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Full text of "Zeitschrift für Ethnologie"

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ZEITSCHRIFT 

FÜR 

ETHNOLOGIE. 


Organ  der  Berliner  Gesellschaft 

für 

Anthropologie,  Ethnologie  und  Urgeschichte. 

Unter  Mitwirkung  des  Vertreters  derselben, 

R.  Virchow 

herausgegeben  von 

A,  Bastian  und  R.  Hartiiianuc 


Siebenter    Band. 
1875. 

Mit  17  lithograpliirteri  Tafeln. 

Berlin. 

Verlag  von  Wiegandt,  Hempei  &  Parey. 


T  n  h  a  1 1. 


Seite 

A.  Bastian,  Australien  und  Nachbarschaft  (Fortsetzung) 17.  163. 

—  — ,     Völkerkreise  in  Afrika 137. 

Hildebrandt,  J.  M,  Vorläufioe  Bemerkungen  über  die  Somal.     (Hierzu  Tafel  I.  u    II.)  1. 
Koner,  W.,   Uebersicht  der  Literatur  für  Anthropologie,  Ethnologie   und  Urgeschichte 

im  Jahre  1874      173. 

Kuchenbuch,  Funde  und  Fundorte  von  Resten  aus  vorhistorischer  Zeit  in  der  Umgegend 

von  Müncheberg,  Mark  Brandenburg 26. 

Lorange,  A.,  Ueber  Spuren  römischer  Cultur  in  Norwegens  älterem  Eisenalter  .    .   245.  330. 

Mannhardt,  W.,  Dr,  Die  lettischen  Sonnenmythen 73.     209.  281. 

Meyer,  K.  F.,  Die  Sieben  vor  Theben  und  die  Chaldäische  Woche 105. 

Schwär  tz,  W.,  Zum  Ursprung  der  Gebräuche  der  Urzeit 401. 

von  Stein,  F.,  Die  Mongolen.     Aus  dem  Russischen  übersetzt 353 

—  — ,    Die  Skopzensekte  in  Russland   in   ihrer  Entstehung,   Organisation  und  Lehre. 

Nach  den  zuverlässigsten  Quellen  dargestellt 37. 

—  — ,    Die  Tanguten,    Aus  dem  Russischen  übersetzt 381. 

Miscellen  und  Bücherschau 70.     203.     273.  345. 


Verhandlungen  der  Berliner  Gesellschaft  für  Anthropologie,  Ethnologie  und  Urgeschichte, 
(Ein  specielles  Inhalts- Verzeichniss  der  Verhandlungen,   sowie  ein  alphabetisches  Sach-Register 
befinden  sich  am  Schluss  derselben.) 


Verzeichniss  der  Tafeln. 

Taf.  I— II.    Abbildungen  von  Somal.    Zeitschr.  S.  1, 
„     III.        Bronzen  von  Zuchen  in  Pommern.    Anthropol.  Ges.  S.  24. 
„     IV.        Hutmachermaasse  von  Lappen.    Authrop.  Ges.  S.  31. 
»     V.  Bronzeschalen  von  Slaaken  in  der  Mark.     Anthrop.  Ges.  S.  45. 

»     "VI.         1—3.     Thongefäss  von  Persanzig.     Anthrop.  Ges    S.  60. 

4.  Thongefäss  von  der  Insel  Gotland.     Anthrop.  Ges.  S.  61. 

5.  Gesichtsurne  von  Möen.     Anthrop.  Ges.  S.  63. 

„     VII.      Funde  von  Seelow  in  der  Mark.     Anthrop.  Ges.  S.  85. 

„     VIII.     Bronzen  von  Zaborowo  in  Posen.    Anthrop.  Ges.  S.  95. 

,     IX.        Funde  von  Stargard  u.  Lüptow  in  Pommern.     Anthrop.  Ges.  S.  125. 

a     X.         Bronzen  aus  dem  Braunschweiger  Museum.    Anthrop.  Ges.  S.  143. 

„    XL        Thongefäss,  Bronzen  u.  eiserne  Sachen  aus  dem  Gräberfelde  von  Zaborowo  in  Posen. 

Anthrop.  Gesellsch.  S.  154. 
,     XII.      Brasilianische  Wilde.     Anthrop.  Ges.  S.  165. 
,     XIII.     A.  Normannisches  Schiffsgrab  von  Ronneburg  in  Livland.    Anthrop.  Ges.  S.  214. 

B.  4—126.   Bronzen  und  andere  Funde  von  da. 

B.  a— h.  Funde  aus  dem  Opferhügel  von  Strante  in  Livland.  Anthrop.  Ges.  S.  224. 
„  XIV.  Funde  aus  dem  Rinne-Hügel  am  Burtneck-See  in  Livland,  Anthrop.  Ges.  S.  218. 
„     XV.      1—2.    Andamanesen.     Anthrop.  Ges.  S.  254. 

3—5.    Nicobaresen.     Authrop.  Ges.  S.  185. 
„     XVI.     1.    Bronzehalsschmuck  von  Lehmden  in  Oldenburg.     Anthrop.  Ges.  S.  232. 

2-  6.    Gräberfund  von  Ruszcza  in  Polen.     Anthrop.  Ges.  S.  258. 
„     XVII.    Sacrale  und  lumbale  Trichose.    Anthrop.  Ges.  S.  279. 


Druckfeh  1er- Berichtigung. 

S.  261  statt  VERANT  muss  es  heissen  VERÜNT. 

S.  269  unten  statt  Bratsteine  muss  es  heissen  Bretsteine. 


Vorläufige  Bemerkungen  über  die  86mal. 

Von  J.  M.  Hildebrandt. 

Hierzu  Tafel  I  und  II.') 

Wie  auf  allen  anderen' Gebieten  der  Erde,  so  haben  sich  auch  in  Afrika 
Völkerwanderungen  zugetragen,  Strömen  gleich,  hier  verheerend,  dort  segen- 
spendend. Oftmals  waren  es  Berglande,  aus  denen,  dem  tosenden  Wildbach 
ähnlich,  ein  starker  Stamm  entströmte.  Alles  vor  sich  vernichtend  und  erst 
dann  seinen  Lauf  beruhigend,  wenn  seine  erstmals  vereinte  Kraft  in 
schwächendem,  weit  theilenden  Geäder  sich  über  weite  Strecken  breitete. 

Solchergestalt  erscheinen  uns  die  Orma,  von  ihren  Nachbarn  Gala  — 
was  in  ihrer  eignen  Sprache  „Heimathsuchende"  bedeutet  —  genannt.  Die 
Quellen  dieses  mächtigen  Volkstroms  scheinen  in  den  Bergen  Süd-Abessiniens 
und  des  östlichen  aequatorialen  Afrlka's  und  in  den  weiten  Plateaux,  aus 
denen  sie  sich  erheben,  ihren  Ursprung  zu  haben.  Diesen  Stammsitz  halten 
sie  noch  jetzt  inne.  Ein  Arm  dieses  Stroms  ergoss  sich  südlich  über 
schwächere  Neger  und  bildete  mit  ihnen  Magai,  Wakuafi,  Wanika, 
Wado  e  und  andere  Stämme,  bis  er  den  von  Süd  andringenden  Verwandten 
der  grossen  Kafferrace  begegnete,  die  seinem  Weiterschreiten  entgegen- 
standen. Ebenso  im  Süd- West  und  West ,  im  Seen-  und  Nil-Gebiet.  Nörd- 
lich verbreiteten  sich  die  Orma  als  Somal,  Afer  (Danakil)  und  Schoho, 
vielleicht  gar,  dass  Habäb-Völ  ker,  Beschartn  und  Hadendoa  noch  in 
das  System  dieses  Volkstroms  gehören.  Gegen  Abessinien  hin  erscheint 
seine  Scheide  wenig  scharf  ausgeprägt.  Die  Zusammengehörigkeit  dieser 
Völker  las  st  sich  anthropologisch  —  allerdings  bis  jetzt  nur  nur  durch  phy- 
siognomische,  äussere  Aehnlichkeit  —  in  einigen,  allen  gleichen  Gebräuchen 
und  Sprachverwandtschaft   vermuthen,    ein  endgültiger  Beweis  für  solche 


')  Nach    Photographien,    die   vom  Verfasser    theils  selbst  ausgeführt,    theils    von    ihm    iu 
Aden  erworben  sind.     Taf.  II  Fig.  4  gehörte  der  Sammlung  des  Herrn  Dr.  J^or  an. 

ZeitscUrift  für  Ethuolügie,  Jahrgang  1S75.  1 


2  .1.  M.  Hildebrandt: 

Annahme  —  sei  er  positiv  oder  negativ  —  ist  jedoch  erst  dann  zu  erzielen, 
wenn  ein  vielartiges  Material  zur  Sichtung  herbei  gebracht  ist.  Nun  besitzen 
wir  aber  über  diese  Völkergruppe  nur  sehr  wenige  Angaben;  nur  selten  ist 
es  Reisenden  gelungen,  bei  ihnen  Einlass  zu  finden,  nicht  alle  sind  aus 
ihren  unwirthlichen  Landen  zurückgekehrt.  Besonders  die  SomaP)  sind 
seit  alters  dem  Reisenden  gefährlich  gewesen,  Barbarea  hiess  der  District 
um  den  noch  jetzt  blühenden  Marktplatz  Berbera.  Sie  bewohnen  die  grossen 
Ebenen,  die  sich  von  Abessinien  zum  Indischen  Ocean  hinziehen  südlich  bis 
über  den  G<')buin2)  hinaus.  An  der  Küste  des  Golfs  von  Aden  erheben  sich, 
nahe  bei  Berbera  beginnend  und  im  Ra^  Assir  (Cap  Guardafui)  endend,  die 
Gebirge  (Ahl),  in  denen  Weihrauch  und  Myrrhe  ihre  Heimath  haben.  Hier 
in  Berbera  undBulhar  und  später  imBenadir^)  besuchte  ich  die  Sömal; 
jedesmal  war  mir  jedoch  nur  sehr  kurze  Zeit  zu  verweilen  vergönnt,  sodass 
ich  nur  wenige  Notizen  über  dieses  Volk  zu  sammeln  im  Stande  war.  Ich 
säume  jedoch  nicht,  auch  diese  wenigen  hier  niederzulegen,  da  sie  theils  zur 
Bestätigung  älterer  Nachrichten  dienen  können,  dann  auch  wohl  einiges 
weniger  Bekannte  enthalten  dürften. 

Die  Söinal  erinnern  sich  in  Traditionen,  dass  das  Land,  in  dem  sie 
hausen  ,  ehemals  von  Gala  besetzt  war;  glaubensmuthige  Araber  landeten  an 
seinen  Küsten,  mehrten  sich  untereinander  und  bildeten  ihre  Stammältern. 
Diese  Erzählung  fasst  manches  Wahrscheinliche  in  sich,  nur  dass  solche 
Einwanderung  semitischer  Völker  weit  früher  stattgefunden  haben  muss.  Der 
Weihrauchhandel  ist  uralt,  die  Handels-Emporien  Seila,  Berbera  und  Hafüu 
werden  von  den  ältesten  Sclu'iftstellein  erwähnt.  Die  Sömal-Ijänder  liegen  au 
der  schon  so  frühzeitig  befahrenen  W  asserstrasse,  auf  der  Erzeugnisse  Indiens 
mit  denen  Süd-Afrikas  ausgetauscht  werden.  Auch  der  Connex,  in  dem  die 
Aethiopier  mit  den  ältesten  Culturvölkern  standen,  kann  auf  die  Somal,  ihre 
südlichen  Nachbarn,  nicht  ohne  Eintluss  geblieben  sein,  da  durch  deren  Gebiet, 
wie  durch  das  der  Afer  (Danakil),  der  natürliche  Weg  zum  Hochlande  führt; 
vielmehr  deuten  einige  bei  ihnen  noch  jetzt  herrschende  Gebräuche,  wie  sie  die 
alten  Hebräer  und  Aegypter  hatten;  auf  diesen  Einfluss  bestimmt  hin.  In 
solcher  Weise,  theils  durch  Blutverniischung  mit  höher  stehenden  Völkern, 
theils  durch  deren  geistig  zeitigende  Einwirkung  sehen  wir  denn,  dass  sich 
die  Sömal  zu  einer  starken  Nation  heranbildeten;  hier,  wo  der  Boden  zur 
Cultur  einladet,  wie  in  lliiniir  einen  Staat  bildend,  dort,  wo  die  Knoten- 
puncte  der  (.'arawanenstiiissen .  wie  in  Genane,  oder  bei  deren  Mündung  an 
der  Küste,  Märkte  errichtend.  So  segensreich  nun  auch  dieser  Handelsver- 
kehr im  Grossen  und  Ganzen  wirkte,  da  sich  mit  dem  vermehrten  Bedürfniss, 
welches  der  Import  luxuriöser  Waaren  anregt,  zugleich  höhere  Cultur  ver- 
breitet,   so  wurde    doch    unter   dem  Schutze   Merkurs    neben    dem  streitbaren 

')  Siiinal  ist  l'iurai  zu  Somfili.    Sotnai  lieisst  in  der  Landessprache  scliwarz,  dunkel.    D.  Verf. 

*)  (jdliuin  lieisst  Kluss  par  exceilence.     Ujidi  scheint  arabisciie  Korruption. 

■'■)  Beiiadir  im  arali.  i'.enadir:  Iliifen,  heisst  die  Strecke  von  Mükdischu  bis  Kismäjo. 


Vorläufige  Bemerkungen  über  die  Sömal.  3 

Kaufmann  auch  der  Dieb  im  Kampfe  um  den  Besitz  ausgebildet.  Dadurch 
entstand  Fehde  unter  den  Händlern  selbst  und  zwischen  ihnen  und  den  un- 
gesitteteren Völkern  des  Innern,  von  denen  die  Producte  geholt  wurden,  in 
welcher  letztere  unterlagen.  Als  nun  gar  der  Islam  auftrat,  der  eine  scharfe 
Grenze  zwischen  Gebildeten  und  Ungebildeten,  zwischen  Gläubigen  und 
Heiden  zog,  ward  der  Somal  immer  mehr  von  seinem  Urstamm,  dem  der 
Orraa,  entfremdet  und  überzog  dessen  Gebiet  mit  Feuer  und  Schwert.  So 
sehen  wir  heute  nocb  diese  rückläufige  Strömung  in  breiter  Fluth,  von 
Härrär  bis  zum  Indischen  Weltmeer  südlich  weiter  ziehend,  die  Eigenart 
der  Orma  zerstören. 

Aus  dem  Gesagten  erhellt,  dass  die  Somal  ein  Mischvolk  sind.  Wenn 
man,  wie  in  Berbera,  Bulhär,  ßaraua  oder  Aden  eine  grössere  Anzahl  der- 
selben zusammensieht,  so  gewahrt  man,  trotz  einer  gewissen  National-Aehn- 
lichkeit,  dennoch  eine  bedeutende  Divergenz  der  Endpunkte  zweier  Typen- 
reihen ,  welches  sich  vielleicht  folgendermaassen  in  Worten  wiedergeben  lässt : 
Die  einen  zeigen  ein  Verharren  am  Afrikanischen,  (so  Taf.  I, 
Fig.  4,  G,  8;  Taf.  II,  Fig.  2,  4,  7.).  Sie  sind  characterisirt  durch  flache 
Stirn,  Jochscheitel,  stumpfe,  breite,  flügelige  Nase,  wulstige  Lippen, 
prognanthen  Unterkiefer  und  Zähne,  krauses,  kurzes  Haar.  Der  Bart  fehlt 
meist  oder  ist  nur  schwach  zur  Seite  des  Kinns  ausgebildet.  Gestalt  plump, 
untersetzt  mit  kräftigen  Gliedmassen.     Hautfarbe  stets  sehr  dunkel. 

Die  andere  Gruppe  deutet  auf  eine  Annäherung  des  Afrikanischen 
ans  Semitische.  Ihre  Repräsentanten  (wie  Taf.  I,  Fig.  1,  2,  3,  5,  7; 
Taf.  II,  Fig.  1,  5)  zeigen  eine  hohe,  seitlich  schmale  Stirn,  bei  vorragendem 
Scheitel,  leicht  gekrümmte  Nase  mit  wenig  grossen  Oeffnungen,  Jochbein 
vorstehend,  Augen  tiefliegend,  klein;  Mund  gut  geschnitten,  Unterlippe  zu- 
weilen etwas  hängend,  Kinn  schmal,  Zähne  regelmässig,  wenig  vorstehend, 
lockiges,  nicht  krauses  Haar,  das  bis  0,5'"  lang,  etwas  starr  ist;  zuweilen 
einen  stattlichen,  meist  jedoch  wenig  entwickelten,  seitlichen  Kiunbart,  Ge- 
stalt auffallend  schlank,  oft  über  2  "'•  hoch,  Extremitäten  mager,  sehr  auffällig 
lang,  Hüften  der  Weiber  schmal,  Hautfarbe  sehr  wechselnd,  von  licht-braun 
bis  tief-dunkel. 

Dieser  letzt  genannte  Typus  ist  der  bei  weitem  prädominirende,  sowohl 
in  Zahl  der  Individuen,  als  in  geistiger  Hervorragung  des  einzelneu.  Mau 
erkennt  bei  eingehenderer  Betrachtung,  dass  der  negerartige,  obgleich  weder 
durch  niedrigere  sociale  Stellung,  noch  durch  körperliche  Schwäche  dazu 
direct  veranlasst,  sich  dem  stolzeren  Andern  unterordnet.  Zwischen  den 
Somal  des  Nordens  (die  sich  z.  B.  in  Berbera  zur  Beobachtung  geben)  und 
denen  des  Südens  (die  ich  in  Baraua  und  Marka  traf)  konnte  ich  keinen  be- 
stimmten Unterschied  erkennen,  letztere  scheinen  jedoch  im  Ganzen  etwas 
dunkler.  Den  arabischen  Typus  findet  man  wohl  am  reinsten  erhalten  in 
den  festen  Städten  an  der  Küste  des  Indischen  Oceaus,  w^enisrstens  in  eiuisfeu 
Familien,    die   ihren    arabischen   Stammbaum  —  natürlich    nur   iu  väterlicher 


4  J.  M.  Hildebrandt: 

Linie  —  verfolgen  können.  Andererseits  finden  sich  Negersclaven  und  Scla- 
vinnen  (besonders  über  Sansibar  eingeführt)  unter  den  Somal,  die  zu  Frauen 
genommen  und  deren  Kinder  in  den  Stammverband  einverleibt  werden.  Von 
diesen  verschieden  sind  die  Paria-Kasten  der  Somal.')  Bei  den  Wer- 
Singelli'si)  gi^jj  es  folgende: 

1)  Midgan,    ihres    Zeichens    Eisenarbeiter, ^)    welche  jedoch    ebenfalls  , 
Handel  treiben  und  oft  relativ  bedeutenden  Reichthum  und  dadurch  Achtung 
erlangen,    sodass    es   der  noble  SoraTdi  sogar   über  sich  gewinnt,  eine  seiner 
Töchter  an  einen  Midgan  zu  verheuern. 

2)  Tomal:  Sie  stehen  in  einer  Art  Hörigkeit  zu  den  grossen  Somalen 
und  werden  als  Diener,  Hirten  und  Kameeltreiber  benutzt,  auch  im  Kriege 
aufgeboten.  Der  edle  Wer-Singelli  führt  nun  Schwert  und  Speer,  während 
der  Toniali  Bogen  und  Pfeile  trägt. '^)  Zuweilen  wird  ihm  ein  Mädchen  der 
Midgan,  niemals  der  noblen  Somal  zur  Frau  gegeben.  Sie  gehören  jedoch 
zum   Stamme. 

3)  Jibbir  endlich  sind  die  Verachteten,  Geflohenen.  Sie  haben  keinen 
bestimmten  Wohnsitz;  familienweise  ziehen  sie  durch  das  Land,  von  Stamm 
zu  Stamm,  als  Gaukler  und  Wunderdoctoren.  Jedermann  reicht  ihnen,  aus 
Furcht  vor  Hexenwerk,  Speise  und  Geschenke,  wofür  sie  Amulete  aus 
Steinen  (auch  „Schlangenbisssteine")  und  Wurzeln  vertheilen.  Sie  heirathen 
nur  unter  einander. 

Diese  unteren  Kasten  sind,  soviel  ich  wenigstens  erkunden  konnte, 
vom  ächten  Somnli  weder  in  äusserer  Erscheinung,  noch  durch  Sprache  unter- 
schieden, auch  erfuhr  ich  nichts  über  ihren  Ursprung. 

Ich  bemerkte  nicht,  dass  sich  die  S(')malen  in  irgend  einer  Weise  —  sei 
es  durch  Tättowirung,  Zahndeforrnirung  oder  dgl.  —  Stammesabzeichen  an 
ihrem  Körper  anbringen. 

Die  Beschnei  düng  wird  bei  Knaben  und  Mädchen  zwischen  dem 
achten  und  zehnten  Jahre  ausgeführt;  letztere  werden  zugleich  „vernäht," 
indem  die  verwundeten  Schanilippenränder  mit  Pferdehaaren  theilweise  zu- 
sammengenäht wer(h'n  und  bis  auf  einen  engen  Canal  verwachsen.  Die  B  e- 
schneid  ungsw  unde  w^rd  durch  Aufstreuen  pulverisirter  Loosung  einer 
Hyraxspecies  in  der  Heilung  beschleunigt.  Zum  Stillen  des  Blutes  nach 
dem  Gebäreji  trinkt  die  Wöchnerin  den  Decot  gerbstoffreicher  Acacienrinde; 
vom  vierten  l)is  zwanzigsten  Tage  räuchert  sich  dieselbe  mit  verschiedenen 
Holzarten,    auch    wird    zur    Contrahirung    der    Vagina    halbgelöschtcr    Kalk 

')  Wie  hei  <leii  incisteii  oriciitalisclieii   Völkora,    auch  bei  den    ächten  Orma  vorliomraend. 

-)  Ueber  die  Ivasten  der  Süd-Sninal  ver(il.  Kinzelbach's  Nachrichten  in  v.  d.  Deckens  Reisen 
Vol.  II,  p.  ?r20.  Ehü^o  Aiidciit.niiueii  fiiidon  sich  auch  in  „Harris  Gesandtschafts-Reise  nach 
Schoa. 

')  Auch  die  Abessinier,  Araber  und  viele  anderen  (selbst  nordische)  Völker  verachten  und 
fürchten  den  Schmied  als  Zauberer. 

■•)  Bei  den  andern  Sf'imal-Stämmcu  scheint  solcher  Unterschied  in  der  Bewaffnung-  nicht  zu 
herrschen. 


Vorläufige  Bemerkungen  über  die  Somal.  5 

eingerieben.  Gegen  Syphilis  (Lfiho  im  Homali),  welche  übrigens  selten 
vorkommt  und  meist  von  Arabien  diiect  eingeschleppt  wurde ,  trinkt  man 
grosse  Mengen  ausgelassenen  Fettes  des  Schafschwanzes;  l)ei  tertiärer  unter- 
ziehen sie  sich  der  grausamen  Marter,  dick  mit  Salz  bestreuet  einen  Tag 
lang,  leicht  von  Sand  bedeckt,  in  der  Sonne  auszuharren.  Danach  folgt  eine 
lang  fortgesetzte  Diät  von  abgekochtem  Sorghum. 

Das  Hauptremedium  der  Sömal  gegen  innere  Krankheiten  ist  das 
Feuer.  Man  sieht  oft  Gestalten,  deren  dunkle  Haut  über  und  über  frisch- 
rothe  Feuerbrandmale  zeigt.  Man  brennt  mit  glimmenden  Holzspänen,  nicht 
mit  glühendem  Eisen.  Gegen  Fieber  z.  B.  macht  man  an  den  Schläfen ,  aut 
dem  Scheitel  und  im  Nacken  Brandwunden.  Nebendem  bildet  Blutenziehen 
ein  beliebtes  Heilverfahren;  so  wird  z.  B.  ein  durch  Gicht  oder  Verrenkung 
steifer  Körpertheil  dadurch  gemartert,  dass  man  seine  Haut  hier  und  da 
zwischen  zwei  Fingern  faltig  kneift  und  mit  einer  Scheere  abzwickt.  Eine 
sonderbare  Kur  wenden  die  Somal  an,  wenn  sie  sich  bei  Todtenschmäusen 
oder  andern  Gelegenheiten  den  Magen  überladen  haben.  Man  drückt  näm- 
lich dann  die  Zungenspitze  des  Patienten  mit  einem  gabeligen  Stäbchen  nach 
hinten  zurück  und  ritzt  mittels  eines  Messers  od.  dgl.  in  beide  Seiten  ihrer 
Unterfläche  mehrere  Schnittchen,  so  dass  Blut  herausläuft,  dann  —  zwei  Tage 
absolutes  Fasten.  Ob  nun  letzteres,  oder  der  Zungenaderlass  wirkt,  lasseich 
dahin  gestellt  sein. 

Gebrochene  Gliedmassen  werden  zwischen  Holzschienen  mit  nassen 
Lederstreifen  eingebunden.  Bis  zur  Heilung  geniesst  man  hauptsächlich 
Kameelfleisch  und  Milch. 

Schnittwunden  werden  mit  Pferdehaaren  zugenäht  und  folgt  darauf 
eine  drei-  bis  sechstägige  Hungerkur. 

Wenn,  wie  es  häufig  durch  Keulenschläge  geschieht,  die  Hirnschale 
zersplittert  ist,  so  schneidet  man  die  Kopfhaut  auf,  nimmt  den  Knochen- 
splitter heraus  und  begiesst  das  blosgelegte  Hirn  mit  lauwarmen  aus  dem 
Schafschwanze  gewonnenem  Fette. 

In  schmerzende  hohle  Zähne  pinseln  sie  den  Schleim  einer  laulen  Zie- 
genbockruthe. 

Hat  eine  Schlange  gebissen  und  ist  kein  Schlangensteiu  zur  Hand,  so 
schneidet  ihr  der  Betroffene  den  Kopf  ab  und  zerbeisst  ihn,  ist  ihr  jedoch 
nicht  habhaft  zu  werden,  so  —  isst  er  eine  Dattel,  worauf  er  geheilt 
sein  soll. 

Ist  jemand  von  einem  vergifteten  Pfeile  getroffen,  so  tupft  er  mit  dem 
gleichen  Gifte  auf  seine  Zunge,  was  als  Gegengift  wirken  soll.  Besser 
ist  jedenfalls  das  ebenfalls  bekannte  Auswaschen  der  Wunde  mit  Urin.  Hilft 
alles  dieses  nicht,  so  wird  das  verletzte  Glied  abgeschnitten,  nachdem  mau 
sich  vorher  überzeugt  hat,  ob  die  Kopfhaare  noch  fest  sitzen.  Gehen  diese 
jedoch  beim  Zupfen  los,  so  ist  jeder  Rettungsversuch  vergeblich. 

Das  Haar  wird  vom  Manne  möglichst  lang  getragen,   in  der  Mitte  ge- 


6  .].  M.  Hildedrandt: 

scheitelt  in  einem  aus  lose  gedrehten  —  nicht  geflochtenen  —  Zöpfchen  ge- 
bildeten grossen  Wulste.  Es  wird  mit  einem  Stäbchen,  oder  einer  zwei- 
oder  dreizinkigen  Gabel  (Sarrafi"  der  Süd-Somal,  Tanna  im  Baraua-Kisuah^li) 
geordnet.  Dieses  bei  allen  Völkern  äthiopischer  Verwandtschaft  vorkommende 
Geräth  wird  im  Haare  des  Hinterkopfes  stets  mitgeführt  und  dient  auch  zum 
„Jucken".  Von  ähnlicher  sehr  hübscher  Schnitzarbeit  ist  der  „Qurbäl"  ge- 
nannte Halter  der  Straussfedertrophäe.  Er  hat  vier  im  Quadrat 
stehende  lange  Zähne  und  wird  ebenfalls  im  Haar  getragen.  Von  Zeit  zu 
Zeit  wird  die  ganze  Frisur  mit  einer  dicken  Lage  von  frisch  gelöschtem  Kalk 
beschmiert,  der,  einige  Stunden  bleibend,  die  Läuse  zerstört  und  das  Haar 
fahlroth  bleicht.  Auch  gelblichen  Thon,  durch  den  allerdings  beide  Zwecke 
nicht  erreicht  werden,  verwendet  mau.  Butter,  Talg  oder  das  ausgekauete 
rohe  Fett  des  Schafschwanzes  wird  massig  aufgetragen. 

Von  den  Stämmen  des  Innern  wird  eine  aus  Schaffell  gefertigte,  röthlich 
gefärbte  Perrücke  getragen.  Uebrigens  scheeren  sich  strenggläubige  Sömal 
das  Haupthaar  und  bedecken  den  Kopf  mit  einem  Turban. 

Die  Haartracht  der  Frauen  ist  verschiedeuartig.  Entweder  kämmen 
sie  es  zu  einem  grossen  Wulst  aus  (Taf.  I,  Fig.  5),  flechten  es  in  Zöpfe 
(Taf.  I,  Fig.  6)  oder,  und  dies  ist  bei  weitem  die  häufigste  Art,  rollen  es 
dicht  ein  und  ordnen  es  zu  wenig  erhabenen,  schmalen  Wulstreihen,  die, 
durch  Scheitel  getrennt,  über  den  Schädel  verlaufen  wie  Meridiane  über 
einen  Globus.  Der  Pol,  an  dem  diese  Reihen  sich  zusammenfinden,  liegt 
am  Hinterkopfe.  Hier  ist  uft  ein  kleiner  Zopf  gedreht.  Der  Kamm  der 
Frauen  ist  gross  und  hat  viele  Zähne,  die  auf  der  einen  Seite  weit  von  ein- 
einander,  auf  der  anderen  Seite  eng  stehen.  Er  wird  nicht  im  Haar  getragen. 
Kinder  und  Mädchen  gehen  baarhaupts,  verheirathete  Frauen  bedecken  den 
Kopf  mit  einem  Stück  blauen  Calico  (Taf.  I,  Fig.  7.  Taf.  H,  Fig.  1,  2). 
Einflechten  von  Perlen  etc.  in's  Haar  findet  selten  statt.  Schleier  tragen 
die  Sömal-Weiber  gewöhnlich  nicht. 

Zum  Schutze  der  Frisur  dient  beim  Schlafen  den  Sömal  (wie  so  vielen 
andern  Völkern)  die  Nackenstütze,  „Qorbörschi"  genannt. 

Die  ihnen  eigenthümliche  Bekleidung  besteht  aus  weichgewalktem  Scbaf- 
leder.  Die  Männer  tragen  es  als  c.  5  Ellen  langen  und  c.  H  Ellen  breiten 
Lendenschurz  „Keräm",  der  bei  Tage  durch  einen  aus  mehreren  feinen  Le- 
dersträngen zusammengesetzten  Gurt  festgehalten  wird,  bei  Nacht  gelöst  deu 
ganzen  Kr.rper  bedeckt.  Das  der  Frauen  „Du''  genannt,  ist  bei  weitem 
grösser  und  liüllt  den  Körper  vom  Halse  bis  zu  den  Waden  ein;  ein  Gurt 
schnürt  es  um  die  Hüften.  Es  ist  an  seinem  unteren  Ende  mit  Prangen 
verziert,  in  die  Gauri-Muscheln')  befestigt  werden.  Jedoch  hat  Baumwollen- 
stoff" dieses  primitive  Kleidungsmaterial  im  grössten  Theil  des  Somal-Landes 
bereits  verdrängt;    nur  noch  die  armen  Bewohner    im  tiefen  Innern    und  die 

')  Die  gewöhnliche  „Alel"  aus  Ost- Afrika,  die  kleinere  „Ledjol"  vom  Rothen  Meere 
jmportirt. 


Vorläufige  Bemerkungen  über  die  Somal.  7 

der  Berge  benutzen  es.  In  Härrär  und  im  Inundationsgebiet  des  Wobbi  und 
Göbuiu  wird  Baumwolle  in  grösseren  Quantitäten  angebaut  und  auf  Webstühlen, 
die  den  abessinischen  ähneln,  zu  Tüchern  („N'guo"  im  Benadir  genannt) 
verarbeitet,  die  aus  zwei  zusanmicngenilhteu  „Breiten''  bestehen.  Von  diesen 
Tüchern  gehören  zwei  gleiche  zum  vollständigen  Anzüge,  das  eine  zum  Be- 
decken des  Unterkörpers,  welches  durch  einen  Lendengurt  gehalten  wird  und 
beim  Manne  bis  an  die  Kniee,  bei  den  Weibern  noch  tiefer  hinabreicht. 
Das  andere  dient  als  lose,  oder  bei  den  Weibern  Icstan  liegen  de  Be- 
deckung des  Überkörpers.  Ausser  diesen  beiden  Tüchern  verwendet  der  SomAli 
noch  eine  schmale,  aber  sehr  lange  Leibbinde  (Surei  der  S<')m.  d.  Südens, 
L  kerri  im  Bar.  Kis.),')  in  welche  die  Scheide  des  Schwertmessers  einge- 
bunden wird.  Sandalen  werden  häufig,  jedoch  nicht  allgemein  getragen. 
Sie  sind,  obgleich  den  arabischen  im  Ganzen  ähnlich,  dadurch  ausgezeichnet, 
dass  sie  au  der  hinteren  Hälfte  der  Sohle  zu  den  Seiten  einen  dreilinger- 
breiten,  aufrechten  Rand  haben  (bei  Taf.  JI,  Fig.  'i  sichtbar).  Auch  Holz- 
Sandalen,  oft  von  enormer  Grösse  und  Schwere,  mit  hohem  Sohlen-  und 
Fersenaufsatz  und  einem  erhabenen  liande  um  die  ganze  Sohlentläche ,  ge- 
wahrte ich  im  Benadir;  sie  werden  von  den  Weibern  bei  Regen  und  auf 
Schlammboden  angewendet.  Die  Somal  tragen,  ausser  Amuleten  aus  Holz 
und  in  Ledertäschchen,  nicht  viel  Zierrath;  die  Weiber  Glas-  und 
Glasperl -Schnüre,  kleine  Ringe  im  Ohrläppchen,  Armspangen  aus  Por- 
zellan oder  Glasfluss  (auch  wohl  aus  Hörn),  die  Männer  gewöhnlich  gar 
keinen  Schmuck,  nur  sind  bei  ihnen  zwei,  bis  faustgrosse,  roh  geschnittene 
Bernsteinperlen ^)  beliebt.  Sie  werden  vorn  am  Halse  getragen  (so  Taf.  I. 
Fig.  1  und  3)  auf  einen  Lederstreif  gezogen ,  dessen  eines  Ende  durch  einen 
Schnitt  im  andern,  eine  Schleife  bildend,  geht,  und  Fusslaug  den  Rücken  hin- 
unterhängt. Bei  den  Süd-Somal  ist  dieser  Schmuck  übrigens  wenig  gebräuch- 
lich. In  letzter  Zeit  kommt  auch  eine  Glas-Imitation  desselben  in  Aufnahme. 
Auf  Reisen  trägt  der  Somali  ausser  den  Waffen  -  wovon  gleich  unten 
Näheres  —  die  „Masalla",  eine  wappenschildförniig  zugeschnittene  rothgegerbte 
Ziegenhaut,  die  als  Teppich  beim  Beleu  dient,  der  Länge  nach  gefaltet  über  die 
Schulter  geworfen;  ebenso  die  übbo-uessa,  eine  aus  Bast  oder  Fasern-*)  ge- 
flochtene Flasche,  in  welcher  Wasser  zum  Trinken  und  zu  den  religöseu 
Abwaschungen  mitgeführt  wird.  Ein  kleines  Loch  im  hölzernen  Stopfen  er- 
laubt dem  edlen  Nass  nur  in  feinem  Strahl  auszutliesseu ,  wodurch  grosse 
Oecünomie  erzielt  wird.  Im  Köcher  werden  die  Feuerreibhölzer  (Morut) 
aufbewahrt,    an    seinem  Gehäng    findet    sich  die  Zahnbürste  (Rumai)    aus 

')  Bitru  der  At'or;  sie  wird  ebenfalls  von  den  Habab-Völkern  benutzt. 

•.')  Woher  diese  Ornamentirune-  stammt,  kann  ich  nicht  genau  anjjjeben:  ich  erfuhr  in 
Allen,  dass  vor  nicht  vielen  Jahren  ein  dortiger  arabischer  Kaufmann  einen  Posten  geringeren 
Bernsteins  aus  der  Türkei,  wo  er  zu  Pfeifeiispitzen  zu  schlecht  befunden  worden,  erhielt. 
Dieser  soll  seinen  Gebrauch  als  Schmuck  eingeführt  haben. 

^)  Aus  Bast  von  Calotropis  procera  etc.,  Wnivflta^ern  von  .Asparagus  spec,  I>r:io;ipiia 
(Ombet?)  u.  dgl. 


8  J.  M.  Hildebrandt: 

der  faserigen  Lohe  der  Salvodora  persica  und  eine  kleine  Pinzette,  ,,Teqqe" 
genannt,  zum  Dornausziehen. 

An  Waffen  führen  die  Sömal  zwei  Speere,  von  denen  der  eine, 
„Dochäna'%  zum  Stich  dient.  Er  hat  einen,  bis  zwei  Meter  langen,  derben 
Schaft,  und  trägt  bei  dem  Nord-Somal  ein  c.  0,5  "'•  langes,  schmales,  lang  zuge- 
spitztes Blatt,')  welches  bei  den  südlich  wohnenden  dagegen  gewöhnlich 
handbreit,  fusslang,  parallelseitig  und  erst  gegen  die  Spitze  hin  plötzlich 
unter  einem  stumpfen  Winkel  zuläuft.  Der  andere  (Hanta)  ist  Wurfspiess 
und  deshalb  leichter  und  mit  kürzerem  Stiel.  Seine  Klinge  ist  kurz  und  oit 
am  Grunde  widerhakig.  Das  untere  Ende  des  Schaftes  ist  durch  einen 
eisernen  Schuh  oder  Ring  geschützt  und  etwas  beschwert.  Das  Schwert- 
messer (Bilän  im  Süd-Sömal.  Ablei,  im  Bar.  Kis.)  ist  0,5  '"•  lang  und  länger, 
ziemlich  breit,  mit  gewöhnlich  ungleichseitig  zugerundeter  Spitze,  zweischneidig, 
ohne  Stichblatt.  Der  Griff  ist  von  Hörn  und  mit  Zink,  Blei  oder  Silber- 
platten verziert.  Es  wird,  wie  in  den  meisten  orientalischen  Ländern,  an 
der  Rechten  getragen,  um  es  beim  Ziehen  sogleich  in  der  richtige  Lage  zum 
Stich  von  oben  nach  uuten  bereit  zu  haben.  Seine  Scheide  wird  von  rohem, 
nur  abgehaarten  Leder  zusammengenäht  und,  wenn  umgegürtet,  wozu  ein 
Riemen  mit  Schnalle,  durch  die  bereits  oben  erwähnte  Leibbinde  festgehalten, 
sodass  es  selbst  beim  starken  Laufen  nicht  hindert. 

Zum  Pariren  dient  ein  runder  Schild  von  kaum  0,5  '"•  Durchmesser.  Er 
ist  von  Antilopen-  (Beisa)  oder  Rhinoceroshaut  gefertigt  und  durch  einge- 
drückte Linien  verziert  (Fig.  5,  Taf.  II  trägt  einen  solchen).  Die  meisten 
Somalen-Stämme  führen  Bogen  (Qanzo  oder  Ranzo)  und  Pfeile  (Gamün 
oder  Fellät).  Um  das  Holz  zu  ersterem  in  seiner  Form  —  eine  flache  Bie- 
gung mit  leicht  aufwärts  gerichteten  Enden  —  zu  erhalten,  tränkt  man  es 
mit  Oel  und  röstet  es  am  Feuer.  Zuweilen  wird  seine  Elastiztität  durch  De- 
cimeter  bei  Decimeter  angebrachte  Lederbänder  verstärkt.  Zur  Sehne 
(Merki)  verwendet  man  meist  die  Flechsen  vom  Halse  des  Rindviehs. 
Letztere  sind  überhaupt  vielfach  im  Gebrauch  als  Surrogat  für  Fäden.  Die 
Pfeile  sind  vor  denen  anderer  Völker  wenig  ausgezeichnet.  Ihre  Spitze 
(Filär)  ist  von  Eisen  und  gewöhnlich  relativ  breit  und  in  stumpfem  Winkel 
zulaufend.-)  Man  vergiftet  sie  mit  dem,  zu  dickem  Brei  eingekochten  Safte 
gewisser  Euphorbiaceenarten,  der  dick  aufgetragen  und  durch  Flechsenfäden 
festgehalten  wird.  Die  Pfeile  werden  in  einem  aus  ungegerbter  Haut  gefer- 
tigten Köcher  (Gouoia  der  Süd-Sömal,  Dauie  der  Wer-Singelli)  aufbewahrt, 
welcher  beim  Gehen  an  einem  über  die  Schulter  geschlungenen  Lederriemen 
ziemlich  horizontal  getragen  wird.  Neben  dem  Köcher  ist  an  diesem  Gehäng 
zuweilen  noch  eine  kleine  Tasche  angebracht,  in  der  ein  Stein  zum  Schärfen 
der  Pfeilspitzen,  ein  Knäuel  Flechsen  u.  dgl.  aufbewahrt  wird,  ferner  ein  kleines 

^)  Alle  Eisenarbeiten  werden  von  den  Midgän  aus  europäischem  Eisen  geschmiedet. 
*)  Steinerne  Pfeilspitzen,    wie   sie    bei   der   alten   Ruine    Seära   von   Graf  Zichy   gefunden 
worden,  sind,  soviel  ich  weiss,  nicht  mehr  in  Anwendung.    Sie  zeigen  ähnliche  Form. 


Vorläufige  Bemerkungen  über  die  Somal.  9 

Messer  in  Scheide  und  ein  eiserner  Haken,  an  dem  gelegentlich  das  frisch 
abgeschnittene  Glied  eines  erschlagenen  Feindes*)  oder  andere  Beutestücke, 
auch  wohl  ein  Wasserschlauch  etc.  getragen  wird.  Als  Wurfwaife  ist  —  je- 
doch selten  —  knorriges  Astwerk  in  Anwendung,  dessen  einzelne  Zweige 
bei  Fingerlänge  abgeschnitten  und  scharf  gespitzt  werden,  nachdem  eine  ca. 
fusslange,  ebenfalls  angeschärfte  Handhabe  verblieben.  Dies  sonderbare  Ge- 
räth  erinnert  an  den  „Morgenstern."  Keulen  (Gurrün  in  8üd-Sömal,  Schin- 
güma  in  Rar.  Kis.)  aus  einem  Stück  Holz  geschnitzt,  lühren  nur  Arme,  die 
keine  andere  Waffe  beschaffen  können.  In  den  Städten,  z  B.  in  Barauu, 
trägt  fast  Jedermann  einen  c.  2  '"  langen  Stab  mit  umher  (siehe  Taf.  H,  Fig.  G.). 
Pferde-  und  Sclaveii peitschen  haben  einen  kurzen  Stiel  —  der  oft  mit 
Zink-  oder  Bleiplatten  verziert  ist  —  an  dem  entweder  ein  fingerbreiter,  oder 
zwei  schmälere,  0,5  "'•  lange  Riemen  befestigt  werden.  Diese  sind  beim  Um- 
hertragen um  den  Stiel  geschlungen. 

Die  Behausungen  der  Somal  sind  verschiedener  Art.  Hirten  und  um- 
herziehende Händler  führen  eine  Zelthütte  („Aqqel"  im  Norden  genannt) 
mit.  Sie  wird  errichtet,  indem  man  über  ein  Bügelgestell  Rindshäute,  oder 
häufiger  Palmblatt-  oder  Bastgeflecht  —  welch  letztere  auf  der  Aussen seite 
plüschartig  gelassen  und  regendicht  sind  —  spannt.  Sie  ist  klein  und  von 
Backofenform.  In  den  Küstenstädten  jedoch  bauet  man  feststehende,  vier- 
eckige Hütten,  indem  man  wie  in  Mächer 2)  um  Knittelholzfachwork  und  über 
das  flache  Dach  einfach  oder  doppelt  Strohmatten  legt,  oder  —  im  Benädir  — 
die  Zwischenräume  mit  Kuhmist  oder  Lehm  ausfüllt  Hier  wird  das  Dach 
mit  iSchilf  gedeckt,  welches  vom  Ufer  des  Wobbi  geholt  wird.  In  Mächer 
nennt  man  eine  solche  Hütte  „Hosso".  Sie  enthält  dort  gewöhnlich  vier 
Räume:  1)  Das  Empfangzimmer  „Qulhebet",  welches  mit  buntmusterigen 
Domblatt-Matten  ausgehangen  ist.  Auch  der  Boden  desselben  ist  mit  solchen 
Matten  belegt,  auf  denen  zugleich  geschlafen  wird.  Ein  Ruhebett  bemerkte 
ich  nicht,  2)  das  Frauengemach  (Murzin),  3)  einen  Arbeitsraum  der 
Weiber  (Rölroll),  in  dem  Matten  geflochten,  Häute  gegerbt  u.  dgl.  verrichtet 
wird.  Der  vierte  Raum  dient  als  Küche.  Hier  ist  ein  backofenartiger, 
vorn  offener  Kochplatz,-')  „Ardeät",  aus  Knitteln  und  Lehm  aufgeführt,  in 
dem  oben  eine  Oeffnung  zum  Rauchentweichen  gelassen ,  drei  Steine  bilden 
die  Kesselunterlage.  Als  Küchengeräth  ist  nur  ein  kupferner  Topf  von 
arabischer,  oder  ein  gleichgeformter  irdene'r  von  Midgän-Arbeit  zu  nennen; 
ferner  einige  verschiedene  grosse  Holz-Tröge  (Hörro),  welche  die  Teller  ver- 
treten;  hübsch  geschnitzte  Löffel   vom   Ansehen    unserer  „Salat-Löffel'',   oder 

')  Diese  bekannte  Trophäe  der  Gala  und  ihrer  Verwandten  wird  in  den  Theilen  des 
Somaliandes,  die  ich  besucht,  nicht  conservirt,  sondern  nur  nach  beendetem  Kampfe  vorge- 
wiesen und  dann  weggeworfen. 

-)  MAchor  nennt  man  den  Küstenstrich  vor  dem  Ahl-Gebirge. 

^)  Eine  ähnliche  Hinrichtung  haben  auch  die  Afer.  (Vergl.  meine  , Reise  voji  Masstia  in 
das  Gebiet  der  Afer*  in  Zeitsch.  f.  allgem.  Erdkunde.) 


10  .1.  M.  Hildebrandt: 

grössere,  einfachere,  die  oft  sehr  langstielig  sind  und  an  beiden  Enden  Mul- 
den tragen;  ein  grosses,  dicht  geflochtenes  thönernes  Gelass  für  den  Wasser- 
vorrath;  einige  in  einem  Netze  getragene  Strausseneier  zum  Bewahren  des 
Oels;  ein  Getreide-Reibstein  und  einige  Buttrr  etc.  enthaltende  Schläuche, 
In  diesen  Kaum  wird  auch  die  „Aqqel"  aufgeschlagen,  wenn  der  Hausherr 
daheim  ist.  An  der  Aussenwand  der  Hütte  ist  ein  runder  Anbau  aus 
hohem  dichtem  Gehege,  der  als  Abtritt  der  Weiber  dient.  Aus  ähnlichen 
Hütten  wird  Berbera  und  Bulhär  jährlich  aufgebauet.  In  den  Dörfern  trifft 
man  auch  Häuser  aus  sonngedörrten  Lehmsteinen  autgeführt  und  dick  be- 
worfen, ganz  in  der  Art  der  südarabischeu,  mit  winklichen  kleinen  Stuben, 
elenden  Treppen  und  schiess-schartenähnlichen  Fensteröfhiungen  Zuweilen 
schauet  ein  Kanonenlauf,  der  aus  irgend  einem  der  portugiesischen  Piraten- 
nester —  deren  sich  ja  allenthalben  an  den  Küsten  des  Indischen  Oceans 
aus  der  ,, Glanzzeit"  dieses  Raubstaats  finden  —  hierhin  verschlagen  worden, 
von  den  Zinnen  des  Hauses,  oder  liegt  vor  demselben  lafettenlos  im  Sande, 
da  es  den  Somal  an  Einrichtungen  fehlte,  ihn  hinaufzuwinden.  Dann  fährt 
es  den  stolzen  Namen  „Qalaa'\  Festung  und  bildet  das  Schreckniss  der  Um- 
wohnenden. In  Seila,  Baraua  und  Marka  jedoch  sind  feste  Häuser  aus 
Coralleusandstein  mit  Kalk  gemauert.  Araber  sind  Erbauer  und  Bewohner 
derselben.  Die  Beschäftigung  der  Sömal  ist  je  nach  der  Natur  ihrer 
speziellen  Heimath  eine  verschiedene.  In  Härrär  und  an  den  Ufern  des 
Göbuin  und  Wobbi  treiben  sie  Ackerbau,  auf  den  Ebenen  des  Innern  Vieh- 
zucht, im  Ahl  sammeln  sie  Weihrauch,  Myrrhe  und  Gummi,  auf  den  Strand- 
hügeln am  Indischen  Ocean  Orseille,  die  Bewohner  der  Küstenstädte  sind 
Händler.  Ueber  den  Ackerbau  vermag  ich  nichts  genaueres  anzugeben,  da 
in  den  Gegenden,  die  ich  besucht,  solcher  nicht  betrieben  wird,  oder  ich 
wenigstens  nicht  zur  richtigen  Jahreszeit  dort  verweilte.  Ich  erfuhr  jedoch 
von  den  grossartigen  Kaffeepflanzungen  in  Härrär  und  den  Vorbergen  Abes- 
siniens.  Das  Product  derselben,  vielleicht  das  beste  der  Erde,  wird,  wenn  auch 
wegen  der  Unsicherheit  der  Carawanenstrassen  nur  in  geringer  Quantität, 
über  Berbera,  resp.  Bulhär  und  Seila-Tedjurra  nach  Aden  in  den  Welthandel 
gebracht.  Aber  auch  weit  über  das  Sömalland  wird  der  Kaffee  geführt,  ob- 
gleich er  die  Küste  des  Indischen  Üceans  nicht  —  oder  nicht  mehr  —  er- 
reicht, denn  im  Benädir  fand  ich  nur  arabischen  angewendet.  Er  wird  hier, 
gewöhnlich  nicht  als  Getränk,  sondern  als  Speise  verbraucht,  indem  man  die 
Bohnen  mit  oder  ohne  Schale,  braun  röstet,  dann  in  Butter  schmort  und  als 
Murgenimbiss  verzehrt.  Mit  der  übrig  bleibenden  Butter  beschmiert  man  sich 
Gesicht  und  Hände.  Es  ist  dies  nach  Somal-Begrifi"  ein  unentbehrliches  Er- 
forderniss,  um  gesund  zu  bleiben. 

Das  hauptsäclilichste  Getreide  der  Sömalen  ist  das  Sorghum,  welches 
so  reichlichen  Ertrag  liefert,  dass  sehr  bedeutende  Quantitäten  desselben 
vom  Ben:idir  nach  Süd-Arabien  und  selbst  zum  Gebiet  des  Rothen  Meeres 
ausgeführt  werden.    Mais  (Gelei  oder  Mürdi  Sömal.  Tereföri  Bar.  Kis.)  wird 


Vorläufige  Bemerkungen  über  die  Somal.  1 1 

weniger  häufig  gezogen.     Man    isst   ihn  meist  wie   den  Kaffee   zubereitet,  ge- 
röstet   und    in  Butter  geschmort.     Reis   wird  —  so    viel    ich  wenigstens    in 
Erfahrung  l)ringen  konnte  —    nicht  angebaut,   obgleich    der    von  Indien  oder 
(über  Sansibar)  aus  Madagascar  eingeführte  von  den  Reicheren  viel  verbraucht 
wird;    ebensowenig    Datteln,    die    man    aus    Maskat    bringt.      Auch    Tabak 
(Büri  im  Dialect   der    VVer-Singelli,   ein    Wort,    welches    im    Süd-Arabischen 
Wasserpfeife    bedeutet)    wird    importirt,    besonders    aus    Indien.       Er    wird 
(wenigstens  von  den  weniger  Strenggläubigen)  geraucht,    und   zwar    aus  den 
Markknochen  des  Kleinviehs  („Laff"  genannt);  mit  Holzasche  vermischt  auch 
wohl  gekauet.     Tabak-Schnupfen    bemerkte    ich   nicht.     Bataten  werden  je- 
doch (am   Wobbi)   cultivirt,    Manihot   aber   wahrscheinlich   nicht.      Bananen 
(Musa  iHiradüiacu)  (Mos  im  Somal,  vom  Arab.  Mus,   Masv  im  Patta-Kisuaheli) 
trifft  man  nur  hier  und  da.     Die  Baumwolle  (Suf)    cultivirt  man  in  Härrär 
sowohl,  wie  im  Inundations-Gebiet  des  Wobbi.  Hier  sind  die  Bedingungen,  die 
zu  ihrem  Gedeihen  erforderlich,  Bodennässe  in  der  Periode  des  Wachsthums.  Luft- 
trockenheit zurZeit  derErudte,  vorhanden.  Dies  Baumwollenland  zieht  sich  durch 
mehrere  Breiteugrade  parallel  der  Küste  und  wenige  Stunden  von  ihr  entfernt;  es 
ist  gesund  und  wäre  deshalb  eine  lohnende  Acquisition  für  eine  europäische  Macht 
oder  für  Aegypten.  Bis  jetzt  wird  nur  relativ  wenig  gebaut,  sodass  der  Verbrauch 
des  Landes  keineswegs  gedeckt  ist  und  man  fertige  Tücher   aus  Europa  ein- 
führt.    Wichtig  ist  ebenfalls  der  Anbau  von  Sesam,   der  besonders  im  süd- 
lichen Sömal-Lande    im    grossartigsten   Maassstabe    betrieben    wird    und    der 
meist  über  Sansibar  nach  Europa,  vorzüglich  nach  Frankreich  gebracht  wird, 
um  in  Huile  d'olives  verwandelt  zu  werden.    Besonders  in  den  letzten  Jahren 
ist  die  Production  des  Sesam  sehr  gestiegen,    da  die  Sclaven,   welche  früher 
zum  Or.seille-Sammeln  angeschafft  und  verbraucht  wurden,  jetzt,  wo  das  Pro- 
duct  der  Färberfiechte  meist  durch  Anilin-Farben    ersetzt   wird,    auch    bedeu- 
tende   Massen    aus    West -Amerika  kommen,    anderweitig    beschäftigt   werden 
müssen.     Aller  W  eihrauch  und  der   grösste    Theil  der  Myrrhe  kommt  aus 
dem  Ahl-Gebirge,  wo  er  von  den  dort  hausenden  Wer-Singelli.  Mijerten  und 
anderen  Stämmen  gesammelt  wird.     Man  kann  zwei  Arten  Weihrauch  unter- 
scheiden,   der    ächte  Lubän  (der  t.  B.    in    der   kathol.   Kirche   benutzt  wird), 
und  der  liuban-Meithi  (su  genannt,    weil   er   vorzugweise    über  den  Hafenort 
Meith    ausgeführt  wird);    dieser   kommt  von    BosivelUa  ijapijri/ent.     Er   wird, 
soviel  mir  bekannt,  in  Europa  nicht  verwendet,    obgleich    er   sich    zu  Parfu- 
merien  und  Lack  wohl  eignen' würde    und  die  Haupttugend  einer  Waare  l)e- 
sitzt  —  billig  zu  sein.    Den  Somal   dient  er  zum  Räuchern,  gelegentlich  auch 
zur  Beleuchtuno-  der  Hütte,  indem  nuin  ihn  ins  Feuer  wirft.      \  ou  ihnen,  den 
Afer,  Habäb  und  von  arabischen  und  aegyptischen  Weibern  wird  er  (ähnlich 
wie  Mastix)  seines  angenehmen,  erfrischenden  Aromas   wegen  gekauet.     Der 
ächte  W^eihrauch  wird  über  Aden ,  Makallah   oder  Giddah    ver>andt.     Er  so- 
wohl, wie  der  Meithi-Weihrauch  wird  gewonnen,   indem  man  dem  Baum  zur 
Zeit   seiner  grössteu  Saftfülle   mit   einem  Messer   viele   kleine  C^uerrisse  bei- 


12  J.  M.  Hildebrandt: 

1">ringt.  Der  ausquillende  Saft  trocknet  in  einigen  Tagen  und  bildet  in  erster 
Emdte  die  feinste  Sorte,  „Fusixs",  Thräneu  genannt.  Aus  denselben  Ver- 
wundungen fliesst  später  noch  eine  geringere  Qualität  aus,  eine  dritte  Ab- 
lese liefert  die  geringste.  Aus  dem  Myrrhe-Baum  quillt  ohne  künstliche 
Verletzung  das  kostbare  Bitterharz  und  wird  in  der  Wildniss  abgesucht. 
Ebenfalls  könnten  bedeutende  Mengen  Gummi  gesammelt  werden,  jedoch 
ist  der  Verbrauch  desselben,  also  auch  sein  Werth,  jetzt  in  Europa  so  gering, 
dass  sich  das  Sammeln  kaum  noch  lohnt.  Die  Somal  essen  Gummi ,  auch 
wohl  die  sehr  viel  gummihaltenden  und  deshalb  schleimigen  Hülsen  gewisser 
Acacien.  Ausser  den  genannten  bringt  das  Sömal-Land  noch  manche  andere 
Harze  hervor,  die  in  Europa  jedoch  wenig  bekannt  sind.  Drachenblat 
wird,  obgleich  hier  dieselbe  Dracaeua,  wie  auf  Socotra  wächst,  nicht  ge- 
sammelt, auch  kein  Aloe,   dessen   Mutterpflanze  hier  ebenfalls  vorkommt. 

Ueber  Hausthiere  der  Somal  und  deren  Zucht  kann  ich  nur  weniges 
beifügen.  ^ ) 

Kameel:  c^ :  Aur,  Q:  Hall  plur  Gel,  juv:  Nirku.  Die  Rage  schliesst  sich 
der  der  Afer,  HabAb  (Hadindoa  und  Bescharin?)  an.  Sie  ist  zwar  nichtsehr 
starkknochig,  aber  ausdauernd.  Das  Kameel  gedeiht  im  ganzen  Somal-Lande 
und  wird  zum  Lasttragen  und  der  Milch  wegen  gehalten,  geritten  wird  es  nicht. 
Man  benutzt  zweierlei  Sattel,  der  eine  für  schwere  Lasten  „Herio",  besteht 
aus  zwei  grossen  Kissen  mit  Holzgestell,  die  dachförmig  über  den  Rücken 
gelegt  werden,  der  andere  für  leichtere  „Qore",  wird  aus  zwei  Gabeln  ge- 
bildet, die  an  Bauch  und  Rücken  zusammengeklemmt  werden  (derselbe,  wie 
bei  den  Afer).  Auf  der  Weide  hängen  ihm  die  Somal  eine  grosse  plattge- 
drückte Glocke  aus  Holz  (mit  oft  zwei  Klöppeln)  an  einem  Stricke  um  den 
Hals,  um  durch  ihren  Ton  ein  Thier,  welches  sich  verlaufen  hat,  auffinden 
zu  können. 

Rind.  Vieh:  Lö ,  Ochse:  Dibbi,  Kuh:  Sä,  Kalb:  üilü.  Die  Zucht 
des  Rindviehs  wird,  besonders  auf  den  Ebenen  im  Innern,  in  grösserm 
Maassstabe  betrieben.  Häute  weiden  über  Benadir  und  Seila-Tedjurra  aus- 
geführt; letztere  sind  besser,  da  sie  von  der  Ra<,5e  der  abessinischen  Vor- 
berge herstammen.  Im  Lande  selbst  werden  die  Häute  nur  als  Schlafmatten, 
zum  Bedecken  von  Hütten  benutzt  und  zum  Schutze  gegen  Dornen  und 
Regen  über  die  Kameellasten  gelegt;  auch  Säcke  zu  Harzen  u.  s.  w.  näht 
man  daraus.  Sie  sind  aussen  mit  drei  Stäben  überbunden,  welche  als  Fuss- 
gestell  dient,  wodurch  der  Sack  gegen  Termiten  und  Feuchtigkeit  geschützt 
wird.  Auch  eine  Art  Beutel  fertigt  man  aus  Kuh-  oder  auch  wohl  Kameel- 
haut,  indem  man  durch  die  gefaltete  Peripherie  eines  ungefähr  Quadratmeter 
grossen,  runden  Stücks  derselben  drei  Stäbe  steckt.  Die  so  gebildete  Ein- 
sackung wird  mit  warmen  Sande  so  oft  angefüllt,  bis  der  Beutel  (Qumba 
genannt)  trocken   ist.     Man   bewahrt  Butter  <larin    auf.     Zum  Versenden  der 

')  Diese  Hemerkungen  mögen  zugleich  als  Nachtrag  /u  meinen  Notizen  über Vieh- 
zucht in  Abessinieu  etc.  in  Z.  f.  Ethnol.  Jahrgang  1874  Heft  V.  dienen. 


Vorläufige  Bemerkungen  über  die  Sömal.  13 

Butter  —  was  nach  Süd- Arabien  geschieht  — ,  dienen  jedoch  grosse  thönerne 
Gefässe,  die  eingeführt  werden.  Die  Bereitung  der  Butter  ist  nicht  verschie- 
den von  der  allgemein  im  Oriente  angewandten.  Den  Kälbern  wird,  um  sie 
vom  unrechtzeitigen  Saugen  abgehalten,  ein  maulkorbähnliches  Geflecht  vor- 
gebunden. 

Schaf.  Bock:  W'onn.  J:  Lack,  Lamm:  Barras.  Das  Schaf  —  es  gehört 
der  persischen')  Ra(;e  an,  die  ebenfalls  über  Arabien  verbreitet  ist  —  wird 
in  grosser  Anzahl  gezüchtet,  besonders  wegen  seines  Fleisches  und  Fettes. 
Die  Haut  wird  zu  Kleidungsstücken  (siehe  oben)  verarbeitet.  Zu  diesem  Zwecke 
knetet  man  das  leicht  angetrocknete  frische  Fell  tüchtig  durch,  zupft  die 
Wolle  saramt  der  äussersten  Hautschicht  ab  und  legt  sie  dann  einen  Tag  in 
Assal  (Gerbstofi'  aus  verschiedenen  Rinden  z.  B.  der  Boswellien,  Acacien 
und  Anacardiaceen) ,  der  sie  zugleich  braunroth  färbt.  Anderen  Tags  wird 
sie  so  lange  gewalkt  und  geknetet,  bis  sie  trocken  und  zugleich  die  Weich- 
heit von  Tuch  erlangt  hat.  Dann  ist  sie  fertig  und  näht  man  die  einzehieu 
Häute  mit  feinen  Lederstreifen  zusammen.  Schafmilch  wird  —  wie  alle 
andere  gesäuert  —  getrunken,  auch  zu  Butter  gemacht.  Viele  Schafe  werden 
exportirt,  besonders  nach  Aden,  wo  sie  zum  Consum  am  Platze  selbst  und 
zur  ProviantiruDg  der  passirenden  Schiffe  dienen.  Auch  Makallah  und 
andere  Städte  Süd-Arabiens  erhalten  Schafe  von  hier,  ebenfalls  werden  sie 
(im  N.-O.-Monsün)  nach  Sansibar  gebracht.  Sogar  Mauritius  erhielt  vom 
Sömal-Lande  Schlachtvieh,  als  Madagaskar  den  Europäern  verschlossen  war. 

Ziege.  Bock:  Urgi,  c/' :  Worridi,  juv.:  Wohärre.  Sie  wird,  jedoch 
mehr  im  Gebirg,  als  in  der  Ebene,  in  grossen  Heerden  gezogen.  Die  Art 
ist  ziemlich  gross,  kräftig  gebaut,  kurzhaarig,  meist  von  silbergrauer  Fär- 
bung und  hat  kurzes,  ungewundenes  Gehörn  mit  hängenden  Uhren.  Ausser 
der  ziemlich  reichlichen  Milch  wird  die  Haut  zum  Anfertigen  von  ScUäuchen 
benutzt.  Man  kennt  deren  verschiedene  Arten:  „Qerba'',  (die  Arab.  Qirba) 
■wird  gegeri)t,  jedoch  nicht  enthaart,  „Zebrär",  JMilchqirba  rasirt  man  vor 
dem  Gerben,  „Aüli",  ein  Schlauch,  der  zum  Aufbewahi-en  von  Esswaareu, 
Kleidungsstücken  etc.  dient;  er  wird  nicht  eigentlich  gegerbt,  sondern  nur 
gewalkt.  Die  Haare  entfernt  man  durch  Bestreichen  von  Dattelbrei  und 
nachherigem  äsen  lassen. 

Pfertl.  Hengst:  Färras,  Stute:  Genjü,  Hengstfohlen:  Farras,  junge 
Stute :  DramAu.  Besonders  die  Bulbahänte-Sömal,  die  die  Hochebenen  des 
Ahl  bewohnen,  ziehen  viele  Pferde,  von  denen  die  übrigen  Stämme  ihren 
Bedarf  rauben  oder  kaufen.  Sie  sind  der  Abessinischen  Art  verwandt,  jedoch, 
wie  mir  scheint,  von  etwas  längerem  Körperbau.  Die  Noth  hat  sie  genüg- 
sam und  ausdauernd  gemacht.  Kiemen-  und  Sattelzeug  gleicht  dem  von  den 
Abessiniern  benutzten.     Auch  der  Somali  sitzt  rechts  auf,    da  er  das  Schwert 

')  Zur  Anfertigung  von  Perrücken  dient  das  Fell  einer  anderen  Schaf-Race,  welche  jiin 
Innern'  vorkommt  und  liie  gute  Wolle  trägt ,  also  wohl  vom  Hochplateaux  stauunt.  Denn  in 
diesen  Erdstrichen  hat  das  Schaf  der  Niederung  ein  steifliaariges  Vliess. 


14  J.  M.  Hildebrandt: 

an  der  Rechten  trägt.      Viele  Sömal-Pferde  werden  nach  Aden  gebracht  und 
zum  Reiten  und  Tragen   benutzt. 

Maulthiere   werden  meines  Wissens   im  Somal-Lande  nicht  gezüchtet. 

Esel.     Hengst;  Dabber,  Stute:  Dabbere. 

Vom  gleichem  Ansehen  wie  der  Abessinische  und  offenbar  von  dem  im 
Somal-ljande  ebenfalls  hiluligen  Wildesel  (Gumburri)  .abstammend.  Geritten 
wird  er  nur  zuweilen  von  angeseheneu  Frauen.  Während  das  Fleisch  des 
Hausesels  verschmäht  wird,  isst  man  das  des  wilden. 

Hund  (Ej). 

Er  wird  von  den  orthodoxen  Somal  nicht  geduldet.  Nur  einige  Hirten 
im  Innern   sollen  ihn  als  Wächter  halten.     Ich  selbst  bekam  keinen  zu  Gesicht 

Katze.  Dummat:  lebt  herrenlos  in  den  Dörfern,  mehr  Plage  als  Nutzen 
bringend. 

Haushahn. 

Hühner  werden  nach  Gala-Sitte  von  den  Somal  nicht  gegessen,  jedoch 
in  den  Küstenstädten  gehalten,  um  sie  an  Schiffe  zu  verkaufen.  Ich  habe 
olt  bemerkt,  dass  man  sie  in  den  von  hohem  Gehege  umschlossenen  Aborten 
der  Weiber  hielt,  wo  ihre  einzige  Nahrung  in  Uurath  bestand. 

Ob  derStrauss  gezähmt  gehalten  wird,  kann  ich  nicht  mit  Bestimmtheit 
angeben.  Straussfedern  werden  in  grosser  Menge  ausgeführt,  wodurch  Aden 
der  bedeutenste  Markt  in  diesem  werthvollen  Artikel  ist.  Die  Händler  des 
Inneren  bringen  sie  in  ganzen  Gefiedern  nach  Berbera  zum  Verkauf. 
Erst  hier  und  in  Aden  werden  sie  nach  Farbe  und  Qualität  sortirt  und  in 
Gebinden  von  20  —  50 — 100,  die  schlechteren  (und  auch  wohl  Holz 
und  Bleistiickchen)  im  Inneren  versteckt,  verpackt.  So  weit  die  Posen  nackt 
sind;,  umwickelt  man  die  Gebinde  mit  einer  möglichst  dicken  Schnur  in 
engster  Spirale.  Alles  dies  geschieht,  um  das  „Brutto-Gewicht"  nach  dem 
sie  nun  verkauft  weiden,  zu  erhöhen.  Ein  Oeffnen  der  Bündel  ist  nach  einer 
durch  Alter  geheiligten  Sitte  dem  Käufer  nicht  gestattet. 

Ausser  dem  Strausse,  wird  dem  Elefanten  vielfach  nachgestellt.  Es 
vereinigen  sich  zu  seiner  Jagd  mehrere  Leute.  Der  eine  besteigt  ein  weisses 
Pferd  und  reizt  ihn  so  lange,  bis  er.  wüthend  folgt.  Der  Reiter  flieht  in 
einer  Richtung,  in  der  seine  Kameraden  im  Hinterhalte  stehen,  die  dem  pas- 
sirenden  Elefanten  die  Achilles-Sehne  mit  dem  Schwertmesser  zerhauen  und 
ihn  so  zu  Falle  bringen.  Da  ilire  Speere  und  Pfeile  zu  schwach  seien,  um 
ihm  den  Garaus  machen  zu  können,  so  Hessen  sie  das  Thier  verhungern, 
erzählten  sie  mir. 

Uebrigens  ist  die  Elfenbein-Ausfuhr  weder  von  Berbora,  noch  vom  Be- 
nudir  bedeutend. 

Die  Somal  essen  keine  Fische,  nur  die  Seeleute  haben  sich  von  dieser 
Gala-Sitte  emanzipirt  und  treiben,  im  Verein  mit  Süd- Arabern,  einen  sehr 
ausgedehnten  Fang',  besonders  von  Haien,  an  der  Mächer-Küste.  Diese  wer- 
den theils  gesalzen  und  getrocknet  füi-  den  Indischen   und  Ost-Afrikanischen 


Vorläufige  Bemerkuiicren  über  die  Söm&l.  15 

Consum  zubereitet,  theils  ihre  getrockneten  Flossen  über  Maskat  und  Bombay 
nach  China  gebracht. 

Auch  Perlmutter-Schalen,  welche  das  Meer  bei  Sturm  an  den 
Macher-Strand  wirft,  sammeln  die  Fischer;  nach  Perlen  und  Perlmutter  ge- 
taucht wird  meines  Wissens  nur  in  der  Nähe  Tedjurra  s. 

Gruano  findet  sich  auf  der  Felseninsel  Hur-da-FtebscIii  (Bur:  Berg, 
Rebsch- Guano),  der  Brutstätte  von  Seevögelu.  Er  wird  von  den  nahewoh- 
nenden Somal,  die  sich  an  arabische  Unternehmer  vermiethen,  vom  Gestein 
und  aus  seinen  Furchen  gekratzt  und  auf  Barken  geladen.  Guano  wird  be- 
sonders nach  Makalhih  gebracht,  wo  er  zum  Tabakbau  Verwendung  findet. 
Vor  einigen  Jahren  soll  er  auch  nach  Mauritius  verschiflt  sein.  In  letzter 
Zeit  hatte  ein  europäisches  Handelshaus  aus  Aden  seinen  Agenten  hierher 
gesandt,  um  Guano  zu  holen.  Derselbe  wurde  jedoch  von  den  Wer-Singelii 
beraubt  und  musste  zurückkehren. 

Im  Ahl-Gebirge  findet  sich  Antimon,  das  jedoch  meines  Wissens  uur 
einmal,  und  zwar  von  einem  arabischen  Kaufmann  aus  Aden  geholt  wurde. 
Eine  von  demselben  ausgeschickte  zweite  Expedition  scheiterte,  da  ihr  An- 
führer, ein  Somali,  mit  dem  Betriebsfond  davonging. 

Indem  ich  nun  diese  vorläufigen  Bemerkungen  über  die  Somal  sehliesse, 
hoffe  ich  ,  da  ich  in  nächster  Zeit  dieses  Volk  wiederum  besuchen  werde, 
bald  Eingehenderes  berichten  zu  können. 


Erklärung  zu  Taf.  1  und  II. 

T:it'.   I.     Fig.   1-4.     Männliche  Somal  nach  Photographien  von  Capt.  Elton. 
Weibliche  Somal  nach  Photographien  von  Demselben. 
Dergl.  nach  Photographien  von  Charles  Neiley  in  Aden. 
Tal'.  II.     Kig   l  n.  2.  Somal-Weiber  nach  Photographien  von  NeJey. 
Knaben  von  Demselben. 
).  Mann  uml  Weib  von  Demselben. 
Somali  von  Härrär. 
Fig.  7.         Somali  nach  Photographien  von  .1.  M.  Hiklebramlt. 


Fig. 

1-4 

Fig. 

0,  7, 

Fig. 

f),   8, 

l'ig 

l  n. 

Fig. 

3. 

Fig. 

4u.  ; 

Fig. 

0. 

16 


J.  M.  Hildebrandt: 


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17 


Australien  und  Naelibarsehaft. 

(Fortsetzung.) 

Man  hat  neuerdings  im  Haar  ein  ethnologisch  geeignetes  Eintheilungs- 
princip  zu  linden  geghiubt  und  dann  die  Vandiemensländer')  (im  Anschluss 
an  den  Homo  papua)  zu  den  Ulotrichen  gestellt,  den  Homo  australis  dagegen 
den  Euthycomi  unter  den  Lissotrichen  eingeordnet,  ob\\  olil  hier  verschiedene  Be- 
schreibungen'-) vorliegen,  und  der  Norden  des  Continents  sich  wieder  (wenn  nicht 
durch  malayische  oder  polyuesische Einflüsse  verändert)  dem  Gebiet  der  Paj)ua-') 

')  Les  cbeveux  des  Iiabitants  de  Van-Diemen  sont  courts  et  laineux.  Die  Eingeborenen 
um  Cap  Diemen:  laissent  croitre  leur  barbc  et  ont  les  cbeveux  laineux  (Labillardiere).  Les 
naturels  (dans  la  baie  des  Koches  en  Nouvelle-IIoilande)  ont  les  cbeveux  laineux  et  se 
laissent  croitre  la  barbe.  Die  Bewohner  von  Waygiou  (Ouarido)  ont  les  cheveux  crepus, 
tres-epais  et  assez  lougs  (Labillardiei-e).  Les  habitants  du  Roi-George  ont  les  cheveux  bruns 
ou  noirs,  frises  sans  etre  laineux  (s.  Quoy  et  Gaimard).  Les  Negres  (les  Papous  hybrides) 
des  cotes  (de  la  Nouvelle-Guinee)  se  distinguent  entre  eux  par  la  denomination  d'Ärfakis  ou 
de  montagnards  et  de  Papouas  ou  de  riverains  (Duperrey),  während  die  Eingeborenen  (oder 
Alfurus)  im  Innern  der  Insel  Endamenes  genannt  würden  und  sich  als  Schlichthaarige  auch  über 
Neuholland  verbreiteten,  worauf  in  Yandiemenslaud  das  Kraushaarige  wieder  aus  den  Neu- 
Hebriden  und  Neu-Caledonien  eingewirkt. 

^)  Das  Haar  der  nordwestlichen  Australier  war  kurz  und  wollig  kraus  (nach  Dampier),  an  der 
Roebukbay  kraus  spirallockig  (nach  Martin)  mit  Barten,  dick  lockig  oder  kraus  (auf  der  Melville-Insel, 
dicht  kraus  auf  der  Croker-Insel,  wogegen  auf  der  Coburg-Halbinsel  schlichtes  Seidenhaar  (b.  Earl) 
angegeben  wird,  gelocktes  Haar  südlich  von  Port  Essington  (b.  Leichardt),  und  dort  schlicht  lang 
(b.  Campbell)  oder  wollig  (b.  d'Urville),  auch  korkzieherartig  gewunden  (nach  Hombron).  Im  Süden 
wird  krauses  Haar  erwähnt  (mit  lockigen  Barten),  auch  wolliges  (b.Strzelecki),  im  Südosten  gekrätiselt 
und  am  Westernport  (b.  Peron)  lang  und  glatt.  Struppiges  Haar  beschreibt  Koelern  (bei  Adelaide) 
schlichtes  im  Innern,  krauses  (b.  Peron).  Am  George-Sound  bis  Perth  wird  glattes  Haar  an- 
gegeben (b.  Salvado)  und  nach  Norden  (b.  Peron).  Das  lauge  und  feine,  aber  wollige  Haar  ist 
(nach  Haie)  durch  Mangel  an  Pllege  häufig  wie  verfilzt  (s.  Gerland).  Das  Haar  der  Tasmanier 
war  wollig  kraus  (nach  Cook). 

')  Papous  wird  pua-pua  (brun  fonce)  erklärt  (nach  Marchai).  Les  Papous  du  littoral  (ä  Dorey) 
se  distinguent  eux-memes  de  ceux,  qui  habitent  les  montagnes  et  qu'ils  nomment  Arfakis  ou 
Allakis  (Quoy  et  Gaimard).  La  forme  bombee  du  front  fait  que  leur  angle  facial  u'est  point 
trop  aigu  (chez  les  noirs  de  File  Vanikoro).  In  den  Papua-Schädeln  der  Urania  (Freycinet's) 
bemerkte  tiall  une  inegalite,  qu'il  nomme  deformation  rachitiqiie.  Some  time  about  the  year 
1770  a  number  of  Papua  boats  from  New-Giunea,  the  Islands  Aroo,  Salwatty  and  Mysol  near 
the  time  of  the  vernal  equinox,  when  the  seas  are  generally  smooth,  assembled  to  the  nimiber 
of  more  thaii  a  huudred  and  sailed  up  the  strait  of  Patientia  from  Gilolo  (nach  Forrest).  Der 
Raja  von  Salwatty  fiel  in  die  Gefangenschaft  iler  Holläniler  (tlie  Outanata  unternahmen  Sklaveu- 
jiigden  in  den  Molukken).  In  der  Louisiade  wurden  (nach  Bougainville)  und  in  Port  Prasliu 
(nach  Duperrey)  Schilde  gebraucht.  Die  Insulaner  der  Louisiade  aiment  beaucoup  les  odeurs 
(Labillardiere).  The  practice  of  boring  the  septum  of  the  nose  has  been  generally  observed 
amoug  the  wiUI  Papuans  (Earle)  1828.  Nach  Quoy  und  Gaimard  gehörte  die  den  Negern  Ost- 
afrikas ähnliche  Rasse  Neu-Guinea  an,  während  die  Papua  auf  der  Insel  Vaigiou  lebten,  deren 
Bergbewohner  im  Besonderen  Alfurus  hiessen.  Les  cheveux  des  Papous  sur  les  iles  (Rawak  et 
Vaigiou)  sont  noirs,  taut  soit  peu  lauugiueux,  tres  toulfus,    ils   frisent  naturellemeut   (s.  Quoy  et 

2eit3chrilt  für  Ethaologic,  Jahrt;au£  ISi',).  2 


Ig  Australien  und  Nachbarschaft. 

annähert  mit  ihren  Weitverzweigungen  nach  Melanesien*)  sowohl  und  Mikro- 


Gaimard).  Aecording  to  Bruyn  Kops  the  skiu  of  many  of  the  iiatives  were  marked  with  scars, 
which  have  been  produced  by  applications  of  fire  (in  Neu-Guinea).  Auf  Neu-Guinea  besteht 
das  Tättowiren  (Panaya)  in  Strichen.  The  woUy  or  twisted  hair  is  peculiar  to  the  füll  blooded 
Papuans.  A  comparatively  slight  mixture  with  the  brown  race  removes  the  peculiarity  (Earle). 
The  people  of  Waigiou  are  not  truly  indigenoiis  of  the  Island  (which  possesses  no  „Alfuros" 
or  aboriginal  inhabitants).  They  appear  to  be  a  mixed  race,  partly  from  Gilolo,  partly  from 
New-Guinea,  Malays  and  Alfuros  from  the  former  Island  have  probably  settled  here  and  many 
of  them  have  taken  Papuan  wives  from  Salwatty  or  Dorey,  while  the  influx  of  people  from 
those  places  and  of  slaves,  had  led  to  the  formation  of  a  tribe  exhibiting  almost  all  the  transitions, 
from  a  nearly  pure  Malayan  to  an  entirely  Papuan  type.  The  language  is  entirely  Papuan, 
bciuo-  that  which  is  used  on  all  the  coasts  of  Mysol,  Salwatty,  the  north-west  of  New-Guinea, 
and  the  Islands  in  the  great  Geelviuk  Bay  (iudicatiüg  the  way,  in  which  the  coast  Settlements 
have  been  found).  The  fact,  that  so  many  of  the  Islands  between  New-Guinea  and  the  Moluccas 
(such  as  Waigiou,  Guebe,  Poppa,  Obi,  Batchian,  as  well  as  the  south  and  east  peninsulas  of 
Gilolo)  possess  no  aboriginal  tribes,  but  are  inhabited  by  people,  who  are  evidently  mongrels 
and  Wanderers,  is  a  proof  of  the  distinctness  of  Malayan  and  Papuan  races  and  the  Separation 
of  their  geographical  areas  (s.  Wallace).  Auf  Flores  finden  sich  Züge  der  Papua  (nach  Moore). 
The  traders  (of  Dobbo)  are  all  of  the  Malay  race  or  a  mixture  of  which  Malay  is  the  chief 
iiif^redient,  with  exception  af  a  few^  Chinese.  The  natives  of  Arn,  on  the  other  band,  are  Papuans, 
with  black  or  sooty  brown  skius,  wolly  or  frizzly  hair,  thick-ridged  prominent  noses,  and 
rather  slender  limbs  (Wallace).  Die  Papua  auf  Ternate  stehen  in  dienendem  Verhältniss  (Bleeker)- 
The  people  of  Dorey  (in  Neu-Guinea)  are  simüar  to  Ke  and  Aru-islanders  (offen  tall  and 
well-made,  with  well-cut  features  and  large  aquiline  noses).  Their  colour  is  a  deep  brown,  offen 
approaching  to  black  and  the  mop-like  heads  of  frizzly  hair  are  considered  an  onament  (s.  Wal- 
lace). The  hill-men  or  Arfak  (in  New-Guinea)  were  geuerally  black,  (but  some  brown  like  the 
the  Malays),  Their  hair,  though  always  more  or  less  frizzly,  was  sometimes  short  and  matted 
(instead  of  being  long,  loose  and  woolly),  as  indigeners  (s.  Wallace).  Les  habitants  du  port  de 
Roi-Georges  ont  les  cheveux  bruns  ou  noirs,  frises  sans  etre  laineux  (Quoy  et  Gaimard).  Les 
cheveux  des  habitants  de  Vandiemen  sont  courts  et  laineux. 

1)  Les  habitants  de  Vanikoio  ont  uue  chevelure  tout-ä-fait  laineuse  et  l'enveloppent  soigneuse- 
ment  dans  de  longs  cylindres  d'etoffes  qui  i)endent  jusqu'au  bas  du  dos  (Quoy  et  Gaimard). 
The  descriptions  of  the  brown  Poiynesian  race  (beyond  the  Fijis)  ofteu  agree  exactly  with  the 
characters  of  the  brown  indigenes  of  Gilolo  and  Ceram  (s.  Wallace).  Die  Schwarzen  Neu-Irland's 
(die  Haare  flechtend)  ont  les  yeux  petits  et  uu  peu  obliques.  Carteret  sah  bei  den  Insulanern 
Neu-Irland's  keine  Bekleidung  und  nur  Schmuck  und  Muscheln,  sowie  Pudern  des  Haarres  und 
der  Bürte.  Les  cheveux  crepus  et  tres  bien  fournis  (dans  Tile  de  Bouka)  forment  un  graud 
volume  (Labillardiere).  Neben  der  „forme  ebouriffee"  bei  einigen  Stämmen  Neu-Guinea's,  Wai- 
gui's,  Bouka's,  fällt  das  Haar  bei  andern  (auf  Neu-Guinea,  Rony,  Neu-Bretannien,  Neu-Irland) 
sur  les  epaules  en  meches  cordounees  et  flottantes  (Lesson  et  Garnot).  Die  Bewohner  der  Ad- 
miralitäts-Inseln  ont  les  cheveux  crepus,  et  sont  dans  l'usage  de  ne  laisser  des  poils  sur  aucune 
partie  du  corps.  II  parait  que  la  verre  volcanique  dont  ils  arment  leurs  zagaies,  leur  sert  aussi 
ä  se  raser  (Labillardiere).  Bei  den  Bewohnern  der  Admiralitäts-Inseln  hing  eine  Muschel  (bulla 
Ovum)  ä  l'extremite  de  la  verge,  pour  cela  ils  avaient  fait  une  Ouvertüre  au-dessous  de  la  partie 
la  plus  rentlee  de  cette  coquille,  alin  d'y  loger  le  gland  (s.  Labillardiere).  Bougainville  sah 
lange  P.ärte  bei  den  Bewohnern  Ncu-Britanniens.  Die  Insel  Nova-Britannia  war  (nach  Dampier) 
inhabited  with  strong  well-limbed  Negroes.  A\if  der  Verräther-Insel  (neben  den  Cocos-lnselu) 
hiess  der  Häuptling  Latou  (nach  Schonten).  Die  Bewohner  der  Admiralitäts-inseln  waren  sehr 
schwarz  (nach  Dentrecasteaux).  Le  Neo-Caledonieu,  surtout  lorsqu'il  est  echauflo  par  la  marche, 
exhale  une  forte  odeur  sui  generis,  qui  rappelle  celle  des  fauvcs  de  grande  taille  (Patoudlet). 
Kopl'entstelhingen  treten  inehrlach  in  Polynesien  hervor,  wie  auch  anderswo.  Nach  Ovington  wurde 
in  Arrakau  die  Stirn  des  Kindes  mit  einer  Bleiplatte  breit  gedrückt  (172D).  In  Yucatan  wurde 
dem  mit  dem  Gesicht  auf  die  Erde  gelegten  Kiude  der  Kopf  mit  zwei  Platteu  zusammengedrückt 


Australien  und^Nacliljarscliaft,  19 

nesicn'),  wie  auch  dem  Indischen  Arcliipelago")  in  seinen  Inselverzweigungen 


(s.  Landa).  Au  der  Westküste  America's  /eigen  sich  im  Kunststil  poljnesische  Reminiscenzen 
und  auch  sonst.  Las  Indias  son  bien  agestadas,  de  muy  lindos  ojos  y  de  rostro,  muy  modestas 
y  honestas.  Los  niilos  y  niiias  son  blancos  y  rubios  (en  la  isla  St,  Catalina).  Usan  estos  Indios 
de  unas  grandes  cabaiias  para  sus  moradas  y  de  vasijas  de  juncos  tapidos,  en  que  tieneu  y 
traen  agua  (Viscain)  1602. 

')  Nach  Cautova  finden  sich  auf  den  Carolinen  Neger,  die  als  Sklaven  dienten,  wie  unter 
den  llalayen  Pulo  Sabuti's  oder  Savus  (nach  Dampier),  La  variete,  qu'on  peut  appeler  negre 
(auf  den  Inseln)  en  a  la  couleur,  la  forme  du  cräne,  les  cheveux  courts,  tres-laineux,  recoquilles, 
le  nez  ecrase  tres-epate,  les  levres  grosses,  et  surtout  Tobliquite  de  I'angle  facial,  tandisque  les 
Papous  ont,  sous  ce  rapport,  la  tete  conformee  a.  peu  de  chose  pres  comme  les  Europeens 
(Quoy  et  Gaimard). 

-)  In  Ceram  and  Gilolo  a  few  scattered  remnants  of  the  race  (of  Papuas)    still    exist,    but 
they  hold  little  or  no  iutercoure  with  their  more  civilized  neighbours,    öying  into  the  thickets 
(for  shelter),     The  Island  of  Mysol  or  Mesual    is    said    to   havc    been   occupied    exclusively    by 
l'apuaus  (at  the  euiopaeen  discovery).    The  Island  of  Ceram,  Ccram-Laut,  Bo,    Poppo  und  Geby 
and  Patana  Hoek,  the  south-eastern  extreme  of  Gilolo  are  also  occupied  by  people  of  the  mixed 
race  (the  mixture  having  arisen  chiefly  from  these  spots  having  been  the  places   of  refuge   for 
olfenders  agaiust  the  regulations  established  for  the  monopoly  of  spices  in  the  Moluccas),    The 
eastern  extremity  of  Ceram,  and  also  the  greater  portion  of  the  north  east  of  that  Island,  was 
inhabited  by  Papuaus  on  the  first  arrival  of  Europaeans  in  the  East,    but  they  are  now   only 
to  be  fouud  in  the  jungles  (s.  Earle).     Accordiug  to  Modera  the  iuhabitauts  of  the  inferior  did 
not  differ  in  any  essential   particular  from  those  of  the  coast  (in  Triton's  bay).    The  people  of 
Ternate  are  of  three  races,  the  Ternate-Malays  (an  intrusive  Malay  race,  somewhat  allied  to  the 
Macassar  people,  who  settled  in  the  country,  driving  out  the  indigenes,  who  were  the  same,  as 
those  of  Gilolo),    the  Orang-Sirani  (Nazarenes  or  Christian  descendants  of  the  Portuguese,    who 
resemble  those  of  Amboyna  and,    like  them,   spcak  only  Malay)  and  ihe  Dutch.     The  people  of 
Kaioa  are  a  mixed    race,    having  Malay    and  Papuan  aiüuities  and  are  allied  to  the  peoples  of 
Ternate  and  of  Gilolo.    They  possess  a  peculiar  langnage  (\Yallace).    Wallace  fand  auf  der  Insel 
Batchian  vier  Rassen,    die  Batchiau  Malayen  (denen   auf  Ternate   ähnlich),    die  Drang  Sirani, 
Galela-Leute  vom  nördlichen  Gilolo  \ind  eine  Colonie  von  Tornore,   in  der  östlichen  Halbinsel 
von  Celebes    The  Goram  people  are  a  race  of  traders.     Every  year  they   visit    the  Tenimber, 
Ke  and  Arn  Islands,  the  whole  north-west  coast  of  New-Guinea  from  Outauata  to  Salwatty,  and 
the  islaud  of  Waigiou  and  Mysol.    They  also  extend  their  voyages  to  Tidore  and  Ternate,    as 
well  as  to  Banda  and  Amboyna.    Their  praus  are  all  made  by  the  Ke-islanders  (a  race  of  boat- 
ianders),  who  aunually  turn  out  a  hundcrd  of  boats  (s.  Wallace),    The  natives  of  Bouru  consist 
of  two  distinct  races  (partially  amalgamated).      The    larger    portion  are  Malays  of  the  Celebes 
type,  often  exactly  similar  to  the  Tomore  people  of  East  Celebes  (settled  in  Batchian),  while  others 
altogether  resemble  the  Alfuros  of  Ceram  (in  solcher  Nennung).    The  south-west  of  New-Guinea 
(Papua  Kowiyee  or  Papua  Oren)  is  inhabited  by  the  most  treacherous  and  bloodthirsty  tribes 
(to   the   Goram   and  Ceram  traders);    in  other  districts,    inhabited    by    the   same  Painian  races 
such  as  Mysol,    Salwatty,    Waigiou  and   some  parts  of  the  adjaceut  coast,    the  people  (by  the 
settlement  of  traders  of  mixed  breed)  have  takcn  the  first  step  in-civilization.    Zum  Unterschied 
von  der  malayischen  in  ihren  Charakterzügeu  niihert  sich  ilie  Schadelform  des  Battak  mehr  dem 
oval   kaukasischen  Typus.      On    the  table  lands   above  Dilli   (a  portuguese   settlement  ou   the 
north-west  of  the  islaud)  some  of  the  villagers  have  opaque   yellow  comple.xion,    the   exposed 
parts  of  the  skin  being  covered  with  light,    brown  S])Ots  or  freekles,    and  the  hair  is  straight^ 
fine,  and  of  a  reddish  or  dark  auburn  colour.    Every  intermediate  variety  of  hair  and  complexion, 
between  this  and  the  black  or  deep  chocolate  colour  is  short  tutled  hair  of  tlio  mouutain  Papuan, 
is  to  be  fouud  on  Timor  (s.  Earle).    The  inhabilants  of  the   south    western  part  of  Timor,    in 
the    ueighbüurshood    of  Coepang  (a  dutch   settlement)  are  au   exceedingly   dark,    coarse-haired 
people  (s.  Earle).     Von   den  Schwarzen  im  Uinterhuul  (achternal)  Timors  (,iu  der  Südostlicbeu 
Ecke)  eutwicheu  deu  Ilolläuderü  früher  die  öclaveu, 

2* 


20  'Australien  und  Nacbbarschaft. 

und    vielfach    schattirten    Stämmen^)    alfurischer    und    anderer   Eingeborenen 
(wo    jenseits    der    Philippinen')    über    Formosa    hinaus    nördliche    Erschei- 


')  The  oolour  (of  the  Malay  tribes)  is  a  light  reddish  brown,  the  hair    black  and  straight 
(of  a  rather  coarse  texture),  the  face  nearly  destitute  of  hair,  the  body  robust,  the  stature  low, 
feet  small,  the  face  broad,  the  brows  low,  the  eyes  oblique,  the  nose  small  (not  prominent,  but 
straight  and  well-shaped)  with  the   apex   a    little   rounded    (the   nostrils   broad   and    slightly 
exposed)  aud  the  cheekbones   rather  prominent,    the   mouth  large,    the   iips    broad,    the   chin 
round  (auf  den  Inseln).     In  stature  the  Papuan  surpasses  the  Malay,  (the  feet  larger),  the  face 
is  somewhat  elougated,    the  forehead  flattish,    the  brows  prominent,    the  nose  is  large,    rather 
arched  antl  high,  the  base  thick,  the  nostrils  broad,  with  the  aperture  hidden  (owing  to  the  tip 
of  the  nose  beiug  oblougated),  te  mouth  large,  the  Iips  thick  aud  protuberaut.     The  Alfuros  (of 
Sahoe  and  Galela  in  the  northern  peninsula  of  Gilolo)  are  tall  and   well    made,    with  Papuan 
features  and  curly  hair  bearded  and  hairy  limbed,   but  quite  as  light  in  colour  as  the  Malays), 
iudustrious  and  euterprisiug  (s.  Wallace).    The  Arru  islanders  bear  a  strong  resemblance  to  the 
aborigines  of  Port-Essiugton,    but  they  also   possess    many  characteristics  in  common  with  the 
Outanatas  of  the  opposite  coast  of  New-Guinea  (s.  Earle).    The  Alfuros  (the  iudigenes  of  Gilolo) 
live  ou  the  easteru  coast  or  in  the  inferior  of  the  northern  peninsula.    The  iudigenes  of  Sahoe 
(in  Gilolo)  are  distinct  from  all  the  Malay  races,     Their  stature  and  their  features,    as   well  as 
their   disposition   and  habits,   are  almost  the  same  as  those  of  the  Papuans,    the  hair  is  semi- 
Papuau,   reither  straight,  smooth  and  glossy,  like  all  true  iVIalays  nor  so  frizzly  and  woolly  as 
the  perfect  Papuan  type,  but  always  crisp,   waved  and  rough,   such  as  often  occurs  among  the 
true    Papuans,    but    never    among    the  Malays.     Their  colour   is  often  exactly  like  that  of  the 
Malays  or  even  lighter.    Das  Fürstengeschlecht  der  Malayen  in  Menangkabo  kam  von  Palembong 
(in  Djavamt  Haus    der  Fürsten    von  Meudangkamulan)    der  Adel    von  Mandaheling    unter    den 
Battas,    die  sich  (Xll.  Jhdt.  p.  d.)  vom  Hochlande  Tobah  aus  verbreiteten,    stammt   von  dem, 
dem  Helden  Iskander  durch  eine  Himmelsfrau  in  Menangkabo  geborenen  Sohn.    Les  habitants  du 
bourg  de  Cajeh  connus  sous  le  uom  general  de  Maures  sout  les  descendants   des    peuples,    qui 
out  porte  la  religion  mahometaue  dans  les  Indes  (s.  Dentrecasteaux).     L'interieur   du  pays  est 
haljite  par  les  naturels  du  pays,  qu"on  a  desigue  en  malais  Alfourous  en  Bourou.    In  Cajeli  auf 
Bourou  wurde  (1793)  ein  Fort  gebaut  (unter  dem  Holländischen  Resident).     The  whole   of  the 
great  Island  of  New-Guinea,   the  Ke  and  Aru-Islands,   with  Mysol,  Salwatty,  and  Waigiou  are 
inhabited  almost  exclusively  by  the  typical  Papuans  (the  coast  people  of  New-Guinea   being  in 
some  places  mixed  with  the  browner  races  of  the  Moluccas).    The  same  Papuan  race  seems  to 
extend  over  the  Islands  east  of  Guinea  as  far  as   the  Fijis.     The    people    of  Ceram    seem    more 
decidedly  Papuan,  than  those  of  Gilolo,    They  are  darker  of  colour  and  a  number  of  them  have 
the  frizzly  Papuan  hair.     Tlieir  features  also   are   harsh   and    prominent  (Wallace).     In  Sapania 
the  men  wear  their  frizzly  hair  gathered  iuto  a  tlat  circular  kiiot  over  the   left  temple  and   in 
their  ears  cylindres  of  wood  (coloured  red  at  the  ends).    The  people  (in  the  Goram  island)  were 
(at  least  the  chief  men)  of  a  rauch  purer  Malay  race,  than  the  Mahometans  of  the  mainlaud  of 
Ceram  (where  the  Alfuros  of  Papuan   race   are  the    puredominant    type),   a  siight  infusion  of 
Pajjuans   or   a  mixture  of  Malay  and  Bugis  liaving  produced  a  very  good-looking  set  of  people. 
The  Iower  class  of  the  populatiou  consists  almost  entircly  of  the  iudigenes  of  the  adjacent  Islands 
(a  fine  lace  with  strongly-marked  Papuan  features,  frizzly  hair  brown  complexions).    The  Goram 
language  is  spokeu  also  at  the  east  of  Ceram  and  in  the  adjacent  islantls. 

-)  De  los  Indius  algunos  son  infieles,  pero  lo  mas  Balanes  (eu  la  Provincio  de  la  Pampanga), 
que  no  pertenecen  ä  nacion  6  tribu  conocidas,  y  descienden  de  los  fugitivos  de  los  Pueblos  civi- 
lizados,  por  algun  delito  (ildefonso  de  Aragon),  Los  Aetas  6  Negritos  (los  primeros  habitantes, 
'  liuyeiidos  de  los  Malayos)  se  dividen  en  varias  clases  (entra  estas  hay  una  llamada  Balugas,  que 
habitu  el  Monte  Irayat,  y  son  los  (jue  unidos  con  los  Balanes,  siguon  las  costumbres  de  ostos). 
Sur  le  mont  Arayat  habitent  les  Indiens  appeles  Balanes  et  les  hordos  Montcscos  qui  vivent  de 
rapines,  ces  montagncs  sout  aussi  peupleos  de  Negritos  (Mallat).  Neben  Sjiajiiern,  Mestizen  und 
Tributpflichtigen  (als  bekehrte  Küstenstilmme)  unterscheiden  sich  auf  den  Philippinen  die 
Moreuos  (Mohamedauer),  Sangleys  (Cliiuesen)^iind  Negros.  Nach  ßennett  gleichen  die  Negros  in 
Lu^on  denen  der  Hebriden-Insel  Erromango.    Nach  St.  Croix  sind  die  Ygorroles  von  St.  Mattheo 


Australien  und  Nachbarschaft,  21 

niingen')     auftreten')     bis    /um     Festland),     vernmthunfrsweise    fortgetragen 
in    die   Tliäler    des     llimalaya)     und     den     (über    die    Brücke     der    Auda- 


(leii  Aet;is  im  Berge  MurivcllL'  slaininvcrwandt.  The  peciiliar  race  of  Savu  and  Rolli  (Islands 
to  the  wcst  of  Timor)  are  very  handsomo,  with  pood  fcatiircs,  resemhliiig  in  many  charac.leristics 
tiie  racc  prodiiccd  by  tlic  mixturc  of  thc  Iliiidoo  and  Arai)  wilh  Ihc  Maiay  (s.  Wallace). 
Neben  den  Tapaicn  (im  inaiayischen  Dialect  von  tien  Bisayos  verschieden)  unterscheiden  sich 
(in  den  Philippinen):  die  Negritos,  die  Igorrotes  (in  der  Provinz  Pangasinan  bis  zur  Mission 
Ituy  und  von  Osten  bis  zum  Thal  Aguo),  die  Burrik  (den  Igarroten  ähnlich),  die  Busao  (mit 
verlängerten  Ohren),  die  Itctapancs  (zwischen  Negritos  und  Tagalen),  die  Tiguianes  (mit  chine- 
sischer Mischung),  Guinaancs  (zwischen  Tiguiaanes  und  Negritos),  Yfugaos  (mit  japanischer 
Mischung),  (laddanes  (zwischen  Calauas  und  Negritos),  Calauas  (im  District  Itabes),  Apayaos 
(den  Tagalen  ähnlich),  Ibilaos  mit  Isinayes  (den  Igorroten  ähnlich).  Die  Bangan  genannten 
Negritos  auf  Mindoro  stehen  in  Beziehungen  zu  den  Maguianen.  Auf  der  Isla  dos  Negros  werden 
die  Negritos  auf  den  Bergkammen  gesetzt.  Unter  den  Negritos  vonMindanao:  the  chief  tribes  of 
the  North  are  calleil  respectively  Dumagas,  Tagabaloys,  Malanos  and  Manabos  (s.  Earle).  Auf  den 
Sidu-Inscln  wurden  die  Papua  in  das  Innere  zurückgedrängt,  als  nach  den  Chinesen  (und 
<lann  den  Orang  Dampuwan  oder  Sonpotualan)  die  Banjar  aus  Banjarmassin  (auf  Borneo) 
durch  Verheirathung  einer  Prinzessin  an  den  Häuptling  festen  Fuss  fassten  (s.  Hunt)  1812. 
Die  von  Dalton  besclniebenen  Wilden  (im  Norden  Borneo's)  are  looked  on  and  treated  by  the 
Dayaks  as  wild  beasts  (1828). 

')  Wegen  ihrer  Behaarung  hiessen  ilie  Ainos  (Menschen)  Haarleute  (bei  Mongolen  und 
Chinesen)  mit  glattem  Gesicht,  schmal  schiefzulaufenden  Augen,  hohen  Backenknochen,  niedriger 
Stumpfnase.  Jebis  heissen  die  rohen  Stammgenossen  bei  den  Japanesen.  Die  Ainos  der  Insel 
Jeso,  die  der  Dynastie  Tang  Pfeile,  Bogen  und  llirschhäute  als  Huldigung  brachten,  wurden 
Krol»sbarbaren  von  den  Seekrebsen  (Hiai  oder  Jeso)  genannt  (in  der  Art  der  Tsugaru,  Ära 
und  Niki).  Taipe,  ein  Königssohn  von  Tscheu,  zieht  an  der  Spitze  eines  zahlreichen  Gefolges 
zum  Mündungsgebiet  des  Kiang  (Kiangnan).  Um  die  dort  hausenden  Barbaren  zu  befreunden, 
fügen  sich  die  Tscheu  ihren  Sitten,  scheeren  das  Haar,  schneiden  Bilder  in  Arme  und  Beine 
und  bereiben  sich  mit  beizender  Schwärze.  Dann  schifft  Taipe  (Taifak)  über  das  Meer  und 
gründet  auf  fernen  Inseln  eine  chinesische  Ansiedlung .  Nach  sechs  Jahrhunderten  landet  Sanmo 
(Sinmu,  der  göttliche  Krieger)  aus  den  Lutschu  auf  Kiusin  und  erobert  (während  sich  die  wilden 
Ainos  bekämpfen)  Nippon,  wo  sich  das  Schifflein  des  vom  Himmel  zur  Erde  fahrenden 
Götterpaares  niedergelassen.  Durc  hWangschin  (Wonin)  aus  Korea  wurde  chinesische  Schrift  in 
Japan  verbreitet  (unter  dem  Dairi  Osin).  Mit  dem  Regierungsantritt  des  Dairi  (Mikado)  Katok  wurden 
die  auch  in  China  üblichen  Ehrenbenennungen  der  Regierungsjahre  angenommen  (Nien-hao  oder 
Nengo)  als  Jahrestitel  (645  p.  d.)  Um  den  Kami  zu  gefallen  (in  Japan),  muss  reines  Feuer 
unterhalten  werden.  Kami,  god,  Superior,  the  hair  of  the  head,  (Hepburn)  in  Japanese.  Cami^ 
cheveux  de  la  tete,  tete,  partie  superieure,  Seigneur,  dieu  des  gentils  du  Japon  (Pages)  und 
ähnliche  Verbindung  des  Scheitels  mit  dem  Höchsten  in  Slam  (wie  auch  in  königlichen  Titeln). 
The  wild  people  (in  the  inferior  of  Ceram)  are  described  as  a  particulary  small  tribe  of 
very  dark  complexion,  with  black  frizzled  hair,  resembling  that  of  Papuans  (s.  Earle)  und  ausser- 
dem beschreibt  Yalentyn  andere  Alfoereesen  im  östlichen  Ceram,  zu  Wassoa,  Marihoenoe,  in 
dem  Binnenland  Sepa  und  Tanulau,  dem  Binnenland  von  Haja,  im  District  Eilan  Biuauwer, 
dem  Binnenland  von  Cattaroewa  u.  s.  w.  (hauptsächlich  in  den  Waringin-Bäumen  wohnend).  Tufted 
wooUy  hair  is  said  to  be  common  among  the  natives  of  Melville  Island  (s.  Earle),  frizzled  hair  among 
several  of  the  aboriginal  tribes  of  Australia  (espccially  tliose  of  the  north  and  north  east  coast).  Several 
of  the  coasts  tribes  near  the  eastern  end  of  Flores  are  considered  to  be  Papuans,  but  their  hair 
has  not  the  tufted  charactcr,  being  gcnerally  long  and  curly  (s.  Earle).  The  moimtainous  parts 
ofSolor,  Pautar,  Lombleii  and  Ombai  are  occupied  by  a  woolly  haired  raco.  Les  cheveux  des 
Alfours  (de  ('elebes)  sont  noirs,  lisses  et  tres  longs  (Quoy  et  Gaimard). 

'■*)  Rousselot  sah  „boucles  laineuses"  bei  den  Bandar-lokh  (homme  singe)  aus  dem  Stamm  des 
Djangal  östlich  von  Singoudja.  Die  Juangas  (in  Cuttack)  heissen  Puttouas  (weil  in  Blätter  ge- 
kleidet).   Eine  kleine  Rasse  lebt  in  den  Walddürfern  zwischen  Palamow,  Sumbulpore  und  Amar- 


22  Australien  und  Nachbarschaft. 

manen')  erreichten  Continent  Hinterindiens  mit  seiner  Halbinsel-)'  Neben 
dem  Ahnencultus  (in  Mikroncsien)  und  dem  Zauberwerk  (in  Melanesien)  wird 
von  tauben,  blinden  (einäugigen),  alten  Göttern  geredet,  um  das  Fruchtlose 
der  (in  Westafrika  wegen  der  Entfernung  des  Himmels  nicht  erhörten)  Gebete 
zu  erklären,  wogegen  sich  in  Polynesien  ein  Ansatz  zu  mythologischer  Syste- 
matisirung  findet,  wie  z.  B.  bei  Wegener  zusammengestellt: 

„Der  Insulaner  stellte  sich  zwei  Arten  übersinnlicher  Wesen  vor,  die  auf  Gestaltung  irdischer 
Dinge  Einfluss  hätten.  Macht,  eifersüchtiger  Anspruch  auf  Ehre  und  Gaben,  unerbittliche 
Rache  gegen  jede  Vernachlässigung  waren  Allen  gemeinsame  Attribute;  ein  moralischer  Vorzug, 
eine  überlegene  Weisheit,  eine  freiwillige  Güte  zierte  Keinen;  Verbrechen  vielmehr  und  Scham- 
losigkeit fanden  Vorbild  und  Aufmunterung  in  der  Geisterwelt.  Der  Ausdruck  Atua,  wie  derselbe 
unter  den  gewöhnlichen  Abweichungen  durch  das  ganze  stammverwandte  Polynesien  geht,  um- 
fasste  die  eigentlichen  Götter;  Oromatua  tu  hiessen  die  Geister  der  Abgeschiedenen,  besonders 
wilder  Krieger,  die  als  Mittelwesen  zwischen  Göttern  und  Menschen  eine  verderbliche  Gewalt 
über  die  Letzteren  übten.  Unter  den  Göttern  stand  obenan  eine  Zahl,  die  man  fanau  po  (Nacht- 
geborne)  nannte,  was  vielleicht  ihre  Unabhängigkeit  von  der  sichtbaren  Welt,  dem  ao  (Licht- 
reiche)  anzeigen  sollte.  Die  vorzüglichsten  unter  ihnen  waren:  Taaroa,  der  Kanaloa  der  Sand- 
wich-Gruppe und  Tangaroa  der  westlichen  Inseln,  der  Höchste  von  Allen,  der  Uuerschaffeiie, 
seit  der  Zeit  der  Nacht  her  lebend,  aber  nur  auf  Tapuamanu  (nach  Cook)  öffentlich  vereint; 
Oro,  der  mächtige  Nationalgötze  von  Raiatea,  Tahiti  und  Eimeo,  und  Tane,  der  Gott  von  Hua- 
hine  und  Tahaa,  der  mit  seiner  Gattin  Taufairei  acht  Söhne  hatte,  die  alle  zu  den  obersten 
Gottheiten  gehörten,  unter  ihnen  Temeharo,  der  Schutzpatron  von  Pomare's  Hause. 

Ob  die  Erde  mit  den  Göttern  aus  der  Nacht  hervorgegangen,  oder  von  diesen  erst  geschaffen 
sei,  war  ein  Streitpunkt  unter  den  Priestern,  und  während  Einige  der  Taatapaari  (weisen  Männer) 
behaupteten,  Taaroa  habe  die  andern  Götter  nicht  nur,  sondern  auch  Himmel  und  Erde  erzeugt, 
sagten  Andere,  das  Land  hätte  schon  vor  den  Göttern  existirt;  ja  nach  einer  Tradition  war 
Taaroa  selbst  ein  Mensch  gewesen,  der  nach  seinem  Tode  zum  Gotte  geworden.  Ebenso  diver- 
girten  die  Meinungen  über  die  Abstammung  der  übrigen  Götter  von  Taaroa.  Die  gemeinste 
Sage  auf  Tahiti  erzählte:  Taaroa  ging  mit  seiner  Gemahlin  Ofeufeumaiterai  aus  dem  Po  hervor 
und  zeugte  Oro,  der  eine  Göttin  zum  Weibe  nahm  und  von  ihr  2  Söhne  erhielt.  Diese  4  männ- 
lichen und  2  weiblichen  Gottheiten  bildeten  den  Kreis  der  obersten  Wesen.  Taaroa  umarmte 
einen  Felsen,  den  Grund  der  Welt,  aus  dem  in  Folge  dessen  Land  uud  Meer  hervorgingen. 
Bald  darauf  erschienen  die  Vorläufer  des  Tages,  der  dunkle  und  der  helle  blaue  Himmel,  und 
begehrten  eine  Seele  für  ben  Sprössling  des  Gotttes,  die  noch  leblose  Welt.  Taaroa  erwiderte: 
Es  geschieht,  und  wies  seinen  Sohn  Raitubu  (Himmelsschöpfer)  an,  seinen  Willen  auszuführen. 
Der  Sohn  blickte  zum  Himmel,  und  derselbe  empfing  die  Macht,  neue  Himmel  und  Wolken, 
Sonne  und  Gestirne,  Donner  und  Blitz,  Regen  und  Wind  hervorzubringen.  Darauf  blickte  er 
niederwärts,  und  die  formlose  Masse  erhielt  die  Macht,  Erde,  Berge,  Felsen,  Bäume,  Kräuter, 
Vögel  u.  s.  w.  zu  gebären.     Endlich  blickte  er  zum  Abgrunde  unb  gab   ihm    die  Macht,    das 


kantak.  Nach  Ribeyro  stammen  die  Ceylonesen  von  schiffbrüchigen  Chinesen  (wie  ein  ähnlicher 
Mythus  von  dem  Hottentotten  Schwanzia  gesetzt  ward). 

')  Die  Andamanen  waren  (nach  den  Arabern)  von  wollhaarigen  schwarzen  Menschenfressern 
bewohnt  (IX.  Jhdt.  p.  d.) 

^  The  race  (of  Semangs)  is  only  known  to  exist  ön  the  mountain  Jerai,  in  the  Eedah 
territory,  in  the  neighbourhood  of  the  mountain  ränge,  opposite  to  Perang  and  in  the  uplands 
of  Tringanu  etc.)  The  Sakai  and  Alias  tribes  of  Perak  have  curly,  but  not  wooUy  hair  (retaining 
the  Papuan  custom  of  i)oring  the  septum  and  marking  the  skin  with  circles).  The  Semang 
(identical  with  the  Pangan  of  the  inferior  of  Tringanu)  are  Papuans  in  all  their  purity  (s.  Earle). 
Die  Malayen  unterscheiden  (nach  Anderson)  Semang  Paya,  Semang  Bukit,  Semang  Bakow 
and  Semang  Bila.  The  (dwarfish)  Negritos  and  the  Semangs  agrce  very  closely  in  physical 
characteristics  with  each  other,  and  witli  the  Andaman  Isländers,  wliile  tliey  differ  in  a  marked 
manner  from  every  Papuan  race.    Nach  Marsden  heisseu  die  Samang  auch  Bila  oder  Dayak. 


Australien  und  Nachbarschaft.  23 

purpurne  Wasser,  die  Felsen  und  Korallen  und  alle  Bewohner  des  Ozeans  zu  erzeugen.  Auch 
mehrere  Götter  sollten  dadurch  entstanden  sein,  dass  der  ünerschaffene  nach  seinem  Weibe 
geblickt  [Brahma]. 

Auf  der  westlichen  Gruppe  war  dagegen  folgende  Ueberlieferung,  die  Barff  gesammelt,  die 
herrschendste;  Taaroa,  Toivi,  der  Elternlose,  genannt,  hatte  einen  unsichtbaren  Körper.  Nach 
zahllosen  Zeitliiufeu  warf  er  seine  Paa  (Schale)  ab,  wie  die  Vögel  die  Federn,  und  nach  zahllosen 
Zeitläufen  ward  sein  Körper  wieder  erneut.  Im  Rera  oder  höchsten  Himmel  wohnte  er 
allein.  Seine  erste  That  war  die  Schöpfung  der  Hina.  Nach  zahllosen  Zeitläufcn  machten 
Taaroa  und  seine  Tochter  Himmel,  Erde  und  Meer.  Der  Grund  der  Welt  war  ein  Fels, 
den  Taaroa's  Macht,  so  wie  alles  Einzelne  in  der  Welt  aufrecht  hielt.  Darauf  erzeugte  — 
der  Ausdruck  ist  oriori ,  wogegen  für  das  Schaffen  der  Welt  in  der  Genesis  hamani  (machen) 
steht  —  der  ünerschaffne  die  Götter,  zuerst  llootane,  den  Friedensgott,  nebst  neun  andern, 
darunter  den  Sciuitzer  der  Blödsinnigen  und  mehrere  Kriegsgötter,  als  erste  Ordnung;  ^ine 
zweite  Ordnung  folgte  als  Boten  zwischen  den  obersten  Göttern  und  den  Menschen;  eine  dritte 
bildete  Raa  mit  seinen  Nachkommen;  an  der  Spitze  der  vierten  stand  Oro.  Der  Schatten  eines 
Brotbaumblatts,  von  Taaroa's  Arm  geschüttelt,  ging  über  Hina  hin,  und  sie  gebar  zu  Opoa  auf 
Raiatea  den  Oro.  Dann  erschuf  ihm  Taaroa  sein  Weib,  und  ihre  Kinder  wurden  gleichfalls 
Götter.  Zur  vierten  Klasse  gehörten  als  Oro's  Brüder  auch  die  Stifter  der  Areoi's.  Auf  Huahine 
erhob  die  Sage  den  Nationalgott  Tane  zum  Vater  aller  Uebrigeii.  Man  dichtete  ihm  einen  langen 
Schweif  an,  mit  dem  er  sich  oft,  wenn  er  seinen  Wohnplatz  verlassen  wollte,  in  den  Zweigen 
des  hundertjährigen  Baumes,  der  seinen  Marai  umschattete,  verwickelt  habe. 

Im  Allgemeinen  wurde  bei  der  Bildung  der  Inseln  Taaroa  als  thätig  gedacht.  Eine  Sage 
auf  Raiatea  schildert  seine  durch  das  All  wirksame  Macht.  Der  Gott  schwebte  zuerst,  in  ein 
Ei  gehüllt,  im  noch  finsteren  Lufträume  umher.  Der  ewigen  Bewegimg  müde,  streckte  er  seine 
Hän«e  hinaus,  richtete  sich  auf,  und  sogleich  wurde  Alles  um  ihn  hell.  Er  schaute  zum  Sande 
der  Küste  herab  und  sprach:  Komm  herauf!  Der  Sand  antwortete:  Ich  kann  nicht  zu  Dir  in 
den  Himmel  fliegen.  Dann  sprach  er  zu  den  Felsen:  [Kommt  herauf  zu  mir!  Sie  erwiderten: 
Wir  sind  im  Boden  gewurzelt  und  können  nicht  zu  Dir  in  die  Höhe  springen.  Darauf  kam 
der  Gott  hernieder  zu  ihnen,  warf  seine  Schale  ab  und  fügte  dieselbe  der  Erdmasse  hinzu,  so 
dass  die  letzte  bedeutend  grösser  ward.  Dann  erzeugte  er  die  Menschen  aus  seinem  Rücken 
und  verwandelte  sich  selbst  in  ein  Boot.  Wie  man  ifn  Sturm  mit  demselben  ruderte,  füllte 
sich  der  Raum,  man  schöpfte  das  Wasser  aus;  es  war  Taaroa's  Blut,  das  dem  Meer  seine  Farbe 
gab.  Von  dem  Meere  verbreitete  es  sich  in  die  Luft  und  Hess  die  Morgen-  und  Abendwolken 
erglühen.  Zuletzt  wurde  Taaroa's  Gerippe,  das  Rückenbein  oben,  auf  dem  Boden  liegend,  eine 
Wohnung  für  alle  Götter  und  zugleich  das  Vorbild  für  den  Bau  der  Tempel.  Nach  einer  andern 
Tradition  hatte  der  Gott  an  der  Erbauung  der  Inseln  so  eifrig  gearbeitet,  dass  seine  Schweiss- 
tropfen  die  Höhlungen  füllten  und  das  salzige  Meer  bildeten;  nach  einer  dritten  war  das  Land 
erst  ein  zusammenhängender  Kontinent  gewesen;  im  Zorn  hätten  die  Himmlischen  denselben 
zertrümmert  und  die  Stücke,  von  denen  Tahiti  das  grösste,  über  den  Ozean  zerstreut.  Dieselbe 
Sage  erscheint  auch  unter  der  Form,  dass  der  zürnende  Taaroa  die  Welt  ins  Meer  gestürzt, 
worauf  nur  wenige  Spitzen  über  der  Oberfläche  geblieben  seien.  Eine  zweite  wichtige  Rolle 
bei  der  Schöpfimg  wurde  einem  gewissen  Maui  beigelegt,  wahrscheinlich  demselben,  der  einst 
die  Sonne  festgehalten.  Der  Himmel  lag  im  Anfang  flach  auf  Meer  und  Land ,  von  den  Armen 
eines  ungeheuren  Tintenfisches  herniedergezogen.  Jener  Maui  zerriss^)  das  Unthier,  worauf  die 
blaue  Masse  zn  ihrer  natürlichen  Wölbung  sich  erhob.  Diese  Erhebung  des  Himmels,  der  zuerst 
nur  durch  das  Teva- Kraut  von  der  Erde  getrennt  gewesen,  wurde  nach  Ellis  dem  Gotte 
Run  zugeschrieben.  Maui  soll  auch  die  Menschen  gelehrt  haben,  durch  Herumwirbeln  eines 
spitzen  Stockes  in  der  Höhlung  eines  zweiten  Holzes  Feuer  hervorzulockeu.  Endlich  berichtet 
Forster  von  einem  Gotte  und  Sch.'lpfer  der  Sonne  Mauwe  (derselbe  Name  nach  englischer  Aus- 
sprache), der  nicht  nur  die  Erdbeben  bewirke,  sondern  nach  der  Sage  dereinst  auch  ein  grosses 
Land  von  Westen  nach  Osten  durch  das  Weltmeer  gezogen  habe,  wovon  sich  Stücke,  die  die 
jetzigen  Inseln  bildeten,  losgerissen  hätten,  während  dss  Land  selbst  noch  im  Osten  anzutreffen 


')  In  Neuseeland  zerreissen  die  Kinder  (als  Gott  iler  Bäume,  Fische,  Menschen  ii.  s.  w.)  ihre 
auf  einander  Hegenden  Eltern  Ranga  und  Papa  (Uranus  uml  Gäa).    Maiu  ist  der  ieuerbnnger. 


24  Australien  und  Nachbarschaft. 

sei.  Traditionen,  wie  diese  und  die  obigen  von  den  Wirkungen  des  Götterzorns  scheinen  auf 
Erdrevolutionen  hinzudeuten,  die  die  Vorfahren,  gleich  der  allgemeinen  Fluth,  wirklich  erlebten. 

Nach  der  verbreitetsten  Ansicht  ward  auch  der  Ursprung  des  Menschen  unmittelbar  auf 
Taaroa  zurückgeführt.    Er  wohnte  mit  seinem  Weibe  auf  allen  Inseln  und  bevölkerte  dieselben. 

In  vielen  Traditionen  wird  als  Vater  dos  Menschengeschlechts  Tii  genannt.  Dieser  Tii  war 
bald  mit  seinem  Weibe,  der  Mcnschcnmutler,  von  einem  Nachkommen  Taaroas  durch  Umarmung 
des  Küstensandes  erzeugt  worden,  bald  lebte  er  zu  Opoa-,  bildete  sich  selbst  sein  Weib,  und 
seine  Kinder  wurden  die  Stammeltern  der  Menschen,  bald  wird  von  zwei  Tii's  erzählt,  die  zu 
Opoa  menschliche  Leiber  annahmen  und  die  Inseln  bevölkerten,  die  vorher  nur  von  Göltern 
bewohnt  gewesen:  Tii  maaraa  uta  (sich  ausbreitend  über  das  Land)  und  Tii  maaraa  tai  (sich 
ausbreitend  über  das  Meer).  Aber  die  Meinung  ging,  dass  Tii  und  Taaroa  ein  und  dasselbe 
Wesen  seien,  nur  dass  der  Letzte  im  Po,  der  Eiste  im  Ao  wohne.  Auch  versicherten  Einige 
wie  von  Taarao,  Tii  sei  der  erste  Mensch  gewesen,  der  nach  seinem  Tode  noch  fortleliend  ge- 
dacht und  bei  seinem  Namen  genannt  worden  sei,  woher  die  Geister  der  Verstorbenen  diese 
Benennung  erhalten  hätten.  Die  vollständigste  Tradition  hat  Bartl"  aufgespürt.  Nach  ihr  war 
der  Mensch  die  fünfte  Klasse  von  Wesen,  die  Taaroa  und  Ilina  erschufen,  das  Rahu  taata  i  te 
ao  ia  Tii  (das  Menschenreich  an  dem  Lichtortc  durch  Tii).  ITina')  sprach  zu  Taaroa:  ,Was 
soll  geschehen?  Wie  soll  man  den  Menschen  erhalten?  Siehe!  Geordnet  sind  die  Götter  des  Po, 
aber  es  giebt  keine  Menschen"  Taaroa  antwortete:  Gehe  in's  Land  zu  Deinem  Bruder!  Sie 
sprach:  Ich  bin  im  Lande  gewesen;  er  ist  nicht  da.  Der  Gott  sagte:  Geh'  nach  der  See, 
vielleicht  ist  er  da.  —  Wer  ist  auf  der  See?  —  Tii  maaraa  tai.  —  Wer  ist  Tii  maaraa  tai? 
Ist  er  ein  Mensch?  —  Er  ist  ein  Mensch  und  Dein  Bruder.  Als  die  Göttin  gegangen,  überlegte 
Taaroa,  wie  er  den  Menschen  bilden  sollte;  er  begab  sich  ans  Land  und  nahm  die  Gestalt  des 
Menschen  an.  Hina  kommt  zurück  von  der  See,  kennt  den  Gott  nicht  und  fragt:  „Wer  bist 
Du?"  —  „Ich  bin  Tii  maaraa  tai"  —  ,Wo  bist  Du  gewesen?  Ich  habe  Dich  hier  gesucht,  und 
Uu'warst  nicht  da;  ich  ging  auf's  Meer,  zu  schauen  nach  Tii  maaraa  tai,  und  er  war  nicht 
da."  —  „Ich  bin  hier  gewesen  in  meiner  Wohnung,  imd  siehe,  Du  bist  da,  meine  Schwester 
komm  zu  mir!"  „So  ist  es,"  sprach  Hina,  „Du  bist  mein  Bruder;  lass  uns  zusammenleben!" 
Sie  wurden  Mann  und  Weib,  und  Hina  gebar  einen  Sohn,  den  sie  Tii  nannte,  danach  eine 
Tochter,  die  sie  ihm  zum  Weibe  gab.  Der  Sohn  dieser  Beiden  war  Taata  (der  Ausdruck  für 
Mensch  durch  das  ganze  verwandte  Polynesien');  Hina,  seine  Grossmutter,  verwandelte  sich  in 
ein  schönes  junges  Weib  für  ihn,  und  ihre  Kinder  wurden  die  Stammeitern  des  tahitischen 
Geschlechts.     Auf  Huahine  nannte  man  auch  den  ersten  Menschen  konsequenter  Weise  Tane. 

An  die  Nachtgebornen  schloss  sich  eine  grosse  Zahl  allgemein  verehrter  niederer  Gottheiten. 
Zuerst  erwähnt  Ellis  eine  Klasse,  die  als  gottgewordene  Menschen  angebetet  wurden,  ohne  mehr 
als  9  Namen  hinzuzufügen,  an  der  Spitze  den  Gott  Roo.  Dann  folgen  die  Beschützer  der  Ele- 
mente und  Beschäftigungen. 

Gegen  20  Götter  regierten  das  Meer;  unter  ihnen  ragen  Tuaraatai  und  Ruahatu  hervor,  die 
Atua  mao  oder  Haifischgötter  genannt,  weil  sie  sich  des  grossen  blauen  Haies  als  Werkzeugs 
ihrer  Rache  bedienten  Die  Ungethüme  wurden  mit  Fischen  und  Schweinen  häufig  gefüttert; 
so  gewöhnten  sie  sich  ihren  Marae's  an  der  Küste  zu  gewissen  Zeiten  zu  nahen,  und  die  Ein- 
gebornen  konnten  versichern,  dass  sie,  den  Priester  des  Gottes  stets  erkennend,  auf  sein  Geheiss 
herbeikämen  und  sich  entfernten.  Doch  fügte  man  auch  hinzu,  dass  sie  denselben  im  Fall  eines 
Schiffbruchs  verschonton  und  unter  der  übrigen  Mannschaft  zuerst  die  versi'hlängen,  die  dem 
Seegott  nicht  Opfer  brächten.  Ja  ein  früherer  Priester  von  einem  solchen  Atna-mao  behauptete 
gegen  Ellis:  ein  Hai  habe  seinen  Vater  einst  von  Raiatea  nach  Huahine  auf  dem  Rücken  ge- 
tragen. An  der  Küste  von  Huahine  soll  einst  ein  Hai  aus  dem  Sand  sich  hervorgewühlt  haben; 
ein  Marae  .wurde  sogleich  an  der  Stelle  errichtet;  ein  zweites  Thier  zog  mit  der  Fluth  in  den 
Tempel  ein,  und  Hess  es  sich,  bespült  von  dem  Meere  und  umgeben  von  reichlichen  Opfern,  eine 
Zeit  lang  dort  behagen.  Ein  berühmter  Seegott  war  auch  lliro,  ursprünglich  ein  kühner  und 
gewandter  Raiatger,  der  sich  durch  Seeabenteuor  hervorgethan,  und  noch  so  neuerlich  unter 
die  Schaar  erhoben,  dass  sein  Schädel  bis  zur  Zerstörung  des  Ileidenthnms  zu  Opoa  gezeigt 
wurde.    Romantische  Erzählungen  gingen  über  seine  Reisen  und  Tiiaten,  seinen  Kampf  mit  den 


")  Aehnlich  stellt  (am  Camerun)  die  weibliche  Gottheit  das  Verlangen  an  Abassi. 


Australien  und  Nachbarschaft.  25 

Göttern  der  Wimle,  '^cin  Ruhen  auf  «Icui  Grunde  rics  Meeres,  seinen  Veri<ehr  mit  den  Ungeheuern 
der  Tiefe,  die  ihn  in  Schhif  lulKen,  wiihrend  der  Sturinosgott  seine  Anhänger  im  Schiff  bedrohte. 
Sie  rufen  zu  ihm;  ein  verbündeter  Geist  stört  ihn  auf  vom  Schlummer;  er  erscheint  auf  der 
Fläclie  und  bcwiiltigt  den  Sturm.  Besonders  auf  den  westlichen  Inseln  lebte  seiu  Gedächtniss. 
Eine  Felsengruppe  auf  Tahaa  wurde  Iliro's  Hunde  genannt,  ein  Bergrücken  sein  Schiff,  und  ein 
grosser  Hasaltpfcilor  ;iuf  Hualiiiie  hiess  sein  Riuier. 

Unter  den  Uuftplltern,  die  oft  unter  der  Gestalt  eines  Vogels  verehrt  wurden,  stehen  obenan 
Veromatautoru  und  Tairibu,  Bruder  und  Schwester  unter  Taaroa's  Kindern,  die  in  der  Niihe 
des  Felsens,  der  die  Welt  trug,  wohnten.  Mit  Stürmen  und  Ungewifteru  tjestraften  sie  jede 
Vernachlässigung;  (Jeschenke  von  den  Reisenden  oder  ihren  Freunden  am  Lande  besänftigen 
sie  wieder,  die  wiederholt  werden  musstcn,  wenn  die  erste  Gabe  Nichts  fruchtete.  Auch  um 
Erregung  von  Orkanen  rief  man  sie  an,  wenn  eine  feindliche  Flotte  im  Anzüge  war,  doch  mit 
weniger  sicherem  Erfolge.  Uiul  noch  heute  glaulien  viele  Insulaner,  böse  (ieister  hätten  ehedem 
Ma.hf  über  die  Winde  gehabt,  da  seit  der  allgemeinen  l-5ekehrung  nie  so  furchtbare  Stürme 
gewüthet  wie  früher.  Belebt  mit  höheren  Wesen  war  auch  die  obere  Luftregion.  Alle  Himmels- 
körper betrachtete  man  oft  als  Gölter;  wenn  sich  Sonne  oder  Mond  verfinsterten,  so  hatte  ein 
beleidigter  L'ämou  sie  verschlungen,  und  durch  reiche  Gaben  ward  er  vermocht,  das  Gestirn 
wieder  aus  sich  zu  entlassen.  Ein  hell  leuchtendes  Meteor,  das  die  Missionäre  am  22.  August 
1800  in  dem  Zuge  \on  Nordost  nach  Südwest  einige  Sekunden  lang  beobachteten  und  für  einen 
Kometen  hielten,   wurde  von  den  Eingebornen  sogleich  als  Einer  ihrer  grossen  Götter  ausgegeben. 

Von  den  Schützern  der  Berge,  Thäler,  Abgründe  und  Klüfte  haben  die  Missionäre  12  Namen 
aufgezeichnet;  ausserdem  war  jede  auffallende  Naturltildung  mil  Dichtungen  hiramliscl^er  Wirk- 
samkeit nmwobcn.  Eine  Oeffnung  im  Felsen  bei  Afarcaitu,  8  F.  im  Durchmesser,  aber  von  der 
Küste  wie  die  Spur  einer  Kanonenkugel  erscheinend,  hatte  der  Speer  in  dem  Arme  eines  höheren 
Wesens  gebohrt.  Der  grosse  Berg,  der  Talu-Hafen  von  Cooks-Hafen  trennt,  und  nur  durch 
einen  schmalen  Isthmus  mit  der  Insel  zusammenhängt,  soll  früher  mit  dem  Hauptgebirge  vereint 
gewesen  sein.  In  einer  Nacht  hätten  die  Geister,  die  im  Finstern  wirken,  ihn  nach  der  östlichen 
Gruppe  tragen  wollen,  aber  der  Morgen  habe  sie  bei  der  Arbeit  überrascht.  [Java.] 

Den  Schluss  machten  die  Wesen,  die  den  einzelnen  Beschäftigungen  vorstanden.  Besondere 
Götter  sandten  die  Waudertische  zu  den  bestimmten  Zeiten  nach  der  Küste;  besondere  Götter 
riefen  die  Fischer  an,  wenn  sie  Netze  strickten,  ehe  sie  das  Kanot  gleiten  Hessen,  und  während 
sie  arbeiteten  auf  dem  Meer.  Ebenso  hatten  die  Landwirthe,  die  Zimmerer,  die  Haus-  und 
Kanotbauer  und  alle  übrigen  Holzarbeiter,  die  Dachdecker,  besonders  die  die  Firstenecken 
sicherten ,  eigne  Patrone  ihrer  Kunst.  Ein  Gott  der  Zeugbereitung  wird  nicht  erwähnt,  viel- 
leicht weil  dies  das  Geschäft  der  Frauen  war.  Auch  über  den  Spielen  wachten  5 — C  Götter, 
selbst  über  die  einzelnen  Laster  und  Verbrechen,  unter  ihrer  Zahl  Hera  als  Gott  der  Beschwö- 
rungen und  Hiro,  der  Meeresgott,  zugleich  als  Schützer  der  Diebe.  Häuptlinge  sogar  entblödeten 
sich  nicht,  ihn  anzurufen  auf  heimlichen  Zügen,  die  in  der  17„  18.  und  19.  Nacht  des  Monats, 
wo  die  Geister  auch  wandern  sollten,  am  günstigsten  ausfielen.  Doch  muss  das  Ausehen  dieses 
Gottes  gegen  die  Furcht  vor  den  höheren  Göttern  sehr  zurückgestanden  haben;  denn  von  dem 
gestohlnen  Schweine  ward  ihm  oft  nur  ein  Theil  des  Schwanzes  geopfert  mit  den  Worten: 
Hier,  guter  Hiro,  ist  ein  Stück  von  dem  Schwein;  sag's  nicht  weiter!  Derselbe  beschützte  auch 
Trug,  Mord  und  Wollust,  so  wie  den  Raub  zur  See  und  die  geschickte  Führung  des  Bootes. 
Zu  den  wohlthätigsten  Göltern  gehörten  vier,  welche  die  bösen  Geister  austrieben  und  von 
Exorzisten  für  ilen  Gegenzauber  angerufen  wurden,  so  wie  drei  andere,  die  den  Heilmitteln 
Erfolg  gaben. 

Die  Liste,  welche  die  Missionäre  von  allen  öfl'entlich  verehrten  Gottheiten  gesammelt  haben, 
enthält  nahe  an  100  Namen.  Unzählig  aber  sind  die  Schutzgötter,  die  jede  Familie  von  irgend 
einem  Ansehen  und  Alter  besonders  beschirmten.  Wenn  auch  gelegentlich  Schutzgottheiteu 
aus  der  Klasse  der  obersten  Wesen  erwähnt  werden,  in  der  Regel  waren  dies  die  Oromatua's, 
die  man  mit  sorgfältigem  Kultus  feierte,  mehr  um  ihr  WMedererscheineu  in  Träumen  und  Besitz, 
nehmungen  und  ihren  leicht  erregten  verderblichen  Zorn  zu  verhüten  ,  als  ihre  direkte  Gunst 
sich  zu  sichern.  Von  Huahine  erwähnt  Ellis  drei  dieser  Geister  namentlich ,  die  allgemeinere 
Aufmerksamkeit  scheinen  genossen  zu  haben." 

(Fortsetzung  folgt.) 


26  Kuchenbuch : 


Funde  und  Fundorte  von  Resten 

aus  vorhistorischer  Zeit  in  der  Umgegend 

von  Müncheberg,  Mark  Brandenburg. 

Bei  dem  oft  unmerkbaren  Uebergang  einer  Periode  in  die  andere,  und 
der  meistens  schon  gründlich  ausgeführten  Zerstörung  der  Denkmale  aus 
denselben  hält  es  schwer,  die  Funde  genau  nach  der  Zeit  ihrer  Entstehung 
und  ihren  Urhebern  einzutheileu.  Eine  gründliche  Sichtung  nach  dieser 
Seite  hin  wird  wohl  erst  dann  möglich  sein,  wenn  aus  allen  Theilen  des 
Landes  zuverlässige  Berichte  eingegangen  sein  werden,  und  eine  Vergleichung 
der  Funde  stattgefunden  haben  wird. 

Es  wird  desshalb,  und  da  eine  allgemein  anerkannte  Terminologie  noch 
nicht  eingeführt  ist,  nicht  gut  möglich  sein,  in  der  folgenden  nach  dem  ge- 
gebefien  Schema  versuchten  Zusammenstellung  Wiederholungen  zu  vermeiden. 
Der  Vollständigkeit  wegen  sind  in  dieses  Verzeichniss  aber  nicht  nur  die- 
jenigen Funde  aufgenommen,  welche  von  uns  selbst  an  Ort  und  Stelle  fest- 
gestellt sind,  und  somit  als  zuverläs8ig  bezeichnet  werden  können,  sondern 
auch  diejenigen,  welche  sonst  zu  unserer  Kenntniss  gekommen  sind. 

Wenn  in  dieses  Verzeichniss  nur  die  vorgeschichtlichen  (heidnischen) 
Alterthümer  aufgenommen  werden  sollen,  so  muss  bemerkt  werden,  dass  für 
unsere  Gegend  der  Anfang  specieller  historischer  Nachrichten  kaum  mit  dem 
Beginn  des  12.  Jahrhunderts  zusammentrifft,  während  in  Mittel-  und  Süd- 
Deutschland  dieser  Zeitpunkt  schon  Jahrhunderte  vorher  eintrat.  Trotzdem 
lässt  sich  annehmen,  dass  die  hiesigen  Einwohner  schon  Vieles  ihrer  kul- 
tivirteren  Nachbarn  angenommen  hatten,  dass  dadurch  aber  eine  schwer  zu 
lösende  Vermischung  in  den  Resten  dieser  Zeit  stattgefunden  haben  wird. 

I.    Reste  aus  vorgeschichtlicher  (heidnischer)  Zeit. 

a.    Wohnstätten. 

Man  könnte  zwar  annehmen,  dass  da,  wo  Gräber,  Artefacte  in  grösserer 
Menge  u.  s.  w.  gefunden  würden,  auch  menschliche  Wohnstätten  gewesen 
sein  müssten,  doch  würden  unter  den  hier  zu  erwähnenden  wohl  nur  solche 
Stellen  zu  verstehen  sein,  welche  noch  unzweifelhaft  sich  als  Wohustätten 
selbst  documentiren,  und  deren  giebt  es  liier  nur  wenige. 

1.  Unsere  Stadt  Müncheberg  selbst,  welche  erst  im  Jahre  1232  unter 
diesem  Namen  erscheint,  und  urkundlich  erst  in  Folge  der  im  Jahre  1224 
vom   Herzog  Heinrich   dem   Bärtigen   dem   Kloster  Leubus   und  Trebnitz  in 


Frinflo  unf]  Fiindorff  von  Rosten  aus  vorhistoriscber  Zeit.  27 

Schlesien  {gemachten  Schenkung  von  400  Hufen  wüsten  Landes  in  hiesiger 
Gegend  gegründet  wurde,  bietet  Funde  dar,  welche  auf  eine  vor  dieser  Zeit 
schon  vorhanden  gewesene  Ansiedelung  schliessen  lassen.  Die  gegenwärtige 
Stadt  liegt  auf  einem  Lehmhügel,  welcher  nach  drei  Seiten  hin  von  niedrigen 
sumpfigen  Wiesen  und  Seen  umschlossen  gewesen  ist,  und  nur  nach  Nord- 
westen hin  mit  dem  Festland  zusammenhing.  Dieser  Zusammenhang  wurde 
durch  die  Anlage  eines  künstlichen  Grabens  unterbrochen.  Der  dadurch  ab- 
geschlossene Theil  bestand  eigentlich  aus  zwei  Lehrahügeln  durch  moorige 
Wiesen  und  Wasser  getrennt.  Gegenwärtig  ist  diese  Trennung  vollständig 
ausgeglichen.  Bei  Neubauten,  welche  mit  tiefergehenden  Fundamenten  als 
die  früheren  Holzhäuser  versehen  werden  müssen,  finden  sich  nun  in  dieser 
Gegend  8—12  Fuss  tief  unter  dem  jetzigen  Strassenpflaster  eigenthümlicho 
in  den  früheren  Moorgrund  gelegte  Bauwerke,  Packbauten,  indem  Balken, 
eichene,  kiefernc,  birkene  etc.  quer  übereinander  gelegt  mit  Steinen  beschwert 
in  den  Moorgrund  gesenkt  sind,  auf  denen  dann  wieder  stehende  kurze  Balken 
errichtet  waren.  Die  Tiefe  dieser  Bauten  ist  nach  dem  Terrain  sehr  ver- 
schieden. Es  kommen  Tiefen  von  mehr  als  20  Fuss  vor.  Zwischen  diesen 
Balken  fanden  sich  verschiedene  Geräthe  aus  Holz,  aus  Eisen,  Scherben, 
namentlich  viel  Lederabfälle,  wie  aus  der  Werkstatt  eines  Schusters,  Trümmer 
eines  steinernen  Mörsers,  Knochen  vom  Rind,  Ziege,  Schaf,  Hund,  vor.  Dicke 
Lagen  von  Lehm  schienen  vom  eingestürzten  Dach  herzurühren.  Der  um- 
gebende Moorboden  enthielt  vielerlei  Sämereien,  ganze  Lagen  von  Moos, 
vielleicht  vom  Dach  oder  von  den  Wänden  herrührend,  namentlich  in  Schichten 
viel  Stengel  von  Asplenium  adianthum  nigrum,  welche  das  Ansehen  von 
Pferdehaaren  boten.  Dabei  fanden  sich  Schuppen  und  Gräten  von  Fischen, 
Puppen  von  Fliegen  und  andern  Insecten  in  grosser  Menge.  Leider  kann 
man  diese  Bauten  nicht  weiter  verfolgen,  da  sie  unter  den  Häusern  der  Stadt 
fortlaufen.  In  Folge  der  Erbauung  von  Häusern  ist  es  öfters  auch  vorgekommen, 
dass  eine  Vermischung  dieser  alten  Schicht  mit  Gegenständen  neuerer  Zeit 
herbeigeführt  wurde,  und  ist  desshalb  Vorsicht  gerathen. 

2.  Eine  andere  Wohnstätte  ist  bei  der  Windmühle  bei  Platiko  gefunden, 
in  Betreff  deren  ich  mich  auf  meinen  Bericht  in  der  Zeitschrift  für  Ethnologie 
V.  1873  beziehe, 

3.  Im  Scharmützelsee  bei  Buckow  findet  sich  ein  Pfahlwerk,  bestehend 
aus  eichenen  oben  und  unten  zugespitzten  Pfählen,  welche  eine  Bewehrung 
bilden,  und  somit  wohl  als  Anzeichen  einer  menschlichen  Wohnung  gelten 
können.  (Vgl.  meinen  Bericht  im  Anzeiger  für  Kunde  deutscher  Vorzeit. 
Nürnberg  7.  Bd.  1860,  S.  442). 

4.  Bei  Seelow,  näher  kann  ich  den  Ort  für  jetzt  nicht  bezeichnen,  wurden 
vor  mehreren  Jahren  Broucecelte,  Broncesicheln  (Knopfsicheln)  und  Bruch- 
stücke derselben,  und  rohe  Klumpen  Bronceerz  gefunden,  welches  auf  eine 
Giessstätte  schliessen  lässt.     Formen   sind  liier  nicht  entdeckt. 

5.  Inwiefern  auch  sog.  Schanzen,  Ringwälle,  Schlösser  und  Burgen  hier 


28  Kuchenbuch : 

hergehören,  stelle  ich  aaheim.  Ich  will  nur  bemerken,  dass  ich  den  sogenannten 
Schlobsberg  bei  der  Liebenborger  Mühle,  der  offenbar  auch  die  Merkmale  eines 
Wohnplatzes,  und  vielleicht  einer  Töpferwerkstiitte  bietet,  unter  dieBelestigungen 
gerechnet  habe. 

b.   \V  irthschaftsabfälle. 

Anhaulungen  von  Küchenabfällen,  von  Thierknochen,  Urneuscherben  u.s.w. 
lassen  immer  Wohnungen  oder  Werkstätten  vermuthen,  und  sind  bei  diesen 
berücksichtigt. 

Massen  von  Knochen,  zum  Theil  gespalten,  linden  sich  1)  im  Müncheberger 
Moorbau,  2)  bei  der  Platkower  Mühle,  3)  auf  der  Däberschanze  (vergleiche 
Zeitschrift  für  Ethnologie  1870),  4)  im  Gutsgarten  von  Jahnsfelde  (zerschlagene 
Schvveineknochen),  5)  auf  dem  Schlossberg  bei  Liebenberg  (gespaltene 
Knochen,  Hirschgev^'cih). 

Verbranntes  Getreide  (Uirse)  ist  bei  Platkow  gefunden.  Nüsse  (Hasel) 
fanden  sich  in  Müncheberg.  Hörner  von  Ziegen  in  Menge,  Hirschgeweihe 
in  Müncheberg. 

Die  grosse  Älenge  Scherben  auf  dem  Schlossberg  bei  Liebenberg,  welche 
sich  durch  schwarze  oder  graue  Farbe,  grosse  Festigkeit  auszeichnen,  aber 
meist  beim  Brennen  sich  verzogen  haben,  gebrannte  Lehmklumpen  mit  Stroh- 
abdrucken lassen  hier  eine  Töpferwerkstatt  vermuthen,  wie  die  grosse  Menge 
von  Lederabgängen  in  Müncheberg  eine  Schusterwerkstatt. 

c.    Geräthschaften. 

Steingeräth  ist  vielfach  gefunden;  als: 

1.  Handmühlsteine  von  Granit.  Beim  Faulen  See  (Müncheberg)  wurde 
ein  rundlicher  Stein  mit  ringsum  eingehaueuer  Kerbe  gefunden,  der  jedenfalls 
als  jNlühlstein  hergerichtet  werden  sollte.  Bei  Arensdorf  —  bei  Jahnsfelde 
(mit  Urnen),  Schweineknochen,  Eisen)  —  bei  Behlendorf  —  am  Wermelinsee 
bei  Worin  —  beim  Schützenhaus  in  Seelow  —  au  der  Däberschanze  —  alle 
diese  Steine  sind  aus  gröberem  oder  feinerem  Granit,  theils  wohl  erhalten, 
theils  beschädigt,  d.  h.  gesprungen. 

2.  Steinäxte  oder  Beile  mit  Löchern  wurden  nur  einzeln  anf  dem  Feld 
gefunden:  Bei  Wüste -Sieversdorf  (mit  auf  beiden  Seiten  angefangenem 
konischen  Loch)  bei  Schlagenthin  (halb.  Beim  gerade  durchgehenden  Loch 
zerbrochen.)  —  Schoenfelde  —  Hermersdorf  (halb.)  Jahnsfelde  (lang,  spitz, 
verwittert)  —  Chörlsdorf  (Amazonenform,  schön  von  Granit)  —  Mühle  bei 
Platkow  (unregelmässig)  —  Hasenfelde  (unvollendetes  Beil,  noch  ohne  Loch, 
verwittert). 

3.  Steinkeile,  ebenfalls  meist  vereinzelt  gefunden.  Elisenhof  (Müncheberg. 
Serpentin,  geglättet)  —  Eichendorfer  Mühle  in  der  Kiesgrube  (Feuerstein- 
meissel,  schön  geglättet)  —  Platkow  —  2  Stück  Serpentin)  —  Seelow  (Feuer- 
steinkeil, welcher  noch  in  einem  Knochen  gesteckt  haben  soll).  —  Sinzzig, 
1  Meile  südöstlich  von  Cüstrin  (hier  sollen  in  einem  Steinkistengrab  neben 
fünf  Skeletten  fünf  Steinkeile  gefunden  sein). 


Funde  unil  Fundorte  von  Resten  aus  vorhistorischer  Zeit.  29 

4.  Verschiedene  Steingenithe.  In  einem  der  Werderschen  Kegelgräber 
fand  ich  eine  roh  bearbeitete  Kugel  aus  rothera  Granit.  Eine  andere  kleinere 
daselbst  gefundene  ist  glatt  und  einem,  gewöhnlichen  Kollstein  gleich.  Auch 
bei  Werbig  wurde  eine  gut  bearbeitete  Steinkugel  gefunden.  Im  Obers- 
dorfer  Torfl)ruch  fand  sich  ein  an  beiden  Enden  zugespitzter  flacher  Feuer- 
stein, 5"  lang,  einer  Speerspitze  ähnlich.  —  Im  Steinkistengrab  bei  Tempel- 
berg wurde  ein  zum  Schleifen  von  Steingeräthen  benutzter  sehr  harter  Sand- 
stein gefunden.  —  Verschiedene  Schleifsteine  fanden  sich  bei  der  Platkower 
Mühle,  ein  ähnlicher  auf  der  Däberschanze  im  kohlenhahigen  Erdreich.  —  Bei 
Müncheberg  ist  ein  Netzsenker  aus  Kalkstein  mit  rundem,  sehr  glattem  Loch 
gefunden.  —  Spinnwörtel  oder  Spindelsteine  von  Stein  und  Thon 
werden  in  der  Gegend  viel  gefunden;  da  aber  bis  in's  späte  Mittelalter,  viel- 
leicht bis  in  die  Neuzeit  noch  viel  mit  der  Spindel  gesponnen  wurde  (ein- 
zelne Schäfer  benutzen  sie  heute  noch),  so  lässt  sich  von  den  einzeln  ge- 
fundenen schwer  ihre  Herkunft  und  ihr  Alter  feststellen.  Andere  diesem 
Geräth  ganz  ähnliche  Steine  sind  unter  Umständen  gefunden,  welche  ihre 
Benutzung  zum  Spinnen  ausschliessen,  und  möchten  solche  mehr  als  Perlen 
zum  Schmuck  gelten  können.  Dergleichen  unzweifelhaft  vorhistorische  Stein- 
perleu wurden  bei  der  Platkower  Mühle,  bei  Seelow  und  beim  Bahnhof 
Müncheberg  gefunden;  sie  sind  desshalb  bemerkenswert!!,  weil  die  beiden 
ersten  fast  ganz  gleich  sind,  alle  aber  in  den  Verzierungen  übereinstimmen.  — 
Auf  dem  Schlossberg  bei  Liebenberg  fand  ich  einen  jedenfalls  zum  Feuer- 
schlagen benutzten  Feuerstein.  —  Bei  Platkow  fanden  sich  kleine  Vorsteine- 
rungen in  Ringform,  welche  offenbar  als  Schmuck  benutzt  wurden,  da  sich 
ähnliche  kleine  Glasringe  dabei  fanden.  In  den  Müncheberger  Moorbauten 
fand  sich  ein  steinerner  Mörser  aus  Kalkstein,  mit  Verzierungen  und  einem 
wohl  als  Henkel  benutzten  rohen  Gesicht,  ferner  ein  Stein  mit  mehreren  un- 
regelmässig stehenden  konischen  Löchern,  welche  nicht  durchgehen,  und 
wenn  sie  nicht  als  Versuche  gelten  sollen,  vielleicht  zum  Feueranmaohen 
gedient  haben.     (Steinformen  siehe  Bronze.) 

5.  Bearbeitete  Knochen-  und  Horngeräthc  haben  sich  bisher  nur  gefunden: 
auf  der  Däberschanze  und  bei  Platkow;  hier  waren  es  besonders  zu  Pfriemen 
hergerichtete  Kehgehörne  und  Beinknochen.  Ein  Beinknochen  zeigt  zwei 
Löcher  neben  einander  in  seiner  Mitte  durchgebohrt,  andere  Knochen  und 
Gehörne  die  Spuren  der  Säge  und  des  Messers.  —  Eine  bei  der  Arnsdorfer 
Schanze  gefundene  Ilirschgeweihkrone  mit  Schädelstück  zeigt  die  Hiebe,  mit 
denen  das  Geweih  abgeschlagen  wurde.  Im  Müncheberger  Moorboden  fanden 
sich  abgesägte  Spitzen  von  Hirschgeweihen.  —  Im  rothen  Luch  wurde  4!  Fuss 
tief  im  Torfmoor  ein  knöcherner,  schwarz  gebeizter  Pfeil  gefunden,  welcher 
in  dem  Halswirbel  eines  menschlichen  Skeletts  steckte.  Leider  ist  der  Schädel 
wieder  weggeworfen. 

6.  Broncegeräthe.  Broncecelte:  auf  dem  Jacob'schen  Feld  in  Schoen- 
felde,    zwei   mit   sehr  schöner  Patina    beim  PÜügen    geluuden.  —  Auf    dem 


30 


Kuchenbuch: 


Werder  bei  Buckow  beim  Abgraben  eines  Weges  drei  Stack..  Keines  von 
diesen  ist  aus  ein  und  derselben  Form  hervorgegangen.  Im  Torfmoore  des 
rothen  Luches  ein  ßroncecelt  ohne  alle  Patina,  dessen  Schneide  gehämmert 
erscheint.  Bei  Seelow  wurden  Broncecelte  mit  breiter  Schneide  (Paalstiibe), 
viele  Bruchstücke  von  Knopfsicheln  und  rohe  Bronce-Klumpen  (Erzkuchen) 
gefunden,  so  dass  man  hier  auf  eine  Giessstätte  schiessen  könnte.  Giess- 
formen  fanden  sich  nicht  hier,  wohl  aber  bei  Buckow  (3  Meilen  davon)  fünf 
steinerne  Formen  aus  Glimmerschieier,  deren  je  zwei  zusammengehören  und 
die  Gussformen  zu  4  Messern  und  einem  Meissel,  sowie  zu  einem  Sichelmesser 
oder  Knopfsichel  enthalten.  Zwei  dieser  Formen  waren  zerbrochen  und  sind 
mit  Bronceklammern  wieder  zusammengebracht.  (Vergl.  meinen  Bericht  im 
Anzeiger  für  Kunde  deutscher  Vorzeit  1867  S.  33.)  Eine  andere  Form  aus 
Stein  zum  Guss  von  Amuletten  oder  Münzen,  Zierrathen  mit  runenartigen 
Characteren  ist  auf  dem  Begräbnissplatz  bei  Philippinenhof  (Müncheberg) 
gefunden. 

Am  Eichwall  beim  Kloppiksee  fand  man  beim  Verbreitern  eines  Weges 
fünf  mit  Patina  überzogene  zusammenhängende  Ringe,  nicht  tief  in  der  Erde. 
Bei  einer  Urne  des  Begräbnissplatzes  bei  Philippinenhof  fand  ich  zwei  bronzene 
Perlen  und  den  Rest  eines  in  der  Grösse  eines  Fingerringes  gewundenen  spi- 
ralförmigen Ringes.  —  Kleine  Broncestückchen,  Reste  von  Zierrathen,  wurden 
gefunden:  in  der  Vorhaide  mit  Urnenscherben  und  gebraunten  Knochen,  in 
einem  früheren  Kegelgrabe  (?).  Bei  Münchehofe,  vor  Müncheberg  bei  Anlage 
eines  Kanales,  10  Fuss  tief.  Eine  Broncefibel  bei  Münchehofe,  eine  Knopf- 
ichel  bei  Alt-Rosenthal. 

Ob  ein  in  Dahmsdorf  tief  in  der  Erde  gefundener  Broncekessel,  ein  ähn- 
licher und  mehrere  Füsse  eines  solchen  im  Baugrund  eines  Müncheberger 
Hauses  in  Berührung  mit  den  Moor])auten,  so  wie  eine  Blattangel  von  Bronce 
bei  Buckow  gefunden,  hier  hergehören,  mag  dahingestellt  bleiben.  In  der 
alten  Ansiedelung  bei  Platküw  wurden  gefunden:  zwei  hohle  Ohrringe,  einer 
am  Schädel  eines  Skelettes,  eine  Dolchspitze  mit  Nieten  oder  Gürtelzunge 
in  dessen  Nähe,  der  Rest  einer  ßroncenadel  mit  Kopf,  und  eine  Broncenäh- 
nadel,  unsern  Stopfnadeln  gleich. 

Bei  dem  Funde  am  Bahnhof  fand  sich  auch  eine  Bronceschnalle  mit 
eiserner  Stange  und  eisernem  Dorn. 

Ein  ausgezeichneter  Fund  von  Broncegeräthen  wurde  bei  Göritz  (Reit- 
wein gegenüber)  in  der  Nähe  der  Dommühlen  gemacht.  Dort  fanden  sich  in 
flacher  Erde:  eine  ganze  Reihe  broncener  Fibeln,  eine  solche  von  Eisen, 
zwei  von  Silber,  ein  Broncegefäss  in  Krugform  mit  kleeblattiörmiger  Hals- 
ötfnung,  Reste  eines  anderen  grösseren  Broncegefässes,  Stiel  und  Fuss  eines 
solchen,  eine  schöne  Bronceschnalle,  eine  Kasserole  von  Bronce,  am  Boden 
mit  gedrehten  Ringen,  verziert  mit  Griff,  ein  eisernes  Scheermcsser,  Urnen 
aus  Scherben.  Zwei  in  einander  gedrückte,  offenbar  starkem  Feuer  ausgesetzt 
gewesene  ähnliche  Kasseroleu  gehören  jedenfalls  auch  zu  diesem  Fund.     Ich 


Funde  und  Fundorte  von  Resten  aus  vorliistoriscLer  Zeit.  31 

mochte  diese  Gegenstände  für  römische  oder  wie  man  jetzt  annimmt,  etrurische 
Erzeugnisse  ansprechen,  und  bemerke,  dasS  eine  ganz  älinliclie  Kasseroie 
auch  bei  Frankfurt  a.  0.  (hinter  der  l^ebuser  Vorstadt)  mit  Sporen  etc.  ge- 
funden wurde  (Eigenthürner  Herr  Ober-Reichs-Handels-Gerichtsrath  Langer- 
hanns in  Leipzig). 

7.  Eisen  findet  sich  in  vielen  Grabstellen  und  Niederlassungen,  so  dass 
Fälle,  wo  dies  nicht  vorkäme,  zu  den  Ausnahmen  gehören.  (Bei  Platkow 
wurde  bis  jetzt  noch  kein  Eisen  gefunden.)  Es  fand  sich:  auf  dem  Begräb- 
nissplatz bei  Philippinenhof  (Fibel),  bei  Jahnsfelde  (Fibel  mit  Scherben, 
Mühlstein,  Knochen),  auf  der  Däberschanze,  Elisenhof  (Schabeisen  (?)  mit 
Urne),  Schlossberg  bei  Liebenberg  (Axtöse,  Hufeisen,  Messer),  Hermcrsdorfer 
Haide  (Ring,  Splint,  Hufeisen,  zwei  Nägel,  Messerklinge,  Beschlag),  Moor- 
bauten von  Müncheberg  (Nägel,  Beschläge,  Trense,  Hufeisen,  Pfriemen), 
Bahnhof  Müncheberg  (Speer  mit  in  Silber  eingelegter  Runenschrift,  ein  zweiter 
Speer,  drei  Schildbuckel,  Schildnägel  und  Beschläge.  Siehe  Anzeiger  für 
Kunde  deutscher  Vorzeit  1869),  Göritz  (Fibel,  Scheermesser),  Hoppegarten 
(Scheeren  im  Sumpfe).  Vereinzelt  ist  noch  manches  Stück,  namentlich  Aexte, 
Beile,  Hufeisen,  Scheeren  eher  gefunden,  doch  lässt  sich  nicht  nachweisen, 
dass  diese  Funde  aus  vorgeschichtlicher  Zeit  stammen. 

8.  Funde  an  edeln  Metallen  ausser  den  silbernen  Fibeln  in  Göritz  sind 
mir  nicht  bekannt.  Vor  Jahren  soll  bei  der  Jahnsfelder  Windmühle  ein  gol- 
dener Ring  gefunden  worden  sein,  der  in  den  Besitz  Sr.  Maj.  des  Königs 
gekommen  wäre. 

9.  Münzfunde  aus  vorhistorischer  Zeit:  Bei  Eggersdorf  eine  silberne 
Münze  von  Nerva  Trajan.  Bei  Behlendorf  (Grube  Franka)  eine  Kupfermünze 
von  Antonius  Commodus.  Bei  Platkow  eine  Goldmünze  Numerians.  Mittel- 
alterliche Bracteaten-Funde  kommen  öfters  vor:  in  Arnsdorf  ein  Topf  mit 
mehreren  tausend  Stück,  einzelne  in  der  Nähe  des  Schlossberges  bei  Liebeu- 
berg;  bei  Alt  Rosenthal  lag  auf  der  Brust  eines  Skeletts  über  dem  gothischen 
Griff  eines  eisernen  Schlüssels  ein  Prager  Groschen  und  ein  Bracteat 
Friedrichs  I.  von  Brandenburg. 

10.  Glasfabrikate  fanden  sich:  am  Bahnhof  eine  lange  grünliche  Glasperle 
gerippt,  bei  Platkow  ein  kleines  Ringelcheu  von  grünem  Glas.  Glas  in  den 
Müncheberger  Moorbauten  ist  sehr  zweifelhaft. 

11.  Holzgeräthe  fanden  sich  in  den  Müncheberger  Moorbauten:  Schüsseln, 
Kugeln,  Quirle  (abgebrannt)  etc.,  im  Torfmoor  bei  Hoppegarten  eine  Falle 
von  Eichenholz,  der  im  Berliner  Museum  aufgestellten  ganz  gleich. 

12.  Lederreste  sind  nur  in  den  Müncheberger  Moorbauten  gefunden  und 
zwar  von  Schuhen,  Sohlen,  Rändern,  Abschnitzel,  oft  noch  mit  Haaren  versehen. 

13.  Die  am  häufigsten  vorkommenden  Zeichen  vorhistorischer  Cultur  sind 
die  Urnen  und  sonstigen  Thougefässe  imd  die  Scherben  von  solchen.  Sie 
zeichnen  sich,  wenn  auch  zerstreut  auf  dem  Acker  gelegen,  dui'ch  ihr  Material 
und  ihre  Bearbeitung   aus,    und  sind  leicht  von  Erzeugnissen  späterer  Zeiten 


32  Kuchenbuch: 

zu  unterscheiden.  Es  kommen  gröbere  mit  viel  zerschlagenem  Granit  und 
Glimmer  gemengte,  daher  rauhe  und  zerbrechliche  Geiiisse,  meist  aus  treier 
Hand  geformt,  neben  feineren  auf  der  Drehscheibe  hergestellten,  oft  mit 
Buckeln,  Zierrathen  etc.  versehenen  Gefässen  vor;  es  finden  sich  auch  Ge- 
fässe  von  zwar  roher  Arbeit,  aber  festem  Material  (z.  B.  Sclilossberg, 
Müucheberg).  Zumeist  sind  die  noch  ganz  gefundeneu  Beigefässe  der  Grab- 
stätten, andere  sind  mit  Asche  und  gebrannten  Knochen  gefüllt,  selten  kommen 
solche  vor,  welche  zum  Wirthschaftsgebrauch  gedient  haben  (Platkow)  mit 
Getreide  gefüllt.  In  den  meisten  Fällen  befinden  und  befanden  sich  diese 
Thongefässe  so  flach  unter  der  Erde,  dass  sie  schon  vor  langer  Zeit  durch 
den  Pflug  zerdrückt  und  zertrümmert  wurden,  ihre  Scherben  an  der  Oberfläche 
des  Ackers  aber  von  ihrem  einstigen  Standort  Kunde  geben.  Selbst  da,  wo 
sich  die  Gefässe  in  sogenannten  Kegelgräbern  fanden,  sind  sie  meistens  zer- 
stört, weil  man  die  Hügel  behufs  Herausnahme  der  Steine  zu  Bauten  abtrug 
ohne  die  Urnen  zu  beachten,  diese  wohl  gar  absichtlich  zerschlug.  Bemerkens- 
werth  ist  aber  der  Umstand,  dass  die  Gräber  meistens  in  dem  schlechtesten 
Saudboden  angelegt  gewesen  sind,  und  dass  sich  gerade  hierdurch  ihre  Er- 
haltung erklärt,  indem  dieser  schlechte  Boden  erst  in  neuester  Zeit  mit  in 
die  Cultur  gezogen  ist,  bis  dahin  aber  unberührt  liegen  blieb.  In  dem  fol- 
genden Verzeichniss  der  Fundorte  sind  nur  solche  aufgenommen,  au  denen 
ich  selbst  mich  von  dem  Yorhandensein  der  Scherben  überzeugt  habe  und 
wo  sie  in  grösserer  Menge  gefunden  werden,  oder  von  denen  ganze  Gefässe 
vorhanden  sind.  Arnsdorf  (Schanze,  Falkeutanz,  Pfarracker,  uud  östlich  v.  A.) 
Behlendorf,  Bergschäferei,  Buckow  (Werder,  weisse  See),  Oüstrin  (Bahnhof 
der  kurzen  Vorstadt),  Dahmsdorf  (Bahuhof  Müncheberg,  Steinberge),  Däber- 
schanze,  Eichendorfer  Mühle,  Gerzin;  Göritz,  Gusow,  Hasenfelde^  Hermers- 
dorfer  Haide,  Jahusfeldcj  Lossow,  Müucheberg  (faule  See,  Philippiuenhof, 
Schutze,  Malzdorf,  Elisenhof,  Vorhaide),  Neu-Hardenberg  (Nouncuwiukel), 
Pilgram,  Platkow,  Keitwein  (Stallberg),  Liebeuberg  (Schlossberg).,  Schlageutiu 
(Insel),  Tempelberg,  Wooriu  (Wermelinsee),  Werdci',  Alte  Mühle. 

d.    Befestigungen. 
Zu    deu    äusserlich    noch    erkennbaren    festen  Plätzen  vorgeschichtlicher 
Zeit  gehören  in  unserer  Gegend: 

1.  Die  Däberschanze  zwischen  Müncheberg  und  Buckow  (vergl.  Zeitschrift 
für  Ethnologie,  1870). 

2.  Die  Schanze  bei  Arensdorf,  noch  kenntlich  als  ein  in  Wiesen  gelegenes, 
sich  8  bis  10  Fuss  hoch  aus  ihnen  sich  erhebendes  PUiteau  von  etwa  100 
Schritt  Durchmesser  rund,  der  frühere  Wall  ist  in  die  Wiese  abgetragen  uud 
war  früher  mit  alten  Eichen  bestanden. 

3.  Eine  ähnliche  Schanze   bei  der  Nadlitzer  Mühle. 

4.  Der  Burgwall  bei  liossow  an  der  steilen  Wand  noch  in  dem  west- 
lichen Wall  erhalten. 


Funde  und  Fundorte  von  Resten  aus  vorhistorischer  Zeit.  33 

Ausserdem  könnte  man  noch  das  Pfalilwerk  im  Scharraiitzelsee  bei 
Buckow  hierhcrrecbnen,  da  es  doch  eine  Bcwelu-uug  bildet. 

Ausser  diesen  als  Belestiguugeu  früherer  Zeit  noch  erkennbaren  Werken 
gibt  es  noch  mehrere  Orte,  deren  Namen  und  liage  ebenfalls  auf  ihre  frühere 
Eigenschaft  als  feste  Orte  schliessen  lassen  und  die  mit  jenem  ein  gewisses 
System  der  Befestigung  des  Lebuser  Laudes  erkennen  lassen.  In  dieser  Be- 
ziehung muss  darauf  hingewiesen  werden,  duss  das  alte  Land  Lebus  (der 
heutige  Kreis  mit  Ausschluss  des  Oderbruches)  in  vorhistorischer  Zeit  nach 
Nordosten  hin  von  dem  weiten  sumpfigen  Oderthal  begränzt  wurde,  welches 
sich  von  Reitwein  ab  in  südlicher  Richtung  etwas  verengerte,  oberhalb  Bries- 
kow  aber  wieder  breiter  wurde.  Nach  Süden  hin  breitete  sich  das  nicht 
minder  geräumige  Spreethal  aus,  welches  wahrscheinlich  mittelst  eines  schma- 
leren Armes  bei  Mühlrose  mit  dem  Oderthal  zusammenhing,  bei  Fürstenwalde 
aber  sich  auf  eine  kurze  Strecke  wieder  etwas  zusammenzog.  Von  hier  aus 
wird  Lebus  bekanntlich  durch  einen  schmalen  Strich  vom  Barnim  getrennt, 
welcher  schon  mehrmals  zu  dem  Project  einer  Kanalverbindung  zwischen 
Oder  und  Spree  Veranlassung  gab.  Die  Mitte  dieses  Gränzstriches  bildet 
das  rothe  Luch,  durchschnittlich  1500  Schritt  breit  und  1|  Meile  lang.  In 
der^ Mitte  dieses  Luches  entspringt  der  Stobber,  welcher  in  südlicher  Rich- 
tung in  die  Löcknitz  und  mit  ihr  in  die  Spree,  in  nordöstlicher  Richtung 
über  Buckow  nach  der  Oder  abläuft.  Der  Ijaudstrich,  welchen  die  Löcknitz 
durchläuft,  ist  flach  und  sumpfig,  der  Stobber  muss  anfänglich  bis  hinter 
Buckow  sich  durch  festeres  Erdreich  eine  Bahn  brechen,  tliesst  aber  unterhalb 
der  Pritzhageuer  Mühle  auch  durch  ein  breiteres  Thal  und  sumpfige  Wiesen. 
Das  Lebuser  Land  erhebt  sich  nun  vom  rothen  Luch  ab  die  Wasserscheide 
zwischen  Elbe  und  Oder  bildend,  immer  höher,  bis  es  bei  Crossen  den  höchsten 
Punkt  des  Kreises  erreicht.  Einigemal  wird  dieser  Höhenzug  von  Senkungen 
durchschnitten,  welche  Liicher  enthalten  und  nach  beiden  Seiten  hin  kleine 
Flüsschen  entsenden.  Der  Abfall  des  Landes  nach  dem  Oderthal  hin  ist  steil 
und  schluchtenreich,  nach  Süden  und  Westen  hin  Üacher.  Die  Uebergänge 
von  Osten  und  Süden  her  finden  wir  nur  durch  Ringwälle  und  Schanzen  ver- 
theidjgt.  An  der  nordöstlichen  Spitze  liegt  der  Wallberg  bei  Reitwein,  Göritz 
und  Oetscher  gegenüber.  Ueber  Oetscher  findet  sich  ein  Schlossberg  und 
Burgberg  und  ähnliche  Burgwälle.  Das  Oderthal  vom  Wallberg  bis  Oetscher 
i  st  etwa  J  Meile  breit.  Am  nächsten  kommen  sich  die  Ufer  wieder  bei  Lossow, 
wo  au  der  steilen  Wand  eine  grosse  Schanze  angelegt  ist.  Das  Thal  ist 
hier  nur  etwas  über  |  Meile  breit.  Die  Lossower  Schanze  war  aber  gleich- 
zeitig gegen  Süden  hin  gerichtet,  da  unweit  von  ihr  der  MüUroser  Kanal  in 
die  Oder  mündet,  also  hier  das  Spreegebiet  mit  dem  der  Oder  zusammentrifft. 
Weiter  nach  Westen  hin  Müllrose  gegenüber  ist  bei  Dubrow  ein  Schanzberg. 
Das  Spreethal  ist  bei  Fürsteuwalde  etwa  .}  Meile  breit,  und  hier  war  Wi 
Molkenberg  eine  Schanze.  Ben  Schluss  dieser  Befestigungen  nach  Süden 
hm  mag  eine  solche  bei  Kleiu-Wall  an  der  Löcknitz  gebildet  haben.      Nach 

Zeitschrift  für  Etliuulojjic,  Juhrt;uug  1875.  3 


34  '  Kuchenbuch : 

dem  Barnim  hin  oder  vielmehr  von  diesem  aus  gegen  Lebus  hin  waren  wahr- 
scheinlich der  Schlossberg  bei  Liebenberg,  wo  der  Stobber  in  die  Löcknitz 
fliesst,  die  Bergschäferei  bei  Hasenholz  solche  feste  Orte.  Nach  Nordosten 
hin  ist  mir  kein  Ort  bekannt,  der  eine  Befestigung  andeutete.  Dagegen 
scheinen  im  Innern  des  Landes  noch  Zufluchtsstätten  gewesen  zu  sein,  welche 
namentlich  in  durch  Wasser  geschützten  Orten  angelegt  wurden;  dahin  ge- 
hören die  Schanzen  bei  Arnsdorf  und  Nadlitzer  Mühle,  vielleicht  auch  der 
ßurgwall  bei  Falkenhagen,  wahrscheinlich  auch  Müncheberg  und  endlich  die 
D  ab  erschanz  en. 

Von  anderen  grösseren  Befestigungsanlagen,  Gräben,  Verhauen  u.  s.  w. 
in  hiesiger  Gegend  ist  mir  nichts  bekannt  geworden. 

e.  Opferplätze. 

Bei  ßoosen,  dem  höchsten  Punkt  des  Landes  Lebus,  scheint  ein  heiliger 
Ort  gewesen  zu  sein,  was  schon  der  Name  (bozy  göttlich,  heilig)  bezeugt. 
Dafür  sprechen  die  vielen  hier  vorhanden  gewesenen  Opfersteine  (conf. 
Bekmann,  Beschreibung  der  Mark  Brandenburg),  von  denen  nur  noch  der 
Näpfchenstein  beim  Vorwerk  Numen,  und  der  Raazelstein  daselbst  übrig  ge- 
blieben, und  die  Namen  verschiedener  0 ertlichkeiten  als  Sacksberg,  schwarze 
Berg,  Teufelsberg,  Teufelssee. 

Ausserdem  waren  früher  noch  die  von  Bekmann  beschriebenen  Stein- 
kreise auf  dem  Falkentanz  bei  Arnsdorf  (gerade  in  der  Mitte  des  Landes 
Lebus)  vorhanden,  welche  jetzt  gänzlich  verschwunden  sind.  Man  findet  nur 
noch  Scherben. 

f.  Grabstätten. 

Spuren  heidnischer  Gräber  finden  sich  in  der  ganzen  Gegend  sehr  häufig, 
wenn  mau  alle  Fundstellen  von  Scherben  alter  Thongefässe  in  grösserer 
Menge  hierher  rechnet.  Weniger  gelungen  ist  es  bis  jetzt,  noch  ganze  Ge- 
fässe  auszugraben  oder  zu  erhalten.  Um  von  den  ältesten  Gräbern  zu  be- 
ginnen, so  sind  zu  erwähnen 

1.  Das  Steinkistengrab  bei  Tempelberg  (conf.  Zeitschrift  für  Ethnologie 
1872).  K\n  ganz  ähnliches  Grab  wurde  bei  Säpzig  (1  Meile  südöstlich  von 
Cüstrin  am  Rande  des  Wartebruchs)  gefunden,  in  welchem  fünf  menschliche 
Skelette,  bei  jedem  ein  Feifersteinkeil,  gefunden  sein  sollen.  Bei  der  Plat- 
kower  Mühle  wurden  Skelette  frei  in  der  Erde  gefunden  (Zeitschr.  f.  Ethno- 
logie  1873),  nur  ein  Stein  auf  der  Brust,  mit  Broncegeräthen. 

2.  Kegelgräber  fanden  sich  besonders  am  Rande  des  rothen  Luches 
und  bei  Pritzliagen  (also  im  Barnim).  Auch  dieser  Kand  ist,  wie  der  des 
Odcrthales,  steiler  als  der  gegenüberliegende,  und  voller  Schluchten.  Beim 
Dorfe  Werder,  wo  sich  der  Rand  erst  zu  erheben  anfängt,  zählte  ich  27  er- 
k(!nnbarc  Steinkreise  verschiedener  Grösse;  die  Hügel,  welche  sie  umschlossen, 
sind  zerstört.  Ausser  Urnenscherben  und  einem  Spielzeug  aus  Thon,  einem 
kloincn  Brödchcu  ähnlich,  so  wie  einer  roh  bearbeiteten  Granitkugel  (etwa 
()"  Durchmesser)  und  einem  kleineren  runden  Rollstein  ist  nichts  Bemerkens- 


Fundo  und  Fundorte  von  Resten  aus  vorbistorischer  Zeit.  35 

werthes,  weder  Eisen  noch  Bronce  gefunden.  Die  Scherben  sind  meist  aus 
rohem  Material,  der  Durchmesser  der  Kreise  ist  durchschnittlich  10  Schritt. 
Eine  halbe  Meile  davon  auf  demselben  Rande  liegt  die  Bergschäferei.  Der 
Bergrand  ist  hier  durch  Schluchten  sehr  zerrissen.  Auf  einem  südlich 
von  der  Bergsciiäferei  gelegenen  Vorsprung  und  neben  demselben  an  der 
Schlucht  befinden  sich  in  2  Gruppen  /u  je  10  und  einem  einzelnen  21  Stein- 
kreise, viele  kleiner  als  die  Werderschen.  Auch  hier  waren  die  Hügel  schon 
verschwunden  und  sind  gegenwärtig  weder  Spuren  dieser  Steinkreise  noch 
der  beiden  alten  Linden,  welche  dabei  standen,  zu  sehen.  Ein  Kegelgrab 
(lleidengrab)  bei  Pritzhagen  ist  ebenfalls  verschwunden,  üb  auf  dem  Gräber- 
feld bei  Philippinenhof,  wie  mir  gesagt  wurde,  ein  Kegelgrab  gewesen,  Hess 
sich  nicht  mehr  feststellen,  ebensowenig  ob  bei  Behlendorf  befindlich  gewesene 
Steinhaufen,  in  denen  allerdings  Scherben  auf  einem  Mühlstein  gefunden 
worden  waren,  von  solchen  herrührten.  In  einem  Luch  bei  Münchehofe  könnten 
einzelne  Erhebungen,  in  denen  ich  noch  Scherben  und  Broncen  fand,  von 
Kegelgräbern  herrühren. 

3.  Die  am  häufigsten  vorkommenden  Gräber  sind  die  in  flacher  Erde 
verborgenen  Wendengräber;  sie  kommen  einzeln  und  in  Massen,  nicht  al)er 
in  besonderer  Regelmässigkeit  vor.  Unter  die  Massengräber  gehören  die 
Gräberfelder  von  Philippinenhof,  |  Meile  südlich  von  Müncheberg,  (Urnen, 
Topfgeschirr,  Bronce,  Eisen,  Kohlen,  Leichenbrand).  Falkentanz  bei  Arens- 
dorf (vollständige  schöne  Urnen,  Scherben).  Däberschanze  (Scherben,  Eisen, 
Knochengeräth,  Knochen,  Kohlen).  Neuliardenberg,  der  Nonnenwinkel  (Scher- 
ben). Werder  bei  Buckow  (Scherben,  Bronce).  Einzelne  Gräber  fanden  sich 
in  der  Schäferhaide  bei  Jahnstelde  (Scherben)  im  Gutsgarten  daselbst  (Scher- 
ben, Knochen,  Eisen,  Mühlsteine),  bei  Ai-nsdorf  östlich  vom  Dorl'  (vollständige 
Urnen),  in  der  Hermersdorfer  Haide  (Thongefässe,  Scherben,  Eisen,  Leichen- 
brand, Schädel,  Kalkmörtel),  auf  der  Insel  Schiagentin  (Urnen),  Insel  am 
Wermelin  bei  AVorin  (Scherben,  Mühlsteine),  Elisenhof  {-  Meile  östlich  von 
Müncheberg  (ürnenscherben.  Eisen),  Hasenfelde  (Urnen,  Scherben),  Wetz- 
dorfsloos  (Urnen),  Schützerloos  (Scherben),  beide  östlich  von  Müncheberg, 
Eicheudorfer  Mühle  (Thongefässe,  Leichenbraüd),  Vorheide  ^  Meile  westlich 
von  Müncheberg  (Scherben,  Bronce,  Knochen  gebrannt),  Dahmsdorf,  Stein- 
berge (Scherben),  Bahnhof  von  Müncheberg  (Scherben,  Eisen,  Bronce,  Glas, 
Leichenbrand),  Garzin  (Urnen),  Alte  Mühle  (Scherben),  Platkow  (Urnen, 
Scherben,  Leichenbrand),  ferner  in  Frankfurt  a.  0.,  Pilgram,  Bingen  (Thon- 
gefässe, Leichenbrand).  In  den  vollständigen  Urnen  fanden  sich  in  den 
meisten  Fällen  gebrannte  Knochen.  In  den  meisten  Fällen  sind  die  Urnen 
und  Gefässe  zwischen  Steine  gepackt  oder  um  sie  herum  gestellt  gewesen, 
g.  Tliier-  und  Pflanzenreste. 
Abgesehen  von  den  schon  bei  den  Wohnplätzen,  Gräbern  etc.  erwähnten 
Resten  von  Thieren  und  Pllanzon  (Jahnsft'lde,  Däberschanze,  Schlossbcrg, 
Schanze   bei  Areusdorf,   Münchcbcrger  Moorbauteu,    Platkow)    sind  noch  ein- 


30  Kuchenbuch:  Funde  und  Fundorte  von  Resten  aus  vorhistcfrischer  Zeit. 

zelne  Stücke  vorgekommen,  welche  genannt  werden  können  und  im  Hoppe- 
gartner  Torfmoor  wurden  Reste  des  Ur"s,  Schulterblatt,  Unterkiefer  und  Horu 
(letzteres  im  Besitz  des  Herrn  Reichs-Ober-Handels-Gerichtsrath  Langerhaus 
in  Leipzig),  im  Luch  bei  der  Arensdorfer  Schanze  eine  einzelne  Stange  und 
ein  vollständiges  Geweih  eines  jungen  Elchs,  im  Luch  am  Kiesberg  ^  Meile 
östlich  von  Müncheberg  der  Unterkiefer  des  sus  palustris  gofunden. 

Im  Torfluch  bei  Hoppegarten  fand  sich  auch  eine  Falle  aus  Eichenholz, 
ganz  der  aus  dem  Rhinluch  im  Königlichen  Museum  in  Berlin  gleich,  in 
den  Erbgärten  bei  Buckow  eine  Blattangel  von  Bronce.    > 

IL    Sammler,  Sammlungen,  Literatur. 

Nachdem  der  Unterzeichnete  schon  vor  länger  als  25  Jahren  angefangen 
hatte,  Alterthümer  der  Urzeit  zu  sammeln,  folgte  ihm  auch  der  Uhrmacher, 
Stadtverordneten- Vorsteher  Herr  Ahrendts  hier.  Seitdem  aber  vor  10  Jahren 
hier  ein  Verein  für  Heimathskunde  in's  Leben  gerufen  wurde,  der  es  sich 
ebenfalls  zur  Aufgabe  rhachte,  diese  Reste  zu  sammeln,  ist  Alles,  was  ge- 
funden wurde  aus  der  hiesigen  Gegend,  in  die  Sammlung  des  Vereins 
gekommen. 

Sonst  besitzt  Herr  Rentmeister  Wallbaum  in  Gusow  eine  ansehnliche 
Sammlnng  von  solchen  Alterthümern  aus  der  dortigen  Gegend  und  einige 
aus  Rügen.  Auch  der  Rittergutsbesitzer  Herr  von  Pfuel  in  Jahnsfelde  hat 
Einiges  aus  der  Gegend  gesammelt.  In  Frankfurt  a.  0.  sind  in  der  Bibliothek 
und  in  der  Sammlung  des  historisch-statistischen  Vereins  Gegenstände  vor- 
historischer Zeit  aus  hiesiger  Gegend  zusammengestellt.  Eine  schöne  reiche 
Sammlung  solcher  Gegenstände  hat  der  Keichs-Ober-Handels-Gerichtsrath 
Herr  Langerhans  in  Leipzig. 

Die  Literatur  über  Alterthümer  hiesiger  Gegend  ist  sehr  dürftig.  Das 
Meiste  bringt  noch  Bekraann,  Beschreibung  der  Mark  Brandenburg.  In 
neuerer  Zeit  sind  im  Frankfurter  Patriotischen  Wochenblatt  1836  No.  7 — 8, 
No.  18,  1843  No.  80—88  einige  Nachrichten  gegeben.  Einiges  bringen  auch 
die  Mittheilungen  des  historisch-statistischen  Vereins  in  Frankfurt  a.  0.  Die 
liier  vorhandenen  Alterthümer  aus  vorgeschichtlicher  Zeit  habe  ich  so  gut 
wie  möglich  aufgeführt. 

Müncheberg,  im  Juli   1874.  Kuchen  buch. 


Die  Skopzensekte  in  Riissland,  iii  ihrer  Eiilsteliuiig, 
Organisation  nnd  Lehre. 

Nach  den  zuverlässigsten  Quellen  dargestellt. 

Im  Anfange  des  Jahres  1869  trat  in  der  russischen  Presse  eine  Nach- 
richt auf,  welche  im  ganzen  Reiche  ein  ungeheueres  Aufsehen  erregte.  Viele 
waren  geneigt,  dieselbe  als  ein  Ergebniss  des  nervösen  Jagens  der  Journa- 
listen nach  sensationellen  Tagesneuigkeiten  zu  betrachten;  aber  bald  musste 
man  sich  von  der  Authencität  des  Mitgetheilten  überzeugen.  In  der  im 
Gouvernement  Tarnbow  belegenen  Stadt  Morschansk  war  ein  bis  dahin  hoch- 
angesehener Kaufmann  erster  Gilde  und  erbliclier  Ehrenbürger,  Maxim 
Plotizyn,  Besitzer  mehrerer  Millionen,  Ritter  des  Annenordens  und  Inhaber 
mehrerer  Medaillen,  als  Haupt  der  Skopzensekte  0  entdeckt  und  mit  vielen 
Anhängern  der  Sekte  verhaftet  worden;  in  seinem  Hause  hatte  man  ein  der 
Sekte  gehöriges  Kapital  von  vielen  Millionen  Rubeln  —  nach  zuverlässigen 
Quellen  waren  es  48  Millionen  —  gefunden.  Ehe  die  weiteren  Kreise 
sich  über  die  Bedeutung  dieser  Sekte  klar  geworden,  wusste  man  vor  Stau- 
nen nicht,  was  man  dazu  sagen  sollte;  aber  bald  brachten  weitere  Mitthei- 
lungen Licht  in  die  Sache,  und  man  begriff  nun,  dass  das  Skopzenthum  eine 
Monstruosität  in  religiöser,  sozialer  und  politischer  Hinsicht  ist,  gegen  welche 
jede  Fiber  des  Menschen,  des  Bürgers  und  des  Patrioten  sich  empören  muss. 
Ein  Schrei  des  Unwillens  ging  durch  ganz  Russland,  als  man  erfuhr,  dass 
das  Gold  und  der  Fanatismus  der  Skopzen  von  sozialistischen  und  politischen 
Wühlern  zu  Erneuten  ä  la  Pugatschew  hatten  benutzt  werden  sollen,  und  dass 
es  schliesslich  doch  den  Intriguen  der  Skopzen  gelungen  war,  die  Unter- 
suchung derartig  zu  lähmen,  dass  sie  ihre  Schätze  hatten  entführen  können, 
von  denen  nur  armselige  500,000  Rubel  gleichsam  als  Schmerzensgeld  für 
die  Behörden  zurückgelassen  worden  waren.  Offizielle  Organe  suchten  diese 
Nachrichten  zwar  abzuschwächen,  indem  sie  dieselben  als  ungenau  bezeich- 
neten und  namentlich  jeden  Zusammenhang  der  Skopzenangelegenheit  mit 
politischen  Umtrieben  in  Abrede  stellten;  aber  das  Publikum  liess  sich  hier- 
durch nicht  beruhigen  und  folgte  mit  fieberhafter  Spannung  dem  Fortgange 
der  Untersuchung.  Die  Aufregung  wuchs  noch,  als  weiter  bekannt  wurde, 
dass  in  Moskau  ein  zweites  Skopzennest,  das  unter  der  Leitung  der  Kauf- 
leute Gebrüder  Kudrin  stand,  entdeckt  worden  war. 

Das  Resultat  der  Untersuchung  erfuhr  das  Publikum  durch  das  Urtheil, 
welches  bald  darauf  das  Kriminalgericht  in  Tanibow  tallte.  Maxim  Plotizyn 
wurde  zum  Verlust  der  Bürgerrechte  und  der  Ehrenzeichen  und  zu  lebens- 
länglicher Verbannung  nach  einer  entfernteren  Gegend  Sibiriens,  wo  er  unter 

')  Das  russische  Wort  ^Skopez"  heisst  ,em  Verschnittener". 


38  Die  Skopzensekte  in  Russland, 

strengster  Polizeiaufsicht  gehalten  werden  sollte,  verurtheilt.  Miitatis  mutan- 
dis  traf  eine  ähnliche  Strafe  seine  Schwester  Tatjana;  einige  20  Personen 
beiderlei  Geschlechts  wurden  wegen  Zugehörigkeit  zur  Sekte  der  Bürgerrechte 
beraubt  und  nach  Ostsibirien  verbannt;  dem  Bauern  Kusuezow  wurde  wegen 
Verstümmelung  seiner  selbst  und  11  anderer  Personen  noch  eine  vierjährige 
Zwangsarbeit  auferlegt,  und  mehrere  Angeklagte  wurden  ab  instantia  freige- 
sprochen. Die  vorgefundenen  Summen  sollten  den  rechtmässigen  Erben  Plo- 
tizyns  vorbehalten,  wegen  der  verschwundenen  Kapitalien  aber  keine  weiteren 
gerichtlichen  Schritte  unternommen  werden. 

Also  die  kolossalsten  Summen  waren  unwiederbringlich  dahin! 

Da  Plotizyu  erblicher  Ehrenbürger  war,  musste  das  Urtheil  dem  Senat 
vorgelegt  werden,    der  dasselbe  denn  auch  am  20.  August  1869  bestätigte. 

Aehnliche  Strafen  wurden  später  auch  über  die  Gebrüder  Kudrin  und 
viele  andere  Mitglieder  der  Sekte  verhängt;  denn  die  Pest  hatte  sich  in  den 
Hauptstädten  St.  Petersburg  und  Moskau  und  auch  auf  dem  platten  Lande 
der  gleichnamigen  Gouvernements,  besonders  des  ersteren,  stark  verbreitet, 

Dass  die  ganze  Skopzenangelegenheit  dazu  angethau  war,  die  Aufmerk- 
samkeit des  russischen  Publikums  auf  sich  zu  ziehen,  leuchtet  ein.  Nichts 
ist  lehrreicher  für  die  Menschheit,  als  der  Nachweis,  dass  das  echt  mensch- 
liche ßedürfniss,  an  höhere  Mächte  zu  glauben,  von  ihnen  Schutz  zu  erhal- 
ten und  sich  dieses  Schutzes  würdig  zu  machen,  durch  Unklarheit  und  Fa- 
natismus zu  so  wahnsinnigen  Verirrungen  führen  kann,  dass  der  denkende 
Mensch,  der  aus  dem  Gange  der  Weltereignisse  den  tröstlichen  Glauben  an 
den  kontinuirlichen  Fortschritt  der  Menschheit  geschöpft  hat,  muth-  und 
rathlos  vor  denselben  dasteht. 

Namentlich  dürfte  ein  solcher  Nachweis  in  der  gegenwärtigen  Zeit,  in 
welcher  ein  für  das  19,  Jahrhundert  ganz  unbegreiflicher  Kampf  zwischen 
Licht  und  Finsterniss,  zwischen  dem  Streben  nach  wissenschaftlicher  Klarheit 
und  blindem  Aberglauben  nothwendig  geworden  ist,  um  nur  die  theuersten 
Errungenschaften  unserer  Zeit  zu  wahren,   von  hohem  Nutzen  sein,    . 

In  diesem  Sinne  geben  wir  den  Lesern  eine  kurze  Geschichte  der  be- 
sonders in  Kussland  *  stark  verbreiteten  Skopzensekte.  Sie  werden  finden, 
dass  sich  dieselbe  nicht  schlechter  liest,  als  ein  Sensationsroman  von  Wilkie 
CoUins,  während  wir  doch  nur  mittheilen,  was  als  unbestrittene  Thatsache 
den  zuverlässigsten  Quellen  entnommen  ist. 

Das  Eunuchenthum  hat  seine  Heimath  in  Asien  und  ist  ein  Produkt 
der  Vielweiberei  und  eines  menschcnverachtenden  Despotismus.  Auch  die 
Juden  kannten  Kastraten,  und  eine  Stelle  des  Propheten  Jesaias  scheint  ein 
Gefühl  des  Mitleids  mit  diesen  verachteten  Menschen  auszudrücken.  Es 
heisst  nämlich  im  5t).  Kapitel,  Vers  H — (>:  „Und  der  Verschnittene  soll  nicht 
sagen:  Siehe,  ich  bin  ein  dürrer  Baum.  Denn  so  spricht  der  Herr  zu  den 
Verschnittenen,  welche  meine  Sabbathe  halten  und  erwählen,  was  mir  gelallt, 
und  meinen  Bund  fest  fassen.     Ich  will  ihnen  in  meinem  Hause  und  in  mei- 


Die  Skopzensektc  in  Russland.  39 

nen  Mauern  einen  Ort  geben  und  einen  besseren  Namen,  denn  den  Söhnen 
und  Töchtern;  einen  ewigen  Namen  will  ich  ihnen  geben,  der  nicht  ver- 
gehen soll." 

Als  die  Römer  ihre  Herrschaft  über  Asien  ausdehnten,  verpflanzten  sie 
von  dort  mit  vielem  Anderen  auch  diese  Werkzeuge  des  Despotismus  nach 
Europa.  Verschiedene  Eunuchen  gelangten  sogar  durch  Gewandtheit,  in  ein- 
zelnen Fällen  wohl  auch  durch  ihren  wirklichen  Werth  zu  den  höchsten 
Ehrenstellen.  So  die  in  der  byzantinischen  Geschichte  bekannten  Eunuchen 
Eutropius,  Oberkämmerer  des  Kaisers  Arcadius,  Narses,  der  nach  seinen 
Siegen  in  Italien  sogar  kaiserlicher  Statthalter  daselbst  wurde,  u.  A.  Später 
wurde  die  Kastration  eine  politische  Massregel,  die  man  als  Prophylaxis 
gegen  das  unliebsame  Prätendententhum  der  Nachkommen  früherer  Kaiser 
anwandte. 

Alles  das  hatte  aber  noch  keine  religiöse  Bedeutung,  obgleich  es  dazu 
geeignet  war,  die  Menschheit  miC  so  schnöder  Verhöhnung  der  Naturgesetze 
bekannt  und  vertraut  zu  machen.  Der  religiöse  Grund  für  die  Kastration 
liegt  in  der  falsch  verstandeneu  Lehre  von  der  Ertödtung  des  Fleisches,  die 
zu  unterstützen  sich  folgende  Bibelstellen  hergeben  müssen:  „Denn  es  sind 
etliche  verschnitten,  die  sind  aus  Mutterleibe  also  geboren;  es  sind  etliche 
verschnitten ,  die  von  Menschen  verschnitten  sind;  und  sind  etliche, 
die  sich  selbst  verschnitten  haben,  um  des  Himmeh-eichs  willen.  Wer  es 
fassen  mag,  der  fasse  es"  (Matth.  10,  V.  12.).  „Ich  aber  sage  euch:  Wer 
ein  Weib  ansiehet,  ihrer  zu  begehren,  der  hat  schon  mit  ihr  die  Ehe  gebro- 
chen in  seinem  Herzen.  Aergert  dich  aber  dein  rechtes  Auge,  so  reiss  es 
aus  und  wirf  es  von  dir.  Es  ist  dir  besser,  dass  eines  deiner  Glieder  ver- 
derbe und  nicht  der  ganze  Leib  in  die  Hölle  geworfen  werde.  Aergert  dich 
deine  rechte  Hand,  so  haue  sie  ab  und  w^-f  sie  von  dir.  Es  ist  dir  besser, 
dass  eines  deiner  Glieder  verderbe  und  nicht  der  ganze  Leib  in  die  Hölle 
geworfen  werde"  (Matth.  5,  V.  28—30  und  die  Parallelstellen  Matth.  18, 
V.  8  u.  9  und  Marc.  9,  V.  43—47.).  „Selig  sind  die  Unfruchtbaren  und  die 
Leiber,  die  nicht  geboren  haben,  und  die  Brüste,  die  nicht  gesäugt  haben" 
(Luc.  23,  V.  29.).  „So  tödtet  nun  euere  Glieder,  die  auf  Erden  sind,  Hure- 
rei, Unreinigkeit,  schändliche  Brunst,  böse  Lust  und  den  Geiz,  welcher  ist 
Abgötterei"  (Col.  3,  V.  5.). 

Schon  in  den  ältesten  Zeiten  der  christlichen  Kirche  fanden  sich  Fana- 
tiker, welche  diese  Bibelstellen  ganz  wörtlich  nahmen,  sie  wurden  jedoch 
verachtet,  und  nur  die  Reuigen  und  an  der  Verstümmelung  selbst  Unschuldi- 
gen erhielten  Aufnahme  in  den  Schooss  der  Kirche.  Von  denen,  die  sich 
freiwillig  verstümmelt,  wurde  nur  Origenes  in  den  Stand  dor  Geistlichen  aut- 
genommen. Die  erste  Sekte  von  Verschnittenen  stiftete  der  Araber  Valerius 
(um  200),  ein  Schüler  des  Origenes.  Die  Valerianer  breiteten  sich  trotz  der 
Verfolgung  durch  die  von  Konstantin  und  Justin ian  erlassenen  Gesetze  aus, 
und  es  ist  nicht  unwahrscheinlich,  dass  die  von  dieser  Sekte  ausgegangenen 
Traditionen  alle   Wirrsale    des    Mittelalters    und    der   neueren    Zeit    überlebt 


40  Die  Skopzensekte  in  Rxissland. 

haben  und,  wenn  auch  in  veränderter  Gestalt,  bis  zu    den    Skopzen    unserer 
Tage  führen. 

Die  ersten  Verschnittenen,  die  in  Russland  erschienen,  waren  zwei 
Metropoliten  von  Kiew,  Johann  und  Jefrem.  Beide  waren  geborene  Grie- 
chen und  lebten  in  der  zweiten  Hälfte  des  11.  Jahrhunderts,  Den  ersteren 
hatte  die  Fürstin  Anna  Wssewolodowna  im  Jahre  108'*  aus  Griechenland 
mitgebracht.  Die  Russen  waren  aber  noch  so  wenig  mit  der  Erscheinung 
von  Kastraten  vertraut,  dass  sie  Johann  einen  Leichnam  (Nawje,  wie  es  in 
den  Chroniken  heisst)  nannten.  Auch  lässt  sich  nicht  nachweisen,  dass  diese 
Männer  eine  Sekte  gebildet  haben. 

Die  ersten  Gerüchte  von  dem  Bestehen  einer  solchen  Sekte  reichen 
nicht  weiter,  als  bis  in  den  Anfang  des  vorigen  Jahrhunderts  hinauf. 

Im  Jahre  1715  wurden  in  dem  Kreise  Uglitsch  (im  Gouvt.  Jarosslaw) 
einige  Ketzer  ergriffen,  deren  Lehren  denen  »der  Skopzen  ähnlich  waren.  Im 
Jahre  1717  ereilte  dasselbe  Schicksal  den  ehemaligen  Moskauer  Strelezen 
Prokop  Lupkin  mit  20  Genossen  beiderlei  Geschlechts,  deren  Lehrer  er  ge- 
wesen war.  Die  Untersuchung  erwies,  dass  Lupkin  in  den  geheimen  Ver- 
sammlungen sich  selbst  Christus  und  einige  seiner  Anhänger  Apostel  genannt 
und  verkündigt  hatte,  dass  die  Herrschaft  des  Antichrists  und  das  Ende  der 
Welt  gekommen  sei.  Ihre  Gebete  hatten  diese  Menschen  mit  Tänzen  be- 
gleitet, zu  denen  sie,  wie  sie  annahmen,  vom  heiligen  Geiste  angeregt  wor- 
den waren.     Dieser  hatte  Einigen  auch  die  Gabe  des  Prophezeiens  verliehen. 

Eine  ähnliche  Sekte  entdeckte  man  im  Jahre  1733  in  Moskau  in  Folge 
der  Angaben  eines  eingefangeuen  Räubers,  Namens  Ssemen  Karaiilow.  Die- 
selbe bestand  aus  78  Personen  beider  Geschlechter,  welche  sich  zu  ihren 
Andachtsübungen  an  versteckten  Orten  versammelt,  dann  ihre  eigenen  Ge- 
bete gesungen,  diese,  nachdem  si5  den  Segen  ihres  Lehrers  erhalten,  mit 
Tänzen  begleitet,  sich  zur  Ertödtung  des  Fleisches  gegeisselt  und  prophezeit 
hatten.  Das  in  der  christlichen  Kirche  sonst  übliche  Abendmahl  hatten  diese 
Sektirer  verworfen,  aber  doch  ein  solches  mit  gewöhnlichen  Brodstücken  bei 
sich  eingeführt.  Eine  gesetzliche  Ehe  war  bei  ihnen  strenge  verpönt  und 
der  Eintritt  in  die  Sekte  und  die  Theilnahmc  an  den  Gebeten  als  Taufe  an- 
gesehen worden.  Jeder  Aufgenommene  hatte  einen  Eid,  die  Geheimnisse 
der  Sekte  zu  bewahren,  leisten  und  sich  zur  Beobachtung  der  äusseren 
Gebräuche  der  orthodoxen  Kirche  verpflichten  müssen. 

Nach  ihren  Gebeten,  Geisselungen  und  Tänzen  hatten  sie  die  Nächte 
oft  gemeinschaftlich  zugebracht  und  sich  dabei  allen  möglichen  heimlichen 
Ausschweifungen  hingegeben,  so  dass  viele  Theilnehmerinnen  Kinder  zur 
Welt  gebracht  hatten.  Zu  dieser  Zahl  hatte  auch  eine  ihrer  Haiiptvorstehe- 
rinnon,  die  aus  dem  Iwanow-Kloster  in  Moskau  ausgestossene  Nonne  Aku- 
lina  Iwanowna  gehört. 

Die  Untersuchung  ergab,  dass  bei  den  Andachtsübungen  dieser  Menschen 
zuweilen  barbarische  Ceremonien  stattgefunden  hatten.     So  war  bei  besonders 


Die  Skopzensekte  in  Russland.  41 

feierlichen  Abendmahlen  einem  jungen  Mädchen  die  Brust  ahf^eschnitlen, 
in  Stücke  zerlegt  und  in  diesen  den  Anwesenden  zum  Essen  dargereicht 
worden.  Ja,  es  soll  mitunter  vorgekommen  sein,  dass  ein  Knabe  geschlach- 
tet und  dessen  Blut  getrunken  wurde.  In  Folge  dessen  wurden  die  der 
'i'hoiluahmc  an  dieser  Sekte  Ueberführten  mit  sehr  strengen  Strafen  belegt. 
Viele  wurden  hingerichtet,  andere  mit  der  Knute  bestraft  und  nach  Sibirien 
verbannt.  Unter  letzteren  befand  sich  auch*die  erwähnte  Akulina  Iwanowna, 
welche  in  das  Kloster  zu  Maria  Opfer  in  Tobolsk  geschickt  wurde.  Diese 
Person  nimmt  eine  sehr  hervorragende  Stellung  in  den  Sagen  der  Sektirer 
ein,   und  es  wird  noch  vielfach  von  ihr  die  Rede  sein. 

Es  ist  nicht  festgestellt,  ob  bei  den  Anhängern  dieser  Sekte,  welche 
unter  dem  Namen  der  Chlysten  (Geissler)  bekannt  sind,  während  sie  sich 
selbst  Quäker  nannten,  die  Kastration  vorgekommen  ist;  jedenfalls  aber  ist 
diese  Chlystowschtschina  als  die  Vorstufe  des  Skopzenthums  zu  betrachten, 
aus  welcher  dieses  hervorging,  als  die  Verstümmelung  das  charakteristische 
äussere  Zeichen  der  Angehörigkeit  wurde.  Auf  die  grossen  Unterschiede, 
die  trotzdem  zwischen  den  Lehren  der  Chlysten  und  denen  der  Sko[>zen  be- 
standen, werden  wir  noch  später  zurückkommen. 

Die  Skopzensekte  gewann  ihre  Ausbreitung  und  Kräftigung  beson- 
ders während  der  Regierung  der  Kaiserin  Katharina  II.  und  des  Kaisers 
Alexander  I.,  wozu  besonders  das  Aufgeben  der  strengen  Massregeln  beitrug, 
die  früher  gegen  diese  Ketzer  beobachtet  wurden.  ')     Die   Milde   hatte    eben 


')  Die  Gesetze,  welche  Peter  tter  Grosse  gegen  die  Sektirer,  besonders  gegen  die  als  staats- 
gefähriich  anerkannten,  erlassen  hatte,  waren  sehr  strenge.  Die  Ketzer  wnrden  mit  einer  dop- 
pelten Steuer  belegt,  von  allen  Acmtcrn  ausgeschlossen,  durften  vor  Gericht  kein  Zeugniss  gegen 
Rechtgläubige  ablegen  und  musston  in  einer  besonderen  Tracht  erscheinen.  Die  eidbrüchigen 
Ketzer,  die  nach  ihrem  Uebcrtritt  zur  Orthodoxie  wieder  der  Irrlehre  verfallen  waren,  die 
Proselytenmacher,  Sektenhiiupter  und  diejenigen,  welche  derartige  Personen  heimlich  l>eherberg- 
ten,  erlitten  zum  grössten  Theil  die  Todesstrafe  (Ukase  vom  i:}.  Februar  1720  und  vom  15.  Mai 
1722).  Die  Nachfolger  Peters  befolgten  im  Allgemeinen  dessen  Verordnungen:  die  Kaiserin 
Katharina  wich  jedoch  hiervon  ab  und  glaubte,  durch  Massregeln  der  Milde  besser  gegen  die 
sich  mehr  und  mehr  ausbreitende  Pest  wirken  zu  können  Sie  hob  daher  alle  das  bürgerliche 
Leben  der  Sektirer  beschränkenden  Bestimmungen  auf,  und  nur  die  Lehrer,  lläupter  und  Prose- 
lytenmacher der  Skopzensekte  wurden  mit  der  Knute  bestraft  und  nach  Sibirien  verbannt 
(Ukas  vom  2.  Juli  1772,\ 

Kaiser  Alexander  huldigte  denselben  milden  Ansichten:  nur  die  Skop/.en  wurden  etwas 
strenger  behandelt,  indem  alle  Neuverschnittenen  und  Proselytenmacher  ins  Militär,  die  Lehrer 
und  Operateure  in  die  in  Sibirien  und  Grusien  stehenden  Truppentheile  gesteckt  wurden 
(Ukase  vom  8.  Januar  1807,  9.  Oktober  1808  und  4.  August  18lii).  Die  längst  Verschnittenen 
Hess  man  ganz  unbehelligt  und  gestattete  ihnen  sogar  freie  Uebung  ihres  Ritus. 

Unter  Kaiser  Nikolai  L  änderte  sich  dies  vollständig.  Die  Anhänger  der  als  gemein- 
schädlich anerkannten  Sekten  wurden  der  Berechtigung  zur  Anstellung  im  Dienste  und  zum 
Empfange  von  Belohnungen  l^eraubt,  ihre  Ehen  für  ungiltig.  ihre  Kinder  für  unehelich  erklärt. 
Die  Skopzcn  verloren  alle  Bürgerrechte  um!  durften  sich  ohne  Erlaubniss  nicht  von  ihren 
Wohnplätzen  entfernen.  Alle  auf  das  Sektenwesen  bezüglichen  Einzelgosetze  wurden  auf  Befehl 
des  Kaisers  zu  einem  systematisch  geordneten  ,Gesetzbuche  über  Ketzer"  zusammengestellt. 


42  Die  Skopzensekte  in  Russland. 

keine  andern  Folgen  gehabt,  als  dass  sie  dieselben  zu  dem  Glauben  veran- 
lasste, ihre  Sekte  werde  besonders  begünstigt  und  beschützt. 

Das  wichtigste  und  folgenschwerste  Merkmal,  welches  die  Skopzen  von 
allen  anderen  Sekten  unterscheidet  und  sie  gleichsam  aus  der  Reihe  der 
übrigen  Menschheit  heraushebt,  ist  unstreitig  die  Kastration. 

In  der  ersten  Zeit  des  Bestehens  der  Sekte  wurde  diese  Operation  durch 
Brennen  der  testiculi  mit  glühenden  Eisen  vollzogen,  woher  sie  denn  auch 
den  Namen  der  „Feuertaufe"  erhielt.  Später  wurde  sie  vermittelst  eines 
scharfen  Instruments,  eines  Messers  oder  Meisseis,  durch  einen  besonders 
dazu  berufenen  Meister  oder  den  vorzüglichsten  Lehrer  bewirkt,  nachdem  das 
scrotum  mit  einem  Faden  fest  umbunden  worden.  Die  Blutung  wurde  nur 
durch  sehr  unvollkommene  Mittel,  wie  Brennen  mit  glühenden  Eisen  und 
einzelne  Salben,  nie  durch  Unterbinden  der  Adern  gestillt.  Soldaten  und 
Matrosen  vollziehen  die  Operation  oft  an  sich  selbst  mit  einem  Messer  oder 
auch  mit  einer  Axt,  Gefangene  zuweilen  sogar  mit  einem  Stücke  Glas  oder 
Blech.  Diese  Art  der  Verstümmelung  nennen  die  Skopzen  „erstes"  oder 
„kleines  Siegel",  „erste  Weisse",  „erste  Reinheit",  „Besteigung  des  schecki- 
gen Pferdes". 

Da  aber  diese  Verstümmelung  nach  physiologischen  Gesetzen  den  Ge- 
schlechtstrieb nicht  ganz  zerstört  und,  besonders  wenn  sie  im  reiferen  Alter 
erfolgt,  die  Fähigkeit  zum  coitus  erhalten  bleibt,  gingen  die  Fanatiker  noch 
weiter  und  Hessen  sich  in  majorem  gloriam  auch-  den  penis  abschneiden. 
Dies  ist  die  „volle  Taufe",  das  „zweite"  oder  „kaiserliche  Siegel",  die  „zweite 
Weisse"  oder  „Reinheit",  das  „Besteigen  des  weissen  Pferdes".  Diese  Ope- 
ration wird  derartig  ausgeführt,  dass  entweder  scrotum  und  penis  zusammen 
unterbunden  und  dann  mit  einem  Male  abgeschnitten  oder  mit  einer  Axt 
abgehauen  werden,  oder  dass  zuerst  die  Entfernung  der  testiculi  und  dann 
die  Abnahme  des  penis  erfolgt.  Die  Skopzen  halten  diese  letztere  Methode 
für  weniger  gefährlich.  Ausnahmsweise  kommt  auch  die  Abnahme  des  penis 
allein  vor. 

Viele  der  „zweiten  Reinheit"  Beflissenen  tragen  zinnerne  oder  bleierne 
Pflöckchen  mit  einem  Kopfe  in  der  Harnröhre,  theils  um  das  freiwillige 
Fliessen  des  Urins,  theils  um  die  Verengerung  oder  das  Zuwachsen  des  Harn- 
kanals nach  der  Abnahme  des  penis  zu  verhindern. 

Von  den  sonst  noch  entdeckten  Variationen  der  Spezies  „Skopze"  wer- 
den noch  die  Perewerty schi  genannt,  die  dadurch  verstümmelt  worden 
sind,  dass  man  ihnen  in  der  Kindheit  schon  die  Samenstränge  abgedreht 
und  somit  den  Zusammenhaug  der  testiculi  mit  dem  Körper  aufgehoben  hat. 
J.  P.  Liprandi  nennt  auch  noch  die  Prokolyschi,  bei  welchen  der  Ge- 
schlechtstrieb durch  Abbinden  des  scrotum  und  Durchstechen  der  Samen- 
stränge mit  Nadeln  ertödtet  worden  ist. 

Auch  die  zur  Sekte  gehörigen  Frauenzimmer  werden  verschnitten. 
Bei  den  verschiedeneu   Untersuchungen    auf    diesem    Gebiete    hat    man    stets 


Die  Skopzensekte  in  Russland.  43 

eine  Menge  verstümmelter  Weiber  gefunden.  Gewöhnlich  werden  die  Brust- 
warzen iibgcbirizt,  abgeschnitten  oder  abgebrannt,  oft  aber  auch  die  ganzen 
Brüste  entfernt.  Zuweilen  beschränkt  sich  die  Operation  auf  ein  e  Brustwarze 
oder  eine  Brust,  oder  auch  auf  regelmässige  Einschnitte  auf  den  Brüsten. 
In  vielen  andern  Fällen  hat  man  Theile  der  inneren  Schainlii)|)en  allein  oder 
mit  der  Klitoris  zusammen,  oder  auch  den  oberen  Theil  der  äusseren  Scham- 
lippen zusammen  mit  den  inneren  und  der  Klitoris  ausgeschnitten  gefunden. 
Bei  einem  Verhör  bczeichucte  der  Skopze  P>udylin  diese  letzteren  Arten  der 
Verstümmelung  als  die  „erste",  das  Abnehmen  der  Brüste  als  die  „zweite 
Keinheit"   bei  Frauen. 

Keine  einzige  dieser  Verstümmelungen  verhindert  jedoch  den  Beischlaf, 
das  Empfangen  und  Gebären.  Selbst  Frauen,  bei  denen  in  Folge  eines  un- 
richtigen Verwachsens  nach  Abnahme  der  Schamlippen  und  der  Klitoris  die 
Vagina  sich  verengeit  hatte,  haben  ganz  richtige  Geburten  gehabt  und  einige 
Exemplare  dieser  Gattung  sich  sogar  der  Prostitution  ergeben. 

Uebrigens  kommen  auch  ganz  unverstümmelte  Frauen  und  Männer  in 
der  Sekte  vor.  Es  sind  dies  aber  ausser  den  Novizen  nur  die  sogenannten 
„Führer"  oder  „Steuermänner",  die  nicht  verstümmelt  sein  dürfen,  wie  es 
z.  B.   auch  Maxim  Plotizyn  nicht  war. 

Die  Frauen,  welchen  beide  Brüste  abgeschnitten  sind,  sehen  selbst  in 
der  Blüthe  der  Jahre  welk,  larb-  und  leblos  aus.  Dasselbe  zeigt  sich  bei 
den  Männern,  die  in  früher  Jugend  verstümmelt  worden  sind.  Bei  denselben 
vollzieht  sich  der  Uebergang  von  der  Kindheit  zur  Keife  in  kaum  bemerk- 
barer Weise.  Sie  behalten  die  Diskantstimme  der  Kinder,  auch  wachsen 
ihnen  ebenso  wenig  Barte,  als  Haare  in  den  Achselhöhlen  und  an  den  Ge- 
schlechtstheilen. 

Sehr  bedeutend  sind  die  Folgen  der  Verstümmelung  hinsichtlich  der 
geistigen  Eutwickelung  Einige  Theile  des  Gehirns  bleiben  auf  der  Bil- 
dungsstufe aus  der  Zeit  stehen,  die  der  Operation  unmittelbar  vorherging. 
Der  Verstümmelte  tritt  in  das  Jünglingsalter,  ohne  das  sonst  hiermit  verbun- 
dene Erwachen  höherer  Bestrebungen  und  des  Gefühls  der  Liebe  zu  erfahren, 
und  es  entwickeln  sich  nur  die  Eigenschaften,  welche  Leuten  mit  beschränk- 
tem Lebenshorizont  eigen  sind:  Egoismus,  Schlauheit,  Heuchelei,  Geldgier. 
Diese  Eigenschaften  treten  um  so  schärfer  hervor,  als  sie  nicht  durch  das 
vorzüglichste  Veredelungsmittel  der  Menschheit,  das  Familienleben,  ein  Ge- 
gengewicht erhalten  können. 

Trotz  der  Gefahr,  die  mit  den  hier  in  Rede  stehenden  Operationen  ver- 
bunden ist,  hat  die  Untersuchung,  welche  in  Folge  des  Plotizyn 'sehen  Pro- 
zesses angeordnet  wurde,  bei  der  Menge  konstatirter  Verstümmelungen  nur 
neun  Fälle  eines  tödtlichen  Ausganges  durch  Verblutung  nachweisen  können, 
von  denen  sechs  auf  das  „kleine"  und  drei  auf  das  „grosse  SiegeP'  kommen. 
Diese  geringe  Sterblichkeit  nach  so  getahrlichen,  von  unkundigen  Händen 
ausgeführten  Operationen  darf   indessen    nicht    befremden;    denn    man    weiss 


44  Die  Skopzensekte  in  Russland. 

nur  zu  gut,  wie  geschickt  die  Skopzen  die  Spuren  ihrer  Thaten  zu  verbergen 
verstehen.  So  wurde  im  Mai  1834  im  Kronstädler  Kanal  der  Leichnam  des 
Fähnrichs  Bjeljakow  von  der  Lastequipage,  der  an  den  Folgen  der  Operation 
gestorben  war,  aufgefunden. 

In  den  grösseren  Städten,  besonders  in  St.  Petersburg  und  Moskau,  wird 
das  zur  Kastration  bestimmte  Individuum  auf  ein  kreuzförmiges  Gestell  ge- 
bunden; an  anderen  Orten  wird  die  Operation  im  Bade,  im  Walde  oder  an 
einem  anderen  verborgenen  Orte  vollzogen. 

Die  Basis  der  skopzischen  Traditionen  bildet  die  Annahme,  dass 
die  erwartete  zweite  und  letzte  Erscheinung  Christi  auf  Erden  erfolgt  sei 
und  der  Heiland  durch  sein  abermaliges  Leiden  die  Menschheit  bereits  er- 
löst habe.  Diesen  nun  abermals  anthropomorphisirten  Gott  hat  die  Kaiserin 
Elisabeth  PetrowDa,  als  sie  noch  Jungfrau  war,  nach  einer  Verkündigung  des 
Johannes  Theologus  vom  heiligen  Geiste  empfangen.  Derselbe  gelangte 
später  unter  dem  Namen  Peters  IIL  Fedorowitsch  auf  den  russischen  Thron. 
In  Betreff  der  Details  dieses  die  offenkundigsten  geschichtlichen  Thatsachen 
leugnenden  Unsinns  gieht  es  verschiedene  Variationeu.  Nach  der  am  meisten 
unter  den  Skopzen  verbreiteten  Annahme  wurde  die  Kaiserin  Elisabeth  in 
Holstein  entbunden,  und  als  sie  nach  Russland  gekommen  war,  führte  sie, 
da  sie  zu  einem  heiligen  Leben  bestimmt  war,  nur  zwei  Jahre  die  Regierung. 
Andere  glauben,  dass  sie  gar  nicht  selbst  geherrscht,  sondern  den  Thron 
einer  ihr  an  Leib  und  Geist  vollkommen  ähnlichen  Person  überlassen,  sich 
nach  dem  Gouvernement  Orel  begeben,  als  ein  ganz  einfaches  Frauenzimmer 
unter  dem  Namen  Akulina  Iwanowna  bei  einem  der  Skopzensekte  angehöri- 
gen  Bauern  gelebt  und  den  Rest  ihres  Erdenwallens  in  Gebet.  Fasten  und 
Wohlthun  zugebracht  habe.  Nach  ihrem  Tode  sei  sie  in  dem  zu  dem  Hause 
gehörigen  Garten  begraben  worden,  wo  ihre  Reliquien  noch  verborgen  seien. 

Diese  Akulina  Iwanowna  wird  nun  von  den  Skopzen  als  die  wahre 
Mutter  Gottes  verehrt. 

Nach  der  Meinung  anderer  Skopzen  wurde  die  Kaiserin  Elisabeth  Pe- 
trowna  in  Russland  entbunden  und  ihr  Sohn,  der  spätere  Kaiser  Peter  III., 
gleich  nach  der  Geburt  nach  Holstein  geschickt,  wo  er,  noch  im  Knabenalter 
stehend,  verschnitten  wurde.  Als  er  sich  später  mit  Katharina  verheirathete, 
und  diese  seine  Untauglichkeit  für  das  eheliche  Leben  erkannte,  erfasste  sie 
der  grimmigste  Hass  gegen  ihn,  und  sie  beschloss,  ihn  zu  tödten.  Die  Ge- 
legenheit dazu  bot  sich  gleich  nach  der  Thronbesteigung  Peters  dar.  Nach- 
dom Katharina  die  Grossen  des  Reiches  für  sich  gewonnen,  wollte  sie  ihren 
Plan  zur  Ausführung  bringen,  während  der  Kaiser  noch  im  Palais  von 
Ropscha  residirtc.  Peter  hatte  jedoch  von  der  ihm  drohenden  Gefahr  Kennt- 
niss  erhalten;  er  bestach  die  Schild  wache,  tauschte  mit  derselben  die  Kleider 
und  entfloh.  Statt  seiner  wurde  der  Soldat  ermordet.  Andere  behaupten, 
dass  dieser  Soldat  selbst  Skopze  gewesen  sei  und,  da  er  in  dem  Verfolgten 
seinen  Erlöser  erkannt,  freiwillig  das  Märtyrerthum  übernommen  habe.      Der 


Die  Skopzeiisekte  in  Russlaiid.  45 

Irrthura  wurde  zwar  bald  entdeckt,  der  ermordete  Soldat  nichts  desto  weniger 
unter  dem  Namen  des  Kaisers  bestattet. 

Die  weiteren  Slvopzeu-Legendeu  stimmen  darin  überein,  dass  Peter  Fe- 
derowitsch  drei  Tage  lang,  ohne  Speise  zu  finden,  umhergeirrt  sei,  sich  dann 
bei  Kolonisten  verborgen  iiabe  und  endlich  nach  Moskau  gelangt  sei,  wo  er 
seine  Lehre  zu  verkündigen  begonnen.  Darauf  habe  er  ganz  Kussland  und 
verschiedene  andere  Länder  durchwandert,  wobei  ihn  der  „Täufer",  den  einige 
Skopzen  Graf  Alexander  Iwanowitsch  nennen,  während  andere  ihn  für  den 
Fürsten  Daschkow,  den  Reisegefährten  Feters  IIL,  halten,  begleitet  habe. 
Ueberall  habe  er,  zahlreiche  Wunder  verrichtend,  verkündigt,  er  sei  der 
wahre  Christus  und  das  Skopzeuthum  das  einzige  Mittel  zur  Erlangung  des 
himmlischen  Reiches.  In  Tula  angekommen,  sei  er  mit  dem  „Täufer"  zu- 
sammen ergriöen,  verurtheilt,  im  Dorfe  Ssosnowska  (im  Gouvt.  Tambow, 
Kreis  Morschansk)  mit  der  Knute  bestraft  und  er  selbst  nach  Sibirien  ver- 
bannt, der  „Täufer"  aber  in  die  Festung  von  Riga  geschickt  worden.  Auf 
dem  Wege  in  die  Verbannung  habe  der  mit  dem  Christus  zusammengekettete 
Räuber  Jwan  Blocha  allerlei  Muthwillen  getrieben,  sich  später  aber  durch  die 
unerschöpfliche  Geduld  der  Gepeinigten  überzeugt,  dass  derselbe  wirklich 
„Gottes  Sohn"  sei.  Dieser  Blocha  heisst  in  Folge  dessen  bei  den  Skopzen 
„der  erste  Bekenner*'. 

Die  Skopzen  haben  eine  vollständige  Beschreibung  des  Lebens,  der 
Lehre  und  der  Leiden  ihres  Christus,  welche  sie  „Sstrady"  (Leiden,  Passion) 
nennen.  Es  wird  darin  von  seiner  Gefangennahme  in  Tula  und  seiner 
öffentlichen  Züchtigung  mit  seinen  eigenen  Worten  in  der  den  Skopzen  eigen- 
thüralichen  Weise  und  Vorliebe  für  Diminutiven  berichtet.  Unter  Anderem 
heisst  es:  „Und  da  nahmen  sie  mich  und  fingen  eine  grosse  Untersuchung 
mit  mir  an  und  rissen  mir  den  Mund  auf  und  sahen  mir  in  die  Ohren  und 
in  die  Nase  und  sagten:  Sehet  überall  nach,  er  hat  irgendwo  Gift.  Und  sie 
stellten  grosse  Nachforschungen  an,  fanden  aber  nichts.  Sie  spien  mir  ins 
Gesicht  und  nannten  mich  einen  grossen  Hexenmeister,  und  Alle  peinigten 
mich  und  schlugen  mich  ohne  Erbarmen  mit  dem,  was  jedem  in  die  Hände 
fiel,  und  da  beträufelte  manmii'  das  Köpfchen  mit  geschmolzenem  Siegellack  und 
schmiedete  mich  noch  fester  an  die  Mauer.  Und  es  wurde  ein  strenger  Befehl 
gegeben,  dass  Niemand  mir  nahe  kommen  und  auch  das  Essen  nicht  briqgen 
sollte.  Das  Brod  gab  man  mir  auf  einer  Stange  und  das  Essen  mit  einem 
1^  Arschin  langen  Löffel.  Und  sie  sprachen:  Füttert  ihn,  aber  fürchtet  ihn; 
gebt  ihm  Alles,  aber  wendet  auch  ab,  damit  er  nicht  auf  Jemand  blase  oder 
sehe-  Gewiss  ist  er  ein  grosser  Hexenmeister  und  Verführer ;  er  kann  Jeden 
verführen;  (;r  könnte  euch  den  Zar  verführen,  wie  viel  mehr  euch.  Und 
man  nannte  mich  einen  Zauberer,  wie  man  auch  den  Flenn  genannt  hat. 
Dann  führte  man  mich  von  Tula  nach  Tambow.  Es  war  da  eine  unzählbare 
Menge  Volkes.  Der  schalt  mich,  der  spie  nach  mir,  und  man  beschimpfte 
mich  auf  jede  Art.     Aber  mein  Väterchen  befahl  mir,    alles  das  mit  Freuden 


46  Die  Skopzensekte  in  Russland. 

hinzunehmen,  nicht  für  mich  selbst,   sondern  für  meine  Kinderchen    und    zur 
Erlösung  von  den  Sünden.     Meine  Kinderchen  standen,  weinten  und   beglei- 
teten mich.     Man  führte  mich  nach  Tambow  und  warf  mich  in  einen  Kerker, 
in  dem  ich  zwei  Monate  blieb.     Und  darauf  erhielten   sie   den   Befehl,    mich 
hart  zu    bestrafen,    ohne   Erbarmen,   stärker    und   stärker,    nur   dass   sie   mich 
nicht    zu   Tode   schlügen.      Und   sie    führten    mich   unter    grosser    Bedeckung 
zur  Bestrafung  nach  Ssosnowka.      Und  da  folgte  man  mir  in  dichten  Schaa- 
ren.     Die  Soldaten  hatten  blanke  Schwerter  und    die   Bauern   Stöcke   in    den 
Händen.     Und  da  kamen  mir  die  Kinderchen  aus  Ssosnowka  entgegen,  wein- 
ten und  jammerten  und  sprachen:    Da   führen   sie  unser  leibliches  Väterchen. 
Und  zu  derselben  Zeit  erhob  sich  ein  grosser  Sturm,    und  es  war  ein  Brau- 
sen in  der  Luft,    und  auf  dreissig   Faden    war   nichts   zu    sehen.      Und    mau 
brachte    mich    nach   Ssosnowka,   bestrafte   mich    mit   der   Knute    und    schlug 
lange  Zeit,  wie  es  noch  keinem   Menschen    geschehen    war.     Und   es    wurde 
mir  sehr  übel,  und  ich  bat  alle  Treuen    und    Gerechten:    0,   ihr   Treuen    und 
Gerechten,  erbarmet  euch  meiner  und  helfet  mir  diese  furchtbare  Strafe  über- 
stehen!    0  mein  himmlischer  Vater,  lass  mich   nicht    ohne    deine    Hilfe    und 
hilf  mir,  alles  mir  von  dir  Bestimmte  mit  meinem  Körper  aushalten!     Wenn 
du  hilfst,  dann  gehe  gegen  die  böse  Schlange  und  vertilge  vollends  alle  Un- 
reinheit.    Da  wurde  mir  leichter,  und  da  kam  auch  zur  rechten  Zeit  der  Be- 
fehl, dass  man  mich  nicht  zu  Tode  schlagen  sollte.      Und    sie    hielten    mich 
auf  Befehl  der  Judäer,    und  von  meinen   Kinderchen    war    Iwanuschka    statt 
eines  Baumes  und  Ulianuschka  hielt  mir  das  Köpfchen.       Und    mein    ganzes 
Hemde  war  von  oben  bis  unten  blutig,  so  wie  in  Beerensaft  getaucht.      Und 
meine  Kinderchen  erbaten  sich  dieses  Hemde    für    sich    und    zogen    mir    ihr 
weisses  an.     Ich  sagte  ihnen,    dass    ich    sie    mit    Allen    wiedersehen    werde. 
Und  mir  wurde  sehr  übel  und  weh.      Und    ich    bat    um    ungerahmte    Milch; 
aber  die  Bösen  sagten  zu  mir:    Da,  er  will  sich  noch    heilen!    Dennoch    er- 
barmten sie  sich;  sie  holten  die  Milch    und    gaben    sie    mir.      Und    wie    ich 
trank,  wurde  mir  leichter,  und  ich  sagte:    Ich  danke  dir,    Gott!      Bald    wird 
in  Ssosnowka  auf  der  Stelle,  wo  man  mich  geschlagen  hat,    eine  Kirche    er- 
baut werden.     Und  damals  waren  meine   Kinderchen    noch    arme    Menschen. 
Aber  ich   sagte    ihnen:    Bewahret    nur    die    Reinheit,    dann    werdet   ihr   von 
Alloni  genug  haben,  vom   Verborgenen  und   vom  Sichtbaren ;  mit  Allem  wird 
euch  mein  himmlischer  Vater  belohnen  und  euch  mit  einer    Mauer-  umgeben, 
so  dass  der  Unreine  nicht  zu    euch    kommen    kann;    und    andere    Propheten 
empfanget  nicht  bei  euch.     Von  Ssosnowka    führte    man    mich    mich  Irkutsk. 
Man  setzte  mich  auf  einen  Wagen,  schmiedete  mich  mit  Händen  und  Füssen 
an  die  beiden  Seiten  desselben  und  mit  dem  Halse    an    ein    Brett.     Und  da 
befahl  der  Böse  den   Unreinen:    Sehet,    lasset    ihn    nicht    los!      Ein    solcher 
Mensch  war  noch  nicht  und  wird  auch  nicht  wieder  sein:    er  betrügt   Jeder- 
inaiiii.      Und  luan  führte  mich  mit  grosser  Bedeckung,    die    blosse   Schwerter 
hatte,   und  (be   Bauern  hatten  Knüttel  in  den  Händen,  und  die  Weiber  beglei- 


Die  Skopzensekte  in  Russland.  47 

teten  uns  von  Dorf  zu  Dorf.  Zu  derselben  Zeit  hatten  sie  auch  Pugatschew 
ergriffen,  und  er  begegnete  mir  auf  dem  Wege.  Viele  Schaaren  führten,  ihn 
und  hielten  strenge  Wache,  aber  mich  führten  zweimal  mehr  und  man  war 
sehr  strenge.  Und  da  gingen  die,  welche  mich  führten,  mit  iiim,  und  die, 
welche  ihn  führten,  mit  mir." 

Nach  der  Schilderung  seiner  Leiden  auf  dem  Transport,    die    in    allerlei 
Misshandluiigen  und  in  der  Beraubung  der  40  Rubel,  die  ihm  „seine  Kinder- 
chen" in  die  Kleider  genäht  hatten,  bestanden,  fährt  er  fort:    „Nachdem    ich 
in  Irkutsk  angekommen,  lebte  ich  lange  Zeit   daselbst    und    sah    im    Traume 
die  Kinderchen  von  Ssosnowka;  ich  sah,  wie  die  Unreinen  mein    Schiff    um- 
werfen wollten,  und  wie  ich  mit  meinem  Mütterchen  Akulina  Iwanowna   und 
meinem  Söhnchen    Alexander  Iwanowitsch  umherging,    um  die  Pfeiler  wieder 
aufzurichten.     Und  fünf  Jahre  hörte  ich  nichts  von  ihnen  und  sie  nichts  von 
mir,  und  sie  wussten   nicht,    wo    ich    mich    befand.      Aber    Gott    begeisterte 
mein  Töchterchen  Anna  Ssafonowna,  welcher  der  Geist  offenbarte,    wie  man 
ihren  Vater-Erlöser  finden  könnte,   und    wen    von    den    Kinderchen    man    zu 
ihm    schicken    sollte.      Und    endlich    beauftragte    Gott   mit    seiner    Sendung 
Aleksei  Tarassitsch  und  Mark  Karpo witsch.     Und  es  sprach  mein  Geist,  der 
Gesandte  meines  Vaters,  durch  den  Mund  der  Anna  Ssafonowna:  Ziehet   hin 
in  die  Stadt  Irkutsk  und   suche    dort    unser    Väterchen    auf,    welches    in    die 
Gefangenschaft  geschickt  ist.      Sie    antworteten    ihr:    Wie    sollen    wir    dahin 
ziehen,  und  wie  sollen  wir  ihn  finden?      Aber  sie  sprach  zum  zweiten  Male 
nach  dem  Ratbschlusse  Gottes:    Geht!    ausser   euch    kann    es    Niemand;    ilu- 
werdet  ihn  nicht  finden,  sondern  er  wird  euch  finden.     Und    hierauf    beteten 
sie  und  sammelten  Geld  von  der  ganzen  Gemeinde  für   mich  zur    Reise    und 
Säumeten  nicht.     Nachdem  sie  gesegnet  worden,  reisten  sie  nach  Irkutsk  ab. 
Und  als  sie  dort  angekommen    waren,    brachten   sie   die   Pferde   im   Posthofe 
unter  und  sprachen  unter  sich:    Was  werden   wir  nun   anfangen?      Und    sie 
dachten,  auf  den  Markt  zu  gehen;    aber  ich  ging    damals   mit  einer   Schüssel 
in  der  Stadt  umher  und  sammelte  Geld  für  den  Bau   einer   Kirche    und    sah 
sie  und  trat  zu  ihnen  und  .--agte:     Guten  Tag!    seid  ihr  denn   nicht  Russen? 
Da    erkannten    sie   mich   und   vergossen    bittere    Thränen.      Seid    still,    sagte 
ich,  seid  still !  und  geht  in  den  Posthof;  ich  werde  zu  euch  kommen  und  mit 
euch  sprechen." 

Es  wird  nun  noch  berichtet,  wie  die  Sendboten  ihn  aufgefordert,  mit 
ihnen  zurückzukehren.  Er  ging  jedoch  nicht  darauf  ein,  weil  „sein  himmlischer 
Vater  ihm  befohlen,  nicht  zurückzukehren,  sondern  zu  weinen."  Er  kün- 
digte ihnen  noch  einen  Ueberfall  durch  Riiuber  auf  ihrem  Rückwege  an,  der 
denn  auch  wirklich  stattfand. 

Wir  haben  diesen  blühenden  Unsinn  als  Probestück  aus  dem  hauptsäch- 
lichsten Erbauungsbuche  der  Skopzen  mitgetheilt;  alx'f  für  Analphabeten, 
wie  es  diese  Leute  meistens  sind,  thut  das  nicht  mindere  Wirkuug  als  die 
Lebende  von  der  stigmatisirteu  Louise  Lateau  unserer  Tage. 


48  Die  Skopzensekte  in  Russland. 

Wir   nehmen    unsere    Schilderung    der    Skopzen-Traditioneu    bei    einem 
merkwürdigen  Wendepunkte  in  denselben  wieder  auf. 

Kaiser  Paul  hatte  von  einem  durch  ihn  aus  Sibirien  befreiten  Skopzen, 
den  Moskauer  Kaufmann  Massonow,  erfahren,  dass  Kaiser  Peter  III.  noch 
lebe  und  unter  dem  Namen  Sselivvanow  in  der  Verbannung  schmachte.  Die- 
ser Sselivvanow  wurde  nun  zurückberufen  und  zum  Kaiser  gebracht.  Das 
Gespräch,  welches  dieser  letztere  mit  ihrem  Christus  geführt,  kennen  die 
Skopzen  Wort  für  Wort,  und  sie  überliefern  es  einander,  wie  ein  besonderes 
Ileiligthum.  Der  zurückberufene  Verbannte  nennt  sich  ohne  Weiteres  den 
Vater  des  Kaisers  und  fordert  von  diesem,  dass  er  sich  sofort  verschneiden 
lasse.  Du  Paul  diese  Zumuthung  zurückweist,  S3,gt  er  ilim  sein  baldiges 
Ende  voraus  und  schliesst  mit  den  Worten:  „Ich  werde  mir  einen  Diener 
erwählen,  der  als  Gott  in  unserem  Kreise  herrschen  soll,  und  die  irdische 
Gewalt  werde  ich  einem  milden  Kaiser  übergeben.  Ich  werde  mit  dem  Throne 
und  den  Palästen  Alexander  begnadigen;  der  wird  treu  regieren  und  der 
Gewalt  keinen  Raum  geben  u.  s.  w." 

Hierauf  wurde  der  Erlöser  als  Pensionär  in  ein  Armenhaus  gebracht, 
der  mit  ihm  zugleich  befreite  „Täufer"  nach  der  Festung  Schlüsselburg  ge- 
schickt. Der  erstere  wurde  jedoch  bald  befreit  und  lebte  nun,  seine  Lehre 
verbreitend,  in  Petersburg  bis  zum  Jahre  1820,  zu  welcher  Zeit  er  nach 
Ssusdal  ins  Kloster  geschickt  wurde. 

Aus  diesem  Verbannungsorte  wird  der  Messias  in  erneuerter  Herrlichkeit 
und  Machtfülle  hervorgehen,  die  ganze  Welt  mit  dem  Lichte  seiner  Lehre 
erleuchten,  den  russischen  Tlu'on  in  Beschlag  nehmen,  die  Skopzen  aus  der 
Verbannung  und  von  jeder  Bedrückung  befreien  und  in  St.  Petersburg  das 
aligeoieine  Weltgericht  eröffnen. 

Viele  Skopzen  erwarten  übrigens  die  Ankunft  des  Erlösers  aus  Irkutsk, 
stimmen  aber  sonst  in  der  Schilderung  seiner  Thateu  mit  den  anderen 
überein. 

Dann  werden,  so  singen  die  Skopzen  in  ihren  geistlichen  Liedern,  die 
irdischen  Herrscher  vor  ihm  niederfallen,  sich  seinem  mächtigen  Scepter 
unterwerfen,  ihn  als  Jesus  Christus,  den  wahren  Gottmenschen,  anerkennen 
und,  geängstigt  und  bekümmert  darüber,  dass  sie  ihn  unter  den  Sterblichen 
nicht  erkannt  haben,  um  1  lerabscndung  der  Gnade  der  Kastriruug  flehen, 
die  ihnen  denn  auch  gnädigst  gewährt  werden  soll.  Das  jüngste  Gericht 
wird  gemeinschaftlich  füi'  die  Lebendigen  —  die  Verschnittenen  —  und  die 
Todten  —  die  Nichtvcrschnitteuen  —  sein.  Aber  auch  hier  wird  der  skop- 
zische  Richter  noch  seine  unerschöpfliche  Gnade  zeigen;  denn  in  alle  Enden 
der  Welt  wird  er  Apostel  und  Propheten  schicken,  welche  die  wahre  Lehre 
verbreiten  sollen,  „und  in  jedem  Lande  wird  er  ein  Weizenkörnchen  säen, 
und  j(!des  Körnchen  wird  Weizen  zur  Fracht  für  30  Schiffe  geben." 

Nach  Vollbringung  des  Erlösungswerkes  wird  (U'V  Heiland  eines  natür- 
lichen Todes  sterben  und  sein  Körper  im  Alexauder-Newski-Kloster   in    dem 


Die  Skopzensekte  in  Russland.  49 

Keliquienschrcin  des  Heiligen  Alexander-Nevvski  aufbewahrt  werden.  Denn 
die  Ueberreste  des  letzteren  befinden  sich  nicht  melir  in  dem  Schreine; 
dieser  ist  vielmehr  durch  die  Fügung  Gottes  und  die  Blindheit  der  Ungläu- 
bigen zur  Aufnahme  der  Ueberreste  des  Erlösers  vorbereitet  worden. 

Hiernach  wird  diese  Welt  für  alle  Ewigkeit  bestehen,  und  die  Erde 
wird  ein  Paradies  sein,  wie  sie  es  bei  den  ersten  Menschen  vor  dem  Sün- 
denfall war.  Dann  wird  alle  Unsauberkeit,  d.  h.  der  Fortpflanzungstrieb, 
ausgerottet  sein,  das  Menschengeschlecht  wird  sich  nur  durch  Küsse  ver- 
mehren, die  noch  Lebenden  werden  nicht  mehr  sterben,  sondern  in  Ewigkeit 
fortleben,  und  die  Seelen  der  verstorbenen  Skopzen  werden  sich  im  sieben- 
ten Plimmel  einer  ewigen  Glückseligkeit  erfreuen.  Die  Seelen  der  Sünder 
aber,  die  unverschnitten  gestorben  sind,  kommen  in  die  Hölle,  in  welcher 
ein  Feuerstrom  fliesst,  und  werden  daselbst  Martern  unterworfen,  die  jedoch 
nur  in  unaussprechlichen  Gewissensqualen  bestehen  sollen. 

Die  Skopzen  behaupten,  dass  die  von  den  Aposteln  gegründete  Kirche 
dieselbe  gewesen,  welche  auch  sie  anerkennen,  dass  aber  später  das  Skop- 
zenthum  vernichtet  und  die  Kirche  durch  den  Kaiser  Konstantin,  nachdem  er 
die  Taufe  angenommen,  ins  Verderben  gestürzt  sei. 

Dies  sind  die  Traditionen,  die,  einige  Variationen  ausgenommen,  allen 
Skopzen  gemein  sind.  Es  giebt  ausserdem  aber  noch  minder  wichtige  Fabeln 
von  grösserer  oder  geringerer  Verbreitung.  So  wird  oft  ein  Graf  Iwan 
Gregorjewitsch  Tschernyschew  als  ihr  „erster  Prophet"  genannt.  Napoleon  I. 
soll  der  Antichrist  gewesen  sein,  aber  nachdem  er  Busse  gethan  und  sich 
zum  Skopzenthum  bekehrt,  noch  heute  irgendwo  in  der  Türkei  leben.  Man 
erzählt  auch,  er  sei  eigentlich  ein  geborener  Russe  und  zwar  ein  Sohn  der 
Kaisei'in  Katharina.  Der  Kaiser  Alexander  I.  und  dessen  Gemahlin,  die 
Kaiserin  Elisabeth  Alexejewna,  sollen  auch  noch  leben,  sich  aber,  nachdem 
sie  die  Verschneidung  angenommen,  noch  verborgen  halten.  Den  Kaiser 
Alexander  zählen  sie  gern  ihrer  Sekte  bei,  weil  er  sie  seit  dem  Jahre  1809 
beständig  beschützt  haben  soll  und  auch  ihr  Christus  ihm,  wie  in  den 
„Sstrady"  erzählt  wird,  seine  Gnade  in  Aussicht  gestellt  hatte. 

Aus  der  Untersuchung,  welche  im  Jahre  1839  über  die  in  Kronstadt 
entdeckten  Skopzen  gefüiirt  wurde,  geht  hervor,  dass  sie  zwar  auch  eine 
Akulina  Iwanowna  als  Mutter  Gottes  verehrten,  es  war  dies  aber  nicht  die 
Kaiserin  Elisabeth  Petrowna,  sondern  eine  Hofdame,  welche  am  Hofe 
Peters  HI.  gelebt  hatte. 

Uebrigens  kennt  nicht  jeder  Skopze  den  ganzen  Legendenschatz.  Es 
scheint,  dass  dieser  nur  den  höhereu  Graden  der  Eingeweihten  vollständig 
mitgetheilt  wird.  Nach  der  Aussage  eines  Skopzen,  des  Stabskapitäus  Sso- 
sonowitsch,  erfreuen  sich  solcher  Gunst  nur  die  in  der  Sekte  Bestätigten, 
d.  h.  diejenigen,  die  derselben  10  oder  15  Jahre  angehört  haben. 

Diesem  ganzen  Wust  von  Erfindungen  fanatisirter  Phantasten  ist  eine 
solche  Monge  historischer  Namen  beigemengt^    dass  die  Frage  nahe  liegt,    ob 

^eitaclirift  für  Etliuolo-ie,  Jahrgang  lS7j,  4 


50  r>ie  Skopzensekte  in  Russland. 

nicht  doch  irgendwo  ein  Zusaiurneuhaug  mit  historischen  Thatsachen 
zu  entdecken  wäre.  Die  aogestellten  Forschungen  haben  denn  auch  nähereu 
Aufschluss  hierüber  gegeben  und  wirkliche  Ereignisse  aufgefunden,  welche  man 
im  Zusammenhange  bis  zum  Jahre  1715  hiiuiuf  verfolgen  kann.  Die  um  diese 
Zeit  erfolgte  Entdeckung  der  Chlystensekte  steht  nämlich  im  engsten  Causal- 
nexus  mit  der  im  Jahre  1733  in  Moskau  entdeckten  ähnlichen  Sekte,  und 
^on  der  Nonne  Akulina  Iwanowna,  welche  diese  Ketzerei  begründete,  reichen 
die  Fäden  bis  auf  den  Pseudo-Erlöser. 

Diese  Akulina  ist  keine  mythische  Person,  sondern  hat  sich  einer  wirk- 
lichen Existenz  erfreut;  denn  sie  wird  in  der  Verordnung  des  heiligen 
Synods  vom  7.  August  1734  ausdrücklich  unter  der  Zahl  der  Personen  ge- 
nannt, die  1733  von  der  geheimen  Kanzlei  verurtheilt  worden  waren.  Jeden- 
falls ist  es  dieselbe  Person,  deren  Theophilaktus  Lopatinski  in  seinem  Buche 
„Oblitschenije  nepräwdy  raskolnitscheskija"  (Darstellung  der  ketzerischen 
Irrlehre)  erwähnt,  und  von  welcher  er  sagt,  sie  habe  die  Sekte  „Akuli- 
nowschtschina"  gegründet,  deren  Mitglieder  die  äusserste  Ausschweifung  und 
Schwelgerei  als  erstes  Gesetz  anerkannt  hätten. 

Ausgiebiger  als  in  diesem  Falle  sind  die  Forschungen  in  Betreff  dessen 
gewesen,  was  in  dem  Leben  des  Pseudo-Heilands  als  historisch  bezeichnet 
werden  kann,  obgleich  diese  Untersuchungen  dadurch  sehr  erschwert  wurden, 
dass  derselbe  nicht  bei  allen  seinen  Anhängern  unter  demselben  Namen  bekannt 
ist.  Viele  nennen  ihn  Kondratij,  Andere  Andrej,  noch  Andere  Fomuschka,  Iwa- 
nuschka  etc.  Durch  authentische  Aktenstücke  wird  indessen  Folgendes  fest- 
gestellt: Im  Jahre  1770  oder  1771  kamen  zwei  Landstreicher,  welche  sich 
für  Kiew'sche  Mönche  und  Einsiedler  ausgaben  und  sich  Andrej  und  Kon- 
dratij nannten,  zu  dem  im  Kreise  Alexin  (im  Gouvt.  Tula)  ansässigen  Kauf- 
mann Lugannikow  und  verleiteten  den  Bauern  Jemeljan  Retiwow,  der  bereits 
Chlyste  w^ar,  zur  Verschneidung.  Dieser  Fall  bildet  das  erste  erwiesene 
Beispiel  des  Ueberganges  von  der  Chlystowschtschina  zum  Skopzenthum. 
lletiwow  ging  später  nach  dem  Gouvt.  Tambow  und  verleitete  mehrere  Be- 
wohner des  Dorfes  Ssosuowka  zum  Uebertritt,  unter  ihnen  auch  den  Bauern 
Ssafon  Popow,  dessen  Sohn  Uljan  und  den  Bauern  Iwan  Prokudin.  Die 
l)eiden  letzteren  sind  die  in  dem  „Sstrady"  erwähnten  Uljanuschka  und  Iwa- 
nuschka,  die  dem  niartyrisirten  Erlöser  das  „weisse  Hemd"  gaben.  Die  Tochter 
des  Bauern  Ssafon  Po|)ow,  die  Anna  Ssafonowna,  welche  den  „Sstrady"'  zu- 
folge die  Boten  nach  Irkutsk  schickte,  ist  gleichfalls  als  eine  wirkliche  Per- 
son anzu(Ml<ennen,  denn  si(!  lebte  noch  1844,  00  Jahre  alt,  in  Morschansk, 
wo  sie  noch  die  „Skojizenprophetin"  genannt  wurde.  Ihre  jüngere  Schwester 
Jcwfrossinija  (Euphrosync)  h;bte  noch  in  den  50er  Jahren  unter  den  St.  Pe- 
tersburger Skopzen  und  eri'reute  sich  eines  hohen  Ansehens.  Sie  soll  mit 
dem  skopzischen  Kaufmann  Kosstrow,  von  dem  noch  die  Rede  sein  wird, 
verheirathet  gewesen  sein. 

Später  zogen  auch  Andrej   und  Kondiatij  nach  Ssosnowka,    richteten    im 
Hause  Popow's  den  Versammlungsort  der  Glieder  der    Sekte    ein    und    ver- 


Die  Skopzensekte  in  Russlaud.  51 

sclinitten  in  kui/er  Zeil  über  200  Mensclieii,  unter  Anderen  uucli  den  Dia- 
kon iis  und  den  Küster  der  dortigen  Kirche.  Auf  eine  Anzeige  des  Geistlichen 
von  Ssosnowka  wurde  daselbst  im  Jahre  J775  eine  strenge  Untersuchung 
geführt.  Die  der  Theiluahiue  an  der  Sektirerei  Ueberführten  wurden  hart 
bestraft  und  nach  Sibirien  verbannt,  unter  ihnen  auch  Andrej.  Koudratij 
war  zwar  entflohen,  aber  auch  in  contumaciam  verurtheilt  worden.  Da  man 
ihn  später  in  Tichwin  ergriü,  transportirte  man  ihn  über  Tula  und  Tambow 
nach  Ssosnowka,  wu  er  gleichfalls  mit  Knutenhieben  bestraft  und  dann  nach 
Sibirien  abgeführt  wurde.  Dies  ist  nun  der  Pseudo-Peter  und  der  Pseudo- 
Christus, dessen  eigentlicher  Name  Kondratij  Sseliwanow  ist,  ein  einfacher 
Bauer  aus  dem  Dorfe  Sstolbowo  im  Gouvt.  Orel. 

Aus  authentischen  Dokumenten  ergiebt  sich  ferner,  dass  der  den  Erlöser 
spielende  Sseliwanow  wirklich  auf  Grund  einer  Mittheilung  des  Moskau'schen 
Kaufmanns  Massonow  ')  durch  Kaiser  Paul  zurückberufen  wurde,  mit  dem 
Kaiser  eine  Unterredung  hatte,  aber  in  Folge  derselben  ins  Irrenhaus  ge- 
sperrt wurde.  Als  Kaiser  Alexander  später  einmal  das  Irrenhaus  besuchte 
und  Sseliwanow  daselbst  fand,  befahl  er,  denselben  in  das  Armenhaus  des 
Ssmolna-Klosters  zu  versetzen,  welchem  er  am  ü.  März  1802  übergeben  wurde. 
Durch  die  Verwendungen  und  Geldopfer  der  reichen  St.  Petersburger  Skop- 
zen  wurde  er  bald  darauf  auch  aus  dem  Armenhause  befreit,  bei  welcher 
Gelegenheit  eine  etwas  räthselhafte  und  verdächtige  Persönlichkeit,  der  Staats- 
rath  Eliansky,  ein  Pole  von  Geburt,  der  Hauptagent  der  Skopzen  gewesen 
zu  sein  scheint;  wenigstens  findet  sich  noch  ein  Betehl  des  St.  Petersbuji'ger 
Fürsorge-Komite's  vor,  durch  welchen  das  Armenhaus  angewiesen  wird,  den 
Kondratij  Sseliwanow  dem  Staatsrath  Eliansky  auszuliefern.^) 

Nun  lebte  SseliM'anow  in  den  Häusern  bekannter  Skopzen  und  zwar 
zuerst  bei  Nenasstjew,  dann  bei  Kosstrow  und  zuletzt  bei  Ssolodownikow.  •') 
Während  dieser  Zeit  bildeten  die  genannten  Häuser  eine  Art  heiliger  Her- 
berge, zu  welcher  zahlreiche  Anhänger  des  Skopzenheilandes  aus  "den  ent- 
ferntesten Provinzen  Russlands  herbeigeströmt  kamen,  um  seines  Anblicks 
und  Segens  gewürdigt  zu  werden.  Geschenke,  in  Geld  und  anderen  Gaben 
l)estehend,  ergossen  sich  wie  ein  Paktolus  über  ihn  und  bereicherten  in  kur- 
zer Zeit  die  Kasse  der  Herberge,  welche  der  Kaufmann  Ssolodownikow  ver- 
waltete.    Augenzeugen  berichteten,  dass  Sseliwanow  selbst    diese    Opfer    nie 


')  So  nennen  ihn  die  Siiopzen;  sein  eigentlicher  Name  ist  Fedor  Kolessnikow. 

*)  Wie  ein  späteres  Gerücht  verlautete,  ist  dieser  Eliansky  auch  nach  Sihirien  verbannt 
worden,  jedocli  nicht  wegen  Angelegenheiten  der  Sekte. 

^)  Das  Skoii/.entlnim  scheint  in  dieser  Familie  erblicii  zu  sein;  denn  der  Name  Ssolodow- 
nikow ist  in  ganz  letzter  Zeit  wieder  mehrfach  in  Verbindung  mit  der  Sekte  genannt  worden. 
In  dem' Prozesse  gegen  die  Aebtissiu  Mitrofanija  (Biironesse  v.  Rosen),  der  am  31.  Oktober  v.J. 
entschieden  wurde,  stellte  es  sich  heraus,  dass  der  verstorbene  Kaufmann  Manufakturrath 
Michael  Ssolodownikow  in  Moskau  mit  vielen  andern  Personen  in  die  Iliinde  dieser  Inlriguan- 
tin  gefallen  und  unter  dem  Vorwande,  ihn  vor  der  gerichtliciien  Verfolgung  wegen  seiner  Zu- 
gehörigkeit zur  Skopzeusekte  zu  befreien,  um  6i'0,UOO  Rubel  beschwiudelt  worden  war. 


52  I^i^  Skopzensekte  in  Russland. 

benutzt  habe;  die  ihn  umgebenden  dienenden  Brüder  scheinen  die  Gelegen- 
heit um  so  besser  ausgebeutet  zu  haben,  denn  einige  von  ihnen  gelangten 
bald  zu  bedeutendem  Wohlstande.  Noch  in  den  40er  Jaiiren  lebte  in  St. 
Petersburg  der  Bürger  Choroschkejew,  welcher  sich  einer  solchen  Gunst  bei 
Sseliwanow  erfreut  hatte,  dass  dieser  letztere  nur  den  von  ihm  Begünstigten 
zugänglich  war. 

In  dem  Hause  Kosstrow's  befand  sich  der  hauptsächlichste  Versamm- 
lungs-  und  Betsaal.  Derselbe  lag  ziemlich  versteckt,  wie  denn  die  Skopzen 
überhaupt  alle  ihre  zu  gemeinsamer  Benutzung  bestimmten  Räume  so  ein- 
zurichten verstanden,  dass,  wie  sie  sagen,  „kein  Jude  und  kein  Pharisäer" 
mit  seinen  Blicken  oder  seinem  Gehör  eindringen  könne.  In  diesem  Saale, 
der  sehr  gross  war,  versammelten  sich  die  Skopzen,  hielten  daselbst  den 
Gottesdienst  in  ihrer  Weise  und  erwiesen  ihrem  Häresiarchen  göttliche  Ehren. 
Sobald  des  Nahen  desselben  angekündigt  wurde,  stürzten  die  versammelten 
Gläubigen  auf  die  Knie  und  begrüssten  seine  Ankunft  mit  der  Hymne: 
„Keich,  Du  Reich,  geistiges  Reich,  in  Dir,  im  Reiche  ist  grosse  Gnade;  die 
Gerechten  weilen  in  Dir."  Sseliwanow  erschien  gewöhnlich  in  einem  reichen 
seidenen  langen  Gewände,  mit  einer  Mütze  auf  dem  Kopfe  und  in  Saffian- 
stiefeln. Gravitätischen  Schrittes  stieg  er  zu  seinem  Thron  hinan,  der  sich 
auf  einer  Erhöhung  über  der  Scheidewand  befand,  welche  den  Saal  in  zwei 
Hälften,  eine  für  die  Männer,  die  andere  für  die  Frauen,  theilte.  Sitzend, 
oder  vielmehr  liegend,  von  Kissen  umgeben,  segnete  er  mit  beiden  Händen 
die  Gemeinde,  indem  er  erklärte,  dass  sie  sich  bei  dem  lebendigen  Gotte 
versammelt  hätte,  und  mit  den  in  gedehntem  Tone  gesprochenen  Worten 
schloss:  „Gnade,  Gnade!  Schutz,  Schutz!"  Dann  begannen  die  Andachts- 
übungen. Diese  Vorgänge  wurden  allgemein  bekannt,  denn  die  Skopzen  er- 
freuten sich,  da  man  sie  für  ungefährlich  hielt,  vollständiger  Duldung,  und 
sie  luden  sogar  hohe  Würdenträger  des  Reiches,  so  den  Grafen  Tolstoi,  den 
Fürsten  A.  P.  Golizyn,  den  Grafen  Miloradowitsch,  Hrn.  Balaschow  und 
selbst  den  Oberpolizeimeister  von  St.  Petersburg,  zu  sich  ein,  und  die 
Herren  hörten  ihren  Gesäugen,  Gebeten  und  Predigten  zu.  Freilich  hüteten 
sich  die  Skopzen  sehr,  das  sehen  zu  lassen,  was  als  gefährlich  hatte  erschei- 
nen können. 

Sseliwanow  liess  diejenigen  seiner  Anhänger,  welche  er  ihrer  Gaben  und 
Fähigkeiten  wegen  besonders  auszeichnen  wollte,  zu  sich,  in  seine  Wohnung 
im  oberen  Stockwerke  kommen,  wo  er  ihnen  kleine  hölzerne  Kreuzchen 
schenkte.  Hierdurch  erhielten  sie  den  Rang  eines  „Lehrers",  der  allein  das 
Recht  hatte.  Jemand  in  die  Sekte  einzuführen,  oder  die  Operation  des  Ver- 
schneidens  zu  vollziehen. 

Die  Pilger,  welche  zu  Sseliwanow  gewallfahrt  kamen,  erhielten  während 
ihres  Aufenthaltes  in  der  Hauptstadt  Wohnung  und  Unterhalt.  Unter  dem 
Scheine  des  Interesses  für  ihr  Wohlergeheu  wurden  sie  von  den  dienenden 
Personen  scharf  ausgefragt;  diese  berichteten,  was  sie  gehört,  au  Sseliwanow. 


Die  Skopzenselite  in  Russland.  53 

Wenn  dann  jene  Wallfalirer  vor  dem  Antlitz  ihres  Heilands  erschienen,  er- 
füllte er  sie  durch  die  Bekanntschaft  mit  ihren  persönlichen  Verhältnissen  mit 
staunender  Ehrfurcht.  Ein  solches  schlaues  Verfahren  verschaffte  ihm  bald 
den  Ruf  eines  allwissenden  Propheten,  der  sich  dann  auch  über  ganz  Kuss- 
land verbreitete. 

Alle  Skopzenlehrer  und  die  in  Gefängnissen  befindlichen  Brüder  empfingen 
oft  Geschenke  aus  St.  Petersburg.  Es  waren  dies  Pfeffernüsse,  Kringel,  ge- 
dörrte Fische,  Thee  u.  dgl.  m.  von  dem  Tische  ihres  Hauptes.  Diese  Gaben 
betrachteten  die  Empfänger  als  Heiligthümer,  welche  sie  unter  ihre  Genossen 
vertheilten  und  mit  der  grössten  Andacht  verzehrten,  ehe  sie  noch  etwas 
Anderes  genossen  hatten. 

Auch  gegenwärtig  noch  betrachtet  es  jeder  Skopze  als  unerlässlich,  irgend 
eine  Reliquie  seines  wie  ein  Dalai-Lama  verehrten  Propheten,  wie  einige 
Haare,  Stücke  abgeschnittener  Nägel,  ein  Gläschen,  mit  dem  Wasser  angefüllt, 
in  welchem  er  sich  gewaschen,  u.  dgl.  m.  neben  dem  Kreuze  auf  der  Brust  zu 
tragen.  Dergleichen  Sachen  sind  bei  den  Haussuchungen  und  Visitationen 
der  Personen  oft  mit  Beschlag  belegt  worden.  So  fand  man  z.  B.  im  Jahre 
1827  bei  der  Untersuchung  der  Zelle  der  Nonne  Paissija  sorgfältig  aufbe- 
wahrte Haare  und  Nägelschuitzel.  Dergleichen  und  andere  Sachen  entdeckte 
ma"n  auch  bei  der  Kaufraannsfrau  Podkatowa  und  ihren  Verwandten  in  Moskau 
und    bei    der    Untersuchung    des    Skopzen -Betsaales    in    St.    Petersburg    im 

Jahre  1842. 

Dieses  Treiben  der  Skopzen  dauerte  in  St.  Petersburg  volle  18  Jahre. 
Durch  die  ihnen  bewiesene  Nachsicht  und  Milde  kühner  gemacht,  wurden  sie 
eifriger  und  rücksichtsloser  in  ihrem  Bekehrungswerk,  w^ährend  ihnen  doch 
jede  Proselytenmacherei  strenge  verboten  war.  Sseliwanow  nannten  sie  fast 
öffentlich  Gottes  Sohn  und  Erlöser,  wie  sie  dies  auch  dem  Beamten  Popow 
gegenüber  thaten,  der  in  ihre  Herberge  geschickt  worden  war,  um  die  Wahr- 
heit der  bereits  auftauchenden  beunruhigenden  Gerüchte  zu  prüfen.  Das 
war  denn  doch  zu  viel,  und  die  Regierung  ergriff  nun  strengere  Massregeln. 
Als  aber  noch  der  abtrünnige  Skopze  Rasskasow  in  dem  „Reubriefe",  der  im 
Juni  1818  dem  Metropoliten  Michael  übergeben  wurde,  nähere  Angaben  über 
den  eigentlichen  Geist  der  Skopzenlehre  machte,  begaben  sich  der  General- 
gouverneur Graf  Miloradüwitsch  und  der  Ober-Polizeimeister  von  St.  Peters- 
burg zu  Sseliwanow.  Noch  einmal  wusste  die  oft  bewährte  Schlauheit  der 
Skopzen  den  Arm  der  weltlichen  Gerechtigkeit  abzuwenden,  indem  es  ihnen 
abermals  gelang,  ihr  Thun  und  Treiben  als  harmlos  zu  schildern.  Das  dauerte 
aber  nur  noch  kurze  Zeit.  Im  Juli  1820  wurde  der  Erlöser  Sseliwanow  plötz- 
lich ergriffen  und  zur  Busse  nach  dem  Kloster  in  Ssusdal  geschickt.  Hier 
lebte  er  jedoch  nicht  mehr  lange.  Durch  Alter  und  die  überstandenen 
Drangsale,  mehr  noch  vielleicht  durch  sein  späteres  Wohlleben  und  Nichts- 
thun  körperlich  zerrüttet,  unterlag  er  einem  hitzigen  Fieber.  Er  wurde  in 
der    Nähe    des    Klosters    begraben,   und  ein    einfacher    Grabhügel    ohne    allo 


54  D)'e  Skopzensekte  in  Russland. 

weitere  Bezeichnung  lässt  die  Statte  erkennen,  wo  der  kecke  Häretiker,  der 
den  N.tmen  seines  Kaisers  und  seines  Gottes  usurpirt  hatte,  den  ewigen 
Schhif  schläft. 

Der  Prior  des  Klosters,  der  zu  gewissen  Zeiten  Berichte  über  Sseliwanow 
einsenden  musste,  meldete  unterm  25.  August  1820  zwar,  dass  Sseliwanow 
gebeichtet  und  auch  das  Abendmahl  genommen  habe, -ob  dadurch  aber  ein 
aufrichtiger  Rücktritt  zur  orthodoxen  Kirche  erreicht  worden,  ist  um  so  mehr 
zu  bezweifeln,  als  kein  Mensch  einer  so  schmeichelhaften  Vorstellung,  wie 
sie  Sseliwanow  von  sich  haben  musste,  gern  entsagt  und  es  den  Skopzen  ja 
vollständig  freisteht,  die  äusseren  Gebräuche  der  orthodoxen  Kirche  mitzu- 
machen, ohne  dadurch  ein  Zeichen  des  Abfalls  von  ihrem  Glauben  zu  geben. 

Vielfach  hatten  die  Skopzen  den  Kaiser  mit  Bitten  um  Befreiung  ihres 
Häresiarchen  bestürmt,  und  auch  nach  seinem  Tode,  an  den  sie  nicht  glauben 
wollten,  liefen  noch  mehrere  Gesuche  ein. 

Nach  der  Mutter  Gottes  Akulina  Iwanowna  und  dem  Erlöser  Sseliwanow 
ist  der  Pseudo-Johannes  Alexander  Iwanowitsch  einer  der  Hauptheiligen  der 
Skopzen.  Durch  die  Aussagen  von  Personen,  die  denselben  persönlich  ge- 
kannt hatten,  und  die  über  ihn  vorhandenen  Dokumente  ist  erwiesen  worden, 
dass  dieser  Heihge  weder  ein  Graf,  noch  der  Fürst  Daschkow,  noch  —  wie 
Andere  glauben  —  ein  Ingenieur-Oberst,  sondern  ein  Bauer  aus  dem  Dorfe 
Masslowo  (im  Gouvt.  Tula),  Namens  Schilow,  war.  Er  war  wahrscheinlich 
einer  der  ersten,  die  Sseliwanow  im  Gouvt.  Tambow  bekehrte,  und  dies  er- 
klärt auch  den  engen  Zusammenhang,  den  die  Tradition  der  Skopzen  zwischen 
diesen  beiden  Menschen,  die  später  nie  mehr  zusammengetroffen  sind,  bestehen 
lässt.  Diese  Annahme  wird  auch  dadurch  erhärtet,  dass  Schilow  gleichzeitig 
mit  den  in  Ssosnowka  Verurtheilten  mit  Stockschlägen  bestraft  und  nach 
Dünamünde  geschickt  wurde.  Zur  Zeit  der  Thronbesteigung  des  Kaisers  Paul 
befand  er  sich  noch  in  Gefangenschaft,  aber,  wie  es  scheint,  nicht  allein  seiner 
Glaubensansichten  wegen,  da  alle  Gefangenen,  welche  wegen  Ketzerei  in 
Riga  Sassen,  durch  den  neuen  Kaiser  begnadigt  und  in  Klöster  geschickt 
wurden,  Schilow  aber  von  dieser  Amnestie  ausgeschlossen  blieb  und  mit 
sechs  anderen  Skopzen,  unter  denen  sich  auch  der  bereits  erwähnte  Mos- 
kau'sche  Kaufmann  Fedor  Kolessnikow  befand,  nach  Schlüsselburg  trans- 
portirt  wurde.  Diese  Ueberführung  fällt  in  der  Zeit  mit  der  Zurückberufung 
Sseliwanow's  aus  Sibirien  zusammen,  oder  hat  wenigstens  nicht  lange  vorher 
stattgefunden.  Mit  dieser  Zurückberumng  scheint  es  im  Zusammenhange  zu 
stehen,  dass  am  6.  Januar  1799  ein  Kourier  in  Schlüsselburg  erschien,  der 
Schilow  die  Freiheit  verkündigen  sollte;  dieser  war  aber  an  demselben  Morgen 
gestorben.  Nach  einigen  Tagen  erfolgte  der  kaiserliche  Befehl,  ihn  unter 
Beobachtung  der  Gel)räuche  der  Kirche  iiiul  nicht  als  Verbrecher  zu  begraben. 
Man  beerdigte  ihn  am  Fusse  des  Preobrashenski-Berges  an  der  Newa,  woher 
ihn  die  Skopzen  gern  Alexander-Newski  nennen.  Die  Skopzen  erzählen  auch, 
dass  sein  Körper    bei    der   im  Jahre  1802    erfolgten   Ueberführnng   noch   dem 


Die  Skopzensektü  ia  Russlaad.  55 

ganz  in  der  Nülic  betindlichen  Orte,  wo  er  gcgcnwiirtij,'  ruht,  noch  ganz  un- 
versehrt gewesen  sei.  Es  war  gar  nicht  so  viel  nothig,  um  ihm  den  Kut 
eines  ihrer  grossen  Heiligen  zu  geben.  Sein  Grab  steht  denn  auch  m  der 
allgemeinsten  Verehrung.  Die  Pilger  Mallfahrten  vun  allen  Seiten  herbei, 
und  um  diese  Stelle  auszuzeichnen,  erbaute  der  1844  in  St.  Petersburg  ver- 
storbene Skopze  Ehrenbürger  Borissow  im  Jahre  1818  eine  Kirche  auf  der- 
selben, welche  freilich,  da  eine  Skopzenkirche  einmal  nicht  denkbar  ist,  dem 
orthodoxen  Kitus  gewidmet  werden  musste. 

Schilow  nannte  sich  selbst  das  „liebe  Sühncheu  Sseliwanow's".  Und 
wirklich  geht  aus  der  Kronstädter  Untersuchung  vom  Jahre  183D  hervor,  dass 
unter  den  dortigen  Skopzen  der  Glaube  herrschte,  Peter  111.  Fedorowitsch 
habe  einen  Sohn  Alexander  Iwanowitsch  gehabt,  und  dieser  sei  in  Schlüssel  • 
bürg  bei  der  Preobrashenski-Kirche  begraben. 

Wir  gelangen  jetzt  zu  dem  dogmatischen  Theile  der  Skopzenlehren, 
bei  welchem,  da  er  von  dem  bereits  mitgetheilten  Fabelwesen  oft  gar  nicht 
zu  trennen  ist,  Wiederholungen  schwer  zu  vermeiden  sein  werden. 

Der  Sündenfall  bestand  nach  Ansicht  der  Skopzen  nicht  im  Genüsse 
der  Frucht  vom  Baume  der  Erkenntniss,  sondern  in  der  fleischlichen  Ver- 
einigung. Zur  Erlösung  der  Menschheit  verkündigte  daher  Jesus  Christus 
die  Lehre  von  der  Ver&chneidung.  Dieser  letzteren  unterzog  er  sich  selbst, 
welchem  Beispiele  die  Apostel  und  alle  ersten  Christen  nachfolgten.  Weich- 
lichkeit und  Schwcäche  veranlassten  später  die  Menschen,  von  diesem  Heils- 
wege abzuweichen,  und  sie  verfielen  in  Sünde.  Die  Hauptschuld  trägt  hierbei 
Kaiser  Konstantin  der  Grosse,  welcher  deshalb  auch  nicht  für  heilig  ge- 
halten wird. 

Da  Gottes  Sohn  das  Menschengeschlecht  nicht  zu  Grunde  gehen  lassen 
wollte,  erschien  er  abermals  auf  der  Erde,  um  die  wahre  Kirche  der  Gläubigen 
wieder  aufzurichten.  Er  erlitt  zwar  aufs  neue  das  Märtyrerthum ,  aber  er 
erneuerte  auch  die  Welt  durch  die  Verschneidung.  Diese  Erscheinung  des 
Heilands  ist,  wie  in  der  heiligen  Schrift  vorausgesagt  worden,  die  letzte. 
Für  die  „Wolken  von  Zeugen"  und  die  „heiligen  Engel«,  welche  nach  den 
Worten  des  Evangeliums  die  zweite  Erscheinung  Christi  begleiten  sollen, 
halten  die  Skopzen  sich  selbst.  Die  Leiden  und  den  Tod  Christi  bei  seinem 
ersten  Erscheinen  auf  Erden  fassen  sie  in  mehr  allegorischem  Sinne  aut. 
Sie  erkennen  auch  die  Auferstehung  des  Fleisches  des  Erlösers  nicht  au  und 
behaupten,  dass  er  nur  in  „seiner  Gottheit  und  deren  Vereinigung  mit  der 
menschlichen  Seele"  auferstanden,  sein  Körper  aber  nach  dem  allgemeinen 
Gesetze  der  Verwesung  der  Erde  verfallen  sei. 

Die  Skopzen  leugnen,  überhaupt  vollständig  die  Auferstehung  der  Leiber 
am  Ende  der  Welt.  Die  Qualen,  mit  denen  die  heilige  Schrift  den  Sündern 
droht,  werden  nur  geistiger  Natur  sein  und  in  Gewissensaugst  bestehen. 

Die  Welt  ist  von  ewiger  Dauer  und  ihre  Veränderungen -bestehen  nur 
in   dem  Wechsel    der  Lebensweise  der  Menschen-,    denn   schliesslich  werden 


56  Die  Skopzeusekte  in  Russland. 

alle  Menschen  Skopzen  sein  und  auf  der  in  ein  Paradies  verwandelten  Erde 
ein  Dasein  ewiger  Glückseligkeit  führen.  Die  bereits  verstorbenen  Skopzen 
erlangen  diese  Glückseligkeit  im  siebenten  Himmel,  in  dem  auch  Gott  wohnt. 

Die  heilige  Schrift,  die  kanonischen  Bücher  und  die  Schriften  der  Kirchen- 
väter erkennen  sie  nicht  an;  sie  nennen  alles  das  „todten  Buchstaben".  Von 
den  Evangelien  sagen  sie,  dass  sie  keineswegs  in  ihrer  jetzigen  Gestalt  ge- 
schrieben, sondern  später  verfälscht  worden  seien.  Als  richtig  betrachten 
sie  nur  die  wenigen  Stellen,  welche  die  Grundlagen  ihrer  Lehre  bilden. 
Nach  ihrer  Versicherung  befinden  sich  die  echten  Bücher  der  Bibel,  die  sie 
„Taubenbücher"  nennen,  in  der  Kuppel  der  Andreas-Kirche  auf  Wassili- 
Osstrow  in  St.  Petersburg.  Sie  haben  auch  keine  anderen  Gebete  als  ihre 
eigenen. 

Die  Skopzen  essen  überhaupt  nie  Fleisch,  sie  beobachten  aber  die  Fasten 
durchaus  nicht  nach  dem  orthodoxen  Ritus,  sondern  ganz  nach  ihrem  eigenen 
Belieben.  Besonders  strenge  fasten  sie  am  15.  September,  dem  Tage,  an 
welchem  ihr  Messias  in  Ssosnowka  die  Knutenstrafe  erlitt.  An  diesem  läge 
essen  sie  positiv  nichts.  Uebrigens  fasten  sie  auch  an  den  grossen  Kirchen- 
festen  der  Orthodoxen  mit,  da  sie  es  nicht  für  passend  halten,  sich  bei  den 
Katastrophen,  die  den  Heiland  der  andern  Menschen  betroffen  haben,  ableh- 
nend zu  verhalten. 

Im  Allgemeinen  betheiligen  sie  sich  aber  nur  aus  Klugheit  an  den  Ge- 
bräuchen der  orthodoxen  Kirche,  da  sie  dieselben  „pharisäisch"  und  „heid- 
nisch" und  die  Kirche  selbst  ein  „Ameisennest"  nennen.  Von  den  Heiligen 
derselben  erkennen  sie  nur  diejenigen  an,  welche  mit  einem  kurzen  und 
schwachen  Barte  gemalt  zu  werden  pflegen,  wie  z.  B.  den  heiligen  Nikolaus 
den  Wunderthäter  und  Philipp,  Metropoliten  von  Moskau,  die  sie  für  Skopzen 
halten.  Am  wärmsten  verehren  sie  ihre  eigenen  Heiligen:  Alexander  Iwano- 
witsch,  ihren  Johannes  den  Täufer,  einen  gewissen  Martynuschka,  den  Ge- 
fährten Sseliwanow's  in  der  Verbannung,  den  dieser  selbst  seinen  „Bruder" 
nennt,  den  Propheten  Philipp,  welcher  „kiihu  im  Worte  einherschritt",  den 
„göttlichen  Menschen"  Awerjan,  die  Prophetin  Anna  Ssafanowna  u.  a.  Die 
Gegenstände  der  glühendsten  Verehrung  sind  jedoch  Sseliwanow  oder  Peter 
Fedorowitsch  und  Akulina  Iwanowna,  zu  denen  sie  beständig  beten.  Jenen 
nennen  sie  den  „Gott  über  den  Göttern",  den  „Kaiser  über  den  Kaisern", 
den  „Propheten  über  den  Propheten".  In  einer  ihrer  Handschriften  heisst  es: 
„Es  ist  ein  einziger  Lehrer,  unser  Vater- Erlöser,  und  es  ist  Mütterchen 
Akulina  Iwanowna  und  auch  noch  Alexander  Iwanowitsch,  sonst  glaube  ich 
an  keinen".  An  einer  anderen  Stelle  derselben  Handschrift  wird  Sseliwanow 
„der  zweite  Sohn  Gottes",  „der  lebendige  Gott"  genannt.  Er  selbst  sagte 
stets  von  sich:    „Ich  bin  euer  wahrhaftiger  Christus". 

Bei  der  vom  Marine-Ministerium  in  Kronstadt  ausgeführten  Untersuchung 
über  die  Skopzen,  welche  unter  der  Leitung  ihres  Propheten,  des  Unter- 
lieutenants Zarenko,  standen,  zeigte  es  sich  jedoch,  dass  die  Kronstädt'schen 


Die  Skopzensekte  in  ßusslaud.  57 

Skopzen  die  GüUlicliUt-it  Cbribti  leuguctcu  und  ihn  nur  für  einen  der  gött- 
lichen Gnade  thcilhal'tig  gewordenen  Äleuschen  ansahen.  Sie  behaupteten, 
dass  diese  Gnade  nun  auch  auf  den  Kaiser  Peter  Hl.  übergegangen  sei. 

Die  Skop/.cn  haken  diejenigen  ihrer  Genossen,  welche  der  Sekte  die 
grössten  Dienste  geleistet,  d  h.  welciie  ihr  die  meisten  Älitglieder  zugeführt 
haben,  für  Heilige  und  Propheten.  Wer  10  oder  12  Proselyten  gemacht  hat, 
wird  zum  Apostel  erhöht.  Durch  den  Prozess,  der  im  Jahre  1822  im  Gouvl. 
Kursk  geführt  wurde,  ist  offiziell  erwiesen,  dass  jeder  in  die  Sekte  Aufge- 
nommene sich  durch  einen  furchtbaren  Eid  verbindlich  macht,  Andere  zu  be- 
kehren, und  dass  derjenige,  der  10  Proselyten  gemacht  hat,  lür  heilig  gehalten 
wird.  Diete  Heiligen  oder  Apostel  benennen  sich  gerne  mit  den  Namen  der 
w  irklichen  Apostel  oder  anderer  Heiligen.  In  Folge  dieser  Gewohnheit  wurde 
vielleicht  auch  der  Name  „Mutter  Gottes"  ein  Ehrentitel,  der  zuerst  und  zu- 
meist der  Akul'na  Iwanowna  beigelegt  wird,  dann  aber  auch  noch  der  Anna 
i?safonovsna  und  einem  dritten  Frauenzimmer,  der  bereits  erwähnten  Hofdume 
am  Hofe  Peters  HL,  welche  die  Skopzen  nach  der  Aussage  Budylin  s  aus 
der  Festung  in  Oranienbaum  hatten  befreien  wollen. 

Die  Skopzen  leugnen  die  Wirksamkeit  der  Sakramente  der  orthodoxen 
Kirche  vollständig.  An  Stelle  der  Taufe  setzen  sie  die  Verschneidung,  die 
„Feuertauie".  Das  Abendmahl  besteht  bei  ihnen  entweder  nur  im  Anhören 
skopzischer  „Prophezeihungen",  oder  sie  nehmen  es  auch  in  Brod  oder  Kringel- 
stücken, die  auf  dem  Grabe  Schilow's  gew  eiht  worden  sind.  Unter  den  Sachen, 
welche  in  dem  im  Jahre  1844  im  Hause  Glasunow's  in  St.  Petersburg  ent- 
deckten Bettaale  in  Beschlag  genommen  wurden,  fand  man  auch  viereckige 
Stückchen  Brod  mit  kreuzförmigen  Einschnitten ,  weisse  Zwiebäcke  und  ein 
süssliches  Pulver^),  welches  alles  beim  Abendmahl  statt  der  Hostie  gegeben 
worden  war. 

Obgleich  die  Skopzen  keine  Feiertage  anerkennen,  finden  ihre  Versamm- 
lungen doch  gewöhnlich  an  Sonn-  und  Festtagen  statt,  damit  dieselben  keinen 
Verdacht  erregen.  Oft  versammeln  sie  sich  nach  dem  buchstäblichen  Sinne 
der  Verordnung  des  alten  Testaments  an  den  Sonnabenden.  Deshalb  erhielten 
die  Skopzen  im  Gouvt.  Kursk  im  Volke  den  Namen  „Ssubbotniki"  (Sonnabend- 
leute). Dieser  Namen  gehört  jedoch  einer  andern  Sekte  au,  die  wirklich 
jüdische   Gebräuche  angenommen  hat. 

Wenn  ein  Skopze  stirbt,  versammeln  sich  bei  ihm  die  Genossen  in  ihren 
Betgewänderu  und  singen  ihre  Gebete.  Einer  von  ihnen  tritt  in  die  Mitte 
und  hält  eine  Predigt,  in  welcher  auch  die  eschatologischen  Anschauungen 
der  Sektirer  dargelegt  werden.  Der  Geistliche  der  orthodoxen  Kirche  wird 
nachträglich  nur  zur  Wahrung  des  Scheines  herbeigerufen.  Am  Grabe  fehlt 
es  auch  nicht  an  skopzischen  Ceremonieen.  Die  Denksteine  werden  nicht 
der  Länge  nach  auf  das  Grab   gelegt,    sondern   quer  über,    so    dass   sie   mit 

')  Dieses  Pulver  bcbtund  aus  zerriobeneiu  gedörrteu  Hecbtfleisch  uiui  Zuclier. 


58  Die  Skopzensekte  in  Russland. 

letzterem    die  Form   eines  Kreuzes    bilden.     So   liegt  iiuch  der  Stein  auf  dem 
Grabe  Schilow's  in  Schlüsselburg. 

Rinon  anderen  Kaiser  als  Peter  III.  erkennen  sie  nicht  an.  In  dem 
l'rozess  gegen  den  Skopzen  Alexander  Schockhof,  einen  geborenen  Livländer, 
kommt  die  Angabe  des  Skopzen  Andrej  Shagalldn  vor,  dass  er  nur  Peter  III. 
anerkenne.  Eine  ähnliche  Ansicht  trat  in  dem  Prozesse  Budylin's,  der  1830 
im  Gouvt.  Tambow  verhandelt  wurde,  zu  Tage.  Wie  überhaupt  alle  Unter- 
suchungen gezeigt  haben,  bildet  das  auf  das  Ungeheuerste  besudelte  Andenken 
dieses  Kaisers  die  gemeinschaftliche  Grundlage  der  Dogmen  dieser  Sekte, 
wenn  so  der  kolossale  Blödsinn  genannt  werden  kann,  an  dessen  Vorhanden- 
sein man  billiger  Weise  zweifeln  müsste,  wenn  nicht  die  vollständigsten  und 
unumstösslichsten  Beweise  für  dasselbe  sprächen. 

Die  Andaclitsüb  ungen  der  Skopzen  sind  zweierlei  Art:  ein  ausser- 
ordentliches Beten  bei  Aufnahme  eines  Neophyten  und  ein  einfaches 
Beten,  das,  wie  sich  gerade  die  Gelegenheit  darbietet,  au  Abenden  vor 
Feiertagen  oder  an  diesen  selbst  stattfindet. 

Bei  dem  ausserordentlichen  Beten  entfaltet  man  eine  besondere 
Feierlichkeit,  die  jedoch  nicht  einen  sehr  scharf  ausgesprochenen  skopzischen 
Charakter  hat.  Man  führt  den  Neophyten  in  den  Betsaal,  in  welchem  sich 
so  viele  Mitglieder  der  Sekte  als  nur  möglich  eingefunden  haben.  Er  ist  mit 
dem  hemdartigen  weissen  Betgewande  bekleidet,  welches  auch  die  andern 
Anwesenden  tragen  ^).  Nachdem  sie  die  Lichte  vor  den  Pleiligenbildern  an- 
gezündet und  vor  diesen  drei  Verbeugungen  [gemacht  haben,  grüssen  sie 
einander.  Dann  vertheilt  der  Lehrer  der  Versammlung  an  die  Anwesenden 
Wachskerzen,  ergreift  das  Kreuz  mit  der  rechten  Hand  und  fragt  den  Novizen, 
wen  er  als  Bürgen  für  die  Aufrichtigkeit  seiner  Absicht,  in  die  Brüderschaft 
einzutreten,  stelle.  Jener,  schon  vorher  instruirt,  antwortet,  dass  Gott  sein 
Bürge  sei.  Hierauf  lässt  der  Prophet  ihn  folgenden  Schwur  nachsprechen: 
„Ich  bin,  0  Herr,  zu  Dir  gekommen,  auf  den  rechten  Weg  des  Heils,  nicht 
aus  Zwang,  sondern  auf  meinen  eigenen  Wunsch  und  verspreche  Dir,  Herr, 
über  diese  heilige  Handlung  selbst  unter  Gefahr  der  Todesstrafe  Niemand 
etwas  zu  sagen,  weder  dem  Vater,  noch  der  Mutter,  weder  dem  Verwandten, 
noch  dem  Freunde!"  Dann  küsst  der  Neophyt  das  Kreuz  und  empfängt  in 
mündlicher  Unterweisung  folgende  Gebote,  die  er  heilig  und  geheim  zu 
halten  gelobt: 

Jedem  Bruder,  als  dem  lebenden  Abbilde  Gottes,  ist  bei  unbeobachtetem 
Begegnen  durch  eine  tiefe  Verbeugung  bis  zur  Erde  und  das  Zeichen  des 
Kreuzes  Ehre  zu  erweisen,  und  er  ist  mit  folgenden  Worten  zu  begrüssen: 
„Guten  Tag,  Bruder  (oder  Schwester  —  Namen  und  Zunamen),  Christus  ist 
auferstanden!"    Zum  Ausdiucke  der  Zärtlichkeit  sind  die  Verkleinerungswörter 


'y  Diese  Ileindeii  reiclii'ii   liis  uut'  die  Fersen  und  sind  in  der  Weise  des  Epitraclielions 
näht.     Die  weisse  Farbe  soll  die  Reinheit  und  Sündenlosigkeit  der  Skopzen  andeuten. 


Die  Skopzensekte  in  Russland.  59 

Iwannsclikn,   Fomuschka   etc.  zu  gcljrauclipn   und    Cliristus  unveränderlich  als 
„Viiterchen",   wie  er  sich  selbst  genannt,  zu  preisen  '). 

Jedes  Umdrehen  ist  als  Symbol  des  stets  beobachteten  rechten  Weges 
rechts,   mit  der  Sonne  auszuführen. 

Für  seine  heilige  Sache  darf  der  ^Keine"  nicht  Gefiingniss,  Verbannung 
und  Tod  fürchten,  die  Geheimnisse  der  Gemeinde  aber  in  keinem  Falle 
verrathen. 

Der  Umgang  mit  Frauen  ist  überhaupt,  der  mit  ungläubigen  aber  ganz 
besonders  zu  meiden;  von  diesen  hat  sich  der  „Gerechte"  wie  von  einer 
rerabschenungswürdigen  Unreinigkeit  abzuwenden. 

Fs  dürfen  keine  spirituöpen  Getränke  genossen,  es  darf  kein  Tabak  ge- 
raucht, kein  Fleisch  gegessen  werden.  Milch,  Fische  und  Gemüse  müssen 
die  alleinige  Nahrung  sein. 

Es  ist  kein  unanständiges  oder  scheltendes  Wort,  ebensowenig  das  Wort 
„Teufel"  auszuspreclien ;  letzterer  ist  im  Falle  der  N' th  mit  dem  Worte 
„Feind"  zu  bezeichnen. 

Es  dürfen  keine  weltlichen  Jjieder  gesungen,  keine  erdichteten  Geschichten, 
noch  weniger  schlüpfrige  Gespräche  angehört,  am  allerwenigsten  auf  Verfüh- 
rung der  Sinne  abzielende  Gesellschaften  besucht  werden. 

Im  Umgange  mit  den  Seinigen  hat  der  Bruder  allen  Streit  zu  vermeiden; 
auch  darf  er  Niemand  etwas  vorwerfen,  es  sei  denn  vielleicht  ^Eitelkeit". 

Hierauf  spricht  der  Neophyt  auf  Befehl  des  Lehrers  gleichsam  zum 
Zeichen  des  Aufgcbcns  alles  Irdischen  folgende  Bitte  um  Gnade  und  Verzeihung: 
„Verzeihe  mir,  Herr!  verzeihe  mir,  heilige  Mutter  Gottes!  verzeihet  mir,  Engel, 
Erzengel,  Cherubim,  Seraphin  und  alle  ihr  himmlischen  Heerschaaren!  ver- 
zeihe, Himmel!  verzeihe,  Erde!  verzeihe,  Sonne!  verzeihe,  Mond!  verzeihet, 
Sterne!  verzeihet,  Seen,  Flüsse  und  Berge!  verzeihet,  alle  himmlischen  und 
irdischen  Elemente!"  Dann  begrüsst  man  ihn  und  nennt  ihn  „einen  aus- 
ländischen Krieger  des  himmlischen  Kaisers" ,  „einen  Erben  des  Reiches" 
u.  dgl.  m. 

Die  Ceremonie  schliesst  mit  einem  gemeinsamen  Gebete. 

Ist  auf  eigenen  Antrieb  des  Neubekehrteu  die  Kastration  schon  früher 
vollzogen  worden,  so  ist  dies  die  letzte  Ceremonie;  die  Anderen  sind  durch 
dieselbe  kaum  in  die  Vorhalle  der  Gemeinde  gelangt,  ahnen  vielleicht  nicht 
einmal,  welches  Opfer  man  noch  von  ihnen  fordern  wird.  Uebrigens  bleiben 
sie   hierüber   nicht  lange  im  Unklaren.     Gewöhnlich  theilt  man   dem  Neuauf- 


')  Der  Vorliebe  der  Skopzen  für  Verkleineruncrswürtor  liaben  wir  bereits  erwähnt.  Es  ist 
aber  noch  zu  bemerken,  dass  sie  für  ihre  Glanbenssachen  ein  ziemlich  ausgebildetes  Jäger-  oder 
Diebslatein  besitzen,  wie  dies  auch  schon  ans  den  zahlreichen  sonderbaren  Benennungen  für 
die  -Verschneidung  hat  erkannt  werden  können.  Sie  seli»st  nennen  sich  nie  Skopzen,  sondern 
,die  Reinen",  ,die  weissen  Tauben",  „die  Gerechten'",  .die  wahren  Gotteskinderchen ",  ,die  Ge- 
weissten"',  „die  Gebleichten*.  Ihre  Gemeinden  heis^en  , Kreise"  oder  SchilTe",  ihre  Lehrer, 
Prediger  und  Projiiieten  „Steuermänner',  ihre  Gebete  mit  Tänzen  -Arbeit  in  Gott".  Den  Ge- 
schlechtstrieb bezeichnen  sie  mit  den  Wnrten  , Sünde"  und  „Eitelkeit". 


