beschaffenheit der Nahrungsmittel zu den be-
deutendsten vS. 4).
Nehring: Vorgeschichtliche Steininstrumente Norddeutschland's. Wolfen-
büttel 1874.
Uebersicht über die Hauptformen der Steininstrumente (S. 19).
') Ein analoges Prinzip, nur umgekehrtes Resultat liegt übrigens auch der bekannten Stelle
beim Ilerodot II. t54 zu Grunde, wenn es dort heisst: „Fast alle andern Menschen, ausser den
Aegyptiern und Hellenen, vermischen sich in den Heiiigthümern, in der Meinung, die Menschen
seien wie die andern Thiere ; weil sie ja auch die andern Thiere und die Vogelbrut
sich in den Tempeln der Götter und in ihren Hainen sich begatten sahen. Wäre
nun dieses dem Gotte nicht lieb, so würden es auch die Thiere nicht thun.
Pruck von Gebrt U^ger (Th. Orfnfip} in Berlin, Scbönebergerstr, 17a,
VerliancLl ungen
der
Berliner Gesellschaft
für
Anthropologie, Etlmologie und Urgeschichte.
Jahrgang" 1875.
Berlin.
"Wiegandt, Hempel A Parey.
1875.
Berliner Gesellschaft
Aiitliropologie, Ethnologie und Urgeschichte.
Vorstand.
Dr. Virchow, Professor, Vorsitzender.
Dr. Bastian. Prof.
Dr. Braun, Prof.
Dr. IJartmann, Prof., erster Schriftführer.
Stellvertreter des Vor.sitzeiideii.
Dr. Max Kuhn, zweiter Schriftführer.
Dr. Voss, dritter Schriftführer.
G Henckel, Rentier, Schatzmeister.
Ausschuss.
Dr Kon er, Professor, Obmann
Dr. A Kuhn, Director.
Fried el, Stadtrath.
Dr. Wetzstein.
Dr. Reichert, Prof., Geh. Med.-Rath.
Dr. Frhr. von Richthofe u.
Deegen, Kammergerichtsrath.
Dr. Neumayer, Professor.
Ehrenmitglieder.
1. Dr. Lisch, Geh. Archivrath, Schwerin, Mecklenburg,
2. Dr. Schott, Professor, Berlin.
Correspondirende Mitglieder.
Carl Ernst von Baer, Staatsrath, Dorpat.
Joseph Harnard Davis, M. D , F. R. S.
Shelton, StaHordshire.
John Beddoe, M. D., F. R. S. Clifton,
Glocestershire.
Desor, Professor, Neuchätel.
Huxley, Professor, F. R. S. London.
Nil SSO n, Professor, Lund.
Worsaae, Staatsminister, Kopenhagen.
Graf Uwaroff, Moskau, Präsident der
archäologischen Gesallschaft.
Capellini, Professor, Bologna.
Dr. Giustiniano Nicolucci, Isola di Sora,
Napoli.
Bartolomeo Gastaldi, Professor, Turin.
Paolo Mantegazza, Professor, Florenz.
Juan Vilanova y Piera, Madrid.
Francisco M. Tnbino, Madrid.
Edouard Dupont, Directeur duMusee royal
d'histoire naturelle, Bruxelles.
E. Geo, Squier, New- York.
Japetus Steenstrup, Prof., Kopenhagen.
18. Sir John Lubbock, High Elans, Farnbo-
rough, Kent.
19. Dr. Philippi, Professor, Santiago, Chile.
20. Dr Julius Haast, F. R. S. Christchurch.
New-Zealand.
21. Dr. med. A. Weissbach, Constantinopel.
22. Luigi Calori, Professor, Bologna.
23. Edgar Leopold Layard, Britischer Consul,
Parä, Brasilien.
24. Gust. Rad de, Tiflis, Director des trans-
kaukasischen Museums.
25. Riedel, Holländischer Resident, Gorontalo,
Celebes.
26. Burmeister, Professor, Buenos Ayres.
27. Luigi Pigorini, Parma, Director des Mu-
seums der Alterthümer.
28. Vizconde de Sk da Bandeira, Minister,
Lissabon.
29. Dr. Pereira da Costa, Lissabon.
30. Dr. Grewingk, Professor, Dorpat.
31. von Blaramberg, Generallieutenant, Se-
wiistopol
(4)
32. Augustus W. Franks, M. A., London.
33. von TscbTidi, Schweizerischer Gesandter,
Wien.
34. Dr.W. H. J. Bleek, Capstadt, Süd- Afrika.
35. Dr. Leemans, Director, Leiden, Holland.
36. Dr. Hans Hildebrand, Stockholm.
37. Dr. Carl Raii, New-York.
38. Conte Giovanni Gozzadini, Senator, Bo-
logna.
30. Oscar Monte lius, Stockholm.
40. Baron von Düben, Professor, Stockholm.
41. Baron F. von Mueller, Director des bo-
tanischen Gartens, Melbourne, Australien
42. Dr. Herrn. Berendt, New-York.
43. von Kaufmann I, General, St. Peters-
burg.
44. Dr. V. Heldreich, Director des botani-
schen Gartens, Athen.
45. Engelhardt, Professor, Kopenhagen.
46. Dr. Zwingmann, Medicinalinspector von
Ost-Sibirien, Nikolajewsk am Amur.
47. Dr. Reil, Leibarzt, Cairo
48. Dr. med. Sachs, Cairo.
49. Oscar Fl ex, Missionär, Ranchi, Nagpore,
Ostindien.
50. Hart, Professor, Cornell University, Ithaca,
New-York.
51. Dr. W. Reiss, z. Z. in Ecuador.
52. Dr. A. S tu bei, z. Z. in Ecuador.
53. Bror Emil Hildebrand, Reichsarchivar,
Stockholm.
54. A. L. Lorange, Director des Alterthums-
Museums, Bergen, Norwegen.
55. Dr. J. R. Aspelin, Helsingfors, Finland.
56. John Evans, F. R. S., President of the
geological Society, Nash Mills, Hemel
Hempsted.
57. Jeffries Wyman, Professor, Cambridge,
Amerika.
58. Sir W. Wylde, Dublin, Irland.
59. Spiegelthal, Schwed. Consul in Smyrna.
60. Freiherr von Lichtenberg, Deutscher
Consul in Ragusa.
61. Conte Conestabile, Professor, Perugia.
62. Frank Calvert, Dardanellen, Kleinasien.
Ordentliche Mitglieder.
1. Dr. med. Abeking, Berlin.
2. Dr. Achenbach, Handelsminister, Berlin
3. Stud. med. Adler, Berlin.
4. Cand. med. P, Alb recht, Düsternbrook
bei Kiel.
5. Dr. Paul Ascherson, Professor, Berlin.
6. Dr. F. Ascherson, Berlin.
7. Dr. Awater, Berlin.
8. Barchwitz, Hauptmann a. D , z. Z. in
Italien.
9. Dr. Bardeleben, Geh. Medicinal-Rath,
Berlin.
10. Barnewitz , Realschullehrer, Branden-
burg a/H.
11. Dr. med. Bartels, Berhn.
12. Dr. Bastian, Professor, Berlin.
13. Beer, Rittergutsbesitzer, Osdorf.
14. Behmer, Fabrikant, Berlin.
15. v. Below, Rittergutsbesitzer, Berlin.
16. V. ßennigsen, Landesdirector, Hannover.
17. Dr. Berendt, Professor, Berlin.
18. Bergius, Major, Berlin.
19. Dr. med. Bernhardt, Berlin.
20. Bertheim, Stadtverordneter, Berlin.
21. Dr. med. Beuster, Berlin.
22. Dr. Beyrich, Professor, Berlin.
23. Dr. Biefel, Oberstabsarzt, Breslau.
24. Blume, Banquier, Berlin.
25. Dr. Bodinus, Berlin.
2C. Dr. du Bois-Reymond, Professor, Geh.
Medicinalrath, Berlin.
27. V. Brandt, Ministerresident, z. Z. in Japan
28. V Brandt, Oberst, Berlin.
29. Dr. Alex' Braun, Professor, Berlin.
30. V. Bredow, Rittergutsbesitzer, Lenzke bei
Fehrbellin.
31. Dr. Brehm, Berlin,
32. Dr. med. H. v. Chamisso, Berlin.
33. Alb. Cohn, Buchhändler, Berlin.
34. Dr. Crampe, Proskau in Schlesien.
35. Dr. Croner, Berlin.
36. Dr. Dames, Berlin.
37. Dr. med. H. Davidsohn, Berlin.
38. Dr. med. L. Davidsohn, Berlin.
39. Deegen, Kammergerichtsrath, Berlin.
40. C. Degen er, Kaufmann, Berlin.
41. Degener, Kammergerichts - Referendar,
Berlin.
42. Dr. Dönitz, Professor, z. Z. in Japan.
43. Dr. Döring, Stabsarzt, Berlin.
44. Dr. Dümichen, Professor, Strassburg im
Elsass.
45. H. J. Dünnwald, Kaufmann, Berlin.
46. Dr. Dumont, Berlin.
47. Dungs, Kaufmann, Berlin.
48. Graf Dzieduczycki , Lemberg.
(5)
49. Dr. Ehren berg, Geh. Medicinalrath, Berlin.
50. Dr. Engel, Geh. Reg.-Rath, Berlin.
51. Dr med. Eggel, Berlin.
52. Dr. Erman, Professor, Berlin.
53. Dr. Eulenburg, Geh. Sanitätsrath, Berlin.
54. Dr. Ewald, Mitglied der Akademie der
Wissenschaften, Berlin.
55. Ewald, Historienmaler, Berlin.
56. Dr. Ewald, Oberarzt, Berlin.
57. Fälligen, Stadtgerichtsrath.
58. Dr. med. Bernh. Fränkel, Berlin.
59. Dr. V. Frantzius, Heidelberg.
60. F. Frege, Bauquier, Berlin.
61. Friedel, Stadtrath, Berlin.
62. Dr. Fritsch, Professor, z. Z. in Persien.
63. Dr. Fuchs, Berlin.
64. V. Gagern, Referendar, Berlin.
65. Gärtner, Consul, Berlin.
66 Gentz, Professor, Maler, Berlin.
67. Dr. Ger lach. Geh. Medicinalrath, Berlin.
68. Dr. med. Goltdammer, Berlin.
69. Goslich, Rentier, Berlin.
70. Dr. Grempler. Sanitätsrath, Breslau.
71. Herrn. Grimm, Professor, Lichterfelde bei
Berlin.
72. Dr. Güssfeldt, z. Z. in Afrika
73. Dr. med. P. Güterbock, Berlin.
74. Dr. med. Guttstadt, Berlin.
75. Haarbrücker, Professor, Berlin.
76. Dr. Gust. Hahn, Oberstabsarzt, Berlin.
77. Dr, med. Hahn, Berlin.
78. Hansemann, Fabrikant, Charlottenburg-
Westend.
79. Dr. Hart mann, Professor, Berlin.
80. Dr. med. v. Haselberg, Berlin.
XI. Hauchecorne, Ober-Bergrath, Berlin.
82. G. Henckel, Rentier, Berlin.
83. P. Henckel, Banquier, Berlin.
84. Dr. 0. Hermes, Berlin.
85. Dr. H i r s c h , Professor, Geh. Medicinalrath,
Berlin.
86. Dr. med. Hitzig, Berlin.
87. Dr. Hoffmann, Sanitätsrath, Berlin.
88. Dr. Horwitz, Rechtsanwalt, Berlin.
89. Dr. Hosius, Professor, Münster.
90. Dr. Hous seile, Geh. Ober-Mediciualrath,
Berlin.
91. Humbert, Legationsrath, Berlin.
92. Dr. med. Jacob, Coburg.
93. Dr. Fedor Jagor, z. Z. in Ostindien.
94. Dr med. Ideler, Berlin.
9b. Dr. med. Jürgens, Berlin.
96. Dr. Junker, z. Z. in Africa,
97. Dr. Kaiser, Berlin.
98. Dr. Fr. H. J, Kayser, Privatdoceut, Berlin
99, Kiepert, Rittergutsbesitzer, Marienfelde
bei Berlin.
100. Dr. Kirchhoff, Professor, Halle a/Saale.
101. Dr' V. Kloeden, Professor, ßoriin.
102. Dr. Kny, Professor, Berlin.
103. Koenig, Kaufmann, Berlin.
104. Dr. Koner, Professor, Berlin.
105. Dr. Körte, Geh. Sanitätsrath, Berlin.
106. Kratzenstein, Missionsinspector, Berlin ,
107. Dr. phil. Krüger, Berlin,
108. Krug V. Nidda, Ober- Berghauptmann,
Wirkl. Geh. Rath, Berlin.
109. Kuchenbuch, Kreisgerichtsrath, Mün-
cheberg.
110. Künne, Buchhändler, Berlin.
111. Dr. med, Küster, Berlin.
112. Dr, A. Kuhn, Director, Berlin.
113. Dr. Max Kuhn, Berlin,
114. Kunz, Stadtrath, Berlin.
115. Dr. med, Kupfer, Cassel,
116. Kurtz, Stud., Berlin.
117. Kurtzwig, Navigatiouslchrer, Berlin.
118. Dr, Laehr, Sanitätsrath, Schweizerhof
bei Zehlendorf.
119. Dr. Lange, Berlin,
120. Dr. med. Langerhans, Berlin,
121. Langerhans , Oberhandelsgerichtsrath,
Leipzig.
122. Dr. Langkavel, Berlin.
123. Dr. Lasard, Berlin.
124. Dr. Lazarus, Professor, Berlin.
125. Leo, Banquier, Berlin.
126. Le Coq, Kaufmann, Berlin.
127. V. Ledebur, Director, Potsdam.
128. Dr. Lepsius, Professor. Geh. Reg.-Rath,
Berlin.
•129. Siegfried 0. Levinstein, Kaufmann,
Berlin.
130. Dr. Lew in, Professor, Berlin.
131. Dr. Liebe, Oberlehrer, Berlin.
132 Liebermann, Geh. Kommerzienrath,
Berlin,
133. Dr. Lieber mann, Professor, Berlin.
134. Dr. Liebreich, Professor, Berlin.
135. Dr. Liman, Professor, Geh. Medicinalrath,
Berlin.
136. Dr. Loew, Oberlehrer, Berlin.
137. Dr. Lossen, Berlin.
138. Dr. P. Magnus, Berlin.
139. Stud. med. Manthey, Berlin.
140. Marggraff, Stadtrath, Berlin.
141. Dr. V. Martens, Professor, Schöneberg
bei Berlin.
142. Dr. Marthe, Oberlehrer. Berlin.
143. Dr. Martin, Geh. Medicinalrath, Berlin.
(6)
144. Dr. Louis Mayer, Sanitätsrath, Berlin.
145. Dr. Meitzen, Geh. Reg.-Rath, Berlin.
146. Dr. med. Mendel, Pankow bei Berlin.
147. Dr. med. Lothar Meyer, Berlin.
148. Meyer, Geh. Legationsrath, Berlin.
149. Dr. med. Ed. Michaelis, Berlin.
150. Miihlenbeck, Gutsbesitzer, Gr.-Wachlin
bei Stargard (Pommern).
15 1. 0. Müller, Buchhändler, Berlin.
152. Munter, Zahnarzt, Berlin.
153. Dr. Munk, Professor, Berlin.
154. Dr. Neumayer, Professor, Berlin.
155. Dr. Orth, Professor, Berlin.
156. Paetel, Stadtverordneter, Berlin.
157. Dr. Joh. Paetsch, Berlin.
158. Parey, Buchhändler, Berlin.
159. Pauli, Reg.-Assessor, Königsdorf.
160. Dr. Peipers, Marine-Stabsarzt, Berlin.
161. Dr. Petermann, Professor, Berlin.
162. Dr. La Pierre, Sanitätsrath, Berlin.
163. Dr. med. Plessner, Berlin.
164. Pollack, Referendar, Berlin.
165. Dr. Ponfik, Professor, Rostock.
166. Dr. Pringsheim, Professor, Berlin.
167. Dr. med. Puchstein, Berlin.
168. Raben au, Oeconom, Vetschau.
169. Dr. Rabl-Rückhardt, Stabsarzt, Berlin
170. Freiherr V. Radowitz, Gesandter in Athen,
Berlin.
171. Dr. med. Raschkow, Berlin,
172. Ferd. Reichenheim, Berlin.
173. Dr. Reichert, Geh. Medicinalrath, Berlin.
174. Hans Reimer, Buchhändler, Berlin.
175. Dr. Reinhardt, Berlin.
176. Berthold Ribbentrop, Esq., Labore,
East India.
177. Richter, Banquier, Berlin.
178. Baron Dr. v. Rieht hofen, Berlin.
179. Dr. med. Rieck, Köpnick bei Berlin.
180. Dr. Riese, Geh. Sanitätsrath, Berlin.
181. Rosenberg, Stadtgerichtsrath, Berlin
182. Dr. med, Rosenthal, Berlin.
183. Dr. Roth, Generalarzt, Dresden.
184. Runge, Stadtrath, Berlin.
185. T. E. Rutledge, Erlangen.
186. Dr. med. Sattler, Coburg.
187. Schaal, Maler, Berlin.
188. Dr. Scheibler, Berlin,
189. Dr. Schillmann, Oberlehrer, Branden-
burg a/H.
190. Schlesinger, Rentier, Berlin.
191. Schlüter, Fabrikant, Berlin.
192. Jos. Schmidt, Kaufmann, Berlin
193. Dr. C. Schneitier, Berlin.
194. Dr. Schöler, Privatdocent, Berlin.
195. Schubert, Kaufmann, Berlin.
196. Carl D. Schultze, Baumeister, Berlin.
197. Dr. med. Oscar Schultze, Berlin.
198. Dr. med. W. Schütz, Berlin
199. Dr. Schwannecke, Berlin.
200. Dr. Schwartz, Gymnasialdirector, Posen.
■iOl. Dr. G. Seh weinfurth, Cairo.
202. Louis Schwendler, Estj., Galcutta.
203. Dr. med. Seemann, Berlin.
204. Dr. med. Siegmund, Berlin.
205. Dr. jur, Graf Sierakowski, Waplitz
b/Altmark, Westpreussen.
206. Dr. Werner Siemens, Berlin.
207. 0. Simon, Kaufmann, Berlin.
208. Dr. Steinthal, Professor, Berlin.
209. Stricker, Verlagsbuchhändler, Berlin.
210. Teschendorf, Portraitmaler, Berlin.
211. Dr. med. Thorner, Berlin.
212. Thunig, Domänenpächter, Uuterwalden,
Priment, Prov. Posen.
213. Treichel, Berlin.
214. Dr. Alf. Tuckerman, New-York
215. Dr. Veckenstädt, Cottbus.
216. Dr. Veit, Sanitätsrath, Berlin
217. Dr. Virchow, Professor, Berlin.
218. Vorländer, Fabrikant, Dresden.
219. Dr. med. Voss, Berlin.
220. Walter, Banquier, Berlin
2-'l. Dr, Wattenbach, Professor, Berlin.
222. Dr. Wegner, Generalarzt, Berlin.
2i3. Dr. Wegscheider, Geh. Sanitätsrath,
Berlin.
224. Herm. Weiss, Professor, l>erlin.
225. Dr. Guido Weiss, Berlin.
22(>. Dr. Weissbach, Stabsarzt, Wriezen
a/Oder.
227. Dr. Weiidt, Oberstubsarzt, Berlin.
22M Dr. med. Wernich, z. Z. in Japan.
229. Dr. Westphal, Professor, Berlin.
•-'30. Dr. Wetzstein, Berlin.
231. Wilsky, Director , Rummelsburg bei
Berlin.
232. Witt, Gutsbesitzer, Bogdanowo bei Obor-
nick, Prov. Posen.
233. Woldt, Schriftsteller, Berlin.
234. Alex. Wolff, Stadtruth, Berlin.
235 Dr. med. Max Wolff, Berlin.
236. Wredow, Professor, Berlin.
237. Freiherr von Wulffen, Berlin.
238. Dr. Zimmermann, Rechtsanwalt, Berlin,
239. Dr, med. Zülzer, Berlin.
Sitzung vom 16. Januar 1875.
Vorsitzender Herr Virchow.
(1) Zu Mitgliedern des Ausschusses werden für 1875 wiedergewählt die vor-
jährigen Mitglieder:
Herren A.Kuhn, Friedel, Koner, Wetzstein, Reichert, v. R ichthofen,
Deegen, Neumayer.
(2) Als ordentliche Mitglieder sind der Gesellschaft beigetreten :
Herr Missionsinspector Kratzenstein,
Herr Professor Berendt in Berlin.
Zu correspondireuden Mitgliedern der Gesellschaft wurden gewählt:
Herr Consul Spiegelthal in Smyrna,
Herr Consul Baron Lichtenberg zu Ragusa,
Herr Frank Calvert in den Dardanellen,
Herr Graf Conestabile zu Perugia.
(3) Herr Virchow macht auf die beiden zur Zeit in Berlin ausgestellten
russischeu Kinder mit Polysarcia praematura
aufmerksam.
Elise und Aculina Tuliakoff, 5 und 2 Jahre alt, gegenwärtig 264 und 106 Pfund
wiegend, sind in der That in jeder Beziehung überraschende Erscheinungen. Alle
Theile sind in einer Weise vergrössert durch die ungeheure Zunahme des Fettge-
webes, dass man ungleich ältere Kinder vor sich zu sehen glaubt. Auch der physi-
ognomische Ausdruck stimmt damit überein. Nur die kleine Nase und der kleine
Mund erinnern daran, dass man es mit so jungen Wesen zu thun hat. Die übrige
Kntvvickelung ist etwas ungleich, indem namentlich die Oberschenkel relativ zurück-
geblieben sind. Die Mutter der Kinder, eine russische Bäuerin, zeigt nichts Auf-
fälliges. Eben so wenig soll diess bei dem Vater der Fall gewesen sein. Von den
übrigen Kindern habe noch eines ähnliche Störungen dargeboten.
Ethnologisch hat diese Erscheinung vielleicht desshalb einiges Interesse, weil die
partielle I'olysarcie einiger Völker, namentlich des südlichen Afrika, wenigstens als
ein verwandtes Phänomen zu betrachten sein dürfte,
(4) Herr Gustav Hirschfeld meldet in einem Briefe an den Vorsitzenden d. d.
Smyrna, 11. Decbr , die Al)seiidung von 16, zum Theil wohl erhaltenen
Schädeln von Ophrynium,
einem Geschenke des Hrn. Frank Calvert in den Dardanellen, der durch seine
Forschungen auf der Troischen Ebene in weiten Kreisen bekannt ist. Ophrynium
(8)
liegt südwestlich von den Dardanellen an der Küste. Die Schädel gehören nach den
bei ihnen gefundenen Münzen (z. B. einer Crispina) der römischen Kaiserzeit an,
(5) Durch Hrn. Wibel sind ein Theil der von Hrn. Schetelig erworbenen
Schädel, namentlich diejenigen von Formosa, sowie einige andalusische Schädel und
Thongefässe eingesendet worden. Ein anderer Theil fehlt noch.
(G) Die schon in der Sitzung vom 17. October v. J. angekündigte Sendung des
Hrn. Philipp! ist eingegangen, Sie bringt
Thongeräthe aus Gräbern der Cuiico-Indianer,
namentlich weite und sehr rohe Töpfe und flache Schalen, welche auf der inneren
Seite mit Malerei in blassen Farben versehen sind. Die Muster sind einfache, mehr
mathematische Anordnungen von geradlinigen Zeichnungen.
Herr Virchow macht darauf aufmerksam, dass sich im hiesigen anatomischen
Museum zwei in früheren Jahren von Hrn. Philippi eingeschickte Schädel von
Cunco-Indianern befinden, bei denen gleichfalls Thongefässe gewesen sein sollen. Die-
selben sind jedoch bis jetzt noch nicht aufgefunden worden.
(7) Herr Julius Haast schickt einen Bericht über
die Moa Bone Point Cave auf Neu-Seeland. ')
Die Moa-Knochenhöhle bei Sumner liegt in einem alten doleritischen Lavastrom
der ßanks-Halbinsel, einer mächtigen Bildung erloschener vulkanischer Heerde,
welche in postpliocener Zeit als Insel im Meere stand. Hebungen und Senkungen
bis zu einer Höhe von 20 Fuss lassen sich daran nachweisen. Der Boden der Höhle
selbst ist zunächst mit einer Lage von Seesand bedeckt, welche am Eingange 4'/3,
am Ende 8 Fuss über der Hochwassermarke liegt. Das Herabfallen eines grossen
Blockes am Eingange der Höhle und die Bildung einer Bank von Geröllsteinen vor
demselben scheint den weiteren Eintritt von Treibsand verhindert zu haben. In
dieser Zeit müssen Moa-Jäger hier gelandet sein, jedoch scheinen sie die Höhle
nur gelegentlich besucht und als Küchenplatz benutzt zu haben. Jedoch muss die
See noch zuweilen eingedrungen sein, da zerbrochene Moaknochen und Steine von den
Kochöfen bis zu 12 Fuss tief in den Sand eingebettet gefunden wurden. Jedenfalls
beweist ein Bett von Asche und Abfallsmassen (dirt), welches auf dem Sande und
unter der nächsthöheren Agglomeratschicht liegt, dass gelegentlich Feuer auf dem
Sande angezündet sein müssen.
Nach dem völligen Zurückweichen der See bei weiterer Hebung des Landes
hat sich ein zusammenhängendes Lager von durchschnittlich (3 Zoll Dicke durch das
Herabfallen von Gesteinsbruchstücken gebildet, die von dem Gewölbe der Höhle sich
loslösten. Auch in dieser Schicht fanden sich zahlreiche Thierknochen und kleine
Mengen von Kohlen und Asche.
öeber dieser Agglomeratschicht folgt endlich eine 1^—4 Zoll dicke Lage, die
überwiegend aus menschlichen Abfallsstoffen besteht (dirt-bed). Namentlich in der
Nähe des Einganges enthält sie die Küchenabfälle der Moa-Jäger. Jedoch lässt sich
das Herabfallen von Lavaschlacken auch während dieser Zeit, ja bis in die obersten,
mit europäischen Resten durchsetzten Schichten verfolgen. Nur ist es ersichtlich,
dass diese Schicht während einer Zeit mehr regelmässiger Bewohnuug durch die
') Researches and excavations carried on in and near the Moa Bone Point Cave, Sumner
Road, in the year 1872 by Jul. llaast. Christchurch 1874.
(9)
Moa-Jäger, deren Lagerplätze in grosser Ansdehnung ausserhalb der Höhle auf den
Dünen der Küste nachweisbar sind, sich gebildet hat. Ausser zahlreichen geschla-
genen Stücken von Obsidian, Feuerstein u. s. w. fanden sich hier auch geschliffene
Steingeräthe von Palla, dem grünen Kieselabsatz, neben unberührten Moaknochen,
welche zum Zweck der Markgewinnung aufgosch lagen waren, und Hr. Haast nimmt
daher seinen früher ausgesprochenen Zweifel zurück, dass die Moa-Jäger im Besitz
solcher Geräthe gewesen seien. Dagegen hält er an seiner, in Folge der Unter-
suchung des prähistorischen Lagers von Rakaia gewonnenen üeberzeuguug fest, dass
die Moa-Jäger den Hund wohl gejagt, aber nicht gezähmt hatten. Er fand in der
Höhle einen durchbohrten Hundszahn, aber keiner der Thierknochen zeigte die
Spuren einer Benaguug durch Hunde. Einzelne Nadeln und Ahlen von Knochen,
Verzierungen, Bruchstücke von Canoes, hölzernen Speeren, Feuerhölzern u. s. w.
wurden gleichfalls gewonnen, so dass die Cultur dieser ürbewohner wenig von der
der Maoris verschieden gewesen zu sein scheint, wie sie zur Zeit der Entdeckung
Neuseeland's bestand.
Nach der Bildung des Dirt-bed muss die Höhle eine Zeit lang unbewohnt ge-
wesen sein. Denn am Eingange der Höhle liegt über demselben eine Schicht von
eingewehtem Sande von 1 Fuss Dicke, und dann erst folgt, durch eine scharfe Be-
grenzungslinie abgesetzt, eine Muschelschicht, in der keine Moaknochen mehr vor-
kommen. Ueber dieser Schicht, welche in der Mitte der Höhle eine Dicke von
1 Fuss 2 Zoll erreicht, fand sich wieder eine Aschenlage mit pflanzlichen üeberresten
(Flachs, verkohltem Holz u. s. w.) von 8 Zoll Dicke und endlich eine obere Muschel-
schicht bis zu 1 Fuss 10 Zoll Dicke. Dann erst folgte am Eingange der Höhle eine
Schicht bis zu 7 Zoll dick mit europäischen Üeberresten. Die Muscheln waren
solche, welche noch jetzt die Bucht bewohnen: Chicme Stutchburyi, Mesodesma
Chemnitzii, Amphibola avellana, Mytilus smaragdiuus. Zwischen ihnen fanden sich
zahlreiche üeberreste, welche darthuen, dass man es hier mit den Rückständen des
Mahles von Muschelfischern zu thun habe, welche dem Volke der Maori angehört
haben müssen. Nirgends fanden sich jedoch Spuren von Cannibalismus, obwohl ein
Paar menschliche Knochen zu Tage kamen. Hr. Haast schliesst daraus, dass diese
Absätze sehr alt sein müssen, da wenigstens bis auf einige Jahrhunderte rückwärts
Anthropophagie in Neuseeland bestanden hat, und er macht zugleich darauf aufmerk-
sam, dass weder in der Muschelschicht, noch in der Moaschicht unter Hunderten
von Knochen kleinerer Vögel ein einziges Stück von der Weka (Ocydromus australis)
aufgefunden wurde, ganz ebenso, wie diess im Rakaia-Lager nicht der Fall war. Die
Erinnerung an diesen Vogel als einer Lieblingsspeise finde sich aber in den über-
lieferten Gesängen tler Maori, und alle Abfallshaufen der Maori an der Kiiste und im
Lande enthielten die Knochen. Uebrigeus folgert Hr. Haast aus seinen Unter-
suchungen der Umgebungen der Höhle, dass auch die Muscheln hauptsächlich
ausserhalb der Höhle gekocht und innerhalb derselben nur verspeist seien.
Die Eingebornen schreiben die ausserhalb der Hiihle auf den Dünen vorfindlichen
Muschelhaufen den ersten Einwanderern, den Waitalia, zu, welchen die Ngatimamoe
folgten, denen später wieder die Ngatikuri, die jetzigen Bewohner, nachrückten.
Allein, auch abgeselien von dieser üeberlieferung, spricht der Befund in der Höhle lür
ein sehr hohes Alter, zumal wenn man erwäge, dass die Höhle immer nur gelegentlich
besucht, aber nie anhaltend bewohnt worden sei. Offenbar habe auch die Einwan-
derung der polynesischen Rasse, zu der die Maoris unzweifelhaft gehören, schon zu
einer Zeit stattgefunden, wo die Oberfläche deV Erde noch nicht die gegenwärtige
Gestalt gehabt. Sicherlich sei der Untergang der Moa in diesen Theilen Neusee-
lands nicht erst vor 80 oder 10(t fJahren erfolgt, sondern zu einer Zeit, wo die
Canterbury-Ebeue in der Nähe der Küste noch ganz verschieden von der jetzigen
(10)
war. Grosse lagunenartige Seen seien seitdem ausgefüllt worden und mächtige
Dünenzüge zu den früheren hinzugetreten. Auch nicht einmal annähernd lasse sich
die Länge des Zeitraumes bestimmen, in dem diese Veränderungen vor sich gegan-
gen seien. Ebenso verhalte es sich mit den anderen Fundstätten der Moa-Knochen.
(8) Die württembergische anthropologische Gesellschaft hat sich zu
Neujahr neu organisirt und 7 verschiedene Sectiouen zum genaueren Studium des
Landes gebildet :
1) eine anatomische (Vorsitzender v. Holder),
2) eine biologische (Vors. G. Jäger),
3) eine psychologische (Vors. v. Fichte),
4) eine linguistische (Vors. Th. Schott),
5) eine prähistorische (Vors. Fraas),
6) eine historische (Vors. Haackh),
7) eine statistisch-literarische (Vors. Zech).
Jeder derselben sind genauere Ziele der Forschung vorgesteckt, welche in sorg-
fältiger Erwägung der von der Wissenschaft in Angriif genommenen Probleme abge-
messen sind. Möge das schöne Beispiel recht zahlreiche Nachfolge finden!
(9) Der Vorsitzende übergiebt im Namen des Freiherrn V. Unruhe-Bomst eine
kleine Sammlung von i'undgegenständen von
einem Burgwall bei Wollstein.
Der betreffende ßurgwall liegt zwischen zwei Seen in der Nähe von Wollstein
(Provinz Posen) und scheint in sehr verschiedenen Perioden bewohnt gewesen zu sein.
Ausser einer gewissen Anzahl geschlagener Feuersteinspähne von der Form der soge-
nannten Messer und ausser Topfscherben mit dem bekannten wellenförmigen Ornament
finden sich einerseits einzelne Eisensachen von wahrscheinlich viel späterer Zeit, an-
dererseits einzelne Thonscherbeu von glatter Oberfläche, hellerer Farbe und fei-
nerer Ornamentirung, die wahrscheinlich der Zeit der posenschen Gräberfelder ange-
hören. Thierknochen und zwar von Hausthieren sind in grösserer Zahl vorhanden.
Weitere Untersuchungen sind in Aussicht gestellt.
(1") Herr Virchow zeigt bei dieser Gelegenheit die Skizze des kürzlich von
ihm besuchten
JJurgwalles von Barclilin (Prov. Posen).
Bei Gelegenheit meines letzten Besuches in Zaborowo machte ich mit Hrn. '
Thunig und meinem Sohne Hans einen Ausflug nach dem östlich von da, zwischen
Barchlin und Deutscfi-Poppen (Popowo) gelegenen Burgwall. Derselbe liegt mitten
in einem grossen Wiesenmoor, welches breit von Norden her, aus der Gegend des
Obra-Bruches herkommt und sich südwestlich gegen eine Reihe von Seen fortsetzt,
die auf das Südende des Priraenter Sees gerichtet sind. Das Moor ist jetzt ziemlich
trocken, indem westlich von dem ßurgwall ein Abzugsgraben gezogen ist. Das öst-
liche tJfer dieses Moors ist von massigen Höhenzügen begleitet, an denen das Dorf
Popowo liegt. Der Wallberg befindet sich nahe an der Fahrstrasse zwischen den genann-
ten beiden Dörfern. Er ist fast vollkommen rund, ganz aus Erde aufgetragen, in der
Mitte stark vertieft, ringsum mit einer breiten, bis zu 24 Fuss Höhe ansteigenden
Aufwallung versehen. Nach aussen fällt der Rand steil ab, nach innen verflacht er
sich gleichmässig. Der Grund der Vertiefung liegt noch 6 — 8 Fuss über dem Niveau
des Moores. Hier erreichten wir schon bei H Fuss Tiefe weissen Seesand ohne alle
menschlichen Ueberreste. Dagegen die höheren Seitentheile, die ganz aus Moorerde
(11)
bestanden und von denen an der der Strasse zugewendeten Seite ein beträchtlicher
Theil abgefahren war, enthielten in massiger Zahl kleinere Scherben von Thongeräth,
wie sie namentlich auch an den von Maulwürfen aufgeworfenen Hügeln am Aussen-
raiide häufiger vorkamen. Die Mehrzahl derselben war sehr dick und grob, von
grauer oder schwärzlicher Farbe, mit Grauitbrocken gemischt und ohne alle Zeichnung.
Soviel sich erkennen Hess, gehört daher dieser Wall nicht derselben Gruppe an, wie
der Burgwall von Wollstein und die zahlreichen, früher von mir beschriebenen Wail-
berge unserer nördlichen und westlichen Gegenden. Immt^rhin scheint sich heraus-
zustellen, dass auch dW. Provinz Posen reicher an Wallbergen ist, als man nach den
bisher vorliegenden Nachrichten zu schliessen berechtigt war.
(11) Herr Woldt legt Contourzeichnungen des Kopfumfanges verschiedener,
meist mit ihrem Namen l)ekannter Personen vor, welche von Hrn. ßluth und ihm
selbst mit Hülfe des
Ilntmachcr-Conforiiiateiir von AUier
aufgenommen worden sind, Kr macht auf den Nutzen solcher Aufnahmen, welche
leicht durch die liutmacher zu erhalten seien, für anthropologische Zwecke auf-
merksam.
Herr Virchow erwähnt, dass ähnliche Aufnahmen schon von Hrn. Fraas auf
der Generalversammlung iu Stuttgart gezeigt worden sind, und dass ihm so eben eine
besondere Abhandlung des berühmten Anatomen Hrn. Hart in g in Utrecht zugegan-
gen ist, welche sich eingehend über die Verwendungsweise, die Vortheile und die
nothwendigen Correctureu jener Conformateure verbreitet.') Hr. Harting findet
aus 012 verschiedenen Aufzeichnungen dieser Art den Hut-Index (index pileal) der
besseren Klassen von Utrecht = 84,04, während der craniometrischc [ndex = 82,(H»
sei. Die Differenz beträgt demnach 2,04. Auch hier stellt sich eine ausgemacht
brachycephale Bevölkerung heraus.
(12) Herr Riedel schreibt d. d. Gorontalo, 2. Oct., über
kiiustliche Verunstaltung des Kopfes in Celebes.
Im August 1870 theilte ich der Redaktion der Ethnol. Zeitschr. mit, dass es bei
den Toumbuluh, Tounsea, Toumjiakewa, Mougondou, Sumawa, Holontalo und Toniini-
Völkern (in unserer Zeit) nicht gebräuchlich ist, die Schädel der Kinder abzuplatten.
Es ist mir aber gelungen, zu erfahren, dass die Toumbuluhen, Touuseaer, Toumpa-
kewaer und Mongondnuer in früherer Zeit auch die Schädel der Kinder difformir-
ten. i)eii Gebrauch übernahmen sie von dem auf Nord-Selebes eingewanderten Stamm
Pasambangko oder Beiitenan, den jetzigen Bewohnern der Minahasa-I'rovinz Belang.
Das Instrument, womit die .\b plattung der Stirn geschieht, heisst in dem Toumbuluh-
Diabikt pepeseh, und liat die nebenstehende Form.
Die Sitte besteht jetzt noch unter den Bantiks in
der Minahasa und in .Mougondou, ebenso unter den
Bugis. Man kanu desshalb voraussetzen, dass die Ge-
wohnheit, den Schädel zu difformiren, auf ganz
Selebes einheimisch gewesen ist.
') Le plan uiedian de la lete iieerlamlaise iu;i.sculme, determinee ilapre.« uiie luethode
nouvelle. (Acad. roy. iieerl. des scieuces; Auisterd. 1874.
(12)
(13) Die Herren Chierici, Pigorini und Strobel übersenden die Anzeige eines
von ihnen zu publicirenden
BuUetiiio di paleoetuologia italiana)
welches in monatlichen liieferungen erscheinen soll.
(14) Herr Bayer übergiebt den Unterkiefer eines kleinen, aus dem Wohlauer
Gebiete stummenden Schweines (dem Torfschwein — Sus palustris — analog).
(15) Herr Oscar Westphal legt eine Sammlung
natürlicher Steine aus der Mark Brandeubnrg
vor, welche nach seiner Ansicht darthun, wie sehr die ursprüngliche Beschaffenheit
vieler Steine die Form der späteren Bearbeitung an die Hand gegeben habe. Die-
selben werden, nebst einigen schönen polirten Steingeräthen von der Insel S. Thomas,
der Sammlung der Gesellschaft einverleibt.
Ausserdem übergiebt er eine Reihe von Urnen aus anhaltinischen Gräbern.
(16) Herr A. Bohle und Fräulein Emma Willardt stellen
vier lebende Lappen,
drei Männer und eine Frau von Mala im südlichen Lappland in ihrer National-
tracht vor.
(17) Herr Schwarte berichtet über
Funde bei Pawlowice und Znin.
Die Feuerstelle bei Pawlowice hat wieder eine Quantität Knochengeräthe erge-
ben und wird weiter ausgegraben werden, sobald es das Wetter erlaubt. Ein grossar-
tiger Pfahlbau — Hr. Feldmanowski hat bei kurzem Aufenthalt 18 Wohnstätten
gezählt — findet sich bei Objerierze (bei Obornik) auf dem Boden eines jetzt abgelas-
senen Sees. Besondere Funde noch nicht, aber ringsherum um den See Gräber.
In der Nähe, d. h. '/h Meile davon hat sich aber etwas höchst Interessantes gefun-
den : in Mitten eines Gräberfeldes gewöhnlicher Art mit hübschen Ge-
fässen ein roher Topf derselben Masse, desselben Brennens, derselben Ver-
zierungen, wie bei Pawlowice und in dem von Hrn. Witt untersuchten Pfahlbau, dersel-
ben Art, wie ich bei Binenwalde (Ruppin) Scherben in Masse aufgelesen. Hier liegt
also ein bestimmtes Merkmal einer Continuität vor. — Unter anderen neuen Funden
ist auch noch bei Znin Bemerkenswerthes an Töpferarbeit gefunden worden: eine
grosse schwarze Kanne, mit dem Messer gleichsam abgeschält, um gewisse Ränder,
die sich herum ziehen und punctirt sind, erhabener hervortreten zu lassen; desgleichen
ein eben solcher Becher in der Form des römischen Calathus.
Derselbe übersendet ältere Notizen über
Alterthümer in der Gegend von Joachimsthal.
Die hiesige Gegend scheint an Alterthümern nicht arm zu sein, denn es finden
sich an verschiedenen Stellen sowohl Ruinen von Schlössern, Klöstern u. s. w., als
auch heidnische Begräbnissplätze und Hünengräber, und zwar mehr, als man erwar-
tet. Denn wenn hier oder da die Rede auf Hünengräber oder Urnen kommt, so sind
immer Mehrere in der Gesellschaft, welche Orte anzugeben wissen, wo Urnen,
Aschen- oder Thränenkrüge, auch Waffen gefunden sind oder gefunden sein sollen.
Abgesehen von Bärenskirchhof sind in der Umgegend von einer Meile wenigstens
f) Punkte anzugeben, wo sich Hünengräber finden, von denen durch zufällige oder
beabsichtigte Nachgrabungen ö untersucht worden sind.
(13)
1. Der alte heidnische Begräbnissplatz unfern des Grim nitz-Sees.
Als im Beginn des Sommers d. J. (18G4) eine sandige Stelle des Weges nach
Angermünde, dicht hinter Forsthaus Bärendickte gepflastert werden sollte, wurde es
dem Unternehmer dieser Arbeit erlaubt, dazu Steine aus der Forst zu nehmen, wo
er sie fände, und zur Verbesserung des Weges zu verwenden. Bei dieser Gelegen-
heit fand der Unternehmer, der Maurer Werd ermann aus der Mühlenstrasse, am
Rande einer Schonung Steinhijgel, welche ihm sehr passende Steine zu seinem
Strassenbau zu enthalten schienen. Er nahm die Steine eines Hügels ab und kam
dann wenig tiefer als die Erdoberfläche auf eine Steinplatte von etwa 3 Funs Länge
und 2j^ Fuss Breite ohne genaue und bearbeitete Begrenzung ihres Unifanges. Nach-
dem diese Platte aufgehoben war, fand sich ein durch aufrecht stehende flache Steine
begrenztes länglich viereckiges Hünengrab mit einer Urne darin. Auf gleiche Weise
behandelte der Finder mehrere Hügel und fand denselben Inhalt.
Seine Entdeckung blieb unbekannt, bis einige Lehrer den Schulkindern von
Bärenskirchhof erzählten und von Hünengräbern und Urnen redeten. Hierbei er-
fuhren die Lehrer von einigen Schülern, dass der Maurer Werdermaun in der
Gegend des Devin-Sees Urnen gefunden habe. Da es nach dieser ungenauen Nach-
richt von dem Funde noch nicht feststand, ob man es an dem Orte mit einem heid-
nischen Begräbnissplatze zu thun habe, so suchte ich den Platz nach der Beschrei-
bung auf, fand ihn, und theilte dem Hrn. Kreisrichter II lies, der durch die Unter-
suchung von Bärenskirchhof die erste Anregung zur Aufgrabung von Hünengräbern
gegeben hatte, dem Hrn. Cantor Bern et und dem Hrn. Lehrer Kleinschmidt
meine Anschauung von der Sache mit. Da sich die Herren sehr für die Sache
interessirten, so fuhren wir über den Grimnitz-See nach dem Platze, der etwa lüOO
Schritte von diesem See entfernt liegt. Wir freuten uns, die offenen Gräber zu
sehen, und hofften, wenn wir irgend einen der dortigen Steinhügel aufgrüben, wir
würden ein neues Grab mit Urne öffnen, und vielleicht Werkzeuge der alten heid-
nischen Bewohner dieser Gegend darin finden.
Es waren drei Gräber von übereinstimmender Form und Einrichtung geöffnet
auf deren einem noch der Deckelstein lag, auf welchem eine halbe Urne stand.
Dieser heidnische Begräbnissplatz liegt nördlich vom Grimnitz-See, östlich von
Leistenhaus und dem Deviu-See, südlich von der Künkendorfer Strasse und nord-
westlich von Amt Grimnitz und dem Eichelkamp, im Jagen 30 des Glambecker
Forstrevier, Schutzbezirk Bärendickte. Nordwestlich begrenzt ein Bruch den Hügel,
welcher sich vom Grimnitz-See sanft erhebt, dagegen zu dem Bruche schroff abfällt.
Parallel mit dem Bruche zieht sich ein Weg dicht an einer Kieferuschouung entlang,
so dass diese einen Streifen von ca. 50 Fuss Breite bildet. Der Bestand der etwa
15 Jahr alten Schonung ist von den betreffenden Hünengräbern und Wachholder-
büschen unterbrochen.
Die Steinhügel, welche sich hier befinden, haben einen Umfang von 20 — 24
Fuss und sind nicht sehr hoch. Die Steine sind von verschiedener Grösse, meist
kopfgross, aber auch kleiner und grösser, gewöhnlich rundlich und die oberen
bemoost.
Nachdem dieser Steinhügel entfernt ist, fi'ihlt man unter einer Erdschicht von
6 Zoll den Deckelstein, eine etwa 4 Zoll dicke Granitplatte von etwa 3 Fuss Länge
und 2)^ Fuss Breite, deren Umgrenzung bruchig und nicht bearbeitet ist. Weder
die Ober- noch die Unterseite dieses Deckelsteines sind behauen, sondern der ganze
Deckelstein scheint eine von einem grösseren Steine abgespaltene Platte zu sein.
Unter dieser Platte sieht man das eigentliche Grab, einen Raum, dessen Grund-
fläche ein Rechteck von 2'/.^ Fuss Lunge und 2 Fuss Breite ist. Die senkrechten
(14)
Wände dieses Raumes bilden Steinplatten, die etwa 3 Zoll dick und wenigstens an
ihren oberen Kanten so glatt bearbeitet sind, dass der Deckelstein darauf schliesst.
Zwei von diesen 4 Steinen und zwar die 2 auf den kürzeren Seiten des Rechtecks
aufrecht stehenden Steine sind auch an den beiden Seiten behauen, mit welchen sie
mit den beiden Steinen der langen S«'iten zusammenstossen, so dass dadurch ein
vollkommener Steinkasten entsteht, dessen kürzere Seiten nach Südwesten und Nord-
osten liegen.
In diesem Steinkasten steht die aus mit Kies vermischtem Thon gebrannte,
bronzefarbene Urne, deren Wände '/j Zoll dick sind, von gefälliger Form und ein-
facher Verzierung. Der Boden dieser Urnen ist verhältnissmässig klein und hat einen
Durchmesser von 3% Zoll. In der Höhe von B% Zoll hat die Urne den grössten Um-
fang, denn ihr Durchmesser beträgt hier 9V'' Zoll. Vom Boden bis zu dieser Höhe
schwingen sich die Wände in einer schönen Wellenlinie empor. Von hier an ver-
engt sich die Urne, so dass bei 4| Zoll Höhe der Durchmesser ^^|^ Zoll beträgt.
Dann biegen sich die Wände der im Ganzen 6^^ Zoll hohen Urne wieder nach
aussen, so dass der übergebogene Rand mit der grössten Weite der Urne harmonirt.
Von der Einschnürung der Urne in ihrem Halse bis fast zum Bauche in der Mitte
befindet sich an den beiden Endpunkten eines Durchmessers ein offener Henkel an
den Urnen, der jedoch so klein ist, dass man nicht einmal einen Finger durchstecken
kann. Die Verzierungen bestehen aus eingedrückten gradlinigen Reifen, die zum
Theil horizontal um den Hals gehen, während je 5 oder 6 senkrecht über den Bauch
nach unten auslaufen.
Fig. A. stellt eine an diesem Orte gefundene Urne dar:
ab ist der Durchmesser des Bodens 372 Zoll ;
cd grösster Durchmesser des Bauches 974 „
fg Durchmesser der Einschnürung 7\/4 „
hk obere Weite der Urne (Durchmesser) OV'« »
Im Höhe der Urne 6V4 „
In den Urnen befand sich ausser den Knochenstücken und Asche auch Sand.
Der erste Finder liess die Urnen mit dem Inhalte auf dem Platze stehen, daher denn
Alles ohne Untersuchung verschüttet wurde.
Trotz der grössten Anstnjnguug, die wir auf mehrere Hügel verwendeten, fanden
wir nichts weiter, als einen nicht mehr in recht(U- Lage befindlichen Deckelsteiu.
(15)
Hinsichtlich der Form stimmen die hier gefundenen Urnen mit denen von Bä-
renskirchhof überein; aber die Farbe mehrerer der letztgenannten ist dunkler, einige
sind schwarz und die Verzierungen arabeskeuartig geblümt. Ausserdem sind sie auch
aussen glatter, fast möchte man sagen glasirt. Dagegen unterscheidet sich die Art
und Weise, wie die Urnen beerdigt sind, wesentlich. Während nehmlich die Urnen
auf Bärenskirchhof in die blosse Erde auf einen Stein gesetzt und mit einem Deckel-
stein unmittelbar zugedeckt sind, stehen die Urnen auf diesem Platze in einem wohl
eingerichten Steinkasten, welcher mit einem grossen Deckelsteine versehen ist. Ausser-
dem befindet sich hier auf jedem Grabe ein Steinhügel, während auf Bärenskirchhof
keine Steine ausser den 18 Begrenzungssteinen, den Steinen, worauf die Urnen stehen,
und den üeckelsteinen vorhanden sind.
2. Der heidnische Begräbnisspatz auf dem Felde bei Friedrichswalde.
Eine gute halbe Meile nördlich von Joachimsthal auf der östlichen Feldmark
von Friedrichswalde in der Nähe des Prüsnick-Sees hat sich der Bauer Heidel-
mann nach der Separation vor 13 Jahren ein Gehöft erbaut und bei der Legung
der Fundamente und Grabung eines Kellers mehrere Urnen ohne weitere Vorrichtung
in der Erde gefunden. Die Urnen waren von verschiedener Grösse und mehr hoch
als weit, denn der Finder nennt sie Kruken, worunter man hier topfartige thönerne
Gefässe versteht, die oben bedeutend enger als in der Mitte sind und zum Aufbe-
wahren von Flüssigkeiten, namentlich von Bier dienen. Von solchen Gefässen soll
ein Raum von 5—6 Fuss Länge und Breite wohl 10—12 enthalten haben. Neuer-
dings sind an diesem Punkte keine Nachgrabungen unternommen.
3. Die heidnischen Begräbnissplätze bei Ptingenwalde.
Ringenwalde ist ein Dorf eine Meile nördlich von Joachimsthal und hat seinen
Namen davon, dass es rings vom Walde eingeschlossen ist. Es gehörte früher der
Familie v. Arnim, hat sich auf die Ahlimb'sche Familie vererbt und ist durch
die einzige Tochter des Rittmeisters v. Ahlimb, welche sich mit dem aus Dessau
stammenden Grafen Saldern verheirathete, an die gräflich Ahlimb-Saldern'sche
Familie gekommen.
In der Nähe von Ringenwalde liegen drei heidnische Begräbnissplätze. Der
zuerst aufgefundene befindet sich unfern des Dorfes beim sogenannten Steinpütten
auf dem Wege von Ringenwalde nach Ahlimbswalde.
Beim Sandgraben fand hier der Briefträger und Bursche des Cantors Pietscher
sechs Urnen, die ausser Sand nur Knochenüberreste enthalten haben. Eine dieser
(16)
Urnen, von der zwar ein Stück des oberen Randes fehlt, ist noch so erhalten, dass
man die Form sehr wohl erkennen kann.
Der Boden hat einen Durchmesser (Fig. B. a) von 474 Zoll. In einer Höhe
von 'i'/g Zoll (b) erreicht die Urne ihre grösste Weite, deren Durchmesser (c) 97a
Zoll beträgt. Vom Boden bis hierher wölbt sich die Urne in einem etwas geschweif-
ten Bogen. Darauf steigen die Wände 3'/2 Zoll fast senkrecht auf, ohne dass sich
der Rand nach aussen umbiegt. Die Höhe der ganzen Urne (h) beträgt 6^/3 Zoll.
Henkel und Verzierungen befinden sich gar nicht an dieser Urne, welche Wände
von einem starken Viertelzoll Dicke und duukelgelbe Farbe hat. Das Material der-
selben ist gebrannter Lehm, mit Kies vermischt.
In der au diesen Platz grenzenden Kiefernschonung, welche einen Bestand ent-
hält, der etwa 25 Jahr alt ist, befinden sich mehrere Steinhügel, von denen die Frau
Gräfin v. Ahlimb-Saldern vor zwei Jahren einige aufgraben liess. Sie fand in
denselben auf einer Art Heerd, welcher an den Seiten, sowie oben von Steinen um-
geben war, grössere und kleinere Urnen, die anfangs aufbewahrt, später aber zer-
brochen sind. Alte Instrumente oder Waffen sollen nicht gefunden sein, dagegen
hörte ich von einem messingenen grossem Knopfe. Die Art der Urnen-Bestattung
erinnert an die Art und Weise, wie sie auf dem Begräbnissplatze in der Nähe des
Grimuitz-Sees betattet sind.
Gegenwärtig sind in der bezeichneten Schonung noch einige unberührte Hünen-
gräber vorhanden.
Der dritte Ort bei Ringenwalde, an welchem sich ein heidnischer Begräbniss-
platz zu befinden scheint, liegt nördlich von Ringenwalde, zu beiden Seiten der
Strasse nach Albertinenhof, in einem Buchenwalde links von Hohenwalde. Von der
betreffenden Stelle senkt sich der Boden ziemlich schnell zu dem östlich liegenden
Krinitz-See. Die Steinhügel an diesem Platze sind die grössten der Art, die ich
bisher gesehen habe und mögen wohl einen Umfang von 32 Fuss haben, während
ihre Höhe auch nicht gering ist.
Nachgrabungen sind an diesem Platze noch nicht unternommen.
4. Der Begräbnissplatz auf der Schorfheide.
Wie ich von mehreren Personen gehört habe, sind auf der Schorfheide, ich
glaube bei Anlegung der Zauberflöte, eines verdeckten Ganges, der dazu dient, dem
Wilde unbemerkt recht nahe zu kommen, mehrere Thonkrüge gefunden worden,
welche nur klein gewesen sein sollen, und deshalb Thränenkrüglein genannt wurden.
Auch Waffen sollen dort, wie in der Nähe auf dem Schlossberge, gefunden sein,
5. Der heidnische Kirchhof in der Lieper Forst.
Dieser Begräbnissplatz kann nicht mehr als in der Umgegend von Joachimsthal
liegend angesehen werden, denn die Entfernung von hier beträgt 2'/^ Meile. Er
liegt zwischen Oderberg, Liepe, Chorin und Brodowin in der Nähe vom Forsthause
Liepe.
Vor etwa 35—40 Jahren hat der Herr Oberförster Krüger zu Oderberg
Ausgrabungen an diesem Platze vornehmen lassen und mehrere Urnen zu Tage ge-
fördert und lange Zeit aufbewahrt. Jetzt befindet sich eine Schonung au dem Orte?
so dass Ausgrabungen von Seiten der Forstverwaltung schwerlich gestattet werden
würden.
Das witte Hüseken.
Auf dem Wege von Joachimsthal nach der Försterei Pehlenbruch liegt zur
rechten Hand in der Haide eine Ruine, über deren Bestimmung sich keine Nach-
(17)
richten erhalten haben, wogegen aber der Name „Wittes Ilüseken" allgemein bekannt
ist. Ob aber die Schreibung des Namens die richtige ist und die üebersetzung
desselben ins Hochdeutsche mit „Weisses Häuschen" stimmt, oder ob es heissen
inuss „Witte's Hiiuschen" und also der Besitzer Witte geheissen hat, lässt sich bis
jetzt nicht entscheiden; doch ist die erste Meinung die am meisten verbreitete.
Die Ruinen liegen auf den städtischen Waldhufen und zwar auf der Waldpar-
zelle des Ackerbürgers Paul in der Marktstrasse. Die Hufe ist mit etwa 20jährigen
Kiefern bewachsen.
Man sieht jetzt drei aus Granit-, Mauer- und Dachsteinen aufgemauerte Pfeiler,
zu denen der entsprechende vierte bis auf den Boden abgebrochen ist und hohl ge-
wesen zu sein scheint, da in seiner Mitte eine Vertiefung in die Erde geht. Dies
ganze Mauerwerk ist ein Quadrat, dessen Seiten 18 Fuss betragen.
Die diei stehenden Pfeiler, welche wiederum zur Grundfläche ein Quadrat haben,
dessen Seiten 3'/^ Fuss Länge messen, sind an den Ecken etwas abgerundet. Die
Höhe der Pfeiler beträgt 12 — 13 Fuss. Sie scheinen selbständig, jeder für sich,
aufgemauert zu sein, denn ihre Seiten sind scharf abgegrenzt, wenn auch etwas ver-
wittert, namentlich an ihren Gipfeln.
Von den drei erhaltenen Pfeilern stehen zwei nach Süden, der dritte nordwest-
lich. Zwischen den nördlichen Pfeilern scheint unter der Oberfläche der Erde ein
Fundament zu liegen, an welches von Norden heran ein Erdwall aufgeworfen ist.
Auch die beiden östlichen Pfeiler, wie die westlichen, scheinen durch eine, jetzt
unter der Erdoberfläche liegende Mauer verbunden gewesen zu sein. Nur die 11
Fuss breite Oeffuung zwischen den südlichen Pfeilern scheint als Eingang unver-
bunden gewesen zu sein.
Es wird die Vermuthung ausgesprochen, dass die Ruinen ein Jagdhäuschen ge-
wesen seien oder eine Plattform gehabt haben, und dann zum Körnen und Beobach-
ten des Schwarzwildes gedient haben; doch, kann es auch wohl ein kleiner Vor-
posten zu den nahe gelegenen Schlössern Grimuitz, Breden und Werbellow gewesen
sein, von welchen nur noch die Ruinen des erstem am [Grimnitz-See erhalten sind. —
Derselbe schickt ferner Notizen über verschiedene Ausgrabungen:
1) Bei Bieucnwalde (zwischen Ruppin und Rheinsberg) südlich von den sogen. Züh-
lonschen Pfählen, wo sich das Land zu denselben abdacht, ist eine grosse heid-
nische Grabstätte, denn in einer Tiefe von etwa Ij^Fuss steht Urne an Urne in
ziemlich grosser Ausdehnung, jede einzelne mit Steinen vollständig ummauert.
Beim Biossiegen einiger fanden sich verschiedene Reste von Schmuckgegen-
ständeu, welche den Leichcubraud überdauert, namentlich zwei eiserne Man-
telspaugeu in der Form der sogen. Sicherheitsnadeln; eine andere grössere
von Bronze war abgebrochen, cf. Ruppiner Programm von 1871.
2) Bei Schollehne im Havellaude finden sich in den sogen. Burgwallswiesen
(selbige gehören zu der auf einem alten Burgwall stehenden Ziegelei) Urnen
in grosser Zahl in kleineu steinerneu Backöfen. In einer derselben von
dunklem, braunem Thon ist eine kleine silberne Münze unter der Asche ge-
funden worden, ein sogen. Wendenpfennig, welcher auf der einen Seite ein
sogen. Blätterkreuz, auf der andern ein breites achteckiges Kreuz zeigt. —
Diese Münze giebt also den Beweis, dass dieser Kirchhof aus dem 10., 11.
Jahrhundert herrührt, wo die Wenden hier die herrschende Bevölkerung aus-
machten; ob OS aber speciell wendische oder deutsche Gräber sind, ist bei der
aus beiden Völkern gemischten Bevölkerung, welche hier war, aus jenem
Umstand noch nicht mit Sicherheit zu schliesseu. Die Sitte übrigens, dem
Verh.'kndl. der Berl. Autbropul. Gesellschaft. 1S7C>. 2
(18)
Todten eine Münze mitzugeben, findet noch heute im Havellande (wie auch
im sog. Ilans-Jochen-Winkel in der Altmark) allgemein statt. (Schwartz,
Ursprung der Myth. S. 273, Anm.)
3) Am Wege von Wassersuppe nach Hohennauen liegt rechts ein kleiner Sand-
berg, in demselben sind in grosser Menge Urnen von grobem, gelbem Thon
gefunden worden, ziemlich dicht unter der Erdoberfläche. Jede Urne war
zugedeckt mit einer Schüssel, daneben stand ein Topf, wie eine grosse Ober-
tasse, und neben diesem eine kleine Schaale wie eine Untertasse, wie ge-
wöhnlich in Gräbern der Provinz Posen. Eine grosse und eine kleine Urne,
sowie ein Topf sind vom Hrn. Oeconom Krüger dem Ziethen'schen Museum
in Ruppin geschenkt worden.
4) Gross-Lüben bei Wilsnack. Links vom Wege von Gross- nach Klein-Lüben
auf dem Felde zweier Bauern, welche sich ausgebaut, finden sich in einem
Sandberge zahlreiche Urnen, fast alle mit einer Schüssel zugedeckt. 1 1 der-
selben mit einem solchen Deckel sind bei einer Ausgrabung im Jahre 18GG
glücklicli herausgebracht und vom Ruppiner Gymnasial-Museum erworben
worden.
Endlich übersendet Hr. Schwartz einige Auszüge aus den Akten des Grafen
V. Ziethen
über Urnen der Ruppiner Samniluug.
1) Urne, eine von den beiden, welche sich in dem 1826 von Hrn. Alex. v.
MinutoH in Stendal in der Altmark geöffneten Grabe fanden. Dasselbe ist
— nach der Angabe des Hrn. v. Minutoli — das erste nicht römische Grab
gewesen, das man nach römischer Art überwölbt fand. Ein Opferaltar stand
an der einen vergitterten Oeffnung des Gewölbes ; auf den Urnen, welche
verkehrt standen, lagen Kreuze von Eisen, welche Hr. v. Minutoli für
Kopfbedeckungen hält. Eine ausführliche Beschreibung dieser merkwürdigen
Grabstätte findet sich in einem vom Vater des Hrn. v. M. im Jahre 1827
herausgegebenen Schriftchen unter dem Titel: Beschreibung eines in Stendal
geöffneten Grabes.
2) G Urnen, 1837 aus dem Besitz des Hrn. Maresch an den Gr. v. Ziethen über-
gegangen. In der kleinsten fand sich eine zerbrochene Nadel, ein Ring und
ein Haken- Sämmtliche Urnen sind von röthlicher Farbe, (p. 3. v. 11.)
3) Ein bedeutender Fund (s. Voss. Zeitung Nr. 146 des Jahrg. 1845) wurde im
Juni des Jahres 1845 bei Neustadt a. d. D. gemacht, als an dem Wege von
Köritz nach Wusterhausen ein Platz für den Bahnhof der Berlin-Hamburger
Bahn geebnet werden sollte. Bei dieser Gelegenheit wurde der hinter dem
Bahnhof in der Richtung nach Neustadt gelegene Galgen- oder Hexenberg
abgekarrt, in welchem mehrere Urnen nebst verschiedenen Kleinigkeiten ge-
funden wurden. 6 Urnen, ein Sporn, der sich in einer kleinen Urne befand,
und eine neben den Urnen gefundene Scheere gingen in den Besitz des Grafen
V. Ziethen über.
(18) Herr Missionssuperintendent A. Merensky hält einen Vortrag über
die Hottentotten.
Die Hottentotten hat mau oft mit den sogenannten Buschleuten zu identificiren
gesucht. Es ist zwar nicht zu läugnen, dass sie sich sehr nahe stehen, wenigstens
was Farbe und Typus des Gesichts betrifft. Auch finden sich in der Sprache beider
Völker die so sehr eigeuthümlicheu Schnalzlaute; in den Mythen und Sagen beider
(19)
spielen Sonne, Mond und Sterne eine Rolle, während die Sagen dunkelfarbiger Afri-
kaner mit den Gestirnen nichts zu schaffen haben. Trotzdem ist eine Identification
der ßuschleute mit di;n Hottentotten unrichtig. Schon die ersten Europäer, die sich
am Cap niederliessen, schieden zwischen beiden Völkern, indem sie ihnen verschie-
dene Namen beilegten. Unser Buschmann erhielt seinen Namen nach dem Orang-
utang, den die Holländer in Ostindien kennen gelernt hatten. Orangutang heisst
bekanntlich „Waklmensch", — holländisch boschmau oder bosjesmann. Später ist
von Reisenden öfter behauptet worden, die Buschleute seien Hottentotten, die, von
den Colonisten ihrer Heerden beraubt, in die Wilduiss sich zurückgezogen hätten.
Diess ist grundfalsch, denn Heerden konnten dem Volke der Buschleute nie genom-
men werden, weil es nie solche besessen hat.
Zwischen der Sprache beider Stämme ist nur eine geringe, Icaum nachweisbare
Verwandtschaft. Die Sprache der Hottentotten steht auf der agglutinativen, die der
Buschleute auf der isolirenden Stufe; jene hat vier sogenannte Schnalzlaute, diese
hat deren mehr und kennt auch Schnalzlaute, die mit den Lippen hervorgebracht
werden. Die Hottentotteusprache kennt Geschlechtsuuterschiede bei den Hauptwör-
tern, die der Buschleute nicht; jene bildet den Plural der Substantiva durch An-
hängung von Endsylben (Suffixen), diese durch Verdoppelung des Nomons oder seiner
ersten Sylbe. Jene kennt Zahlbeuennungen bis zur Zahl zwanzig, diese nur bis zwei;
was darüber ist, ist oaya, „viel". Das sind Wahrnehmungen, welche zur Genüge con-
statiren, dass beide Völker, wenn auch vielleicht verwandten Ursprungs, sich doch
schon seit langer Zeit gänzlich von einander getrennt haben.
Die Hottentotten oder Ottentotteu (in den ältesten Nachrichten auch Hoduods
oder Hodmodods), wie man anfänglich schrieb, haben ihren Namen von den Weissen
erhalten. Es scheint, als ob das Volk in seiner eigenen Sprache sich einen allge-
meinen Namen nicht beigelegt habe. Die Cap-Hottentotten nannten sich Quena,
die Namaqua Koikoib, die Kora oder Koranna Kuhkeul oder Thuhkeul. Die Be-
nennung „Hottentotten" stammt höchstwahrscheinlich von einem Wort, welches als
Tactgesang bei den l'änzen des Volkes gebräuchlich ist. Kolbe, der im Anfange
des vorigen Jahrhunderts seine Beobachtungen im Caplaude anstellte, erzählt, er habe
bei diesen Tänzen stets die Worte Hottentottum Broqua vernommen, und diese oder
ähnliche Worte hört man noch heut bei den Tänzen der Kora, wie ich von einem
Kora-Missionar erfahren habe.
Sprache, Farbe und Typus der Hottentotten weisen auf Nord-Afrika zurück.
Wenn wir das, was uns im Alterthum von den Troglodyten, welche am rothen
Meere ihre Sitze hatten, berichtet wird, mit dem vergleichen, was wir von den
Hottentotten wissen, so tritt eine Aehnlichkeit in den Sitten und der Lebensweise
beider Völker hervor, die nicht zufällig sein kann. Strabo sagt von ihnen (c. 776):
„Nomadisireud ist ihre Lebensweise; sie werden von Tyrannen beherrscht; leicht
ausgerüstet, in Felle gekleidet und Keulen tragend bringen sie ihr Leben zu. Es
giebt nicht nur Verstümmelte '), sondern auch Beschnittene unter ihnen, wie unter
den Aegypteru. Einige imter den Troglodyten (wohl einige Stämme) beerdigen ihre
Todten, indem sie sie vom Hals bis zu den Füssen festbinden mit Ruthen vom
*) Strabo a. a. 0. Ei6i Joi' xoXoßol /uövoy «AA« X((\ nfniifiuijut'i'oi riyt; xadäniQ
AlyvTiTioi. Die Hottentotten pflegten bei ihren Knaben oder Jünglingen vor ihrer Verbeira-
thuüg einen Testikel (ileu linken) zu verstümmeln. Für diese merkwürdige Sitte sind bei
Tachard, einem Pater der aGesellschaft Jesu", Booving und Kolbe binreicheude Zeugnisse
vorbanden. Bei den Weibern schnitten die llottentotteu Irüher zwei Gelenke am kleinen
Finger ab.
2'
(20)
Dornenstrauch " Letzterer Gebrauch ist genau der der Hottentoten, welche früher die
Todten nicht nur banden, wie andere afrikanische Stämme, sondern förmlich einwickelten.
Die Sprache der Hottentotten kennt Geschlechtsunterschied der Hauptwörter
und unterscheidet sich hierdurch absolut von dem südafrikanischen Sprachstamm,
tritt aber eben dadurch den nordafrikanischen Sprachen nahe, "Wallmann und
Bleek behaupteten, sie habe Aehnlichkeit mit dem Koptischen und Altägyptischen,
welcher Meinung neuerdings freilich widersprochen wird. Aber was über die Sprache
der Troglodyten von Herodot gesagt wird, ist für uns bedeutsam. Es heisst hier:
lingua nulli alteri simili utuntur, sed vespertilionum more strident. Diese Ausdrücke
passen ganz auf die Hottentotten. Wenn auch sonst wohl ein Volk vom andern
sagt: „es zwitschere" (wie z. B. die Basutho von der deutschen Sprache sagen, sie
sei ein Vogelgezwitscher), so ist doch der Ausdruck des grossen Weltkenners Hero-
dot, „die Troglodyten haben eine Sprache, die keiner andern ähnlich ist", und der
Umstand, dass er das Zwitschern dieses Volkes durch den Zusatz „wie die Fleder-
mäuse" näher kennzeichnet, jedenfalls zu beachten. Die Hottentottensprache, wie
auch die der Buschleute, erscheint uns wegen der später zu charakterisirenden
Schnalzlaute, die derselben eigenthümlich sind, fremdartiger und sonderbarer, als
irgend eine andere. Nach Perty ') sollen im Norden Afrikas noch heute Stämme
leben, die eine ähnliche schnalzende Sprache haben, wie die Hottentotten; Sklaven
mit einer Sprache, die sehr an die hottentottische erinnert, sollen auf den Markt von
Kairo kommen. Leider giebt Perty nicht an, aus welcher Quelle diese Nachricht
stammt. Es scheint, als ob die Hottentotten von Nord-Afrika aus nach Süden ge-
wandert, als ob aber auch in den ürsitzen Theile des Volkes zurückgeblieben
seien. Unter dem Volke selbst findet sich keine Tradition über seine Herkunft, die
von Werth erscheinen könnte. Kolbe erwähnt, dass er (Anfang des vorigen Jahr-
hunderts) von den Hottentotten gehört habe, dass ihre ersten Eltern Noh nnd Hin-
gnoh gewesen seien, die wären durch eine Oeffnung (des Himmels?) auf die Erde
gekommen; sie hätten ihre Nachkommen im Säen und Ernten des Getreides unter-
wiesen, auch im Hüten des Viehes, später aber seien ihre Vorfahren verjagt und
vertrieben worden aus ihrem Lande und hätten so den Ackerbau wieder vernach-
lässigt und vergessen. Die Namaqua erzählen, dass ihre Vorfahren zu Schiff nach
Süd-Afrika gekommen seien.
Die Hottentotten hatten, allem Anscheine nach, in früheren Zeiten einen viel
grösseren Strich von Süd-Afrika in ihrem Besitz, als in unserm Jahrhun-
dert es der Fall ist. Im Jahre 1677 wurde ein holländisches Schiff, de Boede, unter
Corporal Thomas Hobma an der Westküste entlang nach Norden geschickt, um nach
Häfen zu suchen; dies Schiff erreichte 12" 47' und rapportirte, Häfen seien an der
Koste nicht zu finden, aber die Eingebornen seien überall Hottentotten. Im sieben-
zehnten Jahrhundert erzählten die Hottentotten am Cap den weissen Ankömmlingen,
dass im Innern ihnen ein Land bekannt sei, wo man Gold im Sande finde, wo grosse
steinerne Häuser ständen und Reis gesäet würde. Es ist dies die Gegend im Westen
von Sofala, wo noch heut Gold gefunden und Reis gebaut wird ; die „steinernen
Häuser" sind entweder die Ruinen von Zimbabye oder Missionsstationen, welche dort
im IG. Jahrhundert errichtet worden sind. Bis dahin, also etwa bis zum 20" südl.
Breite war damals den Hottentotten die Ostküste bekannt. Das von Betschuanen
und Basuthos jetzt b(!Wohnte Hochland im Tunern Südafrikas war in jenen Zeiten
wahrscheinlich von Hottentotten und Buschleuten bewohnt. Noch heute nennen die
Bapedi (Basuthos), die unter dem 24" südl. Breite wohnen, die Himmelsgegend nach
V Perty, Ethnologie. S. 276.
(21)
Westen und Süden hin Boroa, d. h. Hottentottengegend, während seit Menschenge-
denken dort schon schwarze Stämme sitzen. Die KalTernstämme sind an der Ost-
küste entlang allmählich, aber unaufhaltsam gegen die Hottentotten vorgedrungen.
Vasco de Gama fand Ende des 15. Jahrhunderts schon Kaffern in Natal, aber hier
grade haben die Heikoms-Hotteutotten noch längere Zeit sich gehalten. Dass die
Hottentotten die Herren Südafrikas waren, ehe die Kaflfern einwanderten, ist auch
aus dem Umstand zu erkennen, dass manche der Kafferstämme, besonders die Zulu,
Ponda, Xosa, Tembu von den Hottentotten einige Schnalzlaute in ihre eigene Sprache
aufnahmen. Laute, welche den Kaffernstämmen ursprünglich fremd waren. Ein Volk,
welches einwandert, nimmt von dem früher im Lande sesshaften Stamme eher solche
Eigenthümlichkeiten an, als umgekehrt. Dass unter Betschuanen und Basutho nur
eben einige wenige Abtiieilungeu (Batlapi und einige Theile des Volkes von Moshe-
hoe) anfingen, sich Schnalzlaute der Hottentotten anzueignen, ist uns ein Beweis
für die auch durch andere Gründe unterstützte Annahme, dass diese Stämme später,
als die Küstenkaffern in Südafrika von Norden her eingewandert sind. Seit der
Mitte des 18. Jahrhunderts dringen die schwarzen Stämme unaufhaltsam gegen
die Hottentotten diesseits des Keiflusses vor. Wenn wir eine Karte vor uns legen,
auf welcher die Verbreitung der Hottentotten und ebenso die der Kaffern genau und
deutlich angegeben ist, so machen wir die interessante Wahrnehmung, dass die
kornbauenden Kafferstämme die Hottentotten aus allen Gegenden vertrieben haben,
in denen genügend Regenfall vorhanden ist, in denen also Mais oder Durrha (Kaf-
ferkorn) cultivirt werden kann. An der regenreichen Ostküste drangen die Kaffern
am schnellsten und am weitesten nach Süd-Westen vor. Hier hätten sie vielleicht
das Cap erreicht, wenn nicht die Weissen endlich in schweren Kriegen ihrem weitern
Eindringen gewehrt hätten. Im mittleren Theile des Landes, auf der Hochfläche,
sind die regenreichen Gebirge an den Quellflüssen des Garriep von Basuthos in
Besitz genommen, in den dürren Ebenen am Zusammenfluss des Vaal- und Gross-
flusses aber blieben die Korahotteutotteu sitzen. Bis an den Rand der regenlosen
Kalahari- Wüste dehnten sich die Betschuanen aus; diese selbst, das Capland und die
dürre Westküste blieb im Besitz von Buschleuten und Hottentotten. Wo aber an
der Westküste regenreiche Striche unter dem 18. Grad sich finden, sehen wir wieder
schwarze, kornbaueude Stämme im Besitz derselben; soweit drangen sie vor.
Es darf uns in dieser Wahrnehmung nicht der Umstand irre machen, dass wir
im Anfang unseres Jahrhunderts die Hottentotten am Vaalfluss und neuerdings auch die
der Westküste, die Nama's, wieder im Vordringen gegen die dunkelfarbigen Kaffer-
oder Negerstämme begriffen sehen. Dieses Vordringen ward verursacht einestheils
dadurch, dass die Hottentotten von der Cap-Colonie her durch die Weissen gedrängt
wurden, anderntheils durch die Uebermacht, die ihnen der Besitz von Feuerwaffen
und Pferden für eine Zeit über jene Stämme gab. Die Leichtigkeit, mit der sie
diesen ihre Heerden rauben konnten, machte sie zu Räubern.
Die Hottentotten scheinen sich im Laufe der letzten zwei Jahrhunderte durch
den Einfluss der Weissen, mit denen sie Südafrika nun theilen mussten, was Gestalt
und Sitten angeht, ziemlich bedeutend verändert zu haben Es ist vielleicht inter-
essant zu hören, wie man sie lG2ü schildert. In dem Juli dieses Jahres landete nehm-
lich eine englische Handelsflotte in Südafrika unter Sir Thomas Herbert. Dieser
schildert die Hottentotten folgendermaassen : „Da sie von Harn abstammen, so tragen
sie in Gesicht und Statur das Erbe seiner Verfluchung. Ihre Gesichter sind schmal und
die Glieder wohlproportionirt, aber tättowirt in jeder F(n'm, wie es ihnen einkommt.
Einige rasireu den Kopf, Andere haben einen Schopf auf demselben. Andere tragen
Sporenräder, kupferne Knöpfe, Stückchen Zinn u. s. w. in den Haaren, Dinge, die
(22)
sie von Seeleuten für Vieh einhandeln. Ihre Ohren sind durch kupferne Ringe,
Steine, Stücke von Strausseneiern und dergleichen schweres Zeug ausgedehnt. Arme
und Beine sind mit kupfernen Ringen beschwert, um den Hals sind Thierdärme ge-
wunden. Einige gehen ganz nackt, Andere binden ein Stück Leder oder ein Löwen-
oder ein Pantherfell um den Leib. An den Füssen tragen sie mit Riemen festge-
bundene Sandalen, welche die Hottentotten, die bei uns waren, in der Hand hielten,
damit die Füsse besser stehlen könnten, denn sie stahlen geschickt mit den Zehen,
während sie uns ansahen. Es waren Heuschrecken vom Winde herbeigetrieben, die
assen sie gern, mit etwas Salz bestreut; aber in Wahrheit öffneten sie selbst Gräber
von Leuten, die wir bestattet hatten, und assen von den Leichnamen. Ja, diese Un-
geheuer lassen oft Alte, Kranke und Hülflose auf Bergen umkommen, obwohl sie
eine Menge von todten Walfischen, Seehunden und Pinguinen haben, die sie als
Leckerbissen verzehren, ohne sie erst zu braten. Man möchte sie für Abkömmlinge
von Satyren halten."
Heutzutage passt diese Beschreibung glücklicherweise nicht mehr auf die Hot-
tentotten. Für jene Zeit mag sie wahrheitsgetreu gewesen sein, abgesehen von der
Beschuldigung, dass die Hottentotten Leichen ässen. Oeffnung der Gräber durch
Hyänen mag Anlass zu jener Meinung gegeben haben.
Heute tättowirt sich kein Hottentott mehr, noch dehnt er die Ohren unförmlich
aus oder rasirt den Kopf. Es geht auch keiner mehr nackend, und rohe Seehunde
würden schwerlich von diesem Volk angerührt werden. Eigentliche Hottentotten
würden heut auch wohl kaum Angehörige in der Noth verlassen. Selbst die noch
heidnischen Hottentotten haben sich also, wie es scheint, zu ihren Gunsten verändert.
Das Volk scheint auch im Ganzen eine hellere Farbe angenommen zu haben, denn
der schon erwähnte deutsche Gelehrte Kolbe, welcher Anfangs vorigen Jahrhunderts
seine Beobachtungen im Caplande anstellte, streitet wider die Meinung eines andern
Schriftstellers, welcher sagt: die Hottentotten seien schwarz von Farbe. Schwarz,
sagt Kolbe, sind sie nicht, sondern nur kastanien- oder kaffeebraun. Heutzutage
sind auch diejenigen dieses Volkes, bei denen an eine Vermischung mit Weissen
nicht zu denken ist, nicht etwa braun, sondern nur hellgelb zu nennen. Es muss
also die Farbe dieses Volkes seit 170 Jahren sich bedeutend verändert haben, was
bei der veränderten Lebensweise desselben auch sehr leicht möglich ist.
Die Hottentotten haben keinen kleinen Körper. Im Durchschnitt sind sie 5 bis
6 Fuss gross, auch hierin von den Buschleuten sich unterscheidend. Sie sind gut
gebaut, starkknochig, Hände und Füsse sind klein. Arme und Beine pfoportionirt.
Der Gesichtswinkel ist etwas kleiner als bei den Kaffern. Der Mund ist nicht zu
gross, die Lippen sind nur wenig aufgeworfen. Hässlich wird das Hottentottenge-
sicht durch die stark hervertretenden Backenknochen und die eingedrückte Nase.
Bartwuchs ist fast nicht vorhanden, die wollisen Haare unterscheiden sich vom Ne-
gerhaar dadurch, dass sie mehr in einzelnen Büscheln auf dem Schädel stehen.
Was die sogenannte Hottentottenschürze angeht, so geht des Verfassers
Meinung dahin, dass sie nicht natürlich ist, sondern, wo sie vorhanden war, künstlich
erzeugt wurde. Wir sind zu dieser Ansicht durch die Beobachtung geführt, dass die
Basutho und viele andere afrikanische Stämme eine künstliche Verlängerung der
Labia minora zu bewirken wissen. Die dazu nothvveudige Manipulation wird von den
älteren Mädchen an den kleineren fast von der Geburt au geübt, sobald sie mit
diesen allein sind, wozu gemeinsames Sammeln von Holz oder gemeinsames Suchen
von Feldfrüchten fast täglich Anlass giebt. Die Theile werden gezerrt, später förm-
lich auf Hölzchen gewickelt.
Die Hottentotten werden sehr alt. Anfang des vorigen Jahrhunderts sollen Leute
(23)
von 80 bis 120 Jahren unter ihnen häufig angetroffen worden sein. Beim Census,
den man ISGö in der Cap-Colonie anstellte, fanden sich 63 Personen über 100 Jah-
ren in der Colonie vor. Die Capbauern werden selten recht alt; wahrscheinlich
kommt von diesen 63, iiber 100 Jahr alten Leuten die Mehrzahl auf Hottentotten.
Es wird sich Mancher wundern, dass die Hottentotten nicht ausgestorben sind.
Es ist ja die falsche Meinung weit verbreitet, dass alle farbigen Rassen, wenn sie in
ihrer früheren sorglosen Existenz gestört und zu einem quasi civilisirten Leben ge-
zwungen würden, dahinsiechten. Bei den afrikanischen Völkern ist diess
nicht der Fall. Die Hottentotten haben viel aushalten und verschiedene Entwicke-
lungsperioden durchmachen müssen, und doch haben sie sich bis heute vermehrt,
Sie wurden ihres Landes und ihrer Heerden beraubt, wurden als Sklaven der Bauern
zu einer andern Lebensart gezwungen, und haben seit Anfang dieses Jahrhunderts
als freie Leute wieder für sich und ihren Lebensunterhalt selbst sorgen müssen.
Vergleichen wir einige Zahlenangaben. Im Jahre 1798 waren in der Cap-Colonie
(damals freilich nur etwa 2/3 ihres jetzigen Flächeninhalts gross) 25,754 eingeführte
Sklaven und 14,447 Hottentotten. Im Jahre 1807 wurden 17,657 Hottentotten angegeben.
Der Census, welcher 1865 in der Colonie abgehalten wurde, giebt die Zahl der
Köpfe dieses Volkes innerhalb der Colonie auf 81,598 an. Ausser ihnen leben in
der Cap-Colonie 132,655 andere Farbige, Nachkommen der Sklaven und Hotten-
totten, jene oben erwähnten Mischlinge. Auch wenn man die Vergrösseruug der
Cap-Colonie in Anschlag bringt, wird man nicht umhin können zuzugeben, dass die
Hottentotten, Sklaven und Mischlinge sich seit Anfang dieses Jahrhunderts bedeutend
vermehrt haben.
Unter den farbigen Leuten der Cap-Colonie sind etwa ein Dritttheil zum
Christenthum bekehrt. Wohl haben die Hottentotten und Farbigen des Caplands
keine uns gewinnenden oder interessirenden Eigenschaften; in ihren Ideen, Sitten,
nach ihrer Sprache sind sie ihren früheren Herren, den Capbauern, fast gleich ge-
worden, aber sie sind als dienende, als zweite Klasse der dortigen Gesellschaft
nützlich und unentbehrlich. Mancher Reisende, welcher flüchtig jenes Land durch-
zieht, schilt über Bilder von Faulheit oder sittlicher Verkommenheit, die hier und
da sich seinem Auge bieten, ohne dass er sich die Mühe nähme, auf Dörfern oder
Missionsstationen Schulen, Gottesdienste und "Wohnungen des christlichen Theils der
farbigen Bevölkerung Südafrikas zu besuchen. Ohne das Eingreifen des Christen-
thums und der christlichen Mission würde die farbige Bevölkerung Südafrikas ein
ungleich traurigeres Bild jetzt bieten. —
Herr Virchow spricht dem Vortragenden den Dank der Gesellschaft und zugleich
die Hoffnung aus, dass zwischen der letzteren und den evangelischen ^lissionsstatio-
nen Südafrikas engere Beziehungen angeknüpft werden möchten. üebrigens bestä-
tigten die Beobachtungen des Hrn. Merensky die durch Hrn. F ritsch in so schö-
ner Weise dargelegten Verhältnisse der südafrikanischen Stämme.
Herr Bastian bemerkt, dass über Völkerverwandtschaft nur auf Grund bestimm-
ter Vorlagen geschlossen werden dürfe, indem zunächst die natürlichen Ergebnisse zu
beachten seien. Nach Hornemann's Erwähnung wird die Sprache der Tibbu mit
Vogelgezwitscher verglichen, wie schon zu Herodot's Zeit aus denselben Gegenden.
Herr Schweinfurth macht auf die nahen verwandtschaftlichen Beziehungen
zwischen den süd- und mittclafrikanischen Völkern aufmerksam. Namentlich trete
dies Verhältniss in Bezug auf Dinkaneger und Kafforn hervor.
(24)
Herr .Hartmann erwähnt, dass er vor Kurzem in einer Sitzung der Gesellschaft
für Erdkunde auf die auch ihm sehr auffallende äussere Aehnlichkeit zwischen
Tebu und Hottentotten und auf die Pygmäenberichte aus der Reise der nasamonischen
Jiinglinge aufmerksam gemacht habe. Die Verwandtschaft der Bantuvölker mit den
nigritischen Ostafrikanern und den nigritischeu Bewohnern der oberen Nillande sei
auch für ihn eine schon seit vielen Jahren feststehende Thatsache. Manches be-
rechtige seiner Ueberzeugung nach zu der Hoffnung, dass sich allmählich auch die
verwandtschaftlichen Beziehungen der Hottentotten auf afrikanischem Boden feststel-
len lassen werden, wenn auch gerade nicht im Sinne derer, welche aus dem Peri-
plus der Nekau voreilige Schlüsse gezogen hätten.
Herr Merensky erwidert, dass er Hottentotten und Buschmänner für ver-
schieden von den nilotischen Negervölkern halte, dass er aber an eine innige Ver-
wandtschaft der letztern mit den Kaffern glaube. So habe er hier im ägyptischen
Museum ein ähnliches Kopfgestell gesehen, wie es in Südafrika noch jetzt ge-
bräuchlich sei.
Herr Bastian weist im Gegensatz zu den mehr das Gepräge längerer Ansässig-
keit tragenden Betschuanen auf die längst der Ostküste herab erfolgten Züge der
Kaffern hin.
Herr V. Q,uast bemerkt, dass das von Hrn. Merensky erwähnte Kopfgestell
nicht allein in Aegypten, sondern sogar in Neuguinea aufgefunden sei. Derselbe
erläutert die Gebrauchsweise dieses Geräthes.
Herr Bastian möchte bei der Auffindung ähnlicher Gcräthe in fern von einan-
der liegenden Gebieten vor den beliebten Wanderungstheorien warnen, da Wande-
rungen zunächst immer nur so weit angenommen werden dürfen, wie sie factisch
erweisbar sind.
Herr Schweinfurth betont die üebereinstimmung in der Begrübnissweise bei
Betschuana, Bongo und Mittu. Aehnliche Analogien finden sich in Bezug auf das
Ausschlagen der Zähne und den sonderbaren Gebrauch, die Kiihe von hinten her
aufzublasen, um sie zum Melken zu bringen.
Herr Hildebrandt erwähnt, dass er letztern Gebrauch auch in Abyssinien ge-
sehen habe. Man thue es, um die Kühe zum Stillstehen zu veranlassen, da sie sich
mit dem aufgeblähten Bauche nur schwer bewegen könnten.
(19) Der Vorsitzende richtet herzliche und ehrende Worte des Abschiedes an
die binnen Kurzem nach Afrika zurückkehrenden Herren G. Schweinfurth und
J. M. Hildebrau dt, die heute zum letzten Male für lange Zeit in der Gesellschaft
anwesend sind.
(20) Als Geschenke wurden vorgelegt:
Soyoux: Les origines et l'epoque paVenne de l'histoire d^s Hongrois.
Paris 1874.
Th. Pyl: Pommer'sche Geschichtsdenkraäler. Greifswald 1875.
Sitzung vom 20. Februar liS75.
(1) Der Vorsitzende, Herr Virchow, widmet dem am 15. Januar im Alter von
91 Jahren und 11 Monaten zu Brüssel verstorbenen, hochverdienten, correspondiron-
den Mitgliede d'Omalius d'Halloy einen ehrenden Nachruf.
Die Herren Lorange, Freiherr v. Lichtenberg und Graf Conestabile danken
für ihre Ernennung zu correspondirenden Mitgliedern.
Als neue Mitglieder werden angemeldet:
Herr Banquier Liepmann, Berlin.
Herr Dr. F. Förster, Berlin.
Herr Baron v. Maltzan auf Federow bei Waren, Mecklenburg.
(2) Herr Th. Weber, bisher Generalconsul für Syrien zu Beirut, jetzt zum
Ministerresidenten und Generalconsul für Marocco ernannt, übergiebt
Thierknochen aus einer Höhle des Libanon.
Dieselben werden als der Roseustock eines starken Hirsches, ein Stück des
Schädeldaches, ein Kieferfragmeut und Zähne von einem grossen Bären, Röhren-
knochen neben Sinterdrusen u. dgl. festgestellt. Sie stammen aus einer neuentdeckten
Höhle bei dem Dorfe Faraiyyah im Kastrawan. Herr Dr. Weber erhielt sie von
dem Scheich Daud -el -Khazini, der das Schädeldach für ein menschliches ansah,
zum Geschenk. Die in arabischer Sprache abgefasste, mit französischer üebersetzung
versehene Schenkungsurkunde ist dem interessanten Funde, über welchen in einer
späteren Sitzung näher berichtet werden wird, beigegeben.
(3) Herr Hermes übergiebt im Namen des Hrn. Karsten zwei Abgüsse
geschnitzter Renthiergeweib-Stücke ans der Höhle vom Freudenthal
für die Sammlung der Gesellschaft (vgl. Sitzung vom 12. Decbr. 1874).
(4) Herr Capitain Ulfsparre zu Stockholm übersendet nebst Schreiben vom
5. d. M. sein Kupferwerk über
schwedische Alterthümer.
(5) Herr Virchow überreicht im Namen des Hrn. v. Gaudecker
Bronzen von Zuchen in Pommern
(Hierzu Taf. III)
und bemerkt dazu Folgendes:
Nach dem Berichte des Hrn. v. Gaudecker wurden die Sachen im Walde von
Zuchen, nördlich von Bärwalde in Hinterpommern, in einem grossen, mit einer
(26)
Steinkiste versehenem Hügelgiiibe, welches ausserdem eine Urne mit gebrannten
Knochen enthielt, gefunden. Ausser den vorgelegten Gegenständen waren dabei noch
ein ziemlich grosses Sichelmessser von Bronze mit einem senkrecht gegen das Blatt
angesetzten kurzen Zapfenstück am hinteren Ende und ein einfacher ßronzering.
Die wertlivolleren Gegenstände hat der Finder mir in zuvorkommender Weise zur
Abgabe überlassen. Es sind diess:
1) ein Bronzemesser mit etwas gekrümmter, sehr abgenutzter Schneide und einem
langen, ziemlich starken Griff, der am Ende ein Loch hat (Fig. 1). Die
Klinge ist frisch gebrochen und zeigt hier eine kupferige Farbe. Das ganze
Stück ist 143 Mm. lang, wovon 56 auf den Griff fallen.
2) eine prachtvolle Fibula mit doppelter Spiralplatte (Fig. 2), leider mehrfach
verletzt und gebrochen. Sie hat einen Gesammtdurchmesser von 120 Mm.,
wovon auf jede Spiralplatte 28, auf das Mittelschild 46 kommen. Letzteres
ist schwach verziert, indem einzelne rundliche Knöpfe, denen auf der Rück-
seite Vertiefungen entsprechen, in Feldern vertheilt sind, welche durch eine
schwache Gravirung verziert sind.
3) Das eine Blatt einer ßronze-Pincette (Fig. 3), ungewöhnlich breit, und mit
etwas uuregelmässigen, trotzdem aber zierlichen Ornamenten versehen. Es
sind diess Reihen von runden, am Rande des Blattes meist unvollständigen
Kreisen. Die Mehrzahl derselben ist eingravirt, übrigens mit sehr breiten
Furchen; nur bei dreien, nehmlich der obersten in der Mittelreihe und bei
den beiden äussersten in der untern Reihe, ist die Mitte vorragend und dafür
auf der Rückseite eine eingedrückte Grube. Die Patina ist hier besonders
schön.
4) Ein Fingerring von Bronze (Fig. 4), 20 Mm. im Durchmesser, für den Klein-
finger passend. Die innere Fläche ist eben, die äussere flach gerundet. Am
oberen Umfange wird er breiter und hier greifen die beiden Enden scheinbar
über einander, ohne jedoch eine Trennungs- oder Löthungslinie zu zeigen.
Von der Fläche aus gesehen, hat das übergreifende Stück fast die Form eines
Greifenkopfes, doch mag der Anschein trügen.
5) Ein Bruchstück eines zweifelhaften Geräthes (Fig. 5a und b). An einem
hohlen und beiderseits offenen Mittelstück sitzen zwei ausgeschweifte Füsse (?),
welche an der unteren Seite eine längliche Rinne, auf der oberen eine scharfe
Mittelkante und zwei eingedrückte Seitenflächen zeigen. Der eine dieser
Füsse ist ungleich viel breiter und kräftiger, und an ihm zieht sich über die
eine Seitenfläche eine quere Erhebung (Fig. 5a).
Der Fund ist demnach wegen seines Reichthums und der feinen Ausführung der
einzelnen Gegenstände, zumal für diese, noch so wenig gekannte Gegend, recht
bemerkeuswerth. Die schildförmige Fibula mit ihren Spiralplatteu erinnert an die
Funde, welche ich in den Sitzungen des letzten November von Weissenfeis und von
Zaborowo gezeigt habe; an ersteren Fundort schliesst sich auch der Aufbau des
Hügelgrabes an.
Eisen ist an dieser Stelle nicht wahrgenommen worden.
(6) Vom Vorstande ist mit Bewilligung des Ausschusses von Hrn. Bluth ein
Hutmacher-Conformateur (System Allier) erworben und Hrn. J. M. Hildebrandt
zur Benutzung für seine neue ostafrikanischo Reise mitgegeben worden.
(7) Die Herren Hirschfeld und v. Heldreich haben in Athen wiederum
altgriechisclie Schädel
(27)
und ein antikes Skelett für die Gesellschaft ervvorlten, deren Ankunft entgegenge-
sehen wird.
(!S) ll(;rr Marincstal)sarzt Klefeker schreibt d. d. Nagasaki, 21. Dechr. 1874.
an Hrn. Virchow:
„Der einliegende Brief giebt mir die erwünschte Gelegenheit, Ihnen wieder ein-
mal ein Lebenszeichen von mir zu geben. Besagten Brief und die ihn begleitende
Kiste habe ich nohnilich in Chefoo vom Capitain R. Molsen, deutsches Schiff Jan
Peter, zur Befrirderung an Sie erhalten. Die Kiste soll ein Aino-Skelet enthalten,
und werde ich sie hoffentlich, wenn auch erst im Spätherltst nach ausgeführter
Weltumsegelung, Ihnen abliefern können.
„Wir selbst, d. h. mein jüngerer College, Dr. Bohr und ich, haben seit Abgang
meiner letzten Zeilen aus Sidney auch wieder einige Schädel gesammelt. In Ma-
kongai, einer kleinen, dem deutschen Consul gehörenden Insel der Fiji-Gruppe, hat
Bohr mehrere Schädel ausgegraben; in Chefoo sind mir durch die Güte des dort
domicilirten Dr. Carmichael verschiedene Chinesen-Schädel zugegangen.
„Haarproben, will ich schliesslich noch erwähnen, habe ich auf den Fiji- und
Samoa-Inseln von sehr vielen Südsee-Insulanern, die dort als „free labor"', zu deutsch
Sklaven, importirt sind, für Sie gesammelt."
Der von Hrn. Klefeker erwähnte und an Hrn. Virchow gerichtete Brief ist von
Dr. Vinc. Siebert, Schiffsarzt der K. Russischen Flotille des Stillen Oceans, d. d.
Port Wladiwostok im üssuri- Gebiet, Ost-Sibirien, vom 4| September 187-i und
betrifft
ein Aino-Skelet.
„Beifolgend nehme ich mir die Freiheit, Ihnen ein Aino-Skelet zu übersenden,
voraussetzend, dass sich ein solches in Berlin und speciell in Ihrem Besitz noch
nicht befindet, und andererseits weil das beifolgende Exemplar auf Reinheit der Ab-
stammung so weit Anspruch machen darf, als solches nur irgend möglich ist. Es
ist dieses nehmlich das Skelet eines Häuptlings, worauf schon die äussere Beschaffen-
heit des Grabes hinwies, und was besonders erwiesen wird durch die beigefügten,
im Grabe vorgefundenen Insignien: den Goldstoff auf Fetzen des Kleides und das
japanesische Schwert. Es verhält sich damit folgendermaassen : Aus den dürftigen,
an Ort und Stelle (auf Sachalin) und von Japanesen aufgreifbaren historischen Hin-
weisen scheint immer mehr hervorzugehen, dass die Aino's von den Japanesen auf
der Insel Yüso (niclit Yesso, wüe auf unseru deutscheu Karten) als wilder Volksstamm
vorgefunden, unterjocht und zu Leibeigenen gemacht worden. Darauf wurden die
Leibeigenen zur Zwangsarbeit (Häringsfang und Bearbeitung dieses Fisches zu Dün-
ger) nach Sachalin übergesiedelt. Hier müssen sie sich alljährlich im Frühjahr, zur
Zeit des Häriugszuges, in Aniwa auf dem südlichen Ufer Sachalins zur Arbeit ein-
finden. Die Häuptlinge nun, welche ihre Stämme und Gemeinden rechtzeitig und
vollzählig stellen, erhalten von der japanischen Regierung als Ausdruck der Zufrie-
denheit und als Abzeichen ihrer Stellung jene oben erwähnten Insignien: ein gold-
gesticktes Kleid und ein Schwert. In Bezug auf die Beschaffenheit des übersandten
Skelets ist zu bedauern, dass dasselbe von Fäulniss angegriffen und in Bezug auf die
kleinen Knochen (Fuss und Hand) vielleicht nicht ganz vollständig ist Das erstere
hat seinen Grund darin, dass die Aino ihre Todten in langes frisches Schilfgras
wickeln und in einem von Brettern roh gezimmerten (irabe beisetzen, das durch-
schnittlich nur zwei Fuss tief und von oben mit roh behauenen Brettern zugedeckt
ist. Was die mögliche Unvollständigkeit betrifft, so war ich genöthigt, meinen Raub
(28)
unter Uraständea auszuführen und das Erbeutete abzusenden, die es mir nicht ge-
statteten, in wünschenswerther Weise zu verfahren. Die Aufdeckung eines Aino-
Grabes ist nehmlich mit bedeutenden Schwierigkeiten verbunden, weil die Leute
bereits wissen, dass man Skelettheile zu acquiriren wiinscht, und daher bei Anwe-
senheit eines Schiffes überaus aufmerksam ihre Grabstätten bewachen. Auch ist,
wie ich in Aniwa erfuhr, bisher so gut wie sicher kein ganzes Skelet nach Europa
gebracht worden, so dass wohl auch die Akademie der Wissenschaften in Petersburg
kein solches besitzt. Was die Schädel allein, die nach Europa gelangt sind, betrifft,
so wird wohl mancher unechte mit eingelaufen sein.
Sollten Sie, hochgeehrter Herr, bereits im Besitze dessen sein, was ich Ihnen
hiermit übersende, so entschuldigen Sie mein unnützes Bemiihen mit dem tiefen
Gefühl der Dankbarkeit eines Schülers Ihrer Lehren."
(9) Herr Schwartz in Posen sendet die Uebersetzung einer Mittheilung des
Hrn. Pawinski, Professor an der Warschauer Hochschule, über
deu Begräbnissplatz in Dobryszyce.
Das Dorf Dobryszyce liegt im Königreich Polen, an der Warschau- Wiener
Eisenbahn, im Nordosten von der Bahnstation und der Kreisstadt Radomsk. Der
Begräbnissplatz fand sich in einer Entfernung von zwei Wersten vom herrschaft-
lichen Wohnhause und zwar in einem sandigen Rechteck, welches ringsum vom
Moorboden umgeben war. Der Sandboden war nur massig über das anliegende
Erdreich erhaben; doch war der Begräbnissplatz weder durch Steine, noch durch
irgend andere Zeichen kenntlich. Die Gräber zogen sich in einer geraden Richtung
von Osten nach Westen, in vier beinahe parallelen Reihen.
Einige Gräber waren von einander 5—6 Schritte, andere wieder 20—25 Schritte
entfernt. Der Verfasser des Berichtes hat viele von ihnen schon zerstört vorgefunden.
Er selbst hat noch neun Gräber ausgegraben. In den meisten von ihnen sind drei
Urnen vorgefunden worden: eine grosse Urne oder der Aschenkrug mit Knochen-
überresten, die mit Sand vermischt waren, und ein Krug nebst einer Schale, doch in
viel kleinerem Maassstabe, und mit Sand angefüllt.
Eine Ausnahme hiervon machte das dritte Grab, in dem gar keine Urne gefun-
den wurde, ferner das 8. Grab, wo der kleine Krug fehlte, und das 9., das keine
Schale enthielt. Eine der grösseren Urnen barg ausser Knochenüberresten noch eine
eiserne Nadel, sowie drei eiserne Ringe, wahrscheinlich eine Art von Ohrringen.
In der Nähe des Wohnhauses fand man auch einige einzeln vergrabene Urnen
vor.
(10) Herr Bohle stellte wiederum vier neu eingetroffene
Lappen
in ihrer Nationaltracht, einen Mann und drei Frauen, der Gesellschaft vor; er gab
zugleich erläuternde Mittheilungen über Zusammensetzung und stoffliche Behandlung
ihrer fast durchgeheuds aus mit den Haaren präparirten Renthierhäuten bestehenden
Bekleidung und veranlasste die Leute zu verschiedenen Aeusserungen in ihrem
Idiom.
Herr Schott, Ehrenmitglied der Gesellschaft, prüfte zunächst die Sprache der
Leute und hielt dann einen Vortrag über
Land nnrt Volk der Lappen.
Das in ganz Europa unter dem Namen Lappen benannte Völkchen bekennt
sich zu diesem Namen ebenso wenig wie seine blutsverwandten Nachbarn zu dem
(29)
Namen Finnen. Beide Völker, einem weit ausgedehnten, zumeist aber dünn ge-
saetcn Hauplstamm angehörend, den man jetzt den ünnibch-ugrischen zu nennen
pflegt, führen seit undenklicher Zeit auch einen gemeinschaftlichen Nationalnamen,
dessen einfachste Form in lappischem Munde Saame oder Sabme, im finnischen
Soome, Suonie lautet.') Die Bedeutung ist unaufgeklärt, die Form des Namens
aber protestirt gegen früher angenommene Zusammenziehung aus zwei einsilbigen
Wörtern für Sumpf und Land.
Was den Namen Lappen betriflFt, so bringen uns diesen europäische Chroniken
schon ehe dieses Volk, über den Polarkreis gedrängt, gleichsam ein Ende der Welt
bewohnte. Damit wird des berühmten finnischen Sprachforschers Castren Ver-
muthung, der an das finnische Wort loppu (lappisch loap) Aeusserstes, Ende
erinnert, hinfällig. Ein ehemaliges Lappeguuda, d. i. Lappen-Gebiet in einem
Theile Ehstlands erwähnt gegen Anfang unseres 13. Jahrhunderts der von dem
grundgelehrten Finnländer Porthan (Porthan's Skrifter, V, s. 40) angeführte
Gruber in seinen „Origines Livonicae sacrae et civiles", und viele durch ganz Finn-
land zerstreute Namen von See'n, Buchten, Landrücken u. s. w. beweisen, dass der
Lappe älterer Bewohner Finnlands gewesen, aus welchem Lande der nachrückende
landbauende Suomalaiuen seinen nomadischen Bruder nach und nach nordwärts hin-
ausdrängte.
Beispiele solcher Namen: Lappa-järwi Lappensee, Lapin-laksi (oder
-lahti) Lappenbucht, Lapin-salmi Lappensuud, Lapin-kangas Lappenheide,
Lapin-linna Lappenburg. Noch am südlichen Ende des Saima-Sees, bei der Stadt
Wilmaustrand, unweit Wiborg, giebt es ein Kirchspiel Lap-wesi Lappenwasser.
Auch fehlt es nicht an Gräbern (haudat) und künstlichen Steinhaufen (rauniot), die
nach den Lappen benannt sind. Die schAvedischen Kirchspiele Finnlands haben
Lapp-träsk Lappensumpf, Lapp-fjärd Lappenfjord, Lapp-wik Lappeubucht,
Läpp -dal Lappenthal aufzuweisen.
Von jeder sonstigen üeberlieferung verlassen, können wir die älteren Thaten
und Schicksale des in Rede stehenden Volkes, sei es vor oder nach seiner Einwan-
derung in Finnland, weder erzählen noch in chronologische Tafeln eintragen. Hier
ist nicht einmal dies oder jenes Jahrhundert, geschweige Jahrzehent, mit Sicherheit
anzugeben. So viel weiss man aber, dass die Lappen ihre machtlos gewordene
Aristokratie besitzen und dass Erinnerungen an eine längst verklungene Heldenzeit
bei ihnen wenigstens in einem epischen Gedichte von beschränktem Umfange fort-
leben. Dieses ist „Die Sonnensöhne" überschrieben, und findet man meine Ueber-
setzung eines Auszugs aus demselben, den die schwedische Zeitschrift „Post och
Jurikes tidning" (1850, Nr. 84) zuerst, jedoch nur in schwedischer Sprache, mit-
theilt, in Erman's Archiv für wissenschaftliche Kunde von Russland (Band XII,
S. 54 ff., B. XIII, S. 1). Ein Pastor Fj ellner, selbst Lappe von Geburt, hat diese
metrische Sage aus dem Munde seiner eigenen Stammesgenossen zu Sorsele in der
schwedischen Lappmark aufgezeichnet, und darf man dies dem im Rufe ebenso grosser
Redlichkeit als Poesielosigkeit stehenden Manne auf sein Wort glauben.
Den vollständigen Text dieser ehrwürdigen Reliquie verspricht Professor 0.
Donner in Holsiugfors mit Anmerkungen aus Licht zu stellen. Ein „Sohn der
Sonne" unternimmt eine Freieriahrt nach einem von Riesen bewohnten Eldorado im
1) Diese einfachste Form bezeichnet auch resp. Land und Landessprachen Beiiier. Mittelst
Anfügung eines lainen (aus laise) oder latsch nennt der Finne sich selbst gewöhnlich
Suomala inen, der Lappe Sabmelatsch. Letzterer wird von Ersterem Saamelainen
und Lappalainen, aucli wie das Land, wo er sich umtreibt, schlechthin Lappi genannt.
m
unerraessHch entfernten Abendlande. Dort angelangt, soll der Jüngling dem blinden
Vater einer ihm alsbald wohlgeneigten Jungfrau Proben seiner Stärke ablegen und
täuscht ihn mittelst Vorhaltung eines eisernen Ankerhakeiis, als wäre dieser ein
Finger seines jungen Gastes. Von dem mitgebrachten Meth des Ankömmlings stark
benebelt, willigt der ohnehin schon verdutzte Riese in die eheliche Verbindung der
Beiden und entlässt sie mit Strandklippen aus Gold und Silber als Mitgift seiner
Tochter. Aber die von der Jagd heimkehrenden Brüder vermissen voll Ingrimm
den „Stolz ihres Hauses";') unbekümmert um das was der Alte gethan, stossen sie
zur Verfolgung des schon eingeschifften neuen Ehepaares ein Boot ab und würden
vermöge ihrer übermenschlichen Stärke im Rudern das Paar bald eingeholt haben,
hätte die Schwester nicht drei wind er zeugende Knoten nacheinander gelöst.
Der dritte dieser Knoten erregt einen solchen Sturm, dass die wüthigen Verfolger
an den Lofoden scheitern und — das unausweichbare Loos vorweltlicher Riesen
— für immer zu Klippen erstarren. Als Frau des Sonnensohnes verkürzt sich die
Riesentochter bis zur Grösse gewöhnlicher Menschen — wie Brunhild von Island
ihre ungeheuere Muskelkraft einbüsst, sobald sie den ersten Mann erkannt — und
gebiert ein Heldengeschlecht, die Kalla parnech (Kalewa-Söhne der Finnen und
Ehsten), welche die Schneeschuhe erfanden und Elenthiere zähmten.
Vor dem Bekanntwerden dieser erzählenden Dichtung zweifelte man selbst in
Finnland am ehemaligen Vorhandensein einer poetischen Ader in dem lappischen
Nachbar. Der noch in unserem Jahrhundert schreibende Finnländer Gottlund
aus Sawolaks wusste, wo er in seinem Allerleiwerke Otawa von diesem Völkchen
handelt,^) nur einen Vers aus lappischem Hirne beizubringen, der eine Aufforde-
rung an den Bären ist, seinen "Winterschlaf abzuschütteln, weil die Natur bereits
erwacht sei. Dieser Vers lässt sich deutsch etwa so wiedergeben:
Berges Alter, Berges Alter!
Raff Dich empor, raff' Dich empor!
Blatt ist so gross schon wie Mäuseohr.
Dagegen muss der Finne wenigstens gestehen, dass sein „schwächerer Bruder",
wie Castren den Lappen nennt, in Zauberkünsten, besonders dem Windraachen
und "Windstopfen, d. h. Beschwören des Windes mittelst geöffneter und geschlossener
Knoten, sein unerreichtes Vorbild gewesen. „Wenn die Finnen — sagt ihr grosser
Landsmann Forthan (Band V, S. 38) — Einen als vollendeten Zauberer bezeichnen
wollen, so pflegen sie zu sagen: seonkokkoLappi, d. h. der ist ein ganzer
Lappe. Die Abergläubigsten erkennen in dem Lappen ihren Lehrer in geheimen
Künsten, und wer höhere Vollkommenheit erstrebt, der scheut bisweilen nicht die
Mühe einer Wanderung nach Lappland um Weisheit unmittelbar an der Quelle zu
schöpfen."^)
So weit Porthan. Warum aber, darf man wohl fragen, besitzen die Finnen
sehr alte Zauber ge sänge (die berühmten loihto-runot) von wahrhaft dichterischem
Werthe, während die Lappen allem Anscheine nach nichts der Art aufzuweisen
haben? Der gowadas oder die Geister herbeirufende Trommel der Letzteren dürfte
für solchen Mangel wohl einen sehr rohen Ersatz bieten, obgleich sie neuerlich mit
') Man wird einigermaassen an die brüderliche Autorität in der hebräischen Patriarchen-
zeit erinnert.
*) Es ist im Dialekte von Sawo geschrieben unter dem Titel; „Otawa eil Suomalaisia hu-
wituksia (Himmelswagen otler finnische Belustigungen)". 1829—32. 2 Bünde,
^) Porthan hätte liinzusetzen kümicn: »Wie Pytluigoray zu solchem Zwecke nach Aegyp-
teu reiste 11"
(31)
einem hohen Grade von Wahrscheinlichkeit für das Urbild des Talismans Sampo
erklärt worden ist, welcher in d<!n .Sagen aus finnischer Vorzeit eine grosse Rolle
spielt. ')
Diese unter dem Titel Kalewala (Kaiewa's Land) zusammeugeordneten, durch
ein geistiges Hand verknüpften epischen Gesänge in trociiäischen Versen drehen sich
voi'zngsweise um Berührungen beider Völker, die, aus unschuldigem Anlass jenes
Talismans schon frühzeitig feindselige geworden, mit vollständigem Siege der Fin-
nen schliessen. Das „finstere männermordende Nordland" muss, obgleich seine Be-
herrscherin, die grosse Hexe JiOuhi, alle ihr zu Gebot stehenden dämonischen Künste
aufbietet, endlich unterliegen und Finnlands göttlicher Seher Wäinämöinen begrüsst
die Befreiung der durch Feindes List und Tücke eingesperrt gewesenen Himmels-
körper in einem herrlichen Hymnas.
Da die so -manches Jahrhundert hindurch mündlich fortgepflanzten Kalewala-
Runen mit vielen sogenannten Varianten auf uns gekommen sind, so musste unter
letzteren öfter eine Auswahl getroffen werden und dies mag nicht alle Mal mit Glück
geschehen sein. Beispielsweise hat ein in den neuen Ausgaben des Epos, offenbar
dem Stabreim zu Gefallen, stehend gewordenes Epithet des Lappen: laiha, dem
lateinischen elumbis ungefähr entsprechend, das früher aufgenommene, anthropolo-
gisch viel wichtigere kyyttösilmä schiefäugig, d. h. mit schief stehenden Augen-
höhlen, verdrängt. Zuerst lautete die betreffende Verszeile:
Lappalainen kyyttösilmä
Lappe mit den schiefen Augen,
jetzt lautet sie:
Laiha poika Lappalainen
Lendenschwacher Lappenknabe.
Die Sprache des uns hier beschäftigenden Volkes hat, besonders im Dialekte
der nördlichen Finnmarken, ein reicher entwickeltes Lautsystem als das Suomi. In
Fürwort und Redewort (Verbum) bewahrt sie noch den Dualis. Wo sie vom eigent-
lich sogenannten Finnischen (Suomi) abweicht, stimmt sie desto genauer mit den
Idiomen der östlichen Gruppe, dem Mordwinischen, Assjachischen, Wogulischen,
daher auch mit der Sprache der Magyaren, welche dieser Gruppe überhaupt näher
kommt als der westlichen. Fremd ist aber dem Lappen wie dem Finnen jene die
östliche Gruppe auszeichnende objective (das Object fürwörtlich einschliessende)
Conjugation.
Die neuere Zeit hat manche finnische Ansiedlung tief in Lappland entstehen
sehen und grössere örtliche Annäherung der so lange feindlichen Brüder führt zu
öfterer Vermischung, deren Ergebnisse mitunter ganz ansehnliche wohlgestaltete
Leute sein sollen. Wenn in Sammlungen finnischer Volkslieder Eines oder das
Andere Laulu Lapista, d. h. Lied aus Lappland, überschrieben ist, so hat man
dieses als den lyrischen Erguss, nicht eines Lappen, sondern eines finnischen An-
siedlers in Lapphind zu betrachten. Einzelne sehr liebliche Blümchen dieser Art
sind dem froststarren Boden entwachsen. —
Herr Virchow knüpft hieran Mittheilungen über
die physischen Eigeuschafteu der Lappen*
(Hierzu Taf. IV.)
') Siehe meine Uebersetzang eines Artikels des finnischen „Monatblattes" (Kuukaustebti)
vom Jahre 1868 in Lehmann's , Magazin des Auslands", 1869 (Nr. 18) unter der L'eberscbrift
„Der Sampo Fiulands und des Lappen Zaubertrommel ". Die Uypothese ist vom Professor
Friis in Christiauia, Jer sich um Lappen und Lappeiisprache sehr verdient gemacht hat.
(32)
Zunächst Einiges über die äusseren Verhältnisse der Leute. Nach
ihren Zeugnissen stammen sie von Mala, einem schwedischen Orte in Vester-
botten Lappmark, an einem Nebenflusse der Skellefte Elf, etwa unter 65° N. Br,
und 36 0. L. Die erste Gruppe, welche in der Sitzung vom 16. Januar vorgestellt
wurde, bestand aus 3 Männern: Dovit, 26 Jahre, Klemme, 23 Jahre, Jona 26 Jahre
alt, und einer Frau, Karim, 28 Jahre alt; die heutige Gruppe setzt sich der Angabe
nach zusammen aus den beiden Eltern von Klemme, Hennta, dem Vater, und Aenuta,
der Mutter, und 2 Frauen, Ippa, 32 und Kaisa, 34 Jahre alt. Die P'rauen unter-
scheiden sich äusserlich nur durch die Renthierschürze, welche sie über ihren Bein-
kleidern aus Renthierfell tragen; ihr Haar ist nur wenig länger, als das der Männer,
und im Ganzen spärlich. Bei allen ist das Kopfhaar ganz glatt und schlicht. Nur
Hennta hat einen reichlichen Bartwuchs. Alle sind hässlich und unansehnlich.
Ich will an die uns gebotene Anschauung ein paar Bemerkungen anknüpfen in
Bezug auf die physischen V^erhältnisse der Lappen. Schon bei Betrachtung der
ersten Gruppe, welche in der letzten Sitzung hier war, fiel es mir auf, und es wird
Ihnen eben so ergangen sein, dass die Augen, wie die Haare der Leute keineswegs
den ausschliesslichen Vorstellungen von stark brünettem oder gar schwarzem Habi-
tus entsprechen, welcher in der Regel den Lappen zugeschrieben wird. Es lässt
sich nicht verkennen, dass die Hautfarbe schmutzig genug ist, um den Eindruck
eines tiefen Braun zu machen. Indessen wenn man erwägt, dass die Leute sich
nicht waschen, sich vielmehr mit einer gewissen Liebhaberei mit Fett einschmie-
ren, auf welchen allerlei Schmutzmassen sich niederschlagen, so wird man sich nicht
wundern, nicht nur darüber, dass die Hautfarbe durch diesen üeberzug stark ver-
dunkelt wird, sondern dass auch die Haut dadurch allmählich in einen Zustand von
Reizung versetzt wird, der auf die Pigmentbildung einen gewissen Einfluss ausüben
muss. Aber auch, wenn man die Augen und Haare genau betrachtet, ergiebt es
sich, dass keineswegs bei allen eine schwarze oder schwarzbraune Farbe von aus-
gesprochenem Charakter vorhanden ist. Unter den drei jungen Männern, welche
der ersten Gruppe angehören, befinden sich zwei mit dunklerem Haar, als wir heute
hier gesehen haben. Der dritte, Dovit, und die Frau, Karim, dagegen haben hell-
braunes Haar, das sich bei Dovit sogar dem Blond nähert. Die Leute der heutigen
Gruppe, nachdem sie die Kappen abgenommen hatten, zeigten alle braunes Haar,
au dem bei schräger Beleuchtung ein Schimmer von lichterem Braun oder gar
Gelb hervortrat; namentlich diejenigen Haare, welche mehr der Luft exponirt sind,
bieten eine gewisse Lichtfarbe dar und nähern sich Verhältnissen, wie ich sie in der
Sitzung vom 17. October v. J. von den Finnen erwähnt habe. Freilich herrscht bei
diesen ein viel mehr ausgesprochenes Blond vor, während die Lappen im Grossen
und Ganzen immerhin brünett genannt werden können. Aber wenn man sie ver-
gleicht mit den Zigeunern, welche in Finland selbst mehrfach von uns aufgefunden
wurden, so ist der Gegensatz in der Farbe ein überaus auffälliger. Zwischen dem
glänzend pechschwarzen Haar der Zigeuner und diesem an der Luft sich stark lich-
tenden, matten Braun oder Schwarzbraun der Lappen besteht keine Aehnlichkeit.
l"iS ist das insofern recht bemerkenswerth, als, wie Sie sich aus der Literatur
und aus unseren früheren Debatten erinnern, gerade von Seiten maassgebender an-
thropologischer Kreise, am meisten der französischen, mit einer gewissen Zuversicht
und Beständigkeit immer betont wird, dass die Angehörigen der turanischen Rasse
wesentlich dunkel seien, während die arischen oder indogermanischen Völker wesent-
lich blond und hell seien. Mau brauclit nur ein einziges Mal diesen Gegensatz der
Zigeuner, deren arische Abstammung kaum bestritten werden wird, gegen die Finnen
und Lappen gesehen zu haben, um den unverwischbaren Eindruck zu haben, wie
'Icilsrlirifl für /'.'/I//ii'/(U/ir /S'/-'.
Ta/:/.
IV.A.Mc^fi lull.
\eviai^ von Wieijandtjieinggi ix Pardf Bft'än
'/.(■ilsclirip ////' /'.'t///i(>/<h/ir /S'/-'.
'/'af//
W .\ Mnfi, uiJi
Vt-rUiij in'ii Wii-.nliult.Hfriip.-l i\ l\ii,y (■<■!•/, ',
XciLsr/irifl /' l'llnioUujir f Anllifo/iolnfj .Ccsi'l l.schal'l )
rui'.m
X
i(
K.u.R Virclioni j'ec
H'.A.Mcijn iit/t .
'Aptlsrhnfl /((/■ /':/h/,,'!or/ir /H\
Taf l\
liOi n W I Mri/n
Verldi^ Dcni WiecjandtJ^/empcltiPurei/ Berlin
■ieilM-Imp /;„■ j;Om,'l„q;r M>j.
1
h(h n W l Aleifn
Verlat} von W'ii'tjamltMempvl K Parry ht-rlw
f
(33)
wenig eine so allgemeine Voraussetzung zutrifft, und wie wenig es berechtigt ist,
überhaupt eine solche generelle Aufstellung zu inachen, wie sie in der Formel
gegeben ist: Alles, was blond ist, ist arisch, und Alles, was dunkel ist, ist mongo-
lisch. Das ist eine reine Fiktion.
Bei den vier Lappen, die eben hier waren, werden Sie wohl bemerkt haben,
dass die Augen durchweg verhältnissraässig hell waren. Sie zeigen alle bei Abend
einen leicht bläulichen Schimmer; wenn man sie aber bei Tage betrachtet, so mischt
sich allerdings viel Braun dazwischen. Betrachtet man die Iris genau, so ergiebt
sich, dass auch bei den helleren Augen braune Flecken an die Oberfläche treten,
welche diese Schattirung bediugen. Auch Dovit hat eine sehr helle Iris, und selbst
Jona, der das dunkelste, fast schwarze Haar besitzt, zeigt doch braune Augen.
Jedenfalls kann mau in keiner Weise behaupten, dass die Iris aller Lappen dunkel
sei. Das ist gewiss von Wichtigkeit, da theils aus dem Zeugniss unseres gewiss
competenten Ehrenmitgliedes Hrn. Schott, theils aus den Zeugnissen anderer, na-
mentlich magyarischer Linguisten, die sie mitgebracht haben, theils aus Attesten, die
von schwedischen diplomatischen Agenten bestätigt worden sind, hervorgeht, dass
an der lappischen Abstammung der Leute kein Zweifel bestehen kann. Aber auch
solche Schriftsteller, welche ex professo über die Lappen gehandelt haben, z. B. Hr.
V. Düben, bezeugen das Vorkommen von lichterem Haar und helleren Augen bei
den Lappen. Der letzgenannte Schriftsteller giebt ausdrücklich an, dass er auch in
Lappland Flachsköpfe und graublaue Augen angetroffen habe und dass die Hautfarbe
in der Jugend ganz hell ist. ')
Was nun die übrigen Verhältnisse anbetrifl\ so haben wir heute in noch höhe-
rem Maasse, als neulich, den Eindruck der Kleinheit dieses Volkes erfahren. Ich
habe die ersten vier, welche früher hier waren, gemessen, und es hat sich dabei
herausgestellt, dass die drei Männer im Mittel 1,382 Meter hoch sind. Jona hat
],44G M., Klemme 1,440, Dovit, der als der „kleinste Mann Lapplands" bezeichnet
wird, nur 1,2G0 M. Die Frau, welche damals vorgestellt wurde, Karim, hat eine
Grösse von 1,445. Würden wir die heutigen Leute dazuuehmeu, so würde sich ein
Mittel ergeben, was unter dem Grössenverhältniss aller übrigen europäischen Rassen
steht. Es stimmt diess im Ganzen mit der Angabe des Hrn. v. Düben, der im
Mittel 1,5 M. angiebt.
Zugleich zeigt sich, dass der Ernährungszustand, obwohl die Leute hier besser
gehalten werden, doch eine überaus kümmerliche ist. Sie sind alle mager, und namentlich
die Runzelbildung im Gesichte ist eine so starke, dass selbst die Jüngeren den Ein-
druck eines höheren Alters machen. Sie haben bemerkt, dass die Haut wegen des
geringen Fettpolsters eine Feinheit hat, wie wir sie bei den übrigen europäischen
Gesichtern sehr selten sehen. So ist namentlich um den Mund, wo selbst bei Män-
nern sonst ein stärkeres Fettpolster liegt, die Haut so fein eingefaltet, wie Postpa-
pier; zumal, wenn sie ihr Lachen zu unterdrücken versuchten, kamen so feine Fal-
tenbildungen zu Stande, dass man kaum den Rücken der Falte als solchen unter-
scheiden konnte. Es erinnert das in gewissem xMaass au die Beschreibungen, welche
wir von den Buschmännern haben. Auch lässt sich nicht verkennen, dass die Er-
nährungs-Verhältnisse der Lappen in manchen Beziehungen sich denen der Busch-
männer anschliessen. Ich wenigstens muss sagen, was freilich mit der Ansicht des
Hrn. Fritsch nicht übereinstimmt, dass ich bei der Betrachtung der Buschmänner-
Abbildungen stets den Eindruck habe, dass ihr Aussehen wesentlich durch die an-
haltende Penuries bedingt wird, was ja auch Hr. Bleek bezeugt. So scheint es
mir, dass auch bei den Lappen im Laufe der Jahrhunderte die einseitige und man-
') Gustaf von Düben Om Lappland och Lapparue. Stockholm 1873, p. 167, 171.
Verhandl. der Berl. AüÜiroi'ol. Gesellscliaft. ISJä. 3
(34)
gelhafte Ernährung auf die ganze Constitution einen solchen Einfluss ausgeübt hat,
dass man sie in gewissem Sinne als pathologische Rasse bezeichnen könnte.
Ich hatte diesen Eindruck scheu früher, als ich nur einen einzigen Lappen gesehen,
aber eine grössere Zahl von Lappenschädelu untersucht hatte; letztere haben durch-
weg denselben Charakter. Vergleicht man diese Lebenden mit dem, was uns in
Abbildungen von Buschmännern vorgeführt ist, so kann man nicht verkennen, dass
manche Analogien zwischen ihnen sich darbieten.
In Bezug auf die Kopfform habe ich schon früher hervorgehoben, dass die
Lappen ein ausgemacht kurzköpfiges Volk darstellen. Sie sind mehr brachycephal,
als die beiden andern grossen verwandten Stämme: schon die eigentlichen Finnen
sind weniger brachycephal, die Esten gehen sogar in das Subdolichocephale über.
Wenn man eine grössere Reihe von Schädeln neben einander hat, und ich denke,
ich werde wohl später Gelegenheit haben, Ihnen eine solche vorzuführen, da ich
durch Hrn. Schoeler eine grössere Zahl von Esteuschädeln bekommen habe, so
werden Sie sehen, ein wie grosser Unterschied zwischen ihnen vorhanden ist. Es
sind 3 kraniologisch so sehr von einander getrennte Gruppen, dass es schwer fällt,
sich von einer ursprünglichen Verwandtschaft derselben, von einer wirklichen Natio-
nalitätseinheit dieser Stämme zu überzeugen, wofür ja allerdings sonst vielerlei
spricht.
Die Messungen, welche ich bei der ersten Gruppe unserer Finnen gemacht
habe — die neuern habe ich vorher noch nicht gesehen — , stimmen mit dem,
was mir Lappenschädel darboten , vollkommen überein. Ich hatte Gelegen-
heit, nicht bloss in Helsiugfors, sodern auch in Lund und Kopenhagen eine grössere
Zahl von Lappenschädeln zu untersuchen, bei denen sich durchweg sehr erhebliche
Breitenindices ergaben. Ich werde hier nur von denen aus Lund die Zahlen der
Breitenindices angeben: 82,3, 83,2, 85,1, 81,4; nur 2 haben 79,6 und 79,5 gehabt.
Das macht im Mittel 81,8. Hr. v. Düben (p. 172) giebt als Mittel 83,5. Die
Messungen hier haben ergeben, dass die Männer einen Breitenindex von 85,4, 87,4
88,0 im Mittel 8G,9 haben; nur die Frau ist entschieden schmäler und länger. Sie
hat einen Breitenindex von 80,1. Das giebt im Ganzen ein Mittel von 85,2, natür-
lich grösser, als an macerirtea Schädeln.
Nun verbindet sich mit dieser Kurzköpfigkeit eine gewisse Niedrigkeit des
Schädels im Verhältniss zu den eigentlichen Finnen. Jedoch ist der Schädel bei
Weitem nicht so niedrig, wie ich Ihnen das in der Sitzung vom 24. November an
einer Reihe von deutschen Schädeln vorgeführt habe; die Mehrzahl bewegt sich in
Höhenindices um 75, nicht wenige sind höher. Bei den Lebenden ist es schwer, ein
paralleles Maass zu finden. Indess habe ich die senkrechte Höhe des Kopfes von der
Ohröffnung aus gemessen, und so die Zahlen 72,0 — 72,0 — 65,9 (bei Jona) — 69,8 (bei
Karim) erhalten. Nach der Vorstellung, die ich im Ganzen bei meinen Ver-
gleichungeu gewonnen habe, möchte ich annehmen, dass die niedrigeren diejenigen
sind, welche am meisten charakteristisch sind, und dass gerade in dieser geringeren
Höhe ein erheblicher ünterscliied der lappischen von den eigentlich finnischen Schä-
deln gelegen ist.
Nun möchte ich auf der andern Seite betonen, dass bei aller Bedeutung dieser
Verhältnisse ich ausser Stande sein würde, in dem eigentlichen Gehirntheile des
Schädels, also in der Schädelkapsel, so viel Eigenthümliches zu finden, dass ich mir
getrauen möchte, aus jeder Schädelkapsel, die mir vorgelegt würde, herauszusehen,
ob der Schädel einem Lappen angehört hat oder nicht. Ich betone das, weil in der
letzten Generalversammlung zu Dresden eine erhebliche Differenz in Bezug auf die-
sen Funkt auftauchte und weil auch sonst vielfach aus Schädeln, die in tiefen Lagen
(35)
der Erde, in Mooren und Höhlen gefunden sind, argumentirt wird, dass es lappische
seien. Ich meine, man rauss in dieser Beziehung sich sehr vorsehen, ßrachycephale
Köpfe sind überall in Europa verbreitet, und wir sind bis jetzt keineswegs berechtigt,
aus der blossen Brachycephalie, auch wenn sie zugleich niedriger ist, auf einen
nördlichen Ursprung zu schliessen. Analoge Formen finden sich auch ziemlich weit
südlich. Ich habe letzthin aus San Remo Schädel bekommen, die in Bezug auf
manche Verhältnisse der Schädelkapsel sich den lappischen anschliessen lassen.
Es ist viel mehr charakteristisch, ja ich meine, es steht im Vordergrunde der
Betrachtung die Gesichtsbildung. Wie Sie das aus Ihren eigenen Elindrücken
gefunden haben werden, so ergiebt es sich aus den Messungen. Die ungewöhnliche
Breite der Backenknochen, die Gesichtsbreite im Verhältniss zu der sehr geringen
Höhe des Gesichts fällt sofort auf. Bei den Leuten der ersten Gruppe ist durchweg
die Breite des Gesichts (zwischen den vorstehenden Backenknochen gemessen) um
ein Beträchtliches grösser als die Höhe (Nasenwurzel bis Kinn). Jona hat eine
Höhe von 109 und eine Breite von 115, Klemme eine Höhe von lüG und eine Breite
von HO; Karim lOG und 109, und der kleine 26jährige Dovit, der fast knabenhaft
aussieht, der aber, wenn man ihn seine Künste treiben sieht, durch seine Gewandt-
heit und Stärke überrascht, hat 89 und i)7. Es ergiebt sich also immer ein Be-
trächtliches mehr für die Breite (die Differenz ist 6—4 — 3—8). Wenn man die
Sache im Einzelnen prüft, so zeigt sich wieder eine ganz ungewöhnliche Dürftigkeit
in der Entwickelung der Kieferknochen. Alles, was zu den Kiefern gehört, ist klein
und mangelhaft. Der lappische Unterkiefer, für sich betrachtet, ist meiner Meinung
nach mehr charakteristisch als der ganze Schädel. Er ist so klein, der Bogen so
wenig entwickelt, die einzelnen Theile so schwach contourirt, das Kinn so zurück-
tretend, dass man wenige andere Völkerstämme den Lappen in dieser Beziehung an
die Seite stellen kann.
Ich will Sie heute nicht mit zu vielen Details ermüden; nur in Beziehung auf
einen Punkt, den Herr Schott vorher berührte, möchte ich noch eine Bemerkung
machen. Es ist das ein Punkt, den ich durch meine Notizen über die einzelnen, von
mir untersuchten Lappeuschädel so eben noch controlirt habe. Gerade in Bezug
auf die Bildung der Augenhöhlen habe ich ein ziemlich auffälliges Merkmal
constatirt: Die Augenhöhlen sind an sich ziemlich geräumig, aber nicht selten schie-
ben sich die Ränder, der obere, welcher vom Stirnbein, und der untere, welcher
vom Jochbein und vom Oberkiefer gebildet wird, so herüber, dass der Eingang der
Augenhöhle, der sonst relativ der weiteste Theil ist — die Augenhöhle hat gewöhn-
lich eine trichterförmige Gestalt — ungleich enger ist. Wahrscheinlich erklärt sich
diess aus dem Umstand, dass hinter dem Auge wenig Fett liegt. Während bei gut
entwickelten Menschen ein stark entwickeltes Fettpolster hinter dem Augapfel be-
findlich ist, auf welchem das Auge sich stark vorschiebt, so tritt hier das Auge
merkwürdig tief zurück, wie in eine Grube. Es hat ausserdem der Eingang der
Augenhöhle eine etwas schiefe Gestalt und zwar schief in der Art, dass er nach
aussen und unten eine starke Ausweitung hat. Dadurch wird eine eigenthümliche
Stellung des Auges bedingt. Die Augenspalte ist etwas nach aussen und unten ge-
richtet. Die Augenlider sind entsprechend klein, weil sie eine geringere Fläche
zu bedecken haben. Das Auge ist gleichsam verborgen, es kommt nur in einer
kleinen Spalte zum Vorschein und erscheint dadurch sehr klein, obwohl es an sich
keine absolut grössere Kleinheit haben mag. Keineswegs besitzt es die eigentlich
mongolische Form.
Dazu kommt eine kleine Nase, die doch einen ziemlich breiten Rücken hat, so
dass sie bei einzelnen Individuen, namentlich den kleineren, ziemlich weit hervor-
3^
(36)
zutreten scheint. Trotzdem ist sie klein. Ich maass ihre Höhe bei Dovit zu 45,
Klemme 48, Jona 49 und nur bei Karim zu 52 Mm. Die Ausbildung derselben,
welche verhältnissmässig kräftig aussieht, ist also nur eine scheinbare gegenüber dem
kleinen und mageren Gesicht. Die absoluten Höhen sind unter den gewöhnlichen
Maasseu, namentlich der Finnen. Im Uebrigen ist die Nase durchaus nicht in irgend
einer Weise so gebildet, wie diess sonst bei der mongolischen Rasse zu bemer-
ken ist.
Wenn ich damit keineswegs gesagt haben will, dass die Lappen kein mit den
Mongolen zusammenhängendes Volk seien, so wird es doch Gegenstand der weitereu
Untersuchung sein müssen, festzustellen, wie sich die körperlichen Verhältnisse der
finnischen Stämme bis tief gegen den Osten hin im Einzelnen gestalten. Wenn Hr.
Schott in Beziehung auf die linguistische Seite betont, dass die Stämme am Ural
den Lappen näher stehen als die eigentlichen Finnen, eine Ansicht, die auch die
finnischen Linguisten, wie ich aus ihrem eigenen Munde weiss, theilen, so ist es um
so mehr auffallend, dass, soweit unsere jetzigen Kenntnisse über den Schädelbau
reichen, gerade hier die grössten Differenzen vorhanden sind, indem die uralischen
Stämme ausgesprochen laugköpfig zu sein scheinen. Immerbin war es sehr erwünscht,
und ich denke, Sie alle werden es als eine nicht unwichtige Erweiterung Ihrer Er-
fahrungen auch in Bezug auf die grossen craniologischen Fragen, welche im Augen-
blick unsere Wissenschaft bewegen, betrachten, dass wir Lappen durch unmittel-
bare Anschauung kenneu gelernt haben. Es ist das viel mehr werth, als tausend
blosse Beschreibungen.
Das wird nun wohl allseitig anerkannt werden, dass die Erscheinung der Lappen
eine wesentlich andere ist, als wir sie in irgend einem Theile unseres Vaterlandes
oder in irgend- einem der benachbarten Culturländer Europas antreffen. Ich bleibe
also dabei, dass bis jetzt nichts direkt dafür spricht, dass ehemals eine lappische
Bevölkerung ganz Europa überzogen habe. Wie weit eine vielleicht verwandte mon-
golische oder selbst finnische Bevölkerung da gewesen ist, das ist eine andere Frage.
Aber ich meine, wir werden auch hier daran festhalten müssen, dass unter den
uns bekannten finnischen Stämmen keiner ist, der dem Typus entspricht,
den wir als herrschenden in älteren Gräbern, in der Tiefe unserer Moore, in den
prähistorischen Höhlen vorfinden.
Schliesslich bemerke ich noch, dass ich mich für verpflichtet gehalten habe,
nachdem wir uns von der Zuverlässigkeit der Leute überzeugt haben, ihnen auch ein
Zeugniss darüber auszustellen. Die Herren des Vorstandes sind dem beigetreten. —
Herr Steiutlial: Ich möchte mir eine Frage erlauben, welche sich hier kurz
erledigen lässt. Ich meine, man muss bei Entscheidung allgemeiner Fragen sehr
vorsiclitig sein; aber ich denke doch, man soll jeden einzelnen Fall dahin prüfen,
wie viel man daraus lernen kann. Die Frage ist, ob das richtig ist, was ich aus dem
schliesse, was uns heute Abend vorgetragen ist. Ich will die Frage, ob Finnen,
Lappen, Esten und Mongolen verwandt sind, noch ganz bei Seite lassen, aber ich
glaube, ea müsste in irgend einer Korrn über das Verhältniss der Lappen zu den
Finnen und Esten eine Entscheidung getroffen werden. Die Sprachforschung spricht
die Verwandtschaft der Lappen mit den Finnen ganz entschieden aus; ebenso die
Sageuforschung und die Volksdichtung, wie uns Hr. Schott schon vorgetragen hat.
Nichtsdestoweniger steht dieser nahen Verwandtschaft der Sprachen- und Sagenfor-
schung und der Volksdiciituug eine sehr grosse physische Differenz gegenüber.
Nun aber, wie ich höre, scheint die physische Differenz derartig zu sein,
dass wir annehmen müssen, die Lappen sind ein degradirter Volksstamm, der durch
(37)
Mangel physisch heruntergekommen ist. Wir hätten also hier wenigstens ein ganz
sicheres Beispiel, dass der Bau der menschlichen Schädel, die ganze Kopfform und
Alles, was dahin gehört, so herabsinken kann, dass man fast dahin kommt, zu glau-
ben, er sei nun in einen ganz anderen Rahmen gerathen, er stimme nicht mehr in
seiner gegenwärtigen Eigenschaft mit den Völkern überein, denen er ursprünglich
angehört hat. Wir dürften dann allerdings, wenn wir eine niedrig stehende Men-
schenrasse sehen, nicht kurzweg sagen. Alles, was niedrig steht, ist nicht ursprüng-
lich, sondern wir müssten iu diesem Falle erweisen können und die Möglichkeit
zugestehen, dass, wenn wir irgendwo eine elende Menschenrasse sehen, ihr Zustand
nur die Folge eines Gesunkenseins ist und nicht einen ursprünglichen Zustand dar-
stellt. Wenn wir nun festhalten, dass die Lappen ursprünglich so gut gebildet waien
wie die Finnen, so entspricht diese physiologische Veränderung dem Umstände sehr
gut, dass sie sprachlich, wie es scheint, sich conservativer verhalten haben ; denn
das sprachlich Conservative geht gerade Hand in Hand mit einer ausserordentlichen
Verarmung. Wenn der Körper verarmt, so klammert er sich fest an das an, was
er einmal besitzt und nimmt weniger Veränderungen vor, weil er weniger produciren
kann. Die Frage ist also: dürfen wir annehmen, dass in der That die Lappen voll-
ständig zu den Finnen gehören und degradirte Finnen sind? Dann dürfen wir uns
nicht wundern, dass selbst, wenn einmal die Lappen in dem ganzen Norden Euro-
pas his an die Alpen gewohnt haben, wir davon keine Spur sehen; denn von diesen
Lappen, die wir heute kennen, dürfen wir nicht annehmen, dass sie weit verbreitet
waren; damals war noch keine Veranlassung zu dieser Versunkenheit. Ich möchte
wissen, ob diese Schlüsse, die ich ziehe, berechtigt sind, nach dem, was ich heute
erfahren habe.
Herr Virchow: Was mich betrifft, so bin ich gern bereit, darauf zu antworten.
Ich gehe nicht so weit in der Bestimmtheit meiner Erklärungen, wie Hr, Steinthal
annimmt. Ich sage, ich habe von jeher von den Lappen den Eindruck einer patho-
logischen Rasse gehabt. Ich habe ihn heute besonders gehabt und halte ihn für
wahrscheinlich richtig. Nichtsdestoweniger kann ich nicht beweisen, dass hier
eine Degradation vorliegt; denn ich müsste.dann eine regelmässige Series von For-
men haben, um an ihnen nachzuweisen, wie der Typus heruntergekommen ist. Die-
ses kann ich nicht; also befinde ich mich in der Lage Darwins. Ich kann die
Nebeneinanderstellung bis zu einem gewissen Grade durchführen, aber die Nachwei-
sung des üeberganges von Form zu Form nicht thatsächlich darstellen. Nichtsdesto-
weniger habe ich schon in meiner ersten Publikation über die Lappen (Archiv für
Anthropologie. Bd. IV. S. 74) gesagt: wenn es irgendwo in der Ethnologie einen
Fall giebt, der für die Darwin 'sehe Interpretation geeignet erscheint, so dürften
es gerade die Lappen sein. Ich würde es vollkommen im Gange meiner Ideen hal-
ten, wenn, wie Hr. Steinthal voraussetzt, die Lappen in älteren Zeiten eine bessere
Organisation gehabt haben. Nur kann ich nicht so weit gehen, dass ich behaupte,
diesen Nachweis schon geliefert zu haben. Vielmehr ist das eine Reihe von Schlüs-
sen, die ich auf einander baue und zu denen ich Erfahrungen zu Hülte nehme,
welche wir gelegentlich in pathologischen Fällen machen, z. B. bei Rachitis, welche
allerdings manche Aehulichkeit darbietet. Leider ist vorläufig noch kein sicherer
Nachweis des üeberganges zu führen. Nach dem mir bekannten Material von Finnen
und Lappen kann ich nicht sagen, dass mir irgendwo lebendige Finnen oder Finuen-
schädel von unzweifelhaft reiner Rasse vorgekommen wären, welche Erscheinungen dar-
geboten hätten, wie ich sie Ihnen vorher von lebenden Lappen und Lappenschädeln
(38)
beschrieben habe. Die Möglichkeit des Ueberganges halte ich aufrecht, aber die
ünähnlichkeit erscheint vorläufig noch grösser, als die Aehnlichkeit. Es ist in der
That immer noch möglich, aus einer Reihe neben einander befindlicher Schädel von
Finnen und Lappen, ohne etwas von ihrer Herkunft zu wissen, die einzelnen zu
klassificiren und die beiden Gruppen von einander zu trennen.
Was die Esten anbetrifft, so liegt die Sache ungleich schwieriger, weil sie über-
haupt nichts so Charakteristisches und specifisch Eigenthümliches haben, wie die
andern. Sie zeigen viel mehr Variationen, und es ist mir vorläufig noch gänzlich
unklar, ob diese Variationen auf alte Mischungsverhältnisse mit anderen Rassen hin-
weisen. Jedenfalls zeigen sie gegenüber den eigentlichen Finnen so grosse Differen-
zen, dass die Magyaren ihrer physischen Bildung nach den Finnen ungleich näher
stehen, als den zwischen sie eingeschobenen Esten. Während also Hr. Schott eine
grössere linguistische Aehnlichkeit zwischen Lappen und Magyaren konstatirt, als
zwischen Lappen und Finnen, so viel ich verstanden habe, so ist physisch das Ver-
hältniss ein umgekehrtes. Die Magyaren stehen den Finnen näher und die Lappen
erscheinen weiter von ihnen entfernt. Ich denke also nicht, dass wir schon gegen-
wärtig in der Lage sind, eine bestimmte Formulirung nach feststehenden Verhältnis-
sen aufzustellen.
Wenn ich eine kurze Betrachtung angestellt habe in Beziehung auf die alten euro-
päischen Völker, so will ich zugestehen, dass die Verweisung auf die gegenwärti-
gen Lappen nicht ganz sicher ist. Aber man muss doch, um die prähistorischen
Europäer als mongolisch zu bezeichnen, irgend einen bestimmten Stamm zur Ver-
gleichung wählen, also z. B. die Lappen oder die Finnen oder die Esten. In der
That sind die prähistorischen Völker einmal den Lappen, ein anderes Mal den Fin-
nen und dann wieder den Esten gleichgesetzt werden, weil sich immer neue Typen
herausstellten imd es sich ergab, dass gewisse frühere Prämissen falsch waren. Ich kann
aber sagen, dass nirgends bis jetzt eine in sich zusammenhängende Gruppe älterer
Schädel gefunden ist, welche, sei es der finnischen, sei es der lappischen, sei es der
estnischen Form vollkommen entsprechen. Desshalb, meine ich, haben wir keinen
Grund, die ganz allgemeine Wahrscheinlichkeit zu verfolgen, dass jemals Lappen bis
an die Pyrenäen gewohnt haben. Als Naturforscher können wir nichts weiter thun,
als dass wir uns an die Thatsachen halten und aus den Thatsachen argumentiren ;
diese Thatsachen sprechen aber meines Erachtens gegen eine solche Annahme. Es
ist aber selbstverständlich, dass in einem an sich so schwierigen Gebiet neue Erfah-
rungen diese Vorstellung gänzlich erschüttern könnten. Wenn z. B. beim weiteren
Studium der uralischen Stämme sich ganz andere Thatsachen herausstellten, wenn
noch grössere Verschiedenheiten, als wir sie bis jetzt kennen, zwischen den finni-
schen Stämmen hervorträten, so würde es denkbar sein, dass damit eine Verwandt-
schaft auch der Aboriginer Europas mit diesen Stämmen herzustellen wäre. Aber
im Augenblicke können wir dies nicht, und desshalb sage ich: wir haben vorläufig
für die südlichen Brachycephalen, wie sie in Frankreich und Italien vorkommen,
durchaus keinen Grund, anzunehmen, dass das Lappen gewesen seien, da wir in den
Ligurern einen brachycephalen Stamm kennen, von demNiemand hat nachweisen können,
dass er in Verbindung mit einer finnischen oder mongolischen Bevölkerung gestanden habe.
Für die Brachycephalen des mittleren Europa liegt die finnische Verwandtschaft räum-
lich allerdings näher, aber es fehlt dieser Annahme sowohl der historische, als der
physische Nachweis. Sind die Lappen früher gewöhnliche Finnen gewesen, so kann
man sie prähistoriscli nicht Lappen nennen, und die physische Forschung hätte sich
nur auf die Finnen zu beschränken. Man bewegt sich hier also in einem Zirkel,
(39)
und man kommt schliesslicli zu Widersprüchen, wie ich sie in Finland fand,
wo die arischen Zigeuner „schwarz" und die ,, mongolischen" Finnen blond sind. ')
') Taf. IV giebt die Umrisse der Köpfe der Lappen, mit dem Allier' sehen Conformateur
durch Hrn. Woldt gewonnen 1. Dovit, 2. Kaisa, 3. Ippa, 4. Jona, ^>. Karim, 6. Aennta,
7. Heunta, 8. Klemme. Davon sind Nr, 2, 3, 4 und 6 weiblich, tJ und 7 die Eltern von 8.
Die Maasse dieser Umrisse stimmen nicht mit den direet gewonnenen Maassen und die Um-
risse gewähren daher kein vollkommenes Bild der Kopfformen. Wahrscheinlich liegt diess
daran, dass die grösste Breite nicht in derselben Ebene mit der grössten Länge liegt und dass
die Längenebene entscheidend gewesen ist. Immerhin ist es interessant zu sehen, wie sehr
auch hier die Hutebene in Form und Grösse wechselt, und namentlich wie verschieden gross
hei den einzelnen Individuen die Grösse der Stirn ausfällt, während das Hinterhaupt eine
grosse Constanz der Bildung zeigt.
Sitzung vom 20. März 1875.
Vorsitzender Herr Virchow.
(1) Die Herren John Evans und Hart danken für ihre Ernennung zu cor-
respondirenden Mitgliedern.
Als ordentliches Mitglied wird angemeldet
Herr Jose de Perozo y Figueras aus Cuba.
(2) Das Kriegsministerium hat die erbetene Veranstaltung von Erhebungen über
die Farbe der Augen, der Haare und der Haut der eingestellten Rekruten als mit
dem dienstlichen Interesse unvereinbar abgelehnt.
Dagegen hat der Herr Cultusminister angeordnet, dass derartige Erhebungen in
allen Schulen des preussischen Staates vorgenommen werden sollen.
(3) Herr Lanin, Photograph zu Nicolajewsk am Amur, übersendet als Probe
zwei von ihm angefertigte Photographien, nehmlich chinesische Exilirte von Mansej
an der russischen Grenze und eine Ansicht des Flusses ügoifun. Beide sind sehr
wohl gelungen. Er theilt gleichzeitig mit, dass er während eines zwanzigjährigen
Aufenthaltes am Amur zahlreiche Photographien aufgenommen habe und dass soeben
ein Album mit Ansichten und Typen von den südlichen Küsten und von der Gegend
des Ursprunges des Flusses üssuri im Abdruck sei. Er erbietet sich, gelehrten Ge-
sellschaften, Redactionen und einzelnen Personen diese Photographien abzulassen und
wegen des Verlagsrechtes mit ihnen in Beziehung zu treten. ')
') Preis-Courant.
40 Bilder, Ansichten von Ufern und Städten, Dörfern und Buchten im Laufe des Amur von
der Stadt Stretensk bis Nicolajewsk. Jedes Bild zu 2 Rubel.
50 Bilder von Typen, Gruppen, Waffen, Seenen und Göttern; Scenen aus dem Leben der Ein-
wohner, welche diese Gegend bewohnen. .Jedes Bild zu 3 Rubel.
40 Bilder von südlichen Häfen: Dekastri, Imperatorskoi (kaiserlich), Sta. Olga; Ansichten von
Sachalin, Wladiwostok; von dem See Channa; Ansichten am Flusse Ussuri und von Bewoh-
nern dieses Landes. Jedes Bild zu 3 Rubel.
Vollständiges Album der besten Bilder, Ansichten und Typen der Amur'schen Gegend, der
südlichen Häfen und der Gegend am oberen Ussuri, 100 Bilder 240 Rubel, 120 Bilder 280
Rubel.
Alle die obengenannten Bilder werden sofort abgeschickt nach Empfang des Geldes oder
nach Empfang eines Telegrammes, dass das Geld abgeschickt ist.
Adresse: Nicolajewsk am Amur, photographische Anstalt Wladimir Wasiljewitsch Lanju.
Telegramme adressire man: Nicolajewsk, Lanin.
(41)
(4) Herr Hart, Cornill üniversity, befindet sich, brieflichen Nachrichten des-
selben zufolge, wieder in Brasilien, um seine geologischen und ethnologischen For-
schungen in grösserer Ausdehnung aufzunehmen. (Janz besonders beabsichtigt er, die
Muschelberge von Santos zu untersuchen. Er hat im südlichen Minas eine ßegräb-
nissgrotte ausgeräumt und 3 Skelete daraus gewonnen, ein in einer Hängematte be-
stattetes, ein in Rinde und Palmblätter eingehülltes und ein in einem Topf beigesetztes.
(5) Herr Klopfleiseh übersendet d. d. Jena, 19. März, dem Vorsitzenden eine
Reihe von Bemerkungen über
thüringische nud schlesiächc Fände.
1) In Betreff des Berichtes des Hrn. Dr. Voss (Sitzung vom 17.0ct. 1874) über
die fortgesetzten Ausgrabungen im Braunshain muss ich betonen, dass ich
keineswegs behauptet habe, dass der Charakter der Braunshainer Gräber die
Leichenbestattung als durchgehende Flegel erscheinen lasse; wohl aber muss
ich ausdrücklich wiederholen, dass der eine (zuerst geöffnete) Grabhügel un-
zweifelhafte Reste eines menschlichen (kindlichen) Begräbnisses barg; die
ganze, deutlich erkennbare Beisetzungs-Erdgrube war mit zwar sehr mürben,
zerfallenden, aber doch deutlich die Formen der menschlichen Species zeigen-
den Knochenresten in ihrer ganzen Länge durchsetzt, ja sogar ein mensch-
licher „Milch"-ßackenzahn wurde dieser Grube entnommen, der aber leider
von dem Platze, wo die Fundgegenstände deponirt wurden, entwendet oder
durch die zahlreichen, unliebsamen, neugierigen Zuschauer „verlegt" worden
ist. Es steht übrigens fest, dass es eine Art von Leichenbestattung gab, wo
über dem leicht mit Erde bedeckten Leichnam ein Feuer angefacht wurde,
welches die Knochen des Beerdigten mehr oder weniger stark calcinirte, wovon
deren Vergänglichkeit in feuchter Erde sehr abhängig ist.
2) In Betreff der in der Sitzung vom 14. Nov. 1874 von Ihnen besprochenen und
abgebildeten bemalten Posener Thongefässe, welche auffallend an die
Schlesischen im Germanischen Museum zu Jena erinnern, dürfte doch auch
an die von Prof. Conze in "Wien besprochenen und in den Sitzungsberichten
der "Wiener Akademie 1870 abgebildeten altgriechischen Thongefässe zu er-
innern sein. Ich bin der Meinung, dass die betreffende Ornamentik weniger
als ur-arisch, wie Conze will, zu bezeichnen ist, sondern eher den Zeiten
angehört, wo die griechischen und italischen Völker noch mit den Kelten,
welche ja sprachlich zu dieser Gruppe gehören (Schleicher), noch eine zusam-
menhängende Völkergruppe bildeten, da dieselbe Ornamentik auch auf galli-
schem Boden und in den Schweizer Pfahlbauten nachklingt, während sie z. B.
in den reingermanischen mitteldeutschen Gegenden gänzlich fehlt; hier
aber tritt dafür während der Bronzezeit vielfach eine weitgehende, unmöglich
zufällige Aehnlichkeit mit den Thongefässen auf, die Schliemann in Klein-
asien („Troja") ausgegraben hat. In diesen dürfte weit eher ein ur-arisches
Element stecken, als in den von Conze abgebildeten Produkten altgriechischer
Keramik. — Das eigenth ümliche Y-Zeichen, welches dem Triquetrum
ähnlich ist, kommt übrigens ähnlich auch unter den altitalischen Schriftzeichen
vor für einen aus K entstandenen palatalen Laut (wie das Sanskrit <;), in der
Form von ^, d. h. von einem lateinischen S mit einem kleinen vorgesetzten
Haken (Vgl. W immer, ruuenskriftens oprindelse etc., Kopenhagen 1N74, S. 51).
3) Was ferner die in demselben Berichte von Ihnen erwähnte , auch von
mir schon öfters beobachtete See-Igel-Ornamentik anbelangt, auf welche
ich auch vor kurzem mit Hrn. Professor Haeckel hier zu sprechen kam, so
(42)
erwähne ich noch, dass ausser an dänischen Gefässen der Steinzeit auch
die altägyptische Ornamentik Aehnliches aufweist, besonders auch die Verzie-
rungsform (der Kreis, der von Punkten umsäumt ist). Unser Germanisches
Museum zu Jena besitzt einen versteinerten Echinus, welcher in einer Urne,
angeblich mit Stein -Utensilien im Anhalt'schen gefunden ist, und eine Bronze-
nadel (Fibula) aus Schlesien, deren runde convexe Verzierungsplatte genau
die Form und natürliche Felder-Ornamentik mit den punktirten Streifen eines
Echinus wiedergiebt,
4) In Betreff Ihres Vortrages über Ausgrabungen zu Weissenfeis (Sitzungsbericht
vom 18. Nov. 1874) möchte ich noch ergänzend hinzufügen, dass in Thüringen
doch auch noch westlicher, als Sie angeben, Urnenfelder mit Leichenbrand sich
finden; so habe ich z. B. erst kürzlich (im vorigen Jahre) dicht bei Jena an
zwei örtlich ganz entgegengesetzt liegenden Stellen durch den Saal-Eisenbahn-
Bau aufgedeckte Urnenfelder zu Gesicht bekommen, von denen das eine, in
der tiefen Saal-Aue (nach Löbstedt zu), das andere auf einem Thal-Abhange,
etwa 60 Fuss über dem Saalspiegel zwischen der Rasenmühle und Lichtenhain
liegt. Letzteres scheint von grosser Ausdehnung zu sein und verspricht reiche
Ausbeute bei einer in baldige Aussicht genommenen Ausgrabung. Es fanden
sich hier besonders Bronzesachen (sehr verschlackt) und als Schmuck-Amulete
durchbohrte Flussmuscheln, während bei Löbstedt Eisen- und Bronzesachen
in Combination gefunden wurden. Auch habe ich. schon an anderen Stellen
des westlichen Thüringen (z. B. Vippach-Edelhausen hinter Weimar, und bei
Geisa in der Rhön u. a. 0.) Urnenbegräbnisse mit Leichenbrand gefunden.
Immerhin aber bleibt es auffallend, dass in Thüringen die Leichenbestattung
verhältnissmässig viel häufiger ist, als der Leichenbrand.
(6) Das eben eingetroffene Heft VI der „Mittheilungen der deutschen Gesell-
für Natur- und Völkerkunde Ostasiens" enthält unter anderen interessanten Abhand-
lungen einen Aufsatz des Hrn. Dönitz über die Aino.
(7) Herr Virchow legt photographische Abbildungen eines von Hrn. Wagner
aus Venezuela eingesendeten, angeblich in einem See gefundenen thönernen Idoles
vor. Er sah dasselbe im Hallischen Museum und Hr. Opel hat die Güte gehabt,
es auf seinen Wunsch photographiren zu lassen. Eine Abbildung davon soll in den
„Neuen Mittheilungen" erscheinen.
(8) Hr. Hartmann berichtet über eine Anzahl im anatomischen Museum zu
Berlin befindlicher, noch mit den Weicbtheilen bedeckter
Köpfe von Mulatten und Negern aus Bahia.
Dieselben wurden zum Theil schon in dem 1835 erschienenen, interessanten, auch
vieles Originale enthaltenden Werke Gottfried Schadow's: „Nationalphysiognomien"
in den eigenthümlich markigen Contouren des Meisters bildlich dargestellt und auf
S. 28 ff. des zugehörigen Textes kurz beschrieben. Nach den Ermittelungen, welche
Vortragender zum Theil unter Beihülfe des verewigten Prinzen Adalbert von Preusseji
angestellt, war die Gelegenheit, bei welcher jene Köpfe erlangt wurden, die folgende:
„In den 1830er und späteren Jahren waren in den nördlichen und mittleren Provin-
zen Brasiliens wiederholte Aufstände ausgebrochen, welche zum Theil die Errichtung
einer Föderativ-Republik bezweckten. Die meisten dieser Aufstände lehnten sich an
die sogenannte Cabano-Revolution in den Gebieten des oberen und unteren Amazo-
nenstromes. Hauptsächlich waren es nun die Farbigen, welche bei diesen Kämpfen
(43)
in den Reihen der Aufständischen fochten, alle jene Mulatten, Mestizen, Kafusos,
Mamraelukos, Indios, Negros u. s. w. Im Jahre 18l:i2 kam es auch in den Strassen
Bahias zum Kampf und es wurden von den siegreichen kaiserlichen Truppen bei dieser
Gelegenheit eine Anzahl aus einem Sklavenbagno ausgebrochener afrikanischer
Schwarzer theils in der Hitze des Kampfes getödtet, theils kurz nach Beendigung
desselben standrechtlich erschossen. Ein gewisser v. Schotzky wusste sich die
Köpfe einiger der Getödteten zu verschaffen, welclie dann in das anatomische Museum
der Berliner üniversit'ät gelangten. Dieselben sind noch heut ziemlich gut erhalten
und zeigen im Antlitz zum Theil selbst noch solche Verzerrungen, wie sie bei ge-
waltsamer Todesart wohl entstehen können. Es sind darunter Köpfe von Negros
Novos, d. h. von frisch angekommenen, welche noch die ursprünglichen Stammesab-
zeichen tragen und als typisch gegenüber jenen Kreolnegern betrachtet werden
dürfen, welche, im Lande geboren, im Verlauf der Geschlechtsfolgeu ihren heimath-
lichen Charakter doch manchmal wesentlich ändern oder auch gänzlich einbüssen.
Vortragender legte nun die in natürlicher Grösse mittelst des Lucae' sehen Appa-
rates aufgenommenen und in ihrer etwas verblichenen Färbung der Haut wiederge-
gebenen Portrait« von fünf Individuen vor. Von jedem Kopfe verfertigte Hr. Hart-
mann eine genaue Profil- und eine genaue Face-Ansicht. Er fand Gelegenheit,
einige dieser Portraits später mit gut photographirten, denselben Nationalitäten ange-
hörenden zu vergleichen, welche Untersuchung ein günstiges Resultat hinsichtlich
der typischen Beschaffenheit jener Weingeistpräparate ergab. Gezeichnet wurden die
Köpfe
1) eines Knaben aus Cabenda,
2) eines jungen Mädchens aus Angola,
3) eines Monjallo-Mannes,
4) eines Mannes mit der Bezeichnung „Mina",
5) eines sogenannten Knopneuzen oder Makaopa.
Der Haarwuchs an Haupt und Bart, die Augenbrauen, Wimpern, die Gestaltung
der Lippen, Ohren u. s. w. Hessen sich in so grossem Maassstabe genauer wieder-
geben. Der sogenannte Mina-Neger erinnert mit seinen die Kreuz und Quer über
Stirn und Wangen laufenden Schnittnarben an jene Sucrutched faces oder Bantetje
(im Schintetje), von denen uns Prof. Bastian im I. Bande seines neuesten Reise-
werkes über die Loangoküste S. 136 und 314 berichtet. Am Knopneuzen, welchen
auch der in der Sitzung anwesende Missions-Inspektor, Hr. Merensky als einen
solchen in Anspruch nehmen zu dürfen glaubte, laufen eine Menge knopfförmiger,
warziger Erhabenheiten in nicht ganz regelmässigen Abständen von dem behaarten
Stirnrande bis zur Nasenspitze.
Nach Hrn. Missionar Endemann's brieflicher Mittheilung an den Vortragenden
wird bei anderen Knopneuzen diese mediane Längsreihe von „Knöpfen" auch durch
quer über den mittleren Theil des Antlitzes ziehende Reihen gekreuzt. Einer älte-
ren Nachricht zufolge sollen diese den A-Bäntu zugehörenden Schwarzen ihre Haut
kreisförmig einschneiden und die dergestalt abgegrenzten Hautinselchen durch Ein-
klemmung in den entsprechend vollführten Ausschnitt einer beim Eintrocknen allmäh-
lich zusammenschrumpfenden Fruchtschaale isolirt und dadurch zur Erzeugung einer
warzenartigen Hervorragung gebracht werden. Nach einer anderen Darstellung, wel-
cher auch Hr. Merensky seinen Beifall giebt, wird die Haut des Gesichtes au be-
stimmten Stellen nur halbkreisförmig incidirt und durch methodisches Emporbinden
zur Erzeugung der Knöpfe gezwungen. Die üppige Ausbildung der letztern bei dem
abgebildeten Individuum lässt au eine gleichzeitig mit der Entwicklung der Knöpfe
erfolgte leichte KeloidbüduQg denken. Nach Hrn. Merensky legen übrigens die
(44)
von den Amazulu unterjochten Makaopa diese verunstaltende Sitte jetzt allmählich ab.
"Wie nun u. A. eine der Gesellschaft präsentirte, von Hrn. Maler Klingelhöfer
aufgenommene Photographie beweist, finden sich derartige Verunstaltungen auch bei
im südlichen Kongo wohnenden Stämmen. Zu letzteren scheinen denn auch ein
von Biard abgebildeter, ferner ein von Agassiz in dessen brasilianischem Reise-
werke (nach einer in Brasilien gangbaren, auch im Besitze des Vortragenden befind-
lichen Photographie) xylographisch wiedergegebenen „Negro Novo", sowie ein im
Dammann' sehen Album (Heft , Blatt ) dargestellter Sklave von Pernambuco
zu gehören.
Vortragender legte ferner vor die von ihm nach der Natur mit dem Prisma auf-
genommenen, in ihrem natürlichen Kolorit en Gonche ausgeführten typischen Portrait»
lebender Afrikaner:
1) eines Bischäri,
2) eines Abbädi,
3) eines Hasäni,
4) und 5) zweier Bagära,
6) eines Djaali,
7) eines sennarischen Mischlinges,
8) eines Pullo von Kanno,
9) eines edlen Fungi,
10) eines Tabi-Bewohners,
11) eines Dongoläni,
12) eines Kongäri (Där-Für),
13) eines Barta oder Berta,
14) eines Denqa,
15) eines Känembu und
16) eines Schilluk.
Diese 16 Typen, lauter Männer, wurden bisher zum Theil noch gar nicht, zum
Theil nur sehr ungenügend bildlich dargestellt. Der zur gewissen Jahreszeit von
Hadji's Tekärine wimmelnde Völkermarkt in den obernubischen und sennarischen
Ortschaften bot dem Vortragenden gute Gelegenheit zur Ausführung derartiger Ar-
beiten dar. Die sämmtlichen vorgezeigten Darstellungen sollen in einem vom Vor-
tragenden binnen kurzer Zeit zu publicirenden umfangreichen "Werke über die An-
thropologie Afrika's an geeigneter Stelle abgebildet und ausführlich beschrieben werden.
('.)) Herr Friedel legte folgende dem Märkischen Provinzial-Museum zu Berlin
gehörige Gegenstände (Taf. V, Fig. 1 — 3) vor:
1) einen schön geschliffenen Feuerstein-Keil, 11,5 Cm. lang, an der Schneide 5 Cm.
breit, in Rixdorf nahe Berlin beim Ausschachten der Fundamente einer Bren-
nerei gefunden, Geschenk des Reutmeisters Wall bäum in Gusow;
2) einen desgl., 11 Cm. lang, an der Schneide 4 Cm. breit, mit einem Bronze-
(oder Kupfer?-) Celt (11,5 Cm. lang. Schneide 5,5 Cm. breit) schönster Ar-
beit, zusammen beim Abtragen eines Hünengrabes in Deutsch-Sagar bei
Crossen a/0. gefunden, mitgetheilt vom Rector Petermann daselbst;
3) einen Bron/.emeissel (17 Cm. lang. Schneide 1 Cm. breit) in einem Torfmoor bei
Neustadt a. d. Dosse gefunden, den noch jetzt gebrauchten gewöhnlichen eisernen
Meissein auffallend ähnlich und deshalb besonders merkwürdig, da die in hie-
siger Gegend gefundeneu Instrumente, Schmucksachen, Waffen etc. von Bronze
in der Regel decorativ gehalten und stylistisch bearbeitet sind und des-
halb die Unterstellung zulassen, dass neben ihnen die gewöhnlichen
(45)
Instrumente noch aus Stein gefertigt waren. Erst die Verwendung der
Bronze zu den gewöhnlichsten und gröbsten Geräthschafteu (wie das vorlie-
gende) lässt aber den Schluss auf eine wirkliche und mit Grund so zu nen-
nende „Bronze-Zeit'' bei einem Volke zu. Dergleichen rohe Bronzegeräthe
gehören bis jetzt noch zu den seltensten Funden in der Mark.
4) drei eiserue, in Berlin ausgebaggerte Geräthschaften, eine schmale (25 Mm.
breit) und eine breite (50 Mm. breite) Wurfspiess-Spitze, sowie eine Scheere,
bei welcher letzteren der Griff und die Schneiden zu einem Stück verbunden
sind und die nicht veruieteteu Schneiden, ähnlich wie bei den noch jetzt übli-
chen Wollscheeren, um zu wirken, mit der vollen Hand gegen einander ge-
drückt werden müssen, also entsprechend Taf. X, Nr, 4 bei Hostmann (der
Urnenfriedhof bei Darzau, Braunschweig, 1874) oder Jernalderen I, Nr. .'363
bei Worsaae (Nordiske Oklsager, 1859) [letztere freilich aus Messing], oder
Lindenschmit: Heidn. Altertliümer, Bd. III, Heft H, Taf. I, Nr. 3. — Es
ist dies die in der Römerzeit übliche Scheerenform, dgl. ein noch jetzt im
ganzen östlichen Asien verbreiteter Typus. (Der Vortragende legte zur Ver-
gleichung eine moderne japanische Scheere gleicher Construction vor, welche
sein Bruder, der Oberstabsarzt Dr. Carl Friedel 1862 in Yokuhama kaufte.)
5) drei Bronzegefässe, mit Edelrost bedeckt, vor ca. 30 Jahren von dem inzwischen
verstorbenen Garnisonschullehrer Wilde in Staaken bei Spandau in bedeu-
tender Tiefe ausgegraben, Geschenk des Directors Hiltl. Die Gefässe sind
dem Anscheine nach durchaus „kalt" gearbeitet, d. h. aus dünnem Blech in
Schalenform getrieben, jedes mit einem angenieteten Griff versehen und dem
Typus von Worsaae a. a, 0. Broncealderen 282, noch genauer Linden-
schmit: Die Alterthümer unserer heidnischen Vorzeit, II Bd., Heft IIT, Taf. 5,
Nr. 3 (gefunden bei Mainz) entsprechend.
Die Herkunft dieser überaus merkwürdigen und für unsere Gegend bis
jetzt einzigen Henkelschalen ist bekanntlich gerade streitiger wie je.
Lindenschmit bemerkt an der bezeichneten Stelle Folgendes: „Die
gehenkelten Näpfe Nr. 2 und 3 aus Mecklenburg und dem Rheinlande sind
Produkte einer unverkennbar vorzüglichen Metallarbeit, welche eine treffliche
Schule und unausgesetzte üebung voraussetzt. Die Verschiedenheit der Aus-
führung ist nur von jener Art, welche die verschiedenen Sorten derselben
Fabrikwaare charakterisirt. Wollte man im Sinne der Systematiker voraus-
setzen, die Gefässe von Schwerin und Mainz, sowie ein gleichartiges von
Wiesbaden, seien durch einzelne Arbeiter an diesen weit entfernten Orten aus-
geführt, so müssten wir zugleich den jetzigen handwerklichen Verhältnissen
unseres Landes ein Hinaufreichen um vierthalb Jahrtausende zugestehen, denn
so weit mindestens müsste die sogen. Bronzoperiode, bei der immer wach-
senden Ausdehnung der Eisenzeit, hinaufgeschoben werden. Da aber bis jetzt
nicht Jedermann eine solche Erweiterung der Chronologie nordischer Bildung
den thatsächlichen und historischen Verhältnissen entsprechend findet, so ist
gewiss die Annahme einer Herstellung jener Erzblechgefässe in den alten
Culturstaaten sicherer und begreiflicher; wie denn offenbar ihre Henkel mas-
senweise gleichartig ausgeführt und dann den verschiedenen Fabriksorten an-
gepasst und aufgenietet erscheinen. — Wird man nach allem diesem die be-
sprochenen Metallgefässe noch für gormanisch oder keltisch, und zwar mit
besonderem Nachdruck für entschieden keltisch erklären wollen, so mag man
seine Freude in dem Beharren bei vorgefassten Meinungen finden."
(46)
Lindenschmit erklärt diese Brouzegefässe, zu denen unsere 3 gehören,
für altitalisch. Nach dieser Anschauung wären sie vielleicht ins 3. bis 5.
Jahrhundert a. Chr. zu setzen.
Abbildungen dieser im Katalog II, sub 1832 bis 1834 eingetragenen Ca-
binetsstücke mit Hervorhebung der sehr primitiven auf die Oberflächen der
Henkel eingeritzten Lineurverzieruugen (a, a, a) werden auf Taf, V gegeben.
Bei Nr. 1832 und 1833 sind die inneren Niete platt geklopft, bei
Nr. 1834 dagegen die zwei oberen Niete auf der inneren Seite hervorragend
kegelförmig in der Art der Tutuli. Auf dieses wichtige Kriterium macht
Lindenschmit (üeber Ursprung und Herkunft einer Anzahl Denkmale des
sogen, älteren Eisenalters, insbesondere der Geräthe aus Gold, Erz und Eisen,
welche zugleich mit etruskischeu Erzgefässen in den Grabhügeln des Rhein-
gebietes gefunden werden. Mainz 1871 pag, 10) besonders aufmerksam: „Es
begegnen diese konischen Nieten ausschliesslich nur au Gefässen, welche mit
altitalischen Arbeiten die allernächste Beziehung bieten, auf der Erzvase eines
Grabhügels bei Rönning, Amt Odensee, auf den Bruchstücken eines in Meck-
lenburg gefundenen Erzgefässes (Frideric. Franc, von Schröter und Lisch,
Taf. XII, 2), auf der Erzvase des Kesselwagens von Judenburg in Steiermark,
auf einer namhaften Zahl schöner Erzgefässe in Hallstadt, aber auch auf den
Krateren, Schalen und Becken der Gräber von Cervetri, Präneste, Bomarzo
und Vulci." — Auch die schöne, dem Uebergange der Bronze- zur Eisenzeit
angehörige altetruskische Rüstung, welche neuerdings im letzten Vasenzimmer
des Königl. Alten Museums zu Berlin aufgestellt ist, zeigt diese konischen
Niete.
Lindenschmit fährt fort: „Unter den Gefässen, welche Merkmale aus-
wärtigen Ursprunges bieten, sind schliesslich noch jene einfachen, aber ele-
ganten Näpfe aus goldfarbiger Bronze zu erwähnen, welche bereits zweimal
(bei Kreuznach und bei Augsburg) in grösserer Zahl beisammen und nach
aufsteigender Grösse, einer in den andern gestellt, aufgefunden sind.
Auch eine andere Art leichter kleiner Schalen von zierlichem Profil mit auf-
genietetem Blechhenkel, theils glatt, theils mit Reihen von Buckeln verziert,
reicht von Mecklenburg (die Schale von Dahmen) in das mittlere Elbland
(jene von Roltsch bei Torgau, Mus. v. Berlin), in das Rheingebiet (Mus. v. Mainz),
bis zu jenen von Hallstadt und mit denselben weiter nach Süden."
Auch die Staaken'schen Gefäss scheinen ineinander gestellt gefunden
zu sein.
Nachdem ich vor Kurzem wiederholt die italischen Museen auf Bronzen
durchsucht, muss ich Lindenschmit in Bezug auf die schlagende Aehnlich-
keit dieser Gefässe mit altitalischeii Repliken beipflichten,
ij) eine Urne mit einem Feuerstein keil (lU Gm. laug, Schneide 4,5 Cm. breit)
zusammen bei Hohen-Zieritz in Mecklenburg gefunden, vom Director George
Hiltl geschenkt. Das Zusammenliegen des Steines mit der Urne ist ein nicht
gerade gewöhnliches, indem dieselbe stylistisch einer späteren Zeit anzugehö-
ren scheint. Sie ist 14 Cm. hoch, die grössto Weite des Bauches 14 Cm.,
der Durchmesser des Bodens 4,6 Cm. Der Hals ist schlank und mit einem
Henkel versehen. Die Verzierungen bestehen aus kleinen schrägen Einker-
bungen, auf dem untern Bauchtheile aber auch aus grossen Sförmigen Ein-
schnitten. Nach diesen „unruhigen" Verzierungen, dem schlanken Halse und
dem Henkel zu schliessen, würde man die Urne in die spätere (wendische)
Zeit zu setzen nach der gewöhnlichen Annahme, geneigt sein. Endlich
(47)
7) einen in torfigem Boden, in einer Schicht, die starke Hirschgeweihe enthielt,
ausgegrabenen defecten Menschenschädel; von den übrigen vorhanden gewe-
senen Skelettheilen, die beim Ausschachten des Canals zwischen Plötzensee
und der Spree bei Moabit gefunden wurden, ist nichts gerettet worden. Be-
sondere Beigaben sind nicht ermittelt. Der Schädel scheint der plattgedrück-
ten (flachen Form, die neuerdings die Aufmerksamkeit erregt) anzugehören. —
Herr Virchow macht besonders auf die Bronzeschalen von Staaken aufmerksam,
deren 'rechnik ganz mit derjenigen der kürzlich von ihm besprochenen Bronze-Eimer
oder Cysten übereinstimmt. Beide gehiiren offenbar demselben artistischen Gebiete
an und sind als importirte Arbeiten zu betrachten.
(10) Als Geschenk des Hrn. Oldenberg werden zwei Nüsse von Anacardium
Orientale vorgelegt, in deren Hilus die Physiognomien eines Affen (wohl eines Hylo-
bates?) recht niedlich eingeschnitzt sind. Dieselben wurden, als Trophäen des
Atchin-Feldzuges, in Rotterdam in grosser Menge verkauft.
(11) Der Vorsitzende verliest aus einem Briefe des Herrn A. B. Meyer einige
Bemerkungen
über die Bezielinngen zwisclieu Nesritos und Papuas.
Es war im Februar 1873, als Maclay und ich zusammen in Tidore eine grosse
Schaar (ca. 60—80) Papuas sahen; er kam damals von der Astrolabebay und war
noch niclit auf den Philippinen gewesen, und ich kam von diesen und war noch nicht
auf Neu-Guiuea gewesen. Wir unterhielten uns damals über die Zusammengehörig-
keit der beiden Rassen, diese Papuas vor Augen. Ich richtete die Frage an ihn,
die mir sehr wichtig schien, ob sie den Papuas der Astrolabebay glichen, und er be-
hauptete keinen Unterschied irgend welcher Art constatiren zu können. Ich durfte
aber damals schon vermöge meiner Negritobekanntschaft — hatte ich sie doch schon
ein Jahr vorher in einer kleinen Schrift flüchtig besclirieben — die Gleichheit wenig-
stens des äusseren Habitus zwischen Negrito's und Papua's beliaupten und that es.
Diese äussere Gleichheit ist sehr in die Augen springend; sie drängt, bei der ver-
hältnissmässig niclit so grossen räumlichen Entfernung der 2 Rassen von einander,
die Hypothese der Zusammengehörigkeit thatsächlich auf. Ob sie zu erweisen sein
wird, ist ein Anderes. P]in positiver Wahrscheinlichkeitsbeweis aber wiegt, wie mir
scheint, viele Bedenken auf. Die Sprachuntersuchung wird uns wahrscheinlich hier
auch nicht viel leisten. Angenommen, was noch dahin steht, die Schädelformen
seien constant uuterscheidbar, würde darin ein Gegenbeweis liegen müssen, und soll
man bei sonstiger grosser physischer Aehulichkeit nicht eher annehmen , dass sie ab-
geändert habe, wie ja überhaupt durch insulare Abgeschlossenheit und andere Um-
stände die „Art" (zoologisch genommen) abändert — zweifellos — , wenn uns auch
trotz Darwin und vielem Geschrei noch Einsicht in das wie und warum fehlt? Die
räumliche relative Nähe zwischen Neu-Guinea und den Philippinen ist mir durch
zwei Thatsachen vor Augen geführt worden, die ich der Mühe werth halte Ihnen zu
erzählen: Kurz ehe ich nach Neu-Guinea kam, wurde nach einer Insel vor Dore ein
kleines Rndorboot von den Sangi-lnseln , im Norden von Celebes, im Südeu der Phi-
lippinen ohne Sturm abgetrieben. Ich selbst sprach noch einige dieser Sangiresen auf
Neu-Guinea. Sie waren von einem Platz aufSiao in einem Ruderboot massiger Grösse,
etwa 15 Personen (wenn ich nicht irre), mit Frauen und Kindern weggefahren, um
Freunde auf einer benachbarten Insel zu besuchen, und waren auf dieser Lustfahrt bis
Neu-Guiuea abgetrieben! Natürlich hatteu sie die äusseisten Entbehrungen zu über-
(48)
stehen, denn sie waren 30 Tage auf See gewesen. Die Insel bei Dore, auf der sie
landen wollten, (Manaswari) ist seit vielen Jahren von einem Missionäre bewohnt und
es liegen ein paar Papua-Dörfer auf ihr. Trotz der Jahrelangen Einflüsse der Missio-
näre empfingen die Papuas diese Saugiresen mit Pfeilschüssen und Hessen sie erst
nach Dazwischenkunft der Missionäre landen. — Die zweite hierher gehörige That-
sache wird mir ganz vor Kurzem von Ternate gemeldet. Alle Haudelsexpeditionen
von Ternate nach Neu-Guinea missglückten im Jahre 1874 bis auf eine. Die meisten
kamen nicht einmal bis Neu-Guinea. Ein Schiff aber wurde von Neu-Guinea, nach-
dem es auf Jobi gewesen, wo mehrere Leute desselben ermordet worden, bis nach
Mindanao abgetrieben (ohne Sturm) und gelangte von da über Makassar erst nach 6
Monaten nach Ternate zurück. Ich bin glücklich solchem Missgeschick entronnen. —
Der Vorsitzende betont die Wichtigkeit dieser letzteren Erfahrungen, namentlich
mit Rücksicht auf den früheren Streit zwischen den Herren Jagor und Semper.
(12) Herr Professor Fischer aus Freiburg i./B. besprach
die Nephritfrage
vom archäologisch-ethnographischen Standpunkt und gab einen gedrängten üeberblick
über den Inhalt seiner zum Druck vorbereiteten desfallsigen Monograghie, welche, mit
Holzschnitten und chromolithographischen Tafeln ausgestattet, noch in diesem Jahre
im Verlag von Schweizerbart (E. Koch) in Stuttgart erscheinen soll.
Die Mineralien Nephrit, Jadeit und Chloromela nit, wovon die beiden letz-
teren erst in neuerer Zeit durch Damour vermöge ihrer chemischen Eigenschaften
dem ihnen zum TheU ähnlichen Nephrit gegenübergestellt wurden, standen bis jetzt
vermöge Mangels an ausgeprägter Krystallform oder anderweitiger in's Auge fallender
Eigenschaften bei den Mineralogen in geringem Ansehen, während sie vom archäolo-
gisch-ethnographischen Standpunkt grösseres Interesse verdienen.
Die betreffenden Mineralien waren früher, weil meist als Beile, Meissel zuge-
liauen oder als Schmuckgegeustände, Idole u. dergl. verarbeitet gefunden und aus
anderen Erdtheilen zu uns gebracht, eigentlich mehr in Curiositäten- und Raritäten-
Kammern untergebracht, in Miueralienkabineten dagegen mehr nur zufällig, verein-
zelt und ohne Verständniss für ihre Bedeutung deponirt, während sie in andern Erd-
theilen vollkommen die Rolle eines Halbedelsteines spielen, wofür z. B. ein Beweis
darin liegt, dass bei der Pariser Industrie-Ausstellung eine Firma Guthrie aus Lon-
don eine Prachtsammlung von chinesischen Nephritgegenständen im Gesammtwerth
von einer halben Million Franken ausgestellt hatte.
In Europa finden sich, soweit bis jetzt bekannt, die fraglichen Mineralkörper
im Gebirg anstehend gar nicht. — (Ein einziger loser Block von Menschenkopf-
grösse, welcher am Anfang dieses Jahrhunderts durch Breithaupt als in einer
Braunkohlengrube bei Schwen)sal unfern Leipzig gefunden beschrieben wurde, ist
dorthin auf eine bis jetzt noch unenträthselto Weise gerathen und jedenfalls für Eu-
ropa ein Fremdling)
Seitdem aber in den Pfahlbauten und anderwärts unter Hunderten von Steinin-
instrumenten aus europäischen Gesteinen da und dort auch vereinzelte Beile und
Meissel aus solchen fremden Mineralien entdeckt und durch die Analysen von L. R.
V. Fellenberg und von Damour als aus Nephrit, Jadeit, Chloromelanit geformt
constatirt waren, hat man der Sache etwas mehr Aufmerksamkeit zu schenken und
dieselbe auch schon auf authi-opologischen Congressen, wie z. B. 1872 zu Brüssel zu
erörtern begonnen.
Der Redner legte sodann die Resultate seiner eingehenden mehrjährigen Studien
(49)
dar, welche dahin zielten, einmal die gesammte, ungeahnt grosse Literatur speciell
über den Nephrit von dem höchsten Alterthura bis zur Neuzeit aus allen europäischen
und aussereuropäischeu Sprachen zusammenzustellen, andererseits die Beschaffenheit
aller in andern Erdtheilen einheimischen Vorkommnisse von Nephrit, Jadeit u. s. w.
durch vergleichende chemische und mikroskopische Forschungen zu ergründen,
um die als Fremdlinge auf europäischem Boden verstreuten Steiniustrumente möglichst
auf ihre Heimath zurückführen und Schlüsse auf die Völker ziehen zu können, welche
dieselben entweder etwa als Prunkwaffen, Cultgegenstände u. s. w. selbst in unsere
Gegenden aus ihrer Heimath mitgebracht oder (was weniger wahrscheinlich sein
möchte) durch Handelsverbindungen aus dem Osten bezogen haben dürften.
Es wurden nun vom Vortragenden die aus dem mineralogischen und dem ethno-
graphischen üniversitätsmuseum von Freiburg mitgebrachten rohen und verarbeiteten
Vorkommnisse obiger Mineralien aus Sibirien, Turkestan, China, Neuseeland, Ota-
heiti u. s. w. vorgelegt, aus letzteren Gegenden auch geschnitzte Figuren, Idole,
Schmuckgegeustände, und deren kunstreiche Bearbeitung u. s. w. näher erläutert.
Die letztere gewinnt um so mehr Interesse bei der enormen Zähigkeit der Sub-
stanz, wofür ein Beweis durch ein Beispiel geliefert wurde, bei welchem ein Nephrit-
block selbst der Zerkleinerung durch einen Dampfhammer widerstand.
Von da ging der Redner unter der Angabe, dass aus Afrika noch keine Ne-
phrite constatirt seien, auf Amerika über, auf die daselbst schon bei der Entdeckung
des Erdtheils bei den Eiugebornen durch die Spanier vorgefundenen Steinfigurcu,
welche als Amulete gegen Nierenleiden getragen wurden, daher der Name lapis ne-
phriticus, piedra de los rinones, auch piedra de la ijada (Weichengegend), woraus
später das Wort „Jade" wurde, während in früheren Zeiten das Mineral nach Abel
Remusat's Forschungen (1820) den jetzt auf eine Quarzvarietät übergegangenen
Namen Jaspis führte.
Auch der Name Amazonenstein, welcher jetzt einer (besonders ans Sibirien
bezogenen) grünen Feldspath- Varietät beigelegt zu werden pflegt, bezieht sich ur-
sprünglich (seit La Condamine, 1745) auf ein angeblich nephritartiges Mineral aus
der Gegend des Amazonenstroms, welches von den Indianern — als Täfelchen, durch-
bohrte Cylinder u. s. w. geschnitten — getragen und sehr hoch in Ehren gehalten
wird. Schon Alex. v. Humboldt, sodann v. Martins, die Gebrüder Schom-
burgk bemühten sich vergebens, das natürliche Vorkommen und den Fundort dieser
grünen Steine zu entdecken. Es wurden Gypsabgüsse und Wachsimitationen von den
wenigen Originalstücken, welche der Redner bisher kennen lernte, vorgelegt; letztere
befinden sieb im mineralogischen und im ethnographischen Museum zu Berlin, dann
im Mineralienkabinet zu Genf; einige aus anderen Museen beschriebene Exemplare
sind leider theils verloren, theils nach Brasilien zurückverkauft. Es wurden sodann
die Formen verschiedener Prunkwaflfen aus Mexiko und Mittelamerika erläutert, bi-
convexe Beile mit Sculptur und eigenthümlicher Durchbohrung unter den Kanten
hin, planconvexe Beile mit Sculptur und mit subcutaner (unter der Fläche hin ver-
laufender) Durchbohruug, welcher man auch bei ägyptischen Scarabäen mitunter be-
gegnet. Bei diesem Anlass wurde hervorgehoben, wie dringlich es sei, Alles, was
nur irgend von solchen, dem Amerikanischen Altertbum angehörigen Reliquien noch
aufzutreiben ist, den Ceutren der betreffenden Wissenschaft, d. h. den archäologisch-
ethnographischen Museen zuzuwenden.')
') Die mit dem mexikanischen, auf smaragdgrüne Farbe hinweisenden Wort »Chalchihuit!"
belegten, geschnitzten, in Mexico und Mittelamerika noch vortindlichen und dort sehr hoch j/e-
scliiitzten Steine sind ohne Zweifei von veischii.dener mineralogischer Natur. Kin aus der
VerhaiuM. der IJerl. Authroiiol. Gesellschaft. li<70. 4
(50)
Schliesslich wurden noch einige Muster von Jadeit- und Chloromelanit-Gegen-
ständen vorgezeigt, unter Angabe der Fundorte in der Schweiz und in Mitteldeutschland. —
Herr Virchow bemerkt, dass er sich schon vor einiger Zeit, angeregt durch die
Erwähnung des sogenannten erratischen Nephritblockes von Schwemsal bei Leipzig
Seitens der Herren Naumann, Fischer und Schlagintweit, an Hrn. Professor
Zirkel in Leipzig gewandt habe. Leider ist weder von diesem Funde, noch von
dem im Johannisthai bei Leipzig etwas "Weiteres zu ermitteln, indess erklärt Herr
Zirkel, dass auf ihn der Fundbericht den Eindruck mache, als sei an den betreffenden
Orten, die vielleicht an alten Handelsstrassen lagen, Nephrit verloren worden; jeden-
falls sei die Zugehörigkeit des letzteren zu dem Terrain, wie ihm scheine, durchaus
nicht constatirt.
Herr Virchow erwähnt ferner, dass er im Museum zu Münster zwei sehr schöne
Steinäxte aus grünem, durchscheinenden Material gefunden, und dass er sich jetzt
wegen genauerer Notizen an Hrn. Hosius gewendet habe. Derselbe schreibt ihm
Folgendes:
„Gleich nach Empfang Ihres Schreibens habe ich mir die hiesigen Steinwerk-
zeuge zur Untersuchung ausgebeten. Ich glaube mit ziemlicher Sicherheit, so weit
dies ohne chemische Untersuchung möglich ist, behaupten zu dürfen, dass eigentlicher
Nephrit unter ihnen nicht vertreten ist. Von den 92 Nummern der Sammlung sind
ca. 8 aus einem grünen oder grünlichen Gestein ; 6 von diesen, sogenannte Stein-
hämmer, fielen sofort aus, da sie aus deutlich gemengten Felsarten bestehen, nur 2,
als Aexte bezeichnet, konnten für die weitere Untersuchung in Betracht kommen.
Von diesen ist das grössere Stück 0,29 M. lang, unten 0,095 M. breit und in der
Mitte, wo es am dicksten ist, 0,025 M. dick. Die Farbe ist tiefdunkelgrün mit lich-
ten Stellen, die Härte unter 4 unter Apatit. Es ist also kein Nephrit, sondern
jedenfalls Serpentin. Das zweite ist von ähnlicher Form, aber viel flacher, 0,25 M.
lang, 0,075 M. breit und an der stärksten Stelle noch nicht 0,015 M. dick. Es ist
ebenfalls scheinbar homogen, hellgrün mit weisslichen Stellen, und an den Spalten
und Rissen mit gelblichen Stellen, letztere wohl nur durch Verwitterung und Ver-
unreinigung entstanden. Die Härte dieses Stückes ist Feldspathhärte und darüber,
aber der Bruch scheint nicht das Grobsplitterige des Nephrits zu haben ; dieses,
sowie die Farbe, spricht gegen Nephrit. Ich hoffe, es wird mir gestattet, ein Stück-
chen abzusprengen und den frischen Bruch und vielleicht auch einen Dünnschliff
untersuchen zu können und eine chemische Analyse machen zu lassen. Vorläufig
mag ich über die Natur dieses Gesteins keine weiteren Vermuthungen aussprechen,
da 68 eben nur Vermuthungen sein können. Das erste Stück ist bei Cloppenburg
(Oldenburg), das zweite bei Höxter an der Weser, beide im Sande aufgefunden.
Weitere Notizen lagen nicht bei."
(13) Herr F. S. Hartmann richtet im Namen des historischeu Vereins von
Oberfranken, d. d. Fürstenfeldbruck, 14. Febr., folgendes Schreiben an die Gesell-
schaft, betreffend
die bayrischen Hochäciier.
^Im südlichen Theile Bayerns kommen viele Tausende von Tagwerken uralter,
Privatsararalunf^ des Firn. Dr. A. v. Frantzius in [leidelberg stammendes Exemplar erkannte
iler Redner vermöge mikroskopischer Uutersuctiung eines Splitters als lleiiotrop-Quar/,. — Eine
Analyse eines üclitou amerikauiacheu Nephrits liegt bis iioute uocli uiclit vor.
verlassener Bodenculturen vor, welche das Landvolk Hochbifange, Heidenbeete, Hei-
denäcker, Heidenstränge, Hochäcker und Römerbeete heisst.
„Diese Hochäcker haben schon früher die Aufmerksamkeit der Alterthumsfreunde
und Geschichtsforscher im hohen Grade in Anspruch genommen ; gegenwärtig hat
sich auch der historische Verein von und für Oberbayern die erschöpfende Bearbei-
tung dieses Tliemas zur Aufgabe gestellt und seine Mandatare beauftragt, hiezu um-
fassende Nacliforschungen anzustellen und über deren Ergebnisse ausführlichen Be-
richt zu erstatten.
„An der Lösung dieser Aufgabe arbeite ich bereits 3 Jahre und schmeichle ich
mir, dass mir nunmehr die Lösung dieser Frage gelungen sein dürfte.
„Zur Vervollständigung meiner Arbeiten wäre mir aber noch zu wissen noth-
wendig, wie weit diese Art der Ackerbestellung in unserem weiteren Vaterlande
verbreitet ist und ob namentlich verödete Culturen, wenn sie auch im Norden vor-
kommen, dasselbe Gepräge, wie die süddeutschen Hochäcker an sich tragen.
„Es zeigen sich nehmlich an einander gereihte Erhöhungen mit dazwischen
liegenden Vertiefungen von ungewöhnlicher Grösse und Gestalt; ihre Reihen sind
anscheinend wunderbar geordnet, haben in der Regel eine Breite von 6 — 12 M., aber
auch darüber und eine auffallende regelmässige Wölbung.
„Ihre Länge ist immer scharf geradlinig, aber sehr verschieden, oft über 290 M.,
ja oft auf 2 Kilometer ausgedehnt, während die Höhe der Wölbungen 5 — 8 Dem,
beträgt.
„Sie folgen nicht immer in derselben Richtung auf einander; zieht nehmlich
eine Reihe, aus etwa 20— ."iO Beeten bestehend, von Osten nach Westen, so schliesst
sich ihr zur Seite oder von der Mitte ausgehend, aber eben so geradlinig von Norden
nach Süden gerichtet, eine zweite derselben an; doch überzeugt man sich allenthalben,
dass die Anlagen von Osten nach Westen viel seltener vorkommen, als die von Süden
nach Norden.
„Diese alten Culturen zeigen sich sehr häufig auf Haideboden, oft sind dieselben
auch mit uralten Waldbeständen bedeckt.
„Auf den Hochäckern oder in deren unmittelbarer Nähe befinden sich Halb-
kugelgräber und Trichtergrubeu, und gehören beide letztere unzweifelhaft dem Volke
an, welches die Hochäcker bebaute.
„Solche alte Culturen sollen auch unter den gleiclien Erscheinungen und beglei-
tenden Umständen in den deutschen Reichslanden Elsass und Lothringen, in Frank-
reich, England, Belgien, sogar auch im nördlichen Spanien vorkommen.
„Auch in Dänemark auf den jütländischen Halden sollen allenhalben die Spuren
alter Abtheilungen der Aecker und andere Spuren der ehemaligen Cultur bemerkt
werden, namentlich auf der Randbiilhaide; dasselbe soll auch bei Langenrehm der
Fall sein, wo ausserdem sehr häutig zirkelrunde Vertiefungen vorkommen, 10—12
Fuss im Durchmesser, 3 — 4 Fuss tief und mit einem Erdwalle umgeben.
„Auch auf der Insel Island und in Scaudinavien hat man uralte Bodenculturen
gefunden, deren auch Dr. Weinhold in seinem nordischen Leben erwähnt.
„V. Estorf erwähnt S. 62 seiner Beschreibung der Grabhügel bei Uelzen mohr-
fach uralter Bodenculturen, welche merkwürdiger Weise, wie bei den Hochäokern in
Süddeutschland, sich mitten unter diese Todtendenkmale erstrecken.
„Solche verödete Bodenculturen und Wüsteneien mag es noch gar viele geben
im lieben Vaterlande, ohne dass ich davon Kenntniss erhalten hätte.
„Desshalb bin ich so frei, mich an Ihre Güte mit der Bitte zu wenden, mein
und meines Vereines Streben in dieser Richtung gefälligst zu unterstützen. Ich
ersuche aber nicht allein, uns Kenntniss von dem Vorkommen solcher verödeter und
4T
(52)
ausser Cultur gesetzter Aecker zu geben, sondern auchlAufschlüsse zu ertheilen über
deren Struktur, über die Länge, Breite und Höhe der Beete, um hieraus feststellen
zu können, ob dieselben solchen in Süddeutschland vorkommenden beigezählt wer-
den können.
„Ich erachte die schmalen hohen Beete, „Bifange", wie sie bei uns in Bayern,
Böhmen, Oesterreich etc. vorkommen und vor 30 — 40 Jahren noch allgemein in
üebung waren, als die nachgeborenen Kinder unserer Hochäcker; ich erlaube mir
desshalb die Anfrage:
1) Kommen im Norden auch schmale hochrückige Beete vor, und in welchen
Gegenden sind oder waren sie im allgemeinen Gebrauch?
2) Sind jetzt noch breite und hochrückige Felder in üebung und in welchen
Gegenden? Wie breit und hoch sind die Beete?"
Der Vorsitzende ersucht die Mitglieder zur Unterstützung der vorgetragenen
Forschungen, bemerkt aber im Voraus, dass die Frage in Norddeutschland überaus
erschwert werde dadurch, dass im 30jährigen Kriege zahlreiche "Wüstungen entstan-
den und zum Theil selbst die Erinnerungen an die früheren Dörfer verloren gegan-
gen seien.
(14) Herr Dr. Fröhlich übersendet durch Hrn. Dr. Voss
drei Keltenschädel von Ballinskellygsbay in Irland.
Die der Gesellschaft übergebenen drei Schädel stammen von einem alten Kirch-
hof in Ballinskellygsbay bei Cahirceveen, Kerry County, im südwestlichen Irland, der
sich innerhalb der Mauern eines längst verfallenen Klosters dicht am Meeresufer
befindet und nach Aussage der Einwohner seit Menschengedenken existirt. Nach der
Ansicht des Einsenders haben sich die dortigen Einwohner wohl seit mehreren Jahr-
hunderten nicht mit Fremden gemischt, da das baumlose, beinahe nur aus Weide
bestehende Land gewiss niemanden zur Einwanderung reize, und da die Leute unter
sich noch keltisch sprechen, auch bei Begräbnissen, Kirch weihen u. s. w. sehr son-
derbare Gebräuche entfalten.
Herr Virchow begrüsst die Sendung trotz des sehr defekten Zustandes der
Schädel mit Freuden, da es die ersten keltischen Schädel sind, die an die Gesell-
schaft gelangen. Leider fehlt bei allen dreien der Unterkiefer, bei zweien das Ge-
sicht und bei dem dritten die Schädelbasis, so dass sich ein zusammenfassendes
ürtheil eigentlich nicht gewinnen lässt. Immerhin zeigen sie trotz sehr verschiedener
Grösse eine grosse Verwandtschaft. Sie sind säramtlich mesocephal mit Neigung zur
Dohchocephalie und vorwaltend sincipitaler Entwickelung. Nr. 2 und 3 können als
weiblich bezeichnet werden, womit auch ihre geringe Höhe harmonirt; Nr. 1 ist ein
sehr kräftiger und grosser männlicher Schädel, bei dem sicherlich ein ganz anderes
Höheuverhältniss gefunden werden würde, wenn die Basis bei ihm erhalten wäre.
Das beweist die weit grössere Entfernung des äusseren Gehörganges von der Schei-
telhöhe. Alle drei müssen lange frei gelegen haben; ihre Oberfläche ist zum Theil
mit Moos besetzt, zum Theil mit Schlamm und kleinen Schnecken.
Nr. 1 zeigt in der Seitenansicht eine starke Wölbung und ein weit zurückge-
hendes Hinterhaupt. Er ist sehr lang, aber zugleich hoch und breit. Seine grösste
Breite liegt nahe unter und vor den Parietalhöckern, welche von den Lineae tempo-
rales gekreuzt werden; letztere nähern sich hinter der Kranznaht bis auf 140 Mm.,
und ihre zweite , äussere Linie greift noch um je 10 Mm. weiter nach oben
hinauf. Die Seitentheile des Schädels sind stark abgeplattet, so dass in der Hinter-
(53)
hauptsansicht eine fünfeckige Form erscheint. Die "Warzenfortsätze sind sehr stark
und weit auseinander stehend. Am Hinterhaupt eine mächtige Protuberanz. Die
Stirn etwas niedrig, mit seVu" starkem Nasenwulst, der in der Mitte nur eine geringe
Einsenkung erkennen lässt; jederseits erstreckt sich von da, jedoch vom Orbitalrande
geschieden, ein starker Wulst auf die Stirn. Der obere OrbitaJrand schmal und sehr
zurücktretend, die mehr breite als hohe Orbita daher scheinbar zurückliegend, nur
ihr unterer Rand stärker hervortretend. Jochbeine anliegend, Kiefergelenkgruben
sehr tief und steil. Nasenwurzel sehr tief, Nase schmal und niedrig. Oberkiefer
sehr orthognath und mit ganz niederem Kieferrand; die Vorderzähne fehlend, die
Backzähne stark abgenutzt. Der dritte Backzahn jederseits mit 3 Wurzeln. Gaumen
sehr kurz, 45 Mm, lang und 42 breit.
Der weibliche Schädel Nr. 2, welchem das Gesicht fehlt, ist im üebrigen gut
erhalten; er ist lang, breit und niedrig. Namentlich die Stirn ist sehr niedrig.
Dafür hat sie starke Höcker, eine volle Glabella und einen vollen Nasenwulst. Die
Scheitelbeine sind, wie übrigens auch bei Nr. 1, ungewöhnlich lang; ihre wohl aus-
gebildeten Höcker werden von dem Planum temporale erreicht. Das vorspringende
Hinterhaupt hat eine abweichende Gestalt: der muskelfreie Theil der Schuppe ist
niedrig, aber stark gewölbt, dagegen der muskuläre mehr eben und fast horizontal
gestellt. Die Jochbeine sind stark ausgewölbt. Der äussere Gehörgang von vorn
her sehr abgeplattet. Jederseits an der Ala magna sphenoid. ein grösserer Schalt-
knochen, der die Stelle des Proc. frontalis squamae tempor. einnimmt, jedoch das
Stirnbein nicht erreicht, also die Ala nur hinten von dem Angulus parietalis ab-
schneidet. Rechte Orbita hoch und nach oben und innen stärker ausgeweitet.
Dem allem Anschein nach gleichfalls weiblichen Schädel Nr. 3 fehlen sowohl
das Gesicht als die Basis, so dass selbst die Nasengegend des Stirnbeines nicht voll-
ständig ist. Er hat in jeder Beziehung kleinere Dimensionen als die vorigen, ist
jedoch gleichfalls lang mit stark vortretendem Hinterhaupt, recht niedrig, zumal am
Vorder- und Mittelkopfe, und von bemerkenswerther Parietalbreite.
Das Weitere wird sich aus der tabellarischen Zusammenstellung ergeben. ')
Irland.
Selinunt
♦
1.
2.
3.
Capacität
1590?
1550
—
1500?
Grösster Horizontalumfang
553
538
500
534
Entf. des äussern Gehörganges v. d. Stimwölbung . 1
111
110
104
116
, , , „ n » Scheitelhöhe
125
107
98
118
, » » » n 1, Hinterhaupts-
wölbung .
114
102
95
100
Entf. des vorderen Randes des For. occip. von der
vorderen Fontanelle
—
135
126
—
, , „ , des For. occip. von der
hinteren Fontanelle . .
—
119
116
—
Grösste Höhe
135
131
138?
Entf, des hinteren Randes des For. occip. von der
vorderen Fontanelle
—
145
142
148
Grösste Länge
196,5
188,5
180?
185
Sagittalumfang des Stirnbeines .......
135
133
ti3
—
125
Länge der Sutura sagittalis
i 134
i3ib
115
120>o
0
Sagittalumfang der Uinterhauptsschuppe ....
1 _
118
119
121
Entf. des äussern Gehörganges von der Nasenwurzel
108
104
—
112
- _ _ , vom vord. Nasenstachel
111
—
—
110,5
') Der Schädel von Selinunt gehört zu der folgenden Nummer der Vorträge; er
der BequemUchkeit wegen mit auigeführt.
ist hier
(m
Irland.
Selinunt.
1.
2.
3.
Entf. des Gehörganges von dem Oberkieferrand . .
—
—
—
115
, „ Hinterhauptsloches von der Nasenwurzel .
—
96,7
—
—
, a „ t ^ Hiuterhaupts-
wülbung .
—
66
53?
52
Länge des Foramen occipitale
—
38
38
—
Breite „ , ,
—
30
27
—
Grösste Breite
150
73,6
145
64
135
61
157
Oberer Frontaldurchmesser
57,5
Unterer „
98
104
95
103
Temporaler Durchmesser
124
127
106
127
Parietaler ,
143
137
123
129
Oberer mastoidealer Durchmesser
140,5
123
—
143
Unterer , ,
110
102
—
117
Jugaler „
136
(2X73)
—
150
Maxillarer „
72
—
—
71
Querumfang von einem äussern Gehörgang zum andern
3o6
327
(2X145)
324
Breite der Nasenwurzel
24,6
28
24
—
25
„ „ Nasenöffnung
26
Höhe der Nase
52
39
33
39
35
—
55
Breite der Orbita
42,5
37
Höhe , „ . . •
148
—
145
Entfernung der Gelenkgruben des Unterkiefers . .
101,5
95
_
111
Gesichtswinkel (Nasenwurzel, Nasenstachel, Gehörgang)
70
—
—
75
Breiten-Index
76,3
76,9
71,6
93,1
75,0
72,2
97,0
84,8
74 5?
Höhen-Index
Breitenhöhen-Index
—
87,9?
(15) Herr K. Künne schenkt einen
Schädel aus Seliuuut (Sicilien).
Derselbe ist um das Jahr 1868 während der Untersuchungen des Directors der
Alterthümer, Hrn. Cavallaro in einer Tiefe von 10 Metern in der Gegend der
Cittadella von Selinunt ausgegraben worden.
Herr Virchow giebt dazu folgende Beschreibung:
Der mächtige Schädel ist leider sehr verletzt. Offenbar ist er bei der Ausgra-
bung durch einen Spatenstich von der Basis her durchstossen worden. In Folge
dessen fehlen der grösste Theil des Os tribasilare, das Siebbein, das Septum narium
und die Nasenbeine; die Schuppe des Hinterhauptes hat einen langen Sprung und
der harte Gaumen klafft in der Mittellinie. Trotzdem ist die Gesammtgestalt wohl
erkennbar und die genannten Sprünge lassen sich durch starkes Zusammendrücken
des Schädels fast ganz schliessen. Die Knochen sind im Ganzen fest, elastisch, stark
bräunlich gefärbt, jedoch mit grauweisslichen, kalkigen Anflügen, hier und da auch
mit dickeren, lehmigen Schichten überzogen. An ihrer Oberfläche sieht man zahl-
reiche Erosionen durch Pflanzenwurzeln. Der Unterkiefer fehlt.
Der Schädel, offenbar männlich, ist verhältnissmässig kurz, dick und hoch; er
ist mit starken Muskelansätzen versehen. Rechts dicht hinter der Mitte der seitlichen
Abtheilung der Kranznaht liegt ein rundlicher tiefer Eindruck, der sich auch innen
(65)
als Vorsprung geltend macht. Oberhalb diesf^r Stelle ist die Naht grossentheils ver-
wachsen. Alle übrigen Nähte sind offen und zackig. Dem entsprechend sind alle
Knochen des Schädeldaches beträchtlich entwickelt, nur die synostotische Gegend
rechts ist sichtlich zurückgeblieben. Die Schläfenlinien reichen bis über die Scheitel-
höcker und nähern sich hinter der Kranznaht bis auf 100 Mm.; die Protuberantia
occipitaiis bildet einen starken Vorsprung, die Nackenlinien liegen weit von einan-
der und sind von einer deutlichen Linea suprema überragt.
Die Stirn ist voll und breit, fast ohne Glabella, mit einem starken Nasenwulst
versehen, von dem aus sich beiderseits, jedoch getrennt vom Orbitalrande, ein star-
ker Superciliarwulst nach aussen auf die Stirn erstreckt. Der Orbitalrand tritt nur
massig vor, die Orbitae selbst sind hoch und etwas schief mit stärkerer Ausweitung
nach unten und aussen.
Die Scheitelbeine sind stark auf der Fläche gebogen und haben wenig vortre-
tende Höcker ungefähr in der Mitte ihrer Länge. Die grösste Breite des Schädels
liegt in der Gegend der Schläfenschuppen, welche hoch und etwas kurz sind. Dafür
sind die Alae temporales sphen. sehr gross, namentlich breit. Das Hinterhaupt ist
kurz, jedoch voll und fast kuglig gerundet. Der Winkel der Lambdanaht ist unge-
wöhnlich gross. Alle Nähte offen und grossentheils zackig.
An der Basis ist nur der rechte Proc. condyloides erhalten : er ist sehr flach
und mit platten, in einem stumpfen Winkel gegen einander gestellten, jedoch ganz
getrennten Gelenkflächeu versehen. Die Warzenfortsätze stehen sehr weit auseinan-
der. Die Gelenkgruben des Unterkiefers sind ungemein tief und steil; dem ent-
sprechend ist der äussere Gehörgang von vorn her sehr stark abgeplattet.
Das Gesicht erscheint kräftig, jedoch ohne Rohheit. Der Jochbogen ist weit
ausgebogen, der Kiefer gross, aber orthognath und mit niederem Zahnrand. Der
harte Gaumen verhältnissmässig klein, namentlich kurz : er misst 45 Mm. in der
Länge auf 42 in der Breite. Seine untere Fläche ist sehr unregelmässig durch tiefe
und gewundene Furchen. In dem mehr parabolischen Zahnrande sind sämmtliche
Zähne bis auf den rechten Weisheitszahn entweder abgebrochen, oder ausgefallen.
Der Weisheitszahn ist kräftig und wenig abgeschliffen. Die Alveole des dritten
Hackzahnes links zeigt drei Wurzellöcher, davon zwei äussere.
Der Schädel ist demnach ein ausgemacht brachycephaler und orthognather. Nach
hinten hin erscheint er fast trochocephal. Seine Höhe ist grösser, als der Index er-
kennen lässt: deutlicher ist in dieser Beziehung der ungewöhnlich niedrige Breiten-
höhenindex. Darnach steht er, so weit sich bis jetzt übersehen lässt, dem ligurischen
Typus am nächsten. Sowohl von dem hellenischen und phönizischen, als von dem
iberischen (baskischen) Typus entfernt er sich deutlich. Da nun nach dem Zeugnisse
der classischen Schriftsteller ') die älteste Bevölkerung Siciliens, die Sicaner, iberischen
Stammes war, so scheint es, als ob der vorliegende Schädel einem zwischen die
Sicaner einerseits, die Punier und Hellenen andererseits eingeschobenen Stamme zu-
gehöre, also möglicherweise dem Stamme der Siculer. Die wahrscheinlich illyrische
Abkunft der letzteren würde der Schädelform, soweit ich sehe, nicht widersprechen,
(IG) Herr Schliemann übersendet eine Nummer der Augsburger Allg. Zeitung
(Heilage Nr. 8. Januar 1875) und eine des Moniteur universel (Nr. 14. Januar 1875),
worin er sich gegen die Angriffe der Herren Stark und Vivien de St. Martin
vertheidigt.
') Vgl. meine kleine Schrift über die Urbevölkenmg Eiuopas. Berlin 1S74. S. 19.
(56)
(17) Herr Schwartz hat in einer Beilage zu dem neuesten Programm des
Friedrich- Wilhelm-Gymnasiums in Posen ein Verzeichniss der Alterthumsfunde der
Provinz geliefert. Zugleich hat er die Blätter der prähistorischen Karte für die Pro-
vinz Posen ausgezeichnet und eingesendet.
(18) Geschenke:
1) Worsaae: La colonisation de la Russie et du Nord Scandinave, trad. par
Beauvais. Copenhague 1875.
2) H. Wankel: Skizzen aus Kiew. Wien 1875.
3) Handelmann: Antiquarische Miscellen.
4) F. Coppi: Gli scavi della Teraramara di Gorzano, esecuiti nel 1874. Mo-
dena 1875.
5) Schliemann: SYNOnTIKH A^HrH^lS A0HNHSIN 1875.
Sitzung vom 17. April 1Ö75.
Vorsitzender Herr Virchow.
(1) Als neue Mitglieder wurden proclamirt:
Herr Marine-Ingenieur Gaede hierselbst,
Herr Prof. Wilh. Hechler zu Karlsruhe.
Zum correspondirenden Mitgliede ist ernannt:
Herr Dr. Isidor Kopernicki in Krakau.
(2) Herr G. Rohlfs übersendet nebst Begleitschreiben d. d. Weimar. 30. März,
im Anschlüsse an die früher der Gesellschaft geschenkten Schädel (Sitzung vom 13.
Juni 1874), die schon damals erwähnten
Fiindstücke aus einem Felsgrabe der Oase Dachel.
„In einem Korbkoffer werden Sie die Urne, den Holzkopf oder vielmehr das
Holzgesicht und ganz unten die Matte finden, womit die Todten im Grabe zuge-
deckt waren. Die Urne hatte im Innern weiter nichts als Sand und einige bitumi-
nöse Bröckelchen, von letzteren sind vielleicht durch Herausschaben noch welche
herauszubekommen.
„Das Gesicht von Holz sass an einer ca. 3 Fuss langen vierkantigen Holzstange
und stak so inmitten der Todten-Familie. Die Stange selbst ist in Dachel geblieben.
Die Matte endlich, von der ich die grössere Hälfte an Sie einsende, bedeckte das
Ganze. Wenn man bedenkt, dass Tausende von Jahren verstrichen sein müssen, so
hat sich letztere sowohl, als auch das Holz des Gesichtes vorzüglich erhalten."
Herr Virchow spricht für die werthvolle Ergänzung des früheren Geschenkes
dem berühmten Reisenden den besonderen Dank der Gesellschaft aus. Er macht
namentlich auf das eigenthümliche Thongefdss aufmerksam, welches dem Anscheine
nach in ähnlicher Weise, wie es uns von chilenischen Indianern durch Hrn. Phi-
lipp! berichtet ist, durch Zusammenlegen eines Thonfadens hergestellt zu sein
scheint. Es besteht nehmlich aus zwei plattrundlichen Hälften, von denen jede eine
von der Mitte aus spiralig zusammengewundene Platte darstellt. Ein enger und kur-
zer Hals ist oben angefügt. Vielleicht würde dieses Geräth und der höchst eigcn-
thümlich geschnitzte , roh ausgeführte und angestrichene , platte Holzkopf zur
archäologischen Bestimmung des Alters des Grabes beitragen können.
Herr Paul Ascherson bemerkt Folgendes: Die aus dem Felsengrabe in Dachel
stammende Matte ist aus strangartig zusammengedrehten Blattfiedern der Dattelpalme
(58)
geflochten, welche Blätter noch heute in Aegypten, wie in den Oasen, als Material
zu Flechtwerk allgemein in Verwendung kommen.
Das ziemlich leichte, noch heut hellfarbige Holz, aus welchem der Kopf verfer-
tigt ist, zeigte schon bei Betrachtung mit freiem Auge die grösste Aehnlichkeit mit
dem der Sykomore, aus dem fast alle im Nilthal gefundenen Mumiensärge gearbeitet
sind. Die von Hrn. F. Kurtz ausgeführte mikroskopische Untersuchung hat diese
Bestimmung gerechtfertigt.
In demselben Grabe wurden noch folgende Gegenstände gefunden:
Stengelstücke von Calotropis procera R. Br., arab. Oschar, einer baumartigen,
noch heut an den Wüstenrändern des Nilthals und der Oasen häufigen, sehr giftigen
Asclepiadee. Die einzige Verwendung, welche diese Pflanze in Dachel findet, be-
steht in der Anfertigung von Fangzäunen zum Abhalten des Flugsandes. In Chargeh
sah Dr. Schweinfurth ein Bündel davon an Häusern als Amulet zur Abwehr des
bösen Blicks oder des feindlichen Zaubers aufgehängt, und liegt es nahe, einen ähn-
lichen Zweck dieser sonst aus Gräbern noch nicht bekannten Beigabe anzunehmen.
Ferner Fruchtkerne von Balanites aegyptiaca Del., arab. Heglig, einem im gan-
zen tropischen Afrika verbreiteten Baume aus der Familie der Olacaceen, der in
Oberägypten häufig angepflanzt wird, in Chargeh strauchartig nie wild vorkommt,
in Dachel aber von mir nicht angetroffen wurde. Die Kerne dieses Baumes, welcher
nach einer Nachricht von Diodor schon von den ältesten Ansiedlern in Aegypten aus
Aethiopien mitgebracht wurde, und, wie aus vielen Darstellungen hervorgeht, beim
Cultus der alten Aegypter eine wichtige Rolle spielte, sind wiederholt in Gräbern
des Nilthals gefunden.
Die Hüllen, in welche die Mumien eingewickelt waren, bestehen aus Leinen,
wie dies eine auch im Nilthal allgemein befolgte rituelle Vorschrift gebot. In den
Oasen wird jetzt meines Wissens kein Flachs gebaut; die Eingeborenen kleiden sich
fast nur in Baumwolle.
Die botanische Untersuchung dieser Gräberfunde deutet mithin auf Oultur-Ver-
hältnisse, die mit den aus dem Nilthale für die altägyptische Zeit bekannten über-
einstimmen.
Ich bemerke noch, dass in dem unmittelbar neben den Gräbern, aus welchen
obige Gegenstände stammen, gelegenen Tempel Der-el-hegar, dessen Erbauung nach
den hieroglyphischen Inschriften, in denen die Kaiser Nero, Vespasian und Titus
genannt sind'), etwa in die Jahre 50—80 unserer Zeitrechnung zu setzen ist, keil-
förmige Stücke aus dem Holze der Ssant-Akazie (Acacia nilotica Del.) zur Zusam-
menfügung der aus mehreren Stücken bestehenden Säulenschäfte verwendet sind.
Dieser Befund steht in Einklang mit einer hieroglyphischen Inschrift am Tempel von
Chargeh, die nach Lepsius'^) die Verwendung von Akazienholz beim Bau dieses
Tenjpels bezeugt.
(.i) Herr H. Burmeister bespricht in einem Schreiben an den Vorsitzenden d. d.
Buenos Aires, 15. Februar, im Nachtrag zu seinen früheren Mittheilungen (Sitzung
vom 14. März 1874)
die Ureinwohner der La Plata Staaten.
Als ich vor mehreren Monaten Ihren Bericht über die durch mich erhaltenen
patagouischen Schädel las, fiel es mir gleich bei, Ihnen zu schreiben, um einen
') Lepsius, IlierojTlyphi.sche Inschriften in den Oasen von Xärigeh und Dächileh. Zeitschr.
für ägypt. .Sprache und Alterthnmskunde 1874. S. 79.
2) a. a. 0. S. 73.
(59)
Schreibfehler zu verbessern, den ich in meinern Avisobriefe begangen habe, indem
ich die Nation, von der die Schädel stammen, Puelches nannte; die grosse Aehnlich-
keit der Namen von Tehuelches und Puelches hat mich verleitet, den unrichtigen zu
gebrauchen und statt Tehuelches, was ich schreiben wollte, Puelches zu schreiben;
ich verbessere also dies Versehen und erkläre Ihnen hiermit, als richtiges Sachver-
hältniss, dass die Schädel der alten Patagonier vom Rio Negro bei El Carmen den
Tehuelches und nicht den Puelches angehört haben ; freilich nicht den gegenwärtigen,
sondern den früheren vor der Zeit der Eroberung durch die Spanier.
Die Nation, welche in der Gegend von Buenos Aires wohnte, wie die ersten
Spanier hierherkamen, heisst Querandis, nicht Guerandis, wie aus irriger Lesart
des Setzers in meinem frühern Bericht steht; es war ein sehr kriegerisch gesinntes,
verwegenes Volk, das den Spaniern viel zu schaffen machte, und sie zwang, von der
Anlage der Stadt Buenos Aires im Jahre 1535 abzustehn; erst 45 Jahre später, als
die Zufuhren aus Spanien sich gemehrt hatten und die Colonie in Paraguay im
Aufblühen begriffen war, gelang es dem zweiten Gründer von Buenos Aires, Du
Garay, der Querandis Herr zu werden; er schlug sie südwestlich von Buenos Aires
an einer Stelle, die noch jetzt die Matanza heisst, so vernichtend, dass sie die Ge-
gend umher verliessen und sich ins Innere zurückzogen, aber nicht nach Süden,
sondern nach Westen, gegen die Cordilleren hin, wo jetzt die Ranqueles wohnen.
Azara, der im zweiten Bande seiner Voyage etc. eine sehr gute Beschreibung aller
von ihm wahrgenommeneu Indianer- Völkerschaften giebt, sagt geradezu, dass die
Reste der Querandis mit den Pampas-Indianern verschmolzen, zu denen sie sich
zurückzogen; dass diese den Aucas verwandt seien und unter den letzteren ein öst-
licher Zweig der Araucaner, diesseits der Cordilleren, zu verstehen sei. Alle diese Völker-
schaften hatten das kriegerische Naturell der Araucaner und gehörten mit diesen zu dem-
selben Stamm; heute führen sie andere Namen, wie Ranqueles, aber ihr Naturell ist das-
selbe; sie sind es, welche die Anfälle auf die europäischen Ansiedelungen ausführen und
Vieh, Kinder und Weiber rauben, die erwachsenen Männer aber todtschlagen. Von einem
Gliede dieser Indianer stammen die durch Hrn. Oldendorf bezogenen Schädel; ebenso
diejenigen, welche Strobel in S. Luis erhielt und die ebenfalls direct vom Schlacht-
felde geholt wurden, auf Befehl des Gouverneurs, der ihm damit ein Geschenk
machte.
Die Schädel der alten Grabstätten am Rio Negro gehören einer ganz anderen,
viel sanfteren Nation, den Tehuelches, an, zu denen die als Riesen bekannten Pata-
gonier der Küste gehören; sie haben sich der argentinischen Regierung halb unter-
worfen und leben mit den Pampas-Indianern des Innern in Feindschuft; ja sie be-
gleiten sogar die Regierungstruppen auf ihren Kriegszügen gegen die letzteren und
bewachen die Grenze gegen deren Einfälle, wofür sie Lieferungen an Vieh und
Kleiderstoffen nebst Tabak erhalten. Diese Indianer kommen nach Buenos Aires,
wo ich sie mehrmals gesehen habe. Sie sind nicht so dunkel gefärbt, wie die des
Innern, welche ich in Mendoza sah; letztere waren sehr dunkelbraun, die Tehuelches
hellbraun. Diese sind gross, schlank, jene kurz, untersetzt gebaut.
Ein dritter Volksstamm wohnte auf den Inseln zwischen den Paranä-Mündungen
und von diesen stammen die Topfscherben, welche ich Ihnen geschickt habe. Sie
begruben ihre Todten in gebrannten Urnen, von denen ich eine wohl erhaltene früher
beschrieb, und gehörten der grossen Nation der Guaranis an, welche in viele Zweige
zerfiel und von denen der in Paraguay ansässige der Carlos der begabteste gewesen
zu sein scheint. Einen CoUectiv-Namen hatten diese Völker nicht, wohl aber eine
gemeinsame, wenn auch in viele Dialekte gesonderte Sprache, welche von den
Spaniern Guarani genannt wurde, nach einem Indianer-Wort, das unterworfene
bedeutet. Diese Leute trieben Ackerbau und hatten Hausthiere, Enten (Anas
(60)
moschata) und Llama's; die andern lebten nur von der Jagd und vom Fischfange,
assen Wurzeln als Zukost, und führten eine nomadisirende Lebensweise, während die
Querandis in Dorlschaften wohnten, die zum Theil befestigt waren mit Pallisaden
und Tallgräben, und tapfer vertheidigt wurden.
Von den Querandis sind bis jetzt keine Reste und Antiquitäten aufgefunden, von
den Guaranis nur die Urnen.
(4) Herr Kasiski zu Neustettin berichtet in einem Schreiben an den Vorsitzen-
den vom 25. März, im Auschluss an die Besprechung der Urne von Rombczyn
(Sitzung vom 14. Novbr. 1874)
über eine verzierte Urne von Fersanzig.
(Hierzu Taf. VI, Fig. 1-3).
Für die Zusendung des Sitzungsberichtes der Berliner Gesellschaft für Anthro-
pologie sage ich Ihnen meinen verbindlichsten Dank. Derselbe hat dadurch ein
ganz besonderes Interesse für mich, als ich daraus ersehe, dass die Urne von
Rombczyn mit der im Bericht erwähnten Persanziger Urne, die nur etwas kleiner
ist, eine ganz entschiedene Aehnlichkeit hat. Da Sie meine Urne nicht vor Augen
hatten, so ist Ihnen diese Aehnlichkeit zum Theil entgangen, und erlaube ich mir
ganz ergebenst, Ihnen nachstehend eine Beschreibung nebst Zeichnung der Persan-
ziger Urne mitzutheilen. Um die Aehnlichkeit der beiden in Rede stehenden
Urnen noch mehr hervorzuheben, habe ich mich, so weit kleine Abweichungen nicht
andere Ausdrücke bedingen, derselben Worte bedient, mit welchen Sie die Romb-
czyner Urne beschrieben haben.
In einem kleinen, flachen Grabhügel bei den Persanziger Mühlen lag ein Stein-
pflaster und unter demselben ein Steinkisteugrab, in der gewöhnlichen Art ausgebaut.
In der Steinkiste standen zwei Urnen, von welchen die eine, die grössere, von
schwarzer Farbe, vielfach eingebrochen war und auseinander fiel. In derselben, zwi-
schen den Knochenresteu, lag eine Haarnadel von Bronze, 12 Cm. lang.
Die zweite Urne ist sehr gut erhalten, die Oberfläche ist glänzend schwarz, wie
polirt, die innere schwarz grau, beide scheinbar sehr gleichmässig. Der Durchmesser
des Bodens beträgt 1 1 Cm., darüber baucht sich das Gefäss schnell aus, in seinem
grössten Umfange misst es 60 Cm., dann verjüngt es sich wieder und geht oberhalb
der noch zu erwähnenden Verzierung in einen engen, lang ausgeschweiften Hals von
9 Cm. Höhe über. Die Mündung hat 8^ Cm. im Durchmesser und ist von einem
ganz glatten, einfachen Rande umgeben. Ohne Deckel ist die Urne 2lj^Cm. hoch.
Der Deckel ist 3 Cm. hoch und hat unten einen Durchmesser von 10 Cm.; er
hat eine schwache Andeutung von einer „Krempe" und eine kegelförmige, oben ab-
geplattete Gestalt. Von dieser Platte gehen drei Bündel oder Troddeln nach dem
Rande zu (Fig. 3); jedes Bündel besteht aus drei Doppelliuien, die fächerartig aus-
einander gehen und zu beiden Seiten von durchbrochenen Linien eingefasst sind;
nach dem Rande zu werden diese drei Bündel durch zwei geschlossene, kreisförmige
l>inien begrenzt, die zu beiden Seiten wieder von durchbrochenen Linien einge-
fasst sind.
Eine sehr eigenthümliche Verzierung (Fig. 2) umgiebt den unmittelbar unter
dem Halse gelegenen Abschnitt; sie besteht grösstentheils aus zwei, neben einander
laufenden, geschlossenen und aus unterbrochenen Linien, von denen die letztern als
r^egleiterinnen und Verstärkungen der zusammenhängenden Linien auftreten. Beide
Arten von Linien sind verhältnissmässig tief und breit und offenbar mit einem am
Ende etwas verbreiterten Griffel eingeritzt. Die unterbrochenen Linien zeigen kurze,
nicht ganz in einer Flucht liegende Längeneindrücke. Nach oben schliessen die
(61)
Zeichnungen mit vier horizontalen Linien ab. Von der untersten horizontalen Linie
gehen vier Bündel nach unten ab, welche aus je zwei vierfachen Linien bestehen,
die unten hakenförmig ausbiegen. Die vier Bündel bedecken in nicht ganz regel-
mässigen Zwischenräumen etwa drei Viertel von dem Umfange der Urne. Auf dem
vierten Theil des Umfanges ist eine ganz abweichende Zeichnung angebracht, welche
ich anfangs für eine Art Inschrift oder für ein symbolisches Zeichen hielt, welche
aber, von oben betrachtet, einer Zeichnung eines Schiffes ähnlich ist, wie sie in
Ostgothland in Felsen eingeritzt sind.
Die Urne war durch den Deckel gut geschlossen, enthielt keine Erde, so dass
die Knochen darin frei lagen; zwischen denselben befand sich eine ganz ähnliche,
aber etwas kleinere Haarnadel, wie in der zerbrochenen Urne.
Aus der Beschreibung der beiden Urnen, der Rombczyner und der Persanziger,
geht hervor, dass nicht nur die Deckel in der Form einander ganz gleich, sondern
dass auch die Urnen selbst in Bezug auf Material, Form und Farbe gleich sind.
Selbst die Zeichnungen auf dem Bauche der Urnen, so verschieden ihre Formen
sind, stimmen in der Art der Ausführung überein; in beiden sind nehmlich ununter-
brochene Linien von durchbrochenen eingefasst. Ganz eigenthümlich der Persanzigor
Urne ist diejenige Zeichnung, welche einzelnen Felsenzeichnungen von Schiffen in
Ostgothland sehr ähnlich ist.
(5) Herr Sven Nilsson schreibt d. d. Lund, 20 März, dem Vorsitzenden
über ein Thongefäss von der Insel Gottland.
(ffierzu Taf VI, Fig. 4.)
In der letzten Sendung vom 14. Nov. 1874, die ich vor einigen Tagen empfan-
gen habe, findet sich ein Vortrag von Ihnen, worin Sie von den Ausgrabungen, die
Sie bei Zaborowo gemacht haben, erzählen, und wo Sie die Gefässe, die Sie da ge-
funden haben, beschreiben. Unter Anderem äussern Sie, dass, wenn man . . die
Ausführung . . symbolischer Zeichnungen in Erwägung zieht. Niemand in Zweifel
bleiben könne, dass diese Entwickelung einen inneren Zusammenhang verschie-
dener Bevölkerungen anzeige.
Bei Veranlassung hiervon und um Ihre Ansicht zu bestätigen, habe ich die
Ehre, an Sie die Abbildung eines hier in Scandinavien gefundenen Gefässes zu über-
senden, welches auch gewiss aus südlicheren Gegenden herstammt. Dieses Thonge-
fäss hat nicht nur eine schöne Form, es ist ausserdem und besonders mit wohlbe-
kannten schönen Ornamenten ausgeziert. Und da diese Ornamente ausschliesslich
phönizische sind, ohne Beimischung von griechischen oder andern, so kann ich nicht
umhin, dieses Gefäss als aus Phoenizien herstammeod anzusehen.
W^enn man diese Ornamente jedes für sich untersucht, so fällt gleich ins
Auge, dass der Henkel mit dem Palmzweig geziert ist, und dieses ist das heiligste
von ihren Symbolen, da es sie an ihr Vaterland, das Palmland (Phoeuicia), immer
erinnerte. Daher kommt auch, dass der Palmzweig oft das Bildniss der lyrischen
Schutzgöttin Astarte begleitet.
An dem Halse des Gefässes sehen wir die concentrischen Ringe mit einer spi-
ralförmigen Linie vereinigt, und darüber eine Reihe von Bogen, die hier sehr offen
sind. Rings um den Bauch steht eine Reihe von sehr merkwürdigen Ornamenten,
die wir beinahe nur auf den Halsen der ältesten Bronze-Lampen wieder finden.
Nach diesen Ornamenten gehört dieses Thongefäss der nämlichen Zeit au, da
die ältesten Bronzen nach Scandinavien gekommen sind, oder dem Anfange des scan-
dinavischen Bronzealters =- 1100 oder 1000 Jahre vor Christi Geburt; folglich ist
das (iefäss hierher vor etwa 1870 J;direii gekommen.
(62)
Es ist in einem Grabe auf der Insel Gottland, aus Kalkstein gebaut, und mit
bronzenen Sachen dabei gefunden.
In anderen Gräbern auf derselben Insel sind andere Thongefässe auch mit
phönizischen Ornamenten gefunden. Mau mag sich erinnern, dass Gottland der
älteste Handelsplatz hier im Norden ist.
Dass wir hier ein phönizisches Gefäss vor uns haben, kann wohl Niemand leug-
nen; aber nun ist die Frage, wie es vom Orient hierher gekommen ist? Das kön-
nen wir natürlicherweise wohl nicht mathematisch beweisen, aber doch mit der
grössten Wahrscheinlichkeit errathen. Wir wollen versuchen:
Strabo erzählt (Lib. III), dass in den ältesten Zeiten die Phönizier die einzigen
waren, welche die Cassiteriden von Gades aus besuchten, und dass sie ihr Segeln
dahin allen Andern verheimlichten. Nun ist es ja ganz klar, dass, wenn sie noch
weiter gegen Norden fuhren, sie auch und noch mehr dieses Segeln allen Anderen
verheimlichten. Und dass sie weiter gegen Norden gekommen sind, ist ohne allen
Zweifel. Sie haben Bernstein an der Schleswig' sehen Küste gefunden, wo er in
grosser Menge gewesen ist und sich noch findet.
Herodotus, Thalia, Kap. 115 konnte nicht sagen, woher das Zinn und der Bern-
stein nach Griechenland kamen, aber dass sie beide von den äussersten Landesenden
nach Westen herkamen , das wusste er gewiss , und so war es wirklich auch.
Der Bernstein an den preussischen Küsten der Ostsee ward erst in Nero's Zeiten
bekannt.
Aber woher hatte Herodotus schon diese Kenntüiss erhalten? Vielleicht von
Phöniziern in Tyrus, denn keine Anderen kannten diese Verhältnisse. Diodorus
Siculus weiss zu erzählen, dass Bernstein an der Insel Basilia in grosser Menge
ausgeworfen wird, und die neuen Forschungen haben erwiesen, dass Basilia Wesseley
noch heisst und in Schleswig liegt.
Aber, wie vorher erwähnt: Wenn die Phönizier so weit hinauf gefahren sind,
dass sie auch Bernstein fanden, so hielten sie auch diese Reise geheim, und wir
können also gar Nichts davon wissen, ausser dem, was wir von ihren nachgelasseneu
Spuren errathen können.
Nun berichtet uns gleichfalls Strabo, was die Phönizier bei ihren einzelneu
Reisen vornahmen. Sie trieben Tauschhandel mit den halbwilden Einwohnern, z. ß.
auf den Zinninselu. Sie hatten mit sich Salz, Bronzegeräthschaften und Thongefässe
(■Kspa^iuLov) und dafür erhielten sie Zinn, Blei und Pelzwaareu.
Wenn sie hierher nach Scandinavien kamen, so konnten sie in grosser Menge
Bernstein, auch Pelzwaaren und Fische (denn diese suchten sie auch) haben;
dafür gaben sie wohl auch hier Salz, Bronze und Thongefässe, vielleicht gerade
solche nette und zierliche, wie dieses Bildniss vor uns steht.
Ich habe mir auch vorgestellt, dass, wenn der Chef einer Horde eine solche
Seltenheit sich erworben hatte, er, und seine Familie nacli ihm, sie als ein Familieu-
kleinod, Generation nach Generation, sorgfältig verwahrt und schliesslich in einem
Grabe in der Erde zum Verwahr niedergesetzt haben möge.
Ich würde sehr dankbar sein, wenn Jemand mir eine bessere Erklärung über
dieses hier im Norden gefundene phönizische Gefäss geben wollte; dass es altphö-
nizisch ist, kann ja nicht in Abrede gestellt werden.
Ich habe mehrere Beweise, dass dieses semitische Volk hier im südlichen Scan-
dinavien gewesen ist und seinen Baalscult hier getrieben hat, aber ehe ich es mit-
theile, wünsche ich gerne zu wissen, was Sie von diesem Gefässe meinen. —
Dt-r Vorsitzende spricht dom Nestor der nordisclieu Archäologie den besondern
(63)
Dank des Vereins für seine interessante Mittbeilung aus. Er hebt hervor, dass ganz
ähnliche Malereien sich freilich auch auf archaischen Gefässen in Griechenland und
Italien finden, dass jedoch auch diese sehr wohl auf phönizische Vorbilder zurück-
geführt werden können. Eine Entscheidung über den einzelnen Fall müsse indess
wohl unter Zuliülfenahme aller anderen Fundumstände gefällt werden.
(G) Fräulein J. Mestorf sendet eine genauere Zeichnung der schon früher
(Sitzung vom 11. Mai 1872) besprochenen
Gesichtsnrue von Möen.
(Hierzu Taf. VI, Fig. 5.)
„Die einliegenden Pausen nahm ich von Dr. Bendixens Zeichnung zweier irde-
nen Scherben im Kopenhagener altnordischen Museum, b ist dieselbe, welche ich
Ihnen nach Justizrath Strunck's Abklatsch schickte, a ist eine Scherbe von einem
zvveiten Gefässe aus demselben Grabe (Ganggrabe) auf Möen, wo die Ihnen früher
bekannte Scherbe b gehoben wurde. Ob Dr. Lisch auch in diesen Zeichnungen
noch das gewöhnliche concentrische Ornament erblickt und diejenigen, welche ein
Augenpaar darin erblicken, zu lebhafter Einbildung beschuldigt?"
(7) Herr Witt (Bogdanowo) eröffnete
ein Steiugrab bei Oboruik.
Das Grab lag auf dem 5 Minuten von der Obornik-Rogasener Chausee gelegenen
Grundstück des Wirthes Scheffler, Roznower Abbau Nr. IC. Etwa 2 Fuss unter
der Erde lag in einer Umgebung von runden kleinen Feldsteinen ein Steingrab regel-
mässig im Winkel, sehr sorgfältig zusammengesetzt aus glatten, nach der Innenseite
ebenen Grauitplatten. Die Deckplatte war 59 Cm. breit und 91 Cm. lang, während
die Seitenwäude aus je einem platten Stein gebildet wurden, 87 Cm. die eine Seite
und 64 Cm. die andere Seite breit. Der Boden der so gebildeten Steinkiste war
mit glatten, kleinen Steinplatten sehr sorgfältig belegt. Die Tiefe der Steinkiste be-
trug ungefähr 36 Cm., in derselben befanden sich drei Urnen von 27 Cm. Höhe und
89 Cm. Umfang au der Ausbauchung, und Ö4 Cm. an der Oeffnuug. Sie waren
sämmtlich ohne alle Verzierung, in der gewöhnlichen F'orm, aber von sehr grobem^
kleine Kieskörner enthaltenden Thon, auch sehr sorgfältig mit einem übergreifenden,
oben etwas erhöhten, mit einigen im Kreise gestellten strichförmigen Verzierungen
an der Spitze verzierten Deckel zugedeckt. Die Urnen enthielten nur die Ueber-
reste gebrannter Knochen erwachsener Menschen; sonst fanden sich weder Bei-
gaben in der Urne, nocli im Grabe. Nur im Sande neben dem Grabe hat sich ein
Granitsplitter gefunden, der wohl als eine Pfeilspitze oder eine Waffe gedeutet wer-
den kann, von äusserst roher Bearbeitung, dessen Regelmässigkeit aber wohl kaum
einem Zufall seine Entstehung verdankt. — Das Grab unterscheidet sich wesentlich
von den sogenannten Massengräbern, wie sie sich z. B. in der Oboruiker Schonung
und anderswo an den Ufern der Welna reichlich finden. Während dort neben den
Aschenurnen in verschiedenen Formen eine ganze Anzahl oft recht geschmackvoll
gearbeiteter Thongefässe aller Grössen und Formen, rund um die Aschenuruen herum,
zwischen denselben, oft in dieselben hineingelegt, sich vorfindet, so ist hier ausser
den Aschenurnen selbst nicht ein einziges Gefäss oder nur eine Scherbe zu sehen.
Auch finden sich die vielen Urnen bei Obornik etc., die von feinerem Thon sind,
einfach in die Erde gestellt, nur bedeckt von grossen Haufen Steinen, während hier in
einer Gegend, wo solche Steinplatten eine grosse Seltenheit sind, die Urnen sorgfältig
in einem mit solchen Platten ausgelegten Grabe sich befinden. Sollten diese letzteren
Giäber nicht vielleicht von Eiuvvuudorcru aus einer Gegend sein, in welcher ein
(64)
Schiefergebirge leichter solche Platten finden liess? Ursprünglich diente doch wohl
die Bedeckung mit Steinen nur dazu, in einer Zeit, wo man die Todten noch nicht
verbrannte, den Leichnam vor dem Ausscharren der wilden Thiere zu schützen, und
dieser Gebrauch hat sich dann später auch ohne Zweck auf die Aschenurueu über-
tragen.
(8) Herr G. Fritsch hielt einen einleitenden Vortrag
über anthropologische Studien in Verbindung mit der deutseben Venus-Expedition
naeb Ispahan,
indem er zunächst ein Resume des ganzen Unternehmens vorlegte, mit der ausge-
sprochenen Absicht, durch spätere Mittheilungen über die einzelnen Gebiete die
Details nachzutragen.
Am 19. September erfolgte die Abreise von Berlin, d. h. au einem Termin,
welcher nur bei durchaus glücklichem, aufenthaltslosem Reisen die zu den unumgäng-
lichen Vorbereitungen am Statiousorte nöthige Zeit gewährte. Die Route führte
quer durch Russland, da von Seiten der Regierung dieses Landes bedeutende Er-
leichterungen in Aussicht gestellt waren und die Expedition in der That daselbst die
freundlichste Unterstützung fand. Die Vertreter der russischen Behörden Hessen es
sich angelegen sein, an Stationen, wo einiger Aufenthalt unvermeidlich war, wie z. B.
zu Zarizyn und Astrachan, uns über Land und Leute erwünschte Information zu ver-
schaffen. Besonders interessant waren die hier vorhandenen kalmückischen Elemente
der Bevölkerung, zu denen sich schon in Astrachan auch zahlreiche tatarische Bestand-
theile mischen; durch Erwerbung einer grösseren Anzahl von Photographien solcher
Individuen wurde der Eindruck für später zu fixiren gesucht. Tatarische Elemente
kamen alsdann weiterhin in Baku am kaspischen Meere und in Rescht zur Beobach-
tung, indem gerade in den Küstenstrichen des genannten Meeres und in den süd-
lichen Grenzländern des Kaukasus sich die Reste solcher früheren Einwanderungen
tatarischer Stämme besonders kräftig erhalten haben.
In Rescht, welche Stadt am 6. October von der Expedition erreicht wurde, be-
gann die Landreise mit der Karawane aus einigen sechzig Maulthieren, auf denen
das ausgedehnte Gepäck mittelst Packsätteln oder Bahren zu zwei Thieren verladen
war. So zog die Expedition in gemächlichem Schritt ohue Aufenthalt weiter, anfangs
durch die üppig bewaldeten Niederungen am kaspischen Meere, alsdann durch die
höher gelegene Ebene von Teheran, nachdem der schwierige Bergpass des Charzan
glücklich überstiegen worden war. Die Landstriche an den nördlichen Abhängen
des Gebirges weichen durch ihren ganzen Habitus, wie durch das Aussehen seiner
Bewohner, stark von denen des Inlandes ab. Die Vermischungen mit tatarischen und
weiter östlich mit turkmenischen Elementen prägen den Einwohnern einen Character
auf, welcher sich von dem eigentlich persischen, wie man ihn im lulande findet,
leicht nuterscheideu lässt. In der Gegend des Passes trafen sich auch recht häutig
kleinere Gruppen von Personen, die den beständig nomadisirendeu Stämmen, deu
Ilyad, angehörten und die rauhen Hochebenen mit ihrem spärlichen Vieh verliessen,
um dem anrückenden Winter zu entgehen. Ausser den gelegentlich am Wege zu
machenden authropologischen Beobachtungen war es besonders der officielle Verkehr
mit den Gouverneuren der Städte u. s. w., wodurch uns Einblicke in das persische
Leben, die Sitten und Gebräuche des Landes gewährt wurden. In der am 19, Oct.
erreichten Residenz Teheran kam eine feierliche Audienz beim Schah selbst, sowie
verschiedener sonstiger officieller Verkehr mit den Behörden hinzu, um unsere Er-
fahrungen zu bereichern, aber schon am 24. musste die Reise fortgesetzt werden,
und es waren jetzt Gegenden zu passiren, deren wüster, vegetationsloser Gliarakter
(65)
keiner ansässigen Bevölkerung die Existenzmittel gewähren könnte, so dass nur die
seltenen Karawanen der Kaufleute, eiligst weiterziehend, und die Zijge der Pilger,
welche in der heiligen Stadt Kurn anbeten wollen, den öden Weg beleben. In der
genannten Stadt selbst ist das abenteuerliche Gewimmel in den Bazaren und um die
Moschee mit ihrer grossen vergoldeten Kuppel äusserst interessant und ganz unbe-
rührt von europäischer Civilisation, so dass sich bei jedem Blick originelle Eindrücke
gewinnen Hessen; die an den Bazar anstossenden alten Karawansereien und Höfe
zeigen in ihren zierlichen, leicht aufsteigenden Schwiebbögen und künstlich con-
struirten Gewölben schöne Proben der edelsten persischen Baukunst. Der Versuch,
das Bild photographisch zu fixiren, schlug bei der Dunk&lheit des Ortes freilich fehl,
aber in dem nun bald erreichten Ispalian fand sich ein willkommener Ersatz.
Nach Ueberschreitung des zweiten Passes von Khorud und Durchwandern der
darauf folgenden Hochebene traf die Expedition am 4. November glücklich in Ispa-
han ein, auch hier feierlich bewillkommt durch den Sohn des Schah, Seile Sultan,
Gouverneur von Ispahan. Die Wahl der Station in Bagh-i-zeresht zwischen Ispahan
und Djulfa führte uns mitten zwischen die Prachtbauten des Schah Abbas, welche
selbst noch im heutigen Stadium des Verfalles einen imponirenden Eindruck zu er-
wecken vermögen. Bei den Vorarbeiten für das Phänomen wurde eine grössere
Anzahl von Aufnahmen solcher Architecturen gewonnen, auf die später unter Vor-
legung der Copien zurückzukommen sein wird. Die anfangs scheue Bevölkerung von
Ispahan fasste allmählig Vertrauen zu uns und häufig pilgerten angesehene Personen,
von der Neugier getrieben, bis zu uns hinaus, um die Instrumente und Apparate in
Augenschein zu nehmen, an ihrer Spitze zum grössten Erstaunen der äusserst fana-
tischen Einwohner, die obersten Mullahs selbst, deren näherer Verkehr mit Ungläu-
bigen nach den alten Satzungen zu den factischen Unmöglichkeiten gehörte. Die
officielle Stunde für Visiten ist in Persien meistens eine Stunde vor Sonnenunter-
gang, eine betrübende Einrichtung für anthropologische Photographen, welche gele-
gentlich solcher Besuche Portraits aufzunehmen beabsichtigen; solche Aufnahmen
wurden daher auch nur in spärlicher Zahl gewonnen, wozu auch die abgelegene
Situirung der Station vieles beitrug.
Nachdem an dem wichtigen Morgen des neunten Dezember unter schwierigen
Witterungsverhältnissen doch zwanzig brauchbare Photographien des Phänomens ge-
wonnen waren und die nöthigen Copien, die Verpackung der Instrumente, sowie die
Vorbereitungen zur Rückreise beendigt waren, wurde diese selbst mittelst Courier-
pferden angetreten, um dem persischen Winter, der bereits drohend vor uns stand,
womöglich noch zu entgehen, ehe er mit ganzer Strenge die hochgelegenen Länder
überzog. Bis Teheran begleitete uns noch das klare, warme Herbstwetter und er-
laubte die durch die Abwickelung der officiellen Beziehungen gebotene Müsse zu
einem sehr lohnenden Ausflug nach den berühmten Ruinen von Rages, der drei-
fachen Stadt, und auf den benachbarten Guebern - Kirchhof zu benutzen, dessen
scheinbar unersteigliche Umwallung unter der freiwilligen Mitwirkung mehrerer be-
freundeter Herren von Teheran glücklich erstiegen wurde und einen Theil seiner Schätze
der Wissenschaft opfern musste. Trotz aller Eile crfasste uns der hereinbrechende Win-
ter noch vor dem Passe von Charzan, ohne indessen den allerdings im Schneesturm
auszuführenden üebergang vollständig vereiteln zu können; Rescht wurde glücklich
erreicht, doch hatte der Sturm das zu unserer Aufnahme bestimmte russische Re-
gierungsboot von der Rhede am Morgen desselben Tages vertrieben, an welchem die
Kxpeditionsraitglieder gegen Mittag am Ufer anlangten.
Nach einem durch die Verhältnisse erzwungenen Aufenthalte von 14 Tagen in
Rescht, der durch die liebenswürdige, gastfreie Aufnahme des russischen Consuls
Verhaudl. der Uerl. Authropol. GesellscUalt. lÖ7i. ö
(66)
Serjipontowsky angenehm verkürzt wurde, schifften wir uns aufs neue ein und
langten nach einem Abstecher bis Asterabad im Osten des kaspischen. Meeres am
2. Februar endlich in Baku an. Von dort führte die russische Eilpost die Mitglieder
glücklich nach Tiflis, wo die daselbst ansässigen Deutscheu, au der Spitze unser
Cousul Brüning, der ?]xpeditiou freundlich entgegen kauieu. Unter diesen Herren
findet sich einer, dem der Vortragende durch seine grosse Zuvorkommenheit zu be-
sonderem Danke verpflichtet ist, uehralich Herr Bayern, dessen grosse Verdienste
um die Aufdeckung und Gewinnung so mancher archäologischen und geologischen
Schätze der Kaukasusländer kaum genügend gewürdigt sind. Trotz seiner vorge-
rückten Jahre arbeitet der Herr mit wahrhaft jugendlichem Feuereifer an der Auf-
gabe weiter, welcher er sein Leben geweiht hat, und wenn man auch nicht im
Staude ist, seineu Auslegungen in allen Stücken beizupflichten, so verringert das
keineswegs die grossen Verdienste des Mannes. Seiner Güte verdankt der Vortra-
gende eine Anzj^il der alten, leider schon sehr morschen Schädel, welche den Stein-
kisten von Samthawro entnommen wurden, und ein Gang durch sein kleines, aber
sehr interessantes Museum belehrte über die begleitenden Geräthe und sonstigen
Eigenthümlichkeiten der Funde.
Als nun auch Tiflis unter erueutem heftigem Nordoststurm bei Schneegestöber
verlassen und Poto erreicht war, fehlten wegen der Havarie der regelmässigen Boote
noch einmal die erhofften Verbindungen. Anstatt direct nach Constantinopel zu
gehen, musste der Umweg über Odessa gewählt werden, indessen erwies sich dieser
Umweg als ein durchaus günstiges Moment, da er Gelegenheit bot, die sehr interes-
santen Ausgrabungen von Kertsch, das Museum dieser Stadt, sowie die kleineren von
Feodosia und Odessa zu besichtigen. Die Funde von Kertsch schliessen sich in be-
merkenswerther Weise an die Ausgrabungen von Samthawro, wenn auch das Meiste
darunter nicht in eine gleich frühe Zeit hinaufreicht, und es scheint keinem Zweifel
zu unterliegen, dass eine ausgiebige Vergleichung der au beiden Orten gehobenen
Schätze manches Neue und Interessante zu liefern vermöchte.
Aus dem beeisteu Hafen von Odessa wurde am 27. Februar ausgelaufen und
am 1. März traf das Boot glücklich im Hafen von Constantinopel ein. Ausser mau-
nichfachen Vorbereitungen für die beabsichtigte zoologische Excursion nach Klein-
asien fand ich Gelegenheit zu einem Besuch bei Hrn. Dr. Weissbach, in weiteren
Kreisen durch seine schönen craniologischen Arbeiten bekannt. Der genannte Herr
trat aus seiner reichen Sammluug vou Türkenschädeln eine Anzahl für die anthro-
pologische Gesellschaft, einige andere für das anatomische Museum mit grosser Be-
reitwilligkeit ab.
Die Wächter der im Allgemeinen sehr liederlich gehaltenen muharaedanischen
Kirchliöfe von Constantinopel sind in neuerer Zeit, durch mancherlei üble Erfahrungen
gewarnt, sehr misstrauiscli geworden, so dass die Erlangung des craniologischen
Materials äusserst schwierig ist; selbst weun man die Schädel glücklich erlangt hat,
so kann mau mit grosser Sicherheit annehmen, dass dieselben beim Fassireu der
Douane von Seiten der türkischen Behörden confiscirt werden. Der durch die Güte
der heimischen Regierung dem Vortragcuiden verliehene offlcielle Character machte
es allein möglich, diese S(;hwierigkeiten glücklich zu überwinden, und er fühlt sich
für die Bereitwilligkeit und Energie, womit ihm darin gewillfahrt wurde, zu beson-
derem Danke verpflichtet.
Die nach der kleinasiatisehen Küste fortgesetzte Reise brachte neue üble Erfah-
rungen liinsichtlich des winterliclien Wetters, aber auch neue craniologische und
anlliKjpologische Errungenschaften. Auf dem classischeu Boden von Smyrna stellten
(67)
sich manche bemerkenswerthe Eindrücke von Sonst und Jetzt dem Auge des Rei-
senden dar; aus der Vorzeit besonders interessant die ausgedehnten Kjökkenraöddings
um die Ruinen des alten Castells von Smyrna. Es zeigen diese mächtigen Aufschüt-
tungen von Schalen essbarer Muscheln der heiiaclibarteu Bay, welche der Art ihrer
Anordnung nach um die alten Mauern von den früheren Bewohnern der Burg auf-
gehäuft erscheinen, wie solche Formationen auch noch in historischeu Zeiten ent-
standen sind. Es finden sich zwischen den Muscheln Münzen der Jahrhunderte um
den Beginn unserer Zeitrechnung, dagegen sind keine Stein- oder Knochengeräth-
schaften darunter gefunden worden.
Die Bevölkerung Kleinasiens ist recht abweichend von derjenigen Constautinopels;
es scheinen hier wieder autochthone Elemente durclizuschlagen und herrschend zu
werden, welche an Kraft ihrer Anlage die modernen türkischen Stämme bei Weitem
übertrefien. Energie und Thatkraft ist bei ihnen noch in viel höherem Grade vor-
handen, als bei den in den Harems verweichlichten modernen Türken, worauf
zurückzukommen sich wohl ebenfalls später Gelegenheit findet. Die geplanten Ex-
cursioneu nach dem Innern Kleinasiens verboten sich durch die anhaltenden Unwetter,
welche die Flussthäler unter Wasser setzten und die erweichten Wege unpassirbar
machten.
Es wurde daher Ende März, nachdem die auch hier gestörten Dampfbootver-
bindungen sich wieder etablirt hatten, die ursprünglich bereits für den Anfang dieses
Monats beschlossene Rückreise wirklich augetreten, um das unterdessen gesammelte
vergängliche Material zoologischer Natur rechtzeitig verarbeiten zu können, und am
(j. April war Berlin glücklich wieder erreicht.
Die Errungenschaften, welche Persieu gebracht hat, schweben freilich, abgesehen
von den als persönliches Gepäck transportirten Phänomenplatten, noch zur Zeit in
unsicherer Ferne.
(9) Herr Fritsch übergab der Gesellschaft als Geschenk des correspondireuden Mit-
gliedes Hrn. Dr. A. Weissbach zu Coustantinopel die (S. 66) erwähnten sechs typischen
Türkenschädel.
Dieselben stammen vom mohamedanischen Friedhofe am Tekke (Kloster der tan-
zenden Derwische) in Pera Nr. 10, 56, 57, 61; vom Friedhofe innerhalb des Klosters
Nr. 21; endlich vom mohamedanischen Friedhofe hinter dem Arsenale zwischen
Galata und Kassimpaschä Nr. 63.
(10) Herr Virchow spricht, unter Vorlage des Objectes und zahlreicher Pho-
tographien über
einen Andaniaiieuscbädel.
Unter den wichtigen Erwerbungen, welche die Sammlungen unserer Stadt der
ebenso erfolgreichen als anhaltenden Thätigkeit des Hrn. Dr. F. Jagor verdanken, steht
nicht in letzter Reihe ein so eben eingegangener Andamauen-Schädel. Derselbe ist
mir als ein Geschenk eines sehr verdienten indischen Arztes, des Hrn. Macuaraara,
der zur Zeit in England verweilt, zugegangen. Gleichzeitig hat das ethnologische
iMuseum eine grosse Zahl der interessantesten Schmmk- und Nutzgegenstände von
jener fernen Inselgruppe empfangen.
Nach dem aufgeklebten Etikett, welches unter dem Namen Chä-tah wahrschein-
lich den Namen des einstigen Besitzers dieses Schädels anführt, ist der letztere als
Erinnerung an den Todten an einer Schnur um den Hals getragen worden.
In der That findet sich noch jetzt an dem Schädel, der offenbar einer älteren
Frau angehört hat, eine aus einem schmalen Lederstreifen gedrehte, etwas über '2
5*
(68)
Mm. dicke Schnur, deren geringe Länge von 580 Mm. allerdings nicht ganz dem
Zwecke, über den Kopf geschoben und um den Hals gelegt zu werden, zu entspre-
chen scheint. Indess besteht sie eigentlich aus zwei Theilen, indem jederseits ein
Ende in der Art au dem Jochbogen befestigt ist, dass dasselbe parallel an den
Knochen augelegt und nebst dem Knochen dicht mit einem feinen, aus Fasern ge-
drehten Faden umwickelt ist. Beide Theile sind am äussern Ende durch einen
Knoten mit einander verbunden.
Der Schädel ist im Uebrigen sehr wohl erhalten. Ein grosser Theil seiner
Überfläche und fast alle Oeffnuugeu, Gruben und Vertiefungen sind mit dicken, fest
anhaftenden Schichten einer wohlriechenden, rothen Substanz überzogen. Selbst
der harte Gaumen und die Oberfläche der Schädelkapsel sind nicht freigeblieben.
Die Substanz scheint ihrer Hauptmasse Eisenoxyd zu sein: unter dem Mikroskop
sieht man feine stengeiige Krystalle und dazwischen hie und da feine Pflanzen-
zellen. Beim Erhitzen schmilzt sie nicht.
Wo dieser üeberzug fehlt, da sieht der Schädel dunkelbraun aus, jedoch giebt
es einzelne, durch vielfache Reibung, wahrscheinlich beim Tragen, polirte Stellen
von mehr gelblicher Färbung. Der Unterkiefer fehlt.
Die Maasse sind folgende:
Capacität 1060
Grösster Horizontalumfang 450
Entfernung des Gehörganges von der Stirnwölbung . . . 83,5
, „ „ vom Scheitel 101,0
„ „ „ n Hinterhaupt 91,5
Grösste Höhe 123
Entf. des For. oecip. von der vorderen Fontanelle ... 121
, , « „ „ T hinteren „ ... 87
„ „ „ „ (hintererRand)v.d. vordem Fontanelle 131
Grösste Länge 154
Sagittalumfang des Stirnbeins ■^■^^ ,
Länge der Sut. sagittalis ^^•'(S
Sagittalumfang der Hinterhauptsscbnppe 99)
Entf. des Gehörganges von der Nasenwurzel 87,5
„ „ „ „ dem Nasenstachel 90
„ „ „ „ „ Alveolarrand d. Oberkiefers 94
„ „ For. occip. von der Nasenwurzel 83
- dem Nasenstachel 80,5
„ „ „ „ „ -n Alveolarraud d. Oberkiefers 81
, , „ „ (hinterer Rand) von der Hinterhaupts-
wölbung . . 52
Länge des Foramun occipitale 33
Breite „ „ „ 30
Grösste Breite 131
Oberer Frontaldnrclunesser 66
Unterer , 88
Temporaldurnlnnesser 106
Parictaldurcbmesser 129
Oberer Mastoidealdurchmesser 103
Unterer „ 86
Jugaldurchiuesser ; . . • 116,5
Maxillardurchmesser 4ö
(^iieruiiifang (von Gehörgaiig zu (lehörgang) 288
l'.reite der Nasenwurzel 21
_ _ NascMÖiriinng 21,5
(69)
Höhe der Nase 46,5
Breite der Orbita 35
Höhe „ „ :i4
Umfang des Oberkieferrandes 112
Länge des harten Gaumens 42
Breite „ „ „ 35
Entfernung der Kiefergelenkgruben 87
Gesichtswinkel 73
ßreitcnindex 85,0
Höheniudex 79,8
Breitenhöhenindex 93,8
Im Einzelnen ist noch Folgendes zu bemerken: Die sämmtlichen Knochen sind
sehr zart und trotz breiter Muskelansätze verhältnissmässig glatt. Die Nähte sind
sämmtlich vorhanden und wenig zackig. Die Synchondrosis spheno-occip. ist obli-
terirt. Am Oberkiefer ist nur der rechte Eckzahn vorhanden und zwar tief abge-
schliffen. An der Stelle der Backzähne sind die Alveolen geschlossen und ver-
strichen. Die Schneidezähne sind erst nach dem Tode ausgefallen; ihre Alveolen
sind klein. Auf der Stirn, nahe an der Kranznaht, liegt eine Reihe unebener Ver-
tiefungen, die wahrscheinlich durch Krankheit entstanden sind.
Der sehr kleine, brachycephale Schädel ist ziemlich hoch und etwas platt. Die
Stirn ist voll und gefällig, mit schwachen Höckern, aber hoher Wölbung. Der Schei-
tel hat durch die fast kugelig gewölbten Tubera parietalia eine grosse Breite; auch
liegt die grösste Breite dicht an den Tubera nach aussen.
Da zugleich der hintere Theil der Pfeiluaht etwas tief liegt, so erscheint der
Kopf in seinen hinteren Abschnitten fast kleeblattförmig, indem auch der obere
Theil der Hinterhauptsschuppe stärker hervortritt. Sonderbarerweise fällt auch diese
Erscheinung mit einer seitlichen Depression des Knochens an der Larabdanaht zu-
sammen, so dass die Squama occipitalis aussieht, als sei sie durch seitlichen Druck
gezwungen worden, nach hinten auszuweichen. Der Abfall des Hinterkopfes beginnt
übrigens dicht hinter den Tubera parietalia. An der Spitze der Lambdanaht bildet
die Hinterhauptsschuppe jedoch schon einen Vorsprung.
Das Planum temporale liegt jederseits hoch, reicht nahe bis an die Scheitel-
höcker, lässt jedoch einen Raum von 125 Mm. Querdurchmesser (Fläche) frei. Die
Protuberantia occipitalis ist von massiger Stärke. Sie liegt 40 Mm. vom Foramen
occipitale entfernt. Die Linea nuchae inferior findet sich sehr nahe am Hmter-
hauptsloche, sie ist nur 12—18 Mm. davon entfernt. Dagegen ist der Zwischenraum
zwischen ihr und der Linea superior sehr breit, er erreicht 25 Mm. Ueber der letzteren
Linie zeigt sich jederseits ein geradliniger, schräg von oben und innen nach aussen
und unten gegen den Warzeufortsatz verlaufender Eindruck, offenbar gleichfalls ein
Muskeleindruck. Die Warzeufortsätze sind sehr schwach, die Flügelfortsätze niedrig.
Das rundliche und verhältuissmässig kurze Hinterhauptsloch hat an seinem vor-
deren Rande einen nach rückwärts gerichteten Knochenvorspruog, nicht eigentlich
einen Condylus tertius, aber doch etwas Verwandtes. Die Coronae condyloideae
stehen weit nach vorn, sind sehr kurz und ihre Gelenkflächen sind ganz nach hin-
ten gerichtet. Die Schläfenschuppen kurz, die Alae sphenoideae magnae beiderseits
am Ende schmal, so dass nur ein geringer Zwischenraum Stirnbein und Schläfen-
schuppe trennt.
Die Wangen etwas vortretend. Orbitae sehr klein, aber verhältnissmässig hoch,
(70)
der obere, sehr zarte Rand eher etwas zurückstehend. Die Supraorbitalwülste sehr
schwach, vom Orbitalrande getrennt.
Besonders bemerkenswerth erscheint die Nasenbildung. Der Nasenfortsatz des
Stirnbeines ist nehmlich ungewöhnlich lang und breit, und gebt ganz glatt von der
Stirn herunter: der Nasenwulst fehlt gänzlich und die Glabella ist kaum angedeutet.
Jedes Nasenbein ist 5 Mm. breit und 18 Mm. in der äussersten Ausdehnung lang.
Die ganze Nase ist etwas platt, ihr Rücken flach, ohne alle Einbiegung oder Ein-
druck. Nur die Stirn fortsätze des Oberkiefers machen jederseits an ihrer Verbin-
dungsstelle mit dem Stirnbein eine flache Hervorwölbung, an der auch das Stirnbein
selbst Antheil nimmt. Die Nasenöflnung ist schmal, der Nasenstachel schwach.
Der Oberkiefer ist sehr schmal und niedrig: die Entfernung vom Ansätze des
Nasenstachels. bis zum Alveolarraud beträgt 1 Cm. Fast gar kein Prognathismus.
Der Zahnrand ist vorn gerundet, hinten fast parallel. Der harte Gaumen kurz und
breit. —
Die bis dahin bekannten Thatsachen über die Andamanen-Bewohner, die soge-
nannten Mincopies hat neuerlich Hr. de Quatrefages in einer monographischen
Arbeit zusammengestellt (Revue d'anthropologie 1872. T. I). Insbesondere hat der-
selbe die osteologischen Maasse der bis dahin in Europa bekannt gewordenen Schä-
del von Mincopies, sowohl der 2 in Paris befindlichen, als der 3 englischen, von den
Herren Owen und Busk beschriebenen, in grosser Vollständigkeit gegeben (p. 248).
Es erhellt durch eine Vergleichung, dass die weiblichen Schädel mit dem von mir
beschriebenen in vielen Stücken sehr nahe, mit den männlichen in der Hauptsache
übereinstimmen. Alle Maasse ergeben gleichmässig, dass wir es mit einem hypsi-
brachycephalen, kaum prognathen Negerstamme zu thun haben. Auch
stimmt der weibliche Pariser Schädel in Bezug auf seine geringe Capacität, denn
auch er hat nur 1095 Cub.-Cm. Inhalt.
Ich kann ferner Hrn. de Quatrefages darin beistimmen, dass unter den be-
kannten schwarzen Rassen die Negritos der Philippinen die nächste Verwandtschaft
mit den Mincopies zeigen, während der Gegensatz gegen Papuas, Australier und
Melanesier recht stark hervortritt. Einer der Negrito-Schädel in unserem Besitze
hat die grösste Aehnlichkeit mit dem eben vorgelegten Mincopie-Schädel. Die auf-
fälligste Difi"erenz der Schädel beider Rassen beruht vielleicht in der dachförmigen
Stirn vieler Negritos und in ihrem stärkeren Prognathismus.
Durch die Güte des Hrn. Dobson besitzen wir eine grössere Reihe schöner
Photographien von Mincopies. Die Gewohnheit dieses Volkes, sich den Kopf ganz
kahl zu rasiren, gestattet auch an den Photographien eine Vergleichung der Kopf-
form mit den Schädeln. Eine solche Vergleichung bestätigt, was die Maasse lehren.
Keine Spur von Deformation und keine auffällige Prognathie ist daran erkennbar.
Die Köpfe, einschliesslich des Gesichts, haben durchweg etwas kindliches: ein feines,
aber breites Gesicht mit kleiner und schmaler Nase, stark vortretenden Augen, klei-
nem Munde, voller Stirn. Die allgemeine Fettleibigkeit giebt auch dem Gesicht
etwas Rundes und Volles. Die starke Biegung des Hinterkopfes und die Breite der
Schädelkapsel tritt deutlich hervor.
Was die Grössenverhältnisse angeht, so stimmen alle Beobachter darin überein,
dass die Mincopies eine besonders kleine Rasse darstellen. Indess ergeben unsere
Photographien, dass wenigstens einzelne Männer eine erheblich höhere und kräftigere
Statur besitzen als die Weiber. Auch scheinen ihre Köpfe zum Theil recht gross
und schwer zu sein. Man wird daher vielleicht einige Correctureu in Bezug auf
die Grösse erwarten dürfen, indess darf der Typus im Allgemeinen wohl schon jetzt
als festgestellt angesehen werden. —
(71)
(11) Herr Fischer übersendet mit Schreiben aus Freiburg i. Br, vom 11. April
eine Abhandlung
über mineralogische Untersuchung von Steinwaffen, Stein-Idolen u. s. w.
Dass durch die künstliche Bearbeitung, d. h. durch die Veränderung der natür-
lichen Oberfläche eines Minerals oder einer Felsart manche lehrreiche Charaktere
verloren gehen müssen, versteht sich von selbst, und es liegt hier bis zu gewissem
Grade derselbe Fall vor, wie bei den Gerollen. Bei diesen hat die Natur durch
Abrollung und mehr weniger weit reichende Abglättung im Wasser auch bei
sehr harten Substanzen, z. B. Quarz (vgl. die sogen. Kheinkiesel), Dichroit (sogen.
Wassersap[)hir Ceylons), Topas, Korund (Rubin und Sapphir), selbst die Veränderung
der natürlichen Oberfläche herbeigeführt, und der Mineraloge weiss recht gut, wie
leicht Verwechselungen bei Gerollen vorkommen können und wie diese, wenn sie im
Bach liegen, noch etwas lehrreicher erscheinen, als getrocknet, weil im ersteren Falle
gewisse optische Merkmale (Farbe, Durchsichtigkeitsverhältnisse) doch noch etwas
deutlicher hervortreten, üesshalb kann man durch Befeuchten eines Gerölls oder
einer Steinwaffe oder temporäres Bestreichen mit einem durchsichtigen Firnisse, sich
beim Bestimmen, zumal von Stücken, von welchen nichts abgelöst werden darf,
immerhin noch ein wenig aushelfen.
Ich habe nun — nebenbei bemerkt — beobachtet, dass eine grosse Anzahl
Stein-Instrumente, aber auch kleinere Idole, von Neuseeland so gut wie von
Amerika,* aus Gerollen hergestellt sind, was einen doppelten Grund haben wird;
nehmlich erstens haben die Menschen in ältester Zeit (siehe Pfahlbauten) die Nähe
des Wassers oder das Wasser selbst vielfach zu ihrer Ansiedelung gewählt, und
zweitens waren die Gerolle für den der Metalle noch entbehrenden Menschen doch
schon von der Natur zerkleinerte Stücke, innerhalb deren der Steinkünstler sogar
auch noch eventuell in der Form Auswahl treffen und für das eben herzustellende
Instrument, beziehungsweise Idol auch ein schon passendes, längliches oder kurzes,
dickes oder schon abgeflachtes Stück aussuchen konnte.
Wenn es sich um mineralogische Bestimmung solcher Kunstwerke aus der Urzeit
des Menschen handelt, so könnte man, wenn jene nur aus einfachen Mineralien be-
ständen, mit einer chemischen Untersuchung allein schon auskommen; dazu bedarf
es aber immer einiger Gramme und es wird sich Jeder besinnen, bevor er einem
Stücke so sehr zu Leibe geht; durch Abschlagen mittelst Hammers, sogar wenn
man das obige Quantum wirklich opfern wollte, würde leicht das ganze Instrument
u. s. w, zu Grunde gehen.
Was war bisher von Alle dem die Folge? Die aufgestellten Sammlungen,
wie ich sie auf einer kürzlich unternommenen Reise durch Deutschland durchmusterte,
lehren es; man legte diese Stein Werkzeuge einfach neben einander, mit Angabe der
Fundstätte, wusste aber sonst von ihrer Natur so viel wie nichts, wenn
es nicht etwa Feuersteinbeile u. s. w., Obsidian-Messer und -Lanzenspitzen u. dgl.
waren, die sich leicht schon vom äusseren Anblick erkennen lassen; oder man
machte kühne Diagnosen, wofür die Verantwortlichkeit auf den Autor fällt, wie z. B.
Hassler (Die Pfahlbaufunde des Ueberlinger Sees. Ulm 186(>) von .,dort gefunde-
nen hundert und mehr Instrumenten von Nephrit oder vielmehr in Talkschiefer ein-
gewachsenem Nephrit" spricht.
Wenn das Material für die Steinwerkzeuge der Urmenschen immer ganz gewiss nur
gerade aus derjenigen Gegend, wo man eben eine ihrer Niederlassungen kennen lernt,
entnommen wäre, so hätten wir doch schon Anlass, deren Gesteinsarten zu unter-
suchen, denn wir würden daraus immerhin entnehmen können, in wiefern jene schon
die härteren und weicheren, die spröderen und zäheren Sorten von einander
(72)
zu unterscheiden wussten, und inwiefern sie die einen oder anderen Mineralien und
Gesteine einer Gegend entweder für die Benützung bevorzugten oder ganz vermieden
oder etwa die einen zu diesen Werkzeugen, die andern zu anderen Utensilien
zu verwenden pflegten, je nach der Schwierigkeit der Herstellung eines Gegenstan-
des (z. B. mit Rücksicht auf Durchbohrung) oder je nach der Nothwendigkeit seiner
Ausdauer beim Gebrauch.
Aber die Völker haben ja auch Wanderungen unternommen, welche eben erst
ermittelt werden sollen, und es können solche stummen Steine eine sehr wichtige
Sprache reden, wenn wir diese uns zu enträthselu suchen; denn gewisse Mineralien
und Gesteine haben einen kleinen Verbreitungsbezirk, oder fehlen, z. ß. in den Ge-
birgen Europas — so weit bekannt — gänzlich (wie Nephrit, Jadeit, Chloromelanit),
können daher in dieser Beziehung durch vergleichende, besonders mikroskopische
Studien eventuell wichtige Winke in obigem Sinne geben.
Um eine Art Statistik zu gewinnen, ob z. B. für die Steinhämmer (mit schön
und sauber gearbeiteter Oeffnung für den Stiel) mit Vorliebe eine oder einige gewisse
Felsarten gewählt worden seien, muss mau eben diese Werkzeuge in grösserer
Anzahl selbst untersuchen. Es bedarf aber, um sich dann darüber gegenseitig zu
verständigen, auch einer gewissen Uebereinstimmung der Bezeichnung für die
da und dort wiederkehrenden Hauptformen der Werkzeuge, wie: Steinbeile, Stein-
hämmer, Axthämmer, und hieran scheint es mir noch ziemlich zu fehlen. Einen
Versuch zu einer eingehenderen Bezeichnung fand ich z. B. in der mir durch einen
meiner Zuhörer, Hrn. v. Morawski aus Wilna bekannt gewordenen Schrift: Sztuka
u Slowian (Kunst bei den Slaven) v. J. J. Kraszewski. Wilna 1858. Da sind
unterschieden: Schleifsteine, Keile, Meissel, Lanzenspitzen, Messer, halbmondförmige
Geräthe, Pfeilspitzen, Aexte, Axthämmer, Hämmer, Streitkolben, Streitäxte, Schleuder-
steine u. s. w.
Ueber die Steinwerkzeuge der Pfahlbauten von Wangen am Bodensee habe
ich schon 1866 im Archiv für Anthropologie Bd. I. S. 337 — 344 einige Notizen
veröffentlicht.
Jeder Mineraloge und Petrograph weiss nun, dass es mitunter eine überaus
schwierige Aufgabe ist, bei kryptomeren Gesteinen, d. h. solchen, deren Bestandtheile
in ganz winzigem Massstabe entwickelt und neben einander gelegt sind, eine rich-
tige Diagnose zu machen, selbst wenn man Haudstücke mit ganz frischem Bruche
vor sich hat, da durch die Kleinheit der Bestandtheile die charakteristischen Merk-
male der einzelnen Mineralien sich eben verlieren und man oft mit blossem Auge
und mit der Lupe gar keine Ahnung von dem wirklichen Bestand erlangen kann.
Früher behalf man sich mit einer annähernden Bestimmung, mit Prüfung der
Härte, ob das Gestein am Stahle funkt oder nicht, ob es schmelzbar sei oder nicht
u. s. w.
Damit wird sich heutzutage Niemand mehr begnügen; auch selbst die chemische
Untersuchung, welche dann das nächste Auskunftsmittel bot, und welche immer wichtig
bleiben wird, lässt bei den aus mehreren Mineralien zusammengesetzten Felsarten
doch oft genug für ihre Deutung einen so grossen Spielraum, dass man sich auch
hiermit nimmer allein befriedigen kann.
Es war vielmehr der Einführung der Mikroskopie in die Mineralogie,
in alle ihre Zweige und der täglich sich vervollkommenden Herstellung von Dünn-
schliffen vorbehalten, da noch aufklärend zu wirken, wo alle anderen Studienwege
versagten oder doch gegründete Zweifel an der Richtigkeit der Auffassung im einzel-
pen Falle lassen myssten,
(73)
Diese üntersuchungsmethode bietet jetzt dem Forscher ein immens grosses Feld,
das zugleich mit dem Reize von unglaublich vielen Ueberraschungen bezüglich des
Waltens der Natur im kleinsten Massstabe ausgestattet ist, so dass der mikroskopi-
rende Mineraloge durch Fülle und Klarheit der Resultate für seine Bemühungen sich
in der Regel reichlich belohnt fühlt.
Aber — wenn er sich vor Täuschung und voreiligen Schlüssen hüten will, so
muss er auch hier, wie überall im Gebiete naturhistorischer Studien, seine Aussagen
auf vergleichende Untersuchungen gründen, also von einem Felsarten-Handstück
nicht bloss einen, sondern womöglich mehrere Dünnschliffe herstellen oder herstellen
lassen, um aus deren Gesammtbetrachtung das Facit zu ziehea, und um nicht von
dem mehr oder weniger zufälligen Bilde eines einzigen Präparates abzuhängen; fer-
ner muss man ein und dieselbe Felsart von möglichst vielen Fundorten im Dünn-
schliff kennen zu lernen suchen.
Es kann nun, da diess zeitraubende Manipulationen sind, gewiss nur höchst er-
wünscht sein, dass es heutzutage Firmen giebt, welche Dünnschliffe eingesandter
Splitter auf Bestellung und zwar in vorzüglicher Ausführung fertigen, in erster Linie
Hr. Optikus Fuess in Berlin (Alte. Jacobstrasse Nr. 108), Hr. Optikus Möller in
Giessen u. A.; ja bei Hrn. Fuess sind schon ganze Suiten der verschiedeneu wich-
tigsten und verbreitetsten Felsarten, ferner Suiten einer und derselben Felsart von
sehr mannichfaltigen F'undorten und nach einzelnen Modificationen in vorzüglicher
Herstellung zu beziehen, was natürlich für das Gedeihen dieser Studien überaus för-
derlich und wesshalb die immer grössere Verbreitung dieser Präparate nur im höch-
sten Grade zu wünschen ist.
Bei der Feststellung der Felsarten nun, woraus die Stein Werkzeuge der Urzeit
bestehen, sind aber gar viele Rücksichten auf deren Form zu nehmen, welche leider
oft übel vernachlässigt werden, während man bei F'elsarten-Handstücken viel freier
walten kann.
Zur Gewinnung von üutersuchungs- Material z. B. bei Steinbeilen u. dgl. ist es
nehmlich vermöge der Bequemlichkeit sehr verlockend, an der Schneide etwas
abzulösen; dadurch wird aber leicht das ganze Werkzeug als solches verstümmelt
und es sollte nach meiner Ansicht hiervon Abstand genommen werden, so lange nur
noch irgend ein anderer Ausweg offen ist. Eher möchte ich die Ablösung eines Split-
ters an einer Seitenkante billigen, welcher doch vermöge der Symmetrie dann noch
immer eine gegenüber unversehrte Kante entspräche. Oder man suche am
stumpfen Ende, welches ja ohnehin häufig in einer Handhabe befestigt war, einen
Splitter zu gewinnen.
Es ist aber auch noch ein weiteres Merkmal womöglich ungeschädigt zu lassen,
und das ist der Geröllcharakter. Derselbe giebt sich zu erkennen durch ganz
sanft abgerundete, mit allerlei unregelmässigen Furchen durchzogene Unebenheiten,
wie sie nur das Wasser durch gegenseitiges Abrollen der Gesteinsstücke an einan-
der in Bächen und Flüssen, nicht aber der Mensch zu Stande zu bringen vermag.
Dasselbe Moment ist mir auch bei kleineren, fein ausgearbeiteten, polirten Stein-
Idolen aus den verschiedensten Erdtheilen, z. B. an den Nephrit- Etiphi's (Tiki's)
aus Neuseeland, an einem Frosch-Idol von den Antillen (im Genfer Museum) u. s. w.
aufgefallen, aber vielleicht noch nirgend erwähnt, jedoch immerhin beachteuswerth,
denn es liegt der Gedanke nahe genug, dass die au Bächen, Flüssen oder am Meeres-
ufer wohnenden Völker auch in erster Linie die dort vorfindlichen Gesteinsfragmente,
d. b. also die Gerolle für irgendwelche Verarbeitung ') benützten, wobei sie den
') Von der Gewinnungsweise der Nephritgeschiebe aus Turkestan wissen wir dies sogar
direkt
(74)
Vortheil hatten, eventuell für das gerade zu gestaltende Werkzeug oder Bild eine
schon etwas passende Form des Gerölls, z. B. für gewisse Idole mehr flache Stücke
auszusuchen.
Es kann nun gegebenenfalls grosse Schwierigkeit haben, bei einem Steinhammer
an der unschädlichsten Stelle, nehmlich am stumpfen Ende, ein Fragment mit dem
Hammer abzulösen; in diesem Falle koinmen dann die Steinsägemaschinen
sehr zu Statten, wie sie z. B. in Steinschleifereien (Oberstein in der Rheinpfalz,
Waldkirch bei Freiburg i. Br) zur Verwendung kommen und im Kleinen auch bei
Hrn, Fuess (Berlin) gebaut werden. Sind solche sehr fein, wie sie bei Edelstein-
schneidern und bei Uhrmachern (zum Schneiden der Sapphire und Rubine für Zapfen-
lager) getroffen werden, so kann man mittelst derselben sogar auch von Idolen, bei
denen an eine Anwendung auch des kleinsten Hammers wegen der etwaigen Zer-
trümmerung gar nie gedacht werden darf, auf der Rückseite ohne Schaden das
nöthige Material zu einem Dünnschliff gewinnen, und die dabei sich ergebenden
Abfälle lassen sich noch zu mikrochemischen Versuchen, die der Mikroskopiker da-
neben nie vernachlässigen soll, also zur Probe der Schmelzbarkeit, Löslichkeit in
Säuren, möglicherweise sogar auch noch zu qualitativen Analysen verwerthen.
Unter diesen Bedingungen hören dann die Stein Werkzeuge und Idole auf,
wissenschaftlich ganz oder halb unverwerthet als „Noli tangere!" in den Sammlungen
zu liegen.
Da notorisch unter den in Europa reichlich in Pfahlbauten, Torfmooren, Flüssen,
Feldern, Wäldern, Rebstücken zerstreuten prähistorischen Steinwerkzeugen zwischen
so und so vielen, deren Gesteinsmaterial aus Europa selbst entnommen ist, ganz
vereinzelt auch solche getroffen werden, welche vermöge ihrer Substanz Europa
nicht angehören, so die Beile aus Nephrit, Jadeit, Chloromelanit, so ist das ein-
gehende Studium dieser Steinobjecte für die älteste Menschengeschichte von nicht
geringer Bedeutung, und es bildet die Untersuchung dieser Steinbeile u. s. w. ein
ebenso respectables Substrat für wissenschaftliche Studien, als die Untersuchung der
vom Felsen selbst gewonnenen Gebirgsarten : nur ist aus den oben angegebenen
Gründen eine grosse Erfahrung im Gebiete der mikroskopischen Mineralogie (manch-
mal sind es auch Mineralbrocken) und Petrographie nöthig, weil man sich so häutig
mit minutiösen Splittern begnügen muss , die Schwierigkeit also unendlich viel
grösser ist.
Wenn bei der heute schon so weit entwickelten Arbeitstheilung im Gebiete der
Mineralogie etwa ein Forscher, welcher nur noch für frei auskrystallisirte Objecte
Sinn hat, mit einem gewissen vornehmen Achselzucken sich über die genannten
Bestrebungen hinwegsetzt, so kann man ihm dies geringe Vergnügen recht wohl
gönnen: denn wenn andererseits der mikrokospirende Petrograph der Wichtigkeit der
krystallographischen Untersuchungen nicht nur alles Recht widerfahren lässt, sondern
sich gerade bei seinen, alle Augenblicke die Optik zu Hülfe nehmenden Studien
derselben immer und immer von Neuem bewusst werden muss, so steht er, der
Petrograph, ja doch noch immer auf dem höheren Standpunkt, weil er — unter
billiger Anerkennung der verschiedenseitigen Studienzweige — den weiteren
ürablick sich walirt. Letzterer wird überhaupt in der Regel am besten vor Ueber-
hebung schützen, weil nr dem Forscher einen gewissen sokratischen Satz tagtäglich
vor Augen führt!
Ks giebt nun noch ein, wie mir scheint, bisher wenig verwei'thetes Auskunfts-
mittel, welches dif zu untersuchenden Gegenstände, gröbste wie allerfeinste, absolut
intact läöst, und doch gewisse, wenn auch nur durch Exclusion lehrreiche und er-
(75)
wünschte präliminare Resultate liefert, das ist die ßestiraraung des speci-
fi sehen Gewichts.
Wenn es sich um einfache Mineralien han<lelt, so steht uns aus Websky's
Hand ein Buch') zu Gebot, welches die spezifischen Gewichte aller bis dahin be-
kannten Mineralien in allerbequemster Weise nebst der sehr erwünschten Angabe
des Härtegrades zusammenstellt und durch gehörige Verwerthung des alphabeti-
schen Registers auch alle bei ein und demselben Minerale beobachteten Schwankun-
gen im specitischen Gewichte angiebt.
Hiervon habe ich schon in vielen Fällen erfolgreichen Gebrauch gemacht, da sich
auf diesem Wege der Species-Rahmen, innerhalb dessen man sich im einzelnen
Fall umzusehen hat, ausserordentlich einengt, also viele Zeit gev.'ounen wird.
Eine ähnliche Zusammenstellung für die Felsarten ist mir im Druck bis jetzt
nicht bekannt und würde auch bei der mangelhaften Diagnose, wie sie sich vor der
Verwerthung der Mikroskopie in der Petrograpliie wenigstens für kryptomere Gesteine
nothwendig gestalten musste, nicht besonders befriedigen können. Es wäre aber eine
solche, wenn gegründet auf die neueren vergleichenden mikroskopischen Diag-
nosen der Gesteine, welche freilich selbst noch lange nicht abgeschlossen sind, der-
einst eine sehr dankenswerthe Arbeit.
Nach einer üebersicht, welche ich mir für meine Zwecke aus den bisherigen
— wie gesagt, nothwendig vielfach unzuverlässigen — Angaben aufstellte, ergeben
sich immerhin z. B. für die phaueromeren (im Gerolle oder künstlichen Anschliff
doch oft schwerverständlichen) Gesteine gewisse Zahlengrenzen, welche zugleich
mit der Farbe, der Härte u. s. w. einige Anhaltspunkte gewähren können.
Wenn die mikroskopirenden Petrographen sich die Mühe nicht verdriessen lassen
wollen, bei allen Felsarten, die sie unter dem Mikroskop prüfen und beschreiben, auch
gleich das specifische Gewicht anzugeben, so wird das im Laufe der Zeit ein sehr
schätzenswerthes Material für vergleichende Uebersichteu abgeben; denn wenn auch
bei dem Zusammentreffen von zwei bis oft sechs Mineralien, die mitsammen ein Gestein
bilden, die Schwankungen im specitischen Gewicht dem Vorherrschen oder Zurück-
treten leichterer oder schwererer Gemengtheile im einzelnen Fall natürlich entsprechen
müssen, so wird sich doch durch i die endliche Zusammenstellung möglichst vieler
solcher Gewichtsbestimmungen helfausstellen, in welchen Grenzen die Schw^ankungen
stattfinden und inwieweit man für die obenerwähnten Zwecke etwa Nutzen aus
den Durchschnittszahlen wird ziehen können. —
Herr Virchow bemerkt, dass er Hrn. Fischer 4 Steinbeile zur Bestimmung
der Felsart, theils aus der Sammlung der Gesellschaft, theils aus seiner eigenen,
übergeben habe, welche mit der grössten Schonung und doch erfolgreich von dem
erfahrenen Forscher untersucht seien. Es sind diess:
1) ein Beil von Skortleben, Prov. Sachsen, erwähnt in der Sitzung vom 'Jis.
Nov. 1874. Hr. Fischer sagt darüber: „Pantoffelförmiges schwarzes glatt-
polirtes Beil. Spec. < Gewicht = o,0.S. Dünnschliff sehr interessant. Spricht
für ein äusserst fein struirtes, zugleich aber in Umwandlung (zu Chlorit?)
begriffenes Hornblendegestein (mit einigen fremden, farblosen und dann schwar-
zen opaken Einlagerungen, letztere wohl Magneteisen)."
2) ein Steinhaiumer von der Axavalla-Heide in Schonen. Spec. Gew. = 2,98.
Nach dem Dünnschliff zu urtheilen, Diabas.
') Mineralogische Studien. 1. Theil. Die Mineralspecies nach den fiir das specifische
Gewicht derselben angenommenen und gefundenen Werthen. Breslau. 1868. 4.
(7fi)
3) ein Beil aus der Höhle Donclon auf Haiti, erwähnt in der Sitzung vom
14. März 1874. Spec. Gew. = 2,84. Nach dem Dünnschliff eines winzigen
Splitters zu urtheilen, Thonschiefer.
4) ein kleines Beil von Missoluughi in Aetolien, erwähnt in der Sitzung vom
14. Juni 1873 (Taf. XIV, Fig. 9). Spec. Gew. = 3,26. Nach dem Dünnschliff
keine Felsart, sondern ein einfaches Mineral, etwa dichter Vesuvian.
Herr Fischer bemerkt dazu in seinem Briefe noch Folgendes:
„Die mehr oder weniger gesicherten Diagnosen habe ich den Stücken selbst
beigeschrieben. Bei dem Thonschiefer und dem Diabas glaube ich, trotz der Klein-
heit der Splitterung, die ich mir abzulösen getraute, ziemlich sicher zu sein. Das
Beil von Sachsen würde mehrerer und grösserer Schliffe bedürfen, als ich gewinnen
konnte, doch glaube ich auch hier nicht weit neben das Ziel geschossen zu haben.
Das kleinste Beil ist mir in seiner Substanz noch am zweifelhaftesten, weil fast
nichts davon abzugewinnen war. Von der Schneide habe ich nur an dem Thon-
schieferbeil einen winzigen Splitter abgelöst und zwar deshalb, weil sie von früher
doch schon geschädigt war."
(12) Herr J. Hesse in St. Petersburg übersendet einen Bericht über
die Grrnppiriing «1er Völker und deren wahrscheinliche Ursachen, mit besonderer
Beriicksiclitigung der Bevrohner des europäischen ßussland.
Gewaltige Erfolge hat die neuere Wissenschaft auf allen Gebieten errungen.
Eine bedeutende Zahl der Gesetze, denen alles gehorcht, was in der Natur uns um-
giebt, hat sie entdeckt; aber viele (vielleicht deren Mehrzahl) liegen dem Auge des
Menschen noch verborgen.
Sehen wir, dass die Natur in ihrem Haushalte eine Ordnung aufrecht erhält,
zu der es die Bewohner der Erde bei ihren Verrichtungen nie bringen werden; dass
Alles in vorgeschriebenen Bahnen nur dem Kreislauf der Dinge folgt; üeberlebtes
dem Neugebornen Platz machen muss; dass selbst zwischen den Handlungen der
Menschen (die scheinbar nur deren "Willen unterworfen sind) und den Gesetzen der
Natur eine innige Verbindung besteht; so dürfen wir wohl annehmen, dass den
Völkern im rohen Naturzustande, wo sich dieselben den Einwirkungen der Aussen-
welt weit weniger entziehen können, als diess auf einer höheren Culturstufe geschieht,
ihre W'ohnplätze gleichfalls von einer Macht angewiesen wurden, die ihnen zwar
unbekannt blieb, deren Vorschriften sie aber um so mehr gehorchten, je weniger sie
dieselben erkennen konnten.
Diesen Vorschriften folgend, entwickelte sich der eine Theil in verhältnismässig
kurzer Zeit zu bedeutender Macht und Cultur; sie verschwanden schliesslich, um
andere an ihre Stelle treten zu lassen, während der zweite Theil, von der Natur
weniger begünstigt, ein geringeres W^achsthum zeigte, aber gleichzeitig eine grössere
Lebensdauer erhielt. Alle gehorchten aber nur dem Naturgesetz, dem das ganze
jetzige Geschlecht mit den von ihm bewohnten Ländern einst verfällt, wenn sich
beide überlebt haben. Die alte Welt verschwindet, und neue Erdtheile mit verjüng-
ter Kraft erscheinen, um einem voUkommneren Menschengeschlecht Raum zu geben.
Doch mit dem, was da einst sein wird, haben wir uns hier nicht zu befassen;
unsere Aufgabe ist die Erklärung der Gegenwart.
Bestimmt und klar antwortet uns die Wissenschaft auf viele Fragen, welche die
Volksentwickelung in den letzten Jahrtausenden betreffen, aber in zahlreichen Fällen,
speciell dem, wenn wir wissen wollen, welches die ältesten Bewohner von Russland
(77)
siud, uud wesshalb sie diess sein sollen, ist ihre Auskunft ungenügend, oder sie
schweigt ganz.
Meiner Ansicht nach sind die fiiinischeu Stämnu! die Urbewohner dieses Lan-
des. — Wesshalb?
Die Ehsten kennen für sich uud die ihneu verwandten Stumme nur den Namen:
„das Urvolk"; alle anderen Bezeichnungen erklären sie als erst durch andere Völker
ihnen beigelegt. Ebenso wie sie diejenigen, welche sich in ihren Ländern ansiedel-
deten, als Einch-ingünge betrachten.
Aber diese Bezeichnung genügt der Wissenschaft nicht, wir haben auf die ge-
stellte Frage deshalb anders zu antworten.
Die Völkerkunde zeigt uns kein einziges Beispiel, dass ein Volk sich allein und
unvermischt über einen so ungeheuren Raum, wie den von Ostasien und Westeuropa
verbreiten konnte, wenn niclit ganz besondere Umstände (vor allen eine isolirte und
schwer zugängliche Lage) vorhanden waren, welche ihm diesen Raum auf lange Zeit
allein überliessen. Und thatsächlich war diess bei den finnischen Stämmen der Fall,
deren Wohnsitze die in Russland zuerst bewohnbaren Strecken wurden, und diess
Jahrtausende hindurch auch blieben, während alles Land um sie herum noch lange
Zeit unter Wasser stand.
Die Ethnographie nennt den Ural als den ürsitz der finnischen Stämme, aber
wesshalb derselbe diess sein soll, dafür finden wir keinen Grund angegeben. — Ich
werde, so weit mir dies möglich, eine Erklärung suchen, und liberlasse dann das
Weitere den Fachmännern.
Zur Begründung meiner Ansicht bin ich genöthigt, etwas weit zurück zu gehen.
Als feststehend gilt es jetzt, dass die ganzen Länder der nördlichen Halbkugel
einst unter Wasser standen, und durch Hebung frei geworden sind. Ueber die
Art und Weise dieser Bewegung sind jedoch die Ansichten bis heute noch ge-
theilt. Ich behalte mir den Nachweis vor, dass selbst von bedeutenden Gelehrten,
wie Schieiden, bezüglich dieses Gegenstandes irrige Behauptungen aufgestellt
wurden, die wir selbst in maassgebenden Werken auf höheren Lehranstalten wie-
derfinden, ohne dass man es der Mühe werth hielt, die botreffenden Stellen zu
berichtigen.
Für den aufmerksamen Beobachter unterliegt es keinem Zweifel, dass das Maximum
der Hebung im Norden lag und liegt, wofür Russland die deutlichsten Beweise liefert.
So weit mir bekannt, ist noch von Niemand die Behauptung aufgestellt worden,
dass der Süden Russlauds, einschliesslich der aralokaspischen Einsenkung, der walachi-
schen Ebene u. s. w. noch sehr lange unter Wasser stand, als der Norden bereits frei
war, und dass die Trockenlegung der ersteren Länder sehr schnell erfolgte, ebenso, dass
das letztere Ereigniss in seinen Folgen die Ursache der Völkerwanderungen wurde.
Als Beweis für das Angeführte dient folgendes: Erstens die ganze Terrain-,
speciell die Bodenformation. Zweitens die Form der Krim uud des Asowschen Mee-
res. Drittens die Steppen. Viertens die Bewaldung im Allgemeinen und der
ßaumwuchs ins Besondere, und schliesslich die Volksvertheiluug.
Ausserdem liegt noch manches Andere vor, ich hielt es jedoch für weniger
wichtig. Von den angefülirten Punkten will ich mich jetzt nur auf den letzten
(die Volksvertheilung) beschränken, die anderen müssen einer späteren Zeit vorbe-
halten bleiben.
Bei der allgemeinen Hebung des asiatisch-europäischen Continents nuissteu selbst-
verständlich die höchsten Punkte zuerst zum Vorschein kommen.
Ich übergehe die Aufzählung aller Veränderungen auf der Oberfläche dos gegen-
wärtigen Russland, wenn wir uns nach den höchsten Punkten richten, und halte nur
(78)
dea Zeitraum fest, wo der Wasserstand 6 — 700 Fuss höher wie gegenwärtig war.
Den Höhenangaben nach, wie ich dieselben im geographischen Magazin des
russischen Generalstabes und in der Akademie der Wissenschaften vorfand, die
durch eigene Ueberzeugung an Ort und Stelle nur bestätigt wurden, lagen zu jener
Zeit in Russland folgende Strecken frei:
Der Ural, ein grosser Theil von Finland, als eine zahllose, aber dicht gruppirte
luselflur; der Rücken des ural- baltischen Höhenzuges, nur durchbrochen von einigen
Eiusenkungen, deren grösste die Dünaniederung bildet. Ausserdem das Gebiet von
Nischny Nowgorod die Wolga abwärts bis fast nach Zaritzin. Westlich begrenzte
dieses die jetzige Oka bis zur Mitte derselben, wo sich die freie Fläche, dann sich
südöstlich wendend, unterhalb Saratoff bis Zaritzin verengte. Ferner noch verschiedene
Punkte des uralkarpathischeu Landrückens und an der oberen Oka und Moskwa, die
ich jetzt aber unberücksichtigt lasse, weil sie damals als Inseln vollständig isolirt
und ohne jeden Zusammenhang durch sehr grosse Wasserflächen von einander ge-
schieden waren. Erst später werden wir dieselben besprechen.
Bei dem Theil von Nischny Nowgorod die Wolga abwärts muss ich mich etwas
länger aufhalten. Ich habe gefunden, dass die vorhandenen, besonders für Schulen
bestimmten Karten theilweise unrichtig sind. Durch Jahrelangen Aufenthalt mit
diesen Gegenden genau bekannt, ist es mir wohl erlaubt, an der Richtigkeit zu
zweifeln, wenn die Karten, anstatt tiefer Eiusenkungen, die sich meileubreit aus-
dehnen, compacte Höhenzüge verzeichnen, oder umgekehrt, wo Hochland vorhanden
ist, eine Tiefebene angegeben wird.
Wir finden z. B. in geographischen Werken die Angabe, dass die osteuropäische
Tiefebene sich ohne Unterbrechung bis zum Ural ii. s. w. fortsetzt, nur durchzogen
von den beiden uralischen Landrücken. Wenn man diese verzeichnete, so durfte
man den Querriegel nicht vergessen, welcher die osteuropäische Tiefebene von der
kasplscheu vollständig trennt. Thatsächlich endigt die osteuropäische Tiefebene bei
Nischny Nowgorod, wo das ganze weiter östlich liegende Plateau rechts der Wolga,
mit grösstentheils steil abfallenden Räadern, sich ziemlich bedeutend über die ganze
Umgebung erhebt. ') Nur auf dem linken Ufer setzt sich die Tiefebene fort, bis sie
oberhalb Kasan durch den ural-baltischen Landrücken, welcher dicht an den Strom
tritt, gleichfalls abgeschlossen wird. Ich verweise nur auf die Lage von Nischny
Nowgorod selbst, welches hoch über der Wolga und Oka auf einer hervorspringenden
Spitze des Plateaus erbaut ist.
Ohne wesentliche Höhenveränderung läuft die Hochfläche parallel der Wolga
bis oberhalb Kasan zu der bereits angegebenen Stelle, wo der nördliche Höhenzug
an den Strom herantritt. Unterhalb dieses Punktes, im Gebiet der Kama, er-
weitert sich das Thal bedeutend, da beide Höhen zurücktreten. Die rechts laufende
erreicht die Wolga wieder oberhalb Siml)irsk, welches eben so hoch wie Nischny
Nowgorod über dem Fluss liegt, und von hier aus bildet sie mit unbedeutenden
Unterbrechungen das rechte Ufer bis Zaritzin. Am dichtesten wird die Wolga zwi-
schen den shygulewschon Bergen (Samara gegenüber) eingezwängt. Die Kämme
dieser Berge, wovon der rechte zur Hochfläche von Simbirsk gehilrt, der linke sich
aber in einen Ausläufer vom oberen Obschtschey Syrt fortsetzt, liegen kaum eine
Wer-st (Vj Meile) von einander. — Nehmen wir z. B. auf dem ganzen rechten Ufer,
das jeder Bauer nur unter dorn Namen „die Bergseite" im Ciegensatz zum linken oder
„der Wiesenseite" kennt, die Umgegend von Wolsk, und mit dieser zusammenhän-
') Die Mitte dieser Fläche bei Korsun wechselt zwischen SOd -lOOi» Fuss, ohne dass der
oberflächliche Beobachter eine Hübeuveränderung bemerkt.
(79)
gend, die Fläche bis Beresenik u. s. w. am Knie der "Wolga oberhalb Saratoff, der
deutschen Colonie Katharinenstadt gegenüber, wo das Plateau fast 1000 Fuss über
den Flussspiegel, und mehr als 900 (englische) Fuss über das Niveau der Ostsee
emporsteigt, so kann von Tiofebeue wolil nicht mehr die Rede sein. Diese Punkte
stehen :il)(;i- nicht veroiiizt^lt, denn Saratoff selbst liegt in seinen oberen Theileu gegen
500 Fuss über dem Strom, willirend die unmittelbare Umgebung die doppelte Höhe
theilweise erreicht.
Zu wiederholten Malen, und auch auf verschiedenen Stellen der Bergseite, habe
ich die kaspische 'riet'ebeue und die Höhen des auf alh-ii Karten angegebenen Obscht-
schey Syrt (besonders in seinen südlichen 'Iheilcu) betrachtet. Während die letzte-
ren als leichte ßodenanschwellungen tief unten liegend erscheinen, treten uns um-
gekehrt von ihnen aus die Höhen des rechten Ufers überall als respektabler Berg-
rücken entgegen.
Ja, der Eindruck ist kein geringerer als der, welchen die Berge des Thüringer
Waldes (wo ich geboren bin) hervorbringen. Sind die letzteren auch thatsächlich
höher, so wird der Eindruck an der Wolga dadurch verstärkt, dass die Erhebung
ohne jede Vermittlung direct aus dem Fluss erfolgt.
Ich hielt diese Abweichung vom eigentlichen Gegenstand für nothwendig, um
irrigen Ansichten im Voraus zu begegnen.
Ftecapituliren wir also nochmals die trocken gelegten Stellen :
„den Ural, Finhuid, den Rücken des ural-baltischeu Höhenzuges und die Fläche
rechts der Wolga, von Nischny Nowgorod abwärts bis Zaritziu", so ergiebt sich, dass
die bezeichneten Gebiete, mit der ethnographischen Karte verglichen, uns die Wohn-
sitze der finnischen Völker fast haarscharf augeben. Die ganzen genannten Flächen
waren im ausschliesslichen Besitz dieser Stämme, die sie grossentheils noch heute
bewohnen. Alle Einwanderungen der Tataren, Slawen u. s. w., der üebergang
in den letzten Volksstanmi durch Bekehrung zum Christenthum und andere Dinge
sind bei einiger Mühe zu erklären.
Diese Gegenden mussten bereits vor 20,000 Jahren bewohnbar sein, während
der Süden Russlands mit der kaspischen Tiefebene und den angrenzenden Ländern
erst seit höchstens 5000 Jahren trocken liegt.
Gleichzeitig mit den angegebeneu Flächen war auch die Wasserverbindung zwi-
schen der Turanischeu und Sibirischen Niederung unterbrochen und der Höhenzug
blossgelegt, welcher den Ural mit den ceutralasiatischen Hochländern verbindet. Jetzt
war es möglich, von den letzteren aus, den Kamm des Höhenzuges entlang, nach
dem Ural zu kommen, und von hier aus bis Scandinavien vorzudringen. Bei dem
Fehlen jeder Landverbindung zwischen dem Ural und den südlichen Ländern ausser
der obigen Stelle, aber auch nur dieser, wo mächtige Meere Jahrtausende hindurch
jeden Zutritt versperrten, war es vollständig natürlich, dass sich die ersten Bewohner
vom Ural ungestört entwickeln und weiter verbreiten konnten. — Die Ansicht ein-
zelner Gelehrten, dass die Finnen bis weit nach Westeuropa vordrangen, theile ich
vollkonmu'u, weil dies auf dem Rücken der ural-baltischen Höhen bis Holstein sehr
leicht geschehen konnte, und die fortschreitende Hebung ihnen auch tiefer liegende
Stelleu einräumte. Die <iegenden westlich iler Düna mussten in Folge ihrer natür-
lichen Beschaffenheit sehr bald (wenn wir so sagen können) streitig werden, wie
ich dies später nachweisen werde.
Die Hocldläche rechts der Wolga hatten ausschliesslich die Mordwinen, Tschu-
waschen und Tscheremissen inne, wo sie heute noch sehr stark vertreten sind und
auf grossen Stiecken die ausschliessliche Bevölkerung bilden. Nur auf einem Punkte,
und zwar auf der Stelle oberhalb Kasan, wo der uralische Landrücken dicht an das
(80)
rechte Ufer heran tritt, sind sie auf den erstereu übergegangen, und ihre Hauptmasse
concentrirt sich auch jetzt noch dort auf beiden Ufern. — Die ersten Ansiedelungen
dieser drei Stämme erfolgten jedenfalls über die shygulew'schen Berge, da diese vom
südlichen Ural aus, auf dem Rücken der westlichen Ausläufer vom oberen Obschtschey
Syrt, sehr leicht zu erreichen waren, und das zwischen den Bergen liegende Wasser
(die jetzige Wolga) selbst mit den elendesten Hülfsmittelu überschritten werden
konnte. Die anderen Stämme sind der Gruppirung nach wohl vom mittleren Ural
auf dem ural-baltischen Höhenzug nach Westen, Finland und Scandinavien vorge-
drungen.
Jahrtausende blieben sie allein, und verschiedene Anzeichen liegen vor, dass sie
bereits eine gewisse Culturstufe erreicht hatten, bevor sie mit den Slawen u. s. w.
in Berührung kamen. — Wie lange sie im Norden das herrschende Volk blieben,
beweist schon der Umstand, dass Rurik zuerst die Herrschaft über die Tschuden
(der noch gegenwärtig unter den Russen für alle Finnen gebräuchliche Name) erhielt,
bis er dann auch die südlich liegenden und von Slaven bewohnten Länder übernahm.
Die russischen Geschichtsschreiber der Neuzeit suchen zwar die Behauptung
aufzustellen, dass die Slaven schon damals das Uebergewicht in den nördlichen Län-
dern besessen hätten, wo ihnen das Gegentheil leicht zu beweisen ist, ebenso wie
sie die Thatsache, dass Rurik ein Waräger war, zu fälschen suchen. Stichhaltige
Beweise für ihre Ansicht, dass Rurik ein Slave war, bleiben sie natürlich, wie in
so vielen Fällen, schuldig.
Die Finnen waren zu Rurik's Zeiten allerdings schon stark mit Slaven vermischt,
aber auch einzig und allein in der Gegend von Nowgorod, und wie sie dort hin
kamen, werden wir gleich sehen.
Im Laufe der Zeiten mussten bei der fortschreitenden Trockenlegung auf der
Oberfläche Russlands solche Veränderungen vorgehen, dass die Verbindung zwischen
den Höhen des nördlichen Landrückens und den südlich liegenden Hochländern her-
gestellt wurde.
Verfolgen wir auf der ethnographischen Karte die Vertheilung der slavischen,
speciell die der grossrussischen Bevölkerung, und ausserdem die der Letten, Kuren
und Litthauer, so ergiebt sich, dass die Masse der Gross- oder Weissrussen einem
Baume gleicht, dessen Stamm auf den Karpathen wurzelt, dessen K! one sich aber im
eigentlichen Grossrussland nach Norden und Osten ausdehnt, und zwar ruht der Stamm
auf der Stelle, wo die Wasserscheide zwischen dem Dniester, dem Pripet und den
Nebenflüssen der Weichsel liegt. — Von hier aus läuft ein fast ganz freier, nur
wenig durchfurchter Kamm im Bogen längs den Wasserscheiden von Duieper, Bug,
Niemen, Düna und Wolga bis zur Quelle der Moskwa und den oberen Gegenden
der Oka. — Bei 4—500 Fuss höherem Wasserstand, wie gegenwärtig, waren diese
Stellen von den Karpathen aus zu erreichen. Eben so gut war es möglich, z\s ischen
den Quellen der Düna und Wolga hindurch, nach der Waldaihöhe vorzudringen,
und weiter auf der Wassersclieide zwischen dem Niemen und der Düna, nach den
westlich vcm der letzteren liegenden Theilen des baltischen Höhenrückens zu kommen.