60  Die  Skopzensekte  in  Russland. 

genommenen  mit,  dass  alles  bis  dahin  Gelobte  und  Geleistete  zur  Erlangung 
des  vollen  Seelenheils  nicht  hinreiche,  dass  dazu  die  Bewahrung  jungfräulicher 
Reinheit  unerlässlich  sei,  dieselbe  aber  nur  durch  die  Verschneidung  möglich 
werde.  Die  Furcht  vor  der  Operation  wird  dann  durch  die  Schmeicheleien 
und  Liebkosungen  der  Brüderschaft,  durch  Vorhalten  erdichteter  Beispiele, 
Versicherung  des  göttlichen  Beistandes  und  Versprechungen  aller  nur  möglichen 
irdischen  und  himmlischen  Güter  besiegt,  und  das  neue  Mitglied  des  „Schiffes" 
entschliesst  sich  zur  Uebernahme  der  „Feuertaufe".  Dann  endlich  ist  er 
Skopze,  vollständig,  im  Geiste  und  im  Fleische;  dann  giebt  es  keine  Wieder- 
kehr mehr! 

Nicht  selten  nehmen  die  Skopzen  zu  berauschenden  oder  einschläfernden 
Getränken  Zuflucht,  wenn  der  Neophyt  aus  Furcht  vor  der  Operation  zu  lange 
widerstrebt.  Man  zieht  dann  dem  eingeschläferten  Opfer  einen  Sack  über 
den  Kopf,  bindet  es  an  Händen  und  Füssen,  schleppt  es  in  das  Erdgeschoss 
oder  in  den  Keller  und  kastrirt  es.  So  sieht  und  kennt  der  Unglückliche 
nicht  einmal  die  Menschen,  die  ihn  verstümmelt  haben.  Nachdem  er  lange 
schwer  daniedergelegen  und  durch  goldene  Versprechungen  besänftigt  worden, 
beruhigt  er  sich  und  —  schweigt.  Und  was  sollte  er  auch  thun?  Er  bleibt 
einmal  fürs  Leben  verstümmelt,  und  vor  dem  Gesetze,  das  in  diesen  Ange- 
legenheiten keine  Entschuldigungen  zulässt,  ist  er  jedenfalls  schuldig  und 
straffällig. 

Ganz  anders  treten  die  Eigenthümlichkeiten  skopzischer  Andachtsübuugen 
in  dem  sogenannten  einfachen  Beten  hervor. 

Die  Ceremonie  beginnt  mit  dem  von  dem  ganzen  „Schiffe"  im  Chor  ge- 
sungenen Gebete,  dessen  Anfang  folgendermassen  lautet:  „Gieb  uns,  o  Herr, 
Jesum  Christum,  gieb  uns  den  göttlichen  Sohn,  erbarme  Dich  unser,  Herr! 
Mit  uns  sei  der  heilige  Geist;  Herr,  erbarme  Dich  unser!  Heilige  Mutter 
Gottes,  bitte,  mein  Licht,  für  uns  das  Licht,  Deinen  Sohn,  unseren  heiligen 
Gott!  Die  Welt  ist  durch  Dich  erlöst,  Herr  unserer  Seele"  u.  s.  w.  Da  sich 
an  dieses  Gebet  die  Herbeirufung  der  Gnade  auf  die  „Gotteskinderchen" 
anschliesst,  wird  es  für  so  heilig  gehalten,  dass  ein  Abtrünniger  dasselbe 
weder  lesen  noch  sprechen  darf.  Dann  beginnen  auserlesene  Sänger  ihre 
Lieder  nach  der  Melodie  der  gewöhnlichen  zum  Tanz  gesungenen  Volkslieder 
zu  singen,  wobei  sie  taktmässig  mit  der  rechten  Hand  in  die  linke  schlagen. 
Diese  Lieder  sind  alle  bäuerisch  einfach  und  enthalten  sowohl  die  beim  Volke 
üblichen  und  beliebten  Sprüchwürter,  wie  auch  Anspielungen  auf  skopzische 
Anschauungen.  Oft  sind  es  einfach  die  Volkslieder  selbst,  die,  nur  in  ihrer 
Weise  umgestaltet,  gesungen  werden.  Plötzlich  ertönt  dann  der  Ruf:  „Oi, 
der  Geist,  der  Geist,  der  heilige  Geist!"  und  das  ist  das  Signal  zum  Beginne 
der  „Arbeit  in  Gott" ,  des  Tanzes.  Zuerst  springen  und  drehen  sich  Alle 
zusammen,  indem  sie  einen  Kreis  bilden,  dann  einzeln,  einer  nach  dem  andern. 
Zuletzt  beginnt  jeder,  sich  auf  seiner  Stelle  um  die  Ferse  des  rechten  Fusses 
als   feststehenden  Punkt  nach   rechts  herum   zu  drehen,    immer  geschwinder 


Die  Skopzensekte  in  Russland.  61 

.und  geschwinder,   so  dass  im  tollen  Wirbel  zuletzt  nicht  mehr  die  Gesichter 
zu   unterscheiden   sind    und    die   durch   den   Lul'tzuj^   aufj^el) Iahten    Belhemden 
wie  Segel  rauschen.     Diese  Betübung  heisst  die  „einzelne".     Eine  andere, 
„ein  Schiffchen"  genannt,   besteht  darin,  dass  ein  Kreis  gebildet  wird,  indem 
sich  einer  mit  dem   Gesicht   gegen   den   Nacken    des   anderen   stellt   und    die 
ganze  Gesellschalt  sich  dann  mit  starken  Sprüngen   im  Kreise   herurabewegt. 
Eine  dritte  Art  des  Betens  ist  die  „im  Mauerchen",  wobei  die  „weissen  Tauben" 
den  Kreis  in  der  Art  bilden,   dass  sie  Schulter  an  Schulter  stehen,   und  sich 
dann    in   Sprüngen    rechts    herumbewegen.      Bei    einer   vierten    Art    endlich, 
der   „kreuzförmigen",   stellen  sich  4  oder  8  Menschen   einzeln  oder  paarweise 
in  die  vier  Ecken  des  Zimmers  und  bewegen  sich  dann  springend  gegen  ein- 
ander und  zurück  oder  wechseln  im  Punkte,  wo  sie  zusammentreffen,  die  Stellen. 
Diese   Tänze,    denen    die   Skopzen   sich   bis   zur   Erschöpfung   hingeben, 
sollen  die  böse  „Trägheit"  schwächen;    sie  wirken  andrerseits  narkotisch  und 
gewähren  ihnen  eine  Art  von  Wollust.     Der  Boden  des  Zimmers  ist  oft  wie 
gewaschen,  und  die  Hemden  werden  vom  Schweisse  so  nass,  dass  sie  stunden- 
lang nicht  trocknen.     Die  Skopzen  behaupten,  dass  auch  Christus  so  gebetet 
habe  und  berufen  sich  hierbei  sonderbarer  Weise  auf  die  Stelle  im  2.  B.  Sam. 
Kap.  6  V.  16,  wo  es  heisst:    „Und  da  die  Lade  des  Herrn  in  die  Stadt  David's 
kam,  kuckte  Michal,  die  Tochter  Saul's,  durch  das  Fenster  und  sah  den  König 
David  springen  und  tanzen  vor  dem  Herrn  und  verachtete  ihn  in  ihrem  Herzen." 
In  der  gleichfalls  citirten  Stelle  1.  B.  d.  Chron.    16  (sonst  15)  V.  29  ist  der 
Text  fast  gleichlautend.     Wir  bemerkten,    dass  sie  sich  „sonderbarer  Weise" 
auf  diese  Stellen    berufen;    denn    uns    will   scheinen,    dass  die  Stelle  1.  Sam. 
6  V.  14,   wo   es   heisst:    „Und  David  tanzte  mit  aller  Macht  vor  dem  Herrn 
her  und  war  begürtet  mit  einem  leinenen  Leibrocke",  viel  besser  zur  Begrün- 
dung ihrer  „Arbeit  in  Gott"   geeignet  gewesen  wäre,    da  in  derselben  wenig- 
stens nicht  von  Verachtung  die  Rede  ist.    Mit  den  Skopzen  ist  aber  in  dieser 
Hinsicht  schwer  zu  rechten,  da  sie  alle  Bibelstellen  in  ihrer  Weise  auslegen 
und  hier  im  Ertragen  der  Verachtung  gerade  eine  skopzische  Tugend  sehen 

mögen. 

Medizinisch  ist  nachgewiesen,  dass  die  schnelle  drehende  Bewegung  eine 
Täuschung  des  Gesichts  erzeugt  und  die  Vernunft  zuletzt  über  die  Eindi-ücke 
dieKontrole  verliert,  so  dass  sich,  da  ja  überhaupt  Alles  unter  dem  Einflüsse 
mehr  oder  weniger  erregter  Gefühle  und  überspannter  Ideen  geschieht,  die 
stärksten  Sinnestäuschungen  einstellen.  Es  ist  daher  kein  Wunder,  dass  nach 
der  „Arbeit  in  Gott"  die  Propheten  auftreten,  in  denen  der  heilige  Geist  seine 
Anwesenheit  kund  gegeben  hat,  und  durch  welche  dieser  der  ganzen  Gemeinde 
und  jedem  Einzelneu  sein  Wohlwollen  und  auch  künftige  Schicksale  mittheilt. 
Diese  Prophezeihungen  sind  daher  meistentheils  Folge  der  äussersten  Nerven- 
aufregung, und  werden  oft  von  konvulsivischen  Bewegungen  begleitet,  so  dass 
der  Prophet  es  dann  in  solcher  Lage  auch  nur  /u  unzusammenhängenden, 
unverständlichen  Lauten  und   Worten   bringt.      In    amiern    Fällen    macht   sich 


(32  Die  Skopzensekte  in  Russland. 

die  Sache  ordnungsmilssiger.  Nuclidcm  die  „GoLteskinderclien"  sich  nach 
Beendigung  der  Tanze  auf  ihre  Pliitzc  begeben  haben,  tritt  der  „Prophet" 
oder  „Redner",  der  über  der  Schulter  und  in  der  Hand  ein  Tuch  trägt,  her- 
vor und  verbeugt  sich  mehrmals  vor  der  Versammlung.  Dann  spricht  er  in 
singendem  Tone  das  einleitende  Gebet;  „Segne  mich,  mein  Go  tt,  weihe  mich, 
Väterchen,  in  Deinen  heiligen  Kreis  zu  treten;  würdige  mich,  des  heiligen 
Geistes  theilliaftig  zu  werden",  und  wendet  sich  mit  dem  Kufe:  „Christus  ist 
auferstanden!"  an  die  Anwesenden.  Diese  fallen  sammt  und  sonders  auf  die 
Knie,  und  der  Prophet  beginnt  zu  predigen  und  zu  prophezeihen.  Diese  Pro- 
phezeihungen  bestehen  meistenlheils  in  allgemeinen  Phrasen,  in  denen  das 
baldige  Nahen  Christi,  das  Geschenk  ewiger  Glückseligkeit  an  alle  Gläubigen 
u.  drgl.  m.  in  rohen  Versen,  wie  sie  eben  kommen,  zugesagt  wird.  Es  gehört 
immerhin  ein  gewisses  Talent  dazu,  sich  zur  Zufriedenheit  der  Zuhörer  dieser 
Autgabe  zu  entledigen,  und  daher  glauben  denn  auch  die  Skopzen,  dass  diese 
Gabe  direkt  von  oben  verliehen  werde.  Der  Stabskapitäu  Ssosonow  gesteht 
in  seinem  „Reubriefe"  ganz  offenherzig,  dass  er  als  Prophet  zulet/t  eine 
solche  Fertigkeit  im  „Prophezeihen"  erlangt  hatte,  dass  er  stundenlang  und 
ununterbrochen  hätte  fortreden  können  und  doch  ein  ziemlicher  Zusammen- 
hang darin  gewesen  wäre.  Oft  hätte  es  der  Zufall  gefügt,  dass  er  unter  der 
endlosen  Masse  der  Dinge  auch  solche  gesagt  hätte,  die  voreingenommene 
Fanatiker  hätten  überzeugen  müssen,  dass  er  die  Gabe  gehabt,  die  Zukunft 
zu  erkennen  und  die  Geheimnisse  der  menschlichen  Seele  zu  lesen. 

Als  Zeichen  seiner  Würde  hat  der  „Prophet"  bei  den  Versammlungen 
eines  der  kleineu  hölzernen  Kreuze  in  der  Hand,  wie  sie  Sseliwanow  seiner  Zeit 
an  diejenigen  vertheilte,  die  er  auf  eine  höhere  Stufe  der  Erkeuutniss  und  zu 
grösserer  Würde  erhob.  Diese  Kreuzchen  werden  als  Heiligthümer  aufbewahrt 
und  vererben  in  der  Gemeinde  von  Geschlecht  zu  Geschlecht. 

In  den  Betsälen  der  Skopzen  befinden  sich  zwar  Bilder  von  Heiligen  der 
orthodoxen  Kirche  mit  Lampen  und  brennenden  Lichten,  aber  wohl  nur  zum 
Schein.  Ihre  Gebete  richten  sie  ausschliesslich  an  die  Bilder  ihrer  eigenen 
Heiligen.  Am  häufigsten  sind  die  Bilder  ihres  Messias  und  ihres  Täufers, 
so  fand  man  dieselben  bei  den  Untersuchungen  im  Gouvt.  Tambow  (1830), 
in  St.  Petersburg  (1844),  in  Morschansk  bei  Maxim  Plotizyn  (1869),  und  die 
Gebrüder  Kudrin  in  Moskau  hatten  sogar  ein  eigenes  photographisches 
Atelier  zur  Vervielfältigung  dieser  Bilder  eingerichtet. 

Diejenigen,  welche  Sseliwanov  und  Schilow  gekannt  hatten,  behaupteten 
stets,  dass  diese  allgemein  verbreiteten  Bilder  recht  ähnlich  seien.  Der  Skopze 
Choroschkejew  fand  die  meiste  Aehnlichkcit  in  dem  bei  dem  Skopzen  Leouow 
gefundenen  Bilde  und  bemerkte,  duss  das  „herrliche  Gesicht"  Sseliwanow's 
auch  denen  Verehrung  abgenöthigt  habe,  die  auf  höchsten  Befehl  zu  ihm 
kamen.  So  haben  der  Beamte  Popow  und  dessen  Begleiter  ein  Gespräch 
mit  ihm  uchselzuckcnd  und  in  ziemlich  wegwerfendem  Tone  begonnen,  und 
als  sie  lortgegaugeu ,    sei  dies   fast  rückwärts  tretend    geschehen,    worauf  sie 


Die  Skopzeiisektc  in  Russfaud.  03 

häuderingend  luisgcriifcn :  „Gott,  wenn  das  nicIiL  ein  Skoi)zc  wäre!  Hinter 
solchem  Menschen  würden   Regimenter  und  Regimenter  (^inherniarscliireu !" 

Sseliwanow  wird  gewfWinlich  als  ein  Greis  in  dunk(,'ll)lanem  oder  griiueni 
langen  Gewände  mit  Zobelbesatz  abgebildet;  er  trägt  ein  weisses  Tuch  un) 
den  Hals,  welches  noch  mit  einem  breiten  Bande  umbanden  ist.  Er  sitzt 
gewöhnlich  auf  einem  Lehnstuhle  und  legt  die  rechte  Hand  auf  einen  roth- 
bedeckten Tisch,  auf  welchem  zuweilen  ein  Körbchen  mit  einem  Weintrauben- 
zweige und  zw-ei  Pfirsichen  steht. 

Da  Sseliwanow  und  Peter  111.  von  den  Skopzen  für  ein  und  dieselbe 
Person  gehalten  werden,  betrachten  sie  auch  die  Rubel  mit  dem  Bildnisse 
dieses  Kaisers  als  ein  grosses  Heiligthum. 

Der  Bauart  der  wohlhabenden  Skopzen  gehörigen  Häuser  ist  bereits 
Hüchtig  erwähnt;  es  verlohnt  sich  aber  der  Älühe,  sich  dieselben  nochmals 
näher  zu  betrachten.  In  einem  entfernteren  Stadttheile  steht  ein  Haus,  wei- 
ches fast  keine  Fenster  nach  der  Strasse  hat,  dessen  Pforten  stets  verschlossen 
sind  und  dessen  Hof  oder  Garten  von  hohen  Zäunen  umgeben  ist.  Es  ist 
dies  ein  Skopzenhaus.  Im  Innern  desselben  und  zwar  mitten  darin  findet 
man  unfehlbar  ein  dunkles  Zimmer,  dann  Erdgeschosse  und  Bodenräume  mit 
Verstecken  aller  Art.  Kein  Fremder  erhält  Zutritt.  Miether,  Dienstboten, 
genug  Alle,  die  aus-  und  eingehen,  sind  Skopzen  oder  doch  Chlysten.  Was 
in  diesen  Häusern  geschieht?  Niemand  aus  der  Nachbarschaft  weiss  es.  Man 
hört  nie  einen  Sckmerzensschrei,  nie  ein  besonderes  Geräusch.  Und  doch 
mag  in  den  Kellergeschossen  manches  Opfer  auf  dem  Schmerzenslager  liegen, 
oder  auch  sein  Grab  finden.  Sogar  die  Häuser  der  skopzischen  Bauern  haben 
Verstecke  über  der  Zimmerdecke  oder  unter  der  Erde;  denn  es  gilt  oft  genug, 
flüchtige  Brüder  oder  eigene  Thaten  zu  verbergen. 

In  einem  der  geheimen  Räume  im  Glasunow'schen  Hause  in  St.  Petersburg, 
wo  sich  auch  der  Haupt-Betsaal  der  Skopzen  befand,  wurde  unter  allerlei 
Gegenständen,  wie  Ketten,  Panzerhemden,  Salben,  Verbandstücken,  Pllastern, 
geweihten  Brodstücken  zum  Abendmahl,  auch  ein  ganz  absonderlicher  Pass, 
„aus  der  Stadt  des  Höchsten  von  Gott  selbst"  ausgestellt,  gefunden.  Er  ist 
in  altslawischer  Kircheuschrift  geschrieben,  mit  allerlei  Schnörkeln  verziert 
und  mit  drei  bunten  Stempeln  mit  der  Legende  „Siegel  des  allerhöchsten 
Schöpfers,  Gottes  des  Vaters  und  des  Sohnes  und  des  heiligen  Geistes,  Er- 
halters des  Himmels  und  der  Erde"  versehen.  Mehr  kann  ein  „Gotteskind- 
chen" allerdings  nicht  vom  lieben  Herrgott  verlangen!  Die  aus  feinen  Ringen 
bestehenden  Panzerhemden,  die  auf  dem  blossen  Leibe  getragen  worden  sind, 
und  die  Ketten  lassen  vermuthen,  dass  die  Skopzen  sich  auch  noch  andern 
Kasteiungen  als  der  Kastrirung  unterwarfen. 

Trotz  des  lebhaften  Gefühls  der  engsten  Zusammengehörigkeit,  wie  sie 
die  Besonderheit  der  religiösen  Ansichten  der  Skopzen  erzeugen  muss,  eines 
Gefühls,  welches  durch  das  Hewusstsein,  dass  sie  aus  der  sie  umgebeudeu 
Menschheit  auscreschieden  sind,  noch  erhöht  wird,   haben  sich  doch  besondere 


64  I>ie  Skopzensekte  in  Russland. 

Schaf.tirungen  in  der  Sekte  erkennen  lassen,  wenngleich  dieselben  auch 
eben  nicht  durch  sehr  zahlreiche  Vertreter  eine  besondere  Bedeutung  haben. 
So  gestatten  einige  nicht  die  Verschneidung  —  sind  also  nicht  mehr  Skopzen 
im  eigentlichen  Sinne  des  Wortes  —  ,  und  Sseliwanow  ist  für  sie  nicht  ein 
neu  erschienener  Messias,  sondern  der  wahre  von  der  Jungfrau  Maria  geborne 
Jesus  Christus,  der  noch  immer  auf  der  Erde  weilt,  und  zur  Erlösung  der 
Menschheit  immer  neue  Leiden  auf  sich  nimmt.  Die  Anhänger  dieser  Lehre 
heissen  das  „Fastenschiff",  weil  sie  sich  nicht  nur  das  Fleisch,  sondern  auch 
die  Fische  versagen.  Eine  andere  Schattirung  in  der  Sekte  unterscheidet 
sich  von  der  Hauptse'kte  eben  nur  dadurch,  dass  ihre  Mitglieder  die  Göttlich- 
keit Sseliwanow's  leugnen  und  diesen  nur  für  einen  grossen  Lehrer  und  den  rech- 
ten Führer  zum  Wege  des  Heils  halten.  Diese  Untersekten  können  gewisser- 
massen  als  ein  Verbindungsglied  zwischen  dem  Skopzenthum  und  der 
Chlystowschtschina  gelten.  Denn  wenn  auch  die  Skopzen  das  Ritual  ihrer 
Andachtsübungen  in  der  Hauptsache  den  Chlysten  entnommen  haben,  sind 
beide  Sekten  doch  durchaus  nicht  zu  verwechseln.  Ja,  die  Lehren  derselben  sind 
in  vielen  Funkten  einander  geradezu  entgegengesetzt.  Die  Chlysten  sehen  auf 
das  Fleisch,  wie  auf  eine  niedrige  Arbeitskraft  mit  solcher  Missachtung,  dass 
diese  zuweilen  zur  Versündigung  gegen  das  siebente  Gebot  führt;  die  Skopzen 
dagegen  betrachten  das  Fleisch  mit  Furcht  und  als  einen  solchen  Feind, 
der  durch  geistige  Kraft  allein  nicht  bekämpft  werden  kann,  woher  eben  die 
Verschneidung  nothwendig  wird.  Während  bei  den  Skopzen  der  einzige 
Christus  der  zum  zweiten  Male  auf  Erden  erschienene  Peter  Federowitsch 
ist,  kann  bei  den  Chlysten  Jeder,  der  streng  die  Gebote  der  Sekte  befolgt, 
die  höchste  Vollkommenheit  erreichen  und  Christus  werden,  woher  denn  auch 
eine  ganze  Reihe  hinter-  und  nebeneinander  bestehender  Erlöser  vorhanden  ist. 
Hei  den  Chlysten  endlich  haben  die  „Schiffe"  keinen  näheren  Zusammenhang 
unter  einander,  während  sie  bei  den  Skopzen  in  engster  Verbindung  mit  ein- 
ander stehen. 

Die  erwähnten  Abweichungen  von  dem  allgemeinen  Skopzenbekenntnisse 
innerhalb  der  Sekte  sind  so  unwesentlich  und  haben  so  wenig  zahlreiche  An- 
hänger, dass  die  Zusammengehörigkeit  der  Glieder  dadurch  nicht  beeinträchtigt 
wird.  Ueberall  hat  es  sich  bei  den  Untersuchungen  herausgestellt,  dass  sie 
einander  mit  Leib  und  Lieben  angehören  und  sich  nie  verlassen.  Sodann 
helfen  sie  sich  auch  gegenseitig  mit  grosser  Umsicht  bei  der  Proselytenmacherei, 
der  sie  überhaupt  ihre  ganze  Energie  zuwenden.  Hierbei  werden  sie  nicht 
nur  durch  die  Kraft  ihrer  religiösen  Ueberzeugung  unterstützt,  sondern  auch 
durch  das  ihnen  innewohnende  krankhaft  reizbare  Gefühl,  welches  theils  phy- 
siologisch, theils  duich  das  vielleicht  unwillkürliche  Bewusstsein  begründet 
ist,  dass  sie  eine  Anomalie  in  der  menschlichen  Gesellschaft  und  ein  Gegen- 
stand des  Spottes  und  der  Verachtung  sind.  Dazu  kommt  nun  noch  ein  sehr 
wesentlicher  Umstand.  Li  der  Apokalypse  heisst  es  im  14.  Kap.  V.  1: 
„Und  ich  sähe  ein  Lamm  stehen  auf  dem  Berge  Ziou   und  mit   ihm   141,000, 


Die  Skopzensekte  in  Russland.  65 

die  hatten    den    Namen    seines    Vaters   geschrieben    an    ihrer    Stirn";    und    in 
demselben  Ka])itel  V.  4:   „Diese  sind  es,  die  mit  Weibern  nicht  befleckt  sind; 
denn   sie   sind   Jungfrauen    und    folgen    dem    Lamme  nacli,    wo    es    hingehet. 
Diese  sind  erkauft  aus  den  Menschen  zu  Erstlingen  Gott  und   dem  Lamme." 
Diese  Stellen   beziehen  die  Skopzen   auf  sieh,  und  sie  deuten  sie  dahin,  dass, 
wenn  ihre  Zahl  auf  144,000  —  nicht,  wie  lir.  Dixon  in  seinem  Werke  „Frei- 
Russland"  sagt,  300,000  —  gestiegen    sein  wird,  ihr  'irinrnph  beginnen  müsse. 
Und  welcher  Triumph!    Ihr  Christus    und   Kaiser    ist   aus  Lkutsk,    wohin    er 
sich    aus   Ssusdal    zurückgezogen,    nach  Moskau    zurückgekehrt,      liier  läutet 
er  die  grosse  Glocke  der  Kathedrale  zu  Mnriii  Himmelfahrt,  um  seine  ,,Kinder- 
cheu"  um  sich  zu  versammeln.     Dann  zieht   (v  mit  ihnen  hinaus  und  bemäch- 
tigt sich  aller  Throne  und  Gewalten;    denn    er   ist  ja  der  Kaiser  der  Kaiser. 
Schliesslich  hält  er  das  göttliche  Gericht  und  belohnt  seine  „reinen  Tauben" 
für    ihren    Gehorsam,    ihre     Geduld    und    Treue    mit    ewiger    Glückseligkeit. 
Dieser   Triumph    ist   also    nur    eine   Finge  der  Zeit  und  ihres  eigenen  Bekeh- 
rungseifers.   Was  Wunder,  dass  dieser    nie  ruht  und  rastet?    Trotzdem  lassen 
sie  sich  nicht  zu  Uebereiluugen  hinreissen,  sie  gehen  vielmehr  bei  ihrer  Pro- 
paganda meist  mit  grosser  Ueberlegung,    Sehlauheit  und  List  zu  Werke.    Zu- 
nächst suchen  sie  den  ungebildeten  Menschen    seiner  eigenen  Religion  zu  ent- 
fremden,   indem    sie   ihn   auf  die  im  Volke  herrschenden    Laster  des  Trunkes 
und  der  sinnlichen  Ausschweifung,  auf  die  vielen  Diebstähle,    Räubereien  und 
Morde   aufmerksam    machen.     Besonders   setzen   sie    die    Geistlichkeit  herab, 
von    der   sie   sagen,    dass   sie   nichts   von   der  wahren  Christuslehre  verstehe, 
dass  sie  die  Menschen  verderbe,  indem  sie  ihnen  ihre   Sünden  vergebe,  ohne 
danach  zu   fragen,    ob    sie  sich  gebessert  haben.     Dann   stellen    sie    ihre  — 
allerdings  nicht  wegzuleugnenden  —  Tugenden  in  ein  helles  Licht:  ihr  jungfräu- 
liches Leben,  das  beständige  Fasten,  die  Enthaltsamkeit  von  starken  Geträn- 
ken u.  s.  w.    Das  alles,  verbunden  mit  gewandter  Rede  voll  fi-ommer  Sprüche 
und  mit  der  Sorge  für  das  Seelenheil  des  zu  Bekehrenden,  wirkt  mit  grosser 
Gewalt  auf  das   Gemüth   des   einfachen  Menschen     Das   Schwierigste    bleibt 
immer,  die  Furcht  vor  der  Operation  zu  überwinden.    Aber  auch  das  gelingt  — 
wie  wir  bereits  gesehen  haben  —   in  Güte   oder  auch  mit    Gewalt.      Mit    Ge- 
schick werden  die  bereits  angeführten  Bibelstellen  und  andere  im  Volke  ver- 
breitete Erbauungsbücher  behandelt.      So    kommt    in    dem    „Wegweiser    zum 
Himmelreich"  folgende  Stelle  vor:    „In  jedem  Menschen   ist  Sünde,    und   die 
Sünde  ist  eine  Wunde,  welche  von  selbst  nicht  heilt.    Und  bei  einigen  Leuten 
ist  die  Wunde  so  tief  und  gefährlich,  dass  man  sie  nur  durch  Schneiden  und 
Brennen  heilen  kann".     Diese  Stelle   deuten    sie    ganz   ihrem  Zwecke    gemäss. 
Ferner  geben  sie  dem  körperlichen  Schmerze  und  der  Verfolgung  ihrer  Sekte 
durch  die  Regierung  eine  streng  religiöse  Bedeutung,  indem  sie  darthun,  dass 
der  echte  Diener  Christi  alle  Schmerzen  und  alle  Verfolgungen  dem  Verrathe 
gegen  den  Herrn  vorzieheu,  ja,   dass  er  sich  freuen   müsse,    für   den  Heiland 
zu  leiden. 

Zeitschrift  für  Ethnologie,  Jahrgang  1S75.  5 


66  Die  Skopzensekte  in  Russland. 

Die  in  den  Städten  ein  Geschäft  treibenden  Skopzen  lassen  aus  ihrem 
Geburtsorte  Kinder  kommen,  die  sie  in  dem  Geschäft  unterweisen,  mit  ihrer 
Lebensweise  vertraut  macheu  und  so  allmählich  zu  ihren  Ansichten  bekehren. 

Oft  wird  die  Verstümmelung  einfach  erkauft,  und  bei  diesem  Geschäfte 
sind  dann  besondere  Agenten  tliätig.  Im  AnfangCj  der  50er  Jahre  waren 
unter  den  Arbeitern  auf  den  Hüttenwerken  in  Isliewsk  zwei  Skopzen, 
Namens  Ssimonow  und  Nasarow.  Wenn  einem  Arbeiter  Geld  zum  Trinken 
fehlte,  riethen  ihm  die  andern:  „Gehe  zu  Ssimonow  oder  Nasarow  und  lass 
dich  kastriren,  dann  wirst  du  Geld  haben." 

Auf  Gefangene  und  Bettler,  denen  sie  als  Wohlthäter  und  Almosenspender 
beizukommen  suchen,  wirken  sie  oft  sehr  erfolgreich.  Auch  borgen  sie  mit- 
unter solchen  Menschen  Geld,  von  denen  sie  wissen,  dass  sie  es  nicht  wieder 
abzahlen  können.  Dann  setzen  sie  ihnen  das  Messer  an  die  Kehle,  indem 
sie  ihnen  die  Wahl  lassen,  ob  sie  übertreten  oder  betteln  gehen  wollen. 

Wie  man  sieht,  ist  die  propagandistische  Thätigkeit  der  Sekte  vortrefflich 
orgauisirt.  Die  Hauptcentren  derselben  sind  St.  Petersburg,  Moskau,  Mor- 
schausk,  Odessa  und  ausserhalb  des  Reiches  Jassy  und  Bucharest.  St.  Peters- 
burg ist  den  Skopzen  als  Mittelpunkt  der  Handelsthätigkeit  und  der  Verwal- 
tung, deren  Unternehmungen  sie  liier  am  besten  verfolgen  können,  von  grosser 
Wichtigkeit;  Moskau  ist  der  erste  Ort,  wo  ihr  Messias  bei  der  Rückkehr  die 
Gläubigen  versammeln  wird;  Morschansk  hat  Bedeutung  für  sie,  weil  es  in 
der  Nähe  ihres  Mekka's  Ssosnowka  liegt,  und  Odessa  bietet  ihnen  eine  be- 
queme Verbindung  mit  dem  Auslande.  In  Bucharest  und  Jassy  haben  sich 
Skopzen-Kolonien  aus  flüchtigen  Russen  gebildet,  von  denen  viele  zu  grossem 
Wohlstände  gelangt  sind. 

In  letzter  Zeit  ist  die  Propaganda  besonders  eifrig  betrieben  worden,  und 
einzelne  Skopzen  haben  sich  geradezu  ausgezeichnet.  So  ist  durch  die  ge- 
richtliche Untersuchung  festgestellt  worden,  dass  Birjukow  im  Gouvt.  Orel  43, 
Nossenko  im  Gouvt.  Charkow  60  und  Tschernych  im  Gouvt.  Kursk  106 
Menschen  verschnitten  hat. 

Von  den  verschiedenen  Provinzen  des  europäischen  Russlands  sind  die 
Gouvts.  St.  Petersburg  und  Orel  am  reichsten  mit  Skopzen  gesegnet;  denn 
es  kommen  daselbst  mehr  als  8  auf  je  100,000  Einwohner;  dann  folgen  die 
Gouvts.  Kosstroma  und  Rjjäsan  mit  5  bis  8,  Kaluga,  Kursk  und  Taurien 
mit  3  bis  5,  Perm,  Moskau,  Ssamara,  Ssaratow  und  Bessarabien  mit  2  bis  3, 
Jarosslaw,  Twer,  Smolensk,  Tula,  Tambow,  Ssimbirsk,  Ghersson  und  Astra- 
chan mit  1  bis  2,  Archangelsk,  Nowgorod,  Pskow,  Estland,  Tschernigow, 
Woronesh,  Nishni-Nowgorod,  VVjätka  und  Ufa  mit  ^-  bis  1  und  Livland, 
Wiliia,  Minsk,  Kasan,  Pensa  und  Jekaterinosslaw  mit  weniger  als  ^'^  auf  je 
100,000  Bewohner.  Die  andern  Gouvts.  sind  ganz  frei  von  Skopzen,  wobei 
natürlich  einzelne  Individuen  nicht  in  Betracht  kommen. 

Allerdings  sind  die  Skopzen  noch  weit  davon  entfernt,  die  volle  Zahl 
der  „Täubchcn"  beisammen  zu  haben;  denn  die  letzten  Nachforschungen,  die 


Die  Skopzensekte  in  Russland.  67 

allerdinf^s  nur  bis  zum  Jahre  1866  reichen,  haben  5444  Skopzen,  darunter 
3979  Männer  und  1405  Frauen  nachgewiesen.  Das  grösste  Kontingent  (29()7 
Individuen,  darunter  2077  Männer  und  890  Frauen)  stellen  natürlich  die 
Bauern  verschiedener  Kategorien,  wobei  zu  bemerken  ist,  dass  nur  3  freie  bäuer- 
liche Besitzer  darunter  sind.  Dann  folgen  Soldaten  und  Matrosen  der  regu- 
lären Armee  und  der  Flotte  (443  Individuen,  darunter  67  Frauen  oder  Töchter 
derselben);  nächst  diesen  sind  die  Bürger  (mit  325  Individuen,  darunter  105 
Frauen),  die  Kaufleute  (mit  154  Individuen,  darunter  6  Frauen)  und,  was 
unter  dem  Namen  Vagabunden  zusammengefasst  werden  kann,  (mit  149  Indi- 
viduen, darunter  27  Frauen)  am  zahlreichsten  vertreten.  Es  versteht  sich 
von  selbst,  dass  die  höheren  Gesellschaftsklassen  sich  am  wenigsten  an  dem 
Streben  nach  chiliastischer  Glückseligkeit  betheiligen.  Höhere  Bildung  und 
religiöser  Indifferentismus  mögen  gleichmässig  dazu  beitragen.  Damit  soll 
keineswegs  gesagt  sein,  dass  die  in  den  statistischen  Nachweisen  genannten 
8  Edelleute  (darunter  4  Frauen),  15  Offiziere,  14  Beamten  und  19  Geistlichen 
die  Zahl  der  Skopzen  aus  den  höheren  Gesellschaftsklassen  erschöpften.  Die 
Ermittelung  ist  eben  nur  eine  schwierigere,  und  leidige  Erfahrungen  auf  andern 
Gebieten  haben  wohl  erkennen  lassen,  dass  Aberglauben  und  religiöser  Wahn- 
witz ziemlich  hohe  Stufen  erklettern  können. 

Von  den  verschiedenen  Glaubensbekenntnissen  haben  das  orthodox- 
griechische  5024  (darunter  1192  Frauen),  das  lutherische  409  (darunter  273 
Frauen),  wahrscheinlich  Letten  und  Esten  aus  Liv-  und  Estland  und  Finnen 
aus  St.  Petersburg  und  Umgegend,  und  das  römisch-katholische  8  Individuen 
den  Skopzenschiffen  geliefert.  Von  Nichtchristen  haben  sich  nur  ein  Muha- 
medaner  und  2  Juden  verführen  lassen. 

Nach  der  Art  der  Verstümmelung  bei  Männern  sind  588  mit  dem  zweiten 
oder  kaiserlichen  Siegel,  833  mit  dem  ersten  Siegel  und  62  mit  anderweitigen 
Verstümmelungen  ermittelt  worden;  von  den  Frauen  waren  99  an  den  Brüsten 
und  Geschlechtstheilen  verstümmelt,  300  hatten  sich  die  Brüste,  182  die 
Brustwarzen  abnehmen,  251  die  Geschlechtstheile  allein  verschneiden  und  108 
auf  verschiedene  andere  Arten  verstümmeln  lassen. 

Interessant  ist  auch  der  Nachweis,  wie  die  Verstümmelung  zu  Stande 
gekommen  ist.  Selbst  verstümmelt  haben  sich  863  Individuen  (darunter  160 
Frauen)  und  von  anderen  sind  verschnitten  1868  Individuen  ^darunter  G'6S 
Frauen).  Auf  eigenen  Wunsch  sind  1652  Personen  (darunter  448  Frauen), 
gewaltsam  und  gegen  den  Willen,  z.  B.  bei  Krankheiten  etc.,  982  (darunter 
143  Frauen)  und  in  bewusstlosem  Zustande,  durch  genossene  Getränke, 
Speisen  und  andere  Mittel  herbeigeführt,  470  (dai'unter  4  Frauen)  der  Ope- 
ration unterworfen  worden.  Man  ersieht  hieraus,  dass  die  „reinen  Tauben" 
sich  fast  zur  Hälfte  in  gewaltsamer  Weise  rekrutirt  haben,  also  wohl  dem 
Kriminalgericht  verfallen  sind. 

Alle  hier  angeführten  Zahlen  sind  nur  von  relativem  Werthe  und  können 
keine  Ansprüche  auf  Vollständigkeit  machen,  da  sicher  Tausende  von  Skopzen 


68  t>ie  Skopzensekte  in  Russland. 

noch  nicht  in  die  Hände  der  untersuchenden  Richter  und  Aerzte  gefallen 
sind.  So  lial)en  die  neueren  Entdeckungen  von  Skopzennestern  in  Morschansk, 
Moskau,  St.  Petersburg  Schaaren  von  „Täubchen"  aufgejagt,  und  viele  von 
ihnen  sind  dann  auch  eingefangen  worden. 

Ganz  neuerdings  ist,  wie  die  russische  Zeitung  „Börse"  meldet,  im  Gouvt. 
Ufa  eine  neue  Skopzengemeinde  entdeckt  worden,  von  der  man  gegen  90 
Personen  zur  Untersuchung  gezogen  hat. 

Wie  dem  aber  auch  sei,  die  apokalytische  Zahl  ist  immer  noch  nicht 
voll.  Ob  sie  je  voll  werden  wird?  Der  Regierung  wird  es  sehr  schwer 
werden,  der  Propaganda  Einhalt  zu  thun.  Massregeln  der  Milde  haben  eben 
so  wenig  Erfolg  gehabt,  wie  die  der  Strenge;  letztere  machen  nur  neue  Mär- 
tyrer und  rufen  neue  Fanatiker  auf  den  Kampfplatz.  Selbst  die  Verbannung 
nach  Sibirien  ist  eher  schädlich  als  nützlich,  weil  in  diesen  wenig  bevölkerten 
Gegenden  eine  Ueberwachung  noch  schwieriger  ist  und  Irkutsk  ohnehin  als 
ihr  gelobtes  Land  betrachtet  wird,  aus  dem  der  Messias  kommen  soll.  Ja, 
selbst  in  der  Nähe  der  Ceutralregierung  wissen  die  Skopzen  durch  Heuchelei 
und  Zähigkeit  die  gegen  sie  ergriöeuen  Massregeln  zu  vereiteln.  Dazu  kommt, 
dass  eine  ihrer  Hauptleidenschaften,  die  nach  Verbannung  der  anderen  sich 
ihrer  Herzen  bemächtigt  hat,  die  Geldgier  ist,  die  ihnen  kolossale  Mittel  in 
die  Hände  gespielt  hat,  und  dass  sie  in  Folge  dessen  goldene  Brücken  für 
jeden  Angriff  und  Rückzug  bauen  können.  Obgleich  die  Skopzen  nicht  gerade 
durch  Bekanntschaft  mit  den  alten  Klassikern  glänzen,  wissen  sie  als  prak- 
tische Menschen  doch  eben  so  gut  wie  Horaz,  dass  „das  Gold  frei  mitten  durch 
Trabanten  schaaren  geht  und,  mächtiger  wie  der  Blitzstrahl,  Felsenmauern  zu 
durchbrechen  liebt."  Bot  doch  Maxim  Plotizyn  dem  Morschansker  Polizei- 
meister Trischatny,  dem  die  Entdeckung  des  Skopzennestes  in  Morschansk 
zu  danken  ist,  10,000  Rubel,  wenn  er  drei  der  verhafteten  Frauen  nur  bis 
zum  nächsten  Morgen  —  wahrscheinlich  zu  einer  Andachtsübung  —  frei 
lassen  wollte.  Er  scheiterte  mit  diesem  Bestechungsversuche  vollständig; 
aber  in  wie  vielen  anderen  Fällen  mögen  derartige  Versuche  den  besten  Er- 
folg gehabt  haben!  Plotizyn  allein  besass  3,  4  bis  5  Millionen  Rubel.  In 
St.  Petersburg  und  Moskau  giebt  es  gleichfalls  viele  Skopzen,  deren  Ver- 
mögen nach  Millionen  zu  berechnen  ist.  In  den  meisten  Geldwechsler-  und 
Silberläden  sieht  man  die  gelben  und  faltigen  Gesichter  der  Skopzen  hinter 
den  Ladentischen.  Man  darf  sich  übrigens  über  diese  Gier  nach  Erwerb 
nicht  wundern;  denn  Personen,  welche  dem  eigentlich  veredelnden  und  er- 
ziehenden Element  im  Menschenleben,  dem  Hausaltar  des  Familienlebens, 
fremd  bleiben,  müssen  am  Ende  doch  ein  lohnendes  Streben  haben,  das  offen- 
kundig verfolgt  werden  kann,  und  das  die  Leere  ihres  Daseins  ausfüllt. 
Ihren  Lohn  finden  sie  aber  in  dem  mit  dem  sich  vermehrenden  Reichthum 
wachsenden  Einfluss  und  in  der  Vermehrung  der  Mittel,  die  ihren  erwarteten 
Triumph  beschleunigen  können. 

Mögen    nun    auch  —    es    ist    dies   eine  nur  auf  Wahrscheinlichkeit  be- 


Die  Skopzenfiekte  in  Russland. 


69 


ruhende  Annahme  —  30  bis  40,000  Skopzen  in  Russland  vorhanden  sein,  so 
wird  vorläufig  von  ihnen  keine  ernstliche  Bedrohung  der  bestehenden  Ord- 
nung zu  befürchten  sein.  Aber  wie?  Wenn  ein  kecker  und  genialer  Aben- 
teurer, wie  einst  Pugatschew,  sich  für  Peter  III.  ausgäbe?  Wenn  er  das 
chiliastische  Reich  verkündigte,  und  schlau  das  Anschliessen  der  unzufriedenen 
Elemente  im  Reiche  an  die  in  Aufruhr  gebrachten  Skopzen  bewirkte?  Zur 
Unzufriedenheit  giebt  es  gegenwärtig  allerdings  nicht  mehr  solche  Veran- 
lassungen, wie  zur  Zeit  Pugatschews:  dafür  b(;mühen  sich  zahlreiche  sozia- 
listische Wühler,  Keime  der  Zwietracht  zu  säen,  die  über  kurz  oder  lang 
mächtig  ins  Kraut  schiessen  müssen.  Wenn  ein  solcher  Mensch,  wie  wir  ihn 
geschildert,,  den  geeigneten  Zeitpunkt  wahrnähme,  könnte  er  unter  Mitwirkung 
der  Millionen  der  Skopzen  schon  eine  ganz  hübsche  Revolte  anstiften.  Die- 
selbe würde  natürlich  sehr  bald  unterdrückt  werden,  aber  doch  Tausende  ins 
Unglück  stürzen. 

Abgesehen  von  dieser  Möglichkeit,  darf  der  Staat  nicht  eine  Sekte  dulden, 
welche  sich  gegen  jede  l)ürgcrliche  und  staatliche  Ordnung  auflehnt,  die 
Grundlage  jeder  Gesellschaft,  das  eheliche  Leben,  mit  Füssen  tritt,  Menschen 
in  so  ruchloser  Weise  ihrer  natürlichen  Bestimmung  entzieht  und  ihren  end- 
lichen Triumph  mit  dem  Umsturz  aller  Dinge  zu  erringen  hofft.  Es  wird  ihm 
daher  sicher  Niemand  verargen,  wenn  er  diese  Sekte  mit  aller  Energie  bekämpft. 
Daher  erklärt  sich  auch  der  Schrei  des  Unwillens,  der  durch  ganz  Russ- 
land lief,  als  die  Skopzenangelegenheit  anlässlich  des  Plotizyn  sehen  Prozesses 
wieder  einmal  vor  das  Forum  der  öffentlichen  Meinung  gezogen  wurde. 
Wir  glauben  auch  durch  die  Schilderung  der  Ansichten,  Sitten  und  Tendenzen 
dieser  „weissen  Tauben"  klar  nachgewiesen  zu  haben,  dass  ein  solcher  Schrei 
vollkommen  gerechtfertigt  war.  Gotha.  F.  von  Stein. 


Zwei  Abbildungen  von  Skopzen. 


70  A.  Bastian: 


Miscelleii  und  ßttcherseliau. 

WirthmüUer:    Encyclopädie  der  katholischen  Theologie.    Landshut  1874. 

Der  Staat  (S.  769)  „ist  weder  positiv  göttliche  Einsetzung  und  mit  der  Kirche  identisch 
oder  auf  gleiche  Linie  zu  stellen,  noch  aus  der  freien  Vereinbarung  der  Individuen  hervorgegangen, 
sondern  entspricht  dem  natürlich  soiüalen  Trieb  (im  Laufe  seiner  Entwicklung  zum  Organismus 
ausgebildet)"  und  dadurch  erhält  er  eben  unter  dem  jetzigen  Ideenkreis  denjenigen  Character, 
der  das  Göttliche  früherer  Auffassungen  in  sich  trägt,  wogegen  die  Kirche,  die  dem  Staat 
gegenübersteht,  ,als  Reich,  das  nicht  von  dieser  Welt  ist"  damit  auch  aus  der  gegenwärtigen 
Weltauffassung  ausscheidet. 


AudijBferent:    Des  Maladies  du  Cerveau.     Paris  1874. 

II  ressort  de  l'ensemble  de  ce  travail,  qiie  l'Occident  tout  entier  est  malade  depuis  la  fin 
du  moyen-äge,  que  la  maladie  dont  il  est  atteint  tire  son  origine  de  la  ruptiue  meme  de  l'unite 
qui  fut  propre  au  regime  catholico-feodal. 

Stamm:    Ulfilas,  herausg.  von  Heyne.     VI.  Aufl.     Paderborn  1874. 

Der  neuesten  Auflage  ist  „eine  neue  vollständige  Ausgabe  des  Schlusses  der  neapolitanischen, 
sowie  der  aretinischen  Urkunde  einverleibt". 


The  Journal  of  the  Royal  Historical  and  Archaeological  Association  of 
Ireland,  originally  founded  as  the  Kilkerry  Archaeological  Society.  Vol.  II, 
Ser.  4.     Dublin  1874. 

Abbildung  auf  S.  257  über  Bone-hafted  Bronze-Sword  (das  dritte  seiner  Art)  in  der  Nähe 
des  Flusses  Blackwater  (Co.  Armagh)  gefunden. 


Ewald:    Eroberung  Preussens  I.  u.  II,  1872-1875.     Halle. 

Bei  dem  Friedensschluss  des  Deutschen  Ordens  mit  den  Pomeranen  (1249)  versprachen  die 
Neubekehrten  an  Preussen)  ,dem  Götzen  Curche,  welchen  sie  jährlich  einmal  aus  Aehren  bilden, 
sowie  den  andern  Göttern  keine  Opfer  mehr  darzubringen,  ebenso  auch,  keine  Tulissonen  und 
Ligaschonen,  welche  als  Priester  bei  Leichenfeiern  die  Laster  der  Verstorbenen  oft  für  Verdienste 
rühmten  und  mit  gen  Himmel  gerichteten  Augen  lügnerisch  ausriefen,  dass  sie  den  Todten  in 
glänzendem  WafFenschmuck,  auf  der  Hand  einen  Sperber  und  mit  grossem  Gefolge  durch  das 
Jenseits  reiten  sähen;  keine  solchen  und  andere  heidnische  Priester  fortan  mehr  unter  sich 
zu  dulden". 


Geze:   Elements  de  Grammaire  Basque,  dialecte  Souletin.    Bayonne  1873. 

Le  Souletin  m'a  paru  offrir  les  formes  verbales,  les  mieux  conservees  et  les  plus  completes 


Chabas:    Etudes  sur  l'antiquite  historique.     Paris  1873. 
Independamment  des  flcches,    les  rois  lancaient  aussi   la  javeline,    raunie  de  cordons  qui 
servaient   peut-etre  comme   l'amentum   k  augmenter  la  force  du  jet  [wie  in  Neu-Caledonien]. 
Die  Osker  fügten  (nach  Virgil)  dem  Wurfspiess  einen  Riemen  zu. 

Devison:    La  vie  de  St.  Brievc.     St.  Brieve  1874. 

Un  venerable  Religieux,  nomme  Marcanus,  estant  dans  une  profonde  meditation,  vid  l'äme 
de  ce  Sainct  (S.  Brievc)  sous  la  figure  dune  belle  Colombe,  blanche  comme  neige,  portee  dans 
le  Ciel  par  quatre  Anges,  en  forme  d'Aigles. 


Miscellen  und  Bücherschau.  71 

Genthe  :  Ueber  den  Etruskisclien  Tauschhandel  nach  dem  Norden.  Neu  er- 
weiterte Bearbeitung  mit  einer  archäologischen  Fundkarte.  Frankfurt  a.  M.  1874. 
Herrn  Dr.  Ludwig  Lindensclimit   gewidmet  in  berechtigter  Anerkennung  seiner  Verdienste 
für  diese  Frage. 


Preger:    Geschichte  der  deutschen  Mystik  im  Mittelalter,    1.  Thl.     Leip- 
zig 1874. 

Die  mystische  Lehre  des  Mittelalters  nimmt  ihren  Ausgangspunct  vornehmlich  aus  des 
Pseudodionysius  Speculation  (den  untergeschobenen  Schriften  des  Areopagiten  Dionysius),  welche 
das  Ghrislenthum  unter  die  Gesichtspuncte  des  Neuplatonismus  (Flotin's)  zu  steilen  versucht 
(s.  S.   148). 

Berlanga:    Los  Bronces  de  Osuua.     Malaga  1873. 
Epoca  en  que  hubieron  de  grabarse  los  bronces  (S.  304). 


Ebrard:    Die  iroschottische  Missionskirche.     Gütersloh   1873. 
Die  irisch-schottische  Missionskirche  Patrick 's,   die  bei  der  Sendung  Augustin's  nach  Bri- 
tannien (wo  das  mit  den  Legionen  eingeführte  Christenthum  bereits  wieder  zu  Grunde  ging)  in 
Berührung  kam,  wird  als  culdeische  bezeichnet  von  Celi-De  (Viri  dei). 


Lorgucs:  L'ambassadeur  de  dieu  et  le  Pape  Pie  IX.  Paris  1874.  (Mit 
Columbus'  Bilde.) 

Im  zweiten  Theil  handelt  das  neunte  Capitel  des  miracles  du  serviteur  du  Ciel  pendant 
sa  vie,  das  elfte  Capitel  des  miracles  apres  la  mort,  und  auch  der  erste  Theil  ist  bereits  an 
dergleichen  reich,  denn  le  Messagcr  de  l'Evangile,  während  eines  die  Schiflfe  bedrohenden 
Sturmes,  fait  allumer  dans  les  fanaux  deux  cierges  beniis,  et  ouvrant  l'Evangile  de  St.  Jean 
notifie  au  typhon,  qu'au  commencement  etait  le  Verbe,  que  le  Verbe  etait  en  dieu  et  que  le 
Verbe  etait  dieu  (S.  241),  und  das  Ungewitter  zieht  ohne  Schaden  vorbei.  Quelle  sagacite  ne 
montra  pas  la  teuipete  (S.  445). 

Records  of  the  past.     Vol.  III.     London  1874. 

The  name  of  the  Sumir  was  written  Käme  or  Ke-en-gi  in  Turanian  and  Sn-mi-ri  in  Semitic, 
and  the  Akkad  were  called  Urdu  in  Turanian  and  Ak-ka-di  in  Semitic  {G.  Smith).  The  name 
Accada  signities  „highlander"  (Sayce).     Synchronous  history  of  Assyria  and  Babylonia  (S.  25). 


Smith,  G.:    Assyrian  discoveries.     London  1875. 
The  Izdubar  or  Flood  Series  of  Legends  (Capt.  IX). 


Townshend:    Wild  life  in  Florida.     London  1875. 

Few  traces  of  its  original  inhabitants  remain  except  the  shell  and  eartli  heaps  and  what 
are  called  „Indian  mounds"  sorae  thirty  feet  in  height,  which  have  been  found,  wheii  opened, 
to  contain  humain  bones,  beads,  charcoal  and  pottery  and  are  seen  in  all  parts  of  the  peninsula 
and  also  on  some  of  the  larger  islands. 


Eys,  van:    Dictionnaire  Basque-fraupais.     Paris  et  Londres  1873. 
Es  sind  darin  vereinigt  „quatre  dialectes:    le  guipuzcoan,   le   biscaien,   le   labourdon   et   le 
bas-navarrais". 


Bird;    The  Ilawaiian  Archipelago.     Scarmouths  and  London   18(5. 
Auf  die  Briefe  folgt  (S.  447):  A  Chapter  ou  Ilawaiian  Atl'airs. 


72  Miscellen  und  Bücherschau. 

Vedel:     Undersogelser  angaaende  den    Aeldre   Jernalder    paa  Bornholm. 
Kjübenhavn   1873. 

Der  Inhalt  begreift  Brandpletter  (G— 23),  Roser  (32),  Uhraeiulte  ürave  (42),  Andre  Grave 
(ä8)  mit  18  Tafeln  Abbildungen. 

Cunningham :  Archaeological  Survey  of India(Report  for  the  year  1871-72), 
Vol.  III.     Calcutta  1873. 

In  der  Hindu- Architecture  (neben  der  Muhaiuuiedan  Architecture)  werden  unterschieden 
Archaic  period  (the  stone-walls  of  old  Rajagriha  or  Kusagarapura,  the  capital  of  Bimbisara,  as 
well  as  the  Jarasandha-ka-Baithak  and  the  Baibhar  and  Sonbhandhar  caves,  (wo  die  erste 
Syuode  der  Buddhisten  abgehalten  wurde),  Indo  Grecian  Period  (250— 510  a.  d.),  Indo-Scythian 
Period  (with  the  accession  of  the  later  Indo-Scythians  or  Tochari,  the  Greek  mythology  was  at 
first  superseded  by  the  Persian  worship  of  the  elements  and  soon  after  by  Indian  Buddhism 
which  was  zealously  adopted  by  Kanishka),  Indo-Sassanian  Period,  (brought  to  a  clcse  in  Western 
India  by  the  Muhammedan  conquest  of  Sindh  and  Multan),  Mediaeval  Brahmame  Period 
( —  120Ü  p.  d.,  when  the  Mohammedans  overran  the  valley  of  the  Ganges  and  got  possessiou 
of  the  ancient  kingdoms  of  Delhi,  Kanauy  and  Gaur),  Modern  Brahmanic  Period  (oft  mit  Zeichen 
mohammedanischen  Einüusses). 


Kelly:    A  practical  Grammar  of  the   ancient  Gaelic  or  language  of  the  isle 
of  Man,  usually  called  Manks  (edited  by  Rev.  W.  Gill).  Douglas  1870  (London). 
Ein  durch  die  (1858  gegründete)  Manx  Society  veranlasster  Neudruck   (for   the   publication 
of  National  documents  of  the  Isle  of  Man)  und  dann  separat  herausgegeben. 

O'Kelly:    The  Mambi-Laud  or  adventures  in  Cuba.     London   1874. 
The  land  of  the  Mambi  is  to  the  world  a  shadow-land  füll  of  doubts  and  unrealities.    It  is 
a  legend  and  yet  a  fact.     It  is  called  by    mauy    names,    yet    few  know    where   begins   or  ends 
its  frontier.     Si)aniards  call  it  the  Manigua  or  Los  Montes,  American  talk   of  it  as  Free  Cuba, 
and  those,  who  dwell  within  its  confines,  Cuba  Libre  or  the  Mambi-Land. 


Dawkins:    Cave  Hupting,  researches  on  the  evidence  of  caves,  respecting 
the  early  inhabitants  of  Europe.     London  1874. 

Der  erste  Appendix  handelt:  On  the  Instruments  and  mefhods  of  cave-huntings  (S.  435—441). 

Chabas:    Etudes  «ur  Tantiquit^  historique.     Chalons  s.  S.   1872. 
8i  l'Egypte  a  eu  un  äge  de  la  pierre,  cet  äge  correspondrait  i'i  la  periode  la  plus  ancienne 
des  quatre  mille  ans,  qui  ont  precede  l'epoque  historique. 

Spiess:    Physikalische  Geographie  von  Thüringen.     Weimar   1875. 
Als  531  das  Reich  Thüringen  den  vereinten  Franken  und  Sachsen  erlegen  war,   als  es  zur 
entlegenen  und  wenig  vertheidigten  Grenzmark  des  friinkisclion  Reiches  geworden,  drangen  von 
Osten  her  bis  tief  in  das  Innere  des  nördlichen  Thüringen  und    i'ilior  den  Frankenwald,   bis  in 
das  Thal  der  Itz,  slavische  Völkerschaften. 


Dahn:    Westgothische  Studien.     "W'ürzburg  1874. 

Die  Prügelstrafe  wird  (im  Westgotlienrecht)  ausserordentlich  häufig  und  auch  auf  die  höchsten 
Schichten  der  Freien  und  des  Adels  angewandt,  eine  Entfernung  von  urgermanischer  Empfindung, 
welche  das  Prodiict  des  Despotismus  und  des  Geistes  damaliger  Kirchen/ucht  ist. 


Die  lettischen  8oiiiieiimytheii. 


Der  geniale  Scharfsinn  A.  Kuhns  ,  des  Begründers  der  vergleichenden 
Mythenforschung,  hat  im  Veda,  dem  ältesten  Niederschlag  arischen  Glaubens, 
der  uns  erhalten  blieb,  den  Schlüssel  für  manches  Räthsel  der  griechisch- 
römischen, slavischen,  germanischen  Mythologie  aufgefunden.  Die  Wahrheit 
dieser  Entdeckung  beruhte  vor  allem  darin,  dass  hier  eine  umfangreiche 
Gattung  religiöser  Denkmäler  gleicher  Art  und  von  demselben  Volke,  und  im 
Ganzen  und  Grossen  aus  derselben  Culturepoche  herrührend  uns  die  mythol. 
Hüllen  uralter  Weltanschauung,  die  Götter  und  ihre  Thaten,  noch  im  Zustande 
des  Werdens,  den  Kristallisationsprocess  der  Naturmythen  noch  im  Flusse 
zeigte.  So  mannigfaltig  und  wechselnd  hier  die  bildlichen  Vorstellungen  und 
Beschreibungen  von  jedem  einzelnen  der  besungenen  Gegenstände  und  Vor- 
gänge sind,  bleiben  sie  bis  zu  einem  ziemlich  hohen  Grade  verständlich,  oder 
sind  ohne  grössere  Schwierigkeit  zu  enträthseln,  da  in  den  meisten  Fällen 
das  Object,  um  welches  es  sich  handelt,  unverhüllt  genannt,  oder  unverkennbar 
gekennzeichnet  wird.  Aus  diesem  Grunde  ist  die  altindische  Hymnendichtuug 
vorzugsweise  geeignet,  uns  durch  lebendige  Analogie  den  Sinn  und  die  Sprache 
solcher  Mythen  bei  andern  Völkern  aufzuschliessen,  welche  wie  sie  noch  ursprüng- 
liche, von  der  Willkür  epischer  oder  dramatischer  Weitcrerzähler  unverfälschte 
Naturpoesie  enthalten.  Mit  einer  gewissen  Sicherheit  wird  die  Mythen  vorgleichung 
nur  dort  vom  Bekannten  zum  Unbekannten  fortschreiten  können,  wo  dieUrsprüng- 
lichkeit  und  Reinheit  von  Zudichtungen  zuvor  festgestellt  und  das  Naturgebiet  be- 
kannt ist,  welchem  die  mythischen  Lieder  entnommen  sind.  Es  liegt  im  höchsten 
Interesse  der  noch  durch  und  durch  jugendlichen  Forschung  für  den  Anfang  solche 
Felder  zu  durchmessen,  welche  dem  Irrthum  einen  möglichst  geringen  Spielraum 
übrig  lassen,  und  die  anderswoher  gewonnenen  allgemeinen  und  einzelnen  Wahr- 
nehmungen über  das  W  esen  und  die  Bildung  der  Mythen  an  solchen Literaturcom- 
plexeii  zu  prüfen,  welche  —  gleich  denHymnen  desRigveda  —  eine  grössere  Masse 
gleichartiger  und   deshalb  commensurabler  Ueberlieferungen  von  unzweifelhaft 

ZtiitücUilU  tür  Klüuolcj^ie,  JaUri^itug  1»7&.  ti 


74  W-  Mannhardt: 

erkennbarem  Hauptinhalte  umfassen.  Mit  andern  Worten,  es  erscheint  für 
die  feste  Grundlegung  des  neuen  Baues  erspriesslicher,  von  bekannten  ein- 
fachen Gegenständen  ausgehend,  deren  mythologische  Auffassung  zu  verfolgen, 
als  von  der  Analyse  grösserer  dichter  verschlungener  Sagengewebe,  deren 
Zettel  und  Einschlag,  Grundlage  und  historische  Veränderungen  gleich  un- 
bekannte und  darum  vieldeutige  Grössen  darstellen.  Von  diesen  Erwägungen 
geleitet,  hat  der  Verfasser  dieses  Aufsatzes  den  mythischen  Ackerbaugebräuchen 
seine  Aufmerksamkeit  zugewandt.  Eine  andere  ebensowohl  alterthümliche 
als  in  ursprünglicher  Reinheit  erhaltene  Schicht  mythischer  Traditionen  von 
beachteuswerthem  Umfang,  gleicher  Art  und  gleichmässiger  Beziehung  auf 
ein  und  das  nämliche  Naturgebiet,  kannte  ich  in  den  lettischen  und  litauischen 
Volksliedern,  welche  das  Leben  der  Sonne,  ihren  Aufgang,  Untergang  und 
Nachtaufenthalt  schildern.  Durch  das  soeben  erfolgte  Erscheinen  einer  längst 
erwarteten  lettischen  Liedersammlung  ist  mein  Vorrath  einschlägiger  Lieder 
auf  eine  solche  Anzahl  gestiegen,  dass  es  lohnend  erscheint,  die  Aufmerksam- 
keit der  Mythenforscher  auf  das  in  denselben  enthaltene  wichtige  und  lehr- 
reiche Material  zu  lenken. 

Die  Quellen,  aus  denen  ich  die  untenstehende  Sammlung  geschöpft  habe, 
sind  die  folgenden: 

Spr.  Pamjatniki  latiischkago ,  narodnago  twortschewstwa  ssabränii  i 
isdanii  Iwanom  Ssprogissom.  Wiljna  1868,  mit  russischen  Lettern  gedruckte 
und  mit  russischer  Uebersetzung  versehene  Sammlung  lettischer  Volkslieder 
aus  dem  Polnischen  Livlaud  von  Iwan  Sprogis.  Der  Verfasser,  Custos  der 
K.  Bibliothek  zu  Wilna,  hatte  die  Güte,  mich  bei  meiner  Durchreise  durch 
Wilua  im  Frühjahr  I86ü  mit  einem  Exemplare  seines  Werkes  zn  beschenken, 
welches  kurz  darauf,  als  ich  zu  Dohlen  in  Kurland  unter  dem  gastlichen  Dache 
August  Bielensteiu's,  des  gründlichsten  Kenners  nicht  allein  der  lettischen 
Sprache,  sondern  auch  der  lettischen  Volksüberlieferung  verweilte,  der  Gegen- 
stand unseres  eifrigen  Studiums  wurde.  Bielenstein  verdanke  ich  eine  wort- 
getreue Uebersetzung  der  für  die  Mythologie  wichtigen  Stücke.  Der  grosse 
Werth  der  in  jeder  Weise  zuverlässigen  Sammlung  beruht  sowohl  auf  zahl- 
reichen interessanten  Varianten  zu  schon  bekannten  Liedern,  als  in  vielen 
neuen,  ihr  eigenthümlichen  Gesängen  Die  Heimath  des  Sammlers,  das  so- 
genannte polnische  Livland,  jene  nordwestliche  Ecke  des  heutigen  Gouverne- 
ments Witebsk  nördlich  der  Düna  zwischen  Dünaburg  und  Luzyn,  welche 
bei  der  Eroberung  Liviauds  durch  Schweden  im  Anfange  des  siebzehntnn 
Jahrhunderts  bei  Polen  verblieb,  ist  bis  auf  ganz  neuere  Zeit  weit  mehr  als 
andere  von  jedem  C'ulturleben  unberührt  geblieben.  Von  den  fast  ganz  heid- 
nisch zu  nennenden  Zuständen,  welche  um  1(500  in  der  entvölkerten,  fast 
jeder  christlichen  Kirche  entbehrenden  Landschaft  herrschten,  legen  die  Be- 
richte der  Kigaei-  und  Wilnaer  Jesuiten  über  ihre  Missionsreisen  bei'edtes 
Zeugniss  ab.  Das  sparsam  und  zerstreut  in  dichten  Wäldern  lebende  Volk 
brachte,  trotzdem  es  deu»   Namen   nach  christlich  war,  zu  gewissen  Zeiten  des 


Die  lettischen  Sonnenmythen.  75 

Jahres  dnrch  sogenannte  Popen  unter  heiligen  Bäumen  das  Opfer  eines 
schwarzen  Stieres,  Bocks  oder  Hahnes,  ganzer  Tonnen  Bier;  man  trug 
schlangeuförmiges  oder  hundegestaltiges  Gebäck  unter  die  Eiche  zu  Ehren 
göttlicher  Wesen  des  Himmels  und  der  Erde,  oder  mehr  untergeordneter 
Gottheiten  für  Fische,  Aecker,  Gärten,  Hausthiere  und  alle  Verrichtungen 
des  bäuerlichen  Lebens.  Ein  Dämon  der  Aecker  und  des  Kornes  Zeruklis 
(d.  i.  deijenige,  auf  den  man  seine  Hofl'nung  setzt,  von  zer-et  hoffen,  vgl. 
Bielenstein,  die  lettische  Sprache  I.  295)  wird  u.  A.  öiter  erwähnt.  Diese 
und  ähnliche  Angaben  wiederholen  sich  so  oft  und  in  durchaus  unverdächtigen 
und  von  einander  unabhängigen  Zeugnissen  und  werden  ausserdem  durch 
gleichzeitige  oder  nahezu  gleichzeitige  Analogien  bei  den  nahverwandten 
Litauern  und  im  Samlande  gestützt,  so  dass  an  ihrer  Wahrheit  im  grossen 
und  ganzen  nicht  zu  zweifeln  ist. i)  Um  so  erklärlicher  erscheint  es,  dass 
grade  im  polnischen  Livland,  welches  der  katholischen  Gegenreformation  ver- 
fallen, von  den  evangelischen  Letten  in  Kurland  und  im  eigentlichen  Livland 
durch  Religion,  Mundart  uud  politische  Verhältuisse  wie  durch  eine  Mauer 
getrennt  ist,  sich  das  alte  Erbtheil  mythischer  Lieder  am  vollständigsten  und 
reinsten  bewahrt  hat. 

U.  Lettische  Volkslieder  übertragen  im  Versmaass  der  Originale  von 
Karl  Ulman.  Riga  1874.  Diese  Sammlung  enthält  das  Wichtigste  aus 
dem  bis  dahin  zusammengebrachten,  theils  ungedruckten,  theils  gedruckten 
V^orrath  lettischer  Volkslieder  in  Kurland  uud  dem  eigentlichen  Livland. 
Nächst  der  altern  gedruckten  Sammlung  von  Büttner  haben  die  handschrift- 
lichen Aufzeichnungen  A.  Bielensteins  und  des  Uebersetzers  die  Originale 
für  die  mit  gründlichster  Kenntniss  der  Sprache  und  des  Volksliedes  aus- 
geführten Uebertragungen  geliefert. '') 

B.  Ungedruckte  Stücke  aus  Bielensteins  vorzüglich  in  Semgalleu  ge- 
machter Aufzeichnung. 

N.  Litauische  Volkslieder,  gesammelt,  kritisch  bearbeitet  und  metrisch 
übersetzt  von  G.  H.  G.  Nesselmann.    Berlin  1853. 

S.  Litauische  Märchen,  Sprichwörter,  Rätsel  und  Lieder.  Gesammelt 
und  übersetzt  von  A.  Schleicher.    Weimar   1857. 

Rh.  Dainos  oder  Litthauische  Volkslieder.  Herausgegeben  von  L.  J.  Rhesa. 
Neue  Auflage  von  F.  Kurschat.    Berlin  1843. 


')  Ausführliche  ilittheilungen  darüber  eutlialten  ilie  im  Manuscript  vollendeten,  von  mii* 
unter  Mit\virkunf)[  von  Stadtbibliothekar  Berkholz  in  Riga  herauszugebenden  , Denkmäler  der 
letto-preussischen  Mythologie". 

'-')  Seit  ich  obige  Zeilen  schrieb,  hat  auch  die  Verüffentlichung  einer  grösseren  Ausgabe 
lettischer  Volkslieder  in  der  Origiiialspraclie  von  Seiten  der  lettisch-literarischen  Gesellschaft 
begouuen:    l.atweeschu  tautas  dseesuias.     I.  Leipzig  1874. 


76 


W.  Mannhardt; 


1.*) 
Spr.  309  cf.  U.  150, 
Ich  blicke  auf  die  Sonne 
Wie  auf  mein  Mütterchen. 
Wohl  ist  sie  warm,  wohl  freundlich, 
Sprache  allein  fehlt. 


Spr.  309. 
Die  Sonne  ist  warm, 
Das  Mütterchen  freundlich, 
Beide  von  gleicher  Zärtlichkeit, 
Die  Sonne  warm  zum  Wärmen, 
Das  Mütterchen  treundlich  sich  zu  unterhalten. 


6. 
U.  152. 
Hinterm  Berge  steigt  der  Rauch  auf, 
Wer  hat  Feuer  angezündet? 
Lieb'  Maria  heizt  die  Badstub', 
Drin  die  Waisenmägdlein  baden. 

7. 
U.   164. 
Waislein  liefen  alle  wir 
Auf  den  Berg  der  Sonnenblumen, 
Trockneten  uns  dort  die  Thränen 
Mit  den  Sonnenblumenblättern. 


3. 
ü.  163.  Spr.  309. 
Was  verziehst  du,  liebe  Sonne, 
Warum  gingst  nicht  früher  auf  du? 
Hab'  gesäumet  hinterm  Berge, 
Um  das  Waislein  zu  erwärmen. 


N.  2.  Rh.  78.  Schi.  2. 
0  Sonne  (Sonnchen,  Saulyte)  Gottes 
Tochter  (Die wo  Dukte), 
Wo  säumtest  du  so  lange? 
Wo  weiltest  du  so  lange, 
Seit  du  von  uns  geschieden? 

Jenseits  des  Meers,  der  T->erge 
Bewachte  ich  die  Waisen, 
Erwärmte  ich  die  Hirten. 
Ja,  viel  sind  meiner  Gaben. 

0  Sonne,  Gottes  Tochter, 
Wer  hat  denn  früh  und  spät  dir 
Das  Feuer  angezündet, 
Das  Lager  dir  bereitet? 

Der  Abendstern  (Wakarine  Fem.)  der  Früh- 
stem (Auszrine  Fem.) 
Der  Morgenstern  das  Feuer, 
Der  Abendstern  das  Lager. 
Ja,  groGS  ist  meine  Sippschaft. 

5. 

U.   161. 
Sonne,  blick'  zurück  im   Laufe, 
Wer  in  deinem  Schatten  folgt  ;<' 
Hundert  kleine  Waisenkinder 
Blossen  Fusses  suchen  dich! 


U.  157. 
Was  strahlt  dort  noch  spät  am  Abend, 
Da  die  Sonne  nicht  mehr  scheinet  ? 
Lieb'  Maria  glänzend  gehet. 
Hört,  dass  Waislein  sich  verlobe. 
„Ach  du  irrst  dich  lieb  Maria, 
Schau,  wie  leer  sind  meine  Hände!" 
Geh'  nur  Waislein,  sorg   dich  nimmer, 
Helfen  will  ich  deiner  Armut. 

9. 

U.  170. 
Nimm  das  Waislein  Brüderchen, 
Wahrlich  vornehm  ist  die  Sippe! 
Gott  ist  Vater,  Laima  (das  Schicksal,  die 

Schicksalsgöttiu)  Mutter, 
Brüder  sind  die  Gottessöhne. 

10. 
N.  6.  Rh.  67.  Schi.  9. 
Meine  Tochter  öimonene  (Frau  des  Simon), 
Wie  kamst  du  zum  Knaben? 
Mutter,  Mutter,  hochehrwürdge. 
Er  kam  mir  im  Schlafe. 

Meine  Tochter  Simonene, 
Worin  wirst  ihn  hüllen? 
Mutter,  Mutter,  hochehrwürdge. 
In  des  Kleides  Zipfel. 

Meine  Tochter  Simonene, 
Wer  wird  ihn  denn  warten? 
Mutter,  Mutter,  hochehrwürdge, 
Gottes  schöne  Töchter  (Diewo  Dukruzeles; 
Tragen  ihn  auf  Händen. 


')  Im  Folgenden  bedeuten  dio  Citate  aus  Spr.  die  Seitenzahl,  aus  U.,  N.,  Seh.  die  Nummer 
des  Liedes. 


Die  lettischen  Sormenmythen. 


77 


Meine  Tochter  Simonene, 
Worin  wirst  ihn  legen? 
Mutter,  Mutter,  hochehr würdge, 
In  des  Taues  Decke. 

Meine  Tochtar  Simonene, 
Worin  wirst  ihn  wiegen? 
Mutter,  Mutter,  hochehrwürdge, 
Wohl  in  Laimas  Wiege. 

Meine  Tochter  Simonene, 
Womit  wirst  ihn  speisen? 
Mutter,  Mutter,  hochehrwürdge, 
Mit  der  Sonne  Brödchen. 

Meine  Tochter  Simonene, 
Wohin  wirst  ihn  senden? 
Mutter,  Mutter,  hochehrwürdge. 
Zum  Bojarenheere, 

Meine  Tochter  Simonene 
Was  wird  aus  ihm  werden? 
Mutter,  Mutter,  hochehrwürdge, 
Hetman  wird  er  werden! 

11. 
Spr.  313. 
In  Kurland  sind  schwarze  Wälder 
Mit  rothen  Beeren; 
Das  waren  keine  rothen  Beeren, 
Das  waren  Thränchen  der  Sonne. 

U.  426. 
Hinterm  Bächlein  auf  dem  Berge 
Wachsen  rothe  Beeren  viel; 
Dort  hat  Sonne  viel  geweinet 
Und  die  Thränen  abgetrocknet. 

12. 
U.  435. 
Abends  geht  die  Sonne  unter, 
Schmückt  des  Waldes  grüne  Wipfel: 
Giebt  der  Linde  goldne  Krone, 
Einen  Silberkranz  der  Eiche, 
Und  den  kleinen  Weiden  schenkt  sie 
Jeder  einen  goldnen  Ring. 

13. 
Spr.  316. 
Der  Perkun  fuhr  übers  Meer, 
Jenseits  des  Meers  ein  Weib  zu  nehmen; 
Die  Sonne  mit  der  Aussteuerlade 
Fuhr  (ging)  hinten  nach,  alle  Widder 

beschenkend : 
Dem  Eichbaum  einen  goldenen  Gurt, 


Dem  Ahorn  bunte  Handschuhe  aus  Gold, 

Der  kleinen  Weide  einen  gedrehten  Ring. 

14. 
U.  452. 
üeber's  Meer  hin  fährt  der  Perkun, 
Jenseits  sich  ein  Weib  zu  holen, 
Mit  dem  Brautschatz  folgt  die  Sonn'  ihm, 
Alle  Wälder  rasch  durchglühend. 

15. 
U.  483. 
Ihre  Tochter  gab  die  Sonne 
Fort  nach  Deutschland  über's  Meer  hin; 
Brautschatz  führen  Gottes  Söhne, 
Alle  Bäume  reich  beschenkend : 
Goldne  Handschuh'  nahm  die  Fichte, 
Grünes  Wollentuch  die  Tanne, 
Alle  Birken  goldne  Ringe 
An  die  zarten  weissen  Finger! 

16. 
U.  425. 
Warum  glühn  an  jedem  Ahend 
Roth  des  Waldes  grüne  Spitzen? 
Sonne  hängt  ihr  Seidenröckche  n 
Jeden  Abend  aus  zum  Lüften 

17. 
ü.  443. 
Sonne  schalt  den  blassen  Mond  aus. 
Warum  er  nicht  heller  glänze? 
Schnell  die  Antwort  gab  der  Mond  ihr: 
Dir  gehört  der  Tag,  die  Nacht  mir! 
Leuchte  du  des  Tags  den  Menschen, 
Ich  beschau  mich  Nachts  im  Wasser. 

Spr,  311. 
Die  Sonne  schalt  das  Mondchen, 
Warum  es  am  Tag  nicht  scheine, 
Das  Mondchen  antwortete: 
Dir  Tagchen,  mir  Nachtchen! 

18. 
U.  455. 
Sonne  mit  zwei  goldnen  Rossen, 
Fährt  den  Kieselberg  hinan. 
Nimmer  müde,  nimmer  schwitzend, 
Ruhen  nicht  sie  auf  dem  Weg. 

19. 
ü.  463. 

Welch"  ein  stolzer  Hof  erglänzet 
Hinter' m  Berge  dort  im  Thale? 
Führen  hin  drei  hohe  Thore, 
Alle  drei  von  Silber  strahlend  1 


78 


W.  Mannhardt: 


Zu  dem  einen  fährt  Gott  selbst  ein, 
Durch  das  andre  lieb  Maria, 
Durch  das  dritte  fährt  die  Sonne 
Mit  zwei  stolzen,  goldnen  Rossen. 

20. 

Spr.  310. 
Die  Sonne  badete 
Ihre  Rösslein  im  Meere, 
Selbst  sitzt  sie  auf  dem  Berge, 
In  der  Hand  die  goldenen  Zügel. 

31. 

U.  456. 
Sonnentochter  (Saules  meita),  holde 
Jungfrau, 
Reitest  wohl  auf  kleinem  Rösslein? 
Jeden  Morgen  ist  das  grüne 
Röckchen  dir  von  Thau  gefeuchtet. 

22, 
U.  467. 
Sonne  die  tanzt  auf 
Silbernem  Berge, 
Hat  an  den  Füssen 
Silberne  Schuhe. 

23. 
Spr.  309. 
Sonne,  meine  Taufmutter, 
Gab  die  II and  über  die  Daugawa  (l)nna- 

strom ;  eigentl.  das  grosse  Wasser). 
Weder  tauchten  ihr  ein  die  Goldquasten, 
Noch  die  silbernen  Säume. 

24. 
Spr.  309. 
Was  bellten  die  Hunde  des  Dorfes 
An  der  Pforte  hockend? 
Die  Sonne  fuhr,  den  Nebel  zu  löschen, 
Ueber  den  silbernen  See. 

25. 
Spr.  310. 
Ich  habe  mich  der  Sonne  verbündet, 
Zu  kommen  nach  Deutschland. 
Schon  ist  die  Sonne  in  Deutschland 
Und  ich  bin  noch  an  der  Meeresbucht. 

26. 
Spr.  313. 
Die  Sonne  säte  Silber 
Im  baumstumpfreichen  Kodeland, 
Säe  doch  Sonnchen  mein  Teilchen 
Oben  auf  den  Baumstumpf! 


27. 
U.  476. 
Was  hast  du  den  ganzen  Sommer 
Denn  gethan,  du  liebe  Sonne? 
Einen  Kranz  von  Rosen  flocht  ieh 
Um  den  jungen  Gerstenacker. 

28. 
Büttner  19. 
Bitterlich  weint  das  Sonnchen 
Im  Apfelgarten. 

Vom  Apfelbaum  ist  gefallen 
Der  goldene  Apfel. 

Weine  nicht,  Sonnchen, 
Gott  macht  einen  andern. 
Von  Gold,  von  Erz, 
Von  Silberchen. 

29. 
Spr.  312.  U.  457. 
Stehe  früh  auf  Sonnentochter, 
Wasche  weiss  den  Lindentisch, 
Morgen  früh  kommen  Gottes  Söhne 
Den  goldenem  Apfel  zu  wirbeln  (rollen). 

30. 
Spr    314. 
Schlafe,  schlafe  Sonnchen 
Im  Apfelgarten. 
Voll  sind  deine  Aeuglein 
Mit  Apfelbaumblü  then. 

31. 
U.  466. 
Einfuhr  die  Sonne 
Zum  Apfelgarten, 
Neun  Wagen  zogen 
Wohl  hundert  Rosse. 

Schlummre,  o  Sonne, 
Im  Apfelgarten, 
Die  Augenlider 
Voll  Apfelblüthen. 

32. 
U.  465. 
Was  weint  die  Sonne 
So  bitter  traurig? 
Ins  Meer  versunken 
Ein  golden  Boot  ist! 

Wein'  nicht,  o  Sonne, 
Gott  baut  ein  neues. 
Halb  baut  er's  golden, 
Und  halb  von  Silber. 


Die  lettischen  Sonnenmythen. 


79 


33. 
Spr.  310. 

Es  geht  die  Sonne  am  Abend  unter 
Und  fällt  in  ein  goldenes  Schifflein, 
Am  Morgen  geht  die  Sonne  auf, 
Das  Schifflein  bleibt  hinter  ihr  auf  den  Wellen. 

34. 
Spr.  312.  Büttner  18. 
Die  Sonnentochter  watete  im  Meere, 
Man  sah  nur  noch  das  Krönchen, 
Rudert  das  Boot,  ihr  Gottessöhne, 
Rettet  der  Sonne  Leben  (Var.  Seelchen). 

35. 
U.  469. 
Sonnentochter  sank  ins  Meer, 
Und  die  Krone  sah  man  blinken, 
Auf  dem  Berg  stand  Gottes  Sohn, 
Schwang  ein  golden  Kreuz  in  Händen. 

36. 
Spr.  313. 
Ein  Schmied   schmiedete  am  Himmel, 
Die   Kohlen  fielen  in  grosse  Wasser  (Daugawa). 
Dem  Gottessohn  schmiedete  er  Sporen, 
Der  Sonnentochter  einen  Ring. 

37. 
U.  477. 
Himmelschmied  am  Himmel 

schmiedet 
In's  grosse  Wasser  (Daugawa,  Düna)  fallen 

Kohlen. 
Breitete  mein  Wolltuch  drunter: 
Nun  ist's  voller  Silberstiicke. 

38. 

Spr.  302. 
Der  Schmied  schmiedete  am  Meeresstrande, 
Was  schmiedete  er,  was  schmiedete  er  nicht? 
Er  schmiedete  des  Gottessohnes  Gürtel, 
Den  Wainags  (Krone,  Mädchenkranz)  der 
Sonnentochter. 

39. 
Spr.  316. 
Schmettere  Perkun  in  den  Quell 
Bis  in  den  Grund  hinein; 
Gestern  Abend  ertrank  die  Sounentochter, 
Die  goldene  Kanne  waschend. 

U.  454. 
Schleudre  deinen  Blitz,  o  Perkun, 
In  des  Sees  tiefste  Tiefe; 


Dort  ertrank  die  Sonnentochter, 
Als  sie  goldne  Kannen  wusch. 

40. 
U.  455. 
Schleudre  deinen  Blitz,  o  Perkun, 
In  der  Quelle  tiefste  Tiefe, 
Findest  dort  WaMteufels  Tochter, 
Wie  sie  goldne  Kannen  wäscht. 

41. 

U.  459. 
Wessen  Pferde,  wessen  Wagen 
Stehen  vor  der  Sonne  Thüre? 
Gottes  Pferd',  Marias  Wagen, 
Freier  um  die  Sonnentochter. 

42.  • 

Biclenstein. 
Warum  stehen  die  grauen  Rosse 
An  der  Hausthür  der  Sonne? 
Es  sind  des  Gottessohnes  graueRosse, 
Der  freit  um  die  Tochter  der  Sonne. 

Der  Gottessohn  reichte  die  Hand 
Der  Sonnentochter  über  das  grosse  Wasser 

(Daugawa) ; 
Die  Sonne  weinte  bitterlich 
Auf  dem  Berge  stehend. 
"Wie  sollte  sie  nicht  weinen? 

Es  war  ihr  leid  um  das  Mägdlein, 
Leid  um  die  Aussteuer, 
Die  Lade  mit  Gold  beschlagen, 
Silberne  Gaben. 

43. 

Bielenstein. 
Graue  Rösslein,  schmucke  Wagen 
An  der  Hausthür  der  Sonne: 
Die  Sonnenmutter  (Saules  mäte)  gab  die  Tochter 
Und  lädt  mich  zum  Brautgefolge. 

44. 

Spr,  301. 
Wessen  sind  die  grauen  Rösschen 
An  Gottchens  Hausthür? 
Das  sind  des  Mondes  Rösschen, 
Derer  die  da  freien  um  die  Sonnentochter. 

Heute  besattelte  die  Sonne 
Hundert  braune  Rösschen, 
Gieb  Gottchen  dem  Monde 
Hundert  Söhnchen  als  Reiter, 


80 


W.  Mannhardt: 


45.  [vgl.  82]. 
Spr.  -298. 
Wo  wäret  ihr  Gottessöhne 
Mit  schweisstriefenden,  besattelten  Rosschen? 
Die  Gottessöhne  lassen  ihre  Rosschen 
In  die  Goldkoppel, 

Lassen  sie  hinein  in  die  Goldkoppel, 
Stellen  mich  als  Hüterchen  hin, 
Schärfen  Folgendes  ein,  mich  hinstellend: 
„Brich  nicht  ab  einen  goldenen  Zweig". 
Ich  brach  ein  Zweiglein  ab,  lief  in 's  Thal. 
Es  suchet  mich  das  liebe  Gottchen  mit  seinen 

Dienern ; 
Es  findet  mich  das  liebe  Gottchen 
Mit  seinen  Dienern; 
Es  legt  mich  das  liebe  Gottchen 
Zu  seinen  Dienstmägden. 
Ich  bitte  dich,  liebes  Gottchen, 
Was  für  einen  Lohn  wirst  du  mir  geben? 
Ich  werde  dir  geben  eine  goldene  Krone 

(Krohnis) 
Mit  silbernen  Rändern. 
,Ich  bitte  dich,  liebe  Laima, 
Wo  werde  ich  sie  verwahren?" 
Am  Abend  dich  schlafen  legend. 
Lege  sie  unter  den  Kopf 
Am  Morgen  irüh  aufstehend 
Setze  sie  auf  den  Kopf. 

46. 
Spr.  314. 
Es  sagen  die  Leute 
Der  Mond  habe  kein  eigenes  Rosschen ; 
Der  Morgenstern  und  der  Abendstern 
Sind  des  Mondes  Rosschen. 

47. 
Spr.  313. 
Wo  läufst  da  hin,  Mondchen 
Mit  dem  Sternenmäntelchen? 
Ich  gehe  in  den  Krieg,     u.  s.  w. 

48. 
Spr.  314. 
In  der  Nacht  fuhr  das  Mondchen, 
Ich  als  des  Mondes  Fuhrmann, 
Der  Mond  gab  mir 
Seinen  Sternenmantel. 

49. 
Spr.  315. 
Der  Morgenstern  ging  früh   auf, 
Hegehrend  die  Soniienlochter. 
Geh  auf  Sonnchen  selber  früh, 
Gieb  nicht  die  Tochter  dem  Morgenstern. 


50. 

Spr.  315. 
Alle  Sterne  sind  mir  sichtbar, 
Der  Morgenstern  allein  ist  nicht  da; 
Der  Morgenstern  ist  hingelaufen 
Auf  die  Freischaft  um  die  Sonnentochter. 

51. 
Spr.  315. 
Wo  ist  der  Morgenstern, 
Dass  man  ihn  nicht  sieht  aufgehen? 
Der  Morgenstern  ist  in  Deutschland, 
Näht  einen  Sammetrock. 

52. 
Spr.  313. 
Zwei  Lichterchen  brannten  im  Meere 
Auf  silbernen  Leuchtern, 
Die  Sonnentochter  sass  dabei, 
Schmückend  ihr  Krönchen. 

U.  470. 
In  dem  Meere  brennen  Lichter 
Zwei  auf  hohen  goldnen  Leuchtern, 
Sitzen  dort  zwei  Sonnentöchter 
Goldne  Kronen  in  den  Händen. 

53. 
Spr.  303. 
Zwei  Lichterchen  brennen  im  Meere 
Auf  silbernen  Leuchtern, 
Die  zünden  an  die  Gottessöhne, 
Wartend  auf  die  Sonnentochter. 

54. 
Spr.  303. 
Gottes  Söhne  bauten  eine  Klete 
Goldene  Sparren  zusammenfügend: 
Die  Sonnentochter  ging  hindurch 
Wie  ein  Blättchen  bebend. 

U.  471. 
Gottes  Söhne  bauen  ein  Haus  auf, 
Goldene  Sparren  auf  dem  Dache: 
Eingehn  dort  zwei  Sonnentöchter 
Wie  zwei  Espenblättlein  zitternd. 

55. 
Spr.  303. 
Hinter  dem  Berge  ein  Eichbaum, 
Hinter  dem  Eichbaura  ein  See. 
Der  Gottessohn  hing  auf  (an  der  Eiche) 

seinen  Gürtel, 
Die  Sonnentochter  das  Krönchen. 


Die  lettischen  Sonnenmythen. 


8i 


56. 
Spr.  302. 
Wer  konnte  das  ausführen, 
In  der  Mitte  des  Meeres  einen  Haufen  (Insel) 

aufwerfen  ? 
Das  hat  Gottes  Sohn  gethan, 
Freiend  um  die  Sonnentochter. 

57. 
Spr.  303. 
Johanuchen  zerschlug  die  Kanne 
Auf  einem  Stein  sitzend, 
Der  Gottessohn  bebänderte  sie 
Mit  silbernen  Dauben. 


63. 
Spr.  311. 
Die  Sonnentochter  wäscht  sich 
In  der  Bucht  des  raschen  Bächleins; 
Gottes  Sohn  späht  (nach  ihr)  aus 
Vom  goldenen  Weidenbusche. 

64. 
Spr.  312. 
Der  goldene  Hahn  hat  gekräht 
Am  Rande  des  grossen  Wassers  (Daugawa), 
Dass  sich  erheben  möchte  die  Sonnentochter 
Den  Seidenfaden  zu  zwirnen. 


58. 
Spr.  302. 
Weiss  waren  des  Herren  Söhne, 
Die  meine  Kraft  niederzogen, 
Aber  noch  weisser  die  Gottessöhne, 
Die  mir  die  Kraft  gegeben  haben. 

59. 
Spr.  310. 
Hütet  euch  ihr  Gottessöhne, 
Heute  morgen  ist  die  Sonne  zornig  aufgegangen, 
Warum  zieht  ihr  Abends  ab 
Den  Ring  der  Sonnentochter? 

60. 
Spr.  311. 
Drei  Tage,  drei  Nächte 
War  die  Sonne  mit  Gott  im  Streit. 
Die  Gottessöhne  haben  abgezogen 
Den  Ring  der  Sonnen tochter. 

U.  45S. 
Tage  zwei  und  drei  der  Nächte 
Waren  Sonn'  und  Gott  in  Hader. 
Gottes  Söhne  hatten  Ringe 
Sonnentöchtern  abgezogen. 

61. 
Spr.  312. 
Gestern  war  die  Sonne  glanzvoll, 
Heute  ist  sie  so  verhüllt. 
Gestern  leuchtete  die  Sonne  selbst 
Heute  der  Sonne  Dienstmagd. 

62. 
Spr.  312. 
Die  Sonne  schalt  ihre  Töchter 
In  der  Mitte  des  Himmels  stehend. 
Die  eine  hatte  nicht  gefegt  die  Diele, 
Die  andere  hatte  nicht  gewaschen  den  Tisch. 


65. 
Sbr.  313. 
Sonne,  Sonne,  Mondchen'. 
Was  machen  eure  Knechte? 
Die  seidenen  Wiesen  sind  ungemäht, 
Die  goldenen  Berge  sind  ungeeggt. 

66. 
Spr.  303. 

Gottes  Söhne  geriethen  in  Streit 
Mit  dem  Waggar  (Aufseher  der  Knechte)  des 

P  e  r  k  u  h : 
„Die  Seidenberge  sind  nicht  geeggt. 
Die  goldenen  Wiesen  sind  nicht  gemäht!" 

67. 
Spr.  310. 
Wo  liefst  du  hin,  Sonnen  tochter, 
Mit  der  silbernen  Harke? 
An  dem  Ufer  des  grossen  Wassers  (Daugawa) 

Heu  zu  harken 
Gegenüber  dem  Morgenstern. 

68. 
Spr.  302. 
Schwarze  Stiere,  weisse  Hörner, 
Sie  frassen  Röhricht  im  grossen  Wasser 

(Daugawa) ; 
Das  waren  nicht  schwarze  Stiere, 
Das  waren  Gottes  Rösschen. 

69. 
Bielenstein. 
Gottes  Gänse,  Gottes  schwarze  Stiere 
Fressen  auf  das  grüne  Gras. 
Die  Gottessöhne  rodeten  aus  den  Birkenwald, 
Und  gingen  weg  nach  Deutschland, 
Um  mit  Bechern  zu  spielen. 
Var  :  auf  goldener  Kohkle  (Harfe)  spielend. 


82 


"W.  Mannhardt: 


70. 
Spr.  311. 
Drei  Tapfe,  drei  Nächte 
War  Gott,  mit  der  Sonne  in  Streit. 
Die  Sonnentochter  hat  abgebrochen 
Das  Schwert  des  Gottessohnes. 

71a. 
Spr.  311. 
Drei  Tage,  drei  Nächte 
War  Gott  mit  der  Sonne  in  Streit; 
Die  Sonne  schlug  (warf)  den  Mond 
Mit  einem  silbernen  Steinchen. 

71b. 
Bergmann,  Lettische  Sinn-  und  Stegreifs- 
gedichte 1808,  S    42. 
Die  Sonne  zerhieb  den  Mond 
Mit  einem  scharfen  Schwerte. 
Warum  hat  er  dem  Morgenstern 
Die  verlobte  Braut  genommen? 

72. 
Bielenstein. 
Die  Sonne  zog  ihre  Tochter  gross, 
Versprach  sie  dem  Gottessöhnchen. 
Als  die  gross  gewachsen  war, 
Gab  sie  sie  nicht,  sondern  gab  sie  dem  Monde. 

Dem  Monde  sie  gebend,  bittet  sie 
Perkun  zum  Brautgefolge. 
Es  schmetterte  Perkun  herausreitend. 
Er  zerschmetterte  den  grünen  Eich- 
baura. 

Es  wird  bespritzt  der  grüne  Eichbaum, 
Bespritzt  wird  Marias  wollene  Decke 
Mit  des  Eichbaums  Blute. 

Du  Perkunchen,  kluger  Mann, 
Wo  soll  ich  sie  auswaschen? 
Wasche  sie,  Maria,  in  dem  Bache, 
Der  da  hat  neun  Mündungen. 

Du  Perkunchen,  kluger  Mann, 
Wo  soll  ich  sie  austrocknen? 
Suche,  Maria,  ein  Apfelbäumchen 
Mit  neun  Seitenästen. 

Du  Perkunchen,  kluger  Mann, 
Wo  soll  ich  sie  rollen? 
Suche  eine  solche  Lindenrolle 
Mit  neun  Mangeln 


Du  Perkunchen,  kluger  Mann, 
Wo  soll  ich  sie  verwahren? 
Suche  eine  solche  Lindenlade 
Mit  neun  Schlössern. 

Du  Perkunchen,  kluger  Mann, 
Wo  soll  ich  sie  vertragen? 
Trage  sie,  Maria,  an  dem  Tage, 
Wo  neun  Sonnen  scheinen. 

73. 

Bielenstein. 
[Der  Mond  spricht:] 
Drei  Abende  machte  ich  das  Bette, 
Wartete  auf  den  anderen  Schläfer  (die  andre 

Schläferin?). 
Am  vierten  Abend  machte  ich  das  Bettchen 

nicht  mehr. 
Ich  führte  das  Liebchen  heim. 
Die  Weberin  von  Sternendecken. 
Selbst  hatte  ich  ein  graues  Rösschen, 
Eine  Sternendecke  auf  dem  Rücken. 
Alle  Sterne  zählte  ich  aus. 
Der  Morgenstern  war  allein  nicht  da; 
Der  Morgenstern  war  hingelaufen 
Nach  der  Sonnentochter  zu  schauen. 
Der  Perkun  fuhr  durch  den  Himmel 
Mit  der  Sonne  sich  zankend. 
Die  Sonne  gehorchte  nicht  dem  Perkun, 
Sie  verkaufte  die  Tochter  dem  Morgenstern. 
Der  Perkun  that  es  absichtlich, 
Er  zerschmetterte  den  goldenen  Eich- 
baum. 
Die  Sonnentochter  weinte  bitterlich. 
Die  goldenen  Zweige  auflesend. 
Alle  Zweige  las  sie  auf. 
Der  Wipfelzweig  allein  ist  nicht  da. 
Im  vierten  Jahr  fand  sie  den  Wipfelzweig  selber 

74. 
U.  451. 
Mond  zählt  alle  goldenen  Sterne> 
Die  am  Himmel  nah  und  fern; 
Alle  waren  hell  erschienen, 
Fehlte  nur  der  Morgenstern. 

Morgenstern  ist  fortgeritten. 
Auf  zur  Sonne  geht  sein  Flug; 
Sonnentochter  will  er  freien 
Und  der  Perkun  führt  den  Zug. 

Vor  dem  Thor  das  Apfelbäumchen 
Spaltet  er  in  raschem  Lauf, 
Und  drei  Jahre  weint  die  Sonne, 
Sammelnd  goldne  Zweige  auf. 


Die  lettischen  Sonnenraythen. 


83 


75. 
ü.  p.   195,  16. 
Monrt  führt  heim  die  Sonnentochter, 
Perkun  folgt  dem  Ilochzeitszug, 
Durch  die  oifne  Pforte  sprengend, 
Spaltet  er  die  goldne  Eiche. 

Meinen  braunen  Rock  bespritzet 
Hoch  aufspritzend  Blut  der  Eiche, 
Weinend  liest  die  Sonnentochter 
In  drei  Jahren  auf  die  Aeste. 

Sage  mir  doch,  liebe  Maria, 
Wo  ich  meinen  Rock  soll  waschen? 
Wasch  ihn,  Knabe,  in  dem  Bächlein 
Aus,  woher  neun  Ströme  fliessen. 


Da  ging  ich  zu  dem  Monde, 
Der  Mond  gab  mir  zur  Autwort: 
Bin  mit  dem  Schwert  zerhauen 
Und  traurig  ist  mein  Antlitz. 

Da  ging  ich  hin  zur  Sonne, 
Die  Sonne  gab  zur  Antwort: 
Neun  Tage  will  ich  suchen. 
Am  zehnten  auch  nicht  ruhen. 

76. 

Schi.   1.  N.  2.  Rh.  27. 
Es  nahm  der  Mond  die  Sonne 
Zur  Frau  am  ersten  Frühling. 
Die  Sonne,  die  stand  früh  auf. 
Es  schied  der  Mond  von  dannen. 


Sage  mir  doch,  liebe  Maria, 
Wo  soll  trocknen  meinen  Rock  ich? 
Häng'  ihn,  Knabe,  in  den  Garten, 
Wo  neun  Rosenstöcke  blühen. 


Mond  wandelte  nun  einsam, 
Fasst  Liebe  zu  dem  Frühstem. 
Perkun  in  grossem  Zorne 
Zerhieb  ihn  mit  dem  Schwerte 


Sage  mir  doch,  lieb  Maria, 
Wo  soll  meinen  Rock  ich  glätten? 
Glatt'  ihn  Knabe  auf  der  Rolle 
Welche  auf  neun  Walzen  läuft. 


Was  gingst  du  von  der  Sonne? 
Was  liebtest  du  den  Frühstern 
Zur  Nachtzeit  einsam  wandelnd? 
Das  Herz  ist  voller  Trauer. 


Sage  mir  doch,  liebe  Maria, 
Wo  soll  ich  ihn  aufbewahren? 
Schliess',  ihn  Knabe,  in  den  Kasten, 
Der  neun  goldne  Schlüssel  hat. 

Sage  mir  doch,  liebe  Maria, 
Wann  soll  ich  den  Rock  vertragen? 
Trag'  ihn,  Knabe,  an  dem  Tage, 
Wo  am  Himmel  glühn  neun  Sonnen. 


78. 
Schi.  4.  N.  4. 
Der  Frühstern  machte  Hochzeit. 
Perkuns  ritt  durch  das  Thor  ein, 
Zerschlug  die  grüne  Eiche. 

Es  floss  das  Blut  der  Eiche, 
Bespritzte  meine  Kleider, 
Bespritzte  mir  mein  Kränzlein. 


76. 
N.  3,  (Rh.  81)  Schi.  3. 
Am  Spät-Abend  gestern 
Ist  mir  ein  Lamm  verschwunden. 
Wer  wird  mir  helfen  suchen 
Mein  liebes,  einzigs  Lämmlein? 

Zum  Morgensterne  ging  ich 
Der  Stern  gab  mir  zur  Antwort; 
Ich  muss  der  Sonne  Morgens 
Das  Feuer  früh  anzünden. 


Der  Sonne  Tochter  weinte 
Und  sammelte  drei  Jährlein 
Die  abgewelkten  Blättchen. 

,Wo  soll  ich,  meine  Mutter, 
Mir  meine  Kleider  waschen. 
Das  Blut  aus  ihnen  waschen?" 

„Mein  Töchterlein,  mein  junges. 
Geh'  hin  zu  jenem  Teiche, 
In  den  neun  Bächleiu  fliessen!" 


Zum  Abendsterne  ging  ich. 
Der  Stern  gab  mir  zur  Antwort: 
Ich  muss  der  Sonne  Abends 
Das  Lager  zubereiten. 


.Wo  soll  ich,  meine  Mutter, 
Mir  meine  Kleidchen  trocknen. 
Austrocknen  sie  im  Winde?" 

,Mein  Töchterlein,  im  Garten, 
In  dem  neun  Röslein  wachsen". 


84 


W,  Mannhardt: 


Wo  soll  ich,  meine  Mutter, 
Die  Kleiderchen  dann  anziehen, 
Die  weissgewaschnen  tragen  ? 

„An  jenem  Tage,  Tochter, 
An  dem  neun  Sonnen  scheinen". 

79. 
U.  p.  186,  13. 
In  die  Kirche  ging  Maria, 
Lud  mich  ein  mit  ihr  zu  gehn, 
Selber  trug  sie  gcldnen  Gürtel, 
Silbergürtel  band  sie  mir  um. 

Sagte,  als  sie  mich  gegürtet: 
„Vater  hast  du  nicht,  noch  Mutter!" 
Als  ich  diese  Worte  hörte, 
Flossen  reichlich  meine  Thränen. 

Seiden  Tüchlein  gab  Maria 
Mir,  die  Thränen  abzutrocknen, 
Als  ich  sie  getrocknet  hatte, 
Warf  ich's  in  den  Nesselbusch. 

Geh'n  vorbei  die  jungen  Knaben, 
Ziehen  ehrfurchtsvoll  die  Mütze; 
„Was  erglänzt  und  blitzt  so  prächtig 
Durch  die  grünen  Nesselbüsche"? 

's  ist  Maria's  Seidentüchlein 
Mit  des  Waise nmägdleins  Thränen, 
Und  ich  fragte:    Lieb'  Maria, 
Wo  soll  ich  das  Tüchlein  waschen? 

Lieb  Maria  sagte  freundlich: 
In  dem  goldenen  Bach  am  Thale. 
Und  ich  fragte:    Lieb'  Maria, 
Wo  soll  ich  das  Tüchlein  trocknen? 

Lieb'  Maria  sagte  freundlich: 
In  dem  goldnen  Rosengarten. 
Und  ich  fragte:   Lieb'  Maria, 
Wo  soll  ich's  dann  aufbewahren? 

Lieb'  Maria  sagte  freundlich: 
Schliess'  es  in  ein  golden  Kästlein, 
Häng'  daran  neun  goldne  Schlösslein 
Mit  neun  goldnen  Schlüsselchen. 

80. 
Schi.  12.  N.  5.  Rh.  48. 
Unter'm  Ahorn  ist  die  Quelle, 
Da  die  Gottessöbnchen 


Tanzen  gehen  in  dem  Mondschein 
Mit  den  Gottestöchtern')- 

In  der  Quelle  bei  dem  Ahorn 
Wusch  ich  mir  das  Antlitz, 
Als  ii'h  wusch  das  weisse  Antlitz, 
Fiel  mein  Ring  ins  Wasser. 

Gottessöhne  werden  kommen 
Mit  den  seidenen  Netzen, 
Fischen  mir  mein  Fingerringlein 
Aus  des  Wassers  Tiefe. 

Und  es  kam  der  junge  Knabe 
Auf  dem  braunen  Rösslein, 
Und  es  hat  das  braune  Rösslein 
Goldne  Hufbeschläge. 

„Komm  hieher,  mein  Mädchen, 
Komm  hieher,  du  junges, 
Komm,  lass  uns  ein  Wörtchen  kosen, 
Lass  ims  träumen  süsse  Träume, 
Wo  der  Quell  am  tiefsten 
Und  die  Lieb'  am  liebsten!" 

„Ach,  ich  kann  nicht,  Knabe, 
Kann  nicht,  holder  Jüngling, 
Schelten  würde  mich  die  Mutter, 
Schelten  würde  sie,  die  Alte, 
Spät  kam'  ich  nach  Hause, 
Spät  kam  ich  nach  Hause." 

„Sage  doch,  mein  Mädchen, 
Sage  doch,  du  junges, 
Kamen  Schwäne  (Entenl  hergeflogen 
Und  die  trübten  mir  das  Wasser, 
Darum  musst'  ich  warten. 
Bis  es  sich  gekläret." 

„Nicht  so,  meine  Tochter, 
Nicht  so,  meine  junge. 
Ei,  du  sprachst  ja  mit  dem  Knaben, 
Ei,  du  kostest  mit  dem  jungen 
unterm  grünen  Ahorn 
Zarte  Liebes  wörtchen." 


1)  Var.:    Unterm  Ahorn  ist  die  Quelle, 
Reines  Wasser  quillt  da, 
Wo  der  Sonne  Töchter  kommen 
Früh  das  Antlitz  waschen. 


Die  lettischen  Sonnenmythen. 


85 


81. 
Bielenstein. 
Mein  Mütterchen  schickte  mich  nach  Wasser 
Mit  zwei  Kesselchen. 
„Geh  Mägdlein,  laufe  Mügdlein 
Nach  dem  Thalqnell!" 

An  dem  Thalquell 
Heizen  die  Gottessöhne  die  Badstube, 
Die  Sonne  brach  einen  goldenen  Besen, 
Die  Mehnesnisa  (Mondviertel)  erzeugte  durch 
Giessen  den  Dampf. 

Geh'  vorsichtig  Mehnesnisa, 
Damit  der  Quast  nicht  ausschmelze  (sich 

auflöse). 
Damit  ich  heimbringe  dem  Mütterchen 
Doch  wenigstens  ein  Zweigleiu, 

82. 

Bielenstein. 

Gottchen  macht  eine  goldene  Umzäunung 

Von  vielen  Ecken  und  vielen  Zweigen. 

Es  reiten  heran  Gottes  liebe  Söhne 

Mit  schweisstriefeuden  Rösslein. 

« 
Ich  armes  Waisenmädchen, 

Mich  setzen  sie  zur  Hüterin. 

Hinsetzend  schärfen  sie  ein: 

.Brich  nicht  ab  goldene  Aeste." 

Ich  brach  ab  goldene  Zweige, 
Lief  hinab  in  s  Thal, 
Lief  hinab  ins  Thal, 
In  die  Badstube  der  lieben  Maria. 

Es  bedeckt  (versteckt)  mich  die  liebe  Maria 
Mit  (unter)  den  Quastblätterchen ; 
Es  sucht  mich  das  liebe  Gottchen 
Mit  seinen  Söhnchen. 

„Vergieb  doch,  liebes  Gottchen, 
Dem  armen  Waisenmädchen.- 
,Ich  werde  nicht  vergeben, 
Warum  hast  du  gebrochen 
Goldene  Zweige? 

83. 

Bielensteiu. 
Ich  säte  eine  schöne  Rose 
In  den  weissen  Sandberg. 
Sie  wuchs  auf  lang,  gross. 
Bis  zum  Himmel  hinauf. 
An  den  Roseuzweigen  stieg  ich  zum 
Himmel  hinauf. 


Dort  sah  ich  Gottes  Sohn 
Sein  Rösschen  sattelnd. 
, Guten  Morgen,  guten  Morgen  Gottes  Sohn 
Hast  du  gesehen  Vater  und  Mutter? 
„Vater  und  Mutter  sind  in  Deutschland, 
Sie  trinken  der  Sounentochter  Hochzeit. 
Die  Sonne  selbst  bereitet  die  Aussteuer, 
Den  Rand  des  Fichtenwaldes  ver- 
goldend. 

84. 

Schi.  10.  N.  7.  Rh.  84. 
„0  Zemina  (Krdgöttin),  Blumenspenderin 
Wo  pflanz    ich  das  Roseuzweiglein? 
„Pflanz"  es  dort  aufs  hohe  Berglein 
An  dem  Meere,  an  dem  Haffe." 

„0  Zemina,  Blumenspenderin, 
Wo  denn  fincl  ich  Vater,  Mutter, 
Ich  Verstoss'ne,  Mitleids werthe?' 
„Geh  dort  auf  das  hohe  Berglein 
An  dem  Meere,  an  dem  Haffe." 

Aus  dem  Rosenstöcklein 
Ward  ein  grosses  Bäumlein, 
Aeste  trieb's  bis  in  die  Wolken. 
Steigen  werd'  ich  in  die  Wolken 
An  des  Rosenstockes  Zweigen. 

Und  ich  traf  den  jungen  Knaben 
Auf  dem  Gottesrösslein. 
„Ei  du  Knabe,  ei  du  Reiter, 
Sähest  du  nicht  Vater,  Mutter?' 

„Du  mein  Mädchen,  meine  junge. 
Geh  hin  in  der  Niedmng  Gegend. 
Vater,  Mutter  rüsten  jetzo 
Dort  die  Hochzeit  deiner  Schwester. 

Und  ich  ging  hin  in  die  Niedmng: 
„Guten  Tag,  mein  lieber  Vater, 
Guten  Tag,  mein  Mütterlein! 
Warum  habt  ihr  mich  Verstössen 
Klein  schon  unter  fremde  Leute? 

Ich  erwuchs  zum  grossen  Mädchen, 
Ganz  allein  fand  ich  die  Wiege, 
Wo  ich  mich  als  Kindchen  freute." 

85. 
Spr.  3. 
Ein  glänzender  Stern  war  am  Himmel, 
Er  fiel  in  das  Meer, 
Drei  Tage  lang  verdarb  er  das  Wetter, 
Bis  er  aus  Ufer  wieder  kam. 


86  W.  Mannhardt: 

86.  Bruder  mir  und  Schwesterlein 
Spr.  315.  "Werden  dort  zur  Hochzeit  sein. 

Nicht  ist  der  Stern  die  ganze  Nacht, 

Wo  er  aufging  am  Abend.  89. 

Um  Mitternacht  schwankte  er  hinein  U.  4'23. 

In  das  Häusehen  der  Seelen.  Sonnentochter,  Sonnentochter, 

Gieb  den  Schlüssel  mir  heraus! 

87.  Muss  ja  meinem  einz'gen  Bruder 
Spr.  220.  Nun  das  dunkle  Grab  erschliessen. 

Regen  regnete  in  der  Sonne 
Den  Wellenes  (Seelen)  wurde  die  Hochzeit  90. 

getrunken.  Spr.  310. 

Mein  Brüderchen  starb  jung,  Ei  Sonne  warte  auf  mich 

Hat  der  genommen  ein  Liebchen?  Was  ich  dir  sagen  werde; 

Bringe  meinem  Mütterchen 

88.  Hundert  Abendgrüsse 
U.  422. 

Regen  rinnt  im  Sonnenschein, 
Wenn  sich  todte  Geister  frein; 

91)  Unzweifelhaft  aus /emaitischen  Dainos  hat  in  der  Mitte  des  sechzehnten 
Jahrhunderts  J.  Laszkowski  die  folgenden  Angaben  geschöpft,  die  wir  bei 
Lasitius  de  diis  Samogitarum  487,  meiner  Ausgabe  (88)   11]  lesen: 

Percuna  tete  mater  est  fulminis  atque  tonitrui:  quae  solem  fessum  ac 
pulverulentum  balneo  excipit:  deiiide  lotum  et  nitidura  postera  die  emittit.  — 
Ausca  dea  est  radiorum  solis  vel  occumbentis,  vel  supra  horizontem  ascendentis. 

Die  Uebersetzung  von  Percuna  tete  durch  mater  fulminis  ist  ungenau. 
Da  es  sich  nämlich,  wie  die  übrigen  litauischen  Sätze  in  Lasickis  Schrift 
zeigen,  um  Worte  in  zemaitischer  Mundart  handelt,  welche  den  Genitiv  der 
masculineu  A-Declination  nicht  auf  o,  sondern  auf  a  bildet  (Schleicher  Lit. 
Gram.  S.  30)  so  ist  „Muhme  des  Perkunas  zu  verstehen. ^)  Für  Ausca 
scheint  Auszra  (der  Morgenstern)  gelesen  werden  zu  müssen.^) 

Bei  vergleichender  Betrachtung  springt  sofort  das  hohe  Alter  der 
vorstehenden  Lieder  in's  Auge.  Sie  enthalten  keinerlei  Beziehungen  auf 
moderne  Verhältnisse,  die  Erwähnung  der  Maria  in  den  aus  Kurland  und 
dem  evangelischen  Livland  herrührenden  Liedern  8.  19.  4L  72.  75.  79.  82 
führt  uns  dreihundert  Jahre  in  die  Zeit  des  Katholicisraus  zurück,  ergiebt 
sich  aber  alsbald  als  unursprÜDglicli,  und  zwar  entweder  als  Interpolatitm 
(vgl,  19;  41  luit  42,  48),  oder  als  Vertauschung  mit  einem  anderen  mythischen 
Wesen  z.  B.  der  Sonne,  der  Sonnentochter,  dem  Morgenstern,  dem  Perkuu, 
der  Lainia  (vgl.  (i  mit  4;  79  mit  74.  78.  45.)  Auch  sonst  ist  einmal  35  die 
Umdeutung  einoi-  tiiythologisclicn  Figur  in  die  gleichnamige  des  christlichen 
Welterlösers  und    llinzufügung   der    Attribute    des    letzteren    bemerkbar.      ihr 

')  Ganz  stiilschweigciid  hat  Narbutt,  Mitologia  Litewska,  S.  49  aus  Perknna  tete  Perkuna- 
tele  gemacht  und  eine  Marya  Perkunatele  erlogen,  und  wohl  dadurch  verleitet,  J.  Grimm  (Namen 
des  Donners,  316,  kl.  Sehr.  II  415)  eine  litauische  Göttin  Perkunatele  augesetzt. 

'')  Ausführlicheres  in  meinen  Denkmälern  der  letto  preussischeu  Mythologie. 


Die  lettischen  Sonnenmythen.  87 

eigentliches  Leben  entfalten  jedoch  unsere  Poesien  in  dem  wirksamen  Spiele 
einer  Anzahl  mythischer  Personifikationen,    welche   noch    in   der  Periode  des 
reinen   Heidenthums    entsprossen    sein    müssen.      Da    betreten    Perkun    der 
Donnergott  als  Lichtspender,  die  Sonne  als  Gottes  Tochter,  als  Sonnen- 
mutter,   der  Planet  Venus  als    Sohn    Gottes   oder,    in  seiner   gedoppelten 
Erscheiuuug  als  Morgenstern  und  Abeudstern,  als  Gottessühne;    die  Däm- 
mer uug   als    Sonnentochter  autgefasst,    die  Bühne   und   ihre  Zustände  ge- 
stalten   sich    zu   Handlungen.      Beweisend   ist  neben  Perkun  vornehmlich  der 
Name  Sohn  Gottes,    der  seit  der  Annahme  des  Ghristenthums  ausschliess- 
lich   dem    Heilande   zustand   und   den  für   einen    anderen   Begrifi",    zumal    ein 
Naturphänomen  neu  zu  verwenden,  für  Blasphemie  gelten  rausste,  eine  heilige 
Scheu,    welche  nur  das  Beharrungsvermögen  uralter  traditioneller  Redeweise, 
der  ebenfalls  etwas  Ehrwürdiges  innewohnte,   zu  überwinden  vermochte,     ist 
somit    der    Inhalt    der    Lieder  nachweislich   der   Hauptsache  nach  schon  vor 
dem  Beginne  des  dreizehnten  Jahrhunderts  vorhanden  gewesen,    so  führt  die 
genaue  Uebereinstimmung  der  litauischen  Lieder  mit  den  lettischen  vielleicht 
auch  schon  hinsichtlich   des    Contextes   der  Dichtungen    zu    einem    ähnlichen 
Ergebniss.     Denn,  so  viel  wir  beobachten  können,   war  der  Verkehr  zwischen 
Letten  und  Litauern  seit  dem  Beginne  der  Herrschaft  des  deutschen  Ordens 
so  spärlich  und  abgebrochen,    dass   wir  den  Austausch  ihrer  Geistesprodukte 
in  eine  Periode  vor  derselben  zu  verlegen  haben,    in   der  die  poetischen  Er- 
zeugnisse der  einen  lettischen  Nation    durch  mündliche  Verbreitung  noch  sehr 
schnell  Gemeingut  auch  der  andern  wurden.    Einen  Austausch  fertiger  Lieder 
aber  setzen  die  üebereiustimmuugeu  voraus,  78  scheint  —  wie  wir  ausfühi-en 
werden  —    auf  lettischem  Boden  gewachsen,    woneben    andere   nur   eine  sehr 
nahe  Verwandtschaft  der  Anschauung  bekunden  und  z.  B.  auf  litauischer  Seite 
durch  gewisse  auf  sprachlichem  Grunde  ruhende  Eigenheiten   der  Auflassung 
(wie  z.  B.  die  Darstellung  des  Abendsternes   und  Morgensternes  als  dienende 
Frauen    in   4.    10.    7G)   eine   Zeit   verrathen,    in   welcher    in    Litauen   ein   der 
lettischen    Sonnenmythologie    analoger    Gedankenkreis    noch    in    lebendiger, 
flüssiger  Bewegung  war. 

Möglicherweise  sind  manche  der  uns  erhaltenen  Lieder  Umdichtuugen 
noch  älterer,  ganz  in  derselben  Weise,  wie  die  alliterirenden  EddaUeder 
Hamarsheiuit,  Fjölsvinnsmäl,  Gröugaldr,  Gripisspä,  Sölarljödh  im  vierzehnten 
oder  fünfzehnten  Jahrhundert  in  gereimter  Modernisirung  von  Norwegern  zu 
Dänen  und  Schweden  und  umgekehrt  wanderten.^)  Es  scheint  mir  nämlich 
ziemlich  deutlich,  dass  die  jetzige  Gestalt  unserer  Lieder  die  erste  und  ur- 
sprüngliche nicht  sein  kann.  Neben  den  kurzen  Vierzeilen,  welche  bei  den 
Letten  die  Kegel  bilden,  erscheinen  noch  längere  und  ausgetuhrtere  Stücke, 
denen    litauische    Seitenstücke    entsprechen,    erstere    müssen    somit    als    Ab- 

')  Vgl.  meine  Nachweise  Zeitschr.  f.  D.  Myth.  IV.  4:>0  uud  (^hrist.  Rauch,  die  skand. 
Balladen  des  Mittelalters.     Beilin  lö73.  Progr. 


33  W.  Mannhardt: 

kiirzungen  vollständigerer  Lieder  erscheinen.  Mehi'ere  derselben  haben  frei- 
lich kein  anderes  Aussehen  als  das  einlacher  poetischer  Genrebildchen,  wenn 
aber  dagegen,  wie  wir  sehen  werden,  in  anderen  ein  mythisches  Wesen, 
die  Sonnentochter  oder  der  Mond  u.  s.  w.  redend  eingeführt  wird,  so  setzt 
dies  eiuen  anderen  bedeuteuderen  Zweck  voraus,  der  nicht  mehr  aus  dem 
gegenwärtigen  Texte  erhellt,  wohl  aber  als  rudimentäre  Bildung,  als  Ueber- 
bleibsel  einer  älteren  Gestalt  unserer  Lieder  begreiflich  würde,  in  welcher 
diese  noch  Hymnen,  Loblieder  darstellen,  der  Art,  dass  auf  die  epische 
Schilderung  von  den  Thaten  der  Gottheit,  die  der  Dichter  der  Lebendigkeit 
halber  zuweilen  dieser  selbst  in  den  Mund  legte,  Worte  demüthiger  Be- 
wunderung, oder  ehrfurchtvoller  Bitte  folgten.      Vgl.   die  Aufforderung  in  26. 

Mögen  sich  diese  Dinge  immerhin  verhalten,  wie  sie  wollen,  in  den  mit- 
getheilten  Liedern,  welche  die  Hundertzahl  beinahe  erreichen,  ist  unserem 
Blick  eine  reiche  Schatzkammer  mythologischer  Poesie  eröffnet,  deren  stätiges 
Thema  der  Auf-  und  Niedergang  der  Sonne  mit  den  sie  begleitenden  Er- 
scheinungen bildet.  Da  sehen  wir  das  glanzvolle  Tagesgestirn  bald  unter  dem 
Bilde  sachlicher  Dinge,  bald  als  menschliches  Wesen  wahrgenommen  und 
diese  Bilder  sind  mannigfaltig  mit  einander  zu  neuen  combinirt  oder  haben 
Veranlassung  zu  secundären  Vorstellungen  gegeben,  welche  erst  verständlich 
werden,  wenn  man  ihre  Ausgangspunkte  kennt. 

Vielleicht  ist  es  nicht  unzweckmässig,  bevor  wir  in  die  Erörterung  der 
Einzelheiten  eintreten,  ein  paar  Schilderungen  des  Sonnenaufgangs  und  Sonnen- 
untergangs aus  der  Feder  unbefangener  Naturbeobachter,  wie  sie  uns  grade 
zur  Hand  sind,  vorauszuschicken.  Dieselben  können  dazu  dienen,  die  ob- 
jective  Grundlage  mancher  in  den  Liedern  enthaltener  Bilder  verständlich  zu 
machen.  Zum  Schluss  des  ganzen  Aufsatzes  wird  ein  nach  dem  Anfangs- 
buchstaben geordnetes  Vcrzeichniss  die  Auffindung  der  besprochenen  Gegen- 
stände dem  Leser  erleichtern. 

Die  Tageszeiten. 

„Lange  vorher,  ehe  die  Strahlen  der  Sonne  den  Horizont  erreichen,  be- 
deckt ein  grauer,  anfangs  kaum  merklicher  Schimmer,  von  Osten 
her  die  Erde,  der  Widerschein  der  wenigen,  von  den  höchsten  und  feinsten 
Schichten  unserer  Atmosphäre  zurückgeworfenen  Lichttheile;  mit  jedem 
Augenblicke  wird  die  Farbe  der  Dämmerung  heller,  weil  das  Licht 
der  Sonne,  indem  sie  sich  dem  Horizonte  nähert,  von  mehreren  und  niedrigeren 
Lagen  der  Atmosphäre  zurückgeworfen  wird;  die  Schatten  der  Nacht 
entfliehen,  die  kleinen  nud  endlich  auch  die  grössten  »Sterne  verschwin- 
den nach  und  nach,  man  erkennt  alle  Gegenstände  in  ihrer  natürlichen, 
wi(;wülil  schwächeren  Farbe,  und  wir  geniesseu  das  volle  Tageslicht, 
ohne  noch  die  Sonne  zu  sehen;  bis  endlich  die  liosenünger  Aurorens 
die  Gipfel  de)'  Berge  vergolden,  die  nahe  Erscheinung  der  Gottheit  des  Tages 
und  des  Beherrschers  unseres  Planetensystems  verkündigen  und  jedes  fühlende 


Die  lettischen  Sonnenmythen.  89 

Herz,    selbst   die   Sänger   des  Waldes,  zur  Anbetung  des  präclitigsteu  Schau- 
spiels der  Natur,  des  Aufgangs  der  Sonne,    erwecken.      In   feuchten    Schleier 
gehüllt,  erhebt  sich  mit    stiller    Majestät    aus    den    Fluthen    des    Meeres    die 
Sonne,  als  hätte  sie  ihren  blendenden  Schmuck  abgelegt,  um  ihre  blödsinnigen 
Kinder  nach   und  nach  an  ihren  Glanz  zu  gewöhnen;    mit   jedem   Augenblick 
ersteigt  sie  eine  neue    Stufe    zu    ihrem    mittägigen    Throji,    legt  einen 
neuen    Theil    ihres    königlichen    Schmucks    an   und  verbreitet  Licht  und 
Wärme  über  den  Erdkreis,     Doch  bald  lenkt  Helios  seinen  Feuerwagen  zum 
westlichen  Horizont  herab,  unser  Auge  gewöhnt  sich  durch  eben  die  unmerk- 
lichen Stufen  au  den  Verlust    des  Lichts   und    der  Wärme;    ein,    wenngleich 
nicht    so     prächtiges,    doch    rührendes    Schauspiel    beschliesst    die    Arbeiten 
des    Tages  ,    die    kaum    noch    glühende    Sonnenkugel    taucht    sich    in    den 
Ocean,     um    über    andere     Erdstriche    ihr    Füllhorn    auszuschütten;     die 
holde  Abendröthe  tröstet  uns  über  den  kurzen  Verlust  der  Sonne  und  ladet 
uns  zur  Ruhe  ein;    bis  endlich  die   immer    schwächer    werdende   Däm- 
merung  den   Schatten   der  Nacht  weicht  und  eine  neue  mannichfaltigere 
Scene,  der   silberne    Mond,    von    tausend    funkelnden    Sternen    umgeben,    die 
Stelle  einnimmt,  die  wir  kurz  vorher  nicht  anzublicken  wagten.    Der  Mensch, 
die    Thiere,    selbst    die    Pflanzen   haben  nun  eine  Periode  ihres  Lebensalters 
vollbracht;    Ruhe   und  Stille  verbreitet  sich  über  eine  Hälfte  des  Erdbodens, 
indess  auf  der  andern  das  unruhige  Gewühl  von  neuem   anfängt.      Ein    ähn- 
licher, doch  nicht  ganz  derselbe  Kreislauf  beginnt  mit   jedem    Morgen,    denn 
eine  grössere  und  wichtigere  Periode  unseres  Lebens  umschliessen  die  Jahres- 
zeiten.  (F.   J.    Schubert,    vermischte    Schriften.     Bd.  3.  Stuttgart   und   Tübin- 
gen 1825.) 

Der  Sommermorgen  auf  dem  Lande. 

Schon  entweicht  der  Mond  mit  seinem  bleichen  Gefolge;  schon  fangen 
am  dämmmernden  Himmel  die  ersten  Farben  der  Morgenröthe  an 
aufzuglimmen.  Allmählich  verlassen  die  falben  Schatten  die  Ebenen 
und  ziehen  sich  tief  in  die  Nacht  der  Wälder  zurück,  an  dem  Gipfel  der 
Berge  wallen  die  Nebel  auf  und  nieder  und  scheinen  unter  einander  zu  streiten, 
wie  sie  vor  der  Ankunft  der  Sonne  entweichen  wollen.  Der  rasche  Lauf 
der  Flüsse  und  die  stille  Fluth  der  See  sind  von  einem  Dampfe  bedeckt,  der 
nach  und  nach  an  den  angrenzenden  Hügeln  hinaufzieht,  indessen  dass  hin 
und  her  die  Spitzen  der  Wälder  und  Landhäuser  aus  der  Dunkelheit  empor- 
ragen, dort  der  lange  Gürtel  grauer  Gebirge,  die  sich  mit  dem  blauen  Himmel 
mischen,  wieder  erscheint,  hier  ein  kühler  Wind  auf  den  schon  erhellten 
Bächen  schwärmet  und  im  muthwilligen  S[)iel  die  kleinen  Wellen  kräuselt 
und  da  im  frischen  Laube  scherzend  den  Thau  herabschüttelt.  Ein  sich 
immer  melu'  aufheiterndes  Purpurroth  durchströmt  die  Wolken,  und  ein  vor- 
laufender Schimmer  der  herannahenden  Königin  des  Tages  spielet 
auf  den  Häuptern  der  Felsen  und  der  Hügel,  welche  die  letzten  Tropfen  des 

Zeitschrift  für  Ethnolugie,  Jahrgaug  1875.  < 


90  !W.  Mannhardt: 

Thaues  empfaugeu,  und  weckt  die  ganze  Natur,  auf  .ihre  prächtige  Ankunft 
aufmerksam  zu  sein.  Der  ganze  Ost  entflammt  sich;  der  Himmel  glänzt 
von  einem  zitternden  Lichte;  die  Stirnen  der  Berge  glühen;  über  dem  ge- 
wölbten Walde  zerfliesst  eine  liebliche  Röthe,  und  weit  näher 
schimmern  schon  die  Gefilde  in  einer  goldenen  Heiterkeit.  Endlich  erhebt 
sich  dort  die  Sonne  über  den  Horizont  herauf,  ein  wallendes  Meer  von  Feuer. 
Ihre  Strahlen  erleuchten  Alles;  die  weite  Schöpfung  fühlt  ihre  Gegenwart. 

(Chi-.  K.  L.  Hirschfeld;. 

Sonnenuntergang. 

Und  prangend  in  der  Sonne  Wandlung  Doch,  wo  der  Sonnengott  die  Zügel 

Ging  vor  uns  au  des  Abends  Thor  Am  Horizont  noch  fahrend  lenkte 

In  feierlich  erhabner  Handlung  Und  sich  vom  Kamm  der  fernen  Hügel 

Ein  grosses  Schauspiel  schweigend  vor.  Sein  Feuerwagen  abwärts  senkte, 

Im  Westen  war  wie  Schwanenflaum  Da  wechselte  die  Pracht  der  Bilder: 

Ein  leicht  Gewölke  hingegossen,  Jetzt  brach  wie  schmelzend  Erz  dieGluth 

Und  schien  an  seinem  äussern  Saum  Hindurch,  jetzt  war  das  Leuchten  milder, 

Von  einem  Flammenring  umschlossen;  Dann  wieder  dunkelroth  wie  Blut 

Daraus  erstieg  die  Strahlengarbe  Und  musste  balde  doch  verrinnen; 

Der  Sonne,  die  sich  selbst  verhüllte;  Als  endlich  auch  der  letzte  Funken 

Vom  Purpur  bis  zur  Rosenfarbe  Erlosch  und  von  den  blauen  Zinnen 

Das  Abendroth  den  Himmel  füllte,  Die  Sonne  scheidend  war  gesunken. 

Und  badete  mit  seinem  Glanz  Ein  rother  Fächer  ruhig  stand. 

Die  stille  Flur,  des  Flusses  Bogen,  Der  wie  ein  Hauch  im  Dunst  verschwand. 
Der  Berge  waldesgrünen  Kranz, 

Des  Kornes  sauft  geschwungne  Wogen,  -l-  Wolf  Till  Eulenspiegel  redivivus.  Detmold 

Bis  im  Zenith  zu  mattem  Dämmer  1874.    S.  236. 
Verblich  die  weit  entrollte  Fahne, 
Wo  tausend  blasse  Wolkeulämmer 
Noch  weideten  am  Hiinmelsplano. 

Indem  wir  nunmehr  in  die  Betrachtung  der  lettischen  Sonnenlieder  im 
Einzelnen  eintreten,  folgen  wir  im  Allgemeinen  der  Ordnung  nach  den 
mythischen  Personen,  an  diese  jedoch  schliesseu  wir  sofort  die  sachlichen 
Naturbilder,  welche  in  ihren  Kreis  gehören. 


I.   Gott. 

Dass  der  Gott  (lit.  de  was,  deVs,  lett.  dews).  Gottchen  (lett.  dewinach) 
unserer  Lieder,  der  Vater  der  Sonne  4,  der  Gottcstöchter  (lit.  de  wo  dukruzeles, 
dewo  dukteles  10.  .SO.)  und  der  Gottessöhne  lit.  dewo  sunelei  80.  (lett.  dewa 
deli),  dessen  Rosse  vor  der  Hausthüre  der  Sonne  halten,  der  mit  Maria  und  der 
Sonne  auf  gleichem  Boden  steht,  mit  letzterer  auch  wohl  gelegentlich  einmal  drei 
Tage  lang  in  Hader  liegt  70.  71.  ein  anderer  sei,  als  der  jüdisch-christliche, 
dass  er  noch  ein  Naturgott  ist,  leuchtet  ein.  Indem  die  Lieder  diese  Auf- 
fassung bestätigen,  geben  sie  uns  zugleich  die  grossartige  Idee  einer  in  der 
Natur,  wie  im  Schicksal  der  Menschen  waltenden  Persönlichkeit,  welche  nahe 
daran   ist  die   b'esselu  der  durch    hei'gebrachte    polytheistische   Redeweise    ihr 


Die  lettischen  Sonnenmythen.  91 

auferlegten  BescLränkung  zu  duichbrecheo.    Wo  Gott  dalierßihrt,  spriesst  der 
.Segen  in  der  Flur: 

Spr.  301.  GottcLen  hat  sanfte  Rosse, 

Wer   war  das,  su  hcrritt  Sanft  ist  Gottes  Schlittchen. 
Mit  rauchfarbigein   Rössicin? 

Der  herbrachte  den  Bäumen  Blätter                                                         Spr.  300. 

Der  Erde  grünes  Kleeheu?  Leise,  leise  fuhr  Gottcheii 

Vom  Bergleiu  ins  Thälchen, 

Spr.  299.  Weder  Hess  er  erbeben  die  Roggenbliithe, 

Sanft,  sanft  fuhr  Gottchen  Noch  das  Rösschen  des  Pflügers. 
Vom  Berglein  zu  Thale, 

Mit  der  Schicksalsgöttin  (Laiminga)  zusammen  naht  er  der  Menschen  weit. 

Spr,  299.  Es  reitet  Gottchen,  es  fährt  die  Laiminga, 

Junge  Bursche,  junge  Mädchen  Es  stolpert  das  Rösschen  der  Laiminga. 

Reiniget  den  Wegrand, 

Zu  erhabenem  Schwünge  erhebt  sich  die  Schilderung  Spr.  300: 

Ich  fand  auf  dem  Wege  Durch  den  Zaum  das  Mondchen, 

Ein  von  Gott  gerittenes  Rösslein,  An  dem  Ende  des  Zügels 

Durch  den  Sattel  ging  die  Sonne  auf.  Wirbelte  der  Morgenstern. 

Das  ist  ganz  in  der  Bildersprache  der  lettischen  Mythologie  derselbe 
Gedanke,  wie  in  dem  alttestamentlichen  Jes.  ii6,  1  Der  Himmel  ist  mein 
Stuhl,  die  Erde  meine  Fussbank.  Spr,  801  drückt  die  fromme  Erwartung 
göttlichen  Segens  bei  demuthvoller  Bewunderung  göttlicher  Grösse  naiver 
aber  kaum  minder  schön  aus,  als  Göthe's  bekanntes  Wort  vom  Kusse  auf 
den  letzten  Saum  des  göttlichen  Kleides: 

Gottchen  stieg  aufs  Rösslein,  Mir  gab  Gottchen  Land 

Ich  hielt  das  Steigbügelchen ;  Für  des  Steigbügels  Haltung. 

Neben  anderen  göttlichen  Wesen  stehend,  sie  jedoch  au  umfassendem 
Wirkungskreiso  unendlich  überragend,  kann  der  lettische  Gott  von  Hause 
aus  kaum  ein  anderer  als  der  auf  dem  Wege  zum  Allgott  begriffene  Gott 
des  Himmels  gewesen  sein.  Eine  Stütze  gewinnt  diese  Ansicht  in  einer 
Schrift,  welche  zuerst  um  1560  unter  dem  Namen  „von  der  Bockheiligung 
der  Sudaner"  gedruckt,  nach  meinen  Untersuchungen  wahrscheinlich  der 
zwischen  lö26 — lf>o0  verfasste  amtliche  Bericht  eines  Geistlichen  im  Samlande 
über  den  Aberglauben  der  nordwestlichen  noch  von  altpreussischer  Bevölkerung 
besetzten  Kirchspiele  gewesen  ist.  Darin  wird  an  der  Spitze  einer  Reihe 
daselbst  noch  abgöttisch  verehrter  Wesen  Occopirmus  der  erste  got 
himels  und  gestirnes  und  weiterhin  im  Text  Occopirmus  der  gott 
des  himmels  genannt  und  von  ihm  ausgesagt,  dass  er  (doch  wohl  als  All- 
sehender) in  Gemeinschaft  mit  dem  unter  dem  Holunder  wohnenden  Gotte 
Puschkaitis  dem  Dieb  nicht  Rast  und  Ruhe  lasse,  bis  er  das  Gestohlene 
wiederbringe,')      Occopirmus    d.  i.    ucka-pirmas,    valde   primus-)    setzt    den 

')  lieber  Puschkaitis  s,  des  Verfassers  Baumkultus  S.  G3.  69. 

-')  L'ebei-  ucka,  uka  vgl.  Nesselmauu  thesaurus  linguae  Prussicae  194. 


QQ  W.  Mannhardt: 

Glauben  an  einen  hoch  über  niedere  doch  wesens-ähnliche  Gottheiten  hervor- 
ragenden Götterherrscher  voraus.  Der  christliche  Eingott  ohne  Seinesgleichen 
konnte  niemals  als  der  erste  bezeichnet  werden.  Im  Hypatejew'schen  Codex 
der  wolhynischen  Chronik  zum  Jahre  1252  wird  unter  den  Göttern,  welche 
der  Litauerkönig  Miudaugas  (Mindowe)  nach  seiner  Taufe  noch  heimlich 
verehrte,  Diveriks  genannt  und  derselbe  Name  kehrt  bei  einer  späteren 
Gelegenheit  als  Gott  der  die  Stadt  Woswägl  zerstörenden  Litauer  wieder.^) 
Diveriks  kann  kaum  etwas  anderes  sein  als  Dewu-riks  (spr.  djewuriks) 
Götterherr.  Riks,  rikys  Herr  fehlt  zwar  im  heutigen  Sprachschatz  der  Litauer, 
ist  aber  aus  dem  Denominativuni  rikauti  (vgl.  weszpatauti  herrschen  von 
weszpats,  karaliauti  König  sein  von  karalius  König,  sawalninkaut,  willkürlich 
schalten  von  sawalninkas  Tyrann)  und  aus  dem  altpreussischen  rikys,  rikeis 
Herr  (vgl.  buttarikiaus  Hausherren)  mit  Sicherkeit  zu  erschliessen'^).  Hienach 
bleibt  es  es  wohl  kaum  zweifelhaft,  dass  schon  zur  Zeit  des  Heideuthums 
selber  der  Gott  des  lichten  Himmels  lit.  Dewas,  lett.  Dews  x«/  ^4'>yJi^'  — 
genannt  wurde.  Die  anderen  Götter  mögen  daneben  ständig  als  Götterchen 
gekennzeichnet  sein,  wie  denn  Perkunas  der  Donner  in  mehreren  litauischen 
Redensarten  von  mythischem  Gehalt  dewaitis  genannt  ist;  als  Glosse  findet 
sich  in  einer  der  ältesten  Handschriften  des  Sudauerbüchleins  deiwoty  für 
die  preussischen  Gottheiten  überliefert. 

H.   Die  Sonne. 

a.  Frau  Sonne.  Die  Sonne  wird  einmal  als  ein  anthropomorphisches 
Wesen,  sodann  daneben  vielfach  unter  irgend  einem  sachlichen  Bilde  (Apfel, 
Boot  U.S.W.)  aufgefasst.  Als  erst  eres  heisst  die  Sonne  (lit.  Säule,  Sauluze,  Saulyte 
lett.  Säule)  Gottes  Tochter  lit.  Dewo  dukte,  dewo  dukryte;  von  ihr  müssen 
als  ihre  Töchter  die  Gottestöchter  lit.  dewo  dukteles,  dewo  dukruzeles 
oder  Sonnentöchter  Saules  dukrytes  geschieden  werden.  Sie  heisst  43  auch 
Sonnenmutter  Saules  mute,  schwerlich  jedoch  als  Mutter  der  Sonnen- 
tochter, sondern  eher  in  demselben  Sinne,  in  welchem  sonst  bei  den  Letten 
von  einer  jüpas  mute  Meeresmutter,  Semmes  mäte  Erdmutter,  Ugguns  mute 
Feuermutter,  Meschamute  W'aldmutter,  Drusamute  Gartenmutter  u.  s.  w.,  bei 
Esten  von  der  Tuule  ema  VVindesmutter,  Marum  emme  Sturmesmutter,  Wete 
ema  Wassermutter,  Uduema  Nebelmutter,    Muroema  Rasenmutter^),    in   deut- 


')  Sjögren  Wohnsitze  der  Jatwäjren  (S.  204  (44)  Anni.  138.  212  {b2)  Anm.  160. 

'')  Wenn  der  K-I.uut  dieser  Worte  auf  Kntlelinung  aus  dem  tieimanischen  schliessen  lässt, 
so  muss  dieselbe  schon  in  selir  früher  Zeit  vor  sich  gegangen  sein,  da  das  Substantiv  Heikeis, 
reiks  alts.  riki  Herr,  Fürst  aiicii  in  den  ältesten  deutschen  Dialekten  nur  in  Eigennamen  noch 
vorkommt,  vgl.  Thiuda-reiks,  Airmanareiks;  audererseits  die  offenbar  in  heidnische  Zeit  zurück- 
rc'ichentle  Benennung  altpreussischer  Gutsherren  „reges,  reguli,  viri  regii"  als  wahrscheinliche 
IJebersetzung  von  rikyai  letzteres  Wort  als  vor  der  Ankunft  der  Ordensritter  beim  lettischen 
Stamme  eingebürgert  erkennen  lässt. 

^)  Vgl.  liiM  ler-Kreutzwald,  iler  Esten  abergl.  «.iebräuche  S.  I4ü.  Blumberg,  ^ueilen  uud 
Kt-alieu  im  Kalewipoeg  8.  20. 


Die  lettischen  Sonnenmythen.  93 

schem  Volksglauben  von  der  Watermoder,  Roggenmoder,  Holundermutter,  im 
skandinavischen  von  der  Hyllemoer  (Holundermutter)  Eldsmore  (Feuermutter)  ' ) 
die  Rede  ist.  Mutter  bedeutet  in  diesen  Fällen  eine  in  den  betreffenden 
Elementen  oder  Beschäftigungen  waltende  mütterliche  Gottheit,  die  der  Er- 
scheinung innewohnende,  dieselbe  producirende  geistige  Macht. 

In  einem  serbischen  Liede,  in  welchem  ein  Mädchen  trotzig  prahlt,  sie 
sei  doch  schöner  als  die  Sonne,  als  Mond  ihr  Bruder  und  der  Stern  (swesde) 
ihre  Schwester,  tröstet  Gott  die  helle  Sonne  (Sunce),  und  nennt  sie  der 
litauischen  Auffassung  entsprechend  sein  liebes  Kind  (cedo).  Vuk  I,  416 
Talvj,  Volkslieder  der  Serben  Aufl.  2.  II.  405.  Vgl.  Myth.'O  66t!- 

b.  Die  Sonnenrosse.  Die  Bewegung  der  Sonne  war  als  eine  Fahrt 
Berg  auf,  Berg  ab  gedacht.  Mit  zwei  nimmermüden  Rossen  vollendet 
sie  die  Fahrt  18,  gradeso  wie  in  altnorwegischer  Mythe  die  beiden  Hengste 
Arvakr  (frühwach)  und  Alsvidr  (allwissend)  den  Wagen  der  S61  ziehen 
(Grimnism.  37).  So  legt  auch  der  nimmermüde  {cr/.äuac)  Helios  täglich  auf 
dem  Sonnen  wagen  seine  Bahn  mit  seinem  Gespann  zurück,  dessen  Rosse 
der  Korinther  Eumelos  (bei  Hygin  fab.  183)  Eons,  Aethiops,  Sterope,  Bronte 
nennt.  In  den  Veden  sind  an  den  Wagen  der  Sonnengöttin  Suryä  zwei, 
sieben  oder  zehn  Rosse  geschirrt,  welche  haritas  d.  h.  die  falben,  glänzenden, 
rohitas  d.  h.  die  röthlichen  oder  arushis,  die  rothen  genannt  werden.  ^)  Daneben 
ist  von  einem  Rosse  Etaf;a  die  Rede,  welches  das  Rad  der  Sonne  trägt.*) 
Vom  eranischen  Sonnengotte  Mithra  heisst  es,  dass  er  auf  goldenem  Wagen 
fahre.  „An  diesem  Wagen  ziehen  vier  weisse  Renner  von  gleicher  Farbe 
Geistesspeise  essend,  ohne  Krankheit,  ihre  Vorderhufen  sind  mit  Gold  be- 
schlagen, die  hinteren  mit  Silber,  alle  sind  sie  angespannt  an  die  Deichsel, 
die  nach  oben  gekrümmte,  die  gebunden  ist  mit  gespaltenen,  wohlgemachten, 
dicken  Klammern  von  Metall."  ■') 

In  den  Veden  lässt  sich  noch  deutlich  beobachten,  wie  die  Fahrt  der 
Sonne  mit  Rossen  aus  verschiedenen  bildlichen  Anlässen  allmählich  entstand. 
Häufig  heisst  noch  die  Sonne  selbst  einlach  der  Renner,  der  hurtige  Wett- 
läufer, das  Ross.  Es  ist  klar,  dass  die  Metapher  hier  wie  in  Hellas  und  bei 
den  Germanen  vom  Vergleiche  der  Bewegung,  des  Laufes    der    Sonne  ihren 


')  Aus  der  auf  der  Universiüits-ßibliothek  zu  Christiaiiia  aufbewahrten  umfangreichen  und 
ausgezeichneten  Sammlung  norwegischer  Volksüberlieferuugen,  welche  der  im  J.  1872  zu  früh 
verstorbene  Volksschullehrer  J.  Th.  Storaker  zu  Sügne  im  Distrikt  Mandal  Stift  Christiansand 
hinterlassen  hat,  entnehme  ich  die  folgende  interessante  Mittheilung.  Naar  en  hvinende  Lyd 
höres  fra  Ilden  i  Kakkelovnen  eller  paa  Skorsteen  siger  man,  at  Eldsmoren  (som  forklares  med 
Ildens  moder;  tugter  sine  Born:  „naa  dängje  Eldsmor  Baannan  seine,  hoir,  kosse  dei  skrige.'" 
(Bjelland  Finsland).     Vgl.  die  estnische  Feuermutter  Tule-ema.     Boeder  a.  a.  0.  33—35. 

*)  Hom.  Hymu.  in  Merc.  69.  hymn.  in  Cer.  88.  Vgl.  das  Gespann  der  Eos  Od.  23,  244. 
Preller  Griech.  Myth.  I.     Aufl.  3  hrsg.  v.  Plew  S.  350. 

2;  M.  Müller  Oxford  essays  1856  p.  81—83. 

*)  A.  Kuhn,  Herabkunft  des  Feuers  und  des  Göttertranks  S.  55.  62.  64. 

*)  Windischmauu  Mithra.    Leipz.  1857.    S.  15.  XXXI.  124    125. 


94  W.  Mannhardt: 

Ausgang  nahmen.  Die  anderweitige  Auffassung  der  Sonne  als  anthropopathisches 
Wesen    führte    einerseits    dahin,    von    einer  Verwandlung    der    Sonne  in  ein 
Pferd  zu  reden.     Ein  Lied  des  Dirghotamas  R.  V.  I.  163,  2.  preist  die  Vasus, 
dass    sie    aus  der  Sonne  ein  Ross,  den  aus   den  Wassern  (dem  Luftmeer) 
aufsteigenden,  mit  den  Schenkeln  des  Hirsches,    den  Flügeln  des  Falken  be- 
gabten Arvan  (d.  h.  der  lichte)  gemacht  haben'),    andererseits    ergänzte  sich 
die  Auffassung  der  Sonne  als  Rad  -)  zur  Vorstellung  eines   ganzen   Wagens. 
Mit  Hilfe  dieses  Bildes  oder  auch  unabhängig  davon  unter  Begünstigung  ge- 
wisser sprachlicher  Einflüsse  ward  aus  der  Sonne,   dem  Rosse,   bei   weiterem 
Wachsthum  des  Gedankenkreises  die  mit  mehreren  Rossen  fahrende  Gottheit  ^). 
Auf    der    zuletzt    genannten    Entwicklungsstufe    sucht    die    An- 
schauung natürlich  die  Rosse  in  den  glänzenden  Sonnenstrahlen. 
Mit  dem  Unterschiede,  dass  ich  die  Harits  (die  Falben,  Glänzenden)  für  kein 
primäres,  sondern  nur  für  ein  sekundäres  Bild  halten  kann,  darf  ich  hier  den 
Ausspruch  Max  Müllers  anführen:     Wenn  der  Vedadichter   sagt:    die   Sonne 
hat  die  Harits  zu  ihrem  Laufe  angejocht,  so  bedeutete  ein  solcher  Ausspruch 
weiter  nichts  als  das,  was  jedes  Auge  deutlich  sehen  kann,  nämlich  dass  die 
hellen  Lichtstrahlen,  welche  während  der  Dämmerung  vor  Sonnenaufgang 
beobachtet  wurden,    sich    im  Osten    sammelten,    indem    sie    sich  am  Himmel 
gleichsam  emporbäumten  und  nach  allen  Richtungen  hin  mit  Blitzesschnellig- 
keit hervorsprangen  und  dass  sie  dann  das  Licht  der  Sonne  emporzogen,   so 
wie  Rosse  den  Wagen  des  Kriegers."*)     Es    waren    mancherlei   Variationen 
der  einmal  begründeten  Vorstellung  möglich.    So  konnte  man  die  Sonne  selbst 
noch    für    ein    Ross,    die    Sonnenstrahlen  für  dessen  Mähne  oder  Füsse  (vgl. 
den    nordischen  Skinfaxi),    den  Sonnenball  für  sein  Haupt  ansehen.     So  wird 
in  der  That  im  Veda  die  Sonne  mehrfach  auch  als  Rosshaupt  gedacht.  ^) 

Diese  Vorstellungen  lassen  sich  auch  auf  europäischem  Boden  noch 
weiter  verfolgen,  und  zwar  finden  wir  die  verschiedene  Helligkeit  oder  Fär- 
bung der  Sonnenstrahlen  an  den  verschiedenen  Tageszeiten  und  in  den  ver- 
schiedenen Jahreszeiten  mehrfach  in  verschiedener  Farbe  der  Sonnenrosse 
reflectirt.  Sehr  instructiv  ist  das  russische  Volksmärchen  von  der  Wasilissa. 
Die  Heldin  sieht  auf  dem  Wege  zur  alten  Hexe  Yaga  plötzlich  im  Walde 
einen  weissen  Reiter  auftauchen,  er  ist  weissgekleidet,  sein  Ross  unter  ihm 
weiss  und  das  Geschirr  weiss.  Und  der  Tag  beginnt  zu  dämmern.  Nach 
einem  Weilchen  springt  ein  zweiter  Reiter  hervor  roth,  in  rothem  Gewände, 
auf  rothem  Rosse.  In  diesem  Augenblicke  ging  die  Sonne  auf.  Weiter  gehend 
gelangt  sie  gegen  Abend  am  Hause  der  Alten  an.      Da    sprengt    ein    dritter 


')  Roth  Zeitschr.  der  rnorfrciil.  Gesellsch.  II.  1848  S.  22:^.    Kuhn  Zeitschr.  f.  vgl.  Sprachf. 
1851   1.  f)29. 

^  Vgl.  Kuhn,  IlcrabkiiufL  des  Feuers  um!  des  (jötlertranks  S.  53  ff. 
ä)  M.  Müller,  Essays.   Lpzg.  18«9  II.  S.  118  ff. 
*)  M.  Müller,  Vorlesungen  über  Wissenschaft  der  Sprache  II.  34  ff. 
^)  Kuhu,  Zeitschr.  f.  vgl.  Sprachf.  IV.  119. 


Die  lettischen  Sonnenmythen.  95 

Reiter  vorbei,  ganz  schwarz,  auf  schwarzem  Rosse,  und  schwarz  gekleidet; 
er  verschwindet  wie  wenn  er  in  die  Erde  gesunken  wäre.  Zugleich  sank  die 
Nacht  herab.  Als  später  Wasilissa  die  Hexe  nach  den  drei  Reitern  fragte, 
antwortete  diese:  Der  weisse  Reiter  das  war  mein  leuchtender  Tag,  der  rothe 
mein  rother  Sounenjungo  (meine  rothe  Sonne),  der  dritte  meine  schwarze 
Nacht').  Die  Chorutanier  hegen  von  der  Sonne  die  Vorstellung  als  von 
einem  jugendlichen  Krieger  auf  einem  von  zwei  weissen  Rossen  gezogenen 
Wagen,  der  mit  zwei  weissen  Segeln  geschmückt  ist,  welche  Wind  und  Regen 
hervorbringen.-)  Die  Serben  reden  vom  goldenen  Wagen  und  den  weissen 
Pferden  der  Sonne.  Nach  einer  polnischen  Erzählung  fährt  die  Sonne  auf 
zweirädrigem  Wagen  und  (der  Zahl  der  Monate  entsprechend)  mit  zwölf  gold- 
grauen Pferden.  3)  Eine  slowenische  Ueberlieferung  lässt  die  Sonne  im  Osten 
in  einem  goldenen  Schlosse  wohnen;  am  Johannistage  fährt  sie  aus  mit 
drei  Rossen,  einem  silbernen,  einem  goldenen,  einem  diamantenen.'*)  Nach 
russischem  Volksglauben  kleidet  sich  die  Sonne  im  Monat  Dezember  in  fest- 
liches  Gewand  (Sarafan)  und  Kopfputz  (Kokoschnik)  und  reist  ab  in  warme 
Gegenden;  am  Johannistage  fährt  sie,  von  einem  silbernen,  einem  goldenen 
und  einem  diamantenen  Rosse  gezogen,  aus  ihrer  Kammer  heraus,  ihrem 
Verlobten,  dem  Monde,  entgegen.  Auf  ihrem  Wege  tanzt  sie  und  sprüht 
Feuerstrahlen.'*)  Afanasieff  fügt  hinzu,  dass  bei  den  Litauern  derselbe 
Glauben  sich  wiederfinde,  wir  vermuthen  in  einer  Daina.  ^)  Genau  ent- 
sprechend wird  in  den  zur  Wintersonnenwende  gesungenenen  schwedischen 
Steffanshedern  Steffan  d.  h.  der  personifizirte  2(i.  Dezember  ein  Stallknecht 
genannt,  welcher  bei  Sternenschein  fünf  Rosse,  zwei  weisse,  zwei  rothe,  ein 
apfelgraues  besorgte  und  mit  Sonnenaufgang  zur  Quelle  ritt,  beziehungsweise 
dem  Laufe  der  Sonne  folgend,  Schwedens  Provinzen  durchritt.')  In  einem  slo- 
wakischen Märchen,  dessen  Verlauf  in  mythischer  Umhüllung  den  Wechsel  von 
Sommerund  Winter  schildert,  besitzt  ein  König  ein  Pferd,  das  eine  Sonne  im 
Kopf  hat,  welche  nach  allen  Seiten  Strahlen  verbreitet,  und  das  von  Hause  aus 
dunkle  Land  mit  einem  tageshellen  Lichte  erfüllt,  hinter  ihm  ist  schwarze  Nacht.  *) 
Dieses  mythische  Thier  kehrt  wieder  in  dem  siebenbirgischen  Märchen  bei 
Haltrich  n.  20.  Der  Schlangenkönig  besitzt  das  weisse,  achtfüssige 
„Sonnenross",    das   aus  seinem  einen  Nasenloch  Frost,    aus  dem 


')  Afanasieff  Skazki  IV.  44.  Vgl.  Ralston  Folkstales  150  ff.  Gubernatis  zoological  Myth. 
I.  298. 

■'')  Afanasieff  poetische  Naturanschauungen  der  Russen,  L  605. 

^  Afanasieff  a.  a.  0. 

*)  Afanasieff  a.  a.  0.  I.  198. 

*)  Sacharoff  II.  09.     Tereschtschenko  V.  75  bei  Afanasieff  I.  76. 

6)  Afanasieff  a.  a.  0.  Sohn  des  Vaterlandes  (niss.)  1839  X.  126.  Hieuach  ist  eine  kleine 
Ungenauigkeit  bei  Ralston  songs  of  the  Russian  people  242  zu  berichtigen. 

^)  Vgl.  des  Verfassers  Baumkultus  S.  403. 

*)  W^enzig,  westslav.  Märchenschatz  182—190. 


96  W.  Mannhardt: 

andern  Hitze  schnaubt,  schneller  läuft  als  der  Morgenwind  und 
von  einer  Bergspitze  zur  andern  springt.  Setzt  man  ihm  in  dun- 
kelster Nacht  den  Karfunkelstein  des  Schlangenkönigs  an  die  Stirn,  so  ist 
vor  ihm  immer  Tag.')  Hier  ist  deutlich  unter  dem  Rosse  der  Complex  der 
der  Sonnnenstrahlen,  unter  dem  Karfunkelstein  auf  seiner  Stirn  der  Sonnen- 
ball zu  verstehen.  In  der  russischen  Erzählung  vom  Helden  Joruslan  reitet 
der  König  Feuerschild  (cf.  Glypeus  Phoebi),  der  unverbrennbar  ist,  einen 
Feuerspeer  führt  und  Flammen  von  sich  ausstrahlt,  die  seine  Feinde  verzehren, 
jenseits  des  stillen  Wassers  auch  auf  achtfüssigem  Rosse.-)  Wer  erinnerte 
sich  nicht  bei  diesen  Traditionen  des  achtfüssigen  Sleipnir,  den  das  Ross  des 
Winterriesen,  Suadilfari  (Eisführer),  zu  Sommeranfang  mit  Loki  zeugt.  Ohne 
das  Märchen  für  einen  Odhinmythus  zu  erklären,  dürfen  wir  ernstlich  zur 
Frage  stellen,  ob  nicht  in  der  That  in  dem  Sonnenrosse 3)  ein  Seitenstück 
zu  Sleipnir^)  zu  erkennen  sei,  der  Odhinn  als  dem  zum  Himmelsgott,  Allvater 
gediehenen  Götterherrscher  beigelegt  wurde  in  demselben  Sinne,  in  welchem 
die  Sonne  als  sein  bei  Mimir  zu  Pfand  gesetztes  Auge  betrachtet  ist.  Wäre 
das  richtig,  so  gliche  sich  Sleipnir  auf  das  nächste  jenem  Rosse  des  lettischen 
Dews,  durch  dessen  Sattel  die  Sonne  aufgeht. 

Mit  diesen  Bemerkungen  sind  wir  —  so  scheint  es  —  vollkommen  aus- 
gerüstet, um  die  Aussagen  der  lettischen  Lieder  von  den  Sonnenrossen  nach 
jeder  Richtung  hin  zu  verstehen.  Dieselben  kennen  die  Sonnenstrahlen  so- 
wohl als  Wagenpferde,  wie  als  Reiter.  Letztere  haben  wir  in  den  hundert 
braunen  Rösschen  (vgl.  die  haritas  o.  S.  *j3)  welche  die  Sonne  am 
Abend  besattelt  44,  zu  erkennen.  Erstere  Anschauung  lebt  in  den  zwei 
goldenen,  unermüdlichen  (ygV'HXiog  axa^tac),  nimmer  schwitzenden 
Rossen,  mit  welchen  die  Sonne  18  den  Kieselberg  d.  h.  das  Steingewölbe 
emporfährt.  In  dem  grossartigen  Bilde  des  Liedes  20  ist  diese  Anschauung  noch 
weiter  ins  Einzelne  durchgebildet.  Die  Sonnenstrahlen  sind  zugleich  die  im 
Meere  trinkenden  Rosse  und  die  Zügel,  welche  die  in  der  Mitte  des  Berges, 
d.  h.  des  Himmelsgewölbes  thronende  Sonnenfrau  in  der  Hand  hält.^)  In 
einem  anmutliigen  Liedchen  spielt  ein  Bursche  seinem  Mädchen  gegenüber 
auf  das  Gefährt  der  Sonne  an: 
U.  335. 
Silberzügel  flocht  ich  mir  Fahren  kaun  mein  Liebchen  nun 

Und  beschlug  mein  Ross  mit  Golde,  Wie  die  liebe  Sonne  glänzend. 

')  Mit  diesem  Rosse  erbeutet  ein  junger  Held  auf  Hefchl  eines  Königs,  dem  er  dient,  drei 
Kleinode,  die  goldene  Sau  mit  den  goldenen  Ferkeln,  die  Königstochter  jenseits  des  Meeres  mit 
den  goldenen  Zöpfen,  den  auf  unterseeischer  Wiese  weidenden  Fohlenhengst  mit  seinen  Stuten. 

^)  Afanasieir  poet.  Naturansch.  I.  21(i. 

3)  Vgl.  W.  Schuster  Wodan,  nermaiistadt  185G  S.  20.  Eine  Variante  Haltrich  N.  10  S.  45 
„das  Zauberross"  kennt  gleichfalls  das  achtfüssigc  Ross,  N.  7.  S.  31  „der  goldene  Vogel"  ein 
sechsfüssiges. 

*)  Beiläufig  mache  ich  auf  das  achtfüssige  Ross  auf  mehreren  bei  Stephens  abgebildeten 
gothländischen  Runensteinen  aufmerksam,  worin  Sleipnir  schwerlich  zu  verkennen  ist. 

'•>}  Vgl.  den  Beinamen  der  Sonne  an^uhasta  mit  Strahlen  in  den  Händen.  Zs.  f.  vgl.  Spr.  VII.  89. 


Die  lettischen  Ronnenmythen.  97 

c.  Der  Himmelsherg.  Der  Berg,  auf  dem  die  Sorrae  thront  (20) 
oder  steht  (4J),  (wie  |35]  der  Gottessohn),  den  ihre  Rosse  hinanstreben  (18), 
ist  die  scheinbare  Wölbung  des  Himmels,  die  wir  auch  in  germanischen 
Ueberlieferuugen  als  Berg,  Glasberg  aufgefasst  finden,  z.  B.  in  dem  norwe- 
gischen Käthsel  für  den  Wind: 

Es  steht  ein  Hund  auf  dem  Glasberg 

Und  bellt  ins  Meer  hinaus'). 

Die  Aulfassung  des  Himmels  als  Glasberg  entspricht  der  althebräischen  als 
grosser  Hohlspiegel  (Hiob  H7,  18);  während  die  den  altjüdischen  Schriftstellern, 
den  ältesten  Griechen  und  den  asiatischen  Ariern  gewöhnlichere  uralte  Vor- 
stellung als  festes  ehernes  oder  steinernes  Ge\sölbe'''),  sich  hei  unsem  Letten 
als  Kieselberg  (18)  wiederholt.  Der  nämliche  Berg  lieisst  (22)  silbern 
von  seiner  grauglänzenden  Farbe  bei  gewisser  Beleuchtung  und  (7)  Berg 
der  Sonnenblumen,  weil  an  ihm  die  Sonne  als  Blume  (Rose)  gedacht  blüht. 
An  ihm  und  aus  ihm  wächst  (83.  84)  immer  höher  steigend  der  Rosenbaum 
d.  h.  die  Sonne  mit  ihren  Strahlen  empor,  im  Liede  aber  wird  er  zum  „weissen 
Sandberg",  zum  „hohen  Berg  am  Meere".  Der  goldige  Sonnenschein  macht 
ihn  (t)5)  zum  goldenen,  der  matte  Glanz  der  ersten  Frühe  (66;  zum  „seidenen". 

Ist  die  Sonne  nicht  mehr  am  Himmel  sichtbar,  so  weilt  sie  „hinter  dem 
Berge";  da  liegt  der  Hof,  wo  sie  Nachtruhe  hält  (19),  dort  sind  während 
der  Nacht  an  der  Eiche  der  Gürtel  des  Abend-  und  Morgensternes  und  die 
Strahleukrone  der  Sonnentochter  (des  Frühlichts)  aufgehangen  (55).  Jenseits 
des  Berges  und  des  Meeres  wärmt  endlich  die  Sonne  Nachts  die  Waisen- 
kinder (3).  Man  kann  zweifelhaft  sein,  ob  4  mit  Recht,  oder  nur  aus  Miss- 
verstand die  Sonne  jenseits  der  Berge  statt  hinter  dem  Berge  weilen  lässt, 
mit  andern  Worten  ob  ein  wirklicher  Berg,  oder  der  Himmelsberg  gemeint 
war.  Ich  glaube,  dass  in  unseren  Liedern  letzterer  gemeint  sei,  da  auch  das 
gewärmte  Waisenkind  —  wie  wir  sehen  werden  —  vermuthlich  ein  mythisches 
Wesen  ist. 

d.  Der  Himmelssee,  Brunnen,  Bach.    Die  Auffassung  des  Himmels- 
gewölbes als  Berg  wechselt  mit  derjenigen  als  See,   die   wohl  jedem  Schiller- 
leser aus  dem  Räthsel  vom  Regenbogen  geläufig  ist: 
Von  Perleu  baut  sich  eine  Brücke 
Hoch  über  einen  grauen  See.*) 


')  J.  Aasen,  Proever  af  landsmaalet  i  Norge  37.  üeber  die  Auffassung  des  Windes  als 
Hund  vgl.  des  Verfassers  german.  Mythen  217.  218.  321,  Desselben  Roggenwolf  Aufl.  2  S.  3  ff. 
Vgl.  das  Kinderlied  aus  Meurs  (Germ,  ilyth    4-'5): 

Heijo!  wären  wir  do  Wo  dat   sönueken  den  berg  herop  geit, 

Wo  de  engelsches  sengen,  Wo  dat  klokschen  tien  ure  sleit. 

Wo  de  schellekes  klengen,  d.  h.  im  Himmel. 

')  Vgl.  Od.  III.  1.  fifiio;  i''fyi'r,()ovat  kiTKDi'  nttjiy.aXlfcc  Xiuyi]r,ovQavoy  f';  no).i'/nXxür. — 
Zu  .-^kmon  als  Vater  des  Uranos  vgl.  zend  at^man  skr.  ä^man  Stein  als  Bezeichnung  des  Him- 
mels.    Zeitschr.  f.  vgl.  Spracht.  II.  45. 

*)  Vgl.  des  Verfassers  Götter  der  deutschen  und  uord.   Völker  S.  S8. 


98  W.  Mannhardt: 

Im  Veda  dienen  bekanntlich  die  Wörter  für  Meer  samudra,  arna,  sagara  zur 
Bezeichnimg  des  Luft-  und  Wolkenmeers.')  Mit  seinen  goldenen  Schiffen 
(doch  wohl  Strahlen)  segelt  Pushan,  ein  Sonnengott,  als  Bote  des  Surya 
(Helios)  über  den  Himmelsocean,-)  So  führt  die  Sonne  in  unserem  Liede  (24), 
um  den  Nebel  zu  löschen,  über  den  silbernen  See.  Dieser  See  ist  das 
Meer,  in  welchem  (nach  20)  die  Sonne  ihre  Rösslein  (die  Sonnenstrahlen) 
badet.  In  ihm  (oder  dem  wirklichen  Meer?)  versinkt  Abends  das  Boot  der 
Sonne  (32),  ertrinkt  die  Sonuentochter  (39.  84.  3ä).  Mitten  in  diesem  Meere 
werfen  die  Gottessöhne  eine  Insel  auf  (56),  zünden  sie  zwei  Lichter  (sich 
selbst)  an  (52.  53).  Auf  dem  Eichbaum  'am  See  hängt  die  Sonnentochter 
Abends  ihr  Krönchen  auf  (55).  Man  vergleiche,  um  jeden  Zweifel  zu  heben, 
ob  etwa  nicht  doch  das  irdische  Meer  gemeint  sei,  das  lettische  Uäthsel: 
Ein  Bruder  und  eine  Schwester  gehen  alle  Tage  durch  den  See.  (Aufl.  Mond 
und  Sonne).  Wie  in  den  Veden  die  Atmosphäre  als  Reservoir  der  Feuchtig- 
keit, des  Regens,  auch  utsa  Brunnen  heisst,  wird  an  Stelle  des  Sees  das 
Luftmeer  auch  in  unseren  Liedern  zuweilen  Quell  (Bach,  Teich)  in  der 
Schilderung  des  Sonnenuntergangs  oder  Sonnenaufgangs  Quell  im  Thale  ge- 
nannt (81,  79);  darin  wäscht  sich  die  Sonnentochter  (63),  dabei  tanzt  sie  mit 
den  Gottessöhnen,  wobei  ihr  Ring  ins  Wasser  fällt  (80);  darin  wird  die  vom 
Blute  des  Eichbaums  bespritzte  Decke  gewaschen  (70.  78.  75.  72).  Dazu 
vergleiche  man  die  beiden  lettischen  Räthsel:  Ein  Käschen  im  Grunde  des 
Brunnens  (Aufl.  der  Mond).  Ein  Butterstück  im  Brunnen  (Aufl.  der 
Mond). 

Dieselbe  Auffassung  der  Atmosphäre  als  Quell  oder  Brunnen  tritt  auch 
in  deutschen  Sonnenliedern  hervor.  Der  Herrgottskäfer,  Frauenkäfer  (Sunne- 
schinken,  auch  Sunneküken,  Sunnenkalf,  Sonnenkuh,  Sunnwendkäfer,  böhm. 
slunicko  russ.  solnysko,  Sonnchen  genannt^),  mithin  wohl  als  verkleinertes 
Abbild  der  Sonne  gedacht  wird  bei  Skandinaviern,  Deutschen,  Slaven  an- 
gerufen in  den  hohen  Himmel  hinaufzufliegen  und  von  dort  Sonnenschein 
herabzubringen,  die  Sonne  scheinen  zu  lassen.*)  Dieses  Lied  lautet  in  Unter- 
östreich : 

Frauenkäferl  flieg'  iu'n  Brunn, 
Bring  uns  muaring  a  schöne  Sunn. 

Dabei  liält  man  das  Thierchen  über  einen  Brunnen;  wenn  es  hinein  fällt, 
erwartet  man  schönes  Wetter."')  Dieser  letztere  Brauch  ist  aber  Nachbildung 
eines  himmlischen  Vorgangs;  denn  in  Pressburg  singen  die  Kinder  beim 
Regen : 


')  Eubn,  Zeitschr.  f.  vgl.  Sprach!'.  I.  455. 
^)  Muir,  original  Sanscrit  texts  V.  157.  179. 
•')  Vgl.  des  Verfassers  Gernian.  Mythen  243  ff. 
♦)  Germ.  Myth.  '-MS— 251.    Zeitschr.  f.  D.  Myth.  IV.  .-52«. 

•^)  Varianten  aus  Baiern  und  andern  Ostreich.  Gegenden.   Genn.  Myth.  254.    Vgl.  C.  M.  Blaas, 
in  Pfeiffers  (Bartsch)  Germania  Jahrg.  XIX  n.  E.  S.  71. 


Die  lettischen  Sonnenmythen.  99 

Liabi  Frau  machs  Thiirl  :iuf,  D'  Engarln  sit/en  bin  terra  Brunn, 

Läss  die  liebi  Sunn  herauf,  Warten  auf  die  liabi  Sunn 

Läss  in  Regn  drina,  (Var.:  bitten  um  a  warme  Sunn). 
Läss  in  Schm*   \crl>riiKi. 

Kommt  dann  die  Sonne  hervor,  so  fällt  der  tanzende  Kreis  nieder  und  singt: 
Sunn,  sunn  kummt 
D'  Engarln  fall'n  in'n  Brunn. 

Die  Mutter  Gottes  soll  den  Regen  und  Schnee  hinter  der  Himmelsthür  zurück- 
halten, die  liebe  Sonne  herauslassen,  das  letztere  geschieht,  wann  die  Eiigel 
(die  Lichtalten)  in  den  Brunnen  fallen,  den  blauen  Himmel  mit  ihrem 
Glänze  erfüllen  (Vidblainn).')  Hiezu  stellen  sich  noch  die  beiden  mährischen 
Räthsel  von  der  Sonne.  „Es  fällt  vs^as  in  den  Brunnen  und  plumpt  nicht." 
„Ein  Stückchen  Gold  fällt  in  den  Urunnen  (ins  Wasser)  und  zehn  Pferde 
ziehen  es  nicht  heraus.") 

Es  ist  nun  deutlich,  wie  nach    skandinavischer  Mythe   Odins   Auge,    die 
Sonne,  in  Mimirs  Brunnen  zu  Pfände  liegen  kann. 

Parallel  der  Bezeichnung  des  Luftmeers  als  Meer,  See,  Bach,  Brunnen, 
tritt  in  unsern  lettischen  Liedern  häufig  Daugawa  als  Name  der  Atmosphäre 
auf.  Unter  Daugawa  versteht  der  Lette  heutzutage  die  Düna,  wörtlich  aber 
heisst  dieses  Wort  „das  viele  (grosse)  Wasser",  ein  Ausdruck,  der  dem 
Sinne  nach  zu  jenem  vedischen  sam-udra  Ge-wässer,  Ocean  (von  sam  =  a/m, 
o^iög  und  udra  =  gr.  xÖloq)  stimmt,  und  in  der  That  nach  dem  Zusammenhang 
der  Lieder  und  der  erkennbaren  Absicht  ihrer  Dichter  den  Luftocean  bedeutet 
haben  muss.  Die  Sonne  reicht  ihre  Finger,  die  Strahlen,  über  die  Daugawa 
(23);  wenn  der  Himmel  bei  Sonnenaufgang,  oder  bei  Sonnenuntergang  sich 
röthet,  schmiedet  der  Schmied  im  Himmel  und  Kohlen  fallen  in  die  Daugawa 
und  auf  die  sich  röthende  Wolkendecke  des  Firmamentes  (06.  37).  Am  Rande 
der  Daugawa  kräht  Frühmorgens  der  goldene  Hahn,  der  die  Sonnentochter 
weckt  ((54);  ihr  Ufer,  zu  dem  Frühmorgens  die  Sonnentochter  hineilt,  liegt 
gegenüber  dem  Morgenstern  (67).  In  der  Daugawa  fressen  die  schwarzen 
Stiere  (die  verschwindenden  Schatten  der  Nacht)  das  Röhricht  (68) 

e.  Die  Sonne  tanzt.  Auf  dem  Berge  tanzt  die  Sonne,  mit  silbernen 
Schuhen  an  den  Füssen  (^tl).  Dieser  Tanz  ist  das  Spiel  der  Sonnenstrahlen, 
welche  den  Boden  zu  berühren  scheinen.  Wir  sahen  o.  S.  95  den  nämlichen 
Tanz  der  Sonne  auch  in  einer  russischen  Ueberlieferung.  Eine  merkwürdige 
Uebereinstirannmg  gewährt  der  griechische  Mythus,  der  dort,  von  wo  die 
Sonne  aufgeht,  von  Tanzplätzen  der  Morgeuröthe  spricht:  Od.  XH.  4: 

o&L  x  'Hovg  rQiyeveirig 
nixicc  xnl  xoqoI  eloi  xal  ccPTolcd  He?üoio. 
Das  ist  nicht  zufällig,    denn  auch  der  Veda  weist  dieselbe  Anschauung   auf; 
die  Morgenröthe,    Ushas,   wird  darin  mehrfach  mit  einer  schön  geschmückten 


>)  Germ.  Myth.  375  ff.  ogl.  322  ff.)  379.  423. 

^)  Zeitschr.  f.  D.  Myth.  IV  374,  38.  30.     Germ.  Myth,  545—547, 


100  W.  Mannhardt: 

tanzenden  Jungfrau  verglichen.    Muir  Orig.  Sanscr.  texts  V.  185.  194.    Vgl. 
L.  Pyrker  (bei  W.  Schwartz,  Sonne  Mond  und  Sterne   132): 

Denn  jetzt  aus  den  Flutheu  Auffleugt  sie,  ilie  Soune, 

Der  rosigen  Gluthen  Wie  schwebend  im  Tanz. 

f.  Die  Goldhand  der  Sonne.  Ein  anderes  Bild  der  Sonnenstrahlen 
sind  die  Finger,  lieber  das  grosse  Wasser  reicht  die  Sonne  ihre  Hand 
(23).  Ebenso  reicht  die  Sonnentochter  dem  Gottessohn  die  Hand  über  die 
Daugawa.  In  derselben  Art  heisst  der  indische  Sonnengott  goldhandig,  schön- 
haudig,  breithandig;  streckt  segnend  seine  starken  goldigen  Arme  aus^)  und 
dasselbe  Bild  liegt  augenscheinlich  der  Einarmigkeit  des  Tyr  in  der  Edda 
zu  Grunde,  d.  h.  dessen  älterer  Vorgänger,  der  Hiramelsgott  Tius  wird  die 
Sonnenstrahlen  als  Hand  ausgestreckt  haben,  die  der  Wolf  (die  Nacht,  oder 
der  verdunkelnde  Gewittersturm)  in  den  Rachen  schlang. 

g.  Goldquasten,  Silbersaum.  Zugleich  aber  gelten  die  Strahlen 
als  Goldquasten  und  silberne  Säume  (28).  Nach  21  ist  das  grüne  Röck- 
chen der  Sonnentochter  (Dämmerung)  mit  Thau  gefeuchtet,  d.  h.  der  grüne 
Saum  ihres  Gewandes,  Wald  und  Wiese.  So  heissen  auch  im  Veda  die 
Rosse  der  Sonne  und  der  Morgenröthe  (die  haritas)  „im  Thau  gebadet", 
„mit  schönen  Fussstapfen"  (vgl.  in  22  die  silbernen  Schuhe  der  Sonne). 

h.  Silber.  Silbern  heisst  der  Sonne  Saum  (23),  wie  in  22  von  den 
silbernen  Schuhen,  mit  denen  die  Sonne  auf  silbernem  Berge  tanzt,  und 
in  24  von  dem  silbernen  See,  über  den  sie  fährt,  die  Rede  ist.  So  streut 
sie  (42)  .silberne  Gaben  aus  ihrer  Lade,  so  sät  sie  (26)  Silber  aus,  und 
Silberstücke  fallen  (37)  in  die  Daugawa.  Ja  zuweilen  heisst  der  Sonnenball 
selbst  ein  silberner  Apfel  (2.S),  ein  silbernes  Boot  (32).  Zu  vergleichen  steht 
die  merkwürdige  Thatsache,  dass  die  epischen  Runen  der  Finnen  fast  durch- 
stehend den  Mond  goldig,  die  Sonne  silbern  nennen. 

i.  Aussaat.  Das  Flimmern  der  ersten  oder  letzten  morgendlichen  oder 
abendlichen  Lichtstrahlen  der  Sonne  muss  auch  als  eine  Aussaat  betrachtet 
sein  (26).  Vgl.  Tegner  (ausgew.  Werke  hrsg.  v.  Lobedanz.  Lpzg.  1867  S.  240 
bei  Schwartz  S.  M.  St.  26),  der  die  Sonne  anredet: 

0  du  himmlische  Maid 

Woher  kommst  du  so  weit? 

Sag'  mir,  gabst  du  Rath, 

Als  des  Ewigen  Macht 

In  der  dunkeln  Nacht 

Säte  flammende  Saat? 

Warum  aber  streut  die  Sonne  ihre  Saat  ins  baumstumpfreiche  Rodeland? 
Aus  72  geht  hervor,  dass  (bei  Sonnenuntergang?  bei  Sonnenaufgang?)  Perkun 
einen  Baum  zerschmettert.  Dieselbe  Bedeutung  scheint  das  Abhauen  oder 
Zerschmettern  des  Birkenwaldes  zu  haben,    dessen   Stümpfe   die  Gottessöhne 


')    Muir,    Original    Sanscrit    texts    V.   ]b2.  HIO.   UJ6.  167.      M.  Müller,    Vorlesungen    über 
Wissensch.  d.  Spr.  iL  '6üb     357 


Die  lettischen  .Sonnenmythen.  101 

ausroden,    indem    sie   mit  dem   eintönigen  Grau  der  abendlichen  Dämmerung 
oder  dem  weissliclien  Lichte    des    Morgens    die    letzten    Strahlen    der    unter- 
gehenden,   oder    die  ersten    der  aufgehenden  Sonne  auslöschen  (vgl.  darüber 
ausführlicher    weitet'  unten).     In    den  auf  diese  Weise  auszurodenden  Abend- 
himniel  oder  Mor^euliiniinel  streut,  ergiesst  die  Sonne  ihr  Licht. 

k.  Sonne    Triukgeläss.     Das  Sonnenlicht  wird  als  etwas  Fliessendes, 
Triefendes,  als  ein  himmlischer  Trank  augesehen').     Vgl. 

Die  Sonne  übertluthet  Berg  und  Thal  Ja  dir  entquillet  jedes  Leben, 

Uli  Glanzf^ewog  aus  iiner»chöpftem  Home.  0  Licht,  dich  preist  des  Himmels  Thor 

(Rückert).    —     —     —     —     —     —     ^_^-_ 

Bis  hinaus  zum  fernsten  Ball  Die  Lämmerheerd  am  bunten  Hügel 

—      -     —     ____. —     —     —     _  Trinkt  ruhend  deinen  milden  Strahl. 

Aus  allen  Höhen,  zu  allen  Tiefen  (Krummacher). 

Seh' ich  die  Strahlen  des  Lichtes  triefen.    Sonne  lächle  der  Erd  und  giess  aus  strah- 

(Rückert).  lender  Urne 

Zerflossener  Sterne  Glauzmeer  ist  die  Luft,  Leben  auf  die  Natur,  du  hast  die  Fülle  des 

Wo  Sonne  steigt  aus  Purpurwellenschosse.  Lebens. 

(Rückert).  (Stolberg). 

Largus  liquidi  fous  luminis,  aetherius  sol.  Lucrez  V.  282,  Ganz  dieselbe 
Anschauung  enthalten  rumänische  W'eilmachtslieder,  deren  eines  beginnt: 

Droben,  wo  am, Himmelsthor 

Quillt  der  Souneuborn  hervor.') 

Es  ist  nun  wohl  verständlich,  dass  die  goldene  Kanne,  welche  nach 
unsern  Liedern  (39.  40)  von  der  Sonnentochter  gewaschen,  in  das  Luftmeer 
untergetaucht  wird,  und  mit  der  Ertrinkenden  versinkt,  die  Sonnenscheibe 
sein  mu8s.  Als  Mittelglied  muss  eine  kreisrunde  Schale  als  Spenderin  des 
himmlischen  Tianke.s  gegolten  haben,  ein  kausis  lit  kauszelc,  jenes  uralte 
Gefäss,  das  bei  Litauern  bis  in  neuere  Zeit  in  Gebrauch  blieb.  Solche  Schalen 
hat  man  in  den  Fundstätten  der  jüngeren  Eisenzeit  in  Skandinavien  mehrfach 
entdeckt.  In  einer  Lesart  des  deutschen  Regenliedes  „Regen,  Regen  rusch" 
tritt  die  Auffassung  der  Sonne  als  Schale  noch  deutlich  hervor: 
Sümi,  Sünn  kumm  wedder  Mit  diu  golden  Schäl', 

Mit  din  golden  Fedder,  Beschin  uns  alltomäl.') 

Ein  russisches  Räthsel  nennt  die  Sonne  „eine  Schale  voll  Oel  ist  der 
ganzen  Welt  genug".*)  Vgl  das  lettische  Räthsel  vom  Monde  „Eine  Butter- 
dose   mitten    im    Gehöft".'')      Nach  russischen  Beschwörungsformeln  ist  Zora 


')  Schwartz  S.  M.  St.  29  ff. 

*}  J.  K.  Schuller,  Kolinda.     Henuannstadi  18C0  S.  C. 

^)  Germ.  Myth.  375. 

*;  Kreck,  über  die  Wichtigkeit  der  traditionellen  slav.  Literatur  S.  06. 

*)  Vgl.  Der  Vollmond  ist  die  volle  Sc  ha le.    Dann  füllt  die  Göttersche  nkiu  Sonne 
Die  von  den  Göttern  bei  dem  Mahle  Allmählich  mit  dem  Lebeusbroune 

Wird  uect arieer  getrunken.  Die  ilunkle  Schale  wieder. 

Und  ist  das  goldne  Nass  entfeuchtet.  Und  wieder  zecht  eiu  durstger  Orden 

Das  die  krystallne  hat  durchleuchtet,  Unsterblicher  an  vollen  Borden 

Scheiut  sie  in  Nacht  versunken.  Beim  Schall  der  Uiuimelslieder. 


102  W.  Mannhardt: 

(die  Morgenröthe)  eine  schöne  Jungfrau,    welche    auf   goldenem    Stuhle    sitzt 
und  eine  silberne  Schüssel  (die  Sonne)  in  der  Hand  hält.') 

Aus  der  Schale  wird  auch  wohl  ein  Eimer  oder  anderes  Gefäss,  und 
der  himmlische  Lichttrank,  das  allbelebende  Sonnenlicht  zur  nährenden  Speise. 
So  lautet  ein  russisches  Kiudergebet: 

Sonnchen,  Sounchen,  Eimerchen,  Deine  Kinder  sie  weinen, 

Sieh  in  tias  Fensterlein,  Bitten  um  Essen  und  Trinken.^). 

Bemerkenswerth  ist  das  Lied  57.  Johannes  d.h.  die  personificirte  Sonnen- 
wende zerschlägt  die  goldene  Kanne,  d.  h.  die  Sonne  nimmt  ab.  Die 
Gottessöhne  (Abendstern  und  Morgenstern),  die  ersten  Lichtbringer  des 
Morgens  (s.  unten)  zu  Lichtbringern  überhaupt  geworden  stellen  sie  wenigstens 
mit  schwächerem  Glänze  (silbernen  Dauben)  wieder  her. 

Wie  aus  der  Sonnenschale  einerseits  die  goldene  Sonnenkanne,  ent- 
stund auf  der  anderen  Seite  aus  derselben  der  Becher.  Wenn  nach  69  bei 
Sonnenaufgang  die  Gottessöhne  nach  Deutschland  d.  h.  nach  Westen  gehen, 
wo  sie  Abends  wieder  in  Function  treten  sollen,  mit  goldenen  Bechern 
spielend  (vgl.  den  goldenen  Apfel  wirbelnd),  so  ist  dies  poetische  Verviel- 
fältigung eines  Bechers,  des  Sonnenballes,  den  sie  scheidend  emponverfen. 

1.  Das  Sonnenboot.  Die  Sonne  fährt  auf  goldenem  Boote  durch  das 
Luftiueer,  Nachts  versinkt  es  im  Meere,  Morgens  baut  Gott  ein  anderes  halb 
golden,  halb  silbern  (32).  Wiederum  ist  der  Sonnenball  dieses  Boot,  auf 
welchem  die  Sonnengöttin  durch  das  Luftmeer  steuert.  Man  vgl.  dass  Heraklit 
und  Hekatäus  die  Sonne  kahnartig  oaa(poeLÖi]g  nannten.^)  Eine  andere 
Vorstellung  herrscht  in  33.  Hier  fällt  die  Sonne  erst  Abends  in  ein  goldenes 
Schifflein,  auf  dem  sie  Nachts  durch  den  Hiramelsocean  vom  Orte  ihres  Unter- 
ganges bis  zur  Stelle  ihres  Aufgangs  rudert.  Doit  veiiässt  sie  ihr  Fahrzeug 
und  dasselbe  bleibt  hinter  ihr  auf  den  Wellen  zurück.  Entweder  ist  es  un- 
sichtbar gedacht  und  nur  deswegen  angenommen,  weil  der  Sonnenuntergang 
als  Versinken  im  Meere  gedacht  wurde,  oder  der  „Kahn  des  Mondes" 
hat  einmal  als  der  Nachen  gegolten,  auf  welchem  die  Sonne  ihre  nächtliche 
Reise  macht.  Dasselbe  gilt  von  dem  Hoote,  auf  welchem  nach  34  die  Gottes- 
söhnchen der  Sonne  Seele  oder  Leben  retten.  Nach  altgriecliischen  Sonnen- 
mythen, deren  einen  Mimnermos  (um  630)*)  erhalten  hat,  fährt  Helios  Nachts 
schlafend  im  goldenen  Boote  vou  den  Hesperiden  bis  zu  den  Aethiopen,  wo 
Eos  emporsteigt: 


Seilt  heute  randvoll  f>l:inzt  die  Schale! 

Die  Götter  sitzen  dort  beim  Mahle, 

Wie  wir  lieiiii  unserii  sitzen. 

(Riiciiort  bei  Scliwartz  S.  M.  St.  33  ) 
')  Afanasieff  poet.  Naturanscli.  I.  19S. 
■'')  Afanasieff  poet.  Najurausch.  I.  GÖ. 

^)  Stob.  ecl.  phys.  I.  26,  1  i)ei  Schwartz  S.  M.  St.  7.     (If.  diu  Scliiil'e  iles  Pushan  o.  S.  98. 
*)  Bei  Atheniius  XI.  ('.  4G'.)  11'. 


Die  lettischen  Svnnenmythen.  103 

Top  fxlv  yuij  äiu   y.vfxa  q^(i£i  /fo/i'/^oß/o;  ftVjj 

Koilrj,  'Hffaiarov  /foaiy  i).riXu^(t>T\ 

Xovaoü  1 1 fMi']ivi o  g ,  iniömtooi  cocttoy  ((f'  vJojq 

EZJoft')'  (tonuX^wi,  ^ojoou  ucfj    'Ennf()id'(i}y 

Paiuy  ii  \-h(tiönun',  tvu  oS  Oouy  uniiu  y.ut  'unioi 

'l''.ai(<(Ti\  '><(</  '//('";,■  rjQiytvsiu  ui'i/.rj.*) 
Bei  Stesichorus  (mn  61 1   :i.  Chr.)  linden  wir,    wie    es   scheint,    das   Bild   des 
von  der  Sonne  bestiegenen  Nachens  mit  jener  anderen  Auffassung  des  Sonnen- 
balls als  eines  Gefässes  für  den  Lichttrank  zu  einem  neuen  Ganzen  verbunden. 

'A4kioi  J'  '  YnsfyioyCÖHg  öinng  ea/.ia^ßuive 

Xovatov,  uifQCi  öl    £ly.t(iV0i0  nnjunui 

AcpixoiH^  tto«S  7701«  ß^i'!}f((  yuxjoi  f(^iejuyr<s 

IIoil  /Liai^ott  xovotöitiv  i'   ui.o'/oy 

Jlttid'ui;  le   cpiloug. 

Nach  der  in  den  Herakleen  gangbaren  Ueberlieferung  entleiht  Herakles  auf 
dem  Zuge  nach  Erytheia  vom  Helios  seinen  goldenen  Kahn,  um  über  den 
Ocean  zu  gelangen.  Beim  Peisandros  von  Kamciros  heisst  dieser  Kahn 
daTictg,  Panyasis  nennt  ihn  '^HXlnv  (piäXij.'^^ 

Den  Aegyptern  v\^ar  die  Vorstellung  der  Sonne  als  Nachen  sehr  geläufig. 
Horus  (Hör,  Har)  der  Sonnengott  steuert  auf  den  Monumenten  den  Sonnen- 
nachen durch  die  Tagesstunden."*) 

m.  Der  Sonn enap fei.  Mit  32  berührt  sich  28.  Hier  heisst  die  Scheibe 
der  untergehenden  Sonne  ein  vom  Baum  gefallener  Apfel,  um  den  die  Sonnen- 
göttin weint. ^)  Bei  Sonnenaufgang  macht  Gott  einen  neuen  Apfel,  der  wegen 
der  verschiedeneu  Nuancen,  welche  die  Färbung  der  Sonne  im  Laufe  des 
Tages  annimmt,  von  Gold,  von  Erz,  von  Silber  genannt  werden  kann.*)  Den 
nämlichen  Apfel,  den  Sonnenball,  rollen  oder  werten  (wirbeln)  mit  anderer 
Wendung  des  Gedankens  die  Gottessöhne,  der  der  Sonne  voraufgehende 
Morgenstern  und  sein  Genosse  (29).  Die  am  Himmel  wahrgenommene  schein- 
bare Bewegung  des  Sonnenballes  verglich  sich  einfach  der  Flugbahn  eines  ge- 
worfenen Gegenstandes.  Indem  aber  die  Sonne  als  Apfel  vorgestellt  wird, 
wird  ihr  Aufenthaltsort  zum  Apfelgarten,  in  welchem  die  Sonnengöttin  während 
der  Nacht  schläft,  und  die  ersten  weissen,  mit  Rosenfarbe  leis  angehauchten 
Wölkchen  des  frühen  Morgens,  aus  denen  später  als  reife  Frucht  der  goldene 
Apfel,  die  Tagessonne,  hervorsteigt,  werden  zu  Apfelblüthen,  welche  auf  die 
Augenlider   der   noch   schlummernden,    aber   bald    erwachenden  Göttin  herab- 


')  Atlienaeus  a.  a.  0.     Vgl.  Schwartz  S.  M.  St,  23. 

-)  Athen.   XI.  38.  39. 

^)  Parthey,  l'lutarch  üb.  Isis  und  Osiris  S.  192. 

*)  Wer  liat  nicht  schon  die  Sonne,  im  ßegritle,  unter  den  Horizont  zu  tauchen  in  der  Fär- 
bung um!  Gestalt  der  Goldorange  gesellen?  Aehiilich  auch  der  Mond,  von  dem  Heine  sagt: 
Auf  den  Wolken  ruht  der  Mond  Ueberstrahlt  das  graue  Meer 

Eine  Riesenpomeranze,  Breiten  Streifs  mit  goldnem  Glänze. 

*)  Vgl.  Poi  che  l'altro  mattiu  la  bella  Aurora  L'aer  seren  fe  bianco  e  rosso  e  giallo.  Ariosto 
XXXII.  52.  M.  Müller,  essays  II.  324.  Vgl.  o.  S.  95  das  goldene,  silberne,  diamantene  Ross. 
Im  Miirchen  begegnen  (uuserm  Apfel  gleichstehend)  drei  Bälle,  ein  silberner,  ein  goldener, 
ein  diamantener,     liuhn,  westfUl.  Sag.  II.  251   u.  17. 


104  W.  Mannhardt:    Die  lettischen  Sonnenmythen. 

gefallen  sind  (30.  31).  Es  lag  eben  nahe,  das  Bild  des  Apfels  durch  den 
Baum,  auf  welchem  er  wächst,  zu  ergänzen ;  diesem  begegnen  wir  in  72.  74. 
Doch  davon  weiter  unten. 

Zunächst  sei  das  Naturbild  des  Sonnenapfels  etwas  weiter  durch  die 
Volkspoesie  und  Mythologie  verfolgt.  Ein  schwedisches  Käthsel  sagt:  Vär 
mor  har  eu  tacke  som  ingen  kan  falla:  var  far  bar  mer  pengar,  an  nagon 
kan  räkna,  vär  bror  har  ett  äpple,  som  ingen  kan  bita.  Aufl.  Var  mor: 
jorden,  tacket:  himlen,  pengerna:  stjernorna,  var  bror:  frälsaren,  äpplet:  solen^). 
Unsere  Mutter  hat  eine  Decke,  welche  niemand  falten  kann,  unser  V^ater  hat 
mehr  Geld,  als  jemand  zählen  kann,  unser  Bruder  hat  einen  Apfel,  den 
niemand  einbeissen  kann.  Aufl.  Unsere  Mutter  die  Erde,  die  Decke  der 
Himmel,^)  unser  Vater  Gott,  das  Gold  die  Sterne,  unser  Bruder  der  Erlöser, 
der  Apfel  die  Sonne, 

In  den  folgenden  deutschen  Sonnenliedern  ist  die  Sonne  Ei^)  oder  Apfel 

genannt: 

1.  Hängt  ein  Engelein  au  der  Wand, 
Liabe  Frau  lass  a  bissal  Sinin   heraus,    Hat  ein  Eielein  in  der  Hand. 

Lass  a  bissal  drinnat  Wenn  das  Eielein  runter  fand', 

Für  de  ärman  Kinua.  Hiitt'  die  Sonn'  ein  End'.*} 
Stet  a  schöna  Engl  af  da  Bang,  „ 

Hat  a  roths  Gogal  (rothes  Ei)  i  da  Hand.^)         ^.  j^^^  .^  ^  guldigs  Hus, 

2.  Lueget  drei  Mai-eie  drus, 
Am  Glockenbach  sind  drei  Poppelen  drinnen,  Die  ein  spinnt  Side, 

Die  ein  spinnt  Seide,  Die  andere  Floride, 

Die  andere  wickelt  Weide,  Die  dritf  schnützlet  Ghride. 

Die  dritte  sitzt  am  Brunnen,  Die  viert'  spinnt  Haberstrau, 

Hat  ein  Kindleiii  gfuiuien.  Die  feuff  isch  eusi  liebi  Frau. 

Wie  soll  das  Kindlein  heissen?  Sie  sitzt  ennet  an  der  Wand, 

Laperdon  und  Dida  Hat  en  Oepfel  i  der  Hand. 

Wer  soll  das  Kindlein  waschen?  Sie  geht  durchab  zum  Sunnehüs 

Der  mit  seiner  Klappertaschen.  Und  löt  die  heilig  Sunne  iis 

Und  löt  de  Schatten  ine.«) 

Zu  diesen  Liedern  vgl.  sowohl  die  oben  S.  99  aufgeführten,  als  des  Verfassers 

German.  Myth.  r>24— 536. 

(Fortsetzung  folgt.) 

')  Runa  1849  S.  48  n.  IC. 

'^)  So  meinen  den  gestirnten  Himmel  die  folgenden  lottischen  Räthsel :  1)  Dem  Vater  (Gott) 
gehüit  ein  Pelz  voll  Aehren.  2)  Eine  blaue  Docke  voll  von  Aehren.  3)  Eine  graue  Wolldecke 
voll  von  weissen  Aehren  (Erbschen). 

^)  Ei  heist  die  Sonne  oder  der  Jlond  u.  A.  auch  auf  ägyptischen  Denkmälern.  Auf  einem 
Basrelief  zu  Philä  z.  B.  hält  Ptha-Totoiien  eine  'löplcrscheibe  mit  einem  Ei.  Nach  der  hiero- 
glyphischen Beischrift  ist  dies  das  Ei  der  Sonne  und  des  Mondes,  das  von  Ptha  in  Be- 
wegung gesetzt  wird.  Parthey  zu  Plutarchs  Isis  u.  Osiris  S.  224.  Auch  andere  Inschriften 
besagen,  dass  Ptah  „das  Ei  der  Sonne  und  des  Mondes  bewege",  dass  er  „sein  Ei  in  dem  Himmel 
wälze*.  Ptah  ist  der  Geist  des  himudischen  Lichtes,  der  Beweger  der  Himmelskörper.  Aber 
auch  Ra,  der  Gei-st  der  Sonne:  der  „in  der  Sonnenscheibc  thront",  „Itewegt  sein  Ei  laut  den 
Inschriften.     Vgl.  Duncker,  Gesch.  des  y\lterthums.     Md.  I.  1874.     S.  :J5.  3G. 

*)  Lechwitz  in  Mähren.     Zeitschr.  f.  d.  Myth    IV.  347  n.  C'J. 

*)  Panzer,  Beitr.  z.  D.  Myth.  II.  546.     Vgl.  German    Myth.  706, 

*■;  Aargau.    Rochholz,  alemannisches  Kinderlied.  140  n.  273. 


Die  Sieben   vor  Theben  und  die  ehaldäische  Woche. 

Als  Beitrag  zur  Begründung  einer  Wissenschaft  der  vergleichenden 
Mythologie  und  Religionsgeschichte. 

I.  Allgemeine  Einleitesätze. 
1.  Zwei  Erkenntuissarten:  die  religiöse  und  logische. 

Es  giebt  zwei  anthropologische  Hauptarten  menschlicher  Erkenntniss: 
ii)  eiue,   auf  den  religiösen  Zusammenhang  und  abbildlichen    Einklang  des 
Menschen  mit  Gott  und   der  Welt    gegründete,    mehr   unmittelbare  und 
ursprüngliche,  eine  Erkenntniss  durch  unwillkürliche  religiöse  Mimik  uud 
dichterische  Gesammtanschauung,  die  wir  desshalb  die  religio  se,  bild- 
liche, einheitliche  (synthetische)  Erkenntniss  nennen:  und 
b)  eine,    aus    dieser   abgeleitete,    auf    des     Menschen    körperlich-geistigen 
Dualismus  gegründete,  mehr  mittelbare  und  willkürliche,  eine  Erkennt- 
niss durch  logische  Unterscheidung   und  Wiederverbindung,    sowie  ge- 
brauchsmässige  Entbildlichung  der  in  dem  religiösen  Urbegi'iff  enthalteneu 
einzelnen  Merkmale,    welche  Erkenntnis«    wir   desshalb   die  logische, 
abstracte,  analytische  nennen. 
Die  Worte  oder  Rufe:  „Licht,  Feuer,  Tag,  Nacht,  Thier,  Leu"  z.  B.  kraft 
deren  der  Mensch  die  darin  benannten  Erscheinungen  sich  mimisch  begreiflich 
macht,  sind  sprachliche   Ausdrücke  der  religiösen   (bildlichen,    synthetischen) 
Erkenntniss  :  und  verwandeln  sich  auf  dem  Wege  der   logischen  (abstracten, 
analytischen)  Erkenntniss    in   die   Sätze:    „das   himmlische  Licht  scheint  hell 
und  göttlich'',  „das  Feuer  entbrennt  und  lodert  gen  Himmel",  „der  helle  Tag 
geht  auf  im  Osten",  „die  dunkle  Nacht  folgt  auf  den  Untergang  im  Westen", 
„das  schnelle  Thier  rennt  durch  die  Wüste",  „der  goldgelbe  Leu   brüllt  und 
leuchtet  duixh    die  Dämmerung".     Während,   wie  bemerkt,    die    erste  dieser 
beiden  Erkenntuissarten,  und  durch  die  erste  auch  die  zweite,  ihi-en  Ursprung 
auf  das  dem  Menschen  angeborene,  mit  seiner  abbildlichen   religiösen  Natur 
zusammenhängende,  Vermögen   einer   kosmisch-anthropologischen  Mimik   und 
bildlich-geberdenhaften    Nacherschaffuug    Gottes    und    der  Welt   gründet,    hat 
sich  die  letztere,    die   logische,    zu    ihrer    weiteren    besonderen  Entwicklunü; 
hauptsächlich  der  Sprache,  Schrift  und  Grauiiuatik  bedient  uud  hat  vermittelst 

Zeitschrift  für  Ktliuologie,  .)ahr(;aii^-  lS7i.  y 


106  K.  F.  Meyer: 

derselben  vermocht  die  ursprüngliche  Einheit  des  ersten  bildlichen  Gesammt- 
begriffes  in  eine  doppelte  Reihe  formaler  und  stofflicher  Einzelbegrifl'e  aufzu- 
lösen und  aus  denselben  neu  wiederherzustellen,  sowie  dabei  zugleich  die 
ursprüngliche  Bildlichkeit  des  einzelnen  übertragenen  Begrifi'es  hinter  dem 
bestimmten  Gebrauch  der  letzten  Uebertragung  mehr  und  mehr  zurücktreten 
und  verschwinden  zu  lassen. 

2.  Wichtigkeit,  anthropologische  und  historische,  der  religiös-bildlichen  Erkenntniss. 

Die,  in  der  Religion  und  Bildlichkeit  der  menschlichen  Natur  begrün- 
dete Ursprünglichkeit  der  religiös-bildlichen  Erkenntniss  hat  derselben  für 
alle  Zeiten  eine  unbedingte  anthropologische  Wichtigkeit  gesichert,  kraft 
deren  sie  dem  Menschen  auch  heute  in  sehr  vielen  seiner  sowohl  gesellschaft- 
lichen als  gottesdienstlichen  Gebräuche  und  Vorstellungen  unentbehrlich  ge- 
blieben ist  und  nicht  aufgehoben  werden  kann,  ohne  dass  damit  auch  die 
Innigkeit  und  Lebendigkeit  aller  dieser  Vorstellungen  und  Gebräuche,  die 
Lebendigkeit  unseres  ganzen  menschlichen  wie  göttlichen  Verkehrs  erstickt 
und  aufgehoben  würde.  Die  Fahne  des  Kriegs  und  der  hochzeitliche  Braut- 
kranz, der  Eid  vor  Gericht  und  der  Handschlag  der  Freundschaft,  die  segnende 
Hand  und  der  Ringwechsel  der  Verlobung,  das  Knieen  und  Händefalten  beim 
Gebet  und  der  Aufblick  zu  Gott  als  dem  Vater  unser  im  Himmel  —  sind 
bildliche  Zeichen  und  Handlungen  deren  Unterdrückung  für  den  Menschen 
ebenso  unnatürlich,  ja  unmöglich  sein  würde,  als  wenn  er  das  Geberdenspiel 
des  Hauptes  und  Gesichts  unterdrücken,  das  Lachen  und  Weinen  ersticken, 
das  Aufleuchten  der  Augen  zurückhalten  und  den  ebbenden  und  fluthenden 
Strom  des  Erblassens  und  Erröthens  abgraben  wollte.')  Aber  nicht  minder 
gross  als  diese  anthropologische  ist  die  historische  Bedeutsamkeit  der 
religiös-bildlichen  Erkenntniss,  als  welche,  gegenüber  der  nur  sehr  allmählichen 
Entwicklung  der  logischen  Erkenntniss  und  zugleich  gegenüber  der  von  den 
verschiedenen  Bildungsstufen  der  Völker  und  Stände  abhängigen  Ungleichheit 
dieser  Entwicklung,  Jahrtausende  lang  die  einzige  gewesen  ist  vermittelst 
deren  erst  die  ganze,  dann  ein  grosser  Theil  der  Menschheit  Gott,  die  Welt 
und  sich  selbst  zu  begreifen  vermoclit  hat^),  und  also  namentlich  auch  die 
einzige  die  dem  ganzen  religionsgeschichtlichen  Theil  der  menschlichen  Ent- 
wicklung den  wir  heute  Mythologie  nennen  zu  Grunde  liegt.  Eben  wie  die 
logische  Erkenntniss  des  Menschen  in  der  Sprache  und  Grammatik,  hat  die 
religiös-bildliche  in  der  Mythologie  den  eigentlichen  Ausdruck  ihrer  allgomeincn 
Entwickolung,  ihrer  in  Sage  und  Ritus  abgelagerten  Geschichte  gefunden, 
und  erheischt  also  auch,  zur  Begründung  eines  richtigen  ,  wissenschaftlichen 
Verständnisses  dieser  Geschichte,  zunächst  eine,  jener  logisch-sprachlichen 
Grammatik  und  Wörtcrdeutuug  entsprechende,  psychologische  Grammatik  und 
iJculung  der  mytliologisclien  Bildersprache,  —  das  Leisst,  zunächst  eine,  nach 

')  vgl.  (lies   W-if.)  ilciitscln'   Kirclioibiii'lifra^.'  (IlddclhiTo    \Si>'.))  S.  31   ff. 

*)  vgl.  Welckei  ür.  (iL.  1,  pu^.  r»7.  ,M;ui  sollte  in  der  l'sycLologie  Weltalter  unterscheiden. 


Die  Sieben  vor  Theben  und  die  chaldäische  Woche.  107 

der  Weise  der  grammatischen  Kategorien,  Modi  und  Casus  zu  sondernde  und 
ordnende,  Feststellung  der  allgemeinen  Gesetze  nach  denen  wir,  vom  Stand- 
punkt der  logischen  Erkenntniss  aus,  die  Thätigkeit  der  religiös-bildlichen 
vor  sich  gehen  sehen. 

3.  Acht  Oesetze  der  religiös-bildlicheu  Erkenntniss. 

Als  solche  Gesetze  lassen  sich  acht  aufzählen:  zunächst,  die  beiden 
schon  erwähnten  Hauptgesetze:  religiöse  Einheitlichkeit  und  mimische  Bild- 
lichkeit; die  uns  also  nun,  vom  logischen  Standpuncte,  als  Vereinbarung 
und  Verbildlich ung  entgegentreten:  sodann,  als  weitere  Ausführung  der 
letzteren,  der  Verbildlichung: 

3)  die,  —  immer  mit  allgemeiner  Vermengung  und  Verschiebung  der 
Activitäts Verhältnisse  verbundene  —  Verthätli  chung;  sowie, 

4)  die,  in  dieser  enthaltene  V  erpersönlichung;   und 

5)  die,  sowohl  die  Handlung  als  die  Person  betreffende.  Vergeschlecht- 
lich ung:  —  und  sodann,  als  weitere  Ausführungen  des  Grundgesetzes  der 
Vereinbarung, 

6)  die  Verörtlicliung, 

7)  die  Vergeschichtlichung,  und 

8)  die  sittlich-religiöse  Vergöttlichung  und  Vergeistiguug  des  Be- 
griffes. 

Der  Sonnenaufgang  z.  B.,  in  welchem  M'ir  vom  heutigen  logischen  Stand- 
])uncte  aus  nichts  erkennen  als  die  regelmässige,  durch  die  Erdumdrehung 
allmählich  bewirkte,  morgendliche  Wiederkehr  des  Sonnenbildes  und  den  ver- 
schiedenen damlf  verbundenen  Licht-  Wärme-  und  Farbeneindrücke,  erscheint 
vom  religiös-dichterischen  Standpuncte  aus,  mit  Anwendung  der  genannten 
acht  Gesetze,  als  die  einige')  That')  eines  guten'^)  lichten^) — von  den 
Li  chtschallbildern'^)  de^  Erzklanges  oder  ThiergebrüUs  gerufenen  und 
gescliaflenen  schöpferis  eben  ■")  Gottes^),  der,  an  der  Handseiner 
göttlichen  Schwester^),  der  Morgenrothe,  aus  der  geheimnissvollen  Grotte 
eines  heiligen  Berges*^)  emporsteigend,  die  bösen  **)  Geister  der  Nacht  mit 
seinem  Rufe")  verscheucht^),  seinen  Pfeilen^)  erschiesst^),  und  so, 
als  der  irdisch-himmlische  Schutzgeist  und  Heros-epouymos  ^)  seines  Vol- 
kes, demselben  zur  nacheifernden  Bekämpfung^)  der  Finsterniss  und  Lüge'') 
des  Dunkels  und  Uebels'^)  ein  mahnendes  Beispiel  giebt-^). 


1.  Vereinbarung. 

2.  Verbildlichung  (vgl.  u.  §,  8  uml  Anm.  G). 

3.  Verthütlichung. 

4.  Verpersönliciiung. 

5.  Vergeschlechtlichuug. 

6.  Vorörtlichuug. 

7.  Vorgeschii'htlioliung. 

8.  Sittlich-religiöse  Vergöttlichung  und  Vergeistiguug. 


108  K.  F.  Meyer: 

4.  Doppelte,  symbolische  und  allegorische  Eutstehuugsart  der  religiös-bildlichen 

Erkenutuiss. 

Diese,  vom  logischen  Standpuncte  als  eine  ümwandelung  erscheinende, 
Auffassung  war,  wie  bemerkt,  während  der  ersten  Entwicklungsepoche  des 
Menschengeschlechts  die  allein  wirkliche  und  unwillkürlich  ursprüngliche, 
und  kam  als  eine  absichtliche  Rückübertragung  aus  dem  Logischen  in's  Dich- 
terische erst  dann  zur  Anwendung  als,  bei  eingetretener  ethnologischer  und 
castenartiger  Ungleichheit  der  religiösen  Entwickelungsstufen,  sich  selten  der 
höheren  Stute,  der  der  Lehrer  und  Priester,  das  Bedürfniss  geltend  machte, 
den  von  ihnen  vorzutragenden  esoterischen  Lehren  und  zu  gründenden  reli- 
giösen Einrichtungen  einen  auch  für  die  übrigen  Stufen  und  Gasten  sofort 
erkennbaren  und  fasslichen  exoterischen  Ausdruck  zu  verleihen.  Die  Namen 
mit  denen  sich  nach  ihrem  bereits  angebahnten  wissenschaftlichen  Gebrauche^) 
diese  beiden  verschiedenen  Entstehungsarten  der  religiös-bildlichen  Er- 
keuntniss  am  treffendsten  von  einander  unterscheiden  lassen,  sind:  für  die 
didactisch-absichtliche  Entstehung,  allegorisch;  für  die  anthropologisch- 
unwillkürliche, symbolisch  oder  auch  mythisch,  und  zwar  dieser  letztere 
Name,  sowie  das  Wort  Mythus,  vornehmlich  für  grössere  zusammengesetzte, 
aus  allegorischen  und  symbolischen  ßestandtheilen  unwillkürlich  gemischte 
und  erzählend  dargestellte  Erkenntnisse  und  Offenbarungen :  von  welchen  dann 
wieder  der  mit  deutlicher  Verörtlichung  oder  Vergeschichtlich ung  behaftete 
Mythus  Sage  (heilige  Sage,  Legende);  der  ohne  dieselbe  auftretende  Mär- 
chen heisst:  das  Wort  Parabel  (Gleichniss)  dagegen  immer  nur  eine  di- 
dactisch-absichtliche, vorzugsweise  auf  religiös-sittliche  Vergeistigung  gerichtete 
Allegorie  bezeichnet. 

5.  Acht,  nach  Gegenstand  und  Inhalt  verschiedene  Grattungen  Mythen  und  AUegorieen. 

5.  Ihi-em  Gegenstand  und  Inhalte  nach  waren  und  sind  alle  alten  Mythen 
und  symbolischen  Begriffe,  und  waren  auch  die  meisten  Allegorien,  —  dem 
religiösen  Wesen  und  Ursprung  der  bildlichen  Erkeuntniss  gemäss  —  immer 
zunächst  theologische,  auf  die  Erkenntuiss  Gottes  gerichtet;  d.  h.  auf 
die  Erkenntniss  eines  im  himmlischen  Licht  empfundenen,  im  Wechsel  der 
Gestirne  und  Elemente,  des  werdenden  und  endenden  Lebens  wiedergefundenen 
im  Auruf  und  Gebet,  Schall  (vgl.  u.  8)  und  Feuer,  Lehre  und  Geschichte 
)iachahnieijd  verwirklichten  und  offenbarten  höchsten  Wesens,  das,  als  ein 
unsichtbarer  Q,uell  des  Lichts  und  Heils,  als  ein  Urbild  aller  That  und  Per- 
sönlichkeit, aller  zeitlich-ewigen  Sitte  und  Geschichte,  —  als  ein  Jahve, 
Elohiiii,  Baal,  Piilha,  Zeus,  ludra-Agni  (Indrägnl)  und  Ahurmazda,  —  im 
Jliuimel  thront  und  die  Welt  von  Tag  zu  Tag,  Jahr  zu  Jahr,  Woche  zu 
"Woche,  ewig  neu  erschafft  und  ordnet.  Neben  diesem  ihrem  ursprünglichsten, 
llu'()l(»gi^(  litii    Inlialt  aber  haben  die  Mythen   und  Allegorien  noch  oiucn  siebeu- 


^)  vgl.  Welfker  Gr.  G.  C.  1.  50-114. 


Die  Sieben  vor  Theben  und  die  chaldäische  Woche.  109 

fach  anderweitigen:  und  zwar  sind  sie: 

erstens  a)  chronologisch  -  astronomische  —  d.  h.  gerichtet  auf  die 
Erkenntniss  Gottes  im  Zeitwechsel  und  in  dem  diesen  Wechsel  bestimmenden 
Bewegungsverhältnissen  der  Gestirne;  und  also 

rf)  chronologisch-solare  und  -lunare:  z.  B.  die  Mythen  von  Tag 
und  Nacht,  Jahr  und  Monat,  Sol  und  Luna,  Baal  und  Baaltis,  Apollon  und 
Artemis:  die  lunaren  Mythen  (und  Riten)  von  Tanth  und  Tanthe,  Proitos  und 
den  3  Proctidinnen  nebst  Megapenthes  (vgl.  u.  YII):  die  tages-  und  jahres- 
zeitlichen Mythen  von  den  Ayvinas,  Dioskuren  und  Kyklopen,  den  drei  Teilen 
und  drei  Hekatoncheiren,  den  Chariten,  Hören  und  Moiren:  und  die  (in  allen  Re- 
ligionen so  zahlreichen)  Mythen  und  Märchen  von  Nachtfuhrt  und  Wiederkehr, 
Kampf  und  Sieg  des  Tageshelden:  von  seinen  —  wie  Kadmos,  Kilhuch,  Or- 
pheus —  die  schöne  Abendmorgenröthe  —  eine  Europa-Electra,  Olwen,  Eu- 
rydike  —  suchenden  und  findenden,-  oder  auch  —  wie  Jason,  Odysseus, 
Siegfried  —  zwischen  beiden  Auroren  —  einer  Medea-Glauke,  Penelope-Kirke. 
ßrunhilt-Chrymhilt  —  tragisch  getheilten  Wanderungen  und  Schicksalen;  von 
seinem  glücklichen  Odysseus-artigen  Entrinnen  vor  den  Verfolgungen  des  west- 
lichen Poseidon;  oder  auch  seinem,  —  als  ein  Meleagros,  Jason,  Siegfried, 
Vritralianas,  Bellerophontes  und  Apollon  Pythoktonos  —  siegreich  bestandenen 
Kampfe  mit  dem  Eber,  Drachen  oder  Ungeheuer  der  Finsterniss: 

und  i^)  chronologisch- planetarische  und  siderische:  wie,  vor 
allen,  die  weitverzweigten  hebdomadisch-ogdoadischen  Riten  und  Mythen,  Dog- 
men und  Märchen  aller  Religionen:  der  ägyptische  und  thebanische  Achtgötter 
kreis  und  der  phönikische  Mythos  von  den  7  Kabiren,  nebst  dem  Achten (Esmun) 
und  den  beiden  Kabirenältern,  besonders  der  grossen  Zeit-bindenden  Kabeiro 
—  der  Thuro,  Themis,  Nemesis:  und,  daraus  entwickelt,  dann  auch  die 
ägyptisch-hellenischen  Mythen  von  der  Decade  und  dem  zwölfmonatlichen 
Sonnenjahr  von  Horus  (Har-Ka)  und  Herakles,  von  den  Olympischeu  Göttern 
und  den  zwölf  Rittern  der  Tafelrunde: 

zweitens  b)  meteorologisch-physische:  d.  i.  gerichtet  auf  die  Er- 
kenntniss Gottes  in  den  mehr  terrestren  Luft-,  Licht-  und  Feuererscheinungeu 
zwischen  Himmel  und  Erde:  z.  B.  die,  mit  dem  Tag-  und  Nachtwechsel  ver- 
knüpften, Windwechselmythen  von  Vaju  und  den  Maruta,  von  den  Harpyien 
und  ßoreaden:  die  Sturm-  und  Gewittermythen  von  ludra  und  Rudi-a,  Zeus 
und  Thor. :  die  Nebelsage  von  dem  (am  mysischen  Quell)  entführten  Ganymedes, 
und  die  (athenische)  Sage  von  den  Thauschwestern;  das  Luft-,  Licht-Märchen 
von  Echo- Widerhall  und  Narkissos-Widerschein:  die  Regenbogenmärchen 
von  Iris  und  ßifrost  und  die  heilige  Sage  von  Jehovahs  Bundesbogen: 

drittens  c)  geologisch-neptunisch-plutonische :  d.h.  gerichtet  auf 
die  Erkenntniss  Gottes  in  den  Erscheinungen  des  irdischen  Bodens  und  Ge- 
steins, Gewässers  und  Feuers:  z.  B.  die  zahlreichen  Sagen  und  Märchen  von 
Oreaden  und  Najadeu,  Zwergen    und  Elfen,  Uudineu    und  Salamandern:    die 


110  K.  F.  Meyer; 

Mythen  von  Ge,  Okeanos  und  den  Titanen;  von  des  Hephästos  Werkstatt 
in  Lemnos  oder  im  Aetna,  und  von  seiner  vaterlosen  Gebui't  aus  dem  Schooss 
oder  Busen  (Herodot  VI,  82)Heras:  und  der  mannigfache  Cultus  und  sinubildhche 
Gebrauch  des  Gesteins:  theils,  in  aufgerichteter  Gestalt,  als  chronologische 
Merk-  und  Denkmale,  Licht-  und  Feuer-nachahmende  Obelisken  und  Pyra- 
miden; theils,  in  flacher,  als  Gottessitze  und  Gerichtsstühle;  theils,  in  bev^^eg- 
licher,  (z.  B.  die  geworfenen  Steine  Jasons,  Kadmos's,  Athenes  und  Rheas) 
als  numerische  Sinnbilder  und  Rechenpfennige  der  Zeitberechnung: 

d)  zoologische:  d.i.  gerichtet  auf  die  Erkenntniss  Gottes  in  der  Thier- 
und  Pflanzenwelt:  z.  B.  die  Mythen  von  Dryaden  und  Satyrn;  die  vielfachen 
Thier-  und  Pflanzenmetamorphosen  der  Götter  und  Heroen;  die  ethisch-di- 
dactische  Thierfabel  (Thierparabel) :  und  der  magische  Cultus  gewisser  sinn- 
bildlich-bedeutsamer —  oder  auch  anthropologisch-wirksamer  —  Pflanzen  und 
Thiere,  wie  der  Pinie  und  Cypresse,  Alraune  und  Mistel,  des  Epheus  und 
Lorbers,  des  Soma  und  Weines;  und  von  den  Thieren,  ausser  den  lichtschall- 
und  lichtflug- symbolischen  (vgl.  u.  8),  besonders  der  Schlange,  als  eines 
durch  Körper,  Gang  und  Wesen  mannigfach  bedeutsamen  Gleichnisses:  und  zwar: 

«)  des  (raschen)  Gleitens  und  übernatürlichen  Sichbewegens  (ßoreas); 

ß)  des  (leisen)  Sprossens  und  Wachsens  (Erichthoniot^) ; 

y)  des  (gleitenden)  Streicheins  und  Heilens  (Asklepios); 

ö)  des  (schleichenden)  chthonischen  Dunkels  und  Todes  (Delphine); 

«)  des  (sich  schlängelnden)  Feuers  und  Lichtes  (Titanen,  Medusa); 

Q  des  (gewundenen)  chronologischen  Kyklos  und  Kosmos  (Surniubel); 

r/)  der  (zungenartig-beweglichen)  Zunge,  Sprache,  Weisheit  und  Prophe- 
zeiung (Schlange  des  Taut,  Hermes  und  des  Paradieses) : 

fünftens  e)  culturhistorisch  -  technologische:  d.  i.  gerichtet  auf 
die  Erkenntniss  Gottes  in  der  Geschichte  und  Beschaffenheit  der  von  ihm 
dem  Menschen  gelehrten  Künste  und  Einrichtungen,  Sitten  und  Gewerbe, 
Unternehmungen  und  Erfindungen:  z.  B.  die  Opfer-,  Heerd-  und  Schmiede- 
teuer-Mythen  von  Agnis  und  Moloch,  Isis  und  Hestia,  Tanais-Arterais  und 
Neith-Athene,  Prometheus  und  Pandora;  die  Ankerbaumysterien  von  Demeter 
und  Persephone;  der  Schifi'ahrtsmythus  vom  Gott- Fisch  Oannes;  die  Erich- 
thonios  (Erechtheus)-sage  von  dem  als  Pflegling  Athenes  (des  Pflugs)  und 
der  Thauschwestern  erwachsenen  als  Vater  der  Hypermestra  (Erndte)  und 
als  reichster  aller  Sterblichen  herrschenden,  schlangenfüssigen  Wunderkinde; 
sowie,  damit  zusammenhängend,  die  Märchen  von  Erysichthon  (Brachland)  und 
Triopas  (Dreilelderwirthschaft  vgl.  u.)  von  Triptolemos,  Keleos,  und  den 
Molioneu  (Mühlsteinen)  —  vom  irischen  König  Muirchertaeli  und  schottischen 
John  Barley-Corn:  das  dionysische  Märchen  vom  Aufziehen,  Pflegen,  Pflücken 
und  Keltern  des  licht-  und  feuergeborenen  Sohnes  des  Himmels  und  der  Erde; 
das  Phineusmärclien,  vom  blinden  (unterirdischen)  Bergwerkbau,  das  Krösus- 
märchen vom  Schmelzen  und  Klingendmachen  des  Goldes;  das  Tantalus- 
raärchen  vom  Opfertische  (der,  mit  den  Speisen  vor  sich,  dieselben  nicht  be- 


Die  Sieben  vor  Ttieben  und  die  chaldäische  Woche.  111 

rühren  durf  und  der  mit  den  Göttern  speist  um  nachher  umgestossen  zu 
werden) : 

sechsten«,  f)  ethnologisch- historische  d.  i.  gerichtet  auf  die  Er- 
kenntniss  und  Erinnerung  Gottes  in  den  von  je  einem  einzelnen  Volk  oder 
Volksstamm  vollbrachten,  als  Thaten  je  eines  einzelnen  Gottes  oder  Heroen 
(Heros  eponymos)  verpersönlichten  Erlebnisse:  z.  B.  die  Sagen  von  den 
Wanderungen.  Niederlassungen,  und  Eroberungen  des  aramäischen  Abraham, 
assyrischen  Assur,  indischen  Indra,  medischen  Mithras,  babylonisch-phöniki- 
schen  Bei  (Belitan),  phönikisch-hellenischen  Kadmos,  ägypto-hellenischen 
Danaos  und  iigypto-tyrrhenischen  Herakles;  die  griechischen  Sagen  von  Hellen, 
Dorus.  Aeulus,  die  italischen  von  Tyrrhenus,  Latinus,  Romulus,  die  brittanni- 
schen  von  Alu,  Aedd,  Pryd,  die  irischen  von  Gwasc,  Bell  und  Fion,  die 
deutschen  von  Irmin  und  Sax-neot,  —  bis  herab  zu  der,  die  Abrahamssage 
wieder  aufnehmenden,  Sage  von  dem  ewigen  Juden: 

und  endlich,  siebentes  g)  anthropologische:  d.  i.  gerichtet  auf  die 
Erkenntniss  Gottes  in  den  physisch-psychischen  Eigenschaften  und  Verrich- 
tungen des  Menschen  selbst:  z.  B.  das  Vedaische  Fingergleiclmiss  von  den 
zehn  Schwestern,  und  die  griechischen  Märchen  von  den  5  zählenden 
(Idäischen)  und  5  heilkräftigen  Dactylen;  das  altcymrische  Märchen  von 
den  5  oder  (Sprache  und  Gewissen  eingerechnet)  7  Sinnen  (seveu 
seuses)  als  Thürhütern  König  Arthurs,  und  die  entsprechenden  deutschen 
Märchen  von  den  Sehsen  oder  Sieben  die  durch  die  ganze  Welt  kommen: 
das  deutsche  Sprachmärchen  von  der  Springwurzel,  die  römische  Sage  von 
Ajus  Locutius,  die  vielen  etymologischen  Sagen  und  Wortspielmärchen, 
und  die  Mosaische  Zungen-Allegorie  von  der  Schlange  im  Paradiese; 
die  Homerischen  Märchen  von  Schlaf  und  Traum  (II.  H,  VHI,  XV, 
Od.  XII)  und  die  dazu  gehörigen  Mythen  von  Schlaf,  Sirenen  und  Musen; 
die  Vermählungsriten  und  Mythen  von  dem  Musensohn  Hymen-Hymenäos, 
von  Zeus  und  Hera,  und  das  Märchen  von  Theseus  und  Ariadne ;  das  Wein- 
rauschmäri'hen  von  'Ayavi]  und  Avinvori  (Heiterkeit  und  Entschlossenheit); 
Med^f],  ISaQxalog  und  HivO^evg  (Trunkenheit,  Betäubung  und  Wahnsinn);  die 
Todes-Allegorien  von  Schlaf  und  Abend  (Morpheus  und  Orpheus);  Entführen 
und  Hinführen  (Hermes  und  Charon);  Entraffen  und  Entschweben  (Keren  und 
Harpyien);  Verbrennen  und  Erlöschen  (Seheiterhaufen  und  Feuer);  von  der 
abendlichen  Delphinischeu  Meeresfahrt  und  von  der  Landung  im  westlichen 
abendrothen  Paradies  des  sonuengleichen  Heimgangs  (Leuke  und  Elysion). 

6.  Vereinbaruu^sueisen  der  versehiedeuen  Gattungen  Mythen  in  und  unter  sich. 

Den,  schon  in  der  Gemeinsamkeit  des  theologischen  Elementes  ent- 
haltenen, verein bai-enden  Zusammenhang  dieser  verschiedenen  Gattungen 
Mythen  und  Allegorien,  sowohl  unter  einander  als  einer  jeden  in  sich,  hat  die 
religiös-bildliche  Erkenntniss  dann  auch  noch  durch  eine  Reihe  besonderer, 
theils   aus  dem   Vereiiibarungsgesetze    selbst,   theils    aus    den  anderen  sieben 


112  K.  ¥.  Meyer: 

Gesetzen  geschöpften  Mittel  weiter  zu  verwirklichen  und  zu  der  ursprüug- 
liehen,  religiösen  Einheit  des  Begriffes  zurückzuführen  gesucht:  und  hat  sich 
zu  diesem  Zweck  namentlich  acht  besonderer  Vereinbarungsmittel  bedient:  als 
welche  sind : 

a)  die  Anwendung  des,  auf  die  vereinbarte  Natur  des  menschlichen  Kör- 
pers rückbezüglichen,  die  Pluralität  nur  als  menschliche  Gegliedertheit  oder 
Zusammengesetztheit  auffassenden  Gollectivbegriffes:  und  zwar 

«)  des  geometrischen,  der  z.  B.  den,  aus  unzähligen  Feldern,  Wässern, 
Gestirnen  gebildeten  Gau,  Strom,  Himmel  nur  als  einen  einzigen  (verpersön- 
lichten)  Demos,  (Heros  Kolonos,  Marathon  u.  a.)  Nilos,  Uranos  begreift:  und 

ß)  des  arithmetischen  Gollectivbegriffes,  der  z.  B.  in  dem  aus  zahlreichen 
Thieren,  Menschen,  Kriegern  zusammengesetzten  Haufen,  nur  eine  einzige  Heerde, 
Horde,  Volksmasse,  Zunft,  Sippe,  —  eine  Phyle  7t/;/ r;,  Ztvii-inii,  —  erkennt 

b)  die  Anwendung  des,  auf  die  formale  Allgemeinheit  des  menschlichen 
Begriffes  selbst  rückbezüglichen,  die  Pluralität  nur  als  Variation  gewisser, 
mehr  oder  minder  allgemeiner  Grundtypen  auffassenden  Gattungsbegriffes: 
und  zwar 

a)  des  substantivischen  Gattungsbegriffes:  der  z.  ß.  die  Pflanzenwelt 
nur  als  ein  einziges  Gewächs  oder  Gesträuch,  nur  als  einen  einzigen  Tannen- 
baum, Eichbaum,  Apfelbaum;  die  Thierwelt  nur  als  ein  einziges  Gewürm, 
Geziefer,  Gethier,  nur  als  einen  einzigen  Käfer,  Fisch,  Vogel,  Aaren,  Stier, 
Hund,  Löwen  begreift;  und  dem  also  auch  die  ganze  eigene  Menschheit  nur 
unter  der  Form  weniger  Grundtypen,  -  eines  Dionysosartigen  Priesters, 
Zeus-artigen  Mannes,  Hermes-artigen  Jünglings,  Eros-artigen  Knaben,  Artemis- 
artigen Mädchens,  ja,  zuerst  und  zuletzt,  nur  unter  dem  Bilde  eines  einzigen 
Gottsohnes  anschaulich  und  begreiflich  wird;  und 

ß)  des  adj  ectivischen  Gattungsbegriffes:  der  die  typische  Anschauung 
des  Substantivs  auf  dessen  trennbare  Merkmale  und  Eigenschaften  ül)erträgt, 
und  also  z,  B.  über  den  Bäumen  und  Gewächsen  das  grüne  Wachsthum  in 
Gestalt  einer  Flora  und  eines  Silvanus  schweben  sieht ;  allen  schnellen  Thie- 
ren das  Schnelligkeitssinnbild  des  Flügels  anheftet;  und  in  der  Menschenwelt 
dem  Manne  die  Arete  oder  Virtus,  dem  Jünglinge  die  Hebe,  der  Jungfrau 
die  Aidos  und  Elpis,  die  Spes  und  Pudicitia,  dem  Zeus  die  Themis,  Dike 
und  Nike  zur  Seite  stellt: 

c)  die  Anwendung  des  Verörtlichungsgesetzes:  kraft  dessen  eine 
Anzahl  mehr  oder  minder  nahe  verwandter  Mythen  und  Allegorien  —  z.  B. 
die  Götter  des  Olymp  und  Asgard,  die  Personen  und  Begebenheiten  in  der 
Halle  des  Odysseus  oder  König  Arthurs,  im  Lager  von  Troja  und  in  der 
Unterwelt  —  sich  sämmtlich  je  nach  dieser  Oertlichkeit  unter  einander  ord- 
nen und  innerhalb  desselben  liahmens  zu  einem  einzigen  beweglichen  Bilde 
zusammenfügen: 

d)  die  Anwendung  des,  in  der  Verthätlichung  enthaltenen,  Zeitbegriffes 
und  Zeitgesetzes:  kraft  dessen  die  verschiedeneu  Fristen  nicht  nur  in  sich 


Die  Sieben  vor  Theben  und  die  chuidäische  Woche.  113 

gebunden  werden,  sondern  sich  auch  unter  einander  durch  einen  gewissen 
gesetzmässigen  Parallelismus  —  z.  B.  der  neuen  Tages-  und  Jahressonne, 
des  den  Morgen,  Mittag  und  Abend  wiederholenden  Frühlings,  Sommers  und 
Winters,  des  den  Wochencosmos  wiederholenden  gebundenen  Jahres,  des  den 
Phönix  des  Morgens  wiederholenden  Phönix  des  grossen  (14G1-  oder 
1500jährigen)  Jahres,  —  chronologisch  verbunden  zeigen  und  in  demselben 
sinnbildlichen  Ritus  zusammentreffen: 

e)  die  Anwendung  des  zur  Verg  eschicht'lichung  erweiterten  Ver- 
thätlichungsgesetzes:  das,  in  dieser  Erweiterung,  den  verbalen  Zusammen- 
hang von  Ursache  und  Wirkung  nicht  auf  eine  oder  wenige  Thaten  und  Per- 
sonen zu  beschränken,  sondern  auf  eine  lange  Reihe  und  Kette  mehr  oder 
minder  unwillkürlich  herangezogener  Ereignisse  auszudehnen  liebt:  und  kraft 
dessen  sich  also  z.  B.  an  dem  einen  Faden  der  durchzusetzenden  (morgendlichen) 
Wiederkehr  des  Odysseus  die  ganze,  Märchen  aller  Gattungen  einschliessende, 
(nächtliche)  Märchenwelt  der  Odyssee;  und  desgleichen  an  dem,  mit  dem 
triemerischen  Kampf  (vgl.  u.  13)  verschlungenen  Doppelfaden  des  Helena-  und 
Briseisraubes,  der  ganze  zehnjährige  Krieg  gegen  Ilios,  vom  Iphigeniaopfer 
bis  zur  Sühnung  des  Orestes,  vom  Apfel  der  Eris  und  Ey  der  Leda  bis  zum 
Tode  des  Achilleus,  Paris  und  Priamos  und  bis  zur  Gründung  Karthagos  und 
Roms,  mythisch  zusammengereiht  hat: 

f)  die  Anwendung  des  Vergeschlechtlichungsgesetzes:  das,  indem 
es  (wie  schon  die  Sprache)  den  übersinnlichen  Begriff  von  Ursache  und 
Wirkung  unter  dem  sinnlichen  von  Vaterschaft  und  Kindschaft  auffasst, 
gleichfalls  einer  langen  Reihe  mehr  oder  minder  verwandter  Begriffe  Gelegen- 
heit giebt  sich  der  wachsenden  Verkettung  dieses  Bildes  einzufügen  und 
untereinander  in  gewisse  genetische,  von  irgend  einem  mythischen  oder  alle- 
gorischen Urbegriffe,  —  einem  Ham,  Sem  oder  Japhet,  einem  Kronos, 
Okeanus  oder  Helios,  einer  Nyx,  Therais  oder  Metis  -  abgeleitete  Stamm- 
bäume zusammenzutreten,  welche  Stammbäume  ihren  letzten  Ursprung  dann 
immer  wieder  in  einem  obersten  göttlichen  Elternpaar  oder  obersten  Erzeuger 
und  Schöpfer  zu  finden  suchen :  -  - 

g)  die  Anwendung  des  Verpersönlichungsgesetzes:  das  kraft  des 
ihm  zu  Grunde  liegenden  synthetischen  Anthropomorphismus,  —  kraft  seines 
in  der  Person  des  Menschen  gegebenen  physiologischen  Monotheismus,  die 
hergestellte  Einheit  des  Schaffens  und  Werdens  der  Zeit  und  Oertlichkeit, 
des  Begriffs  und  Numerus  immer  auch  durch  die  Einheit  des  handelnden 
Subjects  zu  vervollständigen  sucht,  und  das  also,  wie  es  die  verschiedenen 
Personen  des  Tages  und  Himmels,  des  Jahres  und  Zeitenwechsels,  des  all- 
mächtigen Willens  und  Thuns  mit  der  Person  des  Lichtgottes  vereinbart,  so 
z.  B.  auch  eine  Reihe  verschiedener  weiblicher  Urbegriffe  —  Nacht,  Erde, 
Fruchtbarkeit,  Luna,  Zahl,  Ordnung,  Saat,  Sitte,  Ehe  —  in  der  ui'sprüng- 
lichsten  dieser  Urgöttinnen,  —  einer  Nyx-Ge-,  Rhea-Demeter,   Isis-Hestia  — 


114  K.   F.  Meyer: 

als  verschiedene  Thätigkeiten   uud  Eigenscluifteu  derselben  wieder  zusammen- 
rinnen lässt: 

Und  besiegelt  wird  endlich  achtens  (h)  dieses  grosse  mythologische 
Vereinbarungswerk  durch  die  zusammengreifende  Anwendung  des  Ver- 
sinnbildlichungs-  und  Vergeistigungsgesetzes,  von  denen  letzteres 
den  metaphorischen  Parallelismus  der  Versinnbildlichung  auch  umgekehrt  auf 
sinnliche  ßegrifie  überträgt  und  so  dem  Spiegel  der  Metapher  eine  doppelte, 
nach  beiden  Seiten  hin  umwandelnde  und  vereinbarende  Wirksamkeit  ver- 
leihet; eine  Wirksamkeit,  kraft  deren  z.  B.  die  stürmenden  Harpyieu  in 
Todesgöttinnen,  die  chronologischen  Chariten,  Moiren  und  Erinnyen  in 
Göttinnen  des  Liebreizes,  Verhängnisses  und  strafenden  Gewissens  um- 
gewandelt werden;  kraft  deren  der,  im  Gleichniss  des  Schalls,  (Flugs,  Feuers) 
begriffene,  sonuenhafte  Lauf  des  Tages  und  Jahres  nun  wieder  seinerseits  zu 
einem  Gleichniss  des  göttlichen  Daseins;  der,  als  Wandel  oder  Kampf  be- 
griffene, Vor-  und  Rückgang  des  Sommers  zu  einer  in  dem  Märchen  von 
Eros  und  Psycho  (nebst  ihren  zwei  jahreszeitlichen  Schwestern)  erzählten 
Allegorie  und  Parabel  von  dem  die  Seele  heimsuchenden  und  prüfenden 
himmlischen  Bräutigam  vergeistigt  erscheint:   — 

Und,  kraft  dieser  acht  Vereinbarungsmittel,  vermag  es  also  die  religiöse 
Erkenntniss  die  ganze  unendliche  Mannigfaltigkeit  der  von  ihr  geschaffenen 
einzelnen  mythologischen  Bilder  doch  zuletzt,  ihrem  eigenen  monotheistischen 
Wesen  gemäss,  wieder  in  dem  Gesammtbilde  einer  einzigen  göttlichen 
Persönlichkeit  —  eines  Jao,  Baal,  Zeus  —  neu  zusammenzuführen;  eines 
obersten  Gottes,  den  diese  wiedervereiuigte  Mannigfaltigkeit  bald  nur  in  Form 
von  Beiwörtern,  —  als  einen  Baal-Samin  (Himmels -Baal),  Baal-Semes 
(Sonnen-Baal),  Baal-Ghamon  und  Moloch  (Feuer-Baal),  Baal  Chon  (Säulen- 
und  Satzungs-Baal),  Baal-Zedek  (Gerichts-Baal),  Bel-itan  (Zeit-Alters-Baal)  — 
grammatisch  umgiebt;  bald  aber  zugleich  sich  mit  ihm  im  dichterisch- 
lebendigen,  alle  mythischen  Gattungen  in  sich  aufnehmenden  Ritus  und 
Mythus  verbindet.  Und  kraft  einer  solchen  Verbindung  erscheint  nun  z.  B. 
der  hellenische  Zeus,  ausser  seiner  höchsten  himmlisch -irdischen  Gewalt, 
zugleich: 

a)  chronologisch:  als  der,  den  Tages-,  Jahres-  und  Zeitwechsel  schaffende 
Vater  des  Hermes  und  der  Dioskuren,  Apollons  und  der  Artemis;  als  der 
den  Tagesanbruch  selbst  darstellende  K()rjtayEvt'ig-^  als  der  das  Gesetz  der 
Zeit  verwaltende  Gemahl  der  Metis  und  Themis,  und  von  ihr  Vater  der 
Chariten,  Hören   und  Moiren: 

b)  meteorologisch:  als  der  Wolken  und  Gewitter  zusammenziehende 
Donnergott  und  blitzende  Vater  Athenes;  als  der  mit  der  Electra  oder  Hemera 
den  Jasiou  (von  kymr.  ias  splendor,  calor)  erzeugende  Vater  des  fruchtbaren 
Wärmeglanzes;  als  der  den  Ganymedes  entführende  Nebelgott: 

c)  geologisch:  als  der  auf  dem  Olymp  oder  Ida  thronende  Sohn  und 
Gemahl  der  Mutter  Erde  (Ge-Rhea-Here) : 


Die  Sieben  vor  Theben  und  die  chaldäische   Woche.  115 

d)  zoologisch;  als  der  in  Taubengestalt  auf  seiner  Eiche  thronende 
Zerg  ^(odatralog-^  der  in  Schwan,  Kiikuk  und  Schlange  verwandelte  Gemahl 
Ledas,  Heras  und  Demetcrs;  als  der,  mit  dem  Adler  und  der  Sphinx  neben 
sich,  selbst  löwenartig  gebildete  König  der  fliegenden  und  wandelnden 
Thierwelt: 

e)  culturhistorisch- technologisch:  als  Vater  des  Sprach-,  Schritt-  und 
Redegottes  Hermes,  sowie  der  kunstreichen  Schmiede-  und  Webegöttin 
Athene;  als  der  mit  Demeter  und  Semele  (j)cmai\)  vermählte  Vater 
Persephones  und  Dionysos,  des  Acker-  und  Weinbaues;  als  Gemahl  der 
häuslich-sittlichen  Ilestia,  Bruder  der  ehelich-gesetzlichen  Here,  und  als  Vater 
der,  allen  Tugenden  und  Künsten  der  Wanderung,  Schifiahrt  und  Palästra 
vorstehenden,  Dioskuren: 

t)  ethnologisch:  als  Vater  des  Arkas,  Pelasgos,  Hellen  und  als 
panhellenischer  Ahnherr  sämmtlicher  einzelner  griechischer  Stammhelden: 

g)  anthropologisch:  als  Gott  der  Träume  und  Orakel  {uccvn/upalog), 
Vater  Hermes,  Apollons  und  der  Musen  und  des  Heilgottes  AnoXlihv-Ucnäv; 
als  göttlicher  Bräutigam  des  lEQog  yäfing  und  Erzeuger  oder  Ahnherr  des 
geistig  physischen  (mit  Psyche  vermählten)  Eros;  als  Vater  der  Schuld  und 
Reue,  der  sinnverblendenden  Ate  und  der  reuig  abbittenden  ylixal:  als  Vater 
seines,  aus  dem  Chronologischen  und  Pieligionsgeschichtlichen  ins  Ethische 
übertragenen  und  vergeistigten  Lieblingssohnes,  des,  trotz  Heras  macrocosmischem 
Hasse,  siegreich  kämpfenden,  büssend  irrenden,  Tod  und  Orcus  bezwingenden 
und  den  Prometheus  erlösenden  Gottmenschen  Herakles. 

7.  Mythologie  und  («)  Mythologien. 

Wie  die  sprachliche,  erscheint,  bei  genauerer  Betrachtung,  auch  die 
ihr  parallele  religiös-bildliche  Entwicklung  der  menschlichen  Erkeimtniss  als 
eine  gemeinsame,  in  der  die  anthropologische  Einheit  des  Urs}u-ungs  sich 
auch  auf  historischem  Wege  durch  mannigfache  Berührung  und  Mischung  der 
Völker  erneuert  and  fortgesetzt  hat,  und  die  also,  eben  wie  die  sprachliche 
Entwicklung,  nur  in  ihrer,  alle  einzelnen  Völkermythologien  umfassenden 
Ganzheit,  als  eine  vergleichende  Wissenschaft  wirklich  verstanden  und, 
mit  Anwendung  der  obigen  acht  Gesetze,  wissenschaftlich  erörtert  werden 
kann.  Die  einzelnen  alten  Religionen  und  Mythologieen  aber  die  bei  diesem 
Vergleich  hauptsächlich  in  Betracht  kommen  und  in  denen  wir,  zufolge  der 
besonderen  Natur,  Geschichte  und  Oertlichkoit  des  Volkes,  immer  eins  oder 
mehrere  jener  Gesetze  und  eine  oder  mehrere  jener  Gattungen  und  Ver- 
einbarungsweisen vorzugsweise  entwickelt  und  verdeutlicht  finden  sind,  nach 
ihrer  allgemeinen  Entwicklungsstufe  geordnet,   die  folgenden: 

a)  die  (durch  den  Vergleich  vieler  noch  lebender  turanischer  Völker- 
mythologieen  zu  ergänzende)  turanisch  -  skythische  und  gomerisch- 
k  eltische  Mythologie,  gegründet  auf  vorzugsweise,  Entwicklung  des  Ver- 
thätlichuugsgesetzes    und    der    solar -lunaren    Tages-,    Jahres-    und    Monats- 


11(]  K.   F.    Meyer: 

Chronologie   und    ausgezeichnet  durch  besondere  Ursprünglichkeit  und  Durch- 
sichtigkeit der  Verbildlichuug   und  allegorisch-wymbolischeu  Fassung: 

b)  die  (gleiclifalls  durch  den  Vergleich  mit  noch  lebenden  turanischen 
Mythologieeu  zu  ergänzende)  tyrrhenisch-(tuskisch-j lateinische,  —  gegründet 
auf  vorzugsweise  Entwicklung  des  Verpersönlichungsgesetzes  und  zwar  mit 
besonderer  Anwendung  auf"  die  meteorologischen  und  geologischen,  techno- 
logischen und  anthropologischen  Mythen,  die  diese  Mythologie  in  unzähligen 
Verpersönlichungen  festgehalten  hat: 

c)  die,  auch  der  hebräischen  zu  Grunde  liegende,  chaldäisch-babylonische 
Religion  und  Mythologie,  gegründet  auf  die  Einheit  und  vereinbarende  Kraft 
des  reintheologischen  Elements  und  auf  dessen  Vereinbarung  mit  dem 
siderisch-,  insbesondere  planetarisch-chronologischeu : 

d)  die  phönikische  und  assyrisch-phönikische  Mythologie,  aus- 
gehend von  der  chaldäischen  Hebdomas,  mit  hinzutretendem  (meteorologischem) 
Feuerdienste  und  mit  besonderer  Entwicklung  des  Vergeschlechtlichungs- 
gesetzes  und  des  technologischen  Mythus: 

e)  die  ägyptische,  gegründet  auf  eine  chronologische  Weiter- 
entwicklung des  chaldäischen  theologisch  -  chronologischen  Siderismus  und 
auf  dessen  Vereinbarung  mit  dem  Verörtlichungsgesetze  und  mit  dem  durch 
dasselbe  bedingten  geologischen,  zoologischen,  ethnologischen  und  anthro- 
pologischen Mythus: 

f)  die  altindische,  gegründet  auf  eine  neue  wunderbar  reiche  und  reine 
ethisch  -  theologische  Entwicklung  des  alten  (gomerischen)  Morgen-  und 
Jahreszeitopferdienstes,  sowie  des  darauf  bezüglichen  meteorologisch- chrono- 
logischen Märchens: 

g)  die  altpersische  -  (zarathustrasche),  gegründet  auf  eine  ethisch- 
vergeistigte Weiterentwicklung  des  altindischen  Morgen-  und  Jahreszeit- 
dienstes, sowie  zugleich  jenes  altturanischen  unbegrenzten  Verpersönlichungs- 
glaubens,  und  auf  eine  Vereinbarung  beider  mit  dem  strengen  Gesetze  der 
chaldäischen  Hebdomas : 

h)  die  hellenische  (und  hellenisch-römische) :  hervorgegangen  aus  einem, 
durch  die  eigenthümliche  Lage  Griechenlands  gegebenen,  Zusammentluss  aller 
früheren  turanisch-arischen  und  hamitisch-semitischen  religiösen  Entwickelungs- 
stulen  und  gegründet  auf  eine  eigenthümliche  künstlerisch -anthropologische 
Vereinbarung  und  Verschmelzung  derselben  zu  einem  dichterisch -geschicht- 
lichen (Janzen,  das  unserer  vergleichenden  mythologischen  Forschung  heute 
ebensosehr  zum  Reiz  und  zum  Wegweiser  dient  als  es  derselben  zum  rich- 
tigen Verständniss  auch  seinerseits  nicht  entbehren  kann,  —  und  als  nament- 
lich die  volksthüinlich- realistische  Behandlung  die  die  religiöse  Erkenntnis« 
in  den  Homerischen  Gedichten  erfahren  hat  eines  solchen  allgemeineren 
höheren  Vergleiches  bedarf,  um  uns  hinter  diesen,  aus  dichterischer  Ver- 
örtlichung,   Vergeschlechtlichung,    Vergeschichtlichung    und   scherzhafter   Ver- 


Die  Sieben  vor  Theben  und  die  chaldäische  Woche.  117 

sinnlichung  so  reizend  gewobenen   Schleiern  die  strengen  einfachen  Züge  der 
ursprünglichen  Allegorie  oder  Symbolik  wiedererkennen  zu  lassen. 

8.  Religiöse  Handlung  (Ritus),  einfach  und  zusauimeugesetzt:  Schall-,  Flug-, 
Feuerritus,  Brand-,  Menschenopfer. 

Das  miraische  Ursprungsmittel  aller  religiösen  Erkenntniss  M-ar  die  re- 
ligiöse —  symbolisch-allegorische  —  Handlung;  die  einfachste  und  ursprüng- 
lichste religiöse  Handlung  aber  war  die  Gott  im  himmlischen  Licht  anrufende 
und  nacherschafiende  symbolische  Sprachgeberde;  was  das,  als  ein  Echo  des 
göttlichen  Schöpfungsrufes  sich  begreifende,  anbetende  Wort,  das,  indem  es 
durch  seine  Articulation  den  himmlischen  übersinnlichen  Begriff  Gottes  vermittelte, 
zugleich  durch  seinen  Klang  für  das  sinnliche  Licht  selbst  ein  hörbares 
Symbol  und  Abbild  wurde.  Und  da,  zufolge  des  natürlichen  Zusammenhanges 
aller  Lebensthätigkeiten,  eine  solche  Sprachgeberde  dem  Menschen  nicht 
möglich  war  ohne  gewisse  begleit-ende  mehr-  äusserliche  Körpergeb erden,  — 
ohne  ein,  den  Anruf  Gottes  verdeutlichendes,  staunendes  Erheben  des  Hauptes 
und  der  Arme;  ein,  die  himmhsche  Höhe  gegensätzlich  begreifendes, 
demüthiges  Niederknieen,  ein  die  miraische  Erkenntniss  in  sich  selbst 
sammelndes  frommes  Händefalten,  —  so  fand  sich  schon  das  einfache  ur- 
sprüngliche Wort  unwillkürlich  zu  einer  mehr  zusammengesetzten  religiösen 
Handlung,  einem,  von  der  Gemeinde  ausgeführten,  gottesdienstlichen  Ritus 
erweitert,  und  verfolgte  und  verstärkte  diese  Erweiterung  dann  auch  noch 
vermittelst  verschiedener  anderer,  auf  mehr  willkürliche  Weise  herangezogener 
Symbole  und  symbolischer  Handlungen.  Als  die  natürlichste  solcher  Er- 
weiterungen bot  sich  zuerst  die  im  Klange  des  Wortes  gegebene  Lichtschall- 
symbolik: und  zwar  entweder  vermittelst  des  Gebrauches  klingender  Ton- 
stoffe, Tonzeuge  und  Tonwaffen  ~  Zimbeln  und  Harfen,  Zinken  und  Flöten, 
Pauken  und  Waffentanz;  —  oder  aber  vermittelst  des  Vor-  und  Uraführeus 
oder  Uratragens^)  gewisser  dem  Lichte  und  Himmel  gleichstimmiger,  und 
desshalb  auch  etymologisch -homophoner  Thiere"")    —  brüllender  Löwen    und 

*)  Für  den  —  die  Lichtschallsymbolik  mit  der  chronologischen  Bewegungssymbolik  (s.  v^.  10) 
verbiudeudou  —  Ritus  des  Umtragens  insbesondore  zeugt  z.  B.  die  von  den  Aegypteru  (sieben- 
mal) um  den  Rhatempol  f,etrageue  ini-QicftQovnt),  Kuh  cfer  Winterwende  (Plut.  Is.  52):  der 
lüwentragende  assyrische  Sandan,  der  '^ffzA;i'77ioc,^foj'7oi}/o?vouAskalon(Mov.I.  534):  die  Sage  von 
der  durch  Löwenum tragen  bewerkstelligten  Weihung  der  Ringmauer  von  Sardes  (Lyd.  de  mens.  111, 
1-1);  und  so  auch  wol  der  Lamm  und  Hirsch  tragende  ApoUou  Karneios  und  ililesios. 

^)  Einige  noch  besonders  deutlich  erhaltene  luid  nachweisbare  Beispiele  dieser  ursprünglichen 
Uouiophoiiic  sind :  das  ägypt.  ^mui,  miau,  brüllen  (magire)  Löwe"  homophon  mit  äg.  ,mui  Licht, 
Glanz,  und  mit  dem  Morgonlichtgott  Mui:  das  griech.  ^Aixo;  Wolf  (vgl.  rugire)"  homophon  mit 
„Avxr\,  Atvy.}]  diluculum,  lux  (vgl.  Welcker  Gr.  G.  L  476.  Macrob.  Sat.  L  16)"  und  mit  Apollou.  Tau 
und  Zeus  Avy.ioi,  Avy.moi,  sowie  mit  den  Licht-  und  Tagesheroen  Lykos,  Lykaon,  Lykurgos, 
Lykomedon  und  den  Dämmernngs  -  Heroinen  Lyke  und  Leuke:  das  griech.  ßniuto,  /Soiuw 
(brüllen,  vom  Löwen,  Hesych.,  vgl.  fremere  und  das  italien.  bramare)  homophon  mit  der  Mond- 
göttin Uekate  Brimo  uiul  dem  solaren  Dionysos  Bromios:  das  sanskr  vrm,  griech.  /of/zu««»', 
Xofftr*tKnir.  (himmern  hinnire,  haunire)  homophon  mit  der  Morgeudämmerungsgöttin  Sarama 
und  dem  ü'ojUv^-Saramejas  (vgl.  das  „Mercurium  adhinuivisse-'  bei  Aniob.  IV..  14.):   und  so  eut- 


118  K.   F.  Meyer: 

Stiere,  himmernder  Esel,  Hengste  und  Hirsche,  schreiender  Widder  und 
Lämmer,  heulender  Wölfe  und  bellender  Hunde,  —  alles  Thiere  die  der  ihnen 
von  der  Natur  iu  die  Kehle  gelegte  mannigfache  —  bald  dunklere,  bald  hellere, 
bald  leise  dämmernde,  bald  mittags-  und  vollmondsartig  gellende  —  Lichtruf 
dann  auch  zu  dauernden  Symbolen,  —  und  zugleich  reichen  symbolischen 
Mytheiiquellen  der  verschiedenen  Lichtgottheiten  gemacht  hat^).  Und  als  eine 
natürliche  Ergänzung  trat  dieser,  den  hellen  Ton  und  Glanz  des  Lichtes  ver- 
bildlichenden Schallsymbolik  dann,  zweitens,  eine  den  hohen  luftigen  Schwung 
und  Strahlenerguss  des  Lichtgestirns  wiederholende  Symbolik  des  Wurfes, 
Schusses  und  Flugs  zur  Seite:  theils,  vermittelst  geworfener  mond-  und 
sonnenrunder,  -  und  also  zugleich  figurativer  —  Scheiben  und  Disken, 
Kugeln  und  Bälle  (Aepfel)^);  theils,  vermittelst  geschossener  schwirrender,  — 
und  also  zugleich  schallsymbolischer  —  stralenartiger  Speere  und  Pfeile**); 
theils,    vermittelst  gewisser   dem   Gott  entgegengetragener  —   und   zum  Flug 


sprang  auch  wol  die  hieroglyphische  Schreibung  (seit  der  XIX.  Dynastie)  des  semitisch- 
ägyptischen Bai  (Bar)-Öeth  duroh  das  Bild  eines  Esels  aus  einer  Homophonie  des  ägyptischcnen 
Wortes  ,iu,  iu,  Esel"  mit  dem  chaldäischeu  Bainamen  Jao,  (vgl  Bunsen  Eg.  I.  439  u.  Lepsius 
Götterkr.  19.  48,  Mov.  I.  550.). 

^)  Aus  keiner  reicheren,  geheimnissvolleren  Quelle  hat  der  alte  Ritus  und  Mythus  seine 
symbolischen  Begriffe  geschöpfet  als  aus  dieser,  bis  jetzt  nur  sehr  unvollkommen  verstandenen 
(vgl.  Grimm  D.  M.  S.  707)  Lichtschallsymbolik,  die  —  ausser  dem  welterschaifenden  Lichtrufe 
Jehovahs  theils,  auf  menschlich-musikalischem  Wege,  die  Leier  Apollons  und  Hermes's,  die 
Flöte  Pans  und  Marsyas's,  die  Pauken  und  Posaunen  des  Rhea-  und  Dionysosdienstes  und  den 
Waifentanz  der  Korybanten  hat  erklingen  lassen;  theils,  aut  animalischem  Wege,  allen  jenen 
brüllenden,  himmernden.  blökenden,  heulenden,  bellenden  Lichtschalltbieren  in  den  verschiedenen 
Religionen,  —  den  Lichtlöwen  und  Sonnenstiereu  Mui's,  Rha's,  Pan's,  Moloch's  und  Rheas,  den 
Rinderheerden  Indra's  und  Heliot's,  den  Ross-  und  Eselheerden  Mithras's  und  des  hyperboeischen 
Apollon,  dem  Widder  und  Lamm  Kueph's,  Hermes's  und  des  Apollon  Karneios,  dem  Wolfe 
Apollons  und  Ares's  und  dem  bellenden,  wachenden  Hunde  des  Hermes-Saramejas  —  ihre 
Heiligkeit  verliehen  hat. 

")  Daher  z.  B.  der  (sommerliche)  Discus  mit  dem  Apojlon  den  Hyakinthos  erschlägt 
(Apollod  I,  3,  :!,  vgl.  u.  s.  12):  die  (morgensonnenhafte)  aiidtnu  mit  deren  Wurf  Nansikaa  den 
Odysseus  erweckt  (Od.  VI,  115) ;  der  (morgengoldenc)  Spielball  des  Kretischen  Zeuskindes  (Apollonlll, 
132.  Philosti-at.  jun.  8):  und  der  (morgenabendrothe)  Apfel  Aphrodites  und  Atalantes,  sowie 
der  (jahreszeitliche)  der  Eris  und  der_  ;i  Hesperiden. 

")  Daher  z.  B.  der  nie  fehlende  (Morgenlicht)-Speer  des  Kephalos  und  Oedipus:  die  nie 
fehlenden  (Sonnen-)Pfeile  Philoktets  und  Pandaros's:  und  desshalb  auch  der  skytisohe  Ritus  des 
Gegen-dic-Sonne-schiessens.  Vom  Schiessen  hergenommen  scheinen  auch  die  Namen  verschiedener 
Lichtgottheiten:  z..  H  der  skythisch-assyrisch-ägyptisch-tuskische  O/io-ocooj,  Sar,  A-sur,  Usr, 
Usil,  von  dem  ägypt.  ,sr,  Civitk,  Pfeil";  und  ebenso  von  dem  ägypt  „sat,  Pfeil,  glänzen" 
(vgl.  cymr.  saeth,  sagitta;*  der  seraifisch-hamitische  Gott  Seth:  und  so  liegt  auch  wohl  dem  griech. 
Helios  und  assyrisch-semitischen  El,  Bei,  Bai,  Pal  (Sardana-pal  u.  a.)  sowie  dem  germanischeu 
Pal,  Phol  Bald'r  und  dem  griech.  ^A-nullwy  eine  „schiessen"  bedeutende,  den  Lichtgott  als  Bogen- 
ischützen  darstellende,  (starke)  Würze  zu  Grunde  (vgl.  lü/.i.uj,  pi<i./.«),  sanskr.  phal  (findi), 
bebr.  palah,  cynir.  bollt  (Holzer)  goth.  i)alths;  —  während  das  von  Grimm  (D.  M.  pag.  202) 
verglichene  litt,  baltas,  (albus,  bellus)  wol  vielmehr  zu  der  Ak-dlawurzel  sanskr.  55^^(lnoere) 
cymr.  gweled  (videre)  ägypt.  val  (oculus)  gehört;  der  von  (iriniin  auch  verglichene  Gott  Hell 
aber  zu  dem  cymr.  „bela  rugire  (bellen)  lupas". 


Die  Sieben  vor  Theben  und  die  chaldaische  Woche.  119 

freigelassener  —  Vögel:  Adler,  Falken,  Schwäne,  Tauben,  Reiher,  Kraniche 
die  desshalb  gleichfalls  thierische  Attiibute  verschiedener  Lichtgottheiten 
geworden  sind'')  und  von  denen  sich  einige  auch  mit  gewissen  Lichtschall- 
thieren  zu  unmittelbaren  allegorischen  Sinnbildern  des  tönenden  Sonnenflugs  — 
zu  Sphinxen  und  Greifen,  geflügelten  Sonnenstieren  und  Soniienlöwen  — 
zusammengesetzt  haben.  —  Als  das  mächtigste  und  wunderbarste  Verstärkungs- 
mittel  ihrer  lichtanbetenden  Gotteserkenntniss  aber  oflenbarte  sich  den  Menschen, 
drittens,  das  Feuer,  dieses,  bald  (als  Athene)  im  Blitze  niederzuckende,  bald 
(als  Hephästos)  der  Erde  entquellende,  bald  (als  Pallas  Tritogeneia)  durch 
Reiben  selbsterschaö'ene  lichtähnliche  Element,  das  in  seiner  dem  Licht  ent- 
gegen gen  Himmel  lodernden  Pracht  für  den  zu  Gott  aufsteigenden  Ruf  und 
Begriff  das  trefi'endste  sichtbare  Gleichniss,  für  die  Herstellung  des  göttlich- 
menschlichen Zusammenhanges  den  unmittelbarsten,  auf  den  Ruf  des  Lichtes 
antwortenden,  menschlich-göttlichen  Gegenruf  darbot.  Und  noch  inniger  und 
wirklicher  gemacht  wurde  diese  Herstellung  durch  den  opfermässigen  Gebrauch 
des  Feuers,  kraft  dessen  dasselbe,  als  ßrandopfer,  dazu  diente  den  Genuss 
der  Früchte  und  Speisen,  die  es  die  Menschen  hatte  bereiten  lehren,  nun 
auch,  als  eine  fromme,  dankbare  Gabe,  dem  Himmel  und  der  Gottheit  mit- 
zutheilen  und  zurückzuerstatten :  und  kraft  dessen  es  ferner,  als  neben  dem  Ge- 
fühle des  Preises  und  Dankes,  im  Gewissen  des  Menschen  auch  das  der  Schuld 
und  das  Bedürfniss  der  Sühne  erwachte,  sofort  für  Abtragung  dieser  Sühne 
ein  ebenso  wirksames  Mittel  als  heiliges  Sinnbild  darbot  und  namentlich  das 
Menschenopfer  mit  dem  Heiligenschein  eines  von  der  Gottheit  sell)st  voll- 
zogenen Sühnungs-  und  Reinigungsactes  (auto-da-fe)  zu  umkleiden  wusste. 

Chrouologisclie  Entwickelung  des  (xottesbegriffes:  Morfireuopfer. 

9.  Der  auf  solche  Weise  ents'iandene,  am  Licht  der  Gestirne  und 
Gegenlicht  des  Feuers  gebildete  theologische  Gottesbegriff  erhielt  seine  haupt- 
sächliche Entwickelung  durch  die  Verbindung  mit  dem,  dem  Gang  und  Wechsel 
der  Gestirne  entnommenen,  (chronologischen)  Zeitbegriffe,  d.  i.  dem  meta- 
phorischen Begriffe  eines  aus  Tag  und  Nacht,  Voll-  und  Neumond,  Sommer 
und  Winter,  Auf-  und  Untergang  der  Gestirne  zusammengesetzten  regel- 
mässigen Fortganges  der  Schöpfung,  die  eben  erst  in  diesem  Wechsel  dem 
Menschen  die  Dauer  ihres  göttlichen  Daseins,  erst  im  Schwinden  und  Wieder- 
kehren des  Lichtes  die  Freiheit  der  göttlichen  Gnade  und  der  eigenen 
menschlichen  Schuld  zum  Bewusstsein  brachte.  Denn  da  der  Mensch,  zufolge 
seines  Verthätlichungstriebes,  jenes  Schwinden  nicht  sehen  konnte,   ohne  die 


•  ^)  Der  Adler,  wegen  seines  hohen  Flugs,  Symbol  ilor  höchsten  Lichtgottheiten;  der  Falke, 
wegen  seines  ringartigen  Schwebens,  der  kyklisclien  ;Esumn,  Rha,  Horiis,  Aj^ollon):  Taube, 
8ch\v;in,  Reilicr.  Kranich,  wegen  ihres  von  NO.  gegen  SW.  streichenden  Zuges,  der  Tages-  und 
JahresgottboittMi  (,Zeus,  Aplirodite,  Apollon).  Der  Hahn  dagegen  —  /..  B.  des  Aiiollou,  Askslepius 
lind  assyrischen  Nergal  —  ist  natürlidips  Sciiallsymbol;  das  Märchen  vom  Schwanengesang  aber 
nichts  als  ein  von  dieser  Schallsymbolik  in  oincni  Flugsymbol  iles  I^iehts  wachgerufener  Widerhall. 


120  K-  F-   Meyer: 

Furcht  vor  einer  einstigen  Nichtwiederkehr,    vor  einem  von  Gott  verhängten 
und    von    ihm,    dem  Menschen,    selbst    verschuldeten  Hereinbrechen    ewigen 
Dunkels,    Winters  und  Todes,    so   wurde    eben  diese  Furcht,    wurde  der  der- 
selben zu  Grunde  liegende  Zeitbegriff  die  eigentliche  Wiege  jenes  erwähnten 
(im  Feuer  zu  sühnenden)  allgemeinen  Schuldbewusstseins,  das  dem  Menschen 
nicht  sowohl  einzelne  Vergebungen  und  Missethaten  als  vielmehr  sein  Dasein 
selbst  zum  Vorwurf  machte  und  ihn    dasselbe  als  einen,    dem  Rechte  Gottes 
und    Gebote    des   Gewissens    widerstreitenden,    nur    durch   theilweise   Selbst- 
opferung sühnbaren,  Losriss  und  Uebergriff  empfinden  liess.     Derjenige  Zeit- 
wechsel aber  der  diese  ganze  chronologische  Entwickelung  des  Gottesbegriffes 
am  ursprünglichsten  und  einfachsten  ins  Leben  rief,  war  der  Tag-  und  Nacht- 
wechsel, war  insbesondere  der,    vom  Schrecken  der  Nacht  erlösende,  Sonnen- 
aufgang, mit  allen  seinen,  namentlich  im  Rigveda  und  im  hebräischen  Mythus 
so  lebendig  geschilderten,    physisch -theologischen  Erscheinungen  der  stufen- 
weisen   Wiederkehr    des    Tages,    der    zwischen    Gott    und  Menschheit    neu- 
hergestellten   himmlischen    Stufenleiter:    —    mit    jenen    seinen    märchenhaften 
Wanderungen   und    geheimen   Besprechungen   der   Dämmerungsgöttin   tSarama, 
oder  Morgenrothgöttin  Uschas  und  zugleich  mit   seinem  männlichen  Vritrasieg 
und  Titanensturz    und   dem  gegen  Gott  selbst  siegreichen  Ringkampfe  Israels; 
mit   seinen  Allegorien    von    den    gesprenkelten  Lämmern    und    freigemachten 
(lichtschallsymbolischen)  Rindern,  und  zugleich  mit  seiner  ethisch-kosmischen 
Unterscheidung  zwischen  A'orn  und  Hinten,  Rechts  und  Links,    und  Gut  und 
Böse.    Denn  eben  wie  der  Mensch  kraft  der  Anbetung  sein  Oben  und  unten, 
sein    Himmlisch    und    Irdisch    unterscheiden    und,    gleichsam    im    Angesicht 
Gottes,  gegensätzlich  begriffen  hatte,    lernte  er  nun   auch,    im    Angesicht   des 
aufgehenden    göttlichen  Tages,    den  Unterschied    der  übrigen   vier  Himmels- 
punkte begreifen:  lernte  zuerst,  kraft  des  Aufganges  selbst,  diesen  ihm  entgegen- 
leuchtenden   Osten   und   zugleich    dieses   sein   hinschauendes    Vorn    von    dem 
abgewandten  Hinten  und  Westen  unterscheiden;  lernte  sodann,  kraft  der  süd- 
lichen Bewegung  des  steigenden  Gestirns,  den  religiösen  Vorzug  dieser  gott- 
begünstigten,  glücklichen   rechten  Seite   und  Hand   vor  der  finstren  unglück- 
lichen,   nördlichen    erkennen    und    gebrauchsmässig    ausüben:    und    hat    den 
religiösen  Zusammenhang    dieser  Sitte    und  Erkenntniss,    sowie  seinem   leib- 
lichen Leben,  so  auch  seiner  Sprache,  —  namentlich  allen  asiatischen  Sprachen,  — 
deutlich  eingeprägt  und  darin  als  ein  noch  heute  lebendiges  Zeugniss  für  die 
religionsgeschichtliche  Bedeutung  des  Morgenopfers  zurückgelassen'")- 

10.  Weiterer  cliroiiologischer  Ritus,  vermittelst  der  Symbolik  a)  des  Rauiiics  und 

b)  des  Kampfes. 

Dieser,    allen    chronologischen    Riten    und    Mythen    zu  Grunde  liegende 
Morgeugottesdienst,  nebst  dem  ihm  entsprechenden  Abeuddienst,  übertrug  sich 
von  dem  Tag-    und    Nachtwechsel    dann    auch    auf  die    übrigen    grossen  Zcit- 
»•)  8-  in  dem  Vortrag  „Rechts  und  Links"  s.  Z.  Heft  lli,  Sitzung  vom  2f>.  Jan.  187;i. 


Die  Sieben  vor  Theben  und  die  chaldäische  "Woche.  121 

Wechsel,  —   den  Wechsel  der  Monate  und  Jahre,   Tag-   und  Jahreszeiten:  — 
so  dass,  kraft  des  erwähnten  chronologischen  Parallelismus  (s.  o.  §.  6  d.),  die 
neue  Mondsichel   und   neue  Jahressonne    nun  als  ein    andrer  Sonnenaufgang, 
die  abnehmende  Luna  und  weichende  Sonne  als  ein  neuer  abendlicher  Unter- 
gang,   der    den    Winter    vertreibende    Frühling    oder    auch    der    den    heissen 
Sommer    vertreibende   Herbst    als  ein   andrer   Morgen    gefeiert   und   begriffen 
wurden.     Nothwendig    aber    trat,    bei    diesen    mannigfachen    Uebertragungen, 
neben  dem  theologischen  Inhalt  der  Feier,  der  chronologische  mehr  und  mehr 
in  den  Vordergrund,  und  Hess  die  Mimik  des  Zeitwechsels  selbst,  die  bei  der 
ursprünglichen   Morgenfeier    sich    mit    dem    eigentlichen   Gottesdienst    in    un- 
mittelbarer einfacher  Symbolik    verschmolzen  hatte,  jetzt  in  mehr   zusammen- 
gesetzter Symbolik  und  Allegorie  zu  besonderer  Geltung  kommen  und  nament- 
lich vermittelst  zweier  rein  chronologischer  Metaphern  und  Sinnbildlichkeiten, 
der  der  räumlichen  Bewegung  und  der  des  Kampfes  und  der  Eroberung,  den 
verschiedenen    grossen   Zeitfesten    zum  Begriff    und   zur  Erläuterung    dienen. 
Jedenfalls   die   ältere   und   allgemeinere    dieser  beiden   Arten    chronologischer 
Mimik    war   die   vermittelst    der   räumlichen    Bewegung,    einer   Metapher    und 
Siunbildlichkeit    die  nicht  nur    unseren    meisten   sprachlichen  Bezeichnungen 
des  Zeitwechsels,    unserer  Vergangenheit   und  Zukunft,    unserer   an-  und  aus- 
gehenden,   um-    und   ablaufenden  Zeit,    zu  Grunde   liegt,    sondern  die  auch  in 
unseren  Umgängen  und  Umzügen,  Prozessionen  und  Wallfahrten  eine  —   mehr 
oder   minder   unbewusste    —    religiöse  Fortdauer   feiert.     Begegnen  wir   einer 
Metapher   und   symbolischen  Handlung   dieser  Art   doch  auch  schon  in  jenen 
Wanderungen    der    Veda'schen    Sarama    oder   Ushas,    insbesondere    in  ihrem 
Ueberschreiten    des    Tag    und  Nacht    trennenden  Rasastroms''),    und   finden 
diese  Sinnbilder   dann   auch  in    vielen  anderen   (schon  oben  (§.  5)  berührten) 
Tages-   und  Jahresmythen    wieder:    namentlich   z.  B.   in   den   morgen -abend- 
lichen  Wanderungen   der   Dioskui-en  und   des  Tagesboten  Hermes,  des  Jason 
und  Odysseus;  in  den  jahreszeitlichen  des  Hephästos,  Apollon  und  Herakles; 
in    der  Tagesnachtfahrt  der  Argonauten   und  der  Sage  wie  Jason,   einschuhig, 
die    (altgewordene)    Zeitgöttin   Hera    durch  den  Strom    der  Nacht    (Anauros) 
ans  Ufer  des  Morgens  und  der  Verjüngung  trägti  ^).    Und  wie  hier  das  Sinn- 
bild des  Raumes,  sehen  wir  in  jenem,  gleichfalls  dem  alten  Morgengottesdienst 
angchörigen,  Vritrasieg  und  Israelskampf  auch  bereits  das  andere  chronologische 
Symbol,    den    Kampf    und   Sieg,    zur  Anwendung  gebracht:    ja,    und    finden 
dasselbe  gerade  in  der  Natur  des  Tag-  und  Nachtwechsels  so  wohl  begründet, 
dass  wir  wohl  annehmen  dürfen,    es  sei  von  ihm  eigentlich  ausgegangen  und 
sei  auf  die  siegreiche  Ueberwindung  der  übrigen  Zeitwechsel  erst  später  über- 
1  ragen  worden.     Wie  der  Morgen  als   ein    Vritra-   oder  Chimärasieg,    als   ein 
(dem  Zeus  mit  Hülfe  Pans  und  Hermes  gelungener)  Typhonssieg  und  Titanen- 
sturz,   erschien    und  wie   wir  diesen  Sieg  auch  von    Jason,    Perseus,    Simson 

")   Rigv.  III,  ;;i,  0.  IV.  45,  7.  VI,  e,4,  4      M.  Müller,  Science  of  L.  II.  S,  pg.  4G2.  b-2'2. 
'-)  llygiu  fab.  13,  22.    Apollon.  Rhod.  111,  G7,  Serv.  Virg.  Ecl,  IV.  34. 

Zeitschrift   für  Rtlinologie,  Jahrgang  1875,  9 


122  K.  F.  Meyer: 

Siegfried  mit  Hülfe  oder  zu  Liebe  einer  schönen  Morgenröthe  Medea, 
Andromeda,  Delila,  Brunhilt  über  den  Drachen  und  die  Gorgo  des  Dunkels, 
oder  auch,  mit  mythischer  Umkehr  des  Activitätsverhältnisses,  über  den  Löwen, 
Stier,  Wolf  des  Sonnenaufganges  selbst  erfechten  sehen;  so  wurde  nun  aucii 
der  parallele  Winter  -  Frühlings-  oder  Sommer- Herbstwechsel ,  wurde  der 
Gesammtwechsel  des  Nyclit-Hemeron-Tages  und  des  (zwei-  oder  dreitheiligen) 
Jahres,  wurde  zuletzt  auch  der  Wechsel  aller  künstlich- gebundenen  Fristen, 
von  der  Triemerie  und  Hebdomas  bis  zur  Octaeteris,  als  ein  solcher  Sieg 
dargestellt:  und  wurde  diese  kriegerische  Symbolik  dann  auch  noch  mit  der 
räumlichen  auf  die  Weise  verbunden,  dass  man  die  wechselnde  Frist  in  Form 
eines  Lagers  oder  Walles,  einer  Burg  oder  Veste  stürmend  eroberte  und  dem 
alten  Feinde  abgewann.  Dem  starken  Verthätlichuugstriebe  der  alten  Mensch- 
heit, besonders  der  kriegerischen  (Skythisch-Gomorischen)  Völker,  konnte 
keine  chronologische  Mimik  besser  entsprechen  als  ein  solches  gewaltsames 
Miterzeugen  des  Wechsels  durch  Kampf  und  Schlacht:  als  ein  solches  Be- 
kämpfen und  Ueberwinden  der  bösen  —  kalten  oder  heissen  —  Jahreszeit  in 
Gestalt,  bald  eines  Bären,  Urs,  Wolfs  oder  Löwen,  bald  eines  grimmigen 
menschlichen  Streiters;  ein  Erlegen  des  abgelebten  Gestern  in  Gestalt  eines 
von  dem  jugendlichen  Heute  erschlagenen  vergeblich  kämpfenden  Feindes;  ein 
gleichzeitiges  Besitz-  und  Begriffergreifen  von  der  neuen  Frist  in  Gestalt  einer 
bestüi-mten  und  eroberten  Babel  oder  Sardes,  Thebe  oder  Ilios.  Und  indem 
dieser  rituale  Kampf  gewiss  ursprünglich  kein  blosser  Scheinkampf  war,  sondern 
sowohl  den  wilden  Thieren  als  den  —  aus  Kriegsgefangenen  genommenen  - 
menschlichen  Gegnern  einen  vollen  Widerstand  gestattete,  freute  sich  die 
kriegerische  Gemeinde,  ihrem  (namengebenden)  Gott  bei  dieser  Gelegenheit 
ein  Schauspiel  der  eigenen  siegreichen  Tapferkeit  und  Tüchtigkeit  vorzuführen 
und  sich  vor  ihm,  kraft  der  einzelnen  ausgewählten  Kämpfer,  —  kraft  der, 
unter  dem  Namen  eines  Vritrahanas-Bellerophontes,  eines  Löwen-  oder  Stier- 
bezwingers Simson,  Herakles  und  Theseus,  mythisch  fortlebenden  ritualen 
Helden  —  des  alten  Namens  und  neugeschenkten  Zeitraumes  würdig  zu 
erweisen. 

11.  Zeitwechselkampf  iu  Verbindung  mit  dem  Menschenopfer. 

Einen  ganz  besonderen  ritualen  Werth  aber  erhielt  der  Zeitwechsel- 
kampf durch  seine  Verbindung  mit  dem  Menschenopfer,  das,  wie  wir  gesehen, 
schon  seinem  Ursprung  nach  ein  chronologisches  Fest  war  und  zu  dessen 
religiöser  Vollziehung  jener  tödtliche  Zweikampf  den  kriegerischen  Völker- 
sciiaften  die  unmittelbarste  Gelegenheit  bot.  Der  namengebende  Gott  der 
kriegerischen  Gemeinde  konnte  für  die  menschliche  Schuld  der  alten,  für  das 
gnädige  Geschenk  der  neuen  Zeitfrist  gewiss  mit  keiner  genügenderen  Busse, 
keinem  vortrefflicheren  Kaufpreis  befriedigt  werden  als  mit  dem  iliin  geopferten 
liobon  des  Vertreters  jener  ersteren;  konnte,  an  der  S[)itze  seijies  Volkes,  das 
Schlachtfeld  des  Heute   nicijt  glorreicher  betreten    als  über  dem  Leichnam  des 


Die  Sieben  vor  Theben  und  die  chaldäische  Woche.  123 

ihm  zu  Ehren  erschlagenen  Gestern.  Wenn  aber  in  diesem  Falle,  dem  des 
einfachen  Tageswechsels,  ein  einzelnes  Opfer  genügte,  so  war  natürlich  bei 
grösseren,  mehrtägigen  —  oder  mehrwöchentlichen  —  Fristen  auch  eine  dieser 
Mehrheit  entsprechende  grössere  Zahl  Geopferter  erforderlich,  und  diente  dann 
zugleich  um,  neben  dem  religiösen,  auch  das  logische  Bedürfniss  der  Gemeinde 
zu  befriedigen,  fiir  die  der  schwierige  Begriff  einer  mehr  zusammengesetzten 
chronologischen  Zahl  eben  nur  vermittelst  eines  solchen  sinnlichen  Gleich- 
nisses, einer  solchen  Reihe  nebeneinander  hingestreckter  Leichname,  fassbar 
wurde.  Und  diese  chronologischen  Zahlen  sind  es  dann  auch  die  uns  in 
den  vielfachen  aus  dem  Ritus  des  Zeitwechselopfers,  insbesondere  Zeitwechsel- 
kampfopfers, entsprungenen  Mythen  sofort  als  ein  fester  deutlicher  Zug 
entgegentreten  und  uns  in  diesen  50  geopferten  Söhnen  des  Lykaon,  50  (oder 
52)  gemordeten  Söhnen  des  Aegyptos,  50  (oder  52)  von  Tydeus  erschlagenen 
Kadmeionen'^),  sofort  die  opfermässig  gefeierte  Zahl  der  Jahreswochen  (oder 
Tagesstunden);  in  den  360  altkymrischen  Gwautodinkämpfern  die  der  Jahres- 
tage; in  den  7  erschlagenen  Söhnen  der  Megara  aber  und  also  namentlich 
auch  in  den  2.7  Niübiden  und  7  thebanischen  Kämpferpaaren  die  Zahl  der 
Wochentage  wieder  erkennen  lassen.  Vollkommen  bewiesen  aber  zeigt  sich 
die  religionsgeschichtliche  Wirklichkeit  des  alten  Zeitwechselopferkampfes 
durch  eine  Reihe  hier  sofort  aufzuführender  historischer  Beispiele,  die  aus 
den  sehr  zahlreichen  Beispielen  des  Menschenopfers,  insbesondere  chrono- 
logischen Menschenopfers,  im  Alterthumi^)  gerade  diesem  Kampfopferritus  an- 
gehören und  die  sämmtlich  mehr  oder  minder  weit  in  die  christliche  Aera 
hereinreichen.  Ja,  und  bis  ai^f  den  heutigen  Tag  werden  wir  diesen 
historischen  Nachweis  dann  noch  durch  verschiedene  —  namentlich  in  den 
germanischeu  Ländern  erhaltene  —  volksthümliche  Gebräuche  und  Spiele 
fortgeführt  sehen,  in  denen  der  alte  blutige  Ritus  unter  milderer  Form  lebendig 
geblieben  ist  und  vermittelst  deren  die  sjmbob'sche  Erkenntniss  und  Erinnerung 
des  Volkes,  getreuer  als  die  logische  der  Wissenschaft,  das  in  einen  heiteren 
Mummenschanz  umgewandelte  grosse  tragische  Mysterium  von  Frühling  zu 
Frühling  und  von  Eindte  zu  Erndte  seit  Jahrtausenden  unvergesslich 
weiterspielt. 

12.  Historische  Beisjüele  der  verschiedenen  clirouologischeii  Opferkämpfe:  —  Tages-, 
Jahres-  und  Jalireszeiteu- Wechselkampf. 

Zunächst  a)  für  den  alten  opferuiässigen  T age  s  w e ch s e  1  -  Z  w  e i  - 
kämpf  für  den,  —  allmorgendlich  bei  Sonnenaufgang  gefeierten  —  sieg- 
reichen Ki"npf  des  Heute  mit  dem  Gestern  ein    deutliches  Beispiel  bietet  uns 

'^)  Apollod.  111,  8,  1.  Paiisan.  VIII,  ;i.  1.  —  Pausau  II,  U),  3.  Apollod.  11,  1.  ö.  - 
II.  IV,  383.  —  Yfrl.  u    §.   12,   15,  45,  80. 

'<)  Plat.  Min.  por.  ;;i5,  i-.  Le^g.  VI.,  pg.  78->.  Porphyr  de  absfiu  11,12  pg.  50,  10,  Seiv.  Aen. 
VI,  107,  (ef.  Hom.  Od.  X,  552).  Sil  Ital.  IV.  770.  Moveis  Phün.  I,  301  ff.  Welcker 
Gr.  GL.  1,  211,  II,  7(;!tff. 

9* 


124  K.  F.  Meyer: 

jener  aus  Sueton  und  Ovid,  Strabo  und  Pausanias  bekannte^  ^),  noch  in  der 
Kaiserzeit  fortdauernde  skythisch-lateinische  Tempelritus  der  Diana  Aricina, 
kraft  dessen  der  priesterliche  König  des  Tempels  (des  kleineren  der  beiden 
von  Strabo  beschriebenen  Fana),  der  sogenannte  Rex  Aricinus  oder  Nemorensis, 
immer  ein  entsprungener  Sclave  sein  und  seine  Würde  auf  die  Weise  er- 
werben musste  dass  er,  nachdem  er  sich  in  den  Hain  der  Göttin  geflüchtet 
und  einen  Zweig  ihres  heiligen  Baumes  (Jahresbaumes)  abgebrochen,  seinen 
Vorgänger,  den  alten  Tageskönig,  zum  Zweikampfe  forderte  und  kampfmässig 
erschlug.  Dieser,  auf  solche  Weise  beschränkte  und  an  die  zufällige  Ent- 
springung eines  Sclaven  geknüpfte,  Ritus  nämlich  war  offenbar,  wie  auch 
Servius  andeutet,  nur  der  gemilderte  Ersatz  für  einen  ursprünglichen  regel- 
mässigen Morgenzweikampf,  dessen  spätere  Milderungsweise  theils  in  der 
culturhistorischen  Minderung  des  Menschenopfers  überhaupt,  theils  in  dem 
besonderen  ethnologisch -geschichtlichen  Umstände  ihren  natürlichen  Grund 
hatte  dass  der,  schon  im  Skythenlande  vorzugsweise  von  Kriegsgefangenen 
vollzogene,  Ritus  sowohl  einerseits  den  Sclavenstand  der  beiden  Kämpfer  als 
andererseits,  mit  Anwendung  der  Activitätsumkehr,  die  Selbstbefreiung  des 
Sclaven  als  nothwendige  Bedingungen  jener  Milderung  erscheinen  liess,  und 
dass  der  Ursprung  desselben  von  dem  Mythus  eben  desshalb  auch  auf  das 
Beispiel  jenes  aus  dem  Tempel  der  Diana  Taurica  dem  Opfertode  entronneneu 
Orestes  zurückgeführt  wurde  ^  ^).  Eben  dieser  Orestes  aber  dient  dann  auch 
in  seiner  anderweitigen  mythischen  Geschichte  dem  Sinne  des  von  ihm  her- 
geleiteten Aricinischen  Ritus,  als  eines  Tageswechselkampfes,  zur  Bestätigung: 
einmal,  schon  in  seiner  Eigenschaft  eines  rächerischen  Morgenheldeu,  der, 
zusammen  mit  seiner  Schwester  Electra-Morgenröthe,  die  Ermordung  des 
königlichen  Vaters  Tag  an  der  verrätherischen  Mutter  Nacht  —  oder  Abend- 
röthe  —  rächt:  und  sodann  auch,  in  seiner  Eigenschaft  eines  Tageshelden, 
als  welcher  er  (eben  wie  früher  Agamemnon  mit  Achilleus  um  die  schöne 
Briseis)  mit  dem  gestrigen  Tage,  Neoptolemos,  um  die  schöne  Morgenröthe 
Hermione  (vgl.  u.  §.  37)  hadert,  und  seinen  Gegner  am  Delphischen  (oder 
Phthiischen)  Altar  in  einem  mythischen  Zweikampfe  tödtet  über  dessen,  dem 
Aricinischen  entsprechenden,  ritualen  Sinn  die  durchsichtige  Allegorie  einer 
anderen  Angabe  dieses  Delphischen  Mythus  —  die  an  Neoptolemos,  dem 
Schutzherrn  des  Delphischen  Opfertisches,  nicht  von  Orestes  selbst,  sondern 
von  „Schwertmann  des  Opferschmauses  Sohn  (Macheireus  Sohn  des  Daites)" 
vollzogene  Tödtung*^)  —  keinen  Zweifel  lässt.  Und  zu  nicht  minder  deut- 
licher Bestätigung  dient  unserem  Ritus  dann  auch  der  andere  mit  ihm 
genetisch  verflochtene,  —  namentlich  bei  Pausanias  und  Ovid  als  Stifter 
des  Aricinischen  Heiligthums   erwähnte  —    mythische  Heros,   der  hellenisch- 


'*)  Sueton  Calig.  35.    Ovid.  Fast.  III,  265.    Stral).  V,  pgr.  23i).    Paiisaii.  II,  27,4.    vgl.  Hy^iii 
Fb.  201.    Serv.  Aeii.  VI.  130,  II,  140. 