In Folge der engen Grenzen des Terrains an der Moskwa und Oka, welches
nördlich fast vollständig durch die Wolga, östlich durch die Okauiederuug und süd-
lich durch ein gross(!S Meer von den finnischen Ländern geschieden war, blieb den
Slaven kein Raum zur Ausdehnung und waren sie von der Natur damals mehr nach
dem Westen gewiesen. — Selbst dann, als der Weg zu den Finnen überall offen
lag, blieben ihnen deren Länder noch auf lange Zeit verschlossen. Die letzteren
waren so stark, um sich alle Kindringlinge fern zu halten. Nur die Gegenden am
Lüwat, Jablon und Ilmensee blieben streitig, bis es den Slaven gelang, sich dort
'Zeitst:^ri/tjur A'fA/iol/Jffu fJ/it/iro/u>l{>f/dTA^ Oes^llsc/ui/'i /
Ta/:r.
/ "
f i
1^
llli
2 a
^.h
3 h
E^
■
Verlag von ftl^ya,nxÜ,Ifcm.prl i Party :/j. Berlin
WAMeynm
Zeit.'^chri/'t'/ür Hthrwh^u' fAnfhrapologiscft/' (fesel/siJia^lJ
Tu/W.
ä.
71^ A Meifv litli
Verlan vi>n TilegfanxÜ, Hempfl i Parey ix. Berlüv
(81)
festzusetzen unrl für immer zu behaupten. Oestlich der Wolgaquelle war ihnen
bis vor etwa 1 ()()() Jahren Alles verschlossen. Wer die finnischen Stämme kennt,
die heute gleich einem altersschwachen Greise im Absterben begriffen sind, wird sich
sagen, dass mit diesen Völkern nicht zu spassen war, als sie in der Vollkraft stan-
den, wie es Deutschland empfindlich genug durch die Ungarn erfahren hat.
Die unter den l^etten und Litthauern geborenen und der Sprachen vollständig
mächtigen Gelehrten stimmen darin überein, dass diese Völker slavischen Ursprunges
sind. Ihre isolirte, südlich durch den ural-baltischen Landrücken begrenzte Lage
lüsst mit Bestimmtheit annehmen, dass sie zu jener Zeit, als die Wasserscheide zwi-
schen Niemen und Düna frei wurde, gleichfalls von den Karpathen aus dorthin gelang-
ten, die Finnen verdrängten nnd mit dem zurücktretenden Wasser, bei ihrer fort-
schreitenden Vermehrung, sich auch den Tiefen zuwandten. Ihre Gruppirung, die
geographische Lage ihrer WohnpUltze, welche beim Beginn der Völkerwanderungen
abseits der eigentlichen Hauptstrasse, durch locale Hindernisse, hauptsächlich undurch-
dringliche Wälder und ungeheure Sümpfe vor dem Einfall fremder Massen ziemlich
geschützt waren, sowie viele andere Dinge lassen vermuthen, dass sie gleichfalls Ur-
völker waren, oder unmittelbar auf die Finnen folgten.
Dass die Slaveu schliesslich über die Finnen Herr wurden, lässt sich aus den
ganzen klimatischen und Bodenverhältnissen, wodurch sie den letzteren gegenüber
sehr begünstigt waren, ohne grosse Schwierigkeit erklären.
Verfolgen wir die Westslaven, so sehen wir von Neuem, dass die Grenze der
am weitesten nach Nordwesten vorgedrungenen ziemlich genau durch den ural-
karpathischen Landrücken bezeichnet wird.
Trotzdem uns die Geschichte sagt, dass die Nordküsten von Deutschland von
germanischen Stämmen bewohnt waren, bevor die Slaven dieselben in Besitz nahmen,
so möchte ich glauben, dass die letzteren bereits vor den erstereu, wenn auch nicht
sehr zahlreich, vertreten waren. Die Germanen, eingewandert, fanden bei den Slaven
wenig Widerstand, und als sie sich reichen Ländern zuwandten, wo mehr Leute zu
finden waren, verblieb das Land den Ureinwohnern auf lange Zeit.
In Russland sind die Finnen unstreitig das Urvolk, auf welches die Slaven folg-
ten, deren erste Sitze die Gegenden auf den hoch liegenden Stellen, wo die
Flüsse entspringen, waren.
Ich gehöre nicht zu denen , welche einer Sache Werth beilegen, wenn sie alt
ist, aber ich behaupte, dass die finnischen Stämme seit länger als 15,000 Jahren
hier ansässig sind. Wie ausserordentlich langsam die Entwickelung der Völker fort-
schreitet, dafür liegen hier zu viele Beweise vor, und bei den Finnen lässt sich
dies am genauesten beobachten, weil sie weniger als die Russen von den Umwäl-
zungen berührt wurden, durch die ganze Völker hinweggefegt wurden.
Die gewaltigste Veränderung in der ganzen Weltlage brachte unbedingt die
plötzliche Trockenlegung des Südens Russlands, der angrenzenden Donauländer und
der kaspischeu Tiefebene hervor. Von der ungeheuren Wasserwüste blieb nichts
weiter zurück, als das schwarze Meer, welches mit dem Asow'schen etwas höher
wie gegenwärtig stand. Das gleiche Niveau erhielt damals das kaspische Meer,
welches seit jener Zeit so weit zurück trat, und fortwährend zurück tritt. Dass diese
Trockenlegung (durch verschiedene entscheidende Gründe bewiesen) sehr schnell er-
folgte, habe ich bereits oben bemerkt.
Trat nach derselben an den Grenzen der Völker überall Vermischung ein, so
warf die VcUkerwanderiuig schliesslich Alles durcheinander. — Dieses grosse Ereig-
niss war nichts weiter, als eine natürliche Nothwendigkeit . welcLe unausbleiblich
Vi-rhaiull. der II. li. \ iitliio|i.)l. Gesellsciaü. I87.*>. ß
(82)
eintreten musste, einzig begründet in dem allen Geschöpfen inne wohnenden
Erhaltungstriebe.
Wohl zählt das Leben der Völker nach Jahrtausenden, und mit ungemeiner
Zähigkeit suchen sie den Verfall zu verhindern, aber die Naturgewalten machen sich
zuletzt doch geltend. Kein Beispiel zeigt uns die Geschichte, dass ein Volk dem
Untergang entgangen wäre, wenn es durch Klima und Boden besonders begünstigt
wurde Stahlharte Völker, vor denen die Welt zitterte, als sie noch die ursprüng-
liche, in gesunden Verhältnissen gefundene Kraft besassen, fanden ihr Grab in Län-
dern, die sie mit Reich thum überschütteten. — Gleich der Eiche, die in magerem
Boden auf sturmumsauster Höhe gepflanzt, ihre Schwester im Thal auf üppigem
Land an Lebenskraft und Zähigkeit Jahrhunderte überdauert, so bewahrt auch die
Natur die Völker vor dem allzu raschen Verfall, wenn sie denselben ihre Gaben
nicht allzu verschwenderisch in den Schooss wirft. — In demselben Grade, wie die
Entwickelung erfolgt, vollzieht sich auch ihre Auflösung. Nie ist mir ein Beweis
von dem Einfluss des Klimas und der Bodenbeschaffenheit so schlagend vor die
Augen getreten, wie bei den deutschen Colonisten in Russland. — Nehmen wir die
im Jahre 1763 Eingewanderten. Aus den gleichen Ländern, wie die im Süden, ange-
kommen, aber auf erbärmlichem Boden und in einem ungünstigen Klima angesiedelt,
hat sich die Thätigkeit der im Norden ansässigen ausserordentlich gesteigert. Sie sind
lutherisch, wenig angefressen von dem entsetzlichen Aberglauben der Russen und Finnen,
und wir treffen fast keinen wirklich Armen unter ihnen. Thatsächlich sind sie Muster
für alle ihre Nachbarn geworden. Wie sieht es aber im Süden, speciell an der Wolga
aus ? Unmittelbar am Fluss gründeten die Deutschen ihre ersten Colonien, auf einem
Boden, wie ihn fruchtbarer die ganze Erde nicht mehr zeigt. Dieser, noch unbe-
rührt von Menschenhand, durch die Nähe des Stromes vor den Einwirkungen der
theilweise entsetzlichen Sonuengluth (die im Osten nur zu häufig Alles vertrocknen
lässt) geschützt, lieferte ihnen bei geringer Arbeit in den ersten Jahren fabelhafte
Ernten, War die Masse der Nahrungsmittel schon in UeberfüUe vorhanden, so kam
noch die Qualität ihres Getreides^) (grösstentheils Weizen) hinzu, um eine Volks-
vermehrung herzustellen, wie wir sie selten treffen.
Während die Zahl der im Norden wohnenden Colonisten um wenig mehr als
1 Proc, wuchs, vermehrten sich die südlichen ohne neue Einwanderungen in 100
Jahren durchschnittlich um 5,16 Proc, — Am grössten war die Vermehrung in der
ersten Zeit, Mit ziemlicher Genauigkeit lässt sich ihre Abnahme mit der vermin-
derten Fruchtbarkeit ihres Bodens, zu dessen Verbesserung bis heute absolut „Nichts"
geschieht, statistisch nachweisen.
Mit den reichen Ernten entstand zugleich Erschlaffung. Wozu sich auch anstren-
gen? Brod war ja die Fülle vorhanden. —
Hundert Jahre später (als diese sich hier ansiedelten), 1863, als ich die auf
162 Colonien, worunter verschiedene von 4 — 8000 Einwohnern angewachsene Bevöl-
kerung zum ersten Male sah, machten die Stamra-Colonien an der Wolga auf mich
den günstigsten Eindruck, wie überhaupt so viele oberflächliche Beobachter sich
durch diesen täuschen lassen. Als ich aber tiefer in die Verhältnisse eindrang,
die ich, ohne Ueberhebung zu sagen, genauer als alle Colonisten kennen lernte,
so fand ich eine solche Verkommenheit, dass es mir zuerst unerklärlich war, wie
') Meiner Ueberzeugung nach besitzt der Weizen tms diesen (jegencleii einen höheren
StiirkeKehail als der iru nördlichen Russliiiid gewachsene. Ich werde dfiisell)en s|niter iinter-
öucheu lassen, um den i'in.cnls.il/ fi'sit/iisli'llcn.
(83)
ein Volk in so kurzer Zeit so tief herabsinken konnte. Eine Faulheit, die alle
Grenzen übersteigt. Eine Wirthschaft in der Gemeindeverwaltung, die schlimmer
nicht denkbar ist. Ohne Sorge für die Zukunft der Kinder, im höchsten Grade be-
schränkt, voll von jeder Art von Aberglauben, — ich schämte mich, Deutsche vor mir
zu sehen.
In einer Colonie, wo ich mich zwei Monate aufhielt, und die zu nennen ich be-
reit bin, Hessen sich von 84 Familien 79 aus der Gemeiudekasse, resp. dem unglück-
-pügeu Magazin ernähren. Wie dies möglich, werde ich später anführen. — Und das
sind die lieben Kinder der Geistlichen Für diese Menschen ist der Pfarrer der
Gott auf Erden. — Wie verderblich aber eine Religion noch ausserdem wirken kann,
sehen wir hier. I)ie Katholiken empfingen die gleiche ßodenfläche, von gleicher
Güte, und mit denselben Rechten wie die Protestanten, aber die katholischen Ge-
meinden sind die ärmsten und verkommensten geblieben. Der Unterschied ist in
den Stamm-Colonien so auffällig, dass selbst beschränkte Reisende nach der Ursache
fragen.
Durch diese Erschlaffung bei reichen Ernten trat fast augenblicklich eine höchst
ungleiche Vertheilung des Vermögens ein, so dass wir Müüonäre finden, aber die
Masse des Volkes blieb arm, theilweise so arm, dass in Deutschland die Thiere besser
wohnen, als diese Menschen.
Wie diese Wohnungen beschaffen sind, Ulustrirt am besten das Folgende. Bei
(>iner gerichtlichen Abschätzung, behufs Versicherung der Gebäude, wurde ein sehr
gi-nsser Theil der Wohnhäuser zu '2 — ö Rubel, sage zwei bis fünf Rubel taxirt. Da-
mit ist Alles gesagt. Häuser sind es allerdings nicht, sondern viereckige Erdhaufen
mit einer Thür und einem, höchstens zwei Löchern von 9 — 10 Zoll Durchmesser als
Fenster. — Das sind die Folgen üppigen Bodens, wenn die Menschen die Naturge-
walten nicht zu bändigen verstehen.
Um dem Unheil gleich vom Anfang Thür und Thor zu öffnen, nahmen sie
das seit Jahrhunderten in Russland bestehende System des allgemeinen Grundbesitzes
und der solidarischen Haftbarkeit an. Die nördlichen Colonisten erkannten den ver-
derblichen Einfluss dieser Einrichtung sehr bald und hoben sie thatsächlich auf.
Im Süden blieb sie jedoch bestehen und übte dann auch ihre unfehlbare Wir-
kung aus.
Schwer ist es zu fassen, wie es noch Menschen geben kann, die eine Gemeinde-
verfassung, deren wirklich entsetzliche Verheerungen auf allen Gebieten des Staats
und Volksleiiens zu deutlich hervortreten, noch vertheidigen. — So lange die Knute
regierte, ging es, aber jetzt, nach Aufhebung der Leibeigenschaft, ist der Verfall der
Landwirthschaft, besonders in der nördlichen Reichshälfte, ein so rapider gewor-
den, dass nun selbt die wüthendsten Feinde aller westeuropäischen Cultur es für
besser halten, über die gepriesenen Eigenthümlichkeiten des heiligen Russlands zu
schweigen, da sie einsehen müssen, dass diese Dinge zur unfehlbaren Auflösung aller
socialen Ordnung führen. — Schon im Herbste 1873, bei Gelegenheit des Nothstau-
des in Samara, hielt es keiner dieser Herreu (die früher mit Wuth über jeden
Andersdenkenden herfielen) mehr für rathsam, mir auf einen längeren Artikel in
der Petersbuiger (deutschen) Zeitung, wo ich den Gemeindebesitz in den schärf-
sten Ausdrücken als die Hauptursache des allgemeinen Verfalls bezeichnete, zu
antworten.
Nur Fürst W Hess sich herbei, die Faulheit des Volkes damit zu entschuldigen,
dass er angab, das Klima zu ändern, liege in keines Menschen Hand; schliesslich g»^-
langte er jedoch zu dein Resultat, dass diese Genieindeverfassung nicht mehr zeit-
yoniäss sei und ihre Beseitigung wünschenswerth erscheine.
(84)
Und doch ist dieselbe das Ideal der Socialdemokraten. Hierher mögen deren
Wortführer gehen, um die Wirkung ihrer im gi'össten Maassstabe ausgefiihrteu Pro-
jecte zu Studiren. Hier besitzt nur die Gemeinde den Boden, persönliches Eigenthum
ausser dem Haus und Garten giebt es nicht'); alle männlichen Seelen (Frauen besitzen
in Russland oder zählen vielmehr nicht nach Seelen) sind zu gleichem Antheil am Grund-
eigenthum berechtigt, welches je nach den Veränderungen in der Volkszahl von Neuem
vertheilt wird.
Gesehen haben muss man (aber mit offenen Augen), wohin eine solche Verfas-
sung führt, deren unausbleibliches Ende der sittliche und physische Ruin eines Vol-
kes wird, um mit dem grössten Widerwillen gegen eine Partei erfüllt zu werden,
deren Ideen wohl theoretisch manches für sich haben und unter überirdischen Wesen
ausführbar sind, aber bei Menschen, deren Egoismus bei jeder Gelegenheit die Ober-
hand gewinnt, nie zum Guten führen können.
Aber ich folge hier Dingen, die wohl mit der ganzen Natur Russlands in Ver-
bindung stehen, deren ausführliche Begründung jedoch ein Unternehmen von solchem
Umfange ist, dass Jahre ungestörter Arbeit dazu gehören würden, um sie zum Abschluss
zu bringen. Hierzu besitze ich aber vorläufig die Mittel nicht, und ich muss desshalb
abwarten, bis mir dieselben werden, wozu ich übrigens begründete Aussicht habe.
Ich habe jetzt nur noch wenig zu bemerken. — Es ist sonderbar, dass die Ge-
lehrten den Einfluss der fortschreitenden Trockenlegung auf die Volksvertheilung
ausser Acht Hessen. Es liegt in dieser Bewegung sicher die Lösung vieler bis jetzt
ungelöster Räthsel. — Sollte schon darauf aufmerksam gemacht worden sein, wovon
mir übrigens nichts bekannt wurde, so trete ich als zu spät gekommen gern zurück.
Schliesslich sei noch Einiges erwähnt. Ueber die erratischen Blöcke ist sehr
viel gestritten worden (siehe selbst Humboldt's Ansicht), und doch haben nur
diejenigen Recht, welche behaupten, dass dieselben durch Eisschollen herbeigeführt
wurden. Derselbe Process wiederholt sich heute noch eben so wie vor Jahrtausen-
den, natürlich in geringerem Maasse, und den sich dafür Interessirenden kann ich
die Stellen namhaft machen, wo sie Blöcke von bedeutendem Umfange finden, die
erst in den letzten Jahren angeführt wurden, und auf die mich die Bewohner der
Küsten aufmerksam machten.
Sie entsinnen sich vielleicht, dass Nilsson in seinem bekannten Werke über
die Ureinwohner von Scandinavien einen Ausspruch von Pytheas: „Er habe bei
den Einwohnern grosse Häuser angetroffen, wo sie die A ehren ausklopften", als
unsicheren Beweis dafür anführt, dass Schweden den Ackerbau durch Völker aus
Ländern am südöstlichen Mittelländischen Meer kennen lernte, und dass das dort ge-
bräuchliche Verfahren auch hier längere Zeit bestanden habe. Ich hätte ihm sagen
können, dass er seine Vermuthung vollständig bestätigt gefunden hätte, wenn er nach
den russischen Küstenländern und den dicht angrenzenden Gebieten gegangen wäre.
In den Ostseeprovinzen mit deutschen Gutsbesitzern finden wir von dem alten Ver-
fahren nur noch Spuren, aber unmittelbar neben diesen behauptet die liebe Gewohn-
heit, jenes gedankenlose Weitertreiben des Althergebrachten, ein Wirthschaftssystem,
welches wohl den syrischen und ägyptischen Verhältnissen angemessen war, von wo
es unbedingt stammt, aber hier weder dem Klima noch allen anderen Verhältnissen
Rechnung trägt, und im höchsten Grade verderblich wirkt.
Es ist unerklärlich, dass sich unter dieser Masse von Aberglauben und sitttlichem
Wust kein Einziger fand, der wenigstens etwas aufräumte. Aber es ist für die
') Ausgenommen die Gutabesitzer und Bauern, die aus dem Gemeindeverband getreten sind.
(85)
Faulheit und für die beschränkten Köpfe zu bequem, für alles Unangenehme einen
Sündenbock, unsern Herrgott, zu haben, dem man Alles in die Schuhe schieben kann.
Die Wirthschaftssysteme im Süden stammen gleichfalls aus Aegypten, aber aus
einer viel späteren Periode. Hier wurden sie durch die Griechen eingeführt.
(13) Graf Sievers sendet mit Schreiben von Wenden, 12. März, nachträgliche
Bemerkungen zu seinem Vortrage in der Sitzung vom 17. Oct. 1874 über das dort
erwähnte
Mnschellager am Burtueck-See (Livland).
Anfang Novembers alt. St. im vorigen Jahre nahm ich eine vorläufige Besichti-
gung des dortigen Muschellagers vor, von dem ein Paar Proben beizufügen ich mir
erlaube.
Ich fand auf einem Flecke von 72 Fuss (engl.) Länge und 62 Fuss Breite, auf
dem ich an mehreren Stellen hindurchbohrte, und etwa in der Mitte ein Loch bis
auf den Untergrund ausheben Hess, einen Fuss unter der Oberfläche eine 5 Fuss (engl.)
mächtige Schichte von Süsswasser-Muscheln, untermischt mit Fischschuppen und
Fischgräten, an ein Paar Stellen Schichten von \ — Vi. Zoll dick sogar bildend;
ausserdem fanden sich zwischen den Muscheln Topfscherben, von denen ein Paar
Proben folgen, verschiedene Tbierknochen, darunter ein wohl erhaltener Backen-
knochen eines mittelgrossen Thieres, und ein Stück eines Unterkiefers eines Wieder-
käuers, der die 3 wohlerhaltenen ersten Backenzähne nebst einem Theil der Zahnlücke
enthielt, von dem der untere Theil bis zum Beginne der Zahnwurzeln weggehauen
war, und bei oberflächlicher Vergleichung dem des Riesenhirsches ähnelte, ferner einige
Menschenknochen, regellos liegend- Im vorigen Jahre war beim Pflügen daselbst
wenige Zoll unter der Oberfläche ein menschliches Gerippe blossgelegt worden.
Das sehr schlechte Wetter, heftiger Sturm aus Osten, während die Temperatur
von 10 Grad Reaumur unter 0 auf 14 bis 15 Grad sank, hinderten mich au weiterer
Arbeit, jedoch habe ich Veranstaltung und Verabredung treffen können, dass ich im
nächsten Sommer auf ein nahe gelegenes Gut eines Vetters auf einige Wochen ziehe,
um den ganzen Hügel durchzugraben , um nach genauer Aufmessung desselben alle
etwaigen Fundstücke, entsprechend ihrer Lage, in Horizontal- und Vertikal-Durch-
schnitten einzutragen. Die Tbierknochen habe ich dem mineralogischen Cabinet der
Dorpater Universität übergeben zu genauerer Bestimmung ihrer Hingehörigkeit.
(14) Herr Kuchenbuch übermittelt einen Bericht über
vorhistorische Funde bei Seelow (Kreis LebusJ.
(Hierzu Taf. VII.)
Die neue Wriezen - Frankfurter Bahn durchläuft von Wriezen ab das Oderbruch
erst in südöstlicher Richtung, dann von Nord nach Süd, und kommt in dieser Rich-
tung an die ziemlich steil abfallenden Berge heran, welche das weite Oderthal ein-
schliessen. Die Bahn erreicht den Thalrand etwa 1400 Schritte südöstlich vom
Dorf Werbig. Theils um allmählich die Höhe zu erreichen, theils um das nöthige
Erdreich zu den Dammschüttungen im Oderbruch zu gewinnen, werden ziemlich
tiefe und weite Einschnitte in die vorspringenden Bergausläufer gemacht. Die Bil-
dung des Thalrandes ist der der ganzen Strecke von Lossow oberhalb Frankfurt bis
Oderberg gleich; zahlreiche vom Wasser gebildete Schluchten, bald enger, bald weiter
ausgedehnt, durchschneiden den Rand der Hochebene, welche hier etwa 90 Fuss
über der Ebene des Oderbruches sich erhebt, und werden so Bergvorsprünge gebü-
(86)
det, welche vuü der Bahn durchschnitten werden. Vom Eintritt der Bahn in diese
Bergvorsprünge bis zur Chaussee bei Seelow. etwa 2400 Schritt, sind vier solcher
Vorsprünge zu durchstechen, und bereits in Angriff genommen, und hat man bei den
drei nördlichen stets auf deren Nordseite mit dem Durchstich begonnen. Diese Berg-
vorsprünge bestehen aus Lagen von Lehm, Sand oder Mergel in v^rechselnder Folge
Die drei nördlichen Berge werden so durchstochen, dass an der Oderseite noch ein
Rest des Berges stehen bleibt, der vierte vor Seelow aber ist behufs Anlage des Bahn-
hofsplanums bis zum Fusse abj^ etragen. Diese Durchstiche haben nun 7a\ interes-
santen Funden geführt:
1) Der nördlichste Bergvorsprung, etwa 500 Schritt breit, zunächst Werbig besteht
auf der Kuppe der Nordseite oben aus Lehm, unter ihm kommt weisser Sand.
In diesem Sand wurden etwa 7 Meter tief, also etwa 20 Meter über der
Oderbruchebene, ein Röhrknochen von bedeutender Grösse, und Splitter eines
solchen gefunden. Die Gelenkansätze fehlen; der Knochen ist 46 Cm. laug
(Fig. 11, ab — cd), am dickeren Ende (a — b) 25 Cm., am dünneren (c — d)
17 Cm., in der Mitte (e — f) 15,5 Cm. im Durchmesser stark. Die feste Masse
des Knochens ist etwa 1 Cm., seine Farbe gelblich-braun mit zerstreuten
schwarzen Flecken. Der Knochen erscheint noch ziemlich fest. Andere
Stücke sind etwa handgross. An anderer Stelle wurde ein Mammuthzahn
gefunden, dessen Breite 9,5 Cm. beträgt. Auch grosse Stosszähne sind ge-
funden, leider ganz zerbrochen. Spuren menschlicher Thätigkeit sind nicht
dabei entdeckt.
Bei dem Durchstich des zweiten Bergvorsprunges, ebenfalls etwa 500
Schritt breit und aus Lehm bestehend, ist bis jetzt nichts gefunden worden.
2) Der dritte Bergvorsprung besteht aus hartem Lehm. Jn dem darüber liegenden
Sandboden wurden in der Tiefe von wenigen Füssen menschliche Skelete ge-
funden , deren Schädel leider gänzlich zerstört wurden, während die übrigen
Gebeine auf dem Kirchhof in Seelow vergraben worden sind. Beigaben sind
nicht wahrgenommen worden.
.3) Die meisten Funde lieferte der Abtrag des vierten breiteren Bergvorsprunges.
Hier sind vornehmlich zwei Stellen zu erwähnen. Am nördlichen Abhänge,
an der Grenze der ehemaligen Grundstücke des Ackerbürgers Mehl bock und
Gottlieb Schrimm, sind in der Tiefe, nur ein paar Fuss in der Ackererde,
mehrere Urnen gefunden, von denen vier ziemlich erhalten sind, während von
einer fünften nur ein Bruchstück vorhanden ist. Diese Gefässe sind von
schwarz-grauem Ansehen, im Bruch schwarz gebraunt, mit groben Granitstück-
chen gemischt, mit Strichen und Funkten einfach verziert, und gleichen den
sonst in der Gegend gefundenen Es sind folgende Gefässe :
a) Fig 1: 17,5 Cm. im Bauch weit, 15 Cm. hoch, im Boden 8,5 Cm. breit,
mit einfacher Strichverzierung und Spuren zweier abgebrochener Henktil.
b) Fig. 2: 12,5 Cm. im Bauch weit, oben am Hals 8 Cm. weit, 10 Cm. hoch
mit ausgebrochenem Henkel, verziert mit Strichen imd Punkten.
c) Fig. 3: 12 Cm. im Bauch weit, 9 Cm. hoch, mit einem Henkel und ein-
facher Strichverzierung.
d) Fig. 4: 8 Cm. im Bauch weit, 7,5 Cm hoch, 3,6 Cm. Boden-Durchmes-
ser mit abgebrochenen Henkeln und etwas von den andern abweichender
Strich- und Punktverzierung.
e) Fig. 5: ein 6 Cm. hoher kleiner Krug mit Henkel, dessen Hals verschlos-
sen ist mit einfacher Strichverziernng um den Bauch, von röthlich-gelbem
(87)
Thon. Im Innern befinden sich Steinchen, welche beim Schütteln klap-
pern; also ein Kinderspielzeug.
f) Ein einzelner Henkel eines grösseren Gefässes.
g) In einer Urne fand sich ein Stückchen gebrannter Knochenrest; in einer
anderen mehrere ßronzegegenstände. Unter diesen zeichnet sich aus ein
Gebilde, ganz einer Eidechse oder einem Molch ähnlich (Fig. 7, a, b),
5,5 Cm., mit grünem Rost überzogen. An dem gerade laufenden, nach
dem Schwanzende hin sich verjüngenden Körper sind vier Beine ohne
Zehen, und vorn der nach unten geneigte Kopf mit aufgesperrtem Maul.
Auf dem Rücken befinden sich noch zwei Ansätze, anscheinend die Reste
einer Oese, an welcher das Thierchen getragen werden konnte. Am
Rücken des Thieres sind drei in einer Fläche liegende, zusammen ver-
bundene, gegossene Ringe angerostet, welche ihrer Lage nach vermuthen
lassen, dass an ihnen die Eidechse aufgehängt war. Ausser dieser Eidechse
fanden sich
h) noch vier volle Bronzeperlen (Fig. 9) von 8 Mm. Durchmesser,
i) ein Bronzering von 18 Mm. Durchmesser (Fig 8) und
k) mehrere unförmliche kleine Bronzeklumpen, anscheinend Reste aus einer
Giessstätte, deren ich schon früher Erwähnung gethan habe.
1) Auch ein bearbeiteter Stein wurde in der Gegend gefunden, 19 Cm. lang,
6,5 Cm. breit, länglich viereckig mit abgerundeten Ecken, vielleicht als
Hammer gedraucht (Fig. 6).
4) In einer mit schwarzer Erde ausgefüllten Mulde dieses Bergabhanges, einige
hundert Schritte von dem eben erwähnten Funde, wurden verschiedene thieri-
sche Knochen ausgegraben, von denen besonders zu erwähnen sind:
a) das Stirnstück eines Wiederkäuers, vielleicht des Ur's, mit Resten der
Hornzapfen. Die Richtung der Spitzen scheint nach unten gegangen zu
sein (Fig. 10) und die Hörner in einer Fläche gelegen zu haben. Der
Schädel misst von der Hornbasis a — b 1G,5 Cm. Das Stirnbein ist nur
wenig zwischen den Hörnern erhoben. Von der Kante c bis zur abge-
brochenen Stelle d, etwa der Mitte der Augenhöhlen, sind 20 Cm., von
der Kante c bis zum unteren Rande des Hinterhauptsloches 1 1 Cm. Der
Knochen ist ohne allen Leim. Die Hornzapfen, welche äusserlich etwas
gerippt erscheinen, sind bereits sehr morsch und kalkig.
b) ein einzelner Hornzapfen mit Knochenresten des Schädels , ebenfalls
äusserlich gerippt, ohne Leim, kalkig, so gewunden, dass die Spitze des
Horns aus der Fläche der Basis heraustritt. Von der Spitze bis zur
Basis a — b in gerader Linie sind 39 Cm., an der Basis hat der Horn-
zapfen 1 1 Cm. Durchmesser.
c) Es fanden sich noch ein sehr beschädigter Hundeschädel (?). fester als
die sonst gefundenen Knochen, eine ausgezeichnet starke und grosse Reh-
bockstange, und die Spitze einer solchen, einige Stücke eines Hirschge-
weihes, bereits vollständig verkalkt und mürbe, Pferdezähne, Hirschzähne,
und endlich
d) an anderer Stelle, wahrscheinlich in eisenhaltigem Kies, Stücken eines
Geweihes, welche einem Renthier angehören möchten. Es sind vier
Stücke, von denen drei sich zu einem ganzen Geweihstück zusammen-
stellen lassen. Dieses würde nur schwach gebogen erscheinen und misst
von dem Zapfen unter der Kose bis zum Ende 54 Cm. Diese Stange ist
überall gleich stark, über der Rose, wie gegen das Ende 3,5 Cm., im Durch-
(88)
schnitt ziemlich rund. 15 Cm. von der Rose her zweigt sich fast recht-
winklig nach der Aussenseite des Bogens eine Sprosse ab, welche (Fig. 1 2a)
von c — d 21,5 Cm. lang ist, im Durchschnitt ist auch sie rundlich.
Ausser diesen Stücken ist noch ein etwa 12 Cm. langes Stück vorhanden,
welches zwar offenbar auch zu jenem Geweih gehört, sich aber doch an
die Bruchstellen nicht anpassen lässt. An dem einen Ende läuft dieses
Stück etwas breit aus. Alle diese Stücke sind von Farbe orange und
ochergelb, ziemlich abgerieben, klingen aber beim Anschlagen mit harten
Gegenständen. Ausser jener einen Sprosse lässt sich keine Spur einer
zweiten entdecken. Die Stange scheint abgeworfen zu sein, da vom
Schädel keine Spur vorhanden ist. Diese Stange, wie alle übrigen Kno-
chen zeigen nirgends Spuren einer Bearbeitung.
Die beigefügten Zeichnungen sind theils nach einem Maassstabe (1 : 8), theils
in natürlicher Grösse gemacht (Nr. 7, 8, 9 u. zu 4). —
Herr Virchow bemerkt, dass er durch die Direction der Berlin-Stettiner Eisen-
bahn schon vor einiger Zeit Berichte über die Seelower Funde erhalten habe und
dass er in der nächsten Zeit die Fundstelle selbst genauer zu erforschen gedenke.
(15) Im Anschluss an die Bemerkungen des Hrn. Vorsitzenden (zu Nr. 10) hebt
Hr. Bastian zunächst die Verdienste Dr. Jagor's um die Ethnologie hervor, in den
ausgedehnten Sammlungen, mit denen derselbe fortfährt, das Ethnologische Museum
zu bereichern, und verbindet damit die Hoffnung, dass die bis jetzt beschränkten
Räumlichkeiten desselben bald die geeignete Erweiterung finden möchten, um die
zunehmenden Erwerbungen in geeigneter Weise aufzustellen.
Derselbe bespricht sodann eine interessante Sammlung, die auf's Neue von den
Reisenden an der Loangoküste eingelaufen ist und besonders von der letzten Reise
des Hrn. Dr. Güssfeld t am Nyango (einem bisher wissenschaftlich noch nicht erforsch-
ten Gebiet) herrührt, mit mancherlei Waffen der Bayaka, Bailumbo u. s. w., Musik-
instrumenten, Fetischen u. dgl.. Eine bei dem Geheimbund der Ndungo gebrauchte
Maske dient zur Vermummung des Todtentänzers neben einem Federschmuck, der
nachträglich versprochen ist und an ein ähnliches Costüm in Tahiti zu Cook 's Zeit zu
erinnern scheint, von dem sich einige Stücke im ethnologischen Museum von früher-
hin befinden. Dr. Pechuel-Lösche hat neben Proben der Cassa-Rinde, die schon
vorher auch von Hrn. Soyaux gesammelt wurden und Hrn. Prof. Liebreich zur
Analyse übergeben sind, den Löffel eingeschickt, mit dem der Fetissero beim Ordal das
Pulver eingiebt. Ein Bogen zur Vogeljagd kann wegen seiner Schwäche nur durch
Vergiftung der Pfeile wirksam sein; es lagen diese, sowie der Köcher, bei. Dann
ein zum Schmuck bei Tänzen benutzter Federputz und sonstige Bekleidungsstücke,
sowie von dem Cameron ein Sessel und Kriegshelm.
Zum Schluss wurden Photographien der Tules- und Goajiros-Indianer vorgezeigt,
von Dr. Schumacher, Generalconsul in Newyork (früher Ministerresident in Bogota)
eingeschickt, sowie einige photographische Abbildungen columbischer Alterthümer,
zu welchen derselbe sonst schon interessante Beiträge geliefert hatte, —
Der Vorsitzende spricht dem Vorredner, welcher sich binnen Kurzem behufs
ethnologischer Studien nach Mittel- und Südamerika begiebt, die herzlichsten Wünsche
der Gesellschaft für das Gelingen dieser Reise und für ein fröhliches Wieder-
sehen aus.
(89)
(16) Herr Beyrich zeigt geschlagene Hornsteine, welche der Maurer Giov. Me-
neguzzo in Montecchio maggiorc bei Vicenza ganz in der Weise der prähistorischen
Völker in täuschender Weise hergestellt hat. Das Gestein gehört der Kreideformation
der Sette Commune an.
(17) Geschenke:
Bellucci: U congresso internazionale di Archeologia et dl Antropologia
preistoriche a Stoccolma. Firenze 1874.
Leudesdorf: Nachrichten iiher die Gesundheitszustände in verschiedenen
Hafenplätzen. Hamburg 1874, VIII.
Sitzung vom 14. Mai 1875.
Vorsitzender Herr Virchow.
(1) Ais neues Mitglied wird angemeldet:
Herr Dr. Koch, Kreisphysikus zu Wollstein, Prov. Posen.
Herr Frank Calvert dankt für seine Ernennung zum correspondirenden Mit-
glicde und verspricht Nachrichten über die Untersuchungen in Kleinasien.
(2) Nachdem Hr. Bastian auf längere Zeit nach Mittel- und Südamerika ab-
gereist und Hr. Virchow als Stadtverordneter in das Curatorium des Märkischen
Provinzial-Museums berufen ist, ernennt der Vorsitzende an ihre Stellen zu Delegirten
bei dem Museum für den Lauf des Jahres die Herren Voss und Rosenberg.
(3) Die diesjährige General- Versammlung der deutschen anthropologischen Ge-
sellschaft wird vom 8. bis 11. August in München abgehalten werden. Das Programm
wird in nächster Zeit mitgetheilt werden.
(4) Der Hr. Cultusminister hat der Gesellschaft auch für das laufende Jahr
eine Unterstützung von 1500 M. bewilligt.
(5) Derselbe hat die Entwurfsskizze zu einem in Berlin zu errichtenden selb-
ständigen ethnologischen Museum zur Kenntnissnahme und mit dem Ersuchen über-
sendet, sich darüber gutachtlich äussern zu wollen. Der Vorstand wird ermächtigt,
nach den von ihm in Gemeinschaft mit dem Ausschusse darüber gepflogenen Vor-
berathungen an den Hrn. Minister zu berichten.
(6) Die Erhebungen in den Schulen über die Farbe der Haut, der Haare und
der Augen der Schüler haben nunmehr in ganz Preussen stattgefunden. Hie und
da sind dadurch grosse Beunruhigungen, in Oberschlesien und Westpreussen sogar
aufständische Bewegungen der Bevölkerung, namentlich der weiblichen, herbeigeführt
worden, weil man diese Erhebungen mit dem „Cultur kämpfe" in nähere Verbindung
gebracht hat.
Wegen der Bearbeitung des Materials schweben noch Verhandlungen mit dem
Hrn. Minister des Innern, der seine Ermächtigung an das Statistische Bureau zu
der Betheiligung an dieser Arbeit beanstandet hat.
(7) Die diessjährige Excursion der Gesellschaft wird nach Cottbus und von da
0)1)
zu dem Rurgwall von Zahsr)\v und dem (jlräb(;rfelde von Kolkwitz gerichtet sein.
lir. Voss wird mit den Vorbereitungen dazu l)(;auftragt.
(8) Das correspnndirende Mitglied Hr. v. Heldreich übersendet mit Schreiben
d. d. Athen, 10. April, folgenden Bericht des Chefarztes in der griechischen Armee,
Hrn. Dr. Bernhard Ornstein über
eine uugeT>'öhDliehe lluarbildung an der Sacralgegend eines Menschen.
In der Sitzung vom 20. März d. J. wurde uns der -JSjührige, aus der Eparchie
von Korinth gebürtige Recrut, Demeter Karas, vorgestellt, welchen die Bezirks-
Kecrutirungs-Commission für kriegsdiensttauglich erklärt, der hiesige Garnisonsarzt
jedoch als zu einem linken Leistenbruch prädisponirt der Ober-Sanitäts-Commission
zur endgültigen Entscheidung vorstellen Hess. Die natürlich bei nacktem Körper
vorgenommene Untersuchung des Individuums ergab zwar keine erhebliche und folg-
lich Dienstunfähigkeit bedingende ßruchanlage, doch wurde dasselbe zur Beobachtung
ins Militärspital verwiesen, weil es, wie das hier zu Lande bei Militärpflichtigen
nicht selten vorkommt, an Epilepsie zu leiden vorgab. Als nun dieser Recrut uns
beim Hinausgehen den Rücken zuwandte, bemerkte ich zufällig in der Kreuzbein-
gegend eine so auffallende, tiefdunkle Schattirung dieser Partie, dass ich dieselbe
einer eingehenden Untersuchung unterzog. Ich fand die ganze hintere Fläche der Sacral-
gegend mit etwas über die Seiteuflächen und die Basis des Os sacrum hinausreichen-
den, dichten, dunkelbraunen Haaren von 8 Cm. Länge bewachsen. Am Rande der
das heilige Bein bedeckenden Haut lagen die Haare mehr schlicht auf dieser auf,
während dieselben ungefähr von der Stelle der hinteren Kreuzbeinlöcher au bis zur
Mittellinie zwischen dem Steissbeine und dem letzten Lendenwirbel in zwei stärke-
ren Büscheln sich zusammenkräuselten. Die Messung der breiten, nach oben gerich-
teten Basis des behaarten Dreiecks ergab eine Ausdehnung von 19 Cm., während
der Höhendurchmesser 15 Cm. und der unbehaarte Abstand von der nach unten
gerichteten Spitze des Dreiecks bis zum After 5 Cm. betrug. Die gelblich-braune
Haut dieses Mannes, der ca. 5' 6" misst, cholerischen Temperaments und brachy-
cephal ist, zeigte am ganzen Körper, mit Ausnahme des Kopfes, des Gesichts und
der Schamtheile keine Spur von Haaren, und selbst an letzteren war der Haarwuchs
ein ungewöhnlich schwacher. Die sonstigen Formverhältnisse des Körpers boten
nichts abnormes. Der Recrut gab an, dass er mit diesem, von mir noch nie beobach-
teten, ausserordentlichen Haarwuchs geboren sei, und dass er demzufolge von Jugend
auf die Neugier der Einwohner seines heimathlicheu Bezirks auf sich gezogen habe.
Nach ihm soll seine Familie kein zweites Beispiel einer derartigen abnormen Be-
haarung aufzuweisen haben und schliesslich behauptete er, dass ej: die Haare von
Zeit zu Zeit abschneiden lassen müsse, da dieselben sonst durch die Stuhlausleerun-
gen verunreinigt und ihm lästig würden.
Da ich in diesem ausserordentlich starken und merkwürdig localisirton Haar-
wuchs nichts anderes, als einen Rückschlag — Atavismus — auf die thiensche Ab-
stammung des Menschen vom Affen vor seiner Enthaarungsperiode zu erblicken ver-
mag, so sprach ich mit Herrn Prof. von Held reich hierüber und. stellte demselben
gestern dieses Individuum vor; die anliegenden Haare sind in dessen Gegenwart
abgeschnitten. Da der Mann in der letzten Sitzung eingestanden hat. dass er nicht
an Epilepsie leide und demnach als feldkriegsdiensttauglich eingereiht werden wird,
so bin ich in der Lage, die Wahrheit der Behauptung bezüglich des schnellen und
ungewöhnlichen Wachsthums dieser Haare zu controliren und belialte ich mir vor. Ihnen
das Ergebuiss meiner dessfallsigen Beobachtung seiner Zeit mitzutheilen. Sollte eine
(92)
Photographie dieser behaarten Partie, d, h. der hiateren Wand des Beckens bis zu
den Lendenwirbeln hinauf erwünscht sein, so bin ich bereit, eine solche anfertigen
zu lassen und Ihnen dieselbe zu übersenden.
(9) Herr F. Jagor schreibt dem Vorsitzenden d. d. Rangun, 10. April, über
einen Besuch auf den Andamanen.
Er war daselbst während des Monat März und hatte bequemen Verkehr mit
den interessanten kleinen Sehwarzen. Er hat Messungen, Profilirungen mit der
Camera lucida und Photographirungen vorgenommen. Er erhielt 2 Skelete, ein voll-
ständiges von Dr. Dougall, ein unvollständiges von Hrn. Stewart, ausserdem
noch 4 Schädel. Die von ihm veranstaltete ethnographische Sammlung ist sehr voll-
ständig. Ferner besuchte er die von Dr. Stoliczka entdeckten Kjökkenmöddinger
und sammelte daraus Knochen und Topfscherben. Alle diese Gegenstände sollen
bald gesendet werden. Auch werden noch weitere Sendungen in Aussicht gestellt.
Hr. Dr. Dougall hat dem Vorsitzenden verschiedene Berichte über die von ihm
entdeckte Anwendung des Gurjon-Oels zur Heilung des Aussatzes über-
sendet. Dieselben machen den Eindruck grosser Zuverlässigkeit und Unbefangenheit,
und verdienen die grösste Aufmerksamkeit, da es sich um eine Krankheit haudelt,
welche so grosse Ausdehnung hat und welche seit Jahrtausenden als unheilbar be-
trachtet wird. Der Vorsitzende beabsichtigt, die Substanz kommen zu lassen, um
weitere Versuche zu veranstalten. Nach der Mittheilung des Hrn. Jagor stammt
dieselbe, wie der Botaniker Hr. Kurz ihm angegeben, nicht, wie gewöhnlich ange-
geben, vom Dipterocarpus laevis, sondern vom Dipter. Griffithii.
Endlich theilt Hr. Jagor noch mit, dass Hr. Dr. Maclay in Labore sei und
sich zu den Semangs zu begeben beabsichtige.
(10) Herr Oberkammerherr v. Alten hat dem Vorsitzenden nebst Zeichnung
und Gypsabguss, d. d. Oldenburg, 8. Mai, folgenden Bericht gesendet über
römische Funde in Oldenburg.
„Beiliegend erlaube ich mir Ihnen den Abguss eines Postamentes von Bronze
zuzusenden, welches vor einigen Wochen mit mehreren anderen Sachen, als zwei
etwa 12 Cm. hohen Figuren, von denen ich Ihnen Photographien senden werde, sowie
einem Schildbuckel (Löwenkopf) und einem Greifen - Kopf, wohl Helmzier, zerstreut
zwischen rundlichen und eiförmigen Steinen gefunden ist, und zwar nicht in einem
Hügelgrabe, sondern beim Umpflügen einer Haide, im Amte Löningen, bei dem Dorfe
Marren. Ausser diesen Bronze-Sachen fand sich eine eiserne Speerspitze, von jetzt
noch 23 Cm. Länge, doch fehlt ein Theil der Tülle. Eine gleichfalls gefundene
Münze deutet auf das Jahr 350—55, Kaiser Decentius.
„Die eine Figur ist bekleidet, der Kopf ist mit Helm, welcher die starken Raupen
hat, bedeckt. Das Ungeschickte in der Zeichnung ist in dem Original ebenso. Auf-
fallend ist der kurze, dicke Fuss, und die Verzierung auf den Beinschienen — ge-
flügelter Blitz? — Ciselirt ist an den Verzierungen nichts. Alles ist erhaben, mit
Ausnahme der Hl an den Beinschienen und der Seitenflügel -^^^.
„Die zweite Figur ist nackt, nur mit dem Helm bekleidet, beide Helme zeigen
den Kopf der Minerva, und ist diese von weit besserer Arbeit.**
(93)
Auf dfin Wunsch des Hrn. v. Alten, die Inschrift des Postaments gelesen zu
haben, hat der Vorsitzende dieselbe Hrn. Moiuiusen vorgelegt. Derselbe liest
dieselbe
VIC BICCIVS
CAMICCI
V S L M
Victoriae Diccius Camicci (Filius) votuni solvit libons luerito.
(11) Horr Paul Ascherson legt die von ihm in der vorigen Sitzung besproche-
nen Gegenstünde aus der Oase Dachel vor.
(12) Herr Voss spricht über
einige Ueberlebsel aus frUlieren Cultnrperioden und einen Bronzefuud bei Rabensteiii
in der fränkisclien Schweiz, sowie einige Benierliungen über das Gräberfeld bei
Braunshain.
Ich möchte mir erlauben, Ihnen einige Gegenstände vorzulegen, welche gewisser-
maassen Ueberlebsel aus einer längst entschwundenen Culturperiode darstellen. Zu-
nächst möchte ich Ihnen einen Gegenstand vorzeigen, der sehr Vielen von Ihnen be-
kannt sein dürfte. Es ist dies eine gelbglasirte, ganz roh ausgeführte Vogelfigur in
Thon, deren Hintertheil, statt des Schwanzes, eine Pfeife trägt. Kinderspielzeuge
dieser Art sind, so viel ich weiss, ziemlich weit verbreitet, jedenfalls wohl über den
grössten Theil von Norddeutschland. Das Ihnen vorgelegte Stück stammt aus Bobers-
berg in Schlesien. Es ist ausserordentlich ähnlich einigen Vogelfiguren, welche im
hiesigen Königl. Museum aufbewahrt werden und aus den Gräberfeldern von Gross-
Czettritz in der Neumark, von Lederhose bei Striegau (Schlesien) und Pforten in der
Lausitz stammen. Aehnliche Gebilde kommen auch in Gräberfeldern in Posen vor.
Ausserdem wurde auch in Süddeutschland in einem Grabhügel am Hünerberg (Wür-
temberg) ein Exemplar gefunden, von dem eine Lind ensch mit 'sehe Copie im
hiesigen Museum vorhanden ist. Diese prähistorischen Vogelfigureu tragen aber
nicht eine Pfeife, sondern enthalten meistens einige kleine harte Körper und dienen
als Rasseln, so die beiden Exemplare von Lederhose, die auch Spuren von rother
und weisser Bemalung zeigen und dem hier vorgelegten, namentlich in der Bildung
des Halses und des Kopfes ganz ausserordentlich ähnlich sind, und der von Pforten in
der Lausitz,
Jenes Exemplar von Gross-Czettritz in der Neumark dagegen hat oben auf
dem Körper eine mit hochstehendem Rande versehene Oeft'uung und scheint als
Lampe verwendet zu sein. Vielleicht diente die obere Oeffnung aber auch nur dazu,
um kleine Steine hineinzuthun, und wurde dann durch einen Stöpsel verschlossen.
Ausserdem werden Sie sich einer anderen Form der Kiuderklapper erinnern,
welche in denselben Gegenden in Gräbern vorkommt. Es sind dies kissenartige
Gebilde aus gebranntem Thon, welche an ihrer Oberfläche ein Ornament zeigen, das
einem Geflecht ähnlich sieht.
In der Königl. Sammlung befinden sich ähnliche Stücke von Schlaupe bei Neu-
markt in Schlesien, von Koeben im Kreise Steinau, ebenfalls in Schlesien, und von
Krehlau in Niederschlesien. Auch in Posen kommen dergleichen vor, wie Ihnen
bekannt ist.
Ich erlaube mir nun, Ihnen ein Kindei*spielzeug vorzulegen, das vielleicht als
Vorbild zu jenen Klappern anzusehen ist. Es sind dies Kissen, welche in Pommern
die Kinder auf dem Lande zur Zeit der Roggenernte aus frischem Roggenstroh zu
(94)
flechten pflegten, mit Ketten aus Strohringen an den Ecken versehen und mit einigen
Erbsen oder kleinen Steinchen als Inhalt. Die Ihnen vorliegenden Exemplare sind
ganz besonders kunstreich ausgeführt, indem sie noch mit Pferden, in gleicher
Weise gearbeitet, versehen sind, denen sie als Basis dienen. Die Fertigkeit, der-
gleichen Spielzeuge herzustellen, ist jetzt aber schon im Aussterben begriffen, und es
hat viele Mühe verursacht, Jemand zu finden, der noch im Stande war, solche an-
zufertigen.
Ferner lege ich Ihnen drei Spindeln vor mit Spinnwirteln, welche aus Deutsch-
land stammen. Vor 2 Jahren hatte ich nämlich in Rotheuburg an der Tauber Gele-
genheit, eine Frau mit einer solchen Spindel spinnen zu sehen, und mein Freund und
College Herr Dr. Wagner in Rothenburg a/T. hat die Güte gehabt, da es mir bei
meinem damaligen Aufenthalte in Rothenburg nicht gelang, Exemplare zu kaufen,
nachträglich einige zu verschaffen. Die eine Spindel tragt einen Wirtel von Knochen,
die zweite einen solchen von Blei und die dritte, was namentlich interessant sein
dürfte, einen Spindelstein von Thon. Derselbe ist leicht glasirt und aus steingut-
artiger grauer Masse. Man pflegt von dieser Art von Spindelsteinen wohl in verschie-
denen Sammlungen Exemplare zu finden unter prähistorischen Gegenständen. Noch
kenne ich zwar nicht die Bezugsquelle und den Fabrikationsort dieser Wirtel, jeden-
falls aber wird man dieselben wohl den mittelalterlichen und vielleicht auch späteren
Gegenständen beigesellen müssen.
Weiter habe ich Ihnen über einen interessanten Fund zu berichten. Auf dem
Bergrücken bei Rabenstein in der Fränkischen Schweiz, in der Gegend von Bay-
reuth, hat Herr Bildhauer Geyer in Bayreuth in Gemeinschaft mit Hrn. Hoesch
von Neumühle einige Ausgrabungen gemacht, an denen namentlich Folgendes interessirt:
In einem Hügel von etwa 4 Meter Länge bei 2 — 2^ Meter Breite und etwa % Meter
Höhe, der rings mit grossen Steinen umstellt war, wurde in der oberen aus kleinen,
köpf- bis faustgrossen Steinen bestehenden Schicht eine grosse Menge von Knochen
gefunden, unter dieser Schicht stiess man auf eine Lage schwarzer Erde, in deren
Tiefe ein Skelet mit sehr reichem ßronzeschmuck in regelmässiger Lage gefunden
wurde. Dieser Schmuck bestand aus einem Oberarmringe, 11 Armringen und 1 Fin-
gerring, welche sämmtlicb die Knochen umgaben, au denselben Stellen, wo sie
einst bei Lebzeiten des Verstorbenen ihren Platz hatten. Ausserdem wurde ein
sehr grosser Hals- und Brustschmuck, wie mir ein ähnlicher bis jetzt noch nicht be-
kannt geworden, in der Brustgegeud des Skelets gefunden. Derselbe besteht aus
6 hohlen, lose, aber dicht an einander anliegenden Ringen, von denen der innere etwa
einen halben, der äusserste etwa 1 Fuss Durchmesser hat. In der Mitte sind dieselben
reich verziert und von der Stärke eines kleinen Fingers, bis reichlich Daumenstärke,
sämmtlich nach den Enden zu sich verjüngend. Wir besitzen ähnliche Stücke in
der Königl. Sammlung, von Schwachenwalde und Kallies in Pommern, jedoch sind
bei diesen die Ringe an den Kudcn fest mit einander verbunden, auch sind letztere
nur halbrund, an der unteren Seite ausgehöhlt. Einer der Armringe, mit Kreisorna-
menten verziert, zu dem Rabensteiner Funde gehörig, gelangte in die Königl. Samm-
lung; die übrigen Stücke befinden sich noch im Besitz der Finder. Herr W. Geyer,
ein sehr eifriger Forscher, wird nächstens den Fund ausführlicher pubiiciren und
kann ich Ihnen vorläufig nur eine sehr sorgfältige Zeichnung von den Gegenständen
in natürlicher Grosse, von Herrn Geyer angefertigt, vorlegen.
Schliesslich möchte ich Ihre Aufmerksamkeit noch für eine Ihnen schon mehr-
fach bekannte Sache in Anspruch nehmen. Es betriüt die Ausgrabungen bei Brauns-
hain im Kreise Zeitz.') Herr L^rof. Klopflci scli liält in seiner neulich liier ver-
') In meinem Vortrage vom 17. October 1874: ^Ueber Ausgrabungen bei Braunsliain imd
(95)
lesenen Zuschrift die Ansicht aufrecht, dass die Gräber bei ßraunshain verschiedene
Bestattungsarten zeigten, Leichenbrand und Begräbniss. Ich niöchte darauf nur er-
widern, dass ich, wie ich Ihnen schon berichtet, Gräber aller dort vorkommenden
Grössen untersucht und dabei möglichst die Methode der Abtragung angewandt habe.
Dass sorgfältig gearbeitet wurde, haben Sie wohl aus den minutiösen Fundobjecteu
ersehen, welche ich bei Gelegenheit des Ihnen erstatteten Berichtes Ihnen vorgelegt
habe. Ausserdem habe ich eine erheblich grössere Anzahl von Gräbern untersucht,
als Herr Klopfl eiscli. Aber in keinem habe ich auch nur einen Knochen gefun-
den, sondern nur aschenartige Masse in Urnen, abgesehen von einigen Thierknochen,
welche ganz receut waren und wohl mit den in jenen Hügeln häufigen Fuchslöchern
in Beziehung zu bringen waren. Wären also beide Arten der Bestattung in Gebrauch
gewesen, so würde ich doch wohl auch Skeletreste gefunden haben, zumal die von
mir untersuchten Hügel in unmittelbarer Nähe von denjenigen liegen, welche Herr
Prof. Klop fleisch früher untersucht hat. Ich will nicht bezweifeln, dass Herr
Klopfl eisch wirklich Reste eines Kindes gefunden habe, kann dieselben aber
nicht für gleichzeitig mit der Errichtung jener Grabhügel halten. —
Herr Kuhn sen. bemerkt, dass bei den germanischen Völkerstämmen die Kinder
unter 2 Jahren niemals verbrannt, sondern stets begraben wurden.
Herr Voss: Selbst wenn diese Sitte geherrscht hätte, würde man jetzt in diesen
Gräbern keine Skelettheile von Kindern finden, denn die Knochen von Erwachsenen,
welche bei der Verbrennung der Leiche niemals vollständig mitverbrannt werden,
besitzen, namentlich in Urnen beigesetzt, wohl mindestens eben so viel Widerstands-
fähigkeit gegen Verwesung, als die zarten Gebeine eines Kindes unter 2 Jahren,
welche vielleicht ohne besonders schützende Umhüllung in der blossen Erde bestattet
wurden. Ich habe aber auch nicht einmal mehr sogenannte calcinirte Knochen, son-
dern nur eine erdige, aschenartige Masse ohne Beimengung grösserer Stücke ge-
funden.
Herr Virchow bestätigt, dass in seiner Jugend in Hinterponimern ganz ähnliche
Strohgeflechle, wie sie Hr. Voss gezeigt hat, in der Erntezeit sehr viel angefertigt
wurden. Er stellt zugleich Proben des noch jetzt in der Provinz Posen bei dem
Erntefest gebräuchlichen Kopfschmuckes in Aussicht.
(13) Her Virchow berichtet, unter Vorlegung der wichtigsten Fuudstücke, über
verschiedene deutsche Alterthiimersaminluugen, sowie neue Aiisgrabnugeii bei Priment,
Zaboroivo und Wollstein.
(Hierzu Taf. VIII.)
Ich wollte heute nur einige Mittlieilungen machen, welche zum Theil ilureh
Ausgrabungen, zum Theil durch den Besuch mehrerer Museen veranlasst sind. Ich
war in der Zwischenzeit zwischen unserer letzten und der heutigen Sitzung in Han-
Ilohenkirchen im Zeitzer Kreise" sind einige sinnentstellende Druckfehler stehen geblieben. So
muss es heissen auf Seite 190, Zeile 10 von unten, statt Kirchensage: , Riesensage", und
Seite 196, Zeile 11 von oben, statt Material: „Metall*. Zugleich möchte ich bei dieser Ge-
legenheit die thatsächliche Berichtigung hinzufügen, dass die in dem Hügel bei Corbuseu ge-
fundenen Schlacken, von denen mir kürzlich eine Probe zugegangen ist, nicht Kupferschlackeu
sind, sondern Stücke von Raseneisen, welche bei Errichtung des Brandhügels vielleicht /ußllig
in die GInth geriethen und auf diese Weise zum Theil ein dichteres, mehr schlackenähnliches
Aussehen annahmen.
(96)
nover, ßraunschweig, Prag, Olmütz und Krakau, und ich habe in den dortigen Samm-
lungen eine Reihe von Gegenständen unter einander verglichen. Auf einzelne werde
ich späterhin zurückkommen; für jetzt will ich nur einige Punkte, welche von gene-
reller Bedeutung sind, erwähnen.
Erstlich war ich erstaunt, Spuren eines Brand w alles ziemlich weit östlich zu
entdecken. Im archäologischen Cabinet der Universität zu Krakau befindet sich eine
Pieihe verschlackter Massen, welche von einem Brandwall herstammen, der bei Stradow
(zu dem Gütercomplex Chrobrz gehörig) im Kreise Skalbnierz im Königreich Polen
gelegen ist. Es sind das grosse Klumpen von Kalkstein, die zum Theil vollständig
glasartig zusammengeschmolzen sind. Darin bemerkt man, wie in den oberlausitzer
Brandwällen (vgl. Sitzungen vom 14. Mai und 9. Juli 1870 und vom 24. Juni 1871),
allerlei Hohlräume mit Eindrücken und Rifflinien von den Spalten verkohlender Holz-
scheite, welche deutlich geschlagene Flächen besassen und hier von besonderer Grösse
waren. Es kann wohl kein Zweifel sein, dass auch hier der Steinwall mit Holzscheiten
gemengt war. Leider habe ich über die Details des Fundes nichts weiter ermitteln
können, als dass derselbe sich nicht auf einem Berge gefunden hat; wie er aber sonst
angeordnet gewesen ist, das weiss ich nicht zu sagen. Es dürfte also wohl möglich
sein, dass die Anlage Aehnlichkeit hat mit derjenigen auf der Insel im oberen
ückersee (Sitzung vom 24. Juni 1871), wo ringsumher am flachen Ufer ein breiter
Wall von gebrannten Steinen liegt, die durchweg ähnliche Verhältnisse darbieten.
Es ist mir sonst auf dem rechten Oderufer gar nichts bekannt, was irgendwie in
diese Kategorie gehörte. So viel ich weiss, liegt der genannte Ort jenseits der
Weichsel, und es scheint daher, dass das Gebiet dieser Brandwälle sich viel weiter
nach Osten erstreckt, als wir bisher annahmen.
Ein Zweites, worauf ich Ihre Aufmerksamkeit lenken wollte, ist die verhältniss-
mässig grosse Ausdehnung, in welcher dieselben Culturüberreste vorkommen, welche
wir bei uns hauptsächlich auf Burgwällen und in unseren Pfahlbauten vertreten finden,
und unter denen ich zu sehr verschiedenen Malen die besondere Ornamentik des
Topfgeräths hervorhob. Ich habe schon in einer früheren Sitzung (13. Juli 1872)
darauf aufmerksam gemacht, dass nach den Zeichnungen, welche Herr Jeitteles
von denjenigen Funden geliefert hat, welche er bei Gelegenheit von Tiefgrabungen
für Gaskauäle in der Stadt Olmütz machte, unter denselben sich eine Reihe von Topf-
scherben findet, die unzweifelhaft demselben Typus angehören, obwohl Herr Jeitteles
der Meinung ist, dass sie einer sehr weit zurückgelegeuen Vorzeit zuzuschreiben sind.
Ich habe mich in Olmütz selbst überzeugt, dass diese Töpfe offenbar einer späteren
und zwar slavischen Periode angehören. Olmütz liegt ziemlich hoch auf einem schnell
ansteigenden Hügel in der weiten und sumpfigen Marchebene. Ich war an einem
regnerischen Tage (2. April) da, der noch halb in den Winter fiel, und ich hatte bei
der Wanderung von dem ziemlich entfernten Bahnhofe zur Stadt den vollständigen
Eindruck einer in früherer Zeit fast unzugänglichen, insularen Lage. Denn noch
jetzt breitet sich rings um die Stadt in weitem Umkreise ein Blachfeld mit niedrigen
Wiesen und Moorflächen aus. Zufälliger Weise traf ich unter der freundlichen Lei-
tung des Herrn Stadtrath Peyscha die Gelegenheit, dass gerade auf dem höchsten
Punkte am Dom ein Erdhügel abgeräumt wurde, und es war nicht schwer, in der
aufgeworfenen Erde eine grössere Zahl von Bruchstücken zu sammeln, welche deut-
liche Anklänge an unseren Burgwall-Typus zeigen. Allerdings hatten sie nur selten
Wellenlinien, meist breitere, parallele Horizontalfurchen, jedoch auch jene sehr charak-
teristischen Spuren punktirter Linien, die mit einem mehrzinkigen Werkzeug ein-
gedrückt sein müssen. Viele von ihnen hatten eine höchst auffällige Dicke und alle
jene graue, grobe, mit Bröckeln von Gestein untermischte Masse.
(97)
Wenn icli also nach eigener Anschauung keinen Zweifel behielt, dass es sich
hier um alte, offenbar slavische Ansiedelungen handelt und nicht etwa um Ansiede-
lungen, die weit vor der Einwanderung der Arier liegen, so war ich um so mehr
überrascht, ganz vorzügliche Fundstücke ähnlicher Art in dem böhmischen Natiouul-
Museum in Prag zu finden, und zwar die besten und in der That ausgezeichneten
von einer Stelle am rechten Moldau- Ufer in nächster Nähe von Prag selbst. Auf
der Hradschinseitc, im Anschluss an die Höhen, welche die ältesten Theile des
Hradschin tragen, liegt das Sarka-Thal, eine der ergiebigsten Fundstelleu des Landes.
Zahlreiche Thonscherben und auch ganze Gefässe von da befinden sich in dem Mu-
seum '). Ich habe ein solches Bruchstück mitgebracht, welches sich dadurch aus-
zeichnet, dass die beiden Haupt-Ornamente der ßurgwall-Töpfe nebeneinander darauf
vorhanden sind: einerseits Systeme von Wellenlinien, andererseits schräge, durch
das Eindrücken eines mehrzinkigen Instrumentes hervorgebrachte punktirte Linien.
Es ist ein ausserordentlich scharf und gut gezeichnetes Objekt, welches schon als
einzelnes Fundstück entscheidende Bedeutung haben dürfte. In dem Prager Museum
liegt jedoch eine sehr grosse Masse von Gegenständen von daher, aus denen sich er-
giebt, dass allerdings die Fundstelle durch einen wahrscheinlich sehr langen Zeitraum
hindurch bewohnt gewesen ist. Es finden sich nehmlich aus demselben Thale auch
allerlei offenbar weit ältere Sachen, namentlich Bronzen, die nach Allem, was ich
beurtheilen kann, in keiner Weise derselben Zeit angehören. Ausser verschiedenen
Paalstäben und Gelten (Nr. 32, 42, 43), Drahtringen, Drahtspiralen, Ohrringen
(400, 401, 457) erwähne ich vornehmlich einen höchst merkwürdigen, mit einer
Graburne bei dem Dorfe Vokovic gefundeneu Eber von Bronze (Nr. 509): es ist ein
sehr hochbeiniges Thier mit schmalem Leibe , zwei grossen Hauern , einer über den
ganzen Rücken laufenden Mähne und einem kurzen gedrehten Schwänze. Eine vier-
eckige Oeffnung im Bauche führt in die Höhlung des Leibes. Wocel-), der eine
sehr anschauliche Abbildung davon geliefert hat, hielt den Eber für ein altkeltisches
Feldzeichen. Diese Sachen gehören offenbar einem älteren Gräberfelde an. Allein
es finden sich auch zahlreiche polirte Steine (Nr. 78, 85, 86, 190—94), darunter
ein gebohrter zerbrochener Hammer (Nr. 49) aus Diorit, sowie eine grosse Menge zer-
schlagener Steine.
Die Mehrzahl — und es ist eine sehr grosse Zahl von Sachen, die da vereinigt
sind — hat jedoch offenbar eine spätere Stellung: sie stimmen überein mit einer Summe
von Funden, die wir in gleicher Weise in unseren alten Ansiedelungen vorfinden,
wie das namentlich in den pommerschen der Fall ist, z.B. denen bei Garz und Daher. Sehr
charakteristisch ist die ungeheure Quantität von Thierknochen, insbesondere Knochen von
Hausthiereu, nur einzelne von wilden Thieren. Eine Menge von bearbeiteten Knochen, z.B.
grosse Hämmer aus Hirschhorn, Pfriemen und Nadeln, eine grosse Pfeife, ferner Geräthe
aus Eisen, z. B. Pfeilspitzen, zahlreiche, gut erhaltene, kleinere Töpfe mit weiter Oeff-
nung und einfachem Hals, u. s. w. sind da. Sehr ausgezeichnet sind namentlich die Topf-
böden, welche ähnliche Stempel tragen, wie ich sie früher (Sitzung vom 10. December
1870) hier erörtert habe; darunter auch einzelne eigenthümliche, wie ich sie sonst
noch nicht kennen gelernt hatte. Ich erwähne ferner die Kämme aus Bein mit
doppelten Zahnreiheu, groben und feinen, wo die Zahnstücke in längerer Ausdeh-
') Die archäologische Samuilung im Museum des Künifireichs Böhmen. Erste Abtli. Heid-
nische Alterthümer. Prag 1859. (Thongefä.sse Nr. 94— 107, 123, 127, 13*2, 13G, 145, I5C, 251,
290, 353, 3Cli).
-) Sitztingsberiolite der Akademie der Wissenschaften zu Wien. Phiios.-bistor. Klasse. 1855.
Bd. XVL S. 191. Anm. Taf. III, Fig. 3.
Verbaiidl. iler Kerl. Autbropul. Qesellschaft. 1876. -
(98)
nung durch eiserne Nägel zwischen zwei Knochenplatten befestigt sind, und die Ein-
schnitte in dem Querbalken darthun, dass die Zähne erst eingesägt sind, nachdem
das Ganze schon zusammengefügt war.
Was mich aber am meisten überraschte, das waren Thonscherben von Ge-
fassen, wie sie mir noch nirgends weiter, weder in unseren Burgwällen und Pfahl-
bauten, noch sonst in Deutschland vorgekommen sind, die in sehr bestimmter Weise
erinnern an gewisse Funde in den italienischen Terraniareu , deren Bedeutnng ich
früher (Sitzung vom 11. November 1871) hervorgehoben habe. Das sind nehmlich
sehr grosse und breite Henkel, welche über den Rand des Gefässes emporragen und
hier in eine halbmondförmige, mit zwei seitlichen Zacken oder Hörnern versehene
Erhebung auslaufen. Unsere Sammlung besitzt vortreffliche Exemplare vou oberitalie-
nischen Terramaren durch die Güte des Herrn Pigorini. Mir erschien diese Form
immer als die am meisten charakteristische der Terramaren. Wenn ich trotz ihres
Fehlens bei uns') die Aehnlichkeit der Terramaren und unserer Burgwälle be-
tonte, so gewinnt diese Vergleichung hier eine neue Begründung. Und da sich in
Prag mehrere Exemplare dieser Mondhenkel vorfinden, so meine ich, dass die Sache
eine nicht unerhebliche Bedeutung haben dürfte.
Uebrigens ist das Sarkathal nicht die einzige Fundstätte für Burgwall-Geräth in
Böhmen. Ich habe solche notirt von Stelcoves im Prager Kreise (N.-W. von Prag),
von Lunkow im Kladauer Kreise (Nr. 295) und von der Stadt Köuiggrätz. Am
letzteren Orte sind nehmlich vortreffliche Topfböden mit Stempeln vorhanden (Nr. 402),
darunter solche mit dem Kreuze und mit dem mystischen Zeichen der in einander ge-
legten Dreiecke. Sie sind bei dem Bau des Criminalgebäudes und des Kreischams in der
Stadt selbst ausgegraben worden. Wocel, der den Fund von Königgrätz weitläufiger
erörtert und die Stempel der Topfböden genauer beschreibt^), hat sich, wie ich sehe,
schon vor zwanzig Jahren für die Uebereinstimmung dieses Thongeräthes mit dem
vom Burgwall Werle in Mecklenburg ausgesprochen. „Ich staunte", sagte er, „über
die Aehnlichkeit, ja Identität." Auch macht er darauf aufmerksam, dass ganz ähn-
liche Thonböden bei Kettlach in Unter-Oesterreich gefunden seien (Archiv für Kunde
österreichischer Geschichtsquellen. XII).
Ueber letztere Fundstelle hat kürzlich Herr v. Sacken^) eine genauere Dar-
stellung und zugleich die Abbildung eines solchen Topfes geliefert, der in der That
die mehrfachen Wellenlinien in vorzüglicher Gestalt zeigt. Nach seiner Darstellung
liegt der Ort bei Glocknitz am südlichen Alpenrande; ein grosses Gräberfeld mit un-
verbrannten Leichen liefert ausser den Töpfen zahlreiche Gegenstände von Messing,
Eisen, Email u. s. w. Er setzt dasselbe, gleich dem von Brunn am Steinfelde, in die
späteste heidnische Zeit, hält es jedoch, wie mir scheint, aus nicht ganz ausreichendem
Grunde, für germanisch. Ich würde bis auf Weiteres viel mehr geneigt sein, beide
Gräberfelder für slavische zu halten.
Die böhmischen Funde sind gewiss um so mehr bezeichnend, als ich bei der
Durchmusterung des reichen Provinzialmuseums in Hannover auch nicht ein ein-
ziges Stück mit dem Burgwall-Ornament entdecken konnte. Ebenso fehlen sie in
den Museen des westlichen Deutschland. Nur eine Stelle ist mir bekannt geworden.
') NachträgHch bemerke ich, dass in einigen Gräberfeldern der Lausitz verwandte Formen
vorkommen. Gewisse Annäherungen dazu finden sicli auch unter dem Thotigeräth von Zaborowo.
') Sitzungsberichte der k. k. Akademie der Wissenschaften zu Wien. 1855. April. Hd. XVF,
S. 209, 21!», 221, 22C. Taf. III, Fig. G.
3) Sitzungsberichte der Wiener Akademie. Philos.-histor. Klasse. 1873. Bd. LXXIV, S. 616,
Fig. 73.
(99)
welche eine gewisse Annäherung daran darbietet. Es ist dies ein seinen sonstigen
Fundstücken nacli der früheren fränkischen Zeit ungehöriges Gräberfeld im unteren
Mainthal, zwischen Heddernheim und Niederursel, wo ich im Jahre 1873 einer Aus-
grabung beiwohnte, die neben unverbrannten Leichen ausser mannichfachen Metall-
funden auch einzelne Thnngefässe mit dem Wellenornament zu Tage förderte.
Immerhin ist der bemerkenswertlie Unterschied, dass sowohl hier, als in Nieder-
Oesterreich diese Töpfe als vereinzelte Beigaben zu den Leichen in die Erde gesenkt
sind, während meines Wissens bei uns noch nirgend derartige Thongefässe in Grä-
bern gefunden wurden, sondern überall in grosser Zahl auf alten Wohnplätzen vor-
kommen. Es wird daher der Umstand, dass ähnliche Wellenoruamente auch anderswo,
jedoch unter ganz anderen Umständen vorkommen, keinen Grund dagegen abgeben, dass
wir die Zusammengehörigkeit, der bei uns unter durchaus gleichartigen Verhältnissen
beobachteten Funde l)eliaupten Werden doch gelegentlich ähnliche Ornamente selbst
in Afrika getroffen. Ich besitze durch die Güte des Herrn Gumpert ein modernes
Wassergefäss aus Aegypten, welches diese Ornamente, freilich in stehender Stellung,
zeigt, und Hr. Hildebrandt hat uns Scherben der Art aus dem Somal-Land gesendet.
So habe ich auch in Krakau eine Reihe von analogen Thonsachen gefunden,
welche nach Osten hin eine nicht unbeträchtliche Erweiterung dieses Gebietes dar-
thun. Einmal nehmlicli hatte Herr Prof. Lepkowski, der Vorsteher der dortigen
Universitäts-Sanimlung, solche Scherben mitgebracht von Oxhöft bei Danzig, die er
am Strande auf eimn- Sandääche aufgelesen hatte, allerdings neben anderen, scheinbar
viel älteren, von denen einige das, wie es scheint, der Steinzeit angehörige Ketten-
oder Bindfaden-Ornament, andere wieder ganz tiefe, vertikal gestellte, grössere, scharf
viereckige Eindrücke zeigen. Dieser Fund liegt in einer Richtung, die sich anschliesst
an unsere pomuierscheii Funde, wie wir sie wenigstens bis zum Gollenberg (aus dem
Pfahlbau von Lübtow) und aus der Gegend von Neustettin kennen. Es ist daher
nicht auffallend, dass auch noch pomerellisches Gebiet sich daran anschliesst. Aber
wir wussten bisher nicht, dass diese Mode sich so weit ausgedehnt habe.
Ich fand ferner einzelne, wenn auch nicht ganz so charakteristische Formen, meist
nur mit einfachen breiten Horizontal-Linien in paralleler Anordnung, von denen ich
aber doch nicht bezweifele, dass sie in die gleiche Kategorie gehören, ebenfalls in
dem Krakauer archäologischen Cabinet, welche aus dem russischen Gouvernement
Lubliu von Czerrana und aus dem Gouvernement Womza von Tykocin herstammen,
ferner ähnliche, welche namentlich die punktirten Linien, freilich neben dem Bind-
faden-Ornament, sehr schön zeigten, aus dem Walachischen Orte Kobylnic im öst-
lichen Galizien im Krakowietzer Kreise; ferner solche aus unserem Grossherzogthum
Posen von Fundorten, die uns zum Theil schon bekannt sind, namentlich aus dem
Pfahlbau von Czeszewo und von Pawlowice, von wo ähnliche uns neulich erst durch
Herrn Schwartz vorgelegt worden sind. Es ergiebt sich also, dass das Gebiet
dieser Funde sich über ein immer grössereres Territorium, und zwar immer mit alt-
slavischer Bevölkerung ausdehnt; wir finden es überall, wo slavische Ansiedelungen
und feste Punkte früh angelegt sind, und ich denke, man wird in dieser Richtung
noch sehr viel weiter vordringen können. Jedenfalls ist es charakteristisch genug,
dass wir nach anderen Seiten hin nichts Analoges haben, mit Ausnahme der Funde,
welche, wie Sie sich erinnern, in Schweden bei Björkoe gemacht worden sind.
Ich will dann aus meiner eigenen neuesten Erfahrung ein paar neue Fundstellen
anführen. Ich habe neulich, in den letzten Tagen des April, einen Besuch im Gross-
herzogthum Posen gemacht, wo ich in derselben Linie, in der ich früher schon den
Burgwall von Barchlin boschrioben habe (Sitzung vom 10. Januar), noch zwei neue
Anlageu tliesrr Art besuchte. Die eine derselben gehört nicht ganz sicher in dieselbe
7*
(100)
Periode, kommt indesseu wahrsclieiülich derselben sehr nahe, während bei der an-
deren die Synchronie ganz unzweifelhaft ist. Ich passirte beide am 27. April auf
meiner Reise von ßeutscheu nach Zaborowo. Herr Laudrath Freiherr v. Unruh e-
Bomst hatte die Güte, mich in Bentschen abzuholen und mir beide Burgwälle oder,
wie sie auch hier heissen, Schwedenschanzen zu zeigen.
Der erste Burgwall liegt auf dem Territorium Karne, unmittelbar an der Strasse
zwischen Beisein und Reklin mitten in einer weiten Bruchfläche, offenbar einem
alten Seebeckeu. Von Nord-Osten her kommt hier der Scharker ') Bach oder Graben,
und nachdem er die Strasse senkrecht durchschnitten hat, geht er mit einem kurzen
Bogen gegen Süd -Westen der Obra zu. In diesem Bogen, bis hart au das
Bachufer, ist die „Schwedenschanze" errichtet. Es ist eine verhältnissmässig
grosse Anlage, im Allgemeinen viereckig, jedoch mit abgerundeten Ecken und
in der Richtung von Süd-Ost nach Nord-West mehr länglich. Ringsum läuft in ge-
ringer Entfernung ein noch recht gut erkennbarer, breiter, jedoch grossentlieils zu-
gewachsener Wassergraben. Ziemlich steil, am üferrande noch bis zu einer Höhe
von 20 Fuss, erhebt sich ein sehr breiter Rand, dessen Basis wohl bis zu 80 Fuss
Durchmesser hat. Der innere Raum ist stark vertieft; er misst im längsten Durch-
messer 126, im queren 96 Schritte. Die Ränder sind mit Strauch bewachsen, die
innere Fläche mit einer dichten Grasnarbe bewachsen. Zahlreiche Maulwurfshaufen
waren über die Oberfläche zerstreut; sie bestanden aus einer schwarzen, losen, viel-
fach mit Kohlenresten durchsetzten Erde, in der reichlich Topfscherben zerstreut
waren. Schon bei oberflächlichem Eingraben fanden wir grössere Kohlenstücke, Topf-
scherben und zerschlagene Thierknochen, die Scherben im Ganzen sehr dick, roh und fast
ohne Verzierungen, höchstens mit einzelnen Parallelfurchen, die Knochen meist von Haus-
thieren, unter denen das Schwein bei weitem am häufigsten vertreten war, jedoch
fand ich auch einen Elchzahn.
Etwa 500 Schritt oberhalb durchschneidet der Bach eine Reihe niedriger Hügel,
welche sich als natürliche Dünenbildung erwiesen, so sehr ihre Anordnung auf den
ersten Blick gleichfalls für eine Wallanlage zu sprechen schien. Der Sand ist hier
und da von Lagen von Süsswasserkalk durchzogen. Zwischen dieser Stelle und der
Schwedenschauze ist der Boden etwas uneben, indem flache Erhöhungen mit moo-
rigen Stellen abwechseln. Auf allen diesen Erhöhungen fanden wir ähnliche Topf-
scherben.
Der zweite Burgwall, den wir besuchten, liegt dicht bei der Stadt Wollstein,
und es ist darüber schon früher (Sitzung vom 16. Januar) nach Mittheilungen des Herrn
V. Unruhe berichtet worden. Aus dem oberen oder Wollsteiner See kommt hier
der Doica-Fluss, der sich nach kurzem Laufe in den Gross-Nelker See ergiesst, um
später gleichfalls der Obra zuzufliessen. In der Nähe seiner Einmündung in den
Gross-Nelker See, unmittelbar hinter einer Mühle, auf dem Territorium des Gutes
Lehfelde, liegt der, durch jahrelanges Abfahren fast schon ganz zerstörte Burgwall.
Herr Gutsbesitzer Lehfeldt hatte die grosse Freundlichkeit gehabt, neue Abstiche
machen und die Fundstücke sammeln zu lassen. Es hatte sich eine grössere Menge
eiserner Gegenstände gefunden, namentlich Messer, Nägel, Schnallen, Hespen und
andore, schon einer vollkommneren Cultur angehörige Dinge. Ob eine Kleinigkeit
von Bronze, welche auf der Oberfläche gefunden war, dahin gehörte, mag zweifelhaft
sein. Dagegen lagen in dem Sande, welcher von der abgefahrenen Seite übrig ge-
blieben war, im Niveau der Grundfläche zahlreich feine Feuersteinspähne, von denen
manche ganz den g<;wöhnliclien geschlageneu Stücken (Messerchen) glichen. Drei-
') Sonderbarerweise wiederholt sich hier derselbe Name, den wir bei Prag kennen lernten.
(101)
und fünfseitige Absplisse waren nicht selten. Die Topfscherben hatten im Ganzen
den Burgwalltypus: sehr viele zeigten die Wellenlinien, jedoch breiter, tiefer und ein-
facher, als gewöhnlich. Henkel fehlten, der Rand war in der Regel umgelegt Jedoch
fand sich gelegentlich auch eine erhabene Leiste um das Gefäss. Alles grobes, un-
ebenes, nicht geglättetes, mehr graues Material. Thierknochen, namentlich von Schwein,
Rind, Schaaf, Ziege, Huhn, sehr zahlreich und fast ohne Ausnahme zerschlagen; ein-
zelne Stücke vom Reh und Hirsch, darunter ein gesägtes Hirschhornstück.
Ein alter Arbeiter sagte uns, der Wall sei früher so hoch wie eine Scheune ge-
wesen. Bei der ersten Abgrabung sei auch ein Schädelstück vom Menschen und
nördlich, nach dem Hause zu, eine Art Feuerherd aus Ziegel gefunden. In der That
zeigten sich auch jetzt noch in dem Wall hier und da grössere Bruchstücke von
rothem gebranntem Ziegel. Im Allgemeinen war jedoch die Anordnung des recht
kleinen üeberrestes so, dass in der Höhe Sand, dann eine schwärzliche Gulturschicht
von sehr verschiedener Mächtigkeit und unten wieder Sand kam. Aus der Gultur-
schicht habe ich selbst von unberührter Stelle Eisen genommen. An einer Stelle
zeigte sich darin eine trichterartige Ausweitung nach unten, in der grössere Kohlen-
stücke und gebrannte Thonstücke reichlich waren, also eine alte Heerdstelle.
Es kann daher kein Zweifel bleiben, dass es sich bei Wollstein, wie bei Karne
um wirkliche Burgwälle handelt und nicht um Schwedenschanzen, wenn auch darüber
nicht gestritten werden kann, ob der eine oder der andere gelegentlich in späterer Zeit
als Stützpunkt für eine militärische Unternehmung gedient haben mag. Beide ge-
hören der heidnischen Zeit an und wahrscheinlich ziemlich nahe an einander ge-
rückten Epochen. Insofern schliessen sie sich unmittelbar den gleich zu erörternden
Verhältnissen an, welche ich in dem nur um wenige Stunden südlicher, an dem anderen
Dfer der Obra gelegenen Priment antraf. Um die Verhältnisse zu verstehen, möchte
ich hier jedoch einige topographische Bemerkungen einschalten.
Wenn man diese Gegend auf einer etwas grösseren Spezialkarte betrachtet, so fällt
der Blick zunächst auf ein weithin von Osten nach Westen ausgedehntes, sehr breites
Bruchgebiet, das sogenannte Obrabruch. Noch bis vor wenigen Decennien ist das-
selbe so tief und sumpfig gewesen, dass man es nur an wenigen Punkten, und zwar
nur auf Fähren passiren konnte, und dass es drei schiffbarer Parallel-Kanale durch
dasselbe bedurft hat, um eine Entwässerung so weit herzustellen, dass die Wiesen
wenigstens zum grösseren Theil benutzbar geworden sind. Das Bruchterrain erstreckt
sich östlich bis nahe an die Warthe, mit der es bei Moszyn durch einen Kanal ver-
bunden ist; ein Seitenarm geht südlich in einer Richtung, die mehr dem oberen
Wartheiauf parallel ist, auf Kosten, Kriewen u. s. w. Auf der anderen Seite, nach
Westen, hat man gleichfalls awei verschiedene Verbindungen, die eine südlich zur
Oder, die faule Obra (Obrczycko), die zweite nördlich, der eigentliche Obralauf, der
durch eine Reihe von grossen Seen über Kopnitz, Bentscheu u. s. w. in die untere
Warthe bei Schwerin mündet. Uebersieht man das ganze Bruch im Zusammenhange,
so erscheint es nicht unwahrscheinlich, dass es sich um einen jener grossen Wasser-
züge handelt, wo einstmals in rein westlicher Richtung Verbindungen unserer
grossen Ströme bestanden haben. Bekanntlich nimmt man au, dass, bevor die
Höhenrücken im Norden durchbrochen wurden, die Oder und die Weichsel west-
liche Abflüsse zur Elbe hatten. Wahrscheinlich stellt das Obrabruch einen solchen
Abfluss dar. Die Warthe hält von Kolo in Russisch-Po»en bis Schrimm eine genau
westliche Richtung ein; von Schrimm wendet sie sich plötzlich nach Norden und
erst vor Obornik nimmt sie wieder einen westlichen Lauf. Von dieser nördlichen
Strecke beginnt, als eine regelmässige Fortsetzung, das Obrabruch, und aus ihm geht
in derselben Richtung gegen Westen die faule Obra hervor, welche unterhalb
(102)
Trebschen in die Oder mündet, gerade da, wo auch dieser Fluss eine stark westliche
Abweichung erfährt, deren Verlängerung wiederum auf die westliche Ablenkung der
Spree unterhalb Müllrose führt. Alle diese Linien sind in neuerer Zeit durch Kanäle
der SchiflFfahrt wieder erschlossen worden.
So viel ist sicher, dass dieses Gebiet in früherer Zeit überaus schwer passirbar
gewesen sein muss. Nun liegen auch von Priment südlich ausgedehnte Seenzüge
mit tiefen Moorbildungen, welche bis zur Melioration des Obrabruches fast unzugäng-
lich gewesen sind. An dem nördlichsten Ende des grossen und im Allgemeinen in der
Richtung von Norden nach Süden, also senkrecht gegen die Richtung des Obrabruches
ausgestreckten Primenter Sees, an der Stelle, wo zugleich das Obrabruch seine süd-
lichste Ausbiegung heransendet, liegt das Städteben Priment und dicht daneben nach
Westen, blos durch einen Wieseneinschnitt getrennt, der Ort Zaborowo. Das Gräber-
feld, von dem wir wiederholt gehandelt haben, befindet sich hinter dem letzteren auf
dem westlichen Ufer des Sees. Die Bronzecyste dagegen ist auf der anderen, östlichen
Seite unmittelbar am Rande des Obrabruches auf dem Gorwal gefunden worden.
Schon bevor ich meine Reise antrat, hatte mich Herr Thun ig, unser verdientes
Mitglied, benachrichtigt, dass es ihm gelungen sei, im Orte Priment selbst Ueber-
reste eines Burgwalles zu finden. In der That ergab sich, dass im nordwestlichen
Theile des Städtchens, unmittelbar am alten ßruchrande, zum Theil noch in dasselbe
hinein sich schwarzes Gartenland erstreckt, auf dem ein noch beträchtlich hohes,
jedoch von allen Seiten abgetragenes Wallstück sich erhebt. Gleich bei der ersten
Betrachtung sahen wir alle möglichen üeberreste; Thonscherben , Eisen, sehr be-
trächtliche Quantitäten von Nahrungsüberresten, ganze Massen von Hausthierknochen
und an einer Stelle namentlich grosse Mengen von gebranntem Getreide, unter welchem
dem Anschein nach Roggen, Weizen, Erbsen und Wicken nebst Unkräutern (Trespe
u. s. w.) vertreten waren. Ich habe eine hinreichende Quantität davon mitgebracht,
um sie dem Urtheil unserer sachverständigen Mitglieder zu unterstellen. Nachdem
ich das festgestellt hatte, erkundigte ich mich über den früheren Umfang des Walles,
und es ergab sich, dass seit vielen Jahren die Nachbarn davon abgegraben und die
Erde auf andere, zum Theil sehr weit entfernte Acker- und tiefer gelegene Bruch-
stellen abgefahren haben. So erklärte es sich, was früher schon die Aufmerksamkeit
des Herrn Thun ig erregt hatte, dass man an vielen Orten der Feldmark Urnen-
scherben findet. Ich traf selbst einen Wagen, der eben unterwegs war, um solche
Erde auszufahren, und ich kann daher die Fehlerquelle, welche durch dieses Ver-
schleppen der Altsachen entsteht, sehr bestimmt bezeichnen. Gegenwärtig ist nur
noch auf dem Grundstücke des Julian Woyciachowski ein etwa 6 — 8 Fuss hoher
Rest vorhanden. Früher soll der Wall jedoch haushoch gewesen sein. Dieser Rest
liegt im hinteren Theile des Hausgartens; von dem am Markte gelegenen Hause an
steigt das Terrain langsam bis zu dem Rande des Wallrestes. Als ich mich nun
bemühte, zu ermitteln, wie gross denn früher der Wall gewesen sei, kam ich
immer weiter in die Nachbargärten und endlich auf den Kirchhof, der nach einer
Mittheilung des Herrn Propst Poszwinski ursprünglich um die eigentliche Paro-
chialkirche herum gelegen hat. Diese ist später abgebrannt und nicht wieder auf-
gebaut worden, da später im südlichen Theile der Stadt ein Cisterzienserkloster er-
richtet ist und die Kirche desselben in Benutzung gezogen wurde. Auf dem Kirch-
hofe ist nur eine Kapelle erbaut worden. Als wir auf den Kirchhof kamen, war der
Todteugräber sehr erstaunt, uns da erscheinen zu sehen. Denn die Einwohner haben
keine langdauernde Theilnahme, wie es scheint, an ihren Verstorbenen. Auf dem
ganzen Kirchhofe ist auch nicht ein einziges Monument, gar nichts, was irgendwie
andeutete, wer da begraben ist. Nur eine Reihe flacher Kindergräber war mit
(103)
frischen Kränzen von Kuhblumen (Caltha palustris) belegt. Der Todtengräber beob-
achtete una zuerst aus der Ferne; als er aber sah, dass wir den frischen Gräbern
und entblössten Stellen nachgingen und Thonscherben aufhoben, kam er hinzu
und sagte uns, Scherben und Knochen könnten wir sehr viel bekommen. Er führte
uns zu einem offenen Grabe, und es ergab sieh, dass bis zu einer grossen Tiefe die
Erde voll von allerlei prähistorischen üeberresten war. Wir konnten die prächtigsten
Objekte, namentlich grobe Scherben mit dem Wellen- und Punktir-Ornament, sowie
zerschlagene Thierknochen in grossen Mengen sammeln. Der Kirchhof liegt auf der
höchsten Stelle des Ortes, unmittelbar am Bruchrandc gegen Osten; er st<")sst an-
dererseits an den gleichfalls höher gelegenen Marktplatz. Wir umgingen dann die
Kirchhofsmauer aussen und gruben an ihrem Ostrande bis auf 4 Fuss Tiefe, üeberall
fand sich nur schwarze, aufgeschüttete Erde mit Thierknochen und Topfscherben,
Ks konnte daher nicht zweifelhaft sein, dass die erste Kirche mitten auf einem alten
Kjökkenmödding oder wenigstens auf einer alten Ansiedelungsstätte errichtet sei.
Ich habe alsdann meine Wanderung längs des Bruchrandes gegen Süden, in der
Richtung gegen das Kloster, fortgesetzt, üeberall wiederholten sich die ähnlichen
Funde, auch in den hier verhältnissmässig tiefen Gärten. So zeigte uns der Kauf-
mann Cichoszewski, dessen Grundstück vom Markt bis an den Klostergarten
reicht, am äusseren umfange seines Gartens gegen das Bruch hin eine Reihe starker
Pfähle, welche reihenweise standen und tief in den Boden reichten. Seiner Angabe
nach hatte er schon viele ausgezogen , die in sehr verschiedenen Stellungen zu ein-
ander befindlich gewesen. Der Boden dazwischen war aufgetragen über Torf, und
voll von Topfscherben und Knochen. Auch im Klostergarten selbst fanden sich überall
ähnliche Gegenstände, so namentlich ein schöner Thonwirtel. Das Kloster liegt
dicht am Rande des Moores, welches hier das Nordende des Primeuter Sees um-
giebt. Vor ihm im Moor sind vor einigen Jahren zahlreiche Pfähle ausgegraben
worden. Eine Reihe derselben konnten wir noch verfolgen bis zu der Strasse, welche
nach Zaborowo führt. Hier steht nördlich an der Strasse ein Bildhaus des heil.
Johannes auf einer Ecke des erhöhten Terrains, und in den Gräben, welche es um-
geben, sieht man noch einen Rest von senkrechten und horizontalen Pfählen sehr
alter Anlage.
So bin ich schliesslich zu der Ueberzeugung gekommen, dass der ganze Ort
Priment oder, anders ausgedrückt, die ganze Insel, welche sich zwischen dem See
und dem Obrabruch, rings umgeben von Moor, vorfindet, eine alte Aufschüttung aus
der Burgwall-Periode ist. Denn wo wir auch unsere Grabungen ansetzten, kamen
wir immer wieder auf dieselbe schwarze Erde ohne Schichtung, ohne natürlich ge-
wachsenen Boden, und der ganze Ort erwies sich als ein künstlich aufgebauter, um-
fangreicher Hügel, der die verschiedensten üeberreste der Vergangenheit in sich
schloss. Es vf-dT das um so mehr interessant, als daraus mit einiger Wahrschein-
lichkeit hervorgeht, dass in einer noch früheren Zeit wahrscheinlich an dieser Stelle
ein ganz schlechter Pass gewesen ist, der überhaupt nur zu gewissen Zeiten des
Jahres passirbar sein mochte, und der erst dadurch Festigkeit und Sicherheit ge-
wonnen hat, dass man diese künstlichen Anlagen errichtete.
Nachdem Herr Propst Poszwiuski mir mitthcilte, dass es noch im vorigen
Jahrhundert Kastellane von Priment gegeben habe, bin ich bemüht gewesen, die
Verhältnisse historisch weiter aufzuklären, und ich habe wenigstens Einiges gefunden.
In der That führt Kolof) unter den Castellauei minores von Grosspolen den
') Kolof, Hist. Polon. et inagni dacatus Lith. Script. Collectio Varsav. 1761. T. I.
p. 176.
(104)
Praementensis auf und er nennt") Praemecz selbst eine hölzerne Stadt (civitas lignea).
Raczynski-) erwähnt nach einer Originalurkunde einen Kastellan Adalbert (Wojciech)
bei dem Jahre 1245. Der Sage nach sei der Ort jedoch schon im zehnten Jahr-
hundert zur Zeit der Kriege mit König Heinrich I. von Deutschland gegründet,
um den fliehenden Polen Schutz zu gewähren (Przyj(;t von przyjac, partic von
przyjt'ty). Als die Cisterzienser 1418 von Wielen nach Priment übersiedelten, seien
wahrscheinlich die Mauern der Feste umgewandelt worden; wenigstens geschehe
seitdem der Feste (Zamku, Schloss, Castruni) keine Erwähnung mehr. Es wird nach
diesen Citaten kein Zweifel darüber bestehen können, dass wir hier ein altes sla-
visches Castrum aufgefunden haben, dessen Anlage weit in die Vorzeit zurückreicht,
vielleicht sogar über die slavische Periode hinausführt. In die eigentliche Geschichte
tritt die Burg erst 1242, wo sie bei dem Abfall der Polen eine Zeitlang dem Herzog
Boleslaus dem Kahlen von Glogau treu blieb. Auch später erstreckte sich das Macht-
gebiet der Glogauer Herzöge häufig bis in diese Gegenden.
In Bezug auf den Burgwallrest habe ich noch mehrerlei Spezialitäten anzuführen,
indessen ist es vielleicht geeignet, zunächst dreierlei zu betonen.
Erstens war es mir von Interesse, die Mannichfaltigkeit von Hölzern zu sehen, die
sich unter den verkohlten üeberresten in dem Burgwalle vorfanden. Es waren ungewöhn-
lich grosse Stücke unter diesem Holze, namentlich von Eichen, Elsen und Kiefern,
aber auch von Ulmen.
Das Zweite war, dass in dem Burgwalle an verschiedenen Orten menschliche
Gerippe gefunden worden sind, früher schon von Erwachsenen; wir selbst haben
Kinderskelette ausgegraben in einer Lage und Tiefe, welche es durchaus unwahr-
scheinlich machte, dass sie etwa einer späteren Zeit angehören, denn es liess sich
auf dem Durchschnitt, vermittelst dessen wir auf diese Leichen kamen, durchaus
keine Unterbrechung der Schichten erkennen. Die Succession der Absätze, wo
zuerst Kohle mit Knochen, dann Kohle mit Fischschuppen, dann eine Lehmschicht
kam, lief über diese Stellen regelmässig fort. Es ist mir allerdings nur gelungen,
einen Schädel eines Erwachseneu zu erlangen, aber dieser ist ausgemacht dolichoce-
phal; er stimmt also durchaus nicht mit der Prämisse von der Brachycephalie der
Slaven. Da ich jedoch, wie Sie wissen, mit Bezug auf die Dolichocephalie der
Polen immer einen besonderen Vorbehalt gemacht habe, so überraschte mich dieser
Befund weniger. Trotzdem will ich nicht behaupten, dass der Fund etwas beweist;
indessen ist er deshalb bemerkenswerth, weil einige andere, in der Nähe ausgegrabene
Schädel gleichfalls dolichocephale sind.
Endlich das Dritte, was mir sehr auffallend war, ist das Vorkommen einer
grossen Scherbe mit ausgezeichneten Mäandern. Sie wissen, dass namentlich durch
die Arbeit des Herrn Host mann über das Gräberfeld zu Darzau die Aufmerksam-
keit auf die Mäander-Gefässe, die bei uns zu den grossen Raritäten gehören, gelenkt
worden ist. Nun hatte schon früher Herr Thunig auf dem westlichen Ufer des
Primenter Sees, auf einem Ackerstück an der Grenze des Gutes Zaborowo, eine
kleine, glänzend schwarze, sehr feine Scherbe mit höchst elegantem Mäander
gefunden; indess legte ich weniger Werth darauf, weil ich bei eigenem Umhersuchen
') Ibid. p. 50.
*) Ed. Raczynski, Wspomnienia Wielkopolski to jest Wojewodztw Poznanskiego, Kalis-
kiego i Gnieznienskiego. Poznan 1842, p. 224. Die Angabe von Wuttke (Städtebuch des
Landes Posen. Leipz 18ß4. S. 418), dass es schon 1241 in Priment, ein Cisterzienserkloster gab,
ist wohl ein Missverständniss; 1278 wird allerdings das Kloster der Cisterzienser in Wielen
erwähnt, aber erst 1418 erfolgte ihre üebersiedeliing. .\uch das ist ein Irrthum von Wuttke,
dass Priment jetzt den Mamen Primentdorf habe. Primentdorf liegt vielmehr südöstlich von dem
Städtchen, ganz getrennt davon.
(105)
dort nichts Aehnliches antraf und weil mir seihst das Alter des Stückes zweifelhaft
war. Indess schickte mir eines Tages Julian Woyciachowski eine grosse
schwarze Urne mit Mäanderverzierung, die im Walde, von Primentdorf ausgegraben
sein sollte, mit einem zusammengebogenen eisernen Schwerte und anderen Pjisen-
sachen. Endlich fand sich unter den Thonscherben des Primenter Burgwalles ein
grösseres Fragment von braunem, gebranntem Thon, welches in Bezug auf die Bil-
dung des Randes eine grosse Aehnlichkeit mit den übrigen Burgwalltöpfen darbietet,
auch unter dem weit umgelegten Rande eine feine Leiste mit länglichen schrägen
Eindrücken zeigt, aber doch sehr roh ist. Der Mäander ist sehr gross ausgelegt und
er besteht durchgehends aus zwei glatten Parallellinien, zwischen welchen eine punk-
tirte Linie angebracht ist. Mir ist sonst aus der Provinz Posen nur noch eine Abbil-
dung des Herrn Crüger'), leider ohne Fundort, bekannt. Von Gross -Czettritz
in der Neumark bezitzt das Museum ein derartiges Stück (v. Ledebur, das k. Mu-
seum S. 65. Taf. IV. Nr. L 73).
Die genauere Untersuchung des Primenter Burgwalles, an welcher sich auch die
Herren Oberförster Kör ig und Kreisphysikus Dr. Koch sehr lebhaft betheiligten,
wurde von uns am 1. Mai in der Art vorgenommen, dass die innere Seite (nach dem
Hause zu) zunächst in grösserer Ausdehnung abgestochen und dann der Grund bis
auf 10 Fuss unter der scheinbaren Bodenfläche aufgegraben wurde. Auf natürlichen
Boden stiessen wir hier nirgends. Es war immer dasselbe schwarze, aufgeschüttete
Erdreich mit allen möglichen Einschlüssen, und noch in der erwähnten Tiefe wurden
einige Scherben und Knochen, gelegentlich auch ganz grosse Geröllsteine zu Tage
gefördert. Nur in gewissen Richtungen war die schwarze Erde von gelben Lehm-
streifen und gelegentlich auch von grösseren gebrannten und mit Stroh gemengten Lehm-
klumpen unterbrochen. Nach oben hin wurde die Schichtung immer deutlicher, jedoch
waren die einzelnen Schichten von sehr verschiedener Stärke; auch liefen dieselben
keineswegs durch die ganze Aufschüttung, sondern an verschiedenen Stellen zeigte sich
ein ganz verschiedener Aufbau. Mehrfach fanden sich gesonderte Abtheilungen im Innern,
z. B. an der Stelle, wo das gebrannte Getreide lag; hier und da, namentlich an der
gleichfalls zum Theil abgestochenen östlichen Seite, kamen auch grössere Einsenkungen
von flach trichterförmiger Gestalt vor. Hier lagen auch die Kindergerippe. Manch-
mal kamen wir auf Schichten geschlagener, zum Theil auch gebrannter Feldsteine.
Am häufigsten jedoch waren Thierknochen, Scherben und Kohlen.
Von Thieren konnte ich Schwein (sehr zahlreich), Rind, Schaaf, Pferd, Reh
und Hirsch constatiren. Auch einzelne Vogelknochen waren darunter. Die Knochen
waren zum grössten Theil geschlagen, selbst die Unterkiefer gespalten. Von bearbei-
teten Knochen fand sich ein Schlittknochen , eine zerschnittene und gesägte Rehkrone
und eine an der Spitze kantig polirte Zacke von einem Hirschgeweihe. Schuppen und
Grähtcn von Fischen, namentlich vom Zander, hauptsächlich aber vom Barsch, bildeten
an der Seitenfläche zusammenhängende Lager.
Die Thonscherben zeigen eine gewisse Mannichfaltigkeit. In der Oberfläche lagen
einzelne mittelalterliche und moderne Stücke. Dagegen kamen aus der Tiefe mehrere
feinere, glatte, schwarze Stücke zum Vorschein, welche sich mehr dem Typus der
Graburnen anschliessen , mit starken, aber engen Henkeln und tiefen, vollkommenen
Ornamenten. Sie dürften einer älteren, vielleicht sogar vorslavischen Zeit an-
gehören. Sonst waren fast alle Scherben grob, mit Steingrus gemengt, körnig, hell-
grau, die Mehrzahl ohne alles Ornament oder mit einfachen, tiefen Horizontalfurchen,
ohne Henkel, mit stark umgebogenem, scharf geformtem Rand und kürzerem Hals,
') G. A. Crüger, Ueber die im Reg.-Bezirk Bromberg aulgefundenen .Alterthümer. Mainz
1872, Taf. 1, Fig. 6 und 7, S. 14.
(106)
offenbar zu grösseren Töpfen gehörig, (iut ausgebildete Wellenornamente waren nur
spärlich, dagegen schiefe Punktlinien in schönster Ausbildung nicht selten. Einzelne
Scherben hatten tiefe Linien in Winkelstellung. Auch kamen sehr dicke Stücke mit
erhabenen Leisten, einzelne mit tiefen Eindrücken auf den Leisten vor. Mehrere
Topfböden haben Stempel: einer zeigt ein Rad, bis zum Verwechseln übereinstim-
mend mit einem Stück aus dem Pfahlbau vom Daber-See (Zeitschr. f. Ethnol. Bd. III,
Taf. VI, Fig. VI); ein anderer gleicht einem Stücke von Königgrätz.
Metall war im Ganzen spärlich, selbst das Eisen häufig verschlackt und daher unkennt-
lich. Einzelne, sehr verwitterte, grünliche Klumpen und kleine Stücke von Drahtringen
schienen von Bronze oder Messing zu sein. Eine kleine eiserne Axt war schon früher gefunden.
Ich muss endlich erwähnen, dass an gewissen Stellen bei der früheren Aus-
grabung nach Aussage des Woy ciachowski auch senkrecht stehende Pfähle ge-
standen haben sollen, — eine Angabe, welche mit Rücksicht auf die früher erwähnten
Pfahistellungen an anderen Punkten es allerdings wahrscheinlich macht, dass auch hier
die erste Anlage im Moorboden auf einer Pfahlunterlage begonnen worden ist.
Soviel über diese merkwürdige Anlage. Obwohl nicht eigentlich hierher gehörig,
will ich doch noch anführen, dass wir am Südende des Primenter Sees in der Nähe
des Dörfchens Städtel (Myastecko) inmitten eines sehr niedrigen Bruchterrains, wel-
ches vor der Anlage der Obra -Kanäle fast ganz unzugänglich gewesen ist, eine
flache Insel von einigen Morgen Grösse fanden, welche so dicht mit üeberresten des
Mittelalters erfüllt war, dass fast jeder Spatenstich Topfscherben und zahlreiche
Eisensachen (Waffen, Schlösser, Ketten, Hausgeräth u. s. w.) förderte. Auch wurden
mehrere Steinkugeln von der Grösse der Kanonenkugeln gefunden. Offenbar muss hier
eine Zufluchts- und Vertheidigungsstelle des früheren Mittelalters gelegen haben. —
Der letzte Theil meiner diesmaligen Mittheilungen bezieht sich auf gewisse
Kunstgegenstände, welche der Bronzezeit angehören. Ich will jedoch aus der
Menge desjenigen, was ich auf meiner Reise an Bronzegeräth in Sammlungen ge-
sehen habe, nur einige Hauptsachen betonen:
Erstens lernte ich im böhmischen Museum eine sehr überraschende Combination
kennen, welche zugleich einigen Aufschluss giebt über die Bedeutung eines Geräthes,
über das man bisher nicht recht ins Klare kommen konnte. Es ist nehmlich in der
Nähe von Budweis bei Plavno vor einigen Jahren ein grosser Grabhügel aufgedeckt
worden, in dem das unverbrannte Skelet einer Leiche mit ungewöhnlich gut erhal-
tenen Schmuckgegenständen gefunden worden ist. Es ist sogleich grosse Auf-
merksamkeit auf die Sache verwandt worden , und der Gustos des böhmischen Mu-
seums, Herr Bennesch, hat nicht nur selbst den Fund gehoben, sondern auch die
sehr grosse und dankenswerthe Sorgfalt gehabt, das ganze Skelet auf einer grossen
Platte auszubreiten und es genau in der Art, wie es gefunden worden, zu fixiren.
Um dieses Skelet war eine Menge sehr schön blaugrün patinirter Bronzen in ausser-
ordentlichem Reichthum verbreitet. Es fanden sich Reste eines ledernen Gewandes,
welches den Körper bedeckt hatte und welches ganz besetzt gewesen ist mit flachen
Bronzebuckeln. Herr Bennesch hatte die Güte, mir ein paar Specimina davon zu
übergeben: einen grossen Buckel von 8 Cm. Durchmesser und 1 Cm. Höhe mit
ganz prachtvoller Patina, und zwei kleinere von 32 Mm. Durchmesser und 5 Mm. Höhe.
Mit solchen Scheiben oder Buckeln war das ganze Gewand von oben bis unten voll-
ständig besetzt, also ein ganz ungewöhnlicher Reichthum. Der Rand der grösse-
ren Scheibe ist mit vier Löchern zum Aufnähen auf das Gewand versehen;
zwischen den Löchern ist eine feine Punktlinie angebracht. In demselben Grabe
lag eine Menge von anderen Dingen: jederseits zwei offene Armringe, kleine
Spiralpiatten , eine hohle Lanzeuspitze und allerlei andere Bronzen, unter denen
(107)
namentlich eine war, die mich aufs höchste überraschte. Sie kennen alle jene un-
gewöhnlich langen Bronzenacleln , die man in verschiedenen Museen findet, Nadeln,
die l bis 1 '/•.• l*^»»» lang sind und am Ende gewcihnlich eine Reihe grösserer Knöpfe
oder Scheiben besitzen, die sich mehrfach wiederholen. Da man sonst nichts mit
diesen Nadeln anzufangen wusste, so hat man sich schliesslich damit geholfen, dass
man sie für Haarnadeln erklärte, indem man annahm, dass dieselben durch einen
sehr dicken Haarschopf durchgespiesst worden seien , wie bei den heutigen Papuas.
Bei dem erwähnten Skelet fanden sich zwei solcher Nadeln, allein nicht am Kopfe,
sondern merkwürdiger Weise jederseits am Oberschenkel, und zwar parallel dem
letzteren. Ks scheint daher nichts übrig zu bleiben, als anzunehmen, dass diese
Nadeln dazu gedient haben, um entweder das Ledergewand, was vielleicht an den
Seiten offen war, zu schliessen oder andere Kleidungsstücke zu befestigen. Jeden-
falls kann man sich nicht vorstellen, wie diese Nadeln an die Seite der Oberschenkel
hingekommen sind, wenn sie nicht in Beziehung zu der Bekleidung gestanden haben. —
Ich bemerke übrigens, dass zugleich zahlreiche Thongeräthe gehoben wurden, nament-
lich eine ganz grosse Urne mit niedrigem, aber engem Halse und zahlreiche kleine
flache Schalen mit centralem Eindruck am Boden und schrägen, übrigens mit
weisser Einlagerung versehenen Strichen, ganz ähnlich den in Gräbern der Lausitz
so häufig vorkommenden Thonschalen.
Sodann will ich ganz kurz erwähnen, dass gerippte Bronzeeimer, wie
derjenige, welchen ich Ihnen in der Sitzung am 13. Juni 1874 vom (iorwal bei
Priment vorgeführt habe, im Provinzialmuseum zu Hannover vorhanden sind, von
denen einzelne in der That ganz übereinstimmen. Leider ist keiner davon vollständig
erhalten; namentlich die oberen Theile sind alle etwas unvollständig. Die genauere
Beschreibung dieser Gefässe ist früher von Einfeld in einer „den Theilnehmern
an der allgemeinen Versammlung deutscher Geschichts- und Alterthumsforscher zu
Hildesheim" gewidmeten Festschrift des Historischen Vereins für Niedersachsen,
Hannover 1856, geliefert, auch einer der Eimer von Luttum damals abgebildet
(Fig. 5) worden. Nach diesem Berichte (S. 31) wurden drei solcher Gelasse in
Hügeln bei Luttum, Amt Verden, gefunden. Auf zweien derselben befanden sich
Deckel von gewöhnlichem Thon und in dem einen eine gewöhnliche Nadel von
Eisen; ausserdem lagen nur üeberbleibsel verbrannter Gebeine darin. Der best-
erhaltene zeigte 8 Rippen und 7 Niete; zwischen den Rippen sah man Reihen
kleiner Punkte, welche der Berichterstatter, wohl irrthümlich, auf Eindrücke der
Ränder der Walze bezog. Wesentlich abweichend von dem Eimer vom Gorwal ist es,
dass in dem umgelegten Rande eine Ruthe von Holz gelegen haben und dass die
beiden Henkel von Eisen gewesen sein sollen. Es wird ausserdem ein vierter
Eimer beschrieben (S. 38), der in einem Grabhügel auf einer Haide zwischen
Nienburg, Holtop und Wölpe in der Nähe der Weser gefunden wurde. Auch er
hatte einen Deckel von Thon und zwei eiserne Henkel; er enthielt Nadeln von Eisen,
darunter eine mit bronzenem Knopf, Nadeln und Ohrringe von Bronze und eine
Klammer von Eisen. Er besass 9 Rippen und dazwischen Punktlinien. Die che-
mische Analyse ergab bei allen diesen Eimern ausser Spuren von Eisen nur Kupfer
und Zinn in den gewöhnlichen Verhältnissen der alten Bronze und im Gegensatze
zu einigen deutlich römischen Eimern, in denen Zink reichlich vertreten ist.
Fast ganz übereinstimmend mit dem Gorwal-Eimer ist derjenige von Pansdorf
im Fürstenthum Eutin, von dem ich durch die Güte des Herrn Oberförster Hang
inzwischen eine genaue Beschreibung und Abbildungen erhalten habe. Ich werde
dieselben bei einer anderen Gelegenheit vollständig mittheilen; hier bemerke ich
nur, dass der Eimer ausser calcinirteu Menschenknochen nur ein halbmondförmiges
(108)
Messer von Eisen enthielt, dass er ausser dena Rande 12 Rippen und dazwischen
Punktlinien zeigt, dass er zwei ganz ähnliche, nur anscheinend glatte Henkel und
einen durchaus ähnlichen Boden hat. Selbst bei unmittelbarer Vergleichung der
Photographie mit dem Gorwal -Eimer hat man Mühe, einen unterschied zu ent-
decken.
Auch im böhmischen Museum ist es mir gelungen, ein ganz analoges Objekt,
einen ausserordentlich schönen Bronzeeimer zu finden. Derselbe ist bei Strakonitz,
im südwestlichen Böhmen, unterhalb des „verglasten Berges" (Sklenena hora) ge-
hoben worden. Es giebt daselbst Hügelgräber, aus denen zahlreiche und schöne
Funde hervorgegangen sind. Die Einrichtung dieses Eimers stimmt so vielfach
überein mit dem, was der Eimer von Priment zeigt, dass die gemeinsame Abstam-
mung, wie ich glaube, in keiner Weise in Zweifel gezogen werden kann. Nament-
lich zeigt der Boden nicht nur dieselbe Abwechselung breiterer und schmälerer,
erhabener und vertiefter Ringe, sondern auch dieselben unregelmässigen, oberflächlichen,
von der Mitte aus nach aussen gezogenen Radiallinien, wie der Gorwal-Eimer. Er
ist gleichfalls 21 — 22 Cm. weit und mit prachtvoller, grünblauer Patina überzogen;
sieben flachrundliche Rippen von 8 — 9 Mm. Breite stehen in etwas ungleichen
Zwischenräumen von 10 — 12 Mm. Dagegen fehlen die punktirten Zwischenlinien
und die Henkel; der Rand ist einfach umgelegt, die Niete sind ganz glatt, und das
sehr dünne Blech ist durch sie nach innen ausgetrieben. Soviel ich erfahren konnte,
ist nichts darin gewesen. — Der Fund ist von besonderer "Wichtigkeit, als wir da-
durch das erste Verbindungsglied zwischen Hallstadt und den nördlichen Fundstätten
gewinnen, so dass die von mir früher geäusserte Ansicht über die Richtung, in
welcher der Import dieser Gefässe stattgehabt hat, eine werthvolle Bestätigung
erfährt.
Eine weitere, sehr bedeutungsvolle Thatsache in derselben Richtung erkenne
ich in einem Funde, der im Jahre 1854 in Svijany in der Nähe von Turnau,
also im nördlichen Böhmen, gemacht worden ist. Die Gegenstände wurden in
der Erde bei einer Ziegelhütte ausgegraben. Ausser mehreren anderen Bron-
zen') wurden 15 Vögel von Bronze in allen möglichen Grössen gesammelt.
Dieselben bieten alle diejenige Form dar, die ich in den Sitzungen vom
18. October und 6. December 1873 in Bezug auf die Bronzewagen und eine
Reihe von anderen Bronzegeräthen erörtert habe. Sie bilden einen merkwür-
digen Uebergang insofern, als die sämmtlichen Vögel viel mehr ausgeführt sind,
als dies gewöhnlich der Fall ist. Sie gleichen am meisten Schwänen. An
einem langen gebogenen Halse sitzt ein rundlicher Kopf mit Augen und einem
sehr langen platten Schnabel. Der Leib ist abgeplattet, länglich und hohl. An
seiner Unterseite findet sich meist ein hohler, etwas abgeplatteter Stiel; der eine Vogel
hat einen kürzereu viereckigen soliden Stiel, von dem man sieht, dass er dazu gedient
hat, in irgend etwas, z. B, einen Stab, hineingetrieben zu werden. Bei einigen hängt
unter dem Schnabel ein Ring, an welchem eine Reihe von Zierrathen sitzen, also
eine Art von Klapperwerkzeug, so dass mau nicht in Zweifel sein kann, dass diese
Vögel auf Stangen aufgesetzt wurden , geklappert haben und bei Festlichkeiten ge-
tragen worden sein müssen, etwa wie bei unserer Janitscharenmusik.
Dabei will ich erwähnen, dass ich im herzoglichen Kiinstmuseum zu Braun-
schweig ein grosses flaches Bronzegefäss mit engem Halse sah, dessen glatter, ge-
gossener Henkel mit einem Vogelkopfe verziert ist.
') Die archäologische Sammlung im böhmischen Musenm S. 38 — 39, Nr. 75 — 92.
(109)
Ich würde noch mancherlei aus dem an Bronzen ungemein reichen böhmischen
Museum erzählen können, aber das Mitgetheilte schien mir ganz besonders von Inter-
esse zu sein, weil diese besondere Vogelteclinik einen bestimmten Faden für den
Nachweis jener Verbindung darbietet, die vom fernen Süden bis nach Skandinavien
sich verfolgen lässt.
Nur ein Stück möchte ich noch erwähnen, nämlich eine zu Hradiste bei Pisek
gefundene, hohe Bronzekanue mit schnabelförmigem Halse und schön ausgeführten
Figuren am Henkel, ganz von der Form der in Mainz und Eygenbilsen gefundenen,
in der letzten Zeit besonders gewürdigten Gefässe. Von derselben Stelle stammt eine
grosse flache Bronzeschale, welche aussen am Rande einen laufenden Hund zeigt.
Mir war der Fund um so mehr bemerkenswerth, als mir am Tage darauf der Weih-
bischof von Olmütz, Fürst Lichnowski, eine ganz ähnliche Schnabelkanne von
Bronze aus Pompeji zeigte.
Zum Schluss wollte ich noch ein paar Worte sagen über meine letzten Aus-
grabungen auf dem Gräberfelde bei Zaborowo. — Wie ich schon hervor-
gehoben habe, nimmt das Gräberfeld die Ecke ein, wo der Primenter See eine fast
rechtwinklige Biegung gegen Westen macht. Es bedeckt eine sehr sanfte Anhöhe,
von der aus das Terrain gegen den See hin sich abflacht. Wir haben wiederum
eine grössere Zahl von Gräbern geöffnet, die in ihren Hauptconstructionen mit den-
jenigen übereinstimmten, welche ich in der Sitzung vom 14. November 1874 geschil-
dert habe. Wir haben dabei eine Reihe vortrefflicher Bronzen gefunden, aber auch
mit grosser Beständigkeit Eisen, und je sorgfältiger wir suchten, um so reichhaltiger
sind diese Eisenfunde ausgefallen. Unter den Bronzen ist ein Stück von ganz
hervorragendem Interesse. Sie werden sich erinnern, dass ich das vorige Mal
eine Spiralplatte aus Bronzedraht vorlegte, welche in Verbindung mit einem
dicken Bügel stand, im Uebrigen jedoch zerbrochen war, welche jedoch keinen
Zweifel darüber Hess, dass sie zu einer Fibula gehört haben musste. Ich habe
damals nach Analogien gesucht und ich habe sie auch zu finden geglaubt. Wie
das aber häufig geht, so zeigte die Erfahrung, dass ich mich doch getäuscht habe;
denn diesmal wurde dieselbe Form in einer fast noch ganz vollständig erhaltenen
Fibula aufgefunden, aber in einer allerdings ganz ungewöhnlichen und für unsere
Verhältnisse in der That einzigen Erscheinung. Sie sehen hier dieses Instrument
(Taf. VIII, Fig. 1), welches ganz anders gebaut ist, als mau sich das vorstellen
konnte. Die Spiralplatte, den Bügel und die Nadel hatte ich schon früher; ich
hatte mir vorgestellt, dass die Nadel vom Ende des Bügels direct hinübergegangen
sei zu der Spiralplatte, oder dass sie sich an eine zweite Platte angeschlossen habe;
statt dessen zeigt sich hier, dass der Bügel von der Spiralplatte ausgelit, sich dann
unter einem rechten Winkel in eine Spirairolle fortsetzt und dann erst in die Nadel
übergeht. Letztere ist am Ende freilich abgebrochen, aber es ist kein Zweifel, dass
sie durch den Draht der Spiralplatte, der hier einen vorspringenden Haken bildet,
aufgenommen wurde. Das ist das vollständige Instrument, gewiss ganz ungewöhnlich
und zugleich von einer Grösse, die man bei uns selten zu sehen bekommt. Das
ganze Stück ist 86 Mm lang, der Bügel 58, die Spiralrolle (Balken) 70 lang und
G dick, die Spiralplatte misst 29 in der Quere, 34 in der Höhe. Der in der Mitte stark
nach vorn gebogene Bügel trägt an der Seite schräge, zu 3 — 5 in Gruppen gestellte
eingravirte Striche, welche abwechselnd gegen einander geneigt sind. In der noch
sehr elastischen Spiralrolle schien eine Axe von Holz gesteckt zu haben. Mir ist
nur ein einziges ähnliches Exemplar bekannt, nehmlich eine Fibula aus der
ungarischen (iruppe, welche Herr Hans Hildebraud (Les fibules de läge du
(110)
bronze. Stockholm 1871) abbildet und für welche er mannichfache Uebergänge zu
reicheren Formen nachweist'). Gewiss also ein überaus merkwürdiger Fund.
Es ist mir sodann wiederum gelungen , einen grossen dicken ßronzering zu
finden, der oben ausserhalb um eine Ascheu-Ürue herumlag und den Deckel der-
selben gleichsam auf der Urne befestigte, wie es mir andererseits auch wieder ge-
glückt ist, ganz ähnliche Ringe aus Eisen zu treffen, die freilich fast ganz durch
Rost zerstört sind.
Sehr interessant ist es ferner, dass wir nunmehr auch aus Urnen hohle Bronze- Gelte
gewonnen haben, und zwar in zwei Formen : die eine (Taf. VIII, Fig. ö und 6) mit
seitlichem Oehr und drei Einschnitten oder Erhabenheiten auf der Fläche am Ueber-
gänge vom Stiel zur Schneide; die andere (Fig. 4) einfacher, glatter, mit dickem,
umgelegtem Rande und ohne Oehr, aber in der Form gefälliger als jene. Letzteres
Stück ist dadurch bemerkeuswerth, dass in dem Schaftloch noch ein Stück des Holzes
steckt, welches offenbar bei Lebzeiten des Begrabenen als Stiel gebraucht worden ist.
Die Grösse dieser Stücke ist folgende: Der einfache Gelt ist 70 xMm. lang, an der
Schneide 40 Mm. breit, an der Tülle 30 breit und 24 dick. Der eine gehenkelte
Gelt (Fig. 5) hat eine Länge von S8 Mm., eine Breite an der Schneide von 38, in
der Mitte von 22, an der Tülle von 31 Mm. bei 29 Mm. Dicke; sein Stielende ist
mehr rundlich. Der andere gehenkelte (Fig. 6) hat eine sehr dicke Tülle und ein
sehr tief angesetztes Oehr; er ist 56 Mm. lang, an der Schneide 29, in der Mitte
25, au der Tülle 26 bei einer Dicke von 25. Anch der ungeöhrte Gelt ist für
unsere Gegenden eine äusserste Seltenheit.
Es gab weiterhin eine grosse Fülle von Haarnadeln und Haarringen. Die hüb-
schesten unter den Haarnadeln sind diejenigen, wo der Knopf entweder eine be-
trächtlichere Grösse hat (Fig. 8), oder wo er noch mit spiraligen Einschnitten
besetzt ist.
Ich erwähne ferner eine kleine Angel von Bronze (Fig. 2) mit seitlich umgebo-
gener Oehse, sowie ein flaches Schabemesser von Bronze (Fig. 3), wie ich früher
schon aus der Nähe des Gräberfeldes eines angeführt hatte, das ganz besonders merk-
würdig ist wegen der analogen Vorkommnisse in Eisen.
Das Einzelne nocli weiter vorzuführen, werden Sie mir heute erlassen; dagegen
will ich noch einer Spezialität erwähnen, über die wahrscheinlich in einer der näch-
sten Sitzungen ein eingehender Vortrag von Herrn Prof. Liebreich gehalten werden
wird, der nebst Herrn Prof. Salkowski die Güte gehabt hat, sich einer Reihe
von Analysen zu unterziehen. Es haben sich dabei zum Tlieil recht eigenthüm-
liche Ergebnisse herausgestellt. Ich will in keiner Weise vorgreifen; nur Eines
wird Sie interessiren , hier direct zu sehen. Ich war, als ich das vorige Mal Aus-
grabungen in Zaborowo machte, sehr überrascht, dass es mir ein paar Male passirte,
als ich eine scheinbar ganz reguläre Bronze, die so grün wie die anderen aussah,
herausnahm und mit dem Messer die Patina abkratzte, keine gelben Stellen zu er-
erhalteu. Als ich später die Feile anwendete, schien es mir, ich liätte Eisen vor mir, so
bläulichgrau war der Glanz der Oberfläche. Durch die Analyse hat sich trotzdem
herausgestellt, dass es Bronze ist. Wir lernen hier also eine vollkommen eisen- oder
stahl farbige Bronze kennen. Sie sehen hier zwei Stücke, die jedes an einer Stelle
angefeilt sind. Das eine ist gelbe Bronze, das andere ist diese graue Bronze. Die
graue Bronze ist in der chemischen Zusammensetzung gänzlich dift'erent; aber, wie
gesagt, ich will Herrn Liebreich nicht vorgreifen, der Ihnen das Nähere erörtern
') Vgl. auch Hans Hildobraml Hil(lol)raiiil, De förhistoriska folkeii i Europa. Stockh.
p. 174, Fi«. 9t;.
(111)
und bei dieser Gelegenheit zugleich die ßronzefrage in ausgedehnter Weise be-
sprechen wird. Wie es scheint, ist solche graue Bronze, wie wir sie hier aus den
Gräbern haben, früher nicht beobachtet worden.
Auch habe ich, was ich das vorige iMal ausdrücklich als Mangel urgirte, eine
grössere Reihe von Waffen aus Eisen getroffen, namentlich ein kurzes dolcli-
artiges Schwert, welches in allen seineu Theilen noch so vollständig ist, dass man die
ganze Länge des Blattes herstellen kann, und nicht blos das Blatt, sf.ndern üwh die
Form des Griffes u. s. w. Am Griff war etwas Bronzeblech befestigt; im Uebrigen
ist er aus Holz gewesen.
Was mich besonders interessirt hat unter den Eisensachen, war, dass ich erstens
ein unzweifelhaftes Stück eines Pferdegebisses und zweitens ein paar Male eigen-
thümliche längliche Körper aus Eisen gefunden habe, welche am unteren Ende kolbig,
aber viereckig waren, am oberen Ende in einen Haken übergingen, so dass sie genau wie
der Klöppel einer heutigen Schaaf- oder Kuh-Glocke aussahen. Ich habe freilich nichts
gefunden, was als eigentliche Glocke hätte betrachtet werden können, aber ich wüsste
nicht, als was diese Dinge sonst angesehen werden sollten, und die starke Ver-
rostung, in welche alle dünneren Eisentheile gerathen sind, dürfte wohl die zu den
Klöppeln gehörigen Glocken zerstört haben.
Unter den Thongeräthen ist es mir gleichfalls wieder gelungen, eine ziemlich
grosse Zahl von bemalten Sachen aufzufinden. Im Grossen und Ganzen schliessen
sich dieselben den früher bekannten Formen an, aber sie zeigen doch eine ziemlich
grosse Vollständigkeit der Ornamente. Die Farbe ist immer schwarz, roth, braun
und gelb, vielfach mit einander abwechselnd. Das Gelb ist gewöhnlich die Grund-
farbe des Thons. Dieser Thon ist ganz in der Form der südlichen Gefässe, meist
in Form kleiner, flacher Schalen bearbeitet, indessen habe ich auch einzelne grössere
Gefässe gefunden, welche ganz uud gar verziert sind. Sollte es mir gelingen, na-
mentlich eines von rother Farbe und sehr schlanker, krugartiger Gestalt, was freilich
in sehr viele Stücke gegangen ist, zu restauriren, so würden Sie gewiss nicht wenig
überrascht sein, zu sehen, welche abweichenden und von den gewöhnlichen Mustern
unserer sonstigen alten Thongefdsse verschiedeneu Formen hier auftreten.
Leider war die Zeit unserer Ausgrabung eine ziemlich ungünstige. Die Erde
war noch feucht und gerade während der Tage, die ich auf die Ausgrabung ver-
wandte, fiel fast fortwährend ein leichter Sprühregen, so dass die Gefässe in einer
solchen Weise erweichten, dass es wirklich zum Verzweifeln war. Fast jedes Gefäss
ging schliesslich auseinander, und es blieb mir bei den besseren nichts weiter übrig,
als sie sofort in Säcke einnähen zu lassen und so auszuheben, damit wenigstens die
Stücke zusammenblieben. So habe ich die Sachen transportirt und muss sie nun all-
mählich zusammensetzen.
Bei den Thongefässen will ich nur eines noch erwähnen, was mir früher nicht
in gleicher Weise entgegengetreten ist. Manche derselben sind offenbar mit einem
graphitischen Ueberzuge versehen, uud zwar von eiuer Sauberkeit und Feinheit
der Zubereitung, die geradezu überraschend ist. Wenn man diese Flächen befeuchtet,
so bekommen sie einen fast silberartigen Glanz, der ganz verschieden ist von dem,
welchen man sonst au schwarzen Gelassen sieht. Die Oberfläche hat zugleich eine
solche Glätte, dass man jede Scherbe eines derartigen Gefässes selbst in der Nacht
durch das blosse Gefüld unterscheiden kann. Bei genauerer Betrachtung erblickt
man ferner auch an solchen Stücken, welche nicht eigentlich oruamentirt sind, ge-
wisse feine Striche und eigenthümliche Linien. So ist z. B. in der kleinen Grube
eines Schäh-hens, welche die Mitte des Bodens einnimmt, äusserlieh ein deutliches
Kreuz zu sehen, während sonst zuweilen in ausgedehnter Weise auf der iuuereu
(112)
Flache tief eingedrückte Kreuze hervortreten. Sie können ferner auf der inneren
Fläche eine Reihe von Linien sehen, die nicht weiter ausgeführt sind, die aber ganz
deutliche geometrische Zeichnungen zusammensetzen. Jedoch ist das nur an nassen
Objecten gut zu sehen.
In verschiedenen Gräbern, welche weiblichen Personen angehörten und sich
auch sonst als solche erwiesen, fanden sich allerlei Schmuckgegenstände, namentlich
mehrfach blaue Glasperlen und kleine, jedoch meist fast ganz verwitterte glatte
Berusteinperlen. Hierhin gehört ein Fund von ganz ungewöhnlicher Bedeutung.
Ich besitze mehrere grosse durchbohrte Bernsteinperleu, die noch ziemlich klar sind.
Wenn man sie im vollen Lichte betrachtet, so zeigen sie ganz eigenthümliche, strah-
lige, von dem Loche nach aussen gehende Lichter, wie sie dem Bernstein an sich
nicht zukommen. Wir haben es hier also mit einer künstlichen Herstellung zu
thun, und zwar mit einer solchen, die höchst überlegt ist. Wenn man nehmlich in
die Oeffnungen der Löcher hineinblickt, so sieht man, dass unter der Oberfläche
von der Oeffuung des Loches aus kleine schräge Gänge in den Bernstein hineingear-
beitet sind. Es ist das offenbar sehr schwierig herzustellen gewesen. Nichtsdesto-
weniger, wenn Sie es genau betrachten, werden Sie sich überzeugen, dass es ganz
scharf gebohrte Gänge sind , die mit grosser Sicherheit angelegt und ausgeführt
sind. Bei Tageslicht macht sich der Bernstein in dieser Bearbeitung ausserordentlich
schön. Mau sieht auch hieraus, dass wir es mit den Ueberbleibseln einer künstlerisch
vorgeschrittenen und verhältnissmässig reichen Bevölkerung zu thun haben.
(14) Herr Virchow berichtet, unter Vorlegung eines Theiles der Fundgegen-
stände, über
prähistorische Funde hei Seelow (Provinz Brandenburg).
In der vorigen Sitzung erhielten wir einen Bericht des Herrn Kreisgerichtsrath
Ku|chenbuch über die bei dem Bau der neuen Eisenbahnlinie Wriezen- Frankfurt
a. d. 0. in der Nähe von Seelow gemachten Funde. Da mir schon früher von der
Direction der Berlin-Stettiner Eisenbahn, welche auch diese Linie baut, Miitheilung
von diesen Funden gemacht war und ich einen Besuch an Ort und Stelle zur wei-
teren Instruction der Baubeamten zugesagt hatte, so waren die wichtigen Bemer-
kungen des Herrn Kuchenbuch ein um so dringlicherer Grund für mich, die
Fundstellen einer genaueren Besichtigung zu unterziehen. Ich begab mich daher
am 18. April mit meinem Sohne Hans zunächst nach Gusow, wo mir Herr Wall-
bauni seine neueren Funde vorlegte, und dann unter der Führung dieses eifrigen
Forschers nach Seelow, wo der Herr Sectious-Ingenieur Müller mir die bis dahin
gesammelten Gegenstände übergab und uns zu den sehr umfassenden Durchstichen und
Abgrabungen leitete, vermittelst welcher die Hahnlinie von der Niederung des Oder-
thals auf das Plateau geführt werden soll.
Die kleine Stadt Seelow liegt schon auf der Höhe des Plateaus, jedoch dicht
am Rande desselben. Man hat von hier einen weiten üeberblick über das Oder-
bruch, welches hier seine grösste Breite erreicht. Die reiche und dicht bevölkerte
Niederung liegt von dem Wallberge bei Reitweiu (Sitzung vom 18. October 187o),
der gegen Süden wie ein Vorgebirge vorspringt, bis zu den Höhen von Oderberg
vor dem Beschauer ausgebreitet; jenseits der Oder sieht man in weiter Ferne die
neumärkische Hochfläche sich erheben. Steile Abfälle, vielfach durch tiefe Wasser-
linien eingeschnitten, begrenzen das diesseitige Plateau. Sie bestehen wesentlich aus
diluvialen Lagen, welche oben mit Lehm und Humus überdeckt sind. Die Höhen
steigen bis zu 42 Meter über den Amsterdamer Pegel an. Die Durchstiche haben
(113)
zunächst eine mächtige Lettenschicht, dann schieferigen, sehr festen Thon bloss-
gelegt; sie enden in der Regel in einer mächtigen Lage von grobkörnigem Diluvial-
sand. Darnach scheiden sich die Funde sehr einfach in alluviale und diluviale.
Herr Kuchenbuch hat die verschiedenen Fundstellen genau auseinander gehalten
und ich kann im Allgemeinen auf seine Darstellung verweisen. Indess stimmen seine
Angaben nicht durchweg mit den Aufzeichnungen im Baubureau, und ich werde daher
eine so weit als möglich topographische Zusammenstellung geben, wobei ich nur be-
dauern muss, dass die Autheuticität mancher Aufzeichnungen eben nur auf den An-
gaben der Arbeiter beruht und nicht über den Zweifel erhaben ist. Andererseits
fand ich ausser den von Herrn Kuchen buch angegebenen Kategorien von Funden
noch eine weitere , uehnilich unzweifelhafte Reste einer alten Ansiedelung, welche
der Zeit nach von dem Gräberfelde verschieden ist. Sie liegt, um die gewählte
Reihenfolge von Nord nach Süd oder genauer, von Nordost nach Südwest beizube-
halten, auf einer Senkung des Plateaus zwischen dem dritten und vierten Bergvor-
sprung und auf dem letzteren selbst, wobei zu bemerken ist, dass das Gräberfeld
sich auf dem dritten, und nicht, wie Herr Kuchenbuch sagt, auf dem vierten Vor-
sprunge befindet. Zur genaueren Verständigung nehme ich die officielleu Nummern
der einzelnen Baustrecken (Stationen), wie sie für die Abtheilung aufgestellt sind.
Darnach fallen
1) auf den ersten, nördlichsten Vorsprung die Nummern 278 — 80,
2) auf den zweiten die Nummern 281 — 83,
3) auf den dritten 284 — 87,
4) auf die Plateau-Senke (Mulde) 289 — 91,
5) auf den vierten Vorsprung 292 — 93,
6) auf den fünften 294 u. s. w.
Es wurden nun gefunden:
1) in dem ersten Hügel :
a) bei Station 278, also im nördlichsten Theile desselben, im diluvialen Sande
bei 13 Meter Tiefe, ein Bruchstück von einem Extremitätenknochen eines grösseren
Thieres, wahrscheinlich eines Mammuth, durch sein braunes Aussehen ausgezeichnet,
und das von Herrn Kuchenbuch als Rengeweih (Taf. VHI, Fig. 12) beschriebene
Stück. Letzteres ist unzweifelhaft richtig bestimmt worden. Es ist die abgeworfene
linke Stange eines Renthiers, und zwar ein Stück von ungewöhnlicher Stärke. Die
Schilderung des Herrn Kuchen buch ist insofern nicht ganz genau, als er das
Stück als rundlich bezeichnet. Es ist vielmehr sowohl das Anfangsstück der Stange,
als die Eissprosse deutlich abgeplattet. Erst weiterhin werden die Stücke drehrund,
doch zeigen sie stets tiefe und sehr einfache Gefässfurchen. Die organische Sub-
stanz ist ungewöhnlich stark geschwunden und das Gewebe daher sehr brüchig.
b) bei Station 279 im Lehm
bei 2 Meter ein Hundescbädel,
» 4 „ der Oberkiefer eines Schweines,
ferner im Diluvium • ^
bei 10 Meter ein grosses gelbbraunes Stück vom Os humeri des Mammuth,
„ 15 „ Pferdezühne, zwei Riudszähne und ein Stück deutlich bear-
beiteter Rehsprosse. Letztere habe ich selbst gesehen, indess kann
ich für die Zuverlässigkeit der Fundangabe natürlich nicht stehen.
2) auf der Höhe des dritten Hügels
bei Station 285 liegt das erwähnte Gräberfeld. Aeusserlich ist au dieser Stelle
nichts zu sehen, da dieselbe seit langer Zeit unter dem PÜuge gehalten ist. Indess
Verhaudl. der Berl. Auttiroi'ol. Gesellscliafl. Is7i. » o •
(114)
handelt es sich um einen ziemlich ausgedehnten Friedhof der Bronzezeit: die
Leichen sind verbrannt und ihre Reste in thönernen Urnen beigesetzt worden. So
gewöhnlich diese Uruenfelder bei uns sind, so hat das Seelower doch manches Be-
merkenswerthe. Schon die Urnen selbst zeigen einen für unsere Gegenden abwei-
chenden Styl. Mit Ausnahme der kleinen und höchst originellen Kinderklapper
(Taf. VIII, Fig. 5), welche die blassröthliche Farbe von gebranntem Thon hat, zeigen
alle übrigen Gefässe eine schön schwarze oder schwärzlich-graue Farbe und eine
glänzende, wenn auch keineswegs ganz ebene Oberfläche. Der Thon ist von
etwas feinerer Art, auf dem Bruch blätterig, schwarz und mit Granitgrus gemengt;
die Wände etwas dünn; Zeichen der Töpferscheibe nicht bemerkbar. Die Mehrzahl
der erhaltenen Gefässe ist klein, namentlich niedrig, mit weitem Bauch, kurzem Hals,
weiter Mündung, einfachem Rande und flachem oder leicht concavem Boden. Fast
alle haben zwei sehr enge Oehsen am üebergauge des Bauches zum Halse. Die
Mehrzahl zeigt um den weitesten Theil des Bauches zierliche und sehr zart gehaltene
Ornamente in Form eines Gürtels (Taf. VIII, Fig. 1—4). Indess fand ich auch
einzelne Stücke von schön schwarzen Gefässen mit vollkommener Ornamentik: hori-
zontalen Kränzen und kurzen, blattartigen Eindrücken, unter denen Guirlanden von
gekrümmten Linien hängen.
Es war ausser gebrannten Knochen viel Bronze darin, aber ungewöhnlich stark
durch das Feuer zerstört, so dass die meisten Stücke aussehen, wie jene ßleiklum-
peü, welche die Kinder zu Neujahr giessen.
Wenn Herr Kuchenbuch aus diesen Stücken auf eine alte Giessstätte schliessen
sollte, so möchte ich ihm widersprechen. Alle diejenigen Klumpen, welche ich erhielt,
sind durch den Leichenbrand zusammengeschmolzen. Man sieht an einzelnen noch
deutlich, dass es sehr zusammengesetzte Sachen waren; ich glaube namentlich üeberreste
von Ohrringen, Fibeln, kleinen Blechen zu erkennen, Gut erhalten sind nur einige durch-
bohrte Perlen von Bronze, ein sehr dicker und enger Ring und, wenigstens zum grossen
Theil, jenes höchst merkwürdige, schon von Hrn. Kuchenbuch beschriebene (Taf. VIIl,
Fig. 7) Stück, welches man wohl als das Vorbild des Ordens vom goldenen Vliess
bezeichuen könnte. Es ist hier ein Lindwurm abgebildet mit vier kurzen Beinen,
einem runden Leib, länglichem geradem Schwanz, niedergebogenem Kopf und grossem,
weit aufgesperrtora Raclieu. Der Lindwurm bat oben am Rücken einen Ring, der
(115)
zerdrückt ist und jetzt eng anliegt; der Ring scheint früher an einer mit drei OefF-
nungen versehenen Platte angehängt gewesen zu sein, welche jetzt freilich dem
Rücken des Thieres eng aufliegt und durch den Rost damit verklebt ist. Wahr-
scheinlich ist die Platte an irgend etwas befestigt gewesen, so dass der Lindwurm
frei beweglich daran liing, ungefähr wie auch das goldene Vliess getragen wird. Es
ist ein sehr merkwürdiges Ding, denn unter den Thierbildungen aus Bronze, die
wir bisher besitzen, ist meines "Wissens ein Reptil noch nicht vorhanden, und da an
der Echtheit des Stückes nicht zu zweifeln ist, so werden Sie gewiss mit grossem
Interesse sehen, wie unsere Vorfahren schon auf diese Idee gekommen sind. Das
Einzige, was man allenfalls damit vergleichen kann, ist eine Zeichnung auf einer
pomerellischen Gesichtsurne, welche ich früher beschrieben habe (Zeitschrift für Ethno-
logie lb70. Bd. 11, S. 81. Fig. 8). Vielleicht ist es nicht ohne Bedeutung, dass
gerade die Gesichtsurnen ähnliche zirkelartige Zeichnungen um den Bauch tragen,
wie sie auch hier vorkommen.
3) auf der Plateausenkung
bei Station 290 ist eine ganze Reihe von Funden diluvialer Säugethierknochen
gemacht worden, von denen die meisten leider schlecht bestimmt sind. Nur für zwei
Stucke, einen Backenzahn und ein Extremitätenstück vom Mammuth, ist notirt,
dass sie im Saude, ersteres bei 3, letzteres bei 4 Metern Tiefe ausgegraben sind.
In der Tiefe von einigen Metern „in einfallender Schicht" lag das linke Hörn eines
Auerochsen und ein Stück vom Kopfe eines Bison. Ebenso wurde in dieser Gegend
eine sehr starke Rehkrone mit geschabten Stellen gefunden.
Bei Station 292,50 wurden zwei Stosszähue vom Mammuth getroffen, welche
jedoch leider die Arbeiter gänzlich zertrümmerten; es ist nichts von ihnen erhalten
worden.
An dieser Stelle und zwar gleichfalls bei Station 290, fiel mir schon von Weitem
an der Wand des steilen Durchstiches eine umfangreiche, schwarze Fläche auf,
welche sich von der Oberkante her weit in die Tiefe senkte und den Zwischenraum
zwischen zwei niedrigeren Erhebungen des Bodens ganz ausfüllte. Sehr bald fanden
sich Thonscherben und geschlagene Thierkuochen darin, und in einer Tiefe von
2,3 Metern eine Heerdstelle, gebildet aus einer doppelten Lage geschlagener und
zum Theil gebrannter Geröllsteine, bedeckt mit Kohlenstückeu, zahlreichen Scherben
von Töpfen und Knochen. Diese schwarze Schicht senkte sich an einer Stelle bis zu
8 Meter in die Tiefe. Gegen das anstossende Erdreich war sie überall durch eine gelbe
harte Thonschicht abgegrenzt, welche durch das Eiufliessen von Wasser gebildet zu
sein scheint. Die Knochen, welche hier vorkamen,
gehörten fast ausnahmslos Hausthieren an, nament-
lich dem Schwein und Rind, doch waren auch
Hirschreste darunter. Das Thongeräth war ganz
verschiedeu von dem des Gräberfeldes. Es fand
sich kein einziges schwarzes und glattes Stück:
überall waren es rauhe, sehr harte, dicke, graue
Scherben von der rohesten Art, einzelne mit Hori-
zontalfurcheu, einige wenige auch mit dem Wellen-
ornament. Danach kann es nicht zweifelhaft sein,
dass wir hier auf ein altes Kjokkcnmödding oder,
anders ausgedrückt, auf eine alte Ansiedelung
gestosseu sind. Im Grossen gehört dieselbe sicherlich der Zeit der nordischen Pfahl-
bauten an, wie ich ja auf der Oder-Insel bei Glogau ausgedehnte üeberreste analoger
Art nachgewiesen habe (Sitzung vom 24. Juni 1871).
(116)
4) Auf der letzten Höhe bei Station 293 war in einer Tiefe von P/i Meter im
„Humus" der von Herrn Kuchenbuch erwähnte, bearbeitete Stein (Taf. VIII Fig. 6)
und bei 4 Metern, gleichfalls im „Humus", ein grosses Hirschgeweih gefunden. Die
genauere Besichtigung dieser Stelle ergab auch hier eine ähnliche Zusammensetzung
des Bodens, wie bei Station 290. Zuoberst schwarze, kohlige Schichten mit Topf-
scherben und Knochen, stellenweis in grössere Tiefen reichend; darunter wellige
Lager von Lehm in geringer Stärke, und endlich leichte Hügel von Sand und
anderen Diluvialschichten.
Seit der Zeit meines Besuches in Seelow habe ich durch Herrn Ingenieur
Müller noch eine Reihe von analogen Gegenständen mit der Bezeichnung: „aus
dem Kiesberge bei Werbig" erhalten. Ausser einem menschlichen Oberkiefer und einem
Hunde-Unterkiefer sind es hauptsächlich Ueberreste von Thougeräth, namentlich von
Töpfen, und einige Eiseusacheu, namentlich eine Lanzenspitze mit breitem und langem
Blatt, und ein Messer. Unter den Thonsacheu befindet sich ein wohlerhaltener, schwärz-
licher niedriger Topf mit weiter Mündung, geradem kurzem Halse und abgerundeter, in
der Mitte eingedrückter Bodenfläche von sehr grober Masse und ohne alle Verzierungen ;
er ist 65 Mm. hoch und misst 95 Mm. in der Weite. Die übrigen Stücke sind
Scherben von zum Theil beträchtlicher Grösse, offenbar gleichfalls von weiten und
niedrigen Töpfen ohne Henkel. Einzelne von ihnen sind so stark vom Feuer an-
gegriffen, dass sie in eine blasige, schwammige Masse verwandelt und ganz zusam-
mengebacken sind. Sie sind noch ganz von Kohle umhüllt. Die meisten sind
hellgrau oder schwärzlich grau, und eine nicht geringe Zahl zeigt sehr ausgeprägte
Ornamente, und zwar stets nach dem Typus der Burgwall-Gefässe. Die Wellenlinie
ist vertreten, obwohl seltener, dagegen tiefe Eindrücke mit mehrzinkigen Werkzeugen
oder Kränze, gebildet aus fortlaufenden Reihen tiefer, schräger Elatt-Eiudrücke, recht
häufig. Sehr ausgezeichnet ist die in den Burgwällen so gewöhnliche Zeichnung aus
dicht stehenden Parallellinien, welche sich über die ganze Fläche des Bauches er-
strecken. Nur ist es das Besondere dieser Fundstelle, dass sämmtliche Zeichnungen
ungewöhnlich tief eingegraben sind.
Zum Schlüsse erwähne ich, dass mir Herr Wallbaum neue Topffuude zeigte,
die er bei Platko rechts von der Mühle gemacht hatte. Es waren weite Töpfe von
der Form der Burgwalltöpfe, jedoch mit stehenden Ornamenten. So sind nament-
lich die Wellenlinien, ähnlich wie an modernen ägyptischen Töpfen, senkrecht ge-
stellt und nicht, wie sonst bei uns, horizontal. Einzelne derselben waren mit Korn
gefüllt. Dagegen fand er links am Wege Urnen, welche dem Lausitzer Typus ent-
sprechen. Ebenso bei Gusow (Sitzung vom 17. October 1874).
(15) Durch Vermitteluug des Kaiserlich Brasilianischen Gesandten, Baron
de Jaurü, ist eine Reihe von Schädeln und Skeletten aus Brasilen eingegangen,
über welche später genauer berichtet werden wird.
Seine Majestät der Kaiser von Brasilien hat bei dieser Gelegenheit folgendes
Handschreiben an den Vorsitzenden gerichtet:
Mr. le Professeur
Mr. le Dr. Hilario de Gouvea m'a exprime le desir que vous aviez d'etudier
des cränes dTndiens du Bresil. J'ai charge le directeur du Museum de Rio, Mr.
Ladislao Neto d'en arranger quelques uns, ainsi que des ossements, et je vous les
envoie avec beaucoup de plaisir. La caisse porte votre adresse et le No. 2, et est
expedice par Tentremise du Ministre du Bresil a Berlin. J'ai examine la collection
avec attention, et je crois la uotice ci-jointe exacte. J'espere que cet envoi vous
iuteressera.
(117)
Je regrette infinimcnt de ne pas voiis avoir connu ä Berlin, oii je tous ai
cherche, comme vos travaux sont gencralement estimes, meme par ceux qui ne
peuvent etre, comme moi, que des amateurs de science. J'espere que vous ne
tarderez pas a me donner une notice, au moins, de vos nouveaux travaux, en etant
sür de l'estime que vous conserve un des affectionnes des sciences naturelles, et
partant le votre aussi
D. Pedro d'Alcantara.
Rio, 15 Mars 1875.
Der Vorsitzende spricht dem erhabenen Geber seineu und der Gesellschaft tief-
gefühlten Dank aus und bemerkt, dass \orstaud und Ausschuss schon in Berathung
getreten seien, um für ein so ungewöhnliches Wohlwollen die Anerkennung der Ge-
sellschaft in angemessener Form auszudrücken.
(16) Geschenke:
1) G. Cora: Cosmos fasc. VII.
2) v. Miklucho-Maclay: ein Artikel über die Papuas,
3) Ein Bericht des Vereins für Hessische Geschichte und Landeskunde.
4) Realschuldirector Prof. Dr. Buchen au in Bremen: Mittel zur Feststel-
lung der gegenwärtigen Vertheilung der Rassen der Landbevölkerung
Deutschlands. (Mittheilungen aus der Realschule. An das Elternhaus.
1875, Nr. 11.)
Sitzung vom 19. Juni 1875.
Vorsitzender Herr Virchow.
(1) Der Vorsitzende verkündet, dass in gemeinschaftlicher Sitzung des Vor-
standes und des Ausschusses beschlossen worden ist, Seiner Majestät dem Kaiser
Dom Pedro IL von Brasilien die Ehrenmitgliedschaft des Vereins anzubieten.
Herr Dr. v. Mikluclio Maclay ist zum correspondirenden Mitgliede der Gesell-
schaft gewählt worden.
(2) An Stelle des Herrn Rosenberg, der schon vom Magistrat selbst zum
Mitgliede des wissenschaftlichen Comites beim märkischen Provinzialmuseum ernannt
worden ist, hat der Vorsitzende Herrn A. Kuhn als Delegirten berufen. Nachdem
die Bestände des Museums in schnellem Wachsen begriffen sind, haben die städtischen
Behörden die üeberführung desselben in ein besonderes Gebäude in der Klosterstrasse
beschlossen.
(3) Herr Kopernicki in Krakau dankt für seine Ernennung zum correspondiren-
den Mitgliede, und übersendet verschiedene Druckschriften, ferner Photographien des
Lama und des Manuscriptes der Kalmücken, über welche er der Pariser anthropologischen
Gesellschaft (Bullet, de la Soc. 1873. T. VIII, p. 99) berichtet hat, sowie vier Schädel
Siebenbürgischer Sachsen nebst folgenden wichtigen Mittheilungen über
antliropologische Erhebungen in Galizieu.
Die Separatabdrücke aus den Sitzungsberichten der Physik.-Mathem. Classe der
Krakauer Akademie der W^issenschaften enthalten meinen vorläufigen Bericht über
die Schädel aus galizischen Hügelgräbern, worüber ich eine umfassendere Abhandlung
mit schönen Abbildungen vorbereite. — Ferner finden Sie darin die von hiesiger aka-
demischer (Jommission für Anthropologie, Ethnologie und Urgeschichte verfassten In-
structionen, betreffend das Sammeln von anthropologischen, ethnologischen und sta-
tistisch-anthropologischen Beobachtungen und Daten.
Pen ersten Versuch der anthropometrischen Beobachtungen an lebenden Indivi-
(119)
duen machten wir eben bei der jetzigen Rekrutirung in Galizien. Wir waren auch
darin viel glücklicher als Sie, denn in Folge unserer Einladung an die betreffenden
Behörden fliessen uns schon zahlreiche und sehr brauchbare Daten ein. — Kopf-
und Gesichtsraessungen konnten leider nur selten gemacht werden. — Die Angaben
über den Wuchs, die Gestaltung des Kopfes und Gesichtes, über die Färbung der
Haut, der Haare und der Augen werden gar viele sein. — Ich selbst vermochte bei
der Rekrutirungs-Commission in Krakau nicht eine einzige Messung an 150 Juden
und eben so viel Christen auszuführen; alle andere Daten aber sammelte ich massen-
haft. — Kurz, ich hege die Hoffnung, dass die heuer in Galizien auf diesem Wege
gesammelten Beobachtungen zu instructiven Winken über die physischen Eigenthüm-
lichkeiten der ethnischen Hauptgruppen hiesiger Bevölkerung: Polen, Ruthenen und
Juden, darunter der Bergbewohner und Flachländer, führen werden. — Weitere der-
artige Beobachtungen mit genauen Kopfmessungen an lebenden Individuen werden
sicherlich nach zwei Jahren positivere Resultate ergeben. —
Die Anthropologische Commission der hiesigen Akademie, bei welcher ich als
Schriftführer fungire, ist ferner bestrebt, stabile Beobachtungsstationen im Lande zum
Sammeln von allerlei anthropologischen und ethnologischen Daten einzurichten. Die
hiermit verbundenen Vorarbeiten, Correspondenzen, Verfassung der Pläne und dgl.
absorbiren mich so sehr, dass ich kaum zu Athem kommen kann ; dies ist auch der
Grund, weshalb es mir beim besten Willen unmöglich, war, eher an Sie zu
schreiben.
Zum Schlüsse theile ich Ihnen noch mit, dass Hr. Sadawski, der zugleich mit
mir die Ehre hatte, Sie in unserem archäologischen Museum zu begleiten, neulich
in der archäologischen Commission eine sehr gelehrte und gründliche Arbeit:
„Ueber die Handelswege der alten Griechen und Römer nach den bal-
tischen Seeküsten" vorgetragen hat, und dass dieselbe in den Denkschriften der
Krakauer Akademie der Wissenschaften gedruckt werden, überdies im Besonderen in
deutscher üebersetzung erscheinen wird.
(4) Herr v. Frautzins übersendet folgende
ethuologlsche (Jegenstände aus Costarica:
1) eine Flöte aus Thon, aus einem ludianergrabe in Costarica (Westküste), choro-
tegischen oder nahuatlacischen Ursprunges. In Costarica werden diese Flöten
bei grösseren Festlichkeiten heutigen Tages noch gebraucht, gewöhnlich von
einem alten Indianer mit Haarzopf geblasen und mit einer Trommel be-
gleitet. Diese Flöte heisst in Costarica „chirimia" und wird mittelst eines
Rohransatzes geblasen.
2) zwei Federkopfschmucke der Viceitaindianer in Costarica; von Jose C.
Zeledon im Jahre 1874 mitgebracht.
3) zwei Halsschmucke aus Zähnen und Glasperlen, wie ihn die Viceitaindianer
in Costarica tragen. Von Jose C. Zeledon auf einer im Jahre 1874 in das
Gebiet jener Indianer (Ostküste) unternommenen Forschungsreise gesammelt.
(5) Herr Virchow zeigt zwei, ihm von dem Lehrer Herrn Piater zu Werben
übergebene
Stciiigerüthe aus Grabiirneii.
Dieselben sind der Angabe nach in einer Urne etwa 300 Schritte vom Dorfe
Werben beim Rigolen l'/j fuss tief im Acker gefunden worden. Nicht weit davon lag
in der Erde eine grössere Menge Feldsteine, etwa ein halber Schubkarren voll. Da
(120)
sonst auf der ganzen Feldmark keine Feldsteine vorkommen, so hält Herr Fiat er
dieselben für ein Zubehör des Grabes. Die Urne war leider zertrümmert.
Von den Steingeräthen ist das eine ein grob polirter Steinhammer von unregelmässig
fünfeckiger Gestalt und nicht durchbohrt, aus Glimmerschiefer. Die Form ist nicht ganz
ungewöhnlich bei uns, jedoch sehr auffällig als Urnenfund. Da die Urne zertrüm-
mert war, so liesse sich allerdings ein Missverständniss annehmen. Indess spricht
dagegen der zweite Fund.
Dies ist nehmlich ein unzweifelhafter Käsestein aus rothem Sandstein, ganz
ähnlich den früher (Sitzung vom 13. Januar und 12. October 1872) beschriebenen aus
Zaborowo und Alt-Lauske in Posen. Er ist sehr regelmässig polirt, mit gut gerun-
deten Kanten, wenig vertieften Flächen, und durch seine beträchtliche Grösse (58
Mm. Breite, 36 Mm. Höhe) von den früheren verschieden. Das bisher so beschränkte
Gebiet dieser Funde ist damit auf einmal bis diesseits der Oder ausgedehnt worden.
Das Dorf Werben liegt hart am Spreewalde, also in der Lausitz.
(6) Der Herr Cultusminister übersendet abschriftlich Berichte des Herrn Studien-
rathes Müller zu Hannover über neuere Ausgrabungen auf dem Gräberfelde bei
Rosdorf, Amtes Göttingen, und der Generalverwaltung der Königlichen Museen über
neuere Anerbietungen des Herrn Thärmann zu Hohenkirchen, welche abgelehnt
worden, weil Zweifel an der Zuverlässigkeit der Gegenstände entstanden sind.
(7) Herr Dr. J. Gildeineister berichtet in einem Briefe an den Vorsitzenden über
nene Schädelfunde am Domlberge zn Bremen.
„Bei einem Neubau in der Nähe des Domes ist wieder eine Reihe von Schädeln
gefunden, die fast alle Ihrem chamaecephalen Typus angehören und von denen zwei,
deren Gypsabgüsse wir beifolgen lassen, ein ganz besonderes Interesse in Anspruch
nehmen dürften.
„Der Kephalone erreicht einen Inhalt von 2050 Cc. und hat bei einer Länge von
21 und Höhe von 13,2 (mit dem Tasterzirkel gemessen) den immerhin geringen
Höhenindex von 62,8. Er wurde in einem Steinsarge gefunden, der, freilich ohne
Deckel und mehrfach zerbrochen, nicht mehr in seiner ursprünglichen Lage zu sein
schien, welchem er aber vielleicht doch, besonders in Berücksichtigung der von Ihnen
erwähnten analogen Funde, als von Anfang an angehörig zu betrachten sein dürfte.
„Ganz ausserordentlich niedrig ist der andere Schädel, mit einem Höhenindex
von nur 59,5 (Länge 20, Breite 15, Höhe 11,9, Inhalt 1480 Cc). Er wurde in be-
deutender Tiefe gefunden. Dass die verknöcherte Pfeilnath nicht als Grund seiner
eigcnthümlichen Form anzusehen ist, dieselbe vielmehr die extreme Entwickelung
eines Typus darstellt, wird sich, wie ich glaube, aus der Ausmessung der übrigen
24 Schädel ergeben, unter denen ich bis jetzt die Höhenindices 61, 64,8 und 66
verzeichnet habe. Augenblicklich lässt der hiesige ärztliche Verein noch von einigen
anderen, durch Fundort oder Form interessanteren Schädeln Gypsabgüsse anfertigen, und
wird sich ein Vergnügen daraus machen, Ihnen dieselben zur Verfügung zu stellen." —
Der Vorsitzende bestätigt die Richtigkeit der gestellten Diagnosen nnd bezeichnet
die übersendeten Abgüsse als typische Modelle der von ihm beschriebenen Formen.
Der Umstand, dass auch hier jetzt einer jener Steinsärge des 10. oder 11. Jahrhun-
derts gefunden ist, war ihm schon durch Herrn v. Alten bekannt geworden; es
wird damit die Bedeutung der früheren Funde in Oldenburg noch mehr ins Licht
gestellt,
(121)
(8) Auf Anregung und durch gütige Vcrniittelung des Herrn Generalconsul
Rehren d hierselbst übersendet der Kaiserlich deutsche Geschäftsträger und General-
Consul zu Lima, Dr. Lührsen, folgenden Brief vom 27. April d. J. mit der An-
meldung einer Sammlung
pernanischor Schädel.
Endlich bin ich im Stande, Ihnen meine im Mai v. J. gegebene Zusage, Ihnen
zu einer Sammlung alter Indianer-Schädel behülflich zu sein, zu erfüllen. — Mit dorn
Hamburger Kosmos-Dampfer „Memphis" ist am 20. April eine Kiste, enthaltend perua-
nische Alterthüraer, an die von Ihnen seiner Zeit aufgegebene Adresse in Hamburg
abgegangen; das betreffende Connossement habe ich an Flerrn Carl Rosdal in Ham-
burg eingesandt.
Diese Sammlung stammt aus Ancon, einem kleinen Orte an der See, in Eisen-
bahnverbindung mit Lima und nördlich davon gelegen. Es ist ein von der See
sanft ansteigendes Plateau, zwischen hohen Bergen eingeschlossen, reiner beweglicher
Sand, ohne jegliche Spur irgend einer Vegetation, ein mehrere Quadratnieilen grosses
Todtenfeld. Die zu Mumien aufgetrockneten Leichen sind in drei verschiedenen Arten
beerdigt, die sich in Schichten zertheilen lassen. Die mittlere Schicht ist liegend,
während die obere und die untere (letztere bis zu 5 Metern tief) die Todten meist
im Kreise in kauernder Stellung beherbergen. Die untere Schicht scheint die der
vornehmsten Leute zu sein; die Leichen sind ganz eingewickelt und haben zum
Theil einen falschen, aus Holz geschnitzten Kopf, indess auch eingewickelt, so dass
nur die Nase und Ohren herausgucken; letztere mit den bekannten Ohrenhölzern
(orejas) verziert.
Die Sammlung, welche Ihnen zu übersenden ich mir erlaube, ist ein Theil
derjenigen, welche Herr Dr. W. Reiss aus Mannheim in Ancon gesammelt hat, der
dabei zu höchst merkwürdigen Aufschlüssen gelangt ist; ich will indess Herrn Reiss
in der Publication seiner Erforschungen nicht vorgreifen. —
Welchem Indianerstamme die Schädel angehören, die ich Ihnen übersende, ist
wohl unmöglich zu bestimmen. Indess hoffe ich, in nicht zu langer Zeit Schädel
(spitze) der Aimaraas im Süden der Republik einsenden zu können, welche mir Se.
Excellenz der Präsident gütigst in Aussicht gestellt hat.
(0) Herr Director Schwartz übersendet d. d. Posen, 15. Mai, folgende
Nachträge zu deu Posener Materialien zur prähistorischen Karte.
I. Aus den Acten des hiesigen Ober -Präsidiums, und zwar von den Jahren
1819-1852.
1) Lakomowo (4) In einem Hügel in einer mit flachen Steinen ausgelegten Grube
Urnen.
Schwerin a/W. (2) Bei der Obra-Mühle Urnen, „in einer eine 5' lange messin-
gene (?) Nadel".
2) Nieszewice (10) Unter dem evangelischen Kirchhofe eine Schicht heidnischer
Gräber; von einem dann, heisst es, „in einem gut eingerichteten, aus
platten Steinen formirten Gewölbe" 7 Urnen mit Deckeln, daneben ein
Henkeltöpfchen von der Grösse einer Obertasse. Inhalt: einige metallene
Ringe (zum Theil wie ein Ohrgehänge) und ein ganz runder, noch ziem-
lich spitzer Donnerkeil.
3) Waschke (12) Auf der Schnitsch (Sniec), einem Stück Landes von einer halben
G -Meile, welches (im Jahre 1824 nehmlich) streitig zwischen dem Domin.
Pawelwitz und Waschke, sowie den Tschirnauer Stiftsgütern in Schlesien,
(122)
an der schlesischen Grenze, 8 Grabhügel. In der Gegend gefunden: stei-
nerne Streitäxte, stählerne Lanzenspitzen, ürnenscherben von ebenso sonder-
barer Form als Masse, versteinerte (? !) Menschenknochen u. s. w. In der Erde
an einer Stelle ein völlig gemauerter Heerd von Feldsteinen, 4 Steine über
einander, gegen 4 Ellen lang und 3 breit, auf demselben Spuren von Asche,
unter demselben eine Wölbung von Kalk und Ziegeln, letztere bis auf wenige
Stücke ganz zerreibbar.
4) Rostarzewo (3) Am Abfluss des oberen Sees in den unteren, bei Wollstein, liegt
ein ziemlich hoher Berg (Schwedenschanze genannt), dort Urnen, in
einer das Eisen eines Spiesses, in einer anderen „eine Scheere, wie die
Schäfer zum Scheeren der Schaafe haben, d. i. zum Zusammendrücken; eine
irdene Wiertel". (Vgl. Sitzung vom 16. Januar und 14. Mai 1875).
5) Gurschen (8) Auf einer Fläche von einer halben D-Meile 12 Familiengräber; um
eine grosse ürue, die stets einen Deckel hatte, kleinere Gefässe (eine Urne
hatte besonders schöne Form und mancherlei Verzierungen). In den Urnen
Knochen, in den kleinen Gefässen Sand".
6) Kempen. Auf dem sogenannten Mühlenberge Urnen, „in einer derselben, welche
einer sogenannten Fletsche (hohem Napfe) glich, woran ein Henkel, befand
sich ein zweites, kleines, ähnliches Gefässchen".
IL Neuere Mittheilungen.
1) Bromberg. Am 2. d. M. wurde auf dem Grundstücke des Herrn Maurermeisters
Weihe (Berliner Strasse) beim Ausgraben eines Brunnenkessels eine alte
Begräbnissstätte aufgefunden. Dieselbe lag vier Fuss tief in einem reinen
Kieslager und bestand ans einer von Feldsteinplatten zusammengesetzten
vierseitigen Röhre von ca. 20 Zoll Breite und 18 Zoll Höhe, welche, in der
Richtung von Ost nach West gelegen, eine Reihe wohlerhaltener Aschen-
krüge enthielt, von denen bis zum Abend acht zu Tage gefördert waren.
Die Krüge selbst sind aus verschiedenen, in seiner Färbung zwischen grau
und braun schwankendem Thon gefertigt, haben eine Höhe von 1 1 Zoll, eine
Bauchweite von 30 Zoll, während die Bodenfläche und die obere, mit einem
gewölbten Deckel geschlossene Oeffnung nur einen Durchmesser von 6 Zoll
zeigt. Weisse, ungemein leichte Knochenreste füllen sie bis zum vierten
Theil. Nur eines der Gefässe zeigt durch einfache Linien hergestellte Ver-
zierungen, alle übrigen sind einfach. (Pos. Ztg. Decbr. 1874.)
2) Pleschen. Bei Gelegenheit der Abfuhr von Steinen auf die Chaussee sind neuer-
dings in Gutehoffnung heidnische Begräbnissplätze aufgedeckt worden. Leider
haben die Arbeiter die Urnen vernichtet. In einer Urne wurden ein metallener
Haarpfeil, ein zwei Finger breites Henkelstück und einige Ringe gefunden.
Der Haarpfeil und das Henkelstück sind mit verschiedenen Zierraten ver-
sehen, unter denen besonders die Kreisform bemerkt wird.
(Pos. Ztg. V. J. 1875, Nr. 208.)
3) Obornik. Neue Ausgrabung des Herrn Witt an isolirter Stelle, gefunden drei
Urnen ohne Verzierung von grobem, kleine Kieskörner enthaltenden Thon
(ohne Nebengefässe und andere Sachen.) (Sitzung vom 17. April 1875.)
4) Schokkcn. Auf dem Gebiete des Dominiums Potrzanowo, zum Oborniker Kreise
gehörig, wurde vor einigen Tagen ein Ileidengrab aufgedeckt. Urnen in-
mitten von Steinen. (Pos. Ztg. v. J. 1875, Nr. 268.)
Zugleich berichtet Hr. Schwartz, dass aus Pesth zwei eiserne Stierbilder von sehr
(123)
roher Form angekommen seien , wie sie in grösserer Anzahl mit ähnlichen Bildern
von Schweinen, Schaafen u. s. w. in einem Gewölbe zu Bernstein an der ungarisch-
steiermärkischen Grenze gefunden sein sollen. Man hält sie für Votivthiere, die
ihrer Zeit bei Viehkrankheiten dargebracht seien, wie Aehnliches in der katholischen
Kirche noch jetzt existire. Sie sehen aus wie die Thiere, welche die Kinder aus
Mohrrüben herstellen, indem sie Hölzer als Füssc 'hineinstecken. Die gespreizte Form
der Füsse kommt offenbar daher, dass sie wirklich zum Stehen bestimmt waren.
(10) Herr Lehrer Reder zu Samter berichtet über
ein Uruenfcld bei Samter.
Durch den Lehrer Werner in Gay wurde ich gestern darauf aufmerksam ge-
macht, dass die Bauern aus dem Dorfe beim Graben des Kiessandes, behufs Wege-
besserung, auf Scherben und Töpfe gestossen wären. Nachmittags wanderte ich mit
demselben nach dem bezeichneten Orte. Derselbe liegt von Samter aus eine gute
Meile entfernt. Die Landstrasse von Scharfenort nach Obcrsitzko und der Weg vom
Dominium Obrowo nach dem Dominium Stopanowo kreuzen sich dort.
Ich fand eine aus Kiessand bestehende Erderhöhung, die sich von WNW. nach
OSO. hinzieht.
Bei der Nachgrabung stiessen wir zunächst auf Scherben, welche von Thon-
gefässen und flachen Stürzen mit schmalem Rande herrührten, dann auf ziemlich
erhaltene Urnen. Dieselben stehen im Kiessande, sind mit einer schwarzen, theil-
weise noch mit merklichen Kohlenresten durchsetzten, fest zusammengesinterten und
auffallend schweren Erdschicht von ca. 20 Cm. Dicke bedeckt ; darüber liegt
eine andere, ca. 50 Cm. dicke. Die Urnen enthielten mit Erde vermischte Knochen,
die so splitterig aussehen, als wären sie dereinst zerschlagen worden, um sie in die
Gefässe zu bringen; Rippenknochen und Gelenkköpfe waren deutlich zu unter-
scheiden; erstere waren sogar noch ziemlich fest.
Die Urnen sind von verschiedener Grösse: einige im Durchschnitt .30 Cm. und
ca. 25 Cm. hoch, andere nicht grösser als eine starke Faust. Die zwei, welche am
besten erhalten sind, habe ich mitgenommen; die eine hat die vorstehend angegebene
Grösse, die andere hat im Durchschnitt 17 und in Höhe 19 Cm.; bei ersterer ist
namentlich der Band etwas defect; die letztere, auf welcher eine muschelförmige
Stürze (D. 15, d. 13 Cm.) mit einem ohrförmigen Griff lag, ist noch gut erhalten.
Die grosse hat als Verzierung drei parallel laufende vertiefte Kreise, darüber elfmal
drei vertiefte Punkte und darunter vier Erhöhungen von Gestalt einer Haselnuss-
schalenhälfte; die kleinere dagegen ist ohne Abzeichen, hat aber noch die zwei klei-
neren ringförmigen Griffe.
Aller Wahrscheinlichkeit nach birgt die Erhöhung auf beiden Seiten des Durch-
schnittes noch mehr dergleichen. Die Erhöhung scheint das Warthethal auf der
linken Seite zu begrenzen.
(11) Herr Lehrer Reuter in Bölkendorf bei Angermünde schreibt über
ein Steingrrab bei Bölkoudorf.
Das Grab liegt östlich von Bölkendorf, 121 Meter von der Parsteiner Grenze,
83 Meter vom Apfelsee und 64 Meter vom Parsteiner See entfernt. Die Lage des-
selben ist von Südwest nach Nordost. Die Länge der Grabstätte beträgt 97, die
Breite 54, die Höhe 86 Cm. Die vier Seiten sind mit einer Wand von 12 Cm.
starken Steinplatten eingefasst. Dieselben scheinen mit einem stumpfen Instrument
behauen zu sein ; die Masse der Platten ist brauner Granit. In den vier Ecken finden
(124)
sich da, wo die Wände zusammenstossen, kleine Steinstücke (Feldspath) eingefügt,
vermuthlich, um das Eindringen von Erde zu verhüten. Diesen Raum bedeckte eine
gleiche Platte, 8 Cm. dick, welche leider beim Aufheben zertrümmerte.
In jeder Ecke stand auf festgestampftem Boden eine Urne aus grobem Thon,
vermischt mit kleinen Steintheilchen, die jedoch beim Anrühren in Stücke zerfielen.
Rings herum sind Riefen als Verzierung angebracht, an einer befanden sich zwei
Henkel. Ausser diesen vier Urnen fand sich in der Mitte des Grabes eine fünfte,
kleinere, sogenannte Hängeurne, in welcher drei Stücke eines Schädels, ausserdem
Asche sich bafand. Der Inhalt der anderen Urnen, welche die Grösse eines Zwei-
Quart-Topfes hatten, war Asche und Knochen, an denen deutliche Spuren des Feuers
sichtbar sind.
(12) Herr Hutfabrikant Heim in Halberstadt, Vorsitzender des Bezirksverbandes
der Gesellschaft für Verbreitung von Volksbildung, übersendet eine Anzahl durch ihn
mit dem Conformateur aufgenommener
Kopfumiiss-Zeicliuungeu.
(13) Herr Marthc legt einige von ihm zu Pfingsten dieses Jahres ausgegrabene
Urueii vou Niemej^k (Prov. Brandenburg)
vor.
Die fünf Thongefässe sind am Nordabhang des Fläming, etwa 30 Minuten süd-
östlich von Niemegk, gefunden worden, stammen also aus einer Gegend, die ausser
einer kleinen bei Treueubrietzen gefundenen, im Berliner Museum bewahrten Urne
für die vorgeschichtlichen Forschungen noch unangebrochen war. Die Fundstelle ist
topographisch ausgezeichnet charakterisirt. Durch das Städtchen Niemegk (von njemetz:
„Deutschstadt") rinnt ein Bächlein, die Adda, welches aus einer flachen, mit Sumpf-
wiesen ausgefüllten Mulde, die in den Nordhang des Fläming sich einschneidet, mit
zahlreichen Aederchenhervorsickert. Dieses quellenreiche Wiesenrevier heisst beim Volke
„Springebruch", und auf der linken, westlichen Seite desselben, die sich sanft herab-
senkt, in festem, sandigem Boden wurden die betr. Objecte nebst mehreren anderen aus-
gegraben. Schon im Jahre 1868 wurde hier ein Fund gemacht, der zuerst den Be-
sitzer des Sandackers, Ackerbürger Zimmermann, aufmerksam machte. Er stiess
auf ein Urnengrab, welches mit einem Oblongum von Steinen ausgelegt war. In den
folgenden Jahren wurden noch oft von ihm Thongefässe ausgepflügt oder ausgegraben,
die bis auf wenige in Trümmer gingen. Erst zu Pfingsten dieses Jahres erhielt ich
Kunde von diesen Dingen, begab mich nach dem Schauplatz hinaus und Hess bei
knapp zugemessener Zeit graben. Hierbei wurden bei 1 Fuss Tiefe fünf Urnen
und mehrere andere, unter ihnen eine grosse, mit verbrannten Knochen gefüllte
die leider zerstossen wurde, blossgelegt. Noch andere blickten aus dem Sande
in der Grube hervor, die Grabung indess wurde wegen Mangels an Zeit eingestellt.
In einer der früher vom Grundbesitzer aufgedeckten Aschenurnen hat sich ein win-
ziges Bronzeringlein gefunden, und es ist damit wohl die Altersstufe dieses Fundes ange-
deutet. Die vorgelegten Urnen zeichnen sich durch besondere Zierlichkeit der Form aus
und erinnern an die im Berliner Museum unter der Rubrik „Westfalen" ausgestellten;
ein mit einem der meiuigen (Nr. 3) ganz übereinstimmendes Stück trägt dort die
Rubrik „Mittelmark".
Herr Virchow bemerkt, dass Form und Ornamentation der vorgelegten Urnen
beweisen, dass sie jenem grossen Kreise angehören, welcher sich von der Lausitz
bis nach Schlieben und Halle verfolgen lässt.
(125)
(14) Herr Stud. med. Alex. Hörn y, d. Horck hat dem "Vorsitzenden einen
Kuchen von Ahornzucker überreicht, wie dieselben durch Indianer in Minnesota
dargestellt werden.
(15) Herr Vlrchow zeigt eine Reihe, ihm durch Vermittelung des Herrn
Mühlenbeck von Herrn Mampe zugegangener
vorhistorischer (Gegenstände ans Stargard in Pommern.
(Hierzu Taf. IX.)
Nach einer kurzen Notiz des Herrn Kreisgerichtsrath Frey er sind die sämnit-
' liehen Gegenstände bei dem Ausgraben des 15auterraius für einen Dampfschornstein
in einer Tiefe von ca. 18 Fuss gefunden. Sie lagen zwischen, leider verloren ge-
gangenen, Holzstücken und Knochen in einer moorigen Erde, unmittelbar über einer
feststehenden, also weit in die Tiefe reichenden Sandschicht, die zur Tragung des
Fundaments des Dampfschornsteius für geeignet erachtet ist.
Noch ist zu bemerken, dass das Messer und eines der Kopfstücke eher gefunden
wurden, also weniger tief lagen, als die übrigen Gegenstände.
Weitere Nachfragen durch Herrn Mühlenbeck haben ergeben, dass die Fund-
stelle sich hinter einem der Häuser befindet, welche dicht am Steinthor in der grossen
Wallstrasse im östlichen Theile der Stadt gelegen sind. Dieser Theil ist von zwei
Armen des Ihna-Flusses inselartig eingeschlossen und der Fundort ist nicht weit
entfernt von dem ehemaligen Walle, vielleicht auch nicht weit von der Stelle des
alten Castrum. Leider ist die Baugrube schon zur Zeit, als diese Nachfragen statt-
fanden, wieder geschlossen geAvesen, so dass weitere Forschungen unmüglich erscheinen.
Vielleicht gelingt es, in der Nähe einen passenden Ort für Grabungen zu ermitteln.
Leider fehlen unter den mir zugekommenen Gegenständen alle Topfscherbeu, so
dass gerade dieses für die Zeitbestimmung unserer vorhistorischen Funde so ent-
scheidende Hülfsmittel ausfällt Einige Thierknochen sind da, jedoch fast nur solche
vom Schwein. Darunter sind ganz colossale Hauer und ein Vorderstück vom Unter-
kiefer, das durch scharfe Schläge abgetrennt ist. Alle übrigen Gegenstände sind
entweder von Metall oder von bearbeitetem Hirschhorn.
Von Eisen ist nur das erwähnte Messer, das zuhöchst gelegen haben soll (Taf. IX,
Fig. 5). Es ist im Ganzen 20 Cm. lang, wovon 9 auf die Klinge kommen. Die
Spitze fehlt. Die Klinge ist schmal, 15 Mm. in der grössten Breite, und gerade.
Daran sitzt ein langer, platt vierkantiger, aber dünner Stachel, der in einen Griff
eingesenkt gewesen sein muss und der sich gegen das Ende zuspitzt. Er ist bis
auf eine geringe, wohl erst später entstandene Krümmung des Endes ganz gerade.
Sehr interessant ist ein starker Celt von Bronze (Fig. 2). Derselbe hat im Moor-
boden in einer Tiefe von etwa IG Fuss mit den noch zu erwähnenden Geräthen aus
Hirschhorn gelegen. Er hat keine Patina, sondern ist mit einer körnigen Eruption
von Kupferkrystallen überzogen. Seine Länge beträgt 98 Mm. Die etwas gekrümmte
und an einer Seite etwas verletzte Schneide misst 3o Mm. Am Ende hat er eine
24 Mm. breite und 28 Mm. hohe, im Allgemeinen viereckige Oeffuung, deren Rand
nach aussen mit einem 8 Mm. breitem, erhabenem Saume umgeben ist (Fig. 2 b).
Unmittelbar daran sitzt ein enges Oehr. Die vordere und hintere Fläche sind ganz
glatt; die Seitenflächen dagegen zeigen sehr deutlich je eine Gussnaht.
Unter den Horugegenstäuden ist besonders bemerkenswerth ein gebogenes, aus
einem Hirschhornzacken sehr sauber gearbeitetes, polirtes, und vielfach verziertes
Stück (Fig. 1), das auf seiner convexeu Seite mit einem 3 Mm. breiten und 12 Mm.
(126)
tief eingesägten Spalt versehen (Fig. 1 a) ist. Seine Einrichtung erinnert in mehr-
facher Beziehung an die Balken, in welche Kämme befestigt wurden, jedoch scheint
dem die Lage des Spaltes an der convexen Seite zu widersprechen. Nächstdem kann
man an eine Messerscheide denken, jedoch müsste das betreffende Messer sehr stark
säbelförmig gebogen gewesen sein. Irgend eine Spur einer Befestigung ist leider nicht
zu sehen, da beide Enden abgebrochen sind. Die Länge dieses Stückes beträgt an
der convexen Seite 17 Cm. Am dickeren Ende hat es 75, am dünnern 60 Mm.
umfang. Es hat durchweg die eigenthümlich schwarzbraune Farbe der Moorfunde.
Seine Oberfläche ist spiegelglatt polirt. Nahe der Mitte befinden sich dicht neben
einander vier Gruppen von je drei glatten Parallellinien, welche ganz herumlaufen.
Zwischen den beiden äussersten und den nächst darauf folgenden Gruppen ist je eine
Reihe kleiner Kreise mit je einem Punkte in der Mitte der Kreise angebracht, wie
deren zahlreiche an den übrigen Theilen der Oberfläche eingeritzt sind. Die beiden
äussersten und die beiden innersten Linien sind mit kurzen, dreieckigen, zahn-
förmigen Einschnitten besetzt; an der innersten Linie stehen diese Einschnitte ab-
wechselnd gegen einander, wie Wolfszähne. Aehnliche Ornamente sind auch an
beiden Enden vorhanden gewesen; der Bruch i^t gerade durch diese Stellen hindurch-
gegangen. Zwischen diesen gürtelförmigen Verzierungen ist die ganze Ausdehnung
des Stückes, und zwar ausgehend von dem Längseinschnitte, in zierlichster Weise
mit kleinen Kreisen (Sonnen) besetzt, und zwar in der Art, dass zunächst an dem
Spalt jederseits eine zusammenhängende Reihe von Kreisen von einem Ende bis zum
anderen läuft. Ueber je drei dieser Kreise stehen dann zwei andere, und über
diesen eine einfache Reihe aus je drei (vereinzelt auch nur zwei) Kreisen, die bis
zur Mitte der Seitenfläche reichen. Solcher einfacher Reihen finden sich gegen das
dünnere Ende 7, gegen das dickere 9. (Die in der Zeichnung Fig. Ib angedeutete
Abwechselung dieser Gruppen ist nicht constant.)
Ich bemerke, dass mir ein in der Zeichnung sehr verwandter Messergriff aus
der Nähe bekannt ist, nehmlich aus dem Pfahlbau von Lüptow am Plöne-See (Fig. 0.)
Auch giebt es eine Reihe von pommerschen Funden, wo Hämmer aus Hirschhorn mit
ähnlichen Kreisornamenten bedeckt sind.
Nächstdem findet sich ein Bruchstück einer kleineren und einfacheren Messer-
scheide aus mehr gelbbraunem Hirschhorn (Fig. 4), die gleichfalls an den Enden
abgebrochen ist, jedoch zeigt sie an der einen Bruchstelle noch die Spur eines Niet-
loches. Sie ist 7 Cm. lang, in der Mitte 12, an den Enden 7 und 10 Mm. breit.
Ihre innere Seite ist platt und scharf gesägt, die äussere flach convex und polirt.
Auf der letzteren ist ein länglich-viereckiger Raum durch gerade Linien abgegrenzt,
der wiederum durch Gruppen dichtstehender Querlinien und Felder eingetheilt ist.
Die zwei inneren Gruppen haben je 7, die Endgruppen nur 5 Linien.
Endlich ist noch ein sehr merkwürdiger starker, aber kurzer Kamm aus Hirsch-
(oder Elch-) Hörn mit doppelseitigen Zähnen von verschiedener Stärke zu erwähnen
(Fig. 3). Er ist aus einem Stück gemacht. Dasselbe ist in der Mitte 36 Mm.
lang und 8 Mm. dick. Von der Mitte aus, welche eine flach convexe Erhebung dar-
bietet, dacht sich beiderseits die Fläche 2i) Mm. lang bis zu den Spitzen der Zähne
ab. Letztere sind 2U Mm. lang, jedoch nach der Mitte zu nur oberflächlich ge-
trennt, während die Spitzen der Zähne stark von einander abstehen. Da, wo die
Zähne an das Mittelstück anstossen, sind jedesmal 3 horizontale Linien angebracht.
Im Uebrigen ist auch dieses Stück gelbbraun und ziemlich glatt.
Der Fund gehört nach Allem zu den bemerkenswerthesten, welche in neuerer
Zeit in Pommern gemacht sind. Ob man berechtigt ist, ihn direct der Burgwall-
Periode zuzurechnen, ist, wie mir scheint, noch nicht genau auszumachen. Die An-
(127)
Wesenheit eines Bronzeceltes ist ein so ungewöhnliches Ereigniss, dass es nSthig
erscheint, das Schlussurtheil noch offen zu halten,
(16) Herr Prof. Liebe iu Gera hat dem Vorsitzenden eine Druckschrift über-
sendet über
die Lindenthaler Hyäneuhöhle.
Bei Golegenheit der Anlage eines neuen Weges in der Nähe von Gera, vom
Lindenthal aufwärts, oberhalb des Kanonenberges, wurde 1874 im Dolomit eine
Höhle blosägelegt, welche zahlreiche üeberreste diluvialer Thiere enthielt. Es fanden
sich Knochen vom Pferd, der Hyäne, dem llhinoceros tichorchinus, dem Bos taurus
primigenius, dem Höhlenbären, dem Edelhirsch, der Felis spelaea, dem Elch, dem
Renthier, dem Canis spelaeus, dem Mammuth, der Springmaus (Dipus Geranus
Giebel), dem Fuchs, dem Alpenmurmelthier (Arctomys marmotta), und einigen an-
deren Säugethieren und Vögeln.
Dieser Fund ist nicht nur deshalb von grossem Interesse, weil er das Gebiet
der Renthierhöhlen viel weiter nach Osten in Deutschland ausbreitet, als es bis jetzt
bekannt war, da alle im nordöstlichen Deutschland gefundenen Renthierknochen in
Mooren oder diluvialen Bodenschichten vorkamen, sondern vielleicht noch mehr
deshalb, weil er iti dem Vorkommen der Springmaus und des Murmelthiers unzwei-
deutige Zeugen der damaligen Kälte unseres Klimas nachweist. Er schliesst sich
somit an die schönen Entdeckungen des Herrn Ne bring in der Nähe von Wolfen-
büttel, der zahlreiche Knochen kleinerer arktischer Thiere iu dem anstehenden Boden
gesammelt hat.
Herr Liebe bringt ausserdem eine Reihe von Thatsacheu vor, aus denen er auf
die Anwesenheit des Menschen zu jeuer Zeit schliesst. Die Mehrzahl seiner Beweise
bezieht sich auf zerschlagene und scheinbar bearbeitete Thierknochen und auf das
Bruchstück eiues künstlich zugeLaueneu Feuersteinmessers. Es lässt sich nicht leug-
nen, dass diese Thatsachen, wenigstens nach der Beschreibung, nur bedingten Werth
habeu, zumal da Herr Liebe selbst eiuzelue geglättete Stelleu, Gruben und scharf-
randige Löcher an Pferdeknocheu, die mau sonst wohl als Spuren menschlicher Ein-
wirkung betrachtet, auf die Einwirkung von Schneckenzungen (Zonites) uud auf das
Einbohren von Larven einer Annobium-Art bezieht.
Ausserdem erwähnt er das Vorkommen des Renthiers in einer Lehmgrube bei
Pösneck, in einer Kluft bei Fahren und namentlich sehr zahlreich bei Köstritz. An
beiden letzteren Stellen sind die Röhrenknochen sehr regelmässig aufgespalten. Er
setzt alle diese Funde in die Zeit, wo die Vergletscherung der subalpinen Gebirge
noch fortdauerte.
(17) Herr Yirchow berichtet über die am G. Juui von der Gesellschaft ver-
anstaltete Excursion nach Cottbus, namentlich über
deu Burgwall von Zahsow.
Nachdem die humoristische Seite des Ausfluges schon in einem eingehenden Be-
richt der Vossischen Zeitung geschildert worden ist, möchte ich mir erlauben, zu-
nächst ein paar Worte über die Ausgrabungen bei Zahsow zu sagen. Es handelt
sich da um einen jeuer Burgwälle, die, wie Sie wissen, in der Lausitz und deu au-
stossenden Landstrichen in sehr grosser Zahl verbreitet sind; es ist derjenige, welcher
auf der Karte des Hrn. Major Schuster über das System der Ober-Lausilzer Schanzen
als Nr. 107 (S, M6) verzeichnet ist. Indess ist es nicht bekannt — wenigstens mir
(128)
nicht — , dass irgend schon früher Untersuchungen dieses Burgwalles stattgefunden
haben. Unsere Untersuchung hat nun in Bezug auf eigentliche Fuudgegenstände sehr
wenig geleistet, dagegen ist sie in einer anderen Beziehung von einer überaus grossen
Bedeutung, und vielleicht sogar für die Geschichte dieser Anlagen Epoche machend.
Es hat sich uehralich herausgestellt, dass der Burg wall auf einem Pfahlrost
errrichtet worden ist, und zwar auf einem Pfahlrost, der vielleicht schon als solcher
bewohnt gewesen ist. Dieses kann allerdings Gegenstand des Zweifels sein, ist mir
aber nach dem ganzen Fundverhältnisse in hohem Maasse wahrscheinlich.
Zum Verständniss dieser Verhältnisse will ich daran erinnern, dass wir uns in
dieser Gegend der Lausitz in einem Gebiete befinden, welches schon bei dem flüch-
tigen Durchreisen eine unaufhörliche Abwechselung darbietet von flachen Hügeln und
tieferen Niederungen, die entweder noch gegenwärtig Seen enthalten, oder wenigstens als
alte Seebecken sich erweisen, die später zugewachsen sind und entweder, wie der Spreewald,
noch gegenwärtig ein überaus nasses und fast schwammiges, mit vielen Kanälen durch-
durchzogenes Terrain darstellen, oder umfangreiche Wiesen- und Moorflächen gebildet
haben, durch welche wasserreiche Bäche laufen. Gerade von der Gegend an, um die
es sich hier handelt, wird ziemlich bemerklich eine Anordnung der Überfläche, welche
charakterisirt ist durch Erhebungen, die im Grossen und Ganzen in ihren stärkeren
Ansteigungen parallel dem Lausitzer Gebirge liegen, und Herr ßoltze hat schon
früher darauf aufmerksam gemacht, dass man sich diese Conformatiou wahrscheinlich
so zu denken habe, dass bei der Hebung der Lausitzer Berge sich eine Faltung der
Oberfläche parallel dem Gebirge entwickelt habe. In den Vertiefungen zwischen
diesen Rücken stand ofl'eubar in früherer Zeit anhaltend Wasser, und zwar sehr be-
wegtes Wasser, wie mau aus den überaus zahlreichen Dünenbildungen, die hier vor-
kommen, ersehen kann.
Der ßurgwall von Zahsow, welcher nordwestlich von Cottbus liegt, befindet sich
gleichfalls in einem solchen frühereu Seebecken, und zwar ist der alte Uferrand
nicht sehr weit westlich von da, kaum eine Viertelstunde, entfernt. Das Gräberfeld
von Kolkwitz, von dem wir nachher hören werden, liegt schon auf dem Uferrande.
Diese Lage des Burgwalles entspricht der Lage einer Reihe von benachbarten Burg-
wällen, die ich früher besucht habe, namentlich denen von Gross-Beuchow und Vor-
berg in der Nähe von Lübbenau (Sitzung vom 13. Juli 1872). Leider ist der Zahsower
Burgwall in mehreren Richtungen schon stark zerstört; nur der nördliche, mit Strauch
bewachsene, erhöhte Rand steht noch ziemlich unversehrt. Er ist überdies querdurch
in getheiltem Besitz; die Hälfte nach Osten ist sogar mit einem kleinen Hause be-
baut und die Oberfläche tief ausgegraben; offenbar ist ein grosser Theil der oberen
Culturschicbten abgefahren. Auch vom östlichen Umfange fehlt ein grosses Stück,
ludess gerade diese Stelle bot uns eine bequeme Gelegenheit, die Beschaffenheit der
Aufschüttung an dem Abstiche kennen zu lernen. Von dieser Stelle wurde auch an-
gegeben, dass in der Erde, die von dort verfahren worden sei, ein paar Fundstücke
von scheinbar grösserer Bedeutung vorgekommen seien, nehmlich die Hälfte eines
Steinhammers und ein eigenthümlicher, sehr starker Metallring, der fast so aussieht
wie die Ringe, welche man heutzutage an dem Ende des Stieles von Dreschflegeln
oder Sensen anbringt; dem Anscheine nach besteht er aus Bronze; auch ist er in
mehr antiker Weise verziert. Es ist nur zweifelhaft, ob diese beiden Stücke, welche
Herr Voss für das Museum an sich genommen hat, dem Burgwall als solchem an-
gehören, denn sie stimmen gar nicht mit dem übereiu, Avas sonst gefunden ist. Der
genannte Abstich bot sonst nicht viel dar; er bestand ganz aus losem, aufgeschüttetem
Sand, aber an einer Stelle zeigte sich einer jener grossen Trichter, eine von obenher
in die Aufscliültung eingreifende Grube, die zum grössten Theil mit verbranntem Holz
/.rf/.yr/iri/t für f"fJuN>loffi4' //!nfhr(jfn//v^/x,^n' ^i'f.<:f//s///4Z/l/
TafYJI
I I 1 1 I 1 1 1 1 I 1 I 1 1 1 1 I , 1 ,1 1 1 1 1 1 I I I I 1 1 ,., I
MaafssTob zu,N9 7-&. 10-13.
WA.Vcy» läh.
Vfr-laa v^rz ftlei^aritit. Hfrnpfi i Farn/ in Berlin
ZeiUrhri/ltfür fif/i/to/of/w fAn//,,r>/w/o,/,.,,/f,' üWr/Zs^/uf///
Taf.n
Vgr^aa T^n Humana/, //,mp^/ i Farrv «7 Berlin
I — ^aat©
nrLNat.Utk .o.W.AMeifa.
Li'ilaclinV iui' tlt/iihUnnii' ,iiiini;ipniO(jisr/ii- i ir.scusrjui^i /.
Terlaa oon Wietfondt-^Mempfl S Pareq "
(129)
erfüllt war, darunter grosse mächtige Stücke von Balken und zwar solche von Ei-
chenholz. Die ganze Erde, die darüber lag, war kohlig und schwarz. Hier sowohl,
als in der nächsten Umgebung fand sich eine Reihe von Thonscherben, von denen
einzelne deutlich dem Burgwalltypus aus der späteren slavischeu Periode angehören.
Die Mehrziihl dieser Scherben gehört zu Gf^fässen mit weiter Oeffnung (Töpfen),
und ist mit tiefen Horizontalfurchen und Hervorragungen versehen; einzelne zeigen
ein deutliches, aber einfaches Wellenornament. Das Material ist sehr grob und ülier-
diess mit Gesteingrus geraengt. Offenbar war diese Grube, die früher auf der
Fläche gelegen haben muss, eine kellerartige Vertiefung, über der wahrscheinlich ein
kleines Gebäude stand, von welchem in die Grube hinein beim Brand des Gebäudes
Stücke der Balken fielen. Unmittelbar nebenan war nur der reine gelbe Sand.
Unsere Thätigkeit wurde jedoch hier sehr bald gehemmt durch den Einspruch der
Frau des Besitzers, einer sehr resoluten Wendin, die uns trotz der Anwesenheit des Land-
raths durchaus nicht gestatten wollte, auf dieser Seite weiter vorzugehen. So wand-
ten wir uns denn der entgegengesetzten Seite zu, wo auch schon ein Stück vom
Umfange abgetragen, die Oberfläche aber mehr intakt war und wo uns durch das
überaus freundliche Entgegenkommen des Besitzers, des Häuslers und Schneiders
Kollosche, der sich als ein sowohl wissenschaftlich, als politisch interessirter Mann
erwies, jede Hülfe freundlichst gewährt wurde. Von ihm wurde uns mitgetheilt, dass
in früherer Zeit eine Vertiefung rings um den Burgwall herumgegangen sei, die als
Wallgraben betrachtet werden kann; obwohl noch zum Theil sichtbar, ist sie jetzt grossen-
theils ausgefüllt. Man sei wiederholt in der Tiefe des Walles auf grössere Balken gestossen
und auch an einer Stelle auf eine aus grösseren Geröllsteinen zusammengesetzte „Mauer".
Wir liessen hier radial auf die Mitte gerichtet, einen tiefen Graben auswerfen, der
sich von dem alten Ringgraben bis in den Burgwall erstreckte. Es fanden sich dabei
auch in der Tiefe allerlei Scherben und Hausthierknochen , aber erst, nachdem wir
unter den scheinbar natürlichen Boden d. h. uuter die Grundfläche des beiläufig
15—20 Fuss hoheu Walls noch etwa 4—5 Fuss heruntergegangen wai'en, stiessen
wir auf Pfahl werk. Es ergab sich, dass der grösste Theil der Pfähle oder Bal-
ken horizontal gelagerte Eichenstämme waren und zwar zum Theil deutlich behauene,
zum Theil mit natürlicher Oberfläche versehene. Sie waren sehr fest und schwarz.
Neben den horizontalen Pfühlen standen einige wenige senkrechte. Wir haben natür-
lich bei der Kürze der Zeit nicht zu grosse Flächen aufdecken können. Einen sol-
chen senkrechten Pfahl habe ich mitgebracht, der zweierlei Verhältnisse in vollster
Deutlichkeit zeigt. Nehmlich einerseits, dass wir es hier mit einem Stück zu thun
haben, welches durch ein sehr scharfes Instrument gut bearbeitet worden ist. Es hat
durchweg ganz glatte Hau-Flächen und ich habe daher kein Bedenken, dieselben auf
Beai-beitung durch Eisen zu beziehen. Auf der andern Seite sehen Sie, dass beide
Enden des etwa 1 Meter laugeu Pfahles künstlich zugespitzt sind. Diese kurzen
Pfähle standen senkrecht im Grunde neben den horizontalen Balken; sie sind also
offenbar dazu bestimmt gewesen, als Befestigungsmittel zu dienen für diese anderen,
um sie in ihrer Stellung zu erhalten. Das stimmt durchaus mit dem, was wir sonst
in unseren eigentlichen Pfahlbauten antreffen; nur ist mir persönlich bis jetzt nie-
mals diese Kürze der senkrechten Stücke vorgekommen. Die meisten Pfähle, die ich
sonst gesehen habe, waren 10—12 Fuss lang und tief in den Grund hineingetrieben.
Die ganze Anordnung machte allerdings hier wesentlich den Eindruck, als sei
der Pfahlbau uicht zur eigentlichen Bewohnung bestimmt gewesen. Ich würde nach
der Gesammt-Disposition vielmehr die Meinung gewonnen haben, dass er eben nur be-
stimmt gewesen sei als ein Rostwerk, auf welchem die weitere Aufschüttung des
Burgwalles stattfinden sollte. Es ist nur ein einziger Umstand vorhanden, der diese
Verhanül. der BcrI. Anthropol, Oesellschoft. isrs. g
(130)
Interpretation zweifelhaft macht, nehmlich, dass in demselben Niveau, ganz unzwei-
felhaft zwischen den horizontalen Balken, Topfscherben und Knochen von Hausthie-
ren gefunden wurden. Denkt man sich, dass der Pfahlbau zu nichts weiter diente,
als zu einem einfachen Rost oder Unterbau, so würde es allerdings schwer sein, das
Vorkommen solcher Abfälle an dieser Stelle zu erklären. Diese Dinge fanden
sich ganz tief, zum Theil umgeben von einer schon in das Grundwasser reichen-
den Ablagerung mooriger Theile, in denen zahlreiche Bruchstücke von Strauch-
w erk, Nussschalen, Blättern und anderen Gegenständen enthalten waren, welche offen-
bar dnrch bewegtes Wasser angeschwemmt sein mussten. Darunter kam dann unmit-
telbar der eigentliche Seesand.
Das ist das Thatsächliche, was von uns festgestellt wurde. So wenig es ist, so
erscheint es mir doch bemerkenswerth genug, denn es lehrt, dass die Vermuthung,
die man sonst wohl hegen konnte, als sei der Burgwall auf einer ursprünglichen Insel,
auf einer natürlichen Erhöhung des Bodens augelegt worden, unzutreffend war, dass viel-
mehr die gesammte Anlage künstlich hergestellt ist und zwar unmittelbar auf dem
alten Seebodeu, zu einer Zeit, wo derselbe noch nicht durch Wiesen überdeckt war.
Welche colossale Arbeit muss dazu gehört haben, eine solche Anlage herzustellen!
Ich habe, wie Sie sich vielleicht erinnern werden, im vorigen Jahre (Sitzung am
16. Mai 1874) Ihnen Mittheilung gemacht über die erste derartige Anlage, welche
ich in unserem Lande gefunden hatte, diejenige von Potzlow in der Uckermark, die-
selbe Stelle, von wo ich das merkwürdige Dolchblatt mit der Tauschirarbeit aus
Silber und Kupfer gewonnen hatte. Da war allerdings das Pfahlwerk viel vollstän-
diger und es konnte kein Zweifel darüber sein, dass der Pfahlbau als solcher be-
wohnt gewesen ist, was ich hier nur als eine Möglichkeit aufstelle. Indess iar Gros-
sen und Ganzen ergiebt sich doch, dass nun hier an einer zweiten und von jenem
ersten Fundort sehr entfernten Steile eine ähnliche Anlage nachzuweisen ist, wie sie
bis jetzt nur von den Terremaren Oberitaliens bekannt war, und erst in letzter Zeit
in einigen südfianzösischen Localitiiten nachgewiesen ist. Indess Sie ersehen auch
aus meiner Darstellung, dass man eigentlich nur durch einen besonderen Glücksfall
in die Lage kommen konnte, derartige Verhältnisse zu constatiren. Ich glaube, Nie-
mand würde daran denken, dass man bei einem hohen Burgwall im Grunde auf ein
Pfahlwerk stosseu könnte. Jetzt wird es unsere Aufgabe sein müssen, bei analogen
Anlagen so tief in den Grund zu gehen, dass wir feststellen können, ob ein Pfahl-
werk vorhanden ist oder nicht.
Ich war schon in früherer Zeit auf eine gewisse Beziehung unserer Pfahlbauten
zu den Bargwällen aufmerksam geworden und hatte dieselbe in meinem ersten Vor-
trage (Sitzung vom 11. Decbr. 1869. Zeitschr. f. Ethnologie Bd. L S. 410) bespro-
chen. Indess glaubte ich bis dahin nur, dass Burgwälle und Pfahlbauten neben ein-
ander von derselben Bevölkerung errichtet seien; die wirkliche Substruction eines
Burgwalls durch einen Pfahlbau hatte icli nicht vernmthet, obwohl ich bei dem Pfahl-
bau im Daber-See Balken bis tief in die mit dem Burgwall zusammenhängende
Umwalluiig hatte verfolgen können. Wie viel oder wie wenig aus den jetzigen Er-
fahrungen in Bezug auf diese älteren Fundstätten hervorgeht, wird sich erst durch
weitergehende Forschungen ergeben müssen. Ebenso ist es im hohem Maasse frag-
lich, ob irgend eine Beziehung unserer Pfahlbau - Burgwälle zu den italienischen
Terremaren besteht, die nach Allem einer weit früheren Zeit angehören. Allerdings
ein Verbindungsglied haben wir nach Süden; das sind die von Herrn Jeitteles in
der Stadt Ol mutz gemacliten Inuule, die er selbst in eine sehr entfernte Zeit verlegt,
ludess halte ich erst in der vorigen Sitzung meine Gegengründe entwickelt, und ich
(131)
habe nunmehr um so weniger einen Zweifel, dass auch in Olmütz die Sache sich
ähnlich verhalte, wie in Potzlow und Zahsow.
Ich habe nur noch das Eine hinzuzufügen, dass sehr wahrscheinlich nach den Be-
schreibungen, welche die Leute uns gaben, auf dem Pfahlwerk an gewissen Stellen
eine starke Belastung mit Steinen stattgefunden haben muss. Wir selbst sind nicht
in der Lage gewesen, irgend einen grösseren Stein in situ zu sehen; möglicherweise
hatten wir gerade nicht die Richtung getroffen, genug, darüber kann ich nichts aus-
sagen. Aber ich habe nicht den mindesten Grund, die Aussage der ganz glaubwür-
digen Leute zu bezweifeln. Es würde das noch weiter für die WahrscLeinlichkeit
sprechen, dass die Anlage des Pfahlbaues in einer Zeit stattgefunden hat, wo das-
jenige, was jetzt Wiesenlläche ist, eine bewegte Seefläche darstellte. Gegen eine
solche Annahme scheinen auf den ersten Blick die übrigen Funde zu sprechen, welche
auf eine slavische Anlage hinweisen. Allein bekanntlich wird die Einwanderung der
Slaven in das 5. oder 6. Jahrhundert zurückdatirt und eine Zeit von 1200 — 1300 Jah-
ren, oder sagen wir kurz, ein Jahrtausend dürfte wohl genügen, um an Stelle eines
flachen Sees eine zusammenhängende Moorsumpffläche entstehen zu lassen.
Die Excursion gab zugleich eine sehr günstige Gelegenheit zur Betrachtung der
weudischeu Bevülkeriiug.
Dieses ganze Gebiet ist noch gegenwärtig von einer fast durchweg wendisch
sprechenden Bevölkerung bewohnt, und die sehr bunten, zum Theil barocken, zum
Theil recht malerischen Trachten der Weiber sind auch in der Hauptstadt bekannt
genug. In Cottbus wird noch wendisch gepredigt und wir hatten Gelegenheit, den
Kirchgang am Vormittage zu sehen, zu dem auch die Leute aus der Umgebung in
grösserer Zahl herangekommen waren. Ganz besonders erregten die Taufzeuginnen
durch ihren mächtigen und höchst kunstvollen Kopfjoutz allgemeine Aufmerksamkeit.
Am Nachmittage während der Arbeiten am Burgwall entwickelte sich ein reges Trei-
ben um uns. Während wir mit dem Ziehen unseres Grabens beschäftigt waren,
besetzte sich der Abhang des Burgwalls mit Wenden jedes Alters. Ganz kleine
Mädchen, schon ebenso geschmückt wie die älteren Mädchen und Frauen, bildeten
mit den letzteren eine dicht gedrängte, zusammenhängende Einfassung des oberen Randes,
und das heimliche Gekicher, die gespannte Aufmerksamkeit, das stete Zurückweichen
und Entfliehen vor nahenden Anthropologen brachte immer neue Bewegung in
die munteren Gruppen und die frischen Gesichter. So entstand denn auch der
Wunsch, einige Messungen vorzunehmen, um wenigstens die Kopfform etwas genauer
zu bestimmen, aber es kostete viele Mühe, zuerst einzelne Personen heranzubringen.
Indess mit der Zeit gelang es doch, und Hr. Langerhaus und ich selbst konnten
eine gewisse Zahl von Messungen anstellen. Die nachfolgende Tabelle giebt eine
üebersicht davon :
Grösste
Grösste
Höhe
(Gehör-
Breiten-
Höheu-
Länge.
Breite.
gang bis
Scheitel).
Index.
Index.
Junge Männer v. 18—20 J.
1
1)
177
152
85,9
2)
178
152
85,4
3)
180
146
80,1
4)
181
159
87,8
5) Lehrer u. Stellmacher
' 197
Kollosche.
170
86,3
(132)
Höhe
Grösste
Grösste
(Gehör-
Breiten-
Höhen-
Länge.
Breite.
gang bis
Scheitel.
Index.
Index.
6) Erwachsenes Mädchen.
179
144
80,4
7) Frau Noel.
182
153
84,06
8) Marie Noel, 9 Jahr alt.
174
141
112
81,03
64,3
9) Frau Domiuaschke.
175
151,4
117
86,5
66,8
10) Unverehelichte
•
Welan, 30 Jahr.
178
149
124
83,7
69,6
11) Bauer Pesch, 48 Jahr.
188
159
133
84,6
70,7
12) Frau Pesch, Gattin
des Vorigen, 53 Jahr.
186
159
131
85,5
70,4
13) Pesch Sohn, 26 Jahr.
196,5
163
143
82,95
72,7
14) Frau Pesch jun.,
Gattin des Vorigen,
21 Jahr.
176
153
121
86,9
68,7
Es liegt auf der Hand, dass der hier ermittelte Höhenindex mit dem eigentlichen
Schädel-Höheniudex nicht verwechselt werden darf, da das Höhenmaass am Schädel
vom Rande des grossen Hinterbauptsloches genommen wird, also ungleich länger ist.
Für die Verhältnisse am Lebenden lässt sich eine andere Höhenbestimmung schwer
machen. Sie genügt aber zu zeigen, dass im Allgemeinen der Wendenkopf ziemlich
hoch ist. W^enn andererseits an der Brachycephalie als der herrschenden Kopfform
kein Zweifel sein kann, so Hesse sich die Frage aufwerfen, ob die Sitte der Frauen,
welche schon bei ganz kleinen Mädchen angewendet wird, den Kopf unter Opferung
eines grossen Tiieils der Haare durch eine Binde fest zu umspannen, nicht zu dieser
Brachycephalie beiträgt. Indess lehrt unsere Zusammenstellung, dass auch bei den
Männern eine gleiche Brachycephalie existirt. Wir haben nehmlich bei
Männern. Frauen.
einen Breitenindex von 85*9
80-4
84-4
84-06
80-1
81-03
87-8
86-5
86-3
83-7
84-6
85-5
82-95
86-9
593-05
588-09
im Mittel 8492
84-01
Auch dieses Maass ist natürlich nicht entscheidend für die eigentliche Schädel-
foriii, aber es wird ilir doch bis zu einem gewissen Grade nahe kommen.
x\uch die Gesichtsbildung ist, wenigstens beim weiblichen Geschlecht, eine mehr
breite. Bei Männern ist ein längeres und schmaleres Gesicht mit längerer und ge-
rader Nase häufiger. Bei den Frauen ist das Gesicht mehr rundlich, voll, die Wan-
genbeine etwas vorstehend, die Nase meist gebogen und bei vielen kurz mit auf-
geworfemr Spitze. Die Farben sind frisch und hell, die Haare überwiegend braun,
jodoch mit lichter Nuance, nicht selten auch blond, die Augen wechselnd, häufig grau
oder braun, oft genug auch rein blau. Der Wuchs ist im Ganzen kräftig, aber die
iiänge des Kcirpers eine mittlere.
Ich erwähne endlich, dass in den D'nvUirn des Weudlaudes, wie im Spreewalde,
(133)
hölzerne Blockhäuser noch recht viel vorkommen und dass die Giebel derselben
gekreuzte Sparren mit Pferdeköpfen tragen. —
Hr. Voss schliesst daran weitere Mittheilungen
über Altert liiimsf linde ans der Ooiyend von Cottbus.
Ich möchte mir erlauben, Ihnen zunächst einen Bericht zu erstatten i'iber die
Ausstellung von praehistorischen Gegenständen, welche unsere Mitglieder, die Herren
Dr. Veckenstädt von Cottbus und Raben au von Vetschau in dem Empfangszimmer
des Bahnhofsgebäudes zu Cottbus veranstaltet hatten. Die Sammlung war zu reich-
haltig, als dass ich auf jedes Einzelne eingehen könnte. Ich will deshalb nur einiges
Bemerkenswerthe hervorheben. Zunächst waren zwei Gefässe ausgestellt, das eine
bei Gross-Teuplitz bei Forst, das andere bei der Stadt Forst gefunden, welche auf
dem obern Rande der Oeffuung zu beiden Seiten des Henkels einige zipfelförmige
Appendtces zeigten, die an die bekannte Form der ansa lunata erinnerten. Es ist
dies eine Art der Verzierung, welche bei uns sehr selten vorkommt. Ich kenne
nur zwei ähnliche Gefässe: das eine, ein becherförmiges, cylindrisches, mit etwas um-
ebogenem Rande, wird in der Sammlung zu Posen aufbewahrt und wurde bei Do-
bieczewko in der Nähe von Exin im Kreise Wongrowice im Grossherzogthum
Posen gefunden. Das andere befindet sich in der hiesigen königlichen Sammlung,
leider aber ist sein Fundort unbekannt.
Dann waren zwei Gefässe ausgestellt, welche die Form eines Trinkhorns hatten,
das eine in dem Töpferberg bei Forst, das andere auf der Feldmark des Dorfes Göritz
bei Cottbus gefunden. Auch diese Gefässe gehören zu den Seltenheiten. In der
Königlichen Sammlung befindet sich ein solches, welches aus der Gegend der schwar-
zen Elster stammt und entweder bei Schlieben oder Rossen gefunden wurde. Ferner
bildet Klemm ein ähnliches ab, welches vielleicht derselben Gegend entstammt.
Auch besitzt Herr Prof. Virchow ein solches Stück, welches bei seinen Ausgra-
bungen bei Zaborowo im Posenschen zu Tage gefördert wurde. — Ausserdem waren
einige sogenannte Doppelurnen von Interesse. Eine derselben ist bei Preschen, eine
■Bndere bei Gross-Bademeusel, Ortschaften in der Nähe von Forst, gefunden worden.
Die Königliche Sammlung besitzt dergleichen Gefässe in grösserer Zahl aus der Ge-
gend von Pforten und einige aus der Nähe des Dorfes Kolkwitz bei Cottbus, welche
von einem früher erwähnten ürnenfelde herstammen, wo Gold gefunden wurde. Dann
waren noch beachtenswerth einige Gefässe mit graphitähuliciiem ins Silbergraue spie-
lenden Anstrich. Die Königliche Sammlung besitzt auch von diesen Gefässeu eine
nicht unbedeutende Zahl. Leider aber befinden sich unter ihnen auch solche, welche
der Finder aus ubergrossem Restaurationseifer mit sogenanntem "Wasserblei überzogen
hat, so dass die ursprüngliche Färbung dadurch leider bedeckt ist. Höchst interes-
sant war ein Thongeräth, welches die Gestalt einer flachen kreisrunden Scheibe
hatte und auf welchem bei der Auffindung der untere Theil eines sogenannten Räu-
chergefässes stand. Es stammt von Berge bei Forst. Bis jetzt ist eigentlich noch
nicht klar gestellt, zu welchem Zweck diese Scheiben gedient haben mögen. Sie finden
sich in der Mark, in Posen, Schlesien und Pommern in verschiedeneu Grössen vor,
von etwa 3 Zoll bis 15 und 16 Zoll im Durchmesser. Einige sind auf der einen Seite
geglättet, auf der anderen mit Fingereindrücken versehen ; andere sind von fünf und
mehr kleinen Löchern durchbohrt. Sie wurden bis dahiu ziemlich allgemein als Dr-
nendeckel angesehen und es finden sich Analogien, welche diese Annahme rechtfer-
tigen. Herr Virchow fand bei seinen Ausgrabungen bei Zaborowo auch dergleichen
Scheiben, welche jedoch nicht auf den Urnen, sondern stets neben denselben lagen.
Es scheint demnach, als wenn der Fund von Berge geeignet ist, für dies Vorkom-
(134)
men eine Erklärung zu geben und ich glaube, dass man der Wahrheit am nächsten
kommt, wenn man annimmt, dass ein Theil dieser Scheiben als Urnendeckel, andere
dagegen als Unterlagen für Räuchergefässe dienten; damit ist aber nicht ausgeschlos-
sen, dass sie nicht auch noch zu anderen Zwecken gedient haben. Jedenfalls aber
werden wohl die durchbohrten Scheiben als Deckel gedient haben, denn wir. finden
eine ganze Reihe von Formen unter den Geräthen dieser Art, welche sich aus ein-
ander entwickeln lassen und die allmäligen Debergänge von flachen Scheiben bis zu
jenen eigenthümlichen Urnendeckeln darstellen, welche conisch geformt sind und
auf der Spitze einen caminähnlichen hohlen Cylinder tragen. Namentlich ist die
Sammlung zu Jena reich an diesen letzterwähnten Formen, welche sämmtlich aus
Schlesien stammen, wo ja auch jene flachen Scheiben, ebenso wie im Posenschen,
häufig genug gefunden werden. Vielleicht wurden die mit diesen Deckeln versehenen
Gefässe auch als Räuchergefässe benutzt; vielleicht aber hatten sie auch mystische
Beziehungen zu dem Verstorbeneu, für dessen Seele jene Oeffnungen vielleicht Durch-
gangspforten bildeten.
Auch verschiedene Bronzesachen waren ausgestellt, unter denen ausser einigen
Bronzeringen, welche bei Werben gefunden wurden, hauptsächlich ein Paalstaf be-
merkenswerth war, welcher zwar im Allgemeinen die häufig vorkommende Form
ohne Schaftlappen mit flacher bis zur Mitte reichender Rinne zeigte, sich aber durch
einen halbkreisförmigen Ausschnitt auf der Spitze des Schaftendes auszeichnete.
Derselbe wurde bei Scheuuo in der Nähe von Forst gefunden.
Die Umgegend von Weissagk bei Forst war durch Bruchstücke einer grossen
Urne vertreten. Das Gefäss, dem dieselben angehörten, ist vielleicht 15 — 16 Zoll hoch
gewesen und wird auch einen ebenso grossen Durchmesser gehabt haben. Es war
ungehenkelt und einfach topfförmig. Die Wandungen waren sehr dick und an ihrer
Aussenfläche künstlich rauh gemacht. Etwa 2 Zoll unterhalb des Randes und pa-
rallel mit demselben verlief eine erhabene, etwa 'A Zoll breite Leiste, welche mit
Filigereindrücken ornamentirt war. Diese Art von Gefässen ist in sofern bcmerkens-
werth, als man wegen ihres höchst rohen Aussehens nicht geneigt sein könnte,
anzunehmen, dass so unvollkommene Exemplare derselben Zeit angehören, wie
die so vollendeten Formen, welche wir so häufig in diesen Gegenden finden. Und
dennoch ist dies wirklich der Fall. Was aber das Interesse an denselben noch er-
höht, ist der umstand, dass diese Gefässe auch an Localitäten vorkommen, wo Gold
gefunden wurde. So besitzt die Königliche Sammlung ein kleines, ganz ähnlich rohes
einhenkeliges Gefäss aus dem Urnenlager südlich von Kolkwitz, wo in einer Urne
ein Goldplättchen gefunden wurde. Und vielleicht steht auch dieses grosse Gefäss
von Weissagk in Beziehung zu einem nicht unbedeutenden Goldfunde. Nahe bei
dem Dorfe Weissagk ist nämlich eine grosse frühere Seefläche, die vor etwa 18 Jah-
ren trocken gelegt und durch Ueberfahreu mit dem Sande der darin belegenen klei-
nen Hügel allmälig in Ackerland umgeschaffen wurde. Diese Hügel und kleinen Her-
vorragungen, von etwa 50 — 80 Ruthen Durchmesser, liegen vereinzelt und bestehen aus
reinem, ausgewaschenem Dünensande. In dem einen dieser Hügel fand man nun
beim Abfahren 8 runde goldene Zierplättchen, von etwa 1 '/4 Zoll Durchmesser mit con-
centrischen, durch Riefung hergestellten Kreisen und einem kleinen henkelartigen An-
hang; sonst aber Nichts weiter. In einem anderen Hügel wurden 9 vierkantige ge-
wundene Bronzearmringe gefunden, ebenfalls ohne Beifunde. In einem dritten Hügel
stand die eben beschriebene Urne, neben welcher noch einige Bruchstücke von an-
deren Urnen und einige Feuerstellen zum Vorschein kamen. Ausserdem war ein andrer
dieser Hügel an seiner Oberfläche ganz mit Kohlen bedeckt und an einigen Stellen
mit Steinen dicht belegt, so dass man in der sonst ziemlich steinarmen Gegend meh-
(135)
rere Fuder von dieser einen Stelle abgefahren hat. Namentlich an einer Stelle wa-
ren die Steine dichter angehäuft und reichten, von einer schwarzen Kohlenschicht
eingeschlossen, bis etwa 2— H Fuss unter das Niveau der Umgebung,
Ich möchte mir nun erlauben, hier noch einige Notizen über andere Goldfunde
anzuschliossen, welche icii den Herren Dr. Veckenstedt und Rabenau verdanke
und welche diese Gegend betreffen, um wenigstens zu begründen, dass unsere Er-
wartungen auf Gold nicht ganz unberechtigt waren. Ein Goldarbeiter in Cottbus
hat nämlich angegeben, dass er aus den Dörfern Werben und Burg im Spreewalde
allein fiir etwa 800 Thlr. an Gold erworben habe, das bei ländlichen Arbeiten zum
Vorschein gekommen. Ausserdem sind in der Gegend von Altdöbern auch ziemlich
bedeutende Goldfunde gemacht worden. Die Bauern hatten nämlich beim Bestellen
ihrer Aecker Spiralen von Golddraht gefunden und dieselben als Pfeifenräumer lie-
nutzt, bis eines Tages ein Kundiger kam und sie iiber den Werth der Gegenstände
aufklärte. Ausserdem wurden nach Aussage des Herrn Rabenau sen. nahe bei
Cottbus bei dem Dorfe Kockrow Urnen zu Tage gefördert, welche mit anderen Ur-
nen zugedeckt waren und in ähnlicher Weise, wie Herr Prof. Virchow ein ähn-
liches Vorkommen von den Ausgrabungen bei Zaborowo beschrieben hat, an der Peri-
pherie der bedeckenden Gefässe einen Ring von ziemlich starkem Golddraht trugen.')
Was nun unsere Ausgrabungen bei Kolkwitz anbetrifft, so waren dieselben aller-
dings von keinem besonderen Resultate gekrönt. Die Stelle, südlich von dem Dorfe
belegen, wo das Goldplättchen in einer Urne gefunden wurde, war schon zu sehr
durchwühlt. Ich habe schon früher dort Nachgrabungen angestellt, damals aber
auch weiter nichts erbeutet, als verschiedene Trümmer. Wir haben auch diessmal
nur einige Scherben zu Tage gefördert und waren nicht einmal so glücklich
ornamentirte darunter zu finden. Die Urnenfelder bei Kolkwitz liegen auf einem
continuirlichen Sandrückeu, der in der Nähe von Cottbus beginnt und sich zwi-
schen feuchten Niederungen bis über das Dorf Kolkwitz hinaus erstreckt. Es sind
auf demselben an verschiedenen Stellen, unter anderen auch nahe bei der Stadt Cottbus
in der Gegend eines jetzigen Kirchhofes, Urnen zum Vorschein gekommen und es
scheint demnach fast, als sei dieser Sandrücken ein zusammenhängendes Urnenfeld
in seiner ganzen Erstreckung bis über Kolkwitz hinaus. Das bei Kolkwitz gefun-
dene Goldplättchen, sowie eine Anzahl gut erhaltener Cefässe, welche ebenfalls jener
Stelle entstammen und meistens den gewöhnlichen sogenannten Lausitzer Typus zei-
gen, hat das Königliche Museum erworben und aufgestellt. Auf dem nördlich von
Kolkwitz belegenen Urnenfclde konnten wir aus Zeitmangel nicht Nachgrabungen
anstellen und mussten uns auf eine Ocularinspection beschränken. —
Herr Woldt macht darauf Mittheilungen über gewisse Kirchenmarken, auf
welche Herr Dr. Edm. Veckenstedt in Cottbus die Mitglieder der Excursion bei
der i^esichtigung der Wendischen Kirche in Cottbus aufmerksam gemacht hatte.
Nach Herrn Veckenstedt's Ansicht sind diese Marken, welche aus Längs- und
Querrillen, sowie aus runden Löchern bestehen, dadurch entstanden, dass in frühe-
ren Jahrhunderten Krieger, welche ihre Waffen weihen lassen wollten, dieselben von
Aussen an die Kirchenmauer gelehnt haben und dadurch im Laufe der Jahre die Eindrücke
hervorgebracht seien. Uebrigens kämen diese Marken auch sonst au Kirchen in
Mitteldeutschland vor, so namentlich in Goslar und Braunschweig, und die Volks-
sage erkläre sie hier als Krallenspuren des Löwen, welcher die Kirche nicht betreten
') Bei dem Dorfe Babow in der Gegend von Cottbus wurden, wie mir Herr Rabenau jun.
g;ütigst mittheilto, auch ähnliche Befimde angetroffen. Die Deckelgefässe waren hier aber mit
einem Bronzering umgürtet.
(136)
durfte, während sein Herr, Herzog Heinrich im Innern derselben betete. Nach der
Auffassung des Herrn Dr. Heinrich Boltze in Cottbus hängen diese Kirchenmar-
ken mit den Wochenmärkten zusammen, welche stets rings um die Kirchen abge-
halten wurden: sie seien Kennzeichen für diejenigen, welche ihren Verkaufsstand da-
durch fixiren wollten. Herr Woldt constatirt das Vorkommen runder Vertie-
fungen, welche etwa 1 Zoll im Durchmesser haben, auch für die Marienkirche und
die Nicolaikirche in Berlin, sowie für die Jacobikirche in Stettin, während er an gleich
alten Kirchen in Stralsund, Kopenhagen, Malmö, Ystad , sowie an den etwa aus dem
Jahr 1000 stammenden alten Rundkirchen auf Bornholm diese Marken trotz eifrigen
Suchens nicht gefunden hat. Bemerkenswerth ist, dass das bekannte steinerne Kreuz,
welches gegenwärtig am Thurmeingauge der St. Marienkirche zu Berlin steht, eben-
falls fünf Vertiefungen besitzt, die obgleich etwas tiefer, wie die Rundmarken an
derselben und an anderen Kirchen, diesen dennoch sehr ähnlich sind. Dieses stei-
nerne Kreuz ist zum Andenken an den im Jahre 1327 in Berlin ermordeten Propst
Nicolaus von Bernau errichtet worden und dienten die fünf Vertiefungen der Sage
nach dazu, um die ewige Lampe, welche zur Sühne lange Zeit an dem steinernen
Kreuze brennen musste, zu halten. Da nun in katholischen Gegenden auch heute
noch zum Andenken an die Verstorbenen zu Zeiten Lichter angezündet werden , so
liegt, wenn man nach einer Erklärung der Rundlöcher an der Aussenseite der Kir-
chen sucht, der Gedanke nahe, diese Vertiefungen als solche anzusehen, in denen
einstmals derartige Lichter, mochten sie nun zur Sühne oder zum Andenken brennen,
befestigt gewesen sind. Merkwürdig ist übrigens die üebereinstimmung der Grösse
der Rundvertiefungen in den verschiedenen Kirchen und legt der Vortragende zum
Beweise dafür eine Anzahl von ihm in Gyps abgeformter Vertiefungen des Stein-
kreuzes und der Aussenmauer der Marienkirche, sowie der Nicolaikirche in Berlin vor,
welche mit den auf einem von Herrn Raben au aus Vetschau in derselben Sitzung
vorgelegten Stück der Kirchenwand befindlichen Rundlöchern an Grösse überein-
stimmten. Die Untersuchungen über diesen Gegenstand sind übrigens durchaus noch
nicht abgeschlossen uud wäre es höchst wünschenswerth, wenn in allen Theilen Deutsch-
lands und andern Ländern Nachforschungen über diese Rillen angestellt würden.
Herr Rosenberg bemerkt hierzu, dass er die Vorlage der abgeformten Rund-
löcher mit grosser Freude begrüsse. Diese Höhlungen hingen genau zusammen mit
den sogenannten Grübchensteinen der heidnischen Zeit, und es seien solche Vertie-
fungen namentlich an den Opfersteiaen zu Quoltitz und Werder, sowie am Burgwall
zu Garz, ferner in der Schweiz und in Skandinavien gefunden worden. In dem Vor-
kommen dieser Vertiefungen an christlichen Kirchen haben jA'ir offenbar ein Hinein-
ragen des Heidenthums in das Christenthnm zu erblicken und es wird die Aufgabe
der Mythenforschung sein, die richtige Stelle des Zusammenhanges zu finden.
(17) Herr Virchow besprach unter Vorlegung desselben
den Schädel der heiligen Cordula.
Die Veranlassung zu dieser Betrachtung war zunächst eine rein archäo-
logische Frage, welche angeregt zu haben das Verdienst unseres Schriftführers, des
Herrn Dr. Voss ist. Derselbe hatte seine Aufmerksamkeit dem Reliquienkasten
des Doms zu Cammin zugewendet, welchen Sie hier vor sich sehen. Sie werden sich
überzeugen, dass es in der That eins der merkwürdigsten Objecte der archaischen
Kunst unseres Nordens ist. l']r gehört noch gegenwärtig der Domkirche in Cam-
min, obwohl begreiflicherweise mit der Reformation der Gebrauch der Reliquien
aufgehört hat, und es ist sonderbar genug, dass damit eine Reihe von Heiligenkno-
(137)
clien in die Hände der Ketzer gekommen ist und auch uns Gelegenheit geboten wird,
sie vor uns zu sehen. Ich will zur Entschuldigung sagen, dass wir damit um so
weniger ein Sakrilegium zu begehen glauben , als in neuerer Zeit namentlich in
Italien, unter Zustimmung der Geistlichkeit alte Heilige nicht blos aus ihrem Gra-
be gehoben, sondern auch von Anatomen untersucht worden sind; so der heilige
Ambrosius und andere Kirchenlichter, deren Craniologie erst jetzt in das richtige
Licht gestellt ist. Ich selbst war, freilich unter ganz anderen Umständen, einmal be-
rufen, die Aeohtlieit von Heiligenkö})fen zu constatiren. In Würzburg wurden in der
ersten Zeit, wo ich an der dortigen Universität lehrte, die lange vermissten Köpfe
der heiligen Märtyrer Kiliaii, Colonat und Totnam, der Frankenapostel, aufgefunden, kurz
nachdem auf der dortigen Anatomie wiederholt Schädel und ein Skelet gestohlen waren.
So entstand das Gerücht, die feierlich ausgestellten Schädel seien mit den gestohlenen
identisch. Ich konnte jedoch bestätigen, dass es alte Schädel seien und dass auch die
mächtigen Wunden, welche sie trugen, vor langer Zeit angebracht sein mussten. Die
Sache hatte aber doch den guten Erfolg, dass die Anatomie ein schönes Skelet
zurückerhielt, welches der Dieb „in der Beichte" angegeben hatte.
Die heilige Cordula hat ein besonderes Interesse vielleicht schon deshalb, weil
man so wenig von ihr weiss. Es gilt dies nicht bloss von den Ketzern, sondern
auch von den Gläubigen. Es ist ihr, wie jeder Kalender ergiebt, der 22. October
geweiht. l)(!r 21. October ist der Tag der heiligen Ursula. Es erklärt sich diese
Nähe eben aus dem Umstände, dass die heilige Cordula eine der 11,000 Jungfrauen
war und zwar, wie sich das Martyrologium romanum ausdrückt: sola ex illis soda-
libus, quae polleat praerogativa. Die Geschichte der heiligen Ursula wird Ihnen im
Grossen bekannt sein. Es wird berichtet in den heiligen Geschichten, dass sie die
Tochter eines christlichen Königs von Britannien gewesen sei, dass der Sohn eines
heidnischen Königs in Deutschland um sie gefreit habe, dass dann die Bedingung
gestellt worden sei, dass, wenn sie die Heirath eingehe, in der Gegend von Köln,
wohin die Sage zielt, das Christeuthum definitiv eingeführt werden müsse, und dass
es eine Spezialbedingung des Heirathcontractes wurde, dass 11,000 christliche Jung-
frauen aus Britannien mit herübergeführt würden, welche bestimmt waren, Eheu ein-
zugehen mit den heidnischen Deutschen , um auf diese Weise ein christliches Ge-
schlecht zu erzielen. Für die Sammlung dieser 11,000 Jungfrauen waren 2 Jahre
Frist gestellt, während deren zugleich der betreffende Prinz dem christlichen Unter-
richt unterworfen werden sollte, damit er hinreichend fest sei, wenn die Heirath
vollzogen würde. Dann fuhr die heilige Ursula mit den 11,000 Jungfrauen, je 1000
in einem Schiff, herüber. Sie wandten sich jedoch zunächst aufwärts über Basel und
die Alpenpässe nach Rom, beteten au den Gräbern der Apostel und kehrten, be-
gleitet von einigen Kirchenvätern, welche schon damals die Vorahnung des kommen-
den Martyriums hatten, wieder nach Deutschland zurück. Die Sagen schwanken et-
was über die Zeit, in welcher dies Ereigniss stattgefunden haben soll; sie schwan-
ken zwischen dem 4. und 5. Jahrhundert. Vor Köln geschah das Grässliche, dass
heidnische Feinde der Jungfrauen begehrten, und dass diese, als sie sich weigerton, mit
ihnen Ehebündiiisse einzugehen, sämmtlich erschl.igen wurden. Nur eine der Jung-
frauen verbarg sich aus Furcht vor dem Tode bis zum nächsten Tage; dann aber,
als sie erfuhr oder bemerkte, dass ihre Genossinnen alle dem Martyrium unterlegen
waren, fasste sie einen tapferen Entschluss, gab sich zu erkennen uml wurde gleich-
falls ermordet.
Lange Zeit hatte man nicht gewusst, wer sie war. Erst, wie es scheint, im 11.
oder 12. Jahrhundert, geschah es, dass eine Nonne im Kloster zu Herse in West-
falen, mit Namen Heleutrud, in einer Nacht eine Erscheinung hatte und dass sie ein
(138)
leuchtendes Frauenbild vor sich sah, welches von ihr verlangte, dass sie auch beson-
derer Ehren theilhaftig und in das Gebet der Gläubigen mit eingeschlossen würde.
Auf einem Strahlenbande, welches auf ihrer Stirn befestigt war, las die Nonne den
Namen Cordula. So wurde zuerst der Name der letzten üeberlebenden der 11,000
Jungfrauen bekannt, ein Name, von dem nachher etwas sonderbare Erkliirungen gegeben
sind. In dem Heiligenlexicon der Herrn Stadler und Heim (Augsburg 1858. Bd. 1.
S. 671.) steht sonderbarer Weise, er bedeute „Herzchen", indoss das Diminutiv von cor
heisst corculum und nicht cordulum. Die Acta sanctorum sind in dieser Beziehung viel
correkter, indem sie cordula als Diminutiv von corda angeben, da gewissermassen ein
Faden gegeben sei, an welchem die göttliche Inspiration zu den Menschen geleitet sei.
Im IH. Jahrhundert ereignete sich von Neuem ein wichtiges Wunder. Es ge-
schah, dass ein Bruder des Ordens des heiligen Johannes von Jerusalem in
dem Kloster zu Köln, Yngebrand de Rurke in einer Nacht gleichfalls die Er-
scheinung dieser Jungfrau hatte. Er war, wie es scheint, etwas trägen Geistes
und hatte in der ersten Nacht, als sich dieses ereignete, die Gelegenheit ver-
säumt, sich vollständig zu instruiren. Er theilte die Sache seinem Prior mit;
der sagte, er müsse herausbringen, was das eigentlich sei, und wie das zusam-
menhinge. Darauf trat denn in der That dieselbe Vision in der folgenden Nacht
auf, und obwohl der Mann nicht lesen konnte, las er doch an der Stirn: Cordula
Virgo -Regina. Das behielt er. Als er am Morgen aufwachte, wiederholte er immer
diese Worte, wie die Acta sanctorum berichten. Nun war noch nicht herausge-
bracht, weshall) die heilige Coidiila sich gezeigt habe. Das wurde bei der dritten Vision
constatirt: sie theilte mit, dass in dem Klostergarten bei einem grossen Haselnuss-
baum ihr Leib begraben sei. Er machte sich nun darüber und es gelang ihm auch,
den Körper der Heiligen zu entdecken. Aber man scheint ihm nicht gebührende
Aufmerksamkeit geschenkt zu haben. Um diese Zeit kam jedoch der Bischof Al-
bertus Magnus von Regensburg nach Köln; der machte sich alsbald auf, ging selbst
zu der Stätte, betete au und liess sofort die Gebeine in die Kirche des Klosters bringen.
Die Acta sanctorum ') wissen nichts weiter über die Heilige zu berichten,
als dass sich nachher ein lebhafter Streit erhoben habe zwischen den Kölnern
und den Prämonstratensern in der Abtei Vicoigne bei Valence (Valentia), welche
behaupteten, dass sie die Gebeine der Heiligen besessen, wie das so oft geht. Und
in der That, gerade so, wie bei der ersten Erhebung der Leiche unter dem Hasel-
nussbaum, als das Erdreich entfernt war, der angenehmste Wohlgeruch sich ver-
breitet haben sollte, constatirten die Viconenser Mönche, dass bei einer Aenderung
ihres Klosters, als die Gebeine translocirt wurden , dieser selbe himmlische Wohlge-
ruch sich verbreitet habe. Wie der Schädel nach Gammin gekommen ist, ist aus
den Acta sanctorum nicht ersichtlich, auch weiss ich sonst Weiteres darüber nicht zu
melden. Indessen war bekanntlich in Canimin der pommersche Bischofsitz, errichtet
in einer Zeit, wo die kirchliche Erweckung sehr stark war. Es lässt sich wohl erwarten,
dass der heilige Otto und seine Nachfolger dafür gesorgt haben, dass sichere Gebeine
dahin kamen, und dass nicht etwa eine fabrica ossium, wie sie später wiederholt constatirt
worden ist dazwischen trat. Ich nehme also an, dass das, was Sie hier vor sich sehen, in
der That der richtige Schädel ist, und wenn Sie die mächtige Spalte sehen, welche
die Stirn der Heiligen ziert, so kann man sich wohl vorstellen, dass der Hieb eines
Heiden das Leben der Heiligen vernichtet habe. Es ist gleichzeitig mit diesem
Schädel eine Reihe anderer Gebeine vorhanden, von denen man zum Theil anneh-
') Acta Sanctorum Oetobris T. IX. p. 580.
(139)
men könnte, dass sie dazu gehörten, indess die Mehrzahl macht einen anderen Ein-
druck, einige gehören sicherlich zu anderen Körpern, als der Schädel. Es würde
also von Interess'e sein, aus den Invcntarien des Doms zu Cammin zu constatiren, zu
welchen anderen Heiligen sie gehört haben. Hier ist z. B. ein ganz braunes Fersen-
bein mit Verknöchcrung des Ansatzes der Achillessehne, welches offenbar von einem
männliclien Individuum herstammt; es giebt ferner darunter einige andere sehr alte,
höchst brüchige Knochenstücke, die wahrscheinlich aus den ältesten Zeiten des Chri-
stenthums stammen, vielleicht von den Aposteln selber. Sie sind so abgegriffen, dass
wenn man annimmt, dass der Schädel aus dem 5. Jahrhundert stammt, sie wenig-
stens aus dem ersten stammen müssen. Ausserdem haben wir eine Reihe von sehr
gemischten Knochen, Stücke von Schläfenbeinen und Unterkiefern, die auch nicht wohl
mit dem Schädel in Verbindung gebracht werden können.
Was nun den Schädel selbst anlangt, so ergiebt sich daraus zunächst, dass die
heilige Cordula wohl einen äusseren Grund hatte, sich nicht den anderen Jungfrauen
gleich zu stellen. Es ist nehmlich der Schädel einer ziemlich alten Frau. An der
weiblichen Beschaffenheit zweifle ich keinen Augenblick; es sind alle Merkmale vor-
handen, die man sonst den weiblichen Schädeln zuschreibt. Aber es ist auch gar
kein Zweifel, dass die Trägerin alt war. Obwohl das ganze Gesicht mit dem Jochbein
und die Basis des Schädels nebst einem Stück der Hinterhauptsschuppe fehlen, so
zeigt sich doch eine so ausgedehnte Verknöcherung der Nähte, namentlich der Pfeiluaht,
wie der mittleren Theile der Kranz- und I.ambdanaht, wie sie eben nur bei einem alten
Individuum vorkommen kann. Zufällig läuft quer über die Scheitelhöhe eine stark ab-
genutzte oder abgeschrapte Fläche, die durch ein nicht ganz klares Reiben entstanden
sein muss; dadurch ist die Oberfläche so weit abgeschabt, dass man hier wenigstens
deutlich eine Naht sehen raüsste, wenn sie noch vorhanden gewesen wäre. Das ist
aber gar nicht der Fall.
Wenn man sich ferner die Frage vorlegt, welchem Typus der Schädel entspricht,
so findet sich eine verhältnissmässig grosse Länge und Breite bei einer verhältniss-
mässig nicht beträchtlichen Höhe. Der Breitenindex beträgt 76-8, ein Maass, welches
der sogenannten Mesocepbalie entspricht, einer Form, wte sie den Kulturmenschen
Europas im Allgemeinen eigenthümlich ist. Das, was den Schädel specieller
charakterisirt, ist namentlich die Bildung des Hinterhauptes, welches die Hinter-
lappen des Gehirns repräsentirt. Dasselbe ist ungewöhnlich weit hinaufgeschoben
und scheidet sich an der Spitze der Squama occipitalis durch einen tiefen Ab-
satz von dem Mittelkopf. Der obere muskelfreie Theil der Squama ist stark ge-
wölbt, aber niedrig und von geringer F'lächenausdehnung, so dass merkwürdiger
Weise die F^ntfernung der Protuberanz von der Spitze ungemein klein ist. Sie
misst nur 60 Mm. Uebrigens ist die Protuberanz sehr schwach, dagegen sind die
Lineae nuchae stark entwickelt. Die Stirn ist voll und breit, jedoch nicht hoch,
die Schläfengegend gleichfalls voll. Die grösste Breite fällt auf die Gegend der
Schläfenschuppen über dem Gehörgang. Von der Basis aus gesehen, er-
scheint der Schädel lang und schmal, jedoch nach vorn breiter. Die Einzelmaasse
sind folgende :
Grösste Länge 181
Grösste Breite '39
Unterer Frontaldurchmesscr ^3
TemporaUlurchmesscr '1^
Parietaldurchmesser 123
Oberer Mastoidealdurchmesser 120
Entfernung der Kiefergelenke 95
(140)
Entf. des Gehörganges von der Stirn 99
r, r, „ vom Scheitel 107
V „ „ von der Hinterhauptswölbung. . . 103
Es steht also nichts entgegen, dass irgend eine der Völkerschaften, welche in
jener Zeit Britannien bewohnten, in diesem Schädel repräsentirt sein kann. Es ist
weder eine auffällige Dolichocephalie, noch eine ausgesprochene ßrachycephalie vor-
handen; man kann nicht sagen, dass aus der Form Bedenken erwüchsen.
Etwas anders steht es allerdings mit den äusseren Verletzungen, welche der
Schädel darbietet. Es ist erstlich eine gewisse Reihe von oberflächlichen, jedoch, hier
und da bis in die Diploe reichenden Substanzverlusten vorhanden, die nach vorn
ziemlich zahlreich sind. Man kann kaum auf die Vermuthung kommen, dass sie
durch Krankheit entstanden seien. Wahrscheinlich sind sie erst nach dem Tode, sei
es durch Verwitterung, sei es durch irgend ein anderes äusseres Ereigniss herbeige-
führt worden. Gegen die Verwitterung spricht freilich die Festigkeit des Knochen-
gewebes, welches eher den Eindruck macht, als sei der Schädel nie in der Erde ge-
wesen, denn er hat eine sehr dichte, elastische Beschaffenheit und eine gelblich graue,
hie und da mehr bläulich graue Farbe und vielfach einen grünlichen Schimmer, und
sieht glatt, ja an allen vorspringenden Theilen glänzend und abgegriffen aus. Die er-
wähnten Substanzverluste dagegen sind rauh und stellenweis etwas weisslich, wie von
anhaftendem Gyps oder Kreide. Indess kann man darüber hinweggehen. Unser
Hauptinteresse concentrirt sich auf die Stirnwunde, welche in der That so elegant
und gross ist, dass sie dem Bedürfniss der Erzählung vollständig genügt. Aber diese
Wunde hat eine Eigenthümlichkeit, welche es sehr schwer macht zu erkennen, auf
welche Weise der Heide die Verletzung eigentlich herbeigeführt hat. Auf. den er-
sten Blick sollte man nehmlich glauben, es wäre ein Hieb, allein Sie sehen, dass
die lange und vollständig penetrirende Wunde in der Mitte ziemlich weit klafft und
nach beiden Seiten in eine feine Spitze ausläuft und zwar so, dass, wenn man in
die Wunde hineinblickt, an den Spitzen derselben die innere Tafel noch unversehrt
erscheint, während in der äusseren Tafel und der Diploe ein sehr scharfer keilförmi-
ger Einschnitt sich befindq^ Es fehlt also unzweifelhaft ein keilförmiges Stück aus
dem Schädel. So etwas ist durch einen Schlag nie zu erzielen. Wir haben, nament-
lich seit den letzten Kriegen, Schädel genug in unseren Sammlungen, um jede Form
des Schiagens zu illustriren, aber so kann jetzt niemand schlagen. Wäre das ein Schlag,
so würde sicherlich an beiden Enden ein weitergehender Sprung existiren, es müsste
wenigstens eine Splitterung sichtbar sein; am wenigsten wäre es denkbar, dass so
gestaltete Ecken vorhanden waren. Würden wir heutzutage einen solchen Schädel
finden, so würde, glaube ich. Jedermann schliessen, das Loch wäre gesägt. Nun
könnte man vielleicht meinen , dass später an der schon vorhandenen Wunde noch
etwas nachgeholfen wäre, um sie weiter sichtbar zu machen, denn es zeigt sich aller-
dings, dass auf der einen Seite die Färbung der Ecke eine etwas frischere ist; allein
die andere Ecke ist durchaus ebenso gefärbt, wie der übrige Schädel, und sicherlich
alt. Ich kann also nur schliessen, dass, wenn das Loch nicht schon vor langen Jah-
ren gesägt worden ist, in jener alten Zeit Methoden des Hauens existirt haben müs-
sen, welche gegenwärtig verloren gegangen sind. Also auch in dieser Beziehung
bietet der Schädel uns Aufschlüsse, auf die man am allerwenigsten gefasst sein konnte.
Herr Voss fügte einige Bemerkungen hinzu über
den Keliqiiienkasten der Iicilif^eii Cordula.
Während eines kürzeren Aufenthaltes im vorigen Jahre in Copenhagen hatte
(141)
ich mich der Ehre zu erfreuen, unter der höchst zuvorkommenden Geleitung des
Herrn Worsaae, des jetzigen Cultusministers in Dänemark, einige Abtheilungen
der Copenhagener Sammlung nordischer Alterthümer in Augenschein zu nehmen,
üuter vielen anderen sehenswürdigen Dingen wurde ich namentlich auf Stücke auf-
merksam gemacht, welclie hinsichtlich ihrer Ornamentirung und wegen ihres Mate-
rials sehr grosse verwandtschaftliche Beziehungen zeigten zu einem Stücke, das in
meiner Heimath aufbewahrt wird und welches ich in Folge des höchst anerkennens-
wcrthen Entgegenkommens der betreffenden Behörden Ihnen heute hier vorstellen
kann. Es ist dies der erwähnte sogenannte Kasten der heiligen Cordula, von dem
die nordischen Forscher nicht mit unrecht behaupten, dass derselbe ein Erzeugniss
nordischer Kunst sei. Derselbe wird seit Alters im Dome zu Cammin aufbewahrt.
Nähere Nachrichten über denselben sind aber nicht vorhanden.
Der Kasten ist, wie Sie sehen, aus einzelnen Platten zusammengefügt, welche
durch vergoldete Bronzeeinfassungen verbunden sind. Hierdurch erhält derselbe, der
in seiner Grundfläche oval und mit einer flach gewölbten Decke versehen ist, ein
schildkrötenähnliches Ausehen. Die Platten besteben aus einem Material, das bis
jetzt noch niemals genauer untersucht worden ist. Kugler giebt in seiner Pommer-
schen Kunstgeschichte an, es sei Elfenbein; andere behaupten, es seien Knochen
eines vorweltlichen fossilen Thieres; andere sagen, es sei Speckstein. Wie Sie sich
überzeugen werden, ist es Knochen, aber nicht etwa Zahnbein oder Elfenbein, son-
dern gewöhnlicher Knochen. Welcher Thierart derselbe aber angehört, konnte bis
jetzt noch nicht mit Sicherheit festgestellt werden. Herr Prof. Hartmann, welcher
so freundlich war, die Untersuchung zu übernehmen, hat bisher nur ermitteln kön-
nen, dass es Klephanten- oder Wallfischknochen ist, aber entschieden nicht fossiler.
Die einzelnen Platten sind sehr reich mit eingeschnittenen Oruamenton verschen, und
Sie werden bemerken, dass trotz aller scheinbaren ßizarrerie in dem Ganzen ein sehr
sicherer und durchgebildeter Styl herrscht. Man erkennt zwischen vielfachen Band-
verschlingungen Figuren von Säugethieren und Vögeln, auch menschenähnliche
schnurrbärtige Fratzen; aber Alles, die Thiere sowohl wie die menschenähnlichen Ge-
sichtsmasken, ist in höchst phantastischer Weise rein ornamental behandelt. Die
Thiere sind gemahnt und haben ein tiger- oder löwenähuliches Ausehen; die Vögel
sind zum Theil mit Schöpfen dargestellt, welches ihnen Aehnlichkeit mit Wiede-
hopfen giebt; die schnurrbärtigeu Fratzen blicken wild, gleich Medusenhäuptern.
Die einzelneu Figuren sind gewöhnlich durch einen doppelten Contour begrenzt und
mit einem grobgekörnten perlenartigen Mosaik ausgefüllt. Die Verbindungsstellen
der Gliedmaassen mit dem Rumpfe sind meistens durch Voluten bezeichnet, in ähn-
licher Weise, wie das unter Anderm bei den Sculpturen auf dem Felsen von Ram-
sund in Soedermannland (Schweden) der Fall ist. Die Bronzebänder sind mit Or-
namenten, welche mittelst Treraolirstichel eiugravirt sind und an manchen Stellen
stark an den romanischen Styl erinnern, verziert und tragen an den Schmalseiten
und den Schliessen, welche am Rande der einen Theil der Decke bildenden kappen-
artig befestigten Schliessplatte sich befinden, schnurrbärtige Wolfsköpfe, und auf den
Rändern der Breitseiten je zwei Vogelfiguren.
Es wurden nun in Jütland mehrfach Bronzegegenstände gefunden, welche mit den
üeberfällen (Schliesshaken) dieses Kastens die grösste Aehnlickeit haben. Ausserdem be-
findet sich in der Königlichen Sammlung hierselbst eine Fibula aus Jütland, welche ebenfalls
Verwandtschaft mit diesen Darstellungen zeigt. Auch hat man in Grossbritauien mehrfach
ähnliche Funde gemacht, welche aber von Herrn Worsaae auf nordischen Urs])rung zu-
rückgeführt sind. Für die Bestimmung der Zeit, welcher diese Stücke augehören, ist
ein Fund von Wichtigkeit. Man entdeckte nämlich in einem bei Mammen, südlich
(142)
von Viborg (Jütland) gelegenen Hügelgrabe, der letzten heidnischen Zeit angehörig,
eine mit Silber tauschirte Axt, welche ganz ähnliche ßandornamente zeigt, wie die
Platten des Kastens, ausserdem Reste eines gestickten Gewandes, welches ebenfalls
mit tigerähnlichen Thierliguren und romanisireudeu Rankenornamenten verziert war.
Letztere sind den oben erwähnten gravirteu Ornamenten der Bronzebänder höchst
ähnlich Audi findet sich bei Worsuae (Nordiske Oldsager pag. 114) die Figur
eines Vogels, aus vergoldetem Kupfer hergestellt, welche in der Behandlung der Füsse
und Zehen auf das Genaueste mit einem auf der einen Platte des Kastens darge-
stellten Vogel übereinstimmt. Es existirt überhaupt nur noch ein ähnlicher Kasten.
Derselbe gehörte früher dem Bamberger Domschatze und befindet sich jetzt im Natio-
nalmuseum zu München. Er ist allerdings bedeutend kleiner, einfach quadratisch mit
etwas gewölbter Decke, in seinen Ornamenten aber, sowohl denen der Platten als des
Brouzebeschlages, stimmt er mit dem Kasten der Cordula so völlig überein, dass man
mit Sicherheit annehmen kann, beide Stücke seien aus einer Fabrik hervorgegangen
und von demselben Künstler verfertigt worden. Vielleicht erhielt diesen der heilige
Otto bei seinen Bekehrungsreisen im Norden zum Geschenk und vermachte ihn sei-
ner Kathedrale. Ich glaube hiernach, dass der nordische Ursprung dieses Kastens nicht
zweifelhaft sein kann und dass wir wohl als Zeit seiner Verfertigung spätestens das
Jahr 1000 festsetzen können, da Herr Worsaae jenen Grabfund in das Ende der
heidnischen Zeit (die sogeüanute spätere Eisenzeit) 700— lOüÜ ntich Chr. versetzt.
Der aodere hier ausgestellte Kasten aus dem Camminer Dom ist ebenfalls von hohem
Interesse. Es ist ein einfaches viereckiges Holzkästchen, mit Knochenplatten belegt, welche
zum Theildurchbrochensindundeinedarunter liegende farbige Platte erkennen lassen, zum
Theil aber mit concentrischen Kreisen verziert sind, welche durch Schrägstriche ver-
bunden werden, ganz nach Art der Verzierungen jener alten Beinschnitzereien, Kno-
chenkämme etc. wie sie mehrfach in der Nähe des Rheins gefunden sind. Auch zei-
gen die durchbrochenen Platten Äehnlichkeit mit einigen Zierplatten aus fränkisch-
allemannischen Gräbern, nur machen sie den Eindruck grösserer Verwilderung. Ueber
den Kasten, der lange zerbrochen dalag und jetzt unter meiner Leitung, soweit thuu-
lich, restaurirt wurde, fehlen alle Nachrichten. Ich vermuthe, dass er der Carolin-
gerzeit angehört und dem westlichen Deutschland, vielleicht den Rheingegenden
entstammt. Möglicherweise ist dies der eigentliche Cordulaschrein, der den rheinisch-
westfälischen Colonisten mit der in der alten Heimath entbehrlichen Reliquie als
schützendes Heiligthum in die neuzugründende Heimath unter den neubekehrten
Pommern mitgegeben wurde ^). Später wurde derselbe wahrscheinlich von einem Dä-
nischen Könige, welcher in Pommern Einfluss zu erlangen suchte und sich deshalb
den Clerus geneigt machen wollte, durch jenes Prachtstück altnordischer Kunst ersetzt.
(18) Herr Liebe (Berlin) zeigte einige junge, im Diluvium bei Berlin in der
Nähe des Rollkruges (Rixdorf) gefundene
Backzähne des Mammuth.
(19) Geschenke:
1) Conte Gozzadini : De quelques mors de cheval italiques. Prachtwerk 4to
■2) Programm des Friedrich W^ilhelms - Gymnasiums zu Cottbus mit einer
Arbeit von V>o\ze über die in der Umgegend ausgegrabenen Alterthümer.
?)) A. Woldt Karte der Insel Bornholm.
4) Eiigelhardt. Sur les statuettes de Tage du bronze du Mustie de
Copenhague.
') Nachträf^iicli ist mir von sadikuniliger Seite mitgetheilt worden, datss in Xanten a/Rhein,
sowie in der St. üereonskücbe in Cöln sich ühniicLie Reiiquiarien befinden sollen.
Ausserordentliche Sitzung am 28. Juni 187.0.
Vorsitzender Herr Virchow.
(1) Als neu aufgenommene Mitgliedtu- wurden proclamirt:
Herr Stabsarzt Dr. Wich mann,
„ Assistenzarzt Dr. Tiemann,
„ Dr. Wittmack, Custos am Köuigl. landwirthsch. Museum zu Berlin
und Hr. Telegraphenbeamter Schindler zu Teheran.
(2) Die Programme für die Generalversammlung der deutschen anthropologischen
Gesellscliaft, welclie zu München vom 8. bis 11. August d. J. stattfinden wird, sind
erlassen. Unmitt'-ibar au die anthropologische Versamndung wird si(:h diejenige der
deutschen geologischen Gesellschaft anschliessen. Der Vorsitzende verfehlt nicht, die
Mitglieder zu zahlreicher Betheiliguug aufzufordern.
(3) Der Vorsitzende hat von Hrn. Hildebrandt Confnrmatenrabdrücke der
Somal, sowie Hari-proben und Gypsabgüsse derselben erhalten. Der eifrige Reisende
hat sich jetzt nach dm (Komoren l>egeben.
(4) Hr. Dr. Nojicli, gegenwärtig in Braunschweig, hat auf Ersuchen des Vor-
sitzenden eine Reihe vortrefifl icher Abbildungen und eingehender Beschreibungen der
wichtigsten Gegenstände
des Braiiuschweiger elhnographisclieu Museums
(Hierzu Tat. X.)
eingesandt.
Die ethnographische Abtheilung „Amerika'^ des städtischen Museums, welches
erst seit dem Anfange des vorigen Decenniums existirt, enthält eine recht hemerkens-
werthe Sammlung von Gegenständen, die sich sowohl auf die moderne wie die prä-
historische Zeit beziehen. Der mit grossem Fleiss von dem im vorigen Jahre ver-
storbeneu Dr. Schiller ausgearbeitete Katalog umfasst die 4 Unterabtheilungen:
die nördlichen Polarländer, Nordamerika, Westindien und Südamerika. Die Samm-
lung aus den Nordpolarländern enthält u. A. Schnitzereien in Wallross aus Labrador,
Eskimos und ihre Geräthe darstellend, grünländische Pfeilspitzen, Angeln, Harpunen,
einen Schleuderstein von eirunder Form von der Savage-lnsel, ferner eine Nachbildung
(wohl nicht, wie der Katalog angiebt, ein zweites Original) der auf Nordrseta in der
Baftiusbey gefundenen Kuneuinschrift: Elikr Sigva(|»ö sour. etc., die sich im Kopeu-
(144)
hagner Museum befindet, und wiederholt, so Antiq. amer. p. 347; Grönlandske histor.
Mindesmärker III erklärt ist.
Zahlreicher sind die Sammlungen aus Nord- und Südamerika, von denen ich.
die Zeichnungen prähistorischer Gegenstände beilege. Altamerikanische Urnen sind
drei vorhanden: Eine Gesichtsurne aus Mexiko und zwei halbkugelförmige Urnen aus
einer Grabkammer in Cuzco. Die Gesichtsurue ist wahrscheiulich in Zacatecas ge-
funden (Cat. A, IVb, 3) und aus grauem Thou mit schwarzem Ueberzuge gearbeitet,
21 Cm. hoch; das Gefäss liat die Gestalt einer zusammengedrückten, unten abgeplat-
teten Kugel von 40 Cm. Umfang, die Höhe der Figur über der Kugel beträgt 8 Cm.
Die Beschreibung der Figur wird durch die Zeichnung überflüssig, ich füge nur hinzu,
dass die semitisch gebogene Nase sehr stark hervortritt. Der vordere Theil der Kugel
ist durch zwei Längen- und ein Querband in 6 Felder getheilt, auf denen 3 Vögel
(Truthühner?) und Fische dargestellt sind. Der Grund der Felder ist durch unregel-
mässige Reihen von warzenförmigen Erhöhungen ausgefüllt. Auch die hintere Seite
zeigt einen matter gearbeiteten Kreis mit 5 durch Radien gebildeten Feldern, von
denen 3 durch Warzen, 2 durch matt verlaufende Streifen verziert sind. Am Hinter-
haupte war der abgebrochene, aber noch vorhandene massig gebogene Henkel von
10 Cm. Länge wagerecht befestigt. Derselbe ist am obern Ende hohl und die Oeff-
nung führt mit einem feinen Loch in das Haupt der Figur. Die untere, 2 Cm. lange
und 4 Cm. breite Tülle mit ausgebogenem, theihveise abgebrochenem Rande ist von
dem gleichfalls abgebrochenen und ausgebogenen Ende des Griffs 7 Cm. entfernt; die
offenbar früher zwischen beiden vorhandene Verbindung fehlt leider und in derselben
muss sich die eigentliche Oeffnung des Gefässes befunden haben. In der Tülle steckt
eine zweite Thonröhre, deren Rand unverletzt ist. Vielleicht hat das Gefäss gleich
einem christlichen Aquamanile zu Kultuszwecken gedient. Uebrigens ist die Urne
sowenig, wie das im Missisippi gefundene, sehr ähnliche Gefäss, welches aus einer
flachgedrückten, nach oben in einen menschlichen Hals und Kopf übergehenden Kugel
besteht und im Correspondenz- Blatt der deutschen Gesellschaft für Anthropologie,
Ethnol. u. Urgesch. No. 8, Dec. 1870 besprochen ist, auf der Drohscheibe gearbeitet.
Die beiden Schalen aus gelbrothem Thon (Cat. A IV, d. 3 u. 40) sind 1857 in
einer Grabkammer (Chulpa) zu Cuzco gefunden. Das grössere Gefäss ist 8 Cm.
hoch mit 11 Cm. Durchmesser und, wie die kleinere Schale, ziemlich starkwandig
ohne Drehscheibe gearbeitet (beide Gefässe sind etwas schief). Oben hat das-
selbe an einer Seite einen 1,5 Cm. langen Buckel. Die Farbe ist gelblich roth und
die Art der schwarzen und rothen linearen Verzierungen aus der Abbildung ersicht-
lich. Die kleinere Schale, 5 Cm. hoch, 8 Cm. Durchmesser, ist eine von oben
zusammengedrückte Halbkugel aus gelblichem Thon und durch einen schwarzen
Rautenfries mit rothen Punkten verziert. Oben läuft eine schwarze und unten eine
rothe Linie zwischen zwei schwarzen herum
Die dritte Vase, sehr roh mit ungeschickten braunen Verzierungen auf hellgelbem
Grunde, ist modernen Ursprungs und von Eingeborneu in Guyana gearbeitet. Ich füge
die Farbenscizze zur Vergleichung bei.
Die Abtheilung enthält sodann einige sili)erne Idole und Statuetten. Die eine (Cat.
A. IV, d. 38) stellt einen buckligen Zwerg mit einer Zipfelmütze, lächelnden Zügen
und stark phullischer Stellung dar; auf der rechten Wange hat die Figin- eine Warze.
Die 4 Cm. hohe, massiv silberne Statueitc ist gleichfalls 1857 in einer Grabkammer
zu Cuzco, vielleicht mit den I)eiden Schaahm zusammen, gefunden worden. Die 3
andern Figuren stammen aus Gräbern der Chibchas in der Provinz Cliiriqui, Staat
Panama. No. II ist 3, No. III 3,5 Cm. liocli. Die Ausführung ist bei beiden ziem-
lich sorgfältig, doch sind die Statuetten so abgegriflen, dass sich von den Details,
(145)-
besonders der Köpfe wenig erkennen lässt, Fig. II ist wohl weiblich, Fig. III männ-
lich. Bemerkenswerth ist bei beiden die schiefe Stellung der Augen und eine zopf-
ilhnliche Erhöhung auf dem Kopfe. Bei der grössern Statuette sind auf beiden Hand-
gelenken feine Kreise eingravirt, die vielleicht Aniispangen, allerdings wenig per-
spektivisch iiufgefasst, darstellen sollen.
Auch die vierte Figur ist in einem Grabe der Chibchas bei dem Orte David in
Ghiriqui gefunden. Sie stellt nicht, wie der Katalog des Museums angiebt, ein Kro-
kodil, sondern einen, wie wir sagen würden, stilisirten Jaguar vor. Die Stilisirung
bezieht sich auch fast nur auf die vordem Extremitäten, denn der sehr grosse Kopf
mit den Reisszähneu ist als der eines Jaguar sofort kenntlich. Die Eigur ist 5 Cm.
lang, von vergoldeter Bronce und innen hohl, übrigens recht sauber gearbeitet.
Recht zahlreich ist in den Sammlungen des Museums die Zahl der prähistorischen
Steinwaffen aus Amerika. Ich erwähne zuerst einen Tomahawk von Grünstein, ge-
funden in Tiscatawely, New- Jersey (Catal. A, IV, b, 1), 16 Gm. laug, 10 Cm. breit,
5 Cm. dick. Derselbe ist sehr sorgfältig gearbeitet; im obern Drittel ist eine Nuth
zur Befestigung des Stiels eingeschliö'en. Ein zweiter Tomahawk dagegen vom Obern
See (A, IVb, 2) ist nur durch die eingeschlilfeue Rinne als ein menschliches Werk-
zeug erkennbar, sonst fehlt jede Spur der Bearbeitung.
Aus Zacatecas stammen 2 Opfermesser aus Obsidian: das grössere, 14 Cm. lang
und I,.3 Cm. breit, ist massig gebogen wie eine Rippe, auf der einen concaven Seite
glatt, auf der convexen mit einem Grat in der Mitte. Die äusserste Spitze ist ab-
gebrochen. Das kleinere ist gerade. Beide sind mit Götzenbildern aus gebranntem
Thon auf einem Acker bei Zacatecas gefunden.
Die Sammlung der indianischen l'feilspitzen aus Stein umfasst 31 Nummern.
Von diesen stammen 5 vom Missisippi (Cat. A, IVb 23 — 27), sie sind aus hellgrauem
Feuerstein, in der Mitte ziemlich stark, einer ist etwas polirt. Länge 6 — 3 Cm., Dicke
1—0,75 Cm. Aus Texas sind 14 Nummern vorhanden, ein rautenförmiges Messer
graubraun, zwei dreieckige und eine abgebrochene Speerspitze aus dunkelgrauem
Feuerstein. Die Pfeilspitzen zeichnen sieh bis auf eine dadurch aus, dass das untere
Schaftende sehr breit und zum Theil mit \N'iderhaken versehen ist. Material grauer,
bei zweien hellgelber Feuerstein. Alle sind ungeschliffen. 7 Nummern (3 Speer-
und 4 Pfeilspitzen gehören Indianern an. IVb. 67 — 69) wurden in einem Grabe, die
übrigen in der Erde gefunden Die Speerspitze aus Wisconsin A IVb. 42 ist sehr
stark gearbeitet und etwas abgeschliö'en. Zwei Keile aus Kieselschiefer und Grün-
stein, sowie 2 Speer- und o Pfeilspitzen wurden in der Nähe von Toledo (Ohio) ge-
funden. Die Keile sind grob geschliffen, doch sind die HiebÜächen noch meist er-
kennbar. Eine Pfeilspitze ist, wie eine zweite unbekannten Fundortes (A IVb. 70),
aus milchweissem Chalcedon verfertigt. Die übrigen Lanzen- und Pfeilspitzen sind
nur im Allgemeinen als Indianerwaffen bezeichnet, da sie aus älteren Sammlungen
angekauft wurden.
Zu den prähistorischen Gegenständen aus Nordamerika gehören ferner einige
Urnenscherben und Thierknochen, die einem alten Indianergrabe am Einfluss des
Sevancreek in den Maumee-Fluss bei Toledo in Ohio entnommen wurden. Die eine
Urne hatte Kugelform mit weiter Oefiimng und sanft ausgebogeuem Rande. Das
Material ist hellrother Thon, mit Quarzbröckchen vermischt und schwach gebrannt.
Die Art der Verzierung lässt sich aus der Zeichnung des einen vorhandenen Stücks
erkennen. Die linearen, aus groben Punkten bestehenden Ornamente wurden wohl
mit einem spitzen Holz eingedrückt. Die andre Urne war aus schwarzem Thon mit
rothem Ueberzuge und in der aus der Zeichnung der Fragmente erkennbaren Weise
Verhuudl. der I5erl. Aiitliropol. Gesellscli. 1p7j. 10
(146)
roh verziert. Die Knochenfragmente dürften Metatarsus- oder Carpusknochen vom
Bütfei sein.
Ein Wachsmodell des 1790 auf der Piazza major in Mexico gefundenen Opfer-
steins ist ziemlich schlecht gearbeitet, doch lässt sich die Kriegergruppe wenigstens
erkennen. Da sich in Berlin ein gleiches Modell befindet und der Stein schon ander-
weitig von Hrn. Bastian besprochen ist, habe ich keine Zeichnung beigefügt.
Die modernen Gegenstände, so weit sie für die Ethnographie Amerikas von In-
teresse sind, umfassen einige hundert Nummern.
Aus Nordamerika sind bemerkenswerth: eine indianische Friedenspfeife aus rothem
Speckstein, eine Streitaxt von Bronze, als Pfeife eingerichtet, Pfeifenköpfe aus grauem
und schwarzem Thon, ein 6 Cm. lauges Stück Hornstein zur Zubereitung des Leders,
Pfeilspitzen aus Perlmutter und Schlangenkiefern, f^igenthümlich sind mehrere Feuer-
steine der Indianer aus Kalifornien (Cat. A, IVb. 99), welche mit kaum sichtbaren
Zeichnungen in Gold versehen sind und indianische Krieger, den einen mit einer
Lanze bewaffnet, zu Pferde, den andern kniend mit der Streitaxt, einen dritten in
einem entenförmig gestalteten Boote rudernd, so wie einen Büffel darstellen. Wider-
haken zu Pfeilspitzen, wie der Catalog augiebt, sind die Feuersteine sicherlich nicht
gewesen. Von indianischen Geräthschaften erwähne ich ein Modell eines Fischer-
bootes zum Biberfaug, indianische Pauken mit Malereien verziert, eine Opferklapper
von Vancouver, darstellend eine roth bemalte Figur, auf dem Rücken einer Ente lie-
gend, deren Schwanz den Griff der Klapper bildet, sodann Cigarrentaschen aus Fasern
des Stachelschweins, eine Tasche aus Birkenrinde, Mokassins. Aus Mexiko sind vor-
handen: hölzerne Pfeile und Bogen, zahlreiche Kostümfiguren, Hüte aus Binsenmark,
geschnitzte Calebassen, Filigrankästchen , Thon- Ampeln und Kannen (roth und ver-
silbert) aus Guadalaxara etc.
Die Abtheiluug „Westindien" enthält u. A.: Bogen und Pfeile zur Fischjagd,
eine birnenförmige Taparraflasche, desgl. Becher und Körbchen aus Taparraholz,
Manaresiebe aus Bambus und Cocusfasern, einen Fächer, (Huarihuaro) Körbe aus
dem Bast der Majagua, Decken von Fasern der Morichepalme, Mnschelkörbchen mit
Papageienfedern verziert von den Bahamainseln.
Aus Südamerika sind vorhanden: ein Thongefäss aus Guiana, schwarz glasirte
Thongefässe aus Chile, von ebendaher ein urnenförmiges gehenkeltes Gefäss, kleinere
lackirte Thongefässe aus den Cordillereu, Binsenkörbchen aus Chile, geschnitzte Cale-
bassen aus Paramaribo, Cuja (Flasche) mit Blumen und Blättern geschmückt, höl-
zerne Statuetten, Arbeiter darstellend, von einem Indianer in Bogota geschnitzt, ein
Damenhut aus Ahornmark (Maracaibo), ein Kuochenpfeil aus der Tibia eines Affen,
(Peru), Pfeile und Bogen aus Brasilien, ein Kahnmodell von Birkenrinde aus Buenos
Aires.
Die australische Abtheilung, „Neuholland und Polynesien" bietet als bemerkens-
werthes Objekt der Ethnographie eine Anzahl von Steinwaffen (Cat. A. V. 41 — 48),
welche gleich den meisten andern Gegenständen dem städtischen Museum von G. Kreff t,
Conservator des Museums in Sydney, geschenkt sind.
Das erste ist ein vorzüglich gearbeitetes >A'erkzeug aus Diorit von den Socictäts-
inseln, welches sich am ehesten mit einem Celt oder Paalstaabe vergleichen lässt
Dasselbe ist 13 Cm. lang und unten an der Schneide 4,5 Cm. breit. Der untere
Theil ist auf 8 Cm. Länge spiegelblank polirt, der obere 5 Cm, lang, wohl zum
Einlassen in einen Schaft, rauh gehalten. Die vordere Seite bildet ein nach oben
zusammenlaufendes Dreieck , welches sich bis z'üm Ende in einen schmalen Streifen
furtsetzt. Dieses Dreieck üst convex gekrümmt, während die hintere Seite der Schneide
mit parallelen Rändern in schräger Richtung bis zum eingebogenen Stielende sich hinzieht.
(147)
Ein spiegelglatt polirtes, dreieckiges Messer mit abgerundeten Ecken von Ser-
pentin stammt aus Neu-Caledonien. Die 3 Seiten sind 12, 10, !) Cm. lang, die Dicke
beträgt 2 Cm.
Die übrigen Steinwaffen, 2 Messer, 2 Streitäxte (Galengar) und 2 Steinhämmer
sind von K refft als aus West-Australien stammend bezeichnet. Das Messer ist aus
Syenit (?) (nicht Feuerstein, wie der Cat. angiebt) gearbeitet, 14 Cm. lang, der Griff
ist, wie bei den Streitäxten, mit dem Pech der Xantherie beklebt, in welchem noch
ein Holzstück vom Griff' steckt. Das zweite Messer aus Basalt, 15 Cm. lang, mit
scharfer Schneide, ist am Griff mit weichem Wollhaar umhüllt.
Die Galengar, 12 Cm. laug, aus Diorit, sind an der Schneide polirt. Der eine
Steinhammer trägt einen in der Nuth des Xantherienharzes, welches ungemein fest
ist, befestigten, d. h. umgebogenen Doppelstiel, welcher durch eine Schnur zusammen-
gehalten wird.
Die beiden Streithämmer (Mogos) bestehen aus Xantherienharz, mit welchem ein
Stück Granit derart umklebt ist, dass durch die aus dem Harze hervorstehenden
Steinspitzen ein Doppelhammer gebildet wird. Der Stiel ist in die Harzmasse ein-
gelassen.
Unter andern Gegenständen aus Australien und Polynesien besitzt das Museum:
verschiedene Bumerangs, Keulen der Fidschi-Insulaner aus Caäuarinenbolz, ein Wurfbrett
(wommala oder wommara) aus Neuholland, am einen Ende mit einem scharfen Perlmutter-
splitter versehen, Fischangeln von Perlmutter von den Tongainseln, Armbänder und Ohr-
ringe aus demselben Stoff (Salomons-Inseln), Waffen und einen hübsch aus Narvalzahn
geschnitzten Dolch von Neuseeland, Zeuge (Tapa) aus der Rinde des Papiermaulbeer-
baums, Cava-Schaalen mit Perlmutter eingelegt von Owalau (Fidschiins.) und MaiiihikT
(Humphrey-Ins.). Zwei aus Holz geschnitzte Götzenbilder von den Salomonsinseln,
tättowirt, mit sehr prognather Muudpartie, Augen mit Perlmutter ausgelegt. —
Unter den in Deutschland gefundenen Bronzesacben des städtischen Museums
sind besonders bemerkenswerth zwei Bronzeschwerter, eine Fibula und eine Spirale
in Form einer geringelten Schlange Das eine Schwert (Fig. 1) ist gefunden 1«71
bei Schwanefeld, eine Stunde von Helmstädt, neben einem grossen Steine senkrecht
in der Erde stehend. Unweit dieser Fundstätte wurde ein Grab mit mehreren Urnen,
Schmucknadeln, Spiralen und zwei kleinen Bronzeschaalen entdeckt; letztere Gegen-
stände sind leider verloren gegangen. Helmstädt und seine Umgebungen sind auch
sonst eine reiche Fundstätte germanischer Bronzen; schon mehrfach sind dort Urnen
und Schwerter von Bronze gefunden worden.
Das Schwert ist prachtvoll erhalten und mit dunkelgrüner, lackartig glänzender
Patina überzogen, gegossen und nachträglich an der Schneide gehämmert (der Griff'
zeigt noch mehrere Gussblaseulöcher). Die Länge desselben beträgt öS Cm., die der
Klinge 49 Cm., die Breite der letzteren im untern Drittel 3,5 Cm. Im oberen Drittel
ist die Klinge um 0,5 Cm. verjüngt. Dieselbe ist auf jeder Seite mit je 6 Rinnen
verziert, von denen je zwei dicht neben einander 0,75 Cm. von der Schneide entfernt,
die beiden andern 0, 75 Cm. von einander in der Mitte laufen. Die Dicke der Klinge
beträgt etwas über 0,5 Cm. Der 9 Cm. lange Griff' ist in der Mitte 3 Cm. breit
und 1 Cm. dick, hat 3 parallele Streifen und in der Schneide zwei nach vorn schräg
vortretende Flügel als Parirstaugen. Den Knopf des Griff's bildet eine ovale Platte,
welche nach innen ein- und nach beiden Schmalseiten noch mehr zurückgebogen,
5,0 Cm. lang und 3,5 Cm. breit ist.
Das Schwert H (Catal. AI, a 376) ist nach dem sehr korrekt gearbeiteten Ab-
güsse gezeichnet. Das Original wird nächstens aus der Frivatsammlung des Müllers
Mülter in Erckerode in den Besitz des städtischen Museums übergehen. Es ist bei
10»
048)
dem Dorfe Erxleben (Provinz Sachsen, R.-B. Magdeburg) von einem Förster unter
einem Baumstumpf gefunden worden. Die Länge beträgt 47 Cm., die der Klinge
38 Cm. Letztere ist fast 3 Cm. breit und stark zugespitzt, im obern Drittel ähnlich
verjüngt und auch sonst ähnlich gearbeitet wie No. I; nui ist der Grat in der Mitte
bloss von je 2 Rinnen eingefasst, welche je 0,75 Cm. von der Schneide entfernt sind.
Der Griif ist durch einen ovalen Bügel von 3 Cm. Länge mit der Klinge verbunden,
2,5 Cm. breit und etwas über 1 Cm. dick; er hat, wie No. I, 3 parallele Reifen, an
den vierten Endreifen setzt sich der Knopf an. Dieser ist 6 Cm. lang und am Griff-
encie 2,5 Cm. breit, nach rückwärts in zwei Spiralen umgebogen, in der Mitte läuft
ein 2,5 Cm. lauger Dorn.
Die Fibula III und die Spirale IV stammen aus einem Gräberfunde bei dem
Dorfe Kuhdorf von der Feldmark des im dreissigjährigen Kriege zerstörten Dorfes
Ferchau, zwei Stunden von Salzwedel ((Altmark) (Fearg bedeutet im Keltischen „See").
Dort wurde in einer zertrümmerten Aschenurne innerhalb einer Steinkiste ein auch
im Besitz des städtischen Museums befindlicher Keil von grauschwarzem Feuerstein,
an der Schneide polirt, 12 Cm. lang, an der Schneide 4,5 Cm. breit, 2 Cm. dick,
nebst der Fibula und der Spirale von Bronze gefunden. In der Nähe der Fundstätte
befindet sich ein von mächtigon Steinblöcken eingeschlossenes Oblongum, innerhalb
dessen, frei zu Tage, eine grosse Steinkammer liegt.
Die Fibula, welche ein hiesiger Techniker für ein Meisterwerk des Bronzegusses
erklärt, ist meist mit schöner Patina bedeckt und hat, wie der Catalog angiebt, die
Gestalt einer Banane; ich möchte dieselbe eher mit der bekannten schwarzen oder,
wie ich sie im Harz mehrfach gefunden habe, gelben Schnecke (Helix) vergleichen.
Sie ist 1 1 Cm. lang, und von oben gesehen in der Mitte 4 Cm. breit, 2,5 Cm. hoch.
An den beiden spitzen Enden befinden sich 2 Löcher, 0,5 und 0,75 Cm. weit, welche
von 5 konzentrischen eingravirten Kreisen umgeben sind. Durch diese und durch
zwei je an einer Innenseite unten angebrachte Oehre ging eine lose, nicht mit einer
Spirale befestigte Nadel, welche leider verloren gegangen ist. An der einen Aussen-
seite sind zwei, je 1,5 Cm. lange Oehre eingegossen, durch welche wahrscheinlich
ein Riemen zur Befestigung der Fibula gezogen wurde. (Das Gewicht der Fibula
beträgt 7 Loth.) Auf den Gehren sind an jedem Rande je 3 feine Linien eingravirt,
zwischen welchen Zickzacklinien bis zu beiden Enden laufen. Der Länge nach ziehen
sich über die oben etwas lädirte Fibula zunächst 3 erhabene Ruudstreifen, auf denen
Schraffirungen von Schrägstrichen angebracht sind. Die Mitte der Fibula ist in der
Breite von 1 Cm. ganz glatt, dann folgen auf der andern Seite 6 Kundstreifeu,, dann
ein zweites glattes Feld, dann 3 Streifen bis zum Innern Rande. Die beiden innera
Ränder der untern Seite, wo die Fibula bohl ist, sind 2 Cm. von einander entfernt.
Die Dicke der Wandung beträgt etwa 3 Mm. Die beiden inneren Oehre sind fast
1 Cm. breit, die Löcher in denselben fast 0,5 Cm. Die Verzierung der glatten Fläche
zwischen den beiden Seiten lässt sich aus der Skizze erkennen. Zwischen den beiden
äusseren Handhaben ziehen sich 3 Reihen von je 5 senkrechten Parallellinien, zwischen
denen mehrere, theilweise noch kaum erkennbare Halbkreise puuktirt sind; je 2 sol-
cher Parallelstreifen liegen an den b<nden Aussenseiteu der Oehre; au beide schliessen
sich zwei aus 3 Linien g(;bildete Halbkreise.
Die Spirale IV hut die Gestalt einer kreisförmig zusammengeringelten Schlange,
deren Kopf noch theilweise erhalten ist. D,ie Zahl der Windungen bis zum Mittel-
punkte beträgt 10 und dieselben verjüngen sich nach Innen erheblich Der Durch-
messer der Spirale beträgt 10 Cm., die Breite des Kopfes 1 Cm. Die Spirale ist
von innen nach aussen um 2 Cm. ausgebogen, so dass ungefähr die Gestalt eines
Schildes herauskommt, da sich die Windungen von vorn gesehen vollständig an ein-
(149)
ander schliessen. Der Querdurchschnitt besonders am Halse der Schlange ist eine
Raute O , daher haben die Seiten ziemlich scharfe Ränder, Die Verzierungen des
Kopfes und der Spirale selbst sind feine Linien und Vertiefungen, welche auf der
Oberfläche der Spirale ein Kreuz bilden und sich aus der Zeichnung vollständig er-
kennen lassen.
Fibula und Spirale machen entschieden den Eindruck, als wenn sie nicht ein-
heimischen Ursprungs sind, sondern aus einer südlichen (orientalischen) "Werkstätte
stammen, die Arb«Mt ist so elegant, dass ein heutiger Künstler beide Gegenstände nicht
besser machen könnte.
(5) Hr. HartmauB hält einen Vortrag über den libanotischen Fund
ans der Kuocheuhöhle von Ferrajeh
(Sitzung vom 20. Februar) und über
Bärenreste der vorgeschichtlicheu Zeit
im Allgemeinen').
(()) Hr. Fritsch spricht über
die Ausgrabungen >'on Samthawro und Kertsch.
Ich hatte mir erlaubt, in einer früheren Sitzung die Uebersicht über meine jüngst
verflossene Reise nach lsi)ahau zu geben, und möchte nun heut zwei Gebiete heraus-
greifen, wo besonders günstige Gelegenheit zu archaeologischeu Untersuchungen ge-
geben war. Es sind dies die Krim, vor allen die Umgegend von Kertsch, und
die Kaukasusländer, in den letzteren speciell die Ausgrabungen, welche bei Sam-
thawro oder, wie der Ort früher genannt wurde, Mzchet ausgeführt werden.
Das erste der beiden Gebiete ist der Gesellschaft schon durch die Abhandlungen des
Herrn Bayern in unserer Zeitschrift bekannt, eines Mannes, der selbst die grössten
Verdienste um diese Ausgrabungen hat, während über die Krim in neuerer Zeit durch
W. Koppen in der russischen Revue eine längere Abhandlung gegeben worden ist.
Indessen dürfte die gewonnene unmittelbare Anschauung zur Ergänzung des Bildes
noch manches Neue beitragen können, und ausserdem kommt es mir speciell darauf
an, gewisse charakteristische Punkte herauszuheben, welche mir geeignet scheinen,
die genannten Lokalitäten in eine nähere Beziehung zu einander zu setzen.
An beiden Orten handelt es sich um Grabstätten, und zwar tragen dieselben im
Wesentlichen den Charakter, welchen man gewöhnt ist als Dolmen zn bezeichnen.
Sie finden sich in der Krim in der Form, wie sie in ganz ähnlicher Weise im west-
lichen Europa, besonders in Frankreich und hinauf bis nach Skandinavien angetroffen
werden, d. h. dieselben sind errichtet aus senkrecht aufgestellten Steinplatten, recht-
winklige Ecken bildend, welche dann mit einer grösseren horizontalen Platte überdeckt
sind. Bei der einfachsten Form der Krim'schen Dolmen sind es vier senkrechte
Platten, von denen die beiden längeren vorn und hinten überstehen, während eine
uuregelmässige Deckplatte von erheblich grösseren Durchmessern darüber liegt. Diese
einfachste typische Form wird dann weiter variirt, indem diese Steinplatten in den
Boden eingesenkt oder mit Erde umschüttet sein können, oder es findet sich auch
'; Dieser Vortrag wurde in der folgemlen Julisitzung weiter fortgesetzt uud wird im B«
richte über letztere im Zusammenhange folgen.
(150)
häufig noch eine äussere Einfriedigung von einzelnen unregelmässigen Steinen, die im
Viereck aufgestellt sind, von dem die eine Seite offen sein kann, indem so eine Art
Hof um die mittleren Steine gebildet wird.
Wir haben es also nach der eben gegebeneu Beschreibung mit Steinkisten zu
thnn und Steinkisten sind es auch, welche wir bei Samthawro im Kaukasus finden.
Der Unterschied zwischen beiden ist nicht so sehr gross; die Kisten sind am letzt-
genannten Orte reihenweise angeordnet, was in der Krim nur ausnahmsweise vor-
kommt (Yalta) und ferner sind die Sandsteinplatten, aus denen die Gräber in Sam-
thawro bestehen, mit Mörtel vereinigt. Das durch die geringe deckende Erdschicht
einsickernde "Wasser hat indessen viel dazu beigetragen, das Geröll mit einer Art
Cement zu verbinden, so dass zuweilen das Vorhandensein von Mörtel dadurch vor-
getäuscht werden mag. Ausser den Sandsteinplatten kommen in Samthawro auch
nicht selten Ziegelplatten zur Verwendung, wahrscheinlich weil es ein bequemeres
und billiger zu beschaffendes Material war.
Charakteristisch ist ausserdem ein Loch in einer der Seitenwände, etwa einen
Fuss im Durchmesser, wie sich solches gleichfalls in den leichten überirdischen Stein-
kisten des nordwestlichen Kaukasus findet und nach Bayern 's Angabe existiren in
Ossethien noch bis auf den heutigen Tag Grabhäuschen mit seitlichen Oeffnungen,
wo allerdings die ganze Leiche hindurchgeschoben werden soll. Bei den gewöhnlichen
Dolmen dienten sie wohl nur dazu, noch einen gewissen Verkehr mit dem Verstor-
benen zu unterhalten.
Bemerkenswerth und wichtig für die allgemeine Betrachtung ist, dass sowohl in
Samthawro, als besonders in Kertsch üebergänge zu wirklichen steinernen Sarkophagen
vorkommen, dem Inhalte nach etwas späterer Zeit angehörig, so dass es keinen
Schwierigkeiten unterliegt sich vorzustellen, wie allmälig die Sitte des Dolmenbauens
in die uns noch ganz geläufige steinerner Särge überging. Eins der schönsten Denk-
mäler aus der üebergangsperiode ist der riesige, über 30 Meter hohe Tumulus bei
Kertsch, welcher als das Grab des Mithridates bezeichnet wird. Der horizontale, 45
Schritt lange Gang, bei 2 M. Breite und etwa 8 M. Höhe, ist nicht gewölbt, son-
dern die Bedeckung ist in der Weise erzielt, dass von den mächtigen Quadern der
Wände, über Mannshöhe beginnend, 12 Lagen allmälig weiter und weiter nach innen
vordringen, bis der Stein der letzten die beiden stark genäherten Seiten als Schluss-
stein gleichzeitig bedeckt. In gleicher Weise ist die kleine Thür, welche in der Tiefe
des Ganges zu dem inneren, einem kleinen Zimmer ähnlichen, Raum führt, nach
oben durch einige Lagen vorspringender Steine abgeschlossen, und der viereckige
Innenraum selbst rundet sich nach oben durch solche Anordnung zu einer conischen
Verjüngung. Zuerst werden die vier Ecken durch die vorspringenden Steine aus-
geglichen, bis ein kreisförmiger Querschnitt erreicht ist, und so steigen 22 Lagen
derartig angeordneter Quadern, den Raum verengend, in die Höhe, bis die obere
Oeffnung durch eine Platte von etwa einem Meter Durchmesser verschliessbar wird.
In diesem künstlichen Tumulus fand sich auch ein wirklicher Steinsarkophag, welcher
indessen zur Zeit der officiellen Auegrabung bereits geplündert gewesen sein soll.
Mit Uebergehung der einzelnen Variationen der Bauart bei den verschiedenen
Formen der Steinkisten wende ich mich alsbald zu dem Inhalt derselben.
Der Befund ist überall, wo Dolmen überhaupt gefunden werden, sei es im west-
lichen Theile unseres Continentes, in Scandinavien oder der Krim, in gewissen Be-
ziehungen der gleiche, d. h. es wird sehr häufig gar Nichts in denselben gefunden,
oder wo Knochenreste auftreten, sind sie zertrümmert und im Schutt verrollt. Dabei
ist als Regel anzunehmen, dass Skelettheile mehrerer Individuen in derselben Grab-
stätte vereinigt sind. Aeholich verhält es sich in den Steinkisten des Kaukasus: es
(151)
finden sich dort, wie auch sonst, zwar zuweilen einzelne Skelette im Ganzen, bei
denen die Knochen noch in der natürlichen Lagerung sind, doch ist ein solcher Be-
fund zu den Ausnahmen zu rechnen.
Was die Art der Bestattung anlangt, so gehen die Ansichten darüber sehr aus-
einander. Es ist bei den Dolmen als unzweifelhaft zu betrachten, dass sowohl Leichen-
brand vorkommt, als auch, dass die Knochen häufig ungebrannt gefunden werden,
zusammengeworfen mit Geröll und Schutt. Ich glaube nicht, dass man berechtigt ist,
weil die Knochen verschiedener Individuen zerstreut im Schutt liegen, anzunehmen,
es habe Anthropophagie stattgefunden. Obgleich es mir leid thut, den Behauptungen
des Herrn Bayern, vor dessen Verdiensten um unsere Kenntniss des Kaukasus ich
die grösste Verehrung habe, entgegentreten zu müssen, so weit er aus seinen Funden
die allgemeine Verbreitung der Anthropophagie in Samthawro anzunehmen geneigt
ist, kann man nicht verhehlen, dass der Beweis für dieselbe als nicht geführt zu
betrachten ist.
Es ist eine Reihe von Möglichkeiten vorhanden, welche den gleichen Befund,
wie er in den Grabstätten vorliegt, hervorrufen könnten, so dass in manchen Fällen
Menschenfresserei zwar als möglich, aber nicht als unabweisbar anzunehmen ist.
Viel wahrscheinlicher ist, dass die Knochen gesammelt wurden, nachdem das Fleisch
davon durch Leichenbrand oder durch andere Einflüsse der Natur zerstört war, oder
endlich, dasselbe wurde auf mechanische Weise losgelöst, ohne indessen als Nahrung
zu dienen. Dass eine solche Bestattung selbst noch in später (christlicher) Zeit zu-
weilen vorgekommen sein muss, beweist ein schon von Bonstet ten (Essai sur les
dolmens) angeführtes Verbot Bonifaz VIII., in dem sie ausdrücklich verboten wird.
Ich erinnere gleichzeitig, ohne weitere Schlussfolgerungen daran knüpfen zu wollen,
an eine andere, bei meiner Reise gemachte Beobachtung, auf welche ich später noch
einmal zurückkommen möchte, nämlich die Bestattungsweise der Guebern.
Bei dieser religiösen Sekte, deren Reste sich noch heutigen Tages vereinzelt im
Kaukasus finden, werden die Leichen der atmosphärischen. Luft und den Geiern ex-
ponirt, bis die Knochen vom Fleisch entblösst sind, diese aber werden in viereckige,
aus Steinen gemauerte, Behältnisse gesammelt, ohne dass auf Trennung der Individuen
Rücksicht genommen würde, und wenn man sich also den übrigen Raum mit Schutt
ausgefüllt und das Behültniss mit einer Platte bedeckt denkt, hat man genau den
Befund der Samthawro'er Grabstätten, zumal diese Steinkisten der Guebern eben-
falls in Reihen aneinander liegen.
In Folge der oben angedeuteten Verhältnisse ist es natürlich sehr schwierig,
ganze Schädel oder gar vollständige Skelette aufzufinden, was um so mehr zu be-
dauern ist, als äusserst interessante Formen vorkommen. Durch die Güte des Herrn
Bayern, sowie des Direktors der Sammlung von Kertsch gelang es mir, genügendes
Material zu erhalten, um ein Urtheil über die charakteristische Bildung zu gewinnen.
Es wird dadurch die schon von Anderen ausgesprochene Behauptung bestätigt, dass
die in. den Dolmen gefundenen Schädel einem dolichocephalen Menschenschlag an-
gehörten, von denen die kürzeren Formen sich der Mesocephalie nähern. Ein ein-
zelner Schädel von Samthawro, welcher sich in der That durch seine Länge aus-
zeichnet, hat einen Breitenindex von nur (J8.5, ein anderer zeigt 72.3 bei einem Höhen-
index von 72,9. Die meisten der Kertscher Schädel gehören ebenfalls zu den Lang-
schädeln (Breiteu-Indices: 73,2 bei einem Höhenindex von 75,2) und zwar ist dieser
Typus nach der Beschaffenheit der Knochen u. s. w. der ältere. Dazwischen erscheint
eine mesocephale, zuweilen selbst subbrachycephale Form, welche späteren Ursprungs
ist und eine beginnende Vermischung mit tatarischen Elementen zu verrathen scheint;
der Durchschnitt der mitgebrachten Schädel ergiebt als Breitenindex 76,2 bei geriö'
(152)
gerer Höhe (74), so dass der Durchschnitt aller zusammen sich dem von Welcker
für Dolmenschädel angegebenen Breiteuindex (75) nähern würde.
Höchst bemerkenswerth ist aber, dass ausser diesen normalen Bildungen sowohl
in Kertsch wie in Samthawro dieselben eigenthüuilichen Schnürschädel vorkommen,
welche von den Autoreu bald als Makrocephalus, bald als Turricephalus oder Flaty-
cephalus benannt werden, je nachdem der bei ausserordentlich verflachtem Stirnbein
hinten stärker ausgebildete Schädel mehr nach oben oder rückwärts sich ausdehnt.
Es ist unzweifelhaft, dass man künstliche Difformitäten vor sich hat, welche
ausser an den genannten Lokalitäten auch in Oesterreich gefunden worden sind, wo
sie durch Fitzinge r, dem sich andere Autoren anschlössen, als Avarenschädel be-
zeichnet werden. Als Tschudi einen der ersten in Oesterreich gefundenen sogenannten
Avarenschädel sah, erklärte er positiv, derselbe müsse ein durch Zufall aus Amerika
herübergekommener Platycephalus sein, woraus man erkennen kann, wie leicht die
gleiche Form durch ähnliche Mittel erzielt werden kann, ohne dass irgend eine Mög-
lichkeit vorliegt, einen Zusammenhang der Stämme nachzuweisen.
Aus einem Grabe in Samthawro erhielt ich durch Herrn Bayern die Trümmer
von wenigstens vier Schädeln, welche alle dem hier besprochenen Typus angehörten;
der vordere Theil der Calvarien ist noch kenntlich und zeigt die charakteristische
Form in prägnanter Weise. Ein anderer vollständiger, welcher der Gesellschaft vor-
liegt, stammt von Kertsch. Der letztere würde sehr mit Unrecht als Makrocephalus
bezeichnet werden, da er nur geringen Umfang und einen zarten Knochenbau zeigt,
welchen man geneigt wäre, als weiblich zu bezeichnen, da das Individuum bereits
im mittleren Alter gewesen ist. Die Breitenindices (am vorliegenden 76,4 bei 78,3
Höhenindex) sind nicht sehr von dem Mittel abweichend, doch ist die Feststellung
solcher Zahlen an difformen Schädeln etwas schwankend.
Nach dem sporadischen Vorkommen und der regellosen Untermischung mit
normalen Schädeln dürfte man berechtigt sein, in dieser künstlichen Verstümmelung
vielleicht eine traditionelle Eigenthümlichkeit einer Kaste oder gewisser Familien zu
sehen, die aber nicht dem ganzen Volksstamm als solchem zukam.
Was nun die sonstigen Funde in diesen Grabstätten anlangt, so ist auch da
eine gewisse Uebereinstimmung ersichtlich, doch ist das Bild, was Kertsch anbelangt,
durch das beständige Hinzutreten fremder Einflüsse in späterer Zeit sehr getrübt.
Von Waffen finden sich meist nur geringe Reste. Dieselben sind im Kaukasus
wie in der Krim von Eisen und haben sich aus diesem Grunde wohl besonders
schlecht conservirt. Es erscheint zuweilen in Samthawro der Dolch (Kandschar),
wie es scheint, nicht unähnlich dem heute noch üblichen, in Kertsch kurze eiserne
Schwerdter und Messer. In ersterem Ort sind auch Bekleidiingsgegenstände spärlich
ausser Fibeln, einfachen Schmucksachen und Haarnadeln; von Geweben finden sich
nur Spuren von Abdrücken, sie können aber durch Verwittern zerstört sein. In der
Krim sind die späterer Zeit angehörigen Funde, unter denen auch Gewebreste, me-
tallne Gürtel, Knöpfe, als Besatz der Kleidung zierliche Filigraubommeln und Aehn-
liches vorkommen, sehr vorherrschend und können nicht mit den älteren kaukasischen
parallelisirt werden.
Von Gefässen zeigen sich die gläserneu Thränenfläschchen in Samthawro sehr
reichlich und in verschiedener Form, so dass Bayern sich veranlasst sieht, denselben
eine symbolische Bedeutung beizulegen, worüber sein Aufsatz in dieser Zeitschrift
nachzusehen ist. Auch in Kertsch finden sich ähnliche Thränenfläschchen, wenn auch
nicht so mannigfaltig in der Form; der fortschreitende griechische Einfluss macht sich in-
dessen bei Kertsch auch in dieser Technik durch das Auftreten von allerhand äusserst
zierlichen Glasgefässen zu verschiedenen Zwecken bemerkbar. Als ein Zeichen des
(153)
geringeren Alters sind daselbst hölzerne Sarkophage und andere Gegenstände von sol-
chem Material erhalten; dieselben sind aber häufig so leicht geworden, dass man
meint, Korkholz vor sich zu haben.
Neben diesen Funden von eutschiodrii giiocliischem Charakter treten auch soge-
nannte etrurische Vasen, d. i. irdene Gefässe von besonders feiner Masse von roth-
brauuer Farbe auf, denen schwarze Figuren aufgetragen sind, oder das ganze Gefäss
zeigt einen schwarzen Grund, auf dem die rothbraunen Figuren ausgespart sind.
Zuweilen sind diese auch mit bunten Farben ausgemalt und stellen meist mythische
Gegenstände dar, z. B. den Kampf des Theseus mit den Amazonen, Centauren und
Aehnliches. Charakteristisch ist das häufige Auftreten von Pferdeköpfen, neben deren
gewöhnlich der Kopf einer weiblichen Gottheit erscheint. Das Pferd spielte offenbar
schon damals eine grosse Rolle bei diesen Bevölkerungen und zwar als Reitthier,
wie die zahlreichen Reiterfiguren auf Steinen in den Gräbern erkennen lassen; auf
diesen sind ausserdem häusliche Scenen dargestellt , von roher Hand eingegraben,
aber zum Theil noch gut erhalten. Diese Gegenstände, ebenso wie die meisten
der Terracottafiguren, scliliessen sich unverkennbar an griechische Formen an, haben
aber meist einen etwas barbarischen Anstrich, wie es wohl durch die Nachahmung
reiner griechischer Originale erklärlich scheint.
Vielleicht liegt in diesem Umstände auch der Grund für das fast vollständige
Fehlen der Inschriften, worin ebenfalls Kertsch und Samthawro sich nahe stehen.
An letzterem Orte wurde in neuerer Zeit ein Stein gefunden, dessen Lagerung in-
dessen auch eine zufällige Verwendung als Deckstein nicht ausschliesst, auf dem wohl-
erhaltene Schriftzügß sind, welche für hebräisch (?) gehalten werden.
Resumiren wir die Ergebnisse der Betrachtung, so ergiebt sich zunächst die trau-
rige Thatsache, dass wir bei dem häufigen Wechsel der Verhältnisse und dem Unter-
mischen der Reste verschiedener Zeiten kaum im Stande sein werden, mit einer ge-
wissen Sicherheit die Beschaffenheit und den Ursprung der Völkerstämme festzustellen,
welche diese Grabstätten bauten.
Wegen der Einfachheit der Erfindung, der mannigfachen Variationen, des üeber-
ganges in wirkliche Sarkophage, kann man nicht beweisen, dass es ein besonderes
Volk gewesen sei, welches die Dolmen gebaut hat, wenn es auch durchaus wahr-
scheinlich ist, dass gewisse Stämme auf die Errichtung mächtiger Dolmen einen
grösseren Fleiss und Mühe verwandt haben als andere, die sich die Sache leichter
machten, so dass die Spuren wieder verwischt wurden. In diesem Sinne könnte
man vielleicht von einem „Dolmenvolke" reden, doch ist es nicht ersichtlich, warum
dasselbe nicht arisch gewesen sein sollte, wohl aber zur kaukasischen Rasse (?!) ge-
hört hätte (Koppen). Noch weniger erscheint es nach der Natur der Dinge zulässig,
aus der Verbreitung der Dolmen und ihrem dürftigen Inhalt die Zeit und die Rich-
tung der Wanderungen des Dolmenvolkes construiren zu wollen.
Es steht nur fest, dass noch in den letzten Jahrhunderten vor Beginn unserer
Zeitrechnung dolichocephale Volksstämme an den Nordküsten des schwarzen Meeres
wohnten, welche den germanischen ürstämmen vielleicht gar nicht so fremd waren.
Dieselben stellten wahrscheinlich die späteren von Osten vordringenden Nachzügler
dar, nachdem die germanischen Stämme weiter nach Norden ausgewandert waren.
Es widerstreitet eigentlich der Theorie des Dolmenvolkes und seiner Wanderungen,
wenn Koppen behauptet, dass selbst heutigen Tages die Reste der ursprünglichen
Dolmenbauer in denselben Gegenden vorhanden seien, da gerade dadurch das allmälige
spurlose Verschwinden gewisser Gebräuche constatirt wird; doch wäre ich geneigt,
ihm in letzterem Punkte gern Glauben zu schenken. Freilich müssen die Bevöl-
(154)
kerungen durch das Nachdrängen und die Vermischung mit tatarischen Elementen
stark verändert sein.
Was endlich die Schnürschädel anlangt, so scheint ihr Auftreten bei Kertsch
wie iu Samthawro gegen die Annahme zu sprechen, dass dieselben von den Avaren
herrührten. Dieser Volksstamiu, über welchen eigentlich Niemand etwas Specielleres
anzugeben weiss, zog wie ein Schattenbild durch unseie Geschichte, und wenn man
auch annimmt, dass ihre Wanderungen längs der Nordküste des schwarzen Meeres
verliefen, so erklärt dies doch nicht das untermischte Auftreten platycephaler Schädel
aus anscheinend erheblich verschiedenen Zeiten unter sonst normal gebildeten, —
Hr. Virchow erinnert daran, dass schon Hippocrates die Makrocephalen am
Mäotischen See erwähne, welche ihre abweichende Schädelform durch künstliche
Deformation und später auch durch blosse Erblichkeit erwürben. Der vorgelegte
Schädel stamme genau aus der von dem Altvater der Medicin bezeichneten Oertlich-
keit und müsse daher doppeltes Interesse für alle Freunde des Alterthums darbieten. —
(7) Hr. P. Aschersou zeigt einige verkohlte, von Hrn. Virchow im Burg-
wall zu Priment gesammelte Pf lanzen samen. (Vgl. Sitzung vom 14. Mai.)
Die Untersuchung hat ergeben, dass dieselben aus Roggen (nicht Weizen) und
Erbsen bestehen; sonderbarer Weise fand sich ein kenntlicher Samen der Sau-
bohne (Vieia Faba) darunter.
(>j) Hr. Virchow bespricht
Funde von Zaborowo,
namentlich ein Pferdegebiss von Bronze imd Pferdezeiclinungen.
(Hierzu Taf. XI.)
Ich würde vielleicht auch sonst mich veranlasst gesehen haben, einige bemerkens-
werthe Funde, die auf dem Gräberfelde von Zaborowo gemacht sind, zur Kenntniss
der Gesellschaft zu bringen; allein ein besonderer Grund dazu ist die sehr interessante
Abhandlung des Grafen Gozzadini^), die ich in der vorigen Sitzung vorlegte und
die über alte Pferdegebisse und ein Bronzeschwert handelt, die von ihm gefunden
sind auf dem Hügel von Ronzano iu der Nähe von Bologna. Er hat damit eine
zusammenfassende Erörterung der alten Pferdegebisse überhaupt, namentlich der ita-
lischen, verbunden. Pferdegebisse von Bronze waren bisher, obwohl sie von etru-
rischeu und römischen Funden in grösserer Zahl bekannt sind, in prähistorischen
Sammlungen, namentlich diesseits der Alpen, ausserordentlich selten. Der erste
Fund dieser Art, der grösseres Aufsehen erregte, ist 1872 von Dr. Gross''*) in der
Schweiz in einem Pfahlbau des ßieler Sees bei Möringen gemacht worden. Er
gab Veranlassung zu einer vergleichenden Darstellung des bekannten französischen
Archäologen Bertrand-'), der damit zusammenstellte einen überaus ähnlichen, gegen-
wärtig in dem Museum zu St. Germain befiudlicheu Fund, welcher eine grosse Zahl
von Bronzesachen umfasst, die schon vor längerer Zeit in einem Moor bei Wallerfangen
(Vaudrevanges) in der Nähe von Saarlouis ausgegraben worden sind. Graf Gozzadini
') De quelques mors de cheval italiques et de Tepec de Rouzauo eu bronze par le Comte
J, Gozzadini. Bologna 1875.
2) Anzeiger für Schweizerische Alterthuinskunde. 1872. No. 3. S. 358. Desor et Favre.
Le bei äge du hroiize lacustre en Suisse. Paris et Neuchatel. 1874. PI. IV. p. 4.
■*) Revue archeologique. Nouv. 8er. 1873. Vol. XXV. p. 327. PI. XI,
(155)
hat diese Untersuchungen im grössten Massstabe aufgenommen und in seiner wichtigen
Schrift die Gesammtheit der auf Pferdegebisse bezüglichen Funde von der ägyptischen
und assyrischen Periode bis zur römischen verfolgt. Er hat das Glück gehabt, ausser
den 4 Gebissen, welche bei Ronzano gefunden wurden, nicht bloss mehrere andere
aus der Nachbarschaft zu erlangen, sondern er hat auch aus einer Reihe früherer
italienischer Funde die etrurischen und römischen zusammengestellt, ferner einige,
in alten Darstellungen uns erhaltene Abbildungen, welche ergeben, wie ein Pferd
aufgeschirrt wurde, hinzugefügt, und in der That eine der lehrreichsten Abhandlungen
geschrieben, welche über diesen Gegenstand existiren. Für die vergleichende Archäo-
logie hat sich die durchaus sichere Thatsache ergeben, dass jene Gebisse von Möringen
in der Schweiz und von Wallerfangen, wenngleich sie sich in einigen, nicht unerheb-
lichen Funkten unterscheiden und auf eine selbständige Quelle hinweisen, doch
dem Typus nach sich so eng an die italienischen Funde anschliessen, dass man
aus diesem Umstände ein neues Argument hernehmen kann für die etrurische
Einwirkung auf die Länder diesseits der Alpen. Graf Gozzadini hat diesen
Nachweis, welcher der Auffassung des Herrn Bertrand von einer kaukasischen
Quelle dieser Bronzen gerade entgegensteht, dadurch unterstützt, dass er zugleich ein
hei Ronzano gefundenes ßronzeschwert zum Gegenstande der Betrachtung gemacht
hat, welches allerdings in defectem Zustande ist, aber in seinen Haupttheilen so
erhalten ist, dass die Vergleichung desselben, namentlich in Bezug auf die Bildung
des Griffs, mit einer ganzen Reihe von anderen Funden, die er daneben abgebildet hat,
in ausgiebiger Weise augestellt werden kann. Ich will hinzufügen, dass auch wir
aus unseren Sammlungen eine Reihe von Parallelen würden hinzufügen können.')
Da dieses Bronzeschwert mit dem Pferdegebisse von Ronzano zusammengehört und
dieselbe Griffform sich bis hoch nach dem Norden hinauf verfolgen lässt, so kann
man allerdings zugestehen, dass damit ein sehr werthvoller Schritt auf dem Gebiet
der vergleichenden Archäologie gemacht ist.