'")  öerv.  Aeu.  II,   140.     lly^iii.  Fab.  201. 

")  Schol  Piiid.  Nein.   VII,  43.     Pausau.  I,  13,  7.    X.  24,  4. 


Die  Sieben  vor  Theben  und  die  chaldäische  Woche.  125 

lateinische  Hippolytos-Virbius:  dieser,  schon  in  seiner  Etymologie  deutliche, 
Doppclname,  darin  Hippolytos,  ein  dem  Homerischen  ßovXvtos  (ßoulviövde) 
entsprechender  Ausdruck,  den  Abend  —  zunächst  die  rossabspanneude 
Abendzeit,  dann  den  verpersönlichten,  von  Poseidon  verschlungenen,  himm- 
lischen Rosselenker  und  Abspanner^  ^)  —  bezeichnet;  Yirbins  aber,  ein  (im 
Kymrischen  erhaltener'-*)  altlateinischer  Ausdruck,  diesem  Abend  einen 
„frischen,  neugeborenen"  —  von  Diana  Dictynna  oder  von  Aesculapius  neu 
ins  Leben  gerufenen^")  —  Morgen  zur  Seite  stellt  und,  vermittelst  einer 
solchen  mythisch-etymologischen  Verbindung,  den  Zusammenhang  des  Gestern 
und  Heute  im  Symbole,  wenn  auch  nicht  des  Wechselmordes,  doch  des 
Wechsellebeus  begreiflich  macht.  Künstlerisch  illustrirt  und  gerechtfertigt 
aber  wird  diese  ganze  Erläuterung  des  Aricinischen  Ritus  endlich  noch  durch 
ein  bei  Aricia  gefundenes  alterthümliches  (altgriechisches)  Marmorrelief- '),  das 
uns  die  beiden  Tageskönige,  —  oder  vielmehr  deren  mythische  Vorbilder, 
Orestes  und  Neoptolemos,  —  als  nackte,  bärtige,  mit  der  Priesterbinde  ge- 
schmückte Kämpier  vorstellt,  und  zwar  in  dem  Augenblicke  des  Kampfes,  wo 
der  eine,  Orestes,  den  anderen  mit  einem  kurzen  messerartigen  Schwerte  er- 
stochen hat  und  sich  von  dem  Niedergesunkenen  hinweg  gleichsam  recht- 
fertigend gegen  zwei  ihm  folgende  bekleidete  weibliche  Figuren,  —  wol  die 
Artemis  und  ihre  Aricinische  Priesterin  —  hinwendet;  während  an  beiden 
Ecken  nuch  je  eine  andere  —  wol  die  Hören  des  Gestern  und  Heute  be- 
deutende —  weibliche  Figur  mit  gen  Himmel  gehobenen  Händen  ihren  Schreck 
und  Schmerz  ausdrückt.  Und  weiter  illustrirt  wird  der  Gegenstand  und 
weiter  gerechtfertigt  unsere  Erklärung  des  Aricinischen  Ritus  dann  noch 
durch  ein  mit  dem  Namen  der  beiden  Helden  versehenes  altgriechisches 
Vasengemälde "^2),  das,  anstatt  des  allegorischen  Kampfes  und. Mordes  selbst, 
eine  demselben  unmittelbar  vorhergehende  Handlung  darstellt;  nämlich  diejenige 
von  der  Göttin  Themis  mit  dem  Zeitschlüssel  bedeutete  Handlung  des  Tages- 
wechscls  und  Morgenanbruchs,  wo  der  Held  des  Heute,  Orestes,  mit  seinem 
Schwerte    noch    hinter    dem    Omphalos    (des    Delphischen    Tempels)    kauert. 


'*)  Ebenso  bezeichnet  von  den  drei  mondphasenhaften  Proitostöchtern,  neben  Iphinoe,  der 
jungen,  und  Iphianassa  der  vollen,  Lysippe  die  abspannende  d.  i.  abnehmende  Lima.  —  Der 
von  Ovid  (Fast.  1  1.)  erzählten  Schleifung  und  Zerreissung  des  Hippolytos  liegt  vielleicht  nur 
(wie  später  in  der  Legende  des  Bischofs  Hippolytos)  ein  Wortspiel,  vielleicht  auch  ein  wirk- 
licher, mit  der  Lichtschailsymbolik  des  Pferdes  zusammenhängender,  alter  Opferritus  zu  Grunde. 
")  cymr.  „gwryv,  frisch,  neu",  auch  „rein,  keusch:"  welcher  Metapher  Hippolytos-Virbius 
dann  wol  auch  seine  entsprechenden  Eigenschaften  eines  jungfräulichen,  keuschen  Heroen 
(Pansan.  II,  32,  1.     Horat.  C.  IV,  7,  25)  zu  verdanken  hat. 

-")  Pansan.  II,  27,  4.    Hygin  Fab.  49. 

'-')  Gefunden  1791  von  Cardinal  Despuig,  in  dessen  Museum  es  sich  jetzt  auf  der  Insel 
Majorca  befindet;  abgebildet  in  Sicklers  Almanach  (1.  pg.  85.)  Gerhardts  Archäolog.  Zeitung 
1849,  Tav.  XI.  und  Welcker's  Alte  Denkmäler  II,  Tav.  VIO,  14.  und  von  Zoega,  Hirt,  Gerhard 
(0.  Jahn),  sowie  schon  von  den  ersten  römischen  Herausgebern  in  unserem  Sinne  erklärt, 
während  Welcker  es  (gewiss  irrig)  auf  den  Mord  des  Aegisthos  deuten  will. 

^-)  Gerhard  Vasengeuiälde  Tav.  .'4.    Annali  de  1.  A.  XL. 


126  K-  P-  Meyer: 

Neoptolemos  aber,  der  Held  des  bis  Sonnenaufgang  dauernden  Gestern,  erst 
von  einem  anderen,  speerbewaffneten  Jüngling  —  einem  den  Speer  des 
Morgenrothes  führenden  Kephalos,  Amphitryon  oder  Melengros  (vgl.  o  §.  8)  — 
angegriffen  wird  und  sich  vor  diesem  Angriff  hinter  den  Altar  geflüchtet  hat, 
um  dann  später  hier  von  dem  Schwerte  des  hervorbrechenden  Orestes  den 
Opfertod  zu  erleiden. 

Für    den   opfermässigen   Jahres  Wechsel  -  Zweikampf,    zweitens    (b) 
ein   merkwürdiges,    gewiss   auch   historisches  Beispiel  bietet   die  in   den    alt- 
kymrischen  Gwautodinliedern  besungene,  grosse  Maischlacht  der  Dreihundert- 
dreiundsechzig^  3),  eine  allegorische  Schlacht,  die  nach  Form  und  Inhalt  jener 
alten  Bruchstücke  selbst^*),  sowie  nach  den  Andeutungen  verschiedener  sie  be- 
sprechender jüngerer  Barden   und  Commentatoren  zu  schliessen,   in  einer  der 
brittischen  Jahresburgen,  zuletzt  namentlich  in  Stonehenge,  alljährlich  1 — 3. Mai 
wirklich    geschlagen    und  gefeiert  wurde,    und   deren   unter  König  Vortigern 
(Gwor-theyrn),    dem  Wiedererwecker   des   alten  Glaubens,    dort  noch   in   der 
Mitte  des  v.  Jahrh    u.  A.  vollzogene  Feier  in  der  Sage  von  dem  Plot  of  knives 
und  den  durch  Hengist  und  Horsa  erschlagenen  360  brittischen  Häuptlingen 
ein   mythisches   Zeugniss    hinterlassen   hat.      Die   in   den   Liedern  wiederholt 
erwähnte,  —  auch  durch  die  vorschriftliche    Rhythmenzahl  (363  gworchanau) 
und  Preissumme  (363  Silberpfennige)  bestätigte  —   Gesammtanzahl  363,   von 
denen   aber   nur   360   erschlagen   werden,    bezeichnet   wahrscheinlich  ein  aus 
3  je  rJOtägigen  Jalu-eszeiten  nebst  3  Festtagen  zusammengesetztes,    seinerseits 
auf  einen  zwöl^ährigen   (chaldäisch-ostasiatischen)   Ausgleich ungscyclus   (mit 
27tägigem  Schaltmonat)  berechnetes  tropisches   Jahr'^-^),    dessen  drei,    sei    es 
einzeln,  sei  es  zusammen  gefeierte  Festtage,  eben  als  solche  von  der  allgemeinen 
Schlacht   und   Niederlage    ausgenommen    blieben    und    in   den  alten    Liedern 
desshalb   gewöhnlich   unter  den  3  allegorischen  Namen  eines  Ort-,   Zeit-  und   ^ 
Gesangeshelden    —  Cattraeth,    Eidiawl,    Cenau  (Cathlau)  —   besonders    auf- 
geführt werden,   —    der   eine    Tag  häufig    auch  unter    der  Person    des    vor- 
tragenden Sängers  selbst,  der,  in  einem  Fragment,   die  opfermässige  Bedeutung 
des  „blutigen  Mysterii"  (coel  certh)  dadurch   bestätiget     dass  er  ausdrücklich 
sagt,  er  habe  mit  seinem  Lied  die  Blutschuld  abgezahlt  und  sein  Leben  frei- 


23)  F.  K.  Meyer:  Lebende  keltische  Völkerschaften  (Berlin,  Hertz,  1863   pg.  :35ff.  und  Buch 
der  Dichtung  (Berlin,  P.  Scheller  18G9)  S.  172. 

^^)  Morgenhell  zogen  schnell  in  Saus  und  Braus 
Jüngst  363  Streiter  aus, 

Hoffnungsvoll  dahin  zum  hoffnungslosen  Strauss; 
Bis  auf  3  ruhn  alle  nun  in  Nacht  und  Graus: 
Mit  Gesang  und  Harfenklang  im  hohen  Haus 
Feiern  ihr  Gedächtniss  wir  beim  Jahresschmauss. 
=>*)    vgl.  Censorinus  bei  Ideler  I,    30  und   Scaliger  de   ciucihI.    t.    pg.   100.      Der   von    IMin. 
H.    N.    XVI,    44,    den  Dndden    zugeschriebene   30j:Uirigc    auf  Ausgleichung     von   Mond-    und 
Sonnen  jähr    berechnete    Cyclus    gehörte    vielleicht    der    gallischen    (wostkeltischcn);    der,    dem 
Gwautodinritus  zu  Grunde  liegende  zwölfjährige,  der  lenisch-kymrischeu  (ostkeltischen)  Wanderung 
und  Bevölkerung  an. 


Die  Sieben  vor  Theben  und  die  chaldäische  Woche.  127 

gekauft^*^).  Während  aber  so  dieses  Mysterium  im  westlichen,  kimmerischen 
Dunkel  Brittanniens  bis  ins  fünfte  Jahrhundert  fortgefeiert  worden  zu  sein 
scheint,  begegnen  wir  um  mehr  als  tausend  Jahr  früher  einem  ganz  ähnlichen 
Feste  bei  verschiedenen  asiatischen  Völkern;  nämlich  dem  berühmten,  in  die 
mythische  Urgeschichte  Asiens  mannigfach  verschlungenen  skythisch-assyrisch- 
persischen  Feste  der  Sakäen,  ra  ^äxaua,  auch'Eo(;r7)  ^yvOiia'i  genannt,  einem 
Feste  das  mit  dem  brittischen  alle  wesentlichsten  Züge:  Tagezahl  und 
^ahresburg  (Semiramiswall),  Steppe  und  Wanderzelte,  Trinkgelag  und  Nieder- 
metzelung,  Opferfeuer  (das  brittische  maithin  d.  i.  Maifeuer)  und  Priester- 
tracht, insbesondere  Priesterbinde  (den  brittischen  caw),  gemein  hat,  nur  mit 
Hinzufügung  des,  den  Gwautodinliedern  fremden  —  wol  auf  die  Nächte  des 
Jahres  bezüglichen  —  weiblichen  Elementes:  und  das  uns  so  in  unserer 
kymrischen,  an  Albions  Küsten  gefeierten  Schlacht  der  Dreihundertdreiund- 
sechszig  zugleich  den  letzten  historischen  Nachhall  und  den  ersten  allegorisch 
deutlichen  Ausdruck  jenes  in  den  skythischen  Wüsten  entsprungenen 
wandernden  Jahresbegriffes  und  Opferkampfes  erkennen  lässt-^). 

Ein  viel  bekannteres  Opferkampf-  und  Opfermordbeispiel  als  das  skythisch- 
kymrische  für  den  Jahreswechsel  ist  drittens  (c)  das  —  wahrscheinlich phönikisch- 
thrakische  — fürden  Wechsel  der  drei  Jahreszeiten,  jenes  vielbesprochene, 
in  Makedonien  (Thessalonike)  noch  zur  Zeit  der  Kirchenväter  aufgeführte 
Mysterium  des  Kabirischen  Brudermordes,  dessen  blutigen  Ritus  wir  besonders 
aus  Clemens  Alexandrinus  kennen^ ^)  und  das,  nach  dieser  Schilderung,  seine 
besondere  Heiligkeit  offenbar  einer  (schon  oben  §.  12  berührten)  Verbindung 
der  chronologischen  mit  der  ackerbaulichen  Symbolik  zu  verdanken  hat. 
Der  von  seinen  beiden  Brüdern,  jedenfalls  nicht  ohne  Kampfritus,  ermordete 
Kabire,  dessen  Kopf  dieselben  dann  in  Königspurpur  gewickelt  begruben  und 
den  Phallus  in  der  heiligen  Kiste  beisetzten,  versinnbildlichte  nicht  sowohl 
die  verdrängte  dritte  Jahreszeit  als  vielmehr,  in  Uebereinstimmung  mit  dem 
sprachlichen  Ausdruck,  das,  zum  Todt-  oder  Brachliegen  bestimmte,  diesjährige 
Drittel  des  dreifelderwirthschaftlich  geordneten  Ackerlandes,  und  diente, 
sowie    zur  Versinnbildlichung   dieses  Drittels,   so,    durch  seine  Tödtung,  Zer- 


''*)  o'm  creu  dychiorant  —  vy  gwerth  gwnacthaut.  s.  Kelt.  Völkersch.  pg.  38.  49. 

'■")  Berosus  bei  Athen.-  XIV.  pg.  6.'i9.  cf.  XII  pg.  531:  Ctesias  bei  Die  Chrysost.  0.  IV, 
und  Diod.  II,  -26,  27.  Strab.  XI,  8  pg.  431.  cf.  Hdt.  I,  106.  207.  -211.  Justin  I,  8.  Hesych  s.v. 
^äxKin  {tj  Zxvi^ixi]  iooiii)  —  Die  Zeit  des  Festes,  und  also  zugleich  des  Jahreswechsels,  war, 
zufolge  obiger  Stellen,  bei  den  Babyloniern  der  9.  Juli,  d.  i.  die  Zeit  der  SommersoimenweHde 
lind  des  aufgehenden  Orion  (Mov.  I,  494);  wogegen  der  in  den  Gwautodinliedem  genannte 
(und  noch  heute  auf  den  l)rittischen  Inseln  gefeierte)  Monat  Mai  als  Anfang  des  Jahres,  sowie, 
hiermit  zusammenhängend,  als  Monat  des  Adonis  und  der  Adouien,  auch  bei  den  meisten 
Völkern  Kleinasiens  gefeiert  wurde.     (Mov.  I,  209). 

***)  Protr.  16.  70»'  11)1101'  ecöiXcpöi'  anoxidvavitg  lyjv  xu(fo).>iV  lov  vixoov  (foii-ixidt 
fTitxnkvihcht]!'  xn)  f,')ail'(iir]V  —  ir]V  xiojr]v  iy  7/  i6  aiiSoTo)'  (loi'  Jiovvaov)  anixeno  tig 
Tv^gT)viat'  xajtlyayoi\  rtföom  xa\  xiOTip'  linrjgxsvtiv  nnncaiß^ufvoi  TvQQTjvötg  vgl.  Eckhel 
D.  k.  V.  III,  pg.  .174.  Arnob.  V,  19.  Lactant.  de  f.  r.  I,  15.  Firmic.  pg.  25.  Lobeck 
Aglaopham  1256.  Movers  Phon  1,  419.  Gerhard  G.  M.  pg.  131.  Welcker  GL.  III,  178.  — 
Ueber  die  «7i6d(5>jToj  ^vaict  imd  fxvan]gtcc  a^iärjiojaja  der  übrigen  Kabirischen  und  Idäischen 
Götter  vgl.  u.  18.  20.  30. 


128  K.  F.  Meyer: 

gliederung  und  Beisetzung  zugleich  dazu  dass  er  dasselbe  opfermässig 
sühne  und  der  Gottheit,  insbesondere  der  Demeter,  zur  nächstjährigen 
fruchtbaren  Wiedergeburt  empfehle  und  ans  Herz  lege.  Die  anthropologisch- 
technologische, ackerbaulich- generative  Symbolik  der  Demetrischeu  Kiste  und 
des  Dionysischen  Phallus,  die  der  allgemeinen  Einrichtung  des  Ackerbaues 
von  Anfang  an  zur  religiösen  Weihe  und  Erläuterung  gedient  hatte,  übertrug 
sich  jetzt  auf  den  religiösen  Vertreter  der  besonderen  ackerbaulichen  Ein- 
richtung der  Dreifelderwirthschaft,  welche  Einrichtung  also  auch  in  Italien 
(Tyrrhenien)  nur  kraft  dieser  Symbolik,  sowie  vermittelst  einer  Vereinbarung 
des  Kabiren  mit  dem  Dionysos,  Eingang  finden  konnte,  die  sich  aber,  kraft 
der  dreifachen  Zerstückelung  (Glied,  Kopf  und  Körper)  des  Geopferten,  doch 
auch  wieder  mit  dessen  chronologischer,  jahreszeitlich-numerischer  Symbolik 
in  Einklang  setzte. 

Am  längsten  forterhalten  endlich  von  allen  Zeitwechsel-Opferkämpfen  und 
durch  die  jüngsten  Beispiele  nachweisbar  gemacht  hat  sich  viertens  (d)  der 
einfache  Jahreszeiten-zweikampf,  insbesondere  der  Zweikampf  zwischen 
Winter  und  Sommer  (oder  Frühling),  der  bekanntlich  als  Volks-  oder  Knaben- 
spiel in  vielen  Gegenden  Mitteldeutschlands  noch  heute  fortlebt  und  der,  sowie 
durch  die  für  den  Kampf  gewählte  Zeit  (gewöhnlich  Monat  März)  und  Oert- 
lichkeit  (gewöhnlich  ein  Kreuzweg),  seine  chronologische,  so  auch  durch  den 
Inhalt  der  dabei  gesungenen  Reime  und  gespielten  Gebräuche  seine  alte 
heidnisch-theologische,  seine  gewaltsame  Opferkampf-mässige  Bedeutung  fort- 
während lebendig  erhält^^).  Zuerst,  blutiger,  in  Mitten  der  Gemeinde  ge- 
kämpfter  und  von  derselben  mit  Gesang  begleiteter  Zweikampf;  dann  zweitens, 
Niederwerfung  und  Fesselung  des  bösen;  sowie  drittens,  Augenausstechung 
des  finstern  Feindes;  sodann  viertens,  Herumtragen  entw^eder  verhüllt  im 
Sarg  oder  frei  auf  Stangen,  des  Gefesselten  und  Geblendeten;  und  endlich 
fünftens,  Ertränken,  Verbrennen  oder  über  die  Grenze  werfen  (Austreiben) 
des  bezwungenen  Wintertodes:  das  waren  die  im  heutigen  Brauch  und  Reim 
noch  deutlich  nachklingenden  fünf  Acte  des  ursprünglichen  Mysterii,  kraft 
dessen,  wie  bemerkt,  die  religiöse  Erkenntniss  unsrer  (Germanischen)  Vor- 
fahren von  dem  grossen  Frühlingswechsel  des  Jahres  regelmässigen  sieg- 
reichen Besitz  ergreifen  und  gottesfürchtigen  Gebrauch  machen  gelernt  hat. 
Und  wätu'eud  dieses  in  Mitteldeutschland  noch  heute  lebendige  Zweikampf- 
spiel zu  jenem  zwischen  Neoptolemos  und  Orestes  gefochtenen  Tageswechsel- 
zweikampf eine  Parallele  bildet,  erscheint  dagegen  ein  anderer  germanischer 
Frühlingsritus,  der,  in  Schweden,  Dänemark  und  Niederdeutschland  noch  bis 
vor  einem  Jahrhundert  gefeierte  (von  Olaus  Magnus  beschriebene),  sogenannte 
Mairitt ^")  vielmelir  als  eine  Parallele  zu  der  kymrischen  Gwautodinschlacht, 
und    lässt    uns    in   diesen   beiden   von   einem  Winter-   und   einem  Maigraven 


2»)  Grimm  D.  M.  722-729. 
=")  Grimm  D.  M.  735  ff. 


Die  Sieben  vor  Theben  und  die  ciialdäische  Woche.  129 

gegeneinander  geführten,  —  dort  mit  Asche  und  Funken,  hier  mit  grünen 
Birkenzweigen  kämpfenden  —  Reitergescliwadern  die  beiden  von  Madoc  und 
Menoc  befehligten,  mit  Turcli  und  Priesterbinde  geschmückten  Streitwagenzüge 
der  Dreihundertdreiundsechszig  wiedererkennen.  Ja,  auch  für  jenes  in  der 
assyrischen  Form  der  Sakäen  so  grell  hervortretende  weibliche  Element,  für 
jene  von  Sardanapal  als  Genossin  gewählte  und  zuletzt  mit  ihm  verbrannte 
fünftägige  Tageskönigin  —  Semiramis-Omphale^i)  —  finden  wir  eine  germa- 
nische Frühlingsparallele  in  der  bei  dem  Mairitt  mitspielenden  altdänischen 
Majinde  oder  Maigrävin  —  auch  Gadelam,  d.  i.  Schlachtenlamm  genannt,  — 
die   sich   der  auch   Gadebasse   d.  i.   Schlachtenbär  genannte  —  Maigrav 

aus  den  Jungfrauen  der  Gemeinde  durch  Zuwerfen  eines  Kranzes  zur  Ge- 
nossin wählte,  um  mit  ihr  während  des  ganzen  Monats  sonntäglich  den  Vor- 
sitz an  dem  öffentlichen  Festmahl  zu  führen  und  den  Reigen  um  den  Mai- 
baum vorzutanzen=^2).  —  Und  hier,  im  germanischen  Norden,  begegnet  uns 
nun  auch,  gegenüber  den  bisher  angeführten  Beispielen  eines,  wenn  auch 
noch  erkennbaren,  doch  mehr  oder  minder  abgeblassten  Gebrauches,  das 
Beispiel  eines  unmittelbar  blutig-lebendigen  und  tragisch-wirklichen  Frühliugs- 
opferkampfes,  nämlich  jener,  vor  nicht  langer  Zeit  durch  die  Bronzegru|)pe 
des  schwedischen  Künstlers  Malin  illustrirte,  in  Schweden  und  Norwegen  noch 
historisch  nachweisbare,  Gebrauch  eines  Messerkampfes,  den  zwei  Jünglinge 
immer  am  ersten  Mai  auf  Tod  und  Leben  um  den  bräutlichen  Besitz 
einer,  die  schöne  Jahreszeit  darstellenden,  schönen  Jungfrau  kämpfen 
mussten,  so  dass  also  dem  einen  Kämpfer  der  Ruhm  und  Preis  des  Frühlings 
erst  durch  seinen  Sieg,  dem  anderen  der  Name  und  Tod  des  Winters  erst  in 
Folge  seiner  Niederlage  zu  Theil  wurden.  Eine  bedeutsame  mythisch- 
historische Parallele  zu  diesem  norwegischen  Gebrauch  aber  bildet  dann 
wieder  der,  auf  einen  ähnlichen  Ritus  bei  den  keltischen  Völkern  hinweisende, 
in  verschiedenen  altkymrischen  Gedichten  und  Märchen  angeführte '^'O 
Mythus  von  Gwynn  ap  Nndd  d.  i.  Glanz  des  Nebelthaus  Sohn  und  Gwythyr 
mab  Greiddawl  d.  i.  Groll  des  Grimmes  Sohn,  die  alljährlich  am  ersten  Mai, 


^0  Movers  Phoen.  I.  pg.  49-2  if. 

'*)  s.  Mandelstnip.  spec.  oentilismi  etiamnum  superatitis  (1G84)  bei  Grimm  D.  M.  ptr.  Tot?. 
Das  von  Gr.  „Gasselamm  und  Gassebär"  übersetzte  Wort  leite  ich  vielmehr  von  dem  kymr. 
cad  (angels.  ead  il.  Hader)  ab,  indem  das  kelt.  c.  auch  sonst  in  deutsches  und  dänisches  g 
übergeht  (z.  B.  ceaug  Gang,  cearbh  Garbe,  caw  Gau,  cog  Gauch,  car  gar,  (in  Namen).  -  Dem 
Maigraven  mit  seiner  Maigrävin  entspricht  auch  noch  unser  Bohnenkönig  nebst  Bohnenköuigiu 
am  Dreik("migstag. 

^)  Myvvyrian  (Welsb  Archeology)  I.  pg.  165.  Cilhwch  ac  Ohven  (Mabinogion  Parth  IV)  pg. 
212.  Creuddylat,  merch  Lhid  Llaw  Ereint.:  y  vorwyn  vwyav  y  mawred  avu  yn  teir  Ynys  y 
Kedryn  ac  their  Rac-Ynys:  ac  am  honno  y  mae  Gwythyr  mab  Greidawl  a  Gwynn  mab  Nud  yn 
ymlad  bob  kalan  Mai  vyth  hyt  dydbrawt:  Creudel,  die  Tochter  Llüdd's  Liaw  Ereint  (König 
Grossenheers  mit  der  Becherhand):  und  sie  war  die  herrlichste  Jungfrau  in  den  drei  grossen 
Königseilanden  und  den  drei  Vorderinseln:  und  um  sie  fechten  Gwythyr.  Greidda\ils  Sohn  (d.i. 
Groll  des  Grimmes  Sohn)  und  Gwynn  Nydd's  Sohn  (d.  i.  Glanz  des  Nebelthaus  Sohn),  an  jedem 
erstengMai  immer  bis  zum  jüngsten  Tage. 


130  K.  F.  Meyer: 

immer  bis  au  der  Welt  Ende,  am  die  schöne  Creuddel,  Tochter  Königs  Llyr 
oder  Lliidd  vawr,  fechten,  —  d.  i.  um  niemand  anders  als  um  die  uns  wohl- 
bekannte schöne  Cordelia,  deren  Auftreten  hier,  theils  durch  ihren  Zusammen- 
haug  mit  der  Learsage,  theils  durch  die  Bedeutung  ihres  Namens  „Blutschuld'^ ')" 
eine  besondere  Wichtigkeit  erhält.  Dieselbe  schöne  treue  Jungfrau,  die  wir 
dort  als  jüngste  der  drei  jahreszeitlichen  Königstöchter,  —  als  Aschenbrödel- 
Wintersonnenwende,  —  ihrem  Vater,  dem  von  Frühlings-  und  Sommerzeit 
verrathenen  König  Jahr,  gewissenhaft  zu  Hülfe  eilen  und  ihrer  Pflichttreue 
sich  opfern  sehen  ^  ^),  erscheint  hier,  in  dem  kymrischen  Mabinogi,  unter  einer 
zwar  einfacheren  aber  nicht  minder  reizenden  und  bedeutsamen  Gestalt,  als 
eine  verhängnissvolle  Aphrodite-Erinnys,  die,  mit  der  vollen  Herrlichkeit  des 
wiederkehrenden  Lenzes  in  ihrem  Antlitz,  mit  der  vollen  Blutschuld  der 
zurückerkauften  Wintersonne  in  ihrem  Namen,  zugleich  den  immer  wechseln- 
den kostbaren  Gewinn,  und  den  nie  wechselnden  kostbaren  Kaufpreis  des 
grossen  JahreszAveikampfes  darstellt,  und  die,  nachdem  sie  allwinterlich  an 
den  Sohn  des  (göttlichen)  Zorns  und  Schreckens  verloren  gegangen,  all- 
sommerlich von  dem  lichten  Sohne  des  Nebelthaus   zurückerobert  wird. 

Und  werfen  vnr  von  diesem  altkeltischen  —  vielleicht  ursprünglichsten  — 
Beispiele  des  Jahreswechselzweikampfes  nun  auch  noch  einen  vergleichenden 
Blick  auf  die  Mythen  und  Riten  der  griechischen  Religion,  so  begegnen  uns 
hier,  —  neben  dem  dreijahreszeitlichen  Märchen  von  Conrhil-Athene,  Rhagau- 
Here,  Creuddel-Aphrodite  und  dem  Erisapfel  —  besonders  drei,  zugleich 
rituale  und  mythische  Parallelen  jenes  Kampfes:  nämlich  erstens  a)  die 
Amycläischen  Hyakinthien,  diese  altspartanische  dreitägige  Sommer- 
wendenfeier des  von  seinem  Vater  Apollon-Amykläus  mit  dem  Sonnendiscus 
getödteten  schönen  Hyakinthos,  d.  i.  des  in  seinem  Laufe  von  dem  Jahres- 
gott plötzlich  aufgehaltenen  und  zurückgeworfenen  Sommers,  über  dessen 
Leichnam  der  Gott  dann  —  seine  Bildsäule  über  dem  Grabesalter  —  als  eiu, 
die  beiden  Jahreshälften  in  sich  aufnehmender,  vierarmiger,  vierohriger  Janus, 
herbstlich  weiterherrschet'^^):   —    sodann  zweitens, 

b)  die  (ursprünglich  wol  herbstliche,  später  frühlingsmässige)  Nachtgleichen- 
feier des  grossen  Pythischen  Kampfspielritus,  kraft  dessen  Apollon  alljähr- 


^)  von  craii,  Blut,  und  del,  dyl  ;dylid,  dyliad;  Schuld,  Schuldigkeit. 

•■"*)  Buch  der  Dichtung  S.  104  und  170.  Durch  den  ihm  gewöhnlich  beigelegten  Namen 
IJudd  mawr  „grosses  Heer"  wird  König  Lyr  mit  der  .'ifiSfachen  Gesammtzahl  und  jahresmässigen 
Heerschaar  der  Gwautodin.  sowie  durch  den  Beinamen  „Becherhand"  mit  ihrem  Jahresschmaus 
vereinbart,  (wahrend  der  Name  Llyr  wol  unmittelbar  gleichbedeutend  ist  mit  dem  (umgekehrten), 
im  Namen  Con-rhii  erhaltenen  „ril  .Jahr"). 

'*)  s.  Welcker  (ir.  GL.  L  pg.  473:  und  vgl.  als  weiteren  Belag  für  diese  alte  Zweitheilung 
des  .Jahres,  die  Zweizahl  der  Amycläischen  Chariten  (Pausan.  III,  18,  4):  während  andererseits 
die  Dreizahl  der  Söhne  des  Amyklas-Apollon  (Argalos,  Kynortas,  Hyakinthos)  bereits  auf  die 
(jüngere)  Dreitheilung  hinweist.  Dass  aber  der  so  religionsgeschichtlich  vereinbarte  Apollou- 
Amyklas  im  Hyakinthos  seinen  eignen  Sohn  tödtet,  i.st  auch  noch  desshall»  bedeutsam,  weil  es 
uns  die  schönen  keltisch- persi.sch -germanischen  Sagen  von  Guchulain  und  Conmaol,  Rustam 
und  Sohreb  und  Hildebrand  und  Uadubrat  erklären  hilft. 


Die  Sieben  vor  Tiieben  und  die  chaldäische  Woche.  131 

lieh,  —oder  später  iiuch,  mit  Uebertragung  auf  die  Octaeteris,  jede«  neunte  Jahr-  - 
festlich  wiederkehrt,  um  die  zurückgelegte  und  überwundene  Frist  in  Gestalt  eines 
Drachen,  —  d.  i.  wol  ursprünglich  nur  einer  thierischen,  mit  der  nächtigen  Del- 
phyne  vereinbarten  Verkörperung  des  chronologischen  Hormos''^  —  ^^  erlegen 
und  durch  diesen  Sieg  das  Gleichgewicht  des  Jahres  -  -  oder  des  ausgeglicheneu 
octaeterischen  Kyklos     -    wiederherzustellen;  —  und  endlich  drittens 

c)  die  grosse  weitverbreitete,  bis  in  die  christliche  Aera  fortdauernde  — 
auch  bald  herbstliche,  bald  frühlingsraässige  —  Nachtgleichenfeier  der  Adon  ien , 
eine,  den  Hyakinthien  entsprechende,  drei-  oder  siebentägige  Todesfeier,  deren 
Heros,  der  schöne  Adonis,  jedoch  nicht  von  dem  Jahresgotte  Apollon  selbst, 
sondern  von  einem  bösen  Theil  des  Jahres,  dem  —  bald  feurigen,  bald 
ßnstern  —  Ares,  ermordet,  von  der  Zeit-  und  Jahresgottheit  aber,  in  Gestalt 
einer  liebenden  Aphrodite,  zärtlich  vermisst,  gesucht,  gefunden  und  bejammert 
wird,  um  endlich  am  vierten  oder  achten  Tag  als  ein  heidnischer  Ostergott 
siegreich  wieder  aufzuerstehen 3*^),  -  eine  Todes-  und  Auferstehungsfeier  des 
Zweijahreszeitenwechsels,  die  uns  unter  einer  ganz  ähnlichen,  aber  dreizeitigen 
Gestalt,  auch  sofort  in  einem  bekannten  altägyptischen  Ritus  und  Mythus 
wiederbegegnen  wird. 

13.  Gomerische  Triemerie. 

Unter  den,  durch  solche  Beispiele  mehr  oder  minder  historisch  be- 
glaubigten, verschiedenartigen  Zeitwechselkämpfen  aber  von  ganz  besonderer 
mythologischer  Wichtigkeit  ist  noch  eine  Art,  die  sich  zwar  (meines  Wissens) 
nicht  durch  historische  Angaben,  wohl  aber,  neben  inneren  chronologischen, 
ethischen  und  ethnologischen  Gründen,  durch  unverkennbare  mythische  und 
rituale  Spuren  religionsgeschichtlich  herstellen  lässt,  nämlich,  der  Ritus  einer 
durch  den  ethischen  Gebrauch  und  Begriff  der  Blutrache  verknüpften 
Triemerie,  d.  i.  der  Ritus  einer  auf  die  Weise  opferkampfmässig  gebundenen 
und  je  am  dritten  (oder  vierten)  Tage  gefeierten  dreitägigen  Frist,  dass  zuerst  der 
Kämpfer  und  Vertreter  des  ersten  Tages  von  dem  des  zweiten,  dann  dieser 
wieder  von  dem  des  dritten  den  Tod  erleiden,  der  Tod  des  dritten  aber  entweder 
durch  Selbstmord,  oder  Verbrennen,  oder  lebendiges  Begräbniss  gesühnt  und 
diese  Sühnung  der  Gottheit  als  ein  Opfer  für  die  dreitägige  Gesammtfrist 
dargebracht  werden  musste.  Die  chronologische,  sowie,  damit  zusammen- 
hängend, die  ethische  und  ethnologische  ürsprünglichkeit  dieses  Ritus  beruht 


^)  Darauf  deutet  (ausser  vielen  anilern,  später  zu  erörternden  Riten  und  Mythen)  besonders 
die,  einen  parallelen  Ritus  betreffende  Stelle  in  Plutarchs  Isis,  19,  ayotvtov  ji  nnoßaköviti  tii 
i.iiaov  xmcexönrovai. 

^)  s.  Movers  Ph.  I,  UM  tV.  und  vgl.  besonders  die  Stellen  bei  Macrob.  Sat.  I,  21  uml 
Ammian  M.  XIX,  init.  -  Der  anstatt  des  Adonis  in  vielen  Gegenden  -  z.B.  in  Argos  —  ge- 
feierte Linos  (rnusan.  IX.  2!),  3.  ApoUod.  I,  3,  2.  II,  •»,  9)  drückt  seine  jahreszeitliche  Be- 
deutung schon  durch  den  Namen  (tusc  liue,  kyuir.  llene  Jahr)  aus;  entspricht  aber  durch 
seine  von  dem  .Tahresgott  ;Apollon  oder  Herakles)  selbst  vollzogene  Tödtung  vielmehr  dem 
Hyakinthos. 


132  K.  F.  Meyer: 

auf  der  logisch-numerischen  Vollkommenheit  der  Dreizahl,  dieser  aus  der  Zweiheit 
der  menschlichen  Gliederung  zuerst  frei  heraustretenden  und  als  eine  zweite 
ungerade  Eins  die  eigentliche  numcrisclie  Reihe  beginnenden  Mehrzahl  an 
sich^-'),  die,  wie  sie  nebeneinander  den  räumlichen  Begriff  der  Mitte  nebst 
beiden  Seiten  umschreibt,  so  hintereinander  den  zeitlichen  des  War,  Ist  und 
Wird,  des  Gestern,  Heute  und  Morgen,  der  Vergangenheit,  Gegenwart  und 
Zidcunft  umschliesst,  und  die  aus  diesen  chronologischen  Triaden  dann  auch 
die  ethischen  der  Ursache,  Wirkung  und  Gegenwirkung,  der  That,  Ver- 
geltung und  Wiedervergeltung,  der  Schuld,  Strafe  und  Sühne  hervorgehen 
lässl,  von  welchen  Triaden  dann  aber  wieder  die  letzte  dadui'ch  auch  ethno- 
logisch bedeutsam  erscheint  dass  sie  gewissen  kriegerischen,  namentlich 
Skythisch-Gomerischen  Völkerschaften  ein  religiöses  Mittel  bieten  konnte, 
um  der  bei  ihnen  herrschenden  Sitte  der  Geschlechterfehde  und  Leben  für 
Leben  fordernden  Blutrache**^)  eine  bestimmte  Grenze  zu  setzen.  Und  diese 
Gomerischen  Völkerschaften  sind  es  also  auch  bei  denen  wir,  auf  der  Spur 
alter  Mythen  und  Riten,  das  wirkliche  vorgeschichtliche  Vorhandensein  eines 
triemerischen  Opferkampfritus  glauben  annehmen  zu  dürfen,  und  von  denen 
ausgehend  wir  denselben  sodann,  in  mehr  oder  minder  gemilderter  Form,  sich 
auch  über  einen  Theil  der  nicht-gomerischen  alten  Welt  —  über  alle 
die  von  Gomers  und  Assurs  Schwert  nur  zeitweilig  bezwungenen  und 
unterjochten  Völker  —  ausbreiten,  und  in  der  allgemeinen  Entwickelung 
religiöser  Erkenntniss  eine  Epoche  begründen  sehen,  wo  der  Begriff  der 
chronologischen  —  sowie  davon  untrennbar,  der  theologischen  —  Gebunden- 
heit nicht  anders  gefasst  wurde  und  gefasst  werden  konnte  als  vermittelst 
eines  solchen  kriegerisch -opfermässigen  zwiefachen  Kampfes  und  dreifachen 
Todes.  Und  täuscht  uns  dieser  Blick  nicht,  so  werden  wir  dann  auch  wol 
berechtigt  sein,  in  der,  allen  Religionen,  und  besonders  der  griechischen,  an- 
haftenden grossen  Menge  anderer  chronologischer  und  ritualer  Triaden  — 
z.  ß.  den  drei  Tages-,  Nacht-  und  Jahreszeiten'*  i),  (^rei  jahreszeitlichen  Kabiren, 
(Kureten,  Dactylen,)  drei  Chariten,  Hören,  Moiren,  Erinnyen,  Musen  und  Eilei- 
thyien,  drei  Söhnen  des  Boreas,  drei  Fest-  und  Trauertagen,  drei  Opferthieren, 
Spenden  und  Libationen;  drei  Stelen  und  Stelen  weiten  der  Rennbahn  und 
drei  Gängen  im  Ringkampf*  2)  —  nicht  sowohl  unmittelbare  Wirkungen  der 
Vollkommenheit    der    Dreizahl,     als    vielmehr    Rückwirkungen     und    Ueber- 


'^)  Daher  im  Altägyptischeu  die  geschriebene  -  ursprüii.i'lich  wol  auch  gesprochene  — 
Pluralbildung  durch  Verdreifachung. 

■•")  Uol>er  die  Blutrache  bei  den  keltischen  und  keltisch-germanischen  Völkerschaften,  deren 
aifcni  luissrechte  sie  zu  Grunde  liegt,  s.  Grimm  D.  11.  A.  pag.  ü-IG  und  Walter  Alles  Wales 
pag.  i:38.  1'12:  und  vgl.  Girald.  Cambr.  Descr.  XVI 1.  Gcuns  itaquc  super  omnia  diligunt  el 
damna  sanguinis  acriter  ulciscuntur. 

*')  Ideler  I.  243  Apollod.  III,  14,  4  II.  XXI,  111,  Railly  (Ilist.  de  l'Astr.  104)  hat  sich 
diese  Dreitbeilung  des  Jahres  nicht  anders  erklären  können  als  dass  er  ihren  Ursprung  in  die 
Geschichte  der  Astronomie  antediluvienne  und  unter  den  7.)."  n.  P>.  verlegt,  wo  die  Sonne 
4  Monate  lang  unsichtbar  ist. 

*^  Welcker  Gr.  GL.  I,  53.  IH,  5. 


Die  Sieben  vor  Theben  und  die  chaldäische  Woche.  133 

tragungen  der  Triemerie  zu  erblicken,  die,  kraft  ihrer  mit  Blut  geweihten 
ritualen  Heiligkeit,  es  wol  allein  vermocht  hat  den,  für  die  Theilung  des 
Jalires  und  räumlichen  Horizontes  so  viel  natürlicheren  Begriff  der  Vierheit, 
durch  den  künstlichen,  idealen  der  Dreiheit  zu  ersetzen,  und  die  uns  dann 
also  auch  in  diesen  Rückwirkungen  ein  deutliches  historisches  Zeugniss  für 
ihr  einstmaliges  Dasein  hinterlassen  hat.  Die  alten  Sagen  aber  aus  denen 
wir  ein  rituales  und  mythisches  Zeugniss  für  dieses  Dasein  schöpfen  zu 
können  glauben  sind  namentlich  zwei:  die  ägyptische  Osiris-Seth-Horussage, 
und  die  Homerische  Palroklos-Hektor-Achilleussage:  —  jene  erstere,  die  Sage 
von  dem,  regelmässig  so  genannten  „Rächer  seines  Vaters"  Horus'*^),  der,  in 
einem,  von  dem  Tageswechsel  später  auf  den  Jahreszeitenwechsel  übertragenen, 
Kampfe  den  Tod  seines  Vaters  Osiris  an  dem  Mörder  Seth-Typhon  rächt, 
und  der  diesen  hluträcherischen  Kampf  und  Sieg  in  der  ägyptischen  Religion 
als  den  Gegenstand  nicht  nur  eines,  von  Plutarch  umständlich  erzählten  Mythos, 
sondern  auch,  wie  aus  eben  dieser  Erzählung  hervorgeht,  eines  in  den  Weihen 
und  Mysterienspielen  fortdauernd  dargestellten  Ritus  zurückgelassen  hat'**):  — 
und  zweitens,  die  wohlbekannte  Sage  von  dem  zwischen  Patroclos 
und  Hektor,  und  Hektor  und  Achilleus  gefochteuen  tödtlichen  Doppel- 
zweikampf, diesem  Kampf  der,  verschlungen  mit  verschiedenen  anderen 
chronologischen  Mythen  und  Allegorien,  den  eigentlichen  Kern  der  Ilias 
bildet,  und  dessen  ritualer  triemerischer  Ursprung  sich  in  dem  dreimaligen 
Gejagtwerden  Hektors  um  die  Stadt,  sowie  in  dem  dreimaligen  Schleifen  des 
Leichnams  um  des  Patroclos  GrabmaH^),  wahrscheinlich  auch  mythologisch 
wiedererkennen  lässt.  —  Zur  Bestätigung  und  Ergänzung  des  aus  diesen  beiden 
grossen  Sagen  zu  entnehmenden  Hinweises  aber  dient  dann  noch  eine  Reihe 
anderer,  auch  ihrerseits  wieder  aus  diesem  Zusammenhang  zu  erläuternder, 
mehr  vereinzelter  ritual- mythischer  Züge  der  griechischen  Mythologie:  und 
zwar  namentlich  die  folgenden: 

a)  Die  mit  des  Horos  Beinamen  „Rächer  seines  Vaters"  zusammen- 
stimmenden und  auf  eine  gleiche  bluträcherische  Auffassung  des  Zeitwechsels 
hinweisenden  drei  Tagesheldcn:  Tisandros  Sohn  Jasons,  Tisamenos  Sohn  des 
Orestes,  und  Tisamenos  Sohn  des  (Polyneikossohnes)  Thersandros,  —  während 
dem  Amphiaraossohn  Alkmäon,  der  den  Vater  an  der  Mutter  rächt,  eine 
Tochter  Tiai(fnri^  beigelegt  wird*^): 

b)  Der  uralte  ethische  Gottesdienst  der  TQnnnatoQeg^'^)^  dreier  Söhne 
des  Uranos  und  der  Ge  (oder  des  ältesten  Zeus  und  der  Persephone),  die 
später  vorzugsweise  als  Hüter  des  Geschlechtsweseus  {Geni  yevii^hoi,  Tuautot) 

*^)  Lepsius  Götterkr.  pg.  60. 

")  riut.  Is.  12—19.  Der  Mythos  auch  im  Todteiibueh  und  in  Sallier's  Papyrus  s.  Buuseu 
Egypt.  (II.  Ed)  I,  pg.  439. 

")  II.  XXII,  1G5.  XXIV,  \b  cl'.  Viig.  Aou.  I,  487. 

«j  Diod.  IV,  54.  -  Apollod.  II,  8,  2.  —  Pausan.  IX,  &,  8  Ili,  15,4.  -    Apollod.  III,  1. 

«)  Snid.  s.  V.  Hesyoh.  s.  v.  Anecd.  IJekk,  pg.  407.  Cic.  N.  D.  III.  :'l.  Lobeck  Aglaonbaui 
pg.   754. 


134  K.  F.  Meyer: 

und  des  Windwechsels  verehrt  wurden,  die  aber,  in  unmittelbarem  Zusammen- 
hang mit  dieser  Verehrung,  sowie  mit  dem  Namen  'i'(>iTonäxoQ6g,  ursprüng- 
lich gewiss  nichts  Anderes  bedeuteten,  als  eine  dreieinige  Verpersönlichuug 
des  an  jedem  dritten  Morgen  begangenen  bluträcherischen  (^rr.aTQMng, 
yeved-liog)  Triemeriewechsels,  nebst  dem  damit  zusammenhängenden  Wechsel 
der  Winde^^):  und  die  diese  ihre  chronologische  Bedeutung,  ausser  den  be- 
zeichneten Merkmalen,  insbesondere  noch  durch  die  verschiedenen  ihnen 
anderweitig  beigelegten  Gesammt-  und  Einzelnamen  bezeugen,  und  zwar 

a)  durch  die,  fast  immer  nur  für  chronologische  Gottheiten  gebrauchten 
Gesammtnamen  Jlogxovqol  .Avanxeg  (^'^vaxeo)  ^^Qyj]yeTai-^ 

ß^  durch  die  ihnen  (in  der  Stelle  des  Suidas)  beigelegten  Einzelnamen 
der  3  jahreszeitlichen  Heatoncheiren  (Korzog,  BQLccQsvg,   rvyrjg^'^ 

7)  durch  die  ihnen  von  den  Orphikern  beigelegten  Einzelnamen 
^A(.ialHeidi]g^  nQcozoxlijg,  IlQWTOxlaiov^  —  die  wir  wahrscheinlich  unter  der 
Form  yi(.iaXaeLÖ(xi  und  IlaTQOxloi,  als  Gesammtnamen  herzustellen  und  mit 
dem  Homerischen  Patroklos,  sowie  mit  dem  ursprünglichen  Namen  des 
Herakles  ('^^.>f£j()/;c)  in  Verbindung  zu  bringen  haben^^); 

c)  Der  gleichfalls  uralte  Gottesdienst  einer,  namentlich  auf  dem 
Korinthischen  Isthmos  verehrten  Kyklopischen  Trias^*^),  deren  kyklisch- 
chronologische  Bedeutung  sich  aus  dem  —  später  freilich  mannigfach  um- 
gedeuteten -  Namen  Kvy.lwTreg^^');  ihre  Dreizahl  aber  aus  einem  Vergleich 
mit  den  3jahreszeitlichen  gigantisch-kyklopischenHekatoncheiren  Hesiods''^)  er- 
giebt,  auf  die,  zufolge  jenes  mehrerwähnten  chronologischen  Parallelismus, 
die  triemerische  Trias  übertragen  und  dabei  zugleich  mit  der,  dem  350tägigen 
freien  Mondjahr  entspreclienden,  allegorischen  Zahl  von  je  100  Armen,  nebst 
50  Köpfen  behaftet  wurde;  während  sie  sich  in  jenem  ihrem  Korinthischen 
Heiligthum,  ihrer  ursprünglichen  kyklopisch-triemerischen  Bedeutung  gemäss, 


48)  Hes.  Erg.  550,  Hdt,  VII,  191. 

«)  Apollod.  II,  4,  12  u.  vgl.  u.  §.  23. 

=0)  Pausan.  II,  2,  2. 

•^')  Der  Name  Ki'x).mi!',  Ki'y.lwntg  d  i.  ,rundgesichtig,  nindiimscbaiiend,  nindaugig'",  be- 
zeichnete ursprünglich  wol  nur  die  (im  Texte  erwäluite),  gruppeu-  oder  mehrglicderhafte  — 
Hekateartige  —  Darstellung  einer  kyklischen  d  i.  umlaufenden  mehrfach  einigen  Zeitgottheit  — 
ausser  der  tages-  und  jahreszeitlichen  Trias  z.  13.  auch  tler  lykisch-thrakischen  Hebdomas 
(Strab.  VIII  pg.  372);  —  wurde  aber  dann,  durch  Umdeutung  des  Ausdrucks,  ein,  besonders 
aus  der  Odyssee  bekannter  Name,  für  die,  den  einäugigen  märchenhaften  Arimaspen  im  Osten 
entsprechenden,  einäugigen  Abbilder  des  untergehenden  (zischend  erlöschenden)  Tagesauges  im 
Westen:  und  ward  zugleich,  wol  mit  doppelter  Bezugnahme  auf  die  Ilekatoucheiren  und  auf  die 
kyklopischen  Bauwerke  der  lykisch-thrakischen  Ilcitdoraas  (vgl.  u.  §.  18),  ein  Name  für  die  riesigen 
.Schmiedegehülfen  des  Zeus  und  llephästos.  Auf  cigenthümliche  Weise  versinnbildlicht  findet 
sich  der  Begriff  des  dreifacheinigeu  Zeitumlaufs  in  dem  einen,  umlaufend  gebrauchten  Auge 
und  Zahn  der  3  (nachtzeitlichen)  Gräen  (Aeschyl.  Prom.  795). 

»'*)  Hesiod  Theog.  139  ff.  592  ff.  Apollod.  I,  1,  4.  Schol.  Theokr.  I,  G5.  -  Dass,  wie  schon 
erwähnt,  in  der  Stelle  des  Suidas  (s.  v.  T(iiio7irao()eg)  die  Namen  der  3  Uekatonchiron  aucli 
den  l\inonüxonK;  beigelegt  werden,  kann  als  ein  doppelter  Beweis  für  die  ms]inn)glichc' 
triemerische  Bcdentnng  sowohl  dieser  als  der  kyklupisijien  Trias  gellen. 


Die  Sieben  vor  Theben  und  die  chaldäische  Woche.  135 

jedenfalls  auf  mehr  natürliche  Weise    als    eine  dreieinige  —   Hecateartige  — 
Gruppe  dargestellt  fand: 

d)  der,  diese  kyklopische  und  zugleich  jene  tritopatorische  Trias  in  sich 
vereinigende  Zeig  TQiionag:  ein  dreigesichtiger  —  oder  dreiäugiger  Zeus ^'O, 
dessen  altes  Xoanon  auf  der  Acropolis  Larissas  von  Pausanias  beschriehen 
und  für  seinen  Zusammenhang  mit  dem  triemerischen  Mythus  der  Ilias  noch 
durch  die  daran  haftende  Sage  besonders  bedeutsam  gemacht  wird,  dasselbe 
habe  ursprünglich,  als  uraltes  Palladium,  auf  der  Burg  von  Troja  gestanden 
und  habe  mit  seinen  drei  Augen  oder  Gesichtern  den  Priamos  neben  sich 
ermorden  sehen ^^).  Und  wieder  eine  seine  ursprüngliche  Bedeutung  be- 
stätigende Uebertragung  von  der  Triemerie  auf  den  Dreijahreszeiten  Wechsel, 
und  zwar  insbesondere  auf  den  Wechsel  der  Dreifelderwirthschaft,  hat  dann 
auch  dieser  Zeus  Triopas  erlebt,  nämlich  in  der  Gestalt  des  (schon  oben 
erwähnten)  Königs  Triopas,  Vaters  der  Aerndte  {Mr^or^ta)  und  des  Brachlandes 
(EQvaix&Mv)^  der,  nachdem  er  die  Pelasger  aus  der  Delphischen  Ebene  ver- 
trieben, wegen  dieses  seines  Sohnes  von  der  Demeter  mit  unersättlichem 
Heisshunger  gestraft,  durch  den  Verkauf  der  immer  wieder  zu  ihm  zurück- 
kehrenden Tochter  aber  von  seinem  Uebel  erlöst  wird-^^-^). 

14.  Dreifache  Triemerie  und  7täg:iges  Enneoiar:  chaldäische  Woche. 

Den  ihr  eigenthümlichen  idealen  Grundzug,  kraft  dessen  die  Gomerische 
Triemerie  wol  als  die  älteste  künstliche  Zeitrechnung  gelten  darf,  scheint 
dieselbe  aber  auch,  vermittelst  einer  weiteren  Künstlich keit,  zu  der  natürlichen 
Chronologie  des  Himmels  in  gewissen  Einklang  gesetzt  zu  haben:  nämlich, 
vermittelst  einer  in  einander  geschobenen,  jeden  dritten  Tag  wieder  zum 
ersten  machenden  Verdreifachung,  deren  Ergebniss,  das  Ttägige  Ennemar,  der 
ungefähren  Frist  einer  der  vier  Mondphasen  entspricht  und  also  auch  mit 
einer  der  natürlichen  Haupteintheilungsfristen  des  alten  Mondjahres  —  den 
50  Töchtern  Selenes  —  übereinstimmt.  Dass  nämlich  das,  in  den  alten 
Mythologieen.  insbesondere  der  griechischen,  sehr  häufig  erwähnte  und  als  eine 
heilige  Frist  bezeichnete  Ennemar  eben  vorzugsweise  eine  solche  hebdomadischo 
Bedeutung  —  die  einer  ex  tribus  Triadibus  compactae  Hebdomadis  gehabt  habe, 
dafür  spricht  sein  in  mehreren  der  Erwähnungsfälle  unverkennbares  Eintreten  an- 
statt der  Hebdomas:  z.B.  das  9tägige  Unbestattetbleiben  der  2  .  (i,  —  d.h.  mit  Ein- 
schluss  des  letzten,  festlichen  Nychthemeron  2.7  —  Niobiden  bei  Homer^ '') ;  oder, 


*3)  Dreiängip  war  der  Triopas  von  Larissa  (Pansan.  II,  24,  5),  und  dreiäugig  erscheint 
derselbe  auch  auf  Gemmen  (Panofka  Verlegene  Mythen  S.  19):  eine  dreiocsichtige,  —  dem 
:i\veigesiohtigen  Apollon  Amykliius  entsprechende  —  Darstellung  war  aber  wol  die  ältere. 

*')  Pansan.   II,  24,  5.     Schol.  Vatic.  Eurip.  Tr.  14. 

")  Diod.  V,  56.     Ilygin  Poet.  Astr.  II,  14.    Tzetz.  Lycophr.  130:3. 

*")  II.  XXIV,  6lO  (während  zugleich  die  ihxcay  der  Bestattung  auf  die  statt  des  Ennemar 
und  der  Hebdomas  eintretende  —  auch  der  Zehn-  oder  Zwanzigzahl  der  Nioldden  bei  Alkman, 
Hesiod  u.  a.  zu  Grunde  liegende  —  Decade  hinweist,     vgl.  u.  §.  45). 


136  K.  F.  Meyer  : 

die  9  Jahre  lange  Rüstezeit  der  auf  9  Fellen  (mit  je  50  Kriegern)  am 
Strand  gelagerten  7  Epigonen,  bei  Antimachus^'),  oder  die  dem  Priamos  (und 
der  Hekuba)  abwechselnd  beigelegte  Neun-  und  Siebenzahl  von  Söhnen^  ^), 
oder  das  mit  dem  Ttägigen  Schmausen  des  Odysseus  in  Aegypten  abwechselnde 
Ennemar  der  lykischen  Bewirthung  des  Bellroophontes''^):  und  dafür  spricht 
wol  auch  das  Homerisch -Hellenische  Heilighalten  der  Neunzahl  überhaupt, 
als  welches,  durch  den  eigenen  Ursprung  und  Namen  der  Zahl  kaum  gerecht- 
fertiget^"),  auf  einen  religionsgeschichtlichen  Zusammenhang  derselben  mit  der, 
alle  Religionen  mehr  oder  minder  beherrschenden,  Heiligkeit  der  Siebenzahl 
hinweist.  Und  entschieden  bestätigt  nun  wird  dieser  Zusammenhang,  und 
wird  damit  zugleich  die  Bedeutung  des  hebdomadischen  Ennemar  gerade  für 
unsere  hier  vorliegende  Untersuchung  durch  die  mannigfachen  mythischen 
Spuren  einer  ritualen  Begegnung  und  Vermengung  des  dem  Ennemar  zu 
Grunde  liegenden  triemeriscben  Opferkampfritus  mit  jeuer  anderen  Hebdomas 
die  den  eigentlichen  religionsgeschichtlichen  Gegenstand  unserer  Arbeit 
bildet  und  von  der  die  Heiligkeit  der  Siebenzahl  begründet  worden  ist,  der 
chaldäischen  Woche,  einer  Hebdomas  die,  obwohl  künstlich  gebunden  wie 
die  Triemerie,  doch,  ihrem  friedlich- vereinbarenden  Ursprung  und  Zweck 
nach,  zu  dieser  kriegerischen  Zeitordnung  im  entschiedenen  Widerspruche 
stand  und  die  desshalb  auch  die  religionsgeschichtlichen  Einwirkungen  der- 
selben nur  als  fremde  leicht  unterscheidbare  Abzeichen  in  sich  aufnehmen 
konnte.  Und  indem  wir  also  hinsichtlich  der  Erörterung  dieser  Spuren  und 
Einwirkungen  auf  den  weiteren  Verlauf  unserer  Arbeit,  —  besonders  auf  das 
Kapitel  (VIII)  über  den  eigentlichen  Thebanischen  Mythus  —  verweisen, 
wenden  wir  uns  sofort  der  Betrachtung  der  chaldäischen  Woche  selbst  zu 
und  versuchen  es  zunächst  den  dogmatisch-ritualen,  dann  den  symbolisch- 
mythologischen Umriss  einer  Einrichtung  zu  entwerfen  die  von  allen 
sittlich-religiösen  Grundlagen  menschlicher  Bildung  und  Erkenntniss  wol  als 
die  älteste  und  mächtigste  gelten  darf  und  die,  sowie  die  wesentlichsten 
Elemente  uusrer  noch  heute  fortlebenden  allgemeinen  Sittengeschichte,  so 
auch  einen  sehr  grossen  Theil  der  Mythen  und  Allegorieen,  Sagen  und 
Märchen  aller  Völker  und  Länder  ins  Dasein  gerufen  hat.  Aus  dem  vor- 
geschichtlichen Chaos  babylonischer  Völkerverwirrungen  sehen  wir  die  chal- 
däische  Woche  wie  eine  neue  Weltschöpfung,  einen  neuen  Kosmos  empor- 
steigen und  vom  fernsten  Nordosten  bis  zum  fernsten  Südwesten  für  alle 
Völker  das  Weltalter  einer  festen  himmlisch-irdischen  Gebundenheit,  einer 
um  strengen  Bande  der  Zeit  auch  den  strengen  Gebrauch  der  Zeit  lehrenden 


")  Athen.  XI.  pg.  459.     Schol.  11.  XIII,  7f;3. 

»»)  II.  XXIV.  252.     Apollod.  III,  12,  5.     Hygins  f.  90. 

s»)  0(1.  XIV.  249  (cf.  X.  81).     II.   VI,   174. 

•*")  Die  urspiüngliclie  Bedeutung  des  numeri.scbeu  Neiinvvditos  war  jcdeMfalis  die,  mit  dem 
Adjektiv  i'mjs  (lat,  novus,  d.  neu,  sauskr.  navas)  zusamincnliängoiide  ^Kiud.  Neugeborenes" 
(vgl.  das  ägypt.  p-sis  Kind,  9):  welcher  sinnliche  Begrill  denn,  mit  Bezug  auf  die  9  Monate, 
ein  collectives  Symbol  für  den  übersinnlichen  numerischen  wurde.     Vgl.  u.  §.  19. 


Die  Sieben  vor  Theben  und  die  chaldäische  Woche.  137 

Erkenntniss  befunden,  einer  Erkenntniss,  die  sich,  anstatt  des  Kriegs  und 
Menschenopfers,  vielmehr  dem  Ackerbau  und  Fruchtopfer,  dem  Haus-  und 
Gemeindewesen,  den  Künsten  und  Gewerben  zuwendet  und  deren  allgemeine 
ethische  Bedeutung  die  besondere  chronologische  der  chaldäischen  Woche 
weit  überdauert  und,  über  den  Trümmern  der  Hebdomas,  auch  dem  Kosmos 
späterer  Zeitrechnungen  zur  Grundlage  gedient  hat.  Und  da  für  eine  solche 
neue  b^rkenntniss  in  jenem  urgeschichtlichen  Weltalter  kein  Ausdruck  und 
keine  Entwicklung  möglich  war  als  nur  auf  dem  Wege  des  Ritus  und 
Mythus,  so  musste  auch  für  die  Geschichte  der  chaldäischen  Woche  die 
Mythologie,  nebst  einer  Reihe  ritualer  Bauwerke,  die  Haupturkunde  werden, 
und  dient  als  solche  nun  auch  sowohl  der  hohen  Alterthümlichkeit  als  weitereu 
weltgeschichtlichen  Verbreitetheit  jener  chaldäischen  Einrichtung  zum  mannig- 
fachen Zeugniss,  —  von  dem  achtstockigen  Thurme  Babylon^;  und  dem 
ägyptischen  Achtgötterkreis  an  bis  herab  zu  Agrippas  Pantheon  und  zum 
Kniii.i()g  raijf.ng  und  eingeborenen  Esmun  der  Neu  -  Platoniker;  von  den 
14  Niobideu,    7  Thoren   Thebens    und    7   Schwänen   Apollons   herab   zu   den 

7  Schwänen    und  7  Raben,    7  Geisslein,    7  ausgesetzten  Kindern   und  7  oder 

8  Zwergen  unsrer  deutschen  Märchenwelt;  und  von  dem  noch  heute  unter 
fast  allen  Völkern  der  Erde  lebendigen  Gebrauch  der  Woche  und  WocheuT 
taiio  bis  wieder  zurück  zu  den  7  Schöpfungstageu  der  Genesis. 


Völkerkreise  in  Afrika. 

Das  Drängen  der  Völker  nach  der  Küste,  wie  es  sich  besonders  im 
Westen  AtVika's  bemerkbar  macht,  wird  weniger  durch  centralen  Impuls,  als 
durch  peripherische  Anziehung  (in  Folge  der  Bereicherungen  durch  fremd- 
ländischen Seehandel)  veranlasst,  und  so  ist  die  Physiognomie  der  Straud- 
bewohner,  an  der  Gold-  und  Sklawenküste  sowohl,  wie  am  Gabun  und  Ogowe 
verschiedentlich  neu  umgestaltet  worden. 

Wie  überall,  liegt  der  Ausgang  der  Wanderungen  in  den  Sitzen  von 
Nomadenstämmen,  also  in  denjenigen  Localitäten ,  die  eine  unstete  Lebens- 
weise (ob  an  sich  oder  durch  den  bestehenden  Civilisationsgrad  der  jedes- 
nmligen  Bewohner)  bedingen,  und  entweder  drangen  dann  die  Eroberer  direct 
nach  dem  Meere  vor,  oder  die  Züge  dahin  waren  (wie  in  Senegambieu) 
secundäre  Folgen  der  im  Innern  veranlassten   Wanderungen. 

Der  Knotenpunct  in  den  Versehlingungen  afrikanischer  ^  ölkerzüge  bltMl)t 
uusern   Blicken  entzogen,  so  lange  sich  der  äquatoriale  Theil  des  Continentes 

Zcitsoluili  liir  Ethuologie,  Jahrgang  1875.  '^ 


138  Volkerkreise  in  Afrika. 

hinter  dem  Geheimniss  einer  terra  incognita  verschleiert,  bis  jetzt  schwebt  das 
geographische  Bild  Africa's  unconstruirbar  in  der  Luft,  unsere  elementare 
Unkenntniss  geht  so  weit,  dass  wir  noch  zwischen  dem  Gegensatze  eines 
Ja  und  Nein,  von  Schwarz  und  Weiss,  des  Negativen  und  Positiven  schwanken, 
dass  wir  bald  auf  eine  Depression  oder  doch  Plateau,  bald  auf  ein  Hoch- 
gebirge rathen.  Ersteine  Linie,  die  von  Südwesten  her  in  nordöstlicher 
Richtung  gezogen  die  Küste  Niederguinea's  mit  den  festgestellten  Puncten 
im  oberen  Nilgebiet  verbindet  und  den  Aequator  auf  etwa  dem  40"  Längen- 
grad im  Innern  Africa's  schnitte,  würde  die  Thatsachen  liefern,  um  uns  im 
Verständniss  der  orographi sehen  Wasserscheiden  zwischen  Benue,  Ogowe, 
Congo,  Zambesi  und  Bachr-el-Dschebel  das  Gesammtbild  x\frica's  abzurunden. 

Hiermit  würden  wir  auch  erst  den  Ausgang  der  Menschheitsgeschichte 
verstehen,  deren  früheste  Zeugen  auf  Afrika's  Boden  erbaut  sind,  und 
der,  wie  überaD,  unauflöslich  mit  der  topographischen  Grundlage  verwebt  ist. 
Stets  sind  es  diejenigen  Gegenden,  wo  sich  das  Leben  aus  klimatisch-  geo- 
graphischen Ursächlichkeiten  im  Wanderzustand  erhält,  die  das  Centrum  für 
Völkerwirbel  bieten,  die  Umgebung  geschichtlich  umgestaltend,  und  während 
sich  in  Asien  vornehmlich  drei  solcher  Mittelpuncte  erkennen  lassen,  fanden 
sich  in  Afrika  mehr  als  die  doppelte  Zahl,  so  dass  im  Gegensatz  zu  den 
grossen  und  mächtigen  Zügen,  mit  denen  sich  die  Geschichtswege  (den  Strichen 
der  Gebirgsketten  folgend)  in  Asien  und  Europa  dauernd  und  unauslöschlich 
eingegraben  haben,  in  Afrika  aus  kurzen  Wellenschlägen  ein  buntes  Völker- 
getümmel  entsteht,  das  dann  freilich  ebenso  rasch  vorüberrauscht,  ohne  seine 
Zeugen  zurückzulassen. 

Solche  Geschichtsstrudel  quellen  in  Afrika  von  Norden  nach  Süden,  aus 
den  maurischen  Zügen  im  El-Hodh  (auf  asiatische  Einwirkungen  in  der  Ber- 
berei  für  den  ersten  Anstoss  zurückzuführend),  dann  von  den  westlichen  und 
östlichen  Tuareg  (als  wandernder  Verwandter  ansässiger  Kabylen),  den  Avelli- 
mideu  und  Kelowi,  ferner  von  Osten  nach  Westen  aus  Dongola  und  Nubien 
in  Bakara  und  Tündjur  (mit  traditionellen  Rückweisungen  auf  Yemen),  und 
von  Westen  nach  Osten  an  den  Fellatah  oder  Fulbe. 

In  Südostafrika   zeigen   sich   die   von   den  Hochländern  Chagga's   herge- 
leiteten  Orloikob-Stämme    (der  Masai    und    Wakuafi    in   Berührung    mit    den 
Hirten  unter  den  Wakamba),   dann  ähnliche,    das  Südende   des   Tanganyika- 
Sce's  umschreitend,   von   Unyamuezi  her,    das  Binnenland  mit  den  Schrecken 
verwüstender  Zimba  oder  Jaga  füllte,  ferner  aus  den  Strichen  der  Banyai  im 
Monomotapa-Stiich    (und   den   Maravi-Ländern   am   See  Maravi  oder  Zacliaf, 
als  Nyassa  oder  Nyanja),   in   der  Beuge   des  Zambesi,   her   von  Verwandten  ■ 
der  in  Amaponda,  Amatenda  und  Amakosa  nach  Süden  vordringenden  Kaffern, 
die  mit  den   von   den  Zulu  abgezweigten  Matabelen   die  Drachenberge   durch- 
hiac.licii,    die  Makololo    aus  den    Bassuto  mit  sich   fortreissend ,    und    auf  der  ' 
Scheide  zwischen  Nord-  und  Sütlafrika  stehen  im  Osteji  die  der  (lallas,  wehln 
(mit  Danakil  nach  der  Küste  zu  und  in  Beziehungen  zu  den  Somali)  die  Beri;- 


Völkerkreise  in  Afrika.  139 

insel  Abyssinien's  umwogend  und  durchschneidend,  sich  als  Wahuma  in  die 
Seen-Regionen  erstrecken,  während  wir  im  Innern  jetzt  Aufschluss  über  das 
Centrum  zu  erhalten  haben  werden,  dessen  Effecte  sich  als  Niam-Niam  im 
Osten,  als  Faon  im  Westen  bemerkbar  macheu,  mit  eigenartigen  Beziehungen 
zur  altiigyptischen  Cultur  im  Norden,  und  im  Süden  zu  jenen  mittelafrikanischen 
Negerstaaten  der  Monbuttu,  die  uns  Schweinfurth  eröffnete,  und  jenseits  der 
Linie  des  Matua-Yaravo,  die  jetzt  in  Angriff  genommen  werden  soll.  Schon 
die  Ueberlieterungen  der  Faon  führen  auf  eine  frühere  Abhängigkeit  von  dem 
ileich  des  Muata-Yamvo,  das  (nach  Barth)  über  Bimbire  vom  Sudan  aus  (wo 
es  als  Muropue  bekannt  ist)  besucht  scheint  und  in  den,  von  den  Muruudas 
oder  Lundas  unterworfenen  Messiras  (des  Cazembe)  auf  den  Messira  zwisclieu 
Waday  und  Baghirmi  deuten. 

So  würden  sich  neben  dieser  inner-afrikanischen  noch  als  Geschichts- 
kreisungen  ergeben:  die  maravische,  die  uniamuesische,  die  äthiopische  und 
(hviin  iu  ihren  Wurzeln  bis  Asien  verzweigt,  die  sudanische,  hervorgernfeu 
durch  die  Berber  im  Norden  der  Sahara  und  nach  Yemen  hineinreichen 
Jmpulswirkungen  im  Osten,  mit  seitlichem  Wellenstoss  der  (bis  in  die  spa- 
nische Geschichte  Europa's  fühlbaren)  Marabuten  nach  dem  senegambischeu 
Mesopotamien  (und  der  Reaction  der  Fulbe  von  dort  nach  dem  untern  Lauf 
des  Niger  hin). 

Bergländer  wirken  trennend  und  in  Dialecte  zersplitternd,  wogegen  das 
anfangs  eine  noch  unebersteiglichere  Barriere  bildende  Meer  die  Küsten- 
bewohner nahe  verbindet,  wenn  der  Stamm  zum  Schiff  gehöhlt  ist,  und  ebenso 
wirkt  die  Wüste  Völker  einigend,  wenn  sie  mit  dem  Wüstenschiff,  dem 
Kamel,  durchzogen  werden  kann,  dessen  Einführung  in  Africa  Darius  zuge- 
schrieben wird. 

Wie  jetzt  berberische  (und  zeitweis  maurisch-arabische)  Stämme,  versahen 
im  Alterthum  die  Garamanten  den  Handel  zwischen  Aegypten,  Gyrenaica, 
Tripolis  und  Carthago,  und  diese  Garamanten  (auf  die  nach  Westen  hin  die 
der  Sonne  fluchenden  Ataranten  und  dann  die  Atlanten  folgten,  die  nichts 
Lebendes  assen  und  im  Traum  keine  Visionen  sahen)  waren  es,  die  (zu 
Herodot's  Zeit)  in  Phazania  (Fezzan)  äthiopische  Troglodyten  jagten,  deren 
Spi-ache  dem  Vogeigezwitscher  verglichen  wurde,  wie  die  der  Fels-Tibbu 
oder  Tibesti  (nach  Hornemann)  von  den  Bewohnern  Augila's  (von  wo  die 
Nasamonen  zu  den  Zwergen  gelangt  waren.  Baibus  besiegte  (19  a.  d.)  die 
Garamanten,  von  denen  unter  Tiberius  Gesandte  nach  Rom  kamen,  und  als 
ihre  Hauptstadt  l'ctQaiii)]  oder  Germa,  von  wo  Septimins  Flaccus  gegen  die 
Aethiopier  gezogen,  von  diesen  angegriffen  wurde,  begab  sich  Julius  Mateinus 
von  Leptis  Magna  nach  Agisymba,  unter  welcher  Bezeichnung  Ptolemäos  das 
südliche  Africa  begriff. 

Als  die  asiatische  Einwanderung  (s.  Sallusi)  sich  mit  den  Libyern  ge- 
mischt, wurdeu  die  Gaetuler,  als  jetzt  westliche  Nachbarn  der  Garamanten, 
in    die  Wüste   gedrängt,    wo    sie    zum  Tlieil    den   Königen  Numidiens  unter- 

10* 


140  Völkerkreise  in  Afrika. 

würfig  blieben,  im  Heere  Jugurtha's  als  Reiter  dienend,  und  bei  ihrem  Auf- 
stand (6  p.  d.)  in  Abhängigkeit  von  dem  mauritanischen  König  Juba  durch 
Lentulus  bskämpft  wurden.  In  ihrer  Berührung  mit  den  Negern  entstanden 
die  Melano-Gaetuler  (in  den  Schattirungen  der  Pyrrhi-Aethiopier  oder  Leuc- 
Aethiopier)  und  so  grenzten  im  Süden  an  die  Mauri  und  Pharusii  (quondam 
Persae)  oder  Pheres  (vom  Stamm  Phut),  die  mit  den  Nigritae  (den  i\iy6ii)a 
/ii/jTQoTio'Aig  am  Flusse  Nigeir)  die  Pflanzstädte  der  Tyrier  (zwischen  Cap 
Bogador  und  Senegal)  zerstörten,  die  hesperischen  Aethiopen  (Strabo),  die 
mit  den  Aethiopen  des  Nils  verbunden  wurden.  Dort  wurden  die  Blemmyer 
oder  (b.  Macrizi)  Beja  (Bischarin  und  Ababdeh)  unter  Diocletian  \rertrieben, 
als  dessen  Gouverneur  die  Nobatae  Libyeni  als  Barabra  am  Nil  ansiedelte 
und  von  den  (zu  Psammetich's  Zeit)  ausgezogenen  Automali')  oder  Sembritae 
hatten  sich  bei  Euonymitae  oder  Asmach  nordwestlich  von  Meroe  nieder- 
gelassen (mit  der  Hauptstadt  Sembobis  am  blauen  Nil),  lu  der  Ptolemäer- 
Zeit  erstreckten  sich  die  griechischen  Einflüsse  bis  Abyssinien  und  von  Addis 
führte  in  (Arrian's)  Periplus  der  erythräische  See  (I.  Jhdt.  p.  d.)  die 
Schifffahrt  nach  Azania,  worauf  jenseits  des  Cap  Gardafui  (oder  Aromata) 
noch  eine  Anzahl  von  Häfen  aufgeführt  wurden  bis  zu  Rhapta  (Quiloa)  unter 
dem  aus  Arabien  stammenden  König  Mophoritis,  der  dem  Fürsten  von  Musa 
Tribut  zahlte.  Die  Necho*  mitgetheilte  Beobachtung  der  Phoenizier,  dass 
(nach  Süden'-)  schiliend)  die  Sonne  zur  Rechten  sichtbar  gewesen,  lässt  sich 
bereits  im  Rothen  Meere  machen. 

Die  indischen  Beziehungen,  die  sich  schon  vor  den  persischen  Ansiedluugen 
(zur  Zeit  des  Islam)  an  der  Ostküste  eingeleitet  hatten  und  in  den  Bauyanen 
fortdauern,  beeinflussteu  die  Südhälfte  des  Continents  (während  die  Nordhälfte 
von  semitischen  Händlern  durchzogen  wurde,  so  dass  Duncan  Kaufleute  aus 
Tripolis  und  Adafudia  antraf),  während  dann  hier  zugleich  die  politischen 
Verhältnisse  mächtig  durchgreifende  Wirkungen  übten. 

Auch  nachdem  Ibn  Chauschab  in  Sana  die  Lehren  des  Ismaeliteu 
Abdallah-ibn-Maimnn  gepredigt  und  der  Mahdi  die  Dynastie  der  Fatimiden 
(909  \).  d.)  gegründet,  erneuerte  sich  vielfach  der  (bei  dem  Aufstaude  gegen 
Abdarrachman  bis  Paderborn  wiedertönende)  Streit  zwischen  den  einst  auf 
der  Wiese  Rahit  siegreichen  Kelbiten  oder  Jemeniten  und  den  Kaisiten,   be- 


')  hl  der  Cyrenaica  lag  die  Festung  Automala  in  der  Nähe  der  durch  die  Kinder  fressenden 
Lamieii  bewohnten  Uöhlen.  Die  Insel  Antolata  (Madeira)  war  (nach  Ptolemiios)  von  den  Fortu- 
natae  (oder  Canaren)  verschieden  (als  Junonis  insuia). 

2)  Methold  schreibt  (von  den  Chinesen),  dat  derselvet  Ileerschappy  sij^li  heeft  uytgestreckt  tot 
at;n  t'  Eyland  Madagascar  (s.  de  Vries).  Garcia  findet  Kutay  (China)  in  l^uito,  Japan  in  Chia]»;« 
und  Kaoli  (Kerea)  wie  Cari  in  Popayaii.  Aus  Mexico  schatft  man  jetzt  alle  Japanesen  hinweg 
(wegen  der  christlichen  Verfoig-unggen  in  Japan),  wogegen  den  Chinesen  der  Aufenthalt  in 
Mexico  nnd  besondens  in  Manila  erlaubt  wird  (s.  Ehud  Nicolai),  1G19.  Like  the  Ciiinese,  tiiey 
iiüitate  iiterally  anytliing  tliut  is  giveii  theui  to  do  ',s.  Mayne)  die  ilaidah.  The  Indian  mode 
of  danciiig  bears  u  stränge  rcseuiblauce  to  that  in  use  among  the  Chinese  (Poole)  auf  Queen- 
Charlottu  Islands  (sehr  dem  Spiel  ergeben).  Nach  Uomara  wurden  in  (^uivira  (/u  ('ortes'  Zeit 
grosse  sjchiffe  gesehen. 


Völkerkreise  in  Afrika.  141 

sonders  als  Khalif  Hischam  den  Kaisiten  Obaidallali  zum  Statthalter  in  Afrika 
ernannte,  wo  die  Berber  mit  den  Jemeniten  sympathisirten,  die  im  aufrich- 
tigeren Keligionseifer  die  Bekehrung  höher  anschlugen,  als  die  Steuerzahlung 
der  Ungläubigen.  Als  die  Reste  der  in  Ceuta  eingeschlossenen  Armee  Bal- 
dasli's  von  Abdelmelik  nach  Spanien  übergeführt  waren,  verbreitete  sich  auch 
dahin  der  Aufstand  der  Berber  und  es  waren  von  den  Gränzen  der  Neger- 
länder IJergewanderte,  die  unter  Jusuf-ibn-Teschufin  (1086  p.  d.)  Alfons  VI,, 
den  Kaiser  von  Leon  und  Kastilien,  bei  Sacralias  (in  der  Nähe  von  Badajoz) 
besiegten,  als  Almoraviden  oder  Marabuten. 

Als  Imame  unter  den  Tuaregh  angetroffen,  bilden  die  Marabus  aus  anda- 
lusischen  Arabern  (Mauren)  oder  Taggarin,  wie  sie  (1492)  bei  der  Ver- 
treibung aus  Spanien  nach  Marocco  kamen,  Dörfer  (s.  Aucapitaine)  unter 
den  Beduinen  oder  Bedewin  im  südlichen  Atlas  (als  Araber  der  Wüste)  und 
in  Senegambien  verknüpft  sich  die  Geschichte  der  Marabuten  löit  der  der 
Mandingo  oder  Soninkie,  von  denen  die  Kanori  oder  Bornauie  als  Kaninkie 
bezeichnet  werden. 

Für  die  vielgestaltigen  Mandingo  ist  der  Ausgang  vom  Lande  der  von 
dem  (Morba  oder  More-ba  betitelten)  Fürsten  Woghodogo's  beherrschten 
Moni  oder  More  zu  suchen,  die  mit  den  Gurma  (Reste  der  Garamanten,  die 
sonst  in  den  Teda's  gesucht  werden)  im  Nordosten  und  den  Tombo  im  Nord- 
westen zwischen  dem  Niger  (im  Norden)  und  östlichen  Mandingo  oder  Wan- 
garaua  (im  Süden)  am  obern  Niger  herrschten,  bis  von  den  Bambara  (der 
Mandingo)  und  den  Sonrhay  vertrieben  (s.  Barth).  Duncan  fand  eine  Be- 
völkerung von  Mandingo  oder  Fulfulde  auf  dem  Wege  von  Abome  nach  Ada- 
fudia.  Auf  dem  Wege  von  dem  (mit  Kumassie  im  Verkehr  stehendem^ 
Handelsort  8salga  oder  Sselga,  wohin  (durch  das  Gurma-Land)  eine  Handels- 
strasse nach  Komba  (am  Niger)  führt,  nach  Tanera  oder  Tangrera,  liegt  Kong 
(von  Wangara  oder  Mandingo  bewohnt).  Im  Bündniss  mit  Marocco  dehnt 
Manssa  Musa  (König  von  Melle)  seine  Eroberungen  aus  an  beiden  Seiten 
des  Niger  (1311  p.  d.) 

Die  Ssenhadja  (nach  Verbreitung  des  Islam)  erobern  Ghanata  (1076  p.  d.), 
das  dann  von  den  Ssussu  (1203  p.  d.)  besetzt,  von  den  Madingo  (Wakore 
oder  Sserracolet  Melle's  (unter  Mari  djatah)  erobert  wird  (1235  p.  d.).  mit 
Ssussu  verwandt.  Unter  Tilutan  (Häuptling  der  Lemtuma)  vereinigt  Abubekr 
ben  Oman  die  Berber  der  Ssenhadscha,  um  die  Saraceneu  Marocco's  durch 
die  Almoraviden  zu  vertreiben  (1056  p.  d.)  bis  zur  Herrschaft  der  Almohaden 
(1126  p.  d.)  Als  zu  den  sieben  Stämmen  (Branis')  gehörig,  bildeten  die 
Senhadja  die  Rivalen  der  Zenata  unter  den  vier  Stämmen  (Madre's).  Obwohl 
berberischen  Ursprungs  gelten  die  Senagha  oder  Senhadscha  auf  Grund  der 
Sprache  für  Araber  (s.  Barth)  am  Tagaret.  Die  Berberischen  Stämme  (der 
Senagha  der  Ssenhadscha),  als  ursprüngliche  Bewohner  der  westlichen  Wüste, 
wurden  (in  Baghena,  El-Hodh,  Taganet,  Aderer,  El  Gibiah,  Schemmamah, 
Magh-ter,  Tiriss,   El   Gada,   Asemmur,  El  Haha,  Ergschesch,   Gidi  u.  s.  w.) 


1  42  Völkerkreise  in  Afrika. 

durch  die  (aus  dem  Süden  Marocco's  nnd  Algeriens  herbeigezogenen  Araber- 
Stiimme  (Ode's  ben  Hassan  ben  Akil  aus  dem  Stamm  der  Rhatafan  ixler 
Gliatafan,  von  Egypten  hergeleitet)  zurückgedrängt  oder  unterworfen  (s.  Barth). 
Die  berberischen  Bewohner  der  westlichen  Wüsten  (seit  dem  VIII.  Jhdt.  p.  d.) 
wurden  (seit  Ende  des  XV.  Jhdt.  p.  d.)  durch  die  im  Süden  Marocco's  und 
Algerlen's  ansässigen  Araber-Stämme  zurückgedrängt,  so  dass  sich  seitdem 
vier  Klassen  unterscheiden  (s.  Barth),  die  freien  Krieger  (Arab  oder  Hharar), 
die  Suaie  (die  freien  Gemeinen),  die  Choddeman  oder  Lahme  (die  Unterworfenen) 
und  die  Hawatin  oder  Mischlinge  (Abkömmlinge  befreiter  Araber).  In  den 
Oasen  der  Landschait  Draa  (östlich  von  Dschemla  oder  Num)  leben  Berber 
und  Neger  (während  südlich  von  der  grossen  Wüste  Araber  Karaeele  füj*  den 
Handel  liefern).  Die  Provinz  Tefilet  ist  von  Scherif  bewohnt.  Die  Schelluk 
(Kabylen  Algeriens  oder  Zuaven  Tunesien's)  oder  Amasigh  (im  nördlichen 
Atlas,  zu  denen  die  Riffins  am  Rif  gehören)  sind  meist  vom  Sultan  von 
Marocco  abhängig.  Die  Rcgyan  (in  der  Oase  Tuat)  kämpfen  mit  den  Tuarek. 
In  den  Ksor  (Dörfern)  der  Oasengruppe  Tidikelt  (mit  Jusalah)  wird  bald 
berberisch  bald  arabisch  gesprochen.  In  Ghadames  (zu  Tripolis  gehörig) 
wird  berberisch  gesprochen  (mit  den  Sklaven  das  Haaussa).  In  Udjila  wird 
berberisch  gesprochen  (in  Siva  das  Arabische  nur  wenig  verstanden).  Das 
Innere  der  Hochebene  von  Ain-esh-Schehad  oder  Cyrene  mit  dem  Hafen 
F^enghazi  (zwischen  dem  und  Tripolis  sich  die  Weidelandschalten  der  grossen 
Syrten  mit  Salzsümpfen  durchziehen)  nomadisiren  Araber-Stämme.  Der  ara- 
bische Stamm  der  Tadjakant,  der  zur  Himjaritischen  Familie  gerechnet  wird, 
versieht  den  Handel  zwischen  E'Sahel  oder  West-Marocco  und  Timbuctu. 
Von  der  Wüste  gehört  die  westliche  (Sahel  oder  Sahara  Sahel)  den  Mauren, 
die  mittlere  den  Tuaregh  oder  Imoscharh  und  die  östliche  den  Teda  Fezzans 
(zu  Tripolis  gehörig)  oder  Phazania  (mit  Murzuk).  Der  Sultan  von  Air  (in 
Agades^  herrscht  über  die  Kel-owid,  als  Haupt  der  Tuareg  mit  Tinylkum 
(von  Kyrene  nach  Fezzan  gedrängt)',  mit  Imorschash  von  Rhat  oder  Asgar 
und  Hogar  (des  Hauarstammes),  mit  Auelimmiden  (aus  Tademakket)  und 
Kelgeress  (aur  Itissan).  Unter  den  Tuareg  oder  Imo-sharh  verdrängten  die 
Auelimminiden  oder  Lamta,  welche  (bei  Igidi)  neben  den  Uelad  Delem 
(maurischer  Stamm  mit  Berber- Elementen)  wohnten,  die  Tademekket  aus 
Aderar  (nordöstlich  von  Gogo)  zum  Theil  bis  Bambara.  Die  Auelimminiden 
eroberten  (1770  p.  d.)  Gogo,  die  (von  den  Ruraa  beherrschte)  Hauptstadt 
Sonrhay  ,  die  zur  Gober-Rasse  gehörigen  Bewohner  von  Air  oder  Asbem 
wurden  von  den  erobernd  von  Nordwesten  (aus  dem  Stamm  der  Auraghen) 
eindringenden  Kelowi  besiegt.  Die  Uelad  Sliman  beraubten  die  Salzkarawanen 
der  Kelowi,  bis  sich  diese  von  Air  oder  Asben  aus  dagegen  gemeinsam  er- 
hoben. Die  (nach  Lucas)  an  Tripolis  Krieg  erklärenden  Waled  Sliman 
(Herren  des  Landes  von  Tripolis  bis  Fezzan)  waren  (zu  Lyon's  Zeit)  durch 
den  Pascha  (während  ein  Theil  ihrer  Macht  sich  auf  einem  Zuge  gegen 
Aegypten  befand)  zerstreut  (162ä).     Vertrieben  aus   den  Wohnsitzen   an  der 


Völkerkreise  in  Afrika.  143 

Syrte  weilten  die  Uelarl  Sliraiin  oder  (in  Kunera)  Minneminne  (Mene-mene 
oder  Fressei)  im  alten  Königreich  Kanem  (mit  Kel-owi  kämpfend),  wie  sich 
die  Uchid  Ammer  oder  Ludaraar  auf  den  Trümmern  des  Reiches  Melle  nieder- 
gelassen (s.  Barth).  Die  Uelad  Sliman  (in  Borku)  wnrden  durch  Zuzüge  der 
Mgharba  (aus  ßarka)  verstärkt  (Nachtigal).  In  ihrer  weiten  Versprengung 
durch  den  Sudan  mögen  auch  die  Uelad  Sliman  in  die  Nähe  des  Zwerglandes 
gerathen,  wie  die  (nach  Strabo)  an  der  grossen  Syrte  nomadisirenden  Nasi- 
monen  oder  (bei  Plinius)  Mesamonen,  die  (zu  Herodot's  Zeit)  Augila  in  der 
Dattelernte  besuchten. 

Nach  Leo  Africanus  leiteten  sich  die  Bornu-Könige  der  Kanori  oder  (in 
Haonosa)  Ba-berbertsche  (s.  Barth)  von  dem  libyschen  Stamm  der  Berdora 
(unter  den  Wüsten-Berbern),  während  Ssaef  (Stifter  der  Bornu-Dynastie)  auf 
Ssaef  Dhu  Yasam,  letzten  König  des  himyaritischen  Reiches  (der  mit  Hülfe  des 
Chosru  Parvis  die  Abyssinier  vertrieb)  zurückgeführt  wird.  Ein  Theil  vom  Heere 
des  Edriss  Alaoma  (worin  die  Rothen  oder  El-Ahkmar  und  Schwarzen  oder 
Es-Sud  unterschieden  werden)  war  aus  dem  Bcrberstam  m(Kabail  el  Beraber 
zusammengesetzt.  Ssaef  (aus  Mekka)  kam  (als  Stifter  des  Reichs  Bornu) 
nach  Kanem  (von  wo  unter  seinen  Nachfolgern  die  Bulala  (der  Fürstenfamilie 
Kanem's  verwandt)  aus  dem  von  Kukia  gestifteten  Reiche  vordrangen  und 
zwangen,  die  Residenz  nach  Bornu  zu  verlegen  (Ende  des  XW.  Jhdts.  p.  d.) 

Die  Häuptlinge  in  Baghirmi  (unter  dem  Banga  oder  König)  heissen  Barma 
(Barth).  Birni  oder  Karnak  ist  die  Hauptstadt  von  Logone  (unter  den  Massa). 
Biram's  Enkel  Bauu  gründete  die  sechs  Haussastaaten  (neben  Biram).  Bramas 
hatte  sich  in  Loango  erhalten.  Biram,  Enkel  Baua's,  gründete  Biram  unter 
den  Haussa,  denen  der  Stamm  Gober  (bei  der  Einwanderung)  als  edelster 
galt,  und  zu  den  (neben  der  von  Bornu's  Sklaven  stammenden  Bevölkerung) 
ächten  ■ ;  aussa-Staaten  wurde  von  den  sieben  unächten  (die  Banoa  bokeu) 
Nyie  und  Yoruba  gefügt.  Ibrahim  Madji,  König  von  Katsena  (von  Komayo 
gegründet)  wurde  zum  Islam  bekehrt  (1543  p.  d.)  in  Haussa,  von  den 
Fulba  (1807)  unterworfen.  Die  Haussa-Sprache  schliesst  sich  der  Syrisch- 
ali-ikanischen  Gruppe  an,  während  das  Kanori  den  Turauischen  Sprachen  sich 
nähert  (Barth).  Biram  gilt  als  der  älteste  Sitz  des  Haussa- Volkes  (in  dem 
die  Kano  mit  ßornu-Elementen  gemischt  sind),  von  dem  der  Gober-Stamm 
früher  weiter  nach  Norden  wohnte  (s.  Barth).  15auu,  Sohn  des  Karbagar» 
(Sohn  des  Biram)  gründete  die  Haussa-Staaten  durch  Zwillingspaare,  deren 
Mutter  dem  Berber-Stamm  der  Deggara  angehörte. 

In  Daura  (dem  erst  gegründeten  der  Haussa-Staaten)  wurde  die  heidnische 
Gottheit  Dodo  erschlagen  (bei  Einführung  des  Islam).  Unter  den  Nachfolgern 
Komayo's  (Gründer  Katsenas  in  Haussa)  wurde  Sanäu  von  Koräu  aus  Yen- 
datu  (an  den  Grenzen  Aschanti's)  gestürzt,  und  von  der  neu  gestifteten 
Dynastie  wnirde  (nachdem  Katsena  durch  den  Sonrhay-König  Hady  Mohamed 
Askia  zeitweis  unterworfen  worden  war)  Ihrahim  Madji  durch  Mohamed  ben 
Abd  el  Kerim   zum  Islam  bekehrt  (1543),  worauf  die  Habe  eine  neue  Dynastie 


144  Völkerkreise  in  Afrika. 

gründete  bis  zu  den  Eroberungen  der  Fulbe  (1807).  Sa  Alayamin  (Sa  el 
Ytnieri)  gründete  (VII.  Jhdt.  p.  d.)  in  Kukia  oder  Gotschia  die  Sa-Dynaslie 
(Sonrhay's)  worauf  Ssonui  Ali  (1468  p.  d.)  Timbuktu  errberte.  Die  Nach- 
kommen der  vom  Kaiser  Marocco's  unter  dem  Eunuchen  Mulai  Hamed  gegen 
Sonrhai  (1581)  p.  d.)  gesandten  ßuma  (Schützen)  oder  (s.  Raffenel)  Arania 
bilden  einen  Theil  der  eingeborenen  Bevölkerung  in  den  Städten  Sonrhay's 
(s.  Barth). 

Nach  Makrizi  war  der  König  von  Kanem  (von  den  Berbern  stammend) 
ein  Nomade  oder  Wanderer.  Die  Bulala  in  Kanem  stützten  sich  auf  die  Teda 
bei  Gründung  des  Reiches  Gaoga,  das  sich  (zu  Leo's  Zeit)  bis  Dongola  er- 
streckte. Die  (zur  Zeit  Leo's)  ihre  ui'sprüngliche  Sprache  (das  Kannori) 
redenden  Bulala  haben,  unter  der  Völkerschaft  der  am  Batha  und  Fittri  an- 
gesiedelten Kula  sich  niederlassend,  das  Idiom  des  von  ihnen  beherrschten 
Volkes,  der  Kuka,  angenommen  (s.  Barth).  Die  Kanembu  haben  sich  (aus 
Furcht  vor  den  Wadai  und  den  Arabern)  in's  Innere  der  grossen  Lagune 
zurückgezogen.  Aus  Kanem  gründeten  die  Bulala  (unter  Djul)  im  Gebiete 
des  Stammes  Kuka  ein  Reich  (bis  Darfur)  mit  der  Hauptstadt  Schebina 
(s.  Barth),  wohin  die  Baghirmi  (unter  Dokko  von  Kenga)  über  die  Länder 
der  Dohr  (aus  Yemen)  einwanderten.  Nach  Schweinfurth  sind  die  Mosgu, 
oder  Massastämme,  den  Wandala  und  Loggo  den  Bongo  (Dohr)  verwandt. 
Nach  Barth  ist  die  Sprache  der  Baghirmi  mit  der  der  Dohr  verwandt,  sowie 
(nach  Nachtigal)  mit  der  der  Sana  von  Schari.  Die  Kytsh  bilden  einen  an 
den  Sümpfen  verkommenen  Stamm. 

Die  Stifter  der  Haussa- Staaten  führen  in   ihren   Titeln    auf  Brama    oder 
am    Abrahund    als    vor-mohamedanischen    Propheten^)  und  Stammherr.     Der 


')  Wenn  Mohamed  eine  Ofl'enbarun^  empfing-,  war  es  ihm  bald,  als  oh  ein  Mann  erschien, 
der  zu  ihm  sprach,  bald  klang  es  wie  eine  Glocke  (nach  Harith  Ebn  Hisham)  [Java|.  Um  das 
Versprechen  seines  Bniders  Sidi  Mohammed  um  Abhülfe  der  Dürre  zu  erfüllen,  hatte  8idi 
Aissa  im  vieraen  Himmel  mit  dem  den  Regen  zurückhaltenden  Engel  zu  kämi)fen  und  zeigte 
beim  Oeffuen  der  Moschee,  worin  er  verschlossen  geblieben,  seinen  gebrochenen  Arm  (in  Meknes). 
Der  höchste  Zustand  der  Extase,  die  Versenkung  in  den  Oceun  der  Gottesanschauung  (shohud) 
wird  bei  den  Sufys  Vernichtung  (fana-uirvana)  genannt  (s.  Kremer).  Als  die  beim  Baden  über- 
raschte Outayi  bei  Ausziehen  des  weissen  llaares  in  den  Himmel  zurückgenommen  war,  stieg 
Kasimbaha  mit  seinem  Sohn  (nach  den  Bantik)  auf  einen  Busih,  dem  eine  Ratte  die  Dornen 
allgefressen,'  hinauf  (s.  van  Spreeuwenberg).  Von  Parapati-si-Ratang  und  Kei-Tommangongan, 
den  Gefährten  N'oah's  stammend,  zogen  die  Malayen  von  der  Insel  Langkapura  nach  Si-GantauK 
und  dann  nach  Priaugan,  der  Hauptstadt  Manangkabau's  (s.  Rigg).  Die  Bewohner  von  Si-Maion 
(Mog-island)  stammen  von  einer  nach  Majapaliit  verbannten  Frau  und  einem  Hunde  (s.  Backer). 
Mithro-Drukhs  oder  Beliiger  Mithra's  hiesseu  die  durch  Sünden  gegen  die  Sonne  Erkrankten 
(hei  den  l'arsi).  Gabriel,  zu  Ali  gesandt,  wandte  sich,  dtirch  Familienähnlichkeit  getäuscht, 
an  Mohamed  (nach  den  Garabis).  Die  vor  dem  Körper  existirende  Seele  ist  in  demselben,  wie 
ein  Vogel  im  Käfig,  eingeschlossen  (nach  den  Öhadili).  Die  durch  den  Gott  Katjanggaboulan, 
ilen  Mahatara  zum  Trost  des  (durch  das  Spiel  verarmten)  Radja  Pahit  gesandt,  aus  derjenigen 
Erde,  womit  Mahatara  den  Mond  gebildet,  verfertigten  Waffen  belebten  sich  bei  dem  unter  den 
Arbeitern  ansgebrocheneu  Streit  und  flohen  als  Dayak  (Borneo's)  in  die  Wälder  (s.  Hacker). 
Nachdem  Lmibou-Laugi  die  auf  die  Erde  gesetzten  Söhne  in  den  Himmel  zurückgenommen, 
verblieben  deren  Nachkommen,  weil  sie  gesündigt,   auf  den  Nyas-Inselu  (s.  Backer),    Bei  Panini 


Vskerkreise  in  Afrika.  145 

Gerbergt'selle  (in  Norfolk)  nannte  die  Ermordung  seiner  Kinder  (auf  Gottes 
Geheiss)  nur  Abraham's  0|)fer  (1844),  wie  der  von  Friedrich  M.  in  s  Irren- 
haus geschickte  Schäfer. 

Bei  wunderbarer  Einbildung  sind  Gespenster  oft  die  Ursachen  von  Wir- 
kungen   auf   den    Körper     (nach   Zimmermann),     wobei     „nichts    gerährlicher 
ist,    als   grosse   daher    entstehende    Geschwulst-Entzündungen   der  Oberfläche 
der  Haut   und   sehr  schmerzhafte  Geschwüre  (wie  Blatternkrankheit  am  Kopf 
u.  dgl.  m.)      Durch   Fixirung    der    Vorstellungen    auf    bestimmte   Stellen  des 
Leibes  bringt  die  Phantasie  nicht    nur    Schmerzen,    sondern    blaue    Flecken, 
Geschwülste,  ja  selbst  äussere  Schäden  und  Wunden  hervor  (s.  Ennemoser). 
Durch    psychische  Eindrücke  geschehene  Abbildungen  an  der  äusseren  Haut 
„und  die  medicinische  Geschichte  liefert  mehrfache  Beispiele,    dass  auf  den 
Hautstellen  durch  blosse  scharf  dahin  gerichtete  Gedanken  von   Verletzungen 
diese  wirklich  entstanden".    Jacobus  de  Voragine  führt  die  glühende  Phantasie 
des  Franciscus    als  die  erste  der  fünf  Ursachen  seiner  Wundmale  an  (XHI. 
Jhdt.)    Die  Bulle  Sixtus  IV.  erkannte  die  Wundmale  nur  dem  hlg.  Franciscus 
zu,    als  von  den  Dominicanern  die  hlg.  Katharina  von  Siena  entgegengestellt 
werden    sollte.      Die    Phantasie   schafft  sich  die  Bilder  der  Contemplation  in 
den  frommen  Gemüthern  zu  blendenden  Gestalten,  die  in  der  That  hier  eine 
plastische    Festigkeit    in    dem    Leibe    ausgebildet    erhalten    (s.    Ennemoser). 
„Weit  entfernt  von   Wundern,  ist  es  überall  ein  rein  physiologischer  Process, 
dem  nur  eine  psychische  Ursache  zu  Grunde  liegt."     Als  sie  einst  die  Krö- 
nung  Christi   mit    Dornen    beherzigte,    schwoll    ihr   Haupt  in  der  Gluth  des 
Mitgefühls    übermässig    auf    (Maria    Hueber's).       „An   Händen    und    Füssen 
fuhren    ihr    oft    grosse   Beulen    auf  in  der  Betrachtung  der  Hand-  und  Fuss- 
wunden  Christi".    Bei  Giovanna  della  Croce  (der  bei  Betrachtung  von  Christi 
Todesschmerz  das  Haupt  anschwoll)  „wuchsen  drei  Nägel  aus  dem  Stoff  der 
Nierensteine   in   die    Nieren.      Das    Bett    des    (1634)    stigmatisirten  Fräulein 
von  Mörl   (bei   Botzen)    hatte    sonderbare  Belege.      Auf   den    Leinentüchern, 
Matratzen  uud  unter  denselben,  auf  dem  Strohsack  etc.  waren  Nadeln,  Nägel, 
Glufen,  Haare  u.  s,  w.  vertheilt,  und  kaum  reinigte  man   das  Bett,    so   war  s 


wird  Samani  (des  Sama-Veda)  als  guttayah  erklärt.  A  small  franie  of  wicker  work,  hollow  ami 
in  the  shape  of  an  obelisk,  stood  in  the  centre  of  the  inner  court  (of  the  heiau  or  temple  iu 
Hawaii).  In  this.  the  priest  stationed  himself,  when  in  consnltatiou  with  the  god  (s.  Jarves). 
Der  Ucros  Chrysor  erfand  für  die  Phönicier  die  Angel  und  den  Köder.  Nach  Chardin  wurden 
in  Ispahan  stets  zwei  gesattelte  Pferde  gehalten,  eins  für  den  Imam  Mahdi,  das  andere  für  Jesus. 
To  avert  the  displeasure  of  the  divinity  and  to  counteract  the  evil  influence  of  the  sorcerers, 
regulär  dances  of  propitiation  or  deprecation  are  held,  in  which  the  whole  tribe  jougs  (in  Southern 
California).  Von  Archagathos,  Sohn  des  Agathocles,  gelangte  Euniachos  (beim  Krieg  mit  Karthago) 
Jenseits  Miltine  in  eine  aflenreiche  Gegend,  wo  die  für  heilig  gehaltenen  Affen  mit  den  Menschen 
lue  Wohnungen  theilten.  Elephautem  miuimus  Aethiops  jubet  subsidcre  in  genua  et  amluiiare 
per  funem  (s.  Seneca).  Nach  Plinius  lehrte  zuerst  der  Carthager  Hanno,  die  Elephantem  zu 
zähmen  und  zu  belasten.  Die  ersten  Elephanteu  wiu-den  Boves  lucae  genannt,  das  Rhinoceros 
(s.  Festus)  bos  Aegyptus  (dann  Flusspferde,  Seelöwen  u.  s.  w.)  Qui  unum  monumentum  vidit, 
uullum  vidit,  qui  mille  vidit,  unum  vidit  (nach  Gerhard;. 


146  Völkerkreise  in  Afrika. 

wieder  da  (Euiieinu.sL'!).  Laugin-t,  Bisclioi  von  »Soissons,  beschrieb  in  einem 
(.spitter  uulndriukten)  HucLe  das  Elieverspredien  und  die  Verheil iilhimg  der 
Marie  Ahic<j(|Uf'  (-}-  1(520),  von  der  Christus  (den  Kopf  im  ihre  Brust  gelehnt) 
ihr  ilerz  gefordert  hatte  (s.  Ideler).  In  Folge  der  Gaben  ßrohon's,  der  ersten 
Victime  (1774),  die  von  Christus  gebeten  wurde,  ihn  nicht  zu  verlassen, 
erhieh  ihr  Beichtvater  (Abbe  Garvy)  von  Christus  das  Versprechen  des  Ge- 
horsams. Man  schrieb  vormals  die  bei  so  vielen  Mädgen,  in  Italien  und 
anderswo  in  der  Harnblase  gefundenen  Stecknadeln,  Haarnadeln  und  andere 
h-emde  Körper  den  Hexen  und  dem  Teufel  auf  die  Rechnung,  da  sie  natür- 
lich durch  Bosheit  dahin  kamen  (Zimmermann).  Nach  Ennemoser  ist  es 
„nicht  so  sonderbai',  dass  man  in  Frauengemächern  öfter  Ueberfluss  au  Steck- 
nadeln antrill't". 

DruÜ'el  kannte  eine  Person  mit  blauen  Flecken  auf  dem  Rücken  in  Folge 
eines  getragenen  Geistes.  Papst  erzählt  von  einem  am  Rücken  blutenden  Mäd- 
chen, weil  ihr  Bruder  Spiessruthen  gelaufen.  Nach  Kerner  bluteten  an  dem  Kör))er 
eines  Russen,  der  aus  seinem  Verstecke  einem  Kampfe  zwischen  Kosaken 
und  Franzosen  in  Moskau  hatte  zusehen  müssen,  dieselben  Wunden,  die  ver- 
fetzt waren. 

Der  Hinzutritt  materieller  Veränderung  an  den  Theilen,  deren  sensible 
Nerven  in  der  Hypochondrie  vorzugsweise  in  Anspruch  genommen  waren, 
schliesst  sich  (in  physiologischer  Bedeutung)  an  ähnliche  Phänomene  im 
hygienen  Zustande  an  (nach  Romberg).  Lüsternheit  bewirkt  Speichelerguss, 
Ivülirung  Thränen  und  „denkt  man  sich  analoge  Einwirkungen  permanent 
und  verbunden  mit  dem  ohnehin  die  Ernährung  so  sehr  alterirenden  Einfluss 
der  Gemüthsverstimmungen,  so  dürfte  der  Hinzutritt  der  Trophoneurose  zur 
Hyperästhesie  nichts  Befremdendes  haben,  um  so  weniger,  da  mit  den  Af- 
lektionen  sensibler  Nerven  so  oft  Störung  vegetativer  Processe  beobachtet 
wird."  Petrarch  schrieb  die  Stigmatisation  des  heiligen  Franciscus  seinem 
erhöhten,  plastischem  und  religiösem  Gefühle  zu  (Ennemoser). 

An  Festtagen  des  Heilands,  am  Kreuzigungstage,  Freitags,  wird  die 
Vorstellung  lebhafter  und  das  Gemüth  noch  ergrifi'ener  sein,  und  somit  wird 
zu  solchen  Zeiten  auch  die  Blutung  begreiflicher  (aus  den  Wundmalen), 
welche  ohnehin  schon  nach  den  physiologischen  Gesetzen  der  Vegetation  und 
der  vegetativen  Reproduction  einen  periodischen  Character  annimmt  (s.  Enne- 
moser). Der  von  Budde  bemerkte  an  der  Ilandlläche  der  Katharina  von 
J'Jmraerich  um  die  Kruste  bemerkte  weisse  Fleck  (wie  eine  Lamelle  von  Klebe- 
werk) sollte;  nichts  anderes  gewesen  sein,  „als  ein  kreisförmiges  Stück  der 
Epidernjis,  welches  durch  den  Andrang  des  Blutes  und  durch  die  Turgescenz 
der  aushauchenden  Gefässe  an  diesen  Stellen  sich  losgestossen  und  mit  im 
Ausfliessen  nach  und  nach  stockendem  coagulirtem  Cruor  sich  verklebt  hatte" 
(die  farblose  liyniphe  bei  Blutschwitzen  wird  allmählig  röther).  Die  aus- 
wärtigen Aerzte,  auf  welche  der  General-Vikar  zur  Bewachung  der  Katharina 
Emmerich  gerechnet,    wurden  verhindert  hierher  zu  kommen,    und  so  erhielt 


Völkerkreise  in  Afrika.  147 

der  Dechant  Rensing  den  Auftrag,  „Männer  aus  der  hiesigen  Bürgerschaft  zu 
ersuchen,  diese  Mühe  zu  überuehruen".  Als  der  Landri'ith liehe  (Joramissair 
C.  von  liönniughausen  (1819)  Katharina  Emmerich  zu  Dühmen  sah,  hatten 
die  periodischen  Blutungen  bereits  (seitdem  eine  gerichtliche  Untersuchung 
angeordnet  war)  aufgehört.  „Die  Spuren  jener  Male  sind  noch  ülierall  deut- 
lich zu  sehen  und  erscheinen  gerade  wie  Narben  und  andere  Wunden,  welche 
mit  Eiterung  geheilt  sind."  Als  sich  (nach  mehrfachem  Verlangen  am  Freitag 
(Aug.  18)  wieder  etwas  Blut  an  der  Stirn  zeigte,  war  das  Resultat  (und  die 
einstimmige  Aussage  der  Commission),  dass  die  rothen  „Flecken  an  der  Stirn 
die  vollkommenste  Aehnlichkeit  mit  jenen  hätten,  die  man  durch  Reiben  und 
Kratzen  hervorbringen  k()nnte."  Nach  Calmet  kann  Blutigsein  des  Schweisses 
vorkommen. 

Nachdem  Maria  Domenica  Lazzari  von  ihrem  Arzt  an  Fieber  und  Hysterie 
behandelt  war  (1838),  erhielt  sie  (1834)  die  Wundmale  des  Leidens  Christi 
„auf  der  Stirn,  an  den  Händen  und  Füssen,  an  der  Seite  und  auf  dem 
Rücken."  Maria  von  Mörl  wurde  eine  Nadel  aus  dem  Kopf  und  ein  Brett- 
nagel aus  dem  linken  Fuss  gezogen  (1832).  „Die  Vorstellung  vom  Leiden 
Christi  machte  ihr  einen  empfindlichen  Schmerz"  und  (ö.  Febr.  1834)  „sah 
der  Beichtvater  von  ungefähr  frisches  Blut  au  der  Hand"  (jetzt  war's  aus). 
Der  Geist  des  Joannes  Steiulin  in  Altheim  berührte  den  Stuhl  und  hinter- 
liess  an  selbigem  ein  tiefes  Brandmal  der  ganzen  Hand  sammt  allen  Fingern 
und  Gleichen  und  verschwand  darauf  mit  solchem  Getös,  dass  man  ihu  über 
drei  Häuser  hörte  (Calmet). 

Von  der  süssen  Gewalt  geistiger  Liebe  überströmt,  wachte  Armellc  (nach 
ihrer  Wiedergeburl)  ganze  Nächte  durch  und  genoss  geruhig  die  Liebesküsse, 
womit  ihr  himmlischer  Liebhaber  sie  in  dem  geheimsten  Grunde  ihres  Herzens 
beschenkte,  endlich  bildet  sie  sich  ein,  sie  sei  ganz  mit  ihm  zusammengeflossen 
(Zimmermann).  Am  28.  Aug.  1812  sah  Katharina  Emmerich,  im  Gebet  vertieft, 
ihren  Heiland  in  Gestalt  eines  leuchtenden  Jünglings  ihr  nahen  und  mit  seiner 
Rechten  das  Kreuzeszeichen  ülter  ihrem  Leib  machen.  Von  der  Zeit  an  hatte 
sie  das  einem  Muttermale  ähnliche  Maalzeichen  eines  Kreuzes  auf  der  Mageu- 
gegeud"  (Krabbe).  Einige  Wochen  später  erhielt  sie  anf  der  Brust  das  blut- 
schwitzende Doppelkreuz  (in  der  Figur  des  Coesfelder  Kj-euzes).  Am  Ende 
des  Jahres  trat  die  Stigmatisation  ein  (am  29.  Dec,  3  Ulir  Nachmittags).  Die 
Seherin  Anna  Maria  Weiss  beschreibt  die  Gestalt  Christi  (7.  Sept.  1827). 
Das  Gesicht  war  graulich  blass,  länglich,  überhaupt  etwas  mager  und  an  die 
nationale  Form  der  jüdischen  Nation  mahnend,  der  Ausdruck  geistig  und 
würdevoll  (s.  A.  Schmidt).  Die  Anhänger  der  nach  Anfertigung  der  Messias- 
kappe oder  Wiege  (für  200  Thaler)  gestorbenen  Johanna  Southcott  (1814)  er- 
warteten ihre  Wiedergeburt  (1819).  Ezechiel  Meth  in  Langensalza  erkläi'te 
sich  (l(jl4)  für  den  Grossfürst  Michael  (Gottes  Wort)  und  sein  Schwieger- 
vater Stielfel  (Esaias  Christus)  für  den  Gott-Mensch)  (s.  Ideler).  Der  Quäker 
Nayler  zog  als  alleiniger  Sohn  Gottes  in  Bristol  ein  (165G).    Hans  Engelbrecht 


148  Völkerkreise  in  Afrika. 

von  Braunschweig  unterschrieb  sich     aU    .,Boten    des    allerhöchsten    Gottes" 

(t    K54-J). 

Als  der  Herr  in  dor  Nacht  des  4.  April  1()Ü4  mit  einer  Dornenkrone  gekom- 
riirn,  sagte  Veronica  Guiliani:  „Mein  Geliebter,  dieser  Dornen  mache  mich 
ihoilhattig,  denn  sie  sind  für  mich,  nicht  aber  für  Dich,  mein  höchstes  Gut." 
Tch  hörte  ihn  darauf  erwiedern:  „Ich  komme  eben,  um  meine  Geliebte  zu 
krönen".  Zugleich  nahm  er  sich  die  Krone  ab  und  setzte  sie  mir  auf.  So 
gross  war  der  Schmerz,  den  ich  sogleich  empfand,  dass  ich  mich  nie  erinnere, 
)•'  einen  wüthenderen  empfunden  zu  haben  und  als  ich  wieder  zu  mir  kam, 
dauerte  die  Pein  fort  (wobei  sie  betete:  Herr  bist  Du  es,  der  die  Dornen 
eintreibt,  drücke  noch  stärker  zu,  damit  ich  noch  mehr  Pein  empfinde."). 
Als  die  Schwester  Florida  Ceoli  das  Hnupt  untersuchte,  fand  sie  einen  rothen 
King  mit  "Beulen.  Später  erschien  ihr  der  Herr  in  Kiudesgestalt  und  durch- 
bohrte ihr  das  Herz  mit  einer  wie  Feuerflamme  brennenden  Lanzenspitze, 
(und  so  wurde  sie  auch  mit  der  Seitenwunde  bedacht). 

Neben  Abu-Rom  oder  Abu-Ram  (Abraham)  wurde  von  den  Sabiern  in 
llaran  seine  Frau  Sarah  verehrt,  als  Mutter  der  Erde  [Sarawati.]  Der  abys- 
sinische  Patriarch  ordinirt  die  entferntem  Bischöfe  durch  Sendung  eines 
von  ihm  aufgeblasenen  Schlauches  (s.  Krapf).  Es  hatte  die  Guyon  einen 
^solchen  Uebertluss  von  Gnade  empfangen,  dass  sie  im  buchstäblichen  Sinne 
davon  platzte  und  man  sie  aufschnüren  musste,  um  die  empfangene  Gnade 
aut  die  Umstehenden  überströmen  zu  lassen  (s.  Ideler). 

Als  Gabriela  de  Piezolu  in  Aquila  den  mit  blutender  Seitenwunde  er- 
scheinenden Erlöser  im  tiefsten  Mitgefühl  umarmte,  wurde  ihr  selbst  die  Seiten- 
wunde geöffnet.  Maria  de  Sarmiento  wurde  durch  einen  Seraph  verwundet  und 
durch  einen  solchen  mit  Pfeil  die  hlg.  Teresa  (im  Herzen).  Schwester  Angela 
delhi  Puce  wurde  mit  dem  Finger  des  Herrn  (in  Kindsgestalt)  im  Herzen 
verwundet,  Mariana  Villana  mit  einem  Pfeil.  Pietro  de  Alva  zählt  75  auf, 
die  die  vollkommene  Stigmatisation  erhalten  und  Hesse  sich  diese  Zahl  leicht 
verdoppeln  (nach  Görres)  nur  Frauen  (ausser  St.  Franciscus),  doch  sind 
auch  fliu  Männer  keineswegs  ausgeschlossen,  obwohl  bei  ihnen  die  Erscheinung 
8elten<;r  auftritt. 

Manche  Krankheiten  sind  (wie  der  Zahnschmerz)  mit  einem  sich  steigenden 
licdürfniss  nach  Schmerzen  verbunden  (s.  Steffens).  Die  Ossener  betrachteten 
(nach  Epi])haniu8)  den  heiligen  Geist  als  weiblichen  Geschlechts  (sonst  Sophia). 
Beliotjc  a  une  pretresse  qui  se  dcchire  les  epaules  avec  des  fouets,  s'enfonce 
des  couieaux  dans  les  bras  et  se  livre  ainsi  toute  sanglantc  ä  l'admiration 
des  fideles  (I).  Tiliiill)     La  pretresse  est  dite  consacerdos  du  prctre  (s.  Boissier). 

Ein  Engländer,  einer  Hinrichtung  beiwohnend,  bei  der  dem  Delinquenten 
mit  eisernen  Keulen  die  Glieder  zerschmettert  werden,  stürzte  beim  ersten 
Schlage  zusammen  und  zeigte  auf  seineu  Schienbeinen  die  blutigen  Malzeichen 
'l<s  Keulenschlages  (s.  Papst). 

An  „ßluttagen"  versetzte  sich  der  Archigallus  Einschnitte  (s.  Tertullian), 


Völkerkreise  in  Afrika.  149 

die  Priester  der  Bellona,  der  Cybele,  der  syrischen  Göttin  suchten  das 
Volk  durch  blutige  Cereuionien  aufzureizen  (s.  Boissier).  Der  lieiligen  Lut- 
gardis  war  es  oft,  als  sei  sie  am  ganzen  Leibe  mit  Blut  übergössen.  Ebenso 
verhielt  es  sich  mit  Catharina  Ricci  aus  Florenz  (f  1590).  Auch  Helena 
Brumsin  im  Kloster  Dessenhofen  (f  1285)  hatte  den  Herrn  um  die  Schmerzen 
der  Gcisselung  gebeten,  und  wurde  nun  an  an  allen  Gliedern  von  so  unaus- 
sprechlicher Pein  überfallen,  dass  sie  an  der  Erhörung  nicht  zweifeln  durfte 
(nach  Steill).  Bei  Archangela  Tardera  in  Sizilien  (1608)  zeigte  der  Leib 
„so  viele  Striemen,  Contusionen,  Ruthen-  und  Geisseischläge  und  Beulen, 
dass  es  schien,  als  werde  sie  sogleich  den  Geist  aufgeben"  (s.  Görros). 
Maria  Domenica  Lazzari  (zu  Capriani)  trug  (seit  1834)  die  Wundmale  des 
Leidens  Christi  auf  der  Stirn,  an  Händen  und  Füssen  und  an  der  Seite 
(s.  Hamberger).  Bei  den  Hexenprocessen  drückte  der  Teufel  dem  Körper 
Zeichen  auf.  Bei  Lazzari  wurden  von  ihrem  Arzt  die  schwarzen  Flecken 
auf  der  Mitte  des  Handrückens  gleich  dem  Kopf  eines  Brettnagels  beschrieben, 
und  so  bei  Celano  (als  Nägelmale),  wie  bei  Katharina  Emmerich  oder  (nach 
Lillbopp)  bei  Magdalene  von  Hadamar  (neben  den  Wundmalen  der  Doraen- 
krone).  Bei  den  Ekstatischen  am  Grabe  des  Abbe  Baris  zeigten  sich  rothe 
Flecken  an  Fänden  und  Füssen.  Als  einmal  die  (von  einem  Teufel  der 
Wollust,  einem  des  Zornes,  einem  des  Hochmuthes,  einem  der  Possen)  be- 
sessene Priorin  der  Ursulinerinnen  in  Loudun  ekstatisch  und  katalepsiit  zu 
Surin's  Füssen  niederstürzte,  erschien  auf  ihrer  Stirn  ein  Kreuz,  aus  dem 
Blut  hervordrang  (dann  blutige  Buchstaben  auf  der  Hand).  Der  Dämon 
Asmodi  gab  dem  Gesicht  der  in  Loudun  besessenen  Schwester  eignes  ein 
verzerrtes,  der  Dämon  Behert  ein  lächelndes  Ansehen  (1G35). 

Nach  Lillbop  sind  den  eingedrückten  Wundmalen  Christi  ähnliche  Er- 
scheinungen vielfach  wahrgenommen  worden,  ohne  dass  sie  für  ein  eigentliches 
Wunder  gehalten  worden  wären.  Meistens  waren  es  Frauenzimmer,  die  an 
Hysterie,  Unordnungen  der  Organe  des  Unterleibes  u. .-.  w.  litten,  bei  welchen 
im  lebendigen  Gefühl  ihnes  kränklichen  Zustandes  und  in  der  Betrachtung 
des  Leidens  Jesu,  das  exaltirte  Gemüth  auf  den  eigenen  Körper  plastisch 
zurückwirkte.  Fand  man  ein  Stigma  oder  Hexenmal  (als  empfindungslose 
Stelle),  so  wurde  auf  dieses  Zeichen  des  Teufels  die  Verurtheilung  ausgesprochen 
(in  den  Hexenprocessen).  In  der  spiritistischen  Sitzung  fand  die  nieder- 
gesetzte Commission  (in  America),  dass  die  Geräusche  von  Miss  Fox  durch 
das  Kniegelenk  producirt  wurden. 

Die  Letzte  wegen  Stigmatisation  (I80I)  Tanonisirte  ist  die  Capuzinerin 
Veronica  Guiliani  (f  1727)  in  Citta  di  Castello).  Zum  Andenken  an  die 
Stigmatisation  des  heiligen  Franciscus  ist  auf  den  17.  Sept.  ein  Fest  mit  be- 
sonderem Ofücium  angesetzt. 

Cette  passioii,  cette  Stigmatisation  sur  le  mont  Alvernia  est  lo  poiiit 
cuUniiiaiit  dt'  lliistoire  de  St.  Fiaiirois  dAssisi;  tont  est  consomme  (s.  Chavin). 
Ses  maius  et  ses  pieds   daicnt   ptMcrs  de  il(ui^  daiis  Ir  uiiliou.    los  totes  des 


150  Volkerkreise  in  Afrika. 

clous,  rondes  et  noires,  etaient  au-dedans  des  narins  et  au-dessus  des  pieds, 
les  pointes,  qui  etaient  un  })eu  longues  et  qui  paraissaient  de  l'autre  cöte, 
86  recourbaient  et  surmoutaient  le  reste  de  la  cbair,  dout  elles  sortaieut.  II 
avait  aussi  ä  son  cote  droit  une  place  rouge  (s.  Bonaventure). 

Domine  Jesu  Christe,  qui  frigescente  mundo  ad  intlammanda  corda  nostra 
tui  amoris  igue  in  carne  beatissinii  Patris  nostri  Francisci  Passionis  tuao 
Sacra  Stigmata  renovasti,  concede  propitius,  ut  ejus  meritis  et  precibus  cruceni 
jugiter  feramus  et,  dignos  fructus  poenitentiae  faciamus,  (als  Oratio  beim 
Fest  der  Stigmation  17.  Sept.).  Aperte  et  veracissima  Stigmata  dominicae 
passionis  babent  in  naribus,  pedibus  ac  latere  erzählt  Kolewink  von  dem 
Mädchen  Stina  in  Hamm  (1414)  und  ähnlich  Raynaldus  von  Gertrudis  in  Delft. 

Von  dem  an's  Kreuz  geschlagenen  Herrn  sah  die  heilige  Catharina  von 
Siena  aus  seinen  fünf  Wunden  blutige  Strahlen  nach  Händen,  Füssen  und 
Herzen  gehen.  Auf  ßaymund  s  Frage,  ob  nicht  auch  einer  der  Strahlen  gegen 
die  rechte  Seite  gegangen,  wurde  erwiedert:  „Nein,  vielmehr  zur  linken, 
zu  meinem  Herzen  hin,  denn  die  leuchtende  Linie,  von  seiner  rechten  Seite 
ausgehend,  streifte  mich  nicht  querüber,  sondern  in  grader  Richtung"  (s.  Görres) 
1370.  Bei  Veronica  Guiliani  wurden  Herz,  Hände  und  Füsse  von  Flammen- 
Strahlen  (wie  Lanze  und  Nägel)  durchzuckt.  Als  der  UrsuUi  Agri  (1592) 
die  heilige  Catharina  mit  einem  Crucifix  erschien,  hefteten  sich  ihr  die  davon 
losgelösten  Nägel  an  Hände  und  Füsse.  Aus  der  Wunde  der  Gertrud  von 
üosten  floss  täglich  siebenmal  Blut 

Bei  der  durch  die  Andeutungen  Mignon's  angeregten  Besessenheit  der 
Nonnen  in  Loudun  (die  zu  Grandier's  Verbrennung  führte)  wurde  zuweilen 
auch  der  Pater  Suriu  während  der  Exorcismen  von  dem  aus  der  (Gott  fluchenden) 
Priorin  ausfahrenden  Teufel  niedergeworfen  (1G35).  In  Mahabar  werden  die 
beim  Fest  aufgestellten  Frauen  (zur  Heilung)  nach  einander  von  Siwa  besessen, 
indem  sie  nach  allen  Seiten  ausgeschlagen  und  den  Kopf  nach  vorne  und 
hinten  bewegen,  bis  niederfallend  (1865).  In  Loudun  (1635)  schlugen  die 
I)e8e8senen  Nonnen  ihre  Beine  nach  rückwärts  und  den  Kopf  auf  die  Schul- 
tern und  Brust.  Das  Medium  citirte  (1868)  zur  Befragung  zuerst  den  Selbst- 
niördor  Dongo  (s.  Patouillet).  Die  Erklärungen  der  aus  den  Ceremouien 
der  Mysterien  gewonnenen  Eindrücke  hatte  Jeder  im  eigenen  Herzen  zu  vei- 
schliessen.  Si  quis  illas  adsequitur  continere  intra  conscientiam  tectas 
jubetur  (b.  Macrob.) 

Diejenigen  Cultusformen,  ex  quibus  animi  hominum  moveantnr,  sind  (nacli 
d(;m  Juristen  Paulus)  zu  vermeiden.  CatuU  betet  zu  Cybele,  ihn  vor  (Umi 
Aufregungen  zn  bewahren,  die  aus  ihien  Begeisterungen  fliessen. 

Um  Pastophoros  zu  werden,  niusste  man  die  Weihen  der  Isis  und  i\es 
Osiris  durchgemacht  haben.  Der  in  die  Mysterien')  der  Isis  EinzuwoihcMuh» 
wurde  vorher  (s.  Appulejus)  vom  Priester  mit  Wasser  übergössen. 

')  lllii-  i|iii  Scrapem  lolitiil  ('liiisliaiii  sunt,  vi  dcvoti  sunt,  St-iapi  (|(ii  sc  Cliiisli  t-pisi'opos 
liicuu    (scliri'il)t    lladrian;  in   Alc.N.uidi  ii-n  (s.  N'itjiiscns).      InDiixiniiis  eaiii  de  spiritu   uostro,   cum 


Völkerkreise  in  Atrika.  151 

Die  Tündjur  (aus  Dongola)  verbreiteten  sich  über  Darfur  nach  Wadai. 
Abd-el-Kerim,  der  die  heidnischen  Tündjur  in  Wadai  stürzte,  gehörte  einer 
Familie  des  Djalia  aus  der  Landschaft  Schendi  im  Nilthal,  nördlich  von 
Chartum  an,  welche  als  ihren  Stammvater  Salah  (Suleh)  Abn-Abdullahi  — 
Ibn-Abbass  anerkennen  und  daher  Abassiden  sind  (Nachtigal).  Die  (l)is 
Wadai  vordringenden)  Tündjur  hatten  sich  in  Dongola  von  dem  Aegyptischen 
Stamm  der  Batalessa  (ans  Benese)  abgetrennt. 

In  den  untern  (dichter  Bevölkerung)  sowohl  Ackerbau,  als  VVeideleben 
begünstigenden  Strichen  Kordofan's  (mit  zerstreuten  Bergklippen)  sind  vom 
Westen  her  die  (eine  Fur-Sprache  redenden)  Kundschara  eingedrungen 
(von  den  Türken  Aegypten's  besiegt).  Die  Fori  oder  Gonjar's  im 
Gebirge  des  (in  den  Ebenen  anbaufähigen)  Darfur  ziehen  zahlreiche 
ITeerden.  In  Wadai  (woher  die  Tündjur  aus  Dongola  kamen,  als  Besieger 
der  Dadscho)  nomadisiren  die  von  Osten  eingewanderten  Araber-Stämme  mit 
einheimischen  Negern.  In  Dongola  oder  Nubien  wohnen  an  der  Bejudah- 
Steppe,  wie  links  vom  Weissen  Fluss,  die  Hasanieh  redenden  (bis  über 
Kordofau  und  Far  erstreckten  Kababisch  oder  Schafhirten  (der  Oasen),  und 
dann  die  (den  Abu-Rof  verwaudten)  Beduinen  Bakara^)  (die  Schilluk,  Denka 
und  Nobah  beraubend).  Merawi  war  die  Hauptstadt  dei-  Sheggia-Araber,  an 
Dongolah  grenzend  (s.  Burckhardt). 

Vor  den  Wahuma  oder  Galla-Stämmeu  herrschten  die  Funje  am  Quellsi-e 
des  Weissen  Nil  (XVI.  Jhdt.  p.  d.)  Am  Gesiret-Sennar  (zwischen  blauen 
und  weissen  Nil)  eroberten  die  Funje  des  Aloa  (im  Kampfe  mit  den 
Hassanieh)  mit  Hülfe  der  Funje  aus  den  Berglandschaften  von  Seru  und 
lloseres  am  blauen  Nil  (s.  Hartmann)  verdrängt,  während  die  von  den 
Schelluck  verstärkten  Funje  nach  Kordofan  zogen  und  das  Bergland  Takela 
(TegeliJ  besetzten.  Nach  Hartmanu  stammen  die  Funje  von  den  Bergen 
Djebel  -  el  -  Funje  am  Dar  Berun.  Tremaux  ideutificirt  die  Funje  mit 
den  Macrobiern  am  blauen  Nil).  The  Masai  call  themselves  Orlmasni 
(pl.    llmasai)    in    distinction    from    the    Wakuatii    (Embarawui)    or    Orloigob 


efflavit  in  aperturam  tunicae  ejus  (Mariae)  ad  colhun,  efflciente  Deo,  ut  flatus  ejus  perveniret  ail 
vulvam  ejus  et  ex  eo  «onciperet  Jesuin  (Djellalidiu).  ^sacti  Chaereiuon  lebten  die  (in  Ae^ypteu 
der  Gottheit  Geweihten  in  'rempeln  zusammen,  wie  die  Diener  des  Serapis  (s.  Brunet  de  Presles) 
in  Klöstern.  Nach  Lucian  verweilten  die  Priester  der  syrischen  Göttinneu  zeitweis  auf  der 
Spitze  eines  hohen  Phallus.  Des  papyrus  grecs  (II.  siecle  a.  d.)  attestent  qu'il  y  avait  dans 
le  teniple  de  Serapis  des  hommes  et  des  ferames,  vones  au  Service  divin,  astreints  ä  la  claust 
ration  relif>ieuse  (Delauuay).  Die  Lauren  (des  hlg.  Antonius  und  dann  Ammonius)  bilden  eine 
Mittelstufe  zwischen  dem  Eremiterleben  (des  Paulus  Eremita)  und  dem  eigentlichen  Klosterleben 
der  Cönobieu  des  hlg.  Pachouiius),  die  Basil  zur  Klostergemeinde  herangebildet  und  durch 
Benedict  befestigt  (s.  Evelt). 

')  The  Bedouins  of  Kordofau  are  calieil  Bakara  (Bakar  or  cow),  diil'ering  little  from  thosf 
of  Sheudy  (Burckhardt).  Satha,  the  forefather  of  the  Noubas  aud  Mokry,  the  forefather  of  the 
Mokras.  were  iiafives  of  Yemen  (acconliug  to  Selim  el  Assuauey).  Die  Störuugeu  der  Pilgerstrasse 
ii!>er  Aidal>  vcr;iulasstou  den  Keldzug  des  Bruders  Schaheddius  gegen  die  Bedjas  Die  (den 
Bisharin  und   lladendoa  verwandttMi)  Ilassauieh  sprechen  gutes  Arabisch  (s.  Schweiufurth;. 


152  Völkerkreise  in  Afrika. 

(s.  Krapf).  Oigob  (pl.  iloigob)  is  the  name,  by  which  the  Masai  and  Wa- 
kuafi  call  themselves  as  descendauts  of  a  certain  Orloigob. 

Wolab,  Stammvater  der  Galla')  oder  Ilma  Orma  (Kinder  des  Orma) 
kam  von  Bargamo  oder  von  jenseits  des  Meeres,  welches  „grosse  Wasser" 
(nach  Krapf)  für  den  Fluss  Godschob  oder  Bachr-el-Abiad  zu  erklären  sei. 
Die  Nachkommen  der  Tochter  des  abyssinischen  Königs  Sara  Jakob  (auf 
dem  Berg  Endoto  am  Hawaschiluss)  mit  einem  von  Süden  gekommeneu 
Sklaven,  bekämpften  als  Galla  die  Abyssinier  am  Fluss  Gala.  Die  Wato 
auf  dem  Berg  Dalatscho  am  Hawaschiluss  sind  unverletzlich  unter  den  Galla. 
Although  the  numerous  Gallas  tribes  are  divided  among  themselves,  there 
seems  to  exist  a  certain  point  of  uniou  for  them,  consisting  in  a  large  tree"), 
called  Wodanabe,  situated  on  the  banks  of  the  Hawash,  in  the  country  of  the 
Soddo  Gallas,  south  of  Shoa.  From  time  to  time  they  perform  pilgrimages 
to  this  tree  (Iseuberg). 

In  heilem^)    Farbenschattiruugen    wurden  die  Galla  mit  den  Fulbe  ver- 


')  L'empereur  (d'Ethiopie)  fait  la  guerre  au  Roys  de  Galla  et  de  Changalla  (Ch.  J.  Poncet). 
Le  royaume  d'Agou  est  ime  des  nouvelles  conquetes  (1698).  Die  Bogos  sind  (nach  Hunzinger 
eine  Colonie  der  Agows  oder  Aghagha.  Beim  Eide  der  Gallas:  They  dig  a  deep  and  narrow 
pit,  into  which  they  put  some  lances.  The  pit  is  then  covered  witli  an  animars  hide  and 
they  sit  round  it,  swearing,  that  if  they  do  not  reform  their  agreemeuts,  they  may  be  thrown 
or  fall  into  such  a  pit,  that  they  may  be  pierced  through  with  a  lance  and  their  bodies  may 
be  hidden,  so  as  to  remain  unchanged  (Isenberg). 

^)  At  the  foot  of  a  small  tree,  which  she  can  easily  grasp  with  both  hands,  she  prepares 
her  lying-in-couch,  on  which  she  lies  down  as  soon  as  the  labor  pains  come  on.  When  the 
pain  is  on,  she  grasps  the  tree  with  both  hands,  thrown  up  backward  over  her  head  and  puUs 
and  strains  with  all  her  might.  thus  assisting  each  pain,  uutil  her  accouchement  is  over  (bei 
San  Diego).  The  child  (nach  Abbinden  des  mit  einem  Lederfadeu  gebundenen  Nabelstranges) 
is  thrown  into  the  water,  if  it  rises  to  the  surface  and  cries,  it  is  takeu  out  and  cared  for,  if 
it  sinks,  there  it  remains,  and  is  not  even  awarded  an  Indian  burial  (H.  Bancroft)  [Rhein]. 
Die  Frauen  der  Navajos  gebären  unter  einem  Baum  (Velasco)  [Maya].  Der  Gebrauch,  dass  ein  Pirna, 
nach  dem  Tödten  von  Apache,  sich  reinigen  muss,  durch  Fasten  uml  Vermeiden  des  Feuers, 
wird  auf  Szeukha  zurückgeführt,  den  ein  Ungeheuer  getödtet  (s.  Walker).  Die  Matlatza  huatl 
genannte  Epidemie,  die  die  Tolteken  vernichtete  (XI.  Jhdt.),  verschonte  die  Weissen  (1545  und 
1 73ü).  Beim  Ausbruch  einer  Epidemie  {m  Zacalecas)  ziehen  sich  die  Indianer  in  Dorngebüsche 
zurück,  paraque  de  miedo  de  las  espinas,  ne  entren  las  viruelas  (Ariegui). 

■')  Von  einem  schiffbrüchigen  Capitän  und  seiner  weissen  Frau  leiten  sich  aus  der  Mischung 
mit  den  Eingeborenen  einige  Familien  derselben  (nach  Hawaii)  ab.  Those  who  are  supposed  to 
represent  this  race  at  the  present  day,  are  distinguished  by  their  lighter  skin  and  by  brown 
or  red  curly  hair,  called  ehu  (Hopkins)  1866,  Die  Indianer  auf  der  Insel  Santa  Barbara  (in 
Süd-Califoruien)  son  mas  altos,  dispuestos  y  membrodos  que  otros,  que  antes  se  avian  visto 
(Torquemada)  und  auf  Santa  Catalina  las  muyeres  son  muy  liermosas  y  honestas,  los  ninos  son 
blancos,  y  rubios  muy  risuenos  Sahneron).  Salmeron  setzt  südlich  vom  Utah-See,  Leute  blancos 
y  rosadas  las  mejillas  (unter  den  Öhoshoneu)  als  Tirangapui  (bei  Escalante).  Despues  de  haber 
trascurrido  mas  de  cuacatrocientos  aiios  desde  el  discubrimiento  de  America,  la  civilizacion  primi- 
tiva  del  Nuevo  Mundo  se  halla  a  un  poco  conocida  (Floreucio  Janer),  Adam  and  Eve  were 
iieither  to  hunger  nor  thirst,  nor  feel  their  nakedness,  which  the  commentators  (of  the  Koran) 
explaiu  l)y  assuming  tliat  they  were  covered  with  hair  (Arnold).  Duos,  scilicet  ursos,  non 
homines  creuverul  Dens  (iiacli  Maracci).  Grosse  Bauten  liiessen  in  der  Vorzeit  fiocrimt  titya 
(uacli    l'liitandi;      N;ii-Ii  Dcltinu  seien  die  Bosiesmau  (Busclniiiinner)  von   RicscngWisse  (JTB.^). 


Völkerkreise  in  Afrika.  153 

knüpft  und  anderseits  wieder  mit  Jaga  oder  ferneren  Generalisationen^)  der- 
selben im   Westen. 

Regenzauber,  mehr  oder  weniger  auf  meteorologische^)  Beobachtungen 
gegründet,  findet  sich  durchweg  in  Afrika,  in  seiner  feindlichen  Form  auf 
die  unbekannten^)    Stämme    des  Innern    zurückgeführt,    und    sonst    auch    mit 


')  Nördlich  vom  Königreich  Benii  begrenzt,  stösst  Congo  (b.  Marmol)  im  Osten  an  die  im 
See  Zembere  gelegene  Insel  der  Azingues  Mondequites,  qui  confine  avec  plusieurs  peuples 
(Pangelingnos,  Cuylos).  Das  westlich  an  Ambaca  stossende  Presidio  duque  de  Braganca  liegt 
nördlich  vom  reino  de  Matamba  e  confina  pelo  lado  tlo  Oriente  com  as  pouco  exploradas  terras 
dos  Moluas,  com  os  quaes  se  podem  agora  travar  relayoes  utilissimas  (s.  Lima)  1846. 

'^)  Kilo  was  the  term  applied  to  that  class  who  predicteti  future  events,  t'rom  the  appearances 
of  the  heavens,  crowing  of  cocks  or  barkiug  of  dogs  (Jarves)  in  Hawaii.  Jloaugti  setzte  die 
Yun  (Wolken)  genannten  Beamten  ein  (die  Erde  zu  befruchten).  Die  Opatas  feiern  das  Fest 
Torem  raqui  mit  Tanzen  (für  Regen  und  Ernte).  Die  von  den  Römern  als  Matronae  bezeich- 
neten Gottheiten  der  Celtcn  (mit  Localnamen)  kommen  meist  in  der  Dreizah!  vor,  die  Dörfer 
und  Fluren  schützend  (s.  Keller).  Das  Beschwören  der  Feldfrüchte  war  in  den  zwölf  Tafeln 
verboten  (s.  Seneca)  und  Virgil  spricht  von  Zauberern,  die  Früchte  auf  fremde  Aecker  entführen 
könnten  [Cougo].  Die  den  Gamma  verwandten  y^nengue-Stämme  erhalten  Mittheiiungen  durch 
ihre  Idole  oder  Mbuiti  (du  Chaillu).  Innen  (in  Efik)  is  a  play  or  conjuration  of  Abia-inuen,  in 
which  he  puts  something  in  his  mouth  and  blows  throngh  it  so  as  to  either  a  sound  like  that 
of  a  bird  (s.  Goldie).  [Tibbu).  Der  Doctor  (der  Pitt-river  Indians)  talked  to  the  trees,  and  to  the 
Springs,  and  birds  and  sky  and  rocks,  to  the  wind  and  i-ain  and  leaves,  in  der  Heilung  des 
Kranken  zu  helfen  (in  Galifornien).  Die  (Quamas  oder  Cusiyaes  genannten)  Zauberer  vertheileu 
beim  Jahresfest  die  am  Baum  der  Jäger  gehängten  Felle  unter  die  Frauen  (in  Unter-Californien). 
El  siglo  de  los  Muysca.s  cunstaba  de  20  anos  inteicaiares  de  37  lunas  cado  uno)  que  conespouden 
ä  60  aiios),  y  le  companian  de  ouatro  revoluciones  contadas  de  cinco  en  cinco  (Acosta)  Hebdo- 
madem  unicam  per  splchaskat,  septem  dies,  plures  vero  hebdomatlas  per  schaxeus,  id  est 
vexilium,  quod  a  duce  maximo  qualibet  die  domiuica  suspendebatur  (s.  Mengarini)  bei  den  Selish), 
The  wife  last  chosen  is  always  mistress  of  her  predecessors  (Whipple)  bei  den  Navajos.  Die 
Navajos  vermeiden  das  Fleisch  des  Löwen,  den  sie  (nach  Armin)  verehren  Bei  los  Angeles 
wurden  grosse  Jagdthiere  nicht  gegessen  (weil  von  frühern  Seelen  in  Besitz  genommen).  In 
Galifornien  lockt  der  Indianer  die  Antilope  an,  indem  er  auf  den  Kopf  gestellt,  die  mit  Fell- 
streifen des  Hermelin  besetzten  Hacken  in  der  Luft  bewegt,  und  dann  aufspringend,  schiesst 
(s.  Bancroft).  The  hiuiter  tlisguised  with  the  head  and  horns  of  a  stag,  creeps  through  the 
long  grass  to  within  a  few  yards  of  the  insuspecting  herd  and  drops  the  fattest  bück  at  his 
pleasure  (in  California).  The  ownership  of  a  (white)  deer-skin  constitutes  a  claim  to  chieftain- 
ship,  readily  acknowledged  (an  der  Küste  Galifornien's).  Nachdem  der  iu  einem  Oanoe  beräucherte 
Körper  beigesetzt  war,  wunle  tlas  Grab  geöö'net,  um  die  Knochen  bis  auf  den  des  Hinterhauptes, 
der  aufbewahrt  wurde,  zu  verbrennen  (in  Darien).  Bei  dem  gemeinsamen  Rauchen  in  Costa  Rica 
bläst  ein  Knabe  den  Rauch  der  am  brennenden  Ende  im  Mund  gehaltenen  Cigarre  in  Jedes 
Gesicht  (wo  er  mit  den  hohlen  Händen  zugefächelt  wird).  Von  dem  Scalp  bewahrten  die  Cali- 
fornier  abgeschnittene  Hände  und  Füsse  als  Trophäen  and  they  also  plucked  out  and  carefully 
preserved  the  eyes  of  the  slain  (H.  Bancroft). 

•')  Die  Stämme  Süd-Californien's  kannten  nur  die  nächste  Umgebung.  Reid  relates,  that 
one  who  travelled  some  tlistance  beyond  the  limits  of  his  own  domaiu,  returned  with  the  report 
that  he  iiad  seen  men,  whose  ears  desceniled  to  their  hips,  then  he  bad  met  with  a  race  of 
Lilliputians  and  finally  hail  reached  a  people  so  subtly  constituted,  that  they  ,wouJd  take  a 
rabbit  or  other  animal,  and  merely  with  the  breath,  inhale  the  esseuce,  throwing  the  rest 
away,  which  on  examination  proved  to  be  excrement'"  (U.  Bancroft).  When  bound  upon  a  jouroey, 
if  they  have  no  other  load  to  carry,  they  Uli  their  tonates  or  nets  with  stones.  This  is  generally 
done  by  them  on  the  return  home  from  the  market  place  of  Tehuautepec  [Peru].  Die  Jlijes. 
verwandten   auf  ihren   Wanderungen  die  Feuerprobe   by  puftiug  a  firebraud  over  night  iuto  a 

Zeitstbril't  lür  KtUuologie,  JuUrguug  ISTJ.  j^j^ 


154  Völkerkreise  in  Afrika. 

pri esterköniglicher  1)  Würde  verknüpft.  Damit  die  Statthalterschaft  durch 
Usurpation  (atuarat  alistyla)  Berechtigung  erlange,  muss  der  Usurpator  (nach 
Mawardy)  die  Souveränität  des  Chalifen  und  dessen  Befugnisse  als  religiöses 
Oberhaupt  anerkennen  (s.  Kremer).  Nachdem  die  Mongolen  das  Chalifat  in 
Bagdad  beendet,  führte  dasselbe  der  Sohn  des  drittletzten  Chalifen  unter  den 
Ejjubideu  in  Cairo  fort,  v^'o  der  letzte  Chalif  sein  Recht  an  den  türkischen 
Eroberer   abtrat,    so   dass   sich  in    den   Sultanen   der   Osmanen  weltliche  und 


hole  and  if  it  was  found  extinguished  in  the  morning,  they  considered,  that  the  Sun  desired 
bis  children  (that  is  themselves)  to  continue  their  journey  (H.  Bancroft).  As  it  is  supposed 
that  the  evil  spirit  seeks  to  obtain  possessio«  of  the  body,  musicians  are  called  in  to  lull  it  to 
sleep,  while  praeparations  are  made  for  its  removal,  all  at  once  t'our  naked  men,  who  have 
disguised  themselves  with  paint,  so  as  not  to  be  recognised  and  punished  by  Walasha,  rush 
out  from  a  neighbouring  hut  and  seizing  the  rope  attached  to  the  canoe,  drag  it  into  the  woods, 
followed  by  the  music  and  the  crowd.  Here  the  pitpan  is  lowered  into  the  grave  with  bow, 
arrow,  spear,  paddle  and  other  implements  to  serve  the  departed  in  the  land  beyond,  then  the 
(Xher  half  of  the  boat  is  placed  over  the  hody.  A  rüde  hut  i's  constructed  over  the  grave, 
serving  as  a  receptacle  for  the  choice  food,  drink  and  other  articles  placed  there  from  time  to 
time  by  the  relatives  (among  the  Mosquitos).  Die  Indianer  in  Tamiltepec  errichteten  en  los 
cemeuterios  pequenos  montones  di  tierra,  en  los  que  mezclan  viveres  cada  vez  que  entierran 
algunos  de  ellos  (Berlandier  y  '1  hovel).  Die  Sukias  oder  Zauberinnen  haben  Walasha  (den  Bösen) 
zu  besänftigen  (bei  den  Mosquito).  An  den  Jahresfesten  (Sekroe)  wird  der  Todte  gerufen,  sonst 
aber  die  Nennung  seines  Namens  vermieden  (bei  den  Mosquito}.  Beim  Jahresfest  der  Cahroc 
(in  Californien)  zieht  sich  der  zu  Chareya  (Gott)  Erwählte  in  die  Berge  zurück,  bis  zum  Fasten 
geschwächt,  worauf  er  durch  Träger,  deren  Augen  verbunden  sind  (da  keiner  den  Gottmensch 
sehen  dar!)  zurückgebracht  wird  (Bancroft).  The  Meewois  (in  California)  believe  that  their  male 
physicians,  who  are  more  properly  sorcerers,  can  sit  on  a  mountain  top  filty  miles  distant  from 
a  man  they  wish  to  destroy  and  couipass  his  death  by  iilliping  poison  towards  him  from 
their  finger  ends  (Powers).  Bei  San  Juan  Oapistrano  wurde  die  Figur  des  Gottes  Chinigchinich 
in  den  ovalen  Tempel  (Vanquech)  gestellt  (s.  Boscana).  Beim  Trost  seiner  Freunde  wegen  Marias 
Schwangerschaft,  will  Joseph  nicht  glauben,  quia  angelus  domini  impregnasset  eam.  Botest  enim 
fieri,  ut  quisquam  finxerit,  se  esse  angelum  domini,  ut  deciperet  eam  (in  den  Apocryphen). 
Mohammed  considered  the  Virgin  Mary  and  Miriam,  the  sister  of  Moses  and  Aarou,  as  identical 
(s.  Arnold).  In  Hadramaut  wurden  die  Götzen  Galsad  und  Marhal  verehrt,  in  der  Hauptstadt 
der  Himyariten  die  Götzen  Gumdan  und  Riam,  gleichfalls  in  Sana,  in  der  Nähe  von  Sana  der 
Götze  Yauk  (als  Pferd)  und  auch  Nasar  bei  den  Hiuiyariten-Yagut  (als  Löwe),  der  Gott  des 
Stammes  Madhig.  Als  Frau  wurde  Sowa  in  Ruhat  verehrt  und  Waad  (als  Mann)  vom  Stamme 
Kalb,  sowie  die  Göttin  Chalasah  in  Talabah.  In  Taif  fand  sich  die  Göttin  Allat,  im  Thale 
Nahiah  die  Göttin  IJzza  und  als  dritte  Göttin  Manah  (oder  Manat,  als  Stein).  In  der  Kaaba 
Mecca's  stand  Hubal.  Bei  Jeddah  war  Saad  aus  dem  Stein  gehauen.  Bei  Medina  werden  die 
Gottheiten  Nuhm,  Humam,  Halal,  liagir,  Ruda,  Aud,  Awab,  Manaf,  Gaum,  Kais,  Durigel,  Fuls, 
Darihan  etc.  erwähnt  (s  Arnukl).  ün  ne  saurait  croire  le  nombre  infini  de  vices,  de  crimes  et 
de  pioslitutions  que  prolegt;  et  eucourage  la  morale  elastique  d'une  pretendxie  bonne  mort. 
Les  foryats,  genies,  grands  criminels  et  autres,  saveiit  aussi  arrauger  chretiennement  leur  fin 
(Lauvergne;. 

')  The  Chualpays  are  governed  by  tlio  „chief  of  the  earth"  and  the  „chief  of  the  waters", 
the  latter  having  exclusive  authority  in  the  fishing  season  (Kane).  Nach  Mohamed  waren 
Abraham  von  Gabriel  Waschungen  vorgeschrieben  (wie  bei  St.  Barnabas).  The  New  Almaden 
cinnabar  mine  has  been  from  time  immemorial  a  source  of  contention  between  adjacent  tribes 
(by  vermilion  loving  savages)  in  California  (Bancroft).  The  Hoopahs  exacted  tribute  from  all  the 
surrountiing  tribes  (in  California;,  von  den  Cliimalaquays  in  Häuten  (s.  Powers),  auch  von  den 
Stämmen  am  Trinily  (die  Hunde  uiid  Küsse  oder  den  Kopf  als  Trophäen  bewahrend).    Les  Indiens 


Volkerkreise  in  Afrika.  155 

geistliche  Macht  wieder  vereinte.    Die  vielfach  durch  militärische   Usurpation 
hergestellte  Trennung')  wird  auch  absichtlich  erstrebt,  wegen  der  mit  magischen 


dela  Colombie  ont  porte  les  jeux  de  hasard  au  dernier  exces;  apres  avoir  perdu  tout  ce  qu'ils 
ont,  ils  se  metteut  eux-inemes  sur  le  tapis,  d'abord  iiiie  luain,  ensuite  Tautre,    s'ils  les  perdent, 
les    bras,    et    ainsi    de    suite    tous    les    membres    du    corps,    la  tete  suit,  et  s'ils  la  perdent  ils 
deviennent  esclaves  pour  la  vie  avec  leurs  femmes  et  leurs  enfants  (de  Smet).    In  some  parts  of 
Panama  and  Darien  only  the  Chiefs  and  lords  received  funeral  rites.    Among  the  common  people 
a  person  feeling  bis  end  approaching  either  went  himself  or  was  led  to  the  woods  by  bis  wife, 
family  and  frieuds,  wbo  supplying  hiia  with  some  cake  or  ears  of  corn  and  a  gourd   of  water, 
there  left  him  to  die  alone  or  to  be  assisted  by  wild  beasts  (H.  Bancroft).     König  Oswin  wandte 
sich  nach  Rom,  (um  dem  zu  gehorchen,  der  den  Himmel  auf-  und  zuzuschliesseu  die  Macht  hat) 
da  Colman  in  seiner  Antwort  auf  Wilfrid  dem  Ausspruch  für  Petrus  keinen  für   Columba  ent- 
gegensetzen konnte.    In  Cueba  the  reiguing  lord  was  called  Quebi,  in  other  parts  he  was  called 
Tiba.     The  highest  in  rank  after  the  Tiba  had  the  title  of  Sacos,  who  commanded  certain  districts 
of  the  country.    Piraraylos  were  nobles,  who  had  become  länious  in  war.    Subject  to  the  Sacos 
were  the  Cabras,  who  enjoyed  certain  lands  and  privileges,  not  accorded  to  the  common  people. 
Any  one  wounded  in  battle,  when  fighting  in  presence  of  the  Tiba,  was  made  a  Cabra,  and  bis 
wife  became  an  Espave  or  principal  womau  (s.  H.  Bancroft).    The  slaves  (prisoners    or   Pacos) 
were  branded  or    tattooed   with   the  particular  mark  ol  the  owner  on  the  face  or  the  arm  and 
had  one  of  their  front    teeth   extracted.      In    Goazacoalco    wurde  eine   Art  Beschneidung  geübt 
(in  Mexico),    proviuciae  Goazacoalco,  atque  Ylutae  nee  non  et  Cuextxatlae  (s.  Laet).    The  geni- 
tals  are  pierced  as  a  proof  of  constancy  and  affectiou  for  a  woman  (an  der  Belize-Küste).     The 
caciques  (in  Cueba,  Carela  etc.)  kept  harems  of  youths  (camayoas),  dressed  as  women  (in  Central- 
Amerika).     Among  the  men  of  Cueba  paiuting  had  a  double  object,    it  served    as  an  oruameut 
to  the  person,  and  also  as  a  mark  of  distinction  of  rank.     The  chief,  when  he  inherited  or  at- 
tained  bis  title,  made  choice  of  a  certain  device,  which  became  that  of  all  bis  house  (v.  Bancroft). 
At  Porto  Belo  the  king  was  painted  black  and  all  bis  subjects  red   (auf  dem   Isthmus).     Nach 
Las  Casas  wurde  der  Kopf  der  Kinder  von  hinten  und   vorn   zusammengedrückt,   die   Stirn  zu 
verbreitern  (auf  dem  Isthmus}.     Im  Targum  zum  Buche  Esther  herrscht  die  Küuigin  von  Skeba 
(deren  verkrüpjjelte  Füsse  durch  den  Spiegelboden  erkannt  wurden)  in  der  Stadt  Kitor  [CatayJ. 
El  miembro  generativo  traen  atado  per  el  capnllo,  haciendole  entrar  tanto  adentro,  que  ä  algunos 
no  se  les  paresce  de  tal  arma  sino  la    atadura,    que    es    unos    hilos    de    algodon    alli    revueltos 
(Oviedo)  bei  Cartago  (in  Central-Amerika).      The  upper  teeth  extracted  seem   to    say,    that    the 
tribe  have  cattle,  the  knocking  out  the  teeth  is  in  Imitation  of  the  animals  they  almost  worship 
(bei  den  Lomame).     Zum  Stamm  Nongo  (in  the  Kuss  country)  gehören    die  Maloba    (with    the 
Upper  front  teeth  extracted).     The  people  oi   Babisa  dress  their    hair    like    the    Bashukidompo 
(Livingstone); 

')  Tous  les  empereurs  ont  porte  le  titre  de  grands  pontifes  (jusqu'au  regne  de  Gratien). 
Toutes  les  fois  qu'un  culte  nouveau  essaye  de  penetrer  ä  Rorae,  il  est  introduit  par  un  per- 
sonnage qui  reunit  les  deux  qualites  de  sacrification  et  de  prophete  (sacrificulus  et  vates), 
c'est-ä-dire  qui,  comme  prophete,  impose  au  nom  du  ciel  ä  ceux,  qui  le  consultent  des  offraudes 
expiatoires  qu'il  attribue  ensuite  comme  pretre  (s.  Boissier).  Die  neue  Götter  einführenden 
Griechen  (s.  Plautus)  handelten  aus  Gewinnsucht,  quibus  quaestio  sunt  capti  superstitione  animi 
(Livius).  Jupiter  (n.  Pliiiius)  parte  curarum  Über  solutusque  tantum  coelo  vacat  ^seit  Trajan 
auf  die  Erde  gesetzt  ist  für  die  Angelegenheiten  der  Menschen).  Les  iuscriptions  montrent  de 
simples  affranchis  qui  dounent  ü  leur  femme,  apres  sa  mort,  le  nom  de  deesse  (s.  Servius) 
appellant  le  tombeau  un  temple  (s.  Boissier),  wie  dii  Manes  (als  Lares).  Augustus  hatte  seit 
seiner  Jugend  Wunder  gewirkt,  on  lui  crea  de  bonne  heure  une  legende  comme  ä  un  dieu 
(s.  Boissier).  Kaiser  Claudius  bestieg  beim  Triumph  die  Stufen  des  Capitols  auf  den  Knieen. 
Der  mit  dem  Titel  Augustus  Bekleidete  wurde  eine  Art  persönlicher  oder  gegenwärtiger  Gott, 
dem  Huldigung  geschuldet  wurde  (nach  Vegetius).  Ein  ägyptischer  Wahrsager  erklärte  Augustus 
für  den  Sohn  ApoUo's  (s.  Sueton).  Ammon  bezeichnet  (am  Tempel  von  Modiuet  Halm)  Ammou  als 
seinen  Sohn  (Ptolemäos  Epiphanes  wird  mit  HuruS;  Sohn   der  Isis   und  des  Osiris   verglichen).. 

11* 


'56  Völkerkreise  in  Afrika, 

Operationen  verknüpften  Gefahr i),  wie  man  in  den  Nilländern  (und  im  Süden) 
die  erfolglosen  Regenmacher  ausweidet,  um  das  in  dem  Bauche  zurückgehaltene 
Wasser  frei  zu  setzen,  wie  Scythen  früher  und  jetzt  Patagonier,  die  Lügen- 
propheten tödten  oder  Astyages  die  falschen  Magier  pfählen  Hess  (b.  Herodot). 
In  Darius  Behistun-Inschrift  am  Fels  von  Hamada  wird  neben  dem  höchsten 
Wesen  zuweilen  der  böse  Geist  genannt  und  bei  Unterdrückung  des  Magier- 
Aufstandes  genannt  (während  die  Elementai'verehrung  sich  an  die  der  Vedas 


Als  alleinige  Göttin  erhielt  Isis  (b.  Apulejus)  den  Namen  Domina  (und  so  Cybele).  Brigitta 
(der  J\Iaria  des  Gälenlandes)  wird  Gott  als  Vater,  Jesus  als  Sohn  gegeben  (s.  Ebrard).  Rahman 
(der  Gnädige)  ist  der  Herr  der  Himmel  und  der  Erde,  es  giebt  keinen  Gott  ausser  ihm  (nach 
Mohamed).  Ewald  findet  (vor  Jahve)  „einen  geschlossenen  Kreis  uralter  Götter  und  Halbgötter" 
(der  Elohim)  im  Henoch  (dem  Ersten  der  Anfänge),  Mahalalel  (der  Glänzende)  Jered  oder  Irad 
(Gott  der  Niederungen  und  des  Wassers),  Methusalah  (der  Waffenmann)  und, 'im  Gegensatz  zum 
guten  Geist  (Henoch's)  Lamech  oder  der  Wilde  (Vater  der  Ada  und  Zilla  (Mütter  der  Hirten 
und  Kriegsleute).  Die  Mendäer  (unter  den  Mauren  Spaniens)  lehrten,  dass  alle  Materie,  zumal 
der  Erde,  nur  ein  Gefäss  (gral)  des  ewigen  Geistes  sei,  der  sich  durch  Vermittlung  der  Engel 
oder  Gestirngeister  in  sie  ergossen  habe.  Gralhüter  sind  diejenigen,  die  das  Geheimniss  des 
Geistes  kennen  und  in  der  sinnlichen  Hülle  den  Geist  erfassen.  Dem  geistlosen  Volke  bleibt 
Montsalvez  verschlossen,  ebenso  dem  lieblosen,  hartherzigen,  leidenschaftsvollen  (s.  Schneider). 
Als  die  Insel  beim  Feueranzünden  unter  das  Meer  tauchte,  erklärte  St.  Brandan,  dass  es  der 
Erste  aller  Fische  gewesen,  der  sich  immer  bemüht,  seinen  Schwanz  mit  dem  Kopf  zusammen- 
zubringen, ohne  es  wegen  seiner  grossen  Länge  ausrichten  zu  können  (Jasconius  mit  Namen). 
Inter  sacra  donaria  currum  servant  aereum,  quem,  ut  siccitas  incidit,  pulsant  et  aquam  a  deo 
poscunt,  atque  impetrant  (s.  Antigonus)  in  Thessalien  (n.  Irenaeus).  Im  Tempel  des  Serapis  war  durch 
einen  Magnet  ein  Eisenwagen  aufgehängt  (nach  Prosper  Aquit.)  Fuerunt  hae  quadrigae  solis  ',s.  Scheffer). 
Nach  Irenaeus  iiat  Gott  im  neuen  Bunde  die  Israeliten  ebenso  verstockt  und  gerichtet,  wie  die 
Aegypter  im  alten  Üunde,  um  den  Kindern  Gottes  das  Heil  zu  bringen,  und  auch  die  Christen  nehmen 
den  Heiden  ohne  ein  Anrecht  darauf,  manches  weg,  und  zwar  bei  weitem  mehr,  als  die  Israeliten 
den  Aegyptern,  nämlich  alle  Wohlthaten  des  heidnischen  Staates,  nicht  nur  das  ungeprägte, 
sondern  auch  das  geprägte  und  mit  dem  Bilde  des  heidnischen  Kaisers  versehene  Gold,  und 
das  Alles  ohne  eine  Schuld  zu  fühlen  (s.  Ziegler).  Nach  Ptolemäos  wurden  (bei  Assyrern  und 
Persern)  die  Geschlechtszeichen  als  Symbole  der  Sonne,  des  Saturn  und  der  Venus  verehrt  (die 
Fruchtbarkeit  schützend). 

')  Elisabeth  Barton  wurde  mit  den  Geistlichen,  die  sie  zu  Prophezeiungen  gegen  Heinrich  VIII. 
verleitet,  nach  Eingeständniss  des  Betrugs  enthauptet  (1634)  Nach  Bönninghausen  ist  es  gewiss, 
dass  Katharina  Emmerich  nicht  ohne  Mithelfer  gewesen,  und  dass  man  diese  unter  den  Per- 
sonen zu  suchen  hat,  welche  vor  und  gleich  nach  dem  Erscheinen  der  Blutungen  genauem 
Umgang  mit  ihr  gehabt"  (wie  der  französische  Geistliche  Lambert).  Nach  Sueton  wurden  unter 
Aujiustus,  (der  als  Pontifex  seine  Decrete  als  himmlische  Orakel  bezeichnete)  falsche  Prophe- 
zeiungen gesammelt  und  in  der  Zahl  von  2000  verbrannt.  Unter  den  lü89  Kranken,  die  sich 
vom  5.  —  7.  Febr.  (1817)  bei  der  Wunderthäterin  in  Schönborn  vorfanden,  sah  Dr.  Schmalz 
, nicht  eine,  von  welcher  deutlich  ilargethau  werden  konnte,  wie  sie  durch  die  Manipulationen  der 
Hammitzschin  (magische  Zeichnungen  vor  den  Augen  mit  einer  Stecknadel)  hergestellt"  (obwohl 
viele  Getäuschte).  Fornicantur  etiam  quamplures  hiijusmodi  monialium  cum  eisdem  suis  prae- 
latis  ac  monachis  et  conversis,  et  iisdem  monasteriis  plures  parturiunt  filios  et  filias,  quos  ab 
eisdem  praelatis,  monachis  et  conversis  fornacarie,  seu  ex  incesto,  coitu  conceperunt  (Thierry  de 
Niem).  Stupra,  raptus,  incestus,  adulteria,  qui  jain  Pontificalis  lasciviae  ludi  sunt  (Petrarch), 
In  den  Tempeln  der  Isis  (in  Herculanum)  wird  Weihwasser  dargeboten  (aus  dem  Nil  geweiht). 
Ovid  spottet  über  diejenigen,  welche  meinen,  mit  etwas  fliessendem  Wasser  Verbrechen  ab- 
waschen zu  können.  Nach  Horaz  Messen  Fromme  im  Winter  das  Eis  der  Tiber  aufhauen,  um 
sich  zu    baden.     Gott   das   heisst:   Dummheit  und  Trägheit,   Tyrannei  und  Elend,  Gott  ist  das 


Völkerkreise  in  Afrika.  157 

anscbliesst).  Durch  Arsaces,  Gründer  des  Sassanidenreiches,  wurde  der 
magische  Stamm  mächtig  (nach  Agathias).  Die  Sophi  (Weisen)  und  die 
Magi  (Priester)  bildeten  im  parthischen  Reich  (s.  Posidonius)  die  Megistanes 
(Grossen  oder  Edlen).  Nach  Xenophon  setzte  Kyros  die  Magier  bei  den 
Persern  als  Priester  ein.  Nach  Philo  konnte  bei  den  Persern  nur  König 
werden,  wer  in  das  Geschlecht  der  Magier  aufgenommen  war.  Nach  Zoroaster 
folgten  viele  Magier,  die  Ostaner  und  Astrampsycher  und  Gobryer  und 
Pajater  (nach  Xanthus).  Gobryas  unter  den  mit  Darius  verbundenen  Sieben 
(gegen  Pseudo-Smerdis  oder  Gomata)  heisst  Gaubruva  (s.  Windischmann) 
in  der  Bisitun-lnschrift. 

Darius  Hess  durch  Tachamaspates  den  Aufstand  der  Sagartier  am  Elburz 
(in  Khorasan)  unterdrücken,  deren  Häuptling  Chiti  atakhsma  sich  vom  medischen 
Cyaxares  herleitete.  Alptegin,  dessen  Sklave  Sebuktigen  (sein  Geschlecht 
auf  Jezdezgird  zurückführend)  die  Dynastie  der  Ghazneviden  stiftete,  floh 
als  Statthalter  Chorasan's  nach  Ghazna  mit  den  (auf  die  Chosroen  zurück- 
geführten) Sassaniden.  Nach  Aeschylus  war  der  Adler  das  Symbol  der 
Perser.  Nisaea  war  für  die  von  Nishapur  (aus  Khorasan)  stammenden  Pferde 
berühmt.  Nach  Ammian  wurden  von  den  Parthern  die  in  der  Schlacht 
Gefallenen  besonders  selig  gepriesen.  Die  von  dem  unversehrt  aus  dem 
Feuer  hervortretenden  Zoroaster  bekehrten  Magier  weihten  den  Göttern  Pferde 
(nach  Dio   Chrysostomos)  und  verglichen  dieses  Weltall  mit  einem  rollenden 


Uebel  (Proiidhoii).  Le  christianisme,  pla(,'aiit  son  royaume  hors  de  ce  monde,  n'embrassant  point 
dans  ses  vues  la  societe  politique,  condaninant  le  temporel  du  mosaisme,  tut  conlraint  par  la 
force  des  choses  k  monier  lui-meme  sur  ce  trone  laisse  vide,  ä  opter  entre  la  servitude  et 
l'empire,  ä  mettre  ä  la  place  du  temporel  le  spirituel,  et  ä  creer  du  meme  coup  Tintolerance 
religieuse  (Benamozegh).  Ecclesia  non  quaerit,  sed  possidet  veritatem.  Premierement  les  ple- 
bejens  n  avaient  pas  plus  de  place  dans  la  religiou  que  dans  la  cite  (Boissier).  Den  Ansprüchen 
Praetoren  oder  Consuln  zu  werden,  wurde  entgegen  gehalten:  auspicia  non  habetis,  indem  jeder 
Magistrat  die  Auspicien  zu  consultiren  hatte.  Sua  cuique  civitati  religio  est,  nostra  uobis  (Cicero). 
Juvenal  ist  erstaunt,  dass  die  Bewohner  von  Ombros  und  Tentyra  sich  für  ihre  Götter  streiten 
konnten.  Ihrer  Intoleranz  wegen  waren  die  Juden  (s.  Quintilian)  der  allgemein  verhasste  Stamm. 
Judaea  gens  contumesia  numiuum  insignis  (Plinius),  Verächter  des  Menschengeschlechts  (Tacitus). 
Quoniam  enim  ipsum  verbum  dei  incarnatum  suspensum  est  super  liguum,  per  multa  ostendimus 
(Irenaeus),  Verbum  dei  c;iro  factus  est,  et  pependit  super  Jignum.  Unter  den  Tha  zyku  oder 
Nebengötfer  des  Obergottes  Tha  schuha  findet  sieh  bei  den  kaukasischen  Abasa,  die  auch  die 
Götter  der  Wälder,  Flüsse  und  Berge  (Mesintha,  Psitha,  Kushamta)  verehren,  Mara  (Maria),  als 
Mutter  des  grossen  Gottes.  Indem  dem  Griechen  die  sittlichen  Verhältnisse  ihre  Geltung  nicht 
haben  auf  Grund  der  allgemeinen  Menschen-Natur,  sondern  auf  Grund  der  Volksgenossenschaft 
und  des  Staatsverbandes  (indem  der  Mensch  seine  Bestimmung  u.  dgl.  verwirklicht  als  Staats- 
bürger), so  folgt,  „dass  dem  Griechen  die  Sittlichkeit  noch  keine  besondere  Sphäre  neben  dem 
Recht  ist,  sondern  in  diesem  noch  aufgeht"  (Pfleiderer),  und  statt  eine  solche  zu  bilden,  hat 
sie  vielmehr  so  völlig  darin  aufzugehen,  um  dem  Menschen  eingewachsen  zur  andern  Natur  zu 
werden,  statt  nur  eine  lose  darin  haftende  Anlernuug.  Nach  Baronius  brachie  Cougellus  das 
Mönchthum  (530  p.  d  )  nach  Bangor,  während  Twisden  das  vor  den  Beuedictiuern  in  Britannien 
bestehende  Mönchthnm  (aus  dem  Orden  Basil's)  auf  Patrik  zurückführt  (f  473  p.  d.)  There  is 
no  foundatioü  for  the  opinionj  that  a  hierarchy  existed  in  Ireland  before  the  arrival  of  Palladins 
(Lanigan). 


158  Völkerkreise  in  Afrika. 

Wagen,  von  vier   Pferden   gezogen.     Neben    der   Magie   des    Osthanes   nennt 
Plinius  die  bei  den  Juden  (des  Moses,  Jannes  und  Lotapea),  sowie,  als  noch 
jünger,   die  cyprische.    Jeremias  kannte  die  Magier  in  Babylon.  Die  gekrampten 
Tiaren  der  cappadocischen  Magier,  die  unauslöschliches  Feuer  nährten,  gingen  aui 
beiden  Seiten  so  weit  herab,  dass  die  Backenstücken   die  Lippen    bedeckten 
(nach  Strabo).     En  Zond  Mazdaya^no   signifie  litteralement  celui  qui   fait   un 
sacritice  a  Mazda  (s.  Menaut)  oder  Ahura  Mazda  (Ormuzd).    Dem  in  Procon- 
nesus  wieder  auferstandene  Aristeas   folgte  Apoll  als    Rabe   (als  Dichter  der 
Arimaspischen  Epen).     Der  in   das   Magierthum   Einzuweihende   verblieb    bei 
d<m  Priester  für  einen  Monat  vegetabilischer  Kost  und  wurde  dann  im  Tigris 
gereinigt  (nach  Lucian).     Lohrasp  von  Balkh  nahm  den  Buddhismus  an.  Nach 
Elisaeiis  zerfielen  die  Zoroastrier  in   Mog   und  Zendik.     Statt    „guter  Cerus" 
(bei  Festus)  wird  Manus  Cerus  (im  salischen  Liede)  als  Manus  der  Schöpfer 
erklärt    (durch    Lassen).      Die    Familie    Zarathustra's    wird    von   Manuchitra, 
Sohn    des   Manu   hergeleitet.     Zarathustra  aus   Westen   bildet  seine  Religion 
(deren  semitische  Elemente  aus  Babylon  kamen)  für  Ost-Eran    (nach  Spiegel). 
Die   Gathas    der    Zend-Avesta    werden    vor   die   Abfassung    des    Ya-jur   Veda 
gesetzt   (später    als   Rigveda).      Ausser   den   in   Gegenwart   eines   Magier   den 
Elementen  gebrachten  Opfern,  für  die  Sonne,  den  Mond,  Erde,  Feuer,  Wasser 
und  Wind,  verehrten  die  in  Zeus  den  Himmelskörper  erkennenden  Perser  die 
von  den  Assyriern  Mylitta,  von  den   Arabern  Alitta  genannte  Himmelskönigin 
Aphrodite  als  Mitra,  (s.  Herodot),  sowie  das  Feuer   als    Gott.      Nach   Plinius 
hat   Hermippus    die  Bücher    Zoroaster^s    studirt,    von   denen   auch   Abu   Jafir 
Attavari  spricht  (s.  Hyde).     Der  Stab  der  Magier   war   ein   Rohr,    womit    sie 
in   dem  Kreise  stehend  ihn  aufheben  zum  Essen  (nach  Sotion).     Yima  öffnete 
mit  seiner  Goldlanze  für  die  zunehmende  Menschenmenge  neuen  Raum,  nach- 
dem bereits  dreimal  die  Länder  durch  Ahura-Mazda  für  ihn   erweitert   waren 
(nach  dem  Vendidad). 

Nach  iMassudi  wurde  zu  der  von  Z  rathustra  verfassten  Avesta  der 
Commentar  Pazend  geschrieben  und  später  der  Yazdah  genannte  hinzugefügt. 
Shahrastani  theilt  die  den  Brahmanen  und  Sabaeern  gegenübergestellten  Magier 
(die  in  ihrer  Kesh-i-lbrahim  genannten  Religion  den  Juden  angenähert  wurden) 
in  Mazdakhyah  (mit  der  Lehre  von  der  Seelenwanderung),  die  Kayomarthiyah 
(mit  einer  dem  ersten  Menschen  gewährten  Offenbarung)  und  die  Zervaniten 
(mit  Zervati  akarana  oder  schrankenlose  Zeit  als  höchste  Gottheit).  Nach 
Eznik  wurd(!  l)ei  Zeruau  s  Opfer  für  einen  Sohn  Ormizt  empfangen,  und  in 
Folge  eines  geäusserten  Zweifels  Arhmen.  Nach  Theodoros  stellte  Zarastra- 
des an  die  Leitung  der  Welt  Zartuiara,  als  Geschick,  bei  Opfer  für  Hormis- 
das  zugleich  Satan  herrufend  (bei  Plotin).  Firdusi  sieht  in  dem  sich  (als 
Himmel)  drehenden  Sipihr  eine  Schicksalsiuacht.  Plato  macht  Zoroaster  zum 
Sohn  des  Ormazdes.  Mohamod  beschuldigt  die  Juden,  dass  sie  Ezra  als 
Sohn  Gottes  betrachteten.  Nach  Eudemos  (bei  Damascius)  betrachteten  die 
Magier  bald    den  Raum,   Itald   die   Zeit  als    Grundursache,   die    sich   in    das 


Völkerkreise  in  Afrika.  159 

Rute  und  böse  Wesen,  oder  Licht  und  Finsterniss  spaltete.  Spiegel  sieht  in 
Thwasha  (dem  unendlichen  Raum)  eine  der  grenzenlosen  Zeit  ähnliche  Gott- 
heit. Nach  Herodot  fehlte  Cambyses  gegen  die  Gebote  der  Feuerverehrung^ 
indem  er  den  Körper  des  Königs  Amasis  verbrennen  Hess,  in  der  Midrash 
Rabbi  dagegen,  liisst  der  das  Feuer  verehrende  Nimrod  den  widersprechenden 
Abraham  zum  Verbrennen  verurtheilen. 

Die  Magier  unterscheiden  zwei  Principe,  den  guten  und  den  bösen  Geist, 
Oromasdes  und  Areimanios  (nach  Eudoxus)  Jm  Gegensatz  zu  Oromasdes 
schuf  auch  Areimanios  sechs  Götter  (nach  Plutarch).  Nach  Aristoteles  hiess 
Zeus  (bei  den  Magiern)  ÜQO^iaodrjg^  Hades  dagegen  ^Qti^iaviog  (Diogenes). 
Nach  Porphyrius  wurde  Pythagoras  vom  Cbaldäer  Zabratas  unterrichtet. 
Movers  fasst  Bei  als  den  Alten  der  Tage  (b.  Daniel).  Die  Assyrer  unter 
Ninus  und  die  Bactrier  unter  Zoroaster  kämpften  als  Magier  und  Chaldäer 
(nach  Arnobius). 

Die  erste  Dynastie  der  Assyrier  hatte  ihren  Sitz  in  Kileh  Shergat  (bei 
Niniveh),  bis  Shalmaneser  I.  Kalah  (Nimrod)  erbaute.  Unter  dem  zweiten 
eroberte  Tiglathi-Nin  oder  Ninus  Babylonien  und  später  dehnte  Tiglath  Pile- 
ser  1.  seine  Kriege  aus,  wie  in  dem  dritten  (unter  den  Sargoniden)  Tiglath 
Pileser  IL  Ihm  folgte  der  Usurpator  Sargon,  Vater  des  Sennacherib.  Auf 
dem  Obelisk  mit  der  Inschrift  Sardanapals  I.  werden  ein  zweihökriges  Ka- 
meel,  ein  Elephant  und  eiif  Rhinoceros  als  Trophäen  vorgeführt. 

Die  von  Nimrod  oder  Belus  nach  Mesopotamien  (in  Ost-Africa)  geführten 
Cushiten,  mit  turanischen  Burbur  oder  Akkad  (Armeniens)  gemischt,  wurden 
(nachdem  die  Semiten  nordwärts  nach  Assyrien  gewandert)  durch  den  medischen 
König  Zoroaster  oder  Kudur-Nakhunta  aus  Susa  (in  Elam)  besiegt.  Nach 
Wiederherstellung  der  chaldäischen  Dynastie  (bei  Chedorlaomer^s  Niederlage) 
folgten  die  arabischen  Kriege  (mit  Khammurabi)  und  dann  beginnen  die  Kriege 
mit  dem  (durch  Belsumilikapi  gestifteten)  Reich  der  Assyrer,  wodurch  Babylonien 
(bei  den  Eroberungen  des  Krieges  Tiglathi-Nin)  semitisirt  wurde,  bis  (628 
a.  d.)  die  babylonische  Monarchie  durch  die  Chaldäer  wieder  hergestellt 
wurde  Nach  Moses  Chor,  wurde  Semiramis  von  Zradascht,  dem  Magier  der 
Medier,  nach  Armenien  getrieben. 

Cham  oder  Mesraim  wurde  Zoroaster  genannt,  als  Nimrod  (Clem.),  durch 
den  Blitz  getödtet,  wodurch  die  Perser  durch  Verehrung  der  Kohlen  und  des 
Feuers  die  Herrschaft  erlaugt  (und  dann  hätten  auch  die  Babylonier  die 
Kohlen  gestohlen,  um  zu  herrschen).  Der  Erste  der  medischen  Tyrannen, 
die  (bei  Berosus)  Babylon  eroberten,  heisst  (bei  Syncellus)  Zoroaster.  Hystas- 
pes,  Medorum  rex  antiquissimui^,  von  dem  Lactantius  den  Namen  des  Flusses 
Hydaspes  ableitet,  wird  (bei  Justin)  mit  sibyllinischen  Weissagungen  in  Be- 
ziehung gesetzt.  Nach  Strabo  wurde  Anaitis  Omanes  und  Anadates  (Anan- 
dates)  von  den  Persern  verehrt  neben  dem  Feuer  und  nach  Pausanias  ent- 
zündete sich  auf  dem  Altar  das  Holz  ohne  Feuer. 

Nach  Amm.  Marcell  wurden  des  Bactrier  Zoroaster  Lehren  ex  Chaldaeorum 


160  Völkerkreise  in  Afrika. 

arcanis  verehrt  durch  König  Hystaspes  (Darii  pater).  Nach  Agathias  änderte 
Zoroaster  oder  Zarades  (zur  Zeit  des  Hystaspes),  als  Magier  die  Religion 
der  Perser,  die  früher  Bei,  Sandes,  Anaitis  und  andere  Gottheiten  (der  Assyrer 
und  Medier)  verehrten. 

Zerovanes,  der  (nach  Xisuthrus)  mit  Titan  und  Japethostes  die  Welt  be- 
herrschte, wird  (n.  Moses  Chor.)  mit  dem  Magier  Zoroaster  identificirt  (als 
bactrischer  König).  Ausser  einem  oder  zwei  Zoroaster  setzte  man  vor  Osthanes: 
Zoroastrum  allum  Proconnesiura  (nach  Plinius).  The  High-priest  of  the  whole 
Parsee  coramuuity  was  helieved  to  be  the  successor  of  the  great  founder 
Zarathustra  Spitama,  and  to  have  inherited  his  spirit  (Hang).  Kava,  Vistaspa, 
Jamaspa  und  Frashoastra  werden  als  Schüler  des  Zarathustra  Spitama  genannt. 
Nach  Hermippus  war  Agonaces  Lehrer  des  Zoroaster.  Nach  den  Parsee 
wurde  die  Nosk  dem  Proplieten  Zoroaster  von  Gott  überliefert  (s.  Hang). 
Die  (von  den  nördlich  verschiedenen)  Arimasper  (Euergeten)  oder  Ariaspen 
(zwischen  Drangiana  und  Gedrosien)  wurden  von  Zoroaster  in  der  Lehre 
vom  guten  Gott  unterrichtet  (n.  Diodor).  Clem.  AI.  identificirt  den  Pamphylier 
Er  mit  Zoroaster.  Auf  Kuhhäute  geschrieben  sollen  Zoroaster's  Bücher  durch 
Alexander  M.  verbrannt  sein.  Nach  Klearchus  stammten  die  Gymnosophisten 
von  den  Magiern.  Neben  Druiden  oder  Semnotheoi  (der  Kelten  und  Galatier) 
werden  die  Gymnosophisten  der  Inder  (in  Räthselsprüchen  philosophirend) 
gestellt,  dann  die  (Astronomie  treibenden)  Chaldäer  (der  Babylonier  und 
Assyrier)  und  die  persischen  Magier,  die  den  Dienst  der  Götter  (in 
Feuer,  Wasser  und  Erde)  übten,  (wie  Opfer  und  Gebete,  die  Götterbilder 
aber  verachtend  (s.  Diogenes). 

Im  Gegensatz  zur  Knechtung  der  Frau  durch  schreckende*)  Geheim- 
bünde kommt  im  südlichen  Africa  auch  Suprematie^)  derselben  vor. 


')  Um  die  Frauen  (der  Thatoo)  in  Ordiiunij  zu  halten,  the  husband  (in  Californien)  paints 
himself  in  black  and  white  stripes  to  personato  on  ogre,  and  suddenly  jumping  in  among  hi.s 
terrified  wives,  bringr;  them  speedily  to  penitence  (H.  Bancroft).  A  woman  may  be  slaiightered 
for  half  the  snm  et  costs  to  kill  a  man  (in  Californien).  Boys  destined  to  be  piaces  (sorcerers) 
are  taken  at  the  age  of  10—1-2  years  to  be  instructed  (selected  for  the  natural  inclination 
or  their  pecuiiar  aptitude),  confined  in  a  solitary  place  (with  their  instructors),  subjected  to 
severe  discipiiue  (eatirig  no  flesh  nor  anything  having  live,  but  living  solely  on  vegetables, 
drinkirig  oiiiy  water  and  not  iudulging  in  sexual  iutercourse),  ncither  parents  nor  friend  being 
permitted  to  see  them  (only  at  night  visited  by  professional  inasters).  In  the  province  of  Gueba 
masters  in  the  necromantic  arts  are  called  Tequinas  (s.  H.  Bancroft).  In  Südcalifornien  wurden 
die  Jünglinge  (zur  Prüfung)  mit  Nesseln  geschlagen  und  dann  über  Ameisennester  gesetzt 
(s.  H.  iJancroft).  If  a  sick  per.son  has  a  child  or  sister  they  cut  its  or  her  little  finger  of 
the  right  band,  and  let  the  blood  drop  on  the  diseased  part  (in  Unter -Californien).  If  the  son 
succeed  the  father  it  e.s  because  the  son  has  interited  the  fathers  wealth,  and  if  a  richer,  than 
he  arisc,  the  ancient  ruler  is  desposcd  (in  California).  In  some  of  the  coast-tribes  the  chieftaiiiship 
is  hereditary  as  with  the  i'atawats  on  Mad-River  (and  the  Allequas).  lllegitimate  children 
aro  iife-slaves  to  .somo  male  relative  of  the  other,  and  upon  them  the  drudgery  falls,  they  are 
'•nly  allowed  to  marry  oue  of  their  own  Station  (in  California).  Young  children  underwent  a 
kind  of  Itaptisnial  ceremony.  The  Mayas  helieved  that  ablution  washed  away  all  evil  (H. 
Bancroft). 

'"0  L)er  Stamm  der  Comanches  am  Bolson  de  Mapirai  wurde  (zu  Langbergs  Zeit)  von  einer 


Volkerkreise  in  Afrika.  161 

UntPF  den  Araberstämmen  der  Aramka  Oiir  Mabana  oder  (Schua)  Schiwa 
(deren  von  „dem  Maghrebi-Idiora  verschiedener  Dialect  in  vielen  Zügen  die 
Reinheit  und  Gewandheit  der  Sprache  der  Hidjas  bewahrte")  in  Wadai  wohnen 
in  der  Abtheilung  südlich  von  Wara  die  Missirie  bei  Domboli,  (westlich  von 
Rass-el-Fil  oder  Tandjaknak  auf  dem  Wege  von  Schenini  nach  Ssilla,  wo  die 
Bewohner  sich  Einschnitte  machen),  und  diese  Missirie  zerfallen  in  die  Sosuok 
(Schwarzen)  und  Homr  (Rotheii). 

Jenseits  der  Sitze  der  Kuti  (im  Süden  Runga's)  fliesst  auf  der  andern 
Seite  des  (Berges  Kaga  Banga  der  Baliar  Huta  ins  Land  der  Fellata  (Nachtigal). 
Nach  Runga  wurden  arabische  Kriegsgefangene  in  die  Verbannung  geschickt. 
Ausser  den  Arabern  Kanem's,  werden  die  Dattelgärten  Bodo  und  Tiggis  vom 
Süden  her  durch  Mahamid  und  Missirie,  vom  Osten  her  von  den  Anna  be- 
droht (Nachtigal).  Im  Gegensatz  zu  den  Arabern  an  der  Küste  der  Wassiri 
(Wassili)  heissen  die  in  Bornu  ansässigen  Araber  (s.  Barth)  Schua  (Schiva) 
oder  (in  Wadai)  Aramka,  aus  Nuhien  und  Kordofan  mit  Rinderheerden  ein- 
gewandert (Badjaudi). 

Die  Wasira  (Vacira)  oder  Messira  (lords  of  the  soil)  wurden  von  Can- 
hembo,  dem  Quilolo  oder  Feldherr  des  Muropue  oder  Mwata-ya-Nvo  mit  einem 
Heer  von  Alondas  (die  Campacolo-Sprache  redend)  unterworfen.  Die  jMessira 
bedecken  sich  mit  Einschnitten')  (wie  die  Ho  und  andere  Scratch-faced). 
Das  Land  Chama  des  Fumo  Chipaco  (mit  dem  Dorf  des  Fumo  oder  Mfumo 
Mouro-Achinto)  am  Hianbigi  oder  Chambeze-Fluss  (zu  Lacerda's  Zeit)  wurden 
später  von  dem  Mfumo  Muiza  Messire-Chirumba  beherrscht  (s.  Burton). 
Die  Mussucumas  am  Chambeze  sind  mit  Muizas  gemischt. 


alten  Frau  angeführt  (Froebel)      The   husbaud   has  no  control   over   the   property  of  his    wife 
(bei  den  Navajos),  der  Neffe  erbt  (s.  Letherman).     Appleyard  erklärt  Mantatees  als  Bamatantisi, 
the  people  of  the  mother  Tantisi  [Bonomotapa].      Die    mit  Hülfe  einer   Frau,    Namens  Bruttia 
ein  von  Afrikanern  besetztes  Kastell  des  Dionys  erobernden  Lukaner  nannten  sich  (nach  Justin) 
ex  nomine  mulieris  Bruttii  (Bqi^ttioi).     Dionys,  der  mit   den  Galliern  (nach  Eroberuncr   Roms) 
ein  Bündniss  geschlossen  (um  eine  Anzahl  ihrer  Hülfstruppea  zu  besolden),  schickte  (gegen  die 
Thebaner)  auf  seinen  Schiffen  Kelten  und  Iberer  nach  Korinth  (369  a.  d.)"'Bei  dem  Kriege  mit 
Epirus  schickte  Dionys  den  Illyriern  (nel)eu  Hülfstruppen)  hellenische  Rüstungen  für  ihre  tapfer- 
sten Soldaten  (381  a.  d.)    Nach  Dionys   Culoiiisation   in    llatria  (besonders  für  den  Bernstein- 
handel) hiess  man  die  Pomündungen  noch  länger  Fossa  Philistina  (s.  Holm).     When   a   woman 
was  about  to  be  confined,  the  relatives  assembled  in  the  hat  and  commenced    to  draw  on   the 
äoor  figures  of  different  animals  rubbing  each  one  out  as  soon  as  it  was  completed.     This  Ope- 
ration continued  tili  the  moment  of  birth,   and   the   figure   that  their  remained   sketched   upon 
the  ground  was  called  the  childs  „tona"  or  second  seif.     When  the  child  grew  old  enough,   he 
procured  the  animal  that  represented  bim  and  took  care  of  it,  as  it  was   believed,   that   health 
and  existence  were  bound  up  with   that  of  the  animals,   and   in  fact,   that   the  death   of  both 
would  occur  simultaneously  (s.  H.  Bancroft)  bei  den  Zapoteken  (auf  dem  Isthmus    von  Tehuan- 
tepec).    Soon  after  the  child  was  born,  the  parents  accompanied  by  friends  and  relatives  carried 
it  to  the  nearest  water,    where  it   was  immersed,   while  at    the  same   time,  tbey   invoked   the 
inhabitants  of  the  water  to  extend  their  protection  to  the  child,  in  like  manner  they  afterwards 
prayed  for  the  favour  of  the  animals  of  the    land    (bei   den  Zapoteken),   Uevandolos  i\  los  rios 
y  sumergiendolos  en  el  agua,    hazian    deprecacion  ä   todos    los    animales    aquatiles,    y   luego  ä 
los  de  tierra  le  fueran  favorablcs  y  no  le  ofendian  (Burgoa). 
')  The  Marundas  (über  die  Vacira  herrschend)  tattoo. 


162  Völkerkreise  in  Afrika. 

Die  (gleich  den  Maraves)  auf  Handelswegen  plündernden  Muizas  (Moizas 
oder  Invizas)  oder  (Wabisa  oder  Wabisha)  Babisa  (Abisa  oder  Aizas),  als 
Ambios  oder  Imbies  (b.  Jarric)  und  als  Vaviza  oder  Yavua  (bei  Neves),  die 
(westlich  vom  Nyassa  bis  zum  Tanganyika  lebend)  durch  die  Moluanes  oder 
Muembas  zerstreut  waren,  wurden  (von  Livingstone)  mit  den  Wanyamwezi 
identificirt  (s.  Burton).  Oestlich  vom  Tanganyika  liegt  Unyamuezi  und  west- 
lich xManuoma.  Die  Berülirungspuncte  der  Maravi  oder  (nach  Monteiro) 
Muzimba  (an  die  Munhaes  Monomotapa's  grenzend)  und  der  Muizas  führen 
auf  die  alten  Schlachtfelder  zwischen  Monomoezi  und  Benomotapa.  Das  west- 
liche Vordringen  der  Zimba  oder  Jaga  scheint  durch  die  west-östliche  Bewe- 
gung von  Kabebe  nach  Lunda  (vom  Norden  herabkommend)  gehemmt- 
Die  Maraver  leben  immer  in  grossen  Dorfschaften  beisammen,  in  welchen 
sich  ein  Chef  findet,  den  sie  Muene-muzi  oder  Baba  nennen  (Peters).  Zwi- 
schen den  Bororos  (am  linken  Ufer  des  Zambese)  und  dem  Lupata-Gebirge 
wohnen  die  Maganjas  (am  Skire  und  Nyassa)  und  an  den  Fällen  des  Zam- 
besi  finden  sich  (von  den  Makololo  unterworfen)  die  Batoka  oder  Batonga, 
unterhalb  vom  Zambesi  dagegen  die  Banyai.  Die  Manguros  (am  Shire) 
handeln  mit  den  Mujanos  (Wahiao)  oder  Mujao  (nördlich  und  östlich  vom 
Nyassa). 

Die  Muizas  (südlich  von  den  Cazembern)  wurden  durch  die  Maembas 
oder  Moluanes  (unter  den  Chiti-Mukulo)  in  das  Land  der  Chevas  (im  Norden 
an  das  portugiesische  Territorium  grenzend)  getrieben.  Die  Cazember 
herrschten  in  Lunda  oder  (nach  Magyar)  Tamba-la-meba  über  die  Murundas 
(Arundas  oder  Lundas).  Das  do[)pelschneidige  Messer  Pocueh  darl  am  Hof 
des  Cazember  nur  von  seinen  Dienern,  von  Beamten  nnd  Soldaten  getragen 
werden  (nach  Freitas). 

Neben  Kabebe  (in  der  Nähe  des  Liiiza,  der  in  den  Kasai  tlicsst),  Haupt- 
stadt der  (den  Gott  Kalumbo  verehrenden)  Molua  liegt  die  Königliche  Be- 
gräbnissstadt Galandsche  und  in  Sakambundschi  (am  Kasai)  versammeln  sich 
die  nach  Osten  ziehenden  Karawanen  aus  Pungo  Ndongo,  Kassandji  und 
Bihe.  Südlich  von  dem  (den  Muata  Janwo  unterworfenem)  Lande  Kiboke 
(mit  dem  Häuptling  Kanika)  liegt  (im  Osten  von  Kimbundi)  die  Grasebene 
Inannoana  (in  Lobale). 

Die  vom  Chiti-Muculu  (mucuru  oder  gross)  beherrschten  Auembas  (Muem- 
bas)  oder  Moluanes  (im  Nordwesten  vom  Cazembe-Keich)  verbreiten  sich,  als 
Wanderer  (und  erobernder  Stamm),  in  das  Land  der  vom  Muata-ya-Nvo  be- 
herrschten Alundas  oder  Warunda  (Balonda)  oder  Arunda  (Runda')  oder 
Dorf),  mit  denen  die  Awembe  oder  Miluana  (gemischte  Milua  oder  Warna) 
verwandt   sind. 


')  All  the  petty  chiefs  of  a  particTilar  portinu  of  couniry  give  a  sorl  of  alleffiance  to  a 
paramouiit  chief,  called  the  Rniulo  or  Rondo  (8.  Livingstone),  auf  dem  Hochland  der  früher  mit 
dem  Unda  betitelten  Priester  vereinigte  Mangan  ja  (von  wo  die  Hochländer  der  Maravi  erblickt 
werden). 


163 


Australien  und  Nachbarschaft. 

(Fortsetzung.) 

In  den  Mythologien  des  indischen  Archipelago,  die  aus  Buddhismus  und 
Brahmanismus  verschiedene  Elemente  aufgenommen  haben,  zeigen  sich  allerlei 
Reminiscenzen  an  phönizisch-babylonische  Vorstellungen  aus  alter  Zeit  so- 
wohl, wie  Beziehungen  zu  den  neuerdings  aus  Polynesien  bekannt  geworde- 
nen. Die  gleichartige  Wiederkehr,^)  die,  wo  sie  in  dem  Grundgedanken 
hervortritt,  sich  bei  sichtendem  Eindringen  auch  in  den  Entwickelungsgeset/en 
verfolgen  lässt,  liegt  ebenfalls  schon  in  Uebereinstimmungen  ^)  zu  Tage,  die 
durch  Nebenumstände  zusammengebracht  sind. 

Die  centralen  Battak  stammen  von  Tauan  Sorba  Si  Banoua  (Sohn  des 
ßatara  Gourou),  der  mit  der  himmlischen  Prinzessin  Si  Baurou  Baso  Pait 
aus  der  oberen  Welt  auf  die  Erde  kam,  um  im  Nordosten  des  Meeres  von 
Toba  den  Flecken  Lobou  Sihalaman  zu  gründen. 

Si-Deak  Paroudja,  Tochter  des  Himmelsschöpfers  Batara  Gourou  (Sohn 
des  schöpfenden  Principes  Moula  Djadi  Nabolan)  hat  die  Erde  geschaffen 
(im  Monde  spinnend),  und  sein  Sohn  Inda-Inda  schützt  die  Menschen,  indem 
er  ihre  W^ünsche  seinem  Bruder  Mengala  Boulan  mittheilt,  und  dieser  seinem 
Bruder  Saripada,  der  sie  Batara  Gourou  überbringt,  durch  welche  sie  vor 
Moula  Djadi  Nabolan  niedergelegt  werden.  Nach  Henney  werden  von  den 
Raja  der  Battak  in  Gebeten  Batara  Gourou,  Saripada  und  Mengala  Boulan 
(durch  den  Raja  Inda-Inda  vertreten)  angerufen  (s.  Bäcker). 
Nach  den  Battak  wohnt  im  siebenten  Himmel: 

Diebata,    als    allwissend    (Diebata    manoungal)    und    schöpfend 

(Diebata  manganaon), 
im  sechsten:   seine  Tochter  Si  Dayang  maonjalanjala  di  langih  (die  flammende 

Macht)  mit  Touan  Dang  Batari  (dem  Richter  der  Menschen), 
im  fünften:      Touan  Rumbio  KayO  (Ernten,  Vieh  und  Minen  schützend), 


')  Die  Naturwissenschaft  liefert  der  Psychologie  das  anatomische  Gerüst,  während  die  (le- 
schichte  die  Gesetze  ihrer  Psychologie  ausverfolgt. 

'0  Der  Gouverneur  (1590)  der  Proviiu  Macas  wurde  hei  dem  Aufstand  der  Xibaros  durch 
den  Caciquen  Quirruba  getödtet,  indem  man  ihm  (seiner  Habsucht  wegen)  geschmolzenes  Gold 
in  den  Mund  goss  (Velasco)  [Cyrus  und  Tomyris].  In  dem  8treit  um  die  Statthalterschaft  von 
Popaya  (zwischen  Mier  und  Velasco)  wurden  »indianische  Kanonen"  gefertigt,  faits  d'une  espece 
de  roseau,  tres-courts,  entoures  de  cuir  (Anfang  des  XVll.  Jahrh.).  Von  den  Alguasilen  wur- 
den die  Partheien  die  Pambaso  und  Tripitinario  genannt,  et  la  haine  s'est  perpetuee  entre  les 
familles  (Ternaux-Compans)  [Weifen  und  Ghibellinen].  Die  im  Prozess  zu  Arras  (14ö6)  ver- 
brannten Hexen  waren  der  Vaudoisie  angeklagt  (nach  Monstrelet)  [Vaudoux  der  Neger  in  fran- 
zösischen Colonien].  Nach  Ebu  Abbas  wurde  Christus  durch  das  Fenster  in  ein  Haus  gebracht 
und  durch  das  Dach  zum  Himmel  aufgenommen,  während  der  ihm  zur  Ermordung  durch  das 
Fenster  folgende  'l'itianus  in  seiner  Gestalt  verwandelt  und  so  gekre  uzigt  wurde.  Principes 
itaque  tenebrarum  cruci  est  affixus,  idemque  spineam  coronam  portavit  (Mani). 


164  Australien  und  Nachbarschaft. 

im  vierten:      Si-dayang-Bientang-brayon    (medicinische   und    giftige    Pflanzen 

schützend), 
im  dritten:      Dato    Obal    Baloutam    (die    Krieger     mit    unsichtbarem    Schild 
schützend),  und  Dato  Sioubang  Hossa  (den  Athem  der  Sterben- 
den verlängernd  oder  fortnehmend), 
im  zweiten:    Namora  Setau,    in    seiner  Wohnung    (Aijora    Djoumba    horang) 
angeschmiedet,    aber  (wenn  Diebata's  Zorn    auf    die    Menschen 
erregt  ist)  losgelassen  (mit  Messerzähnen),    um    Krankheit    und 
Zwietracht  zu  verbreiten    (vom    Vogel    Amporik    Garoudon    be- 
gleitet), 
im  ersten:       seine  Gattin  Borou  Bangopourie  Batoutang  (Schamlosigkeit  und 
Laster  anregend)  mit  Namora  si  Dangbella    (zur    Wuth    aufsta- 
chelnd). 
Als  Hüter  der  Himmelswelt  führt  Ompong  Randong  Namonor  die  Seelen   der 
Abgeschiedenen  zu  Touan  Dang  Batari,    der  die  Guten    (wenn    er    sie    nicht 
neben  sich  wohnen  lässt)  in  Edle  auf  der  Erde  einkörpert   oder   die   geringe- 
ren Grades  zu  Dato  Obal  Baloutan  sendet,  während  die  Seelen  der   Schlech- 
ten (gequält  und  traurig)  um  die   Gräber')  und  früheren  Wohnungen  umher- 
irren (s.  Backer). 

Nach  Kyabi  Karto  Moosodho  (in  Java)  wurde  Himmel  imd  Erde  (als 
Sang  Iwang  Wiseso  nach  Bathoro  Gosu's  Unterricht  verschwunden  war) 
auseinander  gerissen  und  zur  Betrübniss  des  Himmels  wurde  die  Erde  von 
den  Winden  auf  dem  (dann  von  den  Winden  Siendoong  haliwawor  und  Sien- 
doong  baijou  bodjiro  angegriffenen)  Meere  umhergetrieben,  bis  (nach  Schöpfung 
der  Götter  und  der  Landhüter)  die  Insel  Java  durch  den  Berg  Djamor  Dhipo 
befestigt  wurde,  den  die  Götter  (mit  Ausnahme  des  schmiedenden  Hempou 
Romadhi)  versetzten. 

Der  höchste  Gott  schuf  den  Himmel  Baleh  Ngaras,  als  seinen  Thron, 
und  dem  gegenüber  Bathoro  Guru  den  Himmel  Baleh  Martjoukoundo,  und  so 
entsprach  alle  Schöpfung  Gottes  (in  Paradies,  Hölle,  Brücke  u.  s.  w.)  einer 
Schöpfung  Bathoro  Guru's  (dem  Buche  gemäss). 

Während  die  Götter  im  Baleh  Martjoukoundon  versammelt,  das  Lebens- 
wasser tranken,  zeigte  sich  (als  Bathoro  Gourou  seiner  Schwester  Bathari 
Houmo  Liebeserklärungen  machte)  ein  (vom  Meere  bis  zum  Himmel  bemerk- 
barer) Aufruhr  in  der  Natur,  unter  welchem  die  Götter  die  Erscheinung  Kormo 
Sahihis  bemerkten,  der  in  einen  furchterregenden  Riesen  verwandelt  und  (als 
der  erzürnte  Bathoro  Gourou  seine  klagende  Gattin  bei  den  Füssen,  den 
Kopf  nach  Unten,  emporhob)  eine  Riesin  zur  Frau  erhielt,  mit  der,  stete 
Liebe  pflegend,  er  dann  Houso  Kambangngan  bewohnt. 


')  Das  Begraben  ist  nach  arabischer  Sage  durch  den  Raben  gelchrl,,  während  vorher  die  Dis- 
position über  die  Leichen  Schwierigkeiten  venirsachen  mag,  indem  man  nicht  weiss,  was  damit 
beginnen.  Si  un  Indien  venait  k  mourir,  ses  parents  plavaient  le  cadavre  sur  son  seant  au 
milieu  de  la  maison  et  l'abandonnaient  ensuite  avec  tout  ce  qu'elle  contenait  (unter  den  Cuana- 
cas).    Ebenso  wird  das  Haus  verlassen,  in  dem  eine  Frau  geboren  hat  (s.  Velasco). 


Australien  und  Nachbarschaft.  165 

Durch  das  Kleinod  Retno  Dliourailah  uDbcrührt  von  Feuer,  Wasser,  Waf- 
fen, büsste  im  Meere  Kaneko  Poutro,  der  durch  Gebete  erhaltene  Sohn  des 
Tjator  Kenoko  (des  durch  Gebete  erhaltenen  Sohnes  des  Iwaug  Dharmo  Djoko) 
und  lehrte  dem  sich  als  höchster  Gott  glaubenden  Iwang  Pramesthi  oder 
Iwang  Gourou  (Pramesthi  Gourou),  dass  bereits  vor  Iwang  Wiseso  (der  bei 
der  ersten  Wüste  und  Leere  als  Schöpfer  auftrat)  die  Glockentöne  Iwang 
Tan  Hono's  gehört  seien  (und  Alles  seinen  Gegensatz  habe). 

Als  das  von  den  Göttern  begehrte  Kleinod  Retno  Dhoumilah  aus  Kaneko 
Poutro's  Hand  geschlüpft  war,  fiel  es  vom  Himmel  herab  durch  alle  Erden 
hindurch  bis  in  die  siebente,  wo  es  von  der  Schlange  Iwang  Honto  Bogo 
(die  Erde  auf  dem  Rücken  tragend)  verschlungen  wurde,  und  diese  sich  auf- 
rollend (ohne  Anfang  und  Ende)  verwirrte  die  sie  umlaufenden  Götter,  dann 
verschwindend,  als  sie  in  den  Himmel  getragen  werden  sollte.  Als  darauf  der 
erzürnte  Iwang  Kaneko  Poutro  einen  weissen  Raben  aus  dem  Geschlecht  der 
Reiher  bilden  lassen  wollte,  erschien  die  Schlange  als  der  Sitz  Iwang  Gou- 
rou's  (durch  ihn  beschützt)  und  dort  gab  sie  auf  Verlangen  das  das  Kleinod 
einschliessende  Gefäss  Manik  Hasto  Gino,  welches  (weil  keiner  der  Götter 
es  zu  öffnen  vermochte)  zerschlagen  wurde.  Das  Kleinod  Retno  Dhoumi- 
lah nahm  dann  die  Form  eines  neugeborenen  Mädchens  (Kin  Tisuo  Wati), 
und  dieses  in  den  Liebesumarmungen  Batoro  Guru's  verschieden,  wurde  in 
einen  von  der  Sonne  beschienenen  Hain  bei  Meudaug  Kamolan  (wohin  sich 
die  beim  Baden  überraschte  Dewie  Srie,  Gattin  Iwang  Wisnou's.  vor  dem  in 
in  ein  Schwein  verwandelten  und  den  Körper  des  Königs  Mengen  Kouhau 
annehmenden  Kolo  Gouuiarang  in  den  Körper  der  Königin,  Gattin  des 
Königs  Dharmo  Nasliti,  getlüchtet  hatte)  begraben.  Au  temps  oii  la  semence 
commence  ä  poindre,  il  sortit  de  la  tete  de  Tisno  Wati  un  cocotier,  des  par- 
ties  sexuelles,  du  padie  (riz),  des  paumes  de  ses  mains  un  pissang  et  de  ses 
dents,  un  djagong.     11  s'eleva  encore  quantite  des  plantes  (s.  Backer). 

Neben  Brahma,  Gott  des  Feuers,  Vishnu  (Gott  der  Flüsse)  und  Segara 
(Gott  des  Meeres)  verehren  die  Balineseu  Kam  (auf  einer  Insel  zwischen 
Jumna  und  Ganges  geboren),  sowie  Ganesa  und  (auf  einer  Kuh  reitend) 
Durga.  Nach  dem  Ousana  Bali  (s.  Friederich)  wohnt  in  einem  höheren  Him- 
mel, als  Brahma,  der  Hüter  des  Reiches  Pasoupati  (Siwa),  der  den  Maha- 
Meru  und  die  Berge  Gunung  Agung  (Sitz  Batara's  Maha  dewa)  und  Gunung 
Batur  (Sitz  des  Dewah  Danouh)  spaltete. 

Ueber  den  Göttern  Isvara  (im  Osten),  Mahasora  (im  Südosten),  Batara 
Brahma  (im  Süden),  Rudra  (im  Südwesten),  Mahadeva  (im  \\  esten),  Saugkora 
(im  Nordosten),  Vishnu  (im  Norden),  Sambu  (im  Nordosten),  Siwadewi  (im 
Centrum),  Sadda-Siwa  (weiterhin)  und  den  alten  Parma-Siwa  thronet  auf  dem 
Berge  Lainpujang  (mit  dem  westlichen  Berge  Baratan  des  Batara  Watukaru, 
dem  nördlichen  Berge  Mangu  des  Hjang  Danawa  und  dem  südlichen  Berge 
Andakasa  des  Hjanging  Tougou)  Batara  Gni  Djaja,  (östlich  von  den  Bergen 
Lokapala). 


IQß  Australien  uud  Nachbarschaft. 

Als  Sang  Koulpoutih  die  Lehren  des  Ousana  Bali  (auf  Bali)  verkündete 
and  Opfer  brachte,  entstand  aus  dem  Weihrauch  der  Körper  Bat  ra  Siwa's, 
aus  dem  Duft  der  Sada-Siwa's,  aus  dem  Sandelholz  der  Prama-Siwa's.  Bei 
menschlicher  Einkörperung  erscheint  Deva  Kaparagan  als  Outama.  In  den 
die  Tempolbiiume  von  Sindu  bewoliiieudeu  Vögeln  (Mredanga  oder  Titiran) 
werden  oder  Maha  Deva  und  Devi  Danouh  verwahrt,  die  in  den  Gestalten 
eines  Jünglings  und  einer  Jungfrau  in  den  Tempel  eintreten.  Alors  on  en- 
tend  clairement  dans  les  airs  l'ong  sacre  (Triaksara  ou  Trimourti),  avec  les 
hymnes  ou  Slokas,  le  murmure  des  prieres,  le  son  des  cloches  et  le  bruit 
du  tonnerre,  qui  celebrent  ensemblent  le  triomphe  et  les  amours  des  deux 
diviuites  (s.  Backer),  indem  sich  die  neuen  Götter,  die  Boud  janggas,  die 
Kesis,  Sivu  und  Logata  am  Fest  betheiligen. 

Auf  Sumatra  wird  neben  Batara  Guru  (Vater  des  Menschengeschlechtes) 
der  Gott  Sorie  Pada  (in  der  Luft)  und  der  Gott  der  Erde  verehrt.  Die  von 
der  Schiauge  Nagapadoha  getragene  Erde  wurde  von  dieser  bei  der  Ermüdung 
abgeworfen  und  versank  in's  Wasser.  Dann  stieg  Pouta  Orla  Boulang, 
Tochter  Batara  Guru's  auf  einer  weissen  Eule  vom  Himmel  herab  (von  einem 
Hunde  begleitet),  und  damit  sie  auf  dem  Wasser  einen  Ruhepuuct  fände, 
Hess  Batara  Guru  den  Berg  Bakarra  herabfallen,  an  dem  sich  die  Erde  fest- 
setzte, worauf  der  des  Fliegens  kundige  Layand  Mandi  (Sohn  Batara  Guru's) 
die  Hände  und  Füsse  Nagapadoha  s  festband,  damit  die  Erde  nicht  aufs 
Neue  abgeschüttelt  würde,  und  auf  dieser  gebar  dann  Pouta  Orlang  Boulang 
drei  Knaben   und  drei  Mädchen,   als  Vorfahren  der  Menschen. 

Als  der  grosse  Kopf  der  Schlange  Nagapousai  im  Wasser  beständig 
durch  die  Winde  umhergeschleudert  wurde  und  der  Naga  darüber  klagte, 
sandte  der  höchste  Gott  Hat-alla  (oder  Dewatta)  seinen  Diener  Praman,  der 
den  Kopf  auf  einen  Stumpf  legte  und  mit  Erde  zum  Schutz  gegen  die  Sonne 
bedeckte  (so  dass  die  Erde  jetzt  von  der  Schlange  getragen  wird).  Als  dann 
Batou  Djumpa  (Sohn  Hat-Alla's)  zwei  Schlangeneier  erblickte,  kamen  daraus 
beim  Zerbrechen  Mann  und  Frau  hervor,  deren  14  Kinder  (7  Knaben  und 
7  Mädchen)  ihre  Seelen  (auf  Geheiss  des  Gottessohnes)  von  der  Schlange 
erhalten  sollten,  aber  weil  des  Mannes  (Soupou)  Frau  sich  nicht  (wie  gebo- 
ten) versleckt  hielt,  von  dem  heivorbreehenden  Winde  belebt  und  deshalb 
sterblich  wurden  (bei  den  Dayak).  Als  dei-  erzürnte  Vater  die  Kinder  dann 
in  Paaren  umherwarf,  tiel  eins  iu\s  Wa.-s.ser  (den  Wassergott  Djata  gebärend), 
wiihr(Mid  die  andern   Felder  odei-   Luft  bevölkerten. 

Die  Alfureu  setzten   früher  die  in   Rinde  gewickelte   jjeiche')  auf  Baum- 

')  The  futnre  abode  of  good  spirits  ressembled  tlie  Sfaiidiiiuvi;iii  Valhalla;  there,  in  the 
(Iwellin^-I)lace  of  Iheir  (fod,  they  would  live  for  ever  and  ever,  eating  and  drinking  and  dan- 
linj.'  and  bavinf^  wives  in  altnndanoe  (in  Galilürnicn).  All  aci'idents,  such  as  bruken  liiubs  or 
bereavement  by  death  were  attributed  to  the  direct  vengeance  of  their  god  for  criuies  which 
they  had  committed  ^^nach  Boscana).  Praesunt  moenibus  urbis  (die  Lares  praestites),  praesentes 
au.xiiiuimjue  ferentes  (Ovid).  Von  den  Pariser  'l'heologeii  (XV.  Jahrb.)  wyrde  vorherrschend 
das  weibliche  Geschlecht  als  das  schwächere  und  von  dem  Teufel  leichter   zu    verführende    der 


Australien  und  Nachbarschaft.  167 

zweigen  bei,  ehe  sie  dieselben  in  sitzender  Form  begruben,    damit  die  Seele 
sich  mit  Dewata  Sanghiang  vereinige. 

In  Bagwale  baten  die  Insulaner  den  holländischen  Gouverneur  Block, 
dass  die  Crocodile,  denen  reicher  Fischfang  zu  danken  sei,  nicht  getödtet 
werden  möchten  (XVII.  Jahrb.). 

Durch  Kabbai  genannte  Anschauungen  machen  sich  die  Ambanesen  un- 
verwundbar (Backer).  11s  reconnaisseut  a  leur  grand  pretre  de  Bouckit  la 
puissance  de  ressusciter  les  morts. 

Bei  Krankheiten  rufen  die  Badjonesen  zwei  Wassergeister  an,  Touwan 
Santri  Mouda  Laut  und  Touwan  Toliman  Laut. 

In  Maudaheling  heissen  die  mitunter  erscheinenden  Geister  Tinargassas 
in  Eugano  (und  bei  den  Loubu)  Koueh  (auf  Poggi). 

Bei  den  Nias-Iusulanern  nimmt  Adjou  Nowo  die  Todten  auf,  und  mit 
ihnen  gelten  Lawolo  (die  Häuser  und  Dörfer  schützend)  und  Siraha  als  gute 
Geister,  denen  die  bösen  Lewaka  (die  Seele  verschlingend;,  Saho  (im  Walde 
lebend)  und  Toukeh  (unter  der  Erde)  gegenüberstehen. 

Si  le  dernier  soupir  du  mourant  est  accompagne  d'un  doux  bruit,  les 
Koubous  disent,  que  le  defuut  est  devenu  uu  esprit  heureux  (ä  Palembaug), 
die  Ahnen  verehrend  (s.  Backer). 

Pour  les  habitants  de  Limo,  Lo  Pahalaa  l'espace  compris  entre  la  terre 
et  le  firmameut  est  peuple  de  lati  lo  oloto,  c  est-ä-dire  d  esprits  malins,  qui 
servent  de  guides  aux  personnes,  sous  la  figure  de  Pouggoh  ou  papillons,  et 
les   exciteut  ä  dechirer  ou  percer  le  coeur   du   piochain  (Bucker). 

In  Amboiua')   wurden  die    Geister    Himmels    und    der  Erde,    der  Sonne, 

Hexerei  beschuldigt  (Herzog),  (jesetzt,  dass  die  Körperverdiehuugen  des  bezauberten  Baueni- 
mädcheiis  Elisabeth  Lohmauu  von  Keinberg  wahr  wären,  so  „kann  man  solches  weder  tür 
etwas  wundersames  (mirabiie  seu  mirum),  noch  viel  weniger  für  etwas  wunderbares  oder  wuu- 
derthätiges  (miraculosum)  ausgeben,  sonst  wären  die  Seiltänzer  und  andere  dergleichen  Tausend- 
künstler die  grössteu  Hexenmeister  und  Besessenen  oder  Wunderthäter"  (17G0).  „Es  fehlt  ihr 
weiter  nichts,  als  ein  tüchtiger  Mann  und  ein  Buckel  voll  Prügel."  In  der  Walpurgisnacht 
pflegte  man  ilurch  Ijreiinende,  an  hohe  Stangen  gebundene  Strohwische,  brennende  Besen 
u.  dir],  m.  zu  verhindern,  dass  die  auf  dem  Blocksberg  reitenden  Hexen  Menschen  und  Thieren 
Schaden  zufügen  könnten  (s.  F.  Hahn)  Die  seligen  Menschen  glänzen  (nach  den  ludern)  in 
Sternengestalt,  während  anderswo  die  Gespenster  als  Irrwische  spuken.  Father  Girard,  discove- 
riug  Ihat  his  mistress  had  some  extraordinary  scrofoluus  luarks,  couceived  the  idea  of  proclai- 
ming  to  the  world,  tliat  she  was  possessed  of  the  Stigmata  ;H.  Williams;. 

')  II  est  generalement  admis,  parmi  les  Amboinais,  que  persoune  ne  peut  perdre  la  saute 
saus  riuHuence  de  sorciers  (swangies).  Diese  werden  getöitet  und  in  einem  Boot  in's  Meer  ge- 
setzt, wobei  die  Nernrtheilten  unbekünanert  zum  Hinriclitniigsplatz  gehen,  ("es  malheureuses 
ne  sont  pas  coupables,  mais  du  moment,  quelies  sont  accusees  de  sorcellerie,  elles  se  croient 
sorcieres  (s.  Backer).  Un  jeune  homme  (de  1:3—14  ans)  est  plante  en  terre  jusquau  cou,  puis 
il  est  accable  de  mauvais  traitemenis  et  on  le  force  par  ces  cruautes  a  promettre  qu'apres  sa 
luort  il  previendra  la  population  de  tont  ce  qui  doit  Uli  survenir.  11  est  eusuite  tue,  son  corps 
brüle,  et  ses  cenilres  deposees  dans  uu  bambou  sont  suspendnes  daus  le  Poudok,  la  salle  du 
conseil,  de  chaquo  Kampong  (unter  den  Batt;ik  in  Toba).  Weun  man  in  der  Bewegung  dessel- 
ben ein  Seufzen  zu  hüreu  glaubt,  zieht  ein  Unglück  heran  (s.  Backer).  .Avant  de  couper  la 
tete  de  lesclave,  on  lui  n-commande  de  donner  tous  ses  soius  du  maitre,  quil  doit  aocom pag- 
ner dans  l'autre  monde  (bei  den  Dayak).  Les  habitants  des  iles  Poggi  (.deren,  Seuetou  genannte, 
Dämone  Wälder,  Höhleu,    Luft,  Erde,    Wasser    bewohueu)    ueutrent  jamais    daus    une   maison 


■toQ  Australien  und  Nachbarschaft, 

Mond  und  Sterne  durch  die  Nitou  CSeele  der  Abgeschiedenen)  verehrt  (nach 
Yalentyn)  [Anitu]  unter  verschiedenen  Namen,  als  Moutouwa  Paunoussa 
Nitou  Amahoiiti  (le  vieil  homme,  Tombre  du  sauveur,  le  genie  protecteur  de 
lu  liourgade)  oder  Nitou  L;ibba  (le  genie  du  viu),  le  roi  Saniasse  au  l'ancien 
heros  de  la  guerre,  le  genie  du  Pinaug,  le  genie  du  rocher,  des  jeunes  filles 
au  de  la  nouvelle  bourgade  (s.  Backer). 

Nach  den  Karen  fliegt  der  Kephu,  als  Magen  eines  Zauberers  umher, 
in  der  Gestalt  eines  Kopfes  mit  daranhängenden  Eingeweiden,  um  Seelen  zu 
verschlingen,  die  dann  sterben,  ebenso  wie  bei  den  Mintira,  wenn  der  Was- 
serdiinion  Hantu  penyadin  Blut  aus  den  Daumen  und  grossen  Zehen  saugt. 
Nach  den  Polynesiern  krochen  die  abgeschiedenen  Seelen  ^ )    Nachts  aus  den 

nouvellement  batie,  sans  y  avoir  porte,  au  prealable  et  en    triomphe,    la    tete    d'uue    personne, 
tuee  par  eux  dans  uue  des  iles  voisiues  de  Pora  (pour  detourner  ainsi  les  maux  de  cette  demeure). 
')  Near  relatives  ot'ten  change  their  iiame,  uiuler  the  iuipressiou,  that  spirits  will  be  attrac- 
ted  back  to  earth,  if  they  hear    familiär    names    often    repeated    (iu    Columbia).      Männer    und 
Frauen  desselben  Marnga  können  (bei  den  Battak)  nicht  heirathen    (nach    Willer).     Die  Frauen 
in  Cumana  (nach  Benzoni)  were  all  first  submitted    (a  sverginarle)    to    the   priests,    thence   by 
thein  called  piaccbi  (H.  W.  Smyth).     A  Borneo,    Thabitant  de  Banjermassing    doit    faire    k   sa 
femme,  lorsqu'il  en  prend  possession,  un  don  nuptial,  qualifie  de  ,couvre-lit"    (s.  Backer).      Die 
Zanadiqa  (Atheisten)  sagten  von  deuen  sich  beim  Gehet  Niederwerfenden    (nach  Tabari),    (|uils 
montraient  leur  derriere  ä  leur  dieu  (s.  Zotenberg),     Le  Persing-iran    ou    l'etat   de    gagiste,   est 
compose  des  debiteurs  neben  dem   Atoban  (l'etat  d'esclave)  und  dem  Paugkouugdangi  der    zeit- 
weis F"reieu  (bei  den  l^attak).     Tous  les  proconsuls  eureut  bientot  des    autels,    surtout    les  plus 
mauvais,  parcequ'on  les  redoutait  davantage  et  qu'on  les  voulait  desarmer.     La  Sicile    institua 
des  fetes  pour  Verres  avant  d'oser  le  traduire  en  justice  (Boissier).     To  discover  the   particular 
beast  which  was  to  guide  bis  future  destinies,  the  child  was  intoxicated  and  for  three  or   four 
days  kept  without  food  of  any  kind      Duriiig    thi«    period    he    was    contniually    harassed    and 
questioned,  until,  weak  from  waut  of  food,  crazed   witli    driuk    and    iiuportuuity,    and    knowing 
that  the  persecution  would  not  cease  until  he  yielded,  he  confessed  to  seeing  bis  diviuity    and 
descrihed  what  kind  of  brüte  it  was.     The  outline  of  the  figure  was  then    molded    in    a    paste 
made  of  crushed  herbs,  on  the  breast  and  arms  of  the  novitiate    This  was  ignited  aml  allowed 
to  l.urn  until  entiri'ly  consumed,    and  thus  the  figure  of  the  Divinity    remained    indelibly    deli- 
neated  in  the  flesh  (ü.  Bancroft)  in  America.     They  are  averse  to  telling  their  name  to  stran- 
gers, for  fear  as  they  sometimes  say,  that  it  may  be  stolen,  tbe  truth  is,    however,    that    with 
them  the  name  assumes  a  personality,  it  is  the  shadow  or  s[)irit,    or  other    seif,    of   the    tlesh 
and  blood  person,  and  between  the  name  and  the  individual  there  is  a   mysterious    connection 
and  in  Jury  cannot  be  done  to  one  without  ail'ecting  the  other,  therefore,  to  give  one's  name  to 
a  friend  is  a  high  mark  of  Chinook  favor  (H.  Bancroft).      Nach    einer    Geburt    geht    eine    alte 
Krau  bei  den  Navajos  mit  bedeckten  Augen  um  das  Haus,  um  dann  nach  dem  beim  Aufblicken 
zuerst  Geseheneu  den  Namen  zu  bestimmen  (Alegre).     Die  Indianer  von    San    Diego    legen    das 
Neugeborene  auf  das  Wasser,  wu  es  beim  Untersiiüien  ohne  P.egräbniss  gelassen  wurde  (wie  am 
Rhein  die  Schildprolte  für  die  Lhrlichkeit  diente).     Doctors  are  snpposed    to  haved  power  over 
life  and  death  hence,  if  they  fall  to  ell'ect  a  eure,  they  are  frequently  liilled  (in  California)  und 
weil  für  das  Leben  des  Patienten  verantwortlich,  fallen  sie  bei  Misserlolg  oft    den    Verwandten 
zur  Rache,  wenn  sie  nicht  das  Gegenwirken   eines    Rivaleu    vorschützen    können.      A    los    que 
mueren  los  entierran  en  el  fogon  de  la  casa,  que  luego  abandonan,  o  los  cuelgan  de  los  urboles 
(los  Andaquies).  Nach  den  Stoikein  dauerten  die  Seelen  beim  Tode  fort  (als  Ueroen),  die  der  ge- 
wölinli.ii.Mi  Menschen   lange  Zeit,  die  der  philosophisch  gebihleten  bis  zum  Weltbrand,    von  dem 
auch  diu  Dämonen  verzehrt  werden  (s.  Uckert).     So  erreicht  die  Weltzerslörnng    bei   den    Bud- 
dhisten verschiedene  Ilimmelshöhen,   die  der    Fluthen    bis   zum    Abhassara       i'ater   Grillon   traf 
(nach  Charlevoix)  in  der  Tartarei  eine  in    Canada  gefangene   Uuronenfrau,    die   von    Stamm   zu 
Stamm  weiter  geschleppt  imd  dann  übergeschifft  war. 


Australien  und  Nachbarschaft.  Iß9 

Grabbildern  hervor,  um  in  die  Häuser  einzuschleichen  und  Herz   und  Einge- 
weide der  Schläfer  zu  verzehren  (s.  Tylor). 

Wenn  dem  Polynesier  in  seiner  Todesstrafe  der  Atua  in  der  Gestalt 
desjenigou  Thieres  erscheint,  in  welche  die  Seele ')  einfahren  wird,  so  bedingt 
die  Natur  der  Seele  die  jedesmalige  Form,  schaut  sie  abor  in  der  gesteiger- 
ten Erregtheit  bei  bevorstehender  Lostrennung  vom  Körper. 


')  Die  Brahmanen  der  Coromandeiküste  hüteten  sich  beim    Essen    der    Pflanzen    nicht   die 
Wurzeln  auszuziehen,  damit  keine  Seelen  zerstört  würden  (s.  Roger).     Nach  den  Dacotah  wur- 
den die  Seelen  ihrer  Medicinmänuer  als  geflügelte  Saamen  hei  den  Göttern  umhergetrieben,  bis 
sie  (nach  dreimaligem  Sterben  und  Wiedergeborensein)  verschwanden,    und  dass   die    Ulme    als 
Baum  der  Träume  galt,  wird  (s.  Friedreich)  aus  der  Natur  ihrer  Saamen  erklärt.      Das   Ringen 
mit  dem  Herrn  mochte  bei  semitischen  Patriarchen  die  Propheten  zu  Gelenksverrenkungeu  füh- 
ren, und  als  während  einer  Dürre  in  Meknes  sich  Sidi  A'issa  für  einen  Tag  lang  in  die  Moschee 
hatte  einschliessen  lassen,  zeigte  er  beim  Wiederöffnen    seinen    rechten    Arm,    der    zerschlagen, 
aber  neu  geheilt  war,  in  Folge  des  schweren  Widerstandes,  den  er  im  vierten  Himmel  in  dem 
Engel  gefunden,  der  den  Regen  zurückhielt.    Die   Angekok   lassen   sich    beim    Angriff"  auf  die 
Unterwelt,  um  die  Fische  für  reichlichen  Fang  zu  befreien,    von    den    Geistern    der    Vorfahren 
unterstützen,  wie  die  Schamanen.     On  the  lips    of   dead    enfants    is    dropped    milk    from    the 
inother's  breast,  that  these  innoceuts  may  have  sustenance    to    reach    tlieir    place    of    rest    (in 
Nord-Mexico)      Waffen  und  Geräthe  werden  in  das  Grab  gelegt,  sowie  a  small  idol,  to  serve  as 
a  guide  and  fellow  traveler  to  the  departed  on  the  longJourney  (s.  H.  Bancroft).  The  husband's 
conduct  was  supposed  in  some  manner  to  affect  the  unborn  child,  and  he  was  consequently  laid 
under  certain  restrictions,  such  as  not  being  allowed  to  leave    the    house,    or   to   eat    fish    and 
raeat  (in  Süd-Californien),  an  der  Stelle  der  Mutter  das  Wochenbett  abhaltend  (in  Central-Cali- 
fornien).    The  Lagunero  and  Ahomama  husbands,  after  the  birth  of  the  child,    remain  in    bed 
for  six  or  seven  days,  during  which  time  they  eat  neither  fish  nor  meat  (in  New-Mexico),    the 
father  being  intoxcated  and  in  that  State  surrounded  by  a  daucing   multitude,    who    score    his 
body  tili  the  flood  flows  freely  (in  other  tribes).     Die  Indianer  von  Honduras  bedürfen    für   ihr 
Wohlergehen  Naguas  or  guardian  spirits,  whose  life  became  so  bound  up  with  their  own,    that 
the  death  of  one  involved  that  of  the  other.     The  manner   of  obtaining   this  guardian  was    to 
proceed  to  some  secluded  spot  and  offer  up  a  sacrifice,    with   the  beast  or   bird,    which    theru- 
pon  appeared,    in  dream  or  in  reality,  a  compact  for  life  was  made,   by  drawing  blood    from 
various  parts  of  the  body  (H.  Bancrot.).    Massilienses  quotiens  pertilentia  laborabant,    unus  se 
ex  pauperibus  offerebat  alendus  anno  Integro  publicis  et  purioribus    cibis,    hie    postea    ornatus 
verbenis  et  vcrtibus  sacris  circumducebatur    per    totam    civitatera    cum    exsecrationibus,    ut    in 
ipsum  reciderent  mala    totius    civitatis,    et    sie   praecipitabatur    (Servius).      Lustrare    civitatem 
humana  hostia  Galliens  mos  est  (s.  Lactant).    Bei  der  Thargelienfeier  wurden  die  Pharmakopoi 
geopfert  (v.  Athen).    Hawaiians  supposed  they  have  two  souls  (hoapilio  ke  Kino  or  close  adbering 
companions   of  the  body)  von  denen  die  eine  beim  Körper  verbleibt,    die  andere  ihn  verlassen 
konnte  (Jarves).     Dem  Geist  eines  Todten,    wenn  er  sich  unter    den    Lebenden    einschmuggelt, 
fehlt  der  seelenvolle  Blick,  und  umgekehrt  wird   Thespesios   (nach    Plutarch)    in    der  Welt    der 
Abgeschiedenen  durch  das  Blinzeln  der  Augen  und  den  Schatten,    als  Lebender    erkannt.      Im 
deutschen  Volksglauben  wird  durch  Klopfen,  woran  die  Spiritisten  ihre   Geister    erkennen,    der 
Tod  eines  Hausgenossen  angekündigt,   in  Tirol  durch  ein    Klopfen    unter    dem   Fussboden,    in 
Schlesien  durch  Gepolter,  in  der  Wetterau  für  den  Hausvater,  wenn  es  am  ersten  Advent    auf 
dem  Boden  rumpelt,  und  in  der  Mark  wieder,  darf  man  am  Neujahrstage  nicht  mit   dem  Ham- 
mer klopfen,  weil  man  sonst  Einen  aus  dem  Hause  zum  Grabe  ruft  (s.  Wuttke\     So  wird  hier, 
wie  überall  im  Primärdenken,  das  noch  nicht  den  Faden  fester  Causalbeziehung  aufgereiht  hat, 
derselben  Vorstellung  bald  active,  bald  passive  Bedeutung  gegeben,    und  bald  wird    sie    wieder 
aus  anfänglicher  Allgemeinheit  heraus  für  Zeit  oder  die  Person  specificirt.     Wenn  dein  Gott  in 
der  Hölle  wäre,  wünlen  meine  Helden  ihn  daraus  erlösen,  bemerkte  ein  irischer  Barde  dem  be- 
kehrenden Patrick. 

Zeitschrift  für  Ethnologie,  Jahrgaug  1875.  12 


170  Australien  und  Nachbarschaft. 

Die  Insulaner  von  Waye  verehrten  die  Gottheit  als  Priapus  in  den 
Pissang  genannten  Bäumen  befestigt  (s    Backer). 

In  Banka  darf  in  den  heiligen  Wäldern  kein  Baum  gehauen  werden, 
ohne  vorher  die  Gottheit  befragt  zu  haben. 

In  den  Toutou-Wo  genannten  Tempeln  wurden  die  Kinder  der  Alforesen 
von  Priestern  (Maouwen)  erzogen  (stumm  zurückkehrend). 

Der  Tempel  zu  Manipa  (auf  Amboina)  war  auf  Geheiss  der  dem  Was- 
ser entstiegenen  Frau  Houwanoe  erbaut,  für  Orakel  des  (von  Bajaderen  be- 
dienten) Geistes  (nach  Valentyn). 

Im  Lande  Goa  auf  Celebes  war  eine  reine  und  unbefleckte  Frau  aus 
den  Wolken  herabgestiegen,  und  als  Kraing-Bajou  (Holz  zum  Bau  eines 
Schiffes  hauend)  in  der  von  einem  Hunde  gefundenen  Quelle  die  geschmückte 
Toumanouroung  auf  einem  elfenbeinernen  Throne  sitzend  sah,  zeugte  er  mit 
ihr  den  Sohn  Massalanga  bairajang,  worauf  sie  in  den  Wolken  verschwand. 
Hangling  Darmo  (um  den  Wunsch  der  Prinzessin  zu  erfüllen)  prononga 
une  formule  d'ensorcellement  et  en  un  clin  d'oeil  son  äme  passa  dans  le  corps 
d'un  paon  mort  (in  Sourakarta),  worauf  Batik  Madrim  seine  Seele  in  den 
zurückgebliebenen  Körper  versetzte  (s.  Winter).  Nach  den  Irländern  wohnt 
in  dem  Häutchen  (der  Glückshaube  oder  dem  Wehmutterhäublein)  der 
Schutzgeist  (Fylga)  oder  ein  Theil  der  Seele  (s.  Holtzmann),  und  die  damit 
Geborenen  gelten  (im  deutschen  Volksaberglauben)  als  Glückskinder 
(s.  Wuttke). 

Unter  den  Nitu  (Geistern)  werden  auf  Amboina  verehrt  Lanila,  als  Luft, 
Leyntila,  als  obere  Luft,  Houwaga,  als  Krokodil,  Toulay,  als  Dämon,  dann 
Pessynousytoury,  Rysseporcaman,  Lehila,  Sackinahou,  Geuan,  Assoulacka, 
Mortyla,  Lassytoune,  Lassyhietto,  Sahouworada  (s.  Backer). 

Ais  von  den  sieben  Brüdern  (Aiouhanasi,  Kakasi,  Angkanasi,  Loung- 
glnasi,  Maniahati,  Bacioungi  und  Anggalua)  der  jüngste  (Anggalua)  von  den 
andern  getödtet  wurde,  zerhieb  die  Mutter  (als  Anggalua  zischend  aus  dem 
Munde  des  leugnenden  Aiouhanasi's  sprach)  den  Körper  Aiouhanasi's  mit 
einem  Schwert,  und  aus  den  Hälften  entstanden  Flöhe  und  Mücken. 

Bei  Krankheiten  legen  die  Orang  Lom  dem  Berggeist  (Hantou  mapor) 
Opfergaben  in  einen  Baum,  dem  Wassergeist  (Hantou  Boujout)  in  ein  kleines 
Boot. 

Da  die  Hütte,  in  welche  sich  die  von  Namora  Poulongan  verfolgte  Boroh 
Si-Ambil  geflüchtet,  nicht  durchsucht  wurde,  weil  von  Turteltauben  umflogen, 
enthielten  sich  ihre  Nachkommen  des  Genusses  der  Turteltauben  (in  Surokarta). 
Neben  den  Samhaou  (Geister  der  Höhlen,  Wälder,  Berge)  verehren  die 
Battak  die  abgeschiedenen  Ahnen  als  Begos  und  befragen  sie,  frequentant 
Ics  hommes  sous  les  traits  d'un  des  auciens  du  kampong  (orang  batouwa 
oder  Sie  Basso). 

Im  der  oberen  Welt  wohnen  Batara  Guru  Dolic  (Gott  der  Gerechtigkeit), 
Saripada  (Gott  der  Güte)  und  Mcaigala  Boulan  (der  böse  Gott),  in  der  mitt- 


Australien  und  Nachbarschaft  171 

leren  (der  Erde)  die  Schutzgötter  der  Bäume  und  Berge,  in  der  der  unteren 
Radja  Patoka,  Erdbeben  verursachend  (nach  den  Pak-Pak). 

Neben  der  Dreieinigkeit  Brama  oder  Bramara,  Vischnu  und  Isnor  oder 
Rudra  (von  der  Schöpferkraft  Para  Sacti  geboren)  kennen  die  Malabareu 
als  höchsten  Gott  Para  Braman  und  33,000,000  Halbgötter  unter  ludra  oder 
üevindra.  , 

lieber  den  Elementargottheiten  Siva,  Vischnu,  Brahma  (Erde,  Wasser, 
Feuer)  steht  (bei  den  Bewohnern  des  Tinger-Gebirges)  die  Pradou  Gourou 
Inglouhour  genannt  Wesensmacht  (der  Anfang  und  das  Ende). 

In  Titaway  wurde  die  Schlange  Riama-Atou,  in  Erna  ein  Schwein  ver- 
ehrt (im  indischen  Archipelago). 

Die  Badouin  in  Bantam  zollen  dem  höchsten  und  unsichtbaren  Gott^) 
Poun  keine  Verehrung,  parce  qu'ils  sont  a  leurs  propres  yeux  trop  au  des- 
sous  de  lui  pour  etre  exauces.  Leurs  prieres  lui  sont  transmises  seulement 
par  Tintermediaire  d  une  divinite  speciale,  protectrice  de  chacun  de  leurs 
Kampongs,  et  dont  le  nom  varie  selon  qu'il  s'applique,  ä  un  dieu  ä  une 
deesse,  tantot  on  la  nomme  Dalam  Balibat  Djaija,  dieu  protecteur,  tantot 
Poua  Poutrie  Tjepat  Manik,  deesse  protectrice  (s.  Backer)  [Element  des 
Protestelurs].  Les  Timorais  invoquent  le  Soleil  comme  un  dieu  supreme  et 
les  nomment  Ousseneuou,  mais  ils  nen  attendent  ni  bien  ni  mal,  pretendant 
qu'il  est  trop  haut  pour  s'occuper  du  sort  des  mortels  et  trop  bon  pour  faire 
du  mal  (nach  Rorda  van  Eysinga). 

Nach  Valentyn  un  dieu  se  tenait  sur  une  coliine  (ä  Soya),  et  ou  avait 
place  devant  lui  un  vieux  martaran  ou  grand  vase  de  verre  de  Siam.  Une 
foret  de  roseaux  de  Boulou  Souwangi  ou  de  bambous  jaunes  etait  au  pied 
de  cette  coliine.  Les  habitants  de  Soya  croyaieut  que  si,  apres  le  sacrifice 
d'un  coq  blanc,  on  remuait  ce  vase,  avec  un  bambou  coupe  dans  la  foret  -), 
dieu  leur  accordat  aussitot  de  la  pluie  (Backer). 


')  Ausser  dem  einzigen  Gott  Batara  Tauiigal  (der  Badouin  in  Java),  dans  chaque  Kampong, 
il  ya  un  dieu  protecteur  et  une  deesse  protectrice,  qui  sont  plus  honores  que  lui.  La  divinite 
Sangiang  Padagang  est  chargee  de  veiller  sur  la  fertilite  des  champs  et  Saugiang  Djara  Anakh 
sur  la  feconditii  des  femmes;  Sangiaug  Pakambouang  est  le  geuie  de  l'eau  (s.  Backer).  A  Nal- 
lahia  un  dieu  invisihle  est  adore  sous  le  nom  de  Kae-Ie.  Quand  on  demande  aiLx  indigenes 
comment  ils  Tont  connu,  ils  repondent  quun  de  leurs,  etant  alle  ä  la  foret,  rencontra  un  jour 
uu  genie  sous  uiae  forme  humaine,  et  qu'il  lui  demauda  d'oü  et  qui  il  etait,  et  que  le  geuie 
repondit:  Mon  nom  est  Kae-se  et  je  suis  le  roi  de  cette  montagne,  cette  nuit  je  viendrais  vers 
toi,  je  t'apparaitrai  et  je  te  parlerai.  Et  la  nuit  mCme,  ainsi  qu'il  l'avait  dit,  Kae-le  apparüt 
en  senge  au  Nallahianais  et  l'avertit  que  s'il  voulait  vivre  heureux,  il  devait  ordonner  aux  habi- 
tants de  son  Kampong  d'elever  un  autel  au  dieu  Kae-le  et  de  Faderer  (s.  Bacher).  Quant  aux 
Radjorais,  c'est  de  tleux  divinites  de  la  mer,  qu'ils  attendent  et  espereiit  tout,  Touwan  Santri, 
Mouda  Laut  et  Touwan  Toliraan  Laut.     Lune  est  de  sexe  masculin,  Tautre  de  sexe  feminin. 

2)  Ehe  neue  Felder  im  Walde  angelegt  werden,  verbrennen  die  Bewohner  Banka's  (unter 
Beschwörungen  und  Gebeten)  Benzoin  neben  grossen  Bäumen.  La  repose  de  Tesprit  leur  est 
notitiee  dans  la  nuit.  Certaines  Images  apparues  en  songe  daus  les  trois  premieres  uuiti»  la 
foiit  consiilerer  comme  favorable,  li'autres,  au  contraire,  la  fönt  envisager  comme  hostile.  Dans 
les  oalamiles  publiques;  ils  invoquent  le  secours  d'un  llautou  ou  Dewa,  uomme  Akke  Timbang, 

12* 


172  Australien  und  Nachbarschaft. 

Das  Holzstück  Morie,  von  den  Bewohnern  Sila's  (nach  der  Insel  Noussa 
Laout)  verehrt  avait  aborde  a  Sila,  puis  eile  apparut  en  songe  ä  un  des 
indigenes  et  lui  enjoignit  d'ordonuer  a  tous  ceux  de  Sila  d'elever  un  autel 
ä  Morie  (s.  Backer). 

Der  Gott  Hayacka  der  Apoupouwas  (in  Noussa-Lavut)  assistait  en  trois 
pieces  de  bois  lies  ensemble  [Sparta].  On  dit,  qu'un  certain  Laheon,  un 
des  ancetres  de  la  race  des  Apoupouwas,  avait  achete  ce  dieu  ä  un  raarchand 
de  Solor  ou  Java  (der  bei  Verehrung  seinem  Geschlecht  Gedeihen  zusichern). 

A  Coracora  de  Soyo,  les  indigenes  avaient  une  idole,  qu'ils  nommaient 
Boutoh-Oulisiwa  (virilite  des  Oulisiwa). 

Die  Alfuren  in  Minahassa  verehrten  einen  männlichen  Stein  als  Tam- 
barouka,  einen  weiblichen  als  Parong  seraya.  A  Nallahia  un  habitant,  nomme 
Tahitou,  etant  alle  un  jour  vers  le  rivage  de  la  mer,  apergut  aux  environs 
d'une  petite  baie,  une  pierre  qui  voltigeait  dans  les  airs  et  l'entendit  chauter 
comme  un  joueur  de  flute.  II  se  mit  alors  a  danser,  saisit  cette  pierre  et 
vit  qu'elle  etait  entoure  de  nombreux  petits  poissons.  II  la  deposa  sur  d'au- 
tres  pierres  du  rivage  et  la  nomma  Alalea  (welcher  Gott  ihm  dann  im  Traum 
erschien  und  bei  Verehrung  reichen  Fischfang  versprach). 

Die  „Hampatongs"  genannten  Fetische  (gemalt  oder  geschnitzt  in 
menschlicher  Form,  sowie  auch  aus  Holz,  Stein  oder  Crocodilzähuen  gefer- 
tigt) etaient  presque  toujours  fabriques  ')  ä  la  suite  des  reves,  pendant  les- 
qiiels  un  Dayak  avait  vu  apparaitre  un  Kambi  gigantesque  ou  un  antoug 
chevelu  et  terrible  (auf  Borneo). 

(Fortsetzung  folgt.) 


qu'ils  supposent  avoir  son  siege  dans  une  des  grands  ri vieres  de  l'ile,  des  hantous  particuliers 
veillent  sur  les  montagnes,  les  roches,  les  pierres  et  meme  sur  les  humains  (nach  Horsfield). 
L'opo  Rongkouno  habitant  primitivement  sur  la  montagne  Bantik.  Son  occupation  consistait 
■d  prendre  des  coqs  de  bruyeres.  Etant  une  fois  ä  la  chasse,  il  rencontra  une  pierre,  nomme 
Madengke.  II  pria  cette  pierre  de  lui  etre  favoral)le  dans  la  chasse  aux  coqs  de  bruyeres  et  il 
tut  exauce.  Le  jour  suivaut,  il  la  pria  de  nouveau  et  rencontra  une  laie  souvages  avec  de 
longues  defenses,  le  jour  suivant,  il  la  pria  de  nouveau  et  rencontra  une  antilope,  le  jour 
suivant,  it  la  pria  de  nouveau  et  recontra  un  jeune  adolescent,  lejour  suivant,  il  la 
pria  de  nouveau  et  rencontra  une  jeune  fille  nubile,  le  jour  suivant  il  la  pria  de 
nouveau  et  rencontra  un  homme  d'un  certain  age  [Examen  bei  Heiligsprechung  über  Wun- 
der]. Par  ces  motifs  nous,  peuple  de  Bantik,  nous  ajoutons  foi  ä  cette  pierre  (nach  Rie- 
del). Les  Orangs  lom  de  Banka  connaissent  aussi  un  esprit  nomme  Ake  Antak,  dont  ils  pre- 
tendent  descendre  et  un  autre  nomme  M  am  bang,  qui  est  pour  eux  l'Etre  supreme  (s.  Backer). 
')  Die  (Madengke  verehrenden)  Bantik  croient  que  leur  dieu  Limounou-out,  (Roumou  oder, 
bei  den  Alfuren,  Loumou)  est  issu  de  la  mousse  qui  avait  pousse  sur  une  pierre,  et  que  Ka- 
rema  a  tire  son  origine  d'un  autre  pierre  (s.  Backer).  A  Titaway  il  y  avait  un  dieu  Riama- 
y\tou,  a  Pelerin  et  Abobo  un  autre  nomme  Rou-Oumou-Ohouwo,  aux  iles  de  Key,  il  y  en  avait 
un  du  nom  d'Ornousa,  A  Bali,  il  y  a  le  Üewu  Dalaui,  le  dieu  du  mort,  Dewa  Gede  Gounoiig 
Agong,  le  dieu  de  la  montagne  saiiite,  Dewa  Gede  Segara  le  dieu  de  la  mer,  Dewa  (iede  Bali 
Agong;  le  dieu  du  grand  Bali. 


lieber  sieht 

der 

Literatur  für  Anthropologie,  Ethnologie  und  Urgeschichte  im  J.  1874. 

Zusammengestellt  von  W.  Koiicr. 


Allgemeines  und  Einleitendes. 

Die  4.  allgemeine  Vetsamuilung  der  deutschen  Gesellschaft  für  Anthropologie,  Ethnologie  und 
Urgeschichte  zu  Wiesbaden  am  15.-17.  September  1873.  Red.  von  A.  v.  Frantzius. 
Heidelberg  (Groos)  1874.     gr.  4.    %  Thlr.) 

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Hellucci  (G.),- II  congresso  internazionale  di  archeologia  ad  antropologia  prehistoriche.  VII. 
sessione  tenuta  nel   1874  a  Stocolma.     Firenze  1874.     8. 

Die  5.  allgemeine  Versammlung  der  deutschen  Gesellschaft  für  Anthropologie,  Ethnologie  und 
Urgeschichte  zu  Dresden  vom  14.-16.  September  1874.  Nach  stenographischen  Aufzeich- 
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Der  Zusammenhang  der  Anthropologie  mit  Ethnologie  und  Urgeschichte.  —   Gaea  1874.  p.  193. 

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174  Literatur  für  Anthropologjie  etc.  im  J.  1874. 

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Rüdinger,  Ueber  die  künstlichen  Schädelumiormungen.  -    Correspondenzbl.  d.  deutschen  Ges. 

f.  Anthropologie.     1874.     No.  7. 
v.    Ihering,    Demonstration    neuer  craniometrischer    und    craniographischer    Apparate    nebst 

Bemerkungen  darüber    -     5.  allgem.  Vers,  der  deutschen  Ges  f.  Anthropologie  zu  Dresden. 

1874.     p    63. 
Das  neue  Schädelmessungsschema.  —  5.  Vers.  d.  deutschen  Ges.  1.  Anthropologie  zu  Dresden. 

1874.  p.  68, 

Spengel   (J.  W.),     Ueber  eine  Modification  des  Lucae'schen  Zeichnen-Apparates.  —  Zeitschr. 

f.  Ethnologie.     VI.     1874.     p.  66. 
— ,    Beschreibung  eines    neuen  Schädelmessungsapparates.  —  Mitlhl,  aus  d.  Göttinger  anthro- 

polog.  Ver.     Ilit.  1.     1874.     p.  54. 
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1874.     p.  96.  171.  341. 
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Eine  vergleichend-anthropologische  Studie.  —  Z.  f.  Ethnologie.     VI.     1874.     p.  153. 


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Westphal,  Ueber  Aphasie.  —  Z.  f.  Ethnologie.     Verhdl.  1874.     p.  94. 

Hitzig,  Westphal,  Steiuthal,  Lazarus,  Virchow,  Simon,   Discussionon  über  Apha- 
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Zur  Psychologie  der  Grausamkeit.  —  Ausland.     1875.     No.  3. 
Notes  and  Queries  on  Anthropology,  for  the    use    of   travellers    and    residents    in    uncivilised 

lands.     Drawn  up  by  a  committee  appointed  by  the  British  Association  for  the  avancement 

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8.     (7  fr.  50  c.) 


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— ,  Ueber  nordische  bemalte  Thongefässe  und  über  die  archäologische  Bestimmung  einiger 
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Eiiropa. 

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gemeinverst.  wiss.  Vorträge).     1874.     8.     (6  Sgr.) 
Schramm-Macdonald    (H.),     Aus    einer    alten  Handschrift,    (über  Rübezahl).    —    Ausland. 

1874.     No.  37. 
Die  ältesten  deutschen  Häuser.  —  Globus.     XXVI.     1874.     p.  ;515. 
Lohmeyer    (K.),     Preussen,    Land    und    Volk,    bis  zur  Ankunft    des  deutschen  Ordens.    — 

Preuss.  Jahrb.     XXX.     Hft.  3. 
Die  Masuren.  —  Petermann's  Mitthl.     1874.     p.  128. 
Lissauer,    Crania  Prussica.    Ein  Beitrag  zur  Geschichte  der  preussischen  Ostseeprovinzen.  — 

Z.  f.  Ethnologie.     VI.     1874.     p.  188. 
— ,    Ueber   Ausgrabungen    in    Westpreussen.    -    5.  Vers.  d.  deutschen  Ges.  f.  Anthropologie 

zu  Dresden.     1874.     p.  40. 
Ein  vorhistorischer  Pflug  aus  einem  Torfmoore  bei  Graudenz.    -  Correspondenzbl  d.  deutschen 

Ges.  f.  Anthropologie  zu  Dresden.     1874.     No.  8. 
Lissauer,    Ueber  das   Gräberfeld  bei  Münsterwalde  gegenüber  von  Jlarienwerder.  —  Corres- 
pondenzbl. d.  deutschen  Ges.  f.  Anthropologie.     1874.     No.  6. 
Kauffmann,    Ueber  eine  im  Herbste  1873  bei  üliva  in  einer  Steinkiste  gefundene  Urne.   — 

Ebds.     1874.     No.  6. 
Florkowski,    Ausgrabungen  in  Kommerau  im  Schweizer  Kreise.  —  Ebds.     1874.     No.  9. 
Zenkbeler,    Ein  Beitrag  zu    den  Ausgrabungen   in  der  Provinz  Posen.     Programm  des  Kgl. 

(lymnas.  zu  Ostrowo.     1874. 
Noack,    Gräberfeld  von  Zarnikow  bei  Beigard  (Pommern).    Nebst  Bemerkungen  von  Virchow. 

—  Z.  f.  Ethnologie.     Verhdl.     1874.     p    (14. 
Guttstadt,    Ueber  Ausgrabungen  in  Pomerellen.  -  Z.  f.  Ethnologie,  Verhdl.  VI.  1874.   p.  140. 
Voss,    Ueber  eine  alte  Ansiedelung  bei  Cammin  (Pommern).  —  Z.  f.  Ethnologie.    Verhdl.    V. 

1873.  p.  129. 

Geh  rieh,     Ueber    den    Schlcssberg    bei   Medewitz  (Pommern).    —    Z.  f,  Ethnologie.     Verhdl. 

1874,  p.  13. 

V,    Röder,     Die    Wallberge    bei    Reitwein    bei    Podolzig.    —    Z.   f.   Ethnologie.     Verhdl,     V. 

1873.     p.   161. 
Kuchenbuch,    Alterthümerfunde  bei  Platiko  an  der  alten  Oder,  —  Z.  f,  Ethrwlogie.    Verhdl. 

V.     1873.     p.  156. 


Literatur  für  Anthropdlut^ie  etc.  im  J.  1874.  179 

Virchow,     Excursion    nach    Wildberp    und    Neu-Ruppin.    ~  Z.  i.  Ethnologie.     VerhdI.     IV. 

1874.     p.   160. 
Immisch,    Die  slavischen  Ortsnamen  in  der  südlichen  Lausitz.    Progr.  d.  Gymnas.  zu  Zittau. 

1874.     4. 
Geissler,     Polygone     Steine    und    Bronzeschwerdt    von    Brandenburg.    —    Z.  f.  Ethnologie. 

Verhdl.     VI.     1874.     p.  128. 
Grossmaiin  und  Voss,    Zwei  Urnenplätze  bei  Reinswalde  und  GöUchau  in  der  Niederlausitz. 

—  Z.  f.  Ethnologie.     Verhdl.     1874.  p.  Ü7. 
Virchow,     lieber   die   Dreigräben   in  Niedorschlesien.     Nebst  Bemerkung  von    Meitzen.    —  * 

Z.  f.  Ethnologie.     Verhdl.     1874.     p.     15.  23. 
Gherwe    (H.),     Ueber  die    Rostocker  ßauerntracht  und  das  Land  Drenow.  —  Jahrb.  d.  Vor. 

f.  meklenb.  Gesch.     XXXIX.     1874.     p.  97. 
Virchow,     Ein    Torfschädel    und  zwei    alte  Knocheni)feifen  aus  Neu  Brandenburg.    —    Z.  f. 

Ethnologie.     Verhdl.     V.     1873.     p.   189. 
Funde   von    Alterthümern   aus    der    Eisenzeit   in   Meklenburg:    Begräbnissplatz  von  Zarnekow. 

Wendischer    Wohnplatz    von    Raben-Steinfeld.      Begräbnissplatz   von    Cremmin.     Spindei- 

steine  von  Schwerin  und  Nieder-Rövershagen.    Wendischer  Wohnplatz  von  Ilinter-WendorL 

Burgwall   Gotebant  bei   Mölln.   —   Jahrb.  d.  Ver.  f.  meklenburg.  Gesch.     XXXIX.     1874 

p.  136  ff. 
Brückner,    Gräberfeld  bei    Bargensdorf  (Meklenburg-Strelitz).  —    Z.  f.  Ethnologie.     Verhdl. 

VI.     1874.     p,   128. 
Krüger,    Der  Burgwall  von  Neu-Nieköhr.  —  Jahrb.  d.  Ver.  f.  meklenburg.  Gesch.    XXXIX. 

1874.     p.  161  unnd  Nachtrag  von  Lisch  p.  166. 
Lisch,    Der  Tempelwaü  von  Wustrow  auf  Fischland.  —  Ebds.     p.  168. 
— ,    Wendenfeste  bei  Bützow.    -    Ebds.     p.  169. 
Rönnberg,    Wendischer  Burgwall  von  Pinnow.  —  Ebds.     p.  170. 
Lisch,    Giessstätte  von  Ruthen.  —  Jahrb.  d.  Ver.  f.  meklenb.  Gesch.    XXXIX.    1874.    p.  127. 

Hünengrab  bei  Kronskamp.  —  Ebds.     p.  115. 

Wohnstätten  der  ersten  Steinzeit  bei  Nenkloster.    -    Ebds.     p.  116. 

Moorfund  von  Redentin.  —  Ebds.     p.  118. 

Höhlenwohnung  von  Roggow.  —  Ebds.     p.  118. 

Höhlenwohnung  von  Schwerin.  —  Ebds.     p.  119. 

Kegelgräber  von  Neu-Zapel  und  Gädebehn.  —  Ebds.     p.  123  f. 

Gräber  von  Barendorf.  —  Ebds.     p.  125. 

Streitäxte  von  Blässen  und  Zippendorf.  —   Ebds.     p.   121.  122. 

Steinhammer  von  Zarentin.  —  Ebds.     p.  121. 

Feuersteindolch  von  Prützen.  -    Ebds.     p.  122. 

Bronzener  Arbeitsmeissel  von  Zidderich.   -   Ebds.     p.  126. 

Die  Burg  und  das  Dorf  Kussin,  jetzt  Neukloster.   —  Ebds     p.  158. 
Wibel,    Ueber  Ausgrabungen  auf  Hamburger  Gebiet.  —  5.  Vers.  d.  deutschen  Ges.  f.  Anthro- 
pologie zu  Dresden.     1874.     p.  42. 
Handelmann    (H.),     Vorgeschichtliche  Steindenkmäler  in  Schleswig-Holstein.     3.  Hft.     Kiel 

(V.  Maack).     1874.     gr.  4.     (12  Sgr.) 
Ein  Römerschädel  (?)    in    Holstein.    —    Correspondenzbl.   d.   deutschen    Ges.   f.  Anthropologie. 

1874.     No.  10. 
Ein  in  Holstein   gefundenes   merkwürdiges    Bronceartefact.    —    Correspondenzbl.  d.  deutschen 

Ges.  f.  Anthropologie.     1874.    No.  10. 
Handelmann  (H.),    Grab  und  Malhügel  der  Bronzezeit  auf  Sylt.  -     Correspondenzl>l.  d.  deut- 
schen Ges.  f.  Anthropologie.     1874.     No.  9.  10. 
Kuhns,    Ueber  Gräber  der  Lüneburger  Heide.     Nebst  Bemerkungen  von    Virchow.   -  Z.  f. 

Ethnologie.     Verhdl.     1874.     p.  33. 
Leichenfeld   aus   vorchristlicher  Zeit  bei  Bohlsen  (Hannover).  —  Anzeiger  für  Kunde  d.  deut- 
schen Vorzeit.     1873.     p.  246. 
Müller    (J.  IL),     Ueber  vorchristliche  Alterthümer  im  Hannoverschen.   —    Z.  d.  hist.  Ver.  f. 

Niedersachsen.     1872  (1873).     p.  171. 


\ii,Q  Literatur  für  Anthropologie  etc.  im  J.  1874. 

V.  StolzenberjT  (R.^),    Eine  archäologische  Lokalstudie.  —  Gaea.     1874. 

V.  I bering    (U.),     Das  Reihengräberfeld  zu  Rosdorf  bei  Göttingen.    —    5.  Vers.  d.  deutschen 

Ges.  f.  Anthropologie  zu  Dresden.     1874.     p.  '20. 
Der  Pfahldamm,   die  Moorbrücke  im  Wrissener  Hammrich.  —  Jahrb.  d.  Ges.  f  bild.  Kunst  zu 

Emden.     Ilft.  2.     1873. 
Hos.tmann    (Chr.),    Der    Armeufriedhof  bei  Dar]  au  in  der  Provinz  llannover.     Braunschweig 

(Vieweg  u.  S.).     1874.     gr.  8.    (7  Thlr.) 
Victor  (N.),     Ueber  die  Graburnen  der  heidnischen  Vorzeit,  anknüpfend  an  Harkenroht's  Be- 
richt über  die  im  J.  1720  bei  Larrelt  ausgegrabenen  Urnen.  —  Jahrb.  d.  Ges.  f.  bildende 

Kunst  nnd  vaterländ.  Alterth.  in  Emden.     Hft.  1.     1872. 
V.  Alten   (Fr.),     Mittheilungen  über  in  friesischen  Ländern  des  Herzogthums  Oldenburg  vor" 

kommende    Alterthümer    vorchristlicher    Zeit.     1.    Die    Kreisgruben    in    den    Watten    des 

Herzogthums  Oldenburg.    2.  Ausgrabungen  bei  Haddien  im  Jeverland  nebst  einigen  Nach- 
richten   über    Aehnliches    im    Herzogthum    Oldenburg.   —  Archiv  f.  Anthropologie.     VU. 

1875.     p.  157. 
Sasse  (A.),     Sur  les  cränes  des  Frisons.  —  Revue  d'anthropologie.     IIL     1874.     p.  633, 
Meier   (Herm.),    Aberglaube  in  Ostfriesland.  —  Globus.     XX VL     1874     p.  151. 
— ,    Zur  ostfriesischen  Neck-  und  Spottlust.   —  Ebds.     XXVL     1874.     p.  88.  107. 
-,    Das  Kind    und  die  Volksreime  der  Ostfriesen.         Ebds.    XXVL     1874.    p.  266.  284,  311. 
Snndermann,    Ueber  ältere  Namen  der  friesischen  Inseln.,  —    Ausland.     1874.     No.  50. 
Schaaffha  usen,    Ueber  Ausgrabungen  in  Westfalen.  —  5.  Versamml.  d.  deutschen  Ges.  f. 

Anthropologie  zu  Dresden.     1874.     p.  44. 
Alter  Aberglaube  in  Westfalen.  —  Globus.     XXVL     1874.     p.  14. 

Fuhlrott,    Führer  zur  Dechenhöhle.     2.  Aufl.     Iserlohn  (Bädeker).    1874.    gr.  16.    0/*  Thlr.) 
Nöggerath,    Eine  neu  erschlossene  Höhle  in  Westfalen.  —  Ausland.     1874.     No.  15. 
Lüttgert  (G.),    Das  Varusschlachtfeld  und  Aliso.     Progr.  d.  Gymnas.  zu  Lingen.     1873. 
Müller,    Aliso,  die  Römerfestung.     Progr.  d,  Gymnas,  zu  Gross-Glogau.     1874.     4. 
Spuren   von   Menschen  und  Mammuth  in  der  Wildscheuer-Höhle  im  Lahnthale,  —  Corrcspon- 

denzbl,  d,  deutschen  Ges.  f  Anthropologie.     1874.     No.  11 
Hrewitt,    Ueber  ein  Gräberfeld  bei  Saarn.  —  Z,  f.  Ethnologie      Verhdl.     1874.     p.  4. 
Schneider,    Localforschung    über  die    alten    Denkmäler    des    Kreises  Düsseldorf.      Progr.  d. 

Gymnas.  zu  Düsseldorf.     1874.     4. 
Spee  (J.),     Volksthümliches  vom  Niederrhein.     1.  Hft.     Aus  Leuth  im  Kreise  Geldern.    Cöln 

(Roemke  &  Co.).     1875.     8.     (30  Pf.) 
Nostiz  (Ch,),     Der  Kreis  Siegen  und  seine  Bewohner.    Neuwied  (Heuser).    1874.    8.    (8  Sgr.) 
Schmitz    (J.  P.),     Ein     altdeutsches    Frühlingsfest.     Culturgeschichtliche  Studie.     (Feier  auf 

dem  Pulsberge  in  Trier).     Programm  des  Gymnasiums  zu  Montabaur      1874.    4. 
V.  Cühausen,     Ueber  den   Schlacken  wall  auf  dem  Limberg  bei  Saarlouis.  —  Z.  f.  Ethnologie. 

Verhdl.     V.     1873.     p.  145. 
Schuster,    Ueber    die    frühesten    Bewohner    der  sächsischen  Lande  vor  ihrer  Berührung  mit 

den  Römern.  —  5.  Versamml.  d.  deutschen  Ges.  f.  Anthropologie  zu  Dresden.    1875.    p.  3. 
Ueber  ein  zu  Mühlberg  (Reg.-Bez.  Erfurt)  aufgefundenes,   in  Stein  verwandeltes  menschlisches 

Skelett.  —  Anzeiger  f.  Kunde  d.  deutschen  Vorzeit.     1873.     p.  337. 
Die   Hünensteine   bei    Derenburg.    —    Deutscher  Reichsanzeiger  u.  K.  Preuss.  Staats-Anzeiger. 

Beilage.     No.  4.      1875. 
Ganzhorn,     Vorhistorische    Funde    bei  lleilbronn.    —    Correspondenzbl.  d.  deutschen  Ges.  f. 

Anthropologie.     1874.     No.  8, 
Lisch,     Höhlenwohnungen  in  Thüringen.   -     Jahrb.  d.  Ver.  f.  mcklenburg.  Gesch.     XXXIX. 

1874.     p.  141. 
Uexkiill    (Baron  A.),     Gräberfelder  am    Rennsteig  in   Thüringen.    —    Z.  f.  Ethnologie.     VL 

1874.     Verhdl.     p.   174. 
Klopfleisch  (Fr.),   Die  Ausgrat)ungon  zu  Allstedt  und  Oldisleben.    Forts.  —  Correspoodenzbl. 

d.  deutschen  Ges.  f.  Anthropologie.     1874.     No.  3.     .')  f.     8. 
Virchow,     Torf-Stirnbein  eines  Menschen  aus  der  Gegend  von  Leipzig.         Z.  f.  Ethnologie. 

Verhdl.     1874.     p.  42. 


Literatur  für  Aiithropolofrie  etc.  im  J.  1874.  181 

Borne  mann,     Uober   prähistorische    Wohnplätze   tiei  Stregda.     -     Z.  f.  Ethnologie.     Verhdl. 

1874.     p.  5. 
— ,    Ueber    Reste    aus    der    Steinzeit    in  der  Umgegend  von  Eisenach.    —    5.  allgem.  Vers    d. 

deutschen  Ges.  i.  Anthropologie  zu  Dresden.     1874.     p.  46. 
V.  Cohausen,    Rennthierhühio  l)ei  Steeten  (Nassau).  —  Z.  f.  Ethnologie.    Verhdl.  VI     1874. 

p.  173. 
Sandberger,     Eine  Grab.stätte  ans  nierovingischer  Zeit  l)ei  Wurzl)iir!.',.    -     Corresponden/.l.l. 

d.  deutschen  Ues.  i'.  Anthropologie.     1874.     No,  3. 
Kollmann,     Ein  Grabfeld  in   Regensburg.   -   Gorrespondenzbl.  d.  deutschen  Ges.  f.  Anthro- 
pologie.    1874.     No.  4. 
V.  Schonwerth   (F.  J.),    Sprichwörter  des  Volkes  der  Oherpfalz  in  der  Mumlart.     -     Verhdl. 

d.  bist.  Ver.  von  Oberpfalz  u.  Regensburg.     XXIX.     1874.     p.   1. 
Luib    (K.),     Ober.^chwaben,    seine    Sage,    seine    Geschichte    rfnd  seine  Altertbümer.     1.  Lief. 

Die  Kelten-  und  Römerzeit.     Tübingen  (Fues).     1874.     gr.  8.     (1  M.  40  Pf.) 
Schelbert  (J.).    Das  Landvolk  des  Aligäns  in  .seinem  Thuu  und  Treiben  dargestellt.    Kempten 

(Feuerlein).     1874.     gr.   16.     ('/s  Thlr.) 
Maier    (J.),     Eine    vorhistorische   Niederlassung  am   Hohenhöven  im  Höhgau.    —    Correspon- 

denzbl.  d.  deutschen  Ges.  f.  Anthropologie.     1874.     No.  11. 
Birlinger  (A.),    Volksthümliches  aus  der  Baar.   -   Alemannia.     11.     1874.     p.  119. 
—     Schwarzvsaldsagen.  -  Ebds.     IL     1874.     p.  146. 

— ,    Sittenge.'ichichtliches  aus  Elsass-Lothringen.  —  Ebds.     II.      1874.     p.  139. 
Ko  11  mann  (J.),    Altgermanische  Gräber  in  der  Umgebung  des  Starnberger  Sees.  —  Sitzungs- 

ber.  d.  Bayer.  Ak.  d.  Wiss.  Math.  phys.  Ol.    1873.    p,  295.    vgl.  Ausland.    1874     No.  19  f. 
üirlinger    (A.),     Aus   Schwaben:    Sagen,  Legenden,    Aberglauben,  Sitten,  Rechtsgebräuche, 

Ortsneckereien,  Lieder,  Kinderreime.    Neue  Sammig.    2.  Bd.    Wiesbaden  (Killinger).    1874. 

gr.  8.     (3  Thlr.) 


Oesterreich-Ungarn. 

Laube,    Ueber  Spuren  alter  Siedelungen  in  Böhmen.    -    5.  allgem.  Vers.  d.  deutschen  Ges. 

f.  Anthropologie  zu  Dresden.     1874.     p.  50, 
Liedermann   (J.),    Prähistorische    Ansiedelungen  im  Nikolsburger  Bezirk.  -  Mitthl  d.  anthro 

pol.  Ges.  in  Wien.     III     No.  5.  6.     1873. 
Woldan   (H.),    Die  Slovaken  im  .südlichen  Mähren.  —  Aus  allen  Welttheilen.    V.    1874.    p.  321. 
Wankel   (H.),    Eine  Opferstätte  bei  Raigern  in  Mähren.  —  Mitthl.  d.  anthropol.  Ges.  in  Wien. 

HL     1873.     No.  3.  4. 
Luschan   (F.),    Die  Funde  von  Briix.  —  Mitthl.  d.  anthropul.  Ges.  in  Wien.    III.    1873.    No.  2. 
Wo  Ulrich    (J.),     Geologischer  Bericht   über  die  Brüxer  Schädel  und  über   weitere  Funde  der 

ßrüxer  Gegend.   -  Mitthl.  d.  authropolog.  Ges.  in  Wien.     III.     No.  3.  4.     1873. 
— ,    Eine  Opferstätte  bei  Puikau  in  Niederosterreich.  —  Mitthl.  d.  anthiopolog.  Ges.  in  Wien. 

IIL     1873.     No.  1. 
Virchow,     Menschliche    Schädel    aus    Krakauer    Höhlen.    -    Z.  f.  Ethnologie.     Verhdl.     V. 
•       1873.     p.  193. 
Lotz    (A.),     Gerde'ina    und    die  Romannschen  Tirols.    —    Aus  allen  Welttheilen..     V.     1874. 

p.  270.  295. 
Albers   (J.  H.),    Ein  Runenstein  in  Tyrol.   -    Globus.     XXVI.     1874.     p.  359. 
Reichel    (R),     Kleine  Beiträge  zur  Keuntniss  des  Volksglaubens  und  Brauches  in  der  wen- 
dischen Steiermark.  —  Mitthl.  d.  bist.  Ver.  f.  Steiermark,     llft.  XX.     1873. 
Waizcr   (R.;,    Bilder  aus  dem  kärntner  Volksglauben.  -  Wiener  Abeudpost.   (Beil.  zur  Wiener 

Ztg.).     1874.     No.  206. 
Obermüller    (W.),      Sind   ilie  Ungarn  Finnen  oder  Wogulen?     Berlin  (Denicke).     1874.     S. 

(12  Sgr.) 
llalevy   (.1.),     Sur  la  religion  des  Magyars  avaut  leur  arrivee  eu  Kurope.  —   Revue  de  philo- 

logie.     1.     1874. 


182  Literatur  für  Anthropologie  etc.  im  J.   1874. 

Die  avarischen  Alterthümer  Ungarns.   —  Ausland.     1874.     No.  33, 

Die  Siebenbürger  Sachsen.   —  Ausland.     1874.     No.  27. 

V.  Vincenti    (C),     Rumänische   Volksfeste    in  Siebenbürgen.    -     Wiener  Ahendpost.     1874. 

No.  169—74. 
Obermüller  (W.),     Die  Zips  und  die  alten  Gepiden.     Berlin  (Denicke).     1874.     8.  .(3  Sgr.) 
Wanderungen  im  Buveulande.  —  Europa.     1874.     No.  43. 
Les  Serbes  de  Hongrie,  leur  histoire,  leurs  Privileges,  leur  eglise,  leur  etat  politique  et  social. 

2.  partie.     Prag  (Gregr  &  Daltel).     1874.     gr.  8.     (2-/3  Thlr.) 
Sasinek   (F.   V.),    Die  Slowaken.    Eine  ethnographische  Skizze.    Prag  (Gvegr  &  Daltel).    1875. 

gr.  8.     (40  Pf.) 
Vilovski  (J.  S.),    üeber  Ursprung  und  Bedeutung  des  nationalen  Namens  Serben  und  Kroa- 

teu.     -   Ausland.     1874.     No.  22. 
Bogisie    (B.j,     Zbornik    sadaSnjh    pravnih   obioajan  juznih  slovena.     (Sammlung  der  bei  den 

Südslaven  noch  bestehenden  Rechtsgewohnheiten).     Bd.  I.     Agram.     1874.     vgl.  Ausland. 

1874.     No.  50  f. 
Klun,    Das  Gewohnheitsrecht  der  Südslaven.   —   Ausland.     1875.     No.  51. 
Die   Serben   an   der   Adria.     Ihre  Typen  und  Trachten.     7.  Lief.     Leipzig  (Brockbaus).     1874. 

Fol.     (2  Thlr.) 


Schweiz. 

Ohermüller  (W.),    Die  Alpen-Völker.     Wien  (Winter).     1874.     8.     (IG  Sgr.) 

Pol  Nicard,     Carte    archeologique    du     Dr.    Keller    (Suisse  Orientale).    —    Revue  archeolog. 

XXVIL     1874.     p.  223. 
Dorr    (H.),     Notiz  über  drei  Schädel  aus  den  Schweizerischen   Pfahlbauten.     Bern  (Haller,  in 

Comm.).     1873.     4. 
Fraas,    Ueber   die  beiden  in  der  Nähe  von  Schaffhauseu  neu  entdeckten  Knochenhohlen.    — 

Correspondenzbl.  d.  deutschen  Ges.  f.  Anthropologie.     1874.     No.   3. 
Müller   (K.),    Der  vorgeschichtliche  Mensch  im  SchaHhauser  Jura.  —  Die  Natur.    1874.    No.  41. 
Hermes,     Ueber    die    Renthievholile    im   Freudenthal  bei  Schaffhausen.    —    Z.  f.  Ethnologie. 

Verhdl.     VL     1874.     p.  259. 
Aeby   (Chr.),     Ein  merkwürdiger  Fund  (Schädel  gefunden  in  den  Pfahlbauten  des  Bieler  Sees) 

—  Correspondenzbl.  d.  deutschen  Ges.  f.  Anthropologie.     1874.     No.  11. 
Karsten    (H.),   Studie  der  Urgeschichte  des  Menschen  in  einer  Höhle  des  Schaft'hauser  Jura.  — 

Mitthl.  d.  antiquar.  Ges.  in  Zürich.     Bd.  XVHL     Uft.  6. 
V.  Mau  dach,    Bericht  über  eine  im  April  1874  im  Dachsenbüel  bei  Schaflfhausen  untersuchte 

Grabhöhle.  —  Ebds.     Bd.  XVIIL     Hft.  7. 
Messikommer    (J.),     Die  Nachgrabungen  auf  den  Pfahlbauten  Robenhausen  und  Niederweil 

im  J.  1873.   —  Anzeiger  f.  Schweizerische  Alterthumskunde.     1874.     p.  495. 
Mezger,    Alamannische  Gräber  bei  Neuhausen,  unweit  Schalfhausen.         Ebds.     p.  499. 
Studer  (Th.),    Ueber  die  Thierreste  der  Pfahlbaustationen  Lüscherz  und  Moeringen.  —  Ebds. 

p.  507. 
l]nl)ekanntes  Geräthe  aus  dem  Pfahlbau  von  liüscherz    —  Ebds.     p.  511. 
Quiquirez   (A.),    Les  cavernes  du  Jura  bernois.  —  Ebds.     p,  512. 
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Freund   (L.),     Cultus  und  Recht.    Eine  historische  Skizze  aus  Frankreichs  Vergangenheit.;   — 

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Monnier    (D.),    et    Vingsrinier,      Croyances    et    traditions    populaires    recuiliies    dans    la 

Franche-Comte,    le    Lyonnais,    la    Bresse    et    le    Bugey.     2.  edit.     Basel    (Georg).     1874. 

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Joseph,     Grottes   de    Baye.     Pointes    de    fleches    a  silex  ä  tranchant  transversal.    —    Revue 

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Mignard,    Archeologie  bourguigonne.     Alise,  Vercingetorix  et  Cesar.     Paris  1874.     62  S.    8. 
Carret   (J.),     Explorations  a  la  grotte   de  Challes.   —   Mem.  de  la  Soc.  savoisienne  d'histoive 

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Chantre    (E.),    Fonderies  ou  cachettes  de  Tage  de  bronze  dans  la  Gote-d'Or  et  la  Savoie.  — 

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Bnnnafoux    (J.  F.),     Fontaines  celtiques  consacrees  par  la  religion  chretienne,  source*  mer- 

veilleuses,   coutumes  superstitieuses  et  legendes  diverses,  recueillies  ponr  la  plupart  dans 

le  departement  de  la  Creuse.     Paris  (Gueret).     1874.     43  S.     4. 
Indes,  Les  mouuments  prehistoriques  dans  les  environs  de  Dreux.    Chartres.    1874.    24  S.    12. 
Harreaux,    Excavations   prehistoriques   dans  le  departement  d'Eure-et-Loir.  —  Bullet,  de  la 

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Chauvet   (G.),     Snr  la  grotte  de  la  Gelie  (Chareute).  -   Association  fran(.'ai.se  pour  Tavance- 

nient  d.  sciences.     Compte  rendu  de  la  2''  sessiou.     Lyon.     1873.     p.  571. 
Par  rot    (J.),    Nouvelle  note  sur  la  grotte  de  legli.se  a  Excideuil  (Dordogne).  —  Revue  d'anthro- 
pologie.    III.     1874.     p.  95. 
Munier   (A.),  Decouvertes  prehistoriques  dans  la  chaine  de  montagnes  de  la  Gardeole  (Herault). 

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Piette,    Sur  la  grotte  de  Lortet.  —   Bull,  de  la  Soc.  d'anthropologie  de  Paris.    1873.    p.  903. 
Prunieres    (de  Murvejols),     Sur  les  objets  de  bronze,  ambre,  verre  etc.,    meles  aux  silex,   et 

sur    les    races    humaiues    dout    on    trouve    les  debris  dans  les  dolmens  de  la  Lozere.    — 

Association    franyalse    pour    l'avancement    d.    sciences.     Compte    rendu    de   la  2-^  session, 

Lyon.     p.  683. 
Fouquet    (A.),      Guides    des    tourists    et    des    archeologues    dans    lo  Morluhan.     Nouv.  edit. 

Vannes.  1874.     204  S.     18. 
de   Closniadeuc,     Sculptures    iapidaires    et    signes    graves    des    dolmens  dans  le  Morbihan. 

Vannes,     1874.     80  S.     8. 
de  Caix   de   Sain  t  -  A  y  m  o  u  r,    Etudes  snr  quelques  monunieuts  megalithiqnes  de  la  vallee 

de  roise.  —  Revue  d'anthropologie      III.     1871.     p.  478.  G54. 


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d.  sciences.     Compte  rendu  de  la  2^  session.     Lyon.     1873.     p.  600. 
— ,    Presentation  d'objets  provenant  du  cimetiere  bourgonde  de  Raiuasse  (Ain).  —  Bull,  de  la 

Soc.  d'authropologie  de  Paris.     1873.     p.  684. 
Chantre    (E.),     Carte   archeologique  d'une  paitie   du   bassin   du    Rhone  pour  les  temps  pre- 

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Lagneau    (C),     Recherches    ethnologiques  sur  les  populations  du  bassin  de  la  Saone  et  des 

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des  sciences.     Compte  rendu  de  la  2^  session.     Lyon.     1873.     p.  571. 
Jeannin  et  Berthier,     Nouvelles  stations  prehistoriques  de  Saone-et-Loire.  —  Association 

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Lapie    (Vicomte),     Les    grottes    de  Savigny  (Savoie).    —    Materiaux   pour  l'hist.  de  Phomme 

2e  ser.     IV.     p.  157. 
Rabut    (L.),     Histoire    des   habitations    lacustres  de  la  Savoie.     Les  Fondeurs  de  bronze.      ■ 

Sabaudia.     1873.     p.  278. 
Sur  les  cranes   de   Solutre.     -    Association  franc^aise   pour  l'avancement  d.  .sciences.     Compte 

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1874.  No.  24  f. 

Die  Stadt  Brügge.     Der  vlamisch-französische  Sprachenkampf'  in  BelLfien.    —    Aus  allen  Welt- 

theilen.     V.     1874.     p.  193. 
Das  Niederdeutsche  in  Frauzösisch-Flandern.   -    Globus.     XXVI.     1874.     p.   10. 
Aus  dem  flämischen  Belgien.   —   Globus.     XXVI,     1874.     p.  138. 
lieber  NiederländiscbRothwäLsch.   —  Ausland.     1875.     No.  2. 

Grossbritannien  und  Irland. 

Culturbilder  aus  Altengland.    -  Ausland.     1874.     No.  32. 

Das    Vorkommen    des    Damhirsches    während    der    Pleistdcän-Zoil    in    England.    —    Ausland. 

1875.  No.  8. 

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Brauns    (D.),      Eine    Wanderung-    im    südwestlichen    Norwegen.    —    Globus      XXVI.     1874. 

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Die  Tatern  in  Noi wegen.   —  Globus.     XXVI.     1874.     p    184.  202. 
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Das  europäische  Russland. 

Daschkow,    Verzeichniss  von  anthropologischen   und  ethnographischen   Aufsätzen  über  Russ- 
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Guthrie   (Mrs ),     Through  Russia,  from  St.  Petersburg  to  Astrakhan  and  the  Criniea.    2  vols 

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Süd-Russland  und  die  türkischen  Donauländer  in  Reiseschilderungen  von  L.  Oliphant,  S.  Brooks, 

P.  O'Brien  und  W.  W.  Smyth.     3.  Aufl.     Leipzig  (Senf).     1874.     gr.  8.     (^u  Thlr.) 
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13' 


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Ueber  die  Bergvölker  des  Kaukasus.         Russ.  Revue.     lU.     Illt.  6. 
Auswanderung  der  Tscherkessen  aus  dem  Kaukasus.     Globus.     XXVL     1874.     p.  22. 
Die  Gebirgsbewohner  Uaghestäns.  —     Ausland.     1874.     No.   17. 
Schiefner  (A.),    Au.sführlicher  Bericht  über  Baron   F.  v.  Uslar's  Kürinische  Studien,  -    Me- 

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de  la  Soc.  d'anthropologie  de  Paris.     1874.     p.  117. 
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tures,    and    residence    abroad.      Illustrat.    with  upwards    of  60  wood  engravings  by  J.  D. 

Cooper.     London  (Low)  1874.     550  S.  8.     (21  s.) 
Baker  (Sir  Sam,  W.),  Eight  years  in  Ceylon.     New  edit.    London  (Longmans)  1874.     392  S. 

8.     (7  s.  6  d.) 
— ,  The    rifle    and    the    hound    in    Ceylon.     New  edit.     London  (Longmans)  1874.     367  S.  8. 

7  s.  6  d.) 
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Die  Strafcolonie  auf  den  Andamanen.  —  Petermann's  Mitthl.     1874.     p.  147. 

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— ,  Nouveaux  renseignements  sur  les  Akka.  —  Ebds.  III.     1874.     p    46. 
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Institute.     IV.     1874.     p.  215. 
Steinzeit  in  Aegypten.  —   Jahrb.  d.  Ver.  f.  mecklenburg.  Gesch.     XXXIX.     1874.     p.  145. 
Owen,    Contributions    to    the  ethnology  of  Egypt.    -     Journ.  of  the  Anthropolog    Institute. 

IV.     1874.     p.  223. 
Gemälde  der  altägyptischen  Cultur    im    Lichte  der    neueston  Forschungen,    besonders  von  A. 

Mariette  und  H.  Brugsch     -    Ausland.     1875.     No.  14.  ff. 
Denkmäler  aus  Egypten  und  Aethiopien  in  photographischen  Darstellungen.     2.  Serie.     Berlin 

(Nicolai)  1874.     qu.-Fol.     (12^  Thlr.) 
Rohlfs  (G.),  Das  jetzige  Alexandrien.  —  Ausland.     1874.     No.  40. 
Die  Mahmal-Feier  in  Kairo.  —  Ebds    1874.     No.  37. 
d'Escayrac  de  Lauture,    Die  afrikanische  Wüste    und   das  Land   der   Schwarzen  am  Nil. 

3.  Aufl.     Leipzig  (Senf)  1874.     gr    8.     (2  M.  50  Pf.) 
Jouveaux  (Emile),    Two    years  in  East  Africa:  adventures  in  Abyssinia  and    Nuhia,    with  a 

journey  t»  the  .sources  of  the  Nile.     London  (Nelsons)  1874.     420  S.   12.     (3  s.  «  d.) 
Medina,    Los    pueblos    fronterizos    del   N.   de  Abissinia.  —     Revista  de  Antropologia.     1874. 

p.  65. 


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— ,  Gesammelte  Notizen  über  Landwirthschaft    und  Viehzucht    in  Abyssinien   und  den  östlich 

angrenzenden  Ländern.  —  Z.  f.  Ethnologie.     VI.     1874.     p.  318. 
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Issel  (A.),  Degli  ustensili  e  delle  arme  in  uso  presso  i  Bogos.  —  Archivio  per  I'antropologia. 

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(6^  Thlr.) 
-,  Ueber    Sclaverei    und    die    jüngsten    Vorgänge    im    egyptischen  Sudan.     Die  Nilfrage.  — 

Mitthl.  der  Wiener  geogr.  Ges.     1874.     p.  243- 
Aus  dem  Sudan.  —  Ebds.  1874.     p.  335. 
Baker   (Sir  Sam.),  Ismailia,  a  narrative  of  the  expedition  to  Central-Africa  for  the  suppression 

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2  vols.     London  (Macmillan)  1874.     10'20  S.  8.     (36  s.) 
Baker  (S.  W.),  The  Khedive  of  Egypts  expedition  to  Central-Africa.  —  Proceed.  of  the  Roy. 

Geogr.  Soc.     XVIII.     1874.     p.  50.  131. 
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d'anthropologie  de  Paris.     1874.     p.  121. 
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III.     1874.     p.  491. 
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1000  S.  8.     (42  s.)  —  Dass.  2''  ed.     Ebds.  1874. 
— ,  Im  Herzen  von  Afrika.     Reisen  und  Entdeckungen  im  centralen  Aequatorial- Afrika  während 

der  J.   1868  bis   1871.     2  Thle.     Leipzig  (Brockhaus)   1874.     gr.  8.     (10  Thlr.) 
— ,  Au  coeur  d'Afrique.     Trois  ans  de  voyages  et  d'aventures  dans  les  regions  inexplorees  de 

l'Afrique    centrale,    1868  —  71.    —     La    Tour  du  Monde.     XXVII.     icr  semestre  de  1874. 

p.  273, 
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Rohlfs  (G.),  Quer  durch  Afrika.     Reise  vom  Mittelmeer  nach  dem  Tschad-See  und  zum  Golf 

von  Guinea.     Thl.  I.  IL     Leipzig  (Brockhaus)  1874.75.     gr.  8.     (14  M.) 