Aus Deutschland sind bis dahin Bronzegebisse meines Wissens nur in geringer
Zahl bekannt geworden. Graf Gozzadini erwähnt (p. 24) nach einer Mittheilung
des Herrn Engelhardt Exemplare aus der Stettiner Sammlung und von Herrn
Lindenschmit (Alterthümer der heidn. Vorzeit. H. 10. Taf, Hl.) Einige andere,
über welche Hr. Lindenschmit ihm berichtet hat, beziehen sich auf römische
Gebisse. Ein sehr interessantes Stück, leider ohne bekannten Fundort-'), besitzt unser
Königliches Museum (II. 1754): dasselbe gleicht in allen Punkten dem Mittelstück
des Gebisses von Ronzano. Die beiden Stücke greifen in der Mitte mit je einem
Ringe in einander; jederseits geht von dem Ringe eine kurze Stange aus, welche
aus zwei um einander gewundenen Bronzeblättern besteht, und am Ende sind diese
wiederum zu einem Ringe in der Art zusammengefügt, dass zuerst das eine Blatt
eingerollt und dann das andere um dieses herumgelegt ist.
Es war mir nun durchaus überraschend, dass unter den neueren F'unden in
Zaborowo, welche noch nachträglich aus den Gräbern zu Tage gekommen sind, gleich-
falls ein sehr schönes Bronzegebiss aufgedeckt ist. Bevor ich jedoch darüber be-
richte, möchte ich noch einige eiserne Gegenstände aus demselben Gräberfelde er-
wähnen, welche in eine verwandte Kategorie gehören. Ich hatte in der Sitzung vom
14. Mai, als ich über meine letzten Ausgrabungen berichtete, schon Mitthcilung davon
gemacht, dass ich ein eisernes Gebiss gefunden hätte; da ich es selbst aus der
') Man vergleiche z. B- das von Hrn. Noack abgebildete Schwert von Helmstädt (Taf. X.
Fig. 1).
'') V- Ledebur, das Könighcbe Museum S. 199:
(156)
Erde ausgelöst habe, so kann ich für die Stelle, an der es sich fand, bestimmtes
Zeugniss ablegen. Es ist allerdings ein sehr einfaches Geräth (Taf. XL Fig. 5),
welches auch nur zur Hälfte vorhanden ist, so dass man nicht genau übersehen kann,
ob es sich dem Typus jener vom Grafeu Gozzadini abgehandelten Trensen nähert,
welche alle darin übereinkommen, dbss sie in der Mitte durch Ringe eingelenkt sind,
also im Maule des Thieres beweglich waren. Hier macht es den Eindruck, als ob
diese Stange einfach und fest gewesen sei, denn es zeigt sich am inneren Ende ein
deutlicher Bruch gerade in der Gegend, wo der Ring kommen müsste. Das vorhan-
dene Stück besteht aus zwei an einander gelegten Eisenstangen von 55 Mm. Länge,
die durch den Rost unter einander verschmolzen sind; man kann nur erkennen, dass
eine Drehung an ihnen vorhanden ist, die jedoch lauge nicht so stark ist, wie an
den italischen Trensen. Beide Stangen sind vermittelst enger Ringe in einen zweiten
Ring von 34 Mm. Durchmesser eingelenkt, der zwar zerbrochen ist, aber sich noch
an einander fügen lässt. An diesem Ring, der offenbar zur Aufnahme der Leine
bestimmt war, sitzt nochmals ein Stück eines dicken gebogenen Eisendrahts, welches
wiederum zu einem sehr engen Ringe gehört zu haben scheint. Möglicherweise
hing daran irgend ein Zierrath, was allerdings mit anderen Funden überein-
stimmen würde. In die Kategorie solcher Zierrathe könnte ein gleichfalls eisernes
Stück (Taf. XL Fig. 3) gehören, welches aus einem dicken Ringe und einem davon
ausgehenden, platten und sich allmählich verbreiternden dreieckigen Ansätze besteht.
Ich habe ferner aus den Eisenbeständen dieses Gräberfeldes, veranlasst durch
eine Abbildung des Grafen Gozzadini (Tav. III. Fig 10), noch ein zweites Stück
(Taf. XI. Fig. 4) mitgebracht, von dem ich es dahingestellt sein hissen muss, ob es
zu einem Pferdegebiss gehört, oder ob es eine Art von Hufbeschlag darstellt. Es ist
ein ziemlich starkes, halbkreisförmig gebogenes, f)lattes Eisenstück von 15 Cm. um-
fang, an jedem Ende mit einigen gekrümmten Haken und in der Mitte mit einer Spitze
versehen. Der grösste Querdurchmesser seiner Rundung beträgt 6 Cm.
Das schon erwähnte Bronzegebiss (Taf. XL Fig. 6) ist von viel grösserer Be-
deutung. Es hat wenigstens dieselbe bewegliche Einrichtung und die Zusammen-
setzung aus zwei Theileu, wie die Mehrzahl der bekannten Bronzegebisse. Freilich
fehlt ihm alles, was die weitere Ausstattung der italischen Geschirre so auffällig
macht, namentlich die Hinzufügung ornamentirter Seitenstücke. Auch ist eä allem
Anscheine nach ganz gegossen und es muss daher einer ungleich jüngeren Zeit angehö-
ren, als das Gebiss unseres Museums und als die älteren italischen Funde, Die ältesten
Formen, welche Graf Gozzadini abbildet, haben alle das Gemeinsame, dass sie
nicht gegossen sind, sondern dass sie, wie das Gebiss unseres Museums, aus gehäm-
merter Bronze bestehen, welche zunächst in einen langen Stab ausgedehnt, in der
Mitte zurückgebogen und durch Zusammendi'ehen der beiden Enden in einen Ring ge-
legt wurde, in welchen der aus einem zweiten Stück in ähnlicher Weise gebildete
andere Ring hineingefügt wurde. Zuletzt wurden, wie schon erwähnt, die offenen
Enden beider Stücke in einander gerollt, so dass hier nicht eine Zusammenlöthung
stattfand, sondern eben nur durch das Einrollen der beiden Enden seitliche Ringe
entstanden, in welche Zierrathen und Seitenstücke hineingehängt wurden. Da nun
nach einer Bemerkung von Plinius die Zeit, wo die Löthung der Bronze erfunden
wurde, in das siebente Jahrhundert verlegt wird, so müssen die Gebisse von Ronzano
und andere ihnen verwandte in eine ungleich frühere Zeit verlegt werden, als das
von mir vorgelegte Bronzegebiss, welches unzweifelhaft gegossen ist, und so weit ich
die Verhältnisse beurtlieilen kann, auch gelöthet sein muss.
Dasselbe besteht aus zwei, ungleich gebildeten, in der Mitte durch zwei in ein-
ander greifende Ringe beweglich zusammengesetzten Stücken. Jedes derselben stellt
(157)
eine kurzfi Stange dar, welche jederseits in einen Ring ausläuft. Bei dem einen,
etwas stärkereu, liegen l)eide K,inge in einer Ebene, an dem andern, etwas dünneren,
steht die Ebene des einen Ringes senkrecht gegen die Ebene des andern. So ist es
möglich, dass die beiden Endringe in gleicher Ebene liegen. Jedes der Stücke ist
etwa 76 Mm. lang, jedoch ist der mittlere gerade Theil an dem dickern Stücke nur
26, an dem dünneren 34 Mm. lang. Diese Mitteltheile sind vierkantig, sehr regelmässig
und so oruameutirt, dass es aussieht, als wenn sie geflochten wären, was einen über-
aus zierlichen Eindruck macht und zugleich den Gedanken erweckt, als habe man
die ursprüngliche Form eines aus Weidenruthen geflochtenen Zaumes nachbilden
wollen. Das (janze hat eine dunkelgrüne Farbe und eine rauhe, etwas hügelige
Oberfläche, welche davon kommt, dass es in starkem Feuer gewesen ist; dies geht
daraus hervor, dass in der Nähe Klumpen geschmolzener Bronze gelegen haben, die
möglicherweise von den äusseren Theilen des Geschirrs herrühren. Hr. Kreisphysikus
Dr. Koch, der nach meiner Abreise dieses Grab untersuchte, schreibt mir darüber
Folgendes:
„Ihrem Wunsche gemäss übersende ich hierbei das Bronzegeräth und ein Stück
geschmolzener Bronze. Die Gegenstände stammen aus einer Urne, welche ich einem
an der südöstlichen Ecke des Zaborowoer Gräberfeldes befindlichen Grabe entnommen
habe. Das Grab war nicht mit Steinen überdeckt, hatte aber eine Lehmuuterlage,
ebenso wie die benachbarten Gräber, denen es in Betreff der Tiefe, Grösse, Anord-
nung der Gefässe etc. voUkonmien glich. In der Lehmlage fand Herr Th un ig später
noch einen Bronze-Celt, ein eisernes Werkzeug und mehrere Stückchen Glasfluss,
welche anscheinend zusammengesinterte Perlen waren. Aussergewöhnlich war auch
noch, dass dieses Grab zwei grosse, mit calcinirten Knochen gefüllte Urnen enthielt,
von welchen die eine zusammengedrückt und zerbrochen war und von mir nicht
untersucht ist; wie mir Herr Thunig mittheilte, enthielt sie ausser den Knochen nichts.
Die andere, fast vollständig erhaltene Urne nahm ich mit nach Wollstein, untersuchte
sie am anderen Tage und fand in den oberen Sandschichten Scherben, welche sich
zu einem grossen Theil des Ui'ueudeckels vereinigen Hessen; unter diesen folgten
calcinirte Knochen mit Sand gemengt, innerhalb welcher Schicht, und zwar 4 Cm.
tief, das Bronzegerätli zum Vorscliein kam. Es lag horizontal, rechtwinklig geknickt
und neben beiden Enden desselben ein Stück Bronzefluss, von denen ich das eine
beigefügt habe."
Letztere Angabe spricht eiuigermaassen dafür, dass die Klumpen von geschmolzener
Bronze, an denen nichts Genaueres mehr zu erkennen ist, in der That Bestandtheile
des Gebisses gewesen sind. Ich füge noch hinzu, dass die Kürze dieses Gebisses
eine sehr kleine Pferde-Rasse voraussetzt.
Es ist klar, dass dieses Stück mit den Funden in Italien, in der Schweiz, an der
Saar nicht unmittelbar zusammenhängt. Trotzdem bleibt es bemerkeuswerth, dass wir in
diesem, sonst schon durch so vielerlei Besonderheiten ausgezeichneten Gräberfeld einen
so seltenen Fund antrafen, der wenigstens als Nachbildung der Grundform angesehen
werden kann, welche in den etruskischen Gräbeiyi gefunden ist. Zugleich belehrt er
uns in Gemeinschaft mit dem erwähnten Eisenfunde, dass die alte Bevölkerung dieser
Gegend das Pferd besass und vollkommenere Formen des Pferdegeschirrs anwandte').
') Nachträgliche Bemerkung, l^ei einem Besuche der Alterthums-Sammlun>;en in Schwerin
am 23 October d. J. fand ich zu meiner l eberraschuno; daselbst zwei Bronzei^ebisse, weiche
mit dem von Zaborowo bis auf alle Einzelheiten übereinstimmen, namentlich auch dieselben
„Setlochtenen" , vierkantigen Stangen besitzen. Sie haben nui- noch in jedem Endringe der
beiden Stangen einen weiteren, etwas grösseren Ring ehigehängt. Sie stammen aus dem Sonnen-
(158)
Es ist noch ein drittes Object vorhanden, was überaus merkwürdig ist. Es haben
sich nehmlich Trümmer eines ziemlich grossen Gefässes (Taf. XL Fig. 1), welches sich
nicht vollstcändig hat zusammenfügen lassen, aufgefunden. Dasselbe ist zunächst da-
durch ausgezeichnet, dass seine äussere Oberfläche in regelmässiger Abwechselung
schwarze und rothbraune Felder zeigt, und zwar ein gesättigtes Schwarz und ein
dunkles Rothbraun, beide von lebhaftem Glanz, welche unzweifelhaft eine künstliche
Färbung beweisen. Das Gefäss ist also bemalt gewesen. Zugleich hat es eine sehr
zierliche Form: es ist ein weites, flachkugelförmiges Gefäss mit stark abgesetztem
Halse, der ebenso, wie der Bauch, braune und schwarze Abtheilungen und auf diesen
letzteren Zeichnungen hat, welche eine von der Ornamentik der anderen Urnen ziem-
lich abweichende Anordnung darbieten. Diese Zeichnungen bestehen wesentlich aus
schrägen und gekrümraten Linien, von denen die Mehrzahl in der Art zusammen-
gesetzt ist, dass je zwei fortlaufende Linien parallel zu einander stehen und jeder-
seits von einer punktirten Linie begleitet werden. Die Grenze gegen die braunen,
glatten Felder wird jedesmal durch eine palmblattähnliche Zeichnung gebildet, wie
sie in der Sitzung vom 17. April durch Hrn. Ni sson in Betreff einer skandinavischen
Urne (Taf. VL Fig. 4) zur Sprache kam. Es ist dies eine bei uns ziemlich seltene
Form, namentlich ganz ungewöhnlich für dieses Gräberfeld. Noch viel auffälliger,
ja ganz abweichend ist es, dass auf der schräg gestellten, unteren Hälfte des Randes
auf den schwarzen graphitischen Feldern jedesmal ein laufendes vierfüssiges Thier
von sehr gestreckter Gestalt, mit langem Schwänze und winklig angesetztem, langem
Kopfe sich zeigt. Allerdings ist die Zeichnung in der allerrohesten Weise ausgeführt,
uad es ist scheinbar etwas willkürlich, wenn ich darin eine Pferdezeichnung sehe.
Indess sind auch die vom Grafen Gozzadini abgebildeten, zu Zierrathen an den
Gebissen verwandten Metallpferde sehr rohe Dinge, welche in einem auffälligen
Gegensatze stehen zu der Kunstfertigkeit, mit der die übrigen Sachen ausgeführt sind.
Ganz besonders berufe ich mich aber auf die Pferdezeichnungen der grossen ßronce-
flasche aus dem Grabhügel bei Rodenbach in Hessen, welche alle Eigenschaften eines
etruskischen Fabrikates darbietet. ') Dieselben sind allerdings etwas besser ausgeführt,
aber wir wissen, wie sehr die barbarischen Nachbildungen klassischer Zeichnungen
ins Barocke verzerrt wurden. Jedenfalls erscheint diese Urne als ein Phänomen für
diese Lokalität und für ein Gräberfeld dieser Art, wo sonst alle Zeichnung der Thon-
gefässe sich beschränkt auf einfache lineare Ornamente geometrischer Art. Das Höchste,
was wir bis jetzt von da hatten, waren die sonnenartigen Zeichnungen und endlich das
Triquetrum oder Ypsilon, über das ich früher gehandelt habe. Das Nächste, was sich an
unsere Pferde anschliesst, sind die Zeichnungen der Gesichtsurnen, und unsere Urne ist
gerade insofern ein sehr bemerkenswerther Fund, als sich auch auf mehreren Gesichts-
urnen ein ähnliches Ornament nachweisen lässt.'^) Ueberraschend war es jedenfalls,
berge im Amte Lübz (im südlichen Mecklenburg) und wurden in einer Urne mit Asebe und
Knochen gefuiideu. (Grossberzogüche Sammlunj^ L IL J !^. 1 »). Wir gewinnen dadurch mit
einem Maie eine archäologische Beziehung an einem Orte, wo sie am wenigsten erwartet
werden konnte. Auch nach einer anderen Seite, auf die schon die bemalten Thonschalen hin-
wiesen, hat sich eine sehr wichtige Beziehung ergeben. Für die höchst merkwürdige Fibula,
welche ich in der Sitzung am 14. Mai (S. 109. Taf. VIII. Fig. 1) zeigte, ist ein ganz genaues
Gegenstück, gefunden bei ßeichau in Niederschlesien, in dem 27. Bericht des Vereins für das
Museum schlesischer Alterthümer (Schlesiens Vorzeit in Bild und Schrift. 1875. Fig. 58) ab-
gebildet worden.
') Lindenschmit, die Alterthümer unserer heidnischen Vorzeit. 1875. III. 5. Taf. II.
*) Man vergleiche meine Abbildungen in der Zeitschrift für Ethnologie. 1870. Bd. 11.
S. 80. Fig. 6 u. 7.
(159)
dass in der nächsten Nähe einer Stelle, an der das seltene Bronzegebiss gefunden
ist, auch die Pferdezeichnuogen entdeckt sind.
Ich zeige bei dieser Gelegenheit noch ein anderes oisernes Geräth, welches zu
Hausthieren in Beziehung stehen niuss, nehmlich einen Glocken-Klöppel (Taf. XI.
Fig. 2). Ich habe davon schon in der Sitzung vom 14. Mai gesprochen. Es ist ein
sehr schweres Stück: der Stiel hat eine Länge von 50 Mm.; er ist ebenso viereckig,
wie der eigentliche Klöppel, der '.VI Mm. lang, am untern Ende 20 Mm. breit und
14. Mm. dick ist.
Schliesslich will ich noch einen der Lokalität nach sehr bemerkenswerthen Fund
mittheilen, der ganz in der Nähe von Zaborowo auf einer Insel im Primeuter See
(gegenüber von Perkovo) gemacht ist. Diese Insel hatte immer meine Aufmerksam-
keit auf sich gezogen, ich war aber nicht dahin gekommen, weil meine Beschäftigung
auf dem Gräberfeld kein Ende nahm; ich hatte also Hrn. Thuuig gebeten, eine
Revision der Insel vorzunehmen. Dies ist nunmehr geschehen Es haben sich zwar
nur Bruchstücke von Thougefässeu gefunden, aber Bruchstücke mit dem viel be-
sprochenen Bindfaden- oder Kettenornameut, neben welchem auch ein geschlagener
Feuerstein aufgehoben wurde, so dass die sonst bestehende Präsumption, dass diese
Dinge der Steinzeit angehören, einigermaassen gestützt wird.
Auch gegenüber von der Insel am westlichen Ufer des Sees in der Nähe der
Försterwohnung sind Scherben von Thongefässen mit gebraunten Knochen ausgegra-
ben, jedoch gehören diese einer ganz anderen Kategorie an. Es sind sehr starke,
aber verhältnissmässig feine und gut gebrannte Gefässe von gelbgrauer oder röthlich-
graucr Farbe, stark geglättet und sehr sorgsam ornamentirt. Reihen kleiner, runder
Grübchen, einfache Linien, erhabene, senkrecht stehende Kippen - das sind die Haupt-
verzierungen, durch welche sich diese Gefässe denen der Lausitz viel mehr nähern,
als die Mehrzahl der im Gräberfeld von Zaborowo gefundenen.
(9) Hr. Viroliow zeigt die im Auftrage des Kaisers von Brasilien ihm über-
sandten
brasilianischen Indiauerschädel.
(Hierzu Taf. XII.)
Die Sendung, welche uns auf Befehl Sr. Majestät des Kaisers von Brasilien über-
sendet worden ist, war von folgender Erläuterung des Generaldirektoriums des iMuseo
Nacional von Rio begleitet:
Gräne 1 — (Accompagne de son squelette). ludividu de la tribu Caygouä qui habitait
les plaines centrales de la province de Parana et dont on y rencontre encore
aujourd'hui quelques familles nomades.
Gräne 2 — Trouve dans une caverne sepulchrale de la Guyane bresilieniie dans une
urne funeraire, ayant la forme humaine. Ce cräue, de meme que Turne qui
le renfermait, est represente dans l'ouvrage que Mr. Ch. F. Hartt va faire
paraitre bientöt sur les antiquitos bresiliennes.
Gräne 3, 4 et 5 — Appartenant ä la tribu Poton, Potau ou Poto, de la famille des
Botocudos. Ils ont ete trouves au mois de decembre dcrnier, ä 100 kilo-
metres au dessus du village S'^» Glara, au bord du Rio-Doce, dans un fosse
oü Ton avait enseveli plusieurs cadavres de Potons, tues en combat par un
Corps de garde, apres une vive resistauce de la part de ces farouches Indiens
qui etaient alors le fleau des Colons de Mucury. Chez ces Indiens on n'en-
(160)
terre les movts que lorsqu'ils sont tres-äges, car etant excessivement laids,
comme le sont du reste presque tous les membres de la merae tribu , on
craint qu'ils ne se transforinent eu betes fauves. Le cräue no. 5 est accom-
pagne de son squelette dont les os se trouvent egalement sous le meme
numero.')
Cräne 7 (avec son squelette) — Trouve dans une caverne naturelle formee daus le
grand massif de Gneiss, connu sous le uom de Babilouia, a la ferme de
S''' Auua oü a sejourne A gassiz, lors de son voyage ä Juiz de Fora ou Para-
hybuna. Cette caverne qu'on a decouverte seulement ä la fin de l'aunee der-
niere a ete formee par la decomposition partielle de quelques couches du
Gneiss dans le flanc NE. de la montagne, a 300 metres au dessus de la
plaine. \ue d'eu bas, ä une distance de 3 ä 4 kilometres, on dirait uu
trou ouvert dans le pan d'une muraille gigantesque, et il semble meme im-
possible de Tatteindre jamais. On y arrive pourtant saus beaucoup de dif-
ficultes, en s'appuyant aux toufi'es des Vriesea et des Gesneria, attachees
il la röche, et en se teuant aux tiges des lianes qui y croissent. La caverne
a 25 metres de tbnd sur lö de largeur. Elle doit avoir plus de 6 metres
de hauteur ä Tinterieur, mais comme les couches du toit en tombant en
ont encombre le sol, sa hauteur actuelle na que 4 metres au plus.
Teile est la cave funebre choisie par les Indiens appartenant probable-
ment ä la tribu des Coropös ou ä celle des tiers Goytacazes qui repousses de
la cote il y a deux siecles par les Portugals se sont allies aux anciens Coropos
dont ils ont pris quelques habitudes: celle par exemple de se couper tres-
ras une partie des cheveux de la tete. Poursuivis par les Colons jusqu'au
fond des forets ils cherchaient naturellement ä cacher daus les eudroits les
plus inaccessibles aux iuvaseurs ce qu'ils avaient de plus eher au monde:
leurs morts.
Ceux-ci, grace ä l'extreme secheresse de la caverne, se sont conserves
a demi mumifies, quoique uayant subi aucuu procede preservatif, sauf une
certaiue quantite de graines d'une Laurinee odorante: le Gryptocaraia
moschata Mart., qu'oa a trouvees sur les squelettes, mais qui y etaient
plutot le cachet ou le Symbole de quelque superstitiou qu'uu moyen de con-
servation. Ils ont ete ensevelis; les enfants daus des pots de terre ou en-
maillottes dans des feuilles des Vriesea et d'uue espece de Marantacee; les
adultes dans leurs hamacs. Chaque fosse etait d'ailleurs revetue de fragments
d'ecorce, destines probableuient ä preserver le cadavre du contact de la terre.
Sur chaque individu on avait place des bätons croises et des faisceaux de
fibres de Vriesea ayaut uu noeud au milieu, La terre de la caverue n'est que
du Gneiss decompose et mele de nombreux fragments dos de chauves-souris
et de petites graines. Presque tous les squelettes quon y a trouves appar-
tenaieut ä des femmes ou k des enfants; il n'est pas meme certain qu'on y
ait vu des squelettes d'hommes. Le crune no. 7 est acconipague de plusieurs
OS, faisaut partie de diö'erents squelettes, mais on ne sait pas quels sont les
os qui lui appartiennent.
Paquet 8 — Fragments de cräues trouves ä quelques lieues de la mer et de la
ville de Macahe, dans une caverne ideutique ä celle de Babilonia, C'est
') Ein solches Skelet war in der Kiste nicht enthalten; es fand sich nur der betreffende
Schädel vor. Nur die unter No 1 und 7 erwähnten Skelette sind angekommen.
Zeäschr^ J. ßthnolotjic (Anthropohij.Gesellsch^t )
Taf.X.
'^
Th. Noack gtx..
lif/i.W.A.JMe^n.
ZeUscIu-^ J. Ethmlocjie (Änlhropühcj. GeseVschrft )
14. XI.
WA
-'S-,
W^0^
ainat.m.v.W A.Mojn
yeriaj y. JfUetju/xic. fftmpdu. Ptrtu.
(161)
justement dans les plaines de Macahe qu'ont habite primitivement les
Goytacazes.
Paquet 9 — Fragment d'un squelette de la caverne de Babilonia.
Faquet A — Fibres trouvees dans la caverne de Babilonia.
Paquet B — Terre de la meme caverne.
Paquet C — Morceau du Gneiss de Babilonia.
Es ergiebt sich aus diesen Mittheilungen, dass die Zeit, in welche diese Schädel
gehören, nicht überall mit voller Sicherheit festzustellen ist. Indess ist es nach der
Beschaffenheit der einzelneu vorliegenden Gebeine, wie nach der mitgekommenen
Beschreibung wahrscheinlich, dass sümnitliche Funde aus historischen Zeiten stammen,
d. h. aus Zeiten, die auch für Amerika historisch sind.
Am sichersten ist das für eine Gruppe von Botokudensch adeln (No. 3 — G),
welche aus der Gegend nördlich von Rio herstammen. Sie sind gefunden in einem
Grabe, wo nachweislich eine Reihe von Wilden, die dem Stamme der Poton angehörten,
begraben wurde, welche in einem Kampfe mit dem bewaffneten Corps, welches sie
verfolgte, gefallen waren. Der eine dieser Schädel (No. 3) zeigt eine Menge von
Bleistücken, welche in die Knochen eingedrungen sind und keinen Zweifel darüber
lassen, dass der Mann erschossen worden ist. Alle Schädel haben das Aussehen
von Pagen aus dem Mittelalter, die eine Seite dunkel, die andre hell; es erklärt
sich dies aus dem Vorkommen von sehr reichlichem Fettwachs (Adipociie), welches
gewöhnlich die eine Hälfte einnimmt, während die andere, wahrscheinlich tiefer ge-
legene, durch Blut gebrannt ist.
Ich habe im vorigen Winter (Sitzung vom 12. Decbr.) Messungen mitgetheilt,
die ich an einem Botokuden- Schädel in Stockholm angestellt habe; darnach und
nach den vorliegenden 4 Schädeln handelt es sich um einen mehr dolichocephalen
Stamm mit verhältnissmässig grosser Höhe des Scheitels. Ich finde nehmlich bei dem
Breitenludex.
Höhenindex.
Breitenhüheuiiid
Stockholmer Schädel
72,4
79,0
102,1
neuen Schädel No. 3
79,3
78,1
98,5
, No. 4
74,0
77,3
104,3
„ No. 5
71,8
72,8
100,7
„ No. 6
77,8
73,6
94,G
im Mittel 75,0 76,1 100,0
Die Schädel waren ausgestattet mit sehr kräftigen und ausgedehnten Muskelmassen,
wie sich an allen einzelnen Abschnitten des Schädels nachweisen lässt, namentlich au
den grossen Unterkiefern und an den ausserordentlich hohen Linien, bis zu welchen
die Kaumuskeln hinaufsteigen und welche sich weit über die Scheitelhöcker erheben.
Dazu kommt ein grosses hohes Gesicht mit niedrigen Augenhöhlen, verhältnissmässig
schmaler Nase, massig vortretendem Gebiss, sehr gerade stehenden Zähnen, einem
stark vorspringenden, dreieckigen Kinn und — besonders auffällig — mit senkrecht
aufsteigenden, überaus breiten Kieferästen, welche den Eindruck der grössten Gewalt
des Kauapparats hervorbringen. Ebenso mächtig sind die Flügelfortsätze, deren Blätter
ganz ungewöhnliche Dimensionen erreichen, so dass bei No. 5 auf der rechten Seite
die kolossale Vergrösserung des äusseren Blattes fast zu einer Verbindung mit der
Spina angularis geführt hat, welche bekanntlich bei völligem Schluss zu der Bildung
eines sogenannten Foramen Givinini Veranlassung giebt. Noch ein anderes Ver-
hältniss ist mir bei Betrachtung dieser Schädel sehr auffallend gewesen, nehmlich
dass ein Knochen, der gleichfalls mit dorn Kauapparat in näherer Beziehung steht,
das Jochbein, am hintern Rande seines Stirnfortsatzes überall einen Höcker von so auf-
Verhaudl. der Berl. AulUroiiol. GescUscb. 1875. H
(162)
falletider Stärke zeigt, dass wahrscheinlich schon längst die Anatomen einen beson-
deren Namen für denselben erfunden hätten, wenn er häutiger in einer solchen
Ausbildung vorkäme. Hier ist er schon an dem jugendlichen Schädel No. 6 in
entsprechender Stärke vorhanden, während in allen Handbüchern der Anatomie,
die ich durchgesehen habe, mit Ausnahme des von Luschka'), seiner nicht einmal
Erwähnung go"schieht. Ich will ihn als Tuberositas temporalis ossis malaris
bezeichnen.
'^ n. V. Luschka, Die Anatomie des Menschen. Tübingen 18G7. Bd. III. 2. S. 271.
(163)
Von besonderem Interesse ist der Besitz einer gewissen Zahl dieser Schade),
weil sich daraus einigerinaassen die Grösse der individuellen Schwankungen hat über-
sehen lassen. Auch hier, bei einem Volke, welches im Ganzen in sehr einfachen
Verhältnissen und unter sehr gleichmässigen Umständen lebt, hat sich herausgestellt,
dass grosse individuelle Differenzen vorhanden sind; sie sind so erheblich, dass der
Schädel No. f), der als der kräftigste erscheint, einen Breitenindex von 71,8 besitzt,
während No. ;-5 einen Breitenindex von 79,3 hat; ersterer hat einen Höhenindex von
72,8, während der andere 78,1 zeigt. Während also No. 5 exquisit dolichocephal und
zugleich niedrig ist, befindet sich der andere an der Grenze der Brachycephalie und
ist zugleich recht hoch. Der dritte (No. 4) hat einen Breitenindex von 74, einen
Höhenindex von 77,:!, ist also rein hypsidolichocephal. Der jugendliche (No. 6) end-
lich ist orthocephal und niedriger. Es sind dies sehr auffällige Schwankungen und
sie zeigen, dass zur Feststellung eines allgemein gültigen Zahlenverhältnisses noch
grössere Reihen von Schädeln erforderlich sind. ludess muss ich bemerken, dass
die absolute Höhe weit weniger schwankt, als die Höhenindices, denn sie ergiebt bei
dem Stockholmer Schädel 143 Mm,
No, 3. 134 „
No. 4. 143 „
No. 5. 135 „ '
im Mittel 138,7 Mm.
und nur bei dem jugendlichen und wahrscheinlich weiblichen Schädel sinkt sie bis
auf 123 Mm. Im Ganzen lüsst sich also von den erwachsenen Schädeln aussagen,
dass sie eine beträchtliche Höhe haben. Noch weniger variirt die Breite; sie beträgt
bei dem
Stockholmer Schädel
No, 3.
No. 4,
No, 5,
im Mittel 135 Mm7
und selbst der jugendliche Schädel hat 130 Mm. Nirgends ist demnach die Breite
beträchtlich. Die Schwankungen der Indices entstehen überwiegend durch das über-
aus wechselnde Verhältniss der Länge. Hier erhalten wir folgende Zahlen:
Stockholmer Schädel 185,0 Mm.
No 3, 171,5 „
No. 4. 185,0 „
No. 5. 185.2 „
im Mittel 181,6 Mm.
Hier fehlt in Bezug auf No, 3. jede Annäherung selbst an das Mittel. Bei No. 6,
dem jugendlichen Schädel, misst die grösste Länge 167 Mm, So geschieht es denn,
dass diese beiden Schädel sowohl im Breiten-, als im Höhenindex ganz abweichen
und dass No. 3 fast hypsibrachycephal erscheint.
Die Grössenverhältnisse erklären diese Abweichung nicht. Denn obwohl No, 3.
nur 1260 Cub. Cent, misst, also um 265 Cub, Cent, kleiner ist, als der Stockholmer
Schädel, der eine Capacität von 1525 besitzt, so ist doch No. 5 noch kleiner, indem
er nur 1230 Cub. Cent. hält. Ueberhaupt sind alle diese Schädel beträchtlich kleiner,
als der Stockholmer; sie nähern sich im Ganzen den australischen Maassen.
Bevor ich jedoch weitere Details gebe, will ich noch einmal darauf hinweisen,
dass durch einen glücklichen Zufall auch der Schädel eines sehr jungen Individuums,
allem Anscheine nach eines jungen Mädchens, mitgekommen ist. Obwohl eine Angabe
über denselben (er ist mit No. 6 bezeichnet) in dem beigegebenen Verzeichnisse fehlt,
\\*
134
Mm.
136
„
137
jj
133
,
(164)
so scheint er doch bestimmt zu derselben Gruppe der Botokuden zu gehören i). Ich
halte es stets für wünschenswerth, dass mau eine solche Controle besitzt, insofern
als manche Rassen-Eigeuthümlichkeiten sich schon am Kinderschädel bemerklich
machen und eine Menge individueller Abweichungen dabei fortfallen, welche erst eine
spätere Zeit der Eutwickeluug mit sich bringt; ja, nicht selten erscheint am Kinder-
schädel der Ausdruck der Stammeseigenthümlichkeit reiner, wie bei Erwachsenen,
wo eine lange Rechnung dazu gehört, um Alles abzuschälen, was durch individuelle
Schwankungen hineingekommen ist. Der vorliegende Schädel ist nicht so schmal und
so hoch , wie die der Erwachsenen No. 4 und 5 , stimmt aber sonst in allen Haupt-
sachen überein. Er hat einen Breiteniudex von 77,8 bei einem Höheuindex von 73,6.
Die grössere Breite erklärt sich wohl aus der stärkeren Vorwölbung der Gegend der
Scheitelhöcker, welche ihm ein geradezu eckiges Aussehen giebt, — eine Erscheinung,
die auch bei Kinderschädeln anderer Nationen vielfach hervortritt. Sonderbarerweise
fehlen auch bei ihm, wie bei den Schädeln der erwachsenen Botokuden, die Emissaria
parietalia, — eine Erscheinung, welche mit der verhältnissmässigen Kürze der Pfeil-
naht zusammenzuhängen scheint. Ebenso zeigt auch er schon den starken Schläfen-
höcker des Jochbeins, sowie eine ähnliche Bildung der Angen und des Gesichts;
namentlich hat der Unterkiefer auch schon jene breiten geraden Aeste, so dass er in
hohem Masse als Parallele betrachtet werden kann.
Sehr zu bedauern ist es, dass uns das in der Zuschrift erwähnte Skelet nicht
zugegangen ist. Vielleicht wird es möglich sein, dasselbe noch nachträglich zu er-
langen. Durch eine Notiz bei M. J. Weber (Die Lehre von den Ur- und Racen-
Formen der Schädel und Becken des Menschen. Düsseldorf 1830. S. 28) wurde ich
darauf aufmerksam, dass sich im Berliner anatomischen Museum zwei Skelette von
Botokuden belinden, welche, wie Weber sagt, „au jeder Seite 13 Rippen, aber nur
4 Lendenwirbel haben", in der That besitzt unser Museum 2, von Sellow mit-
gebrachte Skelette, ein mäuuliches (No. G351) und ein weibliches (No. 6352), welche
die genannte Eigenthümlichkeit besitzen, obwohl sie beide keine ungewöhnliche Grösse
erreichen. Genau genommen, handelt es sich hier nicht, wie Weber annahm, um
Fälle mit nur 4 Lendenwirbeln, vielmehr besitzt der erste Lendenwirbel eine Gelenk-
fläche für die Anheftung einer kleinen Rippe. Aehnliche Fälle sind auch sonst wohl
bekannt'-), und sie lassen sich aus der Entwickelungsgeschichte begreifen, seitdem
man durch Job. Müller und Theile^) weiss, dass die sogenannten Querfortsätze
der Lendenwirbel Aequivalente von Rippen in sich schliessen Indess ist der Fall
von 13 Rippen und noch dazu auf beiden Seiten doch ein sehr seltener und er stellt
eine ausgezeichnete Thierähulichkeit dar. Da das männliche Skelet des Museums
den Namen Ignacio Pindö, das weibliche dagegen den Namen Feliciana Turi aus
St. Luis trägt, so scheint es sich nicht um Geschwister, also um eine begrenzte Erb-
lichkeit zu handeln, obwohl dies möglich wäre. Immerhin wäre es von besonderer
Bedeutung, diese Frage bei den Botokuden weiter zu verfolgen, da ihre nach allen
•) Es findet sich an den Schädeln No. 3—6 (imd nur an diesen) die Aufschrift: Carlos
Schreiner, waluscheiulicli der Name des Sammlers. (Hr. Schreiner ist, wie ich höre,
naturalista viajante des Museo nacional). Au,sserdem ist der Erhaltungszustand ganz derselbe.
Auch No. 6 ist mit Leichenvvachs üljerzogen und sonst von derselben bräunlichen Farbe, welche
ich vorher erwähnte.
-) Voigtel llamlb der pathol. Auat, ilalle 1804. I. ö. 324. J o h. Fr. Meckel llandb,
der pathol Anat, Leipzig 1816. II. 1. S. 23. Otto Lehrbuch der pathol. Anat. lierlin 1839.
1. S. 206. Förster Die Missbildungen des Menschen. Jena 18G1. S. 45.
^) Theilc, Müllers Archiv, lö3y. S. 108.
(ir,5)
Zeugnissen sehr niedrig stehende Bildung es in höherem Maasse wahrscheinlich niaclit,
dass sich hei dem Stamme theromorphe Eigenschaften finden.
Der Schädel No. 1 ist ein solitärer, bei dem man in Verlegenheit geräth, zu
sagen , was an ihm tyj^isch und was nur individuell ist. Trotzdem ist er ein sehr
dankenswerther Erwerb, insofern er aus dem sehr unzugänglichen Gebiet vom Paraua
im Süden stammt. Er ist nach den Angaben aus dem Stamm der Caygouas oder
Cayowas, zu dem weit verbreiteten Geschlecht der Guaranis gehörig, das die cen-
tralen Ebenen der Provinz Paranä bewohnte und von dem man nur noch einzelne
noraadisirende Familien antrifft. Durch einen ganz besonderen Zufall habe ich in
Folge des ßekanntwerdcns des Geschenkes der brasilianischen Regierung eine Zu-
schrift des Ingenieurs Hrn. Keller-Leuzinger erhalten, der mir zugleich ein paar
von seinen vortrefflichen Originalzeichnungen (Taf. XII) zur Verfügung gestellt hat.
Darunter befindet sich merkwürdigerweise eine Abbildung des alten Capitain Libanco
(Fig. 1), der einstmals ein mächtiger und gefürchteter Häuptling war und vor wenigen
Jahren als „Mediatisirter" in dem Aldeamento S. Pedro d'Alcautara am Tibagy
gestorben ist') Es gehört allerdings einige Phantasie dazu, um aus unserm Schädel
ein analoges Verhältniss der Theile herauszusehen, indess mache ich darauf aufmerk-
snm, dass man bei der Betrachtung der Schädel zu sehr daran gewöhnt ist, dieselben
auf den Tisch zu stellen. Sobald man den Schädel gehörig balancirt, so dass er
in diejenige Lage kommt, die er im Leben hatte, so gelangt man um ein ganzes
Stück näher an die Vergleichung. Bedenkt man ausserdem, dass der Capitain ein
alter Mann war, der alle Zähne eingebüsst hat, so kann man sich leicht vorstellen,
dass eine an sich stark hervortretende Nase in die Adlerform übergegangen ist, welche
die Zeichnung darbietet. Allein, was nun weiter mit unserem Schädel ist, das steht
einigermaassen dahin. Es ergiebt sich, dass an ihm eine ganz ausgedehnte Verwach-
sung der Pfeiluaht existirt, die sich noch zum Theil auf die Lambdauaht fortsetzt
und namentlich die ganze linke Seite derselben betrifft; das ist ein Verhältniss,
welches wesentlich geeignet ist, die Entwickelung zu stören. Ob ferner die ganz
ungewöhnliche Form des Schädeldaches, welches durch grosse Buckel des Scheitel-
beins verunstaltet ist, durch künstliche Deformation hervorgebracht oder ursprünglich
ist, vermag ich nicht genau zu sagen. Ersteres ist wahrscheinlicher. Gewisse
Aehnlichkeiten mit den Botokuden finden sich auch hier, namentlich ist die Höhe
des Schädels beträchtlich (137 Mm. direct, 76,5 Höhenindex). Der Breitenindex
ergiebt 78,2, aber dabei tritt der besondere umstand hervor, dass der grösste Längs-
Durchmesser (179 Mm.) am Hinterhaupt gerade den Lambdawinkel trifft, während
sowohl die Oberschuppe, als die Protuberanz weiter nach vorn stehen. Der Kopf
sieht ungemein muskulös aus. Dem entsprechend ist auch die Bildung des Unter-
kiefers kräftig und in vielen Stücken der botokudischen analog. Dagegen hat die
Bildung des Gesichts im Grossen eine merkliche Verschiedenheit, insofern die
.Jochbreite grösser, die Nase weniger eingebogen, die Augenhöhlen höher und tiefer
erscheinen, auch der Oberkiefer noch stärker ist und die Zähne weiter vorragen.
Von diesem Manne ist das ganze Skelet mitgekommen (bis auf einige Knochen
der Hand und des Fusses). Dasselbe hat einen sehr kräftigen Körperbau und manche
Besonderheiten, namentlich im Oberarm und im Oberschenkel. Am Oberarm zeigt
sich eine ungewöhnliche Drehung des Knochens, so dass die Stellung des Oberarm-
') Die andere Abbildung stellt einen jungen Coroado-Indiauer ans demsell<eii Aldeamento
dar. Parallele Bilder eines Häuptlings der Cayowas und eines der Corcados hat Ur. Keller-
Leuzinger auch in seinem prächtigen Buche (Vom Amazonas mid iladeira. Stuttgart 1374.
S. 139 und 140) gegeben.
(166)
kopfes zu den unteren Condylen um mindestens 30 ^ abweicht von dem, was bei uns
gewöhnlich stattfindet. Ebenso ist eine nicht unbedeutende Abweichunng in der Bil-
dung der Oberschenkel vorhanden, indem der Mann Beine besessen hat, die wir
Bäckerbeine nennen. Die Oberschenkel laufen nach den Knieen zu nahe zusammen,
auch ist die Bildung der Condylen ungleichmässig, indem die inneren sehr viel tiefer
stehen, als die äusseren, was zur Folge haben musste, dass die Unterschenkel weiter
nach aussen rückten.
In eine dritte Kategorie gehört ein Schädel aus dem brasilianischen Guyana
(No. 2); er hat durch Verwesung die ganze Basis und Theile der rechten Seite
verloren. Seine Verhältnisse sind daher nur zum Theil zu bestimmen. Offenbar
ist es ein weiblicher Schädel und zwar von einem jüngeren Individuum. Er ist in
allen Theilen zart und bis auf die stark vorspringenden Kiefer recht gefällig. Der
Breitenindex beträgt 75,4. Da die Höhe eine massige ist (die senkrechte Höhe,
vom äusseren Gehörgange aus gemessen, misst 105,5), so erscheint der Schädel in
der Profilansicht verhältnissmässig sehr gestreckt. Das Gesicht ist schmal, die Augen-
höhlen hoch, die Nase schmal.
Ein ungleich höheres Interesse nehmen die Funde in Anspruch, welche in
Höhlen gemacht sind. Ich habe davon das beste Specimen mitgebracht. Nach
dem UQS mitgetheilten Bericht stammt der Schädel nebst den nicht dazu gehö-
jigen Skelettheilen aus einer Höhle, die man unter dem Namen ßabilonia kennt,
nahe der Meierei von Santa Anna. Die Zuschrift der Museums-Direktion enthält
darüber genauere Mittheilungen. Ich bemerke also nur, dass eine grosse Menge
schwarzbrauner, loser Erde mitgeschickt ist, in welcher zahlreiche organische üeber-
reste zerstreut sind. Ich habe daraus die besten Specimina gesammelt. Es finden
sich darin zahllose kleine Samenkörner, grössere Rindenstücke und auch kleine Stäb-
chen von Holz, das Meiste bedeckt mit zahllosen, in allen Farben glänzenden Flügel-
decken von Käfern. Ich hoffe, dass Hr. Ascherson die Güte haben wird, sich dieser
überwiegend botanischen Betrachtung zu unterziehen, die möglicherweise einiges Inter-
esse darbietet. Dagegen will ich schon hier bemerken, dass unter den Beigaben
ausser einem Specimen von dem Gneis des Gebirges eckige Stücke eines hellgelb-
braunen Steins vorkommen, der auf den ersten Anblick, namentlich auf den glatten
und homogenen Bruchstücken wie Kalkstein aussieht. Untersuchungen, welche die
Herren J. Roth und Salkowsky damit vorgenommen haben, lehrten, dass es eine
ganz eigenthümliche Substanz ist, wie sie zuerst aus Guano bekannt geworden ist,
namentlich als Erfüllungsmasse von Vogeleiern. Sie besteht, wie schon H. Rose
gefunden hat, aus Kalium- und Ammoniumsulfat; Hr. Wibel hat ihr den Namen
Guanovulit beigelegt. Indess haben schon Beobachtungen des Capitän Stricker')
gelehrt, dass diese Substanz auch ausserhalb der Eier im Guano vorkommt, und der
Fund in der Höhle von Babilonia beweist, dass es sich dabei um ein Zersetzungs-
produkt thierischer Substanzen handelt, welches an die Existenz von Eiern nicht
geknüpft ist.
Aus dieser Höhle stammt das Skelet eines etwa achtjährigen Kindes. Es liegt
zusammengedrängt in einem dicken Strickwerk, das sehr grob, aber regelmässig ge-
flochten ist. Um das Ganze schlingt sich ein zusammenhängender, grober Gurt, der
in das Innere hineingeht. Man sieht noch Fetzen von der zusammengetrockneten
Haut des Individuums, freilich von zahlreichen Larven durchbohrt, deren Ueberreste
sich gleichfalls in der Erde vorfinden. Irgend eine besondere Zubereitung der Leiche
^) Man vgl. den Jahresbericht über die gesammte Medicin von Virchow und Hirsch für
das Jahr 1874. I. 131.
(167)
ist nicht zu erkenneu und es scheint allerdings, dass nur die Trockenheit die Mumi-
ficirung gemacht hat. Von besonderem Interesse ist es zu sehen, dass die Art, wie
dieses Geflecht gebildet ist, vollständig übereinstimmt mit dem Geflecht um peruanische
Mumien. Es erhellt auf diese Weise von Neuem, wofür auch sonst manche That-
sachen vorliegen, dass die Eigenthümlichkeiten der südamerikanischen Völkerschaften
sich keineswegs so scharf abgrenzen und auf so kleine Bezirke beschränkt sind, wie
man sich das früher vorgestellt hat. Ich kann die geographische Lage der Höhle
nicht genau ermitteln, indess muss ich aus dem Bericht schliessen, dass sie in einem
ziemlich nahe dem atlantischen Meere gelegenen Gebirgsstock enthalten ist.
Was den aus derselben Höhle stammenden Kinderschädel betrifft, so sieht mau
leicht wie sehr er verschieden ist von den Botokudenschädeln. Er hat einen Breiten-
index von 81,2 und einen Höhenindex von 81,9, ist also ausgemacht hypsibrachycephal.
Zugleich ist sein Prognathismus ein so starker, dass die anderen Schädel dagegen
weit in den Hintergrund treten. Es hängt das zusammen mit der auffälligen Grösse
der Schneidezähne. Seine Form nähert sich am meisten derjenigen der Schädel aus
den Muschelbergen der Küste. Ich habe Ihnen früher zu zwei verschiedenen Malen
Bericht erstattet über Schädel von Santos (San Amaro) und von Desterro, wo in alten
Muschelbergen neben Steinwerkzeugen menschliche Schädel gefunden wurden. Wenn
ich nun auch nicht behaupten kann, dass es dieselbe Rasse ist, so muss ich doch
betonen, dass nach Allem, was man aus den Schädeln schliessen kann, eine vollkom-
mene Trennung existirt zwischen den Botokuden und den Babilonialeuten , mögen
sie nun Goytacazes oder Coropos gewesen sein.
Ich lasse nunmehr die genauere Beschreibung der einzelnen Fälle folgen:
1) Das Skelet des Caygua-Indianers macht im Ganzen den Eindruck,
dass es einem kräftigen Manne von Mittelgrösse angehört habe. Natürlich lässt sich
das genaue Maass der Körperlänge nicht wiederherstellen, da die Höhe der verloren
gegangenen Zwischenwirbelscheiben nicht zu ermitteln ist. Ueberdiess hat der sehr
gebrechliche Zustand der Wirbel es rathsam erscheinen lassen, nicht zu viele Verän-
derungen an der Aufstellung vorzunehmen. Gegenwärtig, wo die Halswirbel ohne
Zwischenlagen auf einander gelegt, die übrigen Wirbel nur durch dünne Zwischen-
scheiben getrennt worden sind, misst das Skelet in ganzer Höhe 1,58 M. = 5 Fuss
1 Zoll. Legt man auch noch einige Zoll (6—8 Gm.) zu, so bleibt man doch immer
noch in dem bezeichneten Mittelverhältniss. Auf einzelne Eigenthümlichkeiten werde
ich noch zurückkommen.
Alle Theile des Skelets haben eine tief braune, meist gelblich braune, stellen-
weise rothbraune Farbe, welche von eingedrungenem Blutroth und zum Theil von
noch anhaftenden Resten der Weichtheile herrührt. Letztere waren namentlich
reichlich am Schädelgrunde, ^Yo sie an gewissen tieferen Stellen die Knocheuoberfläche
vollständig verhüllten. Es geht daraus hervor, dass die Leiche noch nicht sehr lange
in der Erde gelegen haben kann.
Der Schädel, welcher recht gut erhalten ist, hat einen kräftigen, männlichen Bau.
Die stark abgeschliffeneu Zähne deuten auf ein vorgerücktes Lebensalter. Die Form
des Schädels ist so ungewöhnlich, dass der Eindruck künstlicher, wahrscheinlich schon
in der Kindheit stattgehabter Einwirkungen, trotz gewisser Synostosen bestehen bleibt.
In der Gegend der vorderen Fontanelle erhebt sich eine umfangreiche flache
Vorwölbuug, welche rückwärts bis gegen das Ende des vorderen Drittels der Sagittalis
reicht und welche jederseits durch eine tiefe Furche begrenzt wird, die sich von
der Schläfen gegend (dem Angulus anterior des Parietale) her hinter der Kranznaht
herauferstreckt und dann schräg über die Fläche der Parietalia verläuft. Da zugleich
die Tubera parietalia stark und fast kuglig vorspringen, so bekommt das ganze
(168)
Schädeldach ein ungewöhnlich höckeriges, fast buckliges Aussehen. Die fonticuläre
Vorwölbung greift nur wenig auf das Stirnbein über, welches eine schwache mediane
Erhöhung (Spur von Crista) zeigt. Die eigentliche Basis der Vorwölbung ist an der
Kranznaht; sie misst fast 5,5 Centm. in der Breite. Von da aus reicht die Auftrei-
bung 4 Centm. weit rückwärts, indem sie eine im Allgemeinen dreieckige Gestalt hat.
Sieht man auch ganz von den noch zu erwähnenden Synostosen ab, so muss es
doch sehr zweifelhaft erscheinen , ob die Gesammtform dieses Schädels eine typische
ist. Der Breitenindex berechnet sich auf 78,2, stellt also eine orthocephale, sich der
Grenze gegen die Brachycephalie nähernde Form dar, und da der Höhenindex gleich-
falls hoch ist, 76,5, so würde sich eine Annäherung an die Schädel der Pampas-
Indianer ergeben. Indess muss ich sofort bemerken, dass, soweit ich bis jetzt zu
beurtheilen vermag, die Gesichtsbildung einer solchen Annäherung durchaus wider-
streitet. Dagegen dürfte sich eine Verwandtschaft mit der brasilianischen Küsten-
bevölkerung, welche die Muschelberge errichtete, wohl behaupten lassen. Ich ver-
weise desswegen auf meine früheren Mittheilungen, und bemerke nur, dass die
Zugehörigkeit der Cayguas zu den Guaranis einer solchen Beziehung nicht ent-
gegensteht.
Entsprechend der geringen Capacität (1260 CCtm.) ist die Stirn ganz zurück-
gelegt und fast ohne Tubera. Dagegen zeigt sie starke, etwas geschweifte, über der
Nase zusammenfliessende Supraorbitalwülste und eine verhältnissmässig tiefe Glabella.
Die Kranznaht ist fast ganz einfach, ohne alle Zackenbildung, dagegen ^e Pfeilnaht
grossentheils verwachsen, namentlich vorn und in der Mitte; der hintere Theil der-
selben sehr flach, die Emissarien einander genähert, übrigens beiderseits 2, dicht
neben einander gelegene.
Das Hinterhaupt ragt ziemlich weit hervor, zumal in der Basilaran sieht. Sowohl
die Protuberanz, als die Lineae nuchae superiores sind sehr stark; überhaupt ist der
muskuläre Abschnitt scharf abgesetzt von der Facies libera der Hinterhauptsschuppe.
Letztere hat eine fast glatte Beschaffenheit, steigt steil auf, besitzt in ihrer Mitte ein grosses
Emissarium und ist im Ganzen unregelmässig gestaltet. Der Grund ist wohl ein
pathologischer. Abgesehen davon, dass die unteren seitlichen Abschnitte der Lambda-
naht, namentlich links, an vielen Stellen verwachsen sind und fast alle anderen Theile
dieser Naht sich zum Verwachsen anschicken, so ist der Lambdawinkel schief nach
rechts geschoben, der linke Schenkel hat eine mehr convexe Form angenommen, und
es zeigt sich längs der ganzen Naht, besonders stark am Lambdawinkel, eine glatte
hyperostotische Auftreibung. In der Hinteransicht erscheint der Schädel unregelmässig
fünfeckig, jedoch mit concaven Dachflächen.
Die Linea semicircularis temporalis ist überall doppelt. Schon am Stirnbein sind
beide Schenkel durch einen breiten Zwischenraum getrennt. Der äussere Schenkel
rückt dicht hinter der Kranznaht so hoch am Schädel empor, dass der Zwischenraum
zwischen ihm und der äusseren Linie der anderen Seite nur 7 Centm beträgt; nach
hinten überschreitet sie jederseits die Lambdanaht. Auch der innere
Schenkel überschreitet bei Weitem das Tuber parietale und reicht bis auf Finger-
breite an die Lambdanaht. Daher ist der hintere Theil des Planum temporale (hinter
dem Tuber parietale und am Angulus posterior oss. pariet.) fast eben. Die Ver-
wachsung der Lambdanaht scheint damit zusammenzuhängen. Sehr auffallend ist
jedenfalls ein von der Mitte der Schuppennaht ausgehender, 25 Mm. hoher, aber
nur )j Mm. breiter Fortsatz, der sich gerade aufwärts über das Parietale herauf-
schiebt. Die Alae temporales liegen sehr tief und sind zu einer flachen und schmalen
Rinne eingebogen, rechts mehr, als links, wo sich die Rinne oder Furche mehr gegen
das Stirnbein hinzieht. Die ganze Gegend ist eng. Es misst
(169)
rechts links
die Siit. spherioparietalis 6 8
die horizontale Breite der Ala 15 -'0
, „ „ „ Squama terap 82 82
In der Basilaransicht erscheint der Schädel sehr schief, indem die rechte Seite
namentlich an der Schläfenschuppe und im hinteren Theile des Parietale viel stärker
ausgebogen ist. Jedoch stehen auch die beiden Coronae (Proc. condyloides) nicht. in
symmetrischer Stellung am Hinterhaupt, entsprechend der verschiedenen Ausbildung
der Gelenkgruben des Atlas, von denen die linke kleiner und weiter nach hinten, die
rechte grösser und mehr gegen die Mitte gestellt ist. Im Ganzen macht der Schädel,
von der Basis aus betrachtet, den Eindruck der Länge und im hintern Abschnitte
zugleich der Breite. Alle Muskelansätze sind hier sehr stark, so namentlich der
Proc. mastoides, aber auch an der Apophysis basilaris treten jederseits von dem kräf-
tigen Tuberculum pharyngeum in der Gegend der Insertion des Musculus capitis ant.
(internus) minor zwei, durch einen tiefen Quereinschnitt getrennte, dicht hinter ein-
ander gelegene, zackige Knochenvorsprünge hervor, welche diesem Theil fast das
Aussehen der Corpora quadrigemina geben. Das Foramen magnum occipit. ist fast
rund und in seinem hintern Umfange mit einer tiefen Rinne zur Aufnahme des
Atlas-Ringes versehen. Die Gelenkgruben für den Unterkiefer sind flach und weit.
Die Gehörgänge von vorn her abgeplattet. Die Flügelfortsätze des Keilbeins sind
hoch und haben eine grosse, zackige Lamina externa.
Das Gesicht hat im Ganzen den amerikanischen Typus sehr ausgeprägt. Es ist
grob und hoch, mit hohen Orbiten und stark vorspringenden Jochbogen. Der obere
Theil des Wangenbeins ist etwas eingedrückt, wodurch der Körper noch mehr vor-
springend erscheint. Die Nase steht etwas schief nach rechts, ihre Wurzel liegt tief,
der Rücken ist etwas eingebogen, leicht abgerundet und stark vortretend, die Nase
selbst von massiger Breite. An der nach oben convexen Nasofrontalnaht setzen die
Nasenbeine höher an, als die übrigens breiten Nasenfortsätze des Oberkiefers. Die
Nasenbeine sind 26 Mm. lang. Der gerade Querdurchmesser der knöchernen Nase beti'ägt
oben 13, in der Mitte 14, unten 28 Mm. Die Apertur ist 33 Mm. hoch, 27 breit. Da
die ganze Höhe der Nase 56 Mm. beträgt, so berechnet sich im Sinne des Hrn. Broca
ein Nasenindex von 48,2, also eine niedrige Mesorrhinie, welche mit der Aufstel-
lung des berühmten Anthropologen, wonach die Amerikaner mit Ausnahme der Es-
kimos mesorrhin sein sollen, ziemlich genau übereinstimmt, insofern er für die Süd-
Amerikaner 48,1 berechnet.
Der Oberkiefer ist sehr stark und zeigt einen 22 Mm. langen, prognathen
Kieferrand, Die Fossae caninae sind flach, die Distanz der Infraorbitallöcher beträgt
61 Mm. Der Umfang des Zahnrandes ist gross; die Zähne sind mehr gerade abwärts
gerichtet, ihre Kronen sind abgenutzt, namentlich an den Schneidezähnen bis in die
verknöcherte Pulpa hinein; mehrere Backzähne sind cariös. Die Gaumenfläche ist
sehr tief, 52 Mm. lang und 45 Mm. breit.
Der Unterkiefer tritt ungleich weniger vor, nur das fast dreieckige Kinn schiebt
sich nach vorn hervor; innen an ihm eine starke doppelte Spina mentalis. Die Seiten-
theile des Kiefers sind sehr kräftig, die breiten (35 Mm.) Aeste steigen gerade auf,
und zeigen innen tiefe Insertionen für den M. pterygoideus internus.
Das Skelet ist bis auf die sehr defekten Hände (von den Fingern ist gar nichts
vorhanden) und die grossentheils defekten Füsse ziemlich vollständig. Ich gebe nach-
stehend die Hauptmaasse, wobei ich jedoch wegen der Wirbelsäule auf das früher
Gesagte verweise;
(170)
Körperlänge 159 Centm.
Atlas bis letzter Lendenwirbel 48 „
„ „ Steissbein in gerader Linie 61 „
Länge der Clavicula (gerade) 17 „
Oberarm beiderseits 32 „
Radius rechts 25,6 „
„ links 26 „
Ulna rechts 27? „
„ links 27,5 „
Armlänge rechts bis zum Handgelenk 57,6 „
Entfernung der Trochanteren 30 „
Oberschenkel rechts vom Trochanter, senkrechte Höbe . 42 „
V „ r, „ Länge 43.5 „
, vom Kopfe bis Knie 44,3 „
Tibia rechts ' 38 „
Fibula , 37 „
Trochanter bis Ferse rechts, senkrechte Höhe .... 86,3 „
Ferse bis Spitze der grossen Zehe links 23,7 „
Breite des Kreuzbeins 11,5 ,
Grösste Distanz der Cristae ilium 27,0 ,
Entfernung der Spin. il. ant. sup 25,0 „
Obere Beckenapertur, grösste Breite 12,6 „
Obere Conjugata lljO »
Untere „ 12,3 v,
Rechter schiefer Durchmesser des Beckeneingangs . . . 11,8 „
Linker „ „ , „ ... 12.2 „
Sowohl der Brustkorb, als das Becken sind weit. Letzteres hat in manchen
Beziehungen einen fast weiblichen Typus. Namentlich ist das grosse Becken in mehr
weiblicher Form gebaut, die Darmbeinschaufeln wenig steil, die Querdurchmesser
gross; selbst die Stellung der Oberschenkel erinnert an weibliche Verhältnisse. Das
Becken zeigt vorn sehr starke Muskelvorsprünge, hinten am Kreuzbein jederseits,
entsprechend dem Querfortsatz des ersten Sacralwirbels, einen ungewöhnlich grossen,
nach oben gerichteten Vorsprung.
Der sehr kräftige Oberarm hst sehr scharfe Leisten und starke Muskelinsertionen,
namentlich findet sich am Ansatz des Deltoides eine ungewöhnlich grosse und rauhe
Fläche. Der Sulcus intertnbercularis ist sehr tief. Die Drehung des Oberarms ist
weniger stark, als bei Europäern, so dass die Durchschnittsebene der unteren Con-
dylen mehr nach aussen steht. Der Epicondylus internus tritt weit hervor; überhaupt
ist das untere Ende sehr breit (61 Mm.) Die Fossa pro olecrano ist nicht durchbohrt.
Der in seinen Mitteltheilen beträchtlich gekrümmte Radius ist ungemein scharfkantig,
sein unteres Ende ist breiter, als gewöhnlich.
Der Oberschenkel ist lang und krumm, namentlich sind die Condylen stärker
nach hinten gewälzt und die Diaphyse etwas couvex nach vorn. Neben dem Epi-
condylus int. am unteren Fnde des inneren Labium der Crista femoris sitzt noch ein
breiter, aber niedriger Muskelvorsprung.
Die Tibia ist etwas nach innen eingebogen, seitlich auf das Stärkste comprimirt
und mit sehr scharfen Kanten, namentlich einer scharf vorspringenden Leiste für das
Ligamentum interosseum. Auch an der inneren Seite der sehr schmalen Fibula findet
sich eine ungemein tiefe Längsfurche; ihr unteres Ende ist sehr breit. Beide Kniee
stehen stark nach innen; die Unterextremitäten nehmen also die Stellung der so-
genannten Back erbeine ein. Dem entsprechend ist der Condylus internus femoris
stärker ausgebildet, die entsprechende Grube der Tibia weiter. Die Patella ist sehr klein.
(171)
In Beziehung auf die Verhältnisse der einzelnen Skelettheile unter einander will
ich raicli duraiif beschränken, ein Paar Bemerkungen über die Extremitäten zu machen.
Das Verhältniss des Radius zum Os humeri oder des Vorder- zum Oberarm ist
= 26:32 = 81,2:100. Es entfernt sich sehr bedeutend von dem bei Europäern,
welches Hr. Hamy (Revue d'anthropologie I. p. Ol) zu 72,19 : 100 berechnete, und
es nähert sich dem bei Negern, welches derselbe Untersucher zu 78,3 fand, wäh-
rend Hr. Burmeister (Geologische Bilder 1853. II. S. lOG) beim lebenden Neger
S'Vs •■ 1 1 Vs = 81,3: 100 maass. Die unverhältnissmässige Länge des Vorderarms tritt
daher bei dem Caygua sehr auffällig hervor.
Was die Unterextremitäten betrifft , so scheinen sich die V^erhältnisse ungleich
günstiger zu gestalten. Die Differenz zwischen der Länge des Os femoris und der
Tibia beträgt bei unserem Skelet 63 Mm., und das Verhältniss der letzteren zu dem
ersteren ist = 34 : 44,3 ^ 85,7 : 100, oder, wenn man nicht die ganze Länge des Ober-
schenkelbeins vom Kopfe bis zum Knie, sondern nur die senkrechte Höhe vom Tro-
chanter ab nimmt, 38:42 = 90,4:100. Nach den Angaben Burmeister's berechnet,
würde (bei freilich etwas anderer Messung) für den Europäer 92,4, für den Neger
93,5 gefunden werden.
Noch viel günstiger ist das Verhältniss des Fusses. Wenn Hr. Burmeister
annimmt, dass der männliche Fuss mit 6j^ mal seiner Länge das richtige Maass der
ganzen Gestalt gäbe, so müsste unser Caygua nur 23,7x6^= 154,05 Centm. gross gewesen
sein. Es scheint sich daher mit ihm ähnlich verhalten zu haben, wie mit den Puris, von
denen Hr. B arme ister (a. a. 0. S. 166) selbst erzählt, dass sie ihm fast als das
Ideal feiner Hand- und Fussbildung vorgekommen seien. Die Beschränkung dieser
Aussage, welche er an einer andern Stelle (I. S. 132) in Bezug auf die Amerikaner
hinzufügt, träfe für den Caygua nicht zu, denn dieser hat wirklich einen kleinen
Fuss. Hr. Burmeister (I. S. 109) schätzt die Füsse der Männer verschiedener
Nationen zu 9^—13 Zo]! Länge; der Caygua hat aber nur 23,7 Centm. = wenig
Imehr als 9 Zoll.
In Beziehung auf die starke Störung der Ausbildung der Schläfengegend verweise
ich auf eine Abhandlung, die ich in den Verhandlungen der Akademie veröffeutliche.
Diese Störung, sowie die zahlreichen Abweichungen im Umfange des Hinterliaupts-
loches verdienen aber wohl eine besondere Aufmerksamkeit.
2) Die Schädel der Botokuden.
a) Der männliche Schädel No. 3 zeigt eine Reihe von frischen Schussverletzungen
am Vorderkopfe, namentlich 7 grössere Eindrücke von sehr verschiedener Tiefe am
Stirnbein, von denen 3 noch Bleistücke enthalten. Letztere stecken zertheilt an der
Grenze der inneren Tafel; unreines hat den Schädel durchbohrt und Zertrümmerungen
der inneren Tafel herbeigeführt.
Dieser Schädel ist verhältnissmässig sehr hoch und breit, dagegen von nur
massiger Länge. Er erscheint daher in der Seitenansicht hochgewölbt und mit voller
Stirn. Die grösste Höhe des Scheitels liegt kurz hinter der Kranznalit. Das Hinter-
haupt fällt schon hinter den Tubera parietalia schnell ab und hat seine stärkste Wöl-
bung in der Mitte der Oberschuppe. Die Protuberantia occip. ist wenig entwickelt.
Die Unterschuppe ist unter einem sehr kleinen Neigungswinkel gegen das mehr rund-
liche Hiuterhauptsloch gerichtet.
Die Berechnung der Verhältnisszahlen ergiebt, wie schon früher angegeben, einen
Breitenindex von 79,3 bei einem Höhenindex von 78,1, also eine fast hypsibrachy-
cephale Form. Die geringe Capacität (1260 Cub.-Cntm.) stimmt mit dem Maasse
des Caygua-Scbädels.
Alle Muskelinsertionen sind ausgedehnt, aber nicht tief. Die Linea temporalis
(172)
überschreitet das Tuber parietale schon mit ihrem inneren Schenkel. Die Entfernung
der beiderseitigen Lineae semicirculares beträgt hinter der Kranznaht 105 Mm. (Band-
maass), an den Tubera parietalia 130 für die innere, 95 für die äussere Linie, und
die letztere erreicht hinten die Lambdanaht. Trotzdem ist sowohl die Schläfen-,
als die Parietalgegeud ziemlich gut gewölbt. — Die Muskelansätze am Hinterhaupt
sind tiefer, aber die Linea nuchae suprema etwas undeutlich. Die Fossae cerebelli
sind nach aussen stärker vorgewölbt.
In der Hinteransicht erscheint der Schädel nahezu fünfeckig, aber mit etwas
gekrümmten Flächen. Die Schuppe des Hinterhaupts ist niedrig, der Lambdawinkel
gross; die Entfernung der Spitze von der Protuberaüz beträgt 60 Mm Bandniaass,
der horizontale Querumfang 127, der gerade Querdurchmesser 100 Mm.
Die Scheitelansicht lässt den Schädel wegen der stark vortretenden Scheitelhöcker
ziemlich breit erscheinen. Die Stirnhöcker sind wenig entwickelt, und auch die Supra-
orbitalwülste haben eine massige Stärke. Die Glabella ist ziemlich tief, der Nasen-
fortsatz voll, breit und mit einem zackigen liest der Stirnnaht versehen. Die Incisura
supraorbitalis fehlt beiderseits. Die Nähte am Schädeldach sind ziemlich grobzackig,
am stärksten die Lambdanaht an ihren Seitentheilen, welche zahlreiche Schaltknochen,
namentlich links, enthalten. Verhältnissmässig einfach sind die Seitenlheile der Kranz-
naht und die Schuppennaht innerhalb des Planum temporale. Die Emissaria parietalia
fehlen und die Pfeilnaht beginnt in deren Nähe zu verschmelzen.
In der Vorderansicht erscheint das Gesicht hoch und, namentlich an den Kiefer-
winkeln, sehr breit; sowohl diese Winkel, als die Joch bogen treten stark vor. Die
Orbitae sind hoch und verhältnissmässig schmal. Die Nase setzt hoch an; die Naso-
frontalnaht ist nach oben stark convex. Die knöcherne Nase ist verhältnissmässig
schmal: sie hat an ihrem Ansatz einen geraden Querdurchmesser von 9, in ihrer
Mitte von 8, an ihrem unteren Ende von 15 Mm. Die Nasenbeine sind an der
Wurzel und an der Spitze unter einander verwachsen, und besitzen jedes auf ihrer
Fläche eine tiefe, scheinbar für ein Gefäss bestimmte Oeffnung. Die Apertur ist hoch
und schmal. Die Wangenbeine sind kräftig, am Ansätze des Masseter höckerig, mit
einem sehr starken und scharf abgesetzten Tuberculum temporale (vgl. den Holz-
schnitt Fig. a auf S. 162) versehen.
Der Oberkiefer ist gross, mit tiefen Fossae caninae; Distanz der Infraorbitallöcher
46 Mm. Der Alveolarfortsatz ist etwas prognath , aber kurz; er misst in der Mitte
nur 17 Mm. in der Höhe. Sämmtliche Zähne des Oberkiefers sind sehr gross, an
den vorspringenden Theilen der Kronen abgerieben. Die Zahncurve ist nach vorn
ziemlich gerundet, nach hinten wenig eingebogen. Der harte Gaumen ist 53 Mm.
lang, 44 breit.
Der Unterkiefer stark, am meisten an den Aesten, welche einen Querdurchmesser
von 37 Mm. haben und fast unter einem rechten Winkel ansetzen. Die Schneide-
zähne stehen in einer fast geraden Linie, so dass die Zahncurve in der Gegend der
Eckzähne fast winklig wird. Das Kinn springt dreieckig vor; die Spina mentalis
interna zeigt sehr deutlich die Ansatzstellen für die verschiedenen Muskeln. Ganz
besonders tief sind jederseits die Ansätze für den Musculus pterygoideus internus;
dem entsprechend sind auch die Gruben an den Proc. pterygoides sehr tief, obwohl
diese Fortsätze selbst nur eine Höhe von 27 Mm. haben.
b) Der gleichfalls männliche Schädel No. 4 ist ausserordentlich kräftig und be-
sitzt zugleich die grösste Capiicität unter den vorliegenden Schädeln (1330 Cub.-Ctm.)
Er ist hypsidolichocephal (Breitenindex 74, Höhenindex 77). Dem entsprechend er-
scheint er in der Seifenansicht sehr gestreckt, jedoch mit beträchtlicher Höhe, nament-
lich nach vorn. Der Scheitelpunkt entspricht der Fontanellstelle. Von da an wölbt
(173)
sich die Schädelcurve nach vorn in voller Biegung; nach rückwärts läuft sie gleich-
nnässig fort bis in die Breite der Scheitelhöcker. Von hier fällt sie schnell ab bis
zur Protuberanz, welche mit der Linea nuchae superior einen ausserordentlich tiefen
Abfall gegen die Facies muscularis bildet. Der Absatz ist so stark, dass man fast
einen Finger hineinlegen kann. Die Tubera frontalia und parietalia sind massig
stark; die Stirnwülste bedeutend, aus sehr dichtem, jedoch von zahlreichen Gefass-
löchern durchbohrtem Gewebe, in der Mitte zusammenüiessend, jenseits der Supra-
orbital-Iiicisur von dem seinerseits hervorragenden Augenhöhlenrande getrennt.
Das Planum temporale ist sehr hoch und überschreitet die Scheitelhöcker. Die
inneren Schenkel der Lineae semicirculares nähern sich hinter der Kranznaht bis auf
lUO Mm. (Bandmaass), au den Tubera bis auf HO. Hier ist zugleich der äussere
Schenkel zu einer förmlichen Crista ausgebildet. Nach rückwärts erreicht er die
Lambdanaht. Die Krauzuaht ist innerhalb des Planum fast ganz synostotisch. Ebenso
beginnt die Verwachsung der Ala temporalis mit dem Stirnbein. Dagegen bildet
auch hier die Schuppennaht nach oben hin einen zackigen Vorsprung von 12 Mm.
Höhe, der ganz spitz ausläuft und neben dem der Angulus parietalis anterior einen
tiefen Eindruck zeigt. Die Schläfenschuppe ist stark, aber kurz; links misst sie im
horizontalen Querdurchmesser bis zum Angulus mastoideus 68, rechts 73 Mm.
Dagegen ist die Ala temporalis breit, 26 Mm. im geraden Querdurchmesser.
Am Hinterhaupt bildet die Facies libera squamae oocipitalis eine fast hypero-
stotische Fläche von 62 Mm. Sagittalhöhe und 135 Mm. Querumfaug (Bandmaass);
der gerade Querdurchmesser beträgt 120 Mm, Die Linea nuchae suprema ist sehr
schwach. Die Facies muscularis hat tiefe Gruben und Leisten, namentlich eine starke
Leiste jederseits an der äusseren Seite der Insertion des Musculus splenius.
Die Suturen am Vorderkopfe sind einfach, sowohl die Coronaria, als der Anfang
der Sagittalis; die alte Fontanellgegend bildet hier eine allgemeine Vorragung. Der
hintere Theil der Sagittalis ist stark zackig und beginnt in der Gegend der fehlenden
Emissarien zu verwachsen. Die Lambdanaht hat eine sehr abweichende Gestalt, indem
ihr Winkel allerdings ziemlich spitz ist, jedoch jederseits in dem seitlichen Schenkel
sich ein ausspringender Winkel findet, hinter welchem die Oberschuppe sich beträcht-
lich verbreitert und die Naht verhältnissmässig steil gegen die Seitenfontanell-Gegend
absteigt.
Das Hinterhauptsloch ist ziemlich rund und hat etwas aufgeworfene Ränder.
Die Geleukhöcker sitzen weit nach vorn und sind hier durch eine erhabene Leiste
verbunden. Sie haben ziemlich kurze und nach vorn fast zugespitzte Gelenkflächen.
Am vorderen Rande des Loches sitzt ein 2 Mm. langer, gerade gegen das Loch ein-
springender, stachliger Fortsatz (Condylus tertius). Die Gelenkgruben für den
Unterkiefer sind tief und weit, die Gehörgänge etwas abgeplattet und die Gelenk-
flächeu etwas nach vorn über die Tubercula zygomatica vorgeschoben.
Die etwas schmale Stirn besitzt eine vertiefte Glabella und über derselben eine
flache Exostose.
Das Gesicht ist *sehr hoch . die Jochbogen vorspringend und die Wangenbeine
mit scharf abgesetzten, weit vorspringenden Tubercula temporalia versehen (vgl. Holz-
schnitt Fig. b auf S. 162). Dagegen sind die Knochen des Vordergesichts etwas
schmal: Infraorbitaldistanz 44, Malarbreite 97 Mm. Die knöcherne Nase ist gleich
unter dem Ansätze stark eingebogen und fast ganz synostotisch; der Rücken ist
überall deutlich ausgebildet. Nach oben bildet die Nasofrontalnaht, soweit die Nasen-
beine auötosson, eine Curve. Nach unten hin ist die knöcherne Nase schmal, 16 Mm.
im geraden Quei-durchmesser, und etwas höher hinauf sogar nur 10 Mm., während
sie ganz oben 14 Mm. misst. Die Orbitae hoch und schmal; ihre oberen Ränder stark
(174)
vortretend, mit sehr enger Incisura supraorbitalis. Starke Spina nasalis. Der untere
Rand der Nasenöffnung gegen den Alyeolarfortsatz des Oberkiefers etwas ausgebuchtet.
Letzterer niedrig (20 Mm.), aber stark prognath. Die Zähne tief abgerieben,
namentlich die vorderen bis auf die ossificirte Pulpa. Die Backzähne fehlen fast
sämmtlich; rechts liegt eine cariöse Stelle, welche in das Autrum führt. Palatum
50 Mm. lang, 32 breit.
Unterkiefer stark, namentlich mit grossen Aesten, die 40 Mm. breit sind. Kinn
dreieckig, mit bedeutendem winkligem Vorspruuge der Seiten; starke Spina mentalis.
Tiefe Gruben für den M. pterygoideus int. Rechts auf der inneren Seite dicht über
dem Kieferwinkel eine flache Grube von 10 Mm. im Durchmesser, zu welcher von
dem Foramen maxill. int. eine Furche herabläuft.
c) Der ebenfalls männliche Schädel No. 5. ist auf der linken Seite noch grossen-
theils mit Fettwachs (Adipocire) bedeckt und verbreitet einen sehr üblen Geruch.
Seine rechte Seite ist dunkelrothbraun und glänzend , die linke dagegen matt und
nach Ablösung des Fettwachses gelbbraun. Er ist schwer und macht einen überaus
kräftigen Eindruck, hat aber von allen dreien die geringste Capacität (1230 Cub.-Ctm.)_
Er ist der am meisten dolichocephale, aber zugleich schmale und niedrige Schädel:
Breitenindex 71,8 bei einem Höhenindex von 72,8. Die Muskelansätze sind ausser-
ordentlich scharf und stark; die Nähte eher einfach, nur die Lambdanaht etwas stärker
zackig. Beiderseits starke Ansätze einer Sutura petro-mastoidea.
In der Seitenansicht erscheint der Schädel sehr lang und keineswegs niedrig.
Die Scheitelcurve sieht etwas unregelmässig aus. Jeder der grösseren Knochenab-
schnitte bildet seine besondere Wölbung, indem sowohl an der Kranznaht, als am
Lambdawinkel ziemlich tiefe Einsenkungen bestehen. Die Stirn zeigt sehr starke
Wülste über der Nase und längs der Orbitalränder, die Glabella ist sehr vertieft,
eine Art Crista verläuft über die Mitte der Stirn. Unmittelbar vor der Kranznaht
in der Fontanellgegeud sitzt eine starke Erhebung. Auch die Umgebung der Sagit-
talis bildet eine schwache Leiste.
Am Hinterhaupt springt die Oberschuppe sehr stark vor, am stärksten dicht über
der Protuberanz, welche von dem Foramen magnum 48 Mm. (ßandmaass) entfernt
und mit ihm durch eine sehr starke Crista perpendicularis verbunden ist. Die Linea
nuchae superior ist von der inferior durch einen Zwischenraum von 27 Mm. getrennt;
die Linea suprema ist nur ganz schwach angedeutet.
Das Foramen magnum schief, mehr nach rechts ausgeweitet, im Ganzen länglich.
An seinem rechten seitlichen Umfange ein anomales Loch von 3 Mm. Durchmesser,
welches geraden Weges in die Schädelhöhle führt. Die Incisura mastoidea ausser-
ordentlich tief, Proc. styloides sehr stark. Apophysis basilaris glatt und ohne beson-
dere Muskelvorsprünge. Ungemein grosse Proc. pterygoides mit sehr weit ausgebreiteten
Laminae externae, von denen die rechte so weit geht, dass sie fast mit der gleichfalls
mit einem Vorsprunge versehenen Spina angularis zusammenfliesst.
Das Planum semicirculare ist ungemein hoch und überschreitet die übrigens
sehr schwach ausgebildeten Schejtelhöcker. ]\Iau erkennt daA.n jederseits deutlich
zwei getrennte Begrenzungslinien, von welchen die beiden äusseren sich hinter der
Kranznaht bis auf 90 Mm. nähern. Rückwärts greift das Planum bis auf die Lambda-
naht; nach vorn setzt es sehr scharf ab an der Crista temporalis des Stirnbeins, welche
sich mit rauher Fläche bis auf die Tuberositas temporalis oss. malaris verfolgen lässt.
Auch dieser Schädel hat an der Ala temporalis einen tiefen senkrechten Eindruck,
längs der Sutura spheno-temporalis, an welcher sich die Squama temporalis plötzlich
erhebt; letztere sendet hier einen gerade nach aufwärts gerichteten Vorsprung aus,
der auf der rechten Seite eine spitzige Zacke bildet. Es macht fast den Eindruck,
(175)
als handle es sich hier um ein besonderes Muskelbündel, welches die Ala, den Angu-
lus parietalis und die Schläfenfläche des Stirnbeins eingenommen habe. Die Ala selbst
ist breit, 25 Mm. im geraden Querdurchmesser; jederseits bildet sie hinter der Tube-
orsitas temporalis |ossis malaris, die hier auch medial gegen die Schläfengrube
einen mächtigen Wulst aussendet, eine nach vorn gegen die Orbita gerichtete Aus-
buchtung und an der Insertion der Kranznaht einen senkrechten Zacken. Die Squama
temporalis hat einen horizontalen Querdurchmesser von 66 Mm. links und 72 rechts,
ist jedoch in ihrem oberen Abschnitte kurz. Eine starke Vertiefung zieht sich ober-
halb der Crista auricularis fort.
Das Gesicht ist niedriger, die Orbitae dem entsprechend mehr breit, als hoch,
mit sehr stark überragenden Rändern, so dass die Augäpfel tief und verdeckt sein
mussten. Die Wangenbeine sehr kräftig und stark vorstehend, mit sehr grosser
Tuberositas temporalis. Die Nase ist sehr tief eingedrückt, ihre Wurzel steht weit
zurück, auch ist die Nase an sich niedrig. Ihr Rücken ist eingebogen und abgerundet,
ihre Seitentheile gegen die Stirnfortsätze des Oberkiefers durch eine tiefe Furche ab-
gesetzt. Der gerade Durchmesser beträgt oben lU, in der Mitte gleichfalls 10, unten 1»
Mm. Die Nasenbeine an der Spitze synostotisch. Die Nasenöffnung ist schmal, die
Spina doppelt, das Septum schief, der untere Rand der Apertur ausgebuchtet. Infra-
orbitaldistanz 52 Mm. Der Kieferrand ist niedrig (15 Mm.), aber etwas vorspringend.
Palatum sehr tief, 55 Mm, lang, 48 breit.
Der Unterkiefer sehr stark, mit überaus kräftigen, fast ganz senkrechten, 38 Mm.
breiten Aesten. Die Winkel so weit nach aussen ausgebogen, dass man in die da-
durch gebildete Mulde einen Finger einlegen kann. Das Kinn stark vorspringend,
dreieckig, in der Mitte etwas am unteren Rande ausgeschweift. Starke doppelte
Spina mentalis interna. Zähne ganz vollständig, gerade gegen einander stehend,
stark abgeschliffen. Die Zahncurve im Ober- und Unterkiefer etwas eckig.
d) Der jugendliche und wahrscheinlich weibliche Schädel No. 6 hat ganz voll-
ständige Zähne; nur die Weisheitszähne sind noch nicht ausgebrochen. Er ist ortho-
cephal und etwas niedrig (ßreitenindex 77,8, Höhenindex 73,6), jedoch macht er
den Eindruck eines sehr gestreckten Schädels. Seine Gestalt ist, wie bei jugend-
lichen Köpfen so oft, etwas eckig, indem sowohl die Stirn-, als die Scheitelhöcker
gut ausgeprägt sind und auch das Hinterhaupt stark hervortritt. Letzteres zeigt in
der Gegend der nicht vorhandenen Protuberanz eine grössere rundliche Vorwölbung.
Die Nähte sind in der Vordergegend, namentlich innerhalb des Planum tempo-
rale, einfach; weiterhin, besonders hinten, sehr zackig. Die Emissaria parietalia fehlen.
Der Lambdawinkel ist sehr weit, die Lambdanabt selbst sehr zackig und in der Nähe
der Seitenfontanellen mit kleinen Schaltknochen durchsetzt.
Die Stirn ist voll, die Glabella vorgewölbt. Jederseits an Stelle der Incisur ein
wirkliches Foramen supraorbitale.
Das Planum semicirculare ist nicht sehr hoch, indess nicht überall genau zu
bestimmen, da die Linien undeutlich sind. Die Squamae temporales flach und kurz,
jedoch nur in ihrem oberen Theile; weiter nach unten messen sie im horizontalen
Querdurchmesser rechts 65, links 67 Mm. Ala temporalis breit, jedoch der Angulus
parietalis, besonders rechts, etwas eingedrückt.
Am Hinterhaupt schwache Muskelansätze, dagegen starke Fossae cerebellares.
Hinterhauptsloch lang oval mit sehr flachen Gelenkhöckern.
Das Gesicht eher etwas niedrig, dagegen relativ breit. Die Jochbogen anliegend.
An dem Proc. temporalis ossis luahuis jederseits eine starke Tuberositas temporalis.
Augenhöhlen niedrig und relativ breit. Die Nase schmal, etwas niedrig und platt:
ihr gerader Querdurchmesser beträgt oben 11, in der Mitte 9, unten 15 Mm. Jeder-
(176)
seits zieht von ihrer Seite aus eine niedrige Leiste über den Stirnfortsatz des Ober-
kiefers gegen das Infraorbitalloch. Die Nasofrontalnaht ist stark nach oben gekrümmt.
Der Nasenrücken fast ganz flach, mit ganz feiner, aber niedriger Erhebung der Mittel-
linie. Infraorbitaldistanz 43 Mm. Oberkiefer sehr stark prognath, mit sehr grossen
Schneidezähnen, der Kieferraud kurz (15 Mm.).
Die sehr breiten Schneidezähne zeigen sowohl am Ober-, als am Unterkiefer je
3 parallele, von oben nach unten verlaufende Längswülste. Unterkiefer in der Mitte
hoch und auf der Fläche eingebogen, das Kinn stark, die Aeste 47 Mm. breit. —
Nachdem ich mich schon in der einleitenden Uebersicht über die Botokuden-
Schädel im Allgemeinen ausgesprochen und ihre zahlreichen individuellen Abweichungen
geschildert habe, so will ich mich hier auf einige weitere Punkte beschränken. Nament-
lich möchte ich einige Zusammenstellungen in Bezug auf die Gesichtsbildung geben:
1) Der Nasenindex im Sinne des Hrn. Broca stellt sich folgendermaassen :
No. 3 , . . 40,0
,4 40,3
,5 46,4
»6 51,1
Stockholm 43,1
Mittel 44,1
Grösste Differenz 11,1
So gross diese Verschiedenheiten auch sind, so liegen sie doch mit Ausnahme
des jugendlichen Schädels sämmtlich innerhalb des Gebietes der Leptorrhinie und
sie widerstreiten daher der Aufstellung des Herrn Broca von der mesorrhinen Be-
schaffenheit der südamerikanischen Nase. Auch tritt hier ein Unterschied von dem
Caygua-Schädel scharf hervor.
2) Noch viel constanter erweist sich das Verhältniss zwischen Gesichtshöhe
(= 100 gesetzt) und Nasenhöhe, welches ich den Gesichtsnaseuindex nennen will:
No. 3 45,4
,4 45,4
,5 51,8
,6 45,2
Stockholm . 40,4
Mittel 45,6
Grösste Differenz 11,4
Es ergiebt sich daraus der hervorragende Antheil, welchen die Nase an der Ge-
sichtsbildung nimmt, — eine Erscheinung, welche in so hohem Maasse grosse Ab-
theilungen der amerikanischen Stämme charakterisirt.
3) Der Orbitaliudex, das Verhältniss der Breite (- 100) zur Länge der
Augenhöhle:
No. 3 . , 89,7
»4 80,6
«5 80,4
„6 83,7
Stockholm 86,4
Mittel 84^1
Grösste Differenz 9,3
Obwohl die absoluten Differenzen hier eine geringere Höhe erreichen, als in der
vorigen Zusammenstellung, so sind sie doch um so auffälliger, als sie keineswegs, wie
(177)
man wohl hätte vermuthen können, mit der Schädelbildung harmoniren. Ein Blick
;iuf die bisher mitgetheiltc Ziisatmnenstcllung der Schüdclindiccs wird zeigen, dass
gar kein innerer Zusammenhang aufzufinden iot. iSchädeJ, welche sich in Bezug auf
die eigentliclien Schädclindices sehr nahe stehen, unterscheiden sich im Orbitalindex auf
das Stärkste, während andere, deren Schädelindices weit aus einander liegen, nahezu
identische Orbitalindices haben. Immerhin kann man sagen, dass alle diese Orbitae
tief und geräumig sind, so dass der Augapfel weit zurückliegen kann.
4) Der Gesichtsindex, berechnet aus der Jochbreite (Distanz der Jochbogen
von einander = 100) und der Gesichtshöhe, zeigt die allergrössten Abweichungen:
No. 3 87,0
,4 83,6
,5 75,5
,6 86,3
Stockholm 94,0
Mittel 85,2
Grösste Differenz 18,5
Jedenfalls ist es nicht der jugendliche Schädel (No. 6), der die grössten Ver-
schiedenheiten darbietet; nur im Nasenindex hebt er sich weit aus der für die übrigen
Schädel zutreffenden Norm heraus.
5) Nachdem sich mir durch häufigere Messungen an Lebenden die Nothwendig-
keit herausgestellt hatte, ein auch für Lebende anwendbares Höhenmaass zu suchen,
habe ich bei den Botokuden auch die senkrechte Entfernung des äusseren Gehör-
ganges vom Scheitel bestimmt. Ich will der Kürze wegen dieses Maass die Ohrhöhe
und den daraus berechneten Index (Schädellänge = 100) den Ohrhöhen-Index
nennen. Es hat sich dabei ergeben, dass darnach nicht nur die Differenzen der Maasse
der einzelneu Schädel ungleich kleiner ausfallen, sondern auch die Indices sich ganz
anders ordnen und zwar viel mehr entsprechend dem Eindruck, welchen die Betrach-
tung der Schädel gewährt. Es wird also der Mühe werth sein zu untersuchen, ob
nicht die hier angewendete Messung, insofern sie unzweifelhaft eine grosse phy-
siognomische Bedeutung hat, allgemeiner anzuwenden ist. Es ergeben sich nehmlich für
Ganze Höhe, Ohr-Hühe. Differenz.
No. 3 ...... 134 115 19
,4 143 119 24
„ 5 ...... 135 116 19
,6 123 in 12
Mittel 133 115 18
Es berechnet sich für
Basilar-Höhenindex. Ohr-Höhenindex. Differenz.
No. 3 ... 78,1 67,0 11,0
» 4 • . . 77,3 64,3 13,0
„ i> . . . 72,8 62,6 10,2
r 6 . • • 73.6 6M 7,2
Mittel 75,4 65,0 10,4
Ordnet mau die einzelnen Schädel nach den Zahlen, indem man von den höch-
sten zu den niedrigsten geht, so erhält man folgende Reihenfolge :
liasiiai-Hüheniiulex. Auricular-Höhenindex.
No. 3 No. 3
»4 ,6
f> G ,4
,5 .5
Vtrhacdl. dtr Berl, ADtliropul. Qeiellscltk/i Uli, l'j
(178)
Letztere ist dieselbe Reihenfolge, in welche man die Schädel stellen würde, wenn
man sie nach einfacher Schätzung ordnete.
6) In Bezug auf die sagittaleu Curven ergiebt sich gleichfalls eine grössere
Schwankung, als sich voraussehen Hess, und zwar namentlich in Beziehung auf die
Verhältnisse des Mittel- und des Hinterkopfes. Die absoluten Zahlen lauten folgender-
maassen :
Stirnbein. Scheitelbein. Hinterhaupt. Summa.
Stockholm . . : . 140 132 117 389
No. 3 120 113 107 340
„4 135 125 112 372
„5 ,129 119 122 370
„6 119 115 111 345
Mittel 128,6 120,8 113,8 363,2
Hiernach fällt der Hauptantheil der Entwickelung dem Vorderkopfe, der nächst
grössere dem Mittelkopfe, der bei Weitem kleinste dem Hinterkopfe zu. Dabei ist
es auffällig, dass der jugendliche Schädel No. 6 eine grössere Scheitelcurve besitzt,
als der männliche Schädel No. 3, und dass dieses TJeberge-wicht wesentlich dem
Mittel- und Hinterkopfe zufällt, — Erscheinungen, die sich vielleicht durch das Ge-
schlecht erklären.
Berechnet man die absoluten Zahlen auf Procente des Gesammtumfanges, so
erhält man folgendes Bild:
Stirnbein. Scheitelbein. Hinterhaupt. Summa.
Stockholm .... 35,9 33,9 30,0 100
No. 3 35,2 33,2 31,4 100
„4 36,2 33,6 30,1 100
„5 34,8 32,1 32,9 100
„6 34,4 33^3 32^1 100
Mittel 35,4 33,2 31,3 100
In dieser Aufstellung wird die vorwiegend frontale und parietale Aus-
bildung der Botokuden-Schädel noch deutlicher, und zugleich tritt die geringe Dif-
ferenz vom Mittel auf das Schärfste hervor. Die einzige Abweichung, welche sich
bei dem Schädel No. 5 zeigt, indem hier das Hinterhaupt stärker, das Mittelhaupt
schwächer entwickelt ist, erscheint so geringfügig, dass das allgemeine Resultat da-
durch nicht wesentlich beeinflusst wird. Die Debereinstimmung der Botokuden-Schädel
unter sich wird um so klarer, wenn man dagegen die Schädel anderer brasilianischer
Stämme stellt:
Stirnbein. Scheitelbein. Hinterhaupt. Summa.
Caygua 34,0 31,8 34,0 100
Desterro 34,4 31.6 33,8 100
San Amaro .... 32,6 30,5 36,7 100
Babilonia .... 33,4 33,4 33,1 100
Hier tritt überall die occipitale Entwickelung in den Vordergrund, während die
frontale zurückgeht. Inwieweit die Verhältnisse des noch sehr jugendlichen Schädels aus
der Höhle von Babilonia schon das volle Bild des Mannes geben, muss ich dahingestellt
sein lassen; vielleicht wäre bei weiterem Wachsthum die Hinterhauptsschuppe relativ
noch stärker ausgebildet worden. Dagegen besteht zwischen den Schädeln aus den
Muschelbergen von Desterro und San Amaro und dem des Caygua eine unverkennbare
Aehnlichkeit, welche sich namentlich auch in dem Zurückbleiben der Länge der
Parietalia zu erkennen giebt. Weitere Untersuchungen werden darthun müssen, in-
(179)
wieweit diese Gegensätze als allgemein gültig für die Trennung der süd- und der
mittelbrasilianischen Stämme anzusehen sind.
3) Die Gebeine aus der Höhle Babilonia.
a) Der Schädel No. 7 gehört einem Kinde an, bei welchem die Eckzähne eben
wechseln und die vierten Backzähne im Durchbrechen begriffen sind. Der Schädel ist
hypsibrachycepbal und stark prognath: er nähert sich also auch in dieser
Beziehung der südbrasilianischen Form, die ich oben geschildert habe. Sämmtliche
Knochen des Schädeldaches sind ausgiebig entwickelt, ganz besonders die Hinter-
hauptsschuppe.
In der Seitenansicht erscheint die Stirn sehr gerade und voll. Die Schädel-
wölbung bildet bis zur Mitte der Oberschuppe des Hinterhaupts eine ganz gleich-
massige Curve. Von da ab senkt sich die Hinterhauptsschuppe in einer mehr ein-
fachen Linie schräg gegen das Hinterhauptsloch. Die Alae temporales breit.
In der Nornia occipitalis erscheint die Basis des Schädels schmal, die Seiten
bis in die Nähe der Tubera parietalia ziemlich gerade, das Dach gleichniässig ge-
wölbt. Die grösste Breite liegt etwas oberhalb der Schuppennaht.
Auch in der Basilaransicht macht der Schädel eher den Eindruck der Schmalheit.
Das Hinterhaupt steht ziemlich weit vor. Das Foramen occipitale magnum ist ganz
schmal und lang.
Das Gesicht ist schmal. Die Orbitae hoch. Die Nase schmal, ziemlich lang,
der Rücken etwas flach. Jederseits am Proc. frontalis ossis zygomatici an der Stelle
der Tuberositas temporalis ein scharfzackiger, nach aufwärts gerich-
teter Fortsatz. Der harte Gaumen kurz und tief. Der Unterkiefer ist breit und
nach rückwärts wenig geneigt. —
b) Die in dem Strickwerk enthaltenen Knochen und mumificirten Weichtheile
gehören offenbar mit diesem Schädel nicht zusammen. Sie sind so zart, dass sie
von einem weit jüngeren Kinde herstammen müssen. Das Brustbein z. B. ist nur
93 Mm. hoch, und es besteht ausser dem getrennten Proc. xiphoides noch aus 3 durch
Knorpel getrennten Stücken. Die Scapula ist 79 Mm. hoch und hat 56 in der gröss-
ten Breite. Alle Röhrenknochen haben noch getrennte Epiphysen.
Das Hauptinteresse concentrirt sich daher auf die äusseren Verhältnisse des
Fundes. Aeusserlich liegt, wie schon erwähnt, ein dichtes Flechtwerk von Stricken,
welche sehr kunstvoll in der Art angeordnet sind, dass die Stricke in parallelen
Zügen den Körper horizontal umtingen. Diese horizontalen Züge sind au 3 verschie-
denen Stellen durch eine vertikale, in geraden Linien herablaufende Verkuotung, die
sich wie das Brustbein zu den Rippen verhält, zusammengehalten. Um das Ganze
schlingt sich ein stärkerer Strick. Das innere Ende eines Strickes umfasst ein Bündel
langer getrockneter Pflanzenblätter, welche die nächste Umhüllung der Mumie bilden.
Von letzterer sind ausser der Mehrzahl der Skeletknochen noch grosse Abschnitte
der Haut, namentlich des Rückens und der üuterextremitäten vorhanden. Sie sind
gelbbräunlich, brüchig, ohne irgend eine Spur von Einbalsamirung. Das Kind ist in
hockender Stellung, mit gebogenen Armen und Beinen, eingewickelt worden. Um
das eine Knie liegt eine feine, dem Anschein nach aus Thiersehnen gebildete Schnur,
einer Darmsaite ähnlich, in vielfacher Umschuürung.
c) Die unter No. 9 eingelieferten Skeletknochen stammen von einem älteren,
jedoch gleichfalls noch nicht ausgewachsenen Individuum. Sie könnten möglicherweise
zu dem Schädel No. 7 gehören. Ausser einer zum grossen Theil zusammenhängenden
Oberextremität nebst Schulterblatt sind eigentlich nur einige Rippen und Wirbel vor-
handen. Der Arm ist im Ellenbogen vollständig zusammengebogen und noch zum
12*
(18Ö)
Theil mit getrockneten Weichtheilen versehen. Die Knochen des Vorderarms sind
etwas gekrümmt. Beginnende Verschmelzung der Epiphysen.
4) Die Knochen aus der Höhle von Macahe sind durchweg Schädeldach-
Knochen von Kindern sehr verschiedenen Alters: Stirnbeine, Scheitelbeine und Hinter-
hauptsschuppen, zum Theil von ganz zarten Kindern. Die grösste Schuppe ist patho-
logisch: sie ist innen in grosser Ausdehnung von dicken osteophytischen Lagern be-
deckt, die von zahlreichen, tiefen Gefässfurchen durchzogen sind; ausserdem ist sie
ganz unsymmetrisch entwickelt.
Zum Schluss möge hier eine tabellarische Zusammenstellung der Maasse sämmt-
licher, an mich gelangter Schädel stehen:
c«
OS
ö
C
So
03
CS
S
ü
o
No 1.
No. 2.
Botokuden (Poton).
oa
No. 3. No. 4. No. 5 !No. 6. No. 7.
1. Capacität
2. Grösster Umfang
3. Grösste Höhe
3a. Meat. audit. bis Scheitel . .
4. Foram. occip. bis Font. ant.
5. Foram. occip. bis Font. post.
Ü. Grösste Länge
7. Sagittal-Umfang d. Stirnbeins
8. Länge d. Sut. sagitt. . . .
9. Sagittal-Ümf. der Sq. occip. .
10. Meat. audit. bis Nasenwurzel
11. Meat. audit. bis Spina nasal.
12. Meat. audit. bis Alveolarrand
13. Meat. audit. bis Kinn . . .
14. Foram. occip bis Nasenwurzel
15. Foram. occip. bis Spina nas.
16. Foram. occip. bis Alveolarrand
17. Foram. occip bis Kinn . .
18. Foram. occip. bis Prot, occip.
19. Länge d. Foram. occip. . .
20. Breite d. Foram. occip. . .
21. Grösste Breite
22. Oberer Frontal-Durchmesser .
23. Unterer Frontal-Durchmesser
24. Temporal-Durchmesser . . .
25. Parietal-Durchmesser
26. Mastoideal-Durchmesser{
27.
28.
29.
30.
31.
32.
33.
34.
35.
36.
37.
38.
39.
40.
41.
42.
43.
d. Spitzen
[an d. Basis
Jugal-Durchraesser
Maxillar-Durchmesser
Querumf d. Meat. aud. über Font, ant
Breite d. Nasenwurzel
Breite d. Nasenöffnung
Höhe d. Nase
Höhe d. Gesichts (Kinn bis Nasenw.)
Breite d Orbita
Höhe d. Orbita
Umfang d. Oberkiefers
Umfang d. Unterkiefers ....
Medianhöhe d. Unterkiefers . . .
Höhe d. Kieferastes
Entf. d. Kieferwinkel
Entf. d. Gelenkfortsätze ....
Gesichtswinkel
Diagonal-Durrhmesser
1260
1260
1330
1230
1215
494
484
487
516,5
511
477
471
137
—
134
143
135
123
133,5
121
105,5
115
119
116
111
111
137
—
134
144
132
123,2
130
128
—
113
116
116
111
119
179
175
171,5
185
185,2
167
165
120i
121]
120]^
'35 k,
129]
119]
115^
117]
112iS
116^
iisU^
125^
ll9ii^
117 Ui
120)'*
-1
1071^
112h-
122|^
lllh'
1161-
106,5
101
103
111
104
91
88
113
100
108
112
107
89,5
91
120
107
114
120
112
96
96
139
117
134
137
132
101
100
103
—
101
107
100
88,6
86
100
—
97
98,2
96
80
81
104
—
100
104
98
84
82,4
116,5
—
113
113,5
120
88
82
51
—
44
49
57
48
54
34
—
39
39
40
37
33
29
—
33
31
28
26
22
140
132
13fi
137
133
130
134
55
55
67
63
60
63
54
94
91
87
94
92
92
87
113
111
115
119
116
109
100
128
124
125
128
124
126
127
100
—
103
108
101
90
95
120
—
126,5
133
127
105
100
140
—
139
143,4
143
110
105
71
63
62,5
59,6
65
55
55
304
(2x154)
308
320
308
296
312
23,5
21
21,5
21
22
19
19
27
27
22
22
26
22
19
56
46,5
55
54,5
56
43
42
123
102
121
120
108
95
91,5
42
38
39
44
41
37
32
37,4
37
35
35,5
33
31
3i,4
143
130
140
135
144
115
120
193
—
195
190
203
152
145
33
27
34
35
30
25
24
73
—
74
74
79
48
43
92
—
100
93
108
82
72
\ 105
—
101
110
102
88
85
i 65
70
69
70
68
77
71
04,
218
235
240
238
205
206
(181)
Wir haben in diesen Ergebnissen ein gewisses grundlegendes Material für die
Ordnung der so verwickelten Stammesverhältnisse der brasilianischen Indianer ge-
wonnen. So schätzbar dasselbe ist, so ist es doch noch immer ganz ungenügend,
um eine gesicherte Auschauuug zu gewähren. Das ungeheure Gebiet des Amazonas
und seiner Nebenströrae ist nur durch den einen Guyana-Schädel betheiligt, und
selbst dieser ist so defekt, dass er erst Werth erlangen wird, wenn eine Reihe anderer,
besser erhaltener aus demselben Gebiete zur Vergleichung vorliegen wird.
Was wir bis jetzt haben, das sind nur Anfänge, und es wird nothwendig sein,
dass wir weiteres Material erhalten. Aber ich hoffe, dass unsere Forschungen durch
die mächtige Unterstützung, die wir gefunden haben, auch in Zukunft die nöthige
Förderung gewinnen werden.
Zufällig habe ich heute eine Mittheilung unseres correspondirenden Mitgliedes,
Hrn. Hartt empfangen, der mir aus Rio meldet, er sei durch das brasilianische
Gouvernement zum Chef einer geologischen Exploration des Kaiserreiches ernannt
worden, in welche Untersuchung zugleich das Studium der Alterthümer des Landes
und auch das der lebenden Stämme eingeschlossen sei. Auch er gedenkt sich zu-
nächst zu den Botokuden zu wenden. Es ist das ein sehr erwünschter Schritt, den
die brasilianische Regierung gethan hat. Hr. Hartt gehört wohl zu den fleissigsten
und intelligentesten Amerikanern, und ich glaube, dass wir von ihm erwarten dürfen,
er werde nicht nur im Interesse der Geologie, sondern auch in dem der Anthropologie
seine Studien machen. Stände ihm ein Mann, wie Hr. .Keller-Leuzinger zur Seite,
so Hesse sich hoffen, dass wir auch in Bezug auf die bildliche Darstellung dieser
untergehenden Stämme ein Material erhielten, welches für alle Zukunft als ein Archiv
der Forschung dienen könnte, auch noch zu einer Zeit, wo die brasilianischen Indianer
gänzlich vernichtet sein werden. —
(10) Geschenke:
1) Gongres international d'authropologie etc. Compte rendu de la 4"'« Session.
Copenhague 1875.
2) Kopernicki: The prehistoric antiquities of the Caucasus.
3) Engelhardt: Klassisk Industri og Kulturs betydning for Norden i Oltiden
Kjoebnhavn 1875.
4) Ecker: Ueber eine menschliche Niederlassung aus der Renthierzeit im Löss
bei Munzingen. Braunschweig 1875. 4.
5) Photographische Ansichten aus Formosa, von Hrn. Dr. Obst in Leipzig.
6) Photographisches Portrait eines Santal-Indiers, von Hrn. Ramtschandra
Pradan hierselbst.
Sitzung vom 17. Juli 1875.
Vorsitzender Herr Vircliow.
(1) Das Programm zu der am 9. bis 11. August in München stattfindenden
sechsten allgemeinen Versammlung der deutschen anthropologischen Gesell-
schaft wird vorgelegt.
(2) Der Hr. Cultusminister übersendet unter dem 14. d. M. ein Schreiben,
worin ermittheilt, dass die eingegangenen Speciallisten über die Schulerhebungen
wegen der Farbe der Haare, der Augen und der Haut zur weiteren Bearbeitung an
das Königliche statistische Bureau übergeben seien.
(3) Professor W. D. Whitney überreicht im Namen des Dr. J. V. Hayden,
Chief of the ü. S. Geogr. and Geolog. Survey of the Territories, 17 photographische
Ansichten prähistorischer Ruinenstätten, welche letzterer 1874 im Thale des
Mancos River, in der südwestlichen Ecke des Territoriums Colorado, entdeckt hat.
(4) Hr. Virchow zeigt einen, ihm von Hrn. Prestel in Emden übersandten,
daselbst gefundenen
Flossenstrahl vom Wels.
Nach der Mittheilung wurde der sehr sonderbar gestaltete Knochen in der Stadt
Emden beim Brunnengraben, 30 Fuss tief in blauem Schlick, in gewachsenem Boden
gefunden. Allerdings wurde auf meine Nachfrage die Möglichkeit zugestanden, dass
in dieser Richtung das alte Ems-Bett gegangen sei.
Der mir übergebene, sehr frisch aussehende, an der Spitze abgebrochene Knochen
ist 13,.5 Centm. lang, an dem einen Ende mit groben Gelenkvorrichtungen versehen,
sonst glatt und au beiden Kanten mit sehr dichtstehenden Sägezähnen besetzt. Hr.
Peters hatte die Güte, ihn als den äussersten Flossenstrahl aus der Brustflosse eines
Wels und zwar eines ausländischen, wahrscheinlich brasilianischen, zu bestimmen.
Er sowohl, als die Geologen, welchen ich denselben vorlegte, hielten ihn nicht
für fossil.
(5) Herr E. Friede; I legte verschiedene, dem Märkischen Provinzial-Museum
gehörige, neuerworbene Gegenstände vor:
a. Einen grossen Steinkeil, anscheinend Granit, 273() Gramm schwer, 18 Centm.
lang, bei Anger münde, Kreis Angermünde, gefunden. Der Keil, Nr. II,
2141 des Museums-Catalogs, welcher anscheinend pnlirt gewesen ist, gehört
zu den auffallendsten und ungewölinlichsteu Stücken ähnlicher Art in Nord-
C183)
Deutschland und erinnert an ähnliche Werkzeuge, wie sie in den vorgeschicht-
lichen Kupferminen am Obern und Michigan-See in Kanada gefunden werden,
hl die Rille, die näher dem stumpfen Ende zu um den vorn axtförmig ge-
schärften Keil läuft, scheint ein gabclfrirmlgcr Zweig als Schaft gepasst zu
haben. Abbildung in '/< Grösse ist beigefügt.
b. Zwei Hacken aus Stein mit conischer Durchbohrung; die eine anscheinend
Serpentin: 21 Ctm. lang, bis 8 Ctm. breit, an der Schneide 4 Cm. hoch; die
andere anscheinend Kieselschiefer: 19 Ctm. lang, bis 7 Ctm. breit, durchgängig
4 Ctm. hoch. Geschenke S. K. Hoheit des Prinzen Karl von Preussen. Die
Umrisse der 1300, resp. 1200 Gramm schweren, mit senkrechter Schneide ver-
sehenen Werkzeuge sind unsymmetrisch und bezeugen, wie man besonders
bei Herstellung grösserer Steininstrumente zur Ersparung der mühsamen Her-
stellung der benöthigten äusseren Form gern Steine auflas und auswählte, die
bereits ungefähr der gewünschten Gestalt entsprachen. Sie stammen von der
vielerwähnten Fundstelle bei Kohlhasenbrück, nahe Potsdam, die be-
reits Eisen-, Bronce- und Knochen-Geräthe und auch einen alten gläsernen
Gnidelstein geliefert hat, der sich im hiesigen K. Museum befindet, früher für
einen Theerklumpen gehalten wurde, bis unser Mitglied Herr Voss seine wahre
Natur erkannte, und der an die gläsernen Gnidelsteine von Björkö (Schweden)
aus dem 12. Jahrhundert erinnert. Eine systematische Untersuchung der Kohl-
hasenbrücker Fundstelle scheint von berufener Hand leider noch immer nicht
vorgenommen zu sein.
c. Zwei durchbohrte Steinhämmer, beim Abbruch eines (wie es scheint, des Zin-
naer) Thors in Jüterbogk, in der Nähe der Fundamente, gefunden. Der
kleinere Hammer ist 8 Ctm. lang, bis 4,5 Ctm. breit, 3,5 Ctm. an der Schneide
hoch, das Bohrloch einerseits 0,023 M., andrerseits 0,022 M., in der Mitte nur
0,018 Mm. im Durchmesser, das Loch mehr nach der stumpfen Seite. — Der
grössere Hammer, dessen Abbildung in ^ Grösse gegeben ist, ist anscheinend von
(184)
Diorit, 14 Cm. lang, bis 6 Ctm. breit, 4 Ctru. an der Schneide hoch. Die
cylindrische Durchbohrung liegt mehr nach der Mitte zu und hat 0,022 M.
Durchmesser. Das Stück hat elegante Verhältnisse, erinnernd an die Formen
von Steinwerkzeugeu, welche die Dänen als Nachahmungen bronzener Vorbilder
ansehen und ist ausgezeichnet durch eine federkielartige Gravirung auf
der Oberfläche zwischen dem Bohrloch und dem stumpfen Ende. Diese Ver-
zierung macht das Stück zu einem der seltensten, welche überhaupt in der
Literatur bekannt sind.
2 Handgelenkringe und 2 grössere Ringe, Bronzefund aus der Gegend von
Cottbus, Nr. IL 2212 und 2213, resp. 2210 und 2211 des Catalogs, aus der
Sammlung des Gymnasiums zu Cottbus stammend. Die Handgelenkringe sind
innen concav und wohl gefüttert gewesen, die convexen Aussenseiten sind mit
senkrechten und schrägen Strichen, etwa den Ringeln einer aufgerollten Schlange
entsprechend, verziert. Die grosse Axe des innern Ovals dieser Ringe beträgt
55, resp. 60 Mm., die grosse Axe des innern Ovals der beiden andern Ringe
ca, 100 Mm. Diese letzteren Ringe sind aus einem Bronzestab dadurch ge-
bildet, dass man diesen um seine Axe gewunden und gekrümmt hat. "Wie
die beiden kleineren Ringe, sind die grösseren nicht geschlossen und an den
beiden sich nähernden Enden mit einigen eingeritzten Strichen versehen, die
mit dem Querdurchschnitt der Ringe parallel laufen. — Ganz besonders aus-
gezeichnet sind die beiden grossen Ringe dadurch, dass sie nicht rund, sondern
auf der unteren Seite vollkommen platt sind. Gleichzeitig ist diese Unter-
seite roh und ohne Verzierung. Es erhellt hieraus, dass diese 2 Ringe,
obwohl auf den Arm passend, nicht dort getragen worden sind.
Vielmehr entsprechen diese Ringe in gewisser Hinsicht den Armillae,
welche die römischen Chargirten neben den Phalerae als Auszeichnung
zu tragen pflegten, üeber dem Panzer oder dem Waffenrock war ein Riemen-
werk angebracht, auf welches die unten platten Ringe, gewöhnlich ihrer zwei
zuoberst, und alsdann die Scheiben der Phaleren geschnallt oder genäht wurden.
Ich habe erst vor wenigen Wochen Gelegenheit genommen, an den römischen
Leichensteinen des Mainzer Museums diese Befestigungsart zu sehen. Linden-
schmit, heidn. Alterth. I. Heft 4, Tafel VI bildet einen Adlerträger der XIV.
Legion ab, der zwei ganz ähnliche Ringe, die offenen Enden nach unten über
dem Waffenrock und derLorica ex annulis (ferrea tunica) trägt. Lindenschmit
bemerkt dazu: „Die Art der Befestigung und die Form der beiden offenen,
an ihren Enden geknöpfelten Ringe, armillae, ist deutlich genug, um in ihnen
genau dieselbe Gestaltung zu erkennen, die sich bei einer grossen
Anzahl von Erzringen aus deutschen Grabhügeln findet." — Auch
auf dem nicht minder im Mainzer Lapidarium befindlichen Gedenkstein des
Manius Cälius finden wir 2 grosse Erzringe, die Brust über dem Panzer zierend.
Es handelt sich hier um ein leeres Grab (Kenotaphium), indem Manius Cälius
im Feldzuge des Vurus, wahrscheinlich bei der Schlacht im Teutoburger Walde
gefallen und sein Leichnam mit vollem Kriegsschmuck in die Hände der Ger-
manen gefallen war. Es mögen in ähnlicher Weise Originale der römischen
Kriegs-Arraillen öfters in germanische Hände gefallen, vielleicht auch im Han-
delswege nach Germanien gerathen sein, wie denn gerade die Cottbuser Gegend
an Kaisermünzen der ersten zwei Jahrhunderte nicht arm ist. — Die Arbeit der
fraglichen zwei Ringe von Cottbus ist ziemlich ursprünglich und die Möglich-
keit, dass die Barbaren dergleichen Hinge nachahmten, nicht ausgeschlossen.
Nachahmten, denn der bestimmte conventioneile Gebrauch, den diese Ringe
(185)
schon lange bei den Römrin liatten, fterechligt wohl zu der Annahme, dass
die rötiiisclien Ringe die Vorbilder für die germanischen gewesen seien. Immer-
hin wird es verlohnen, dieser Form der abgeplatteten Ringe, die auch bei
den nordischen Völkern in ähnlicher Weise, wie bei den Italikern getragen
sein werden, weiter nachzuforschen. Bis jetzt scheint der erwähnte Typus ein
seltener zu sein.
6. Drei eiserne Pfeilspitzen von den städtischen Rieselfeldern bei Osdorf und
Friederikeukof, Kreis Teltow, Geschenke des Administrators Mumme.
Sie sind weidenblattförmig, mit dem Halse 134, resp. 133 und 132 Mm. lang,
an der breitesten Stelle 31 Mm. breit. Das Elisen ist weich, der Hals selbst
40 Mm. lang, dünn und die conische Höhlung im grössten Durchmesser nur
G Mm. weit, so dass nur ein sehr schwacher Pfeilschaft hineinpasste, wahr-
scheinlich um das Abbrechen zu erleichtern. Die Form ist eine nicht häufige
und wahrscheinlich noch in die heidnische Zeit (letzte Epoche des Eisenalters)
gehörig. Die Erhaltung des Eisens ist eine gute und wohl dem sehr durch-
lässigen und trocknen Sande, in dem es eingebettet war, zu verdanken. Nach
der zutreffenden Feststellung von Dr. Joseph F^mele (Beschreibung römischer
und deutscher Alterthümer, Mainz 1833) erhalten sich die Eiseusachen in
wunderbarer Frische alsdann besonders, wenn sie in der Asche verbrannter
oder verkohlter Gegenstünde gelegen haben. —
Hr. Hartman n bemerkt, dass Ringe, wie der von Hrn. Friedel vorgezeigte,
anscheinend zur Decoration für einen römischen Centurio gehörende, ihn an die bei
den Denka der Ostufer des weissen Niles üblichen eisernen Zierrathen erinnerten.
Hr. Virchow hat ähnliche Ringe öfters an Oberarmbeinen aus deutschen und
fremden prähistorischen Grabstätten bemerkt.
Hr. Friedel macht, zur Stützung seiner Ansicht, darauf aufmerksam, dass seine
Ringe nur auf einer Seite skulpirt, auf der anderen glatt und abgerieben seien.
(6) Hr. Liebreich übersendet der Gesellschaft eine von ihm in London käuf-
lich erworbene Bronzestatuette aus Ostasieii als Geschenk.
(7) Hr. Hermann "W. Vogel hält einen Vortrag über
die llewolmer der Nicobaren.
Indem ich Einiges aus meinen Erlebnissen und Beobachtungen auf den Nicobaren
mittheile, ist es nicht meine Absicht, das zu wiederholen, was ich bereits in für das
grosse Publikum bestimmten Aufsätzen publizirt, oder was Ihnen aus den trefflichen
Schilderungen eines Rosen, Rink, Busch, Scherzer schon bekannt ist, sondern
ich gedenke mich auf diejenigen Daten von anthropologischem und ethnographischem
Interesse zu beschränken, die ich in ilen Publikationen gedachter Autoren nicht er-
wähnt finde, oder die von den Angaben jener Forscher abweichen.
Ich besuchte die Nicobareu unter günstigeren Umständen, als die genannten For-
scher. Seit IXOil ist eine grosse Veränderung mit den Nicobaren vorgegangen. England
hat die 1848 von den Dänen aufgegebeneu Inseln okkupirt, auf der mittlem derselben,
Camorta, eine (iefangeuenkolonie angelegt als Filiale des gi-ossartigen Convict settlement
auf den AMdamaneninsehi, und thinh friMiiKlIiclie lieliamllung die frühere Europäer-
furclit der Eingebornen verscheucht. Scherzer erklärt in seinem Buche, p. 441:
(186)
„Ueber das gesellige Leben der Nicobaren, ihr Verhältniss zur Familie sind uns
bei unserm kurzen Aufenthalte und dem Umstände, dass Weiber und Kinder stets
entflohen waren — so wenig und unsichere Daten bekannt geworden, dass wir nicht
wagen, dieselben zu veröffentlichen." Unsere Expedition (1875) fand dagegen bei der
jetzt herrschenden Vertraulichkeit Gelegenheit, einen Einblick in das innere Leben
der Nicobaren zu gewinnen, der Scherz er nicht vergönnt war. Freilich habe ich
nur einen kleinen Theil meiner Zeit dem Studium der Inseln widmen können.
Eine Aufgabe ganz andrer Art — spektroskopische und photographische Sonnen-
iinsternissbeobachtungen — führte mich auf jene vom Weltverkehr abgelegene Insel-
gruppe. Unter vielen Hindernissen wurde diese Expedition ausgeführt. Schlechtes
Wetter, mangelhafte Dispositionen, Chicanen von Seiten eines Beamten, ungenü-
gende Ausrüstung und, was damals das Schlimmste war, Krankheiten suchten die
Expedition in empfindlicher Weise heim und die Hauptaufgabe derselben scheiterte
durch Wetterungunst vollständig. Unter solchen Umständen blieb mir wenig Müsse
zu Nebenstudien, die sich auf drei der Nicobareninseln, Camorta, Nancowry und
Trinkut beschränkten, welche in der Mitte der Gruppe liegend, einen trefflichen
Hafen zwischen sich einschliesseu, der die Ursache sein mag, dass alle Colonisations-
versuche, die seit Jahrhunderten unternommen wurden, auf diese drei Inseln beschränkt
blieben. Die Nicobaren sind von einer nach Rink in der Mitte zwischen Malayen und
Birmesen stehenden Völkerschaft bewohnt, von hellbrauner Hautfarbe, etwas dunkler
als Malayen, mit schwarzen schlichten Haaren, seltenem dünnem Bart, braunen Augen,
wenig zurückfallender Stirn, etwas aufgeworfenen Lippen, breitnasig, von Gestalt
wohlgewachsen und an Grösse dem Europäer gleichkommend, — ein Völkchen, das
schon vielfach das Interesse der Forscher in Anspruch genommen hat und dessen
anthropologische Verhältnisse von der Novaraexpedition schon gründlich ausgeforscht
worden sind. Dieselbe hat an Kopf, Rumpf und Extremitäten der Nicobaresen zahl-
reiche Messungen gemacht, Kopfhaare gesammelt, Kraftproben mit dem Dynamometer
angestellt und sogar Schädel mitgebracht. Statt mich auf detaillirte Beschreibung
der Race einzulassen, zeige ich hier meine nur sehr bescheidenen Errungenschaften
d. h. einige Photographien, die ich an Eingebornen Face und Profil unter sehr
ungünstigen Verhältnissen, ohne Kopfhalter aufgenommen habe und die vielleicht in
sofern von Interesse sind, als sie in ihrer Entstehungsart eine Garantie für die treue
Wiedergabe bieten, eine Garantie, die eine Zeichnung niemals geben kann.
Ich habe mich dabei bemüht, nur Individuen von reiner Race auszuwählen.
Wenn mir dieses gelang, so verdankeich es Herrn de Roepstorff, einem gebornen
Dänen, der auf diesen Inseln längere Zeit als Chef der daselbst errichteten Gefangenen-
kolonie gelebt, sich die Sprache der Eingebornen angeeignet, über dieselbe ein treff-
liches Wörterbuch publizirt hat und mit denselben auf freundschaftlichstem Fusse
steht. Roepstorff war bei meinen Ausflügen mein steter Begleiter, der mich auf
tausend interessante Dinge aufmerksam machte, mein Dolmetscher und Helfer, der
mir rasch die Freundschaft der Natives gewinnen half; ihm bin ich verpflichtet für
Alles, was ich hier vorlege.
Leider sind die wenigen photographischen Platten durch den Transport erheblich
beschädigt und einzelne Negative zerbrochen, jedoch in der Hauptsache die Figur
erhalten. Die Aufnahme der weiblichen Individuen dürfte in sofern Werth haben,
als Scherzer bei der zu seiner Anwesenheit noch herrschenden Europäerscheu der
Nicobaresen nur sehr wenige weibliche Individuen zu Gesicht bekam. Bei den Photo-
graphien wurde ein improvisirter Maassstab, so gut es eben ging, mit aufgenommen.
Mangels eines Kopfhaitors Hess ich die Modelle d(;n Kopf gegen einen Pfahl stützen
(187)
und war in dieser Situation genöthigt, beiiiifs der Profilaufnahme den Standpunkt
der Camera zu wechseln.
Neben den Nikobaresen fanden sich noch mehrfach Malayen auf der Insel; es
sind Abkömmlinge derselben, aus Kreuzung mit Nikobaresen hervorgehend, nicht eben
selten. Sie erblicken solche auf den vorgelegten Jülderu. Leider ist ein Theil der
von mir aufgenommenen Platten noch nicht in meinen Händen. Sie befinden sich
noch bei meinem Expeditionsgei^äck in England. Dafür kann ich glücklicher Weise
einige Ersatzbilder vorlegen, die mein Expeditionskollege Waterhouse von denselben
Gegenstänjjen, wie ich, aufgenommen hat. Er hatte sich nur ethnographische Aufnahmen
zum Ziel gesetzt, die er ausschliesslich nach dem gewöhnlichen nassen Verfahren
fertigte. Ich nahm mir dagegen anthroplogische und landschaftliche Aufnahmen zum
Vorwurf, wobei icli zugleich den Werth eines noch neuen Trockenplattenverfahrens,
welches dem Forscher grosse Dienste zu leisten verspricht, festzustellen suchte, und
welches sich in der That bewährt hat, wenn auch die Resultate nicht so vollkommen
sind, als die mit dem gewöhnlichen nassen Verfahren. In voller Figur habe ich, abge-
sehen von den ethnographischen Bildern, nur ein Individuum aufgenommen, welclies an
Elephantiasis litt, einer unter jenem Völkchen öfter vorkommenden Krankheit. In Bezug
auf die Bilder sei hier noch bemerkt, dass gewisse Abnormitäten, wie der etwas flache
Hinterschädel der Nicobaresen und der aufgeworfene Mund nichtNatur, sondernKunst sind.
Die Eingebornen pflegen den Schädel ihrer oft ganz wohlgebildeten Kinder mit
einem Brett flach zu pressen und ihren Mund durch das bekannte Betelkauen zu
entstellen. Die Vorderzähne werden dadurch locker, bedecken sich mit einer dicken
Kruste, neigen sich nach vorn und solches in einem Grade, dass die betreffenden
Individuen den Mund nicht mehr schliessen können. Ihre Ohrlappen pflegen sie
zu durchbohren, und in die grossen Löcher alles Mögliche zu stecken, was man
ihnen schenkt! Cigarren (Männer und Weiber rauchen Cigaretteu), Holzpflöcke,
Präparaten -Gläser, leere Patronen, Zabnstoclier, sogar Tuchlappen und Pflanzen-
blätter. Nach den Beschreibungen der übrigen Inseln zu urtheilen ist es zweifellos,
dass das Gesammtvolk des Archipels derselben Rasse angehört, nur auf der grössten,
aber am wenigsten bekannten Lisel des Archipels, Great Nicobar, soll noch eine
zweite Völkerschaft existiren, die Scherzer nur vom Hörensagen kennt,
kraushaarig, wild, schwarz, von Schlangen, Ungeziefer, Wurzeln und Kräutern lebend.
Auch auf der nördlichen Insel, Gar Nicobar, soll ein besonderer Menschenschlag hausen,
eine Behauptung, die im höchsten Grade unwahrscheinlich ist.
Anders ist es mit der räthselhaften Völkerschaft in Great Nicobar, den sogenannten
Shobaengs.
Von diesen Shobaengs hat de Roepstorff neuerdings ein Specimen zu srhen
Gelegenheit gehabt, vielleicht das erste, welchem ein Europäer begegnete. ,Es war",
sagt Roepstorff, „ein grosser kräftiger Junge, ebenso wohlgebaut als die Nancowry-
leute, von offenbar mongolischem Aussehen, namentlich mit sehr bestimmten kleinen,
schiefstehenden, mongolischen Augen. Der untere Theil des Gesichts trat mehr her-
vor, als bei den Nancowryleuten, flar Hinterschädel uar nicht künstlich abgeflacht."
Roepstorff sieht auch die Einwohner von Schowra als eine besondere Rasse an.
Diese Insel ist die einzige, wo etwas Industrie herrscht. Die Einwohner fertigen
Töpfe und vertauschen diese au die Bewohner der übrigen Inseln gegen Boote, Fisch-
fpeere. Diese Bewohner von Schowra nennt Roepstorff „Tatat". Sie zeigen eben-
alls schiofgeschlitztc .Vngen und Roepstorff meint, dass beide Völker Ueberreste
der alten inongnli.schen ürcinwolmcr der Inseln seien, «lio durch die Nicobaresen
später verdrängt worden sind.
Sämmtliche Inseln ohne Ausnalmuj sind scbwach bevölkert. Das Volk auf Car
088)
Nicobar ist das zahlreichste und wohlhabendste. Ein Manu gilt als reich auf den
Nicobaren, wenn er 400 Rupien, viel Schweine, viel Kokusnüsse und viel Kinder hat.
Die geringe Zahl der Kinder hat mich vielfach überrascht. Viele Familien haben
deren gar keine, andere 2 oder o. Eine Familie mit 4 oder mehr Kindern ist selten.
Mädchen sind seltner als Knaben und dieses mag der Grund sein, dass das Weib
auf diesen Inseln höher geschätzt wird, als bei allen andern Völkern Asiens. Trotz
des Weibermangels habe ich nichts von Polyandrie gehört, Polygamie verbietet sich
von selbst.
Die Mädchen, welche jung nicht eben hässlich sind, heirathen mi^ 13 his 15
.Jahren, sie werden nicht verkauft, sondern haben die Freiheit, den Bewerber zu
nehmen oder zurückzuweisen, sie bekommen sogar eine kleine Mitgift von Schweinen,
Kokosnüssen und Pandanusbäumen. Das Merkwürdige aber ist, dass das Weib
nicht zum Manne zieht, sondern umgekehrt der Mann in die Hütte des Weibes oder
die ihrer Eltern, und so kommt es, dass Eltern, die nur Söhne haben, ihr Haus mit
der Zeit leer werden sehen, während der Vater mehrerer Töchter seinen Haus-
stand durch Heirath fortwährend wachsen sieht. Das Weib ist des Nicobaresen
Lebensgefährtin in der besten Bedeutung des Wortes, nicht Sklavin, wie sonst im
Orient; stirbt der Vater, so ist die Mutter Herrin des Hauses und wird als solche
anerkannt. Wird ein Weib schwanger, so wird sie und ihr Mann von allen Arbeiten
dispensirt. Sie besuchen dann ihre Verwandten, werden festlich überall empfangen
und die Frau gewöhnlich veranlasst, etwas Samen in die Gärten zu säen, welche sie
besitzen, man hofft von solcher Saat grosse Fruchtbarkeit.
Kinder lieben sie zärtlich, nicht nur ihre eigenen, sondern auch fi-emde. — Ich
fand Malayen und einen jVladrasboy, welche durch Schiffbruch nach diesen Inseln
verschlagen und von den Eingebornen freundlich aufgenommen und aufgezogen worden
waren. Ebenso gross ist die Liebe der Kinder zu ihren Pflegern. Alte Leute, die
viel Kinder haben, leiden daher keine Noth. Untreue der Weiber ist in einer Nico-
baresenehe selten. Häufiger sind Trennungen bei Unfrieden. Verheirathet sich dann
ein Theil wieder, so werden die Stiefkinder stets zu Verwandten gegeben, niemals
in die neue Ehe hineingebracht.
Ueber ihre staatliche Organisation habe ich nichts in Erfahrung bringen können
und vermuthe, dass solche überhaupt nicht existirt. Es giebt kein Oberhaupt und
keine Untergebenen oder Unterthanen, keine Abgaben, keine Polizei, keine Gemeinde-
verpflichtungen.
Die sogenannten Capitains, welche man in mehreren D()rferu findet, und die in
der Regel grosse Namen führen, wie Captain Nelson, Captain London, Captain Johnson
sind englisches Produkt. Die Engländer fühlten sich wohl veranlasst, bei der Occu-
pation der Inseln einen Repräsentanten der verschiedenen Dörfer hinzuzuziehen und
machten selbst einen solchen, falls noch keiner vorhanden war. Nur ein einziger
dieser Capitaine, Namens Johnson, hat seine Macht gemissbraucbt und einen Druck
auf die gutherzige Bevölkerung auszuüben versucht, was ihm um so leichter wurde,
als er gut englisch sprach und die Engländer ihn anfangs als Dolmetscher nicht ent-
behren konnten. Ein andrer Capitain, London, nannte sich Oberhaupt dreier Dörfer,
er war zugleich Manloene, d. h. Priester, und zeichnete sich durch ein echtes Neger-
gesicht und Wollkopf aus. In der That war «ein Grossvater ein an diese Küste ver-
schlagener Afrikaner. Das (;lovernement hatte ihm als Anerkennung für geleistete
Dienste mehrere europäische Anzüge geschenkt und so ging er ganz gentlemanlike
einher, wenn er uns besuchte. In seinem Dorfe arbeitete er aber gleich einem ge-
wöhnlichen Bauer, er ruderte mich oft bei meinen Ausflügen, trug mich auf seinen
Schultern durch das sumpfige Ufer an das Land, holte mir Cocosnüsse und schleppte
(189)
meine photogniphischen Appanitc. Nio h:d)c ich «-inn Spur von Selbstüberhebung bei
diesem Manne gesehen.
Das V/ilkcJien ist so brav, dass sie einer Ulnigiveit zum Schutz gegen nachbar-
liche Uebergriffe nicht bedürfen, sie morden nicht, sie stehlen nicht, kurz sie halten
die heiligen zehn Gebote besser als wir, ohne sie zu kennen. Als Scherzer sie
fragte, was sie mit ihren Uebelthätern anfingen, antworteten sie treffend: Wir haben
keine, und sie bemerkten dazu, in Kuropa müsse es sehr viel böse Menschen geben,
weil wir so viel Soldaten, Schwerter und Kanonen nöthig hätten.
Allerdings kommen nach Roepstorff Diebstähle vor, aber sehr selten. Der
Dieb verfällt der allgemeinen Verachtung und ist genöthigt, die Dörfer zu meiden.
Auch Meinungsditferenzen ereignen sich wohl, doch werden diese durch Einspruch
der Freunde oder Verwandten der Betheiligten geschlichtet, und derjenige, welcher
Unrecht hat, genöthigt, ein Fest zu geben.
Scherzer spricht von den Waffen der Eiugebornen. Daraus könnte der Irr-
thum entstehen, als bedürften sie solcher zu ihrer Selbstvertheidigung; thatsächlich
dienen diese sogenannten Waffen nur als Fischspeere. Es kommt wohl vor, dass
Dörfer einander bekriegen; diese Kriege bestehen aber nur in einer Hauerei mit
langen Knütteln, die durch das Zwischentreten und nach Frieden Schreien der Weiber
zu Ende gebracht wird und an welche sich dann oft ein Fest scbliesst, an welchem
Sieger und Besiegte gleichzeitig Antheil nehmen.
Diese Züge charakterisiren die bodenlose Gutherzigkeit des Völkchens und geben
dem Capitain Green Recht, wenn er sagt: Es ist das tugendhafteste Volk, welches
mir auf meinen achtuuddreissigjährigen Seereisen vorgekommen. Wenn das goldne
Zeitalter irgendwo zu linden ist, so ist es auf den Nicobaren.
Ebenso primitiv, als ihre staatlichen Einrichtungen, erscheint ihr Kultus. So hoch
entwickelt ihre Sittlichkeit ist, so schwach steht es mit ihrem Glauben. Sie muthen
der Sonne und dem Mond geheimnissvolle Kräfte zu, und bei der totalen Sonnen-
tinsterniss am 6. April stürzten sich die Einwohner des Dorfes Malacca unsrer Station
gegenüber alle in das nahe Meer und bespritzten sich gegenseitig unter lautem Geschrei
mit Wasser.
Im üebrigen glauben sie au einen bösen Geist Irvi, dem sie auch Opfer dar-
bringen in Gestalt von Bissen von Speisen, Fläschchen mit etwas Rum u. dgl. Sie
legen solche auf ein Brettchen, das oberhalb eines auf Palmbast gemalten Bildes an-
gebracht ist. Solche Bilder fand ich in jeder Hütte und ist es merkwürdig, dass
Scherzer dieselben gar nicht erwähnt, obgleich sie auf der Zeichnung des Innern
einer Nicobaresenhütte in seinem Buche deutlich markirt sind. Die Bilder weisen
in beiden oberen Ecken Sonne und Mond auf, fliegende Vögel in der Luft, darunter
ein oder zwei Häuser mit Palmbaum und Flaggenstangen, in der Mitte Schweine,
primitiv gezeichnet, und Geflügel. Darunter Fische und Crustaceen, manche von
ziemlich treuer Zeichnung. Oft haben die Bilder eine Borde, die tanzende Männer
und Weiber, deren Hände auf den Schultern der Nachbarn liegen, darstellt, mitunter
hängt unten au den Bildern ein hölzerner Fisch, ein Alligator u. dgl. Leider konnte
ich einen solchen wegen seiner Grösse nicht fortbringen. Die Farbe zur Ausführung
dieser Bilder tauschen sie von Schiffen ein, welche oft genug von Birmah herüber-
kommen und Kokosnüsse holen. Auf diesem Wege erhalten die Eingebornen auch
ihre Aexte, Tahu genannt, die Zeugstreifen, womit sie sich nothdürftig bedecken,
Reis, Taback und leider aucli Rum, den sie sehr lieben.
Die Eingebornen sind nicht nur Maler, sondern auch Bildhauer. Schon Scherzer
erwähnt der lebensgrossen Holzbildsäulen, die mit einem Schurz von Palmblätterii
bekleidet, oft mit zum Schlag gi-hobeuom Arm, roth bemaltem Gesicht iu ihreu llütteu
(190)
stehen. Scherzer deutet sie als Mittel zur Abschreckung böser Geister, Roeps-
torff misst ihnen gar keine besondere Bedeutung bei und leugnet namentlich, dass
es Götzen seien. Ich erwähne aber, dass die Wilden, als ich sie im Freien photo-
graphirte, auf meinen Wunsch s^ehr gern eine der Figuren herbeischleppten, jedoch
baten, sie vor Sonnenuntergang zurückbringen zu dürfen, weil sonst die Bewohner
der Hütte, denen die Figur gehörte, das Fieber bekämen. Zuweilen sah ich auf dem
Kopf solcher Figuren einen alten europäischen Filzcylinder, und an den Armen Fläsch-
chen, die an Bindfaden hingen. Manche Figuren stellen europäische Seeleute dar
mit Fernrohr unter dem Arm, andere Kindergestalten.
Roepstorff erwähnt ferner ihrer religiösen Feste, bei denen es gilt, den Irvi,
den bösen Geist, der Fieber und alles mögliche Ueble veranlasst, zufrieden zu stellen;
sie stossen ein kleines guirlandenbekränztes Schiff unter wilden Ceremonien und Be-
schwörungen in die See, so dass die Fluth es nicht wieder an das Land treiben
kann, und glauben dann den Irvi geborgen. Will es dann der Zufall, dass das Schiff
bei einem andern Dorf ans Land gespült wird, so gilt dieses als ein grosses Unglück
und das Dorf ist dann genöthigt, den Ausgangsort des Boots mit Krieg zu überziehen.
Auf unserer Fahrt nach den Nicobaren trafen wir das Wrack eines solchen Boots mit
vertrockneten Guirlanden.
Trotz aufopfernder Bemühungen zahlreicher Missionaire, die auf diesen ungesunden
Inseln ihr Leben daran setzten (es starben von den mährischen Brüdern, die 1768 — 87
dort lebten, 24), ist es nicht gelungen, die Nicobaresen zu Christen zu machen. Die
christliche Sittenlehre brauchten sie nicht, denn sie sind sittlicher als wir und konnten
keinen Respekt empfinden für die Religion eines Volkes, welches das Gute nur thut
wegen Aussicht auf Belohnung und das Böse nur unterlässt aus Furcht vor Strafe.
Mit den christlichen Dogmen konnten sie sich noch weniger befreunden, die Missio-
naire konnten ihnen nur wunderbare Dinge erzählen, ohne selbst welche auszurichten
Das imponirte den Wilden nicht
Ihre geistigen Fähigkeiten sind durchaus nicht gering und würden noch viel
ausgebildeter sein, wenn eine weniger üppige Natur sie nöthigte, ihren Verstand
anzustrengen, um das für das Leben Nöthige zu erringen. Roepstorff hat ein
Wörterbuch ihrer Sprache zusammengestellt, in welchem sich die Zahlwörter bis lÜOO
finden, ein Beweis für ihre Intelligenz. Sie haben auch eine regelmässige Zeitein-
theilung nach Monsun-Wechseln und Mondvierteln. Es ist ganz zweifellos, dass Kinder,
europäisch erzogen, sich ebenso gut sclmleu Hessen, als die unsrigen. Der Versuch
ist noch nicht gemacht worden. Roepstorff wollte einen sehr wohlgebildeten
Knaben, den Sohn des oben erwähnten Johnson, zu sich nehmen, der Kleine war
jedoch zu eigensinnig und der Vater nahm ihn deshalb zurück. Scherzer spricht
auch über ihre musikalische Anlage und zwar ziemlich geringschätzig. Ich war
dagegen überrascht, verschiedene Leute mit leidlicher Siugstimme zu finden, die das
God save the queen mit untergelegtem nicobaresischem Text singen konnten. Frau
v. Roepstorff hatte es ihnen eiustudirt. Sie hörten ferner sehr gern europäische
Musik und oft habe ich ihnen auf Roepstorff's Ciavier etwas vorspielen müssen.
Bei der wunderbaren Fruchtbarkeit der Nicobaren haben die Eingeboruen nicht
nöthig, viel zu arbeiten, obgleich sie dennoch bei der herrschenden Ortstemperatur
im Schweisse ihres Angesichts ihr Brod essen.
Sie besitzen Schweine und Hühner in Menge. Die ersten gehören der chinesischen,
die zweiten meist der europäischen und cochinchinesischeu Rasse an, diese verspeisen
sie aber nur bei festlichen Gelegenheiten. Im Uebrigen nähren sie sich vom Mark
der Kokosnüsse, von dem Brode des Pandanus und von Fischen, ausserdem von Reis,
welchen sie von Birmehseusuhiffen eintauschen. Sicher gehören auch Muscheln zu
(191)
ihrer NuhriiDS. If'li sah dicsolldn ni(;ni:ils (;ss<;n, aber ich fand auf meinen Ausflügen
wiederholt frische KüchenubfiilU! um einen verlassenen Feuerplatz mit zahlreichen,
zum Theil angebrannten Muschelschaalen, zerschlagene Kokosnüsse, aus denen das
Mark ausgenommen worden war und Anderes.
In der Nähe des Dorfes Ho-o, welches am weitesten von europäischer Ansiedlung
entfernt, an der wundervollen ü lalabucht, (Caualo falso der Portugiesen) liegt, traf ich
einen mehrere Fuss mächtigen Kücheuabfallhaufen, bestehend aus Muscheln, zerschla-
genen Kokosnüssen, Feuerresten und einzelnen leeren europäischen Glasflaschen. Die
Eingebornen dieses Dorfes waren früher als Mörder verrufen. Bei dem Besuch der
Novara waren alle in die Wälder geflohen. Ich fand dieselben ebenso harmlos und
liebenswürdig als alle übrigen Nicobaresen. Scherz er nennt die Ulalabucht, an
welcher das Dorf Ho-o liegt, traurig unheimlich. Für mich ist sie die landschaftlich
schönste Partie auf den Nicobaren. Nirgends erscheint das Ufer so malerisch in
Hügelreihen geordnet wie hier, nirgends findet man eine so über alle Begriffe üppige
Vegetation. Neben dichten Mangrovengebüschen am Ufer erheben sich die Wälder
von Callophyllum, Ficus, Hernandia. Zahllose Schlingpflanzen schwingen sich von Ast
zu Ast, und über die dunklen Laubbäume steigen prächtige Kokospalmen, der selt-
same Pandanus und die alle andern hoch überrragende Arecapalmen empor. Der
Anblick dieser tropischen Herrlichkeit ist von der Mitte der Bucht gesehen geradezu
berückend und noch märchenhafter wird das Bild durch die phantastische Koralleu-
welt, welche in den mannichfaltigsten Farben und Formen im Vordergrunde ihre
Arme aus den Tiefen der Gewässer dem Beschauer entgegenstreckt. Mitunter herrscht
tiefe Stille im Urwald, nur unterbrochen durch das Girren zahlreicher Taubenarten,
bis plötzlich ein Chor von Cycaden unisono mit einem Schlage im tiefen Basston zu
summen beginnt, um ebenso mit einem Schlage zu endigen.
Die Eingebornen sind geschickte Fischer; den Fischfang nehmen sie in der Nacht
vor. Ein langer trockner Kokospalmwedel wird in Absätzen von 1)^ bis 2' mit frischen
Blattrippen unterbunden und in Brand gesteckt. Diese Fackel in der linken Hand
haltend, in der rechten Speere, rudern sie in die See, bleiben jedoch in der Nähe
des Ufers. Die Fische schwimmen dem Lichte zu und werden in geschickter Weise
gespiesst, die kleinen mit Holz-, die grösseren mit Eisenspeeren. Die Holzspeere
fertigen sie selbst, die eisernen sollen ebenfalls von ihnen geschmiedet werden, und
das Eisen aus dem Wrack eines alten Schilfes stammen, welches im Hafen lag. Die
nächtlichen Fackelfischer umschwärmten unsere Insel oft so zahlreich, dass es aussah,
als veranstalteten sie eine Illumination uns zu Ehren.
Ihre Hauptnahrung gewährt ihnen jedoch das Pflanzenreich, namentlich die segens-
reiche Kokospalme. Das Wasser der Nuss ersetzt ihnen die oft fehlenden Bronnen,
Das Mark der ausgetrunkeneu und zerschlagenen Nuss mästet ihre Schweine oder
wird zum Oelpresseu benutzt, die Wandung dient ferner zur Anfertigung von Gefässen,
die Faser der Rinde liefert Stricke, der Saft der unentfalteten Blüthe liefert ein be-
rauschendes Getränk, der getrocknete Wedel dient als Fackel, die Blätter zum Decken
der Häuser, die Rippen zum Flechten von Körben. Oft sah ich grosse frische \N edel
sogar als Segel benutzen, um ihre leichten Canoes zu treiben; solche Palmensegel
geben den einfachen Böten ein festliches, fast poetisches Ansehen. Endlich dient der
Stamm zur Herstellung von Balken und Brettern.
Die Kokospalme bildet den Hintergrund aller ihrer Dörfer, sie ist der Haupt^uell
ihres Reichthums, Hundert Kokosnüsse wurden zu meiner Zeit mit 1 Thaler berechnet.
Scherz er giebt au, dass man zu seiner Zeit (1658) dieselbe Menge Nüsse für eine
kleine Messerklinge gegeben habe. Das Kokosnusswasser der Nicobaren schmeckte
mir bei Weitem schöner als das auf Ceylon. Für die verschiedcueu Kleinigkeiten,
(192)
welche ich von den Eingebornen orwarb, verlangten sie kein Geld, sondern nur ein
paar Bündel Stnnchhölzer und eine Flasclio Rum. Ein Glück für sie ist es, dass
die Zufuhr des letzteren nur in sehr beschränktem Maasse gestattet ist.
Streichhölzer lieben sie sehr. Früher machten sie Feuer durch Reibung zweier
Hölzer und hatten sie dazu ganz dieselbe Methode, welche Dr. Ja gor bei den Malayen
fand. Sonderbarer Weise wollten sie mir diese Procedur nicht zeigen, sie fürchteten,
man werde ihnen keine Streichhölzer mehr liefern, wenn sie verriethen, dass sie
andere Methoden zum Feuermachen besässen. Erst nach dreiwöchentlicher Bekannt-
schaft schwand ihre Scheu und sie zeigten mir Alles bereitwillig. Mir gelang es
nicht, in dieser Weise Feuer zu erhalten.
Nächst der Kokospalme ist der Pandanus der wichtigste Baum für die Natives.
Dieser merkwürdige Baum, den Scherz er ein üeberbleibsel aus einer alten Schöp-
fungsperiode nennt, gedeiht auf diesen Inseln in wunderbarer Fülle und gewährt dem
Neuling in der Tropenwelt einen seltsamen, fast märchenhaften Anblick mit seinem
Pfahlgerüst von Luftwurzeln, das sich pyramidenförmig oft 20' hoch erhebt, seinem
ebenso seltsamen Geäste, Blattwerk und seinen Früchten. „Staunend", sagt Scherzer,
„über den bizarren Einfall der Natur, betrachtet man diese seltsamen Gewächse,
welche spiralförmig geordnete Blätter besitzen wie die Dracenen, Stämme wie die
Palmen, Aeste wie die Laubbäume, Fruchtzapfen wie die Coniferen und doch nichts
mit allen diesen Pflanzen gemein haben, sondern eine besondere Familie für sich
bilden."
Von diesem Wunderbaum, der dort oft förmliche Wälder bildet, deren in einander
geflochtene Luftwurzeln das Eindringen ganz unmöglich machen, benutzen die Natives
vor Allem die Frucht. Sie zerreiben das Fleisch, wobei die Fasern als eine bürsten-
artige Masse übrig bleiben, die auch als Bürste benutzt wird, kneten dasselbe zu runden
Broten, schlagen Blätter herum und rauchen es wochenlang. Der Bast wird zum
Hausbau benutzt.
Neben diesen Bäumen ist ihnen noch der Stamm von Callophyllum zum Fertigen von
Canoes, ferner der Rotang, spanisches Rohr und Bambus als Bindematerial von Bedeutung.
Neuerdings haben die Eingebornen sich nicht mehr auf das beschränkt, was
ihnen die Natur freiwillig liefert, sondern haben Gärten angelegt; diese liegen weit
entfernt von den Dörfern an Orten, wohin ihre frei herumlaufenden Schweine nicht
gelangen können und die auch möglichst versteckt sind, um nicht von Seefahrern ge-
funden werden zu können; hier ziehen sie Bananen und Ananas, Orangen und sogar
etwas Baumwolle.
Ihre Häuser sind Pfahlbauten.
Früher ausschliesslich rund, werden neuerdings viel viereckige gebaut, nament-
lich in den Dörfern, die durch Engländer (die nicht immer sehr glimpflich mit ihnen
umgingen) eingeäschert wurden. Sie rammen Pfeiler in die Erde und bringen 10
bis 12' hoch eine Balkenlage durch Binden an. Die Wände werden aus Bast ge-
bildet, das Dach aus Palmhlättern. Der Zugang erfolgt durch eine Leiter.
Dem Eingang gegenüber befindet sich die Feuerung. Ein Schornstein existirt
nicht. Der Rauch entweicht durch die Ritzen, daher ist das Innere der Hütten
ziemlich schwarz gefärbt. Abgesehen vom Rauch erscheinen die Hütten reinlich
und sauber.
Oberhalb des Feuerplatzes hängen die Pandanusbrode und die Wassergefässe
aus Kokosnuss. (Behufs des Wasserholens hängt man dieselben paarweise über
einen Stock und trägt diesen auf der Schulter.) Zur Linken sieht man in der Regel
das Opferbild, zur Rechten die Holzbildsäulen, welche ich früher erwähnt habe. In
der Nähe der Thür hängen Speere, Messer, Hausgeräthe. Oberhalb in der Kuppel
(193)
ist in der Regel noch ein Verschlag, der als Vorrathskammer dient. Sie haben es
nicht gern, dass Europäer dieselbe ansehen, weil sie fürchten, deren ihnen wohl-
bekannte Habsucht zu reizen. Der Raum unter der Hütte dient ihnen als schattiger
Platz zur Verrichtung von allerlei Arbeiten. Hier haben sie auch ihre Verschlage
für die Hühner, die Vorräthe noch unverarbeiteter Früchte und grössere Hausgeräthe.
Die Dörfer befinden sich alle am Meeresufer und vor ihnen findet man stets hohe Masten
aufgerichtet mit Palmstroh büschelu, manche schmucklos, manche elegante Gruppen
bildend und mit Stricken gehalten. Naeh Scherz er sollen diese Masten böse Geister
abwehren; nach Roepstorff markireu sie die seichten, für Boote nicht passirbaren
Stellen im Wasser.
Das Pfahlsystem dient hier weniger zur Abwehr gegen Feinde, als vielmehr zum
Schutz gegen die uachtheiligen Einflüsse des Bodens, auf dem zu schlafen gesundheits-
gefährlich ist, denn diese Inseln sind alle im höchsten Grade fieberhaft. Die Ein-
gebornen werden ebenso stark vom Fieber heimgesucht als die Europäer, selbst ihre
Hunde und Schweine werden vom Fieber befallen. Der einzige Fieberfreie, welchen
ich auf der Insel gefunden habe, war ein sechs Jahr dort weilender chinesischer
Tischler.
Auch die Europäer haben das Pfahlbautensystem für ihre Häuser adoptirt. Alle
Gebäude der hier seit 186D bestehenden Gefangenenkolonie ruhen auf gemauerten
Pfählen. Natürlich kann dieses allein vor dem Fieber nicht schützen. Uns wurde
gerathen, um dem Fieber zu entgehen, nicht am Lande zu schlafen. Wir folgten
dem Rath und nahmen nach Schweinf urth's Vorgang täglich 5 Grau Chinin als
Schutzmittel. Dennoch wurden auch wir von der allgemeinen Landplage heimgesucht.
Nach 14 Tagen erkrankten Professoi' Tachini und Meldola am Fieber, später
der Kapitain und mehrere Offiziere. Ich blieb anfangs davon verschont; erst nach
meiner Rückkehr nach Europa wurde ich davon befallen. Von den 270 Convicts,
die sich in der dortigen Strafkolonie befinden, sind 50 in der Regel im Lazarett,
dem eine Art Barbier oder Apothekergehülfe vorsteht. Das hier herrschende Dschungel-
oder Nicobaren-Fieber ist das schlimmste, was ich kenne. Es ist mit empfindlichen
Knochenschmerzen verbunden, die in den Hand- und Fussgeleuken beginnen, und es
kehrt immer wieder. Tachini und Meldola wurden auf der Rückreise ungefähr
alle 8 Tage von diesen Fieberanfällen heimgesucht, die meist 2 bis 3 Tage dauerten.
Die Ursache des Fieberklimas ist in den Sümpfen zu suchen, welche sich in dem
thonig kalkigen Boden beim Eintritt der Ebbe bilden, indem das Wasser um mehrere
hundert Fuss zurückweicht und den mit organischer Materie durchtränkten Boden
den glühenden Sonnenstrahlen blosslegt; den Hauptfieberheerd bilden aber die von
den Mangrovebüschen eingefassten Stellen des Ufers.
Diese seltsamen, auf tausendfach in einander vertiilzten Luftwurzeln ruhenden
Bäume schliesseu in ihrem Wurzelnetzwerk eine Unmasse faulender organischer Körper
ein und verhindern ihre Fortführung durch Fluth und Wellen. Hier entwickelt sich
dann ein grauenhafter Suuipfgeruch. Nicht selten drang ich auf meinen Jagden tief
in diese Maugrovesümpfe, auf den Schultern eines Eingeborneu reitend, ein und war
namentlich in dem Canale falso, oft genöthigt, vor dem entsetzlichen Gerüche den
Athem minutenlang anzuhalten.
Das englische Government lässt jetzt die Mangrovegebüsche in der Nähe der
Couvict Settlements durch Feuer und Axt ausroden und Dämme ziehen, um das Vor-
dringen der Fluth zu hindern. Man hat in dieser Weise bereits das Klima von
Singapore, Penang und den Andamauen bedeutend verbessert, so dass diese früher fieber-
haften Orte jetzt als durchaus gesund gelten; möglicher Weise führt dasselbe Ver-
fahren auch auf Camorta zum Ziel, obgleich der hier auszurottende Fieberheerd viel
VerhauiU. der Berl. Anthropol. üeseUscU. iSi'o, 13
(194)
grösser ist. Es "■ dürften noch lange Jahre vergehen, ehe man einen Theil desselben
beseitigt haben wird.
Bei diesem von Buchten vielfach zerschnittenen Inselterrain spielt selbstverständ-
lich das Canoe eine grosse Rolle. Die Eingeborneu fertigen dieses aus dem Stamm
von Callophyllum durch Feuer und Axt. Die Kähne sind 12 bis 20' lang, an der
Seite mit senkrechten Strichen und vorn mit einem spitzen Schnabel geziert; sie
enthalten Querhöber zum Sitzen und zur grössern Sicherheit des Boots dient ein
Ausleger. Zum Rudern bedienen sich die Eingebornen höchst elegant geschnittener
lanzettförmiger Ruder. Die Boote sind so leicht, dass sie von ein paar Mann leicht
aus dem Wasser gehoben und landeinwärts getragen werden können. Wir bedienten
uns derselben mit Vorliebe bei der Ebbe, wo unser europäisches Boot schon 300
Schritt vom Ufer auf den Grund gerieth, während das Nativeboot eine 200 Schritt
dem Ufer näher kommende Fahrt gestattet. Freilich blieb auch dann für den
wasserscheuen Europäer als ultima ratio nichts weiter übrig, als sich von den in dem
Sumpf wadenden Eingebornen oder den Räubern und Mördern des Convict Settlements
an das Land tragen zu lassen.
Noch habe ich zum Schluss auf die Kleidung der Eingebornen aufmerksam zu
machen.
Nahen sich Europäer irgend einem Dorfe, so pflegen in der Regel die Einwohner
zuerst zu verschwinden, um nach wenigen Minuten mehr oder weniger vollständig
europäisch kostümirt zurückzukommen. Es wiederholen sich dann jene Szenen, welche
andere Reisende bei zahlreichen andern Naturvölkern beobachtet haben; der eine
erscheint nackt, aber mit Filzcylinder, der andere hat nur Stiefeln, der dritte einen
Rock oder Frack, aber keine Hosen. Manche aber weisen vollständig europäische
Kostüme auf und fand ich bei einem malaiischen Jungen sogar Oberhemden, Cravatte
und Kragen und bei manchen Frauen moderne Kostüme mit Tunika u. s. w.
Ihre eigentliche Nationaltracht besteht aber nur aus einem schmalen Bande um
die Hüften, welches zwischen den Beinen durchgezogen wird. Das Band der Weiber ist
etwas breiter. Im Uebrigen gehen sie nackt. Auf das Hüftband halten sie aber mit
grossem Anstandsgefühl. Als ich einen der Nicobaresen, der in Hosen bei mir antrat,
nackt photographiren wollte, erklärte er mir, er könne sich nicht ausziehen, er habe
sein Hüftband nicht mit.
Ueber das Alter, welches die Nicobaresen erreichen, ist noch nichts Zuverlässiges
bekannt; sie selbst wissen ihr Alter nur unsicher. Mit Rücksicht jedoch auf die
Frühreife ist ein hohes Alter nicht zu erwarten. Stirbt ein Mann, so begraben sie
ihn dicht hinter dem Dorfe, die Verwandten zerbrechen seine Speere, seine Wasser-
gefüsse, kurz alle Kleinigkeiten, und häufen die Reste auf seinem Grabe auf. Manch-
mal errichten sie Stangen auf dem Grabe, an die sie Fetzen des Gewandes des Ver-
storbenen hängen, ferner kleine, aus Holz geschnitzte Speere, Fackeln u. dgl. Eine
höchst seltsame Sitte ist das Wiederausgraben der Todten, welches nach 3 Monaten
vorgenommen wird. Der nächste weibliche Anverwandte stürzt sich dann mit Weh-
klagen auf den Leichnam, reisst ihm Fleisch und Haare vom Schädel und begräbt
ihn dann wieder. Scherz er beschreibt diese sonderbare Ceremonie anders. Er
erzählt, dass das Ausgraben der Todten auf Gar Nicobar zu Ende des Nordostmonsuns
erfolge und dass sie den Todten eine brennende Cigarre in den Mund stecken, wäh-
rend die Anverwandten wehklagend herumsitzen, dass nur der Schädel wieder
begraben würde, während sie die Gebeine ins Meer oder tief in den Wald werfen
und dass sie eine Anzahl Kokospalmen zum Zeichen der Trauer umhauen. Damit
stimmen die Gewohnheiten auf Camorta durchaus nicht, hier werden die Kokospolmen
unter die Erben getheilt. Die Trauer dauert 2 Monate; während dieser Zeit ist weder
(195)
Tanz noch Gesang in dem Dorfe gestattet, kein Schwein wird getödtet, kein Schnaps
getrunken und die nächsten Verwandten enthalten sich sogar des geliebten Tabaks.
Icli l)al)f' mich hier auf Hervorhebung derjenigen Punkte beschränkt, die in den
bereits vorhandenen Schriften über die ISicobaresen entweder gar nicht oder in anderer
Weise besciiriehen worden sind, als ich sie beobachtete oder aus f>rzählungen ei'fuhr.
Gern hätte ich einige Mittheilungen über die höchst merkwürdigen Bewohner
des benachbarten Archipels der Andamanen hinzugefügt. Diese Bewohner, ein
Negritostamm, haben schon lauge die Aufmerksamkeit der Forscher beschäftigt. Wir
besitzen sogar englische Monographien über dieselben. Leider wurden meine Hoff-
nungen, die Andamanen und ihre Bewohner kennen zu lernen, gründlichst vereitelt.
Am Bord unseres Schiffes herrschte nicht nur das Fieber, sondern es waren auch
die Pocken ausgebrochen, und obgleich wir die Pockenkranken in Camorta zurück-
liessen, so erregte doch das Verhalten eines fieberkranken Matrosen das Bedenken des
Arztes von Port Blair; er erklärte ihn der Pockenkrankheit verdächtig und der
Governor versagte uns die Erlaubniss zum Landen.
Jedoch hat unser Landsmann Dr. Jagor auf diesen Inseln 8 Wochen zugebracht
und sie erst 4 Tage vor meiner Ankunft verlassen. Wir dürfen aus seiner Feder
einen interessanten Bericht über die Andamanen und ihre Bewohner erhoffen. —
Der Vortragende erläuterte diese Mittheilungen durch Vorzeigung von photo-
graphischen Abbildungen, von Geräthen und Zierrathen der Nicobaren-Bewohner.
(8) Hr. Ilartinauu schloss seine in der vorigen Sitzung begonnenen Mittbeilungen
über die Bärentunde vom Libanon mit einem Hinweis auf
die Bären der qnateruären und der Jetztzeit.
Er vertheidigte seine schon früher (Zeitschrift für Ethnologie 1871, Heft IV)
ausgesprochenen Ideen über die Identität des Höhlenbären und der vielen anderen,
von verschiedenen Forschern aufgestellten, angeblich erloschenen Bärenarten des
Diluviums mit unserem noch heut existirenden Ursus arctos. Letzterer findet sich
bekanntlich in mehrfachen Varietäten, welche theils örtlicher Natur sind, theils sich
auf Verschiedenheit der Lebensweise begründen lassen. Auch der Ursus syriacus
wurde vom Vortragenden bereits in der früheren Sitzung als eine örtliche Spielart
des gemeinen Bären gekennzeichnet, als eine Spielart, wie sie sich in mancherlei
Abtönungen der hellgelbbraunen und hellgraubraunen aligemeinen Pelzfärbuug in ihrer
geographischen Lage nach bald nahe aneinander, bald weiter voneinander befindlichen
Gegenden zeigen. Hr. Hartmann hält auch den Grizzly-Bären (Ursus ferox) Nord-
amerikas mit Allen und Anderen für einen Artverwandten des gemeinen europäischen
Landbäreu. Zu letzterem rechnet er auch den sibirischen Bären. Schädel alter
Männchen des letzteren und des europäischen Bären geben an Grösse und an starker
Ausprägung der Knochenkämme, wie auch der Muskelimpressiouen denen des Ursus
spelaeus knuni etwas nach. Vortragender sah ganz enorme, denen des Höhlenbären
an Grösse nicht nachstehende Eckzähne von Aiuo-Bären, welche erst innerhalb der
letzten Jahrzehnte getödtet worden waren. Das frühe Ausfallen der Lückenzähne wurde
auch an Bärenschädeln der Jetztzeit beobachtet. Ebenso werden Schädel von Ursus
spelaeus theils mit erhaltenen Lückenzähnen, theils mit noch halboffenen oder im gänz-
lichen Verschluss begriffenen Alveolen derselben gefunden.
Der Baribal (Ursus americanus) Nordamerikas, welcher theils schwarz, theils
braun und roth braun (Ursus cinnamomeus), mit hellerer Schnauze und individuell
sehr wechselnden, anderen, weisslichen Abzeichen angetroffen wird, der thibetauiscbc
13*
(196)
und japanische Bär bilden Varietäten, welche sich frühzeitig von dem durch ürsus
arctos vertretenen Stamme abgezweigt zu haben scheinen und allmählich eine gewisse
Constanz erreichten.
Der Polar- oder Eisbär (Drsus maritiraus), welcher in seinem Schädelbau eben-
falls so manches, mit demjenigen des Höhlenbären üebereinstimmende zeigt, muss
sich auch schon frühzeitig in seiner arktischen Isolirtheit zu jener eigenthümlichen
äusseren Gestaltung ausgebildet haben, welche seinem Habitus in den Augen Jeder-
manns ein so charakteristisches Gepräge verleiht. Freilich darf man, dem ürtheile
des Vortragenden gemäss, auch diese Eigenthümlichkeiten nicht für gar zu wichtig
halten.
Es wurden nun die grossen physiognomischen Abweichungen hervorgehoben,
welche einzelne Individuen einer wirklichen oder vermeintlichen Bärenart zeigen
können und wurde dies an farbigen Profilzeichnungen von europäischen, ameri-
kanischen, thibetanischen, syrischen und anderen Bären erläutert.
Der Werth solcher physiognomischen Thierdarstellungen, welche uns das indi-
viduelle Variiren, sowie die Abweichungen, welche durch Geschlecht und Alter be-
dingt werden, in anschaulicher Weise vorführen, darf nicht hoch genug veranschlagt
werden. Man wird durch sie zur richtigeren Würdigung unwesentlicher und wesent-
licher Abweichungen inner- und ausserhalb eines enger oder weiter begrenzten Formen-
kreises angeregt.
Der Vortragende hob dann noch die paläethnologische Wichtigkeit derartiger
Betrachtungen über die quaternäre Wirbelthierfauna und über ihre Vergleichung mit
der recenten Fauna hervor. Noch Manche sträuben sich, selbst angesichts anschei-
nend überzeugender Funde dagegen, die gleichzeitige Existenz des Menschen
und der diluvialen Höhlenthiere anzuerkennen, weil sie letztere als ganz anders
geartete, völlig erloschene, mit der Jetztzeit in gar keinem Connex stehende Wesen
zu betrachten sich gewöhnt haben. Vermögen wir nun solche Zweifel an der Hand
unserer wachsenden Erkeuntniss des innigen Zusammenhanges vieler Hauptformen
der quaternären und der recenten Thierwelt erst gründlich zu beseitigen, so werden
wir uns auch immer mehr daran gewöhnen, in den ältesten, mit primitiver Wehr
ausgerüsteten Bewohnern unserer höhlenreichen Districte Zeitgenossen des diluvialen
Bären u. s. w. zu erkennen. Hr. Dr. Voss ist zur Zeit bemüht, reiches Material
an alten Bärenknochen herbeizuschaffen, und wird Vortragender nicht verfehlen,
über diese interessanten und wichtigen Funde zu gelegener Zeit der Gesellschaft
abermals Mittheilung zu machen.
(9) Hr. Hart manu überreichte der Gesellschaft die mit varicösen Stacheln be-
setzte Schwanzquaste der Atherura africana Gray, eines bisher nur von der
afrikanischen Westküste und von Fernando Po her bekannt gewesenen Nagethieres.
Dies Speeimen befand sich an einem Halsschmuck des augeblich i)n Kampfe gegen
die kharturaer Elfenbeinhändler gefallenen Mombütu-Königs Munsa. Der Sohn des
letzteren hatte nun an den Khedive eine Anzahl Geschenke gesendet und dabei hatte
sich jenes Schwanzstück gefunden. Hr. Schweinfurth übersendete dasselbe behufs
zoologischer Bestimmung an den Vortragenden. Es wirft dasselbe wieder ein Streif-
licht auf die von Schweinfurth und Hartmann schon früher lebhaft erörterte,
von gewisser Seite her ohne Grund angezweifelte Verbreitung bisher nur für west-
afrikanische gehaltener Thierformen auch nach Centralafrika hinein. Ob Athe-
nira im Mombütu-Lande selbst vorkomme, bleibt freilich noch ungewiss. Bei dem
Werthe, welchen die Dynastie Munsa dem Speeimen beigelegt hat, mag dasselbe
(197)
von ihr immerhin als eine vielleicht aus einiger Ferne herbeigebrachte Seltenheit
geschätzt gewesen sein.
(10) Hr. Virchow spricht über neue italienische Bronzefunde , namentlich
über den Fund eines
^crippteu Bronzeeimers zu Fraore.
Im Bulletino deli' Instituto di Corrispondenza archeologica vom Mai d. J. (No. VI.
p. 140 ff.) berichtet Hr. Vittorio Poggi über die etruskischen Funde im Parme-
sanischen. Er hält es für ausgemacht, dass die Einwanderung der Etrusker in das
Po-Thal vom Norden her erfolgte, nachdem vorher die "Völker der Pfahlbauten und
der Terramaren im Lande gesessen haben. Die Existenz dieses Zweiges des etrus-
kischen Stammes, dessen Anwesenheit nördlich vom Apennin man nur aus Livius
gekannt hatte, sei nunmehr durch die Funde von Villanova, Golasecca, Marzobotto,
Servirola, der Certosa von Bologna und mancher anderer Orte der circumpadanischen
Provinzen auch archäologisch erwiesen. Sie hätten dieselbe Cultur gehabt, wie die
Bewohner des eigentlichen Etrurieus, nur nicht so reich und raffinirt, dafür aber von
weit mehr originellem und, wie Hr. Brizio (Bull, dell' Inst. 1872) richtig bemerkt
habe, nationalem Charakter.
Er schildert dann mehrere Funde genauer, darunter namentlich den von Fraore
im Mandamento di S. Paucrazio von 1864. In einem alten Grabe daselbst fand man,
ausser zahlreichem Thongeräth von theils etrurischem (schwarzem und rothem), theils
griechischem Typus, manchem von rohester, archaischer Beschaffenheit, anderem von
feinstem Geschmack, und namentlich ausser Wirtein, mannichfaltige Metallgegenstände.
Darunter steht obenan ein cylindrischer Brouzeeimer (cista o situla) von der Art der
bekannten gerippten Eimer, die bis in unsere Gegenden vorkommen. Er hat 0^42
Durchmesser. Da es sich um ein Bestattungsgrab handelte, so konnte es kein Aschen-
eimer sein, doch ist der Inhalt nicht festgestellt. Daneben fanden sich zwei Oenochoen
von Bronze, eine namentlich von elegantester Form, deren Henkel an seiner Ansatz-
stelle eine zierliche Palmette trägt. Dazu Fibeln mit Spiralfedern, einfache oder
spiralförmige Ringe, Armbänder verschiedener Art, aber, was besonders bemerkens-
werth ist, auch ein Aes rüde. Von Eisen nur Nägel und ein Paar Messerchen,
dagegen 'S silberne Fibeln, 2 Fibeln und ein Paar Ohrringe von Gold von feinster
Arbeit, durchbohrte Scheiben von Bernstein u. s. w.
(11) Hr. Virchow legt ferner vor verschiedene
Brouze*Analyseii.
Da Hr. Liebreich, der heute über Bronze-Analysen vortragen wollte, durch
Unwohlsein verhindert ist, zu erscheinen, so beschränke ich mich darauf, einige kurze
Mittheilungen zu machen.
Zunächst übergebe ich eine Reihe von Analysen, welche Hr. E. Salkowski
die Güte gehabt hat, für mich auszufiihren. Dieselben betreffen
a) den Fund vom Gorwal bei Primentdorf (Sitzung vom \'o. Juni 1874 S. 141)
und zwar
1) den gerippten Bronzeeimer selbst, von dessen Rande ich einige Stücke
ausgebrochen hatte,
2) einen aus einem platten Spiralbande bestehenden, ornamcntirten Arm-
ring, der in dem Eimer unter anderem Schmuck enthalten war (Ebendas,
S. 149).
(198)
b) das Fragment eines verzierten Bronzeeinaers von Meyenburg in der Priegnitz
(Sitzung vom 11. Juli 1874 S. 162).
c) verschiedene Gegenstände von dem Gräberfelde von Zaborow^o, nehmlich
1) ein Bronzemesser (Sitzung vom 14. Nov. 1874 S. 223).
2) das zweifelhafte, in der Sitzung vom 13. Januar 1872 S. 51 — h2 be-
schriebene, von mir als Ampel gedeutete ßronzegehänge,
3) eine Bronze-Pincette, jedoch nicht dieselbe, welche in der Sitzung vom
14. Nov. 1874 S. 223 erwähnt wurde.
d) einen hohlen Halsring von Bronze, mit varikösen Anschwellungen und Leisten
besetzt, aus einer Graburne von Belitz bei Brandenburg a. d. Havel, worüber
ich später einmal berichten werde,
e) einen zerdrückten knpfernen Kessel, den ich in dem Pfahlbau von Daher selbst
ausgegraben habe.
a) Primentdorf.
1. Cyste:
Zinn 11,25 pCt.
Kupfer .... 87,90 „
Kobalt (eisenhaltig) 0,3 „
Blei Spur
Zink ?
99,45 pCt. (E. S.)
2. Armband :
Zinn 11,37 pCt.
Blei 0,1 „
Kupfer 87,74 „
Kobalt 0,50 „
Eisen Spur
Zink ?
99,71 pCt. (E. S.)
b) Meyenburg.
Cyste :
Zinn 12,93 pCt.
Blei 0,16 „
Kupfer 86,63 „
Eisen Spur
Nickel Spur
Kobalt 0
99,72 o/o (H. Saltow.)
c) Zaborowo, Gräberfeld.
1. Messer:
Zinn 6,14 pCt.
Kupfer 93,66 „
Kobalt (eisenhaltig) 0,40 „
Blei Spur
Zink _?
100,2 pCt. (E. S.)
2. Ampel (im Innern Kanal mit kleinen
röthlichen Krystallen von Kupfer-
oxydul besetzt) :
Zinn 8,15 pCt.
Blei 0,95 „
Kupfer 89,85 „
Eisen + Nickel . . 0,31 „
99,25 pCt.^(E. S.)
(NB. Der Oxydation wegen nicht genau
zu erwarten!)
3. Pincette (nicht oxydfrei, namentlich
im Innern oxydirt):
Zinn 13,80 pCt.
Blei 0,59 „
Kupfer 84,84 „
Kobalt (eisenhaltig) 0,33 „
99,56 pCt. (E. S.)
d) Belitz.
Zinn 13,87 pCt.
Blei 0,39 „
Kupfer . . . . . 85,26 „
Eisen + Kobalt . . 0,36 „
99,88 pCt. (E. S.)
e) Daher, anscheinend reines Kupfer.
Zinn 0,2 pCt.
Kupfer 100,12 „
Blei Spur
Eisen . , . . . Spur
röo,32yctr(E. s.)
(199)
Kupfer.
Zinn.
Blei.
Kobalt,
eisenhaltig.
Nickel,
eisenhaltig.
Zin
Cyste (Primentdorf) .
. 87,90
11,25
Spur
0,32
0
?
Armband „
. 87,74
11.37
0,1
0,50
0
?
Cyste (Meyenburg)
. 86,63
12,93
0,16
0
Spur
0
Messer (Zab. Gr.) . .
. 93,66
6,14
Spur
0,40
0
?
Ampel „ „ . .
. 89,85
8,15
0,95
0
0,31
0
Pincette „ „ . •
. 84,84
13,80
0,59
0,33
Halsring (Belitz) . .
. 85,26
13,87
0,39
0,36
0
0
Kessel (Daber) . . .
. 100,12
0,2
Spur
Eisen Spur
Für mich hatten diese Untersuchungen, für welche ich Hrn. Salkowski meinen
besonderen Dank sage, hauptsächlich desshalb Interesse, weil es sich darum handelte,
das Verhältniss der einzelnen Funde zu einander festzustellen. In dieser Beziehung
ziehe ich folgende Schlüsse aus den gewonnenen Ergebnissen:
1) Die in dem Eimer vom Gorwal gefundene Armspirale stimmt in Zusammen-
setzung und Mischung mit der Substanz des Eimers so sehr überein, dass kein
Grund vorliegt, den Inhalt des Eimers (der bekanntlich mit Schmuck gelullt
war) später zu setzen, als den Eimer selbst.
2) Bei dem Eimer von Meyenburg, obwohl er im Mischungsverhältniss der Haupt-
stoffe (Kupfer und Zinn) nahezu übereinstimmt, weist doch der Mangel des
Kobaltgehaltes auf eine andere Quelle des Metalles hin. Da er auch archäo-
logisch Abweichungen erkennen lässt, so darf man wohl schliessen, dass seine
Herstellung wenigstens zeitlich nicht ganz zusammenfällt mit der Fabrikation
der zuerst genannten Gegenstände.
3) Trotzdem entspricht das Mischungsverhältniss von 87 — 88 Kupfer und 11 — 13
Zinn so genau der prähistorischen (alten) Bronze, dass über die Zeit der
Fabrikation nicht wohl ein Zweifel bestehen kann. Sowohl die Cyste vom
Gorwal, als die von Meyenburg sind vorrömisch.
4) Die Cyste vom Gorwal und ihr Inhalt unterscheiden sich durch ihre Zusammen-
setzung ganz scharf von den Bronzen des Gräberfeldes von Zaborowo, so nahe
auch beide Fundorte einander liegen.
5) Die Bronzen des Gräberfeldes von Zaborowo sind unter einander so verschieden,
dass es wahrscheinlich ist, dass sie zu verschiedenen Zeiten, vielleicht auch
von verschiedenen Orten eingeführt worden sind. Die sogenannte Ampel und
die Pincette enthalten grössere Beimischungen von Blei, obwohl nicht so gross,
dasss man eine absichtliche Beimischung erschliessen müsste. Aber auch ihre
Zusammensetzung in Beziehung auf die übrigen Metalle (Kupfer, Zinn, Kobalt)
ist wieder abweichend. Es könnte dieser Umstand für eine längere Dauer
der Benutzung des Gräberfeldes sprechen, wofür auch die Ausdehnung desselben
zeugt. Aber auch diese Bronzen dürften vorrömisch sein.
6) Nur die sogenannte Ampel hat einen bestimmbaren Nickelgehalt ergeben.
Dieser Befund stimmt mit der archäologischen Beziehung dieses Stückes zu
Hallstädter Bronzen, auf welche ich schon früher hinwies. Offenbar ist das
Nickel in dem originären Erz enthalten gewesen, aus dem die Bronze herge-
stellt ist; seine Menge ist zu geringfügig, um auf andere Weise erklärt zu
werden.
7) Eine auffällige üebereinstimmung zeigt sich zwischen der Pincette von Zaborowo
und dorn Halsringe von Belitz. So gross die Entfernung beider Orte ist, so
könnte mau fast an dieselbe Bezugsquelle denken.
(200)
8) Die Bronzen von Zaborowo, obwohl sie neben zahlreichen Eisensachen gefunden
sind, zeigen keine Spur von Zink, welches nach der Zusammenstellung des
Hrn. 0. Rygh (Forhandlinger i Videnkabs-Selskabet i Christiania, Aar 1873.
Heft 2. p. 478) in den skandinavischen Bronzen schon im älteren Eisenalter
in zum Theil sehr beträchtlichen Mengen (2 — 23 pCt.) auftritt. Es dürfte
daher sehr gewagt sein, unser Eisenalter mit dem skandinavischen direkt
zusammenzustellen.
(12) Als Mitglied wurde proclamirt:
Hr. Oberlehrer Dr. Hugo Jentsch zu Guben.
(13) Geschenke:
1) Photographien der an Polysarcia praematura leidenden und auch zu Berlin
öffentlich ausgestellt gewesenen Russenkinder. (Vgl. Sitzung vom 16. Januar).
2) Hartt: Amazonian Tortoise Mythus. Rio de Janeiro 1<575,
3) Observations on new vegetable fossils of the auriferous drifts.
4) Hammond Trumbull: On numerals in American Indian languages and Indian
mode of counting.
5) Dr. Hayden: Photographische Ansichten von alten Höhlenbefestigungen am
Rio Colorado.
6) Leemans: Rijksmuseum van outheden.
7) Baron v. Müller: fragmenta Phytographiae Australiae in Campbell New-
Hebrides.
Sitzung vom Ifi. Oktober 1875.
Vorsitzender Hr. Virchow.
(1) Derselbe meldet den frühen Tod des correspondirenden Mitgliedes Dr. Bleek,
Capstadt, und gedenkt der hohen Verdienste desselben um die Erforschung der Sprache
und der Sagen der Buschmänner.
(2) Neu aufgenommen als ordentliches auswärtiges Mitglied der Gesellschaft:
Hr. Alexander Tepluchoff, russischer Gubernial-Secretair, llinsk, Gou-
vernement Perm.
(3) Hr. Virchow berichtet über die Verhandlungen auf der vom 9. — 1 1 . August
abgehaltenen
General- Versamnilnng der deutschen anthropologischen Gesellschaft zn Mönchen.
An der General-Versammlnng der deutschen anthropologischen Gesellschaft in
München haben ausser mir noch einige andere Mitglieder unserer Gesellschaft Theil
genommen, leider eine verhältnissmässig kleine Zahl. Ich bedaure das in doppelter
Beziehung: einmal, weil die Versammlung in der That eine überaus lehrreiche war,
andrerseits, weil ich es für höchst wünschenswerth halte, dass der Verkehr der ver-
schiedenen Zweig-Gesellschaften unter einander ein etwas regerer würde. Wir haben
in München das besondere Glück gehabt, dass durch den Eifer, mit dem sich die
Münchener anthropologische Gesellschaft der Angelegenheit angenommen hatte, eine
Sammlung Alles desjenigen, was Wesentliches und Wichtiges an prähistorischem
Material in Bayern gefunden worden ist, aus sämmtlichen Lokalsammlungen des
Landes, sowohl von Vereinen, als von Privaten, ans allen Provinzen zusammengebracht
war. Ein Delegirter der Münchener anthropologischen Gesellschaft, Hr. Würdinger,
hatte das Land bereist, alle Sammlungen in Augenschein genommen und daraus das-
jenige bestimmt, was für die Central-Ausstellung gewünscht wurde, nnd alle Private
und einzelnen Vereine hatten mit grösster Bereitwilligkeit ihre Sachen nach München
gegeben. Auf diese Weise war ein Bild der gesammten bayrischen Vorzeit hergestellt,
wie man es wohl kaum mit einer gleichen Vollständigkeit wiedersehen wird. Ich
würde es für indicirt halten, Ihnen etwas eingehendere Mittheilungen über diese Schätze
zu machen , wenn nicht durch die sehr präcisen Einrichtungen , welche in München
getroffen wfiren, dafür gesorgt wäre, dass Alles, was unmittelbar zur Ausstellung und
Verhandlung gekommen ist, sehr bald durch den Druck bekannt werden wird. Der
Druck des Generalberichtes über die Versammlung ist schon bis zur dritten und
(202)
Schlusssitznng vorgerückt und wird wahrscheinlich schon im Laufe des nächsten
Monats an die Mitglieder v^rtheilt werden können.
Von dem, was ausgestellt war, ist zunächst zu erwähnen die prähistorische Karte.
Ein erstes Heft, von Hrn. Ohlenschläger zusammengestellt, enthält ein Verzeichniss
der Fundorte, welche auf der Karte eingezeichnet sind und zwar zunächst derjenigen
südlich der Donau. Es besteht die Absicht, in derselben Weise die Fundorte der
übrigen Landestheile zusammenzustellen. In Bezug auf die Karte selbst kann ich
mittheilen, dass schon jetzt die Arbeit so weit gefördert ist, dass die bekannten
Fundorte sämmtlich nicht nur in die Hauptkarte eingetragen sind, sondern dass ausser-
dem noch eine Eintragung in eine zweite Reihe von Karten geschehen ist, nämlich in
Katastralkarten, wie sie in Bayern in verhältnissmässig so grossem Maassstabe für das
ganze Land angefertigt wurden, dass es möglich ist, die Stelle jedes einzelnen Fundes
auf eine fast astronomisch sichere Weise festzustellen. Dabei wird zugleich angegeben,
ob noch ein intaktes Grab da ist u. s. f.
Andrerseits hatte sich die Münchener anthropologische Gesellschaft mit ausser-
ordentlichem Eifer derjenigen Aufgabe unterzogen, welche seit längerer Zeit die
deutsche Gesellschaft beschäftigt hat, nämlich der Schul-Erhebung in Bezug auf
die Farbe der Haare, der Haut und der Augen. Dieselbe war schon zu einer Zeit
für ganz Bayern vollendet, als noch eine Reihe deutscher Regierungen nicht einmal
die Genehmigung ertheilt hatte, dass überhaupt etwas derartiges gemacht würde.
Die Bearbeitung des massenhaften Materials ist dann vom königlichen statistischen
Bureau in München übernommen worden, und der Chef desselben, Hr. Ministerialrath
Mayr, hat auf der Versarfmlung selbst die Resultate, welche er bis dahin gewonnen
hatte, in eingehender Weise dargestellt. Sie werden auch über diesen Punkt in dem
erscheinenden Bericht demnächst Ausführlicheres lesen, indess will ich gleich hier
bemerken, dass das nur eine allgemeine Debersicht ist, während eine Detailausgabe
der Erhebungen mit den speziellen Nachweisen in einem besonderen Hefte der sta-
tistischen Zeitschrift des Münchener Bureaus stattfinden wird, wovon dann für
die Mitglieder der deutschen Gesellschaft für einen sehr geringen Preis Separat-
abzüge offen gehalten werden. Sie haben vielleicht schon gesehen, dass in einem
der zuletzt ausgegebenen Correspondenz-Blätter die Anzeige enthalten ist. Der Preis
dieser Ausgabe ist für die Mitglieder auf 1 Mark festgesetzt, aber es wird gebeten,
die Anmeldungen bis spätestens zum 15. Novbr. einzureichen. Es wäre wünschens-
werth, dass diejenigen Mitglieder, welche ein Exemplar wünschen, an unsern Secretair,
Hrn. Dr. Kuhn, ibre Bestellung richten.
Hr. Mayr hat nun die Resultate dieser Untersuchungen in kartographischer
Weise darzustellen gesucht, wovon ich gleichfalls ein Exemplar vorlege. Er ist dabei
allerdings nicht unweseutlich abgewichen von dem Schema, welches für die Erhebungen
selbst aufgestellt wurde.
Sie werden sich erinnern, dass dies Schema 11 Kategorien enthielt, in denen
jedesmal eine Combination der Farbe der Haut, der Haare und der Augen genommen
war, also: blond, blau, weiss; blond, blau, braun; blond, braun, weiss u. s. w. Dieses
Schema, welches vieHeicht die natürlichste Grundlage zu einer kartographischen Dar-
stellung geboten hätte, ist von Hrn. Mayr nicht ohne Grund veelassen worden. Ich
kann noch nicht beuitheiien, ob seine Methode der Darstellung die beste ist, jeden-
falls hat sie, wie Hr. Mayr selbst, der anfangs mit grossem Widerstreben an diese
Arbeit herangegangen war, offen bekannt hat, ihn selbst überrascht und höchst
prägnante Resultate gegeben. Er hat nämlich das vorhandene Material an Ziffern in
der Weise zerlegt, dass er zunächst die Summe der bei der Zählung vorhandenen
Kinder mit blondmi Ilaaren aus allen Landestheilen fasste; daraus hat er dann eine
(203)
Skala gebildet von 38 — 40 pCt. bis zu 65 — 67 pCt, und hat diese mit verschiedenen
Farbentönen auf die Karten eingetragen. Dabei ist sofort ein umstand zu bemerken,
über den ich persönlich mit Hrn. M ayr in einer gewissen Differenz mich befinde,
einer Differenz, die übrigens schon auf dem internationalen statistischen Congress zu
lebhaften Diskussionen Veranlassung gegeben hat, nämlich wie man die anzuwendenden
Farben zu wählen hat. Hr. Mayr hat roth und grün genommen und sie in der Weise
angeordnet, dass er die geringste Frequenz mit dem mattesten Grün bezeichnet,
dann aufsteigend bis zum dunkelsten Grön gelangt; nn das dunkelste Grün schliesst
er das hellste Roth an und steigt nun wieder von da bis zum dunkelsten Roth auf.
Es ist kein Zweifel, dass, wenn man sich in die Betrachtung hineingewöhnt, man
auch auf diese Weise ein vollkommenes Bild gewinnen kann. Meiner Meinung nach
ist jedoch der psychologische Effekt dieser Farbentöne wohl der entgegengesetzte von
dem, der eigentlich beabsichtigt ist, indem durch das intensive Grün, welches in der
Mitte der Skala sich befindet, der Eindruck entsteht, dass man da einen Höhepunkt
habe. Ich habe beobachtet, dass jedesmal und, so oft ich die Karten ansehe, ich mich
immer wieder auf dem Gedanken betreffe, dass dieses dunkelste Grün denjenigen
Gegenden entspreche, wo die meisten braunen Haare vorhanden seien. Denn das
dunkelste Grün und das dunkelste Roth bilden für die Anschauung diametrale Gegen-
sätze. Nichts ist natürlicher, wenn man die Karten ansieht, als sich vorzustellen, wo
das dunkelste Grün ist, müssen die meisten braunen, und wo das dunkelste Roth ist,
müssen die meisten blonden Haare vorhanden sein. Davon müssen Sie jedoch abstrahiren.
Da das dunkelste Grün den Uebergang vom hellen Roth zum hellen Grün bildet, so
sind die braunen Haare da am stärksten vertreten, wo das hellste Grün liegt.
In ähnlicher Weise sind auf einer andern Karte die Ergebnisse in Bezug auf
die weisse Haut und auf einer dritten die Ergebnisse in Bezug auf die „hellen Augen"
dargestellt. Hr. Mayr fasst unter dieser Bezeichnung die blauen nnd die grauen
Augen zusammen, eine Operation, die ihre Bedenken bat. Viel besser könnte man
diese dritte Karte als eine Darstellung der braunen Augen bezeichnen, nur muss
man dann die Deutung der Farben im umgekehrten Sinne vornehmen, so dass das
hellste Grün die grösste, das hellste Roth die geringste Frequenz der braunen Augen
bezeichnet. Vorgleicht man nun die drei Karten unter einander, so stellt sich ein
Gegensatz zwischen denselben heraus, indem nicht in gleicher Weise die einander ent-
sprechenden Kategorien der Haare, der Augen und der Haut vertheilt sind. Es zeigen
sich Verschiedenheiten, namentlich in Bezug auf die Augen und die Haare. Es finden sich
sich gewisse Landestheile, wo blondes Haiir und blaue Augen in überwiegender Häutig-
keit zusammentreffen, und andere, wo blondes Haar und braune Augen häutiger sind.
Im Allgemeinen ergeben sich für das diesseitige Bayern Differenzen der einzelnen
Gegenden in der Weise, dass die blondhaarige Bevölkerung wesentlich die fränkischen
Länder einnimmt und ihre Frequenz nach Norden zunimmt; im Gebiete des fränkischen
Jura, im Erzgebirge, im Thüringer Walde sind die Blonden am dichtesten. Von da
nach Süden nimmt ihre Zahl allmählig ab. Dann kommt ein ganz continuirlicher
und sehr bestimmter Gegensatz, welcher dem Donaulauf folgt und in der That sehr
merkwürdig ist. Quer durch Bayern hindurch schiebt sich ein Gebiet, welches einer
mehr braunen Bevölkerung angehört. Weiter südlich gegen die Alpen hin steigern
sich dann die Nuancen des Braun, jedoch mit der eigeuthümlichen Abweichung, dass
gewisse Bezirke vorkommen, in denen direkte Widersprüche entstehen, namentlich
im äussersteu Südosten des Landes, also in dem Winkel, der dem Ausflusse des Inn
in die Ebene und dem Grenzgebiete gegen Oesterreich entspricht: hier sitzt eine
scheinbar ganz gemischte Bevölkerung, indem die Haare noch den Habitus einer brauneu,
die Augen dagegen in höherem Maasse den Habitus einer helleren Bevölkerung darbieten.
(204)
Noch etwas ist sehr auffällig, worauf ich besonders aufmerksam mache, das ist
die Differenz der Stadtgebiete. In Bayern sind auch die Mittelstädte administrativ
meistentheils von der ländlichen Umgebung eximirt; es ist dadurch eine Spezial-
erhebung für sie möglich geworden, und Sie werden nun sehen, wie fast alle diese
Stadtgebiete, gleichviel ob sie in einem hellen oder dunklen Gebiete liegen, der brauneu
Bevölkerung zufallen, — eine sehr merkwürdige Thatsache, die bisher noch unerklärt
dasteht, die sich aber für viele Grossstädte wiederholt und die, wie es scheint, in
dem Maasse stärker hervortritt, wie die Bevölkerung wächst.
Es wird Sie gewiss interessiren , zu sehen, welche wichtigen Gesichtspunkte
sich auf diesem "Wege gewinnen lassen. Schon jetzt hat die bayrische Bearbeitung
den wesentlichen Erfolg gehabt, dass eine Menge von Einwendungen, welche bis dahin
noch existirten und die Nützlichkeit dieses Unternehmens in Zweifel zogen, dadurch
zerstreut worden ist.
Indem ich wegen der Einzelheiten der sonstigen Verhandlungen auf den bald zu
erwartenden stenographischen Bericht verweise, bleibt mir noch die Pflicht, dem
Münchner Zweigverein auch von hier aus unseren ganz besonderen Dank abzustatten
für die vorti-efflichen Anordnungen, welche er getroffen hat, um uns den Aufenthalt
in der Isarstadt ebenso lehrreich, als angenehm zu machen.
Ich muss endlich noch erwähnen, dass die sehr eifrige und umsichtige Art, mit
der unser gegenwärtiger Generalsekretair, Hr. Professor Kollmann, sich der Ange-
legenheiten der Gesellschaft annimmt, eine sehr schnelle Förderung auch in der Aus-
gabe des Gorrespondenzblattes der deutschen Gesellschaft herbeigeführt hat. Wir
haben schon die Oktobernummer desselben erhalten. Wir hoffen, dass mit dieser
Beschleunigung das Correspondenzblatt auch in höherem Maasse die Bedeutung ge-
winnen wird, die es haben soll, dass es nämlich wirklich mehr als Centralorgan für
geschäftliche Mittheilungen dienen wird. Demgemäss besteht die Absicht, dass die
etwas langen Ausführungen , die bis jetzt noch von den Verhandlungen der Lokal-
vereine gegeben worden sind, etwas reduzirt werden.
(4) Hr. Hartmauu zu Fürstenfeldbruck schenkt der Gesellschaft photogra-
phische Darstellungen bayrischer Landleute, hauptsächlich des Dachauer Typus.
(5) Hr. Meitzen hat, mit Bezug auf die Mittheilungen des Hrn. Hartmann in
Fürstenfeldbruck (Sitzung vom 20. März), folgendes Schreiben eingesendet, betreffend
die sogenannten
Hochäcker oder Bifange.
Von den Angaben des Berichterstatters scheint mir zunächst die, dass sich
Grabhügel auf den alten Feldlagen finden, einer Untersuchung darauf hin zu be-
dürfen, ob die Fcldeintheilung auf diese Hügel Rücksicht nimmt oder nicht. Grab-
stätten der Anbauer selbst würden auf die Ackereintheilung gewiss nicht ohne Einfluss
sich zeigen. Erst von alten Grabhügeln kann man erwarten, dass sie ohne weiteres
in die Grenzen der Aecker hineingezogen wurden. Dass die späteren Feldeintheilungen,
namentlich die des 12. und 13. Jahrhunderts auf die alten Tumuli keine Rücksicht
genommen haben, weiss ich für Schlesien aus öfterer Erfahrung. Dagegen sind von
den Bauern viele solche Hügel bis in die neueste Zeit beim Ackern unverletzt aus-
gespart worden, und dies wird früher stets geschehen sein.
Die Trichtergruben müssen darauf angesehen werden, ob sie zum Behufe der
Viehtränke gegraben sind oder nicht. Gruben zum Viehtränken kommen auf allen
Ackerlagen vor, auf denen Rindvieh in Brache oder Stoppeln geweidet wurde, und
(205)
von denen aus Wasser nicht in der Nähe erreicht werden konnte, ohne andere be-
stellte Felder zu überschreiten oder zu gefährden. Wo diese Gruben Grundwasser
finden, sind sie klein und auch meist nicht von Dämmen umgeben, sondern der Boden
ist niedergetreten und verglichen. Wo aber kein Grundwasser sich sammelt, sondern
die Grube allein als Cisterne für das Regenwasser dient, sind sie klein und tief, wenn
sie in einer natürlichen Mulde liegen, aus der sie von selbst Zufluss erhalten. Müssen
sie aber eben oder hoch liegen, so sind sie oft recht umfangreich, und zwar in der
Weise, dass zwar das Wasserloch nicht sehr gross, sondern eher tief, dagegen rings
um dasselbe in näherer oder weiterer Entfernung, ein Damm von aufgeworfener Erde
gezogen ist, der von seinen Abhängen das Wasser in die Grube leitet. Auf einer
ziemlich ebenen Haide würde die Vertheilung der Wasserlöcher in Verbindung mit
den beschriebenen Spuren der Feldluge einigermasseu auf die Art des Wechsels im
Weidegange und damit in der Ackerbestellung schliessen lassen.
Die beschriebene Feldeintheilung ist vollkommen die der flämischen Kolo-
nisation, Avelche in Norddeutschlaud 1100 begann und sich bis ins 14. Jahrhundert
fortsetzte. Ihre Art und Weise lässt sich genau nachweisen. Sie fand namentlich
in Haiden, Sümpfen und ebenen Lagen statt. Es müssten dann aber die vom Hericht-
erstatter beschriebenen Streifen nicht als Beete, sondern als Eigenthumsstücke, als
Hufenantheilsstreifen, aufgefasst werden können. Dies kann mit einiger Sicherheit
auch nur durch Augenschein entschieden werden. Die flämischen Eigenthumsgrenzen
wurden in der Regel durch Gräben oder durch Feldraine bezeichnet. Auf erstere
passt die Beschreibung des Berichterstatters sehr wohl. Denn sie sinken mit der
Zeit zusammen und kr)nnen dann solche Wölbungen von Ij^ bis 2% Fuss Höhe, wie
sie beschrieben sind, erscheinen lassen. Lassen sich die Wölbungen der Feldstreifen
so auffassen, so würde ich kein anderes Bedenken gegen die Annahme von Spuren
der Ausetzung flämischer Hufen haben, als dass ich bei einer Durchsicht der bayrischen
Katasterkarten, die ich früher in München vorgenommen habe, flämische Hufen in
Altbayern gar nicht, und auch die verwandten fränkischen Hufen nur im nordwest-
lichen Theile von Franken, um Bischofsheim, im Osten der Rhön, gefunden habe.
Sollten aber wirklich im südlichen Bayern solche Kolouisationshufen ausgethan worden
sein, was in den ausgedehnten Haiden selbst versuchsweise nicht unmöglich wäre,
so würde man davon wahrscheinlich irgend welche urkundliche Spuren finden.
Das Wüstliegeu solcher alten Feldlagen ist nichts besonders Auffallendes. Die
frühere Kriegsführuug und Schutzlosigkeit hat viele Feldmarken wüst gemacht. Seit
dem 16. Jahrhundert haben die Gutsherren auch vielfach ihre Forsten durch ßauern-
gründe ausgedehnt und arrondirt. Vor allem aber konnte es auf Haideländereieu
leicht vorkommen, dass eine grosse Kolonieanlage gemacht wurde, die Leute einige
Jahre die leichten Aecker, die noch den Humus der bisherigen Vegetation besasseu,
nutzten, dann aber, als man einsah, dass der Boden leer geworden und nichts Ordent-
liches mit ihm anzufangen war, an eine bessere Stelle versetzt wurden. Ob sich
ein solcher Vorgang muthmasseu lässt, würde sich vielleicht aus Urkunden ergeben.
Die eingreifendste Frage bleibt indess die nach der Ackerbestellung, und
auch sie kann nur aus genauer örtlicher Prüfung beurtheilt werden. Sind diese langen
Streifen in der That in ihrer ganzen Breite durch Bestellung mit dem Pfluge auf-
gehäufte Beete, wie der Berichterstatter anzunehmen scheint, so kann, soweit meine
Anschauung von den Kolonisationen im Mittelalter reicht, nicht wohl daran gedacht
werden, dass sie denselben angehören. Breite Beete von 6 bis 12 Meter und mehr,
sofern man dabei überhaupt noch von Beeten sprechen kann, gehören in Schlesien
überall und, soweit mir bekannt, auch sonst in Deutschland erst der neuesten Zeit
an und sind meist erst durch sehr gute Entwässerung und Drainagen möglich geworden.
(206)
Schon die speziell sogenannten ^breiten Beete" von 14 bis 18 Fuss sind allenthalben
erst in unserem Jahrhundert zur Anwendung gekommen. Früher waren Beete von
einer Breite von 6 bis 8 Fuss, meist mit sehr tiefen Wasserfurchen zwischen je 2
Beeten, die allgemein verbreitete Art der Bestellung. Es ist nicht zu bezweifeln, dass
die deutsche Kolonisation diese Ackerbestellung in Schlesien eingeführt hat, denn
vorher war, wie urkundlich feststeht, hier überall der polnische Haken iu Gebrauch.
Die deutsche Hufe wurde gradezu als Pflug bezeichnet. Da die Kolonisten aus den
verschiedensten westdeutschen Landstrichen nach Schlesien kamen, wird diese Be-
stellungsweise wohl die damals bei den deutschen Bauern allgemein verbreitete gewesen
sein. Dass also die Kolonisten jener Zeit die hohen Wölbungen mit dem Pfluge
zusammengefahren haben sollten, kann ich nicht glauben. Wenn sie nicht durch
Gräben entstanden sind, habe ich überhaupt keine rechte Vorstellung, wie sie ge-
macht sind.
So wie der polnische Haken, haben auch alle in die Gattung der Staggut gehö-
rigen Ackerinstrumente die Eigenthümlichkeit, den Boden mehr oberfläcLlich zu rühren,
als fortzubewegen. Wäre ein anderes Instrument gebraucht worden, so würde dies
jedenfalls auf die Zeit vor 1200 zurückweisen.
Die Namen Heidenäcker u. s. w. deuten unter den bestehenden Umständen aller-
dings wohl weit zurück. Bifang heisst eingezäuntes, auch okkupirtes Ackerstück.
Gegen die Betheiligung der Römer spricht die Feldeintheilung, welche, soweit
mir bekannt, ebensowenig bei der Vertheilung des Ager publicus, als bei der Anlage
römischer Kolonien angewendet worden ist. Eine Prüfung, ob sich irgendwo Spuren
derartiger römischer Auftheiluugen finden, wäre gewiss erwünscht. —
Hr. Virchow bemerkt, dass nach Schluss der Münchener Versammlung ein
Theil der Mitglieder und unter ihnen er selbst unter Leitung des Hrn. Hartman n
eine Excursion in die Umgebungen des Ammer-Sees gemacht und dort die Hochäcker,
sowie die in demselben Gebiete befindlichen Hügelgräber und Trichter in Augenschein
genommen habe. Leider waren keine Vorbereitungen zu Grabungen getroffen, so dass
es nicht möglich war, über die Beschaffenheit der Gräber und noch weniger über die
Natur der Trichter ein eigenes Urtheil zu gewinnen. Dagegen traten die Hochäcker
sehr deutlich zu Tage und zwar, soweit es an den besuchten Stellen schien, ohne
Beziehung zu den Gräbern. Verschiedentliche alte Verschanzungeu und Wälle, die
als römische angesehen werden, liegen in der Nähe. Ob die an verschiedenen Orten
Pommerns erwähnten Furchen und Ackergrenzen in Wäldern, z. B. auf der Insel
Wollii), in Hinterpommern, mit den Hochäckern identisch sind, wäre noch festzustellen.
(6) Hr. Nehring berichtet in einem Briefe d. d. Wolfenbüttel, 11. October, an
den Vorsitzenden über
Ausgrabungen diluvialer Thiere zu Westeregeln bei Oscliersleben.
Da ich annehmen darf, dass der Bericht über die am 19. Juni d. J. abgehaltene
Sitzung der Berliner Gesellschaft für Anthrojjologie, welcher mir heute zuging,
auf Ihre Veranlassung an mich abgeschickt ist, so halte ich es für meine Pflicht,
mich für Ihre grosse Freundlichkeit zu bedanken, um so mehr, da Sie iu der
genannten Sitzung meine kleinen Entdeckungen im Zusammenhange mit der Liebe-
schen Schrift anerkennend erwähnt haben. Debrigens stehe ich in der That mit
Hrn. Prof. Liebe in Gera in näherem Zusammenhange, und die Resultate unserer
beiderseitigen Untersuchungen stimmen iu vieler Beziehung auffallend überein. Es
wird Sie und die geehrte Gesellschaft für Anthropologie vielleicht interessiren,
(207)
Einiges über meine neuesten Funde zu erfahren , welche ich im Diluvium unserer
Gegend, besonders in Westeregein bei Oschersleben gemacht habe. Schon im August
1874 hatte ich im Löss der Gypsbriiche von Westeregeln Knochen gefunden, welche
meine besondere Aufmerksamkeit erregten, ohne dass ich im Stande gewesen wäre,
mit Hülfe des im ßraunschweiger Museum befindlichen Vergleichsmaterials dieselben
zu bestimmen. Erst als ich im diesem Sommer dort einen zugehörigen Unterkiefer
fand, erkannte ich Alactaga jaculus Brdt. (Dipus jaculus Pal!.). Vor 8 Tagen nun
war ich nochmals in Westeregeln und habe die ganze Kluft, in welcher das Knochen-
lager sich befand, ausgeräumt. Die Ausbeute war famos! Ich förderte so viele Skelet-
theile (auch Gebisse) von Alactaga jaculus foss. zu Tage, dass ich 10—11 Individuen
sicher nachweisen kann. Dazu kommen die Skelettheile von etwa \'S — 14 Spermophili;
die letzteren haben fast alle in dem hoffnungsvollen Stadium des Zahnwechsels sich
befunden, als der Tod sie ereilt und im Interesse der einstigen Wissenschaft im Löss
von Westeregeln begraben hat. Ebenso zahlreich waren die Reste von kleinen Vögeln,
deren Knöchelchen meist häufchenweise von mir gefunden wurden. Dazwischen fand
sich ferner der Oberschädel eines alten Lemmings (Myodes lemmus), sowie der Unter-
kiefer eines sehr jugendlichen Exemplars nebst zugehörigen, sehr zierlichen Skelet-
theilen, ferner je ein Unterkiefer von Arvicola ratticeps und arvalis, Unterkiefer eines
Sorex-ähnlichen Thieres, 1 Unterkiefer, 2 Backenhälften, 1 Ulna, 1 Radius, 1 Tibia
und mehrere Phalangen vou Arctomys bobac, 2 Unterkiefer und zahlreiche Skelettheile
eines Lepus (wahrscheinlich variabilis); 1 Unterkiefer mit 4 Backeuzähnen, sowie
das entsprechende Oberkieferstück mit 3 Zähnen von einem ganz jungen Rhinoceros
(tichorhinus? Da die Zähne noch gar nicht abgenutzt sind, so weichen sie von
meinen beiden Thieder Gebissen, welche älteren Exemplaren des Rh. tich. angehört
haben, wesentlich in Grösse und Form ab, aber es wird doch wohl auch Rh. tich.
sein). Dazu kommen einige Knochen vou Rhinoceros, ferner Gebisse und Knochen
von zwei jungen Pferden, 1 Schneidezahn von einem Canis (wahrscheinlich lagopus,
da der Zahn sehr zierlich ist). Bemerkenswerth ist noch, dass der Löss von Wester-
egeln strichweise viele Land- und Süsswasserschnecken enthält, sowie auch nicht
selten grössere und kleinere Stückchen vou Holzkohle darin verstreut liegen. Die
letztere zeigt, wenn sie frisch aus der Erde genommen wird, eine sehr deutliche Holz-
structur, sie zerfällt aber leicht an der Luft. Freilich habe ich mir bisher mit Con-
servirung derselben wenig Mühe gegeben, da ich die Sache für unwichtig hielt. Doch
Hesse sich vielleicht durch mikroskopische Untersuchung seiteus eines Kenners, z. B.
des Forstraths Hartig in Braunschweig, die betreffende Baumart erkennen, und wir
würden auf diese Weise Näheres über die noch ziemlich unbekannte Flora der Üiluvial-
zeit erfahren. (Auch im Thieder Löss habe ich oft Holzkohle gefunden.) — Von dem
Besitzer der Westeregeier Brüche erhielt ich noch einen Schädel der diluvialen Hyäne
(leider ohne Zähne), 1 Unterkiefer von einem mächtigen Hechte, 1 Schädel von einer
Anas boschas und 1 sehr schöne Stange eines capitalen Rehbocks, Alles nicht weit
von der Stelle gefunden, wo ich meine reichen Funde gemacht habe. Vor mehreren
Jahren sind nicht weit davon zahlreiche Reste von Elephas primigenius und Rhino-
ceros tich. gefunden, aber leider an den Knochensammler verkauft.
Sehr eifrig habe ich nach sicheren Spuren vom Homo sapiens gesucht, doch
bisher vergebens. Freilich habe ich sowohl in Thiede, als auch in Westeregeln Feuer-
steinsplitter mitten zwischen den diluvialen Knochen gefunden, welche den sogenannten
Feuersteinmesseru zum Theil verzweifelt ähnlich sehen. Aber ich bin hinsichtlich
dieser Feuersteinsplitter etwas skeptisch, obgleich zwei Exemplare von Thiede aller-
dings das Aussehen menschlicher Artofacte besitzen. Auch habe ich manche Knochen-
splitter gefunden, welche man allenfalls für Pfeilspitzen oder dergleichen ansehen
(208)
könnte; doch können sich solche Splitter auch bilden, wenn die Knochen von Raub-
thieren zermalmt und nachher im Wasser abgeschliffen werden. Wenn man den
Aussagen der Arbeiter trauen dürfte, so wäre allerdings sowohl für den Löss von
Thiede, als auch für den von Westeregelu das Vorkommen menschlicher Schädel und
Skelettheile coustatirt; denn an beiden Orten versicherten mir die Arbeiter, dass sie
schon mehrfach in beträchtlicher Tiefe menschliche Schädel und Knochen zum Vor-
schein gebracht hätten. Leider waren dieselben nicht mehr vorhanden. Nur 1 Stück
von einem Menschenschädel, welcher bei Westeregeln gefunden ist, liegt in meiner
Sammlung; doch gebe ich auf das, was die Arbeiter in dieser Hinsicht berichten, sehr
wenig, denn sie haben nicht die Fähigkeit, richtig zu beobachten. Auch haben sich
au beiden Orten alte Begräbnissstätten befunden; besonders bei Westeregeln sind
Aschenurnen massenhaft gefunden, aber natürlich zerstört worden. Einen einzigen
alterthümlichen Spindelstein aus schwach gebrannter Masse habe ich von dort erhalten,
das Andere ist unwiederbringlich verloren, da der Hügel, in welchem die Urnen
reihenweise gestanden haben, planirt worden ist. Kürzlich war ich auch hier in der
Nähe bei Drütte zur Untersuchung eines Urnenfeldes; aber ich habe nur noch Stücke
zu Tage gefördert, da der Pflug bereits im vorigen Jahre Alles zertrümmert hatte.
Nach den Aussagen des Besitzers hatten die Urnen reihenweise 1 — 2 Fuss tief im
Boden gestanden. Die Stücke, welche ich fand, sowie eine ziemlich vollständige
Urne von dort, welche ein hiesiger Lehrer besitzt, zeigen gute Arbeit und zierliche
Zeichnung. —
In unserer Gegend ist auf dem Gebiete der urgeschichtlichen Forschung noch
viel zu machen, aber leider giebt es bei uns nur Wenige, die sich dafür inter-
essiren. Ich selbst habe viel Lust dazu, aber leider sind Zeit und Mittel zu knapp,
um grössere und kostspieligere Untersuchungen veranstalten zu können; ich muss
mich daher auf kleinere Untersuchungen beschränken, bis ich einmal später freie
Hand bekomme. Vorläufig habe ich mich auf die kleinere Diluvialfauna concentrirt
und hoffe, in dieser Richtung noch Manches zum Vorschein zu bringen, da ich mich
nicht scheue, selbst zu graben und auf den Knieen durch den Lehm zu rutschen.
Nach meinen bisherigen Beobachtungen zeigt unsere Diluvialfauna immer deutlicher
einen Charakter, wie sie die jetzige Fauna im Osten und Südosten Russlauds an sich
trägt. Dabei scheint mir die Ablagerung von Thiede mit ihren auffallend zahlreichen
Resten von Myodes torqnatus und Myodes lemmus aus der eigentlichen Glacialzeit
zu stammen, während der Löss von Westeregeln mit seinen vorwiegenden Resten von
Dipus und Spermophilus neben den sehr sparsamen Resten von M. lemmus (torquatus
ist noch gar nicht vorgekommen) vielleicht etwas jünger ist und einer milderen
(postglacialen) Zeit angehört. Das ist allerdings eine Hypothese, die ich nur so hin-
werfe, ohne grade viel darauf zu geben. Um sie wissenschaftlich begründen zu können,
müsste ich erst noch fernere Beobaclitungen und Sammlungen in Westeregeln vor-
nehmen; vorläufig scheint es hier aber mit dem Sammeln vorbei zu sein, da ich den
letzten Rest des vorgcfuiideneu Knochcnlugors aufgeräumt habe.
(7) Hr. Bauinspector Werner übersendet mit einem Briefe d. d. Naumburg, 30. Juni,
ein Verzeichniss über
Funde bei dem Bau der Kreischaiissee von Laucha nach Nebra (1872).
(209)
?^
TS
Bezeichnung der Antiquitäten.
Angabe des Fundortes.
Bemerkungen.
1
wo
wie
1.
Ein Mainmuthzabn
St. 218.
Beim Erdarbeiten
im Kies
Uuter dem Wennunger-
bolze, im Kies.
2.
Ein Schaufelhirschgeweib . . .
St. 149.
Bei dergl. Arbeiten
E,ei Laucha, in der
Nähe der Ziegelei
von Schmid t.
3.
Ein Mammut libüftkiioclien . .
St. 212.
n » "
Unter dem Wennunger
holze, im Kies.
4.
Zwei Streitäxte aus Stein . .
St. 2 IC.
» " »
Daselbst.
5.
Eine grosse Urne aus Tlionerde
St. 118.
.
Auf der Höhe bei Kirch-
scheidungen.
6.
Eine dergl. kleinere mit Feuer-
steinmesser , Tliränenkriiglein
und ein zerbrochenes Stück
Feuerstein
St. 87.
V V r>
Hinter dem Dorfe Kirch-
scheidungen.
7.
Eine dergl. mit Thräiienkrüglein
St. 87.
n V 7>
Daselbst.
8.
Ein Bruchstück von Stosszähuen
St. 218.
. .
Unter dem Wennunger-
holze, im Kies.
9.
Mehrere Knochonstücke , wahr-
scheinlich vom Maramuth . ,
St. 218.
DT?»
Daselbst.
10.
Ein alter Schlüssel
St. 52.
.
Am Kätzel im Gyps-
steinfelsen.
(8) Hr. J. M. Hi Idebrandt hat auf einer neuen Reise im So mal -Lande zu
Kembeda bei Euderäd eine Stätte mit behaueneu Steinen entdeckt, welche letztere
aus Flugsandhügeln hervorragten. Es fanden sich daselbst Glasscherben mit anders-
farbigen Tüpfeln in erhabener Arbeit und rohen Ornamenten, Scherben von gebrannter
Töpferwaare, darunter solche von Härte der Klinkerziegeln, ein Bügel aus Bronze u. s. w.
Ferner schickt Hr. Hildebrandt eine Abbildung von Felszeichnungen,
bei Horoba im Somal-Lande (IO'^0O'• Nördl. Br. und 47" JO" Oestl. v. Gr.), im
Verbaudl. der Berl. Äiitliropol. GesellscUalt lilb.
u
(210)
April d. J. von ihm aufgenommen. Dieselbe findet sicirauf einer etwas überliängenden
Schieferwand. Sie ist roh und wenig tief ausgehauen. Die Stelle heisst Gar Libäch
(Libcich = Leopard).
Endlich übersendet er eine Reihe von Kopfmaassen, mit dem Hutmacher-
Conformateur in Zanzibar aufgenommen. Dieselben zeigen durchweg sehr
schmale Dolichocephalen.
(9) Hr. Toselowski lässt die vortrefflich ausgeführten Photographien zweier
in zierlichster Weise blau tättowirter Männer und einer Frau aus Japan vorlegen.
(10) Hr. Cr. Fritscli berichtet über einen
Besuch airf den Riiiueu des alten Ragliae Itei Telierau iiud auf «Icia beiiachbarteu
Griiebernkirchhof.
Eine der interessantesten Episoden im Anschluss an die Venus-Expedition nach
Persien bildete der am 30. December ausgeführte Abstecher von Teheran nach den
Ruinen von Raghae oder Rei. Beim prachtvollsten, echt persischen Sonnenschein
wendete sich nach Verlassen der Hauptstadt die fröhliche, fast nur aus Deutschen
bestehende Reitergesellschaft durch die winterliche brachliegende Hochebene gegen
die schroffen felsigen Höhenzüge , die vom Elburz her gegen Süden eine Art Vor-
sprung bilden. Bald nach Passiren des persischen Dorfes Schah Abdul'azim,
wo an dem klaren Bach beim heiteren Picknick eingehende Studien über die Vor-
züglichkeit der persischen Weine von Schiraz angestellt wurden, stebt man mitten
in Ruinenfeldern, deren Ausdehnung gegen die Ebene von den Abhängen her sich
stundenweit verfolgen lässt. Es sind dies die dreifach über einander gethürmten
Ruinen der uralten Stadt, welche in der Geschichte unter verschiedenem Namen
angeführt wird.
Die alte medische Residenz, in der Schrift als Rages erscheinend, wird in den
Berichten der Feldzüge Alexander des Grossen Rhagae genannt; sie war später
Sitz der parthischen Arsaciden als Arsacia, bis die einfallenden Araber G42 n. C.
die alte Stadt vollständig zerstörten. Unter den Khalifen als „Neu-Rei" wieder
aufgebaut und mit doppelter Mauer und Graben für die äussere und innere Stadt
versehen, erlangte sie wieder grosse Bedeutung, bis ein Erdbeben sie auf's Neue ver-
nichtete. Die noch einmal emporgeblühte Stadt erlag 1220 durch den Einfall der
Mongolen, worauf die Ruinen wegen Verlegung der, persischen Residenz nach Teheran
dauernd im Verfall blieben.
Die Spuren des alten Rages oder Rhagae finden sich nur noch spärlich; sie sind
gekennzeichnet durch das besondere Baumaterial, nämlich unbehauene Feldsteine mit
M()rtel zusammengefügt. J*jinzelne monolithisciie Denkmäler in besonderer Aufstellung
an den Abhängen werden ebenfalls darauf zurückgeführt, Alles aber bereits sehr
verwittert. Die alte Akropolis, welche auf einem isolirteu Vorberg und den vor-
geschobenen Theilen der Höhenzüge lag, ist durch die späteren Bauten sehr über-
deckt worden.
Das Material für die erste muhamedanische Stadt bestand bei den öffent-
lichen Bauten aus vortrefflichen Backsteinen, die an der Oberfläche vielfach bunt
glasirt waren, worunter eine lebhafte blaue Farbe noch heute durchaus frisch erscheint.
Aus dieser Zeit findet sich eine Art Burg von ziemlicher Ausdehnung in der
Ebene bei Schah Abdul'azim als der Mittelpunkt der damaligen Stadt. Die Grenze
gegen die Berge hin wird gekennzeichnet durch eine Anzahl von Wartthürmen ver-
schiedener Gestalt mit kuphisc^hcn Inschriften an den Wänden im Innern, während
(211)
aussen als Verzierungen des obersten Theiles einige Schriftzüge, in blau glasirten
Ziegeln ausgeführt, auftreten
Von der späteren niuhamedaui seh en Stadt finden sich die auffallendsten
Koste in unmittelbarer Nachbarschaft des Ortes Schah Abdurazim, wegen der eigen-
tln'inilichen (^onstruction bomerkenswerth besonders ein mächtiger Thurm von Back-
teinen, der im Innern hohl ist, und daselbst noch Spuren von schwarzen Schriftzeichen
an den "Wänden trägt. Brugsch vergleicht den Querschnitt, wohl nicht ganz treffend,
mit der Figur eines Uhrrades: die äussere Wand bildet nämlich zwanzig rechtwinklige
Kanten, wodurch der Umriss des in der Anlage runden Thurmes in sonderbarer Weise
gebrochen wird. Vielleicht lag nur die Absicht vor, die Verwendung von zugerun-
deten Steinen zu vermeiden, es kommt aber wohl die in sehr vielen Bauten des
Landes hervortretende Neigung hinzu, ausgedehnte Krümmungen zu unterbrechen
und weiter einzutheilen. Ks kennzeichnet dies einen bemerkenswerthen Unterschied
im Geschmack gegenüber den afrikanischen Nigritiern, wo jede gerade Linie fast
unwillkürlich eine gewisse Krümmung anzunehmen scheint. Der Zahn der Zeit und
die noch verderblichere Pickaxt der Backsteindiebe zerfrisst den von der Sage als
das Grabmal eines Sultans und seiner Favoritin bezeichneten Thurm in bedenklicher
Weise, so dass er in einigen Jahren wohl ebenfalls zu Falle kommen dürfte.
Wie weit die letzte Stadt sich in die Ebene ausdehnte, lehrt der ausgedehnte
Ueberblick von den Höhen auf die Ruinenfelder. Freilich liegen sie jetzt zum grössten
Theil unter dem Pflug des Ackerbauers, da Häuser, von Luftziegeln gebaut, bald
wieder oberflächlich zerfallen; grössere Complexe einstiger Gebäude bleiben indessen
als dunkle, unvegelniässig geformte Hügel kenntlich.
Die archäologischen Funde des Ortes bestehen hauptsächlich aus sehr
mannichfachen Münzen, um deren Auffindung und Kenntniss unser verehrtes Mitglied
in Teheran, Hr. Schindler, bedeutende Verdienste hat. —
Nach Besichtigung der Ruinen wendeten wir uns östlich in ein kleines, steil
aufsteigendes Thal, dem Hauptziel unseres Rittes zu: dort liegt nämlich hoch an den
dunklen, rothbraunen Bergen ein eigenthümliches, weissliches Gemäuer, der Guebern-
kirchhof, vielleicht dorthin verlegt wegen der sagenhaften Geburt Zoroasters in
dem alten Rei. Er stellt eine ringförmige, fast senkrechte Mauer, etwa 5—6 Meter
hoch, bei einem Durchmesser von ungefähr CO Metern dar, ohne Zugang zum Innern.
Der Einblick von den benachbarten Höhen zeigt darin reihenweise geordnete,
von Steinen gemauerte Behältnisse, erfüllt mit eigeuthümlichen, unförmlichen Ballen.
In dem gegen die Berge gewendeten Theil erkennt man an der innern Wand in
halber Höhe über dem Boden die Spuren einer früher dort befindlich gewesenen kleinen
Thür, die jetzt vermauert ist. In dem Inhalt der Steinkisten machten sich Skelet-
theile kenntlich. Die Bergabhänge der Nachbarschaft selbst zeigten viele Bruchstücke
von Menschenkuochen und Kleiderfetzen.
Durch Ineiuanderschuallen der ausgehakten Steigbügel, deren eines Ende über
die Mauerfirste geworfen wurde, gelang es, einen Halt zu gewinnen, an welchem die
Leichtesten von der Gesellschaft emporklimmten und glücklich in das Innere des
Mauerringes gelangten.
Es zeigte sich daselbst, entsprechend der einstigen Thür, eine rohe, aus nur vier
Stufen bestehende Steintreppe, abwäi'ts führend, die jedenfalls zum Herabbringen der
Leichen diente. An dieser Seite der Mauer lagen mehrere noch ziemlich frische
männliche Leichen in ihrer gewöhnlichen Kleidung; daneben mehrere Kinderleichon
älteren Datums, von den Geiern schon mehr zerfressen. In einer gruftartigeu Ver-
tiefung befanden sich vier ziemlich wohlerhaltene Skelette, von denen wir einen
U*
(212)
Schädel mitnahmen; ausserdem wurde ein weiblicher Schädel und ein Becken der
"Wissenschaft geweiht, da mehr la nehmen leider unthuulich war.
Die in Tücher verpackten Skelettheile mussten von den aus begreiflichen Gründen
am Fusse des Berges zurückgelassenen muharaedanischen Dienern als Gesteinsproben
declarirt und in unseren Satteltaschen nach Teheran gebracht werden. Der wissen-
schaftliche Einbruch war glücklicherweise gerade beendigt, als unsere Diener, von
Neugier angelockt, auf der Höhe erschienen.
Der Typus der erbeuteten Schädel erscheint recht bemerkenswerth und es ist
sehr zu bedauern, dass keine längere Reihe vorhanden ist; so weit dies möglich,
bekräftigt ihr Bau die auch anderseits aufgestellte Vermuthuug, dass gerade die
Guebern wegen ihrer Abgeschlossenheit und der besonderen bürger-
lichen Stellung den specifisch persischen Typus am reinsten bewahrt
haben. Unter der muhamedanischen Bevölkerung ist der Charakter durch tuikes-
tanische, arabische und syrische Beimischungen sehr verwischt. Herrschend erscheint
heutigen Tages ein mesocephaler Typus mit Hinneigung zum türkischen Schädel.
Der Bau des vorliegenden tnänulicheu Guebern-Schädels ist dolichocephal, aber
noch eigenthümlich roh und eckig, dadurch abweichend von dem abgeschliffenen persi-
schen Mischtypus. Der weibliche ist, entsprechend dem Geschlecht, feiner, weniger mar-
kirt, doch auch charakteristisch. (Indices der beiden Schädel: g B. I = 77,9; H. I = 75,3;
Q B. I = 77,8; H. 1 = 79,0). Diese Beobachtungen lassen die Ansicht als berechtigt erschei-
nen, dass ein eingehenderes Studium über den physischen Bau der Guebern uns in der
That über den ursprünglichen persischen Typus die besten Aufschlüsse geben könnte.
Die Absonderung des in Rede stehenden Theils der persischen Bevölkerung wird
hauptsächlich durch die politische Stellung derselben bedingt. Die Guebern sind,
■wie alle Ungläubigen, von den schiitischen Muhamedanern, d. h. dem weitaus grössten
Thcil der Perser, sehr verachtet und führen eine elende Existenz unter der Bevöl-
kerung als dienende Klasse oder als kleine Handwerker; sie werden allmälig wohl
ganz verschwinden. Stärkere Gemeinden giebt es nur noch in Hamadan. Charak-
teristisch für die ursprünglichen Sitten ist die geringere Abschliessung der Frauen,
wie sie erst durch die fanatischen Schiiten in der ganzen unverständigen und verderb-
lichen Rigorosität durchgeführt ist.
"Was die Art der Bestattung bei den Guebern anlaugt, so ist von einer sol-
chen kaum zu reden. Die Leiche wird von dem dazu bestimmten Mann, dem Kirchhofs-
wärter, über die Mauer befördert und dort den atmosphärischen Einflüssen und den
Geiern exponirt, bis der Verwesungsprocess vollendet ist. Die Reste werden alsdann
in den Steinkisten gesammelt, wobei natürlich von den durch die Geier zerstreuten
Knochen, Theile verschiedener Individuen, von den Kleidern aber höchstens Fetzen
in die Steinkiste gelangen. Es heisst, dass nach der Auslegung der frischen Leiche
die Angehörigen auf den Abhängen der Nachbarschaft warteten, um zu beobachten,
ob die Geier zuerst das rechte oder das linke Auge aushackten: im ersteren Falle
solle die Seele zu Ormudz gehen, im andern dem Ahrimau verfallen sein. Diese
Angabe wird durch die thatsächliche Beobachtuag nicht bestätigt, indem die Leichen
an dem abgewendeteu, von Aussen nicht zu übersehenden Theil der Umfriedigung
lagen. Ausserdem zeigten sich an den frischen Leichen, obgleich sie jedenfalls
mehrere Tage lagen, noch keine deutlichen Spuren der Thätigkeit von Raub-
vögeln. Die Angehörigen müssten daher häufig lange warten, um das Schicksal der
Seele festzustellen. Dass aber die Geier für die Beseitigung des Fleisches sorgen,
erscheint unzweifelhaft durch den Zustand der älteren Knochen, die zerstreuten Reste
und Kleiderfetzen.
Das Resultat dieser ßestattungsweise ist fast genau dasselbe, wie es sich in den
(•213)
Ausgrabungeu von Samthowro findet, ohne dass ich indessen die factische Identität
positiv bohuupten wollte. Bei beiden Gräberstiltten findet man verstreute Knochen ver-
schiedener Individuen, vielfach zerbrochen, mit Geröll untermischt, ohne Schmucksachen,
mit spärlichen Kleiderresteu, bei beiden reihenförmige Anordnung der Behältnisse.
Zu beachten bleibt indessen, dass bei der früheren Ausdehnung der persischen
Herrschaft bis in die Kaukasusländer dort natürlich auch Feueranbeter vorhanden
waren; der letzte Rest davon findet sich heutigen Tages bei den ewigen Feuern von
Baku, wo in dem Guebernkloster als einziger Repräsentant ein indischer Eingeborner
das Geschäft der verschwundenen Guebern aus Spekulation fortsetzt. Der in den Be-
schreibungen häufig in ganz irriger Weise übertriebene Gasreichthum des Bodens
macht se daselbst möglich, unter Benutzung unregelmässiger, den Ortsangehörigen
genau bekannter, natiirlicher Leitungen die Gasströmungen in die einzelnen Zellen
des viereckigen Klosterhofes und zu einem grossen mittleren überdachten Becken zu
leiten. Diese natürliclion Gasfeuer dienten dem Gottesdienst zu bestimmten Zeiten,
dazwischen aber wurden sie durch Steinplatten verdeckt.
(11) Hr. Richard Andree in Leipzig schreibt mit Bezug auf die in der Sitzung
vom 14. Mai gemachten Mittheilungen über
den Burgwall hei Zahsow:
„In der Zeitschrift für Ethnologie VH. Heft 4, Seite 128 der „Verhandlungen"
heisst es, dass der Burgwall bei Zahsow noch nicht untersucht worden sei. Das ist
allerdings und in sehr eingehender Weise der Fall (durch Kreisgerichtsrath Wilke
in Kottbus) gewesen. Sein ausführlicher Bericht steht im Programm des Kottbuser
Gymnasiums, 1859, Seite 30. Das Wesentliche daraus habe ich abgedruckt in meinen
„Wendischen Wanderstudien" (Stuttgart 1874) S. 1Ü2. Der Fund einer eisernen
Pfeilspitze in diesem Wall ist nicht ohne Interesse".
Hr. Virchow bemerkt dazu, dass ihm inzwischen die Darstellungen des Hrn.
Andree, auch die erste im Kosmos (1871 Bd. XX. No. 14, S. 220, Anm.), bekannt
geworden seien, dass jedoch die Hauptsache der in der Sitzung vom 14. Mai gemachten
iMittheilungen dadurch in keiner Weise betroffen werde.
(12) Hr. Bastian berichtet in einem Briefe d. d. Lima, 16. Juli, über den
Ankauf von
Peruanerschädeln aus dem Gräberleide von Ancou
für die Gesellschaft. Sie stammen von derselben Stelle, welche schon durch Agassiz
und Hutchinson ausgebeutet ist und an welcher einige Monate vorher die corres-
pondirenden Mitglieder der Gesellschaft, die Herren Reiss und Stübel methodische
Ausgrabungen angestellt haben. (Die Gesellschaft hat inzwischen durch Hrn. General-
consul Lührssen einige Schädel, welche von den letzterwähnten Ausgrabungen her-
stammen, erhalten, Sitzung vom 14. Mai).
(13) Hr. F. Jagor schreibt dem Vorsitzenden d. d. Rangoon, 16. Juli (sonder-
barer Weise an demselben Tage, wie Hr. Bastian) über die Absendung der für
denselben bestimmten Schädel, Maasstabellen, Zeichnungen, Photographien und ethno-
logischen Gegenstände
von den Audnuiaiieii, von Rauguu und von Amritsar.
Ein Theil ist der Post iibergeben. Die umfangreichem Gegenstände sind durch
(214)
das Segelschiflf Anna, Kapitän Wittneben und die Columbia, Kapitain Schumacher,
befördert worden.
Wegen der Messungen auf den Andamanen (vgl. Sitzung vom 14. Mai) fürchtet
er, dass ein Theil, namentlich in Bezug auf Arme und Beine, nicht genau genug sei,
dass aber wenigstens ein Theil brauchbar sein werde.
Die Sendung aus Ranguu enthält 41 Schädel mit 40 Unterkiefern aus dem dor-
tigen Gefängniss-Kirchhofe, wahrscheinlich ohne Ausnahme männliche Birmanen, da
die Zahl der Gefangenen aus sämmtlichen anderen Nationalitäten durchschnittlich
weniger als 1 pCt. beträgt und die der Weiber bei einem durchschnittlichen Gesammt-
bestande von 2200 Individuen noch niemals 33 pCt. erreicht hat. Die Gewinnung
von Skeletten misslaug, da es nicht möglich war, die zusammengehörenden Knochen
vollständig und unvermischt aus dem damit überfüllten, fetten Thonboden herauszu-
holen. Indess haben die Herren Dr. Griffith, Dobson und Chili zugesagt, so-
wohl Skelette, als frische Theile zu besorgen.
Endlich die 2 Schädel aus Amritsar sind auf Veranlassung des Dr. Wilson
von dem indischen Assistenten, Hrn. Sahib Ditta präparirt worden.
(14) Der Vorsitzende übergiebt einen d. d. 18/30. August an ihn eingesendeten
Bericht des Grafen Carl Geor^ Sievers ("Villa Sievers bei Wenden) über
ein norinännisclies Schiffsgrab bei Ronnebnrg und die Ausgrabimg des Riunehügels
am Bnrtneek-See (Livland).
(Hierzu Tafel XIII und XIV.)
Da einige meiner diesjährigen Funde mehr ein allgemeines, als blos ein locales
Interesse erregen dürften, und zum Theil eine über Erwarten rasche Erfüllung meiner
in der Sitzung vom 17. October vorigen Jahres ausgesprochenen Hoffnungen gewähren,
erlaube ich mir Ihnen den nachstehenden Bericht zu übersenden.
In den letzten Tagen des Mai alten Styls untersuchte ich einen Kappekaln,
d. h. Gräberberg, genannten Hügel bei Launekaln (üebelberg), Kirchspiel Ronne-
burg, 2 Werst vom Hofe, am Ufer des Rausebaches gelegen, aus welchem der Be-
sitzer schon eine Menge alterthümlicher Schmucksachen aus Bronze an die Museen
von Riga und Dorpat gesandt hat. Dort fand ich 3 Gräber mit Leichenbrand und
zum Theil reichem Schmucke, sowie mehrere mit Steinen überdeckte Gräber, deren
Knochen gut erhalten waren, zum Theil noch Zeichen des Zusammenhanges zeigten
und meist sehr stark stanken, während sich bei jedem Skelete, oberhalb des
Hüftbeines, nur ein kleines eisernes Messer und, bei einem Paar, kleine Messing-
Hemdschnallen auf der Brust fanden, wesshalb ich sie, bis auf ein Skelet, für heimlich
in christlicher Zeit mit heidnischem Ritus beerdigte Leichen zu halten geneigt bin.
Dieses eine Skelet lag Kopf nach Westen, mit den Füssen nach Osten und hatte
eine Menge Kauris um den Hals, die abwechselnd mit Perlen auf eine Schnur gereihet
gewesen sein müssen, indem einige Kauris noch an Perlen anklebten.
Unmittelbar nach jener Untersuchung erkannte ich in einem schon im vorigen
Jahre besehenen grossen Steinhaufen, ohnweit des von mir 1874 untersuchten Opfer-
berges in der Grenze des Straute Gesindes, Schloss Ronneburg, anf dem Lande des
Kaln-Slaweeek Gesindes ein Grabdenkmal mit Steinsetzung in Form eines
Schiffes, wie es Weinhold, Altnordische Alterthümer, als den Normannen (War-
ägern) eigeuthümlich beschreibt. Dieses Schiffsgrab (Taf. XIll Fig. A), 42,62 Meter laug
in der Richtung von West, 13" 58' südlich, nach Ost, 13" 58' nördl. und 8,20 bis 5,96
Meter, an der Spitze 3,50 Meter breit, bestand aus einer, auf einer ihm entsprechenden
(215)
Uingllcheu Bodeuerliebung befiudlichen, die Schiffswand darstellenden Doppelreihe
von Steinen, mit zum Theil doppelten Querreihen von Steinen, zur Andeutung der
Ruderbänke versehen, und war mit einer Schicht von meist recht grossen Steinen
bis 1,50 Meter hoch überdeckt, so dass äusserlicli die einzige Andeutung an dem
mächtigen Steinhaufen, dass es ein Schiffsgrab sei, nur die zwei freiliegenden Steine
gewährten, die in diesem Falle wohl das Steuer andeuten, während ich sie anfänglich
für das Bugspriet genommen hatte. Der Steinhaufen muss viel höher gewesen sein,
weil schon seit längerer Zeit viele Steine von dort zu Bauzwecken abgeführt worden,
wobei man verschiedene Scbrauckgegenstände zwischen den Steinen gefunden, auch
nacli denselben mehrfach gesucht und zu dem Zwecke Steine die Anhöhe hinabgewälzt
hatte. Zum Glück waren zumal die unteren Lagen der Steine aus so grossen erra-
tischen Steinblöcken construirt, dass die müssige Neugier an ihnen nicht gerührt
liatte und ich wenigstens die Unterschichten unberührt fand, die mir, wie die bei-
liegende Skizze zeigt, im grössten Theile des Schiffraumes eine schwarze, fettige,
mit Asche und Kohle vermischte, 15— 2ü Centm. tief reichende Erde darboten,')
in welcher, die bezeichneten Stellen ausgenommen, viele calcinirte menschliche
Knochen, von denen ich eine Menge Schädelstücke sammelte, und die meisten
Schmuckgegenstände zerstreut lagen. Die Schmuckgegenstände müssen erst nach dem
Brande der Leichen, etwa als Opfer, hineingeworfen sein, indem nur ein Paar davon
Spuren von starker Hitze (Schmelzung) zeigten, während viele auch zwischen den
Steinen sich vorfanden, obwohl, wie schon bemerkt, früher wiederholt viel dort ge-
funden und weggebracht ist. Die beifolgende Photographie (Taf. XIIL B. Fig. 4— 12G)
zeigt die interessantesten Bronzesacheu-), einen Steinwirtel und einen kleinen Schleif-
stein. Waffen sind gar keine gefunden, nur kleine Messer.
Da ich der Untersuchung wegen die Steine fortwälzen lassen musste, und doch
späteren Forschern ein Bild zu hinterlassen wünschte, welches ihnen meinen Bericht
verdeutlichen und bewahrheiten könnte, liess ich diejenigen Steinreihen, welche in der
Zeichnung (Taf. XIII. A.) schraffirt sind, unberührt, nehmlich die, die Schiffswand
repräsentireude Doppelreihe von Steinen und mehrere der Ruderbänke, von denen die
in der Erde liegende unterste Steinreihe unberührt blieb. — Unter der Schicht mit
Asche, Kohlen und calcinirten Knochen gemischter Erde fand ich unberührten gelben
Sand, den ich an mehreren Stellen bis auf 2 Meter Tiefe vergeblich aufgrub. In
dem Vordertheil des Schiffes, wo nach Weinhold der oder die Häuptlinge (See-
könige) verbraunt wurden, denen zur Ehre die Schiffsetzung stattgefunden, wurden
an 3 gesonderten Stellen zahlreiche Topfscherben, Schmucksachen und calcinirte
Knochen, an jeder ein Messer und an einer ein Unterkiefer einer Katze, soviel ich
das bestimmen kann, gefunden.
Die Auffindung dieses Schiffsgrabes, in dessen Umgebung sich noch 4 ähnliche
grosse Steinhaufen befinden^), dabei die Nähe des Opferberges, dessen Fundstücke
') In der Zeichnuiiij liedeuten die arabischen Zahlen besonders notirte Fundstücke, von welchen
ein Theil unter denselben Nummern auf der Tafel dargestellt ist. Von den römischen Zahlen
bezeichnet 1 Goklperlen, 11 Scherben, III blaue Perlen, IV Metallperlen, V Metallspiraleu.
=0 Nachträglich hat sich herausgestellt, dass eine Menge von Fundsachen aus rothem Kupfer
bestehen.
3) Diese Steinhaufen liegen erstens in 1 Vi Werst Entfernung beim Kauger Gesinde auf der
Spitze einer bedeutenden Bodenerhebung und zwar zwei neben einander, von denen der eine in der
Richtung von Nord no" östlich nach Süd 30" westlich eine Länge von 17,50 Meter hat, mit
einer 3,50 Meter langen Doppelreihe kleiner Steine, die in der angegebeneu Richtung aus dem
Haufen hüiaus reichen. In der Senkrechten dazu misst der Steinhaufen 20,01 Meter, ragt
(216)
in ihrer sonst ungewöhnlichen Form theils identisch mit hier gefundenen Sachen,
theils in der Ausführung ihnen verwandt sind, dabei auch einen Anknüpfungspunkt
an eine der im Berliner Museum befindlichen, in Ascheraden gefundenen Fibeln (mit
vorstehenden runden Knöpfen verziert) bieten, weisen auf eine, längere Zeit andauernde
Herrschaft der Normannen hin, von der die Geschichte uns nichts mittheilt, von der
höchstens eine Spur in den Sagas, bei Aufzählung der unterworfenen Völker, in
den Kuren und Esten, und eine Nachwirkung in der Oberherrschaft russischer Theil-
fürsten hier im Lande in der Zeit der Ansiedelung der Deutschen zu finden wäre').
Einen factischen Nachweis für einen- längern, mit Herrschaft verknüpften Aufent-
halt der Normannen hieselbst bietet dieses Slaweeker Schiffsgrab darin, dass es
wenigstens 250 Setzfaden Steine ä 6 Fuss Quadrat bei o Fusfe Höhe enthält.
Einen solchen Setzfaden aufzubrechen und aus einer Entfernung von durchschnittlich
2 Werst anzufahren, wird hier Landes nach dem Arbeitsregulative mit 4 Pferde-
tagen, d. h. der Arbeit von Menschen nebst 4 Pferden während eines Tages berechnet.
Die Umgebung von Strante und Slaweek zeichnet sich nicht durch Steinreichthum
aus, daher sie ziemlich weit hergebracht werden mussten; was wohl nur im Winter
möglich war auf Schlitten oder Schleifen. Die ältere Reimchronik (sogenannte
Alnpeke) sagt vers 342: „Die sint Letten genannt. Die heidenschaft hat spehe site.
Sie wonet note in ander mite, sie buwen besonder im' manchen walt. Ir wib sint
wunderlich gestalt und habene selzene kleit; Sie riten, als ir uater reit": und auch
die noch lebende Volkssage betont, dass die Letten nie gefahren, sondern nur geritten
seien. Mann wie Weib. Da nun die Normannen schwerlich bei ihren Durchzügen
1 Meter über der Erde hervor; in der Mitte sind Steine ausgehoben, wobei man in 1,50 Meter
Tiefe noch nicht Erde fand. Die Ecken sind abgerundet. In 6,34 Meter Entfernung liegt ein
zweiter Steinhaufen, 33,94 Meter lang, in der Richtung von Ost 8° südlich, nach West 8'^ nördlich
imd 16,10 Meter breit, er erhebt sich über 2 Meter über die Erdoberfiäche. In etwa 7 — 8 Werst
Entfernung soll auf dem Waktekaln (höchster Berg der Umgegend, heisst Wachenberg) und
westlich bei der Forste! Wihkschne (Ulme) ein ebensolcher Steinhaufen sein, an dem die
Querreihen zu sehen, und mehrere kleinere*). Am Strante See selbst ist auch eine Stein-
setzung fast in Form eines Hauses, 24,00 Meter lang und 5,22 Meter breit, mit sehr grossen
Steinen zwischen 2 Querreihen in der Mitte angefüllt. Ohnweit dieser letztern Steinsetzung
befindet sich ein alter, von Jegor v. Sivers Raudenhof, Professor am Technologicum in
Riga, untersuchter Begräbnissplatz , welcher insbesondere dadurch interessant ist, dass er an
einer Leiche daselbst eine silberne Armspange fand, von so roher Arbeit, dass sie wahrscheinlich
hier im Lande gemacht ist. Desgleichen einen massiven silbernen gegossenen Schwertknauf von
höchst roher Arbeit. Von Jegor v. Sivers Raudenhof, der mich zuerst auf diese Gegend
aufmerksam gemacht und vor mir seine Forschungen im Leicheiifelde daselbst begouneri hat, rührt
auch der Nachweis her, dass unter dem Slawka der Urkunde über die Theilung Tolowas zwischen
dem Bischof Albert und dem Orden, 1224, wahrscheinlich die Gegend von Slaweek um den
Strante See zu verstehen sei. —
') G. Rathlef, Verhältnisse des livländischen Ordens zu den Landesbischöfen und Riga,
hebt hervor, dass die Dänen jederzeit ganz Livland, im Verein mit Estland, Estland genannt
haben. Es mag dies vielleicht nicht blos Folge ihrer Ansiedelungen in Reval etc , sondern
vielleicht schon alter Gebrauch gewesen sein. —
*) Nachträgliche Bemerkung: Im laufenden Monat in den ersten Tagen war ich bei dem
Rouueburg'schen Förster Wbikschne, um mir den dortigen Steinhaufen näher anzusehen. Ein
Schilfsgrab ist er nicht. Er hat nur 30 Fuss Durchmesser und bildet einen ziemlich hohen,
fast kreisrunden Hauten. Genau ihn zu imtersuchen, fehlte es an Zeit. Von einer Seite her
hineinarbeitend, fand ich concentrische Kreise gros.sor Steine und die Zwischenräume mit kleinen,
fast nur faustgrossen Steinen ausgefüllt; in der halben Höhe zwischen den Steinen reichliche
Kohlen, caicinirte Knochen, und ein Paar Spiralringe und ein Bronce-Armband, ziemlich defect.
Daher wohl ein Grab dort zu finden sein dürfte.
(217)
nach Byzanz oder ihren Kriegszügen im Lande Wagen mit sich geführt, so kann diese
Arbeit nicht von einoni durchzielienden Heere nach einer Schlaciit ausgeführt sein,
vollends da sowohl zum nächsten Seestrande wie zur Diina eine gerade Entfernung von
circa 70 Werst zu recluion ist. Gegen ein Grabdenkmal nach einer Schlacht spricht
auch der Mangel an Warfen. Nimmt man aber einen Herrschersitz der Normannen in
jener Gegend an, so liegt es sehr nahe zn vermiithen, dass hierher die Normannen, als
sie von den Russen vertrieben wurden, sich zurückzogen, und dass von hier aus Rurik
und sein Gefolge nach Russland berufen wurden, indem schwerlich die Russen über's
Meer nacli Scandinavien gezogen sein dürften, sich Herrscher zu holen, sie, die keinen
Seehandel hatten untl schwerlich von den Esten friedliche Ueberfalirt erlangt haben
dürften,, und dass von daher die Abhängigkeit Livland's von den russischen Theil-
fi'irsten datirt, welche die Deutschen hier vorfanden. —
?>nde Juni alten Styls kam ich endlich dazu, die Untersuchung des im vorigen
Jahre erwähnten Rinne-Hügels zu beginnen. Derselbe liegt dort, wo die Ufer
des ßurtueek-Sees so nahe zusammentreten, dass die Strömung in dem daraus hervor-
gehenden , den Abfluss bildenden Salisflusse deutlich hervortritt. Da der See bis
nahe heran 1 1 Fuss Tiefe hat bei niedrigstem Wasserstande, und ohnweit des Rinne-
Hügels unterhalb der Boden sich auf 5 Fuss Wassertiefe hebt, so mischen sich die
sich herandrängenden, tiefer liegenden, wärmeren Wasserschichten mit den oberen
und kälteren, und es friert diese Stelle nur bei sehx strenger Kälte, geht aber nach '6
bis -4 Tagen jedesmal wieder auf, so dass den ganzen Winter hindurch dort offenes
Wasser vorhanden ist, und eine bequeme Gelegenheit zur Fischerei mit Reusen und
Körben, aus Ruthen geflochten, sich bietet, vollends Leuten, denen die Mittel fehlen,
zu solchem Zwecke Löcher durch dickes Eis zu schlagen, während auch die Fische
sich dort im Winter in grösserer Menge sammeln. Auf dem rechten Ufer liegt der
unbedeutende Hügel Kaulerkaln (Knochenberg), aus welchem ich vor 2 Jahren meh-
rere" Leichen aus der Zeit der polnischen oder schwedischen Herrschaft, also zwischen
1561 und 1710, ausgrub, die dicht auf einander ohne Särge lagen, mit ein Paar
Münzen, zwischen denen und um die herum die Erde schwarz gefärbt und voll von
alten menschlichen und Thierknochen, alten Topfscherben und Muschelresten sich
zeigte, so dass man folgern darf, dass in dem für heilig gehalteneu Ort bis in die
neuere Zeit hinein immer wieder Todte (mit heidnischen Gebräuchen) beerdigt und
dabei die früheren Grabstätten zerstört wurden. — •
Auf dem linken Ufer liegt, ziemlich steil vom Wasser her aufsteigend, nach dem
Lande zu im sanften Abfall sich weiter ausbreitend, der 2,35 Meter hohe Rinne-
Hügel (auch Krewetsch? genannt), auf welchem vor etwa 40 Jahren ein Fischerhaus
erbaut worden, das seit S Jahren abgebraunt ist, und von dem nebst zweien Neben-
gebäuden die Fundamente noch vorhanden sind. Von diesem Hügel war auf meine
Bitte gemäss Anordnung des Besitzers, des Grafen Nicolai v. Sievers Alt-
Oltenhof, ein dem Wasser zunächst liegender Streifen in diesem Jahr nicht
bearbeitet und besät wurden, von welchem ich einen Theil untersucht habe. Nach-
dem ich durch Winkelmessung und Distanz- Aufnahme diesen Laudstreifen auf-
gemessen, bildete ich mittelst parallel gezogener Schnüre, die durch quer hin-
über gezogene, an jene angebundene Schnüre verbunden und an eingerammten
Pfählen befestigt waren, Quadrate von je 1 Meter Länge und 2 Meter Breite.
Jeder der Arbeiter hatte ein in Centimeter eingetheiltes Messband von Wachsleinen
(wie die Schneider es gebrauchen), um die Tiefe der Lage seines Fundstückes zu
bestimmen, und es wurde die Erde, nachdem durch Abgraben eine senkrechte Wand
gebildet war, mit kleinen Kinderechaufelu mit kurzem Stiele oder einem breiten
kurzen Messer losgekratzt und durchsucht; erst, sobald ein grösseres Quantum
(218)
sich angesammelt hatte, wurde es mit der grossen Schaufel hinausgeworfen. Ich selbst,
mit einem grossen Korbe zum Aufnehmen der Fundstücke, sass beobachtend hinter
den Arbeitern, band an jedes interessantere Fundstück einen Zettel mit fortlaufender
Nummer, trug diese in das betreffende Quadrat der Karte, möglichst genau der
Fundstelle entsprechend, ein, und machte nebenan auf dem Kartenrande Bemerkungen
über die Tiefe, die Schichtungen etc.; später hatte ich auf einer Rolle Bindfaden
aufgereihete Zettel mit fortlaufender Nummer \orbereitet, und ein Blatt mit derselben
fortlaufenden Nummerreihe daneben, so dass ich nach Eintragung der Fundstelle auf
der Karte die Bemerkung auf dem Blatte bei der betreffenden Zahl rasch eintragen
konnte, wodurch die Arbeit sehr au Präcision und Schnelligkeit gewann. Die Arbeit
wurde während der ersten 3 Tage mit 5 Arbeitern, von denen 2 schon auf allen
meinen Nachgrabungen und der dritte auf mehreren derselben mich begleitet hatten,
gemacht; später erhielt ich noch 4 Mann zur Hülfe, deren guten Willen und Fleiss
ich nur loben kann.
Die Arbeit begann in solcher Weise von dem unteren Theile hinauf zur Mitte
hin, zuerst von Westen und Nordwesten her, dann, als im Vorschreiten gegen die
Mitte hin die Erträge geringer wurden, in derselben Weise von Osten her gegen die
Mitte zu, dort beginnend, wo ich unter der Obererde auf die ersten Muschelschichtungen
stiess. Nachdem ich in solcher Art G)t; Tage lang gearbeitet, gab ich diese Arbeits-
weise mit der kleinen Schaufel auf, weil die mir zur Verfügung stehende Zeit auf-
hörte, ich bald wegreisen musste, und ich ein Durchwühlen von unberufenen Händen
und damit den Verlust von vielleicht wichtigen Fundstücken befürchtete, ins-
besondere auch, weil ich den grösseren Knochen einen höheren Werth beilegte, als
kleinen Artefacten und zerbrechlichen Bernsteinstückcheu. Ich Hess den Rest des in
Angriff genommenen Hügeltheils mit der grossen Schaufel, horizontal hineingreifend,
abgraben und jeden Schaufelstich in der Art, wie beim Worfeln des Getreides, breit
auswerfen, wodurch bei der völligen Trockenheit des Terrains jedes grössere Stück
gesehen und aufgelesen werden konnte, jedoch auch eine Menge kleinerer Sachen
noch gefunden wurden. Diese Arbeit dauerte noch 1% Tage. Die beifolgenden Photo-
graphien (Taf. XIV) zeigen die interessantesten Fundstücke:
No. 1, 2, 8, 9, 10. Harpunen.
No. 5, 19. Gerade Fischaugeln und Pfeile.
No. 4, 23, 22, 21, 20, 24. Pfriemen verschiedener Grösse.
No. 7. Dreiseitige Pfeilspitze aus dem Rückenstachel eines alten Fisches gemacht,
wie sie im Burtneek-See mehrfach gefunden werden.
No. 11, 12, 13. Theile eines Schmuckes, die nahe bei einander lagen und in den
Bruchflächen zusammenpassen.
No. 6. Schmuck auf der Brust eines Skeletes, dessen Schädel vorhanden ist, ge-
funden. (No. 258).
No. 14, 15. Perlen von Knochen, nahe No. 11 etc. gefunden.
Nu. IG, 17. Offenbar zusammengehörig; an 17 verläuft im unteren breiteren Theile
eine nach innen gekehrte schmale Rinne, die auf die Zusammenstellung
dieser Stücke mit anderen deutet.
Alle diese Sachen sind von Knochen gemacht, No. 20 offenbar ein Vogel-
knochen.
No. 3, 25. Feuersteinstückchen, deren überhaupt nur vier gefunden sind.
No. 26. Ein zu einer Art Thierkopf verarbcitetcter Knochen.
No. 27, 29. 2 Schleifsteine; auf 29 sind die Rillen sichtlich, die beim Schleifen von
spitzen Gegenständen entstehen.
(219)
No. 31, 33, 34, 35. Pfeilspitzen von Knochen').
No. 30. Eine Pfeilspitze, sehr hübsch von Rosenquarz gearbeitet; wohlerhalteii.
No. 32. Rine Pfeilspitze ans Glimmerschiefer.
No. 44 — 47. Waffen von Knochen. Die Lanzonspitzen No. 44, 45, 4ij haben tiefe
Blutrinnen um! hiuzettförmig zugeschliffene Spitzen. No. 47 ist an der
Spitze scharf zugeschliffen. Waffe?
Im Ganzen sind von mir eingesammelt worden:
332 Stück bearbeitete Knochen und Zähne. Von letzteren 26 und 1 Knoclien zum
Schmucke durchbohrt, sowie Eberhauer, zu messerartigen lnstrun)enteii ver-
arbeitet.
1 flohlmeissel von Knochen.
1 Pfeilspitze von Rosenquarz.
1 Pfeilspitze von Glimmerschiefer.
1 Steinbeil ohne Schaftloch, an die Formen der Pfahlbauten erinnernd, gefunden in
der Obererde beim Beginn der Muschellagerung.
12 Schleifsteine, darunter einer mit einem Loche und einer mit eingeschliffenen Rillen.
] Mahlstein, an dem beide Seiten zum Mahlen mit der Hand im Kreise mit einem
kleineren Steine gebraucht worden, wodurch die Mitte erhaben vorsteht,
desgleichen mehrere abgeriebene Steine, die scheinbar zum Mahlen gebraucht
worden (ziemlich in der Mitte der Muschellagerung).
12 ßernsteinstücke, darunter eines mit einem Loche.
488 Stücke zerbrochener Knochen diverser Grösse, unbearbeitet.
157 Knochen mit Gelenkflächen.
1 vollständig erhaltener grosser Thierknochen.
165 Unterkieferstücke, meist mit Zähnen, darunter 83 Stück vom Bieber, unter denen
jedoch nur eines noch den Nagezahn enthält. Dann ein Vordertheil eines
Unterkiefers mit langer Zahnlücke und Löchern für 8 Vorderzähne, falls
jeder Vorderzahu nur eine Wurzel hat; zum Theil stammen die ünterkiefer-
stücke von Fleischfressern, theils von Pflanzenfressern her.
5 Oberkieferstücke.
413 lose Zähne, darunter 7 Stück kurzer dicker Zähne, die aus dem Oberkiefer eines
Schweines zu stammen scheinen; gerade Linie von einem Ende zum andern
5 Centimeter, vordere Breite des Zahnes 2^ Centimeter.
12 Geräthe aus Geweihstücken, darunter ein Stück eines Rehgeweihes, welches da-
durch interessant wird, dass früher in Livland keine Rehe lebten, dieselben
erst von Kurland her im Jahre 1831 einwanderten, und noch jetzt im nörd-
lichsten Theile Livlands und in Estland fehlen. —
1% Reisszähne vom Bären.
1 Stück eines Hornzapfens vom Stier, das sich auf einen Gesammtumfang von 182 Mm.
berechnen lässt.
7 Stück rother Erde; dieselbe wurde in einer ziemlich in der Mitte der Höhe der
Muschellagerung sich hinziehenden , schwarzbraun gefärbten Erdschicht ge-
funden. —
Uober die Schichtungen geben die folgenden (! Durchschnitte Aufsohluss:
') No. 31 lag am Schädel, ilessen ich hei jS'o. 6 erwähnte, beinahe flach an dem Schädel
dache an. Neben den Füssen desselben Skelets lagen No. 32 und No 34 imd ohuweit davon
mehrere grosse Thierknochen.
(220)
D urch schnitt f.
Obererde mit wenig Muscheln . . 0,35
weisse kalUartige Sdiicht .... 0,02
Muscheln 0,12
schwarze Erde mit Kohlen, Schuppen
und rother Kreide 0,01
Muscheln 0,(i6
Schuppen und Gräten 0,01
Muscheln 0,'>3
Schuppen und Gräten 0,03
Muscheln • . , 0,10
schwarze Erde, kohleuludtig . . . 0,03
Schuppen und Gräten 0,04
Muscheln 0,08
schwarzer Untergrund. Gesammt-Tiefe
0,85 Meter.
Durchschnitt g
Durchgrabene, mit Muscheln dicht
durchmengte Erde, in deren Grunde
ein Skek't lag 0,65
Asche, durchgehende Schicht . . . 0,09
Schuppen, in denen schmale Streifen
Muscheln liegen 0,21
zusammen 0,97 Meter.
Durchschnitt h.
Gemischte Obererde 0,15
Muscheln 0,21
braune Erde mit Muscheln . . . 0,14
Kohlen, Erde, rothe Kreide . . . 0,01
Muscheln 0,02
Kohlen mit Muscheln 0,06
Asche 0,09
Gräten, Schuppen 0,03
Kohlen 0,01
gemischte Kohlen und Muscheln . . 0,02
Schuppen 0,01
Muscheln 0,01
Schuppen 0.03
Gräten 0,03
Muscheln 0,03
Schuppen 0.02
Muscheln 0,04
Schuppen 0,02
Muscheln 0,02
zusammen 0,95 Meter.
Schwarze Erde mit Kohlen gemischt
darunter. Diese Schichtungen waren bis
a\if den Grund durchgegraben und ein
Skelet (No. 66) auf den Untergrund ge-
legt, auf angebrannte Fichtenrinde und
Kohlen, gleich daneben lag in 0,5S jMeter
Tiefe in der geschichteten Erde das Gelenk-
stück No. 36.
Durchschnitt i.
Obererde mit Muscheln gemischt
Schuppen und Gräten
kalkartige weisse Schicht . . . .
rothbrauue Schicht
Kalk
rothbiaune Schiebt, enthaltend Kohle,
Muscheln, rothe Kreide ....
Muscheln mit Schuppen
Schuppen
Muscheln allein
gemischte Schicht, Muscheln, braune
Masse (Gräten?), Schuppen und
Gräten enthaltend
zzusammen 1,12 Meter.
Darunter schwarzer sandiger Thon .
brauner sandiger Thon
gelbbrauner Sand.
0,15
0,15
0,05
0,05
0,02
0,08
0,22
0,03
0,08
0,25
0,06
0,13
Durchschnitt k.
Obererde 0,12
Muscheln 0,08
Kohlen 0,Ü1
Muscheln . . . . 0,12
Schuppen, Gräten, Kohlen .... 0,08
Fischschuppeu 0,02
Muscheln, Fischschuppeu .... 0,04
Muscheln 0,01
Schuppen 0,02
Muscheln 0,08
Fischschuppeu 0,03
zusammen 0,67 Meter.
Schwarzer Untergrund mit Kohlen, in
der untersten Schicht das Rehgeweih No.
277 und Fischkiefer No. 278.
Durchschnitt 1.
Obererdc 0,11
Schichtenweise wechselnd Muscheln
und Erde 0,34
braune Schicht, Kohlen, Erde,
Schuppen, wenig Muscheln und
rothe Kreide oder Torfasche . . 0,05
(221)
graue Musclioln, nicht Unio ])ict., sehr
zerbrechlich, dalier ich überhaupt
nur 2 vollständig aui'hclten konnte 0,18
Fischgräten ,...,.... 0,02
MuscheUcIiicht, Unio pi'-t., in uiige-
Muscheln mit schwarzer l'>fle vom
Untergründe durchmisclit, durch-
gegraben 0,2()
Darunter folgt die schwarze Erde;, in
welcher das Skelet lag, über dem Kopf
rührter Tvage 0,2(1 ' und der Hrust in ein Paar Centinieter
Fischgräten mit Muscheln untcrniischt,
ungeri'dirt durchgehend .... 0,05
Abstand eine sehr dünne Schiclit Fisch-
schuppen und Gräten liegend.
Annicikunf,^ In doin Keusclilag gegeniilier findet siel:, wie mehrfach sonst an den See-
ufern, ein l-a^cr Muscliehner^ol, aus kleinsten Sclnicckenliaufcn beslehend. In den Grenzen des
anuienzenden (intes iNeu Oltenliof habe ich vor Jahren gehört, dass dort ein Lager rotlien Ockers
sei (wohl Torl'asi'lie?), lä Werst entfernt unter Idweii desgleichen. — Unterhalb an der Salis,
wo der Nukkc-iMiililenbacli einmündet, durclisclineidet er ein mächtiges Mergellager.
Von Eintluss auf die Erhaltung der Gegenstände ist wesentlich der Umstand gewe-
sen, dass der hier landesübliche Hakenpflug nur ein Pflügen von 4—6 Zoll höchstens, d. h.
von circa 10^ 15 Centinieter tief gestattet, falls man nicht zu der Künstelei sich verstieg,
2 Pflüge, einen hinter dem andern, iu derselben Furche gehen zu lassen, eine Künstelei,
die erst mit der Einführung deutscher.u. a. Pflüge hie und da in den letzten 20 — 30 Jahren
im Kleinen stattgefunden hat, wozu jedoch bei diesem Ackerstücke keinerlei Anlass
vorlag, da es auch ohne jede Düngung noch jetzt gute Ernten giebt, wo abwechselnd
nur Erbsen und Gerste darauf gesäet werden; auch auf dem für meine Arbeit un-
beackert gebliebeneu 'l'heile hatte sich ein dichter Bestand von Disteln, untermischt
mit Gerste, vom vorjährigen Korne entwickelt, der mir bis an die Hüfte reichte,
als ich um Johanni hinkam.
Durchgängig fand ich die Süsswassermuschelu in den oberen Schichtungen viel
mehr durch Witterungseiuflüsse zerstört, als in den unteren, wo sie (die Unio pictorum
meist) noch so fest waren, dass sie beim Hinauswerfen mit der Schaufel einen klin-
genden Ton von sich gaben und von jedem Schaufelstiche eine Menge vollständig
erhaltener Muscheln aufgelesen werden konnte, während ich beim Nachgraben im
vorigen Jahre nur mit Mühe einzelne einigermassen erhaltene finden konnte, die mir
meist zwischen den Fingern auseinanderfielen. Dagegen habe ich iu den unteren
Schichten nichts davon bemerken können, dass Muscheln, in einander geschichtet mit
zwischengelegten Fischgräten und Schuppen, vorhanden seien, wie ich sie im vorigen
Jahre und auch jetzt auf der Mitte des Hügels in den höheren Schichten gefunden
habe. — Von grösseren Knochen habe ich nur 1 Stück auf der Oberfläche freiliegend
gefunden. Es mögen aber viele weggebracht sein, da auch hier der Kuochenhandel
begonnen hat, und mir schon vor circa 25 Jahren erzählt wurde, dass sich dort viel
Knochen fänden. — Vou menschlichen Skeletteu, die im schwarzen Untergrund unter
regelmässiger Schichtung mehr als einen Meter tief lagen, fand ich drei, nehmlich eines
in 1,27 Meter Tiefe, bei dessen Losarbeitung ein unmittelbar aufliegender Schädel
und mehrere Knochen zerstört wurden ; das dritte hatte einen zerquetschten Schädel
und zerfallende Knochen. Dann fand ich in 0,74 Meter Tiefe ein Skelet, von dem
ich den Schädel wohlerhalten besitze, unter regelmässiger Schichtung; ich that des-
selben bei den Pfeilspitzen Erwähnung.
Otlenbar aus einer sehr viel späteren Zeit und leicht von den unter geschichteter
Erde liegenden Skeletten unterscheidbar durch die über ihnen befindliche Schicht
durchgrabener Lagen, wo die zerbrochenen, gleichmässig vertheilten Muschelstücke
der aufliegenden Erde ein gleichmässiges Aussehen ertheilten, befand sich eine
Meno^e Skelette, vou denen ich 24 Schädel, meist wohlerhalteu , herausgeuommne
(222)
habe. Bei jedem derselben befand sich ein Messer, meist an der Hüfte, bei einigen
Münzen, die auf die Ordenszeit und auf die polnische, wie schwedische Herrschaft
hinweisen, und ein Paar einfache Brustschuallen. Die meisten lagen in einer Tiefe
von 30 — CO Ceutimeter, eines davon hatte eine Menge Kauris in der Halsgegend und
eines war bis auf den Untergrund hineingelegt auf eine Schicht von Kohlen und
von Fichtenrinde.
Wie das Special- Vorzeichuiss der Fundstücke ausweiset, sind die meisten feiuer
gearbeiteten Sachen in mittlerer Tiefe von 25 — 60 Ctm. gefunden worden, zusammen
mit den meisten Bernsteinstückchen, die sich auf einen ziemlich kleinen Umkreis
concentrirten. —
Insbesondere in die Augen springend war auch die scharfe Absonderung der
verschiedenen Schichten, die auch nicht gleichmässig im Detail durch den ganzen
Hügel verlaufen; daher dem Beschauer sich als Gesammtresultat der Eindruck auf-
drängt, dass hier ein bis in weit entfernte Zeiten zurückweisender Wohnsitz von
Menschen gefunden und von mir durchforscht ist. Menschen, die nicht bloss kein
Metall besassen, sondern auch noch keine Steinwaffen, die nomadisirend von
Fischen, Muscheln und Wild lebten, das zu erlegen ihnen die Keule, der Speer und
der Pfeil mit Knochenspitze, die sie mühsam durch Spalten der Knochen und Ab-
schleifen auf Steinen herstellten, sowie der Wurfpfeil mit Harpunenspitze und die
Knochenangel dienten. Auf Kleidung aus Fellen deutet die grosse Menge von
pfriemenförmigen Knochen verschiedenster Grösse. Dass sie uomadisirten, beweist
die scharfe Abgrenzung der diversen Schichten und das "Vorkommen von Bern-
stein in den tiefsten Schichten, wenngleich er am meisten in den mittleren ver-
treten ist, dort auch ein Stück mit einem Loche vorkam. Mit der steigenden
Culturentwickelung treten Schmucksachen auf, erst eine blattförmige Figur, eine
vogelförmige, dann ein einem geschlungenen Bande nachgeahmter Schmuck von
Knochen. Erst jetzt und mit diesen findet sich eine Pfeilspitze von Rosenquarz,
ein wahres Kunstwerk der grössten Geschicklichkeit und Ausdauer, wenn man die
Sprödigkeit des Materials, die Mangelhaftigkeit der Werkzeuge berücksichtigt. Mit
diesen Erzeugnissen höchsten KunstHeisses findet sich auch das Stück durchbohrter
Bernstein; in gleicher Höhe zwei Skelette, deren einem zwei Knochen und ein Steinpfeil
aus Glimmerschiefer mitgegeben sind. Erste Andeutung des Begriffs eines Fortlebens
der Seele nach dem Tode. In nocJi höheren Schichten endlich finden sich mehrere
Muscheln, in einander geschachtelt und mit zwischenliegeuden kleinen Fischschuppen
und Gräten, Anzeichen der Anbetung eines höchsten Wesens durch Opferdarbringung.
Mit dem Eintritte höherer Cultur, dem Anbau von Gulturgewächsen, auf welche der
Mahlstein deutet, also von Cerealien, verlor der Hügel mehr und mehr seine Bedeu-
tung als Ernährungsstätte in Zeiten des Mangels durch den Fischreichthum des Sees;
Ansiedelungen dehnten sich in der fruchtbaren Umgegend aus, wie das Vorkommen
der Steinbeile') und die Werkstätte der Feuersteingeräthe am Seeufer beweisen. —
Dagegen erhielt der Ort der ältesten Ansiedelung, die Begräbuissstätte vielleicht her-
vorragender Persönlichkeiten den Werth eines heiligen Ortes, einer vielleicht an be-
stimmte Zeiträume sich anschliessenden Versammlung des Stammes zu Cultuszwecken,
welche die Erinnerung an jene ersten Culturzustände in Darbringung der damaligen
Nahrungsmittel von Muscheln und Fischen sich wohl unbewusst forterhielten. —
Dieser den Ort mit einem Nimbus der Heiligkeit umgebende Cultus führte endlich
in den Zeiten des ersten Christenthums zu heimlichen vielfachen Beerdigungen mit
') hl Ostrominsky zwei, daiunlor eines ohne Loch, in Ahlershof ein Steinbeil, vide Grewiugk,
.Steinalter der Ostseeprovinzen, 18G5. Fig. 1 und 16.
(223)
heirlnisclien Gebräuchon. — Die Neuzeit hat die Erinnerungen verwisclit. Sagen
lauipften sich nicht an den Ort; wenigstens ist es mir nicht gelungen, deren zu
ermitteln. Auch das Gedächtniss an die Beerdigungen war geschwunden. Die Leute
wunderten sich über die Menge der Skelette, die aufgedeckt wurden, und meinten, die
gerundeiien Tiiierknochcn stammten wahrscheinlich vom dort verscharrten Aase her. —
Von Neuhall aus, wo icli während der Arbeit im Rinne-Hügel wohnte, machte
ich auch einen AusHug zu der Teufelshöhle bei Salisburg (Wr-llapagaba, nicht
WellaUlepis, welches der Name eines Steinhaufens bei Schloss Pürkeln ist). — Da
der, der Höhle vorliegende; Grund nebst der sich von dort zur Salis hinziehenden
Einseukung iiuf mich den Eindruck machten, dass sie früher, in Folge der Erosion
durch di(; darunter i'ortiliessende und unterhalb der Höhle hervorbrechende Quelle
eingestürzte idte Theile der Höhle seien, so bohrte ich mit einem Erdbohrer au 2 Stellen
hinein. An der untern Stelle, näher dem Heuschlage zu, der zwischen dem Flusse
und dem Berge die Niederung einnimmt und einem alten Wasserlaufe seine Existenz
zu verdanken scheint, stiess ich in IJij Meter Tiefe auf Kohlen und braungefäibten
Sand. Bei dem höheren Loche kam ich in der Tiefe von 2,30 Meter desgleichen auf
Kohlen und braungefärbten Sand, so dass auch dort die Hoffnung geboten scheint, bei
weiterer Nachforschung auf Spuren menschlichen Thuns und Lebens zu stossen. —
Hr. Virchow bemerkt dazu, dass er gleichzeitig von dem Hrn. Grafen Sievers
eine Einladung erhalten habe, selbst die Fundstellen mit ihm zu untersuchen. Da
jedoch diese Einladung ihn erst am Starnberger See erreicht habe, so sei er genöthigt
gewesen, trotz seiner Bereitwilligkeit abzulehnen. Darauf sei ihm d.d. 29. Sept./1L Oct.
ein weiterer Bericht des Grafen Sievers zugegangen über Untersuchungen desselben
am Riuuehügel und am Opferhügel von Strante.
(Hierzu Tafel Xlll. B. Fig. a-h).
Vor 4 Tagen bin ich erst von der, 14 Tage dauernden, Fahrt nach Wilsenhof
und zum Riunehügel zurückgekehrt. Das Wetter war so schlecht, fast beständiger
Sturm und Regen, dass ich von diesen 14 Tagen nur 5 zu den Ausgrabungen ver-
wenden konnte. Ausserdem hatte ich die Leistungsfähigkeit meiner Leute überschätzt.
Ich habe in diesen 5 Tagen nur die Fundamente der beiden kleinen Gebäude zunächst
den Weidenbäumeu ausheben uud die umliegende und zwischen den Steinen liegende
Erde untersuchen können: ich fand dort mehrere interessante Artefacte, Harpunen,
Messer aus Eberhauern, Feuerstein-Pfeilspitzen, falzbeinartige Nadeln, darunter die
eine i)() Mm. lang, 12 Mm. breit, 2 Mm. dick, mit einem Loch 24 Mm. von der Spitze,
Lochlänge 3)^ Mm.; die andere 155 Mm. lang, 18 Mm. breit, 2^ Mm. dick, vollständig
erhalten, mit einem Knopfe am breiten Ende, hatte in der Mitte, etwa da, wo man,
die Nadel in der Hand haltend, die Spitze nach vorn, mit dem Daumen drücken
konnte, mit einer Menge theils cpier hinüberlaufender, theils nur an den Kanten be-
ginnender schmaler Rillen, die durch anhaltendes Scheuern eines Fadens zu entstehen
pflegen, so dass ich dieses Instrument für eine Netzstricker-Nadel halte. Dann fand
ich auf dem Untergrunde unter ungerührten Schichten ein durchbohrtes Stück Bern-
stein, so dass ich wenigstens das sehr beschränken muss, was ich über den niedrigen
Culturzustand der ersten Anwohner dieses Erdfleckes gesagt habe.
Endlich fand ich ein zweites weibliches Skelet, fast vollständig bis auf die kleinsten
Fingerknochen, nur der Schädel zersprungen, der jedoch so vollständig wie möglich
herausgehoben wurde, und der mit dem ganzen Skelet, jeder Theil mehrfach in Papier
eingewickelt, der Expedition harrt. Die Lage ist genau südwestlich von dem W^eideu-
(224)
bäum 9,34 Meter entfernt, der Kopf nach Nordost, Füsse Südwest. Gesammtlänge
inclusive der ausgestreckten Füsse von den Zehenenden an bis zum Rückgratende
gemessen 1, 31 Meter. Bei diesem Skelet lag auf den Beckenknochen, wo das freie
Rückgrat aufhört, ein Klumpen Fischschuppen und Gräten, die rechte Hand war
darüber gelegt. Ein Theil dieser Fischschuppen ist gesondert herausgenommen und
eingepackt. Der Rest haftet den Knochen an.
Vor der Fahrt nach Wilsenhof musste ich noch auf einen Tag nach Strante
in Rönne bürg, in der Nähe des Grabes mit Steinsetzung in Schiffsform (norman-
nisch?), fahren, weil dort in einem Leichenfelde am See 2 Gräber mit reichem
Schmucke geöffuet worden waren. Die Fundstücke (Taf. XIIIB. Fig. a— h) habe ich ziem-
lich vollständig ankaufen können, weil die Juden, die mit den Bronzesachen schlechte
Geschäfte gemacht hatten, mir keine Concurrenz mehr bereiteten. Sehr wichtig war
mir dieser Fund, weil an der einen Leiche 4 silberne Münzen als Schmuck gefunden
wurden, von denen eine deutlich ein Ethelred, die zweite wahrscheinlich dasselbe, die
dritte ein Bracteat ist. Bei der zweiten Leiche, die in derselben Aschenschicht mit
der ersten zwischen den Resten eines Trogsarges lag, fand sich ein reicher emaillirter
Schmuck von Bronze, darunter 5 Kreuzchen, in ihrer Form den griechischen Kreuzen
Fig. 1.
Fig. 1. grün emaillirt, glatt, die Löcher
durchgeschlagen. Durch das Rohr läuft ein
Loch.
Fig '2. Hellgrün emaillirt, die Löcher und
das Mittelkreuz durchgesehlagen.
Fig. 3, Am Kreuz die Kisten minder
schwarz. Die Kisten scheinen verschiedenfarbig
ausgefüllt gewesen zu sein, wie nach der theil-
weise erhaltenen Füllung anzunehmen.
sich nähernd, bei denen nicht blos die Kästchen mit Email-Masse ausgefüllt, sondern
die vorstehenden Kistenränder ebenfalls mit andersgefärbtem Email, gleich andern
Theilen des Schmuckes, überzogen waren. Dadurch bin ich erst mittels Vergleichung
dazu gekommen zu erkennen, dass die 2 Armbänder des Schiffsgrabes, von denen
eines unter No. 99 photographirt ist, ebenfalls mit hellgrünem Email, nicht mit fei-
ner Patina, überzogen sind, und dass ein Halsring in Schlangenköpfe ausläuft. — An
beiden Leichen fand ich Fibeln, die mit den im Schiffsgrabe, wie in dem Strante Opfer-
berge gefundenen identisch sind. Auch Jegor von Sivers-Raudenhof hat in einem,
ohnweit des Strante Opferberges gelegenen, mit Steinen überdeckten Grabe ebenfalls
(225)
eine dergleichen Fibel gefunden. So ist diese im vorigen Jahre von mir zuerst ge-
fundene Fibelform jetzt schon in einer Menge von Exemplaren und von verschiedenen
Stellen vorbanden, und damit die Zusammengehörigkeit dieser Fundstätten nach-
gewiesen.
Weitere Beläge für eine langandauernde herrschende Anwesenheit der Normannen
hieselbst traten jetzt noch hinzu, wo ich kaum erst auf Grund des Schiffsgrabes diese
Hypothese aufgestellt habe. Der Runenstein bei Ohlershof, ohnweit des Burtneek Sees, ist
jetzt von einem Gelehrten in Christiania entziffert. Desgleichen hat ein Dr. Weske,
von Geburt ein Este, Lector der estnischen Sprache in Dorpat, während seiner Sommer-
reiseu einen alten estnischen, dem finnischen nahe verwandten Dialect gefunden, dem
gegen HOO altgothische Worte beigemengt sind. Desgleichen hat er eine alte Colonie
katholischer Esten im Witepskyschen entdeckt, deren alte unvermischte Sprache eine
Menge altgothischer Worte enthält.
Noch muss ich etwas, die beiden Gräber am Strante See Betreffendes nachholen.
An der einen Leiche fanden sich an der Stelle des Oberkörpers Reste einer ausneh-
mend reichen Kleidung aus einem dicken geköperten Wollenstoff mit reicher zacken-
förmiger Einfassung von Bronzeringen an den Kanten, während das ganze Zeug mit
Sternchen aus flachen Bronzeringen besetzt ist. Dabei sind mehrfarbig garnirte Borden
und Bänder, Frangen u.s.w. erhalten. Dieses Kleidungsstück muss mit einem Bärenpelz
überdeckt gewesen sein, weil es mit Bärenhaaren, bei denen das Wollhaar nach aussen
lag, bedeckt war. Dazwischen lag eine Menge Preisselbeereublätter. Auffallender
Weise sind von den Knochen nur pergamentartige Partikeln erhalten. Bei der zweiten
Leiche war der Schädel erhalten, der aber bei einer Prügelei, die unter den Findern
(4 Knaben von 12 — 16 Jahren, die mir früher bei meinen Arbeiten geholfen hatten)
im Grabe sich über den Besitz der Sachen entwickelt hatte, zertrümmert und so im
Grabe gelassen wurd3.
(15) Es erfolgt die Vorstellung der von Hrn. Karl Hageubeck nach Berlin
gebrachten
Lappen.
Hr. Virchow bemerkt dazu Folgendes:
Die Leute sind aus dem schwedischen Lappland, von Karesuando. Der Ort liegt
zwischen 68 — 69" nördl. Breite in 40'' östl. Länge an der Kungäma Elf, einem nörd-
lichen Zuflüsse der Tome Elf, in Enontekis, dem äussersteu Bezirke des schwedischen
Lapplands, da wo sich eine Spitze des russischen Lapplands tief nach Westen hinein
erstreckt und wo Russland nahezu einen der Fjorde der Westküste (Alten und Lyngen
Fjord) erreicht. Sie gehören demnach einem viel mehr nördlichen Bezirke an, als
die in den Sitzungen vom 16. Januar und 20. Februar vorgestellten und besprochenen
Lappen von Mala.
Es sind im Ganzen 6 Individuen, die zwei Familien angehören, nehmlich Rasmus
Petersen mit seiner Frau Ella Maria Josefsen und zwei, noch ganz kleineu Kindern
(2)^ Jahr und 5 Monate), von denen eines noch an der Mutterbrust ist, sowie Lars
Nilsson mit seinem erwachsenen Sohne Jacob Larsson. Die physischen Merkmale
der Erwachsenen werden in nachstehender Tabelle übersichtlich hervortreten:
VerhandL der Berl. Anthropol. QeselUch. 1375. 16
(226)
<
i
Farbe.
:3
c
c -2
-.53 J3
:o3 x:
B »
'S '-
ö
o
0.
o
" 'S
O l;
C5
.^^
'S s
J3 5
OD
o ♦;
.= ::■
.2 5
ü
so
O
c
Centm.
Millm.
Lars Nilssou
5C
lichtbraun
mit bliiul.
Schimmer
dunkel-
braun
bräunlich
153
64,0
82,5
195
160
118
151
127
105
46,8
37
Jacob Larsson
18
lichtbraun
braun
mit gelbl.
Glanz
leicht
bräunlich
161
66,5
80,5
189
166
116
147
117
111
45
33
Rasmus
Petersen
37
hellbraun
schwärz-
lich
bräunlich
153
64,5
77,5
178,5
156
122
141
119
104
48
33
Ella Maria
Josefsen
34
dunkel-
braun
dunkel-
braun
bräunlich
139
54,5
80
180
151
113
131
115
95
52
37
Ich will zunächst darauf aufmerksam machen, dass auch diese Leute keineswegs
durchgehends jene dunklen Farben darbieten, wie man sie in Büchern von den Lappen
beschrieben findet, dass namentlich der jüngere Mann braunes Haar hat, welches sehr ins
Lichte geht und dass das kleinste Kind vollständig blond ist. "Was die Farbe der
Augen betrifft, so ist diese allerdings durchgehends braun, indessen sehen Sie, dass Lars
Nilsson und sein Sohn mehr lichtbraune Augen haben, deren Farbe schon bläuliche
Nuancen darbietet; bei dem Vater steht die Farbe auf der Grenze zwischen blau
und braun. Bei den Kindern sind die Augen verhältnissmässig dunkelbraun; ihre
Augenfarbe erscheint um so mehr dunkel, als ihre Hautfarbe durchscheinend weiss
ist. Bei den Erwachseneu ist die Haut durchweg bräunlich und zugleich faltig.
"Was die Grösse betrifft, so gehören sie sämratlich, namentlich die Frau, zu den
kleinen Leuten. Nur Jacob Larsson erreicht mit 1,61 Meter nahezu das europäische
Mittelmaass. In Bezug auf die Gesichtsbildung lässt sich nicht verkennen, dass das
Gesicht der Frau durch seine Breite und Niedrigkeit an mongolische Formen erinnert.
Bei den Männern ist dies aber gar nicht der Fall, namentlich zeigt sich im Bau der
Augen nicht jene Schlitzäugigkeit, welche die mongolische Rasse in Asien charak-
terisirt. Besonders bei den Kindern ist es auffallend, wie gross und offen ihre Augen
sind und wie sehr sie den Eindruck einer runden und entschieden europäischen Ge-
staltung darbieten. Das kann man also auch hier constatiren, dass die Beziehungen
der Lappen zu den Mongolen cum grano salis aufzunehmen sind und dass viel dazu
gehören wird, ehe man sich überzeugt, dass die "Verwandtschaft eine so nahe ist, wie
sie von Manchen als unzweifelhaft angenommen wird.
In Bezug auf weitere Einzelheiten will ich mich möglichst auf Zahlen beschränken.
Es ergeben sich für die Erwachsenen folgende Indices:
Lars Nilsson.
Breiteniudex des Schädels . 82,0
Ohrhöhenindex 60,5
Naseuindex ..,.,. 79,0
Gesichtsnasenindex .... 44,5
Gesichtöbreiteuiodex . . . 69,5
b Larsson.
Rasmus Petersen.
Ella Maria
Josefsen.
87,8
87,3
83,8
61,3
68,3
62,7
73,3
68,7
71,1
40,5
46,1
54,7
75,5
73,7
72,5
(227)
Dies« Verliältnisse stimmen im Ganzen mit dem, was ich in der Sitzung vom
20. Februar über die Leute von Mala mitgetbeilt Labe, ziemlich gut übereiu. Nur
in der Höhe des Schädels fand sich damals in der Mehrzahl ein höheres Maass: das
gegenwärtige dürfte vielleicht dem herrschenden Typus mehr entsprechen. Nächst-
dem variiren am meisten die Verhältnisse der Nase: obwohl durchweg niedrig, sind
ihre Beziehungen zum Gesicht und dem entsprecliend ihre Formen rocht verschieden.
Nur bei der Frau ist der Rücken stärker eingebogen und die Nase leicht aufgeworfen.
Immerhin dominiren auch hier überall die Breitenverhältnisse.
Zur Vergleicliung der Körperverhältnisse entnehme ich der Kürze wegen einige
Vergleicbuiigszaliien aus Krause (Hiiudbuch der menschl. Anatomie, Hann. 1841 1.
S. 225). Seine in Zollen gegebenen Maasse bei Europäern betragen in Millimetern:
Mann. Frau.
die Höhe des Körpers 1070 1565
die Länge des ganzen Armes . . . 76,5 69,5
« „ , , Beines ... 89 76
Daraus berechnet sich das Verhältniss von
Arm : Bein (= 100) .... 85,9 91,4
Arm : Körper (=100) . . . 4,5 4,4
Bein : Körper (=100) . . . 5,3 4,8
Für die Lappen erhalte ich folgende Verhältnisse:
Lars Nilsson. Jacob Larsson Rasmus Petersen. Ella Maria Josefsen.
Arm : Bein .... 77,5 82,6 83,2 68,1
Arm : Körper .... 4,1 4,1 4,2 4,7
Bein : Körper ... 5,3 5,0 5,0 6,9
Hieraus folgt, was auch schon der äussere Augenschein lehrt, dass die Extre-
mitäten verhältnissmässig kurz sind, namentlich bei den Männern. Ganz besonders
und ganz durchgeheuds ist dies der Fall bei den Oberextremitäten (Schulter bis Spitze
des Mitteltiugers), welche bei den Männern im Mittel nur 81,1 pCt. von der Länge
der Unterextremitäten (Trochanter bis Ferse), bei der Frau sogar nur 68,1 pCt. aus-
machen. Es erinnert das wiederum an rachitische Verhältnisse, obwohl ich
eigentliche Verkrümmungen der Röhrenknochen an den Leuten nicht bemerkt habe.
Die äussere Erscheinung oder sagen wir lieber, das Costüm dieser Leute unter-
scheidet sich von demjenigen der Lappen von Mala, die früher hier waren, nicht un-
wesentlich, aber nach Allem, was ich weiss, entspricht diese Bekleidung mehr der-
jenigen, welche in der grössten Ausdehnung in den zugänglichen Theilen des lap-
pischen Gebietes gesehen wird. Ich selbst habe früher nur in Bergen (Norwegen)
einmal Gelegenheit gehabt, einen lebenden Lappen zu sehen, aber ich habe mich
nachher vielfach in der Literatur unigethan und zahlreiche Abbildungen verglichen.
Sie geben alle dieses Costüm als das gewöhnliche au; namentlich entspricht die
Kopfbedeckung viel mehr demjenigen, was als gebräuchliche lappische Mode erscheint,
als die der früher hier vorgeführten Lappen. Eins will ich dabei hervorheben, was
mir besonders bemerkeuswerth erscheint, das ist unter dem wenigen Schmuck, den
sie an sich haben, die Silberspange, welche die Frau (ausser einem breiten silbernen
Fingerring) am Wamse ti'ägt. Sie entspricht demjenigen Typus, der nach meinen
Erkundigungen in Finland die weiteste Verbreitung unter der finnischen und lappischen
Bevölkerung hat.
Ich hatte, um archäologische Beziehungen zwischen den Lappen und andern
16'
(228)
modernen oder prähistorisclien Stämmen zu finden, bei meinem Besuch in Finland
meine besondere Aufmerksamkeit dahin gerichtet, ob nicht Schmuck getragen wird,
der irgend eine Verwandtschaft mit demjenigen Schmuck hat, den man in Gräbern
findet. Ich habe aber gesehen, dass davon eigentlich nichts vorliauden ist. Das
einzige Schmuckstück, welches sich zugleich in weitester Verbreitung vorfindet, ist
diese Art Spange (wenn ich nicht irre, saljo genannt). In Finland trägt fast jede
wohlsituirte Bauersfrau eine Silberspange vor der Brust und zwar zum Theil in sehr
bedeutenden Dimensionen, so dass einzelne Stücke bis zu 14 Rthlr. im Werth haben.
In der Regel sind es grosse, flachgewölbte, runde Seheibeu mit sehr einfacher, mehr
linearer Verzierung. Diese durchbrochene Form habe ich nicht gesehen, aber sie
gehört doch ihrer Gestalt nach in dieselbe Ordnung. Es ist dies, wie es scheint, in
der That ein national finnischer Schmuck, aber in der Besonderheit, wie er jetzt
getragen wird, dürfte er kaum in den Alterthumsfunden jener Gegenden vorkommen.
Auch im südlichen Schweden findet sich nichts in der Weise, so zahlreich dort,
namentlich in Schonen, von den Frauen Schmucksachen getragen werden.
Ich constatire endlich, dass das sogenannte lappische Ohr, welches durch den
Mangel eines abgesetzten Ohrläppchens charakterisirt sein soll, sich bei keinem dieser
Leute in ausgesprochenem Maasse findet. —
(16) Im Anschluss an die Vorstellung der Lappen legt Hr. Virchow einen
kürzlich an ihn gelangten, von Savitaipal, südwestlich am Saima-See, unter dem
13. August abgesendeten Brief des Hrn. Dr. Europaeus vor, betreffend
die Verbreitnu^ der Finnen in älterer Zeit nnd die russischen Lappen.
Ich habe die Ehre, Ihnen hierbei ein Exemplar meiner bis jetzt nur russisch
herausgekommenen Abhandlung: üeber das ugrische (ostjakisch-wogulisch-unga-
rische) Volk im mittleren und nördlichen Russland, Finland und dem
nördlichen Theile Skandinaviens bis zu der Ankunft der jetzigen Ein-
wohner zu übersenden. Das mit blau bezeichnete Feld auf der ersten Karte ist
nach Tausenden von zusammengesetzten Ortsnamen und nach historischen, antiqua-
rischen und, so weit geforscht worden ist, auch nach craniologischen Forschungen
(nach Kurganenschädeln) als alt-ugrisch bestimmt worden. Das mit roth bezeichnete
in der Umgegend vom Ladoga- und Onega See ist aus ähnlichen Gründen die Dr-
heimath der Finnen und Esten gewesen, und diese Gegend ist zugleich, wie abge-
schnitten, ohne alle Spuren von ugrischen Ortsnamen, zusammengesetzten und nicht-
zusammengesetzten. Die Verbreitung der Nord- und Ostfinnen und der Südwestfinueu
und Esten ist auf der Karte anschaulich gemacht. Alle nord- und ostfinnischen Dialekt-
variationen sind unter dem Karelischen subordinirt, einer älteren Dialektverzweigung
von dem Onegaseeischen und Tichwinschen, Tschudischen oder Wepsischen (Wepsän
kieli), von welchem das Südwestfinnische und Estnische unmittelbare, spätere Ver-
zweigungen sind, das letztere schon von Anfang an halb karelisirt und wohl älteren
Ursprungs, als das südwestfinnische oder tawastländische, auch Jämisch genannt,
nach dem Russischen, aus dem finnischen Hämeheu maa (Land) 1. kansa (Volk)
1. kieli (Sprache).
Die Dialektgrenze zwischen dem Nord- und Ostfinnischen und dem Südwest-
finnischen ist von Hrn. A. Warelius im XIIL Band der Beiträge zur Kenntniss des
russischen Reiches, von Baer und Helmerseu 1849, in einem längeren Artikel be-
schrieben und mit Karte beleuchtet. Nur näher an dem Bottenmeerbusen ist die
Grenze bis zu dem lürchspiele Lochteä, finnisch oder eigentlich alt-ugrisch Loch-
taja (Lochta-joga = Buchtfluss), weiter hiuaufzurücken. Die Abhandlung von
(229)
Warelius ist deutsch geschrieben. In Uebereinstimmung mit derselben habe ich
auf der ersten Karte diese Grenze gezogen. Die jetzige Völkergrenze zwischen
den Finnen und Schweden ist mit dem rothen Strich zunächst westlich von dem
Toruea Flusse, finnisch Tornio (eigentlich alt-ugrisch Torn-joga = Grasfluss),
bezeichnet. Der zweite Strich westlicher ist die alte Grenze für die Verbreitung der
Finnen, nach den entferntesten, echt finnischen, zusammengesetzten Ortsnamen. Die
überwiegende Anzahl der finnischen Ortsnamen schliesst jedoch schon mit der Um-
gebung des Kalix- Flusses, finnisch Kainuun joki. Nach diesem Flussnamen heissen
die Finnen um den mittlem Lauf des Kalix-Flusses und auch die schon sweticirten am
unteren Lauf Kainuulainen, plur. Kainuulaiset, woher die Normannen und
die isländischen Sagen die Finnen Quänen nennen. Der Name Finn bedeutet im
Norwegischen und in den isländischen Sagen eigentlich Lappe, nicht aus Loppu
herzuleiten. Aus dem lappischen Kalas-joga ist schwedisch Kalix-elf entstanden.
Die russischen Lappen, nördlich von dem "Weissen Meere, hatte ich Gelegenheit
1857 — 58 zu besuchen und zu studiren. Sie sind ohne Ausnahme schwarzhaarig,
obgleich nicht so schwarz, wie die Zigeuner, und reichen einem gewöhnlichen Manne
bis zur Achsel.
Das nördlichste Dorf im russischen Kardien, Tuntsa, nicht weit von der finnischen
Grenze, etwas nördlich von dem Polarkreis und Pääjärvi, war nach der Erzählung
eines von dort gebürtigen Mannes vor zwei und zum Theil vor einem Mannesalter
noch lappisch. Jetzt aber, nachdem das Volk ansässig und ackerbautreibend geworden
und also mit kräftigerer Kost versehen ist, sind sie, so viele ich von ihnen (drei
Mann) selbst sah und nachfragte, jetzt bis zu gewöhnlicher Manneshöhe herangewachsen.
Nur das schwarze Haar hatte sich bei allen drei gut erhalten. Ein geborner Lappe,
welcher in dem Pastorshause der nördlichsten Lappengemeinde Finnlands, Utsjoki, auf-
gewachsen und dadurch veranlasst wurde, neben d^m Finnischen und Lappischen auch
Schwedisch und Norwegisch durch Bücher zu studiren, hielt sich vor einigen Jahren, um
seine Studien an der Universität fortzusetzen, in Helsiugfors auf. Auch er ist schwarz-
haarig und erzählte mir, dass auch in seiner Heimath diese Farbe des Haares durchschnitt-
lich bei den Lappen vorkommt. Auch er ist, vielleicht weil er beim Pastor in wachsenden
Jahren kräftige Kost bekam, beinahe von gewöhnlicher Manneslänge. Er hat seit drei
Jahren jetzt Anstellung als Canalaufseher und Kassirer beim Canal zwischen dem
Südende des Paijänne-Sees (altugrisch, nach dem Biegungsstamm Paijän-teh
= Donner-See) und Wesijärvi. Die Frau eines meiner Vettern, welche in
der Gegend der ^lordwinen — die roth bezeichnete Gegend im SO. — aufgewachsen
ist und gewohnt hat, erzählte mir, dass die Mordwinen dagegen meiotentheils ganz
lichthaarig sind. Das Mordwinische ist auch dem Finnischen von allen finnisch-
ungarischen Sprachen in jeder Hinsicht am nächsten verwandt. Meine finnisch-
ungarischen Zahlwörtertabellen sind, glaube ich, bei Calvary & Co. noch zu haben.
Ich hoffe, Sie haben von Hrn. Dr. Hjelt die craniologische Tabelle des Hrn.
Dr. Iwanofsky über die von mir auf dem blauen Felde von der Stadt Bjeshetzk
im Twerschen Gouv. nach Tichwin zu aufgegrabenen Kurganenschädel schon bekommen.
Hierbei folgt die Photographie des am meisten dolichocephalen unter ihnen. Nach
einem Briefe von Hrn. Akademiker Hrn. v. Baer sind die Wogulen und Ostjaken
noch jetzt sehr entschieden dolichocephal. —
Hr. Virchow macht besonders darauf aufmerksam, dass die von Hrn. Euro-
paeus mitgetheilte Thatsache über die russischen Lappen stark für die schon seit
längerer Zeit von ihm vertheidigte Ansicht spricht, dass die physische Beschaffenheit
(230)
der Lappen durch Klima und schlechte Nahrung seit Jahrtausenden verschlechtert
und der Stamm im Ganzen als ein verkümmerter anzusehen sei. —
(17) Hr. Uartmaun spricht über den
Authropoiden-iiffen Mafuca des zoologischen Gartens zu Dresden.
Einer unbestimmten Angabe nach soll bereits vor fast zwei Jahren der londoner
Thierhändler Mr. Rice das von dem verstorbenen Kaufmann Jehn aus Loango mit-
gebrachte, aus dem Waldlande Mayombe stammende Thier für einen Gorilla gehalten
und dem zeitigen Director des dresdener zoologischen Gartens, Hrn. Alwin Schoepf,
dafür eine erhebliche, die Ankaufssumme weit übersteigende Geldmenge geboten haben.
Schoepf, ein ausgezeichneter Thierpfleger, behielt jedoch Mafuca nnd sprach sich
über die Eigenthümlichkeiten dieses Geschöpfes im „zoologischen Garten", Jahrgang
1874, S. 91 in sehr anregender Weise aus. Im Juni dieses Jahres forderte der
rühmlichst bekannte Thierhändler und Thierkenner, Hr. K. Hagenbeck, den Vor-
tragenden auf, das auch von ihm für einen Gorilla gehaltene Thier persönlich in
Augenschein zu nehmen und die Stellung desselben im System zu beurtheilen.
Zunächst begab sich nun, nach vorheriger genauer Informirung über den Bau der
anthropoiden Aflfen, Hr. Dr. Carl Nissle, nach Dresden und kehrte nach mehr-
tägigem Aufenthalte daselbst, mit der Nachricht zurück, dasselbe sei unzweifelhaft ein
noch nicht ausgewachsener, weiblicher Gorilla. Auch der Vortragende gewann später
aus eigener Anschauung dieselbe üeberzeugung. Dr. Brehm soll sich in gleicher
Weise ausgesprochen haben.
Die Sache nahm nunmehr ihren Weg in die öffentlichen Blätter, fand aber viele
Gegner. Zuerst wandte sich Hr. Dr. Bolau, Director des zoologischen Gartens zu
Hamburg, dagegen, indem er Mafuca für einen ganz gewöhnlichen, nur ausgewachsenen
und schön entwickelten Chimpanse (Troglodytes niger) erklärte. Hr. Dr. A, B. Meyer,
Director des Hofnaturalienkabinetes zu Dresden, sprach sich in einem offenen Briefe
an Director Schoepf in ähnlichem Sinne aus. Sprecher uuterzog nun zunächst die
von Hrn. Bolau beliebte Deduktion einer scharfen Kritik. Er schloss mit der Ver-
sichenmg, dass er gern Anderen den Anspruch auf die Priorität der Klarlegung der
eigentlichen Natur Mafucas überlasse. Die ganze Angelegenheit habe für ihn nur
ein rein sachliches, durchaus nicht ein persönliches Interesse.
(18) Angekauft für die Bibliothek der Gesellschaft:
Schultheiss: Kurze Uebersicht und Nachricht von den in der Wollmirstädter
Gegend gefundenen Alterthümern, nebst Atlas, Photographien enthaltend.
(19) Geschenke:
1) Schweinfurth: Artes Africanae, 4.
2) F. Ohleuschlaeger: Verzeichniss der Fundorte zur praehistorischen Karte
Bayerns. Manchen 1875.
3) E. Morselli: Sul peso del cranio e della mandibola in rapporto del sesso,
Firenze 1875.
4) Derselbe: Sullo Scafocefalismo.
5) Derselbe: II suicidio nei delinquenti.
6) Kroenig: Das Dasein Gottes, Berlin 1874.
Sitzung vom 20. November 1875.
Vorsitzender Hr. Virchow.
(1) Hr. Caesar Godeffroy zu Hambnrg ist zum Ehrenmitgliede der Gesell-
schaft ernannt worden in Anbetracht der grossen Verdienste, welche er sich um die
deutsche Anthropologie durch die umfangreichen und höchst kostbaren Erforschungen
Polynesiens und Australiens erworben hat.
Zu correspondirenden Mitgliedern werden ernannt:
General Cunningham, \ n *• ri*
Colonel Edward Tuite Dalton zu Chotia Nagporej
Als ordentliche Mitglieder werden angezeigt:
Hr. Geh. Commerzienrath Ravene,
„ Kaufmann Eschwege zu Berlin,
„ Hofspediteur Ernst Arheidt zu Carlsruhe.
(2) Die Wittwe des verstorbenen Dr. ßleek, Capstadt, hat dem Vorsitzenden,
unter üebersendung der letzten Schrift ihres Gatten (A brief account of Bushman
folk-lore and other texts. 1875), Mittheilungen über ihre Pläne in Betreff der weiteren
Veröffentlichung der literarischen Hinterlassenschaft ihres Mannes gemacht. Darnach
würde die Schwester der Wittwe, Miss Lucy Lloyd, welche den Verstorbenen,
schon lange in seinen Arbeiten unterstützt hat, seiner testamentarischen Bestim-
mung gemäss die Herausgabe besorgen, und es handelt sich jetzt «nnächst darum,
die nöthigen Geldmittel dafür zusammenzubringen. Unsere Gesellschaft wird, so sehr
sie sich für ein so wichtiges Unternehmen interessirt, kaum in der Lage sein, dem-
selben materiell eine wesentliche Beihülfe gewähren zu können.
(o) Hr. Ober- Kammerherr v. Alten zu Oldenburg sandte photographische Dar-
stellungen der
römischeu Statuetten und einen Gyps-Aberiiss des Bronze-Postaments,
welche bei Marren gefunden wurden (Sitzung vom 14. Mai. S 92).
In einem Briefe an den Vorsitzenden vom 17. October erwähnt er, dass er noch
einige Eisenstücke von derselben Stelle erhalten habe, sowie dass ein gleicher Greifen-
kopf aus einem Moorfunde der Insel Fünen bekannt sei.
Er theilt ferner mit, dass er im letzten August am Zwischen-Ahner See (Station
an der Oldenburg-Leerer Bahn), ganz in der Nähe von Rötrop, einen sogenannten
Einbaum von Eichenholz ausgegraben habe, der mit Feuer und stumpfen Instrumenten
ausgehöhlt sei. Ausserdem erhalte er die Nachricht, dass in jener Gegend sehr wahr-
scheinlich ein Gräberfeld gefunden, das erste im sogenannten Ammerland; es
sind 14 Hügel.
Ferner bemerkt er in Bezug auf die Mittheilungen des Hrn. Voss (Sitzung vom
(232)
14. Mai. S. 93), Kinderspielzeuge in Vogelfigur betreffend, dass „diese Art
Kinderspielzeuges, bei uns zu Lande fast ^"f jedem Markte in den Dörfern noch heute
zu kaufen ist; sehr häufig sind diese Spielzeuge als Atrappe eingerichtet, indem auf dem
Rücken oder am Schwänze des Vogels ein feines Loch angebracht ist; wird nun der
Vogel mit Wasser gefüllt, und in die Pfeife geblasen, so spritzt sich der Pfeifer das
"Wasser zum Gelächter der umstehenden Kinder in das Gesicht. Diese Vögel sind
meistens gelb glasirt, mit Pünktchen, weiss oder dunkel auf den Flügeln.
„Wann mag das Glasiren im Norden Deutschlands allgemein geworden sein?
Diese Frage scheint mir nicht unwichtig". —
Hr. Virchow glaubt die letzte Frage dahin beantworten zu können, dass eine
eigentliche Glasur auf Thongeräthen im nördlichen Deutschland wohl kaum vor dem
13. Jahrhundert üblich geworden sei. Wenigstens sind ihm keine früheren Funde
bekannt, obwohl weit ältere Thongefässe äusserlich mit einem glatten, glänzenden
Ueberzuge versehen sind. Die thönernen Vogelpfeifen sind auch in Pommern auf
Jahrmärkten sehr gewöhnlich. —
In einem Briefe vom 16. November berichtet Hr. y. Alten ferner über einen
Halsschnmck ans der Gegend von Lehmden.
(Hierzu Taf. XVI. Fig. 1)
Derselbe ist gefunden in der Gegend von Lehmden von G. Wencken zu Wencken-
dorf. Dort, südlich von den Lehmder Büschen, östlich von der Eisenbahn, ist ein Moor,
genannt in der Strot, dasselbe grenzt an die Ausläufer des hohen Geestrandes, hier
Liet genannt; dieses Moor, ein sogenanntes Holzmoor, ist seit mehr als 30 Jahren
gebrannt, wodurch es 10 — 12 Fuss niedriger geworden. Wenn man nun durch das
Brennen den unteren Holzschichten nahe gekommen, sie theilweise mit verbrannt sind,
so erreicht man zugleich den Sand; sobald dies geschehen, hört das Brennen auf
imd das Ackern beginnt. Nachdem nun dies einige Jahre geschehen, hat der Sohn
des Besitzers des fraglichen Stückes, weiches am östlichsten Punkte des Lehmder
Busches (Gehölz) liegt, den Schmuck nebst einem zweiten Halsringe gefunden, wel-
cher letztere geriefelt und schwerer ist. Der Durchmesser beträgt 21 Ctm. am Schnitt
und 21,5 Ctm. an der dicksten Stelle. Die Riefelung ist nicht spiralförmig, sondern
es ist Kreis neben Kreis.
Ich fand die Ringe in einander gehängt, aber der Finder konnte mir nicht sagen,
ob er sie so gefunden; er meinte, es sei wahrscheinlich, dass er sie selbst erst in
einander gehängt. Nicht unwichtig erscheint mir, dass dies bereits der vierte Fund
von Bronzen ist, der in derselben Richtung, nämlich stets an dem hohen Geestrande,
gegen das Moor, von Südwesten nach Nordwesten, also in der Richtung von Olden-
berg nach Varel und zwar im Ipweger Moor, Loyermoor und in der Strot. Diese
Moore waren früher tief einschneidende Buchten der Ausflüsse der Weser (Liene,
Dornebbe u. s. w.), die erst mit dem Ende des 15. und Anfang des 16. Jahrhunderts
aufhörten. Unwillkürlich wird man dadurch auf den Gedanken an Küstenschiff-
fahrt und Strandungen gebracht. Boote sind indess noch nicht gefunden, wohl
natürlich, da beim Brennen des Moors diese eben mit verbrennen.
(4) Hr. Candid. philos. Emil Marens aus Güstrow hat dem Vorsitzenden, unter
Uebersendung einer grossen Kiste mit Steinsachen, Bericht erstattet über
vermeintlich bearbeitete Feuersteine ans dem Diluvium und vom Ufer des Brunnen-
sees bei Güstrow.
(233)
Hr. Virchow hat die Sachen einer Durchsicht unterzogen, sich jedoch nur bei
den am Rrunnensee gefundenen Feuersteinen von ihrer unzweifelhaften Bearbeitung
überzeugen können. Eine Anzahl kleiner „Messerchen" und ein vortrefllicher Nucleus
von da lassen keinen Zweifel darüber, dass hier Artefakte vorliegen.
Alle übrigen Gegenstände sind nach den Mittheilungen des Hrn. Marcus theils
an dem, 30^40 Fuss hohen Schneiderberge bei der Burg, etwa '/s Meile von Güstrow,
theils im Kiessande bei Gutow und der ziemlich tiefen Lehmgrube vor dem Hage-
bocker Thor gefunden worden. Er sieht darin Hammer, Keile, Quetschsteine, Mörser-
keulen , Schleudersteine u. s. w. und glaubt dadurch die Existenz des Menschen in
diluvialer Zeit in Mecklenburg beweisen zu können. Zugleich erwähnt er, dass in
einer Sandgrube am Schneiderberge ein Mammuthzahn — ein für Mecklenburg fast
einziger Fund — ausgegraben sei.
Hr. Virchow bestätigt diesen letzteren Fund und zugleich die Bedeutung des-
selben für Mecklenburg, wo in der That, wie er erst neuerlich zu seinem Erstaunen
sich bei einem Besuche im Schweriner Museum überzeugt habe, Mammuthfunde
nur ganz ausnahmsweise gemacht sind. Er erkennt ferner an, dass einzelne der Feuer-
steine sehr verführerische Formen darbieten und recht wohl mit den viel besprochenen
Funden des Abbe Bourgeois parallelisirt werden können. Wenn er sich aber gegen
diese in der internationalen Commission zu Brüssel skeptisch habe verhalten müssen,
so sei es auch hier der Fall. Er verweist auf seinen Vortrag in der Sitzung vom
14. Januar 1871. Seit jener Zeit habe er auf zahlreichen Excursionen das Verhalten
der Feuersteine in diluvialen Schichten, welche noch ganz unangebrochen waren, ver-
folgt und die zahlreichsten Beispiele für natürliche Sprünge und Absplitterungen ge-
sammelt, welche den von Hrn Marcus übersendeten so ähnlich waren, dass er kein
Bedenken trägt, auch die letzteren für natürliche Bildungen zu erklären. Dem grossen
Eifer des Einsenders spendet er das gebührende Lob.
(5) Der Vorsitzende zeigt ferner Abbildungen des Hrn. Lehrer Rabe zu Biere
bei Schönebeck an der Elbe vor, gleichfalls betreffend
diluviale Feuersteine.
Dieselben stammen grossentheils aus Kiesgruben auf der Feldmark Biere, und
der Einsender hält dieselben, im Anschlüsse an die Abbildungen in dem bekannten
Werke des Hrn. Lubbock, für Artefakte. Nach den eingesendeten Abbildungen ist
es allerdings nicht möglich, ein absprechendes ürtheil über sämmtliche Funde zu
geben, da in der That manche von ihnen den Eindruck machen, als seien Schlag-
spuren an ihnen. Die Mehrzahl gehört indess unzweifelhaft gleichfalls in das Gebiet
der natürlichen Sprungstücke, und bis auf weiteren Beweis wird auch für die
übrigen angenommen werden können, dass sie in dieselbe Kategorie gehören.
Der Vorsitzende glaubt nicht genug davor warnen zu können, dieser Art von
Nachforschvmgen mit dem Präjudiz, dass man etwas finden werde, sich hiozugeben.