Der  Westrand  Afrika's. 

Rohlfs  (G.),    Adventures    in    Marocco    and   jonrncys    through   the    oases  of  Draa  and  Tafilet. 
With  an  intioduction  by  Winwood  Reade.     London  (Low)  1874.     380  S.  8.    (12  s.) 


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Engel  (Franz),  Land  und  Leute  des  tropischen  Amerika.  —  Unsere  Zeit.    N.  F.  X.  1.     1874. 

p.  248.  471). 
— ,  Char.nkterbilder    aus    dem    tropischen    Amerika.     —     Aus    allen    Welttheilen.     V.     1874. 

p.  337.  367. 
— ,  Das  Sinnen-  und  Seelenleben  der  Menschen  unter  den  Tropen.     Berlin  (Lüderitz.     Samml. 

gemeinvorständl.  Vorträge,  No.  204.).     1874.     8.     (75  Pf.) 
Bornemann  (K.  A.),  Aus  Veiiezuela.  —   Aus  allen  Welttheilen.     V.     1874.     p.   187.  214.  202. 
Aus  SaHVays  Reisen  in  Neugranada.  —  Globus.     XXVI.     1874.     p.  113.  129. 


Literatur  für  Anthropologie  etc.  im  J.  1874.  201 

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p.  160. 
Mossbach  (E.),  Die  Iiikas-Indianer  und  das  Aymara.  —  Ausland.     1874.     No.  19  f.  23. 
Hutchinson  (Th.  J.),  Two  years  in  Peru.     With  ex|)lanatiüns  of  its  antiquities.     With  map 

and  numerous  illustrations.     2  vols.     London  (Low)   1874.     690  S.  8.     (28  .s.) 
— ,  Explorations  in  Peru.  —  Journ.  of  the  Anthropolog.  Institute.     IV.     1872.     p.  2. 
Hutchinson  über  die  Alterthiimer  Perus.  —  Globus.     XXVI.     1874.     p.  29. 
Markham  (E.  R.),  Reisen  in  Peru.     2.  Aufl.     Leipzig  (SenO  1874.     gr.  8.     (2  M.  50  Pf.) 
Rosen  thal  (L.),  Bilder  aus  Peru.   -    Ausland.     1874.     No.  46.  49  ff. 
Hutchinson  (T.  J.),  Explorations  araongst  ancient  burial  grounds  of  Peru.  —  Journ.  of  the 

Anthropolog.  Instit.     III.     No.  3.     1874.     p.  811. 
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Virchow,  Holzgötzen  von  den  Guano-Inseln.  —  Ebds.     N'erhcU.    V.     1873.     p.   153. 
Mossbach    (E.),     Bolivia.       Culturbilder    aus    einer    südamerikanischen    Republik.      Leipzig 

(Barth)  1874.     8      (2  M.) 
Zoja  (G.),    Di    un    teschio  Boliviano    microcefalo.   -     Archivio  per  Tantropologia.     IV.     1874. 

p.  204. 
Virchow,  Altpatagonische,  altchilenische  und  moderne  Pampas-Schädel.  —  Z.  f.  Ethnologie. 

Verhdl.     1874.     p.  51. 
Moreno  (Fr.  P.  tils),  Dcscription  des  cimetieres  et  paraderos  prehistoriques  de  Patagonie.  — 

Revue  d'anthropologie.     III.     1874.     p.  72. 
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1875.     No.  1.  3.  7.  ff. 
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— ,  Die  Ranquela-Indianer.  —  Ebds.   1874.     No.   1. 
Die  Ranquelas-Indianer  auf  den    argentinischen  Pampas.  —     Globus.     XXV.     1874.     p.  250. 

264.  280. 
Bermejo  (J.  A.),    Repüblicas  americanas.     Episodios  de  la  vida  privada,    politica  y  social  de 

la  repüblica  del  Paraguay.     Madrid  (Murillo)  1873.     284  S.  8.     (4  rs.) 
Forgues  (L.),  Le  Paraguay.   -  Le  Tour  du  Monde.     XXVII.     1874.     p.  369. 
Eine  Fahrt  auf  dem  Parana  in  Argentinien.  —  Globus.     XXVI.     1874.     p.  369. 
('anstatt  (0.),  Nach  Brasilien.   -   Ausland.     1874.     No.  24.  28.  32.  35.  45. 
Denis  (F.),  Une  theogonie  des    indigenes  du  Bresil.  —  Revue  de  philoIogie.     I.     1874. 
Die  Götter  der  wilden  Indianer  in   Brasilien.  —  Globus.     XXV.     1874.     p.  296. 
de  Capanema  (G.  S.),  Die  Sambaquis  oder  Muschelhügel  Brasiliens.  —    Petermann"s  Mittheil. 

1874.     p.  228. 
Rath  (K.),    Die  Sambaquis    oder    Muschelhügelgräber    Brasiliens     —    Globus.     XXVI.     1874. 

p.   193.  214. 
Virchow,    Ueber    einen  Schädel    und    ein  Steinbeil    aus    einem  Muschelberge   der  Insel  San 

Amaro  (Brasilien).  —  Z.  f.  Ethnologie.     Verhdl.     1874.     p.  4. 
Keller-Leuzinger  bei  den  Caripunas-lndianern  am  Madeira.  —  Globus.     XXVI.     1874.     p.  1. 
—  bei  den  Kautschucksammlern  am  Madeira.  —  Ebds.  XXVI.     1874.     p.  65. 
Niederländisch  Guiaua.  —  Unsere  Zeit.     N.  F.  X.  2.     1874,    p.  594. 
Mourie  (J.  F.  IL),  La  Guyane  Franvaise  ou  uotices  geographiques  et  historiqncs  sur  la  partie 

de  la  Guyane  habite  par  les  colons,   au   point   de    vue  de  Uaptitude  de  la  race  blanche  h. 

exploiter  les  terres  de  cette  colouie.     Paris  1874.     360  S.  12. 

Australien.     Polynesien. 

Taplin  (G.),  Further  notes  on  the  mixoil    races  of  Australia.  ~     Journ.  of  the  Anthropolog. 
Institute.     IV.     1874.    p.  52. 

Zeitschrift  für  Ethnologie,  Jahrgang  1875.  \^ 


202  Literatur  für  Anthropologie  etc.  im  J.  1874. 

Macke  nzie  (A.),  Speciiuens  of  native  anstralian  languages.  —  Ebds.  III.     1874.     p.  247. 
Das  Leben  in  Nord-Queensland.     Aus  den  Aufzeichnungen  einer  Deutschen.     Nach  dem  Engl. 

von  Bertha  Mathe.  —  Ausland.     1874.     No,  48.  52. 
Bonwick  (J.),  The  Victorian  aborigines.  —  Illustrat.  Travels  hy  Bates.     1874.     p.   151. 
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Mundy  (G.  E  ),  Wanderungen  in  Australien  und  Vandiemensland.         Deutsch  liearbeitet  von 

F.  Gerstäcker.     Leipzig  (Senf)  1874.     gr.  8.     {%  Thlr.) 
Verrainderung  der  Polynesier  in  d^r  Südsee.    —  Globus.     XXVI.     1874.     p.  220. 
Hutton  (J.),  Missionary  life  in  the  southern  seas.     London  (King)  1875.     358  S.  8.     (14  s.) 
Kennedy  (Alex.),  New  Zealand.     2d.  edit.     London  (Longmaus)  1874.     198  S.  8.     (G  s.  6  d.) 
Johnstone  (J.  C),  Maoria:  a  sketch  of  the  manners  ad  custome  of  the  aboriginal  inhabitants. 

of  New-Zealand.     London  (Chapniann)  1874      214  S.  8.     (7  s.  6  d.) 
White  (J.),  The  Rou;  or  the  Maori  at  home:    a  tale  exhibiting  the  social  life,   manners,  ha- 

bits,  and  customs  of  the  Maori  race  in  New  Zealand  prior  to  the  introduction  of  civilisa- 

tion  amongast  them.     London  (Low)  1874.     342  S,  8.     (10  s.) 
■  R.  Michluko-Maclay's  Fahrten  an  der  Südwestküste  New-Guinea"s  im  Frühjahr  1874.  —  (ilobus. 

XXVI.     p.  317.  333. 
Miklucho  Maclay  unter  den  Papuas  auf  Neu-Guinea.  —  Ausland.     1874.     No,  43. 
Murray  (A.  W.),  The  mission  in  New  Guinea.    -      Chronicle  of  the  London   Missionary  Soc. 

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Mores by  (J.),    Recent  discoveries   in  the  south-eastern  part  of  New  Guinea.  Proceed.  of 

the  Roy.  Geograph.  Soc.     XVIII.     1874.     p.  22 
Gill  (W.  Wyatt),  Three  visits  to  New  Guinea.     -   Ebds.  XVIII.     1874.     p.  31. 
Fortschritte  in  der  Erforschung  von  Neu-Guinea.   -    Petermann's  Mitthl.     1874.     p.   107. 
Hamy  (E.  T.),  Sur  l'ethnologie  du  sud-est  de  la  Nouvelle-(iuiiieo.  —     Bull    d<>   Im  Soc.  d'an- 

thropologie  de  Paris.     1874.     p.   105. 
Die  Erforschung  von  Neu-Guinea.   —      Gaea.     1874.     p.  513. 
Virchow,  lieber  Schädel  der  Papuas  auf  Neu-(niiiiea.     -  Z.  f.  Ethnologie.   Verhdl.  V.    1873. 

p.   175. 
V.  M  iklucbo-Maclay ,    Schädel    und    Nason    der    Eingeborenen    NeuGuineas.  Ebds.  V. 

1873.     p    188. 
— ,  Einige  ethnographisch  wichtige  Gebräuche  der  Papuas  an  der  Moslay-Küste  in  Neu-Liuinea. 

—   Istwestija  d.  K.  Rnss    geogr.  Ges.     X.     p.   147. 
— ,  Von  der  Sprache  der  Papuas.  —  Ebds.     X.     p.  186. 

— ,  Das  Getränk  „Keu"  bei  den   Papuas  auf  Neu  Guinea    —   Klxls.     X.     p.  63. 
Campbell  (F.  A.),  A  year  in  the  New  IIel)ri(les,  Loyaity  Islands  and  New-Caledonia.    Gelong, 

Victoria.     1874,     266  S    8.     (12  s.) 
The  Caroline  Islands.  —  Geogr.  Magazine,     1874.     No.  5,     p.  203. 
Kubary   (J.),    Die    Ruinen    von  Nanmatal    auf   der   Insel  Ponope  (Ascension,    Carolinen).  — 

Journ.  d.  Museum  Godeffroy.     I.     Hft.  VI.     1874.     p.   12:!. 
Bird  (Isabella  L.),  The  Ilawaiian  Archipelago:  six  month  among  the  Palm  (hoves,  Coral  üeefs, 

and  Volcanos  of  the  Sandwichs  Islands      Witli  illustrat.      London  (Murray)   1875.     470  S, 

8.  (12  .s.) 
Pechuel-Lösche  (M.  E.),  Erinnerungen  an  Hawaii.   —     Aus  allen  Welttheilen.     V.     1874. 

p.  257.  292. 
de  Variguy  (C),  Voyage  aux  iles  Sandwich.  —  Le  Tour  du  Monde.     XXVI.     1873. 
-,  Quatorze  ans  aux  iles  Sandwich,     Paris  (Hachette)  1874.     357  S,  18.     (3)^  fr,). 
Steinberger  (A.  B.),  Report  upon  Samoa  or  the  Navigators  Islands.     Senate  Executive  Doc. 

No.  45,  Washington. 
Mein  icke.  Der  Archipel  der  neuen  llebriden.  —  Z.  d.  Berlin.  Ges.  f  Erdk,     1874.  p.  27.''),  321. 
Michell  (W,  C),  The  Fiji  Islands.  —  Illu.strat.  Travels  by  Bates.     1874.     p.  211. 
Ravonatein  (E.  G.),  The  Viti  or  Fiji  islands,  —  Geograph.  Magaz.    1874.     No.  2.     p.  57. 
Aube  (F.),  Les  Fidjis.    —   Revue  marit.  et  colon      Octob.  1873.     p.  5. 
Bohr  (E,),  Die  Fid.schi-Inseln,  -  Deutsche  Rund.schau.     J.     1874.     Hft.  3. 


Miscellen  und  Bücherschau.  203 

Spengel  (.(.  W.),  Nachtrag  zu  den  Beiträgen  zur  Keniitniss  der  Firlschi-InsulHner.  —  Journ. 

d.  Mnseum  (iodeffroy.     Bd.  I.     Hft.   VI .     1874.     p.   117. 
Girard  (.).).    La    coloiiisation    anglo-saxonno    aiix    ile.s    Fidji.     -      Bull,  de  la  Soc.  de  Geogr. 

VI.  Scr.   Vll.     1874.     p.   148. 
Ilarrisüii  (.1.   l*.),  The  hieroglyphics  of  Easlerii  Islands.    -     Journ.  of  the  Anthropolog.  Inst. 

III.     No    ;i.      1«74.     p    370. 


Miscellen  und   Büeherscliau. 

Haeckel,  die  Anthropogenie.     Leipzig  1875. 

Das  Buch  ist  gleich  den  übrigen  des  Verfassers  in  einem  populär  verständlichen  Styl  ge- 
schrieben und  behandelt  einen  lehrreichen  Stoff  in  belehrender  Weise,  so  dass  es  ohne  tlie  ten- 
denziöse Färbung,  die  ihm  durch  die  Privathypothese  des  Verfassers  öfter,  als  nöthig,  aufgedrückt 
wird,  auch  für  ein  weiteres  Publicum  ganz  empfehlenswerth  wäre. 

Ohne  auf  Einzelnheiten  einzugehen,  wollen  wir  nur  an  die  vom  verschiedenen  Standpunct 
gegebenen  Differenzen  einige  Betrachtungen  im  Allgemeinen  anknüpfen. 

Das  Streben  nach  , monistischer"  Philosophie  (einem  neuen  Ausdruck  zufolge)  Uegt  in  den 
Denkgesetzen  begründet,  und  jede  Zeitepoche  hat  sich  die  Aufgabe  gestellt,  eine  einheitliche 
Weltanschauung  zu  gewinnen.  Kämpfe  traten  ein,  wenn  mit  dem  Eindringen  neuer  Ideenkreise 
ilas  frühere  Gleichgewicht  zerrüttet  wurde,  und  nach  einem  höhereu  tertium  comparatiouis  ge- 
sucht werden  musste,  um  den  Zustand  der  Gesundheit  zu  wahren.  Besonders  in  unserer  viel 
bewegten  Gegenwart,  wo  die  Stützen  des  alten  Glaubens  zusammengebrochen  sintl  und  die  An- 
sichten nach  allen  Richtungen  hin  auseinander  schweifen,  hat  sich  in  einer  vielfältig  zerbrochenen 
Weltanschauung  längst  das  Bedürfniss  geltend  gemacht,  einen  neuen  Abschluss  zu  erlangen,  in 
welchem  sich  die  Resultate  der  wissenschaftlichen  Forschungen  geregelt  zusammenordneu  Hessen. 
So  musste  auch  eine  monistische  Philosophie,  die  eine  wissenschaftliche  Erklärung  des  gesammten 
Naturzusammenhanges  zu  geben  versprach,  ein  beifälliges  Publikum  finden  und  leicht  ihre  Ver- 
breitung erhalten. 

Obwohl  nun  aber  eine  Einheit  der  Weltanschauung  zu  wahren  oder,  nachdem  sie  verloren 
gegangen,  wieder  herzustellen  ist,  darf  sie  doch  in  einer  unendlichen  Welt  ohne  Anfang  und 
Ende  nicht  mehr  auf  ein  vom  menschlichen  Geist  ausgebrütetes  Gruudpriucip  zxu-ückgeführt 
werden,  sondern  sie  kann  nach  der  Objectivirung  des  Denkens  nur  noch  im  einheitlichen  Zu- 
sammenklang geschichtlicher  Harmonien  gefunden  werden.  Die  Philosophie  des  Thaies  mochte 
mit  dem  Wasser,  die  anderer  lonier  mit  Luft  oder  Feuer  anheben,  aber  schon  Empedocles  (wie 
Parmenides)  verwarf  den  einheitlichen  Grundstoff,  um  mit  den  Elementen  zu  beginnen,  und  für 
unsere  Weltkenntniss  liegt  eine  Verstümmelung  derselben  involvirt,  wenn  wir  einen  jdane- 
larischeu  Gaszustand  als  Erstes  setzen.  Wenn  es  freilich  erlaubt  sein  mag,  denselben  unter 
hypothetisdier  Werthbezeichnung  in  die  Gleichinigen  der  Denkrechnungen  einzuführen,  so  wird 
dagegen  an  jeiies  ferner  abgeleitete  Glied  auch  um  so  strenger  der  Anspruch  einer  gegenseitigen 
Oontrolle  der  Richtigkeit  zu  stellen  sein.  Der  Versuch  liegt  nahe,  von  der  anorganische»  Natur 
eine  Brücke  zur  organischen  zu  schlagen,  und  der  einheitliche  Plan  in  der  letztem  hat  sich 
uns  bereits  durch  die  Fortschritte  uaUirwissenschaftlicher  Forschungen  euthüUt,  in  iler  Zoologie 
besonders  durch  die  vergleichende  Anatomie.  Sie  hat  uns  die  gesetzliche  Lebereinstimmuug  in 
den  Thierklassen  gelehrt,  den  Anschluss  des  Menschen  an  die  Wirbelthiere,  unter  diesen  im 
Besoudern  an  die  Säugethiere  und  hier,  wie  man  wenigstens  schon  seit  Linne's  Zeit  wusste, 
zunächst  au  den  Affen.    Alles  cUeses  lag  bereits  vor,  als  liie  Hypothese  der  Pescendenz  hinzu- 


204  Miscellen  und  Bücherschau. 

trat,  und  manche  der  bisher  nur  den  Fachmännern  verständlichen  Gmndzüge  durch  populäre 
Darstellungsweise  einem  allgemeinern  Verständniss  zugänglich  machte.  Das  Bemühen  war  ein 
zeitgemässes  und  es  wurden  zugleich  manche  wichtige  Specialarbeiten  angeregt,  wogegen  die 
Fundamentalbeweise  von  den  Vertretern  der  Descendenz  weder  verändert,  noch  in  ihren  wesentlichen 
Pimcteu  vermehrt  wurden.  Im  Gegeutheil  ist  aber  dasjenige,  was  die  Hypothese  der  Descendenz 
Selbstständiges  (eben  in  der  Descendenzhypothese)  hinzuthat,  ein  deutlicher  Abfall  von  den 
Grundsätzen  der  Inductionswissenschaft.  Es  war  ein  bahnbrechender  Fortschritt,  als  Darwin 
die  Wechselwirkung  des  Makrokosmos  und  Mikrokosmos  in  den  geographischen  Provinzen  zu 
durchforschen  begann  und  mit  einer  Fülle  thatsächlicher  Beweisstücke  erläuterte,  aber  ebenso 
war  es  als  unüberlegter  Rückschritt  zu  beklagen,  als  man  naturphilosophische  Träumereien  und 
hermetische  Künsteleien  in  den  Theorien  über  die  Descendenz  wieder  zu  beleben  suchte.  Gewiss 
zieht  sich  ein  einheitlich  gesetzlicher  Faden  durch  die  Gesaramtheit  der  organischen  Natur  von 
den  Moneren  durch  Würmer  bis  zu  Wirbelthieren,  diesen  Faden  aber  als  genetischen  zu  fassen, 
fordert  kein  zwingender  Grund,  verbietet  vielmehr  umgekehrt  die  Beobachtung  realer  Thatsachen, 
denn  die  Fortpflanzung  dient,  wie  die  Natur  beweist,  zur  Erhaltung  der  Art  (nicht  zur  Aufhebung 
oder  Umänderung  derselben)  und  erscheint  an  der  Peripherie  der  möglichen  Variationsweiten 
immer  bereits  so  abgeschwächt,  dass  sich  deutlich  eine  abnehmende  Reihe  da  bekundet,  wo  die 
Willkür  einer  Hypothese  eine  aufsteigende  setzen  will.  Für  die  Naturforschung  in  ihrer  heutigen 
Gestalt  ist  es  eine  Kernfrage  ihrer  Selbsterhaltung,  bei  den  Erklärungen  innerhalb  der  realiter 
umschriebenen  Grenzen  zu  bleiben,  und  für  jenen  das  Organische  verbindenden  Faden  könnte 
bei  der  jetzigen  Sachlage  die  Erklärung  nur  metaphysisch  gesucht  werden ,  also  auf  einem  Ge- 
biete, das  der  Naturforschung  bis  zur  inductiven  Auslnldung  der  Psychologie  verschlossen 
bleiben  muss.  Wie  die  anorganischen  Naturwissenschaften  feste  Marklinien  ihrer  Erkläningen 
anerkannt  haben,  ohne  dass  man  ihnen  deshalb  die  Zulassung  des  Wunders  vorzuwerfen  wagen 
würde,  so  muss  es  auch  in  den  organischen  geschehen,  und  gerade  diese  können  das  Zugeständniss 
um  so  unbekümmerter  gewähren,  weil  sie  bei  der  beginnenden  Durchbildung  der  Psychologie 
bereits  auf  dem  Wege  sind,  die  Hülfsmittel  des  Weiterschreitens  zu  erringen. 

Wie  immer  man  sich  die  Nebularhypothese,  in  der  Fortbildung  vom  Gasförmigen  durch  das 
Flüssige  zum  Festen,  zusammenlegt,  so  wird  doch  durch  den  gegenwärtigen  Standpunkt  der 
Chemie  stets  verlangt  werden,  die  verschiedenen  Elementarstoffe  als  nebeneinander  bestehend 
hinzunehmen,  und,  wie  weiter  gefolgert  wird,  auch  „Life  (living  matter)  is  regarded  as  one  of 
the  natural  results  under  actual  conditions  of  the  growing  complexity  of  the  primal  nebula." 
Wie  i)eim  galvanischen  Einströmen  in  mineralische  Lösung  der  Silberbaum  anschiesst,  so  könnte 
auch  das  Leben  als  immaterielles  Princip  gedacht  werden,  um  ,,dead  organic  matter"  in  lebendige 
zu  verwandeln,  welche  letztere  dann  temporär  Kraftwirkungen  erkennen  Hesse,  wie  das  Eisen, 
wenn  (und  so  lange,  als)  magnetisirt.  Mit  alledem  kann  ebensowenig  wie  alchymistische  Metall- 
verwandlungen erlaubt  sind,  ein  Uebergang  organischer  Typen  ineinander  (jenseits  „the  com- 
plexly-interlated  individuals  constitutiug  the  vast  underlying  plexus  of  Infusorial  and  Crypto- 
gamic  life)  gefolgert  werden,  da  die  Zellcomplexe  (und  zwar  um  so  mehr,  je  complicirter)  als 
ihre  Neigungsrichtung  (unter  verschwindender  Selbstständigkeit  der  Metameren)  die  Unterordnung 
der  Theile  unter  die  Abrundung  des  Ganzen  zeigen,  und  dieses  in  dor  Reproduction  den  eigenen 
Typus  (innerhalb  der  Oscillationssphäre  makrokosmisch  bedingter  Variationen)  zu  erhalten  strebt, 
also  gerade  die  der  Heterogenesis  entgegengesetzte  Richtung  verfolgt,  so  weit  Beobachtungen 
und  Thatsachen  vorliegen.  Und  dennoch  meint  man  die  hier  klaren  und  unzweifelhaften  Aus- 
sprüche der  Physiologie  aus  philosophischer  Liebhaberei  für  eine  „bequeme"  Hypothese  ignori- 
ren  zu  köntnm.  In  der  neuen  Anordnung  des  Stammbaums  (von  Urthieren  durch  Würmer  zu 
Wirbelthieren)  giebt  Haeckel  nur  den  vier  höheren  Phylen  den  Werth  von  Typen,  wogegen  er 
die  Urthiere  ausscheidet,  und  l'flanzenthierc  und  Würmer  zwischenstellt. 

In  dem  Streit  über  „Archebiosis"  sind  verschiedene  Wege  eingeschlagen,  um  die  Hypothese 
der  Entwickelung  zu  erklären.  Wird  ein  erstes  Entslehen  des  Organischen  in  jener  Vorzeit 
beyond  the  abyss  of  geologically  recorded  time  (s.  Huxley)  angenommen,  so  müsste  sich,  nach 
Spenccr's  Theorie  vom  nothweudigen  Uebergang  des  Homogenen  zur  Heterogenität,  die  niede- 
ren Wesen  längst  alle  zu  höheren  entfaltet  haben,  und  die  gegenwärtige  Fortdauer  jener  er- 
schiene als  eine  Anomalie.  Lässt  man  dagegen  mit  William  Thomson  die  ersten  Keime  des 
Organischen  aus  den  Trümmern  einer  andern  Welt  (from  the  ruines  of  another  world)  kommen, 


Miscellen  und  Bücherschau.  205 

(und  sie  dann,  wenn  man  will,  panspermistisch  in  der  Atmosphäre  verbreitet  bleiben),  so  brau- 
chen das  nicht  nur  Keime  von  Vibrionen  oder  Bacterien  zu  sein,  sondern  man  könnte  dann,  in 
Uebereinstiinmung  mit  mythologischen  Bildern,  gleich  auch  den  ganzen  Menschen  herabfallen 
lassen.  Die  weiteren  Schwierigkeiten,  die  sich  hier  erheben,  kehren  auch  bei  dem  von  den 
Thiereu  aufgestiegenen  „Urmenschen"  zurück,  denn  da  wir  den  Menschen  realiter  immer  nur 
unter  seiner  durch  die  geographische  Provinz  jedesmal  umschriebenen  Modificationsform  verstehen 
können,  kann  dem  aus  Hirngespinnst  zusammengewebten  Urmenschen  oder  einem  Adam  Kadmon 
so  wenig  eine  Existenz  vindicirt  werden,  wie  der  Generalisation  des  Baumes,  der  erst  in  fler 
Verfeinerung  der  Denkoperationen  geschaffen  wird  und  vorher  den  Sprachen  fremd  bleibt. 

Wenn  sich  die  Keimblätter  in  ihrer  primitivsten  Form  bis  auf  die  Gastraea  zurückführen 
lassen,  so  ist  es  allerdings  angezeigt,  die  Bildung  hier  unter  den  einfachsten  Verhältnissen  zu 
studiren,  um  für  ihre  Verfolgung  unter  höheren  Complicationen  einen  leitenden  Faden  zu  fin- 
den, und  wenn  man  gleiclmissweisc  von  einer  Weiterentwickelung  reden  wollte,  könnte  das 
immerhin  gestattet  bleiben.  Obwohl  es  sich  dabei  indess  nur  um  einen  Wortstreit  zu  handfln 
scheinen  möchte,  zeigt  sich  präcise  Auffassung  dennoch  durchaus  nothwendig,  da  ein  Kernpunkt 
unserer  naturwissenschaftlichen  Forschungsmethode  in  Frage  kommt.  Analoges  kehrt  in  ver- 
gleichender Psychologie  wieder,  wo  sich  in  dem  Gedankenkreise  der  Naturvölker  einfache  Vor- 
stellungen ergeben,  die,  wenn  in  solcher  Durchsichtigkeit  richtig  erschaut,  einen  Schlüssel  bie- 
ten, um  die  Labyrinthe  culturhistorischer  Schöpfungen  aufzuschliessen,  wo  sie  sich  gleichfalls 
als  primäre  Schichtungen  hindurchziehen,  ähnlich  wie  das  Studium  der  physiologischen  Gesetze 
des  Pflanzenwachsthums  in  den  Kryptogamen  feste  Anhaltspunkte  gewinnen  Hess,  um  jetzt 
dem  gleichen  Wirken  in  höheren  Organismen  nachzugehen.  Auch  in  jenen  Fällen  Hesse  sich 
sagen,  dass  z.  B.  die  primitiven  Combinationen,  wie  sie  der  Heilighaltung  des  Feuers  bei 
Australiern,  Sibiriern,  Cherokee,  Herero  u.  s.  w.  zu  Grunde  Hegen,  sich  zu  den  höhern  Verehrungs- 
formen eines  magischen  Feuerdienstes  entwickelt  hätten,  wie  er  sich  nicht  nur  bei  den  Persern, 
sondern  auch  von  den  Religionen  der  Mexicaner,  Peruaner,  Römer  u.  s.  w.  nachweisen  lässt. 
Es  wäre  nun  aber  ein  Wiederaufgelten  und  Zerstören  aller  Resultate,  die  mit  der  ersten  Fun- 
damentirung  durch  die  Bausteine  der  Induction  nach  langen  Mühen  und  Arbeiten  endlich  ge- 
funden sind,  wenn  man  hier  aufs  Neue  aus  derartigen  Analogien  auf  eine  Abstammung  der 
genannten  Völker  aus  einander  zurückschUessen  wollte.  So  geschah  es  in  der  Kindheit  der 
Ethnologie,  wo  man  sich  durch  die  leichtesten  Aehnlichkeiten  oder  Gleichartigkeiten  zu 
genetischen  Schlüssen  verführen  Hess,  und  überall  die  verlorenen  Stämme  Israel  wieder  zu 
finden  meinte,  oder  durch  hausirende  Phoenicier,  Etrusker  oder  sonstige  Pelasger  verlorenen 
Ideenfetzen.  Diese  kindisch-kindliche  Auffassung  oberflächlichster  mechanischer  Naturbetrach- 
tung, in  welcher  es  sich  am  leichtesten  und  bequemsten  ergab,  jede  Erscheinung  als  ein  von 
anderswoher  oder  von  altersher  vererbtes  Stückgut  aufzufassen,  brach  von  selbst  zusammen  mit 
der  Erkenntniss,  dass  es  sich  hier  um  tiefere  Gesetzlichkeiten  handelte,  die  aus  causae  efficien- 
tes,  welche  über  unseren  bisherigen  Horizont  hinausgelegen  hatten,  überall  auf  der  Erde  gleich- 
artige Productionen,  je  nach  den  Besonderheiten  der  geographischen  Provinz  in  verschiedener 
Mannigfaltigkeit  gefärbt,  in's  Dasein  rufen  mussten,  und  seitdem  ein  Weg  betreten  werden 
konnte,  um  aus  den  Wechselwirkungen  des  Makrokosmos  luid  Mikrokosmos  mancherlei  Erklärun- 
gen zu  gewinnen.  So  mag  auch  die  vergleichende  Anatomie  oder  Physiologie  in  der  Gastraea 
ein  brauchbares  Object  zu  genetisch  entwickelnden  St\idien  sehen,  aber  von  einer  realisirten 
Genesis  kann  um  so  weniger  die  Rede  sein,  als  die  Arterhaltende  Fortpflanzung  des  Individuum 
sich  unmöglich  in  eine  Artenwandelnde  umprägen  lässt.  Dies  wird  um  so  klarer  und  deut- 
licher, je  höher  wir  in  die  Reihe  der  Wesen  emporsteigen,  während  sich  bei  niederen  Thiereji 
allerlei  Verhältnisse  finden,  welche  vielleicht  eine  veränderte  Anwendung  der  Systematik  herbei- 
führen mögen,  und  auf  einzelnen  Gebieten,  wie  bei  dem  Generationswechsel  und  Aehnlicheni 
auch  bereits  benöthigt  halten.  Dass  in  einem  gleichartigen  Blastem,  oder  ,Blastosphaera-, 
(gleich  den  ,Plauaeaden-),  wo  jede  Zelle  gewissermaassen  ihre  Selbstständigkeit  bewahrt,  Diffe- 
renzirungen  höherer  Art  zu  den  Spaltungen  der  Keimblätter  (die  Scheidung  des  vegetativen 
Blattes  vom  auimalen)  eintreten  könnten,  ist  nach  den  längst  festgestellten  Grundzügen  der 
Zelltheorien  an  sich  nicht  zu  bestreiten.  Solche  directen  Metamorphosen  hören  aber  von  selbst 
auf,  sobald  die  Arbeitstheilung  in  weiter  Durchbildung  einmal  zur  Geltung  gekommen  ist,  da 
es  sich  dann  um  das  höhere  Staatsganze  in  den  Zellcomplexen  handelt,  wo  partielle  Aenderungen, 


206  Miscellen  und  Buch  rschau. 

da  sie  sich  während  der  Spanne  der  Individual-Existenz  nicht  bis  zur  harmonischen  üragestal- 
tung  des  Ganzen  zu  aceumuliren  verra/lgen,  ohne  Potenzirung  wieder  verklingen  müssen,  und 
Einzelwucherungen  wohl  zu  pathologischen  Destructionen,  aber  sicherlich  nicht  zu  fortschreiten- 
der Vervollkommnung  führen  können. 

In  ähnlicher  Weise,  wie  die  von  dem  Gewölbe  der  Felsentempel  aus  dem  Stein  ausgehaue- 
nen Balken,  auf  eine  frühere  Ilolzarchitektur  zurückweisen,  in  der  sie  ihre  praktische  Bedeu- 
tung besassen,  und  so  als  Ueberbleibsel  fortdauern,  zeigen  die  rudimentären  Organe  höherer 
Geschöpfe  ihren  gesetzlichen  Zusammenhang  mit  einander,  und  diesen  hat  man  desshalb  zu 
einem  genetischen  der  Entwickelung  machen  wollen.  In  jenem  Fall  liegt  die  Ursächlichkeit 
im  Geist  des  Menschen,  der  sich  von  der  einen  Constructionsweise  zur  andern  erhebt,  und  jede 
dann  zu  ihrer  Zeit  abgeschlossen  in's  Dasein  treten  lässt.  In  der  Naturwissenschaft  war  es  der 
Fortschritt  der  freien  Forschung,  wodurch  der  anthropomorphisirte  Schöpfer,  der  sich  dem  ersten 
Nachdenken  zur  Vergleichung  bot,  ausgeschieden  wurde,  und  selbst  bei  einem  von  Schöpfungs- 
gedanken gebrauchten  Bilde  (in  einer  unseren  Bli<'ken  nur  bis  auf  kurze  Entfernung  durch- 
dringbaren Welt)  jede  nähere  Paralelisirnng  zu  vermeiden  bleibt.  Was  damit  gewonnen  ist, 
würde  wieder  verdorben  werden,  wenn  man  jetzt  die  Entwickelung  als  qualitas  occulta  ein- 
führen und  sie  sogar  mit  Eigenschaften  bekleiden  wollte,  die  dem  thatsächlich  Beobachteten 
direct  gegenüber  stehen,  indem  mau  ihr  auf  die  Erhaltung  der  Arten  gerichtetes  Streben  als 
umänderndes  suj'ponirte.  Der  gesetzliche  Zusammenhang  hat  sich  dem  Auge  des  Naturforschers 
bereits  seit  länger  enthüllt,  nicht  nur  in  der  organischen,  sondern  in  der  gesammten  Natur, 
aber  die  Wurzeln  der  Ding. ,  aus  denen  die  ursächliche  Bewegung  quillt,  liegen  bis  jetzt  jen- 
seits unseres  Sehhorizontes,  und  es  wäre  eine  kurzsichtige  Verstümmelung  die  einigende  Ver- 
kettung, die  sich  dort  (in  jenem  Hades  des  Nichtseins)  festgestellt  hat,  jetzt  in  den  Kreis  der 
real  verwirklichten  Existenzen  überzuführen,  wo  der  dort  geschlungene  Ring  des  Gesetzes  durch 
Zwischenschieben  unvereinbarer  Hypothesen  nur  bedenklich  zerrüttet  werden  würde.  Die  , ver- 
kümmerten-' Organe  bewahren  diesen  Charakter  nur  für  gewisse  Variationen  des  Menschenge- 
schlechtes, während  sie  für  dieses  im  Ganzen  eben  regelrecht  angelegt  sind,  wie  bei  den- 
jenigen Geschöpfen,  von  denen  sie  als  überflüssige  Erbschaft  übernommen  sein  sollen.  Ist  der 
Mensch  auf  weiten  Ebenen  oder  durch  sonst  gel)otene  Noth  des  Lebens  in  Wildheit  oder  (wie 
etwa  bei  Madeinoiselle  le  Blanc,  dorn  wilden  Mädchen  von  Chalons  1731,  und  ähnlichen)  in 
Verwilderung  zur  Schärfung  seiner  Sinne  gezwungen,  wird  er  bald  (oder  vielmehr  von  Geburt 
auf^  geübt  sein,  die  Ohrenmuskeln  in  einer  für  ihn  gleich  nützlichen  Weise,  wie  die  Thiere, 
zu  gebrauchen,  und  dann,  im  Verhältniss  dazu,  lässt  sich  auch  verstehen,  wie  sie  im  civilisirten 
Leben  in  Ruhestand  treten  mögen,  nicht  aber  im  Verhältniss  zu  Verhältnissen,  mit  denen  sich 
überhaupt  kein  Verhältinss  herstellen  lä.sst  (selbst  nicht  in  einer  Dysteleologie). 

Bei  andern  der  als  rudimentär  l)eschriebencn  Organe  fällt  von  vorneherein  die  Supposition  eines 
genetischen  Zusammenhanges  fort,  wie  der  runzelfähige  Stirnmuskel  allerdings  Zusammenhang  mit 
dem  Panniculus  carunsus  des  Pferdes  zeigt,  aber  eben  eine  für  die  Menschheit  entsprechende 
Ausbildung  der  Anlagen  nach  der  Localität,  in  welcher  sie  auftritt  Ebenso  führen  die  Ueber- 
bleibsel im  Gefässsystem  auf  autogenetische  Vorbildungen  ohne  phylogenetische  Beziehungen, 
und  solche  fehK-n  auch  bei  den  rudimentären  Organen  am  Harn-  und  Geschlechtsapparat,  die 
auf  die  später  sexuelle  Differenzirung  zurückgehen. 

Erklären  ist  ein  Klarmachen  innerhalb  übersehbarer  Verhältnisse,  wo  also  ein  Anfangs- 
und ein  Endpunkt  des  Ganzen  fixirt  werden  kann,  um  im  Verhältnisse  dazu  die  Werthgrösse 
des  Theiles  abszu.schätzen.  So  vermag  die  Chemie  ihre  Verbindungen  zu  erklären,  nach,  den 
Proportionen  der  darin  eingehenden  Elemente,  wogegen  die  Entstehung  dieser  als  in  einen 
liis  dahin  duiikelen  l'rsprung  zurückgreifend,  vorläufig  unerklärbar  bleil't,  nnd  ebenso  wenig 
vermögen  wir,  ihren  festgestellten  Typen  nach,  die  erste  Entstehung  des  Organischen  (ausser  so  weit 
einfachere  Formen  sich  direct  an  das  Unorganische  anschliessen  könnten)  zu  erklären,  ohne  dass 
deshalb  das  Wunder  eingeführt  wird,  denn  das  Wunder,  eine  widernatürliche  Zerreissung  des 
Naturznsammenhiinges,  kaini  nicht  für  Betrachtungen  gelten,  wo  der  Naturznsammenhang  .selbst 
noch  ausserhalb  der  Betrachtung  liegt.  Inwieweit  innerhalb  des  für  uns  abgeschlossen  daste- 
henden Typus  Umwandlungen  statthaben,  sind  Erklärungen  möglich,  wie  sie  auch  von  Darwin 
für  manche  der  Variationssphären  in  scharfsinniger  Weise  geliefert  sind,  und  die  hauptsächlichsten 
Daten  derselben  waren  schon  länger  in  den  Lehren  iler    vergleichenden    Anatomie    niedergelegt. 


Miscellen  und  Bücherschau.  207 

Die  Vermuthung  eines  genetischen  Fadens  kann  hier  um  so  weniger  nützen  (und  bleibt  viel- 
mehr von  vornherein  unzulässig),  weil  sie  den  beobachteten  Thatsachen  direct  widerspricht, 
indem  die  Fortpflanzung  durch  lleproduction  nach  Erhaltung  des  Typus  (also  den  Gegensatz 
für  Umgestaltung)  strebt,  und  physiologische  Gesetze  es  verbieten,  locale  Aendemngen,  die  sich 
bei  complicirteren  Organisationen  während  der  Spanne  individueller  Existenz  nicht  bis  zurdurch- 
dringentlen  Beeinflussung  des  (ianzen  zu  accumuliren  vermögen,  als  in  der  Neuzougung,  auf 
deren  Normalzustand  sie  nur  in  pathologischen  Störungen  influem-iren  könnten,  für  fixirt  zu 
erachten  (und  selbst  mit  tler  Kraft  der  Vervollkommnung  begabt).  Im  Volksmährchen  mag 
auch  aus  der  liäutenden  Schlange  ein  Prinz  hervortreten,  und  die  Metamorphosen  der  Pflanzen 
und  Thiere  sind  oft  für  mythologische  Bilder  verwandt,  aber  die  nüchterne  Wissenschaft  hat 
sich  an  diejenigen  Principien  zu  halten,  die  durch  ihre  eigenen  Forschungen  festgestellt  sind, 
und  diese  verbieten  sowohl  der  Chemie  die  verlockende  Einfachheit  eines  menstruum  universale, 
wie  der  Zoologie  die  bequeme  Hypothese  der  Descendenz. 

In  der  Schlussreciipitulation  heisst  es,  dass  die  Entwickelung  des  Menschen  nach  densel- 
ben unveränderlichen  Gesetzen  erfolge,  wie  die  Entwickelung  jedes  andern  Naturkörpers,  „durch 
die  definitive  wissenschaftliche  Begründung  dieser  monistischen  Erkenntniss  thut  unsere  Zeit 
einen  unermesslichen  Fortschritt  in  der  einheitlichen  Weltanschauung-'  und  die  nur  mit  der 
Reformation  des  Copernicus  vergleichbaren  Verdienste  Lamarks  und  Darwins  im  Umsturz  einer 
anthropocentrischen  Weltanschauung  werden  für  die  Descendenz  allein  in  Anspruch  genommen, 
während  es  sich  hier  überhaupt  um  die  Fundameutalsätze  unserer  inductiven  Naturwissenschaft 
handelt,  die  noch  mitunter  von  theologisch  "der  teleologisch  in  Anachronismen  zurückgeschraub- 
ten Köpfen  hier  und  da  bekrittelt  werden  mögen,  durch  Einführung  einer  verwirrenden  Descen- 
denz-Hypothese  aber  gewiss  ernstlichen  Schaden  nehmen  werden.  Wenn  dem  Verfasser  über 
diese  naturwissenschaftlichen  Prinzipien  erst  durch  Darwin's  scharfsinnige  Darlegungen  ein 
Licht  aufgegangen  ist,  so  muss  er  nicht  ein  Laienpublikum  glauben  machen  wollen,  dass  es 
früher  nicht  vorhanden  gewesen.  Die  Entschuldigung  mag  in  der  besonderen  Welt,  in  der  er 
gelebt  zu  haben  angiebt,  zu  suchen  sein,  in  den  Studienjahren,  in  denen  niemals  mit  einem 
Wort  von  Entwickelungsgeschichte  die  Rede  gewesen,  während  Zeitgenossen  sich  recht  wohl 
der  hohen  Achtung  erinnern  werden,  die  damals  bereits  Baer  s  Arbeiten  gezollt  wurde  und  ^-iel- 
verheis.sende  Aussichten  auf  dem  kaum  betretenen  Pfade  eröffnete.  Aus  früherer  Einseitigkeit 
sind  auch  Haeckers  Ausfälle  gegen  die  Physiologie,  welche  die  „wichtigste  biologische  Theorie 
(id  est:  die  Descendenztheorie)  für  eine  unbewiesene  und  bodenlose  Hypothese"  erklärt,  leicht 
verständlich,  denn  für  die  Physiologie  handelt  es  sich  hier  um  eine  Lebensfrage,  da  ihrer 
exacten  (und  bereits  bei  jeder  Gelegenheit  mit  einem  Seitenhiebchen  gemisshandelten  Methode 
der  Todesstoss  versetzt  sein  würde,  wenn  das  Wirrsal  der  Descendenz  in  den  Schulen  eingeführt 
würde,  und  nun  beim  bellum  omnium  contra  onines  im  Reiche  der  Zellen  die  mühsam  aus  ge- 
setzlichem Zusammenhang  verstandenen  Organismen  wieder  zerfallen  müssten. 

Die  Unrichtigstellung  der  Fragen  in  diesem  Kampfe  pro  und  contra  Descendenz  ergiebt  sich 
auch  aus  folgendem  Satz  (S.  o72),  wo  bezüglich  der  Entstehung  des  Menschengeschlechts  nur  die 
Wahl  gelassen  ist,  „zwischen  zwei  grundverschiedenen  Annahmen",  nämlich:  „Wir  müssen  uns 
entweder  zu  dem  Glauben  bequemen,  dass  alle  verschiedenen  Arten  von  Thieren  und  Pflanzen, 
und  ebenso  auch  der  Mensch,  luiabhängig  von  einander  durch  den  übernatürlichen  Prozess  einer 
göttlichen  Schöpfung  entstanden  sind,  welcher  als  solcher  sich  der  wissenschaftlichen  Betrach- 
tung überhaupt  entzieht  —  oder  wir  sind  gezwungen,  die  Descendenztheorien  in  ihrem  ganzen 
Umfange  anzunehmen,  und  in  gleicher  W^eise,  wie  die  verschiedenen  Thier-  und  Pflauzenarten, 
so  auch  das  Menschengeschlecht  von  einer  uralten  einfachsten  Stammform  abzuleiten.  Ein 
Drittes  zwischen  diesen  beiden  Annahmen  giebt  es  nicht.  Entweder  blinden  Schöpfungsglaubeu 
oder  wissenschaftliche  Entwickelungstheorie." 

Dass  alle  Gesetze,  wie  sie  für  PHanzeu  und  Thiere  gelten,  auf  den  menschlischen  Organis- 
mus anwendbar  sein  werden,  ob  es  sich  nun  um  Schöpfung  oder  um  Entstehung  handelt, 
sollte  sich  in  naturwissenschaftlichen  Kreisen  schon  seit  lange  zu  sehr  von  selbst  verstehen, 
um  besonderer  Hervorhebung  zu  bedürfen,  und  wäre  das  in  der  That  noch  nicht  der  Fall,  so 
würde  die  wiederholte  Polemik  dagegen  ganz  angebracht  sein.  Diese  gleichmässige  Application 
in  beiden  Fällen  zugegeben,  würde  es  sich  jetzt  um  Schöpfung  oder  Entstehung  handeln.  Der 
Verfasser  setzt  indess  sogleich  eine  göttliche  ,Schöpfung''    (während    er   sonst    doch    genugsam 


208  Miscellen  und  Bücherschau. 

die  natürliche  kennt),  verbindet  sie  mit  einem  „übernatürlichen"  Prozess  und  nimmt  dafür  einen 
„Glauben"  in  Anspruch.  Da  jedoch  die  iiiductive  Naturwissenschaft  innerhalb  ihres  Bezirkes 
weder  ein  Göttliches,  noch  Uebernatürliches,  noch  den  Glauben  kennt,  wird  mit  Streichung  die- 
ser drei  Worte  die  Vorstellung  von  der  Schöpfung  mit  der  von  der  Entstehung  so  ziemlich  zu- 
sammenfallen, wenn  mau  die  weder  von  einer  philosophischer  Betrachtung  unendlich-ewiger  Welthar- 
monien zu  rechtfertigende,  noch  physiologisch  denkbare,  auch  ausserdem  durch  die  exacte  Methode, 
weil  unbewiesen,  verbotene  Zuthat  einer  „uralten  einfachsten  Stammform"  fortlässt.  Nur  be- 
denklichster Kurzsichtigkeit  kann  es  entgelien,  dass  wdr  mit  solchen  Stammformen  schliesslich 
immer  wieder  völlig  dieselben  Schwierigkeiten  haben,  ob  wir  sie  ein  einziges  Mal  setzen  oder 
hunderttausendmal,  und  dass,  obwohl  sich  innerhalb  gegebener  Wechselwirkung  die  Gesetze  der 
Entstehung  erklärend  ausverfolgen  lassen,  eine  darüber  hinausfallende  Entstehung  auch  ebenso 
gut  als  Schöpfung  ausgedrückt  werden  kann,  ohne  dadurch  viel  heller  oder  dunkler  zu  werden. 
Innerhai 0  des  von  uns  durchschaubaren  Horizontes  planetarischer  Ursächlichkeiten  lässt  sich 
die  Entstehung  der  organischen  Typen  ebenso  wenig  erklären,  wie  die  der  anorganischen  Ele- 
mente, selbst  wenn  sich  secundäre  Uebergänge  einleiten  Hessen,  und  da  die  causae  efficientes 
über  jenen  herausfallen,  mögen  die  auf  der  Erde  in  Erscheinung  tretenden  Producte  derselben 
eben  so  gut  als  Schöpfungen  aufgefasst  werden,  obwohl  von  der  früheren  Anthropomorphosirung 
der  W^irkungsweise  schon  längst  keine  Rede  mehr  sein  kann.  Eine  bei  Beschränkung  der 
Natur  auf  das  Planetarische  geläufige  Abscheidung  des  Uebernatürlichen  fällt  bei  einer  auch 
die  Fixsternräume  umfassenden  Natur  um  so  mehr  fort,  weil  die  Gleichheit  der  mechanischen 
Gesetze  bereits  erkannt  ist,  auch  die  Chemie  allmählig  Anknüpfungen  planetarischer  Propor- 
tionen mit  solaren  und  stellaren  aufzudecken  beginnt,  innerhalb  inductorischer  Studien  handelt 
es  sich  aber  nur  um  Relationen,  und  wenn  diese  von  den  kritischen  Knotenpunkten  auf  feste 
Typen  führen,  welche  sich  in  den  Berechnungen  nicht  weiter  auflösen,  sind  sie  bis  soweit  allzu 
fest  und  unverrückbar,  als  dass  sich  mit  einem  aus  Gedankenfasern  gesponnenen  Hypothesen- 
faden (am  wenigsten  einem,  der,  gleich  dem  genealogischen,  durch  die  Thatsachen  selbst  nuUi- 
ficirt  wird)  daran  zerren  Hess. 

In  solchem  Dunst  sind  Schöpfungen  leicht  genug,  und  ist  daraus  auch  bereits  die  der 
Alaien  hervorgegangen.  Ist  diese  Probe  geglückt  und  den  Stummen  erst  die  Zunge  gelöst,  so 
kann  es  unsern  Naturdichtern  nicht  an  Stofffülle  fehlen,  um  die  Ovide  und  Berosus  weit  zu 
überflügeln. 

So  weit  wir  die  Welt  in  ihren  Sphären  durchschaut  haben,  zeigt  sie  sich  als  eine  einheit- 
liche, von  denselben  Gesetzen  durchwaltet,  aber  diese  im  Unendlichen  erklingende  Harmonie, 
mit  den  Klängen  des  Ewigen  tönend,  würde  in  einheitlicher  Reduction  auf  Anfang  und  Ende, 
durch  die  Verstümmelungen  räumlich-zeitlicher  Beschränkung,  das  auf  trostvolle  Melodien 
hoffeiule  Ohr  mit  greller  Disharmonie  zerreissen. 

In  der  Vorrede  wird  im  Interesse  eines  Culturkampfes,  bei  dem  es  keinem  Naturforscher 
zweifelhaft  sein  kann,  welche  Seite  zu  wählen,  gegen  ein  Ignorabimus  protestirt,  —  sollte  aber  auf 
dem  Arbeitsfelde  der  Induction  wenigstens  nicht  die  präsentische  Form  gelten  und  immer  da 
gelten  müssen,  wo  der  Horizont  thatsächlicher  Beobachtung  abschliesstV  Auch  bei  den  Fähig- 
keilen zu  unbegrenzter  Entwickelung  kann  doch  immer  nur  ilas  bis  zu  jedesmaliger  Grenze  in 
der  Entwickelung  Verwirklichte  realiter  genossen  werden.  Dann  aber  wird  die  aufwachsende 
Jugend  mit  gesunder  Speise  genährt  und  die  nächste  Generation  auf  der  betretenen  Bahn  rüstig 
vorwärtsschreiten  können. 


Die  lettischen  Soiinenmythen. 

(Fortsetzung.) 

Der  schon  o.  S.  98  genannte  Sonneukäfer,  ein  Repräsentant,  der  Sonne, 
wird  auch  angerufen: 

Sonnevögele  flieg'  aus, 

Flieg'  in  meines  Vaters  Haus, 

Komm  bald  wieder, 

Bring'  mir  Aepfel  und  Bire.') 

Des  Vaters  (Gottes)  Haus  ist  der  Himmel;  statt  der  Aepfel  und  Birnen 
war  in  einer  ursprünglichem  Fassung  wohl  nur  ein  Apfel  (die  Sonne)  ge- 
nannt. In  einem  Schleswiger  Liede  aus  der  Gegend  von  Apenrade")  wird 
der  Storch  gefragt,  wo  er  aus  zu  dienen  gewesen  sei  (d.  h.  doch  wohl,  wo  er 
die  Zeit  der  Dienstbarkeit,  des  Elendes,  der  Fremde  im  Winter  zugebracht 
habe).     Er  antwortet: 


I  min  Faders  Affildgard; 

D?er  er  Bord  a  baenke, 

Dspr  er  Mjoe  a  skaenke, 

Dser  er  Dreng',  der  kytter  Buld, 

Daer  er  Pigger,  der  Spinner  Guld. 


In  meines  Vaters  Apfel  garten 

Da  sind  Tische,  daran  zu  sitzen, 

Da  ist  Meth  einzuschenken. 

Da  sind  Bursche,  die  werfen  Ball, 

Da  sind  Mädchen,  die  spinneu  Gold. 


Der  Storch  ist  mit  der  Sonne  im  Herbste  davongezogen.  Im  Morgen- 
lande, wo  die  Sonne  aufgeht,  weilt  er.  Dort,  in  der  Gegend  des  Sonnen- 
aufgangs ist  der  Apfel  garten,  da  wird  der  Sonnenball  in  die  Höhe 
geworfen  (vgl.  o.  S.  102  den  Becher  werfen,  S.  103  den  goldnen  Apfel  werfen), 
da  der  goldne  Faden  gesponnen  (vgl.  unten  S.  217).  Die  Tische,  an  denen 
gezecht  wird,  sind  einem  Nachhall  des  heidnischen  Vallhöll  entnommen.    Für 


')  E,  Meier,  Kinderreime  a.  Schwaben  S.  23,  72. 

")  Sv.  Grundtvig  G.  D.  Minder  i  Folkemunde  II.  148.  German.  Myth.  420. 

Zeitschrift  für  Ethnologie,  Jahrgang  lä76.  1^ 


210 


W.  Mannhardt: 


denjenigen  Leser,  der  mit  dem  Wesen  mythischer  Traditionen  noch  weniger 
bekannt  ist,  wäre  hier  aufmerksam  zu  machen  auf  die  so  gewöhnliche  Häufung 
mythologischer  Synonyme;  die  Sonne  mit  ihren  Strahlen  in  der  Auffassung 
als  Apfel,  Goldball  und  Goldgewebe  ist  hier  zu  einem  Bilde  componirt. 

Man  vergleiche  ferner  die  Vermländische  Anrede  an  den  Weihen  (milvus)  (?) 


GJi  gla  Glänue') 

Lau  inig  dina  Vingar! 

Vi  ska  fara  til  Sörmoland; 

Der  ligger  spädt  Barn,  lekar  med 

Gulliipplet.^). 


Gli  gla  Glänne 
Leihe  mir  deine  Sciiwingen! 
Wir  werden  fahren  nach  Sörmolaud, 
Da  liegt  ein  zartes  Kind,  spielt  mit 
Goldiipfeln. 


Ebenso  wird  der  Wildgans  zugerufen; 


Gasa,  gasa  klinger 
L:ina  mig  dina  Vingar, 
Ilvart  skal  tlu  tljga? 
I  fremmande  Land; 
Der  bor  Göken, 
Der  gi-or  Luken, 
Der  synger  Svanen, 
Varper  under  Granen, 
Derunder  sitter  et  litet  Barn 
Ok  leker  med  Giildapler. 


Gans,  Gans  klinger, 

Leihe  mir  deine  Schwingen, 

Wohin  willst  du  fliegen? 

Ins  fremde  Land; 

Da  wohnt  der  Gauch, 

Da  grünt  der  Lauch, 

Da  singt  der  Schwan, 

Zettelt  unter  der  Fichte 

Ein  Gewebe  an. 

Darunter  sitzt  ein  kleines  Kind 

Und  spielt  mit  Goldäpfeln. 


Auch  der  Weihe  und  die  Wildgans  sind  Zugvögel,  sie  folgen  vermeint- 
lich der  in  der  zweiten  Jahreshälfte  scheidenden  Sonne  dorthin,  wo  diese 
ihre  Heimath  hat,  woher  sie  im  Lenze  wiederkommt.  Diese  Gegend  konnte 
man  sich  nicht  anders  denken,  als  in  der  Himmelsrichtung,  woher  die 
Sonne  auch  täglich  aufgeht,  im  Osten,  und  so  rinnt  im  Mythus  der 
Jahreslauf  der  Sonne  mit  ihrer  Tagesfahrt  zusammen  und  der  mythologische 
Ausdruck  für  die  eine  diese  Thätigkeiten  schmückt  sich  mit  den  Kennzeichen 
der  andern  und  umgekehrt.  Dort  nun,  wohin  die  Sonne  gezogen  ist,  singt 
jetzt  auch  die  Nachtigall  des  Nordens,  der  geliebte  Kukuk^),  dort  grünt,  von 
der  Sonne  Kraft  geboren,  der  Lauch,^)  während  hier  ein  Schneebett  die  Flur 
deckt;  dort  endlich  spielt  ein  zartes  Kind  mit  einem  Goldapfel,  in 
dem  wir  wiederum  den  Sonnenball  anzuerkennen  nicht  anstehen  werden,  so- 
bald die  in  der  Anmerkung  beigebrachten  Beweise  die  Ueberzeugung  zu  be- 
gründen im  Stande  sind,  dass  das  Kind  den  am  Morgen,    oder   im    Frühling 


')  Glenne  doch  wohl  dialekt.  für  gktda  diin.  glente? 

■•')  (ierm.  Myth.  427. 

■')  Vgl,  des  Verfassers  Abhandlung  Z.  f.  D.  Myth.  IIL  294  ff. 

*;  Vgl.  VGL  4. 

Sol  skein  sunnan  ä  salar  steina; 

p-d  var  grund  gröin  groenum  lauki. 


Die  lettischen  Sonneamythen.  ,  211 

neugeborenen  Sonnengott  bezeichne,^)  der  Schwan  auf  ein  auch  sonst  wohl- 
bekanntes Sonneuwesen,  das  Gewebe,  gleichsam  Goldfäden,  auf  das  Geflecht 
der  Sonnenstrahlen  (s.  unten),  die  Fichte  wiederum  auf  den  Sonnenbaum 
(s.  unten)  hindeutet.  Ein  neues  Beispiel  für  die  Häufung  verschiedenartiger 
Bilder  für  ein  und  dasselbe  Object. 


')  Der  Marienkäfer,     Sonnenkäfer  (o.  S.  98.  209.)  wird  in  Mittelfranken  angeredet 
llerrrgottsmoggela  (d  i.  Herrgottskuh)  flieg  auf, 
Flieg  mir  in  den  Uimmel  nauf, 
Bring'  a  goldis  Schüssela  runder 
Und  a  goldis  W  ickelkiindla  drunder. 
S.  Rochholz  Schweizersagen  a.  d.  Aargau  1  S.  345.      Die    Schüssel,    welche    der  sonst   um 
Sonnenschein  angegangene  Käfer  mitbringen   soll,   ist    nichts    anderes    als   ein    Synonym    eben 
dafür,  ist   die  o.  S.  101  besprochene  und  o.  S,  102  gradezu  Schüssel  genannte  Schale,  die  strah- 
lende   Sonnenscheibe    selbst,   und  das    darunter  liegende  goldene  Kind  die  ueugeborne  Sonnen- 
gottheit.   Der  Käfer  heisst,  wie  Sunnenschinkeu  (Wüste  4),  auch  Sonnenkind  (E.  Meier  Schwab. 
Sag.  223.);  das  schon  o.  S.  104  erwähnte  Lied  hat  mehrfach  die  folgende  Fassung; 
Zu     .     .     ,     ist  ein  Schloss, 
Zu     .     .     .    ist  ein  Glockenhaus, 
Da  sehen  drei  schöne  Jungfrauen  heraus, 
Eine  spinnt  Seide, 
Die  andre  wickelt  Weide, 
Die  dritte  schliesst  den  Himmel  auf. 
(Varr:    Zieht  die  Lädle  auf;  tuts  Türle  auf;  geht  zum  Sonnenhaus) 
Lässt  die  heil'ge  Sonn  heraus, 
Lässt  den  Schatten  drinnen. 
Germ.  Myth.  524  ff.  n,  1.  2.  3.  4.  6.  7.  19.     Dafür  tritt  die  Variante  ein: 
Die  dritte  geht  ans  Brünnchen, 
Findt  ein  goldig  Kindchen. 
Germ.  Myth.  528,  10  oder: 

Die  dritte  geht  zum  Brunnen, 
Hat  ein  Kind  gefunden, 
Wie  soll's  heissen? 
Zickel  (Bock)  oder  Geisse? 
Germ.  Myth.  528  Anm.  2.     529,  12.     533  —  535  vgl.  706.      Verbreitet  ist  auch  die  Lesart 
Hopp  hopp  Heserlmann 
ünsa  Kaz  häd  Stiferln  an, 
Rennt  domit  na  Hollabrunn, 
Findt  a  Kindl  in  der  Sunn. 
(oder:    Sitzt  a  Biawerl  auf  da  Sunn) 
(oder:    Liegt  a  kloans  Kind  in  der  Sunn) 
Wia  sulls  hoasse? 
Kitzl  oder  Goasse? 
Wer  wird  d'  Windeln  waschen? 
D'  Mäd  (Kindsdiern)  mit  der  guldan  Taschen. 
Zs.  f.  D.  Myth    IV  345  fl".  67.  67  a  67b.     Falls  nun  diese  Lesarten  in  diesem  Zusammen- 
hang, in   Verbindung  mit   Erwähnung  der  Sonne  berechtigt    sind,    was    die    Vergleichung    der 
Lieder  o.  S.  104  wahrscheinlich  macht,  so  muss  wohl  an  das  nämliche  Sonnenkind  gedacht  werden, 
wie  in  der  Anrede  au  den  Marienkäfer.     Aus    diesem    Sonnenkind    dürften    denn    auch    die   in 
mehreren  Reimen  Germ.  Myth.  347  ff.  7.  10.  12.  14.  15    18.  22  erwähnten  goldspinnendeu 
Kinder   des  Käfers  hervorgegangen  sein.     Es  sind  vielleicht  die  Sonnen  der  kommenden  Tage, 
welche  nocli  als  Kinder  im  Neste  der  Alten  verweilend  gedacht  werden.    Falls  nicht  die  Jungen, 
vermöge  des  später  zu  erwähnenden  Glaubens,  dass  Sonne  imd  tler  Mond  die  Sterne  zu  Kindern 

15* 


212  ^'  Mannhardt: 

Den  deutscben  und  schwedischen  Liedern  sei  ein  slavisches  aus  Monte- 
negro angereiht. 

Es  entsprang  ein  Wässerlein,  ein  kühles, 
Stand  am  Wässerlein  ein  Silbersessel, 
Sass  darauf  ein  wunderschönes  Mädchen 
Goldgelb  bis  zum  Knie  ihre  Füsse, 
Goldrot  bis  zur  Schulter  ihre  Arme, 
Und  das  Haar  ein  Srrauss  gesponn'ner  Seide. 

Der  Pascha  hört  von  der  Schönen,  und  zieht  mit  sechshundert  Hochzeits- 
gästen aus,  um  sie  zum  Weibe  zu  nehmen. 

Als  das  schöne  Mädchen  sie  anschauet,  Und  des  hellen  Mondes  Bruderstochter, 

Hat  die  Jungfrau  dieses  Wort  gesprochen:  Und  des  Morgensternes  Bundes- 
„Gott  sei  Preis  und  Dank!    Welch  grosses  Schwester? 

Wunder! 

Ist  vielleicht  der  Pascha  toll  geworden,  Und  die  Jungft-au  hebt  sich  von  der  Erde, 

Dass  er  auszieht  und  begehrt  zur  Gattin  Greift  mit  ihren  Händen  in  die  Tasche, 

Sich  das  Schwesterchen  der  lieben  Dass  sie  draus  drei  goldne  Aepfel 

Sonne,  lange, 


haben,  auf  letztere  zu  deuten  sein  möchten.  Eine  rumänische  Legende  könnte  zur  Empfehlung 
letzterer  Deutung  dienen.  Maria  spinnt  am  Wege  zum  Himmelsbau  goldene  Fäden  zu  einem 
schönen  Gewände  für  den  heiigen  Sohn.  Falken  rauben  den  Faden,  tragen  ihn  hoch  hinauf 
an  den  Rand  des  Meeres,  machen  daraus  künstlich  ein  Nest  und  brüten  darin.  Das  Nest 
ist  der  Mond,  die  Jungen  aber  fliegen  aus  und  werden  zum  Heer  der  reinen  Himmels-Sterne. 
Schuller,  Kolinda.  Hermanstadt  IbGO  S.  7  ff  Vgl.  auch  W.  Schwartz  S.  M.  St.  63  ft.  -  Auch 
im  Veda  finden  wir  die  Morgensonne  nicht  selten  als  Säugling,  als  Kind  des  Himmels  (Dyaus) 
dargestellt.  M.  Müller  Essays  II.  122.  „Unser  Sonnenaufgang  war  für  sie  (die  Inder  der  vedischeu 
Zeit)  der  Augenblick,  wo  die  Nacht  einem  prächtigen  Kinde  das  Dasein  gab."  M.  Müller  Essays 
II  59.  „Dieses  Kind,  welches  im  Westen  schlafen  ging,  wandelt  nie  allein,  indem  es  zwei  Mütter 
|Tag  und  Nacht]  hat,  doch  nicht  von  ihnen  geleitet."  R.  V.  III  £.3,  6.  M.  Müller  Vorles.  üb. 
Wissensch.  d.  Spr.  II  4G7.  Es  heisst  sogar,  dass  die  Sonne  schreie  wie  ein  neugebornes  Kind. 
R.  V.  IX  74,  1.  M.  Müller  Essays  II  32;t.  Sehr  deutlich  tritt  auch  die  Vorstellung,  von  wel- 
cher wir  reden,  bei  den  Aegyptern  hervor.  Plutarch  de  Iside  et  Osiride  c.  11  setzt  auseinander, 
die  Mythologie  der  Aegypter  enthalte  nur  Allegorie,  die  Fabeln  vom  Hermes  seien  nicht  wört- 
lich gemeint  „noch  auch  meinen  sie,  dass  Helios  als  neugebornes  Kind  aus  dem  Lotos 
sich  erhebe,  sondern  sie  stellen  so  den  Sonnenaufgang  dar,  um  die  Entzündung  der  Sonne 
aus  dem  Nassen  anzudeuten".  (Jemeint  ist  der  ägyptische  Horus  Hör,  (Har)  oder  Harpokrates 
(Ilarpcchruii)  d.  i.  Horus  das  Kind  oder  Har-phre  d.  i.  Horus  die  Sonne.  Man  sieht 
ihn  anf  Deukmälern  um  die  erste  und  zweite  Tagesstunde  im  Sonneunachen  sitzen  oder  er  sitzt 
anf  einem  Lotos,  wo  es  die  natürlichste  Erklärung  ist,  ihn  für  den  Sonnenaufgang  zu  nehmen. 
Auch  unter  den  Dekanen  findet  er  sich  vor,  wo  er  die  im  Jahre  aufgehende,  im  Frühling 
wachsende  Sonne  bezeichnet.  Horus  war  überhaupt  das  allgemeinste  Symbol  der  Sonne,  seine 
Leben.salter  wurden  mit  ihren  Phasen  verglichen  (Lepsius).  So  findet  sich  der  tägliche 
Sonnenlauf  als  das  ganze  Leben  des  Sonnengottes  von  der  Geburt  bis  zum  Tode  ,im  Grabe 
Kamses  des  Grossen  zu  Theben  dargestellt.  Ungefähr  dasselbe  sagt  Plutarch  an  einer  andern 
Stelle,  de  Pyth.  orac.  p.  400  a.  tl'i'  yliyriijiiii'i  twintxo)?  "VX^I''  nvuiolfii  TmidCüV  vtoyvüv 
yQÜijorihi  fn)  h»i<o  xc^hLÜfiirui-.  Partliey,  Plutarch  ülier  Isis  und  Osiris  Berl.  1850  S.  189 
192.  200.  Ein  Gebet  an  den  Soimeugott  Ra  sagt  gradezn:  „Anbetung  dem  Gotte  Ra,  Kind 
des  Himmels,  der  sich  jeden  Tag  durch  sich  selbst  neu  gebiert". 


Die  lettischen  Sonnenmythen.  213 

Wirft  gen  Ilimmel  hoch  die  in  die  Höhe; 

Sehen's  die  sechshundert  Hochzeitsgäste, 

Wer  die  goldnen  Aepfel  wol  könnt'  fangen. 

Fahren  als  drei  Blitze  da  vom  Himmel, 

Einer  trifft  den  jungen  üochzeitsführer. 

Trifft  der  andre  auf  dem  Ross  den  Pascha, 

Trifft  der  dritte  die  sechshundert  Gäste. 

Keiner  mal  entkam  als  Augenzeuge, 

Zu  erzählen,  wie  sie  umgekommen.') 

Die  besungene  Schöne,  der  Sonne  Schwester,  des  Mondes  Nichte,  des 
Morgensterns  Gespielin  ist  unverkennbar  die  Morgenröthe,  welche  umworben 
von  den  Dämonen  der  Nacht  den  Sonneuapfel  hervorwirbelt  und  dieselben 
dadurch  tödtlich  trifft. i). 

Endlich  werde  noch  eines  jener  rumänischen  von  Marianu  Marienesku 
gesammelten  Weihnachtslieder  gedacht,  in  denen  uralte  ererbte  Naturanschauung 
und  christliche  Legende  sich  innig  und  reizvoll  durchdringen.  Die  Darstel- 
lungd  es  Christkindes  im  Tempel  wird  hier  so  aufget'asst,  dass  der  heilige 
Johannes  am  Altar  eines  Klosters  von  vielen  Priestern  umgeben  die  heiligen 
Gebete  singt.  Gottes  Mutter,  ihr  Söhnlein  am  Arm,  hört  andächtig  zu,  das 
Knäblein  aber  zappelt  und  weint  ungeduldig.  Um  es  zu  beruhigen,  schenkt 
ihm  Maria  zwei  Aepfel  und  Birnen  und  reicht  ihm  die  Brust.     Allein 

Einen  Apfel  nimmt  das  Kind, 
Wirft  ihn  in  den  Mond  geschwind, 
Macht  so  voll  ihn,  wie  in's  Haus 
Er  uns  scheint  beim  Abendschmaus, 
Wirft  den  andern  in  die  Sonne, 
Wie  sie  morgens  früh  aufgeht. 
Und  beim  Mahl  des  Landmanns  steht. 

Jesus  wird  erst  dann  ruhig,  als  Maria  ihm  die  Schlüssel  des  Himmelreichs, 
das  h.  Taufbecken,  und  den  Richterstuhl  verspricht  und  ihm  erklärt,  dass  sie 
ihn  zum  Herrn  des  Himmels  und  der  ganzen  Welt  machen  wolle.-)  Hier 
sind  mithin  Sonne  und  Vollmond,  beide,  als  Aepfel  aufgefasst.  Durch  unsere 
Nachweisungen  gedeiht  auch  die  schon  von  Wislicenus^)  ausgesprochene 
Vermuthung,  dass  die  goldenen  Aepfel  in  den  Märchen  vom  Glasberg 
die  Sonne  bedeuten,  zu  Wahrscheinlichkeit.  Gewissheit  wird  sich  erst  künftig 
bei  grösserer  zusammenhängender  Untersuchung  der  Märchenliteratur  gewinnen 
lassen.  Der  Glasberg  ist  deutlich  das  blaue  Himmelsgewölbe  (s.  o.  S.  07), 
dahin  führt  die  Reise  durch  das  Land  des  Windes,  der  Sonne  und  des 
Mondes,  und  der  Morgenstern  weist  dahin  den  Weg.*)  Oben  auf  dem 
Berge    steht    ein    Apfelbaum    mit    goldenen    Aepfeln    neben  dem  goldenen 


')  Vuk  I  232.     Talvj  Volkslieder  der  Serben.     Lpzg.  1853  II  94. 

2)  J.  K.  Schuller  Kolinda.     S.  9  ff. 

^  Symbolik  von  Sonne  und  Tag.     Zürich  1867,    S.  32. 

*)  Germ.  Myth,  330—331, 


214 


W.  Mannhardt: 


Schloss  (vgl.  den  Goldpalast  der  Sonne  o.  S.  95),  in  dem  die  verwünschte 
Prinzessin  haust.  Ein  Jüngling  erlöst  die  Prinzessin,  indem  er  hinaufgelangt, 
die  goldenen  Aepfel  pflückt  und  damit  ihren  Hüter,  den  Drachen,  besänftigt.  ^ 
Nach  einem  norwegischen  Märchen  reitet  Askepot;  dreimal  auf  drei  wunder- 
baren Pferden  in  kupferner,  silberner,  goldener  Rüstung  den 
Glasberg  hinan,  wo  die  Königstochter  sitzt  mit  drei  goldenen  Aepfeln, 
deren  je  einen  sie  ihm  nun  zuwirft.')  Diesen  drei  Rossen,  dem  kupfernen, 
silbernen,  goldenen,  und  der  kupfernen,  silbernen,  goldenen  Rüstung  des  den 
Glasberg  oder  dessen  Aequivalent  hinaufreitenden  Helden,  welche  in  vielen 
Varianten  wiederkehren,  oder  mit  einem  kupferne,  silberne  und  goldne 
Aepfel  tragenden  Walde  abwechseln,  entsprechen  genau  das  silberne,  goldene, 
diamantene  Ross,  mit  welchen  die  Sonne  fährt  (o.  S.  95)  und  die  Angabe 
vom  goldenen,  silbernen,  ehernen  Apfel  in  unserm  Liede  28,  vom  halb  gol- 
denen, halb  silbernen  Boot  in  32.  — 

Sehr  belehrend  ist  das  siebenbürgische  Märchen  Haltrich  55,  11.  Ein 
Knabe  treibt  die  Geis  eines  blinden  Alten  nacheinander  in  einen  Kupferwald, 
Silberwald,  Goldwald,  tödtet  da  einen  das  Schloss  behütenden  Kupferdrachen, 
Silberdrachen,  Golddrachen,  gewinnt  je  einen  Zaum,  bei  dessen  Schüttelung 
ein  kupfernes,  silbernes,  goldenes  Ross  und  Gewaffen  nebst  einem  ebenso 
gerüsteten  Heere  zum  Vorschein  kommt.  Durch  das  Bad  in  einem  Brunnen 
gewinnt  er  goldene  Haare.  Er  verbirgt  die  drei  Zäume  in  einem  Baum 
(s.  weiter  unten),  verhüllt  sein  Haupt  und  seine  Gestalt,  giebt  vor  grindköpfig 
zu  sein  und  wird  Küchenjunge.  Die  drei  Königstöchter  wählen  sich  Gatten; 
ihn  nimmt  die  Jüngste;  unerkannt  verhilft  er  mit  seinen  drei  Pferden  seinem 
Schwiegervater  zum  glänzenden  Siege  über  mächtige  Feinde  und  zieht  endlich 
in  unverhüllter  Schönheit  als  Sieger  ein.  Eine  Version  dieser  Erzählung  ist 
K.  H.M.  n.  136.  Ein  Königsknabe  mit  goldenem  Balle  wird  vom  wilden 
Mann  entführt,  erhält  im  Brunnen  Goldhaar,  dient  mit  verhülltem  Kopf 
als  Gärtnerjunge,  befreit  an  der  Spitze  gewappneter  Heerschaaren  einen 
König  von  seinen  Feinden,  fängt  auf  Rothross,  Weissross,  Rappen 
nacheinander  heranreitend  dreimal  den  ihm  zugeworfenen  Goldapfel 
der  Königstochter.  Hier  characterisirt  das  Goldhaar  den  Helden  als 
Sonnengott,  seine  Verkappung  ist  nächtliche  Umhüllung.  Hiermit  vergleiche 
man  die  neugriechische  Erzählung  Hahn  n.  6.  Drei  Königstöchter  wählen 
sich  Gatten,  indem  sie  aus  dem  Fenster  des  Schlosses  (Abschwäcliung 
der  Spitze  des  Glasbergs)  je  einen  Goldapfel  auf  denjenigen,  den  sie  lieb- 
haben, herabwerfen.  Ein  verkappt  beim  Gärtner  dienender  Prinz  erhält  den 
Goldapfel  der  Jüngsten.  Derselbe  zieht  später  gleich  seinen  Schwägern  aus 
für  den  kranken  Schwiegervater  das  Lebenswasser  zu  holen.  Das  gelingt 
ihm  mit  Hilfe  seiner  drei  wunderbaren  Russe  und  Kleider,    anf   deren  einem 


')  Woycicki  poln.  Volkssagen  übers,  v.  Levestam.    S.  115.     Germ.  Myth.  337. 
')  Asbjiörnsen  norweg.  Märchen  übers    v.  Bresemann.    Berl.  1847  II  n.  21. 


•  Die  lettischen  Sonnenmytheii.  215 

der  Himmel  mit  seinen  Sternen  zu  sehen  ist,  so  dass  er  nach  Abwerfung  der 
Hülle    reitet    strahlend  wie  der  Morgenstern.     Die  beiden  andern  stellen  den 
Frühling  mit  seinen  Blumen  und   das   Meer   mit    seinen   Wellen    dar.     Nach 
Entfernung  seiner  Verkleidung  kehrt  er  mit  dem  Lebenswasser  zu  dem  König 
zurück  auf  einem  Wege,  der  mit  Tuch  und  lauter  Goldstücken  belegt 
ist.       In    Asbjörnsens    neuer    Sammlung^    hat    ein    Bursch    im    goldenen 
Schlosse,  das  neunhundert  Meilen  ausserhalb  der  Welt  hoch  in  der  Luft 
hängt    (vgl.  o.    S.  95)    und    neben    dem  die  Bronnen  mit  den  Wassern    des 
Lebens  und  des  Todes   befindlich    sind,    eine    Königstochter    erlöst,    die    mit 
ihrem  und  seinem  Kinde  ihn  drei  Jahre  später  aufsucht.     Das   Kind  trägt 
einen  Goldapfel  in  der  Hand,  den  es  seinem  Vater  zur  Erkennung  reicht. 
Hiemit  stimmt  das  Märchen  bei  Hylten-Cavallius  n.  IX  S.  190.      Im    Lande 
der  Jugend,  weit,  weit  im   Meere,  wächst  ein    Baum    mit    Goldäpfeln, 
welche  Jugend  verleihen,   und  dabei  rauscht  eine    goldschimmernde 
Quelle  mit  Gesundheit  spendendem  Wasser.    Ein  junger  Held  gelangt  dort- 
hin, nimmt  Apfel  und  Lebenswasser  mit  sich  und  küsst  daselbst  eine  im 
Zauberschlaf  befangene  Jungfrau.    Dieselbe  gebiert  ein  Kind  mit  einem 
wunderbaren  Gewächs  in  der   linken    Hand    gleich    einem    Apfel,    der 
sich  ablöst,   als  der  Vater  über  eine    goldene    Decke  (goldene  Strasse)  zu 
der  ihn  aufsuchenden  Geliebten  geritten  kommt.     Vgl.  das  deutsche  Märchen 
vom  Wasser  des  Lebens  KHM  197.  und  I1I3  197  ff.     Wenn   der  bis    dahin 
von  der  Nacht  verhüllte  Tag  über  die  goldene  Decke  des  Morgenroths 
und    der    ersten    Sonnenstrahlen    zu    der    erlösten  Geliebten    geritten  kommt, 
wirft  ihm  der   neugeborne    Sonnengott    den    Apfel  entgegen.     Die  im 
goldnen  Schlosse  (Land  der  Jugend)  schlafend  gefundene  und  zur  Mutter 
des  goldenen  Kindes  gemachte  Jungfrau  entspricht  der  hinter   der  Waberlohe 
(Abend'Morgenröthe)  in  Schlummer  liegenden    Walkyre    der   Sage,    dem    von 
der  Spindel  in  Schlaf  versenkten  Dornröschen,    dessen    italische   und  franzö- 
sische   Doppelgängerinnen    die    Kinder    Jour    et   Aurore,    Sonne    und    Mond 
gewinnen. 

Es  würde  zu  weit  führen,  diese  Andeutungen  durch  Erwähnung  anderer 
Märchenreihen  zu  vervollständigen,')    in  denen  der  goldene  Apfel  eine  Kolle 


')  Norske  Foliieeventyr.    Ny  Sämling  1871.     S.  45  ff. 

»)  Nur  zwei  merkwürdige  Märchen  in  Hahns  Sammlung  möchte  ich  noch  in  Erinnerung 
bringen.  Ein  junges  Weib  ist  verheirathet  und  guter  Hoffnung  von  ihrem  Tags  mit  einer 
Schlangenhaut  umhüllton  Gatten,  der  sie  verlässt,  weil  sie  das  Geheimniss  seiner  Schönheit 
vorzeitig  ausplaudert  (Psychesage).  Sie  sucht  ihn  bei  den  Schwestern  der  Sonne:  zu  denen 
sie  auf  der  Spitze  eines  Berges  neben  einem  Quell  tief  in  der  Erde  schwarzen  Schooss  hinab- 
steigt, sie  hilft  den  Schwestern  der  Sonne,  die  Brod  backen  wollen,  den  Ofen  reinmachen  und 
erhält  von  ihnen  eine  Nuss  mit  einer  Gluckhenne  und  goldenen  Küchlein,  eine  Haselnuss  mit 
goldenem  Papagei,  eine  Mandel  mit  goldener  Wiege.  Damit  erkauft  sie  die  Erlaubniss  bei  ihrem 
Liebsten  zu  schlafen,  der  sich  bereits  mit  einer  Anderen  verheirathet  hat;  er  erkennt  sie,  ßhrt 
mit  ihr  zur  Oberwelt,  öffnet  mit  silbernem  Schlüssel  ihren  Schooss  und  sie  gebiert  ein  goldenes 
Kind,   das   bereits  neun  Jahre  alt  ist  (Hahn  u.  100  das  Schlangenkind).    Ein  Mädchen  ist  mit 


218 


W.  Mannhardt: 


spielt.  Z.  B.  diejenigen  vom  goldenen  Vogel  K  H  M.  57  vgl.  III3  S.  98  ff. 
Ralston  Russian  folkstales  S.  286  ff.  Schott  wal.  Märch.  n.  26  Hahns  alban. 
u.  griech.  Märch.  II  n.  70.  Hylten-Cavallius  n.  VIII.  S.  175.  Ebensowenig 
dürfen  wir  uns  auf  eine  Deutung  der  angezogenen  Märchen  im  Ganzen  ein- 
lassen. Es  genügt  hier  auf  die  Wichtigkeit  aufmerksam  zu  machen,  welche 
die  lettischen  Sonnenlieder  auch  für  die  Erläuterung  der  in  den  Märchen  nieder- 
gelegten Mythologie  haben.  Die  in  denselben  mehrfach  hervortretende  Eigen- 
schaft der  auf  dem  Glasberg,  im  Lande  der  Jugend  u.  s.  w.  neben  Brunnen 
des  Lebens  wachsenden  Goldäpfel  (wofür  auch  alterthümlich  ein  Apfelbaum 
mit  nur  einem  Apfel  eintritt),  Gesundheit  und  Jugend  zu  verleihen,  unter- 
stützt dann  auch  die  von  Wislicenus  a.  a.  O.  S.  38  ff.  ausgeführte  Hypothese, 
dass  die  verjüngenden  Aepfel  der  Idhun,  welche  den  Äsen  das  Alter  fern 
hielten,  ebenfalls  die  belebende  Sonne  [die  Sonne  jedes  Tages  als  eine  neue 
gedacht?]  darstellen. 

n.  Seidenrock  und  Gewebe  der  Sonne. 
Jeden  Abend  hängt  die  Sonne  ihr  Seidenr  öckchen  zum  Trocknen  aus; 
es  sind  die  zuletzt  nur  noch  rothgelblich  angehauchten  gleichsam  fettig  glän- 
zenden Abendwölkchen  (16).  Aehnlich  ist  der  Morgenstern  im  Begriff  aus 
Deutschland  (dem  Westen),  wo  er  sich  deshalb  noch  aufhält,  zu  kommen, 
angethan  mit  dem  von  ihm  gewebten  rothen  Sammetrock  (51),  den  röth- 
lichen  Morgenwölkchen.  Dem  vergleiche  ich  zunächst  ein  russisches  Räthsel: 
„Vor'm  Walde,  vor'm  Busch  ein  rothes  Kleid".  (Aufl.  Zorja  d.  i.  die 
Morgen-Abendröthe^).  Deutsche  Sonnenlieder  enthalten  dieselbe  Vorstellung. 
Vgl.  die  folgenden  Varianten  des  schon  S.  104.  111  besprochenen  Liedes: 

Im  Garten  steht  ein  Hühnerhaus, 
Sehn  drei  seidne  Döckchen  heraus; 
Eins  spinnt  Seiden, 
Eins  flicht  Weiden, 


einem  Mohren  verheirathet,  den  sie  einmal  Nachts,  da  er  eingeschlafen  ist,  als  wunderschönen 
Jüngling  erkennt,  welcher  ein  verschlossenes  goldenes  Fensterchen  auf  der  Brust 
hat,  durch  das  man  alle  Begebenheiten  auf  der  ganzen  Erde  sehen  kann.  Wegen 
ihrer  Neugier  muss  Filek  Zelebi  die  schwangere  Gattin  verlassen.  Sie  macht  sich  auf  den  Weg. 
Einen  Goldapfel  vor  sich  herrollend,  steigt  sie  in  neun  Monaten  nach  einander  drei  Berge  hinan 
zu  den  drei  Schwestern  des  verlurenen  Geliebten,  die  sie  Goldwindeln  webend,  Goldkleider 
nähend  und  Golddecken  zurechtlegend  antrifft;  und  als  sie  die  letzte  erreicht  hat,  bricht  ihr 
Schooss  und  sie  kommt  mit  einem  Knaben  nieder,  der  auch  das  goldene  Fenster  auf  der  Brust 
hat.  Hahn.  n.  7.3.  In  diesen  Erzählungen  ist  der  von  der  öchlangenhaut  oder  Mohrgestalt  umhüllte 
Prinz  (wie  der  Held  der  ganz  ähnlichen  Sagen  von  Amor  und  Psyche,  Pururavas  und  ürvav'i) 
der  Sonnengott  während  der  Nacht.  Der  Sonneuball  ist  das  während  der  Dunkelheit  verschlossene 
Fenster  auf  seiner  Brust;  seine  Schwestern,  die  Schwestern  der  Sonne,  reinigen  den  Backofen, 
das  Himmelsgewölbe,  vom  Russe  der  Nacht. 

')  Afanasieff  poet.  Naturansch.  d.  Russen  1  788.  Vgl.  Fr.  Rückert  (Frühlingslied):  ,Die 
Morgenröthe  wirkt  ihr  Kleid^  (Abendlied:)  ,ünd  hoch  wie  überm  Walde  des  Abends 
Gold  netz  hing." 


Die  lettischen  Sonnenmythen.  217 

Eins  schliesst  rlen  Himmel  auf, 
Lässt  ein  bischen  Sonn    heraus, 
Daraus  Maria  spinne 
Ein  Röcklein  für  ihr  Kindclein 
Ei  so  fein,  ei  so  fein. 

Germ.  Myth.  5'25,  3.  Vgl:  die  dritte  schloss  den  Himmel  auf,  liess  ein 
bischen  Sonne  'raus,  liess  ein  bischen  drinnen,  dass  die  heilige  Maria 
konnte  spinnen  a.  a.  0.  Anm.  2.  Die  dritte  spinnt  e  rode  Rock  für 
den  lieben  Herregott  a.  a.  0.  530,  16  vgl.  580,  lo.  531,  17.  Die  dritte  spinnt 
das  klare  Gold  a.a.O.  527,  8. 

Ebenso  heisst  es  in  den  Anrufungen  an  den  Marienkäfer  (vgl.  o.  S.    '.'S 

S.  209): 

Herrchottstierche  Hieg  mer  fort, 
Breng  mer  ne  neue  chuldne  Rock. 

Siegen.  —  Kuhn  Westfäi.  Sag.  H  78,  237 

Muttergotteskäferle 
Flieg  af  die  Wäd, 
Bring  der  Muttergottes 
A  güldenes  Kläd. 

Brunn.  Zs.  f.  d.  Myth.  IV  326,  15  übereinstimmende  niederöstr.  Varr 
in  Bartschs  Germania  XIX  p.  71. 

Ladybird,  Ladybird 

Eigh  thy  way  home, 

Thy  house  is  on  fire,  thy  children  all  roam, 
Except  iittle  Nau,  who  sits  in  her  pan, 
Weaving  gold-laces  as  fast,  as  she  can. 
Germ.  Myth.  351,  18.  Vgl.  Maikäfer  fliege  fort 

Dein  Häuschen  brennt, 

Dein  Kreischen  brennt. 

Die  Jungen  sitzen  drinnen 

Und  spinnen; 

Und  wenn  sie  ihre  Zahl  (Anzahl  Schocke)  nicht  haben. 

Können  sie  nicht  spazieren  gan. 

Ebds.  350,  16.     Vgl.  350,  17. 

Wenn  der  Käfer  nach  S.  211  als  ein  Miniaturbild  der  Sonne  galt,  so 
schrieb  man  ihm  vermuthlich  zu,  was  der  Sonne  zukam.  Es  ist  daher  das 
goldene  Kleid,  welches  er  der  Madonna  bringen  soll,  das  Netz,  Geflecht 
oder  Gewebe  der  Sonnenstrahlen,  welches  auch  ein  russisches  Räthsel  meint, 
wenn  es  von  der  Sonne  sagt  „aus  einem  Fenster  in  das  andere  ist  das  Gold 
gesponnen".*)  In  den  Strahlen  der  untergehenden  Sonne  ist  denn  auch  das 
Gespinnst  der  Goldfäden  zu  erkennen,  welches  Iittle  Nan  webt,  während  das 
Haus    in    Feuer    steht,    der   Abendhimmel   sich  röthet,^)  oder  wäre  dieses 


')  Kreck  traditionelle  slav.  Literatur  S.  66. 
»)  Germ.  Myth.  354.  355. 


218  W.  Mannhardt: 

Haus  der  flammende  Sonnenkreis  selbst?  Der  rot  he  Rock,  den  Maria  aus 
der  aus  dem  Himmel  herausgelassenen  Sonne  spinnt,  muss  die  nämliche  Er- 
scheinung l)eim  Abendroth  und  Morgenrotli  bedeuten.  Und  wenn  nach  unserm 
Liede  64  die  Sonuentochter  (Dämmerung)  früh  aufsteht,  den  Seiden  faden 
zu  zwirnen,  so  erinnert  dies  daran,  dass  es  auch  in  einem  offenbar  mythischen 
schwedischen  Liede,  von  dem  Germ.  Myth.  656 — 660  eine  Anzahl  von  Texten 
gegeben  sind,  zum  Schlüsse  heisst  a.  a.  0.  657,  4 

Fru  Sole  sat  pa  bare  sten 

Och  spann  pa  sin  forgyllande  ten, 

Tre  timmar,  föran  solen  rann  up. 

Frau  Sonne  sass  auf  nacktem  Stein 

Und  spann  auf  iiiren  vergoldenden  Rocken 

Drei  Stunden,  bevor  die  Sonne  ging  auf. 

Die  drei  Stunden  sind  mythische  Hyperbel;  die  Goldfäden  der  Sonne 
aber,  die  ersten  Strahlen,  werden  schon  in  der  Dämmerung  sichtbar,  ehe  der 
Sonnenball  selbst  in  die  Höhe  steigt. 

Dem  finnischen  Volksdichter  sind  die  Sonnenstrahlen  Goldfäden,  welche 
vom  Sonnenball  wie  von  einer  Spindel  abgesponnen  werden.  Kullerwo  ruft 
in  Kalew.  33,  19  ff.  405  ff.  Schiefner: 

Scheine  du,  o  Gottes  Sonne, 
Leuchte  du,  o  Schöpfers  Spindel, 
Auf  den  armen  Hirtenknaben, 
Nicht  auf  Ilmarinens  Stube. 

Darum  ist  denn  besonders  Paiwetar,  die  Sonuentochter,  als  Weberin  be- 
rühmt. Von  einer  tüchtigen  jungen  Hausfrau,  welche  Meisterin  im  Weben  ist, 
heisst  es  lobend: 

Also  webt  des  Mondes  Tochter, 
Also  webt  die  Sonnentochter, 
So  des  grossen  Bären  Tochter, 
So  der  schönen  Sterne   Tochter. 

Kalew.  24,  81  ff.  S.  145  Seh. 

Das  stattliche  Gewand  des  Brautwerbers  wird  gepriesen;  um  den  Leib 
trägt  er  den  wollenen  Gürtel,  den  mit  schönen  Fingern  die  Sonnentochter 
webte,  in  den  feuerlosen  Zeiten,  als  man  noch  kein  (Schmiede)feuer  kannte. 
Kalew.  25,  581  ff.  158  Seh.  Wainämoinen  verspricht  der  Wasseralten  ein 
Hemd  von  reinstem  Flachse,  das  die  Mondestochter  gewebt,  die  Sonnentochter 
gewirkt  habe.  Kai.  48,  130  ff,  S.  280  Seh.  Als  er  zum  erstenmale  seinen 
göttlichen  Gesang  zur  Harfe  hören  lässt,  da  lauschen  ihm  auch  entzückt  der 
Lüfte  Schöpfungstöchter,  die  eine  auf  rothem  Wolkensaum  strahlend; 

Hielt  des  Mondes  schöne  Jungfrau 
Und  der  Sonne  schöne  Tochter 
In  der  Hand  die  Weberkämme, 
Heben  auf  die  Weberschäfte, 


Die  lettischen  Sonuenmythen.  219 

Weben  an  dem  Goldgewebe, 
Rauschen  mit  den  Silberfilden, 
An  dem  Rand  der  rothen  Wolke, 
An  des  langen  Bogens  Kante. 

Als  sie  aber  staunend  die  wunderbare  Musik  hören,  entgleiten  Weber- 
kamm und  Schifflein  ihren  Händen  und  die  goldnen  und  silbernen  Fäden 
reissen.  Kalew.  41,  96  ff.  241  Seh.  Auch  die  estnischen  Lieder  wissen  von 
den  „Luftmaiden"  zu  erzählen.  Ein  mythisches  Lied  nennt  deren  vier: 
Wassernixe,  Sternentochter,  Mondenlehrling  und  Sonnenschwalbe. 

Mussten  für  die  Sonne  steppen, 
Für  den  Mond  das  (iold  verwirken, 
Für  die  Sterne  Hauben  sticken. 
Für  das  Wasser  Spitzen  weben. 
An  des  Nebels  Kleidung  nähen.') 

Ein  cosmogonisches  Lied  spricht  noch  deutlich  die  Naturanschaiiung  aus : 

Aufschlag  ward  gewebt  heim  Mittag,  Die  Gewölke  bunt  durchbrochen, 

Einschlag  in  des  Frühroths  Haus,  Die  Weltgegenden  geschmücket, 

Andres  in  der  Sonne  Halle.  Um  am  Abend  aufzuglänzen, 

Dorten  sind  die  blauen  Seiden,  Bei  der  Sonn'  Aufgang  zu  glühen  — 

Die  moosfarbgen  Sammetdecken,  Dort  ist  gestickt  der  Sternenmantel, 

Die  umrandet  roten  Wate  Regenbogens  bunter  Mantel, 

Auf  dem  Webestuhl  gewirket,     _  Goldgewand  gewebt  dem  Monde, 

Auf  den  Tritten  abgetänzelt,  Schimmerschleier  dem  Sönnelein. 

Dort  ward  das  Gewand  gewoben.  Der  Altvater,  der  Altweise 

Alles  Linnen  abgeklöpfelt.  Hatte  die  Arbeit  vollendet. 

Mit  dem  einst  die  Welt  verschönet,  Hatte  schön  die  Welt  geschaffen.^) 

Rings  des  Himmels  Rund  gefärbt  ward, 

Zum  Seidenröcklein  der  Sonne  in  unserem  Liede  16,  zum  Sammetrock 
des  Morgensternes  51  ist  der  braune  Kock  75,  das  Kleid  78  (der  Sonnen- 
tochter), die  wollene  Decke  der  Maria  (72),  das  von  der  Mutter  Gottes  ge- 
schenkte Seidentüchlein  (79)  als  nächstverwandt  zu  stellen.  Welchem  Homer- 
leser fiele  nicht  die  y.ooynrrei/.oi:  Y7wc  IL  VIII  1  XIX  1  als  vollgiltiger 
Beweis  für  die  nämliche  Anschauung  bei  den  Griechen  ein? 

o.  Sonne  mit  der  Aussteuerlade.  Das  Gold  der  scheidenden  Sonne, 
welches  die  Bäume  des  Waldes  noch  mit  seinem  Schimmer  schmückt,  ist  13. 
14.  15.  42.  als  ein  Schatz  aufgefasst,  als  Brautschatz  der  Sonnentochter,  als 
eine  goldene,  oder  goldbeschlagene  Lade,  aus  der  Ringe,  Gürtel,  Handschuhe, 
Wollentücher  gespendet  werden.  Um  diese  Bilder,  so  einleuchtend  und  packend 
sie  auch  ohnehin  auf  den  ersten  Blick  sind,  in  ihrer  vollen  Schönheit  würdigen 
zu  können,  muss  man  sich  die  lettisch-litauische  Hochzeitssitte  vergegen- 
wärtigen, aus  dem  Brautschatze  auf  das  reichlichste  Gaben  auszutheilen.  Die 
litauische    Braut    musste    bei    der  Heimführung  nach  dem  Hause  des  Gatten 


■)  Kreutzwald  und  Neuss,  mythische  und  magische  Lieder  der  Esten  S.  34. 
■^)  Kreutzwald  u.  Neuss  a.  a.  0.  24.  B. 


220  ^'  Mannhardt: 

vor  jedem  Heck,    an  jeder    Grenze,    zuletzt  bei  des  Bräutigams  Gehöfte  oder 
der  Klete  ein  Handtuch,  oder  einen  Gürtel  (joste)  hinwerfen,  welche  die 
Knechte  für  den  Bruder  (Dewerys)    und    die    unverheirathete    Schwester    des 
jungen   Ehemanns   aufhoben  (M.  Praetorius).     Heutzutage    macht    der  Führer 
des  Brautwagens  (Palags)  gewöhnlich  vor  jeder  Hecke   und    oftmals,    wo    es 
ihm  sonst  beliebt,  Halt  und  behauptet,    die  Sielenstränge  seien   gerissen,    bis 
man    Strumpfband,    Josten    (Gürtel),    Schnüre    hervorsucht    und  ihm  zur 
Ausbesserung  des  Schadens  überliefert.     Zumal    der  Thorweg    des  Hochzeit- 
hauses öffnet  sich  der  Braut  nicht  eher,    als    bis    sie   nach   langem 'Hin-  und 
Herreden    an    die    Thorhüter    nicht    unbedeutende   Geschenke    von  Stomenis 
(d.  h.  Stücken  Leinewand  von  Mannslänge)   Handschuhen,    buntgewirkten 
wollenen  Bändern  ausgetheilt  und  auch  das  Heck  damit  bebunden,  anderswo 
ein    Geschenk    von    ihrer    Hände    Arbeit  für  die  Schwiegermutter  übergeben 
hat.     Beim  Eintritt  in  die  Klete  hängt  die  junge  Frau  auf  den  Thürschlüssel 
einen  Stomenis.     Ist  dann  später  die  Ceremonie  der  Abnahme  des  Mädchen- 
kranzes beendigt  und  ihr  die  Frauenhaube  aufgesetzt,    so    wird    sie    von  den 
Verwandten  aufs    herzlichste    begrüsst    und    überreicht    ihnen    nun    die    mit- 
gebrachten Geschenke,    dem  Schwiegervater  Leinwand,    der    Schwiegermutter 
eine    vollständige    Bekleidung,    den    Schwägerinnen    gestickte    Ueberhemden 
(Marschkinelen),  den  Mädchen,  die  beim  Ausflechten  der  Zöpfe  geholfen  haben, 
Handtücher.    Gisevius  erlebte  den  Vorgang  als  Augenzeuge  folgendermassen: 
Die  junge  Frau  umhalste  alle  Zunächststehenden  und    empfing    feierlich    den 
Segen  der  Schwiegereltern.     Darauf  öffnete  sie  ihren  Kraitisschrank 
(Aussteuerlade),  holte  eine  Menge  Weisszeug,  Linnen  und  Bänder  hervor  und 
mit  denselben  beladen  fing  sie  bei  den  Eltern  mit  der  Vertheilung  der  Gaben  an. 
Alle  in  der  Kletis  Befindlichen  wurden  berücksichtigt,  und  von  der  Nutaka  mit 
Stomenis  (feinen  Leinwandstücken  von  sechs  und  mehr  Ellen  Länge)  beschenkt, 
deren  sie  jeglichem   eines    oder    mehrere    wie    Schärpen    um    den 
Leib    band.')     Endlich  musste  die  junge  Frau  (Marti)  durch  alle  Gebäude, 
Ställe  und  Schoppen  gehen  und  vor  allen    diesen  Baulichkeiten    tanzen    und 
sie  beschenken.    Auf  die  Schwelle  des  Ochsenstalles,  in  die  Scheuer,  Pferde- 
und  Schweinestall  legt  sie  Geld,  in  den   Schafstall    einen    Gürtel  fJoste),    in 
den  Kuhstall  ein  Kopftuch,  in  die  Jauje  (Hitzriege  zum  Dörren  des  Getreides) 
einen    Stritzel.     Jedem  Baum  im  Obstgarten,  jedem  Getreidefach  in  der 
Scheuer,   jedem    Thor,    Heck,  Brunnen  musste  sie  etwas  zuwerfen.     Kam  sie 
mit  Tüchern  und  Gürteln  nicht  aus,  so  musste  sie  sich  mit  Geld  auslösen, 
Geld  auf  die  Orte  und  Schwellen  legen.     Diese  Sachen  wurden  nachher  auf- 
gehoben und  unter  des  Bräutigams  Freunde  vertheilt  (M.  Prätorius). 

Aus  Brand  (Reisen  147—152)  lernt  man  die  lettische  Sitte,  wie  sie  sich 
am  Ende  des  siebzehnten  Jahrhunderts  in  Livland  gestaltete,  kennen.  Wenn 
die  junge  Frau  zum  Hause  dos  Bräutigams  geholt  wird,  „wird  der  Brautkast 
(Hochzeitlade)  zum  präsent  mit    sonderlichen    Geberden    voran- 

>)  N.  Preuas.  Proviazialbl.  IV  1847  S.  215. 


Die  lettischen  Sonnenmythen.  221 

geführet,  welcher  nun  mit  einigen  bunten  Kniebändern  Linnyken 
(so  nennen  sie  ein  Stück  sichern  Leinwands  von  4  Ehlen  und  dreyviertel 
Quart  breit  oben  und  unten  gantz  bunt),  etliche  Groschen  an  Geldt,  alten 
Schuhen,  bunten  gestrickten  Handschuhen,  und  dergleichen  Grillen 
angefüllet  ist,  so  ihr  ihre  Eltern  zum  Brautschatz  mitgeben  und  davon  sie 
etliche  bunte  Bänder  an  die  Gäste  austheilet".  Noch  jetzt  vertheilt  die  lettische 
Neuvermählte  am  Sonntag  vor  der  Kranzabnahme  Hochzeitsgeschenke  an  die 
Schwiegereltern  und  Geschwister  des  jungen  Gatten.^) 

Auffällig  ist,  dass  in  unsern  Sonnenliedern  nicht  die  Braut  die  Gaben 
austheilt,  sondern  die  Sonne  und  der  Abendstern,  welche  hier  wohl  als  Braut- 
mutter (Brautgeleiterin)  und  Brautführer  gedacht  sein  müssen.  Das  weist  auf 
eine  locale  Verschiedenheit  der  Hochzeitsitte  zurück,  wie  wir  sie  bei  den 
Südslaven  noch  lebendig  finden.  Bei  den  Serben  im  Banat  erhält  nämlicTi 
die  Braut  zur  Vorhochzeit  (prsten-jabuka)  ein  Geschenk  an  Hemden,  Strümpfen, 
Schuhen  und  Kleidern.  Auf  der  Hochzeit  schenkt  die  junge  Frau  dem  Kum 
(dem  ersten  Beistand)  ein  Hemd,  dem  Starisvat  (zweiten  Beistand),  den 
Deveri  (Brautführern)  und  andern  Gästen  ein  Tüchlein,  Handtuch  oder  Fuss- 
socken,  die  Mutter  des  Bräutigams  theilt  an  alle  Verwandten  und  Gäste 
Hemden  und  Tücher  aus.-)  In  Syrmien  vertheilt  auch  die  Svekra,  die 
Mutter  des  Bräutigams  die  Geschenke.  Sie  schmückt  die  Basspfeife  und  die 
Pferde  mit  schönen  Tüchern  und  Handtüchern  und  steckt  auf  das  Dach  des 
Hauses  eine  Ruthe  und  ein  Handtuch,  welches  derjenige  als  Botenbrod 
empfängt,  welcher  zuerst  den  herannahenden  Brautzug  anmeldet.  Während 
endlich  der  jungen  Frau  der  Brautschleier  abgenommen  wird,  überreicht  die 
Svekra  persönlich  oder  durch  deu  Dudelsackpieiler  dem  Kum,  Starisvat  und 
Dever  vorbereitete  Präsente.^)  In  der  Militärgrenze  erfolgt  die  Vertheilung 
der  Geschenke  durch  die  junge  Frau  im  Verein  mit  den  Deveri,  welche  die 
Gaben  auf  blankem  Säbel  tragen.*)  Im  eigentlichen  Serbien  vertheilt  am 
zweiten  Hochzeittage  der  Tschausch,  die  lustige  Person,  unter  Spässen  die 
aus  Tüchern,  Hemden  u.  s.  w.  bestehenden  Geschenke  der  Braut,  welche  an- 
geblich unter  der  Last  keuchend  zwei  Jünglinge  herbeitragen,  iudess  die  noch 
Verschleierte  sich  ohne  Unterlass  verneigt.^) 

Mit  den  in  unseren  Liedern  13.  14.  15.  ausgesprochenen  Gedanken  be- 
rühren sich  nach  zwei  verschiedenen  Richtungen  hin  ein  serbisches  und  ein 
finnisches  Lied.  Das  serbische^)  erzählt,  wie  der  Morgenstern  seinem  Bruder, 
dem  Monde,  deu  Blitz  erfieite  und  llochzeitgäste  einlud  als  Kum  den  Herr- 
gott, als  Prikum,  Starisvat  und  Djeweri  die  Heiligen  Johannes,  Niclas,  St.  Peter, 

•)  Die  dabei  gesTingencn  Lieders.  l.atweeschu  tautas  dseelmas  1.  Lpzg.  1874  n.  497 — 510.  S.  41. 
*)  Rajacsich,    Leben,   Sitten   und   Gebräuche   der  in   Oestreicb   lebenden  Südslaven.     Wien 
1873  S,   168.    183.   184. 

*)  Rajacsich  168.  163.  li;4. 

*)  Rajacsich   148. 

^)  Talvj,  Volkslieder  der  Serben  II  17. 

«)  Talvj  a  a.  0.  II  dl.     Vuk  1  131. 


222  W,  Mannhardt: 

Pantaleon,  als  Brautmaid  die  feurige  Maria,  als  Wageuführer  St.  Elias.  Dann 
föugt  er  an  Hocbzeitsgaben  auszutheilen,  dem  Herrgott  die  Himmelshöhen, 
St.  Johannes  die  Winterkälte,  St.  Peter  die  Sommerliitze,  der  Maria  lebend 
Feuer,  dem  Elias  Pfeil  und  Donner. 

Wenn  sich  hier  sowohl  der  Blitz  (Peruu-Perkun),  doch  als  Braut,  und  die 
Vertheilung  von  Hochzeitgaben  wiederfinden,  spinnt  eine  in  der  vierteu  Kale- 
walarune  enthaltene  Episode  den  Gedanken,  dass  die  Sonne  bei  Abend  die 
Waldesbüume  und  das  Antlitz  der  Menschen  mit  goldenem  Schein  wie  mit 
leuchtendem  Schmuck  umkränze,  episch  fort.  Eine  Mutter  heisst  ihre  Tochter 
in  das  Vorrathshaus  am  Berge  gehen  und  den  bunten  Deckel  der  besten  Kiste 
heben.  Dort  werde  sie  einen  Schmuck  finden,  den  sie  anlegen  möge,  um 
dem  vornehmen  Freier  zu  gefallen,  sieben  blaue  Röcke  und  sechs  goldne 
Gürtel,  die  des  Mondes  Tochter  webte  und  der  Sonne  Tochter  nähte.  Als 
sie  einst,  so  erzählt  die  Mutter,  in  ihrer  Jugend  im  Busch  am  Berge  Him- 
beeren suchte,  habe  sie  am  Saum  des  Waldes  die  Mondestochter  weben,  die 
Sonnentochter  spinnen  hören;  sie  sei  ihnen  genaht  und  habe  sie  sanft  gebeten: 

„Gieb  dein  Gold,  o  Mondestochter,  Trug  es  eiueu  Tag,  den  zweiten, 

Gieb  dein  Silber,  Sonnentochter,  Aber  schon  am  dritten  Tage 

Diesem  Mädchen  ohne  Mittel,  Nahm  das  Gold  ich  von  den  Schläfen, 

Diesem  Kinde,  das  dich  bittet."  Und  das  Silber  mir  vom  Haupte, 

Gold  gab  mir  des  Mondes  Tochter,  Bracht'  es  hin  zum  Haus  am  Berge, 

Silber  mir  die  Sonnentochter,  That  es  sorgsam  in  die  Kiste, 

Gold  mir  an  die  schönen  Schläfen,  Hat  bis  heute  dort  gelegen. 
Auf  das  Haupt  mir  schimmernd  Silber,    Hab'  es  nie  mehr  angesehen.') 
Mit  den  Blumen  ging  behend  ich. 
Freudig  nach  dem  Haus  des  Vaters. 

p.  Der  Sonnenbaum, 
a)  Sonne  =  Rose,  Rosenstock,  Sonnenbaum.  Ebenso  durchsichtig 
wie  die  Vorstellung  als  Apfel  ist  die  Auffassung  der  Sonne  als  Rose,  welche 
deutlich  ihren  Anlass  fand  in  der  rosigen  Farbe  des  Morgenroths,  von  der 
schon  Homer  das  Bild  der  rosenfingrigen  d.  h,  von  Rosen  an  ihren  Fingern, 
(den  ersten  fächerartigen  Sonnenstrahlen)  umgebenen,  Rosen  mit  ihren  Fin- 
gern ausstreuenden  Eos  entlehnt.     Vgl.  Hallers  Morgengedanken: 

Die  frühe  Morgenröte  lacht, 

Und  vor  der  Rosen  Glanz,  die  ihre  Stirne  zieren. 

Entflieht  das  blasse  Heer  der  Nacht. 

Die  Rosen  ülfnen  sich  und  spiegeln  an  der  Sonne 

Des  kühlen  Morgens  Perlenthau. 

Vgl.  in  einem  Gedicht  von  der  Morgenrothe: 

Das  Lächeln,  das  sie  hold  umschwebt, 
Hat  sie  aus  Hiramelslicht  gewobt. 
Die  Rosen,  damit  sie  sich  schmückt, 
Hat  sie  im  Paradies  gepflückt. 

Grube,  Buch  der  Naturlieder.   Lpzg.   1851.  p.  59  bei  Schwartz  S.  M.  St.  208. 
')  Kalewala  R.  4  V.  119-1G6.   S.  20  Schiefner. 


Die  lettischen  Sonnnemythen.  223 

Eine  Reihe  unserer  Märchen  erzählt  von  dem  Mädchen,  das  in  den 
Brunnen  fällt  und  unten  auf  eine  schöne  Wiese  geräth;  hier  schüttelt  sie 
einen  Apfelbaum,  so  dass  der  reife  Apfel  herabfällt  (der  Sonnen- 
apfel zum  Vorschein  kommt),  hier  melkt  sie  eine  rothe  Kuh  (rothe 
Kühe  =^  Lichtstrahlen  s.  u.),  hier  räumt  sie  einen  Backofen  (das  am  Morgen 
wie  von  innerem  Feuer  sich  röthende  Himmelsgewölbe  (s.  o.  ö.  215  tf,),  indem 
sie  das  Brod  [den  runden  Kreis  der  allnährenden  Soune  vgl.  o.  S.  102] 
herausholt.  ISie  befreit  einen  Schafbock  von  der  Last  seiner  Wolle,  oder 
findet  in  einem  verschlossenen  und  verbotenen  Zimmer  einen  goldenen  Bock 
(s.  unten);  sie  wäscht  schwarze  Wolle  (die  dunkele  Decke  der  Nacht)  weiss 
und  gelangt  endlich  durch  ein  goldnes  Thor  im  Augenblicke,  wenn  der 
Tag  anbricht,  helles  Taglicht  vor  sich,  schwarze  Nacht  hinter  sich,  am  gan- 
zen  Leibe  vergoldet,  und  Goldstücke,  P^erlen  oder  Rosen  aus 
dem  Munde  lachend  zu  den  Ihrigen  zurück.  In  dieser  Märchengestalt  ist 
längst  die  Morgenrothe  erkannt.')  Unter  dem  Kranz  von  Rosen,  mit  welchem 
die  Sonne  im  lettischen  Liede  27  den  Gerstenacker  täglich  umkleidet,  ist 
nach  alledem  sicher  die  Morgenrothe  zu  verstehen.  Die  Beziehung  zum  Saat- 
feld ist  hier  genau  die  nämliche  wie  die  des  Helios  in  den  homerischen 
Yersen  Od.  HI  3,  wo  der  Sonnengott  Morgens  am  Himmel  emporsteigt 

tV  äüuväioiai  Cfai'tirj 

Der  Garten  aber,  in  dem  neun  Röslein  wachsen  (78),  der  goldne  Rosen- 
garten (79),  die  neun  Rosenstöcke,  auf  denen  die  Sonnentochter  ihren  Rock 
trocknet  (75),  stehen  dem  Apfelbaum  mit  neun  Seitenästen  (72)  gleich  und 
bedeuten  die  Strahlen  der  Sonne,  auf  denen  oben  als  fc^pitze  die  Blume  des 
Sonnenballes  prangt.  Vgl.  Fr.  Rückert:  „Die  Sonn'  ist  eine  gold'ne  Ros' 
im  Blau"  und  H.  Heine  (Buch  der  Lieder):  „Ueber  mir  in  dem  ewigen  Blau 
prangte  die  Sonne,  die  Rose  des  Himmels,  die  feuerglühende."  Aus  dieser 
Rose  d.i.  der  Sonne  ist  abgeleitet  sowohl  der  goldene  Rosengarten,  als  der 
in  die  Wolken  gewachsene  Rosenstock  in  83.  84. 

Zur  hessern  Begründung  meiner  Behauptung  muss  ich  etwas  weiter  aus- 
holen und  zunächst  nachweisen,  dass  die  Sonne  mit  ihren  Strahlen  vielfach 
als  ein  sich  verästelnder  Baum  gedacht  ist.  So  ruft  Rückert  dem  Schmetter- 
linge, dem  Paradieses vogel,  zu: 

Streife  niciit  am  Boden,  schwebe 

Dort  hinan  im  Siegeslauf, 

Wo  im  Blauen  unbegrenzet 

Blüht  der  Soune  goldner  Baum.') 

Dieselbe  Anschauung  enthält  ein  kleinrussisches  VolksräthseP):  „Es  steht 
ein  Baum  mitten  im  Dorfe,    in  jeder  Hütte  ist  er  sichtbar"  (Aufl.  die  Sonne 


')  Grimm  Myth.  II  1054.  Des  Verfassers  Germ.  Myth.  430—440  Sohwartz  S.  M.  St.  257. 
-)  Der  Schmetterling  im  Herbste.  Bausteine  zu  einem  Pantheou.  Gedichte.  1836.  I  70. 
^)  Afanasieff  poet.  Naturansch.  d.  Russ.  I  517  Anm.  2. 


224  W.  Mannhardt: 

und  ihr  Licht  i)  Hiezu  stimmt  ferner  ein  norwegisches  Volksräthsel,  dessen 
Mittheilung  ich  S.  Bugge  verdanke: 

Der  Stent!  eitt  tre  i  Billingsbergje  d.  i.  Da  steht  ein  Baum  auf  dem  Billings  b  e  r  g  e 

dae  driuper  üt  ivi  eitt  hav,  Der  tropft  (vgl  o.  S.   101)  über  ein  Meer 

heunes  greiner  lyse  som  gull,  (o.  S.  97) 

du  gjeter  dse'k  idag.  Seine  Zweige  leucliten  wie  Gold; 

Das  rätst  du  heute  nicht. 

Aufl.:  die  Sonne.  Dieses  Räthsel  erläutert  den  engl.  Ausdruck  sun-beam 
Sonnenstrahl,  zu  dem  auch  eine  niederdeutsche  Beschwörung  stimmt  (in  een 
scone  Exempel  v.  117  in  Willems  Belg.  Museum  I  326: 

noch  bemane  ic  u  meere 

by  der  Zonnen  boom  en  by  der  manen. 

Steckt  etwa  auch  in  altnord.  sol-gran  n.  Sonnenstäubchen  gran.  n. 
Fichte,  so  dass  der  Ausdruck  als  totum  pro  parte  zu  fassen  wäre?  Oder  liegt 
diese  Synekdoche  nicht  vor  und  muss  an  gran  n.  Korn,  unbedeutendes 
Gewichtstheilchen  gedacht  werden ?i)  Wie  dem  auch  sei,  jetzt  werden  wir 
auch  im  Aachener  Kinderreim  den  Sonnenbaum  gewahr  werden: 

Op  Zent  Zellester-Berg  (St.  Salvator  bei  Do  kaucht  Maria  'nen  Appelbrei  (o.  S.  104), 

Aachen)  Do  kommen  alle  Herrgottskenger  bei 
Do  schingt  de  Sonn'  esu  wärm;  (o.  S.    212) 

Do  steht  e  gülde  Bäumche,  Do  kommen  alle  Engelcher  (o.  S.  99) 

Onger  det  gülde  Bäumche  Kleng  en  gruss, 

Do  steht  e  gölde  Stöulche.  Nacks  en  bluss, 

We  setzt  darop?    Maria.  Jesus  in  Marias  Schuus.^) 

Bliebe  noch  irgend  ein  Zweifel  hinsichtlich  des  Sonnenl)aums,  so  löst 
iim  die  folgende  Sage.  „Die  Bramauen  erzählen:  der  sehr  geliebte  König 
Vicramaarca  dachte  eines  Tages  über  die  Kürze  des  Lebens  nach  und  wurde 
darüber  sehr  traurig,  bis  ihm  sein  Bruder  zum  Tröste  folgenden  Rath  gab. 
In  der  Mitte  der  Welt  ist  der  Baum  Udetaba,  der  Baum  der  Sonne, 
welcher  mit  Sonnenaufgang  aus  der  Erde  hervorspriesst,  in  dem 
Maasse,  wie  die  Sonne  steigt,  in  die  Höhe  steigt,  und  sie  mit 
seinem  Gipfel  berührt,  wenn  sie  im  Mittag  steht,  worauf  er  wieder 
mit  dem  Tage  abni  mmt  und  sich   bei  Sonnenuntergang  in  die  Erde 


')  W.  Schwartz  in  seinem  Aufsatz  „der  rothe  Sonuenphallus  der  Urzeit  in  der  Zs.  f.  Ethno- 
logie 1874  S.  178  führt  eine  Stelle  aus  diin  Talmud  an,  wo  der  inoiirfacli  vorkommende  Aus- 
druck „Lichtsiiule  der  Sonne,  des  Mondes"  für  das  Licht  der  aufgehenden  Sonne  und  des  auf- 
gehenden Mondes  folgenderraassen  erläutert  wird :  „Unter  Lichtsäule  der  Sonne  wird  verstanden 
das  Aufgehen  der  Morgenröthe,  welche  durchbricht,  wie  eine  au  frech  te  Pal  me" 
„Die  Lichtsäule  des  Mondes  steigt  säulenartig  auf,  wie  ein  Stab,  die  Lichtsäule  der  Sonne  dagegen 
zerstreut  und  hierhin  und  dorthin'. 

-)  .1.  Müller  und  W.  Weitz,  die  Aachener  Mundart,  Aachen  und  Leipzig  1830  S.  278.  Vgl. 
Germ.  Myth.  .'J2G  Anm.  la.  Die  Ilimmelsthür  winl  offengehn.  Kommt  .lesus  aus  der 
Schule.  Kocht  Maria  Apfelbrei,  setzen  sich  alle  Engelchen  bei,  nackt  und  bloss,  alle  auf  Marien 
Schooss. 


Die  lettischen  Sonnenmytben.  225 

zurückzieht.  Setze  dich  bei  Anbruch  des  Tages  auf  diesen  Baum; 
er  wird  dich,  wie  er  in  die  Höhe  wächst,  bis  zur  Sonne  hinauf- 
bringen, und  diese  kannst  du  bitten,  dass  sie  dir  ein  längeres  Leben  als 
den  übrigen  Menschen  schenken  möge.  Der  König  befolgte  diesen  Rath  und 
erhieh  ein  Leben  von  zweitausend  Jahren  voll  Kraft  und  Gesundheit J) 

(j)  Rosenstock,  Sonnenbaum  erklettert.  Hier  haben  wir  nicht  allein 
einen  Baum,  der  bis  in  den  Himmel  hineinwächst,  sondern  auch, 
wie  in  unserm  Liede  88.  84  die  Mythe  von  jemand,  der  auf  ihm  in 
die  Höhe  klettert.  Hiemit  stehen  wir  inmitten  einer  Sagenfamilie,  welche 
Vertreter  in  allen  Welttheilen  hat.  E.  Tylor,  der  ihr  in  seinem  Buche  „Ur- 
geschichte der  Menschheit"  S.  440—450  eingehende  Beachtung  schenkte,  gab 
ihr  nach  einem  einheimischen  Repräsentanten,  einem  englischen  Märchen,  den 
Namen  „Hans  mit  dem  Bohnenstengel"  (Jack  and  the  beanstalk). 

Wir  unsererseits  beginnen  unsere  kurze  Besprechung  mit  einem  deutschen 
Märchen  aus  Siebenbirgen  in  Haltrich's  werthvoUer  Sammlung  n.  15  der 
Wunderbaum  S.  70— 71.  Ein  Hirtenknabe  gewahrt  plötzlich  auf  dem  Felde 
einen  grossen,  schönen  Baum  mit  Zweigen,  die  wie  die  Sprossen  einer  Leiter 
stehen.  Sein  Wipfel  reicht  hoch  in  die  Wolken.  Der  Knabe  steigt  neun 
Tage  lang  am  Baume  empor  und  gelangt  zuerst  auf  ein  weites  Feld  mit 
kupfernem  Palaste,  einem  Kupferwalde  und  einer  Kupferquelle,  in  der  sich 
seine  gebadeten  Füsse  mit  Kupferglanz  überziehen.  Er  bricht  ein  Zweiglein 
und  gelangt  an  dem  grossen  Wunderbaume  weiter  in  die  Höhe  steigend  nach 
abermals  neun  Tagen  auf  ein  anderes  Feld,  wo  Schlösser,  Bäume,  Hahn 
und  Quelle  von  Silber  sind.  Hier  färben  sich  seine  Hände  mit  Silber.  End- 
lich erreicht  er  nach  neuem  Klettern  am  siebenundzwanzigsten  Tage  ein 
Goldland  mit  Goldpalästen  und  goldenem  Wald,  Hahn,  Quell,  in  dem  sein 
Haar  golden  wird.  Mit  dem  goldenen,  silbernen,  kupfernen  Zweige  gelangt 
er,  abwärts  gestiegen,  in  einen  Königshof,  wo  er  als  Küchenjunge  Dienste 
nehmend,  sich  Kopf,  Hände,  Füsse  verhüllt.  Später  schreitet  er  unverhüllt 
dreimal  den  Glasberg  hinan  und  legt  je  einen  der  drei  Zweige  der 
Königstochter  in  den  Schooss,  die  er  auf  diese  Weise  zur  Gemahlin  er- 
wirbt. Der  goldhaarige  Bursche  ist  uns  schon  als  Sonnengott  (o.  S.  214), 
der  Glasberg  als  Himmelsgewölbe  (o.  S.  97.  218.)  bekannt;  die  kupferne,  silberne, 
goldene  Station  erinnert  an  den  ehernen,  silbernen,  goldenen  Apfel,  das  sil- 
berne, goldene,  diamantene  Ross  (o.  S.  95  S.  214)  und  charakterisirt  sich  damit 
als  Sonnenbaum. 

In  einem  neugriechischen  Märchen  aus  Kalliopi  „das  Töpfchen"-)  wächst 
ein  Johannisbrodbaum  so  hoch,  dass  er  nahe  an  den  Himmel  stösst.  Ein 
alter  Mann  steigt  hinauf,  um  oben  Schoten  zu  pflücken.    Da  hört  er  im  Wipfel 


')  Frau  V.  Genlis,  Botanik  der  Geschichte,  übers,  v.  Stang  I  242   bei  Friedreich,  Symbolik 
der  Natur  S.  169. 

■^)  Bei  Simrocli,  deutsche  Märcheu  1804.     Anhaug  S.  358. 

/«itscUrift  fiir  Ethuologie,  Jahrgang  1875.  16 


226  ^-  Maniihardt: 

Sommer  und  Winter  um  den  Vorrang  mit  einander  streiten.  Er  schlichtet 
den  Streit  zu  Beider  Zufriedenheit  und  erhält  dafür  von  ihnen  zuerst  ein  alle 
Wünsche  befriedigendes  Töpfchen  (—  Tischchen  deck  dich),  sodann  einen 
Knüppel  aus  dem  „Sack."  Im  englischen  Märchen  „Jack  and  the  beaustalk" 
wird  erzählt,  dass  eine  bunte  Bohne  in  die  Wolken  hinauf  wächst,  ihre  Stengel 
bilden  eine  Leiter,  an  der  Hans  hinaufklettert,  bis  er  oben  in  eine  unbekannte 
Gegend  kommt,  wo  ihm  eine  alte  freundliche  Fee  von  seinem  Vater  er- 
zählt, von  dem  er  noch  nie  etwas  gehört  hat.  Ein  böser  Riese  hat 
denselben  getödtet  und  seine  Schätze  genommen.  Diese  Schätze,  eine  Gold- 
eier legende  Henne,  ein  Beutel  mit  Gold  und  eine  Goldharfe  gewinnt  Haus 
wieder.  Als  der  Riese  dem  am  Bohnenstengel  Hinabgestiegenen  folgt,  hackt 
dieser  jenen  entzwei,  so  dass  der  Unhold  köpflings  in  den  Brunnen  stürzt 
und  todt  ist.^)  Die  Goldeier  legende  Henne^)  ist  ebenso,  wie  die  Harfe 
(s.  unten)  wieder  ein  Apotypom  der  Sonne. 


»)  K.  H.  M.  III3  321  ff. 

'■')  S.  0.  S,  104  das  Ei  -  Sonne.     Vgl.  dazu  das  Mailänder  Regenlied  (Germ.  Mytli.  4'22) 

Pjöv  pjöv 

La  gaijina  t'a  I'oeuv. 

Es  regnet,  es  regnet, 

Die  Henne  legt  ein  Ei; 
d.  h.  wenn  es  abgeregnet,  scheint  die  Sonne  wieder, 
so  wie  das  piemontesische  Sonnenlied  (Germ.  Myth.  396),    welches  ich   der   gütigen  Mittheilmig 
Se.  Excellenz  des  Herrn  Ritter  Nigra  verdanke: 

Sei,  mirasol 

Ire  galine  suna  rol, 

tre  gai  ant  un  castel, 

preghe  Dio  c'a  fassa  bei. 

Sonne,  Wundersonne ! 

Drei  Huhn  er  auf  einer  Eiche, 

Drei  Hähne  auf  einer  Burg; 

Bitte  Gott,  dass  es  schön  werde 
Zu  diesen  drei  Hühnern  auf  einer  Eiche  halte  man  das  russische  Räthsel  von  der  Sonne  „Es 
sitzt  auf  einer  alten  Eiche  ein  Vogel,  den  weder  König  noch  Königin  noch  die  schönste 
Jungfrau  fangen  kann.  Ralston  songs  of  the  Russian  people  349.  Ein  anderes  russisches  Räthsel 
sagt:  Der  Hahn  sitzt  auf  der  Weide,  lässt  sein  (ieiieder  (wörtlich  Haarzopf)  bis  auf  die 
Erde.  Aufl.:  die  Sonne  und  ihre  Strahlen  Afanasieif  poet.  Naturansch.  l  .iPJ  nach  Tschernigofl'- 
Gouvernements-Zeitung  1854  n.  29.  Vgl.  den  goldenen  Weiden  buscli  im  lett.  Liede  n.  63. 
Die  Weide  ist  in  diesem  Räthsel  statt  der  Eiche  als  Name  des  mythischen  Baumes  gewählt, 
um  darauf  anzuspielen,  dass  derselbe  am  oder  über  dem  Wasser  (Himmelsmeer  oder  -Strom) 
sich  erhebt.  Es  ist  nun  wohl  deutlich,  weshalb  die  schon  mehrfach  o.  S  98.  209.  211.  erwähnten 
Käfer  coccinella  septempunctafa,  chrysomcia  und  cetonia  auruta  als  Abbilder  der  Sonne  (Soiui- 
chen,  Sonnenschciiicheu)  auch  Herrgottshähnchen,  hiärguothäunken,  U.  L.  Frauen  Küchlein, 
schwed.  Herranshoen,  Guilhöna,  Geshöna,  dän.  Marihöne  Vorherreshöne,  holl.  lieven  heers 
haantje,  Zomerhaantje  oder  tuitje  (Henne)  höissen.  Germ.  Myth.  243  ff.  243  ff.  Hiezu  vgl  man 
die  Anrede  der  Esten  an  densell)en  Käfer,  bei  ihnen  Lepatrina  (d.  Erlentriiie,  Kathaiina  der 
Erlen)  genannt.  (Ueber  Katharina  als  Sonnenheilige  und  als  Name  dieses  Käfers  s.  Germ.  Myth. 
7.  385-388.     Zs.  f.  d.  Myth.  IV  432.): 

Fliege,  fliege  Erlentrine, 

Flieg  in  jenes  Land  l)inül>er  (d.  i.  den  Himmel), 


Die  lettischen  Sonnenmythen.  227 

Mehrere  russische  Varianten  theilt  Ralston  in  seinen  Russian  folktales 
S.  294 — 298  mit;')  sie  reden  fast  sämmtlich  von  einem  aus  Pfannkuchen, 
Semmeln,  Pasteten  und  allen  möglichen  guten  Esswaaren  gebauten  Hause, 
das  mehreren  (in  einer  Fassung  zwölf)  Ziegen  zugehörig  ist,  deren  jede 
niiclistfolgende  ein  Auge  mehr  hat,  als  die  vorhergehende  (Einäuglein,  Zwei- 
iiugleiu,  Dreiäuglein  u.  s.  w.)  oder  von  einer  durch  einen  Hahn  mit  gol- 
denem Kamm  gehüteten  Handmüble,  welche  Pasteten  und  Pfannkuchen  zu 
Tage  fördert.  Das  eine  oder  das  andere  dieser  Dinge  findet  derjenige  oben 
vor,  der  den  zum  Himmel  hineingewachsenen  Erbsenstengel,  oder  Eich- 
baum hinaufklettert.  Hier  wiederholt  sich  somit  in  anderer  Form  jener 
0.  S.  226  dem  „Tischchen  deck  dich"  gleichgesetzte  Topf. 

Bei  den  Wyandots,  einem  Indianerstamme  in  der  Nähe  der  grossen  Seen, 
klimmt  Chalabech,  der  nie  grösser  als  ein  Säugling  wird  (vgl.  o. 
S.  211  fi.  ?)  einen  Baum  hinan,  den  er  anbläst,  so  dass  der  wächst  und  wächst 
und  endlich  in  den  Himmel  hineinreicht.  Hier  oben  legt  Chalabech 
seine  Schlingen  für  Wild,  in  denen  sich  Nachts  unversehends  die  Sonne 
fängt,  worauf  auf  Erden  der  Tag  ausbleibt,  bis  ein  Mäuschen  die  Sonne  los- 
nagt. Bei  den  Dogribindianeru  im  fernsten  Isordwesten  Amerika's  pflanzte 
Chapewee,  als  er  nach  der  grossen  Fluth  die  Erde  formte,  ein  Stück  Holz 
auf,  das  zu  einem  Fichtenbaum  wurde,  der  mit  erstaunlicher  Schnellig- 
keit wuchs,  bis  sein  Gipfel  den  Himmel  berührte.  Ein  Eichhörnchen  lief 
diesen  Baum  hinauf  und  wurde  von  Chapewee  verfolgt,  bis  er  die  Sterne  er- 
reichte, wo  er  eine  schöne  Ebene  fand.  Hier  fing  sich  die  Sonne  in  der 
Schlinge,  die  er  für  das  Eichhörnchen  legte.  2)  Die  Kasias  in  Bengalen  er- 
zählen, die  Sterne  seien  einst  Menschen  gewesen;  sie  kletterten  auf  den 
Gipfel  eines  Baumes,  aber  andere  hieben  unten  den  Stamm  ab  und  sie 
blieben  dort  oben  in  den  Zweige n."*)  Bei  den  malaischen  Dayaks  auf 
Bürneo  klettert  Si  Jura  zur  Zeit  einer  Hungersnoth  an  einem  im  Himmel 
wurzelnden  Fruchtbaum,  dessen  Zweige  r.iederhangen,  in  die  Höhe,  bis  er 
ins  Land  der  Plejaden  gelangt,  hier  den  Reis  mit  seinem  Anbau 
kennen  lernt,  und  dann  sich  wieder  an  einem  langen  Seile  unfern  von  seines 
Vaters  Hause  auf  die  Erde  niederlässt."^)  Auch  hier  wieder  handelt  es  sich 
um  eine  grossartige  Nahrungsquelle,    welche   der  Besteiger  des  Baumes  oben 


Wo  die  Ilähne  Gold  trinken, 
Gold  die  Hähne,  Blech  die  Hennen, 
Auch  die  Gänse  blankes  Silber 
Und  die  Krähen  altes  Kupfer, 
Bluuiberg,  Realien  im  Kalewipoeg  S.  83.    Wie  sich  die  goldlegende  Henne  in  aesopischer  Fabel 
(iiabr.  123.  Aesop  Für.    153.  Cor.  13C.;   und    die    von   mir    Korndämonen  S.  40  Anm.  50    bei- 
gebrachten Traditiouou  zu  den  obigen  Ueberlieferungen  verhalten,  steht  noch  zu  untersuchen. 
')  \'gl.  aiich  Gubernatis  zoolog.  Myth.  1  lÖ'J  Ö. 
'-')  Tylor,  Urgeschichte  der  Menschheit.   Lpzg.  s.  a.  S.  441  11'. 
^)  Tylor,  Anfänge  der  Cultur.     I  287. 
••)  Tylor,  Urgeschichte  445  ff. 

16* 


228  "W.  Mannhardt: 

findet.  Bei  den  gleichfalls  malaiischen  Bantikern  auf  der  Insel  Celebes  ist 
die  Sage,  von  der  wir  handeln,  mit  der  Schwanjungfrausage  verbunden, 
welche  von  Kuhn,  M.  Müller  u.  A.  wohl  mit  Recht  gleichfalls  als  Sonnen- 
mythus gedeutet  wird.  Es  entwendet  nämlich  Kasimbaha,  der  mit  andern 
himmlischen  Nymphen  zum  Bade  herabgestiegenen  Utahagi  ihr  Taubenhemd 
und  heirathet  sie.  Später  entweicht  sie  unter  Blitz  und  Donner  zum  Himmel. 
Da  steigt  er  auf  den  Rotangranken,  die  Himmel  und  Erde  verbinden, 
und  von  denen  ihm  eine  Ratte  die  Dornen  abnagt,  zu  Sonne  und  Mond  empor 
und  gewinnt  dort  die  verlorene  Geliebte  wieder.^)  Die  neuseeländische  Mythe 
von  Tawhaki  ist  unzweifelhaft  mit  der  vorstehenden  historisch  verwandt. 
Tawhaki,  von  den  Schwägern  erschlagen,  dann  wiederbelebt,  [eigentlich  ein 
Gott  der  Luft,  aus  dessen  Füssen  und  Achseln  Blitz  und  Donner  hervor- 
kommt, und  dessen  rechtes  Auge  als  Polarstern  glänzt]  verheirathet  sich  mit 
einer  Nymphe,  die  aus  Liebe  zu  ihm  den  Himmel  verlassen  hat,  als  er  sie 
kränkt,  mit  ihrem  Töchterchen  wieder  zur  himmlischen  Heimath  emporfliegt. 
Er  zieht  aus,  um  sie  zu  suchen  und  kommt  zu  dem  Orte,  wo  seine  Ahne 
Matakerepo  die  Enden  der  Schlingpflanzen  bewacht,  welche  vom 
Himmel  zur  Erde  herabhangen.  Auf  einer  solchen,  die  unten  in  der 
Erde  Wurzel  schlug,  klimmt  er,  während  sein  Bruder  Karihi  an  einer  los- 
hangenden Ranke  himmelauf  himmelab  schaukelt,  glücklich  empor,  und  hilft 
seinem  himmlischen  Schwager  beim  Bau  des  Kahnes  (der  Sonne  vgl.  o.  S.  102), 
w'ird  endlich  von  seiner  Frau  erkannt  und  thut  sich  als  Gott  kund.'-)  Hiemit 
sind,  wenn  man  die  o.  S.  227  erwähnten  Mythen  vom  Sonnenfäuger  in  Betracht 
zieht,  unzweifelhaft  die  folgenden  Maorisagen  zu  combiniren.  Mit  der  Ranke 
einer  S  chlin  gpflanze,  die  Itu  wachsen  lässt,  bindet  ein  Krieger  auf  Samoa 
die  Sonne  fest,  bis  er  sein  im  Bau  begriffenes  Haus  aus  Steinen  fertig  hat. 
Es  war  eben  die  Zeit  des  Jahres,  wo  die  Sonne  schwerfällig,  müde 
und  schläfrig  ist.^)  Auf  Tahiti  baut  Maui  (der  Himmels-  und  Sonnengott) 
ein  Marae  (Tempel)  und  da  dieses  im  Laufe  des  Tages  vor  Abend  voll- 
endet sein  muss,  ergreift  er  die  Sonne  an  den  Strahlen  und  bindet 
sie  an  das  Marae,  oder  an  einen  nahestehenden  Baum,  oder  er  fesselt  die 
Sonne  mit  Stöcken  aus  Kokusnussfasern  so,  dass  sie  seitdem  langsamer  als 
zuvor  ihren  Weg  geht,  oder  er  hält  die  Sonne  auf  und  regelt  ihren  Lauf,  so 
dass  Tag  und  Nacht  gleich  sind.^) 

Es  ist  ferner  im  Maorimythus  von  einem  Baume  die  Rede,  dessen  herab- 
hangende Aeste  die  Leiter  sind,  auf  der  die  Todten  auf-  und  absteigen,  und 
welche  gleichsam  in  der  Erde  festgewurzelt  dieselbe  halten*^),  auch  dass  jener 


')  Schirren,  die  Wandersagen  der  Ncuseeliuider  und  der  Mauiinythus.    Riga  1856.    S.  120 

2)  Schirren  a.  a.  0.  41.  120. 

3)  Schirren  a.  a,  0.  37. 
*)  Schirren  a.  a.  0.  38. 
'')  Schirren  a.  a.  0.  94. 


Die  lettischen  Sonnenmythen.  229 

einen  Kahn  sendet,  die  Erwählten  ins  Jenseits  abzuholen.')  Dieser  Kahn 
aber  findet  sich  wieder  in  der  Mythe  von  Hikotoro,  der  sein  Weib  verliert 
und  vom  Himmel  kommt  sie  zu  suchen.  Da  er  sie  in  Neuseeland  findet, 
setzt  er  sie  in  einen  Kahn,  bindet  an  dessen  Enden  einen  Strick 
und  so  werden  sie  unverzüglich  zum  Himmel  hinaufgezogen,  und 
in  ein  Sternenpaar  verwandelt.-)  Der  Strick  dieser  Tradition  steht  der  Ranke 
gleich,  an  der  man  von  der  Erde  zum  Himmel  gelangt;  er  ist  auch  erkennbar 
in  einer  anderen  Maoriüberlieferung,  nach  welcher  ein  Knabe  von  der  Sonne 
zur  Erde  in  einem  kleinen  Kahne  gelangt,  der  wie  ein  Siegel  einer 
Urkunde  an  einer  Schnur  hängt. ^)  Schirren  schöpft  aus  der  eingehenden 
Untersuchung  aller  dieser  Mythen  das  Urtheil  „die  Ranken,  die  Flachs- 
bündel, (die  Stricke  mit  dem  Kahn),  an  welchen  die  Erde  empor- 
gezogen wird  und  Götter  auf  und  niedersteigen  .  .  .  sind  die 
Strahlen  der  Sonne  vor  allem  im  Aufgang  und  in  der  Mittags- 
höhe.*) Eine  Sage  von  Hawaii  sagt:  Maui  sitzt  im  Kahne  und  zieht  die 
Erde  nach  sich.  Als  einer  der  Leute  im  Kahne  hinter  sich  sieht,  reis  st 
die  Schnur  und  nur  die  Inseln  bleiben  über  Wasser,  Dieser  Maui,  der 
hinter  sich  sieht,  ist  die  Sonne.  In  der  Nacht  ist  sie  gradeaus  von  Westen 
nach  Osten  gegangen,  hinter  ihr  die  Erde.  Am  Morgen  aber  wendet  sie  sich 
und  kehrt  ihr  Gesicht  der  Erde  voll  entgegen,  und  wie  sie  nun  umgewendet 
mit  dem  Auge  nach  Westen  am  Himmel  emporsteigt,  reisst  das  Band, 
das  sie  mit  der  Erde  verbindet;  die  Masse  bleibt  auf  dem  Grunde  des  Meeres 
zurück  und  nur  einzelne  Inseln  ragen  empor.  Ist  dann  im  Fortgang  die 
Sonne  über  den  Horizont  hoch  hinaus  getreten,  so  erlahmt  die  mythenbildende 
Phantasie.  Nur  durch  die  Strahlen  verkehrt  die  Sonne  mit  der  Erde.  Wen 
sie  nicht  von  dort  im  luftdurchsegelnden  Kahne  mit  sich  emporgenommen, 
der  sucht  den   Weg  zu  ihr  durch  Ranken.^) 

Combiniren  wir  diese  Bemerkungen  mit  den  vorhin  dargelegten  An- 
schauungen vom  Sonnenbaum,  so  ist  es  klar,  wie  die  Sonnenstrahlen  einmal  als 
Zweige  eines  Baumes,  das  andremal  als  herabhangende  Ranken  einer  Schling- 
pflanze, das  drittemal  als  Stricke  aufgefasst  werden  konnten,  so  dass  das 
Hinaufklettern  an  ihnen  als  eine  den  verschiedensten  Völkern  gemeinsame  Idee 
erscheint.  Wenn  damit  in  mehreren  Sagen  die  Mythe  vom  Sonnenlänger 
verbunden  ist,  so  wird  das  auf  irgend  eine  Weise  im  Zusammenhang  mit  der 
naiven  Vorstellung  stehen,  der  regelmässige  Lauf  der  Sonne  werde  dadurch 
hervorgebracht,  dass  diese  schnelle  Läuferin  mit  einem  Stricke  gebunden  sei, 
um  sie  aufzuhalten,'')  und  dass  man  diesen  Strick  eben  in  den  Sonnenstrahlen 


')  Schirren  a.  a.  0.  110. 

2)  Schirren  a.  a.  0.  41. 

ä)  Schirren  a.  a.  0.  109. 

*)  Schirren  a  a.  0.  145. 

*)  Schirren  a.  a.  0. 

«)  Vgl.  M.  Müller  Essays  U  100: 

Dazu  so  wohl  stimmt  der  bescheidne  Schritt, 


230  W.  Mannhardl: 

erblickte,    sodann    aber    das    Bild    übertrug    auf   die  Schwächung  der  Sonne, 
ihr  Gebundensein  im  Winter') 

Unzweifelhaft  reihen  sich  das  litauische  und  lettische  Lied  83.  S4.  dem 
Kreise  dieser  weitverbreiteten  Mythen  ein,  deren  Gemeinsames  dies  ist,  dass 
jemand  auf  einem  Baum,  oder  einer  Ranke  in  den  Himmel  hinaufsteigt.  Die 
weitere  Geschichte  des  Hinaufsteigenden  wird  fast  überall  verschieden  erzählt; 
aber  in  vielen  Fällen  lässt  sich  nachweisen,  dass  er  die  x^ttribute  eines  Sonnen- 
gottes besitzt,  oder  die  Thaten  eines  Sonnengottes  begeht.  Wenn  in  mehreren 
Fassungen  der  (die)  Hinaufkletternde  ein  Tischchen  deck'  dich  oder  dessen 
Substitut  oben  auf  dem  Baume  findet,  so  geht  das  auf  die  Sonne  als  die 
grosse  Nahrungsspenderin  des  Weltalls,  wie  deutlich  das  Märchen  vom  Tisch- 
chen deck'  dich,'^)  so  wie  der  Sonnentisch  der  Aethiopen  in  griechischer  Sage^) 
erweist.     Und  offenbar  gehört  hieher    auch    der    Wunderbaum   Manoratha- 


Der  sich  den  Ketten  beugt, 

Die  an  den  Pfad  dich  fesseln,  den  dir  Gott 

Zu  wandeln  anbefahl. 

')  Vgl.  Steinthal  Zs.  f.  Völkerpsych.  II   141.    Grimm  Myth.2  706. 

')  Ueber  dieses  Märchen  können  hier  nur  Andeutungen  gegeben  werden.  Mehrere  Wnnsch- 
dinge  werden  von  dem  Helden  oder  seinen  Brüdern  erworben,  aber  durch  einen  bösen  Wirth 
gestohlen  und  mit  Hilfe  eines  Knüppel  aus  dem  öack  wiedergewonnen.  Diese  Wunsch- 
dinge sind :  Tischchen  deck'  dich,  goldmachendes  Schaf  (Asbjörnsen,  Schleicher,  Stier)  Tischchen 
deck'  dich,  «^cldmachender  Esel  (Grimm,  Schott,  Basile)  Tischchen  deck'  dich,  goldeierlegende  Henne 
(Zingerle)  Flasche  mit  Tischchen  deck'  dich,  Tischtuch,  "Widder,  Huhn  (Woicicky),  Tischchen  deck' 
dich,  Esel,  Goldhenne  (Zingerle  S.  185)  Ir.  Elfenm.,  E.  Meier).  Gegen  Benfeys  Ansicht,  der  Pantscha- 
tantra  I  379  die  Meinung  ausspricht,  dass  die  goldmistenden  Fabelthiere  durchaus  buddhistischen  Ur- 
sprung sseicn,  wird  sich  mit  Wahrscheinlichkeit  ein  älterer  mythischer  Ursprung  dieser  Figuren  be- 
haupten lassen.  Wie  so  häufig  im  Mythus,  sind  verschiedene  Bilder  für  einen  und  denselben  Gegen- 
stand zusammengehäuft.  Die  Goldeier  legende  Henne  =  Sonne  ist  o  S.  226  besprochen,  über  den 
Schafbock  s.  unten;  der  Prügel  aus  dem  Sack  scheint  der  Donnerkeil,  der  die  vom  nächtigen  Un- 
hold geraubte,  mit  Wolkendunkel  verhüllte  Sonne  zurückerobert.  Vgl  des  Verfassers  G(")tterwe]t 
S.  203.  Es  bleibt  zu  untersuchen,  einerseits  wie  sich  die  sonstigen  im  Märchen  genannten 
Wimschdinge,  andererseits  wie  sich  der  nach  den  Sagen  aus  der  Ackerfurche  oder  dem  See 
aufsteigende  mit  Schüsseln  und  Speisen  besetzte  Tisch,  das  mit  Kuchen,  Erodlaib  u.  s.  w 
belegte  Tuch  der  Eiben  zum  Tischchen  deck'  dich  der  Märchen  verhalte  s.  u.  A.  Müllenhoff 
n.  390.  599.  Grimm  D.  S.  I  n.  -298.  34.  Vernalekeu,  Alpensagen  n.  151.  Schambach  u.  Müller 
n.  143.  Rochholz  Aargaus.  I  n  78,  3.  Hagens  Germania  IX  S.  97.  Vgl.  Kuhn  westf.  Sag.  I 
n.  414  Anm.),  Enthalten  die  Sagen  etwa  nur  irdische  Lokalisirungcn  des  himmlischen  Wunsch- 
tisches der  Sonne  in  Verbindung  mit  dem  Glauben  an  eine  andere  in  den  Kräften  der  Vegetations- 
geister begründete  allgemeine  Nahrungsquelle?  (s.  Baumkultus  S.  80). 

^)  An  dem  Orte  des  Sonnenauffjangs  bei  den  Aethiopen  soll  ein  ewig  gedeckter  Tisch  aus 
der  Erde  aufgestiegen,  voll  der  verschiedenartigsten  Speisen  und  Gerichte  dastehen,  von  dem 
jeder  nach  Belieben  essen  könne.  Diese  Tafel  heisse  der  Sonnentisch  (lo('<^^C(t  »oT'  r)j.iov). 
Das  Aufgegessene  ergänze  sich  über  Nacht.  Zu  Herodots  Zeit  hatte  sich  bereits  der  Euhemerismus 
in  die  Sage  eingeschlichen,  die  Einwohner  vun  Ammouiuni  sollten  Nacht  für  Nacht  die  Ergänzung 
des  Verzehrten  vollziehen,  die  Speise  war  zu  Fleischspeise  geworden.  Herod.  III  18.  Vgl.  auch 
Preller  griech.  Myth.  P  353.  Uebrigens  liegt  die  oben  entwickelte  Vorstellung  bereits  ver- 
dunkelt auch  dem  homerischen  Glauben  zu  Grunde,  dass  die  olympischen  Götter  von  Zeit  zu 
Zeit  zum  Mahle  der  Aethiopen  an  tles  Okeanos  Fluth  gehen.    II.  i  422. 


Die  lettischen  Sonnenmythen.  231 

dayaka  (Wunschgeber),  der  im  Garten  der  Vidyadharas  steht,  Kinder  verleiht, 
Gold  auf  die  Menschen  herabregnet  und  jeden  Wunsch  befriedigt.') 

Schliesslich  sei  es  erlaubt  noch  eine  erst  neuerdings  aufgenommene  indische 
Volkssage  beizubringen.    Der  See  Taroba  im  Chandadistrikt  soll  durch  Zauberei 
entstanden    sein.      Einst    kam    ein    llochzeitzug   durch   die  Chimurhügel.     Er 
dürstete,    Braut    und  Bräutigam  machten  sich  daran  nach  Wasser  zu  graben. 
Da  sprang  ein  Quell  hervor,  der   zum   See    anwachsend  den  Hochzeitzug 
verschlang,    aber    Feenhände    bereiteten   den  Ertrunkenen  in  der  Tiefe  einen 
prächtigen    Palast.      Am    Ufer    des    Sees    sprosste    eine    Palme    auf, 
welche  nur  bei  Tage  erschien  und  mit  der  Dämmerung  jedesmal 
in  die  Erde  versunk.    Eines  Morgens  setzte  sich  ein  unvorsichti- 
ger Pilger  in    die   Baumkrone    und    ward  von  dem  emporwachsen- 
den  Baume    in    die    Lüfte    emporgetragen,    wo    die    Flammen    der 
Sonne  ihn  verbrannten.    Dann  zerfiel  die  Palme  in  Staub;  an  ihrer  Stelle 
erschien  ein  Bild  vom  Geiste  des  Sees,  der  unter  dem  Namen  Taroba  verehrt 
wird.     Ehemals  erhoben  sich  alle  zu  dieser  Verehrung  erforderlichen  Geräthe 
(Schalen  mit  Opferspeise  gefüllt  u.  s.  w.)   auf   den   Ruf    der  Pilger    aus    dem 
See  und  kehrten,  nachdem  sie  benutzt  und  gereinigt  waren,  wieder  ins  Wasser 
zurück.     Als  sie    aber    ein    böswilliger    Mann    mit    nach    Hause    nahm,    ver- 
schwanden sie  schnell  und  es  hörte  die  mystische  Versorgung  auf.    In  ruhigen 
Nächten  vernehmen  die  Landleute  den  Klang  der  Trommeln   und  Trompeten 
die  um  den  See  herumziehen.     Als  einst    das    Wasser    bedeutend    sank,    sah 
man  die  Zinnen  des  Feentempels  in  der  Tiefe  schimmern.^)    Der  Sonnenbaum 
ist  nach  S.  224    unverkennbar;    die    aus    dem    See    aufsteigende    Schale    mit 
Opferspeise  steht  nach  S.  101-102  und  S.  230    dem  Tischchen    deck"    dich 
und  dem  Sonnentisch  der  Aethiopen  gleich. 

Mit  diesem  Sagenkreise  also  stimmt  die  in  unserem  Liede  83.  84  erhaltene 
Mythe  von  der  in  den  weissen  Sandberg  gesäten  Rose,  welche  zu  einem  in 
die  Wolken  reichenden  Baume  erwächst,  an  dem  die  Sprecherin  in  den  Him- 
mel hinaufsteigt.  Es  ist  die  Sonnentochter,  die  zur  Tageshelle  werdende 
Dämmerung,  die  in  den  noch  weisslichen  Morgenhimmel  die  Rose,  die  in  der 
Umhüllung  des  Morgenroths  eben  über  den  östlichen  Horizont  emporsteigende 
Sonne  sät,  und  an  dem  daraus  wachsenden  Sonnenbaum  bis  zur  Mittagshöhe 
emporklettert;  dort  sieht  sie  nun  schon  aus  der  Ferne  den  Gottessohn,  den 
Abendstern  sein  Rösschen  satteln.  Auf  die  Frage  nach  Vater  und  Mutter 
I  grade  so  erfährt  Hans  vom  Bohnenstengel  oben  von  seinem  Vater],  weist 
dieser  sie  in  die  Niederung;  mit  der  sinkenden  Sonne  steigt  sie  hinab  und 
findet  am  Abend  (als  Abenddämmerung)  die  Stätte  ihrer  Kindheit,  das 
Haus  ihres  Vaters  wieder,  aber  Vater  und  Mutter  bereits  beschäftigt,  ihrer 
Schwester,    der  Sonnentochter    von    morgen    früh,   die  Hochzeit  auszurüsten. 


')  Somadeva  Kathasaritsagara  übers,  v.  Brockhaus  II  84. 
■'')  Magazin  f.  Literatur  des  Auslandes  1875  n.  5  S.  78. 


232  W.  Mannhardt: 

Nicht  wesentlich  anders  liegt  die  Sache,  wenn  wir  etwa  unter  dem  Rosenbaum 
die  Abendröthe  zu  verstehen  haben,  an  der  die  Dämmerung  hinanklettert,  um 
oben  den  Gottessohn  und  die  Stätte  ihrer  Heimath  wiederzufinden.  In  diesem 
Falle  ist  das  Bild  des  Baumes  nicht  aus  der  Anschauung,  sondern  aus  der 
Analogie  der  Vorstellung  vom  Sonnenbaum  geschöpft,  ein  Vorgang,  der  sich 
vielleicht  in  noch  einem  anderen  Falle  wiederholt. 

/.  Die  zerspaltene  Eiche.  Eine  eigeuthümliche  Mythe  nämlich  ist  in 
den  Liedern  45.  72.  73.  t'4.  75.  78  enthalten.  Abends,  wenn  die  Sonnentochter 
sich  mit  dem  Monde  (72.  75)  vermählt,  oder  mit  dem  Morgenstern  in  das 
Brautgemach  geht,  aus  dem  sie  mit  ihm  Morgens  glänzend  hervorgeht,  spal- 
tet oder  zerschmettert  Perkun  den  goldenen  (73.  75J,  den  grünen 
(72)  Eichbaum,  dessen  Blut  der  Sonnentochter,  oder  der  Mutter  Gottes 
wollene  Decke  bespritzt  und  roth  färbt;  oder  er  spaltet  den  Apfelbaum, 
der  vor  dem  Thore  (des  Nachthimmels)  steht  (74).  Weinend  liest  die  Sonnen- 
tochter, oder  die  Sonne  selbst  die  goldenen  Zweige  auf;  den  Wipfelzweig  sucht 
sie  lange  vergebens,  bis  er  im  vierten  Jahi'e  sich  findet.  Apfelbaum 
(o.  S.  103  ff.)  und  Eiche  (o.  S.  226}  wies  ich  bereits  als  Gestalten  des 
Sonnenbaums  nach,  wahrscheinlich  ist  der  letztere  gemeint;  er  erscheint  zer- 
spalten, wenn  die  Sonne  hinter  den  Horizont  hinabsinkt.  Nur  noch  einzelne 
Strahlen,  losgerissene  Zweige  irren  umher  am  Himmel,  der  Decke  (o.  S.  104), 
welche  sich  im  Abendröthe  mit  dem  Blute  der  zertrümmerten  Eiche  färbt. 
Die  Sonnentochter,  die  Dämmerung,  sammelt  die  einzelnen  goldenen  Blätter 
und  Zweige  ab,  der  Himmel  nimmt  zuletzt  eintöniges  Grau  an.  Das  Blutig- 
werden des  Abendhimmels  findet  sich  ähnlich  in  der  tahitischen  Cosmogonie 
wieder.  Von  dem  aus  dem  Ei  geborenen  Sonnengott  Taroa  heisst  es,  als 
sein  Kahn  unterging,  füllte  derselbe  sich  mit  seinem  Blute;  dieses  Blut  färbte 
die  See,  ward  in  die  Luft  getragen,  bildete  die  Abend-  und  Morgenröthe.^) 
Weit  näher  liegt  zur  Vergleichung  wieder  ein  Lied  an  den  Marienkäfer  aus 
Böhmen  zur  Hand; 

Sommerwörmel  flieg  aus, 

Dein  Hiius'l  brennt  auss! 

Deine  Kinner  sein  drinue, 

Das  Blut  rinnt  über  d'  Rinne!') 

Hier  ist  das  Abendroth  doppelt  als  Feuersbrunst  und  als  Blut  appercipirt. 

Dass  die  Zerschmetterung  der  Eiche  nicht,  wie  es  nach  einigen  Liedern 
scheinen  könnte,  am  Morgen,  sondern  am  Abend  vor  sich  geht,  scheint  durch 
die  Betrübniss,  das  Weinen  der  Sonnentochter  (oder  Sonne)  erweislich.  Es 
scheint  aber  in  den  von  diesen  handelnden  Liedern  —  wie  auch  sonst  mehr- 
fach —  die  Abenddämmerung  und  Morgendämerung,  mithin  auch  wohl  Abend- 
röthe   und    Morgenröthe    als    ein   zusammengehöriges  einheitliches  Phänomen 


')  Benuet-Iyerman  II  175— 17e,     Schirren  :i.  a.  Ü.  70    146.  147. 
•)  Zs.  f.  D.  Myth.  IV  328,  23. 


Die  leitischen  Sonnenmythen.  233 

betrachtet  zu  sein,  ho  dass  das  Morgenroth  noch  immer  als  die  Abends  vorher 
vom  Baumblut  bespritzte  Decke  angeschaut  wird.  Diese  rothgewordene  Decke 
nun  (vgl.  o.  S.  216  ff)  wäscht  die  Sonuentochter,  die  auch  hier  wieder  zur 
Tageshelle  sich  ausdehnende  Dämmerung  im  goldenen  Bach  im  Thale  (79), 
in  dem  Bache  mit  neun  Mündungen  (72),  im  Quell  (Teich),  in  den  neun 
Ströme  fliessen  (75.  78).  Sie  trocknet  sie  am  Apfelbaum  (d.  h.  Sonnenbaum) 
mit  neun  Seitenästen  (72),  im  goldenen  Rosengarten  (79),  wo  neun  Rosen- 
stöcke blühen  (~5),  neun  Röslein  wachsen  (78).  Sie  glättet  sie  mit  der 
Rolle,  welche  auf  neun  Walzen  läuft  (75  vgl.  Lindenrolle  mit  neun 
Mangeln  72).')  Sie  trägt  sie  an  dem  Tage,  wenn  am  Himmel  neun  Sonnen 
glühen  (72.  75.  78),  Sie  bewahrt  sie  in  der  Lindenlade,  welche  neun 
Schlösser  und  neun  goldene  Schlüssel  hat  (75).  Die  Zahl  neun  drückt,  wie 
es  scheint,  irgend  ein  Verhältniss  des  Sonnenlaufs  aus.  Darf  die  Hypothese 
gewagt  werden,  dass  im  frühesten  Altorthum  Tag  und  Nacht  in  je  9  Abschnitte 
getheilt  waren,  zu  denen  man  für  den  Tag  durch  die  Dreith eilung  Morgen, 
Mittag,  Abend,  für  die  Nacht  durch  Analogie  auf  sehr  natürliche  Weise  ge- 
langt sein  konnte?  Oder  ist  neun  in  unseren  Liedern  nichts  anderes  als 
icaz  l'ioyjjv  heilige  Zahl  ohne  spezielle  Naturbeziehung? 
d)  Der  Nachtsonnenbaum. 
Eine  Reihe  von  Thatsachen,  welche  wir  in  den  nächstfolgenden  Zeilen 
zur  Erwägung  stellen  wollen,  nöthigen  möglicherweise  die  Auffassung  der 
zerschmetterten  Eiche  als  Sonnenbaum  in  etwas  zu  modificiren.  Ursprünglich 
war  wohl  der  vom  Baum  gefallene  Goldapfel,  die  Sonne,  als  am  anderen  Morgen 
erneut  gedacht  (o.  S.  103),  nach  anderer  Vorstellung  blieb  er  bis  zum  näch.sten 
Tage  verwahrt  und  bildete  so  zunächst  den  alleinigen  _Gegenstaud  nächtlicher 
Hut;  allmählich  ergänzte  sich  dieses  Bild  zu  einem  Apfelbaum,  an  welchem 
der  Goldapfel  nächtlicher  Weile  hängt,  zu  einem  Apfelgarten,  in  welchem  die 
Sonne  schläft.  Man  dachte  sich  also  entweder  den  ganzen  Sonnenbaum  Nachts 
den  Mächten  der  Finsterniss  verfallen,  oder  bildete  sich  vermöge  der  Analogie, 
welche  in  der  Mythologie  eine  schöpferische  Rolle  von  ausserordentlicher 
Fruchtbarkeit  spielt,  gegenüber  dem  Tagsonnenbaum  einen  Nachtsonnenbaum, 
an  welchem  die  Lichterscheinungen  des  Tages  nächtlicher  Weile  ihren  Auf- 
enthalt nehmen,  entweder  für  menschliche  Augen  unsichtbar,  oder  in  Gestalt 
des  Mondes  und  der  Sterne,  die  nun  möglicherweise  als  Aepfel  (vgl.  o.  S.  103 
die  Mondpomerauze)  oder  Eicheln  an  solchem  Baume  gelten  konnten.  Er- 
innern wir  uns  an  das  russische  Räthsel  von  der  Sonne  „Ein  Vogel  (die 
Sonne)2)  auf  einer  alten  Eiche"  (vgl.  o.  S.  226).  so  wird  es  nicht  zufällig, 
sondern  auf  mythischem  Grunde  beruhend  erscheinen,  dass  Kalew.  R.  47,  5  ff . 

')  Die  Rolle,  Mangel  bezieht  sich  wohl  auf  den  Umlauf  der  Sonne. 

^  Ueber  die  Sonne  als  Hahn  oder  Henne  s.  o.  S.  226.  Im  Veda  heisst  sie  patanga  (Vogel), 
oder  hansa  (Flamingogans)  Zs.  f.  vgl.  Spracht".  IV  120,  oder  Geier  und  Falke,  Weber,  ind. 
Literaturgeseh.  195.  Aeschylos  nennt  sie  Zijvö^  önn-.  In  deutschen  Liedern  hat  sie  goldene 
Federn.    Germ.  Myth.  37ö.    Ueber  ihre  Vorstellung  als  Schwan  s.  Germ.  Myth,  39. 


234  W.  Mannhardt: 

beim  Spiele  Wainämoinens  Mond  und  Sonne  aus  ilirer  Stube  kommen  und  der 
eine  im  Stamm  einer  Birke,  die  andere  im  Wipfel  einer  Tanne  sich  nieder- 
lassen, von  wo  die  winterliche  Königin  des  Nordlands  sie  stiehlt  und  im 
Felsen  einschliesst.  Ilmarinen  schmiedet  R.  49,  47  ff.  einen  neuen  Mond  aus 
Gold,  eine  Sonne  aus  Silber  und  trägt  den  Mond  zum  Fichtenwipfel,  die 
Sonne  zur  Tannenspitze,  doch  die  künstUchen  Gebilde  wollten  nicht  leuchten. 
Mau  muss  doch  wohl  geglaubt  haben,  dass  beide  Himmelslichter  an  der  Krone, 
oder  als  Krone  eines  solchen  Baumes  strahlten,  ganz  den  entwickelten  An- 
schauungen vom  Sounenbaum  gemäss.  Dass  aber  die  Vorstellung  des  Baumes, 
in  dessen  Krone  die  Sonne  sitzt,  auf  den  Nachthimmel  übertragen  wurde, 
lehrt  noch  deutlicher,  als  die  soeben  beigebrachte  Erwähnung  des  am  Wipfel 
der  Fichte  weilenden  Mondes,  R.  10  V.  100 — 174:  Wainämoinen  zeigt  dem 
Schmiede  Ilmarinen  am  Rande  des  Osmofeldes  d.  h.  am  äussersten  Ende  der 
Menschenwelt')  die  wunderbare  Fichte,  in  deren  goldener  Blüthenkrone  das 
Mondlicht  leuchtet,  in  deren  goldenen  Zweigen  der  Himmelswagen  (Bär) 
steht.  Ilmarinen  steigt  hinauf,  um  den  Mond  und  den  grossen  Bären  herab- 
zuholen, wird  von  da  aber  durch  Wainämoinen  mittelst  eines  Sturmwindes 
nach  Nordland  geblasen.  Nun  verstehen  wir  den  hinter  dem  Berge  (o.  S.  97) 
stehenden  Eichbaum  in  unserem  Liede  55,  an  welchem  Gottessohn  und  Sonnen- 
tochter  Gürtel  und  Krönchen  aufhängen.  Ebenhieher  gehört  der  Ahorn, 
unter  dem  am  Quelle  die  Gottessöhne  mit  den  Gottestöchteru  im  Mondschein 
tanzen  (80). 

Im  Allgemeinen  wird  nach  diesen  Auseinandersetzungen  ein  Zweifel 
darüber  nicht  mehr  gestattet  sein,  was  die  griechische  Sage  mit  den  goldenen 
Aepfeln  meinte,  die  in  der  Gegend  des  Sonnenuntergangs  dort,  wo  Helios 
seine  nächtliche  Fahrt  nach  dem  Osten  beginnt  (s.  o  S.  102  die  Worte  des 
Mimnermos)  in  den  Tiefen  des  finsteren  Landes,  der  Nacht,  jenseits  des 
Okeanos  an  einem  Baume  hängend  von  Jungfrauen,  den  Hesperiden,  ge- 
pflegt und  von  einem  Drachen  bewacht  werden.  Hes.  theog.  215:  Die  Nacht 
gebar  den  Tod  und  den  Schlaf 

'Ko  ifoiJus  {j\  ctig  ftP^i.«  niQm'  xluiou  'SlxtapoTo 

Theog.  275 :    Die  Gorgonen  wohnen 

fo/titni  TToOi   rvy.ii);,  /V  '/^autuiöti  J.iyv (fcoyoi. 

Theog.  3.1 5:    Keto  umarmt  den  Phorkys 

yt-ifuin   (J'tM'ör  (Xf  n\    og  fntjut'ijg   xn't'hoi    ;'(a'»;s'). 
utiQuriit'   iv   utyäloig  jzciy^orotfe  /u  ij  X  c(   qvknoan. 

Es  ist  der  zur  mythischen  Mehrzahl  gewordene,  zu  einem  ganzen  Haum 
ergänzte  Sonnenapfel  während  der  Nachtzeit;  oder  wäre  an  Mond  und  Moud- 


')  Castren,  finn.  Myth.  übers,  v.  Schiefner  8.  243. 
^  Vgl.  0.  S     103  noi'i  ßt'i'Ota  yuxiüi   (ot/ni'ug. 


Die  lettischen  .Sonnenmythcn.  235 

bäum  (?)  zu  denken?')  Ich  glaube  nicht,  denn  einmal  liegt  für  diese  Vor- 
stellung kein  bestimmteres  Anzeichen  vor,  andererseits  scheint  die  Sage,  dasa 
Herakles  die  Ilesperidenäpfel  holte,  wenn  auch  sekundär,  so  doch  noch  in 
einer  Zeit  entstanden  zu  sein,  welche  ihn  als  Sonnenheros,  den  Hesperiden- 
apfel  als  8onne  verstand. 

Ist  aber  überhaupt  die  Annahme  eines  mythischen  Nachtsonnenbaumes 
begründet,  so  ist  die  Frage  berechtigt,  ob  nicht  die  Zerschmetterung  der 
Eiche  unserer  vorherigen  Auslegung  entgegen  erst  am  Morgen  geschehen, 
der  Baum  als  der  Nachtsonnenbaum  zu  erklären  sei.  Mein  Hauptgrund  gegen 
diese  Annahme  ist  die  Lebendigkeit  und  Kleinmalerei  der  Schilderung,  welche 
meinem  Gefühle  nach  in  diesem  Falle  unmittelbare  Anschauung  des  bildlich 
beschriebenen  Gegenstandes  vorausetzt. 

«)    Sonnenfrau  im   Sonnenbaum,    das   älteste   Märchen 
und   seine   Sippe. 

Der  Zug,  dass  das  Blut  der  Eiche  fliesst,  beweist,  dass  man  den 
meteorischen  Vorgang  nach  der  Analogie  einer  anderen  abergläubischen  Vor- 
stellung appercipirt  hat,  wonach  gewisse  heilige  Bäume  nicht  allein  von  einer 
Persönlichkeit  beseelt,  sondern  auch  mit  menschlicher  Körperlichkeit  erfüllt 
sind.  2)  Nach  der  Weise  des  in  irdischen  Bäumen  immanenten  Baumgeistes 
wird  man  ursprünglich  die  Sonnengöttin  dem  Sonnenbaum  innewohnend  sich 
vorgestellt  haben. 

Diese  Vorstellung  konnte  oder  musste  die  Wendung  nehmen,  dass  die 
Sonnenfrau  in  dem  Baume  eingeschlossen  sei,  oder  dass  sie  zwischen  den 
Zweigen  des  Baumes,  oder  unter  demselben  sitze.  Ich  stehe  nicht  an,  diese 
Form  der  Vorstellung  in  Märchen  wiederzufinden,  wie  wenn  Guhachandra 
seine  himmlische  Gemahlin  und  deren  Schwester  oben  zwischen  den 
Zweigen  eines  grossen  mit  reifen  Früchten  prangenden  Feigen- 
baumes auf  einem  Thronsessel  sitzend  findet.^)  Mit  dieser  Erzählung 
stimmen  nämlich  die  mehrfachen  indischen  Erzählungen  von  einem  himmlischen 
Mädchen,  welches  unter  einem  Wunderbaume  ruhend  aus  dem  Meere 
auftaucht.  Ein  Prinz,  von  ihrer  Schönheit  hingerissen,  lässt  sich  am  Baum 
herab,  versinkt  mit  ihm  auf  den  Grund  des  Meeres  und  gelangt  in  eine  gol- 
dene Stadt,  woselbst  er  die  Schöne  in  einem  goldenen  Hause,  bedient  von 
Vidhyadharis  linda.-")  Dieses  buddhistische  Märchen  gehört  offenbar  zu 
denen,  welche  eine  weit  ältere  mythische  Grundlage  haben,  und  zwar  gehört 
es    einem    vorzüglich    durch   das    Märchen   von  Saktideva  vertretenen  Kreise 


')  Vgl.  auch  Wisiiceiius  Symbolik  von  Sonne  und  Tag  S.  37.  Gubernatis  deutet  die 
Hesperidenäpfel  auf  den  Mond.    Zoolog.  Myth.  1.  -.'74.  II  410.  418. 

*)  S.  des  Verlassers  Bauuakultus  der  Germanen  S.  34  ff. 

^)  Somadeva  übers,  v.  Brockhaus  I   19K. 

*)  Benfey  Pantschatantra  IS.  151.  Vgl.  dazu  die  Erzahhmg  der  Vetalapancavinvati.  Benfey 
a.  a.  0.  I  1Ö4. 


236  W.  Mannhardt: 

von  Erzählungen  an,  als  dessen  nächsten  Verwandten  Benfey  das  o.  S.  215 
besprochene  Märchen  vom  Lande  der  Jugend^)  und  dessen  Sippe  constatirt, 
wo  der  Baum  mit  den  Goldäpfeln  und  die  Quelle  dem  Wunderbaum 
im  Meere  entspricht.  2)  Das  Meer,  aus  welchem  der  Baum  mit  der  Schönen 
aufsteigt,  ist  unzweifelhaftt  das  Luftmeer,  auf  dessen  Grunde  die  Goldstadt 
(vgl.  o.  S.  95  das  goldene  Schloss  der  Sonne)  ruht. 

Der  Baum,  auf  dem  die  go  Idgewandige  (vgl.  nQonönenloc)  Aller- 
leihrauh  mit  ihrem  rauhen  Pelze  darüber  sitzt,  dürfte  ganz  analog  den  vorhin 
(0.  S.  233)  besprochenen  Nachtsonnenbaum  zu  bedeuten  haben.  3) 

Ein  in  Südeuropa  verbreitetes  Märchen  erzählt  von  der  aus  einem  Gold- 
apfel (Citrone,  Pomeranze)  hervorgegangenen,  durch  Wasser  belebten, 
auf  dem  Baume  neben  einem  Quell  sitzenden  Schönen,  welche  mit 
einem  Königssohne  sich  verlobt.  Yon  diesem  auf  einige  Zeit  verlassen,  wird 
sie  von  einer  Mohrin  (Zigeunerin),  die  nun  ihre  Stelle  einnimmt,  mit  einer 
Nadel  getödtet  (vgl.  Brunhilds  Schlafdorn);    nach  einander  in   einen    golde- 


')  Hylten-Cavallius  n,  9. 

-)  Vgl.  auch  Schott,  Wal.  Märchen  n.  26.  Das  goldene  Meermädchen  und  Haltrich  n.  20 
S.  104  ff.  Bei  Schott  lockt  der  Prinz  das  aus  den  Wassern  aufsteigende  goldene  Meer- 
mädchen in  den  wunderbaren  Kahn,  in  den  sieh  der  getreue  Wolf  verwandelt  hat;  bei  Haltrich 
lockt  der  Junge  die  Königstochter  mit  den  goldenen  Zöpfen,  die  jenseits  des  Meeres 
wohnt,  auf  sein  Schiff,  auf  dem  sich  das  „weisse  Sonnenross"  (0.  S.  95)  und  ein  Bett 
mit  dem  wie  die  Sonne  strahlenden  Karfunkelstein  des  Schlangenkönigs  befindet. 
Weit  ursprünglicher  lassen  russische  Volksmärchen  diese  Königin  mit  dem  Goldzopf,  die  un- 
bekleidete Schönheit,  die  am  Ende  der  weissen  Welt  wohnt,  wo  die  Sonne  aus  der  See  aufsteigt, 
im  silbernen  Kahn  auf  dem  Wasser  schwimmen  und  mit  goldenen  Rudern 
rudern.  Sie  heisst  auch  Maria  Morewna  d.  h  Maria  Meerestochter.  Afanasieff  Skazki  VII  6. 
12.  VIII  8.  Derselbe,  poet.  Natiiranschauungen  II  Ti-l.  In  slovakischen  Traditionen  heisst  sie 
krasna  panna,  slata  panna,  Morska  panna  (die  schöne,  goldene  Prinzessin,  die  Meeresprinzessin) 
Tochter  des  Meerkönigs  fährt  sie  auf  goldenem  Kahn  und  ist  von  so  blendender  Schönheit, 
dass  man  allmählich  die  Augen  an  sie  gewöhnen  muss,  um  nicht  zu  erblinden.  Slov.  pohad 
100-112.  627.     Ueber  den  Kahn  s.  0.  S.  102. 

3)  Allerleihrauh  K  H  M.  n.  65.  Vgl.  Hahn  27.  Schott  n.  3.  Dass  Allerleihrauh  minde- 
stens in  den  Bereich  der  Sonnenmythologie  gehöre,  scheint  aus  mehreren  Varianten  dieses 
Märchens  schlagend  hervorzugehen.  Bei  Schott  3  hat  sie  ein  silbernes,  ein  goldenes,  ein  dia- 
mantenes Kleid  (vgl.  die  Sonnenrosse  0.  S  95).  Bei  Schleicher  10  trägt  sie  um  die  Stirne 
die  Sterne,  auf  dem  Kopfe  die  Sonne,  am  Hinterhaupte  den  Mond.  Nächst  verwandt  ist 
das  bulgarische  Lied  von  Grozdanka,  die  der  Sonnengott  (Slunce  männl.  die  Sonne)  am 
Tage  des  h.  Georg  in  einer  goldenen  Wiege  als  Braut  zu  sich  empor  hebt,  wo  sie  neun 
Jahre  stumm  ist;  weshalb  sie  einer  anderen  Braut  den  Platz  räumen  und  selbst  als  Braut- 
führerin bei  der  Hochzeit  eintreten  muss.  Dabei  entzündet  sich  der  Schleier  der  unrech- 
ten Braut  'Morgenroth),  jene  findet  ihre  Sprache  wieder  und  wird  des  Sonnengottes  Gemahlin 
(Krcck  trad.  Lit.  S.  82).  In  einer  slowakischen  Variante  wird  Nasta  an  einem  goldenen 
Schwungseil  (vgl.  0.  S.  228  die  Ranke)  zum  Sonnengott  in  die  Höhe  gezogen.  Bei  Hahn  n.  41 
heisst  das  Mädchen  Sonnenkind,  der  Sonnengott  (Sonnenball,  Sonne  männl.)  zieht  sie  an 
einem  Sonnenstrahl  zu  sich  empor;  oben  macht  er  ihr  alimählich  die  Pantoffeln  kürzer,  den 
Ueberrock  kürzer,  die  rothe  Mütze  enger.  Zuletzt  entsendet  er  sie  nach  Hause;  unterwegs  wird 
sie  auf  einem  Baume  sitzend  von  einer  Hexe  zu  bezaubern  gesucht  (Nacht?).  Sie  entrinnt 
derselben  und  gelangt  nach  Hause  in  einer  Situation,  welche  der  von  Goldmariken  (0.  S.  223) 
entspricht  (Morgendämmerung?). 


Die  lettischen  Sonnenmythen.  237 

nen  Fisch  (Taube)  und  einen  goldenen  Baum  mit  goldenen  Früchten 
verwandelt,  geht  sie  endlich  aus  den  zersplitterten   Spänen    (resp.  einer 
Frucht)  des  letzteren  in   menschlicher    Gestalt    wieder    hervor    und    beseitigt 
die  lulbche  Nebenbuhlerin,  i)     Schon  Hahn  bemerkte  die  Verwandtschaft  die- 
ser Verwandlungen  mit  denjenigen  einer  andern  Märchenlaniilie,    die   ich   Zs. 
f.  d.  Myth.  IV  251    besprochen    habe.     Eine    Königin    hat    zwei    wunder- 
liebliche Kinder,  einen  Knaben  und  ein  Mädchen,   mit  goldenen 
Ilaaren  geboren.     Die  neidische  Oberköchin  tödtet  die  Kinder   und  ver- 
gräbt sie  in  den  Mist,    aus  dem   nun    zwei    goldene    Tannenbäumchen 
hervorwachsen.     Die  Mörderin    selbst    Königin    geworden,    nachdem    sie    die 
wahre  Königin  verdrängt,  bewegt  ihren  Gemahl  dazu,    die  Bäumchen 
abhauen  und  Bettstellen  daraus  macheu  zu  lassen.     Aus  den  Brettern    der- 
selben reden  die  ermordeten  Kinder  zu  ihr.     Da  veranlasst    die   Königin    die 
Zertrümmerung  und  Verbrennung  der  Bettstellen    und    sieht  selbst 
zu.     Zwei  Funken  fallen  in  daneben    stehende  Gerste,    von    der    ein 
Mutterschaf  isst,  das  nun  zwei  goldene  Lämmer  zur  Welt  bringt.    Die 
Königin  verlangt  deren    Herzen.      Aus    den    in    den    Fluss    geworfeneu 
Gedärmen  entstehen  auf  einer  Insel   wieder    zwei    splinternackte    Gold- 
kinder mit  Goldhaaren,    ob  deren  Schönheit  die  Sonne  sieben  Tage 
im  Laufe  inne  hält.     Der  liebe  Gott  nimmt  sich  ihrer    an,    erzählt    ihnen 
ihre  Geschichte  als  Märchen  und  heisst  sie  das  dem  Könige    vortragen.     So 
werden  sie  vom  Vater  erkannt,  und  nach  Beseitigung  der  Stiefmutter  in  ihre 
Rechte    eingesetzt.      Haltrich    Siebenb.    Märch.    n.    1.     S.    1—8.      Eine    fast 
gleichlautende  rumänische  Variante  bei  Schott  w^al.  Märch.  u.  8.  S.  121  —  125 
nennt  statt  der  Tannenbäume  Bäume  mit  Goldäpfeln.     Aus  einem  Darme 
des  getödteten  Goldlamms  wieder  als  Knaben  zur  Welt  gekommen,    erzählen 
die  goldenen  Jünglinge    als  Bettler    verkleidet    in    grosser  Versammlung    die 
Geschichte  ihres  Lebens,  da  löschen  sie  die  Lichter  aus  und  streifen 
die  Lumpen    vom  Leibe,    so    dass    sie    herrlich    prangend    daste- 
hen,   wie  die  Frühlingssonne    im    Mai.     Kommt    an    mein    Herz,    ihr 
meine  goldenen  Söhne,  ruft  der  Vater. 

Wichtig  ist  eine  neugriechische  Version.  Asterinos  (der  Morgenstern) 
ist  durch  den  Trunk  aus  einem  Quell  in  ein  Lamm  verwandelt,  seine 
Schwester  Pulja,  d.  h.  Gluckheune  (Sonne?  o.  S.  226  oder  Siebengestirn, 
Myth. 2  G'Jl)' hütet  dasselbe,  auf  einem  goldenen  Thron  inmitten  des 
Wipfels  einer  Cypresse  sitzend,  von  ihr  laufen  glänzende  Strahlen 
aus.  Pulja  wird  Gemahhn  des  Königssohnes,  aber  auf  Anstiften  ihi-er  Schwie- 
germutter in  einen  Brunnen  geworfen,  das  Lamm  geschlachtet.  Pulja 


')  Basile  Pentamerone,  le  tre  cetre  V  g  (49).  Stier  iiugar.  Märchen  n,  13.  Simrock 
Deutsche  Märchen.  Stuttgart  1864.  S.  366-72  (ueugr.  aus  Kailiopi)  Zs.  f.  d.  Myth  IV,  320 
(aus  Zakyuthos)  Hahn  n.  49  (Kleiuasieu).  Scholl  n.  -25.  Ziugerle  n.  11.  Vgl.  auch  Guber- 
uatis  Zoological  mythol.  II.  409. 


238  W.  Mannhardt: 

springt  aus  dem  Brunnen  heraus,  sammelt  und  vergräbt  die  Knochen 
des  Lammes  mitten  im  Garten.  Daraus  erwächst  ein  ungeheurer  Apfel- 
baum mit  einem  goldenen  Apfel,  der  immer  höher  steigt,  sobald  Jemand 
ihn  l)rechen  will.  Nur  Pulja  pflückt  den  Apfel,  steckt  ihn  in  die  Tasche  und 
zieht  davon.  (Hahn  griecb.  u.  alb.  Märchen  1864.  Thl.  1.  n.  1.  S.  65  ff.) 
Eine  weitere  Variante  ist  K  H  M.  n.  130.  Zweiäuglein  hat  eine  Ziege, 
bei  deren  Anrufung  ein  Tischen  deck'  dich  (o.  S.  230)  vor  ihr  steht.  Die 
neidischen  Schwestern  Einauge  und  Dreiauge  tödten  die  Ziege,  aus  deren 
vergrabenen  Gliedern  wächst  aber  vor  der  Hausthüre  ein  Wunder- 
baum mit  silberneu  Blättern  und  goldenen  Aepfeln  auf,  der  sich 
nur  vom  Zweiäuglein  pflücken  lässt,  und  Ursache  wird,  dass  sie  den  schön- 
sten Ritter  heirathet.  Hiezu  stellt  sich  nun  ganz  nahe  das  russische  Märchen 
(Afanasieff  Skazki  VI  04).  Maria  hat  drei  Stiefschwestern,  Einäuglein,  Zwei- 
äuglein, Dreiäuglein.  Ihre  Stiefmutter  giebt  ihr  für  eine  Nacht  als  Aufgabe 
5  Pfund  Wolle  zu  spinnen,  zu  weben,  zu  bleichen.  Ihre  Kuh  heisst  sie  in 
eines  ihrer  Ohren  kriechen  und  zum  anderen  heraus  „und  Alles  wird  gethan 
sein."  Einäuglein,  Zweiäuglein,  die  sie  belauschen  wollen,  werden  ein- 
geschläfert; Dreiäuglein  behält  ein  Auge  wach;  die  Kuh  wird  getödtet, 
Marie  sammelt  ihre  Knochen,  vergräbt  und  begiesst  sie.  Ein  Apfelbaum 
mit  Silberzweigen  und  Goldblättern  spriesst  auf,  der  mit  seinen 
Spitzen  die  drei  Stieftöchter  sticht,  doch  Marien  seine  Früchte  selbst  darbietet, 
und  ihr  so  zur  Heirath  mit  dem  schönsten  Prinzen  verhilft,  i) 

Eine  andere  russische  Lesart  (Erlenwein  n.  5)  kenne  ich  nur  in  dem 
kurzen  Auszuge  bei  Gubernatis  I,  S.  294.  Ein  Kosack  kommt  in  den  Wald 
und  fa,llt  in  die  Hand  seines  Feindes,  der  ihn  in  Stücke  hauen  und  diese  in 
einem  Sacke  seinem  Rosse  auf  den  Rücken  binden  lässt.  Das  Ross  trägt 
ihn  zum  silbernen  und  goldenen  Schlosse,  wo  er  wiederbelebt 
wird.  Seine  Wirthe,  ein  alter  Mann  und  eine  alte  Frau,  ziehen  ihn,  um 
ihn  aufzuwecken,  in  der  folgenden  Nacht  durch  das  Kreuz,  das  an  seinem 
Halse  hängt,  und  er  wird  in  ein  Ross  von  Gold  und  Silber  verwan- 
delt. Der  Zar  lässt  am  Abend  das  Ross  tödten,  und  daraus  entsteht  ein 
goldener  und  silberner  Apfelbaum.  Der  Apfelbaum  wird  ge- 
hauen und  zur  goldenen  Ente.  Im  ungarischen  Märchen  vom  Eisenlaci 
(Stier  n.  15)  wird  Eisenlaci,  der  ausgezogen  ist,  seine  drei  Schwestern  im 
Sonnenkleide,  Mondkleide  und  Sternenkleide  zu  suchen,  vom  zwölfköpfigeu 
Drachen  in  hundert  Stücke  zerhauen,  die  der  Mörder  dem  Rosse  des  Helden 
auf  den  Rücken  bindet.  Dieses  bringt  sie  zum  Schlangenkönig,  der  Eisen- 
laci wiederbelebt.  Letzterer  kehrt,  in  ein  Ross  verwandelt  noch  einmal  zum 
Schlosse  des  Drachen  zurück.  Derselbe  schlachtet  auf  das  Andringen  seiner 
Frau  das  Pferd,  aber  aus  dessen  beiden  ersten  Blutstropfen  erwächst  im 
Garten  ein  Baum  mit  Goldäpfeln.     Der  Baum  wird  auf  Begehr  der  Drachen- 

')  Vgl.  auch  Afanasieff  II,  55.    Gubernatis  zoological  mytli.  I,  179.  181.  182. 


Die  lettischen  Sonnenmythen.  239 

frau  abgehaueu,  aber  zwei  Späne  in  den  Teich  geworfen  wandeln  sich  in  ein 
goldenes  Fischclicn.  Als  der  Drache  dieses  fangen  will,  steht  Eisenlaci  da 
und  tüdtet  ihn. 

Die  älteste  und  wichtigste  Version  dieses  Märchens  indess  ist,  wie  ich 
bereits  vor  Jahren  (1859,  Zs.  f.  d.  Myth.  IV,  S.  232-253)  dargethan  habe, 
in  der  ägyptischen  Erzählung  des  Papyrus  d'Orbiney  von  Auepu  und  Uatau 
erhalten.  Zuerst  vom  Vicomte  de  Rouge  in  der  Revue  archeologique  1852, 
p.  385  ff.  auszugsweise  mitgetheilt,  ist  es  später  von  H.  Brugsch  nach  dem  in- 
zwischen durch  Birch  veröffentlichten  Originaltext  in  seinem  Buche  „Aus  dem 
Orient",  Berlin  18(34  II,  S.  1 — 29,  vollständig  übersetzt  worden.  Von  den 
beiden  Brüdern  Anepu  und  Batau  hat  der  Letztere,  in  Folge  der  ungerechten 
Beschuldigung,  dem  Weibe  seines  Bruders  Gewalt  angethan  zu  haben'),  die 
Heiraath  verlassen,  nachdem  er  im  Unwillen  das  angeklagte  Glied  seines 
Körpers  abgeschnitten.  Er  geht  nach  dem  Cedernberge  und  legt,  weil  er 
so  muss,  seine  Seele  in  die  Spitze  der  Blüthe  einer  Ceder,  mit 
welcher  fortan  sein  Leben  verknüpft  ist.  Die  neun  Götter  machen  dem 
Batau,  dem  Stier  (.1er  Götter,  ein  Weib  aller  Schönheit  voll.  Doch  die  sieben 
Hathors  bestimmen  ihr  einen  gewaltsamen  Tod.  Batau  liebt  sie  und  vertraut 
ihr  das  Geheimniss  seines  Lebens  an.  Einst,  als  sie  aus  dem  Hause  tritt, 
erbittet  sich  das  Meer  von  der  Ceder  eine  Locke  ihres  Haars, 
erhält  dieselbe  und  trägt  sie  nach  Aegypten  zu  den  Werkstätten  des  Königs, 
wo  sie  köstlichen  Geruch  verbreitet.  Die  Schriftgelehrten  des  Pharao  ver- 
künden, dass  die  Locke  einer  Tochter  des  Sonnengottes  zugehöre.  Durch 
Weiberschmuck  verlockt,  lässt  diese  sich  von  den  Abgesandten  des  Königs 
hinwegführen  und  wird  dessen  Gemahlin,  die  Ceder  aber  wird  abge- 
hauen und  die  Blume  abgeschnitten,  in  welcher  Bataus  Herz 
steckt,  letzterer  fällt  todt  auf  die  Matte.  Anepu,  der  das  wohl  an  ge- 
wissen Zeichen  wahrnimmt,  macht  sich  auf  den  Weg  nach  dem  Cedernberge 
und  sucht  das  Herz,  die  Seele,  des  jüngeren  Bruders  vier  Jahre  lang.  Im 
vierten  Jahre  sehnt  sich  Bataus  Herz  nach  Aegypten  zurück  und  wird  in  einer 
Frucht  des  Cederbaumes  gefunden,  in  einem  Gefäss  mit  Wasser  belebt,  dem 
ausgestreckt  daliegenden  Körper  des  Todten  eingetlösst  und  dieser  kehrt 
zum  Leben  zurück.  Jetzt  verwandelt  sich  Batau  in  einen  Apisstier, 
nimmt  den  Bruder  auf  seinen  Rücken  und  ist  mit  ihm  bei  Sonnenau  fsran ir 
am  Königshofe,  wo  er  wohl  aufgenommen  und  göttlicher  Ehren  theilhaft 
wird.  Einst  im  Heiligthum  fängt  der  Stier  an  zu  reden  und  offenbart  sich 
der  Königin  als  den  verwandelten  Batau.  Sie  begehrt  nun  vom  Könige 
die  Leber  des  Thieres.  Als  der  Stier  geschlachtet  wird,  springen  zwei 
Blutstropfen  vor  die  Thürpfosten  des  Königspalastes  und  es    erwachsen    über 


')  Dieser  vermutiilich  frenule,  der  Geschichte  von  Potiphars  Weib  iihiiiicho,  erste  Theil  des 
Mürciieus  sei  hier  nur  angedeutet.     Lieber  ihn  sieiie    des    Verfassers  Aufsatz    in    der   Zs.    f.   d. 

Myth.   IV.  '243 — M.     Ebov.-i  Aeiij-pleu  luul  die  fünf  I'ücher  Uoses.     S.  oll   IV. 


240  "W.  Mannhardt: 

Nacht  zwei  Perseabäume.  Als  das  Königspaar  dieselben  beschaut,  spricht 
der  eine  zur  Königin:  Du  hast  mich  tödten  wollen,  ich  lebe  dennoch,  ich  bin 
Batau.  Die  Schöne  bestimmte  ihren  Gemahl  dazu,  die  Perseabäume  absägen 
zu  lassen,  um  schöne  Bretter  daraus  zu  machen.  Als  dies  geschieht,  fliegt 
ein  Holzspan  in  ihren  Mund,  sie  wird  schwanger  und  gebiert  ein 
Knäblein,  das  erwachsen  und  König  von  Aegypten  geworden  sich  als 
Batau  enthüllt,  den  versammelten  Grossen  in  Gegenwart  der  Köni- 
gin-Mutter die  Geschichte  seiner  Verwandlungen  erzählt  und  dieselbe  vor 
Gericht  stellt. 

Schlagend  erhellt  die  Identität  dieses  zur  Zeit  des  Moses  von  einem  der 
vorzüglichsten  Schiiftgelehrten,  Annana,  in  klassischer  Darstellung  aufgezeich- 
neten Märchens  mit  der  vorstehenden  südeuropäischen  Märchenfamilie  aus 
der  Nebeneinanderstellung  auf  beifolgender  Tabelle. 

In  dreien  Versionen  beginnt  die  Erzählung  mit  einem  Baum,  in  welchem 
der  Held  oder  die  Heldin  sitzt  oder  so  zu  sagen  immanent  ist;  es  ist  (obschon 
im  ägyptischen  Märchen  in  Ceder  und  Persea  auseinander  gefallen)  vermuth- 
lich  mythisch  derselbe  Baum,  welcher  in  etwas  anderer  Form  nachher  wieder 
zum  Vorschein  kommt  und  welcher  durch  seinen  Goldapfel  sich  als  Sonnen- 
baum auszuweisen  scheint.  Hiezu  stimmt,  dass  der  Perseabaum  rothe  ßlüthen 
hat  und  nach  Brugsch  bei  den  Aegyptern  ein  Sinnbild  der  Sonne  war;  auf 
ihm  weilte  die  Sonnenkatze.  ^)  Er  ist  als  Trostbild  auf  Mumienkasten  und 
anderen  Todten-Denkmälern  abgebildet  und  heisst  auch  Baum  des  Harpokra- 
tes  oder  Horus,  d.  h,  der  Sonne.  In  I,  IV,  VI  sind  die  Helden  dem  Gold- 
baum immanent.  In  II,  IV  drückt  der  Zug,  dass  sie  allein  den  Apfel  pflücken 
können,  die  nämliche  enge  Beziehung  mit  anderen  V\^  orten  aus.  Die  Haupt- 
person ist  bald  männlich,  bald  weiblich,  trägt  aber  in  fast  jedem  einzelnen 
Falle  Merkmale  eines  Sonnenwesens  an  sich.  Dahin  rechne  ich  in  III  die 
Goldhaare,  welche  (nach  Auslöschung  der  Lichter)  die  Nacht  gleich  der 
Morgensonne  im  Mai  durchleuchten  (vgl.  o  S.  225),  in  I  den  Gegensatz  der 
Mohr  in  (der  Nacht)  zur  goldigen  Fee. 

In  der  Reihenfolge  der  Verwandlungen  Mensch,  Baum,  Schaf  (Stier  oder 
Kuh,  Ziege,  Fisch),  Baum,  Mensch  werden  allein  in  III  zwei  Glieder  ver- 
tauscht und  in  die  Ordnung  Kind,  Baum,  Lamm,  Kind  verwandelt.  Die  reden- 
den Bretter  des  Goldapfelbaumes  in  III,  der  zu  Brettern  bestimmte  Persea- 
baum in  VI,  die  aus  jenem  herausfliegenden  Funken  III,  von  denen  ein 
Schaf  trächtig  wird,  die  aus  diesem  abfliegenden  Holzspäne,  die  die  Königin 
guter  Hoffnung  machen  in  VI;  das  Gericht  über  die  böse  Königin  durch 
Erzählung  der  Lebeusgeschichte  in  III  u.  VI  sind  Züge  ganz  specieller 
Uebereinstimmung,  welche  kaum  zufällig  sein  dürften. 


0  Zu  Ileliopolis  hatte  Ra  der  Sonnengott  die  Gestalt  eines  Katers;  seine  Tochter  Pacht 
trügt  die  Souneuscheibe  uuf  dem  Haupt,  oder  Katzenkopf.  S.  Duncker,  Gesch.  des  Alterth.  I 
Aufl.  4.  8.  39. 


Die  lettischen  Sonnenmythen. 


241 


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242  W.  Mannhardt: 

Erwägen  wir  nun  die  folgenden  Thatsachen.  Anepu  geleitet  seinen 
in  den  heiligen  Stier  verwandelten  Bruder  zum  Könige.  Der  Name  Anepu 
ist  gleich  Auubis,  Auuphu,  Anupu'),  dem  Geleitsmann  der  Seele,  der  u.  A. 
auf  einer  Stele  von  sich  aussagt:  „Ich  bin  gekommen  zu  Dir,  um  zu  heilen 
Deine  Gebrechen,  um  zu  beleben  Deine  Glieder,  um  zusammen  zu  führen 
Deine  Gebeine".  Auch  sucht  er  mit  Isis  den  verlorenen  Horus.  Der  heilige 
Stier  Apis  (Hapi)  galt  als  ein  Abbild  der  Seele  des  todten  Osiris,  d.  h.  der 
Sonne  während  ihres  nächtlichen  und  winterlichen  Laufes.  Auf  dem  Sar- 
kophage eines  um  1450,  etwa  120  Jahre  vor  der  Abfassungszeit  unseres 
Märchens,  bestatteten  Apis  heisst  es:  „Apis  Osiris  (Osar  Hapi),  der  grosse 
Gott,  welcher  im  Amenti  (Unterwelt)  sitzt,  der  ewig  lebende  Herr".  Auf 
späteren  Apisgräbern  liest  man  die  Inschriften:  „Der  wieder  lebend  gewor- 
dene Osiris",  „der  wiederauflebende  Apis  des  Ptah",  „der  lebende  Apis,  wel- 
cher Osiris  weilend  in  Amenti  ist".  Harpokrates  (Harpechruti),  d.  i.  Horus 
das  Kind,  ist  der  sterbliche  Lichtgott,  den  Isis  von  Osiris  in  der  Unterwelt 
empfängt.  Er  wird  als  nacktes  Kind  mit  an  den  Mund  gelegtem  Finger  ab- 
gebildet. 

Man  vergleiche,  wie  G.  Ebers  die  Osirismythe  zusaramenfasst.  „Osiris 
ist  die  Seele  des  Sonnengottes  Ra,  er  wandelt  selbst  durch  die  diesseitige 
Welt  als  Ra  und  ändert  nur  die  Namen  und  die  Existenzform,  wenn  er  all- 
abendlich wieder  in  seiner  jenseitigen  und  eigentlichen  Heimath  bei  sich  selbst 
wieder  anlangt,  wo  er  die  Regierung  führt,  wie  er  sie  hier  als  Ra  geführt 
hatte.  Am  andern  Morgen  erzeugt  er  dann  aus  sich  den  Ra  in  verjüngter 
Form  als  Horus  Ra,  den  Kreislauf  aufs  Neue  beginnend."  ^)  Sollte  nun 
uicht  die  Reihe:  der  Baum,  welchem  Batau  immanent  ist,  am  Meere  (Luft- 
meer?) mit  Batau-Ra  zugleich  vernichtet;  Batau's  Gattin  heirathet  einen 
anderen  (Unterwelt,  Nacht,  Winter);  Batau  unter  des  Anubis  Händen  wieder 
auflebend  (gegen  Sonnenaufgang)  wird  Apis  (Sonne  während  ihres  nächt- 
lichen Laufes  von  Westen  nach  Osten);  geht  bei  Tagesanbruch  über  in  den 
Sonnenbaum  und  wird  aus  diesem  ein  Kind  (Harpokrates,  Horus  das  neuge- 
borene Sonnenkind);  sollte  —  meine  ich  —  diese  Reihe  nicht  geeignet  sein, 
wahrscheinlich  zu  machen,  dass  das  ägyptische  Märchen  ein  uralter  verdun- 
kelter Sonnenmythus  war,  ein  Mythus,  die  Geschicke  des  Sonnengottes  dar. 
stellend,  vom  Abend,  wann  er  sich  das  Zeugungsglied  abschneidet^),  bis  zur 
Nacht,  wann  er  mit  dem  Sonnenbaum,  in  dem  er  lebt,  stirbt  und  in  den 
Amente  geht,  sich  in  die  Nachtsonne  wandelt,  und  endlich  zum  Morgen, 
wann  aus  der  Nachtsonne  wieder  der  Sonnenbaum  wird  und  aus  diesem  das 
neugeborene  Tagessonnonkind  emporsteigt?     Offenbar  gab  es  im  Laufe  eines 


')  G.  Ebers  Aegypten  und  die  fünf  Bücher  Mosis.  S.  314.  Parthey  Plutarch  über  Isis 
und  Osiris.     S.  195. 

'■')  Anmerk.  zur  Aegypt.  Königstochter.    Bd.  I.  219. 

■*)  Vgl.,  dass  das  ycharaglied  des  von  Typhon  zerstückelten  Osiris  allein  verloren  geht,  von 
den  Fischen   verzehrt.    Plut.  Is.  Osir   c    18.  p.  30.  Parthey. 


Die  lettischen  Sonnenmytheu.  243 

Jahrtausends  sehr  verschiedene  Forraen  der  Osirismythe,  von  denen  diese 
und  jene  sehr  wohl  der  Brotomorphose  unterliegen  konnte,  ohne  dass  die 
anderen  aufhörten,  in  religiöser  Geltung  zu  stehen.  Doch  den  Aegyptologen 
gebührt  in  dieser  Sache  das  nächste  Wort. 

Eine  genauere  und  eingehendere  Untersuchung  würde  vermuthlich  zeigen, 
dass  auch  die  europäischen  Varianten  in  ihren  ständigen  Einzelheiten  einen 
Sonnenniythus  noch  durchschimmern  lassen.  In  Bezug  auf  die  in  mancher 
Beziehung  dem  ägyptischen  Mäixihen  am  nächsten  stehende  fünfte  Erzählung 
bei  Erlenwein  von  dem  Kosacken  (vgl.  die  ungarische  von  Eisenlaci  o.  S.  238) 
äusserte  schon  Gubernatis  1,  295:  „The  golden  duck  is  the  same  as  the  gol- 
den horse,  or  as  the  hero  cut  in  pieces  represent  the  voyage  of  the  sun  in 
the  gloom  of  night,  or  the  voyage  of  the  grey  horse".  Wir  werden  im  Fol- 
genden die  von  uns  ausgesprochene  Vermuthung  noch  durch  einige  weitere 
Beobachtungen  verstärken. 

u)  Die  Eiche  und  das  goldene  Fliess  der  Argonautensage. 

Um  in  den  euro])äisclieu  Märchen  der  in  Rede  stehenden  Familie  über- 
einstimmend mit  anderen  —  wie  es  scheint  unabweisbaren  Spuren,  s.  o.  S.  237 
—  Sonnenmythen  erkennen  zu  können,  werden  wir  vor  allem  das  goldene 
Schaf  oder  Lamm,  welches  in  ihnen  eine  so  grosse  Rolle  spielt  —  als 
Apotypom  einer  Lichterscheinung  darthuu  müssen.  Der  Beweis  für  das  Vor- 
handensein der  mythischen  Vorstellung  eines  Sonnenwidders  geht  indess 
aus  den  mährischen  Sonnenliedern  (Zs.  f.  d.  Myth.  IV  S.  34()  ff.  n.  68.  74. 
74a;  S.  392  mit  vollkommener  Deutlichkeit  hervor: 

74:  Kouiui  heraus,  komm  heraus  Sonne,  Verirrt  sich  vier  Meilen, 

Hinterm  Mühnkönicheu. ')  Vier  Meilen  hinter  Prag. 
Kommst  liu  nicht  heraus. 

Führe  ich  Dich  zum  Süulchen.  74a:    Es  regnet!  Es  regnet!  Wacholder! 

Dreh'  Dich  um  Titnbchen.  Fünf  Schafe  gingen  verloren, 

läubchen  hat  sich  umgedreht,  Und  der  sechste  ein  Widder 

—     —     —     —     -      —     —  Mit  goldenen  Hörnern. 

Die  Alte  ging  hinaus  auf  den  Hügel,  Wer  die  Hörner  findet, 

Sah  dort  fünf  Schäfchen.  Umgeht  vier  Meilen, 

Der  sechste  war  ein  Widder  Vier  Meilen  hinter  Prag. 

Mit  go  hl  enen  Hu  rnern.  —     —     —     —     —     —     u.  s.  w. 

Wer  die  Hörner  findet, 

S.  392:  Beim  Regen  wird  dem  Marionkiifer  (o.  S.  98.  209.  217.  226. 
232.  zugerufen: 

Regne  nicht,  regne  nicht  Regen!  Dir  geben  wir  auch. 

Wir  fahren  Roggen  ein  Marnnka,  Marunka, 

Auf  Kuchen,  auf  Kuchen!*)  Gieb  Gottes  Sönnchen. 


')  d.  h.  aus  Deiner  Schlafkammer,  aijs  dem  Orte,  wo  Du  geschlafen  hast, 
*)  d.  h.  um  Kuchen  zu  macheu. 

17* 


244  W.  Mannhardt:   Die  lettischen  Sonnenmythen. 

Sie  flog  hinaus  auf  den  Hügel,  Unser  Vater  ging  hinaus, 

Fand  da  fünf  Schäfchen,  Einen  Sack  Geldes  fand  er; 

Den  sechsten  einen  Widder  Unsre  Mutter  ging  hinaus, 

Mit  goldenen  nörneru.  Einen  Laib  Brod  fand  sie. 
Wer  die  Eörner  findet, 
Einen  Sack  Geldes  er  findet. 

Was  die  Sechszahl  der  Schafe  soll,  weiss  ich  nicht  zu  sagen,  aber  der 
Widder  mit  goldenen  Hörueru,  deren  Enden  vier  Meilen  hinter  Prag, 
d.  h.  in  weiter  Ferne  den  Erdboden  berühren,  ist  nichts  anderes,  als  die 
Sonne  mit  ihren  Strahlen.  Vgl,  den  skandinavischen  Solarhjörtr  (Sonnen- 
hii-sch),  dessen  Füsse  auf  der  Erde  stehen,  indess  das  Geweih  an  den  Him- 
mel rührt.  Wer  die  Hörner  auffangen  könnte,  trüge  einen  Sack  Gold  (Son- 
nengold) heim,  er  hättedie  Allerweltsspeise,  das  allnährende  Brod  =  Tischchen 
deck  dich  o.  S.  230.  Wie  hier  das  Brod  gefunden  wird,  dort  wo  das  Gold- 
horu  des  Widders  aufliegt,  besitzt  Zweiäugleins  Ziege  ein  Tischchen  deck 
dich.     o.  S.  238. 

Eine  weitere  Spur  der  Apperception  der  Sonne  als  Goldwidder  oder 
Goldbock  finde  ich  in  einer  Märchengestalt,  welche  bereits  Germ,  Myth. 
175 — 178  von  uns  besprochen,  aber  dem  damaligen  Standpunkte  der  ver- 
gleichenden Mythenforschung  gemäss  auf  die  blitzdurchzuckte  Gewitterwolke 
gedeutet  ist.  In  dem  verbotenen  Zimmer  des  unter  dem  Brunnen  befind- 
lichen Reiches,  wohin  ein  (in  den  Varianten  des  Märchens  von  Goldmarikeu 
u.  s.  w.  auf  das  Morgenlicht  (?)  zu  deutendes)  Kind  geräth,  oder  unter  den 
Schätzen  des  Riesen  befindet  sich  ein  Goldbock,  oder  mit  goldenen 
Böcken  bespannter  Wagen.  Hinsichtlich  der  Schätze  des  Riesen  sprach 
nun  schon  1866  Orest  Miller  i)  von  dem  mythischen  Gehalt  der  Märchen 
redend  es  aus:  „Das  Himmelslicht  ist  in  verschiedenen  Wunderdingen  zu 
erkennen,  die  der  Heldenjüngling  bald  für  den  Vater,  oder  den  König,  bald 
auch  für  sich  zu  gewinnen  hat.  Derart  sind  die  goldenen  Aepfel,'^)  der 
goldene  Vogel-*),  der  goldgeweihige  Hirsch'*),  das  goldmähnige  Ross^);  das 
goldborstige  Schwein*^),  wobei  das  Gold  auf  ein  lichtes  Wesen  hinweist  und 
auch  die  slavischen  Gebräuche  es  zur  Genüge  darthun,  dass  man  darunter 
verschieden  gestaltete  Sonnenwesen  zu  denken  habe."  In  gleicher  Richtung 
deutbar  scheinen  die  sonstigen  im  Besitze  der  Riesen  gefundenen  Kostbar- 
keiten, z.  B.  Goldlampe  neben  Mondlampe  auf  das  Sonnenlicht,  goldene  Hühner 
(o.  S.  226)  auf  die  Sonne,  Goldharfe  (vgl.  die  Harfe  der  Gottessöhne  in 
unserm  Liede  69)  auf  die  ersten  Strahlen  der  Morgensonne,  das  Goldfell, 
oder  Goldpelz  auf  den  goldgewölkteu  Abend-  oder  Morgenhimmel. ^) 
(Schluss  folgt,) 

')  Üpuit  p.  144  ff,  bei  Kreck  trad.  Liter.  S.  35. 

-')  Vgl.  0,  S.  103  ff.  •')  S.  0.  S.  226.  233. 

*)  Vgl.  den  nordischen  Sonnenhirsch,  Solarhjürtr. 

^')  Vgl,  das  skand,  Ross  des  Tages  Skint'axi  und  o.  S, 

'')  Vgl.  des  Sonnengottes  Freyr  Eber  üullinbursti. 

')  In    Rescliwüningsfoiineln    ans  dem   «istl.  Russlanil    wird   die    Morgenröthe  augerufen  mit 
ihrem  rothen  Tue  he  die  Zauber  feindlicher  Mächte  zu  decken.  Äfauasieffpoet.  isaturausch.  1  6b. 


245 


lieber  Spuren  römischer  Cultnr  in  Norwegens 
älterem  Eisenalter. 

Von  A.  Lorange. 
Aus  dem  Norwegischen  übersetzt'). 

Bald  nach  der  Ausbildung  der  Archäologie,  —  als  man  in  den  Alter- 
thümern  eine  gänzlich  neue  Quelle  für  unsere  Kenntniss  von  der  ältesten 
Ansiedelung  des  Nordens,  von  dem  frühesten  Culturzustande  des  skandina- 
vischen Volkes  und  seinen  Beziehungen  zu  dem  übrigen  Europa  erkannt 
hatte,  machte  sich  die  Frage  aufs  Neue  geltend:  wann  und  auf  welchem  Wege 
haben  unsere  Vorfahren  —  das  Volk  des  Eisenalters  —  von  den  nördlichen 
Ländern  Besitz  ergriffen? 

Neue  Funde,  Entdeckungen  und  Erfahrungen  legten  in  ununterbrochener 
Reihefolge  Zeugniss  davon  ab,  wie  ausserordentlich  mangelhaft  noch  die  Kennt- 
niss von  dem  ältesten  Zustande  des  Eisenalter-Volkes  im  Norden  war,  als 
die  erwähnte  Frage  zuerst  auftauchte.  Dieselben  Funde  beweisen,  wie  un- 
vollständig auch  heute  noch  das  zu  einer  endgültigen  Lösung  jener  Frage 
vorhandene  Material  ist;  aber  sie  enthalten  doch  auch  neue  Winke,  auf  wel- 
chem Wege  die  Wahrheit  zu  finden,  und  neue  Verheissungen,  dass  sie  dem- 
nächst gefunden  werden  kann  und  wird. 

Unumgängliches  Erforderniss  hierzu  ist  aber  die  Rekanntschaft  mit  den 
Eigenthümlichkeiten  der  Alterthümer  in  jedem  der  nordischen  Länder;  und 
diese  lässt  allein  durch  zahlreiche,  planmässige  Aufgrabuugen  und  durch 
Ansammlung  beglaubigter  Funde  von  nationalen  Alterthümern  sich  erwerben. 

Nur  Dänemark  hat  es  bis  jetzt  verstanden,  einigermassen  vollständige 
Illustrationen  zur  Aufhellung  seiner  vorgeschichtlichen  Zeit  zu  liefern,  und 
den  dänischen  Forschern  hat  man  hauptsächlich  zu  danken  für  die  neuen  und 
wichtigen  Beiträge,  die  bisher  zur  besseren  Kenntniss  der  ältesten  Geschichte 
des  Nordens  erschienen  sind. 

Damit  indessen  die  Beweiskraft  der  dänischen  Alterthümer  auch  über  die 


')  [Die  Abhandlung  erschien  unter  dem  Titel.  „Om  Spor  af  romersk  Kultur  i  Norges  aeldre 
Jernalder%  in  den  Verhaudlunfjen  der  norwegischen  Gesellscbalt  der  Wissenschaften,  Christiania 
1873.  Der  Herr  Verfasser,  früher  in  Frederikshald,  ist  gegenwärtig  Director  des  antiquarisch- 
historischen  Museums  in  Bergen.]    Anm.  d.  üebersetzers. 


246  A.  Lorange: 

Grenzen  Dänemarks  hinaus  auf  die  andern  nordischen  Länder  sich  erstrecken 
können,  ist  die  Kundschaft  von  den  vorgeschichtlichen  Denkmälern  dieser 
Länder  eine  nothwendige  Bedingung;  denn  nur  angesammelte  Funde  und 
ebenso  vollständige  Aufdeckungen  aus  allen  Theilen  des  Nordens  können 
eine  Vergleichung  ermöglicheu  und  zu  Schlüssen  berechtigen,  die  für  den 
ganzen  Norden  Geltung  haben  sollen. 

Welche  Aufklärungen  aber  ist  man  in  Schweden  und  Norwegen  beizu- 
bringen im  Stande  über  das  erste  Auftreten  der  Eisenzeit?  Die  Armuth  der 
schwedischen  Museen  an  Alterthümern  der  Eisenzeit  im  Allgemeinen  und  an 
zusammengehörenden  Grabfunden  im  Besondern  muss  unwillkürlich  jedem 
Besucher  die  Ueberzeugung  aufdrängen,  dass  die  schwedischen  Alterthümer 
noch  bei  Weitem  nicht  ausreichen,  unl  eine  entscheidende  Stimme  abgeben 
zu  können;!)  und  was  Norwegen  anbetrifft,  so  will  ich  mir  nur  erlauben 
drei  Citate  anzuführen,  die  hei  aller  Verschiedenheit  doch  gute  Beweise  dafür 
sind  —  was  ich  hier  nur  andeuten,  aber  weiter  unten  näher  erörtern  werde  — , 
dass  alle  schwedischen  und  dänischen  Schriftsteller,  welche  von  dem  älteren 
Eisenalter  in  Norwegen  gehandelt  haben,  eine  ebenso  geringe  Kenntniss  be- 
sassen  von  dem  Auftreten  dieser  Culturperiode  in  Norwegen,  als  sie  überhaupt 
Gelegenheit  hatten  dieselbe  kennen  zu  lernen;  und  dass  es  ohne  Zweifel  noch 
lauger  Zeit  und  vieler  Arbeit  bedürfen  wird,  ehe  nordische  Forscher  iu  der 
Lage  sein  werden  eine  Schilderung  des  älteren  Eisenalters  in  Norwegen  zu 
geben,  die  iu  befriedigender  Weise  sowohl  die  Uebereinstimmungen  mit  den 
Brüderländern,  wie  auch  die  nationalen  Eigenthümlichkeiteu  nachwiese,  oder, 
um  es  kurz  auszudrücken,  die  eine  sichere  Grundlage  und  einen  Ausgangs- 
punkt für  historische  Schlussfolgerungcn  abgeben  könnte. 

Dr.  C.  F.  Wiberg  hat  in  seiner  bekannten  Abhandlung  vom  Jahre 
1868  „über  den  Einfluss  der  klassischen  Völker  auf  den  Norden"  alle  ihm 
bekannten  Funde  von  römischen  Alterthümern  in  Dänemark,  Schweden  und 
Norwegen  zusammengestellt,  da  er  in  diesen  Funden  die  Zeugnisse  von  dem 
ersten  Auftreten  der  Eisenzeit  im  Norden  erkannte  und  nach  deren  geo- 
graphischer Ausbreitung  die  Grenzen  gleichsam  abstecken  zu  dürfen  glaubte, 
innerhalb  deren  sich  das  ältere  Eisenalter  über  die  verschiedenen  Länder  des 
Nordens  verbreitete. 

Das  Resultat  seiner  Uebersicht  war  folgendes:  „Dänemark  ist  nament- 
lich reich  an  römischen  Funden".^)  „In  Schweden  fehlt  es  keineswegs  an 
Denkmälern  einer  mehr  oder  minder  directen  Verbindung  mit  der  alten  Welt. 
Innerhalb  der  Grenzen  des  heutigen  Schwedens  wurden  ungefähr  143  antike 
Funde  gemacht,  von  denen  c.  50  auf  Gotland,  53  auf  Oeland  und  c.  40  auf's 


')  N,  G.  Brueelius,  Svenska  fornlemningar,  Andra  häft.  1860  pag.  80 ff.,  wo  der  Verfasser 
alle  ihm  bekannten  Funde  aus  der  älteren  Eisenzeit  in  Schweden  zusammenstellt, 

-■)  Wiberg,  De  Klassiska  folkeus  lörbindelse  med  norden.  Geile  1867,  pag.  45.  Deutsche 
Ausgabe,  Hamb.  1867,  pag.  59. 


Ueber  römische  Ciilttir  in  Norwegen.  247 

Festland  fallen  werden."'  Sowohl  das  Schweigen  der  alten  Schriftsteller,  wie 
die  ßesshaffenheit  der  dortigen  Funde  beweist,  dass  Norwegen  innerhalb 
seiner  heutigen  Grenzen  der  alten  Welt  durchaus  unbekannt  blieb;  doch  ist 
es  möglich,  dass  irgend  ein,  an  die  Küste  von  Bohuslän  verschlagener  Körner 
in's  Land  kam  und  dass  auf  diese  Weise  der  eine  oder  andere  Gegenstand  in 
die  südlichen  Gebirge  Norwegens  gelangen  konnte;  jedenfalls  hat  Norwegen 
seine  Civilisation  ohne  römischen  Einfluss  begonnen."'^) 

Das  andere  Citat  entnehme  ich  dem  neuen  Werke  des  Dr.  0.  Montelius, 
Kemains  from  the  Iron  Age,  Stockhohn  1869,  weil  der  gewissenhafte,  vor- 
sichtige Verfasser  in  seiner  Arbeit  die  Resultate  sammeln  wollte  von  den 
neuesten  Entdeckungen  in  Betreff  des  nordischen  Eisenalters,  namentlich  alles, 
was  dazu  dienen  konnte,  das  erste  Auftreten  des  Eisens  in  den  verschiedenen 
Ländern  des  Nordens  zu  erklären;  und  weil  er  seinen  Stoff  mit  dem  offen- 
baren Bestreben  sich  frei  zu  halten  von  der  in  altern  Schriften  nicht  selten 
hervortretenden  nationalen  Parteilichkeit  behandelt  hat.  Es  scheinen  indessen 
die  Funde  von  Saetrang  und  Veien  (von  Prof.  Keyser  beschrieben,  Annal.  f. 
nord.  üldkynd.  1836/37,  pag.  142 — 1Ö9)  in  Verbindung  mit  dem  Funde  von 
Aug«raldsnaes  (Urda,  Bd.  II,  pag.  589—594)  die  einzige  Grundlage  für  seine 
Beurtheilung  der  altern  Eisenzeit  in  Norwegen  zu  bilden.  Er  kommt  daher 
auch  nur  zu  einem  von  Wiberg  wenig  abweichenden  Resultate  und  gibt 
pag.  18  folgende  Uebersicht  seiner  Erfahrungen:  „die  häufigen  Funde  römischer 
Münzen  aus  den  ersten  drei  Jahrhunderten  nach  Ckristus  und  anderer  römischen 
Fabrikate  aus  ungefähr  derselben  Zeit,  namentlich  auf  den  dänischen  Inseln, 
aut  Oeland  und  Gotland,  machen  es  wahrscheinlich,  dass  die  Cultur  des  Eisen- 
alters sich  im  östlichen  Dänemark  und  südlichen  Schweden  nicht  später  ver- 
breitete als  im  südlichen  Jütland",  —  wo  seiner  Meinung  nach  die  grossen 
Moorfunde  den  Beginn  des  Eisenalters  „spätestens  im  '2.  Jahrhundert  n.  Chi'." 
ieststellten.  „Dagegen  wird  man  bis  jetzt  nicht  sagen  können,  wann  das 
Eisenalter  in  Norwegen  seinen  Anfang  nahm;  es  sind  dort  keine  römischen 
Münzen  aus  den  ersten  Jahrhunderten  n.  Chr.  gefunden  und  auch  andere 
Gegenstände,  die  in  dieselbe  Zeit  fielen,  sind  dort  selten.  Freilich  wurden 
dort  mehr  Funde  als  die  vier  von  Wiberg  angegebenen  aus  der  älteren 
Eisenzeit  bekannt,  aber  die  meisten  gehören  einer  Jüngern  Periode  dieses 
Zeitalters  an." 

So  stand  es  um  die  Meinung  fremder  Archäologen  in  Betreff'  der  älteren 
Eisenzeit  in  Norwegen  als  Prof.  Rygh  in  seinem  bei  Gelegenheit  der  Natiu-- 
forscher- Versammlung  in  Christiania  1868  gehaltenen  Vortrage  über  die  ältere 
Eisenzeit  in  Norwegen^)  aufmerksam  darauf  machte,  „dass  man  in  Norwegen 
über  500  Funde  aus  der  älteren  Eisenzeit  kenne'';  eine  Anzahl,  die  bei  weitem 


')  A.  a.  0.  pag.  49 ;  resp.  pag.  62. 

■■0  A.  a.  0.  pag.  57  und  58 ;  resp.  pag.  tJO  xi.  70. 

^)  Der  Vortrag  wurde  veröffentlicht  Aarböger  f.  n.  Oldk.  f.  1869, 


248  A.  Lorange: 

die  Summe  aller  Funde  aus  der  älteren  Eisenzeit  iibertriflft,  welche  bis  jetzt 
in  Schweden  und  Dänemark  zusammen  bekannt  wurden,  und  „dass  diese 
Funde  bewiesen,  dass  Norwegens  Bebauung  sich  im  älteren  Eisenalter  ebenso 
weit  nach  dem  Norden  hinauf  erstreckte  wie  zu  Anfang  des  christlichen 
Mittelalters  und  auch  ebenso  weit  in  die  höchsten  Gebirgsgegenden  im  Innern 
des  Landes".^) 

Welch  ein  überraschender  Gegensatz  oder  Protest  liegt  doch  in  diesem 
letzten  Zeugniss  gegenüber  den  beiden  vorhin  erwähnten;  und  wie  wird  dadurch 
der  Glaube  geschwächt  an  Schlussfolgerungen,  die  auf  so  mangelhafte,  irrige 
Voraussetzungen  sich  stützten! 

Und  ebensolche  Ansichten  standen  eine  Reihe  zon  Jahren  hindurch  bei 
allen  antiquarischen  Schriftstellern  in  Geltung,  sowohl  im  Norden  selbst,  wie 
ausserhalb  desselben.  Man  glaubte  allgemein,  dass  die  Ueberreste  der  älteren 
Eisenzeit  in  Norwegen  nicht  nur  bei  weitem  seltener,  sondern  auch  erweislieh 
jünger  wären  als  in  den  beiden  andern  nordischen  Reichen.^) 

Eine  der  Ursachen,  wodurch  die  Vorstellung  von  Norwegens  Armuth  an 
Gegenständen  der  älteren  Eisenzeit  sich  festsetzte,  darf  man  in  der  besonderen 
Bedeutung  suchen,  die  sowohl  den  römischen  Münzen  wie  den  im  Norden 
gefundenen  römischen  Alterthümern  für  die  Beantwortung  der  Frage  nach 
dem  Ursprung  und  der  Ausbreitung  des  älteren  Eisenalters  zugeschrieben 
wird.  Sowohl  Herr  Staatsrath  Worsaae  in  seinen  letzten  Arbeiten,  wie 
Prof.  Engelhardt  in  seinen  Moorfunden,  Dr.  Moutelius  in  seinem  Werke 
über  das  Eisenalter  und  Prof.  Rygh  in  dem  ebengenannten  Vortrage  gehen 
von  der  Voraussetzung  aus,  dass  die  ältere  Eisenzeit,  wie  sie  mit  stark  rö- 
mischem Einfluss  in  den  grossen  dänischen  Moorfunden  und  in  den  Gräbern 
Seelands  auftritt,  sich  überhaupt  als  das  erste  Auftreten  der  Eisenzeit  im 
Norden  kennzeichne.  Darum  glaubte  man  auch  sowohl  den  Weg  und  die 
Zeit  des  Eindringens  der  älteren  Eisenzeit  in  den  Norden,  wie  auch  ihre 
Ausbreitung  und  Entwicklung,  nach  der  Anzahl  der  in  den  verschiedenen 
Ländern  entdeckten  römischen  Funde  gleichsam  berechnen  zu  können. 

Nun  ist  allerdings  Norwegens  Boden  sehr  arm  an  römischen  Münzen. 
Wenn  man  aber  beobachtet,  in  welcher  Art  sich  die  Münzfunde  in  Dänemark 
und  Südschweden  vertheilen ;  wie  sie  sich  nur  an  den  nach  Deutschland  zu 
gelegenen  Küsten  vorfinden  uud  weiter  hinein  ins  Land  sofort  verschwinden; 
so  scheint  mir  wenigstens,  dass  man  diesen  Mangel  an  Münzen  in  Norwegen 
sehr  wohl  erwarten  durfte,  und  daher  eine  andere  Erklärung  dieses  Verhaltens 
suchen  müsse,  als  sich  mit  der  kühnen  Behauptung  zu  begnügen,  dass  der- 
jenige Theil  von  Skandinavien,  wo  keine  römischen  Münzen  gefunden  wurden, 
auch  ausserhalb  des  römischen  Culturstroms  nach  dem  Norden  gelegen 
habe.     Selbst  in  Schweden  mit  seineu  4000  Denaren  sind  —    wie  wir  unten 


')  Aarböger  1869,  pag.  173. 
■'')  Aarböger  1869,  pag.  10. 


Ueber  römische  Cultur  in  Norwegen.  249 

sehen  werden  -  doch  nur  12  Stück  nördlich  von  Schonen  gefunden;  und 
aus  Jüthind  kennt  raun  sogar  nur  einen  einzigen  Fund.  Ich  möchte  es  für 
wahrscheinlicher  halten,  dass  die  römischen  Münzen,  sobald  sie  ins  Land 
kamen,  eingeschmolzen  wurden,  indem  die  Bevölkerung  das  Metall  eher  zur 
Darstellung  nationaler  Schmucksachen  zu  benutzen,  als  das  ihr  unverständ- 
liche geprägte  Geld  aufzubewahren  suchte;  Goldschmuck  ist  bekanntlich  sehr 
allgemein  in  nordischen  Funden  der  älteren  Eisenzeit  und  oft  von  grossem 
Metallwerth.  Indessen  ist  Norwegen  doch  keineswegs  gänzlich  von  römischen 
Münzen  entblösst;  denn  nach  der  Mittheilung  des  Prof.  0.  Rygh'),  Aars- 
beretn.  for  1871,  pag.  164,  kennt  man  in  Norwegen  gegenwärtig  aus  der 
älteren  Eisenzeit  folgende  Funde  von  römischen  Münzen  oder  offenbaren 
Nachbildungen  derselben: 

1.  Denar  des  Antoninus  Pius,  gef.  in  Hedemarken. 

2.  Goldmedaille  von  Valentiniau  I.,  gef.  in  Lister. 

3.  Nachbildung,  gef.  in  einem  Grabhügel  in  Sogn.  jAntiq.  Atlas 

4.  desgl.       ,  gef.  in  einem  Grabhügel  in  NordhordlandiPl.  L  fig.  14, 

5.  desgl.       ,  gef.  in  einem  Grabhügel,  Amt  Bratsberg  |       15  et  5. 

6.  desgl.       ,  gef.  in  einem  Grabhügel,  1872,  in  Romsdal. 

„Diese  Funde",  sagt  Prof.  Kygh,  „lassen  muthmassen,  dass  wirkliche  römische 
Goldmünzen  des  IV.  Jahrhunderts  nicht  ganz  selten  in  der  älteren  Eisenzeit 
in  Norwegen  vorgekommen  sein  können".  Münzfunde  beweisen  demnach, 
wie  mir  scheint,  wenig  oder  gar  nichts ;  aber  von  dem  Verhältniss  der  Münzen 
hat  man  auf  Funde  anderer  römischer  Fabrikate  schliessen  wollen  und  diese 
irrige  Ansicht  dänischer  und  schwedischer  Forscher  ist  lediglich  dem,  bis  zu 
der  obengenannten  Abhandlung  des  Prof.  Rygh  herrschenden  vollständigen 
Mangel  an  eiuer  kritischen  Bearbeitung  der  nordischen  Funde  und  der  daraus 
für  den  Ausländer  sich  ergebenden  Schwierigkeit  die  antiquarischen  Verhält- 
nisse Norwegens  genügend  kennen  zu  lernen,  zuzuschreiben. 

Alterthümer  von  römischer  Herkunft  und  ebensolche  in  römischem  Stil 
gearbeitete  sind  nemlich  durchaus  nicht  selten  in  Nqrwegen.  Aber  selbst 
wenn  diese  gefehlt  hätten,  würde  man  daraus  nichts'  Bestimmtes  haben 
schliesssn  dürfen  auf  den  Beginn  des  Eisenalters  in  Norwegen;  denn  durch 
Betrachtung  der  nordischen  Alterthümer,  speciell  durch  meine  zahlreichen 
Untersuchungen  nordischer  Grabhügel,  glaube  ich,  soweit  wenigstens  die  nor- 
wegischen Verhältnisse  in  Betracht  kommen,  allen  Grund  zu  haben,  an  der 
Richtigkeit  der  obengenannten  Voraussetzung  zweifeln  zu  müssen:  „dass  die 
Ankunft  des  römischen  Cultnrstroms  im  Norden  auch  gleichzeitig  sei  mit 
dem  ersten  Auftreten  des  Eisens  in  Dänemark,  Schweden  und  Norwegen". 
Aber,  wie  dem  auch  sei,  in  jedem  Falle  ermöglichen  doch  diese  römischen 
Funde  vermittelst  der  im  südlichen  Schweden    und    in    Dänemai'k    bei    ilinen 


')  Foreningen  til  norske  Fortidsmindesmerkers  Bevaring.    Aarsberetning  for  1871.    Kristia- 
nia 1872. 


250  ^'  Lorange: 

vorkommenden  Münzen  die  gegenwärtig  ältesten  Zeitbestimmungen  innerhalb 
des  Eisennltf.rs,  indem  die  römischen  Münzen  zugleich  die  Ankunft  der  andern 
südländischen  Erzeugnisse  in  dem  Norden  datiren  und  dadurch,  wenigstens 
in  dieser  Hinsicht,  sichere  Ausgangspunkte  für  historische  Schlussfolgerungen 
bilden.  Es  würde  sich  daher  als  ein  wesentlicher  Mangel  bei  der  Bearbeitung 
von  Norwegens  älterer  Eisenzeit  fühlbar  machen,  wenn  wir  wirklich  -~  wie 
man  bis  dahin  angenommen  hat  —  diese  für  die  Zeitbestimmung  so  wichtigen 
römischen  Funde  gänzlich  entbehren  müssten.  Aber,  wie  schon  gesagt,  ist 
dies  keineswegs  der  Fall. 

Ehe  ich  indessen  dazu  übergehe,  die  in  nordischer  Erde  gefundenen 
römischen  Alterthümer  zu  beschreiben,  möge  es  mir  gestattet  sein,  der  Ver- 
gleichung  wegen,  und  zur  bessern  Erläuterung  der  norwegischen  Funde  kurz 
zu  schildern,  in  welcher  Weise  die  römischen  Funde  in  Dänemark  und 
Schweden  auftreten. 

Nach  den  bis  jetzt  gemachten  Erfahrungen  herrscht  eine  wesentliche  Ver- 
schiedenheit unter  dänischen  und  schwedischen  Funden  von  römischen  Alter- 
thümern.  Die  dänischen  bestehen  im  Wesentlichen  in  Hausgeräth,  besonders 
in  verschiedenartigen  Gefässen  von  Bronze  und  Glas,  deren  vollendete  Ar- 
beit —  ebenso  wie  die  Fabrikstempel  —  die  römische  Abkunft  beweisen,  und 
ausserdem  auch  in  Waffen  und  Schmuckgeräth.  Die  schwedischen  Funde 
dagegen  zeigen  „weit  seltener  solche  antike  Gegenstände,  welche  dem  häus- 
lichen Comfort  oder  der  eleganteren  Toilette  angehören".')  Sie  bestehen 
wesentlich  in  römischen  Silbermünzen  —  Denaren  —  aus  dem  ersten,  nament- 
lich aber  aus  dem  zweiten  Jahrhundert  nach  Christus,  nebst  römischen  und 
byzantinischen  Goldmünzen  aus  dem  V.  und  VI.  Jahrhundert. 

Nach  schwedischen  und  dänischen  Verzeichnissen  wurden  römische 
Denare  an  ungefähr  100  verschiedenen  Stellen  in  Dänemark  und  Schweden 
gefunden.  Von  diesen  Funden  kommen  22  auf  Dänemark  (Seeland  6,  Fyen 
5,  Bornholm  7,  Süd-Jütland  H),  während  man  für  ganz  Nord-Jütland  nur  einen 
einzigen  kennt. ^) 

In  Schweden  wurden  ungefähr  4000  Silberdenare  gefunden  —  aber  wohl 
zu  merken:  nur  12  von  diesen  kamen  auf  dem  schwedischen  Festlande,  mit 
Ausnahme  von  Schonen,  zu  Tage  (Gotland  c.  3,200;  Oeland  c.  100  und 
Schonen  c.  600).^)  Welches  sind  denn  nun  die  andern  Beweise  für  eineu 
directen  Einfluss  römischer  Cultur  auf  das  eigentliche  Schweden?  Dr.  Wiberg 
zählt  in  seinem  Fundverzeichnisse  für  das  schwedische  Festland  13  römische 
und  römisch-byzantinische  Funde  auf;  für  Oeland  8  und  für  Gotland  2  Funde 
von  römischen  Kunst-  oder  Industrie  Gegenständen.  Hierzu  kommen  noch 
für    das    Festland,   nach    den    von    Dr.  Hiidebrand    gegebenen   Mittheilun- 


')  Wiberp,  1.  c.  pap.  47;  resp.  pag.  63. 

')  Aarböger  for  1871,  pag.  440. 

^)  Förr  och  nu,  2<''-»  bandet,  pag.  284. 


Ueber  römische  Cultur  in  Norwegen.  251 

gen,')  ein  Bronzegefäss,  gefunden  1810  in  Medelpad,  gelullt  mit  verbrannten 
Knochen  nebst  einigen  im  Feuer  zerllossenen  Ghisstückchen,  die  nach  llilde- 
brand  für  Keste  eines  zerstörten  Glasgefässes  angesehen  werden  können; 
dann  eine  kürzlich  in  einem  Grabhügel  in  Ilelsingland  entdeckte  Bronzeschale 
und  ein  in  Jämtland  gefundenes  Glasgefäss.  Ausserdem  fand  man  1871  im 
Kirchspiel  Sjonlieim  auf  Gotland  ein  grosses  römisches  Bronzegefäss  mit  zwei 
beweglichen  Ringen  als  Ilandgrifi'  an,  ein  kleines  gegossenes  schönes  Bronze- 
tellerchen mit  ausgezackter  Kante  nebst  einem  goldenen  Berlock;  und  in  dem- 
selben Kirchspiele  1872  einen  6  Zoll  hohen  Becher  aus  weissem  Glase. 

Da  übrigens  Gotland  in  antiquarischer  Hinsicht  ein  selbständiges  Ganze 
bildet,  weswegen  auch  die  Funde  von  dieser  Insel  im  Stockholmer  Museum 
für  sich  allein  geordnet  sind,  so  lassen  wir  die  gotländischen  Funde  bei  unsrer 
Betrachtung  am  zweckmässigsten  ganz  bei  Seite  und  es  bleiben  übrig  für 
Schweden,  Schonen  und  Oeland  im  Ganzen  25  Funde  von  römischen  Gegen- 
ständen. 

In  der  Beschreibung  des  Moorfundes  von  Nydam  zählt  Prof.  Engelhardt 
ungefähr  80  römische  Funde  aus  verschiedeneu  dänischen  Gegenden  auf. 
Von  diesen  sind,  wie  schon  oben  bemerkt,  22  Münzfunde;  so  dass  demnach 
ungefähr  58  Funde  von  andern  Gegenständen  vorhanden  sind,  die  zum  gröss- 
ten  Theil  auf  Seeland  entdeckt  wurden. 2) 

Nach  dieser  Zusammenstellung  nun,  die  am  einfachsten  den  relativen 
numerischen  Verhalt  zwischen  den  in  Dänemark,  Schweden  und  Norwegen 
bis  dahin  aufgefundenen  römischen  Industrie-  und  Kunstgegenständen  nach- 
weisen wird,  gehe  ich  dazu  über  ein  möglichst  vollständiges  beschreibendes 
Verzeichnis«  von  den  in  Norwegen  aufgefundenen,  zu  allgemeiner  Kenntniss 
gekommenen  Alterthümern  der  hier  in  Betracht  kommenden  Gattung  zu  geben, 
und  beginne  mit  den  römischen  Glasgefässen,  diesen  zerbrechlichen  Kunst- 
produkten, die,  weil  sie  einen  längeren  Weg  zu  uns  hatten  als  nach  Däne- 
mark und  Schweden,  selbstwerständlich  auch  bei  weitem  weniger  Aussicht 
hatten  in  die  Nähe  Norwegens  zu  kommen;  und  die  im  Norden  ohne  Zweifel 
grosse  Kostbarkeiten  sein  mussten,  da  bekanntlich  noch  zu  Plinius  Zeiten  in 
Rom  das  Glas  in  höherem  Preise  stand  als  Gold  und  Silber,  ungeachtet  Glas- 
fabriken dazumal  bereits  in  Spanien  und  Gallien  eingerichtet  wai-eu  und  in 
Rom  bereits  seit  Kaiser  Tiberius  betrieben  wurden. 

Dass  die  römischen  Fabrikate  nach  Norwegen  den  längsten  Weg  zu 
nehmen  hatten,  ergibt  sich  daraus,  dass  sie  aller  Wahrscheinlichkeit  nach  durch 
den  Zwischenhandel  über  Norddeutschland  in  den  Norden  hinaufkamen.  Denn 
wenn  die  römischen  Artikel  von  dem  durch  die  Römer  eroberten  und  civili- 
sirten  Britannien  gekommen  wären,  so  würden  ohne  Zweifel  römische  xNlünzen 


')  Den  äldre  Jernalderii  i  Norrland,  in  antiq.  Tidskrit't  för  Sverige,  Andra  Deleu,   Stock- 
holm 1869,  pag.  222— 332. 

■'*)  C.  Engelhardt,  Aarböger  f.  1871,  pag.  i-lO. 


252  A-  Lorange: 

ebenso  zahlreich  an  den  Küsten  von  Norwegen  gefunden  werden  wie  an 
Schwedens  Südküste  und  auf  den  dänischen  Inseln.  Auch  geben  die  nor- 
wegischen Alterthümer  durchaus  keinen  Grund  zu  der  Annahme  einer  Ver- 
bindung zwischen  Britannien  und  Norwegen  vor  Mitte  des  V.  Jahrhunderts, 
als  die  Herrschaft  der  Römer  über  Britannien  bereits  erloschen  war  und  Angel- 
sachsen sich  im  Lande  festgesetzt  hatten. 

Wenn  aber  auch  die  Handelsverbindungen  des  Nordens  mit  dem  Welt- 
reiche über  Norddeutschland  gingen  und  der  römische  Cultureinfluss  durch 
den  Handel  in  der  Richtung  von  Süd  nach  Nord  nach  dem  Norden  ge- 
langte, ist  damit  auch  im  allergeringsten  bewiesen  oder  nur  wahrscheinlich 
gemacht,  dass  die  Einwanderung  des  ersten  Eisen  verwendenden  Volkes  in 
den  Norden  genau  denselben  Weg  ging,  oder,  dass  das  erste  eisennützende 
Volk  gleichzeitig  mit  den  ältesten  dieser  römischen  Fabrikate  in  den  Norden 
einzog?     Davon  werden  wir  uns  später  zu  unterhalten  haben. 

I.  Amt  Smaalenene.  Süd-Langsäter,  Kirchspiel  Thrygstad: 
ein  grosser  Becher  aus  grünlichem  Glase,  von  der  Form  eines  '  umge- 
stürzten Kegels.  Unterhalb  der  Mündung  sitzt  ein  breites  Band  von 
aufgelegten  Glasfäden.  Die  Seiten  sind  ausserdem  mit  langgehenden 
etwas  dickeren,  aufgelegten  Fäden  verziert,  die  ein  wenig  oberhalb  des 
halbkugelförmigen  Gefässbodens  auslaufen.  Der  Becher  wurde  1708  in 
einem  Grabhügel  neben  einem  kSkelet  gefunden,  kam  dann  in  die  Alter- 
thumssammlung  zu  Kopenhagen  und  ist  abgebildet  bei  Worsaae,  Nord. 
Oldsager  Nr.  312.  Im  Grabe  sollen  ferner  ein  kleiner  schlichter  Gold- 
reif, einige  Perlen  von  abgebranntem  Thon,  ein  Stück  von  einer  Bronzefibula, 
(auch  ein  Stück  von  einem  Eisenschwert?)  vorgefunden  sein.  Vgl.  Antiq. 
Tidskrift  for  1843—45,  pag.  114;  Norske  Fornlevn.  pag.  8  und  pag.  716; 
Boye,  Oplys.  Fortegn.  51.  —  Der  Glasbecher  ist  ausserdem  abgebildet  Aars- 
beretn.  for  1857,  PI.  II,  fig.  9.  — 

II.  Amt  Akershus.  Fröhou,  Kirchspiel  Naes:  geschmolzene  Stücke 
eines  Glasgefässes,  gefunden  1865  in  einem  mit  verbrannten  Gebeinen  ge- 
fällten Messingkessel;  obenauf  lag  ein  zusammengebogenes  zweischneidiges 
Schwert  und  einige  Verzierungen,  darunter  auch  eine  menschliche  Figur  aus 
Bronze  mit  drei  runenähnlichen  Zeichen  am  Unterleibe,  abgebildet  bei  Prof. 
G.  Stephens,  Old-Northern  runic  Monuments  Vol.  I,  pag.  250.  Ausser- 
dem fand  man  zwei  absichtlich  zerstörte  Wurfspeerspitzen,  eine  Lanzen- 
spitze, einen  Schildbuckel  und  ein  Messer.  Der  Fund  wnrde  aufgepflügt, 
wahrscheinlich  aus  einem  unvollständig  planirten  Grabhügel.  Vgl.  Norske 
Fornlevn.   pag.  740. 

Hedemarken.  In  diesem  Amte  sind,  soviel  man  weiss,  keine  Glasgefässe 
aufgefunden. 

III.  Amt  Kristian.  Söndre  Kjörstad,  Pfarrbez.  Süd-Frons:  Schale 
oder  richtiger  Tasse  von  Glas,  durchsichtig  bei  etwas  grünlichem  Schimmer,  2|Zoll 
hoch  und  4  Zoll  weit,  mit  einem  erhöhten  Streifen  gleich  unterhalb  der  Kante  und 


üeber  römische  Cultur  in  Norwegen.  253 

ebensolchen,  die  am  Boden  zusammentrefPen  und  ungefähr  bis  zur  Mitte  des 
Glases  reichen;  abgeb.  Aarsberetn.  for  1867,  PI,  I,  Fig.  1».  Das  Glas  wurde 
neben  einem  Skelet  ')  in  einer  aus  grossen  Steinl)lücken  errichteten  Grab- 
kammer gefunden,  daneben  noch  ein  vortreffliches  römisches  Bronzegef'äss, 
einige  Thonurnen,  drei  Holzeimer  mit  Bronzebeschlag,  drei  Fingerringe  von 
Gold  (wovon  einer  mit  einem  eingefassten  ovalen  Glasfluss  verziert  ist),  eine 
grosse  mit  gepressten  Goldblättchen  belegte  Fibula,  eine  kleinere  von  Silber, 
eine  desgleichen  von  Bronze,  ein  kleines  Futteral  oder  eine  Toilettedose  von 
Bronze  und  verschiedene  Kleinigkeiten,  auch  eine  Scheere  und  zwei  schwert- 
förmige zweischneidige  Geräthe  aus  Eisen').  Der  Fund  ist  beschrieben  und 
theilweise  abgebildet  Aarsberetn.  for  1867,  pag.  53  ff.,  PI.  I. 

IV.  Vöyen,  Pfarrbezirk  Gran:  Stücke  eines  geschmolzenen  Glas- 
gefässes  von  grünlich- weisser  Farbe,  angeblich  1868  gefunden.  Sie  lagen  in 
einem  mit  der  Spitze  nach  unten  gerichteten  Schildbuckel,  der  in  einem 
runden,  aus  zusammengetragenen  Steinen  errichteten  Grabhügel  gefunden 
wurde  und  der  ausserdem  einen  silbernen  Beschlag  zu  einem  Schwertgriffe, 
verschiedenen  Bronzebeschlag  zu  der  Scheide,  Riemenbesatz  und  eine  Bronze- 
spange enthielt.  Ein  zweischneidiges  Schwert  von  ?ä^  Zoll  Länge,  eine 
Lanzenspitze,  eine  Speerspitze  und  zwei  Messer  lagen  zur  Seite  des  Schild- 
buckels nebst  einem  schwertähnlichen  Gegenstände  von  12^  Zoll  Länge  und 
von  derselben  Art,  wie  in  dem  Grabhügel  von  Kjörstad.  Der  Fund  ist  be- 
schrieben und  zum  Theil  abgebildet  Aarsberetn.  for  1869,  pag.  77  ff. 

V.  Ringsaker,  Pfarrbezirk  Nordre-Aurdal:  Glasbecher  von  heller, 
grünlicher  Farbe  mit  dicker  Kante  und  verziert  mit  zwei,  ungefähr  |  Zoll 
unterhalb  der  Mündung  rundlaufenden,  erhöhten  Linien  von  weissen  Glas- 
filden.  Um  den  Boden  befindet  sich  ein  sternartiges  Ornament  aus  ähnlichen 
weissen  Glasfäden,  die  in  Spitzen  zusammenlaufen.  Der  Becher  hat  einen 
niedrigen  Fuss  und  die  Eigenthümlichkeit,  dass  er  an  der  2^  Zoll  weiten 
Mündung  und  etwas  unterhalb  derselben  enger  wird.  Er  wurde  in  einem  aus 
Steinen  errichteten,  angeblich  eine  kleine  runde  Grabkammer  enthaltenden 
Grabhügel  gefunden,  in  welchem  sich  ausserdem  ein  bandförmiger  Goldfinger- 
reif,  eine  oder  zwei  Speerspitzen  und  ein  mehrere  Zoll  langes  ellipsenför- 
miges vergoldetes  Stück  aus  getriebenem  Silber  vorfand,  das  als  Zierrat  auf 
einen  oder  den  andern,  jetzt  aus  dem  Funde  verschwundenen  Gegenstand 
aufgelegt  war. 

VL  Amt  Buskerud.  Saetrang,  Kirchspiel  Norder  ho  v:  ein  hell- 
grüner Glasbecher  mit  eingeschliffenen  Ovalen  und  abgerundetem  Boden,  ge- 
funden 1834  in  der  nördlichen  Holzkammer  des  bekannten  Saetranghügels, 
nebst   5  Holzeimern    mit  Bronzebeschlag,    4  Thongefässen    und   einer  kleinen 


1)  Angeblich  auf  der  Brust  des  Skelet>. 

2)  Aarsberptn.  for   18G9,  PI.  1,  Fig.  9. 


'254  A-  Lorange: 

Holzschale.  Der  Fund  ist  beschrieben  von  Prof.  Keyser,  Annal.  f.  uord. 
Oldkyud.     KS3(),  37,  pa^.  150  ff.,  wo  auch  der  Becher  abgebildet  ist. 

VIT.  Solberg,  Kirchspiel  Eker:  Bruchstücke  einer  Glasschale,  wahr- 
scheinlich einer  der  merkwürdigsten  Anticaglien,  die  bis  jetzt  in  Norwegen 
zu  Tage  gekommen  sind.  Die  Schale  wurde,  weil  nur  so  wenig  Bruchstücke 
von  ihr  erhalten  sind,  bis  jetzt  nicht  abgebildet;  aber  diese  Reste  sind  doch 
hinlänglich  gross,  um  den  Beschauer  in  Verwunderung  zu  setzen.  Während 
nemlich  sämmtliche  antike  Glasgefässe  des  westlichen  und  nördlichen  Europas 
—  mit  vielleicht  ganz  geringen  Ausnahmen  i)  —  einfarbig  sind,  war  dieses 
Gefäss  aus  dunkelblauem  Glase  angefertigt  und  mit  erhöhten  menschlichen 
Figuren  aus  weissem  Glase  und  von  ausgezeichneter,  römischer  Arbeit  ge- 
ziert; in  ähnlicher  Weise  wie  die  berühmte  Barbarini-  oder  Portlandvase,  die 
im  XVI.  Jahrhundert  in  einem  Marmorsarkophag  in  der  Nähe  von  Rom 
(Grab  des  Alexander  Severus)  gefunden  wurde,  jetzt  im  British  Museum  auf- 
bewahrt wird  und  eine  der  schönsten  Glasarbeiten  sein  soll,  die  aus  den 
besten  Zeiten  der  antiken  Kunst  uns  erhalten  blieb.  Die  ursprüngliche  Form 
der  Schale  von  Solberg  lässt  sich  leider  nicht  mehr  bestimmen;  sehr  möglich, 
dass  sie  ebenfalls  einen  Fuss  hatte,  d.  h.  eine  Vase  bildete.  Um  die  Kante 
herum  hatte  sie  einen  in  barbarischem  Stile  gearbeiteten  Beschlag  von  dünnem, 
getriebenem  Golde. 

VIII.  Amt  Jarlsberg  und  Laurvig.  Stokke,  Langlo:  Glasbecher 
aus  dünnem,  grünem  Glase,  10  Zoll  hoch,  4|^  Zoll  weit  oberhalb  der  Mündung 
und  ungeführ  1^  Zoll  über  dem  Fussstück,  das  aus  einer  kleinen,  dicken 
Platte  gebildet  wird.  Die  Form  des  Glasbechers  ist  gleichfalls  die  eines 
umgestürzten  Kegels.  Um  die  Mündung  liegt  ein  stärkerer  Wulst  und  unter 
diesem  noch  11  Reifen  aus  Glasdraht.  Vom  Fussstück  aufwärts  bis  gegen 
diese  Querstreifen  sind  die  Seiten  mit  aufgelegten  Glassfäden  verziert.  So- 
wohl zwischen  den  letzteren,  wie  zwischen  den  Querstreifen  finden  sich  fein 
gebohrte  Löcher,  um  mittels  Nieten  den  Beschlag  und  Zierrat  zu  befestigen. 
(Vgl.  den  Becher  von  Vatshus,  No.  XVI.)  Dieser  schöne  grosse  Glasbecher 
wurde  1872  in  einem  für  Norwegen  höchst  ungewöhnlichen  Grabe  entdeckt. 
Unter  einem  runden  flachen  Steinhaufen  befand  sich  eine  18  Zoll  tiefe  Gruft 
mit  flachem  Boden;  hierin  lagen  ausser  dem  Glasbocher  noch  4  Thonurnen, 
eine  grosse  Silberfibula,  drei  kreuzförmige  Bronzespangen,  ein  kleiner  Gold- 
spiralring, zwei  Silberringe,  Bruchstücke  eines  grossen  Hängeschmucks  von 
Silber,  zwei  Silberperlen  -  von  der  Form  wie  die  Henkel  aus  Brakteaten  — , 
13  Glasperlen,  Reste  von  eisernen  Handgriffen  und  die  Randbeschläge  zu 
mindestens  2  Holzeimern.  Ueber  die  Gebeine  fehlt  es  an  Nachrichten;  aber 
aller  Wahrscheinlichkeit  nach  war  die  Leiche  uuverbrannt  beigesetzt.  Das 
Grab,  welches  eine  bis  dahin   einzig  dastehende  Mischung  norwegischer  und 


1)  Aarböger   1871,  p;ig.  444. 


üeber  römische  Cultur  in  Norwegen.  255 

dänischer  ßegräbnissweise  vom  Schlüsse  der  älteren  Eisenzeit  darbietet,  wurde 
pliinmässig  aufgegraben  und  untersucht  von  N.  Nicolayseu,  und  ist  näher 
beschrieben  Aarsberetu.  for  1872,  pag.  108  ff.  Das  Glas  hat  mit  dem  unter 
No.  I  beschriebenen  die  grösste  Aehnlichkeit. 

IX.  Amt  Nedenaes.  Glamsland,  Pfarrbez.  Vestre-Moland:  ein- 
farbiger Becher  aus  grünlichem  Glase,  5  Zoll  hoch  und  '^  Zoll  im  Durch- 
messer, mit  zwei  erhöhten  Streifen  um  die  Mündung;  unmittelbar  unter  diesen 
und  abwärts  bis  zum  Boden  laufen  tief  eingeschnittene  Rillen.  Er  wurde 
185H  in  der  grossen  Grabkammer  eines  Hügelgrabes  nebst  einigen  verrosteten 
Eisensachen,  einigen  Thongefässeu,  Glas-  und  Bernsteinperlen  gefunden.  Vgl. 
Norske  Fornlovn.  pag.  247. 

X.  Amt  Lister  und  Mandal.  Lundegard,  Kirchspiel  Van se:  Glas- 
urne mit  eiugcschliffenen  Ovalen;  unter  dem  spitzen  Fussende  abgeschliffen- 
gefunden  1743  in  einem  Grabhügel,  auf  dem  zwei  Bautasteine  standen.  Im 
Hügel  war  eine  4  Ellen  lange  Grabstube,  in  deren  nordwestlicher  Ecke  das 
4  Zoll  hohe,  1  Zoll  am  Fussende  und  4  Zoll  über  der  Mündung  messende, 
mit  schwarzer  Erde  angefüllte  Glasgeföss  lag.  In  jeder  der  anderen  Ecken 
der  Kammer  stand  eine  mit  Henkeln  versehene  Thouurne,  ausser  denen  noch 
Perlen  von  Glas  und  Bernstein,  zwei  Ringe,  eine  kupferne  Kugel,  eine  kleine 
runde  Goldplatte  und  Anderes  gefunden  wurde.  Vgl.  Aarsberetn.  for  ISHO, 
pag.  ()4  und  65. 

XI.  Amt  Stavanger.  Jaederen:  Trinkhorn  aus  grünlichem  Glase 
mit  Zierraten  von  aufgelegtem  Glasdraht  und  Band,  ursprünglich  ungefähr 
einen  Fuss  laug;  gefunden  1844  in  einer  grossen  Grabkammer  nebst  einer 
mit  verbrannten  Gebeinen  gefüllten  Thonurne,  die,  wie  Verzierung  und  Form 
erkennen  lassen,  nach  einem  Glasgefässe  gearbeitet  wurde.  Der  in  einem 
Grabhügel  bei  Hove-Kirke  im  Kirchspiel  Vik,  Amt  Nordre-Bergenhus,  ge- 
fundene Glasbecher  (No.  XVIII)  könnte  füglich  das  Modell  abgegeben  haben  ^). 

Das  Trinkhorn,  abgebildet  Urda  III,  PI.  I,  Fig.  1,  ist  bis  jetzt  ohne 
Seitenstück  in  Norwegen  und  Schweden-).  In  Dänemark  kennt  man  dagegen 
zwei:  das  eine  aus  einem  Grusgrabe  bei  Slangerup,  Hjörlunde,  Seeland,  von 
8  Zoll  Höhe;  das  andere  aus  dem  grossen  Funde  von  Himlingöie,  Amt  Praestö, 
abgeb.  bei  Worsaae,  N.  0.  No.  320,  und  beschrieben  von  Eugelhardt, 
Trouvailles  danoises,  der  geneigt  ist,  beide  dänische  Trinkhörner  wegen  ihrer 
iohen  Ausführung  und  eigenthümlichen  Form  für  barbarischen  Ursprungs  zu 
halten  (Aarböger  1871,  pag.  445),  obgleich  unter  den  reichen  römischen  Funden 
aus  Ileddernheim,  die  jetzt  im  Museum  zu  Wiesbaden  sich  betinden,  doch 
mehrere  Exemplare  von  ganz  ähnlichen  Triukhörnern  enthalten  sind. 


>)  Urda  II,  PI.  II,  Fig.  13. 

^  INach  gef.  Privatiiiittbeiluns;  des  TTerrn  Verfassers  wurde  indessen  kür^licb  in  Nor- 
wegen ein  zweites,  gut  erhaltenes  gläsernes  Trinkhorn  in  einem  Grabhügel  aufgefuudeu] 
Anm.  d.  Uebers. 


256  A.  Lorange: 

XII.  Ly,  Pfarrbez.  Ly:  Stücke  einer  Glasurne,  gefunden  1866  zusammen 
mit  einem  Goldbrakteateu ,  mit  Stücken  einer  Thouurne  und  eines  Schwertes 
in  einem  Hügel  mit  Grabkammer  aus  Bruchsteinen,  überdeckt  mit  Fels- 
blöcken, 6  Ellen  lang  und  '2  Ellen  hoch  und  breit.  Vgl.  Aarsberetu.  for  1866, 
pag.  81,  No.  19. 

XIII.  Hange,  Pfarrbez.  Kiep:  Glasbecher  mit  Fuss,  7^  Zoll  hoch, 
8f  Zoll  innere  Weite  an  der  Mündung;  gefunden  18()9  in  einem  Hügel  mit 
grosser  Grabkammer  aus  Felsblücken.  Der  Fussboden  der  Kammer  war  mit 
Birkenrinde  belegt;  ihre  Wände,  sowie  die  Decke  mit  Eichenplanken  be- 
kleidet. Man  fand  ausserdem:  ein  flaches  römisches  Bronzegefäss  auf  uie- 
drigem  Fuss,  verseheu  mit  drei  wie  menschliche  Köpfe  geformten  Krampen, 
von  denen  ein  gekrümmter,  in  einen  Thierkopf  mit  aufgerichteten  Ohren 
endender  Bügel  ausgeht,  worin  ein  loser  sechsseitiger  Ring  hängt;  ferner 
drei  Bronzehenkel  von  anderen  gänzlich  zerstörten  Bronzegefässen,  eine  kreuz- 
förmige Spange,  belegt  mit  gepressten  Goldplatten,  eine  Silberfibula,  drei 
Thongefässe,  sechs  Adlerklauen,  einen  dünnen,  runden  Goldschmuck,  einige 
kleine  Silbersachen,  eine  kleinere  Perle  und  einzelne  verrostete  Eisensachen. 
Nachricht,  ob  die  Leiche  verbraunt  oder  unverbrannt  beigesetzt  war,  fehlt. 
Vgl.  Aarsberetu.  for  1869,  pag.   143,  PI.  III,  Fig  19. 

XIV.  Tuv,  Pfarrbez.  Kiep:  Bruchstücke  eines  dunkelblauen  Glas- 
gefässes  mit  erhöhten  blauen  Verzierungen,  die  ein  netzförmiges  Muster  ge- 
bildet haben,  ungefähr  wie  bei  Worsaae,  N.  0.  No.  317;  gefunden  nebst 
drei  gleicharmigen  1^  Zoll  langen  Bronzespangen,  Mosaikperlen  und  Bern- 
steiuperlen,  einer  Scheere  und  mehreren  Eisensachen  Vgl.  Norske  Fornlevn. 
pag.  789. 

XV.  Thjötte,  Pfarrbez.  Kiep:  Stücke  eines  Glasbechers,  in  Grösse 
und  Form  wie  No.  XIH;  gefunden  1869  in  einem  Hügel  mit  einer  aus  Fels- 
blöcken errichteten  Grabkammer  —  zusammen  mit  zwei  Thongefässen,  einer 
Glasmosaikperle,  zwei  Messiugringen  und  einigeu  kleinen  Eisensachen.  Auch 
hier  fehlt  über  die  Art  der  Bestattung  näherer  Nachweis.  Vgl.  Aarsberetu. 
for  1869,  pag.  59,  No.  38. 

XVI.  Vatshus,  Pfarrbez.  Kiep:  gräner  Glasbecher  ohne  Fuss  mit 
Randstreifen  und  breiten  eingeschliffenen,  längs  der  Seiten  beinahe  bis  auf 
den  Boden  hinabreichenden  Hohlkehlen,  zwischen  denen  kürzere  und  schmälere 
Rinnen  sich  hinziehen.  Dieser  Becher  ist  dadurch  besonders  merkwürdig, 
dass  sowohl  um  seinen  Rand,  wie  an  den  Seiten  hinunter  sich  kleine  ein- 
gebohrte Löcher  zeigen,  die  für  die  Nägel  des  Silberbeschlages  und  Zierrates 
bestimmt  waren.  (Vgl.  No.  VIII.)  Er  wurde  1863  in  einer  grossen  Steiu- 
kammer  gefunden  nebst  einem  in  der  Scheide  steckenden  zweischneidigen 
Schwerte,  einem  ebensolchen  einschneidigen,  zwei  Speerspitzen,  einem  Messer, 
einigen  Pfeilspitzen  mit  Schaftröhren  („med  Fal"),  einem  Schleifstein,  einem 
Kamm,  einer  Broiizefil)uhi  und  sechs  vergoldeten  Knöpfen.  Ausserdem  fanden 
sich  noch  Stücke  von   zwei  sehr  grossen,   kesseiförmigen  Bronzegefässen  und 


üeber  römische  Cultur  in  Norwegen.  257 

ein  glatter  Goldreif.  Der  Boden  der  Kammer  war  mit  kleinen  Steinen 
gepflastert,  worüber  Birkenrinde  ausgebreitet  lag.  Vgl.  Norske  Fornlevn. 
pag  791. 

XVII.  Amt  Söndre  Bergenhus.  Stordöen:  ein  Glasbecher  mit  ein- 
geschlifibncu  Ovalen,  4.]  Zoll  hoch,  mit  abgerundetem  Boden;  gefunden 
1870  in  einem  Grabhügel  ohne  Kammer.  Der  Becher  scheint  in  einer 
Thouurne  niedergesetzt  gewesen  zu  sein,  von  welcher  Bruchstücke  gefunden 
wurden  nebst  Stücken  eines  Schwertes,  einer  Speerspitze,  einer  Bronze- 
fibula, geschmolzenen  Glasperlen  u.  s.  w.  Verbraunte  Gebeine  fanden  sich 
zerstreut  über  einen  Kohlenhaufen  auf  dem  Boden  des  Hügels.  Vgl.  Aars- 
beretn.  for  1870,  pag  Gl. 

XVIIL  Amt  Nordre  Bergenhus.  Hove,  Pfarrbez.  Vik:  ein  Glas- 
becher, 5^  Zoll  hoch,  3^  Zoll  weit  über  der  Mündung  und  8|  Linien  über 
dem  Bodenstücke.  Die  Farbe  ist  grün;  zwei  Ränder  sind  dicht  unter  der 
Mündung  eingeschliffen.  Die  Seiten  sind  verziert  mit  einer  Reihe  kleiner 
eingeschliffen  er  Ovale,  von  denen  einige  eingeschliffene  perpendikuläre  Linien 
zeigen.  Der  Becher  fand  sich  in  einem  Grabhügel,  der  zu  einer  Hügelgruppe 
gehörte,  in  welcher  noch  mehrere  Glasgefässe  gefunden,  leider  aber  bei  der 
fahrlässigen  Ausgrabung  zerbrochen  und  fortgeworfen  wurden.  Das  einzige 
erhaltene  ist  abgebildet  Urda  II,  PI.  I,  Fig.   13. 

XIX.  Hove,  Pfarrbez.  Vik:  Glasbecher  mit  eingeschliffenen  Ovalen, 
gefunden  im  Anfang  dieses  Jahrhunderts  in  einem  Hügel  mit  Grabkammer, 
nel)st  drei  Speerspitzen,  Pfeilen  und  anderen  Eisensachen;  Bericht  über  die 
Gebeine  fehlt.     Vgl.  Norske  Fornlevn.  pag.  479. 

XX.  Eide,  Pfarrbez.  Sei  je:  ein  Glasbecher  mit  eingeschliffenen  Ovalen, 
4^  Zoll  hoch,  3|  Zoll  weit  oberhalb  der  Mündung;  gefunden  1856  in  einer 
mit  feinem  Sande  angefüllten  Grabkammer.  Von  den  übrigen  Fundgegen- 
ständen kennt  man  nur  den  Knopf  eines  Schwertgriffes.  Vgl.  Norske  Forn- 
le[)u.  pag.  825. 

XXI.  Amt  Romsdal.  Bremsnaes,  Pfarrbez.  Kristiansund:  dicht 
neben  der  Kirchhofsmauer  ein  Glasbecher  mit  abgerundetem  Boden,  verziert 
mit  ungleich  grossen  Ovalen  und  Querstreifen.  Er  wurde  1673  gefunden, 
angefüllt  mit  verbrannten  Knochen  und  umgeben  von  einem  goldenen  Spiral- 
lu-mriuge,  beides  bedeckt  mit  einem  Bronzegefässe,  das  Ganze  zwischen  vier 
Steinen  in  einem  Steinhauten  stehend.  Die  Glasurne  wird  in  der  Kopen- 
hagener Sammlung  aufbewahit  und  ist  abgebildet  Anal.  f.  nord.  Oldk.  1844/45, 
Tab.  XII,  Fig.  108;  Aarsberetu.  for  1857,  PI.  II,  Fig.  10.  Der  Armring,  in 
derselben  Sammlung  betindlich,  ist  abgebildet  bei  VVorsaae,  N.  0.  No.  380. 

XXli.  Amt  Söndre  Throndhjem.  Ven,  Pfarrbez.  Melhus:  Becher 
aus  bräunlichem  Glase,  unten  abgerundet  und  ohne  Fuss,  beinahe  5  Zoll 
hoch,  3  Zoll  weit  über  der  Mündung,  mit  vier  horizontalen  Reihen  von 
eingeschUffenen  kleineu  Ovalen,  unter  welchen  ein  einzelnes  sich  befindet; 
längs   der  Kante  zwei  eingeschhffene  Hohlkehlen.     Er  wurde   1865  gefunden 

Zeitschrift  für  Ktliiiologic,  .lalirgaiiij  1875.  ^«j 


258  ^-  Lorange: 

in  der  Steinkammer  eines  Grabhügels  zusammen  mit  einem  Thongefässe, 
einem  Fingerringe  von  Gold,  einer  Speerspitze  und  Lanze,  einem  Schildbuckel 
und  einem  in  der  mit  Bronze  beschlagenen  Scheide  niedergelegten,  zwei- 
schneidigen Schwerte.  Ausserdem  fand  man  noch  andere  Beschlagstücke  aus 
Bronze.  Vgl.  den  Katalog  der  Alterthümer  der  Kgl.  Ges.  d.  Wissenschaften 
zu  Drontheim,  No.  36.^—379. 

XXIII.  Amt  Nordre  Throndhjem.  Vist,  Pfarrbez.  Verdalen:  ein 
Glasgefäss,  gefunden  1810  in  eiuem  Grabhügel  zusammen  mit  einem  Thon- 
gefass,  einer  Speerspitze  und  einigen  Nietnägeln.  Ueber  die  Gebeine  sind 
keine  Nachrichten  vorhanden.     Vgl.  Norske  Fornlevn.  pag.  638. 

XXIV.  Halleim,  Pfarrbez.  Verdalen:  ein  Glasbecher  in  Bruchstücken, 
Form  und  Grösse  wie  Worsaae,  N.  0.  No.  318,  mit  zwei  Rändern  längs 
der  Kante  und  eingeschliffenen  Ovalen;  gefunden  1870  in  einem  Grabhügel, 
oben  in  einer  Thonurne  liegend,  zusammen  mit  einem  Messer,  einem  weber- 
scliiffförmigen  Wetzstein,  einem  Schildbuckel,  einer  Bügelspange  von  Bronze, 
zwei  Pfeilspitzen  und  etwas  Beschlag  von  Silber  und  Bronze.  Vgl.  Aarsberetn. 
for  1870,  pag.  16. 

Endlich  hat  man  in  norwegischen  Grabhügeln  noch  drei  merkwürdige 
Thongefässe  gefunden,  in  welche  kleine  Bruchstücke  von  durchsichtigem 
Glase  eingesetzt  waren  —  ein  unzweifelhafter  Beweis  für  die  Seltenheit  des 
Stoffs  und  für  den  hohen  Werth,  den  man  damals  dem  Glase  beilegte. 

Eine  in  dem  Jahresberichte  für  1^70,  PI.  II,  Fig.  12  abgebildete  Urne 
zeigt  mitten  im  Boden  eingesetzt  ein  gereiftes,  ungefähr  einen  Quadratzoll 
grosses  Stück  von  grünlichem  Glase.  Sie  wurde  gefunden  in  einem  Grab- 
hügel bei  Skagestad,  Pfarrbez.  Holme,  Amt  Lister  und  Mandal. 

Eine  andere  mit  11  eingesetzten  Glasstückchen  gezierte  Urne,  die  1865 
in  einer  6  Fuss  langen,  4  Fuss  breiten  und  2  Fuss  hohen  Steinkammer  eines 
runden  Grabhügels  beiVemestad  in  Lyngdal  gefunden  wurde,  ist  abgebildet 
Aarsberetn.  for  1871,  PI.  II,  Fig.  7.  In  der  Kammer  fand  sich  nur  noch 
eine  Graburne,  die  wie  die  erstere  mit  verbrannten  Gebeinen  angefüllt  war. 
Vgl.  Aarsberetn.  for  1871,  pag.  96. 

Die  dritte  auf  diese  Weise  verzierte,  in  Norwegen  gefundene  Thonurne 
befindet  sich  im  Kopenhagener  Museum.  Sie  ist  nur  klein,  beinahe  schwarz 
und  enthält  im  Boden  ein  kleines  Stückchen  dunkelgrünen  Glases. 

Eine  in  England  gefundene  geriffelte  Urne,  die  ebenfalls  mit  einem  in 
den  Boden  eingesetzten  Glasstückchen  versehen  ist,  ist  abgebildet  bei  Roach 
Smith  Collect,  antiqua  Vol.  IV,  pag.  159,  woselbst  eine  ähnliche  Urne  aus 
dem  Lüneburgschen  erwähnt  wird  ^). 


')  [Diese  von  Roach  Hmith  erwühnte  Urne  ist  ohne  Zweifel  die  im  Jahre  1842  in  der  Nähe 
von  Stade  aus}ref(rabeiie,  mit  verbrannten  Knochen  gefüllte  Urne,  welche  im  Archiv  des  histor. 
Vereins  für  Niedersachsen,  N.  F.  Jahrgang  1846,  pag.  381  abgebildet  ist.  Vgl.  auch  Mecklenb, 
Jahrb.  XVI 1,  pag.  37-.\  Sie  gehört  dem  IV.  Jahrhundert  an.  Ein  Glasstückchen  sitzt  im 
Boden,  drei  Stückchen  ira  untern  Theil  des  Kusses,    von  denen  zwei   ein  rautenförmiges  Muster 


üeber  romische  Cultur  in  Norwegen.  259 

Ganz  abgesehen  von  diesen  eigenthümlichen  Thongefässen,  haben  wir 
also  sichere  Kenntniss  von  mehr  als  24  norwegischen  älteren  Eiseuzeit- 
funden'),  welche  verschiedene  Glasgefüsse  enthielten,  die  zum  grössten  Theil 
dieselben  Formen,  dieselben  Ornamente,  dieselbe  Farbe  und  Art  der  Arbeit 
zeigen,  wie  die  in  dänischer  und  schwedischer  Erde  gefundenen  Glasgefässe, 
und  dalier  das  Zeugniss  für  eine  und  dieselbe  Herkunft  gleichsam  in  sich 
selber  tragen.  In  Dänemark  —  das,  wie  oben  bemerkt,  so  besonders  reich 
sein  sollte  an  römischen  Gefässen  —  kannte  man  bis  1871  nur  23  ähnliche 
Glassachen  enthaltende  Funde.  Vgl.  Aarböger  1871,  pag.  445  ff.  Aber  in 
den  schwedischen  Museen  werden  in  Allem  nicht  zehn  ähnliche  Gefässe  vom 

o 

Festlaude   und  von  Schonen  angetroifen.      Vgl.  Manadsblad   1872,  pag,  38. 

Ausser  solchen  Glasgefässen  sollten  nun  vorzugsweise  römische  Bronze- 
gefässe  von  verschiedener  Form  und  Grösse  in  Dänemark  während  der  älteren 
Eisenzeit  vorkommen.  Ich  beklage  es,  dass  ich  nicht  ganz  genau  anzugeben 
vermag,  wie  viele  solcher  Alterthümer  man  gegenwärtig  in  Danemai'k  kennt. 
Aber  in  seinem  Verzeichnisse  über  „Funde  der  älteren  Eisenzeit  in  Däne- 
mark" (Moorfund  von  Nydam,  pag.  48  ff.)  erklärt  Prof.  Engelhardt,  dass 
unter  186  bis  zum  Jahre  1865  bekannt  gewordenen  Funden  es  nur  etwa  29 
seien,  in  denen  keine  mehr  oder  weniger  sicher  römische  Gegenstände  vor- 
kämen. In  52  Funden  waren  Bronzegefässe  von  möglicherweise  römischer 
Abkunft  enthalten;  doch  kamen  in  mehreren  Funden  ovale  Bronzegefässe  vor, 
so  dass  z.  B  allein  von  römischen  Casserolen  und  Sieben  im  Jahre  1870 
gegen  28  Exemplare  im  Kopenhagener  Museum  vorhanden  waren  2). 

In  Betreff  Schwedens  verzeichnet  Dr.  Wiberg  in  seiner  Fundstatistik 
vom  Jahre  1868  an  römischen  Bronzegefässen:  für  Oland  einen  sichern  Fund, 
bestehend  in  einem  Bronzehandgriff,  der  in  einen  schönen  Bachuskopf  mit 
silbernen  Augen  endet.  Dazu  kommt  noch  ein  im  Jahre  1836  im  Kirchspiel 
Ruusten  gefundenes  Frauenkopf- Profil,  das  zu  einem  grossen  Brouzegefiisse 
gehörte.     Für   das   schwedische   Festland    7  Funde:     1)  eine  Brouzeurne   aus 


mit    abwechselnd    hellgrüner   und    brauner  Farbe   zeigen.     Die  Urne  ist  jetzt  in   Lüneburg  in 
Privatbesitz  befindlich. 

Neiiertiings  wurde  in  Schweden  in  einem  Grabhügel  bei  Greby,  im  nördlichen  Bohuslän, 
ebenfalls  eine  Urne  gefunden,  in  deren  Boden  ein  kleines  Stückchen  von  weissem,  durchsich- 
tigem Glase  eingesetzt  ist.  Glasperlen,  rothe,  blaue  und  weisse,  und  Beinkämme,  die  häufig  in 
benachbarten  Urnen  vorkommen,  deuten  vielleicht  auf  das  111. — IV.  Jahrhundert.  Vergl. 
Manadsblad,  October  1873.]     Anm.  d.  Uebers. 

')  Im  Funde  von  Borre  (Aarsheretn.  for  1852),  der  dem  Jüngern  Eisenalter  angehört, 
wurde  ein  in  Norwegen,  Schweden  und  Dänemark  bis  jetzt  einzig  dastehender  dunkelblauer 
Glasbecher,  mit  von  allen  Seiten  hervorragenden  kleinen  Hörnern,  gefunden,  abgeb.  Aarsberetn. 
for  1857,  PI.  III.  Vgl.  auch  Akermau,  Remains  PI.  II;  R.  Smith,  Inventor.  sepulcrale, 
lutrod.  XIV  imd  PI.  18,  Fig.  2;  Cochet,  Normandie  souter.  PI.  10,  Fig.  1,  und  Linden- 
schmit,  Todtenlager  bei  Selzea,  pag.  6. 

*)  Extrait  des  Meuioires  de  la  Societe  R.  des  Antiquaires  du  Nord,  pag.  270:  ,et  circon- 
stance  reniarquable  on  en  rencontre  dans  presque  toutes  les  grandes  trouvailles  romaines  des 
provinces  l)altiques.'' 

18* 


260  ^'  Lorange: 

Smalaud;  )  eine  ebensolche  mit  zwei  Oehren  in  der  Form  von  Köpfen  aus 
Waksala;  3)  die  berühmte  Apollovase  aus  ^'estmanland;  4)  eine  Kupfer- 
schale mit  zwei  kleinen  Henkeln  und  5)  Stücke  einer  ebensolchen,  gefunden 
zu  Christianstad;  6)  Handgriff  und  Füsschen  zu  einem  Bronzegefässe,  gefunden 
in  Bohnslän,  und  7)  ein  römisches  Bronze-Casserol,  gefunden  in  Helsingland, 
bis  dahin  das  einzige  seiner  Art  in  Schweden. 

Dazu  kommen  dann  noch  8)  das  von  Dr.  Hildebrand  in  seiner  Ab- 
handlung über  die  ältere  Eisenzeit  in  Nordland,  pag.  51  beschriebene,  im 
Jahre  1810  in  einem  Grabhügel  in  Medelpad  gefundene  Bronzegefäss ;  9)  eine 
zweifelhafte  Bronzeschale  aus  einem  Grabhügel  in  Helsingeland  (a.  a.  0. 
pag.  62)  und  endlich  10)  eine  im  Jahre  1708  in  einem  Grabhügel  in  Uppland 
gefundene  Bronzeurne,  die  im  Stockholmer  Museum  aufbewahrt  wird. 

Im  Ganzen  sind  demnach  in  Schweden  12  römische  Bronzegefässe  ge- 
funden, ohne  Gotland  mitzurechnen'). 

Ich  werde  nun  versuchen  in  älmlicher  Weise,  wie  bei  den  Glasgefässen, 
das  Verhältniss  zwischen  den  in  Norwegen  und  den  in  Schweden  und  Däne- 
mark gefundenen  römischen  Bronzegefässen  näher  zu  erörtern  und  gebe  hier, 
so  weit  es  möglich,  ein  vollständiges  Verzeichniss  dieser  letzteren,  wie  sie 
aus  norwegischen  Gräbern  der  älteren  Eisenzeit  zu  Tage  gekommen  sind. 

I.  und  H.  Amt  Smaalelene.  Löken,  Pfarrbez.  Raade:  ein  unver- 
sehrtes und  ein  zerbrochenes  Bronzesieb,  im  Jahre  1811  in  der  6  Ellen  lan- 
gen, aus  Felsblöcken  errichteten  Steinkammer  eines  Grabhügels  gefunden,  die 
mit  Sand  angefüllt  war  und  an  sonstigen  Alterthümern  enthielt:  zwei  Bronze- 
benkel,  zu  einem  Holzeimer  gehörend,  zwei  Trinkhornbeschläge  von  Bronze 
(sehr  selten  in  Norwegen),  eine  Goldstange,  einen  Silberknopf,  ein  Glied  von 
einer  goldenen  Kette  und  das  schöne,  bei  Worsaae,  N.  0.  No.  378  abgebildete 
Goldberlok^).     Vgl.  Norske  Fornlevn.  pag.  22  und  pag.  837. 

III.  Kirchhof  von  Berg:  ein  Casserol  von  Silber  2)  (versilbert  oder  ver- 
zinnt?), worin  ein  Spiraltingerring  von  Gold  lag;  gefunden  im  Jahre  1847 
beim  Aufwerfen  eines  neuen  Grabes.  Der  Fund  wurde  eingeschmolzen.  Vgl. 
Aarsberetn.  for  1866,  pag.  72. 

IV.  Östby,  im  Pfarrbez.  Rakkestad:  ein  rundes  Bronzegefäss  mit 
kleinem,  niedrigem  Fusse.  Der  Boden  ist  beinahe  horizontal  und  die  Seiten 
sind  nur  wenig  nach  aussen  gebogen.  Gefunden  1866,  mit  verbrannten  Ge- 
beinen angefüllt  und  in  Birkenrinde  eingehüllt,  in  der  kleinen  vierseitigen 
Grabkammer  eines  runden  Grabhügels.     Zwischen   den   verbrannten  Knochen 

')  Nach  Wiberg  wurde  auf  Gotland  ein  Bronzecasserol  gefunden,  und  nach  Antiq.  Tidskr. 
f.  Sverige,  II.  pag.  77  .seitdem  noch  ein  zweites.  Ausserdem  noch  im  Jahre  1871  ein  römisches 
Bronzegefäss  und  ein  Bronzetellerchen. 

'■')  Das  dritte  im  Amte  .Smualeneue  gefundene  Berlock,  von  denen  zwei  in  meiner  Sammlung 
(zu  Frederikshald)  enthalten  sind. 

=»)  Casserole  von  Silber  wurden  u.  a.  in  Mecklenburg  gefunden;  vgl.  Mecklenb.  Jahrb.  111, 
pag.  52  — 57;  V,  Anhang  Tab.  I. 


lieber  römische  Cultur  in  Norwegen.  261 

fanden  sich  Reste  eines  halbkreisförmigen  Knochenkammes  und  anderer  ge- 
schnitzter Knochen.  Vgl.  Aarsberetn.  for  1866,  pag.  56;  Aarböger  1869, 
pag.   159;  L  indenschmit,  German.  Todtenlager  bei  Selzon,  pag.  15. 

V.  Amt  Akershus.  Vestre  Holstad,  Kirchspiel  Aas:  ein  grosses 
kesselförmiges ,  dünnr^s  Bronzegefäss  mit  nach  aussen  umgebogenem  Rande 
und  drei  hakenförmigen  Ansätzen.  Diese  Krampen  (Kroge)  gehen  aus  von 
versilberten  (oder  verzinnten)  dreieckigen  Beschlägen,  die  sich  als  etwa  ^  Zoll 
breite  Bänder  an  den  Seiten  des  Gefässes  hinziehen,  zwischen  getriebene 
Falze  eingelegt  und  ebenso  wie  der  oberste  Theil  des  Beschlages  mit  Niet- 
nägeln befestigt  sind,  deren  hohe,  halbkugelige  Köpfe  im  Innern  des  Gefässes 
liegen.  An  Stelle  des  fehlenden  Fussstückes  ist  der  Boden  in  Form  eines 
umgewendeten  Tellers  ausgetrieben  und  hat  in  der  Mitte  ein  Nagelloch. 

Obgleich  dies  Gefäss  nicht  zu  den  gewöhnlichen  römischen  gehört,  so 
beweist  doch  die  Art  der  Arbeit  dessen  fremde  Abkunft,  und  der  eigenthüm- 
liche  Beschlag  zeigt  zugleich,  dass  es  eine  ganz  besondere  Bestimmung  haben 
muss.  Versilberte  (oder  verzinnte)  Zierraten  sind  keineswegs  selten  an  rö- 
mischen Gefässen  (vgl.  Mecklenb.  Jahrb.  XXXV,  pag.  102;  Extrait  des  Me- 
moires  de  la  Soc.  royale  des  Antiq.  du  Nord  1870,  pag.  269;  sowie  die 
folgenden  Funde  No.  XXI  und  XXV),  obgleich  man  auch  an  inländischen 
Fabrikaten,  z  B.  an  den  schalenförmigen  Spangen  des  jüngeren  Eisenalters, 
Proben  dieser  Kunst  bemerken  kann.  Das  Gefäss  wurde  1840  in  einem 
kleinen  Grabhügel  gefunden,  zusammen  mit  einem  Gewichtstück  aus  Bronze, 
einem  Wetzstein  und  kleineren  Sachen  von  Eisen.  Vgl.  Norske  Fornlevn. 
pag.  40. 

VI.  Amt  Hedemarken.  Farmen,  Kirchspiel  Vang:  eine  Bronze- 
Urne,  abgebildet  in  halber  natürlicher  Grösse  auf  anliegender  Tafel,  gefunden 
1865  in  der  kleinen  Steinkammer  eines  runden  Grabhügels,  den  der  Besitzer 
planiren  liess.  Die  Urne  ist  von  unzweifelhaft  römischer  Arbeit  und  ge- 
gossen, obgleich  der  Boden  um  den  etwa  1  Zoll  hohen  Fuss  sehr  geschickt 
mittelst  einer  dichten  Reihe  von  kleinen  Nietnägeln,  deren  Köpfchen  wie  ein 
Perlenband  einen  vollständigen  Schmuck  des  Gefässes  bilden,  angenietet 
wurde. 

Der  Boden    und   die    untere  Hälfte   sind   stark  mit  Russ   bedeckt.     Das 
Obertheil  dagegen  ist  schön  oxydirt,  wie  mit  grünem  Email  überzogen,    und 
hier  —  ungefähr  in    der  Mitte    zwischen    der  grössten  Bauchweite  und   dem 
Halse  —  steht  in  grossen,  deutlichen  und  einzelnen  Buchstaben  eingravirt: 
APRVS  °ET    LIBERT1NVS°  CVRATOR VERANT° 

Wie  es  bei  römischen  Inschriften  gewöhnlich  der  Fall  ist,  sind  die 
Wörter  durch  ein  Zeichen  getrennt,  und  zwar  durch  kleine,  in  der  mittleren 
Höhe  der  Buchstaben  eingravirte  Kreise.  Ein  Loch  an  der  einen  Seite  der 
Urne,  das  durch  den  Druck  eines  Steines  in  der  Grabkammer  veranlasst 
wurde,  schneidet  unglücklicher  Weise  einen  Theil  der  Inschrift  weg,  die  man 
indessen  folgendermaassen  zu  ergänzen  suchte: 


262  A.  Lorange: 

CVRATORES-  POSYERVNT°. 

Uebersetzt:  „Aprus  und  Libertinus  in  ihrer  Eigenschaft  als  Tempelvorsteher 
(Curatores  sc.  templi  oder  sacrorum)  haben  aufgestellt  diese  Urne",  als  Gabe 
(aväOtiUa)  in   des  Gottes  Heihgthuni,  dem  sie  als  Curatores  dienten. 

Die  Urne  ist  demnach  ursprünglich  ein  Weihgeschenk  gewesen,  ebenso 
wie  die  berühmte  Apollovase  aus  Westmanland,  und  auch  der  Inhalt  beider 
Inschrilten  auf  diesen  heiligen  Gefässen  ist  im  Uebrigen  durchaus  analog,  nur 
dass  auf  dem  meinigen  der  Name  des  Gottes  nicht  genannt,  und  nicht  aus- 
drücklich erwähnt  wurde,  was  für  Curatoren  die  Herren  Aprus  und  Libertinus 
gewesen  sind  '). 

Jene  schwedische  Apollovase  werden  wir  weiter  unten  näher  behan- 
deln; denn  nicht  sowohl  in  Folge  der  U  eberein  Stimmung,  die  zwischen  den 
Inschriften  beider  Gefässe  und  zwischen  ihrer  ursprünglichen  Bestimmung 
besteht,  sondern  mehr  noch  wegen  der  wunderbaren  Gleichheit  ihrer  späteren 
Schicksale  werden  diese  beiden  heiligen  römischen  Gefässe  fortan  miteinander 
verbunden  bleiben.  Wie  zwei  offenbar  gleichzeitige,  doch  selbständige  und 
beinahe  gleichartige  Dokumente,  wird  eines  das  andere  ergänzen  und  beide 
werden  gegenseitig  ihre  Beweiskraft  verstärken. 

Krieg  oder  Raubzug  wird  man  als  nächste  Veranlassung  betrachten 
müssen,  um  die  Fortführung  dieser  Tempelgefässe  aus  ihrer  geheihgten  Hei- 
matstelle, sowie  ihren  späteren  Uebergang  zu  Handelswaare  erklären  zu 
können ;  denn  ohne  Zweifel  sind  sie  eben  als  solche  zu  den  Barbaren  Skandi- 
naviens gekommen,  wo  Niemand  ihre  frühere  Bedeutung  kannte  oder  ver- 
stand, wo  man  aber  sehr  wohl  diese  prächtigen,  schön  gearbeiteten  und 
seltenen  Gefässe  zu  schätzen  wusste,  die  im  Haushalte  nützlich  zu  verwenden 
w^aren.    Im  Allgemeinen  gehörten  Bronzegefässe  sicherlich  nur  in  des  Reichen 


')  Obenstehende  Auslegung  hatte  Herr  Professor  0.  Rygh  die  Güte,  mir  mitzutheilen. 

Einige  glaubten  auch  die  Inschrift  als  Grabschrift  deuten  zu  müssen:  die  Curatoren  Aprus 
und  Libertinus  haben  dies  Grabgeschenk  gestiftet,  wonach  also  die  Urne  ursprünglich  zur  Auf- 
nahme der  Asche  eines  Römers  bestimmt  gewesen  wäre.  „Aber  in  römischen  Grabschriften  ist 
jederzeit  der  Name  des  Verstorbenen  die  Hauptsache  und  fehlt  niemals,  wogegen  nur  ganz  aus- 
namsweise  der  Name  dessen  oder  derjenigen  vorkommt,  welche  Grabgeschenke  gestiftet  hnben; 
daher  auch  die  Inschrift  auf  der  Urne  als  Grabschrift  etwas  höchst  Besonderliches  sein  würde." 
(0.  Rygh.) 

In  Betreff  der  lateinischen  Sprachformen  hatte  Herr  Professor  S.  Buggc  die  Freundlich- 
keit, mir  folgende  Erklärungen  zu  geben:  , besonders  zu  beachten  ist  die  Naioensform  Aprus 
für  Aper.  Die  incorrecte  Nominativform  aprus  von  dem  Appellativ,  welches  Wildschwein  be- 
deutet, wird  bei  Probus,  Appendix  Institut,  art  3ö  als  verwerflich  bezeichnet.  Diese  Namens- 
form, ebenso  wie  der  Name  Libertinus,  spricht  dafür,  dass  die  Inschrift  keinen  eingeborenen, 
edeln  Römer  bezeichnet.  Aprus  und  Libertinus  waren  ohne  Zweifel  Provincialen ,  die  der  ge- 
meinen Volkssprache  sich  bedienten.  Die  Form  der  Buchstaben  gestattet  entschieden  nicht,  die 
Inschrift  über  die  Kaiserzeit  hinaus  zu  setzen  Ebenso  ist  die  Form  Aprus  wahrscheinlich  erst 
in  späterer  Zeit  in  Gebrauch  gekommen.  Das  Verbum  am  Schluss  würde  ergänzt  werden: 
POS  VERVNT.  Zwischen  S  und  V  scheint  indessen  möglicher  Weise  Platz  für  zwei  Buchstaben 
zu  sein,  so  dass  man  an  POSI VERVNT  denken  könnte,  wenn  diese  Form  für  die  Inschrift  nicht 
zu  alt  sein  würde. 


Ueber  römische  Cultur  in  Norwegen.  263 

Haus.  Jedenfalls  machen  diejenigen  nordischen  Gräber,  in  denen  dergleichen 
gefunden  wird,  unwillkürlich  den  Eindruck  von  Wohlhabenheit  0,  und  es 
kann  demnach  nicht  daran  gezweifelt  werden,  dass  diese  beiden  Tempelgefässe 
hier  zu  Lande  als  Gegenstände  von  grossem  Werthr  betrachtet  wurden. 

Dass  die  Vase  von  Farmen  nach  ihrer  Ankunft  in  Norwegen  als  ge- 
wöhnliches Haushaltsgefäss  benutzt  wurde,  davon  zeigen  sich  Spuren  sowohl 
in  einem  Eisenbande,  das  theils  zur  Verstärkung  des  Gefässes,  theils  zur 
Befestigung  eines  Henkels  um  dasselbe  gelegt  war  ),  wie  auch  in  der  dicken 
Russschicht,  die  den  Boden  überzieht,  was  fast  ohne  Ausnahme  bei  allen  in 
den  hier  behandelten  Gräbern  niedergesetzten  Bronzegefässen  der  Fall  ist. 
Dasselbe  lässt  sich  auch  von  den  steinernen  Schalen  oder  Töpfen  aus  dem 
jüngeren  Eisenalter  behaupten,  worin  zugleich  —  was  wir  an  anderer  Stelle 
schon  früher  bemerkten  —  ein  Beweis  liegt,  dass  unsere  heidnischen  Vor- 
fahren keine  bestimmte  Art  von  Graburnen  für  die  verbrannten  Gebeine  be- 
sassen,  vielmehr  ihr  Hausgeräth  nahmen,  wie  sie  es  eben  den  Umständen 
nach  am  geeignetsten  hielten,  als  Opfer  gebracht  zu  werden. 

Solchen  Umständen  haben  wir  es  nun  zu  danken,  dass  sowohl  die  west- 
manländische  Vase,  als  auch  die  hier  in  Rede  stehende  trotz  ihrer  langen 
Reise  und  demjenigen  unbewusst,  der  sie  in  die  Grabkammer  niedersetzte,  in 
gewisser  Hinsicht  wieder  an  ihren  rechten  Platz  kamen  oder  doch  wenigstens 
eine,  ihrer  ursprünglichen  Bestimmung  besser  entsprechende  Nutzung  fanden, 
wenn  auch  wohl  unter  Anrufung  anderer  Götter,  als  die  waren,  denen  man 
sie  ursprünglich  geweiht  hatte.  Dadurch  blieben  sie  Jahrhunderte  hindurch 
erhalten,  bis  sie  endlich  in  unsern  Tagen  aus  ihrer  sichern  Ruhe  empor- 
gehoben wurden;  doch  diesmal  nicht,  um  sie  abermals  zu  entwürdigen,  son- 
dern um  sie  zu  schätzen  und  werth  zu  halten  als  zwei  der  denkwürdigsten  und 
inhaltreichsten  Dokumente,  die  bis  jetzt  aus  einer  Zeit,  von  der  die  Geschichte 
des  Nordens  noch  nichts  weiss,   erworben  wurden. 

Es  würde  von  grossem  Interesse  sein,  wenn  man  Stadt  und  Land  kennte, 
wo  jener  Tempel  stand,  den  Aprus  und  Libertinus  mit  ihren  W'eihgeschenken 
bereicherten.  Ohne  Zweifel  hat  nur  ein  Bruchtheil  der  sogenannten  römischen 
Alterthümer  jemals  Rom  oder  Italien  gesehen.  Im  Allgemeinen  entstanden 
sie  in  den  Provinzen  und,  wie  bekannt,  hatten  Gallien,  Britannien  und  ein 
Theil  von  Germanien  römische  Cultur  bereits  im  zweiten  Jahrhundert  nach 
Christus,  daher  man  auch  in  diesen  Ländern  so  zahbeiche  Spuren  von  rö- 
mischen Bauten  und  eine  Menge  römischer  Gräber  antrifft.  Dergleichen 
Spuren  hat  man  geglaubt  noch  weiter  verfolgen  zu  können;  denn  vor  Kui-zem 


')  Vgl.  hiermit  auch  Lindenschmit,  Alterthümer  von  Sigmaringen,  pag.  «iO:  „Metallene 
Btcken,  und  zwar  nur  aus  Erz,  sind  blos  in  reich  ausgestatteten  Gräbern  gefunden. - 

■-)  Auch  die  wahrscheinlich  gleichzeitigen  oder  doch  nur  wenig  jüngeren  blumentopftormigen 
Thonurnen  haben  meist  alle  ein  Eisenband  um  den  oberen  Hand.  Diese,  in  der  Regel  giau- 
farbigen,  gut  gearbeiteten  und  reich  verzierten  Gelasse,  die  in  den  grossen  Grabkammern  Nor- 
wegens vorkommen,  wurden  nie  in  Dänemark  beobachtet. 


264  A.  Lorange: 

wurden  bei  Häven  und  Grabow')  in  Mecklenburg  einige  Gräber  aufgedeckt, 
nach  Li  seh' s  Annahme  Römergräber,  die  von  einer  römisclieu  Handels- 
factorei  oder  einer  kleinen  Wandercolonie  nach  den  Küsten  der  Ostsee 
hinterlassen  wurden.  Diese  Funde,  in  Verbindung  mit  mancherlei  neuen 
Entdeckungen  in  verschiedenen  Ländern  des  Nordens,  haben  es  mehr  und 
mehr  annehmbar  erscheinen  lassen,  dass  die  römischen  Handelsleute-)  ihren 
Markt  auch  über  Skandinavien  ausbreiteten,  wodurch  sich  dann  manches  Ver- 
hältniss  im  älteren  Eisenalter  des  Nordens  besser  aufklären  dürfte. 

Es  wird  natürlicher  sein,  die  Stelle  des  römischen  Tempels,  dem  die 
Vase  von  Farmen  dargebracht  wurde,  lieber  innerhalb  als  ausserhalb  der 
Grenzen  des  Römerreichs  zu  suchen,  und  zwar  in  einem  Lande,  wo  römische 
Gesetze,  Religion  und  Cultur  bereits  vollständigen  Eingang  gefunden  hatten. 
Wenn  es  später  gelingen  sollte,  ihr  Alter  mit  Genauigkeit  zu  bestimmen, 
dann  wird  man  vielleicht  in  der  Lage  sein,  auch  den  Umkreis  schärfer  zu 
begrenzen,  innerhalb  dessen  man  ihren  Ursprung  wird  suchen  müssen.  Gegen- 
wärtig ist  das  Gebiet ,  auf  dem  man  ihre  Heimat  und  die  der  Apollovase 
suchen  könnte,  noch  ein  viel  zu  ausgedehntes. 

Man  wird  auch  der  Frage  dadurch  nicht  näher  kommen,  wenn  man  an- 
nimmt, die  Farmen vase  sei  ein  römisches  Grabgefäss  gewesen,  ursprünglich 
dazu  bestimmt,  die  Asche  eines  Römers  einzuschliessen.  Denn  der  Umstand, 
dass  die  Leiche  verbrannt  wurde,  giebt  uns  keinerlei  Anhalt,  da  bei  den 
Römern  mit  der  Einführung  des  Christenthums  der  Leichenbrand  keineswegs 
gänzlich  aufhörte.  Auch  gehören  römische  Graburneu  von  Bronze  keines- 
wegs einer  bestimmten  Zeitperiode  an.  In  den  Katakomben  und  den  Nischen 
der  Grabkammern  findet  man  Aschenkrüge  aus  den  verschiedensten  Stoffen, 
aus  Stein,  gebranntem  Thon,  Glas  oder  Metall.  Aschenkrüge  aus  Bronze 
sollen  indessen  verhältnissmässig  doch  am  wenigsten  vorkommen  und  Bronze- 
Grabnrnen  mit  Inschrift  überhaupt  zu  den  antiquarischen  Seltenheiten  ge- 
hören. Doch  wie  dem  auch  sei,  die  Urne  von  Farmen  war  allem  Anschein 
nach  ein  Tempelgefäss  und  keine  Todtenurne, 

Nach  dem  Gutachten  des  Herrn  Professor  Ussing  würde  die  Form  der 
Buchstaben  sich  zunächst  auf  das  I.  Jahrhundert,  vielleicht  auch  auf  das 
IL  Jahrhundert  zurückführen  lassen.  Nach  Norwegen  hinauf  wird  die  Urne 
aber  wol  nicht  früher  als  um  die  Mitte  des  III.  Jahrhunderts  gekommen 
sein,  da  die  jüngsten  Münzen  aus  allen  weströmischen  Münzfunden  in  Schonen 
und  Dänemark  zwischen  den  Jahren  180 — 218  nach  Chr.  geprägt  worden, 
und  diese  fremden  Münzen  die  besten  oder  einzigen  Zeitangaben  sind,  die  wir 
augenblicklich  für  den  Anfang  der  römischen  Handelsverbindungen  besitzen. 


')  [Der  Herr  Verfasser  hat  übersehen,  dass  rler  Fund  von  Grabow  schon  vor  dem  Jahre 
1839  gemacht  wurde,  inid  dass  über  seinen  Charakter  als  Grabfiuid  nichts  Näheres  bekannt  ist.] 
Anm.  d.  Uebers. 

'-)  Vgl.  Lisch,  Römergräber  in  Mecklenburg.  Jahrb.  XXXV,  und  Engelhardit,  Aarböger 
187],  pag.  440. 


Ueber  römische  Cultur  in  Norwegen.  265 

Jene  Vase  von  Farmen  enthält  die  einzige  römische  Inschrift,  die  man, 
von  Münzen  und  Fabrikstempeln  abgesehen,  bis  jetzt  in  Norwegen  und  Däne- 
mark kennt').  Nur  Schweden  besitzt  seine  zugleich  als  Kunstwerk  merk- 
würdige, 18  Zoll  hohe  Apollovase,  die  1818  in  einem  Grabhügel  des  südlich- 
sten Thelles  von  Westraanlaud  gefunden  wurde  und  folgende  Inschrift  in  fünf 
Linien  zeigt: 

APOLLINi-  GRANNO 

DONVM-  AMMI.  LIV.  S 

CONSTANS.  PRAEF.  TEMP 

IPSIVS 

VSLLM. 

welche   besagt,    dass   die  Vase   dem  Apollo  Grannus   von   Aemilius   Constans 

geweihet  wurde,    dem  Vorsteher   seines  Tempels.     Diese  Vase  war  jederzeit 

geschätzt    als    einzig   dastehend    zwischen   den   nordischen  Alterthümern    und 

als  eines  der  interessantesten  Prachtstücke  des  Stockholmer  Museums  2).    Beide 

heilige  römische  Gefässe   aber  werden    stets   zu  den   wichtigsten  Hülfsmitteln 

gerechnet  werden,  die  wir  besitzen,  sowol  über  den  Culturzusammenhang  und 

die  Verbindung    der   älteren   Eisenzeit   mit    der   römischen  Civilisation  —  als 

auch  über  deren  Ausbreitung  und  Verhalten  innerhalb  der  verschiedenen  Länder 

des  Nordens  Aufklärung  zu  erhalten. 

Die  Bronzeurne  von  Farmen  war,  als  sie  entdeckt  wurde,  mit  verbrannten 
Knochen  angefüllt.  Ihr  zur  Seite  lag  der  obere  Theil  eines  andern,  ebenfalls 
gegossenen  Bronzegefässes  von  ungefähi*  derselben  Grösse,  aber  von  etwas 
anderer  Form.  Auch  dieses  war  ursprünglich  in  unversehrtem  Zustande  bei- 
gesetzt worden,  wurde  aber  zertrümmert  oder  zusammengedrückt  unter  einem 
Steine  gefunden,  der  wahrscheinlich  —  wie  es  oft  vorkommt  —  als  Deckel 
auf  der  Mündung  gelegen  hatte  und  im  Laufe  der  Zeiten  zu  schwer  geworden 
war.  Nach  dem  Zusammenbrechen  des  Gefässes  beförderte  das  Gewicht  des 
Steines  noch  die  Zerstörung,  so  dass  die  Seitentheile  und  beinahe  der  ganze 
Boden  nun  vollständig  fehlen,  während  der  Hals  mit  dem  Obertheil,  das  in 
der  Regel  stärker  und  dicker  ist  als  die  Seiten,  sich  allein  erhalten  hat. 

Noch  schlimmer  war  es  indessen,  dass  der  Stein  bei  seinem  Fall  auch 
die  andere  Urne  berührte,  sie  fest  gegen  die  Wand  der  Grabkammer  an- 
drückte und  mit  seiner  Kante  ein  Loch  in  ihre  eine  Seite  bohrte,  während 
der  Wandstein  von  der  andern  Seite  ein  ebensolches,  aber  etwas  höher  lie- 
gendes Loch  machte,  und  dadurch  zugleich  einen  Ausfall  von  vielleicht  fünf 
Buchstaben  der  Inschrift  verursachte. 

Eine  ähnliche  Begräbnissart  nämlich  die  Beisetzung  verbrannter  Gebeine 
in  einem   grossen,   entweder   in   kleiner  Grabkammer   oder    unter  einem  Fels- 


')  Im  Thorsbjerg-Moorfimde  kommt  allerdings  ein  Schildbuckel  vor,  worauf  der  Name 
AEL.  AELIANUS.  eingestochen  ist. 

'-)  Vgl.  Halienberg,  om  et  tbrntids  romersk  Metallkärl,  Stockholm  18i;t,  wo  auch  das 
Gefäss  abgebildet  ist.     Bruzelius,  11,  80.  Auualer  ISig,  pag.  391.    Wiberg,  pag.  5ö. 


266  A.  Lorange: 

stück,  oder  frei  in  dem  Erdreich  des  Hügels  niedergesetzten  Bronzegefässe, 
war  in  Norwegen  während  der  altern  Eisenzeit  ziemlich  allgemein  in  Ge- 
brauch und  wurde  mit  Ausnahme  von  Nordland  und  Finmarken,  sowie  von 
Jarlsberg  und  Lauroik  in  allen  norwegischen  Amtsbezirken  angetroffen. 

Ich  kenne  gegenwärtig  etwa  80  Funde  dieser  Art,  von  denen  22  zugleich 
Waffen  enthielten.  In  andern  wurden  einzelne  Schmucksachen  und  Kleinig- 
keiten vorgefunden,  aber  von  vielen  weiss  man  nur,  dass  ausser  den  ver- 
brannten Knochen  nichts  in  der  Urne  vorhanden  war.  Jene  wenigen  Schmuck- 
und  kleinen  Gegenstände  müssen  daher  unsere  Wegweiser  abgeben  bei  der 
Beantwortung  der  Frage  nach  dem  Alter  und  der  Dauer  dieser  Begräbnissail. 

In  Dänemark  ist  kein  Fall  von  dergleichen  Gräbern  bekannt  geworden, 
wenn  nicht  vielleicht  der  Fund  von  Saebyhöi,  Amt  Hjörring,  Nord-Jütland, 
zu  vergleichen  ist.     Vgl.  Annal.  f.  n.  Oldk.  1860,  pag.  49  ff.  '). 

Auch  in  Schweden  sind  sie  bis  jetzt  nur  selten  beobachtet  worden  und 
weder  in  den  Museen  von  Lund  noch  von  Stockholm  findet  man  Exemplare 
von  den  in  diesen  Gräbern  in  Norwegen  so  häufig  vorkommenden,  eigenthüm- 
lichen  Kupfer-  oder  Bronzekesseln  mit  Eisenhenkeln  und  von  einheimischer 
Arbeit.  Doch  wurde  das  obenerwähnte  Bronzegefäss  von  Medelpad  in  einem 
Grabhügel  gefunden,  dessen  Einrichtung  mit  den  in  Frage  stehenden  norwe- 
gischen Grabhügeln  sehr  übereinstimmt;  „auf  dem  Grunde  des  Hügels  lag 
auf  einer  Schicht  von  Kohlen  ein  flacher  Stein,  auf  welchem  das  Bronzegefäss 
stand,  das  umgeben  war  von  vier,  eine  Elle  hohen  Steinen,  die  mit  einem 
andern  überdeckt  waren.  Das  Bronzegefäss  war  mit  Asche  und  verbrannten 
Knochen  angefüllt."  ^) 

Die  westmanländische  Apollovase  ist  ebenfalls  unter  ähnlichen  Verhält- 
nissen gefunden  worden  ■*),  und  es  wird  nicht  ausbleiben,  dass  diese  Gräber- 
form sich  bei  späteren  Untersuchungen  keineswegs  als  so  ungewöhnlich  in 
Schweden  erweisen  wird,  wie  dies  gegenwärtig  der  Fall  zu  sein  scheint. 

Bevor  ich  weiter  gehe  in  dem  Verzeichnisse  der  in  Norwegen  gefundenen 
römischen  Bronzegefässe,  sei  mir  gestattet  zu  berichten,  in  welcher  Weise 
jene  merkwürdige  Vase  in  meinen  Besitz  gekommen.  Im  Sommer  1872  nahm 
ich  in  Folge  einer  Aufforderung  des  Herrn  Gutsbesitzers  und  Storthingsmanns 
A.  Saehlie  in  Hedemarken  einige  Untersuchungen  von  Alterthümern  auf 
seinem  Eigenthume  vor,  woselbst  ich  u.  a.  ein  interessantes  Grab  mit  unver- 
brannter Leiche  aus  der  älteren  Eisenzeit  aufdeckte,  deren  Schädel  nun  der 
einzige  ist,  den  die  Universitätssammlung  aus  dieser  Zeitperiode  besitzt.  Bei 
dieser  Gelegenheit  theilten  mir  meine  Arbeiter  mit,    dass  man  auf  dem  Gute 


')  Kragehul  Mosefuud,  PI.  IV,  Fig.  -24,  hat  sicher  die  für  die  nordischen  Kessel  allgemeine 
Form  gehabt. 

')  Antiq.  Tidskr.  f.  överige,  II,  pag.  •272. 

•*)  N.  G.  Bruzelius,  Svenska  Fornlemn.,  II,  pag  >0:  ..beim  (iraben  und  Steinebrechen  in 
einem  ansehnlichen  Ättehügel  gffunden"  und  , verbrannte  Gebeine,  nebst  Stückchen  von  einer 
harten  Öteinart  oder  Glas"  enthaltend. 


Ueber  römische  Cultur  iu  Norwegen.  267 

Farmen  vor  längerer  Zeit  zwei  „Kupferurnen"  entdeckt  habe.  Ich  reiste 
dorthin  und  der  Gutsbesitzer  Herr  Helge  Nielsson  Farmen  Hess  die  Kömer- 
vase  von  der  Bodenkammer,  wo  sie  seit  acht  Jahren  —  so  lange  war  es  her, 
dass  sie  gefunden  ward  —  ruhig  gestanden  hatte,  herbeiholen.  Ungeachtet 
ich  aufmerksam  machte  auf  deren  grosse  Seltenheit,  verehrte  sie  mir  der 
Eigenthümer  ohne  die  geringste  Entschädigung. 

Vn.  Amt  Kristian.  Kjörstad,  Pfarrbez  Söndre  Fron:  ein  ausser- 
gewöhnlich  schönes,  gut  erhaltenes  Bronzegefäss  auf  einem  niedrigen  runden 
Fusse.  Es  ist  3  Zoll  hoch,  aber  12  Zoll  weit  über  der  Oeffnung,  deren  Rand 
nach  einwärts  gebogen  ist.  Die  Schale  ist  abgedreht  und  unterhalb  des 
Randes  mit  zwei  feinen  parallelen  Linien  geziert;  auf  dem  Boden,  im  Innern 
des  Fusses  zeigen  sich  concentrische  ausgedrehte  Ringe.  Die  Grundform  ist 
wie  bei  Worsaae,  N.  0.  No.  301,  doch  hat  das  Gefäss  von  Kjörstadt  keine 
Henkel  und  ist  geschmackvoller  geformt.  Es  ist  abgebildet,  leider  in  sehr 
mangelhafter  Weise,  im  Jahresbericht  für  18G7,  PL  I,  Fig  7,  und  stand  zu 
den  Füssen  des  Skelets  in  dem  bei  dem  Glasgefäss  No.  Hl  von  uns  erwähn- 
ten grossen  Funde  von  Kjörstad. 

Vni.  Brunsberg,  Pfarrbez.  Östre  T  boten:  kesseiförmiges  Bronze- 
gefäss, vorzüglich  gut  erhalten  und  mit  schönem  Edelrost  überzogen.  Aui 
dem  Rande,  der  nach  aussen  umgebogen  ist,  sitzen  zwei  besonders  ge- 
gossene, mit  Ornamenten  versehene  Oehre  festgelöthet,  in  denen  ein  gewun- 
dener Henkel  aus  Bronze  sich  bewegt.  Die  Seiten  des  Gefässes  sind  stark 
gebogen  und  mit  getriebenen  Sförmigen  Rippen  bedeckt.  Um  den  Hals  be- 
merkt man  erhöhte  Ränder  und  feine  Streifen.  Es  wurde  1863  in  einem 
kleinen  Grabhügel  ohne  Kammer,  aber  mit  einem  Steinkranze,  gefunden  und 
war  mit  verbrannten  Knochen  angefüllt,  zwischen  denen  noch  eine  Thonurne 
lag.  Zu  demselben  Funde  gehören:  ein  zweischneidiges,  zusammengebogenes 
Schwert,  zwei  Speerspitzen,  der  Beschlag  eines  Schildhandgriffes,  zwei  kleine 
Brouzesporen  von  römischer  Form  und  ein  Riemenbeschlag.  Vgl.  Norske 
Fornlevn.  pag.  751.  Das  Gefäss  hat  einige  Aehnlichkeit  mit  Worsaae, 
N.  0.  No.  505,  ist  aber  weit  grösser. 

IX.  Amt  Buskerud.  Fosnaes,  Pfarrbez.  Sandsver:  Bronzenapf, 
gefunden  im  Jahre  1840  oder  früher  in  einem  Grabhügel  mit  einer  aus  Fels- 
blöcken errichteten  Kammer,  die  mit  Sand  angefüllt  war.  „Das  Gefäss  ent- 
hielt verbrannte  Knochen,  war  geformt  wie  ein  quer  durchschnittenes  Ei,  von 
13  Zoll  Höhe  und  10  Zoll  Weite,  sorgfältig  polirt,  auswendig  mit  einigen 
Punkten  und  eingeritzten  Linien  längs  dem  Rande  verziert.  Das  Fussstück 
und  die  Henkel,  mit  denen  das  Gefäss  ursprünglich  versehen  w^ar,  hatte  man 
bei  dessen  Benutzung  als  Graburne  entfernt  und  die  Stellen,  wo  sie  gesessen, 
förmlich  abgeputzt."  Vgl.  Norske  Fornlevn.  pag.  171.  Dieses  Gefäss  bildete 
ohne  Zweifel  einst  das  Obertheil  eines  glockenförmigen  Kraters,  wie  sie  in 
römischen  Funden  des  Nordens  einigemal  vorgekommen.  Vgl.  z.  B.  Wor- 
saae, N.  0.  No.  302;  Urda  11,  pag.   1;  Mecklenb.  Jahrb.  XXXV,  pag.  102. 


268  A.  Lorange: 

X.  Amt  Lister  und  Mandal.  Houe,  Pfanbez.  Vanse:  Bruchstücke 
eines  Bronzegefasses,  das  „wahrscheinlich  eine  Vasenform  hatte",  mit  Hen- 
keln, gefunden  1867  in  einem  Grabhügel,  nebst  drei  Perlen  und  einer  grossen 
römischen  Goldmedaille  des  Kaisers  Valentiniau  l.,  die  mit  Rand  und  Oese 
wie  die  Brakteaten  versehen  war.  Vgl.  Aarsberetn.  for  1867,  pag  96,  und 
1868,  pag.  9c^,  woselbst  auch  die  Medaille  abgebildet  ist 

XI  — XV.  Amt  Stavanger.  Pfarrhof  Avaldsnaes:  6  römische  Ge- 
fässe,  gefunden  1834  beim  Aufgraben  eines  grossen  Rundhügels  —  genannt 
der  Flaggenhügel  — ,  der,  wie  es  scheint,  eine  von  Holz  gebaute  Grabkaramer 
enthalten  hat '). 

1,  Das  merkwürdigste  von  diesen  Gefässen  ist  ohne  Zweifel  die  un- 
gefähr 9  Zoll  hohe,  reich  verzierte  und  vergoldete  Bronze-  oder  Kupferurne 
(Krater),  die  abgebildet  ist  Urda  Bd.  H,  PI.  I,  Fig.  11,  und  von  welcher  der 
Bischof  Neumann  begeistert  erklärte:  „es  sei  das  schönste  von  allen  an- 
tiken Gefässen  des  ganzen  Nordens". 

In  der  Grundform  stimmt  diese  Form  überein  mit  dem  bei  Worsaae  N.  0. 
No.  302  abgebildeten  Bronzegefässe  aus  dem  grossen,  eine  so  charakteristische 
Mischung  von  römischen  und  barbarischen  Gegenständen  enthaltenden  Funde 
von  Himlinghöie,  der  von  Boye  in  die  Uebergangszeit  vom  älteren  zum 
mittleren  Eisenalter,  also  etwa  ins  Jahr  450  angesetzt  wird.  Während  aber 
an  dera  dänischen  Gefässe  die  Verzierungen  nur  eingravirt  sind,  war  das  hier 
in  Rede  stehende  Gefäss  mit  rundlaufenden  Reihen  von  eingelegtem  Glas- 
fluss  und  von  aufgelöthetem ,  getriebenem  Silberzierrath  in  reichen  Mustern 
geschmückt.  Unter  dem  Boden  befinden  sich  eingedrehte  concentrische  Ringe 
mit  einem  Stern  in  der  Mitte.  Es  hat  zwei  Oehre,  jedes  mit  drei  Löchern 
(ähnlich  wie  Mecklenb.  Jahrb.  1870,  Taf.  I,  Fig.  1)  und  einen  gewundenen 
Henkel.     Beim  Auffinden  enthielt  es  verbrannte  Gebeine. 

2)  Weniger  kunstvoll  verziert,  aber  von  derselben  ausgeprägt  römischen 
Abkunft  ist  ein  anderer  glockenförmiger  Krater  aus  demselben  Funde.  Er 
misst  in  der  Höhe  lO.i  Zoll,  in  der  Weite  10  Zoll,  hat  einen  gewundenen 
Henkel,  aber  keine  Verzierungen.  Nach  Norske  Fornlevn.  pag.  343  ist  er 
vergoldet  und  war,  als  man  ihn  fand,  ebenfalls  mit  verbrannten  Gebeinen  ge- 
füllt. Er  gleicht  dem  in  den  Gräbern  von  Hävcn  (Mecklenb.  Jahrb.  XXXV, 
PI.  II,  Fig.  17)  gefundenen  und  ist  abgebildet  Urda  11,  Fig.  10. 

3.  Das  dritte  ist  ein  schalenförmiges  ßronzegefäss,  leider  aber  so  zer- 
stört, dass  seine  ursprüngliche  Form  nicht  mehr  zu  erkennen  ist,  aber  un- 
gefähr wie  Worsaae  N.  0.  No.  304  gewesen  sein  mag.  Es  maass  über  der 
Oeffnung  12  Zoll  und  hatte  an  den  Seiten  als  Verzierung  drei  gut  erhaltene 
.liöwcnköpfe  von  vollendet  römischer  Arbeit.  Einer  der  letzteren  ist  ab- 
gebildet Urda  II,  PI.  I,  Fig.  9. 


')  Aehnlich  wie  bei  Veieii,  Nicolayseu,  Norske  Fornlevn.,  pag,  144,   und  bei  Saetrang, 
1.  c.  pag.  146. 


lieber  römische  Cultur  in  Norwegen.  269 

4.  Bronzeschale  mit  Fuss  und  ursprünglich  wahrscheinlich  von  einer 
Grundform  wie  die  Schale  von  Kjörstad,  auch  wie  Worsaae,  N.  0.  No.  '^01 
oder  Meckleub.  Jahrb.  1870,  Tab,  I,  Fig.  2. 

5.  Reste  von  einem  verzierten,  3|-  Zoll  im  Durchmesser  haltenden  Silber- 
gefässe.  Da  ich  indessen  nicht  so  glücklich  gewesen  bin,  diesen  Fund  zu 
sehen  und  eine  sachkundige  Beschreibung  desselb(;n  nicht  veröfientlicht  wurde, 
so  kann  ich  nicht  mit  Bestimmtheit  angeben,  ob  das  Gefäss  von  römischer 
Abkunft  ist;  doch  kommen  bekanntlich  Silbergefässe  in  römischen  Funden 
Dänemarks  nicht   selten  vor. 

6.  Ein  Bronzesieb  von  der  in  manchen  Romerfunden  vorkommenden  Form. 
Der  Hügel  von    Avaldsnaes    ergab   demnach    den  an  römischen  Bronze- 

gefässen  reichsten  Fund  des  ganzen  Nordens;  vr  enthielt  aber  ausserdem 
noch  manche  andere,  unzweifelhaft  römische  Gegenstände,  u.  a.  28  ganze  und 
zerbrochene  Bretsteine  aus  dunkel-  und  hellblauem  Glase,  wie  solche  oft  in 
norwegischen  Grabhügeln  bis  zum  Amt  Nordland  hinauf  (Sömnaes,  Helgeland) 
gefunden  wurden').  In  Dänemark  kamen  ebensolche  neben  uuverbrannten 
Leichen  vor  (Antiq.  Tidskr.  1846,  22;  Annal.  1850,  pag.  oOl  und  1861, 
pag.  305;  Nydam  Mosef.  pag.  51,  No.  52);  dagegen,  soviel  ich  weiss,  nie- 
mals in  Schweden,  wo  nur  Bretsteine  von  Knochen  angetroö'en  werden  2), 
(ÜUtuuafund  und  Bruzelius,  H,  pag.  91),  die  ebenfalls  in  norwegischen 
und  dänischen  Gräbern  vorkommen. 

Von  den  Waffen  im  Avaldsnaesfunde  kann  mau  das  Schwert  sicher- 
lich als  ausländische  Arbeit  betrachten ;  es  war  in  einer  mit  Bronze-  und  ver- 
goldetem Silberbeschlag  reich  verzierten  Scheide  festgerostet.  Ausserdem 
fanden  sich  sechs  Fingerringe  von  Gold,  eine  Goldnadel  und  ein  pracht- 
voller offener  Halsriug  von  Gold  (Metallwerth  350  Spd.)  nebst  einem  Bronze- 
kessel von  gewönlicher  Form  (vgl.  Rygh,  Aarböger  1871,  pag.   158,  Note). 

XVI.  Hauge,  Pfarrbez.  Kiep:  grosses  Bronzegefäss,  gefunden  in  eiuer 
langen  Grabkammer,  ohne  bestimmtere  Nachricht,  ob  mit  verbrannten  oder 
un verbrannten  Gebeinen.  Das  Gefäss  hält  19|  Zoll  über  der  Mündung,  ist 
3.y  Zoll  tief,  hat  einen  niedrigen  Fuss,  flachen  Boden  und  aufrechtsteheude 
Seiten.  Seine  römische  Herkunft  wird  bezeugt  durch  drei  Griffe  in  Form 
von  Meuschenköpfen,  von  denen  krumme  in  Thierköpfen  mit  aufgerichteten 
Ohren  endigende  Bügel  ausgehen,  in  denen  lose,  sechsseitige  Ringe  hängen. 
Der  Fund  wurde  schon  oben  unter  Glasgefäss  No.  XIII  erwähnt.  Das  Bronze- 
gefäss ist  abgebildet  Aarsberetn.  for  1869,  Fig.  19. 

XVII.  Anda,  Plarrbez.  Kiep:  ein  ungewöhnlich  gut  erhaltener  Bronze- 
Eimer  von  einer  Form  wie  der  obenerwähnte  Krater  bei  Worsaae,  N.  O. 
No.  302,   9.1  Zoll   hoch    und    9|  Zoll   weit.     Der  Fuss   ist  etwas   über  einen 


^)  Aarsberetn.  for  18GG,  pag.  89. 

*)  Die  Allgabe,  dass  die  in  der  Apollovase  enthaltenen  geschmolzenen  Glasstücke    -  ßrat- 
yleine  gewesen  wären,  ist  inelir  als  nnsiclier.     ^Vahrscheilllich  waren  es  Glasperlen. 


MQ  A.  Lorange: 

Zoll  hoch  und  misst  quer  4^  Zoll.  Unterhalb  des  sehr  dicken  Randes,  an 
dem  zwei  in  Blattform  ornamentirte  Oehre  befestigt  sind,  sieht  man  sieben  um 
das  Gefäss  eingedrehte  Linien.  Zwei  ebensolche  zeigen  sich  gleich  oberhalb 
des  Fasses.  Der  Henkel  fehlt  freilich;  aber  die  Löcher  in  den  Oehren  tragen 
deutliche  Spuren  des  Gebrauchs.  An  einer  Seite  des  Gefässes  ist  über  einer 
kleineu  Bruchstelle  eine  runde  Metallplatte  von  ungefähr  1^  Zoll  Dui'chmesser 
aufgenietet. 

Dieses  schöne  römische  Gefäss,  das  bis  jetzt  nicht  veröffentlicht  wurde, 
fand  man  1871  oder  1872,  augefüllt  mit  verbrannten  Gebeinen,  unter  einem 
Felsblock  in  einem  Grabhügel.  Es  ist  im  Besitz  des  Herrn  Zeichenlehrers 
und  Hafbesitzers  Hansson  auf  Tjensvold  bei  Stavanger. 

XVIII.  Hove,  Pfarrbez.  Höjland:  Bronzegefäss  mit  Fuss,  Oehren  und 
Bronzehenkel  (Krater),  Grundform  wie  Worsaae,  N.  0.  No.  302;  gefunden 
1843  in  einem  Grabhügel  mit  grosser  Steinkammer.  Der  Fuss  dos  Gefässes 
ist  ungefähr  1^  Zoll  hoch;  die  Seiten  steigen  ziemlich  gerade  aufwärts;  die 
Oehre  sind  dreikantig,  mit  Einem  Loche  versehen  und  nicht  festgelöthet.  Der 
Henkel  ist  in  der  Mitte  rund,  im  üebrigen  aber  flach.  Zum  Funde  gehören 
ausserdem  Bruchstücke  von  Thougefässen,  von  einem  Schwerte  und  andern 
Waffen,  zwei  durchbohrte  runde  Steinscheiben  (Wirtel),  zwei  goldene  Finger- 
ringe und  zwei  ebensolche  Armringe,  ähnlich  wie  die  bei  Engclhardt, 
Thorsbjergf   PI.  16,  Fig.  20  und  21  abgebildeten. 

XIX  und  XX.  Amt  Söndre  Bergenhus.  Pfarrbez.  Fane:  zwei 
Bronzegefässe,  gefunden  1847  in  einem  Grabhügel.  Das  eine  hat  drei  Oehre 
in  Gestalt  von  Thierköpfen  und  war  mit  verbrannten  Knochen  angefüllt,  die 
mit  dem  andern  Gefässe  überdeckt  waren.  Letzteres  ist  von  derselben  Form, 
aber  ohne  Oehre.  Mir  sind  diese  Gefässe  nur  nach  der,  Norske  Fornlevn. 
pag.  413  gegebenen  Beschreibung  bekannt.  In  demselben  Grabe  fanden  sich 
vier  runde  Steinscheiben,  eine  ebensolche  aus  Knochen  und  einige  kleine 
Silbersachen. 

XXI  u.  XXI.  Amt  Nordre  Bergenhus.  Kvale,  Pfarrbez.  Sogndal: 
eine  Bronzeschale  und  ein  Bronzecasserol,  gefunden  1868  beim  Abfahren  eines 
Grabhügels.  Andere  Alterthümer  oder  Spuren  eines  Begräbnisses  wurden 
nicht  bemerkt.  Die  Schale  misst  im  Durchmesser  11  i  Zoll,  in  der  Höhe  un- 
gefähr 2J  Zoll  und  ist  auswendig  mit  zwei  in  2  Zoll  Abstand  von  einander 
gleich  unterhalb  des  Randes  eingedrehten  Kreislinien  vorsehen.  Das  Casserol 
ist  inwendig  versilbert,  oder  richtiger  verzinnt,  und  auswendig  mit  zwei  Kreis- 
linien verziert.  Auf  dem  4  Zoll  langen  Griff  zeigen  sich  verschiedene  ein- 
gravirte  Zeichnungen. 

XXIH  Amt  Nordre  Throndhjem.  Over-Rein,  Pfarrbez.  Beit- 
s laden:  ein  liroiizehenkel  nebst  zwei  Oehren,  worauf  Brustbilder  mit  einem 
lluUband  und  darunter  Pahuetten.  Der  Henkel  ist  fünfkantig,  hat  in  der 
Mitte  einen  aufrecht  stehenden  Riug,  der  durch  zwei  Schlangen  gebildet 
wird,  und  wurd«-   vor  mehreren  .ialircn  y.nt'äHig   in   einem   b^rdhügel    gefunden. 


üeber  romische  Cultur  in  Norwegen.  271 

Er  hat  Aehnlichkeit  mit  Worsaae,  N.  0.  No.  307,   ist  aber  weit  zarter  und 
})es8er  gearbeitet.     Vgl.  Aarsberetn.  for  1^67,  PI.  II,  Fig.  jO. 

XXIV.  Halleim,  Pfarrbe/,.  Verdalen:  stark  beschädigtes  Brouzesieb, 
gefunden  1<S70  in  einer  kleinen  Steinkamraer,  zusammen  mit  verbrannten 
Knochen,  Birkenrinde,  einer  Bronzefibula,  einer  Nadel  und  einem  cylindrischen 
Bronzeblech.     Vgl.  Aarsberetn.   1870,  pag.  15. 

XXV  —  XXVIII.  Gjete,  Pfarrbez.  Levanger:  vier  römische  Bronze- 
gefässe,  darunter  ein  Casserol  nebst  Sieb,  mit  ungefähr  5  Zoll  langem  Griff, 
Die  beiden  andern  Gefässe  bestehen:  a)  in  einem  Bronzekessel  mit  auf  dem 
Buden  eingedrehten  Kreisen.  Die  Seiten  sind  stark  geschweift  und  schräg 
geriffelt.  Unter  dem  Halse  liegen  zwei  Bänder  und  zwei  eingedrehte  Reifen. 
Der  Henkel  ist  rund  und  glatt  in  der  Mitte,  aber  nach  unten  flacher  und 
verziert  mit  kleinen  eingepunzten  Kreisen.  Die  Oehre  waren  mit  Nägeln  an 
den  Kesselwänden  befestigt.  Sie  sowol  wie  der  Henkel  sind  versilbert, 
b)  Ein  Bronzegefilss  mit  zwei  auf  dem  Boden  und  ebensolchen  unten  an  der 
Seitenfläche  eingedrehten  Kreisen.  Vom  Boden  bis  zu  der  Mitte  der  Seiten 
ziehen  sich  getriebene  Linien,  die  paarweise  in  Spitzen  zusammenlaufen.  Der 
Gefässrand  ist  weit  ausgebreitet  und  mit  einer  eingedrehten  Liuie  verziert. 
Diese  vier  römischen  Gefässe  wurden  1868  unter  drei  Steinblöcken  auf  dem 
Grunde  eines  Grabhügels  gefunden.  Neben  ihnen  lagen  verbrannte  Gebeine, 
eine  Vogelklaue,  eine  Silberfibula,  zwei  glatte  Goldringe,  eine  Nadel,  kleine 
getriebene  Silberzierraten  und  Zeugstücke.  Vgl.  Aarsberetn.  for  1868,  pag.  16 
und  17. 

Dieses  Verzeichniss,  das  in  Folge  der  unvollkommenen  Hülfsmittel,  die 
mir  zu  Gebote  standen,  keineswegs  Anspruch  darauf  macht,  ganz  vollständig 
zu  sein,  weist  trotzdem  doch  mindestens  28  römische  Bronzegefässc  aus  der 
älteren  Eisenzeit  in  Norwegen  auf^). 

Stellen  wir  nun  diese  Resultate  mit  dem  zusammen,  was  wir  bereits 
oben  in  Betreff  Dänemarks  und  Schwedens  anführten,  so  ergiebt  sich  folgendes 
Verhältniss : 

r  '^  Funde,  1  24  Fimde  des  älteren  Eisen- 

^0""  !  alters, 

In  Norwegen  1872    [   28  römische  Bronzegefässc,  |  Norwegen  18  72    <^  wonn 


•i^""  i  \  24  Glasgetässe. 

7  Casserole  und  Siebe,     i 


')  [Seit  dem  Erscheinen  dieser  Abhandlung  veröffentlichte  Herr  Studiosus  J.  Undset,  Aaars- 
beretn.  for  1873,  pag.  21  ff.,  die  Beschreibung  eines  auf  der  Insel  Lines  (unter  64°  1'  nördl. 
Breite  liegend)  gemachten  Fundes  von  römischen  Bronzegefössen ,  bestehend  in  einem  flachen 
Krater,  der  in  Form  und  Grösse  ganz  übereinstimmt  mit  dem  von  Häven  (Mecklenb.  Jahrl).  XXXV, 
PI.  I,  Fig.  2),  imd  in  einem  gut  erhaltenen  Casserol  nebst  Sieb.  Die  Gefässe  lagen  auf  dem 
Grunde  eines  flachen  Steinhaufens  über  einer  Schicht  von  Kohlen  und  Asche;  ob  Knochen  vor- 
gefiuiden,  wird  nicht  erwähnt.  —  Es  beläuft  sich  sonach  augenblicklich  (Ende  1874)  die  Ge- 
sammtzahl  der  in  Norwegen  bekannten  römischen  Bronzegerässe  auf  151  Stück  mit  n  Tasserolen 
und  Sieben.)     Anni.  des  l'ebers. 


272 


A.  Lorange:  üeber  römische  Cultur  in  Norwegen. 


lu  Dänemark  1865 


In  Schweden  1872 


52  Funde, 

worin 
93  Bronzegefässe 

(von  wahrscheinlich 
römischer  Abkunft), 
davon 
20  Casserole  u.  Siebe. 

1 1  Funde, 

worin 

12  Bronzegefässe, 

davon 
1  Casserol. 


Dänemark    1871  ') 


Schweden 


23  Funde, 

worin 
3G  Glassrefässe. 


I     0  Funde, 
1872     J 


worin 
9  Glasgefässe. 


')  Aarböger  1871,  pag.  445. 

Anmerkung.  Ich  will  hier  gleich  noch  eine  andere  Art  von  Gefässen  erwähnen,  die 
beständig  in  Verbindung  mit  diesen  nordisch -römischen  Funden  vorkommen  und  wegen  ihrer 
Gleichartigkeit,  sowol  hinsichtlich  der  Technik,  wie  der  Ornamente,  von  vielen  Gelehrten,  ebenso 
wie  die  Glas-  und  Bronzegefässe  für  importirte  Industrieartikel  gehalten  werden.  Dies  sind  die 
eigenthümhcheu  Holzeimer  mit  Bronzebeschlag. 

In  Dänemark  kommen  sie  häufig  vor  in  den  Gräbern  Seelands  (das  bei  Worsaae,  N.  0. 
No.  311  abgebildete  Gefäss  stammt  übrigens  aus  einem  norwegischen  Grabhügel).  Auch  in  den 
Moorfunden  fehlen  sie  keineswegs,  vgl.  Nydamf.  pag.  37.  Nach  der  oben  citirten  Fuudstatistik 
des  Hrn.  Prof.  Engelhardt  kannte  man  im  Jahre  1865  in  Dänemark  15  Funde  mit  zusammen 
17  Holzeimern  mit  Bronzebeschlag.  Herr  Amtmann  Vedel  hat  später  auf  Bornholm  noch  ein 
klares  Exemplar  in  einer  Grabkiste  mit  Skelet  aufgefunden. 

Nach  Lisch,  Römergräber  in  Mecklenburg,  wurden  dort  zwei  Holzeimer  aufgefunden,  und 
in  der  Beschreibung  erwähnt  der  Verfasser  noch  einige  andere  deutsche  Funde  von  Holzeimeni, 
die  in  der  Regel  verbrannte  Gebeine  enthielten. 

In  fränkischen  Gräbern  sind  sie  einigemal  als  grosse  Seltenheit  vorgekommen;  vgl.  Goch  et, 
Normandie  souter.,  pag.  397,  vier  Holzeimer  mit  Bronzebeschlag,  die  indessen  von  den  im  Nor- 
den gefimdenen  darin  abweichen,  dass  die  drei  untersten  Bänder  aus  Eiseu  bestehen,  was  nie- 
mals bei  den  nordischen  Eimern  beobachtet  wurde. 

Etwas  häufiger  wurden  sie  in  angelsächsischen  Gräbern  gefunden  (vgl.  Akerman,  Re- 
mains,  pag.  55  und  PI.  XXVII;  R.  Smith,  Collect,  antiq.  Vol.  II,  pag.  160,  161  und  169), 
doch  bei  weitem  nicht  so  oft,  wie  z.  B.  in  dänischen  Gräbern.  Akerman  erwähnt,  dass  sie 
sowol  in  Männer-  wie  in  Weibergräbern  angetroffen  würden;  dass  aber  diese  schön  gearbeiteten 
und  beschlagenen  Gefässe  erfahrungsmässig  nur  den  reichen  Leuten  angehören  konnten. 

Aus  dem  ganzen  schwedischen  Lande  kennt  man  auffallender  Weise  nur  einen  einzigen 
Fund,  der  ein  Gefäss  von  der  in  Rede  stehenden  Gattung  enthalten  hat  (Jored,  Bohnslän). 

Aber  in  keinem  der  hier  erwähnten  Länder  zeigten  diese  Gefässe  sich  so  häufig  wie  in  Nor- 
wegen. Oft  genug  ist  es  geschrieben  und  ausgesprochen,  dass  Dänemark  auch  an  dieser  Art 
von  Alterthümern  so  besonders  reich  wäre,  reicher  als  irgend  ein  anderes  nordisches  Land. 
Aber  in  Norwegens  Sammiungpn  werden  mehr  als  30  Holzeimer  mit  Bronzebesclilag  aufbewahrt, 
die  vollständig  gleichartig  sind  mit  den  dänischen. 

Der  Regel  nach  enthält  kein  Grab  mehr  als  eines  von  diesen  Gefässen.  In  zwei  dänischen 
Funden  kamen  indessen  je  zwei  Holzeimer  vor.  In  Norwegen  sind  ebenfalls  mehrere  Funde  mit 
zwei  Holzgefässen  bekannt,  u.  a.  bei  Löken;  aber  bei  Kjörstad  und  Iloltan  kamen  drei  vor,  bei 
Saetrang  fünf,  und  nach  Prof.  Rygh's  Bemerkung  (Aarböger  1869,  pag.  165)  sollen  sogar  sechs 
Eimer  in  einer  einzigen  Kammer  gefunden  sein.  In  denjenigen  grossen  Grabkammern  Nor- 
wegens, welche  viele  Gefässe  enthalten,  fehlen  diese  Eimer  nur  sehr  selten.  Meistens  pflegen 
sie  leer  zu  sein,  wenn  sie  gefunden  werden;  doch  hat  man  auch  Nachricht,  dass  sie  in  einzelnen 
Fällen  als  Graburnen  dienten  und  verbrannte  Gebeine  enthalten  haben. 

Also:    in  Norwegen mehr  als  30  Holzeimer  mit  Bronzebeschjag : 

in  Dänemark   bis  1865 17  „  in  15  Funden: 

i»  «•^l'^eden    1  .  ^y^j^l^^^  f^,g^^^ 


Miscellen  und  Bücherschau.  273 


Miseelleii  und  Rüeherschau. 

Dodel:  Die  neue  Schöpfungsgeschiclite,  1875.  Leipzig. 
In  dem  Streben  nach  einheitlich  bequemem  Abschluss  führen  die  Genealogien  der  Griechen 
sowohl,  wie  der  ludier  und  anderer  Völkerstämme  auf  einen  Ersten  Menschen  und  versuchen 
dann  in  den  Theocronien  den  Sprung  zu  den  Göttern,  wie  die  Descendenzlehre  den  Sprung  zum 
Affen.  Innerhalb  des  Menschengeschlechts  bleibt  die  Abstammung  discutirbar,  obwohl  bei 
unendlicher  Welt  innerhalb  der  Zeit  niclit  zulässig,  dass  dagegen  der  Sprung  zu  den  Göttern 
in  metaphysische  Gebiete  hinausführt,  hat  der  früher  benöthigte  Kampf  gegen  dieselben  sieg- 
reich bewiesen,  und  ebenso  wird,  wenn  auf  den  gegenwärtigen  Rausch  neuer  Hypothesen  die 
Entnüchterung  folgt,  der  Sprung  zu  den  Affen  aus  dem  Bereich  objectiver  Forschung  verwiesen 
werden. 

Die  Genealogien  liefern  für  die  Erklärung  nur  Verhältnisswerthe,  sei  es  in  gleichgradigen 
Gliedern  durch  die  Wiederholung,  sei  es  in  dem  Index  potenzirten  Aufsteigens,  um  Relati- 
vitäten innerhalb  des  Werdens  zu  verstehen,  aber  im  absoluten  Sinne  bleibt  der  Urgrund  gleich 
unberührt,  ob  von  einem  einzelnen  Sein  ausgegangen  wird,  oder  von  einem  Sein,  das  genea- 
logisch aus  einer  Mehrzahl  von  Gliedern  zusammengesetzt  ist,  so  dass  die  Descendenzhypothese 
keine  neue  Erklärungen  denen  hinzuzufügen  vermag,  die  durch  die  vergleichende  Anatomie 
bereits  gewonnen  sind,  und  sich  ausserdem  bei  Beobachtung  des  objectiven  Thatbestandes 
ilvu'ch  die  Gegenaussage  desselben  verbietet. 

Hinsichtlich  der  Bastardbildung  ist  „constatirt,  dass  die  Bastarde  zwischen  nahverwandten 
leichtern  Varietäten  fruchtbarer  und  kräftiger  sind,  als  die  Nachkommen  derselben  Varietäten 
bei  fortgesetzter  strenger  Inzucht,  dass  aber  andererseits  die  Bastarde  distincter  nicht  mehr 
nahe  verwandter  Arten  derselben  Gattung  meistens  gänzlich  steril  oder  nur  mit  einer  der  beiden 
Stammarten  fruchtbar  sind",  indem  hier,  wie  überall  beim  Typus,  das  mittlere  Gesetz  gilt,  das 
ebensowohl  die  Verknöcherung  der  Art,  wie  die  Umgestaltung  derselben  verbietet,  sondern 
eben,  dem  factischen  gemäss,  die  Art  in  der  Weite  ihrer  Variationen  erhält  und  fortpflanzt. 

Wenn  mitunter  beim  Pferd  oder  Esel  die  am  Zebra  und  Quagga  vorkommende  Streifirag 
auftritt,  so  zeigt  das,  wenn  der  Atavismus  auf  den  Rückschlag  übersehbarer  Verwandtschafts- 
reihen beschränkt  wird,  die  alle  Equinae  verbindende  Gemein-Anlage,  die,  wie  das  System 
selbst  beweist,  lange  vor  der  Descendenzlehre  bekannt  war,  und  ebenso  wenig  kann  diese  den 
gesetzlich  begründeten  Thatsachen  des  gehörnten  Uterus,  des  Nichtverwachsens  der  Kopfknochen 
u.  s.  w,  aus  eigener  Erfindung  weitere  Aufklärung  zufügen.  In  dem  fletschenden  Gesichtsaus- 
druck zum  Biossiegen  der  sonst  besonders  zum  Beissen  dienenden  Eckzähne  sieht  Darwin  die 
thierische  Natur  im  Menschen,  die  indess  auch  sonst  zu  deutlich  zu  Tage  liegt,  um  für  weitern 
Beweis  dieser  von  selbst  auf  die  entsprechende  Lagerung  der  Gesichtsmuskeln  zurückführbaren 
Beobachtung  zu  bedürfen,  denn  nicht  das  Menschen  und  Thier  gemeinsame  Band  ist  zurück- 
zuweisen oder  von  den  Zoologen  je  zurückgewiesen,  sondern  nur  die  Trübung  der  Unter- 
suchung durch  hypothetische  Verallgemeinerung  des  genealogischen  Zusammenhanges,  der  viel- 
mehr in  den  Detailuntersuchungen  für  die  Einzelnfälle  scharf  zu  limitiren  ist.  Gesucht  wird 
das  natürliche  System,  wie  in  der  Sprache  der  Thatsachen  ausgedrückt,  die  bei  Erdichtungen 
blutsverwandtschaftlicher  Beziehungen  nur  Täuschungen  werden  würden. 

Darwin  fasst  die  Arten  als  gesteigerte  Varietäten,  oder  es  Hesse  sich  sagen,  dass  innerhalb 
der  Peripherienweite  der  Typus  derselben  in  einer  Vielfachheit  von  Variationen  erscheine,  von 
denen  die  centralste  als  Charakter  der  Art  hingestellt  werden  mag.  Mit  einem  Ueberschreiteu 
der  Peripherie  wäre  dann  aber  der  Kreis  gerissen  und  demnach  auch  das  Centrum  annihilirt,  so 
dass  also  Variationsübergänge  innerhalb  des  Typus  nicht  nur  gedacht  werden  können,  sondern 
selbst  müssen,  Vorstellungen  von  Typus-Uebergängeu  dagegen  oder  von  l'ebergängen  der  jedes- 
mal einen  Typus  repräsentirenden  Arten  in  einander,  eine  contradictio  in  adjecto  mit  sich  führen 
würden. 

Zeitschrift  für  Ethnologie,  Jahrgang  1S70.  19 


274  Miscellen  und  Rücherschau. 

Wie  Dodel  (S.  55)  ganz  richtig  bemerkt,  handelt  es  sich  bei  der  Entscheidung  über  die 
Abstammungstheorie  um  die  Frage:  „Wie  gross  kann  der  Betrag  der  Variation  werden,  oder: 
wie  weit  kann  sich  die  Ahünderung  der  Merkmale  erstrecken?"  und  bei  der  Argumentation 
dient  besonders  (wie  gewöhnlich/  Darwin's  erschöpfende  Untersuchung  über  die  Taubenrassen, 
deren  wohlcharacterisirte  Formen,  wenn  wild  gefunden,  von  den  Ornithologen  als  verschiedene 
Species  würden  aufgeführt  worden  sein,  in  extremen  Fällen  (wie  etwa  bei  der  Barbtaube)  auch 
als  neues  Genus.  Da  indess  alle  die  Kennzeichen,  welche  zur  Eintheilung  im  System  dienen, 
vor  der  in  der  gemeinsamen  Abstammung  von  Columba  livia  begründeten  Einheit  zurücktre- 
ten, beweist  Darwin  selbst  durch  seine  Argumentation,  dass  der  Typus  hier  ebenso  unberührt 
bleibt,  wie  in  der  anorganischen  Natur  das  Element,  in  wievielfachen  der  besonders  für 
Salze  anderer  Elemente  charakteristischen  Farben  unter  neu  com.ponirten  Verbiiidimgen  die 
seinigen  auch  schillern  mögen. 

Wenn  die  untergegangenen  Schöpfungen  der  Molasseperiode  in  ihren  fossilen  Resten  die 
vermittelnden  Glieder  zwischen  den  Pachydermen  und  Ruminantien  in  solcher  Menge  und 
Mannigfaltigkeit  der  Abstufungen  zeigen,  dass  es  gegenwärtig  nicht  mehr  möglich  ist,  eine 
andere  als  willkürliche  Grenze  zwischen  diesen  beiden  Ordnungen  zu  ziehen  (nach  Bronn),  so 
wird  sie  das  System  vereinen,  aber  weder  dadurch,  noch  wie  früher  für  Dickhäute  und  Wie- 
derkäuer unter  einander  bei  Festhalten  einer  physiologischen  Consequenz  zu  genetischen  Schlüs- 
sen verleitet  werden. 

Aus  den  bei  Uebergang  vom  oberen  Tertiär  in  die  quaternäre  Formation  bei  den  Abstu- 
fungen von  Flora  und  Fauna  hervortretenden  Thatsachen  kommt  Heer  zu  der  Ansicht,  „dass 
ein  genetischer  Zusammenhang  der  ganzen  Schöpfung  bestehe",  nicht  jedoch  in  der  Weise 
einer  allmähligen  Transmutation  unter  dem  steten  Wirken  der  natürlichen  Zuchtwahl,  sondern 
indem  die  eine  lange  Zeit  in  bestimmten  Formen  verharrenden  Arten  durch  das  Eingreifen  eines 
Schöpfers  jeweilig  in  kurzer  Zeit  umgeprägt  wurden.  Dies  habe  ,für  den  grossen  Gedanken  der 
Abstammungstheorie  keine  entscheidende  Bedeutung",  meint  Dodel,  während  der  Gedankengang 
eben  ein  gradezu  diametraler  ist,  und  nur  die  gewählte  Wortbezeichnung  übereinstimmt.  In 
der  obigen  Vorstellung  liegt  nur  ausgedrückt,  dass  die  organischen  Mikrokosmen  stets  ihrer 
makrokosmischen  Umgebung  entsprechen,  und  wenn  sich  ein  Fortgang  der  Paläontologie  für 
die  geologische  Entwickelung  der  Erde  (wie  es  in  der  jetzt  vorwaltenden  Theorie  bereits  ge- 
schehen ist)  herstellen  lässt,  würde  dieser  auch  für  die  Organismen  festzuhalten  sein  und  die- 
selben deshalb  in  der  Zeichnung  eines  Stammbaumes  verbunden  werden  können.  In  solch  bild- 
licher Weise  hatte  auch  die  vergleichende  Anatomie,  als  sie  das  alle  Organismen,  von  den  nie- 
dern  bis  zu  den  höchsten,  verbindende  Gesetz  erkannte,  genealogische  Gleichnisse  verwenden 
können,  und  ein  darüber  philosophirender  Laie  hätte  auch  dann  solch  ideale  Genealogie  für 
eine  reelle  missverstehen  können,  während  klare  Erkenntniss  der  physiologischen  Gesetze  dies  da- 
mals, wie  jetzt  ausschloss  Hinsichtlich  der  jenseits  Raiim  und  Zeit  wirkenden  Ursächlichkeiten 
mag  dann  von  Entstehung  oder  Schöpfung  geredet  werden,  aber  die  Personification  eines  Schöpfers 
bleibt  unter  der  heutigen  Weltanschauung  eliminirt,  da  die  bei  einer  centralen  Erde  zulässige 
Vermenschlichung  der  höchsten  Conception  in  einer  unendlichen  Welt,  welche  die  Erde  ande- 
ren Himmelskörpern  neben-  und  selbst  unterordnet  unzulässig  geworden  ist. 

Nägeli  sucht  das  Nützlichkeitsprincip  von  dem  Darwin's  Theorie  durch  Kölliker  gemachten 
Vorwurf  der  Teleologie  zu  befreien,  aber  wenn  diese  bei  dem  Abweisen  theologischen  Eiu- 
sprechens  in  naturwissenschaftliche  Untersuchungen  von  selbst  fällt,  hat  die  Descendenzhypothese, 
die  der  Beschuldigung  nach  ihrer  Interpretation  ai)lehnen  mag,  auf  der  anderen  Seite  ani  wenig- 
sten das  Anrecht;  sich  ein  besonderes  Verdienst  in  einer  Frage  zuzuscheiden,  die  erst  durch 
sie  wieder  verwirrt  worden  ist. 

„Die  in  Folge  anhaltenden  Druckes  an  der  Fusssohle  des  Menschen  dick  gewordene  Haut 
wird  nicht  erst  beim  Gehen  erworben,  sondern  sie  tritt  schon  beim  Kinde  im  Mutterleibe  auf, 
bemerkt  Dodel,  und  wenn  man  hinzufügt,  dass  das  für  das  Sehen  erforderliche  Auge  am  Kinde 
im  Mutterleii)e  schon  auftritt,  so  ist  wieder  jene  Kreislinie  zwischen  causae  efficientes  und 
finales  geschlossen,  in  deren  schwindligen  Ringen  sich  die  Maskentänze  der  Naturphilosophen 
drehten,  während  einer  kurzen  Carnevalszeit  der  Naturwissenschaft,  der  sich  auch  willenskräftige 
Philosophen  zu  erfreuen  wussten. 

Die  Aehnlichkeit  der  embryologischen  Anlagen  in  der  Reihe  der  Säugethiere  bis  zum  Mensch 


Miscellen  und  Bücherschau.  475 

hinauf,  war  seit  Ausbilduug  der  vergleichenden  Anatomie  bekannt  und  in  ihrer  Durchführung 
berücksichtigt.  Die  letzte  Erklärung  verschlingt  sich  in  jenem  Räthsel,  dem  wir  uns  erst  nach 
inductiver  Fundamentiriing  der  Psychologie  allmählig  annähern  können,  und  es  be?eichnet 
kurzsichtige  Ueberhcbung,  wenn  man  in  jeder  verführerisch  auftauchenden  Idee  bereits  einen 
Schlüssel  gefunden  zu  haben  meint,  besonders  wenn  derselbe,  wie  derjenige,  mit  dem  die  De- 
scendenztheorie  die  Oeirnung  simuliren  will,  sich  durch  seine  rnvereinbarkeit  mit  physiologischen 
(besetzen  dem  vorsichtigen  Denker  von  vornherein  als  nutzloser  erweisen  muss. 

Es  wird  den  Gegnern  der  Abstammungslehre  vorgeworfen,  „dass  sie  die  Vollständigkeit  der 
geologischen  Berichte  überschätzen,  und  dass  es  gefährlich  ist  aus  negativen  Resultaten  positive 
Schlüsse  zu  ziehen",  aber  noch  etwas  ganz  anders,  als  nur  gefährlich,  würde  es  sein  negative 
Thatsachen  zu  positiven  umzustempeln,  wie  nicht  selten  in  der  Descendenzhypothese,  und  bei 
der  linvollkommenheit  der  geologischen  Chronik  bleibt  ihre  Verwendung  auf  beiden  Seiten  aus- 
geschlossen, besondersjedochauf  der  einer  neuen  Theorie,  die  sich  ihren  Besitz  erst  zu  erkämpfen 
hat,  während  der  alte  an  bisherigen  Anrechten  festhalten  darf.  Der  revolutionäre  Gesichtspuuct, 
der  bei  dergleichen  Argumenten  durchschimmert,  wäre  nur  gerechtfertigt,  wenn  in  einer  Par- 
teisache i)ro  ara  und  domo  gekämpft  würde,  während  die  inductive  Wissenschaft  nicht  um 
Theorien  streitet,  sondern  unpartheiisch  die  Aussagen  der  Thatsachen  auf  beiden  Puncten  ab- 
wägt. Neue  Untersuchungen  werden  stets  zur  Reform  eines  soweit  gültigen  Systemes  führen, 
aber  zum  Aufgeben  dest.elben  ist  vorläufig  noch  nirgends  eine  Veranlassung,  und  sollte  es  je 
dazu  kommen,  müsste  man  erst  dasjenige  kennen,  welches  an  die  Stelle  zu  setzen  sei,  denn 
das  genetische  trägt  bei  seinem  Widerspruch  mit  physiologischen  Gesetzen  auf  der  selbstge- 
wählten Fahne  ein  unwiderrufliches  Veto  eingeschrieben. 

„Dass  neue  Varietäten  und  neue  Rassen  durch  natürliche  Züchtung  entstehen",  sowie  ,dass 
durch  Züchtung  aus  einer  Stammform  Varietäten  und  Rassen  hervorgehen,  die  schliesslich  so 
weit  von  einander  abweichen,  als  verschiedene  Arten  und  Gattungen  im  Naturzustand',  (zwei 
gesperrt  gedruckte  Thesen),  und  etwa  ferner  noch,  „dass  zwischen  Varietät  und  Rasse  einer- 
seits und  der  Species  der  Art  andererseits  in  der  Natur  keine  scharfe  Grenze  existirt",  nämlich 
wegen  „der  Meinungsdifferenz  der  Systematiker",  dies  sind  die  Hauptsätze,  welche  Dodel  nach 
„einleitenden  Thesen",  die  je  nach  dem  Partheistandpuncte  vor-  oder  rückwärts  zu  lesen  sind, 
für  die  .Basis  der  Darwin'schen  Theorie"  verlangt,  und  wird  der  in  den  frühern  Capiteln  des 
Buches  in  schwindligen  Phantasieflügen  umhergezerrte  Leser  solch'  bescheidene  Forderung  um 
so  lieber  zugestehen,  weil,  wenn  keine  weiteren  Prämissen  verlangt  werden,  es  ruhig  jedem 
kühlen  Denker  überlassen  bleiben  kann,  wie  viel  von  den  ferneren  Thesen  (12  -35)  noch  stehen 
bleiben  werden. 

Die  Descendenztheorie  (welcher  zufolge  sich  die  ganze  organische  Schöpfung  aus  einfach- 
sten Formen  entwickelt  mit  Diflerenzirung  der  verschiedenen  Arten  in  Gattungen,  Ordnungen 
und  Klassen)  harmonirt  mit  den  Lehren  der  Embryologie,  „dass  jedes  Lebenswesen  mit  einer 
einzigen  Zelle  beginnt,  und  von  da  an  die  hauptsächlichsten  Stadien  der  Entwickelung  niederer 
Organismen  durchläuft,  bis  es  schliesslich  die  Organisationsstufen  seiner  Aeltern  erreicht",  heisst 
es  bei  Dodel,  um  nach  Haeckel's  Wiederauffrischung  naturphilosophischer  Mythenbilder  die 
Entwickelungsgeschichte  des  Individuum  als  eine  abgekürzte  Wiederholung  der  Entwickelungs- 
geschichte  des  Stammes  darzulegen. 

Dass  aber  diese  jedesmal  einzigen  Zellen,  welche  den  verschiedenen  Lebens  wesen  zu  Grunde 
liegen,  keinenfalls  in  jener  Einfachheit,  die  das  ungeübte  Auge  des  Laien  darin  finden  möchte, 
parallelisirt  werden  dürfen,  dass  vielmehr  sie  alle  und  eine  jede  ihre  specifische  Markirung  be- 
reits in  sich  tragen,  das  wird  eben  durch  die  differenzirte  Entwickelung  des  einer  jeden  von 
Ursprung  her  innewohnenden  Characters  bewiesen,  in  einer  für  naturwissenschaftliche  Anschaung 
ebenso  überzeugenden  Weise  und  mit  gleicher  Entscheidungskraft,  wie  sie  in  anorganischer 
Natiir  ilie  kräftigsten  Reactionen  zu  gewähren  vermögen. 

Im  Gegensatz  zu  der  .\nsicht,  dass  neue  Arten  oder  Varietäten  allein  durch  den  Einfluss 
.lusserer  Momente,  des  Klimas  und  des  Bodens  entstehen,  bemerkt  Nägeli  .der  die  Pflanzeu- 
formeu  meistens  gesellschaftlich  entstehen  lässt):  „Die  Bildung  der  mehr  oder  weniger  constan- 
te)i  Varietäten  und  Rassen  ist  nicht  die  Folge  und  der  Ausdruck  der  äussern  Agentien,  sondern 
wird  durch  innere  Ursachen  bedingt",  und  neben  Darwins  auf  physiologischen  Vorrichtungen 
gegründeten  Nützlichkeitstheorien   (im  Kampfe    ums    Dasein)   wird   dann    aus    morphologischen 

19  ♦ 


27ß  Miscellen  und  ßücherschau. 

Gliederungen  auch  die  Vervollkommnung  geltend  gemacht,  indem  ,die  individuellen  Verände- 
rungen nicht  unbestimmt,  nicht  nach  allen  Seiten  hin  gleichmässig,  sondern  vorzugsweise  und 
mit  bestimmter  Orientirung  nach  oben  hin,  nach  einer  zusammengesetzten  Organisation  zielen", 
sowie  auch  (nach  Askenasy)  die  Abänderungen  der  Organismen  bei  der  Bildung  neuer  Varie- 
täten und  Arten,  da  sie  als  stets  in  einer  mehr  oder  weniger  scharfbestimmten  Richtung  erfolgend, 
olt  nur  morphologischer  Natur  sind,  nicht  der  natürlichen  Zuchtwahl,  weil  physiologisch  indifferent, 
unterliegen  können,  obwohl  dagegen  wieder  (trotz  Darwin's  späterem  Zugeständniss)  sich  ein  Ein- 
wand erhebt,  denn  „was  die  heutige  Naturgeschichte  nur  als  reine  morphologische  Merkmale 
dieser  oder  jener  Art  bezeichnet,  kann  morgen  als  von  hoher  physiologischer  Bedeutung  erkannt 
werden".  Nach  Kerner  ,der  den  Einfluss  des  Bodens  und  des  Klimas  auf  die  Artenbildung  als 
direct  zu  beweisen  gesucht  hatte)  werden  besonders  die  Grenzen  der  Verbreitungsbezirke  zu 
Bildungsheerden  neuer  Arten  (bei  den  Pflanzen). 

Bei  der  Abhängigkeit  des  Organismus  von  der  geographischen  Umgebung    handelt    es    sich 
nicht  (wie  nirgends  in  inductiver  Naturwissenschaft,  die,  als  innerhalb  des  Kreislaufes   stehend, 
des   von  Archimedes  schon   ausserhalb    verlangten  Fusspunctes  noch    ermangelt)    um    absolute 
Schöpfung,  sondern  um  ein  relatives  Bestehen  unter    den    Proportionen    gesetzlicher    Wechsel- 
wirkung.    Der  Typus  ist  vorhanden,  ideal,  wenn  man  will,    wie    in    anorganischer    Natur    das 
Element  sinnlich  fassbar,  und  wie  sich  dieses  je  nach  den  Agentieu  chemischer  Art    in  bunter 
Vielfachheit  der  Salzverbindungen  verwirklicht,    so  der    organische    Typus    unter    klimatischen 
Agentien  in  einer  Mannigfaltigkeit  der  diesen  entsprechenden  Formen.     In   der   Chemie   schon 
haben  wir  ein  halb  ideelles  Element  oder  Radical  im    Ammoniak,    das    nur    unter    einem    bei 
jetziger  Erdconstitution  nicht  vorhandenen  Atmosphärendruck  in  flüssigem  Zustande  der  Schwere 
unterworfen  bleibt,  sonst  aber  auch  stets  als    vorhanden    zu    setzen    ist,    wenn    Stickstoff    und 
Wasserstoff  in  dem  geforderten  Mischungsgewicht  und  physikalischen    Bedingungen  zusammen- 
treten.    In  gleicher  Weise  besteht  ein  festes  Gesetz  des  Gleichgewichtes  zwischen     dem  geogra- 
phischen Typus  mit  seinem  Milieu,  und  da  sich  auf  dem  Areal  dieses  eine  Menge  localer  Modi- 
ficationen  finden  mögen,  mag  auch  der  Typus  in  einer  Fülle  von  Wechselgestalten    erscheinen, 
die  sich  je  nach  systematischer  Anordnung  als  Varietäten,  als  Unterarten  oder  Arten  auffassen 
lassen.    Dass  es  sich  dabei  nur  um  die    gleichgültigen,    „für  die  grosse    Erscheinung   der   fort- 
schreitenden Entwickelung  indifferenten  Arten  handelt"  (wie  0.  Schmidt  will),    wäre  freilich  be- 
denklich zuzugeben,  da  eben  die  Detailuntersuchungen  prüfende  Controlle    für   Generalisationen 
abzugeben  haben,  aber  Darwin's  Princip  der  Zuchtwahl  liefert  hier  in  der  Arbeitstheilung  manch 
erhellenden  Einblick,  wenn  man  es  in  der  Peripherieweite  des  Typus  verwendet,  und  nicht  zur 
Zerstörung  dieses.    Wie  in  den  Insectenstaaten  oder  menschhcher  Gesellschaft  mögen  eine  Menge 
Schattirungen  gleicher  Grundideen  neben  und  unter  einander   bestehen,    und    gerade    bei    den 
Pflanzen  werden  sich  hierfür  manche  Aufschlüsse  aus  dem   Boden    (den,    wie    bei    wechselnder 
Feldwirthschaft,  eine  Varietät  geradezu  für  die  andere  präpariren  mag),    aus  seinen  Elevations- 
differenzen,    Exposition  an  meteorologische  Prozessen  u.  s.  w.  entnehmen  lassen,  wobei  zugleich 
die  Grenzen  der  Verbreitungsbezirke  besonders   instructive  Beobachtungsareale  abgeben  müssen. 
Dass  im  Uebrigen  eine  Spaltung  in  morphologische  und  physiologische  Eigenthümlichkeiten  un- 
zulässig ist,  ergiebt  sich  aus  der  Natur  des  Organismus,  da  ein  morphologisches  Merkmal  stets 
direct  oder  doch  indirect  auf  seine  physiologische  Wurzel  zurückgeben  muss,    und  ohne    solche 
eine  ursachlose  Wirkung  darstellen  würde,  also  ein  Wunder,  wenn  dieser  Ausdruck    nicht    von 
vornherein  in  der  Inductionswissenschaft  ausgemerzt  wäre.     Dass  den    äussern    Einflüssen    aus- 
gesetzte Organismen  dann  aus  inneren  Ursachen  variiren,  ergiebt  sich  aus  der  auf  eigener  Reaction 
beruhenden  Natur  des  Organismus  von  selbst,  und  die  Nützlichkeit  oder    doch    Angemessenheit 
der  Abänderungen  wird  sich  dann,    bei  richtigem  Verständniss    des    hier    geltenden    Prinzipes, 
in  Einzelfällen  mehr  oder  weniger  deutlich  nachweisen  lassen,  wogegen  eine  nach  den  Zielen  der 
Vervollkommnung  eingeschlagene  Richtung  um    die  Klippe   einer    Qualitas    occulta    nur    dann 
frei  steuern  könnte,  wenn  sich  mit  naturwissenschaftlicher   Durchbildung    der    Psychologie    das 
Räthsel  des  Woher  und  Wohin  zn  erhellen  beginnen  sollte. 

Die  Verirrungen,  wodurch  lierauschte  Enthusiasten  Darwin"s  gesunde  Reform  in  Miscredit 
gebracht  haben,  folgen  besonders  aus  ihrer  Nichtachtung  und  Nichtkenntniss  der  Physiologie, 
und  diess  tritt  am  eclatantesten  hervor,  wenn  mau  in  ihren  Schriften  auf  die  Correlation  des 
Wachsthujns  stösst,  die  nur  da,  wo  sie  auch  dem  Blödesten  erkennbar  sein  muss,  nämlich  bei 


Miscellen  und  Bücherschau.  277 

den  homologen  Organen  eine  kurze  Betrachtung  zu  finden  pflegt.  So  sagt  Dodel:  Ehe  wir  an 
die  Betrachtung  speciciler  Beispiele  von  Anhiiufungen  iiHlividueller  oder  neu  erworbener  Merk- 
male i'ibergehen,  haben  wir  noch  einer  eigenthümlichcn  Erscheinung  zu  erwähnen,  die  auf 
den  ersten  Blick  etwas  wunderbar  erscheinen  mag,  aber  doch  nur  auf  ganz  natürlichen  Prozes- 
sen beruht",  und  diese  ,eigenthümliche-'  Erscheinung,  die  sogar  halb  „wunderbar"  erscheint,  ist 
nun  eben  das  gewissermaassen  elementarste  Grundgesetz  der  Physiologie,  ohne  welches  sie  in 
ihrer  heutigen  Fassung  überhaupt  nicht  gelesen  werden  kann,  so  dass  es  selbst  einem  Laien  kaum 
einfallen  sollte,  hier  noch  im  Besonderen  die  Nothwendigkeit  des  Hinweises  zu  fühlen,  wie  diese 
Erscheinung  „nur  auf  ganz  natiirlichen  Prozessen  beruht".  Wenn  sich  irgend  etwas  für  die 
Phy-siologen  aus  .loh.  Müller's  Schule  von  selbst  verstehen  muss,  so  ist  es  doch  eben  diese  auf 
der  virtuellen  Einheit  des  Organismus  beruhende  Correlation  des  Wachsthuras  und  gerade  sie 
ist  es  auch,  die  kategorisch  verbietet,  dass  .Anhäufungen  individueller  oder  neu  erworbener 
Merkmale"  jemals  eine  genealogische  Bedeutung  gewinnen  könnten.  Wer  das  nicht  als  noth- 
wendiges  Postulat  instinctmässig  versteht,  wird  besser  thun,  vorher  wieder  einen  Cursus  über 
Physiologie  zu  hören,  ehe  er  seine  Zeit  noch  weiter  mit  dem  Zeichnen  von  Stammbäumen  ver- 
trödelt. 

Die  Art  in  ihrer  Variationsweite  (die  Art,  erweitert  bis  zu  der  Peripherie  ihrer  Vanations- 
raöglichkeiten)  ist  in  der  organischen  Natur  als  Typus  aufzufassen  von  ebenso  fester  Constanz, 
wie  in  der  anorganischen  für  den  jetzigen  Standpunct  der  Forschungen  das  Element  (wobei 
dann,  wie  in  der  Chemie  vielfach  scheinbare  Elemente  später  diesen  Character  verloren,  auch 
weder  Botanik  noch  Zoologie  im  Gange  der  Untersuchungen  hinsichtlich  der  Definirung  der  Art 
an  ein  bisheriges  System  gebunden  bleibt).  Wie  Darwin  bemerkt,  gleicht  kein  Gezeugtes  genau 
dem  Zeugenden,  sondern  weist  Abänderungen  auf,  die  im  Kampf'  ums  Dasein  erblichen  Bestand 
erlangen  können,  aber  es  hiesse  die  Sache  auf  den  Kopf  stellen  (wie  dieses  so  häufig^  bei  einer 
aus  gegenseitigen  Gleichungen  abzuleitenden  Schematisirung  ungeübten  Rechnern  passirt),  wenn 
man  "diese  Abänderungen  bis  zum  Ueberführen  verschiedener  Typen  in  einander  steigern  wollte, 
da  die  Weite  der  beobachteten  Abänderungen  eben  erst  den  Typus  selbst  bestimmen  würde,  indem 
eine  durch  Accumulation  bis  zur  Totalreform  des  Gesammtorganismus  potenzirte  Steigerung 
partiell  localer  Abänderungen  nach  physiologischen  Gesetzen  zur  Selbstvernichtung  des  Typus 
führen  müsste,  und  also  eine  später  in  die  Erscheinung  tretende  Sequenz  mit  ihren  Wur- 
zeln über  die  Wechselverhältnisse  der  Induction  hinausliegen  müsste,  demgemäss  aus  einer  Region 
auftauchen,  die  erst  nach  naturwissenschaftlicher  Durchbildung  der  Psychologie  allmählig  zu- 
gänglich werden  kann. 

Dass  Transmutationen  stattfinden,  liegt  zu  Tage,  und  es  ist  Darwin's  Verdienst,  dieselben 
in  ihrer  Bedeutung  und  vollen  Tragweite  nachgewiesen  zu  haben,  dieselben  verlaufen  indess 
stets  nur  innerhalb  des  organischen  Typus,  der  als  solcher  ebenso  unverrückbar  gelten  muss, 
wie  in  anorganischer  Natur  das  chemische  Element  Wie  die  einzelnen  derselben  bald  eine 
grössere,  bald  eine  geringere  Zahl  von  Salzverbindungen  bilden,  so  schwingen  auch  die  Species 
bald  in  einer  weiteren,  bald  in  einer  engeren  Peripherie  ihre  Varietäten,  wie  es  durch  die 
äusseren  Verhältnisse  makrokosmischer  Umgebung  in  der  geographischen  Provinz  bedingt  wird. 
Die  Auffassung  ist  hier  schwieriger  als  in  der  Chemie,  wo  das  analysirbare  Element  objectiv 
vor  Augen  liegt,  indem  der  Typus  nur  in  der  Gedankenoperation  analysirbar  ist,  und  deshalb 
beständig  als  unbekannte  Grösse,  oder  als  das  erst  zu  lösende  X,  in  den  Gleichungen  der  For- 
meln mitgeführt  wenden  muss.  Dem  Ungeübten  muss  dies  ebenso  unmöglich  sein,  wie  dem  nur 
mit  Geometrie  und  Arithmetik  Vertrauten,  die  Aufgaben  höherer  Analysis  richtig  zu  lösen,  und 
so  folgt  beständige  Substituirung  von  Werthen,  die  als  hypothetisch  gelten  könnten,  aber  da 
sie,  wenn  fest  genommen,  falsch  sein  müssen,  auch  die  Resultate  der  Descendenztheorie  fälschen. 
In  der  anorganischen  Natiu"  ergiebt  sich  das  Element  als  materiell  dauernd,  und  in  der 
organischen  kommen  wir  in  unserer  (iedankenoperation  auf  den  Begriff  des  Typus,  der  sich 
unter  der  Construction  des  Organismus  bei  den  physiologischen  Kenntnissen  der  Gegenwart 
als  unzersetzbar  erweisen  muss,  und  der  sich  mit  dem  System,  aus  dem  er  hervorgegangen,  so 
eng  verwoben  erweist,  dass  die  Ersetzung  des  natürlichen  Systems  durch  ein  genealogisches 
nur  bei  völliger  Revolution  aller  bis  soweit  gültiger  Naturanschauungen  möglich  wäre. 

Dass  die  Physiologie  hier  als    Gesetzgeberin    zu    betrachten    bleibt,    ergiebt    sich    als  eine 
Petitio  principii,  und  da  die   Descendenztheorie    unter    ihrer   jetzigen  Form  undenkbar    bleibt, 


278  Miscelleii  uud  Bücherschau. 

müsste  sie  erst  die  Urüntie  zu  totaler  Reform  (iarlejren.  Es  wäre  Liebhabereien  oder,  je  nach 
der  Absicht,  dein  Gesichtspuiicte  derZweckmässiijkeit  zu  überlassen,  wenn  man  die  Maschinenlehre 
nach  Zahl  der  Oylinder  oder  Sicherheitswalzen  eintheilen  wollte,  wenn  sie  jedoch  nur  durch 
äussere  Zufügiiufj  eines  Cy linders  oder  einer  Valve  eine  Maschine  in  die  andere  umwandeln  zu 
können  meinte,  so  würde  die  Mechanik  ihr  quod  uon  sprechen,  weil  es  einer  Umgestaltung  von 
Innen  heraus  bedürfte.  Und  in  gleicher  Abhängigkeit  verbleibt  der  Natur  der  Sache  nach  die 
organische  Morphologie  von  der  Physiologie. 

Der  Typus  mag  innerhalb  seiner  Sphäre  variiren,  um  all  den  Modificationen  der  wandeln- 
den Umgebungswclt  zu  entsprechen.  Uebergang  eines  Typus  in  einen  andern  liesse  sich  aber 
nur  unter  zwei  Bedingungen  annehmen,  einmal  bei  einem  im  individuellen  Sein  liegender  Eut- 
wickeluugstrieb  oder  bei  geschlechtlicher  Differenzirung  durch  Kreuzung 

Der  Entwickelungstrieb  würde  als  qualitas  occulta  wieder  einen  jener  Popanzen  einführen, 
welche  die  Naturwissenschaft  seit  ihrer  fruchtbringenden  Reform  zu  eliminiren  gesucht  hat, 
und  die  Hypothese  selbst  würde  erst  dann  einen  Schein  der  Berechtigung  besitzen  (wie  die  des 
Aethers  in  der  Physik),  wenn  alle  Thatsachen,  besonders  in  den  paläontologischeu  Schlüssen 
auf  ihre  vorläufige  Statuirung  führten  und  so,  wenigstens  zur  Erleichterung  der  Rechnungen, 
ihre  conditionelle  Annahme  wünschenswerth  machten,  während  gerade  der  Fortgang  paläontolo- 
gischer Detailstudien  gezeigt  hat,  dass  die  strenge  und  scharfe  Stufenleiter,  welche  man  eine 
Zeitlang  vermuthen  zu  dürfen  glaubte,  keineswegs  existirt,  und  so  lange  wenigstens  jedenfalls 
die  Zuthat  einer  partheiisch  entscheidenden  Hypothese  schon  den  objectiven  Thatbestand  fäl- 
schen würde,  ehe  noch  feststeht,  ob  derselbe  überhaupt  die  Aushülfe  einer  Hypothese  erlaubt. 
Zugleich  erscheint  solche  Hypothese  völlig  nutzlos,  da  sie  uns  weder  das  Warum  der  Entwicke- 
lung  erklärt,  noch  im  Woher  oder  Wohin  über  enge  Grenzen  hinauszugehen  vermag,  also  das 
Absolute  in  demselben  Dunkel  lässt,  wie  vorher,  und  der  richtigen  Valuirung  relativer  Propor- 
tionsverhältnisse von  vornherein  nur  schadet.  Zulässig  kann  die  Entwickelung  nur  für  die 
einfachsten  Organismen  sein,  wo  jeder  einzeln  einfallende  Reiz  oder  doch  eine  beschränkte  Zahl 
von  Reizen  bereits  während  der  Dauer  der  individuellen  Existenz  genügen  kann,  das  Ganze, 
also  die  virtuelle  Einheit  des  Organismus  selbst,  umzugestalten,  so  dass  sie  sich  dann  erblich  er- 
halten wird,  und  bei  niederem  Thierwesen,  deren  Constitution  sich  mehr  oder  weniger  auf  die 
primäre  Zelle  beschränkt,  können  dabei  die  causae  efficientes  in  veränderter  Umgebung,  bei 
Versetzung  unter  dieselben,  gedacht  werden.  Dabei  wäre  dann  aber  nur  die  Peripherie  des 
Typus  im  System  weiter  zu  ziehen,  damit  solche  Variationen  darin  eingeschlossen  bleiben. 
Bei  höher  potenzirten  Individuen  dagegen  bleibt  die  Unmöglichkeit  bestehen,  dass  partiell  be- 
ginnende Aenderungen  das  Centrura  selbst  bereits  mit  correlativ  umgestaltetem  Wachsthum  in 
alleu  Theilen  gleichmässig  durchdringe,  und  wenn  sie  also  nicht  pathologische  Degenerationen 
herbeiführen,  die  durch  revolutionäre  Wucherung  eines  Theüs  den  Bestand  des  Ganzen  unter- 
graben, müssen  sie  bei  der  Fortpflanzung  wieder  nothwendig  in  der  eintretenden  Umschmelzuug 
verklingen,  ohne  eine  Transmutation  erblich  zur  Geltung  zu  bringen,  da  selbst  ein  im  einzelnen 
Gliede  des  Ganzen  hereditäre  Monstruosität  im  Grossen  und  Ganzen  nach  der  Wahrscheinlich- 
keitsahnung viel  mehr  Möglichkeiten  des  Verschwindens  haben  würde,  als  dass  sie  nun  für 
Generationen  hinaus  immer  in  gleicher  Richtung  steigernd  fortgeführt  würde,  zumal  sich  da- 
durch auch  nur  das  Missverhältniss  zum  Ganzen,  und  somit  der  feindliche  Angriif  auf  diese, 
steigern  würde. 

Bei  geschlechtlicher  Kreuzung  geht  man  besser  von  deutlichst  anschaubaren  Verhältnissen 
aus,  wie  für  die  Racen  geltend  innerhalb  des  Menschengeschlechtes,  das  wegen  ihrer  den  Varie- 
täten zukommenden  Fruchtbarkeit  miteinander,  nicht  für  ein  Genus,  sondern  eine  Species  erklärt 
ist.  Nahestehende  Racen  können  sich  durch  Wahlverwandtschaft  in  der  Kreuzung  veredeln, 
wie  unsere  Culturvölker  zeigen,  aber  die  Entfernung  zwischen  den  höchsten  und  niedrigsten 
Menschenstämmen  ist  bereits  eine  so  bedeutende,  dass,  wie  bis  jetzt  alle  Beispiele  beweisen, 
die  Lebensfähigkeit  kaum  für  eiiuge  Generationen  gewahrt  wird,  da  zunehmende  Schwächung  (wie 
ebenso  bei  den  durch  künstliche  Züchtung  veränderten  Hausthieren)  das  Aussterben  herbeiführt. 
«Jbwohl  nun  gesagt  ist,  dass  manche  Affen  dem  Menschen  näher  stehen,  als  andere  ihrer  Ver- 
wandten, wird  doch  kaum  behauptet  werden,  dass  die  niedersten  Menschenstämme  den  höchsten 
fremdartiger  gegenüberstünden,  als  einigen  des  Affengeschlechts,  dass  also  die  Differenz  zwischen 
niedersten  Menschen  und  höchsten  nach  Oben  hin  geringer  sei,    als  nach  Unten   hin    zwischen 


Miscellen  und  Bücherschau.  279 

niedersten  Menschen  und  höchsten  Afl'en.  Ist  dies  jedoch  der  Fall,  so  bleibt  damit  von  vorn- 
herein eine  dauernd  lebensfähig^e  Kreuzung  zwischen  Menschen  und  Allen  sogleich  ausgeschlos- 
sen, da  sie  bereits  für  die  Differenz  zwischen  niedersten  und  höchsten  Menschen  auf  ein  Minimum 
rediicirt  ist.  Ob  weitere  Auffindungen  von  Mittelgliedern  zu  erwarten  sind  oder  nicht,  bleibt  dahin 
gestellt,  jedenfalls  wäre  es  die  Höhe  der  Willkür,  bereits  eine  Hypothese  zu  formuliren,  ehe  auch 
nur  die  mindesten  Stützen  thatsächlicher  Darlegung  gewonnen  sind,  um  sie  a.i  sich  zu  basiren. 
Ausserdem  würde,  wieviel  Mittelglieder  sich  auch  zwischen  die  vorläufigen,  und  nach  früherer 
lleberschau  des  Thatbestaiides  gesteckten  Marken  des  Systems  aus  späteren  Entdeckungen  oder 
Untersuchungen  zwischenschieben  Hessen,  damit  nie  ein  fiiessender  Uel)ergang  die  in  typischen 
Accumulationen  gesetzlich  geschlungenen  Knotenpuncte  der  Existenzmöglichkeiten  verwischen,  da 
schon  in  der  nnorganischen  Natur  die  Salze  nicht  in  allen  theoretisch  zählbaren  Bruchtheilen, 
sondern  nur  unter  bestimmten  Proportionsverhältnissen  hervortreten,  und  in  der  organischen 
Natur,  wo  sinnliche  Anschauungen  fehlen,  gerade  deshalb  eben  in  unseren  Denkoperationen 
das  Hand  des  gesetzlich  Typischen  um  so  heiliger  und  unantastbarer  sein  muss 

Man  hat  gemeint,  dass,  wenn  sich  Zwischenglieder  finden  sollten,  die  von  den  Affen  der 
eocönen  Zeit  zum  Menschen  führten,  die  Frage  von  der  Abstammung  entschieden  sein  würde. 
So  sehr  sich  aber  dadurch  auch  unsere  Anschauungen  erweitern  und  zum  Theil  verändern 
würden,  so  wenig  können  solche  oder  irgend  sonst  vereinzelte  Entdeckungen  einer  in  natur- 
wissenschaftlicher Logik  unrichtigen  Bezeichnung  reale  Berechtigung  geben,  welche  die  Funda- 
mente unserer  jetzigen  Naturwissenschaft  zerstören  und  ihren  gänzlichen  Umbau  verlangen  würde. 
Es  können  Mittelformen  gefunden  werden,  aber  wenn  sich  dieselben  zwischen  den  jedes- 
maligen Extremen  der  bisherigen  Typen  einschieben,  bilden  sie  hier  ebenso  wenig  üebergangs- 
formen,  wie  sie  die  Chemie  für  ihre  Elementarstoffe  statuiren  darf.  Als  das  Tantal,  Niobicum, 
Pelopiura  entdeckt  wurde,  sah  sich  die  Chemie  genöthigt,  sie  als  Elemente  zu  proclamiren  und 
die  Zahl  derselben  zu  vermehren,  um  nicht  durch  Speculationen  über  l'ebergänge  zwischen 
Eisen  und  Mangan  in  alchymistische  Abirrungen  zurückzufallen  Ist  der  Typus  an  der  äusser- 
sten  Sphäre  seiner  Variationsweite  angelangt,  hört  mit  der  zunehmenden  Abschwächung  die 
fernere  Bildungsmöglichkeit  auf,  und  das  Umschlagen  eines  Typus  in  einen  anderen  bleibt  des- 
halb von  selbst  ausgeschlossen. 

Arnold:  Islam,  its  history,  charakter  and  relation  to  Christiauity,  III.  editiou. 
London  1874. 

The  mystery  of  Holy  Trinity  is  beyond  comprehension  and  above  definition  and  cannot 
either  l)e  established  or  disproved  ex  ratione  naturali.  It  is  against  the  laws  of  thought,  thaf 
a  part  should  be  cqual  to  the  whole  and  the  whole  eqnal  to  the  pari.  It  is  secondly  against 
the  law  of  causality,  that  generatio,  however  conceived,  should  take  place  beyond  the  limits  of 
time  It  is,  thirdly,  against  the  idea  of  absolute  perfection,  since  the  chnracter-hypostaticu.s 
of  the  old  divines  is  either  something  accidental  and  therefore  imperfect  or  something  essential, 
and  therefore  perfect,  which  perfection  however  would  be  lacking  to  the  Son  and  the  Holy 
Spirit.  The  dogma  is  altogether  one  of  the  postuiata  of  Christiauity ,  which  claims  to  be  far 
above  all  human  understanding,  and  which  is  calmly  and  fearlessly  advanced  with  its  apparent- 
ly  inrecoucliable  Unity  in  Trinity  and  Trinity  in  Unity.  It  would  have  been  better  for  the 
interests  of  trutli,  if  Christian' apologists  had  never  attempted  to  make  the  mystery  acceptable 
to  Mohommedans  by  illustrations  and  comparisons,  which,  moreover,  have  not  always  been  thu 
happiest  or  most  elevated.  The  Scriptures  simply  reveal  the  fact  and  demand  simple  and  child 
like  faith  (für  den  Liebhaber).  

Liger:  Fosses  d'aisances.     Paris  1875. 

C'est  cette  maniere  d'excreter  assis  sur  un  siege,  que  les  auteurs  comiques  appellent  coxim 
cacare,  mots  qui  rendent  l'idee  d'excreter  sur  Tos.  Toutefois  ce  netait  pas  la  plus  ordinaire. 
les  Romains,  comme  les  Orientaux,  avaient  pour  habitude  de  s'accroupir  pour  se  mettre  ä  laise, 
wie  es  (bei  Vermeidung  der  Heiuitzung  eines  von  Andern  gebrauchten  Sitzes)  nicht  nur  rein- 
licher, sondern  der  Natur  der  Hauchpresse  angemessener  ist  (also  ninnclion  Krankheiten  vor- 
beugen könnte).  


280  Miscellen  und  Bücherschau. 

Menant:   Les  Achemenides   et  les  inscriptions  de  la  Perse.     Paris  1872. 

Toutes  les  inscriptions  donnent  ou  empruntent  uue  certaine  importance  aux  lieux,  oü  elles 
sont  gravees,  aussi  il  m'a  paru  de  quelque  utilite  de  ne  pas  separer  les  textes  des  monumeuts 
sur  lesquels  nous  les  avons  reeueillis. 

Worsaae:  La  colonisation  de  la  Russie  et  du  Nord  Scandinave  (traduit 
par  Beauvois),     Copenhague  1875. 

On  ne  conuait  qu'uu  exemple  certaia  d'un  uiouvement  de  population  parti  de  TAsie  septen- 
trionale  et  arrive  an  nord  par  Test,  c'est  la  migratiou  des  peuples  tinnois  et  lapons,  qui  tra- 
verserent   la  Russie  septentriouale  et  la  Finnlande  pour  se  rendre  au  nord  de  la  Suede  et  en 

Norvege. 

Gerland:  Anthropologische  Beiträge.     Halle  1874. 

Dieses  mit  dem  gewohnten  Fleiss  des  Verfassers,  des  geschätzten  Fortsetzers  der  von  Waitz 
begonnenen  Anthropologie  der  Naturvölker,  gearbeitete  Buch  giebt  in  der  zweiten  Abtheilung 
(Betrachtung  über  die  Entwicklungs-  und  Urgeschichte  der  Menschheit)  im  dritten  Capitel  (Ein- 
heit und  Vielheit  der  Menschen)  eine  die  quellenmässigen  Thatsachen  sichtende  Abhandlung  über 
,das  Haar  als  ethnologisches  Eintheilungsprincip." 


Maurel:     Die   Ablässe,    ihr    Wesen    und    ihr  Gebrauch,    übersetzt    von 
Schneider.     Paderborn  1874. 

Ob  und  wie  die  Ablässe  den  armen  Seelen  im  Fegefeuer  zugewendet  werden  können  auf 
S.  47.  

Hankel,   H.:    Zur  Geschichte   der  Mathematik   im  Alterthum   und  Mittel- 
alter. Leipzig  1874. 

Ein  durch  den  Vater  des  allzu  früh  Verstorbenen  aus  dessen  Nachlass  herausgegebenes 
Werk,  dessen  Vollendung  als  eine  Geschichte  der  Matliematik,  jetzt  leider  abgeschnitten  ist,  eben- 
so wie  die  für  Fachgenossen  berechnete  Darstellung,  welche  späterhin  beabsichtigt  war. 

Cooke:    Fungi,    their   nature,    iufluence   and   uses  (edited  by  Berkeley). 
London  1875. 

Instead  of  insinuating  that  there  are  no  good  species,  modern  investigation  tends  rather 
to  the  establishnient  of  good  species,  and  the  elimiiiatiun  <  \  those  that  are  spurious.  It  is 
chietly  amongst  the  microscopic  species,  that  polymorphism  has  been  determined.  In  the  larger 
und  fleshy  fungi  nothing  has  been  discovered,  which  can  shnke  our  faith  in  the  species  de- 
scribed  half-a-century,  or  more,  ago. 

Escudier:  Les  Saltimbanques.     Paris  1875. 
Chapitrelll:  Commeut  Ton  fabrique  les  monstres  etc. 


Guillemin:  Les  Cometes.  Paris  1875. 
Les  natural istes  ont  aujourd'hui  toutes  raisons  de  croire  que  les  transformations  revelees 
par  les  etudes  paleontologi(|ues  ont  ete  produites,  aux  divers  äges  de  la  terre,  par  des  modi- 
fications  correspondentes,  lentes  ou  brusques  peu  Importe,  dans  l'etat  physique  de  l'atmosphere 
et  du  sol.  Cependant  pour  expliijuer  ces  changeinents,  ils  n'ont  pas  besoin  de  supposer  aux 
modifications,  dont  il  s'agit,  uue  etendue  ä  beaucoup  prcs  comparable  :i  celle,  (jue  donnerait  :\ 
la  terre  sa  transformation  en  .satellite  de  comi-te,  accompagnee  il'un  ecart  de  temperature  ou  de 
chaleur  revue,  passant  de  28000  fois  la  chaieur  iictueilt;  ä  unc  quuntite   19000  fois   moindre. 


Die  lettischen  Soniienmytlien. 

(Schluss.) 

In  einer  anderen  Märchenfamilie,  derjenigen  vom  Tischchen  deck'  dich, 
spielt  ein  goldspeiender  Bock  eine  Rolle.  [Bock  mach  Gold.  Asbjörnsen 
Norske  Folkeeventyr  n.  7.  Tredie  Udg.  p.  3L  Schäfchen  schüttel'  dich, 
Schleicher  Lit.  Märch.  S,  106.  Lämmchen,  Lämmchen  lege  Gold.  Stier  ungar. 
Märch.  S.  79.  Widder,  der  aus  dem  Fliess  Dukaten  schüttelt.  Woycicki  poln. 
Volkss.  übers,  v.  Lewestam.  S.  108  ff.J  Auch  dieser  Bock  wird  nach  dem 
Vorstehenden  in  Verbindung  mit  den  o.  S.  230  vorgetragenen  Thatsachen  auf 
die  Sonne  oder  die  rothe  Morgenwolke  zu  deuten  sein. 

Wir  gewinnen  durch  diese  Analogien  eine  Brücke,  welche  uns  hinüber- 
führt zum  Verständniss  des  griechischen  Mythus  vom  Fliesse  des  gol- 
denen Widders,  das  in  Aia  am  Eichbaum  aufgehäugt  ist  und  von 
Jason  und  den  Argonauten  zurückgeholt  wird.  Ueber  diese  Sage  hat  zuletzt 
A.  Kuhn')  in  anregender  Weise,  doch  ein  wenig  verschieden  von  der  nach- 
stehend zu  begründenden  ihren  eigenen  Weg  gehenden  Auffassung  gehandelt. 
Die  Argofahrt  enthüllt  sich  immer  mehr  ihrem  Kerne  nach  als  der  Rest  eines 
alten  Sonnenmythus,  der  sclion  vor  Homer  in  epische  Erzählung  überging, 
aber  noch  in  den  Nachdichtungen  dritter,  vierter  Hand,  aus  denen  allein  wir 
seine  Details  kennen,  viele  echte  Züge  der  ursprünglichen  Naturdichtung  be- 
wahrte. Als  einen  solchen  Zug  hat  z.  B.  E.  B.  Tylor  (die  Anfänge  der  Cultur 
I  S.  342  ff.)  die  Fahrt  der  Argo  durch  die  Symplegaden  (Od.  XII  70  ff.) 
nachgewiesen.  Nach  dem  Glauben  mancher  wilden  Völker  steigt  die  Sonne 
Abends  beim  Untergange  im  Westen  zwischen  zwei  massiven  Felsschichten 
hinab,  die  sich  beständig  öffnen  und  schliessen.  Die  Argo  selbst  vergleicht 
sich  dem  Boote,  auf  welchem  Helios,  wie  die  Sonne  im  lettischen  Liede, 
die  nächtliche  Fahrt  durch  den  Himmelsocean  von  Westen  nach  Osten  macht. 
Nach  der  Od.  XII  70  gelaugt  die  Argo  zu  den  Flankten  naQ  Ah^rcio  :T?.iovoa^ 


*)  üeber  Eutwickelungsstufen  der  Mytheubildung.    Berlin  1874  S.  138  —  151. 

Zeitschrift  für  Etbuologie,  Jabrgaug  1875.  20 


282  W.  Mannhardt: 

auf  der  Rückfahrt  vom  Aietes,  dem  Herrscher  (d.  h.  Eponymos,  Personification) 
von  Aia  und  Bruder  der  Kirke,  (d.h.  Kreis,  Scheibe).  In  Aia  ruht,  wie 
Mimnermos  sagte  (bei  Strabo  I  2),  des  schnellen  Helios  Strahlenkrone  (^axclveg) 
[während  der  Nacht]  am  Ufer  des  Okeanos  in  goldener  Schatzkammer 
(^a?Munc).  Man  vgl.  die  verbotene  Kammer  unserer  Märchen  o.  S.  223 
Die  spätere  Dichtung  unterschied  ein  westliches  Aia,  wo  Kirke  wohnt,  und  ein 
östliches,  den  Sitz  des  Aietes  und  das  Ziel  der  Argofahrt.  Die  Odyssee  aber 
kennt  nur  die  Aia  im  Westen  d.h.  am  Orte  des  Sonnenuntergangs;  dort  ist 
zugleich  der  Tanzplatz  der  Eos  und  die  Stelle,  von  wo  Helios  bei  seinem 
Aufgange  am  Morgen  aufbricht,  wo  er  mithin  die  Nacht  ruht,  ehe  er  von 
Westen  nach  Osten  zieht,  um  dort  seinen  Tageslauf  zu  beginnen.  Aietes 
und  Kirke  sind  die  Kinder  des  Helios  und  der  Perse  (Od.  X.  136)  oder 
Perseis  (Hes.  theog.  956).  Somit  ist  Kirke  (vgl.  lat.  circus,  circulus,  gr. 
xiQy.og  ahd.  bring  Ring)  gleich  der  Mondgöttin  Hekate  eine  Perseis ;  es  liegt 
also  nahe  in  ihr  die  Scheibe  der  untergehenden  Sonne  oder  auch  des  Mondes 
und  in  der  Verwandlung  der  Gestalten,  welche  ihr  Zauberstab  hervorbringt, 
die  alle  Gestalten  und  Formen  gespenstisch  verändernde  Wirkung  der  abend- 
lichen Dämmerschatten  oder  des  fahlen  Mondlichtes  zu  erkennen.  In  die 
Odysseussage  ist  die  Gestalt  der  Kirke  nach  Kirchhoffs  Untersuchungen  erst 
spät,  und  zwar  im  Anfange  des  siebenten  Jahrhunderts,  hineingekommen, 
indem  ein  Rhapsode,  der  die  Geschichte  des  Odysseus  sang,  die  Neigung 
verspürte,  der  den  Helden  wider  Willen  zurückhaltenden  Nymphe  Kalypso 
noch  eine  zweite  ähnliche  Sagengestalt  mit  gleicher  Function  an  die  Seite  zu 
stellen,  oder  erstere  durch  letztere  zu  ersetzen.  Das  Material  dazu,  die  Person 
der  Kirke  selbst,  ihre  phantastische  Umgebung  und  die  Flankten  entlehnte 
er  einer  der  damals  gangbaren  Versionen  der  Argonautensage,  wohl  nicht 
ohne  die  mythischen  Elemente  der  Sage  in  einige  Verwirrung  zu  bringen ; 
alles  was  Kirke  in  Bezug  auf  Odysseus  und  dieser  bei  ihr  thut,  ist  freie 
Erfindung  des  Dichters. i)  Es  wird  danach  klar,  einerseits  weshalb  die  Flankten 
in  der  Nähe  von  Aia  liegen,  andererseits  dass  es  schon  ein  leicht  verzeih- 
liches Missverständniss  der  ursprünglichen  Ueberlieferung  war,  die  Argo  auf 
dem  Rückwege  von  Aia,  statt  auf  der  Reise  dorthin  die  Flankten  passiren 
zu  lassen.  Ucbrigens  muss  es  noch  in  jener  Zeit,  als  die  Naturbedeutung 
des  Argonautenmythus  noch  verständlich  war,  Versionen  desselben  gegeben 
haben,  welche  das  östliche  Aia  kannten,  denn  Idyia  (die  Sehende),  die 
Gemahlin  des  Aietes,  ist  deutlich  eine  Personification  des  Morgenlichtes. 
Wie  dem  auch  sei,  offenbar  haben  wir  es  hier  überall  mit  der  mythologischen 
Ausgestaltung  der  Vorgänge  des  Sonnenuntergangs  und  Sonnenaufgangs  zu 
thun.  Mit  der  Sonneninsel  Aia  vergleicht  sich  daher  die  Insel, 
welche   nach   unserem  Liede  56   der  Gottessohn  bei  der  Freiwer- 


')  Ygl.    Kirrliliofl;    (iio    ('oiii])ositioii    der    Odyssee.    1869.    S.   84  ft'.  129.     Vgl.  MüUenhoff 
D.  Alterthumsliuiide  I  31.     Steiiuliiil  Zn    f.  Vülkerpsycbol.  VII.  44. 


Die  lettischen  Sonnenmythen.  283 

bung  um  die  Sonnentochter  aufwirft.  Auf  Aia  nun  war,  von 
einem  Drachen  bewacht,  an  einem  Eichbaum  das  goldene 
Fliess  des  Widders  aufgehängt,  welcher  die  Kinder  der  Nephele 
Helle  und  Phrixos  über  das  Meer  getragen  hatte,  Helle  aber  hatte  in  dasselbe 
hinabgleiten  lassen.  Helle  ist  etym.  = -FeAja  =  skr.  SuryPi  d.i.  Sonnengöttin; 
der  goldene  Widder,  auf  dem  sie  reitet,  wird  nach  unseren  vorstehenden  Aus- 
einandersetzungen die  Sonne  mit  ihren  Strahlen  sein.  Ihr  Bruder  Phrixos 
mag  das  Tageslicht  und  eben  diese  Strahlen  in  einer  selbständigen,  neuen 
Personification  bedeuten.  Denn  (pQi^og  anscheinend  eine  andere  Form  von 
(fQiy.-xiog  ist  doch  schwerlich  zu  trennen  von  qQioac'j  emporstarren,  (pQi^ös 
emporstarrend,  aufrecht  stehend,  einem  Stamm,  welcher  vorzugsweise  vom 
Aufrechtstehen,  Emporsträuben  der  Haare  gebraucht  wird.  Haare  aber  sind 
bekanntlich  ein  sehr  gewöhnliches  Apotypom  der  Sonnenstrahlen  [vgl.  o.  S.  236 
die  „Meerprinzessin  mit  dem  goldenen  Zopf"].  Hat  diese  Deutung  Grund, 
80  ist  einerseits  erklärlich,  dass  Helle  ins  Meer  sinkt  und  ertrinkt,  wie  die 
lettische  Sonnentochter  im  Liede  n.  34.  39,  andererseits  aber  auch  ebenso  klar, 
weshalb  Phrixos  nach  ihrem  Untergang  noch  eine  Strecke  M^eiter  bis  Aia 
gelangt.  Das  Goldfliess  steht  mithin  der  wollenen  Decke,  dem  rothen 
Rock  u.  s.  w.  in  unseren  Liedern  s.  o.  S.  216  S.  219  unverkennbar  gleich. 
Phrixos  hängt  es  in  Aia  an  dem  vom  Drachen  bewachten  Ei  chbaum  auf. 
Diesen  Eichbaum  kennen  wir  aus  unsern  Sonnenliedern. 
Es  ist  derselbe  Eichbaura  am  See,  hinter  dem  Berge,  an 
dem  nach  55  der  Gottessohn  seinen  Gürtel,  die  Sonnen- 
tochter ihre  Krone  aufhängt,  um  sie  am  Morgen  wieder  in  Empfaug 
zu  nehmen^)  (s.  o.  S.  233.)  Was  die  Bewachung  des  Baumes  durch  den 
Drachen  betrifft,  so  vergleicht  sich  ihm  am  treffendsten  die  Schlange  Apep 
(Apopis),  welche  nach  Mittag  dem  Horus,  der  Sonne,  nachstellt  d.  i.  die 
Dunkelheit,  bei  den  Aegyptern. 

Ich  festige  diese  Auseinandersetzung  durch  noch  eine  andere  Erwägung. 
Nach  Hesiod  Th.  375  ist  der  Titane  Krios  (Widder)  der  Vater  des  Sternen- 
manns (Astraios),  der  mit  Eos  den  Morgenstern  und  die  Winde  zeugt,  und 
des  Perses,  der  von  Asterie  (Sternenhimmel)  der  Tochter  des  Koios  und 
der  Phoibe,  den  Mond,  die  Hekate  erhält  (Hes.  theog.  405  ff.)  Dieser  Titane 
Perses,  der  aus  der  Vermählung  mit  dem  Sternenhimmel  den  Mond,  die 
Hekate,    hervorbringt,    ist    doch    mythologisch    untrennbar    von  der  aus  dem 


')  Kuhn  (Entwickelungsstufen  der  Myth.)  deutet  geistvoll  noch  andere  Züge  der  Argo- 
nautensage als  Sonnenmythologie.  Ich  füge  einige  Ergänzungen  seiner  Ausführungen  aus  un- 
sern Liedern  hinzu.  Jason  befreit  am  Morgen  das  goldene  Fell  aus  der  Gewalt  des  Drachen, 
ihm  hilft  dabei  Medea,  die  Tochter  der  Idyia,  der  Sehenden,  man  kann  wieder  die 
Gegenstände  unterscheiden.  Er  pflügt  zuvor  mit  erzhufigen  Stieren,  rothen  Morgen- 
wolken (vgl.  das  Eggen  der  Seidenberge  n.  6G,  die  Stiere  n.  68.)  Er  sät  die  Drachenzähne 
vgl.  das  Säen  der  Sonne  u.  26.  Es  entstehen  daraus  Speertriiger  s.  unten  S.  300.  Er  vernichtet 
dieselben  durch  den  Wurf  eiues  Steines.    Vgl.  u.  S.  287. 

20* 


284  W.  Mannhardt: 

Ocean  aufgestiegenen  Heliosbraut  Ferse  (Od.  X  139)  oder  Perseis  (Hes.  theog. 
956)  der  Mutter  der  Kirke  und  des  Aietes.  Mit  Beiden  endlich  hängt  Per- 
seus,  der  Lichtheros,  den  die  im  finsteren  Thurm  (der  Nacht)  eingeschlossene 
Danae  durch  den  goldenen  Regen  (Samen erguss  vgl.  o.  S.  100  das  Säen 
der  So  nne)  d.  h.,  wie  Preller  ganz  richtig  sah,  den  sich  ergiessenden  Licht- 
schimmer des  Morgens  empfing,  unverkennbar  zusammen.  Wenn  wir  Sonne 
(Zs.  f.  vgl.  Sprachf.  X  104)  in  Ausetzung  der  Wurzel  parsh  (spargere)  für 
7ia()orj  folgen  dürfen,  so  gelangen  wir  für  Perses  und  Perse  etwa  auf  den 
Begrifi"  der  Dämmerung,  die  als  Abenddämmerung  dem  Sternenhimmel  die 
Hand  reicht  und  den  Mond  heraufiührt,  als  Morgendämmerung  die  Mächte 
der  Nacht  überwindet,  ihnen  (den  Graien)  das  eine,  das  Sonnenauge,  entreisst, 
und  den  ersten  schwertartig  hervorschiessenden  Strahl  (Chrysaor)  aus  ihrem 
(der  Gorgo)  Rumpfe  hervorlockt.  In  demselben  Sinne,  wie  Phoibe  die  Mutter 
der  Asterie  hiess,  konnte  nun  auch  Krios,  die  Sonne,  als  Vater  des  Astraios 
und  Perses  (der  Dämmerung)  genannt  werden. 

Krios  bietet  auf  diese  Weise  eine  nicht  geringe  Unterstützung  der  Deu- 
tung des  goldenen  Phrixoswidders  auf  eine  himmlische  Lichterscheinung, 
und  der  Eiche,  an  welcher  dessen  Fell  hängt,  auf  den  Nacht- 
sonnenbaum. 

Noch  auf  eines  will  ich  aufmerksam  machen.  Helle  und  ihr  Bruder 
Phrixos  vergleichen  sich  in  vieler  Beziehung  den  Geschwisterpaaren  Pulja 
und  Asterinos  o.  S.  237  und  Goldbruder  und  Goldschwester  o.  S.  237 
Pulja  wird  in  den  Brunnen  gestürzt,  wie  Helle  ins  Meer  sinkt,  der  Bruder 
Asterinos  (Morgenstern)  verwandelt  sich  in  einen  goldenen  Widder,  der 
nachher  zum  Baume  mit  goldenem  Apfel  wird.  Eine  bestimmtere  Durchfüh- 
rung dieser  Parallelen  wäre  noch  verfrüht.  Soviel  jedoch  dürfte  auch  aus  die- 
ser Beobachtung  wahrscheinlich  werden,  dass  das  goldene  Schaf  in  den  o. 
S.  236  fi".  besprochenen  Märchen,  ebensogut  wie  der  Apis  in  der  ägyptischen 
Yersiou  als  die  Sonne  (Sonnenstrahlen),  mithin  doch  wohl  der  Baum,  in  den 
es  sich  wandelt,  als  der  Sonnenbaum  gedeutet  werden  dürfe. 

rj)  Goldmaid  unter  der  Baumrinde. 

Wäre  es  richtig,  dass  zu  irgend  einer  Zeit  einmal  die  Sonne  als  eine  in 
einem  Baume  (Souuenbaum ?,  Nachtsonnenbaum?)  immanente  Frau  gedacht 
wurde,  so  könnte  füglich  ein  Naclihall  dieser  Anschauung  sich  in  dem  Märchen 
„das  Lorbeerkind  bei  Hahn  u.  21  erhalten  haben.  Einem  alten  Ehepaare 
wird  statt  eines  Kindes  ein  Lorbeerkern  geboren,  aus  dem  ein  goldener 
Lorbeerbaum  in  die  Höhe  wächst,  dessen  Gezweige  wie  die  Sonne 
glänzt.  Einst  schlägt  ein  Königssohn  bei  diesem  sein  Gezelt  auf,  da  öffnet 
sich  die  Rinde  und  ein  wunderschönes  Mädchen  kommt  zum  Vorschein. 
Mit  ihm  verlobt  sich  der  Prinz,  vergibst  und  verlässt  sie  dann  aber  und  will 
eine  andern  heirathen,  aber  am  Hochzeitstage  erscheint  das  Lorbeerkind 
mit  goldenem  Kleide  angethan,  leuchtet  wie  die  Sonne  und  ver- 


Die  lettischen  Sonnenmythen.  285 

breitet  solchen  Glanz,  dass  alle  Welt  geblendet  wird.  Der  Prinz 
erkennt  sie,  verabschiedet  die  andere  Braut,  und  feiert  mit  ihr  die  Vermählung. 
Die  Vertauschung  der  wahren  Braut  durch  eine  falsche  ist  bekannter  mythischer 
Ausdruck  für  Nacht  und  Winter;  das  goldene  Lorbeerkind  scheint  also  am 
Morgen  endgiltig  aus  dem  Baum  hervorzukommen  und  Hochzeit  zu  feiern. 
Einen  ähnlichen  Gedankeninhalt  dürfte  dann  das  serbische  Lied  (Vuk  I  505 
Talvj  Volksl.  d.  Serben  2.  Aufl.  Lpzg.   1853  II  S.  55)  haben. 

Fleht  zu  Gott  ein  junger  Knabe:  Gab  das  silberne  Geweih  iinn, 

„Gieb,  0  Gott,  mir  goldne  Hörn  er,  Und  er  spaltete  die  Kiefer, 

Gieb  mir  silbernes  Geweihe,  Sass  ein  junges  Mädchen  drinnen, 

Dass  ich  diese  Kiefer  spalte,  Das  gleich  einer  Sonne  strahlte. 

Dass  ich  sehe,  was  darinnen". 

Der  Knabe  ist  unschlüssig,  ob  er  um  sie  werben,  sie  rauben,  oder  sie 
lockensoll,  ihm  zu  folgen.  Sie  weist  die  beiden  ersten  Fälle  zurück:  „Lieber, 
locke  mich,  ich  komme!"  Dieselben  ersten  Lichterscheinungen  des  Morgens, 
welche  im  lettischen  Liede  bald  als  Zweig,  oder  als  Besen  (Badequast)  bald 
(wie  wir  sehen  werden)  als  Harke,  oder  Egge  aufgefasst  werden,  können 
auch  als  Hörner  oder  Geweih  beschrieben  werden.  So  heisst  im  Veda 
das  aus  den  Morgennebeln  emporsteigende  Sonnenross  goldgehörnt  (hiranya- 
9rngai),  auch  wird  die  Sonne  mehrfach  als  Hirsch  (altn.  solarhjörtr)  aufgefasst. 
Scheinen  wir  demnach  nicht  berechtigt,  falls  das  sonnengleich  strahlende,  im 
Nachtsonnenbaum  eingeschlossene  Mädchen  für  die  Sonnengottin  selbst  ge- 
nommen werden  dürfte,  in  dem  Knaben  den  Tag  zu  vermuthen,  der  mit  den 
Geweihzacken  der  ersten  Lichtstrahlen  des  Morgens  den  Baum  spaltet, 
die  Jungfrau  herausholt  und  zur  Seinen  macht? 

d^)  Die  finnisch-estnische  Wundereiche. 
Wir  können  vom  Sonnenbaum  nicht  Abschied  nehmen,  ohne  noch  einiger 
estnischer  und  finnischer  Lieder  zu  gedenken,  in  denen  von  einem  Wunder- 
baum die  Rede  ist,  der  den  Namen  estn.  Taaras  Eiche  (Taara  tamme) 
oder  finn.  Gottes  Eiche,  Gottesbaum  (puu  Jumalan)  trägt  und  vom 
Sonnensohn  estn.  Paiwapoega  oder  Taaras  Sohn  gepflanzt  wird.  Die 
betreffenden  Lieder  sind  a)  Kalewala  R.  II  V.  1—224  b)  Neuss  estnische 
Volkslieder  n.  10  S.  47  „die  Wundereiche"  c)  Kreutzwald  und  Neuss  mythische 
und  magische  Lieder  Abt.  I  n.  3.  S.  28  „die  Wundereiche  und  d)  ebends.  I 
n.  2.  c.  S.  26  „Schöpfungsmythen"  v.  31—40.  Der  Baum  entsteht  nach  a  und 
d  in  den  Urtagen  der  Schöpfung.  Nach  c  ist  die  Eichel  vom  Sohn  der  Sonne 
in  den  Schwendboden  eingepflanzt,  auch  a  lässt  einen  aus  dem  Meer  auf- 
steigenden Riesen  die  uranfänglichen  Gräser  lichterloh  entflammen,  und  in 
die  Asche  und  das  ungehackte  Land  die  Eichel  säen.  In  b  wächst  der 
Baum  aus  goldenen  Spänen,  oder  Kehricht,  der  vom  Meeresufer  ins  Meer 


•)  Vgl.  Kuhn,  Entwickelimgsstufen  S.  143. 


236  W"  Mannhardt: 

o-estäubt  worden.  Die  Eiche  erhebt  sich  in  den  Himmel  und  steht 
nach  d  als  die  schönste  inmitten  der  Welt.  Nach  b  will  sie  die  Wolken  mit 
den  Aesten  ändern,  des  Himmels  Wölbung  theilen.  Nach  c  sprengt  ihr 
Wipfel  die  Wolken,  hüllt  das  Sonnenlicht  und  den  Mondschein  ein  und  löscht 
das  Sternlicht  aus.  Nach  d  sinnt  die  Eiche  die  Wolken  zu  zerstreuen,  des 
Himmels  Dach  zu  stürzen,  den  Mond  auszulöschen,  die  Sterne  zu  verdecken. 
Nach  a  hält  sie  mit  ihrem  hundertfachen  Wipfel  die  Wolken  im  Laufe  auf 
und  missgönnt  Sonne  und  Mond  zu  leuchten.  Die  Eiche  wird  umgehauen 
in  a  von  einem  aus  dem  Meere  aufsteigenden  ganz  kupfernen 
Zwerge,  der  zu  Riesengrösse  emporwächst,  in  b  durch  die  Axt  des 
lieben  Bruders. 

Der  Eiche  Stamm  fällt  in  a  nach  Osten,  der  Wipfel  nach  Westen,  die 
auf  dem  Meere  schwimmenden  Späne  sammelt  die  Nordlandstochter, 
damit  der  Zauberer  sich  daraus  P  feile  schaffe,  jeder  abgeschnittene  Zweig  ge- 
währt ewige  Wohlfahrt,  das  Laub  beständige  Wonne,  der  Wipfel  Zauberkunde. 
Nun  können  die  Wolken  sich  verbreiten,  scheint  die  Sonne,  leuchtet  der  Mond. 
Nach  b  werden  aus  den  Splittern  des  Eichbaums  allerlei  Wunschdinge,  Wiegen, 
Speisetische,  des  Küsters  Sangtisch,  vor  allem  jedoch  des  lieben  Bru- 
ders Badehaus  geformt,  dem  der  Mond  als  Thüre  dient,  über  dem 
spielend  die  Sonne  steht  und  in  welchem  die  Sterne  tanzen.  In  c 
wird  der  Abfall  der  Eiche  mit  silbergezähntem  Goldrechen  zu  Nutzholz 
aus  dem  Meere  aufgeharkt. 

Es  ist  leicht  einzusehen,  dass  diese  vom  Sonnensohn  gepflanzte 
am  Meeresufer  emporwachsende  Himmelseiche,  die  zerschmettert  wird  und 
deren  Wipfel  und  Splitter  aufgelesen  werden,  mit  dem  zerschmetterten  Eich- 
baum in  den  lettischen  Sonnenliedern  identisch  sei.  Bestätigend  kommt 
hinzu,  dass  das  Bild  des  Harkens  in  den  Liedern  65.  66.  67  ebenfalls  vor- 
handen ist.  Nach  dem  estnischen  Liede  (b)  scheint  der  Tagesssonnen- 
baum  gemeint.  Die  Eiche  wächst  an  dem  mit  goldenem  Besen  gekehrten 
Uferrande  des  Meeres,  sie  will  des  Himmels  Wölbung  theilen,  Wolken  mit 
ihren  Aesten  verändern.  Aber  sie  wird  umgehauen  (vom  Mittag  bis  Abend) 
und  aus  ihr  die  Badstube  (das  Dampfbad)  des  Bruders  (Abendroth)  gebaut, 
dessen  Thüre  der  Mond  ist,  und  in  dem  die  Sterne  tanzen  (Nachthimmel!). 
Wenn  in  zwei  anderen  Fassungen  die  Zweige  der  Wundereiche  so  dicht 
wachsen,  dass  sie  das  Licht  von  Sonne  und  Mond  auslöschen,  so  kann  das 
nur  misverständliche  Uebertreibung  sein,  welche  sich  natürlich  leicht  einstellte, 
sobald  man  die  Naturbedeutung  des  wunderbaren  Baumes  vergessen  hatte. 
Der  Prairiebrand,  das  Schwenden,  welches  dem  Säen  der  Eichel  vorauf- 
geht, erklärt  sich  nunmehr  als  das  Morgenroth,  gegenüber  dem  Abendroth, 
als  dem  Bad  efeuer  des  Bruders. 

Afanasieff  (poetische  Naturanschauungen  H  S.  297)  erklärt  den  Baum 
in  Kalewala  H  1—224  für  den  „Wolkenbaum".  Das  Verdunkeln  des  Sonn- 
und  Mondlichtes  könnte  au   den  bedeckten   Wolkenhimmel,    der  durch   „den 


Die  lettischen  Sonnenmythen.  28  7 

Gewitterzwerg"  zu  Falle  kommt,  erinnern,  wenn  einerseits  die  Uebertragung 
der  Benennung  und  Auffassung  des  „Wetterbaumes'^  von  der  Federwolke 
auf  die  dicke  Gewitterwolke  (Grummelkopp)  nachweisbar  wäre,  andererseits 
diese  estnisch-finnische  Eiche  von  der  durch  Perkun  zerschmetterten  Eiche 
der  lettischen  Sonnenlieder  getrennt  werden  milsste. 

q)  Sonncnthränen.  So  anmuthend  der  Gedanke  sein  möchte,  etwa 
die  runden  rothen  Preisseibeeren  wegen  ihrer  rothen  Farbe  für  die  in  11  ge- 
nannten Thränen  der  Sonne  zu  halten,  so  glaube  ich  doch,  dass  einzelne 
rothe  Abendwölkchen  mit  den  rothen'^ Beeren  gemeint  seien,  welche  die 
Sonne  aus  Trauer  über  ihren  Untergang  (vgl.  28.  32)  weint.  Auch  sonst 
werden  die  Sonnenthränen  als  etwas  sehr  Liebliches  erwähnt.     U.  45: 

Mir  erwuchsen  zwei  der  Brüder, 
Beide  Erbsenblüten  schön! 
Für  sie  freit'  ich  Schwägerinnen, 
Wie  zwei  lichte  Sonnentrilhiien. 

r)  Die  Sonne  warf  den  Mond  mit  einem  silbernen  Stein  71a.  Hier 
ist  einmal  wieder  ein  täglicher  Vorgang  in  der  Weise  des  echten  Mythus  zu 
einer  einmaligen  Handlung  gemacht  und  deshalb  konnte  der  dreitägige  Streit 
mit  Gott  hinzugefügt  werden.  Der  Steinwurf  ist  nämlich  nichts  anderes,  als 
der  Sonnenaufgang,  durch  den  der  Mond  stirbt,  der  Stein,  mit  welchem 
die  Sonnengottheit  wirft,  gradeso  wie  oben  der  Apfel,  Becher  u.  s.  w.  der 
Sonnenball  selbst.  Das  Verständniss  dieses  Bildes  hat  Kuhn  durch  die 
Nachweisungen  in  seiner  Abhandlung  „über  die  Entwickelungsstufen  der 
Mythenbildung"  Schriften  der  Berl.  Akad.  phil.  histor.  Kl.  1874  S.  144— US 
angebahnt,  indem  er  nach  dem  Vorgang  von  Schwartz,  Sonne,  Mond  und  Sterne 
S.  1 — 3  bei  Griechen,  Russen,  Deutschen,  Indern  die  Auffassung  der  Sonne 
als  eines  glühenden  Steines  oder  eines  Edelsteines  darthat.  Noch  Anaxagoras 
soll  dieser  Ansicht  gewesen  sein.  Plat.  Apol.  p.  2G  D.  l:itl  lov  jtiiv  rj?uoi' 
lil^ov  (prjalv  thai.  Im  ags.  Gespräch  zw.  Ritheus  und  Adrian  hcisst  die  Sonne 
bymende  stän  (brennender  Stein),  wie  sonst  Edelstein  des  Himmels  heofones 
gim  altn.  gimsteinn  himins.  In  russischen  Zaubersprüchen  zagovorui  ist  viel 
die  Rede  von  der  im  Osten  liegenden  Insel  Bujan,  einer  der  vielen  Formen 
des  Paradieses  Rai,  dort  ist  die  Heiraath  der  Sonne,  dahin  begiebt  sie  sich 
jeden  Abend  nach  Sonnenuntergang,  von  dort  beginnt  sie  Morgens  ihren  Lauf. 
Dort  befindet  sich  die  tröpfelnde  Eiche  (vgl.  den  tropfenden  Sonnenbaum 
des  norwegischen  Räthsels),  unter  der  der  Drache  Garafenu  liegt  und  dort 
wohnt  die  göttliche  Jungfrau  Zoryä  (die  Morgenröthe,  Dämmerung).  Dort 
auch  liegt  (auf  der  Insel  Bujan)  der  feurige  oder  leicht  in  Flammen 
zu  setzende  Stein  Alatir,  mit  dem  in  allen  Varianten  die  Idee  der 
Wärme  verbunden  ist.  „Schau  auf  die  See,  sagt  in  einem  Liede  ein  Gatte 
zu  seiner  Frau,  wenn  der  feurige  weisse  Stein  kalt  wird,  kehre  ich 


288  W.  Mannhardt: 

zurück"  d.h.  niemals.')  Schon  0.  Miller')  hat  in  dem  feurigen  Stein  Alatir 
die  Sonne  erkannt.  Die  Inder  endlich  benennen  die  Sonne  dinamani  oder 
aharmani,  Edelstein  des  Tages,  im  Rigveda  wird  sie  als  der  bunte  Stein  be- 
zeichnet R.  V.  5,  47,  4.  „der  in  die  Mitte  des  Himmels  gestellte  bunte 
Stein  schreitet  daher  und  schützt  des  Luftkreises  Grenzen. 2)  7gl.  den 
das  Augenlicht  wiedergebenden,  alle  Wünsche  befriedigenden  Stein  cintä- 
mani,  den  Mondstein  candrakanta  und  Sonnenstein  süryakänta  der  buddhis- 
tischen Legende  und  Märchen.^)  Die  griechischen  Sagen  von  Kadmos,  Jason, 
Sisyphus,  die  nordischen  von  Odhinn  und  Baugis  Knechten,  in  denen  von 
einem  Stein wurf  die  Rede  ist,  werden  von  Kuhn  nicht  ohne  Wahrscheinlich- 
keit als  Sonnenmythen  in  Anspruch  genommen ;  und  schon  Schirren  fand  die 
nämliche  Idee  in  der  neuseeländischen  Sage  ausgedrückt  S.  145:  „die  Sonne 
ist  der  Stein,  den  Tangaroa  vom  Himmel  wirft." 

s)  Das  Thor  der  Sonne.  „Wo  eine  barbarische  Kosmologie  —  be- 
merkt Tylor  mit  Recht-^)  —  der  Lehre  von  einem  Firmamente  huldigt,  das 
sich  über  der  Erde  wölbt,  und  von  einer  Unterwelt,  wohin  die  Sonne  hinab- 
steigt, wenn  sie  untergeht,  da  ist  die  Vorstellung  von  Thoren  oder  Portalen, 
mag  sie  wirklich  oder  metaphorisch  gemeint  sein,  an  ihrem  Platze.  Dahin 
gehört  das  grosse  Thor,  das  nach  der  Ansicht  des  Negers  von  der  Goldküste 
der  Himmel  jeden  Abend  für  die  Sonne  öffnet."  Nach  dem  lettischen  Liede 
19  fährt  die  Sonne  Abends  zu  Hof  durch  ein  silbernes  Thor.  Im  deutschen 
Sonnenlied  aus  Pressburg  (0.  S.  99)  lautet  es  entsprechend: 

Liabi  Frau  mach's  Türl  auf, 
Läss  di  liabi  Sunn'  herauf, 
Läss  'n  Regn  diina. 

Die  Märchen  von  den  in  den  Brunnen  gefallenen  Mädchen  (Goldmariken 
und  Pechmariken  o.  S.  223)  lassen  die  eine  durch  ein  goldenes,  Gold 
herabschüttendes  Thor  [das  Thor  des  Morgens],  die  andere  durch  ein 
mit  schwarzem  Pech  bestreuendes  Thor  [dasjenige  der  NachtJ  zurückkehren.*^) 

Das  lettische  Lied  n.  19  spricht  aber  nicht  allein  von  einem,  sondern  von 
drei  hohen  silbernen  Thoren,  durch  deren  eines  Gott  selbst  einfährt,  durch  das 
zweite  fährt  Maria,  durch  das  dritte  die  Sonne.  Ich  weiss  das  noch  nicht  zu  deuten, 
augenscheinlich  aber  steht  die  von  Schröer  in  Bartsch's  (Pfeiffers)  Germania  XIX 
1874S.430  angeführte  Redensart  aus  Gottschee  „die  Sonne  geht  Gott  folgen" 
statt  „die  Sonne  geht  unter"  hiemit  in  Zusammenhang.  Die  drei  Thore  führen  der 
in  19  ausgesprochenen  Vorstellung  nach  zu  einem  prächtigen  Hofe,  der  eins 


')  Ralston  Songs  of  the  Russian  people  375  ff. 
■■'')  Bei  Krek  die  Wichtigkeit  der  siav.  tradition.  Literatur  S.  83. 

^)  Justi  in  Bcnfcys  Orient  und  Occidcnt  II  (31.    Krek  a.  a.  0.  C4.     Kuhn,    Entwickelungs- 
stufen  S.  146. 

*)  Benfey  Pantschatantra  I  S.  215.  169. 
*)  Anfänge  der  Cultur  I  342. 
«)  Germ.  Myth.  438. 


Die  lettischen  Sonnenmythen.  289 

ist  mit  dem  goldenen  Schlosse  der  slovenischen  Ueberlieferung  (o.  S.  95) 
und  zahlreicher  Märchen  (z,  B.  o  S.  214  S.  225).  Von  einer  Burg,  in  wel- 
cher die  Sonne  zur  Ruhe  geht,  sprechen  mehre  mittelalterliche  Quellen. 
Hvät  hPitte  seo  burh,  paer  sunne  up  on  morgen  ga<y?  Jaiaca  hätte  seo 
burh  (Adrianus  und  Ritheus  29)  hvar  gä(5"  seo  sunne  on  sefen  to  setle. 
Garita  (Janita)  hätte  seo  burh  (Salomon  and  Saturnus  2f5  Adr.  a.  Rith.  30) 
Ez  was  nu  worden  späte,  der  sunnen  schin  gelac  verborgen  hinder  wölken  ze 
Gus träte  verre  (Bartsch:  Gulsträte  nach  Parziv.  1  251  Gylstram)  Kudr. 
1164,  2.  Ze  Geiläte,  da  diu  sunne  ir  gesidel  hat.  Morolf  146.  Die  Her- 
kunft dieser  Ausdrücke  ist  noch  ungewiss,  s.  darüber  MüUenlioti  und  Scherer 
Denkmäler  1864  S.  346.  Schröers  Ausführungen  in  Bartsch's  Germania  XIX 
4.30,  der  in  Gusträte,  Gulsträte  eine  Verderbniss  von  Guldsträte  (vgl.  die 
Goldstrasse  o.  S.  215),  in  Geiläte  eine  auf  angelsächsische  Quellen,  und  zwar 
die  Redensart  „sun  go  to  glade,  die  Sonne  geht  zu  Glänze  d.  h.  sie  geht 
unter"  zurückleitende  Formel  erkennen  will,  verdienen  genauere  Prüfung. 

t.  Abend-  und  Morgenstern  bedienen  die  Sonne.  Percuna 
tete.  Der  Sonne  Dienstmagd.  Nach  den  beiden  litauischen  Liedern  4 
und  76  macht  der  Abendstern  Abends  der  Sonne  das  Bett,  der  Morgenstern 
facht  ihr  Morgens  das  Feuer  (d.h.  die  Morgenröthe)  an.  Diese  Personi- 
ficationen  sind  dabei  entsprechend  dem  weiblichen  Geschlecht  von  Wakarine 
und  Auszrine  als  Frauen  zu  denken.  Aus  6  schöpfe  ich  die  Vermuthung, 
dass  das  Feuer  der  Badstube  damit  gemeint  sei.  Ist  dies  richtig,  so  wird 
die  Angabe  Laszkowskis  in  91,  dass  die  Donners-Muhme  die  ermüdete  und 
staubbedeckte  Sonne  Abends  mit  einem  Bade  empfange  und  Morgens  ge- 
reinigt wieder  entlasse,  vollständig  verständlich.  Denn  die  Percuna  tete,  die 
Muhme  des  Donners,  ist  sicherlich  niemand  anderes,  als  die  Wakarine- 
Auszrine,  der  Planet  Venus.  Ich  erhärte  diese  Behauptung  durch  die  Ana- 
logie eines  serbischen  Liedes  (Vuk  I  131.  Talvj  Volksl.  d.  Serb.  2.  Aufl. 
II  91.  vgl.  0.  S.  221).  Der  Morgenstern  freit  für  den  Mond,  seinen 
Bruder,  um  den  Blitz  der  Wolken,  erscheint  also  als  des  Blitzes 
Schwager.  Mit  gleichem  Recht  durfte  er  dem  Litauer  als  Vatersschwester 
des  Morgensternes  gelten. 

Erscheinen  hienach  dem  Litauer  Morgenstern  und  Abendstern  als  Dienst- 
mägde der  Sonne,  so  werden  wir  sie  weiterhin  aus  lettischer  Ueberlieferung 
als  Arbeiter  des  Perkun  kennen  lernen. 

Eine  andere  Bedeutung  jedoch  muss  die  Dienstmagd  der  Sonne  in 
61  haben,  welche  an  Stelle  ihrer  Herrin,  wenn  diese  verhüllt  ist,  leuchtet. 
Dieses  Lied  erinnert  vielmehr  an  den  norwegischen  Ausdruck  Solmoy^)  d  i. 
Mädchen,  Dienstmagd  der  Sonne  für  Nebensonne,  LichtÜecken  in  der  Nähe 
der  Sonne  bei  nebliger  Luft. 

u.    Panu.     Neben  allen  diesen  Vorstellungen  von   der    Sonne    muss    es 


')  J.  Aasen  norsk  Ordbog  s.  v.  Solmoy  und  moy. 


290  ^'  Mannhardt: 

im  lettischen  Alterthum  noch  eine  andere,  abweichende  gegeben  haben,  wo- 
nach die  Sonne  selbst  Feuer  ist,  welches  jeden  Morgen  von  Panu,  dem 
Feuergotte,  in  einen  Kupferring  getragen,  oder  darin  durch  Drehung  erzeugt 
wird.  Das  heilige  Feuer  des  Hauses  oder  Götterheiligthums  galt  als  Ab- 
bild dieses  Sonnenfeuers  und  wurde  wahrscheinlich  auch  durch  Drehung 
erzeugt. 

Ein  heiliges,  immerwährendes  Feuer  wird  bei  den  lettischen  Völkern 
mehrfach  erwähnt.  Ein  solches  unterhielt  nach  Dusburg  der  Kriwe  in  Romowe 
(fovebat  jugem  ignera).  Dlugosz  zählt  bei  der  Bekehrung  Oberlitauens  zum 
Christenthum  unter  den  vornehmsten  Gegenständen  der  Verehrung  das  Feuer 
auf:  „Ignis,  qui  per  sacerdotes  subjectis  lignis  nocte  atque  interdiu  colebatur". 
Von  Wladislaw  Jagiello  heisst  es  sodann,  dass  er  das  ewige  Feuer  in  der 
Hauptstadt  Wilna  unterdrückt  habe.  Von  Witold,  dem  Zerstörer  des  Heiden- 
thums  in  Zemaiten  Anfangs  des  fünfzehnten  Jahrhunderts  sagt  er  „et  ad 
praecipuum  Samagitharum  numen,  ignem  videlicet,  quem  sacrosanctum  et 
perpetuum  putabant,  qui  in  montis  altissimi  jugo  super  fluvium  Nyewasza 
sito  lignorum  assidua  appositione  a  sacrorum  sacerdote  alebatur,  acce- 
dens,  turrim,  in  qua  eonsistebat,  incendit  et  ignem  disjicit  et  extinguit". 
Wenige  Zeit  später  kam  der  Missionar  Hieronymus  von  Prag  in  Zemaiten 
zu  einer  Gegend,  wo  ein  ewiges  Feuer  unterhalten  wurde.  „Post  hoc  gentem 
reperit,  quae  sacrum  colebat  ignem  eumque  perpetuum  appellabant.  Sacer- 
dotes semper  materiam,  ne  deficeret,  ministrabant."  Das  heilige  Feuer  muss 
in  feierlicher  Rede  mit  dem  alten  Worte  panu  bezeichnet  sein,  welches  im 
Elbinger  altpreussiscben  Vocabular  durch  die  Formen  panno  Feuer,  panustaclan 
Feuerstahl  bezeugt  wird.*)  Im  Sudauer-Büchlein,  einer  zwischen  1526 — 1530 
verfassten  Denkschrift,  nimmt  die  sudanische  Braut  in  der  nordwestlichsten 
Ecke  des  Samlands  von  der  Feuerstätte  des  Elternhauses  mit  der  Anrede 
Abschied  „Oho  mey  mile  swente  panike"  d.  i.  o  mein  liebes  heiliges 
Feuerchen!  Noch  im  17.  Jahrhundert  sprach  nach  des  Matthäus  Prätorius 
Schaubühne  der  Litauer  um  Gumbinnen  von  dem  Feuer  als  der  „szwenta 
Ponyke"  und  namentlich  Abends  beim  Verscharren  redeten  sie  es  an  „Szwenta 
Ponyke  (ugnele)  ich  will  dich  recht  schön  begraben,  damit  du  nicht  über 
mich  zürnen  mögest."  Andere  ältere  und  jüngere  Zeugnisse  für  den  Feuer- 
kult übergehe  ich  hier,  um  sofort  auf  den  finnischen  Feuergott  Panu  hinzu- 
weisen, dessen  aus  uralaltaischem  Sprachschatz  nicht  erklärlicher,  im  Finnischen 
allein  stehender  Name,  offenbar  den  Letten  entlehnt,  2)  auch  die  Herübernahme 
der  an  ihm  haftenden  Mythen  aus  altlettischer  Ueberlieferung  wahrschein- 
lich macht.  Er  heisst  der  Sohn  der  Sonne  Paiwan  poika.  Wainä- 
moinen,  über  die  verheerenden  Wirkungen  des  Feuers  bestürzt,  redet  ihn 
Kalew.  48  v.  301  ff.  an: 


')  Urverwandt  sind  gr.  naföi  Fackel,  Feuerbrand,  goth.  fon  Feuer. 

')  Kuhn  (Ilerabk.  113)  leitet  Panu  mit  Schiefner  irrig  von  schwed.  fan  Teufel. 


Die  lettischen  Sonnenmythen.  291 

Feuer,  du,  von  Gott  geschaffen,  Dass  du  meine  Wangen  sengtest, 

Panu,  du,  o  Sohn  der  Sonne!  Meine  Hüften  mir  verbranntest? 

Wer  hat  dich  so  sehr  erzürnet, 

Ein  Gebet  in  der  älteren  Ausgabe  der  Kalewala  R.  24  V.  431—441 
(bei  Castren,  Finn.  Myth.  übers,  v.  Schiefner  S.  56)  heisst  ihn  den  Ring  der 
Sonne  mit  Feuer  füllen: 

Panu,  du,  o  Sohn  der  Sonne,  Trag  es,  wie  ein  Kind  zur  Mutter, 

Du,  0  Spross  des  lieben  Tages!  In  den  Schooss  der  lieben  Alten  — 

Heb'  das  Feuer  auf  zum  Himmel  Stell'  es  hin  den  Tag  zu  leuchten, 

In  des  goldnen  Ringes  Mitte,  In  den  Nächten  auszuruhen. 

In  des  Kupferfelsens  Innre!  Lass  es  jeden  Morgen  aufgehn. 

Jeden  Abend  niedersinken. 

Eine   Feuerbeschwörung    in    Topelius  finnischen    Runen     III   p.    17 — 19 

(vgl.  Kuhn  Herabkunft  des  Feuers  S.  110)  ruft  Panutar  an  mit  Schnee,  Reif 

und  Eis  dem  Panu  die  Manneskraft  zu  rauben. 

Tuonis  Sohn,  der  arme  Panu, 
Butterte  im  Feuerfasse, 
Fleissig  Funken  um  sich  werfend, 
Angetan  mit  reinem  Anzug 
In  dem  glänzenden  Gewände. 

Kuhn  a.a.O.  113  folgerte  aus  diesen  Ueberlieferungen  wohl  mit  Recht,  dass 
Panu  Morgens  das  Feuer  der  Sonne  anzuzünden  die  Aufgabe  hatte,  und  dass 
man  diesen  Vorgang  nach  Art  der  Butterung,  als  Umrührung  in  einem  Fasse 
mit  einem  Stössel  gedacht  hat,  nur  scheint  es  mir,  dass  man  das  Buttern  im 
Feuerfasse  nicht  auf  den  Aufgang  der  Sonne  zu  beschränken,  sondern  als 
eine  sinnliche  Auffassung  der  flimmernden  Bewegung  des  Lichtes  in  der 
Sonnenscheibe  während  des  ganzen  Tages  zu  deuten  habe.  Offenbar  aber, 
80  glaube  ich  weiter  folgern  zu  dürfen,  war  diese  Anschauung  nur  eine  Ueber- 
tragung,  ein  Schluss  von  dem  heiligen  Feuer  auf  Erden,  das  als  Abbild  des 
Sonnenfeuers  galt,  auf  die  Entstehung  des  letzteren,  und  so  dürfte  sich  auf 
diese  Weise  ergeben,  dass  das  heilige,  ewige  Feuer  der  Letten  (Preussen, 
Litauer,  Letten^,  wenn  es  doch  einmal  erlosch,  ebenso  wie  in  gleichem  Fslle 
dasjenige  der  Vesta,  durch  Drehung  oder  Reibung  nach  der  ältesten  Weise 
der  Feuerbereitung  wieder  angezündet  worden  ist. 

V.    Raub  und  Befreiung  der  Sonne. 

In  dem  im  Jahre  1432  mündlich  erstatteten,  und  von  Aenea  Silvio  di 
Piccolomini,  später  Papst  Pius  II.  sofort  im  Tagebuch  verzeichneten,  sodann 
nach  Jahrzehnten  in  dessen  „Europa"  veröffentlichten  Bericht  des  Calmaldu- 
lenser  Mönchs  Hieronymus  aus  Prag  über  einige  Erlebnisse  auf  seiner 
Missionsreise  in  Niederlitauen  findet  sich  auch  die  folgende  Angabe :  Profectus 
introrsus  (Hieronymus)  aliam  gentem  reperit,  quae  So  lern  colebat  et  mal- 
leum  ferreum  rarae  magnitudinis  singulari  cultu  venerabatur. 
Interrogati  sacerdotes,  quid  ea  sibi  veneratio  vellet,  responderunt  olim  pluribus 
mensibus  non  fuisse  visum  solem,  quem  rex  potentissimus  captum  reclusisset 
in  carcere  munitissimae  turris.     Signa  zodiaci  deinde   opem  tulisse   Soli  in- 


292  W-  Mannhardt: 

gentique  malleo  perfregisse  turrim,  Solem  liberatum  hominibus  restituisse. 
DigDum  itaque  veneratu  instrumentum  esse,  quo  mortales  lucem  reperissent. 
Risit  eorum  simplicitatem  Hieronymus  inanemque  fabulam  esse  demonstravit. 
Solem  vero  et  lunam  et  Stellas  creatas  esse  ostendit,  quibus  maximus  Deus 
ornavit  coelos  et  ad  utilitatem  hominum  perpetuo  jussit  igne  lucere.  Die 
nächtliche  oder  winterliche  Verfinsterung  der  Sonne  als  einen  Raub  darzu- 
stellen, ist  die  Sache  vieler  Mythen  bei  verschiedenen  Völkern.  In  der  Form 
am  nächsten  liegt  wohl  die  finnische  Erzählung,  dass  die  finstere  Nordlands- 
königin Sonne  und  Mond  ergriff  und  in  einen  eisenfesten  Steinberg  einschloss. 
Im  zemaitischen  Mythus  ist  die  winterliche  Verfinsterung  des  Tagesgestirnes 
gemeint.  Dass  die  Zeichen  des  Thierkreises,  oder  vielmehr  Personificationen 
derselben  als  die  Befreier  gedacht  werden,  ist  nicht  auffällig.  Sie  finden 
auch  in  der  slavischen  Mythe  Berücksichtigung.  Nach  russischer  Sage  herrscht 
König  Sonne  über  zwölf  Reiche,  die  zwölf  Stationen  des  Thierkreises, 
er  selbst  wohnt  in  der  Sonne  und  seine  Söhne  in  den  Sternen;  nach  slova- 
kischera  Glauben  dienen  der  Sonne,  als  dem  Beherrscher  von  Himmel  und 
Erde,  zwölf  Mädchen,  immer  jung,  immer  schön.')  Ebensowohl  konnten 
die  zwölf  Monate,  oder  die  zwölf  Zeichen  des  Thierkreises  zur  Erlösung  der 
gefangenen  Himmelstochter  im  regelmässigen  Jahresumlauf  persönlich  gemacht 
werden. 

Der  Hammer,  mit  dem  dies  geschehen  sein  sollte,  und  als  dessen  Abbild 
ein  grosser  eiserner  Hammer  galt,  lässt  die  Vermuthung  autkommen,  dass 
die  Befreiung  durch  die  zwölf  Zeichen  des  Thierkreises  in  den  Gewittern 
des  Frühlings  geschehen  vorgestellt  wurde.  Es  stimmt  nämlich  zu  dieser 
Angabe  des  Hieronymus  von  der  Aufbewahrung  eines  grossen  eisernen 
Hammers  in  Zemaiten  die  Erzählung  des  Saxo  Grammaticus  (Histor. 
Dan.  XIII  630  P.  E.  Müller)  von  der  Beute,  welche  der  dänische  Prinz 
Magnus,  der  Sohn  des  Königs  Nicolaus  (Niels  1105—1134)  aus  einem  Kriegs- 
zuge nach  Osten  (Estland,  wie  es  scheint)  mitbrachte.  Inter  caetera  tro- 
phaeorum  suorum  insignia  inusitati  ponderis  malleos  quos  Joviales  voca- 
bant  apud  insularum  quandam  prisca  virorum  religione  cultos  in  patriam  de- 
portandos  curavit.  Cupiens  euim  antiquitas  tonitruorum  causas  usitata  rerum 
similitudine  comprehendere,  malleos,  quibus  coeli  fragores  cieri  cre- 
debat,  ingenti  aere  complexa  fuerat,  aptissime  tantae  sonoritatis  vim 
machinarum  fabrilium  specie  imitandam  existimans.  Magnus  vero  Christianae 
disciplinae  studio  paganam  perosus  et  fanum  cultu  et  Jovem  insignibus  spoliare 
sanctitatis  loco  habuit. 

In  Skandinavien  verfertigte  man  Thorshämmer,  Nachbildungen  des  Miöl- 
nir  zu  Zauberzwecken  bis    in  neuere    Zeit^)    und    in   Gräbern    des   jüngeren 


')  Journal  des  Ministeriums  der  VolksaufkläruBg  1846  VII  S.  38.  43.  46.  bei  Afanasieff, 
poetische  Naturanschauungen  dor  Russen  I  S.  82. 

=0  Noch  1858  sah  Konrad  Maurer  zu  Husavik  auf  Island  einen  solchen  roh  aus  Erz  geschmie- 
det, drei  Zoll  lang  mit  einem  losen,  etwas  kürzeren  Schaft,  der  sich  mittelst  eines  Loches  in  den 


Die  lettischen  Sonnenmythen.  293 

Eisenalters  hat  man  in  Schweden  und  Dänemark  kleine  Hämmer  von  Silber, 
Nachbildungen  des  im  jungem  Eisenalter  gebräuchlichen  Eisenhammers,  mehr- 
fach mit  noch  daran  hangender  Halskette,  gefunden,  welche  unzweifelhaft  als 
Amulete  getragen  wurden  und  den  Hammer  des  Donnergottes  Thor  darstellten. 
Die  schwedischen  Funde  dieser  Art  sind  zusammengestellt  und  abgebildet 
von  H.  0.  H.  Hildebrand  in  Kongl.  Vitterhets  Historie  och  Antiquitets 
Akademiens  Mänadsblad  1872  n.  4  p.  49—55.  Vgl.  Montelius,  Svenska  Forn- 
saker.  S.  174—175  Fig.  624—628.  Ein  dänischer  Thorshammer  (Amulet) 
aus  Silber,  bei  J.  Worsaae,  Afbildninger  Kbhvn.   1854  S.  89  Fig.  351. 

Kein  Zeugniss  freihch,  so  weit  meine  Kenntniss  reicht,  spricht  dafür, 
dass  der  lettische  Stamm  seinen  Perkun  ebenfalls  mit  dem  Attribute  eines 
metallenen  Hammers  ausgerüstet  habe,    nur  der  rohere  und  ältere  und  so  zu 


Kopf  stecken  Hess.  Der  Volksglaube  schrieb  vor,  dass  "solcher  Hammer  aus  dreimal  gestohlener 
Glockenspeise  am  Pfingstsountage  geschmiedet  und  mit  Menschenblut  gehärtet  werde.  Ist  dann 
Jemand  bestohlen,  so  sticht  er  mit  dem  Stiele  lu  den  Kopf  des  Hammers  und  spricht:  rek  eg 
i  augu  Vigfödurs,  rek  eg  i  augu  Valfüdurs,  rek'eg  1  augu  Asapors,  ,ich  treibe  in  das  Auge 
des  Kampfvaters  (Odins),  ich  treibe  in  das  Auge  des  Todtenvaters  (Odins),  ich  treibe  in  das 
Auge  Asathors".  Dann  bekommt  der  Dieb  eine  Augenkrankheit,  die  ihn  seine  Augen  verlieren 
lässt,  wenn  er  bis  zur  dreimaligen  Wiederholung  der  Ceremonie  das  Gestohlene  nicht  zurück- 
gebracht hat.  K.  Maurer  Island.  Volkss.  d.  Gegenwart  S.  ICD  ff.  Oder  man  zeichnet  mit  seinem 
Blute  einen  Kopf  und  zwei  Augen  auf  ein  Blatt  Papier,  sticht  mit  einem  stählernen  Stift  in 
die  Augen  und  schlägt  mit  dem  ThorshBmmer  drauf.  J.  Arnason,  Islenzkar  Thjodsügur  I  445. 
Diese  letztere  Art  des  Zaubers  war  auch  in  deutschen  Landen  verbreitet.  „Ex  oculo  excusso 
sie  für  cognoscetur.  Primum  leguutur  Septem  Psalmi  cum  Letania:  deinde  formidabiiis  subse- 
quitur  oratio  ad  Deum  Patrem  et  Christum,  item  exorcismus  in  furem  hinc  in  medio  ad 
oculi  similitudinem  vestigio  figurae  circularis  nominibus  barbaris  notatae,  figitur 
clavus  aeneus  triangularis,  conditionibus  certis  consecratus,  incutiturque  mal- 
leo  cypressino  et  dicitur:  Justus  es.  Domine,  et  justa  judicia  tua.  Tum  für  ex  clamore 
prodetur.  J.  Wieri  de  praestigiis  Daemonum.  Basileae  1583.  1.  V.  p.  521.  Mehrere  Beispiele 
solches  Verfahrens  aus  Rostock  und  Güstrow,  wo  der  beim  Sclimiede  Rathsuchende  selbst  das 
Auge  verlor,  weil  das  vermisste  Gut  gar  nicht  gestohlen  war,  im  anderen  Falle  das  Söhnchen 
des  Abergläubigen  als  Verbringer  des  silbernen  Löffels  ums  Auge  kam,  bringt  Delrio,  disquis, 
mag.  IV.  c  II  qu.  VI  sect.  IV  p.  480  Moguntiae  1617  bei,  daraus  u.  a.  Gödelmann,  J.  W.  Wolf 
D.  Sagen  S.  459.  H.  Pröhle  D.  Sag.  108.  n.  69.  Vgl.  (wol  aus  dem  Meisuischen)  Rivanders 
Exempelbuch:  „Es  wird  ein  Auge  auf  den  Tisch  gemalt  und  ein  besworener  Nagel  hinein 
geschlagen.  Wird  er  feucht,  dann  ist  der  Dieb  getroffen.  Item  er  ;habe  niemand  kein  Auge 
aussgeschlagen,  wiewohl  ers  einmal  versucht,  es  sei  ihm  aber  nicht  gelmigeu,  denn  ob  er  wol 
durch  den  beschwehrten  Nagel  auff  das  Auge,  so  er  auff  einen  Tisch  gemahlet,  geschlagen,  so 
sei  doch  das  nichts  gewesen,  weil  das  geschriebene  Auge  nicht  feucht  sei  geworden."  —  Aus 
Holstein  gewährt  einen  interessanten  Belag  die  von  G.  Freytag  Neue  Bilder  a.  d.  Leben  d.  D. 
Volkes  S.  226  mitgetheilte  Lebensbeschreibung  des  Hofpredigers  in  Eutin,  Petersen.  Einem 
Kammerjunker  des  Bischofs  von  Lübeck,  Herzogs  von  Holstein,  waren  im  Jahre  1671  500  Rthlr. 
aus  seiner  Kammer  verschwunden.  Damit  er  wieder  zu  seinem  Gelde  käme,  ging  er  zum  Erb- 
schmied nach  dem  Dorfe  Zernikow,  um  dem  Dieb  das  Auge  ausschlagen  zu  lassen,  und  damit 
dieser  es  thun  möchte,  Hess  er  ihm  durch  einen  Einspänner  (beritteneu  Söldner)  sagen,  dass  der 
Bischof  es  so  haben  wollte.  Wenn  der  Schmied  solches  Werk  verrichten  will,  muss  er  drei  Sonn- 
tage nacheinender  einen  Nagel  verfertigen,  und  am  letzten  Sonntag  diesen  Nagel  an  einem  dazu 
gemachten  Kopf  einschlagen,  worauf  dem  Dieb,  wie  sie  sagen,  das  Auge  ausfallen  muss.  Er 
muss  auch  um  Mitternacht  nackend  aufstehen  und  rücklings  nach  einer  Hütte,  die  er  neu  im 
freien  Felde  aufgebaut  hat,  hingehen  und  zu  einem  neuen  grossen  Blasebalg  treten,  ihn  ziehen 


294  ^-  Mannhardt: 

sagen  über  die  ganze  "Welt  verbreitete^)  Glaube,  dass  im  Gewitter  ein  Stein 
oder  eine  Kugel    herabgeschleudert    werde,    ist    nachweisbar.     Der   Belemnit 
heisst  Perkuno  akmu,  Perkun8(?)  oder  des  Donners   Stein.     Der    Stein    wird 
mehrfach  als  Kugel  gedacht.     Denn  man  redet  lettisch    von   Perkuna    lohde, 
lit  Perkuno  kulka,  Donnerkugel.     Man  sagt,  die  Perkuna  lohde,  der  Donner- 
keil, fahre  mit  dem  Blitz  in  die  Erde  und  komme  nach  sieben  Tagen  wieder 
heraus.   Sie  schützt  das  Haus  vor  Blitzschlag,  die  Milch  vor  Sauerwerden  u.  s.  w. 
Der  Name  P er kun kulka  geht  auch  über  auf  in  der  Erde  gefundene  Stein- 
hämmer.    Dieselben  sollen  ebenfalls  vor  Gewitter   schützen,    kranke    Glieder 
heilen  u.  s.  w.^)     Und  schon    in    heidnischer    Zeit    (im    Eisenalter    oder    der 
Bronzezeit)  hat  man  in  jenen  Waffen  aus  der  Steinzeit  die  aus  dem  Gewitter 
gefallenen    Blitzsteine    erkennen    wollen,    oder  —  was  noch  wahrscheinlicher 
ist  —  schon  Menschen  des   Steinalters   dachten    sich    den    Natur- 
vorgang der  Art,    dass   eine  göttliche  Persönlichkeit  eine  Waffe 
der  damals  gebräuclhlichen  Art  herunterschleudere.    Dies  geht  aus 
einem    merkwürdigen    Fundstück    in    der    reichhaltigen  Sammlung  des  Herrn 
Dr.  Marschall  in  Marienburg  i.  W.  Pr.    hervor.      Auf   dem    an    Alterthümern 
vorzugsweise  des  jüngeren  und  jüngsten  Eisenalters,    aber   auch  der  Bronze- 
und  selbst  der  Steinzeit  [Fabrik  von  Flintstein-Pfeil-Spitzen,  Hämmer  u.  s.  w.] 
reichen    Terrain    von    Willenberg,    wo   vor  der  Marienburg  der  altpreussisch 
heidnische  Gauvorort    und  Culturmittelpunkt  (Alyem,  d.  i.  Algemin)    lag,   ist 
iu  losem  Sande  ein  kleines  B  ernsteinamulet  in  Form    eines    polirten 
Steinhammers    (ähnlich    von   Sacken  Leitfaden  1865    Fig.   10)    aufgelesen 
worden,  das  offenbar  ein  Gegenstück  zu  den  skandinavischen  Thorshämmern 
bildet.  Da  auf  dem  nämlichen  Terrain  ziemlich  häufig  Bernsteinschmucksachen ^) 
gefunden  werden,  welche  gewissen  in  Dänemark  und  Schweden  sehr  oft  und 
zahh-eich   in  Gräbern    der    Steinzeit    entdeckten    Bernsteinperlen*)    (Worsaae 
Afbildniuger.  Khvn.  1854.    Fig.  G8.  65.  Montelius  Svensk.  Fornsak.  Fig.  84) 
entsprechen,    so  spricht  freilich  die    grössere  Wahrscheinlichkeit   dafür,    dass 


und  das  Feuer  anblasen.  Dazu  finden  sich  zwei  grosse  hüllische  Hunde  ein.  —  In  Dänemark 
schlägt  der  kluge  Mann,  um  den  Dieb  zu  entdecken,  einen  Nagel  in  einen  Thürpfosten.  Der 
erste  Einäugige,  welcher  dem  Bestohlenen  begegnet,  ist  der  Dieb,  der  Nagel  hat  ihm  das 
zweite  Auge  ausgestossen  Sv.  Grundtvig  Gamle  Danske  Minder  i  Folkmuude  II  245,  407.  Den 
offenbar  mit  der  Auffassung  der  Sonne  als  Himmelsauge  zusammenhängenden  Aberglauben  hier 
iin  Einzelnen  zu  erläutern,  würde  zu  weit  führen. 

')  S.  die  reichhaltigen  Nachweise  bei  Tylor  Urgeschichte  der  Menschheit  übers,  v.  H.  Müller 
S.  267.  271.  285—291. 

'^)  N.  Pr.  Provinzialb.  1849.  IV  205. 

^)  Eine  gleiche  Bernsteinperle  ans  Windau  ist  abgebildet  bei  Hartmanu  das  vaterl.  Museum 
zu  Dorpat.     Taf.  III  25  (Verhdl.  d.  estn.  Gesellsch.  B.  VI). 

■*)  Wäre  es  so  gar  ungereimt,  die  Grundform  dieser  Perlen,  aus  der  sich  allmählich  die 
andern  entwickelten,  auch  für  eine  Steinaxt  (Worsaae  Fig.  26.  Montelius  Fig.  42)  zu  halten? 
Anfangs  einzeln  als  Amulet,  auf  der  Brust  oder  Hals  getragen,  ward  die  Perle  wohl  später  bei 
massenhafter  Verwendung  als  Halsschmuck  voji  dem  ursprünglichen  Vorbilde  um  ein  weniges 
entfernt. 


Die  lettischen  Sonnenmythen.  295 

mit  letzteren  auch  der  vereinzelte  Bernsteinhammer  der  Steinzeit  zuzuweisen 
sei.  Darf  dieser  somit  schwerlich  als  ein  Beweisstück  für  die  Vorstellung 
der  Letten  von  der  Waffe  ihres  Perkun  herangezogen  werden,  so  tritt  auch 
das  Schweigen  unserer  allzuspärliciien  Quellen  über  letztere,  so  wie  die  volks- 
thümliche  Rede  vom  Donnersteine  und  der  Donnerkugel,  ja  —  im  Falle  jenes 
Bernsteinamulet  dennoch  der  lettischen  Periode  angehörte  —  träte  selbst 
dieses  nicht  hindernd  der  Annahme  in  den  Weg,  dass  man  in  der  letzten 
Periode  der  Heidenzeit  mindestens  landschaftlich  Perkuns  Rechte  mit  einem 
Eisenhammer  bewehrte,  da  auch  auf  germanischem  Boden  Donnerhammer  und 
Donnerstein  nebeneinander  herlaufen.  Es  erscheinen  mir  somit  die  mitgetheilten 
Thatsachen  zwar  erwähnenswerth,  aber  nicht  gewichtig  genug,  um  die  Ana- 
logie des  von  Hieronymus  gefundenen  Hammers  mit  den  von  Prinz  Magnus 
heimgebrachten  mallei  Joviales  aufzuheben. 

III.   Die  Sonneiltochter. 

Unverkennbar  ist  unter  der  Sonn entochter  (Saules  melta)  oder  Gottes- 
tochter (Dewo  duktele,   dukruzele  ebenfalls  eine  Lichterscheinnng  und  zwar 
die  Dämmerung,  die  Helligkeit  zu  verstehen,  welche  schon  da  ist,    wenn  die 
Sonne  noch  nicht  über  den   Horizont    emporstieg    und    welche    noch    längere 
Zeit  bleibt,  wenn  der  Sonnenball  schon  aus  dem  Gesichtskreise  verschwunden 
ist.     Sie  spielt    somit    Abends    sowohl,    als  Morgens  eine  Rolle  und  es  kann 
bald  von  einer,  bald  von  mehreren  Sonnentöchtern  die  Rede  sein,  je  nachdem 
man  Abend-  und  Morgendämmerung  als  eine   einzige   Erscheinung    oder    als 
zwei    verschiedene    Individualitäten    auffasst    und   personificirt.     Abends  ver- 
heirathet  die  Sonne  ihre  Tochter  übers  Meer  hin,  nach  Deutschland  d.  h.  nach 
Westen  (14).    Sie  ist  auch  die  Sprecherin  in  25,  welche  noch  an  der  Meeres- 
bucht weilt,    wenn  die  Sonne  längst  in  Deutschland,    im  Westen,    zur  Rüste 
gegangen  ist.     Sie  versinkt  Abends  ins  Meer  (34.  35),  ja  ertrinkt  darin  (39); 
eine  Zeit  lang  watet  sie  noch  im  Wasser  und  nur  die  Spitze  ihrer  Krone  ragt 
aus  demselben  hervor  (34).    Diese  Krone  ist  vom  Himmelsschmied  im  Morgen- 
roth geschmiedet  (38).    Sie  bedeutet  vermuthlich  die  ersten  und  die  letzten 
(fächerartigen  Strahlen^)  des  unmittelbar  unter  dem  Horizont  verborgenen  auf- 
gehenden und  untergehenden  Sonnenballs  o.  S.  \)0.    Drum  sitzt  die  Sonuenmaid 
mit   ihr  angethan  dort,  wo  zwei  Lichter  im  Meere  [Abendstern  und  Morgen- 
stern im  Himmelsocean]  angezündet  brennen  (52) ;    es  ist  deutlich,  wie  wohl 
in  einer  Variante  Abenddämmerung  und  Morgendämmerung  als  zwei  Sonnen- 
töchter bezeichnet  werden  mochten.     Deshalb   aber    auch    ist    die    Krone    an 


')  Eine  Beschreibung  des  lettischen  Wainags  ist  mir  augenblicklicli  zwar  nicht  zur  Hand, 
dieselbe  winl  jedoch  wenig  von  der  estnischen  und  iuselschwedischen  Brautlirone  abweichen, 
einem  Cylinder  aus  Pappe  oder  Rinde,  der  mit  Seide  oder  Tressen  überzogen,  strahlenartig 
mit  Perlen,  Glasstückcheu,  Rechenpfennigen,  Federn  u.  s.  w.  geschmückt  ist  und  von  dem  zwei 
rothe  B-inder  herabhängen,  gradeso  wie  um  die  westfälische  Brautkrone  ein  rothes  Band  rings 
herum  läuft.     Russwurm  Eibofolke  II  73.     Kuhu  westf.  Sag.  II  41,  110. 


296  W.  Mannhardt: 

der  Eiche,  dem  Nacbtsonnenbaum,  aufgehängt  (55)  vgl.  o.  S.  283.  Offenbar 
von  ihr  ist  die  Rede  in  dem  mährischen  Reime  vom  Sonnenkäfer  Zs.  f.  D. 
Myth.  IV  326,  11:    (Cf.  o.  S.  98.  209.  211.  217.  232): 

Marienkäferchen  flieg  in  den  Himmel 

Und  bring'  mir  ein  goldenes  Krünchen 
(zJatä  korunku)') 

Das  Ertrinken  der  Sonnenmaid  und  das  Versinken  ihrer  Krone  ins  Meer 
hat  wiederum  in  polynesischen  Mythen  verschiedene  Analogien.  „Auf  Neuseeland 
erscheint  die  untergehende  Sonne  wie  ein  Ertrinkender,  der  aus  dem  Kahn 
geworfen  wird.  Beim  Landen  werfen  die  Seinen  ihren  Kopfschmuck  ins 
Meer  und  finden  dann,  da  sie  das  Ufer  betreten,  die  Fussspuren  der  über 
Bord  Geworfenen.  Die  Sonne  ist  unsterblich"^).  Ueberhaupt  ist  das  Ueber- 
bordwerfen  der  rothen  Kopfbinde,  oder  des  königlichen  Diadems  bei 
Beendigung  der  Schifffahrt  an  der  Schwelle  der  Unterwelt  oder  sonstigem 
Wanderziele  ein  wiederholter  und  wesentlicher  Zug  in  der  Mythologie  des 
Sonnengottes  Maui  und  anderer,  verwandter  Götter^). 

Die  Sonnentochter  ertrinkt,  indem  sie  die  goldene  Kanne  (39)  wäscht, 
die  wir  bereits  o.  S.  102  als  Sonnenscheibe  erkannten.  Somit  könnte  der 
Ring,  den  Morgens  der  Himmelsschmied  ihr  fertigt  (36),  Abends  die  Gottes- 
söhne (Abendstern  und  Morgenstern)  ihr  abziehen  (59.  60),  oder  den  dieselben, 
wenn  er  ihr  am  Abend  beim  Waschen  ins  Wasser  gefallen,  Morgens  wieder 
herausfischen  (80),  möglicherweise  auch  nichts  anderes  sein,  als  die  Sonne. 
Zwar  bei  einem  Ringe,  den  ein  Himmelsschmied  schmiedet,  wird  man  geneigt 
sein,  zunächst  an  den  Regenbogen  zu  denken,  zumal  da  die  Sonne  eher  eine 
Scheibe  als  ein  Ring  genannt  werden  darf.  Aber  der  Regenbogen  wird 
nicht  Abends  von  dom  Gottessohne  abgezogen,  noch,  ins  Wasser  gefallen, 
wieder  aufgefischt.  Auch  finde  ich  bei  Björn  Haldorson  in  der  That  solar 
hringr  Sonnenring  circulus  solis,  Solens  omkreds  und  griech.  'Hliov  xvxXng 
entspricht  altnord.  fagrahvel,  sunnuhvel  (orbis  solis).  G.  Wislicenus  hat  in 
seiner  Schrift  „Symbolik  von  Sonne  und  Tag"  S.  40  Odins  von  Zwergen  zu- 
gleich mit  Thors  Donnerhammer  und  Freys  Eber  geschmiedeten  Ring  Draup- 
nir  (Tropfer),  von  welchem  in  jeder  neunten  Nacht  acht  gleichschwere  Ringe 
abtropften,  auf  die  Sonne  gedeutet,  welche  im  Laufe  einer  achttägigen  Woche 
nach  Verlauf  jeder  Nacht  ein  Ebenbild  ^us  sich  selbst  gebäre.  Wir  erörtern 
diese  Frage  hier  nicht    weiter;    sie    wird  in  Verbindung  mit  dem  233  S.  be- 


'  In  einem  serbischen  Liede  ist  die  Sonne  selbst  „von  Gold  eine  Krone"  genannt 
Afanasieff  poet.  Naturansch.  d.  Russen  I  219.  Derselbe  erzählt  a.  a  0,  und  I  603  nach  Züge 
a.  d.  lit.  Volksl,  ö8.  Mosk.  1816.  XI— Xli  251  eine  litauische  Tradition,  in  welcher  von  einer 
Prinzessin  (Karalune)  die  Rede  ist,  einer  schönen  jungen  Frau,  deren  Haupt  die  Sonne  als 
Krone  ziert;  sie  trügt  einen  Sternenmantei  und  den  Mond  als  Agraffe.  Das  Morgenroth  ist  ihr 
Läclielii,  der  Regen  ihre  Thrüneu,  welche,  zur  Erde  fallend,  Diamant  werden.  Wenn  es  bei 
Sonnenschein  regnet,  sagen  die  Litauer  „Karalune  weint". 

■0  Schirren,  Mauimythus  und  Wandersagen  der  Neuseeländer  S.  164. 

2}  Schirren  S.  HO.  128.  131. 


Die  lettischen  Sonnenmythen.  297 

rührten  Problem  zu  erledigen  sein.  Das  Abtropfen  der  Ringe  beruht,  wenn 
die  Deutung  im  Ganzen  und  Grossen  Recht  hat,  auf  der  Auffassung  des 
Sonnenlichtes  als  einer  goldigen  Flüssigkeit  o.  S.  101  und  stimmt  zu  der 
Eigenschaft  des  Tropfens,  welche  ein  norwegisches  und  ein  russisches  Räthsel 
o.  S.  224  S.  287  dem  Sonnenbaum  beilegen.  Kuhn  (Entwickelungsstufen  der 
Mythenbildung  S.  139)  hat  die  von  Schmied  Völundr  (Völunuarqu  8)  besessenen 
700  Goldringe  für  die  350  Tage  und  350  Nächte  (Verdoppelung  der  350 
Sonnen  des  Mondjahres)  genommen.  Dieser  Besitz  geziemte  gar  wohl  dem 
Beherrscher  der  Alfen  (alfa  lioui),  die  lichter  als  die  Sonne  genannt  werden, 
und  von  denen  die  Sonne  Alfenstrahl  (alfröduU)  heisst.  Vgl.  auch  den  auf 
dieser  Anschauung  fussenden  Frauennamen  Alfsol  Alfensonne.  Sprechen  also 
diese  Thatsachen  für  die  Deutung  des  Ringes  Draupnir  auf  die  Sonne  und 
letzterer  für  die  Möglichkeit  in  dem  Ringe  der  Sonnentochter  das  Tagesgestirn 
wiederzufinden,  so  ist  doch  ebensosehr  jener  o.  S.  90  von  J.  Wolf  beschi-iebene 
„Flammenring"  in  Erwägung  zu  ziehen,  der  im  Beginne  des  Sonnenunter- 
gangs das  Gewölke  des  Abends  umkränzt,  und  daher  wohl  als  Schmuck  der 
Dämmerung  bezeichnet  werden  konnte. 

Da  zur  Zeit  der  Dämmerung  Tag  und  Nacht  sich  berühren,  die  Abend- 
dämmerung mit  dem  Abendstern,  die  Morgendämmerung  mit  dem  Morgenstern 
tanzt,  konnte  diese  doppelte  Handlung  in  eins  gefasst  werden:  es  tanzen  die 
Gottestöchter  mit  den  Gottessöhnen  (80).  So  handeln  die  Gottessöhne,  als 
an  ein  und  derselben  Handlung  betheiligt  gedacht,  auch  34  gemeinsam,  indem 
sie  das  Boot  rudern,  um  der  ertrinkenden  Sounentochter  Leben  zu  retten. 
In  54  bauen  sie  beide  eine  Klete  (ßrautkammer)  für  die  Sonnentochter.  Bebend 
wie  Espenlaub  geht  die  Maid  hinein,  weil  die  Gottessöhne  um  sie  freien. 
Vgl.  U.  41. 

Zittre,  zittre  Espenblättlein 
Bebend  in  dem  leichten  Winde. 
Also  bebten  unsre  Schwestern, 
Als  sie  mit  den  Freiern  sprachen. 

Bald  übrigens  ist  der  Abendstern,  bald  der  Morgenstern  der  Freier  der 
Sonnentochter.  In  42  ist  der  Gottessohn,  dessen  graue  Rosse  an  der  Haus- 
thüre  der  Sonne  stehen,  deutlich  der  Abendstern.  Die  Sonnentochter  reicht 
ihm  die  Hand  über  die  Daugawa,  das  Luftmeer,  wie  es  23  von  der  Sonne 
heisst,  dass  sie  der  Sprecherin  (wohl  ebenfalls  der  Sonnentochter)  die  Hand 
über  das  grosse  Wasser  gebe.  Zugleich  aber  weint  die  Sonneumutter  um  die 
Aussteuerlade  (vgl.  o.  S.  219).  Gottes  Pferde  und  Marias  Wagen  (41)  vor 
der  Thüre  der  Sonne  bedeuten  auch  wohl,  dass  Gott  und  Maria  für  den  Abend- 
stern um  die  Sonnentochter  werben.  Dagegen  scheint  der  Gottessohn,  der 
in  63  nach  der  Sonnentochter  vom  goldenen  Weideubusche  her  aus- 
späht (vgl.  53  wartend)  den  Morgenstern  zu  bedeuten:  der  Weideubusch 
(gleich  dem  Zweig,  Besen,  Badequast  in  anderen  Liedern)  die  Lichtgarbe 
der  aufgehenden   Sonne.     Vielfach    wird    der    Morgenstern    der    glücklichere 

Zeilactirilt  lür  Elhuülojjie,  Jabr^aiiK  lüTj.  '21 


298  W-  Mannhardt: 

Bewerber  genannt.  Er  entfernt  sich  aus  der  Schaar  der  übrigen  Sterne  und 
läuft  oder  reitet  fort,  nach  der  Sonneutochter  zu  schauen  und  um  sie  zu 
werben  (50.  73.  74).  Zwar  widerräth  mau  der  Sonne,  ihre  Tochter  ihm  zu 
geben  (49),  aber  sie  verkauft  sie  ihm  (73).  Dagegen  verspricht  sie  sie  nach 
72  zwar  dem  Morgenstern,  giebt  sie  aber  zuvor  dem  Monde  (72.  71b),  der 
Abends  iu  der  Dämmerung  zuerst  sichtbar  wird  und  dem  die  Morgendämmerung 
heraufführeuden  Frühstern  vorangeht,  und  nach  44  mit  hundert  Rösschen  bei  Gott 
um  sie  freit.  Der  Mond  führt  sie  heim  (75).  Zuweilen  jedoch  sind  die  Gottes- 
söhne nur  als  Führer  des  Brautwageus  gedacht  (15).  Perkun,  der  Donner- 
gott, als  Lichtziinder,  ist  der  Hochzeiter,  der  seine  Vermählung  in  Deutschland 
d.  h.  im  Westen  (13.  14)  vollzieht,  um  dann  Morgens  im  Osten  die  Sonne 
und  ihre  Tochter  aus  der  Kemenate  herauszuführen. 

Ganz  anders  liegt  die  Sache  im  Litauischen.  Hier  sind  die  Benennungen 
des  Abendsternsund  Morgensterns  weiblich  (Wakarine,  Auszrine  abend- 
licher, morgenlicher,  sc.  zwaigzde  Stern);  deshalb  eignen  sie  sich  nicht  zu 
Bewerbern  um  die  Sonnentochter,  daher  buhlt  jetzt  der  Mond  einerseits  um 
die  Sonne  selbst,  andererseits  um  die  Morgensternnymphe  (77).  Auch  in  78 
ist  der  Frühstem  die  Braut,  und  dadurch  hört  die  auch  in  demselben  Liede 
das  Gezweige  auflesende  Sonnentochter  auf  mit  dieser  identisch  zu  sein,  ein 
Umstand,  der  mir  nicht  wenig  dafür  spricht,  dass  dieses  Lied  eine  üebertra- 
gung  aus  dem  Lettischen  war  und  in  Folge  dessen  den  angedeuteten  Ver- 
änderuugen  unterlag.  Auch  in  der  o.  S.  95  aus  Tereschtschenko  für  Litauen 
bezeugten  Ueberlieferung  tanzt  die  Sonne  ihrem  Verlobten,  dem  Monde,  ent- 
gegen. 

Vielleicht  lassen  sich  jene  beiden  anscheinend  verschiedenen  lettischen 
Auffassungen  vom  Abeudstern  und  Morgenstern  als  von  den  Freiern  der 
Sonnentochter  dahin  vereinigen,  dass  man  Abendstern  und  Morgenstern  (der 
Wirklichkeit  gemäss)  als  eine  Person  fasste,  den  Gottessohn,  zuweilen  Morgen- 
stern genannt  (74.  78),  die  Vermählung  mit  Austheilung  der  Brautgeschenke 
aus  der  Aussteuerlade  schon  am  Abende  vor  sich  gehen  liess  (vgl.  42),  die 
Nacht  als  Verweilen  des  Paars  im  Brautgemache,  den  Morgen  als  Heraus- 
treten aus  dem  Brantgemache  oder  als  Vollendung  der  unterbrochenen  Ver- 
mählung ansah.  1)  Lässt  ja  doch  schon  der  Psalmist  19,  6  die  Sonne  (männ- 
lich gedacht)  Morgens  wie  einen  Bräutigam  aus  der  Hochzeitkammer  treten. 
Das  Ergebniss  der  bisherigen  Auseinandersetzungen  macht  auch  n.  45 
wohl  verständlich.  Die  Gottessühne  (Abendstern  und  Morgenstern)  lassen 
ihre  Rosse  in  die  Goldkoppel  (den  goldigen  Abendhimmel)  und  stellen  die 
Sonnentochter,  die  Dämmerung,  als  Hüterin  hin  mit  dem  Befehl,  keinen  Zweig 
(s.  o.  S.  297)  zu    brechen;    sie    vernichtet    aber    grade    mit  ihrem  Grau  die 


>)  Auf  letztere  Anschauung  scbeint  die  in  den  Miirchen  (vgl.  o.  S.  236  ff.)  so  häufige  Unter- 
brechung der  Ehe  des  Soiinenheldeu  und  Ersatz.der  Braut  durch  eiue  Mohrin  (wo  nämlich  nicht 
j  er  Jahreslauf  der  Souiie  statt  des  Tageslaufs  dargestellt  werden  soll)  sich  zu  begründen. 


Die  lettischen  Sonnenmythen.'  299 

letzten  fächerartigen  Strahlen  der  untergehenden  Sonne;  sie  bricht  den  Zweig 
und  läuft  bergab  der  Nacht  zu,-  vom  Himmelsgott  und  seinen  Dienern  er- 
griffen, wird  sie  zu  Gottes  Dienstmägdeu  (dem  ihr  ähnlichen  Mond-  und 
Sternenlicht??)  gelegt.  Als  Lohn  verspricht  ihr  Gott  eine  Krone  mit  sil- 
bernen Rändern  (o.  S.  296),  die  sie  Abends  beim  Schlafengehen  (bei  Abend- 
dämmerung) unter  den  Kopf  legen,  Morgens  strahlend  auf  die  Stirne  setzen 
setzen  soll.  Mit  einigen  besonderen  Zügen  stellt  denselben  V^organg  82  dar. 
Die  Zweige  bilden  hier  eine  goldene  Umzäunung.  Die  Sonnentochter  läuft, 
nachdem  sie  die  Zweige  abgebrochen,  in  die  Badstube  der  Maria,  wie  wir 
später  sehen  werden,  das  Abendroth,  das  noch  vereinzelte  Sonnenstrahlen, 
die  Quastblätterchen,  durchirren.  Grössere  Eigenthümlichkeiten  hat  81.  An 
dem  Thalquell  [Thal,  Niederung  =  Gegend  des  Sonnenuntergangs]  heizen  die 
Gottessöhne  die  Badstube  d.h.  sie  entzünden  das  Abendroth;  die  Sonne  bricht 
(untergehend)  dazu  einen  goldenen  Strauchbesen  als  Badequast  (vgl.  die  Zweige 
45.  82  und  den  rothen  Fächer  o.  S.  90),  der  doch  in  Gefahr  ist  sich  leicht 
aufzulösen,  auszuschmelzen  unter  dem  Einfluss  der  Nachtschatten,  welche 
die  Mehnesniza  bewirkt.  Die  Dämmerung  möchte  wenigstens  ein  Zweiglein 
des  Badequastes  noch  festhalten. 

Die  gleichmässige,  hellgraue  Färbung,  in  welche  die  Dämmerung  allmäh- 
lich hier  die  grellen  Lichttöne  des  Tages,  dort  die  schwarzen  Schatten  der 
Nacht  übergehen  lässt,  scheint  als  Wäsche  der  Sonnentochter  aufgefasst  zu 
sein.  Sie  ertrinkt,  die  goldene  Kanne  waschend  (39).  Der  Gottessohn  be- 
lauscht sie,  wie  sie  im  Bächlein  ihr  Antlitz  wäscht  (63).  Unter  dem  Ahorn 
waschen  frühmorgens  die  Sonnentöchter  ihr  Antlitz  im  reinen  Wasser  des 
Quellborus  (80).  Das  Auswaschen  der  vom  Blute  des  Eichbaums  (Abend- 
röthe)  gefärbten  Decke  des  Wolkenhimmels  ist  das  darauf  folgende  erste  Ge- 
schäft der  Sonnentochter  (72.  75.  78.  79).  Wenn  75  dabei  der  Sonnentochter 
einen  „Knaben"  substituirt,  so  ist  an  den  jugendlichen  Helden,  „den  Tag", 
zu  denken.  Die  Sonne  schilt  ihre  Töchter,  Abenddämmerung  und  Morgen- 
dämmerung, dass  sie  nicht  die  Diele  (das  Vorhaus),  nämlich  des  Hauses,  in 
das  sie  Abends  zur  Nacht  eintreten  will,  gefegt  [vgl.  o.  S.  "^97  den  Strauchbesen], 
noch  die  Tafel,  auf  der  sie,  die  Allnährerin,  selbst  Morgens  der  Welt  als 
volle  Schale,  als  Tischchen  deck'  dich,  als  Göttermahl,  kredenzt  werden  wird, 
von  den  Flecken  der  Nacht  rein  gewaschen  hat.  Der  Ungeduld  des  Dichters 
kamen  Tagesende  und  -Anfang  zu  spät.  Darum  wird  29  die  Sonnentochter 
ermahnt,  früh  aufzustehen  und  den  Ladentisch  weiss  zu  machen. 

Im  Uebrigen  wechseln  die  auf  die  Sonnentöchter  bezüglichen  Bilder  in 
mehrfacher  Weise.  Während  sie  z.  B.  nach  mehreren  Liedern  mit  dem  Gottes- 
sohne sich  verheirathet,  bricht  sie  ihm  nach  70  das  Schwert  ab.  Unter 
diesem  Schwerte  wird  man,  so  meine  ich,  die  ersten  in  der  Dämmerung  empor- 
schiessenden    Sti'ahlen  der  Sonne  verstehen  müssen.')     Dieselben  können, 


')  Vgl.  die  Beschreibung  eines  Sonnenaufgangs  in  der  afrikanischen  Wüste  von  H.  ßrugsch. 

21» 


300  W.  Mannhardt: 

insofern  der  Sonnenball  noch  nicht  sichtbar  ist,  sehr  wohl  als  Schwerter 
des  Morgensterns  bezeichnet  werden,  die  zur  Tageshelle  fortschreitende  Däm- 
merung macht  ihnen  ein  Ende.  Träfe  diese  Deutung  zu,  so  wäre  damit  zu- 
gleich das  Verständniss  für  einen  Zug  des  Freymythus  gewonnen.  In  dem 
Mythus  von  Freys  Brautwerbung  tritt  der  Gott,  der  vielleicht  die  weitere 
Bedeutung  der  zeugenden  Naturmacht  in  der  Sommerhälfte  des  Jahres  hatte 
(s.  Baumkultus  S,  591  ff.)  entschieden  in  der  Rolle  des  Sonnengottes  auf. 
Ich  stimme  M.  Müller  bei,  der  die  von  Freyr  ersehnte,  von  der  Gluth  wabender 
Lohe  (vafrlogi)  eingeschlossene  Gerdr  (d.  h.  die  Begehrte,  Ersehnte  vgl.  ahd, 
kerön),  die  von  dem  Glänze  ihrer  Arme  Luft  und  Meer  wiederleuchten  macht, 
auf  die  Morgenröthc  (resp.  Abendröthe)  deutet.^)  Man  wird  durch  sie  sofort 
an  jene  montenegrinische  Sonnenschwester  und  Morgensterns-Gespielin 
mit  goldgelben  Füssen  und  goldrothen  Armen  erinnert,  die  drei  goldene  Aepfel 
wirft  (o.  S.  212).  Zum  Brautgeschenk  erhält  auch  Gerdr  den  Ring  Draupnir 
(s.  o.  S.  296)  und  11  Aepfel,  beides  mythische  Ausdrücke  für  den  Sonnen- 
ball. Freys  Brautwerber,  der  Hellmacher  Skirnir,  ist  ein  männlicher  College 
der  lettischen  Sonnentochter,  von  ihm,  dem  Repräsentanten  des  Zwielichts, 
durfte  es  gesagt  werden,  dass  Freyr  ihm  sein  Schwert,  das  sich  von  selbst 


Aue  dem  Orient  I  S.  75:  Allmählich  schwindet  die  Nacht  mit  ihrem  Sternenmeer,  aber  noch 
lange  verhüllt  ein  dichter  Nebel  die  Aussicht  über  die  Wüste  hin  — .  Plötzlich  erhellt  ein 
matter  Lichtstreif  am  östlichen  Himmel  die  dunkle  Erde  und  lange  hellgraue  Schatten 
gehen  der  Karavane  vorauf.  Aber  bald  verschwinden  auch  sie  wieder,  und  eine  blendend 
helle  Kugel  erhebt  sich  rollend  über  weissen  Nebelstreifen,  umgeben  von  schiessenden 
Strahlen,  wie  der  Kopf  eines  Heiligen  von  leuchtender  Glorie.  Es  ist  die  Sonne,  welche  der 
Nacht  den  Sieg  abgewonnen  hat.     Vgl.  auch  H.  Heine  Atta  Troll  Kap.  20: 

Sonnenaufgang.     Goldne  Pfeile  Endlich  ist  der  Sieg  erfochten 

Schiessen  nach  den  weissen  Nebeln,  Und  der  Tag,  der  Triumphator, 

Die  sich  röten,  wie  verwundet,  Tritt  in  strahlend  voller  Glorie 

Und  in  Glanz  und  Licht  zerrinnen.  Auf  den  Nacken  des  Gebirges. 

Denselben  Gedanken  finden  wir  in  Rückerls  Ghaselen  des  Dschelaleddin  Rumi  (Gedichte  B  II 
1836  S.  424  ausgedrückt: 

Das  Sonnenschwert  giesst  aus  ins  Morgenroth 
Das  Blut  der  Nacht,  von  der  es  Sieg  erficht. 
Wäre  —  was  doch  noch  Bedenken  gegen  sich  hat  —  M.  Müllers  Deutung  des  vedischen  Sara- 
meyas  als  Sohn  der  Dämmeiimg,  als  erster  Lichtblick  des  Tages  (Vorlesungen  üb.  Wissensch. 
d.  Spr.  II  439)  richticr,  so  würde  der  Vers  des  Rigveda  VII  54  ,wenn  du,  glänzender  Särameya, 
deine  Zähne  öffnest,  o  Rother,  so  scheinen  Speere  an  deiner  Kinnlade  zu  glänzen, 
während  du  schluckst",  trefflich  auf  die  beschriebene  Lichterscheinung  passen;  die  Kinnlade 
deckte  sich  wohl  mit  der  mehrfach  besprochenen  von  der  Harke,  Egge,  Wipfelzweig  in  den  let- 
lischen  Sonneiiliedern.  Die  Metapher  eines  Kinnbackens  der  Dämmerung  spielt  auch  im 
neuseeländischen  Mauimythus  eine  Rolle  (vgl.  Tylor  Anfänge  der  Cultur  I  338),  und  nun  wird 
auch  wohl  der  Kinnbacken,  mit  welchem  Simson  die  Philister  schlägt,  auf  die  ersten  Licht- 
strahlen des  Morgens  statt  (wie  Steinthal  wollte  Zs.  f.  Völkerpsychol.  II  S.  136  ff.)  auf  den 
Blitz  deutbar. 

')  Vorlesungen    über    Wissenschaft   der    Sprache  II  352.     Vgl,  Wisliceuus  Sonne  und  Tag 
S.   40  11.  50  fl. 


Die  lettischen  Sonnemnythen.  301 

gegen  den  Riesen  schwingt  (den  schiessenden  Lichtstrahl  der  aufgehenden 
Sonne)  zum  Geschenk  macht.  Dass  Freyr  später  sein  Schwert  vermisst,  ist 
Misverstand  der  zum  Epischen  gewendeten,  mythenverknüpfenden  Sage.  Zur 
Bekräftigung  dieser  Auffassung  dient  das  mit  den  lettischen  Sonnenliedern 
vielfach  verwandte  estnische  „Abendlied"  (Päwawerimisse  laul).  Dasselbe 
ist  im  estnischen  Original  mit  beigefügter  Uebersetzung  abgedruckt  in  „Neuss 
estnischen  Volksliedern"  Reval  1850  S.  100  n.  31: 

Sinke  Sönnlein,  o  sinke,  Säuberlich  ging  ich  nun  seiher 

Schwinde,  goldnes  Stündlein  schwinde,  Längs  des  Kiespfads  hin  die  Kleine, 

Sink'  aufs  Badehaus  der  Herrschaft,  Längs  des  Landwegs  hin  die  Niedre; 

Hin  auf  Könighauses  Schwelle  Trat  in  die  Tiefe  klafterweit, 

6  Unter  auf  des  Herren  Fenster!  Bis  zum  Hals  in  die  Brut  der  Fische,  30 

In  die  Bäche  bis  zum  Busen. 
Liebt  dasSönnelein  derHerr  nicht. 

Liebt's  im  Badehaus  der  Herr  nicht,  Was  ist  kommen  mir  ans  Knie  da, 

Nicht  der  König  auf  der  Schwelle,  Ist  mir  an  den  Hals  gesprungen? 

Unterm  Fenster  auch  die  Herrschaft.  KommenistausK  nieein  Sc  hwertmir. 

An  den  Hals  ein  Schwert  gesprungen.  35 

10  Sinke  Sönnlein,  sinke  dorthin!  Hob  heraus  das  Schwert  mit  Händen, 

Dort  im  Saale  sitzt  der  Wächter,  Trug  das  Schwert  zum  Edelhofe, 

Sitzt  im  Saal  die  Frau  des  Wächters,  Tat  es  auf  den  Tisch  des  Herren. 
Kämmet  dort  der  Knechte  Häupter, 

Dorten  rieten  drauf  die  Herren, 

Säubert  der  Hirtenbuben  Häupter,  Wunderten  sich  sehr  die  Wächter:  40 

15  Bürstet  die  Häupter  ohn'  Erbarmen,  „Wo  ist  her  das  Schwert  hier  kommen? 

Hält  die  goldene  Strähl'  in  Händen,  Kommen  aus  dem  Krieg  das  Sch;/;ert  ist, 

Sammt  dem  Silbersäuberbrette.  Aus  der  Helden  Handgebeinen, 

Stürzte  tief  die  Strähl'  ins  Meer,  Aus  der  Knäbchen  Kniegebeinen. 
In  die  Bäche  das  Säuberbrettleiru 

Ich  vernahm  es,  Antwort  hatt'  ich:  45 

20  Ich  zu  Peter,  um  zu  bitten:  Aus  dem  Meer  das  Schwert  ist 
0  Peter,  heil'ger  Knecht  des  Herrn,  kommen; 

Pawel,  du  des  Schöpfers  Diener,  Ward  am  Strand  des  Meers  geschlilfen, 

Aus  dem  Meer  lang'  mir  die  Strähle,  In  des  Meeres  Wasser  blinkend. 
Aus  den  Bächen  das  Säuberbrettlein  — 

25  Nicht  ging  Peter,  nicht  ging  Pawel. 

Der  Herausgeber  kannte  noch  eine  andere  Fassung,  welche  wie  die  Räthsel- 
lieder  eingeleitet  wird.  Nach  der  Angabe  des  hersagenden  Esten  sind  der 
V.  11  u.  12  erwähnte  Wächter  und  dessen  Frau  Waisen  (Pflegekinder)  des 
Königs;  eben  diese  Frau  ist  von  V.  20  an  die  Sprecherin,  sie  findet  das 
Glücksschwert  und  wird  dadurch  nachmals  reich. 

Blicken  wir  auf  den  Inhalt  des  Liedes  zurück,  so  sinkt  die  Abends  nieder- 
gehende Sonne  immer  tiefer  bis  zuletzt  bis  dahin,  wo  die  Pflegetochter  des 
Königs  einen  Kamm  in  Händen  haltend  sitzt.  Im  Augenblicke  des 
Sonnenuntergangs  fällt  dieser  Kamm  tief  ins  Meer.  Da  kein  Heiliger 
sich  erbarmt  ihn  herauszuholen,  so  steigt  sie  selbst  ins  Wasser,  da  kommt 
aus  dem  Meere  und  springt  ihr  bis  an  den  Hals  ein  Schwert, 
dessen  Besitz  Reichthümer  schafft.    Die  Wächterin  und  Königswaise  ist  offen- 


302  W,  Mannhardt: 

bar  dieselbe,  wie  die  lettische  Sonnentochter,  die  Sprecherin  in  mehreren 
Sonnenliedern,  die  Abenddämmerung.  Der  Kamm,  die  Strähle,  welche  ihr  im 
Augenblicke  des  Sonnenuntergangs  ins  Meer  fallt,  findet  sich  in  den  lettischen 
in  Form  der  Harke  wieder,  womit  jene  das  Heu  harkt  (s.  unten);  des  Kammes 
(der  Harke)  Zinken  sind  den  letzten  Strahlen  der  untergehenden  Sonne ^) 
(vgl.  o.  S.  90  den  rothen  Fächer).  Als  Morgendämmerung  steigt  sie  ins  Meer, 
den  Himmelsocean,  um  den  Kamm  wieder  aufzufischen;  da  steigt  ihr  das 
Schwert  entgegen,  der  erste  aufblitzende  Sonnenstrahl  der  Frühe. 

Nach  67  harkt  die  Sonnentochter  gegenüber  dem  Morgenstern  an  dem 
grossen  Wasser  mit  silberner  Harke  her.  Der  Wiese,  auf  der  das  vor  sich 
geht,  entspricht  die  Goldkoppel  in  45,  der  Harke  mit  ihren  Zinken  die  in 
anderen  Liedern  Zweig,  Badequast,  Besen  genannte  Lichterscheinung,  die  vor 
Aufgang  der  Sonne  in  den  Himmel  emporschiessende  Strahlengarbe.  Das 
entsprechende  Phänomen  am  Abendhimmel  schildern  unter  ganz  verwandtem 
Bilde  65.  66.  Hier  sind  die  seidenen  (s.  o.  S.  97)  oder  goldenen  Berge 
(s.  0.  S.  97)  das  Himmelsgewölbe  im  goldigen  Abendschein,  die  seidenen 
oder  goldigen  Wiesen  =  Goldkoppel  (vgl.  o.  S.  299)  ein  zweiter  Ausdruck  für 
denselben  Gegenstand;  die  Egge  steht  der  Harke  in  67  gleich.  Die  Gottes- 
söhne Morgenstern  und  Abendstern,  als  Arbeiter  der  Sonne  und  des  Mondes 
oder  als  Knechte  des  Perkun  gedacht,  werden  ausgeschulten,  dass  sie  nicht 
durch  die  den  Sonnenuntergang  vorbereitenden  Lichterscheinungen  die  süsse 
Nacht  herbeigeführt  haben  (65.  66).  Die  Sonnentochter  (als  Morgendämmerung, 
Zwielicht)  führt  also  mit  silbernem  Rechen  harkend  schon  die  ersten  Licht- 
erscheJnungen  des  Tages  herbei;  sie  zwirnt  auch  den  Seidenfaden,  den  Sonnen- 
strahl (64),  vgl.  S.  218.  Zuweilen  geht  sie  dann  unmerklich  in  den  Begrifi" 
des  Tageslichtes,  der  Tageshelle,  über;  so  42,  wo  sie  dem  Gottessohn,  dem 
Abendstern,  die  Hand  über  das  grosse  Wasser  schon  dann  reicht,  als  die 
Sonne  noch  auf  dem  Berge  steht;  und  möglicherweise  auch  83 — 84,  wenn 
man  sich  die  Situation  so  zu  denken  hat,  dass  die  Sonnentochter  am  Rosen- 
stock d.  h.  Baum  der  Sonne  hinauf-  und  herabklettert.  Solcher  Personification 
des  Taglichtes  steht  73  das  Mondlicht,  in  einem  weiblichen  Wesen  persönlich 
geworden,  ganz  parallel.  Der  Mond  wartet  vergeblich  auf  das  Tageslicht- 
Zwielicht,  die  Sonnentochter,  um  die  er  freit,  die  Sonne  verkauft  sie  dem 
Morgenstern.  Da  führt  er  die  Weberin  der  Sternendecken,  den  matten 
Glanz  des  mondhellen  und  sternklaren  Nachthimmels,  ins  Brautbett. 

Eine  gewisse  Schicht  mythischer  Anschauungen,  in  denen  die  Sonnen- 
tochter  eine  Rolle  spielt,  beruht  ursprünglich  auf  dem  Axiom,  dass  die  Sonne 
Abends  den  Tod  finde,  in  den  Wellen  ertrinke  u.  s.  w.  Dann  musste  natür- 
lich die  hinter  ihr  zurückbleibende  Sonnentochter,  die  Dämmerung,  als  Waise 


')  Vgl.  das  bei  Tertullian  adv.  Valentinian.  3  angedeutete  römische  Märchen:  ,nonne  tale 
aliquid  dabitur,  te  in  infantia  inter  somni  difficultates  a  nutricula  audisse  lamiae  turres  et 
pectines  solis?" 


Die  lettischen  Sonnenmythen.  303 

erscheinen.  Als  ein  solches  Waisenmädchen  erscheint  dieselbe  82 ;  ebenso 
in  79,  wo  dieses  Waisenmägdlein  einen  Silbergürtel  trägt  und  ein  seidenes 
Tüchlein  hat,  das  sie  mit  ihren  Thränen  (Thautropfen  ?)  benetzt.  Sie  wirft  es 
in  den  Nesselbusch  (d.  i.  brennenden  Busch  ==  Weidenbaum  o.  S.  297  Eiche 
o.  S.  232  S.  285)  dort  blitzt  es  am  Morgen  den  jungen  Knaben,  den  Gottes- 
söhnen, entgegen  und  wird  während  des  Tages  ausgewaschen.  Auch  84  ge- 
hört als  ähnlich  hieher,  wo  die  Sonnentochter  als  eine  unter  fremde  Leute 
Verstossene  bezeichnet  wird,  jedoch  nur  nach  Analogie  von  Liedern,  wie  die 
vorigen,  denn  die  Eltern  sind  noch  als  lebend  gedacht,  sie  rüsten  im  fernen 
Westen  der  Schwester  der  Verstossenen,  der  Sonnentochter  (Dämmerung) 
des  nächsten  Tages  die  Hochzeit.  Aber  nach  8  dürfte  das  Waislein  doch 
wohl  wieder  die  Sonnentochter  selbst  (die  Abenddämmerung)  sein,  die  hier 
nach  dem  Tode  der  Mutter  mit  dem  Gottessohne  sich  verlobend  gedacht  wird. 
Von  der  in  82.  79  besungenen  Waise,  aca  i^oy/jv.  der  Dämmerung,  sind 
vermuthlich  die  vielen  Waislein  zu  unterscheiden,  welche  die  Sonne  Nachts 
hinter  dem  Berge  wärmt.  Sehe  ich  recht,  so  verhält  es  sich  damit  so.  Es 
gab  von  Stender  und  Andern  bezeugte  lettische  Lieder,  in  denen  die  Sterne 
als  die  Kinder  der  Sonne  und  des  Mondes  genannnt  wurden.^)  Als  litauischen 
Glauben  bezeugt  dasselbe  Afanasieff^),  ja  in  einer  Daina  erscheint  sogar  die 
Auszrine  (der  Morgenstern),  die  gewöhnlich  Nebenbuhlerin  der  Sonne  in  der 
Liebe  des  Mondes  ist,  als  Tochter  derselben.  Dieselbe  Anschauung  kehrt  in 
kleinrussischen  Weihnachtsliedern  ^)  wieder,  indem  diese  das  Firmament  als 
einen  grossen  Dom  darstellen  und  den  Mond  als  Herrn,  die  Sonne  als  Frau 
darin  darstellen. 

Die  helle  Sonne,  das  ist  die  Hausfrau, 

Der  helle  Mond,  das  ist  der  Herr, 

Die  hellen  Sternchen,  das  sind  ihre  Kinder. 

An  diesen  Glauben  knüpfte  sich  leicht  die  Anschauung,  dass  die  Sterne, 
wenn  die  Sonne  nicht  da  sei,  Waisen  seien.  Man  vgl,  nur  H.  Heiners 
„Sonnenuntergang". 

Die  glühend  rothe  Sonne  steigt  Einst  am  Himmel  glänzten, 

Hinab  in's  weit  aufschauernde,  Ehlich  vereint, 

Silbergraue  Weltmeer.  Luna,  die  Göttin,  und  Sol,  der  Gott, 

Luftgebilde,  rosig  angehaucht.  Und  es  wimmelten  um  sie  her  die  Sterne, 

Wallen  ihr  nach;  und  gegenüber.  Die  kleinen  unschuldigen  Kinder. 

Aus  herbstlich  dämmernden  Woikenschleiern,      Doch  böse  Zungen  zischelten  Zwiespalt, 

Ein  traurig  todtblasses  Antlitz,  Und  es  trennte  sich  feindlich 

Bricht  hervor  der  Mond,  Das  hohe,  leuchtende  Ehepaar. 

Und  hinter  ihm,  Lichtfünkchen 

Nebelweit,  schimmern  die  Sterne. 


*)  Stender  lett.  Myth.  s.  v.  svaigsnes. 

')  Afanasieff  poet.  Naturansch.  I  79—80.    Züge  a.  d.  Leben  des  lit.  Volks  125—126. 

^  Metlinski  342  ff.     Afanasieff  a.  a.  0.  I  79. 


304  '^-  Mannhardt: 

Jetzt  am  Tage,  in  einsamer  Pracht,  Aber  des  Nachts 

Ergeht  sich  dort  oben  der  Sonnengott,  Am  Himmel  wandelt  Luna, 

Ob  seiner  Herrlichkeit  Die  arme  Mutter, 

Angebetet  und  vielbesungen  Mit  ihren  verwaisten  Sternenkindern, 

Von  stolzen,  glückgeh  arteten  Menschen.  Und  sie  glänzt  in  stiller  Wehmuth, 

Und  liebende  Mädchen  und  sanfte  Dichter 
Weihen  ihr  Thränen  und  Lieder. 

Ganz  ähnlich,  meine  ich,  galten  dem  Letten  die  Sterne,  wenn  die  Sonne 
nicht  da  war,  als  von  der  Mutter  verlassen,  mit  starkem  bildlichem  Ausdruck 
verwaist.  Ging  sie  unter,  so  wärmte  sie,  uns  unsichtbar,  hinter  dem  Berge 
(o.  S.  97)  die  verlassenen  Waislein.  Nach  anderer  Anschauung  streben 
diese  der  Fliehenden  nach,  ohne  sie  zu  erreichen.  Kaum  ist  die  Sonne  fort, 
so  folgen  ihr  eiligen  Laufes  in  ihrem  Schatten  (der  Nacht)  hundert  verlassene 
Sternlein  (5),  Maria  heizt  ihnen  die  Badstube  (das  Abendroth)  (6).  Sie 
nehmen  in  ihrem  Laufe  den  Berg  ein,  auf  dem  die  Blume  (die  Rose)  der 
Sonne  (s.  o.  S.  222)  blühte  (7).  Einmal  geschaffen,  fand  dieses  Bild  der 
mythischen  Waislein  vielfache  Uebertragung  auf  irdische  Waisenkinder,  um 
so  eher,  als  der  Lette  die  erquickenden  Wirkungen  des  Sonnenscheins  und 
der  Sonnenwärme  mit  den  wohlthuenden  Empfindungen  in  Ideenverbindung 
zu  bringen  liebte,  welche  das  Kind  in  der  Nähe  der  liebenden  Mutter  zu 
durchströmen  pflegen  (1.  2).  Deshalb  heissen  Morgenstern  und  Abendstern, 
die  Gottessöhne,  wie  sie  Geschwister  der  Sternwaislein  sind,  in  9  auch  Brüder 
des  irdischen  Waisenmägdleins;  und  in  10  wird  von  einem  vaterlosen  (un- 
ehelichen?) Knaben  gesagt,  dass  die  Gottestöchter  (Sonnentöchter)  ihn  warten 
werden. 

Die  Sonnentochter,  um  noch  einmal  auf  diese  zurückzukommen,  galt  für 
die  ersehnteste,  allgemein  beliebte  und  angenehmste  Erscheinung  der  Welt, 
daher  glaubte  der  Litauer  einen  an  Allem,  selbst  am  Schönsten  Mäkelnden 
nicht  besser  als  durch  die  zum  Sprichwort  gewordene  Phrase  bezeichnen  zu 
könnnen:  „Selbst  eine  Sonnentochter  kann's  ihm  nicht  recht 
machen".^) 

Spuren  der  nämlichen  Vorstellungen  von  der  Gottestochter  oder 
Sonnentochter  finden  wir  auch  bei  den  Slaven  wieder  Nach  gewissen 
russischen  Ueberlieferungen  werden  König  Sonne  und  seine  in  den  Sternen 
wohnenden  Söhne  von  Sonnenmädchen  bedient,  welche  sie  waschen  und 
ihnen  Lieder  singen.^)  Oefter  ist  von  der  Schwester  der  Sonne,  oder 
den  Schwestern  der  iSonne  die  Rede  (vgl,  o.  S.  215).  Die  ser- 
bischen Lieder  nennen  den  Morgenstern  Schwester  der  Sonne,  die  Russen 
die    Morgenröthe,'*)      Von    einem    schönen    Mädchen   sagt    man,    es    sei    so 


')  Schleicher  Lit.  Märchen  8.  170.    Vgl.  AfanasiefT  poet.  Natiiransch.  1  82. 

*)  Afanasieff  poet.  Naturansch.  d.  Russ.  I  82. 

^)  Afanasieff  I  S.  86.  87.  -  Talvj  Vplksl.  d.  Serben  1853  II  S.  381.  105. 


Die  lettischen  Sonnenmythen.  305 

schCn,  als  ob  es  der  Sonne  Schwester  wäre.')  Ein  slovakisches  Lied 
beginnt: 

Morgenröte,  mein  Morgenrötchen, 
Röte,  Schwesterchen  der  Sonne.') 

Zuweilen  aber  tritt  statt  dessen  der  Name  Gottestochter  ein.  Nach  eben- 
falls slovakischer  Tradition  dienen  die  Zori  (Röthen,  d.h.  Abend-  und 
Morgenröthe),  die  Gottestöcliter  zusammen  mit  dem  Morgen- 
stern der  Sonne  und  schirren  ihr  die  weissen  Pferde  an.'O 

Das  folgende  russische  Lied  aber  aus  dem  Kreise  Lipetzk  Gouvernement 
Tambow  in  Grossrussland  zeigt  uns  —  wie  es  scheint  —  deutlich  wenigstens 
der  Sache  nach  die  Dämmerung  als  Sonnentochter.  Eine  Jungfrau  bittet 
den  Fergen,  sie  über  das  Wasser  (den  nächtlichen  Himmelsocean)  auf  das 
andere  Ufer  zu  setzen: 

Fuhrmann,  guter,  Ich  bin  nicht  von  grosser  Geburt, 

Fahr'  mich  auf  die  andre  Seite  hinüber.  Nicht  von  kleiner. 

»Ich  werde  dich  hinübersetzen.  Ich  habe  zur  Mutter  die  helle  Sonne, 

Aber  ich  nehme  dich  (zum  Weibe)"  Zum  Vater  den  hellen  Mond, 

Du  wirst  mich  fragen  Brüder  sind  mir  die  unzähligen  Sterne, 

Von  welcher  Geburt  ich  bin,  Schwestern  die  hellen  Morgensternchen.*) 

Von  welchem  Stamme. 


IV.   Die  Gottessöhne. 

Die  Gottesöhne  lett.  dewa  deli,  lit.  dewo  sunelei.  In  vielen  Liedern 
ist  nur  von  einem  Gottessohn  die  Rede,  in  anderen  von  mehreren.  Die  Be- 
deutung dieses  Namens  erschliesst  uns  der  Vergleich  von  73  und  63,  71b 
und  72.  In  63  späht  der  Gottessohn  nach  der  Sonnentochter  aus;  in  73  ist 
der  Morgenstern  hingelaufen,  um  nach  ihr  zu  schauen.  In  71b  nimmt  der 
Mond   dem   Morgenstern,    in   72   dem  Gottessohn  die  verlobte  Braut.     Mithin 


')  Krek  trad.  Lit.  83, 

^)  Afanasieff  I  80. 

■■')  Journal  des  Ministeriums  der  Volksaufkl.  1846,  7.  Afanasieff  poet.  Naturansch.  I  694. 
Vgl.  auch  das  ukrainische  Märchen  von  der  Sonnenschwester  bei  Afanasieff  Skazk.  VI  n. 
57,  woraus  Ralston  Russian  Folkstales  S.  170 -175  einen  grösseren,  Gubernatis  Zoological  myth. 
I  183  einen  kürzeren  Auszug  giebt.  Iwan  Zarewitsch,  der  jungmachende  Aepfel  besitzt, 
hat  zur  Schwester  eine  drachenartige  Hexe,  die  schon  Vater  wxd  Mutter  verschlungen  hat  und 
den  kleinen  Iwan  verfolgt.  Er  flieht  vor  ihr  auf  einem  Zauberross  bis  vor  die  Wohnung-  der 
ihm  holdgesinnten  Schwester  der  Sonne.  Die  Hexe  macht  ihm  da  den  Vorschlag,  sich  mit 
ihm  wiegen  zu  lassen;  kaum  sitzen  sie  jeder  in  einer  Wagschale,  so  schnellt  er  empor  zum 
Himmel  grade  in  die  Kammer  der  Sonnenschwester.  Gubernatis  deutet  dieses  Märchen  so: 
Iwan  ist  die  Sonne,  die  Sonnenschwester  d.h.  die  Morgenröthe  oder  Dämmerung  ist  seine 
rechte  Schwester,  der  weibliche  Drache  d.  h.  die  Nacht  seine  Stiefschwester,  welche  bereits  die 
Eltern  (die  Abendsonne  und  Abendröthe  von  gestern)  verschlungen  hat  und  die  aufgehende 
Sonne  verfolgt  und  noch  vor  der  Thür  der  Morgenröthe  mit  ihren  Schatten  bedroht,  bis  sie 
sich  auf  der  Schale  =  Sonnenscheibe  in  den  Himmel  erhebt. 

*)  Afanasiefif  poet.  Naturansch.  I  79. 


306  W.  Mannhardt: 

ist  der  Gottessohn  mit  dem  Planeten  Venus  gleich  zu  stellen.  Weitere  Unter- 
suchung zeigt,  dass  dessen  scheinbar  doppelte  Erscheinung  als  Abendstern 
und  Morgenstern,  bald  als  einheitlich  gefasst,  bald  im  Singular  der  Gottes- 
sohn geheissen  war,  bald  zur  Annahme  zweier  Gottessöhne  Anlass  gab,  die 
dann  wieder  häufig,  sei  es  am  Abend,  oder  am  Morgen  gemeinschaftlich  han- 
delnd gedacht  wurden.  Den  Beweis  für  diese  Angabe  liefert  52 — 54,  wo  die 
zwei  im  Meere  (o.  S.  98)  brennenden  Lichter,  welche  einmal  von  den 
Gottessöhnen  angezündet  werden,  das  anderemal  diese  selbst  sind,  nicht  wohl 
anders  als  auf  Abendstern  und  Morgenstern  bezogen  werden  können.  Wenn 
ein  Gottessohn  einzeln  mit  Namen  genannt  wird,  so  ist  das  der  Morgenstern 
und  das  zuweilen  in  solcher  Verbindung,  dass  er  als  Zusammenfassung  des 
Abendsternes  un^  Morgensternes,  als  der  einheitliche  Planet  Venus  aufgefasst 
werden  zu  müssen  scheint.  Nach  44  scheint  der  Begriff  der  Gottessöhne  auf 
alle  Sterne  sich  auszudehnen,  da  nicht  Mondessöhne  gemeint  sein  können, 
um  die  für  den  Mond  nicht  erst  zu  bitten  erforderlich  wäre. 

Die  meisten  Angaben,  welche  über  die  Gottessöhne  in  den  Liedern  ge- 
macht werden,  haben  wir  bereits  bei  Besprechung  der  Sonnentochter  in  Er- 
wägung gezogen.  Zugleich  mit  der  Krone  der  Sonnentochter  wird  der  Gürtel 
des  Gottessohnes  genannt,  beide  schmiedet  der  Himmelsschmied,  beide  hängen 
Nachts  am  Eichbaum  (38.  55).  Wird  die  Krone  von  den  letzten,  beziehungs- 
weise ersten  Strahlen  der  unter-  und  aufgehenden  Sonne  gebildet  (o.  S.  295), 
so  weiss  ich  für  den  Gürtel  keine  andere  Erklärung,  als  das  Abend-  resp. 
Morgenroth,  da  die  griechische  Benennung  des  Regenbogens  Q(x)vri  oder  QtovdqLov 
Trjg  Jlc(i>ay/ag  Gürtel  der  Madonna^)  und  die  litauische  Laumes  j&sta,  dangaus 
jüsta  Elfengürtel,  Himmelsgürtel  hier  nicht  einschlägt.  Wenn  es  richtig  wäre, 
was  M.  Müller  Vorles.  H  351  als  Ergebniss  seiner  Untersuchungen  ausführt, 
„Aphrodite,  die  dem  Meeresschaum  Entstiegene,  war  ursprünglich  die 
Morgenröthe,  jenes  lieblichste  Phänomen  am  Himmelsgewölbe  und  von  dieser 
Grundidee  aus  wurde  sie  im  Geiste  der  Griechen  naturgemäss  zum  Range  einer 
Göttin  der  Schönheit  und  Liebe  erhoben",  so  erhält  nun  auch  der  Gürtel  der 
Venus  II.  XIV  214  ff.  die  gleiche  Bedeutung  des  umkränzenden  (vgl.  unser 
Lied  27)  lieblichen  Morgenroths*. 

^Jl  /.(u  fino  aiijOta(fiv  Sliacuo  xtoiby  l/jüvia 
lloixikov'  I»'i9«  Si  ot  mkxit'jnia  nävja  i^ivxio' 
"/^V.y  ffi  fxty  (//Ao'riyf,  tf  6'  J'|Uf(>of,  If  d'oatjtati'i, 
lläntpaoii,  rji  fxXt\lJt  vöov  nvxa  7itf>  (f noytönwv. 

Der  Abend-  oder  der  Morgenstern  erscheint  gleichsam  umgürtet  von  der  Abend- 
oder Morgenröthe. 

Anders  gewendet  erscheint  dasselbe  Bild,  wenn  es  81  heisst,  die  Gottes- 
söhne heizen  die  Badstube.  Wir  fanden  diese  Angabe  schon  melirfach  be- 
stätigt.    Der  Morgenstern  (Auszrine)  facht  der  Sonne  das  Feuer  an  (4.  76), 


')  Schwartz  Ursprung  der  Mythologie  S.  117. 


Die  lettischen  Sonnenmythen.  307 

die  Donnersmuhme  (Percuna  tete,  Abendstern  —  Morgenstern)  bereitet  ihr 
Abends  die  Badstube,  aus  der  sie  Morgens  gereinigt  hervorgeht  (91,  vgl.  o. 
S.  289),  Maria  heizt  den  Sternen  die  Badstube  (6,  vgl.  o.  S.  304),  die  est- 
nische Wundereiche  wird  zertrümmert  zur  Badstube  des  Brüderchens  (o.  S.  286). 
Wir  haben  uns  hier  überall  den  Feuerschein  eines  russischen  Dampfbades 
(pirtis)  zu  vergegenwärtigen  und  an  die  Abend-  und  (oder)  Morgenröthe 
zu  denken.  —  Ausser  dem  Gürtel  wird  dem  Gottessohn  einSchwert  beigelegt. 
Wir  erkannten  darin  bereits  o.  S.  299  den  ersten  Lichtstrahl  des  Morgens. 

Morgenstern  und  Abendstern  heissen  46  die  Rösschen  des  Mondes, 
der  kein  eigenes  Koss  habe,  wogegen  ihm  nach  73  ('falls  ich  richtig 
deutete)  ein  graues  Rösschen  eignet.  Nach  anderen  Stellen  sind  die 
Gottessöhne  Reiter  auf  grauen  Rossen  und  (wohl  im  Verein  mit  anderen 
Sternen)  Freiwerber  des  Mondes  vor  der  Hausthür  der  Sonne  (Abends)  44; 
dagegen  halten  die  grauen  Rosse  des  Gottessohnes  in  42.  43  auf  der  Frei- 
werbung für  ihn  selbst  vor  der  Hausthür  der  Sonne.  Wenn  die  Sonnen- 
tochter den  Rosenstock  zum  Himmel  hinaufsteigt,  sieht  sie  schon  von  fern 
den  Gottessohn  sein  Rösslein  satteln  (83,  vgl.  84).  Gottes  liebe  Söhne  reiten 
heran  und  lassen  ihre  Rosse  in  die  Goldkoppel  (45,  vgl.  o.  S.  302)  oder  in 
die  goldene  Umzäunung  (82).  Auch  eine  litauische  Daina,  welche  Afanasieff 
I  84  nach  Zügen  aus  dem  Leben  des  lit.  Volkes  128 — 134.  148  erwähnt,  sagt: 
Wohin  sind  gekommen  Gottes  Pferde?  Gottes  Söhne  sind  damit  hinweg- 
geritten, suchend  die  Töchter  der  Sonne."  Dem  Gottessohn  als  Reiter  kommen 
dann  auch  die  goldenen  Sporen  zu,  welche  der  Himmelsschmied  schmiedet  (36). 
In  45  sind  die  Gotteissöbne  wohl  unter  den  Dienern  des  lieben  Gottchens 
gemeint,  mit  denen  dieser  die  Sonnentochter  (die  Dämmerung)  sucht.  Denn 
65  erscheinen  sie  wieder  als  Knechte  der  Sonne  und  des  Mondes,  wie  66 
als  Arbeiter  des  Perkun,  welche  mit  ihrem  Aufseher  in  Streit  gerathen,  weil 
sie  die  goldenen  (seidenen)  Wiesen  nicht  gemäht,  die  goldenen  (seidenen) 
Berge  [o.  S.  302]  noch  nicht  geeggt  haben.  Die  Egge  beruht  auf  derselben 
Naturerscheinung  wie  die  Harke,  mit  welcher  nach  67  die  Sonnentochter 
gegenüber  dem  Morgenstern  Heu  harkt  (vgl.  o.  S.  302),  aus  diesem  Heu- 
harken sind  erst  die  weiteren  Bilder  des  Grasmähens,  der  Wiese,  Goldkoppel, 
sekundär  abgeleitet.  Ich  scheue  mich  nicht,  auch  die  Harfe,  auf  welcher  69 
der  Gottessohn  spielt,  für  eine  neue  Auffassung  des  nämlichen  Phänomens 
zu  erklären. 

Doch  verdient  das  Lied  69  (nebst  68)  noch  eine  etwas  eingehendere  Er- 
klärung. Die  Scene  spielt  am  Abend,  die  Gottessöhne  roden  den  Birk- 
wald  d.  h.  sie  machen  die  Stümpfe  des  zerschmetterten  Sonnenbaums  im  all- 
gemeinen Dämmerungsgrau  verschwinden  (o.  S.  332)  und  gehen  nach  Deutsch- 
land (der  Abendstern  steht  im  Westen),  um  von  da  Morgens  im  Osten  auf- 
zutauchen, und  die  Sonne  her  aufzuführen,  oder  mythisch  ausgedrückt,  mit 
Bechern  zu  werfen  (o.  S.  102),  auf  der  goldenen  Harfe  zu  spielen, 
den  Apfel    zu   rollen   (29).     Zu  den  täglichen  Obliegenheiten  der  Gottes- 


308  ^-  Mannhardt: 

söhne  gehört  es  auch  wohl,  die  Kanne  —  Becher  der  Sonne  (s.  o.  S.  102) 
zu  bebändern;  in  47  ist  dieses  Geschäft  auf  den  Jahreslauf,  auf  die  Sonnen- 
wende übertragen. 

Während  bie  Gottessöhne  den  ßirkwald  roden,  fressen  Gottes  Gänse, 
Gottes  schwarze  Stiere  mit  weissen  Hörnern  das  Gras  der  Himmels- 
wiese, oder  Röhricht  im  grossen  Wasser  (Luftmeer).  Diese  schwarzen  Stiere 
sind  offenbar  die  hereinbrechenden  Schatten  der  Nacht,  welche  vereinzelt  schon 
am  Abendhimmel  sichtbar  werden.  So  heisst  in  Russland  die  Nacht  gradezu 
die  schwarze  Kuh,  der  Tag  der  graue  Ochse  oder  weisse  Ochse,  die  Dämmerung 
der  graue  Bulle. ' )  Und  gradeso  werden  im  Veda  die  Abendschatten  schwarze 
Kühe  genannt  im  Gegensatz  zu  den  rothen  Kühen,  den  Lichtstrahlen  des  Morgens. 
Die  der  Morgenröthe  voraufgehende  Zeit,  wenn  das  Licht  beginnt,  allmählich 
der  Finsterniss  zu  widerstehen,  schildert  Rigv.  X  61,  4.  Wenn  eine  schwarz  e 
Kuh  mitten  zwischen  rothglänzenden  Kühen  sitzt,  rufe  ich  euch  Söhne 
des  Dyaus,  o  A^vins,  an^)  [das  ist  ja  fast  wörtlich  unser  Lied  69],  wo- 
gegen statt  es  dämmert  Rigv.  1  92,  1  gesagt  wird  „die  lichten  Kühe  kehren 
wieder"  oder  Rigv.  X  8,  3  „da  die  Sonne  emporstieg,  erfrischten  die  lichten 
Kühe,  die  Arushis  (d.  h.  die  rothen  Lichtstrahlen)  ihre  Leiber  im  Wasser.^) 
Nach  noch  anderen  Stellen  treibt  die  Morgenröthe  diese  Kühe  auf  die  Weide. 

Nach  56  wirft  der  Gottessohn  in  der  Mitte  des  Meeres  eine  Insel 
(Haufen)  auf.  Das  steht  in  unverkennbarer  Parallele  zum  Sonneneiland  Aia, 
wo  Helios  untergeht  oder  aufgeht,  und  bedeutet  unzweifelhaft  entweder  die 
ersten  dunkeln  Schattencomplexe  am  Abendhimmel  oder  die  ersten  Helligkeits- 
flecke, welche  Morgens  am  nächtlichen  Firmamente  auftauchen. 

In  einem  engen  Yerhältnisse  stehen  die  Gottessöhne  zur  Sonnentochter. 
Wenn  sie  den  Rosenstock  hinaufklettert,  begegnet  ihr  der  Gottessohn  (83.  84). 
Die  Gottessöhne  sind  Brautführer,  wenn  die  Sonnentochter  im  Westen  ver- 
heirathet  wird  (15).  Sie  finden  im  Nesselbusch  das  Seidentuch  der  Maria 
(79),  [o.  S.  303,  u.  wie  der  Morgenstern  den  Sammetrock,  das  Morgenroth 
näht,  51J.  Es  heisst  andererseits,  dass  die  Gottessöhne  der  Sonnentochter 
den  Ring  abgezogen  haben  (60),  den  sie  nach  anderen  Liedern  ihr  Morgens 
wieder  aus  der  Tiefe  fischen.  Sinkt  sie  in's  Meer,  so  steht  der  Gottessohn 
auf  dem  Berge  (35).  Aber  die  Gottessöhne  rudern  auch  das  Boot,  um  ihr 
Leben  durch  die  Nacht  hindurch  bis  zum  Morgen  zu  retten  (34).    Sie  zünden 


')  Afanasieff  poet.  Naturansch.  I  «59.  S.  die  lolRendeTi  Räthsel:  Die  schwarze  Kuh  hat  alle 
Menschen  todtgestossen,  die  weisse  Kuh  hat  sie  wieder  lebendig  gemacht,  oder  die  schwarze  Kuh 
hat  alle  Menschen  besiegt,  die  weisse  Kuh  hat  alle  wieder  herausgesführt  (Tag  und  Nacht), 
Die  schwarze  Kuh  hat  das  Thor  verrammelt  (Nacht).  Der  graue  Bulle  sah  durch's  Fenster 
(Dämmerung).  Dal  Sprichwörter  der  Russen  1063.  Mosk.  1852.  Tereschtschcnko  VII  164. 
Rementoff  VII.  —  Kleinniss.:  Der  graue  Ochse  hat  alle  Menschen  zusammengerufen  (Tag). 
Slowak.:    Ein  weisser  Ochse  hat,  alle  Menschen  auf  die  Beine  gebracht  (Tag). 

*)  S.  M.  Müller  Vorles.  üb.  Wissensch.  d.  Spr.  II  451.    Muir,  original  Sanscrit  texts  V  239. 

')  M.  Müller  Essays  II  121. 


Die  lettischen  Sonnenmythen.  309 

zwei  Lichter  im  Meere  au,  bei  denen  die  Sonnentochter  sitzt  (53).  Dieselbe 
harkt  dem  Morgenstern  gegenüber  (67),  doch_^briclit  sie  ihm  das  Schwert  ab 
(70).  Zumeist  jedoch  tritt  der  Gottessohn  als  Freier  um  die  Sonnentochter 
auf.  Während  sie  sich  wäscht,  späht  er  vom  Busche  nach  ihr  aus  (63). 
Die  Rosse  seines  Gefolges  stehen  (Abends)  vor  der  Hausthür  der  Sonne, 
wenn  er  um  die  Sonnentochter  freit;  er  reicht  der  Ankommenden  die  Hand 
über  das  grosse  Wasser  (42.  cf.  44).  Der  Morgenstern  verlässt  den  Reigen 
der  Sterne,  um  auf  die  Freischaft  nach  der  Sonnentochter  zu  laufen  (50.  73. 
74);  früh  geht  er  auf,  der  Sonnentochter  begehrend  (49).  Die  Gottessöhne 
bauen  für  sie  ein  Brautgemach,  in  das  sie  zitternd  hineingeht  (54),  nach  72. 
71b  nimmt  aber  der  Mond  dem  Morgenstern  die  verlobte  Braut.  Eigenthüm- 
lich  ist  —  wie  schon  oben  erwähnt  —  44,  wo  von  100  Gottessöhnen  als 
Reitern  die  Rede  ist,  der  Name  des  Gottessohns  mithin,  wie  es  scheint,  auf 
die  Sterne  überhaupt  ausgedehnt  wird. 

Dioskuren  und  A(,;vins. 

Der  Kundige  muss  bald  gewahr  werden,  wie  genau  mit  den  lettischen 
Mythen  von  den  Gottessöhnen  und  der  Sonnentochter  oder  Gottestochter  die 
griechischen  von  den  beiden  Dioskuren  und  ihrer  Schwester  Helena  überein- 
stimmen. Ihr  Mythus  ist  zwar  bei  Homer  sowohl,  als  auch  in  den  Kyprien 
(bei  Pindar)  bereits  durch  verschiedene  fremdartige  Motivirungen  verdunkelt, 
im  ganzen  und  grossen  scheint  jedoch  in  beiden  eine  ältere  Ueberlieferuug 
ziemlich  rein  bewahrt,  welche  unzweifelhaft  im  letzten  Grunde  auf  mehreren 
Sonnenliedern  nach  Art  der  vedischen  Hymnen,  oder  unserer  lettischen  Lieder 
beruhend,  verschiedene  Bilder  für  einen  und  denselben  Gedanken  zu  einer 
Erzählung  vereinigte. 

Dem  Namen  dewa  deli,  dewo  sunelei  entspricht  der  griechische  Jiog 
xnvQüi  dem  Begriffe  nach  fast  genau.  Wie  jene,  bedeuten  diese  Morgenstern 
und  Abendstern'),  deren  einer  am  Anfange  der  Nacht  dort,  wo  die  Sonne 
untergeht,  und  der  Eingang  zur  Unterwelt  sich  befindet,  der  andere  am  Be- 
ginne des  Taglichts  erscheint.  Deshalb  leben  sie  Tag  um  Tag  abwechselnd 
der  eine  im  Grab,  der  andere  im  Lichte  des  irdischen  Tages  oder  bei  Vater 
Zeus. 2)  So  ist  auch,  wie  Welcker^)  bemerkt,  da  sie  es  den  Worten  nach 
kann,  die  Stelle  in  der  Odyssee  XI  299 — 304  zu  verstehen  und  nicht  so 
wie  der  Scholiast  und  Eustathius  meinen,  als  ob  beide  zugleich  einen  Tag 
um  den  anderen  lebten.  Ihre  Namen  Kas-tor  der  Schimmernde  von  Wurzel 
kas  (splendere  (cf.  lat.  cas-cus  blank,  cä-nus  aus  cas-nus  weiss,  grau),  altnord. 
hösvi  grau  ahd.  haso  schön  glänzend,*)  und  Polydeukes  nach  G.  Curtius 
Gr.  Etym.  Aufl.  2  589   der  Ruhmreiche,    nach  M.  Müller  Essays  II  90,    wie 


')  "Welcker  griech.  GtJtterlehre  I  C06  fl". 
"*)  Kyprien  bei  Pindar.  Nein.  X  8C  H, 
^)  Griech.  Gütterl.  I  612. 
*)  Zs.  f.  vgl.  Sprachf.  II  152.  VIII  208. 


310  W.  Mannhardt: 

auch  Pott  für  möglich  hält  1),  der  vielleuchtende,  mit  vielem  Lichte  Be- 
gabte stimmen  mit  jener  sachlichen  Bedeutung  überein.  Ihre  Schwester  Helena 
'EXevr/  neben  'Eltmo,  gebildet  von  Wurzel  oVfk  =  svar,  wie  naQ^evng  von 
Wurzel  vardh  wachsen^),  die  glänzende,  die  Morgenröthe  oder  das  Licht  der 
Morgensonne,  heisst  bei  Homer  wie  die  Sonnentochter,  Gottestochter 
^lO'^  i<oi()tj,  xovQp^  /Jiog  aiyiöxoio,  ^los  ^itysyaiüa.  IL  III  426.  Od.  IV 
184  u.  s.  w.  Sie  entstand  sammt  Polydeukes  aus  dem  Ei  [Schale  des  Himmels- 
gewölbes? Weltei?  Sonnenball?],  das  Leda  von  dem  in  Schwangestalt^) 
verwandelten  Zeus  empfangen.  Wenn  ausser  Zeus,  ihrem  wirklichen  Vater, 
Tyndareos  als  ihr  Vater  vor  der  Welt  genannt  wird,  so  beruht  das  unzweifel- 
haft in  letzter  Instanz  auf  verschiedeneu  Sagen  oder  Hymnen,  in  denen  ihr 
statt  des  Zeus  Tvvd-d()-eog  Tvvö-cxQtjg  zum  Vater  gegeben  war,  der  Stos sende, 
Stechende*).  Man  fühlt  sich  versucht,  dabei  an  jenes  pfeilartige  Hervor- 
stossen,  Empor-schiessen  der  ersten  Lichtstrahlen  des  Morgens  (o.  S.  307) 
zu  denken. 

Aus    demselben    Grunde,    wie    die   Dewa  deli,    sind  auch  die  Dioskuren 
mit  Ross   und  Wagen  begabt.     Die    llias    III  237    nennt  Kastor  innoda/iiog 


')  Zs.  f.  ygi.  Sprachf.  V  288. 

'    Zs.  f.  vgl.  Sprachf.  VIII  46. 

^)  Der  Schwan  ist  ein  altes  Naturbild  der  Sonne,  der  rothe  Schwan  des  bei  Sonnenaufgang 
oder  Sonnenuntergang  sich  röthlich  färbenden  Himmels.     Vgl.  E.  Tegner  von  der  Sonne 

Wo  schwammst  du  im  Meer 
Goldbefiederter  Schwan? 
Schwartz  S.  M.  u.  St.  27.  Vgl.  o.  S.  90  den  Schwanenflaum  im  Westen.  Dem  Inder  heisst 
die  Sonne  hansah  (.'uki.sad  im  Aether  schwebender  Schwan  (eigentl.  Flamingo).  Rigv.  V  40,  5. 
Kuhn  Entwickelungstufen  S.  139.  Die  germanische  Anschauung  spricht  sich  in  der  Genealogie 
Tag  und  Sonne,  Schwanweiss,  Gold  fede  r  (Svanhvit  GuUfiödhr),  Schwan  der  Rote 
(Svanr  hinn  Hauiii)  aus.  Fornaldarsög.  II  7.  Germ.  Myth.  38.  375.  Vgl.  den  Mythus  der  Al- 
gonkins  bezüglich  des  Sonnenuntergangs.  Odschibwä  sieht  einen  schönen  rothen  Schwan, 
dessen  Gefieder  wie  Sonnenlicht  glänzt  und  die  ganze  Luft  roth  färbt.  Er  verwundet  ihn 
mit  magischem  Pfeil,  so  dass  der  Purpur  seines  Blutes  alle  Wogen  färbt.  Der  Vogel  flieht 
langsam  der  sinkenden  Sonne  zu,  Odschibwä  folgt  ihm  ins  Land,  woher  niemand  wiederkehrt. 
Der  Schwan  ist  die  Tochter  eines  alten  Zauberers,  der  seinen  Skalp  verloren 
hat,  welchen  Odschibwä  ihm  wiederholt  und  aufs  Haupt  setzt,  worauf  der  Alte  sich  von  der 
Erde  erhebt,  nicht  mehr  greise  und  gebrechlich,  sondern  in  jugendlicher  Schönheit 
strahlend.  [Er  ist  also  die  Sonne,  der  Schwan  eine  Sonnentochter.]  Der  Zauberer  ruft  die 
schöne  Jungfrau  hervor,  die  nun  nicht  mehr  seine  Tochter,  sondern  seine  Schwester  ist,  und 
giebt  sie  dem  siegreichen  Fremden  zum  Weibe.  Schoolcraft  Algic  researches  II  1—33,  bei  Tylor 
Anfänge  der  Cultur  I  140.  Halten  wir  diese  Analogien  zusammen,  so  bekommen  wir  eine  Ahnung 
davon,  was  mit  der  Rede  gemeint  sein  konnte,  dass  der  in  den  Schwan  [die  aufgehende  oder 
untergehende  Sonne?  oder  das  mit  weiss-röthlichen  Wolken  gleich  Schwanenflaum  (o  S.  90) 
überzogene  Firmament?]  verwandelte  Himmolsgott  mit  Leda  [der  Nacht?]  den  Abendstern  und 
Morgenstern  und  die  Morgenröthe  zeugte.  Apollons  heiliger  Singschwan  dürfte  zur  Bestätigung 
der  solaren  Naturbedeutung  des  Schwans  in  einer  so  alten  Mythe,  wie  die  Dioskurensage  ist, 
nicht  verwerthet  werden,  wenn  die  Ausführung  von  J.  H.  Voss  Mytholog.  Briefe  II  Br.  10—13 
S.  84-114  Recht  behält,  dass  der  Schwan  erst  durch  den  Eintluss  der  bildenden  Kunst  dem 
Apollo  beigesellt  und  als  dessen  heiliges  Zugthier  iu  die  Poesie  eingeführt  sei.  Doch  bedarf 
dieser  Gegenstand  noch  erneuter  Untersuchung. 
«)  Curtius  Grundz.  Aufl.  2.  204. 


Die  lettischen  Sonnenmythen.  311 

rossebändigend,  der  Homer'sche  Hymnus  auf  die  Dioskuren  beide  Brüder 
raxtMv  mißr'jCni)£i;  'inniov^  was  Voss^)  wie  in  Od.  18,  263  auf  das  Besteigen 
des  mit  Rossen  bespannten  Wagens  bezog.  Daneben  stellten  andere  Dichter, 
denen  die  frühesten  Künstler,  z.  B.  der  Bildner  des  amykläischen  Thrones  in 
der  Zeit  des  Krösus  folgten,  sei  es  auf  Grund  älterer  Ueberlieferung,  sei  es 
nach  subjectivem  Gutdünken,  die  Dioskuren  als  Reiter  dar.  Noch  zu  einer 
Zeit,  welche  sich  der  Naturbedeutung  derselben  bewusst  war,  beschäftigte 
man  sich  mit  den  Rossen  ihres  Gespannes  im  Einzelnen.  Diese  galten  bald 
für  ein  Geschenk  des  Hermes,  hiessen  Ilarpagos  und  Phlogeos,  und  waren 
Kinder  der  Harpyic  (Stnrmgüttin)  Podarge,  Bezeichnungen  ihrer  Lichtoatur 
und  der  an  ihnen  vorausgesetzten  Götterschnelligkeit.  Andere  machten 
sie  zu  einer  Gabe  der  Here  und  gaben  ihnen  die  Namen  Exalithos  und 
K|yllaros  (vgl.  xvXuo  =  xvXird(o^  vom  Kreislauf  der  Gestirne,  Stesichorus 
(s.  V.  KvHa()og.  Cram  Anecd,  II  p.  456)  vereinigte  beide  zu  einem  Vier- 
gespann. Noch  bei  Euripides  bricht  eine  ältere  Anschauung  durch.  Die 
Dioskuren  heissen  die  Lenker  der  weissen  Rosse  levy.Lnnni  (Hei.  646) 
und  werden  1511  angerufen, 

fiöknirt  7707'  'tTiTjtov  uQ^n 

dl  cci'ßfooi  i(fx(voi, 

na^ötq   TvvöanCöat, 

i.ctf.iTjaiuv  üninwy  vn     udi.uiaiv. 

Pindar  Pyth.  I  126.  Ol.  3,  39  nennt  die  Dioskuren  Xevxömolm^  avinnm. 
Die  Echtheit  dieser  Benennung  findet  ihre  Bestätigung  in  der  Mythe,  dass 
die  Zeusknaben  sich  die  Leukippiden  Phoibe  (die  reine,  helle.  Curtius 
Grundz.  Aufl.  2  581)  und  Hilaira  die  heitere  (vgl.  'tlaooi'  ifty^ng  die  frohe 
Tageshelle)  zu  Gattinnen  rauben,  über  welche  Preller  H  9fS  mit  Recht  sagt: 
Ihre  Namen  Hilaira  und  Phoibe  verkünden  strahlendes  Licht  und  heitern 
Glanz,  ihr  Vater  Leukippos  ist  zu  verstehen  wie  Itvxö.ivjkoL:  rjitQa.  Vgl. 
ebenda  das  weisse  Ross  des  Tages,  und  oben  S.  95.  Die  Himmelsknaben 
haben  mithin  das  lieblichste  aller  Weiber,  die  Morgenröthe,  die  Dämmerung 
zur  Schwester;  werbend  strecken  sie  ihre  Hand  nach  den  Genien  des  schon 
vorgeschritteneren  Morgenlichtes  oder  der  Tageshelle  aus. 

Als  eine  andersgewandte  Mythe  von  nächstverwandtem  Inhalt  lehren  uns 
die  lettischen  Sonnenlieder,  die  wohl  aus  den  Kyprien  bei  Pindar  Nem.  X 
55  ff.  Apollod.  III  11,2  erhaltene  Tradition  verstehen,  dass  die  Dioskuren 
mit  den  beiden  Apharetiden  Lynkeus  (Lichtmann  Lichtniacher?  oder  der 
wie  ein  Luchs  sehende?-)  und  Idas  (der  Sehende?,  Sehenraachende?)^  wegen 
einer  Rinderheerde  in  Stielt  geriethen.  Die  Dioskm'Cn  verbergen  sich  (setzen 
sich),  um  ihrenFeinden  aufzulauern  in  eine  hohle  Eiche  (öqvo^  tv  oieltjei)^ 


•)  Myth.  Briefe  II  1. 


312  W.  Mannhardt: 

Lynkeus  aber,  der  von  allen  Erdbewohnern  das  schärfste  Auge 
hatte,  erschaute  sie,  vom  Berge  Taygetos  herabspähend ^).  Idas  ersticht 
den  Kastor  und  schleudert  dem  Polydeukes  einen  Stein  vom  Grabe 
seines  Vaters  Apbareus  an  die  Brust^),  wird  aber  selbst  von  Zeus  Blitzstrahl 
zerschmettert,  nachdem  Polydeukes  den  Idas  mit  der  Lanze  durchbohrt  hat. 
Da  Polydeukes  mit  dem  geliebten  Bruder  sterben  will,  gewährt  Zeus  seinen 
Söhnen,  abwechselnd  bald  im  Himmel,  bald  in  der  Unterwelt  weilen  zu  dürfen. 

Ich  bin  nicht  der  hergebrachten  Ansicht,  dass  die  Aphariden  messenische 
Dioskuren  seien,  sondern  erblicke  in  ihnen  gegenüber  dem  Morgenstern  und 
Abendstern  zwei  Personificationen  jener  Zeit,  wann  man  wieder  anfängt  deut- 
lich zu  sehen,  männliche  Doppelgänger  der  Leukippiden  und  der  lettischen 
Sonnentochter.  Wie  nun  letztere  bald  des  Gottessohnes  Braut  ist,  bald  mit 
ihm  unter  dem  Ahorn  tanzt,  mit  ihm  zusammen  ihren  Ring  an  die  Eiche 
(Nachtsonnenbaum)  hängt,  bald  aber  im  Gegentheil  ihm  das  Schwert  zer- 
bricht, konnten  die  Apharetiden  im  Streite  um  die  Kühe,  die  rothen  Licht- 
strahlen des  Morgens  (vgl.  die  350  Rinder  des  Helios  und  oben  S.  308), 
als  die  Gegner  (Auslöscher)  der  Dioskuren  gedacht  sein,  welche  in  der 
Eiche  sitzen,  wie  o.  S.  237  Asterinos  unter  dem  Baum,  in  den  er  später 
verwandelt  wird.  Der  Tod  des  Kastor  durch  den  Steinwuri  des  Idas 
stellte  sich  dann  genau  dem  Steinwurf  der  Sonne  gegen  den  Mond  in  un- 
serm  lettischen  Liede  71  zur  Seite.  Der  Stein  ist  die  Sounenscheibe, 
welche  dem  Glänze  des  Morgensterns  ein  Ende  macht.  Dass  der  Stein  vom 
Grabe  des  Vaters  der  Apharetiden  genommen  sei,  hatte  guten  Sinn,  wenn 
unter  Apharetos  (die  Form  Aphareus  ist  Hypokoristikon)  der  zu  seinen  Vätern 
versammelte  Sonnengott  des  vergangenen  Tages,  der  (von  der  Decke  der 
Nacht)  noch  Unverhüllte  {a-ipdiiijiog  von  (pa()ng,  cfä{)og  Decke  Leichentuch 
vgl.  a-x6of.irjTog  von  xöa/.ing')  verstanden  werden  dürfte. 

Schon  Welcker  und  Preller  erkannten  die  nahe  Verwandtschaft  der  grie- 
chischen Dioskuren  mit  den  beiden  Ayvins  der  Inder  an-,  noch  deutlicher 
tritt  die  Analogie  der  letzteren  zu  den  Gottessöhnen  der  lettischen  Sonnen- 
lieder hervor.  Die  A9vin8  heissen  Söhne  des  Dyaüs,  des  Himmels,  Divö 
napätä.^)  Ihr  Name  A^vinau,  mager  ursprünglich  die  beiden  Pferdebesitzer 
oder  Reiter,  oder  Söhne  des  Rosses  (apva  Hengst  =  Soune,  apvä  Stute 
=  Morgenröthe)  bezeichnen,  führt  uns  wieder  die  Lichtstrahlen  in  der  Auf- 
fassung als  Rosse  vor  Augeu.*)    In  der  Beschreibung,  welche  der  Veda  von 


')  So  späht  der  üottessohn  vom  Weidenbusche  o.  S.  297  S.  309 
3)  Toi  (V   h'ar 

I«  aiüilH'  Ti'j/Lißoj  n^tJuy  nai(iujtio. 

"Eviliy  i\  (in  ü'iavi a  u- 

yalf.1    'Aida,  ^tojöu  n  (  i  ti  o  y 

"Efjßakoy  ai(iiVü)  Ilokvöti- 

xtoi.  —  _    '    '  Pindar  Nem.  X  123  ff. 

^)  Muir  original  Öauscrit  texts  Vol.  V  London  1872  S.  235. 
*)  Vgl.  M,  Müller,  Vorlesungen  üb.  Wissenscb.  d.  öpr.  II  451. 


Die  lettischen  Sonnenmythen.  313 

ihnen  giebt,  ist  unschwer  die  Personification  von  zwei  Gestirnen  und  zwar 
von  zwei  nie  zu  gleicher  Zeit  erscheinenden  zu  erkennen;  ich  vermuthe  auch 
in  ihnen  Abendstern  und  Morgenstern.  JJennoch  sind  sie  eng  verbunden, 
weil  ihre  Stellung  zur  Sonne  und  Morgen-  und  Abendrothe  zu  beiden  Tages- 
zeiten eine  ilhnliche  ist.  Sie  werden  aber  voizüglich  als  am  Morgen  sichtbar 
und  thütig  gedacht,  weil  der  Sonnenaufgang  zu  allen  Zeiten  den  Menschen 
tiefer  ergriö",  als  der  Sonnenuntergang.  Der  berühmte  Vedacommentator 
Yäska  führt  ein  altes  J^ied  au,  wonach  der  eine  Sohn  der  Nacht,  der  andere 
Sohn  der  Morgenrüthe  genannt  wird,  der  eine  durchdringe  Alles  mit  Feuchtig- 
keit, der  andere  Alles  mit  Licht,  und  auch  in  einem  Verse  des  Rigveda  wird 
der  eine  siegreich,  in  der  Luft  weilend,  der  andere  glücklich  und  des  Dyaus 
Sohn  genannt,  so  wie  mit  der  Sonne  identificirt.  Gleichwohl  werden  beide 
zusammen  angerufen,  und  mit  denselben  Opfergaben  geehrt.  Gemeinsam 
nahen  sie  zuerst  von  allen  Göttern  vor  Sonnenaufgang;  wenn  nach  Mitter- 
nacht das  Licht  der  Finsterniss  zu  widerstehen  anfängt,  und  die  Nacht  der 
Morgenrüthe  weichen  will.  Dann  im  ersten  Zwielicht  schirren  sie  ihre 
Rosse  vor  den  Wagen  und  steigen  zur  Erde  nieder,  um  die  Anbetung 
und  Opfer  ihrer  Verehrer  zu  gemessen.')  Deshalb  heisst  die  Dämmerung 
oder  Morgenrüthe  (Ushas)  ihre  Schwester.  Diese  wird  in  vielen  andern 
Hymnen,  wenn  von  ihrer  Verbindung  mit  den  A^vins  die  Rede  ist,  xar' 
t^ox/^v  Suryu,  d.i.  griech.  Hello,  oder  Divo  duhitfi,  Himmelstochter, 
Jiog  d^vyaxr'jQ  genannt,  wie  jene  selbst  Himmelssöhne.  Sie  wird  bei  An- 
schirrung ihres  Wagens  geboren. 2)  Ushas  heisst  aber  auch  Suryasya 
duhitä,  Sonnentochter,  und  die  Vedendichter  sagen,  dass  die  Sonnen- 
tochter auf  dem  Wagen  der  A^vins  stehe,  dass  sie  dieselben  zu  ihren  zwei 
Gatten  gewählt  habe.  Nach  einem  Hymnus  Rigv.  X  85,  9.  14  war  jedoch 
Soma  der  glückliche  Bewerber  um  die  Sonnentochter  Suryä,  und  die  A^vins 
sind  zwei  Freunde  des  glücklichen  Bräutigams,  welche  zum  Hochzeitzucre 
kommen,  als  Savitar  (der  Sonnengott)  seine  Tochter  dem  Soma  giebt.  3) 
Und  Sayaua  erzählt  nach  einem  Brahmana:  Savitar  hatte  seine  Tochter  Suryä 
dem  Könige  Soma  zum  Weibe  bestimmt.  Alle  Götter  bemühten  sich  um  ihre 
Hand  und  kamen  überein,  wer  bei  einem  Wettrennen  mit  der  Sonne  als  Mal 
siegen  würde,  solle  sie  bekommen.  Die  A(?vinen  ersiegten  sie  und  sie  bestieo- 
ihren  Wagen.*)  —  Soma  ist  der  personificirte  Göttertrank  des  vedischen 
Zeitalters;  dürfte  man  ihn  in  den  beiden  angeführten  Stellen,  wie  schon  mehr- 
fach im  Atharvaveda,  in  den  jüngeren  Hymnen  des  Rig  und  in  den  Brahmauas'^) 
als  Namen  des  Mondes  fassen,  so  läge  der  Gedankengang  klar.  „It  is  not 
uunatural,  from  the  relation  of  the  two  luminaries,  that  he  (der  Mond)  should 


')  Muir  a.  a.  0.  238. 

2)  Muir  a.  a.  0.  238.    M.  Müller  Essays  II  82. 

^)  Muir  a.  a.  0.  237. 

*)  Muir  a  a.  0.  236. 

*)  Muir  a.  a.  0.  271. 

Zeitschrift  für  EtUuglogie,  Jahrgang  1875. 


314 


W.  Mannhardt: 


have  been  regarded  as  son  in  law  of  the  sun."')  Man  wird^  vielleicht  an- 
nehmen dürfen,  dass  in  diesen  Ueberlieferungen  der  Name  Soma  eine  andere 
Bezeichnung  des  Mondes  in  einer  älteren  Fassung  ersetzt.  Dies  vorausgesetzt, 
gewähren  die  lettischen  Lieder  von  den  den  Brautschatz  der  Sonnentochter 
führenden  Gottessöhnchen,  von  der  Sonnentochter,  die  in  das  Brautgemach 
der  beiden  Gottessöhne  eingeht,  von  der  Nebenbuhlerschaft  des  Mondes  und 
der  Gottessöhne,  bei  der  Freiwerbung  um  die  Sonnentochter  schlagende 
Uebereiustiramuugen.  Die  mythische  Grundlage  der  Leukippiden  findet 
M.  Müller-)  mit  Recht  in  Rigv.  I  115,  2  wieder.  „Sie,  die  Morgenröthe, 
die  von  weissen  Rossen  gezogen  wird,  wird  im  Triumph  von  den  A^vins 
heimgeführt."^) 

Estnische  Parallelen. 
Augenfällige   Berührungspunkte   mit  den  lettischen  Liedern  42  ff.  weisen 
mehrere  estnische  und  finnische  Runen  von  der  Freischaft    der    Sonne,    des 
Mondes  und  des  Sternes  (resp.  des  Polarsterns)  um  eine  aus  dem  Ei   ge- 
borene  Jungfrau  auf.     Von  dem  estnischen  Lirde  giebt  es  viele  Varianten; 
es  wurde  vor  kurzem  noch  öfter  bei  feierlichem  Festtanz,  dem  Kreuzesreigen^), 
o-esuno'en,  und  liegt  in  Neuss's  estnischen  Volksliedern  Reval  1850  I  S.  9 — 23 
in  vier  verschiedenen  Fassungen,   in  einer  fünften  im  Kalewipoeg,  Gesang  I 
V.  126—863  vor.     Nach  den   vier  Liedern  bei  Neuss    findet    ein    Weib    ein 
Hühnchen  auf  der  Strasse,  das  sich  in  eine  Jungfrau,  Salme,  wandelt.    Drei 
Freier,  der  Sonnensohn,   des  Mondes   holder  Knabe  und  der  Spross 
der   Sterne  erscheinen  jeder    mit   fünfzig  Rossen   und  sechzig  Len- 
kern;   Salme    verschmäht   den   Sonnen-   und   Mondesfreier   und    erwählt  sich 
den  Sterneusohn.    Im  Kalewipong  findet  eine  Wittwe  in  der  Wiek  ein  Küch- 
lein, ein  Birkhuhnei  und  vor  dem  Dorfe    eine  junge    Krähe.      Sie    trägt    alle 
drei    nach    Hause,    schliesst   Ei    und    Hühnchen    in    einen    Brutkasten, 
dessen    Deckel    sie    verschliesst,    und  wirft  die  Krähe  in  den  Winkel 
hinter  dem  Kasten.     Nach  vier  Monaten  ist  aus  dem  Hühnchen  die  Jungfrau 
Salme,  aus  dem  Birkhuhnei  ein  zweites  Mädchen  Linda,   aus   der  Krähe  ein 
Waisenmädchen,    eine   Sklavin  geworden.     Es   stellen  sich  als  Freier  Sonne, 
Mond  und  des  Polarsterns  ältestes   Söhnchen,  jeder    mit  fünfzig  Rossen 
und  sechzig  Rosselenkern  ein,  und  werben  um  Salme;   sie  verlobt  sich 
dem    Sternknaben.      Während    ihrer    Hochzeit   nahen    abermals    Sonne    und 
Mond,  sodann  der  König  der  Meereswogen  und  der  Kunglakönig^),    und  be- 
gehreu   Linda   zur   Frau;    sie   weist  Alle   ab;    sie  vermählt  sich  dem  Kalew. 


')  Muir  a.  a.  0.  237. 

'^)  Essays  II  82. 

3}  Dieselbe  Idee  steckt  in  der  Sage  vom  weissen  Rosse,  das  die  A^vins  dem  Pedu 
schenken,  so  wie  von  der  Blendung  und  Heilung  des  Rijrav'va  {='^Qyinnoi)  der  sein  Auge  ver- 
loren hat,  weil  er  der  Wölfin  (vriki  d.  i.  der  Nacht)  100  Schafe  schenkte.   Muir  a.a.O.  245.  247. 

*)  Eine  Beschreibung  desselben  liefert  Blumberg,  Realien  zum  Kalewipoeg.  S.  81. 

^)  Der  öfter  genannte  König  eines  mythischen  Landes.     Blumberg  a.  a.  0.  S.  3  6. 


Die  lettischen  Sonnenmythen.  315 

Die  finnische  Ueberlieferung  erzählt  ebenfalls  von  einer  Fahrt,  welche  die 
Sonne,  der  Mond  und  der  Nordstern  unternahmen,  um  sich  eine  Gemahlin 
zu  holen.  Nach  Lönnrots  Kanteletar  III  1  galt  die  Freierfahrt  der  schönen 
und  aus  einem  Gänse  ei  ausgebrüteten  Jungfrau  Suometar;  in  Rune 
XI  V.  20—60  der  Kalewala  heisst  die  Schöne  Kylikki.  Sonne,  Mond  und 
Sterne  warben  um  sie,  jeder  für  sein  Söhnlein.  Sie  schlägt  alle  aus  und  wird 
schliesslich  von  Leraminkainen  geraubt. 

Der  Sternensohn,  welclier  die  Braut  davonträgt,  gleicht  sich  dem  lettischen 
Gottessohn,  dem  Morgenstern;  vielleicht  ist  hier  der  Polarstern  nur  eine  Ver- 
schiebung von  Venus  zum  Schwanzstern  des  kleinen  Bären.  Die  aus  dem 
Ei  des  Birkhuhns  oder  der  Gans  geborene  Salme  oder  Suometar  erinnert 
au  Helena,  die  aus  Ledas  Schwanenei  hervorging;  das  Hühnchen,  welches 
zur  Jungfrau  ward,  an  die  o.  S.  226  erwähnten  Auffassungen  der  Sonne,  des 
Sonnenlichtes  als  Hahn,  Huhn  u.  s.  w.  Hält  man  den  estnischen  Spruch, 
darin  der  Sonnenkäfer  aufgefordert  wird  in  das  mythische  Land  zu  fliegen, 
wo  die  Hähne  Gold,  (die  Hennen  Blech),  die  Gänse  Silber  und  die 
Krähen  altes  Kupfer  trinken^)  (o.  S.  227)  mit  dem  Funde  der  Wittwe 
Ei,  Birkhuhn  und  Krähe  zusammen,  so  wird  man  geneigt  sein,  in  diesen 
Fundstücken  Lichterscheinungen  des  Morgen-  und  Abendhimmels,  in  Dienst- 
magd und  Krähe  das  dicht  an  die  schwarze  Nacht  grenzende  Stadium  der 
Dämmerung  zu  erblicken.  Auf  diese  Weise  wird  der  Vorzug  erklärlich,  den 
der  Sternensohu  erhält. 

V.   Der  Mond. 

Weniger  bedeutend  als  die  Sonne,  Dämmerung  und  der  Planet  Venus 
tritt  der  Mond  in  unsern  Liedern  hervor,  am  natürlichsten  in  17,  wo  die 
Sonne  sich  mit  ihm  in  die  Arbeit,  den  Menschen  zu  leuchten,  theilt,  und 
jedem  sein  Gebiet  abgrenzt.  Eine  ähnliche  Unterhaltung  zwischen  den  Genien 
beider  Himmelskörper  enthält  das  nachfolgende  russische  Lied  aus  dem  Gou- 
vernement Tschernigoff; 

Da  hinter  dem  Berge,  hinter  dem  Walde,  „Mein  helles  Sonncheu, 

Hinter  dem  grünen  See,  Was  geht  dich  das  au. 

Dort  hat  die  Sonne  gespielt,  Wie  ich  untergehe?" 

Mit  dem  Monde  sich  unterhaltend.  Ich  gehe  auf  leuchtend 

Ich  Trage  dich,  Mond,  Und  gehe  unter  verdunkelt." 
Gehst  du  früh  auf,  gehst  du  spät  unter? 

Weiter  folgt  ein  vergleichendes  Gespräch  zwischen  einem  Knecht  und 
einer  Magd,  welche  sich  erkundigt,  ob  er  ein  Pferd  habe,  und  weshalb  er 
sie  besuche,') 


')  Bei  Neuss  B.  a.  a.  0.  S.  13  wird  statt  des  lluhujs  allein  ein  Hahn  und  ein  Hühnchen 
gefunden;  Hühnchen  scharrte  schöne  Seiden,  Hähnchen  goldne  Franzengarne  (vgl.  o. 
S.  217  die  goldlaces).  Aus  dem  Hühnchen  wird  Salme,  der  Hahn  kommt  nicht  weiter  vor,  ist 
mithin  wohl  reiner  Pleonasmus  von  der  Mache  eines  jüngeren  Ueberarbeiters. 

')  Afanasietf,  poet.  jSaturansch.  I  76. 


316  W.  Mannhardt: 

Nach  47  trägt  der  Moud  den  Sternenmantel,  es  ist  also  der  Nachthimmel 
als  sein  Gewand  gedacht,  die  Sterne  als  Verzierungen  daran.  In  73,  wo 
offenbar  er  der  Sprecher  ist,  führt  er  dagegen  als  sein  Liebchen  die  Weberin 
von  Sternendecken  (das  Mondlicht?)  heim  und  dasselbe  Wesen  wird  es 
sein,  welches  48  seinen  Fuhrmann  spielt.  Während  ein  russisches  Räthsel 
den  Moud  grade  so  wie  den  Tag,  ein  graues  Ross  nennt^)  (vgl.  o.  S.  95), 
behauptet  unser  Lied  46,  der  Mond  habe  kein  eigenes  Rösschen,  Morgenstern 
und  Abendstern  seien  seine  Rosse;  während  nach  44  hundert  Reiter,  seine 
oder  Gottes  Söhne  (vgl.  o.  S.  306.  SO")  auf  grauen  Rossen  für  ihn 
auf  die  Freiwerbung  um  die  Sonnentochter  ausziehen.  Es  sind  alle  Sterne 
gemeint  und  nach  73  besitzt  er  in  der  That  selbst  ein  graues  Rösschen. 

Er  freit  um  die  Sonnentochter  (44),  die  Sonne  giebt  sie  ihm,  obgleich 
sie  dieselbe  dem  Gottessöhnchen  versprochen  (72);  während  sie  nach  71b 
grade  zürnt,  weil  er  dem  Morgenstern  die  verlobte  Braut  genommen.  Nach 
75  führt  er  die  Sonnentochter  heim  und  Perkun  führt  den  Hochzeitzug.  Nach 
73  dagegen  wartet  er  auf  die  ihm  verlobte  Sonnentochter  und  da  diese  nicht 
kommt,  weil  der  Morgenstern  nach  ihr  schaut  und  sie  sich  von  der  Sonne 
erkauft,  vermählt  er  sich  mit  der  Weberin  der  Sternendecken.  Der  (mit  der 
Sonnentochter  verlobte)  Mond  zählt  alle  Sterne,  alle  sind  da,  ausgenommen 
der  Morgenstern,  der  nach  jener  auszuschauen  lief  (74,  50,  73). 

Die  litauische  Poesie  setzt  an  die  Stelle  der  Freischaft  des  Mondes  um 
die  Sonnentochter  seine  Liebe  zur  Sonne  selbst  (77.  vgl.  o.  S.  95),  und  sein 
Nebenbuhler,  der  Morgenstern,  erhält  nun  diese  zur  Nebenbuhlerin.  Abends 
reicht  der  wankelmiithige  Liebhaber  der  Sonne  die  Hand,  Morgens  der 
Auszriue.  Die  Verbindung  der  Sonne  und  des  Mondes  ist  den  Letten  übri- 
gens nicht  unbekannt,  da  sogar  die  Sterne  zuweilen  als  Kinder  dieser  Ver- 
bindung genannt  werden  (o.  S,  303).  Als  Liebhaber  des  Sternes  kennt  den 
Mond  auch  ein  weissrussisches  Lied: 

Halte  Musterung,  Mondchen,  Musterung! 

Er  hat  alle  Sternchen  durchmustert! 

Ein  Sternchen  hat  ihm  gefallen. 

Wenn  sie  (die  Sternjuiigfrau)  auch  klein  ist,  ist  sie  doch  hell, 

Und  unter  allen  Sternen  hervorragend.*) 

Doch  auch  die  slavische  Sage  weiss  von  dem  Verhältniss  zwischen  Sonne 
und  Mond  und  zwar  wird  dasselbe  nicht  bloss  als  tägliches,  sondern  auch 
als  ein  im  Jalireslaufe  sich  vollziehendes  gedacht.  Die  Liebenden,  Sonne 
und  Mond,  gehen  zum  Winter,  in  den  ersten  Tagen  des  Frostes,  nach  ver- 
schiedenen Seiten  auseinander  und  treffen  erst  wieder  in  den  ersten  Tagen 
des  holden   Frühlings  zusammen.^)     Auf  einer  ähnlichen  Anschauung  mag 

')  Ein    graues    Pferd    (Füllen)    sieht  durch  das    Thor    (Hecke).     Tereschtscheuko   VH  164. 

Sacharoff  I  96,  bei  Afanasieff  poet.  Naturansch.  1  597, 

-■)  Kostomaroff  weissruss.   Volksl.  II  57,  bei  Afanasieff  poet.  Naturansch.  I  78. 
*/  Afanasieff  a,  a.  0.  I  77, 


Die  lettifichen  Sonnenmythen.  317 

es  beruhen,  dass  77  die  Hochzeit  des  Mondes  und  der  Sonne  in 
den  Frühling  verlegt;  dass  der  erste  Frühling  (der  Welt)  genannt  wird, 
ist  ein  sehr  passender  Zeitpunkt,  sobald  einmal  nach  der  Regel  des  Mythus 
der  wiederholte  Naturvorgang  durch  einen  einzelnen  Moment  sich  ersetzt. 

Wegen  seiner  Untreue  wird  der  Mond  von  Perkun  mit  dem  Schwert  zer- 
hauen (76.  77);  auch  das  lettische  Lied  hat  diesen  Zug,  nur  übt  die  Sonne, 
nicht  Perkun,  das  Richteramt  (71a).  Hier  hat  der  Mythus  ganz  ähnlich  wie 
bei  dem  vorhin  genannten  Beispiel  Vorgänge  der  Tagesgeschichte  des  Mondes 
(Sonnenuntergang,  Mondschein,  Morgendämmerung)  dazu  verwandt,  um  den 
monatlichen  Verlauf  des  Phänomens  (Zu-  und  Abnahme  des  Mondes, 
Mondviertel)  zu  erklären.  Und  so  geschieht  es  überhaupt  im  Be- 
reiche der  Mythologie  der  Sonne  und  Gestirne  sehr  gewöhnlich,  da  SS 
Tageslanf,  Monatslanf,  Jahreslaiif  der  Natiirobjecte  in 
der  mythischen  Erzählung  zu  einem  Ganzen  verschmol- 
zen werden. 

VI.  Perkun. 

Perkun,  der  Gewittergott,  wird  in  unsern  Liedern  in  folgenden  Bezie- 
hungen erwähnt  Perkun  fährt  nach  Deutschland  über  das  Meer,  ein  Weib 
zu  nehmen  (13.  14).  Er  schmettert  in  den  Quell  (See),  wo  die  Sonnentochter 
ertrank  (39.  vgl.  40).')  Er  ist  Brautführer  auf  der  Hochzeit  des  Mondes  und 
der  Sonnentochter  (72.  75).  Er  zerschmettert  den  goldenen  (grünen)  Eich- 
baum (72.  73.  75.  TS).  Er  spaltet  den  Apfelbaum  (74).  Er  zerhaut  den 
Mond  (77).  Seine  Muhme  (der  Abend-Morgenstern)  heizt  der  Sonne  Abends 
die  Badstube  (91.  vgl.  o.  S.  289). 

In  der  Sprache  und  im  Liede  tritt  Perkun  sonst  zunächst  als  Gewitter- 
gott auf.     Spr.  316: 

Der  Perkun  Vater 

Hatte  neun  Söhne, 

Drei  schmetterten,  drei  donnerten, 

Drei  blitzten  (flimmerten). 

Von  den  verschiedenen  Momenten  des  Gewittervorgangs  werden  die  einzelnen 
Anlass  zu  verschiedenen  Verrichtungen  des  Perkuu  in  übertragener  Bedeutung; 
•  theilweise  sind  diese  Verrichtungen  in  verschiedenen  Söhnen  des  Gottes  —  wie 
wir  soeben  sahen  —  hypostasirt.  Er  verfolgt  und  zerschmettert  nicht  allein  die 
Johdi  (d.  i.  die  Schwarzen,  die  Teufel,  eigentlich  die  Dämonen  des  Dunkels  der 
der  Wolke  und  vielleicht  auch  der  Nacht),  sondern  wird  auch  angerufen,  die 
böse  Schwiegermutter  zu  zerschmettern  oder  den  über  die  Daugawa  (diesmal 
den  Fluss  Düna)  vordringenden  Feind  zurückzuhalten.     Spr.  316: 

Ihr  Donner,  ihr  Blitze 
Zerschmetttert  die  Schwiegermutter! 
Damit  ich  selbst  Freiheit  habe, 
Die  Schlüssel  erklingen  zu  hissen. 

')  Der  hier  genannte  Waldteufel  ist  der  weiter  unten  erwähnte  Johds. 


318  "W.  Mannhardts 

Grolle,  grolle,  Perkunchen, 

Zerspalte  die  Brücke  über  die  Daugawa, 

Damit  nicht  kommen  die  Polen, 

Die  Litauer  in  mein  Vaterland. 

Er  segnet  den  Acker: 

Leise,  leise  drohend 

Kommt  über  das  Meer  der  Perkunchen, 
Nicht  verdarb  er  die  Faulbaumblüte, 
Nicht  wo  der  Pflüger  gegangen  ist. 

Der  Donner  ist  sein  Lied  und  Spr.  315  bittet: 

Der  Perkunchen  hat  fünf  Söhne, 

Alle  fünf  sind  in  Deutschland. 

Ich  bitte  dich  Perkunchen, 

Führe  einen  in  dies  Land, 

Damit  er  mir  helfe  diesen  Ort 

Erzittern  zu  lassen  durch  Lieder. 

In  den  Erscheinungen  des  Sonnenuntergangs  und  Sonnenaufgangs  kann 
Perkun  hienach  nur  durch  Uebertragung,  nur  durch  Vergleich  der  Morgen- 
röthe  und  Abendröthe  mit  dem  Gewitterfeuer,  der  ersten  Lichtblitze  des  Mor- 
gens mit  dem  grossen  elektrischen  Phänomen  als  Lichtzünder  wirksam  ge- 
worden sein.  Wahrscheinlich  war  der  Anfang  der  hiehergehörigen  Vorstel- 
lungen die  in  39  geschilderte;  die  ersten  Lichtblitze  des  Morgens  erschienen 
als  Perkuiis  rächender  Strahl,  mit  dem  er  in  das  Himmelsgewässer  schlug,  wo 
die  Sonnentochter  ertrank.  Von  hier  aus  mag  dann  durch  Analogie  die  An- 
nahme einer  Betheiligung  des  Gewittergottes  an  den  Phänomenen  des  Morgen- 
lichtes und  Abendlichtes  von  Stück  zu  Stück,  von  Bild  zu  Bild  immer  weiter 
um  sich  gegriffen  haben. 

VII.   Der  Himmelsschmied. 

Die  Lieder  36.  37.  38  bringen  uns  Kunde  von  einem  himmlischen  Schmied, 
welcher  dem  Gottessohne  Sporen  oder  einen  Gürtel,  der  Sonnentochter  Krone 
und  Ring  verfertigt.  Seine  Schmiede  liegt  am  Himmel  und  am  Saume  des 
Meeres  oder  des  grossen  Wassers,  der  Daugawa.  Man  wird  bei  flüchtigem 
Hinsehen  geneigt  sein,  zunächst  an  eine  Beschreibung  des  Gewitters  zu  denken, 
in  welchem  der  bald  als  Gürtel'),  bald  als  Krone  oder  Ring^)  gedachte 
Regenbogen  geschmiedet  werde,  allein  diese  Deutung  verträgt  sich  nicht  mit 
dem  Sinne,    den   wir   vorhin  für   den  Gottessohn  und  die  Sonnentochter  und 


')  Vgl.  0.  S.  306.  Bei  den  Gallas  in  Afrika  heisst  der  Regenbogen  zabata  scarf,  Schärpe, 
Leibbinde,  uud  zabata  wacayo,  Leibbinde  des  Himmels,  wie  lit.  dangaus  josta,  Gürtel  des  Him- 
mels. Auf  türkisch  heisst  der  Regenbogen  giboh  kiemeri,  des  Himmels  Leibgürtel,  Schärpe.  Pott 
in  Zs.  f.  vgl.  Sprachf.  II  430. 

'"0  In  Lothringen  heisst  der  Regenboge»  couronne  de  St.  Bernard,  die  Karaiben  nennen  ihn 
den  bunten  Federkopfputz,  das  Diadem  des  Gottes  Joulouca,  die  Zigeuner  Gottes  Ring.  Zs.  f. 
vgI._Sprachf.  II  426.  430.  432.  428. 


Die  lettischen  Sonnenmythen.  319 

für  deren  Krone,  Ring  und  Gürtel  ermittelt  haben.  Wenn  es  wahr  ist,  was 
wir  in  früheren  Abschnitten  dieser  Abhandlung  auseinanderzusetzen  suchten, 
dass  der  Gottessohn  der  Planet  Venus,  die  Sonnentochter  die  Dämmerung, 
der  Gürtel  Abend-  und  Morgenroth,  der  Ring  die  Sonne,  die  Krone  die  letz- 
ten und  ersten  Strahlen  des  niedergehenden  und  aufgehenden  Tagesgestirnes 
bedeute,  so  muss  der  Vorgang  des  Schmiedens  am  Abend  oder  Morgen  ge- 
schehen und  als  das  Schmiedefeuer  das  Abendroth  oder  Frühroth 
gedacht  sein.  Ahne  ich  recht,  so  kann  die  Verfertigung  der  in  unseren  Lie- 
dern genannten  Lichterscheinungen  nur  eine  Verdunkelung,  eine  abgeleitete 
Form  des  eigentlichen  Geschäftes  sein,  welches  die  alte  Sage  dem  im  Morgen- 
roth am  Himmel  schmiedenden  Künstler  beiraass.  Ich  meine,  dasselbe  müsse 
darin  bestanden  haben,  jeden  Morgen  die  neue  Sonne  zu  schmieden. 
Irre  ich  nicht,  so  liegt  diese  Gestalt  des  im  Morgenroth  oder  Abendroth 
schmiedenden  Himmelskünstlers  den  Figuren  mehrerer  aus  finnischer,  ger- 
manischer griechischer  Sage  bekannter  göttlicher  Schmiede  zu  Grunde. 

Der  erste  derselben  ist  der  finnische  Ilmarinen.  Ihm  werden  mancherlei 
Wunderwerke  beigemessen.  Er  hat  den  Himmel  geschmiedet  und  den  Deckel 
der  Luft  (ilman  kansi)  gehämmert  (Kalew.  10,  273  ff.)  Seine  zweite  That 
war  es,  den  Sampo  zu  schmieden,  eine  wunderbare  Mühle  mit  buntem 
Deckel  (kirjo  kansi),  die  von  selbst  Mehl,  Salz  und  Gold  (Geld)  mahlt,  so 
dass  das  ganze  Land,  in  dessen  Besitz  sie  ist,  in  Ueberfiuss  lebt.  In  dem 
Sampo  hat  die  neuere  Forschung  übereinstimmend  die  Sonne  erkannt. i) 
Die  Wirthin  des  finsteren  Nordlands  verschliesst  dieses  Kleinod  in  denselben 
Felsen,  in  welchen  sie  nach  anderen  Liedern  Sonne  und  Mond  verbirgt;  hier 
haben  wir  mithin  zwei  synonyme  Mythen  für  die  winterliche  Verdunkelung 
der    Sonne.      Wenn    nun    Ilmarinen  aus  Gold   und  Silber  einen  neuen  Mond 


')  J.  Grimm,  Finn.  Epos  in  Höfers  Zeltschr.  f.  Wissensch,  d.  Spr.  I  29.  Kl.  Sehr.  II  89 
hatte  schon,  indem  er  die  über  Nacht  oder  an  jedem  Morgen  .ganz  wie  Kalewala  erste 
Ausg.  5,  299.  347  puhtehessa  tempore  antelucano"  Gold  und  Silber  mahlenden  Mühlen  der 
germanischen  Sage  und  des  germ.  Volksliedes  verglich,  gefragt  „ist  es  (das  Goldmahlen)  von 
der  aufsteigenden,  den  Horizont  vergoldenden  Tagesröthe  hergenommen?"  A.  Schiefner  erklärte 
in  seiner  am  22.  Miirz  1850  in  der  Petersburger  Akademie  gelesenen  Abhandlung  „zur  Sampo- 
mythe"  Bull,  histor.-phil.  T.  VIII  n.  5.  p.  8,  dass  unter  dem  Sampo  ursprünglich  das  glanz- 
vollste, strahlenreiche  Tagesgestirn,  unter  dem  Deckel  der  Himmel,  das  Firmament  gemeint  ge- 
wesen sei.  Kirjokansi  (bunter  Deckel)  ist  Kalew.  R.  27,  109  ff,  49,  51  Synonym  des  Himmels. 
Schiefner  a.a.O.  p.  7.  A.  Kuhn,  Herabkunft  des  Feuers  S.  115  ff.  trat  dem  bei  und  suchte 
die  Auffassung  der  Sonne  als  Mühle  verständlich  zu  machen.  Neuerdiags  hat  0.  Donner,  Mythus 
von  Sampo  (Abdruck  a.  d.  Acta  Societ.  Fennic.  Tome  X  Helsingfors  1871)  gegen  die  inzwischen 
von  J.  A.  Friis  aufgebrachte  Deutung  des  Sampo  auf  eine  lappische  Zaubertrommel  Schiefners 
Erklärung  desselben  als  ,die  goldglänzende  Sonnenscheibe,  die  sich  vor  den  Blicken  der  Men- 
schen im  Winter  verbirgt',  ausführlich  vertheidigt,  indem  er  zugleich  abweichend  von  Schiefner 
den  Namen  aus  finnischer  Sprache  zu  erklären  sucht.  Ich  füge  hinzu,  dass  die  Aotioii  des 
Mahlens  aufzufassen  sein  wird  wie  o.  S.  291  das  Buttern  im  Feuerfasse,  als  die  flimmernde 
Bewegung  der  Lichttheilchen  an  der  Sonnenscheibe;  und  dass  das  Mahlen  des  Goldes  durch 
den  Lichterguss  am  Morgen,  das  Mahlen  des  Mehlcs  durch  die  Analogie  des  Tischchen  deck' 
dich  (0.  S.  230)  sich  treffend  zu  erklären  scheint. 


320  W.  Mannhardt: 

und  eine  neue  Sonne  schmiedet,  aber  dieselben  nicht  zum  Leuchten  zu  bringen 
vermag,  so  liegt  in  diesem  Zuge  eine  Doppelform  der  Schmiedung  des  Sampo 
vor,  und  das  Ausbleiben  des  erwünschten  Erfolges  ist  lediglich  auf  Rechnung 
des  mythenverknüpfenden  Epos  zu  schreiben.  Diese  unabweisbare  Beobach- 
tung heisst  mich  vermuthen,  dass  es  sich  mit  einem  dritten  Meisterstück 
Ilmarinens  ganz  ähnlich  verhalten  müsse.  Nachdem  ein  goldenes  Schaf  [vgl. 
0.  S.  243  ff.],  und  ein  goldenes  Füllen  [vgl.  o.  S.  93  ff.]  aus  seiner  Esse  empor- 
gestiegen und  wieder  dahinein  zurückgesunken  sind,  bildet  er  sich  eine 
goldene  Frau  von  wunderbarer  Schönheit,  aber  er  vermag  ihr  weder 
Sprache  noch  Wärme  einzuflössen  und  kalt  ruht  sie  Nachts  an  seiner  Seite 
(Kalew.  R.  37),  Wie  aber,  wenn  er  nach  älterer  Sage  sein  Ehegemahl  sich 
wirklich  schmiedete  und  wenn  die  goldene  Jungfrau  (ein  drittes  Synonym 
zu  Sampo  und  Sonnenball)  Frau  Sonne  selber  war?  Tritt  somit  die  Ver- 
fertigung der  Sonne  als  das  Hauptwerk  des  göttlichen  Bildners  in  den  Vorder- 
grund, so  wird  wahrscheinlich,  dass  auch  die  erste  Schöpfungsthat  Ilmarinens, 
die  Schmiedung  des  Himmels,  nur  eine  Erweiterung  der  Verfertigung  der 
Sonne  ist,  und  dass  diese  cosmogonische  Mythe  aus  einer  altern  entstand, 
welche  einen  der  lebendigen  Anschauung  zugänglichen,  periodischen  Natur- 
vorgang verbildlichte.  Da  nun  bei  Ilmarinen  kein  Zug  auf  eine  Wesensgleich- 
heit mit  dem  Gewittergott  Ukko  hinweist,  liegt  es  sehr  nahe  seinem  Ursprünge 
nach  sich  jenen  nach  Analogie  des  lettischen  Himmelsschmiedes  als  den  im 
Morgenroth  die  Sonne  wirkenden  göttlichen  Bildner  zu  denken. 

Von  Schmied  Wieland  (Welant,  Wiolant,  Völundr)  ist  schon  o.  S.  297 
die  Rede  gewesen.  Die  fabelhafte  Geschichte  dieses  berühmten  Künstlers 
besteht  aus  einer  Zusammenhäufung  mehrerer  Begebenheiten,  deren  jede  ein- 
zelne als  Verbildlichung  des  Sonnenaufgangs  ohne  Zwang  deutbar  erscheint. 
Als  Lichtheros  characterisirt  ihn  das  Beiwort  Alfa  Ijödhi  Alfenfürst  (o.  S.  207). 
Er  holt  über  Nacht  den  siegbringenden  Stein,  Sonne  (vgl.  o.  S.  287) 
herbei,  er  vermählt  sich  mit  einer  Schwanjungfrau  ('Walkyre,  Sonne?  Morgen- 
röthe?)  und  verfertigt  sich  selbst  ein  Vogelhemd,  Schwanhemd,  i)  In  den  700 
Ringen,  welche  er  schmiedet,  sucht  Kuhn  die  350  Tage  und  Nächte  d.h. 
eine  Verdoppelung  der  Sonnen  des  Mondjahrs;  ausserdem  wird  ihm  die  Ver- 
fertigung eines  kostbaren  Schwertes  (vgl.  o.  S.  300)  beigemessen,    auch    hat 


')  Vgl.  Kuhn  Entwickelungsstufeu  144.  Dass  auch  die  vedische  Poesie  die  ersten  Sonnen- 
strahlen des  Morgens  zu  bewaffneten  Jungfrauen  (den  Morgenröthen,  denen  sich  die  gleich 
ausgestatteten  Walkyrien  zur  Seite  stellen)  umgestaltet,  sehen  wir  aus  Rigv.  I  92,  1  wo  von  ihnen 
gesagt  wird  „wie  tapfere  Männer  ihre  Waffen  rüstend".  Vgl.  Wislicenus  Symbolik  von  Sonne 
und  Tag  9—11.  Die  Waberlohe,  von  welcher  umgeben  die  Walkyre  schläft  =  dem  die  Nacht 
begrenzenden  Attend-Morgenroth.  Kuhn  Zs.  f.  vgl.  Sprachf.  III  451.  Wislicenus  a.  a.  0.  50—59, 
Schwan  in  den  Veden  -  Sonne.  Kuhn  Zs.  f.  vgl.  Sprachf.  IV  120.  Herabk.  d.  Feuers  S.  91. 
Vgl.  auch  zu  dem  die  Schwanjungfrau  heiratenden  Alfenfürsten,  der  sich  ins  Feder- 
gewand wirft,  die  Genealogie  Svanhildr  Gullfjödr  (Goldfeder),  die  Tochter  von  S61  und 
Dagr  (Sonne  und  Tag)  heiratet  den  Alfr  und  gebiert  ihm  Svanr  hinn  Raudi  (Schwan  den 
Rothen).     Vgl.  o.  S.  310. 


Die  lettischen  Sonnenmythen.  321 

er  aus  den  Schädeln  zweier  von  ihm  getodteter  Knaben  Trink  schalen, 
aus  ihren  Augen  Edelsteine  (jarknasteina)  geschmiedet.  Das  erinnert  an 
die  Ausdrücke  Ymirs  Hirnschale  (Ymisbauss)  für  Himmel,  Auge  Gottes  für 
Sonne,  Augen  der  Engel  für  Sterne,  Falls  also  diese  Thaten  ursprünglich 
zu  Völundr  (Wieland)  gehörige  mythische  Züge  und  nicht  bloss  epische  An- 
flüge oder  Weiterbildungen  waren,  dürfte  es  wohl  nicht  unwahrscheinlich 
sein,  dass  ihnen  in  einfachster  und  ursprünglichster  Form  ein  ßild  für  die 
vermeintliche  Schraiedung  des  Himmels  (vgl.  Ilmarinen)  und  der  Sonne  oder 
des  durch  Sonnenaufgang  getödteten  Abend -Morgensterns  zu  Grunde  lag. 
Dass  Welent  (Thidrckss.  c.  60)  ein  Mannsbild  schafft,  welches  so  lebensvoll 
ist,  dass  der  König  ihm  zur  Begrüssung  die  Hand  entgegenstreckt,  scheint 
ein  verdunkeltes  Seitenstück  zu  llmarinens  Schöpfung  einer  Frau.  Die  Läh- 
mung Völunds  (Welents)  durch  Nidung  geht  vielleicht  im  Gegensatz  zu  den 
vorhin  erwähnten  Mythenzügen  aut  die  Schwächung  des  Lichtes  im  Winter, 
wenn  sie  nicht  gleich  der  Lahmheit  des  Hephästos  auf  einem  anderen,  noch 
nicht  deutlich  erkennbaren  Grunde  ruht.  Den  Namen  Welandes  smiade 
(Wielands  Schmiede)  finden  wir  in  England  auf  ein  altes  Steindenkmal  über- 
tragen,') an  dem  eine  auch  in  Deutschland  weitverbreitete  und  mit  der  Wieland- 
sage  nächstverwandte  Zwergsage  haftete,^)  wonach  in  einem  Hügel  ein  zwerg- 
bafter  Schmied  (oder  ein  ganzes  Zwergenvolk)  wohnt,  bei  dem  man  eine 
Schmiedearbeit  (vorzugsweise  Pflugscharen)  bestellt,  die  am  anderen  Mor- 
gen fertig  auf  dem  Steine  vor  der  Berghöhle  liegt.  Der  Schmied  besitzt 
einen  Bratspiess,  den  er  ausleiht;  er  lässt  sich  in  Gestalt  eines  glühenden 
Rades  sehen.  Verwandte  Sagen  lassen  die  Zwerge  goldene  oder  silberne 
Schüsseln  oder  Braupfannon  schmieden,  die  sie  ausleihen. 3)  Fusst  die 
Wielandsage  auf  einem  altern  Mythus  vom  Himmelsschmied,  so  werden  auch 
diese  Zwergsagen  irdische  Localisationen  eines  himmlischen  Vorgangs  sein 
und  derselben  Art  angehören,  wie  die  Erzählung  von  Verfertigung  des  Ebers 
GuUinbursti  (der  Sonne),  des  Hammers  Mjölnir  (Blitz  und  Donner),  des  Rings 
Draupnir  (Sonne)  durch  die  Zwerge;  diese  schmieden  über  Nacht  und  stellen 
zum  Morgen  fertig  aus  dem  Berge  (dem  nachtumzogenen  Himmelsgewölbe) 
heraus  die  Pfanne  oder  Schüssel  =  Sonne  (o.  S,  102),  die  Pflugschar 
(==  Harke?  Egge?  o.  S.  302),  den  Spiess  (=--  au  fschi  es  senden  ersten 
Sonnenstrahl  o.  S.  300?.)*) 

Endlich  gelangen  wir  zu  dem  Ahnherrn  der  griechischen  Künstler, 
Hephästos,  dessen  hohe  Uebereinstimmung  mit  Wieland  schon  von  mehreren 
Forschern  bemerkt  worden  ist.  Er  hat  sich  aus  Erz  sein  unvergängliches 
von  Sternen  durchleuchtetes  Haus  ((^o'/oj-  cafHiior  aoienon'ia,  ueta.-rQene 

')  Zs.  f.  D.  Altert.  XU  263,  VI.     W.  (iriinm  \).  lleldens.  323  Aufl.  2  S.  333  n.  170. 