Schon die erste Bildung der Feuerstein-Knollen liefert so bizarre und scheinbar absichtlich
hergestellte Formen, dass es nur einer geringen Phantasie bedarf, um sich von irgend
einer Art von Aehnlichkeit zu überzeugen und bald Thier- oder Menschengestalten,
bald Werkzeuge darin zu sehen. Die Sprünge, welche durch Temperatur- und Druck-
differenzen an den einzelnen Theilen der Blöcke eintreten, oder welche durch zufäl-
liges Zusammenstossen mit andern Steinen oder Herabfallen entstehen , sind oft den
Schlagflächen so ähnlich, dass selbst die sogenannten Schlagmarken (bulbi) und die
concentrischen Kinge um dieselben nicht fehlen. Nur die grösste Vorsicht, ja die
äusserste Skepsis kann hier vor falschen Deutungen schützen. —
(234)
(6) Hr. Magistratsrath Sippel zu Bamberg hat dem Vorsitzenden die Photo-
graphie eines unter der Schicht von Rannenholz im Flussbette der Regnitz dieser
Tage aufgefundenen
Schädelstückes von Bos primigenius
übersendet. Dasselbe
zeigt den hintern und oberen Theil des Schädels mit sehr schön erhaltenen Hörnern.
Nach der Angabe betrug
a) die Hörnerlänge 0,51 Meter.
b) Spannweite der Höruer 0,76 „
c) der umfang der Hörner vor der Krone . . 0,315 „
d) die Stirnbreite 0,2'22 „
Zugleich überschickt Hr. Sippel einen Bericht des Hrn. v. Theodor! über
das Rannenholz und die fossilen Knochen im Regnitz- nnd im Maiugrunde bei Bamberg.
Es ist eine längst bekannte Sache, dass in der Gegend von Bamberg, in der
Thalebene, welche einst ein von Südosten herströmendes Wasser durchfloss und von
welchem die Regnitz wohl jetzt noch ein Ueberbleibsel ist, so wie im dortigen Main-
grunde, ein verschütteter Wald einige Schuh unter der Bodenoberfläche begraben liegt.
Hochwasser entblössen nicht selten in den Flussbetteu, oder sonst an ausgewühlten
Stellen der genannten Thalebene mächtige Stämme dieses umgestürzten Waldes,
welche in der dortigen Gegend nach Ueberschwemmungen von den Fischern ausge-
hoben, gesammelt und als Brennmaterial benutzt werden. Die schwarze oder braun-
graue Farbe, die dieses sogenannte Rannenholz durch das Liegen im Boden und im
Wasser erhalten hat, lässt auf den ersten Anblick darauf schliessen, dass es Eichen-
holz ist; aber es ist dasselbe, meines Wissens wenigstens, noch nicht wissenschaftlich
untersucht und bestimmt, was es wohl schon an und für sich verdiente, besonders
aber auch wegen der thierischen Ueberreste, welche zuweilen zugleich mit demselben
gefunden werden und die entschieden von einer Fauna Zeugniss geben, die zum
(235)
Theile in unsern Gegenden gar nicht mehr existirt , theils nur noch durch andere
von den früheren verschiedene Species repräsentirt wird.
Der verstorbene eifrige Forscher in der fränkischen, besonders in der Bamberg-
schen Geschichte, Joseph Heller, fand bei seinem mühevollen Durchsehen alter
Akten und Papiere in einer fürstbischöflichen Kamraerrechnung ein für die damalige
Zeit sehr bedeutendes Geldgeschenk für einen in der Regnitz aufgefundeneu Elephanten-
zahn verrechnet. Ich selbst hatte die Freude, vor mehr als 20 Jahren nach einem
Hochwasser in einem verlassenen Rinnsal des wieder zurückgetreteneu Maines, in
der Gegend von Gaustadt, einen theils schwarz, theils braun-grau gefärbten grossen
Eberkopf zu finden, dessen einer noch im Kiefer steckender, auf der ganzen Ober-
fläche des Schmelzes mit feinen, schwarzen Rissen durchzogener Hauer wenigstens
1" dick ist. Ich schenkte denselben zur Kreissammlung zu Bayreuth, in deren splendid
gedrucktem Verzeichniss vom Jahre 1840 pg. 88 er als Sus priscus, Goldf., von Bam-
berg, aufgeführt ist. Aus der Gegend von Bamberg zählt ferner dasselbe Verzeichniss
noch auf: Cervus Elaphus L., Cervus Eurycerus Kaup und Cervus priscus Kaup. Viel
reicher au grösstentheils noch nicht bestimmten fossilen Säugthierknochen aus den
Flussbetten der Regnitz und des Maines ist aber die grosse, noch immer einer
endlichen Bestimmung harrende niineralogisch-petrefactologische Sammlung des vor
einigen Jahren zu Bamberg verstorbenen herzoglich bayerischen Kanzlei - Directors
Hard. Besonders viel hielt derselbe auf einen Theil eines Löwenkopfes aus der
Gegend des Keipershofes bei Bamberg, vielleicht von einer der Arten von Felis,
welche auch in den Höhlen der sogenannten fränkischen Schweiz vorkommen. Leider
ist diese Sammlung noch zur Zeit nicht zugänglich.
(7) Hr. Prof. Liebe zu Gera berichtet über ein
Hügelgrab am CoUisberg.
Auf dem sogenannten CoUisberg beim Dorfe Collis unweit Gera befindet sich ein
Hügel und zwar an dem höchstgelegeneu Rande der Ebene, die den Gipfel dieses
Berges bildet und von der aus sich die aus Rothliegendem bestehenden ßergflanken
sehr steil zu der 150 Fuss tiefer gelegenen Thalsohle niederziehen. Seine langge-
streckte Form, seine Lage am Rande eines Feldes und seine Bedeckung mit kleinen
vom Feld abgelesenen Steinen machten es wahrscheinlich, dass es nur ein Haufe
vom Feld abgelesener Steine sei. Gleichwohl machte jüngst Hr. G. Korn in Gera,
der ihn näher zu untersuchen beschloss, die Entdeckung, dass es ein, allerdings mit
abgelesenen Feldsteinen später überdeckter, alter Grabhügel sei. Der Befund ist fol-
gender: Der Hügel ist in der Horizontalprojektiou 60 Schritt lang und 14 Schritt
breit, — von lang elliptischer Form, von Ost nach West gestreckt. In der Mitte
unter diesem Hügel befand sich ein ovaler gepflasterter Kaum, dessen grösster von
Ost nach West gelegener Durchmesser 4)^ Mtr. und dessen kleinerer 3% Mtr, betrug.
Das Pflaster befand sich unmittelbar auf dem Zechsteinconglomerat, von dem vorher
vielleicht eine Humusschicht abgeräumt worden war und bestand aus rohen Kalkstein-
bruchstücken, wie sie rings um das Gipfel-Plateau des Collisberges zu Tage treten, —
aus Bruchstücken der Kalksteinlagen des untereu Zechsteins. Das Pflaster war in
der Art hergestellt, dass ganz grosso Steine aufrecht neben einander, meist mit der
Spitze nach oben, hingestellt, und dann die Zwischenräume und Unebenheiten mit
kleinereu Kalkstücken ausgefüllt worden waren. Dies Oval war umgeben mit einem
grnssen Wall von Steinen derselben Art von '% bis 1 Meter Höbe. Das Pflaster selbst
lag P/4 Meter unter der Oberfläche. Auf dem Pflaster standen im Kreis um den
Wall herum etwa 10 bis 12 Urnen, welche jedoch mit Ausnahme einer einzigen zer-
(236)
drückt waren und nur Asche enthielten. Die eine, eben erwähnte, war merkwür-
diger Weise zu Dreiviertheil leer und nur unten mit Asche gefüllt, trotzdem wohl
erhalten. Die Urnen sind ohne Drehscheibe gefertigt, haben unterhalb des Halses
je zwoi kleine, nur zur Aufnahme von Schnüren geeignete Henkel und haben als
Verzierung zu verschiedenen Mustern zusammengestellte Linien, welche vermittelst
einer Schnur eingedrückt sind. Die eine erhaltene Urne ist lb% Centm. hoch und
hat am Hals 6^, am Bauch 13)^ und am Boden 6 Centm. Durchmesser. In dieser
Urne lehnte eine flache Schale, welche so gut gebrannt ist, dass sie auf der Innen-
seite eine Art, wenn auch schwacher Glasur zeigt. Dieselbe ist kreisrund und hat
17J^ Centm. Durchmesser und S% Centm. Tiefe. Sie steht auf 5 rohen, fast 2 Cntm.
langen Füsschen. Dazu fand sich noch ein eben so roh gearbeitetes Gefäss mit nur
einem Henkel, durch den man aber den Finger stecken kann, — ein Gefäss, welches
abgesehen von der Rohheit der Arbeit, den Obertassen der alten kugligen Meissener
Fa^on aufs Haar gleicht. 7J^ Ctm. dick und 6 Ctm. hoch. Die Masse dieser Urnen
ist roth oder schwarz und zwar theilweis recht schwach gebrannt, reichlich mit grobem
Quarz- oder Lyditsand versetzt. Letzterer scheint derselbe zu sein, den der Regen
aus dem Rothliegenden der Flanken des Colliser Berges herabwäscht. Innerhalb des
Urnenkreises und, wie die Urnen, durch eine 3 bis 6 Ctrp. dicke Aschenschicht vom
Pflaster getrennt, lagen 4 menschliche Gerippe, in der Richtung von Ost nach West
horizontal ausgestreckt, eins mit dem Kopfe nach Westen und drei mit dem Kopfe
nach Osten, und zwar auf dem Rücken, mit dem Gesicht nach oben. Die Gerippe
waren sehr zerstört, und nur da besser erhalten, wo oben darüber an der Oberfläche
grössere Steine lagen. (Durch Steinplatten war die Grabhalle nicht abgedeckt.)
Dass die Knochen durch Brand zur leichteren Zerstörung disponirt waren, lässt sich
nicht leicht vermuthen; wenigstens sind die Knochenbruchstücke (mit Ausnahme des
einen Schädels vielleicht) inwendig nicht geschwärzt, was sie bei theilweiser Ver-
brennung doch sein müssten. Die einzelnen Knochen deuten auf einen recht hohen
Wuchs hin: Ein Femur misst in seiner grössten Dimension (vom caput zum cond.
extr.) 49 Ctm, und eine Tibia 43 Ctm. Die Muskelansatzleiste am Oberschenkelknochen
ist scharf und sehr kräftig entwickelt; das Schienbein ist sehr kantig, so dass die
flache Seite desselben rinnig wird. Die mittleren Theile der Gerippe sind am meisten
zerstört, so dass man das Geschlecht der hier Beigesetzten nicht bestimmen kann;
indess scheint, nach einigen Beckenresten zu schliessen, ein Skelet von einem Weibe
herzurühren. Die drei mit dem Kopfe nach Osten gerichteten Gerippe stammen von
Erwachseneu. Leider ist von den 3 Köpfen nichts übrig, als 2 Fragmente des Stirn-
beins mit noch ansitzenden Partikeln der Scheitelbeine, sowie ein Stück Scheitelbein
mit noch ansitzenden Bruchstücken des Hinterhaupts- und Schläfenbeins. Diese Bruch-
stücke gehören, wenn auch die Stirnen nicht sehr hoch sind, doch durchaus nicht
einem tiefstehenden Typus an. Auch scheint Dolichocephalie angedeutet zu sein. —
Dabei lag ein Unterkiefer mit zugehörigem, leidlich erhaltenem Oberkiefer eines älteren
Individuums, welche Stücke jedenfalls zum Schädelfragment No. 3 gehörten.
Die Zähne sind stark und ebenflächig abgekaut, aber gesund. Die oberen Schneide-
zähne greifen nicht über die unteren weg, sondern passen mit der Schneide genau
auf die untem, und sie sind daher so stark und quer abgenützt, wie die übrigen
Zähne. Diese Zahnlage findet man ab und zu auch jetzt in unsrer Gegend, wenn
auch nicht häufig. Gleichwohl ist das Gebiss nicht proguathisch vorstehend, sondern
von edler Art, da eine gerade Linie gezogen von der Spitze des Kinns nach der
Spitze der rechtwinklig vortretenden, gut entwickelten Spina nasalis inferior, noch
einen Millimeter hoch frei über die vordere Fläche der Schneidezähne wegläuft.
Uebrigens ist hier noch zu bemerken, dass im Unterkiefer die beiden vorletzten
(237)
Backeiiz'dhne fehlten. Sie haben aber dem Individuum offenbar von Hause aus ge-
fehlt, denn einerseits sieht mau an den übrigen Zähnen keine Spur von Krankheit
und an dem Kiefer keine Spur, die auf eine nachträgliche Ausfüllung der Alveolen
hindeutet, anderseits sind die beiden letzten Zähne (Weisheitszähne) stark nach
vorn geneigt. Es hat auch diese Ersclieinuiig nichts besonders Auffallendes, da sie
auch heutzutage hie und da vorkommt. — Das vierte (ilerippe gehörte einem jüngeren
Individuum von zarterem Knochenbau, dessen Eckzähne und Backenzähne grade im
Wechsel begriffen waren. Hier gelang es, aus den Stücken den Schädel theilweis
wieder zusammenzusetzen, so dass Maasse genommen werden konnten, wenn auch,
wegen Fehlens verschiedener Stücke, nicht in der sonst üblichen und vorgeschriebenen
Weise. Die langschädlige Form tritt klar hervor: der Schädel misst in seinem
längsten Durchmesser (von der Glabella aus) 17,9 Ctm, und im grössten Qnerdurch-
schnitt (zwischen den Scheitelbeinen) 11,9 Ctm. Die Stirn ist an diesem, wie an den
beiden zuerst erwähnten Schädeln etwas schmal, zeigt aber keine l>esondere Auftrei-
bung oberhalb der Nasenwurzel und der Augenhöhlenränder, während von jenen beiden,
älteren Individuen angehörigen Schädeln allerdings der eine oberhalb der Nasen-'
Wurzel eine ziemlich starke Aufwulstung zeigt, die sich zu beiden Seiten bis gegen
die Stelle oberhalb der Mitte des oberii Augenhöhlenrandes erstreckt. Es ist aber
diese Aufwulstung, soviel ich zu sehen im Stande bin, nicht stärker als man sie viel-
fach jetzt auch sieht, und ausserdem ist bei dem andern der beiden Schädel die
Auftreibung eine weit schwächere.
Innerhalb der Grabstätte lagen noch eine Anzahl Steingeräthe und ein Werkzeug
aus Hirschhorn, und ebenso wurden auch ausserhalb der ümwallung noch einige Stein-
geräthe gefunden, aber keine Urnen und Gebeine. Das Werkzeug aus Hirschhorn
besteht in einer gelochten Gabelsprosse vom Geweih eines starken Edelhirsches, deren
Spitze leider beim Bergen abgebrochen wurde und nicht wieder aufzulinden war.
Am dicken Ende der etwa 15 Ctm. langen Sprosse war auf sehr rohe Weise ein
Loch angebracht worden, indem man erst von den beiden entgegengesetzten Seiten
mittesst eines Steinmessers oder einer Steinsäge durch flache Einkerbung die äussere
härtere Knocheuschicht weggenommen und dann ein rechtwinkliges Loch von 0,22
Ctm. Länge und 0,09 Ctm. Breite durch die porösere innere Knochenmasse hindurch
gearbeitet hatte. Die Lochung gleicht, abgesehen von der Kerbung, der in unsern
kleinen Hämmern, und das Werkzeug ist zu vergleichen mit dem als Hammer ge-
deuteten in S. Nilson's Steinalter (übersetzt von Mestorf 1868) pag. 5G, Fig. 171,
nur dass die Einkerbung auf beiden Seiten an unserm Exemplar nicht eckig, sondern
flach und viel roher gearbeitet ist.
Die „Steinwerkzeuge" bestehen zuerst in einer Anzahl von Feuersteinmessern,
theils zweischneidig und im Querschnitte ganz flach dreieckig, theils aber auch ein-
schneidig und mit flachem Rücken (Sägeblätter) — die längeren 7 bis 9j^ Ctm. lang.
Sodann fauden sich Schaber und sehr rohe Pfeilspitzen aus Feuerstein, deren Material
recht gut aus dem Blocklehm und dem zugehörigen Lager nordischer Gerolle, welches
sich von der Fundstätte aus uord- und nordostwärts ausbreitet, herstammen kann. —
Dazu kommen noch geschliffene, vorn schneidige, hinten stumpfe Streithämmer aus
denselben theilweis quarzführendeu und etwas schiefrigen Diabasen des Voigtlauds,
deren Geschiebe bei Gera im Elsteralluvium liegen. Von diesen war einer gelocht,
aber an der ßohrstelle durchbrochen; ein zweiter ebenfalls und zwar etwas schräg
gelochter war 8)^ Ctm. lang und 4 Ctm. breit (am Loch) und hoch mit 1,8 Ctm. im
Durchmesser haltendem Loche. Die anderen waren uugelocht, von Keilform und
schmal, 8!^ bis 15 Ctm. lang, hinten 4 bis 5 Ctm. hoch, 1,"^ bis 2^, Ctm, breit imd
vorn an der Schneide i^^ bis G)^ Ctm. hoch. — Endlich ist auch ein derartiger äusserst
(238)
fein und geschmackvoll gearbeiteter und schön geschliffener Keil mit grüngrauem
metamorphischem Wetzschiefer mit weisslichen Einsprengungen aufzuführen, welcher
7 Ctm. lang, hinten 3 und vorn 4 Ctra. hoch und 2 Ctm. dick ist. Diese Schiefer
finden sich in unmittelbarer Nähe (Contakt) von voigtländischen Diabasen.
Zum Schlüsse noch die Bemerkung, dass sich auch ein Schneidezahn vom Biber
(Castor fiber) vorfand. Der unten am Berge vorüber fliessende Bach führt seit ge-
schichtlicher Zeit keine Biber mehr und ist jetzt zur Sommerzeit fast ausgetrocknet.
Von Bronzegeräthen oder gar von Eisengeräthen fand sich keine Spur, nicht einmal
ein grünlich oder rothbraun gefärbtes Klümpchen Erde. Der Tunuilus auf dem Col-
liser Berge entspricht vielfach denen im Braunshainer Walde, welcher 2 Meilen in
nordöstlicher Richtung entfernt zu dem osterländischen Hügelland (Altenburger Ost-
kreis) gehört. Die Funde beider Begräbnissstätten stimmen überein in der Form der
Urnen und in dem Vorkommen von geschliffenen Steinäxten oder Keilen aus Diabas.
Der Colliser Fund unterscheidet sich aber vornehmlich durch die Pflasterung und
Umwallung des Innern Grabraums und durch die Anwesenheit von Gerippen inner-
halb des ürnenkreises.
(8) Hr. Rentier Rühe hat dem Vorsitzenden eine Reihe von
Topfscherben aus einem Oräberfelde bei Berlin
eingesendet. Er schreibt darüber:
Fragmente wie die beifolgenden lenkten schon vor Monaten meine Aufmerksam-
keit auf ein bis jetzt noch wüstes Feld in meiner Nähe — zwischen Schönholz,
Reinickendorf und Rosenthal an einer Waldecke. — Neuerdings wiederholte ober-
flächliche Nachsuchungen ergaben die Trümmer von 8 bis 9 Urnen mit Knochenresten
gefüllt. Die Gefässe sind von sehr verschiedener, zum Theil äusserst roher Arbeit,
theils mit, theils ohne Töpferscheibe hervorgebracht. —
Leider ist anscheinend schon früher die Bodenoberfläche (vielleicht ein Hügel)
weggenommen und dabei Alles zerstört. Die Scherben liegen und stecken ganz ober-
flächlich, nahe bei einander in der Erde, und ergiebt jede Gruppe derselben immer
nur den kleinsten Theil einer Urne, das Meiste muss also verschleppt sein. — Brand-
spuren, Asche, schwarzgebraimte Feldsteine, in der Erde so beisammen, dass sie viel-
leicht einen Opferheerd andeuten — das ist Alles. — Unzerstörte Urnen sind wohl
kaum noch zu hoffen. —
Der Vorsitzende dankt Hrn. Rühe, der unsere noch so magere Localkenntniss
der nächsten Umgebung durch eine neue Fundstelle bereichert hat. Leider sind die
Urnenscherben so roh und ohne alle Verzierung, dass sich chronologisch aus ihnen
nichts machen lässt. Sie werden dem Märkischen Proviuzialmuseura überwiesen.
(9) Der Vorsitzende legt einen Brief des Hrn. Dr. Euroimeus zu Petersburg
d. d. 11. Novbr. vor, betreffend
altflnnische (ugrische) Verhältnisse.
Bald wird ein Artikel von mir in der Russischen Revue erscheinen mit neuen
Notizen über Funde dolichocephaler Kurganenschädel im nördlichen Russland. Es
werden darin einige dolichocephale Schädel näher beschrieben, welche im dies-
jährigen Sommer 28 Werst nördlich von der Stadt Jaroslavl, also etwas südöstlich
von der nordwestlichen Biegung der Wolga, gefunden wurden. Diese Schädel sollen
das Eigeuthümliche haben, dass die untere Hälfte des Nackens halbkugelförmig auf-
(289)
getrieben ist. Sie sollen nicht in Kurganen, sondern in Gräbern und zusammen mit
beinahe lauter Steingiiräthen gefunden worden sein. Nur ein Ring von Bronzedrabt
soll dabei gewesen sein, ein Zeichen, dass das Brouzealter zur Zeit dieser Leute hier
im Norden schon eingetreten war und bis zu der Gegend von Juroslavl sich ver-
breitet hatte.
In der Russischen Revue, Heft 3, werden Sie eine deutsche Uebersetzung des
Verzeichnisses alt-ugrischer Ortsnamenendungen und ihrer Bedeutung finden. In dem
jetzt beigegebeneu Abdruck werden Sie einige Berichtigungen dazu finden. Es ist
zu erinnern, dass die Hauptmasse der alten Ugrier, die Un-ugaren = Gross-Ugrier aus
dem uördlicheu Russland im Jahre 884 nach Pannonien zogen; die Nachgeblie-
benen wurden hauptsächlich durch den tatarisch-mongolischen Einfall aus einander
gesprengt und zogen nach dem Ural und dem Ob-Flusse zurück, wo sie jetzt unter
dem Namen der Ostjaken (As-jach = Ob-Leute) und Wogulen, nach dem Flusse
Wogulka so genannt, leben. Die Wogulka fällt bei der Stadt Berosoff in den Ob.
Die Hunnen waren Mongolen aus Hochasien und hiesseu so zu der Zeit der Chan-
familie Hunnu, im Nankin Dialekte bei Duguigne Hiongnu genannt. Im Jahre
95 n. Chr. wurden die westlichen Hunnu, wie der russische Sinolog Hyakinth in
seiner aus altchinesischen Quellen zusammengestellten russischen Arbeit üeber die
Völker Hochasiens zeigt, von den Chinesen nach dem nordwestlichen Sibirien
verdrängt; zuletzt stiessen sie auf die Ugrier und zogen sie mit sich, so dass die
Ugrier zuletzt überhand nahmen und ein his jetzt bestehendes Reich in Ungarn stif-
teten. Die tatarisch-altaische (türkisch-tatarisch-mongolisch-samojedisch-mandzutun-
gusische) Sprachfamilie steht in keiner unmittelbaren Verwandtschaft mit der finnisch-
ungarischen, sondern schliesst sich näher an die semitisch-ostafrikanischen Sprachen.
Die den tatarisch-altaischeu am nächsten liegenden Sprachen unter den letztern sind
jedoch bis jetzt noch sehr lijckenhaft bekannt. Ueber diese Sprachverhältnisse habe
ich jetzt eine umfassendere comparativ-philologische Arbeit, deutsch, unter der Hand.
Die finnisch-ungarische Sprachfamilie dagegen schliesst sich am nächsten zu der
indo-europäischen Ursprache, wie sie von Bopp und besonders von Schleicher
dargestellt worden ist. Alle indo-europäischen Zahlwörter z. B. lassen sich durch
die Zusammenstellung mit den finnisch-ungarischen etymologisch erklären. Zu meiner
auch in Berlin vorhandenen Zahlwörtertabelle setze ich hier ganz kurz nur die
Grundform katvär, femiu. katasar 4, aus kata-vära (-kata) = zwei-mal (zwei),
feniin. mit dem vorhergehenden tisar(i) 3 assimilirt aus katasä-värakatasä;
sa ist die feminine Endung des Nominativs. Auch die Grundform von acht,
aktau, ist aus a-k(a)täu (dakama) = ohne 2(10) erklärt durch das finnisch-unga-
rische a-kaktak-dakamans = ohne 2 10. Der Zusammenhang zwischen dem
alten, in 4 und 8 noch erhaltenen kata und dem finnisch-ungarischen reduplicirten
ka-ka-ta 2, finnischer Stamm kukt, ist in die Augen fallend.
Gleichzeitig ist von Hrn. Hjelt aus Helsingfors auf den Wunsch des Hrn. Euro-
paeus folgende Maasstabelle über
altfluuisclie Kargaueu-Fuude
eingegangen :
(240)
1
2
3
4
5
6
7
8
9
10
11
12
13
14
15
16
17
18
19
20
ja
Hori-
zontaler
d
o
II
J3
a
a
a
.2
0
S)
o
pq j;
0) 'S
O
ner-
ings.
o
11
J
d-
M
o
o
11
o
o
tH
11
ffl
0) "
a
o
•a
a
3
a
«2
H
D
•o
:S
J3
Ol
a
s
ä
^
O
o
II
.s
"o
a
BS
d. q
ümü
a
Staraja').
1. M.
542
170
31,3
110
140
140
160
440
400
127
330
259
193
145
147
75,1
76,1
30
102
56
2. M.
520
160
30,7
103
130
140
145
415
402
127
310
244
183
141
141
77
77
26
95
56
3 def. M.
520
160
30,7
104
135
140
155
430
413
121
310
256
185
135
143
72,9
77,2
29
—
-
4. M.
515
165
32
103
130
140
160
430
417
116
320
275
185
135
147
72,9
79,4
28
95
53
Beschetsk^).
Kg 1. No. 1
532
180
35,6
100
130
140
150
420
420
128
315
246
184
145
142
78,8
77,1
30
90
50
Kg 1. No. 2
485
160
33
-
115
115
140
370
—
115
280
243
167
134
120
80,2
71,2
-
-
—
Kg 1. No. 3
520
170
32,6
98
135
150
150
435
443
120
310
258
187
133
139
71,9
74,3
29
90
54
Kg 3.
532
175
32,8
101
135
135
165
435
430
118
320
271
187
139
139
74,3
74,3
25
96
54
Kg 4. No. 1
540
185
34
110
140
140
150
430
390
124
305
246
191
132
132
69,1
69,1
29
98
53
Kg 4. No. 2
525
165
31,4
101
130
130
145
405
400
126
295
234
182
140
130
76,9
71,7
25
—
—
Bjeluja
Kresty^).
W. No. 1
500
150
30
105
HO
125
145
380
361
123
305
248
174
140
134
80,4
77
—
—
—
M. No. 2
540
170
31,4
110
130
140
165
435
395
125
305
244
197
137
145
69,5
73,6
30
100
55
? No. 3
510
164
32,1
98
130
130
155
415
423
111
300
270
183
126
136
68,8
74,3
26
86
54
Saljuschik*).
530
165
31,1
108
125
135
155
415
384
124
320
258
187
138
142
73,7
78
26
99
63
0 Staraja liegt 20 Werst westlich von der Stadt Besjezensk.
') Im Twer'schen Gouvernement.
') Im Nowgorod'schen Gouvernement.
*) Der Tichwinsche Kreis im Nowgorod'schen Gouvernement.
Die Messungen sind von Hm. Prof. Ivanowski gemacht.
(241)
21
22
23
24
25
26
27
28
29
30
31
32
33
34
35
36
37
38
39
40 41 42 43
44
4546
47
48
49
.5 S
o
4
iC
S
a
Q,
■&
Q.
a
a
^
o.
s.
d
a
C
a
o
O
cc
a
a
B
a
ji
66
CG
67
64
66
68,5
63
65
61
64
59
64
63
55
63
57
59
56
55
55
50
64
55
112
102
110
110
104
104
102
102
97
108
105
100
101
112
109
104
104
112
104
102
102
106
110
110
100
101
138
126
121
131
131
128
132
125
131
131
129
120
128
118
116
115
115
118
125
121
117
122
98
123
110
121
58
48
53
50
46
50
50
51
50
50
53
43
52
112
109
112
108
102
92
111
105
96
100
104
106
117
100
95
100
98
92
97
99
105
92
97
108
90
110
143
130
129
134
126
134
139
144
128
130
143
130
148
Üb
115
116
114
112
114
114
109
107
98
120
105
117
120
112
110
114
113
109
113
110
108
115
113
111
104
106
101
104
104
102
84
105
109
102
88
106
102
108
111
119
128
105
131
120
107
119
102
121
68
57
60
63
60
73
72
71
67
50
45
50
42
46
50
50
48
52
101
99
102
86
86
96
94
90
100
89
82
92
73
60
51
68
49
112
95
91
81
94
76
79
73
84
78
76
74
74
77
91
78
90
68
67
70
55
108
111
111
92
135
127
118
132
132
123
120
120
130
115
122
120
63
61
69
51
Verbaudi, der Berl. Autliropul. Ueselbcbaft l»7b.
16
(242)
(10) Der Gesandte der Eidgenossenschaft zu Wien, Hr. t. Tschiidi, unser cor-
respondirendes Mitglied, schreibt dem Vorsitzenden
über das Os Incae au Peruanerschädeln.
Ich beehre mich Ihnen meinen verbindlichsten Dank für die so freundliche üeber-
sendung Ihrer Abhandlung „Ueber einige Merkmale niederer Menschenrassen am
SchädeP auszudrücken. Sie werden leicht begreifen, dass mich der Abschnitt über
das Os Incae s. epactale ganz speciell interessirte. In hohem Grade haben mich
dabei Ihre Mittheilungen über das Procentverhältniss des Vorkommens des Os Incae
bei Peruanerschädeln überrascht, da es im strictesten Gegensatze zu meinen eigenen
Untersuchungen steht. Ich habe viele Hunderte von Peruanerschädeln untersucht
und kann Sie versichern, dass diejenigen, bei denen die mehr oder weniger tiefe
Rinne, die das Os Incae vom Os occipitale trennte (oder bei denen die Sutur nicht
noch ein Stück von jeder Seite in die Furche hineinragte), fehlte, zu den Ausnah-
men gehörten. Die meisten Schädel untersuchte ich in Mittelperü (Gebirge), sehr
viele an der südperuanischen Küste.
Als ich 1844 die kleine Abhandlung für Müller's Archiv schrieb, hatte ich 19
Peruanerschädel bei mir in Berlin und der unvergessliche Johannes Müller, der
diese Schädel bei mir untersuchte, munterte mich noch auf, das enorme Os epactale
mit dem von mir proponirten Namen Os Ingae zu bezeichnen.
Im Jahre 1859 wollte man mir in Calama in der Wüste von Atacama vier wohl-
erhaltene Mumien schenken, die ich aber wegen der Schwierigkeit des Transportes
nicht annehmen konnte. Ich notirte mir aber darnach, dass bei allen vier Schädeln
das Os Ingae vorhanden sei und bei einem davon die Naht linkerseits ganz verwachsen,
rechterseits aber in der grössten Ausdehnung noch unverwachsen erscheine.
(11) Herr E. Friedel bemerkte unter Vorlegung einer Anzahl
dem Märkischen Mnseam gehöriger Gefässe
zur Erklärung derselben Folgendes:
Die hier vorgestellte Töpferwaare gehört den Typen und der Technik nach zu
den drei Hauptepochen unserer alten Keramik. Sie sehen zunächst eine Todten-
urne (No. 16 der Zeitschrift „Der Bär^, Berlin Jahrgang I 1875) unter Fig. a in
(243)
Va der natürlichen Grösse abgebildet, Im Jahre 1780 in Berlin auf dem Hof des
jetzigen Hauses Alexander Strasse No. 0 nahe dem Königsgraben gefunden, damals
mit gebrannten Knochen gefüllt und mit einem Deckelstein verschlossen, welche aus
grobem, mit Steingrus gemengtem, unglasirtem , schwach gebranntem Thon besteht,
dickwandig und nahe dem obern Rande mit 3 Knöpfen versehen ist, also den nicht
ungewöhnlichen Befund unserer heidnischen Töpferwaaren anfweist. Es folgt eine Reihe
von Kesselurnen und Kesseltöpfen, welche von Kloster Chorin, von Cottbus,
aus dem Kreise Zeitz, von Lübtow B aus dem früher zur Neumark gehörigen Theile
des Kreises Pyritz, und von Berlin stammen. Zahlreiche Fragmente z. B. im Garten
des Heiligen Geisthospitals hierselbst, vom Bärenkasten bei Oderberg i/M., von dieser
Stadt selbst, von Spandow, Potsdam, Cöpenick und anderen selir alten märkischen
Städten sehen Sie ebenfalls. Alle diese Reste gehören einem Typus und einer
Modellirung an, die von unserer ächtheidnischen, slavischen und germanischen Töpfer-
waare vollständig verschieden ist, aber auch mit der modernen ßauerntöpferei oder
dem Steingut kaum eine Aehnlichkeit hat.
Die Diagnose dieser Kesselurnen oder Kessel topfe ist etwa folgende: Sie sind
dünner als die heidnischen Urnen, ebenfalls ohne Glasur, aber viel stärker, schon
fast klingend gebrannt. In der Regel ohne künstlerische Bemalung, grau oder schwärz-
lich gefärbt. Die Technik ist gegen früher darin fortgeschritten, dass die Beimengung
von Steingrus fortgefallen, der Thon besser gereinigt und auf der Drehscheibe bear-
beitet ist. Der Boden ist bauchig (convex), derselbe und der Bauch des Gefässes
überhaupt gewöhnlich hie und da beim Brennen blasig aufgetrieben, was noch von
einer UuvoUkommenheit des Handwerks gegenüber den spätmittelalterlichen Gefässen
zeugt. Die Formen dieser Kesselurneu variiren in plumper unschöner Weise eigent-
lich immer dasselbe Thema: einen kesselartig aufgetriebenen Bauch mit einem meist
kurzen und mit Reifen verzierten, eingeschnürten Halse und kräftig übergebogenen
Randlippen. Die Profile dieser Töpfe sind anscheinend mit dem Modellirholz be-
handelt. Denkt man sich diese Urnen, z. B. die in Figur b abgebildete, mit 2 Hen-
keln am Rande und mit 3 Füsschen versehene, (solche Stücke sind gefunden
und bei „Friederich, Abbildungen von mittelalterlichen Alterthümern aus Halber-
stadt, Wernigerode, 1872," dargestellt), so erhält man Formen, welche an die nicht
minder räthselhaften Bronzegrapen erinnern, über deren Zeitstellung noch so viel
Divergenz herrscht, die aber höchst wahrscheinlich, wenigstens theilweise, mit den
Kesselurnen chronologisch gleichzustellen sind, woneben sie natürlich, weil aus soli-
dem Metall, Jahrhunderte länger gedient haben und hie und da noch wirthschaft-
lich benutzt werden. (Vgl. meinen Artikel: Märkische Kesselurnen und Krusen im
Bär, Jahrgang H, S. 24 u. 25.)
Ueber daa Alter der Kesselurnen so viel.
Die Kesselurnen müssen in der letzten Zeit des wendischen Heidenthums durch
christliche Deutsche eingeführt worden sein. Man findet in den der spätesten
Eisenzeit angehörigen Burgwällen und Borchelten in den obersten Schichten die ersten
und ältesten Scherben der Kesselurnen. So in dem Borchelt von Kohlhasenbrück bei
Potsdam, der hier und da noch slavische Scherben, Steine, Beile und dergleichen
heidnische Reminiscenzen liefert. Mitunter findet man rohe Nachahmungen, indem
man die massenhaft importirte Waare äusserlich, aber noch ohne Drehscheibe nach-
geahmt, hart gebraunt, hie und da auch wohl wendisch, d. h. mit Flämmchen,
Schlangenlinien und anderen unruhigen Figuren ornamentirt hat. Dergleichen Ver-
suche sind aber selten.
Mit dem Vorrücken der Deutschen seit dem 10. Jahrhundert ostwärts dringt das
Christenthum unter den Slaveu ein. Die Leichenverbrennung und die Beisetzung
16»
(244)
des Leichenbrandes in Todtentöpfen wird bei den härtesten Strafen verboten. Der
Todtencultus hat nun, das beweisen unsere heidnischen Urnenfriedhöfe, die Technik
der Töpferei getragen, künstlerisch entwickelt und nationalisirt. Durch jene Verbote
erhält die heidnische Töpferkunst, die in den lausitzischen Theilen der Mark eine
bewundernswürdige Vervollkommnung gewonnen hatte, miteins den Todesstoss. Gleich-
zeitig wird alles Wendische nnd Slavische, alles Nichtdeutsche geächtet, verpönt und
gewaltsam unterdrückt. So verschwindet, wie es scheint, binnen wenigen Jahrzehnten,
die glänzende Keramik unserer Slaveu gänzlich, und an die Stelle der vieltausendfach
gestalteten, fast nie identischen Urnen treten die plumpen Formen der deutschen
Topfkessel, als Vorläufer der bald nachher vom Rhein einwandernden Steingutgefässe,
Nach meiner Auffassung sind die Kesselurnen und Kesseltöpfe vorläufig in die
Gränze zwischen dem 10. und 14. Jahrhundert zu setzen. Sehr möglich, dass sie
noch weiter und bis über Bonifaz zurückreichen. Hier fehlen uns aber noch die Be-
weise, welche in Mittel- und Westdeutschland gesucht und durch Münzfunde bestätigt
werden müssten, wobei zu beklagen bleibt, dass bei Münzfunden fast regelmässig,
zum grössten Schaden der Wissenschaft, die Töpfe, in denen die Münzen häufig liegen,
fortgeworfen werden.
Mitunter haben die Kesselurneu noch zur Todtenbestattung gedient, wie dies
die eine vorgezeigte, mit geglühten Menschenknocheu theilweis gefüllte, zeigt. Erwägt
man, dass die Kämpfe mit den Slaven in den jetzt verdeutschten Theilen unseres
Vaterlandes mehre Jahrhunderte gedauert haben, in denen die Deutschen mitunter
nach jahrelanger Herrschaft in einem slavischen Gau wieder aus demselben auf Jahre
vertrieben wurden, so kann dergleichen nicht befremden.
Die Kesselurne, unter b dargestellt, ist von dem Baurath Wäsemann, zu-
sammen mit der Steingut -Kruse Figur c, unter dem alten Berliner Rathhause
c
ausgegraben worden und bekundet den fortdauernden Gebrauch der Kesselurnen bis
in's 14. Jahrhundert, in welches Dr. J. B. Dornbusch in Köln, einer der aus-
zeichnetsten Kenner mittelalterlicher Keramik, die Kruse versetzt. Diese Krause
oder Kruse ist klingend und steinhart auf dem Bruch gebrannt, braun glänzend gla-
birt, mit vier Ausbuchtungen des Randes, für den Umtrunk bestimmt, ohne Henkel.
Der Fuss ist gefältelt (kraus), daher der Name Krause (plattdeutsch Kruse oder Krus).
Diese Gefässe müssen, obwohl in unserer Märkischen Bauerntöpferei nicht mehr vor-
kommend, hier einst sehr gewöhnlich gewesen sein, denn noch jetzt ist im Berliner
und überhaupt im Märkischen Plattdeutsch Krus mit Krug identisch und der eine
Ausdruck im Volksmunde gerade so geläufig als der andere.
(245)
Der technische Grund des gefältelten, an die Halskrause erinnernden Fusses
ist nach Hrn. v. Cohausen wahrscheinlich der, dass das Gefäss nicht mit der vollen
Fussplatte, sondern miiglichst nur mit einzolnon Punkten im Ofen aufstehen, auch
bei der starken, durch Salz bis zum Schmelzpunkt gebrachten Hitze nicht schmelzen
und der Fuss, ohne Gefährdung des Gofässes, leicht ablösbar bleiben sollte.
Die Herkunft dieser Gefässe ist rheinisch. Am Rhein war das nordische Heiden-
thum mit seiner nationalen Keramik schon viele Jahrhunderte früher durch das Römer-
thum beseitigt worden. Das Römerthum selbst mit seiner klassischen Stylistik ging
im Wirrsal der Völkerwanderung unter. Die neu auflebende christlich germanische
Bevölkerung hatte zwar den klassischen Formensinn der eingebornen Römer nicht,
der in der friihmittelalterlichen Verwilderung abhanden gekommen war, überkam und
übernahm aber die bessere römische Technik, insbesondere die Drehscheibe, gelangte
solchergestalt zu den, aus gereinigtem steinfreiem Thon geformten, hartgebrannten
Gefässen und verbreitete diese Producte, unter welche die Kesselurnen und Krusen
gehören, mit dem Christenthum und den politischen Erfolgen der Deutschen immer
mehr nach Osten bis in unsere Gegend und noch beträchtlich weiter in das Slavische
hinein.
Zum Schluss gestatte ich mir die angelegentliche Bitte, das Vorkommen der
Kesselurnen auch in den übrigen Theilen Deutschlands und seiner Nachbarländer
möglichst genau zu verzeichnen und mitzutheilen. —
(12) Hr. Dr. Haus Virchow legt
Topfscherben und Feuersteinsplitter vom Sandwerder und vom Kälberwerder,
zwei Inseln in der Havel bei W^annsee und bei der Pfaueninsel, vor.
Die Stücke vom Sandwerder gleichen den von derselben Lokalität durch Hrn.
Stadtrath Friedel (Sitzung vom 17. October 1874, S. 198) beschriebenen. Der Fund
vom Kälberwerder besteht aus
1) groben Scherben mit eingesprengten zerschlagenen Steinstückchen;
2) einem Randstück, welches der Thonmischung und der Form nach mittel-
alterlich ist;
3) einer Feuersteinpfeilspitze, welche auf der einen Fläche fast plan, auf der
andern convex, seitlich aber symmetrisch ist;
4) einem dreikantigen Feuersteinsplitter.
Die Pfeilspitze zeigt flache Druckmarken und leicht sägenartige Ränder. — Es
wird die Vermuthung ausgesprochen, dass die Pfeilspitze derselben Periode angehöre,
wie die groben Tbonschcrbeu, in Analogie mit den Splittern und Scherben vom
Sandwerder, die buut vermischt gefunden wurden, dass dagegen das feinere Rand-
stück einer späteren Periode angehöre.
(13) Hr. Fritsch übergiebt von Hrn. Dr. Seidlitz eingesandte Abbildungen
kaukasischer Macrocephalen-Schädel.
(246)
(14) Hr. 0. Liebreich sprach
über eine stahlgrane Bronze.
Unter verschiedenen Bronzen, welche Hr. Prof. Virchow die Freundlichkeit
hatte mir behufs chemischer Untersuchung anzuvertrauen, befanden sich einige Stücke,
welche von dem Hrn. Vorsitzenden der Gesellschaft bereits vorgezeigt worden sind.')
Nach dem Abschleifen einer in sich ziemlich dichten , in sehr diinner Schicht ange-
lagerten grünen Patina, sahen die Stücke polirtem Stahle vollkommen ähnlich. Stahl-
arbeiten, welchen diese Stücke vorgelegt wurden, erklärten sie nach dem Anfeilen für
Gussstahl, uud wenn nicht die grüne Patina als Verräther gedient hätte, so würden
in polirtem Zustande diese Stücke den Eisen-Sammlungen zugestellt worden sein.
Meine Bemühungen, aus Sammlungen Stücke ähnlichen Aussehens zu erhalten, sind
missglückt und vielleicht dienen diese Zeilen dazu, die Inhaber von Bronzesammlungen
auf diese eigenthümliche Bronze aufmerksam zu machen, die möglicherweise unter
dem Eisen eingereiht ist, da solche Bronze statt einer grünen Patina einen schwarzeu
Belag von Schwefelkupfer haben könnte; die Härte des Feilstriches und vor allem die
Wirkungslosigkeit des Magneten würde zur vorläufigen Absonderung des Materials
dienen können.-)
Bei dieser merkwürdigen äusseren Beschaffenheit des Materials musste ich natür-
lich auf die chemische Beschaffenheit desselben sehr gespannt sein.
Es ergab sich beim Auflösen in Königswasser, dass es sich hier wirklich um eine
Bronze handele. Die qualitativen Proben zeigten folgende Bestandtheile: Kupfer, Zinn,
Cobalt, Nickel, Arsen, Antimon, Eisen und Schwefel.
Leider liegen der Trennung dieser Metalle und Metalloide neben einander bis
jetzt unüberwindliche Schwierigkeiten im Wege und trotz der zahlreichsten Versuche,
neue "Wege einzuschlagen, musste ich mich begnügen, approximative Werthe zu finden.
Eine Analyse mit nahezu 12 pCt. Verlust gehört unter allen Umständen zu den un-
brauchbaren, wenn es sich darum handeln soll, ein Bild der Zusammensetzung zu
haben. Ich habe aber, trotzdem ein solcher Verlust sich ergab, die Analysen wiederholt,
um wenigstens nachweisen zu können, wieviel von jeder Substanz in miuimo vor-
handen sei, und um die Frage zu lösen, wodurch die merkwürdige äussere Beschaffen-
heit dieses Metallgeraisches bedingt sei. —
Der Kupfer-Gehalt fand sich zu 56 pCt., der Zinn-Gehalt zu 1,5.
Neben diesen als Basis für die Bronzen dienenden Metallen zeigten sich 4 pCt.
Cobalt und 14 pCt. Nickel; einen ganz untergeordneten Werth nahm das Eisen, 0,4
pCt., ein, während Arsen 12 pCt. und Antimon 1,5 pCt. vorhanden waren. Schwefel
zeigte sich zu 0,75 pCt.
Diese Zahlen geben an, wieviel gereinigtes Material bei der Analyse gefunden
wurde; bei welchem der Bestandtheile die Genauigkeit am grössten ist, dürfte sich
nicht mit Bestimmtheit angeben lassen. —
Wenn nun die äussere Beschaffenheit dieser Bronze als Unicum bis jetzt betrachtet
werden muss, so entspricht die complicirte Zusammensetzung, das Vorwiegen der
sonst nur gering vorhandenen Bestandtheile der Seltenheit der äusseren Erscheinung.
Der niedrige Kupfergehalt wird durch Substanzen ersetzt, welche in den sonst
aufgefundenen Bronzen nur als kleine Beimengungen auftreten Unter den von
Wibel zusammengestellten Bronzen zeigt den höchsten Nickel-Cobalt-Gehalt No. 94,
') Sitzung vom 14. Mai 1875. Ausgrabungen bei Zaborowo.
^) Sollte mir eine solche Bronze übersantlt werden, so würde ich gern bereit sein, die
Untersuchung auszuführen. —
(247)
nehralich 2,48. Diese Bronze ist arsenfrei. Der höchste Arsen-Gehalt, als Schwefel-
arsen 1,72 aufgeführt, ist in No. 1Ü4 enthalten, welche Bronze wiederum keinen
Cobalt und kein Nickel enthält.
Eine Bronze, welche einen so hohen Arsengehalt aufweist, wie die stahlgraue,
ist mir überhaupt nicht bekannt und es scheint, dass die bisher gefundenen mit
hohem Arsengehalt nur Spuren oder gar kein Cobalt und Nickel enthalten. Auch
in der neuerlich von Hrn. Carl Virchow analysirten Bronze aus Zaborowo ist bei
1,83 pCt. Arsen keine Spur von Cobalt und Nickel vorhanden. —
Der Schwefelgehalt der Bronze kann von Anfang der Bronze beigemengt gewesen
sein, oder auch später in dieselbe hineiugetreten sein. Durch die schönen Analysen von
Priwosneck (vorgelegt in der K. Oester. Acad. der "Wissensch. 14. Mai 1872. Anzeiger
d. K. Acad. d. Wiss. 1872, S. 50) wissen wir, dass das Kupfer bis zur Sättigung
Schwefel aufnehmen kann, um in Covallin überzugehen; auf 6G,77 Kupfer fand sich
33,22 Schwefel. Neben dem indigblauen Covallin zeigte sich schwarzes Halbschwefel-
kupfer.
Die Farbe der stahlgrauen Bronze hätte sich vielleicht durch die Aufnahme
des Schwefels erkhiren lassen; um jedoch Klarheit darüber zu haben, wurde ein Guss
von Bronze veranstaltet, welcher der Zusammensetzung der Analyse ungefähr entsprach.
Hr. Dr. Siemens hatte die Freundlichkeit, diese nicht ganz ungefährliche Schmelzung
vorzunehmen. Es wurden
499,5 Gramm Kupfer
126,8
y>
Nickel
36,0
»
Cobalt
zusammengeschmolzen, ferner
18,0
»
Antimon
9,0
w
Zinn;
nach der Vereinigung dieser Legirung und einer weiteren Erniedrigung der Temperatur
102,6 Gramm Arsen hinzugefügt, von welchem ein Theil sich verflüchtigte.
Die auf diese Weise dargestellte Bronze ist der alten ausserordentlich ähnUch.
Es zeigen sich die gleichen physikalischen Eigenschaften, Härte, Sprödigkeit und
vor allem, die Farbe ist fast dieselbe, nur geht bei der imitirten Bronze der Ton
ein wenig in s Röthllche über.
üeber die weiteren Resultate der Bronze-Analysen gedenke ich demnächst Mit-
theilung zu machen. —
Hr. Virchow theilt, im Anschlüsse an diesen Bericht, einige von seiuem Sohne
Carl im Laboratorium des Hrn. Bunsen in Heidelberg ausgeführte
Aualyseu märkisclier und posener Bronzen
mit. Es beziehen sich dieselben auf folgende Fundstellen:
1) Gräberfeld von Blossin bei Königs-Wusterhausen in der Mark (Sitzung vom
13. Juli 1872. S. 229).
2) Gräberfeld von Seelow in der Mark (Sitzungen vom 17. April und 14. Mai
1875 S. 87 u. 113).
3 u. 4) Gräberfeld von Zaborowo in der Provinz Posen; von hier gelangten
Bruchstücke von Ringen, und zwar wahrscheinlich Haarringen, zur Unter-
suchung.
Das Ergebniss der Analysen war folgendes:
(248)
1. Blossio (Metallklumpen, stark
oxydirt).
91,0904 pCt. Kupfer
8,7160 „ Zinn
0,1914 „ Eisen
0,0022 „ Nickel und Cobalt.
Spur Arsenik
2. Seclow (stark oxydirt).
90,7818 pCt. Kupfer
4,1250
„ Zinn (mit Antimon)
2,8450
„ Arsenik
0,4799
„ Silber
0,7213
„ Eisen
1,0470
„ Nickel
Spur
Wismuth
3. Zaborowo, dicker Ring.
94,4724 pCt. Kupfer
3,715 „ Zinn (mit Antimon)
1,830 „ Arsenik
0,082(3 „ Silber
Spur Eisen
Spur "Wismuth.
4. Zaborowo, dünner Ring.
95,5965 pCt. Kupfer
4,3650
»
Zinn (mit
Arsenik)
0,0385
n
Eisen
Spur
Silber
Spur
Wismuth.
Eine Perle
aus derselben Fundstelle
ist
durch Kupfer blau gefärbt.
Eine Vergleichung dieser Analysen mit den in der letzten Sitzung mitgetheilten
des Hrn. Salkowski lässt mancherlei Abweichungen hervortreten. Von den durch
letzteren untersuchten Bronzen von Zaborowo zeigt nur eine, nehmlich diejenige,
welche das Bronzemesser betrifft, in Bezug auf den Gehalt an Kupfer und Zinn
verwandte Mischungsverhältnisse, nehmlich 93,66 Kupfer und 6,14 Zinn. Es ergiebt
sich daher für dieses eine Gräberfeld, für welches schon Hr. Salkowski so ver-
schiedenartige Zusammensetzungen der einzelnen Bronzen nachgewiesen hatte, eine
ungemein grosse Mannichfaltigkeit der Mischungsverhältnisse. Nimmt man dazu das
Ergebniss des Hrn. Liebreich, so ersieht man leicht, wie wenig zutreffend die
bisher meistentheils eingehaltene Methode, nur ein einzigas Stück aus einem grösseren
Funde zum Gegenstande der Analyse zu machen, sein kann, üebrigens ergiebt sich
für alle die aufgeführten Fundstellen wenigstens die Uebereinstimmung, dass keine
der römischen oder späteren Bronze analoge Mischung aufgefunden ist. — Speciell
für die Bronze von Seelow nnd die unter No. 3 aufgeführte Bronze von Zaborowo
treten in Betreff der geringeren Mischungsantheile (Arsenik, Silber u. s. w.) bemerkens-
werthe Verwandtschaften hervor.
(15) Ilr. Liebreich bespricht ferner die
toxischen Wirknugen der N'Kassa-Riude.
Durch Hrn. Dr. Boehr wurden mir im Auftrage der Afrikanischen Gesellschaft
einige Stücke N'Kassa Rinde übergeben. Dieselbe kennzeichnet sich durch ein un-
gemein hohes spez. Gewicht, ohne sonst äusserlich besonders charakteristische
Merkmale darzubieten.
Da für die chemische Untersuchung, besonders für die Darstellung der in ihr
enthaltenen alcaloiden Substanz, die Quantität nicht ausreichte, so wurden nur einige
chemisch präparative Versuche gemacht, deren Resultate für die Reurtheilung der
Identität von neu übersandtem Materialc zur Vorohiicliuug nützlich sein können. Es
konnten 20 pCt. wässrigen Extractes dargestellt werden, welches zu einer braunen,
spröden, zerbröckelnden Masse trocknete. Die Quantität des alcoholischen Extractes
betrug 28 pCt., letzteres stellte eine syrupöse Masse dar. Beide Extracte sind giftig,
jedoch zeigt der alkoholische eine überwiegend stärkere Wirkung und es ist nicht un-
(249)
wahrscheinlich, dass die aus letzterem sich abscheidenden feinen Krystalle das in der
Rinde enthaltene wirksame Alcoloid sind. —
Um dieselben möglichst zu isolireu, wurde folgenderniassen verfahren: I IJ) Gramm
der fein gepulverten und gesiebten Rinde wurde mit einigen Tropfen verdünnter
Schwefelsäure versetzt und so lange mit Wasser ausgekocht, bis das Filtrat beim Ver=
aschen keinen festen Rückstand mehr hinteriiess. Die vereinigten Filtrate wurden
mit basisch-essigsaurem Blei gefällt. Das nun erhaltene Filtrat wurde durch Schwefel-
wasserstoff von überschüssigem Blei befreit, bei gelinder Wärme auf dem Wasser-
bade abgedampft und der Krystallisatiou überlassen. Es lieferten die 1 1,.^) Kinde
0,39 einer zum grossen Theil krystallisirenden essigsauren Verbindung. — Der Blei-
niederschlag gab, nach der Zersetzung mit Schwefelwasserstoff, keine wirksame
Substanz.
Die auf diese Weise dargestellte Masse zeigte, wie es zu erwarten war, die grösste
Wirkung. Ein qualitativer Unterschied in der Wirkung der verschiedenen Extracte
konnte nicht beobachtet werden. —
Die Versuche, welche für die Auffassung der Wirkung am entschiedensten waren,
wurden an Hunden gemacht. Es zeigte sich, dass mittelgrosse Hunde bei subcutaner
Injection von Ü,U18 der zuletzt präparirten Massen, — diese Zahl würde etwa 0,5
Gramm der Rinde entsprechen — zu Grunde gingen. Der Verlauf, welchen die Ver-
giftung nahm, war in allen Versuchen genau derselbe. Zuerst trat wiederholtes
Gähnen auf, demselben folgten heftige Brechbewegungen und Defaecation, nach kurzer
Andauer dieses Zustandes fiel das Thier um, weder Lähmungs- noch Krampf-
erscheinungen wurden beobachtet. Bis zum Momente des Todes, der unter Dyspnoe
erfolgte, wedelte das Thier beim Aui-ufen mit dem Schwänze, woraus sich wohl
schliessen lässt, dass das Sensorium durch das Gift der N'Kassa nicht beeinträchtigt
wird. Die sofort angestellte Section ergab, dass alle Schleimhäute sich in ausser-
ordentlich anämischem Zustande befanden. Die Milz dagegen, Leber und Niere
zeigten sich strotzend mit Blut überfüllt. Das Herz bot stets das Bild der Lähmung
dar. Beide Ventrikel zeigten sich mit Blut stark gefüllt. Die electrische Erregbar-
keit war bei der gleich nach dem Tode vorgenommenen Section stets vorhanden.
Wir sehen also, duss wir es mit einem ausserordentlich heftigen Herzgift zu
thun haben, das gleichzeitig als Brechen erregendes Mittel wirkt.
Die Rinde, welche von den eingebornen Fetisch-Priestern zum Gottes-Gericht be.
nutzt wird, soll die Eigenschaft besitzen, bei Unschuldigen die Wirkung zu ver-
sagen; man hat dieses dadurch zu erklären versucht, dass die Priester eine genaue
Kenntniss von der Rinde hätten und vorher beurtheilen könnten, dass gewisse Theile
keine Wirkung zeigen sollten. Ich glaube diese Erklärung verwerfen zu müssen, da
bisher keine solche Pflanzenrinde bekannt ist, welche an einzelnen Stellen gar keine,
der sonst in ihr enthaltenen Stoffe enthält, Dass unter gewissen Umständen die furcht-
bare Wirkung der Rinde nicht zur Geltung zu kommen braucht, kann nach meiner
Auffassung nur dadurch erklärt werden, dass die Brechen erregende Wirkung so
schnell auftritt, dass die Rinde aus dem Magen wieder entleert wird. Das Erbrechen
ist ein Vorgang, den wir bei Aufnahme anderer giftiger Substanzen durch geeignete
Brechmittel zu erreichen suchen. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass gerade etwas
grössere Quantitäten, besonders in nicht zu fein zerbröckeltem Zustand, das Leben
eher erhalten können, als kleinere Quantitäten, welche vielleicht fein vertheilt, durch
die im Magen enthaltene Flüssigkeit schnell ausgelaugt werden und nach der
Resorption den Tod durch Herzlähmuug unfehlbar bewirken. — Es ist bis jetzt
keine Substanz bekannt, welche in so kleiner Dose diese Art der Symptome hervor-
ruft. In Jamaika ist ein von der Pflanzenfamilie der Asclepiadeen stammendes Gift,
(250)
das Echitin mit ähnlicher Wirkung bekannt, und es ist nicht unwahrscheinlich, dass die
N'Kassa Rinde von einer Pflanze jener Familie herstammt. —
(16) Hr. Hartiuaunn besprach den
Autliropoideii Mafuca des Dresdener zoologischen Gartens.
(vergl. Sitzungsbericht vom Oktober).
Das Thier stammt, wie sichere Nachrichten beweisen, aus dem von Herrn
Dr. Güssfeldt so malerisch geschilderten Waldlande Mayombe. Hier haust, in
dichten tropischen Forsten der riesige N'Pungu oder Gorilla (N'Djina der Gabun-
Völker), sein Gebiet in entschiedener Oberherrlichkeit behauptend. Gegen die Küste
hin findet sicli auch der in Westafrika N'Djeko, N'Schego oder N'ziko genannte
Chimpanse (Troglodytes niger), von welchem man nach höchst unzureichendem
Material mehrere gesonderte Arten hat aufstellen wollen.
Mafuca, so wurde das Thier nach einem in Loango üblichen Titel genannt, kam
jung und kränkelnd nach Deutschland, gedieh aber unter der sorgfältigen Behandlung
seines trefflichen Pflegers, Directors A. Schoepf, ausserordentlich. Letzterer zeigt
Kleider, d. h. Jäckchen und Hosen, welche der Mafuca vor 1% Jahren noch recht gut
passten. Zur Zeit ihrer Besichtigung durch den Vortragenden (2. — 4. Septbr. 1875)
konnte dieselbe freilich nicht einen Arm mehr in das Bein ihrer früheren Pumphose
einbringen. Mafuca ist eine Zeit lang stark gewachsen. Man hat nun hämischer-
weise die Wahrheitsliebe des Hrn. Schoepf anzweifeln wollen, indem man vorgab,
die gezeigten, zu eng gewordenen Kleider seien niemals auf dem Körper des Affen
gewesen. Man hat dadurch die Beobachtungen über das schnelle Wachsthum des
schönen, energischen Thieres zu entwerthen gesucht Aber einmal sei es, betont
Vortragender, abscheulich, ohne Grund die Angaben eines nur seiner Sache lebenden,
als durchaus ehrenhaft bekannten Mannes, wie Schoepf, aus egoistischem Partei-
interesse zu verdächtigen, zum anderen Male nun habe Hr. C. Hagenbeck mehr-
mals versichert, er könne es eidlich erhärten, die angeführten Kleidungsstücke auf
dem Körper des Affen gesehen und sich durch wiederholte Autopsie über dessen
rapide Entwicklung unterrichtet zu haben. Vortragender überlässt es dem Dr. Nissle,
die von ihm sehr fleissig gesammelten authentischen Berichte über die Herkunft der
Mafuca zu veröffentlichen. Dies soll im ersten Heft des VHI. Jahrganges dieser Zeit-
schrift geschehen. Herr van Bemmelen, Director des zoologischen Gartens
zu Rotterdam, hat die Behauptung aufgestellt, Mafuca sei ein von der Goldküste
stammender gewöhnlicher Chimpanse, dessen Schwesterindividuum in dem er-
wähnten Garten eine Zeit lang gelebt habe. Diese durch zuverlässige Nachrichten
gänzlich entkräftete, völlig aus der Luft gegriffene Angabe zeigt neben vielen anderen,
wie geschäftig Fama war, die von Berlin aus behauptete Gorilla-Natur der Mafuca
in tendenziöser Weise zu bekämpfen.
Vortragender erklärt nun, er hätte die ganze Mafuca-Angelegenheit gern bis zum
einstmals erfolgten Tode des Thieres auf sich beruhen lassen. Es hätte jedoch der
Indifferenz der dresdener Zoologen gegenüber nicht verhindert werden können, dass
der in Berlin erfolgte Ausspruch, „Mafuca sei entschieden kein Chimpanse,
sie könne vielmehr wohl ein Gorilla sein", als wahre Sensationsnachricht
ihren Weg in die Oeffentlichkeit nahm. Auch der Name des Vortragenden, eines
vielfach anerkannten Bearbeiters der Anthropoiden, wurde unvermeidlicher Weise mit
der Angelegenheit verknüpft. Die Mitglieder der Gesellschaft haben von der sich
(251)
nunmehr entwickelnden Streiterei für und wider „Gorilla" wohl hinreichende
Kenntniss genommen.
Trotzdem erklärt Vortragender, er hätte die Sache am liebsten in suspenso ge-
lassen, wäre er nicht durch gehässige, in Dresden und selbst in Berlin hinter seinem
Rücken vorgebrachte Anschuldigungen wider seine, im Hinblick auf Mafuca entwickelte
Thätigkeit dazu gereizt worden, die von ihm versuchte Beweisführung in öffentlicher
Sitzung darzustellen. Ein guter Theil seiner Gegner sei eingeständig, den dresdener
Affen gar nicht mit eigenen Augen gesehen zu haben, trotzdem glaubten
jene Leute, aus den vorhandenen Abbildungen von Gorillas, von Chimpanses und der
Mafuca wohl ersehen zu kcinnen , dass letztere nicht der ersteren Art Anthropoider
angehöre.
Vortragender unterzog nun zunächst diese, ihm höchst sonderbar erscheinende
Art und Weise, eine so schwierig zu lösende Frage par distance behandeln zu wollen,
einer scharfen Kritik. Die von seinen Gegnern hauptsächlich citirten Abbildungen
männlicher und weiblicher Gorillas durch Wolf in Owen 's Memoir on the Gorillas
(London 1865) gehörten seiner Meinung nach entschieden zu den schlechtesten
Leistungen des übrigens so genialen und vom Vortragenden besonders hochgeschätzten
Künstlers. Das in Front view abgebildete Gorilla-Männchen, welche Figur leider
auch in die Abhandlungen von Huxley und seinen Nachbetern übergegangen sei,
gleiche zwar einem Bären, auch wohl einem Faulthiere, nicht aber einem Affen.
Wolfs Abbildung des Weibchens und Jungen a. a. 0. sei ebenso plump, wie tech-
nisch imvollkommen gearbeitet. Diese Darstellungen wären weit unnatürlicher, als
selbst die in London, Paris und Wien aufgestellten gestopften Häute. Der in Isid.
Geoffroy St. Hilaire's Abhandlungabgebildete enthaarte, in Weingeist aufbewahrte (?)
Kopf gehöre einem alten Männchen an und dürfe als Vergleichungsobject mit der
Mafuca nur höchst vorsichtig gebraucht werden. Die von Owen in oben citirten
Memoirs abgebildete Gorilla-Leiche sei die eines sehr jungen Thieres und durch
cadaveröse Emphysembildung, wie durch andere Fäuluissvorgänge, endlich auch durch
starke Einwirkung von Alkohol, in fast karrikaturenhafter Weise entstellt. Du Chail-
lu's und Winwood Reade's Abbildungen seien fast durcbgehends nur werthlose
Fiktionen.
Die dem Verfasser wohlbekannten und von ihm in der Sitzung vorgezeigten
Photographien und Heliotypien der lübecker Exemplare zeigten mit nur massigem
Kunstaufwaude montirte Bälge und könnten daher sehr wenig in Betracht kommen.
Einigermassen brauchbar erwiesen sich nur folgende bis jetzt vorhandene Gorillabilder:
1) In Wood's Illustrated Natural History of Mammals p. 15 (Zeichnung von Wolf),
'2) in Isidore Geoffroy St. Hilaire's Quatrieme Memoire, Singes, Archives du
Museum T. X pl. 1., 8) in P. Gervais Histoire Naturelle des Mammiferes T. I,
p. XXIV, p. 27, 4) in Deveria und Rousseau: Photographie zoologique, Paris
1853. Die dargestellten Thiere seien ausgewachsene Männchen. Ein junges
Männchen bilde I. Geoffroy St. Hilaire 1. s. c. pl. VII Fig. 1, 2, nach einem in
Weingeist aufbewahrten Cadaver ab Die Bäuche seien aber an den gestopften Bälgen
zu fassartig aufgebauscht. Das stimme nicht mit einer, von dem Afrikareisenden
Herrn von Koppenfels (nach frisch gctikltetem Exemplar) eutworfeuen, übei' S''
Fe de Bogota von Hrn. Bastian neuerlich eingesandten Skizze eines alten Männ-
chen, dessen Bauch, wie bei Mafuca, sehr eingezogen sei. Letzteres fände sich übri-
gens auch an dem in Hamburg befindlichen, von Hrn. Wiirmann geschenkten
Weingeistexemplare. In der Gesiclitsbildung böten oben erwähnte bessere Gorilla-Dar-
stellungen jedenfalls vieles an Mafuca Erinnernde dar.
Vortragender hat sich die Mühe genommen, eine von ihm verfertigte Skizze nach
(252)
dem Balge des Lübecker Weibchens, unter Controle durch die photographische Auf-
nahme desselben mehr der Natur entsprechend zu restauriren, d. h, den Nasenknorpel
gewölbter, als an dem eingetrockneten Original, zu zeichnen und die Oberlippe un-
merklich zu verlängern. Das so entstandene Portrait gleiche der Mafuca täuschend,
wie auch in der Sitzung selbst von mehreren Mitgliedern der Gesellschaft aus eigener
Anschauung zugegeben worden sei.
Man müsse nun, wolle man die Mafuca mit anderen Anthropoiden in Vergleich
ziehen, wohl daran denken, dass erstere ein Weibchen sei. Man dürfe an dies
Thier nicht mit den Vorstellungen herantreten, welche man sich nach den von alten
Männchen existirenden besseren oder schlechteren Abbildungen und Bälgen zurecht
gemacht habe. Die weiblichen Anthropoiden wichen in ihrer Körpergestalt sowohl,
wie auch in ihrem Skeletbau sehr wesentlich von den männlichen Individuen ab.
Nirgend sei dies so aufgefallen, als beim Gorilla, dessen männlicher Schädel im Ver-
gleich mit dem weiblichen u. A. eine beträchtlichere Grösse, einen mächtigeren Zahn-
bau und eine ganz abweichende, durch hohen Pfeünahtkamm hervorstechende Hinter-
hauptbildung zeige. Es lasse sich wohl sagen, dass in craniologischer Hinsicht
der alte weibliche Gorilla dem alten männlichen Ghimpanse ähnlicher
wäre, als der erstere dem alten männlichen Gorilla,
Mafuca sei nun, so berichtete Vortragender weiter, in ihrer Entwicklung noch
lange nicht vollendet. Man habe fälschlicherweise die Nachricht ausgesprengt, sie
sei schon ein altes Thier, denn sie habe periodische sexuelle Regungen, indessen
sei letztere Angabe für die Beurtheilung des vermeintlichen Alters des Thieres keines-
wegs massgebend. Dergleichen Erscheinungen Hessen sich schon an noch recht jungen
Chimpanses, Magots, Meerkatzen, sehr jungen Pavianen und ausnahmsweise selbst
bei Kindern wahrnehmen., Mafuca's Zahnwechsel sei noch nicht beendet.
Verfolge man die sorgfältigen von Owen, Lucae, Bischoff, Magitot, Giglioli
und noch Anderen, auch die vom Verfasser angestellten Untersuchungen über den Zahn-
wechsel der Anthropoiden, so gewinne auch dadurch die üeberzeugung Raum, dass Ma-
fuca nur zwischen 4 — 5 Jahr alt sein könne. Man wisse zwar bis jetzt nichts Sicheres
über das höchste Alter, welches Anthropoiden erreichen könnten, indessen ergebe
sich aus mancherlei bisher gesammelten Indicien, sowie aus vergleichend-osteologischen
Untersuchungen, dass solche Thiere doch fast Menschenalter erreichen möchten. Dem
Dr. Nissle müsse es überlassen bleiben, die von ihm mit grossem Fleisse zusammen-
gebrachten Notizen über die bisherigen Stadien des Zahnwechsels der Mafuca an
geeigneter Stelle zu veröffentlichen.
Vortragender bemerkt an diesem Orte, man habe gegen ihn die angebliche
Thatsache zu constatiren gesucht, es sei von alten Chimpansemännchen noch
so gut wie gar nichts bekannt. Derartige Angaben beruhten indess entweder
auf .absichtlicher, gehässiger Entstellung der Wahrheit oder auf gröblicher Unwissen-
heit. Denn Jedem, welcher sich ernstlich mit dem Studium der anthropomorphen
Affen befasse, müssten die Mittheilungeu und bildlichen Darstellungen der Herren
Owen, Dahlbom, Js. Geoffroy St. Hilaire, Th. L. Bischoff und des Vor-
tragenden über alte Chimpanse-Männchen wohlbekannt sein. Mafuca habe aber
mit letzteren gar nichts zu schaffen.
Mafuca sei bereits jetzt grösser und stärker, als ein etwa gleichaltriger weiblicher
Ghimpanse, z. B. als das prächtige Thier letzterer Art im zoologischen Garten zu
Hamburg. Obwohl nicht alle Chimpanses das bei manchen kränkelnden Individuen
derselben aufgefallene, zwar häufig heitere, aber doch dabei milde, duldende Be-
nehmen zeigten, obwohl z. B. das Hamburger Thier manchmal starke Gaukeleien und
Sprünge mache, so sei alles das doch nichts gegen die unbändige Wildheit, die
(253)
markige Lebendigkeit der plötzlich einmal recht liebenswürdig sieb zeigenden, an
ihre Pfleger sich innig schliessenden Mafuca. Wie die vor Aufgeregtheit halb rasenden
jungen Negersoldaten, welche sich im oberen Sennar ;in starkem Üurrah-Bier betranken
und dann in paradoxem üebermuth unglaubliche Proben der Tollheit ablegten, so
etwa käme Mafuca dem Sprechenden in ihrem gewiihnlichen Dasein vor. Eine durchaus
ungezügelte, unberechenbare Natur repräsentire dieselbe. Im Augenblick den Pfleger
süss liebkosend, kratze sie ihn ohne Veranlassung im unmittelbar folgenden Moment,
nehme dann Sätze wie ein angeschossener Panther und klaube darauf wieder ganz
manierlich Nüsse auf. Jetzt seinen Spielkameraden, ein munteres Aeffchen anderer
Art, zärtlich streicheln, in den nächsten Minuten bei tobendem Gewitter dasselbe
ergreifen und gegen die Gitter des Käfigs schmettern, bis es im Tode röchelnd
da liege, das seien Wandlungen, wie sie sich in dieses Anthropoiden Benehmen in
unheimlich kurzer Zeitdauer vollzögen. In diesem ganzen Gebahren finde man aber
keinerlei Züge, wie man sie in demjenigen der Chimpanses beobachtete.
Dr. Bolau, so berichtete Vortragender weiter, habe behauptet, der weibliche
Ghimpanse des zoologischen Gartens zu Hamburg gebe an Lebhaftigkeit und Kraft
der Mafuca wohl kaum etwas nach. Indessen sei doch der Unterschied darin nach
Meinung des Redners ein immer noch sehr grosser. Das der Mafuca an Alter wenig-
stens nachstehende Hamburger Thier sei zwar prognather^ als die meisten bis jetzt
gesehenen jüngeren Chimpanses, allein die sonstige Kopfbildung, der physiognomische
Habitus, die Rumpf- und Gliederbildung des Elb-Chimpanse wichen sehr beträchtlich
von den Formen des Dresdener Aflfen ab.
Letzterer habe einen im Verhältniss zur Schulterbreite kleinen Kopf. In der
Scheitelmitte zeige sich ein in sagittaler Richtung verlaufender, mit einem Haarkamme
bedeckter Kiel. An weiblichen Gorillaschädeln zeige sich oftmals ein niedriger
sagittaler Knochenkiel. Höchst selten, und alsdann ungemein viel schwächer, zeige
sich derselbe an alten weiblichen Chimpanse-Schädeln. Die Augenhöhlen-
bögen der Mafuca ragten stark wulstig hervor, wie beim Gorilla, und seien mit dicker,
warziger Haut bedeckt Dieses Verhalten, welches sich bei Chimpanses niemals in
so hohem Grade zeige, gebe dem Kopfe Mafuca's ein sehr charakteristisches Aussehen.
Bei alten männlichen und weiblichen Gorillas müssten diese Augenhöhleubögen, der Ent-
wickelung ihrer knöchernen Grundlage nach zu urtheilen, wahrhaft monströs werden.
Von krankhafter Entartung lasse sich an den vorhandenen Schädeln durchaus nichts
wahrnehmen. Die Nase Mafuca's sei nur durch einen geringen Zwischenraum von den
inneren Augenwinkeln getrennt. Das könne an die bei den Chimpanses gewöhnliche Bil-
dung erinnern. Allein auch bei Gorillas sei der Raum zwischen Apertura pyriformis und
Innenwand der Augenhöhlen bei gleichzeitiger tieferer Einsattelung des Nasenrückens
ein nur sehr kurzer. — Vortragender könne dies an verschiedenen, z. Z. vor ihm
liegenden männlichen und weiblichen Gorillaschädeln nachweisen. Das individuelle
Variiren müsse daher auch hierin sehr gross sein. Mafuca's äussere Nase sei sehr
hervorragend, gewölbt, mit einer tiefen mittleren Längsfurche und mit grossen Löchern
versehen. Das sei die echte Gorilla-Nase. Bei Chimpanses sei diese weit kleiner,
flacher, ohne die tiefe mittlere Furche. Bei letzteren Affen gehe eme wohl bemerk-
bare Hautfurche vom Hinterrande des Nasenriickenknorpels aussen um die Nasenlöcher
und die Nasenscheidewand herum. Bei Mafuca und den Gorillas reiche eine ähnliche
tiefere Furche nur bis zu gleicher Höhe der Mitte der Löcher herab.
Mafuca habe eine lange Oberlippe, dieselbe sei der Länge und Quere nach ge-
furcht, warzig, voll steifer Haare und könne ebenso weit schnutenförmig vorgestreckt,
wie auch unter starkem Zähnefletschen sehr weit zurückgezogen werden. Sei das
Thier gut gelaunt, so ziehe dasselbe, Grimassen schneidend, öfter die Oberlippe ganz
(254)
ein, wie das auch andere Affen und selbst Menschen gelegentlich thäten. Die Ober-
lippe erscheine alsdann völlig kurz und die Aehnlichkeit mit den Bildern von Gorillas
werde dann noch grösser. Man behaupte, die Kürze der Oberlippe bei letzteren gebe
einen beträchtlichen physiognomischen Unterschied nait Hinsicht auf die lauglippigeMafuca
ab. Bei dem Wör mann 'sehen, in Weingeist stark zusammengeschrumpften Gorilla-
Exemplare sei die Oberlippe sammt der Unterlippe gewaltsam über die geschlossenen
Zähne gezogen worden, gerade, als man eine photographische Ansicht des Kopfes
anfertigen wollte. Nun sei bekannt, dass auch die Gorillas ihre Lippen beim Fressen,
Saufen, Schmunzeln, Grollen u. s. w. löffeiförmig verlängern und vorstrecken könnten.
Alle Affen besässen, so fährt Redner weiter fort, einen stark entwickelten Schliess-
muskel des Mundes, ferner stark entwickelte I.ängsmuskeln der Lippen, welche letz-
teren Organen eine ungemein grosse Beweglichkeit gestatteten. Indessen sehe man
auch Gorilla-Schädel männlichen und weiblichen Geschlechtes, an denen der Zwischen-
raum zwischen Augenhöhlen und Nasenapertur sehr kurz, die Prognathie aber sehr
beträchtlich , die Alveolarfortsätze der Oberkieferbeine mit den gewaltigen schief
stehenden Zähnen aber sehr lang seien. Demgemäss müsse doch auch die Oberlippe
solcher Individuen sehr lang sein. An anderen Schädeln finde man grosse Zwischen-
räume zwischen Orbitae und Apertura pyriformis, sowie sehr kurze Alveolarfortsätze
der Oberkieferbeine. Individuen von derartiger Schädelbiidung müssten einen langen
Nasenrücken und niedrigere Oberlippen haben. Solche Unterschiede Hessen sich
leicht an den vorliegenden, vom Gabun, Ogöwe und aus Mayombe stammenden Gorilla-
schädeln ungefähr gleichen Alters nachweisen. Denn Schädel abweichenden Alters
lasse Sprecher bei diesen Untersuchungen absichtlich ausser Acht. Er habe Schädel
von Männchen und Weibchen diöerenter Bildung mit dem Lucae 'sehen Apparat ge-
zeichnet und um die Umrisse die Weichtheile reconstruirt, dies nach der bei der
Gesichtszergliederung von Chimpanses und Orangs gewonnenen Erfahiung über Haut-
dicke, physiognomische Muskellagen u. s. w. Diese Versuche ergäben nun eine für
den Beschauer wahrhaft komisch wirkende individuelle Verschiedenheit. Da könne
man sich nun kaum wundern, wenn Redner schon nach dem Vorhergesagten sich
gemüssigt gefühlt habe, Mafuca für einen Gorilla mit kurzem, stark eingesatteltem
Nasenrücken und langer Oberlippe zu halten.
Das Thier habe breite Schultern, eine breite Brust mit vorstehenden Warzen,
eingezogene Flanken, nicht aber den Tonnenbauch der Chimpanses und viel kräftigere
Extremitäten. Die Muskulatur der letzteren und des Rumpfes trete plastisch hervor,
wiewohl sie nicht so stark entwickelt sich zeige, wie an den sonst schönen, aber in
dieser Hinsicht etwas übertriebenen, in der Sitzung vorgelegten Zeichnungen G. Müt-
ze l's. Finger und Zehen zeigten Bindehäute bis etwa zur Mitte der ersten Phalangen.
Sie seien dicker wie die der Chimpanses, aber nicht so dick, wie die übertrieben
aufgeblähten, hydropisch erscheinenden auf Wolfs und Bocourt's Abbildungen,
an den gestopften Bälgen u. s. w. Beim Wörmann'schen Gorilla, einem Männchen,
seien Finger und Zehen durchaus nicht so dick, wie man gewöhnlich angebe. Das
gehe u. A. aus den in Hamburg verfertigten Photographien hervor. Die Gorilla-
Weibchen hätten, wie dies schon am Skelet nachweisbar sei, überhaupt schlankere
Finger und Zehen als die Männchen. Daher Verstösse die verhältnissmässige Schlank-
heit der Phalangen Mafuca's ebenfalls nicht gegen die Annahme, sie sei ein Gorilla.
In Mützel's Bildern sei Mafuca's Hand entschieden zu schmächtig dargestellt. Da-
gegen seien die von demselben Künstler abgebildeten Füsse (namentlich an einem
Holzschnitt grossen Formates, welcher eine Abhandlung Dr. Brehm's im Jahrgang
l.S7(! der Gartenlaube begleiten solle) eher diejenigen einer Gorilla.
Die seitlich weit abstehenden Ohren Mafuca's seien, wie dies zuerst von Hrn.
(255)
Dr. 0. Hermes beobachtet worden, auf beiden Seiten etwas ungleich gebildet. Im
Allgemeinen ähnelten diese Theile denen der Gorilla und damit zugleich denen des
Menschen ungleich mehr, als denjenigen des Chimpanse. Mafuca's Ohren zeigten eine
rechts schwächer, links stärker entwickelte Krempe oder Leiste. Rechterseits beginne
dieselbe mit einem deutlicli abgesetzten Schenkel (crus), welcher linkerseits am Ober-
ende des Einschnittes zwischen Ecke und Gegeuecke verlaufe. Die Ecke sei auf beiden
Seiten ganz gut entwickelt, die Gegeuecke sei links besser abgesetzt, als rechts. Je ein
tiefer Einschnitt (lucisura intertragica) trenne die beiden zuletzt erwähnten Vorsprünge,
Jodes der Ohrou habe Läppchen vou allerdings nur geringer Grösse. Die Gegen-
leisten seien breit und flach, die zwischen beiden Schenkeln derselben eingeschlossene,
dreieckige Grube sei nur rechts einigermaassen zu erkennen. An Gorillaohren fänden
sich Leiste, Gegenleiste, Ecke und Gegenecke, sowie auch Läppchen meist deutlich aus-
geprägt. Die Gegenleiste sei auch hier flach, die zwischen ihr und der Leiste befind-
liche Rinne sei breit. An Chimpauseohren fände sich bald ein deutlicheres, bald ein
weniger deutliches Läppchen. Ecke und Gegenecke seien nicht selten gut entwickelt,
die Leiste sei gewöhnlich umgekrämpt, ohne abgesetzten Schenkel. Die deutlich ent-
wickelte schmale Gegenleiste werde durch eine zwei bis drei Centimeter weite Rinne
(Fossa scaphoidea) von der Leiste getrennt. Am Ohrknorpel der Chimpanses fänden
sich überdies noch mancherlei Vorsprüuge, welche dem Menschen- und Gorillaohre
nicht zukämen. Das Orang-Ohr sei klein (cca. 5 Ctm. lang) und menschenähnlich.
Das Ohr der Gibbons habe gar keine Aehnlichkeit mit demjenigen des Menschen
und der anderen Anthropomorphen. Darwin's „vorspringender Punkt" an
der Ohrkrempe finde sich angedeutet an Mafuca's rechtem Ohr, manchmal sehr aus-
geprägt bei Gorillas, nur selten angedeutet bei Chimpanses und Orangs, Dies
wenigstens, soweit die Erfahrungen des Vortragenden reichten.
Wenn man nun Mafuca's Ohr genau in der Profilansicht des Kopfes visire, so
betrage die Länge desselben etwas weniger als ein Drittel der Kopfhöhe, diese vom
Scheitel bis zur Basis des Unterkiefers gemessen. Bei Gorillas betrage die Ohrlänge
durchschnittlich weniger als ein Drittel der in gleicher Weise genommenen Kopfhöhe.
Beim Chimpanse gingen gewöhnlich zwei Ohrlängen auf die Kopfhöhe. Mafucas Ohr
werde zu 7 Centm. Länge geschätzt. Hr. Dr. Nissle, welcher bei Abschätzung
dieses Maasses zugegen gewesen, erkläre die dabei angewendete Methode wegen ün-
gebehrdigkeit des Thieres für eine gänzlich rohe und unzuverlässige. Dem Vortra-
genden kämen jene angeblichen 7 Centm. übertrieben vor. Die Ohrlänge alter
männnlicher Gorillas (au Häuten in Soda aufgeweicht) habe Vortragender zu 6 bis
6j3 — G,5 Centm. Länge gemessen. Chimpanse-Ohreu wären durchschnittlich 6 — 7,5
Centm, lang. Sie wären breiter und anders gestaltet als diejenigen iMafuca's. Vor-
tragender meint schliesslich, man dürfe auf die individuell ungemein schwankende
Länge dieses „rudimentären Organes" nicht zu viel geben. Er überlasse den
Calcul um etliche Millimeter mehr oder weniger ganz solchen Zoologen, welche daraus
Capital für ihre Specieskrämerei zu schlagen suchten.
Jedenfalls sei in den Zeichnungen G. Mützel's, welche im Buntdruck dem
L Heft des Jahrganges 187G der Zeitschrift für Ethnologie beigefügt werden sollten, das
ühr nicht naturgetreu genug dargestellt worden. Als zuverlässiger bewährten sich
in dieser Hinsicht jene Skizzen des Dr. 0, Hermes und die eigene des Vortragenden.
Endlich komme noch die Farbe in Betracht. Mafuca sei schwarz mit Stich iu
braun und mit fuchsigem Lüstre, um den After her seien die Haare schmutzig weiss.
Letzteres zeige sich auch beim Gorilla. Dieser wäre meist über Rücken, Bru&t,
Schultern und Lenden graubraun melirt, indem jedes der langen, schmutzig-aschfarbenen
Haare erwähnter Theile ein bis zwei schwarz- oder rothbraune Ringeln zeigte. Der
(256)
Scheitel sei oft fuchsroth, die Extremitäten seien gewöhnlich schwärzlich braun, in
Fuchsig oder Sammetschwarz schillernd. Es gebe aber auch ganz schwarze
Individuen. Manche in der Jugend schwarze oder schwarzbraune Gorillas würden
im Alter heller, melirt. Mafuca's Pelz-Farbe gäbe kein Criterium für die Stellung
derselben im System ab. Ebenso wenig ihre Gesichtsfarbe. Diese sei dunkel-, schmutzig
fleischfarben mit Stich in Rothbräunlich, russschwarz überflogen. Schwärzliche Fär-
bung bilde sich aber auch im Antlitz vieler anfänglich daselbst sehr hell, fleisch-
farben erscheinender Chimpanses.
Vortragender legte eine grosse Menge Zeichnungen, Photographien, Steindrucke
und Stiche von Gorillas, Chimpanses und Oraug-TJtau's vor. Es waren darunter
viele von ihm selbst nach dem Leben aufgenommene Aquarell- und Bleistiftbilder.
Er glaubte das von ihm herrührende Portrait der Mafuca als möglichst naturgetreu
vorstellen zu können, dies besonders gegenüber den von G. Mützel, H. Leutemann
und E. Reichenheim zwar recht schön gezeichneten, aber doch auch einzelnes
Fehlerhafte enthaltenden Bildern des vielbewunderten Thieres. Sehr befriedigend
seien auch von dem genialen Paul Meyer heim genommene Skizzen. Das Beste
repräsentire freilich die von E. Gessner aufgenommene, durch Lichtdruck verviel-
fältigte Studie der ihren Kakaotrank behaglich auslöffelnden Mafuca. Die vorgelegten
Exemplare dieses vortrefflichen Bildchens sind ein Geschenk des Mitgliedes Dr.
M. Bartels.
Zum Schluss forderte Vortragender seine Gegner auf, ihm mit mindestens ent-
sprechendem Rüstzeuge entgegenzutreten und im Interesse der Sache lieber von hinter
dem Rücken erfolgenden, kleinlichen Nörgeleien abzustehen. Dr. Bolau sei in dieser
Hinsicht wenigstens mit rühmenswerther Offenheit verfahren.
(17) Hr. Direktor W. Schwartz übersendet d. d. Posen, 22. October,
Nachträge zu den Poseuer Materialien zu einer prähistorischen Karte.
Cerekwice* (Kreis Posen), Gräberfeld, (u. A. kleine, hübsch verzierte, tassenartige
Schöpflöffel). Un. mit Schüsseln zugedeckt. Posener Ztg. 1875. Nr. 433.
Docbanowo bei Exin (Kr. Wongrowitz), Steinkistengrab. 18 Un. (ohne Nebengefässe).
Die Un. mit flachen Knöpfen statt der Buckeln und mit Deckeln (eine mit
nicht überragendem, sondern eingefügtem Deckel). Br. E. Glasschmelz.
Gorzyce (Kr. Pleschen), Un. mit einer Fülle kleiner Gefässe (4 hutartige Deckel),
Br. E. Glasschmelz, cf. Globus XXVIII. Nr. 1. In der Nähe am linken
Ufer der Prosna auf den Territorien von Gorzyce und Robaköw „Pfeilspitzen,
kleine Messer und eine Menge Splitter von Feuerstein". Dziennik Pozn.
vom 24. Juli 187.').
Luban bei Posen. „Mammuth-Back- und Stosszahn".
Krzyzownica (Kr. Mogilno), Ün. in einem mit Scherben bedeckten Sandhügel am See;
in derselben 3 Bronze- Spangen in der Form wie bei Worsaae, Nordiske
Oldsager. Nr. 389,, nur etwas kürzer und mit breiterem Schilde.
Syzdlowo (Kr. Mogilno), eine eigenthümliche Axt von Serpentin (in einen dicken
Knopf oberhalb des Bohrlochs endend, der diese Seite als Hammer erscheinen
lässt).
') Die mit einem Stern bezeichneten Ausgrabungen sind von dem Berichterstatter selbst
vorgenommen worden.
'■*) In dem hiesigen Museum hat sich übrigens auch von dem bei W. No. 319 abgebildeten
Trinkhorn der Beschlag neljst Kette und Spitze des Griffs vorgefunden, freilieb ohne dass der
Fundort genauer zu bestimmen ist. Jedenfalls gehört er aber der Provinz an.
(257)
Oberowo* (Kr. Samter) Gräberfeld, hier und dicht daneben auf der Stepanowoer
Feldmark Uu. (mit Schüsseln zugedeckt) nebst den üblichen Beigefässen.
Mlynow (Kr. Adelnau) Gräberfeld, ]>r. Fragmente. Hr. Zenkteller,
ßobrowniki (Kr. Schilberg), ün. Hr. Zenkteller.
Owinsk (Kr. Posen). Uu. in einer Steinkiste. In der Nähe zwei Feuersteinmesser
und ein Hammer. Hr. Schulinspector Laskowski.
Pierwszewd (Kr. Samter), 2 Steinkisten Br. Hr. Schulinspector Laskowski.
Kicin (Kr. Posen), 2 Bronze-Spangen wie in Krzyzownica. Hr. Witt-ßogdanowo.
Un. verloren gegangen.
Ocieszyn (Kr. Obornik) Stcinkistengrab. Hr. Witt-Bogdanowo.
Uscikowo (Kr. Obornik), Un. Eisennadel mit Br. Hr. Witt-Bogdanowo.
Wierzchaczewo (Kr. Samter), Steinkistengräber, etwa 5' lang und 4' breit, noch
umgeben von einem im Viereck liegenden Steinkranz, der etwa 20 Schritt breit
und 30 Schritt lang wax. Hr. Ober-Kegierungsrath v, Massenbach.
Bia'iokosz (Kr Birnbaum), Un. inmitten von Steinen, mit rohen unregelmässigen
Steinblöcken auch über der Erde. Hr. Ober-Regierungsrath v. Massenbach.
Neul)rück bei Wrouke, Gräber wie bei Bialokosz. Hr. Ober-Regierungsrath v. Mas-
senbach.
Komerowo, in einem Theil des ßythiner See's, Insel mit Gemäuer und Urnen-
scherben. Pfahlbau? Hr. Ingenieur Meyer.
Jarogniewice* (Kr. Kosten), Gräberfeld. Un. von Steinen umgeben (u. A. schwarze
Buckelurne). Gefässe in der verschiedensten Grösse und Form, meist vasen-
artig, in einen Hals oben auslaufend. Ein Topf ganz mit Lineamenten bedeckt.
Auch ein sogenanntes Räuchergefäss.
Obornik*, au der schon früher mehrfach untersuchten Stelle in der städtischen Scho-
uung förderten zwei neue Ausgrabungen wieder viele Un. (mit Schüsseln
zugedeckt) und mannichfache Gefässe zu Tage. In einer Un. eine bronzene
Nadel von 6 Centm. Länge. Dziennik Poznanski 1875. 10. Aug. — Stein-
kistengräber auf dem Roznower Abbau No. 10. Sitzungsbericht der Anthropol.
Gesellschaft zu Berlin vom 17. April 1875. Die Gräber enthielten, wie auch
der Bericht hervorhebt, nur Urnen (meist mit Deckeln) ohne kleinere Bei-
gefässe. Die Urnen, die ich gesehen, ähneln sich sehr unter einander und
unterscheiden sich (bis auf die aus Bentschen erwähnte) schon in der Masse
sofort von den andern, die hier gefunden worden. Die Grösse der Steinkisten
ist von der Zahl von Urnen, die sie birgt, abhängig. Der Typus eines der-
artigen Grabes wie der Urnen ist im Ganzen derselbe, wie beim Steingrabe von
Osnica in der Gegend von Plock, von dem der Globus ßd. XXVIII. Nr. 14 nach
dem Wiadomosci Archeologiczke I eine Abbildung giebt.
Bentschen (Bahnhof), Steinkiste mit o grösseren und 3 kleineren Urnen. (Eine
aus einem feinen gelblichen, nur schwach gebrannten Thon mit eingefüg-
tem Deckel wurde eingesandt.) Hr. Bahnmeister Dworzaczeck.
Kiijawki bei Gollaucz, Uu. in einer hügligen Erhöhung, sogenannte Mergelkuppe
ohne Steine; in einer ein kleines, eisernes Messer mit dem Ueberrest einer
Scheide und eine ebenderartige Spange in Form einer Sicherheitsnadel. 10
Ctm. lang; schön erhalten, mit voller Federkraft.
Aus derselben Mergelgrube wurde ein Steiuhammer, fast 1 Kilo schwer, aus-
gegraben, von dem aber die eine Hälfte, gerade in der Mitte des Bohrlochs, ab-
gesprungen. Hr. Gutspächter Hoffmeyer.
Ujazd (Kr. Kosten), „eine alterthümliche Hand-Getreidemühle von Granit, polnisch
Zarna."
VerUauiU. der Berl. Authropol. Gesellscb. 1875. ^
C258)
Koninko, „langes, zweihändiges, eisernes Schwert".
Schroda, in einem Kiesschacht eisernes, ziemlich langes Jagdmesser.
Liszkowo (bei Inowrazlaw), ein sogenanntes Riesengrab wurde beim Abtragen eines
Hügels bei dem Schlossgarten daselbst entdeckt und enthielt ausser Knochen-
überresten Sporen und Waffentheile. Damaliger Besitzer Hr. Oberamtmann
Nordmann. — Hr. Lehrer Red er in Samter.
(18) Hr. Scliwartz schickt ferner unter dem 13. d. M. einen Bericht
über einen chronologisch gut bestimmten Gräberfund bei Ruszcza.
(Hierzu Taf. XVI. Fig 2-«.)
Als historische Anhaltpunkte sind die Gräber besonders interessant, bei denen
sich Münzen finden. So berichtet Lei ewel im Polska Wieköw Srednich. Posnall 1846.
Tom. 1 p. 413 von einem Grabhügel bei Ruscza zwischen Sandomir und Staszow
Folgendes. Als der Sand verweht, wurden Menschengebeine sichtbar. Beim näheren
Nachsuchen fand man eine Anzahl Skelette mit auffallend grossen Schädeln; die
Skelette lagen auf dem Rücken in der Richtung des Hügels von W. nach 0. Ge-
fässe fanden sich nicht, aber eine grosse Anzahl Scherben bei jedem Skelet, sowie
auch Messer und Haken („wie man sie zum Einschlagen in die Wände gebraucht,
um etwas daran zu hängen"), desgleichen silberne Blechstücke, Ringe von Zinn (nicht
in einander gefügt). Bei einem Skelet lag eine Medaille oder Amulet, wie hei-
folgende Zeichnung (zwischen Messer und Haken) zeigt, mit einem T hierbilde und
einer Oese (vergoldet). Wichtiger war aber noch der Fund eines zerbrochenen
Geldstücks, das gleichfalUs abgebildet ist und zu denen gehört, wie sie vielfach
hier in Polen aus der Zeit der fränkischen Heinriche sich finden. Hiernach viudicirt
Lei ewel das Grab der betreffenden christlichen Zeit, in der Medaille findet er Be-
ziehungen zu Skandinavien.
Aus den weiteren Ausführungen wäre noch hervorzuheben Folgendes:
1) dass ähnliche Grabhügel sich in der Nähe von Krakau und Sandomirz sowie
in Samogitien und in der Gegend von Nowgorod fänden (bei letzterem Orte
gelte einer als speciell zu Ehren des Gostomysl, des ersten Colonisten von
Nowgorod geschüttet).
2) Masovien aber und die Umgegend von Warschau, ebenso Podlachien kenne
derlei Hügel, welche ganze Skelette enthalten, nicht. Dagegen fänden
sich auch hier, wie in ganz Polen, zahlreiche Urnen mit Asche u. s. w. Im
Krakauischen und in der Gegend am Bug finde man neben den Gebeinen oft
römische Münzen der Kaiser Hadrian, Trajan und der Antonine.
3) Auffallend sei in den Grabhügeln der ersten Art, dass man überall eine
Schicht Flusssand finde, den man oft nachweislich ein Paar Werst weit her-
beigeholt habe.
(19) Das correspondirende Mitglied, Hr. Resident Riedel berichtet in einem
Briefe, d. d. Gorontalo, 10. August, unter Uebersendung einer prächtigen Photographie
Ueber die Tiwnkars oder steinernen Gräber auf Nord-Selebes.
Die Leichname der Abgeschiedenen unter den Minahasa-Alifurus werden vorher
(Mngewickelt in der ausgeklopften Rinde des Lahendongs, einer Art Sponia, und sorg-
fältig auf dem höchsten i'>;uinie an unzugänglichen Orten der Vernichtung preisgegeben.
Später, kurz vor der Ankunft der Spanier, fülirte der Taunahas oder Acltere von dem
(259;
Taumbuluh-StammP, inlt Name Tangkere den Gebrauch ein, die Todten in Tiwukars
zu begraben. In der von sandartigem Gestein verfertigten Kiste werden nach der
Entbindung successive die Leichname von mehreren Mitgliedern einer Familie, mit
feinen Kleidern und Kelana — Korallen von Gold und Silbercomposition — umhangen,
in hockender Stellung bewahrt. Die Tiwurkas werden dem Ansehen der Verstorbenen
gemäss arcbitectonisch geschmückt, mit Abbildungen von Cercopithecus niger, Anoa
depressicornis, Python sp., etc. Von zwei dieser Tiwukars geht hierbei eine Photo-
graphie mit. Der Gebrauch, die Leichname in Tiwukars zu bestatten, ist nach der
Einführung des Christenthums aufgegeben, und viele dieser Gräber sind nach 1S40
bei der Verschönerung der Negarien oder Kampungs zerstört, —
(20) Hr. F. Jagor übersendet Zeichnungen von
indischen Altsacheii:
1) Umrisszeichnuugen des grüssten Steinbeiles (aus Kieselschiefer) vom Savoy
Districte im Museum der Geologie zu Calcutta, von dem sich eine Zeichnung
in halber Grösse in den Memoirs of the Geolog. Survey of India (Vol. X. P.
2) befindet.
2) Zeichnungen von Gefässen aus gebranntem Thon, aus alten Gräbern in Sindh,
im Museum zu Bombay. Eigenthümliche , unten abgerundete, meist kegel-
förmig zugespitzte, nach oben in cyliudrische, durch Quereinschnitte abgetheilte
Hälse übergehend.
3) Zeichnungen von allerlei Thierköpfen (Affen, Büffel u. s. w.) aus gebranntem
Thon, welche in alten Gräbern von Sindh gefunden sind und im Victoria
Museum zu Bombay aufbewahrt werden.
Von Hrn. Ja gor sind ferner eingegangen
Maasstabellen und Pliotoarrapliien') von Andaniauesen.
(Taf. XV Fiff. 1-2.)
') Die auf derselben Tafel (Fig. 3-5) gelieferten Abbildunfieu von Nicobaresen stammen
gleichfalls von Hm. Jagor. Von den Photographien der Andamanesen sind zunächst der Ver-
gieichung wegen nur zwei geliefert, bei denen sich ein Maassstab befindet. Letzterer ist von
17 •
(260)
Die Photographien sind von E. H. Man Esq. aufgenommen.
Die Messungen haben in Viper Island nud Chatham Island , Port Blair, statt-
gefunden.
Die Maasse sind mit folgenden Instrumenten genommen :
tA 1 II T^ ^ Broca's Instructions p. 39.
dE. double Equerre J ^
Tz. Tastzickel \ , ...,., _. , ^
7 y L- 1 I ^^^ gewöhnlichen Zimmer leute.
B. Stahlmessband.
Bestimmung der Farbe nach Broca's Skala.
Die Millimeter in allen Fällen nur geschätzt.
Anmerkungen zu den Tabellen.
1. Das Alter bei allen Individuen geschätzt.
2. Haut sehr gleichmässig gefärbt, sehr rein, gesund, ziemlich genau 41 der
Farbentafel.
3. Zahnfleisch licht rosa, vielleicht heller als bei Europäern, häufig mit hell
violettgrauen Flecken.
4. Bindehaut schmutzig weiss, ins grünliche schillernd, mit kleinen rothen un-
regelmässig vertheilten Strichen, oft sehr unrein.
5. Der Kopf ist bei den Männern gewöhnlich rasirt oder mit Pfefferkorngrosssen
Haarbüscheln bedeckt, im ersten Fall bleibt häufig auf der Mittellinie des
Hinterhauptes eine Reihe solcher kleiner Haarbüschel stehen, die oben in
einen Stern endigen A, oder es bleiben 2 Reiben stehn, die ein Hufeisen
bilden B. Bei den Frauen wird das Haar ringsum
am Rande abrasirt, so dass nur eine runde Kappe
von 200 Mm. Bogen stehen bleibt. Ueber Pfeffer-
korngrösse tragen 5 selten ihr Haar (ich sah nur
2 oder 3 Ausnahmen), 9 lassen es wohl etwas länger
werden. Wird das Haar zu lang, so wird es bei
59 und Kindern abrasirt. Ein Mann hatte sein
Haar, wie die Weiber, ringsum und ausserdem
einen breiten Streifen von vorn nach hinten ge-
schoren, so dass nur 2 muschelförmige Stellen un-
geschoren blieben.
Ein am Tage vor meiner Abreise gebornes Kind
war am Kopfe völlig behaart. Das Haar war länger,
als Erwachsene es zu tragen pflegen. Leider durfte
ich wegen abergläubischer Bedenken keine Probe nehmen.
6. Augenbrauen kaum vorhanden, immer glatt rasirt, nur durch Tasten wahr-
zunehmen. Bart (Schnurrbart) zuweilen, aber sehr spärlich vorhanden.
Backenbart fehlt; am Kinn sehr selten einige vereinzelte Haarbüschel, 3, 4
bis 5. Ebenso an den Schamtheilen der 5, vielleicht auch der Q.
7. Zähne, ausgenommen bei einigen alten Weibern, sehr gesund, schön, weiss,
vollzählig. Bei einem (nicht gemessenen) Individuum die beiden Eckzähne
im Unterkiefer nach einwärts gerichtet.
A
I
i
0
0
0^0
0
0
0
0
"^Oo
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
ITol/. und in englische Fasse getheilt; darüber hängt ein Rollmaass mit Centimeter-Eintheilung.
Von den zahlreichen Zeichnungen und Skizzen, welche gleichzeitig eingegangen sind, kann leider
noch nichts initgetheilt werden.
(261)
8. No. II, auf der Haut viele kleine Flecke, wie Schuppen, mit der Lupe be-
trachtet erscheinen sie meist als weisse Ringe um einen schwarzen Punkt.
9. No, IX, Häuptling, gross, intelligent, hat Schnurrbart, trägt sein Haar ver-
hältnissmässig lang.
10. Unterkiefer bei einem Sturz vom Baume gebrochen, gut aber schief geheilt.
Blind auf einem Auge, Folge einer Kinderkrankheit.
11. Da bei Messungen des Gesichtsdreieckes (No. 48/51) der Kopf sich in einer
anderen als der gewohnten Lage befindet, so ist bei den No. XV bis XXVIII
die senkrechte Höhe bei dieser Kopfstellung noch besonders verzeichnet
(No. 59). Bei den Messungen I— XIV ist dies übersehen.
Die Augenwimpern bei Allen am untern Augenlide sehr kurz, kaum
wahrnehmbar, am obern Augenlide nach oben gebogen.
(Siehe die Tabellen S. 262—267.)
(21) Hr. 0. Hermes übergab mehrere, auf seine Veranlassung angefertigte
photügraphische Aufnahmen des zur Zeit im Aquarium lebenden Gibbon (Hylobates
Lar?) als Geschenke.
(262)
M
X
' a
90
K) I
II S
^^■
=53« —
S "So S
tlO
2 O o
c
IM
1 1
3
1
Sd ^ '!< •* „
12 1
'S
1^
in
1
"bß
«
tlO
a
a
■^
rt
H^^
Ö
ja
u
c
S3 5S •*'**
-^ 1
j3
.y
1 u.
Kxj
mag
117
rosa
Ol
a
•.o
1
öS
(MOS<MCO->4<(3it»CO(MO
iO«CC(Ma5COiO<N^Oi
COO^-ß-^t-OTjHf-lt--
O
>0 t1< CO ~Ci t- «O (M 'H 05
— -H — O — ^
' fc <i
s ^s:a rs
COOS-^CDOiOCOt-t-Tf
■<i<(MIM-*OOCOO — Ooo
bc S
5 •* I ^
ooOtn--o<NOTt<-<*<<»
OCOOi-^iaJOiOllMIMCOOO
CO-^COCOOt^iOCO(N0505
^o
oO
— &
ireooco-^in(Mor-cD«io
Ocou-3C5e<50205ooO'*eo
iOC0INi-l05O-*>-l— '0000
PQ a
'Ein ^
OOooooO'^eocco
COO'l'-i»-IOOCß'0005t-t>
'>-<o-a
PQ a
irac-:OCDOOU5(M:3 (MtO
riS '^<M CS
a
S-2 ^■a
bc bjD
a 5! 2
coooocooot^O'Oeor-
cOi-(cooOi-ccDoo>oeOtOoo
ir5-^CO'NOt-»OIM'-(0500
-jamny
■ON
OQ
*> g -s
^ =3 ö
0) 4>
■S w o
iftiTS'OOOiOOOCClOOCOO
■^coc^'-iai'Xi'O^ooot-
WCQ
C5<IO
t! iS fc.
•-i««eO'!i< •ocor-ooo)
:zi N
PQ
o
•03
CO
CO .-Ö
fall , Ö
a 03
03 . .
•PÖ
4> _■
<D
Oi
,o
<u
0)
j:1
rtn
!0
Ol
w
J
C/J
5 ^J3£ö
§° 3 ^ ■^ -S b
» Öj <U -^
'T^ 03
rt
tH a -i
, Ol oj a ;
^^1.
^ OJ OJ r-l .Vh ^3
■ S JO ~ 03 o, CO ^-
M O W W CO W PQ
k* CO ii >H Si
;^ö
CO */}
Ol O) (D <P Ci) C) "D
-^ -73 -T^ -"O ''O "O '^
(263)
O O CO -O O O O I- t^ 'O O O CO '-0
I 5-1 -*<
" 7l o o
o o
1 *« ^ CO
Oi t~
CO II t- IX>
a-i ^
Tj<
O«5iMC0OO(M>Ot^'*OC0O00
00-J< — iM'fICCOCO'^C'1'1' — — '^
-H— c — i-HCOiOCO rt-H —
-2 il ^
o o
OO •0i;0<M':0OC^>0000i>0C<lOOiO
^ II
o o o
<r. er; w
(N -^ -H ,
«o
■OIMt^'O OCO-^-rJ'COCOOCO'^OOOOO'MCO
1 ■*
o
O O <N
t- r^ lO ■•
.•^^ II
t-
Ol -H ^ o
I '^
O OS CO 'O
t^ ;o r- C71
•^ r^ CO
■^ (M r^ iß >o ■M -# lO CO Ol 'O t- •* t^
CO II
o o
,
CO o
•"
CO IM
CO '
lO
<N
o
o
o c
— OD
.-. 1
CO -H
CO
.o !
-}<-i*aj'Mcooooocoeooi'0 00
r-'^OlM'M-HrMt^Tfi'M-.^O— '--
rt— i^fHCO'OCO rH»H.-(
I -o -*
CO CO — O
XI CO 05 CO
eo CO CO
ooOOO>nr-iOC->*<coco>o>o
CD-*i-rC'lrO(?5-*CO'CO<N'^050;
— -^ ^ — CO -^ CO
^ CO Q
I -* 2
uj II t-
o »o
00 Ol
01 —
■-' I
«o lO o o
O OO .-H .o
•* l> -*
00>00>r50>0<M— eOt-OIM(N
t^-^-^IMIMOlOJCO-^C^ICOOO—l
^_rH— ICO'tICO r^ — ^
m I
©j CO >o o t~- »ra
o o t-i t— t- CO
0> OO -^ t- lO
»Ot~-OCOOCOvOOCD0505INO>0
r-'<lioi'MTri-'COr--<^i-irj<.-H^-^
■-I-H1-I— (COOCO ,-(-,,-1
' CO ^
CO II
o o
(M r-
CO -H
\r> >n o o o O
O O O t- O 05
00 t* "^ C^ "^
.ra o o t- ri lO O •* -* — o 'O (N (» o D Ji; >o
coco^ — — a5COco-*(N-a"00 -'^„•goo
-^fHi-H-<r7"<i<co — r-1— .2^.-'-i
— Ä^ —
o
CO CO
' co" ^^
o II
urj CO , '"
00 — «
^ (M I
Q £ « o
•= a5 T- 9
<- a
O u
W3
' z ^ -ä
Ö s
O
- ^. c ^ Sf -2^
^3 S _g /^ ^ 'S
IS J= .22
«j H tx''
Ol Ü
aJ _«
p CS CS
= tn ^ c: »J CO 3 ,
C s -=
c c -5
= 5 «=•
ö-i CC rc
PQ
^ c B o -^r
c-^ CC :;j x .'/) :
Ol C O) OJ —
CO i — r.
■3 I- -^i -r
I et 3
0) Ol —
X. y: ;ä
n
c^
~ %. Ol ";s
^ .2 -« s
t£
=.'• '^ C-" "5 '^ y " S
^ = .t: c - -^ .S Oh
y
denn
kenn
ilter
stwa
srüc
ichts
,n
p
=5- -"■£2'»»
b
CQ
^^y::::s.f!:-0^
N
r^ -T ..-5 CO t~ 00 OS O
o
o .n .o o o »o o o
P3 ^atssiiH^^
(264)
X!
1^2 S
CS :^^
-4
OOOOC^COOCOvOiOSD
3^^ IN CO
CO .O
g=o.
Or-oOOOOOOcß-^
ü
_. I
es Ja
— I 1-1 r-( —1 ^ bC
>
«4-« I "^ I !r^
fe I
CO c6
S M fl
'rt s-, fl ^
g :0 'S ö
bc
Ocot^Ob-OOoo O"*
m
o a
I S I
CC 03
ä a
t»t^t>OiO>OOCOC^(MiO
>
M
^^2
n
P^
bß-d
d o
^P5
o bJO
CS
• ad
''^ d d
IP^ «5
0>nTj<ir50-<*0>ooos<«
-HClfNCO— iODCOiO-*COM
pv 03
.2 pH
•3 «s
lO lO lO CO lO O CD IM lO 00 CO
-^IMiOOOlMOSOOOOt^OoO
iOM<CO'MOt--if5(M— 'OJt-
.2 cö o ^
M
W
S
5R':
.'S d
iOt>0'000-<440iOOiOi-l
aS-^t^OCOCOCOOioOtDM
•<*r0(M(N05l>i0ii-iO00t-
— rt ,_< >-( 1-1 T-4
M
m^__
^K>'^
Pi
5 (N
^ _ ^ I -d
-d.22
d £
05 O
2 h,
'a -^ Sc 5
2;; hCc^ CSp^'
d (D
^3
O t~- O O CO •*
lO t~- >o o -* oi
■O -f CO CO Oi CD
a-g
c3 PS
d S.
d -TS
a 3
N
a
a
d
; a ^
I T3 "«J
d "^
Q.-g CO
•^ cc 'r!
-a CO a
.=« -n -d
oa w
<D O 35
a s s^
— (Neo-^ iocot-00050»-!
W M '^
03
oa
OS •
• •
^
fc.
o .
■ br
q •
d
(U
cd X» •
. <v
tn .
,0
ja 15
m
CO ö
g ■ SSOQ
d 5 p '-' s
t- Ö -i n: a'- m
op a> d -^^ _
xi ir; cö Q. cj
O W tn M M m
a
bc
.a
x>
a
4:3
05
CßV^C/^CßUtlXUl-i^C/SC/l
Pw
(265)
C«5 M* Ol CO
.o .n lO eo «o C '» <>* oo .o
(na ot-.ot- t^'i'^co ccoiccco-^c-i'i'OO'-' 5
o o o o««
c^ ..■; « IN t^
i>. ro r- M ^
CO 00
00 t^
t- lO t-l
O O 'O :<3 1(3 -n lO 00 oo O y3 *> '^■
-^,- cn ^ -n — '-^
rt rt rt (?«
5 II
o o o «o o
•-i ■n Oi n t^
c^ :» cß eo -^
o:;
CO t~-^ ^,-(.-11— CO-^CO 1-1.-C -^
2-
o o «o o
O t^ ^? CO
O t^ O "M CO O CO -ra O 50 t^ IM 00 'O o
r— CO— IC^ COOiM^O-^— COOO— • Oi
^--— .— CO>f5C0 rtrt^ --I
o lo o o
Oi »O O 05
CO CO t- Cl
CO o
-M-JOO O0>-io0 r-itJifiCOiOiraOOcO'M
— .t-.o-f r--<i<0^ (MOscot^-'J'-r-^oo^
^ |> -^ ^^^^ CO Tt< CO S^ -H ^ ^
o II
O O O O IN
o o o o o
t^ CO t> CO — '
«o
r-.'^OO ooOco(M
N t- CO CO t^ .O —i <M
TT CO -* ^ -H ^ —
lO O O c:) ci CO IN 00 o -fi
(MIN'^CO-^C^ICOO-H-H
CO >0 CO rt -H ,-1
O O O O
(M CO OO CO
t- CO IN ^
OOOCOO OOOCOO
>n t— Ol 05 t^ "O (M CO
■oioooooooococo
CO IN»'^ 00 »O CO CO >— I "^ N
CO O CO
^ -^ — (N
I •«
r- II
o o o o
CO CO -1" 05
t^ CO CO -^
COoOiOO OCOOOC
■^ccr-co t-Tj<oiN
T« t~. -^ — t — ( rt t— I
r-OO'^t^coOOcoO
•TOO-fiO-'j'IN-^OO'-i
CO 'O CO _( rt rH
o o .o o
eo CO oo t--
t- CO IM rt
pui[(| aSny n85]U!| map }nv 'uoss.)i\[ innz mtniip nz
CS Ö
■ "3 .
tr
0)
bC .,, ?!
o
-2 i
4) S
^ tn o) -^ u
05 O
W C5
; — S
- ^ .= a
Q> k.
CO cc
o
■^ 0 a:
:0 - - —
S-^/^
1 0} <u
I '■e -s
(N CO
' eo eo
C C 5 o o
,~ -5 ?
;^ 5 c §
£3 O C ™
C5 o — (N
CO ^ ^ T^
-n c« 3 # CS .ä;
=J ::_ > o Cm
2 "•« C "3 ^ '1'
äj X S 'S - ^'
CO ~ ^ jc: z
z S ??; X s
Cd
Q
= 3
o c5 S
fc,- — CO ' ,
■| I |-| t|^'
= J s:|5=£ 1
•/; ^ .^ 3 CO -y; X
- c o X! 3 2 2
i- c; o u >- ~ ~
:^ -3 OQ U3 OQ ;b Eb
_u bc
a> !cö
*fi «^ v^ — ^ ■«• -*■
c^ CO ^ lO sD r* QO
kQ O ö O fcQ *Q >0 I
n
t^
m
eSNCtiN
(266)
'^ I fe hu
1=1
O rt r- M i^ I- -^l* 00 t- O O
Ol— (MtJ<CDO'0(M0005
•»l* CO ^l (M 05 t- O (M — OS t^
bO
X
.tsK-;
lai
I I
fe
S TS *J
=3 :«J .»-
E. bc^
■^co;ß(M.raa5co>oO'00
^ I -H -.
-^ ^
<-| CO
U^'*CßC-lO5t--f0-H(>lCO
CCC>»>-H»^OOCD>0-^000
d
I '-'
d
iS d
rt CO
COc£it-t>if5C>0'OOCO
oco coostotocooaios
COCN"— lOoOCOiO'-HCTSt^
i ^
CQ
£ 1
S o g S d
^ :d >- ö f? d
-*. ^ Em j, äa| 'S ■= ^
CO ^ OJ
■^lOCOCOt^iOOOiO
Or-05-*<'OCOtr^co
lO CO (M (M Oi t— >0 IM
<M CO
IM OO
00 t-
-d =03 -d
c2 a
^
Ca
fac
d
eq d
a
J3 CO
Jo 'S
bc-g
CO S
-d P <»
sot--<4<ot^'Mcoo t-
(M-^CMl— COOoOtO tC
TjHcoiM-^ost--^'-« doo
_- ^ ^ ^ -H ©
d
cS
ü
•^ Of2
ä
d
«3
fehlt
stumpf
gesund
O lO O IM CO
(M O CO 00 ■*!
CO IM -^ O CO
O "* t~
CO OD OO
«3 ^ O
hängen
627
717
?2 I
iOOCOOO-*(M(MCO OOOO
1— (OS'-i'OOr-tNt- lOos
-*(M<M— 05C£>iO— OOCO
Cl,
d i'
a> ^ oj
•^ ca. d . -c
§ .S-g .22 .S
W
'/2 J3 ti "^
-*- u- -d
^ Ol O ,1,
Co ^ CO .£3
C^ Co cd : Co
m
i_ ■ öc
rt
hc-S
d S
Q> CO
IM
^ I ä 53 g a.S^ S
cj — .3 -o :^ cö o..^ ^
r/J :5 Uj O W n: ryj a ra
, 's >-
d «3
■ a ■"
-s«
t-^ --' -^-^
Ä o o
«> tß (/) cn
CQ
r.^ IM CO •^ >n «o t~ 00 ~. O "-H w eo •* »o «o
„ _- ^. -- - . — U i-i U CO M CO ■
aj(Daja)ii)a)ii>ii'4>ii>ii><iJ
(267)
O O CO O
t - -^ — CO - - _ . -
^ _H ^ ^ C<5 >« CO
t- O t- O •* <>3 ■» IM C-i lO
o II
iO o lO o »o
in -^ fh c^j t~
t- CO t» CO 1-1
cot--cot~ r^-ti-^c-i -i<-H.0(x>T}t04C0O'-'-i
tJ< f-.ra ,-, ^ ^ ~^ co>oco
-H 1-1 1-1 C-1
CO II
o >cp >o o o
lO CO CO CO Ci
CO ^ C~- CO 1-1
O O ■^ •'<< CO IM (M lO
(Ä CD f- t- «ß CO -H —
CO CD CO ^ ^ ^ ^
■raocooooo<i:o>oeOi-'
COt^(M'^'*We0050»-l
CO •* CO — 1 --
1—)
O C^l '^ O (N (M CO 'O
r-CD05C0 t^-<lt— iiN
CO CD CO ^ ,-( ^ —
• O O CD :0 (M CO O (M IM
OCO>OCO(MCOOO —
-1 eo
I ^
^ II
OCOfOO IMOOOOitS OC<ltOOt^a500(Mt^>0
-nr--*-«*« CDCOOCQ C>)t-C0t--*-HC0OO-H
tJ( l>tO i-(r^— .,-1 COM'CO rH^M
^ II
OO'^O O'OCDC^J OOt-OCDOOt-iiM'^OO
f-f-co(M cocooiM cocoiMco'^i-ieoajoo
JO t-Ttl ,-Hi-(rHi— I CO-^CO i-(i-l
6 II
CO ^
OCOIMO OOoO"« Ot-CO-«j<oOOCOCCOoO
lOCDOt^ t--<j<0<M -<00(Mt^CO(MCOO— ' —
CO r-eo -Hi-HiHi— I co^co 1— ii— ii— 1
o
*> —
'^ ^
I ""
t- II
«0 »o
■" ^
ffl t^
.-0
t- IN
T»««0
0 '-
>0 >0 O >0 O <M 'O o
OCDIMOO t-'^^-HCO
CO t^ 'f ^ rt — ^
OOiOim-^c:d>0300
•»ItOCOOOTtliMCOOl-IIM
CO lO CO ^ rt ^
0 0
-So
— < (M
<- 0
00 eo
pa^
w
" a
a>
o
CO
CO a o
CO M rt
a> «D J i_
L> l-c Ol O
tue b£ tlC-^
i£-0
o
ö
«3 .
— ; <u
SS 'S
es cc
o g
3 CO CS
»CQ
,0
ö ii
0 gis
ä^
■ c^ = -S
^ s
3 ti; U
■^ ^
«==*r?|
= "/.
P - .c —
■ in a "
Ö CO CO
g CO-S-?
• lii -O -^ .i— '
(u c a>
s o 'J^ cö
3 02 X Z
j; O — IM
CO 1*1 ■<*' ->*
aj — — — .
:s <u ^ G
ja CS 5 js
^ «=^> S
22 ^ S ^^
a> 2 ?" <^
;ä s >5 -^ :
m
PQ
PQ
tS5
ec
tsib^&H
Sitzung vom 18. Dezember 1875.
Vorsitzender Hr. Virchow.
(1) Der Vorsitzende erstattet den statutenmässigen
Verwaltungs-Bericht für das verflossene Gesellschafts-Jahr.
Ich darf wohl, ohne ruhmredig zu sein, vorausschicken, dass vpir im Allgemeinen
mit dem Zustande unseres Vereins in den verschiedenen Richtungen, in denen er
entwickelt worden ist, zufrieden sein können. Es sind gegenwärtig ordentliche, zah-
lende Mitglieder eingeschrieben 242. Ausserdem haben wir eine gewisse Zahl von
Mitgliedern, welche sich in der Ferne befinden oder auf längeren Reisen sind; wir
führen sie stillschweigend als Mitglieder fort, obwohl die Zeit ihrer Rückkehr nicht
genau geschätzt werden kann, zumal da von Manchen derselben, z, B. von den Herren,
die in Japan angestellt sind, nicht einmal mit Sicherheit feststeht, ob sie überhaupt
und wann sie wiederkehren werden.
Wir haben dann 64 correspondirende Mitglieder und 4 Ehrenmitglieder, nachdem
auch das zuletzt ernannte Hr. Caesar Godeffroy, wie ich hiermit gleich anzeigen
kann, seinen Dank für diese Ernennung ausgesprochen und seine Bereitwilligkeit
erklärt hat, seine Beziehungen zur Gesellschaft fleissig und dauernd aufrecht zu er-
halten. Er schreibt, es sei ihm sehr erfreulich gewesen, und er wisse diese Aus-
zeichnung im vollsten Maasse zu schätzen. „Ich wünsche nichts mehr, als dass es
mir vergönnt sein möge, noch manches Interessante vorlegen zu können."
Ich darf wohl noch besonders hinzufügen, dass unsere Gesellschaft stolz darauf
sein darf, eine verhältnissmässig so grosse Zahl von Mitgliedern auf Reisen zu haben.
Denn es ist selbstverständlich, dass in dem Maasse, als dieser Gebrauch sich bei
uns erhält, wir eben auch immer in regelmässigen Beziehungen mit der gesammten
äussern Welt bleiben und dass wir unsere Aufgaben in einem ganz anderen Sinne
praktisch werden ausüben können, als wenn wir nur von hier aus auf dem Wege
der Correspondenz unsere Beziehungen fortführen würden. Ich erwähne in dieser
Beziehung, dass auch unser gegenwärtiger stellvertretender Vorsitzender Hr. Bastian
seit längerer Zeit -sich in Südamerika befindet, in diesem Augenblick wahrscheinlich
in Bogota, und dass er reiche Erwerbungen gemacht hat sowohl für das Museum, als
für uns selbst. Er hat für uns 10 Dutzend Peruanerschädel angekündigt, die schon
auf dem Wasser schwimmen. Hoffentlich werden wir aus seinem eigenen Munde
manche interessante Mittheilung über jene Gegenden und die zum Theil noch wenig
besuchten Völkerstätnme erhalten, welche namentlich die Aequatorialbezirke bewohnen,
denn er hat in mehrfachen Richtungen Kreuz- und Querzüge der alleranstrengendsten
Art unternommen. Seine Absicht geht dahin, von Bogota aus sich nach Mittelamerika
(269)
zu wenden und über Nordamerika heimzukehren. Ebenso darf ich an unsern Freund
Ja gor erinnern, der in diesem Augenblicke von Madras aus eine Excursion in die
Gebirge zu der drawidischen Urbevölkerung unternommen hat und von dem eben
heute eine speziell für die Gesellschaft bestimmte Sendung von 4 Kisten mit Schädeln
von Madras angekommen ist. Hr. J. M. Hildebrandt, dessen grosse Ausdauer und
Geschicklichkeit uns grosse Hoffnungen eiuflösst, hat seine neue afrikanische Reise
durch einen Theil des Somal-Landes nach Zanzibar und von da zu den Comoreu be-
gonnen und wird nunmehr auf den Continent übergehen. Ich will ferner erwähnen,
wie ein Theil unserer Mitglieder, und gerade recht eifriger Mitglieder, in Japan die
Standarte der deutscheu Wissenschaft aufrecht erhält, und wie Hr. Schweinfurth in
Kairo an die Spitze der neu gegründeten ägyptischen geographischen Gesellschaft getre-
ten ist. Ein Theil der auf Reisen gegangenen Mitglieder ist^inzwischen zurückgekehrt.
Hr. G. F ritsch hat Ihnen schon wiederholt über seine persischen Erlebnisse berichtet,
Hr. G üss feldt wird in nächster Zeit über die Völker der Loango-Küste Mittheilungen
macheu, — genug, wir bekommen eine immer grössere Reihe von lebenden Zeugen,
welche die verschiedenen Gesichtspunkte der Gesellschaft an Ort und Stelle verfolgen
und danach neue Untersuchungen anstellen.
Was uns hier persönlich anbetrifft, so haben wir keine Sitzung ausfallen lassen,
im Gegentheil, wir haben noch eine Extra-Sitzung im Juni abgehalten. Selten waren
wir in dei- Lage, das reiche iMaterial, das uns vorlag, vollständig bewältigen zu können.
Vielerlei Sachen sind zurückgestellt worden, weil sie hinsichtlich der Wichtigkeit
anderer Gegenstände nicht eine so hervorragende Stellung in Anspruch nehmen konn-
ten, und ich denke, Sie werden alle den Eindruck haben, dass wenig Stroh gedroschen
worden ist, am allerwenigsten leeres, sondern dass meistentheils recht volle und reife
Früchte hier zu Markte gebracht worden sind. Unsere Sitzungen haben, wie in
früheren Jahren, einige Male besonders an Frische dadurch gewonnen, dass auch
lebende Specimina auswcärtiger Stämme zu uns gekommen sind. Im vorigen Jahre
war uns durch den Grafen Zichy, der leider in dem letzten abessinischen Feldzuge
der Aegypter einen frühen Tod gefunden hat, ein Galla vorgestellt worden. Dieses
Jahr war das Jahr der Lappen Bei dem grossen Interesse, welches sich gerade
in der letzten Zeit an das Studium der finnischen Stämme geknüpft hat, ist es ge-
wiss für Sie Alle eine sichere Unterlage Ihrer Anschauungen geworden, dass wir
im Laufe dieses Jahres zweimal in der LagT waren, Lappenfamilien hier zu haben,
und so nach jeder Richtung hin eine eigene Anschauung von der physischen Natur
dieses Volkes zu gewinnen. Ich hoffe, Ihnen nächstens noch einige kolorirte Por-
traits von der letzten Gruppe vorlegen zu können, die ausserordentlich gelungen sind.
Im Anschluss an die Sommer-Sitzungen ist in üblicher Weise im Juni eine Ex-
kursion veranstaltet worden, an der eine grössere Zahl der Mitglieder Theil genommen
hat. Sie war nach Kottbus gerichtet und hatte als spezielle Aufgabe die Ausgrabung
des Burgwalles von Zuhsow. üeber die Ergebnisse ist seiner Zeit berichtet worden.
Es handelte sich dabei um die wichtige Entdeckung, dass einer jener alten lausitzer
Burgwälle auf einem Pfahlbau errichtet worden ist. Jedenfalls hat sich dabei wieder
gezeigt, wie nützlich es ist, solche praktischen Exerzitien, welche die Gesellschaft
auch in der Nähe veranstalten kann, zu halten. ^lancherlei Anregungen sind dadurch
in den verschiedenen Richtungen unseren Aufgaben gegeben worden.
Was unsere Leistungen nach Aussen anbetrifft, so haben wir in den ge-
druckten „Verhandlungen", zum Theil in der Zeitschrift für Ethnologie, die un.ser
Organ ist, unsere Ergebnisse niedergelegt, und das Publikum kann darüber urtheilen.
Ich will nur hervorheben, dass gegenüber den Vorjahren sich die Zahl der Abbildun-
gen, welche auf Kosten der Gesellschaft diesen Publikationen zugefügt worden sind,
(270)
erheblich vermehrt hat, und dass dadurch namentlich für die vergleichende Archäo-
logie recht werthvolle Unterlagen geschaffen worden sind. Ich weiss auch, dass
gerade diese Seite unserer Leistungen von den auswärtigen Gesellschaften besonders
hoch geschätzt wird, da es überaus schwer ist, aus blossen Beschreibungen sich ein
ausreichendes Bild von der Natur der Gegenstände zu machen, um die es sich
handelt, während eine Abbildung, selbst wenn die Beschreibung defekt ist, gestattet,
mit Präzision Schlüsse zu ziehen. Da nun aber die ganze Richtung der modernen
Forschung in der prähistorischen Archäologie sich ganz wesentlich darauf stützt, die
Identität oder wenigstens den inneren Zusammenhang der Formen festzustellen und
auf diese Weise Handels- und Kulturwege zu ermitteln, so werden wir uns wohl ent-
schliessen müssen, nach wir vor eine beträchtlichere Quote unseren Einnahmen für
diesen Zweck zu verwenden. Ich darf nicht verhehlen, dass die Sache ziemlich kost-
spielig ist, und ich würde wohl wünschen, dass wir eine grössere Summe für ander-
weitige Verwendungen übrig behielten; immerhin erinnere ich, dass es eine sehr
nützliche und nach allen Richtungen hin werthvolle Leistung ist.
Unsere Sammlungen sind nicht unerheblich gewachsen und zwar, wie ich mit be-
sonderem Danke hervorheben muss, ganz überwiegend durch Schenkungen. — Wir
würden in der That nicht in der Lage gewesen sein, grosse Summen, auch nicht
einmal so massige, wie im Vorjahr, auf diese Seite unseres ßesitzthums zu ver-
wenden. Es sind allerdings Ankäufe gemacht worden, aber in sehr beschränktem Maasse,
und zwar in Beziehung auf Schädel, ferner auf einzelne, mit diesen Schädeln zusammen-
hängende, archäologische Objekte und auf Photographien. Letztere sind allerdings in
reicher Weise gesammelt worden. Manche Gelegenheit zu Erwerbungen, die sich
sonst wohl bieten würde, müssen wir vorbeigehen lassen. Gerade jetzt wären ver-
schiedene Schädelsammlungen zu erwerben. Die grosse Sammlung von Jan van
der Hoeven soll nächstens verkauft werden, und ich wünschte wohl, dass wir in
der Lage wären, sie ankaufen zu können; indessen fürchte ich, dass wir nicht im
Stande sein werden, ein annehmbares Gebot zu stellen, da unsere Mittel weit unter
dem sind, was dafür verwendet werden müssto. Und doch bietet sich hier eine Gelegenheit
dar, die wahrscheinlich in längerer Zeit nicht in ähnlicher Weise sich wiederholen dürfte.
Unter den Geschenkgebern will ich neben den Herren, die ich schon
genannt habe, unsere correspondirenden Mitglieder, die Herren Burmeister,
(Buenos Ayres), Müller (Melbouru) und Philippi (St. Jago de Chile) hervorheben.
Ganz besonders muss ich wegen der Zahl und der Güte der Gegenstände, welche
er uns darbietet, Herrn Ried el, den holländischen Residenten zu Gorontalo (Celebes) er-
wähnen, der selten einige Monate ausfallen lässt, ohne uns etwas zuzusenden; ich wünsche
wohl, dass wir ihm in vollkommenerer Weise unsere Dankbarkeit ausdrücken könnten,
als es eben geschehen ist. Hätten wir an vielen Orten so eifrige und thätige korre-
spondirende Mitglieder, so würden wir wahrscheinlich in kürzester Frist die schätz-
barsten und ausgedehntesten Sammlungen aufweisen können.
Unter unseren einzelnen Sammlungen hat sich am meisten die Schädelsammlung
vermehrt. Abgesehen von den durch Ankauf von Hrn. Schetelig erworbenen und
zum Theil durch ihn schon beschriebenen andalusischen und Formosa-Schädeln, so-
wie eines westgrönländischen Schädels, ist besonders zu nennen die reiche Sammlung
alter Schädel von Ophrynium, die wir Hrn. Calvert verdanken, sowie eine Reihe von
altgriechischen Schädeln, welche die Herren Hirschfeld und von Heldreich ge-
sammelt haben. Ueber all' diese wird erst noch zu berichten sein. Es ist das ein
umfangreiches und schwieriges Unternehmen, und obwohl ich persönlich sehr gern
bereit l>iu, mich demselben späterhin zu unterziehen, so reichte bis jetzt meine Zeit
doch ni(;ht aus, um ein ausreichendes Urtheil zu geben, loh will für jetzt nur er-
(271)
wähnen, dass sich darunter wieder ein Schädel aus Laurion befindet, der wesentlich
verschieden ist von den früheren; während wir früher, wie Sie wissen, aus den
tiefsten Schichten der alten Bergwerks-Schlacken auffallend brachycephale Schädel er-
hielten, ist dies ein ausgennicht dolichocephaler Schädel. Weiterhin haben wir Celten-
schädel aus Irland von Herrn Fröhlich bekommen, Türkenschädel von Hrn. Weiss-
bach aus Konstantinopel, einen prähistorischen sicilianischeu Schädel von Selinuut
durch Hrn. Künne, zwei altperuanische Schädel durch den Hrn. Generalconsul
Lührssen in Lima.
Ich darf hier wohl des schönen Geschenkes Seiner Majestät des Kaisers von
Brasilien gedenken, der mir auf meine Bitte um Indianer- Schädel sofort aus dem
National-Museum zu Rio eine Reihe von Schädeln brasilianischer Eingebprner über-
senden Hess. Ich habe über diese Schädel schon einen besonderen Bericht erstattet,
jedoch möchte ich diese Gelegenheit nicht vorübergehen lassen, ohne noch einmal dem
erhabenen Geb^r meinen Dank auszusprechen. Die Gesellschaft hat geglaubt, Seine
Majestät unter ihre Ehrenmitglieder aufnehmen zu sollen, als ein äusseres Zeichen,
wie sehr sie wünscht, auch fernerhin die Verbindung mit der brasilianischen Regierung
zu erhalten.
Nächstdem ist besondere Sorgfalt verwendet worden auf unsre photographische
Sammlung. Herr Kuhn, unser eifriger Sekretär, wird alsbald die Zahlen angeben,
welche unsre Fortschritte in den Erwerbungen darlegen; Sie werden daraus er-
sehen, dass unsre Sammlung schon einen recht beständigen Character angenommen
hat. Es wird vielleicht zweckmässig sein, in einer der nächsten Sitzungen unsern
Bestand an Photographien den Augen der Mitglieder vorzuführen, damit Sie sehen,
was wir vor uns gebracht haben. Ich erwähne bei dieser Gelegenheit, dass ein
wichtiges, unter unseren Auspicien begonnenes Unternehmen, der grosse photographische
Atlas des Herrn Dam mann in Hamburg, mit dem Tode des Unternehmers einen
Stillstand erfahren hat. Wir selbst haben uns bemüht, den Bruder des Hrn. Dam-
mann, der das Geschäft fortsetzt und der gleichfalls ein geschickter Photograph ist,
zu veranlassen, gegenwärtig nicht vorzugehen mit einer weiteren Vermehrung dieser
Hefte, da offenbar die ungünstigen Zeitverhältnisse solche wissenschaftlichen Werke,
die grössere Kosten machen, nicht mehr als dem Publikum annehmbare Objekte er-
scheinen lassen. Unser Atlas kostet über 100 Thaler und es giebt sehr wenige Lieb-
haber, die in der Lage sind, jetzt so viel auf ein einzelnes Werk verwenden zu können.
Was die Sammlung der ethnologischen und archäologischen Gegenstände betrifft,
so wissen Sie, dass wir diese Seite nicht gerade als eine hervorragende und für uns
bestimmende angesehen haben. Wir haben niemals Geldmittel auf dergleichen An-
schaffungen verwendet, wir haben auch niemals auf den Besitz solcher Dinge ge-
drängt, indessen, da uns von verschiedenen Seiten derartige Sachen gegeben werden,
so haben wir natürlich auch eine Sammlung der Art angelegt, und sie hat sich all-
mählig vermehrt. Auch im Laufe des verflossenen Jahres haben wir eine Reihe recht
interessanter Gegenstände in dieser Richtung erlangt. Herr von Frantzius hat uns
archäologische Objekte von Costa-Rica, Herr Philippi solche von Chile, Herr Rohlfs
solche aus den Oasen, namentlich von den Gräbern von Dachel, Herr Karsten Copien
von der Rennthierhöhle im Freudenthal bei Schaffhausen geschenkt. Herr Voss
wird Ihnen eine kurze Uebersicht geben von dem, was jetzt da ist.
Was endlich die Bibliothek anbetrifft, so haben wir auch nach dieser Richtung
hin bis jetzt niemals Geld aufgewendet, es ist noch nie ein Buch gekauft worden;
alles, was wir besitzen, sind entweder Geschenke oder Tauschobjekte. Trotzdem
habeu wir in jeder Sitzung eine gewisse Zahl neuer Drucksachen vorzulegen und ich
muss dankbar anerkennen, dass unsere korrespondirenden Mitglieder ihre Beziehungen
(272)
zur Gesellschaft in dieser Richtung sehr eifrig aufrecht erhalten. Der Vorstand hat
beschlossen, von jetzt ab nach einer Richtung hin eine wirkliche Geldaufwendung
eintreten zn lassen, nämlich das Archiv für Anthropologie regelmässig zu halten und
die früheren Jahrgänge zu erwerben, da wir es für eine Pflicht halten, dass ein
Zweigverein der deutschen anthropologischen Gesellschaft in seiner Bibliothek das
Archiv hat, und die Möglichkeit gesichert wird, die direkten Verbindungen mit den
allgemeinen Bestrebungen der Hauptgesellschaft aufrecht zu erhalten. Der Herr
Bibliothekar ist beauftragt, vom nächsten Jahre ab in dieser Richtung eine Geld-
verwendung eintreten zu lassen; es wird aber auch die einzige sein, die wir für
ßücheranschaffung machen. Sonst ist nur das Buch binderlohn in Betracht zu ziehen.
Hr. Voss: Der Katalog der ethnologisch-archäologischen Gegenstände zählt 156
Nummern gegen 108 Nummern des Vorjahres; der Zuwachs beträgt also 48.
Hr. Kuhn: Die Bibliothek zählte im Dezember v. J. 250 Nummern. Sie ist
vermehrt worden um 50 Nummern, hauptsächlich Geschenke von unsern auswärtigen
Mitgliedern Pereira da Costa, Philippi, Reiss, Stübel, Haast, Hartt u. a.
Die Photographiensammlung zählte 704 Nummern und ist angewach'Sen auf 813
Nummern, theils in Quart-, theils in Visitenkartenformat, also gegen das Vorjahr
mehr 109 Nummern. Die Lithographien, Zeichnungen und Kupferstiche haben sich
um eine Nummer vermehrt; es sind im Ganzen 17.
Hr. Virchow: Nunmehr, meine Herren, habe ich noch zu sprechen über die Be-
ziehungen unserer Gesellschaft nach Aussen hin.
Unserer korrespondirenden Mitglieder habe ich schon wiederholt gedacht; ich
muss anerkennen, dass mit Ausnahme von einigen Wenigen, die allerdings gar keine
Zeichen der Theilnahme von sich gegeben haben, die Mehrzahl in der allerliebeus-
würdigsten und freundlichsten Weise unsre Zwecke fördert. Es handelt sich in der
That hier um keine nominellen Mitglieder, sondern es sind wirkliche und ernstliche
Mitglieder, solche, die für die Zwecke der Gesellschaft arbeiten.
Was dann die deutsche Gesellschaft anbetrifft, deren Zweigverein wir sind, so
ist, wie Sie wissen, die letzte Generalversammlung in München abgehalten worden.
Der Bericht über dieselbe ist inzwischen schon erschienen, — ein sehr umfangreicher
Bericht, der grösste, der bisher über eine unserer Generalversammlungen abgestattet
worden ist. Es ist gewiss eine schöne Leistung, dass man einen Bericht, der 7 grosse
Druckbogen füllt, vom August bis jetzt vollkommen zur Publikation hergestellt hat.
Sie werden sich überzeugen, dass die Verhandlungen überaus reichhaltiger Natur
gewesen sind. Zum ersten Mal ist dabei wieder eine Frage auf die Tagesordnung ge-
stellt worden, die sonderbarer Weise eine Zeit lang wie durch ein uligemeines Ein-
verständniss davon verschwunden schien, nämlich die Frage der Gelten in Deutsch-
land. Ich will das hier besonders signalisiren, weil es mii erwünscht zu sein scheint,
dass die Mitglieder unserer Gesellschaft sich auch einmal etwas dafür erwärmen
m()chten, und dass wir in einiger Zeit einmal auf diese Frage speziell zurückkämen.
Ich sehe, dass gerade in diesem Augenblick die Frage der Gelten auch in der pariser
ethnologischen Gesellschaft wieder mit neuer Wärme aufgenommen worden ist, und
ich denke, dass Jeder von Ihnen, der sich einmal mit der Angelegenheit eingehender
beschäftigt, die Ueberzeugung gewinnen wird, dass es absolut nothwendig ist, über die
Gelten endlich einmal zu einer gewissen Verständigung zu kommen. Die Gegen-
sätze, welche in München auftraten, waren so schroff, wie möglich, so dass sie sogar
bis zu einer vollständigen Negation der Gelten überhaupt gingen, eine Auffassung,
die zu der Meinung führen würde, dass schliesslich der Rassenunterschied zwischen
Franzosen und Deutschen gänzlich beseitigt werden müsste. Von dem Identitäts-
(273)
Standpunkt aus würde in der That die ganze celtische Bevölkerung nichts Anderes
als eine germanische, oder die germanische nichts Anderes als eine celtische sein.
Ebenso schnell, wie der Generalversammluugsbcriclit in diesem Jahr zu Stande
gekommen ist, hat der gegenwärtige Geueralsekretair der deutschen Gesellschaft, Hr.
Prof. Kollmanu in München, auch die Correspoudeuzblätter gefördert. Ks ist jetzt
schon das letzte Correspondenzblatt dieses Jahres, Nr. 12, erschienen.
In München sind, abgesehen von den Vorträgen und Debatten in der Gesellschaft
namentlich Berichte erstattet worden über den Fortgang jener grossen Arbeiten au
welchen alle deutschen Zweigvereine betheiligt sind, und von denen wir ein nicht
ganz kleines Stück auf uns haben. Dahin gehört zunächst die prähistorische Karto-
graphie. "Wir waren in der Lage, meine Herreu, durch die eifrigen Bemühungen des
Herrn Direktor Schwartz in Posen, des Herrn Stadtrath Friedel und des Herrn
Dr. Voss hier die gesammten archäologischen Karten für das Grossherzogthum Posen
den grösseren Theil der märkischen Kreise und einen grossen Theil der pommerschen
Kreise vorzulegen. Diese waren so weit bearbeitet, wie das Material im Augeublick
zugänglich war. Natürlich, jede Woche bringt gewisse Fortschritte; wir werden darin
niemals ein bestimmtes Ende haben, aber wir sind wenigstens bis zu dem Punkte mit
der Sammlung uud Aufzeichnung des Materials gelangt, dass jetzt überwiegend nur
uoch die Zugänge eiuzutragen sind. In Beziehung auf die Ausführnng der Karten
selbst ist inzwischen der Bericht der internationalen Commission erschienen welche
auf dem Congress in Stockholm niedergesetzt worden war, um die Zeichen festzu-
stellen, welche für die Karten gebraucht werden sollen. Sie werden darüber in den
beiden letzten Correspondenzblätteru der deutschen Gesellschaft, in Nr. 11 und 12
vorläufige Mittheilungen finden; es sind daselbst die Hauptzeichen angegeben und
die Art der Combinationen auseinandergesetzt, — allerdings ein etwas complicirtes
System, von dem sich erst durch die Praxis wird zeigen müssen, ob es durchführbar
sein wird. Es setzt eine grosse Sorgfalt in der Zeichnung voraus; sonst werden
die Zeichen leicht unverständlich sein. Auch in der wirklichen Kartirung ist ein
grosser Theil von Deutschland bereits so weit vorgerückt, dass factische Leistungen
aufgewiesen werden konnten. In Bayern ist man sogar soweit, dass für das ganze
Land die Kartographie nach den gegenwärtig bekannten Fundorten abgeschlossen ist
Wir wollen hoffen, dass wir spätestens im Jahre 1877 mit der wirklichen Publikation
dieser Karten werden vorgehen können.
Was dann die zweite grosse Aufgabe der deutschen Gesellschaft anbetrifft, näm-
lich die Statistik der braunen uud der blonden Rasse in Deutschland, welche zu-
nächst durch die Schulerhebungen in Angriff genommen ist, so sind nur- noch ganz
wenige deutsche Länder und zwar überwiegend kleinere im Rückstand. In Württem-
berg ist man im Augenbück mit der Erhebung beschäftigt; die Erhebungen in Baden
sind vor 8 Tagen in meine Hände gelangt; die bayrischen sind, wie Sie wissen,
vollkommen fertig; die preussischen sind ganz abgeschlossen. Auch mehrere der
kleineren Nachbarstaaten, Braunschweig, Bremen, die Reussischen Herzogthümer,
Meiningen, haben ihre Sachen eingesandt. Es fehlt nur uoch hier und da ein Stück
in Deutschland, vor Allem das Königreich Sachsen. Für die preussischen und
badischen Erhebuugen hat auf Veranlassung des Vorstandes das königlich preussische
statistische Bureau die. Bearbeitung übernommen. Unser Mitglied, Herr Dr. Gutt-
stadt hat sich persönlich der Leitung der Arbeiten unterzogen. ' Der Direktor des
statistischen Bureaus, Hr. Engel, hat für einen Beitrag, der aus den Mitteln der
Gesammt- Gesellschaft geleistet ist, einen besonderen Bureauarbeiter angestellt, ( er
seit einer Reihe von Monaten beschäftigt ist, uud wir werden hoffentlic^li in kurzer
Zeit in der Lage sein, eine üebersicht der Ergebnisse zu gewinnen.
VeiUaiidl. der licil. AulUropol. Gesellschaft ISiö. ig
(274)
Ich habe schon früher mitgetheilt, m. H., dass die bayrischen Erhebungen zur
Zeit der Münchener Versammlung vollständig fertig waren, und dass auch eine be-
sondere Karte dazu geliefert worden ist, welche die Ergebnisse übersichtlich dar-
stellte. Ich habe auch darauf anfraerksani gemacht, dass dieser Bericht in der Zeit-
schrift des statistischen Bureau's von Bayern erscheinen wird, und dass Separat-
abdrücke davon zum Preise von 1 Mark zu beziehen sind. Ich hatte geglaubt, dass
die Sache mehr Theilnahme bei uns finden würde; es haben sich aber aus unserer
Gesellschaft nur G Abonnenten gefunden, was in München einiges Erstaunen erregt
hat. Ich will nicht verfehlen, nochmals darauf aufmerksam zu machen, dass, wenn
derartige Bestellungen gemacht werden sollen, sie nur ausführbar sind, falls sie in
kürzester Frist nach München gelangen, da die Separatabdrücke nur in der Zahl ab-
gezogen werden, in welcher spezielle Bestellungen vorhanden sind, dass sie aber nach-
her nicht mehr durch Kauf erlangt werden können.
Der dritte Gegenstand, der nach dieser Richtung vorliegt, ist eine Privatarbeit
unseres Schriftführers, des Herrn Dr. Voss. Er hat sich der Mühe unterzogen,
sämmtliche in Deutschland existirende Sammlungen, sowohl die öffentlichen als die
Privatsammlungen, zu verzeichnen in eine grosse Liste, so dass Jedermann die genaue
Adresse und die Art der Sammlung aus derselben ersehen kann. Die Absicht be-
steht, auch dieses Verzeichniss publiziren zu lassen, um auf diese "Weise ohne Mühe
Jedermann die Möglichkeit zu geben, sich in Kürze au die richtige Stelle zu wen-
den, wenn es sich um Lokalforschungen handelt.
Da-s wäre das, was ich über die deutsche Gesellschaft zu sagen habe. Unsere
Beziehungen zu derselben sind vollständig geordnete und durch regelmässiges Zu-
sammenarbeiten gesichert.
Ebenso günstig sind unsere Beziehungen zu den Behörden. Vor allen Dingen
habe ich wieder hervorzuheben, dass der Herr Cultusmlnister das lebhafte Interesse,
welches er an dem Gedeihen unserer Gesellschaft genommen hat, nach wie vor durch
die Bewilligung eines Staatszuschusses und durch Zusendung von Berichten aus seiner
Verwaltung uns hat zu erkennen gegeben. Leider ist dasjenige, was uns am meisten
Noth thut und worauf wir am meisten gehofft hatten , bis jetzt nicht nur nicht er-
füllt, sondern ich musa sagen, dass ich vorläufig kaum eine rechte Aussicht erblicke,
wie es sich erfüllen wird: nämlich der Bau eines neuen ethnologischen Museums.
Sie werden sich erinnern, dass uns durch den Herrn Cultusmlnister schon vor zwei
Jahren eine Cabinetsordre Seiner Majestät vom 27. Dezember 1!^73 mitgetheilt wor-
den ist, in welcher die Absicht festgestellt wurde, ein neues und zwar ein besonderes
ethnologisches Museum zu bauen. Nach den damals getroffenen Verabredungen be-
stanil die Absicht, dass, wenn ein solches Museum gebaut würde, auch unsere Ge-
sellschaft ihre Sammlungen dahin traiisferireii und dem öffentlichen Gebrauch zuwenden
würde, dass wir dagegen für unsere Sitzungen und andere Gelegenheiten einen Platz
in (\cn Piäunien des neuen Museums erhalten könnten. Unsere Sammlungen sollten ge-
wlsscrmassen ein Bestaiidtheil des öffentlichen Museums werden. Alle diese schönen
Hoffnungen sind durch den Kaum- und Platzmangel unserer Stadt verschoben wor-
den und zwar so sehr, dass in diesem Augenblick nicht einmal, so viel ich
wenigstens habe ermitteln können, ein bestimmter Plan darüber besteht, an welcher
Stelle die neue Anstalt zu gründen ist. Wir werden daher immer wieder von Neuem
von Seiten der Gesellschaft darauf drängen müssen, dass der Bau ausgeführt werde.
Denn allmählich ist das königliche Museum in seiner jetzigen Gestalt eigentlich eine
Unmögliclikeit geworden; die Piäume sind so voll gestoi>ft, dass die neuen Gegen-
stände, die ankommen, nicht, iinv iiitlit aufgestellt, sondern nicht einmal mehr regel-
mässig ausgepackt werden kömneii. Es tritt also jetzt genau das ein, was jahrelang
(275)
im brittischen Museum der Fall war, wo die Kisten liegen blieben in Kellern und
offenen Riiumen und wo keine Möglichkeit war, eine Benutzung auch nur der aller-
oberflächlichsten Art eintreten zu lassen. Dass dieser Zustand ein unhaltbarer ist
und dass er nothwendigorweise in kürzester Frist beseitigt werden muss. davon wird
sich Jeder überzeugen, der näher an die Sache herangeht; ich kann nur annehmen,
dass man sich in den entscheidenden Instanzen unserer Regierung noch nicht durch
den Augenschein überzeugt hat, wie die Sache wirklich liegt, sonst kann ich mir
nicht vorstellen, dass man einen so langen Zeitraum vergehen lassen sollte, ehe man
einem so grossen und dringenden Bedürfnisse abhilft.
Dem gegenüber müssen wir es als ein besonderes Glück bezeichnen, dass durch
die einflussreiche und energische Thätigkeit unseres Mitgliedes, des Hrn. Stadtraths
Fried el, die städtisclien Behörden bestimmt worden sind, Raum und Geld in frei-
lich zunächst noch massigem Umfange herzugeben, um ein speziell märkisches Museum
zu begründen. Dasselbe soll die Archäologie von Berlin und zugleich die der Mark
Brandenburg, sowie einige historische Abtheilungen umfassen. Ich habe heut erst
Gelegenheit gehabt, die neue Aufstellung zu sehen; dieselbe ist für die eigentlich
archäologische Abtheilung beendet. Da die Absicht besteht, schon im Januar die
Säle dem Publikum zu eröffnen, so werden Sie ja bald Alle Gelegenheit haben, zu
sehen, was man in relativ kurzer Zeit mit Ernst und Anstrengung erreichen kann.
Ich kann nur wünschen, dass die Errifi'nung dieses Museums einen neuen Antrieb ge-
währen möge, dass man auch von Staatswegen in grösserem Massstabe die Her-
stellung eines würdigen ethnologisch-archäologischen oder ethnologisch-prähistorischen
Museums in Angriff nehme.
Auf den Wegen unserer auswärtigen Beziehungen sind wir oft genug genöthigt, die
Hülfe der Reichsorgane in Anspruch zu nehmen. Obwohl wir niemals soweit gegangen
sind, allgemeine Anforderungen an die Ceiitralinstanzen des Reichs oder an die peri-
pherischen Organe desselben zu richten, so können wir doch nur dankbar anerkennen,
dass, wo wir die Hülfe dieser Instanzen und Organe in einzelnen Fällen in Anspruch
genommen haben, diese Hülfe stets mit Bereitwilligkeit gewährt ist. So haben wir
wiederholt Nachrichten von Sr. Majestät Schiff Arcona erhalten, welches an sehr ver-
schiedenen Orten Geschenke für uns aufgenommen hat. Wir erwarten in Kurzem
die Ankunft desselben. Ebenso verpflichtet sind wir einer grösseren Reihe von Con-
suIq und Geschäftsträgern des Reichs in fernen Gegenden, von denen manche ganz
unaufgefordert uns durch Mittheilungen und Zusendungen erfreut haben.
Endlich möchts ich nicht schliessen, ohne der freundlichen Beziehungen zu ge-
denken, in welche wir zu der hiesigen evangelischen Missionsaustalt und zu manchen
einzelnen Missionären getreten sind. Ich denke, dass der Vortheil dieser Einwirkungen
ein gegenseitiger sein wird.
Das ist das, meine Herren, was ich Ihnen über unsere Verwaltung mitzutheileu
hatte. Es soll nun der Kassenbericht über das verflossene Jahr erstattet werden.
Leider ist unser Schatzmeister, Herr Hejickel durch einen schweren Typhus heim-
gesucht gewesen, und obwohl wir neulich in seiner Wohnung diejenige Sitzung ab-
gehalten haben, in welcher die Rechnung zu prüfen war und welche nothweudig
dieser Jahres-Sitzung vorausgehen musste, so ist er selbst doch noch ausser Stande,
das Haus zu verlassen. Die Prüfungskommission, welche vom Ausschuss erwählt
war, hat die Rechnungen in Ordnung gefunden und Decharge ertheilt. Es handelt sich
gegenwärtig darum, dass auch Sie Ihrerseits von den allgemeinen Resultaten unserer
Finanzgebahrung Kenntniss nehmen. —
Herr Voss erstattet im Namen des abwesenden Schatzmeisters, Herrn Hencke
(276)
den Kassenbericht, uud die Versammlung erklärt ihre Zustimmung zu der Entlastung
des Schatzmeisters. —
(2) Es erfolgen sodann die
Neuwahlen der Vorslaiidsmitglleder für das Jahr 1876.
Es werden gewählt als
Vorsitzender: Hr. Bastian,
Stellvertreter: Hr. Virchow uud Hr. Alex. Braun,
Schriftführer: Hr. Hart mann,
Stellvertreter: Hr. M. Kuhn uud Hr. Voss.
Schatzmeister: Hr. G. Henckel.
(3) Als correspondirendes Mitglied ist ernannt:
Hr. General consul Dr. Lührssen zu Lima.
Als neue Mitglieder werden angemeldet:
Hr. Dr. Roch zu Senfteuberg,
Hr. Oberstabsarzt Dr. Paul Born er und
Hr. Dr. Fürsten he im zu Berlin.
(4) Hr. Frauk Calvert, unser correspondirendes Mitglied, übersendet einen
Zeitungsabschnitt des Levant Herald vom 8. September, enthaltend eine Auseinander-
setzung mit Dr. Scbliemauu
über Troja.
Im Eingange des Artikels wird auf frühere Publikationen (Levant Herald vom
28. Oct. 1874, Athenaeum etc.) verwiesen. Hr. Calvert zeigt dann, dass er von Anfang
an die Aechtheit des Schliemann'schen Goldfundes anerkannt habe, und er führt
dafür die Thatsache an, dass Arbeiter, welche bei den Ausgrabungen von Hissarlik
beschäftigt waren, im Besitz golduer Altsachen, denen des Dr. Schliemann ähnlich,
betroffen worden sind. Dagegen weist Hr. Calvert nach, dass er zuerst in Hissarlik
gegraben und die Fundamente des Apollo-Tempels, den er damals für den Minerva-
Tempel gehalten hat, aufgedeckt habe, sowie dass erst durch ihn Hr. Schliemann
überhaupt auf Hissarlik, als die Stelle des alten Troja, aufmerksam gemacht sei.
(.')) Hr. Dr. Ludwig Knoth in New- York hat dem Vorsitzenden ein mystisches,
in sonderbaren Charakteren geschriebenes, umfangreiches Manuscript zugeschickt,
welches in der Bibliothek vorläufig deponirt wird,
(G) Hr. A. Müller übersendet eine Druckschrift über einen Fund
vorgeschichtlicher Steiugeräthe bei Basel.
Der Verfasser glaubt im Diluvium menschliche Artefakte uud Steine gefunden
zu iialien. Er giebt eine photograpliische Abbildung davon.
Der Vorsitzende ist der Meinung, dass diese Steine, soweit sich aus der Ab-
bildung ersehen lässt, den Scliluss des Verfassers nicht reclitb^rtigen. Aehnliche Steine
finden sich auch bei uns an mehreren Orten, z. B. auf einem Gräberfelde bei Bra-
nitz in der Lausitz; sie gehören aber wahrscheinlich in dasselbe Gebiet natürlicher
Bildungen, denen auf der letzten Generalversammlung der deutschen geologischen
(277)
Gesellschaft zu München allgemein der Charakter bearbeiteter Gesteine bestritten
wurde.
(7) Hr. W. Schwartz in Posen übersendet das
Gutachten eines Töpfermeisters aus dem Posenschen in IJetrell" der dortigen l rnen.
Endlich ist es mir gelungen, einen Sachverständigen in hiesiger Gegend zu fin-
den, der mit der Anfertigung von Töpferwaaren Bescheid weiss. Es ist ein Töpfer-
meister aus Moschin, einem seit alten Zeiten berühmten Hauptfabrikort von Töpfer-
geschirr allerhand Art. Im Allgemeinen, sagte er, unterscheide man in der Masse
den gewöhnlichen Lehm und den Schluff. Die Fabrikate aus dem letzteren erkenne
man sofort an der grösseren Leichtigkeit. Als aus Schluff gefertigt bezeichnete er
z. ß. eine kleine helle E enkelschale aus Neudorf bei Priment. Von einer ähnlichen,
zierlichen, die bei Cerekwice gefunden, und eiuer schwarz gefärbten grösseren Schale
von Jarogniewice behauptete er, dass sie von einer Masse seien, wie sie sich nicht
im Posenschen, wohl aber bei Freistadt in Schlesien fände und dort noch verarbeitet
wurde und mit unter dem Namen Bunzlauer Geschirr ginge. Die Masse sei nämlich
in verschiedenen Gegenden verschieden, wozu dann noch besondere Gewohnheit uud
Zuthat käme. Bei Strzelno fände sich z. B. ein sehr scharfer Kiessand, ähnlich dem,
wie man ihn für die Sandfässer auch wegen seines Glanzes liebe; durch Beimischung
desselben bekämen die Gefässe mehr Halt. Um diesen Kies zu ersetzen (denn etwas
Aehuliches sei immer gut dazu •) könne man sich auch der Eisenfeilspähne bedienen.
In der Nähe von Grätz fände man einen Lehm, der beim Brennen in der ganzen
Masse schwarz würde.'') Als dahingehörig bezeichnete er Scherben einer schwarzen
grossen Urne von Jarogniewice. Eine zweite Art schwarzer Gefässe erklärte er als
durch Rauch im Brennofen geschwärzt, wie ich es auch bei der Ruppiner Ausgrabung
schon constatirt hatte und Schliemann es auch in Betreff der von ihm aufgefundenen
schwarzen Urnen annimmt. Eine dritte Art dieses Genre erklärte er für entschieden
gefärbt, mit welcher Masse aber wusste er nicht.
Auch in Betreff der Geräthe selbst machte er einige Angaben, indem man nicht
blos zu Dlugosz Zeiten, wie dieser erwähnt, sondern noch heutzutage derartige fabri-
cirt, ja er selbst theilweise noch welche anfertigt. Die tassenartigen Gefässe, meinte
er, würden noch heutzutage als Butterbüchsen von den Bauern gebraucht, die kleineren
Henkelschaleu als Salzfässer, die gnlsseren Heukelschaleu seien die noch üblichen
sogenannten Pletschen^), in welche man das Essen thäte oder aus welchen man ässe,
wenn man weder einen Topf noch einen Teller dazu benutzen wolle, sondern
eben ein Gefäss, was weder zu tief noch zu flach sei. Als ich ihn fragte,
ob die verhältuissmässig kleinen Henkel auch bei grösseren Krügen gestattet
hätten, dass man das Gefäss, auch wenn es voll gewesen, daran hätte heben
können, bejahte er es unbedingt. Wie ich ihm Töpfe mit kleinen öhsenartigen Henkeln
zeigte und fragte, wozu diese wohl gedient, meinte er, um eine Schnur hindurch zu
ziehen und sie an derselben aufzuhängen, was man jetzt durch einen übergebogenen
Rand erreiche, unter dem man den Halter herumschleife. Und als ich ihm nun sagte,
dass in dem hiesigen Museum sich auch solche Töpfe fänden mit einem Drahtgehänge
') Die Masse sei oft so weich, dass mau sie sonst nur mit llandschnhen verarbeiten könne,
da sie an den Fingern klebe.
-) Diese Gefässe seien doshalb auch nicht recht beliebt und würden nicht eben in weiteren
Kreisen verkauft.
*) Auch in Ober-Schlesien sollen diese noch unter demselben, nur etwas modificirten
Namen nach anderer Angabe üblich sein.
(278)
von Bronze, wozu man diese wohl gebraucht habe, antwortete er, um sie über dem
Feuer aufzuhängen und darin etwas zu schmelzen. Er habe als Junge gesehen,
dass sein Vater in einem solchen Topfe auf diese Weise selbst häufig Metall, nament-
lich Blei geschmolzen habe.
Darauf zeigte ich ihm eine in einem Steingrabe gefundene Urne und fragte ihn,
ob er einen Unterschied zwischen ihr und den anderen in der Fabrikation fände; er
meinte, nein, nur dass etwas mehr Kiessand dazu genommen sei und sie schärfer ge-
brannt wäre. Sie sei aber jedenfalls viel älter als die anderen Gefässe, das
zeige, dass sie so rauh sei, das sei die an ihr allmählich eingetretene Verwitterung
(bis zum Halse ist sie nämlich ganz rauh wie verwittert).
Ich habe die Unterredung vollständig wiedergegeben, da sie neben einzelnen
interessanten Bemerkungen auch im Verein mit anderen mir gewordenen Mittheilungen
gewisse Verhältnisse und Perspectiven immer klarer legt. Als solche hebe ich neben
der Erklärung der verschiedenen Arten von schwarzen Gefässen besonders hervor:
1) den Bezug der Gefässe eines Grabes von verschiedenen Fabrikstätten, selbst aus
Schlesien, und das darin liegende, bedeutsame, culturhistorische Moment. 2) die Conti-
nuität im Gebrauche der Gefässe, welche ein Moment sein dürfte, sie in eine historische
Verbindung mit den Vorfahren der jetzigen Bevölkerung zu bringen und, wozu auch
noch manches andere stimmt, die Gräberfelder mit den niannichfachen kleinen Gefässen
für slavisch zu halten, während die Steingräber wohl der deutschen Vorzeit angehören
dürften, worauf ich schon in den letzten Nachträgen zu den Materialien etc. hin-
gedeutet habe.
(8) Hr. Kreisphysikus Dr. Koch zu Wollstein schreibt dem Vorsitzenden
über poseiisohe Alterthünier und birmauische Münzeu.
Von dem Burgwall auf dem Territorium Karne, dessen Beschreibung Sie auf
S. 100 der Verh. der Ges. f. Anthrop. gegeben haben, westlich gelegen und zwar auf
der nördlichen Seite des Scharker Grabens (Entwässerungs-Canal) befindet sich ein
zweiter Burgwall. Derselbe ist von jenem Wall ungefähr 3 Kilom. entfernt, zeigt
genau dieselben Grössenverhältnisse und Bauart und ist nur dadurch unterschieden,
dass der Wall nicht so hoch, der Ringgraben aber tiefer ist. Ich habe in beiden
Wällen nachgegraben, aber ausser Knochen von Hausthieren und groben, bisweilen
mit parallelen Streifen versehenen Scherben nichts Besonderes gefunden. Nament-
lich fand sich nicht eine einzige Scherbe mit dem Wellenornament. Das Volk nennt
diesen Wall „Schwedenschanze. "
Ueber den Burgwall bei Wollstein erfuhr ich, dass derselbe seit Menschenge-
denken eine einfache Hügelform und niemals Wall form hatte. Erst seit dem Jahre
1858, als zuerst Theile desselben abgefahren wurden und hierbei Knochen, eiserne
Gegenstände und Scherben nebst Thongefässen zum Vorschein kamon, nannte man
ihn Schwedenschanze. Eines der Gefässe, welche damals gefunden wurden, habe ich
vom Apotheker Knechte 1 sen., der es bis jetzt conservirt hat, erhalten. Es ist klein,
glatt, mit umgebogenem Rand, ohne Henkel oder Griff und scheint nicht auf einer
Scheibe angefertigt zu sein.
An verschiedenen Orten, nämlich in Alt-Kramzig, Obra, Adaniowo, Tarnowo,
Neudorf sind einzelne oder mehrere Urnen gefunden, welche dem Zaborower Typus
angehören.
Bei Lehfelde stiessen die Arbeiter beim Auswerfen von Kartoffelgruben auf mehrere
Skelette und förderten einen Schädel zu Tage, der zerschlageu wurde. Ich unter-
suchte die Fundstelle möglichst genau und legte in einer Tiefe von zwei Fuss ein
C279)
vollständiges Skel^t blos, desscui Knochen sehr mi'irbe waren. Metnilgegenstände.
Scherben, Sargreste oder .dergi. waren trotz eifrigen Sucheiis nicht zu entdecken.
Den Schädel konnte ich vollkommen erhalten aus der Erde herauslieben. Ausser dem
von mir ausgegrabenen und dem von den Arbeitern zerstörten Gerippe liegt noch ein
drittes, dessen Oberkörper noch gut erhalten sein wird, unter einer Kartoffelgrube
und kann erst im Friihjahr ausgegraben werden. Ich möchte; diesem Fujide deshalb
einigen Werth beilegen, weil man vor etwa 10 Jahren, als man in der Nähe dieser Stelle
nach Steinen zum Chausseebau suchte, ebenfalls mehrere Gerippe und daneben Urnen
gefunden haben soll; ein Begräbnissplatz, Kirche oder dergl. sind an dieser Stelle
niemals vorhanden gewesen. "Vielleicht finden sich bei später vorzunehmenden weiteren
Nachgrabungen noch Andeutungen iiber das Alter dieser Gerippe.
Auch bin ich im Besitze mehrerer grosser zinnener und bleierner Münzen, welche
bei Tenasserim im britischen Birma beim Goldgraben im Schwemmsand, zwei bis
drei Fuss tief, gefunden sind. Mein Bruder, welcher längere Zeit in Birma einen
Zinn-Bergbau leitete, hat dieselben aus Indien mitgebracht und mir zur Uebermittlnng
an eine Sammlung oder Museum gegeben. Diese Miinzen haben einen Durchmesser
von 6 — 8 Centim., sind mit eigenthümlichen Schriftzeichen und Thiergestalten ver-
sehen, welche weder den Indiern noch den Birmesen bekannt waren. Da dieselben
vielleicht ein hohes Alter besitzen und für die Sammlung der anthropologischen Ge-
sellschaft von Werth sein könnten, so stelle ich sie zur Disposition.
(!») Hr. Dr. Bernhard Ornstciii, Chefarzt der griechischen Armee, übersendet d. d.
Athen, 4 Dezbr. einen weiteren Bericht über den griechischen Soldaten mit
sacraler Trichose.
(Hierzu Taf. XVII Fig. 1.)
Da, wie ich mit Vergnügen aus dem Berichte über die Sitzung vom 14. Mai ersehe,
meine Mittheilung d. d. Athen 10 April, die eigenthümliche Behaarung der Sacral-
gegend beim Demeter Karas betreffend, in demselben Aufnahme gefunden hat, so
erlaube ich mir, im Anschluss an dieselbe, Ihnen heute beifolgende, nicht übel ge-
lungene Photographie der in Rede stehenden Partie, sowie eine zweite, die ganze Figur
des seitdem dem hies. 9. Inf.-Bataillon als Rekrut zugetheilten Mannes wiedergebende zu
übersenden. Ich will hier bemerken, dass die nach unten gerichteten und über die Ge-
gend der Kreuzbeinspitze herabhängenden Haare, welche weniger gekräuselt erscheinen,
als die die Basis und den grössten Theil der hintern Fläche dieses Knochens bedecken-
den, jetzt ca. 16 Ctra. lang und folglich seit meiner ersten Messung derselben im
März d. J. um 8 Ctm. gewachsen sind. Dieses auffallend schnelle Wachsthum be-
stimmt mich, der Angabe des Karas, dass er dieselben früher geflochten und auf der
Nabelgegend zusammengebunden habe, um ihrer Verunreinigung durch die Stuhlaus-
leerungen vorzubeugen, Glauben zu schenken. !> will durch die Langweiligkeit dieser
Procedur veranlasst worden sein, sie später von Zeit zu Zeit abzuschneiden. Jetzt
ist er von mir angewiesen, die Haare wachsen zu lassen, sodass ich nächstes Jahr
Gelegenheit haben dürfte, die "Wahrheit seiner Aussage zu controliren. Eines in An-
sehung auf Sitz und Form analogen Falles von Trichose erinnert sich der pensionirte
Generalarzt Dr. Treiber, der Nestor der Philhellenen und der hiesigen Deutschen
überhaupt, vor Jahren beobachtet zu haben, doch erreichte in demselben der Haar-
wuchs keine solche Länge.
Hr. Virchow bemerkt dazu Folgendes:
Es besteht seit langer Zeit in der pathologischen Anatomie, — Sie mögen es einen
Aberglauben nennen, — eine Erfahrung, welche man das Gesetz der Duplizität der
(280)
Fälle genannt hat. An demselben Morgen, wo ich. den Brief aus Athen bekam,
wurde mir gemeldet, dass im pathologischen Institut eine Leiche vorhanden sei, welche
auf dem Rücken eine ungewöhnliche Behaarung zeige. Ich lege Ihnen hier eine Ab-
bildung davon vor (Taf. XVII. Fig. 2.). Es handelte sich in diesem Falle um ein weibliches,
24jähriges Individuum und allerdings um eine Stelle des Rückens, welche nicht mehr
ganz auf die Theorie von einem Schwänze passt, denn sie entspricht der eigentlichen
Lendengegend, nicht der Kreuz- oder Steissbeingegend, welche bei dem Griechen in Frage
kommt. Trotzdem ist die Aehnlichkeit nicht gering. Es war eine durch lange Krankheit
(Peritonitis nach Typhus) abgemagerte Frau von schlankem, etwas männlichem Körper-
bau, weisser Haut und röthlichem Haar. Die behaarte Stelle auf dem Rücken war
von rundlicher Gestalt, etwa 10 Cent, im Durchmesser, wenig scharf begrenzt. Die
auch hier röthlichen Haare waren 6 — 7 Cent, lang, ziemlich' glatt und weich, standen
jedoch nicht sehr dicht. Die Haut selbst zeigte an dieser Stelle nichts Abweichendes.
Der Fall ist nun insofern von einem besonderen Interesse, als, durch einige Merk-
male aufmerksam gemacht, ich dahin gekommen bin, weitere Beziehungen aufzufinden
welche einen bestimmten Anhalt für das genetische Verständniss darbieten. Es zeigte
sich nämlich, — was in der Zeichnung nicht deutlich ist, weil es gerade durch die
Haare verdeckt wird, — eine ungwöhnliche Vertiefung des Rückens an dieser Stelle,
so dass schon beim äusseren Zufühlen es den Anschein hatte, wie wenn da ein Loch
in der W^irbelsäule vorhanden sei. Die weitere Untersuchung ergab, dass, ent-
sprechend der behaarten Hautstelle, eine ungewöhnlich starke Vorwölbung der Wirbel-
körper nach vorn stattfand. Der letzte Lendenwirbel war mit seiner Vorderfläche
nicht, wie sonst, nach vorn, sondern nach unten gegen die ßeckeuhöhle gerichtet.
Als ich nunmehr den Rücken präparirte, stellte sich sonderbarerweise heraus, dass
unmittelbar unter der behaarten Stelle eine Spina bifida occulta lag, d. h. dass an
dieser Stelle die Wirbel au ihrem hinteren Umfange nicht geschlossen waren. An
der Stelle der Dornfortsätze der oberen Kreuzbeinwirbel befand sich eine harte Mem-
bran; nachdem dieselbe eingeschnitten war, sah ich unmittelbar die Dura mater spina-
lis vor mir. Auch die vier unteren Lendenwirbel waren nicht ganz geschlossen;
bei dem 5. waren die beiden Schenkel des Dornfortsatzes durch eine 6 Mm. breite
Spalte von einander getrennt; bei dem 2. — 4. war die Spalte nur 1 — 2 Mm. breit
und durch eine Art Faserknorpel geschlossen, aber die einzelnen Schenkel der Dorn-
fortsätze waren von sehr ungleicher Grösse und gegen einander verschoben.
Es ist also klar, dass die haarige Stelle in diesem Falle den Ort einer Spina
bifida occulta bezeichnet. Wenn man sich fragt, wie das zusammenhängen kann, so
crgiebt sich mit Hinzunahme anderweitiger Erfahrungen eine durchaus plausible Er-
klärung. Diese Art der Rückgratsspaltung entsteht durch örtliche, entzündliche Pro-
zesse, welche zu einer Zeit, wo die Knochenbildung, d. h. die Bildung der Wirbel-
Anlagen noch nicht vollendet ist, eine Unterbrechung derselben herbeiführen. Wenn
an derselben Stelle die Haut eine vermehrte Entwicklung ihrer natürlichen Elemente
zeigt, (und nur um eine solche handelt es sich bei diesen Behaarungen,) so heisst
das eben auch nichts anderes, als dass frühzeitig ein Reiz eingewirkt hat, der eine
verstärkte Form des Haarwuchses herbeigeführt hat. Wir haben für eine solche Er-
klärung mancherlei andere Anhaltspunkte.
Ich glaube auf Grund dieser höchst ungewöhnlichen und überraschenden Beob-
achtung auf das Bestimmteste aussagen zu können, dass in meinem Falle es sich
nicht um eine Schwanzbildung und damit um einen Atavismus, sondern nm ein emi-
nent pathologisches p]reigniss handelt. Diese Haarbildung ist nichts anderes, als ein
behaartes Muttermal, ein Naevus pilosu"s, wie deren an vielen anderen Stellen
des Körpers auch vorkommen können. Ich will damit nicht sagen, dass der Schopf
(281)
des griechischen Soldaten dasselbe ist, denn er sitzt etwas tiefer und er entspricht
allerdings mehr der Steissgegend. Die Haare sind auch sehr viel länger, als in
naeinem Fall. Andrerseits ist zu erwähnen, dass in der Litteratur eine gewisse Zahl
von Fällen verzeichnet ist, in denen eine Behaarung der Haut in dieser Gegend fehlte,
dagegen eine Vermehrung der Wirbel dureli Apposition neuer "Wirbel am Steiss beob-
achtet ist. Schon der ältere Meckel') hat eine Reihe solcher Fälle zusammen-
gestellt; Forste r''^) hat nachher noch mehrere gesammelt. In einzelnen Fällen bilden
diese vermehrten Wirbel einen langen, von Haut und Fettgewebe umkleideten Fort-
satz. Die Thatsache müssen wir also anerkennen, dass es eine Art von Homines
caudati giebt. Wie man das im Einzelneu interpretiren will, ist im Augenblick noch
der Willkür der Interpreten überlassen. Dass die Versuchung sehr nahe liegt, solche
Fälle als Theromorphie und Atavismus anzusehen, erkenne ich vollständig an. Auch
will ich die Möglichkeit nicht einfach bestreiten, dass es eine Schwanzbildung ohne
Vermehrung der Wirbel geben könne. Nur halte ich sie noch nicht fiir erwiesen.
Die 4 Fälle, welche Meckel davon mittheilt, lassen sämmtlich eine andere Erklärung
zu, da sich auch sonst zahlreiche und zum Theil sogar ähnliche Missbildungen an
anderen Stellen des Körpers fanden. Nur in einem, und gerade in einem Berliner
Fall''), wird ein solcher „Schwanz" zugleich als behaart geschildert. In allen anderen
Fällen, wo von einer Schwanzbildung berichtet wird, scheint keine Behaarung vor-
handen gewesen zu sein.
Ich muss also davor warnen, dass in Fällen, in denen keine Wirbelvermehrung
und keine Protuberanz der Weichtheile stattgefunden hat, nur aus der Behaarung
eine Schwanzbildung deducirt wird. Dazu gehören doch noch etwas mehr Beweise.
Insofern muss ich sagen, ist auch die griechische Beobachtung nicht vollständig ge-
nug; sie kann möglicherweise auf ein ähnliches Verhältniss zurückgeführt werden,
als dasjenige, worauf ich meinen Fall zurückführen muss, nämlich auf eine lokale
Reizung, welche zugleich die Haut und die unterliegenden Theile ge-
troffen hat. Immerhin ist es eine ganz interessante Frage und sie wird wahrscheinlich
bei Gelegenheit wieder aufgenommen werden. Man muss diese Fälle sorgfältig
sammeln; es wird sich dann herausstellen, wie viel oder wie wenig sich daraus für
die .Ableitung des Menschen vom Affen deduziren lässt. Das aber begreift sich leicht,
dass die Phantasie der Alten beim Anblick solcher Erscheinungen zu wunderbaren
Deutungen angeregt werden musste, und es ist unschwer zu verstehen, dass die
Mythen bildende Ueberlieferung derartige Anschauungen zu den Bildern geschwänzter
Satyrn verarbeitete. Sollte sich herausstellen, dass Griechenland noch heutigen Tages
häufiger solche Missbildungen hervorbringt, so wird das Bedürfniss der Alten, eine Art
von mythologischer Formel für sie herzustellen, um so mehr verständlich.
(10) Hr. v. Richthofen bespricht den kühnen Entdeckungszug des Lieutenant
Cameron von der afrikanischen Ostküste bis Säo Paulo de Loanda an der West-
küste, von dessen glücklichem Gelingen so eben die erste Kunde angelangt ist.
Der Vorsitzende giebt in lebhaften Ausdrücken der Freude über diesen Triumph
der Forscherenergie Ausdruck.
(11) Hr. E. Friedel legt 4 dem Märkischen Museum gehörige Bronzen vor:
a) eine Lanzenspitze, jetzt noch 11* Centm. lang, mit der fehlenden Spitze
•) Joh. Fried r. Meckel. llandlnioh der pathol. Anatomie. Leipzig 1812. l, 386.
^) August Förster. Die Missliil(lunf;en des Menschen Jena 1861. S. 44.
^) Eisholz. De conceptione tubaria et de puella monströs». Col. Brand. 1669.
(282)
und Tülle etwa 24 Centm. lang gewesen, ein Rasirmesser, 14 Centra. lang, eine
Bartzange, 8 Centm. lang. Hr. Pastor Ramdohr in Kuhsdorf, Secretär des land-
wirthscbaftlichen Vereins zu Pritzwalk, Ostpriegnitz, sendet dieselben als Geschenk
des Bauergutsbesitzers August Schleiff zu ßeveringen, %, Stunde östlich von
Pritzwalk, ein. Hr. Sohle iff schreibt dabei: „Die Alterthümer habe ich am 11. Juni
d. J. auf meinem Acker links am Wege von hier nach Sadenbeck, 600 Schritt vom
Dorf entfernt, beim Abfahren einer kleineu Anhöhe gefunden. Sie befanden sich in
einer Urne, die in der Weise gefüllt war, dass iu unterst gehrannte Knochen lagen,
darauf die Gegenstände, alsdann Erde, welche durch den zerbrochenen Deckeltopf,
der auf die ünie gut passte, im Lauf der Zeit hindurch gefallen war. Die Urne
befand sich zwei Fuss tief in der Erde, mit flachen Steinen umstellt. Die Pincette
ist später zerbrochen, ein noch weiter gefundener Ring (von Bronze) weggekommen".
Hr. Fried el bemerkt, wie das Bartscheermesser dem Typus nach den bei
Worsaae: Nordiske Oldsager. Kopenhagen, 1859 unter No. 171 bis 175 abgebildeten
entspräche, ebenso der Fig. .o4 bei Monte lius: La Suede prehistorique, Stockholm,
1874; die ßartzange ähnelt No. 271 und 272 bei Worsaae, die Lanzenspitze No. 187
ebendaselbst. Nach der Terminologie von Montelius a. a. 0, S. 41 würden die
Objecto dem „secoud äge du bronze" angehören, üebrigens sind sie aus feiner Bronze
gefertigt und mit schönem glänzendem dunkelgrünem Rost, der nicht abfärbt und nicht
übel riecht, also als aerugo nobilis anzusprechen ist, bedeckt.
b) eine Bronzegussform, welche unten in natürlicher Grösse dargestellt ist.
Sie soll aus dem Kreise Ruppin stammen, der nächst den beiden Priegnitzer mit
die schönsten Bronzen der Mark liefert. Sie stammt aus der hiesigen Alterthümer-
sammlung des Prinzen Karl von Preussen, aus welcher derselbe eine reiche und schöne
Auswahl dem Märkischen Museum vor Kurzem geschenkt hat. In der Form sind
augenscheinlich kleine, wahrscheinlich als Schmuck verwendete Bleche gegossen wor-
den. Die Gussöffnungen sind deutlich zu ersehen.
Ausserdem macht der Vortragende bekannt, dass die Direction des Märkischen
Museums beschlossen habe, die erste Abtheilung desselben, welche im Wesentlichen
die vorgeschichtichen Gegenstände umfasst, vom o. Januar 1876 ab für den
Besuch zu öffnen. Als Besuchszeiten sind vorläufig gewählt die Stunden von 12
bis 2 ühr Nachmittags am Montag und Donnerstag. Den Mitgliedern ge-
lehrter Gesellschaften, den durchreisenden Fremden und Allen, welche die Sammlung
für das Studium oder zu ähnlichen Zwecken zu benutzen wünschen, steht die Samm-
lung ausserdem werktäglich von 9 bis 2 ühr zur Verfügung.
(12) Hr. Voss hält einen Vortrag über eine, von Hrn. Generalconsul Dr. Lühr-
sen für das Königliche Museum eingesendete und auf der Stelle eines alten Sonnen-
tempels (?) gefundene peruanische Vase von Truxillo. (Derselbe wird später
in der Zeitschrift für Ethnologie erscheinen.)
r283;
(13) Hr. Hart mann behandelt im Anschlüsse an seine Mittheilungen in der
vorigen Sitzung die Frage über die systematische Stellung der
Aeffiu Mafuca.
Von mehreren Seiten ist die Behauptung aufgestellt worden, Mafuca könne mit
Duvernoy's Troglodytes Tchego und mit Du Chailhrs Nschiego-Mbüwe (Troglo-
dytes calvus Chaillu) identisch sein. Ersterer sei aber, wie sich Vortragender nach
wiederholter Prüfung — selbst an dem pariser Originalskelet — überzeugt habe, nur
ein altes ('himpansemännchen. Der Nschiego-Mbüwe sei nichts als die Fiktion eines
in der Zoologie nicht über das erste Dilettantenthum hinausgelangten Reisenden, wie
dies Verfasser bereits früher hinlänglich glaube nachgewiesen zu haben. (Man vergl.
dessen Arbeit über den Bam-Chimpanse im Archiv für Anatomie, Physiologie u. s. w.
Jahrgang 1872 S. 107 u. s. w.) N'se-eqo, (daraus N'zeqö, Anzico der älteren Geo-
graphen) N'äeqö bedeute in den westafrikanischen, vom Gabun bis nach Loango ge-
sprochenen Idiomen den Chimpanse überhaupt, wogegen der Gorilla dort N'gina oder
Eng'ina, G'lna, hier N'Püngu (Pongo Andrew Battel's in Purchas His Pilgrimes H,
p. 982) genannt werde. Auch mit Du Chaillu 's Külü-Kämba (Troglodytes Kooloo-
Kamba Chaillu) habe Mafuca nichts zu thun.
Vortragender bemerkt, es sei ihm in den Augen hochachtbarer Zoologen voll-
ständig gelungen, auch diese angebliche, noch von anderen Seiten beanstandete Art
aus dem System zu beseitigen. Von den durch Du Chaillu in seinen „Voyages and
adventures** etc. gegebenen Abbildungen des Külii-Kamba beziehe sich die eine auf
den schlecht gestopften Balg eines weiblichen Gorilla, die andere auf den ebenfalls
schlecht gestopften Balg eines Chimpanse. (Vergl. auch die oben citirte Arbeit im
Archiv für Anatomie u. s. w. S. 114 fi'.).
Gray's Troglodytes vellerosus sei bis jetzt noch von Niemand weiter, als von
seinem Urheber anerkannt worden. Der Troglodytes Aubryi von AI ix und Gratiolet
erweise sich als ein nicht mehr ganz junges, kräftiges Chimpanseweibchen. Der central-
afrikanische Bäm, Mangarfima oder Räna (Giglioli's Troglodytes Schweinfurthii) sei
von dem gewöhnlichen Chimpanse (Troglodytes niger J. Geoffr.) nicht zu trennen.
Vortragender, welcher bis jetzt nur letzterem und dem Gorilla (Tr. Gorilla Sav.)
die Artselbstständigkeit zugestehen will, muss hinsichtlich des weiteren, diese Fragen
betreffenden Details auf seine ausführlichen, im Archiv für Anatomie u. s. w. noch
forterscheinenden Abhandlungen verweisen.
Derselbe erwähnte nun des Todes der Mafuca und der in Dresden behufs Erlangung
ihres Cadavers gepflogenen, zum Theil sehr peinlichen Verhandlungen. Sogleich nach
Empfang der Nachricht von der Erkrankung des schönen Thieres habe sich Hr. Dr. Carl
Nissle nach Dresden begeben und in völlig selbstloser Weise sich alle erdenkliche Mühe
gegeben, das Cadaver für das anatomische Museum in Berlin zu erwerben, woselbst alle
nur möglichen Vorkehrungen zur photographischen Portraitirung, farbigen Abzeichnung,
plastischen Abformung und methodischen Zergliederung aller Körperorgane
Mafuca's getroffen waren. Allein trotz mehrfacher, von Mitgliedern der Verwaltung des
dresdener zoologischen Gartens gegebener feierlicher Zusicherungen, das Cadaver solle
für den ausbedungenen Preis nach Berlin, habe man dem nachträglich erfolgten
Mehrgebote des Dr. A. B. Meyer zu Dresden nachgegeben und das Thier dem dor-
tigen naturhistorischen Museum überlassen. Hr. A. B. Meyer und der Verwaltungs-
rath des zoologischen Gartens zu Dresden haben sich jedoch verpflichtet, sechs Wochen
nach eingetretenem Tode Mafuca's die sämmtlichen, das Thier betreffenden Reste auf
14 Tage leihweise nach Berlin zu schicken. Vortragender verlas die hierauf bezüg-
r284)
liehen Stellen des ihm abschriftlich zugesendeten Protokolles einer Sitzung des Dres-
dener Verwaltungsrathes vom 14. Dezember d. J.
Hr. Hartmann zeigte behufs Erläuterung seines Vortrages die photographische
Darstellung des Duvernoy'schen Tschego-Skeletes, ferner eine reichliche Collection
von neuen Gorilla- und Chimpansebildern in verschiedener Manier der Herstellung.
Derselbe hatte auch Schädel alter männlicher und weiblicher Gorillas aus dem Ogowe-
gebiete (Dr. 0. Lenz) und aus Mayombe (Dr. P. Güssfeldt) ausgestellt. Um jeden
Zweifel über die Natur dieser Specimina zu nehmen, wies Vortragender zur Aus-
übung einer Jedermann möglichen Controle die schönen Abbildungen Th. Bisch off 's
von Gorilla- und Chimpanseschädeln vor. Der Vortragende machte nun auf die
sehr in die Augen fallenden individuellen Verschiedenheiten zwischen jenen ungefähr
gleichaltrigen Schädeln aufmerksam, suchte dabei auch an Hand der Präparate jede
von gewisser Seite her versuchte Bemerkung, es könnten hier artliche oder klimatische
unterschiede obwalten, zurückzuweisen, —
Hr. Virchow bemerkte hierzu, dass ihm von Hrn. Emil Ulrici" in Dresden unter
dem 3. d. M. das nachstehende Schreiben zugegangen sei:
Wie ich aus den Zeitungen erfahre, ist auch in Berlin in wissenschaftlichen
Kreisen die Frage aufgetaucht, ob der im hiesigen zoologischen Garten befindliche
Anthropoide ein Chimpanse oder Gorilla sei; da ich das Thier seit seiner ersten
Ankunft hier fast täglich beobachtet habe, so erlaube ich mir, Ihnen umstehend das
von mir in dieser Angelegenheit gesammelte Material zur Disposition zu stellen und
bemerke zugleich, dass die umstehenden Maasse theils von mir selbst, theils vom
Direktor des hiesigen zoologischen Gartens genommen wurden.
Als das Thier hier ankam, glaubte ich einen alten Chimpanse vor mir zu haben:
Das Thier hatte nicht das kindlich Komische der jungen Chimpansen, sondern machte
den Eindruck eines älteren Geschöpfes, die Conturen des Gesichtes waren damals
bereits hart und eckig, der Gesichtsausdruck diabolisch, der Gesichtswinkel weit
kleiner wie bei jungen Thieren, die Augenwülste fehlten fast vollständig, ebenso die
Knochenleiste in der Mitte des Schädels, letzteres beides ist erst im Laufe der letzten
0 Monate energisch hervorgetreten, so dass augenblicklich Gesichts- und Schädel-
bildung vollständig die eines Gorilla sind, wogegen der Affe in jeder anderen Be-
ziehung: Farbe, Extremitäten, Fusssohle, Finger etc. ein reiner Chimpanse zu
sein scheiut. Ich erlaube mir nur noch die Bemerkung, dass ich in hiesigen wissen-
schaftlichen Vereinen stets die Ansicht vertheidigt habe und auch noch jetzt fest-
halte, dass unser hiesiger Anthropoide ein Bastard von Gorilla und Chimpanse sein
dürfte.
Maasse und sonstige Beschreibung des Pseudo-Gorilla im zoologischen Garten
zu Dresden :
Kopf. Hinterkopf stark behaart, eine Erhöhung läuft in der Mitte entlang bis zur
Stirn und ist dieselbe in der Nähe der Stirn stärker behaart, wie die zu
beiden Seiten liegenden Theilo des Vorderkopfes,
Gesicht fleischfarben, schwarz punktirt und gefleckt, eine Art Backenbart an den
Seiten ziemlich weit zurück, Stirn fast haarlos, Nase eingedrückt, Nasen-
löcher stehen in einem Winkel von 45° C^^^^). — Lippen lassen sich röhren-
artig vorstrecken, Länge der Oberlippe ca. 4)^ Centm. Unterlippe etwas vor-
stehend. — Ohren schmutzig fleischfarben, Ohrläppchen fehlen. — Augen
gelblich braun, proportionirt — über den Augen ca. 2 Ctm. hohe Knochen-
bogen (Augenwülste, die über der Nase verbunden sind und an den Seiten
bis zur Höhe des Auges herablaufen) — Augenbrauen kaum vorhanden.
(285)
Hals fleischfarben, wenig behaart, zwischen Kinn und Hals eine Art Bart.
Haar schwarz — dick am Rücken und Hinterkopf, ziemlich lang.
After fleischfarben, mit schwarzen Flecken und wenigen weisslichen dünnen Haaren.
Arme. Oberarm starker Muskel, die Hände lang — innere Fläche schwärzlich grau,
die Finger oben schwarz, in den Hautfalten fleischfarben; der Daumen
sehr kurz und dünn, kaum halb so dick wie die anderen Finger,
reicht nur bis zur Fingerwurzel, Zeigefinger kürzer wie die zunächststehenden
Finger.
Füsse proportionirt — Daumen dick und massig lang, Sohle schwärzlich grau, vor-
letzte Finger am längsten.
Ganze Höhe 1,20 — Vorderhandtellerlänge 0,125 — Mittelfinger der Vorderhand
0,095 — Vorderhandbreite 0,08 — Hinterhandtellerlänge 0,1 G5 — Mittelfinger der
Hinterhand 0,065 — Ohrhöhe 0,07 — Ohrbreite 0,045 — Vom Kinnbackenknochen
bis Scheitelhöhe höchste Projectionshöhe 0,143 — Oberarm, Achsel bis Ellenbogen
0,285 — Ellenbogen bis Handwurzel 0,150 — Oberschenkel 0,243 — Unterschenkel
0,265 (Alles innen gemessen). Ganza Armlänge aussen , Schulter bis Handwurzel
0,515 — Rückenbreite 0,315 — Oberarm-Ümfaug 0,272 — Unterarm-Umfang 0,24 —
von der Nasenspitze bis zum inneren Augenwinkel 0,05 — Hinterhand, Ferse bis
Daumspitze 0,19. —
Ausserdem machte Hr. Virchow darauf aufmerksam, dass sich unter den von Hrn.
Hartmann vorgelegten Gorillaschädeln ein weiblicher befinde, der so sehr von
den übrigen abweiche, dass, falls es wirklich ein Gorilla-Schädel sein sollte, die
Variabilität dieses Thieres eine ungemein grosse sein müsse. Er bemerkt darüber:
Wenn dies in der That zwei weibliche Gorillaschädel sind, so kann die Difl"erenz
gar nicht grösser ausfallen. Es sind namentlich zwei Punkte, worin diese Schädel in
der äussersteu Weise vorschieden sind, uähmlich in der Bildung der Schädelcapsel
als solcher und in der Bildung der Nase. In dem einen Falle sehen wir eine äusserste
Schmalheit des oberen Abschnittes der Nasenbeine, während in dem anderen die,
Nasenwurzel ganz breit ist. Diese Form ist ganz ungewöhnlich und von der Gorilla-
nase abweichend, indem diese sonst mit einer schmalen, aber langen Zacke bis in
das Stirnbein hinaufreicht und dadurch bestimmend wird für die Stellung und Bil-
dung der Orbitaltheile. Wenn das wirklich Schädel derselben Thierart sind, so würde
diese kolossale Verschiedenheit um so mehr überraschen, als die Schädel aus der-
selben Gegend Afrika's herstammen.
(14) Herr Bergrath a. D. v. Dücker aus Bückeburg legte einige
vorhistorische Alterthiimer vom Teufelsdaninie bei Fiirstensee am Plönesee iu
Tommeru
vor. Es waren Topfscherben der rohen Art, wie sie sich bei unseren Pfahlbauten
und auf den Aschenplätzen finden, sowie Knoclieureste, worunter einer mit Spuren
roher Bearbeitung, und schwarze bituminöse Holzstücke von Pfählen.
Redner erzählte, dass er die Topfscherben zum Theil schon vor 8 Jahren auf
dem sogenannten Teufelsdamme gefunden habe , welcher eine flache Landzunge iu
dem südöstlich Theile des Plönesee's bilde, desselben See"s, an dessen nordwest-
lichem Ende durch Hrn. v. Schöning, sowie durch Hrn. Professor Virchow Pfahl-
baureste bei Lüptow nachgewiesen seien. Der Teufelsdamm habe iu Folge der be-
kannten künstlichen Senkung des Seespiegels eine beträchtlich grössere Ausdehnung
angenommen, wie früher, und bei einem vorigjährigen Bcsudie habe Redner Ge-
legenheit gehabt, in Gesellschaft mit Hrn. v. Wedell-Fürsteusee eine grössere
(286)
Anzahl von Pfahlköpfen zu constatiren, welche in Folge des Austrocknens des Moor-
bodens zu Tage getreten waren. £s wurden im Ganzen einige zwanzig Pfähle be-
merkt, welche in länglicher Erstreckung von 20 — 30 Metern zum Vorschein kamen
nnd welche zum Theil in Abständen von l'/o — 2 Metern standen. An einer sehr
nahen Stelle, wo offenbar schon früher fester Boden gewesen war, fanden sich die
obigen Knochen- und Topfreste. Ein vorhistorischer Pfahlbau dürfte an der er-
wähnten Stelle als nachgewiesen zu erachten sein.
Hr. Virchow erinnert an seine Mittheilungen über die Pfahlbauten von Lüptow
(Sitzung vom 11. Dezbr. 1869. Zeitschr. für Ethnologie I. 403. 410), sowie an die
sonderbare Thatsache, dass an einen andern Stelle in Pommern, nehmlich am Lüptow-
See bei Cöslin, sich gleichfalls nicht uur ein Pfahlbau, sondern auch ein Teufelsdamm
im See und ein Burgwall am See (Sitzung vom 27. April 1872. S. 165) fände, —
eine Combination von Anlagen und von Bezeichnungen , die bei der relativ grossen
Entfernung beider Fundstellen gewiss zu denken gebe.
(15) Geschenke sind eingegangen:
1) J. Kopernicki: Czaski z Kurhanow Pokuckich. W Krakowie 1875. 4. Vom
Verfasser.
2) Evans: Adress delivered at the annivorsary nieeting of the Geological Society
of London. 1875. Vom Verfasser.
3) Aspelin: Suomalais-Ugrilaisen. Muina istutkinuon Alkeita Helsingissa 1875.
Vom Verfasser.
4) Verzeichniss der Lübeck'schen Kunstalterthümer. Von Hrn. Virchow.
5) Lucae: Zur Morphologie des Säugethierschädels. Frankfurt a/M. Von Hrn.
Virchow.
6) A. Müller: Ein Fund vorgeschichtlicher Steingeräthe bei Basel. 1875. Vom
Verfasser.
Cln'oiiolo^isc.lies Iiilialtsverzeicliuiss.
Vorhaiulluiigon der Berliner Gesollscliaft für Anthropologie, Ethnologie und Urgeschichte.
Sitzung vom IG. Januar 1875. Wahl des Ausschusses. Neue iMitgüeder S. 7. —
Russische Kinder mit Polysarcia praematura S. 7. — Schädel von üphry-
niuni. Calvert, Hirschfeld, S. 7. — Schädel von Formosa und Andalusien.
Schetelig S. 8. — Thongeräthe von Ciinco-Indianern. Philipp! S. 8. — Moa
Bone Point Cave auf Neu-Seeland. Haast S. 8. — Württembergische anthro-
pologische Gesellschaft S. 10. — Burgwall von Wollstein (Posen). Frh. von
Unruhe-Bomst S. 10. — ßurgwall von Barchlin (Posen). Virchow S. 10 —
Messungen mit dem Hutmacher -Couformateur. Woldt, Virchow S. 11. —
Künstliche Verunstaltung des Schädels auf Celebes. (Mit Holzschnitt).
Riedel S. 11. — Bullettino di paleoctnologia italiana S. 12. — Toifschwein
aus Wohlau. Bayer S. 12. — Natürliche und bearbeitete Steine aus der
Mark Brandenburg und S. Thomas; Urnen aus Anhalt. 0. Westphal S. 12. —
Lappen. Bohle und Willardt S. 12. — Funde bei Pawlowice und Zniu. Schwartz
S. 12. — Alterthümer aus der Gegend von Joachimsthal in der Prov.- Branden-
burg. (.Mit 2 Holzschnitten). Schwartz S. 12. — Urnen der Ruppiner Samm-
lung. Schwartz S. 18. — Hottentotten. Merensici S. 18. Virchow, Bastian,
Schweinfurth S. 2;3. Hartmann, v. Quast, Hildebrandt S. 24. — Abschied der
Herren Schweinfurth und Hildebratrdt S. 24. — Geschenke S. 24.
Sitzung vom 20. Februar 1875. Correspondirende und ordentliche Mitglieder S. 25.—
Knochenhöhle im Libanon. Weber S. 24. — Geschnitzte Renthiorknochen aus der
Freudenthal-Höhle. Karsten S. 24. — Schwedische Alterthümer. Ulfsparre S. 24.
— Bronzen von Zuchen in Pommern. (Hierzu Taf. IH). v. Gaudecker, Virchow
S. 24. — Hutmacher-Conformateur nach Afrika S. 2C. — Altgriechische Schädel
V. Heldreich, Hirschfeld S. 26. — Aino-Skelet. Klefeker, Siebert S. 27. — Begräb-
nissplatz in Dobryszyce. Schwartz, Pawinsky S. 2S. - Land und Volk der Lappen.
Schott S. 28.— Physische Eigenschaften der Lappen. (Hierzu Taf. IV.) Virchow S. 3 L
Sitzung vom 20. März 1875. Neue Mitglieder. — Erhebungen wegen der Farbe
der Haare u. s. w. S. 40. — Photographien vom Amur. Lanin S. 40. —
Prähistorische Forschungen in Brasilien. Hart S. 41. — Thüringische und
schlesische Funde. Klopfleisch S 41. — Japanische Mittheilungen S. 42. —
Idol von Venezuela. Wagner S. 42. — Köpfe von Mulatten und Negern aus
Babia. Hartmann S. 42. — Vorlagen aus dem Märkischen Proviuzial-Museum.
(288)
(Hierzu Taf. V.) Friedel S. 44; Virchow S. 47. — Geschnitzte Aoacardium-
Nüsse. Oldenberg S. 47. — Beziehungen zwischen Negritos und Papuas.
A. B. Meyer S. 47. — Nephrit Fischer S. 48; Virchow, Hosius S. 50. —
Bayrische Hochäcker (ßifange). F. S. Hartmann S. 50. — Keltenschädel von
Ballinskellygsbay in Irland. Fröhlich, Virchow S. 52. — Schädel von Seli-
nunt. Künne, Virchow S. 53. — Vertheidigung von Schliemann S. 54. —
Prähistorische Karte Posens. Schwartz S. 56. — Geschenke. S. 56.
Sitzung vom 17. April 1875. Neue Mitglieder S. 57. — Fundstücke aus einem
Felsgrabe der Oase Dachel. Rohlfs, Virchow, Ascherson S. 57. — Ureinwohner
der La Plata Staaten. Burmeister S. 58. — Verzierte Urne von Persanzig.
(Hierzu Taf. VI. Fig. 1 — 3.) Kasiski S. 00. — Thongefäss von der Insel
Gottlaud. (Hierzu Taf. VI. Fig. 4.) Nilsson S. 61. — Gesichtsurne von
Möen. (Hierzu Taf. VI. Fig. 5.) IVIestorf 8. 63. — Steingrab von Obornik.
Witt S. 63. — Anthropologische Studien in Verbindung mit der deutschen
Venus-Expedition nach Ispahan. Fritsch S. 64. — Türkenschädel. Weissbach
S. 67. — Andamanenschädel. Virchow S. 67. — Mineralogische Untersuchung
von Steiuwaffeu, Stein-Idolen u. s. w. Fischer S. 71; Virchow S. 75. —
Gruppiruug der Völker und deren wahrscheinliche Ursachen, mit besonderer
Berücksichtigung der Bewohner des europäischen Russland. Hesse S. 76. —
Muschellager am Burtneek-See (Livland). .Graf Sievers S. 85. — Vor-
historische Funde bei Seelow (Kreis Lebus). (Hierzu Taf. VII.) Kuchenbuch
S. 85; Virchow S. 88. — Neue Erwerbungen des ethnologischen Museums.
Bastian S. 88, — Moderne geschlagene Feuersteine. Meneguzzo, Beyrich S. 89. —
Geschenke S. 89.
Sitzung vom 14. Mai 1875. Geschäftliches S. 90. — Anthropologische Erhebungen
in den Schulen. S. 90. — Ungewöhnliche Haarbildung in der Sacralgegend
eines Griechen. Ornstein S. 91. — Besuch auf den Andamanen. Jagor S. 92. —
Römische Funde in Oldenburg, v. Alten S. 92. — Ueberlebsel aus früheren
Culturperioden, Bronzefund bei Rabenstein in Franken und Bemerkungen
über das Gräberfeld bei Braunshain. Voss S. 93, Kuhn, Virchow S. 95. —
Besuch deutscher Alterthümersammlungen, neue Ausgrabungen bei Priment,
Zaborowo und Wollstein (Prov. Posen). (Hierzu Taf. VIII.) Virchow S. 95. —
Prähistorische Funde bei Seelow (Prov. Brandenburg). Virchow S. 112. —
Brasilianische Schädel. Schreiben des Kaisers von Brasilien. S, 116. —
Geschenke. S. 117.
Sitzung vom 19. Juni 1875. Ehren- und correspondirende Mitglieder. Delegirte
zum märkischen Proviuziahnuseuni. S. 1 18. — Geschenke. — Anthropologische
Erhebungen in Galizien. Kopernicki S. 118. — Ethnologische Gegenstände
aus Costa Rica. v. Frantzius S. 119. — Stein liammer und Käsestein aus
Graburnen. Virchow S. 119. — Zusendungen des Cultusministers S. 120. —
Cliamaecephale Schädel am Domberge zu Bremen. Gildemeister S. 120. —
Peruanische Schädel von Ancon. Lührsen S. 121. — Prähistorisclie Fundorte
in der Provinz Posen. Schwartz S. 121. — Urnenfeld bei Samter. Reder
S. 123. — Steingrab bei Bölkendorf (Angermünde). Reuter S. 123. —
IIutniacher-Formen. Heim S. 124. — Urnen von Nieniegk (Brandenburg).
Marthe S. 124. — Vorhistorische Gegenstände aus Stargard in Pommern.
(Hierzu Taf. IX.) Mampe, Mühlenbeck, Virchow S. 125. — Ilyänenhöhle im
(289)
Lindenthal bei Gera. Liebe S. 127. — ßurgwall von Zahsow (Lausitz).
Virchow S. 127. — Wendische Bevölkerung. Virchow S. IM. — Alterthums-
funde aus der Gegend von Cottbus. Voss S. 133. — Kirchenrnarken. Woldt
S. 135. Rosenberg S. 136. — Schädel der heiligen Gordula. Virchow S. 13G —
Reliquieukasten der heiligen Gordula. Voss S. 140. — Mammuthfuud. Liebe
S. 142. — Geschenke. S. 142.
Ausserordentliche Sitzung vom 28. Juni 1875. Neue Mitglieder. Geschäftliches.
S. 143. — Sendung des Herrn Hildebrandt aus Africa. S. 143. — Braun-
schweiger ethnologisches Museum. Noack S. 143, (Hierzu Tat'. X.) — Knochen-
reste aus der Höhle von Ferrajeh und Bärenreste aus vorgeschichtlicher Zeit.
Hartmann S. 149. — Ausgrabungen von Samthawro und Kertsch. Fritsch S. 149,
Vircliow S. 154. — Pflanzensamen aus dem Burgwall von Priment. Ascherson
S. 154. — Funde von Zaborowo, namentlich ein Pferdegebiss von Bronze
und Pferdezeichnuügen an einer Urne. (Hierzu Taf. XL) Virchow S. 154. —
Brasilianische Indianerschädel (Hierzu Holzschnitte und Tafel XII). Virchow
S. 159. — Geschenke S. 181.
Sitzung vom 17- Juli 1875, Geschäftliches S. 182, — Prähistorische Ruinenstädte
im Thale des Mancos River, Territ. Colorado. Hayden S. 182. — Flossen-
strahl eines Wels im Diluvium bei Embden. Prestel, Virchow S. 182. —
Märkische Alterthümer (Mit Holzschnitt). Friedel S, 183. Hartmann, Virchow
S. 185. — Bronzestatuette aus Ostasien. Liebreich S. 185. — Nicobareseu
(Hierzu Taf. XV. Fig, 3 — 5). H. Vogel S. 185. — Bären der quaternären
und der Jetztzeit. Hartmann S. 195, — Schwauzquaste der Atherura africana
bei den Monbuttu. Hartmann S. 196. — Gerippter Bronzeeimer von fraore.
Virchow S. 197. — Bronze-Analysen. E. Salkowski S. 197. Virchow S. 199. —
Neues Mitglied. Geschenke S. 200.
Sitzung vom 16. October 1875, Tod des Dr, Bleek S, 201, — Neues Mitglied. —
Generalversammlung der deutschen anthropologischen Gesellschaft in München,
Virchow S. 201. — Bayrische Photographien. F. S. Hartmann S. 204. — Hoch-
äcker oder Bifange. Meitzen S. 204. Virchow S. 206. — Diluviale Thiere von
Westeregeln bei Oschersleben. Nehring S. 206. — Funde beim Bau der
Kreischaussee Laucha-Nebra. Werner S. 208. — Alter Wohnplatz und Fels-
zeichnungen aus dem Somal-Laude (Mit Holzschnitt). J, M. Hiidebrandt S.
209. — Japanesische Photographien. Toselowski S. 210, — Ruinen des alten
Raghae bei Teheran und Guebern-Kirchhof daselbst, Fritsch S. 210. —
Burgwall bei Zahsow. R. Andree, Virchow S. 213. — Peruanerschädel von
Ancon. Bastian S. 213. — Sendungen von den Andamanen, Rangun und
Amritsar. Jagor S. 213. — Normannisches Schiifsgrab bei Ronneburg und
Ausgrabung des Rinne-Hügels am Burtneek-See und des Opferhügels von
Strante, Livland. Graf Sievers S .214 (Mit Holzschnitt und Taf. XIII— XIV.) —
Lappen. Hagenbeck, Virchow S. 225. — Verbreitung der Finnen in älterer Zeit
und russische Lappen Europaeus S. 228. Virchow S. 229. — Anthropoiden-
Affe Mafuca im zoologischen Garten zu Dresden. Hartmann S. 230. —
Erwerbungen und Geschenke S. 230.
Sitzung vom 20. November 1876. Neue Mitglieder S. 231. — Schreiben der Frau
Bleek S, 231. — Römische Alterthümer und thönerne Spielsachen aus Olden-
Verhandl. der Berl. Antbropol. Ucsellschaft 1875. 19
(290)
bürg. V. Alten S. 231. Virchow S. 232. — Bronzehalsschmuck von Lehmden
(Tafel XVI. Fig. 1). v. Alten S. 232. — Vermeiutlich bearbeitete Feuersteiue
aus dem Diluvium von Meklenburg und wirklich bearbeitete vom Brunnen-
see bei Güstrow. Marcus S. 232. Virchow S. 2^3. — Diluviale Feuersteiue
von Biere bei Schönebeck an der Elbe. Rabe, Virchow S. 233. — Schädel-
stück vom Bos primigenius von Bamberg (Mit Holzschnitt). Sippel S. 234. —
Rannenholz und fossile Knochen im Regnitz- und Main-Grunde bei Bamberg.
V. Theodor! S. 234. — Hügelgrab am Collisberg bei Gera. Liebe S. 235. —
Topfscherben aus einem Grüberfelde bei Berlin. Rühe S. 238. — Altfinnische
(ugrische) Verhältnisse. Europaeus S. 238. — Altfinnische Kurganen-Funde.
Hjelt, Ivanowski S. 239. — Os lucae an Peruanerschädelu. v. Tschudi S. 242 —
Märkische Thongefässe (Mit Holzschnitten). Friedel S. 242. — Topfscherben
und Feuersteinsplitter vom Sandwerder und vom Kälberwerder in der Havel
(Mit Holzschnitt). Hans Virchow S. 245. — Kaukasische Makrocephalen-
Schädel. v. Seydiitz S 245. — Stahlgraue Arsenik-Bronze. Liebreich S. 246 —
Analyse märkischer und posener Bronzen. Carl Virchow S. 247. — Toxische
Wirkungen der N'Kassa- Rinde. Liebreich S. 248. — Anthropoider Affe
Mafuka. Hartmann S. 250. — Nachträge zur prähistorischen Karte von
Posen. Schwartz S. 256. — Chronologisch gut bestimmter Gräberfund bei
Ruszcza, Polen (Hierzu Taf. XVI Fig. 2—6). Leiewel, Schwartz S. 258 —
Tiwukars oder steinerne Gräber auf Nord-Celebes (Mit Holzschnitt). Riedel
S. 258. — Indische Stein- und Thon-Alterthümer. Jagor S. 259. — Maass-
tabellen und Photographien von Andaraanesen (Hierzu Taf. XV Fig. 1—2).
Jagor S. 259. — Photographie des Gibbon. Hermes S. 261.
Sitzung vom 18. December 1875. Verwaltungsbericht für das Jahr 1875. Virchow
S. 268. Voss, Kuhn, Virchow S. 272. Voss S. 275. — Neuwahlen und neue
Mitglieder S. 276. — Troja. Frank Calvert S. 276. — Mystisches Manuskript.
Knoth S. 276. — Vorgeschichtliche Steingeräthc bei Basel. A. Müller, Virchow
g, 276. — Gutachten eines Töpfermeisters in Betreff der posenschen Urnen.
W. Schwartz S. 277. — Posensche Alterthümer und birmanische Münzen.
Koch S. 278. — Sacrale Trichose (Hierzu Tafel XVII). Ornstein, Virchow
S. 279. — Reise des Lieutenant Cameron. v. Richthofen S. 281. - Märkische
Funde. (Mit Holzschnitt.) Friedel S. 281. — Märkisches Museum. Friedel
S. 282. — Peruanische Vase von Truxillo. Voss S. 282. — Aeffin Mafuka.
Hartmann S. 283. Ulrici S. 284. Virchow S. 285. — Alterthümer vom Teufels-
damme bei Fürsteusee am Plöue-See in Pommern, v. Dücker ö. 285. Virchow
S. 286. — Geschenke S. 286.
Chronologisches Inhaltsverzeichniss S. 287.
Alphabetisches Sachregister S. 291.
Niimeii- und Sachregister.
Abantu. S. Biiutii.
Abbadi. U.
Abbildungen. S. a. Photograpliieu u. Zeich-
nungen. A von einem Götzenbild aus
Venezuela 42. Von Afrikanern 44.
Von Andamauesen 92. Von dem
Bronzeeimer von Pansdorf 107. Von
Schädeln 118. Aus dem Museum zu
ßraunschweig 148 u. ff. Von einem
kaukasischen Makrocephaleiischädel
245 u. ff". In der Zeitschrift f. Ethno-
logie 2G9 u. ff.
Abfallsmassen. S. a Küc'aeuabfälle, Küchen-
reste und Kjökkeumöddings. 8.
Aboriginer, Europa's, 3(i. 38.
Abyssinien, Abyssinier. 24, 269,
Acacia nilotica. 58.
Ackerbau. 20. 50 u. ff. 59. A. der Nico-
baresen. 8. Nicobaren, ßifauge 204
u.ff. 222.
Adda, Flüsschen bei Niemegk 124,
Aegypten, Aegypter. 1 9 u. ff". 24. 42. 49. 58.
99. 11 G. 155. 2b9.
Affe. Hylobates 47. 2b 1. Pfeil aus der
Tibia eines A. geschnitzt 14G. Mafuka
und andre anthropoide A. 230. 250
u. ff". 259. 283 u. ff". Authropoide A.
283 u. ff.
Afrika, Afrikaner. 7. 18. 19 u. ff". 43. Ab-
bddungen 44. 49. 99. 188. 211.
Ahlen. S. Nadeln.
Ahlimbswalde, Prov. Braudouburg 15.
Ahornzucker. 125.
Aimara. 121.
Aino Skelrt 27 u. ff. 42.
Akademie der Wissenschaften in 6t. Peters-
burg. 28.
AlbertinenHof, Pmv. Brandcnbug. Ib.
Albertus Magrus. 138.
Alifuru. 258 u. ff".
Alpenmurmelthier (Aretomys marmotta). 127.
Alterthumsfunde. Verzeichniss von A. in
iu Posen 5G. 25G u. ff. A. aus der
Gegend von Cottbus 133. A. in Indien
259. In Pommern 285 u. ff.
Altmark. 18.
Amazonenstein. 49.
Amazonenstrom. 49.
Amazulu. S. a. Zulu 43.
Amerika, Amerikaner. 49. 71. 143 u. ff.
Ammerland, Oldenburg. 231.
Amphibola avellana. 8.
Amritsar. 213.
Amulet. S. a. Cnltgegenstände. 49. 58. 258.
Amurgebiet. Photographien von dort 40.
Anacardium Orientale. 47.
Analysen. S. Jironzeanalyseu.
Ancon, Peru. 121. 213.
Andalusien. Schädel und Thongefässe von
dort. 8. 270.
Andamaneo. S. a. Mincopies. 67 u. ff. 92.
193. 195. 213. 259 u.ff.
Angel. 143.
Angelhaken von Bronze. 110.
Angermünde. 123 u. ff. 182 u. ff.
Angola. 43.
Anhalt. 42.
Aniwa. 27 u. ff.
Ansa lunata. S. Mondhenkel
Ansiedelungen, prähistorische. S. a. Wohu-
pliitze. 97 u. ff". 103. 113. 115.
Anthropoiden. S. Affen.
Anthropologische Gesellschaft. S. a. Gesell-
schaft, Württembergische A. G. 10.
Anthropologische Gesellschaft, Deutsche.
Generalvorsammlung zu Stuttgart 11.
Generalversammlung zu Dresden 34.
90. Generalversammlung zu München
143. 182 201 u. ff. 272 u.ff". 276 u. ff.
Anthropologisches Museum. 90. 274 u. ff.
Anthropophagie. S. a. Cannibalismus. 150,
19*
(292)
Antillen. 73.
Antimon. 246 u. ff.
Apatit. 50.
Apfelsee. 123.
Araiocaspische Einsenkung. 77.
Araukaner. 59.
Arier. 32. 38 u. ff. 41. 07.
Armband. S. Armring, Ringe.
Armillae. 184.
Armring. S. a. Ring. A. von Bronze 94.
A. emaillirt 224.
Armspange. R. Armring, Ring.
Arsaciden. 210.
Arser. 246.
Aschenkrüge. S. Urnen.
Asciepiadeen. 58. 248.
Asien. 45. 77 u. ff.
Asowsciies Meer. 77 u. ff.
Assyrier. 155.
Astarte. 61.
Asterabad. 06.
Astrachan. 64.
Astrolabebay. 47.
Atacama, Wüste von A. 242.
Atavismus. 91. 280 u. ff.
Atchin. 47.
Aucas, Indianer. 59.
Auerochs. 115. S, a. Ur, Rind.
Augenfarbe. Der Lappen 32. Erhebungen
über die A. in Deutschland 40. 90.
182. 202 u. ff 273. Erhebungen über
dieselbe in Galizien 119.
Augsburg. 46.
Ausgrabungen. 12 u. ff. 16 u. ff". 17 u. ff. 41.
42. 61. 94. 95 u. ff. 98. 109. 120. 122.
149 uff. 213. 214 u. ff. 235. 269. 277.
Aussatz. 92.
Australien, Australier. 70. 146 u. ff.
Avaren. Schädel 152.
Axvalla-Heide.. 75.
Axt. S. a. Beil, Waffen. Von Eisen 106.
A. der Nicobaresen 189. ^
B.
Baalsoultus. 62.
Babilonia. 160.
Babow bei ("ottbus. 135.
Bademeusel, Gross, bei Forst i/L. 133.
Baer. Knochen 25. 219. B. in der Sage
30. 149. B, der quaternären und
Jetztzeit 195.
Baerenskirchhof. 12.
Baerwaide, Pommern. 25.
Baffinsbay. 143.
Bagara. 44.
Bagh-i-zerescht. 65.
Bahamainseln. 146.
Bahia. 42.
Baku. 64. Qß.
Balanites aegypt. 58.
Ballinskellygsbay. 52.
Baltisch-uralischer Höhenzug. 78.
Balumbo. 88.
Bamberg. 234 u. ff.
Banks-Halbinsel, Neuseeland. 8.
Bantetje. 43.
Bantik. 11.
Bantu. 24. 43.
Bapedi. S. Basuto.
Barchlin, Prov. Posen. Burgwall daselbst
10 u. ff 99 u. ff'.
Barsch. 105.
Barta. S. Berta.
Basel. 137.
Basilia. 62.
Basken, Baskisch. 38. 55.
Basuto. 20 u. ff
Batklapi. 21.
Baumwolle. 58.
Bayaka. 88.
Bayern, Bayerisch. 50 u. ff. 201 u. ff. J73.
Becher, von Thon. 12.
Befestigungen. S. a. Burgwall, Brandwall,
Wall. B. der Guarani's 60. 98. B.
von Werle 98. Bei Reitwein 112.
Bei Rostarzewo, (Wollstein) 122. Bei
Stargardt i/Pomm. 125 u. ff.
Begräbnissplätze. S. a. Gräber u. Gräber-
leider, ß. der Guebern 210.
Behaarung. Der Hottentotten 22. Der Lap-
pen 31 u. ff.
Beil. S. a. Axt, Steingeräthe, Waffen, B.
aus nephritähnlichem Gestein 48 u. fi'.
Belang 11.
Belgien. 51. 233.
Belitz. 198 u. ff
Bemalung d(!r Haut. S. Hautbemalung.
Bemalung von Gefässen. 8. 41. 111. 146.
158 u. ff:
(293)
Bentenan. 11.
Beresenik. 79.
Berge bei Forst i/L. 133 n. ff,
Berlin. Königl. Museum daselbst, S. Mu-
seum. Mark. Prov. Mus. das., S.
Museum. Anatom. Museum das., S.
Museum. Funde das. 44, 45. 136.
Bernstein. 62. 112. 123. 197. 218 u. ff.
Berta. 44.
Beschneidung, Beschnittene. 19.
Betel, 1<S7.
Betschuanen. 20 u. ff".
Beuchow, Gross, Brandenburg. 12.^.
Biber. 146. 219. 238.
Bibliothelc der Berl. Authrop. Ges. 271 u. ff.
Bieler See. 154.
Bienenwalde bei Ruppin. 12, 17.
Biere bei Schoenebeck. 233 u. ff,
Bifang. 52. 204 u. ff
Bindfadenornament. S. Ornament,
Björkö, Schweden. 99.
Birma, Birmesen. 186 u. ff". 214.
Bischari. 44,
Bison. 115.
Bitumen. 57.
Bleek, Dr. 231.
Blei, 198 u. ff 278.
Blossin b. Königs- Wusterhausen. 247 u. ff.
Bobersberg, Schlesien. 93.
Böhmen. 52. 95 u. ff.
Bölkendorf, Brandenburg. 123 n. ff.
Boers, Bauern. 23.
Bogen. 88. 146.
Bogota. 146,
Bologna. 154.
Bongo. 24.
Boot. 146.
Boroa = Hottentottengegend. 21.
Bos primigenius. S. a. Auerochsen, Ur. 234.
Botocudos. 159 u. ff.
Bottnischer Meerbusen. 228 u. ff.
Brachycephalie. S. Schädel u. Schädelform.
Brandenburg, .Mark. 12. 93. 105. 273.
Brandenburg a/H. 198 u. ff.
Brandwall. Von Stradow, Polen. 96. Im
Dckersee 96.
Branitz bei Cottbus. 276.
Brasilien. 41. 42. 44. 49. 116 u. ff. 146. 271.
Braunshain. 41. 93 u. ff. 238.
Braunschweig. 96 u. ff. 108. 135. 273.
Bremen. 120. 273.
Britannien. 137. 141.
Brodowin, Brandenburg, 16.
Bromberg. 122.
Bronze. Fibula 17. 42. 147 u. ff 197. B.-
Fund von Bienenwalde 17. Von Zu-
chen in Pommern 25. Von Rabenstein
93. Aus dem Scharkathal 97. Aus
Livland 215. 224 u. ff. Aus Russischen
Gräbern 239. Aus Posen 256. B.-
Geräthe 26. Von Löbstedt 42. 45. 62,
In Urnen gel". 87. Von Zaborowo 109
u. ff. Des Märkischen Prov. Mus. 281.
Gelte 44. HO. 125. 157. B.-Gefässe
45. 47. 102. 106. 107 u. ff. Bronzeeimer
von Pansdorf 107. Bronzeeimer von
Strakonitz 108. Bronzegefäss 108. 109.
197. B.-Nadelu60. 106. 107. B. -Lampen
61. B. -Figuren 87. 92. Löwenkopf 92.
Greifenkopf 32. Eberfigur 97. 100,
Vogelfiguren 108. Figur eines Lind-
wurmes (Eidechse) 114 u. ff. 145. 8ta-
tuette 185. B.-Meissel 44. B.-Perlen
87. 114. B.-Ring 87. 92. 106. 110.
114, 124, VonZahsow 128, 134, Aus
der Gegend von Cottbus 184 u. ff. 197.
225. Halsringe 232. B.-Klumpen 87,
B.-Postament 92. 231. B.-Mimze 92,
B.-Schildbuckel 92. Buckel 106 u. ff B.-
Spiralplatten 106 u. ff. B. -Lanzenspitze
106 u. ff. B. -Ohrringe 107. B.-\Vagen
108. B.-AngelllO. B.-Pferdegebiss 111.
113 u. ff. 154 u. fl. B.-Paalstaf 134.
B.-Axt 146. B.-Schwert 147. 154. B.-
Spirale 147. ß.-Fluss 157. Stahlgraue
B. 246 u. ff B.-Grapen 243. ß.-Draht-
gehänge 278. Gussform f. B. 282.
Bronzeanalysen. 197 u. ff 246 u. ff. 247 u, ff,
Bronzezeit. 45. 61 u. ff. 106 u. ff'. 114 u. ff.
Brüssel. Internationaler Cougress das. 233.
Brunhilde. 30.
Brunn am Steinfelde. 98.
Brunnensee. 232.
Buckel von Bronze. 106.
Budweis. 106.
Büffel. 146.
Buenos Ayres. 59. 146.
Bug. M>.
Bugi. 11.
Bulletino di paleoetnologia italiaua. 12.
(294)
Bumerang. 147.
Burg im Spreewalde. 185.
Burgwall. Bei Wollstein, Posen 10. 100
u. ff. 126 u. ff 278 u. ff ß. von Barch-
lin, Posen 10. 99. B. bei Schollehne,
Brandenburg 17. B. von Zahsow b.
Kottbus 91. 127 u. ff. 129. 213. 269.
ßrandwälle 96. Burgwall von Werle
98: B. von Karne 100 u. ff. 278. B.
bei Garz a. Rügen 136. B. von Priment
154, ß. von Kohlhasenbrlick 243. B.
am Lüptow-See 286.
Burtneeksee, Livland. 85. 214 u. ff.
Buschleute. 18 u. ff. 33. 231.
Buschmänner. S. Buschleute.
Byzanz. 217.
C,
Cablnda. S. a. Kabiuda 43.
Cahirceveen. 52.
Calama. 242.
Calathus. 12.
Calebassen. 146.
Callfornlen. 146.
Calotropls procera. 58.
Camerun. 88.
Gammln in Pommern. 136 u. ff.
Camorta. 185 u. ff. 193 u. ff".
Canada. 183.
Canalo falso. 191.
Canniballsmus. 9. 22.
Canoe. 9. 194.
Canterbury-Ebene. 9.
Cap der guten Hoffnung. 19.
Carlos. 59.
Car Nicobar. 187.
Cassarlnde. S. a. N'Kassarinde 88. 248 u. ff.
Cassiteriden. 62.
Castratlon, 19. Anmerkung.
Caygoua. 159 u. ff'.
Caygowas. S. Caygoua.
Celebes. 8. Selebes.
Cell Von Bronze 44. 97. 110. 125. H.a.
Bronze.
Gelten. S. a. Kelten. Schädel 52. 271.
272 u. ff
Gerekwice. 277.
Gervetri. 46.
Geylon. 71.
Ghaicedon. 145.
Ghalchihuiti. 49.
Ghamaecephalie. 120.
Ghan. 239.
Ghanna. 40.
Chartographie, praehistorische. Von Deutsch-
land 56. Von Posen 121 u. ff. 256
u. ff. 273. Von Bayern 202. Von
Pommern u, Brandenburg 273. Le-
gende internationale 273.
Ghargeh. 58.
Charzan. 64.
Ghlbchas. 144 u. ff.
Ghile. 57. 146. 271.
Ghlmpanse. S. Affe.
Ghina, Ghinesen, Ghinesisch. Photographien
40. Nephritsachen 48. China 49.
193. 239.
Ghintetje. S. a. Schintetje 43.
Ghlone Stuchburgi. 9.
Ghlrique. 144 u. ff".
Ghlorit. 75.
Ghloromelanit. 48 u. ff. 72 u. ff.
Ghorin. 16.
Ghorotegen. 119.
Ghrobrz, Polen. 96,
Geslin, Pommern. 286.
Gollisberg. 235.
Colonat. 137.
Colorado. 182.
Golumbien. Alterthümer 88.
Comoren. 143. 269.
Conformateur. 11. 26. 39. 210.
Congo. S. a. Kongo. 43.
Gongress. Internationaler für praehistorische
Archäologie. Zu Stockholm, S. Stock-
holm. Zu Pesth, S. Pesth. Zu Brüs-
sel, S. Brüssel. Zu Bologna, S. Bo-
logna.
Gonstantinopel. 66 u. ff.
Cook. 88.
Gordilleren. 146.
Gordula. 136 u. ff.
Goroados. 165. Anmerk.
Coropös. 160 u, ff.
Costarica. 119. 271,
Cottbus. 91. 127. 131. 184 u. ff 269.
Covallin. 247.
Grossen. 44.
Gultusgegenstände, S. a. Götzenbilder. 49u.ff.
Cultusministerium, l'reussisches. 40. 90. 274.
(295)
Cunco-Indianer. 8.
Cuzko. 144.
Cyste. Von lironze. S. a. Ijronze. 47.
* 102 u. £f. 107 u. ff.
Czermna, Russland. 99.
Czeszewo, Posen. 99.
Czettritz, Gross-, Neumark. 93. 105.
D.
Daher, in Pommorn. 97. lOD. 130. 198 u. ff.
Dachauer. 204.
Dachel, Oase. 57 u. ff. 9:'.. 271.
Dänemark, Dänen, Dänisch. 42. 51.
Dahme. 4().
Dardanellen. 7 u. ff.
Darfur. 44.
Darzau. 104.
Dattelpalme. 57 u. ff
Decentius. 92.
Deformirung, künstlicho, S. ;i. Verstümme-
lung. D. des Kopfes S. Schädeldefor-
mirung. D. der Labia minora 22.
Dekastri. 40.
Denka, Denqua. 44. 185.
Derwische, tanzende. 67.
Desterro. 167 u. ff.
Deutsche. »S. a. Germanen. Gräber 17. 217.
Deutschland. Funde 50. 51. Prähistorische
Chartographie S. Chartographie. D. 81.
Deutsch-Poppen, Prov. Posen. Burgwall das.
10 u. ff.
Devin-See. Urnen von dort 13.
Djaali. 44.
Diabas. 75 n. ff'. 23G.
Dichtkunst. 30.
Dichroit. 71.
Diluvium. 232. S. a. Knochen- u. Stein-
gerätho.
Dinkaneger. 23.
Diorit. 97. 146.
Dipterocarpus laevis 92. Griffithii 92.
Dirt, Dirtbed. 8 u. ff
Djulfa. 65.
Dnjepr. 80.
Dnjestr. 80.
Dobieczewko, Posen. 133,
Doicafluss. 100 u. ff.
Dolichocephalie. S. Schädelform, Schädel.
Dolmen. 149.
Donauländer. 81.
Dondon. 76.
Dongolani. 44.
Dore. 47 u. ff.
Dorpat. 85.
Dravidier. 269
Dresden. 34.
Düna. 79 u. ff.
Durrha. 21 u. ff
217.
E.
Eber. Von Bronze 97.
Echinus. S. Seeigel.
Edelhausen b. Weimar 42.
Ehsten, Esten, Esthen. Sagen 30. Schädel
34. 36 u. ff'. 38. 216 u. ff. 225. 228 u. ff
Eiche. 104.
Eidechse. Von üronze 87.
Eimer. S. Cysten.
Eisen. Ringe 28. Nadel 28. Gerüthe 42.
156. Lanzenspitze 45. 92. 116. Scheere
45. Pfeilspitze 97. 98. 185. 213. Mes-
ser, Nägel u. Schnallen 100. 102 u. ff.
106. Halbmondförmiges Messer 108.
Messer 116. 125. Nägel u. Messer
197. Axt 106. Funde von Zaborowo
109. Waffen 111. Glockenklöppeln
111. Dolch, tauschirt 130. Eisen u.
Bronze 198 u. ff. 231. 246 u. ff Funde
in Posen 257.
Eisenzeit, Eisenperiode, Eisenalter. 45. 46.
Elbe. 101. 233.
Eibland. 46.
Ei-Carmen. 59.
Elch. 100. 126. 127.
Elephantiasis. 187.
Elenthier. 30. 100.
Elsass. 51.
Else. 104.
Elster, Schwarze, Fluss. 133.
Email. 98. 224. 256 u. ff.
Emden. 182.
England. 51.
Enontekis. 225.
Ente, Anas moschata. 60.
Erbsen. 104.
Ernährungszustand. Der Lappen 33 u. ff.
l.)or ßuschleute 33.
Erxieben, Reg.-Bez. Magdeburg. 148.
Eskimo. 143.
(296)
Ethnologisches Museum, König!, zu Berliu.
90. S. a. Museum.
Etrurien. 197.
Etrusker, Etruskisch. 4G. 153. 157.
Europa. 48 u. ff. 149.
Eutin. 107 u. ff.
Exin, Posen. 133.
Eygenbilsen, 109.
F.
Faraiyah, Syrien. 25.
Federkopfschmuck. 119.
Feldspath. 49.
Fell. Als Kleidung 19. Pantherfell 22,
Löweufell 22. Renthierfell 28. 222.
Felsenzeichnungen. 61. 209 u. ff.
Ferchau b. Salzwedel. 148.
Ferrajeh. Knochenhöhle das, 149.
Fetisch. 88.
Fetischpriester. 249.
Feuererzeugung. 192.
Feuerhölzer. 9. S. a. Nicobaren u. Feuer-
erzeugung.
Feuerstein. Knollen 8. Beile u. Aexte 44.
4G. 71. Messer 10. 100 u. ff Pfeil-
spitzen 145. 223. 245. Bearbeiteter
Feuerstein 146. 207 u. ff 218 u. ff
232 u. ff". 245. In Posen gefunden
256 u. ff
Feuerwaffen. 21.
Fibula. S. a. Bronze, Eisen u, Schmuck.
F. von Bronze 17. 26. 42. 109. Unga-
rische F. 109 u. ff. 114. Aus Jütland
141. Von Ferchau 148. Von Fraore
197. Aus Livland 215. 224.
Fidji-, Fidschi-Inseln. 27. 147.
Figur, Figuren. S. a. Gestalt, Thonfiguren,
Götzenbilder, Bronze- u. Thierfiguren.
146. 158.
Filigran. 146.
Fingerring. S. a. Ring. F. von Bronze 26. 94.
Finnen, Finnisch. 29 u. ff 77 u. ff 227 u. ff
228. 238 u. ff'.
Finnland, Finnmarken. 29 u. ff. 228 u. ff.
Fisch, Reste von Fischen. S. Fischschuppen.
Fischschuppen. 104 u. ff 228 u. ff,
Flachs. 9. 58.
Flaeming. 124.
Flasche. 146. Taparratlasche 146. S. a,
Calebasse.
Flöte. S. a. Pfeife. Fl. aus Thon 119.
Formosa. Schädel von dort 8. 270.
Forst in der Lausitz. 133 u. ff.
Fränkische Schweiz. 94. 235.
Frankfurt a. d. Oder. 85.
Frankreich. Schädelformen 38. Hochäcker
51. 149.
Fraore. 197.
Freistaet, Schlesien. 277.
Freudenthaihöhle. 25.
Friedrichswalde, Prov. Brandenburg. 15.
Fuchs. 127.
Fuenen. 231.
Fungi. 44.
G.
Gabun. 250 u. ff
Gades. 62.
Galata. 67.
Galgenberg b. Neustadt a. d. D. 18,
Galizien. 99. 118 u. ff".
Galla (Neger). 269.
Gallien, Gallier, Gallisch. 41.
Ganggrab auf Möeu. 63.
Garriep. 21.
Garz, Pommern. 97.
Garz a. Rügen. 136.
Gay, Posen. 123.
Gedichte. S. Dichtkunst.
Gefässe. S. a. Thongefässe, Brouzegefässe 45,
Geisa in der Rhön. 42.
Geisterbeschwörung. S. Zauberei.
Genf, Museum das. 73.
Geräthe. S. Steingeräthe, Thongerätho,
Bronze- u. Eisengeräthe.
Germanen, Germanisch. 45. 273. S. Deutsche,
Deutschland.
Gesang. Tactgesäuge der Hottentotten 19.
Zaubergesänge der Finnen 30.
Gesellschaft. Berliner Anthropologische G.
1 u, ff'. Verwaltungsbericht für 1875
268 u. ff
Gesellschaft, Afrikanische, 248,
Gesellschaft, Deutsche Anthropol,, S. Anthro-
pologische Gesellschaft.
Gesellschaft, Deutsche, für Natur- u. Völker-
kunde Ostasiens. 42.
Gesichtsfarbe, Gesichtstypus. 18. S. a, Haut-
farbe.
(297)
Gesichtsurnen. G. von Möen 63. Voo Pome-
rolleii 115. 158. Mexikanische G. 144.
Gestalt. S. Figur.
Getreide. 102. 105. 116.
Gewebe. S. Kleider, Matten, Seide.
Giessstätte. 114.
Glambeck, Brandenburg, 1.3.
Glas. Perlen 112. 157. Fläscli(;lien 1.52.
Gnidelstein IH'.'i.
Glasur. 232. 236.
Glimmerschiefer. 120.
Glocke. 159.
Glocknitz. 08.
Glogau. 104. 115.
Gnidelstein. 183.
Goajlros-Indianer. Photographien 88.
Göritz b. Cottbus. 133.
Göttingen. 120.
Götzenbild. S. a. Idol, Figur. G. von Vene-
zuela 42. Aus nephritähnlichem Ge-
stein 48u.£f. 71 u.ff. 144. 147. 189u.£f.
Gold. 20. Goldstoff 27. Goräthe u. Scimiuck-
sachen 46. 133 u.ff. 146. 197. 259. 276.
Goldküste. 250.
Goilenberg. 99.
Gorilla. S. Affe.
Gorwal. 102 u. ff. 107 u. ff 197 u. ff
Goslar. 1 35.
Gothen, Gothisch. 225.
Gottesgericht. 249.
Gottland. 62.
Goytacazes. 160.
Grabhügel. S. Hügelgräber, Gräber, Gräber-
feld, Steiagräber.
Gräber. S. a. Gräberfeld, Hügelgrüber,
Steingräber. G. bei Obornik 12. 63
u.ff'. Bei Joachiinsthal \2. Am (jrim-
mitzsee 13 u. ff'. Bei Friedrichswalde
15. Bei Ringenwalde 15 u. ff. Auf
der Schorfhaide 16. In der Lieper
Forst 16. Bei Bieneuwalpe 17, Bei
Schollehne 17 u. ff'. Bei Hohenuauen
18. Bei Gross-Lüben 18. Bei Wils-
uack 18. In Posen 18. 121 u. fl. 256
u. ff. Bei Bromberg 122. Bei Gay
in der Nähe von Samter 123. Bei
Stendal 18. Aino-G. 27 u. ff". G. bei
Rönning 46. In Bayern 51. Bei
'Rabenstein. Franken 94. 204. Felsen-
grab auf der Oase Dachel 57. G. bei
Persanzig 60. Auf Gottland 62. Auf
Möen 63. Bei Samthawro 66. 149 u. ff.
Bei Plavno, Böhmen 106. An der
Weser 107. In Galizien 118. Bei
Werben 119 u. ff. Bei Bölkendorf
123 u. ff. Indianergrab 119. G. bei
Cuzko 144. G. der Chibchas, Panama
144. In Ohio 145. In ßrasUien 159
u. ff. G. bei Fraore 197. Schiffsgrab
in Livlaud 214 u. ff'. Am Rinnebügel
217 u. ff. In Russland 239 u. ff. Bei
Ruszcza 258. G. bei Collisberg (Gera)
235. Auf Nord-Selebes 258 u. ff. In-
dische G. 259. 278.
Gräberfeld. S. a. Gräber. G. in Posen 10.
Bei Dobryszyce, Polen, 28. In Thü-
ringen 4ä. Bei Braunshain 41. 93 u. ff.
ürnenfelder u. Urnenbegräbnisse 42,
G. bei Uelzen 51. Bei Kolkwitz 91.
128 u. ff". Im Scharkathal 97. Bei
Glocknitz 98. Bei Brunn am Stein-
felde 98. Bei Heddernheim u. Nieder-
ürsel 98. Bei Zaborowo 102 u. ff.
109 u. ff. 154 u. ff. 247 u. ff. Bei Darzau
104. Bei Seelow 1 13 u. ff. 247 u. ff. Bei
Rosdorf 120. Bei Samter 123. Bei
Westeregeln 208. Bei Drütte 208. Im
Ammerlande (Oldenburg) 231. Bei
Berlin 238. Bei Blossiu in der Nähe
vou Küuigs-Wusterhausen 247 u. ff.
Bei ßranitz 276.
Graetz, Posen 247.
Grapen. 243.
Graphit. 111.
Great Nicobar. 187 u. ff.
Greifenkopf vou Bronze. 92. 2H2.
Griechen, Griechisch, Griechenland. Schädel
u. Skelet 26. 41. 54 u ff'. &2. 91. 119.
270 u. ff 279 u. ff'.
Grimnitzsee. 13.
Grönland. 143. 270.
Grossfluss. 21.
Grübchenstein. 136.
Grünstein. 145.
Guadalaxara. 146.
Guanovulit. 165.
Guarani. 59. 165 u. ff'.
Guebern. 65 u. ff. 150 u. ff. 210 u. ff.
Guerandi. irrthümlich für Querandi ge-
braucht. 59.
10**
(298)
Guestrow. 232 u. ff.
Gurjon-Oel. 92.
Gurschen, Posen. 122.
Gusow. 116.
Gussform. 282.
Gute Hoffnung, Posen. 122.
Guyana. 144. Iö9.
H.
Haarbildung. 91. 279 u. ff.
Haarfarbe. Ermittelungen über dieselbe in
Deutschland 40. 90. 182. 202 u. ff. 273.
H. der Lappen 32. Der arischen und
turanischen Völker 32. Der Zigeuner
32. Der Finnen 32. Ermittelungen
in GaJizien 119.
Haarnadeln. S. Nadeln.
Haarproben. Von Südseeinsulanern 27. Von
den SomfU 143.
Haartracht. 21 u. ff.
Hadjl's Tekarlne. 41.
Haiti. 76.
Haken. 18.
Halle. Museum das. 42. 124.
Hallstadt. 46. 108.
Halsring. S. a. Ring. 94. 232.
Halsschmuck. S. a. Schmuck. Thierdärme
als H. 22. H. von Bronze 94. H.
aus Zähnen und Glasperleji 119. H.
des Monbuttu-Königs Munsa 196 u. ff"
H. von Lehmden 232.
Ham. 21.
Handelswege. 119.
Hannover. 96 u. ff. 98. 107.
Hans-Jochen-Winkel, Altmark. 18,
Harpune. 143. 218 u. ff.
Hasaui. 44.
Hausthiere. Der Guarani 59. Reste S.
Knochen.
Haut. Thierhaut S. Fell.
Hautfarbe. Ermittelungen über dieselbe in
Deutschland 40. 90. 182. 202 u. ff. 273.
H. der Hottentotten u. Euschleute 18
u. ff". Der Lappen 32. Der Indianer
59. Der Nicobaresen 186 ii. ff', Er-
mittelungen in Galizien 119.
Havelland. 17 u. ff,
Heddernheim. 99.
Heglig --^ iJalauitas acgyptiao. 58.
Heinrich I. lo4. ,
Helentrud. 137.
Heliotropquarz. 50.
Hellenen. S. Griechen.
Helm. 88.
Helmzier. 92.
Helmstedt. 147.
Helsingfors. Lappenschädol das. 34.
Herodot. 23.
Herse i. Westfalen. 137.
Heuschrecken. Als Speise 22.
Hexenberg b. Neustadt a. d. Dosse. 18.
Hexerei. S. Zauberei.
Hiongnu. 239.
Hippokrates. 154.
Hirsch. Knochen 25. Geweih 47. 87. 101.
105. 111. 115 u. ff 127.
Hirschhorngeräthe. 125 u. ff. 219. 237.
Hirschhornhammer. 97.
Hissarlik. 276.
Hochäcker. S. a. Bifang. 50 u. ff.
Hodnods. S. Hottentotten.
Hodnodos. 8. Hottentotten.
Höhle. S. a. Knochenhöhle. H* des Liba-
non 25. Im Liudenthal 127. In Bra-
silien 159 u. ff". Im Freudenthal bei
Schaffhausen 25. 271.
Höhlenbär. S, a. Bär. 127.
Höxter a. d. Weser. 50.
Hohennauen, Brandenburg. 18.
Hohenwalde, Brandenburg. 16.
Hohenzieritz, Mecklenburg. 46.
Holländer. 19.
Holontalo. 11.
Holstein. 79.
Holtop. 107.
Hoo. 191.'
Hornblendegestein. 75.
Hornstein. 146. Geschlagen 89.
Horöba, 209 u. ff.
Hottentotten, is u. ff".
Hottentottenschürze. 22.
Hradiste b. Pisek. 109.
Hradschin, 97.
Hügelgräber. S. a. Gräber. Nahe dem
Grimmitzsee 13. Bei Ringenwalde
16. Bei Zuchen 26. Bei Rönning
46. In Bayern 51. 204 u. ff. Bei
Rabenstein in Franken 94. Bei Per-
sanzig 60, ImAmmerlande, OldenOurg,
231. Bei CoUisberg, Gera 235 u. ff".
(299)
Schcere 45.
liaskiscli u. Celtibe-
Hünengräber. S. a. GrJiber. Bei Joachims-
tlial I2u, ff. Bei Riiigeuwulde 16.
Huhn. 101.
Humphrey-Inseln. 147.
Hund. Als Jagdthier 0. Schädel vom H.
87. Von Bronze 10'.». Reste IM HG.
Hunnu. 230.
Hut. 146.
Hyäne. 127. S. a. Knochen, Höhlen.
Hylobates. S. Affe.
I.
Jablon. 80.
Jade. 49.
Jadeit. 48 u. ff". 72 ii. ff.
Jämischer Oialect. 22.s.
Jamaika. 249 u. ff".
Japan, Japanisch. Scliwert 27
Japanesen. 27. 210.
Jaspis. 49.
Iberer, Iberisch. S. a
risch. Ö5.
Idol. S. Götzenbild.
Jena. 42. 134.
Ihnafluss. 125.
Ilmensee. 80.
Ilyad. (>4.
Imperatorskoi. 40,
Indianer. Vom Amazonenstrom 49. Chile-
nische I. 9. 57. Pampas-I. 59 u. ff.
Brasilianische I. 116. 119. 159 xi. ff.
Querandis, Puelches. Tehiielches, Gua-
rauis, Carios, Ranqueles, Patagonier,
Araucaner, Aucas 59. Tules u. Goa-
jiros 88. Viceitaindianer 119. I. von
Peru 121. Von Minnesota 125. Von
Guyana 144. I. Cirab in Ohio 145.
I. von Bogota 140.
Indien. 259 n. ff.
Indogermanen, Indogermanisch. )2.
Joachimsthal, Brandenburg. 12.
Jobl. 48.
Irisfärbung. S. Augenlarbe.
Irland, b'2. 271.
Irvi. 189.
Island. 30. 51. 229.
Ispahan. (U u. ff.
Italien. Brachycophalc Schädel das. 38.
41. Bronz.egefässc 45 n. ff". Thon-
gefiisse (kS. 130. 157.
Juden. 119.
21.
31.
31.
30.
: Kalcwa-Söhne.
146.
Judenburg. 46.
Jüterbogk 18:; u. ff.
Jütland. 51. 141 n.
Kälberwerder. 245.
Käsestein. 120.
Kaffern. 21.
Kafusos. 43.
Kairo. 20.
Kalahari-Wüste
Kalewa-Land.
Kalewa-Runen.
Kalewa-Söhne.
Kalla parnech
Kailies, Pommern. 94
Kalmücken. G4. 118.
Kaln Slaweek. 214.
Kama. 78.
Kamm. 97 u. ff. 126,
Kanembu. 44.
Kanne, von Thon 12
Kanno. 44.
Kanonenberg. 127,
Karelien, Karelisch. 228 u. ff.
Karesuando. 225.
Karne, Posen. 100 u. ff".
Karpathen. 80 u. ff.
Kasan. 78 u. ff.
Kaspisches Meer, 64. 66.
Kaspische Tiefebene. 79.
Kassimpascha. 67.
Kastrawan. 25.
Katharinenstadt. 79.
Kaukasus, Kaukasisch.
Kaurimuscheln. 214 u
Keifluss. 21.
Kelt. S. Celt.
Kelten, Keltisch.
Keltenornament.
Kempen, Posen.
Kephalonen. 120.
Kerry-County. 52.
Kertsch, 66. 149 u. ff.
Kesselurnen. 243.
Kesselwagen. Von Judenburg 46.
Bronze wagen.
Kettlach, Ünter-Oesterreich. 98.
Keule. 19. 147.
Khorud. 65.
64. 66. 149.
ff.
41. 45. Schädel 52.
99.
122.
(300)
Kiefern. 104.
Kieselschiefer. 145.
Kllian. 137.
Kinderklapper. Von Thon 86 u. ff. 93 u. ff.
113.
Kinderspielzeug. 232.
Kjökkenmödding. 67. Auf den Andamanen
92. 103. 115.
Kladau, Böhmen. 98.
Klapper. 146.
Klapperblech. 108.
Kieider. Von Fellen 19. 222. Von Ren-
thierhäuten 28. 32. Von Fellen und
Leder 22. Von Leder 107. Wollene
Kleider 225. Kl. der Indianer 59.
Der Neger 88. Der Nicobaresen 194.
Der Lappen 227.
Kleinasien. 67.
• Kloppenburg, Oldenburg. 50.
Knochen. S. a. Bein. Moaknochen 8 u. ff.
Menschliche Kn. 9. Kn. von Vögeln
9. Aus Höhlen des Libanon 25. Thier-
knochen vom Burtnecksee in Livlaud
85. Kn. von Seelow 87 u. ff. Thier-
knochen 97. 129 u. ff. 145. Mammuth-
knochen 113. 142. 209. Kn. aus der
Lindenthaler Höhle 127. Aus dem
Diluvium 206 u. ff. Vom Rinnehügel
217. Im Main gef. 234 u. ff.
Knochengeräthe. Nadeln 9. G. 12. 67. 97.
G. u. Pfeilspitzen 218 u. ff.
Knochenhöhlen. Auf Neu- Seeland 8. Im
Libanon 25. Von Ferrajeh 149. S. a.
Höhlen u. Knochen.
Knochenreste. S. a. Leichenbrand. Kn. von
Hausthieren 10. Vom Torfschwein 12.
In Urnen 14. 15. 26. 60. 63. 85. 86.
87 u. ff. 94. 114 u. ff. 123. 125. Vom
Hirsch u. Bären 25. Von Thieren
100 u. ff 103 u. ff Menschliche 116.
122.
Knopf. Von Kupfer 21.
Knopfnasen. S. Kuopneusen.
Knopneusen. 13.
Kobalt. 1 98 u. l'f. 246 u. ff.
Kobylnic. 99.
Koeben. 93.
Köcher. 88.
Köln. 137 u. ff.
Königgrätz. 98. 100.
Köritz, Brandenburg. 18.
Körpergrösse. Der Hottentotten 22. Der
Lappen 31 u. 33. Der Indianer 59.
Der Galizier 118 u. ff. Der Andama-
nesen 259 xi. ff. 262 n. ff.
Köstritz. 127.
Kohlhasenbrück. 183. 243.
Koikoib = Namaqaa.
Kolo, Polen. 201.
Kongama-Elf. 225.
Kongari. 44.
Kongo. S. Congo.
Kopf. S. a. Schädel. Rasiren des Kopfes
21. Köpfe von Mulatten u. Negern
42. K. von Holz aus der Oase Dachel
57. Messungen 119.
Kopfform. S. Schädelform.
Kopfgestell. S. Nackenstütze.
Kopfschmuck. 119.
Kopfumrisszeichnungen. 124.
Kopenhagen. Lappenschädel das. 34. Mu-
seum das. 63. 136. 140 u. ff. 143 u. ff.
Kopnitz, Posen, 101.
Kopten, Koptisch. 21.
Kora. S. Koranua.
Koranna. 19, 21.
Korund. 71.
Kosten, Posen. 101.
Krakau. 96 u. ff. 118 u. ff. 258.
Krakowletz. 99.
Krater. S. Gefässe.
Kreis. Als Ornament 26.
Kreolneger. 43.
Kreuz. Von Eisen 18. 224. K. als Orna-
ment 112.
Kreuznach. 46.
Kriegsministerium. 40.
Kriewen, Posen. 101.
Krim. 77. 149.
Krinitzsee, Brandenburg. 13.
Krusen. 243.
Küchenabfälle. S. a. Kjökkenmödding. K.
.S. K. der Nicobaresen 191.
Kiinkendorf, Brandenburg. 13.
Kuhdorf. 148.
Kuhkeul. S. Koranna.
Kuhsdorf, Brandenburg. 282.
Kum. 65.
Kupfer. 21 u. ff 44. 107. 125. 130. 198 u. ff
246 u. ff.
(301)
Kuren, Kurisch, Kurland; 80. 126.
Kurgane. 228 ii. ff.
Kurganenschedel. 238 u. ff.
Labrador. 143.
Ladogasee. 228.
Lakomowo, Posen. 121.
Lampe. Von Bronze 61.
Lanze. Von Holz 1). 122.
Lanzenspitze, Von Stein 71. 14;). Von
Bronze 106. 2S1 u. ff. Von Eisen
45. 92. 116. Von Knochen 219.
La Piata-Staaten. 58 n. ff.
Lappalainen = iiappi (Finnisch).
Lappen, Lappland. 12, 28 u. ff 225 u. ff.
269.
Lappi = Lappland (Finnisch).
Laucha. 208 u. ff.
Launekalln. 214.
Lausitz. 93. 107. 116. 120. 124. 127 u. ff.
133 u. ff. 269.
Lebus. 85.
Lebensdauer. Der Hottentotten 22 u. ff.
Der Nicobaresen 194.
Leder, 22. Kleider von L. 107. S. a.
Kleider.
Lederhose bei Striegau. 93.
Lehfelde, Posen. 278 u. ff".
Lehmden, Oldenburg. 232.
Leichenbrand. S. a. Knochenreste. L. 17.
41. 42. 60. 63 11. ff. 94u.ff. 107 u. ff.
114. 214 u. ff. 243 u. ff.
Leinwand. 58. tf. a. Flachs.
Leipzig. 48 u. ff.
Leistenhaus, Brandenburg. 13.
Letten. «SO u. ft". 215 u. ff.
Libanon. 25. 145. 195.
Lichtenhain. 42.
Liepe, Bramlonburg. 16.
Ligurer, Ligurisch. Schäil(!Horni 38. 55.
Lima, Poni. 121.
Lindenthai. 127.
Lindwurm. Von Bronze 114 u. ft. S. a.
Fidechse.
Litthauen, Litthauer, Litthauisch. so u. tV.
LIama. 60.
Loando. 281.
Loangoküste. 43. 88. 269.
Löbstedt b. Jena. 42.
Löffel. 88.
Löningen, Oldenburg. 92.
Löwe, Fell 22.
Löwenkopf. 92.
Lossow. 85.
Lothringen. 51.
Louhi. 31.
Lowat. 80.
Lublin, Russland. 99.
Lübbenau. 128.
Lüben, (noss-, Brandenburg. 18.
Lüben, Klein-, Brandenburg. 18.
Lübtow. 99.
Lüptowsee, Pommern. 286. -
Lund. Lappenschädel das. 34.
Lunkow, Böhmen. 98.
Luttum, Hannover. 107.
M.
Macahe, Brasilien. 160 u. ff. 180 u. ff.
Madras. Schädel von dort 188.
Mäander. 104.
Mähren. 123.
Mäotis-See. 154.
Mafuka, anthropoider Affe des Dresdener
Zoologischen Gartens. 230. 250 u. ff.
283 u. ff".
Magneteisen. 75.
Magyar, Magyarisch. 31 38.
Main. 234 u. ff.
Mainz. 45 u. ff. 109.
Mais. 21.
Makaopa. S. Knopneusen.
Makassar. 48.
Makongai. 27.
Makrocephalen. 152.
Mala, Lappland. 12. 32. 225.
Malacca. 189.
Malayen. 1S6 u. ft'. 192 u. ff.
Malmoe. 136.
Mammelukos. 143.
Mammen, Jütland. 141 u. ft".
Mammuth. S6. 113. 115. 127. 142. 233.
256 u. ff
Manaswari. 48.
Mancos River, Colorado. I<s2.
Manihiki, Humphrey-Inseln. 147.
Manloene. 188.
Maori. 9.
Maracaibo. 146.
(302)
March. 96,
Marren, Oldenburg. 92. 231.
Maske. Hölzerne von der Oase Dachel
57 u. ff. 88.
Matanza. 59.
Matte. Von Dache! 57 u. ff.
Mayombe. 250.
Meckienburg. 45 n. ff. 98. 232 u. ff.
Medaille. 258.
Meissel. Von Bronze 44. Eisen 44. Ans
nephritähnlichem Gestein 48 u. ff.
Melanesier. 70.
Mendoza. 59.
Messer. Von Stein 145. 147. 233. Von
Bronze 26. 110. 281 u. ff. Von Eisen
100. 108. 116. 125 u. ff. 214. 258.
Messing. 98. 106. 214.
Mestizen. 43.
Metall. S. Bronze, Kupfer, Eisen etc.
Mexiko. 49. 144.
Meyenburg. 198.
Mina. 43.
Minahasa. 11. 258 u. ff. .
Minas. 41.
Mincopies. 70 u. ff. S. a. Andamaueu.
Mindanao. 48.
Minerva. 92.
Minnesota. 125.
Missionsstationen. 20. 23.
Missisippi. 144 u. ff.
Missolunghi. 76.
Mittu. 24.
Moabit. 47.
Moa-Knochenhöhle. S u. ff.
Möringan am Bieler See. 154.
Mokassins. 146.
Moldau. 97.
Monbuttu. 196 u. ff.
Bond. 10.
Mondcultus. 189.
Mondhenkel (Ansa lunata). 98.
Mongolen, Mongolisch. S. a. Turanisch. 33.
36. 38 11. ff 187. 226. 239.
Mongondon. 11.
Monjallo. 43.
Mordwinen, Mordwinisch. 31. 79. 229 n. ff.
Moshehoe. 21.
Moskwa. 78.
Moszyn, Posen. 101. 277.
Mühlsteine. 219. 257.
Mülirose. 102.
München. General-Versammhmg der Deut-
schen Anthropol. Gesellschaft daselbst
143. 201 u. ff.
Münster in Westfalen. 50.
Münzen. Rom. Kaiser-M. 8. Von Decdntius
92. "Wendenpfennige 17. M. als Obo-
lus 17 n. ff. 67. 197. 217. 224. 258»
Birmanische M. 279.
Mulatten. 42 u. ff.
Mumien. 58. 121. 242.
Munsa. 196 u. ff.
Muschelberg, Muschellager. Von San tos 41.
167. Bei Smyrua 67. Am Burtneck-
see 85. 217 u. ff. Auf den Nicobaren
191 u. ff. S. a. Andamanen.
Muscheln. 9. 146. Als Schmuck 42.
Museum. Anthropol. u, ethnologisches 90.
274.
Museum zu Berlin , Königliches. 45 u. ff.
46. 49. 67. 88. 120. 124. 155. 268.
274 u. ff.
Museum zu Berlin, anatomisches. 8. 42.
66. 164.
Museum zu Berlin, Mark. Prov. 44 u. ff.
182 u. ff. 238. 242 u. ff. 275. 281
u. ff.
Museum zu Braunschweig. 96 u. ff. 108
u. ff. 143 u. ff. 207 u. ff.
Museum zu Dorpat. 214.
Museum zu Genf. 73.
Museum zu Halle. 42.
Museum zu Hannover. 95 u. ff. 98. 107.
Museum zu Jena, Germanisches. 41.
Museum zu Kopenhagen. 63.
Museum zu Krakau. 96 u. ff.
Museum zu Lund. 34.
Museum zu Mainz, Rom. German. Central
M. 45 u. ff
Museum zu Münster. 50.
Museum yu Olmütz. 96 u. ff.
Museum zu Posen. 133.
Museum zu Prag. 96 u. ff. 106 u. ff.
Museum zu Riga. 214.
Museum zu Riga. 214.
Museum zu Ruppin, Zietensches im Gym-
nasiinn. 18.
Musik, M. -Instrumente. 88.
Myastecko (Städtel), Posen. 106.
Mythen. S. Sagen.
(303)
Mytilus smaragdinus. 9.
Mzchet. 14'J u. ff.
N.
Nackenstütze. 24.
Nadel. Von Hronzo 18. GO. 107. 110. 121.
122. Von Kisen 2». 107. Von Bein
y. 97.
Nagel. Von Kisen 100, S. a. Bronze.
Nahrungsmittel. Der Hottentotten 22. Der
(juurauis 59 u. tl". Der Nicobaresen
187. 191.
Nahuatl. 119.
Namaqua, 19 u. ff.
Nancowryleute. 187 u. ff'.
Nankln. 239.
Napf. S. Gefäss, Thongefiiss.
Natal. 21.
N'dnngo. 88.
Nebra. 208 u. ff.
Neger. S. a. Nigritier u. Afrikaner. 21.
Dinlva-N. 23 u. ff. Bantu 24. 43. Bougo
24. N. aus Bahia 42 u. ff'. Kreoineger
43. N. aus Cabinda u. Angola 43.
Bantetje, Monjallo 43. Congoneger 44.
70. Galla 269.
Negrito. 47 u. ff. 70.
Nekau. 24.
Nelke, Gross-, 100.
Nephrit. 48 u. ff'. 71 u. ff.
Nero. 58. 62.
Neu-Caledonien. 147.
Neu-Guinea. 24. 47 u. ff.
Neu-Holland. 146.
Neumark. 93.
Neumarkt, Sclilesien. 93.
Neu-Seeiand. 8 u. ff. 49. 71. 73. 147.
Neustadt a. d. Dosse. 18. 14.
Neustettin. 99.
New-Yersey. 145.
Ngatikuri. 9.
Ngatimamoe. 9.
Nickel. 1 98 u. ff". 246 u. ff.
Nicobaren. 185 n. ff'.
Nicoiajewsk. 40.
Niederursel. 99.
Niemegk. 124.
Niemen. 80 u. ff'.
Nienburg. 107.
Nieszewice. 121.
Niete. S. a. Tutuli. N. von Bronze 46.
Nigritier. 24.
Nilländer. 24. 58. 185.
Nischny-Nowgorod. 78.
N'Kassarinde. 248 u. ff.
Nomaden. 64.
Normannen, Normannisch. 214 u. ff. 225.
Norwegen. 229.
Novaraexpedition. 186 u. ff.
Nowgorod. 78 u. ff. 240. 258.
Nubien. 44.
Nucleus. 233.
Nyango. 88.
0.
Oase Dachel. 271. 57. 93.
Ob. 239.
Oberer See, Nord-Amerika. 145. 183.
Oberstein, Nahetbal. 74.
Obornik, Prov. Posen. 12. 63 u. ff. 101. 122.
Obra. 100 u. ff.
Obrczycko, Posen. 101.
Obrowo, Posen. 123.
Obrsitzko, Posen. 123.
Obsidian. 8. 71 u. ff. 145.
Obtschey-Syrt. 78 u. ff.
Ocydromus Australis (Weka). 9.
Odensee. 46.
Oder. 85. 96. 112 u. ff. 115. 120.
Oderberg, Brandenburg. 16. 85. 112 u. ff.
Odessa. 66.
Oesterreich. 52. 98 u. fl.
Ogoifun. Photographien 40.
Ohio. 145.
Ohiershof am Burtnecksee. 225.
Ohrschmuck. 21.
Ohrringe, von Kupfer 22. Von Eisen 28.
Von Bronze 97. 107. 114. 121. 124.
Oka. 78 u. ff".
Oldenburg. 50. 92 u. ff'. 120. 231 u. ff.
Olmütz. 96 u. ff. 130 u. ff'
Onegasee. 228.
Opferberg, Opferhügel. 215. 223 u. ff.
Opferstein. 136. 146.
Ophrynium. Schädel von dort 7.
Orang-Utan. 19.
Ordal. 88.
Orient. 62.
Ornament. S. a. Verzierung. Wellenorna-
meut 10. 97 u. ff". In Afrika 99. 106.
(304)
Burgwalltypus 96. 116. 129 u. ff. Grad-
linige Zeichnungen 8. ür-arisches 0.
41. Seeigel-0. 41 u. ff. Alt-Aegyp-
tisches 0. 42. Kreisornament 94. 126.
Schnur-, Ketten-, Bindfaden-0. 99.
159. Punkt-0. 145. Kreuze als 0.
111 u. ff. Thierfigureu 142. Bema-
lung an Grabgefässeu 8. 111 u. ff. P.
an Urnen 61. 63. 114 u. ff. 124. 133
u. ff. 145. 0. an einer Bronzepin=
cette 26.
Oschas. S. Calotropis procera.
Oschersleben. 206 u. ff.
Osdorf, Kreis Teltow. 185.
Os Incae. 242.
Ost-Gothland. 61.
Ostjaken. 228 u. fl. 239.
Ostindien. 19.
Ostsee. 62.
Otakeitl. 49.
Ottentotten. S. Hottentotten.
Owalau. S. Fidschi Inseln.
Oxhöft bei Danzig. 99.
P.
Paalstab. S. a. Gelt. 97.
Fahren bei Gera. 127.
Panama. 144.
Pampasindianer. 59. 159 u. ff'.
Pannonien. 239.
Pansdorf bei Eutin. 107 u. ff.
Panther. Fell 22.
Papua. 47 u. ff". 70. 107.
Paraguay. 59 u. ff.
Paramaribo. 146.
Parana. 59.
Parsteiner See. 125.
Pasambangko. 11.
Patagonien, Patagonier. 58 u. ff".
Pawelwitz, Schlesien. 123.
Pawlowice, Posen. 12. 99.
Penang. 193.
Pera. 67.
Perkowo am Primenter See. 159.
Perlen. Von Glas 112. 157. 214. Von
Thon S. "Wirtel. Von Bernstein 112.
Von Bronze 87. 114.
Pernambuco. 44.
Persanzig. 60.
Perser, Persien, Persisch. 64 u. ff. 210
u. ff. 269.
Peru, Peruaner. 121. 146. 213. 242. 268.
271. 282.
Pesth. 122 u. ff.
Petersburg. 28.
Pfahlbauten. In der Provinz Posen 12. 99.
In der Schweiz 41. Pf. des Ueber-
linger Sees 71. Pf. von Wangen 72.
Nephrifähnliche Steinwerkzeuge aus Pf.
48 u. ff. 71. Pf. von Olmütz 96. 98. 130.
Von Lübtow 99. Von Daher 106. 115.
130. 198 u. ff. 269. Bei Zahsow 129
u. ff. Auf den Nicobaren 192 u. ff. Im
Plönesee in Pommern 285 u. ff.
Pfeife. S. Tabackspfeife, Thonpfeife.
Pfeife. S. Flöte.
Pfeil. 88. 143.
Pfeilspitze. Von Stein 63. 145. 219 u. ff.
223. Von Feuerstein 245. Von Eisen
97. 185. Von Knochen 207 u. ff.
218 u. ff.
Pferd. 21. 87. 105. 113. 127. 153.
Pferdegebiss Von Bronze 111. 154 u. ff.
Pforten. 93. 133 u. ff.
Pfriem. 218 u. ff.
Phalerae. 184 u. ff.
Phallus. 144.
Philippinen. 47 u. ff. 70.
Phönicier, Phönicisch. 55. 61 u. ff.
Photographien. S. a. Abbildungen, Zeich-
nungen. Ph. von Chinesen 40. Aus
dem Amurgebiet 40. Von Sachalin
40. Von Ussuri 40. Von Japanern
214. Von einem Götzenbilde aus Vene-
zuela 42. Ph. der Tales- u. Goajiros-
In dianer 88. Von Golumbischen Alter-
thümern 88. Von prähistorischen Rui-
uenstädten am Mancos River, Colorado
182. Von Congonegern 44. Von Ta-
taren 64. Von Kalmücken 64. Ph.
des Laraa's der Kalmücken 118. Von
Andamanesen 92. 259. Von den An-
damanen, von Rangim u. von Amrit-
sar 213 u. ff. Von Nicobaresen 186,
Von einem gviechisahen Soldaten mit
ungewöhnlicher Haarbildung 91. Von
Dachauern 204. Von Fundstücken
aus Livland 215. Von Steingeräthen
276. Ph. der Berl. Anthrop. Ges.
270 u. ff".
Pincette. S. a. Bronze. 26,
(305)
Pinguin. 22.
Piselc, Böhmen. 109.
Platitow. IIG.
Plavno, Böhmen. lOG u. ff.
Pleschen. rJ2.
Plönesee, Pommern. 285.
Plötzensee. 47.
Podlachieo. 258.
Pösneck. 127.
Polen, Polnisch 9G. IUI. 104. 119.
Polyandrie. 188.
Polygamie. 188.
Polynesien, Polynesien, Polynesisch. 9. 14G.
Polysarcia praematura 7. Partielle P. 7.
Pomerellen. 99. 115.
Pommern. 25. 93 u. ff. 99. 125 u. ff. 133.
142. 20G. 273. 285 u. ff.
Pompeji. 109.
Ponda. 21.
Popowo, Posen, Burgwall das. 10 u. ff.
Port-Blair. 195.
Posen. Prov. P. Burgwall bei Wollstein
10. Bei Deutsch Poppen (Popowo)
10. Bei Barchlin 10 u. ff. S. a.
Burgwall. Gräberfelder 10. 18. S. a.
Gräber u. Gräberfelder. Thongefässe
41. Verzeichnisse von Alterthums-
funden 56. 256 u. ff. 273. Kinder-
klappern 93 u. ff". Urnen 99. 121
u. ff. 133. 277.
Potan. 159 u. ff.
Pete. 159 u. ff.
Poto. 66.
Poton. 159 u. ff.
Potrzanowo. 122.
Potzlow, Uckermark. 130.
Praeneste. 46.
Prag. 96 u. ff. 106.
Preschen, bei Forst, Lausitz. 133.
Preussen, Preussisch. 62. 90.
Priegnitz. 198 u. fl.
Priepet. 80.
Priment, Posen. 10. 95 u. ff. 101 u. ff. 107
u. ff. 154. 277.
Primentdorf. 197.
Prüsnicksee, Brandenburg. 15.
Puelches. 29 u. ff.
Pullo. 44.
Punier, Punisch. 55.
Pygmaeen. 24.
Verhandl der Berl. Antliropol. Uetellachaft 1875.
Pyrenäen. 38.
Pytheas. 84.
a.
Quänen. 229.
Quarz. 49. 50. (Anmerkung.) 71. 219. 222.
Quena = Cap-Hottentotten.
Querandi. 59 u. ff.
Quoltitz, Rügen. 136.
£.
Rabenstein, Fränkische Schweiz. Bronze-
fuiid. 93 u. ff
Radomsk, Polen. 28.
Räuchergefässe. 1 34.
Rages (Raghae). 65. 210 u. ff.
Raghae. S. Rages.
Rakaia. 9.
Ramsund, Schweden. 141.
Rangun. 213.
Ranqueles. 59.
Rassen. Menschenrassen, Polynesische 9.
Arische u. Turanische 32. Indoger-
manische 32. Negrito- u. Papua-Rasse
47 u, ff. Blonde u. Braune R. in
Deutschland S. Hautfarbe, Haarfarbe,
Augenfarbe. Thierrassen 273.
Regensburg. 138.
Regnitz. 234.
Reh. 87. 101. 105. 113. 219.
Reitwein. 112.
Reliquien, Reliquiarien. 136 u. ff.
Renthler. Geweih 25. Fell 28 u. 32. R.
87 u. ff 113. 127.
Renthierhöhle im Freudenthal. 25. 127.
S. a. Höhlen.
Rescht. 64,
Rheinkiesel. 71.
Rheinland, Rheinländisch, Rheinisch. 45. 46.
148. 245
Rheinsberg, Brandenburg. 17.
Rhinoceros. Rh. tichorrhinus 127.
Rhön. 42.
Riesen. 29.
Riga. Museum das. 214.
Rind. 87. 101. 105. 115. 219.
Ring. S. a. Armring, Halsring, Ohrring.
18. Kupferne Ohrringe 22. Arm- u.
Oberarmringe 22. Von Zahsow 128.
R, von Bronze 18. 26. 87. 110. 114
20
(300)
u. ff. 134. 184 u. ff. Aus Livland 224.
R. von Eisen 28.
Ringenwalde, Brandenburg. 15 u. ff.
Rinnehügel. 214 u. ff.
Rio de Janeiro. IGl.
Rio Negro. 5'J.
Rixdorf b. Berlin. 142.
Rodenbach, Hassen. 158.
Römer, Römisch. 45. R. Fundo in Olden-
burg 92u. ff R. 119. 155. 2H1. 245.
258.
Rönning, Amt Odensee. 46.
Rossen a. d. Elster. 133.
Rötrop. 231.
Rogasen, Posen. GS.
Roggen. 102.
Roitsch bei Torgau, 46.
Rom. 137 u. ff. S. a. Römer, Römisch.
Rombczyn. Urne von dort 60.
Ronneburg, Livland. 214 u. ff.
Ronzano. 154.
Rosdorf, Hannover. 120.
Rostarzewo, Posen. 122.
Rubin. 71.
Rügen. 136.
Runen, Kalewala-R. 31. 143.
Runenstein. 225.
Ruppin. 12. 17. 18. 277. 282.
Rurik. 80. 217.
Russen, Russland, Russisch. R. Kinder 7.
64 u. ff 176 u. ff. 217 u. ff. 228 u. ff
238 u. ff
Ruthenen. 119.
S.
Saale. 42.
Saame. S. Lappe.
Saamelainen. S. Lappe.
Saarlouis. 154.
Sabmela. S. Lappe.
Sabmelatsch. S. Lappo.
Sachalin. 27. Photographien von dort 40.
Sachsen. 1 18.
Sagar, Deutsch-S., bei Crossen. 44.
Sagen. Der Hottentotten u, Buschleute
18 u, ff". Der Lappen 29 u. ff". Der
Ehsten 30. Von Island 30. Der Lap-
pen und Finnen 36 u. ff. Der Letten
216.
Saint Germain. Museum das. 154.
Salisbury. 223.
Salomonsinseln. 147.
Salz. 22. 62.
Salzwedel. 148.
Samara. 78.
Sammlung. S. Museum.
Sampo. 3 1 .
Samoa-Inseln. 27.
Samogitien. 258.
Samthawro. Q^. 149 u. ff.
Samter, Posen. 123.
San Amaro. 167.
Sandalen. 22.
Sandomirz. 258.
Sandstein. 120.
Sandwerder. 245.
Sangiinseln. 47.
San Remo. 35.
Santa Olga. 40.
Santos. 40. 167 u. ff'. Ö. a. San Amaro.
Saphir. 71.
Saratoff. 78 u. ff.
Sarkophag. 153. 259.
Satyr. 22.
Savage-Insel. 143.
Scandinavien. S. a. Schweden, Norwegen.
51. 61. 79 u. ff 109. 136. 149. 228.
Scarabäen. 49.
Schädel, menschliche. Von Ophrynium 7.
269. Ait-griechische 26 n. ff. 270.
Aus Selinunt, Sicilien 52. 271. Hel-
lenischer, phönicischer, iberischer (Bas-
kischer) Typus 55. S. von S. Remo
35. Von Kertsch 151 u. ff. Andalu-
sische Schädel 8. 270. Avarenschädel
152. Makrocephalen-S. 152. S. von
Guebern 211 u. ff. Kaukasische Makro-
cephaleii-S. 245 u. ff. S. von Samt-
hawro 66. Türkenschüdel 66 u. ff.
271. Kurganenschädel 228 u. ff. 238
u. ff. S. von Lappen, Finnen, Ehsten,
Magyaren 34 u. ff. 37 u. ff". Alttin-
nische S. 239 u. ff. S. aus dem Canal-
bett bei Moabit 47. Von Wollsteiu
101. 104. Von Siebenbürger Sachsen
118. Aus Galizischen Gräbern 118.
Von Bremen 120. Von Westeregeln
208. Von Ronneburg in Livland 214
u. ff. Vom Rinnehügel 221 u. ff; Von
Straute 223 u. ff". 225. Aus dem Grab-
hügel von CoUisberg bei Gera 235 u. ff.
(307)
S. vuu Lehfelde, Posen 278 u. ff.
Keltenschädel 52. 271. S. von For-
mosa H. 270. S. von Makongai, Fidji-
Gruppe 27. Chinesische S. 27. Ne-
grito- u. Papua-S. 47 u. ff. Andama-
ncn-S. 67 u. ff. S. von den Auda-
raaneu, Rangun u. Araritsar 213. Von
Madras 'lij'd. S. aus Brasilien 116.
159 u. ö. S. von Botociiden im Stock-
holmer Museum 161 u. ff. Botocuden-
S. der Berl. Anthrop. Ges. 171 n ff.
Schädelfragmente aus der Höhle von
Maeahe, Brasilien 180 u. ff. Patago-
nische S. 58 u. ff. S. aus Peru 121.
213. 242. 268. 271. Indianer-S. 271.
West-Gröuländische S. 270. S. von
der Oase Dachel 57. Schädelmaasse
von Zanzibar 210. Zuwachs der Schä-
delsammlung der Berl. Anthrop. Ges.
270. Schädelsammlung des Herrn Jan
van der Hoeven 270.
Schädel von Thieren. 25. 87 u. ff. 113.
8. a. Knochen.
Schädeldeformirung, künstliche. Auf Selebes
11. Auf den Nicobaren 187 u. ff".
Schädelform. Der Polen 104. Der Wenden
131 u. ff. Der Lappen, Finnen u.
Magyaren 34.
Schaf. 101. 105 u. ff. 123.
Schah von Persien. 64 u. ff'.
Schah Abbas. 65.
Schale. S. Gefäss.
Scharfenort. Posen. 123.
Scharkathal, Biihmen. 97 u. ff.
Scharker-Bach. 100.
Scheere. 18. 45. 122.
Scherben. S. a. Topfscherben, Thonscher-
ben, Urnenscherben. S. aus dem
Burgwall von Wollstein 10. Von
Barchlin u. Popowo 11. Von Bienen-
walde 12. Von den Parana-Mündun-
gen 59. Von Möen 63. Von Olmütz
96. Von Wockowitz 97 u. ff". Von
Käme 100 u. ff. 278 u. ff. Von Pri-
ment 104 u. ff. Von Seelow 116.
Von Gay 123 u. ff. Von Zahsow 129.
Von Ohio 145. Von Zaborowo 157
u.-ff. Von den Somal 209. Vom
Rinuehügel 217. Von Berlin 238.
Von Kohlhasenbrück 243. Von Ber-
lin, Oderberg, Spandau, Potsdam, Cö-
penick 243. Vom Sandwerder u. Käl-
berwerder 245. Von Ruszcza 258.
Vom Teufelsdamm im Plönesee in
Pommern 285 u. ff.
Scheune bei Forst i. Lausitz. 134.
Schiefer. 236.
Schiffsgrab. 214 u. ff.
Schlldbuckel. 92.
Schilluk. 44.
Schintetje. 43.
Schlaupe, Schlesien. 93.
Schlesien. 41. 42. 90. 93. 121 u. ff 133.
206. 277.
Schleswig. 62.
Schlieben. 12L 133.
Schlossberg, auf der Schorfhaide 16.
Schmuck. 17. Aus Muscheln 42. Aus
Nephrit ähnlichen Gesteinen 48 u. ff.
Von den Andamanen 67. Feder-
schmuck 88. 119. S. der Nicobaresen
195. Aus Gräbern 214, Vom Rinne-
hügel 218. 224. 227. Schmuck der
Lappen S. Lappen. S. von Bronze
S. a. Bronze.
Schnalzlaute. 18 u. ff.
Schnecken. 127.
Schneeschuhe. 30.
Schnitsch (Sniec) Posen. 121.
Schnurornament, S. Ornament.
Schokken, Posen. 122.
Schollehne, Brandenburg. 17.
Schorfhaide, Brandenburg. 16.
Schrimm, Posen. 101 u. ff.
Schurz, Schürze. 32.
Schwachenwalde. 94.
Schwanefeld, Braunschweig. 147.
Schwarzes Meer, ßd u. ff. 81.
Schweden, Schwedisch. S. a. Scandinavien.
25 75. 84. 99. 141, 217. 225.
Schwedenschanze. S. a. Befestigung, Burg-
wall, Wall.
Schwefel. 246 u. fl.
Schwein. S. a. Eber, Torfschwein. 100
u. ff. 105 u. ff. 113. 115. 123.
Schweiz. 41. 50, 136. 154 u. ff.
Schwemsal b. Leipzig. 48 u. ff.
Schwerin, Mecklenburg. 45. 233.
Schwerin, Posen. KU. 121.
20*
(308)
Schwert. Von Eisen 27. Von Bronze 147
u. £f. 154 u. ff.
Seehund. 22.
Seeigel. Als Ornament 41 u. ff.
Seelow. 85 u. ff. 112 u. ff. 247 u. ff.
Selebes. 11. 47 u. ff. 258 u. ff.
Selinunt, Sicilien. 54. 271.
Semangs. 92.
Sennaar. 44.
Serpentin. 50. S. CoUisberg.
Sessel. 88.
Shoboeng. 187 u. ff.
Showra. 187 u. ff.
Shygulewsche Berge. 76 u. ff.
Siao. 47.
Sibirien. S, a. üralgebiet. Amurgebiet
49 u. ff.
Sicaner. 55.
Sichelmesser. S. Messer.
Sicilien. 54.
Siculer, 55.
Siebenbürgen. 118.
Silber. 17. 130. 227. 258. 259.
Simbirsk. 78.
Singapore. 193.
Skalnierz. 96.
SIcelete, menschliche. Altgriechisches Sk.
27. Aino-Sk. 27. Von Santos 41.
Aus Brasilien 116 n. ff. Von Brasi-
lianischen Indianern 159 u. ff. Von
Caygua-lndianern 167 u. ff. Aus der
Höhle Babilonia 179. Aus Peru 121.
150 u. ff. Von Guebern 211. Von
Seelow 86. Von Rabenstein, Franken
94. Von Glockuitz 98. Von Plavno
106 u. ff. Von Ronneburg in Livland
214. Vom Rinnehügel 221 u. ff. Von
Sttante 223 u. ff. Aus dem Grab-
hügel vou CoUisberg 235 u. ff. Aus
den Gräbern von Ruszcza 258. Von
Lehfelde 279 u. ff. Von Kindern 105.
Skellefte-Elf. 32.
Skortleben, Prov. Sachsen. 75.
Slaven, Slavisch. 79 u. ff. 97 u. ff 129.
243.
Smyrna. 66 u. ff.
Societätsinseln. 146.
Soedermanoland. 141.
Sofala. 20.
Somal-Land. 99. 143. 209. 269.
Sonne. 19. 29 u. ff. 189.
Sonnenbilder, Sonnenzeichen. 126. S. a. Or-
nament.
Sonnencultus. 189.
Soome. S. Finne.
Spandau. 45.
Spanien, Spanier, Spanisch. 49. 51. 59.
Speckstein. 141. 146.
Speer. S. Lanze.
Spindeistein. S. Wirtel.
Spinnwirtel. S. Wirtel.
Spiralplatte. Von Bronze 106.
Sporn. 18. 21.
Sprache. Der Hottentotten u. Buschleute
18 u. ff. Südafrikanische Spr. 20 u. ff.
Altägyptische u. koptische Sp. 20 u. ff.
Nordafrikanische Sp. 19. Sp. der
Lappen 28 u. ff. Der Finnen 28 u. ff.
Lappische u. finnische Sp. 36 u. ff.
Mordwinische Sp. 31. Assjachische
Sp. 31. Wogulische Sp 31. Magya-
rische Sp. 31. Ugrische Spr. 228. 238.
Negrito- u. Papua-Spr. 47 u. ,fl. Spr.
der Guarani 59. Der Nicobaresen 190.
Keltisch 52.
Spree. 47. 102
Spreewald. 120. 132 u. ff.
Springmaus (Dipus Geranus) 127.
Springebruch. 124.
Ssant Acacie. 58.
Staaken bei Spandau. 45.
Stabreim. 31.
Städtel (Myastecko), Posen. 106.
Stargard in Pommern. 125 u. ff.
Statuette. 144. 231.
Steinaxt, Steinbeil. S. Steinwaffen, Stein-
werkzeuge.
Steinen, Schlesien. 93.
Steingeräthe. S. a. Stein waffen. Steinwerk-
zeuge. Geschliffene St. 8. 12, St.
aus Anhalt 42. 45 u. ff. 67. 71 u. ff.
87. Hornstein, in neuerer Zeit ge-
schlagen, ähnlich den sogenannten
prismatischen Messern 89. St. aus
dem Scharkathal 97. Aus Werben
119 u. ff. Aus Posen 122. 256 u. ff.
Von Zahsow 128. Schleudersteine
143. 147. 148. Brasilianische St.
167. St. von Nebra u. Lauche 209.
Schleifsteine 215. 218. 232 u. ff. St,
(309)
von Collisberg '237 ii. £f. St. aus Rus-
sischen Gräbern 2o9. St. von Basel
276 u. ff. St. aus Indien 259. '
Steingräber. 13 u. ff. (J3 u. ff. 214 u. ff.
25« u. ff. 278.
Steinhügel. 13. 214. 224. S. a. Grüber.
Steinl^eil. S. Steinwaffen. Steinwerkzeuge.
Steinitiste. 13 u. ff. 26. 60. 63. 66. 150
u. ff. 257 u. ff.
Steinsärge. 120.
Steinwaffen, Steinwericzeuge. Aus Feuerstein
45 u. ff. Aus Nephrit ähnlichem Ge-
stein 48 u. ff. 71 u. ff 145 u. ff, St.
von Obornik 63. 71 u. ff. Von Skort-
leben 75. Von Angermüude, Kohl-
hasenbrück, Jüterbogk 182. Ameri-
kanische St. 145. 183. St. von Neu-
holland 146. St. vom Burtneck-See
in Livland 219.
Steinwall. S. Wall.
Steinzeit. 42. 45. 99. 159.
Steiermark. 46.
Stelkoves, Böhmen. 98.
Stempel. Auf Topfböden 97. 106.
Stendal, Altmark. 18.
Steppen. Russische St. 77.
Sterne. 19.
Stettin. 155.
Stierbilder. 122 u. ff.
Stockliolm. 161 u. ff. 273.
Stopanowo. Posen. 123.
Stradow, Polen. 96.
Strakonitz, Böhmen. 108.
Stralsund. 136.
Strante. 214 u. ff. Opferhügel das. 223
u. ff
Strelensk. 40.
Striegau. 93.
Strot, in der. 232.
Strzelno. 277.
Stuttgart. Gereral-Versammlung der Deut-
schen Anthropol. Gesellsch. das. 11.
Südseeinsulaner. :!7.
Sumawa. 11.
Sumner, Neu-Seehind. 8.
Suomalainen. S. Finne.
Suome. S. Finne.
Svijany (Swian), Böhmen. 108.
Sykomore. 58.
Taback. 59.
Tabackspfeife. 146.
Tabi. 44.
Tättowirung. S. a. Ilautbemalung. 21.
Knopfförmige 43 u. ff. In Japan 21(».
Tahiti. SS.
Talisman. 31.
Talkschiefer. 71.
Tanz. Der Hottentotten 19. Todtentauz 88.
Taparra. T.-Holz 146. T.-FIaschen 146.
Tatat. 1S7 u. ff
Tataren, Tatarisch. Photographien 64. 79.
239.
Tawastländischer Dialect. 228 u. ff.
Teheran. 64. 210 u. ff
Tehuelsches. 59 u. ff.
Tekke. 67.
Tembu. 21.
Ternate. 48.
Terramara. 98. 130. 197.
Teufelsdamm. Im Plönesee in Pommern
•2S5 u. ff.
Teufelshöhle b. Salisbury. 223.
Teuplitz, Gross T. bei Forst iL. 133.
Texas. 145.
Thierbild. 258.
Thierköpfe. 259. S. a. Figuren.
Thomas, St.-T., Insel. 12.
Thonbilder, Thonfiguren. T. von Venezuela
42. 93 u. ff
Thongefässe. S. a Thongeräth, Topf, Urne,
Gefässe. Th. aus Andalusien 8. Von
der Schorfhaide 16. Aus Posen 41.
Dänische 42. Von der Oase Dachel
57 u. ff. Aus Aegypten 99. Aus
Scandinavien 61 ut ff. Bemalte Th.
111 u. ff. Th. aus der Gegend von
Cottbus 133 u. ff. Von Samthawro
153 u. ff. Th. des Märkischen Mu-
seums 242 u. ff. Tb. aus Indien 259.
Th. aus Peru 282.
Thongeräth. S. a. Thongefässe u. Scherben.
Th. der Cunco-Indiauer 8. Aus Burg-
wällen 1 1. 98. p]trurisches, griechisches
197.
Thongeschirr. S. Thongefässe.
Thonperle. S. Wirtel.
Thonscherben. S. Scherben.
(310)
Thonschiefer. 76.
Thonurne. 8. Urne.
Thonwirtel. 8. Wirtel.
Thränenkrüge S. Urnen.
Thüringen, Thüringer, Thüringisch. 41 42.70.
Thuhkeul. 8. Koranna.
Tibbu. 23.
Tichwinscher Kreis. 228. 240.
Tidore, 47.
Tiflis. 66.
Titus. 58.
Tiwukar. 258 u. ff.
Todtenbestattung. 19 u. ff. 27 n. ff 41.
57 u. ff 50. 64. 88. 210 u. ff. 212
u ff 258 II. ff.
Töpferberg b. Forst i. L. 133.
Töpferei. Der Chilenischen Indianer 57
Töpfereiwaaren. S. a. Thongefässe. T. von
Zuiu 12. Der Chilenischen Indianer
57.
Toledo, Ohio. 145.
Tomahawk. 145.
Tomini. 11.
Tonga-Inseln. 147.
Topas. 71.
Topf. T()pfe aus Gräbern der Ciinco-lndia-
ner 8. T. bei Obornik gefunden 12.
Von Hohennauen 18. Von Santos 41.
Mit gestempelten Böcken 97.
Topfscherben S. Scherben.
Torf. S. a. Moor. Moorfund. 44.
Torfschwein. S Schwein.
Torgau. 40.
Torneä-Elf. 225.
Totnan. 137.
Toumbuluh. 11. 258.
Toumpakewa. 11.
Tounaha. 258.
Tounsea. 11.
Trebschen. 102.
Trichose, 279 u. ff.
Trichtergruben. 51 n. ff. 201 u. ff.
Trinkhorn. Von Thon 133.
Triquetrum, 41. 158.
Troglodyten. 10 u. ff.
Troja 7. 41. 276,
Trommel. Zaubertrommel der Finnen 3U.
Tr. 146.
Truxlllo. 282.
Tscheremissen. 79.
Tschirnau, Schlesien. 121 u. ff.
Tschuden, Tschudisch. 80. 228.
Tschuwaschen. 79.
Türken. i56 u. ff. 271.
Tules-Indianer. 88.
Tumulus. 150. T. des Mithridates 150.
Turan, Turanisch. 79.
Turanier. 32. 79.
Turkestan. 49.
Turnau, Böhmen. 108.
Tutuli. 46.
Twer. 229. 240 u ff.
Tykocin, Russland. 90.
Tyrus, Tyrisch. 61 u. ff.
U.
Uckersee. 96.
Ueberlinger See. 71.
Uelzen. 51.
Ugrischer Volksstamm. 228. 238 u. ff.
Ulalabucht. 191.
Ulme. 104.
Ungarn. S. a. Magyaren. 109. 123. 228 u. ff.
Ur. 87. 127. S. a. Auerochs.
Ural, Uralisch. 38. 77 u. ff 239.
Ureinwohner. S. a. Aboriginer. ü. der
Laplata-Staaten 58 ii. ff. 76 u. ff.
Urnen, Thonurnen. S. a. Thongefässe, Thon-
geräthe. ü. aus Anhalt 12. 42. Von
Joachimsthal 12. Vom Grimnitzsee
13 u. ff. Von Friedrichswalde 15.
Ringen walde 15 u. ff. ü. der Rup-
piner Sammlung 18. U. von Stendal
18. Von Neustadt a/D. 18. Von
Zucheu 26. Von Dobryszyce 28. Aus
Thüringen 41 u. ff. Von Hohenzieritz
46. Von Rombczyn 60. Von Per-
sanzig 60. Von Obornik 63. Von
Wockowitz (Vokovic) 97. Von Zabo-
rowo 102 u. ff 109 u. ff 157. Von
Plavno 107. ü. mit Mäanderverzie-
rung 105. U. von Seelow 86 u. ff.
114. 116. Von Werben 119 u. ff.
Von Bölkendorf 123 u. ff". Von Nie-
megk 124. Aus der Gegend von
Cottbus 133 u. ff'. Von Helmstedt
147. Von Westeregeln 208. Von
Drütte 208. Von Nebra u. Laucha
209 Von Coliisberg 235 u. ff, Bei
Berlin gef. 238, Urnen des Mär-
(311)
kischen Museums 242 u. ff. U. aus
FospQ 121 u. ff. Von Gay, Posen,
123. 2ÖG u. ff. 277. 278. U. von
Kulisdorf, lirandfiiburg 282. Amori-
kanisciie U. 144. U. <ler üuaraiiis
59. U. von Sautos 41. Von der Oase
Dadiol 57.
Urnendeckel, is. CO. 121 u. ff. 1.;:; u. ff.
•-'i;;.
Urnenfeld. S. (JiäbtalVtd.
Urnenscherben. S. Scherben.
Ursula. lo7 u. ff.
Ussuri. Pliotograpliion von dort 40.
Vaalfluss. 21.
Vancouver. 146.
Varel. 2.i2.
Vasen. S. a. Gefässe. Peruanische von
Truxillo 2S2.
Vaudrevanges. 154.
Venusexpedition. G-1 u. ff.
Verbrennung der Leichen. S. Leicheubrand.
Verden. 107.
Verein, histor. von u. f. Oberbayern. 51.
Verstümmelung. S. a. üeformirung u. Ca-
stratiou. V. der Finger 19, Auraerkuug.
Au.s>!:eldagen der Zähne 24.
Verzierungen. S. a. Ornamente. 9. An
Urnen 15. 60 u. ff. 86 u. ff. 92. Con-
centrische Ringe als V. 61. Geflecht-
artige V. an Kinderklapperu 93.
Mäander -V. 104. Gemalte V. an
Gelassen 144.
Vespasian. 58.
Vesterbotten, Lappniark. 32.
Viceita-Indianer. 119.
Vicoigne b, Valence (Valcutia). 138.
Vippach b. Weimar. 42.
Vogel. Kuocheu von V. 105. 127.
Vogelfigur. 93 u. ff. Von Bronze 108 u. ff.
Als Spielzeug 232.
Vokovic (Wockowitz) b. Prag. 97 u. ff.
Vorberg b. Lübbenau. 128.
Vulci. 46.
W.
Wäinamöinen. 31.
Waffen. S. a. Feuerwaffen. Steiuwaffen,
Schwort U.S. w. W. 1:'. It!. Kiserue
W. |f8. 111. 1.30. Eiserne Rüstung
46. - W. der Nicobaresen 189.
Wagen, Bronze- W. lOS.
Waitaha. '.».
Walachei. Walachisch. 77. 79.
Waldaihöhe. SO.
Waldkirch b. Freiburg i. Br. 74.
Walfisch. 22.
Wall. S. a. Burgwaij, Befestigung. Brand-
wali bei Stradow 96. Braudwall im
Uckersee 96.
Wallberg. S. Wall, Burgwall.
Wallerfangen. 154.
Wangen am Bodeusee. 72.
Waräger. 80.
Warschau. 258.
Warthe. 101 u. ff 123.
Waschke, Posen. 121.
Wassersaphir. 71.
Wassersuppe, Brandenburg. 18.
Weichsel. .SO. 96. 101.
Weimar. 42.
Weissagk b. Forst i,L. 134 u. ff.
Weissenfeis. 26. 42.
Weissrussen. 80.
Weizen. 102.
Weka (Ocydroraus Australis). 9.
Wellenornament. S. Ornament.
Welna. 6.;.
Wels. 182.
Wenden, Wendisch. 17 u. ff. 46. 131 u. ff.
Wendenpfennig. S. Münze.
Wepsischer Dialect. 228.
Werben b. Cottbus. 119 u. ff. 134 u. ff.
Werbig. 85. 116.
Werder a. Rügen. 136.
Werle, .Mecklenburg. 98.
Weser. 50. 107. 232.
Wesseley. 62.
Westeregeln. 206 u. ff. *
Westfalen. 137. 142.
Wicken. 102.
WIelen. 104.
Wiesbaden. 45.
Wilsnack, Brandenburg. 18.
Wind. In der Sage 30. Beschwörung der
W. 30.
Wirte!. S. a. Spindelstein. Aus Rothen-
burg a. Tauber 94 u. ff. Von Wester-
(312)
egeln 208. Aus Livland 215, W.
103. 122.
Wisconsin. 145.
Wladiwostok 40.
Wocitowitz (Vokovic) b. Prag. 97.
Woelpe. 107.
Wogulen, Woguliscli. 31. 228. 239.
Wogullta. 239.
Wohlau. 12.
Wohnplätze, praebistorische. S. a. Anslede-
luugen. 97 u. ff.
Wolinungen. 83.
Wolga. 78. 238 u. ff.
Wollstein, Prov. Posen. 10, 95 ii. ff. 100 u. ff.
122. 278 u. ff.
Wolsit. 80.
Womza, Russland. 99.
Wongrowice, Posen. 133.
Wriezen. 85.
Würzburg. 137.
Wurfbrett. 147.
Wusterhausen. 18,
X.
Xosa. 21.
Yalta. 150.
Yeso, Yesso. 27.
Yngebrand de Rurke.
138.
Yokohama, 45.
Ystadt. 136.
Z.
Zaborowo, Posen. 2G, Gl. 95 u. ff 102 u. ff
109 u. ff 133, 135. 154 u. ff 198 u. ff
200. 246 u, ff 278 u. ff.
Zacatecas. 144 u, ff,
Zahlwörter. 19. 239.
Zahn. Ausscblagen der Zäbne 24.
Zahsow b. Cottbus 127 u. ff 213. 269.
Zander. 105.
Zanzibar. 210. 269.
Zarizyn. 64. 78.
Zauberei. Der Lappen 30 u. ff. Der Finnen
30 u, ff, 58.
Zeichnungen. S, a. Abbildungen, Photo-
graphien. Contourzeichnungen 11.
Z. von Objecten von den Andaraanen,
Raiigun, u. von Amritsar 213 u. ff.
Von Altsachen aus Indien 259.
Zeitz. 94 u. ff.
Ziege. 101,
Zigeuner. 32, 39. 229.
Zimbalye. 20.
Zink. 107. 198 u. ff,
Zinn. 21. 62. 107. 198 u. ff 246 u. ff.
Znin, Posen. 12.
Zoroaster. 211.
Zulu. 21.
Zwischen-Ahner See. 231.
(Dr. Voss.)
Druck vüu Gebr. Uuger (Th. Grimm) Id Berlin, Schönebergerstr. 17a.
/.r,/sr/,r,ll f /--//„„.loriir- f.l„t/,va, nilo./ Crsrl/sr/nft
r,,j W
-<wv
\
Lu),u.W,\M,y„
Vrr?.,^ P "''■•/■-"'^.A'.v,,,,' «./•',„,:,
Zeitschrift f. h'Jlmol.
Taf.XIIL
P(p^'^'^'^(D'^Q
- : .rjLJL-jOOOO
^cp-
Trrljq P \S'leuiJniil , ffemfrl ^ Vnri^i ui hn^in
ZeitsehnJI f. R/imhi/w (Anrlirapo/oi/. liacllsrhnp.,
ooo
30ooo3acx3000oOöDO(30i
/i-- ^00®eD)Q®aoOc^ac3DOQoo 0030 oooQOO
oO
ilJ^
>
r
W.\ Meifn ht?i Jnst
Vefiaa v- hheaandt. ffempel i. l'ui-e^ i'i Jjtnint
Zeil.'ichnff j'. Fthn»lii<f i Anfhrnpolaq Oesdlsrhaft
Taf xn\
c
Zritsrhrifi f. Elknoh(ji£ ( Aiiihrnpi.hui I rcsdlschn ft
Tai. AT
Mi-i(/i. l<lh Imt
\'M,i,l ••Wiro'i'-lt.H'mprIi A>r«« IM Nrr//>i
ZalsrJirip l'.Kthriiiloijir (Ant/irupoln/j. Ocaflhrliaf/.J.
Tai: XVi
'V. .1 .tfeyn htth.Jnst
Ver/aif p Witufontif, Hempd. & I'ü
■'~-i^^isäi*isi^
*l',-:(»;.'*i^3
Infolge nicht deutlichen Manuscripts und der Unmöglichkeit, dem Autor
Correctur der Druckbogen zu senden, hat sich leider in die
Dalton - Flex'sche Ethnologie Bengalens
eine ungewöhnHche grosse Anzahl Druckfehler eingeschlichen, deren Verzeich-
niss wir nachstehend pubhciren.
Seite 2 Zeile 11 v. u. statt Dravidische Race lies Draviilischen Race
hier lies ihrer
Sontals lies Santals
Fengapani lies Tengapani
Padiga lies Sadiya
Tipperoh lies Tipperah
iune lies inne
Khanti-chiefs lies Khainli chiefs
Qautama lies Gaiitama
Dav lies Dao
Erdhanfen lies Erdhaufen
Msgr. lies Monsr
Msgr. lies Monsr
Linie lies Leine
unabhongig lies unabhängig
Mimbus lies Membus
Hauptordner lies Hauptredner
ausrufen lies ausriefen
Geachaifenem lies Geschaffenem
Khunds lies Khands
Lakhinpur lies Lakhimpur
Pamibotia lies Panibotia
gehandhobt lies gehandhabt
ruhenden lies ruhenden
sei lies sie
eine Nichte lies seine Nichte
die das Tödten lies auf das Tödten
Baumwollenfedern lies ßaumwollenfeldern
Shastos lies Shastrs
danoben lies daneben
Viela lies Viele
Zaum lies Zaun
Brotfahren lies Bootfahren
augenscheinlich lies augenscbeinlicb
verbrannt lies verbannt
Katschares lies Katscharis
Hebraphat lies Habraghat
aber so lies ebenso
Begrabnissn lies Begräbnissen
frühar lies früher
2
„
1 V. u.
3
»
4 V. 0.
3
n
14 Mitte
3
■D
16 Mitte
4
„
5 V. u.
4
„
h V. u.
4
»
Mitte
5
»
7 V. 0.
5
»
14 V. u.
8
7>
Mitte
9
„
Mitte
9
„
unten
10
„
15 V. 0.
14
9
Mitte
14
y>
unten
15
»
Mitte
15
»
unten
16
»
Mitte
18
„
14 V. u.
19
n
6 V. 0.
19
V
8 V. 0.
19
»
Mitte
20
„
4 V. 0.
20
„
Mitte
21
„
12 V. 0.
21
„
9 V. u.
23
^
11 V. 0.
23
„
4 V. u.
24
j)
2 V. u.
26
11
Mitte
31
n
Mitte
32
9
7 V. u.
32
„
6 V. n.
33
»
Mitte
35
V
Mitte
37
»
1 V. u.
38
»
7 V. 0.
39
»
10 y. 0.
39
»
12 V. 0.
Seite 40 Zeile 12 v. o. statt berichtenden lies berühmten
,40 „ 10 V. u. „ Mnud lies Mund
„41 „14 V. 0. „ Dar lies Dao
, 41 , Mitte „ Pipol lies Pipal
„43 „12 V. u. „ Sadiga lies Sadiya'
„44 „ Mitte „ Kolilas lies Kolitas
„ 44 , Mitte „ Kauirnps lies Kamrups
„46 „ 3 V. 0. „ Kafi lies Kasi
46 ^ 1 V. u. „ Södsch lies Sidsch
„^ AI „ 3 V. 0. „ Södsch lies Sidsch
„47 „ 10 V. u. „ Fraaeu lies Frauen
47 2 V. u. eines solchen — ,solchen' muss in die nächste Zeile hinter
,eines' kommen
„48 „ 1 V. 0. „ hiattes lies Blattes
„48 „16 Mitte „ Herrn lies Heroen
„ 48 „ 8 V. u. , Ralchas lies Rabhas
,49 „ 7 V. o. „ lebrn lies leben
„49 „ 11 Y. u. „ Ahams lies Ahorns
50 „ 10 V. u. „ schwarzhaarigem lies schwarzhaarigen
„51 „10 V. u. „ Kamruz lies Kamrup.
„51 , 9 V. u. „ Bewilligung lies Bescheinigung
3, 51 „ 1 V. n. „ wollen lies wollten
„54 „ 17 V, u. „ Dinadschzur liesDinadschpur
3. Arun bis Metschi 1 ,. i • u
„54 „10 V. u. muss heissen: ,^^ g.^^.j^j^ j^^^j^^J limbmsch
„55 „ 6 V. 0. „ Kolariff lies Kolarisch
„ 57 „ 4 V. u. „ Trilotscham lies Trilotschan
„58 „ 1 V. 0. „ Kadschbaesis lies Radschbansis
„58 „ 1 V. 0. „ Nowatzass lies Nowatyahs
„58 „ 4 V. 0. „ Todschäis lies Todschais
, 58 „ 2 V. u. „ Kakir lies Kukis
„59 „13 V. u. „ Buschais lies Luschais
„59 „13 V. u. , Yomdoug lies Yomdong
„59 „ 11 V. u. „ Bushais lies Luschais
„62 „ 8 V. 0. „ Insovah lies Jehovah
„62 „15 V. 0. „ Bukso lies Bukho
„ 62 „ Mitte „ diesem Alter lies diesem alter ego
„62 „ 8 V. u. „ Muksas lies Mukhas
„63 „ 7. V. 0. „ Mitnain lies Mitnam
„64 „13 V. 0. „ den Dialekt lies dem Dialekt
, 64 „ Mitte „ Kambroschans lies Kambodschans
„65 „ 8 V. 0. „ Noaus lies Urans
„65 „ 9 V. 0. „ Radschnasal lies Radschmahal
„ 65 „ Mitte „ Madhydich lies Madhydesh
„65 „ 4 V. u. „ Tschero lies Tschota Nagpur
„67 „ 4 V. 0. , Kehahi lies Kshatri
„67 „ 4 V. 0. „ Pharmi lies Bharni
„67 „ 7 V. 0. „ Kiratio lies Kiratis
„68 „ 9 V. 0, „ Phalboys lies Thalboys
,68 „ 8 V. u. „ bindet lies bildet
„69 , 7 V. u. „ Rusa lies Rewa
„70 „ 2 V. 0. „ Phalgna Ites Phalguu
„ 70 „ Mitte „ Jle lies Jb
„ 72 „ 14 V. 0. „ Haet'inaqurs lies Uastinapurs
, 72 . Mitte. - Palamowo lies Palamos
Seite 72
Zeile 3 v. u.
, 73
»
13 V. u.
. 78
,
5 V. u.
, 79
»
Mitte
, 80
„
3 V. 0.
„ 80
»
3 V. 0.
„ 80
„
Mitte
n 80
„
4 V. 11.
„ 86
„
13 Y. 0.
„ 86
„
13 V. u.
, 87
»
2 V. 0,
„ 87
»
3 V. 0.
, 93
»
Mitte
, 94
„
3 V. 0.
. 94
»
10 V. 0.
„ 94
„
Mitte.
^ 94
„
10 V. u.
, 95
»
6 V. 0.
, 95
,
13 V. 0.
, 95
„
13 V. 0.
„ 96
»
14 V. u.
„ 97
»
13 V. 0.
„ 98
„
5 V. 0.
, 99
„
1 V. u.
„ 99
»
1 V. u.
n 100
»
7 V. u.
»100
»
7 V. u.
«103
„
Mitte
» 105
„
Mitte
.105
»
16 V. u.
,109
»
7 V. 0.
„ 109
»
11 V. 0.
.111
„
15 V. u.
,112
„
2 V. 0.
»112
»
11 V. 0.
„ 112
„
Mitte
»115
„
6 V. u.
, 115
„
4 V. 0.
»115
„
4 V. 11.
» 118
„
3 V. 0.
» 120
»
14 V. 0.
»121
»
10 V. 0.
»121
»
17 V. 0.
,122
„
7 V. 0.
, 122
»
8 V. 0.
statt Bhagaepur lies Bhagalpiir
„ Lanka lies Lanka
^ Mahnabaums lies Mahuabauins
„ Beuskars lies Bendkars
„ Logaa lies Logan
„ Simaugdialekte lies Simangdialekte
„ Frissa lies Orissa
„ Gevalas lies Gwalas
„ Nuasis lies Muasis
„ Mnasis lies Muasis
„ Mahwani Mahwasi
„ Kanandsch lies Kauaudsch
„ Muasirs lies Muasis
„ Gondo lies Gonds
„ Dhanzars lies Dhangrs
„ Patua lies Patna
„ Teluzus lies Telugus
„ üschomherpa lies Dschoncherpa
„ Dschomherpa lies Dschoncherpa
„ Jirgudscha lies Sirgudscha
„ din lies die
„ (jui lies jui
„ Rispotas lies Kispotas
„ Geoogical lies Geological
„ ha aber lies hat aber
„ skales lies shales
„ agee lies age
„ aufgsstellt lies aufgestellt
„ Bhiko lies Bhils
, Bhilo lies Bhils
„ von den lies an den
„ sind deu lies sind den
„ erschienen lies erscheinen
„ Stylur lies Stylus
„ Pfosten lies Pfosten
„ Maniksoco lies Maniksoro
„ Gazur lies Garur
„ Ureinwohnern lies Ureinwohnern
„ Mahabharas lies Mahabharat
, Tschihgupta lies Tschitrgupta
, »Gudscbrab lies Giulschrat
„ Nrauns lies Uraus
„ Dschahag lies Dschadsch
, gehören lies gehören
„ Mabadec lies Mahadeo
GETTY CENTER LIBRARY
il l!l
3 3125 00701 7193
'i:;i: ''.yj-}y^
't;'::^'' :T
^^:i||^':'::3iMil^^