2)  Es  genügt,    auf  Kuhn  westfäl.  Sag.  1  S.  41  n.  36  S.  66  n.  52  ff.  S.  84  ii.  76  ff.  zu  ver- 
weisen.   Cf.  auch  Kuhn  in  Zs.  f.  vgl.  Spracht.  IV  96  ff.  Rassmann  deutsche  Heidensage  II  S.  268. 

3)  Vgl.  meine  Nachweise  Altpr.  Monatschr.  III  324  ff.  und  o.  S.  231  die  aus  dem  See  auf- 
steigende Schale  mit  Opferspeise  in  Indien. 

*)  Als  Sonnenschmied   Hesse  auch  Mime   mit  Mimir,  in  dessen  Bnmnen  Odhins  Auge    zu 
Pfand  steht,  sich  vermitteln. 


322  W.  Mannhardt: 

ad^avdiniöir  xal-xenv)  verfertigt  IL  18,  370,  der  Here  den  d(xlaf.iog  II.  14,  166, 
jedem  der  Götter  kunstreich  die  Wohnung  (dwfia)  11.  I  60()  £P.  Diese  Indivi- 
dualisirung  war  durch  die  scharf  umrissene  Anthropomorphose  der  homerischen 
Götter  geboten,  wer  aber  sähe  nicht  mit  geistigem  Auge  dahinter  die  ältere 
Gestalt  des  Künstlers  hervortauchen,  der  „das  Haus  der  Götter",  das 
eherne  Himmelsgewölbe  (^ovnavni'  noXlyuhAov  Od.  III  2)  wie  Ilmarinen  ge- 
schmiedet? Er  verfertigt  wunderbare  Kleinode  aller  Art,  sein  berühmtestes 
Werk  scheint  jedoch  das  Schmieden  eines  Schildes  gewesen  zu  sein,  ein 
Mythus,  dessen  die  homerische  Epik  sich  bemächtigte,  um  ihn  zur  Aus- 
schmückung der  Achillessage  zu  verwenden.  Wären  wir  berechtigt,  aus  dem 
Gewicht,  w^elches  der  Dichter  der  Verfertigung  gerade  dieses  Stückes  beilegt, 
auf  ein  besonderes  Hervortreten  dieses  Kunstwerks  unter  den  Arbeiten  des 
Hephäst  in  dem  vorhomerischen  Mythus  zu  schliessen,  so  läge  es  nahe,  den 
Schild  der  Sonne  für  die  Naturbedeutung  jener  Schutzwaffe  anzuerkennen, 
welche  späteren  Sängern  zum  Vorbilde  ihres  von  Hephäst  geschmiedeten 
Achillesschildes  geworden  ist.  Die  beiden  goldenen  Mägde,  welche 
Hephästos  sich  geschmiedet  hat  II.  18,  417  ff.,  erinnern  wieder  an  jene  von 
Ilmarinen  geschmiedete  goldene  Hausfrau  und  könnten  Verdunkelung  derselben 
Vorstellung  sein.  Unserer  Zwergsage  begegnet  die  von  Pytheas  verzeichnete 
Volkssage:  ^Ev  %7^  ^Un(x()a  xal  2^T()oyyi'ltj  (^iwv  ^inlov  de.  v/jOtov  avtai) 
doxtl  o  ^'H(paiaiog  diarQlßeiv  di  o  xal  Tr.v()ng  ßQÖf.i()v  axoviad^at  xai  yi%ov 
acpoÖQov  To  de  ncclaiov  iliysco,  rhv  ßnvlouevnv  aQyov  oidrjQov  snifpsQSiv 
xal  6711  zrjv  avQiov  lld^nvxa  lafißäveiv  r  ^l(pog  r]  el  zi  d  Xlo  fjd^ele 
xf/.raaxevaaai^  xarceßalovca  iiioOov.^)  Namentlich  stimmt  der  Zug,  den  wir 
auf  das  Schmieden  in  der  Morgenfrühe  deuten  zu  müssen  glaubten,  dass  der 
Besteller  tTii  to  cn'Qiov  das  Schmiedewerk  fertig  finde. 

Als  Schmieder  der  Sonne  käme  Hephästos  auf  die  einfachste  Weise  zu 
der  Ehre,  Gemahl  der  Morgenröthe  zu  sein,  welche  die  o.  S.  306  schon  ein- 
mal angezogene  Erörterung  M.  Müllers  ihm  zuweisen  will:  Bei  Homer  wurde 
Charis  noch  als  einer  der  vielen  Namen  der  Aphrodite  gebraucht  und  wie 
Aphrodite  wird  sie  die  Gemahlin  des  Hephästos  genannt.  Aphrodite,  die 
dem  Meeresschaum  Entstiegene,  war  ursprünglich  die  Morgenröthe,  jenes 
lieblichste  Phänomen  am  Himmelsgewölbe  und  von  dieser  Grundidee  aus 
wurde  sie  im  Geiste  der  Griechen  naturgemäss  zu  dem  Range  einer  Göttin 
der  Schönheit  und  Liebe  erhoben.  So  wie  die  Morgendämmerung  in  den 
Vedas  Duhitä  Divah,  die  Tochter  des  Dyaus,  genannt  wird,  so  ist  Charis, 
die  Dämmerung,  den  Griechen  die  Tochter  des  Zeus.')  Dagegen  vergleiche 
man    die    gewichtigen    Einwürfe,    welche    G.  Curtius    Grundzüge  der  griech. 


')  Schol.  Apoll.  Rhod.  IV  761.    F.  Wolf  Altd    ßl.  1  i?.   Grimm  Myth.2  440.     Kuhn  Zs. 
f.  vfrj.  Sprachf.  IV  97. 

'')  M.  iMüller  Vorlesungen  über  "Wissenscb.  d.  Spr.  II  1866  S.  351  ff.  Derselbe,  Essays 
Lpzg.  1869  II  119.  124.  325.  Vgl.  Leo  Meyer  Bemerkungen  zur  ältesten  Gesch.  d.  griech.  Myth, 
1857.     S.  35  ff. 


Die  lettischen  Sonnenmythen.  323 

Etym.  Auflf.  2  1866  97  S.  115  erhoben  hat  und  welche  durch  M.  Müllers 
Gegenbemerkungen  noch  nicht  widerlegt  sind,  wenngleich  unsere  Erörterung 
über  den  Gürtel  des  Gottessohnes  und  denjenigen  der  Aphrodite  geeignet 
scheint,  die  Deutung  dieser  Göttin  auf  das  Morgenroth  von  anderer  Seite  her 
zu  unterstützen.  In  jedem  Falle  reichen  die  beigebrachten  Thatsachen  aus, 
um  die  Aufmerksamkeit  tiefer  eindringender  Forscher  auf  die  Frage  zu  richten, 
ob  nicht  Hephiistos  dem  Wesen  nach  mit  dem  lettischen  Hiramelsschmiede 
identisch  und  ursprünglich  im  Morgenroth  die  Sonne  schmiedend  gedacht 
war?  Aus  dieser  Thal  konnte  sich  am  natürlichsten  das  künstlerische  Bilden 
von  allerlei  Geräth  (Schüsseln,  Becher)  und  Waffen  (Schild,  Speer,  Schwert) 
für  die  Götter  im  weitereu  Verlauf  des  Mythus  ableiten.  Die  Morgenröthe 
wäre  demnach  als  des  Hephästos  Schmiedefeuer  gedacht  und  dazu  stimmte, 
da&s  die  homerische  Metonymie  'firpaiarng  für  Feuer  II.  II  426  IX  468  XXI 
342  ff.  in  ihm  einen  griechischen  Verwandten  des  Agni  erkennen  lässt,  dem 
die  Veden  eine  dreifache  Existenz  im  Feuer  der  Sonne,  im  Blitze  und  im 
irdischen  Feuer  zuschreiben,  der  nach  Rigv.  X  156,  4^)  die  Sonne,  die  un- 
vergängliche Scheibe,  am  Himmel  hinaufsteigen  lässt,  und  dessen  Erwachen 
nach  Rigv.  I  157,  1  das  Aufsteigeu  der  Sonne,  das  Leuchten  der  Morgenröthe 
und  die  Ausfahrt  des  A^vins  begleitet,  der  aber  auch  zugleich  mit  Indra  ver- 
bunden oder  identificirt  wird.  Es  würde  mithin  der  in  Rede  stehenden 
Deutung,  der  in  doppelter  Form  bei  Homer  erhaltene  Mythus,  dass  Hephaistos 
aus  dem  Olymp  in  die  Tiefe  gewiesen  wurde  (II.  XIV  16ü  ff.  von  Zeus  auf 
Lemnos,  XVIII  394  ff.  von  Here  ins  Meer)  auch  dann  nicht  im  Wege  stebn, 
wenn  derselbe  auf  das  Gewitter  zu  beziehen  wäre  und  den  Gedanken  ent- 
hielte, den  schon  Cornutus  darin  finden  wollte,  dass  die  Blitze  des  Zeus  die 
Urquelle  alles  Feuers  seien. 2)  Da  aber  sonst  keine  sichere  Spur  von  einem 
Zusammenhange  des  Hephaistos  mit  dem  Gewitter  vorhanden  ist  (denn  seine 
Verbindung  mit  den  Kyklopen  gehört  lediglich  späterer  Sage  an)  so  fragt  es 
sich,  ob  nicht  das  Hinal)werfen  aus  dem  Olymp  lediglich  eine  ätiologische 
Fabel  zur  Erklärung  der  Lahmheit  des  Gottes  war,  deren  Bedeutung  noch 
keine  der  bisherigen  Untersuchungen  zu  völlig  klarem  Verständniss  gebracht  hat. 
Kehren  wir  noch  einen  Augenblick  zum  lettischen  Himmelsschmiede 
zurück.  Die  Wolldecke,  welclic  von  den  herabfallenden  Kohlen  seiner  Esse 
geröthet  wird,  ist  der  im  Morgenroth  erglühende  Wolkenbimmel,  kurze  Zeit 
darauf  erglänzt  sie  silbern  im  Lichte  der  Sonnenstrahlen,  die  Kohleu  haben 
sich  in  Silberstücke  gewandelt.  Diese  Wandlung  von  Kohlen  in  Gold  oder 
Geld  begegnet  in  den  deutschen  und  altrömischen  Schatzsagen  wieder  und  man 
geräth  leicht  in  Versuchuug,  dieselben  als  irdische  Niederschläge  einer  bild- 
lichen Auffassung  dos  Sonnenaufgangs    zu    deuten.     Da    aber    ganz    ähnliche 


')  Muir  a.  a.  0.  214.  239.     Doch  ist  Apni  nicht  der  Schmied    der    Götter,    sondern    dieses 
Amt  fällt  im  Veda  Tvashtri  zu. 

=*)  Vgl.  Welcker  griech.  Götterl.  I  661. 


324 


W.  Mannhardt: 


Vorstellungen    und   Bilder  vielfach  aus  gänzlich  verschiedenen  Anlässen  ent- 
stehen, so  ist  von  einer  voreiligen  Annahme  dieser  Conjectur  abzusehen. 

VIII.   Der  Nachthimrael  als  Seelenaufenthalt. 

In  den  lettischen  Sonnenliedern  tritt  häufig  die  sehr  alte  Anschauung 
hervor,  dass  die  Seelen  der  Verstorbenen  in  der  Unsichtbarkeit  des  Himmels- 
raums, resp.  in  der  Finsterniss  des  Nachthimmels  ihren  Aufenthalt  haben. 
Deshalb  trägt  das  Kind  in  90  der  scheidenden  Sonne  tausend  Abendgrüsse 
an  die  todte  Mutter  auf,  deshalb  passirt  der  Abend-Morgenstern  auf  seinem 
Wege  von  Westen  nach  Osten  in  86  das  Häuschen  der  Seelen,  und  wir 
werden  nun  verstehen,  dass  das  grosse  Himmelswasser  gemeint  ist,  wenn 
Spr.  S.  12  gesagt  wird  (vgl.  o.  S.  99): 

Daugawiega  Schwarzäuglein, 
Schwarz  fliesst  sie  am  Abend. 
Wie  soll  sie  nicht  schwarz  einherlaiifen 
Voll  von  teuren  Seelchen? 

Nur  in  Lichtblicken,  wenn  (bei  abwechselndem  Regen  und  Sonnenschein) 
die  Geister  Hochzeit  machen,  werden  die  Unsichtbaren  sichtbar  (87.  88). 
Zum  Hause  der  Seelen,  der  Nacht,  hat  die  Sonnentochter  (die  Dämmerung) 
den  Schlüssel.  Sie  wird  in  89  angerufen,  diese  Wohnung  für  die  Seele  auf- 
zuschliessen,  wenn  andererseits  dem  Leichnam  seine  künftige  Behausung  er- 
schlossen wird.  Deutlich  geht  dieser  Sinn  aus  mehreren  beim  Begräbniss 
gesungenen  Liedern  hervor.  Vgl.  zunächst  zwei  an  die  Erdmutter  (Semmes 
mäte)  bei  Spr.  218: 

Lebe  wol,  Vater,  Mütterchen! 
Guten  Abend  Semmes  mäte. 
Guten  Abend  Semmes  mäte, 
Behüte  meinen  Wuchs! 

Vgl.  ferner  U.  402: 


Weh  der  du  geboren  wirst!    Semmes  mäte, 
Gieb  mir  das  Grabschlüsselchen, 
Dass  ich  könne  das  Grab  schliessen 
Für  das  alte  Mütterchen. 


Vormittags  führt  mich  zum  Grabe, 
Führt  mich  nicht  am  Nachmittage, 
Denn  Nachmittags  schliessen  Gottes 
Kinder  zu  die  Himmel spforten. 

Zu  bemerken  Ist,  dass  abweichend  von  den  dargelegten  Anschauungen  andere 
Ueberlieferungen  auch  den  Seelen  den  Aufenthalt  unter  dem  Rasen  zuschreiben. 
Wenn  E.  Schraders  Entzifferung  eines  vor  kurzem  in  der  Bibliothek  des 
Sardanapal  aufgefundenen  altbabylonischen  Epos')  glaubhaft  ist,  so  gewährt 
dieses  Gedicht  eine  sehr  alte  Parallele  zu  dem  Mythus  unseres  Liedes  86. 
Istar,  der  Abend-  und  Morgenstern,  die  Göttin  der  Befruchtung,  entschliesst 
sich   in  die    Unterwelt   zu  gehen,    offenbar   weil  man  ursprünglich  die  Göttin 


*)  E.  Schrader,  die  Tlöllenfahrt  der  Istar,  ein  altbabylonisches  Epos.  Giessen  1874.  Vgl. 
Steinthal  Zs.  f.  Völkerpsychol.  VIII  344—347  und  Fr.  Lcnormant,  die  Anfänge  der  Cultur. 
Jena  1875  II  57—74,  wo  I  249-267  auch  das  ägypt.  Märchen  (ob.  S.  239  ff.)  ausführlich  be- 
sprochen ist. 


Die  lettischen  Sonnenmythen.  325 

während  der  Nacht  im  Hause  der  Seelen,  in  der  Unterwelt  sich  dachte. 
Drohend  verlangt  sie  Einlass,  der  Pförtner  führt  sie  durch  sieben  Vorhöfe 
und  sieben  Thore,  an  jedem  rauss  sie  verschiedene  Gegenstände  ihres  Schmuckes, 
Krone,  Ohrringe,  Halsgeschmeide,  Mantel,  Gürtel  u.  s.  w.  ablegen,  Bis  sie 
jedes  Zeichens  der  Würde  entkleidet,  ganz  arm,  nackt  und  bloss  dasteht. 
Auf  Erden  hört  jede  Begattung,  jede  Ordnung  des  Befehlens  und  Gehorsams 
auf.  Da  fordert  der  Sonnengott  Samas  vom  Götterkönige  Ao  Istars  Wieder- 
kehr; zürnend  muss  die  Fürstin  der  Unterwelt  sie  (Morgens)  auf  göttlichen 
Befehl  entlassen. 


Nachwort. 

Die  Analyse  der  lettischen  Sonnenlieder  zeigt  uns  einen  ähnlichen  Zu- 
stand, wie  er  in  den  Vedahymnen  zu  Tage  tritt,  wir  können  in  ihnen  eine 
Mythenwelt  noch  im  Werdeprocess  belauschen.  Wie  aus  der  in  ewigem 
Flusse  befindlichen  Masse  eines  brodelnden  Zauberkessels  steigen  da  vor 
unseren  Augen  in  unendlicher  Reihe  immer  neue  wechselnde,  sich  häufig  aus- 
schliessende,  einander  widersprechende  Naturbilder  für  ein  und  dieselben 
Zustände  des  Tagesgestirnes  und  der  dasselbe  begleitenden  Lichterscheinungen 
in  die  Höhe,  immer  neue  Versuche  das  Unbegreifliche  derselben  fasslich, 
durch  Vergleich  mit  bekannten  Gegenständen  aus  der  Nähe  sich  verständlich 
zu  machen. 

Diese  verschiedenen  Anschauungen  laufen,  obschon  theilweise  unzweifel- 
haft zu  sehr  verschiedeneu  Zeiten  entstanden,  grösstentheils  wohlverstanden 
in  einem  und  demselben  Volke  neben  einander  her.  Bald  aber  sehen  wir 
mehrere  einfache  Naturbilder  mit  einander  zu  einem  Gesammtbilde  combinirt, 
bald  auch  aus  einem  vorhandenen  ein  neues  und  aus  diesem  ein  drittes  ab- 
geleitet, vielleicht  ein  viertes,  das  schon  rein  traditionell  wird  (vgl.  o.  S.  103 
Apfel,  Apfelgarteu,  Apfelblüthe,  Apfelbaum)  und  dann  durch  die  Allmacht 
der  Analogie  und  Uebertragung  der  Metapher  wohl  zu  solcher  Ausdehnung 
und  Selbständigkeit  gelangt,  dass  es  nicht  mehr  genau  für  den  Naturvorgang 
passt,  für  den  es  gebraucht  wird  (vgl.  den  von  Perkun  zerschmetterten  Apfel- 
baum o,  S.  232).  Die  grosse  Fülle  dinglicher  Naturbilder  sehen  wir  in  ver- 
schiedenartigster Weise  zu  einer  kleinen  Anzahl  persönlicher  Wesen  in  Be- 
ziehung gesetzt,  welche  als  handelnde  Persönlichkeiten  in  oder  hinter  den 
Naturerscheinungen  stehend  Gegenstände  eines  realen  Glaubens  bilden  (Sonueu- 
mutter,  Sonnentochter,  Perkun,  Gottessohn,  Himmelsschmied).  Indem  ihren 
ursprünglich  nur  das  gegenseitige  Verhültniss  von  Naturerscheinungen  ab- 
bildenden Handlungen  freie  menschliche  Motive  untergeschoben  werden,  bilden 
sich  Erzählungen,  in  denen  wiederholte  Vorgänge  zum  einmaligen  Factum, 
in  regelmässiger  Wiederkehr  zu  ganz  verschiedenen  Zeiten  sich  abspielende 
Ereignisse    zu    einem    einzigen    gleichzeitigen    Geschehen    sich'   umwandeln. 


326  W.  Mannhardt: 

Die  Sonne  (als  Person  gedacht)  tödtet  täglich  Morgens  den  Mond  mit  dem 
silbernen  Stein,  der  Sounenscheibe;  das  Lied  lässt  dies  einmal  geschehen 
und  Gott  darüber  drei  Tage  mit  der  Sonne  zanken  (71).  Ebenso  zanken 
beide  drei  Tage,  drei  Nächte,  weil  die  Sonneutochter  das  Schwert  des 
Gottessohnes  abgebrochen  hat,  eine  Begebenheit,  die  in  Wirklichkeit  täglich 
vor  sich  geht  (70)  [gradeso  bleibt  bei  Ovid  Helios  um  Leukothoes  willen 
länger  am  Himmel  stehen,  versäumt  im  siebenbirgischen  Märchen  die  Sonne 
um  der  Goldkiuder  willen  sieben  Tage  das  Untergehen].  Täglich  wird  der 
Eichbaum  zerspalten,  die  graue  Himmelsdecke  mit  seinem  Blute  bespritzt 
und  doch  weint  die  Sonnentochter  drei  Jahre  lang  darüber  (78).  Der  Mond 
vermählt  sich  täglich,  zuerst  Abends  mit  der  Sonne,  hernach  Morgens  mit 
dem  Früh  Stern;  der  Mythus  macht  diese  Vermählung  zu  einem  einmaligen 
Akt,  und  verlegt  ihn  in  die  Zeit  der  Tag-  und  Nachtgleiche  in  den  Frühling, 
sodann  rückwärts  in  die  Zeit  der  Weltschöpfuug.  Damit  nicht  zufrieden,  fügt 
er  auch  noch  die  Erzählung  des  monatlichen  Schicksals  des  Mondes  hinzu. 
Für  seine  Untreue  an  der  Sonne  wird  der  Mond  mit  der  Zertheilung  in  die 
vier  Mondviertel  bestraft  (o.  S.  317).  Die  Lieder  von  Zerschmetterung  des 
Eichbaums  nun  vollends  sind  aus  der  unmittelbaren  Naturschilderung  hervor 
in  die  volle  Mythologie  hineingetreten;  sie  sind  erst  das  Endergebniss  eines 
längeren  Entwickelungsprocesses,  dem  ein  einfacheres  Naturbild  unterlag. 

Auf  diese  Weise  breitet  sich  vor  uns  nun  ein  wichtiger  und  reichhaltiger 
Theil  einer  echten  Mythologie  des  Letten-Volkes  und  seiner  Bruderstämme 
aus,  welcher  einen  ganz  anderen  Einblick  in  die  Geisteswelt  der  alten  Letten, 
Litauer,  Preusseu  thun  lässt,  als  die  gefälschten  und  erdichteten  oder  trüben 
Quellen,  aus  denen  man  bis  dahin  schöpfte,  Simon  Grünau,  Mäletius,  Lasicki, 
Stender  u.  A.,  die  auf  ihren  wahren  Werth  zurückzuführen  eine  Hauptaufgabe 
des  in  Aussicht  gestellten  Buches,  Denkmäler  der  lettopreussischen  Mytho- 
logie, ausmacht.  Von  wie  hohem  Werthe  sich  die  lettische  Mythologie  für 
die  Erforschung  der  Mythologie  im  Allgemeinen,  lür  die  Entzifferung  der 
Mythen  anderer  Völker  erweist,  zeigt  der  vorstehende  Commentar  durch  zahl- 
reiche Belege.  Zunächst  freilich  zielt  die  Absicht  desselben  auf  nichts  anderes 
ab,  als  auf  die  Erläuterung  des  Inhalts  der  lettischen  Sonneulieder  durch 
Analogien  aus  anderen  Quellen,  welche  die  nämlichen  Naturerscheinungen  in 
denselben,  oder  sehr  ähnlichen  Formen  verbildlicht  zeigen,  als  diese,  aber 
bald  stellt  sich  heraus,  dass  durch  den  Vergleich  das  Verständuiss  der  fremden 
Ueberlieferungen  nicht  weniger  gefördert  wird,  als  das  der  lettischen.  Jene 
Quellen,  denen  die  Belege  entnommen  wurden,  sind  sehr  verschiedener  Art, 
sehr  verschiedenen  Alters,  von  sehr  verschiedener  volklicher  Abkunft  und 
von    sehr    verschiedenem    Werthe:     a)    die    Poesien    kunstmässiger    Dichter, 

b)  Yolkspoesien  (Käthsel,  Kolinden  u.  s.  w.),  in  denen  Sonne,  Mond,  Morgen- 
roth, Sterne  mit  Bewusstsein  unter  poetischem  Bilde  gefeiert  werden;  sodann 

c)  deutsche  Sonnen-  und  Uegenlieder,    sowie  d)  solche  Mythen  und  Helden- 
sagen   verschiedener  Völker   und   endlich   e)   Märchen^    in    welchen  allen  die 


Die  lettischen  Sonnenmythen.  327 

Beziehung  zur  Sonne  theils  offen  ausgesprochen  wird,  theils  mit  grösster 
Wahrscheinlichkeit  erschlossen  werden  kann.  Am  wenigsten  sicher  und  nur 
mit  Vorbehalt  auszusprechen  ist  natürlich  diese  Bestimmung  bei  einem  Theile 
der  Märchen,  da  die  Einzelheiten  darin  und  deren  Aufeinanderfolge  in  der 
Tradition  leicht  veränderlich  und  vertauschbar  sind  und  es  gemeinhin  nicht 
angenommen  werden  kann,  dass  die  Varianten  der  Erzählungen  schon  zu 
einer  Zeit  entstanden  seien,  in  der  man  noch  ein  Bewusstsein  von  deren 
Naturbedeutung  hatte  und  dies  umsomehr,  als  die  meisten  Volksdichtungen 
dieser  Art  nicht  auf  dem  volklichen  Boden  wuchsen,  wo  sie  gefunden  werden, 
sondern  aus  weiter  räumlicher  und  zeitlicher  Ferne  auf  mannigfachen  Wegen 
eingeführt  sind.  Es  soll  hier  nicht  im  entferntesten  behauptet  werden,  dass 
jedem  Märchen  eine  Naturbeziehung  einwohnt,  da  aber  manche  von  ihnen 
eine  solche  unumwunden  aussprechen  (vgl.  z.  B.  o.  S.  95),  so  darf  sie  anderen 
zugetraut  werden,  wo  sprechende  Anzeichen  dafür  eintreten.  Das  Beispiel 
des  ägyptischen  Märchens  und  seiner  europäischen  Verwandten  (o.  S.  239) 
legt,  wenn  ich  richtig  gesehen  habe,  den  entschiedensten  Beweis  für  die 
Zähigkeit  der  Ueberlieferung  in  Bezug  auf  den  Grundstock  und  die  Haupt- 
züge gewisser  Märchen  ab;  gelingt  es  aus  den  Varianten  diese  heraus  zu 
erkennen,  so  mögen  wir  auch  wohl  die  alten  Naturbilder  fassen,  wo  die  ersten 
Erzähler  in  solche  ihre  Ideen  kleideten.  Falls  Benfeys  Hypothese  Recht  be- 
hält, dass  ein  wesentlicher  Theil  der  europäischen  Märchen  buddhistischen 
Ursprungs  sei,  fällt  damit  die  Behauptung  eines  mythischen  Inhaltes  keines- 
weges  zu  Boden,  vielmehr  werden  sie  sich  vielfach  als  nur  im  Sinne  bud- 
dhistischer Dogmatik  umgeformte  altarische  Mythen  ergeben.  Manche  Mär- 
chen mögen  schon  indoeuropäischer  Abkunft,  andere  auf  europäischem  Boden 
entstanden  sein.  Täuschte  ich  mich  darin  nicht,  dass  die  unabweisbare  Ueber- 
einstimmung  des  Märchens  von  Batau  und  Anepu  mit  heutigen  südeuropäischen 
Traditionen  mehr  als  ein  Spiel  des  Zufalls  sei,  so  muss  angenommen  werden, 
dass  ein  schon  zur  Zeit  des  Auszugs  der  Israeliten,  d.  h.  ungeiähr  um  dieselbe 
Zeit,  in  welche  man  die  Entstehung  des  Rigveda  verlegt,  zum  Märchen  ge- 
wordener und  aus  dem  Volksraund  aufgezeichneter  ägyptischer  Sonnenmythus 
auf  die  Wanderschaft  gegangen  und  im  benachbarten  Kleinasien  und  Südeuropa 
dreitausend  Jahre  von  Volk  zu  Volk,  von  Zeitalter  zu  Zeitalter  fortüberliefert 
sei,  oder  dass  die  Geschichte  des  Batau  umgekehrt  die  ägyptische  Umformung 
eines  aus  der  Fremde  entlehnten  Sonnenmythus  war,  auf  den  die  diesseitigen 
Formen  der  Erzählung  zurückgehen.  Sicherlich  liegt  der  Standpunkt  J.  W.  Wolfs 
hinter  uns,  welcher  die  Märchen  als  Quelle  der  jedesmaligen  vorchristlichen 
Mythologie  desjenigen  Landes  benutzt  wissen  wollte,  in  dem  sie  erzählt 
werden;  eben  so  gewiss  bleibt  Jacob  Grimms  Ausspruch  hinsichtlich  der 
Märchen  bestehen  „Es  ist  der  Wahn  beseitigt,  als  beruhen  diese  Stoffe  auf 
läppischen,  der  Betrachtung  unwürdigen  Erdichtungen,  da  sie  vielmehr  für 
den  Niederschlag  uralter,  wenn  auch  umgestalteter  und  zerbröckelter  Mythen 
zu   gelten   haben,    die    von   Volk  zu  Volk    fortgetragen,    wichtigen  Aufschluss 


328  W.  Mannhardt: 

darbieten  können  über  die  Verwandtschaft  zahlloser  Sagengebilde  und  Fabeln, 
welche  Europa  unter  sich  und  noch  mit  Asien  gemein  hat."  Wenn  wir  es 
bei  dem  gegenwärtigen  Stande  der  Wissenschaft  für  verfrüht  erklären  müssen, 
die  Frage  nach  der  Herkunft  der  Märchen  ganz  allgemein  zu  stellen,  so 
rechtfertigt  es  sich  doch  völlig,  unter  Umständen  dem  Märchen  Belege  für 
bestimmte  Metaphern  von  Naturerscheinungen  zu  entnehmen.  Wir  haben 
dabei  wichtige  Uebereinstimmnngen  des  volklosen  Märchens  mit  ethnischen 
Mythen  (Jack  of  the  beanstalk  —  den  Sonnenbaum  hinaufkletternde  Sonnen- 
tochter 0.  S.  225;  Tischchen  deck  dich,  Sonnentisch  der  Aethiopen,  mährisches 
Sonnenlied  o.  S.  244)  wahrzunehmen  Gelegenheit  gehabt.  —  Ziemlich  dasselbe, 
was  von  den  Märchen,  gilt  von  den  Götter-  und  Heldensagen  der  Skandinaven, 
Hellenen  und  anderer  fremden  Völker,  deren  Erklärung  nicht  in  den  Namen 
der  handelnden  Personen  (Helios  u.  s.  w.)  nahezu  vollständig  gegeben  ist, 
ihre  Deutung  wird  selbst  dann,  wenn  kaum  verkennbare  Merkmale  sie  der 
Klasse  der  Naturmythen  zuweisen  und  zugleich  das  Naturgebiet  bezeichnen, 
auf  welches  sie  sich  beziehen,  vielfach  unsicher  ausfallen,  weil  die  Armuth 
und  Lückenhaftigkeit  unserer  literarischen  Ueberlieferung  nur  zu  häufig  im 
Ungewissen  darüber  lässt,  was  echter  mythischer  Kern,  was  Schale  und 
Schmuck,  was  Zusatz,  Weiterbildung,  Veränderung  epischer  oder  dramatischer 
Weitererzähler  sei.  Die  grosse  Masse  der  skandinavischen  und  griechischen 
Mythen  ist,  wie  sie  vorliegt,  unverkennbar  das  Werk  der  Dichter,  häufig  das 
Produkt  umgestaltender  und  häufender  Thätigkeit  vieler  auf  einander  folgender 
Dichtergenerationen.  Bildliche  Naturanschauungen,  insofern  sie  nicht  mit 
Bewusstsein  von  den  Erzählern  als  Schmuck  und  Beiwerk  verwandt  werden, 
sind  selbstverständlich,  falls  sie  —  und  nicht  ethische  Vorstellungen  —  den 
Ausgangspunkt  bildeten,  nur  in  deren  ältester  Ausgestaltung  zu  suchen-,  wie 
selten  wird  es  möglich  sein,  dieselben  aufzufinden?  In  Varianten  darf  man 
nur  in  den  seltenen  Fällen  erwarten  ebenfalls  echte  Naturpoesie  anzutreffen, 
falls  diese  noch  einer  Zeit  ihre  Entstehung  verdanken,  in  der  die  Bedeutung 
der  mythischen  Erzählung  unvergessen  war.  Unter  Berücksichtigung  dieser 
Grundsätze  ward  es  uns  gleichwohl  möglich,  mit  bald  grösserer,  bald  gerin- 
gerer Wahrscheinlichkeit  die  Sagen  von  den  Dioskuren  (o.  S.  309  ff.),  von  den 
Hesperiden  (o.  S.  234),  vom  Gürtel  der  Aphrodite  (o.  S.  306),  von  Hephästos 
(o.  S.  321),  den  Argonauten  (o.  S.  243  ff,),  von  Freyr  und  Skirnir  (o.  S.  300), 
von  Idhun  (o.  S.  216)  und  Völundr  (o.  S.  320)  zu  deuten.  Mehrere  legen 
die  Vermutliung  nahe,  dass  in  Hellas  auch  Hymnen  oder  Lieder  von  Art  der 
vedischeu  oder  der  lettischen  Sonnenlieder  bestanden  haben  mögen,  aus  denen 
die  ältesten  Epiker  schöpften,  und  aus  deren  verschiedenen  Versionen  die 
Varianten  der  einfacheren  Sagenformen,  aus  deren  Verbindung  zusammen- 
gesetzte Sagenknäuel  (wie  die  Geschichte  des  goldenen  Fliesses)  geflossen 
sind.  —  Die  Käthsel  zählen  im  Ganzen  und  Grossen  zu  den  ältesten' Stücken 
der  Volkspoesie,  in  ihnen  sind  häufig  noch  dieselben  der  modernen  Auffassungs- 
weise schwer  begreiflichen  Metaphern  geläufig,   und  durch  die  mitüberlieferte 


Die  lettischen  Sonnenmythen.  329 

Auflösung  mit  einem  Schlüssel  versehen,  welche  naiver  Glaube  in  den  Götter- 
und  Heldensagen  zur  mythischen  Einkleidung  di-s  Gedankens  verwandte.  Sie 
sind  somit  auf's  uiichstc  mit  dem  Mythus  verwandt,  wie  denn  auch  im  ger- 
manischen wie  slavischen  Alterthura  das  Wissen  um  die  Geheimnisse  des 
Weltzusamnienhaugs  in  Form  des  traditionellen  Mythenschatzes  mit  der 
liäthselfragc  auf  das  engste  verbunden  war.  Somit  ist  ihre  Vergleichung 
vorzugsweise  geeignet  zur  Aufhellung  und  Bestätigung  analoger  Anschauungen 
in  den  „Sonnenliedern"  beizutragen.')  —  Die  deutschen  Lieder  beim  Regen, 
au  den  Marienkäfer,  von  den  drei  spinnenden  Frauen  im  Sonnenhaus  erhalten 
durcli  die  Bildersprache  der  lettischen  Sonnenlieder  grossentheils  jetzt  erst 
völliges  Verständniss;  sie  ergeben  sich  als  unzweifelhaft  alte  Dichtungen  von 
ganz  ähnlicher  Natur  wie  die  lettischen  Sonnenlieder,  aber  die  bildreiche 
Anschauung,  in  der  sie  sich  bewegen,  muss  noch  bis  in  ziemlich  späte  Zeit 
verständlich  uud  dem  singenden  Volke  geläufig  geblieben  sein,  wie  die 
Varianten  (z.  B.  Ei  neben  Apfel  o.  S.  104)  schlagend  darthun. 

Unzweifelhaft  erwiesen  ist  durch  die  aus  den  soeben  gemusterten  Quellen 
ausgehobenen  Beispiele  eine  auf  gleicher  Organisation  des  Geistes  und  ähn- 
lichen Denkprocessen  beruhende  vielfache  Uebereinstimmung  der  mythischen 
Naturauifassung  bei  Polynesiern,  Aegyptern,  Hellenen,  Skandinaven,  Germanen, 
Slaven,  Letten.  Dem  aufmerksamen  Beobachter  können  jedoch  innerhalb  dieses 
weiten  Kreises  kleinere  Gruppen  von  näherer,  vermuthlich  historischer  Ver- 
wandtschaft kaum  entgehen.  Wir  beobachteten  mehrfach  eine  sehr  nahe 
Berührung  der  lettischen  und  finnischen  Tradition  (o.  S.  92.  282.  285.  290.  292. 
HOL  314.),  dieselbe  ist  unverkennbar  auf  Rechnung  der  unmittelbaren  Nachbar- 
schaft beider  zu  setzen;  sie  bezeugt  einen  fruchtbaren  uud  intimen  Ideen- 
austausch zwischen  beiden  durch  die  Sprache  scharf  von  einander  geschiedenen 
Nationen.  Ausserdem  aber  stimmt  im  Ganzen  der  lettische  Sonnen- 
mythus so  genau  mit  dem  altarischeu  im  \  eda  und  dem  altgrie- 
chischen überein,  dass  derjcTiige  schwerlich  auf  Widerspruch 
stossen  wird,  welcher  in  ihm  ein  ziemlich  treu  erhaltenes  Nach- 
bild der  proethnischen,  indoeuro  päi  scIi  eu  Sonne  n  uiyt  hol  og  i  e 
vor  sich  zu  haben  vermuthen  möchte. 


ßericlitigimg*en. 

Zu  S.  74.  Ein  liei  der  Nieilersohrift  durcli  augenblicljliehen  Mangel  an  Spezialkarteu  ver- 
sclinldeter  Intlmiu  ist  dahin  zu  liericlitigen,  dass  .1.  Sprogis  Ueimath  und  das  Lokal  der  von 
ihm  gesauiiuelten  Lieder,  die  Gegend  zwischen  Kokenlinseu  und  Stockmannshof,  noch  nicht  im 
polnischen  Livland,  sondern  hart  an  der  westlichen  Grenze  desselben  auf  der  Scheide  der  drei 
<iOuvernements  Livland,   Kiuland   und   Witebsk  gelegen   und  daher  der  o.  S.  74—75  gegebene 


')  Vgl.  hierüber   die  treffende   Aiisführung   von  AfanasieR   poet    Naturansch.  I  22— 2C>  und 
Kreck  traditionelle  Literatur  S.  CA  --  C^t. 

Zeitschrift  für  Etbiiologie    Jahrgang   1870,  23 


330  W-  Maimhardt:   Die  lettischen  Soimenmythen. 

Hinweis  auf  die  durch  die  katholische  Gegenreformation  hervorgerufene  Abschliessung  der  Land- 
schaft nicht  ganz  zutreffend  ist.  Uebrigens  waren  auch  die  angrenzenden  kurländischen  und 
livländishen  Kreise  Selbuig  mit  Sezzen  und  Wenden  wegen  zähen  Festhaltens  heidnischer  und 
papistischer  Bräuche  und  Superstitionen  berüchtigt.  Davon  Näheres  demnächst  in  u.  Denk- 
mälern der  lettopreussischen  Mythologie. 

Zu  S.  85.  Die  zu  n.  81  in  Parenthese  zu  Mehnesniza  (Moudverderben?  oder  Mondverderber?) 
beigesetzte  Bedeutung  Mondviertel  ist  blosse  Gonjectur;  das  dunkele  Wort  verdient  später  eine 
besondere  Untersuchung. 


Inhalt* 

Die  Quellen  S.  73  —  75.  Die  lettischen  Sonnenlieder  76— 8G.  Die  Zeit  ihrer  Entstehung 
S.  86—88. 

Erläuterung  der  ^jaturbilder. 

Beschreibungen  des  Sonnenaufgangs  und  Sonnenuntergangs  S.  88 — 90.  I.  Oott.  90 — 92.  — 
II.  Sonue  92—104.  209  —  244.  281—295.  a)  Frau  Sonne  92.  b)  Sonnenrosse  93  c)  Himmels- 
berg 97.  d)  Himmelssee  97.  e)  Tanz  der  Sonne  99.  f)  Goldhand  der  Sonne  100.  g)  Gold- 
quasten 100.  h)  Silber  100.  i)  Aussaat  100.  k)  Sonne  Trinkgefäss  101.  1)  Sonnenboot  102. 
m)  Der  Sonnenapfel  103.  209.  (Sonnenkind  211).  n)  Seidenrock  und  Gewebe  der  Sonne  216. 
o)  Sonne  mit  der  Aussteuerlade  219.  p)  Sonnenbaum  222—244.  281—295  «)  Sonne-Rose, 
Rosenstock,  Sonnenbaum  222.  ß)  der  Rosenstock,  Sonneubaum  erklettert  225.  y)  Die  zerspaltene 
Eiche  232.  iS')  Der  Nachtsonnenbaum,  Hesperiden  233.  e)  Sonnenfrau  im  Sonnenbaum.  Das  älteste 
(ägyptische)  Märchen  und  seine  Sippe  235.  t)  Die  Eiche  und  das  goldene  Fliess  der  Argonauten- 
sage 243.  }])  Goldmaid  unter  der  Baumrinde  284.  /)  Finnisch-estnischer  Wunderbaum  285. 
q)  Sonnenthräne  287.  r)  Sonne-silberner  Stein  287.  s)  Das  Thor  der  Sonne  288.  t)  Abend- 
und  Morgenstern  bedienen  die  Sonne;  Percuna  tete;  die  Dienstmagd  der  Sonne  289.  v)  Panu. 
v)  Raub  und  Befreiung  der  Sonne.  (Vom  Thorshammer  und  Perkunhammer )  291.  —  III.  Die 
Sonneutocllter  295—305.  Erläuterung  von  Skirnisför;  estnische  Parallele;  das  Waisenmädchen; 
Die  slavische  Sonnenschwester.  —  IV.  Die  Gottessöhne  305—315.  (Die  Dioskuren.  Die 
Avvins.  Estnische  Parallelen)  —  V.  Der  Mond  315—317.  —  VI.  Perknn  317—318.  - 
VII.  Der  Himnielsschniied  318—324.  (Ihnarinen  Wieland.  Hephästos.)  -  VIII.  Der  Naolit- 
himuiel  als  Seelenanfentlialt  324-325.  —  Nachwort  325—329. 

W.  Mauubardt. 


lieber  8pureii  römischer  Cultur  in  Norwegens 
älterem  Eisenalter. 

Von  A.  Lorange. 

(Aus  dem  Norwegischen  übersetzt.) 
Schluss. 

l)io    liior   sic-li   zciäTfonde    Verschiedenheit   ist   oliiie   Zweifel    cjerini^er,    als 
nian    ii;i(li    der   L!;('f)<i;ia[)hischen    Jiiv^e    unseres    Landes    voraussetzen    konnte. 


lieber  römische  Cultur  in  Norwegen.  331 

Aber  zielion    wir   in  Betracht,  wie    bei  weitem   sorgfältiger   das  antiquarische 
Feld    in    Dänemark    untersucht    und    bearbeitet   wurde   als    in   Norwegen,    so 
haben    wir  Grund    zu    der   Annahme,    dass    künftige   Grabfunde    den   gegen- 
wärtig vorhandenen  Unterschied  zwischen  den  in  Dänemark  und  in  Norwegen 
gefundenen  römischen  Gegenständen  noch  mehr  verschwinden  lassen  werden. 
In  jedem  P'alle  ist  so  viel  sicher,  dass  durchaus  kein  Unterschied  zu  erkennen 
ist   in    dem    Einflüsse,    den   die   römische  Culturströmung   ausübte   auf  die  in 
Dänemark    und    in   Norwegen    ansässige  Bevölkerung   der  älteren   Eisenzeit; 
denn  die  nationalen  Alterthämer  jener  Zeit  sind    in  beiden  Ländern  in  über- 
raschender Weise  gleichartig.     Wir   finden  in  allen   drei   nordischen  Reichen 
dieselbe  Tüchtigkeit   in    der   Behandlung    der  Metalle,    dieselben  geschmack- 
vollen  Formen,   dieselbe  feine   Ornamentik  und   dieselbe   Mischung    von  rö- 
mischem und  nordischem  Geschmack,  was  eben  Veranlassung  dazu   gegeben 
hat,  ein  „nordisches"  älteres  Eisenalter  aufzustellen   als   eine   besondere  Ab- 
theilung   des    grossen    nord-  und  westeuropäischen    älteren   Eisenalters.     In 
seiner  Abhandlung  „über  die   ältere  Eisenzeit  in  Norwegen"  erklärte  bereits 
Professor  Righ,  dass  die  Ungleichheit  zwischen  dänischen  und  norwegischen 
Aherthümern  bei  weitem  geringer  sei,  als  man  nach  der  \'erschiedenheit  der 
Naturbeschaffenheit   und    der   Lebensbedingungen    beider   Länder   und   Völker 
erwarten  musste^).     Diese   Einheit   und   Gleichartigkeit   muss,   um   erklärlich 
zu  scheinen,    auch    einen    und   denselben  Grund  gehabt  haben;    beide  Länder 
müssen  ungefähr  gleichzeitig  Gegenstand   derselben   fremden  Einwirkung   ge- 
wesen sein,  von  der  man  annehmen  darf,  dass  sie  eine  directe,  langdauernde 
und  friedliche  war  und  sicherlich  nicht  allein  ihren  Ausdruck  fand  im  Kuust- 
stil,  im  Geschmack  und  in  praktischer  Richtung,    sondern   zugleich   auch   auf 
die   geistige   Cultur    und    die    religiösen  Anschauungen   der  Bevölkerung  den 
grössten  Einfluss  ausübte.    Das  ergiebt  sich  aus  den  Gräbern  —  die  zugleich, 
nach  meiner  Ueberzeuguug,    so  weit   es  wenigstens   Norwegen   betrifft,    zahl- 
reiche   und    deutliche   Proteste    ablegen    gegen   die  vorhin   citirte   und  so  oft 
aufgestellte  Behauptung,    „dass    die   römische  Cultur   plötzlich    und  voll   ent- 
wickelt  hier  herauf  gekommen    sein   müsse,    gleichzeitig  mit   dem  nationalen 
oder  barbarischen  älteren  Eisenalter".    Denn,  wie  ich  annehme,  hat  ein  Eisen 
bearbeitendes  Volk    lange    Zeit    in    Norwegen    gewohnt,    ehe   auch    nur   eine 
Spur  von  römischer  Cultur  so  weit  hinaufdrang.    Der  römische  Einfluss  muss 
durch   den  Handel   und   andere  Verbindungen   ganz  allmählig  —  Schritt  vor 
Schritt  —  in  das  Land  eingedrungen  sein,   aber  doch  ziemlich  rasch  ein  ge- 
lehriges Volk  zu  der  verhältnissmässig  hohen  Culturstufe  gebracht  haben,  auf 
der  es,  nach  dem  unzweifelhaften  Zeugnisse  der  Alterthümer,  am  Schlüsse  der 
älteren  Eisenzeit  stand. 

Die  vorhin  erwähnte  Uebereinstimmung  erstreckt  sich  nämlich  nicht  über 
das  ganze  Eisenalter,  so  weit  es  sich  wenigstens  aus  der  Keuntniss,  die  mau 


")  Aarl)öü;er  18G9,  pag.  172. 


332  A.  L orange: 

gegenwärtig  von  den  Alterthüraern  der  nordischen  Länder  besitzt,  beurtbeilen 
Ulsst;  sie  beschränkt  sieb  vielmehr  auf  die  Mischuugsperiode:  die  nordisch- 
römische,  die  in  Dänemark  besonders  ausgeprägt  erscheint  in  den  ältesten 
Moorfunden  und  in  den  seeländischen  Gräbern,  bei  uns  aber  voll  entwickelt 
auftritt  in  denjenigen  Gräbern,  die  den  letzten  Jahrhunderten  der  älteren 
Eisenzeit  angehören. 

Unter  den  norwegischen  Grabhügeln  der  älteren  Eisenzeit  glaube  ich 
nämlich  drei  grosse  Gruppen  oder  Gräberformen  unterscheiden  zu  können: 

1)  kleinr  runde  Hügel  ohne  Kammern,  mit  verbrannten  Gebeinen  und 
verbrannten   Beigaben  (gravgods); 

2)  Hügel  mit  vierseitigen  Kammern,  verbrannten  Gebeinen  und  zum  Theil 
verbrannten   Beigaben; 

3)  Hügel  mit  grossen,  bis  zu  'l'l  Fuss  langen  Grabkisten,  entweder  mit 
verbranntem  oder  mit  unverbranntem  Gebein,  aber  mit  unverbrannten 
Beigaben. 

Alle  drei  Gräberformen  oder  richtiger  Bestattungsweisen  treten  in  den- 
selben Gegenden  auf  und  bilden  daher  keine  lokalen  Eigenthümlichkeiten, 
sondern  eine  fortschreitende  Entwickelung.  Sie  stehen  nicht  als  verschiedene, 
begrenzte  Klassen  einander  gegenüber,  sondern  haben  sich  mit  einer  Mannig- 
faltigkeit von  Uebergängen  ausgebildet,  von  denen  man  allerdings  keine  Vor- 
stellung zu  geben  vermag  durch  Fundreihen  allein,  oder  durch  Alterthümer 
in  den  Museen;  die  aber  jeder  leicht  entdecken  und  verfolgen  könnte,  der 
eine  grosse  Anzahl  von  norwegischen  Grabhügeln  der  älteren  Eisenzeit  unter- 
suchen würde. 

In  Einzelheiten  weichen  allerdings  die  Grabhügel  unter  einander  al); 
aber  wenn  man  obige  Eintheilung  zu  Grunde  legt,  so  glaube  ich  doch,  dass 
sich  alle  verschiedenen  Gräberformen  den  erwähnten,  am  meisten  charakte- 
ristischen Gruppen  einreihen  lassen,  und  damit  die  Möglichkeit  einer  Zeit- 
bestimmung erweitert  und  Ordnung  in  die  Mannigfaltigkeit  gebracht  wer- 
den kann. 

Von  der  erstgenannten  Gattung  —  kleine  runde  Grabhügel,  selten  l)is 
8  Ellen  hoch  und  zu  grossen  gemeinschaftlichen  Friedhöfen  angesammelt  — 
findet  sich  ohne  Zweifel  in  Norwegen  ein  grosser  Reichthum.  Dieser  Mei- 
nung ist  auch  Herr  Professor  Rygh');  aber  bis  in  die  neueste  Zeit  wurden 
sie  wegen  ihrer  Armuth  an  Beigaben  nur  wenig  beachtet,  und  die  Museen 
vermögen  im  Allgemeinen  nur  geringe  Aufklärung  über  dieselben  zu  geben. 
In  Smaalenene  habe  ich  mehrere  Hundert  untersucht^),  und  im  Jahre  1870 
hat  Prof.  Rygh  einen  grossen  Begräbnissplatz  bei  Ringerike  aufgedeckt  und 
beschrieben;  vgl.  Aarsberetn.  for  1870.  Diese  Grabhügel  enthalten  ohne 
Ausnahme  verbrannte  Gebeine,    Leichenbrand  war  die  ursprüngliche  nationale 


')  Aarböger  ISr.O,  p;io.   h'.O, 

')  Ueber  ilie  Hegrübnissart  dieser  Zeit  vergleiche  ineinen  Bericht  vom  Jahre  1863. 


üeber  römische  Cultur  in  Norwegen.  333 

Sitte  in  Norwegen  und  hat  hier  auch  vor  der  Einführung  des  Christenthums 
niemals  gänzlich  aufgehört.  Die  verbrannten  Knochen  wurden  entweder  auf 
dem  C> runde  des  Hügels  über  eine  Schicht  von  Kohlen  ausgestreut  -  was  ich  für 
die  älteste  Begräbnissform  der  P^isenzeit  in  Norwegen  halten  muss  — ,  oder  sie 
liegen  in  einem  Haufen  zusammen,  entweder  —  und  zwar  der  Regel  nach  — 
mitten  im  Hügel,  oder  in  einzelnen  Fällen  in  einem,  unter  dem  Hügel  aus- 
gegrabenen Loche").  Jener  Haufen  besteht  aus  den  auf  dem  Grunde  des 
Scheiterhaufens  angesammelten,  gereinigten  Knochen,  und  es  war  daher  nur 
eine  unb(!deutende  Veränderung,  ein  kleiner  Schritt  vorwärts,  dass  man,  nach- 
dem man  sie,  um  sie  von  der  Brandstelle  zu  tragen,  in  ein  Gefäss  gelegt 
hatte,  nun  auch  in  diesem  Gefässe  Hess,  anstatt  se  auszuschütten  ').  So  ent- 
standen die  am  häufigsten  vorkommenden  Grabhügel,  die  „eine  Thonurne  mit 
verbrannten  Knochen"  einschliessen.  Oft  findet  man  auch  nur  die  Scherben 
eines  Thongefässes.  Zwischen  den  verbrannten  Gebeinen  liegen  in  der  Kegel 
einige  geschnitzte  Knochenstücke,  kleine  mehr  oder  weniger  vollständige 
Kämme  und  einzelne  geschmolzene  Glasperlen,  als  erste  Beweisstücke  einer 
Verbindung  mit  der  Aussenwelt,  als  früheste  Vorläufer  sowol  damals,  wie 
noch  in  der  Neuzeit,  von  dem  Eindringen  des  Handels  und  der  Civilisation 
zu  den  Naturvölkern  ^). 

Diese  Begräbnissform  war  ohne  Zweifel  von  sehr  langer  Dauer.  In 
Smaalenene,  dem  einzigen  Amtsbezirk,  in  dem  die  Sache  einigerjnaassen 
untersucht  wurde,  ist  sie  ungleich  zahlreicher  vorhanden,  als  irgend  eine  der 
anderen,  s]>äteren  Begräbnissarten,  und  macht  durchaus  den  Eindruck,  als  ob 
sie  hinterlassen  wäre  von  einem  friedfertig  still  dahin  lebenden  Volke,  das 
auf  einer  nicht  ganz  niedrigen  Culturstufe  stand.  Nur  zweimal  habe  ich 
Waffen  gefunden  in  diesen  Gräbern,  eine  Pfeilspitze  und  einen  Wurfspeer. 
Bei  Ringerike  fand  dagegen  Prof.  Rygh  Spuren  von  Waffen  in  11)  von 
66  Hügeln ,  doch  kein  Schwert.  Diese  etwas  abweichende  Ausstattung  der 
Gräber  scheint  eben  ein  unzweifelhafter  Beweis  für  deren  jüngere  Zeitstellung 
zu  sein,  eine  Spur  gleichsam  von  der  Zunahme  des  Handels  und  einer  da- 
durch erweckten  grösseren  Regsamkeit  im  Lande. 

Importirte  Industrie-  und  Kunstartikel  begannen  nunmehr  gute  Vorbilder 
abzugeben,  an  denen  sich  der  Geschmack  und  die  Fertigkeit  der  Eingeborenen 
heranbildeten. 


')  Brandgnibcnartigc  Gräber  in  Norwegen  hciianilell  mein  citirtcr  Jahresbericht,  p;ig.  74, 
und  Prof.  Rygh's  Beretn.  1870,  pag  121. 

-)  Vgl.  meinen  Bericht  in  Aarsberetu.  for  1868,  pag.  78;  Prof.  Rygh  s  Bericht,  Aars- 
heretn.  for  1870,  pag.  125,  nnd  Amtmann  Vedel,  ,über  die  Gräber  der  älteren  Eisenzeit  auf 
Bornholm",  Aarböger   1872,  pag.  12,   14,  15,  22  und   100. 

•')  [Zwischen  diesen  Friedhöfen  mit  kleinen  ruiuien  Grabhügeln  und  den  mecklenburgischen 
und  hannoverschen  Urnenlagern  mit  schwar/en  Punktgefässen  herrscht  hinsichtlich  ihres  Inhalt.s 
an  sogenannten  Wendenspaugen,  eisernen  Messerchen,  Nadeln,  Kämmen,  Perlen,  Wirtein  n.  s.  w. 
eine  so  auffallende  Uebereinstimmung,  dass  deren  Gleichzeitigkeit  unverkennbar  ist.j  Anmerk, 
des  Uebers. 


334  A-  Lorange: 

Die  ersten  Bronzegefässe  erscheinen  in  den  Gräbern;  die  meisten  wahr- 
scheinlich als  inländische  Arbeit  von  jener  für  Norwegen  so  charakteristischen 
Form,  die  gleich  über  dem  Boden,  der  mit  den  Seiten  einen  scharf  vorsprin- 
genden Winkel  bildet,  am  weitesten  ist;  eine  Eigenthümlichkcit,  die  sicherlich 
von  den  älteren  Thougefässen  übernommen  wurde,  welche  bekanntlich  sehr 
zahlreich  diese  Grundform  zeigen,  obgleich  sie  niemals  ganz  so  gross  sind, 
wie  die  Bronzegefässe. 

Es  müssen  indessen,  wie  vorhin  erwähnt,  diese  Bronzegefässe  doch  ziem- 
lich kostbar  gewesen  sein  und  wurden  daher  auch  wohl  nur  benutzt,  um  die 
Asche  vornehmer  Männer  oder  Frauen  aufzunehmen.  Ob  es  nun  allein  aus 
der  Rücksicht  geschah,  diese  werthvoUen  Gefässe  gegen  den  Druck  des 
Hügels  zu  schützen,  oder  wie  es  wahrscheinlicher  ist,  aus  irgend  einer  an- 
deren tiefer  liegenden  Ursache,  genug,  es  treten  gleichzeitig  mit  ihnen  die 
ersten  eigentlichen  Grabkammern  auf,  kleine  viereckige  und  gleichsam  der 
Grösse  des  Gefässss  angepasste  Steinbehälter.  Nicht  allein  die  Bronzekessel, 
sondern  ebenso  auch  die  Thonurnen  finden  wir  in  dieser  Weise  niedergesetzt 
und  von  einer  solchen  Steinkammer  geschützt. 

Es  scheint  jedoch,  als  ob  diese  Begräbnissart  in  kleinen  Steinkammern 
niemals  recht  allgemein  oder  auch  nur  für  einige  Zeit  allein  herrschend 
gewesen  wäre.  Man  findet  sowohl  einzelne  Bronzegefässe  frei  in  dem  Grab- 
hügel oder  in  einer  Höhlung  unter  einem  Felsstück  niedergesetzt,  wie  man 
auch  eine  grosse  Menge  offenbar  gleichzeitiger  Funde  antrifft,  in  denen  die 
Alterthümer  ohne  irgend  welchen  sichtbaren  Schutz,  doch  dergestalt  nieder- 
gelegt wurden,  dass  z.  B.  ein  Schildbuckel  als  Graburne  diente,  oder  doch 
wenigstens  dazu,  die  kleineren  Beigaben  aufzunehmen. 

Aber  ungeachtet  wir  in  diesen  Gräbern  bereits  römische  Schmuck-  und 
Toilettegeräthe  vorfinden,  sogar  römische  Bronzegefässe  und  Glas,  zahlreiche 
Belege  mithin,  dass  die  römische  Cultur,  oder  richtiger  Handelsverbindimg, 
bereits  einen  grossen  Schritt  in  Norwegen  vorwärts  gethan  hatte,  so  bleibt 
doch  der  Leichenbrand  der  vorherrschende  Grabgebrauch.  Und  obgleich 
Waffen  nun  bereits  häufiger  als  Beigabe  angetroffen  werden  (in  22  Gräbern 
von  78  mit  Bronzekesscln),  so  sind  sie  doch  noch  nach  der  altnationalen 
Weise  behandelt,  das  heisst,  sie  werden  noch  auf  dem  Scheiterhaufen  mit- 
verbrannt und  in  den  Gräbern  in  unbrauchbarem  Zustande,  zusammengebogen 
und  absichtlich  zerstört,  niedergelegt.  Dagegen  hat  man  die  kleineren  Schmuck- 
sachen geschont,  und  diesem  ersten  Schritte  zu  einer  neuen,  fremden  An- 
schauungsweise haben  wir  auch  die  ersten  Hülfsmittel  '  für  eine  ungefähre 
Zeitbestimmung  innerhalb  des  älteren  Eisenalters  in  Norwegen  zu  denken: 
bei  Ringerike  fand  Prof.  Rygh  in  einer  solchen  kleinen  Kammer  unter  anderm 
einen  Beschlag  zu  einem  Schildhandgriff,  wie  der  aus  dem  Thorsbjergfunde, 
PI.  VllI,  Fig.  9  ');  und  in  dem  Jahresberichte  für  1870,  pag.  98  berichtet  der- 


')  Aarsberetn.  ior  1870,  pag.  101. 


Ueber  römische  ('ultur  in  Norwegen,  335 

selbe,  dass  in  einem  Bronzekesscl,  der  1862  bei  Braaten,  Fiingerike  gefunden 
wurde,  zwei  kleine  Goldringe  mit  Schlangenkcipfcn  („ormhufrudringar"  '  ) 
lagen,  die  in  der  Form  der  Zierraten  nahe  übereinstimmen  mit  Bruchstücken 
von  Armbändern  aus  dem  Thorsbjergfunde^),  der,  wie  man  annimmt,  etwa  der 
Mitte  des  111.  Jahrhunderts  angehört;  bei  Hannem ,  Hedemarken,  fand  ich 
unter  einem  solchen  Kessel  einige  Pensilien  aus  Bronze,  die  in  Norwegen  zu 
den  selteneren  Gegenständen  gehören,  in  Dänemark  aber  in  grösster  Anzahl 
in  den  ältesten  Moorfunden  vorkommen;  bei  Lunde,  Eker,  Amt  Buskerud 
fand  sich  in  einem  Bronzekessel  oben  auf  den  verbrannten  Gebeinen  eine 
Silberfibula,  auf  deren  Nadel  ein  Goldberlock  und  ein  Spiralring  steckten; 
und  in  Tune,  Smaalenene,  fand  ich  neben  einer  „Thonurne  in  Kammer"  ein 
ebensolches  Goldberlock,  Mosaikperlen  und  zwei  kleine  bügeiförmige  Span- 
gen. Aehnliche  Berlocks  wurden  in  Dänemark  mit  römischen  Alterthümern 
des  Denaralters  zusammen  gefunden  3),  ebenso  auch  in  Schweden.  Dann 
fand  man  bei  Hauge,  in  Fortun,  in  einem  sog.  Bronzekessel  einen  Gold- 
brakteaten  und  endlich  im  oben  erwähnten  Funde  No.  IX,  bei  Vanse,  eine 
Münze  oder  Medaille  des  Kaisers  Valentinian  I;  also  Gegenstände,  die  der 
älteren  nordisch-römischen  Eisenzeit,  wie  auch  in  einzelnen  Fällen  solche, 
die  nachweislich  dem  Schlüsse  dieser  Periode  angehören.  Wir  dürfen  daher 
annehmen,  dass  ebenfalls  diese  Gräberform  mit  ihren  Unterabtheilungen  eine 
nicht  geringe  Dauer  gehabt  hat,  während  welcher  die  römische  Cultur  mehr 
und  mehr  in  das  Land  eindrang.  Und  darin  eben  liegt  das  grosse  Interesse 
für  diese  Bestattungsweise,  dass  sie,  während  sie  eigenthümlich  ist  füi-  Nor- 
wegen und  die  ersten  Alterthümer  enthält,  von  denen  Seitenstücke  in  den 
dänischen  Moorfunden  und  seeländischen  Gräbern  aufzuweisen  sind,  —  gleich- 
sam das  erste  Zeugniss  von  einer  directen  Verbindung  Norwegens  mit  dem 
römischen  Weltreiche,  das  erste  Zeichen  von  dem  Einwirken  der  ft-emden 
Cultur  auf  die  Ideen  und  religiösen  Gebräuche  der  Bevölkerung  — ,  den  Ueber- 
gang  bildet  von  den  rein  nationalen  Gräbern  zu  den,  w^enn  ich  mich  so  aus- 
drücken darf,  rein  römischen  in  den  grossen  Grabkammern.  Die  kleinen 
vierseitigen  Grabkammern  sind  ein  unentbehrliches  Glied  in  der  Beweiskette 
dafür,  dass  die  römische  Culturströmung  der  älteren  Eisenzeit  nicht  allein 
römische  Fabrikate  nach  Norwegen  gebracht  hat,  sondern  auch  nach  und 
nach  eine  Aenderung  in  der  Einrichtung  der  Gräber  verursachte. 

In  jene  Zeit  werde  ich  demnach  rechnen  z.  B  den,  unter  den  norwe- 
gischen Glasgefassen  aufgezählten  Fund  von  Vögen  mit  dem  prachtvollen 
silbernen  iSchwertgriff beschlag ,    der  in    einem  Schildbuckel  niedergelegt  war; 


')  Vgl.  Manadsblad  1873,  pag.  24,  wonach  11  Schlangenkopfringe  in  der  schwedischen  Staats- 
sammlung vorhanden  sind. 

')  Engelhardt,  Thorshjerg  Mosef.  pag.  Gl  nud  PI.  16,  Fig.  20  und  21.  In  der  Uni- 
versitäts  -  Sammlung  zu  Christiania  finden  sich  mindestens  vier  Armringe  von  diesem  Typus: 
im  Museum  zu  Bergen  zwei. 

')  Annaler  1849,  pag.  393. 


336  A.  Lorange: 

dann  den  eigenthümlichen  Grabfund  von  By  bei  Ringerike,  mit  einer  schwert- 
förmigen Eisenbarre  oder  einem  unvollendeten  Schwerte  (es  ist  nemlich  ganz 
und  gar  nicht  geschliffen),  das  auf  einer  Seite  der  Griffzunge  einen  runden, 
aber  etwas  undeutlichen  Stempel  zeigt  und  bei  Engelhardt,  Vimosefund 
pag.  18  abgebildet  und  beschrieben  wurde,  wo  ausserdem  erwähnt  ist,  dass 
ähnliche  Marken  auf  Schwertern  in  Nydam  und  Vimose  vorkämen. 

Ferner  eine  Anzahl  von  Grabfunden  bei  Einang,  Vestre  Slidre  in  Val- 
ders,  die,  gleich  den  ebeuerwähnten,  mehrere  Gegenstände  erhielten,  von 
denen  Seitenstücke  im  Nydamfunde  vorkommen.  Diese  Funde,  die  aus  ver- 
schiedenen Gründen  von  besonderem  Interesse  sind,  werde  ich  etwas  näher 
zu  beschreiben  suchen. 

Ungefähr  in  der  Mitte  des  östlichen  Abhanges  des  Slidre-Thales,  gegen- 
über dem  Olberg,  liegt  eine  bis  dahin  unbekannt  gebliebene  grössere  Zahl 
von  Grabhügeln,  die  alle  gleichartig  sind,  d.  h.  ziemlich  umfangreich  und 
flach,  in  kleinen  Gruppen  von  3  —  5  Stück  beisammen  liegen,  aus  mit  Erde 
vermischten  Rollsteinen  aufgebaut  sind  und  von  Steinkränzen  (Fodkjaeder) 
umgeben  werden,  welche  an  der,  dem  Abhänge  zugewendeten  Seite  der  Grab- 
hügel beinahe  den  Charakter  einer  Mauer  zeigen.  Mehrere  dieser  Hügel 
tragen  Bautasteine,  von  denen  einer  mit  Runen  versehen  ist,  der  einzige 
Runenstein  aus  der  älteren  Eisenzeit,  den  man  als  „unberührt  auf  seinem 
Grabe  stehend"  gegenwärtig  in  Norwegen  kennt. 

Bis  zum  Jahre  1870  war  dieser  Runenstein,  ebenso  wie  die  Grabhügel, 
unbekannt,  als  ich  durch  den  Ingenieurlieutenant  Heyerdahl  Nachricht  von 
dem  Vorhandensein  dieser  Alterthümer  empfing.  Durch  die  Dienstwilligkeit 
des  Herrn  Districtsarztes  H.  G.  Printz  erhielt  ich  dann  im  Jahre  1871  Ab- 
drücke und  Zeichnungen  von  diesen  Runen,  und  im  Jahre  1872  wurde  die 
Inschrift,  die  vollständig  zu  entziffern  war,  von  Herrn  Prof.  S.  Buggc  ge- 
deutet. Zugleich  untersuchte  ich  selbst  den  Grabhügel,  wobei  es  sich  dann 
leider  herausstellte,  dass  derselbe  bereits  angegraben  war,  und  somit  meine 
Hoffnung  auf  einen  Fund,  der  zugleich  etwas  Licht  verbreitet  hätte  über  das 
Alter  der  Runen  und  andererseits  wieder  durch  diese  erläutert  worden  wäre, 
getäuscht  wurde.  In  demselben  Frülijahre  hatte  ich  von  Herrn  Printz  zwei 
aus  einer  Hügelgruppe,  einige  hundert  Schritte  nördlich  von  demRuuensteinhügel, 
aufgenommene  Funde  erhalten,  worunter  auch  das  auf  anliegender  Tatel  ab- 
gebildete Schwert  enthalten  wai-,  das  sowohl  nach  seiner  Arbeit,  wie  nach 
seinem  dop])elten  Fabrikstempel  sich  nahe  verwandt  zeigt  mit  den  im  Nydam- 
funde entdeckten   Schwertern')  und  daher  sich  selber  datirt'-*). 

In  dieser  Gruppe  liegen  drei  Hügel  in  einer  Reihe  oben  auf  der  Anhöhe. 


')  Vgl.  Nydam  Mosef.  PI.  VIII,  Fig  18. 

2)  Bekanntlich  wurden  im  Moorfunde  von  Nyriam  84  römische  Silbermünzen  gefunden,  ge- 
prägt zwischen  6'J— 217  p.  Chr.,  wonach  man  die  Zeit  der  Niederlegung  dieses  Fundes  ungefähr 
der  Mitte  des  III.  Jahrhunderts  zuschreibt; 


Ueber  römische  Cultur  in  Norwegen.  337 

Das  Schwert  fand  sich  in  dem  unteren  und  kleinsten,  mitten  auf  einer  Schicht 
von  Kohlen  auf  dem  Grunde  des  Ilügel.s.  Neben  dem  Schwerte  lag  eine  vier- 
seitige, schön  geformte  Lanzenspitze  und  auf  dieser  ein  Speer  mit  Widerhaken 
und  zwöltkantiger  hvnger  Schaftrölire,  stark  verdreht  und  zu  einem  Halbkreis 
umgebogen,  der  einen  Schildbuckel  umschloss,  worin  einige  Spangen,  eine 
verbogene  Messerklinge,  eine  Ahle  und  mehr  dergleichen  lag.  In  dem  mitt- 
leren Hügel  fand  sich  eine  Lanzenspit/.e  und  ein  Schildbuckel,  beide  von 
derselben  Form  wie  die  des  vorigen  Hügels  und  in  gleicher  Weise  auf  einer 
Schicht  von  Kolden  und  verbrannten  Knochen,  auf  dem  Grunde  desselben 
liegend.  In  dem  obersten  und  grössten  Hügel  wurden  nur  Bruchstücke  eines 
Schildbuckels,  aber  unter  denselben  Umständen  wie  die  vorhergehenden,  ge- 
funden. 

Ein  vierter  Hügel  in  gleicher  Höhe  mit  dem  obersten  wurde  von  Prof. 
S.  Bugge  untersucht,  der  darin  eine  Lanzenspitze  und  eine  Speerspitze  mit 
Widerhaken  fand,  beide  ungefähr  von  derselben  Form  wie  die  des  ersten 
Fundes. 

Nun  ist  zu  bemerken,  dass  nicht  allein  jenes  Schwert,  sondern  auch 
sämmtliche  anderen  Gegenstände  aus  diesen  Hügeln  ihre  Gegenstücke  im 
Nydamfunde  haben:  die  Lanzens|)itzen  sind  gleich  Nydam,  Fl.  X,  Fig.  20 
und  PI.  XI,  Fig.  39;  die  Speerspitzen  sind  gleich  Nydam,  PI.  X,  Fig.  29 
und  PI.  X,  31;  die  Schildbuckel  sind  wie  Nydam  Pag.  21,  ja  selbst  das 
Messer  und  die  Spangen  kann  man  wiederfinden  unter  den  Abbildungen  aus 
jenem  Moorfunde,  und  doch  wurden  sie  im  Hochgebirge  von  Valders  ge- 
funden ! 

In  Folge  der  grossen  üebereinstimmuug  und  Gleichartigkeit,  die  zwischen 
diesen  Grabfunden  besteht,  würden  sie  vielleicht  das  Fehlen  der  Alterthümer 
in  dem  Runensteinhügel  ersetzen  und  zu  einer  näheren  Bestimmung  des  Alters 
der  Runeninschrift  benutzt  werden  können,  wenn  nicht  allein  schon  das  Schwert 
ein  hinreichend  glaubwürdiger  Zeitangeber  sein  würde.  Dean  dies  Schwert 
ist  selbsverständlich  das  merkwürdigste  und  am  meisten  charakteristische 
Stück  unter  den  gefundenen  Alterthümern.  Es  ist  zweischneidig,  damascirt 
und  mit  doppelten  Hohlkehlen  auf  jeder  Seite  der  Klinge  versehen.  Die 
Stempel  sind  auf  der  einen  Breitseite  gleich  unterhalb  der  Griifzunge  an- 
gebracht; zuerst  ein  radförraiger,  darauf  ein  länglich  vierseitiger  mit  erhöhten 

lateinischen  Buchstaben,  muthmaasslich  ein  Name,  von  dem  man  RANVICI 

lesen  kann.  Nebst  den  übrigen  Gegenständen  wurde  das  Schwert  dem  Feuer 
des  Scheiterhaufens  ausgesetzt,  darauf  gebogen,  gleichsam  doppelt  zusammen- 
gelegt, und  bedeckte  sich  mit  einer  starken  Glüh^chicht,  die  es  später  beinahe 
gänzlich  gegen  den  Angriff  des  Rostes  geschützt  hat. 

Ebensolche  damascirte  und  gestempelte  Schwerter  sind  bis  jetzt  nur  in 
einzelnen  von  den  dänischen  Mooren  gefunden.  In  Norwegen  waren  sie  bis 
dahin,  vielleicht  mit  Ausnahme  des  obenerwähnten  von  By  bei  Ringerike, 
gänzlich  unbekannt.     Dasselbe    ij^t    in  Schweden   der  Fall;    auch  fehlen  sie, 


338  ^-  Lorange: 

meines  Wissens,  in  den  dänischen  Grabfunden,  obwohl  sie  einzeln  als  Mark- 
funde angetroffen  wurden'). 

Was  die  Abkunft  dieser  Schwerter  anbetrifft,  so  sind  die  Meinungen 
darüber  getheilt;  denn  ungeachtet  der  lateinischen  Buchstaben  in  den  Stem- 
peln, hat  man  doch  noch  keinen  Namen  gefunden,  der  gleichwie  die  Fabrik- 
stempel auf  den  Casserolen,  römischen  Klang  hätte.  Auch  aus  der  Form  der 
Schwerter  ist  nicht  das  mindeste  zu  schliessen,  da  man  unglücklicher  Weise 
von  den  römischen  Schwertern  nur  geringen  Bescheid  weiss.  Einige  haben 
geglaubt,  ihnen  in  Folge  der  Damascirung  einen  orientalischen  Ursprung  zu- 
schreiben zu  müssen;  aber  wahrscheinlich  werden  erst  künftige  Funde  in 
dieser  Sache  Gewissheit  verschaffen  können. 

Da  man  indessen  weiss,  dass  mehrere  der  von  den  Römern  sogenannten 
Barbaren  sich  vor  den  Römern  auszeichneten  als  tüchtige  Waffenschmiede, 
so  dass  z.  B.  iberische  und  norische  Schwerter  in  Rom  sehr  gesucht  waren, 
so  hat  man  in  Uebereinstimmung  mit  der  Namensform  der  Stempel  sich  vor 
der  Hand  begnügt,  diese  Schwerter  füt  „nicht  römisch"  zu  erklären  und  ihnen 
den  allerdings  weitumfassenden  Titel  „barbarisch"  beigelegt. 

Im  Nydammoore  wurden  unter  100  Schwertern  90  damascirte  gefunden; 
in  dem  jüngeren  Vimosefunde  dagegen  nur  14  unter  67.  Fabrikmarken  waren 
indessen  selten,  und  noch  seltener  die  Stempel  mit  lateinischen  Buchstaben 
(in  Nydam  etwa  8— 10-);  dagegen  ist  es  gar  nicht  unmöglich,  dass  unter 
den  zahlreich  in  Norwegen  ausgegrabenen  Schwertern  aus  der  älteren  Eisen- 
zeit sich  noch  mehrere  von  fremdem  Ursprünge  finden  werden. 

In  jedem  Falle  wird  das  Schwert  von  Einang  sein  besonderes  Interesse 
behaupten,  weil  es  sich  offenbar  ganz  von  selbst  der  im  Nydammoore  auf- 
gefundenen Schwertgruppe  einreiht.  Es  muss  beim  Niederlegen  so  gut  wie 
neu  gewesen  sein;  wenigstens  zeigt  es  nicht  die  geringste  Spur  einer  Ab- 
nutzung und  kann  daher  von  der  unbekannten  Werkstätte  bis  hinauf  nach 
Norwegen  wohl  nicht  lange  unterwegs  gewesen  sein.  Undenkbar  oder  un- 
wahrscheinlich wäre  es  indessen  keineswegs,  dass  ein  nordischer  Kriegsmann, 
der  im  Süden  in  Diensten  stand,  diese  vorzügliche  Waffe  mit  zurückgebracht 
hätte.  In  diesem  Falle  würden  wir  einen  neuen  Beweis  besitzen  für  die  frühe 
Verbindung  der  Nordmänner  mit  der  Cultur  des  Südens;  gleichwie  auch  der 
Fund  von  Valdors  in  seiner  Gesaramtheit  ein  merkwürdiges  Zeugniss  bietet 
für  die  grosse  Uebereinstimmung  im  Geschmack  und  Stil,  die  in  Folge  der 
Einwirkung  römischer  Cultur  bereis  im  III.  Jahrhundert  sich  im  ganzen  Nor- 
den geltend  machte,  von  Hüd-Jütland  bis  in  die  Gebirge  Norwegens.  — 

Im   Jahre    1868   kannte    man    in   Norwegen    etwa  90  Hügel   mit  grossen 


')  Vgl.  Nydam  Mosef.   pag.  22. 

■')  Alle   in  Dänemark   frefun.lenen ,   mit  römischen  Fabrikstempeln  versehenen   Alterthumer 
werden  aufgezählt  von  Engelhardt,  Aarböger  1871,  pag.  432. 


üeber  römische  Cultur  in  Norwegen.  339 

Steinkammern  oder  Grabkasten  ').  Gegenwärtig  kennt  man  jedenfalls  mehr 
als  120.  Die  Kammern  sind  selten  unter  Manneslänge,  2-4  Fiiss  breit  und 
hoch^),  oft  reich  an  Grabgütern  und,  was  wohl  zu  bemerken  ist,  nicht  nur 
die  Schmucksachen,  sondern  auch  die  übrigen  Beigaben  findet  man  bei  dieser 
Gräbergruppe  stets  in  bester  Ordnung  und  in  wohlerhaltenem  Zustande  nieder- 
gelegt. Mir  wenigstens  ist  kein  einziger  solcher  Fund  bekannt,  in  welchem 
Spuren  von  vorsätzlicher  Zerstörung  zu  finden  gewesen  wären. 

Die  Beigaben  sowohl,  wie  die  Einrichtung  der  Gräber  zeigen  in  vielen 
Fällen  eine  gewisse  Uebereinstimmung  mit  jenen  Gräbern  auf  Seeland,  welche 
unverbrannte,  in  Sandhügeln  begrabene  Leichen  enthalten  und  als  gleichzeitig 
mit  den  schleswigschen  Moorfunden  betrachtet  werden  ').  Um  diese  That- 
sache  näher  zu  beleuchten,  die,  wie  es  scheint,  bisher  nur  zu  sehr  der  Auf- 
merksamkeit der  dänischen  Alterthumsforscher  entgangen  ist,  wollen  wir  hier 
ein  solches  dänisches  Grab  der  älteren  Eisenzeit  mit  einer  norwegischen 
„grossen  Grabkammer"   vergleichen  und  wählen  dazu: 

denStröbyfund(Varpelev),  AmtPraestö^  und  denKjorstadfund,  Gudbrandsdal''). 
Grab  9  Fuss  lang,  ungefähr  halb  so  breit  .  .  .  j  Grabkammer,  8  Fuss  lang,  4  Fuss  breit. 

Gefüllt  mit  Sand    Halbgefüllt  mit  Stein  und  Sand. 

Unverbrannte  Leiche !  Unverbrannte  Leiche. 

Römische  Bronzevase Römische  Bronzevase. 

Gasseroi  mit  Sieb 


Holzeimer  mit  Bronzebeschlag  .  . 
Drei  Glasschalen  neben  der  Brust 

Thonurnc  

Fingerring  von  Gold 

13  Steine  zum  Bretspiel     

do.  do. 

do.  do. 

do.  do. 

do.  do. 


Zwei  Holzeimer  mit  Hronzcbeschlag. 

Holzeiraer  mit  Bronzebeschlag. 

Eine  Glasschale  auf  der  Brust  der  Leiche. 

Thoniirne. 

Drei  Goldfingerringe. 

Ein  beinahe  kugelförmiges  Stück  Bronze. 

Haarnadel. 

Zwei  Spangen 

Schere  von  Eisen. 

Zwei  eiserne  Messer  u.  s.  w. 


Hier  zeigt  sich  also  eine  überraschende  Gleichartigkeit;  kaum  ein  an- 
derer Unterschied,  als  dass  der  norwegische  Fund,  wie  immer,  in  einem  Hügel 
lag  und  der  dänische  acht  Fuss  unter  einer  Anhöhe.  Beide  verrathen  einen 
stark  römischen  Einfluss  —  ja,  sie  entsprechen  beinahe  vollständig  der  rö- 
mischen Aiaffassung  von  der  Bestimmung  der  Gräber,  wonach  diese  lediglich 
die  Wohnung  waren,  in  welche  der  Todte  sich  zu  einem  ungestörten,  seinem 
früheren  ganz  gleichartigen  Leben  zurückzogt  Der  Tod  galt  eben  nur  als 
Fortsetzung  des  Lebens'),  und  deswegen  gab  mau  den  Verstorbenen  Kleider, 


')  Aarböger  1860,  pag.  Ii56. 

2)  Aarböger  1869,  pag.  162. 

')  Nydam  Mosef.  pag.  50. 

*)  Annaler  1861,  pag.  305. 

*)  Aarsberetn.  for  1867,  pag.  57. 

6)  Marquardt,  Römische  Privatalterthümer,  I,  pag.  367. 

^)  Cochet,  Normandie  souterraine,  pag.  197. 


340  ^-  Lorange: 

Schmuck  und  Lebensmittel  mit,  Kriegern  ihre  WaflFen,  Handwerkern  ihre 
Geräth Schäften  und  Weibern  ihre  Toilettesachen. 

In  vielen  der  grossen  norwegischen  Grabkammern  zeigt  gerade  dieser 
Gesichtspunkt  sich  besonders  berücksichtigt;  so  fand  man  Grabgefässe  mit 
Holzlöffeln')  zum  deutlichen  Beweis,  dass  wirklich  Speise  und  Trank  in  den 
vielen  verschiedenen  Gefässen  der  Kammern  niedergelegt  waren.  Und  nicht 
selten  fand  man,  wodurch  die  Uebereinstimmung  vollständig  wurde,  auch 
Räucherwerk 3).  Wie  bereits  oben  bemerkt,  ist  ebenfalls  der  altnationale  Brauch, 
die  Mitgaben  vorsätzlich  zu  zerstören,  gänzlich  aufgegeben;  kurz,  wir  finden 
solche  grosse  Grabkammern  derartig  eingerichtet,  dass  sie  eben  so  gut  von 
Römern  geordnet  und  für  Römer  bestimmt  sein  konnten,  wie  die  Gräber  von 
Häven,  Grabow  und  die  von  Seeland.  Und  doch  kann  kein  Zweifel  daran 
sein,  dass  auch  diese  Gräber  von  Eingeborenen  errichtet  und  für  dieselben 
bestimmt  waren.  Zunächst  sind  nämlich  sowohl  die  Grabhügel,  wie  die 
grossen,  sorgfältig  aufgebauten  Grabkammern  eigenthümlich  für  Norwegen; 
und  dann  lässt  sich  auch  die  Ausbildung  dieser  Klasse  von  Gräbern  durch 
eine  Mannichfaltigkeit  von  Uebergängen,  namentlich  in  Betreff  ihrer  Einrich- 
tung, genau  verfolgen.  Von  zwei  Thongefässen  und  kleinen  vierseitigen  Kam- 
mern an  lassen  sich  alle  Stufen  nachweisen  mit  immer  reicheren,  aber  auch 
immer  mehr  fremden  Mitgaben  bis  zu  jenem  vollentwickelten  römischen  Typus, 
von  dem  der  erwähnte  Fund  von  Kjörstad  ein  Beispiel  bildete. 

Die  verwirrte  Zusammenmischung  von  Neuem  und  Altem,  von  Einhei- 
mischem und  Fremdem,  die  sich  oft  in  der  Einrichtung  der  grossen  Grab- 
kammern zu  erkennen  giebt,  ist  begreiflicher  Weise  der  bei  den  Eingeborenen 
herrschenden  unklaren  Vorstellung  von  dem  neuen  Ritus  zuzuschreiben.  Trotz 
der  Einführung  der  grossen  Grabkammern  liegt  gewissermassen  der  nationale 
Brauch  des  Leichenbrandes  mit  der  neuen  Bestattungsweise  einer  fremden 
Cultur  noch  im  Kampfe.  Grosse  kistenartige  Kammern  zu  bauen  und  darin 
nur  eine  Handvoll  verbrannter  Knochen  niederzulegen,  das  scheint  bereits 
ein  Missverständniss  anzudeuten;  aber  auch  in  der  sonstigen  Einrichtung 
der  Gräber  findet  man  Beweise  dafür,  dass  die  neue  Gräberart  in  ihrer  Be- 
deutung und  Bestimmung  von  der  Bevölkerung  nicht  verstanden  wurde,  die 
gleichsam  mitunter  in  Zweifel  darüber  gewesen  zu  sein  scheint,  wie  man  sich 
eigentlich  am  besten  mit  jener  vertragen  sollte. 

Wie  die  Fundberichte  ausweisen,  sind  die  grossen  Grabkaramern  bald 
mit  Erde  angefüllt,  bald  offen.  Als  einfachste  Erklärung  dieses  Umstandes 
habe  ich  mir  gedacht,  dass  die  ersteren  verbrannte  Gebeine  enthalten  haben, 
die  anderen  dagegen  —  unverbrannte  Leichen.  Es  scheint  auch  am  natür- 
lichsten, die  grossen  Kammern  mit  J^eichen  für  jünger  zu  halten,  als  diejenigen 
mit  verbrannten  Knochen,  und  diese  Annahme  findet  auch  in  der  Beschafien- 


')  Norske  Fornlevn.  pajr.  -'85. 

O  Aarsberetu.  t'or  1867,  pag.  57;  Norske  Fornlevu,  pag.  285,  392  und  407. 


üeber  römische  Cultur  in  Norwegen  341 

heit  der  Beigaben  hinreichende  Bestätigung.  Bis  jetzt  liisst  sich  ullerdinf^s 
eine  vollständige  oder  genügende  Classificirung  dej-  Altertliiiniei-  sehr  sciiwer 
durchfuhren;  aber  in  dem  Funde  von  Kjörstad  mit  unvorbranuter  Leiche  war 
u.  a.  ein  Goldring  mit  eingefasstera,  ovalem  Glasfluss  enthalten,  von  einer 
Form  wie  Worsaae,  No.  381,  die  in  Dänemark  zum  mittleren  Eisenalter 
ffereclmet  wird;  in  dem  F'unde  von  Uolmegaard  neben  verbrannten  Kno(h<Mi 
zwei  drachenkopfförraige  Fibula  mit  drei  Knöpfchen  am  Obertlieile,  in  dä- 
nischen Gräbern,  die  noch  nie  gefunden  wurden,  dagegen  zahlreich,  einige 
Male  sogar  schon  in  den  kleinen  vierseitigen  Kammern,  in  Norwegen  vor- 
kommen (vgl.  Aarsberetn.  for  1889,  pag.  101,  No.  2  ')  •  Die  grossen  kreuz- 
förmigen Bügelspangen  treten  in  Norwegen  zuerst  auf  in  diesen  grossen  Kam- 
mern, aber  es  ist  nicht  sichei-,  ob  man  sie  nur  in  Gräbern  mit  unverbrannten 
oder  auch  mit  verbraunten  Gebeinen  findet. 

Auf  die  Frage  nun,  ob  man  in  Norwegen  unter  den  Grabhügeln  ein  be- 
stimmt ausgeprägtes  mittleres  Eisenalter  auszuscheiden  vermöge-),  antworte 
ich,  dass  alle  die  Eigenthümlichkeiten,  welche  man  als  Merkmale  dieser  durch 
oströmische  Einwirkung  charakterisirten  Culturperiode  bezeichnet  hat,  ganz 
sicher  nicht  minder  kräftig  in  Norwegen  auftreten,  als  in  irgend  einem  an- 
deren der  nordischen  Reiche;  dass  es  nicht  schwieriger  ist  in  Norwegen,  als 
in  Dänemark,  dergleichen  Gräber,  welche  alle  jene  Eigenthümlichkeiten  tles 
mittleren  Eisenalters  •^),  nämlich  die  den  oströmischen  Goldmünzen  nachgear- 
beiteten nordischen  Brakteaten,  die  grossen  Bügelspangen,  Niollo-Ornamente 
uud  eingefasste  Glasstücke  enthalten,  nachzuweisen;  dass  aber  auch  alle  diese 
Gräber  dem  Anscheine  nach  eine  so  grosse  Uebereinstimmung  mit  den  letzt- 
genannten der  älteren  Eisenzeit  darbieten,  dass  man  vorläufig  wenigstens  noch 
nicht  im  Stande  ist,  mit  Sicherheit  zu  entscheiden,  ob  ein  Grab,  wenn  es 
nicht  gerade  die  erwähnten  Schmucksachen  oder  doch  die  betreffenden  Orna- 
mente enthält,  in  die  Brakteatenzeit  (Solidusperiode),  oder  aber  in  die  ältere 
Denarperiode  gehört.  Die  Schwierigkeit  liegt  also  niclit  darin,  überhaupt 
Gräber  des  mittleren  Eisenalters  nachzuweisen,  sondern  darin,  alle  dieser 
Periode  angehörenden  Gräber  zu  sammeln  und  auszuscheideu.  Und  bevor 
nicht  eine  solche  Trennung  vorgenommen  werden  kann,  falls  sie  überhaupt 
durchzuführen  sein  sollte,  verstehe  ich  in  der  Thal  nicht,  welchen  praktischen 
Nutzen  sowohl  in  Dänemark,  wie  in  Norwegen  es  haben  kann,  eine  besondere 


')  Vgl.  FI.  Hil(lel)rand,  „den  äldre  Jernalderen  i  Norrland",  Ausser  den  dort  an<refülirten 
Funden  aus  Norwegen  würden  zu  nennen  sein:  Aarsberetn.  für  1870,  pag.  4S,  drei  dracben- 
kopfföruiige :  Aarsl)eretn.  for  1871,  pag.  65.  eine  ebensolclie;  Aarsberetn.  pag.  9.,  eine  ilesgl.: 
der  Fund  von  Eigner,  lledeuiarken  1872,  mit  -2  nnd  der  Fund  von  Langebo,  Stokke,  Jarisberg 
1372  mit  3  ebensolchen  Spangen. 

-)  Vgl.  Antiq. 'i'idskrift  for  Sverige,  II.  H  ilile  brand 's  angeführtf  Abbaiulhmg.  pag.  (!  u.  7 ; 
Aart)üger  18G;>,  pag.  180,  181,  nnd  H.  Hildebrand,  Svenska  Folket  under  Hednatideu,  2.  Udg., 
bdedu. 

")  Kragebul  Mosefund,  pag.  *.). 


342  A.  Lorange: 

Gräbergruppe  für  ein  mittleres  Eisenalter  aufzustellen.  Mit  Ausnahme  der 
erwähnten  einzelnen  neuen  Schmucksachen  schliessen  sich  die  Alterthümer 
der  sogenannten  mittleren  Eisenzeit  im  Uebrigen  unmittelbar  an  die  ältere 
Eisenzeit  an,  und  irgend  ein  Uebergang  zum  neuen  Stil,  der  so  ausgeprägt 
und  durchgeführt  in  Norwegens  letzten  heidnischen  Jahrhunderten,  in  dem 
sogenannten  jüngeren  Eisenalter  vorherrscht,  ist  durchaus  nicht  zu  bemerken. 

Das  Verhältniss  zwischen  der  Anzahl  von  grossen  Grabkammern,  worin 
verbrannte  Gebeine  und  worin  unverbrannte  Leichen  vorkommen,  lässt  gegen- 
wärtig, nach  den  vorliegenden  leider  so  mangelhaften  Fundberichten,  sich 
noch  nicht  genügend  bestimmen;  doch  bin  ich  nicht  abgeneigt,  anzunehmen, 
dass  die  Verhältnisse,  welche  Prof.  Rygh  im  Jahre  1868  zwischen  allen  nor- 
wegischen Grabhügeln  der  älteren  Eisenzeit  mit  unverbrannten  und  mit  ver- 
brannten Gebeinen  aufstellte,  nämlich  wie  1  zu  8,  sich  am  nächsten  für  jene 
eine  Classe  von  Gräbern  der  älteren  Eisenzeit  anwenden  lässt.  Diese  Ver- 
hältnisszahl war  nämlich  nur  der  Ausdruck  für  die  412  Grabfunde,  von  denen 
man  bis  zum  Jahre  1808  Nachricht  hatte,  wo  man  kaum  etwas  wusste  von 
jenen  grossen,  oben  erwähnten  Hügelfriedhöfen  des  älteren  Eisenalters,  die 
ohne  Ausnahme  Gräber  mit  Verbrennung  enthalten  und  in  so  grosser  Anzahl 
vorkommen,  dass  ich  z.  B.  allein  aus  dem  Amte  Smaalenene  gegenwärtig  ebenso 
viele  Brandgräber  der  älteren  Eisenzeit  nachzuweisen  vermag,  wie  man  im 
Jahre  1868  Gräber  aller  Art  aus  derselben  Zeitperiode  im  ganzen  norwe- 
gischen Lande  kannte.  Ich  bin  völlig  überzeugt,  dass  künftige  Untersuchun- 
gen dieser  grossen  Hügelfriedhöfe  die  Anschauungen  von  Norwegens  älterer 
Eisenzeit  ebenso  wesentlich  verändern  werden,  wie  die  Entdeckung  des  rich- 
tigen Alters  der  „Wendenkirchhöfe"  die  Auffassung  von  dem  ersten  Auftreten 
der  Eisencultur  in  Nord- Deutschland  umgestalten  müsste.  Sie  werden  den 
naturgemässen  Ausgangspunkt  bilden  für  die  Entwickelung  der  Eisenzeit  in 
Norwegen;  sie  werden  wahrscheinlich  die  beste  Erklärung  liefern  für  die 
nationalen  Eigenthümlichkeiten  des  Eisenalters  in  Norw^egen  unter  der  später 
so  mächtigen  fremden  Einwirkung,  zugleich  aber  auch  in  Folge  ihres  primi- 
tiven Charakters,  ihrer  Mannichfaltigkeit,  Gleichartigkeit  und  stätig  fortschrei- 
tenden Cultur  ein  grosses  Hinderniss  sein  für  jede  Behauptung,  die  zu  er- 
weisen versuchte,  dass  die  norwegische  ältere  Eisenzeit  nur  als  ein  Keim 
der  damals  in  Dänemark  bereits  alten  Eisencultur  zu  betrachten  sei,  ein  Keim, 
der,  wie  man  meinte,  nur  schwach  blieb,  jung  und  von  geringer  Triebkraft. 

Ich  habe  oben  nachgewiesen,  dass  die  Grabfunde  aus  der  nordisch- 
römischen Zeit  nicht  allein  zahlreich  sind  in  Norwegen,  sondern  auch  reich- 
lich so  zahlreich  —  nach  dem,  was  man  bis  jetzt  darüber  kennt  —  wie  in 
Dänemark  und  ungleich  zahlreicher  sogar  als  in  Schweden;  weshalb  denn 
auch  die  Spuren  der  römischen  Cultur  in  Norwegen  ebenso  stark  hervortreten, 
wie  in  irgend  einem  der  anderen  nordischen  Reiche,  sowohl  mit  Hinsicht  auf 
die  inländische  Nachbildung  fremder  Muster,  wie  auf  die  Gräbereinrichtung 
und    auf  andere   Zeugnisse    von   der  geistigen  Auffassung   und  Auscbauungs- 


Ueber  römische  Cultur  in  Norwegen.  34 

weise  der  damaligen  Bevölkerung.  Ich  habe  weiter  nachgewiesen,  dass  die 
Anzahl  echt  römischer  Alterthiimer  in  norwegi.schcn  Gräbeni  sehr  bedeutend 
ist,  —  weit  grösser,  als  Schweden  solche  bis  jetzt  dargeboten  hat,  wenn  auch 
nicht  ganz  so  bedeutend,  wie  in  den  dänischen  Funden;  dsss  die  Verschieden- 
heit zwischen  Dänemark  und  Norwegen  nicht  erheblich  ist  und  dass  sie  voll- 
ständig erklärt  werden  kann  durch  Norwegens  zu  jeder  Zeit  geringere  Be- 
völkerung und  mehr  abgelegene  Lage;  und  endlich,  dass  jene  norwegischen 
Gräber  fremden  Stils  nicht  vorzugsweise  auf  einen  einzelnen  Theil  des  Landes 
beschränkt  sind,  sondern  sich  ausbreiteten  über  das  ganze  Land,  bis  hinauf 
zu  den  Küsten  des  Drontheimfjord. 

Allerdings  fehlen  uns,  wie  gesagt,  römische  Münzen  in  diesen  Funden, 
um  sie  selbständig  datiren  zu  können;  aber  Dank  den  dänischen  und  süd- 
schwedischen Münzfunden,  die  das  Alter  der  seeländischen  (und  südschwe- 
discheu)  Gräber  feststellen  (von  ca.  250  bis  zu  400  p.  Chr. ;  mit  einer  weiteren 
selbständigen  Ausbildung  bis  ca.  GOO),  sind  wir  in  den  Stand  gesetzt,  auch 
das  ungefähre  Alter  dieser  norwegischen  Grabhügel  bestimmen  zu  können, 
denn  ihre  Gleichzeitigkeit  mit  den  seeländischen  (und  schwedischen)  Begräb- 
nissen ist  durch  die  Gleichartigkeit  und  die  zum  Theil  gemeinsame  Abkunft 
der  Mitgaben  hinlänglich  erwiesen. 

Der  Wimische  Culturstrom  war  mächtig  genug,  um  mit  ungehemmter  Kraft 
sowohl  bis  Dänemark,  wie  nach  Schweden  und  Norwegen  vorwiirts  zu  dringen. 
Er  hat  in  allen  drei  Ländern  einen  starken  Einfluss  ausnefibt  und  eine  so 
hohe  Culturentwickelung  begründet,  wie  man  sie  niemals  hätte  voraussetzen 
können,  wenn  nicht  die  Alterthümer  uns  unzweifelhafte  Beweise  davon  ab- 
legten. 

Die  gleichartigen  Wirkungen  dieser  Cultur,  in  Dänemark  sowohl  wie  in 
Schweden  und  Norwegen,  sind  Zeugnisse  für  deren  ebenmässiges.  gleich  starkes 
Auftreten  bei  drei  verwandten  und  auf  derselben  Bildungsstufe  stehenden  Völ- 
kerschaften; die  trotz  der  grössten  Uebereinstimmung  gleichwohl  in  jedem 
dieser  drei  Länder  hervortretenden  Ungleichheiten  sind  der  Ausdruck  der 
nationalen  Besonderheiten  und  mithin  Zeugnisse  dafür,  dass  der  römische 
Culturstrom  gekommen  ist  zu  drei  —  in  Folge  der  ungleichen  natürlichen 
Beschaffenheit  ihrer  Länder  —  schon  damals  so  wesentlich  von  einander  ver- 
schiedenen Brüderstämmen. 

Wenn  die  dänischen  Archäologen  dessenungeachtet  bis  jetzt  noch  keine 
andere  Gräbergruppe  der  älteren  Eisenzeit  aufgestellt  haben  als  jene  nordisch- 
römische, so  wird  es  doch  unfehlbar  noch  dabin  kommen;  denn  andernfalls 
müsste  man  voraussetzen,  einmal  die  Möglichkeit,  dass  die  Cultur  der  ältesten 
Eisenzeit  auf  ihrem  wahrscheinlichen  und  natürlichen  Wege  von  Süd  nach 
Nord  einstweilen  Dänemark  übersprungen  habe,  und  dann,  dass  später  nach 
Dänemark  eine  specielle  Einwanderung  eines  nordischen  Stammes,  der  al)er 
ausserhalb  Dänemarks  sich  den  stark  ausgeprägten  römischen  Charakter  zu 
eigen  machte,    stattgefunden  luilic.     Blicken    wir    aber    darauf   hin,    was    erst 


344  A.  Lorange: 

kürzlich  durch  die  ausgezeichneten  Untersuchungen  des  Amtmanns  Yedel 
in  Beziehung  auf  das  Auftreten  und  die  stufenweise  Entwicklung  des  Eisen- 
alters auf  Bornholm  nachgewiesen  wurde,  und  auf  andere  ähnliche  Entdeckun- 
gen in  anderen  Ländern,  wie  z.  B.  auf  jene  „Wendenkirchhöfe"  in  Nord- 
Deutschland,  so  ist  gar  nicht  daran  zu  zweifeln,  dass  die  Eisenzelt  ebenfalls 
in  Dänemark  älter  ist,  als  die  ältesten  der  „seeländischen  Begräbnisse".   — 

Wie  schon  oben  erwähnt,  lassen  die  norwegischen  Grabhügel  aus  der 
älteren  Eisenzeit  sowohl  in  ihrer  Bauart,  wie  in  ihrem  Inhalte  eine  beständig 
und  gleichmässig  fortschreitende  Culturentwickelung  —  wie  ich  annehme  — 
eines  und  desselben  Volkes  erkennen.  Ich  wenigstens  finde  an  keiner  ein- 
zigen Stelle  in  der  Reihenfolge  der  Ausbildung  der  norwegischen  Grabhügel 
irgend  eine  plötzliche  Veränderung  oder  bedeutende  Umwälzung,  die  den  ge- 
ringsten Grund  zu  der  Annahme  geben  könnte,  dass  eine  Einwanderung  eines 
fremden  Stammes  oder  eines  ganz  neuen  Volkes  stattgefunden  habe.  Die  Grab- 
funde machen  im  Gegentheil  durchaus  den  Eindruck  einer  natürlichen,  durch  stä- 
tige  stärkere  südländische  Einwirkung  veranlassten  Entwickelung;  und  obgleich 
die  Annahme,  dass  die  Cultur  der  Eisenzeit  ursprünglich  zugleich  mit  einer 
Einwanderung  nach  Norwegen  gekommen  sei,  immerhin  wahrscheinlich  und 
natürlich  erscheinen  wird,  so  ist  doch  diese  Annahme  nun  weniger  nothwendig 
geworden,  nachdem  ich  bereits  früher  nachgewiesen  habe  —  vorläufig  treilich 
nur  für  einen  einzelnen  Landestlieil  — ,  dass  Norwegen  gleichfalls  ein  vollent- 
wi(;keltes  Bronzealter  gehabt  hat,  wovon  zahlreiche  und  charakteristische,  bis 
dahin   unbekannte  und  unbeachtete  Gräber  Zeugniss  ablegen. 

iSowohl  der  Gang  in  der  nordisch-römischen  Culturentwickelung,  wie  ihre 
Eigenthümlichkeiten  in  den  einzelnen  nordischen  Ländern  würden  sich  ohne 
Zweifel  schon  längst  weit  deutlicher  vor  Augen  gelegt  haben,  wenn  nicht 
auch  darin  eine  gewisse  Uebereinstimmung  zwischen  diesen  gleichzeitigen  und 
gleichartigen  Gräbern  Dänemarks  und  Norwegens  obgewaltet  hätte,  dass  bei- 
nahe sämmtliche  Funde  dieser  Art  in  beiden  Ländern  eigentlich  nur  durch 
Zufall  zu  Tage  gekommen  sind,  mit  Unverstand  und  Unvorsichtigkeit  aus- 
gegraben wurden,  und  daher  bei  weitem  nicht  so  lehrreich  zu  werden  ver- 
mochten, als  sie  es  hätten  sein  können,  wenn  sichere  und  ausreichende  Fund- 
berichte darüber  vorgelegen  hätten. 

Deswegen  können  wir  auch  in  Norwegen  noch  nicht  mit  Bestimmtheit 
die  Gräber  vom  Schlüsse  der  Periode  aussondern,  und  ebenso  wenig  die  wei- 
tere nationale  Ausbildung  verfolgen,  welche  eintrat,  nachdem  die  Verbindung 
mit  Rom  oder  genauer  die  mit  Byzanz,  vielleicht  gegen  Ende  des  VI.  Jahr- 
hunderts, ihr  Ende  erreicht  hatte.  Ehe  das  nicht  geglückt  ist,  werden  wir 
uns  auch  den  späteren  ausgeprägten  Charakter  des  „jungen  Eisenalters",  sein 
Verhältniss  zu  der  so  verschiedenartigen  Cultur  der  älteren  Eisenzeit  und  zu 
dem  Zeitpunkte  jenes  merkwürdigen,  räthselhaften  Ueberganges  nicht  genügend 
erklären  können.    Aber  in  Norwegens  historischer  Schatzkammer,  in  den  zahl- 


üeber  romische  Cultur  in  Norwegen.  345 

reichen  Grabhügeln  wird  man  sicherlich  auch  für  diesen,  jetzt  noch  so  dun- 
keln Zeitabschnitt  demnächst  Aufklärung  finden. 

Das  Material,  welches  Norwegens  Grabhügel  geliefert  haben  zu  einer 
besseren  Aufklärung  über  die  vorgeschichtlichen  Verhältnisse  des  Landes  und 
des  Nordens,  ist  bereits  ein  sehr  reiches;  aber  wir  haben  doch  oben  gesehen, 
wie  unbekannt  dessenungeachtet  sowohl  die  Grabhügel,  wie  deren  historische 
Beweiskraft  sogar  den  uns  benachbarten  Alterthunisforschern  geblieben  waren. 
Die  Schuld  daran  tragen  allerdings  nicht  jene  Fremden.  Das  Material  au 
und  für  sich  ist  eben  nicht  genügend:  es  muss  bearbeitet  werden,  damit 
Andere  es  zu  benutzen  vermögen,  und  derartige  Bearbeitungen  fehlen  bis  jetzt 
in  Norwegen  weit  mehr,  als  in  irgend  anderen  der  nordischen  Reiche. 

Deswegen  konnten  auch  die  vorhin  citirten  unrichtigen  Ansichten  un- 
widerlegt  dastehen  und  in  Folge  dieses  Stillschweigens  eine  Glaubwürdigkeit 
erlangen,  die  ihnen  an  und  für  sich  vollständig  ermangelte. 

Ich  läugne  nun  keineswegs,  dass  der  römische  Culturstrom  sich  in  der 
Richtung  von  Süden  nach  Norden  über  die  nordischen  Länder  ergossen  habe, 
aber  ich  kann  nicht  den  Beginn  jener  Cultur  für  gleichzeitig  ansehen  mit  dem 
ersten  Auftreten  des  Eisens  im  Norden. 

Ich  nehme  ebenso  wenig  die  Möglichkeit  oder  Wahrscheinlichkeit  in  Ab- 
rede, dass  die  ersten  Stämme  der  Eisenzeit  sich  in  der  Richtung  von  Süden 
nach  Norden  über  den  Norden  ausbreiteten  —  aber  darauf  muss  ich  bestehen, 
dass  bis  jetzt  Niemand  das  Recht  hat,  die  nordischen  Alterthümer  als  einen 
Beweis  für  diese  Lehre  anzuführen. 


Miscelleu  und  Büelierscbau. 

Jäger:  In  Sachen  Darwin's,  insbesondere  contra  Wigand.  Stuttgart  1874. 
Der  Verfasser  erblickt  , einen  Gegensatz  zwischen  starren,  unveränderlichen  Arten  und 
anderen,  die  mehr  oder  weniger  rasch  sich  im  Laufe  der  Generationen  verändern",  er  steht 
zwischen  den  Constanzianern  und  Transrautisten  (S.  5),  so  dass  der  bittere  Ton,  der  gegen  das 
angegriffene  Buch  angeschlagen  wird,  eigentlich  seiner  Begründung  entbehrt,  und  in  den  Augen 
eines  unpartheiischen  Lesers  jedenfalls  nicht  zur  Einpfelilung  dient.  Kach  der  beliebten  Mode 
der  jetzt  so  üppig  quellenden  Schüpfungsbüclier,  die  mit  Fuiulamentirung  elementarster  Prin- 
zipien noch  vollauf  zu  thun  haben  sollten,  geheu  die  letzten  Capitel  bereits  auf  das  psychische 
Gebiet  über,  auf  Sprache,  Bewusstsein,  Religion  u.  s.  w.,  wobei  die  Moralitüt  .als  etwas  erst 
durch  die  Erziehung  von  jedem  Einzelnen  zu  Erwerbendes  behandelt"  wird,  und  würde  sich 
ilann  Vielerlei  über  , socialen  Instinct"  für  und  wider  sagen  lassen. 

In  den  Erörterungen  mit  den  Anhängern  der  Descendenzlehre  ist  vier  Unterschied,  um  den 
es  sich  bei  der  Streitfrage  handelt,  ein  grosser  oder  kleiner,  wie  man  will,  —   eiu  kleiner,  weil" 

Zeitbchrift  für  Etliiiologie,    Jabrgaag  lS7ä.  24 


346  Miscellen  und  Bücherschau. 

es  sich  ohne  Aenderung  der  Thatsachen,  nur  um  Worterklärungen  zu  drehen  scheint,  je  nach 
der  Termiuologie  in  vergleichender  Anatomie  oder  bei  genealogischer  Hypothese,  ein  grosser,  weil 
ein  Cardinalprinzip  der  exacten  Naturwissenschaft  berührt  wird,  nämlich  ihre  durch  die  Induc- 
tion  geforderte  Beschränkung  auf  das  jedesmal  in  gegenseitiger  ControUe  Bewiesene,  das  factisch 
Gesicherte. 

Es  steht  unwiderleglich  fest,  dass,  wenn  der  Organismus  mit  der  jeder  Species  zukommen- 
den Peripherieweite  zu  variiren  beginnt,  die  Fortzeugungeu,  wie  sich  aus  physiologischen 
Gesetzen  mit  Nothwendigkeit  ersieht,  mit  der  Entfernung  vom  Centrum  um  so  lebensunfähi- 
ger werden  müssen,  dass  also  die  Wiederholungen  des  gleichen  Typus  nicht  die  aufsteigende 
Reihe  der  Entwickelung  zeigen,  sondern  in  abnehmender  Reihe  zum  Untergang  führen  werden. 
In  allen  Fahrzeugen,  vom  Canoe  bis  zum  Kriegsschiff,  kehren  ähnliche  Analogien  wieder, 
in  Rippen,  Kiel,  Steuer  u.  s.  w.,  wie  sie  für  die  Zwecke  der  Schifffahrt  erforderlich  sind,  ebenso 
in  den  Häusern,  von  Hütte  zum  Pallast,  in  Dach,  Fenster,  Thür  u.  s.  w  ,  für  die  der  Woh- 
nung, aber  so  wenig  deshalb  hier  in  der  für  die  Auffassung  des  Verfertigers  bestehenden  Ent- 
wickelung eine  objective  Abstammung  gelten  kann,  ebenso  wenig  auch  bei  Pflanzen  und  Thie- 
ren,  und  ihre  zur  Erhaltung  des  Typus  dienende  Zeugung  kann  dabei  um  so  weniger  eine 
Differenz  herstellen,  da  sie,  wenn  überhaupt  in  Betracht  gezogen,  nur  das  Gegentheil  (wie  ge- 
sagt) der  von  den  Descedenztheorien  aufgestellten  Behauptungen  in  den  Ergebnissen  thatsäch- 
licher  Beobachtungen  zeigen  würde. 

Der  genetische  Zusammenhang,  der  Häuser  oder  Fahrzeuge  unter  einer  höheren  Einheit 
verbindet,  liegt  auf  einem,  diesen  existirenden  Gegenständen,  als  solchen,  völlig  fremden  Gebiet, 
nämlich  im  Geist  des  Menschen,  und  so  der  der  Pflanzen  und  Thiere  in  einer  für  die  in  der 
Mittagshöhe  der  Tagessonne  arbeitende  Naturwissenschaft  durch  verschleierndes  Dunkel  un- 
zugänglichen Region  einer  Schöpfung  oder  Entstehung  aus  der  Nacht  des  Hades,  Erst  wenn 
die  Dinge  aus  dem  Nichtsein  in  das  Sein  getreten,  sind  sie  Gegenstand  der  Beobachtung  und 
inductiver  Behandlung  in  Comparation,  und  obwohl  jener  Ursprung,  den  die  Philosophie  bisher 
umsonst  auf  Speculationsflügen  anzunähern  oder  in  mystischer  Versenkung  zu  ergründen  suchte, 
nach  naturwissenschaftlicher  Durchbildung  der  Psychologie  ebenfalls,  wie  so  viele  andere  Räthsel, 
bei  dem  unaufhaltsam  siegreichen  Vordringen  der  Naturwissenschaften  graduell  sich  wird  enthüllen 
müssen,  werden  diese  solche  Erfolge  doch  nur  dann  zu  erringen  hoffen  dürfen,  wenn  sie  ihre 
Stärke  darin  verstehen,  ihre  eigenen  Schwächen  zu  kennen,  und  sich  deshalb  mit  verständiger 
Mässigung  jedesmal  auf  die  Grenzen  des  so  weit  gesicherten  Forschungsterrains  zu  beschränken. 
Erklärungen  können  nur  innerhalb  der  umschriebenen  Peripherielinie  eines  Horizontes  (wo 
immer  gezogen)  statthaben,  um  den  Werth  des  Theiles  aus  dem  Ganzen  zu  berechnen,  und  so 
lange  wir  noch  mit  deu  Elementarope  2  tionen  des  Rechnens  beschäftigt  sind,  lassen  sich  nicht 
die  in  das  Unendliche  laufenden  Tangenten  verfolgen,  indem  dafür  erst  im  spätem  Fortschritt 
Methoden  einer  höheren  Anaiysis  sich  finden  lassen  werden.  Bis  dahin  handelt  es  sich  um 
Detailvertiefung,  damit  der  Causalnexus  des  Gesetzlichen  erlangt  wird,  da  solcher,  wenn  einmal 
gefunden,  auch  weiter  als  Schlüssel  zum  Oeffnen  schwieriger  Räthsel  dienen  mag. 

Gleichsam  aus  instinctmässigem  Drange  legt  sich  der  Mensch  schon  früh  die  Scheidung 
des  Erlaubten  und  Unerlaubten  auf,  in  Uebernahme  der  Gelübde,  die  ihren  speciellen  Gegen- 
stand verbieten,  in  Trennung  der  Welt  in  die  des  Tabou  und  des  Nua.  An  sich  hat  jedes 
Sein  und  Werden  seine  Berechtigung,  als  naturgemässes,  die  Existenz  und  also  auch  die  (durch 
äussere  und  innere  Verhältnisse  bedingten)  Existenzformen  des  Organismus,  in  gleicher  Weise 
ferner  die  Willensrichtungen  und  die  Ausführung,  zu  welcher  sie  veranlassen.  Erst  bei  tieferem 
Eindringen  in  die  Motive,  bei  Auffinden  einer  Vielfachheit  derselben  und  daher  der  Möglichkeit 
der  Wahl,  tritt  in  der  Leitung  des  (somit  frei  erscheinenden)  Willens  das  moralische  Urtheil 
von  Gut  und  Böse  hinzu,  je  nachdem  bei  weiterem  Ueberblick  sich  Ursache  und  Folge  m  regel- 
mässig richtigem  Zusainmeidiang,  also  gesund,  erweisen,  oder  durch  augenblicklich  überwiegende 
Störungen  pathologisch  abgelenkt  worden,  indem  ilie  ethische  Betrachtung  idclit  vom  Individuum 
auszugehen  hat,  sondern  von  ilem  Menschen,  als  Gesellschaftswesen,  werden  sich,  als  zum  Bestände 
und  der  Erhaltung  desselben  nothwendig,  immer  schon  ethische  und  moralische  Gesetze  im 
Voraus  ergeben,  als  bereits  potentia  vorhanden,  oder  actu  wenn  erkannt,  Columbus  had  been 
scoffed  at  as  a  visionary,  by  tbe  vulgär  and  ignorant,  but  he  was  convinecd,  that  he  only 
acquired  a  body   of   enlighteued    men    to    listen    dispassionately   to   his    reasouings    to  iusure 


Miscellen  und  Bücherschau.  347 

triumphant  conviction  (s.  Irving).    The  very  children,   it  es  said,  pointed  to  their  forehead,  as 
he  passed,  being  taught  to  rcgard  him  as  a  kind  of  madman. 


Neumayer:  Anleitung  zu  wissenschaftlichen  Beobachtungen   auf  Reisen. 

Berlin  1875. 

Ein  Werk,  das,  wenn  irgend  ein  anderes,  einem  Zeitbedürfnise  entgegenkommt,  und  um 
welches  sich  der  Herausgeber,  Hr.  Prof.  Neumayer,  der  neben  der  Ausarbeitung  seines  eigenen 
Beitrages  (Hydrographie  und  Occanographie)  die  Mühe  der  Gesammtanorflnung  zu  tragen  hatte, 
ein  dauerndes  Verdienst  erworben  hat,  dem  die  vollste  Anerkennung  nicht  fehlen  wird.  Wenn 
practische  Reisende,  die  zugleich  in  ihren  Fächern  als  Autoritäten  dastehen,  wie  Richthofen, 
Hartmann,  Schweinfurth,  Fritsch  u.  s.  w.,  in  gedrängter  Form  ihre  Erfahrungen  darlegen,  wenn 
Gelehrte,  die  zugleich  an  Hochschulen  lehren,  wie  Kiepert,  Förster,  Virchow,  Orth,  v.  Martens, 
Ascherson,  Gerstäcker,  Oppenheim,  Seebach,  Grisebach,  Steinthal  u.  s.  w.,  wenn  Vorsteher  wis- 
senschaftlicher Institute,  wie  Peters,  Hann,  Weiss,  Tietjen,  Günther,  Wild,  Möbius,  oder  in 
ihren  Specialstudien  so  bekannte  Namen,  wie  Koner,  Hartlaub,  Friedel  zusammenwirken,  bedarf 
es  keiner  besonderen  Empfehlung.  Für  anthropologisch-ethnologische  Zwecke  sind  besonders 
zu  erwähnen  die  Aufsätze  Nr.  8,  9,  10,  10,  13,  23'),  24,  26,  26,  27,  doch  finden  sich  auch  schon 
für  diese  in  allen  übrigen  nützliche  Bemerkungen. 


')  Im  Grossen  und  Ganzen  trägt  der  menschliche  Typus  den  Gesammtzug  des  von  ihm  be- 
wohnten Continentes,  fler  je  nach  seiner  Küstenentwickelung,  nach  den  Flussgebieten  und  deren 
Schiffbarkeit,  sowie  nach  der  Zerwerfung  oder  dem  organischen  Streichen  der  Bergketten  zu 
geschichtlicher  Entwickelung  prädisponirt,  oder  auch,  bei  Mangel  ihrer  Spontaneität,  aus  der 
Fremde  übergepflanzte  Culturkeime  zeitigen  mag.  In  den  dadurch  eingeleiteten  Veränderungen 
der  Cultur  kann  dann  oft  der  social-politische  Charakter,  den  die  Naturverhältnisse  selbst  be- 
dingen werden,  verschwinden. 

Gewisse  Grundlinien  sind  als  durchgehende  an  sich  klar. 

1)  Ebenen,  die,  weil  des  Wassers,  jeder  Vegetation  sowohl,  wie  des  Thierlebens  ent- 
behren, sind  unbewohnbar,  ausser  etwa,  wenn  zum  Durchgangsort  der  Karawanen  benutzt  von 
Räubern  (gleich  den  Piraten  des  Meeres)  durchschweift. 

2)  Ebenen,  die,  ohne  die  Bedingungen  zur  Humusbildung,  mit  spärlichem  Wasser  versehen 
sind,  können  der  Viehzucht  dienen,  indem  weidende  Hirten  die  Wasserstellen  nach  einander 
abweiden.  Bei  zahlreicher  Thierwelt  kann  als  eine  Vorstufe  das  Jägerleben  betrachtet  werden, 
indem  die  schädlichen  Thiere  erst  (wenigstens  zum  Theil)  ausgerottet  werden  mussten,  ehe  sich 
die  zahmen  erhalten  Hessen.  Ob  die  Domestication  selbst  an  den  Moment  angeknüpft  werden 
darf,  wo  man  den  Rest  der  durch  die  Jagd  verminderten  Thiere  bewahrt  zu  werden  sucht, 
bleibt  den  Erörterungen  über  den  Ursprung  der  Hausthiere  überlassen. 

3)  An  Bergen  gelagerte  Ebenen  oder  Thäler  mögen  in  den  entsprechenden  Breitegraden 
die  wechselnde  Viehzucht  mit  Alpenwirthschaft  zur  Folge  haben. 

4)  Wälder  auf  Ebenen  oder  Bergen,  die  für  die  eine  oder  andere  Thiergattung  stets  Unter- 
halt bieten  werden,  herbergen  den  Jäger,  wenn  sie  nicht  unter  den  Tropen  genügende  Fülle 
der  auch  für  den  Menschen  essbaren  Früchte  erzeugen.  Bei  Verminderung  derselben  in  der 
Nähe  der  Ansiedelungen  beginnen  sich  auf  die  zurückbleibenden  Reste  Eigenthumsrechte  gel- 
tend zu  machen,  und  mit  Ausroching  von  Waldstrichen  folgt  die  (Anfangs  in  periodischen  Wan- 
derungen wechselnde)  Feldwirthschaft  mit  der  Bebauung  des  Bodens. 

5)  Flüsse  in  unwirtblichen  Zonen  ernähren  den  Fischer.  Bei  günstigem  Klima  wird  nicht 
nur  das  Uferland,  sondern  in  Ausdehnung  der  Ueberschwemmung  durch  künstliche  Bewässerung 
auch  weiteres  Areal  für  den  Ackerbau  gewonnen.  An  schiffbaren  Flüssen  leitet  die  Verschie- 
denheit der  Wohnsitze  (auf  dem  Zwischenraum  von  hochgelegenen  Quellen  bis  zur  tiefen  Mün- 
dung im  Meeresniveau)  und  der  dort  einheimischen  Productionen  mit  den  Communicationen  des 
Verkehrs  den  Handel  ein  und  die  dadurch  hervorgerufenen  Städtegründungen. 

6)  Rergmassen,  die  in  niederen  Breiten  bis  zu  genügender  Höhe  bewohnbar  sind,  um  ver- 
schiedene Zonen  an  ihren  Abhängen  zu  repräsentiren,    zeugen   von  dem  Gegensatz  der   daraus 


348  Miscelleu  und  Bücherschau. 

folgenden    Differenzen    ähnliche    Culturschöpfnngen ,    wie    die   Zwischenflussländer     oder    See- 
Regionen. 

7)  Meeresküsten  führen  in  den  Häfen  verschiedene  Reize  herbei,  die,  aus  je  fernerer  Weite 
sie  kommen,  desto  fremdartiger  sind  und  also  um  so  mächtiger  und  belebender  einwirken 
müssen.  Allerdings  muss  das  Culturleben  an  der  Küste  bereits  genügende  Spannung  erhalten 
haben,  um  durch  Erfindung  der  Schifffahrt  den  trennenden  Zwischenraum  (der  in  einem  Archi- 
pelago  am  kleinsten,  und  also  am  raschesten  beseitigt  ist)  überspringen  zu  können,  und  dann 
dient  die  vorher  isolirende  Meeresfläche  als  engstes  Vereinigungsband  zwischen  gegenüberliegen- 
den Küsten,  also  ziigleich  als  gewaltigster  Beweger  der  Cultur  im  Seehandel,  wie  auch  die 
früher  trennenden  "Wüsten  mit  den  Karavanen  der  Cultur  vielfach  betretene  Bahnen  eröffnen. 

Nachdem  der  jedesmalige  Mikrokosmus  des  Volkswesens  sich  mit  seiner  Umgebung  abge- 
glichen hat,  tritt  ein  periodischer  Stillstand  ein,  bis  allmählich  mit  weiterer  Ausdehnung  des 
historischen  Horizontes  entlegenere  Strömungen  hineingeleitet  werden,  und  dann  durch  ihren 
anfangs  wieder  fremdartigen  Gegensatz  zu  neuen  Fortschöpfungen  anregen  und  so  die  Spirale 
der  Civilisation  höher  emportreiben. 

Aus  dem  täglichen  Leben  sind  die  Arten  und  Bereitimgsweisen  der  Nahrung,  der  Beschäf- 
tigungen, die  bei  denselben  gebratichten  Geräthschaften  der  Zeiten  und  Objecte  zur  Erholung  zu 
beachten.  Ueber  das  Verhältniss  der  Geschlechter  zu  einander,  die  Geburten  und  Todesfälle, 
die  Stände,  die  Dichtigkeit  der  Bevölkerung,  Zahl  und  Art  der  Verbrechen  sind  nach  den  ge- 
gebenen Anhaltspunkten  Ueberschläge  zu  machen,  wo  statistische  Aufnahmen  fehlen.  Die  Un- 
terhaltungskosten einer  Familie  und  Abschätzungen  eines  reichen  oder  beschränkten  Einkom- 
mens berechnen  sich  aus  dem  localen  Geldwerth  oder  dessen  Substitute  für  die  Weltlage  des 
Landes. 

Als  Zoon  politikon  vermag  der  Mensch  nur  in  der  Geselligkeit  seine  Eigenthümlichkeiten 
zu  erfüllen  vmd  der  Gesellschaftszustand  verlangt  deshalb  die  erste  Aufmerksamkeit. 

Die  einfachste  Form  derselben  findet  sich  in  den  Familien,  die  sich  nicht  auf  eingeschlecht- 
liches Zusammenleben,  wie  zeitweise  oder  dauernd  auch  bei  Thieren,  beschränkt,  sondern  zu- 
gleich die  nächste  Generation,  oft  noch  eine  fernere  mit  dem  Bande  der  Zusammengehörigkeit 
umschlingt. 

Aus  dem  Zusammenbleiben  der  Generationen,  aus  dem  Eintritt  freiwillig  oder  gezwungener 
Zugehöriger  in  die  Familie,  aus  der  Vereinigung  verschiedener  Familien  erwächst  der  Stamm, 
der  in  den  verschiedenen  Formen  der  Gens,  des  Clan,  des  Geschlechts  u.  s.  w,  erscheint,  der 
staatliche  Ausbau  des  Gemeinwesens  ragt  vielfach  auf  ethnologischem  Fundament  bereits  in 
die  Geschichtshöhen  hinaus. 

Schon  in  dem  gegenseitigen  Verhältniss  der  Geschlechter  tritt  das  in  der  physischen  Natur 
begründete  (und  durch  die  psychische  erst  zu  mildernde)  Recht  des  Stärkern  hervor,  indem  die 
schwächere  Hälfte  von  ihren  Herren  geknechtet  wird,  der  auch  die  Kinder  als  Sklaven  betrach- 
tet, bis  der  aufwachsentle  Sohn  sich  stark  genug  fühlt,  den  Vater  im  sinkenden  Greisenalter  zu 
verdrängen,  oder  ganz  auf  die  Seite  zu  schaffen.  Ist  dagegen  der  Nutzen  der  von  den  Bejahrten 
angesammelten  Erfahrungen  anerkannt,  so  constituirt  sich  aus  diesen  Alten  der  Rath  der  Alten 
oder  Senatus. 

Je  weiter  sich  die  Peripherie  der  Stammesverfassung  ausdehnt,  desto  mehr  tritt  aus  der 
Entfernung  die  centrale  Gestalt  des  Patriarchen  in  einen  heiligen  Nimbus  zurück,  der  sie  bald 
mit  überirdischen  Kräften  ausstattet,  und  diese  werden  dann  vor  Allem  für  die  Witterung  in 
Anspruch  genommen,  deren  günstiger  Verlauf  Misswachs  und  den  daran  geknüpften  Plagen  vor- 
beugt. Tritt  mit  Erblichkeit  zunehmende  Degeneration  ein,  so  wird  neben  dem  König  in 
Kriegsgefahren  ein  der  Tapferkeit  wegen  gewählter  Herzog  verlangt  und  neben  dem  Priesterkönig 
mag  sich  dauernd  ein  Kronfeldherr  stellen.  Wie  oftmals  die  weltliche  und  geistliche  Herrschaft 
in  Stadt-  und  Buschkönig  zerfällt,  so  mag  sich  aus  der  Umgebung  des  letzteren  die  Klasse  der 
Regenmacher  abscheiden,  und  die  zur  Polizei  verwandten  Fetische  unterstützen  in  der  Scheidung 
zwischen  weisser  und  schwarzer  Magie  die  officiell  zur  Hexeuverfolgung  authorisirten  Orthodoxen, 
wie  die  (mohamedanischen)  Aegypter  in  der  Magie  die  hohe,  als  rahmanih  (göttliche)  und  die 
niedere  (suflih  oder  shaytanih)  unterscheiden.  Es  kann  geschehen,  dass  gesetzlose  Zustände 
das  Eingreifen  von  Geheimbünden  verlangen,  deren  Weihen  stufenweise  verliehen  werden,  und 
da   ihre  gegen   die   Sklaven   vorzugsweise  gerichtete  Massregeln    mit   den   Kindern   auch    die 


Miscellcn  und  Bucherschau.  349 

Frauen  betreffen,  können  sich  diese  bei  gynaikokratischen  Teberbleibseln  ans  dem  Mutterrecht 
zum  Widerstand  in  selbstständig  constituirten  Orden  zusammenschaaren. 

Republicanische  Gemeinwesen  führen  zu  gegenseitiger  Haftbarkeit  der  Mitglieder,  zu  Ver- 
pfändungen und  complicirten  Formen  des  Schuldwesens. 

Die  Gliedening  der  Kasten,  wenn  nicht  länger  an  die  Altersklassen  angeschlossen,  mag 
mit  der  Betreibung  bestimmter  Gewerbe  zusammenfallen  und  neben  der  grossen  Masse  des 
Volkes  bestehen,  über  welches,  wenn  zum  Sklavenstande  herabgedrückt,  wieder  die  durch  einen 
Tabu  abgetrennte  Schaar  der  Wiedergeborenen,  als  die  Freien  oder  Edlen,  schwebt. 

Wenn  aus  dem  allgemeinen  Anrecht  auf  die  Frauen,  eine  bestimmte  Form  der  Eheschiies- 
sung  hervortritt,  wird  je  nach  den  herrschenden  Ansichten  über  Blutreinheit  bald  in  engern 
Verwandtschaftsgraden  geheirathet,  bald,  wenn  auch  die  fernsten  verboten  sind,  nur  ausserhalb 
des  Stammes,  und  danach  gestalten  sich  wieder  verschieden  die  Rechtsverhältnisse  der  Kinder, 
die  bald  dem  Vater,  bald  der  Mutter  folgen,  sowie  die  Erbansprüche.  Je  nach  der  Heiligkeit 
oder  den  Ungebundenheiten  der  Ehe  ändern  sich  die  Strafen  des  Ehebruchs. 

Der  Begriff  des  Eigenthums  haftet  zunächst  nur  an  dem  eigenen  Händewerk  des  Einzelnen 
und,  wenn  er  sich  auf  dem  Boden  ausdehnt,  bleibt  er  ein  gemeinsamer  des  Stammes,  bis  all- 
mählig  der  Wunsch  nach  individueller  Parcellirung  durchbricht. 


Ebrard:  Die  iro-schottische  Missionskirche.     Gütersloh   1873. 

Durch  die  Lollarden  (vor  WyclifT)  knüpfte  sich  die  culdeische  Kirche  Patrick's  an  die  Re- 
formation (S  481). 


B  an  er  oft,  H.:    Native  Races  of  the  Pacific  States,    Vol  I,    New-York 
and  London  1874. 

Ein  Buch  nach  derjenigen  Methode  angelegt,  wie  sie  bei  der  Anwendung  der  inductiven 
Behandlung  auf  die  ethnologischen  und  weiterhin  auf  die  historischen  Wissenschaften  auch  für 
diese  benöthigt  werden  wird,  eine  Methode,  die,  weil  noch  ungewohnt,  in  bisherig  unvollkom- 
menen, immerhin  jedoch  unumgänglichen  Vorarbeiten  Anlass  zu  harter  Tadelung  ungeordneter 
Materialanhäufung  gegeben  hat,  aber  eine  .Methode,  die,  wenn  mit  den  hier  zu  Gebote  stehen- 
den Mitteln  durchgeführt,  unter  Concenlrirung  !n  Detailarbeit  und  Verfügung  genügender  Zeit, 
ihre  Rechtfertigung  allzusehr  in  sich  selb  strägt,  um  in  den  Augen  eines  naturwissenschaft- 
lich Geschulten  fernerer  Rechtfertigung  zu  bedürfen.  Seit  15  Jahren  hat  der  Verfasser  durch 
seine  in  Amerika  und  Europa  thätigen  Agenten  an  der  Vervollständigung  seiner  Bibliothek  ge- 
arbeitet, die  jetzt  ein  Stockwerk  von  Bancroft's  building  (Market-Street)  San  Francisco  einnimmt. 
Unter  Aufsicht  und  Leitung  des  Bibliothekars  sind  seit  mehreren  .Jahren  ununterbrochen  15—20 
Literaten  beschäftigt,  um  das  Gesammt-Material  in  den  verschiedenen  Fächern  zu  ordnen,  aus 
denen  es  durch  den  Verfasser  zum  Drucke  vorbereitet  wird,  und  das  Werk  selbst  ist  in  dem 
umfassendsten  Styl  angelegt,  nämlich: 

Vol.     L     Wild  tribes,  their  manner  and  customs. 

,      IL     Civilized  nations  of  Mexico  and  Central  America. 

,     in.     Mythology  and  languages  of  both,  savage  and  civilized  natives. 

„     IV.     Antiquities  and  architectural  remains. 

,      V.     Aboriginal  history  and  mignitions  (Index  to  the  whole  work). 
Wenn  diesem  Werk  ähnliche  über  andere  Theilc  folgen,    wird    die    Ethnologie    schliesslich    auf 
die  gesicherte  Basis  gestellt  sein,  in  der  nicht  mehr  Meinungen  entscheiden,  sondern  die  Sprache 
der  Thatsachen. 


Vincarts:    Histoire  de  Notre  Dame  de  la  Treille.     Lille  18V0. 

La  Sainte  Viergc  avait  ete  honoree  dans  sa  treille  depuis  quelques  annees,  mais  toutes 
ses  graces  y  etaient  renfermees,  comme  les  eaux  dans  un  estang,  ä  qui  les  esciuses  et  les 
digues  empechent  l'ecoulement;  enfin  la  piete  et  la  devotion  des  Lillois  envers  cette  Image 
rompit  les  digues  et  leva  la  bonde  de  cette  Treille,  d'on  aussitost  se  sont  respandues  des  miracles, 
die  Capitel  9-21  füllend. 


350  Miscellen  und  Bücherschau. 

Gan^anelli:    A  Egreja  e  o  Estado.     Rio  de  Janeiro  1873. 

Im  Cap.  50  behandelt  sich:    Necessidade  absoluta  e  indeclinavel  de  deparacäo  da  Egreja 
do  Estado. 


Declat:    Traite  de  Tacide  phenique.     Paris  1874. 

Das  dritte  Capitel  zertallt  in  zwei  Abtheilnngen  die  Maladies  dont  le  parasitisme  fest  de- 
montre  und  die  Maladies  dont  le  parasitisme  est  tres-probable  ou  en  partie  demontre. 


Ascoli:  Vorträge  über  Glottologie.  I.  Band:  „Vorlesungen  über  die  ver- 
gleichende Lautlehre  des  Sanscrit,  des  Griechischen  und  des  Lateinischen", 
übersetzt  von  Bazziger  und  Schweizer  Sidler.     Halle   1872. 

Darauf  wird  die  allgemeine  Einleitung  zur  Morphologie,    die  vergleichende  Morphologie  des 
Sanscrit,  des  Griechischen  und  des  Lateinischen,  und  die  iranische  Lautlehre  folgen. 


Handelmann:  Volks-  und  Kinderspiele  in  Schleswig-Holstein.   Kiel  1874. 

Das  Rolandsreiten    (ein  Quintaner  -  Rennspiel)    nimmt  jetzt  im  Ditmarschen,   vielleicht  nur 
noch  in  Meldorf  einen  nicht  unerheblichen  Platz  unter  den  Fastnachtsspielen  ein. 


Der  Kampf  der  Siebenbürger-Sachsen.     Budapesth  1874. 

Die  Sachsen  haben  ihre  bürgerlichen  und  ein  deutsches  Gepräge  tragenden  Privatrechte, 
welche  von  denen  der  ungarischen  Adligen  völlig  abweichen,  schon  1535  zusammengestellt,  die- 
selben durch  Stephan  Bathory,  König  von  Polen,  welcher  vordem  Fürst  von  Siebenbürgen  gewesen, 
und  auch  jetzt  noch  seine  Hand  auf  dem  Lande  hielt,  bestätigen  und  mit  bindender  Kraft  in 
ihrem  Gremium  in  Gestalt  eines  Privileges  herausgeben  lassen. 


Amira,  die  Erbenfolge  und  Verwandtschaftsgliederung  nach  den  altnieder- 
deutschen Rechten.    München  1874. 

Die  volksthümliche  Auffassung  vom  Constructionsprincip  des  Geschlechtsverbandes  ist  nieder- 
gelegt in  einer  , Statistik  der  Verwandtschafts-Namen,* 


Weske:     Untersuchungen    zur  vergleichenden  Grammatik    des    finnischen 
Sprachstammes.    Leipzig  1873. 

Der  Ton  der  dritten  Silbe  oder  der  Nebenton  eines  dreisilbigen  Wortes  ist,  nach  Ausfall 
ihres  Consonanten  und  nach  Verkürzung  des  dadurch  entstandenen  langen  Vocals  allmälig  ganz 
auf  die  erste  Silbe,  die  Trägerin  des  Haupttons  jedes  Wortes,  übergegangen  und  hat  jeden 
langen  Vocal  und  Diphtongen  und  die  Consonanten  noch  um  eine  Lautstufe  verstärkt  (als 
Grundgesetz  der  Firmation). 

Wachsmuth:    Die  Stadt  Athen  im  Alterthum,  Thl.  1.     Leipzig  1874. 

Capitel  IV  des  ersten  Abschnittes  giebt  „die  moderne  topographisch-antiquarische  Wissen- 
schaft" über  Athen  in  ihrer  historischen  Entwicklung  seit  den  Arbeiten  des  Cyriacus  von 
Ancona. 


Hornstein:    Les  Sepultures.     Paris  1868. 

Dans  Tinhumation  des  corps  on  s'astreignait  k  une  regle  d'orientation,  les  pieds  etaient 
places  vers  l'Orient,  de  maniere  qu'au  jour  de  la  resurrection ,  quand  les  morts  secoueront  la 
poussiere  du  tombeau  ils  auront  la  face  tournee  du  cote,  oü,  selon  la  croyance  commune,  le 
Christ,  le  vainqueur  de  la  raort,  apparaitra,  triomphant  sur  les  nuees  du  ciel. 


Miscellan  uud  Bücherschau.  351 

Corssen:    Ueber  die  Sprache  der  Etrusker.    Leipzig  1874. 

Aus  den  Gräbern  Etrurieu's  und  Campauieirs  ist  das  Erf^ebuiss  (rewonnenen,  dass  „die  italischeu 
Alphabete  in  zwei  Hauptgruppen  gesondert,  von  einem  und  demselben  Westgriechischen  Multer- 
alphabete  ausgegangen  sind,  von  dem  auch  das  Alpbabet  der  Campauisclien  Griet-hen  von  Cumae 
herstammt"  und  das  „Etriiskische  Alphabet  spaltet  sich  in  drei  geographisch  gesonderte  Zweige", 
als  etrurisch  -  etruskisches  (gemein  etrusliisches),  campanisch  -  etruskisches  und  nordetruskisches. 
Schrifttafeln  sind  beigefügt. 


Vincart;  Histoire  de  Notre  dame  de  la  Treille.  Lille  1874. 
La  Sainte  Vierge  avait  ete  honoree  dans  sa  treille  depuis  quelques  aniiees,  mais  toutes  ses 
graces  y  estoient  renfermees,  comme  les  eaux  dans  un  estang,  a  qui  les  escluses  et  les  digues 
empeschent  recoulement;  enfiii  la  piete  et  la  devotion  des  Lillois  envers  cette  Image  romput  les 
digues  et  leva  la  bonde  de  cetle  Treille,  d'ou  aussi  tost  se  sunt  respondues  des  mirades,  die 
Capitel  9-21  füllend. 

Teil:  Les  Grammairiens  fran^ais.     Paris   1874. 
Quand  Marie   de  Medicis  vint   en  France,  eile  pronon^a   avec  son  accent  Italien:  Frau^ais, 
Anglais,  avait,    chantait,   promenait,"  les  courtisans  Timiterent,   puis  le  peuple  imita  les  cour- 
tisans.    Enfin  le  laiiguage  a  ete  change.    (Hesain).    Voilä  toute  l'histoire  du  oi  transforme  en  ai. 


Declat:  Traite  de  l'acide  pheniqiie.     Paris  1874. 

Das  dritte  Capitel   zerfällt  in  zwei  Abtheilungen  der  ilaladies  dont  le  parasitisme  est  de- 
montre  und  der  Maladies  dont  le  parasitisme  est  tres-probable  ou  en  partie  demontre. 


Charency:    Essai    d'Analyse   Gramm aticale   d'un  texte   eu   langue   Maya. 
Caen  1873. 

Mayali   oder  Mayas   könnte  statt  sans   eaux  (nach  Ordonez)   oder  la  mere  des  eaux  (nach 
Brasseur)  auch  erklärt  werden,  als  Moujac  oder  peuple  du  graud  pretre  (may). 


Bonuafoux:  Fontaiues  Celtiques.     Gueret  1874. 

D'anciennes  legendes,  dont  la  raciue  remoute  ä  l'ere  celtique,   uous  signalent  des  menhirs, 
des  dolmens,  des  tumulus  gardes  par  un  serpent  sacre,  la  Guivre. 


Convvay:  The  Sacred  Anthology.     Londou  1874. 

The  editor  has  believed  that  it  would  be  useful  for  moral  and  religious  culture  it  the  sym- 
pathy  of  Religions  could  be  more  generally  made  kiiown  and  the  converging  testimonies  of  ages 
aiid  races  to  great  principles  more  widely  appreciated. 


Foerster:  Der  Raub  und  die  Rückkehi*  ner  Persephoue.     Stuttgart  1874 
Der  Ursprung  des  Mythus   liegt  noch  jenseits  des  Processes  der  Umwandlung  der  Pehisger 
und  Helleneu,  somit  auch  vor  der  dorischen  Wanderung. 


Herr  V,  Hall  (vom  Geological-Survoy  of  Iiulia)  hat  vor  Kurzem  der  Asiatic  Society  of  Beuiral 
^Beuicrkiingeii  über  Kiiuicr,  die  unter  Woifeu  in  den  Nordwest-Provinzen  und  Oudh 
lebend  gefunden  nurdcn'*  vorgelegt.  Ein  Auszug  von  diesen  Noten  erscheint  in  der  letzten 
Nummer  der  ^l'roceediiigs"  der  Gesellschaft  In  all  dii'seu  Berichten  haben  die  Wölfe  viel  von 
ihrer  natürlichen  Wildheit  uud  l'nzäiunbarkeit  ihren  Pflegekindern  mitgetheilf.  So  führt  Herr 
Ball  zwei  Fälle  vor,  wo  die  Kinder  wie  wilde  Thiere  gfschildert  werden.  I>ie  Kinder  wurden 
in  dem  Waiseuhause  zu  Secundra  aufgenommen  und  wird  ihr  Benehmen  von  dem  Oberaufseher, 


352  Miscellen  und  Bücherschau. 

Rev.  Mr.  Erhardt,  beschrieben.  Von  einem  der  Knaben  sagt  er:  „Er  trank  wie  ein  Hund,  und 
liebte  Knochen  und  rohes  Fleisch  mehr  wie  irgend  Etwas;  er  wollte  nie  unter  den  anderen 
Knaben  bleiben,  sondern  versteckte  sich  in  irgend  einer  dunkeln  Ecke.  Kleider  wollte  er  niemals 
tragen,  sondern  zerriss  sie  " 

Der  arme  Bursche  starb  bald,  aber  der  andre  Knabe  lebte  in  dem  „Orphanage"  für  6  Jahre. 
Obwohl  13  oder  14  Jahr  alt,  hat  er  nicht  sprechen  f^elernt,  aber  er  ist  soweit  gezähmt  worden, 
dass  er  auf  rohes  Fleisch  weniger  als  früher  versessen  ist.  Das  Athenaeum  (1874,  No.  2423, 
S.  464)  fügt  hinzu:  „Es  ist  sehr  zu  wünschen,  d;  ss  die  Sache  gründlich  untersucht  werden 
sollte,  denn  die  Thatsachen,  wenn  wohl  begründet,  sind  von  grossem  Interesse  für  die  Anthro- 
pologie." — 

Es  ist  nicht  minder  interessant,  was  hier  als  Thatsache  behauptet  wird,  als  vülkerpsycho- 
logische  Vorstellung  zu  verfolgen. 

Eine  Wölfin  ist  es,  die  sich  der  Zwillinge  Romulus  und  Remus  annimmt,  noch  jetzt 
wird  ihre  Höhle,  das  Lupercal  in  der  Roma  quadrata  am  Westabhang  des  Palatinus  gezeigt; 
daneben  fand  ich  im  Sommer  1873  eine  lebende  Wölfin,  desgl.  eine  auf  dem  Capitol  nahe  der 
antiken  Statue  der  säugenden  Lupa  zum  Andenken  gehalten.  Wilde,  wölfische  Sinnesart  zeichnen 
die  Gebrüder  aus,  die  sich  nach  Wolfsart  untereinander  bekämpfen,  wobei  Remus  das  Leben 
verliert. 

Eine  russische  Wölfin  gibt  ihre  Milch  dem  Iwan  Karoliewitsch,  damit  er  sie  der  Hexe, 
seinem  Weibe,  bringe,  welche  sie  von  ihm  in  der  Hoffnung  verlangt  hatte,  dass  er  dabei  ums 
Leben  komme.  In  einem  esthnischen  Märchen  kommt  eine  Wölfin  auf  das  Geschrei  eines 
Kindes  und  nährt  es  mit  ihrer  Milch.  Das  Märchen  (bei  Gubernatis:  die  Thiere  in  der  indo- 
germ.  Myth.  1874  S.  451)  erzählt,  dass  die  Mutter  des  Kindes  selbst  Wolfsgestalt  angenommen 
hatte  und  wenn  sie  allein  war,  ihre  Wolfskleidung  auf  einen  Felsen  legte,  um  als  nacktes  Weib 
ihrem  Kinde  die  Brust  zu  reichen.  Nach  der  Wölnspa  (32.  33)  und  der  jungem  Edda 
sind  die  Nachkommen  des  Riesen weibs  im  Eisenholzwalde  (Jarnwidr)  Wolfskinder,  Welpe,  die 
sich  gleich  jenen  modernen  indischen  Wolfskindern  von  Mark  und  Blut,  freilich  der  Menschen, 
nähren. 

Diese  Idee  führt  von  selbst  zu  der  Vorstellung  des  Währwolfs  (vgl  werewolf,  man-wolf, 
soz.  loup-garou,  ogre,  it.  lupo  mannaro,  holl.  weerwolf,  dän.  Varulf),  der  zumal  in  der  germa- 
nischen und  slavischen  Phantasie,  z.  Th.  noch  jetzt,  eine  so  unheimliche  Rolle  spielt.  Harter 
Sinn  wird  in  der  höfischen  mittelalterlichen  Poesie  gerade  zu  wölfisch  genannt,  so  im  Nibe- 
lungenlied. Die  grausame  Gerlind,  welche  die  Gudrun  misshandelt,  heisst  „diu  wülpinne" 
(Kudrun,  Bartsch's  Ausg  1015.)  Ich  entsinne  mich  in  einem  deutschen  Buch,  aus  dem 
18.  Jahrb.,  dessen  Titel  mir  leider  entfallen,  ebenfalls  ganz  ernsthaft  eine  Reihe  von  solchen 
Menschen,  die  unter  Wölfen  und  Löwen  aufgewachsen  und  deren  Wesen  und  Laute  angenommen, 
beschrieben  und  abgebildet  gesehen  zu  haben. 

Neben  alten  bewussten  oder  unbewussten  mythol.  Traditionen,  wie'man  sie  bei  Gubernatis, 
Grimm,  Simrock,  Mannhardt  etc.  nachlesen  kann,  spielen  hier  gewiss  in  einzelnen  Fällen  miss- 
verstandene psychopathische  Zustände  (verthierte  Idioten  und  Cretins,  halbwilde,  oft  mit  gewal- 
tiger Kraft  begabte  Microcephalen,  offenbare  Tobsucht)  mit  hinein. 

Für  jeden  Zug,  den  Erhardt  in  seinem  unvollständigen  Bericht  gibt,  lassen  sich  Bezie- 
hungen finden.  In  dunkeln  Höhlen  und  Klüften  verstecken  sich  die  zwei  wilden  Männer  am 
See  Geenezareth,  welche  die  ganze  Gegend  unsicher  machen  und  schliesslich  eine  ganze  Heerde 
Säue  umbringen  (Matth.  8,  28).  Nach  Marc.  5,  1  zerreisst  der  Wilde  sich  die  Kleider  und 
treibt  sich  bei  Tag  und  Nacht  auf  den  Bergen  herum  Vgl.  auch  Luc.  9,  20.  —  Selbst  für 
das  Wasserschlaufen  wie  ein  Hund  findet  sich  eine  schöne  historische  Parallele  Rieht.  7,  5. 
Der  Herr  sprach  zu  Gideon:  Welcher  mit  seiner  Zunge  des  Wassers  leckt,  wie  der  Hund 
leckt,  den  stelle  besonders;  desgleichen  welcher  auf  seine  Kniee  fällt  um  zu  trinken.  Da  war 
die  Zaiil  derer,  die  geleckt  hatten,  300  Mann;  das  andere  Volk  alles  hatte  knieend  getrunken. 
Mit  diesem  Häuflein  —  hier  Schwert  des  Herrn  und  Gideon!  —  wird  das  Heer  der  Midianiter 
vernichtet.  Die  Commentatoren  erklären:  Die  300,  welche  ohne  Umstände,  wie  der  Hund  und 
der  Wolf,  das  Was.ser  geschluckt,  seien  auch,  wie  dieses  Thier,  die  entschlossensten  und  ver- 
wegensten Kämpfer  naturgemäss  gewesen.  —  E.  Fr i edel. 


Die  Mongolen.') 

Wenn  man  das  Aeussere  eines  Mongolen  beschreiben  will,  muss  man 
unstreitig  einen  Bewohner  der  Provinz  Chalcha  wählen,  wo  sich  die  unver- 
fälschte Signatur  der  mongolischen  VoUblutrace  am  besten  erhalten  hat.  Ein 
breites  flaches  Gesicht  mit  hervorstehenden  Backenknochen,  eine  Plattnase, 
kleine,  enggeschlitzte  Augen,  ein  eckiger  Schädel,  grosse,  abstehende  Ohren, 
schwarze,  harte  Haare,  ein  sehr  schwacher  Bart,  eine  bräimliche  Hautfarbe, 
ein  fester,  muskulöser  Körperbau  bei  mittlerem  oder  auch  grossem  Wüchse  — 
das  sind  die  charakteristischen  Merkmale  eines  jeden  Chalcha-Bewohners. 

In  anderen  Theilen  ihres  Heimathlandes  haben  die  Mongolen  bei  weitem 
nicht  immer  einen  so  reinen  Typus  bewahrt.  Die  äusseren  Einflüsse  des 
Auslandes  treten  am  deutlichsten  in  den  südlichen  Grenzstrichen  der  Mon- 
golei hervor,  die  von  Alters  her  au  das  eigentliche  chinesische  Gebiet  gegrenzt 
haben.  Und  obgleich  das  uastäte  Leben  des  Nomaden  sich  schwer  mit  den 
Kulturbedingungen  eines  ansässigen  Stammes  aussöhnt,  haben  die  Chinesen 
doch  im  Laufe  der  Jahrhunderte  auf  eiue  oder  die  andere  Art  ihren  Einfluss 
auf  die  wilden  Nachbarn  so  zu  befestigen  gewusst,  dass  diese  letzteren  in  den 
hinter  der  grossen  Mauer  liegenden  Gegenden  halb  und  halb  Chinesen  ge- 
worden sind.  Zwar  lebt  der  Mongole  mit  wenigen  Ausnahmen  auch  hier 
noch  in  der  Filzjurte  und  weidet  seine  Heerden;  aber  in  seinem  Aeussern 
und  mehr  noch  in  seinem  Charakter  unterscheidet  er  sich  scharf  von  seinem 
nördlicher  wohnenden  Stammesgenossen  und  gleicht  viel  mehr  als  dieser  einem 
Chinesen.  Die  groben  Züge  seines  flachen  Gesichts  haben  sich  bei  ihm  in 
Folge  häufiger  Ehen  mit  Chinesinnen  zu  der  mehr  regelmässigen  Physiognomie 
des  Chinesen  umgestaltet,  und  hinsichtlich  der  Kleidung  und  häuslichen  Ein- 
richtung rechnet  es  sich  ein  solcher  Nomade  zum  Stolz  und  Verdienst  an, 
sich  der  chinesischen  Mode  angeschlossen  zu  haben.  Selbst  seine  Lebensweise 
hat   sich   hier  bereits    wesentlich    verändert:    für  ihn    hat    die    wilde  Einöde 


^)  Aus  dem  Werke:  Die  Mongolei  und  das  Land  der  Taiiguten.  Dreijährige  Reise  im  ge- 
birgigen Ostasien.  Von  N.  Prshewalski,  Obersten  im  Geueralstabe,  wirklichem  Mitgliede  der 
Kaiserl.  Russ.  Geographischen  Gesellschaft.  St.  Petersburg  lö7ö.  Aus  dem  Russischen  übersetzt 
von  F.  von  Stein. 

Zeitschrift  für  Ethnologie,  Jahrgang  Wb.  3ö 


354  ^iß  Mongolen, 

schon  einen  schwächeren  Reiz,  als  die  dichtbevölkerten  Städte  China's  ihn 
ausüben,  in  welchen  er  sich  bereits  mit  den  Yortheilen  und  Genüssen  eines 
civilisirteren  Lebens  bekannt  gemacht  hat.  Aber  indem  der  Mongole  so  mit 
seiner  Vergangenheit  bricht,  nimmt  er  von  seinen  Nachbarn  eben  nur  die 
schlechten  Charakterseiten  an,  ohne  die  seines  früheren  Lebens  abzulegen. 
Schliesslich  muss  das  Volk  entarten,  das  der  chinesische  Einfluss  nur  ver- 
derbt, aber  keineswegs  auf  eine  bessere  Stufe  des  gesellschaftlichen  Lebens 
erhebt. 

Gleich  den  Chinesen  scheren  die  Mongolen  den  Kopf,  wobei  sie  am 
Hinterhaupte  nur  ein  kleines  Büschel  Haare  stehen  lassen,  das  sie  zu  einem 
langen  Zopfe  zusammenflechten.  Die  Lamen  —  Priester  —  scheren  sich  den 
ganzen  Kopf.^)  Barte  werden  nicht  getragen;  auch  wachsen  dieselben  sehr 
schlecht.  Die  Sitte,  Zöpfe  zu  tragen,  haben  die  Mantschuren  in  China  ein- 
geführt, als  sie  sich  in  der  Mitte  des  17.  Jahrhunderts  des  Himmlischen 
Reiches  bemächtigten.  Seitdem  gilt  der  Zopf  als  ein  Zeichen  der  Unterwerfung 
unter  die  herrschende  Dynastie  Tsing,  einen  solchen  Zopf  müssen  daher  auch 
alle  China  unterworfenen  Völker  tragen. 

Die  Mongolinnen  scheren  die  Haare  nicht,  sondern  flechten  sie  in  zwei 
Zöpfe,  die  sie  mit  Bändern,  Korallen  oder  Glasperlen  verzieren  und  vorne 
zu  beiden  Seiten  der  Brust  tragen.  Auf  die  Haare  werden  Platten  von  Silber- 
blech gelegt,  die  mit  rothen  Korallen  verziert  sind;  letztere  werden  in  der  Mon- 
fifolei  sehr  geschätzt.  Die  Armen  ersetzen  die  Korallen  durch  einfache  Glas- 
perlen;  die  Platten  sind  aber  gewöhnlich  von  Silber  und  nur  in  seltenen  Aus- 
nahmefällen von  Kupfer.  Ein  ähnlicher  Schmuck  wird  auf  dem  oberen  Theile 
der  Stirn  angebracht.  Ausserdem  tragen  die  Frauen  in  den  Ohren  grosse 
silberne  Ohrringe  und  an  Händen  und  Armen  Ringe  und  Armbänder. 

Die  Kleidung  der  Mongolen  besteht  aus  einem  Chalat  (langem  Rocke 
von  orientalischem  Schnitte),  der  gewöhnlich  aus  blauem  chinesischem  Daba 
angefertigt  wird,  aus  chinesischen  Stiefeln  und  einem  flachen  Hute  mit  auf- 
wärts gebogenem  Rande.  Im  Winter  tragen  sie  warme  Beinkleider,  Schaf- 
pelze und  warme  Mützen.  Die  Sommerchalate  werden  zum  Staate  oft  auch 
aus  chinesischem  Seidenstoffe  angefertigt.  Ausserdem  tragen  die  Beamten 
chinesische  Pelze.  Sowohl  die  Chalate,  wie  auch  die  Pelze  werden  stets  mit 
einem  Gürtel  umgürtet,  an  welchem  auf  dem  Rücken  oder  an  den  Seiten  das 
unabänderliche  Zubehör  jedes  Mongolen,  der  Tabaksbeutel  mit  Tabak,  die 
Pfeife  und  das  Feuerzeug,  getragen  wird.  Ausserdem  führt  jeder  Bewohner 
von  Chalcha  im  Busen  eine  Tabaksdose  mit  Schnupftabak  mit  sich,  und  das 
Darbieten  dieses  letzteren  bildet  stets  die  erste  Begrüssung  bei  jeder  Begegnung. 
Den  Hauptluxus  entfaltet  der  Nomade  aber  im  Zaum-  und  Sattelzeuge,  das 
oft  mit  Silber  beschlagen  ist. 


')  Zum  Rasiren  werden  chinesische  Messer  gebraucht  und  die  Haare  mit  warmem  Wasser 
erweicht. 


Die  Mongolen.  355 

Der  Chalat  der  Frauen  weicht  im  Schnitte  etwas  von  dem  der  Männer 
ab  und  wird  ohne  Gürtel  f^etragcn;  gewöhnlich  ziehen  sie  noch  eine  Art 
Kamisol  ohne  Aermel  darüber,  üebrigens  sind  der  Schnitt  des  Kleides  und 
die  Haartracht  in  den  verschiedenen  Theilen  der  Mongolei  verschieden. 

Die  allgemeine  Wohnung  der  Mongolen  ist  das  Filzzelt  oder  die  Jurte 
(gyr),  von  einer  Form,  die  in  allen  Theilen  ihrer  Heimath,  selbst  in  den  ent- 
ferntesten, eine  und  dieselbe  ist.  Jede  Jurte  ist  rund  und  hat  einen  konischen 
Obertheil,  in  welchem  sich  das  Rauch-  und  Luftloch  befindet.  Die  Seiten 
des  Zeltes  weiden  aus  Holzstäben  gebildet,')  welche  derartig  mit  einander 
verbunden  sind,  dass  sie  auseiuandergezogen  ein  quadratförmiges  Gitterwerk 
von  einem  Fuss  im  Durchmesser  bilden.  Beim  Aufstellen  des  Zeltes  werden 
mehrere  solcher  Gitter  mit  Stricken  zusammengebunden,  doch  bleibt  an  einer 
Seite  eine  Stelle  oöen,  in  welche  die  hölzerne  Thür  von  drei  Fuss  Höhe  bei 
etwas  geringerer  Breite  gestellt  wird,  durch  die  man  in  das  Innere  des  Zeltes 
hineinschlüpft.  Letzteres  hat  eine  verschiedene  Grösse,  gewöhnlich  aber  12 
bis  15  Fuss  im  Durchmesser  und  ist  bis  zum  Rauchloch  ungelähr  10  Fuss 
hoch.  Oberhalb  der  Seitengitter  und  der  Thür  werden  Stäbe  vermittelst 
SchHugen  an  die  Spitzen  der  Gitter  befestigt  und  mit  den  freien  Enden  in 
die  Löcher  eines  aus  hölzernen  Reifen  angefertigten  Ringes  gesteckt.  Dieser 
Ring  nimmt  die  Stelle  in  der  Mitte  der  Jurte  ein,  hat  3  bis  4  Fuss  im  Durch- 
messer und  bildet  die  obere  Oeffnuug  und  das  Rauchloch. 

Wenn  das  ganze  Holzgestell  des  Zeltes  aufgestellt  und  mit  Stricken  ge- 
hörig befestigt  ist,  wird  es  von  allen  Seiten  mit  Filzdecken,  im  Winter  ge- 
wöhnlich doppelt  umwickelt.  Ueber  die  Thür  und  das  Rauchloch  werden 
Filzdecken  gehängt  und  —  die  Wohnung  ist  fertig.  Im  Inneren  derselben, 
gerade  in  der  Mitte,  wird  der  Herd  angebracht;  auf  der  dem  Eingange  gegen- 
überliegenden Seite  werden  die  Burchanen  (Götter)  aufgestellt;  seitwärts  findet 
allerlei  Hausgeräth  Platz.  Rings  um  den  Herd,  auf  welchem  den  ganzen  Tag 
Feuer  brennt,  werden  Filzdecken  und  in  den  Jurten  Wohlhabender  sogar 
Teppiche  gelegt,  die  zum  Sitzen  und  Schlafen  benutzt  werden.  Ausserdem 
werden  im  Innern  die  Seiten  der  Jurten,  die  reichen  Personen,  besonders 
Fürsten,  gehören,  mit  baumwolleneu,  zuweilen  sogar  mit  seidenen  Steifen  be- 
hängt und  hölzerne  Fussbödeu  hergestellt.  Dem  wenig  anspruchsvollen  No- 
maden kann  seine  Jurte  durch  nichts  ersetzt  werden.  Er  kann  sie  schnell 
ausciuanderueiimen  und  auf  eine  andere  Stelle  versetzen,  und  sie  gewährt  ihm 
zugleich  Schutz  gegen  Kälte,  Hitze  und  jede  Unbill  der  Witterung.  In  der 
That  ist  CS  im  Filzzelt,  wenn  das  Feuer  auf  dem  Herde  brennt,  selbst  beim 
strengsten  Froste  ziemlich  warm.  Zur  Nacht  wird  das  Rauchloch  mit  seiner 
Filzdecke  verschlossen  und  das  Feuer  ausgelöscht;  wenn  die  Temperatur  in 
solchem  Filzzelt  auch  nicht  gerade  eine  hohe   ist,    so    ist    es    in    demselben 


')  Das  zu  deu  Jm-teu  nöthige  Holz  erhalten  die  Mongoleu  vorzugsweise  aus  dem   holzreichea 
Tlieile  vou  Chalcha. 

2Ö» 


356  Die  Mongolen. 

doch  stets  viel  wärmer  als  im  Leinenzelt.  Im  Sommer  schützt  die  Filz- 
umhüIluDg  ganz  vortrefflich  gegen  die  Hitze  und  den  Regen,  sollte  letzterer 
auch  noch  so  stark  sein. 

Im  täglichen  Leben  der  Mongolen  fällt  dem  Reisenden  vor  Allem  ihre 
entsetzliche  Uureinlichkeit  in  die  Augen. '  Im  Laufe  seines  ganzen  Lebens 
wäscht  der  Nomade  nicht  ein  einziges  Mal  seinen  Körper;  sehr  selten  und 
ganz  ausnahmsweise  waschen  einige  von  ihnen  sich  hin  und  wieder  Gesicht 
oder  Hände.  In  Folge  des  beständigen  Schmutzes  wimmelt  die  Kleidung  der 
Nomaden  von  ganzen  Schaaren  von  Parasiten,  die  sie  vertilgen,  ohne  sich 
durch  irgend  Jemandes  Gegenwart  geniren  zu  lassen.  Jeden  Augenblick 
sieht  man,  wie  ein  Mongole,  zuweilen  sogar  ein  Beamter  oder  ein  vornehmer 
Lama  seinen  Pelz  oder  Chalat  umwendet,  die  Plagegeister  fängt  und  sofort 
zwischen  den  Vorderzähnen  tödtet. 

Der  Schmutz,  in  welchem  die  Mongolen  leben,  wird  zum  Theil  durch 
ihren  Widerwillen  gegen  das  Wasser,  der  sich  oft  sogar  zur  wirklichen  Furcht 
vor  demselben  steigert,  bedingt.  Abgesehen  davon,  dass  der  Nomade  für 
nichts  in  der  Welt  zu  Fuss  durch  die  unbedeutendste  Pfütze  gehen  wird,  in 
der  man  sich  kaum  die  Füsse  benetzen  kann,  vermeidet  er  es  auch  auf  das 
Sorgsamste,  seine  Jurte  in  der  Nähe  einer  feuchten  Stelle,  z.  B.  einer  Quelle, 
eines  Baches,  eines  Morasts,  aufzustellen.  Die  Feuchtigkeit  übt  auf  ihn  einen 
ebenso  verderblichen  Einfluss,  wie  auf  das  Kameel,  was  sich  freilich  dadurch 
erklärt,  dass  der  Organismus  an  ein  beständig  trockenes  Klima  gewöhnt  ist. 
Der  Mongole  trinkt  sogar  niemals  rohes  kaltes  Wasser,  er  ersetzt  dasselbe 
durch  seinen  Ziegelthee,  der  zugleich  ein  Universal-Nahrungsmittel  der  No- 
maden ist. 

Dieses  Produkt  erhalten  die  Mongolen  von  den  Chinesen,  und  sie  haben 
eine  solche  Leidenschaft  für  dasselbe  gefasst,  dass  kein  Nomade,  sei  es  Mann 
oder  Frau,  auch  nur  einige  Tage  ohne  dasselbe  bestehen  kann.  Den  ganzen 
Tag,  vom  Morgen  bis  zum  Abend,  steht  in  jeder  Jurte  der  Kessel  mit  Thee 
auf  dem  Herde,  und  alle  Mitglieder  der  Familie  trinken  ihn  unaufhörlich. 
Dieser  Thee  wird  auch  sofort  jedem  ankommenden  Gaste  dargeboten. 

Die  Bereitung  desselben  geht  in  der  widerwärtigsten  Weise  vor  sich. 
Zuvörderst  ist  zu  bemerken,  dass  das  Geschirr^),  in  welchem  man  diesen 
Nektar  kocht,  nie  gewaschen  und  nur  selten  einmal  mit  Argal,  d.  h.  trockenem 
Pferde-  oder  Kuhmist,  ausgewischt  wird.  Dann  brauchen  sie  gesalzenes 
Wasser,  und  wenn  solches  nicht  gleich  zu  haben  ist,  fügen  sie  absichtlich 
dem  siedenden  Wasser  Salz  hinzu.  Hierauf  wird  der  Ziegelthee  mit  einem 
Messer  zerbröckelt,  oder  in  einem  Mörser  zerstossen  und  eine  Handvoll  davon 


')  Die  Geschirre  eines  mongolischen  naushaltes  sind  nicht  f^erade  sehr  mannichfaltig.  Die 
hauptsächlichsten  sind :  ein  eiserner  Kessel  zum  Kochen  der  Speise,  eine  Theekanne,  Tassen, 
ein  Schaumlönel,  ein  lederner  Schlauch  oder  ein  hölzerner  Zuber  zum  Wasser  oder  zur  Milch 
und  kleine  hölzerne  Trüge  zum  Vertheilen  des  Fleisches;  auch  gehören  noch  hierher:  ein  eiseruer 
Dreifuss,  eine  Zange  zum  Auflegen  des  Argais  und  hin  und  wieder  eine  chinesische  Axt. 


Die  Mongolen.  357 

in  das  siedende  Wasser  geworfen,  dem  noch  ein  paar  Tassen  Milch  zugesetzt 
werden.  Um  den  steinharten  Ziegelthee  zu  erweichen,  legen  sie  ihn  vorher 
auf  kurze  Zeit  in  heissen  Argal,  was  allerdings  dem  ganzen  Getränk  noch 
mehr  Aroma  und  Schmackhaftigkeit  verleiht.  Für's  Erste  ist  dünn  das  Labsal 
fertig.  Aber  in  solcher  Gestalt  dient  es  nur  als  Getränk,  wie  unsere  Choko- 
lade,  unser  Kaffee  oder  die  erfrischenden  Getränke.  Soll  ein  substantiellerer 
Genuss  erzielt  werden,  dann  schüttet  der  Mongole  in  seine  Tasse  trockene, 
geröstete  Hirse  und  legt  endlich,  um  das  Maass  des  Schönen  voll  zu  machen, 
Butter  oder  rohes  Fett  von  den  Fettschwänzen  der  Hammel  dazu.  Man  kann 
sich  nun  wohl  vorstellen,  welcher  ekelhafte  Gräuel  eine  solche  Speise  ist, 
die  die  Mongolen  in  unglaublicher  Menge  vertilgen.  Im  Laufe  des  Tages 
zehn  oder  fünfzehn  Tassen,  deren  Inhalt  dem  eines  Glases  gleichkommt,  aus- 
trinken, —  das  ist  so  die  gewöhnlichste  Leistung  selbst  eines  mongolischen 
Fräuleins;  die  erwachsenen  Männer  trinken  das  Doppelte  davon. ^)  Es  ist 
hierbei  zu  bemerken,  dass  die  Tassen  oder  Schalen,  aus  welchen  die  Mongolen 
essen,  ein  ausschliessliches  Eigenthum  jedes  Einzelnen  sind.  Sie  werden 
gleichfalls  nie  gewaschen,  sondern  nach  dem  Gebrauche  nur  mit  der  Zunge 
ausgeleckt  und  in  den  Busen  gesteckt,  wo  es  von  Insekten  jeder  Art  wimmelt. 
Die  Tassen  sind  Gegenstand  eines  gewissen  Luxus,  und  bei  den  Reichen 
trifft  man  oft  silberne  von  chinesischer  Arbeit.  Die  der  Lamen  bestehen 
zuweilen  aus  Menschenschädeln,  die  mit  Silber  eingefasst  sind. 

Neben  dem  Thee  bildet  die  Milch  in  verschiedenen  Gestalten  eine  be- 
ständige Speise  der  Mongolen.  Aus  derselben  bereiten  sie  Butter,  trockenen 
Rahm,  Käse  und  Kumys.  Der  trockene  Rahm  wird  aus  ungerahmter  Milch 
gemacht,  die  sie  kochen  und  von  der  sie  den  verdichteten  Rahm  abnehmen 
und  trocknen  lassen;  des  Geschmackes  halber  wird  demselben  zuweilen  noch 
geröstete  Hirse  zugesetzt.  Den  Käse  bereiten  sie  aus  sauerer  gerahmter 
Milch;  aus  derselben  werden  auch  die  „Arekas"  gemacht,  die  trockenen 
kleinen  Käsestücken  gleichen.  Der  Kumys  (Tarassun)  endlich  wird  aus 
Stuten-  oder  Schafmilch  gewonnen.  Im  Laufe  des  ganzen  Sommers  ist  er 
ihr  bestes  Labsal,  so  dass  die  Mongolen  beständig  Einer  zum  Anderen  reiten, 
um  den  Tarassun  zu  kosten,  den  sie  gewöhnlich  so  lange  geniessen,  bis  sie 
trunken  sind.  Ueberhaupt  sind  alle  Nomaden  den  Spirituosen  Getränken  sehr 
zugethan,  obgleich  das  Laster  der  wirklichen  Trunksucht  bei  ihnen  lange 
nicht  so  allgemein  ist,  wie  bei  anderen,  civilisirteren  Völkern.  Branntwein 
erhalten  sie  von  den  Chinesen;  sie  kaufen  denselben  entweder  in  China 
selbst,  wenn  sie  sich  mit  ihren  Karawanen  daselbst  befinden,  oder  auch  von 
den  chinesischen  Händlern,  welche  im  Sommer  mit  verschiedenen  kleinen 
Waaren  die  ganze  Mongolei  durchziehen  und  dieselben  gegen  Wolle,  Felle 
und   Vieh   umtauschen.     Von   dieser   Art  des  Handels   erzielen   die  Chinesen 


')  Eine  bestimmte  Zeit  für  das  Mittagsessen  haben  die  Mongolen  nicht;  während  des  ganzen 
Tages  essen  sie  und  trinken  sie  Thee,  wenn  es  gerade  beliebt,  oder  die  Gelegenheit  mit  sich  bringt. 


358  I^iö  Mongolen. 

einen  grossen  Gewinn,  da  sie  die  Waaren  gewöhnlich  darlehns weise  gegen 
ungeheuere  Procente  abgeben  und  andererseits  die  Gegenstände,  die  statt 
des  Geldes  als  Bezahlung  dienen,  zu  sehr  niedrigen  Preisen  annehmen. 

Wenngleich  nun  der  Thee  und  die  Milch  im  Laufe  des  Jahres  die  haupt- 
sächlichste Nahrung  der  Mongolen  bilden,  dient  doch  als  eine  sehr  wichtige 
Ergänzung  derselben,  besonders  im  Winter,  das  Hammelfleisch.  Es  ist  dies 
ein  solcher  Leckerbissen  für  jeden  Nomaden,  dass  er,  wenn  er  etwas  Gegessenes 
rühmen  will,  stets  sagt:  „es  ist  so  schmackhaft  wie  Hammelfleisch."  Der 
Hammel  wird,  wie  auch  das  Kameel,  sogar  für  ein  heiliges  Thier  gehalten. 
Uebrigens  dient  bei  den  Nomaden  alles  Hausvieh  als  Maass  und  Emblem 
der  Güte,  so  dass  selbst  einige  Formen  des  Pflanzen-  und  Thierreichs  mit 
den  Beinamen  „Hammel-",  „Pferde-"  oder  „Kameel-"  belegt  werden. ')  Für 
den  leckersten  Theil  des  Hammels  wird  der  Fettschwanz  gehalten,  der  be- 
kanntlich aus  reinem  Fette  besteht.  Die  mongolischen  Hammel  haben  sich 
zum  Herbste,  zuweilen  an  dem  scheinbar  elendesten  Futter,  dergestalt  gemästet, 
dass  sie  ringsum  von  einer  zolldicken  Schicht  Talg  umgeben  sind.  Je  fetter 
aber  dieses  Thier  ist,  desto  mehr  behagt  es  dem  mongolischen  Gaumen.  Von 
einem  geschlachteten  Hammel  geht  entschieden  nichts  verloren,  selbst  die 
Gedärme  werden  verbraucht;  man  drückt  den  Inhalt  derselben  aus,  dann  füllt 
man  sie,  ohne  sie  weiter  auszuwaschen,  mit  Blut  und  kocht  die  auf  diesem 
Wege  gewonnenen  Würste.'^) 

Die  Gefrässigkeit  der  Mongolen  übersteigt,  wenn  es  sich  um  Hammel- 
fleisch handelt,  alles  Denkbare.  In  einer  Sitzung  kann  der  Nomade  mehr 
als  zehn  Pfund  Fleisch  verzehren;  es  kommen  aber  auch  solche  Gourmands 
vor,  die  im  Laufe  des  Tages  einen  ganzen  Hammel  von  mittlererer  Grösse 
vertilgen  können.  Auf  Reisen  bildet  eine  Hammelkeule  die  gewöhnliche 
Tagesportion  eines  Mannes,  wenn  die  Vorräthe  mit  einiger  Sparsamkeit  zu 
behandeln  sind.  Dafüi'  kann  der  Mongole  volle  24  Stunden  ohne  Nahrung 
bleiben;  wenn  er  sie  aber  einmal  vor  sich  hat,  dann  isst  im  buchstäblichen 
Sinne  des  Wortes  „Einer  für  Sieben". 

Zum  Essen  wird  das  Hammelfleisch  stets  gekocht;  nur  das  Bruststück 
wird  zuweilen  des  Wohlgeschmackes  wegen  gebraten,  und  zwar  am  Spiesse. 
Wenn  bei  den  Reisen  im  Winter  das  Fleisch  längere  Zeit  erfordert,  um  gar 
gekocht  zu  werden,  essen  es  die  Mongolen  halb  roh,  indem  sie  die  oberen, 
etwas  gekochten  Stücke  abschneiden  und,  wenn  sie  bis  auf  die  ganz  rohe 
Schicht  gekommen  sind,  das  Uebrige  nochmals  in  den  Kessel  stecken.  Bei 
grosser  Eile  nimmt  der  Nomade  sich  ein  Stück  Hammelfleisch  auf  den  Weg 
mit  und  legt  es  zwischen  den  Rücken    des  Kameeis   und   den  Sattel,    um   es 


')  So  nennen  sie  den  baumförmigen  Wachholder  Choni-arza,  d.h.  Hammel-Arza,  die 
Thuja  Jama-arza,  d.h.  Bock-Arza,  den  Luchs  Choni-tulüssun  u.  s.  w. 

'•')  Hcmerkeiiswerth  ist  die  Art,  wie  die  Mongolen  die  llaiumel  zum  Essen  schlachtpii:  sie 
schneiden  dem  Thier  den  Bauch  auf,  stecken  die  iland  hinein,  und  wenn  sie  das  Herz  gefunden 
haben,  drücken  sie  dasselbe  so  lange,  bis  der  Hammel  stirbt. 


Die  Mongolen.  359 

vor  dem  Froste  zu  schützen.  Unterwegs  nimmt  er  seinen  so  vortrefflich  auf- 
bcwalirten  Imbiss  hervor,  der  dann  stark  nach  Kameelschweiss  riecht  und 
an  dem  auch  Wolle  klebt;  das  verleidet  aber  dem  Mongolen  durchaus  nicht 
den  Appetit.  Ilaramelbouillon  trinken  die  Nomaden  wie  Thee;  zuweilen  fügen 
sie  zu  derselben  noch  Hirse  oder  Teichstückchen  in  der  Art  unserer  Nudeln 
hinzu.  Vor  der  Mahlzeit  schütten  Lamen  oder  gottesfürchtige  Individuen  des 
einfachen  Volkes  eine  kleine  Quantität  aus  der  Schale,  die  sie  für  sich  gefüllt 
haben,  als  eine  Opfergabe  in  das  Feuer  oder,  wenn  solches  nicht  da  ist,  auf 
den  Boden.  Zur  Opferdarbringung  von  llüssiger  Nahrung  tauchen  sie  den 
Mittelfinger  der  rechten  Hand  ein,  von  welchem  sie  dann  die  hängen  geblie- 
benen Tropfen  an  den  betreffenden  Ort  spritzen. 

Die  Mongolen  essen  immer  mit  den  Händen,  die  gewöhnlich  bis  zum 
Ekel  schmutzig  sind.  Das  Fleisch  führen  sie  gewöhnlich  in  einem  grossen 
Stücke  zum  Munde,  erfassen  davon  soviel  sie  können  mit  den  Zähnen  und 
schneiden  dann  das  Erfasste  dicht  an  den  Lippen  ab.  Die  Knochen  benagen 
sie  bis  zur  tadellosesten  Reinheit,  und  Viele  zerschlagen  noch  dieselben,  um 
das  im  Innern  befindliche  Mark  zu  erhalten.  Die  Schulterbeine  der  Hammel 
werden  stets  zerbrochen  und  dann  erst  fortgeworfen;  dieselben  ganz  zu  lassen, 
wird  für  eine  Sünde  gehalten. 

Ausser  dem  Hammelfleisch,  als  ihrer  speziellen  Speise,  essen  die  Mon- 
golen noch  das  Fleisch  von  Ziegen,  Pferden,  seltener  vom  Hornvieh  und  noch  sel- 
tener von  Kameelen.  Die  Lamen  essen  kein  Pferde-  und  Kameelfleisch,  aber  das 
Fleisch  gefallener  Thiere,  besonders  wenn  es  etwas  fett  ist,  hat  für  sie,  wie  über- 
haupt für  alle  Mongolen,  nichts  Abschreckendes.  Brod  kennen  die  Mongolen  für 
gewöhnlich  nicht,  obgleich  sie  es  nicht  verschmähen,  chinesisches  Weissbrod 
zu  essen,  und  zuweilen  bereiten  sie  auch  bei  sich  zu  Hause  Fladen  und 
Nudeln  aus  Weizenmehl.  In  der  Nähe  unserer  Grenze  essen  die  Nomaden 
sogar  Schwarzbrod,  aber  weiter  im  Innern  kennen  sie  dasselbe  nicht,  und  die 
Mongolen,  denen  wir  von  unsern  schwarzen  Zwiebäcken  gaben,  sagten  ge- 
wöhnlich, nachdem  sie  sie  gekostet  hatten,  dass  eine  solche  Speise  nichts 
Angenehmes  habe,  und  dass  man  sich  daran  nur  die  Zähne  ausbreche. 

Vögel  und  Fische  essen  die  Mongolen  mit  wenigen  Ausnahmen  ganz  und 
gar  nicht;  sie  halten  dieselben  sogar  für  unrein.  Ihr  Widerwille  dagegen  ist 
so  gross,  dass  einmal  am  Kuku-noor  einer  unserer  Führer  sich  erbrach,  als 
er  sah,  dass  wir  eine  gekochte  Ente  assen.  Dieser  Fall  beweist,  wie  relativ 
die  Begriffe  der  Menschen  selbst  von  solchen  Dingen  sind,  deren  Beurtheilung 
scheinbar  einzig  und  allein  vom  Geschmacke  abhängt.  Derselbe  Mongole, 
der  im  grässlichsten  Schmutze  geboren  und  aufgewachsen  ist,  mit  grösstem 
Gleichmuth  das  Fleisch  gefallener  Thiere  und  ungewaschene  Hammeldärme 
verzehrt,  konnte  es  ohne  die  äusserste  Erschütterung  seines  sittlichen  Gefühls 
nicht  mit  ansehen,  dass  fremde  Menschen  eine  sauber  zubereitete  Ente  assen! 
Die  ausschliessliche  Beschäftigung  der  Mongolen  und  die  einzige  Quelle 
ihres  Wohlstandes  bildet  die  Viehzucht.     Nach  der  Zahl  seiner  Hausthiere 


360  Die  Mongolen. 

wird  hier  der  Reichthum  eines  Menschen  gemessen.  Besonders  werden  Ham- 
mel, Pferde,  Kameele  und  Hornvieh,  Ziegen  aber  in  geringerer  Menge  gehal- 
ten.^) Uebrigens  variirt  auch  das  Vorwalten  einer  oder  der  anderen  Vieh- 
gattung in  den  verschiedenen  Gegenden  der  Mongolei.  So  sind  die  besten 
Kameele,  und  zwar  in  grösserer  Menge  als  sonst  wo,  in  Chalcha  anzutreffen; 
das  Land  der  Zacharen  ist  reich  an  Pferden;  in  Ala-schan  werden  vorzugs- 
weise Ziegen  gezüchtet.  Am  Kuku-noor  wird  die  gewöhnliche  Kuh  durch 
den  Yak  ersetzt. 

Hinsichtlich  des  Reichthums  an  Hausvieh  nimmt  die  erste  Stelle  die 
Provinz  Chalcha  ein,  deren  Einwohner  im  Allgemeinen  sehr  wohlhabnd  sind. 
Ungeachtet  des  Viehsterbens,  das  unlängst  eine  zahllose  Menge  von  Hornvieh 
und  Schafen  hinweggerafft  hat,  kann  man  hier  immer  noch  ungeheuere  Heer- 
den  sehen,  die  einem  Besitzer  gehören.  Selten  hat  ein  Bewohner  dieser 
Gegend  weniger  als  einige  Hunderte  von  Hammeln.  Letztere  sind  ohne  Aus- 
nahme fettschwänzig,  nur  in  der  südlichen  Mongolei  sind  sie  breitschwänzig, 
und  am  Kuku-noor  giebt  es  eine  besondere  Spezies  mit  langen  (bis  1^  Fuss 
messenden)  spiralförmig  gewundenen  Hörnern. 

Da  der  Nomade  von  seinem  Vieh  alles  ihm  Nöthige  erhält,  wie  Milch 
und  Fleisch  zur  Nahrung,  Felle  zur  Kleidung,  Wolle  zu  Filz  und  Stricken, 
und  er  ausserdem  noch  theils  durch  den  Verkauf  dieser  Thiere,  theils  dadurch, 
dass  er  mit  seinen  Kameelen  den  Transport  verschiedener  Frachten  durch 
die  Steppen  übernimmt,  viel  Geld  verdienen  kann,  lebt  er  ausschliesslich  für 
sein  Vieh;  die  Sorge  für  sich  selbst  und  seine  Familie  steht  erst  auf  dem 
zweiten  Plane.  Die  Wanderungen  von  Ort  zu  Ort  richten  sich  einzig  und 
allein  nach  den  Vorzügen,  welche  die  Weideplätzedem  Vieh  gewähren.  Wenn 
dieses  letztere  es  gut  hat,  d.  h.  wenn  das  Futter  reichlich  ist  und  Tränken 
in  der  Nähe  sind,  dann  beansprucht  der  Mongole  nichts  weiter  mehr.  Das 
Verständniss,  welches  er  in  der  Behandlung  seiner  Thiere  zeigt,  und  die 
Geduld,  die  er  hierbei  entfaltet,  sind  wahrhaft  bewunderungswürdig.  Das 
widerspenstige  Karaeel  wird  unter  der  Hand  des  Nomaden  ein  demüthiger 
Lastträger  und  des  halbwilde  Steppenpferd  ein  gehorsames,  ruhiges  Reitpferd. 
Ausserdem  liebt  er  seine  Thiere  und  hat  Erbarmen  mit  ihnen.  Für  nichts 
in- der  Welt  wird  er  einem  Kameel  oder  einem  Pferde  vor  der  bestimmten 
Zeit  den  Sattel  auflegen,  für  keinen  Preis  ein  Lamm  oder  ein  Kalb  verkaufen, 
da  er  es  für  eine  Sünde  hält,  Thiere  im  jugendlichen  Alter  zu  schlachten. 

Da  die  Viehzucht  allein  fast  das  ganze  Interesse  der  Mongolen  in  An- 
spruch nimmt,   ist  ihre  Industrie  im  höchsten  Grade  unbedeutend.     Dieselbe 


•)  Der  Preis   des  Viehes   ist  in  den  verschiedenen  Theilen  der  Mongolei  sehr  -verschieden. 
Es  kostet  in  Chalcha      im  Lande  der  Zacharen      am  Kuku  noor 

ein  Hammel         2  —  3  2—3  1— Ij] 

„    Ochs  12  —  15  15  7— 10  Ichinesische  Lan  (ein  Lan 

„    Kameel         30-35  40  2ö  |  ungefähr  =  2  Rubeln.) 

,  Pferd  12—15  15  25; 


Die  Mongfolen.  3G1 

beschränkt  sich  nur  darauf,  einige  im  häuslichen  Leben  unumgänglich  noth- 
wendige  Gegenstände  herzustellen,  wie  Häute,  Filz,  Sättel,  Zäume  und  Bögen; 
selten  werden  Feuerstahle  und  Messer  fabrizirt.  Alle  übrigen  Gegenstände 
der  häuslichen  Einrichtung  und  der  Kleidung  erwerben  die  Mongolen  von 
den  Chinesen  und,  wenngleich  im  unbedeutendsten  Maasse,  von  den  russischen 
Händlern  in  Kjachta  und  Urga.  Bergbau  wird  von  den  Nomaden  nicht  be- 
trieben. Der  innere  Handel  in  der  Mongolei  ist  fast  ausschliesslich  Tausch- 
handel, der  auswärtige  beschränkt  sich  auf  Peking  und  die  benachbarten 
chinesischen  Städte.  Die  Mongolen  treiben  ihr  "Vieh  zum  Verkaufe  dahin, 
bringen  noch  Salz,  Häute  und  Wolle  und  erhalten  dafür  Manufakturwaaren. 

Der  hervorragendste  Charakterzug  des  Nomaden  ist  unstreitig  die  Faul- 
heit; das  ganze  Leben  dieses  Menschen  geht  im  Müssiggange  hin,  den  auch 
die  Bedingungen  des  Nomaden-  und  Hirtenlebens  nur  zu  sehr  begünstigen. 
Die  Pflege  des  Viehes  ist  die  einzige  Sorge  des  Mongolen,  aber  die  erfordert 
durchaus  keine  angestrengte  Arbeit.  Die  Kameele  und  Pferde  streifen  ohne 
alle  Aufsicht  in  der  Steppe  umher  und  kommen  nur  im  Sommer  einmal  täg- 
lich zum  Brunnen,  um  getränkt  zu  werden.  Das  Hornvieh  und  die  Schafe 
weiden  Frauen  oder  Kinder.  Bei  reichen  Mongolen,  die  Tausende  von  Thieren 
besitzen,  versehen  gemiethete  Arbeiter  das  Amt  der  Hirten,  dasselbe  über- 
nehmen jedoch  nur  die  ärmsten  heimathlosen  Menschen  in  der  äussersten 
Noth.  Das  Melken  des  Viehes,  die  Aufbewahrung  der  Milch  und  Butter,  die 
Bereitung  der  Speisen  —  alles  das  liegt,  mit  vielem  Anderem  zusammen,  auf 
den  Schultern  der  Frauen.  Die  Männer  thun  gewöhnlich  nichts  und  reiten 
nur  vom  Morgen  bis  zum  Abend  aus  einer  Jurte  in  die  andere,  um  mit  den 
Nachbarn  Thee  zu  trinken  und  zu  plaudern.  Die  Jagd,  welcher  die  Nomaden 
gewöhnlich  leidenschaftlich  ergeben  sind,  dient  ihnen  gewissermaassen  als 
Zerstreuung  in  dem  langweiligen,  einförmigen  Nomadenleben.  Die  Mongolen 
sind  jedoch  mit  wenigen  Ausnahmen  schlechte  Schützen;  dazu  kommt,  dass 
sie  keine  guten  Waffen  haben.  Selbst  einfache  Luntengewehre  haben  nicht 
Alle,  und  dann  müssen  Bögen  und  Pfeile  ausreichen.  Ausser  der  Jagd  ge- 
währen den  Noraaden  die  Wallfahrten  zu  ihren  Götzentempeln  und  die  Pferde- 
rennen keine  geringe  Abwechselung. 

Mit  dem  Eintritt  des  Herbstes  erleidet  das  faulenzerische  Leben  der 
Mongolen  wohl  einige  Veränderungen.  Sie  sammeln  ihre  Kameele,  die  sich 
während  des  Sommers  im  Freien  erholt  haben,  und  fuhren  sie  nach  Kaigan, 
oder  nach  Kuku-choto,  um  Frachten  zum  Transport  zu  übernehmen.  In 
Kaigan  empfangen  sie  Thee,  der  nach  Kjachta  bestimmt  ist,  und  in  Kuku- 
choto  Verpflegungsgegenstände  für  die  in  Uljassutaiund  Kobdo  garnisonirenden 
chinesischen  Truppen,  oder  auch  Kaufmannsgüter  für  dieselben  Städte.  Ein 
dritter,  obwohl  ungleich  geringerer  Theil  der  Kameele  wird  zum  Transport 
des  Salzes  von  den  Salzseen  der  Mongolei  in  die  nächsten  Städte  des  eigent- 
lichen China's  verwendet.  Auf  diese  Weise  befinden  sich  im  Laufe  des 
Herbstes  und  Winters   alle   Kameele    der    nördlichen   und   östlichen  Mongolei 


362  Die  Mongolen. 

in  Arbeit  und  bringen  ihren  Besitzern  kolossalen  Gewinn.  Mit  dem  April 
hören  die  Transporte  auf,  die  erschöpften  Thiere  werden  in  die  Steppe  ent- 
lassen, und  ibre  Besitzer  überlassen  sich  für  fünf  bis  sechs  Monate  der  Ruhe 
und  Faulheit. 

Der  träge  Charakter  des  Nomaden  ist  auch  die  Ursache,  dass  er  stets 
reitet  und  alles  Gehen  zu  Fuss  ängstlich  vermeidet.  Die  unbedeutendsten 
Entfernungen,  mögen  dieselben  auch  nur  einige  Hunderte  von  Schritten  be- 
tragen, wird  der  Mongole  nie  zu  Fuss  zurücklegen;  deshalb  steht  auch  jeder- 
zeit ein  Pferd  neben  der  Jurte  angebunden.  Seine  Heerde  weidet  der  Mon- 
gole gleichfalls  reitend.  Während  der  Reise  mit  den  Karawanen  klettert  er 
nur  bei  der  furchtbarsten  Kälte  vom  Kameel,  um  eine,  höchstens  zwei  Werst 
zu  Fuss  zu  gehen  und  die  erstarrten  Glieder  zu  erwärmen.  Von  dem  be- 
ständigen lleiten  sind  seine  Beine  sogar  etwas  nach  aussen  gebogen,  und  er 
umfasst  mit  denselben  den  Sattel  so  fest,  als  ob  er  mit  dem  Pferde  zusammen- 
gewachsen wäre.  Das  wildeste  Steppenpferd  vermag  nichts  gegen  einen  sol- 
chen Reiter,  wie  es  jeder  Mongole  ist.  Auf  einem  flinken  Pferde  fühlt  sich 
der  Nomade  wirklich  auch  in  seinem  Element.  Er  reitet  nie  im  Schritte, 
selten  im  Trabe,  sondern  fliegt  stets  wie  der  Wind  durch  seine  Einöde. 
Dafür  liebt  und  kennt  der  Mongole  auch  seine  Pferde.  Ein  guter  Renner, 
oder  ein  Passgänger  ist  sein  vorzüglichster  Luxus,  und  selbst  in  der  äusser- 
sten  Noth  verkauft  er  ein  solches  Pferd  nicht.  Das  Gehen  zu  Fuss  wird 
so  allgemein  von  den  Nomaden  verachtet,  dass  jeder  es  für  eine  Schande 
hält,  zu  Fuss  bis  zur  Jurte  seines  nächsten  Nachbarn  zu  gehen. 

Von  der  Natur  mit  einem  kräftigen  Körper  begabt,  und  von  Kindheit 
auf  an  alle  Unbilden  der  W^itterung  ihrer  Heimath  gewöhnt,  erfreuen  sich 
die  Mongolen  im  Allgemeinen  einer  ausgezeichneten  Gesundheit.  Sie  sind 
ungemein  befähigt,  alle  Mühsale  des  Lebens  in  der  Wüste  zu  ertragen.  Im 
tiefsten  Winter  ist  er  einen  ganzen  Monat  lang  ununterbrochen  und  ohne 
auszuruhen  mit  den  Karawanen  der  mit  Thee  befrachteten  Kameele  unterwegs. 
Tag  für  Tag  erreicht  der  Frost  30  Grade,  und  ein  beständiger  Nordwestwind 
macht  die  Kälte  unerträglich.  Dabei  hat  der  Mongole,  der  von  Kaigan  nach 
Kjachta  zieht,  den  Wind  stets  entgegen,  und  trotzdem  sitzt  er  15  Stunden 
hintereinander  auf  seinem  Kameele.  Man  muss  wirklich  eine  eiserne  Natur 
haben,  um  eine  solche  Reise  zu  ertragen.  Der  Mongole  macht  sie  jedoch 
im  Winter,  auf  zwei  Hin-  und  zwei  Rückreisen,  viermal,  was  im  Ganzen 
eine  Strecke  von  5000  Werst  ergiebt.  Man  erlege  demselben  Mongolen 
andere,  unvergleichlich  leichtere,  aber  ihm  unbekannte  Lasten  auf,  und  man 
wird  sehen,  was  herauskommt.  Dieser  Mensch  mit  einer  eisenfesten  Gesund- 
heit kann  nicht  20  oder  30  Werst  zu  Fuss  zurücklegen,  ohne  sich  auf  das 
Aeusserste  zu  ermüden.  Wenn  er  eine  Nacht  auf  feuchtem  Boden  zubringt, 
erkältet  er  sich,  wie  ein  verzärteltes  Herrchen;  wenn  er  zwei  oder  drei  Tage 
seinen  Ziegelthee  entbehren  muss,  wird  er  laut  gegen  sein  trauriges  Schicksal 
murren.     Passives   Ausharren   im  gewohnheitsmässigen  Leben  ist   die  Sache 


Die  Mongolen.  363 

des  Mongolen.  Bei  ihm  erwacht  nicht  die  Energie  der  Seele,  wenn  er  auf 
Schwierigkeiten  stösst,  die  er  nicht  aus  Erfahrung  kenneu  gelernt  hat;  er 
wählt  alsdann  immer  i:ur  Mittel,  um  dieselben  zu  vermeiden,  nie,  um  sie  zu 
überwinden.  Er  hat  nicht  den  schmiegsamen,  muthigen  Sinn  des  Europäers, 
der  diesen  befähigt,  sich  Allem  anzupassen,-  mit  allen  Unglücksschlägen  zu 
kämpfen  und  sie  zu  besiegen;  er  l)esitzt  nur  den  unbeweglichen,  konservativen 
Charakter  des  Asiaten,  voll  passiver  Apathie  bei  allen  Unglückställen,  deren 
Grenzen  und  Bedeutung  er  einmal  kennen  gelernt  hat,  bleibt  aber  jeder  akti- 
ven Energie  fremd. 

Neben  der  Trägheit  bildet  die  Feigheit  einen  hervorstechenden  Charakter- 
zug des  Nomaden.  Abgesehen  von  den  in  der  Nachbarschaft  China's  lebenden 
Mongolen,  bei  denen  der  unmittelbare  demoralisirende  Einfluss  der  Chinesen 
den  kriegerischen  und  energischen  Geist  bis  auf  die  Wurzel  ausgerottet  hat, 
gleichen  selbst  die  Chalcha-Bewuhner  im  Entferntesten  nicht  mehr  ihren  Vor- 
fahren aus  der  Zeit  Tschingis-Chan's  nnd  Ugedei's.  Im  Laufe  zweier  Jahr- 
hunderte unter  dem  Joche  der  Chinesen  lebend,^)  haben  diese  die  kriegerischen 
Neigungen  der  Nomaden  systematisch  eingeschläfert,  und  in  der  Einförmig- 
keit und  ijangweiligkeit  des  Nomadenlebens  haben  die  Mongolen  vollständig 
ihre  frühere  Kühnheit  verloren.  Die  Einfälle  der  Dunganenbanden  in  die 
Mongolei  haben  deutlich  gezeigt,  wie  feige  die  jetzigen  Bewohner  derselben 
sind,  da  dieselben  gewöhnlich  bei  dem  blossen  Namen  des  Feindes  die  Flucht 
ergriffen  und  demselben  nicht  ein  einziges  Mal  ernsten  Widerstand  entgegen- 
setzten. Indessen  waren  dem  Anscheine  nach  alle  Chancen  des  Erfolgs  auf 
Seiten  der  Mongolen:  sie  konnten  in  ihrem  eigenen  Lande  operiren,  hatten 
also  die  Kenntniss  der  Lokalität  für  sich,  was  besonders  in  einer  so  wasser- 
armen Oede  wie  die  Wüste  Gobi  von  so  hoher  Wichtigkeit  ist;  dann  konnten 
sie  den  Dunganen  gegenüber  stets  in  überlegener  Zahl  auftreten;  endlich 
bestanden  die  Banden  ihrer  Feinde  selbst  aus  einem  feigen,  zur  Hälfte  un- 
bewaffneten Gesindel.  Trotz  allem  dem  plünderten  die  Dunganen  Ordos  und 
Ala-schan,  nahmen  Kobdo  und  Uljassutai,  die  beide  durch  reguläre  chinesische 
Truppen  vertheidigt  wurden,  drangen  zu  wiederholten  Malen  in  die  Provinz 
( 'halcha  ein,  und  wenn  sie  das  Schicksal  Urga's  nicht  entschieden,  so  geschah 
dies  nur,  weil  sich  dort  ein  Detachement  russischer  Truppen  befand. 

In  geistiger  Hinsicht  kann  man  den  Mongolen  wieder  nicht  einen  grossen 
Scharfblick  absprechen,  mit  welchem  sich  oft  Schlauheit,  Heuchelei  und  Nei- 
gung zum  Betrügen  paaren;  diese  letzteren  Eigenschaften  sind  besonders  in 
den  China  benachbarten  Grenzdistrikten  entwickelt.  Inmitten  der  rein  mon- 
golischen Bevölkerung  zeichnen  sich  durch  moralische  Yerderbtheit  besonders 
die  Lamen    aus.    Die  einfachen  Mongolen  oder,  wie  sie  sich  nennen,  „Chara- 


')  Von  der  Zeit  der  Unterwerfung  Chalcha's  unter  die  Herrschaft  Chinas  während  der 
Regierung  des  Kaisers  Kang-hi,  im  Jahre  1691;  die  wesfliche  Mongolei  oder  die  sogenannte 
Dshungarei  wurde  erst  im  Jahre  1756  von  den  Chinesen  unterworfen. 


364  Diß  Mongolen. 

chun",  d.  h.  schwarze  Leute,  sind,  wo  sie  weder  durch  die  chinesische  Nach- 
barschaft noch  durch  die  Lehren  der  Lamen  verderbt  sind,  grösstentheils 
gute,  einfache  Menschen.  Wenn  nun  aber  dem  Mongolen  auch  in  geistiger 
Hinsicht  Scharfblick  zuerkannt  werden  muss,  ist  dieser  doch  andrerseits  aus- 
schliesslich nach  einer  Richtung  hin  entwickelt;  dasselbe  gilt  von  allen  seinen 
Charakterzügen.  Der  Nomade  kennt  ganz  vorzüglich  seine  heimathliche  Steppe 
und  versteht  es,  sich  hier  in  der  hoffnungslosesten  Lage  herauszuhelfen;  er 
sagt  den  Regen,  den  Sturm  und  andere  Veränderungen  in  der  Atmosphäre 
voraus,  findet  nach  den  geringfügigsten  Kennzeichen  ein  verirrtes  Pferd  oder 
Kameel,  erräth  durch  den  Geruch  die  Nähe  eines  Brunnens  u.  dergl.  m.  Man 
versuche  aber,  ihm  etwas  zu  erklären,  was  aus  dem  Kreise  seiner  gewöhn- 
lichen Thätigkeit  heraustritt;  er  wird  dann  mit  aufgerissenen  Augen  zuhören, 
mehrmals  eins  und  dasselbe  fragen  und  doch  nicht  die  einfachste  Sache  von 
der  Welt  begreifen.  In  solchem  Falle  erschüttert  sein  Stumpfsinn  auch  die 
ausdauerndste  Geduld;  er  ist  dann  nicht  mehr  derselbe  Mensch,  als  welchen 
man  ihn  in  seiner  täglichen  Umgebung  und  Beschäftigung  gekannt  hat,  son- 
dern ein  kindisch  neugieriger  Knabe,  der  unfähig  ist,  sich  die  einfachsten 
und  alltäglichsten  Begriffe  anzueignen. 

Ueberhaupt  ist  die  Neugierde,  die  oft  bis  zum  Aeussersten  geht,  den 
Mongolen  eigenthümlich.  Während  des  Marsches  einer  Karawane  durch  be- 
völkerte Gegenden  kommen  sie  rechts  und  links,  oft  mehrere  Werst  weit 
herbeigeritten,  und  nach  dem  üblichen  „mendu",  d.  h.  guten  Tag,  beginnen 
die  Fragen:  Wohin  und  weshalb  reisen  Sie?  Was  führen  Sie?  Sind  Waaren 
zum  Verkaufe  dabei?  Wo  und  zu  welchem  Preise  haben  Sie  die  Kameele 
gekauft?  u.  dergl.  m.  Ein  Ankömmling  löst  den  anderen  ab,  zuweilen  er- 
scheint ein  ganzer  Haufe,  und  alle  kommen  mit  denselben  Fragen.  Noch 
schlimmer  ist  es  auf  den  Halteplätzen.  Kaum  sind  die  Kameele  ihrer  Bürde 
entledigt,  so  erscheinen  auch  von  allen  Seiten  Mongolen;  sie  besehen,  betasten 
die  Sachen  und  drängen  sich  schaarenweise  in  das  Zelt.  Nicht  nur  die  Waffen, 
sondern  auch  die  unbedeutendsten  Sachen,  z.  B.  Stiefel,  eine  Scheere,  ein 
Hängeschloss  am  Kasten,  mit  einem  Worte  die  geringfügigsten  Kleinigkeiten 
erwecken  die  Neugierde  der  Gäste,  die  hierbei  unfehlbar  mit  der  Bitte  heraus- 
rücken, ihnen  bald  dieses,  bald  jenes  zu  schenken.  Die  Fragen  nehmen  kein 
Ende.  Jeder  Neuangekommene  beginnt  von  vorne,  und  dann  zeigen  und 
erklären  ihm  die  früheren  Besucher  die  Sachen,  wobei,  wenn  es  nur  irgend 
möglich  ist,  etwas  gestohlen  wird,  gleichsam  zum  Andenken. 

Von  den  Sitten  der  Mongolen  fällt  dem  Reisenden  ganz  besonders  ihre 
Gewohnheit  auf,  sich  stets  nach  den  Himmelsgegenden  zu  orientiren;  sie  ge- 
brauchen nie  die  Wörter  „rechts"  oder  „links",  als  ob  diese  Begriffe  gar  nicht 
für  die  Nomaden  vorhanden  wären.  Selbst  in  der  Jurte  sagt  er  nicht,  dass 
eine  Sache  rechter  oder  linker  Hand,  sondern  westlich  oder  östlich  liege. 
Hierbei  ist  zu  bemerken,    dass  sie  sich  bei  Bestimmung  der  Himmelsgegend 


Die  Mongolen.  365 

mit    dem    Gesicht  nach    Süden    und    nicht    wie    der  Europäer    nach    Norden 
stellen,  so  dass  der  Osten  auf  der  linken  Seite  des  Horizonts  liegt. 

Alle  Entfernungen  messen  die  Mongolen  nach  der  Dauer  eines  Rittes 
auf  Kameelen  oder  Pferden  ;  von  einem  anderen,  genaueren  Maasse  haben  sie 
keine  Idee.  Auf  die  Frage:  wie  weit  ist  es  V)is  zu  diesem  oder  jenem  Orte? 
antwortet  der  Mongole:  so  und  so  viel  Tagereisen  mit  Kameelen,  so  und  so 
viel  zu  Pferde.  Da  aber  die  Schnelligkeit  des  Rittes  sowohl,  wie  auch  die 
dazu  im  Laufe  eines  Tages  verbrauchte  Zeit  infolge  lokaler  Umstände  oder 
des  Willens  des  Reiters  sehr  verschieden  sein  können,  unterlässt  der  Nomade 
es  nie,  hinzuzufügen:  „wenn  man  gut",  oder  „wenn  man  langsam  reitet".  Es 
ist  hierbei  zu  bemerken,  dass  in  Chalcha  eine  mittlere  Tagereise  mit  Last- 
kameelen zu  40  und  zu  Pferde  zu  60  bis  70  Werst  angenommen  werden  kann. 
Am  Kuku-noor  bewegt  man  sich  mit  Kameelen  etwas  langsamer,  so  dass 
daselbst  30  Werst  als  eine  mittlere  Tagereise  gelten  können.  Ein  gutes 
Kameel  legt  mit  Ladung  4  bis  4^  Werst,  ohne  dieselbe  5  bis  6  Werst  in 
einer  Stunde  zurück. 

Als  Einheit  der  Zeitmessung  dient  den  Mongolen  der  Tag  von  24  Stunden, 
ßruchmaasse  desselben,  wie  z.  B.  unsere  Stunden,  kennen  sie  nicht.  Ihre 
Kalender  sind  eben  so  wie  die  chinesischen  und  werden  in  mongolischer 
Sprache  in  Peking  gedruckt.  Die  Monate  werden  nach  den  Mondphasen 
berechnet,  einige  dieser  Monate  haben  jedoch  29,  andere  80  Tage.  Hiernach 
bleibt  von  jedem  Mondjahr  bis  zum  vollendeten  Umlaufe  der  Erde  um  die 
Sonne  eine  Woche  übrig;  aus  diesem  Rest  wird  in  jedem  vierten  Jahre  ein 
Ergänzungsmonat  gemacht,  welcher,  nach  der  Prophezeiung  der  Pekinger 
Astrologen,  bald  dem  Winter,  bald  dem  Sommer,  bald  anderen  Jahreszeiten 
zugezählt  wird.  Dieser  Monat  hat  keinen  besonderen  Namen,  sondern  ist 
das  Duplikat  irgend  eines  der  bekannten  Monate,  so  dass  es  im  Schaltjahre 
zwei  Januare  oder  zwei  Juli  etc.  geben  kann.  Das  neue  Jahr  beginnt  mit 
dem  ersten  Tage  des  „Zagan-ssara",  d.  h.  des  weissen  Monats,  und  fällt  ge- 
wöhnlich in  die  zweite  Hälfte  unseres  Januar  oder  in  die  ersten  Tage  des 
Februar.  Von  dem  Zagan-ssara  wird  der  Frühlingsanfang  gerechnet,  und 
dieser  Monat  wird  in  allen  buddhistischen  Ländern  als  eine  Festzeit  gefeiert. 
Ausserdem  betrachten  die  Mongolen  den  L.  8.  und  15.  jedes  Monats  als 
Feiertage,  die  den  Namen   „Zertyn"  führen. 

Als  Maass  längerer  Zeiträume  dient    die  Periode   von  zwölf  Jahren.     In 
diesem  Cyklus  trägt  jedes  Jahr  irgend  einen  Thiernamen,  und  zwar: 
Das  L  Jahr  Chuluguna  (Maus),  Das  7.  Jahr  Mori  Pferd), 

Choni  (Schaf), 
Metschit  (Affe), 
Takja  (Huhn), 
Nochoi  (Hund), 
Gachai  (Schwein). 
Fünf  solcher  Dodekaden  l>ililon  einen  neuen  Cyklus,  der  einem  Zeitmaasse 


2. 

„      Ukyr  (Kuh), 

„     8. 

3. 

„     Bar  (Tiger), 

.     9- 

4. 

„     Tolai  (Hase), 

„   10. 

f). 

„      Lu  (Drachen), 

.    IL 

6. 

„      Mogo  (Schlange), 

„   12. 

366 


Die  Mongolen. 


in  der  Art  unserer  Jahrhunderte  entspricht.  Das  Alter  des  Menschen  wird 
ijtets  nach  dem  ersten  Cyklus  berechnet,  und  wenn  ein  Mongole,  der,  nehmen 
wir  an,  28  Jahre  alt  ist,  sagt,  dass  jetzt  sein  Jahr  „Hase"  sei,  so  bedeutet 
dies,  dass  er  nach  zwei  vollendeten  Dodekaden  im  vierten  Jalire  der  drit- 
ten steht. 

Was  die  Sprache  der  Mongolen  betrifft,  so  halte  ich  es  zuvörderst  für 
meine  Pflicht,  zu  erklären,  dass  es  uns  bei  den  vielen  anderen  Arbeiten  der 
Expedition  und  in  Ermangelung  eines  guten  Dolmetschers  unmöghch  war, 
uns  gründlich  mit  dem  Studium  dieser  Sprache  zu  beschäftigen.  Es  ist  dies 
eine  sehr  grosse  Lücke  in  den  ethnographischen  Forschungen;  dieselbe  wurde 
aber  durch  die  unzulänghchen  materiellen  Mittel,  über  welche  die  Expedition 
verfügen  konnte,  verursacht.  Bei  reichlicheren  Mitteln  hätte  ich  einen  guten 
Dolmetscher,  der  seine  Sache  speziell  kannte,  gewinnen  können.  In  der 
Lage,  in  der  wir  uns  befanden,  konnte  der  einzige  Dolmetscher,  den  wir 
hatten,  oft  im  Laufe  eines  ganzen  Tages  nicht  eine  einzige  Minute  findep, 
um  seiner  direkten  Obliegenheit  nachzukommen.  Ausserdem  konnte  derselbe 
bei  seiner  geistigen  Beschränktheit  überhaupt  nicht  in  denjenigen  Fällen,  die 
Scharfsinn  und  Takt  erforderten,  nützlich  werden. 

In  der  ganzen  Mongolei  herrscht  allein  die  mongolische  Sprache,  die  im 
Allgemeinen  reich  an  Wörtern  ist;  aber  in  den  verschiedenen  Theilen  des 
beschriebenen  Landes  zeigen  sich  in  derselben  mancherlei,  wenn  auch  nicht 
bedeutende  Abweichungen.  Diese  sind  besonders  in  der  Sprache  der  süd- 
lichen Mongolen  zu  bemerken;  einzelne  Wörter  der  letzteren  sind  den  Chalcha- 
Mongolen  sogar  ganz  unverständlich.')  Ausserdem  unterscheiden  sich  die 
südlichen  Mongolen  durch  eine  weichere  Ausspräche  einzelner  Buchstaben. 
So  sprechen  sie  k  und  z  wie  ch  und  tsch.  Zagan,  weiss,  wird  bei  ihnen 
tschagan,  Kuku-choto  —  Chuchu-choto  u.  s.  w. 

Wahrscheinlich  kommen  bei  den  südKchen  Mongolen  auch  in  der  Kon- 
struktion der  Sätze  Abweichungen  vor,  da  unser  Dolmetscher  zuweilen  einen 
ganzen  Satz  nicht  verstehen,  zugleich  aber  auch  nicht  angeben  konnte,  worin 
gerade  die  Schwierigkeit  lag.  „Das  ist  nicht  zu  verstehen",  pflegte  er  in 
solchen  Fällen  zu  sagen,  und  dabei  Hess  er  es  dann  bewenden. 

Mir  scheint  es,  dass  nur  sehr  wenig  chinesische  Wörter  in  die  verun- 
staltete mongolische  Sprache  eingedrungen  sind,  dafür  haben  die  Mongolen 
am  Kuku-noor  und  von  Zaidam  viele  tangutischen  Wörter  aufgenommen;  der 


>)  So  z.  B. 
Nacht  .    . 
Hammel    . 
Abend 
Theekanne 
Stiefel 
Fleisch 
Pelz     .     . 


In  Chalcha     In  Ala-schan 


Scbuiii 

Choni 

Ud  Uschi 

Schachu 

Gutul 

Machan 

Del 


Ssu 

Choi 

Asscbün 

Debür 

Gudussu 

Ide 

Dübül 


Chalat  .  . 

Schale,  Tasse 

Tuch    .  .  . 

Pulver  .  . 

Milch    .  .  . 

Hierher  .  . 

Dorthin  .  . 


In  Chalcha     In  Ala-schan 


Supssa 

lmi)\i 

Zyiiibu 

Daii 

Ssu 

Nascha 

Inschi 


Labüschlk 

Chaissa 

Dachar 

Schoroi 

Jussu 

Naran 

Tügei. 


Die  Mongolen.  3ß7 

chinesische  Einfluss  auf  die  südöstlichen  und  südlichen  Grenzdistrikte  der 
Mongolei  hat  zwar  wesentlich  den  Charakter  der  Bewohner  derselben  um- 
gewandelt, zeigt  sich  in  ihrer  Sprache  aber  weniger  in  dem  Zuströmen  fremder 
Wörter,  als  in  der  Veränderung  des  allgemeinen  Charakters  der  Ausdrucks- 
weise, die  hier  einförmiger  und  phlegmatischer  ist,  als  in  Chalcha,  wo  der 
Vollblutmongole  stets  laut  und  abgebrochen  spricht. 

Die  mongolische  Schrift  hat,  wie  die  chinesische,  vertikale  Zeilen,  die 
von  links  nach  rechts  gelesen  werden J)  Die  Mongolen  haben  ziemlich  viele 
in  ihrer  Muttersprache  gedruckte  Bücher,  da  gegen  Ende  des  vorigen  Jahr- 
hunderts auf  Anordnung  der  chinesischen  Regierung  verschiedene  auf  Ge- 
schichte, Unterricht  und  Religion  bezügliche  Werke  von  einer  besonderen 
Kommission  ins  Mongolische  übersetzt  wurden.  Das  mongolisclie  Gesetzbuch 
ist  gleichfalls  in  mongolischer  Sprache  abgefasst  und  wird  in  allen  Prozessen 
gleichmässig  mit  dem  mandschurischen  angewendet.  In  Peking  und  Kaiman 
sind  Schulen,  in  welchen  das  Lesen  und  Schreiben  in  mongolischer  Sprache 
gelehrt  wird;  der  Kalender  und  einige  Bücher  werden  stets  in  mongolischer 
Sprache  gedruckt.  Lesen  und  schreiben  können  bei  den  Mongolen  nur  die 
Fürsten,  Edelleute  und  Lamen ;  letztere  werden  auch  in  der  tibetanischen, 
die  Fürsten  und  Edelleute  in  der  mongolischen  und  mandschurischen  Sprache 
unterrichtet.  Das  einfache  Volk  ist  gewöhnlich  des  Lesens  und  Schreibens 
unkundig. 

Alle  Mongolen,  die  Frauen  nicht  ausgeschlossen,  sind  sehr  gesprächig. 
Mit  jemand  bei  einer  Tasse  Thee  zu  plaudern,  ist  ein  Hauptvergnügen  des 
Nomaden.  Bei  jedem  Begegnen  fragt  er  sofort:  „was  giebt's  Neues?"  und 
es  ist  ihm  nicht  zu  viel,  20  oder  30  Werst  zu  reiten,  nur  um  seinem  Freunde 
irgend  eine  Neuigkeit  mitzutheilen.  Infolge  dessen  verbreiten  sich  die  Nach- 
richten und  Gerüchte  in  der  Mongolei  mit  einer  für  den  Europäer  ganz  un- 
begreiflichen Schnelligkeit,  förmlich  wie  mit  dem  Telegraphen.  Bei  unserer 
Reise  waren  die  Ortseinwohner  gewöhnlich  einige  hundert  Werst  voraus  über 
uns  unterrichtet,  oft  über  die  unbedeutendsten  Einzelnheiten,  und  noch  häufiger 
kamen  endlose  Uebertreibungen  dazu. 

Im  Gespräche  der  Mongolen  fällt  der  unaufhörliche  Gebrauch  der  Wörter 
„dse"  und  „sse"  auf;  beide  heissen  „gut"  und  werden  fast  jedem  Satze  an- 
gehängt. Ausserdem  dienen  diese  Wörter  auch  als  Ausdruck  der  Bestätisun» 
wie  „ja",  „so^'.  Wenn  der  Mongole  irgend  einen  Befehl  eines  Beamten 
empfängt,  oder  einer  Erzählung  desselben  zuhört,  wirft  er  gewöhnlich  in  »e- 
wissen  Zwischenräumen  das  unvermeidhche  „dse"  oder  „sse"  ein.  Um  die 
gute  oder  schlechte  Eigenschaft  eines  Gegenstandes  zu  bezeichnen,  oder  über- 
haupt etwas  zu  loben  oder  zu  tadeln,  erhebt  der  Mongole,  während  er  sein 
„dse"  oder  „sse"    spricht,    zuweilen    auch    ohne    diese  Wörter,    den  Daumen 


')  Die  jetzigen  mongolischeu  Buchstaben  siuil  im   13.  Jahrhundert  nach  Christi  Geburt,  zui- 
Zeit  des  Chans  Chubilai  ei-fundeu  worden. 


368  ^^®  Mongolen, 

oder  den  kleinen  Finger  der  rechten  Hand.  Ersteres  Zeichen  drückt  ein 
Lob,  letzteres  eine  schlechte  Eigenschaft  oder  überhaupt  die  Verneinung  des 
Guten  aus.  Seinesgleichen  redet  der  Mongole  mit  „Nochor,"  d.  h.  Kamerad, 
Gefährte,  an ;  es  entspricht  dies  unserem  „Mein  Herr"  oder  dem  französischen 
„Monsieur". 

Die  Lieder  der  Mongolen  sind  immer  traurig;  Gegenstand  derselben  sind 
die  Erzählungen  von  ihrem  früheren  Leben  und  ihren  einstigen  Heldenthaten. 
Der  Nomade  singt  am  häufigsten  unterwegs,  wenn  er  mit  den  Karawanen 
zieht;  doch  kann  man  auch  in  der  Jurte  singen  hören;  die  Frauen  singen 
jedoch  viel  seltener  als  die  Männer. i)  Die  besonderen  Sänger,  die  zuweilen 
in  der  Mongolei  umherziehen,  werden  stets  mit  grossem  Vergnügen  gehört. 
Von  musikalischen  Instrumenten  haben  die  Mongolen  nur  die  Flöte  und  die 
Balalaika. '0  Tänze  haben  wir  bei  den  Nomaden  nie  gesehen;  wie  es  scheint, 
kennen  sie  dieselben  gar  nicht. 

Das  Schicksal  der  mongolischen  Frauen  ist  kein  beneidenswerthes  an 
und  für  sich.  Der  enge  Lebenshorizont  des  Nomaden  zieht  sich  für  sie  noch 
mehr  zusammen.  Die  Mongolin  ist  ganz  und  gar  dem  Manne  untergeordnet 
und  bringt  ihr  Leben  in  der  Jurte  zu,  wo  sie  beständig  mit  der  Wartung 
und  Pflege  der  Kinder  und  mit  verschiedenen  wirthschaftlichen  Arbeiten  be- 
schäftigt ist.  In  der  freien  Zeit  näht  sie  Kleider  oder  irgend  einen  Ausputz, 
wozu  in  ganz  Chalcha  chinesische  Seide  verwendet  wird.  Die  Handarbeiten 
der  mongolischen  Frauen  zeichnen  sich  oft  in  bemerkenswerthem  Grade  durch 
Geschmack  und  Sauberkeit  der  Ausführung  aus. 

Der  Mongole  hat  nur  eine  rechtmässige  Frau;  es  ist  ihm  aber  gestattet, 
Beischläferinnen  zu  haben, ^)  die  mit  der  legitimen  Gattin  zusammen  wohnen. 
Letztere  wird  als  die  oberste  angesehen  und  leitet  die  Wirthschaft.  Die  von 
ihr  geborenen  Kinder  geniessen  alle  Rechte  des  Vaters,  während  die  Söhne 
der  Beischläferinnen  nicht  als  legitim  gelten  und  kein  Anrecht  auf  die  Erb- 
folge haben.  Nur  mit  Genehmigung  der  Regierung  darf  der  Mongole  ein  il- 
legitimes Kind  vollständig  adoptiren. 

Bei  den  Ehen  ist  nur  die  Verwandtschaft  von  Seiten  des  Mannes  und 
zwar  bis  zu  einem  entfernten  Grade  von  Wichtigkeit;  die  Verwandtschaft  von 
Seiten  der  Frau  kommt  nicht  in  Betracht.  Ausserdem  ist  zum  Wohlergehen 
der  Neuvermählten  eine  günstige  Konstellation  der  astrologischen  Zeichen,*) 
unter  denen  Bräutigam  und  Braut  geboren  sind,  unerlässlich ;  zuweilen  ver- 
hindert sogar  eine  ungünstige  Konstellation  eine  Ehe. 

Der  Bräutigam  muss  oft  für  seine  Braut  den  Eltern  derselben  nach  einem 
vorangegangenen    Vertrage    eine    bedeutende    Kaufsumme    (Kalym)    in   Vieh. 


')  Das  verbreitetste  Lied,  das  mau  in  der  ganzen  Mongolei  hören   kann,  ist   „dagn-cljara' , 
d.  b.  „von  dem  schwarzen  Füllen". 

2)  Eine  Art  Guitarre  mit  zwei  oder  drei  Saiten. 

■')  Diese  treten  ohne  weitere  llochzeitsformalitiiten  unter  die  Botmässigkeit  des  Mannes. 

*)  Nach  den  Zeichen  des  Thierkreises  berechnen  die  Mongolen  ihre  zwölfjährigen  Zeitperiodon. 


Die  Mongolen.  369 

Kleidungsstücken  und  zuweilen  auch  in  Geld  zahlen;  die  Frau  bringt  ihrer- 
seits die  Jurte  mit  der  Einrichtung.  Bei  eintretender  Uneinigkeit  im  Familien- 
leben, oder  einfach  aus  Laune  kann  der  Mann  seine  Frau  fortjagen;  aber  auch 
die  Frau  hat  das  Recht,  einen  ungeliebten  Mann  zu  verlassen.  Im  ersteren 
Falle  kann  der  Mongole  nicht  den  iür  die  Frau  gezahlten  Kalym  zurück- 
fordern; er  behillt  nur  einen  Theil  des  Mitgebrachten;  wenn  aber  die  Frau 
sich  vom  Manne  trennt,  muss  ein  Theil  des  Viehes,  das  vor  der  Hochzeit 
für  sie  gegeben  worden,  zurückerstattet  werden.  Nach  einer  solchen  Trennung 
gilt  die  mongolische  Frau  als  frei,  und  sie  kann  sich  wieder  verheirathen. 
Aus  dieser  Sitte  ergeben  sich  mancherlei  Liebesgeschichten,  die  sich  in  der 
Einöde  der  Steppe  abspielen,  ohne  je  das  Sujet  eines  Romans  zu  liefern. 

Was  die  moralischen  Eigenschaften  der  mongolischen  Frauen  anbelangt, 
so  sind  dieselben  gute  Mütter,  ausgezeichnete  Hauswirthinnen,  aber  bei  weitem 
nicht  vorwurfsfreie  Gattinnen.  Sinnliche  Ausschweifung  ist  hier  die  gewöhn- 
lichste Sache  und  nicht  nur  unter  den  verheiratheten  Frauen,  sondern  auch 
unter  den  Mädchen.  Dergleichen  Dinge  bilden  in  der  Mongolei  kein  Geheim- 
niss  und  werden  nicht  für  ein  Laster  gehalten. 

Im  häuslichen  Leben  ist  die  Frau  fast  gleichberechtigt  mit  dem  Manne; 
dafür  treffen  die  Männer  in  allen  äusseren  Geschäften,  die  z.  B.  den  Umzug 
von  einer  Stelle  auf  die  andere,  den  Ankauf  irgend  einer  Sache  u.  dergl.  be- 
treffen, allein  die  Entscheidung,  ohne  ihre  Frauen  zu  befragen.  Als  Ausnahme 
von  der  allgemeinen  Regel  sind  uns  jedoch  auch  solche  Mongolinnen  vor- 
gekommen, die  nicht  nur  die  innere  Wirthschaft,  sonder^  auch  alle  anderen 
Geschäfte  führten  und  ihre  Männer  im  buchstäblichsten  Sinne  des  Wortes 
unter  dem  Fantofi'el  hielten. 

Hinsichtlich  des  Aeusseren  der  mongolischen  Frauen  wird  es  dem  Euro- 
päer schwer,  etwas  Lobendes  zu  sagen.  Der  Racentypus,  besonders  das  flache 
Gesicht  und  die  hervorstehenden  Backenknochen  verunstalten  von  Hause  aus 
jede  Physiognomie.  Dabei  schliessen  das  in  groben  Arbeiten  in  der  Jurte 
sich  bewegende  Leben,  der  Einfluss  des  rauhen  Klimas  und  die  Unsauberkeit 
jede  Zartheit  und  hiermit  allen  Reiz  in  unserem  Sinne  aus.  Uebrigens  kommen 
in  der  Mongolei  als  seltene  Ausnahmen,  vor  allen  anderen  in  den  fürstlichen 
Familien,  auch  recht  hübsche  Mädchen  vor.  Diese  Glücklichen  sind  denn 
auch'  von  Schaaren  von  Verehrern  umgeben,  da  die  Nomaden  im  Allgemeinen 
dem  schonen  Geschlechte  äusserst  ergeben  sind.  Die  Zahl  der  Frauen  ist 
in  der  Mongolei  bedeutend  geringer  als  die  der  Männer,  was  hauptsächlich 
durch  die  Ehelosigkeit  der  Lamen  herbeigeführt  wird. 

Im  häuslichen  Leben  ist  der  Mongole  ein  ausgezeichneter  Familienvater, 
und  seine  Kinder  liebt  er  leidenschaftlich.  Wenn  wir  einem  Nomaden  etwas 
gaben,  vertheilte  er  es  stets  zu  gleichen  Theileu  unter  alle  seine  Familien- 
glieder, wenngleich  bei  einer  solchen  Theilung,  z.  B,  der  eines  Stückes  Zucker, 
nur  ein  kleines  Körnchen  auf  jeden  Einzelnen  kam.  Den  älteren  Mitgliedern 
der  Familie  wird  eine  grosse  Ehrerbietung  gezollt;  besonders  wird  eine  solche 

Zeitschrift  für  Ethnologie,  Jahrgaug  lS7i>.  26 


370  Die  Mongolen. 

den  Greisen  zu  Theil,  deren  Rathscliläge  oder  Befehle  stets  mit  grosser  Pietät 
befolgt  werden.  Dabei  ist  der  Mongole  ausserordentlich  gastfrei.  Ein  Jeder 
kann  in  jede  beliebige  Jurte  treten  und  sicher  sein,  sofort  mit  Thee  oder 
Milch  bewirthet  zu  werden;  für  einen  guten  Freund  wird  der  Nomade  es 
aber  nicht  unterlassen,  Branntwein,  oder  Kumys  herbeizuschaffen,  oder  gar 
einen  Hammel  zu  schlachten. 

Wenn  der  Mongole  unterwegs  Jemandem  begegnet,  mag  dies  ein  Be- 
kannter sein,  oder  nicht,  begrüsst  er  ihn  unter  allen  Umständen  mit  den 
Worten  ,,mendii,  mendu-sse-beina",  was  unserem  „Guten  Tag"  entspricht. 
Hierauf  beginnt  das  gegenseitige  Darreichen  der  Schnupftabaksdosen,  und 
hierbei  wird  gewöhnlich  gefragt:  „mal-sse-beina?"  „ta-sse-beina?"  d.  h.  ist 
Dein  Vieh  gesund?  bist  Du  gesund?  Die  Frage  nach  dem  Vieh  steht  auf 
dem  ersten  Plane,  so  dass  der  Mongole  sich  erst  dann  nach  der  Gesundheit 
seines  Amphitryon  erkundigt,  wenn  er  darüber  beruhigt  ist,  dass  die  Hammel, 
Kameele  und  Pferde  desselben  gesund  und  fett  sind.  In  Ordos  und  Ala-schan 
wird  der  Gruss  mit  den  Worten  ausgedrückt:  „amur-sse?"  bist  Du  gesund? 
und  am  Kuku-noor  hat  man  gewöhnlich  das  tangutische  „temu",  d.  i.  guten 
Tag.  Das  gegenseitige  Tabakanbieten  ist  in  der  südlichen  Mongolei  viel 
seltener;  am  Kuku-noor  ist  es  gar  nicht  üblich. 

Aus  Anlass  der  Frage  nach  der  Gesundheit  des  Viehes  ereignen  sich 
zuweilen  mit  den  europäischen  Neulingen,  die  von  Kjachta  nach  Peking 
reisen,  komische  Geschichten.  So  reiste  eiust  ein  junger  OfQzier,  der  unlängst 
aus  Petersburg  nach  Sibirien  gekommen  war,  als  Kourier  nach  Peking.  Auf 
einer  Station,  wo  die  Pferde  gewechselt  wurden,  rückten  ihm  die  Mongolen 
mit  der  ihrer  Ansicht  nach  ehrerbietigsten  Begrüssung,  mit  der  Frage  nach  der 
Gesundheil  seines  Viehes,  auf  den  Leib.  Als  er  durch  den  kosakischen  Dol- 
metscher erfahren  hatte,  dass  man  von  ihm  wissen  wollte,  ob  seine  Hammel 
und  Kameele  fett  wären,  schüttelte  der  junge  Reisende  verneinend  den  Kopf  und 
versicherte,  dass  er  gar  kein  Vieh  besitze.  Die  Mongolen  wollten  nun  für  nichts 
in  der  Welt  glauben,  dass  ein  wohlhabender  Mensch  und  noch  dazu  ein  Beamter 
ohne  Hammel,  Kühe,  Pferde  und  Kameele  bestehen  könnte.  Uns  selbst  sind 
auf  der  Reise  vielfach  die  eingehendsten  Fragen  vorgelegt  worden,  wem  wir 
bei  unserer  Reise  in  ein  so  fernes  Land  unser  Vieh  anverti*aut,  welches  Ge- 
wicht die  Fettschwäuze  unserer  Hammel  haben,  ob  wir  oft  einen  solchen  Lecker- 
bissen essen,  wie  viel  gute  Rennpferde,  oder  Passgänger,  wie  viel  fette  Ka- 
meele wir  besitzen  u.  dergl.  m. 

In  der  südlichen  Mongolei  dienen  als  Zeichen  des  gegenseitigen  Wohl- 
wollens die  „Chadaki",  d.  h.  kleine  Stücke  Seidenstoff  in  der  Form  unserer 
Handtücher,  die  Gast  und  Wirth  austauschen.  Diese  „Chadaki"  werden  von 
den  Chinesen  gekauft  und  sind  von  verschiedener  Güte,  durch  deren  Grad 
in  gewisser  Hinsicht  die  gegenseitige  Disposition  der  sich  begegnenden  Per- 
sonen ausgedrückt  wird.') 

')  lu  Chalcha  dienen  die  „Chadaki''  statt  der  Münzen,  weniger  zu  gegenseitigen  Geschenken. 


Die  Mongolen.  37^ 

Unmittelbar  nach  der  Begrüssung  beginnt  bei  den  Mongolen  die  Be- 
wirthung  mit  TLee,  wobei  es  als  eine  besondere  Höflichkeit  angesehen  wird, 
dem  Gaste  eine  angerauchte  Pfeife  zu  präsentiren.  Die  fortgehenden  Gäste 
verabschieden  sich  gewöhnlich  nicht,  sondern  stehen  ohne  Weiteres  auf  und 
verlassen  die  Jurte.  Einen  Gast  bis  zu  seinem  in  der  Entfernung  von  einigen 
Schritten  angebundenen  Pferde  begleiten,  heisst  ihm  eine  besonders  wohl- 
wollende Hochachtung  beweisen;  einer  solchen  Elire  werden  immer  die 
Beamten  und  hohen  Lamen  gewürdigt. 

Obgleich  bei  den  Mongolen  Knechtessinn  und  Despotismus  in  hohem 
Grade  entwickelt  sind  und  die  Willkür  des  vorgesetzten  Beamten  gewöhnlich 
mehr  als  alle  Gesetze  gilt,  zeigt  sich  neben  dieser  sklavischen  Gesinnung 
wie  eine  Anomalie  eine  grosse  Freiheit  in  dem  Verkehr  zwischen  Vorgesetzten 
und  Untergebenen.  Wenn  der  Mongole  einen  Beamten  sieht,  kniet  er  vor 
ihm  nieder  und  begrüsst  ihn;  nach  diesem  erniedrigenden  Ausdruck  seiner 
Unterwürfigkeit  setzt  er  sich  aber,  ohne  sich  weiter  zu  geniren,  neben  den- 
selben Beamten,  spricht  mit  ihm  und  raucht  seine  Pfeife.  Von  Jugend  auf 
daran  gewöhnt,  sich  durch  nichts  beengen  zu  lassen,  fügt  er  sich  auch  in 
diesem  Falle  nicht  lange  einem  Zwange,  sondern  lässt  sofort  seinen  Gewohn- 
heiten freien  Lauf.  Dem  neuangekommenen  Reisenden  dürfte  ein  solcher  Vor- 
gang als  ein  bemerkenswerthes  Zeichen  der  Freiheit  und  Gleichheit  unter 
den  Mongolen  erscheinen;  wenn  er  aber  tiefer  in  das  Wesen  der  Sache  ein- 
dringt, wird  er  leicht  bemerken,  dass  sich  hier  nur  die  wilde,  ungezügelte 
Natur  des  Nomaden  hervordi'ängt,  die  selbst  für  seine  kindischen  Gewohn- 
heiten freien  Spielraum  fordert,  sich  aber  gegen  den  furchtbaren  Despotismus 
im  gesellschaftlichen  Leben  vollständig  apathisch  verhäh.  Derselbe  Beamte, 
mit  welchem  der  Mongole  seine  Pfeife  raucht  und  wie  mit  Seinesgleichen 
spricht,  kann  diesen  bestrafen,  ihm  einige  Hammel  fortnehmen  und  überhaupt 
ohne  alle  Widerrede  jede  beliebige  Ungerechtigkeit  gegen  ihn  verüben. 

"Bestechlichkeit  und  Bestechung  sind  in  der  Mongolei,  wie  auch  in  China, 
bis  zum  äussersten  Grade  entwickelt.  Wenn  man  besticht,  kann  man  hier 
Alles  machen,  wenn  man  dies  nicht  thut,  geradezu  Nichts.  Das  schreiendste 
Verbrechen  bleibt  straflos,  wenn  nur  der  Verbrecher  den  betrefienden  Gewalten 
ein  gutes  Stück  Geld  zukommen  lässt;  umgekehrt,  bedeutet  eine  vollkommen 
gerechte  Sache  nichts  ohne  eine  gewisse  Beigabe.  Und  diese  Fäulniss  geht 
durch  die  ganze  Stufenleiter  der  Administration,  vom  Gemeindeschreiber  bis 
zum  regierenden  Fürsten! 

Wenn  wir  uns  jetzt  zu  den  religiösen  Anschauungen  der  Nomaden  wenden, 
so  finden  wir,  dass  die  lamaistische  Lehre  hier  so  tiefe  Wurzeln  geschlagen 
hat,   wie  vielleicht  in  keiner  andern  Gegend  der  buddhistischen  Welt.i)     Da 

1)  Die  Zeit  der  Ausbreitung  des  Buddhismus  in  der  Mongolei  ist  unbekannt;  neben  dem- 
selben bestehen  hier  jedoch  noch  einzelne  Ueberreste  des  Schamaneuthums,  emer  der  ältesten 
Religionen  Asiens. 

26* 


372  Die  Mongolen. 

dieselbe  ihr  höchstes  Ideal  in  der  Beschaulichkeit  findet,  hat  sie  sich  vor- 
trefflich dem  trägen  Charakter  des  Mongolen  angeschmiegt  und  jene  furcht- 
bare Asketik  erzeugt,  welche  den  Nomaden  veranlasst,  jedem  Streben  nach 
Fortschritt  zu  entsagen  und  in  nebelhaften  und  abstrakten  Ideen,  im  Grübeln 
über  das  Wesen  der  Gottheit  und  das  Leben  nach  dem  Tode  das  Endziel 
des  irdischen  Daseins  zu  suchen. 

Der  Gottesdienst  der  Mongolen  wird  in  tibetanischer  Sprache  celebrirt, 
in  welcher  auch  ihre  religiösen  Bücher  abgefasst  sind.^)  Das  berühmteste 
derselben  heisst  Gantschur;  es  besteht  aus  108  Bänden  und  enthält  ausser 
den  religiösen  Gegenständen  auch  noch  Geschichte,  Mathematik,  Astronomie 
u.  s.  w.  In  den  Götzentempeln  findet  gewöhnlich  dreimal  täglich  Gottesdienst 
statt:  Morgens,  Mittags  und  Abends.  Der  Ruf  zum  Gebet  erfolgt  durch 
Blasen  auf  grossen  Seemuscheln.  Nachdem  man  sich  im  Tempel  versammelt 
hat,  setzen  sich  die  Lamen  auf  den  Boden,  oder  auf  Bänke  und  lesen  in  sin- 
gendem Tone  ihre  heiligen  Bücher,  Von  Zeit  zu  Zeit  vereinigen  sich  mit 
diesem  monotonen  Lesen  Responsorien,  welche  der  Aelteste  der  Anwesenden 
macht  und  dann  alle  anderen  wiederholen.  Bei  gewissen  Pausen  werden 
Schellentrommeln  oder  kupferne  Becken  geschlagen,  was  den  allgemeinen 
Lärm  noch  verstärkt.  Ein  derartiges  Beten  dauert  zuweilen  einige  Stunden 
hintereinander  fort  und  wird  noch  feierlicher,  wenn  der  Kutuchta  im  Tempel 
anwesend  ist.  Derselbe  sitzt  in  einem  besondern  Gewände  auf  dem  Throne 
und  hat  das  Gesicht  den  Götzenbildern  zugewendet;  die  celebrirenden  Lamen 
stehen  mit  den  Räucherfässern  in  den  Händen  vor  dem  Heiligen  und  lesen 
die  Gebete. 

Das  üblichste  Gebet,  das  die  Lamen  und  oft  auch  die  einfachen  Mongolen 
beständig  im  Munde  haben,  besteht  im  Ganzen  aus  den  vier  Wörtern:  „Om 
mani  padma  chum".  Wir  haben  uns  vergeblich  bemüht,  eine  Uebersetzung 
dieses  Spruches  zu  erhalten.  Nach  der  Versicherung  der  Lamen  ist  in  ihnen 
alle  buddhistische  Weisheit  enthalten,  und  diese  vier  Worte  finden  sich  nicht 
nur  in  den  Tempeln,  sondern  immer  und  überall  als  Aufschrift  vor. 

Ausser  den  gewöhnlichen  Götzentempeln-)  werden  in  den  von  diesen 
entfernter  liegenden  Gegenden  auch  Jurten  zu  Tempeln  eingerichtet,  die  dann 
„Dugunen"  heissen.  Endlich  werden  überall  auf  den  Pässen  und  den 
Gipfeln  hoher  Berge  zu  Ehren  des  Berggeistes  Steine  aufgeschichtet,  welche 
oft  ansehnliche  Haufen  bilden,  die  Obo  heissen.  Die  Mongolen  zollen  den- 
selben eine  besondere  Verehrung  und  werfen,  wenn  sie  vorüberkommen,  stets 
als   eine  Opferspende  einen  Stein,    irgend  einen  Lappen  oder  einen  Flocken 


')  Das  Tibetanische  verstehen  oft  selbst  die  Lamen  nicht.  Die  tibetanische  Schrift  hat, 
abweichend  vom  Mongolischen  und  Chinesischen,  horizontale  Zeilen,  die  von  links  nach  rechts 
gelesen  werden.  Die  religiösen  Bücher  sind  Jedoch  auch,  wie  bereits  früher  bemerkt,  ins  Mon- 
golische übersetzt  worden. 

-;  Dieselben  heissen  in  der  Mongolei  Ssumo,  seltener  Kit  oder  Dazan. 


Die  Mongolen.  373 

Wolle  von  ihrem  Kameel  hinauf.     Bei   den  wichtigem  Obo's    celebriren    die 
Lamen  zuweilen  Gottesdienst,  und  das  Yolk  versammelt  sich  zu  dieser  Feier, 
An  der  Spitze  der  buddhistischen  Hierarchie  steht  bekanntlich  der  tibe- 
tanische Dalai-Lama,    welcher   in  Hlassa   residirt   und  Tibet  mit  den  Rechten 
eines  Fürsten  beherrscht,  der  sich  als  einen  Vasallen  China' s  betrachtet.     Im 
Grunde   ist   aber    die  Unterwerfung    des  Dalai-Lama    unter    den  chinesischen 
Kaiser  nur  nominell  und  findet  ihren  Ausdruck    in    den  Geschenken,   welche 
er  einmal    in    drei  Jahren    dem  Bogdo-Chan    sendet. i)     Für    gleichberechtigt 
mit   dem    Dalai-Lama    wird    hinsichtlicii    seiner  Heiligkeit  (nicht  aber  seiner 
politischen  Bedeutung)    ein    anderer    tibetanischer   Heiliger,    der    Ban-tsin- 
Erden,  gehalten;  die  dritte  Person  der  buddhistischen  Welt  ist  der  Kutuchta 
von  Urga.     Weiter  folgen  die   übrigen  Kutuchta's    oder  Gygen,    die    in    ver- 
schiedenen   Götzentempeln    der    Mongolei    oder    in    Peking    selbst    wohnen. 
Solcher  Gygen  giebt  es  in  der  Mongolei  103,    Sie  alle  sind  irdische  Menschen 
gewordene  Heilige,    die    ihre  moralische  Natur  bis  zum  höchsten  Grade  ver- 
vollkommnet haben,  nie  sterben,  sondern  nur  aus  einem  Körper  in  den  anderen 
übergehen.    Der  neue  wiedergeborene  Gygen  wird  von  den  Lamen  des  Götzen- 
tempels, in  welchem  sein  Vorgänger  gelebt,  gewählt  und  vom  Dalai-Lama  in 
seiner   Würde    bestätigt.     Der    Dalai-Lama    soll   meistentheils    selbst    seinen 
Nachfolger   bezeichnen,    aber  hierbei  spielt  die  chinesische  Regierung  im  Ge- 
heimen eine  Hauptrolle,  und  unter  ihrem  Einflüsse  wird  der  Stellvertreter  des 
grossen  Heiligen   am  häufigsten   aus    armen,    unbekannten  Familien    gewählt. 
Die  persönliche  Unbedeutendheit   des  Dalai-Lama  und  der  Mangel  aller  ver- 
wandtschaftlichen Verbindungen  mit  den  mächtigen  Familien  des  Landes  dienen 
den  Chinesen  als  beste  Bürgschaft,    wenn  auch  nicht  für  die  Unterwürfigkeit 
Tibets,  so  doch  dafür,  dass  sie  nicht  von  einem  unbotmässigen  Nachbar  beun- 
ruhigt werden.     Und    in    der  That    hat  China    alle  Ursache,    dafür  Sorge  zu 
tragen.     Sollte  einmal    eine  talentvolle,  energische  Persönlichkeit    den  Thron 
des  Dalai-Lama  besteigen,    so    könnte   dieselbe  durch  ein  einziges  Wort  wie 
auf  die  Stimme  Gottes  selbst  alle  Nomaden  vom  Himalaya  bis  Sibirien  zum 
Aufstande  aufreizen.     Durch  religiösen  Fanatismus  und  Hass  gegen  ihre  Be- 
drücker angetrieben,    würden   die  wilden  Horden  an  den  Grenzen  des  eigent- 
lichen China's  erscheinen,  und  sie  könnten  daselbst  grosses  Unheil  anrichten, 
Ueberhaupt  ist  der  Einfluss  aller  Gygen  auf  die  rohen  Nomaden  ganz  un- 
begrenzt.   Zu  dem  Heiligen  beten,  seine  Kleider  berühren,  oder  seinen  Segen 
erhalten,  wird  für  ein  grosses  Glück  gehalten,  das  übrigens  theuer  zu  stehen 
kommt,  da  jeder  Gläubige  hierbei  unbedingt  eine  gewisse,  oft  recht  bedeutende 
Gabe    darzubringen    hat.     So   häufen   sich  denn  auch  in  den  Götzentempeln, 
besonders  in  den  grösseren  und  in  denen,    die    durch    irgend   etwas  berühmt 
sind,  grosse  Reichthümer    an,   die  von  den  oft  aus  sehr  entfernten  Gegenden 
kommenden  Pilgern  gebracht  werden. 

')  Die  chinesische  Regierung  hält   in  Hlassa    eine  Abtheilung  Truppen   und    eiueu    bevoll- 
mächtigten Gesandten. 


374  ^^^  Mongolen. 

Dergleichen  Pilgerfahrten  sind  indessen  nur  von  untergeordneter  Bedeu- 
tung. Das  Hauptheiligthum  aller  Mongolen  ist  Hlassa,  und  dahin  gehen  jähr- 
lich ungeheure  Karawanen  von  Verehi'ern,  welche  es  trotz  der  tausend  man- 
nigfachen Schwierigkeiten  eines  so  weiten  Weges  für  das  grösste  Glück  und 
ein  besonderes  Verdienst  vor  Gott  halten,  eine  solche  Reise  zu  unternehmen. 
Der  Dunganenaufstand  hatte  während  ganzer  elf  Jahre  den  Wallfahrten  der 
mongolischen  Pilger  nach  Tibet  Einhalt  gethan ;  nachdem  aber  die  chinesischen 
Truppen  die  Sicherheit  der  Wege  hergestellt,  sind  diese  Reisen  wieder  auf- 
genommen worden.  Dieselben  werden  zuweilen  sogar  von  Frauenzimmern 
unternommen,  denen  man  zu  ihrer  Ehre  nachrühmen  kann,  dass  sie  weniger 
scheinheilig  sind  als  die  Männer;  zu  erklären  ist  dies  vielleicht  durch  die 
Ueberbürdung  mit  häuslichen  Arbeiten,  welche  ihnen  weniger  Zeit  lässt,  sich  mit 
religiösen  Fragen  zu  befassen.  Es  ist  noch  zu  bemerken,  dass  die  Religiosität 
in  den  China  benachbarten  Grenzdistrikten  bei  weitem  geringer  ist,  als  in 
den  inneren  Landestheilen. 

Der  Stand  der  Geistlichen,  der  sogenannten  Lamen,^)  ist  ausserordentlich 
zahlreich.  Zu  demselben  gehört  mindestens  ein  Drittel  —  wenn  nicht  mehr  — 
der  ganzen  männlichen  Bevölkerung.  Alle  Lamen  sind  von  jeder  Steuer  be- 
freit.^) Lama  zu  werden,  ist  durchaus  nicht  schwierig.  Die  Eltern  bestimmen 
auf  ihren  eigenen  Wunsch  ihren  Sohn  schon  in  der  Kindheit  zu  dieser  Lauf- 
bahn, scheren  ihm  den  ganzen  Kopf  und  geben  ihm  eine  rothe  oder  gelbe 
Kleidung.  Dies  ist  das  äussere  Merkmal  der  künftigen  Bestimmung  des  Kindes. 
Später  wird  es  in  einen  Tempel  gebracht,  wo  es  im  Lesen  und  Schreiben 
und  in  buddhistischer  Weisheit  von  den  älteren  Lamen  unterrichtet  wird.^) 
In  einigen  berühmten  Tempeln,  wie  z.  B.  in  Urga  und  Gumbum*)  sind  zu 
diesem  Zwecke  besondere  Schulen  mit  einer  Eintheilung  in  Fakultäten  ein- 
gerichtet. Nach  Beendigung  des  Kursus  in  einer  solchen  Schule  tritt  der 
Lama  in  den  Etat  eines  Tempels,  oder  er  beschäftigt  sich  auch  als  Arzt  mit 
Behandlung  der  Kranken. 

Um  die  höheren  geistlichen  Würden  zu  erlangen,  muss  jeder  Lama  sich 
einem  bestimmten  Examen  unterwerfen,  um  seine  Kenntniss  der  buddhistischen 
Schriften  und  der  strengen  Regeln  des  Mönchthums  nachzuweisen.  Die 
Grade  der  geistlichen  Weihe  sind  folgende:  Kamba,  Gelun,  Gezul  und 
Bandi.     Jeder  dieser  Grade  hat  ein   besonderes   Unterscheidungszeichen    in 


>)  Lamen  heissen  eigentlich  nur  die  der  höheren  üeistlichkeit  angehörigen  Personen;  die 
ganze  Geistlichkeit  führt  im  Allgemeinen  den  Namen  Chuwarak.  Erstere  Benennung  wird 
indessen  viel  häufiger  gebraucht,  als  die  zweite. 

'0  Die  etatsmässigen  Lamen,  d.  h.  diejenigen,  welche  gewisse  Aemter  in  den  Götzentempeln 
bekleiden,  sind  von  allen  Abgaben  befreit;  für  die  nichtetatsmüssigen  werden  diese  von  den 
den  Angehörigen  entrichtet. 

')  Zuweilen  treten  auch  solche  Schüler  in  den  Stand  der  Lamen,  die  nicht  in  den  Tempeln, 
sondern  zu  Hause  in  der  Jurte  gelebt  haben. 

*)  Der  Götzentempel  Gumbum  befindet  sich  in  der  Provinz  Gan-ssu,  in  der  Nähe  der  Stadt 
Sining. 


Die  Mongolen.  375 

der  Kleidung'),  besondere  Plätze  beim  Gottesdienst  und  besondere  Regeln 
strengen  Lebens.  Den  wichtigsten  geistlichen  Rang  bekleidet  der  Kamba 
oder  Känbu;  er  empfängt  die  Weihe  direkt  vom  Kutuchta  und  weiht  selbst 
zu  den  niedrigeren  Graden.  Uebrigens  sind  auch  die  Kutuchta's  verpflichtet. 
alle  Grade  der  Weihe  durchzumachen;  es  geschieht  dies  aber  bei  ihnen  viel 
schneller,  als  bei  gewöhnlichen  Sterblichen. 

Je  nach  dem  Grade  der  Weihe  haben  die  Lamen  in  den  Tempeln  ver- 
schiedene Funktionen:  als  Zjabarzi,  Kirchendiener;  Pjarba,  Oekonom; 
Kessgui,  Tempelaufseher;  Umsat,  Leiter  des  Gesanges;  Demzi,  Kassen- 
verwalter; Ssordshi,  Oberpriestcr  des  Tempels. 

Ausser  den  beamteten  Lamen  befinden  sich  bei  jedem  Tempel  noch  viele 
(oft  einige  Hunderte,  zuweilen  tausend  und  mehr)  andere,  welche  ausser  ihren 
Gebeten  nichts  Anderes  verstehen  und  ausschliesslich  von  den  Spenden  opfer- 
williger Gläubigen  leben.  Endlich  giebt  es  auch  solche  Lamen,  die  von  ihren 
Eltern  keineswegs  der  Wissenschaft  halber  in  den  Tempel  gegeben  worden 
und  denn  auch  des  Lesens  und  Schreibens  unkundig  geblieben  sind;  nichts 
desto  weniger  tragen  sie  das  Lamengewand  und  den  Lamentitel,  welcher  letz- 
tere bei  den  Nomaden  stets  für  ehrwürdig  gehalten  wird. 

Die  Lamen  sind  zum  ehelosen  Leben  verpflichtet;  in  Folge  dieser  un- 
natürlichen Stellung  blüht  unter  ihnen  die  Sittenverderbniss  in  allerlei  Formen. 

Frauenzimmer  können  sich  vor  Erreichung  eines  bestimmten  Alters  gleich- 
falls dem  geistlichen  Stande  widmen.  Sie  empfangen  alsdann  die  Weihe, 
rasiren  sich  den  Kopf  und  geloben,  die  Regeln  eines  strengen  Lebens  zu 
beobachten.  Gleich  den  Lamen  tragen  sie  gelbe  Kleidung.  Diese  Nonnen 
heissen  Schabganzsa,  und  man  sieht  sie  ziemlich  häufig,  besonders  unter 
den  verwittweten  Alten. 

Der  Lamenstand  ist  die  furchtbarste  Pest  der  Mongolei,  da  er  den  besten 
Theil  der  männlichen  Bevölkerung  umfasst,  parasitisch  auf  Kosten  der  Anderen 
lebt  und  durch  seinen  unbeschränkten  Einfluss  dem  Volke  jede  Möglichkeit 
verschliesst,  sich  aus  der  tiefen  Rohheit,  in  der  es  lebt,  emporzuarbeiten. 

Wenn  aber  einerseits  die  religiösen  Ueberzeugungen  inmitten  der  Nomaden 
so  tiefe  Wurzeln  geschlagen  haben,  ist  andererseits  in  nicht  geringerem  Grade 
der  Aberglaube  entwickelt.  Allerlei  böse  Geister  und  Zaubereien  treiben  mit 
dem  Mongolen  bei  jedem  Schritte  ihr  Spiel.  In  jeder  ungünstigen  Natur- 
erscheinung sieht  er  die  Wirkung  eines  bösen  Geistes,  in  jeder  Krankheit 
eine  Heimsuchung  durch  denselben.  Das  tägliche  Leben  des  Nomaden  ist 
erfüllt  von  den  abergläubischsten  Anschauungen.  So  darf  er  bei  trübem 
Wetter  und  nach  Sonnenuntergang  keine  Milch  geben  oder  verkaufen,  weil 
sonst  das  Vieh  fallt;    dasselbe  geschieht,  wenn  Jemand  auf  der  Schwelle  der 


')  Die  Kleidung  der  Lamen  ist  immer  gelb  mit  rothem  Gürtel  oder  mit  rother  Schärpe  auf 
der  linken  Schulter.  Beim  Gottesdienst  halben  sie  Je  nach  dem  Grade  der  Weihe  besondere 
gelbe  Pallien  und  hohe,  gleichfalls  gelbe  Mützen. 


376  Die  Mongolen. 

Jurte  sitzt.  Vorher  über  eine  Reise  zu  sprechen,  ist  nicht  erlaubt,  weil  als- 
dann schlechtes  Wetter  oder  Schneetreiben  eintritt;  nach  der  Heilung  eines 
Stückes  Vieh  darf  im  Laufe  dreier  Tage  nichts  fortgegeben  oder  verkauft 
werden  u.  dergl.  m. 

Alles  das  ist  aber  nur  der  unbedeutendste  Theil  des  mongolischen  Aber- 
glaubens ;  man  muss  erst  sehen,  wie  verbreitet  hier  die  Wahrsagerei  und 
allerlei  Zaubereien  sind.  Diese  Künste  üben  nicht  allein  alle  Schamanen  und 
der  grösste  Theil  der  Lamen,  sondern  oft  auch  gewöhnliche,  einfache  Menschen, 
nur  keine  Frauen.  Die  Wahrsagerei  wird  gewöhnlich  nach  den  Rosenkränzen 
der  Lamen  und  andern  Dingen  ausgeführt,  wobei  es  natürlich  nicht  an  man- 
cherlei Beschwörungsformeln  fehlt.  Hat  der  Mongole  ein  Stück  Vieh,  seine 
Pfeife  oder  sein  Feuerzeug  verloren,  so  läuft  er  sofort  zum  Wahrsager,  um 
zu  erfahren,  wo  er  das  Verlorene  zu  suchen  habe.  Soll  er  eine  Reise  unter- 
nehmen, lässt  er  sich  unfehlbar  prophezeien,  ob  dieselbe  glücklich  sein  werde. 
Tritt  Dürre  ein,  so  ruft  die  ganze  Gemeinde  den  Schamanen  herbei  und  zahlt 
eine  bedeutende  Summe  Geldes,  damit  derselbe  den  Himmel  veranlasse,  das 
wohlthätige  Nass  auf  die  Erde  fallen  zu  lassen ;  ergreift  den  Nomaden  plötz- 
lich eine  schwere  Krankheit,  so  erscheint  statt  des  ärztlichen  Helfers  ein 
Lama,  um  die  Teufel  zu  beschwören,  die  in  den  sündigen  Körper  des  Kranken 
gefahren  sind. 

Zehn,  hundert  Mal  überzeugt  sich  der  Mensch  davon,  dass  die  Wahrsager 
und  Zauberer  betrügen,  aber  sein  kindlicher  Glaube  an  ihre  Macht  wird  da- 
durch nicht  wankend  gemacht.  Ein  zutreffender  Fall  —  und  alle  vorher- 
gegangenen Irrthümer  des  Wahrsagers  sind  vergessen;  er  gilt  dann  wieder 
für  einen  richtigen  Propheten.  Dabei  sind  die  Weisen  dieser  Gattung  ge- 
wöhnlich solche  durchtriebenen  Schlauköpfe,  dass  sie  leicht  schon  vorher 
Alles  auszukundschaften  wissen,  was  ihnen  für  ihre  Profession  zu  wissen 
nöthig  ist.  Viele  von  ihnen  haben  so  oft  Andere  betrogen,  dass  sie  zuletzt 
selbst  an  ihre  übernatürliche  Kraft  glauben. 

Nach  dem  Tode  eines  Mongolen  wird  dessen  Leichnam  gewöhnlich  auf 
das  Feld  geworfen,  damit  ihn  Raubvögel  und  wilde  Thiere  auffressen.  Die 
Lamen  bestimmen  hierbei,  nach  welcher  Himmelsgegend  der  Verstorbene  mit 
dem  Kopfe  gelegt  werden  soll.  Die  Leichen  der  Fürsten,  Gygen  und  ange- 
gesehener Lamen  werden  in  die  Erde  vergraben,  mit  Steinen  beschüttet,  oder 
endlich  auch  verbrannt.  Die  Gebete  für  die  Verstorbenen  werden  von  den 
Lamen  gegen  eine  gewisse  Entschädigung  im  Laufe  von  40  Tagen  gehalten. 
Die  Armen,  deren  Verwandte  den  Lama  nicht  bezahlen  können,  gehen  einer 
solchen  Ehre  verlustig;  dafür  vertheilen  aber  die  Reichen  oft  eine  bedeutende 
Menge  Vieh  an  verschiedene  Götzentempel,  und  die  Gebete  zum  Andenken  an 
einen  verstorbenen  Verwandten  dauern  dann  zwei,  drei  Jahre  fort. 

Derselbe  Mongole,  der  strenge  alle  religiösen  Gebräuche  erfüllt  und  im 
Grunde  ein  guter,  wenngleich  geistig  und  moralisch  beschränkter  Mensch  ist, 
erscheint  in  denjenigen  Fällen    als    ein    echter  Barbar,    in    denen    er    seinen 


Die  Mongolen.  377 

wilden  Leidenschaften  vollkommen  den  Zügel  schiessen  lässt.  Man  hat  eben 
nur  zu  sehen,  wie  unmenschlich  sie  mit  den  Dunganen  umgehen.  Derselbe 
Nomade,  der  Tags  zuvor  sich  gefürchtet  hat,  ein  Lamm  zu  tödten,  und  dies 
für  die  grösste  Sünde  hält,  schneidet  jetzt  seinem  in  Gefangenschaft  gerathenen 
Feinde  mit  aller  Seelenruhe  den  Kopf  ab.  Weder  Geschlecht  noch  Alter 
wird  berücksichtigt,  und  die  Niedermetzelung  der  Gefangenen  ist  allgemein. 
Freilich  zahlen  die  Dunganen  mit  gleicher  Münze.  Ich  führe  diesen  Fall 
auch  nur  zum  Beweise  dafür  an,  dass  die  Religion  allein,  ohne  die  an- 
deren Hilfsmittel  der  Civilisation,  nicht  die  barbarischen  Instinkte  eines  Volkes 
mildern  und  umgestalten  kann.  Die  buddhistische  Lehre  verkündet  bekannt- 
lich die  höchsten  moralischen  Prinzipien;  sie  hat  den  Mongolen  aber  nicht 
dahin  gebracht,  in  jedem  Menschen  seinen  Bruder  anzuerkennen  und  selbst 
gegen  den  Feind  barmherzig  zu  sein. 

Nehmen  wir  ferner  die  Sitte,  die  Todten  nicht  zu  begraben,  sondern  sie 
den  Raubvögeln  und  wilden  Thieren  zum  Frasse  hinzuwerfen.  Sicher  ist  ein 
Schauspiel,  wie  es  jedem  Reisenden  selbst  in  der  Nähe  von  Urga  aufstösst,  wo 
jährlich  Hunderte  von  Leichen  von  Raben  und  Hunden  aufgefressen  werden, 
ganz  dazu  angethan,  auch  den  rohesten  Menschen  zu  empören;  der  Mongole 
schleppt  indessen  ganz  ruhig  ihm  nahe  und  theuere  Personen  auf  einen  sol- 
chen Kirchhof.  Vor  seinen  Augen  fangen  die  Hunde  an,  den  Leichnam  seines 
Vaters,  seiner  Mutter  oder  seines  Bruders  zu  zerreissen,  und  er  sieht  wie  ein 
vernunftloses  Thier  diesem  Schauspiel  zu. 

Und  das  ist  eine  hochwichtige  Lehre  für  alle  künftigen  Prediger  des 
Christenthums.  Nicht  in  der  äusseren  Form  des  Ritus  allein  muss  hier  die 
neue  Propaganda  erscheinen,  sondern  Hand  in  Hand  mit  ihr  muss  der  civili- 
satorische  Einfluss  der  Kultur  einer  höher  gebildeten  Race  gehen.  Lehrt  den 
Mongolen  vor  allen  Dingen  nicht  in  dem  Schmutze  leben,  in  welchem  er 
heute  starrt,  macht  ihm  begreiflich,  dass  Gefrässigkeit  und  absolute  Faulheit 
Laster  und  nicht  Lebensgenuss  sind,  dass  das  Verdienst  jedes  Menschen  vor 
Gott  in  guten  Werken  besteht  und  nicht  in  einer  gewissen  Zahl  von  Gebeten, 
die  er  täglich  ableiert,  und  dann  erst  erklärt  ihm  den  Ritus  des  christlichen 
Glaubens.  Die  neue  Lehre  soll  den  Nomaden  nicht  nur  in  eine  neue  Welt 
geistigen  und  moralischen  Lebens  versetzen,  sondern  auch  sein  häusliches 
und  soziales  Leben  von  Grund  aus  reformiren.  Dann  erst  wird  das  Christen- 
thum  hier  ein  fruchtreiches  Prinzip  in  der  Wiedergeburt  des  Volkes  sein,  und 
der  von  demselben  ausgestreute  Samen  wird  inmitten  der  rohen  und  ungebil- 
deten Bevölkerung  tiefe  Wurzeln  schlagen. 

Als  die  Chinesen  gegen  das  Ende  des  17.  Jahrhunderts  fast  die  ganze 
Mongolei  unter  ihre  Botmässigkeit  gebracht  hatten,*)  liessen  sie  daselbst  die 


')  Die  heutiffe  Mon|;olei  erstreckt  sich  vom  oberen  Irtyscti  im  Westen  bis  zur  Mantschurei 
im  Osten  und  von  der  sibirischen  Grenze  im  Norden  bis  zur  grossen  Mauer  und  dem  moha- 
medanischeu  Gebiete  des  Thiau-Schan  im  Süden.  Im  Bassin  des  Kuku-noor  geht  die  südliche 
Grenze  in  einem  tief  nach  Süden  vorspringenden  Bogen  über  die  grosse  Mauer  hinaus. 


378  Jf^ie  Mongolen. 

feudalartige  Organisation  fortbestehen,  brachten  dieselbe  jedoch  in  ein  stren- 
geres System,  und  indem  sie  den  Fürsten  volle  Selbstständigkeit  in  der  inne- 
ren Verwaltung  gewährten,  unterwarfen  sie  dieselben  doch  auch  einer  strengen 
Kontrole  von  Seiten  der  Regierung  zu  Peking.  Hier  vereinigen  sich  im 
Ministerium  der  auswärtigen  Angelegenheiten  (Li-fan-juan)  alle  Geschäfte, 
welche  die  Mongolei  betreffen,  und  die  wichtigeren  werden  zur  Entscheidung 
dem  Bogdochan  unterbreitet.  In  administrativer  Hinsicht  hat  die  Mongolei 
eine  militärisch-territoriale  Organisation  und  wird  in  Lehen  oder  Fürstenthümer, 
Aimake  genannt,  getheilt.  Jedes  Aimak  besteht  aus  einem  oder  mehreren 
Choschunen,  d.  i.  Fahnen,  die  ihrerseits  in  Regimenter,  Schwadronen  und 
Zehnersektionen  eingetheilt  sind.^)  Sowohl  die  Aimake  wie  die  Choschunen 
werden  erblich  von  Fürsten  verwaltet,  die  sich  als  Vasallen  des  chinesischen 
Bogdochans  bekennen  und  nicht  das  Recht  haben,  mit  Umgehung  Peking's 
irgend  welche  auswärtigen  Verbindungen  anzuknüpfen. 

Die  nächsten  Gehilfen  des  Choschunfürsten  in  Sachen  der, inneren  Verwal- 
tung sind  die  T  ossalaktschen,  deren  Würde  gleichfalls  erblich  ist;  es  giebt 
deren  in  jedem  Choschun  einen,  zwei  oder  vier.  Der  Choschunfürst  ist  zu- 
gleich auch  der  Befehlshaber  der  Truppen  seiner  Fahne;  als  solcher  hat  er 
zwei  Gehilfen  (Meiren-tschshangin),  und  in  jedem  Regiment  befindet  sich  ein 
Oberst  (Tschshalin-tschshangin)  und  die  Schwadronsführer  (Ssomun-tschshan- 
gin)2).  An  der  Spitze  aller  Choschune  eines  Aimaks  steht  ein  besonderer 
Dsjan-dsjun  aus  einem  mongolischen  Fürstengeschlecht, 

Die  Choschunfürsten  treten  alljährlich. zu  einer  Versammlung  (Tschulchan) 
zusammen.'^)  Der  Präsident  derselben  wird  aus  der  Zahl  der  Fürsten  erwählt 
und  vom  Bogdochan  bestätigt.  Auf  diesen  Provinzial-Landtagen  werden  jedoch 
nur  Angelegenheiten  der  inneren  Verwaltung  verhandelt  und  entschieden; 
die  Oberaufsicht  über  dieselben  führen  die  Gouverneure  der  nächsten  chine- 
sischen Provinzen.'^) 

Einige  dem  eigentlichen  China  benachbarte  Provinzen  der  Mongolei  sind 
vollständig  dem  chinesischen  Staatsmodell  angepasst.  Es  sind  dies  das  Ge- 
biet Tschen-du-fu  hinter  der  grossen  Mauer,  nördlich  von  Peking;  das  Aimak 


')  Die  nördliche  Mongolei,  d.  i.  Chalcha,  besteht  aiis  4  Aimaken  mit  86  Choschunen;  die 
innere  und  östliche  mit  Ordos  umfasst  25  Aimake,  die  in  51  Choschune  getheilt  sind;  das 
Land  der  Zacharen  zerfällt  in  8  Fahnen;  Ala-schan  bildet  ein  Aimak  mit  3  Choschunen;  die 
westliche  Mongolei  oder  die  sogenannte  Dshungarei  enthält  4  Aimake  mit  .32  Choschunen;  da  hier 
die  Zahl  der  Mongolen  im  Vergleiche  zu  der  der  chinesischen  Eingewanderten  unbedeutend  ist, 
wurde  sie  vor  dem  Dunganenaufstande  in  7  Militärbezirke  eingetheilt.  Kuku-noor  mit  Zaidam 
hat  5  Aimake  mit  29  Choschunen;  das  Aimak  der  üränchen  endlich  wird  in  17  Choschune 
eingetheilt. 

*)  In  jeder  Schwadron  befinden  sich  zwei  Offiziere,  sechs  Unteroffiziere  i^nd  150  Gemeine. 

•'')  Ausserdem  werden  auch  ausserordentliche  Landtage  einberufen. 

*)  So  hat  z.  B.  der  Gouverneur  in  Kuku-choto  die  Oberaufsicht  über  Ordos,  das  westliche 
Tumyt  und  andere  zunächst  gelegene  mongolische  Aimake;  dem  Gouverneur  der  Stadt  Ssining 
(in  der  Provinz  Gan-ssu)  ist  der  ganze  Distrikt  des  Kuku-noor  mit  Zaidam  untergeordnet;  der 
Dsjan-dsjun  von  Uljassutai  überwacht  die  beiden  westlichen  Aimake  Vbn  Chalcha  u.  s.  w. 


Die  Mongolen.  379 

der  Zacharen  nordwestlich  von  Kaigan  und  das  Gebiet  Gui-chuatschen  (Kuku- 
choto),  welches  noch  weiter  westlich  an  der  nördlich  gerichteten  Biegung  des 
Gelben  Flusses  liegt.  Ausserdem  wurde,  wie  bereits  bemerkt,  die  westliche 
Mongolei  (Dshungarei)  vor  dem  Dunganenaufstande  in  sieben  Militärbezirke 
eingetheilt, ')  die  auf  Grundlage  einer  besonderen  Verordnung  verwaltet  wurden. 
Die  fürstliche  Würde  hat  in  der  Mongolei  sechs  Grade,  die  in  folgender 
Ordnung  abwärts  gehen:  Chan,  Zin-wan,  Zsjun-wan,  Beile,  Beise 
undGun;  ausserdem  bestehen  noch  die  regierenden  Zsassak-taitsi.-)  Die 
meisten  regierenden  Fürsten  leiten  den  Ursprung  ihrer  Geschlechter  von 
Tschingis-Chan  her.  Der  fürstliche  Titel  vererbt  sich  auf  den  ältesten  Sohn 
aus  legitimer  Ehe,  nachdem  derselbe  das  19.  Lebensjahr  erreicht  hat,  und 
muss  vom  Bogdochan  bestätigt  werden.  In  Ermangelung  eines  legitimen 
Sohnes  kann  der  Fürst  seinen  Titel  jedoch  auch  einem  seiner  unehelichen 
Söhne  oder  dem  nächsten  Verwandten  verleihen,  es  muss  hierzu  jedoch  die 
Genehmigung  des  Kaisers  eingeholt  werden.  Die  übrigen  Kinder  der  Fürsten 
gehören  dem  Stande  der  Adligen  (TaitsiJ  an,  die  ihrerseits  in  vier  Klassen 
zerfallen.  In  Folge  dieser  Sitte  vermehrt  sich  zwar  nicht  die  Zahl  der  Fürsten, 
deren  es  im  Ganzen  ungefähr  200  giebt,  dafür  wächst  aber  die  Zahl  der  Edel- 
leute  von  Jahr  zu  Jahr. 

Wie  bereits  bemerkt,  haben  die  Fürsten  gar  keine  politischen  Rechte,  sie 
sind  vielmehr  vollständig  abhängig  von  der  Regierung  zu  Peking,  die  alle 
ihre  Handlungen  scharf  kontrolirt.  Sie  empfangen  Alle  Jahrgehalte  vom 
Bogdochan,^)  von  welchem  auch  ihre  Erhebung  in  eine  höhere  Rang- 
klasse abhängt.  Einigen  dieser  Fürsten  werden  auch  noch  Prinzessinnen  des 
kaiserlichen  Hauses  zu  Gattinnen  gegeben,*)  um  durch  derartige  Verwandt- 
schaftsbande die  Botmässigkeit  der  Nomaden-Seigneurs  zu  befestigen.  Jeder 
Fürst  ist  verpflichtet,  einmal  in  drei  oder  vier  Jahren  zum  Neuen  Jahre  in 
Peking  zu  erscheinen,  um  den  Bogdochan  zu  beglückwünschen;  bei  dieser 
Gelegenheit  hat  er  in  der  Form  eines  Tributs  Geschenke  darzubringen,  die 
grösstentheils  in  Kameelen  und  Pferden  bestehen.  In  Erwiederung  derselben 
empfängt  er  gleichfalls  Geschenke  (Silber,  Seidenstoff,  Anzüge,  Mützen  mit 
Pfauenfedern  etc.),  die  stets  viel  werthvoller  als  die  von  ihm  dargebrachten 
sind.    Ueberhaupt  erfordert  der  Besitz  der  Mongolei  jährlich  bedeutende  Opfer 


^)  Zwei  derselben  (Urumzy  und  Barkul)  gehörten  zur  Provinz  Gan-ssu. 
*)  Das  Wort  „Zsassak'  bezeichnet  jeden  regierenden  Fürsten  der  Mongolei. 
^)  Der  Fürst  ersten  Grades  erhält  jährlich  2000  Lan  Silber  und  25  Stück  Seidenstoff. 
„         „      zweiten     ,  ,  ,         l'^OO     ,         ,  „      15       ,  « 

,         „      dritten      „  „  „  800     „        r>  »      13       „  , 

,      vierton      „  „  „  500     „         „  ,      10       , 

„      fünften      „  „  ,  300     „         ,  ,       9       , 

sechsten    „  ,  ,  200     ,         ,  .        7       .,  „ 

Der  Zsassak-taitsi        .,  ,  100     ,        ,         .       4       . 

♦)  Diese  Prinzessinnen  empfangen  gleichfalls  bestimmte   Jahrgehalte  vom  Hofe   in  Peking: 
ihnen  ist  nur  einmal  in  10  Jahren  nach  Peking  zu  kommen  gestattet. 


380  Die  Mongolen. 

von  Seiten  China's,i)    dafür    sichert    er    das  Reich    der  Mitte  vor  möglichen 
Einfällen  der  unruhigen  Nomaden. 

Die  Zahl  der  Bewohner  der  Mongolei  ist  nicht  mit  Genauigkeit  fest- 
gestellt. Joakinf  giebt  drei,  Timkowski  nur  zwei  Millionen  an.  Jedenfalls 
ist  die  Bevölkerung  im  Verhältniss  zum  Areal  äusserst  unbedeutend,  wie  dies 
beim  Nomadenleben  und  bei  der  Unfruchtbarkeit  des  grössten  Theiles  der 
mongolischen  Ländereien  nicht  anders  sein  kann.  Die  Zunahme  der  Bevöl- 
kerung ist  aller  Wahrscheinlichkeit  nach  eine  sehr  geringe,  wozu  die  Ehe- 
losigkeit der  Lamen  und  verschiedene  Krankheiten  (Syphilis,  Blattern,  Ty- 
phus etc.),  die  zuweilen  unter  den  Nomaden  herrschen,  das  Ihrige  beitragen 
mögen. 

Die  Fürsten,  der  Adel  (Taitsi),  die  Geistlichkeit  und  das  einfache  Volk 
bilden  die  Stände  der  mongolischen  Bevölkerung.  Die  drei  ersten  Klassen 
erfreuen  sich  aller  Rechte ;  das  einfache  Volk  besteht  aus  halbfreien  Menschen, 
welche  die  Landessteuern  zahlen  und  Kriegsdienste  leisten  müssen. 

Die  mongolischen  Gesetze  sind  in  einem  besonderen  Gesetzbuche  ent- 
halten, das  von  der  chinesischen  Regierung  herausgegeben  worden  ist.  Nach 
diesem  Codex  haben  sich  die  Fürsten  in  ihren  Verwaltungsgeschäften  zu 
richten;  minder  wichtige  Sachen  werden  stets  der  althergebrachten  Sitte 
gemäss  entschieden.  Das  Strafsystem  beruht  auf  Strafzahlungen;  dann  folgt 
die  Verbannung.  Mord  und  grosse  Diebstähle  werden  zuweilen  mit  dem  Tode 
bestraft.  Die  Körperstrafe  besteht  für  das  einfache  Volk  und  auch  für  die 
durch  richterliches  Erkenntniss  degradirten  Adligen  und  Beamten.  Bestechung, 
Bestechlichkeit  und  andere  Missbräuche  sind  in  der  Administration  sowohl 
wie  im  Gerichtswesen  bis  zum  äussersten  Grade  entwickelt. 

Abgaben  entrichtet  das  Volk  nur  seinen  Fürsten  und  zwar  vom  Vieh; 
in  ausserordentlichen  Fällen  —  z.  B.  bei  der  Reise  des  Fürsten  nach  Peking 
oder  zur  Volksversammlung,  bei  der  Verheirathung  der  Kinder  desselben, 
bei  dem  Wechsel  der  Lagerplätze  u.  dergl.  m.  —  werden  spezielle  Beisteuern 
erhoben.  An  China  entrichten  die  Mongolen  keine  Abgaben,  sie  leisten 
ihm  eben  nur  Kriegsdienste,  von  denen  jedoch  die  Geistlichkeit  befreit  ist. 

Das  Heer  besteht  ausschliesslich  aus  Reiterei.  Je  150  Familien  bilden 
eine  Schwadron,^)  sechs  dieser  Schwadronen  ein  Regiment;  die  Regimenter 
eines  Choschuns  heissen  „Fahne".  Die  Bekleidung  und  das  Pferd  hat  der 
Mongole  für  eigene  Rechnung  zu  beschaffen,  die  WajSen  werden  ihm  vom 
Staate  geliefert.^)  Bei  einem  vollen  Aufgebote  soll  die  Mongolei  284,000 
Mann  stellen,  in  der  Wirklichkeit  kommt  aber  kaum  der  zehnte  Theil  schnell 


')  Die  Jahrgehalte  der  Fürsten  betragen  allein  1 20,000  Lan  Silber  und  3,500  Stück  Seiden- 
stoff jährlich. 

*)  Die  Dienstpflicht  erstreckt  sich  auf  die  Männer  von  18  bis  ßo  Jahren;  von  drei  Männern 
einer  Familie  wird  einer  zum  Dienst  gestellt. 

^)  Die  Bewaffnung  ist  äusserst  mangelhaft;  sie  besteht  aus  langen  Piken,  Säbeln,  Bögen 
und  Luntengewehren. 


Die  Tangiiten.  381 

zusammen.  Die  Dsjan-dsjune  der  Aimake  sind  zwar  verpflichtet,  Musterungen 
abzuhalten  und  sich  von  dem  guten  Zustande  der  Waffen  zu  überzeügeu,  von 
aHem  dem  kauft  sich  aber  gewöhnlich  das  Choschun  .durch  Bestechung  los. 
Der  faule  Nomade  zahlt  lieber  diese  Loskaufssumme,  als  dass  er  die  Mühen 
des  Dienstes  übernähme.  Der  chinesischen  Regierung  ist  diese  Erscheinung 
auch  durchaus  nicht  unlieb,  da  sie  beweist,  dass  der  frühere  kriegerische  Sinn 
der  Mongolen  mit  jedem  Jahre  mehr  und  mehr  erschlafft. 


Die  Tanguten. 

Die  Tanguten  oder,  wie  die  Chinesen  sie  nennen,  Ssi-fan  sind  gleichen 
Stammes  mit  den  Tibetanern.^)  Sie  bewohnen  das  Gebirgsland  Gan-ssu,  die 
Gegend  westlich  vom  Kuku-noor,  den  östlichen  Theil  Zaidam"s,  besonders 
aber  das  Bassin  des  oberen  Hoang-ho  und  erstrecken  sich  nach  Süden  bis 
zum  Blauen  Flusse,  vielleicht  noch  weiter.  Diese  Gegenden  —  mit  Ausnahme 
des  Kuku-noor  und  Zaidam's  —  führen  bei  den  Tanguten  den  allgemeinen 
Namen  Amdo  und  gelten  als  ihr  Territorium,  obgleich  sie  daselbst  mit  Chi- 
neseu,  zum  Theil  auch  mit  Mongolen  vermischt  leben. 

In  ihrem  äusseren  Typus  unterscheiden  sich  die  Tanguten  scharf  von 
beiden  und  erinnern  an  die  Zigeuner.  Im  Allgemeinen  haben  sie  einen  mitt- 
leren, zum  Theil  sogar  grossen  Wuchs,  untersetzten  Körperbau  und  breite 
Schultern.  Haare,  Augenbrauen  und  Barte  sind  bei  allen  ohne  Ausnahme 
schwarz;  die  Augen  sind  schwarz,  gewöhnlich  gross,  oder  doch  von  Mittel- 
grösse, aber  nicht  eng  geschlitzt,  wie  bei  den  Mongolen.  Die  Nase  ist  gerade, 
zuweilen  (nicht  besonders  selten)  gebogen,  oder  aufgestülpt;  die  Lippen  sind 
gross  und  ziemlich  oft  aufgeworfen.  Die  Backenknochen  stehen  zwar  auch 
etwas  hervor,  aber  nicht  so  stark,  wie  bei  den  Mongolen;  das  Gesicht  ist  im 
Allgemeinen  länglich,  aber  nicht  flach,  der  Schädel  rund;  die  Zähne  sind 
ausgezeichnet  und  weiss.  Die  allgemeine  Hautfai-be  ist  braun,  bei  den  Frauen 
zuweilen  matt.  Letztere  sind  gewöhnlich  von  kleinerem  Wüchse  als  die 
Männer. 

Im  Gegensatze  zu  den  Mongolen  und  Chinesen  haben  die  Tanguteu 
starken  Bartwuchs,   sie  scheren  aber  die  Barte    beständig.     Ebenso    scheren 


')  Die  Vorfalneu  der  jetzigeu  Tibetaner  waren  Tanguten,  die  im  4.  Jahrlnuidert  vor  Christi 
Geburt  vom  Kuku-noor  nach  Tibet  auswanderten,  (Statistische  Besehreibimg  Chinas  von  Joa- 
kiuf,  Bd.  II,  S.  145}. 


382  Die  Tanguten. 

sie  das  Haupthaar,  von  dem  sie  nur  einen  Zopf  am  Hinterhaupte  stehen 
lassen;  die  Lamen  scheren,  wie  auch  bei  den  Mongolen,   den  ganzen  Kopf. 

Die  Frauen  tragen  lange  Haare,  die  sie  in  der  Mitte  theilen  und  zu 
beiden  Seiten  in  kleine  Zöpfe  flechten,  von  denen  15  bis  20  auf  jede  Seite 
kommen,  und  in  welche  zum  Schmucke  Perlen,  Bänder  und  ähnliche  Ver- 
zierungen eingeflochten  werden.  Ausserdem  schminken  sich  die  Frauen  das 
Gesicht,  zu  welchem  Zwecke  sie  chinesische  Schminke,  im  Sommer  aber 
Erdbeeren  verwenden,  die  im  Ueberflusse  in  den  Gebirgswäldern  wachsen. 
Uebrigens  haben  wir  die  Sitte  des  Schminkens  nur  in  Gan-ssu  bemerkt,  aber 
nicht  am  Kuku-noor  und  in  Zaidam,  wo  vielleicht  die  dazu  nothigen  Ingre- 
dienzien schwer  zu  erlangen  sind. 

So  ist  das  Aeussere  der  Tanguten  beschaffen,  welche  Gan-ssu  bewohnen. 
Ein  anderer  Zweig  dieses  Volkes  sind  die  sogenannten  Chara-Tanguten^). 
Dieselben  wohnen  im  Bassin  des  Kuku-noor,  im  östlichen  Zaidam  und  am 
oberen  Laufe  des  Gelben  Flusses  und  unterscheiden  sich  von  ihren  Stammes- 
genossen durch  einen  grösseren  Wuchs,  durch  dunklere  Hautfarbe  und  am 
schärfsten  durch  ihren  räuberischen  Charakter.  Ausserdem  tragen  die  Chara- 
Tanguten  keine  Zöpfe,  sondern  scheren  das  ganze  Haupt. 

Die  Erforschung  der  tangutischen  Sprache  bot  uns  ungeheure  Schwierig- 
keiten, einmal,  weil  wir  keinen  Dolmetscher  hatten,  dann  aber  auch  wegen 
des  ausserordentlichen  Misstrauens  der  Tanguten.  Irgend  ein  Wort  in  Gegen- 
wart des  Sprechenden  aufschreiben,  hiess  sich  für  immer  die  Möglichkeit  ver- 
schliessen,  irgend  etwas  zu  erfahren,-  das  Gerücht  von  einem  solchen  Falle 
wäre  über  das  ganze  benachbarte  Land  geflogen  und  des  Misstrauens  dann 
kein  Ende  mehr  gewesen.  Da  mein  kosakischer  Dolmetscher,  der  ohnehin 
ein  schlechter  Dragoman  war,  das  Tangutische  gar  nicht  kannte,  konnten  wir 
uns  durch  ihn  nur  mit  denjenigen  Tanguten  verständigen,  welche  die  mon- 
golische Sprache  verstanden,  und  das  traf  sich  äusserst  selten.^)  Viel  eher 
konnte  man  einen  Mongolen  finden,  der  das  Tangutische  verstand,  und  einen 
solchen  hatten  wir  denn  auch  wirklich  während  unseres  Sommeraufenthalts 
in  den  Gebirgen  von  Gan-ssu  bei  uns.  Aber  auch  unter  solchen  Umständen 
musste  bei  der  Unterhaltung  mit  Tanguten  jeder  Satz  richtig  gehört  und  durch 
zwei  Personen  einer  dritten  übersetzt  werden,  was  selbstverständlich  äusserst 
ermüdend  und  unbequem  war.  Gewöhnlich  sprach  ich  mit  meinem  Kosaken 
russisch,  er  übersetzte  das  Gesagte  dem  Mongolen  ins  Mongolische  und  dieser 
letztere  dem  Tanguten  in  seine  Sprache.  Wenn  man  hierbei  noch  die  geistige 
Beschränktheit  unseres  kosakischen  Dolmetschers,  die  Einfalt  des  Mongolen 
und  das  Misstrauen  des  Tanguten  in  Betracht  zieht,  wird  man  sich  vorstellen 
können,  wie  bequem  es  uns  sein  musste,  linguistische  Forschungen  im  Tan- 
gutenlande zu  machen.     Nur  bei  einer  besonders   günstigen  Gelegenheit,   die 


')  D.  i.  schwarze  Tanguten. 

^)  Chinesisch  sprechen  fast  alle  Tanguten  in  Gan-ssu. 


Die  Tanguten. 


383 


sich  bei  der  Menge  anderer  Beschäftigungen  nur  zufällig  darbieten  konnte, 
gelang  es  mir,  mit  einem  Tanguten  zu  sprechen  und  verstohlener  Weise  einige 
Wörter  aufzuschreiben.  Selbstverständlich  konnte  unter  solchen  Umständen 
die  Ausbeute  an  Wörtern  einer  den  Europäern  vollständig  fremden  Sprache 
nur  sehr  dürftig  sein. 

Die  Tanguten  sprechen  stets  schnell  und  ihre  Sprache  wird,  wie  es 
scheint,  durch  folgende  Besonderheiten  charakterisirt: 

Durch  einen  Reichthum  einsilbiger,  abgebrochen  ausgestossener  Wörter; 
z.B.  tok  (Blitz),  tschssü  (Wasser),  rza  (Gras),  chzja  (Haare); 

Durch  Zusammenstellung  einer  grossen  Menge  von  Konsonanten;  z.B. 
mdsugöö  (Finger),  nämrzaa  (Jahr),  rdsäwaa  (Monat),  lamrton-lamä  (Paradies). 

Die  Vokale  am  Ende  der  Wörter  werden  häufig  gedehnt  ausgesprochen: 
ptschii  (Maulesel),  schaa  (Fleisch);  dsää  (Thor),  wöö  (Ehemann),  ssää  (Hut); 
zuweilen  werden  aber  auch  die  Vokale  in  der  Mitte  der  Wörter  gedehnt: 
ssäasüü  (Land),  döoa  (Tabak). 

Das  n  am  Ende  der  Wörter  wird  gedehnt  und  mit  dem  Nasallaut  —  wie 
das  französische  n  —  ausgesprochen:  lun  (Wind),  schan  (W^ld),  ssübtschen 
(Bach);  das  m  am  Ende  wird  kurz  herausgestossen:  lam  (Weg),  onäm  (Donner). 

Das  g  am  Anfange  der  Wörter  klingt  wie  h:  goma  (Milch);  k  erhält  zu- 
weilen noch  einen  Kehlhauch  und  klingt  dann  ein  kch :  kchika  (der  Gebirgs- 
rücken), diidkchük  (Tabaksbeutel);  tsch  wird  zuweilen  wie  ztsch  ausgesprochen: 
ztschö  (Hund);  das  r  am  Anfange  der  Wörter  in  Verbindung  mit  einem  oder 
mehreren  Konsonanten  ist  kaum  hörbar :  rgänmu  (Ehefrau),  rmüchaa  (Wolke). 

Folgende  tangutischen  Wörter  habe  ich  überhaupt  aufzeichnen  können: 


Berg rii') 

Gebirgsrücken  .     .     .  kchika 

Fluss tschssü-tschen 

Bach ssiib-tschen 

See ZOO 

Wasser tschssü 

Gras rza 

Wald schan 

Baum schau-kyrü 

Holz mii-schan 

Feuer mii 

Wolke rmüchaa 

Regen zssär 

Schnee kün 

Donner onam 


Blitz 

Frost 

Hitze 

Wind 

Weg 

Theo 


tok 

chabssü 

ilsättschige 

lun 

lam 

dsää 


Jurte kürr 

Herd chzäktäb 

Zelt rükärr 

Milch göma 

Butter marr 

Fleisch schaa 

Hammel lük 

Bock ramä 

Kuh ssok 

Stier olunmu 

1  Stier  ....  yak 

jKuh  ....  udshö=) 

Hund ztschö 

Pferd rtaa 

Esel onlö 

Maulthier   ....  ptschii 

Bär bssügdshet 

Flussotter  ....  tschüchram 

Wolf küadam 

Fuchs gaa 

Steppenfuchs  .    .     .  bee 


Yak 


')  Die  gedehnten  Vokale  sind  doppelt  geschrieben. 
*)  sh  ist  der  Laut  des  französischen  j. 


384 

Igel  .    .    . 
Fledermaus 
Springhase 
Hase       .    . 
Hasenmaus 
Maus      .     . 
Murmelthier 
Moschusthier 
u-     i,  \  Bock 
^''''^  }  Kuh 
Argali     .    . 
Kameel   .     . 
Filz    .    .     . 
Pelz    .    .    . 
Hut    .    .     . 
Sattel      .     . 
Chalat') .     . 
Stiefel      .     . 
Hemd      .    . 
Pfeife      .    . 
Feuerstahl   . 
Tabak      .     . 
Hufeisen 
Tabaksbeutel 
Mann      .     . 
Frau  .     .     . 
Kind  .     .     . 
Ehemann    . 
Ehefrau  .     . 
Mensch   .     . 
Kopf  .     .    . 
Auge  .     .     . 
Nase  ,     .     . 
Stirn  .     .     . 
Ohren      .     . 
Augenbrauen 
Mund      .     . 
Lippen    .     . 
"Wangen 
Gesicht   .    . 
Haare     .     . 
Schnurrbart 
Backenbart 
Bart  .     .    . 
Zähne     ,    . 
Zunge     .    . 
Herz  .    .     . 
Blut    .     .     . 
Hals    .    .    . 
Eingeweide  . 
Brust .    .    . 
Hände     .    . 
Finger     .    . 


Die  Tanguten. 

0 

rgan  Nägel       zinmu 

pänaa  Rücken zänra 

rchtilu  Leib tschömbu 

rügun  Beine künaa 

btschshaa,  dshäksüm         Fusssohle     ....     känti 

charda  Knie ormü 

schoo  Schienbein    ....     chzinar 

laa  Gott sschaa 

Schaa?  Engel tünba 

imü  Teufel dshee 

rchän  Paradies lämrton-lamä 

namün  Hölle uardu 

dsügon  Himmel nam 

rzöcha  Sonne       nima 

ssää  Sterne      ...     .    .     .    kärama 

rtrga  Mond däwa 

loo  Erde ssäasüü 

cham  Jahr nampzaa 

zolin  Monat rdsäwaa 

tötchuu  Woche nimaP-abdün 

mizä  Tag nima? 

döoa  Nacht nämgun 

michzäk  Gehen       dshöo 

düdkchük  Stehen läniöt 

chtscheibssa  Essen tassa 

jörchmät  Trinken tun 

Ssäsi  Schlafen rnit 

wöö  Liegen nää 

rgknmu  Sitzen dök 

mni  Schreien küpsset 

mni-gou  Sprechen     ....    schöda 

nik  Beten schägamza 

chnaa  Sehen chzirkta 

tombä  Bringen zeraschok 

rna  Reiten dangdshö 

dsüma  Laufen dardshük 

ka  Er       kan 

tschöli  Ist jöt 

dsämba  Ja rit 

noo  Nein mit 

chzä  1 chzik 

kobssü  2 ni 

dsära  3 ssum 

dsämki  4 bshö 

ssoo  5 rna 

chze  6 tschok 

rchin  ^ dün 

tschak  8 dsät 

chnä  9 rgü 

dsünak  10      ......     zü-tambü 

ptschan  11 zü-chzik 

löchwa  12 zü-ni 

mdsugüü  20 ni-tschi-tambü 


')  Orientalisch  geschnittener  Rock. 


Die  Tanguten. 

600    ..    . 

.     tschök-rdsä 

700    ..     . 

.     düu-rdsä 

800     .     . 

.     dsiit-nisii 

900     .     . 

.     rgü-rdsä 

1,000     .     . 

.     rtün-tyk-chzik 

2,000     .     . 

.    .    rtün.tyk-ni 

10,000     .     . 

.     tschi-zok-chzik 

20,000     .     . 

.     .     tschi-zok-ni 

100,000     .     . 

.     .     biima 

200,000     .     . 

.     büma-ni 

aoo.ooo    .    . 

.     .     büma-ssum 

)  ,000,000     .     . 

.     .    ssiwa 

10,000,000     .     . 

.     .     dünchyr 

385 

30 ssiim-tschi-tambä 

40 bshöp-tschi-tambä 

ftO riiop-tschi-tainbü 

C<0 tschok-tschi-tainbä 

70 dün-tschi-tambä 

-SO dsüt-tschi-tambä 

90 rgüp-tsclii-tambä 

lt)0 rdsä-tambä 

101 rdsä-ta-chzik 

102 rdsä-ta-ni 

200 ui-rdsä 

300 ssiim-rdsä 

400 bshö-rdsil 

500 riiü-rdsä 

Die  Kleidung  der  Tanguten  wird  je  nach  dem  Klima,  das  im  Sommer 
ausserordentlich  feucht  und  im  Winter  kalt  ist,  aus  Tuch  oder  aus  Schaffellen 
angefertigt.  Die  Sommcrkleidung  der  Männer  sowohl  wie  der  Frauen  besteht 
aus  einem  Chalat  von  grauem  Tuche,  der  nur  bis  zum  Knie  reicht,  chinesi- 
schen oder  eigen  angefertigten  Stiefeln  und  einem  niedrigen,  gewöhnlich 
grauen  Filzhute  mit  breitem  Rande.  Hemden  und  Beinkleider  kennen  die 
Tanguten  nicht,  so  dass  sie  selbst  im  Winter  die  Pelze  auf  dem  nackten  Leibe 
tragen;  die  oberen  Theile  der  Unterschenkel  bleiben  gewöhnlich  unbedeckt. 
Die  Reichen  tragen  Chalate  von  blauer  chinesischer  Daba,  was  jedoch  schon 
für  Luxus  gehalten  wird,  und  die  Lamen  haben,  wie  auch  bei  den  Mongolen, 
eine  rothe,  seltener  eine  gelbe  Kleidung. 

Im  Allgemeinen  ist  die  Kleidung  der  Tanguten  weit  ärmlicher,  als  die 
der  Mongolen,  so  dass  ein  seidener  Chalat,  wie  man  ihn  in  Chalcha  häufig 
sieht,  im  Tangutenlande  eine  Seltenheit  ist,  die  nur  au.snahmsweise  vorkommt. 
Welches  aber  auch  sonst  die  Kleidung,  welches  auch  die  Jahreszeit  sein 
mag,  der  Tangute  lässt  beständig  den  rechten  Aermel  herabhängen,  so  dass 
der  Arm  und  ein  Theil  der  Brust  auf  dieser  Seite  nackt  bleiben;  diese  Ge- 
wohnheit behält  er  selbst  auf  Reisen  bei,  wenn  das  Wetter  es  nur  irgend 
gestattet. 

Tangutische  Stutzer  geben  ihrer  Kleidung  oft  eine  Einfassung  von  Pauther- 
fell,  das  sie  aus  Tibet  erhalten,  und  tragen  ausserdem  im  linken  Ohr  einen 
grossen  silberneu  Ohrring  mit  einer  rothen  Granate.  Dann  sind  der  Feuer- 
stahl und  das  Messer  am  Gürtel  auf  dem  Rücken,  Tabaksbeutel  und  Pfeife 
an  der  linken  Seite  unerlässliche  Bestandtheile  des  Kostüms  jedes  Tanguten. 
Ausserdem  tragen  am  Kuku-noor  und  Zaidam  alle,  ebenso  wie  die  Mongolen, 
noch  lange,  breite  tibetanische  Säbel  im  Gürtel.  Das  Eisen  dieser  Säbel 
ist  äusserst  schlecht,  obgleich  der  Preis  derselben  sehr  hoch  ist:  man  zahlt 
drei  oder  vier  Lan  für  die  einfachste  Klinge  und  gegen  15  Lan  lür  eine 
besser  gearbeitete. 

Die  Frauen  haben,  wie  bereits  erwähnt,  dieselbe  Kleidung  wie  die 
Männer;  nur  bei  grosser  Toilette  hängen  sie  über  die  Schultern  noch  breite 
Handtücher,    welche  mit  weissen  kreisförmigen  Verzierungen  von  einem  Zoll 

Zcitsi'brift  für  Ethnologie,  .I;ilirgaiig   ISi.'i.  27 


386  I  Die  Tanguten, 

im  Durchmesser  geschmückt  sind.  Diese  Verzierungen  werden  aus  Muscheln 
angefertigt  und  eine  von  der  anderen  etwa  zwei  Zoll  entfernt  aufgenäht.  Ausser- 
dem bilden  noch,  ebenso  wie  bei  den  Mongolinnen,  rothe  Glasperlen  den 
wesentlichsten  Bestandtheil  des  Schmuckes  reicher  Frauen. 

Die  allgemein  übliche  Wohnung  des  Tanguten  ist  ein  schwarzes  Zelt, 
welches  aus  einem  groben,  siebartig  dünnen  Wollengewebe^)  hergestellt  wird. 
Dasselbe  ruht  auf  vier  Pfählen,  welche  die  Ecken  bilden,  und  wird  an  den 
Seiten  vermittelst  Schlingen  bis  zur  Erde  herabgezogen;  in  der  Mitte  des 
fast  flachen  Obertheils  befindet  sich  ein  länglicher  Ausschnitt  von  ungefähr 
einem  Fuss  Breite,  durch  welchen  der  Rauch  hinausgeht,  und  der  bei  Regen- 
wetter und  Nachts  zugedeckt  wird.  Im  Innern  des  Zeltes  ist  in  der  Mitte  ein 
Herd  aus  Lehm  befindlich;  an  der  dem  Eingange  gegenüber  liegenden  Seite 
sind  die  Burchanen  aufgestellt  und  an  den  Seiten  die  Lagerstätten  der  Be- 
wohner selbst  hergerichtet.  Dieselben  bestehen  oft  nur  aus  einem  Arm  voll 
Reisig,  das  ohne  Weiteres  auf  die  vom  Regen  und  von  der  Feuchtigkeit  in 
Schmutz  verwandelte  Erde  geworfen  wird. 

Nur  in  dem  waldreichen  gebirgigen  Gebiete  Gan-ssu  wird  das  schwarze 
Zelt  da,  wo  die  Tanguten  mit  den  Chinesen  zusammen  leben  und  sich  gleich 
diesen  mit  Ackerbau  beschäftigen,  zuweilen  durch  eine  hölzerne  Hütte  (Fansa) 
ersetzt.  Diese  Hütten  erinnern  in  ihrer  äusseren  Form  stark  an  die  weiss- 
russischen  Rauchstuben,  sind  aber  noch  elender  gebaut.  Sie  haben  nie  einen 
hölzernen  Fussboden  und  die  Wände  sind  keine  Balkengebinde,  sondern  be- 
stehen aus  unbehauenen  Balken,  die  über  einander  gelegt  und  zwischen 
denen  die  Zwischenräume  mit  Lehm  verkittet  werden.  Das  flache  Dach  be- 
steht aus  Streckbalken,  auf  welche  Erde  geschüttet  wird;  in  der  Mitte  des 
Daches  ist  eine  Oefi'nung  zum  Hinauslassen  des  Rauches  angebracht,  die 
auch  die  Stelle  des  Fensters  vertritt. 

Aber  auch  eine  solche  Wohnung  ist  unendlich  komfortabel  im  Vergleich 
zu  dem  schwarzen  Zelte.  In  derselben  ist  der  Tangute  wenigstens  gegen 
die  Unbill  des  Wetters  geschützt,  während  er  im  schwarzen  Zelte  bald  vom 
Sommerregen  durchnässt,  bald  von  der  Winterkälte  heimgesucht  wird.  Man 
kann  ohne  üebertreibuDg  sagen,  dass  die  Höhle  des  Murmelthiers,  das  neben 
dem  Tanguten  lebt,  zehnmal  komfortabler  ist,  als  die  Wohnung  dieses  Menschen. 
Dort  hat  das  Thier  wenigstens  eine  weiche  Lagerstätte,  der  Tangute  aber 
begnügt  sich  in  seinem  schmutzigen  Zelte  mit  einem  Lager,  das  aus  einem 
Arm  voll  Reisig  oder  verfaulten  Filzdecken  besteht,  die  auf  die  feuchte,  oft 
nasse  Erde  geworfen  werden. 

Die  llauptbeschüftiguug  der  Tanguten  ist  die  Viehzucht,  die  ihnen  alles 
liefert,  was  ihrem  überaus  einfachen  Leben  nothwendig  ist.  Von  Hausthieren 
züchten  die  Tanguten  ganz  besonders  Yaks  und  Hammel  (ohne  Fettschwänze); 
Pferde  und  Kühe  halten   sie   in   geringerer  Menge.     Der  Reichthum  an  Vieh 


')  Dieses  Gewebe  wird  aus  Vakwollc  bereitet. 


Die  Tanguten.  387 

ist  im  Allgemeinen  sehr  bedeutend,  was  sich  freilich  durch  den  Ueberfluss  an 
herrlichen  Weiden  auf  den  Gehir£;en  von  Gan-ssu  und  in  den  Steppen  am 
Kuku-noor  leicht  erklärt.  An  beiden  Orten  haben  wir  oft  Heerden  von 
einigen  Hunderten  von  Yaks  und  von  einigen  Tausenden  von  Hammeln,  die 
einem  Eigenthümer  gehörten,  gesehen.  Indessen  leben  die  Besitzer  solcher 
Heerden  in  eben  so  schmutzigen  schwarzen  Zelten  wie  ihre  ärmsten  Stammes- 
genossen. Es  ist  viel,  wenn  der  reiche  Tangute  einen  Chalat  von  Daba  statt 
des  einfachen  tuchenen  anzieht  und  ein  Stück  Fleisch  mehr  isst,  —  in  allem 
Uebrigen  unterscheidet  sich  sein  Leben  in  keiner  Weise  von  dem  seiner 
Dienstboten.  Er  ist  eben  so  unreinlich  wie  diese,  denn  er  wäscht  sich  nie. 
Seine  Kleidung  wimmelt  von  Parasiten,  die  er,  eben  so  wie  der  Mongole, 
öffentlich  vertilgt,  ohne  sich  durch  die  Gegenwart  irgend  Jemandes  ge- 
niren  zu  lassen. 

Das  charakteristischste  Thier  des  ganzen  Landes  und  der  unzertrennliche 
Begleiter  des  Tanguien  ist  der  langwollige  Yak.  Dieses  Thier  wird  auch  in 
den  Gebirgen  von  Ala-schan  gezüchtet  und  in  grosser  Zahl  von  den  Mon- 
golen im  nördlichen  Theile  von  Chalcha,  der  reich  an  Gebirgen,  Wasser  und 
guten  Weiden  ist,  gehalten.  Das  Zusammentreffen  dieser  Bedingungen  ist 
nothwendig,  denn  der  Yak  gedeiht  nur  in  gebirgigen  und  zugleich  hoch  über 
das  Meer  sich  erhebenden  Gegenden.  Wasser  ist  diesen  Thieren  ein  noth- 
wendiges  Erforderniss;  denn  sie  baden  sich  gern  und  schwimmen  vorzüglich. 
Mehrfach  haben  wir  sie,  selbst  mit  Lasten  auf  den  Rücken,  über  den  reissen- 
den Tätung-gol  schwimmen  sehen.  In  Betreff  der  Grösse  gleichen  die  Yaks 
unserem  gewöhnlichen  Hornvieh,  von  Farbe  sind  sie  schwarz  oder  bunt,  d.  h. 
schwarz  mit  weissen  Flecken;  ganz  weisse  Yaks  sind  seifen.  Ungeachtet 
seiner  uralten  Sklaverei  hat  der  Yak  doch  noch  die  ungestüme  Weise  des 
wilden  Thieres  behalten;  seine  Bewegungen  sind  schnell  und  leicht;  wenn  er 
gereizt  ist,  wird  er  dem  Menschen  durch   seine  Wildheit  gefährlich. 

Als  Hausthier  ist  der  Yak  im  höchsten  Grade  nützlich.  Er  giebt  nicht 
nur  Wolle,  vorzügliche  Milch  und  gutes  Fleisch,  er  wird  auch  zum  Tragen 
von  Lasten  gebraucht.  Es  erfordert  allerdings  grosse  Geschicklichkeit  und 
Geduld,  um  einen  Yak  zu  beladen,  dafür  geht  er  aber  auch  ganz  ausge- 
zeichnet mit  einer  Ladung  von  fünf  oder  sechs  Pud  über  hohe  und  steile 
Gebirge,  oft  auf  den  gefährlichsten  Fusspfaden.  Die  Sicherheit  und  Festig- 
keit des  Trittes  dieses  Thieres  sind  erstaunlich  ;  der  Yak  haftet  auf  Felsvor- 
sprüngen, auf  welche  keine  wilde  Ziege  gelangen  könnte.  Da  es  im  Tan- 
gutenlande wenig  Kameele  giebt,  sind  die  Yaks  fast  die  ausschliesslichen  Saum- 
thiere,  und  mit  ihnen  werden  grosse  Transporte  von  dem  Kuku-noor  nach 
Hlassa  befördert. 

Auf  den  Gebirgen  von  Gan-ssu  weiden  die  Yakheerden  fost  ohne  jede 
Aufsicht;  den  ganzen  Tag  tummeln  sie  sich  auf  den  Weideplätzen  umher, 
und  zur  Nacht  werden  sie  an  die  Zelte  ihrer  Besitzer  getrieben. 

Die  Milch  der  Yakkühe  ist    von    vorzüglichem  Geschmack  und  dick  wie 

27* 


388  Die  Tanguten. 

Rahm;  die  aus  derselben  bereitete  Butter  ist  gelb  von  Farbe  und  von  viel 
besserer  Qualität  als  die  Kuhbutter.  Mit  einem  Worte,  der  Yak  ist  in  jeder 
Beziehung  ein  überaus  nützliches  Geschöpf,  und  man  kann  nur  wünschen, 
das  dieses  Thier  in  Sibirien  und  in  denjenigen  Theilen  des  europäischen 
Russlands  akklimatisirt  würde,  die  ihm  die  nothwendigen  Lebensbedingungen 
gewähren,  so  z.  B,  im  Ural  und  im  Kaukasus.  Es  ist  dies  um  so  mehr  zu 
wünschen ,  als  die  Akklimatisation  keine  grossen  Schwierigkeiten  haben 
würde.  In  ürga  kann  man  so  viel  "Yaks,  als  man  haben  will,  für  20 — 30 
Rubel  pro  Stück  kaufen,  und  ihr  Transport  nach  dem  europäischen  Russland 
würde  nicht  zu  theuer  zu  stehen  kommen. 

Die  Tanguten  reiten  sogar  die  Yaks.  Zur  Führung  des  Thieres  beim 
Reiten  sowohl  wie  beim  L&sttragen  wird  ihm  ein  grosser,  dicker  hölzerner 
Ring  durch  die  Nasenlöcher  gezogen,  an  welchen  ein  Strick  befestigt  wird, 
der  als  Zügel  dient. 

Man  kreuzt  die  Yaks  gern  mit  Hauskühen,  und  die  Stiere  der  so  ge- 
wonnenen Mischlingsrace,  die  von  den  Mongolen  und  Tanguten  Chainyk 
genannt  werden,  sind  viel  stärker  und  ausdauernder  beim  Lasttragen  und 
W'erden  daher  auch  höher  geschätzt. 

Ein  kleiner  Theil  der  uns  zu  Gesicht  gekommenen  Tanguten,  der  mit 
Chinesen  vermischt  in  der  Umgegend  von  Tschöbsen  lebt,  beschäftigt  sich 
mit  Ackerbau,  aber  ein  sesshaftes  Leben  entspricht  augenscheinlich  nicht  der 
beweglichen  Natur  dieser  Menschen;  denn  die  ansässigen  Tanguten  beneiden 
stets  ihre  nomadisirenden  Stammesgenossen,  die  mit  ihren  Heerden  von  einem 
Weideplatze  zum  anderen  ziehen;  dazu  kommt,  dass  das  Hirtenleben  die 
wenigsten  Sorgen  mit  sich  bringt,  was  bei  dem  trägen  Charakter  dieses  Volks 
durchaus  nicht  unwesentlich  ist. 

Auf  ihren  Weideplätzen  vereinigen  sich  die  Tanguten  zu  Partien  von 
mehreren  Jurten;  sehr  selten  lebt  eine  Familie  allein,  was  bei  den  Mongolen 
wieder  oft  der  Fall  ist.  Im  Allgemeinen  bilden  der  Charakter  und  die  Sitten 
dieser  beiden  Völker  einen  vollständigen  Gegensatz.  Während  der  Mongole 
ausschliesslich  an  der  trockenen,  unfruchtbaren  Wüste  hängt  und  die  Feuch- 
tigkeit mehr  als  alles  andere  Elend  seiner  Heimath  fürchtet,  isl  der  Tangute, 
der  ein  an  die  Mongolei  grenzendes,  aber  in  seinem  physischen  Charakter 
dieser  ganz  entgegengesetztes  Land  bewohnt,  ein  Mensch  ganz  anderen  Schla- 
ges geworden.  Feuchtigkeit  des  Klimas,  Gebirge,  reiche  Weiden  —  das  ist's, 
was  den  Tanguten  anlockt;  die  Wüste  hasst  und  fürchtet  er  wie  seinen  Tod- 
feind. So  sind  auch  die  charakteristischen  Thiere  dieser  Nomaden  Völker : 
das  Karaeel  des  Mongolen  ist  nach  seinen  Eigenschaften  das  vierfüssige  Eben- 
bild seines  Herrn,  und  der  Yak  vereinigt  in  nicht  geringerem  Grade  die  vor- 
waltenden Eigenschaften  der  Tanguteu  in  sich. 

In  den  waldigen  Gebirgen  von  Gan-ssu  beschäftigen  sich  einige  —  aller- 
dings nur  sehr  wenige  —  Tauguten  mit  dem  Schnitzen  von  hölzernen  Geschirren: 
Schalen  zur  iienutzung  beim  Essen  und  zur  Aufbewahrung  der  Butter;  letz- 
tere wird  übrigens  meistentheils  in  Yak-  oder  Hammeldärmeu  gehalten. 


Die  Tanguten,  389 

Die  mehr  als  jede  andere  entwickelte,  man  möchte  sagen,  einzige  Be- 
schäftigung der  Tanguten  ist  das  Spinnen  der  Wolle  der  Yaks  (seltener  der 
Hammel),  die  zur  Bereitung  des  Tuches  dient,  aus  welchem  die  landesüblichen 
Kleidungsstücke  angefertigt  werden.  Das  Spinnen  wird  sowohl  zu  Hause, 
wie  auf  Reisen  ausgeführt,  und  man  bedient  sich  dazu  eines  3  Ins  4  Fuss 
langen  Stockes,  an  dessen  Spitze  ein  krummer  Ast  für  die  herabhängende 
Spindel  befestigt  ist.  Die  Tanguten  weben  jedoch  nicht  selbst  die  von  ihnen 
gesponnene  Wolle,  sondern  überlassen  diese  Arbeit  den  Chinesen.  Eigen- 
thümlich  ist  es,  dass  in  Gan-ssu  das  Tucli  beim  Kaufe  (wenigstens  bei  den 
Tanguten)  nach  Armlängen  gemessen  wird,  so  dass  die  Grösse  des  Maasses 
und  somit  auch  der  Preis  von  dem  Wüchse  des  Käufers  abhängt. 

Die  Wartung  des  Viehes  ist  die  einzige  Beschäftigung,  welche  die  Tan- 
guten, wenn  auch  in  nicht  zu  beträchtlicher  Weise,  der  absoluten  Faulenzerei 
entreisst,  der  sich  diese  Menschen  ihr  Leben  lang  hingeben.  Während  langer 
Stunden  sitzen  Erwachsene  und  Kinder  am  Herde  des  Zeltes  ohne  jede  Ar- 
beit, nur  Thee  trinkend,  der  für  die  Tanguten  ein  eben  so  unumgängliches 
Lebensbedürfniss  ist,  wie  für  die  Mongolen  Im  Lande  der  Tanguten  wird 
jedoch  der  Ziegelthee,  der  hier  in  Folge  der  Dunganenunruhen  sehr  theuer 
ist,  durch  die  getrockneten  Zwiebdbollen  des  gelben  Lauches  ersetzt,  der  auf 
den  Gebirgen  im  Ueberfluss  wächst;  dazu  kommt  noch  ein  anderes  Kraut, 
das  getrocknet  und  wie  Tabak  gepresst  wird.  Dieser  Thee  wird  besonders 
stark  in  der  Stadt  Donkyr')  fabrizirt,  woher  er  auch  unter  dem  Namen 
„Donkyrscher  Thee"  bekannt  ist.  Das  widerliche  Dekokt  dieses  Zeuges,  dem 
die  Tanguten  noch  Milch  hinzufügen,  wird  in  unglaublichen  Mengen  konsumirt. 
Ganz  wie  bei  den  Mongolen  kommt  der  Kessel  mit  Thee  den  ganzen  Tag 
über  nicht  vom  Herde,  und  sicher  w^ohl  zehnmal  täglich  wird  Thee  getrunken; 
jeder  Gast  wird  unfehlbar  damit  bewirthet.  Eine  unerlässliche  Zutliat  zum 
Thee  ist  die  Dsamba,  von  der  eine  Handvoll  in  die  halb  mit  Thee  angefüllte 
Trinkschale  geschüttet  und  darin  mit  den  Händen  zu  einem  festen  Teige  ge- 
knetet wird ;  des  Wohlgeschmacks  wegen  wird  dann  noch  Butter  und  trockener 
Käse  (tschurma)  hinzugesetzt.  Diese  letztere  Beigabe  ist  indessen  nur  bei 
den  Wohlhabenderen  üblich;  die  Armen  begnügen  sich  mit  Thee  und  Dsamba. 
Dieses  widerwärtige  Gemenge  bildet  die  Hauptnahrung  der  Tanguten, 2)  die 
überhaupt  wenig  Fleisch  essen.  Selbst  der  reiche  Tangute,  dessen  Heerden 
nach  Tausenden  von  Köpfen  zählen,  schlachtet  für  sich  sehr  selten  einen 
Hammel  oder  Yak.  Der  Geiz  und  die  Geldgier  dieses  Menschen  sind  so 
gross,  dass  er  sich  das  Stück  Fleisch  versagt,  nur  um  einen  Silberlan  mehr 
zu  haben.  Dafür  verschmähen  die  Tanguten  eben  so  wenig  wie  die  Mongolen 
gefallenes  Vieh,  und  mit  Genuss  verschlingen  sie  jedes  Aas. 

Nächst    dem    Thee    und    der  Dsamba   essen    die  Tanguten    am    meisten 


')  Diese  Stadt  liegt  20  Werst  west-nord-westlich  von  Sining. 

')  Eb^o  wie  auch  die  der  Mongolen,  die  in  Gan-ssu,  am  Kuku-uoor  und  in  Zaidam  leben. 


390  Die  Tanguten.  . 

„Taryk",  d.  i.  aufgekochte  sauer  gewordene  Milch,  von  der  vorher  der  Rahm 
zur  Butter  abgenommen  worden.  Dieser  Taryk  ist  die  beliebteste  Milchspeise 
der  Tanguten,  und  man  findet  ihn  in  jedem  Zelte.  Ausserdem  bereiten  die 
Reichen  aus  Käsequark  mit  Butter  eine  besondere  Art  von  Käsen;  dies  wird 
aber  schon  für  einen  grossen  Luxus  gehalten. 

Die  ünreinlichkeit  der  Tanguten  in  ihren  Speisen  und  in  allem  Uebrigen 
überschreitet  alle  Grenzen.  Die  Geschirre,  in  welchen  sie  die  Speisen  be- 
reiten, werden  niemals  gewaschen;  nur  die  Trinkschalen  werden  ausgeleckt 
und  in  den  Busen  gesteckt,  in  dem  allerlei  Insekten  uraherkriechen.  Wenn 
der  Tangute  diese  eben  geknickt  hat,  knetet  er  mit  denselben  ungewaschenen 
Händen  seinen  Dsamba.  Beim  Melken  der  Kühe  werden  die  Euter  nie  ge- 
waschen; die  Milch  wird  in  ein  unbeschreiblich  schmutziges  Gefäss  gegossen, 
und  zum  Buttern  dient  ein  an  einen  Stock  befestigtes  feuchtes  Stück  Hammel- 
feil,  von  dem  mau  nicht  die  Wolle  entfernt  und  das  im  Kothe  umher- 
gewälzt ist. 

Da  sich  die  Tanguten  bis  auf  sehr  geringe  Ausnahmen  nicht  selbst  mit 
Ackerbau  beschäftigen,  begeben  sie  sich  zum  Ankaufe  von  Dsamba  und  allem 
anderen  Nöthigen  nach  Donkyr,  welches  der  wichtigste  Handelsplatz  dieses 
Volkes  ist.  Hierher  treiben  sie  das  Vieh ,  bringen  sie  Felle  und  Wolle  und 
tauschen  alles  das  gegen  Dsamba,  Tabak,  Daba,  chinesische  Stiefel  u.  drgl.  m. 
ein,  so  dass  der  Handel  in  Donkyr  hauptsächlich  ein  Tauschhandel  ist.  Auch 
am  Kuku-noor  und  in  Zaidam  wird  der  Preis  der  Waaien  nicht  nach  Geldes- 
werth,  sondern  nach  der  Zahl  der  zum  Tausche  nöthigen  Hammel  berechnet. 

Wie  in  ihrem  äusseren  Typus,  so  unterscheiden  sich  die  Tanguten  auch 
in  ihrem  Charakter  von  den  Mongolen;  sie  sind  kühner,  energischer  als  diese; 
ausserdem  sind  die  Tanguten,  besonders  die  vom  Kuku-noor  und  aus  Zaidam, 
verständiger  und  überlegter,  als  die  Mongolen;  weit  entfernt  sind  sie  von  der 
Gastfreundschaft,  die  alle  echten  Mongolen  in  so  hohem  Grade  auszeichnet; 
dafür  ist  bei  ihnen,  besonders  bei  denen,  die  neben  den  Chinesen  leben, 
Gaunerei  und  Krämersinn  im  höchsten  Grade  entwickelt.  Auch  den  gering- 
sten Dienst  leistet  der  Tangute  nicht  ohne  Lohn;  er  bemüht  sich  vielmehr, 
so  viel  Gewinn  als  nur  irgend  möglich,  selbst  von  seinen  -Stammesgenossen, 
zu  erlangen. 

Wenn  Tanguten  sich  begegnen,  strecken  sie  einander  zur  Begrüssung 
beide  Arme  horizontal  entgegen  und  sagen  „Aka-temu" ,  d.  h.  guten  Tag. 
Das  Wort  „Aka"  heisst,  wie  auch  das  mongolische  „Nochor",  so  viel  wie 
unser  „Herr"  oder  „geehrter  Herr"  und  wird  im  Umgange  viel  gebraucht. 
Bei  der  ersten  Bekanntschaft  und  überhaupt  beim  Besuche  irgend  Jemandes, 
besonders  einer  angesehenen  Person,  schenken  die  Tanguten  stets  ein  seidenes 
Chadak.  Durch  die  Qualität  dieses  letzteren  wird  bis  zu  einem  gewissen 
Grade  die  gegenseitige  Stimmung  zwischen  Gast  und   Wirth  bezeichnet. 

Die  Tanguten  haben  nur  eine  legitime  Frau,  halten  sich  ausserdem  aber 
Beischläferinnen.     Die  Frauen  verrichten  alle   häuslichen  Arbeiten <tünd  sind, 


Die  Tanguten.  391 

wie  es  scheint,  im  häuslichen  Leben  gleichberechtigt  mit  dem  Manne.  Merk- 
würdiger Weise  besteht  bei  den  Tanguten  die  Sitte,  fremde  Frauen  —  natür- 
lich mit  deren  Zustimmung  —  zu  rauben.  In  einem  solchen  Falle  gehört 
die  Frau  dem  Entführer,  der  dafür  dem  früheren  Gatten  eine  Loskaufssumme 
zahlt,  die  oft  recht  bedeutend  ist. 

Frauen  sowohl  wie  Männer  berechnen  ihre  Lebensjahre  vom  Tage  der 
Empfängniss  an,  so  dass  sie  zur  Zahl  der  durchlebten  Jahre  stets  noch  die 
Zeit  hinzurechnen,  die  sie  im  Mutterschoosse  zugebracht  haben. 

Gleich  den  Mongolen  sind  die  Tanguten  eifrige  Buddhisten  und  dabei 
entsetzlich  abergläubische  Menschen.  Allerlei  Zauberei  und  Wahrsagung 
trifft  man  bei  diesem  Volke  neben  den  Prozessionen  religiösen  Charakters 
bei  jedem  Schritte  an.  Glaubenseifrige  Wallfahrer  begeben  sich  jedes  Jahr 
nach  Hlassa.  Die  Lamen  stehen  bei  den  Tanguten  in  hoher  Achtung,  ihr 
Einfluss  auf  das  Volk  ist  unbegrenzt.  Nur  die  Klöster  trifft  man  im  Tan- 
gutenlande seltener,  als  in  der  Mongolei,  und  die  Gygen,  deren  es  auch 
hier  ziemlich  viele  giebt,  wohnen  zuweilen  mit  einfachen  Sterblichen  in  den 
schwarzen  Zelten  zusammen.  Die  Leichen  der  gewöhnlichen  Menschen  werden 
nicht  beerdigt,  sondern  in  den  Wald  oder  die  Steppe  gebracht  und  den  Geiern 
und  Wölfen  zum  Frasse  überlassen. 

Alle  Tanguten  stehen  unter  der  Verwaltung  eigener  Beamten,  die  dem 
chinesischen  Gouverneur  vou  Gan-ssu  untergeordnet  sind.  Dieser  letztere 
residirt  in  Sining;  er  hatte  sich  zwar,  als  die  Insurgenten  sich  dieser  Stadt 
bemächtigt,  nach  Dshun-lin  übersiedelt,  aber  nach  Wiedereinnahme  Sinings 
durch  die  Chinesen  im  Jahr  1872  nach  seiner  alten  Residenz  begeben. 


Die  neuste,  durch  die  deutsche  anthropologische 
Gesellschaft  veranlasste  Sagenbildung. 

Eine  anthropologisch-mythologische  Studie  von  W.  Schwartz. 

Durch  Vergleichung  analoger,  gleichzeitiger  und  naheliegender  VerhäU- 
nisse  lernt  man  leicht  fernerliegende  verstehen.  Von  diesem  Standpunkte  aus 
ist  in  dieser  Zeitschrift  die  Besprechung  der  Sagenbilduug  berechtigt,  zu 
welcher  die  deutsche  anthropologische  Gesellschaft  unschuldiger  Weise  Ver- 
anlassung gegeben,  und  welche  die  gebildete  Welt  im  höchsten  Grade  über- 
rascht hat,  da  letztere  durch  die  Entwicklung  der  modernen  Culturverhältnisse 
zum  Theil  die  Fühlung  mit  den  volksthümlich  unteren  Schichten,  selbst  des 
eigenen  Volks  verliert 


392  W.  Schwartz: 

Auf  Veranlassung  jener  Gesellschaft  ordneten  bekanntlich  die  Behörden 
eine  Aufnahme  der  Kinder  in  den  Schulen  in  Rücksicht  auf  Hautfarbe,  Haare 
und  Augen  an,  damit  vielleicht  aus  den  gewonnenen  Resultaten  Schlüsse  auf 
die    Abstammungsverhältnisse    der    Bevölkerung    gezogen     werden    könnten. 
Daraufhin  liefen  in  der  Gegend  von  Danzig,   Kulm  und  Thorn  und  dann  auch 
allgemein  in  der  Provinz  Posen    nicht  bloss    bald  allerhand   wunderliche  Ge- 
rüchte unter  dem  Landvolke  und  allmählich  auch  in  den  Städten  um,  sondern 
es  kam  auch  vielfach  zu   halb    ärgerlichen ,    halb    komischen  Auftritten.     Die 
wahnsinnigste  Angst  verbreitete  sich  unter  den  Eltern,  als  habe  man  mit  ihren 
Kindern   etwas  Besonderes    vor;    sie   schickten   sie    entweder  nicht   nach  der 
Schule    oder  holten    sie  plötzlich   in   Masse    unter  Lärmen    und  Schreien    mit 
Gewalt    "wieder   fort,    indem    sie    die   Lehrer   als    Theilnehmer   an   dem   beab- 
sichtigten    Verrath    bezeichneten    u.  s.   w.      Ende    Mai    verbreitete    sich    das 
Gerücht    ziierst    in    der    Olivaer   Gegend    von    einem    beabsichtigten    Kinder- 
Export   nach  Russlaud    besonders   in    den  niederen    katholischen   Schichten 
der  Bevölkerung.      „In    mehreren   Ortschaften   des  Karthauser    und  Danziger 
Kreises    erschAenen",    so  lauteten  die  Nachrichten,    „die  Eltern  mit  verstörten 
Mienen    bei  den    Lehrern  und    fragten,    ob   es   richtig    sei,    dass     sämmtliche 
katholische  Kinder  mit  schwarzen  Haaren  und    blauen  Augen   nach  Russland 
geschickt    werden    sollten".')     Statt  Russland    trat    dann    „der  Sultan"    ein. 
„Der  König  von  Preussen",  hiess  es  nämlich  unter  d.  3.  Juli  aus  der  Kulm- 
Thorner  Gegend,   „habe  an  den  türkischen  Sultan  im  Kartenspiel  10,000  Kinder 
verloren,  und  der  Sultan  habe  nun  Mohren  hergeschickt,   welche  die  Kinder 
holen,    sie    namentlich    bei   der  Rückkehr   aus   der  Schule    aufgreifen  sollten; 
die  Lehrer  begünstigten  den  Raub,  denn  ihnen  würde  für  jedes  Kind,  welches 
sie    den    Mohren   in    die   Hände    lieferten,    der   Preis    von    5    Thlr,    gezahlt". 
Die    Polizei   musste   verschiedentlich    einschreiten,    Lehrer    selbst   und  Schul- 
häuser in   besonderen   Schutz   nehmen.     Wie    ein   Lauffeuer    verbreitete    sich 
nun  dieselbe  Geschichte  unter  einzelnen  Nüancirungen  mit  demselben  Erfolge 
auch    im   Posenschen.     Unter   dem  16.  Juli    berichtete    die   Posener  Ztg.    aus 
dem  Krotoschiner  Kreise:    „das   Gerücht  der  Kinderverschleppung   hat  auch 
bei    uns  Eingang    und  leider   bei  einem  grossen  Theile  der  ungebildeten  pol- 
nischen   Bevölkerung   Glauben   gefunden.     Man    erzählte    sich    da,    dass    der 
König    an    den  türkischen  Sultan  40,000  blauäugige  und  blondhaarige  Kinder 
in  den  Kartßn  verspielt  habe  und  dass  gestern  die  Aufgreifung  erfolgen  werde. 
In    Folge    dessen    waren    in    den   Klassen    der    hiesigen    katholischen  Schule 
Montags  nur  etwa  0^  der  Kinder  erschienen,  bei  welchen  die  Furcht  gleichfalls 
gross   war".     Dann    kamen   ähnliche   Nachrichten    aus    dem  Kreise  Pleschen. 


')  „Ein  Lehrer  des  Karthauser  Kreises  —  dieser  humoristische  Zug  sei  nebenbei  bemerkt,  — 
sagte  den  unwissenden  Leuten  zur  Beruhigung,  dass  es  nur  auf  die  Kinder  mit  blauen  Haaren 
und  grünen  Augen  abgesehen  sei,  was  die  Leute  auch  wirklich  glaubten  und  wobei  sie  sich 
dann  beruhigten", 


Die  neuste  Sagenbildung.  393 

„In  einem  Dorfe  Grudzielec  hatten  sich,  hiess  es,  als  der  Kreisschulinspector 
gerade  zur  Revision  dort  eintraf,  und  die  Kinder  dem  Lehrer  unter  den  Händen 
durch  Thüren  und  Fenster  durchgeschlüpft  waren,  um  einen  Versteck  in  den 
Kornfeldern    und   in   den  Gräben   zu    suchen,    verschiedene   Weiber    und    mit 
Knitteln  bewaffnete  Männer  vor  der  Schule  eingefunden,   um  ihre  Kinder  /u 
schützen".      Dieselbe    Scene    wiederholte    sich   im   Kreise   Chodziesen.      Von 
allen  Seiten  liefen  nun  Alarmgerüchte  ähnlicher  Art  ein.    In  Zduny  hiess  es, 
„die  Kinder  seien  au  die  Mohren    nach  Amerika   verkauft  und  Lieferungs- 
zeit und  Lieferungszahl   ganz   genau  abgemacht."     Auch   in   der  Stadt  Posen 
selbst    gab    es  auf  der  Wallischei   nach   der  Posener  Zeitung  vom  23.  einen 
Slrassenlärm    deshalb,    indem    man    in   den    „Mohren   und   Arabern",    die   im 
Volksgarten  daselbst  auftraten,  die  Leute  vermutliete,  welche  die  Kinder  auf- 
greifen   sollten.      Aus    Pinne    berichtete    dieselbe    Zeitung    vom    24.    ejusd.: 
„Auch    in    unserer    Stadt    und    Umgegend    verbreitete    sich    besonders    vor- 
gestern   und    gestern    die    alberne  Mähr    von    der  Kinderverschleppung   nach 
Russland     und     rief    unter     der    polnischen     Bevölkerung     einen     panischen 
Schrecken   hervor.     So  sah  man  vorgestern,    am  Sonntag,   eine  grosse  Anzahl 
von  Landleuten,    die  in  die  Stadt  gekommen  waren,    theils  um  ihre  Andacht 
zu  verrichten,  theils  die  üblichen  Einkäufe  zu  machen,  ihre  Kinder  mit  einer 
gewissen  Aengstlichkeit  an  der  Hand  führen.    Als  man  dieselben  nach  der  Ur- 
sache fragte,  erklärten  die  bethörten  Leute  unter  Thränen,  dass  ihnen  in  Bezug 
auf  die  Kinder  ein  grosses  Unglück  bevorstehe.   „Der  deutsche  Kaiser,  so  erzähl- 
ten sie,  habe  dem  Kaiser  von  Russland  für  dessen  Friedensvermittlun- 
gen  in  jüngster  Zeit    etliche   tausend   blauäugiger   und   blondhaariger  Kinder 
zugesagt.    Zu  dem  Ende  seien  nun  die  Kinder  dieser  Tage  seitens  der  Lehrer 
hinsichtlich  der  Augen  und  Haare  untersucht  und  die  geeigneten  zur  Trans- 
portirung   nach   dem  gedachten  Reiche  notirt  worden.     Jeden  Augenblick  er- 
warteten sie  einen  verdeckten   Wagen,  der  die  bezeichneten  Kleinen  hinweg- 
führen solle.    Damit  solches  nicht  während  ihrer  Abwesenheit  geschähe,  hätten 
sie  die  Kinder  mitgenommen".    Der  ominöse  Wagen  spielte  auch  anderweitig 
eine  Rolle. 

Die  Sage  verbreitete  sich  aber  auch  noch  weiter.  Aus  dem  Lauenbur- 
gischen  meldeten  l.  B.  die  Zeitungen,  dass  man  d  ort  erzähle,  „Fürst  Bismark" 
habe  die  Kinder  verspielt,  und  an  dem  Tage,  wo  dieses  geschrieben  wird, 
(1.  25.  Juh,  berichtet  die  „Post"  von  demselben  Spuk  aus  Glatz.  Ja  selbst 
über  die  preussisch-deutschen  Grenzen  hinaus  wandert  das  Gerücht,  ohne 
dass  dort  das  Substrat  —  die  anthropologischen  Tabellen  —  vorhanden.  Dii* 
Pos.  Ztg.  V.  21.  Juli  meldet  aus  Warschau:  „Das  alberne  Gerücht  von 
der  Kinderverschleppung  in  ferne  Länder  hat  seinen  Weg  auch  nach  dem 
Königreich  Polen  gefunden.  In  der  Umgegend  des  Städtchens  Dubno  tauchte 
unter  der  ländlichen  Bevölkerung  plötzlich  das  Gerücht  auf,  die  russische 
Regierung  habe  an  einen  Araberfürsten  für  eine  grosse  Summe  6000 
hübsche  junge  Mädchen,  lauter  Blondinen,  verkauft.  Dies  allgemein  ge- 
glaubte Gerücht  erregte  imter  den  ländlichen  Schönen  einen  solchen  Schrecken, 


394  W.  Schwartz: 

dass   sie,    um  der    eingebildeten  Gefahr  zu    entgehen,    sich  Hals   über  Kopf 
verheiratheten,  ohne  ihre  Neigung  dabei  zu  Rathe  zu  ziehen".^) 

Ich  habe  die  obigen  Anführungen  etwas  ausführlicher  wiedergegeben, 
nicht  bloss  um  die  Entwicklung  der  Sache  in  den  verschiedenen  Nüancirungen 
hervortreten  zu  lassen,  sondern  auch  damit  sie  von  der  Verbreitung  derselben, 
von  dem  Ernst,  mit  dem  sie  in  den  unteren  Schichten  der  Bevölkerung  ge- 
glaubt, Zeugniss  ablegen.  Die  Sache  ist  nämlich  nicht  bloss  für  die  anthro- 
pologische Wissenschaft  in  ihrem  ziemlich  klar  zu  legenden  Entstehen  höchst 
interessant  und  lehrreich,  sondern  hat  auch  eine  allgemeinere  öfientliche  Be- 
deutung, indem  sie  die  gebildete  Welt  daran  erinnern  kann,  welche  wunder- 
liche Vorstellungen  oft  in  den  in  ihrem  Horizont  und  Wissen,  so  wie  im 
Denken  und  Empfinden  beschränkten  unteren  Volksschichten  herrschen,  resp. 
plötzlich  geweckt  werden  können  und  namentlich  durch  die  immer  leicht  er- 
regbare Frauenwelt,  wenn  sie  diese  (resp.  die  Familie)  besonders  afficiren, 
leicht  zu  allerhand  wahnwitzigen  Ausbrüchen  führen  können.  Wie  man  der- 
artiges besonders  häufig  bei  Epidemien  gesehen  hat,  wo  von  Brunnenvergif- 
tung und  dergl.  gefabelt  worden,  so  gehen  immer  im  Volke  eine  Monge  Vor- 
stellungen um,  mit  denen  die  Leute  sich  die  ihrem  Verständniss  ferner  lie- 
genden Welt-  oder  Culturereiguisse  oft  in  der  wunderbarsten  Weise  zurecht 
legen.  Ich  habe  gelegentlich  aut  politischem  Gebiete  derartige  Beispiele  aus 
der  Zeit  des  Grossen  Kurfürsten  bis  zum  letzten  französischen  Kriege  ange- 
führt^)  und  auf  dem  Gebiet  ländlicher  Kreise  jene  Eigenthümlichkeit  selbst 
bei  dem  Sammeln  der  Sagen  und  Gebräuche  so  recht  in  ihrer  Naivität  kennen 
gelernt.  Aber  auch  besonders  in  kleineren  Städten  latitirt  genug  der  Art  oder  er- 
erzeugt sich  bei  besonderem  Anlass  immer  wieder  und  die  Kinderwelt  spielt  oft 
eine  grössere  Rolle  dabei  als  man  denkt.  Ich  hatte  öfter  Veranlassung  zu  beob- 
achten, wie  manche  grausige  Geschichte  in  diesen  Kreisen  entsprungen,  dann 
namentlich  durch  die  Dienstboten  in  die  Familien  drang,  und  wenn  auch  all- 
mählich so  gewissermassen  dann  geläutert  und  modificirt,  so  doch  schliesslich 
ein  ganzes  Städtchen  wenigstens  momentan  erfüllte.  Die  gebildetere  Welt 
streift  dann  bald  freilich  wieder  derartiges  ab,  aber  die  Phantasie  der  Massen 
hält  es  oft  fest  und  spinnt  es  weiter  aus.  Der  Aberglaube  ist  auch  in  dieser 
Hinsicht  zäh.  Nicht  bloss  in  andern  Ländern,  auch  in  Deutschland  giebt  es 
noch  Tausende  und  Abertausende,  die  an  Tischrücken  und  Psychographen 
fortglauben ,  ebenso  wie  einige  Schichten  in  der  Bevölkerung  tiefer  man  die 
Vorstellung   eines  Bündnisses  der  Freimaurer  mit  dem  Teufel  noch   vielfach 


')  Wenn  der  Artikel  hinzusetzt:  »der  Polizei  gelang  es,  die  Verbreiter  dieses  Gerüchts  in 
der  Person  des  Bauern  Siengcich  Mosiejczak  und  des  jüdischen  Handelsmanns  Jankel  Moses  zu 
ermitteln  und  zur  gerichtlichen  Bestrafung  zu  ziehen",  so  wird  damit  die  Bedeutung  der  Sache 
in  Betreff  analoger  Auffassung  und  Behandlung  mit  den  übrigen  Versionen  der  Sage  nicht  ab- 
geschwächt. 

*)  W.  Schwartz,  Sagen  und  alte  Geschichten  der  Mark  Brandenburg.  Berlin  1871.  VIII. 
cf.  Bilder  aus  des  Brandenb.-Preuss.  Geschichte.    Berlin  1875.    p.  47. 


Die  neuste  Sagenbildung.  395 

festhält,  meint,  dass  zu  Johannis  der  „verrätherische"  Bruder  dem  Tode  ge- 
weiht werde  u.  dergl.  mehr.  Es  giebt  in  dieser  Hinsicht  die  eigenthümlich- 
sten  epidemischen  Krankheitserscheinungen.  Aus  Berlin  kannte  ich  z.  B.  den 
Glauben  der  Dienstmädchen,  dass,  wenn  ihnen  die  Aerzte  Kicinusöl  ver- 
schrieben, dies  Menschen  fett  sei  und  deshalb  so  schlecht  schmecke.  Ge- 
legentlich verbreitete  sich  dann  auch  das  Gerücht,  wenn  eine  besonders  starke 
Person  aus  den  unteren  Schichten  starb,  sie  hätte  sich  noch  bei  Lebzeiten 
den  Apothekern  zur  Bereitung  des  Ricinusöls  verkauft!  —  und  eine  der  ersten. 
Erzählungen,  die  mir  bei  meiner  Uebersiedlung  nach  Posen  meine  jüngsten 
Kinder  aus  der  Schule  mitbrachten,  war  „am  Alten  Markt  sei  eine  alte  dicke 
Frau  gestorben,  die  habe  sich  schon  bei  Lebzeiten  den  Apothekern  verkauft; 
u.  8.  w."  und  ganz  dieselbe  Geschichte,  derselbe  Aberglaube  zeigte  sich  hier.') 

Doch  kehren  wir  nach  diesen  Vorbemerkungen  zur  Behandlung  der  „Kinder- 
verschleppungsgeschichte" zurück.  Ich  habe  jene  gemacht,  um  das  Terrain 
zu  kennzeichnen,  auf  dem  diese  erwachsen  ist.  Von  einer  directen  Erfindung 
von  ultramontaner  Seite,  um  Aufregung  hervorzurufen,  worauf  einzelne  Bericht- 
erstatter hindeuten,  liegt  für  den,  welcher  sich  mit  derartigen  Erscheinungen 
beschäftigt,  gar  keine  Nöthigung  vor,  abgesehen  davon,  dass  immer  noch  zu 
erklären  bliebe,  wie  es  gekommen,  dass  die  Sache  so  allgemeinen  Glauben 
und  schnelle  Verbreitung  erhalten  hat.  Mag  auch  von  der  erwähnten  Seite 
von  den  Geistlichen  vielfach  nicht  rechtzeitig  und  energisch  genug  dem  ent- 
gegengetreten sein,  das  Ganze  ist  eine  Erscheinung,  die  sich  ähnlichen  epi- 
demischen innerhalb  der  unteren  Bevölkerungsschichten  zur  Seite  stellt  und 
als  solche  gefasst  sein  will. 

Zwar  wird  man  zugeben  müssen,  dass  die  ländlichen  Kreise  in  den  letz- 
ten Jahren  in  vielfacher  Weise  überhaupt  eine  gewisse  Aufregung  erfahren 
haben.  Die  tief  einschneidenden  Umwandlungen  schon  in  Maass,  Gewicht 
und  Geld,  zu  denen  derjenige,  dessen  Horizont  bloss  sein  Dorf  und  höchstens 
die  nächste  Stadt  umfasst,  keine  Veranlassung  sah,  auf  der  einen  Seite,  auf 
der  andern  die  Auseinandersetzung  zwischen  Staat  und  Kirche,  müssen  in 
diesen  Kreisen  manches  Kopfschütteln  und  die  wunderbarsten  Combinatiouen 
erregt  haben,  wobei  in  letzterer  Hinsicht  der  Parteistandpunkt  der  Geistlichen 
namentlich  auf  katholischer  Seite  vielfach  die  Gemüther  sicherlich  noch  mehr 
beschwert  hat.  Das  Volk  liebt  aber  selbst,  wie  man  schon  auf  allen  Jahr- 
märkten, wenn  man  will,  erfahren  kann,  das  Tragisch-grausige;  Mordthateu 
und  dergl.  schildern  zu  hören,  ist'  es  unersättlich.  Geheimnissvoll  ahnend, 
oft  bangend  schaut  es  in  die  Zukunft  und  sucht  nach  allerhand  wunderbaren 
Wahrzeichen.     So  versicherte  mir  einmal   ein  Fuhrmann,  von  seinem  Pferde- 


*)  Die  Eibisch-  oder  Altheesalbe  heisst,  wie  ich  zufällig  höre,  vielfach  ihrer  gelblichen,  dem 
Menschenfett  ähnlichen  Farbe  halber  beim  Volke  „Menschen-  oder  Armesündersalbe".  Beim 
Bicinusül  hat  vielleicht  iler  abscheuliche  Geschmack  die  Vorstellung  vermittelt,  dies  sei  das 
Menschenfett,  von  dem  man  also  schon  angeblich  wusste,  dass  es'  in  der  Apotheke  verkauft 
würde. 


396  W.  Schwartz: 

Standpunkt  aus  die  Welt  betrachtend,  ganz  treuherzig,  er  hätte  das  Jahr  48 
schon  lange  vorher  kommen  sehen.  Als  die  Menschen  angefangen,  in  den 
40er  Jahren  Pferdefleisch  zu  essen,  hätte  er  schon  zu  seiner  Frau  gesagt: 
^Gieb  Acht,  Mutter,  das  ist  ein  Zeichen,  dass  die  Welt  aus  den  Fugen  geht^ 
wenn  so  etwas  geschieht".  Ebenso  fand  man  jüngst  in  Kreisen,  wo  die 
Phantasie  sich  gerade  auf  Veranlassung  verschiedener  Predigten  viel  mit  den 
letzten  Dingen  beschäftigte,  in  dem  Auftreten  der  Reblaus  schon  ein  Wahr- 
zeichen der  nahenden  Vernichtung  nach  Art  der  ägyptischen  Landplagen! 

Vergegenwärtigen  wir  uns  nun  solche  einfachen,  beschränkten  Kreise, 
denen  nach  verschiedenen  Vorgängen  jetzt  zumal  Alles  fast  möglich  erschien, 
die  mit  Misstrauen  auf  Alles  sahen,  was  etwa  noch  kommen  würde,  so  musste 
in  ihre  Gemüths-  und  Verstandeswelt  die  bekannte  anthropologische  Aufnahme 
wie  eine  Bombe  fallen.  Wozu  wollte  man  wissen,  ob  ihre  Kinder  blaue 
oder  braune  Augen,  blonde  oder  braune  Haare  hatten?  Wozu  eine  Aufnahme 
der  Kinder  in  dieser  Hinsicht  im  ganzen  Lande  in  besonderen  Listen  von 
der  Regierung  veranstaltet?  Da  musste  eine  Teufelei  dahinter  stecken.  Man 
hatte  etwas  mit  den  Kindern  vor,  das  war  sicher,  aber  was?  Welche  Ana- 
logien boten  sich  der  aufgeregten  und  grübelnden,  einander  in  Hypothesen 
überbietenden  Phantasie?  Zunächst  die  Aufnahmelisten  zur  Aushebung  für 
das  Militär?—  Aber  Kinder,  Jungen  und  Mädchen,  konnten  dazu  doch  nicht 
gebraucht  werden,  das  musste  anders  zusammenhängen.  Und  nun  waren  aus 
jenen  Gegenden  die  Mennoniten  ausgewandert  nach  Russland,  Andere  nach 
Amerika,  denen  es  zum  Theil  gar  schlecht  gegangen  und  die  theilweise  zurück- 
gekehrt. Damit  vermittelte  sich  die  Vorstellung  von  Verkauftgewesensein 
durch  Agenten  und  dergl.  mehr.  So  schoben  sich  leicht  die  unklaren  und 
verwirrten  Bilder  in  Gegenden  zumal,  wo  bei  den  früheren  Zuständen  der 
Leibeigenschaft  der  Einzelne  oft  als  Waare  von  einem  Herrn  zum  andern 
gewandert  war,  (was  sich  dunkel  in  der  Tradition  erhalten,  besonders  da  im 
angrenzenden  Russland  ähnliches  bis  in  die  neusten  Zeiten  bestanden  hatte,) 
zumal  bei  einer  Bevölkerung,  die  vielfach  mit  dem  Misstrauen  erfüllt  wor- 
den, als  wollte  man  ihnen  ihre  Kirche  nehmen,  in  den  Schulen  ihre  Kinder 
in  einem  andern  Glauben  erziehen,  zu  der  tollen  Vorstellung  zusammen,  da 
stecke  ein  Handel  dahinter,  der  ihren  Kindern  gelte.  Die  Aufnahme  der 
Augen  und  Haare  hätte  entschieden  die  Bedeutung,  dass  von  einer  bestimmten 
Art  welche  geliefert  werden  sollten. 

Besonders  interessant  sind  nun  die  Nüancirungen  in  dem  Weiteraus- 
spinnen dieser  Ansicht  in  sagenhafter  Form.  Die  Einen  meinten  also,  „nach 
Amerika"  würden  die  Kinder  verkauft,  die  Anderen  „nach  Russland"  (wie 
die  Mennoniten,  denn  dass  die  freiwillig  ausgewandert,  wussten  nur  die  Näher- 
stehenden) und  wesshalb  verkauft?  zum  Dank  dafür,  „dass  der  Kaiser  von 
Russland  den  Frieden  vermittelt!"  Wenn  diejenigen,  die  dies  meinten,  schon 
vom  Zeitungslesen  etwas  profitirt  hatten,  so  war  die  andere  Version  „im 
Kartenspiel  verloren"  acht  bäurischj  denn  dem  Bauer  käme  es  oft  unter  Um- 


Die  neuste  Sagenbildung.  397 

ständen  auch  nicht  darauf  an,  Alles  zu  verspielen,  was  er  hätte.  Und  wie 
oft  hört  er  in  den  östlichen  Gegenden  nicht  von  grossen  Herren  sagen, 
„der  oder  der  hat  sein  Gut  verspielt" ,  was  er  dann  buchstäblich  nimmt,  so 
dass  ihm  eine  solche  Vorstellung  ganz  mundgerecht  ist.  War  es  nicht  der 
König  seilest  gewesen,  der  sich  auf  das  verhängnissvolle  Kartenspiel  ein- 
gelassen, dann  musste  es  Bismark  sein,  der  ül)erall  seine  Hand  jetzt  in 
der  Welt  im  Spiele  hat.  Das  ist  ganz  etwas  Analoges,  wie  wenn  jener  Rup- 
pinsche  Bürger  dem  alten  Fritz  erzählte,  die  Schlacht  von  Fehrbellin  sei 
daher  gekommen :  „der  grosse  Kurfürst  und  der  König  von  Schweden  hätten 
zusammen  in  Leiden  studirt  und  sich  da  erzürnt.  Und  das  sei  nun  die  Pike 
davon  gewesen". i) 

Wenn  jenes  die  eine  Art  Version  der  Sage  war,  welche  sich  gebildet 
hatte  und  die  man  sich  zuerst  geheimnissvoll,  dann  immer  lauter  zuflüsterte, 
so  bekam  plötzlich  die  Sache  nicht  bloss  eine  neue  Wendung,  sondern  eine, 
jeden  Zweifel  bannende  Bestätigung.  Zufällig  durchzog  nämlich,  als  sich  jene 
Sage  anfing  zu  bilden,  eine  Gesellschaft  von  Mohren  und  Arabern  die  Pro- 
vinz mit  ihrem  Wagen  und  gaben  überall  ihre  Vorstellungen.  Nun  war  es 
richtig.  Die  kamen,  um  die  Kinder  aufzugreifen,  wie  man  sonst  den  Zigeu- 
nern und  Kunstreitern  dergleichen  nachgesagt  hat  und  immer  gelegentlich  es 
noch  wieder  auftaucht;  und  an  den  Sultan  sollten  sie  geliefert  werden,  wo 
dann,  wie  im  Warschauischen,  die  Vorstellung  vom  Harem  bestimmter  oder 
unbestimmter  hineinspielte.'  Die  Posener  Ztg.  vom  23.  Juni  spricht  dies  zu- 
nächst allerdings  nur  für  die  Stadt  Posen  ausdrücklich  aus,  wenn  sie  berichtet: 
„Die  Mohren  und  Araber,  welche  gegenwärtig  im  Volksgarten  auftreten,  und 
auch  wohl  sonst  mehrfach  in  der  Stadt  gesehen  worden  sind,  haben  hier  zum 
Auftauchen  desselben  albernen  Gerüchts  der  Kinderwegschleppung,  welches  in 
den  kleineren  Städten  und  Ortschaften  der  Provinz  seit  Wochen  kursirt,  Veran- 
lassung gegeben.  Mit  Blitzesschnelle  hatte  sich  unter  den  polnischen  Weibern 
der  niederen  Schichten  das  Gerede  verbreitet,  es  seien  die  Mohren,  welche 
die  Kinder  wegschleppen  sollten,  Sultan  und  Kaiser  hätten  mit  einander  ge- 
spielt und  letzterer  hierbei  4Ü0  Kinder  (bei  der  Zahl  dachte  man  nur  an  die 
Stadt)  verloren;  es  wüi'den  diejenigen  genommen  werden,  welche  vor  einigen 
Wochen  bei  Feststellung  der  Farbe  von  Augen,  Haaren  u.  s.  w.  besonders 
aufgezeichnet  seien". 

Wenn  man  es  schliesslich  vielleicht  auffällig  tindet,  dass  der  Sultan  hin- 
eingezogen, so  liegt  einmal  der  Türk  und  der  Sultan  da  weit  hinten  dem 
Mohrenlande  zu,  wenn  auch  nebelhaft,  im  Horizont  des  Volkes,  und  was  die 
geographischen  Begritt'e  überhaupt  anbetriöt,  so  hat  das  Volk  in  dieser  Hin- 
siclit,  trotz  aller  Elcmantarschuleu,  die  curiosesten  Vorstellungen,  oft  gerade 
auch  durch  dieselben,  indem  der  Einzelne  das  Gehörte  in  seiner  Weise  sich 
zurecht  legt.  So  sagte  mir  einmal  ein  sonst  sehr  verständiger  Bauer  in 
Boitzenburg,  als  er  Kuhn  und  mich  bei  einer  Sagenwanderung,  die  uns  nach 
c.  3  Jahren  wieder  nach  Boitzenburg  führte,  wiedertraf  und  erkannte:  „Ich 
»)  Cf.  S.  394  Anm.  2. 


398  W.  Schwartz : 

habe  Sie  gleich  wiedet-erkaunt  und  dem  Wirth  gesagt:  das  sind  die  Herren, 
die  die  Welt  herumreisen  und  hören,  was  sie  überall  für  Sprachen' 
sprechen  und  Geschichten  erzählen,  das  ist  nun  3  Jahre  her,  jetzt  kommen 
sie  wieder  herum".  Er  hatte  also  in  seiner  Schule  gelernt,  drei  Jahre  brauche 
man  zu  einer  Reise  um  die  Welt,  und  meinte  nun  in  seiner  naiven  Weise, 
als  er  uns  nach  3  Jahren  wiedersah,  wir  wären  inzwischen  um  die  Welt  herum 
gewandert  und  kämen  so  wieder  nach  Boitzenburg. 

Ueberblicken  wir  nun  die  geM'onnenen  Resultate,  so  sehen  wir  also  aus 
verschiedenen  Umständen,  die  das  Volk  sich  nicht  richtig  erklären  kann,  sie 
sjch  aber  in  seiner  Fa^on  zurechtzulegen  versucht,  plötzlich  ganz  naturwüchsig 
eine  derartige  unserm  öffentlichen  Leben  contrastirende  Sage  entstehen  und 
sich  über  einen  ganzen  Landstrich,  wo  sie  Anknüpfungspunkte  vorfindet,  ver- 
breiten und  überall  den  Umständen  gemäss  sich  nüanciren. 

Gerade  so  oder  in  ähnlicher  Weise  haben  frühere  Generationen  sich  vor 
Tausenden  und  Abertausenden  von  Jahren  die  Wundererscheinungen  des  Himmels 
und  der  sie  umgebenden  Welt,  die  sie  nicht  verstanden,  ihrem  Horizont  und 
Begriffsvermögen  entsprechend  zurechtzulegen  versucht  und  so  die  Sagenmassen 
und  Mythen  geschaffen,  innerhalb  deren  allmählich  die  Naturreligionen  gekeimt. 
Wenn  bei  dieser  Parallele  nur  das  Substrat  verschieden  ist;  hier  der  Wunder- 
bau der  Welt,  dort  ein  anscheinend  räthselhaftes,  von  der  anthropologischen 
Gesellschaft  ausgehendes  Factum  den  mythenbildenden  Trieb  geweckt  hat, 
so  ist  der  Prozess  schliesslich  derselbe.  * 

Wie  diese  Sagenbildung  sich  aber  gruppenweise  je  nach  verschiedenen 
Centren  gleichsam  zu  entfalten  angefangen,  hier  der  König,  dort  Bismark, 
dann  das  Hineinspielen  von  Amerika  oder  Russland  oder  des  Sultans  mit  den 
Mohren  die  Sache  zu  nüanciren  angefangen  und  die  Möglichkeit  der  ver- 
schiedensten Weiterentwicklung  geboten  hat,  so  nehmen  wir  auch  in  den 
mythischen  Massen  eine  mannigfache  Entwicklung  derselben  mythischen  Sub- 
strate je  nach  den  verschiedenen  Volkskreisen  wahi',  dass  sie  oft  schliesslich 
ganz  aus  einander  zu  gehen,  nichts  Gemeinsames  mehr  zu  haben  scheinen. 
So  sind  z.  B.  in  der  griechischen  Mythologie  die  Drachensagen,  nämlich  die 
Sagen  vom  Kampfe  eines  Herakles,  Perseus,  Bellerophon  u.  s.  w.  mit  einem 
Drachen  sämmtlich  nur  locale  Spielarten  desselben  Mythos,  der  innerhalb  der 
Götterwelt  sich  dann  an  Zeus  und  Typlion,  sowie  an  Apollo  und  Python 
knüpft.^)  Ebenso  zeigt  uns  die  deutsche  Sage  vom  Hackelberg,  Förster  Berend 
u.  s.  w.  ja  die  Sagen  vom  wilden  Jäger  überhaupt,  nur  mannigfache  Spiel- 
arten desselben  Mythos.  Auf  die  Anfänge  derartiger  Centren  auch  bei  der 
Sagenbildung,  mit  der  wir  uns  eben  beschäftigt  haben,  wollte  ich  der  Verglei- 
chung  und  des  Verständnisses  mythologischer  Bildung  halber,  namentlich  auch 
innerhalb  des  classischen  Gebietes,  noch  zum  Schluss  hingewiesen  haben, 
denn  wenn  man  nicht  diesen  Fäden  und  den  damit  sich  dann  verschlingenden 

')  Cf.  Schwartz,  Ursprung  der  Mythologie,  Berlin  1860,  „das  Kapitel  von  den  Schlangen 
nnd  Drachengottbeiten", 


Die  neuste  Sagenbildung.  399 

der  localen  Culte  und  deren  Peripherien  nachgeht  und  das  Gewebe  blosslegt, 
-wird  man  nicht  zum  richtigen  Yerständniss  der  Volksmythologien  und  der 
dadurch  mit  begründeten  Phasen  in  der  Gesammtentwicklung  des  Glaubens 
der  Menschheit  gelangen. 

Posen,  den  '25.  Juli  1875.  W.  Schwartz. 


Erzählnngen  im  Astor-Tlial,  Kashmir. 

Von  Colonel  Lyttelton  Aunesley,  1874  gesammelt. 


Vor  vielen  Jahren  verwundete  ein  Jäger  aus  dem  Dorfe  Tusching,  wel- 
ches am  Fusse  des  Diamir  (Dayarmar)  oder  Manga  Purbat  (26(529'  engl.)  liegt, 
ein  grosses  Markhur  (wildes  Schaf)  auf  dem  Abhänge  des  Berges.  Das  Thier 
zog  sich  eilig  in  die  Felsen  an  der  Schneegrenze  zurück.  Sein  Wild  ver- 
folgend, kletterte  der  Jäger  höher  und  höher,  bis  er  plötzlich  an  eine  den 
Blicken  bisher  verborgene  offene  Stelle  kam,  die  sich  zwischen  dem  höchsten 
und  zweithöchsten  Gipfel  ausdehnte.  Inmitten  dieser  Ebene  gewahrte  er  eine 
Stadt  mit  Mauern  und  Zinnen  und  eine  Barg;  ein  alter  Baum  stand  in  der 
Nähe  des  Stadtthors.  Ueber  den  unerwaiteten  Anblick  erstaunt,  ging  der  Jäger 
auf  die  Stadt  zu,  und  sah,  als  er  an  den  Baum  kam,  eine  grosse  Menge 
Perlen  und  Korallen  am  Boden  liegen.  In  aller  Stille  füllte  er  damit  seinen 
Sack  bis  an  den  Rand  und  machte  sich  schleunig  auf  den  Rückweg,  damit 
ihm  die  Leute  der  Stadt  nicht  folgen  und  seine  Beute  abnehmen  möchten. 
Als  er  die  Ebene  bereits  hinter  sich  hutte  und  am  Abhang  hinabstieg,  hörte 
er  plötzlich  Geräusch  wie  Zischen  hinter  sich  und  erblickte,  als  er  sich  um- 
wandte, eine  grosse  Anzahl  Schlangen,  die  ihn  verfolgten.  Er  lief,  so  schnell 
er  konnte,  die  Schlangen  aber  folgten  ihm.  Endlich  warf  er,  da  ihm  der 
Sack  zu  schwer  wurde,  einen  Theil  der  Perlen  und  Korallen  fort,  und  sah 
zu  seinem  Erstaunen,  daes  jede  Perle  und  Koralle  von  einer  Schlange  auf- 
gerafft wurde,  die  damit  forteilte.  Er  schüttelte  nun  den  ganzen  Sack  aus, 
und  zu  seinem  Tröste  verschwanden  alle  Schlangen  bis  auf  eine,  die  ihn 
hartnäckig  bis  an  den  Fuss  des  Berges  verfolgte.  Dort  machte  sie  Halt; 
der  Jäger  zog  sich  in  sein  Haus  zurück.  Mitten  in  der  Nacht  hört  er 
draussen  lautes  Zischen  und  gewahrt,  als  er  an  die  Thür  tritt,  eine  jener 
Schlangen,  Ueberzeugt,  dass  eine  der  Perlen  oder  Korallen  in  seinem  Sacke 
zurückgeblieben  sein  müsse,  schüttelte  er  ihn  aufs  neue;  und  siehe,  es  fiel 
eine  Koralle  heraus,    mit  der  die  Schlange  davoneilte.     Der  Manu  legte  sich 


400  Annesley:   Erzählungen  im  Astor-Thal. 

wieder  in  sein  Bett,  stand  aber  nicht  mehr  auf.  Er  starb  nach  wenigen 
Tagen.  [Dieselbe  Erzählung  findet  sich  mit  geringen  Abweichungen  in  Leit- 
ner's     Dardestan  III.  pg.  4.J 

Die  Bewohner  von  Tushing  (s.  o.)  versichern,  dass  sie  die  Berggeister 
(des  Nanga  Parbali)  klagen  hören,  wenn  eine  vornehme  Person  dem  Tode 
nahe  ist. 

Sie  behaupten,  dass  es  unmöglich  sei,  Hühner  in  Tusching  zu  halten, 
da  die  Parizäd  (Feen)  sie  nicht  leiden  mögen,  und  deshalb  die  Eier  ver- 
nichten, und  dass  alle  nach  Tusching  gel)rachte  Hühner  ohne  Ausnahme  als- 
bald sterben. 

Zwischen  dem  höchsten  und  zweithöchsten  Gipfel  des  Nangaparbat  sollen 
die  Feen  (Parizäd)  von  Pari  (Peri,  Fee)  einen  Maidan  (ebenen  Platz)  haben 
und  eine  Festung.  In  früheren  Zeiten  sollen  die  Feen  nach  Tusching  herunter- 
gekommen sein,  um  dort  auf  dem  Rasen  zu  tanzen.  Seitdem  aber  die  Truppen 
des  Maharaj  (von  Kashmir)  und  so  viele  andre  Leute  ins  Land  gekommen, 
haben  sie  ihre  Besuche  eingestellt.  Viele  Leute  haben  die  Feen  gesehen, 
Alle  aber  haben  darüber  den  Verstand  verloren  (be-bosch  d.  h.  von  Sinnen). 

Einige  Leute  versichern,  dass  die  Feen  seit  der  Besitznahme  von  Astor 
den  Nanga-Parbat  gänzlich  verlassen  haben. 

Hinter  dem  Dorfe  Astor  erhebt  sich  der  schöne  Kegelberg  Keinion,  von 
dessen  Gipfel  nach  Versicherung  des  Bakshi  Sahib  (Gouverneur  von  Astor) 
die  Sterne  so  gross  wie  Monde  erscheinen;  so  hoch  ist  der  Berg. 

Die  wenigen  von  Colonel  Annesley  aus  Astor  mitgebrachten  Gegenstände 
sind  im  Kataloge  verzeichnet  und  mit  den  Kashmir.sachen  verpackt.  Es  war 
sehr  schwer  sie  zu  erlangen;  die  AVeiberkappe  wurde  auf  Dringen  des  Dorf- 
ältesten unter  Heulen  und  Weinen  abgetreten.  Für  Geld  waren  die  Leute 
sehr  unempfänglich:  „Gott  hat  uns  zu  Essen  und  Trinken  gegeben;  was  soll 
uns  Gold?« 


Zum  Frspruiig  der  Gebräuche  der  Urzeit. 

Miscelle  von  W.  Schwartz. 

Wenn  die  Analogie  in  den  auf  Naturanschauung  beruhenden  mytho- 
logischen Gebilden  eine  grosse  Rolle  spielt,  so  spielt  die  Nachahmung  eine 
nicht  geringere  in  den  Gebräuchen;  sie  gab  dem  menschlichen  Leben 
vielfach  die  ersten  Formen.  Gleich  wie  das  Kind  den  Eltern  nachahmt, 
jedes  Geschlecht  überhaupt  von  dem  ihm  vorangehenden  auf  diesem  Wege 
die  Formen  des  Lebens  empfängt  und  sie  erst  allmählich  seiner  eigenthüm- 
lichen  Entwicklung  entsprechend  ummodelt,  so  war  es  auch  in  der  Urzeit, 
nur  dass  diese  mehr  die  Formen  von  aussen  her  nahm,  indem  sie  in  der 
umgebenden  Natur  das  Vorbild  fand,  welches  sie  nachahmte.  Ich  habe  schon 
verschiedentlich  auf  diese  merkwürdige  Erscheinung  hingewiesen,  der  eine 
unendliche  Fülle  von  (sonst  ganz  unverständlichen)  Gebräuchen  bei  allen 
Völkern  ihren  Ursprung  verdankt,  abgesehen  natürlich  von  denen,  die  aus 
realen  Verhältnissen  entstatiden  sind. 

Wenn  man  Gräber  oder  Leichname,  die  man  fand,  mit  Steinen,  Zweigen 
und  dergl.  bedeckte,  so  hatte  dies  einen  realen  Grund,  es  geschah  zunächst, 
um  jene  gegen  die  wilden  Thiere  zu  schützen.^)  Wenn  aber  tuscischer 
Gebrauch  das  Rollen  von  Steinen  bei  eintretender  Dürre,  um  Regen  herbei- 
zulocken, gebot  (das  sogen,  aquaelicium) ,  so  war  dies  eine  Nachahmung 
des  Rollens  des  dem  Regen  vorangehenden  oder  ihn  begleitenden  Donners, 
in  dem  man  ein  ähnliches  Hantieren  mit  Steinen  erblickte.  2)  Wie  man  dort 
oben  beides  verbunden  wähnte,  aus  dem  äusseren  Nebeneinander  sich  einen 
Causalnexus  construirte,'^)  so  glaubte  man  hier  unten  Aehnliches  reproduciren 
zu  können.  Die  Ideenassociation  war  dieselbe  wie  bei  jenen  Negern,  die, 
weil  Barth  beim  Regen  den  Schirm  aufspannte,  von  ihm  dann,  als  Dürre  ein- 
trat, verlangten,  er  solle  Regen  machen,  indem  sie  meinten,  dieser  würde 
kommen,  wenn  er  den  Schirm  aufspanne. 

In  den  primitivsten  Lebensverhältnissen  tritt  die  erwähnte  culturhistorischc 
Erscheinung,  oft  mit  den  wunderlichsten  Gebräuchen,  am  umfangreichsten 
hervor,  aber  sie  l)egleitet  die  Völker  auch  noch  lange  durch  die  entwickelteren 
Stufen.  Sind  so  zunächst  viele  Gebräuche  zu  erklären,  die  sich  z.  B.  auf 
den  Schutz  des  Hauses,*)  das  erste  Austreiben  des  Viehs  im  Frühjahr,*)  das 


')  cf.  meine  Abhandlung  m  der  Berliner  Zeitschrift  f.  Gymnasialwesen  Jahrg.  1866  p.  796, 
»)  Urspr.  d.  Myth.  p.  86. 

3)  cf.  auch  Fritz  Schnitze.    Der  Fetischismus.  1871.  p.  79  sqq. 
*)  cf.  z.  B.  Urspr.  p.  169.  Anm. 

*)  Der  heutige  Volksglaube  u.  s.  w.  II.  AuH,  p.  127  ff.    cf.  Kuhn,   d.  Herabkunft  d.  Feuers 
u.  s.  w.  p-  189.  , 

Zeitachrift  für  Ethnologie,  Jahrgang  1875,  28 


402  ^-  Schwartz: 

Brauen  von  Getränken  i)  und  ähnliche  Verhältnisse  beziehen,  so  tritt  uns  das- 
selbe Princip  entgegen  bei  griechischen  oder  römischen  Hochzeitsgebräuchen^) 
oder  auf  anderem  Gebiete,  auf  dem  des  öffentlichen  Lebens,  wenn  z.B.  der 
Römer  den  Krieg  dann  nur  für  rite  erklärt  wähnte,  sobald  der  Fetiale  die  mit 
Eisen  beschlagene  oder  blutige,  an  der  Spitze  aber  versengte  Lanze  oder  Fackel 
ins  feindliche  Land  geschleudert  hatte,  gerade  wie  der  Kampf  im  Unwetter 
dort  oben  durch  das  Schleudern  der  blutig  rothen  oder  feurigen  Blitzeslanze 
resp.  Fackel  eröffnet  zu  werden  schien.  3)  Auch  als  die  Mythologien  reicher 
sich  entwickelten,  setzt  sich  in  den  Festgebräuchen  der  Culte  die  Sache  fort. 
Ein  einfaches  Beispiel  führt  Plut.  de  Iside  c  19  an,  wenn  er  sagt:  ylsystaL 
ÖE  OTi  nolhüv  (.lETazid^E^ievcov  asl  n^og  '  ^qov  xal  rj  nallaT^r]  tov  Tvcpiovog 
arpixsTo  Qnut]Qig-  ocpig  ös  rig  iniöiwxcov  avzrjv  vnh  ztov  tteqI  tov  'Q()nv 
xaiexonrj  xal  vvv  diä  tovzo  G%oi,viov  zl  nQißalövrsg  elg  f-tsaai^  xara- 
xn  movaiv.  Wie  mau  hier  den  himmlischen  Vorgang  im  Cult  des  Gottes 
einfach  nachahmte,  so  waren  die  mimischen  Darstellungen  mythischer  Scenen, 
welche  sich  an  die  Feste  vieler  Gottheiten  anschlössen,  schliesslich  auch 
nichts  Anderes. 

Wenn  sich  aber  in  letzteren  die  religiöse  Bedeutung  immer  mehr  ab- 
schwächte, und  sie  allmählich  in  das  Gebiet  der  Kunst  übergingen,  so  tritt 
jene  bei  den  Gebräuchen,  die  sich  auf  die  einfachsten  Lebensverhältnisse  be- 
zogen, in  um  so  grösserer  Wichtigkeit  hervor.  Die  Urzeit  fand  so  für 
Vieles,  was  noch  der  Gestaltung  entbehrte,  eine  bestimmte 
Form,  die  meist  dort  oben  am  Himmel  hervortretend,  einen, 
wenn  auch  unbekannten  Grund  zu  haben  und  deshalb  heilsam 
und  nachahmungswürdig  zu  sein  schien,  so  dass  man  sich  ihr 
ans  chloss. 

Man  hat  dies  von  mir  im  Urspr.  der  Myth.  aufgestellte  Prinzip  theils 
verkannt  (z.  B.  Rückert  in  seiner  griechischen  Mythologie),  theils  wird  es 
immer  noch  zu  wenig  beachtet,  und  doch  ist  es  für  die  Culturgeschichte 
gerade  der  Urzeit  höchst  wichtig  und  überall  liegen  in  den  Gebräuchen,  die 
ich  im  Urspr.  der  Myth.  und  in  den  Naturanschauungen  u.  s.  w.,  so  wie 
Kuhn  und  Mannhardt  in  ihren  Werken  behandelt  haben,  die  augenschein- 
lichsten Beispiele  vor*).  In  dem  Artikel,  der  in  dieser  Zeitschrift  über  den 
Sonnenphallos  handelt,  hatte  ich  auch  wieder  Gelegenheit  darauf  hinzuweisen, 
wie  der  Gebrauch  der  Gallen,  sich  zu  entmannen,  auch  nur  eine  Nacliahmung 
der  im  Gewitter  geglaubten  Entmannung  des  Sonnen wesens  sei,  welcher  man  in 
der  Extase  meinte  folgen  zu  müssen.  Inzwischen  habe  ich  in  Steller's  Reisen 
in  Sibirien  v.  J.  1774  zwei  Facta  gefunden,    von   denen  das  eine  die  aufge- 


')  cf.  d.  erwähnte  Abhandig.  in  d.  Berliner  Gymn.  Zeitschrift. 
2)  Böttiger.  Ideen  zur  Kunstmythologie  II  252  sqq.  sowie  Urspr.  d.  Myth.  p.  24. 
')  Poet.  Nyturansch.  u.  s.  w.  p.  200. 

*)   cf.  u.  A.  auch   Landsteiner,   die  Reste  des   Heidenthums   in  Nieder-Oestreich.    Krems 
1869.  p.  2. 


Zum  Ursprung  der  Gebräuche  der  Urzeit.  403 

stellte  Theorie  an  einem  einfachen  Beispiele  wieder  glänzend  bestätigt,  das 
zweite  die  Grenze  der  behaupteten  Einwirkungen  auf  die  Gestaltung  der 
Lebensweise  der  Menschen  in  dieser  Hinsicht  nicht  bloss  auf  die  Vorgänge 
beschränkt,  die  man  am  Himmel  wahrzunehmen  glaubte,  sondern  jene  noch 
viel  weiter  zieht. 

Steller  sagt  p.  63:  „Den  Hagel  erklären  die  Kamtschadalen  ebenmässig, 
dass  es  der  Urin  von  Billutschei  (dem  Himmelsgotte)  wäre;  wenn  er  aber 
genug  uriniret,  so  ziehe  er  ein  ganz  neues  Kuklanke  oder  Kleid  von 
Rospomak-Fellen,  wie  ein  Sack  gemacht,  an;  weil  nun  an  diesem  Staatskleid 
Franzen  von  roth  gefärbten  Seehundhaaren  und  allerhand  bunten  Ri emiein 
Leder,  so  glauben  sie  sicherlich,  sie  sähen  selbes  in  der  Luft  unter  der  Ge- 
stalt des  Regenbogens.  Die  Natur  nun  in  dieser  Farbenschönheit  zu 
imitiren,  ziehen  sie  ihre  Kukhmken  mit  eben  dergleichen  bunten  Haaren 
aus,  welche  Mode  also  aus  der  kamtscliada  li  seh  en  Physik  und 
dem  Regenbogen  seinen  Ursprung".  Dasselbe  wiederholt  Steller 
p.  304  im  Kapitel  von  der  Kleidung.  „Zwischen  den  Lederstreifen  ihrer 
Kleidung  unten  nähen  sie  Büschlein  rothgefärbter  Seehundshaare,  und 
halten  sie  dafür,  dass  der  Beherrscher  des  Himmels  eben  einen  solchen  Saum 
oder  Borte  an  seinem  Kleide  trage,  welches  der  Regenbogen  sei,  welchen 
sie  hierin  imitiren  wollen." 

Wenn  hier  das  behauptete  Gesetz  bei  der  Kleidung  hervortritt,  so  er- 
scheint es  in  einem  andern  Punkte  noch  überraschender,  sowohl  der  Verhält- 
nisse halber,  woher  die  Parallele  genommen,  als  vor  Allem  wegen  der  Sache, 
der  es  den  Stempel  aufgedrückt  hat.  Um  letzteres  noch  mehr  in  seiner  Be- 
deutung hervortreten  zu  lassen,  schicke  ich  Steller's  Charakteristik  des  betr. 
Volkes  voraus  (p.  245).  „Sie  halten  nichts  für  eine  Schande  und  Sünde,  als 
was  ihnen  Schaden  bringt;  und  kann  mau  an  der  Simplicität  dieser  Völker 
recht  deutlich  sehen,  wie  ein  jeder  Mensch,  so  in  der  natürlichen  Freiheit 
lebet,  nach  seinem  Temperament,  ohne  einige  Cultivirung  des  Gemüths  und 
Sittenlehre,  beschaffen  sein  müsse.  Man  suchet  die  Zufriedenheit  in  anima- 
lischen Ergötzungen  der  äussern  Dinge.  Man  will  gut  essen  und  trinken, 
wohl  schlafen,  öfters  Stelle  und  Personen  verändern,  um  nicht  verdriesslich 
zu  werden;  man  suchet  öftern  und  differenten  Beischlaf,  phantasirt  wollüstig 
u.  s.  w.,  fliehet  nur  den  Schaden  und  Verdruss  u.  s.  w."  Von  diesem  Stand- 
punkt ist  es  nun  doch  höchst  characteristisch,  wenn  Steller  weiter  unter  dem, 
was  der  Kamtschadale  als  sündhaft  halte,  anführt:  „Wer  den  Concubitus 
verrichtet,  dergestalt,  dass  er  oben  auflieget,  begehet  eine  grosse  Sünde. 
Ein  rechtgläubiger  Itälmene  muss  es  von  der  Seite  verrichten,  aus 
Ursache,  weil  es  die  Fische  auch  also  machen,  von  denen  sie  ihre 
meiste  Nahrung  haben." 

Die  Menschen  also,  die  sich  noch  auf  dem  rohesten  Standpunkt  der  un- 
gezügeltsten Sinnlichkeit  bewegen,  haben  dennoch  gerade  in  diesem  Punkte 
von    der    sie    umgebenden    Natur,     von    welcher    sie    sich    in    ihrem    Leben 

28* 


404  Miscellen  und  Bücherschau. 

abhängig  fühlen,  eine  Form  entlehnt  und  lassen  sich  von  ihr  beherrschen^). 
Ein  schlagenderes  Beispiel  dürfte  sich  kaum  für  die  von  mir  behauptete  Art 
der  Entstehungjvieler  Gebräuche  finden  lassen. 

Posen,  3.  Sept.  1875.  W.  Schwartz. 


3riscelleii  und  Büclierschau. 

Seefeld:    Die  modernen  Theorien  der  Ernährung  und  der  Vegetarianismus. 
Hannover  1875. 

Dem  Naturarzt  Th.  Hahn  auf  der  Waid  bei  St.  Gallen  gebührt  das  Verdienst,  mit  Energie 
und  Erfolg  das  vegetarianische  Banner  aufgepflanzt  zu  haben  (S.  15). 


Zittel:    Briefe  aus  der  libyschen  Wüste.     München  1875. 

Volk  und  Cultur  in  den  libyschen  Oasen  einst  und  jetzt  (Cap.  VIII) 

Dreher:    Die  Kunst  in   ihrer  Beziehung  zur  Psychologie  und  zur  Natur- 
wissenschaft.    Berlin  1875. 

Der  Begriff  der  Schönheit  entwickelt  sich  bei  den  Völkern  erst  ganz  allmäblig,  wie  er  sich 
auch  bei  dem  Einzelnen  erst  durch  scharfes  und  vieles  Beobachten,  Vergleichen  und  Denken 
heranbildet  (S.  13). 

Ule:    Die  Bedeutung  der  Nahrungsmittel   für   die  Kulturentwicklung   der 
Völker.     Halle  1874. 

Unter  allen  den  Einflüssen,  welche  das  Leben  des  Einzelnen  bestimmen,  von  denen  sein 
Wohl  und  Wehe  abhängt,  gehört  jedenfalls  die  Beschaffenheit  der  Nahrungsmittel  zu  den  be- 
deutendsten vS.  4). 

Nehring:    Vorgeschichtliche  Steininstrumente  Norddeutschland's.    Wolfen- 
büttel 1874. 

Uebersicht  über  die  Hauptformen  der  Steininstrumente  (S.  19). 


')  Ein  analoges  Prinzip,  nur  umgekehrtes  Resultat  liegt  übrigens  auch  der  bekannten  Stelle 
beim  Ilerodot  II.  t54  zu  Grunde,  wenn  es  dort  heisst:  „Fast  alle  andern  Menschen,  ausser  den 
Aegyptiern  und  Hellenen,  vermischen  sich  in  den  Heiiigthümern,  in  der  Meinung,  die  Menschen 
seien  wie  die  andern  Thiere ;  weil  sie  ja  auch  die  andern  Thiere  und  die  Vogelbrut 
sich  in  den  Tempeln  der  Götter  und  in  ihren  Hainen  sich  begatten  sahen.  Wäre 
nun  dieses  dem  Gotte  nicht  lieb,  so  würden  es  auch  die  Thiere  nicht  thun. 


Pruck  von  Gebrt  U^ger  (Th.  Orfnfip}  in  Berlin,  Scbönebergerstr,  17a, 


VerliancLl  ungen 


der 


Berliner  Gesellschaft 


für 


Anthropologie,  Etlmologie  und  Urgeschichte. 


Jahrgang"  1875. 


Berlin. 
"Wiegandt,  Hempel  A  Parey. 
1875. 


Berliner  Gesellschaft 


Aiitliropologie,  Ethnologie  und  Urgeschichte. 


Vorstand. 


Dr.  Virchow,  Professor,  Vorsitzender. 

Dr.  Bastian.  Prof. 

Dr.  Braun,  Prof. 

Dr.  IJartmann,  Prof.,  erster  Schriftführer. 


Stellvertreter  des  Vor.sitzeiideii. 


Dr.  Max  Kuhn,  zweiter  Schriftführer. 

Dr.  Voss,  dritter  Schriftführer. 

G    Henckel,  Rentier,  Schatzmeister. 


Ausschuss. 


Dr    Kon  er,  Professor,  Obmann 
Dr.   A    Kuhn,  Director. 
Fried  el,  Stadtrath. 
Dr.  Wetzstein. 


Dr.  Reichert,  Prof.,  Geh.  Med.-Rath. 
Dr.  Frhr.  von  Richthofe u. 
Deegen,  Kammergerichtsrath. 
Dr.  Neumayer,  Professor. 


Ehrenmitglieder. 

1.  Dr.  Lisch,  Geh.  Archivrath,  Schwerin,  Mecklenburg, 

2.  Dr.  Schott,  Professor,  Berlin. 


Correspondirende  Mitglieder. 


Carl  Ernst  von  Baer,  Staatsrath,  Dorpat. 
Joseph  Harnard  Davis,    M.  D  ,    F.    R.    S. 

Shelton,  StaHordshire. 
John  Beddoe,    M.    D.,    F.    R.   S.    Clifton, 

Glocestershire. 
Desor,  Professor,  Neuchätel. 
Huxley,  Professor,  F.  R.  S.  London. 
Nil  SSO  n,  Professor,  Lund. 
Worsaae,  Staatsminister,  Kopenhagen. 
Graf    Uwaroff,      Moskau,    Präsident    der 

archäologischen  Gesallschaft. 
Capellini,  Professor,  Bologna. 
Dr.  Giustiniano  Nicolucci,   Isola  di  Sora, 

Napoli. 
Bartolomeo  Gastaldi,  Professor,  Turin. 
Paolo  Mantegazza,  Professor,  Florenz. 
Juan  Vilanova  y  Piera,  Madrid. 
Francisco  M.  Tnbino,  Madrid. 
Edouard  Dupont,  Directeur  duMusee  royal 

d'histoire  naturelle,  Bruxelles. 
E.  Geo,  Squier,  New- York. 
Japetus  Steenstrup,  Prof.,  Kopenhagen. 


18.  Sir  John  Lubbock,  High  Elans,    Farnbo- 

rough,  Kent. 

19.  Dr.  Philippi,  Professor,  Santiago,  Chile. 

20.  Dr   Julius  Haast,   F.   R.  S.  Christchurch. 

New-Zealand. 

21.  Dr.  med.  A.  Weissbach,  Constantinopel. 

22.  Luigi  Calori,  Professor,  Bologna. 

23.  Edgar  Leopold  Layard,  Britischer Consul, 

Parä,  Brasilien. 

24.  Gust.  Rad  de,   Tiflis,    Director   des   trans- 

kaukasischen Museums. 

25.  Riedel,  Holländischer  Resident,  Gorontalo, 

Celebes. 

26.  Burmeister,  Professor,  Buenos  Ayres. 

27.  Luigi  Pigorini,  Parma,  Director  des  Mu- 

seums der  Alterthümer. 

28.  Vizconde  de  Sk  da  Bandeira,    Minister, 

Lissabon. 

29.  Dr.  Pereira  da  Costa,  Lissabon. 

30.  Dr.  Grewingk,  Professor,  Dorpat. 

31.  von  Blaramberg,  Generallieutenant,  Se- 

wiistopol 


(4) 


32.  Augustus  W.  Franks,  M.  A.,  London. 

33.  von  TscbTidi,  Schweizerischer  Gesandter, 

Wien. 

34.  Dr.W.  H.  J.  Bleek,  Capstadt,   Süd- Afrika. 

35.  Dr.  Leemans,  Director,  Leiden,  Holland. 

36.  Dr.  Hans  Hildebrand,  Stockholm. 

37.  Dr.  Carl  Raii,  New-York. 

38.  Conte  Giovanni  Gozzadini,  Senator,    Bo- 

logna. 
30.  Oscar  Monte lius,  Stockholm. 

40.  Baron  von  Düben,  Professor,  Stockholm. 

41.  Baron  F.  von  Mueller,   Director  des  bo- 

tanischen Gartens,  Melbourne,  Australien 

42.  Dr.  Herrn.  Berendt,  New-York. 

43.  von  Kaufmann   I,    General,    St.   Peters- 

burg. 

44.  Dr.   V.   Heldreich,    Director   des   botani- 

schen Gartens,  Athen. 

45.  Engelhardt,  Professor,  Kopenhagen. 

46.  Dr.  Zwingmann,    Medicinalinspector  von 

Ost-Sibirien,  Nikolajewsk  am  Amur. 

47.  Dr.  Reil,  Leibarzt,  Cairo 

48.  Dr.  med.  Sachs,  Cairo. 


49.  Oscar  Fl  ex,    Missionär,   Ranchi,   Nagpore, 

Ostindien. 

50.  Hart,  Professor,  Cornell  University,  Ithaca, 

New-York. 

51.  Dr.  W.  Reiss,  z.  Z.  in  Ecuador. 

52.  Dr.  A.  S  tu  bei,  z.  Z.  in  Ecuador. 

53.  Bror    Emil    Hildebrand,    Reichsarchivar, 

Stockholm. 

54.  A.  L.  Lorange,  Director  des  Alterthums- 

Museums,  Bergen,  Norwegen. 

55.  Dr.  J.  R.  Aspelin,  Helsingfors,   Finland. 

56.  John  Evans,    F.   R.   S.,    President  of  the 

geological   Society,    Nash    Mills,    Hemel 
Hempsted. 

57.  Jeffries    Wyman,    Professor,    Cambridge, 

Amerika. 

58.  Sir  W.  Wylde,  Dublin,  Irland. 

59.  Spiegelthal,  Schwed.  Consul  in  Smyrna. 

60.  Freiherr    von    Lichtenberg,    Deutscher 

Consul  in  Ragusa. 

61.  Conte  Conestabile,  Professor,  Perugia. 

62.  Frank  Calvert,  Dardanellen,  Kleinasien. 


Ordentliche  Mitglieder. 


1.  Dr.  med.  Abeking,  Berlin. 

2.  Dr.  Achenbach,  Handelsminister,  Berlin 

3.  Stud.  med.  Adler,  Berlin. 

4.  Cand.    med.   P,    Alb  recht,   Düsternbrook 

bei  Kiel. 

5.  Dr.  Paul  Ascherson,  Professor,  Berlin. 

6.  Dr.  F.  Ascherson,  Berlin. 

7.  Dr.  Awater,  Berlin. 

8.  Barchwitz,  Hauptmann  a.  D  ,    z.    Z.    in 

Italien. 

9.  Dr.    Bardeleben,    Geh.    Medicinal-Rath, 

Berlin. 

10.  Barnewitz  ,     Realschullehrer,    Branden- 

burg a/H. 

11.  Dr.  med.  Bartels,  Berhn. 

12.  Dr.  Bastian,  Professor,  Berlin. 

13.  Beer,  Rittergutsbesitzer,  Osdorf. 

14.  Behmer,  Fabrikant,  Berlin. 

15.  v.  Below,  Rittergutsbesitzer,  Berlin. 

16.  V.  ßennigsen,  Landesdirector,    Hannover. 

17.  Dr.  Berendt,  Professor,  Berlin. 

18.  Bergius,  Major,  Berlin. 

19.  Dr.  med.  Bernhardt,  Berlin. 

20.  Bertheim,  Stadtverordneter,  Berlin. 

21.  Dr.  med.  Beuster,  Berlin. 

22.  Dr.  Beyrich,  Professor,  Berlin. 

23.  Dr.  Biefel,  Oberstabsarzt,  Breslau. 

24.  Blume,  Banquier,  Berlin. 


25.  Dr.  Bodinus,  Berlin. 
2C.  Dr.  du  Bois-Reymond,  Professor,    Geh. 
Medicinalrath,  Berlin. 

27.  V.  Brandt,  Ministerresident,  z.  Z.  in  Japan 

28.  V    Brandt,  Oberst,  Berlin. 

29.  Dr.  Alex'  Braun,  Professor,  Berlin. 

30.  V.  Bredow,  Rittergutsbesitzer,  Lenzke  bei 

Fehrbellin. 

31.  Dr.  Brehm,  Berlin, 

32.  Dr.  med.  H.  v.  Chamisso,  Berlin. 

33.  Alb.  Cohn,  Buchhändler,  Berlin. 

34.  Dr.  Crampe,  Proskau  in  Schlesien. 

35.  Dr.  Croner,  Berlin. 

36.  Dr.  Dames,  Berlin. 

37.  Dr.  med.  H.  Davidsohn,  Berlin. 

38.  Dr.  med.  L.  Davidsohn,  Berlin. 

39.  Deegen,  Kammergerichtsrath,  Berlin. 

40.  C.  Degen  er,  Kaufmann,  Berlin. 

41.  Degener,       Kammergerichts  -  Referendar, 

Berlin. 

42.  Dr.  Dönitz,  Professor,  z.  Z.  in  Japan. 

43.  Dr.  Döring,  Stabsarzt,  Berlin. 

44.  Dr.  Dümichen,   Professor,    Strassburg  im 

Elsass. 

45.  H.  J.  Dünnwald,  Kaufmann,  Berlin. 

46.  Dr.  Dumont,  Berlin. 

47.  Dungs,  Kaufmann,  Berlin. 

48.  Graf  Dzieduczycki ,  Lemberg. 


(5) 


49.  Dr.  Ehren berg,  Geh. Medicinalrath,  Berlin. 

50.  Dr.  Engel,  Geh.  Reg.-Rath,  Berlin. 

51.  Dr    med.  Eggel,  Berlin. 

52.  Dr.  Erman,  Professor,  Berlin. 

53.  Dr.  Eulenburg,  Geh.  Sanitätsrath,  Berlin. 

54.  Dr.    Ewald,    Mitglied    der    Akademie   der 

Wissenschaften,  Berlin. 

55.  Ewald,  Historienmaler,  Berlin. 

56.  Dr.  Ewald,  Oberarzt,  Berlin. 

57.  Fälligen,  Stadtgerichtsrath. 

58.  Dr.  med.  Bernh.  Fränkel,  Berlin. 

59.  Dr.  V.  Frantzius,  Heidelberg. 

60.  F.  Frege,  Bauquier,   Berlin. 

61.  Friedel,  Stadtrath,  Berlin. 

62.  Dr.  Fritsch,  Professor,  z.  Z.  in  Persien. 

63.  Dr.  Fuchs,  Berlin. 

64.  V.  Gagern,  Referendar,  Berlin. 

65.  Gärtner,  Consul,  Berlin. 

66   Gentz,  Professor,  Maler,  Berlin. 

67.  Dr.  Ger  lach.  Geh.  Medicinalrath,  Berlin. 

68.  Dr.  med.  Goltdammer,  Berlin. 

69.  Goslich,  Rentier,  Berlin. 

70.  Dr.  Grempler.  Sanitätsrath,  Breslau. 

71.  Herrn.  Grimm,  Professor,  Lichterfelde  bei 

Berlin. 

72.  Dr.  Güssfeldt,  z.  Z.  in  Afrika 

73.  Dr.  med.  P.  Güterbock,  Berlin. 

74.  Dr.  med.  Guttstadt,  Berlin. 

75.  Haarbrücker,  Professor,  Berlin. 

76.  Dr.  Gust.  Hahn,  Oberstabsarzt,  Berlin. 

77.  Dr,  med.  Hahn,  Berlin. 

78.  Hansemann,  Fabrikant,    Charlottenburg- 

Westend. 

79.  Dr.  Hart  mann,  Professor,  Berlin. 

80.  Dr.  med.  v.  Haselberg,  Berlin. 

XI.  Hauchecorne,  Ober-Bergrath,  Berlin. 

82.  G.  Henckel,  Rentier,  Berlin. 

83.  P.  Henckel,  Banquier,  Berlin. 

84.  Dr.  0.  Hermes,  Berlin. 

85.  Dr.  H i  r s c  h ,  Professor,  Geh.  Medicinalrath, 

Berlin. 

86.  Dr.  med.  Hitzig,  Berlin. 

87.  Dr.  Hoffmann,  Sanitätsrath,  Berlin. 

88.  Dr.  Horwitz,  Rechtsanwalt,  Berlin. 

89.  Dr.  Hosius,  Professor,  Münster. 

90.  Dr.  Hous seile,   Geh.    Ober-Mediciualrath, 

Berlin. 

91.  Humbert,  Legationsrath,  Berlin. 

92.  Dr.  med.  Jacob,  Coburg. 

93.  Dr.  Fedor  Jagor,  z.  Z.  in  Ostindien. 

94.  Dr    med.  Ideler,  Berlin. 
9b.  Dr.  med.  Jürgens,  Berlin. 

96.  Dr.  Junker,  z.  Z.  in  Africa, 

97.  Dr.  Kaiser,  Berlin. 

98.  Dr.  Fr.  H.  J,  Kayser,  Privatdoceut,  Berlin 


99,  Kiepert,   Rittergutsbesitzer,    Marienfelde 
bei  Berlin. 

100.  Dr.  Kirchhoff,  Professor,   Halle  a/Saale. 

101.  Dr'  V.  Kloeden,  Professor,  ßoriin. 

102.  Dr.  Kny,  Professor,  Berlin. 

103.  Koenig,  Kaufmann,  Berlin. 

104.  Dr.  Koner,  Professor,  Berlin. 

105.  Dr.  Körte,  Geh.  Sanitätsrath,  Berlin. 

106.  Kratzenstein,  Missionsinspector,  Berlin , 

107.  Dr.  phil.  Krüger,  Berlin, 

108.  Krug  V.  Nidda,    Ober- Berghauptmann, 

Wirkl.  Geh.  Rath,  Berlin. 

109.  Kuchenbuch,    Kreisgerichtsrath,    Mün- 

cheberg. 

110.  Künne,  Buchhändler,  Berlin. 

111.  Dr.  med,  Küster,  Berlin. 

112.  Dr,  A.  Kuhn,  Director,  Berlin. 

113.  Dr.  Max  Kuhn,  Berlin, 

114.  Kunz,  Stadtrath,  Berlin. 

115.  Dr.  med,  Kupfer,  Cassel, 

116.  Kurtz,  Stud.,  Berlin. 

117.  Kurtzwig,  Navigatiouslchrer,  Berlin. 

118.  Dr,    Laehr,    Sanitätsrath,    Schweizerhof 

bei  Zehlendorf. 

119.  Dr.  Lange,  Berlin, 

120.  Dr.  med.  Langerhans,  Berlin, 

121.  Langerhans  ,     Oberhandelsgerichtsrath, 

Leipzig. 

122.  Dr.  Langkavel,  Berlin. 

123.  Dr.  Lasard,  Berlin. 

124.  Dr.  Lazarus,  Professor,  Berlin. 

125.  Leo,  Banquier,  Berlin. 

126.  Le  Coq,  Kaufmann,  Berlin. 

127.  V.  Ledebur,  Director,  Potsdam. 

128.  Dr.  Lepsius,  Professor.    Geh.  Reg.-Rath, 

Berlin. 
•129.  Siegfried  0.   Levinstein,    Kaufmann, 
Berlin. 

130.  Dr.  Lew  in,  Professor,  Berlin. 

131.  Dr.  Liebe,  Oberlehrer,  Berlin. 

132   Liebermann,      Geh.     Kommerzienrath, 
Berlin, 

133.  Dr.  Lieber  mann,  Professor,  Berlin. 

134.  Dr.  Liebreich,  Professor,  Berlin. 

135.  Dr.  Liman,  Professor,  Geh.  Medicinalrath, 

Berlin. 

136.  Dr.  Loew,  Oberlehrer,  Berlin. 

137.  Dr.  Lossen,  Berlin. 

138.  Dr.  P.  Magnus,  Berlin. 

139.  Stud.  med.  Manthey,  Berlin. 

140.  Marggraff,  Stadtrath,  Berlin. 

141.  Dr.    V.    Martens,    Professor,    Schöneberg 

bei  Berlin. 

142.  Dr.  Marthe,  Oberlehrer.  Berlin. 

143.  Dr.  Martin,  Geh.  Medicinalrath,  Berlin. 


(6) 


144.  Dr.  Louis  Mayer,  Sanitätsrath,  Berlin. 

145.  Dr.  Meitzen,  Geh.  Reg.-Rath,  Berlin. 

146.  Dr.  med.  Mendel,  Pankow  bei  Berlin. 

147.  Dr.  med.  Lothar  Meyer,  Berlin. 

148.  Meyer,  Geh.  Legationsrath,  Berlin. 

149.  Dr.  med.  Ed.  Michaelis,  Berlin. 

150.  Miihlenbeck,  Gutsbesitzer,  Gr.-Wachlin 

bei  Stargard  (Pommern). 

15 1.  0.  Müller,  Buchhändler,  Berlin. 

152.  Munter,  Zahnarzt,  Berlin. 

153.  Dr.  Munk,  Professor,  Berlin. 

154.  Dr.  Neumayer,  Professor,  Berlin. 

155.  Dr.  Orth,  Professor,  Berlin. 

156.  Paetel,  Stadtverordneter,  Berlin. 

157.  Dr.  Joh.  Paetsch,  Berlin. 

158.  Parey,  Buchhändler,  Berlin. 

159.  Pauli,  Reg.-Assessor,  Königsdorf. 

160.  Dr.  Peipers,  Marine-Stabsarzt,  Berlin. 

161.  Dr.  Petermann,  Professor,  Berlin. 

162.  Dr.  La  Pierre,  Sanitätsrath,  Berlin. 

163.  Dr.  med.  Plessner,  Berlin. 

164.  Pollack,  Referendar,  Berlin. 

165.  Dr.  Ponfik,  Professor,  Rostock. 

166.  Dr.  Pringsheim,  Professor,  Berlin. 

167.  Dr.  med.  Puchstein,  Berlin. 

168.  Raben  au,  Oeconom,  Vetschau. 

169.  Dr.  Rabl-Rückhardt,  Stabsarzt,  Berlin 

170.  Freiherr  V.  Radowitz,  Gesandter  in  Athen, 

Berlin. 

171.  Dr.  med.  Raschkow,  Berlin, 

172.  Ferd.  Reichenheim,  Berlin. 

173.  Dr.  Reichert,  Geh.  Medicinalrath,  Berlin. 

174.  Hans  Reimer,  Buchhändler,  Berlin. 

175.  Dr.  Reinhardt,  Berlin. 

176.  Berthold  Ribbentrop,    Esq.,    Labore, 

East  India. 

177.  Richter,  Banquier,  Berlin. 

178.  Baron  Dr.  v.  Rieht hofen,  Berlin. 

179.  Dr.  med.  Rieck,  Köpnick  bei  Berlin. 

180.  Dr.  Riese,  Geh.  Sanitätsrath,  Berlin. 

181.  Rosenberg,  Stadtgerichtsrath,  Berlin 

182.  Dr.  med,  Rosenthal,  Berlin. 

183.  Dr.  Roth,  Generalarzt,  Dresden. 

184.  Runge,  Stadtrath,  Berlin. 

185.  T.  E.  Rutledge,  Erlangen. 

186.  Dr.  med.  Sattler,  Coburg. 

187.  Schaal,  Maler,  Berlin. 

188.  Dr.  Scheibler,  Berlin, 

189.  Dr.  Schillmann,    Oberlehrer,    Branden- 

burg a/H. 

190.  Schlesinger,  Rentier,  Berlin. 

191.  Schlüter,  Fabrikant,  Berlin. 

192.  Jos.  Schmidt,  Kaufmann,  Berlin 


193.  Dr.  C.  Schneitier,  Berlin. 

194.  Dr.  Schöler,  Privatdocent,  Berlin. 

195.  Schubert,  Kaufmann,  Berlin. 

196.  Carl  D.  Schultze,  Baumeister,  Berlin. 

197.  Dr.  med.  Oscar  Schultze,  Berlin. 

198.  Dr.  med.  W.  Schütz,  Berlin 

199.  Dr.  Schwannecke,  Berlin. 

200.  Dr.  Schwartz,  Gymnasialdirector,  Posen. 
■iOl.  Dr.  G.  Seh  weinfurth,  Cairo. 

202.  Louis     Schwendler,      Estj.,     Galcutta. 

203.  Dr.  med.  Seemann,  Berlin. 

204.  Dr.  med.  Siegmund,  Berlin. 

205.  Dr.    jur,     Graf    Sierakowski,     Waplitz 

b/Altmark,  Westpreussen. 

206.  Dr.  Werner  Siemens,  Berlin. 

207.  0.  Simon,  Kaufmann,  Berlin. 

208.  Dr.  Steinthal,  Professor,  Berlin. 

209.  Stricker,  Verlagsbuchhändler,  Berlin. 

210.  Teschendorf,  Portraitmaler,  Berlin. 

211.  Dr.  med.  Thorner,  Berlin. 

212.  Thunig,    Domänenpächter,    Uuterwalden, 

Priment,  Prov.  Posen. 

213.  Treichel,  Berlin. 

214.  Dr.  Alf.  Tuckerman,  New-York 

215.  Dr.  Veckenstädt,  Cottbus. 

216.  Dr.  Veit,  Sanitätsrath,  Berlin 

217.  Dr.  Virchow,  Professor,  Berlin. 

218.  Vorländer,  Fabrikant,  Dresden. 

219.  Dr.  med.  Voss,  Berlin. 

220.  Walter,  Banquier,  Berlin 

2-'l.  Dr,  Wattenbach,  Professor,  Berlin. 
222.  Dr.  Wegner,  Generalarzt,  Berlin. 
2i3.  Dr.    Wegscheider,     Geh.    Sanitätsrath, 
Berlin. 

224.  Herm.  Weiss,  Professor,   l>erlin. 

225.  Dr.  Guido  Weiss,  Berlin. 

22(>.  Dr.    Weissbach,      Stabsarzt,      Wriezen 

a/Oder. 
227.  Dr.  Weiidt,  Oberstubsarzt,  Berlin. 
22M    Dr.  med.  Wernich,  z.  Z.  in  Japan. 
229.  Dr.  Westphal,  Professor,  Berlin. 
•-'30.  Dr.  Wetzstein,   Berlin. 

231.  Wilsky,     Director  ,     Rummelsburg     bei 

Berlin. 

232.  Witt,  Gutsbesitzer,  Bogdanowo  bei  Obor- 

nick,  Prov.  Posen. 

233.  Woldt,  Schriftsteller,  Berlin. 

234.  Alex.  Wolff,  Stadtruth,  Berlin. 
235    Dr.  med.  Max  Wolff,  Berlin. 

236.  Wredow,  Professor,  Berlin. 

237.  Freiherr  von  Wulffen,  Berlin. 

238.  Dr.  Zimmermann,  Rechtsanwalt,  Berlin, 

239.  Dr,  med.  Zülzer,  Berlin. 


Sitzung  vom  16.  Januar  1875. 
Vorsitzender  Herr  Virchow. 

(1)  Zu  Mitgliedern  des  Ausschusses  werden  für  1875  wiedergewählt  die  vor- 
jährigen Mitglieder: 

Herren  A.Kuhn,  Friedel,  Koner,  Wetzstein,  Reichert,  v.  R  ichthofen, 
Deegen,  Neumayer. 

(2)  Als  ordentliche  Mitglieder  sind  der  Gesellschaft  beigetreten  : 
Herr  Missionsinspector  Kratzenstein, 

Herr  Professor  Berendt  in  Berlin. 
Zu  correspondireuden  Mitgliedern  der  Gesellschaft  wurden  gewählt: 
Herr  Consul  Spiegelthal  in  Smyrna, 
Herr  Consul  Baron  Lichtenberg  zu  Ragusa, 
Herr  Frank  Calvert  in  den  Dardanellen, 
Herr  Graf  Conestabile  zu  Perugia. 

(3)  Herr  Virchow   macht  auf  die  beiden  zur  Zeit  in  Berlin  ausgestellten 

russischeu  Kinder  mit  Polysarcia  praematura 

aufmerksam. 

Elise  und  Aculina  Tuliakoff,  5  und  2  Jahre  alt,  gegenwärtig  264  und  106  Pfund 
wiegend,  sind  in  der  That  in  jeder  Beziehung  überraschende  Erscheinungen.  Alle 
Theile  sind  in  einer  Weise  vergrössert  durch  die  ungeheure  Zunahme  des  Fettge- 
webes, dass  man  ungleich  ältere  Kinder  vor  sich  zu  sehen  glaubt.  Auch  der  physi- 
ognomische  Ausdruck  stimmt  damit  überein.  Nur  die  kleine  Nase  und  der  kleine 
Mund  erinnern  daran,  dass  man  es  mit  so  jungen  Wesen  zu  thun  hat.  Die  übrige 
Kntvvickelung  ist  etwas  ungleich,  indem  namentlich  die  Oberschenkel  relativ  zurück- 
geblieben sind.  Die  Mutter  der  Kinder,  eine  russische  Bäuerin,  zeigt  nichts  Auf- 
fälliges. Eben  so  wenig  soll  diess  bei  dem  Vater  der  Fall  gewesen  sein.  Von  den 
übrigen  Kindern  habe  noch  eines  ähnliche  Störungen  dargeboten. 

Ethnologisch  hat  diese  Erscheinung  vielleicht  desshalb  einiges  Interesse,  weil  die 
partielle  I'olysarcie  einiger  Völker,  namentlich  des  südlichen  Afrika,  wenigstens  als 
ein  verwandtes  Phänomen  zu  betrachten  sein  dürfte, 

(4)  Herr  Gustav  Hirschfeld  meldet  in  einem  Briefe  an  den  Vorsitzenden  d.  d. 
Smyrna,    11.   Decbr  ,  die   Al)seiidung  von   16,  zum  Theil  wohl  erhaltenen 

Schädeln  von  Ophrynium, 
einem  Geschenke  des  Hrn.   Frank  Calvert    in  den  Dardanellen,    der    durch    seine 
Forschungen  auf  der  Troischen  Ebene  in  weiten   Kreisen    bekannt    ist.      Ophrynium 


(8) 

liegt  südwestlich  von  den  Dardanellen  an  der  Küste.     Die  Schädel  gehören  nach  den 
bei  ihnen  gefundenen  Münzen  (z.  B.  einer  Crispina)  der  römischen  Kaiserzeit  an, 

(5)  Durch  Hrn.  Wibel  sind  ein  Theil  der  von  Hrn.  Schetelig  erworbenen 
Schädel,  namentlich  diejenigen  von  Formosa,  sowie  einige  andalusische  Schädel  und 
Thongefässe  eingesendet  worden.     Ein  anderer  Theil  fehlt  noch. 

(G)  Die  schon  in  der  Sitzung  vom  17.  October  v.  J.  angekündigte  Sendung  des 
Hrn.  Philipp!  ist  eingegangen,     Sie  bringt 

Thongeräthe  aus  Gräbern  der  Cuiico-Indianer, 
namentlich  weite  und  sehr  rohe  Töpfe  und  flache  Schalen,   welche    auf    der    inneren 
Seite  mit  Malerei  in  blassen  Farben  versehen  sind.     Die  Muster  sind  einfache,  mehr 
mathematische  Anordnungen  von  geradlinigen  Zeichnungen. 

Herr  Virchow  macht  darauf  aufmerksam,  dass  sich  im  hiesigen  anatomischen 
Museum  zwei  in  früheren  Jahren  von  Hrn.  Philippi  eingeschickte  Schädel  von 
Cunco-Indianern  befinden,  bei  denen  gleichfalls  Thongefässe  gewesen  sein  sollen.  Die- 
selben sind  jedoch  bis  jetzt  noch  nicht  aufgefunden  worden. 

(7)     Herr  Julius  Haast  schickt  einen  Bericht  über 

die  Moa  Bone  Point  Cave  auf  Neu-Seeland. ') 

Die  Moa-Knochenhöhle  bei  Sumner  liegt  in  einem  alten  doleritischen  Lavastrom 
der  ßanks-Halbinsel,  einer  mächtigen  Bildung  erloschener  vulkanischer  Heerde, 
welche  in  postpliocener  Zeit  als  Insel  im  Meere  stand.  Hebungen  und  Senkungen 
bis  zu  einer  Höhe  von  20  Fuss  lassen  sich  daran  nachweisen.  Der  Boden  der  Höhle 
selbst  ist  zunächst  mit  einer  Lage  von  Seesand  bedeckt,  welche  am  Eingange  4'/3, 
am  Ende  8  Fuss  über  der  Hochwassermarke  liegt.  Das  Herabfallen  eines  grossen 
Blockes  am  Eingange  der  Höhle  und  die  Bildung  einer  Bank  von  Geröllsteinen  vor 
demselben  scheint  den  weiteren  Eintritt  von  Treibsand  verhindert  zu  haben.  In 
dieser  Zeit  müssen  Moa-Jäger  hier  gelandet  sein,  jedoch  scheinen  sie  die  Höhle 
nur  gelegentlich  besucht  und  als  Küchenplatz  benutzt  zu  haben.  Jedoch  muss  die 
See  noch  zuweilen  eingedrungen  sein,  da  zerbrochene  Moaknochen  und  Steine  von  den 
Kochöfen  bis  zu  12  Fuss  tief  in  den  Sand  eingebettet  gefunden  wurden.  Jedenfalls 
beweist  ein  Bett  von  Asche  und  Abfallsmassen  (dirt),  welches  auf  dem  Sande  und 
unter  der  nächsthöheren  Agglomeratschicht  liegt,  dass  gelegentlich  Feuer  auf  dem 
Sande  angezündet  sein  müssen. 

Nach  dem  völligen  Zurückweichen  der  See  bei  weiterer  Hebung  des  Landes 
hat  sich  ein  zusammenhängendes  Lager  von  durchschnittlich  (3  Zoll  Dicke  durch  das 
Herabfallen  von  Gesteinsbruchstücken  gebildet,  die  von  dem  Gewölbe  der  Höhle  sich 
loslösten.  Auch  in  dieser  Schicht  fanden  sich  zahlreiche  Thierknochen  und  kleine 
Mengen  von  Kohlen  und  Asche. 

öeber  dieser  Agglomeratschicht  folgt  endlich  eine  1^—4  Zoll  dicke  Lage,  die 
überwiegend  aus  menschlichen  Abfallsstoffen  besteht  (dirt-bed).  Namentlich  in  der 
Nähe  des  Einganges  enthält  sie  die  Küchenabfälle  der  Moa-Jäger.  Jedoch  lässt  sich 
das  Herabfallen  von  Lavaschlacken  auch  während  dieser  Zeit,  ja  bis  in  die  obersten, 
mit  europäischen  Resten  durchsetzten  Schichten  verfolgen.  Nur  ist  es  ersichtlich, 
dass  diese  Schicht  während  einer    Zeit    mehr    regelmässiger    Bewohnuug    durch    die 

')  Researches  and  excavations  carried  on  in  and  near  the  Moa  Bone  Point  Cave,  Sumner 
Road,  in  the  year  1872  by  Jul.  llaast.     Christchurch  1874. 


(9) 

Moa-Jäger,  deren  Lagerplätze  in  grosser  Ansdehnung  ausserhalb  der  Höhle  auf  den 
Dünen  der  Küste  nachweisbar  sind,  sich  gebildet  hat.  Ausser  zahlreichen  geschla- 
genen Stücken  von  Obsidian,  Feuerstein  u.  s.  w.  fanden  sich  hier  auch  geschliffene 
Steingeräthe  von  Palla,  dem  grünen  Kieselabsatz,  neben  unberührten  Moaknochen, 
welche  zum  Zweck  der  Markgewinnung  aufgosch lagen  waren,  und  Hr.  Haast  nimmt 
daher  seinen  früher  ausgesprochenen  Zweifel  zurück,  dass  die  Moa-Jäger  im  Besitz 
solcher  Geräthe  gewesen  seien.  Dagegen  hält  er  an  seiner,  in  Folge  der  Unter- 
suchung des  prähistorischen  Lagers  von  Rakaia  gewonnenen  üeberzeuguug  fest,  dass 
die  Moa-Jäger  den  Hund  wohl  gejagt,  aber  nicht  gezähmt  hatten.  Er  fand  in  der 
Höhle  einen  durchbohrten  Hundszahn,  aber  keiner  der  Thierknochen  zeigte  die 
Spuren  einer  Benaguug  durch  Hunde.  Einzelne  Nadeln  und  Ahlen  von  Knochen, 
Verzierungen,  Bruchstücke  von  Canoes,  hölzernen  Speeren,  Feuerhölzern  u.  s.  w. 
wurden  gleichfalls  gewonnen,  so  dass  die  Cultur  dieser  ürbewohner  wenig  von  der 
der  Maoris  verschieden  gewesen  zu  sein  scheint,  wie  sie  zur  Zeit  der  Entdeckung 
Neuseeland's  bestand. 

Nach  der  Bildung  des  Dirt-bed  muss  die  Höhle  eine  Zeit  lang  unbewohnt  ge- 
wesen sein.  Denn  am  Eingange  der  Höhle  liegt  über  demselben  eine  Schicht  von 
eingewehtem  Sande  von  1  Fuss  Dicke,  und  dann  erst  folgt,  durch  eine  scharfe  Be- 
grenzungslinie abgesetzt,  eine  Muschelschicht,  in  der  keine  Moaknochen  mehr  vor- 
kommen. Ueber  dieser  Schicht,  welche  in  der  Mitte  der  Höhle  eine  Dicke  von 
1  Fuss  2  Zoll  erreicht,  fand  sich  wieder  eine  Aschenlage  mit  pflanzlichen  üeberresten 
(Flachs,  verkohltem  Holz  u.  s.  w.)  von  8  Zoll  Dicke  und  endlich  eine  obere  Muschel- 
schicht bis  zu  1  Fuss  10  Zoll  Dicke.  Dann  erst  folgte  am  Eingange  der  Höhle  eine 
Schicht  bis  zu  7  Zoll  dick  mit  europäischen  Üeberresten.  Die  Muscheln  waren 
solche,  welche  noch  jetzt  die  Bucht  bewohnen:  Chicme  Stutchburyi,  Mesodesma 
Chemnitzii,  Amphibola  avellana,  Mytilus  smaragdiuus.  Zwischen  ihnen  fanden  sich 
zahlreiche  üeberreste,  welche  darthuen,  dass  man  es  hier  mit  den  Rückständen  des 
Mahles  von  Muschelfischern  zu  thun  habe,  welche  dem  Volke  der  Maori  angehört 
haben  müssen.  Nirgends  fanden  sich  jedoch  Spuren  von  Cannibalismus,  obwohl  ein 
Paar  menschliche  Knochen  zu  Tage  kamen.  Hr.  Haast  schliesst  daraus,  dass  diese 
Absätze  sehr  alt  sein  müssen,  da  wenigstens  bis  auf  einige  Jahrhunderte  rückwärts 
Anthropophagie  in  Neuseeland  bestanden  hat,  und  er  macht  zugleich  darauf  aufmerk- 
sam, dass  weder  in  der  Muschelschicht,  noch  in  der  Moaschicht  unter  Hunderten 
von  Knochen  kleinerer  Vögel  ein  einziges  Stück  von  der  Weka  (Ocydromus  australis) 
aufgefunden  wurde,  ganz  ebenso,  wie  diess  im  Rakaia-Lager  nicht  der  Fall  war.  Die 
Erinnerung  an  diesen  Vogel  als  einer  Lieblingsspeise  finde  sich  aber  in  den  über- 
lieferten Gesängen  tler  Maori,  und  alle  Abfallshaufen  der  Maori  an  der  Kiiste  und  im 
Lande  enthielten  die  Knochen.  Uebrigeus  folgert  Hr.  Haast  aus  seinen  Unter- 
suchungen der  Umgebungen  der  Höhle,  dass  auch  die  Muscheln  hauptsächlich 
ausserhalb  der  Höhle  gekocht  und  innerhalb  derselben  nur  verspeist  seien. 

Die  Eingebornen  schreiben  die  ausserhalb  der  Hiihle  auf  den  Dünen  vorfindlichen 
Muschelhaufen  den  ersten  Einwanderern,  den  Waitalia,  zu,  welchen  die  Ngatimamoe 
folgten,  denen  später  wieder  die  Ngatikuri,  die  jetzigen  Bewohner,  nachrückten. 
Allein,  auch  abgeselien  von  dieser  üeberlieferung,  spricht  der  Befund  in  der  Höhle  lür 
ein  sehr  hohes  Alter,  zumal  wenn  man  erwäge,  dass  die  Höhle  immer  nur  gelegentlich 
besucht,  aber  nie  anhaltend  bewohnt  worden  sei.  Offenbar  habe  auch  die  Einwan- 
derung der  polynesischen  Rasse,  zu  der  die  Maoris  unzweifelhaft  gehören,  schon  zu 
einer  Zeit  stattgefunden,  wo  die  Oberfläche  deV  Erde  noch  nicht  die  gegenwärtige 
Gestalt  gehabt.  Sicherlich  sei  der  Untergang  der  Moa  in  diesen  Theilen  Neusee- 
lands nicht  erst  vor  80  oder  10(t  fJahren  erfolgt,  sondern  zu  einer  Zeit,  wo  die 
Canterbury-Ebeue  in  der  Nähe  der  Küste  noch   ganz    verschieden    von    der   jetzigen 


(10) 

war.  Grosse  lagunenartige  Seen  seien  seitdem  ausgefüllt  worden  und  mächtige 
Dünenzüge  zu  den  früheren  hinzugetreten.  Auch  nicht  einmal  annähernd  lasse  sich 
die  Länge  des  Zeitraumes  bestimmen,  in  dem  diese  Veränderungen  vor  sich  gegan- 
gen seien.     Ebenso  verhalte  es  sich  mit  den  anderen  Fundstätten  der    Moa-Knochen. 

(8)  Die  württembergische  anthropologische  Gesellschaft  hat  sich  zu 
Neujahr  neu  organisirt  und  7  verschiedene  Sectiouen  zum  genaueren  Studium  des 
Landes  gebildet : 

1)  eine  anatomische  (Vorsitzender  v.  Holder), 

2)  eine  biologische  (Vors.  G.  Jäger), 

3)  eine  psychologische  (Vors.  v.  Fichte), 

4)  eine  linguistische  (Vors.  Th.  Schott), 

5)  eine  prähistorische  (Vors.  Fraas), 

6)  eine  historische  (Vors.  Haackh), 

7)  eine  statistisch-literarische  (Vors.  Zech). 

Jeder  derselben  sind  genauere  Ziele  der  Forschung  vorgesteckt,  welche  in  sorg- 
fältiger Erwägung  der  von  der  Wissenschaft  in  Angriif  genommenen  Probleme  abge- 
messen sind.     Möge  das  schöne  Beispiel  recht  zahlreiche  Nachfolge  finden! 

(9)  Der  Vorsitzende  übergiebt  im  Namen  des  Freiherrn  V.  Unruhe-Bomst  eine 
kleine  Sammlung  von  i'undgegenständen  von 

einem  Burgwall  bei  Wollstein. 
Der  betreffende  ßurgwall  liegt  zwischen  zwei  Seen  in  der  Nähe  von  Wollstein 
(Provinz  Posen)  und  scheint  in  sehr  verschiedenen  Perioden  bewohnt  gewesen  zu  sein. 
Ausser  einer  gewissen  Anzahl  geschlagener  Feuersteinspähne  von  der  Form  der  soge- 
nannten Messer  und  ausser  Topfscherben  mit  dem  bekannten  wellenförmigen  Ornament 
finden  sich  einerseits  einzelne  Eisensachen  von  wahrscheinlich  viel  späterer  Zeit,  an- 
dererseits einzelne  Thonscherbeu  von  glatter  Oberfläche,  hellerer  Farbe  und  fei- 
nerer Ornamentirung,  die  wahrscheinlich  der  Zeit  der  posenschen  Gräberfelder  ange- 
hören. Thierknochen  und  zwar  von  Hausthieren  sind  in  grösserer  Zahl  vorhanden. 
Weitere   Untersuchungen  sind  in  Aussicht  gestellt. 

(1")  Herr  Virchow  zeigt  bei  dieser  Gelegenheit  die  Skizze  des  kürzlich  von 
ihm  besuchten 

JJurgwalles  von  Barclilin  (Prov.  Posen). 

Bei  Gelegenheit  meines  letzten  Besuches  in  Zaborowo  machte  ich  mit  Hrn.  ' 
Thunig  und  meinem  Sohne  Hans  einen  Ausflug  nach  dem  östlich  von  da,  zwischen 
Barchlin  und  Deutscfi-Poppen  (Popowo)  gelegenen  Burgwall.  Derselbe  liegt  mitten 
in  einem  grossen  Wiesenmoor,  welches  breit  von  Norden  her,  aus  der  Gegend  des 
Obra-Bruches  herkommt  und  sich  südwestlich  gegen  eine  Reihe  von  Seen  fortsetzt, 
die  auf  das  Südende  des  Priraenter  Sees  gerichtet  sind.  Das  Moor  ist  jetzt  ziemlich 
trocken,  indem  westlich  von  dem  ßurgwall  ein  Abzugsgraben  gezogen  ist.  Das  öst- 
liche tJfer  dieses  Moors  ist  von  massigen  Höhenzügen  begleitet,  an  denen  das  Dorf 
Popowo  liegt.  Der  Wallberg  befindet  sich  nahe  an  der  Fahrstrasse  zwischen  den  genann- 
ten beiden  Dörfern.  Er  ist  fast  vollkommen  rund,  ganz  aus  Erde  aufgetragen,  in  der 
Mitte  stark  vertieft,  ringsum  mit  einer  breiten,  bis  zu  24  Fuss  Höhe  ansteigenden 
Aufwallung  versehen.  Nach  aussen  fällt  der  Rand  steil  ab,  nach  innen  verflacht  er 
sich  gleichmässig.  Der  Grund  der  Vertiefung  liegt  noch  6 — 8  Fuss  über  dem  Niveau 
des  Moores.  Hier  erreichten  wir  schon  bei  H  Fuss  Tiefe  weissen  Seesand  ohne  alle 
menschlichen   Ueberreste.     Dagegen  die  höheren   Seitentheile,  die  ganz  aus  Moorerde 


(11) 

bestanden  und  von  denen  an  der  der  Strasse  zugewendeten  Seite  ein  beträchtlicher 
Theil  abgefahren  war,  enthielten  in  massiger  Zahl  kleinere  Scherben  von  Thongeräth, 
wie  sie  namentlich  auch  an  den  von  Maulwürfen  aufgeworfenen  Hügeln  am  Aussen- 
raiide  häufiger  vorkamen.  Die  Mehrzahl  derselben  war  sehr  dick  und  grob,  von 
grauer  oder  schwärzlicher  Farbe,  mit  Grauitbrocken  gemischt  und  ohne  alle  Zeichnung. 
Soviel  sich  erkennen  Hess,  gehört  daher  dieser  Wall  nicht  derselben  Gruppe  an,  wie 
der  Burgwall  von  Wollstein  und  die  zahlreichen,  früher  von  mir  beschriebenen  Wail- 
berge  unserer  nördlichen  und  westlichen  Gegenden.  Immt^rhin  scheint  sich  heraus- 
zustellen, dass  auch  dW.  Provinz  Posen  reicher  an  Wallbergen  ist,  als  man  nach  den 
bisher  vorliegenden  Nachrichten  zu  schliessen  berechtigt  war. 

(11)  Herr  Woldt  legt  Contourzeichnungen  des  Kopfumfanges  verschiedener, 
meist  mit  ihrem  Namen  l)ekannter  Personen  vor,  welche  von  Hrn.  ßluth  und  ihm 
selbst  mit  Hülfe  des 

Ilntmachcr-Conforiiiateiir  von  AUier 
aufgenommen  worden  sind,     Kr  macht  auf  den  Nutzen    solcher    Aufnahmen,    welche 
leicht  durch  die    liutmacher    zu    erhalten    seien,    für    anthropologische    Zwecke    auf- 
merksam. 

Herr  Virchow  erwähnt,  dass  ähnliche  Aufnahmen  schon  von  Hrn.  Fraas  auf 
der  Generalversammlung  iu  Stuttgart  gezeigt  worden  sind,  und  dass  ihm  so  eben  eine 
besondere  Abhandlung  des  berühmten  Anatomen  Hrn.  Hart  in  g  in  Utrecht  zugegan- 
gen ist,  welche  sich  eingehend  über  die  Verwendungsweise,  die  Vortheile  und  die 
nothwendigen  Correctureu  jener  Conformateure  verbreitet.')  Hr.  Harting  findet 
aus  012  verschiedenen  Aufzeichnungen  dieser  Art  den  Hut-Index  (index  pileal)  der 
besseren  Klassen  von  Utrecht  =  84,04,  während  der  craniometrischc  [ndex  =  82,(H» 
sei.  Die  Differenz  beträgt  demnach  2,04.  Auch  hier  stellt  sich  eine  ausgemacht 
brachycephale  Bevölkerung  heraus. 

(12)     Herr  Riedel  schreibt  d.  d.  Gorontalo,  2.  Oct.,  über 

kiiustliche  Verunstaltung  des  Kopfes  in  Celebes. 

Im  August  1870  theilte  ich  der  Redaktion  der  Ethnol.  Zeitschr.  mit,  dass  es  bei 
den  Toumbuluh,  Tounsea,  Toumjiakewa,  Mougondou,  Sumawa,  Holontalo  und  Toniini- 
Völkern  (in  unserer  Zeit)  nicht  gebräuchlich  ist,  die  Schädel  der  Kinder  abzuplatten. 
Es  ist  mir  aber  gelungen,  zu  erfahren,  dass  die  Toumbuluhen,  Touuseaer,  Toumpa- 
kewaer  und  Mongondnuer  in  früherer  Zeit  auch  die  Schädel  der  Kinder  difformir- 
ten.  i)eii  Gebrauch  übernahmen  sie  von  dem  auf  Nord-Selebes  eingewanderten  Stamm 
Pasambangko  oder  Beiitenan,  den  jetzigen  Bewohnern  der  Minahasa-I'rovinz  Belang. 
Das  Instrument,  womit  die  .\b plattung  der  Stirn  geschieht,  heisst  in  dem  Toumbuluh- 

Diabikt  pepeseh,  und  liat  die  nebenstehende  Form. 
Die  Sitte  besteht  jetzt  noch  unter  den  Bantiks  in 
der  Minahasa  und  in  .Mougondou,  ebenso  unter  den 
Bugis.  Man  kanu  desshalb  voraussetzen,  dass  die  Ge- 
wohnheit, den  Schädel  zu  difformiren,  auf  ganz 
Selebes  einheimisch  gewesen  ist. 


')  Le  plan  uiedian  de  la  lete   iieerlamlaise    iu;i.sculme,    determinee    ilapre.«    uiie    luethode 
nouvelle.    (Acad.  roy.   iieerl.  des  scieuces;   Auisterd.   1874. 


(12) 

(13)  Die  Herren  Chierici,  Pigorini  und  Strobel  übersenden  die  Anzeige  eines 
von  ihnen  zu  publicirenden 

BuUetiiio  di  paleoetuologia  italiana) 

welches  in  monatlichen  liieferungen  erscheinen  soll. 

(14)  Herr  Bayer  übergiebt  den  Unterkiefer  eines  kleinen,  aus  dem  Wohlauer 
Gebiete  stummenden  Schweines  (dem  Torfschwein  —  Sus  palustris  —  analog). 

(15)  Herr  Oscar  Westphal  legt  eine  Sammlung 

natürlicher  Steine  aus  der  Mark  Brandeubnrg 

vor,  welche  nach  seiner  Ansicht  darthun,  wie  sehr  die  ursprüngliche  Beschaffenheit 
vieler  Steine  die  Form  der  späteren  Bearbeitung  an  die  Hand  gegeben  habe.  Die- 
selben werden,  nebst  einigen  schönen  polirten  Steingeräthen  von  der  Insel  S.  Thomas, 
der  Sammlung  der  Gesellschaft  einverleibt. 

Ausserdem  übergiebt  er  eine  Reihe  von  Urnen  aus  anhaltinischen  Gräbern. 

(16)  Herr  A.  Bohle  und  Fräulein  Emma  Willardt  stellen 

vier  lebende  Lappen, 
drei  Männer  und  eine  Frau  von    Mala    im    südlichen    Lappland    in    ihrer    National- 
tracht vor. 

(17)  Herr  Schwarte  berichtet  über 

Funde  bei  Pawlowice  und  Znin. 

Die  Feuerstelle  bei  Pawlowice  hat  wieder  eine  Quantität  Knochengeräthe  erge- 
ben und  wird  weiter  ausgegraben  werden,  sobald  es  das  Wetter  erlaubt.  Ein  grossar- 
tiger Pfahlbau  —  Hr.  Feldmanowski  hat  bei  kurzem  Aufenthalt  18  Wohnstätten 
gezählt  —  findet  sich  bei  Objerierze  (bei  Obornik)  auf  dem  Boden  eines  jetzt  abgelas- 
senen Sees.  Besondere  Funde  noch  nicht,  aber  ringsherum  um  den  See  Gräber. 
In  der  Nähe,  d.  h.  '/h  Meile  davon  hat  sich  aber  etwas  höchst  Interessantes  gefun- 
den :  in  Mitten  eines  Gräberfeldes  gewöhnlicher  Art  mit  hübschen  Ge- 
fässen  ein  roher  Topf  derselben  Masse,  desselben  Brennens,  derselben  Ver- 
zierungen, wie  bei  Pawlowice  und  in  dem  von  Hrn.  Witt  untersuchten  Pfahlbau,  dersel- 
ben Art,  wie  ich  bei  Binenwalde  (Ruppin)  Scherben  in  Masse  aufgelesen.  Hier  liegt 
also  ein  bestimmtes  Merkmal  einer  Continuität  vor.  —  Unter  anderen  neuen  Funden 
ist  auch  noch  bei  Znin  Bemerkenswerthes  an  Töpferarbeit  gefunden  worden:  eine 
grosse  schwarze  Kanne,  mit  dem  Messer  gleichsam  abgeschält,  um  gewisse  Ränder, 
die  sich  herum  ziehen  und  punctirt  sind,  erhabener  hervortreten  zu  lassen;  desgleichen 
ein  eben  solcher  Becher  in  der  Form  des  römischen  Calathus. 

Derselbe  übersendet  ältere  Notizen  über 

Alterthümer  in  der  Gegend  von  Joachimsthal. 

Die  hiesige  Gegend  scheint  an  Alterthümern  nicht  arm  zu  sein,  denn  es  finden 
sich  an  verschiedenen  Stellen  sowohl  Ruinen  von  Schlössern,  Klöstern  u.  s.  w.,  als 
auch  heidnische  Begräbnissplätze  und  Hünengräber,  und  zwar  mehr,  als  man  erwar- 
tet. Denn  wenn  hier  oder  da  die  Rede  auf  Hünengräber  oder  Urnen  kommt,  so  sind 
immer  Mehrere  in  der  Gesellschaft,  welche  Orte  anzugeben  wissen,  wo  Urnen, 
Aschen-  oder  Thränenkrüge,  auch  Waffen  gefunden  sind  oder  gefunden  sein  sollen. 

Abgesehen  von  Bärenskirchhof  sind  in  der  Umgegend  von  einer  Meile  wenigstens 
f)  Punkte  anzugeben,  wo  sich  Hünengräber  finden,  von  denen  durch  zufällige  oder 
beabsichtigte  Nachgrabungen  ö  untersucht  worden  sind. 


(13) 

1.   Der  alte  heidnische  Begräbnissplatz  unfern  des  Grim  nitz-Sees. 

Als  im  Beginn  des  Sommers  d.  J.  (18G4)  eine  sandige  Stelle  des  Weges  nach 
Angermünde,  dicht  hinter  Forsthaus  Bärendickte  gepflastert  werden  sollte,  wurde  es 
dem  Unternehmer  dieser  Arbeit  erlaubt,  dazu  Steine  aus  der  Forst  zu  nehmen,  wo 
er  sie  fände,  und  zur  Verbesserung  des  Weges  zu  verwenden.  Bei  dieser  Gelegen- 
heit fand  der  Unternehmer,  der  Maurer  Werd  ermann  aus  der  Mühlenstrasse,  am 
Rande  einer  Schonung  Steinhijgel,  welche  ihm  sehr  passende  Steine  zu  seinem 
Strassenbau  zu  enthalten  schienen.  Er  nahm  die  Steine  eines  Hügels  ab  und  kam 
dann  wenig  tiefer  als  die  Erdoberfläche  auf  eine  Steinplatte  von  etwa  3  Funs  Länge 
und  2j^  Fuss  Breite  ohne  genaue  und  bearbeitete  Begrenzung  ihres  Unifanges.  Nach- 
dem diese  Platte  aufgehoben  war,  fand  sich  ein  durch  aufrecht  stehende  flache  Steine 
begrenztes  länglich  viereckiges  Hünengrab  mit  einer  Urne  darin.  Auf  gleiche  Weise 
behandelte  der  Finder  mehrere  Hügel  und  fand  denselben  Inhalt. 

Seine  Entdeckung  blieb  unbekannt,  bis  einige  Lehrer  den  Schulkindern  von 
Bärenskirchhof  erzählten  und  von  Hünengräbern  und  Urnen  redeten.  Hierbei  er- 
fuhren die  Lehrer  von  einigen  Schülern,  dass  der  Maurer  Werdermaun  in  der 
Gegend  des  Devin-Sees  Urnen  gefunden  habe.  Da  es  nach  dieser  ungenauen  Nach- 
richt von  dem  Funde  noch  nicht  feststand,  ob  man  es  an  dem  Orte  mit  einem  heid- 
nischen Begräbnissplatze  zu  thun  habe,  so  suchte  ich  den  Platz  nach  der  Beschrei- 
bung auf,  fand  ihn,  und  theilte  dem  Hrn.  Kreisrichter  II lies,  der  durch  die  Unter- 
suchung von  Bärenskirchhof  die  erste  Anregung  zur  Aufgrabung  von  Hünengräbern 
gegeben  hatte,  dem  Hrn.  Cantor  Bern  et  und  dem  Hrn.  Lehrer  Kleinschmidt 
meine  Anschauung  von  der  Sache  mit.  Da  sich  die  Herren  sehr  für  die  Sache 
interessirten,  so  fuhren  wir  über  den  Grimnitz-See  nach  dem  Platze,  der  etwa  lüOO 
Schritte  von  diesem  See  entfernt  liegt.  Wir  freuten  uns,  die  offenen  Gräber  zu 
sehen,  und  hofften,  wenn  wir  irgend  einen  der  dortigen  Steinhügel  aufgrüben,  wir 
würden  ein  neues  Grab  mit  Urne  öffnen,  und  vielleicht  Werkzeuge  der  alten  heid- 
nischen Bewohner  dieser  Gegend  darin  finden. 

Es  waren  drei  Gräber  von  übereinstimmender  Form  und  Einrichtung  geöffnet 
auf  deren  einem  noch  der  Deckelstein  lag,  auf  welchem  eine  halbe  Urne  stand. 

Dieser  heidnische  Begräbnissplatz  liegt  nördlich  vom  Grimnitz-See,  östlich  von 
Leistenhaus  und  dem  Deviu-See,  südlich  von  der  Künkendorfer  Strasse  und  nord- 
westlich von  Amt  Grimnitz  und  dem  Eichelkamp,  im  Jagen  30  des  Glambecker 
Forstrevier,  Schutzbezirk  Bärendickte.  Nordwestlich  begrenzt  ein  Bruch  den  Hügel, 
welcher  sich  vom  Grimnitz-See  sanft  erhebt,  dagegen  zu  dem  Bruche  schroff  abfällt. 
Parallel  mit  dem  Bruche  zieht  sich  ein  Weg  dicht  an  einer  Kieferuschouung  entlang, 
so  dass  diese  einen  Streifen  von  ca.  50  Fuss  Breite  bildet.  Der  Bestand  der  etwa 
15  Jahr  alten  Schonung  ist  von  den  betreffenden  Hünengräbern  und  Wachholder- 
büschen  unterbrochen. 

Die  Steinhügel,  welche  sich  hier  befinden,  haben  einen  Umfang  von  20 — 24 
Fuss  und  sind  nicht  sehr  hoch.  Die  Steine  sind  von  verschiedener  Grösse,  meist 
kopfgross,  aber  auch  kleiner  und  grösser,  gewöhnlich  rundlich  und  die  oberen 
bemoost. 

Nachdem  dieser  Steinhügel  entfernt  ist,  fi'ihlt  man  unter  einer  Erdschicht  von 
6  Zoll  den  Deckelstein,  eine  etwa  4  Zoll  dicke  Granitplatte  von  etwa  3  Fuss  Länge 
und  2)^  Fuss  Breite,  deren  Umgrenzung  bruchig  und  nicht  bearbeitet  ist.  Weder 
die  Ober-  noch  die  Unterseite  dieses  Deckelsteines  sind  behauen,  sondern  der  ganze 
Deckelstein  scheint  eine  von  einem  grösseren  Steine  abgespaltene  Platte  zu  sein. 

Unter  dieser  Platte  sieht  man  das  eigentliche  Grab,  einen  Raum,  dessen  Grund- 
fläche ein  Rechteck  von  2'/.^  Fuss  Lunge  und    2  Fuss  Breite    ist.      Die    senkrechten 


(14) 

Wände  dieses  Raumes  bilden  Steinplatten,  die  etwa  3  Zoll  dick  und  wenigstens  an 
ihren  oberen  Kanten  so  glatt  bearbeitet  sind,  dass  der  Deckelstein  darauf  schliesst. 
Zwei  von  diesen  4  Steinen  und  zwar  die  2  auf  den  kürzeren  Seiten  des  Rechtecks 
aufrecht  stehenden  Steine  sind  auch  an  den  beiden  Seiten  behauen,  mit  welchen  sie 
mit  den  beiden  Steinen  der  langen  S«'iten  zusammenstossen,  so  dass  dadurch  ein 
vollkommener  Steinkasten  entsteht,  dessen  kürzere  Seiten  nach  Südwesten  und  Nord- 
osten liegen. 

In  diesem  Steinkasten  steht  die  aus  mit  Kies  vermischtem  Thon  gebrannte, 
bronzefarbene  Urne,  deren  Wände  '/j  Zoll  dick  sind,  von  gefälliger  Form  und  ein- 
facher Verzierung.  Der  Boden  dieser  Urnen  ist  verhältnissmässig  klein  und  hat  einen 
Durchmesser  von  3%  Zoll.  In  der  Höhe  von  B%  Zoll  hat  die  Urne  den  grössten  Um- 
fang, denn  ihr  Durchmesser  beträgt  hier  9V''  Zoll.  Vom  Boden  bis  zu  dieser  Höhe 
schwingen  sich  die  Wände  in  einer  schönen  Wellenlinie  empor.  Von  hier  an  ver- 
engt sich  die  Urne,  so  dass  bei  4|  Zoll  Höhe  der  Durchmesser  ^^|^  Zoll  beträgt. 
Dann  biegen  sich  die  Wände  der  im  Ganzen  6^^  Zoll  hohen  Urne  wieder  nach 
aussen,  so  dass  der  übergebogene  Rand  mit  der  grössten  Weite  der  Urne  harmonirt. 
Von  der  Einschnürung  der  Urne  in  ihrem  Halse  bis  fast  zum  Bauche  in  der  Mitte 
befindet  sich  an  den  beiden  Endpunkten  eines  Durchmessers  ein  offener  Henkel  an 
den  Urnen,  der  jedoch  so  klein  ist,  dass  man  nicht  einmal  einen  Finger  durchstecken 
kann.  Die  Verzierungen  bestehen  aus  eingedrückten  gradlinigen  Reifen,  die  zum 
Theil  horizontal  um  den  Hals  gehen,  während  je  5  oder  6  senkrecht  über  den  Bauch 
nach  unten  auslaufen. 

Fig.  A.  stellt  eine  an  diesem  Orte  gefundene  Urne  dar: 

ab  ist  der  Durchmesser  des  Bodens  372  Zoll  ; 

cd  grösster  Durchmesser  des  Bauches  974      „ 

fg  Durchmesser  der  Einschnürung  7\/4      „ 

hk  obere  Weite  der  Urne  (Durchmesser)        OV'«      » 
Im  Höhe  der  Urne  6V4      „ 


In  den  Urnen  befand  sich  ausser  den  Knochenstücken  und  Asche  auch  Sand. 
Der  erste  Finder  liess  die  Urnen  mit  dem  Inhalte  auf  dem  Platze  stehen,  daher  denn 
Alles  ohne  Untersuchung  verschüttet  wurde. 

Trotz  der  grössten  Anstnjnguug,  die  wir  auf  mehrere  Hügel  verwendeten,  fanden 
wir  nichts  weiter,  als  einen  nicht  mehr  in  recht(U-  Lage  befindlichen  Deckelsteiu. 


(15) 

Hinsichtlich  der  Form  stimmen  die  hier  gefundenen  Urnen  mit  denen  von  Bä- 
renskirchhof  überein;  aber  die  Farbe  mehrerer  der  letztgenannten  ist  dunkler,  einige 
sind  schwarz  und  die  Verzierungen  arabeskeuartig  geblümt.  Ausserdem  sind  sie  auch 
aussen  glatter,  fast  möchte  man  sagen  glasirt.  Dagegen  unterscheidet  sich  die  Art 
und  Weise,  wie  die  Urnen  beerdigt  sind,  wesentlich.  Während  nehmlich  die  Urnen 
auf  Bärenskirchhof  in  die  blosse  Erde  auf  einen  Stein  gesetzt  und  mit  einem  Deckel- 
stein unmittelbar  zugedeckt  sind,  stehen  die  Urnen  auf  diesem  Platze  in  einem  wohl 
eingerichten  Steinkasten,  welcher  mit  einem  grossen  Deckelsteine  versehen  ist.  Ausser- 
dem befindet  sich  hier  auf  jedem  Grabe  ein  Steinhügel,  während  auf  Bärenskirchhof 
keine  Steine  ausser  den  18  Begrenzungssteinen,  den  Steinen,  worauf  die  Urnen  stehen, 
und  den  üeckelsteinen  vorhanden  sind. 
2.     Der  heidnische  Begräbnisspatz  auf  dem  Felde  bei  Friedrichswalde. 

Eine  gute  halbe  Meile  nördlich  von  Joachimsthal  auf  der  östlichen  Feldmark 
von  Friedrichswalde  in  der  Nähe  des  Prüsnick-Sees  hat  sich  der  Bauer  Heidel- 
mann  nach  der  Separation  vor  13  Jahren  ein  Gehöft  erbaut  und  bei  der  Legung 
der  Fundamente  und  Grabung  eines  Kellers  mehrere  Urnen  ohne  weitere  Vorrichtung 
in  der  Erde  gefunden.  Die  Urnen  waren  von  verschiedener  Grösse  und  mehr  hoch 
als  weit,  denn  der  Finder  nennt  sie  Kruken,  worunter  man  hier  topfartige  thönerne 
Gefässe  versteht,  die  oben  bedeutend  enger  als  in  der  Mitte  sind  und  zum  Aufbe- 
wahren von  Flüssigkeiten,  namentlich  von  Bier  dienen.  Von  solchen  Gefässen  soll 
ein  Raum  von  5—6  Fuss  Länge  und  Breite  wohl  10—12  enthalten  haben.  Neuer- 
dings sind  an  diesem  Punkte  keine  Nachgrabungen  unternommen. 

3.     Die  heidnischen  Begräbnissplätze   bei  Ptingenwalde. 

Ringenwalde  ist  ein  Dorf  eine  Meile  nördlich  von  Joachimsthal  und  hat  seinen 
Namen  davon,  dass  es  rings  vom  Walde  eingeschlossen  ist.  Es  gehörte  früher  der 
Familie  v.  Arnim,  hat  sich  auf  die  Ahlimb'sche  Familie  vererbt  und  ist  durch 
die  einzige  Tochter  des  Rittmeisters  v.  Ahlimb,  welche  sich  mit  dem  aus  Dessau 
stammenden  Grafen  Saldern  verheirathete,  an  die  gräflich  Ahlimb-Saldern'sche 
Familie  gekommen. 

In  der  Nähe  von  Ringenwalde  liegen  drei  heidnische  Begräbnissplätze.  Der 
zuerst  aufgefundene  befindet  sich  unfern  des  Dorfes  beim  sogenannten  Steinpütten 
auf  dem  Wege  von  Ringenwalde  nach  Ahlimbswalde. 

Beim  Sandgraben  fand  hier  der  Briefträger  und  Bursche  des  Cantors  Pietscher 
sechs  Urnen,  die  ausser  Sand  nur  Knochenüberreste    enthalten    haben.      Eine    dieser 


(16) 

Urnen,  von  der  zwar  ein  Stück  des  oberen  Randes  fehlt,  ist  noch  so  erhalten,  dass 
man  die  Form  sehr  wohl  erkennen  kann. 

Der  Boden  hat  einen  Durchmesser  (Fig.  B.  a)  von  474  Zoll.  In  einer  Höhe 
von  'i'/g  Zoll  (b)  erreicht  die  Urne  ihre  grösste  Weite,  deren  Durchmesser  (c)  97a 
Zoll  beträgt.  Vom  Boden  bis  hierher  wölbt  sich  die  Urne  in  einem  etwas  geschweif- 
ten Bogen.  Darauf  steigen  die  Wände  3'/2  Zoll  fast  senkrecht  auf,  ohne  dass  sich 
der  Rand  nach  aussen  umbiegt.  Die  Höhe  der  ganzen  Urne  (h)  beträgt  6^/3  Zoll. 
Henkel  und  Verzierungen  befinden  sich  gar  nicht  an  dieser  Urne,  welche  Wände 
von  einem  starken  Viertelzoll  Dicke  und  duukelgelbe  Farbe  hat.  Das  Material  der- 
selben ist  gebrannter  Lehm,  mit  Kies  vermischt. 

In  der  au  diesen  Platz  grenzenden  Kiefernschonung,  welche  einen  Bestand  ent- 
hält, der  etwa  25  Jahr  alt  ist,  befinden  sich  mehrere  Steinhügel,  von  denen  die  Frau 
Gräfin  v.  Ahlimb-Saldern  vor  zwei  Jahren  einige  aufgraben  liess.  Sie  fand  in 
denselben  auf  einer  Art  Heerd,  welcher  an  den  Seiten,  sowie  oben  von  Steinen  um- 
geben war,  grössere  und  kleinere  Urnen,  die  anfangs  aufbewahrt,  später  aber  zer- 
brochen sind.  Alte  Instrumente  oder  Waffen  sollen  nicht  gefunden  sein,  dagegen 
hörte  ich  von  einem  messingenen  grossem  Knopfe.  Die  Art  der  Urnen-Bestattung 
erinnert  an  die  Art  und  Weise,  wie  sie  auf  dem  Begräbnissplatze  in  der  Nähe  des 
Grimuitz-Sees  betattet  sind. 

Gegenwärtig  sind  in  der  bezeichneten  Schonung  noch  einige  unberührte  Hünen- 
gräber vorhanden. 

Der  dritte  Ort  bei  Ringenwalde,  an  welchem  sich  ein  heidnischer  Begräbniss- 
platz zu  befinden  scheint,  liegt  nördlich  von  Ringenwalde,  zu  beiden  Seiten  der 
Strasse  nach  Albertinenhof,  in  einem  Buchenwalde  links  von  Hohenwalde.  Von  der 
betreffenden  Stelle  senkt  sich  der  Boden  ziemlich  schnell  zu  dem  östlich  liegenden 
Krinitz-See.  Die  Steinhügel  an  diesem  Platze  sind  die  grössten  der  Art,  die  ich 
bisher  gesehen  habe  und  mögen  wohl  einen  Umfang  von  32  Fuss  haben,  während 
ihre  Höhe  auch  nicht  gering  ist. 

Nachgrabungen  sind  an  diesem  Platze  noch  nicht  unternommen. 

4.  Der  Begräbnissplatz  auf  der  Schorfheide. 
Wie  ich  von  mehreren  Personen  gehört  habe,  sind  auf  der  Schorfheide,  ich 
glaube  bei  Anlegung  der  Zauberflöte,  eines  verdeckten  Ganges,  der  dazu  dient,  dem 
Wilde  unbemerkt  recht  nahe  zu  kommen,  mehrere  Thonkrüge  gefunden  worden, 
welche  nur  klein  gewesen  sein  sollen,  und  deshalb  Thränenkrüglein  genannt  wurden. 
Auch  Waffen  sollen  dort,  wie  in  der  Nähe  auf  dem  Schlossberge,  gefunden  sein, 

5.     Der  heidnische  Kirchhof  in  der  Lieper  Forst. 

Dieser  Begräbnissplatz  kann  nicht  mehr  als  in  der  Umgegend  von  Joachimsthal 
liegend  angesehen  werden,  denn  die  Entfernung  von  hier  beträgt  2'/^  Meile.  Er 
liegt  zwischen  Oderberg,  Liepe,  Chorin  und  Brodowin  in  der  Nähe  vom  Forsthause 
Liepe. 

Vor  etwa  35—40  Jahren  hat  der  Herr  Oberförster  Krüger  zu  Oderberg 
Ausgrabungen  an  diesem  Platze  vornehmen  lassen  und  mehrere  Urnen  zu  Tage  ge- 
fördert und  lange  Zeit  aufbewahrt.  Jetzt  befindet  sich  eine  Schonung  au  dem  Orte? 
so  dass  Ausgrabungen  von  Seiten  der  Forstverwaltung  schwerlich  gestattet  werden 
würden. 

Das  witte  Hüseken. 
Auf  dem    Wege    von    Joachimsthal    nach    der    Försterei    Pehlenbruch    liegt    zur 
rechten  Hand  in  der  Haide  eine  Ruine,  über  deren    Bestimmung   sich    keine    Nach- 


(17) 

richten  erhalten  haben,  wogegen  aber  der  Name  „Wittes  Ilüseken"  allgemein  bekannt 
ist.  Ob  aber  die  Schreibung  des  Namens  die  richtige  ist  und  die  üebersetzung 
desselben  ins  Hochdeutsche  mit  „Weisses  Häuschen"  stimmt,  oder  ob  es  heissen 
inuss  „Witte's  Hiiuschen"  und  also  der  Besitzer  Witte  geheissen  hat,  lässt  sich  bis 
jetzt  nicht  entscheiden;  doch  ist  die  erste  Meinung  die  am  meisten  verbreitete. 

Die  Ruinen  liegen  auf  den  städtischen  Waldhufen  und  zwar  auf  der  Waldpar- 
zelle des  Ackerbürgers  Paul  in  der  Marktstrasse.  Die  Hufe  ist  mit  etwa  20jährigen 
Kiefern  bewachsen. 

Man  sieht  jetzt  drei  aus  Granit-,  Mauer-  und  Dachsteinen  aufgemauerte  Pfeiler, 
zu  denen  der  entsprechende  vierte  bis  auf  den  Boden  abgebrochen  ist  und  hohl  ge- 
wesen zu  sein  scheint,  da  in  seiner  Mitte  eine  Vertiefung  in  die  Erde  geht.  Dies 
ganze  Mauerwerk  ist  ein  Quadrat,  dessen  Seiten   18  Fuss  betragen. 

Die  diei  stehenden  Pfeiler,  welche  wiederum  zur  Grundfläche  ein  Quadrat  haben, 
dessen  Seiten  3'/^  Fuss  Länge  messen,  sind  an  den  Ecken  etwas  abgerundet.  Die 
Höhe  der  Pfeiler  beträgt  12 — 13  Fuss.  Sie  scheinen  selbständig,  jeder  für  sich, 
aufgemauert  zu  sein,  denn  ihre  Seiten  sind  scharf  abgegrenzt,  wenn  auch  etwas  ver- 
wittert, namentlich  an  ihren  Gipfeln. 

Von  den  drei  erhaltenen  Pfeilern  stehen  zwei  nach  Süden,  der  dritte  nordwest- 
lich. Zwischen  den  nördlichen  Pfeilern  scheint  unter  der  Oberfläche  der  Erde  ein 
Fundament  zu  liegen,  an  welches  von  Norden  heran  ein  Erdwall  aufgeworfen  ist. 
Auch  die  beiden  östlichen  Pfeiler,  wie  die  westlichen,  scheinen  durch  eine,  jetzt 
unter  der  Erdoberfläche  liegende  Mauer  verbunden  gewesen  zu  sein.  Nur  die  11 
Fuss  breite  Oeffuung  zwischen  den  südlichen  Pfeilern  scheint  als  Eingang  unver- 
bunden  gewesen  zu  sein. 

Es  wird  die  Vermuthung  ausgesprochen,  dass  die  Ruinen  ein  Jagdhäuschen  ge- 
wesen seien  oder  eine  Plattform  gehabt  haben,  und  dann  zum  Körnen  und  Beobach- 
ten des  Schwarzwildes  gedient  haben;  doch, kann  es  auch  wohl  ein  kleiner  Vor- 
posten zu  den  nahe  gelegenen  Schlössern  Grimuitz,  Breden  und  Werbellow  gewesen 
sein,  von  welchen  nur  noch  die  Ruinen  des  erstem  am [Grimnitz-See  erhalten  sind. — 

Derselbe  schickt  ferner  Notizen  über  verschiedene  Ausgrabungen: 

1)  Bei  Bieucnwalde  (zwischen  Ruppin  und  Rheinsberg)  südlich  von  den  sogen.  Züh- 
lonschen  Pfählen,  wo  sich  das  Land  zu  denselben  abdacht,  ist  eine  grosse  heid- 
nische Grabstätte,  denn  in  einer  Tiefe  von  etwa  Ij^Fuss  steht  Urne  an  Urne  in 
ziemlich  grosser  Ausdehnung,  jede  einzelne  mit  Steinen  vollständig  ummauert. 
Beim  Biossiegen  einiger  fanden  sich  verschiedene  Reste  von  Schmuckgegen- 
ständeu,  welche  den  Leichcubraud  überdauert,  namentlich  zwei  eiserne  Man- 
telspaugeu  in  der  Form  der  sogen.  Sicherheitsnadeln;  eine  andere  grössere 
von  Bronze  war  abgebrochen,     cf.  Ruppiner  Programm  von   1871. 

2)  Bei  Schollehne  im  Havellaude  finden  sich  in  den  sogen.  Burgwallswiesen 
(selbige  gehören  zu  der  auf  einem  alten  Burgwall  stehenden  Ziegelei)  Urnen 
in  grosser  Zahl  in  kleineu  steinerneu  Backöfen.  In  einer  derselben  von 
dunklem,  braunem  Thon  ist  eine  kleine  silberne  Münze  unter  der  Asche  ge- 
funden worden,  ein  sogen.  Wendenpfennig,  welcher  auf  der  einen  Seite  ein 
sogen.  Blätterkreuz,  auf  der  andern  ein  breites  achteckiges  Kreuz  zeigt.  — 
Diese  Münze  giebt  also  den  Beweis,  dass  dieser  Kirchhof  aus  dem  10.,  11. 
Jahrhundert  herrührt,  wo  die  Wenden  hier  die  herrschende  Bevölkerung  aus- 
machten; ob  OS  aber  speciell  wendische  oder  deutsche  Gräber  sind,  ist  bei  der 
aus  beiden  Völkern  gemischten  Bevölkerung,  welche  hier  war,  aus  jenem 
Umstand  noch  nicht  mit  Sicherheit   zu    schliesseu.      Die  Sitte  übrigens,    dem 

Verh.'kndl.  der  Berl.  Autbropul.  Gesellschaft.     1S7C>.  2 


(18) 

Todten  eine  Münze  mitzugeben,  findet  noch  heute  im  Havellande  (wie  auch 
im  sog.  Ilans-Jochen-Winkel  in  der  Altmark)  allgemein  statt.  (Schwartz, 
Ursprung  der  Myth.  S.  273,  Anm.) 

3)  Am  Wege  von  Wassersuppe  nach  Hohennauen  liegt  rechts  ein  kleiner  Sand- 
berg, in  demselben  sind  in  grosser  Menge  Urnen  von  grobem,  gelbem  Thon 
gefunden  worden,  ziemlich  dicht  unter  der  Erdoberfläche.  Jede  Urne  war 
zugedeckt  mit  einer  Schüssel,  daneben  stand  ein  Topf,  wie  eine  grosse  Ober- 
tasse, und  neben  diesem  eine  kleine  Schaale  wie  eine  Untertasse,  wie  ge- 
wöhnlich in  Gräbern  der  Provinz  Posen.  Eine  grosse  und  eine  kleine  Urne, 
sowie  ein  Topf  sind  vom  Hrn.  Oeconom  Krüger  dem  Ziethen'schen  Museum 
in  Ruppin  geschenkt  worden. 

4)  Gross-Lüben  bei  Wilsnack.  Links  vom  Wege  von  Gross-  nach  Klein-Lüben 
auf  dem  Felde  zweier  Bauern,  welche  sich  ausgebaut,  finden  sich  in  einem 
Sandberge  zahlreiche  Urnen,  fast  alle  mit  einer  Schüssel  zugedeckt.  1 1  der- 
selben mit  einem  solchen  Deckel  sind  bei  einer  Ausgrabung  im  Jahre  18GG 
glücklicli  herausgebracht  und  vom  Ruppiner  Gymnasial-Museum  erworben 
worden. 

Endlich  übersendet  Hr.  Schwartz  einige  Auszüge  aus  den  Akten  des  Grafen 
V.  Ziethen 

über  Urnen  der  Ruppiner  Samniluug. 

1)  Urne,  eine  von  den  beiden,  welche  sich  in  dem  1826  von  Hrn.  Alex.  v. 
MinutoH  in  Stendal  in  der  Altmark  geöffneten  Grabe  fanden.  Dasselbe  ist 
—  nach  der  Angabe  des  Hrn.  v.  Minutoli  —  das  erste  nicht  römische  Grab 
gewesen,  das  man  nach  römischer  Art  überwölbt  fand.  Ein  Opferaltar  stand 
an  der  einen  vergitterten  Oeffnung  des  Gewölbes ;  auf  den  Urnen,  welche 
verkehrt  standen,  lagen  Kreuze  von  Eisen,  welche  Hr.  v.  Minutoli  für 
Kopfbedeckungen  hält.  Eine  ausführliche  Beschreibung  dieser  merkwürdigen 
Grabstätte  findet  sich  in  einem  vom  Vater  des  Hrn.  v.  M.  im  Jahre  1827 
herausgegebenen  Schriftchen  unter  dem  Titel:  Beschreibung  eines  in  Stendal 
geöffneten  Grabes. 

2)  G  Urnen,  1837  aus  dem  Besitz  des  Hrn.  Maresch  an  den  Gr.  v.  Ziethen  über- 
gegangen. In  der  kleinsten  fand  sich  eine  zerbrochene  Nadel,  ein  Ring  und 
ein  Haken-     Sämmtliche  Urnen  sind  von  röthlicher  Farbe,  (p.   3.  v.  11.) 

3)  Ein  bedeutender  Fund  (s.  Voss.  Zeitung  Nr.  146  des  Jahrg.  1845)  wurde  im 
Juni  des  Jahres  1845  bei  Neustadt  a.  d.  D.  gemacht,  als  an  dem  Wege  von 
Köritz  nach  Wusterhausen  ein  Platz  für  den  Bahnhof  der  Berlin-Hamburger 
Bahn  geebnet  werden  sollte.  Bei  dieser  Gelegenheit  wurde  der  hinter  dem 
Bahnhof  in  der  Richtung  nach  Neustadt  gelegene  Galgen-  oder  Hexenberg 
abgekarrt,  in  welchem  mehrere  Urnen  nebst  verschiedenen  Kleinigkeiten  ge- 
funden wurden.  6  Urnen,  ein  Sporn,  der  sich  in  einer  kleinen  Urne  befand, 
und  eine  neben  den  Urnen  gefundene  Scheere  gingen  in  den  Besitz  des  Grafen 
V.  Ziethen  über. 

(18)    Herr  Missionssuperintendent  A.  Merensky  hält  einen  Vortrag  über 

die  Hottentotten. 

Die  Hottentotten  hat  mau  oft  mit  den  sogenannten  Buschleuten  zu  identificiren 
gesucht.  Es  ist  zwar  nicht  zu  läugnen,  dass  sie  sich  sehr  nahe  stehen,  wenigstens 
was  Farbe  und  Typus  des  Gesichts  betrifft.  Auch  finden  sich  in  der  Sprache  beider 
Völker  die  so  sehr  eigeuthümlicheu  Schnalzlaute;  in  den  Mythen  und  Sagen  beider 


(19) 

spielen  Sonne,  Mond  und  Sterne  eine  Rolle,  während  die  Sagen  dunkelfarbiger  Afri- 
kaner mit  den  Gestirnen  nichts  zu  schaffen  haben.  Trotzdem  ist  eine  Identification 
der  ßuschleute  mit  di;n  Hottentotten  unrichtig.  Schon  die  ersten  Europäer,  die  sich 
am  Cap  niederliessen,  schieden  zwischen  beiden  Völkern,  indem  sie  ihnen  verschie- 
dene Namen  beilegten.  Unser  Buschmann  erhielt  seinen  Namen  nach  dem  Orang- 
utang,  den  die  Holländer  in  Ostindien  kennen  gelernt  hatten.  Orangutang  heisst 
bekanntlich  „Waklmensch",  —  holländisch  boschmau  oder  bosjesmann.  Später  ist 
von  Reisenden  öfter  behauptet  worden,  die  Buschleute  seien  Hottentotten,  die,  von 
den  Colonisten  ihrer  Heerden  beraubt,  in  die  Wilduiss  sich  zurückgezogen  hätten. 
Diess  ist  grundfalsch,  denn  Heerden  konnten  dem  Volke  der  Buschleute  nie  genom- 
men  werden,  weil  es  nie  solche  besessen  hat. 

Zwischen  der  Sprache  beider  Stämme  ist  nur  eine  geringe,  Icaum  nachweisbare 
Verwandtschaft.  Die  Sprache  der  Hottentotten  steht  auf  der  agglutinativen,  die  der 
Buschleute  auf  der  isolirenden  Stufe;  jene  hat  vier  sogenannte  Schnalzlaute,  diese 
hat  deren  mehr  und  kennt  auch  Schnalzlaute,  die  mit  den  Lippen  hervorgebracht 
werden.  Die  Hottentotteusprache  kennt  Geschlechtsuuterschiede  bei  den  Hauptwör- 
tern, die  der  Buschleute  nicht;  jene  bildet  den  Plural  der  Substantiva  durch  An- 
hängung von  Endsylben  (Suffixen),  diese  durch  Verdoppelung  des  Nomons  oder  seiner 
ersten  Sylbe.  Jene  kennt  Zahlbeuennungen  bis  zur  Zahl  zwanzig,  diese  nur  bis  zwei; 
was  darüber  ist,  ist  oaya,  „viel".  Das  sind  Wahrnehmungen,  welche  zur  Genüge  con- 
statiren,  dass  beide  Völker,  wenn  auch  vielleicht  verwandten  Ursprungs,  sich  doch 
schon  seit  langer  Zeit  gänzlich  von  einander  getrennt  haben. 

Die  Hottentotten  oder  Ottentotteu  (in  den  ältesten  Nachrichten  auch  Hoduods 
oder  Hodmodods),  wie  man  anfänglich  schrieb,  haben  ihren  Namen  von  den  Weissen 
erhalten.  Es  scheint,  als  ob  das  Volk  in  seiner  eigenen  Sprache  sich  einen  allge- 
meinen Namen  nicht  beigelegt  habe.  Die  Cap-Hottentotten  nannten  sich  Quena, 
die  Namaqua  Koikoib,  die  Kora  oder  Koranna  Kuhkeul  oder  Thuhkeul.  Die  Be- 
nennung „Hottentotten"  stammt  höchstwahrscheinlich  von  einem  Wort,  welches  als 
Tactgesang  bei  den  l'änzen  des  Volkes  gebräuchlich  ist.  Kolbe,  der  im  Anfange 
des  vorigen  Jahrhunderts  seine  Beobachtungen  im  Caplaude  anstellte,  erzählt,  er  habe 
bei  diesen  Tänzen  stets  die  Worte  Hottentottum  Broqua  vernommen,  und  diese  oder 
ähnliche  Worte  hört  man  noch  heut  bei  den  Tänzen  der  Kora,  wie  ich  von  einem 
Kora-Missionar  erfahren  habe. 

Sprache,  Farbe  und  Typus  der  Hottentotten  weisen  auf  Nord-Afrika  zurück. 
Wenn  wir  das,  was  uns  im  Alterthum  von  den  Troglodyten,  welche  am  rothen 
Meere  ihre  Sitze  hatten,  berichtet  wird,  mit  dem  vergleichen,  was  wir  von  den 
Hottentotten  wissen,  so  tritt  eine  Aehnlichkeit  in  den  Sitten  und  der  Lebensweise 
beider  Völker  hervor,  die  nicht  zufällig  sein  kann.  Strabo  sagt  von  ihnen  (c.  776): 
„Nomadisireud  ist  ihre  Lebensweise;  sie  werden  von  Tyrannen  beherrscht;  leicht 
ausgerüstet,  in  Felle  gekleidet  und  Keulen  tragend  bringen  sie  ihr  Leben  zu.  Es 
giebt  nicht  nur  Verstümmelte '),  sondern  auch  Beschnittene  unter  ihnen,  wie  unter 
den  Aegypteru.  Einige  imter  den  Troglodyten  (wohl  einige  Stämme)  beerdigen  ihre 
Todten,  indem  sie  sie  vom  Hals  bis    zu   den    Füssen    festbinden    mit    Ruthen  vom 


*)  Strabo  a.  a.  0.  Ei6i  Joi'  xoXoßol  /uövoy  «AA«  X((\  nfniifiuijut'i'oi  riyt;  xadäniQ 
AlyvTiTioi.  Die  Hottentotten  pflegten  bei  ihren  Knaben  oder  Jünglingen  vor  ihrer  Verbeira- 
thuüg  einen  Testikel  (ileu  linken)  zu  verstümmeln.  Für  diese  merkwürdige  Sitte  sind  bei 
Tachard,  einem  Pater  der  aGesellschaft  Jesu",  Booving  und  Kolbe  binreicheude  Zeugnisse 
vorbanden.  Bei  den  Weibern  schnitten  die  llottentotteu  Irüher  zwei  Gelenke  am  kleinen 
Finger  ab. 

2' 


(20) 

Dornenstrauch  "  Letzterer  Gebrauch  ist  genau  der  der  Hottentoten,  welche  früher  die 
Todten  nicht  nur  banden,  wie  andere  afrikanische  Stämme,  sondern  förmlich  einwickelten. 
Die  Sprache  der  Hottentotten  kennt  Geschlechtsunterschied  der  Hauptwörter 
und  unterscheidet  sich  hierdurch  absolut  von  dem  südafrikanischen  Sprachstamm, 
tritt  aber  eben  dadurch  den  nordafrikanischen  Sprachen  nahe,  "Wallmann  und 
Bleek  behaupteten,  sie  habe  Aehnlichkeit  mit  dem  Koptischen  und  Altägyptischen, 
welcher  Meinung  neuerdings  freilich  widersprochen  wird.  Aber  was  über  die  Sprache 
der  Troglodyten  von  Herodot  gesagt  wird,  ist  für  uns  bedeutsam.  Es  heisst  hier: 
lingua  nulli  alteri  simili  utuntur,  sed  vespertilionum  more  strident.  Diese  Ausdrücke 
passen  ganz  auf  die  Hottentotten.  Wenn  auch  sonst  wohl  ein  Volk  vom  andern 
sagt:  „es  zwitschere"  (wie  z.  B.  die  Basutho  von  der  deutschen  Sprache  sagen,  sie 
sei  ein  Vogelgezwitscher),  so  ist  doch  der  Ausdruck  des  grossen  Weltkenners  Hero- 
dot, „die  Troglodyten  haben  eine  Sprache,  die  keiner  andern  ähnlich  ist",  und  der 
Umstand,  dass  er  das  Zwitschern  dieses  Volkes  durch  den  Zusatz  „wie  die  Fleder- 
mäuse" näher  kennzeichnet,  jedenfalls  zu  beachten.  Die  Hottentottensprache,  wie 
auch  die  der  Buschleute,  erscheint  uns  wegen  der  später  zu  charakterisirenden 
Schnalzlaute,  die  derselben  eigenthümlich  sind,  fremdartiger  und  sonderbarer,  als 
irgend  eine  andere.  Nach  Perty  ')  sollen  im  Norden  Afrikas  noch  heute  Stämme 
leben,  die  eine  ähnliche  schnalzende  Sprache  haben,  wie  die  Hottentotten;  Sklaven 
mit  einer  Sprache,  die  sehr  an  die  hottentottische  erinnert,  sollen  auf  den  Markt  von 
Kairo  kommen.  Leider  giebt  Perty  nicht  an,  aus  welcher  Quelle  diese  Nachricht 
stammt.  Es  scheint,  als  ob  die  Hottentotten  von  Nord-Afrika  aus  nach  Süden  ge- 
wandert, als  ob  aber  auch  in  den  ürsitzen  Theile  des  Volkes  zurückgeblieben 
seien.  Unter  dem  Volke  selbst  findet  sich  keine  Tradition  über  seine  Herkunft,  die 
von  Werth  erscheinen  könnte.  Kolbe  erwähnt,  dass  er  (Anfang  des  vorigen  Jahr- 
hunderts) von  den  Hottentotten  gehört  habe,  dass  ihre  ersten  Eltern  Noh  nnd  Hin- 
gnoh  gewesen  seien,  die  wären  durch  eine  Oeffnung  (des  Himmels?)  auf  die  Erde 
gekommen;  sie  hätten  ihre  Nachkommen  im  Säen  und  Ernten  des  Getreides  unter- 
wiesen, auch  im  Hüten  des  Viehes,  später  aber  seien  ihre  Vorfahren  verjagt  und 
vertrieben  worden  aus  ihrem  Lande  und  hätten  so  den  Ackerbau  wieder  vernach- 
lässigt und  vergessen.  Die  Namaqua  erzählen,  dass  ihre  Vorfahren  zu  Schiff  nach 
Süd-Afrika  gekommen  seien. 

Die  Hottentotten  hatten,  allem  Anscheine  nach,  in  früheren  Zeiten  einen  viel 
grösseren  Strich  von  Süd-Afrika  in  ihrem  Besitz,  als  in  unserm  Jahrhun- 
dert es  der  Fall  ist.  Im  Jahre  1677  wurde  ein  holländisches  Schiff,  de  Boede,  unter 
Corporal  Thomas  Hobma  an  der  Westküste  entlang  nach  Norden  geschickt,  um  nach 
Häfen  zu  suchen;  dies  Schiff  erreichte  12"  47'  und  rapportirte,  Häfen  seien  an  der 
Koste  nicht  zu  finden,  aber  die  Eingebornen  seien  überall  Hottentotten.  Im  sieben- 
zehnten Jahrhundert  erzählten  die  Hottentotten  am  Cap  den  weissen  Ankömmlingen, 
dass  im  Innern  ihnen  ein  Land  bekannt  sei,  wo  man  Gold  im  Sande  finde,  wo  grosse 
steinerne  Häuser  ständen  und  Reis  gesäet  würde.  Es  ist  dies  die  Gegend  im  Westen 
von  Sofala,  wo  noch  heut  Gold  gefunden  und  Reis  gebaut  wird  ;  die  „steinernen 
Häuser"  sind  entweder  die  Ruinen  von  Zimbabye  oder  Missionsstationen,  welche  dort 
im  IG.  Jahrhundert  errichtet  worden  sind.  Bis  dahin,  also  etwa  bis  zum  20"  südl. 
Breite  war  damals  den  Hottentotten  die  Ostküste  bekannt.  Das  von  Betschuanen 
und  Basuthos  jetzt  b(!Wohnte  Hochland  im  Tunern  Südafrikas  war  in  jenen  Zeiten 
wahrscheinlich  von  Hottentotten  und  Buschleuten  bewohnt.  Noch  heute  nennen  die 
Bapedi  (Basuthos),  die  unter  dem  24"  südl.  Breite  wohnen,  die  Himmelsgegend  nach 


V  Perty,  Ethnologie.    S.  276. 


(21) 

Westen  und  Süden  hin  Boroa,  d.  h.  Hottentottengegend,  während  seit  Menschenge- 
denken dort  schon  schwarze  Stämme  sitzen.  Die  KalTernstämme  sind  an  der  Ost- 
küste entlang  allmählich,  aber  unaufhaltsam  gegen  die  Hottentotten  vorgedrungen. 
Vasco  de  Gama  fand  Ende  des  15.  Jahrhunderts  schon  Kaffern  in  Natal,  aber  hier 
grade  haben  die  Heikoms-Hotteutotten  noch  längere  Zeit  sich  gehalten.  Dass  die 
Hottentotten  die  Herren  Südafrikas  waren,  ehe  die  Kaflfern  einwanderten,  ist  auch 
aus  dem  Umstand  zu  erkennen,  dass  manche  der  Kafferstämme,  besonders  die  Zulu, 
Ponda,  Xosa,  Tembu  von  den  Hottentotten  einige  Schnalzlaute  in  ihre  eigene  Sprache 
aufnahmen.  Laute,  welche  den  Kaffernstämmen  ursprünglich  fremd  waren.  Ein  Volk, 
welches  einwandert,  nimmt  von  dem  früher  im  Lande  sesshaften  Stamme  eher  solche 
Eigenthümlichkeiten  an,  als  umgekehrt.  Dass  unter  Betschuanen  und  Basutho  nur 
eben  einige  wenige  Abtiieilungeu  (Batlapi  und  einige  Theile  des  Volkes  von  Moshe- 
hoe)  anfingen,  sich  Schnalzlaute  der  Hottentotten  anzueignen,  ist  uns  ein  Beweis 
für  die  auch  durch  andere  Gründe  unterstützte  Annahme,  dass  diese  Stämme  später, 
als  die  Küstenkaffern  in  Südafrika  von  Norden  her  eingewandert  sind.  Seit  der 
Mitte  des  18.  Jahrhunderts  dringen  die  schwarzen  Stämme  unaufhaltsam  gegen 
die  Hottentotten  diesseits  des  Keiflusses  vor.  Wenn  wir  eine  Karte  vor  uns  legen, 
auf  welcher  die  Verbreitung  der  Hottentotten  und  ebenso  die  der  Kaffern  genau  und 
deutlich  angegeben  ist,  so  machen  wir  die  interessante  Wahrnehmung,  dass  die 
kornbauenden  Kafferstämme  die  Hottentotten  aus  allen  Gegenden  vertrieben  haben, 
in  denen  genügend  Regenfall  vorhanden  ist,  in  denen  also  Mais  oder  Durrha  (Kaf- 
ferkorn)  cultivirt  werden  kann.  An  der  regenreichen  Ostküste  drangen  die  Kaffern 
am  schnellsten  und  am  weitesten  nach  Süd-Westen  vor.  Hier  hätten  sie  vielleicht 
das  Cap  erreicht,  wenn  nicht  die  Weissen  endlich  in  schweren  Kriegen  ihrem  weitern 
Eindringen  gewehrt  hätten.  Im  mittleren  Theile  des  Landes,  auf  der  Hochfläche, 
sind  die  regenreichen  Gebirge  an  den  Quellflüssen  des  Garriep  von  Basuthos  in 
Besitz  genommen,  in  den  dürren  Ebenen  am  Zusammenfluss  des  Vaal-  und  Gross- 
flusses aber  blieben  die  Korahotteutotteu  sitzen.  Bis  an  den  Rand  der  regenlosen 
Kalahari- Wüste  dehnten  sich  die  Betschuanen  aus;  diese  selbst,  das  Capland  und  die 
dürre  Westküste  blieb  im  Besitz  von  Buschleuten  und  Hottentotten.  Wo  aber  an 
der  Westküste  regenreiche  Striche  unter  dem  18.  Grad  sich  finden,  sehen  wir  wieder 
schwarze,  kornbaueude  Stämme  im  Besitz  derselben;  soweit  drangen  sie  vor. 

Es  darf  uns  in  dieser  Wahrnehmung  nicht  der  Umstand  irre  machen,  dass  wir 
im  Anfang  unseres  Jahrhunderts  die  Hottentotten  am  Vaalfluss  und  neuerdings  auch  die 
der  Westküste,  die  Nama's,  wieder  im  Vordringen  gegen  die  dunkelfarbigen  Kaffer- 
oder  Negerstämme  begriffen  sehen.  Dieses  Vordringen  ward  verursacht  einestheils 
dadurch,  dass  die  Hottentotten  von  der  Cap-Colonie  her  durch  die  Weissen  gedrängt 
wurden,  anderntheils  durch  die  Uebermacht,  die  ihnen  der  Besitz  von  Feuerwaffen 
und  Pferden  für  eine  Zeit  über  jene  Stämme  gab.  Die  Leichtigkeit,  mit  der  sie 
diesen  ihre  Heerden  rauben  konnten,  machte  sie  zu  Räubern. 

Die  Hottentotten  scheinen  sich  im  Laufe  der  letzten  zwei  Jahrhunderte  durch 
den  Einfluss  der  Weissen,  mit  denen  sie  Südafrika  nun  theilen  mussten,  was  Gestalt 
und  Sitten  angeht,  ziemlich  bedeutend  verändert  zu  haben  Es  ist  vielleicht  inter- 
essant zu  hören,  wie  man  sie  lG2ü  schildert.  In  dem  Juli  dieses  Jahres  landete  nehm- 
lich  eine  englische  Handelsflotte  in  Südafrika  unter  Sir  Thomas  Herbert.  Dieser 
schildert  die  Hottentotten  folgendermaassen  :  „Da  sie  von  Harn  abstammen,  so  tragen 
sie  in  Gesicht  und  Statur  das  Erbe  seiner  Verfluchung.  Ihre  Gesichter  sind  schmal  und 
die  Glieder  wohlproportionirt,  aber  tättowirt  in  jeder  F(n'm,  wie  es  ihnen  einkommt. 
Einige  rasireu  den  Kopf,  Andere  haben  einen  Schopf  auf  demselben.  Andere  tragen 
Sporenräder,  kupferne  Knöpfe,  Stückchen  Zinn  u.  s.  w.  in  den    Haaren,    Dinge,    die 


(22) 

sie  von  Seeleuten  für  Vieh  einhandeln.  Ihre  Ohren  sind  durch  kupferne  Ringe, 
Steine,  Stücke  von  Strausseneiern  und  dergleichen  schweres  Zeug  ausgedehnt.  Arme 
und  Beine  sind  mit  kupfernen  Ringen  beschwert,  um  den  Hals  sind  Thierdärme  ge- 
wunden. Einige  gehen  ganz  nackt,  Andere  binden  ein  Stück  Leder  oder  ein  Löwen- 
oder ein  Pantherfell  um  den  Leib.  An  den  Füssen  tragen  sie  mit  Riemen  festge- 
bundene Sandalen,  welche  die  Hottentotten,  die  bei  uns  waren,  in  der  Hand  hielten, 
damit  die  Füsse  besser  stehlen  könnten,  denn  sie  stahlen  geschickt  mit  den  Zehen, 
während  sie  uns  ansahen.  Es  waren  Heuschrecken  vom  Winde  herbeigetrieben,  die 
assen  sie  gern,  mit  etwas  Salz  bestreut;  aber  in  Wahrheit  öffneten  sie  selbst  Gräber 
von  Leuten,  die  wir  bestattet  hatten,  und  assen  von  den  Leichnamen.  Ja,  diese  Un- 
geheuer lassen  oft  Alte,  Kranke  und  Hülflose  auf  Bergen  umkommen,  obwohl  sie 
eine  Menge  von  todten  Walfischen,  Seehunden  und  Pinguinen  haben,  die  sie  als 
Leckerbissen  verzehren,  ohne  sie  erst  zu  braten.  Man  möchte  sie  für  Abkömmlinge 
von  Satyren  halten." 

Heutzutage  passt  diese  Beschreibung  glücklicherweise  nicht  mehr  auf  die  Hot- 
tentotten. Für  jene  Zeit  mag  sie  wahrheitsgetreu  gewesen  sein,  abgesehen  von  der 
Beschuldigung,  dass  die  Hottentotten  Leichen  ässen.  Oeffnung  der  Gräber  durch 
Hyänen  mag  Anlass  zu  jener  Meinung  gegeben  haben. 

Heute  tättowirt  sich  kein  Hottentott  mehr,  noch  dehnt  er  die  Ohren  unförmlich 
aus  oder  rasirt  den  Kopf.  Es  geht  auch  keiner  mehr  nackend,  und  rohe  Seehunde 
würden  schwerlich  von  diesem  Volk  angerührt  werden.  Eigentliche  Hottentotten 
würden  heut  auch  wohl  kaum  Angehörige  in  der  Noth  verlassen.  Selbst  die  noch 
heidnischen  Hottentotten  haben  sich  also,  wie  es  scheint,  zu  ihren  Gunsten  verändert. 
Das  Volk  scheint  auch  im  Ganzen  eine  hellere  Farbe  angenommen  zu  haben,  denn 
der  schon  erwähnte  deutsche  Gelehrte  Kolbe,  welcher  Anfangs  vorigen  Jahrhunderts 
seine  Beobachtungen  im  Caplande  anstellte,  streitet  wider  die  Meinung  eines  andern 
Schriftstellers,  welcher  sagt:  die  Hottentotten  seien  schwarz  von  Farbe.  Schwarz, 
sagt  Kolbe,  sind  sie  nicht,  sondern  nur  kastanien-  oder  kaffeebraun.  Heutzutage 
sind  auch  diejenigen  dieses  Volkes,  bei  denen  an  eine  Vermischung  mit  Weissen 
nicht  zu  denken  ist,  nicht  etwa  braun,  sondern  nur  hellgelb  zu  nennen.  Es  muss 
also  die  Farbe  dieses  Volkes  seit  170  Jahren  sich  bedeutend  verändert  haben,  was 
bei  der  veränderten  Lebensweise  desselben  auch  sehr  leicht  möglich  ist. 

Die  Hottentotten  haben  keinen  kleinen  Körper.  Im  Durchschnitt  sind  sie  5  bis 
6  Fuss  gross,  auch  hierin  von  den  Buschleuten  sich  unterscheidend.  Sie  sind  gut 
gebaut,  starkknochig,  Hände  und  Füsse  sind  klein.  Arme  und  Beine  pfoportionirt. 
Der  Gesichtswinkel  ist  etwas  kleiner  als  bei  den  Kaffern.  Der  Mund  ist  nicht  zu 
gross,  die  Lippen  sind  nur  wenig  aufgeworfen.  Hässlich  wird  das  Hottentottenge- 
sicht durch  die  stark  hervertretenden  Backenknochen  und  die  eingedrückte  Nase. 
Bartwuchs  ist  fast  nicht  vorhanden,  die  wollisen  Haare  unterscheiden  sich  vom  Ne- 
gerhaar  dadurch,  dass  sie  mehr  in  einzelnen  Büscheln  auf  dem  Schädel  stehen. 

Was  die  sogenannte  Hottentottenschürze  angeht,  so  geht  des  Verfassers 
Meinung  dahin,  dass  sie  nicht  natürlich  ist,  sondern,  wo  sie  vorhanden  war,  künstlich 
erzeugt  wurde.  Wir  sind  zu  dieser  Ansicht  durch  die  Beobachtung  geführt,  dass  die 
Basutho  und  viele  andere  afrikanische  Stämme  eine  künstliche  Verlängerung  der 
Labia  minora  zu  bewirken  wissen.  Die  dazu  nothvveudige  Manipulation  wird  von  den 
älteren  Mädchen  an  den  kleineren  fast  von  der  Geburt  au  geübt,  sobald  sie  mit 
diesen  allein  sind,  wozu  gemeinsames  Sammeln  von  Holz  oder  gemeinsames  Suchen 
von  Feldfrüchten  fast  täglich  Anlass  giebt.  Die  Theile  werden  gezerrt,  später  förm- 
lich auf  Hölzchen  gewickelt. 

Die  Hottentotten  werden  sehr  alt.    Anfang  des  vorigen  Jahrhunderts  sollen  Leute 


(23) 

von  80  bis  120  Jahren  unter  ihnen  häufig  angetroffen  worden  sein.  Beim  Census, 
den  man  ISGö  in  der  Cap-Colonie  anstellte,  fanden  sich  63  Personen  über  100  Jah- 
ren in  der  Colonie  vor.  Die  Capbauern  werden  selten  recht  alt;  wahrscheinlich 
kommt  von  diesen  63,  iiber  100  Jahr  alten  Leuten  die  Mehrzahl  auf  Hottentotten. 

Es  wird  sich  Mancher  wundern,  dass  die  Hottentotten  nicht  ausgestorben  sind. 
Es  ist  ja  die  falsche  Meinung  weit  verbreitet,  dass  alle  farbigen  Rassen,  wenn  sie  in 
ihrer  früheren  sorglosen  Existenz  gestört  und  zu  einem  quasi  civilisirten  Leben  ge- 
zwungen würden,  dahinsiechten.  Bei  den  afrikanischen  Völkern  ist  diess 
nicht  der  Fall.  Die  Hottentotten  haben  viel  aushalten  und  verschiedene  Entwicke- 
lungsperioden  durchmachen  müssen,  und  doch  haben  sie  sich  bis  heute  vermehrt, 
Sie  wurden  ihres  Landes  und  ihrer  Heerden  beraubt,  wurden  als  Sklaven  der  Bauern 
zu  einer  andern  Lebensart  gezwungen,  und  haben  seit  Anfang  dieses  Jahrhunderts 
als  freie  Leute  wieder  für  sich  und  ihren  Lebensunterhalt  selbst  sorgen  müssen. 

Vergleichen  wir  einige  Zahlenangaben.  Im  Jahre  1798  waren  in  der  Cap-Colonie 
(damals  freilich  nur  etwa  2/3  ihres  jetzigen  Flächeninhalts  gross)  25,754  eingeführte 
Sklaven  und  14,447  Hottentotten.  Im  Jahre  1807  wurden  17,657  Hottentotten  angegeben. 
Der  Census,  welcher  1865  in  der  Colonie  abgehalten  wurde,  giebt  die  Zahl  der 
Köpfe  dieses  Volkes  innerhalb  der  Colonie  auf  81,598  an.  Ausser  ihnen  leben  in 
der  Cap-Colonie  132,655  andere  Farbige,  Nachkommen  der  Sklaven  und  Hotten- 
totten, jene  oben  erwähnten  Mischlinge.  Auch  wenn  man  die  Vergrösseruug  der 
Cap-Colonie  in  Anschlag  bringt,  wird  man  nicht  umhin  können  zuzugeben,  dass  die 
Hottentotten,  Sklaven  und  Mischlinge  sich  seit  Anfang  dieses  Jahrhunderts  bedeutend 
vermehrt  haben. 

Unter  den  farbigen  Leuten  der  Cap-Colonie  sind  etwa  ein  Dritttheil  zum 
Christenthum  bekehrt.  Wohl  haben  die  Hottentotten  und  Farbigen  des  Caplands 
keine  uns  gewinnenden  oder  interessirenden  Eigenschaften;  in  ihren  Ideen,  Sitten, 
nach  ihrer  Sprache  sind  sie  ihren  früheren  Herren,  den  Capbauern,  fast  gleich  ge- 
worden, aber  sie  sind  als  dienende,  als  zweite  Klasse  der  dortigen  Gesellschaft 
nützlich  und  unentbehrlich.  Mancher  Reisende,  welcher  flüchtig  jenes  Land  durch- 
zieht, schilt  über  Bilder  von  Faulheit  oder  sittlicher  Verkommenheit,  die  hier  und 
da  sich  seinem  Auge  bieten,  ohne  dass  er  sich  die  Mühe  nähme,  auf  Dörfern  oder 
Missionsstationen  Schulen,  Gottesdienste  und  "Wohnungen  des  christlichen  Theils  der 
farbigen  Bevölkerung  Südafrikas  zu  besuchen.  Ohne  das  Eingreifen  des  Christen- 
thums  und  der  christlichen  Mission  würde  die  farbige  Bevölkerung  Südafrikas  ein 
ungleich  traurigeres  Bild  jetzt  bieten.    — 

Herr  Virchow  spricht  dem  Vortragenden  den  Dank  der  Gesellschaft  und  zugleich 
die  Hoffnung  aus,  dass  zwischen  der  letzteren  und  den  evangelischen  ^lissionsstatio- 
nen  Südafrikas  engere  Beziehungen  angeknüpft  werden  möchten.  üebrigens  bestä- 
tigten die  Beobachtungen  des  Hrn.  Merensky  die  durch  Hrn.  F ritsch  in  so  schö- 
ner Weise  dargelegten  Verhältnisse  der  südafrikanischen  Stämme. 

Herr  Bastian  bemerkt,  dass  über  Völkerverwandtschaft  nur  auf  Grund  bestimm- 
ter Vorlagen  geschlossen  werden  dürfe,  indem  zunächst  die  natürlichen  Ergebnisse  zu 
beachten  seien.  Nach  Hornemann's  Erwähnung  wird  die  Sprache  der  Tibbu  mit 
Vogelgezwitscher  verglichen,  wie  schon  zu  Herodot's  Zeit  aus  denselben  Gegenden. 

Herr  Schweinfurth  macht  auf  die  nahen  verwandtschaftlichen  Beziehungen 
zwischen  den  süd-  und  mittclafrikanischen  Völkern  aufmerksam.  Namentlich  trete 
dies  Verhältniss  in  Bezug  auf  Dinkaneger  und  Kafforn  hervor. 


(24) 

Herr  .Hartmann  erwähnt,  dass  er  vor  Kurzem  in  einer  Sitzung  der  Gesellschaft 
für  Erdkunde  auf  die  auch  ihm  sehr  auffallende  äussere  Aehnlichkeit  zwischen 
Tebu  und  Hottentotten  und  auf  die  Pygmäenberichte  aus  der  Reise  der  nasamonischen 
Jiinglinge  aufmerksam  gemacht  habe.  Die  Verwandtschaft  der  Bantuvölker  mit  den 
nigritischen  Ostafrikanern  und  den  nigritischeu  Bewohnern  der  oberen  Nillande  sei 
auch  für  ihn  eine  schon  seit  vielen  Jahren  feststehende  Thatsache.  Manches  be- 
rechtige seiner  Ueberzeugung  nach  zu  der  Hoffnung,  dass  sich  allmählich  auch  die 
verwandtschaftlichen  Beziehungen  der  Hottentotten  auf  afrikanischem  Boden  feststel- 
len lassen  werden,  wenn  auch  gerade  nicht  im  Sinne  derer,  welche  aus  dem  Peri- 
plus  der  Nekau  voreilige  Schlüsse  gezogen  hätten. 

Herr  Merensky  erwidert,  dass  er  Hottentotten  und  Buschmänner  für  ver- 
schieden von  den  nilotischen  Negervölkern  halte,  dass  er  aber  an  eine  innige  Ver- 
wandtschaft der  letztern  mit  den  Kaffern  glaube.  So  habe  er  hier  im  ägyptischen 
Museum  ein  ähnliches  Kopfgestell  gesehen,  wie  es  in  Südafrika  noch  jetzt  ge- 
bräuchlich sei. 

Herr  Bastian  weist  im  Gegensatz  zu  den  mehr  das  Gepräge  längerer  Ansässig- 
keit tragenden  Betschuanen  auf  die  längst  der  Ostküste  herab  erfolgten  Züge  der 
Kaffern  hin. 

Herr  V.  Q,uast  bemerkt,  dass  das  von  Hrn.  Merensky  erwähnte  Kopfgestell 
nicht  allein  in  Aegypten,  sondern  sogar  in  Neuguinea  aufgefunden  sei.  Derselbe 
erläutert  die  Gebrauchsweise  dieses  Geräthes. 

Herr  Bastian  möchte  bei  der  Auffindung  ähnlicher  Gcräthe  in  fern  von  einan- 
der liegenden  Gebieten  vor  den  beliebten  Wanderungstheorien  warnen,  da  Wande- 
rungen zunächst  immer  nur  so  weit  angenommen  werden  dürfen,  wie  sie  factisch 
erweisbar  sind. 

Herr  Schweinfurth  betont  die    üebereinstimmung    in    der    Begrübnissweise  bei 

Betschuana,  Bongo  und  Mittu.     Aehnliche  Analogien    finden  sich   in  Bezug    auf  das 

Ausschlagen  der  Zähne    und  den   sonderbaren  Gebrauch,    die  Kiihe    von   hinten  her 
aufzublasen,  um  sie  zum  Melken  zu  bringen. 

Herr  Hildebrandt  erwähnt,  dass  er  letztern  Gebrauch  auch  in  Abyssinien  ge- 
sehen habe.  Man  thue  es,  um  die  Kühe  zum  Stillstehen  zu  veranlassen,  da  sie  sich 
mit  dem  aufgeblähten  Bauche  nur  schwer  bewegen  könnten. 

(19)  Der  Vorsitzende  richtet  herzliche  und  ehrende  Worte  des  Abschiedes  an 
die  binnen  Kurzem  nach  Afrika  zurückkehrenden  Herren  G.  Schweinfurth  und 
J.  M.  Hildebrau  dt,  die  heute  zum  letzten  Male  für  lange  Zeit  in  der  Gesellschaft 
anwesend  sind. 

(20)  Als  Geschenke  wurden  vorgelegt: 

Soyoux:    Les  origines    et    l'epoque    paVenne    de    l'histoire    d^s    Hongrois. 

Paris  1874. 
Th.  Pyl:  Pommer'sche  Geschichtsdenkraäler.     Greifswald  1875. 


Sitzung  vom  20.  Februar  liS75. 

(1)  Der  Vorsitzende,  Herr  Virchow,  widmet  dem  am  15.  Januar  im  Alter  von 
91  Jahren  und  11  Monaten  zu  Brüssel  verstorbenen,  hochverdienten,  correspondiron- 
den  Mitgliede  d'Omalius  d'Halloy  einen  ehrenden  Nachruf. 

Die  Herren  Lorange,  Freiherr  v.  Lichtenberg  und  Graf  Conestabile  danken 
für  ihre  Ernennung  zu  correspondirenden  Mitgliedern. 

Als  neue  Mitglieder  werden  angemeldet: 
Herr  Banquier  Liepmann,  Berlin. 
Herr  Dr.  F.  Förster,  Berlin. 
Herr  Baron  v.  Maltzan  auf  Federow  bei  Waren,  Mecklenburg. 

(2)  Herr  Th.  Weber,  bisher  Generalconsul  für  Syrien  zu  Beirut,  jetzt  zum 
Ministerresidenten  und  Generalconsul  für  Marocco  ernannt,  übergiebt 

Thierknochen  aus  einer  Höhle  des  Libanon. 
Dieselben  werden  als  der  Roseustock  eines  starken  Hirsches,  ein  Stück  des 
Schädeldaches,  ein  Kieferfragmeut  und  Zähne  von  einem  grossen  Bären,  Röhren- 
knochen neben  Sinterdrusen  u.  dgl.  festgestellt.  Sie  stammen  aus  einer  neuentdeckten 
Höhle  bei  dem  Dorfe  Faraiyyah  im  Kastrawan.  Herr  Dr.  Weber  erhielt  sie  von 
dem  Scheich  Daud -el -Khazini,  der  das  Schädeldach  für  ein  menschliches  ansah, 
zum  Geschenk.  Die  in  arabischer  Sprache  abgefasste,  mit  französischer  üebersetzung 
versehene  Schenkungsurkunde  ist  dem  interessanten  Funde,  über  welchen  in  einer 
späteren  Sitzung  näher  berichtet  werden  wird,  beigegeben. 

(3)  Herr  Hermes  übergiebt  im  Namen  des  Hrn.  Karsten  zwei  Abgüsse 
geschnitzter  Renthiergeweib-Stücke  ans  der  Höhle  vom  Freudenthal 

für  die  Sammlung  der  Gesellschaft  (vgl.  Sitzung  vom  12.  Decbr.  1874). 

(4)  Herr  Capitain  Ulfsparre  zu  Stockholm  übersendet  nebst  Schreiben  vom 
5.  d.  M.  sein  Kupferwerk  über 

schwedische  Alterthümer. 

(5)  Herr  Virchow  überreicht  im  Namen  des  Hrn.  v.  Gaudecker 

Bronzen  von  Zuchen  in  Pommern 
(Hierzu  Taf.  III) 
und  bemerkt  dazu   Folgendes: 

Nach  dem  Berichte  des  Hrn.  v.  Gaudecker  wurden  die  Sachen  im  Walde  von 
Zuchen,  nördlich    von    Bärwalde    in    Hinterpommern,    in    einem    grossen,    mit    einer 


(26) 

Steinkiste  versehenem  Hügelgiiibe,  welches  ausserdem  eine  Urne  mit  gebrannten 
Knochen  enthielt,  gefunden.  Ausser  den  vorgelegten  Gegenständen  waren  dabei  noch 
ein  ziemlich  grosses  Sichelmessser  von  Bronze  mit  einem  senkrecht  gegen  das  Blatt 
angesetzten  kurzen  Zapfenstück  am  hinteren  Ende  und  ein  einfacher  ßronzering. 
Die  wertlivolleren  Gegenstände  hat  der  Finder  mir  in  zuvorkommender  Weise  zur 
Abgabe  überlassen.     Es  sind  diess: 

1)  ein  Bronzemesser  mit  etwas  gekrümmter,  sehr  abgenutzter  Schneide  und  einem 
langen,  ziemlich  starken  Griff,  der  am  Ende  ein  Loch  hat  (Fig.  1).  Die 
Klinge  ist  frisch  gebrochen  und  zeigt  hier  eine  kupferige  Farbe.  Das  ganze 
Stück  ist  143  Mm.  lang,  wovon  56  auf  den  Griff  fallen. 

2)  eine  prachtvolle  Fibula  mit  doppelter  Spiralplatte  (Fig.  2),  leider  mehrfach 
verletzt  und  gebrochen.  Sie  hat  einen  Gesammtdurchmesser  von  120  Mm., 
wovon  auf  jede  Spiralplatte  28,  auf  das  Mittelschild  46  kommen.  Letzteres 
ist  schwach  verziert,  indem  einzelne  rundliche  Knöpfe,  denen  auf  der  Rück- 
seite Vertiefungen  entsprechen,  in  Feldern  vertheilt  sind,  welche  durch  eine 
schwache  Gravirung  verziert  sind. 

3)  Das  eine  Blatt  einer  ßronze-Pincette  (Fig.  3),  ungewöhnlich  breit,  und  mit 
etwas  uuregelmässigen,  trotzdem  aber  zierlichen  Ornamenten  versehen.  Es 
sind  diess  Reihen  von  runden,  am  Rande  des  Blattes  meist  unvollständigen 
Kreisen.  Die  Mehrzahl  derselben  ist  eingravirt,  übrigens  mit  sehr  breiten 
Furchen;  nur  bei  dreien,  nehmlich  der  obersten  in  der  Mittelreihe  und  bei 
den  beiden  äussersten  in  der  untern  Reihe,  ist  die  Mitte  vorragend  und  dafür 
auf  der  Rückseite  eine  eingedrückte  Grube.  Die  Patina  ist  hier  besonders 
schön. 

4)  Ein  Fingerring  von  Bronze  (Fig.  4),  20  Mm.  im  Durchmesser,  für  den  Klein- 
finger  passend.  Die  innere  Fläche  ist  eben,  die  äussere  flach  gerundet.  Am 
oberen  Umfange  wird  er  breiter  und  hier  greifen  die  beiden  Enden  scheinbar 
über  einander,  ohne  jedoch  eine  Trennungs-  oder  Löthungslinie  zu  zeigen. 
Von  der  Fläche  aus  gesehen,  hat  das  übergreifende  Stück  fast  die  Form  eines 
Greifenkopfes,  doch  mag  der  Anschein  trügen. 

5)  Ein  Bruchstück  eines  zweifelhaften  Geräthes  (Fig.  5a  und  b).  An  einem 
hohlen  und  beiderseits  offenen  Mittelstück  sitzen  zwei  ausgeschweifte  Füsse  (?), 
welche  an  der  unteren  Seite  eine  längliche  Rinne,  auf  der  oberen  eine  scharfe 
Mittelkante  und  zwei  eingedrückte  Seitenflächen  zeigen.  Der  eine  dieser 
Füsse  ist  ungleich  viel  breiter  und  kräftiger,  und  an  ihm  zieht  sich  über  die 
eine  Seitenfläche  eine  quere  Erhebung  (Fig.  5a). 

Der  Fund  ist  demnach  wegen  seines  Reichthums  und  der  feinen  Ausführung  der 
einzelnen  Gegenstände,  zumal  für  diese,  noch  so  wenig  gekannte  Gegend,  recht 
bemerkeuswerth.  Die  schildförmige  Fibula  mit  ihren  Spiralplatteu  erinnert  an  die 
Funde,  welche  ich  in  den  Sitzungen  des  letzten  November  von  Weissenfeis  und  von 
Zaborowo  gezeigt  habe;  an  ersteren  Fundort  schliesst  sich  auch  der  Aufbau  des 
Hügelgrabes  an. 

Eisen  ist  an  dieser  Stelle  nicht  wahrgenommen  worden. 

(6)  Vom  Vorstande  ist  mit  Bewilligung  des  Ausschusses  von  Hrn.  Bluth  ein 
Hutmacher-Conformateur  (System  Allier)  erworben  und  Hrn.  J.  M.  Hildebrandt 
zur  Benutzung  für  seine  neue  ostafrikanischo  Reise  mitgegeben  worden. 

(7)  Die  Herren  Hirschfeld  und  v.  Heldreich  haben  in  Athen  wiederum 

altgriechisclie  Schädel 


(27) 

und  ein  antikes  Skelett  für  die    Gesellschaft    ervvorlten,    deren    Ankunft    entgegenge- 
sehen wird. 

(!S)  ll(;rr  Marincstal)sarzt  Klefeker  schreibt  d.  d.  Nagasaki,  21.  Dechr.  1874. 
an  Hrn.   Virchow: 

„Der  einliegende  Brief  giebt  mir  die  erwünschte  Gelegenheit,  Ihnen  wieder  ein- 
mal ein  Lebenszeichen  von  mir  zu  geben.  Besagten  Brief  und  die  ihn  begleitende 
Kiste  habe  ich  nohnilich  in  Chefoo  vom  Capitain  R.  Molsen,  deutsches  Schiff  Jan 
Peter,  zur  Befrirderung  an  Sie  erhalten.  Die  Kiste  soll  ein  Aino-Skelet  enthalten, 
und  werde  ich  sie  hoffentlich,  wenn  auch  erst  im  Spätherltst  nach  ausgeführter 
Weltumsegelung,  Ihnen  abliefern  können. 

„Wir  selbst,  d.  h.  mein  jüngerer  College,  Dr.  Bohr  und  ich,  haben  seit  Abgang 
meiner  letzten  Zeilen  aus  Sidney  auch  wieder  einige  Schädel  gesammelt.  In  Ma- 
kongai,  einer  kleinen,  dem  deutschen  Consul  gehörenden  Insel  der  Fiji-Gruppe,  hat 
Bohr  mehrere  Schädel  ausgegraben;  in  Chefoo  sind  mir  durch  die  Güte  des  dort 
domicilirten  Dr.  Carmichael  verschiedene  Chinesen-Schädel  zugegangen. 

„Haarproben,  will  ich  schliesslich  noch  erwähnen,  habe  ich  auf  den  Fiji-  und 
Samoa-Inseln  von  sehr  vielen  Südsee-Insulanern,  die  dort  als  „free  labor"',  zu  deutsch 
Sklaven,  importirt  sind,  für  Sie  gesammelt." 

Der  von  Hrn.  Klefeker  erwähnte  und  an  Hrn.  Virchow  gerichtete  Brief  ist  von 
Dr.  Vinc.  Siebert,  Schiffsarzt  der  K.  Russischen  Flotille  des  Stillen  Oceans,  d.  d. 
Port  Wladiwostok  im  üssuri- Gebiet,  Ost-Sibirien,  vom  4|  September  187-i  und 
betrifft 

ein  Aino-Skelet. 

„Beifolgend  nehme  ich  mir  die  Freiheit,  Ihnen  ein  Aino-Skelet  zu  übersenden, 
voraussetzend,  dass  sich  ein  solches  in  Berlin  und  speciell  in  Ihrem  Besitz  noch 
nicht  befindet,  und  andererseits  weil  das  beifolgende  Exemplar  auf  Reinheit  der  Ab- 
stammung so  weit  Anspruch  machen  darf,  als  solches  nur  irgend  möglich  ist.  Es 
ist  dieses  nehmlich  das  Skelet  eines  Häuptlings,  worauf  schon  die  äussere  Beschaffen- 
heit des  Grabes  hinwies,  und  was  besonders  erwiesen  wird  durch  die  beigefügten, 
im  Grabe  vorgefundenen  Insignien:  den  Goldstoff  auf  Fetzen  des  Kleides  und  das 
japanesische  Schwert.  Es  verhält  sich  damit  folgendermaassen :  Aus  den  dürftigen, 
an  Ort  und  Stelle  (auf  Sachalin)  und  von  Japanesen  aufgreifbaren  historischen  Hin- 
weisen scheint  immer  mehr  hervorzugehen,  dass  die  Aino's  von  den  Japanesen  auf 
der  Insel  Yüso  (niclit  Yesso,  wüe  auf  unseru  deutscheu  Karten)  als  wilder  Volksstamm 
vorgefunden,  unterjocht  und  zu  Leibeigenen  gemacht  worden.  Darauf  wurden  die 
Leibeigenen  zur  Zwangsarbeit  (Häringsfang  und  Bearbeitung  dieses  Fisches  zu  Dün- 
ger) nach  Sachalin  übergesiedelt.  Hier  müssen  sie  sich  alljährlich  im  Frühjahr,  zur 
Zeit  des  Häriugszuges,  in  Aniwa  auf  dem  südlichen  Ufer  Sachalins  zur  Arbeit  ein- 
finden. Die  Häuptlinge  nun,  welche  ihre  Stämme  und  Gemeinden  rechtzeitig  und 
vollzählig  stellen,  erhalten  von  der  japanischen  Regierung  als  Ausdruck  der  Zufrie- 
denheit und  als  Abzeichen  ihrer  Stellung  jene  oben  erwähnten  Insignien:  ein  gold- 
gesticktes Kleid  und  ein  Schwert.  In  Bezug  auf  die  Beschaffenheit  des  übersandten 
Skelets  ist  zu  bedauern,  dass  dasselbe  von  Fäulniss  angegriffen  und  in  Bezug  auf  die 
kleinen  Knochen  (Fuss  und  Hand)  vielleicht  nicht  ganz  vollständig  ist  Das  erstere 
hat  seinen  Grund  darin,  dass  die  Aino  ihre  Todten  in  langes  frisches  Schilfgras 
wickeln  und  in  einem  von  Brettern  roh  gezimmerten  (irabe  beisetzen,  das  durch- 
schnittlich nur  zwei  Fuss  tief  und  von  oben  mit  roh  behauenen  Brettern  zugedeckt 
ist.     Was  die  mögliche  Unvollständigkeit  betrifft,  so  war  ich  genöthigt,  meinen  Raub 


(28) 

unter  Uraständea  auszuführen  und  das  Erbeutete  abzusenden,  die  es  mir  nicht  ge- 
statteten, in  wünschenswerther  Weise  zu  verfahren.  Die  Aufdeckung  eines  Aino- 
Grabes  ist  nehmlich  mit  bedeutenden  Schwierigkeiten  verbunden,  weil  die  Leute 
bereits  wissen,  dass  man  Skelettheile  zu  acquiriren  wiinscht,  und  daher  bei  Anwe- 
senheit eines  Schiffes  überaus  aufmerksam  ihre  Grabstätten  bewachen.  Auch  ist, 
wie  ich  in  Aniwa  erfuhr,  bisher  so  gut  wie  sicher  kein  ganzes  Skelet  nach  Europa 
gebracht  worden,  so  dass  wohl  auch  die  Akademie  der  Wissenschaften  in  Petersburg 
kein  solches  besitzt.  Was  die  Schädel  allein,  die  nach  Europa  gelangt  sind,  betrifft, 
so  wird  wohl  mancher  unechte  mit  eingelaufen  sein. 

Sollten  Sie,  hochgeehrter  Herr,  bereits  im  Besitze  dessen  sein,  was  ich  Ihnen 
hiermit  übersende,  so  entschuldigen  Sie  mein  unnützes  Bemiihen  mit  dem  tiefen 
Gefühl  der  Dankbarkeit  eines  Schülers  Ihrer  Lehren." 

(9)     Herr  Schwartz  in  Posen  sendet  die    Uebersetzung    einer    Mittheilung    des 
Hrn.  Pawinski,  Professor  an  der  Warschauer  Hochschule,  über 
deu  Begräbnissplatz  in  Dobryszyce. 

Das  Dorf  Dobryszyce  liegt  im  Königreich  Polen,  an  der  Warschau- Wiener 
Eisenbahn,  im  Nordosten  von  der  Bahnstation  und  der  Kreisstadt  Radomsk.  Der 
Begräbnissplatz  fand  sich  in  einer  Entfernung  von  zwei  Wersten  vom  herrschaft- 
lichen Wohnhause  und  zwar  in  einem  sandigen  Rechteck,  welches  ringsum  vom 
Moorboden  umgeben  war.  Der  Sandboden  war  nur  massig  über  das  anliegende 
Erdreich  erhaben;  doch  war  der  Begräbnissplatz  weder  durch  Steine,  noch  durch 
irgend  andere  Zeichen  kenntlich.  Die  Gräber  zogen  sich  in  einer  geraden  Richtung 
von  Osten  nach  Westen,  in  vier  beinahe  parallelen  Reihen. 

Einige  Gräber  waren  von  einander  5—6  Schritte,  andere  wieder  20—25  Schritte 
entfernt.  Der  Verfasser  des  Berichtes  hat  viele  von  ihnen  schon  zerstört  vorgefunden. 
Er  selbst  hat  noch  neun  Gräber  ausgegraben.  In  den  meisten  von  ihnen  sind  drei 
Urnen  vorgefunden  worden:  eine  grosse  Urne  oder  der  Aschenkrug  mit  Knochen- 
überresten, die  mit  Sand  vermischt  waren,  und  ein  Krug  nebst  einer  Schale,  doch  in 
viel  kleinerem  Maassstabe,  und  mit  Sand  angefüllt. 

Eine  Ausnahme  hiervon  machte  das  dritte  Grab,  in  dem  gar  keine  Urne  gefun- 
den wurde,  ferner  das  8.  Grab,  wo  der  kleine  Krug  fehlte,  und  das  9.,  das  keine 
Schale  enthielt.  Eine  der  grösseren  Urnen  barg  ausser  Knochenüberresten  noch  eine 
eiserne  Nadel,  sowie  drei  eiserne  Ringe,  wahrscheinlich  eine  Art  von  Ohrringen. 

In  der  Nähe  des  Wohnhauses  fand  man  auch   einige    einzeln  vergrabene  Urnen 


vor. 


(10)     Herr  Bohle  stellte  wiederum  vier  neu  eingetroffene 

Lappen 
in  ihrer  Nationaltracht,  einen  Mann  und  drei  Frauen,  der  Gesellschaft  vor;  er  gab 
zugleich  erläuternde  Mittheilungen  über  Zusammensetzung  und  stoffliche  Behandlung 
ihrer  fast  durchgeheuds  aus  mit  den  Haaren  präparirten  Renthierhäuten  bestehenden 
Bekleidung  und  veranlasste  die  Leute  zu  verschiedenen  Aeusserungen  in  ihrem 
Idiom. 

Herr  Schott,  Ehrenmitglied  der  Gesellschaft,    prüfte  zunächst   die  Sprache    der 
Leute  und  hielt  dann  einen  Vortrag  über 

Land  nnrt  Volk  der  Lappen. 

Das  in  ganz  Europa  unter  dem  Namen    Lappen    benannte    Völkchen    bekennt 
sich  zu  diesem  Namen  ebenso  wenig  wie  seine    blutsverwandten  Nachbarn    zu    dem 


(29) 

Namen  Finnen.  Beide  Völker,  einem  weit  ausgedehnten,  zumeist  aber  dünn  ge- 
saetcn  Hauplstamm  angehörend,  den  man  jetzt  den  ünnibch-ugrischen  zu  nennen 
pflegt,  führen  seit  undenklicher  Zeit  auch  einen  gemeinschaftlichen  Nationalnamen, 
dessen  einfachste  Form  in  lappischem  Munde  Saame  oder  Sabme,  im  finnischen 
Soome,  Suonie  lautet.')  Die  Bedeutung  ist  unaufgeklärt,  die  Form  des  Namens 
aber  protestirt  gegen  früher  angenommene  Zusammenziehung  aus  zwei  einsilbigen 
Wörtern  für  Sumpf  und  Land. 

Was  den  Namen  Lappen  betriflFt,  so  bringen  uns  diesen  europäische  Chroniken 
schon  ehe  dieses  Volk,  über  den  Polarkreis  gedrängt,  gleichsam  ein  Ende  der  Welt 
bewohnte.  Damit  wird  des  berühmten  finnischen  Sprachforschers  Castren  Ver- 
muthung,  der  an  das  finnische  Wort  loppu  (lappisch  loap)  Aeusserstes,  Ende 
erinnert,  hinfällig.  Ein  ehemaliges  Lappeguuda,  d.  i.  Lappen-Gebiet  in  einem 
Theile  Ehstlands  erwähnt  gegen  Anfang  unseres  13.  Jahrhunderts  der  von  dem 
grundgelehrten  Finnländer  Porthan  (Porthan's  Skrifter,  V,  s.  40)  angeführte 
Gruber  in  seinen  „Origines  Livonicae  sacrae  et  civiles",  und  viele  durch  ganz  Finn- 
land zerstreute  Namen  von  See'n,  Buchten,  Landrücken  u.  s.  w.  beweisen,  dass  der 
Lappe  älterer  Bewohner  Finnlands  gewesen,  aus  welchem  Lande  der  nachrückende 
landbauende  Suomalaiuen  seinen  nomadischen  Bruder  nach  und  nach  nordwärts  hin- 
ausdrängte. 

Beispiele  solcher  Namen:  Lappa-järwi  Lappensee,  Lapin-laksi  (oder 
-lahti)  Lappenbucht,  Lapin-salmi  Lappensuud,  Lapin-kangas  Lappenheide, 
Lapin-linna  Lappenburg.  Noch  am  südlichen  Ende  des  Saima-Sees,  bei  der  Stadt 
Wilmaustrand,  unweit  Wiborg,  giebt  es  ein  Kirchspiel  Lap-wesi  Lappenwasser. 
Auch  fehlt  es  nicht  an  Gräbern  (haudat)  und  künstlichen  Steinhaufen  (rauniot),  die 
nach  den  Lappen  benannt  sind.  Die  schAvedischen  Kirchspiele  Finnlands  haben 
Lapp-träsk  Lappensumpf,  Lapp-fjärd  Lappenfjord,  Lapp-wik  Lappeubucht, 
Läpp -dal  Lappenthal  aufzuweisen. 

Von  jeder  sonstigen  üeberlieferung  verlassen,  können  wir  die  älteren  Thaten 
und  Schicksale  des  in  Rede  stehenden  Volkes,  sei  es  vor  oder  nach  seiner  Einwan- 
derung in  Finnland,  weder  erzählen  noch  in  chronologische  Tafeln  eintragen.  Hier 
ist  nicht  einmal  dies  oder  jenes  Jahrhundert,  geschweige  Jahrzehent,  mit  Sicherheit 
anzugeben.  So  viel  weiss  man  aber,  dass  die  Lappen  ihre  machtlos  gewordene 
Aristokratie  besitzen  und  dass  Erinnerungen  an  eine  längst  verklungene  Heldenzeit 
bei  ihnen  wenigstens  in  einem  epischen  Gedichte  von  beschränktem  Umfange  fort- 
leben. Dieses  ist  „Die  Sonnensöhne"  überschrieben,  und  findet  man  meine  Ueber- 
setzung  eines  Auszugs  aus  demselben,  den  die  schwedische  Zeitschrift  „Post  och 
Jurikes  tidning"  (1850,  Nr.  84)  zuerst,  jedoch  nur  in  schwedischer  Sprache,  mit- 
theilt, in  Erman's  Archiv  für  wissenschaftliche  Kunde  von  Russland  (Band  XII, 
S.  54  ff.,  B.  XIII,  S.  1).  Ein  Pastor  Fj ellner,  selbst  Lappe  von  Geburt,  hat  diese 
metrische  Sage  aus  dem  Munde  seiner  eigenen  Stammesgenossen  zu  Sorsele  in  der 
schwedischen  Lappmark  aufgezeichnet,  und  darf  man  dies  dem  im  Rufe  ebenso  grosser 
Redlichkeit  als  Poesielosigkeit  stehenden  Manne  auf  sein  Wort  glauben. 

Den  vollständigen  Text  dieser  ehrwürdigen  Reliquie  verspricht  Professor  0. 
Donner  in  Holsiugfors  mit  Anmerkungen  aus  Licht  zu  stellen.  Ein  „Sohn  der 
Sonne"  unternimmt  eine  Freieriahrt  nach  einem  von  Riesen  bewohnten  Eldorado    im 


1)  Diese  einfachste  Form  bezeichnet  auch  resp.  Land  und  Landessprachen  Beiiier.  Mittelst 
Anfügung  eines  lainen  (aus  laise)  oder  latsch  nennt  der  Finne  sich  selbst  gewöhnlich 
Suomala  inen,  der  Lappe  Sabmelatsch.  Letzterer  wird  von  Ersterem  Saamelainen 
und  Lappalainen,  aucli  wie  das  Land,  wo  er  sich  umtreibt,  schlechthin  Lappi  genannt. 


m 

unerraessHch  entfernten  Abendlande.  Dort  angelangt,  soll  der  Jüngling  dem  blinden 
Vater  einer  ihm  alsbald  wohlgeneigten  Jungfrau  Proben  seiner  Stärke  ablegen  und 
täuscht  ihn  mittelst  Vorhaltung  eines  eisernen  Ankerhakeiis,  als  wäre  dieser  ein 
Finger  seines  jungen  Gastes.  Von  dem  mitgebrachten  Meth  des  Ankömmlings  stark 
benebelt,  willigt  der  ohnehin  schon  verdutzte  Riese  in  die  eheliche  Verbindung  der 
Beiden  und  entlässt  sie  mit  Strandklippen  aus  Gold  und  Silber  als  Mitgift  seiner 
Tochter.  Aber  die  von  der  Jagd  heimkehrenden  Brüder  vermissen  voll  Ingrimm 
den  „Stolz  ihres  Hauses";')  unbekümmert  um  das  was  der  Alte  gethan,  stossen  sie 
zur  Verfolgung  des  schon  eingeschifften  neuen  Ehepaares  ein  Boot  ab  und  würden 
vermöge  ihrer  übermenschlichen  Stärke  im  Rudern  das  Paar  bald  eingeholt  haben, 
hätte  die  Schwester  nicht  drei  wind  er  zeugende  Knoten  nacheinander  gelöst. 
Der  dritte  dieser  Knoten  erregt  einen  solchen  Sturm,  dass  die  wüthigen  Verfolger 
an  den  Lofoden  scheitern  und  —  das  unausweichbare  Loos  vorweltlicher  Riesen 
—  für  immer  zu  Klippen  erstarren.  Als  Frau  des  Sonnensohnes  verkürzt  sich  die 
Riesentochter  bis  zur  Grösse  gewöhnlicher  Menschen  —  wie  Brunhild  von  Island 
ihre  ungeheuere  Muskelkraft  einbüsst,  sobald  sie  den  ersten  Mann  erkannt  —  und 
gebiert  ein  Heldengeschlecht,  die  Kalla  parnech  (Kalewa-Söhne  der  Finnen  und 
Ehsten),  welche  die  Schneeschuhe  erfanden  und  Elenthiere  zähmten. 

Vor  dem  Bekanntwerden  dieser  erzählenden  Dichtung  zweifelte  man  selbst  in 
Finnland  am  ehemaligen  Vorhandensein  einer  poetischen  Ader  in  dem  lappischen 
Nachbar.  Der  noch  in  unserem  Jahrhundert  schreibende  Finnländer  Gottlund 
aus  Sawolaks  wusste,  wo  er  in  seinem  Allerleiwerke  Otawa  von  diesem  Völkchen 
handelt,^)  nur  einen  Vers  aus  lappischem  Hirne  beizubringen,  der  eine  Aufforde- 
rung an  den  Bären  ist,  seinen  "Winterschlaf  abzuschütteln,  weil  die  Natur  bereits 
erwacht  sei.     Dieser  Vers  lässt  sich  deutsch  etwa  so  wiedergeben: 

Berges  Alter,  Berges  Alter! 

Raff  Dich  empor,  raff'  Dich  empor! 

Blatt  ist  so  gross  schon  wie  Mäuseohr. 
Dagegen  muss  der  Finne  wenigstens  gestehen,  dass  sein  „schwächerer  Bruder", 
wie  Castren  den  Lappen  nennt,  in  Zauberkünsten,  besonders  dem  Windraachen 
und  "Windstopfen,  d.  h.  Beschwören  des  Windes  mittelst  geöffneter  und  geschlossener 
Knoten,  sein  unerreichtes  Vorbild  gewesen.  „Wenn  die  Finnen  —  sagt  ihr  grosser 
Landsmann  Forthan  (Band  V,  S.  38)  —  Einen  als  vollendeten  Zauberer  bezeichnen 
wollen,  so  pflegen  sie  zu  sagen:  seonkokkoLappi,  d.  h.  der  ist  ein  ganzer 
Lappe.  Die  Abergläubigsten  erkennen  in  dem  Lappen  ihren  Lehrer  in  geheimen 
Künsten,  und  wer  höhere  Vollkommenheit  erstrebt,  der  scheut  bisweilen  nicht  die 
Mühe  einer  Wanderung  nach  Lappland  um  Weisheit  unmittelbar  an  der  Quelle  zu 
schöpfen."^) 

So  weit  Porthan.  Warum  aber,  darf  man  wohl  fragen,  besitzen  die  Finnen 
sehr  alte  Zauber ge sänge  (die  berühmten  loihto-runot)  von  wahrhaft  dichterischem 
Werthe,  während  die  Lappen  allem  Anscheine  nach  nichts  der  Art  aufzuweisen 
haben?  Der  gowadas  oder  die  Geister  herbeirufende  Trommel  der  Letzteren  dürfte 
für  solchen  Mangel  wohl  einen  sehr  rohen  Ersatz  bieten,  obgleich  sie  neuerlich    mit 


')  Man  wird  einigermaassen  an  die  brüderliche  Autorität  in  der  hebräischen  Patriarchen- 
zeit erinnert. 

*)  Es  ist  im  Dialekte  von  Sawo  geschrieben  unter  dem  Titel;  „Otawa  eil  Suomalaisia  hu- 
wituksia  (Himmelswagen  otler  finnische  Belustigungen)".     1829—32.     2  Bünde, 

^)  Porthan  hätte  liinzusetzen  kümicn:  »Wie  Pytluigoray  zu  solchem  Zwecke  nach  Aegyp- 
teu  reiste  11" 


(31) 

einem  hohen  Grade  von  Wahrscheinlichkeit  für  das  Urbild  des  Talismans  Sampo 
erklärt  worden  ist,  welcher  in  d<!n  .Sagen  aus  finnischer  Vorzeit  eine  grosse  Rolle 
spielt. ') 

Diese  unter  dem  Titel  Kalewala  (Kaiewa's  Land)  zusammeugeordneten,  durch 
ein  geistiges  Hand  verknüpften  epischen  Gesänge  in  trociiäischen  Versen  drehen  sich 
voi'zngsweise  um  Berührungen  beider  Völker,  die,  aus  unschuldigem  Anlass  jenes 
Talismans  schon  frühzeitig  feindselige  geworden,  mit  vollständigem  Siege  der  Fin- 
nen schliessen.  Das  „finstere  männermordende  Nordland"  muss,  obgleich  seine  Be- 
herrscherin, die  grosse  Hexe  JiOuhi,  alle  ihr  zu  Gebot  stehenden  dämonischen  Künste 
aufbietet,  endlich  unterliegen  und  Finnlands  göttlicher  Seher  Wäinämöinen  begrüsst 
die  Befreiung  der  durch  Feindes  List  und  Tücke  eingesperrt  gewesenen  Himmels- 
körper in  einem  herrlichen  Hymnas. 

Da   die   so  -manches    Jahrhundert    hindurch    mündlich   fortgepflanzten   Kalewala- 
Runen  mit  vielen  sogenannten  Varianten  auf  uns  gekommen   sind,    so    musste    unter 
letzteren  öfter  eine  Auswahl  getroffen  werden  und  dies  mag  nicht  alle  Mal  mit  Glück 
geschehen  sein.     Beispielsweise  hat  ein  in  den  neuen   Ausgaben  des   Epos,    offenbar 
dem  Stabreim  zu   Gefallen,    stehend   gewordenes   Epithet  des  Lappen:    laiha,    dem 
lateinischen  elumbis  ungefähr  entsprechend,   das  früher  aufgenommene,   anthropolo- 
gisch   viel   wichtigere  kyyttösilmä  schiefäugig,  d.  h.  mit  schief  stehenden  Augen- 
höhlen, verdrängt.     Zuerst  lautete  die  betreffende  Verszeile: 
Lappalainen  kyyttösilmä 
Lappe  mit  den  schiefen  Augen, 
jetzt  lautet  sie: 

Laiha  poika  Lappalainen 
Lendenschwacher  Lappenknabe. 

Die  Sprache  des  uns  hier  beschäftigenden  Volkes  hat,  besonders  im  Dialekte 
der  nördlichen  Finnmarken,  ein  reicher  entwickeltes  Lautsystem  als  das  Suomi.  In 
Fürwort  und  Redewort  (Verbum)  bewahrt  sie  noch  den  Dualis.  Wo  sie  vom  eigent- 
lich sogenannten  Finnischen  (Suomi)  abweicht,  stimmt  sie  desto  genauer  mit  den 
Idiomen  der  östlichen  Gruppe,  dem  Mordwinischen,  Assjachischen,  Wogulischen, 
daher  auch  mit  der  Sprache  der  Magyaren,  welche  dieser  Gruppe  überhaupt  näher 
kommt  als  der  westlichen.  Fremd  ist  aber  dem  Lappen  wie  dem  Finnen  jene  die 
östliche  Gruppe  auszeichnende  objective  (das  Object  fürwörtlich  einschliessende) 
Conjugation. 

Die  neuere  Zeit  hat  manche  finnische  Ansiedlung  tief  in  Lappland  entstehen 
sehen  und  grössere  örtliche  Annäherung  der  so  lange  feindlichen  Brüder  führt  zu 
öfterer  Vermischung,  deren  Ergebnisse  mitunter  ganz  ansehnliche  wohlgestaltete 
Leute  sein  sollen.  Wenn  in  Sammlungen  finnischer  Volkslieder  Eines  oder  das 
Andere  Laulu  Lapista,  d.  h.  Lied  aus  Lappland,  überschrieben  ist,  so  hat  man 
dieses  als  den  lyrischen  Erguss,  nicht  eines  Lappen,  sondern  eines  finnischen  An- 
siedlers in  Lapphind  zu  betrachten.  Einzelne  sehr  liebliche  Blümchen  dieser  Art 
sind  dem  froststarren  Boden  entwachsen.  — 

Herr  Virchow  knüpft  hieran  Mittheilungen  über 

die  physischen  Eigeuschafteu  der  Lappen* 

(Hierzu  Taf.  IV.) 


')  Siehe  meine  Uebersetzang  eines  Artikels  des  finnischen  „Monatblattes"  (Kuukaustebti) 
vom  Jahre  1868  in  Lehmann's  , Magazin  des  Auslands",  1869  (Nr.  18)  unter  der  L'eberscbrift 
„Der  Sampo  Fiulands  und  des  Lappen  Zaubertrommel ".  Die  Uypothese  ist  vom  Professor 
Friis  in  Christiauia,  Jer  sich  um  Lappen  und  Lappeiisprache  sehr  verdient  gemacht  hat. 


(32) 

Zunächst  Einiges  über  die  äusseren  Verhältnisse  der  Leute.  Nach 
ihren  Zeugnissen  stammen  sie  von  Mala,  einem  schwedischen  Orte  in  Vester- 
botten  Lappmark,  an  einem  Nebenflusse  der  Skellefte  Elf,  etwa  unter  65°  N.  Br, 
und  36  0.  L.  Die  erste  Gruppe,  welche  in  der  Sitzung  vom  16.  Januar  vorgestellt 
wurde,  bestand  aus  3  Männern:  Dovit,  26  Jahre,  Klemme,  23  Jahre,  Jona  26  Jahre 
alt,  und  einer  Frau,  Karim,  28  Jahre  alt;  die  heutige  Gruppe  setzt  sich  der  Angabe 
nach  zusammen  aus  den  beiden  Eltern  von  Klemme,  Hennta,  dem  Vater,  und  Aenuta, 
der  Mutter,  und  2  Frauen,  Ippa,  32  und  Kaisa,  34  Jahre  alt.  Die  P'rauen  unter- 
scheiden sich  äusserlich  nur  durch  die  Renthierschürze,  welche  sie  über  ihren  Bein- 
kleidern aus  Renthierfell  tragen;  ihr  Haar  ist  nur  wenig  länger,  als  das  der  Männer, 
und  im  Ganzen  spärlich.  Bei  allen  ist  das  Kopfhaar  ganz  glatt  und  schlicht.  Nur 
Hennta  hat  einen  reichlichen  Bartwuchs.     Alle  sind  hässlich  und  unansehnlich. 

Ich  will  an  die  uns  gebotene  Anschauung  ein  paar  Bemerkungen  anknüpfen  in 
Bezug  auf  die  physischen  V^erhältnisse  der  Lappen.  Schon  bei  Betrachtung  der 
ersten  Gruppe,  welche  in  der  letzten  Sitzung  hier  war,  fiel  es  mir  auf,  und  es  wird 
Ihnen  eben  so  ergangen  sein,  dass  die  Augen,  wie  die  Haare  der  Leute  keineswegs 
den  ausschliesslichen  Vorstellungen  von  stark  brünettem  oder  gar  schwarzem  Habi- 
tus entsprechen,  welcher  in  der  Regel  den  Lappen  zugeschrieben  wird.  Es  lässt 
sich  nicht  verkennen,  dass  die  Hautfarbe  schmutzig  genug  ist,  um  den  Eindruck 
eines  tiefen  Braun  zu  machen.  Indessen  wenn  man  erwägt,  dass  die  Leute  sich 
nicht  waschen,  sich  vielmehr  mit  einer  gewissen  Liebhaberei  mit  Fett  einschmie- 
ren, auf  welchen  allerlei  Schmutzmassen  sich  niederschlagen,  so  wird  man  sich  nicht 
wundern,  nicht  nur  darüber,  dass  die  Hautfarbe  durch  diesen  üeberzug  stark  ver- 
dunkelt wird,  sondern  dass  auch  die  Haut  dadurch  allmählich  in  einen  Zustand  von 
Reizung  versetzt  wird,  der  auf  die  Pigmentbildung  einen  gewissen  Einfluss  ausüben 
muss.  Aber  auch,  wenn  man  die  Augen  und  Haare  genau  betrachtet,  ergiebt  es 
sich,  dass  keineswegs  bei  allen  eine  schwarze  oder  schwarzbraune  Farbe  von  aus- 
gesprochenem Charakter  vorhanden  ist.  Unter  den  drei  jungen  Männern,  welche 
der  ersten  Gruppe  angehören,  befinden  sich  zwei  mit  dunklerem  Haar,  als  wir  heute 
hier  gesehen  haben.  Der  dritte,  Dovit,  und  die  Frau,  Karim,  dagegen  haben  hell- 
braunes Haar,  das  sich  bei  Dovit  sogar  dem  Blond  nähert.  Die  Leute  der  heutigen 
Gruppe,  nachdem  sie  die  Kappen  abgenommen  hatten,  zeigten  alle  braunes  Haar, 
au  dem  bei  schräger  Beleuchtung  ein  Schimmer  von  lichterem  Braun  oder  gar 
Gelb  hervortrat;  namentlich  diejenigen  Haare,  welche  mehr  der  Luft  exponirt  sind, 
bieten  eine  gewisse  Lichtfarbe  dar  und  nähern  sich  Verhältnissen,  wie  ich  sie  in  der 
Sitzung  vom  17.  October  v.  J.  von  den  Finnen  erwähnt  habe.  Freilich  herrscht  bei 
diesen  ein  viel  mehr  ausgesprochenes  Blond  vor,  während  die  Lappen  im  Grossen 
und  Ganzen  immerhin  brünett  genannt  werden  können.  Aber  wenn  man  sie  ver- 
gleicht mit  den  Zigeunern,  welche  in  Finland  selbst  mehrfach  von  uns  aufgefunden 
wurden,  so  ist  der  Gegensatz  in  der  Farbe  ein  überaus  auffälliger.  Zwischen  dem 
glänzend  pechschwarzen  Haar  der  Zigeuner  und  diesem  an  der  Luft  sich  stark  lich- 
tenden, matten  Braun  oder  Schwarzbraun  der  Lappen  besteht  keine  Aehnlichkeit. 

l"iS  ist  das  insofern  recht  bemerkenswerth,  als,  wie  Sie  sich  aus  der  Literatur 
und  aus  unseren  früheren  Debatten  erinnern,  gerade  von  Seiten  maassgebender  an- 
thropologischer Kreise,  am  meisten  der  französischen,  mit  einer  gewissen  Zuversicht 
und  Beständigkeit  immer  betont  wird,  dass  die  Angehörigen  der  turanischen  Rasse 
wesentlich  dunkel  seien,  während  die  arischen  oder  indogermanischen  Völker  wesent- 
lich blond  und  hell  seien.  Mau  brauclit  nur  ein  einziges  Mal  diesen  Gegensatz  der 
Zigeuner,  deren  arische  Abstammung  kaum  bestritten  werden  wird,  gegen  die  Finnen 
und  Lappen  gesehen  zu  haben,    um  den  unverwischbaren    Eindruck    zu   haben,    wie 


'Icilsrlirifl  für  /'.'/I//ii'/(U/ir    /S'/-'. 


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1 


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Verlat}  von  W'ii'tjamltMempvl  K  Parry  ht-rlw 


f 


(33) 

wenig  eine  so  allgemeine  Voraussetzung  zutrifft,  und  wie  wenig  es  berechtigt  ist, 
überhaupt  eine  solche  generelle  Aufstellung  zu  inachen,  wie  sie  in  der  Formel 
gegeben  ist:  Alles,  was  blond  ist,  ist  arisch,  und  Alles,  was  dunkel  ist,  ist  mongo- 
lisch.    Das  ist  eine  reine  Fiktion. 

Bei  den  vier  Lappen,  die  eben  hier  waren,  werden  Sie  wohl  bemerkt  haben, 
dass  die  Augen  durchweg  verhältnissraässig  hell  waren.  Sie  zeigen  alle  bei  Abend 
einen  leicht  bläulichen  Schimmer;  wenn  man  sie  aber  bei  Tage  betrachtet,  so  mischt 
sich  allerdings  viel  Braun  dazwischen.  Betrachtet  man  die  Iris  genau,  so  ergiebt 
sich,  dass  auch  bei  den  helleren  Augen  braune  Flecken  an  die  Oberfläche  treten, 
welche  diese  Schattirung  bediugen.  Auch  Dovit  hat  eine  sehr  helle  Iris,  und  selbst 
Jona,  der  das  dunkelste,  fast  schwarze  Haar  besitzt,  zeigt  doch  braune  Augen. 
Jedenfalls  kann  mau  in  keiner  Weise  behaupten,  dass  die  Iris  aller  Lappen  dunkel 
sei.  Das  ist  gewiss  von  Wichtigkeit,  da  theils  aus  dem  Zeugniss  unseres  gewiss 
competenten  Ehrenmitgliedes  Hrn.  Schott,  theils  aus  den  Zeugnissen  anderer,  na- 
mentlich magyarischer  Linguisten,  die  sie  mitgebracht  haben,  theils  aus  Attesten,  die 
von  schwedischen  diplomatischen  Agenten  bestätigt  worden  sind,  hervorgeht,  dass 
an  der  lappischen  Abstammung  der  Leute  kein  Zweifel  bestehen  kann.  Aber  auch 
solche  Schriftsteller,  welche  ex  professo  über  die  Lappen  gehandelt  haben,  z.  B.  Hr. 
V.  Düben,  bezeugen  das  Vorkommen  von  lichterem  Haar  und  helleren  Augen  bei 
den  Lappen.  Der  letzgenannte  Schriftsteller  giebt  ausdrücklich  an,  dass  er  auch  in 
Lappland  Flachsköpfe  und  graublaue  Augen  angetroffen  habe  und  dass  die  Hautfarbe 
in  der  Jugend  ganz  hell  ist. ') 

Was  nun  die  übrigen  Verhältnisse  anbetrifl\  so  haben  wir  heute  in  noch  höhe- 
rem Maasse,  als  neulich,  den  Eindruck  der  Kleinheit  dieses  Volkes  erfahren.  Ich 
habe  die  ersten  vier,  welche  früher  hier  waren,  gemessen,  und  es  hat  sich  dabei 
herausgestellt,  dass  die  drei  Männer  im  Mittel  1,382  Meter  hoch  sind.  Jona  hat 
],44G  M.,  Klemme  1,440,  Dovit,  der  als  der  „kleinste  Mann  Lapplands"  bezeichnet 
wird,  nur  1,2G0  M.  Die  Frau,  welche  damals  vorgestellt  wurde,  Karim,  hat  eine 
Grösse  von  1,445.  Würden  wir  die  heutigen  Leute  dazuuehmeu,  so  würde  sich  ein 
Mittel  ergeben,  was  unter  dem  Grössenverhältniss  aller  übrigen  europäischen  Rassen 
steht.  Es  stimmt  diess  im  Ganzen  mit  der  Angabe  des  Hrn.  v.  Düben,  der  im 
Mittel  1,5  M.  angiebt. 

Zugleich  zeigt  sich,  dass  der  Ernährungszustand,  obwohl  die  Leute  hier  besser 
gehalten  werden,  doch  eine  überaus  kümmerliche  ist.  Sie  sind  alle  mager,  und  namentlich 
die  Runzelbildung  im  Gesichte  ist  eine  so  starke,  dass  selbst  die  Jüngeren  den  Ein- 
druck eines  höheren  Alters  machen.  Sie  haben  bemerkt,  dass  die  Haut  wegen  des 
geringen  Fettpolsters  eine  Feinheit  hat,  wie  wir  sie  bei  den  übrigen  europäischen 
Gesichtern  sehr  selten  sehen.  So  ist  namentlich  um  den  Mund,  wo  selbst  bei  Män- 
nern sonst  ein  stärkeres  Fettpolster  liegt,  die  Haut  so  fein  eingefaltet,  wie  Postpa- 
pier; zumal,  wenn  sie  ihr  Lachen  zu  unterdrücken  versuchten,  kamen  so  feine  Fal- 
tenbildungen zu  Stande,  dass  man  kaum  den  Rücken  der  Falte  als  solchen  unter- 
scheiden konnte.  Es  erinnert  das  in  gewissem  xMaass  au  die  Beschreibungen,  welche 
wir  von  den  Buschmännern  haben.  Auch  lässt  sich  nicht  verkennen,  dass  die  Er- 
nährungs-Verhältnisse der  Lappen  in  manchen  Beziehungen  sich  denen  der  Busch- 
männer anschliessen.  Ich  wenigstens  muss  sagen,  was  freilich  mit  der  Ansicht  des 
Hrn.  Fritsch  nicht  übereinstimmt,  dass  ich  bei  der  Betrachtung  der  Buschmänner- 
Abbildungen  stets  den  Eindruck  habe,  dass  ihr  Aussehen  wesentlich  durch  die  an- 
haltende Penuries  bedingt  wird,  was  ja  auch  Hr.  Bleek  bezeugt.  So  scheint  es 
mir,  dass  auch  bei  den  Lappen  im  Laufe  der  Jahrhunderte  die  einseitige  und   man- 

')  Gustaf  von  Düben  Om  Lappland  och  Lapparue.     Stockholm  1873,  p.  167,  171. 

Verhandl.  der  Berl.  AüÜiroi'ol.  Gesellscliaft.     ISJä.  3 


(34) 

gelhafte  Ernährung  auf  die  ganze  Constitution  einen  solchen  Einfluss  ausgeübt  hat, 
dass  man  sie  in  gewissem  Sinne  als  pathologische  Rasse  bezeichnen  könnte. 
Ich  hatte  diesen  Eindruck  scheu  früher,  als  ich  nur  einen  einzigen  Lappen  gesehen, 
aber  eine  grössere  Zahl  von  Lappenschädelu  untersucht  hatte;  letztere  haben  durch- 
weg denselben  Charakter.  Vergleicht  man  diese  Lebenden  mit  dem,  was  uns  in 
Abbildungen  von  Buschmännern  vorgeführt  ist,  so  kann  man  nicht  verkennen,  dass 
manche  Analogien  zwischen  ihnen  sich  darbieten. 

In  Bezug  auf  die  Kopfform  habe  ich  schon  früher  hervorgehoben,  dass  die 
Lappen  ein  ausgemacht  kurzköpfiges  Volk  darstellen.  Sie  sind  mehr  brachycephal, 
als  die  beiden  andern  grossen  verwandten  Stämme:  schon  die  eigentlichen  Finnen 
sind  weniger  brachycephal,  die  Esten  gehen  sogar  in  das  Subdolichocephale  über. 
Wenn  man  eine  grössere  Reihe  von  Schädeln  neben  einander  hat,  und  ich  denke, 
ich  werde  wohl  später  Gelegenheit  haben,  Ihnen  eine  solche  vorzuführen,  da  ich 
durch  Hrn.  Schoeler  eine  grössere  Zahl  von  Esteuschädeln  bekommen  habe,  so 
werden  Sie  sehen,  ein  wie  grosser  Unterschied  zwischen  ihnen  vorhanden  ist.  Es 
sind  3  kraniologisch  so  sehr  von  einander  getrennte  Gruppen,  dass  es  schwer  fällt, 
sich  von  einer  ursprünglichen  Verwandtschaft  derselben,  von  einer  wirklichen  Natio- 
nalitätseinheit dieser  Stämme  zu  überzeugen,  wofür  ja  allerdings  sonst  vielerlei 
spricht. 

Die  Messungen,  welche  ich  bei  der  ersten  Gruppe  unserer  Finnen  gemacht 
habe  —  die  neuern  habe  ich  vorher  noch  nicht  gesehen  — ,  stimmen  mit  dem, 
was  mir  Lappenschädel  darboten  ,  vollkommen  überein.  Ich  hatte  Gelegen- 
heit, nicht  bloss  in  Helsiugfors,  sodern  auch  in  Lund  und  Kopenhagen  eine  grössere 
Zahl  von  Lappenschädeln  zu  untersuchen,  bei  denen  sich  durchweg  sehr  erhebliche 
Breitenindices  ergaben.  Ich  werde  hier  nur  von  denen  aus  Lund  die  Zahlen  der 
Breitenindices  angeben:  82,3,  83,2,  85,1,  81,4;  nur  2  haben  79,6  und  79,5  gehabt. 
Das  macht  im  Mittel  81,8.  Hr.  v.  Düben  (p.  172)  giebt  als  Mittel  83,5.  Die 
Messungen  hier  haben  ergeben,  dass  die  Männer  einen  Breitenindex  von  85,4,  87,4 
88,0  im  Mittel  8G,9  haben;  nur  die  Frau  ist  entschieden  schmäler  und  länger.  Sie 
hat  einen  Breitenindex  von  80,1.  Das  giebt  im  Ganzen  ein  Mittel  von  85,2,  natür- 
lich grösser,  als  an  macerirtea  Schädeln. 

Nun  verbindet  sich  mit  dieser  Kurzköpfigkeit  eine  gewisse  Niedrigkeit  des 
Schädels  im  Verhältniss  zu  den  eigentlichen  Finnen.  Jedoch  ist  der  Schädel  bei 
Weitem  nicht  so  niedrig,  wie  ich  Ihnen  das  in  der  Sitzung  vom  24.  November  an 
einer  Reihe  von  deutschen  Schädeln  vorgeführt  habe;  die  Mehrzahl  bewegt  sich  in 
Höhenindices  um  75,  nicht  wenige  sind  höher.  Bei  den  Lebenden  ist  es  schwer,  ein 
paralleles  Maass  zu  finden.  Indess  habe  ich  die  senkrechte  Höhe  des  Kopfes  von  der 
Ohröffnung  aus  gemessen,  und  so  die  Zahlen  72,0 — 72,0 — 65,9  (bei  Jona)  — 69,8  (bei 
Karim)  erhalten.  Nach  der  Vorstellung,  die  ich  im  Ganzen  bei  meinen  Ver- 
gleichungeu  gewonnen  habe,  möchte  ich  annehmen,  dass  die  niedrigeren  diejenigen 
sind,  welche  am  meisten  charakteristisch  sind,  und  dass  gerade  in  dieser  geringeren 
Höhe  ein  erheblicher  ünterscliied  der  lappischen  von  den  eigentlich  finnischen  Schä- 
deln gelegen  ist. 

Nun  möchte  ich  auf  der  andern  Seite  betonen,  dass  bei  aller  Bedeutung  dieser 
Verhältnisse  ich  ausser  Stande  sein  würde,  in  dem  eigentlichen  Gehirntheile  des 
Schädels,  also  in  der  Schädelkapsel,  so  viel  Eigenthümliches  zu  finden,  dass  ich  mir 
getrauen  möchte,  aus  jeder  Schädelkapsel,  die  mir  vorgelegt  würde,  herauszusehen, 
ob  der  Schädel  einem  Lappen  angehört  hat  oder  nicht.  Ich  betone  das,  weil  in  der 
letzten  Generalversammlung  zu  Dresden  eine  erhebliche  Differenz  in  Bezug  auf  die- 
sen Funkt  auftauchte  und  weil  auch  sonst  vielfach  aus  Schädeln,  die  in  tiefen  Lagen 


(35) 

der  Erde,  in  Mooren  und  Höhlen  gefunden  sind,  argumentirt  wird,  dass  es  lappische 
seien.  Ich  meine,  man  rauss  in  dieser  Beziehung  sich  sehr  vorsehen,  ßrachycephale 
Köpfe  sind  überall  in  Europa  verbreitet,  und  wir  sind  bis  jetzt  keineswegs  berechtigt, 
aus  der  blossen  Brachycephalie,  auch  wenn  sie  zugleich  niedriger  ist,  auf  einen 
nördlichen  Ursprung  zu  schliessen.  Analoge  Formen  finden  sich  auch  ziemlich  weit 
südlich.  Ich  habe  letzthin  aus  San  Remo  Schädel  bekommen,  die  in  Bezug  auf 
manche  Verhältnisse  der  Schädelkapsel  sich  den  lappischen  anschliessen  lassen. 

Es  ist  viel  mehr  charakteristisch,  ja  ich  meine,  es  steht  im  Vordergrunde  der 
Betrachtung  die  Gesichtsbildung.  Wie  Sie  das  aus  Ihren  eigenen  Elindrücken 
gefunden  haben  werden,  so  ergiebt  es  sich  aus  den  Messungen.  Die  ungewöhnliche 
Breite  der  Backenknochen,  die  Gesichtsbreite  im  Verhältniss  zu  der  sehr  geringen 
Höhe  des  Gesichts  fällt  sofort  auf.  Bei  den  Leuten  der  ersten  Gruppe  ist  durchweg 
die  Breite  des  Gesichts  (zwischen  den  vorstehenden  Backenknochen  gemessen)  um 
ein  Beträchtliches  grösser  als  die  Höhe  (Nasenwurzel  bis  Kinn).  Jona  hat  eine 
Höhe  von  109  und  eine  Breite  von  115,  Klemme  eine  Höhe  von  lüG  und  eine  Breite 
von  HO;  Karim  lOG  und  109,  und  der  kleine  26jährige  Dovit,  der  fast  knabenhaft 
aussieht,  der  aber,  wenn  man  ihn  seine  Künste  treiben  sieht,  durch  seine  Gewandt- 
heit und  Stärke  überrascht,  hat  89  und  i)7.  Es  ergiebt  sich  also  immer  ein  Be- 
trächtliches mehr  für  die  Breite  (die  Differenz  ist  6—4 — 3—8).  Wenn  man  die 
Sache  im  Einzelnen  prüft,  so  zeigt  sich  wieder  eine  ganz  ungewöhnliche  Dürftigkeit 
in  der  Entwickelung  der  Kieferknochen.  Alles,  was  zu  den  Kiefern  gehört,  ist  klein 
und  mangelhaft.  Der  lappische  Unterkiefer,  für  sich  betrachtet,  ist  meiner  Meinung 
nach  mehr  charakteristisch  als  der  ganze  Schädel.  Er  ist  so  klein,  der  Bogen  so 
wenig  entwickelt,  die  einzelnen  Theile  so  schwach  contourirt,  das  Kinn  so  zurück- 
tretend, dass  man  wenige  andere  Völkerstämme  den  Lappen  in  dieser  Beziehung  an 
die  Seite  stellen  kann. 

Ich  will  Sie  heute  nicht  mit  zu  vielen  Details  ermüden;  nur  in  Beziehung  auf 
einen  Punkt,  den  Herr  Schott  vorher  berührte,  möchte  ich  noch  eine  Bemerkung 
machen.  Es  ist  das  ein  Punkt,  den  ich  durch  meine  Notizen  über  die  einzelnen,  von 
mir  untersuchten  Lappeuschädel  so  eben  noch  controlirt  habe.  Gerade  in  Bezug 
auf  die  Bildung  der  Augenhöhlen  habe  ich  ein  ziemlich  auffälliges  Merkmal 
constatirt:  Die  Augenhöhlen  sind  an  sich  ziemlich  geräumig,  aber  nicht  selten  schie- 
ben sich  die  Ränder,  der  obere,  welcher  vom  Stirnbein,  und  der  untere,  welcher 
vom  Jochbein  und  vom  Oberkiefer  gebildet  wird,  so  herüber,  dass  der  Eingang  der 
Augenhöhle,  der  sonst  relativ  der  weiteste  Theil  ist  —  die  Augenhöhle  hat  gewöhn- 
lich eine  trichterförmige  Gestalt  —  ungleich  enger  ist.  Wahrscheinlich  erklärt  sich 
diess  aus  dem  Umstand,  dass  hinter  dem  Auge  wenig  Fett  liegt.  Während  bei  gut 
entwickelten  Menschen  ein  stark  entwickeltes  Fettpolster  hinter  dem  Augapfel  be- 
findlich ist,  auf  welchem  das  Auge  sich  stark  vorschiebt,  so  tritt  hier  das  Auge 
merkwürdig  tief  zurück,  wie  in  eine  Grube.  Es  hat  ausserdem  der  Eingang  der 
Augenhöhle  eine  etwas  schiefe  Gestalt  und  zwar  schief  in  der  Art,  dass  er  nach 
aussen  und  unten  eine  starke  Ausweitung  hat.  Dadurch  wird  eine  eigenthümliche 
Stellung  des  Auges  bedingt.  Die  Augenspalte  ist  etwas  nach  aussen  und  unten  ge- 
richtet. Die  Augenlider  sind  entsprechend  klein,  weil  sie  eine  geringere  Fläche 
zu  bedecken  haben.  Das  Auge  ist  gleichsam  verborgen,  es  kommt  nur  in  einer 
kleinen  Spalte  zum  Vorschein  und  erscheint  dadurch  sehr  klein,  obwohl  es  an  sich 
keine  absolut  grössere  Kleinheit  haben  mag.  Keineswegs  besitzt  es  die  eigentlich 
mongolische  Form. 

Dazu  kommt  eine  kleine  Nase,  die  doch  einen  ziemlich  breiten  Rücken  hat,    so 
dass  sie  bei  einzelnen  Individuen,  namentlich  den  kleineren,    ziemlich    weit    hervor- 

3^ 


(36) 

zutreten  scheint.  Trotzdem  ist  sie  klein.  Ich  maass  ihre  Höhe  bei  Dovit  zu  45, 
Klemme  48,  Jona  49  und  nur  bei  Karim  zu  52  Mm.  Die  Ausbildung  derselben, 
welche  verhältnissmässig  kräftig  aussieht,  ist  also  nur  eine  scheinbare  gegenüber  dem 
kleinen  und  mageren  Gesicht.  Die  absoluten  Höhen  sind  unter  den  gewöhnlichen 
Maasseu,  namentlich  der  Finnen.  Im  Uebrigen  ist  die  Nase  durchaus  nicht  in  irgend 
einer  Weise  so  gebildet,  wie  diess  sonst  bei  der  mongolischen  Rasse  zu  bemer- 
ken ist. 

Wenn  ich  damit  keineswegs  gesagt  haben  will,  dass  die  Lappen  kein  mit  den 
Mongolen  zusammenhängendes  Volk  seien,  so  wird  es  doch  Gegenstand  der  weitereu 
Untersuchung  sein  müssen,  festzustellen,  wie  sich  die  körperlichen  Verhältnisse  der 
finnischen  Stämme  bis  tief  gegen  den  Osten  hin  im  Einzelnen  gestalten.  Wenn  Hr. 
Schott  in  Beziehung  auf  die  linguistische  Seite  betont,  dass  die  Stämme  am  Ural 
den  Lappen  näher  stehen  als  die  eigentlichen  Finnen,  eine  Ansicht,  die  auch  die 
finnischen  Linguisten,  wie  ich  aus  ihrem  eigenen  Munde  weiss,  theilen,  so  ist  es  um 
so  mehr  auffallend,  dass,  soweit  unsere  jetzigen  Kenntnisse  über  den  Schädelbau 
reichen,  gerade  hier  die  grössten  Differenzen  vorhanden  sind,  indem  die  uralischen 
Stämme  ausgesprochen  laugköpfig  zu  sein  scheinen.  Immerbin  war  es  sehr  erwünscht, 
und  ich  denke,  Sie  alle  werden  es  als  eine  nicht  unwichtige  Erweiterung  Ihrer  Er- 
fahrungen auch  in  Bezug  auf  die  grossen  craniologischen  Fragen,  welche  im  Augen- 
blick unsere  Wissenschaft  bewegen,  betrachten,  dass  wir  Lappen  durch  unmittel- 
bare Anschauung  kenneu  gelernt  haben.  Es  ist  das  viel  mehr  werth,  als  tausend 
blosse  Beschreibungen. 

Das  wird  nun  wohl  allseitig  anerkannt  werden,  dass  die  Erscheinung  der  Lappen 
eine  wesentlich  andere  ist,  als  wir  sie  in  irgend  einem  Theile  unseres  Vaterlandes 
oder  in  irgend- einem  der  benachbarten  Culturländer  Europas  antreffen.  Ich  bleibe 
also  dabei,  dass  bis  jetzt  nichts  direkt  dafür  spricht,  dass  ehemals  eine  lappische 
Bevölkerung  ganz  Europa  überzogen  habe.  Wie  weit  eine  vielleicht  verwandte  mon- 
golische oder  selbst  finnische  Bevölkerung  da  gewesen  ist,  das  ist  eine  andere  Frage. 
Aber  ich  meine,  wir  werden  auch  hier  daran  festhalten  müssen,  dass  unter  den 
uns  bekannten  finnischen  Stämmen  keiner  ist,  der  dem  Typus  entspricht, 
den  wir  als  herrschenden  in  älteren  Gräbern,  in  der  Tiefe  unserer  Moore,  in  den 
prähistorischen  Höhlen  vorfinden. 

Schliesslich  bemerke  ich  noch,  dass  ich  mich  für  verpflichtet  gehalten  habe, 
nachdem  wir  uns  von  der  Zuverlässigkeit  der  Leute  überzeugt  haben,  ihnen  auch  ein 
Zeugniss  darüber  auszustellen.     Die  Herren  des  Vorstandes  sind  dem  beigetreten.  — 

Herr  Steiutlial:  Ich  möchte  mir  eine  Frage  erlauben,  welche  sich  hier  kurz 
erledigen  lässt.  Ich  meine,  man  muss  bei  Entscheidung  allgemeiner  Fragen  sehr 
vorsiclitig  sein;  aber  ich  denke  doch,  man  soll  jeden  einzelnen  Fall  dahin  prüfen, 
wie  viel  man  daraus  lernen  kann.  Die  Frage  ist,  ob  das  richtig  ist,  was  ich  aus  dem 
schliesse,  was  uns  heute  Abend  vorgetragen  ist.  Ich  will  die  Frage,  ob  Finnen, 
Lappen,  Esten  und  Mongolen  verwandt  sind,  noch  ganz  bei  Seite  lassen,  aber  ich 
glaube,  ea  müsste  in  irgend  einer  Korrn  über  das  Verhältniss  der  Lappen  zu  den 
Finnen  und  Esten  eine  Entscheidung  getroffen  werden.  Die  Sprachforschung  spricht 
die  Verwandtschaft  der  Lappen  mit  den  Finnen  ganz  entschieden  aus;  ebenso  die 
Sageuforschung  und  die  Volksdichtung,  wie  uns  Hr.  Schott  schon  vorgetragen  hat. 
Nichtsdestoweniger  steht  dieser  nahen  Verwandtschaft  der  Sprachen-  und  Sagenfor- 
schung und  der  Volksdiciituug  eine  sehr  grosse  physische  Differenz  gegenüber. 
Nun  aber,  wie  ich  höre,  scheint  die  physische  Differenz  derartig  zu  sein, 
dass  wir  annehmen   müssen,  die  Lappen  sind  ein  degradirter  Volksstamm,  der  durch 


(37) 

Mangel  physisch  heruntergekommen  ist.  Wir  hätten  also  hier  wenigstens  ein  ganz 
sicheres  Beispiel,  dass  der  Bau  der  menschlichen  Schädel,  die  ganze  Kopfform  und 
Alles,  was  dahin  gehört,  so  herabsinken  kann,  dass  man  fast  dahin  kommt,  zu  glau- 
ben, er  sei  nun  in  einen  ganz  anderen  Rahmen  gerathen,  er  stimme  nicht  mehr  in 
seiner  gegenwärtigen  Eigenschaft  mit  den  Völkern  überein,  denen  er  ursprünglich 
angehört  hat.  Wir  dürften  dann  allerdings,  wenn  wir  eine  niedrig  stehende  Men- 
schenrasse sehen,  nicht  kurzweg  sagen.  Alles,  was  niedrig  steht,  ist  nicht  ursprüng- 
lich, sondern  wir  müssten  iu  diesem  Falle  erweisen  können  und  die  Möglichkeit 
zugestehen,  dass,  wenn  wir  irgendwo  eine  elende  Menschenrasse  sehen,  ihr  Zustand 
nur  die  Folge  eines  Gesunkenseins  ist  und  nicht  einen  ursprünglichen  Zustand  dar- 
stellt. Wenn  wir  nun  festhalten,  dass  die  Lappen  ursprünglich  so  gut  gebildet  waien 
wie  die  Finnen,  so  entspricht  diese  physiologische  Veränderung  dem  Umstände  sehr 
gut,  dass  sie  sprachlich,  wie  es  scheint,  sich  conservativer  verhalten  haben ;  denn 
das  sprachlich  Conservative  geht  gerade  Hand  in  Hand  mit  einer  ausserordentlichen 
Verarmung.  Wenn  der  Körper  verarmt,  so  klammert  er  sich  fest  an  das  an,  was 
er  einmal  besitzt  und  nimmt  weniger  Veränderungen  vor,  weil  er  weniger  produciren 
kann.  Die  Frage  ist  also:  dürfen  wir  annehmen,  dass  in  der  That  die  Lappen  voll- 
ständig zu  den  Finnen  gehören  und  degradirte  Finnen  sind?  Dann  dürfen  wir  uns 
nicht  wundern,  dass  selbst,  wenn  einmal  die  Lappen  in  dem  ganzen  Norden  Euro- 
pas his  an  die  Alpen  gewohnt  haben,  wir  davon  keine  Spur  sehen;  denn  von  diesen 
Lappen,  die  wir  heute  kennen,  dürfen  wir  nicht  annehmen,  dass  sie  weit  verbreitet 
waren;  damals  war  noch  keine  Veranlassung  zu  dieser  Versunkenheit.  Ich  möchte 
wissen,  ob  diese  Schlüsse,  die  ich  ziehe,  berechtigt  sind,  nach  dem,  was  ich  heute 
erfahren  habe. 

Herr  Virchow:  Was  mich  betrifft,  so  bin  ich  gern  bereit,  darauf  zu  antworten. 
Ich  gehe  nicht  so  weit  in  der  Bestimmtheit  meiner  Erklärungen,  wie  Hr,  Steinthal 
annimmt.  Ich  sage,  ich  habe  von  jeher  von  den  Lappen  den  Eindruck  einer  patho- 
logischen Rasse  gehabt.  Ich  habe  ihn  heute  besonders  gehabt  und  halte  ihn  für 
wahrscheinlich  richtig.  Nichtsdestoweniger  kann  ich  nicht  beweisen,  dass  hier 
eine  Degradation  vorliegt;  denn  ich  müsste.dann  eine  regelmässige  Series  von  For- 
men haben,  um  an  ihnen  nachzuweisen,  wie  der  Typus  heruntergekommen  ist.  Die- 
ses kann  ich  nicht;  also  befinde  ich  mich  in  der  Lage  Darwins.  Ich  kann  die 
Nebeneinanderstellung  bis  zu  einem  gewissen  Grade  durchführen,  aber  die  Nachwei- 
sung des  üeberganges  von  Form  zu  Form  nicht  thatsächlich  darstellen.  Nichtsdesto- 
weniger habe  ich  schon  in  meiner  ersten  Publikation  über  die  Lappen  (Archiv  für 
Anthropologie.  Bd.  IV.  S.  74)  gesagt:  wenn  es  irgendwo  in  der  Ethnologie  einen 
Fall  giebt,  der  für  die  Darwin 'sehe  Interpretation  geeignet  erscheint,  so  dürften 
es  gerade  die  Lappen  sein.  Ich  würde  es  vollkommen  im  Gange  meiner  Ideen  hal- 
ten, wenn,  wie  Hr.  Steinthal  voraussetzt,  die  Lappen  in  älteren  Zeiten  eine  bessere 
Organisation  gehabt  haben.  Nur  kann  ich  nicht  so  weit  gehen,  dass  ich  behaupte, 
diesen  Nachweis  schon  geliefert  zu  haben.  Vielmehr  ist  das  eine  Reihe  von  Schlüs- 
sen, die  ich  auf  einander  baue  und  zu  denen  ich  Erfahrungen  zu  Hülte  nehme, 
welche  wir  gelegentlich  in  pathologischen  Fällen  machen,  z.  B.  bei  Rachitis,  welche 
allerdings  manche  Aehulichkeit  darbietet.  Leider  ist  vorläufig  noch  kein  sicherer 
Nachweis  des  üeberganges  zu  führen.  Nach  dem  mir  bekannten  Material  von  Finnen 
und  Lappen  kann  ich  nicht  sagen,  dass  mir  irgendwo  lebendige  Finnen  oder  Finuen- 
schädel  von  unzweifelhaft  reiner  Rasse  vorgekommen  wären,  welche  Erscheinungen  dar- 
geboten hätten,  wie  ich  sie  Ihnen  vorher  von  lebenden  Lappen  und  Lappenschädeln 


(38) 

beschrieben  habe.  Die  Möglichkeit  des  Ueberganges  halte  ich  aufrecht,  aber  die 
ünähnlichkeit  erscheint  vorläufig  noch  grösser,  als  die  Aehnlichkeit.  Es  ist  in  der 
That  immer  noch  möglich,  aus  einer  Reihe  neben  einander  befindlicher  Schädel  von 
Finnen  und  Lappen,  ohne  etwas  von  ihrer  Herkunft  zu  wissen,  die  einzelnen  zu 
klassificiren  und  die  beiden  Gruppen  von  einander  zu  trennen. 

Was  die  Esten  anbetrifft,  so  liegt  die  Sache  ungleich  schwieriger,  weil  sie  über- 
haupt nichts  so  Charakteristisches  und  specifisch  Eigenthümliches  haben,  wie  die 
andern.  Sie  zeigen  viel  mehr  Variationen,  und  es  ist  mir  vorläufig  noch  gänzlich 
unklar,  ob  diese  Variationen  auf  alte  Mischungsverhältnisse  mit  anderen  Rassen  hin- 
weisen. Jedenfalls  zeigen  sie  gegenüber  den  eigentlichen  Finnen  so  grosse  Differen- 
zen, dass  die  Magyaren  ihrer  physischen  Bildung  nach  den  Finnen  ungleich  näher 
stehen,  als  den  zwischen  sie  eingeschobenen  Esten.  Während  also  Hr.  Schott  eine 
grössere  linguistische  Aehnlichkeit  zwischen  Lappen  und  Magyaren  konstatirt,  als 
zwischen  Lappen  und  Finnen,  so  viel  ich  verstanden  habe,  so  ist  physisch  das  Ver- 
hältniss  ein  umgekehrtes.  Die  Magyaren  stehen  den  Finnen  näher  und  die  Lappen 
erscheinen  weiter  von  ihnen  entfernt.  Ich  denke  also  nicht,  dass  wir  schon  gegen- 
wärtig in  der  Lage  sind,  eine  bestimmte  Formulirung  nach  feststehenden  Verhältnis- 
sen aufzustellen. 

Wenn  ich  eine  kurze  Betrachtung  angestellt  habe  in  Beziehung  auf  die  alten  euro- 
päischen Völker,  so  will  ich  zugestehen,  dass  die  Verweisung  auf  die  gegenwärti- 
gen Lappen  nicht  ganz  sicher  ist.  Aber  man  muss  doch,  um  die  prähistorischen 
Europäer  als  mongolisch  zu  bezeichnen,  irgend  einen  bestimmten  Stamm  zur  Ver- 
gleichung  wählen,  also  z.  B.  die  Lappen  oder  die  Finnen  oder  die  Esten.  In  der 
That  sind  die  prähistorischen  Völker  einmal  den  Lappen,  ein  anderes  Mal  den  Fin- 
nen und  dann  wieder  den  Esten  gleichgesetzt  werden,  weil  sich  immer  neue  Typen 
herausstellten  imd  es  sich  ergab,  dass  gewisse  frühere  Prämissen  falsch  waren.  Ich  kann 
aber  sagen,  dass  nirgends  bis  jetzt  eine  in  sich  zusammenhängende  Gruppe  älterer 
Schädel  gefunden  ist,  welche,  sei  es  der  finnischen,  sei  es  der  lappischen,  sei  es  der 
estnischen  Form  vollkommen  entsprechen.  Desshalb,  meine  ich,  haben  wir  keinen 
Grund,  die  ganz  allgemeine  Wahrscheinlichkeit  zu  verfolgen,  dass  jemals  Lappen  bis 
an  die  Pyrenäen  gewohnt  haben.  Als  Naturforscher  können  wir  nichts  weiter  thun, 
als  dass  wir  uns  an  die  Thatsachen  halten  und  aus  den  Thatsachen  argumentiren ; 
diese  Thatsachen  sprechen  aber  meines  Erachtens  gegen  eine  solche  Annahme.  Es 
ist  aber  selbstverständlich,  dass  in  einem  an  sich  so  schwierigen  Gebiet  neue  Erfah- 
rungen diese  Vorstellung  gänzlich  erschüttern  könnten.  Wenn  z.  B.  beim  weiteren 
Studium  der  uralischen  Stämme  sich  ganz  andere  Thatsachen  herausstellten,  wenn 
noch  grössere  Verschiedenheiten,  als  wir  sie  bis  jetzt  kennen,  zwischen  den  finni- 
schen Stämmen  hervorträten,  so  würde  es  denkbar  sein,  dass  damit  eine  Verwandt- 
schaft auch  der  Aboriginer  Europas  mit  diesen  Stämmen  herzustellen  wäre.  Aber 
im  Augenblicke  können  wir  dies  nicht,  und  desshalb  sage  ich:  wir  haben  vorläufig 
für  die  südlichen  Brachycephalen,  wie  sie  in  Frankreich  und  Italien  vorkommen, 
durchaus  keinen  Grund,  anzunehmen,  dass  das  Lappen  gewesen  seien,  da  wir  in  den 
Ligurern  einen  brachycephalen  Stamm  kennen,  von  demNiemand  hat  nachweisen  können, 
dass  er  in  Verbindung  mit  einer  finnischen  oder  mongolischen  Bevölkerung  gestanden  habe. 
Für  die  Brachycephalen  des  mittleren  Europa  liegt  die  finnische  Verwandtschaft  räum- 
lich allerdings  näher,  aber  es  fehlt  dieser  Annahme  sowohl  der  historische,  als  der 
physische  Nachweis.  Sind  die  Lappen  früher  gewöhnliche  Finnen  gewesen,  so  kann 
man  sie  prähistoriscli  nicht  Lappen  nennen,  und  die  physische  Forschung  hätte  sich 
nur  auf  die  Finnen  zu  beschränken.     Man  bewegt  sich    hier    also    in    einem    Zirkel, 


(39) 

und    man     kommt    schliesslicli    zu    Widersprüchen,     wie    ich    sie    in    Finland    fand, 
wo  die  arischen  Zigeuner  „schwarz"  und  die  ,, mongolischen"  Finnen  blond  sind. ') 


')  Taf.  IV  giebt  die  Umrisse  der  Köpfe  der  Lappen,  mit  dem  Allier' sehen  Conformateur 
durch  Hrn.  Woldt  gewonnen  1.  Dovit,  2.  Kaisa,  3.  Ippa,  4.  Jona,  ^>.  Karim,  6.  Aennta, 
7.  Heunta,  8.  Klemme.  Davon  sind  Nr,  2,  3,  4  und  6  weiblich,  tJ  und  7  die  Eltern  von  8. 
Die  Maasse  dieser  Umrisse  stimmen  nicht  mit  den  direet  gewonnenen  Maassen  und  die  Um- 
risse gewähren  daher  kein  vollkommenes  Bild  der  Kopfformen.  Wahrscheinlich  liegt  diess 
daran,  dass  die  grösste  Breite  nicht  in  derselben  Ebene  mit  der  grössten  Länge  liegt  und  dass 
die  Längenebene  entscheidend  gewesen  ist.  Immerhin  ist  es  interessant  zu  sehen,  wie  sehr 
auch  hier  die  Hutebene  in  Form  und  Grösse  wechselt,  und  namentlich  wie  verschieden  gross 
hei  den  einzelnen  Individuen  die  Grösse  der  Stirn  ausfällt,  während  das  Hinterhaupt  eine 
grosse  Constanz  der  Bildung  zeigt. 


Sitzung  vom  20.  März  1875. 
Vorsitzender  Herr  Virchow. 

(1)  Die  Herren  John  Evans  und  Hart  danken  für  ihre  Ernennung  zu  cor- 
respondirenden  Mitgliedern. 

Als  ordentliches  Mitglied  wird  angemeldet 

Herr  Jose  de  Perozo  y  Figueras  aus  Cuba. 

(2)  Das  Kriegsministerium  hat  die  erbetene  Veranstaltung  von  Erhebungen  über 
die  Farbe  der  Augen,  der  Haare  und  der  Haut  der  eingestellten  Rekruten  als  mit 
dem  dienstlichen  Interesse  unvereinbar  abgelehnt. 

Dagegen  hat  der  Herr  Cultusminister  angeordnet,  dass  derartige  Erhebungen  in 
allen  Schulen  des  preussischen  Staates  vorgenommen  werden  sollen. 

(3)  Herr  Lanin,  Photograph  zu  Nicolajewsk  am  Amur,  übersendet  als  Probe 
zwei  von  ihm  angefertigte  Photographien,  nehmlich  chinesische  Exilirte  von  Mansej 
an  der  russischen  Grenze  und  eine  Ansicht  des  Flusses  ügoifun.  Beide  sind  sehr 
wohl  gelungen.  Er  theilt  gleichzeitig  mit,  dass  er  während  eines  zwanzigjährigen 
Aufenthaltes  am  Amur  zahlreiche  Photographien  aufgenommen  habe  und  dass  soeben 
ein  Album  mit  Ansichten  und  Typen  von  den  südlichen  Küsten  und  von  der  Gegend 
des  Ursprunges  des  Flusses  üssuri  im  Abdruck  sei.  Er  erbietet  sich,  gelehrten  Ge- 
sellschaften, Redactionen  und  einzelnen  Personen  diese  Photographien  abzulassen  und 
wegen  des  Verlagsrechtes  mit  ihnen  in  Beziehung  zu  treten. ') 


')  Preis-Courant. 

40  Bilder,  Ansichten  von  Ufern  und  Städten,  Dörfern  und  Buchten  im  Laufe  des  Amur  von 
der  Stadt  Stretensk  bis  Nicolajewsk.    Jedes  Bild  zu  2  Rubel. 

50  Bilder  von  Typen,  Gruppen,  Waffen,  Seenen  und  Göttern;  Scenen  aus  dem  Leben  der  Ein- 
wohner, welche  diese  Gegend  bewohnen.     .Jedes  Bild  zu  3  Rubel. 

40  Bilder  von  südlichen  Häfen:  Dekastri,  Imperatorskoi  (kaiserlich),  Sta.  Olga;  Ansichten  von 
Sachalin,  Wladiwostok;  von  dem  See  Channa;  Ansichten  am  Flusse  Ussuri  und  von  Bewoh- 
nern dieses  Landes.    Jedes  Bild  zu  3  Rubel. 

Vollständiges  Album   der  besten   Bilder,   Ansichten  und  Typen  der   Amur'schen    Gegend,    der 
südlichen  Häfen  und  der  Gegend  am  oberen  Ussuri,    100  Bilder  240  Rubel,  120   Bilder  280 
Rubel. 
Alle  die  obengenannten  Bilder  werden   sofort  abgeschickt  nach   Empfang  des   Geldes    oder 

nach  Empfang  eines  Telegrammes,  dass  das  Geld  abgeschickt  ist. 

Adresse:  Nicolajewsk  am  Amur,  photographische  Anstalt  Wladimir  Wasiljewitsch  Lanju. 

Telegramme  adressire  man:  Nicolajewsk,  Lanin. 


(41) 

(4)  Herr  Hart,  Cornill  üniversity,  befindet  sich,  brieflichen  Nachrichten  des- 
selben zufolge,  wieder  in  Brasilien,  um  seine  geologischen  und  ethnologischen  For- 
schungen in  grösserer  Ausdehnung  aufzunehmen.  (Janz  besonders  beabsichtigt  er,  die 
Muschelberge  von  Santos  zu  untersuchen.  Er  hat  im  südlichen  Minas  eine  ßegräb- 
nissgrotte  ausgeräumt  und  3  Skelete  daraus  gewonnen,  ein  in  einer  Hängematte  be- 
stattetes, ein  in  Rinde  und  Palmblätter  eingehülltes  und  ein  in  einem  Topf  beigesetztes. 

(5)  Herr  Klopfleiseh  übersendet  d.  d.  Jena,  19.  März,  dem  Vorsitzenden  eine 
Reihe  von  Bemerkungen  über 

thüringische  nud  schlesiächc  Fände. 

1)  In  Betreff  des  Berichtes  des  Hrn.  Dr.  Voss  (Sitzung  vom  17.0ct.  1874)  über 
die  fortgesetzten  Ausgrabungen  im  Braunshain  muss  ich  betonen,  dass  ich 
keineswegs  behauptet  habe,  dass  der  Charakter  der  Braunshainer  Gräber  die 
Leichenbestattung  als  durchgehende  Flegel  erscheinen  lasse;  wohl  aber  muss 
ich  ausdrücklich  wiederholen,  dass  der  eine  (zuerst  geöffnete)  Grabhügel  un- 
zweifelhafte Reste  eines  menschlichen  (kindlichen)  Begräbnisses  barg;  die 
ganze,  deutlich  erkennbare  Beisetzungs-Erdgrube  war  mit  zwar  sehr  mürben, 
zerfallenden,  aber  doch  deutlich  die  Formen  der  menschlichen  Species  zeigen- 
den Knochenresten  in  ihrer  ganzen  Länge  durchsetzt,  ja  sogar  ein  mensch- 
licher „Milch"-ßackenzahn  wurde  dieser  Grube  entnommen,  der  aber  leider 
von  dem  Platze,  wo  die  Fundgegenstände  deponirt  wurden,  entwendet  oder 
durch  die  zahlreichen,  unliebsamen,  neugierigen  Zuschauer  „verlegt"  worden 
ist.  Es  steht  übrigens  fest,  dass  es  eine  Art  von  Leichenbestattung  gab,  wo 
über  dem  leicht  mit  Erde  bedeckten  Leichnam  ein  Feuer  angefacht  wurde, 
welches  die  Knochen  des  Beerdigten  mehr  oder  weniger  stark  calcinirte,  wovon 
deren   Vergänglichkeit  in  feuchter  Erde  sehr  abhängig  ist. 

2)  In  Betreff  der  in  der  Sitzung  vom  14.  Nov.  1874  von  Ihnen  besprochenen  und 
abgebildeten  bemalten  Posener  Thongefässe,  welche  auffallend  an  die 
Schlesischen  im  Germanischen  Museum  zu  Jena  erinnern,  dürfte  doch  auch 
an  die  von  Prof.  Conze  in  "Wien  besprochenen  und  in  den  Sitzungsberichten 
der  "Wiener  Akademie  1870  abgebildeten  altgriechischen  Thongefässe  zu  er- 
innern sein.  Ich  bin  der  Meinung,  dass  die  betreffende  Ornamentik  weniger 
als  ur-arisch,  wie  Conze  will,  zu  bezeichnen  ist,  sondern  eher  den  Zeiten 
angehört,  wo  die  griechischen  und  italischen  Völker  noch  mit  den  Kelten, 
welche  ja  sprachlich  zu  dieser  Gruppe  gehören  (Schleicher),  noch  eine  zusam- 
menhängende Völkergruppe  bildeten,  da  dieselbe  Ornamentik  auch  auf  galli- 
schem Boden  und  in  den  Schweizer  Pfahlbauten  nachklingt,  während  sie  z.  B. 
in  den  reingermanischen  mitteldeutschen  Gegenden  gänzlich  fehlt;  hier 
aber  tritt  dafür  während  der  Bronzezeit  vielfach  eine  weitgehende,  unmöglich 
zufällige  Aehnlichkeit  mit  den  Thongefässen  auf,  die  Schliemann  in  Klein- 
asien („Troja")  ausgegraben  hat.  In  diesen  dürfte  weit  eher  ein  ur-arisches 
Element  stecken,  als  in  den  von  Conze  abgebildeten  Produkten  altgriechischer 
Keramik.  —  Das  eigenth  ümliche  Y-Zeichen,  welches  dem  Triquetrum 
ähnlich  ist,  kommt  übrigens  ähnlich  auch  unter  den  altitalischen  Schriftzeichen 
vor  für  einen  aus  K  entstandenen  palatalen  Laut  (wie  das  Sanskrit  <;),  in  der 
Form  von  ^,  d.  h.  von  einem  lateinischen  S  mit  einem  kleinen  vorgesetzten 
Haken  (Vgl.  W immer,  ruuenskriftens  oprindelse  etc.,  Kopenhagen  1N74,  S.  51). 

3)  Was  ferner  die  in  demselben  Berichte  von  Ihnen  erwähnte  ,  auch  von 
mir  schon  öfters  beobachtete  See-Igel-Ornamentik  anbelangt,  auf  welche 
ich  auch  vor  kurzem  mit  Hrn.  Professor  Haeckel  hier  zu  sprechen  kam,  so 


(42) 

erwähne  ich  noch,  dass  ausser  an  dänischen  Gefässen  der  Steinzeit  auch 
die  altägyptische  Ornamentik  Aehnliches  aufweist,  besonders  auch  die  Verzie- 
rungsform (der  Kreis,  der  von  Punkten  umsäumt  ist).  Unser  Germanisches 
Museum  zu  Jena  besitzt  einen  versteinerten  Echinus,  welcher  in  einer  Urne, 
angeblich  mit  Stein -Utensilien  im  Anhalt'schen  gefunden  ist,  und  eine  Bronze- 
nadel (Fibula)  aus  Schlesien,  deren  runde  convexe  Verzierungsplatte  genau 
die  Form  und  natürliche  Felder-Ornamentik  mit  den  punktirten  Streifen  eines 
Echinus  wiedergiebt, 
4)  In  Betreff  Ihres  Vortrages  über  Ausgrabungen  zu  Weissenfeis  (Sitzungsbericht 
vom  18.  Nov.  1874)  möchte  ich  noch  ergänzend  hinzufügen,  dass  in  Thüringen 
doch  auch  noch  westlicher,  als  Sie  angeben,  Urnenfelder  mit  Leichenbrand  sich 
finden;  so  habe  ich  z.  B.  erst  kürzlich  (im  vorigen  Jahre)  dicht  bei  Jena  an 
zwei  örtlich  ganz  entgegengesetzt  liegenden  Stellen  durch  den  Saal-Eisenbahn- 
Bau  aufgedeckte  Urnenfelder  zu  Gesicht  bekommen,  von  denen  das  eine,  in 
der  tiefen  Saal-Aue  (nach  Löbstedt  zu),  das  andere  auf  einem  Thal-Abhange, 
etwa  60  Fuss  über  dem  Saalspiegel  zwischen  der  Rasenmühle  und  Lichtenhain 
liegt.  Letzteres  scheint  von  grosser  Ausdehnung  zu  sein  und  verspricht  reiche 
Ausbeute  bei  einer  in  baldige  Aussicht  genommenen  Ausgrabung.  Es  fanden 
sich  hier  besonders  Bronzesachen  (sehr  verschlackt)  und  als  Schmuck-Amulete 
durchbohrte  Flussmuscheln,  während  bei  Löbstedt  Eisen-  und  Bronzesachen 
in  Combination  gefunden  wurden.  Auch  habe  ich.  schon  an  anderen  Stellen 
des  westlichen  Thüringen  (z.  B.  Vippach-Edelhausen  hinter  Weimar,  und  bei 
Geisa  in  der  Rhön  u.  a.  0.)  Urnenbegräbnisse  mit  Leichenbrand  gefunden. 
Immerhin  aber  bleibt  es  auffallend,  dass  in  Thüringen  die  Leichenbestattung 
verhältnissmässig  viel  häufiger  ist,  als  der  Leichenbrand. 

(6)  Das  eben  eingetroffene  Heft  VI  der  „Mittheilungen  der  deutschen  Gesell- 
für Natur-  und  Völkerkunde  Ostasiens"  enthält  unter  anderen  interessanten  Abhand- 
lungen einen  Aufsatz  des  Hrn.  Dönitz  über  die  Aino. 

(7)  Herr  Virchow  legt  photographische  Abbildungen  eines  von  Hrn.  Wagner 
aus  Venezuela  eingesendeten,  angeblich  in  einem  See  gefundenen  thönernen  Idoles 
vor.  Er  sah  dasselbe  im  Hallischen  Museum  und  Hr.  Opel  hat  die  Güte  gehabt, 
es  auf  seinen  Wunsch  photographiren  zu  lassen.  Eine  Abbildung  davon  soll  in  den 
„Neuen  Mittheilungen"  erscheinen. 

(8)  Hr.  Hartmann  berichtet  über  eine  Anzahl  im  anatomischen  Museum  zu 
Berlin  befindlicher,  noch  mit  den  Weicbtheilen  bedeckter 

Köpfe  von  Mulatten  und  Negern  aus  Bahia. 

Dieselben  wurden  zum  Theil  schon  in  dem  1835  erschienenen,  interessanten,  auch 
vieles  Originale  enthaltenden  Werke  Gottfried  Schadow's:  „Nationalphysiognomien" 
in  den  eigenthümlich  markigen  Contouren  des  Meisters  bildlich  dargestellt  und  auf 
S.  28  ff.  des  zugehörigen  Textes  kurz  beschrieben.  Nach  den  Ermittelungen,  welche 
Vortragender  zum  Theil  unter  Beihülfe  des  verewigten  Prinzen  Adalbert  von  Preusseji 
angestellt,  war  die  Gelegenheit,  bei  welcher  jene  Köpfe  erlangt  wurden,  die  folgende: 
„In  den  1830er  und  späteren  Jahren  waren  in  den  nördlichen  und  mittleren  Provin- 
zen Brasiliens  wiederholte  Aufstände  ausgebrochen,  welche  zum  Theil  die  Errichtung 
einer  Föderativ-Republik  bezweckten.  Die  meisten  dieser  Aufstände  lehnten  sich  an 
die  sogenannte  Cabano-Revolution  in  den  Gebieten  des  oberen  und  unteren  Amazo- 
nenstromes.    Hauptsächlich  waren  es  nun  die  Farbigen,    welche  bei  diesen  Kämpfen 


(43) 

in  den  Reihen  der  Aufständischen  fochten,  alle  jene  Mulatten,  Mestizen,  Kafusos, 
Mamraelukos,  Indios,  Negros  u.  s.  w.  Im  Jahre  18l:i2  kam  es  auch  in  den  Strassen 
Bahias  zum  Kampf  und  es  wurden  von  den  siegreichen  kaiserlichen  Truppen  bei  dieser 
Gelegenheit  eine  Anzahl  aus  einem  Sklavenbagno  ausgebrochener  afrikanischer 
Schwarzer  theils  in  der  Hitze  des  Kampfes  getödtet,  theils  kurz  nach  Beendigung 
desselben  standrechtlich  erschossen.  Ein  gewisser  v.  Schotzky  wusste  sich  die 
Köpfe  einiger  der  Getödteten  zu  verschaffen,  welclie  dann  in  das  anatomische  Museum 
der  Berliner  üniversit'ät  gelangten.  Dieselben  sind  noch  heut  ziemlich  gut  erhalten 
und  zeigen  im  Antlitz  zum  Theil  selbst  noch  solche  Verzerrungen,  wie  sie  bei  ge- 
waltsamer Todesart  wohl  entstehen  können.  Es  sind  darunter  Köpfe  von  Negros 
Novos,  d.  h.  von  frisch  angekommenen,  welche  noch  die  ursprünglichen  Stammesab- 
zeichen tragen  und  als  typisch  gegenüber  jenen  Kreolnegern  betrachtet  werden 
dürfen,  welche,  im  Lande  geboren,  im  Verlauf  der  Geschlechtsfolgeu  ihren  heimath- 
lichen  Charakter  doch  manchmal  wesentlich  ändern  oder  auch  gänzlich  einbüssen. 
Vortragender  legte  nun  die  in  natürlicher  Grösse  mittelst  des  Lucae' sehen  Appa- 
rates aufgenommenen  und  in  ihrer  etwas  verblichenen  Färbung  der  Haut  wiederge- 
gebenen Portrait«  von  fünf  Individuen  vor.  Von  jedem  Kopfe  verfertigte  Hr.  Hart- 
mann eine  genaue  Profil-  und  eine  genaue  Face-Ansicht.  Er  fand  Gelegenheit, 
einige  dieser  Portraits  später  mit  gut  photographirten,  denselben  Nationalitäten  ange- 
hörenden zu  vergleichen,  welche  Untersuchung  ein  günstiges  Resultat  hinsichtlich 
der  typischen  Beschaffenheit  jener  Weingeistpräparate  ergab.  Gezeichnet  wurden  die 
Köpfe 

1)  eines  Knaben  aus  Cabenda, 

2)  eines  jungen  Mädchens  aus  Angola, 

3)  eines  Monjallo-Mannes, 

4)  eines  Mannes  mit  der  Bezeichnung  „Mina", 

5)  eines  sogenannten  Knopneuzen  oder  Makaopa. 

Der  Haarwuchs  an  Haupt  und  Bart,  die  Augenbrauen,  Wimpern,  die  Gestaltung 
der  Lippen,  Ohren  u.  s.  w.  Hessen  sich  in  so  grossem  Maassstabe  genauer  wieder- 
geben. Der  sogenannte  Mina-Neger  erinnert  mit  seinen  die  Kreuz  und  Quer  über 
Stirn  und  Wangen  laufenden  Schnittnarben  an  jene  Sucrutched  faces  oder  Bantetje 
(im  Schintetje),  von  denen  uns  Prof.  Bastian  im  I.  Bande  seines  neuesten  Reise- 
werkes über  die  Loangoküste  S.  136  und  314  berichtet.  Am  Knopneuzen,  welchen 
auch  der  in  der  Sitzung  anwesende  Missions-Inspektor,  Hr.  Merensky  als  einen 
solchen  in  Anspruch  nehmen  zu  dürfen  glaubte,  laufen  eine  Menge  knopfförmiger, 
warziger  Erhabenheiten  in  nicht  ganz  regelmässigen  Abständen  von  dem  behaarten 
Stirnrande  bis  zur  Nasenspitze. 

Nach  Hrn.  Missionar  Endemann's  brieflicher  Mittheilung  an  den  Vortragenden 
wird  bei  anderen  Knopneuzen  diese  mediane  Längsreihe  von  „Knöpfen"  auch  durch 
quer  über  den  mittleren  Theil  des  Antlitzes  ziehende  Reihen  gekreuzt.  Einer  älte- 
ren Nachricht  zufolge  sollen  diese  den  A-Bäntu  zugehörenden  Schwarzen  ihre  Haut 
kreisförmig  einschneiden  und  die  dergestalt  abgegrenzten  Hautinselchen  durch  Ein- 
klemmung in  den  entsprechend  vollführten  Ausschnitt  einer  beim  Eintrocknen  allmäh- 
lich zusammenschrumpfenden  Fruchtschaale  isolirt  und  dadurch  zur  Erzeugung  einer 
warzenartigen  Hervorragung  gebracht  werden.  Nach  einer  anderen  Darstellung,  wel- 
cher auch  Hr.  Merensky  seinen  Beifall  giebt,  wird  die  Haut  des  Gesichtes  au  be- 
stimmten Stellen  nur  halbkreisförmig  incidirt  und  durch  methodisches  Emporbinden 
zur  Erzeugung  der  Knöpfe  gezwungen.  Die  üppige  Ausbildung  der  letztern  bei  dem 
abgebildeten  Individuum  lässt  au  eine  gleichzeitig  mit  der  Entwicklung  der  Knöpfe 
erfolgte  leichte  KeloidbüduQg  denken.     Nach  Hrn.    Merensky    legen    übrigens    die 


(44) 

von  den  Amazulu  unterjochten  Makaopa  diese  verunstaltende  Sitte  jetzt  allmählich  ab. 

"Wie  nun  u.  A.  eine  der  Gesellschaft  präsentirte,  von  Hrn.  Maler  Klingelhöfer 
aufgenommene  Photographie  beweist,  finden  sich  derartige  Verunstaltungen  auch  bei 
im  südlichen  Kongo  wohnenden  Stämmen.  Zu  letzteren  scheinen  denn  auch  ein 
von  Biard  abgebildeter,  ferner  ein  von  Agassiz  in  dessen  brasilianischem  Reise- 
werke (nach  einer  in  Brasilien  gangbaren,  auch  im  Besitze  des  Vortragenden  befind- 
lichen Photographie)  xylographisch  wiedergegebenen  „Negro  Novo",  sowie  ein  im 
Dammann' sehen  Album  (Heft  ,  Blatt  )  dargestellter  Sklave  von  Pernambuco 
zu  gehören. 

Vortragender  legte  ferner  vor  die  von  ihm  nach  der  Natur  mit  dem  Prisma  auf- 
genommenen, in  ihrem  natürlichen  Kolorit  en  Gonche  ausgeführten  typischen  Portrait» 
lebender  Afrikaner: 

1)  eines  Bischäri, 

2)  eines  Abbädi, 

3)  eines  Hasäni, 

4)  und  5)  zweier  Bagära, 

6)  eines  Djaali, 

7)  eines  sennarischen  Mischlinges, 

8)  eines  Pullo  von  Kanno, 

9)  eines  edlen  Fungi, 

10)  eines  Tabi-Bewohners, 

11)  eines  Dongoläni, 

12)  eines  Kongäri  (Där-Für), 

13)  eines  Barta  oder  Berta, 

14)  eines  Denqa, 

15)  eines  Känembu  und 

16)  eines  Schilluk. 

Diese  16  Typen,  lauter  Männer,  wurden  bisher  zum  Theil  noch  gar  nicht,  zum 
Theil  nur  sehr  ungenügend  bildlich  dargestellt.  Der  zur  gewissen  Jahreszeit  von 
Hadji's  Tekärine  wimmelnde  Völkermarkt  in  den  obernubischen  und  sennarischen 
Ortschaften  bot  dem  Vortragenden  gute  Gelegenheit  zur  Ausführung  derartiger  Ar- 
beiten dar.  Die  sämmtlichen  vorgezeigten  Darstellungen  sollen  in  einem  vom  Vor- 
tragenden binnen  kurzer  Zeit  zu  publicirenden  umfangreichen  "Werke  über  die  An- 
thropologie Afrika's  an  geeigneter  Stelle  abgebildet  und  ausführlich  beschrieben  werden. 

('.))  Herr  Friedel  legte  folgende  dem  Märkischen  Provinzial-Museum  zu  Berlin 
gehörige  Gegenstände  (Taf.  V,  Fig.  1 — 3)  vor: 

1)  einen  schön  geschliffenen  Feuerstein-Keil,  11,5  Cm.  lang,  an  der  Schneide  5  Cm. 
breit,  in  Rixdorf  nahe  Berlin  beim  Ausschachten  der  Fundamente  einer  Bren- 
nerei gefunden,  Geschenk  des  Reutmeisters  Wall  bäum  in  Gusow; 

2)  einen  desgl.,  11  Cm.  lang,  an  der  Schneide  4  Cm.  breit,  mit  einem  Bronze- 
(oder  Kupfer?-)  Celt  (11,5  Cm.  lang.  Schneide  5,5  Cm.  breit)  schönster  Ar- 
beit, zusammen  beim  Abtragen  eines  Hünengrabes  in  Deutsch-Sagar  bei 
Crossen  a/0.  gefunden,  mitgetheilt  vom  Rector  Petermann  daselbst; 

3)  einen  Bron/.emeissel  (17  Cm.  lang.  Schneide  1  Cm.  breit)  in  einem  Torfmoor  bei 
Neustadt  a.  d.  Dosse  gefunden,  den  noch  jetzt  gebrauchten  gewöhnlichen  eisernen 
Meissein  auffallend  ähnlich  und  deshalb  besonders  merkwürdig,  da  die  in  hie- 
siger Gegend  gefundeneu  Instrumente,  Schmucksachen,  Waffen  etc.  von  Bronze 
in  der  Regel  decorativ  gehalten  und  stylistisch  bearbeitet  sind  und  des- 
halb  die    Unterstellung    zulassen,    dass    neben    ihnen    die    gewöhnlichen 


(45) 

Instrumente  noch  aus  Stein  gefertigt  waren.  Erst  die  Verwendung  der 
Bronze  zu  den  gewöhnlichsten  und  gröbsten  Geräthschafteu  (wie  das  vorlie- 
gende) lässt  aber  den  Schluss  auf  eine  wirkliche  und  mit  Grund  so  zu  nen- 
nende „Bronze-Zeit''  bei  einem  Volke  zu.  Dergleichen  rohe  Bronzegeräthe 
gehören  bis  jetzt  noch  zu  den  seltensten  Funden  in  der  Mark. 

4)  drei  eiserue,  in  Berlin  ausgebaggerte  Geräthschaften,  eine  schmale  (25  Mm. 
breit)  und  eine  breite  (50  Mm.  breite)  Wurfspiess-Spitze,  sowie  eine  Scheere, 
bei  welcher  letzteren  der  Griff  und  die  Schneiden  zu  einem  Stück  verbunden 
sind  und  die  nicht  veruieteteu  Schneiden,  ähnlich  wie  bei  den  noch  jetzt  übli- 
chen Wollscheeren,  um  zu  wirken,  mit  der  vollen  Hand  gegen  einander  ge- 
drückt werden  müssen,  also  entsprechend  Taf.  X,  Nr,  4  bei  Hostmann  (der 
Urnenfriedhof  bei  Darzau,  Braunschweig,  1874)  oder  Jernalderen  I,  Nr.  .'363 
bei  Worsaae  (Nordiske  Oklsager,  1859)  [letztere  freilich  aus  Messing],  oder 
Lindenschmit:  Heidn.  Altertliümer,  Bd.  III,  Heft  H,  Taf.  I,  Nr.  3.  —  Es 
ist  dies  die  in  der  Römerzeit  übliche  Scheerenform,  dgl.  ein  noch  jetzt  im 
ganzen  östlichen  Asien  verbreiteter  Typus.  (Der  Vortragende  legte  zur  Ver- 
gleichung  eine  moderne  japanische  Scheere  gleicher  Construction  vor,  welche 
sein  Bruder,  der  Oberstabsarzt  Dr.  Carl  Friedel   1862   in  Yokuhama  kaufte.) 

5)  drei  Bronzegefässe,  mit  Edelrost  bedeckt,  vor  ca.  30  Jahren  von  dem  inzwischen 
verstorbenen  Garnisonschullehrer  Wilde  in  Staaken  bei  Spandau  in  bedeu- 
tender Tiefe  ausgegraben,  Geschenk  des  Directors  Hiltl.  Die  Gefässe  sind 
dem  Anscheine  nach  durchaus  „kalt"  gearbeitet,  d.  h.  aus  dünnem  Blech  in 
Schalenform  getrieben,  jedes  mit  einem  angenieteten  Griff  versehen  und  dem 
Typus  von  Worsaae  a.  a,  0.  Broncealderen  282,  noch  genauer  Linden- 
schmit: Die  Alterthümer  unserer  heidnischen  Vorzeit,  II  Bd.,  Heft  IIT,  Taf.  5, 
Nr.  3  (gefunden  bei  Mainz)  entsprechend. 

Die  Herkunft  dieser  überaus  merkwürdigen  und  für  unsere  Gegend  bis 
jetzt  einzigen  Henkelschalen  ist  bekanntlich  gerade  streitiger  wie  je. 

Lindenschmit  bemerkt  an  der  bezeichneten  Stelle  Folgendes:  „Die 
gehenkelten  Näpfe  Nr.  2  und  3  aus  Mecklenburg  und  dem  Rheinlande  sind 
Produkte  einer  unverkennbar  vorzüglichen  Metallarbeit,  welche  eine  treffliche 
Schule  und  unausgesetzte  üebung  voraussetzt.  Die  Verschiedenheit  der  Aus- 
führung ist  nur  von  jener  Art,  welche  die  verschiedenen  Sorten  derselben 
Fabrikwaare  charakterisirt.  Wollte  man  im  Sinne  der  Systematiker  voraus- 
setzen, die  Gefässe  von  Schwerin  und  Mainz,  sowie  ein  gleichartiges  von 
Wiesbaden,  seien  durch  einzelne  Arbeiter  an  diesen  weit  entfernten  Orten  aus- 
geführt, so  müssten  wir  zugleich  den  jetzigen  handwerklichen  Verhältnissen 
unseres  Landes  ein  Hinaufreichen  um  vierthalb  Jahrtausende  zugestehen,  denn 
so  weit  mindestens  müsste  die  sogen.  Bronzoperiode,  bei  der  immer  wach- 
senden Ausdehnung  der  Eisenzeit,  hinaufgeschoben  werden.  Da  aber  bis  jetzt 
nicht  Jedermann  eine  solche  Erweiterung  der  Chronologie  nordischer  Bildung 
den  thatsächlichen  und  historischen  Verhältnissen  entsprechend  findet,  so  ist 
gewiss  die  Annahme  einer  Herstellung  jener  Erzblechgefässe  in  den  alten 
Culturstaaten  sicherer  und  begreiflicher;  wie  denn  offenbar  ihre  Henkel  mas- 
senweise gleichartig  ausgeführt  und  dann  den  verschiedenen  Fabriksorten  an- 
gepasst  und  aufgenietet  erscheinen.  —  Wird  man  nach  allem  diesem  die  be- 
sprochenen Metallgefässe  noch  für  gormanisch  oder  keltisch,  und  zwar  mit 
besonderem  Nachdruck  für  entschieden  keltisch  erklären  wollen,  so  mag  man 
seine  Freude  in  dem  Beharren  bei  vorgefassten  Meinungen  finden." 


(46) 

Lindenschmit  erklärt  diese  Brouzegefässe,  zu  denen  unsere  3  gehören, 
für  altitalisch.  Nach  dieser  Anschauung  wären  sie  vielleicht  ins  3.  bis  5. 
Jahrhundert  a.  Chr.  zu  setzen. 

Abbildungen  dieser  im  Katalog  II,  sub  1832  bis  1834  eingetragenen  Ca- 
binetsstücke  mit  Hervorhebung  der  sehr  primitiven  auf  die  Oberflächen  der 
Henkel  eingeritzten  Lineurverzieruugen  (a,  a,  a)  werden  auf  Taf,  V  gegeben. 
Bei  Nr.  1832  und  1833  sind  die  inneren  Niete  platt  geklopft,  bei 
Nr.  1834  dagegen  die  zwei  oberen  Niete  auf  der  inneren  Seite  hervorragend 
kegelförmig  in  der  Art  der  Tutuli.  Auf  dieses  wichtige  Kriterium  macht 
Lindenschmit  (üeber  Ursprung  und  Herkunft  einer  Anzahl  Denkmale  des 
sogen,  älteren  Eisenalters,  insbesondere  der  Geräthe  aus  Gold,  Erz  und  Eisen, 
welche  zugleich  mit  etruskischeu  Erzgefässen  in  den  Grabhügeln  des  Rhein- 
gebietes gefunden  werden.  Mainz  1871  pag,  10)  besonders  aufmerksam:  „Es 
begegnen  diese  konischen  Nieten  ausschliesslich  nur  au  Gefässen,  welche  mit 
altitalischen  Arbeiten  die  allernächste  Beziehung  bieten,  auf  der  Erzvase  eines 
Grabhügels  bei  Rönning,  Amt  Odensee,  auf  den  Bruchstücken  eines  in  Meck- 
lenburg gefundenen  Erzgefässes  (Frideric.  Franc,  von  Schröter  und  Lisch, 
Taf.  XII,  2),  auf  der  Erzvase  des  Kesselwagens  von  Judenburg  in  Steiermark, 
auf  einer  namhaften  Zahl  schöner  Erzgefässe  in  Hallstadt,  aber  auch  auf  den 
Krateren,  Schalen  und  Becken  der  Gräber  von  Cervetri,  Präneste,  Bomarzo 
und  Vulci."  —  Auch  die  schöne,  dem  Uebergange  der  Bronze-  zur  Eisenzeit 
angehörige  altetruskische  Rüstung,  welche  neuerdings  im  letzten  Vasenzimmer 
des  Königl.  Alten  Museums  zu  Berlin  aufgestellt  ist,  zeigt  diese  konischen 
Niete. 

Lindenschmit  fährt  fort:  „Unter  den  Gefässen,  welche  Merkmale  aus- 
wärtigen Ursprunges  bieten,  sind  schliesslich  noch  jene  einfachen,  aber  ele- 
ganten Näpfe  aus  goldfarbiger  Bronze  zu  erwähnen,  welche  bereits  zweimal 
(bei  Kreuznach  und  bei  Augsburg)  in  grösserer  Zahl  beisammen  und  nach 
aufsteigender  Grösse,  einer  in  den  andern  gestellt,  aufgefunden  sind. 
Auch  eine  andere  Art  leichter  kleiner  Schalen  von  zierlichem  Profil  mit  auf- 
genietetem Blechhenkel,  theils  glatt,  theils  mit  Reihen  von  Buckeln  verziert, 
reicht  von  Mecklenburg  (die  Schale  von  Dahmen)  in  das  mittlere  Elbland 
(jene  von  Roltsch  bei  Torgau,  Mus.  v.  Berlin),  in  das  Rheingebiet  (Mus.  v.  Mainz), 
bis  zu  jenen  von  Hallstadt  und  mit  denselben  weiter  nach  Süden." 

Auch  die  Staaken'schen  Gefäss  scheinen  ineinander  gestellt  gefunden 
zu  sein. 

Nachdem  ich  vor  Kurzem  wiederholt  die  italischen  Museen  auf  Bronzen 
durchsucht,  muss  ich  Lindenschmit  in  Bezug  auf  die  schlagende  Aehnlich- 
keit  dieser  Gefässe  mit  altitalischeii  Repliken  beipflichten, 
ij)  eine  Urne  mit  einem  Feuerstein  keil  (lU  Gm.  laug,  Schneide  4,5  Cm.  breit) 
zusammen  bei  Hohen-Zieritz  in  Mecklenburg  gefunden,  vom  Director  George 
Hiltl  geschenkt.  Das  Zusammenliegen  des  Steines  mit  der  Urne  ist  ein  nicht 
gerade  gewöhnliches,  indem  dieselbe  stylistisch  einer  späteren  Zeit  anzugehö- 
ren scheint.  Sie  ist  14  Cm.  hoch,  die  grössto  Weite  des  Bauches  14  Cm., 
der  Durchmesser  des  Bodens  4,6  Cm.  Der  Hals  ist  schlank  und  mit  einem 
Henkel  versehen.  Die  Verzierungen  bestehen  aus  kleinen  schrägen  Einker- 
bungen, auf  dem  untern  Bauchtheile  aber  auch  aus  grossen  Sförmigen  Ein- 
schnitten. Nach  diesen  „unruhigen"  Verzierungen,  dem  schlanken  Halse  und 
dem  Henkel  zu  schliessen,  würde  man  die  Urne  in  die  spätere  (wendische) 
Zeit  zu  setzen  nach  der  gewöhnlichen  Annahme,  geneigt  sein.     Endlich 


(47) 

7)  einen  in  torfigem  Boden,  in  einer  Schicht,  die  starke  Hirschgeweihe  enthielt, 
ausgegrabenen  defecten  Menschenschädel;  von  den  übrigen  vorhanden  gewe- 
senen Skelettheilen,  die  beim  Ausschachten  des  Canals  zwischen  Plötzensee 
und  der  Spree  bei  Moabit  gefunden  wurden,  ist  nichts  gerettet  worden.  Be- 
sondere Beigaben  sind  nicht  ermittelt.  Der  Schädel  scheint  der  plattgedrück- 
ten (flachen   Form,  die  neuerdings  die  Aufmerksamkeit  erregt)  anzugehören. — 

Herr  Virchow  macht  besonders  auf  die  Bronzeschalen  von  Staaken  aufmerksam, 
deren  'rechnik  ganz  mit  derjenigen  der  kürzlich  von  ihm  besprochenen  Bronze-Eimer 
oder  Cysten  übereinstimmt.  Beide  gehiiren  offenbar  demselben  artistischen  Gebiete 
an  und  sind   als  importirte  Arbeiten  zu  betrachten. 

(10)  Als  Geschenk  des  Hrn.  Oldenberg  werden  zwei  Nüsse  von  Anacardium 
Orientale  vorgelegt,  in  deren  Hilus  die  Physiognomien  eines  Affen  (wohl  eines  Hylo- 
bates?)  recht  niedlich  eingeschnitzt  sind.  Dieselben  wurden,  als  Trophäen  des 
Atchin-Feldzuges,  in  Rotterdam  in  grosser  Menge  verkauft. 

(11)  Der  Vorsitzende  verliest  aus  einem  Briefe  des  Herrn  A.  B.  Meyer  einige 
Bemerkungen 

über  die  Bezielinngen  zwisclieu  Nesritos  und  Papuas. 

Es  war  im  Februar  1873,  als  Maclay  und  ich  zusammen  in  Tidore  eine  grosse 
Schaar  (ca.  60—80)  Papuas  sahen;  er  kam  damals  von  der  Astrolabebay  und  war 
noch  niclit  auf  den  Philippinen  gewesen,  und  ich  kam  von  diesen  und  war  noch  nicht 
auf  Neu-Guiuea  gewesen.  Wir  unterhielten  uns  damals  über  die  Zusammengehörig- 
keit der  beiden  Rassen,  diese  Papuas  vor  Augen.  Ich  richtete  die  Frage  an  ihn, 
die  mir  sehr  wichtig  schien,  ob  sie  den  Papuas  der  Astrolabebay  glichen,  und  er  be- 
hauptete keinen  Unterschied  irgend  welcher  Art  constatiren  zu  können.  Ich  durfte 
aber  damals  schon  vermöge  meiner  Negritobekanntschaft  —  hatte  ich  sie  doch  schon 
ein  Jahr  vorher  in  einer  kleinen  Schrift  flüchtig  besclirieben  —  die  Gleichheit  wenig- 
stens des  äusseren  Habitus  zwischen  Negrito's  und  Papua's  beliaupten  und  that  es. 
Diese  äussere  Gleichheit  ist  sehr  in  die  Augen  springend;  sie  drängt,  bei  der  ver- 
hältnissmässig  niclit  so  grossen  räumlichen  Entfernung  der  2  Rassen  von  einander, 
die  Hypothese  der  Zusammengehörigkeit  thatsächlich  auf.  Ob  sie  zu  erweisen  sein 
wird,  ist  ein  Anderes.  P]in  positiver  Wahrscheinlichkeitsbeweis  aber  wiegt,  wie  mir 
scheint,  viele  Bedenken  auf.  Die  Sprachuntersuchung  wird  uns  wahrscheinlich  hier 
auch  nicht  viel  leisten.  Angenommen,  was  noch  dahin  steht,  die  Schädelformen 
seien  constant  uuterscheidbar,  würde  darin  ein  Gegenbeweis  liegen  müssen,  und  soll 
man  bei  sonstiger  grosser  physischer  Aehulichkeit  nicht  eher  annehmen ,  dass  sie  ab- 
geändert habe,  wie  ja  überhaupt  durch  insulare  Abgeschlossenheit  und  andere  Um- 
stände die  „Art"  (zoologisch  genommen)  abändert  —  zweifellos  — ,  wenn  uns  auch 
trotz  Darwin  und  vielem  Geschrei  noch  Einsicht  in  das  wie  und  warum  fehlt?  Die 
räumliche  relative  Nähe  zwischen  Neu-Guinea  und  den  Philippinen  ist  mir  durch 
zwei  Thatsachen  vor  Augen  geführt  worden,  die  ich  der  Mühe  werth  halte  Ihnen  zu 
erzählen:  Kurz  ehe  ich  nach  Neu-Guinea  kam,  wurde  nach  einer  Insel  vor  Dore  ein 
kleines  Rndorboot  von  den  Sangi-lnseln ,  im  Norden  von  Celebes,  im  Südeu  der  Phi- 
lippinen ohne  Sturm  abgetrieben.  Ich  selbst  sprach  noch  einige  dieser  Sangiresen  auf 
Neu-Guinea.  Sie  waren  von  einem  Platz  aufSiao  in  einem  Ruderboot  massiger  Grösse, 
etwa  15  Personen  (wenn  ich  nicht  irre),  mit  Frauen  und  Kindern  weggefahren,  um 
Freunde  auf  einer  benachbarten  Insel  zu  besuchen,  und  waren  auf  dieser  Lustfahrt  bis 
Neu-Guiuea  abgetrieben!     Natürlich  hatteu  sie  die  äusseisten  Entbehrungen  zu  über- 


(48) 

stehen,  denn  sie  waren  30  Tage  auf  See  gewesen.  Die  Insel  bei  Dore,  auf  der  sie 
landen  wollten,  (Manaswari)  ist  seit  vielen  Jahren  von  einem  Missionäre  bewohnt  und 
es  liegen  ein  paar  Papua-Dörfer  auf  ihr.  Trotz  der  Jahrelangen  Einflüsse  der  Missio- 
näre empfingen  die  Papuas  diese  Saugiresen  mit  Pfeilschüssen  und  Hessen  sie  erst 
nach  Dazwischenkunft  der  Missionäre  landen.  —  Die  zweite  hierher  gehörige  That- 
sache  wird  mir  ganz  vor  Kurzem  von  Ternate  gemeldet.  Alle  Haudelsexpeditionen 
von  Ternate  nach  Neu-Guinea  missglückten  im  Jahre  1874  bis  auf  eine.  Die  meisten 
kamen  nicht  einmal  bis  Neu-Guinea.  Ein  Schiff  aber  wurde  von  Neu-Guinea,  nach- 
dem es  auf  Jobi  gewesen,  wo  mehrere  Leute  desselben  ermordet  worden,  bis  nach 
Mindanao  abgetrieben  (ohne  Sturm)  und  gelangte  von  da  über  Makassar  erst  nach  6 
Monaten  nach  Ternate  zurück.     Ich  bin  glücklich  solchem  Missgeschick  entronnen.  — 

Der  Vorsitzende  betont  die  Wichtigkeit  dieser  letzteren  Erfahrungen,  namentlich 
mit  Rücksicht  auf  den  früheren  Streit  zwischen  den  Herren  Jagor  und  Semper. 

(12)     Herr  Professor  Fischer  aus  Freiburg  i./B.  besprach 

die  Nephritfrage 

vom  archäologisch-ethnographischen  Standpunkt  und  gab  einen  gedrängten  üeberblick 
über  den  Inhalt  seiner  zum  Druck  vorbereiteten  desfallsigen  Monograghie,  welche,  mit 
Holzschnitten  und  chromolithographischen  Tafeln  ausgestattet,  noch  in  diesem  Jahre 
im  Verlag  von  Schweizerbart  (E.  Koch)  in  Stuttgart  erscheinen  soll. 

Die  Mineralien  Nephrit,  Jadeit  und  Chloromela  nit,  wovon  die  beiden  letz- 
teren erst  in  neuerer  Zeit  durch  Damour  vermöge  ihrer  chemischen  Eigenschaften 
dem  ihnen  zum  TheU  ähnlichen  Nephrit  gegenübergestellt  wurden,  standen  bis  jetzt 
vermöge  Mangels  an  ausgeprägter  Krystallform  oder  anderweitiger  in's  Auge  fallender 
Eigenschaften  bei  den  Mineralogen  in  geringem  Ansehen,  während  sie  vom  archäolo- 
gisch-ethnographischen Standpunkt  grösseres  Interesse  verdienen. 

Die  betreffenden  Mineralien  waren  früher,  weil  meist  als  Beile,  Meissel  zuge- 
liauen  oder  als  Schmuckgegeustände,  Idole  u.  dergl.  verarbeitet  gefunden  und  aus 
anderen  Erdtheilen  zu  uns  gebracht,  eigentlich  mehr  in  Curiositäten-  und  Raritäten- 
Kammern  untergebracht,  in  Miueralienkabineten  dagegen  mehr  nur  zufällig,  verein- 
zelt und  ohne  Verständniss  für  ihre  Bedeutung  deponirt,  während  sie  in  andern  Erd- 
theilen vollkommen  die  Rolle  eines  Halbedelsteines  spielen,  wofür  z.  B.  ein  Beweis 
darin  liegt,  dass  bei  der  Pariser  Industrie-Ausstellung  eine  Firma  Guthrie  aus  Lon- 
don eine  Prachtsammlung  von  chinesischen  Nephritgegenständen  im  Gesammtwerth 
von  einer  halben  Million  Franken  ausgestellt  hatte. 

In  Europa  finden  sich,  soweit  bis  jetzt  bekannt,  die  fraglichen  Mineralkörper 
im  Gebirg  anstehend  gar  nicht.  —  (Ein  einziger  loser  Block  von  Menschenkopf- 
grösse,  welcher  am  Anfang  dieses  Jahrhunderts  durch  Breithaupt  als  in  einer 
Braunkohlengrube  bei  Schwen)sal  unfern  Leipzig  gefunden  beschrieben  wurde,  ist 
dorthin  auf  eine  bis  jetzt  noch  unenträthselto  Weise  gerathen  und  jedenfalls  für  Eu- 
ropa ein  Fremdling) 

Seitdem  aber  in  den  Pfahlbauten  und  anderwärts  unter  Hunderten  von  Steinin- 
instrumenten  aus  europäischen  Gesteinen  da  und  dort  auch  vereinzelte  Beile  und 
Meissel  aus  solchen  fremden  Mineralien  entdeckt  und  durch  die  Analysen  von  L.  R. 
V.  Fellenberg  und  von  Damour  als  aus  Nephrit,  Jadeit,  Chloromelanit  geformt 
constatirt  waren,  hat  man  der  Sache  etwas  mehr  Aufmerksamkeit  zu  schenken  und 
dieselbe  auch  schon  auf  authi-opologischen  Congressen,  wie  z.  B.  1872  zu  Brüssel  zu 
erörtern  begonnen. 

Der  Redner  legte  sodann  die  Resultate  seiner  eingehenden  mehrjährigen  Studien 


(49) 

dar,  welche  dahin  zielten,  einmal  die  gesammte,  ungeahnt  grosse  Literatur  speciell 
über  den  Nephrit  von  dem  höchsten  Alterthura  bis  zur  Neuzeit  aus  allen  europäischen 
und  aussereuropäischeu  Sprachen  zusammenzustellen,  andererseits  die  Beschaffenheit 
aller  in  andern  Erdtheilen  einheimischen  Vorkommnisse  von  Nephrit,  Jadeit  u.  s.  w. 
durch  vergleichende  chemische  und  mikroskopische  Forschungen  zu  ergründen, 
um  die  als  Fremdlinge  auf  europäischem  Boden  verstreuten  Steiniustrumente  möglichst 
auf  ihre  Heimath  zurückführen  und  Schlüsse  auf  die  Völker  ziehen  zu  können,  welche 
dieselben  entweder  etwa  als  Prunkwaffen,  Cultgegenstände  u.  s.  w.  selbst  in  unsere 
Gegenden  aus  ihrer  Heimath  mitgebracht  oder  (was  weniger  wahrscheinlich  sein 
möchte)  durch  Handelsverbindungen  aus  dem  Osten  bezogen  haben  dürften. 

Es  wurden  nun  vom  Vortragenden  die  aus  dem  mineralogischen  und  dem  ethno- 
graphischen üniversitätsmuseum  von  Freiburg  mitgebrachten  rohen  und  verarbeiteten 
Vorkommnisse  obiger  Mineralien  aus  Sibirien,  Turkestan,  China,  Neuseeland,  Ota- 
heiti  u.  s.  w.  vorgelegt,  aus  letzteren  Gegenden  auch  geschnitzte  Figuren,  Idole, 
Schmuckgegeustände,  und  deren  kunstreiche  Bearbeitung  u.  s.  w.  näher  erläutert. 

Die  letztere  gewinnt  um  so  mehr  Interesse  bei  der  enormen  Zähigkeit  der  Sub- 
stanz, wofür  ein  Beweis  durch  ein  Beispiel  geliefert  wurde,  bei  welchem  ein  Nephrit- 
block selbst  der  Zerkleinerung  durch  einen  Dampfhammer  widerstand. 

Von  da  ging  der  Redner  unter  der  Angabe,  dass  aus  Afrika  noch  keine  Ne- 
phrite constatirt  seien,  auf  Amerika  über,  auf  die  daselbst  schon  bei  der  Entdeckung 
des  Erdtheils  bei  den  Eiugebornen  durch  die  Spanier  vorgefundenen  Steinfigurcu, 
welche  als  Amulete  gegen  Nierenleiden  getragen  wurden,  daher  der  Name  lapis  ne- 
phriticus,  piedra  de  los  rinones,  auch  piedra  de  la  ijada  (Weichengegend),  woraus 
später  das  Wort  „Jade"  wurde,  während  in  früheren  Zeiten  das  Mineral  nach  Abel 
Remusat's  Forschungen  (1820)  den  jetzt  auf  eine  Quarzvarietät  übergegangenen 
Namen  Jaspis  führte. 

Auch  der  Name  Amazonenstein,  welcher  jetzt  einer  (besonders  ans  Sibirien 
bezogenen)  grünen  Feldspath- Varietät  beigelegt  zu  werden  pflegt,  bezieht  sich  ur- 
sprünglich (seit  La  Condamine,  1745)  auf  ein  angeblich  nephritartiges  Mineral  aus 
der  Gegend  des  Amazonenstroms,  welches  von  den  Indianern  —  als  Täfelchen,  durch- 
bohrte Cylinder  u.  s.  w.  geschnitten  —  getragen  und  sehr  hoch  in  Ehren  gehalten 
wird.  Schon  Alex.  v.  Humboldt,  sodann  v.  Martins,  die  Gebrüder  Schom- 
burgk  bemühten  sich  vergebens,  das  natürliche  Vorkommen  und  den  Fundort  dieser 
grünen  Steine  zu  entdecken.  Es  wurden  Gypsabgüsse  und  Wachsimitationen  von  den 
wenigen  Originalstücken,  welche  der  Redner  bisher  kennen  lernte,  vorgelegt;  letztere 
befinden  sieb  im  mineralogischen  und  im  ethnographischen  Museum  zu  Berlin,  dann 
im  Mineralienkabinet  zu  Genf;  einige  aus  anderen  Museen  beschriebene  Exemplare 
sind  leider  theils  verloren,  theils  nach  Brasilien  zurückverkauft.  Es  wurden  sodann 
die  Formen  verschiedener  Prunkwaflfen  aus  Mexiko  und  Mittelamerika  erläutert,  bi- 
convexe  Beile  mit  Sculptur  und  eigenthümlicher  Durchbohrung  unter  den  Kanten 
hin,  planconvexe  Beile  mit  Sculptur  und  mit  subcutaner  (unter  der  Fläche  hin  ver- 
laufender) Durchbohruug,  welcher  man  auch  bei  ägyptischen  Scarabäen  mitunter  be- 
gegnet. Bei  diesem  Anlass  wurde  hervorgehoben,  wie  dringlich  es  sei,  Alles,  was 
nur  irgend  von  solchen,  dem  Amerikanischen  Altertbum  angehörigen  Reliquien  noch 
aufzutreiben  ist,  den  Ceutren  der  betreffenden  Wissenschaft,  d.  h.  den  archäologisch- 
ethnographischen Museen  zuzuwenden.') 

')  Die  mit  dem  mexikanischen,  auf  smaragdgrüne  Farbe  hinweisenden  Wort  »Chalchihuit!" 
belegten,  geschnitzten,  in  Mexico  und  Mittelamerika  noch  vortindlichen  und  dort  sehr  hoch  j/e- 
scliiitzten  Steine  sind  ohne    Zweifei    von    veischii.dener    mineralogischer    Natur.      Kin    aus    der 
VerhaiuM.  der  IJerl.  Authroiiol.  Gesellschaft.     li<70.  4 


(50) 

Schliesslich  wurden  noch  einige  Muster  von  Jadeit-  und  Chloromelanit-Gegen- 
ständen  vorgezeigt,  unter  Angabe  der  Fundorte  in  der  Schweiz  und  in  Mitteldeutschland. — 

Herr  Virchow  bemerkt,  dass  er  sich  schon  vor  einiger  Zeit,  angeregt  durch  die 
Erwähnung  des  sogenannten  erratischen  Nephritblockes  von  Schwemsal  bei  Leipzig 
Seitens  der  Herren  Naumann,  Fischer  und  Schlagintweit,  an  Hrn.  Professor 
Zirkel  in  Leipzig  gewandt  habe.  Leider  ist  weder  von  diesem  Funde,  noch  von 
dem  im  Johannisthai  bei  Leipzig  etwas  "Weiteres  zu  ermitteln,  indess  erklärt  Herr 
Zirkel,  dass  auf  ihn  der  Fundbericht  den  Eindruck  mache,  als  sei  an  den  betreffenden 
Orten,  die  vielleicht  an  alten  Handelsstrassen  lagen,  Nephrit  verloren  worden;  jeden- 
falls sei  die  Zugehörigkeit  des  letzteren  zu  dem  Terrain,  wie  ihm  scheine,  durchaus 
nicht  constatirt. 

Herr  Virchow  erwähnt  ferner,  dass  er  im  Museum  zu  Münster  zwei  sehr  schöne 
Steinäxte  aus  grünem,  durchscheinenden  Material  gefunden,  und  dass  er  sich  jetzt 
wegen  genauerer  Notizen  an  Hrn.  Hosius  gewendet  habe.  Derselbe  schreibt  ihm 
Folgendes: 

„Gleich  nach  Empfang  Ihres  Schreibens  habe  ich  mir  die  hiesigen  Steinwerk- 
zeuge zur  Untersuchung  ausgebeten.  Ich  glaube  mit  ziemlicher  Sicherheit,  so  weit 
dies  ohne  chemische  Untersuchung  möglich  ist,  behaupten  zu  dürfen,  dass  eigentlicher 
Nephrit  unter  ihnen  nicht  vertreten  ist.  Von  den  92  Nummern  der  Sammlung  sind 
ca.  8  aus  einem  grünen  oder  grünlichen  Gestein  ;  6  von  diesen,  sogenannte  Stein- 
hämmer, fielen  sofort  aus,  da  sie  aus  deutlich  gemengten  Felsarten  bestehen,  nur  2, 
als  Aexte  bezeichnet,  konnten  für  die  weitere  Untersuchung  in  Betracht  kommen. 
Von  diesen  ist  das  grössere  Stück  0,29  M.  lang,  unten  0,095  M.  breit  und  in  der 
Mitte,  wo  es  am  dicksten  ist,  0,025  M.  dick.  Die  Farbe  ist  tiefdunkelgrün  mit  lich- 
ten Stellen,  die  Härte  unter  4  unter  Apatit.  Es  ist  also  kein  Nephrit,  sondern 
jedenfalls  Serpentin.  Das  zweite  ist  von  ähnlicher  Form,  aber  viel  flacher,  0,25  M. 
lang,  0,075  M.  breit  und  an  der  stärksten  Stelle  noch  nicht  0,015  M.  dick.  Es  ist 
ebenfalls  scheinbar  homogen,  hellgrün  mit  weisslichen  Stellen,  und  an  den  Spalten 
und  Rissen  mit  gelblichen  Stellen,  letztere  wohl  nur  durch  Verwitterung  und  Ver- 
unreinigung entstanden.  Die  Härte  dieses  Stückes  ist  Feldspathhärte  und  darüber, 
aber  der  Bruch  scheint  nicht  das  Grobsplitterige  des  Nephrits  zu  haben ;  dieses, 
sowie  die  Farbe,  spricht  gegen  Nephrit.  Ich  hoffe,  es  wird  mir  gestattet,  ein  Stück- 
chen abzusprengen  und  den  frischen  Bruch  und  vielleicht  auch  einen  Dünnschliff 
untersuchen  zu  können  und  eine  chemische  Analyse  machen  zu  lassen.  Vorläufig 
mag  ich  über  die  Natur  dieses  Gesteins  keine  weiteren  Vermuthungen  aussprechen, 
da  68  eben  nur  Vermuthungen  sein  können.  Das  erste  Stück  ist  bei  Cloppenburg 
(Oldenburg),  das  zweite  bei  Höxter  an  der  Weser,  beide  im  Sande  aufgefunden. 
Weitere  Notizen  lagen  nicht  bei." 

(13)  Herr  F.  S.  Hartmann  richtet  im  Namen  des  historischeu  Vereins  von 
Oberfranken,  d.  d.  Fürstenfeldbruck,  14.  Febr.,  folgendes  Schreiben  an  die  Gesell- 
schaft, betreffend 

die  bayrischen  Hochäciier. 

^Im  südlichen  Theile  Bayerns  kommen  viele  Tausende  von   Tagwerken    uralter, 


Privatsararalunf^  des  Firn.  Dr.  A.  v.  Frantzius  in  [leidelberg  stammendes  Exemplar  erkannte 
iler  Redner  vermöge  mikroskopischer  Uutersuctiung  eines  Splitters  als  lleiiotrop-Quar/,.  —  Eine 
Analyse  eines  üclitou  amerikauiacheu  Nephrits  liegt  bis  iioute  uocli  uiclit  vor. 


verlassener  Bodenculturen  vor,  welche  das  Landvolk  Hochbifange,  Heidenbeete,  Hei- 
denäcker,  Heidenstränge,  Hochäcker  und  Römerbeete  heisst. 

„Diese  Hochäcker  haben  schon  früher  die  Aufmerksamkeit  der  Alterthumsfreunde 
und  Geschichtsforscher  im  hohen  Grade  in  Anspruch  genommen ;  gegenwärtig  hat 
sich  auch  der  historische  Verein  von  und  für  Oberbayern  die  erschöpfende  Bearbei- 
tung dieses  Tliemas  zur  Aufgabe  gestellt  und  seine  Mandatare  beauftragt,  hiezu  um- 
fassende Nacliforschungen  anzustellen  und  über  deren  Ergebnisse  ausführlichen  Be- 
richt zu  erstatten. 

„An  der  Lösung  dieser  Aufgabe  arbeite  ich  bereits  3  Jahre  und  schmeichle  ich 
mir,  dass  mir  nunmehr  die  Lösung  dieser  Frage  gelungen  sein  dürfte. 

„Zur  Vervollständigung  meiner  Arbeiten  wäre  mir  aber  noch  zu  wissen  noth- 
wendig,  wie  weit  diese  Art  der  Ackerbestellung  in  unserem  weiteren  Vaterlande 
verbreitet  ist  und  ob  namentlich  verödete  Culturen,  wenn  sie  auch  im  Norden  vor- 
kommen, dasselbe  Gepräge,  wie  die  süddeutschen  Hochäcker  an  sich  tragen. 

„Es  zeigen  sich  nehmlich  an  einander  gereihte  Erhöhungen  mit  dazwischen 
liegenden  Vertiefungen  von  ungewöhnlicher  Grösse  und  Gestalt;  ihre  Reihen  sind 
anscheinend  wunderbar  geordnet,  haben  in  der  Regel  eine  Breite  von  6 — 12  M.,  aber 
auch  darüber  und  eine  auffallende  regelmässige  Wölbung. 

„Ihre  Länge  ist  immer  scharf  geradlinig,  aber  sehr  verschieden,  oft  über  290  M., 
ja  oft  auf  2  Kilometer  ausgedehnt,  während  die  Höhe  der  Wölbungen  5 — 8  Dem, 
beträgt. 

„Sie  folgen  nicht  immer  in  derselben  Richtung  auf  einander;  zieht  nehmlich 
eine  Reihe,  aus  etwa  20— ."iO  Beeten  bestehend,  von  Osten  nach  Westen,  so  schliesst 
sich  ihr  zur  Seite  oder  von  der  Mitte  ausgehend,  aber  eben  so  geradlinig  von  Norden 
nach  Süden  gerichtet,  eine  zweite  derselben  an;  doch  überzeugt  man  sich  allenthalben, 
dass  die  Anlagen  von  Osten  nach  Westen  viel  seltener  vorkommen,  als  die  von  Süden 
nach  Norden. 

„Diese  alten  Culturen  zeigen  sich  sehr  häufig  auf  Haideboden,  oft  sind  dieselben 
auch  mit  uralten  Waldbeständen  bedeckt. 

„Auf  den  Hochäckern  oder  in  deren  unmittelbarer  Nähe  befinden  sich  Halb- 
kugelgräber und  Trichtergrubeu,  und  gehören  beide  letztere  unzweifelhaft  dem  Volke 
an,  welches  die  Hochäcker  bebaute. 

„Solche  alte  Culturen  sollen  auch  unter  den  gleiclien  Erscheinungen  und  beglei- 
tenden Umständen  in  den  deutschen  Reichslanden  Elsass  und  Lothringen,  in  Frank- 
reich, England,  Belgien,  sogar  auch  im  nördlichen  Spanien  vorkommen. 

„Auch  in  Dänemark  auf  den  jütländischen  Halden  sollen  allenhalben  die  Spuren 
alter  Abtheilungen  der  Aecker  und  andere  Spuren  der  ehemaligen  Cultur  bemerkt 
werden,  namentlich  auf  der  Randbiilhaide;  dasselbe  soll  auch  bei  Langenrehm  der 
Fall  sein,  wo  ausserdem  sehr  häutig  zirkelrunde  Vertiefungen  vorkommen,  10—12 
Fuss  im  Durchmesser,  3 — 4  Fuss  tief  und  mit  einem  Erdwalle  umgeben. 

„Auch  auf  der  Insel  Island  und  in  Scaudinavien  hat  man  uralte  Bodenculturen 
gefunden,  deren  auch  Dr.  Weinhold  in  seinem  nordischen  Leben  erwähnt. 

„V.  Estorf  erwähnt  S.  62  seiner  Beschreibung  der  Grabhügel  bei  Uelzen  mohr- 
fach uralter  Bodenculturen,  welche  merkwürdiger  Weise,  wie  bei  den  Hochäokern  in 
Süddeutschland,  sich  mitten  unter  diese  Todtendenkmale  erstrecken. 

„Solche  verödete  Bodenculturen  und  Wüsteneien  mag  es  noch  gar  viele  geben 
im  lieben  Vaterlande,  ohne  dass  ich  davon  Kenntniss  erhalten  hätte. 

„Desshalb  bin  ich  so  frei,  mich  an  Ihre  Güte  mit  der  Bitte  zu  wenden,  mein 
und  meines  Vereines  Streben  in  dieser  Richtung  gefälligst  zu  unterstützen.  Ich 
ersuche  aber  nicht  allein,  uns  Kenntniss  von  dem  Vorkommen  solcher  verödeter  und 

4T 


(52) 

ausser  Cultur  gesetzter  Aecker  zu  geben,  sondern  auchlAufschlüsse  zu  ertheilen  über 
deren  Struktur,  über  die  Länge,  Breite  und  Höhe  der  Beete,  um  hieraus  feststellen 
zu  können,  ob  dieselben  solchen  in  Süddeutschland  vorkommenden  beigezählt  wer- 
den können. 

„Ich  erachte  die  schmalen  hohen  Beete,  „Bifange",  wie  sie  bei  uns  in  Bayern, 
Böhmen,  Oesterreich  etc.  vorkommen  und  vor  30 — 40  Jahren  noch  allgemein  in 
üebung  waren,  als  die  nachgeborenen  Kinder  unserer  Hochäcker;  ich  erlaube  mir 
desshalb  die  Anfrage: 

1)  Kommen  im  Norden  auch  schmale  hochrückige  Beete  vor,  und  in  welchen 
Gegenden  sind  oder  waren  sie  im  allgemeinen  Gebrauch? 

2)  Sind  jetzt  noch  breite  und  hochrückige  Felder  in  üebung  und  in  welchen 
Gegenden?     Wie  breit  und  hoch  sind  die  Beete?" 

Der  Vorsitzende  ersucht  die  Mitglieder  zur  Unterstützung  der  vorgetragenen 
Forschungen,  bemerkt  aber  im  Voraus,  dass  die  Frage  in  Norddeutschland  überaus 
erschwert  werde  dadurch,  dass  im  30jährigen  Kriege  zahlreiche  "Wüstungen  entstan- 
den und  zum  Theil  selbst  die  Erinnerungen  an  die  früheren  Dörfer  verloren  gegan- 
gen seien. 

(14)     Herr  Dr.  Fröhlich  übersendet  durch  Hrn.  Dr.  Voss 

drei  Keltenschädel  von  Ballinskellygsbay  in  Irland. 

Die  der  Gesellschaft  übergebenen  drei  Schädel  stammen  von  einem  alten  Kirch- 
hof in  Ballinskellygsbay  bei  Cahirceveen,  Kerry  County,  im  südwestlichen  Irland,  der 
sich  innerhalb  der  Mauern  eines  längst  verfallenen  Klosters  dicht  am  Meeresufer 
befindet  und  nach  Aussage  der  Einwohner  seit  Menschengedenken  existirt.  Nach  der 
Ansicht  des  Einsenders  haben  sich  die  dortigen  Einwohner  wohl  seit  mehreren  Jahr- 
hunderten nicht  mit  Fremden  gemischt,  da  das  baumlose,  beinahe  nur  aus  Weide 
bestehende  Land  gewiss  niemanden  zur  Einwanderung  reize,  und  da  die  Leute  unter 
sich  noch  keltisch  sprechen,  auch  bei  Begräbnissen,  Kirch  weihen  u.  s.  w.  sehr  son- 
derbare Gebräuche  entfalten. 

Herr  Virchow  begrüsst  die  Sendung  trotz  des  sehr  defekten  Zustandes  der 
Schädel  mit  Freuden,  da  es  die  ersten  keltischen  Schädel  sind,  die  an  die  Gesell- 
schaft gelangen.  Leider  fehlt  bei  allen  dreien  der  Unterkiefer,  bei  zweien  das  Ge- 
sicht und  bei  dem  dritten  die  Schädelbasis,  so  dass  sich  ein  zusammenfassendes 
ürtheil  eigentlich  nicht  gewinnen  lässt.  Immerhin  zeigen  sie  trotz  sehr  verschiedener 
Grösse  eine  grosse  Verwandtschaft.  Sie  sind  säramtlich  mesocephal  mit  Neigung  zur 
Dohchocephalie  und  vorwaltend  sincipitaler  Entwickelung.  Nr.  2  und  3  können  als 
weiblich  bezeichnet  werden,  womit  auch  ihre  geringe  Höhe  harmonirt;  Nr.  1  ist  ein 
sehr  kräftiger  und  grosser  männlicher  Schädel,  bei  dem  sicherlich  ein  ganz  anderes 
Höheuverhältniss  gefunden  werden  würde,  wenn  die  Basis  bei  ihm  erhalten  wäre. 
Das  beweist  die  weit  grössere  Entfernung  des  äusseren  Gehörganges  von  der  Schei- 
telhöhe. Alle  drei  müssen  lange  frei  gelegen  haben;  ihre  Oberfläche  ist  zum  Theil 
mit  Moos  besetzt,  zum  Theil  mit  Schlamm  und  kleinen  Schnecken. 

Nr.  1  zeigt  in  der  Seitenansicht  eine  starke  Wölbung  und  ein  weit  zurückge- 
hendes Hinterhaupt.  Er  ist  sehr  lang,  aber  zugleich  hoch  und  breit.  Seine  grösste 
Breite  liegt  nahe  unter  und  vor  den  Parietalhöckern,  welche  von  den  Lineae  tempo- 
rales gekreuzt  werden;  letztere  nähern  sich  hinter  der  Kranznaht  bis  auf  140  Mm., 
und  ihre  zweite ,  äussere  Linie  greift  noch  um  je  10  Mm.  weiter  nach  oben 
hinauf.     Die  Seitentheile  des  Schädels  sind  stark  abgeplattet,  so  dass  in  der  Hinter- 


(53) 


hauptsansicht  eine  fünfeckige  Form  erscheint.  Die  "Warzenfortsätze  sind  sehr  stark 
und  weit  auseinander  stehend.  Am  Hinterhaupt  eine  mächtige  Protuberanz.  Die 
Stirn  etwas  niedrig,  mit  seVu"  starkem  Nasenwulst,  der  in  der  Mitte  nur  eine  geringe 
Einsenkung  erkennen  lässt;  jederseits  erstreckt  sich  von  da,  jedoch  vom  Orbitalrande 
geschieden,  ein  starker  Wulst  auf  die  Stirn.  Der  obere  OrbitaJrand  schmal  und  sehr 
zurücktretend,  die  mehr  breite  als  hohe  Orbita  daher  scheinbar  zurückliegend,  nur 
ihr  unterer  Rand  stärker  hervortretend.  Jochbeine  anliegend,  Kiefergelenkgruben 
sehr  tief  und  steil.  Nasenwurzel  sehr  tief,  Nase  schmal  und  niedrig.  Oberkiefer 
sehr  orthognath  und  mit  ganz  niederem  Kieferrand;  die  Vorderzähne  fehlend,  die 
Backzähne  stark  abgenutzt.  Der  dritte  Backzahn  jederseits  mit  3  Wurzeln.  Gaumen 
sehr  kurz,  45  Mm,  lang  und  42  breit. 

Der  weibliche  Schädel  Nr.  2,  welchem  das  Gesicht  fehlt,  ist  im  üebrigen  gut 
erhalten;  er  ist  lang,  breit  und  niedrig.  Namentlich  die  Stirn  ist  sehr  niedrig. 
Dafür  hat  sie  starke  Höcker,  eine  volle  Glabella  und  einen  vollen  Nasenwulst.  Die 
Scheitelbeine  sind,  wie  übrigens  auch  bei  Nr.  1,  ungewöhnlich  lang;  ihre  wohl  aus- 
gebildeten Höcker  werden  von  dem  Planum  temporale  erreicht.  Das  vorspringende 
Hinterhaupt  hat  eine  abweichende  Gestalt:  der  muskelfreie  Theil  der  Schuppe  ist 
niedrig,  aber  stark  gewölbt,  dagegen  der  muskuläre  mehr  eben  und  fast  horizontal 
gestellt.  Die  Jochbeine  sind  stark  ausgewölbt.  Der  äussere  Gehörgang  von  vorn 
her  sehr  abgeplattet.  Jederseits  an  der  Ala  magna  sphenoid.  ein  grösserer  Schalt- 
knochen, der  die  Stelle  des  Proc.  frontalis  squamae  tempor.  einnimmt,  jedoch  das 
Stirnbein  nicht  erreicht,  also  die  Ala  nur  hinten  von  dem  Angulus  parietalis  ab- 
schneidet.    Rechte  Orbita  hoch  und  nach  oben  und  innen  stärker  ausgeweitet. 

Dem  allem  Anschein  nach  gleichfalls  weiblichen  Schädel  Nr.  3  fehlen  sowohl 
das  Gesicht  als  die  Basis,  so  dass  selbst  die  Nasengegend  des  Stirnbeines  nicht  voll- 
ständig ist.  Er  hat  in  jeder  Beziehung  kleinere  Dimensionen  als  die  vorigen,  ist 
jedoch  gleichfalls  lang  mit  stark  vortretendem  Hinterhaupt,  recht  niedrig,  zumal  am 
Vorder-  und  Mittelkopfe,  und  von  bemerkenswerther  Parietalbreite. 

Das  Weitere  wird  sich  aus  der  tabellarischen  Zusammenstellung  ergeben. ') 


Irland. 

Selinunt 

♦ 

1. 

2. 

3. 

Capacität 

1590? 

1550 

— 

1500? 

Grösster  Horizontalumfang 

553 

538 

500 

534 

Entf.  des  äussern  Gehörganges  v.  d.  Stimwölbung    .  1 

111 

110 

104 

116 

,        ,         ,                „             n    »   Scheitelhöhe 

125 

107 

98 

118 

,        »         »                »              n    1,   Hinterhaupts- 

wölbung    . 

114 

102 

95 

100 

Entf.  des    vorderen  Randes   des  For.  occip.  von  der 

vorderen  Fontanelle 

— 

135 

126 

— 

,       ,            „              ,        des  For.  occip.  von  der 

hinteren  Fontanelle  .     . 

— 

119 

116 

— 

Grösste  Höhe 



135 

131 

138? 

Entf,  des  hinteren  Randes  des   For.    occip.  von  der 

vorderen  Fontanelle 

— 

145 

142 

148 

Grösste  Länge 

196,5 

188,5 

180? 

185 

Sagittalumfang  des  Stirnbeines    ....... 

135 

133 

ti3 

— 

125 

Länge  der  Sutura  sagittalis 

i       134 

i3ib 

115 

120>o 

0 

Sagittalumfang  der  Uinterhauptsschuppe       .... 

1        _ 

118 

119 

121 

Entf.  des  äussern  Gehörganges  von  der  Nasenwurzel 

108 

104 

— 

112 

-       _          _                ,          vom  vord.  Nasenstachel 

111 

— 

— 

110,5 

')  Der  Schädel  von  Selinunt  gehört  zu   der   folgenden  Nummer   der   Vorträge;   er 
der  BequemUchkeit  wegen  mit  auigeführt. 


ist   hier 


(m 


Irland. 

Selinunt. 

1. 

2. 

3. 

Entf.  des  Gehörganges  von  dem  Oberkieferrand     .    . 

— 

— 

— 

115 

,       „    Hinterhauptsloches  von  der  Nasenwurzel    . 

— 

96,7 

— 

— 

,       a                 „                   t       ^    Hiuterhaupts- 

wülbung    . 

— 

66 

53? 

52 

Länge  des  Foramen  occipitale 

— 

38 

38 

— 

Breite    „         ,                ,            

— 

30 

27 

— 

Grösste  Breite        

150 
73,6 

145 
64 

135 
61 

157 

Oberer  Frontaldurchmesser 

57,5 

Unterer                „                     

98 

104 

95 

103 

Temporaler  Durchmesser         

124 

127 

106 

127 

Parietaler              ,                    

143 

137 

123 

129 

Oberer  mastoidealer  Durchmesser 

140,5 

123 

— 

143 

Unterer         ,                     ,              

110 

102 

— 

117 

Jugaler                                „              

136 

(2X73) 

— 

150 

Maxillarer                           „              

72 

— 

— 

71 

Querumfang  von  einem  äussern  Gehörgang  zum  andern 

3o6 

327 

(2X145) 

324 

Breite  der  Nasenwurzel 

24,6 

28 

24 

— 

25 

„         „     Nasenöffnung 

26 

Höhe  der  Nase 

52 
39 
33 

39 
35 

— 

55 

Breite  der  Orbita       

42,5 
37 

Höhe      ,         „          .     .     •    

148 

— 



145 

Entfernung  der  Gelenkgruben  des  Unterkiefers     .     . 

101,5 

95 

_ 

111 

Gesichtswinkel  (Nasenwurzel,  Nasenstachel,  Gehörgang) 

70 

— 

— 

75 

Breiten-Index 

76,3 

76,9 
71,6 
93,1 

75,0 
72,2 
97,0 

84,8 
74  5? 

Höhen-Index 

Breitenhöhen-Index 

— 

87,9? 

(15)     Herr  K.  Künne  schenkt  einen 

Schädel  aus  Seliuuut    (Sicilien). 

Derselbe  ist  um  das  Jahr  1868  während  der  Untersuchungen  des  Directors  der 
Alterthümer,  Hrn.  Cavallaro  in  einer  Tiefe  von  10  Metern  in  der  Gegend  der 
Cittadella  von  Selinunt  ausgegraben  worden. 

Herr  Virchow  giebt  dazu  folgende  Beschreibung: 

Der  mächtige  Schädel  ist  leider  sehr  verletzt.  Offenbar  ist  er  bei  der  Ausgra- 
bung durch  einen  Spatenstich  von  der  Basis  her  durchstossen  worden.  In  Folge 
dessen  fehlen  der  grösste  Theil  des  Os  tribasilare,  das  Siebbein,  das  Septum  narium 
und  die  Nasenbeine;  die  Schuppe  des  Hinterhauptes  hat  einen  langen  Sprung  und 
der  harte  Gaumen  klafft  in  der  Mittellinie.  Trotzdem  ist  die  Gesammtgestalt  wohl 
erkennbar  und  die  genannten  Sprünge  lassen  sich  durch  starkes  Zusammendrücken 
des  Schädels  fast  ganz  schliessen.  Die  Knochen  sind  im  Ganzen  fest,  elastisch,  stark 
bräunlich  gefärbt,  jedoch  mit  grauweisslichen,  kalkigen  Anflügen,  hier  und  da  auch 
mit  dickeren,  lehmigen  Schichten  überzogen.  An  ihrer  Oberfläche  sieht  man  zahl- 
reiche  Erosionen  durch  Pflanzenwurzeln.     Der  Unterkiefer  fehlt. 

Der  Schädel,  offenbar  männlich,  ist  verhältnissmässig  kurz,  dick  und  hoch;  er 
ist  mit  starken  Muskelansätzen  versehen.  Rechts  dicht  hinter  der  Mitte  der  seitlichen 
Abtheilung  der  Kranznaht  liegt  ein  rundlicher  tiefer  Eindruck,    der  sich  auch    innen 


(65) 

als  Vorsprung  geltend  macht.  Oberhalb  diesf^r  Stelle  ist  die  Naht  grossentheils  ver- 
wachsen. Alle  übrigen  Nähte  sind  offen  und  zackig.  Dem  entsprechend  sind  alle 
Knochen  des  Schädeldaches  beträchtlich  entwickelt,  nur  die  synostotische  Gegend 
rechts  ist  sichtlich  zurückgeblieben.  Die  Schläfenlinien  reichen  bis  über  die  Scheitel- 
höcker und  nähern  sich  hinter  der  Kranznaht  bis  auf  100  Mm.;  die  Protuberantia 
occipitaiis  bildet  einen  starken  Vorsprung,  die  Nackenlinien  liegen  weit  von  einan- 
der und  sind  von  einer  deutlichen  Linea  suprema  überragt. 

Die  Stirn  ist  voll  und  breit,  fast  ohne  Glabella,  mit  einem  starken  Nasenwulst 
versehen,  von  dem  aus  sich  beiderseits,  jedoch  getrennt  vom  Orbitalrande,  ein  star- 
ker Superciliarwulst  nach  aussen  auf  die  Stirn  erstreckt.  Der  Orbitalrand  tritt  nur 
massig  vor,  die  Orbitae  selbst  sind  hoch  und  etwas  schief  mit  stärkerer  Ausweitung 
nach  unten  und  aussen. 

Die  Scheitelbeine  sind  stark  auf  der  Fläche  gebogen  und  haben  wenig  vortre- 
tende Höcker  ungefähr  in  der  Mitte  ihrer  Länge.  Die  grösste  Breite  des  Schädels 
liegt  in  der  Gegend  der  Schläfenschuppen,  welche  hoch  und  etwas  kurz  sind.  Dafür 
sind  die  Alae  temporales  sphen.  sehr  gross,  namentlich  breit.  Das  Hinterhaupt  ist 
kurz,  jedoch  voll  und  fast  kuglig  gerundet.  Der  Winkel  der  Lambdanaht  ist  unge- 
wöhnlich gross.     Alle  Nähte  offen  und  grossentheils  zackig. 

An  der  Basis  ist  nur  der  rechte  Proc.  condyloides  erhalten  :  er  ist  sehr  flach 
und  mit  platten,  in  einem  stumpfen  Winkel  gegen  einander  gestellten,  jedoch  ganz 
getrennten  Gelenkflächeu  versehen.  Die  Warzenfortsätze  stehen  sehr  weit  auseinan- 
der. Die  Gelenkgruben  des  Unterkiefers  sind  ungemein  tief  und  steil;  dem  ent- 
sprechend ist  der  äussere  Gehörgang  von  vorn  her  sehr  stark  abgeplattet. 

Das  Gesicht  erscheint  kräftig,  jedoch  ohne  Rohheit.  Der  Jochbogen  ist  weit 
ausgebogen,  der  Kiefer  gross,  aber  orthognath  und  mit  niederem  Zahnrand.  Der 
harte  Gaumen  verhältnissmässig  klein,  namentlich  kurz :  er  misst  45  Mm.  in  der 
Länge  auf  42  in  der  Breite.  Seine  untere  Fläche  ist  sehr  unregelmässig  durch  tiefe 
und  gewundene  Furchen.  In  dem  mehr  parabolischen  Zahnrande  sind  sämmtliche 
Zähne  bis  auf  den  rechten  Weisheitszahn  entweder  abgebrochen,  oder  ausgefallen. 
Der  Weisheitszahn  ist  kräftig  und  wenig  abgeschliffen.  Die  Alveole  des  dritten 
Hackzahnes  links  zeigt  drei  Wurzellöcher,  davon  zwei  äussere. 

Der  Schädel  ist  demnach  ein  ausgemacht  brachycephaler  und  orthognather.  Nach 
hinten  hin  erscheint  er  fast  trochocephal.  Seine  Höhe  ist  grösser,  als  der  Index  er- 
kennen lässt:  deutlicher  ist  in  dieser  Beziehung  der  ungewöhnlich  niedrige  Breiten- 
höhenindex. Darnach  steht  er,  so  weit  sich  bis  jetzt  übersehen  lässt,  dem  ligurischen 
Typus  am  nächsten.  Sowohl  von  dem  hellenischen  und  phönizischen,  als  von  dem 
iberischen  (baskischen)  Typus  entfernt  er  sich  deutlich.  Da  nun  nach  dem  Zeugnisse 
der  classischen  Schriftsteller ')  die  älteste  Bevölkerung  Siciliens,  die  Sicaner,  iberischen 
Stammes  war,  so  scheint  es,  als  ob  der  vorliegende  Schädel  einem  zwischen  die 
Sicaner  einerseits,  die  Punier  und  Hellenen  andererseits  eingeschobenen  Stamme  zu- 
gehöre, also  möglicherweise  dem  Stamme  der  Siculer.  Die  wahrscheinlich  illyrische 
Abkunft  der  letzteren  würde  der  Schädelform,  soweit  ich  sehe,    nicht  widersprechen, 

(IG)  Herr  Schliemann  übersendet  eine  Nummer  der  Augsburger  Allg.  Zeitung 
(Heilage  Nr.  8.  Januar  1875)  und  eine  des  Moniteur  universel  (Nr.  14.  Januar  1875), 
worin  er  sich  gegen  die  Angriffe  der  Herren  Stark  und  Vivien  de  St.  Martin 
vertheidigt. 


')  Vgl.  meine  kleine  Schrift  über  die  Urbevölkenmg  Eiuopas.    Berlin  1S74.    S.  19. 


(56) 

(17)  Herr  Schwartz  hat  in  einer  Beilage  zu  dem  neuesten  Programm  des 
Friedrich- Wilhelm-Gymnasiums  in  Posen  ein  Verzeichniss  der  Alterthumsfunde  der 
Provinz  geliefert.  Zugleich  hat  er  die  Blätter  der  prähistorischen  Karte  für  die  Pro- 
vinz Posen  ausgezeichnet  und  eingesendet. 

(18)  Geschenke: 

1)  Worsaae:  La  colonisation  de  la    Russie    et    du    Nord  Scandinave,   trad.    par 
Beauvais.     Copenhague  1875. 

2)  H.  Wankel:  Skizzen  aus  Kiew.     Wien  1875. 

3)  Handelmann:  Antiquarische  Miscellen. 

4)  F.  Coppi:    Gli  scavi  della  Teraramara   di  Gorzano,    esecuiti  nel  1874.     Mo- 
dena  1875. 

5)  Schliemann:  SYNOnTIKH  A^HrH^lS  A0HNHSIN   1875. 


Sitzung  vom  17.  April  1Ö75. 
Vorsitzender  Herr  Virchow. 

(1)  Als  neue  Mitglieder  wurden  proclamirt: 
Herr  Marine-Ingenieur  Gaede  hierselbst, 
Herr  Prof.  Wilh.  Hechler  zu  Karlsruhe. 

Zum  correspondirenden  Mitgliede  ist  ernannt: 
Herr  Dr.  Isidor  Kopernicki  in  Krakau. 

(2)  Herr  G.  Rohlfs  übersendet  nebst  Begleitschreiben  d.  d.  Weimar.  30.  März, 
im  Anschlüsse  an  die  früher  der  Gesellschaft  geschenkten  Schädel  (Sitzung  vom  13. 
Juni  1874),  die  schon  damals  erwähnten 

Fiindstücke  aus  einem  Felsgrabe  der  Oase  Dachel. 

„In  einem  Korbkoffer  werden  Sie  die  Urne,  den  Holzkopf  oder  vielmehr  das 
Holzgesicht  und  ganz  unten  die  Matte  finden,  womit  die  Todten  im  Grabe  zuge- 
deckt waren.  Die  Urne  hatte  im  Innern  weiter  nichts  als  Sand  und  einige  bitumi- 
nöse Bröckelchen,  von  letzteren  sind  vielleicht  durch  Herausschaben  noch  welche 
herauszubekommen. 

„Das  Gesicht  von  Holz  sass  an  einer  ca.  3  Fuss  langen  vierkantigen  Holzstange 
und  stak  so  inmitten  der  Todten-Familie.  Die  Stange  selbst  ist  in  Dachel  geblieben. 
Die  Matte  endlich,  von  der  ich  die  grössere  Hälfte  an  Sie  einsende,  bedeckte  das 
Ganze.  Wenn  man  bedenkt,  dass  Tausende  von  Jahren  verstrichen  sein  müssen,  so 
hat  sich  letztere  sowohl,  als  auch  das  Holz  des  Gesichtes  vorzüglich  erhalten." 

Herr  Virchow  spricht  für  die  werthvolle  Ergänzung  des  früheren  Geschenkes 
dem  berühmten  Reisenden  den  besonderen  Dank  der  Gesellschaft  aus.  Er  macht 
namentlich  auf  das  eigenthümliche  Thongefdss  aufmerksam,  welches  dem  Anscheine 
nach  in  ähnlicher  Weise,  wie  es  uns  von  chilenischen  Indianern  durch  Hrn.  Phi- 
lipp! berichtet  ist,  durch  Zusammenlegen  eines  Thonfadens  hergestellt  zu  sein 
scheint.  Es  besteht  nehmlich  aus  zwei  plattrundlichen  Hälften,  von  denen  jede  eine 
von  der  Mitte  aus  spiralig  zusammengewundene  Platte  darstellt.  Ein  enger  und  kur- 
zer Hals  ist  oben  angefügt.  Vielleicht  würde  dieses  Geräth  und  der  höchst  eigcn- 
thümlich  geschnitzte ,  roh  ausgeführte  und  angestrichene ,  platte  Holzkopf  zur 
archäologischen  Bestimmung  des  Alters  des  Grabes  beitragen  können. 

Herr  Paul  Ascherson  bemerkt  Folgendes:  Die  aus  dem  Felsengrabe  in  Dachel 
stammende  Matte  ist  aus  strangartig  zusammengedrehten  Blattfiedern  der  Dattelpalme 


(58) 

geflochten,  welche  Blätter  noch  heute  in  Aegypten,  wie    in    den  Oasen,    als  Material 
zu  Flechtwerk  allgemein  in  Verwendung  kommen. 

Das  ziemlich  leichte,  noch  heut  hellfarbige  Holz,  aus  welchem  der  Kopf  verfer- 
tigt ist,  zeigte  schon  bei  Betrachtung  mit  freiem  Auge  die  grösste  Aehnlichkeit  mit 
dem  der  Sykomore,  aus  dem  fast  alle  im  Nilthal  gefundenen  Mumiensärge  gearbeitet 
sind.  Die  von  Hrn.  F.  Kurtz  ausgeführte  mikroskopische  Untersuchung  hat  diese 
Bestimmung  gerechtfertigt. 

In  demselben  Grabe  wurden  noch  folgende  Gegenstände  gefunden: 

Stengelstücke  von  Calotropis  procera  R.  Br.,  arab.  Oschar,  einer  baumartigen, 
noch  heut  an  den  Wüstenrändern  des  Nilthals  und  der  Oasen  häufigen,  sehr  giftigen 
Asclepiadee.  Die  einzige  Verwendung,  welche  diese  Pflanze  in  Dachel  findet,  be- 
steht in  der  Anfertigung  von  Fangzäunen  zum  Abhalten  des  Flugsandes.  In  Chargeh 
sah  Dr.  Schweinfurth  ein  Bündel  davon  an  Häusern  als  Amulet  zur  Abwehr  des 
bösen  Blicks  oder  des  feindlichen  Zaubers  aufgehängt,  und  liegt  es  nahe,  einen  ähn- 
lichen Zweck  dieser  sonst  aus  Gräbern  noch  nicht  bekannten  Beigabe  anzunehmen. 

Ferner  Fruchtkerne  von  Balanites  aegyptiaca  Del.,  arab.  Heglig,  einem  im  gan- 
zen tropischen  Afrika  verbreiteten  Baume  aus  der  Familie  der  Olacaceen,  der  in 
Oberägypten  häufig  angepflanzt  wird,  in  Chargeh  strauchartig  nie  wild  vorkommt, 
in  Dachel  aber  von  mir  nicht  angetroffen  wurde.  Die  Kerne  dieses  Baumes,  welcher 
nach  einer  Nachricht  von  Diodor  schon  von  den  ältesten  Ansiedlern  in  Aegypten  aus 
Aethiopien  mitgebracht  wurde,  und,  wie  aus  vielen  Darstellungen  hervorgeht,  beim 
Cultus  der  alten  Aegypter  eine  wichtige  Rolle  spielte,  sind  wiederholt  in  Gräbern 
des  Nilthals  gefunden. 

Die  Hüllen,  in  welche  die  Mumien  eingewickelt  waren,  bestehen  aus  Leinen, 
wie  dies  eine  auch  im  Nilthal  allgemein  befolgte  rituelle  Vorschrift  gebot.  In  den 
Oasen  wird  jetzt  meines  Wissens  kein  Flachs  gebaut;  die  Eingeborenen  kleiden  sich 
fast  nur  in  Baumwolle. 

Die  botanische  Untersuchung  dieser  Gräberfunde  deutet  mithin  auf  Oultur-Ver- 
hältnisse,  die  mit  den  aus  dem  Nilthale  für  die  altägyptische  Zeit  bekannten  über- 
einstimmen. 

Ich  bemerke  noch,  dass  in  dem  unmittelbar  neben  den  Gräbern,  aus  welchen 
obige  Gegenstände  stammen,  gelegenen  Tempel  Der-el-hegar,  dessen  Erbauung  nach 
den  hieroglyphischen  Inschriften,  in  denen  die  Kaiser  Nero,  Vespasian  und  Titus 
genannt  sind'),  etwa  in  die  Jahre  50—80  unserer  Zeitrechnung  zu  setzen  ist,  keil- 
förmige Stücke  aus  dem  Holze  der  Ssant-Akazie  (Acacia  nilotica  Del.)  zur  Zusam- 
menfügung der  aus  mehreren  Stücken  bestehenden  Säulenschäfte  verwendet  sind. 
Dieser  Befund  steht  in  Einklang  mit  einer  hieroglyphischen  Inschrift  am  Tempel  von 
Chargeh,  die  nach  Lepsius'^)  die  Verwendung  von  Akazienholz  beim  Bau  dieses 
Tenjpels  bezeugt. 

(.i)  Herr  H.  Burmeister  bespricht  in  einem  Schreiben  an  den  Vorsitzenden  d.  d. 
Buenos  Aires,  15.  Februar,  im  Nachtrag  zu  seinen  früheren  Mittheilungen  (Sitzung 
vom  14.  März   1874) 

die  Ureinwohner  der  La  Plata  Staaten. 

Als  ich  vor  mehreren  Monaten  Ihren  Bericht  über  die  durch  mich  erhaltenen 
patagouischen  Schädel  las,    fiel  es   mir    gleich    bei,    Ihnen    zu    schreiben,    um    einen 


')  Lepsius,  IlierojTlyphi.sche  Inschriften  in  den  Oasen  von  Xärigeh  und  Dächileh.  Zeitschr. 
für  ägypt.  .Sprache  und  Alterthnmskunde  1874.     S.  79. 
2)  a.  a.  0.     S.  73. 


(59) 

Schreibfehler  zu  verbessern,  den  ich  in  meinern  Avisobriefe  begangen  habe,  indem 
ich  die  Nation,  von  der  die  Schädel  stammen,  Puelches  nannte;  die  grosse  Aehnlich- 
keit  der  Namen  von  Tehuelches  und  Puelches  hat  mich  verleitet,  den  unrichtigen  zu 
gebrauchen  und  statt  Tehuelches,  was  ich  schreiben  wollte,  Puelches  zu  schreiben; 
ich  verbessere  also  dies  Versehen  und  erkläre  Ihnen  hiermit,  als  richtiges  Sachver- 
hältniss,  dass  die  Schädel  der  alten  Patagonier  vom  Rio  Negro  bei  El  Carmen  den 
Tehuelches  und  nicht  den  Puelches  angehört  haben ;  freilich  nicht  den  gegenwärtigen, 
sondern  den  früheren  vor  der  Zeit  der  Eroberung  durch  die  Spanier. 

Die  Nation,  welche  in  der  Gegend  von  Buenos  Aires  wohnte,  wie  die  ersten 
Spanier  hierherkamen,  heisst  Querandis,  nicht  Guerandis,  wie  aus  irriger  Lesart 
des  Setzers  in  meinem  frühern  Bericht  steht;  es  war  ein  sehr  kriegerisch  gesinntes, 
verwegenes  Volk,  das  den  Spaniern  viel  zu  schaffen  machte,  und  sie  zwang,  von  der 
Anlage  der  Stadt  Buenos  Aires  im  Jahre  1535  abzustehn;  erst  45  Jahre  später,  als 
die  Zufuhren  aus  Spanien  sich  gemehrt  hatten  und  die  Colonie  in  Paraguay  im 
Aufblühen  begriffen  war,  gelang  es  dem  zweiten  Gründer  von  Buenos  Aires,  Du 
Garay,  der  Querandis  Herr  zu  werden;  er  schlug  sie  südwestlich  von  Buenos  Aires 
an  einer  Stelle,  die  noch  jetzt  die  Matanza  heisst,  so  vernichtend,  dass  sie  die  Ge- 
gend umher  verliessen  und  sich  ins  Innere  zurückzogen,  aber  nicht  nach  Süden, 
sondern  nach  Westen,  gegen  die  Cordilleren  hin,  wo  jetzt  die  Ranqueles  wohnen. 
Azara,  der  im  zweiten  Bande  seiner  Voyage  etc.  eine  sehr  gute  Beschreibung  aller 
von  ihm  wahrgenommeneu  Indianer- Völkerschaften  giebt,  sagt  geradezu,  dass  die 
Reste  der  Querandis  mit  den  Pampas-Indianern  verschmolzen,  zu  denen  sie  sich 
zurückzogen;  dass  diese  den  Aucas  verwandt  seien  und  unter  den  letzteren  ein  öst- 
licher Zweig  der  Araucaner,  diesseits  der  Cordilleren,  zu  verstehen  sei.  Alle  diese  Völker- 
schaften hatten  das  kriegerische  Naturell  der  Araucaner  und  gehörten  mit  diesen  zu  dem- 
selben Stamm;  heute  führen  sie  andere  Namen,  wie  Ranqueles,  aber  ihr  Naturell  ist  das- 
selbe; sie  sind  es,  welche  die  Anfälle  auf  die  europäischen  Ansiedelungen  ausführen  und 
Vieh,  Kinder  und  Weiber  rauben,  die  erwachsenen  Männer  aber  todtschlagen.  Von  einem 
Gliede  dieser  Indianer  stammen  die  durch  Hrn.  Oldendorf  bezogenen  Schädel;  ebenso 
diejenigen,  welche  Strobel  in  S.  Luis  erhielt  und  die  ebenfalls  direct  vom  Schlacht- 
felde geholt  wurden,  auf  Befehl  des  Gouverneurs,  der  ihm  damit  ein  Geschenk 
machte. 

Die  Schädel  der  alten  Grabstätten  am  Rio  Negro  gehören  einer  ganz  anderen, 
viel  sanfteren  Nation,  den  Tehuelches,  an,  zu  denen  die  als  Riesen  bekannten  Pata- 
gonier der  Küste  gehören;  sie  haben  sich  der  argentinischen  Regierung  halb  unter- 
worfen und  leben  mit  den  Pampas-Indianern  des  Innern  in  Feindschuft;  ja  sie  be- 
gleiten sogar  die  Regierungstruppen  auf  ihren  Kriegszügen  gegen  die  letzteren  und 
bewachen  die  Grenze  gegen  deren  Einfälle,  wofür  sie  Lieferungen  an  Vieh  und 
Kleiderstoffen  nebst  Tabak  erhalten.  Diese  Indianer  kommen  nach  Buenos  Aires, 
wo  ich  sie  mehrmals  gesehen  habe.  Sie  sind  nicht  so  dunkel  gefärbt,  wie  die  des 
Innern,  welche  ich  in  Mendoza  sah;  letztere  waren  sehr  dunkelbraun,  die  Tehuelches 
hellbraun.     Diese  sind  gross,  schlank,  jene  kurz,  untersetzt  gebaut. 

Ein  dritter  Volksstamm  wohnte  auf  den  Inseln  zwischen  den  Paranä-Mündungen 
und  von  diesen  stammen  die  Topfscherben,  welche  ich  Ihnen  geschickt  habe.  Sie 
begruben  ihre  Todten  in  gebrannten  Urnen,  von  denen  ich  eine  wohl  erhaltene  früher 
beschrieb,  und  gehörten  der  grossen  Nation  der  Guaranis  an,  welche  in  viele  Zweige 
zerfiel  und  von  denen  der  in  Paraguay  ansässige  der  Carlos  der  begabteste  gewesen 
zu  sein  scheint.  Einen  CoUectiv-Namen  hatten  diese  Völker  nicht,  wohl  aber  eine 
gemeinsame,  wenn  auch  in  viele  Dialekte  gesonderte  Sprache,  welche  von  den 
Spaniern  Guarani  genannt  wurde,  nach  einem  Indianer-Wort,  das  unterworfene 
bedeutet.      Diese   Leute    trieben    Ackerbau    und    hatten   Hausthiere,    Enten    (Anas 


(60) 

moschata)  und  Llama's;  die  andern  lebten  nur  von  der  Jagd  und  vom  Fischfange, 
assen  Wurzeln  als  Zukost,  und  führten  eine  nomadisirende  Lebensweise,  während  die 
Querandis  in  Dorlschaften  wohnten,  die  zum  Theil  befestigt  waren  mit  Pallisaden 
und  Tallgräben,  und  tapfer  vertheidigt  wurden. 

Von  den  Querandis  sind  bis  jetzt  keine  Reste  und  Antiquitäten  aufgefunden,  von 
den  Guaranis  nur  die  Urnen. 

(4)  Herr  Kasiski  zu  Neustettin  berichtet  in  einem  Schreiben  an  den  Vorsitzen- 
den vom  25.  März,  im  Auschluss  an  die  Besprechung  der  Urne  von  Rombczyn 
(Sitzung  vom  14.  Novbr.   1874) 

über  eine  verzierte  Urne  von  Fersanzig. 
(Hierzu  Taf.  VI,  Fig.  1-3). 

Für  die  Zusendung  des  Sitzungsberichtes  der  Berliner  Gesellschaft  für  Anthro- 
pologie sage  ich  Ihnen  meinen  verbindlichsten  Dank.  Derselbe  hat  dadurch  ein 
ganz  besonderes  Interesse  für  mich,  als  ich  daraus  ersehe,  dass  die  Urne  von 
Rombczyn  mit  der  im  Bericht  erwähnten  Persanziger  Urne,  die  nur  etwas  kleiner 
ist,  eine  ganz  entschiedene  Aehnlichkeit  hat.  Da  Sie  meine  Urne  nicht  vor  Augen 
hatten,  so  ist  Ihnen  diese  Aehnlichkeit  zum  Theil  entgangen,  und  erlaube  ich  mir 
ganz  ergebenst,  Ihnen  nachstehend  eine  Beschreibung  nebst  Zeichnung  der  Persan- 
ziger Urne  mitzutheilen.  Um  die  Aehnlichkeit  der  beiden  in  Rede  stehenden 
Urnen  noch  mehr  hervorzuheben,  habe  ich  mich,  so  weit  kleine  Abweichungen  nicht 
andere  Ausdrücke  bedingen,  derselben  Worte  bedient,  mit  welchen  Sie  die  Romb- 
czyner  Urne  beschrieben  haben. 

In  einem  kleinen,  flachen  Grabhügel  bei  den  Persanziger  Mühlen  lag  ein  Stein- 
pflaster und  unter  demselben  ein  Steinkisteugrab,  in  der  gewöhnlichen  Art  ausgebaut. 
In  der  Steinkiste  standen  zwei  Urnen,  von  welchen  die  eine,  die  grössere,  von 
schwarzer  Farbe,  vielfach  eingebrochen  war  und  auseinander  fiel.  In  derselben,  zwi- 
schen den  Knochenresteu,  lag  eine  Haarnadel  von  Bronze,  12  Cm.  lang. 

Die  zweite  Urne  ist  sehr  gut  erhalten,  die  Oberfläche  ist  glänzend  schwarz,  wie 
polirt,  die  innere  schwarz  grau,  beide  scheinbar  sehr  gleichmässig.  Der  Durchmesser 
des  Bodens  beträgt  1 1  Cm.,  darüber  baucht  sich  das  Gefäss  schnell  aus,  in  seinem 
grössten  Umfange  misst  es  60  Cm.,  dann  verjüngt  es  sich  wieder  und  geht  oberhalb 
der  noch  zu  erwähnenden  Verzierung  in  einen  engen,  lang  ausgeschweiften  Hals  von 
9  Cm.  Höhe  über.  Die  Mündung  hat  8^  Cm.  im  Durchmesser  und  ist  von  einem 
ganz  glatten,  einfachen  Rande  umgeben.     Ohne  Deckel  ist  die  Urne  2lj^Cm.  hoch. 

Der  Deckel  ist  3  Cm.  hoch  und  hat  unten  einen  Durchmesser  von  10  Cm.;  er 
hat  eine  schwache  Andeutung  von  einer  „Krempe"  und  eine  kegelförmige,  oben  ab- 
geplattete Gestalt.  Von  dieser  Platte  gehen  drei  Bündel  oder  Troddeln  nach  dem 
Rande  zu  (Fig.  3);  jedes  Bündel  besteht  aus  drei  Doppelliuien,  die  fächerartig  aus- 
einander gehen  und  zu  beiden  Seiten  von  durchbrochenen  Linien  eingefasst  sind; 
nach  dem  Rande  zu  werden  diese  drei  Bündel  durch  zwei  geschlossene,  kreisförmige 
l>inien  begrenzt,  die  zu  beiden  Seiten  wieder  von  durchbrochenen  Linien  einge- 
fasst sind. 

Eine  sehr  eigenthümliche  Verzierung  (Fig.  2)  umgiebt  den  unmittelbar  unter 
dem  Halse  gelegenen  Abschnitt;  sie  besteht  grösstentheils  aus  zwei,  neben  einander 
laufenden,  geschlossenen  und  aus  unterbrochenen  Linien,  von  denen  die  letztern  als 
r^egleiterinnen  und  Verstärkungen  der  zusammenhängenden  Linien  auftreten.  Beide 
Arten  von  Linien  sind  verhältnissmässig  tief  und  breit  und  offenbar  mit  einem  am 
Ende  etwas  verbreiterten  Griffel  eingeritzt.  Die  unterbrochenen  Linien  zeigen  kurze, 
nicht  ganz  in  einer  Flucht   liegende    Längeneindrücke.      Nach    oben    schliessen    die 


(61) 

Zeichnungen  mit  vier  horizontalen  Linien  ab.  Von  der  untersten  horizontalen  Linie 
gehen  vier  Bündel  nach  unten  ab,  welche  aus  je  zwei  vierfachen  Linien  bestehen, 
die  unten  hakenförmig  ausbiegen.  Die  vier  Bündel  bedecken  in  nicht  ganz  regel- 
mässigen Zwischenräumen  etwa  drei  Viertel  von  dem  Umfange  der  Urne.  Auf  dem 
vierten  Theil  des  Umfanges  ist  eine  ganz  abweichende  Zeichnung  angebracht,  welche 
ich  anfangs  für  eine  Art  Inschrift  oder  für  ein  symbolisches  Zeichen  hielt,  welche 
aber,  von  oben  betrachtet,  einer  Zeichnung  eines  Schiffes  ähnlich  ist,  wie  sie  in 
Ostgothland  in  Felsen  eingeritzt  sind. 

Die  Urne  war  durch  den  Deckel  gut  geschlossen,  enthielt  keine  Erde,  so  dass 
die  Knochen  darin  frei  lagen;  zwischen  denselben  befand  sich  eine  ganz  ähnliche, 
aber  etwas  kleinere  Haarnadel,  wie  in  der  zerbrochenen  Urne. 

Aus  der  Beschreibung  der  beiden  Urnen,  der  Rombczyner  und  der  Persanziger, 
geht  hervor,  dass  nicht  nur  die  Deckel  in  der  Form  einander  ganz  gleich,  sondern 
dass  auch  die  Urnen  selbst  in  Bezug  auf  Material,  Form  und  Farbe  gleich  sind. 
Selbst  die  Zeichnungen  auf  dem  Bauche  der  Urnen,  so  verschieden  ihre  Formen 
sind,  stimmen  in  der  Art  der  Ausführung  überein;  in  beiden  sind  nehmlich  ununter- 
brochene Linien  von  durchbrochenen  eingefasst.  Ganz  eigenthümlich  der  Persanzigor 
Urne  ist  diejenige  Zeichnung,  welche  einzelnen  Felsenzeichnungen  von  Schiffen  in 
Ostgothland  sehr  ähnlich  ist. 

(5)     Herr  Sven  Nilsson  schreibt  d.  d.  Lund,  20    März,  dem  Vorsitzenden 
über  ein  Thongefäss  von  der  Insel  Gottland. 

(ffierzu  Taf  VI,  Fig.  4.) 

In  der  letzten  Sendung  vom  14.  Nov.  1874,  die  ich  vor  einigen  Tagen  empfan- 
gen habe,  findet  sich  ein  Vortrag  von  Ihnen,  worin  Sie  von  den  Ausgrabungen,  die 
Sie  bei  Zaborowo  gemacht  haben,  erzählen,  und  wo  Sie  die  Gefässe,  die  Sie  da  ge- 
funden haben,  beschreiben.  Unter  Anderem  äussern  Sie,  dass,  wenn  man  .  .  die 
Ausführung  .  .  symbolischer  Zeichnungen  in  Erwägung  zieht.  Niemand  in  Zweifel 
bleiben  könne,  dass  diese  Entwickelung  einen  inneren  Zusammenhang  verschie- 
dener Bevölkerungen  anzeige. 

Bei  Veranlassung  hiervon  und  um  Ihre  Ansicht  zu  bestätigen,  habe  ich  die 
Ehre,  an  Sie  die  Abbildung  eines  hier  in  Scandinavien  gefundenen  Gefässes  zu  über- 
senden, welches  auch  gewiss  aus  südlicheren  Gegenden  herstammt.  Dieses  Thonge- 
fäss  hat  nicht  nur  eine  schöne  Form,  es  ist  ausserdem  und  besonders  mit  wohlbe- 
kannten schönen  Ornamenten  ausgeziert.  Und  da  diese  Ornamente  ausschliesslich 
phönizische  sind,  ohne  Beimischung  von  griechischen  oder  andern,  so  kann  ich  nicht 
umhin,  dieses  Gefäss  als  aus  Phoenizien  herstammeod  anzusehen. 

W^enn  man  diese  Ornamente  jedes  für  sich  untersucht,  so  fällt  gleich  ins 
Auge,  dass  der  Henkel  mit  dem  Palmzweig  geziert  ist,  und  dieses  ist  das  heiligste 
von  ihren  Symbolen,  da  es  sie  an  ihr  Vaterland,  das  Palmland  (Phoeuicia),  immer 
erinnerte.  Daher  kommt  auch,  dass  der  Palmzweig  oft  das  Bildniss  der  lyrischen 
Schutzgöttin  Astarte  begleitet. 

An  dem  Halse  des  Gefässes  sehen  wir  die  concentrischen  Ringe  mit  einer  spi- 
ralförmigen Linie  vereinigt,  und  darüber  eine  Reihe  von  Bogen,  die  hier  sehr  offen 
sind.  Rings  um  den  Bauch  steht  eine  Reihe  von  sehr  merkwürdigen  Ornamenten, 
die  wir  beinahe  nur  auf  den  Halsen  der  ältesten  Bronze-Lampen  wieder  finden. 

Nach  diesen  Ornamenten  gehört  dieses  Thongefäss  der  nämlichen  Zeit  au,  da 
die  ältesten  Bronzen  nach  Scandinavien  gekommen  sind,  oder  dem  Anfange  des  scan- 
dinavischen  Bronzealters  =-  1100  oder  1000  Jahre  vor  Christi  Geburt;  folglich  ist 
das  (iefäss  hierher  vor  etwa    1870  J;direii  gekommen. 


(62) 

Es  ist  in  einem  Grabe  auf  der  Insel  Gottland,  aus  Kalkstein  gebaut,  und  mit 
bronzenen  Sachen  dabei  gefunden. 

In  anderen  Gräbern  auf  derselben  Insel  sind  andere  Thongefässe  auch  mit 
phönizischen  Ornamenten  gefunden.  Mau  mag  sich  erinnern,  dass  Gottland  der 
älteste  Handelsplatz  hier  im  Norden  ist. 

Dass  wir  hier  ein  phönizisches  Gefäss  vor  uns  haben,  kann  wohl  Niemand  leug- 
nen; aber  nun  ist  die  Frage,  wie  es  vom  Orient  hierher  gekommen  ist?  Das  kön- 
nen wir  natürlicherweise  wohl  nicht  mathematisch  beweisen,  aber  doch  mit  der 
grössten  Wahrscheinlichkeit  errathen.     Wir  wollen  versuchen: 

Strabo  erzählt  (Lib.  III),  dass  in  den  ältesten  Zeiten  die  Phönizier  die  einzigen 
waren,  welche  die  Cassiteriden  von  Gades  aus  besuchten,  und  dass  sie  ihr  Segeln 
dahin  allen  Andern  verheimlichten.  Nun  ist  es  ja  ganz  klar,  dass,  wenn  sie  noch 
weiter  gegen  Norden  fuhren,  sie  auch  und  noch  mehr  dieses  Segeln  allen  Anderen 
verheimlichten.  Und  dass  sie  weiter  gegen  Norden  gekommen  sind,  ist  ohne  allen 
Zweifel.  Sie  haben  Bernstein  an  der  Schleswig' sehen  Küste  gefunden,  wo  er  in 
grosser  Menge  gewesen  ist  und  sich  noch  findet. 

Herodotus,  Thalia,  Kap.  115  konnte  nicht  sagen,  woher  das  Zinn  und  der  Bern- 
stein nach  Griechenland  kamen,  aber  dass  sie  beide  von  den  äussersten  Landesenden 
nach  Westen  herkamen ,  das  wusste  er  gewiss ,  und  so  war  es  wirklich  auch. 
Der  Bernstein  an  den  preussischen  Küsten  der  Ostsee  ward  erst  in  Nero's  Zeiten 
bekannt. 

Aber  woher  hatte  Herodotus  schon  diese  Kenntüiss  erhalten?  Vielleicht  von 
Phöniziern  in  Tyrus,  denn  keine  Anderen  kannten  diese  Verhältnisse.  Diodorus 
Siculus  weiss  zu  erzählen,  dass  Bernstein  an  der  Insel  Basilia  in  grosser  Menge 
ausgeworfen  wird,  und  die  neuen  Forschungen  haben  erwiesen,  dass  Basilia  Wesseley 
noch  heisst  und  in  Schleswig  liegt. 

Aber,  wie  vorher  erwähnt:  Wenn  die  Phönizier  so  weit  hinauf  gefahren  sind, 
dass  sie  auch  Bernstein  fanden,  so  hielten  sie  auch  diese  Reise  geheim,  und  wir 
können  also  gar  Nichts  davon  wissen,  ausser  dem,  was  wir  von  ihren  nachgelasseneu 
Spuren  errathen  können. 

Nun  berichtet  uns  gleichfalls  Strabo,  was  die  Phönizier  bei  ihren  einzelneu 
Reisen  vornahmen.  Sie  trieben  Tauschhandel  mit  den  halbwilden  Einwohnern,  z.  ß. 
auf  den  Zinninselu.  Sie  hatten  mit  sich  Salz,  Bronzegeräthschaften  und  Thongefässe 
(■Kspa^iuLov)  und  dafür  erhielten  sie  Zinn,  Blei  und  Pelzwaareu. 

Wenn  sie  hierher  nach  Scandinavien  kamen,  so  konnten  sie  in  grosser  Menge 
Bernstein,  auch  Pelzwaaren  und  Fische  (denn  diese  suchten  sie  auch)  haben; 
dafür  gaben  sie  wohl  auch  hier  Salz,  Bronze  und  Thongefässe,  vielleicht  gerade 
solche  nette  und  zierliche,  wie  dieses  Bildniss  vor  uns  steht. 

Ich  habe  mir  auch  vorgestellt,  dass,  wenn  der  Chef  einer  Horde  eine  solche 
Seltenheit  sich  erworben  hatte,  er,  und  seine  Familie  nacli  ihm,  sie  als  ein  Familieu- 
kleinod,  Generation  nach  Generation,  sorgfältig  verwahrt  und  schliesslich  in  einem 
Grabe  in  der  Erde  zum  Verwahr  niedergesetzt  haben  möge. 

Ich  würde  sehr  dankbar  sein,  wenn  Jemand  mir  eine  bessere  Erklärung  über 
dieses  hier  im  Norden  gefundene  phönizische  Gefäss  geben  wollte;  dass  es  altphö- 
nizisch  ist,  kann  ja  nicht  in  Abrede  gestellt  werden. 

Ich  habe  mehrere  Beweise,  dass  dieses  semitische  Volk  hier  im  südlichen  Scan- 
dinavien gewesen  ist  und  seinen  Baalscult  hier  getrieben  hat,  aber  ehe  ich  es  mit- 
theile, wünsche  ich  gerne  zu  wissen,  was  Sie  von  diesem  Gefässe  meinen.  — 

Dt-r   Vorsitzende  spricht  dom  Nestor  der  nordisclieu   Archäologie   den    besondern 


(63) 

Dank  des  Vereins  für  seine  interessante  Mittbeilung  aus.  Er  hebt  hervor,  dass  ganz 
ähnliche  Malereien  sich  freilich  auch  auf  archaischen  Gefässen  in  Griechenland  und 
Italien  finden,  dass  jedoch  auch  diese  sehr  wohl  auf  phönizische  Vorbilder  zurück- 
geführt werden  können.  Eine  Entscheidung  über  den  einzelnen  Fall  müsse  indess 
wohl  unter  Zuliülfenahme  aller  anderen   Fundumstände  gefällt  werden. 

(G)  Fräulein  J.  Mestorf  sendet  eine  genauere  Zeichnung  der  schon  früher 
(Sitzung  vom   11.  Mai   1872)  besprochenen 

Gesichtsnrue  von  Möen. 
(Hierzu  Taf.  VI,  Fig.  5.) 

„Die  einliegenden  Pausen  nahm  ich  von  Dr.  Bendixens  Zeichnung  zweier  irde- 
nen Scherben  im  Kopenhagener  altnordischen  Museum,  b  ist  dieselbe,  welche  ich 
Ihnen  nach  Justizrath  Strunck's  Abklatsch  schickte,  a  ist  eine  Scherbe  von  einem 
zvveiten  Gefässe  aus  demselben  Grabe  (Ganggrabe)  auf  Möen,  wo  die  Ihnen  früher 
bekannte  Scherbe  b  gehoben  wurde.  Ob  Dr.  Lisch  auch  in  diesen  Zeichnungen 
noch  das  gewöhnliche  concentrische  Ornament  erblickt  und  diejenigen,  welche  ein 
Augenpaar  darin  erblicken,  zu  lebhafter  Einbildung  beschuldigt?" 

(7)     Herr  Witt  (Bogdanowo)  eröffnete 

ein  Steiugrab  bei  Oboruik. 

Das  Grab  lag  auf  dem  5  Minuten  von  der  Obornik-Rogasener  Chausee  gelegenen 
Grundstück  des  Wirthes  Scheffler,  Roznower  Abbau  Nr.  IC.  Etwa  2  Fuss  unter 
der  Erde  lag  in  einer  Umgebung  von  runden  kleinen  Feldsteinen  ein  Steingrab  regel- 
mässig im  Winkel,  sehr  sorgfältig  zusammengesetzt  aus  glatten,  nach  der  Innenseite 
ebenen  Grauitplatten.  Die  Deckplatte  war  59  Cm.  breit  und  91  Cm.  lang,  während 
die  Seitenwäude  aus  je  einem  platten  Stein  gebildet  wurden,  87  Cm.  die  eine  Seite 
und  64  Cm.  die  andere  Seite  breit.  Der  Boden  der  so  gebildeten  Steinkiste  war 
mit  glatten,  kleinen  Steinplatten  sehr  sorgfältig  belegt.  Die  Tiefe  der  Steinkiste  be- 
trug ungefähr  36  Cm.,  in  derselben  befanden  sich  drei  Urnen  von  27  Cm.  Höhe  und 
89  Cm.  Umfang  au  der  Ausbauchung,  und  Ö4  Cm.  an  der  Oeffnuug.  Sie  waren 
sämmtlich  ohne  alle  Verzierung,  in  der  gewöhnlichen  F'orm,  aber  von  sehr  grobem^ 
kleine  Kieskörner  enthaltenden  Thon,  auch  sehr  sorgfältig  mit  einem  übergreifenden, 
oben  etwas  erhöhten,  mit  einigen  im  Kreise  gestellten  strichförmigen  Verzierungen 
an  der  Spitze  verzierten  Deckel  zugedeckt.  Die  Urnen  enthielten  nur  die  Ueber- 
reste  gebrannter  Knochen  erwachsener  Menschen;  sonst  fanden  sich  weder  Bei- 
gaben in  der  Urne,  nocli  im  Grabe.  Nur  im  Sande  neben  dem  Grabe  hat  sich  ein 
Granitsplitter  gefunden,  der  wohl  als  eine  Pfeilspitze  oder  eine  Waffe  gedeutet  wer- 
den kann,  von  äusserst  roher  Bearbeitung,  dessen  Regelmässigkeit  aber  wohl  kaum 
einem  Zufall  seine  Entstehung  verdankt.  —  Das  Grab  unterscheidet  sich  wesentlich 
von  den  sogenannten  Massengräbern,  wie  sie  sich  z.  B.  in  der  Oboruiker  Schonung 
und  anderswo  an  den  Ufern  der  Welna  reichlich  finden.  Während  dort  neben  den 
Aschenurnen  in  verschiedenen  Formen  eine  ganze  Anzahl  oft  recht  geschmackvoll 
gearbeiteter  Thongefässe  aller  Grössen  und  Formen,  rund  um  die  Aschenuruen  herum, 
zwischen  denselben,  oft  in  dieselben  hineingelegt,  sich  vorfindet,  so  ist  hier  ausser 
den  Aschenurnen  selbst  nicht  ein  einziges  Gefäss  oder  nur  eine  Scherbe  zu  sehen. 
Auch  finden  sich  die  vielen  Urnen  bei  Obornik  etc.,  die  von  feinerem  Thon  sind, 
einfach  in  die  Erde  gestellt,  nur  bedeckt  von  grossen  Haufen  Steinen,  während  hier  in 
einer  Gegend,  wo  solche  Steinplatten  eine  grosse  Seltenheit  sind,  die  Urnen  sorgfältig 
in  einem  mit  solchen  Platten  ausgelegten  Grabe  sich  befinden.  Sollten  diese  letzteren 
Giäber  nicht  vielleicht  von  Eiuvvuudorcru    aus    einer    Gegend    sein,    in    welcher    ein 


(64) 

Schiefergebirge  leichter  solche  Platten  finden  liess?  Ursprünglich  diente  doch  wohl 
die  Bedeckung  mit  Steinen  nur  dazu,  in  einer  Zeit,  wo  man  die  Todten  noch  nicht 
verbrannte,  den  Leichnam  vor  dem  Ausscharren  der  wilden  Thiere  zu  schützen,  und 
dieser  Gebrauch  hat  sich  dann  später  auch  ohne  Zweck  auf  die  Aschenurueu  über- 
tragen. 

(8)     Herr  G.  Fritsch  hielt  einen  einleitenden  Vortrag 
über  anthropologische  Studien  in  Verbindung  mit  der   deutseben   Venus-Expedition 

naeb  Ispahan, 

indem  er  zunächst  ein  Resume  des  ganzen  Unternehmens  vorlegte,  mit  der  ausge- 
sprochenen Absicht,  durch  spätere  Mittheilungen  über  die  einzelnen  Gebiete  die 
Details  nachzutragen. 

Am  19.  September  erfolgte  die  Abreise  von  Berlin,  d.  h.  au  einem  Termin, 
welcher  nur  bei  durchaus  glücklichem,  aufenthaltslosem  Reisen  die  zu  den  unumgäng- 
lichen Vorbereitungen  am  Statiousorte  nöthige  Zeit  gewährte.  Die  Route  führte 
quer  durch  Russland,  da  von  Seiten  der  Regierung  dieses  Landes  bedeutende  Er- 
leichterungen in  Aussicht  gestellt  waren  und  die  Expedition  in  der  That  daselbst  die 
freundlichste  Unterstützung  fand.  Die  Vertreter  der  russischen  Behörden  Hessen  es 
sich  angelegen  sein,  an  Stationen,  wo  einiger  Aufenthalt  unvermeidlich  war,  wie  z.  B. 
zu  Zarizyn  und  Astrachan,  uns  über  Land  und  Leute  erwünschte  Information  zu  ver- 
schaffen. Besonders  interessant  waren  die  hier  vorhandenen  kalmückischen  Elemente 
der  Bevölkerung,  zu  denen  sich  schon  in  Astrachan  auch  zahlreiche  tatarische  Bestand- 
theile  mischen;  durch  Erwerbung  einer  grösseren  Anzahl  von  Photographien  solcher 
Individuen  wurde  der  Eindruck  für  später  zu  fixiren  gesucht.  Tatarische  Elemente 
kamen  alsdann  weiterhin  in  Baku  am  kaspischen  Meere  und  in  Rescht  zur  Beobach- 
tung, indem  gerade  in  den  Küstenstrichen  des  genannten  Meeres  und  in  den  süd- 
lichen Grenzländern  des  Kaukasus  sich  die  Reste  solcher  früheren  Einwanderungen 
tatarischer  Stämme  besonders  kräftig  erhalten  haben. 

In  Rescht,  welche  Stadt  am  6.  October  von  der  Expedition  erreicht  wurde,  be- 
gann die  Landreise  mit  der  Karawane  aus  einigen  sechzig  Maulthieren,  auf  denen 
das  ausgedehnte  Gepäck  mittelst  Packsätteln  oder  Bahren  zu  zwei  Thieren  verladen 
war.  So  zog  die  Expedition  in  gemächlichem  Schritt  ohue  Aufenthalt  weiter,  anfangs 
durch  die  üppig  bewaldeten  Niederungen  am  kaspischen  Meere,  alsdann  durch  die 
höher  gelegene  Ebene  von  Teheran,  nachdem  der  schwierige  Bergpass  des  Charzan 
glücklich  überstiegen  worden  war.  Die  Landstriche  an  den  nördlichen  Abhängen 
des  Gebirges  weichen  durch  ihren  ganzen  Habitus,  wie  durch  das  Aussehen  seiner 
Bewohner,  stark  von  denen  des  Inlandes  ab.  Die  Vermischungen  mit  tatarischen  und 
weiter  östlich  mit  turkmenischen  Elementen  prägen  den  Einwohnern  einen  Character 
auf,  welcher  sich  von  dem  eigentlich  persischen,  wie  man  ihn  im  lulande  findet, 
leicht  nuterscheideu  lässt.  In  der  Gegend  des  Passes  trafen  sich  auch  recht  häutig 
kleinere  Gruppen  von  Personen,  die  den  beständig  nomadisirendeu  Stämmen,  deu 
Ilyad,  angehörten  und  die  rauhen  Hochebenen  mit  ihrem  spärlichen  Vieh  verliessen, 
um  dem  anrückenden  Winter  zu  entgehen.  Ausser  den  gelegentlich  am  Wege  zu 
machenden  authropologischen  Beobachtungen  war  es  besonders  der  officielle  Verkehr 
mit  den  Gouverneuren  der  Städte  u.  s.  w.,  wodurch  uns  Einblicke  in  das  persische 
Leben,  die  Sitten  und  Gebräuche  des  Landes  gewährt  wurden.  In  der  am  19,  Oct. 
erreichten  Residenz  Teheran  kam  eine  feierliche  Audienz  beim  Schah  selbst,  sowie 
verschiedener  sonstiger  officieller  Verkehr  mit  den  Behörden  hinzu,  um  unsere  Er- 
fahrungen zu  bereichern,  aber  schon  am  24.  musste  die  Reise  fortgesetzt  werden, 
und  es  waren  jetzt  Gegenden   zu  passiren,  deren    wüster,    vegetationsloser    Gliarakter 


(65) 

keiner  ansässigen  Bevölkerung  die  Existenzmittel  gewähren  könnte,  so  dass  nur  die 
seltenen  Karawanen  der  Kaufleute,  eiligst  weiterziehend,  und  die  Zijge  der  Pilger, 
welche  in  der  heiligen  Stadt  Kurn  anbeten  wollen,  den  öden  Weg  beleben.  In  der 
genannten  Stadt  selbst  ist  das  abenteuerliche  Gewimmel  in  den  Bazaren  und  um  die 
Moschee  mit  ihrer  grossen  vergoldeten  Kuppel  äusserst  interessant  und  ganz  unbe- 
rührt von  europäischer  Civilisation,  so  dass  sich  bei  jedem  Blick  originelle  Eindrücke 
gewinnen  Hessen;  die  an  den  Bazar  anstossenden  alten  Karawansereien  und  Höfe 
zeigen  in  ihren  zierlichen,  leicht  aufsteigenden  Schwiebbögen  und  künstlich  con- 
struirten  Gewölben  schöne  Proben  der  edelsten  persischen  Baukunst.  Der  Versuch, 
das  Bild  photographisch  zu  fixiren,  schlug  bei  der  Dunk&lheit  des  Ortes  freilich  fehl, 
aber  in  dem  nun  bald  erreichten  Ispalian  fand  sich  ein  willkommener  Ersatz. 

Nach  Ueberschreitung  des  zweiten  Passes  von  Khorud  und  Durchwandern  der 
darauf  folgenden  Hochebene  traf  die  Expedition  am  4.  November  glücklich  in  Ispa- 
han  ein,  auch  hier  feierlich  bewillkommt  durch  den  Sohn  des  Schah,  Seile  Sultan, 
Gouverneur  von  Ispahan.  Die  Wahl  der  Station  in  Bagh-i-zeresht  zwischen  Ispahan 
und  Djulfa  führte  uns  mitten  zwischen  die  Prachtbauten  des  Schah  Abbas,  welche 
selbst  noch  im  heutigen  Stadium  des  Verfalles  einen  imponirenden  Eindruck  zu  er- 
wecken vermögen.  Bei  den  Vorarbeiten  für  das  Phänomen  wurde  eine  grössere 
Anzahl  von  Aufnahmen  solcher  Architecturen  gewonnen,  auf  die  später  unter  Vor- 
legung der  Copien  zurückzukommen  sein  wird.  Die  anfangs  scheue  Bevölkerung  von 
Ispahan  fasste  allmählig  Vertrauen  zu  uns  und  häufig  pilgerten  angesehene  Personen, 
von  der  Neugier  getrieben,  bis  zu  uns  hinaus,  um  die  Instrumente  und  Apparate  in 
Augenschein  zu  nehmen,  an  ihrer  Spitze  zum  grössten  Erstaunen  der  äusserst  fana- 
tischen Einwohner,  die  obersten  Mullahs  selbst,  deren  näherer  Verkehr  mit  Ungläu- 
bigen nach  den  alten  Satzungen  zu  den  factischen  Unmöglichkeiten  gehörte.  Die 
officielle  Stunde  für  Visiten  ist  in  Persien  meistens  eine  Stunde  vor  Sonnenunter- 
gang, eine  betrübende  Einrichtung  für  anthropologische  Photographen,  welche  gele- 
gentlich solcher  Besuche  Portraits  aufzunehmen  beabsichtigen;  solche  Aufnahmen 
wurden  daher  auch  nur  in  spärlicher  Zahl  gewonnen,  wozu  auch  die  abgelegene 
Situirung  der  Station  vieles  beitrug. 

Nachdem  an  dem  wichtigen  Morgen  des  neunten  Dezember  unter  schwierigen 
Witterungsverhältnissen  doch  zwanzig  brauchbare  Photographien  des  Phänomens  ge- 
wonnen waren  und  die  nöthigen  Copien,  die  Verpackung  der  Instrumente,  sowie  die 
Vorbereitungen  zur  Rückreise  beendigt  waren,  wurde  diese  selbst  mittelst  Courier- 
pferden angetreten,  um  dem  persischen  Winter,  der  bereits  drohend  vor  uns  stand, 
womöglich  noch  zu  entgehen,  ehe  er  mit  ganzer  Strenge  die  hochgelegenen  Länder 
überzog.  Bis  Teheran  begleitete  uns  noch  das  klare,  warme  Herbstwetter  und  er- 
laubte die  durch  die  Abwickelung  der  officiellen  Beziehungen  gebotene  Müsse  zu 
einem  sehr  lohnenden  Ausflug  nach  den  berühmten  Ruinen  von  Rages,  der  drei- 
fachen Stadt,  und  auf  den  benachbarten  Guebern  -  Kirchhof  zu  benutzen,  dessen 
scheinbar  unersteigliche  Umwallung  unter  der  freiwilligen  Mitwirkung  mehrerer  be- 
freundeter Herren  von  Teheran  glücklich  erstiegen  wurde  und  einen  Theil  seiner  Schätze 
der  Wissenschaft  opfern  musste.  Trotz  aller  Eile  crfasste  uns  der  hereinbrechende  Win- 
ter noch  vor  dem  Passe  von  Charzan,  ohne  indessen  den  allerdings  im  Schneesturm 
auszuführenden  üebergang  vollständig  vereiteln  zu  können;  Rescht  wurde  glücklich 
erreicht,  doch  hatte  der  Sturm  das  zu  unserer  Aufnahme  bestimmte  russische  Re- 
gierungsboot von  der  Rhede  am  Morgen  desselben  Tages  vertrieben,  an  welchem  die 
Kxpeditionsraitglieder  gegen  Mittag  am  Ufer  anlangten. 

Nach  einem  durch  die  Verhältnisse  erzwungenen  Aufenthalte  von  14  Tagen  in 
Rescht,    der  durch  die  liebenswürdige,    gastfreie    Aufnahme    des    russischen    Consuls 

Verhaudl.  der  Uerl.  Authropol.  GesellscUalt.     lÖ7i.  ö 


(66) 

Serjipontowsky  angenehm  verkürzt  wurde,  schifften  wir  uns  aufs  neue  ein  und 
langten  nach  einem  Abstecher  bis  Asterabad  im  Osten  des  kaspischen.  Meeres  am 
2.  Februar  endlich  in  Baku  an.  Von  dort  führte  die  russische  Eilpost  die  Mitglieder 
glücklich  nach  Tiflis,  wo  die  daselbst  ansässigen  Deutscheu,  au  der  Spitze  unser 
Cousul  Brüning,  der  ?]xpeditiou  freundlich  entgegen  kauieu.  Unter  diesen  Herren 
findet  sich  einer,  dem  der  Vortragende  durch  seine  grosse  Zuvorkommenheit  zu  be- 
sonderem Danke  verpflichtet  ist,  uehralich  Herr  Bayern,  dessen  grosse  Verdienste 
um  die  Aufdeckung  und  Gewinnung  so  mancher  archäologischen  und  geologischen 
Schätze  der  Kaukasusländer  kaum  genügend  gewürdigt  sind.  Trotz  seiner  vorge- 
rückten Jahre  arbeitet  der  Herr  mit  wahrhaft  jugendlichem  Feuereifer  an  der  Auf- 
gabe weiter,  welcher  er  sein  Leben  geweiht  hat,  und  wenn  man  auch  nicht  im 
Staude  ist,  seineu  Auslegungen  in  allen  Stücken  beizupflichten,  so  verringert  das 
keineswegs  die  grossen  Verdienste  des  Mannes.  Seiner  Güte  verdankt  der  Vortra- 
gende eine  Anzj^il  der  alten,  leider  schon  sehr  morschen  Schädel,  welche  den  Stein- 
kisten von  Samthawro  entnommen  wurden,  und  ein  Gang  durch  sein  kleines,  aber 
sehr  interessantes  Museum  belehrte  über  die  begleitenden  Geräthe  und  sonstigen 
Eigenthümlichkeiten  der  Funde. 

Als  nun  auch  Tiflis  unter  erueutem  heftigem  Nordoststurm  bei  Schneegestöber 
verlassen  und  Poto  erreicht  war,  fehlten  wegen  der  Havarie  der  regelmässigen  Boote 
noch  einmal  die  erhofften  Verbindungen.  Anstatt  direct  nach  Constantinopel  zu 
gehen,  musste  der  Umweg  über  Odessa  gewählt  werden,  indessen  erwies  sich  dieser 
Umweg  als  ein  durchaus  günstiges  Moment,  da  er  Gelegenheit  bot,  die  sehr  interes- 
santen Ausgrabungen  von  Kertsch,  das  Museum  dieser  Stadt,  sowie  die  kleineren  von 
Feodosia  und  Odessa  zu  besichtigen.  Die  Funde  von  Kertsch  schliessen  sich  in  be- 
merkenswerther  Weise  an  die  Ausgrabungen  von  Samthawro,  wenn  auch  das  Meiste 
darunter  nicht  in  eine  gleich  frühe  Zeit  hinaufreicht,  und  es  scheint  keinem  Zweifel 
zu  unterliegen,  dass  eine  ausgiebige  Vergleichung  der  au  beiden  Orten  gehobenen 
Schätze  manches  Neue  und  Interessante  zu  liefern  vermöchte. 

Aus  dem  beeisteu  Hafen  von  Odessa  wurde  am  27.  Februar  ausgelaufen  und 
am  1.  März  traf  das  Boot  glücklich  im  Hafen  von  Constantinopel  ein.  Ausser  mau- 
nichfachen  Vorbereitungen  für  die  beabsichtigte  zoologische  Excursion  nach  Klein- 
asien fand  ich  Gelegenheit  zu  einem  Besuch  bei  Hrn.  Dr.  Weissbach,  in  weiteren 
Kreisen  durch  seine  schönen  craniologischen  Arbeiten  bekannt.  Der  genannte  Herr 
trat  aus  seiner  reichen  Sammluug  vou  Türkenschädeln  eine  Anzahl  für  die  anthro- 
pologische Gesellschaft,  einige  andere  für  das  anatomische  Museum  mit  grosser  Be- 
reitwilligkeit ab. 

Die  Wächter  der  im  Allgemeinen  sehr  liederlich  gehaltenen  muharaedanischen 
Kirchliöfe  von  Constantinopel  sind  in  neuerer  Zeit,  durch  mancherlei  üble  Erfahrungen 
gewarnt,  sehr  misstrauiscli  geworden,  so  dass  die  Erlangung  des  craniologischen 
Materials  äusserst  schwierig  ist;  selbst  weun  man  die  Schädel  glücklich  erlangt  hat, 
so  kann  mau  mit  grosser  Sicherheit  annehmen,  dass  dieselben  beim  Fassireu  der 
Douane  von  Seiten  der  türkischen  Behörden  confiscirt  werden.  Der  durch  die  Güte 
der  heimischen  Regierung  dem  Vortragcuiden  verliehene  offlcielle  Character  machte 
es  allein  möglich,  diese  S(;hwierigkeiten  glücklich  zu  überwinden,  und  er  fühlt  sich 
für  die  Bereitwilligkeit  und  Energie,  womit  ihm  darin  gewillfahrt  wurde,  zu  beson- 
derem Danke  verpflichtet. 

Die  nach  der  kleinasiatisehen  Küste  fortgesetzte  Reise  brachte  neue  üble  Erfah- 
rungen liinsichtlich  des  winterliclien  Wetters,  aber  auch  neue  craniologische  und 
anlliKjpologische  Errungenschaften.     Auf  dem  classischeu   Boden  von  Smyrna  stellten 


(67) 

sich  manche  bemerkenswerthe  Eindrücke  von  Sonst  und  Jetzt  dem  Auge  des  Rei- 
senden dar;  aus  der  Vorzeit  besonders  interessant  die  ausgedehnten  Kjökkenraöddings 
um  die  Ruinen  des  alten  Castells  von  Smyrna.  Es  zeigen  diese  mächtigen  Aufschüt- 
tungen von  Schalen  essbarer  Muscheln  der  heiiaclibarteu  Bay,  welche  der  Art  ihrer 
Anordnung  nach  um  die  alten  Mauern  von  den  früheren  Bewohnern  der  Burg  auf- 
gehäuft erscheinen,  wie  solche  Formationen  auch  noch  in  historischeu  Zeiten  ent- 
standen sind.  Es  finden  sich  zwischen  den  Muscheln  Münzen  der  Jahrhunderte  um 
den  Beginn  unserer  Zeitrechnung,  dagegen  sind  keine  Stein-  oder  Knochengeräth- 
schaften  darunter  gefunden  worden. 

Die  Bevölkerung  Kleinasiens  ist  recht  abweichend  von  derjenigen  Constautinopels; 
es  scheinen  hier  wieder  autochthone  Elemente  durclizuschlagen  und  herrschend  zu 
werden,  welche  an  Kraft  ihrer  Anlage  die  modernen  türkischen  Stämme  bei  Weitem 
übertrefien.  Energie  und  Thatkraft  ist  bei  ihnen  noch  in  viel  höherem  Grade  vor- 
handen, als  bei  den  in  den  Harems  verweichlichten  modernen  Türken,  worauf 
zurückzukommen  sich  wohl  ebenfalls  später  Gelegenheit  findet.  Die  geplanten  Ex- 
cursioneu  nach  dem  Innern  Kleinasiens  verboten  sich  durch  die  anhaltenden  Unwetter, 
welche  die  Flussthäler  unter  Wasser  setzten  und  die  erweichten  Wege  unpassirbar 
machten. 

Es  wurde  daher  Ende  März,  nachdem  die  auch  hier  gestörten  Dampfbootver- 
bindungen sich  wieder  etablirt  hatten,  die  ursprünglich  bereits  für  den  Anfang  dieses 
Monats  beschlossene  Rückreise  wirklich  augetreten,  um  das  unterdessen  gesammelte 
vergängliche  Material  zoologischer  Natur  rechtzeitig  verarbeiten  zu  können,  und  am 
(j.  April  war  Berlin  glücklich  wieder  erreicht. 

Die  Errungenschaften,  welche  Persieu  gebracht  hat,  schweben  freilich,  abgesehen 
von  den  als  persönliches  Gepäck  transportirten  Phänomenplatten,  noch  zur  Zeit  in 
unsicherer  Ferne. 

(9)  Herr  Fritsch  übergab  der  Gesellschaft  als  Geschenk  des  correspondireuden  Mit- 
gliedes Hrn.  Dr.  A.  Weissbach  zu  Coustantinopel  die  (S.  66)  erwähnten  sechs  typischen 

Türkenschädel. 
Dieselben  stammen  vom  mohamedanischen  Friedhofe  am  Tekke  (Kloster  der  tan- 
zenden Derwische)  in  Pera  Nr.   10,  56,  57,  61;   vom  Friedhofe  innerhalb  des  Klosters 
Nr.    21;    endlich    vom    mohamedanischen    Friedhofe    hinter    dem    Arsenale    zwischen 
Galata  und  Kassimpaschä  Nr.  63. 

(10)  Herr  Virchow  spricht,  unter  Vorlage  des  Objectes  und  zahlreicher  Pho- 
tographien über 

einen  Andaniaiieuscbädel. 

Unter  den  wichtigen  Erwerbungen,  welche  die  Sammlungen  unserer  Stadt  der 
ebenso  erfolgreichen  als  anhaltenden  Thätigkeit  des  Hrn.  Dr.  F.  Jagor  verdanken,  steht 
nicht  in  letzter  Reihe  ein  so  eben  eingegangener  Andamauen-Schädel.  Derselbe  ist 
mir  als  ein  Geschenk  eines  sehr  verdienten  indischen  Arztes,  des  Hrn.  Macuaraara, 
der  zur  Zeit  in  England  verweilt,  zugegangen.  Gleichzeitig  hat  das  ethnologische 
iMuseum  eine  grosse  Zahl  der  interessantesten  Schmmk-  und  Nutzgegenstände  von 
jener  fernen  Inselgruppe  empfangen. 

Nach  dem  aufgeklebten  Etikett,  welches  unter  dem  Namen  Chä-tah  wahrschein- 
lich den  Namen  des  einstigen  Besitzers  dieses  Schädels  anführt,  ist  der  letztere  als 
Erinnerung  an  den  Todten  an  einer  Schnur  um  den  Hals  getragen  worden. 

In  der  That  findet  sich  noch  jetzt  an  dem  Schädel,  der  offenbar  einer  älteren 
Frau  angehört  hat,    eine  aus  einem  schmalen  Lederstreifen    gedrehte,    etwas    über    '2 

5* 


(68) 

Mm.  dicke  Schnur,  deren  geringe  Länge  von  580  Mm.  allerdings  nicht  ganz  dem 
Zwecke,  über  den  Kopf  geschoben  und  um  den  Hals  gelegt  zu  werden,  zu  entspre- 
chen scheint.  Indess  besteht  sie  eigentlich  aus  zwei  Theilen,  indem  jederseits  ein 
Ende  in  der  Art  au  dem  Jochbogen  befestigt  ist,  dass  dasselbe  parallel  an  den 
Knochen  augelegt  und  nebst  dem  Knochen  dicht  mit  einem  feinen,  aus  Fasern  ge- 
drehten Faden  umwickelt  ist.  Beide  Theile  sind  am  äussern  Ende  durch  einen 
Knoten  mit  einander  verbunden. 

Der  Schädel  ist  im  Uebrigen  sehr  wohl  erhalten.  Ein  grosser  Theil  seiner 
Überfläche  und  fast  alle  Oeffnuugeu,  Gruben  und  Vertiefungen  sind  mit  dicken,  fest 
anhaftenden  Schichten  einer  wohlriechenden,  rothen  Substanz  überzogen.  Selbst 
der  harte  Gaumen  und  die  Oberfläche  der  Schädelkapsel  sind  nicht  freigeblieben. 
Die  Substanz  scheint  ihrer  Hauptmasse  Eisenoxyd  zu  sein:  unter  dem  Mikroskop 
sieht  man  feine  stengeiige  Krystalle  und  dazwischen  hie  und  da  feine  Pflanzen- 
zellen.    Beim   Erhitzen  schmilzt  sie  nicht. 

Wo  dieser  üeberzug  fehlt,  da  sieht  der  Schädel  dunkelbraun  aus,  jedoch  giebt 
es  einzelne,  durch  vielfache  Reibung,  wahrscheinlich  beim  Tragen,  polirte  Stellen 
von  mehr  gelblicher  Färbung.     Der  Unterkiefer  fehlt. 

Die  Maasse  sind  folgende: 

Capacität 1060 

Grösster  Horizontalumfang 450 

Entfernung  des  Gehörganges  von  der  Stirnwölbung    .    .    .       83,5 

,  „  „  vom  Scheitel 101,0 

„  „  „  n      Hinterhaupt 91,5 

Grösste  Höhe 123 

Entf.  des  For.  oecip.  von  der  vorderen  Fontanelle  ...  121 
,  ,  «  „  „  T  hinteren  „  ...  87 
„       „       „         „       (hintererRand)v.d.  vordem  Fontanelle    131 

Grösste  Länge 154 

Sagittalumfang  des  Stirnbeins ■^■^^     , 

Länge  der  Sut.  sagittalis ^^•'(S 

Sagittalumfang  der  Hinterhauptsscbnppe 99) 

Entf.  des  Gehörganges  von  der  Nasenwurzel 87,5 

„        „  „  „     dem  Nasenstachel 90 

„        „  „  „        „     Alveolarrand  d.  Oberkiefers      94 

„        „     For.  occip.  von  der  Nasenwurzel 83 

-     dem  Nasenstachel 80,5 

„        „       „         „         „        -n      Alveolarraud  d.  Oberkiefers       81 
,        ,       „         „       (hinterer  Rand)  von  der  Hinterhaupts- 

wölbung  .    .       52 

Länge  des  Foramun  occipitale 33 

Breite     „  „  „  30 

Grösste  Breite 131 

Oberer  Frontaldnrclunesser 66 

Unterer  ,  88 

Temporaldurnlnnesser 106 

Parictaldurcbmesser 129 

Oberer  Mastoidealdurchmesser 103 

Unterer  „  86 

Jugaldurchiuesser ;    .    .    • 116,5 

Maxillardurchmesser 4ö 

(^iieruiiifang  (von  Gehörgaiig  zu  (lehörgang) 288 

l'.reite  der  Nasenwurzel 21 

_         _     NascMÖiriinng 21,5 


(69) 

Höhe  der  Nase 46,5 

Breite  der  Orbita 35 

Höhe      „        „       :i4 

Umfang  des  Oberkieferrandes 112 

Länge  des  harten  Gaumens      42 

Breite     „         „  „  35 

Entfernung  der  Kiefergelenkgruben 87 

Gesichtswinkel 73 

ßreitcnindex 85,0 

Höheniudex 79,8 

Breitenhöhenindex 93,8 

Im  Einzelnen  ist  noch  Folgendes  zu  bemerken:  Die  sämmtlichen  Knochen  sind 
sehr  zart  und  trotz  breiter  Muskelansätze  verhältnissmässig  glatt.  Die  Nähte  sind 
sämmtlich  vorhanden  und  wenig  zackig.  Die  Synchondrosis  spheno-occip.  ist  obli- 
terirt.  Am  Oberkiefer  ist  nur  der  rechte  Eckzahn  vorhanden  und  zwar  tief  abge- 
schliffen. An  der  Stelle  der  Backzähne  sind  die  Alveolen  geschlossen  und  ver- 
strichen. Die  Schneidezähne  sind  erst  nach  dem  Tode  ausgefallen;  ihre  Alveolen 
sind  klein.  Auf  der  Stirn,  nahe  an  der  Kranznaht,  liegt  eine  Reihe  unebener  Ver- 
tiefungen, die  wahrscheinlich  durch  Krankheit  entstanden  sind. 

Der  sehr  kleine,  brachycephale  Schädel  ist  ziemlich  hoch  und  etwas  platt.  Die 
Stirn  ist  voll  und  gefällig,  mit  schwachen  Höckern,  aber  hoher  Wölbung.  Der  Schei- 
tel hat  durch  die  fast  kugelig  gewölbten  Tubera  parietalia  eine  grosse  Breite;  auch 
liegt  die  grösste  Breite  dicht  an  den  Tubera  nach  aussen. 

Da  zugleich  der  hintere  Theil  der  Pfeiluaht  etwas  tief  liegt,  so  erscheint  der 
Kopf  in  seinen  hinteren  Abschnitten  fast  kleeblattförmig,  indem  auch  der  obere 
Theil  der  Hinterhauptsschuppe  stärker  hervortritt.  Sonderbarerweise  fällt  auch  diese 
Erscheinung  mit  einer  seitlichen  Depression  des  Knochens  an  der  Larabdanaht  zu- 
sammen, so  dass  die  Squama  occipitalis  aussieht,  als  sei  sie  durch  seitlichen  Druck 
gezwungen  worden,  nach  hinten  auszuweichen.  Der  Abfall  des  Hinterkopfes  beginnt 
übrigens  dicht  hinter  den  Tubera  parietalia.  An  der  Spitze  der  Lambdanaht  bildet 
die  Hinterhauptsschuppe  jedoch  schon  einen  Vorsprung. 

Das  Planum  temporale  liegt  jederseits  hoch,  reicht  nahe  bis  an  die  Scheitel- 
höcker,  lässt  jedoch  einen  Raum  von  125  Mm.  Querdurchmesser  (Fläche)  frei.  Die 
Protuberantia  occipitalis  ist  von  massiger  Stärke.  Sie  liegt  40  Mm.  vom  Foramen 
occipitale  entfernt.  Die  Linea  nuchae  inferior  findet  sich  sehr  nahe  am  Hmter- 
hauptsloche,  sie  ist  nur  12—18  Mm.  davon  entfernt.  Dagegen  ist  der  Zwischenraum 
zwischen  ihr  und  der  Linea  superior  sehr  breit,  er  erreicht  25  Mm.  Ueber  der  letzteren 
Linie  zeigt  sich  jederseits  ein  geradliniger,  schräg  von  oben  und  innen  nach  aussen 
und  unten  gegen  den  Warzeufortsatz  verlaufender  Eindruck,  offenbar  gleichfalls  ein 
Muskeleindruck.     Die  Warzeufortsätze  sind  sehr  schwach,  die  Flügelfortsätze  niedrig. 

Das  rundliche  und  verhältuissmässig  kurze  Hinterhauptsloch  hat  an  seinem  vor- 
deren Rande  einen  nach  rückwärts  gerichteten  Knochenvorspruog,  nicht  eigentlich 
einen  Condylus  tertius,  aber  doch  etwas  Verwandtes.  Die  Coronae  condyloideae 
stehen  weit  nach  vorn,  sind  sehr  kurz  und  ihre  Gelenkflächen  sind  ganz  nach  hin- 
ten gerichtet.  Die  Schläfenschuppen  kurz,  die  Alae  sphenoideae  magnae  beiderseits 
am  Ende  schmal,  so  dass  nur  ein  geringer  Zwischenraum  Stirnbein  und  Schläfen- 
schuppe trennt. 

Die  Wangen  etwas  vortretend.     Orbitae  sehr  klein,  aber  verhältnissmässig  hoch, 


(70) 

der  obere,    sehr    zarte  Rand  eher  etwas  zurückstehend.     Die  Supraorbitalwülste  sehr 
schwach,  vom  Orbitalrande  getrennt. 

Besonders  bemerkenswerth  erscheint  die  Nasenbildung.  Der  Nasenfortsatz  des 
Stirnbeines  ist  nehmlich  ungewöhnlich  lang  und  breit,  und  gebt  ganz  glatt  von  der 
Stirn  herunter:  der  Nasenwulst  fehlt  gänzlich  und  die  Glabella  ist  kaum  angedeutet. 
Jedes  Nasenbein  ist  5  Mm.  breit  und  18  Mm.  in  der  äussersten  Ausdehnung  lang. 
Die  ganze  Nase  ist  etwas  platt,  ihr  Rücken  flach,  ohne  alle  Einbiegung  oder  Ein- 
druck. Nur  die  Stirn fortsätze  des  Oberkiefers  machen  jederseits  an  ihrer  Verbin- 
dungsstelle mit  dem  Stirnbein  eine  flache  Hervorwölbung,  an  der  auch  das  Stirnbein 
selbst  Antheil  nimmt.     Die  Nasenöflnung  ist  schmal,  der  Nasenstachel  schwach. 

Der  Oberkiefer  ist  sehr  schmal  und  niedrig:  die  Entfernung  vom  Ansätze  des 
Nasenstachels. bis  zum  Alveolarraud  beträgt  1  Cm.  Fast  gar  kein  Prognathismus. 
Der  Zahnrand  ist  vorn  gerundet,  hinten  fast  parallel.  Der  harte  Gaumen  kurz  und 
breit.  — 

Die  bis  dahin  bekannten  Thatsachen  über  die  Andamanen-Bewohner,  die  soge- 
nannten Mincopies  hat  neuerlich  Hr.  de  Quatrefages  in  einer  monographischen 
Arbeit  zusammengestellt  (Revue  d'anthropologie  1872.  T.  I).  Insbesondere  hat  der- 
selbe die  osteologischen  Maasse  der  bis  dahin  in  Europa  bekannt  gewordenen  Schä- 
del von  Mincopies,  sowohl  der  2  in  Paris  befindlichen,  als  der  3  englischen,  von  den 
Herren  Owen  und  Busk  beschriebenen,  in  grosser  Vollständigkeit  gegeben  (p.  248). 
Es  erhellt  durch  eine  Vergleichung,  dass  die  weiblichen  Schädel  mit  dem  von  mir 
beschriebenen  in  vielen  Stücken  sehr  nahe,  mit  den  männlichen  in  der  Hauptsache 
übereinstimmen.  Alle  Maasse  ergeben  gleichmässig,  dass  wir  es  mit  einem  hypsi- 
brachycephalen,  kaum  prognathen  Negerstamme  zu  thun  haben.  Auch 
stimmt  der  weibliche  Pariser  Schädel  in  Bezug  auf  seine  geringe  Capacität,  denn 
auch  er  hat  nur  1095  Cub.-Cm.  Inhalt. 

Ich  kann  ferner  Hrn.  de  Quatrefages  darin  beistimmen,  dass  unter  den  be- 
kannten schwarzen  Rassen  die  Negritos  der  Philippinen  die  nächste  Verwandtschaft 
mit  den  Mincopies  zeigen,  während  der  Gegensatz  gegen  Papuas,  Australier  und 
Melanesier  recht  stark  hervortritt.  Einer  der  Negrito-Schädel  in  unserem  Besitze 
hat  die  grösste  Aehnlichkeit  mit  dem  eben  vorgelegten  Mincopie-Schädel.  Die  auf- 
fälligste Difi"erenz  der  Schädel  beider  Rassen  beruht  vielleicht  in  der  dachförmigen 
Stirn  vieler  Negritos  und  in  ihrem  stärkeren  Prognathismus. 

Durch  die  Güte  des  Hrn.  Dobson  besitzen  wir  eine  grössere  Reihe  schöner 
Photographien  von  Mincopies.  Die  Gewohnheit  dieses  Volkes,  sich  den  Kopf  ganz 
kahl  zu  rasiren,  gestattet  auch  an  den  Photographien  eine  Vergleichung  der  Kopf- 
form mit  den  Schädeln.  Eine  solche  Vergleichung  bestätigt,  was  die  Maasse  lehren. 
Keine  Spur  von  Deformation  und  keine  auffällige  Prognathie  ist  daran  erkennbar. 
Die  Köpfe,  einschliesslich  des  Gesichts,  haben  durchweg  etwas  kindliches:  ein  feines, 
aber  breites  Gesicht  mit  kleiner  und  schmaler  Nase,  stark  vortretenden  Augen,  klei- 
nem Munde,  voller  Stirn.  Die  allgemeine  Fettleibigkeit  giebt  auch  dem  Gesicht 
etwas  Rundes  und  Volles.  Die  starke  Biegung  des  Hinterkopfes  und  die  Breite  der 
Schädelkapsel  tritt  deutlich  hervor. 

Was  die  Grössenverhältnisse  angeht,  so  stimmen  alle  Beobachter  darin  überein, 
dass  die  Mincopies  eine  besonders  kleine  Rasse  darstellen.  Indess  ergeben  unsere 
Photographien,  dass  wenigstens  einzelne  Männer  eine  erheblich  höhere  und  kräftigere 
Statur  besitzen  als  die  Weiber.  Auch  scheinen  ihre  Köpfe  zum  Theil  recht  gross 
und  schwer  zu  sein.  Man  wird  daher  vielleicht  einige  Correctureu  in  Bezug  auf 
die  Grösse  erwarten  dürfen,  indess  darf  der  Typus  im  Allgemeinen  wohl  schon  jetzt 
als  festgestellt  angesehen  werden.  — 


(71) 

(11)  Herr  Fischer  übersendet  mit  Schreiben  aus  Freiburg  i.  Br,  vom  11.  April 
eine  Abhandlung 

über  mineralogische  Untersuchung  von  Steinwaffen,  Stein-Idolen  u.  s.  w. 

Dass  durch  die  künstliche  Bearbeitung,  d.  h.  durch  die  Veränderung  der  natür- 
lichen Oberfläche  eines  Minerals  oder  einer  Felsart  manche  lehrreiche  Charaktere 
verloren  gehen  müssen,  versteht  sich  von  selbst,  und  es  liegt  hier  bis  zu  gewissem 
Grade  derselbe  Fall  vor,  wie  bei  den  Gerollen.  Bei  diesen  hat  die  Natur  durch 
Abrollung  und  mehr  weniger  weit  reichende  Abglättung  im  Wasser  auch  bei 
sehr  harten  Substanzen,  z.  B.  Quarz  (vgl.  die  sogen.  Kheinkiesel),  Dichroit  (sogen. 
Wassersap[)hir  Ceylons),  Topas,  Korund  (Rubin  und  Sapphir),  selbst  die  Veränderung 
der  natürlichen  Oberfläche  herbeigeführt,  und  der  Mineraloge  weiss  recht  gut,  wie 
leicht  Verwechselungen  bei  Gerollen  vorkommen  können  und  wie  diese,  wenn  sie  im 
Bach  liegen,  noch  etwas  lehrreicher  erscheinen,  als  getrocknet,  weil  im  ersteren  Falle 
gewisse  optische  Merkmale  (Farbe,  Durchsichtigkeitsverhältnisse)  doch  noch  etwas 
deutlicher  hervortreten,  üesshalb  kann  man  durch  Befeuchten  eines  Gerölls  oder 
einer  Steinwaffe  oder  temporäres  Bestreichen  mit  einem  durchsichtigen  Firnisse,  sich 
beim  Bestimmen,  zumal  von  Stücken,  von  welchen  nichts  abgelöst  werden  darf, 
immerhin  noch  ein  wenig  aushelfen. 

Ich  habe  nun  —  nebenbei  bemerkt  —  beobachtet,  dass  eine  grosse  Anzahl 
Stein-Instrumente,  aber  auch  kleinere  Idole,  von  Neuseeland  so  gut  wie  von 
Amerika,*  aus  Gerollen  hergestellt  sind,  was  einen  doppelten  Grund  haben  wird; 
nehmlich  erstens  haben  die  Menschen  in  ältester  Zeit  (siehe  Pfahlbauten)  die  Nähe 
des  Wassers  oder  das  Wasser  selbst  vielfach  zu  ihrer  Ansiedelung  gewählt,  und 
zweitens  waren  die  Gerolle  für  den  der  Metalle  noch  entbehrenden  Menschen  doch 
schon  von  der  Natur  zerkleinerte  Stücke,  innerhalb  deren  der  Steinkünstler  sogar 
auch  noch  eventuell  in  der  Form  Auswahl  treffen  und  für  das  eben  herzustellende 
Instrument,  beziehungsweise  Idol  auch  ein  schon  passendes,  längliches  oder  kurzes, 
dickes  oder  schon  abgeflachtes  Stück  aussuchen  konnte. 

Wenn  es  sich  um  mineralogische  Bestimmung  solcher  Kunstwerke  aus  der  Urzeit 
des  Menschen  handelt,  so  könnte  man,  wenn  jene  nur  aus  einfachen  Mineralien  be- 
ständen, mit  einer  chemischen  Untersuchung  allein  schon  auskommen;  dazu  bedarf 
es  aber  immer  einiger  Gramme  und  es  wird  sich  Jeder  besinnen,  bevor  er  einem 
Stücke  so  sehr  zu  Leibe  geht;  durch  Abschlagen  mittelst  Hammers,  sogar  wenn 
man  das  obige  Quantum  wirklich  opfern  wollte,  würde  leicht  das  ganze  Instrument 
u.  s.  w,  zu  Grunde  gehen. 

Was  war  bisher  von  Alle  dem  die  Folge?  Die  aufgestellten  Sammlungen, 
wie  ich  sie  auf  einer  kürzlich  unternommenen  Reise  durch  Deutschland  durchmusterte, 
lehren  es;  man  legte  diese  Stein  Werkzeuge  einfach  neben  einander,  mit  Angabe  der 
Fundstätte,  wusste  aber  sonst  von  ihrer  Natur  so  viel  wie  nichts,  wenn 
es  nicht  etwa  Feuersteinbeile  u.  s.  w.,  Obsidian-Messer  und  -Lanzenspitzen  u.  dgl. 
waren,  die  sich  leicht  schon  vom  äusseren  Anblick  erkennen  lassen;  oder  man 
machte  kühne  Diagnosen,  wofür  die  Verantwortlichkeit  auf  den  Autor  fällt,  wie  z.  B. 
Hassler  (Die  Pfahlbaufunde  des  Ueberlinger  Sees.  Ulm  186(>)  von  .,dort  gefunde- 
nen hundert  und  mehr  Instrumenten  von  Nephrit  oder  vielmehr  in  Talkschiefer  ein- 
gewachsenem Nephrit"  spricht. 

Wenn  das  Material  für  die  Steinwerkzeuge  der  Urmenschen  immer  ganz  gewiss  nur 
gerade  aus  derjenigen  Gegend,  wo  man  eben  eine  ihrer  Niederlassungen  kennen  lernt, 
entnommen  wäre,  so  hätten  wir  doch  schon  Anlass,  deren  Gesteinsarten  zu  unter- 
suchen, denn  wir  würden  daraus  immerhin  entnehmen  können,  in  wiefern  jene  schon 
die  härteren  und  weicheren,  die  spröderen  und  zäheren  Sorten  von  einander 


(72) 

zu  unterscheiden  wussten,  und  inwiefern  sie  die  einen  oder  anderen  Mineralien  und 
Gesteine  einer  Gegend  entweder  für  die  Benützung  bevorzugten  oder  ganz  vermieden 
oder  etwa  die  einen  zu  diesen  Werkzeugen,  die  andern  zu  anderen  Utensilien 
zu  verwenden  pflegten,  je  nach  der  Schwierigkeit  der  Herstellung  eines  Gegenstan- 
des (z.  B.  mit  Rücksicht  auf  Durchbohrung)  oder  je  nach  der  Nothwendigkeit  seiner 
Ausdauer  beim  Gebrauch. 

Aber  die  Völker  haben  ja  auch  Wanderungen  unternommen,  welche  eben  erst 
ermittelt  werden  sollen,  und  es  können  solche  stummen  Steine  eine  sehr  wichtige 
Sprache  reden,  wenn  wir  diese  uns  zu  enträthselu  suchen;  denn  gewisse  Mineralien 
und  Gesteine  haben  einen  kleinen  Verbreitungsbezirk,  oder  fehlen,  z.  ß.  in  den  Ge- 
birgen Europas  —  so  weit  bekannt  —  gänzlich  (wie  Nephrit,  Jadeit,  Chloromelanit), 
können  daher  in  dieser  Beziehung  durch  vergleichende,  besonders  mikroskopische 
Studien   eventuell  wichtige  Winke  in  obigem  Sinne  geben. 

Um  eine  Art  Statistik  zu  gewinnen,  ob  z.  B.  für  die  Steinhämmer  (mit  schön 
und  sauber  gearbeiteter  Oeffnung  für  den  Stiel)  mit  Vorliebe  eine  oder  einige  gewisse 
Felsarten  gewählt  worden  seien,  muss  mau  eben  diese  Werkzeuge  in  grösserer 
Anzahl  selbst  untersuchen.  Es  bedarf  aber,  um  sich  dann  darüber  gegenseitig  zu 
verständigen,  auch  einer  gewissen  Uebereinstimmung  der  Bezeichnung  für  die 
da  und  dort  wiederkehrenden  Hauptformen  der  Werkzeuge,  wie:  Steinbeile,  Stein- 
hämmer, Axthämmer,  und  hieran  scheint  es  mir  noch  ziemlich  zu  fehlen.  Einen 
Versuch  zu  einer  eingehenderen  Bezeichnung  fand  ich  z.  B.  in  der  mir  durch  einen 
meiner  Zuhörer,  Hrn.  v.  Morawski  aus  Wilna  bekannt  gewordenen  Schrift:  Sztuka 
u  Slowian  (Kunst  bei  den  Slaven)  v.  J.  J.  Kraszewski.  Wilna  1858.  Da  sind 
unterschieden:  Schleifsteine,  Keile,  Meissel,  Lanzenspitzen,  Messer,  halbmondförmige 
Geräthe,  Pfeilspitzen,  Aexte,  Axthämmer,  Hämmer,  Streitkolben,  Streitäxte,  Schleuder- 
steine u.  s.  w. 

Ueber  die  Steinwerkzeuge  der  Pfahlbauten  von  Wangen  am  Bodensee  habe 
ich  schon  1866  im  Archiv  für  Anthropologie  Bd.  I.  S.  337 — 344  einige  Notizen 
veröffentlicht. 

Jeder  Mineraloge  und  Petrograph  weiss  nun,  dass  es  mitunter  eine  überaus 
schwierige  Aufgabe  ist,  bei  kryptomeren  Gesteinen,  d.  h.  solchen,  deren  Bestandtheile 
in  ganz  winzigem  Massstabe  entwickelt  und  neben  einander  gelegt  sind,  eine  rich- 
tige Diagnose  zu  machen,  selbst  wenn  man  Haudstücke  mit  ganz  frischem  Bruche 
vor  sich  hat,  da  durch  die  Kleinheit  der  Bestandtheile  die  charakteristischen  Merk- 
male der  einzelnen  Mineralien  sich  eben  verlieren  und  man  oft  mit  blossem  Auge 
und  mit  der  Lupe  gar  keine  Ahnung  von  dem  wirklichen  Bestand  erlangen  kann. 

Früher  behalf  man  sich  mit  einer  annähernden  Bestimmung,  mit  Prüfung  der 
Härte,  ob  das  Gestein  am  Stahle  funkt  oder  nicht,  ob  es  schmelzbar  sei  oder  nicht 
u.  s.  w. 

Damit  wird  sich  heutzutage  Niemand  mehr  begnügen;  auch  selbst  die  chemische 
Untersuchung,  welche  dann  das  nächste  Auskunftsmittel  bot,  und  welche  immer  wichtig 
bleiben  wird,  lässt  bei  den  aus  mehreren  Mineralien  zusammengesetzten  Felsarten 
doch  oft  genug  für  ihre  Deutung  einen  so  grossen  Spielraum,  dass  man  sich  auch 
hiermit  nimmer  allein  befriedigen  kann. 

Es  war  vielmehr  der  Einführung  der  Mikroskopie  in  die  Mineralogie, 
in  alle  ihre  Zweige  und  der  täglich  sich  vervollkommenden  Herstellung  von  Dünn- 
schliffen vorbehalten,  da  noch  aufklärend  zu  wirken,  wo  alle  anderen  Studienwege 
versagten  oder  doch  gegründete  Zweifel  an  der  Richtigkeit  der  Auffassung  im  einzel- 
pen  Falle  lassen  myssten, 


(73) 

Diese  üntersuchungsmethode  bietet  jetzt  dem  Forscher  ein  immens  grosses  Feld, 
das  zugleich  mit  dem  Reize  von  unglaublich  vielen  Ueberraschungen  bezüglich  des 
Waltens  der  Natur  im  kleinsten  Massstabe  ausgestattet  ist,  so  dass  der  mikroskopi- 
rende  Mineraloge  durch  Fülle  und  Klarheit  der  Resultate  für  seine  Bemühungen  sich 
in  der  Regel  reichlich  belohnt  fühlt. 

Aber  —  wenn  er  sich  vor  Täuschung  und  voreiligen  Schlüssen  hüten  will,  so 
muss  er  auch  hier,  wie  überall  im  Gebiete  naturhistorischer  Studien,  seine  Aussagen 
auf  vergleichende  Untersuchungen  gründen,  also  von  einem  Felsarten-Handstück 
nicht  bloss  einen,  sondern  womöglich  mehrere  Dünnschliffe  herstellen  oder  herstellen 
lassen,  um  aus  deren  Gesammtbetrachtung  das  Facit  zu  ziehea,  und  um  nicht  von 
dem  mehr  oder  weniger  zufälligen  Bilde  eines  einzigen  Präparates  abzuhängen;  fer- 
ner muss  man  ein  und  dieselbe  Felsart  von  möglichst  vielen  Fundorten  im  Dünn- 
schliff kennen  zu  lernen  suchen. 

Es  kann  nun,  da  diess  zeitraubende  Manipulationen  sind,  gewiss  nur  höchst  er- 
wünscht sein,  dass  es  heutzutage  Firmen  giebt,  welche  Dünnschliffe  eingesandter 
Splitter  auf  Bestellung  und  zwar  in  vorzüglicher  Ausführung  fertigen,  in  erster  Linie 
Hr.  Optikus  Fuess  in  Berlin  (Alte.  Jacobstrasse  Nr.  108),  Hr.  Optikus  Möller  in 
Giessen  u.  A.;  ja  bei  Hrn.  Fuess  sind  schon  ganze  Suiten  der  verschiedeneu  wich- 
tigsten und  verbreitetsten  Felsarten,  ferner  Suiten  einer  und  derselben  Felsart  von 
sehr  mannichfaltigen  F'undorten  und  nach  einzelnen  Modificationen  in  vorzüglicher 
Herstellung  zu  beziehen,  was  natürlich  für  das  Gedeihen  dieser  Studien  überaus  för- 
derlich und  wesshalb  die  immer  grössere  Verbreitung  dieser  Präparate  nur  im  höch- 
sten Grade  zu  wünschen  ist. 

Bei  der  Feststellung  der  Felsarten  nun,  woraus  die  Stein  Werkzeuge  der  Urzeit 
bestehen,  sind  aber  gar  viele  Rücksichten  auf  deren  Form  zu  nehmen,  welche  leider 
oft  übel  vernachlässigt  werden,  während  man  bei  F'elsarten-Handstücken  viel  freier 
walten  kann. 

Zur  Gewinnung  von  üutersuchungs- Material  z.  B.  bei  Steinbeilen  u.  dgl.  ist  es 
nehmlich  vermöge  der  Bequemlichkeit  sehr  verlockend,  an  der  Schneide  etwas 
abzulösen;  dadurch  wird  aber  leicht  das  ganze  Werkzeug  als  solches  verstümmelt 
und  es  sollte  nach  meiner  Ansicht  hiervon  Abstand  genommen  werden,  so  lange  nur 
noch  irgend  ein  anderer  Ausweg  offen  ist.  Eher  möchte  ich  die  Ablösung  eines  Split- 
ters an  einer  Seitenkante  billigen,  welcher  doch  vermöge  der  Symmetrie  dann  noch 
immer  eine  gegenüber  unversehrte  Kante  entspräche.  Oder  man  suche  am 
stumpfen  Ende,  welches  ja  ohnehin  häufig  in  einer  Handhabe  befestigt  war,  einen 
Splitter  zu  gewinnen. 

Es  ist  aber  auch  noch  ein  weiteres  Merkmal  womöglich  ungeschädigt  zu  lassen, 
und  das  ist  der  Geröllcharakter.  Derselbe  giebt  sich  zu  erkennen  durch  ganz 
sanft  abgerundete,  mit  allerlei  unregelmässigen  Furchen  durchzogene  Unebenheiten, 
wie  sie  nur  das  Wasser  durch  gegenseitiges  Abrollen  der  Gesteinsstücke  an  einan- 
der in  Bächen  und   Flüssen,  nicht  aber  der  Mensch  zu  Stande  zu  bringen  vermag. 

Dasselbe  Moment  ist  mir  auch  bei  kleineren,  fein  ausgearbeiteten,  polirten  Stein- 
Idolen  aus  den  verschiedensten  Erdtheilen,  z.  B.  an  den  Nephrit-  Etiphi's  (Tiki's) 
aus  Neuseeland,  an  einem  Frosch-Idol  von  den  Antillen  (im  Genfer  Museum)  u.  s.  w. 
aufgefallen,  aber  vielleicht  noch  nirgend  erwähnt,  jedoch  immerhin  beachteuswerth, 
denn  es  liegt  der  Gedanke  nahe  genug,  dass  die  au  Bächen,  Flüssen  oder  am  Meeres- 
ufer wohnenden  Völker  auch  in  erster  Linie  die  dort  vorfindlichen  Gesteinsfragmente, 
d.  b.  also    die  Gerolle    für    irgendwelche    Verarbeitung ')    benützten,    wobei    sie    den 

')  Von  der  Gewinnungsweise  der  Nephritgeschiebe  aus  Turkestan  wissen  wir  dies  sogar 
direkt 


(74) 

Vortheil  hatten,  eventuell  für  das  gerade  zu  gestaltende  Werkzeug  oder  Bild  eine 
schon  etwas  passende  Form  des  Gerölls,  z.  B.  für  gewisse  Idole  mehr  flache  Stücke 
auszusuchen. 

Es  kann  nun  gegebenenfalls  grosse  Schwierigkeit  haben,  bei  einem  Steinhammer 
an  der  unschädlichsten  Stelle,  nehmlich  am  stumpfen  Ende,  ein  Fragment  mit  dem 
Hammer  abzulösen;  in  diesem  Falle  koinmen  dann  die  Steinsägemaschinen 
sehr  zu  Statten,  wie  sie  z.  B.  in  Steinschleifereien  (Oberstein  in  der  Rheinpfalz, 
Waldkirch  bei  Freiburg  i.  Br)  zur  Verwendung  kommen  und  im  Kleinen  auch  bei 
Hrn,  Fuess  (Berlin)  gebaut  werden.  Sind  solche  sehr  fein,  wie  sie  bei  Edelstein- 
schneidern und  bei  Uhrmachern  (zum  Schneiden  der  Sapphire  und  Rubine  für  Zapfen- 
lager) getroffen  werden,  so  kann  man  mittelst  derselben  sogar  auch  von  Idolen,  bei 
denen  an  eine  Anwendung  auch  des  kleinsten  Hammers  wegen  der  etwaigen  Zer- 
trümmerung gar  nie  gedacht  werden  darf,  auf  der  Rückseite  ohne  Schaden  das 
nöthige  Material  zu  einem  Dünnschliff  gewinnen,  und  die  dabei  sich  ergebenden 
Abfälle  lassen  sich  noch  zu  mikrochemischen  Versuchen,  die  der  Mikroskopiker  da- 
neben nie  vernachlässigen  soll,  also  zur  Probe  der  Schmelzbarkeit,  Löslichkeit  in 
Säuren,  möglicherweise  sogar  auch  noch  zu  qualitativen  Analysen  verwerthen. 

Unter  diesen  Bedingungen  hören  dann  die  Stein  Werkzeuge  und  Idole  auf, 
wissenschaftlich  ganz  oder  halb  unverwerthet  als  „Noli  tangere!"  in  den  Sammlungen 
zu  liegen. 

Da  notorisch  unter  den  in  Europa  reichlich  in  Pfahlbauten,  Torfmooren,  Flüssen, 
Feldern,  Wäldern,  Rebstücken  zerstreuten  prähistorischen  Steinwerkzeugen  zwischen 
so  und  so  vielen,  deren  Gesteinsmaterial  aus  Europa  selbst  entnommen  ist,  ganz 
vereinzelt  auch  solche  getroffen  werden,  welche  vermöge  ihrer  Substanz  Europa 
nicht  angehören,  so  die  Beile  aus  Nephrit,  Jadeit,  Chloromelanit,  so  ist  das  ein- 
gehende Studium  dieser  Steinobjecte  für  die  älteste  Menschengeschichte  von  nicht 
geringer  Bedeutung,  und  es  bildet  die  Untersuchung  dieser  Steinbeile  u.  s.  w.  ein 
ebenso  respectables  Substrat  für  wissenschaftliche  Studien,  als  die  Untersuchung  der 
vom  Felsen  selbst  gewonnenen  Gebirgsarten :  nur  ist  aus  den  oben  angegebenen 
Gründen  eine  grosse  Erfahrung  im  Gebiete  der  mikroskopischen  Mineralogie  (manch- 
mal sind  es  auch  Mineralbrocken)  und  Petrographie  nöthig,  weil  man  sich  so  häutig 
mit  minutiösen  Splittern  begnügen  muss ,  die  Schwierigkeit  also  unendlich  viel 
grösser  ist. 

Wenn  bei  der  heute  schon  so  weit  entwickelten  Arbeitstheilung  im  Gebiete  der 
Mineralogie  etwa  ein  Forscher,  welcher  nur  noch  für  frei  auskrystallisirte  Objecte 
Sinn  hat,  mit  einem  gewissen  vornehmen  Achselzucken  sich  über  die  genannten 
Bestrebungen  hinwegsetzt,  so  kann  man  ihm  dies  geringe  Vergnügen  recht  wohl 
gönnen:  denn  wenn  andererseits  der  mikrokospirende  Petrograph  der  Wichtigkeit  der 
krystallographischen  Untersuchungen  nicht  nur  alles  Recht  widerfahren  lässt,  sondern 
sich  gerade  bei  seinen,  alle  Augenblicke  die  Optik  zu  Hülfe  nehmenden  Studien 
derselben  immer  und  immer  von  Neuem  bewusst  werden  muss,  so  steht  er,  der 
Petrograph,  ja  doch  noch  immer  auf  dem  höheren  Standpunkt,  weil  er  —  unter 
billiger  Anerkennung  der  verschiedenseitigen  Studienzweige  —  den  weiteren 
ürablick  sich  walirt.  Letzterer  wird  überhaupt  in  der  Regel  am  besten  vor  Ueber- 
hebung  schützen,  weil  nr  dem  Forscher  einen  gewissen  sokratischen  Satz  tagtäglich 
vor  Augen  führt! 

Ks  giebt  nun  noch  ein,  wie  mir  scheint,  bisher  wenig  verwei'thetes  Auskunfts- 
mittel, welches  dif  zu  untersuchenden  Gegenstände,  gröbste  wie  allerfeinste,  absolut 
intact  läöst,  und  doch  gewisse,  wenn  auch  nur  durch  Exclusion  lehrreiche  und  er- 


(75) 

wünschte  präliminare  Resultate  liefert,  das  ist  die   ßestiraraung    des    speci- 
fi sehen  Gewichts. 

Wenn  es  sich  um  einfache  Mineralien  han<lelt,  so  steht  uns  aus  Websky's 
Hand  ein  Buch')  zu  Gebot,  welches  die  spezifischen  Gewichte  aller  bis  dahin  be- 
kannten Mineralien  in  allerbequemster  Weise  nebst  der  sehr  erwünschten  Angabe 
des  Härtegrades  zusammenstellt  und  durch  gehörige  Verwerthung  des  alphabeti- 
schen Registers  auch  alle  bei  ein  und  demselben  Minerale  beobachteten  Schwankun- 
gen im  specitischen  Gewichte  angiebt. 

Hiervon  habe  ich  schon  in  vielen  Fällen  erfolgreichen  Gebrauch  gemacht,  da  sich 
auf  diesem  Wege  der  Species-Rahmen,  innerhalb  dessen  man  sich  im  einzelnen 
Fall  umzusehen  hat,  ausserordentlich  einengt,  also  viele  Zeit  gev.'ounen   wird. 

Eine  ähnliche  Zusammenstellung  für  die  Felsarten  ist  mir  im  Druck  bis  jetzt 
nicht  bekannt  und  würde  auch  bei  der  mangelhaften  Diagnose,  wie  sie  sich  vor  der 
Verwerthung  der  Mikroskopie  in  der  Petrograpliie  wenigstens  für  kryptomere  Gesteine 
nothwendig  gestalten  musste,  nicht  besonders  befriedigen  können.  Es  wäre  aber  eine 
solche,  wenn  gegründet  auf  die  neueren  vergleichenden  mikroskopischen  Diag- 
nosen der  Gesteine,  welche  freilich  selbst  noch  lange  nicht  abgeschlossen  sind,  der- 
einst eine  sehr  dankenswerthe  Arbeit. 

Nach  einer  üebersicht,  welche  ich  mir  für  meine  Zwecke  aus  den  bisherigen 
—  wie  gesagt,  nothwendig  vielfach  unzuverlässigen  —  Angaben  aufstellte,  ergeben 
sich  immerhin  z.  B.  für  die  phaueromeren  (im  Gerolle  oder  künstlichen  Anschliff 
doch  oft  schwerverständlichen)  Gesteine  gewisse  Zahlengrenzen,  welche  zugleich 
mit  der  Farbe,  der  Härte  u.  s.  w.  einige  Anhaltspunkte  gewähren  können. 

Wenn  die  mikroskopirenden  Petrographen  sich  die  Mühe  nicht  verdriessen  lassen 
wollen,  bei  allen  Felsarten,  die  sie  unter  dem  Mikroskop  prüfen  und  beschreiben,  auch 
gleich  das  specifische  Gewicht  anzugeben,  so  wird  das  im  Laufe  der  Zeit  ein  sehr 
schätzenswerthes  Material  für  vergleichende  Uebersichteu  abgeben;  denn  wenn  auch 
bei  dem  Zusammentreffen  von  zwei  bis  oft  sechs  Mineralien,  die  mitsammen  ein  Gestein 
bilden,  die  Schwankungen  im  specitischen  Gewicht  dem  Vorherrschen  oder  Zurück- 
treten leichterer  oder  schwererer  Gemengtheile  im  einzelnen  Fall  natürlich  entsprechen 
müssen,  so  wird  sich  doch  durch  i  die  endliche  Zusammenstellung  möglichst  vieler 
solcher  Gewichtsbestimmungen  helfausstellen,  in  welchen  Grenzen  die  Schw^ankungen 
stattfinden  und  inwieweit  man  für  die  obenerwähnten  Zwecke  etwa  Nutzen  aus 
den  Durchschnittszahlen  wird  ziehen  können.  — 

Herr  Virchow  bemerkt,  dass  er  Hrn.  Fischer  4  Steinbeile  zur  Bestimmung 
der  Felsart,  theils  aus  der  Sammlung  der  Gesellschaft,  theils  aus  seiner  eigenen, 
übergeben  habe,  welche  mit  der  grössten  Schonung  und  doch  erfolgreich  von  dem 
erfahrenen  Forscher  untersucht  seien.     Es  sind  diess: 

1)  ein  Beil  von  Skortleben,  Prov.  Sachsen,  erwähnt  in  der  Sitzung  vom  'Jis. 
Nov.  1874.  Hr.  Fischer  sagt  darüber:  „Pantoffelförmiges  schwarzes  glatt- 
polirtes  Beil.  Spec.  <  Gewicht  =  o,0.S.  Dünnschliff  sehr  interessant.  Spricht 
für  ein  äusserst  fein  struirtes,  zugleich  aber  in  Umwandlung  (zu  Chlorit?) 
begriffenes  Hornblendegestein  (mit  einigen  fremden,  farblosen  und  dann  schwar- 
zen opaken  Einlagerungen,  letztere  wohl  Magneteisen)." 

2)  ein  Steinhaiumer  von  der  Axavalla-Heide  in  Schonen.  Spec.  Gew.  =  2,98. 
Nach  dem  Dünnschliff  zu  urtheilen,  Diabas. 


')  Mineralogische  Studien.     1.  Theil.     Die  Mineralspecies  nach  den  fiir  das  specifische 
Gewicht  derselben  angenommenen  und  gefundenen  Werthen.    Breslau.     1868.    4. 


(7fi) 

3)  ein  Beil  aus  der  Höhle  Donclon  auf  Haiti,  erwähnt  in  der  Sitzung  vom 
14.  März  1874.  Spec.  Gew.  =  2,84.  Nach  dem  Dünnschliff  eines  winzigen 
Splitters  zu  urtheilen,  Thonschiefer. 

4)  ein  kleines  Beil  von  Missoluughi  in  Aetolien,  erwähnt  in  der  Sitzung  vom 
14.  Juni  1873  (Taf.  XIV,  Fig.  9).  Spec.  Gew.  =  3,26.  Nach  dem  Dünnschliff 
keine  Felsart,  sondern  ein  einfaches  Mineral,  etwa  dichter  Vesuvian. 

Herr  Fischer  bemerkt  dazu  in  seinem  Briefe  noch  Folgendes: 
„Die  mehr  oder  weniger  gesicherten  Diagnosen  habe  ich  den  Stücken  selbst 
beigeschrieben.  Bei  dem  Thonschiefer  und  dem  Diabas  glaube  ich,  trotz  der  Klein- 
heit der  Splitterung,  die  ich  mir  abzulösen  getraute,  ziemlich  sicher  zu  sein.  Das 
Beil  von  Sachsen  würde  mehrerer  und  grösserer  Schliffe  bedürfen,  als  ich  gewinnen 
konnte,  doch  glaube  ich  auch  hier  nicht  weit  neben  das  Ziel  geschossen  zu  haben. 
Das  kleinste  Beil  ist  mir  in  seiner  Substanz  noch  am  zweifelhaftesten,  weil  fast 
nichts  davon  abzugewinnen  war.  Von  der  Schneide  habe  ich  nur  an  dem  Thon- 
schieferbeil  einen  winzigen  Splitter  abgelöst  und  zwar  deshalb,  weil  sie  von  früher 
doch  schon  geschädigt  war." 

(12)     Herr  J.  Hesse  in  St.  Petersburg  übersendet  einen  Bericht  über 
die  Grrnppiriing  «1er  Völker   und   deren   wahrscheinliche  Ursachen,    mit   besonderer 
Beriicksiclitigung  der  Bevrohner  des  europäischen  ßussland. 

Gewaltige  Erfolge  hat  die  neuere  Wissenschaft  auf  allen  Gebieten  errungen. 
Eine  bedeutende  Zahl  der  Gesetze,  denen  alles  gehorcht,  was  in  der  Natur  uns  um- 
giebt,  hat  sie  entdeckt;  aber  viele  (vielleicht  deren  Mehrzahl)  liegen  dem  Auge  des 
Menschen  noch  verborgen. 

Sehen  wir,  dass  die  Natur  in  ihrem  Haushalte  eine  Ordnung  aufrecht  erhält, 
zu  der  es  die  Bewohner  der  Erde  bei  ihren  Verrichtungen  nie  bringen  werden;  dass 
Alles  in  vorgeschriebenen  Bahnen  nur  dem  Kreislauf  der  Dinge  folgt;  üeberlebtes 
dem  Neugebornen  Platz  machen  muss;  dass  selbst  zwischen  den  Handlungen  der 
Menschen  (die  scheinbar  nur  deren  "Willen  unterworfen  sind)  und  den  Gesetzen  der 
Natur  eine  innige  Verbindung  besteht;  so  dürfen  wir  wohl  annehmen,  dass  den 
Völkern  im  rohen  Naturzustande,  wo  sich  dieselben  den  Einwirkungen  der  Aussen- 
welt  weit  weniger  entziehen  können,  als  diess  auf  einer  höheren  Culturstufe  geschieht, 
ihre  W'ohnplätze  gleichfalls  von  einer  Macht  angewiesen  wurden,  die  ihnen  zwar 
unbekannt  blieb,  deren  Vorschriften  sie  aber  um  so  mehr  gehorchten,  je  weniger  sie 
dieselben  erkennen  konnten. 

Diesen  Vorschriften  folgend,  entwickelte  sich  der  eine  Theil  in  verhältnismässig 
kurzer  Zeit  zu  bedeutender  Macht  und  Cultur;  sie  verschwanden  schliesslich,  um 
andere  an  ihre  Stelle  treten  zu  lassen,  während  der  zweite  Theil,  von  der  Natur 
weniger  begünstigt,  ein  geringeres  W^achsthum  zeigte,  aber  gleichzeitig  eine  grössere 
Lebensdauer  erhielt.  Alle  gehorchten  aber  nur  dem  Naturgesetz,  dem  das  ganze 
jetzige  Geschlecht  mit  den  von  ihm  bewohnten  Ländern  einst  verfällt,  wenn  sich 
beide  überlebt  haben.  Die  alte  Welt  verschwindet,  und  neue  Erdtheile  mit  verjüng- 
ter Kraft  erscheinen,  um  einem  voUkommneren  Menschengeschlecht  Raum  zu  geben. 

Doch  mit  dem,  was  da  einst  sein  wird,  haben  wir  uns  hier  nicht  zu  befassen; 
unsere  Aufgabe  ist  die  Erklärung  der  Gegenwart. 

Bestimmt  und  klar  antwortet  uns  die  Wissenschaft  auf  viele  Fragen,  welche  die 
Volksentwickelung  in  den  letzten  Jahrtausenden  betreffen,  aber  in  zahlreichen  Fällen, 
speciell  dem,  wenn  wir  wissen  wollen,    welches  die  ältesten  Bewohner  von  Russland 


(77) 

siud,  uud  wesshalb  sie  diess  sein  sollen,  ist  ihre  Auskunft  ungenügend,  oder  sie 
schweigt  ganz. 

Meiner  Ansicht  nach  sind  die  fiiinischeu  Stämnu!  die  Urbewohner  dieses  Lan- 
des. —  Wesshalb? 

Die  Ehsten  kennen  für  sich  uud  die  ihneu  verwandten  Stumme  nur  den  Namen: 
„das  Urvolk";  alle  anderen  Bezeichnungen  erklären  sie  als  erst  durch  andere  Völker 
ihnen  beigelegt.  Ebenso  wie  sie  diejenigen,  welche  sich  in  ihren  Ländern  ansiedel- 
deten,  als  Einch-ingünge  betrachten. 

Aber  diese  Bezeichnung  genügt  der  Wissenschaft  nicht,  wir  haben  auf  die  ge- 
stellte Frage  deshalb  anders  zu  antworten. 

Die  Völkerkunde  zeigt  uns  kein  einziges  Beispiel,  dass  ein  Volk  sich  allein  und 
unvermischt  über  einen  so  ungeheuren  Raum,  wie  den  von  Ostasien  und  Westeuropa 
verbreiten  konnte,  wenn  niclit  ganz  besondere  Umstände  (vor  allen  eine  isolirte  und 
schwer  zugängliche  Lage)  vorhanden  waren,  welche  ihm  diesen  Raum  auf  lange  Zeit 
allein  überliessen.  Und  thatsächlich  war  diess  bei  den  finnischen  Stämmen  der  Fall, 
deren  Wohnsitze  die  in  Russland  zuerst  bewohnbaren  Strecken  wurden,  und  diess 
Jahrtausende  hindurch  auch  blieben,  während  alles  Land  um  sie  herum  noch  lange 
Zeit  unter  Wasser  stand. 

Die  Ethnographie  nennt  den  Ural  als  den  ürsitz  der  finnischen  Stämme,  aber 
wesshalb  derselbe  diess  sein  soll,  dafür  finden  wir  keinen  Grund  angegeben.  —  Ich 
werde,  so  weit  mir  dies  möglich,  eine  Erklärung  suchen,  und  liberlasse  dann  das 
Weitere  den  Fachmännern. 

Zur  Begründung  meiner  Ansicht  bin  ich  genöthigt,  etwas  weit  zurück  zu  gehen. 

Als  feststehend  gilt  es  jetzt,  dass  die  ganzen  Länder  der  nördlichen  Halbkugel 
einst  unter  Wasser  standen,  und  durch  Hebung  frei  geworden  sind.  Ueber  die 
Art  und  Weise  dieser  Bewegung  sind  jedoch  die  Ansichten  bis  heute  noch  ge- 
theilt.  Ich  behalte  mir  den  Nachweis  vor,  dass  selbst  von  bedeutenden  Gelehrten, 
wie  Schieiden,  bezüglich  dieses  Gegenstandes  irrige  Behauptungen  aufgestellt 
wurden,  die  wir  selbst  in  maassgebenden  Werken  auf  höheren  Lehranstalten  wie- 
derfinden, ohne  dass  man  es  der  Mühe  werth  hielt,  die  botreffenden  Stellen  zu 
berichtigen. 

Für  den  aufmerksamen  Beobachter  unterliegt  es  keinem  Zweifel,  dass  das  Maximum 
der  Hebung  im  Norden  lag  und  liegt,  wofür  Russland  die  deutlichsten  Beweise  liefert. 

So  weit  mir  bekannt,  ist  noch  von  Niemand  die  Behauptung  aufgestellt  worden, 
dass  der  Süden  Russlauds,  einschliesslich  der  aralokaspischen  Einsenkung,  der  walachi- 
schen  Ebene  u.  s.  w.  noch  sehr  lange  unter  Wasser  stand,  als  der  Norden  bereits  frei 
war,  und  dass  die  Trockenlegung  der  ersteren  Länder  sehr  schnell  erfolgte,  ebenso,  dass 
das  letztere  Ereigniss  in  seinen  Folgen  die  Ursache  der  Völkerwanderungen  wurde. 

Als  Beweis  für  das  Angeführte  dient  folgendes:  Erstens  die  ganze  Terrain-, 
speciell  die  Bodenformation.  Zweitens  die  Form  der  Krim  uud  des  Asowschen  Mee- 
res. Drittens  die  Steppen.  Viertens  die  Bewaldung  im  Allgemeinen  und  der 
ßaumwuchs  ins  Besondere,  und  schliesslich  die  Volksvertheiluug. 

Ausserdem  liegt  noch  manches  Andere  vor,  ich  hielt  es  jedoch  für  weniger 
wichtig.  Von  den  angefülirten  Punkten  will  ich  mich  jetzt  nur  auf  den  letzten 
(die  Volksvertheilung)  beschränken,  die  anderen  müssen  einer  späteren  Zeit  vorbe- 
halten bleiben. 

Bei  der  allgemeinen  Hebung  des  asiatisch-europäischen  Continents  nuissteu  selbst- 
verständlich die  höchsten  Punkte  zuerst  zum  Vorschein  kommen. 

Ich  übergehe  die  Aufzählung  aller  Veränderungen  auf  der  Oberfläche  dos  gegen- 
wärtigen Russland,  wenn  wir  uns  nach  den  höchsten  Punkten  richten,  und  halte  nur 


(78) 

dea  Zeitraum  fest,  wo  der  Wasserstand  6 — 700  Fuss  höher  wie  gegenwärtig  war. 

Den  Höhenangaben  nach,  wie  ich  dieselben  im  geographischen  Magazin  des 
russischen  Generalstabes  und  in  der  Akademie  der  Wissenschaften  vorfand,  die 
durch  eigene  Ueberzeugung  an  Ort  und  Stelle  nur  bestätigt  wurden,  lagen  zu  jener 
Zeit  in  Russland  folgende  Strecken  frei: 

Der  Ural,  ein  grosser  Theil  von  Finland,  als  eine  zahllose,  aber  dicht  gruppirte 
luselflur;  der  Rücken  des  ural- baltischen  Höhenzuges,  nur  durchbrochen  von  einigen 
Eiusenkungen,  deren  grösste  die  Dünaniederung  bildet.  Ausserdem  das  Gebiet  von 
Nischny  Nowgorod  die  Wolga  abwärts  bis  fast  nach  Zaritzin.  Westlich  begrenzte 
dieses  die  jetzige  Oka  bis  zur  Mitte  derselben,  wo  sich  die  freie  Fläche,  dann  sich 
südöstlich  wendend,  unterhalb  Saratoff  bis  Zaritzin  verengte.  Ferner  noch  verschiedene 
Punkte  des  uralkarpathischeu  Landrückens  und  an  der  oberen  Oka  und  Moskwa,  die 
ich  jetzt  aber  unberücksichtigt  lasse,  weil  sie  damals  als  Inseln  vollständig  isolirt 
und  ohne  jeden  Zusammenhang  durch  sehr  grosse  Wasserflächen  von  einander  ge- 
schieden waren.     Erst  später  werden  wir  dieselben  besprechen. 

Bei  dem  Theil  von  Nischny  Nowgorod  die  Wolga  abwärts  muss  ich  mich  etwas 
länger  aufhalten.  Ich  habe  gefunden,  dass  die  vorhandenen,  besonders  für  Schulen 
bestimmten  Karten  theilweise  unrichtig  sind.  Durch  Jahrelangen  Aufenthalt  mit 
diesen  Gegenden  genau  bekannt,  ist  es  mir  wohl  erlaubt,  an  der  Richtigkeit  zu 
zweifeln,  wenn  die  Karten,  anstatt  tiefer  Eiusenkungen,  die  sich  meileubreit  aus- 
dehnen, compacte  Höhenzüge  verzeichnen,  oder  umgekehrt,  wo  Hochland  vorhanden 
ist,  eine  Tiefebene  angegeben  wird. 

Wir  finden  z.  B.  in  geographischen  Werken  die  Angabe,  dass  die  osteuropäische 
Tiefebene  sich  ohne  Unterbrechung  bis  zum  Ural  ii.  s.  w.  fortsetzt,  nur  durchzogen 
von  den  beiden  uralischen  Landrücken.  Wenn  man  diese  verzeichnete,  so  durfte 
man  den  Querriegel  nicht  vergessen,  welcher  die  osteuropäische  Tiefebene  von  der 
kasplscheu  vollständig  trennt.  Thatsächlich  endigt  die  osteuropäische  Tiefebene  bei 
Nischny  Nowgorod,  wo  das  ganze  weiter  östlich  liegende  Plateau  rechts  der  Wolga, 
mit  grösstentheils  steil  abfallenden  Räadern,  sich  ziemlich  bedeutend  über  die  ganze 
Umgebung  erhebt. ')  Nur  auf  dem  linken  Ufer  setzt  sich  die  Tiefebene  fort,  bis  sie 
oberhalb  Kasan  durch  den  ural-baltischen  Landrücken,  welcher  dicht  an  den  Strom 
tritt,  gleichfalls  abgeschlossen  wird.  Ich  verweise  nur  auf  die  Lage  von  Nischny 
Nowgorod  selbst,  welches  hoch  über  der  Wolga  und  Oka  auf  einer  hervorspringenden 
Spitze  des  Plateaus  erbaut  ist. 

Ohne  wesentliche  Höhenveränderung  läuft  die  Hochfläche  parallel  der  Wolga 
bis  oberhalb  Kasan  zu  der  bereits  angegebenen  Stelle,  wo  der  nördliche  Höhenzug 
an  den  Strom  herantritt.  Unterhalb  dieses  Punktes,  im  Gebiet  der  Kama,  er- 
weitert sich  das  Thal  bedeutend,  da  beide  Höhen  zurücktreten.  Die  rechts  laufende 
erreicht  die  Wolga  wieder  oberhalb  Siml)irsk,  welches  eben  so  hoch  wie  Nischny 
Nowgorod  über  dem  Fluss  liegt,  und  von  hier  aus  bildet  sie  mit  unbedeutenden 
Unterbrechungen  das  rechte  Ufer  bis  Zaritzin.  Am  dichtesten  wird  die  Wolga  zwi- 
schen den  shygulewschon  Bergen  (Samara  gegenüber)  eingezwängt.  Die  Kämme 
dieser  Berge,  wovon  der  rechte  zur  Hochfläche  von  Simbirsk  gehilrt,  der  linke  sich 
aber  in  einen  Ausläufer  vom  oberen  Obschtschey  Syrt  fortsetzt,  liegen  kaum  eine 
Wer-st  (Vj  Meile)  von  einander.  —  Nehmen  wir  z.  B.  auf  dem  ganzen  rechten  Ufer, 
das  jeder  Bauer  nur  unter  dorn  Namen  „die  Bergseite"  im  Ciegensatz  zum  linken  oder 
„der  Wiesenseite"  kennt,  die  Umgegend  von   Wolsk,    und  mit  dieser    zusammenhän- 

')  Die  Mitte  dieser  Fläche  bei  Korsun  wechselt  zwischen  SOd  -lOOi»  Fuss,  ohne  dass  der 
oberflächliche  Beobachter  eine  Hübeuveränderung  bemerkt. 


(79) 

gend,  die  Fläche  bis  Beresenik  u.  s.  w.  am  Knie  der  "Wolga  oberhalb  Saratoff,  der 
deutschen  Colonie  Katharinenstadt  gegenüber,  wo  das  Plateau  fast  1000  Fuss  über 
den  Flussspiegel,  und  mehr  als  900  (englische)  Fuss  über  das  Niveau  der  Ostsee 
emporsteigt,  so  kann  von  Tiofebeue  wolil  nicht  mehr  die  Rede  sein.  Diese  Punkte 
stehen  :il)(;i-  nicht  veroiiizt^lt,  denn  Saratoff  selbst  liegt  in  seinen  oberen  Theileu  gegen 
500  Fuss  über  dem  Strom,  willirend  die  unmittelbare  Umgebung  die  doppelte  Höhe 
theilweise  erreicht. 

Zu  wiederholten  Malen,  und  auch  auf  verschiedenen  Stellen  der  Bergseite,  habe 
ich  die  kaspische  'riet'ebeue  und  die  Höhen  des  auf  alh-ii  Karten  angegebenen  Obscht- 
schey  Syrt  (besonders  in  seinen  südlichen  'Iheilcu)  betrachtet.  Während  die  letzte- 
ren als  leichte  ßodenanschwellungen  tief  unten  liegend  erscheinen,  treten  uns  um- 
gekehrt von  ihnen  aus  die  Höhen  des  rechten  Ufers  überall  als  respektabler  Berg- 
rücken entgegen. 

Ja,  der  Eindruck  ist  kein  geringerer  als  der,  welchen  die  Berge  des  Thüringer 
Waldes  (wo  ich  geboren  bin)  hervorbringen.  Sind  die  letzteren  auch  thatsächlich 
höher,  so  wird  der  Eindruck  an  der  Wolga  dadurch  verstärkt,  dass  die  Erhebung 
ohne  jede  Vermittlung  direct  aus  dem   Fluss  erfolgt. 

Ich  hielt  diese  Abweichung  vom  eigentlichen  Gegenstand  für  nothwendig,  um 
irrigen  Ansichten   im  Voraus  zu  begegnen. 

Ftecapituliren  wir  also  nochmals  die  trocken  gelegten  Stellen  : 

„den  Ural,  Finhuid,  den  Rücken  des  ural-baltischeu  Höhenzuges  und  die  Fläche 
rechts  der  Wolga,  von  Nischny  Nowgorod  abwärts  bis  Zaritziu",  so  ergiebt  sich,  dass 
die  bezeichneten  Gebiete,  mit  der  ethnographischen  Karte  verglichen,  uns  die  Wohn- 
sitze der  finnischen  Völker  fast  haarscharf  augeben.  Die  ganzen  genannten  Flächen 
waren  im  ausschliesslichen  Besitz  dieser  Stämme,  die  sie  grossentheils  noch  heute 
bewohnen.  Alle  Einwanderungen  der  Tataren,  Slawen  u.  s.  w.,  der  üebergang 
in  den  letzten  Volksstanmi  durch  Bekehrung  zum  Christenthum  und  andere  Dinge 
sind  bei  einiger  Mühe  zu  erklären. 

Diese  Gegenden  mussten  bereits  vor  20,000  Jahren  bewohnbar  sein,  während 
der  Süden  Russlands  mit  der  kaspischen  Tiefebene  und  den  angrenzenden  Ländern 
erst  seit  höchstens  5000  Jahren  trocken  liegt. 

Gleichzeitig  mit  den  angegebeneu  Flächen  war  auch  die  Wasserverbindung  zwi- 
schen der  Turanischeu  und  Sibirischen  Niederung  unterbrochen  und  der  Höhenzug 
blossgelegt,  welcher  den  Ural  mit  den  ceutralasiatischen  Hochländern  verbindet.  Jetzt 
war  es  möglich,  von  den  letzteren  aus,  den  Kamm  des  Höhenzuges  entlang,  nach 
dem  Ural  zu  kommen,  und  von  hier  aus  bis  Scandinavien  vorzudringen.  Bei  dem 
Fehlen  jeder  Landverbindung  zwischen  dem  Ural  und  den  südlichen  Ländern  ausser 
der  obigen  Stelle,  aber  auch  nur  dieser,  wo  mächtige  Meere  Jahrtausende  hindurch 
jeden  Zutritt  versperrten,  war  es  vollständig  natürlich,  dass  sich  die  ersten  Bewohner 
vom  Ural  ungestört  entwickeln  und  weiter  verbreiten  konnten.  —  Die  Ansicht  ein- 
zelner Gelehrten,  dass  die  Finnen  bis  weit  nach  Westeuropa  vordrangen,  theile  ich 
vollkonmu'u,  weil  dies  auf  dem  Rücken  der  ural-baltischen  Höhen  bis  Holstein  sehr 
leicht  geschehen  konnte,  und  die  fortschreitende  Hebung  ihnen  auch  tiefer  liegende 
Stelleu  einräumte.  Die  <iegenden  westlich  iler  Düna  mussten  in  Folge  ihrer  natür- 
lichen Beschaffenheit  sehr  bald  (wenn  wir  so  sagen  können)  streitig  werden,  wie 
ich  dies  später  nachweisen  werde. 

Die  Hocldläche  rechts  der  Wolga  hatten  ausschliesslich  die  Mordwinen,  Tschu- 
waschen und  Tscheremissen  inne,  wo  sie  heute  noch  sehr  stark  vertreten  sind  und 
auf  grossen  Stiecken  die  ausschliessliche  Bevölkerung  bilden.  Nur  auf  einem  Punkte, 
und  zwar  auf  der  Stelle  oberhalb  Kasan,    wo  der  uralische  Landrücken  dicht  an  das 


(80) 

rechte  Ufer  heran  tritt,  sind  sie  auf  den  erstereu  übergegangen,  und  ihre  Hauptmasse 
concentrirt  sich  auch  jetzt  noch  dort  auf  beiden  Ufern.  —  Die  ersten  Ansiedelungen 
dieser  drei  Stämme  erfolgten  jedenfalls  über  die  shygulew'schen  Berge,  da  diese  vom 
südlichen  Ural  aus,  auf  dem  Rücken  der  westlichen  Ausläufer  vom  oberen  Obschtschey 
Syrt,  sehr  leicht  zu  erreichen  waren,  und  das  zwischen  den  Bergen  liegende  Wasser 
(die  jetzige  Wolga)  selbst  mit  den  elendesten  Hülfsmittelu  überschritten  werden 
konnte.  Die  anderen  Stämme  sind  der  Gruppirung  nach  wohl  vom  mittleren  Ural 
auf  dem  ural-baltischen  Höhenzug  nach  Westen,  Finland  und  Scandinavien  vorge- 
drungen. 

Jahrtausende  blieben  sie  allein,  und  verschiedene  Anzeichen  liegen  vor,  dass  sie 
bereits  eine  gewisse  Culturstufe  erreicht  hatten,  bevor  sie  mit  den  Slawen  u.  s.  w. 
in  Berührung  kamen.  —  Wie  lange  sie  im  Norden  das  herrschende  Volk  blieben, 
beweist  schon  der  Umstand,  dass  Rurik  zuerst  die  Herrschaft  über  die  Tschuden 
(der  noch  gegenwärtig  unter  den  Russen  für  alle  Finnen  gebräuchliche  Name)  erhielt, 
bis  er  dann  auch  die  südlich  liegenden  und  von  Slaven  bewohnten  Länder  übernahm. 

Die  russischen  Geschichtsschreiber  der  Neuzeit  suchen  zwar  die  Behauptung 
aufzustellen,  dass  die  Slaven  schon  damals  das  Uebergewicht  in  den  nördlichen  Län- 
dern besessen  hätten,  wo  ihnen  das  Gegentheil  leicht  zu  beweisen  ist,  ebenso  wie 
sie  die  Thatsache,  dass  Rurik  ein  Waräger  war,  zu  fälschen  suchen.  Stichhaltige 
Beweise  für  ihre  Ansicht,  dass  Rurik  ein  Slave  war,  bleiben  sie  natürlich,  wie  in 
so  vielen  Fällen,  schuldig. 

Die  Finnen  waren  zu  Rurik's  Zeiten  allerdings  schon  stark  mit  Slaven  vermischt, 
aber  auch  einzig  und  allein  in  der  Gegend  von  Nowgorod,  und  wie  sie  dort  hin 
kamen,  werden  wir  gleich  sehen. 

Im  Laufe  der  Zeiten  mussten  bei  der  fortschreitenden  Trockenlegung  auf  der 
Oberfläche  Russlands  solche  Veränderungen  vorgehen,  dass  die  Verbindung  zwischen 
den  Höhen  des  nördlichen  Landrückens  und  den  südlich  liegenden  Hochländern  her- 
gestellt wurde. 

Verfolgen  wir  auf  der  ethnographischen  Karte  die  Vertheilung  der  slavischen, 
speciell  die  der  grossrussischen  Bevölkerung,  und  ausserdem  die  der  Letten,  Kuren 
und  Litthauer,  so  ergiebt  sich,  dass  die  Masse  der  Gross-  oder  Weissrussen  einem 
Baume  gleicht,  dessen  Stamm  auf  den  Karpathen  wurzelt,  dessen  K!  one  sich  aber  im 
eigentlichen  Grossrussland  nach  Norden  und  Osten  ausdehnt,  und  zwar  ruht  der  Stamm 
auf  der  Stelle,  wo  die  Wasserscheide  zwischen  dem  Dniester,  dem  Pripet  und  den 
Nebenflüssen  der  Weichsel  liegt.  —  Von  hier  aus  läuft  ein  fast  ganz  freier,  nur 
wenig  durchfurchter  Kamm  im  Bogen  längs  den  Wasserscheiden  von  Duieper,  Bug, 
Niemen,  Düna  und  Wolga  bis  zur  Quelle  der  Moskwa  und  den  oberen  Gegenden 
der  Oka.  —  Bei  4—500  Fuss  höherem  Wasserstand,  wie  gegenwärtig,  waren  diese 
Stellen  von  den  Karpathen  aus  zu  erreichen.  Eben  so  gut  war  es  möglich,  z\s  ischen 
den  Quellen  der  Düna  und  Wolga  hindurch,  nach  der  Waldaihöhe  vorzudringen, 
und  weiter  auf  der  Wassersclieide  zwischen  dem  Niemen  und  der  Düna,  nach  den 
westlich  vcm  der  letzteren  liegenden  Theilen  des  baltischen  Höhenrückens  zu  kommen. 

In  Folge  der  engen  Grenzen  des  Terrains  an  der  Moskwa  und  Oka,  welches 
nördlich  fast  vollständig  durch  die  Wolga,  östlich  durch  die  Okauiederuug  und  süd- 
lich durch  ein  gross(!S  Meer  von  den  finnischen  Ländern  geschieden  war,  blieb  den 
Slaven  kein  Raum  zur  Ausdehnung  und  waren  sie  von  der  Natur  damals  mehr  nach 
dem  Westen  gewiesen.  —  Selbst  dann,  als  der  Weg  zu  den  Finnen  überall  offen 
lag,  blieben  ihnen  deren  Länder  noch  auf  lange  Zeit  verschlossen.  Die  letzteren 
waren  so  stark,  um  sich  alle  Kindringlinge  fern  zu  halten.  Nur  die  Gegenden  am 
Lüwat,    Jablon  und  Ilmensee  blieben  streitig,    bis   es  den    Slaven    gelang,    sich    dort 


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71^ A  Meifv  litli 


Verlan  vi>n    TilegfanxÜ,  Hempfl  i  Parey  ix.  Berlüv 


(81) 

festzusetzen  unrl  für  immer  zu  behaupten.  Oestlich  der  Wolgaquelle  war  ihnen 
bis  vor  etwa  1  ()()()  Jahren  Alles  verschlossen.  Wer  die  finnischen  Stämme  kennt, 
die  heute  gleich  einem  altersschwachen  Greise  im  Absterben  begriffen  sind,  wird  sich 
sagen,  dass  mit  diesen  Völkern  nicht  zu  spassen  war,  als  sie  in  der  Vollkraft  stan- 
den, wie  es  Deutschland  empfindlich  genug  durch  die  Ungarn  erfahren  hat. 

Die  unter  den  l^etten  und  Litthauern  geborenen  und  der  Sprachen  vollständig 
mächtigen  Gelehrten  stimmen  darin  überein,  dass  diese  Völker  slavischen  Ursprunges 
sind.  Ihre  isolirte,  südlich  durch  den  ural-baltischen  Landrücken  begrenzte  Lage 
lüsst  mit  Bestimmtheit  annehmen,  dass  sie  zu  jener  Zeit,  als  die  Wasserscheide  zwi- 
schen Niemen  und  Düna  frei  wurde,  gleichfalls  von  den  Karpathen  aus  dorthin  gelang- 
ten, die  Finnen  verdrängten  nnd  mit  dem  zurücktretenden  Wasser,  bei  ihrer  fort- 
schreitenden Vermehrung,  sich  auch  den  Tiefen  zuwandten.  Ihre  Gruppirung,  die 
geographische  Lage  ihrer  WohnpUltze,  welche  beim  Beginn  der  Völkerwanderungen 
abseits  der  eigentlichen  Hauptstrasse,  durch  locale  Hindernisse,  hauptsächlich  undurch- 
dringliche Wälder  und  ungeheure  Sümpfe  vor  dem  Einfall  fremder  Massen  ziemlich 
geschützt  waren,  sowie  viele  andere  Dinge  lassen  vermuthen,  dass  sie  gleichfalls  Ur- 
völker    waren,  oder  unmittelbar  auf  die  Finnen  folgten. 

Dass  die  Slaveu  schliesslich  über  die  Finnen  Herr  wurden,  lässt  sich  aus  den 
ganzen  klimatischen  und  Bodenverhältnissen,  wodurch  sie  den  letzteren  gegenüber 
sehr  begünstigt  waren,   ohne  grosse  Schwierigkeit  erklären. 

Verfolgen  wir  die  Westslaven,  so  sehen  wir  von  Neuem,  dass  die  Grenze  der 
am  weitesten  nach  Nordwesten  vorgedrungenen  ziemlich  genau  durch  den  ural- 
karpathischen  Landrücken  bezeichnet  wird. 

Trotzdem  uns  die  Geschichte  sagt,  dass  die  Nordküsten  von  Deutschland  von 
germanischen  Stämmen  bewohnt  waren,  bevor  die  Slaven  dieselben  in  Besitz  nahmen, 
so  möchte  ich  glauben,  dass  die  letzteren  bereits  vor  den  erstereu,  wenn  auch  nicht 
sehr  zahlreich,  vertreten  waren.  Die  Germanen,  eingewandert,  fanden  bei  den  Slaven 
wenig  Widerstand,  und  als  sie  sich  reichen  Ländern  zuwandten,  wo  mehr  Leute  zu 
finden   waren,  verblieb  das  Land  den  Ureinwohnern  auf  lange  Zeit. 

In  Russland  sind  die  Finnen  unstreitig  das  Urvolk,  auf  welches  die  Slaven  folg- 
ten, deren  erste  Sitze  die  Gegenden  auf  den  hoch  liegenden  Stellen,  wo  die 
Flüsse  entspringen,  waren. 

Ich  gehöre  nicht  zu  denen ,  welche  einer  Sache  Werth  beilegen,  wenn  sie  alt 
ist,  aber  ich  behaupte,  dass  die  finnischen  Stämme  seit  länger  als  15,000  Jahren 
hier  ansässig  sind.  Wie  ausserordentlich  langsam  die  Entwickelung  der  Völker  fort- 
schreitet, dafür  liegen  hier  zu  viele  Beweise  vor,  und  bei  den  Finnen  lässt  sich 
dies  am  genauesten  beobachten,  weil  sie  weniger  als  die  Russen  von  den  Umwäl- 
zungen berührt  wurden,  durch  die  ganze  Völker  hinweggefegt  wurden. 

Die  gewaltigste  Veränderung  in  der  ganzen  Weltlage  brachte  unbedingt  die 
plötzliche  Trockenlegung  des  Südens  Russlands,  der  angrenzenden  Donauländer  und 
der  kaspischeu  Tiefebene  hervor.  Von  der  ungeheuren  Wasserwüste  blieb  nichts 
weiter  zurück,  als  das  schwarze  Meer,  welches  mit  dem  Asow'schen  etwas  höher 
wie  gegenwärtig  stand.  Das  gleiche  Niveau  erhielt  damals  das  kaspische  Meer, 
welches  seit  jener  Zeit  so  weit  zurück  trat,  und  fortwährend  zurück  tritt.  Dass  diese 
Trockenlegung  (durch  verschiedene  entscheidende  Gründe  bewiesen)  sehr  schnell  er- 
folgte, habe  ich  bereits  oben  bemerkt. 

Trat  nach  derselben  an  den  Grenzen  der  Völker  überall  Vermischung  ein,  so 
warf  die  VcUkerwanderiuig  schliesslich  Alles  durcheinander.  —  Dieses  grosse  Ereig- 
niss  war  nichts   weiter,    als    eine    natürliche    Nothwendigkeit .    welcLe    unausbleiblich 

Vi-rhaiull.  der   II.  li.    \  iitliio|i.)l.  Gesellsciaü.     I87.*>.  ß 


(82) 

eintreten    musste,     einzig    begründet    in    dem    allen    Geschöpfen    inne    wohnenden 
Erhaltungstriebe. 

Wohl  zählt  das  Leben  der  Völker  nach  Jahrtausenden,  und  mit  ungemeiner 
Zähigkeit  suchen  sie  den  Verfall  zu  verhindern,  aber  die  Naturgewalten  machen  sich 
zuletzt  doch  geltend.  Kein  Beispiel  zeigt  uns  die  Geschichte,  dass  ein  Volk  dem 
Untergang  entgangen  wäre,  wenn  es  durch  Klima  und  Boden  besonders  begünstigt 
wurde  Stahlharte  Völker,  vor  denen  die  Welt  zitterte,  als  sie  noch  die  ursprüng- 
liche, in  gesunden  Verhältnissen  gefundene  Kraft  besassen,  fanden  ihr  Grab  in  Län- 
dern, die  sie  mit  Reich thum  überschütteten.  —  Gleich  der  Eiche,  die  in  magerem 
Boden  auf  sturmumsauster  Höhe  gepflanzt,  ihre  Schwester  im  Thal  auf  üppigem 
Land  an  Lebenskraft  und  Zähigkeit  Jahrhunderte  überdauert,  so  bewahrt  auch  die 
Natur  die  Völker  vor  dem  allzu  raschen  Verfall,  wenn  sie  denselben  ihre  Gaben 
nicht  allzu  verschwenderisch  in  den  Schooss  wirft.  —  In  demselben  Grade,  wie  die 
Entwickelung  erfolgt,  vollzieht  sich  auch  ihre  Auflösung.  Nie  ist  mir  ein  Beweis 
von  dem  Einfluss  des  Klimas  und  der  Bodenbeschaffenheit  so  schlagend  vor  die 
Augen  getreten,  wie  bei  den  deutschen  Colonisten  in  Russland.  —  Nehmen  wir  die 
im  Jahre  1763  Eingewanderten.  Aus  den  gleichen  Ländern,  wie  die  im  Süden,  ange- 
kommen, aber  auf  erbärmlichem  Boden  und  in  einem  ungünstigen  Klima  angesiedelt, 
hat  sich  die  Thätigkeit  der  im  Norden  ansässigen  ausserordentlich  gesteigert.  Sie  sind 
lutherisch,  wenig  angefressen  von  dem  entsetzlichen  Aberglauben  der  Russen  und  Finnen, 
und  wir  treffen  fast  keinen  wirklich  Armen  unter  ihnen.  Thatsächlich  sind  sie  Muster 
für  alle  ihre  Nachbarn  geworden.  Wie  sieht  es  aber  im  Süden,  speciell  an  der  Wolga 
aus  ?  Unmittelbar  am  Fluss  gründeten  die  Deutschen  ihre  ersten  Colonien,  auf  einem 
Boden,  wie  ihn  fruchtbarer  die  ganze  Erde  nicht  mehr  zeigt.  Dieser,  noch  unbe- 
rührt von  Menschenhand,  durch  die  Nähe  des  Stromes  vor  den  Einwirkungen  der 
theilweise  entsetzlichen  Sonuengluth  (die  im  Osten  nur  zu  häufig  Alles  vertrocknen 
lässt)  geschützt,  lieferte  ihnen  bei  geringer  Arbeit  in  den  ersten  Jahren  fabelhafte 
Ernten,  War  die  Masse  der  Nahrungsmittel  schon  in  UeberfüUe  vorhanden,  so  kam 
noch  die  Qualität  ihres  Getreides^)  (grösstentheils  Weizen)  hinzu,  um  eine  Volks- 
vermehrung herzustellen,  wie  wir  sie  selten  treffen. 

Während  die  Zahl  der  im  Norden  wohnenden  Colonisten  um  wenig  mehr  als 
1  Proc,  wuchs,  vermehrten  sich  die  südlichen  ohne  neue  Einwanderungen  in  100 
Jahren  durchschnittlich  um  5,16  Proc,  —  Am  grössten  war  die  Vermehrung  in  der 
ersten  Zeit,  Mit  ziemlicher  Genauigkeit  lässt  sich  ihre  Abnahme  mit  der  vermin- 
derten Fruchtbarkeit  ihres  Bodens,  zu  dessen  Verbesserung  bis  heute  absolut  „Nichts" 
geschieht,  statistisch  nachweisen. 

Mit  den  reichen  Ernten  entstand  zugleich  Erschlaffung.  Wozu  sich  auch  anstren- 
gen?   Brod  war  ja  die  Fülle  vorhanden.  — 

Hundert  Jahre  später  (als  diese  sich  hier  ansiedelten),  1863,  als  ich  die  auf 
162  Colonien,  worunter  verschiedene  von  4 — 8000  Einwohnern  angewachsene  Bevöl- 
kerung zum  ersten  Male  sah,  machten  die  Stamra-Colonien  an  der  Wolga  auf  mich 
den  günstigsten  Eindruck,  wie  überhaupt  so  viele  oberflächliche  Beobachter  sich 
durch  diesen  täuschen  lassen.  Als  ich  aber  tiefer  in  die  Verhältnisse  eindrang, 
die  ich,  ohne  Ueberhebung  zu  sagen,  genauer  als  alle  Colonisten  kennen  lernte, 
so  fand  ich  eine  solche  Verkommenheit,    dass  es  mir    zuerst    unerklärlich    war,    wie 


')  Meiner  Ueberzeugung  nach  besitzt  der  Weizen  tms  diesen  (jegencleii  einen  höheren 
StiirkeKehail  als  der  iru  nördlichen  Russliiiid  gewachsene.  Ich  werde  dfiisell)en  s|niter  iinter- 
öucheu  lassen,  um  den   i'in.cnls.il/  fi'sit/iisli'llcn. 


(83) 

ein  Volk  in  so  kurzer  Zeit  so  tief  herabsinken  konnte.  Eine  Faulheit,  die  alle 
Grenzen  übersteigt.  Eine  Wirthschaft  in  der  Gemeindeverwaltung,  die  schlimmer 
nicht  denkbar  ist.  Ohne  Sorge  für  die  Zukunft  der  Kinder,  im  höchsten  Grade  be- 
schränkt, voll  von  jeder  Art  von  Aberglauben,  —  ich  schämte  mich,  Deutsche  vor  mir 
zu   sehen. 

In  einer  Colonie,  wo  ich  mich  zwei  Monate  aufhielt,  und  die  zu  nennen  ich  be- 
reit bin,  Hessen  sich  von  84  Familien  79  aus  der  Gemeiudekasse,  resp.  dem  unglück- 
-pügeu  Magazin  ernähren.  Wie  dies  möglich,  werde  ich  später  anführen.  —  Und  das 
sind  die  lieben  Kinder  der  Geistlichen  Für  diese  Menschen  ist  der  Pfarrer  der 
Gott  auf  Erden.  —  Wie  verderblich  aber  eine  Religion  noch  ausserdem  wirken  kann, 
sehen  wir  hier.  I)ie  Katholiken  empfingen  die  gleiche  ßodenfläche,  von  gleicher 
Güte,  und  mit  denselben  Rechten  wie  die  Protestanten,  aber  die  katholischen  Ge- 
meinden sind  die  ärmsten  und  verkommensten  geblieben.  Der  Unterschied  ist  in 
den  Stamm-Colonien  so  auffällig,  dass  selbst  beschränkte  Reisende  nach  der  Ursache 
fragen. 

Durch  diese  Erschlaffung  bei  reichen  Ernten  trat  fast  augenblicklich  eine  höchst 
ungleiche  Vertheilung  des  Vermögens  ein,  so  dass  wir  Müüonäre  finden,  aber  die 
Masse  des  Volkes  blieb  arm,  theilweise  so  arm,  dass  in  Deutschland  die  Thiere  besser 
wohnen,  als  diese  Menschen. 

Wie  diese  Wohnungen  beschaffen  sind,  Ulustrirt  am  besten  das  Folgende.  Bei 
(>iner  gerichtlichen  Abschätzung,  behufs  Versicherung  der  Gebäude,  wurde  ein  sehr 
gi-nsser  Theil  der  Wohnhäuser  zu  '2 — ö  Rubel,  sage  zwei  bis  fünf  Rubel  taxirt.  Da- 
mit ist  Alles  gesagt.  Häuser  sind  es  allerdings  nicht,  sondern  viereckige  Erdhaufen 
mit  einer  Thür  und  einem,  höchstens  zwei  Löchern  von  9 — 10  Zoll  Durchmesser  als 
Fenster.  —  Das  sind  die  Folgen  üppigen  Bodens,  wenn  die  Menschen  die  Naturge- 
walten nicht  zu  bändigen  verstehen. 

Um  dem  Unheil  gleich  vom  Anfang  Thür  und  Thor  zu  öffnen,  nahmen  sie 
das  seit  Jahrhunderten  in  Russland  bestehende  System  des  allgemeinen  Grundbesitzes 
und  der  solidarischen  Haftbarkeit  an.  Die  nördlichen  Colonisten  erkannten  den  ver- 
derblichen Einfluss  dieser  Einrichtung  sehr  bald  und  hoben  sie  thatsächlich  auf. 
Im  Süden  blieb  sie  jedoch  bestehen  und  übte  dann  auch  ihre  unfehlbare  Wir- 
kung aus. 

Schwer  ist  es  zu  fassen,  wie  es  noch  Menschen  geben  kann,  die  eine  Gemeinde- 
verfassung, deren  wirklich  entsetzliche  Verheerungen  auf  allen  Gebieten  des  Staats 
und  Volksleiiens  zu  deutlich  hervortreten,  noch  vertheidigen.  —  So  lange  die  Knute 
regierte,  ging  es,  aber  jetzt,  nach  Aufhebung  der  Leibeigenschaft,  ist  der  Verfall  der 
Landwirthschaft,  besonders  in  der  nördlichen  Reichshälfte,  ein  so  rapider  gewor- 
den, dass  nun  selbt  die  wüthendsten  Feinde  aller  westeuropäischen  Cultur  es  für 
besser  halten,  über  die  gepriesenen  Eigenthümlichkeiten  des  heiligen  Russlands  zu 
schweigen,  da  sie  einsehen  müssen,  dass  diese  Dinge  zur  unfehlbaren  Auflösung  aller 
socialen  Ordnung  führen.  —  Schon  im  Herbste  1873,  bei  Gelegenheit  des  Nothstau- 
des  in  Samara,  hielt  es  keiner  dieser  Herreu  (die  früher  mit  Wuth  über  jeden 
Andersdenkenden  herfielen)  mehr  für  rathsam,  mir  auf  einen  längeren  Artikel  in 
der  Petersbuiger  (deutschen)  Zeitung,  wo  ich  den  Gemeindebesitz  in  den  schärf- 
sten Ausdrücken  als  die  Hauptursache  des  allgemeinen  Verfalls  bezeichnete,  zu 
antworten. 

Nur  Fürst  W  Hess  sich  herbei,  die  Faulheit  des  Volkes  damit  zu  entschuldigen, 
dass  er  angab,  das  Klima  zu  ändern,  liege  in  keines  Menschen  Hand;  schliesslich  g»^- 
langte  er  jedoch  zu  dein  Resultat,  dass  diese  Genieindeverfassung  nicht  mehr  zeit- 
yoniäss  sei  und  ihre  Beseitigung  wünschenswerth  erscheine. 


(84) 

Und  doch  ist  dieselbe  das  Ideal  der  Socialdemokraten.  Hierher  mögen  deren 
Wortführer  gehen,  um  die  Wirkung  ihrer  im  gi'össten  Maassstabe  ausgefiihrteu  Pro- 
jecte  zu  Studiren.  Hier  besitzt  nur  die  Gemeinde  den  Boden,  persönliches  Eigenthum 
ausser  dem  Haus  und  Garten  giebt  es  nicht');  alle  männlichen  Seelen  (Frauen  besitzen 
in  Russland  oder  zählen  vielmehr  nicht  nach  Seelen)  sind  zu  gleichem  Antheil  am  Grund- 
eigenthum  berechtigt,  welches  je  nach  den  Veränderungen  in  der  Volkszahl  von  Neuem 
vertheilt  wird. 

Gesehen  haben  muss  man  (aber  mit  offenen  Augen),  wohin  eine  solche  Verfas- 
sung führt,  deren  unausbleibliches  Ende  der  sittliche  und  physische  Ruin  eines  Vol- 
kes wird,  um  mit  dem  grössten  Widerwillen  gegen  eine  Partei  erfüllt  zu  werden, 
deren  Ideen  wohl  theoretisch  manches  für  sich  haben  und  unter  überirdischen  Wesen 
ausführbar  sind,  aber  bei  Menschen,  deren  Egoismus  bei  jeder  Gelegenheit  die  Ober- 
hand gewinnt,  nie  zum  Guten  führen  können. 

Aber  ich  folge  hier  Dingen,  die  wohl  mit  der  ganzen  Natur  Russlands  in  Ver- 
bindung stehen,  deren  ausführliche  Begründung  jedoch  ein  Unternehmen  von  solchem 
Umfange  ist,  dass  Jahre  ungestörter  Arbeit  dazu  gehören  würden,  um  sie  zum  Abschluss 
zu  bringen.  Hierzu  besitze  ich  aber  vorläufig  die  Mittel  nicht,  und  ich  muss  desshalb 
abwarten,  bis  mir  dieselben  werden,  wozu  ich  übrigens  begründete  Aussicht  habe. 

Ich  habe  jetzt  nur  noch  wenig  zu  bemerken.  —  Es  ist  sonderbar,  dass  die  Ge- 
lehrten den  Einfluss  der  fortschreitenden  Trockenlegung  auf  die  Volksvertheilung 
ausser  Acht  Hessen.  Es  liegt  in  dieser  Bewegung  sicher  die  Lösung  vieler  bis  jetzt 
ungelöster  Räthsel.  —  Sollte  schon  darauf  aufmerksam  gemacht  worden  sein,  wovon 
mir  übrigens  nichts  bekannt  wurde,  so  trete  ich  als  zu  spät  gekommen  gern  zurück. 
Schliesslich  sei  noch  Einiges  erwähnt.  Ueber  die  erratischen  Blöcke  ist  sehr 
viel  gestritten  worden  (siehe  selbst  Humboldt's  Ansicht),  und  doch  haben  nur 
diejenigen  Recht,  welche  behaupten,  dass  dieselben  durch  Eisschollen  herbeigeführt 
wurden.  Derselbe  Process  wiederholt  sich  heute  noch  eben  so  wie  vor  Jahrtausen- 
den, natürlich  in  geringerem  Maasse,  und  den  sich  dafür  Interessirenden  kann  ich 
die  Stellen  namhaft  machen,  wo  sie  Blöcke  von  bedeutendem  Umfange  finden,  die 
erst  in  den  letzten  Jahren  angeführt  wurden,  und  auf  die  mich  die  Bewohner  der 
Küsten  aufmerksam  machten. 

Sie  entsinnen  sich  vielleicht,  dass  Nilsson  in  seinem  bekannten  Werke  über 
die  Ureinwohner  von  Scandinavien  einen  Ausspruch  von  Pytheas:  „Er  habe  bei 
den  Einwohnern  grosse  Häuser  angetroffen,  wo  sie  die  A ehren  ausklopften",  als 
unsicheren  Beweis  dafür  anführt,  dass  Schweden  den  Ackerbau  durch  Völker  aus 
Ländern  am  südöstlichen  Mittelländischen  Meer  kennen  lernte,  und  dass  das  dort  ge- 
bräuchliche Verfahren  auch  hier  längere  Zeit  bestanden  habe.  Ich  hätte  ihm  sagen 
können,  dass  er  seine  Vermuthung  vollständig  bestätigt  gefunden  hätte,  wenn  er  nach 
den  russischen  Küstenländern  und  den  dicht  angrenzenden  Gebieten  gegangen  wäre. 
In  den  Ostseeprovinzen  mit  deutschen  Gutsbesitzern  finden  wir  von  dem  alten  Ver- 
fahren nur  noch  Spuren,  aber  unmittelbar  neben  diesen  behauptet  die  liebe  Gewohn- 
heit, jenes  gedankenlose  Weitertreiben  des  Althergebrachten,  ein  Wirthschaftssystem, 
welches  wohl  den  syrischen  und  ägyptischen  Verhältnissen  angemessen  war,  von  wo 
es  unbedingt  stammt,  aber  hier  weder  dem  Klima  noch  allen  anderen  Verhältnissen 
Rechnung  trägt,  und  im  höchsten  Grade  verderblich  wirkt. 

Es  ist  unerklärlich,  dass  sich  unter  dieser  Masse  von  Aberglauben  und  sitttlichem 
Wust  kein  Einziger  fand,    der   wenigstens    etwas    aufräumte.      Aber    es    ist   für    die 


')  Ausgenommen  die  Gutabesitzer  und  Bauern,  die  aus  dem  Gemeindeverband  getreten  sind. 


(85) 

Faulheit  und   für   die   beschränkten  Köpfe  zu  bequem,    für  alles  Unangenehme  einen 
Sündenbock,  unsern  Herrgott,  zu  haben,   dem  man  Alles  in  die  Schuhe  schieben  kann. 
Die  Wirthschaftssysteme  im  Süden  stammen  gleichfalls  aus  Aegypten,    aber    aus 
einer  viel  späteren  Periode.     Hier  wurden  sie  durch  die  Griechen  eingeführt. 

(13)  Graf  Sievers  sendet  mit  Schreiben  von  Wenden,  12.  März,  nachträgliche 
Bemerkungen  zu  seinem  Vortrage  in  der  Sitzung  vom  17.  Oct.  1874  über  das  dort 
erwähnte 

Mnschellager  am  Burtueck-See  (Livland). 

Anfang  Novembers  alt.  St.  im  vorigen  Jahre  nahm  ich  eine  vorläufige  Besichti- 
gung des  dortigen  Muschellagers  vor,  von  dem  ein  Paar  Proben  beizufügen  ich  mir 
erlaube. 

Ich  fand  auf  einem  Flecke  von  72  Fuss  (engl.)  Länge  und  62  Fuss  Breite,  auf 
dem  ich  an  mehreren  Stellen  hindurchbohrte,  und  etwa  in  der  Mitte  ein  Loch  bis 
auf  den  Untergrund  ausheben  Hess,  einen  Fuss  unter  der  Oberfläche  eine  5  Fuss  (engl.) 
mächtige  Schichte  von  Süsswasser-Muscheln,  untermischt  mit  Fischschuppen  und 
Fischgräten,  an  ein  Paar  Stellen  Schichten  von  \  —  Vi.  Zoll  dick  sogar  bildend; 
ausserdem  fanden  sich  zwischen  den  Muscheln  Topfscherben,  von  denen  ein  Paar 
Proben  folgen,  verschiedene  Tbierknochen,  darunter  ein  wohl  erhaltener  Backen- 
knochen eines  mittelgrossen  Thieres,  und  ein  Stück  eines  Unterkiefers  eines  Wieder- 
käuers, der  die  3  wohlerhaltenen  ersten  Backenzähne  nebst  einem  Theil  der  Zahnlücke 
enthielt,  von  dem  der  untere  Theil  bis  zum  Beginne  der  Zahnwurzeln  weggehauen 
war,  und  bei  oberflächlicher  Vergleichung  dem  des  Riesenhirsches  ähnelte,  ferner  einige 
Menschenknochen,  regellos  liegend-  Im  vorigen  Jahre  war  beim  Pflügen  daselbst 
wenige  Zoll  unter  der  Oberfläche  ein  menschliches  Gerippe  blossgelegt  worden. 

Das  sehr  schlechte  Wetter,  heftiger  Sturm  aus  Osten,  während  die  Temperatur 
von  10  Grad  Reaumur  unter  0  auf  14  bis  15  Grad  sank,  hinderten  mich  au  weiterer 
Arbeit,  jedoch  habe  ich  Veranstaltung  und  Verabredung  treffen  können,  dass  ich  im 
nächsten  Sommer  auf  ein  nahe  gelegenes  Gut  eines  Vetters  auf  einige  Wochen  ziehe, 
um  den  ganzen  Hügel  durchzugraben ,  um  nach  genauer  Aufmessung  desselben  alle 
etwaigen  Fundstücke,  entsprechend  ihrer  Lage,  in  Horizontal-  und  Vertikal-Durch- 
schnitten einzutragen.  Die  Tbierknochen  habe  ich  dem  mineralogischen  Cabinet  der 
Dorpater  Universität  übergeben  zu  genauerer  Bestimmung  ihrer  Hingehörigkeit. 

(14)  Herr  Kuchenbuch  übermittelt  einen  Bericht  über 

vorhistorische  Funde  bei  Seelow  (Kreis  LebusJ. 
(Hierzu  Taf.  VII.) 
Die  neue  Wriezen  -  Frankfurter  Bahn  durchläuft  von  Wriezen  ab  das  Oderbruch 
erst  in  südöstlicher  Richtung,  dann  von  Nord  nach  Süd,  und  kommt  in  dieser  Rich- 
tung an  die  ziemlich  steil  abfallenden  Berge  heran,  welche  das  weite  Oderthal  ein- 
schliessen.  Die  Bahn  erreicht  den  Thalrand  etwa  1400  Schritte  südöstlich  vom 
Dorf  Werbig.  Theils  um  allmählich  die  Höhe  zu  erreichen,  theils  um  das  nöthige 
Erdreich  zu  den  Dammschüttungen  im  Oderbruch  zu  gewinnen,  werden  ziemlich 
tiefe  und  weite  Einschnitte  in  die  vorspringenden  Bergausläufer  gemacht.  Die  Bil- 
dung des  Thalrandes  ist  der  der  ganzen  Strecke  von  Lossow  oberhalb  Frankfurt  bis 
Oderberg  gleich;  zahlreiche  vom  Wasser  gebildete  Schluchten,  bald  enger,  bald  weiter 
ausgedehnt,  durchschneiden  den  Rand  der  Hochebene,  welche  hier  etwa  90  Fuss 
über  der  Ebene  des  Oderbruches  sich  erhebt,    und  werden  so  Bergvorsprünge    gebü- 


(86) 

det,  welche  vuü  der  Bahn  durchschnitten  werden.  Vom  Eintritt  der  Bahn  in  diese 
Bergvorsprünge  bis  zur  Chaussee  bei  Seelow.  etwa  2400  Schritt,  sind  vier  solcher 
Vorsprünge  zu  durchstechen,  und  bereits  in  Angriff  genommen,  und  hat  man  bei  den 
drei  nördlichen  stets  auf  deren  Nordseite  mit  dem  Durchstich  begonnen.  Diese  Berg- 
vorsprünge bestehen  aus  Lagen  von  Lehm,  Sand  oder  Mergel  in  v^rechselnder  Folge 
Die  drei  nördlichen  Berge  werden  so  durchstochen,  dass  an  der  Oderseite  noch  ein 
Rest  des  Berges  stehen  bleibt,  der  vierte  vor  Seelow  aber  ist  behufs  Anlage  des  Bahn- 
hofsplanums  bis  zum  Fusse  abj^  etragen.  Diese  Durchstiche  haben  nun  7a\  interes- 
santen Funden  geführt: 

1)  Der  nördlichste  Bergvorsprung,  etwa  500  Schritt  breit,  zunächst  Werbig  besteht 
auf  der  Kuppe  der  Nordseite  oben  aus  Lehm,  unter  ihm  kommt  weisser  Sand. 
In  diesem  Sand  wurden  etwa  7  Meter  tief,  also  etwa  20  Meter  über  der 
Oderbruchebene,  ein  Röhrknochen  von  bedeutender  Grösse,  und  Splitter  eines 
solchen  gefunden.  Die  Gelenkansätze  fehlen;  der  Knochen  ist  46  Cm.  laug 
(Fig.  11,  ab  —  cd),  am  dickeren  Ende  (a — b)  25  Cm.,  am  dünneren  (c — d) 
17  Cm.,  in  der  Mitte  (e — f)  15,5  Cm.  im  Durchmesser  stark.  Die  feste  Masse 
des  Knochens  ist  etwa  1  Cm.,  seine  Farbe  gelblich-braun  mit  zerstreuten 
schwarzen  Flecken.  Der  Knochen  erscheint  noch  ziemlich  fest.  Andere 
Stücke  sind  etwa  handgross.  An  anderer  Stelle  wurde  ein  Mammuthzahn 
gefunden,  dessen  Breite  9,5  Cm.  beträgt.  Auch  grosse  Stosszähne  sind  ge- 
funden, leider  ganz  zerbrochen.  Spuren  menschlicher  Thätigkeit  sind  nicht 
dabei  entdeckt. 

Bei  dem  Durchstich    des    zweiten  Bergvorsprunges,    ebenfalls    etwa    500 
Schritt  breit  und  aus  Lehm  bestehend,  ist  bis  jetzt  nichts  gefunden  worden. 

2)  Der  dritte  Bergvorsprung  besteht  aus  hartem  Lehm.  Jn  dem  darüber  liegenden 
Sandboden  wurden  in  der  Tiefe  von  wenigen  Füssen  menschliche  Skelete  ge- 
funden ,  deren  Schädel  leider  gänzlich  zerstört  wurden,  während  die  übrigen 
Gebeine  auf  dem  Kirchhof  in  Seelow  vergraben  worden  sind.  Beigaben  sind 
nicht  wahrgenommen  worden. 

.3)  Die  meisten  Funde  lieferte  der  Abtrag  des  vierten  breiteren  Bergvorsprunges. 
Hier  sind  vornehmlich  zwei  Stellen  zu  erwähnen.  Am  nördlichen  Abhänge, 
an  der  Grenze  der  ehemaligen  Grundstücke  des  Ackerbürgers  Mehl  bock  und 
Gottlieb  Schrimm,  sind  in  der  Tiefe,  nur  ein  paar  Fuss  in  der  Ackererde, 
mehrere  Urnen  gefunden,  von  denen  vier  ziemlich  erhalten  sind,  während  von 
einer  fünften  nur  ein  Bruchstück  vorhanden  ist.  Diese  Gefässe  sind  von 
schwarz-grauem  Ansehen,  im  Bruch  schwarz  gebraunt,  mit  groben  Granitstück- 
chen gemischt,  mit  Strichen  und  Funkten  einfach  verziert,  und  gleichen  den 
sonst  in  der  Gegend  gefundenen      Es  sind  folgende  Gefässe : 

a)  Fig  1:  17,5  Cm.  im  Bauch  weit,  15  Cm.  hoch,  im  Boden  8,5  Cm.  breit, 
mit    einfacher  Strichverzierung  und  Spuren  zweier  abgebrochener  Henktil. 

b)  Fig.  2:  12,5  Cm.  im  Bauch  weit,  oben  am  Hals  8  Cm.  weit,  10  Cm.  hoch 
mit  ausgebrochenem  Henkel,  verziert  mit  Strichen  imd  Punkten. 

c)  Fig.  3:  12  Cm.  im  Bauch  weit,  9  Cm.  hoch,  mit  einem  Henkel  und  ein- 
facher Strichverzierung. 

d)  Fig.  4:  8  Cm.  im  Bauch  weit,  7,5  Cm  hoch,  3,6  Cm.  Boden-Durchmes- 
ser mit  abgebrochenen  Henkeln  und  etwas  von  den  andern  abweichender 
Strich-  und  Punktverzierung. 

e)  Fig.  5:  ein  6  Cm.  hoher  kleiner  Krug  mit  Henkel,  dessen  Hals  verschlos- 
sen ist  mit  einfacher  Strichverziernng  um  den  Bauch,  von  röthlich-gelbem 


(87) 

Thon.     Im  Innern  befinden  sich  Steinchen,   welche  beim  Schütteln    klap- 
pern; also  ein  Kinderspielzeug. 

f)  Ein  einzelner  Henkel  eines  grösseren  Gefässes. 

g)  In  einer  Urne  fand  sich  ein  Stückchen  gebrannter  Knochenrest;  in  einer 
anderen  mehrere  ßronzegegenstände.  Unter  diesen  zeichnet  sich  aus  ein 
Gebilde,  ganz  einer  Eidechse  oder  einem  Molch  ähnlich  (Fig.  7,  a,  b), 
5,5  Cm.,  mit  grünem  Rost  überzogen.  An  dem  gerade  laufenden,  nach 
dem  Schwanzende  hin  sich  verjüngenden  Körper  sind  vier  Beine  ohne 
Zehen,  und  vorn  der  nach  unten  geneigte  Kopf  mit  aufgesperrtem  Maul. 
Auf  dem  Rücken  befinden  sich  noch  zwei  Ansätze,  anscheinend  die  Reste 
einer  Oese,  an  welcher  das  Thierchen  getragen  werden  konnte.  Am 
Rücken  des  Thieres  sind  drei  in  einer  Fläche  liegende,  zusammen  ver- 
bundene, gegossene  Ringe  angerostet,  welche  ihrer  Lage  nach  vermuthen 
lassen,  dass  an  ihnen  die  Eidechse  aufgehängt  war.  Ausser  dieser  Eidechse 
fanden  sich 

h)  noch  vier  volle  Bronzeperlen  (Fig.  9)  von  8  Mm.  Durchmesser, 

i)   ein  Bronzering  von   18  Mm.  Durchmesser  (Fig  8)  und 

k)  mehrere  unförmliche  kleine  Bronzeklumpen,    anscheinend  Reste  aus  einer 

Giessstätte,  deren  ich  schon  früher  Erwähnung  gethan  habe. 
1)  Auch  ein  bearbeiteter  Stein  wurde  in  der  Gegend  gefunden,  19  Cm.  lang, 
6,5  Cm.  breit,  länglich  viereckig  mit  abgerundeten  Ecken,    vielleicht    als 
Hammer  gedraucht  (Fig.  6). 
4)  In  einer  mit  schwarzer  Erde  ausgefüllten  Mulde    dieses  Bergabhanges,    einige 
hundert  Schritte  von  dem  eben  erwähnten  Funde,  wurden  verschiedene  thieri- 
sche  Knochen  ausgegraben,  von  denen  besonders  zu  erwähnen  sind: 

a)  das  Stirnstück  eines  Wiederkäuers,  vielleicht  des  Ur's,  mit  Resten  der 
Hornzapfen.  Die  Richtung  der  Spitzen  scheint  nach  unten  gegangen  zu 
sein  (Fig.  10)  und  die  Hörner  in  einer  Fläche  gelegen  zu  haben.  Der 
Schädel  misst  von  der  Hornbasis  a — b  1G,5  Cm.  Das  Stirnbein  ist  nur 
wenig  zwischen  den  Hörnern  erhoben.  Von  der  Kante  c  bis  zur  abge- 
brochenen Stelle  d,  etwa  der  Mitte  der  Augenhöhlen,  sind  20  Cm.,  von 
der  Kante  c  bis  zum  unteren  Rande  des  Hinterhauptsloches  1 1  Cm.  Der 
Knochen  ist  ohne  allen  Leim.  Die  Hornzapfen,  welche  äusserlich  etwas 
gerippt  erscheinen,  sind  bereits  sehr  morsch  und  kalkig. 

b)  ein  einzelner  Hornzapfen  mit  Knochenresten  des  Schädels ,  ebenfalls 
äusserlich  gerippt,  ohne  Leim,  kalkig,  so  gewunden,  dass  die  Spitze  des 
Horns  aus  der  Fläche  der  Basis  heraustritt.  Von  der  Spitze  bis  zur 
Basis  a — b  in  gerader  Linie  sind  39  Cm.,  an  der  Basis  hat  der  Horn- 
zapfen 1 1  Cm.  Durchmesser. 

c)  Es  fanden  sich  noch  ein  sehr  beschädigter  Hundeschädel  (?).  fester  als 
die  sonst  gefundenen  Knochen,  eine  ausgezeichnet  starke  und  grosse  Reh- 
bockstange, und  die  Spitze  einer  solchen,  einige  Stücke  eines  Hirschge- 
weihes, bereits  vollständig  verkalkt  und  mürbe,  Pferdezähne,  Hirschzähne, 
und  endlich 

d)  an  anderer  Stelle,  wahrscheinlich  in  eisenhaltigem  Kies,  Stücken  eines 
Geweihes,  welche  einem  Renthier  angehören  möchten.  Es  sind  vier 
Stücke,  von  denen  drei  sich  zu  einem  ganzen  Geweihstück  zusammen- 
stellen lassen.  Dieses  würde  nur  schwach  gebogen  erscheinen  und  misst 
von  dem  Zapfen  unter  der  Kose  bis  zum  Ende  54  Cm.  Diese  Stange  ist 
überall  gleich  stark,  über  der  Rose,  wie  gegen  das  Ende  3,5  Cm.,  im  Durch- 


(88) 

schnitt  ziemlich  rund.  15  Cm.  von  der  Rose  her  zweigt  sich  fast  recht- 
winklig nach  der  Aussenseite  des  Bogens  eine  Sprosse  ab,  welche  (Fig.  1 2a) 
von  c — d  21,5  Cm.  lang  ist,  im  Durchschnitt  ist  auch  sie  rundlich. 
Ausser  diesen  Stücken  ist  noch  ein  etwa  12  Cm.  langes  Stück  vorhanden, 
welches  zwar  offenbar  auch  zu  jenem  Geweih  gehört,  sich  aber  doch  an 
die  Bruchstellen  nicht  anpassen  lässt.  An  dem  einen  Ende  läuft  dieses 
Stück  etwas  breit  aus.  Alle  diese  Stücke  sind  von  Farbe  orange  und 
ochergelb,  ziemlich  abgerieben,  klingen  aber  beim  Anschlagen  mit  harten 
Gegenständen.  Ausser  jener  einen  Sprosse  lässt  sich  keine  Spur  einer 
zweiten  entdecken.  Die  Stange  scheint  abgeworfen  zu  sein,  da  vom 
Schädel  keine  Spur  vorhanden  ist.  Diese  Stange,  wie  alle  übrigen  Kno- 
chen zeigen  nirgends  Spuren  einer  Bearbeitung. 
Die  beigefügten  Zeichnungen  sind  theils  nach  einem  Maassstabe  (1  :  8),  theils 
in  natürlicher  Grösse  gemacht  (Nr.  7,  8,  9  u.  zu  4).  — 

Herr  Virchow  bemerkt,  dass  er  durch  die  Direction  der  Berlin-Stettiner  Eisen- 
bahn schon  vor  einiger  Zeit  Berichte  über  die  Seelower  Funde  erhalten  habe  und 
dass  er  in  der  nächsten  Zeit  die  Fundstelle  selbst  genauer  zu  erforschen  gedenke. 

(15)  Im  Anschluss  an  die  Bemerkungen  des  Hrn.  Vorsitzenden  (zu  Nr.  10)  hebt 
Hr.  Bastian  zunächst  die  Verdienste  Dr.  Jagor's  um  die  Ethnologie  hervor,  in  den 
ausgedehnten  Sammlungen,  mit  denen  derselbe  fortfährt,  das  Ethnologische  Museum 
zu  bereichern,  und  verbindet  damit  die  Hoffnung,  dass  die  bis  jetzt  beschränkten 
Räumlichkeiten  desselben  bald  die  geeignete  Erweiterung  finden  möchten,  um  die 
zunehmenden  Erwerbungen  in  geeigneter  Weise  aufzustellen. 

Derselbe  bespricht  sodann  eine  interessante  Sammlung,  die  auf's  Neue  von  den 
Reisenden  an  der  Loangoküste  eingelaufen  ist  und  besonders  von  der  letzten  Reise 
des  Hrn.  Dr.  Güssfeld  t  am  Nyango  (einem  bisher  wissenschaftlich  noch  nicht  erforsch- 
ten Gebiet)  herrührt,  mit  mancherlei  Waffen  der  Bayaka,  Bailumbo  u.  s.  w.,  Musik- 
instrumenten, Fetischen  u.  dgl..  Eine  bei  dem  Geheimbund  der  Ndungo  gebrauchte 
Maske  dient  zur  Vermummung  des  Todtentänzers  neben  einem  Federschmuck,  der 
nachträglich  versprochen  ist  und  an  ein  ähnliches  Costüm  in  Tahiti  zu  Cook 's  Zeit  zu 
erinnern  scheint,  von  dem  sich  einige  Stücke  im  ethnologischen  Museum  von  früher- 
hin  befinden.  Dr.  Pechuel-Lösche  hat  neben  Proben  der  Cassa-Rinde,  die  schon 
vorher  auch  von  Hrn.  Soyaux  gesammelt  wurden  und  Hrn.  Prof.  Liebreich  zur 
Analyse  übergeben  sind,  den  Löffel  eingeschickt,  mit  dem  der  Fetissero  beim  Ordal  das 
Pulver  eingiebt.  Ein  Bogen  zur  Vogeljagd  kann  wegen  seiner  Schwäche  nur  durch 
Vergiftung  der  Pfeile  wirksam  sein;  es  lagen  diese,  sowie  der  Köcher,  bei.  Dann 
ein  zum  Schmuck  bei  Tänzen  benutzter  Federputz  und  sonstige  Bekleidungsstücke, 
sowie  von  dem  Cameron  ein  Sessel  und  Kriegshelm. 

Zum  Schluss  wurden  Photographien  der  Tules-  und  Goajiros-Indianer  vorgezeigt, 
von  Dr.  Schumacher,  Generalconsul  in  Newyork  (früher  Ministerresident  in  Bogota) 
eingeschickt,  sowie  einige  photographische  Abbildungen  columbischer  Alterthümer, 
zu  welchen  derselbe  sonst  schon  interessante  Beiträge  geliefert  hatte,  — 

Der  Vorsitzende  spricht  dem  Vorredner,  welcher  sich  binnen  Kurzem  behufs 
ethnologischer  Studien  nach  Mittel-  und  Südamerika  begiebt,  die  herzlichsten  Wünsche 
der  Gesellschaft  für  das  Gelingen  dieser  Reise  und  für  ein  fröhliches  Wieder- 
sehen aus. 


(89) 

(16)  Herr  Beyrich  zeigt  geschlagene  Hornsteine,  welche  der  Maurer  Giov.  Me- 
neguzzo  in  Montecchio  maggiorc  bei  Vicenza  ganz  in  der  Weise  der  prähistorischen 
Völker  in  täuschender  Weise  hergestellt  hat.  Das  Gestein  gehört  der  Kreideformation 
der  Sette  Commune  an. 

(17)  Geschenke: 

Bellucci:     U    congresso  internazionale  di   Archeologia  et  dl  Antropologia 

preistoriche  a  Stoccolma.     Firenze   1874. 
Leudesdorf:    Nachrichten  iiher  die  Gesundheitszustände  in    verschiedenen 

Hafenplätzen.     Hamburg  1874,  VIII. 


Sitzung  vom   14.  Mai  1875. 
Vorsitzender  Herr  Virchow. 

(1)  Ais  neues  Mitglied  wird  angemeldet: 

Herr  Dr.  Koch,  Kreisphysikus  zu  Wollstein,  Prov.  Posen. 

Herr  Frank  Calvert  dankt  für  seine  Ernennung  zum  correspondirenden  Mit- 
glicde  und  verspricht  Nachrichten  über  die  Untersuchungen  in  Kleinasien. 

(2)  Nachdem  Hr.  Bastian  auf  längere  Zeit  nach  Mittel-  und  Südamerika  ab- 
gereist und  Hr.  Virchow  als  Stadtverordneter  in  das  Curatorium  des  Märkischen 
Provinzial-Museums  berufen  ist,  ernennt  der  Vorsitzende  an  ihre  Stellen  zu  Delegirten 
bei  dem  Museum  für  den  Lauf  des  Jahres  die  Herren  Voss  und  Rosenberg. 

(3)  Die  diesjährige  General- Versammlung  der  deutschen  anthropologischen  Ge- 
sellschaft wird  vom  8.  bis  11.  August  in  München  abgehalten  werden.  Das  Programm 
wird  in  nächster  Zeit  mitgetheilt  werden. 

(4)  Der  Hr.  Cultusminister  hat  der  Gesellschaft  auch  für  das  laufende  Jahr 
eine  Unterstützung  von  1500  M.  bewilligt. 

(5)  Derselbe  hat  die  Entwurfsskizze  zu  einem  in  Berlin  zu  errichtenden  selb- 
ständigen ethnologischen  Museum  zur  Kenntnissnahme  und  mit  dem  Ersuchen  über- 
sendet, sich  darüber  gutachtlich  äussern  zu  wollen.  Der  Vorstand  wird  ermächtigt, 
nach  den  von  ihm  in  Gemeinschaft  mit  dem  Ausschusse  darüber  gepflogenen  Vor- 
berathungen  an  den  Hrn.  Minister  zu  berichten. 

(6)  Die  Erhebungen  in  den  Schulen  über  die  Farbe  der  Haut,  der  Haare  und 
der  Augen  der  Schüler  haben  nunmehr  in  ganz  Preussen  stattgefunden.  Hie  und 
da  sind  dadurch  grosse  Beunruhigungen,  in  Oberschlesien  und  Westpreussen  sogar 
aufständische  Bewegungen  der  Bevölkerung,  namentlich  der  weiblichen,  herbeigeführt 
worden,  weil  man  diese  Erhebungen  mit  dem  „Cultur kämpfe"  in  nähere  Verbindung 
gebracht  hat. 

Wegen  der  Bearbeitung  des  Materials  schweben  noch  Verhandlungen  mit  dem 
Hrn.  Minister  des  Innern,  der  seine  Ermächtigung  an  das  Statistische  Bureau  zu 
der  Betheiligung  an  dieser  Arbeit  beanstandet  hat. 

(7)  Die  diessjährige  Excursion  der  Gesellschaft  wird  nach  Cottbus  und  von  da 


0)1) 

zu  dem  Rurgwall   von  Zahsr)\v    und    dem    (jlräb(;rfelde    von   Kolkwitz    gerichtet    sein. 
lir.   Voss  wird  mit  den  Vorbereitungen  dazu  l)(;auftragt. 

(8)  Das  correspnndirende  Mitglied  Hr.  v.  Heldreich  übersendet  mit  Schreiben 
d.  d.  Athen,  10.  April,  folgenden  Bericht  des  Chefarztes  in  der  griechischen  Armee, 
Hrn.  Dr.  Bernhard  Ornstein  über 

eine  uugeT>'öhDliehe  lluarbildung  an  der  Sacralgegend  eines  Menschen. 

In  der  Sitzung  vom  20.  März  d.  J.  wurde  uns  der  -JSjührige,  aus  der  Eparchie 
von  Korinth  gebürtige  Recrut,  Demeter  Karas,  vorgestellt,  welchen  die  Bezirks- 
Kecrutirungs-Commission  für  kriegsdiensttauglich  erklärt,  der  hiesige  Garnisonsarzt 
jedoch  als  zu  einem  linken  Leistenbruch  prädisponirt  der  Ober-Sanitäts-Commission 
zur  endgültigen  Entscheidung  vorstellen  Hess.  Die  natürlich  bei  nacktem  Körper 
vorgenommene  Untersuchung  des  Individuums  ergab  zwar  keine  erhebliche  und  folg- 
lich Dienstunfähigkeit  bedingende  ßruchanlage,  doch  wurde  dasselbe  zur  Beobachtung 
ins  Militärspital  verwiesen,  weil  es,  wie  das  hier  zu  Lande  bei  Militärpflichtigen 
nicht  selten  vorkommt,  an  Epilepsie  zu  leiden  vorgab.  Als  nun  dieser  Recrut  uns 
beim  Hinausgehen  den  Rücken  zuwandte,  bemerkte  ich  zufällig  in  der  Kreuzbein- 
gegend eine  so  auffallende,  tiefdunkle  Schattirung  dieser  Partie,  dass  ich  dieselbe 
einer  eingehenden  Untersuchung  unterzog.  Ich  fand  die  ganze  hintere  Fläche  der  Sacral- 
gegend  mit  etwas  über  die  Seiteuflächen  und  die  Basis  des  Os  sacrum  hinausreichen- 
den, dichten,  dunkelbraunen  Haaren  von  8  Cm.  Länge  bewachsen.  Am  Rande  der 
das  heilige  Bein  bedeckenden  Haut  lagen  die  Haare  mehr  schlicht  auf  dieser  auf, 
während  dieselben  ungefähr  von  der  Stelle  der  hinteren  Kreuzbeinlöcher  au  bis  zur 
Mittellinie  zwischen  dem  Steissbeine  und  dem  letzten  Lendenwirbel  in  zwei  stärke- 
ren Büscheln  sich  zusammenkräuselten.  Die  Messung  der  breiten,  nach  oben  gerich- 
teten Basis  des  behaarten  Dreiecks  ergab  eine  Ausdehnung  von  19  Cm.,  während 
der  Höhendurchmesser  15  Cm.  und  der  unbehaarte  Abstand  von  der  nach  unten 
gerichteten  Spitze  des  Dreiecks  bis  zum  After  5  Cm.  betrug.  Die  gelblich-braune 
Haut  dieses  Mannes,  der  ca.  5'  6"  misst,  cholerischen  Temperaments  und  brachy- 
cephal  ist,  zeigte  am  ganzen  Körper,  mit  Ausnahme  des  Kopfes,  des  Gesichts  und 
der  Schamtheile  keine  Spur  von  Haaren,  und  selbst  an  letzteren  war  der  Haarwuchs 
ein  ungewöhnlich  schwacher.  Die  sonstigen  Formverhältnisse  des  Körpers  boten 
nichts  abnormes.  Der  Recrut  gab  an,  dass  er  mit  diesem,  von  mir  noch  nie  beobach- 
teten, ausserordentlichen  Haarwuchs  geboren  sei,  und  dass  er  demzufolge  von  Jugend 
auf  die  Neugier  der  Einwohner  seines  heimathlicheu  Bezirks  auf  sich  gezogen  habe. 
Nach  ihm  soll  seine  Familie  kein  zweites  Beispiel  einer  derartigen  abnormen  Be- 
haarung aufzuweisen  haben  und  schliesslich  behauptete  er,  dass  ej:  die  Haare  von 
Zeit  zu  Zeit  abschneiden  lassen  müsse,  da  dieselben  sonst  durch  die  Stuhlausleerun- 
gen verunreinigt  und  ihm  lästig  würden. 

Da  ich  in  diesem  ausserordentlich  starken  und  merkwürdig  localisirton  Haar- 
wuchs nichts  anderes,  als  einen  Rückschlag  —  Atavismus  —  auf  die  thiensche  Ab- 
stammung des  Menschen  vom  Affen  vor  seiner  Enthaarungsperiode  zu  erblicken  ver- 
mag, so  sprach  ich  mit  Herrn  Prof.  von  Held  reich  hierüber  und.  stellte  demselben 
gestern  dieses  Individuum  vor;  die  anliegenden  Haare  sind  in  dessen  Gegenwart 
abgeschnitten.  Da  der  Mann  in  der  letzten  Sitzung  eingestanden  hat.  dass  er  nicht 
an  Epilepsie  leide  und  demnach  als  feldkriegsdiensttauglich  eingereiht  werden  wird, 
so  bin  ich  in  der  Lage,  die  Wahrheit  der  Behauptung  bezüglich  des  schnellen  und 
ungewöhnlichen  Wachsthums  dieser  Haare  zu  controliren  und  belialte  ich  mir  vor.  Ihnen 
das  Ergebuiss  meiner  dessfallsigen  Beobachtung  seiner  Zeit  mitzutheilen.    Sollte  eine 


(92) 

Photographie  dieser  behaarten  Partie,  d,  h.  der  hiateren  Wand  des  Beckens  bis  zu 
den  Lendenwirbeln  hinauf  erwünscht  sein,  so  bin  ich  bereit,  eine  solche  anfertigen 
zu  lassen  und  Ihnen  dieselbe  zu  übersenden. 

(9)  Herr  F.  Jagor     schreibt  dem  Vorsitzenden  d.  d.  Rangun,  10.  April,  über 

einen  Besuch  auf  den  Andamanen. 

Er  war  daselbst  während  des  Monat  März  und  hatte  bequemen  Verkehr  mit 
den  interessanten  kleinen  Sehwarzen.  Er  hat  Messungen,  Profilirungen  mit  der 
Camera  lucida  und  Photographirungen  vorgenommen.  Er  erhielt  2  Skelete,  ein  voll- 
ständiges von  Dr.  Dougall,  ein  unvollständiges  von  Hrn.  Stewart,  ausserdem 
noch  4  Schädel.  Die  von  ihm  veranstaltete  ethnographische  Sammlung  ist  sehr  voll- 
ständig. Ferner  besuchte  er  die  von  Dr.  Stoliczka  entdeckten  Kjökkenmöddinger 
und  sammelte  daraus  Knochen  und  Topfscherben.  Alle  diese  Gegenstände  sollen 
bald  gesendet  werden.     Auch  werden  noch  weitere  Sendungen  in  Aussicht  gestellt. 

Hr.  Dr.  Dougall  hat  dem  Vorsitzenden  verschiedene  Berichte  über  die  von  ihm 
entdeckte  Anwendung  des  Gurjon-Oels  zur  Heilung  des  Aussatzes  über- 
sendet. Dieselben  machen  den  Eindruck  grosser  Zuverlässigkeit  und  Unbefangenheit, 
und  verdienen  die  grösste  Aufmerksamkeit,  da  es  sich  um  eine  Krankheit  haudelt, 
welche  so  grosse  Ausdehnung  hat  und  welche  seit  Jahrtausenden  als  unheilbar  be- 
trachtet wird.  Der  Vorsitzende  beabsichtigt,  die  Substanz  kommen  zu  lassen,  um 
weitere  Versuche  zu  veranstalten.  Nach  der  Mittheilung  des  Hrn.  Jagor  stammt 
dieselbe,  wie  der  Botaniker  Hr.  Kurz  ihm  angegeben,  nicht,  wie  gewöhnlich  ange- 
geben, vom  Dipterocarpus  laevis,  sondern  vom  Dipter.  Griffithii. 

Endlich  theilt  Hr.  Jagor  noch  mit,  dass  Hr.  Dr.  Maclay  in  Labore  sei  und 
sich  zu  den  Semangs  zu  begeben  beabsichtige. 

(10)  Herr  Oberkammerherr  v.  Alten  hat  dem  Vorsitzenden  nebst  Zeichnung 
und  Gypsabguss,  d.  d.  Oldenburg,  8.  Mai,  folgenden  Bericht  gesendet  über 

römische  Funde  in  Oldenburg. 

„Beiliegend  erlaube  ich  mir  Ihnen  den  Abguss  eines  Postamentes  von  Bronze 
zuzusenden,  welches  vor  einigen  Wochen  mit  mehreren  anderen  Sachen,  als  zwei 
etwa  12  Cm.  hohen  Figuren,  von  denen  ich  Ihnen  Photographien  senden  werde,  sowie 
einem  Schildbuckel  (Löwenkopf)  und  einem  Greifen  -  Kopf,  wohl  Helmzier,  zerstreut 
zwischen  rundlichen  und  eiförmigen  Steinen  gefunden  ist,  und  zwar  nicht  in  einem 
Hügelgrabe,  sondern  beim  Umpflügen  einer  Haide,  im  Amte  Löningen,  bei  dem  Dorfe 
Marren.  Ausser  diesen  Bronze-Sachen  fand  sich  eine  eiserne  Speerspitze,  von  jetzt 
noch  23  Cm.  Länge,  doch  fehlt  ein  Theil  der  Tülle.  Eine  gleichfalls  gefundene 
Münze  deutet  auf  das  Jahr  350—55,  Kaiser  Decentius. 

„Die  eine  Figur  ist  bekleidet,  der  Kopf  ist  mit  Helm,  welcher  die  starken  Raupen 
hat,  bedeckt.  Das  Ungeschickte  in  der  Zeichnung  ist  in  dem  Original  ebenso.  Auf- 
fallend ist  der  kurze,  dicke  Fuss,  und  die  Verzierung  auf  den  Beinschienen  —  ge- 
flügelter Blitz?  —  Ciselirt  ist  an  den  Verzierungen  nichts.  Alles  ist  erhaben,  mit 
Ausnahme  der  Hl  an  den  Beinschienen  und  der  Seitenflügel  -^^^. 

„Die  zweite  Figur  ist  nackt,  nur  mit  dem  Helm  bekleidet,  beide  Helme  zeigen 
den  Kopf  der  Minerva,  und  ist  diese  von  weit  besserer  Arbeit.** 


(93) 

Auf  dfin  Wunsch  des  Hrn.  v.  Alten,  die  Inschrift  des  Postaments  gelesen  zu 
haben,  hat  der  Vorsitzende  dieselbe  Hrn.  Moiuiusen  vorgelegt.  Derselbe  liest 
dieselbe 

VIC    BICCIVS 
CAMICCI 
V    S    L    M 

Victoriae  Diccius  Camicci  (Filius)  votuni  solvit  libons  luerito. 

(11)  Horr  Paul  Ascherson  legt  die  von  ihm  in  der  vorigen  Sitzung  besproche- 
nen Gegenstünde  aus  der  Oase  Dachel  vor. 

(12)  Herr  Voss  spricht  über 

einige  Ueberlebsel  aus  frUlieren  Cultnrperioden  und  einen  Bronzefuud  bei  Rabensteiii 
in  der  fränkisclien  Schweiz,  sowie  einige  Benierliungen  über  das  Gräberfeld  bei 

Braunshain. 

Ich  möchte  mir  erlauben,  Ihnen  einige  Gegenstände  vorzulegen,  welche  gewisser- 
maassen  Ueberlebsel  aus  einer  längst  entschwundenen  Culturperiode  darstellen.  Zu- 
nächst möchte  ich  Ihnen  einen  Gegenstand  vorzeigen,  der  sehr  Vielen  von  Ihnen  be- 
kannt sein  dürfte.  Es  ist  dies  eine  gelbglasirte,  ganz  roh  ausgeführte  Vogelfigur  in 
Thon,  deren  Hintertheil,  statt  des  Schwanzes,  eine  Pfeife  trägt.  Kinderspielzeuge 
dieser  Art  sind,  so  viel  ich  weiss,  ziemlich  weit  verbreitet,  jedenfalls  wohl  über  den 
grössten  Theil  von  Norddeutschland.  Das  Ihnen  vorgelegte  Stück  stammt  aus  Bobers- 
berg  in  Schlesien.  Es  ist  ausserordentlich  ähnlich  einigen  Vogelfiguren,  welche  im 
hiesigen  Königl.  Museum  aufbewahrt  werden  und  aus  den  Gräberfeldern  von  Gross- 
Czettritz  in  der  Neumark,  von  Lederhose  bei  Striegau  (Schlesien)  und  Pforten  in  der 
Lausitz  stammen.  Aehnliche  Gebilde  kommen  auch  in  Gräberfeldern  in  Posen  vor. 
Ausserdem  wurde  auch  in  Süddeutschland  in  einem  Grabhügel  am  Hünerberg  (Wür- 
temberg)  ein  Exemplar  gefunden,  von  dem  eine  Lind  ensch  mit 'sehe  Copie  im 
hiesigen  Museum  vorhanden  ist.  Diese  prähistorischen  Vogelfigureu  tragen  aber 
nicht  eine  Pfeife,  sondern  enthalten  meistens  einige  kleine  harte  Körper  und  dienen 
als  Rasseln,  so  die  beiden  Exemplare  von  Lederhose,  die  auch  Spuren  von  rother 
und  weisser  Bemalung  zeigen  und  dem  hier  vorgelegten,  namentlich  in  der  Bildung 
des  Halses  und  des  Kopfes  ganz  ausserordentlich  ähnlich  sind,  und  der  von  Pforten  in 
der  Lausitz, 

Jenes  Exemplar  von  Gross-Czettritz  in  der  Neumark  dagegen  hat  oben  auf 
dem  Körper  eine  mit  hochstehendem  Rande  versehene  Oeft'uung  und  scheint  als 
Lampe  verwendet  zu  sein.  Vielleicht  diente  die  obere  Oeffnung  aber  auch  nur  dazu, 
um  kleine  Steine  hineinzuthun,  und  wurde    dann    durch    einen  Stöpsel    verschlossen. 

Ausserdem  werden  Sie  sich  einer  anderen  Form  der  Kiuderklapper  erinnern, 
welche  in  denselben  Gegenden  in  Gräbern  vorkommt.  Es  sind  dies  kissenartige 
Gebilde  aus  gebranntem  Thon,  welche  an  ihrer  Oberfläche  ein  Ornament  zeigen,  das 
einem  Geflecht  ähnlich  sieht. 

In  der  Königl.  Sammlung  befinden  sich  ähnliche  Stücke  von  Schlaupe  bei  Neu- 
markt in  Schlesien,  von  Koeben  im  Kreise  Steinau,  ebenfalls  in  Schlesien,  und  von 
Krehlau  in  Niederschlesien.  Auch  in  Posen  kommen  dergleichen  vor,  wie  Ihnen 
bekannt  ist. 

Ich  erlaube  mir  nun,  Ihnen  ein  Kindei*spielzeug  vorzulegen,  das  vielleicht  als 
Vorbild  zu  jenen  Klappern  anzusehen  ist.  Es  sind  dies  Kissen,  welche  in  Pommern 
die  Kinder  auf  dem   Lande  zur   Zeit  der   Roggenernte   aus   frischem  Roggenstroh    zu 


(94) 

flechten  pflegten,  mit  Ketten  aus  Strohringen  an  den  Ecken  versehen  und  mit  einigen 
Erbsen  oder  kleinen  Steinchen  als  Inhalt.  Die  Ihnen  vorliegenden  Exemplare  sind 
ganz  besonders  kunstreich  ausgeführt,  indem  sie  noch  mit  Pferden,  in  gleicher 
Weise  gearbeitet,  versehen  sind,  denen  sie  als  Basis  dienen.  Die  Fertigkeit,  der- 
gleichen Spielzeuge  herzustellen,  ist  jetzt  aber  schon  im  Aussterben  begriffen,  und  es 
hat  viele  Mühe  verursacht,  Jemand  zu  finden,  der  noch  im  Stande  war,  solche  an- 
zufertigen. 

Ferner  lege  ich  Ihnen  drei  Spindeln  vor  mit  Spinnwirteln,  welche  aus  Deutsch- 
land stammen.  Vor  2  Jahren  hatte  ich  nämlich  in  Rotheuburg  an  der  Tauber  Gele- 
genheit, eine  Frau  mit  einer  solchen  Spindel  spinnen  zu  sehen,  und  mein  Freund  und 
College  Herr  Dr.  Wagner  in  Rothenburg  a/T.  hat  die  Güte  gehabt,  da  es  mir  bei 
meinem  damaligen  Aufenthalte  in  Rothenburg  nicht  gelang,  Exemplare  zu  kaufen, 
nachträglich  einige  zu  verschaffen.  Die  eine  Spindel  tragt  einen  Wirtel  von  Knochen, 
die  zweite  einen  solchen  von  Blei  und  die  dritte,  was  namentlich  interessant  sein 
dürfte,  einen  Spindelstein  von  Thon.  Derselbe  ist  leicht  glasirt  und  aus  steingut- 
artiger grauer  Masse.  Man  pflegt  von  dieser  Art  von  Spindelsteinen  wohl  in  verschie- 
denen Sammlungen  Exemplare  zu  finden  unter  prähistorischen  Gegenständen.  Noch 
kenne  ich  zwar  nicht  die  Bezugsquelle  und  den  Fabrikationsort  dieser  Wirtel,  jeden- 
falls aber  wird  man  dieselben  wohl  den  mittelalterlichen  und  vielleicht  auch  späteren 
Gegenständen  beigesellen  müssen. 

Weiter  habe  ich  Ihnen  über  einen  interessanten  Fund  zu  berichten.  Auf  dem 
Bergrücken  bei  Rabenstein  in  der  Fränkischen  Schweiz,  in  der  Gegend  von  Bay- 
reuth, hat  Herr  Bildhauer  Geyer  in  Bayreuth  in  Gemeinschaft  mit  Hrn.  Hoesch 
von  Neumühle  einige  Ausgrabungen  gemacht,  an  denen  namentlich  Folgendes  interessirt: 
In  einem  Hügel  von  etwa  4  Meter  Länge  bei  2 — 2^  Meter  Breite  und  etwa  %  Meter 
Höhe,  der  rings  mit  grossen  Steinen  umstellt  war,  wurde  in  der  oberen  aus  kleinen, 
köpf-  bis  faustgrossen  Steinen  bestehenden  Schicht  eine  grosse  Menge  von  Knochen 
gefunden,  unter  dieser  Schicht  stiess  man  auf  eine  Lage  schwarzer  Erde,  in  deren 
Tiefe  ein  Skelet  mit  sehr  reichem  ßronzeschmuck  in  regelmässiger  Lage  gefunden 
wurde.  Dieser  Schmuck  bestand  aus  einem  Oberarmringe,  11  Armringen  und  1  Fin- 
gerring, welche  sämmtlicb  die  Knochen  umgaben,  au  denselben  Stellen,  wo  sie 
einst  bei  Lebzeiten  des  Verstorbenen  ihren  Platz  hatten.  Ausserdem  wurde  ein 
sehr  grosser  Hals-  und  Brustschmuck,  wie  mir  ein  ähnlicher  bis  jetzt  noch  nicht  be- 
kannt geworden,  in  der  Brustgegeud  des  Skelets  gefunden.  Derselbe  besteht  aus 
6  hohlen,  lose,  aber  dicht  an  einander  anliegenden  Ringen,  von  denen  der  innere  etwa 
einen  halben,  der  äusserste  etwa  1  Fuss  Durchmesser  hat.  In  der  Mitte  sind  dieselben 
reich  verziert  und  von  der  Stärke  eines  kleinen  Fingers,  bis  reichlich  Daumenstärke, 
sämmtlich  nach  den  Enden  zu  sich  verjüngend.  Wir  besitzen  ähnliche  Stücke  in 
der  Königl.  Sammlung,  von  Schwachenwalde  und  Kallies  in  Pommern,  jedoch  sind 
bei  diesen  die  Ringe  an  den  Kudcn  fest  mit  einander  verbunden,  auch  sind  letztere 
nur  halbrund,  an  der  unteren  Seite  ausgehöhlt.  Einer  der  Armringe,  mit  Kreisorna- 
menten verziert,  zu  dem  Rabensteiner  Funde  gehörig,  gelangte  in  die  Königl.  Samm- 
lung; die  übrigen  Stücke  befinden  sich  noch  im  Besitz  der  Finder.  Herr  W.  Geyer, 
ein  sehr  eifriger  Forscher,  wird  nächstens  den  Fund  ausführlicher  pubiiciren  und 
kann  ich  Ihnen  vorläufig  nur  eine  sehr  sorgfältige  Zeichnung  von  den  Gegenständen 
in  natürlicher  Grosse,  von  Herrn  Geyer  angefertigt,  vorlegen. 

Schliesslich  möchte  ich  Ihre  Aufmerksamkeit  noch  für  eine  Ihnen  schon  mehr- 
fach bekannte  Sache  in  Anspruch  nehmen.  Es  betriüt  die  Ausgrabungen  bei  Brauns- 
hain im  Kreise  Zeitz.')     Herr    L^rof.    Klopflci  scli    liält   in   seiner   neulich  liier  ver- 

')  In  meinem  Vortrage  vom   17.  October  1874:    ^Ueber  Ausgrabungen  bei  Braunsliain  imd 


(95) 

lesenen  Zuschrift  die  Ansicht  aufrecht,  dass  die  Gräber  bei  ßraunshain  verschiedene 
Bestattungsarten  zeigten,  Leichenbrand  und  Begräbniss.  Ich  niöchte  darauf  nur  er- 
widern, dass  ich,  wie  ich  Ihnen  schon  berichtet,  Gräber  aller  dort  vorkommenden 
Grössen  untersucht  und  dabei  möglichst  die  Methode  der  Abtragung  angewandt  habe. 
Dass  sorgfältig  gearbeitet  wurde,  haben  Sie  wohl  aus  den  minutiösen  Fundobjecteu 
ersehen,  welche  ich  bei  Gelegenheit  des  Ihnen  erstatteten  Berichtes  Ihnen  vorgelegt 
habe.  Ausserdem  habe  ich  eine  erheblich  grössere  Anzahl  von  Gräbern  untersucht, 
als  Herr  Klopfl  eiscli.  Aber  in  keinem  habe  ich  auch  nur  einen  Knochen  gefun- 
den, sondern  nur  aschenartige  Masse  in  Urnen,  abgesehen  von  einigen  Thierknochen, 
welche  ganz  receut  waren  und  wohl  mit  den  in  jenen  Hügeln  häufigen  Fuchslöchern 
in  Beziehung  zu  bringen  waren.  Wären  also  beide  Arten  der  Bestattung  in  Gebrauch 
gewesen,  so  würde  ich  doch  wohl  auch  Skeletreste  gefunden  haben,  zumal  die  von 
mir  untersuchten  Hügel  in  unmittelbarer  Nähe  von  denjenigen  liegen,  welche  Herr 
Prof.  Klop fleisch  früher  untersucht  hat.  Ich  will  nicht  bezweifeln,  dass  Herr 
Klopfl  eisch  wirklich  Reste  eines  Kindes  gefunden  habe,  kann  dieselben  aber 
nicht  für  gleichzeitig  mit  der  Errichtung  jener  Grabhügel  halten.    — 

Herr  Kuhn  sen.  bemerkt,  dass  bei  den  germanischen  Völkerstämmen  die  Kinder 
unter  2  Jahren  niemals  verbrannt,  sondern  stets  begraben  wurden. 

Herr  Voss:  Selbst  wenn  diese  Sitte  geherrscht  hätte,  würde  man  jetzt  in  diesen 
Gräbern  keine  Skelettheile  von  Kindern  finden,  denn  die  Knochen  von  Erwachsenen, 
welche  bei  der  Verbrennung  der  Leiche  niemals  vollständig  mitverbrannt  werden, 
besitzen,  namentlich  in  Urnen  beigesetzt,  wohl  mindestens  eben  so  viel  Widerstands- 
fähigkeit gegen  Verwesung,  als  die  zarten  Gebeine  eines  Kindes  unter  2  Jahren, 
welche  vielleicht  ohne  besonders  schützende  Umhüllung  in  der  blossen  Erde  bestattet 
wurden.  Ich  habe  aber  auch  nicht  einmal  mehr  sogenannte  calcinirte  Knochen,  son- 
dern nur  eine  erdige,  aschenartige  Masse  ohne  Beimengung  grösserer  Stücke  ge- 
funden. 

Herr  Virchow  bestätigt,  dass  in  seiner  Jugend  in  Hinterponimern  ganz  ähnliche 
Strohgeflechle,  wie  sie  Hr.  Voss  gezeigt  hat,  in  der  Erntezeit  sehr  viel  angefertigt 
wurden.  Er  stellt  zugleich  Proben  des  noch  jetzt  in  der  Provinz  Posen  bei  dem 
Erntefest  gebräuchlichen  Kopfschmuckes  in  Aussicht. 

(13)  Her  Virchow  berichtet,  unter  Vorlegung  der  wichtigsten  Fuudstücke,  über 
verschiedene  deutsche  Alterthiimersaminluugen,  sowie  neue  Aiisgrabnugeii  bei  Priment, 

Zaboroivo  und  Wollstein. 

(Hierzu  Taf.  VIII.) 
Ich   wollte   heute    nur   einige    Mittlieilungen    machen,   welche    zum   Theil    ilureh 
Ausgrabungen,  zum  Theil    durch  den  Besuch  mehrerer  Museen   veranlasst  sind.     Ich 
war  in  der  Zwischenzeit  zwischen  unserer  letzten  und  der  heutigen  Sitzung  in  Han- 


Ilohenkirchen  im  Zeitzer  Kreise"  sind  einige  sinnentstellende  Druckfehler  stehen  geblieben.  So 
muss  es  heissen  auf  Seite  190,  Zeile  10  von  unten,  statt  Kirchensage:  ,  Riesensage",  und 
Seite  196,  Zeile  11  von  oben,  statt  Material:  „Metall*.  Zugleich  möchte  ich  bei  dieser  Ge- 
legenheit die  thatsächliche  Berichtigung  hinzufügen,  dass  die  in  dem  Hügel  bei  Corbuseu  ge- 
fundenen Schlacken,  von  denen  mir  kürzlich  eine  Probe  zugegangen  ist,  nicht  Kupferschlackeu 
sind,  sondern  Stücke  von  Raseneisen,  welche  bei  Errichtung  des  Brandhügels  vielleicht  /ußllig 
in  die  GInth  geriethen  und  auf  diese  Weise  zum  Theil  ein  dichteres,  mehr  schlackenähnliches 
Aussehen  annahmen. 


(96) 

nover,  ßraunschweig,  Prag,  Olmütz  und  Krakau,  und  ich  habe  in  den  dortigen  Samm- 
lungen eine  Reihe  von  Gegenständen  unter  einander  verglichen.  Auf  einzelne  werde 
ich  späterhin  zurückkommen;  für  jetzt  will  ich  nur  einige  Punkte,  welche  von  gene- 
reller Bedeutung  sind,  erwähnen. 

Erstlich  war  ich  erstaunt,  Spuren  eines  Brand w alles  ziemlich  weit  östlich  zu 
entdecken.  Im  archäologischen  Cabinet  der  Universität  zu  Krakau  befindet  sich  eine 
Pieihe  verschlackter  Massen,  welche  von  einem  Brandwall  herstammen,  der  bei  Stradow 
(zu  dem  Gütercomplex  Chrobrz  gehörig)  im  Kreise  Skalbnierz  im  Königreich  Polen 
gelegen  ist.  Es  sind  das  grosse  Klumpen  von  Kalkstein,  die  zum  Theil  vollständig 
glasartig  zusammengeschmolzen  sind.  Darin  bemerkt  man,  wie  in  den  oberlausitzer 
Brandwällen  (vgl.  Sitzungen  vom  14.  Mai  und  9.  Juli  1870  und  vom  24.  Juni  1871), 
allerlei  Hohlräume  mit  Eindrücken  und  Rifflinien  von  den  Spalten  verkohlender  Holz- 
scheite, welche  deutlich  geschlagene  Flächen  besassen  und  hier  von  besonderer  Grösse 
waren.  Es  kann  wohl  kein  Zweifel  sein,  dass  auch  hier  der  Steinwall  mit  Holzscheiten 
gemengt  war.  Leider  habe  ich  über  die  Details  des  Fundes  nichts  weiter  ermitteln 
können,  als  dass  derselbe  sich  nicht  auf  einem  Berge  gefunden  hat;  wie  er  aber  sonst 
angeordnet  gewesen  ist,  das  weiss  ich  nicht  zu  sagen.  Es  dürfte  also  wohl  möglich 
sein,  dass  die  Anlage  Aehnlichkeit  hat  mit  derjenigen  auf  der  Insel  im  oberen 
ückersee  (Sitzung  vom  24.  Juni  1871),  wo  ringsumher  am  flachen  Ufer  ein  breiter 
Wall  von  gebrannten  Steinen  liegt,  die  durchweg  ähnliche  Verhältnisse  darbieten. 
Es  ist  mir  sonst  auf  dem  rechten  Oderufer  gar  nichts  bekannt,  was  irgendwie  in 
diese  Kategorie  gehörte.  So  viel  ich  weiss,  liegt  der  genannte  Ort  jenseits  der 
Weichsel,  und  es  scheint  daher,  dass  das  Gebiet  dieser  Brandwälle  sich  viel  weiter 
nach  Osten  erstreckt,  als  wir  bisher  annahmen. 

Ein  Zweites,  worauf  ich  Ihre  Aufmerksamkeit  lenken  wollte,  ist  die  verhältniss- 
mässig  grosse  Ausdehnung,  in  welcher  dieselben  Culturüberreste  vorkommen,  welche 
wir  bei  uns  hauptsächlich  auf  Burgwällen  und  in  unseren  Pfahlbauten  vertreten  finden, 
und  unter  denen  ich  zu  sehr  verschiedenen  Malen  die  besondere  Ornamentik  des 
Topfgeräths  hervorhob.  Ich  habe  schon  in  einer  früheren  Sitzung  (13.  Juli  1872) 
darauf  aufmerksam  gemacht,  dass  nach  den  Zeichnungen,  welche  Herr  Jeitteles 
von  denjenigen  Funden  geliefert  hat,  welche  er  bei  Gelegenheit  von  Tiefgrabungen 
für  Gaskauäle  in  der  Stadt  Olmütz  machte,  unter  denselben  sich  eine  Reihe  von  Topf- 
scherben findet,  die  unzweifelhaft  demselben  Typus  angehören,  obwohl  Herr  Jeitteles 
der  Meinung  ist,  dass  sie  einer  sehr  weit  zurückgelegeuen  Vorzeit  zuzuschreiben  sind. 
Ich  habe  mich  in  Olmütz  selbst  überzeugt,  dass  diese  Töpfe  offenbar  einer  späteren 
und  zwar  slavischen  Periode  angehören.  Olmütz  liegt  ziemlich  hoch  auf  einem  schnell 
ansteigenden  Hügel  in  der  weiten  und  sumpfigen  Marchebene.  Ich  war  an  einem 
regnerischen  Tage  (2.  April)  da,  der  noch  halb  in  den  Winter  fiel,  und  ich  hatte  bei 
der  Wanderung  von  dem  ziemlich  entfernten  Bahnhofe  zur  Stadt  den  vollständigen 
Eindruck  einer  in  früherer  Zeit  fast  unzugänglichen,  insularen  Lage.  Denn  noch 
jetzt  breitet  sich  rings  um  die  Stadt  in  weitem  Umkreise  ein  Blachfeld  mit  niedrigen 
Wiesen  und  Moorflächen  aus.  Zufälliger  Weise  traf  ich  unter  der  freundlichen  Lei- 
tung des  Herrn  Stadtrath  Peyscha  die  Gelegenheit,  dass  gerade  auf  dem  höchsten 
Punkte  am  Dom  ein  Erdhügel  abgeräumt  wurde,  und  es  war  nicht  schwer,  in  der 
aufgeworfenen  Erde  eine  grössere  Zahl  von  Bruchstücken  zu  sammeln,  welche  deut- 
liche Anklänge  an  unseren  Burgwall-Typus  zeigen.  Allerdings  hatten  sie  nur  selten 
Wellenlinien,  meist  breitere,  parallele  Horizontalfurchen,  jedoch  auch  jene  sehr  charak- 
teristischen Spuren  punktirter  Linien,  die  mit  einem  mehrzinkigen  Werkzeug  ein- 
gedrückt sein  müssen.  Viele  von  ihnen  hatten  eine  höchst  auffällige  Dicke  und  alle 
jene  graue,  grobe,  mit  Bröckeln  von  Gestein  untermischte  Masse. 


(97) 

Wenn  icli  also  nach  eigener  Anschauung  keinen  Zweifel  behielt,  dass  es  sich 
hier  um  alte,  offenbar  slavische  Ansiedelungen  handelt  und  nicht  etwa  um  Ansiede- 
lungen, die  weit  vor  der  Einwanderung  der  Arier  liegen,  so  war  ich  um  so  mehr 
überrascht,  ganz  vorzügliche  Fundstücke  ähnlicher  Art  in  dem  böhmischen  Natiouul- 
Museum  in  Prag  zu  finden,  und  zwar  die  besten  und  in  der  That  ausgezeichneten 
von  einer  Stelle  am  rechten  Moldau- Ufer  in  nächster  Nähe  von  Prag  selbst.  Auf 
der  Hradschinseitc,  im  Anschluss  an  die  Höhen,  welche  die  ältesten  Theile  des 
Hradschin  tragen,  liegt  das  Sarka-Thal,  eine  der  ergiebigsten  Fundstelleu  des  Landes. 
Zahlreiche  Thonscherben  und  auch  ganze  Gefässe  von  da  befinden  sich  in  dem  Mu- 
seum ').  Ich  habe  ein  solches  Bruchstück  mitgebracht,  welches  sich  dadurch  aus- 
zeichnet, dass  die  beiden  Haupt-Ornamente  der  ßurgwall-Töpfe  nebeneinander  darauf 
vorhanden  sind:  einerseits  Systeme  von  Wellenlinien,  andererseits  schräge,  durch 
das  Eindrücken  eines  mehrzinkigen  Instrumentes  hervorgebrachte  punktirte  Linien. 
Es  ist  ein  ausserordentlich  scharf  und  gut  gezeichnetes  Objekt,  welches  schon  als 
einzelnes  Fundstück  entscheidende  Bedeutung  haben  dürfte.  In  dem  Prager  Museum 
liegt  jedoch  eine  sehr  grosse  Masse  von  Gegenständen  von  daher,  aus  denen  sich  er- 
giebt,  dass  allerdings  die  Fundstelle  durch  einen  wahrscheinlich  sehr  langen  Zeitraum 
hindurch  bewohnt  gewesen  ist.  Es  finden  sich  nehmlich  aus  demselben  Thale  auch 
allerlei  offenbar  weit  ältere  Sachen,  namentlich  Bronzen,  die  nach  Allem,  was  ich 
beurtheilen  kann,  in  keiner  Weise  derselben  Zeit  angehören.  Ausser  verschiedenen 
Paalstäben  und  Gelten  (Nr.  32,  42,  43),  Drahtringen,  Drahtspiralen,  Ohrringen 
(400,  401,  457)  erwähne  ich  vornehmlich  einen  höchst  merkwürdigen,  mit  einer 
Graburne  bei  dem  Dorfe  Vokovic  gefundeneu  Eber  von  Bronze  (Nr.  509):  es  ist  ein 
sehr  hochbeiniges  Thier  mit  schmalem  Leibe ,  zwei  grossen  Hauern ,  einer  über  den 
ganzen  Rücken  laufenden  Mähne  und  einem  kurzen  gedrehten  Schwänze.  Eine  vier- 
eckige Oeffnung  im  Bauche  führt  in  die  Höhlung  des  Leibes.  Wocel-),  der  eine 
sehr  anschauliche  Abbildung  davon  geliefert  hat,  hielt  den  Eber  für  ein  altkeltisches 
Feldzeichen.  Diese  Sachen  gehören  offenbar  einem  älteren  Gräberfelde  an.  Allein 
es  finden  sich  auch  zahlreiche  polirte  Steine  (Nr.  78,  85,  86,  190—94),  darunter 
ein  gebohrter  zerbrochener  Hammer  (Nr.  49)  aus  Diorit,  sowie  eine  grosse  Menge  zer- 
schlagener Steine. 

Die  Mehrzahl  —  und  es  ist  eine  sehr  grosse  Zahl  von  Sachen,  die  da  vereinigt 
sind  —  hat  jedoch  offenbar  eine  spätere  Stellung:  sie  stimmen  überein  mit  einer  Summe 
von  Funden,  die  wir  in  gleicher  Weise  in  unseren  alten  Ansiedelungen  vorfinden, 
wie  das  namentlich  in  den  pommerschen  der  Fall  ist,  z.B.  denen  bei  Garz  und  Daher.  Sehr 
charakteristisch  ist  die  ungeheure  Quantität  von  Thierknochen,  insbesondere  Knochen  von 
Hausthiereu,  nur  einzelne  von  wilden  Thieren.  Eine  Menge  von  bearbeiteten  Knochen,  z.B. 
grosse  Hämmer  aus  Hirschhorn,  Pfriemen  und  Nadeln,  eine  grosse  Pfeife,  ferner  Geräthe 
aus  Eisen,  z.  B.  Pfeilspitzen,  zahlreiche,  gut  erhaltene,  kleinere  Töpfe  mit  weiter  Oeff- 
nung und  einfachem  Hals,  u.  s.  w.  sind  da.  Sehr  ausgezeichnet  sind  namentlich  die  Topf- 
böden, welche  ähnliche  Stempel  tragen,  wie  ich  sie  früher  (Sitzung  vom  10.  December 
1870)  hier  erörtert  habe;  darunter  auch  einzelne  eigenthümliche,  wie  ich  sie  sonst 
noch  nicht  kennen  gelernt  hatte.  Ich  erwähne  ferner  die  Kämme  aus  Bein  mit 
doppelten  Zahnreiheu,    groben   und   feinen,    wo   die  Zahnstücke    in  längerer  Ausdeh- 


')  Die  archäologische  Samuilung  im  Museum  des  Künifireichs  Böhmen.  Erste  Abtli.  Heid- 
nische Alterthümer.  Prag  1859.  (Thongefä.sse  Nr.  94—  107,  123,  127,  13*2,  13G,  145,  I5C,  251, 
290,  353,  3Cli). 

-)  Sitztingsberiolite  der  Akademie  der  Wissenschaften  zu  Wien.  Phiios.-bistor.  Klasse.  1855. 
Bd.  XVL  S.  191.  Anm.  Taf.  III,  Fig.  3. 

Verbaiidl.  iler  Kerl.  Autbropul.  Qesellschaft.     1876.  - 


(98) 

nung  durch  eiserne  Nägel  zwischen  zwei  Knochenplatten  befestigt  sind,  und  die  Ein- 
schnitte in  dem  Querbalken  darthun,  dass  die  Zähne  erst  eingesägt  sind,  nachdem 
das  Ganze  schon  zusammengefügt  war. 

Was  mich  aber  am  meisten  überraschte,  das  waren  Thonscherben  von  Ge- 
fassen,  wie  sie  mir  noch  nirgends  weiter,  weder  in  unseren  Burgwällen  und  Pfahl- 
bauten, noch  sonst  in  Deutschland  vorgekommen  sind,  die  in  sehr  bestimmter  Weise 
erinnern  an  gewisse  Funde  in  den  italienischen  Terraniareu ,  deren  Bedeutnng  ich 
früher  (Sitzung  vom  11.  November  1871)  hervorgehoben  habe.  Das  sind  nehmlich 
sehr  grosse  und  breite  Henkel,  welche  über  den  Rand  des  Gefässes  emporragen  und 
hier  in  eine  halbmondförmige,  mit  zwei  seitlichen  Zacken  oder  Hörnern  versehene 
Erhebung  auslaufen.  Unsere  Sammlung  besitzt  vortreffliche  Exemplare  vou  oberitalie- 
nischen Terramaren  durch  die  Güte  des  Herrn  Pigorini.  Mir  erschien  diese  Form 
immer  als  die  am  meisten  charakteristische  der  Terramaren.  Wenn  ich  trotz  ihres 
Fehlens  bei  uns')  die  Aehnlichkeit  der  Terramaren  und  unserer  Burgwälle  be- 
tonte, so  gewinnt  diese  Vergleichung  hier  eine  neue  Begründung.  Und  da  sich  in 
Prag  mehrere  Exemplare  dieser  Mondhenkel  vorfinden,  so  meine  ich,  dass  die  Sache 
eine  nicht  unerhebliche  Bedeutung  haben  dürfte. 

Uebrigens  ist  das  Sarkathal  nicht  die  einzige  Fundstätte  für  Burgwall-Geräth  in 
Böhmen.  Ich  habe  solche  notirt  von  Stelcoves  im  Prager  Kreise  (N.-W.  von  Prag), 
von  Lunkow  im  Kladauer  Kreise  (Nr.  295)  und  von  der  Stadt  Köuiggrätz.  Am 
letzteren  Orte  sind  nehmlich  vortreffliche  Topfböden  mit  Stempeln  vorhanden  (Nr.  402), 
darunter  solche  mit  dem  Kreuze  und  mit  dem  mystischen  Zeichen  der  in  einander  ge- 
legten Dreiecke.  Sie  sind  bei  dem  Bau  des  Criminalgebäudes  und  des  Kreischams  in  der 
Stadt  selbst  ausgegraben  worden.  Wocel,  der  den  Fund  von  Königgrätz  weitläufiger 
erörtert  und  die  Stempel  der  Topfböden  genauer  beschreibt^),  hat  sich,  wie  ich  sehe, 
schon  vor  zwanzig  Jahren  für  die  Uebereinstimmung  dieses  Thongeräthes  mit  dem 
vom  Burgwall  Werle  in  Mecklenburg  ausgesprochen.  „Ich  staunte",  sagte  er,  „über 
die  Aehnlichkeit,  ja  Identität."  Auch  macht  er  darauf  aufmerksam,  dass  ganz  ähn- 
liche Thonböden  bei  Kettlach  in  Unter-Oesterreich  gefunden  seien  (Archiv  für  Kunde 
österreichischer  Geschichtsquellen.    XII). 

Ueber  letztere  Fundstelle  hat  kürzlich  Herr  v.  Sacken^)  eine  genauere  Dar- 
stellung und  zugleich  die  Abbildung  eines  solchen  Topfes  geliefert,  der  in  der  That 
die  mehrfachen  Wellenlinien  in  vorzüglicher  Gestalt  zeigt.  Nach  seiner  Darstellung 
liegt  der  Ort  bei  Glocknitz  am  südlichen  Alpenrande;  ein  grosses  Gräberfeld  mit  un- 
verbrannten Leichen  liefert  ausser  den  Töpfen  zahlreiche  Gegenstände  von  Messing, 
Eisen,  Email  u.  s.  w.  Er  setzt  dasselbe,  gleich  dem  von  Brunn  am  Steinfelde,  in  die 
späteste  heidnische  Zeit,  hält  es  jedoch,  wie  mir  scheint,  aus  nicht  ganz  ausreichendem 
Grunde,  für  germanisch.  Ich  würde  bis  auf  Weiteres  viel  mehr  geneigt  sein,  beide 
Gräberfelder  für  slavische  zu  halten. 

Die  böhmischen  Funde  sind  gewiss  um  so  mehr  bezeichnend,  als  ich  bei  der 
Durchmusterung  des  reichen  Provinzialmuseums  in  Hannover  auch  nicht  ein  ein- 
ziges Stück  mit  dem  Burgwall-Ornament  entdecken  konnte.  Ebenso  fehlen  sie  in 
den  Museen  des  westlichen  Deutschland.    Nur  eine  Stelle  ist  mir  bekannt  geworden. 


')  NachträgHch  bemerke  ich,  dass  in  einigen  Gräberfeldern  der  Lausitz  verwandte  Formen 
vorkommen.    Gewisse  Annäherungen  dazu  finden  sicli  auch  unter  dem  Thotigeräth  von  Zaborowo. 

')  Sitzungsberichte  der  k.  k.  Akademie  der  Wissenschaften  zu  Wien.  1855.  April.  Hd.  XVF, 
S.  209,  21!»,   221,  22C.  Taf.  III,  Fig.  G. 

3)  Sitzungsberichte  der  Wiener  Akademie.  Philos.-histor.  Klasse.  1873.  Bd.  LXXIV,  S.  616, 
Fig.  73. 


(99) 

welche  eine  gewisse  Annäherung  daran  darbietet.  Es  ist  dies  ein  seinen  sonstigen 
Fundstücken  nacli  der  früheren  fränkischen  Zeit  ungehöriges  Gräberfeld  im  unteren 
Mainthal,  zwischen  Heddernheim  und  Niederursel,  wo  ich  im  Jahre  1873  einer  Aus- 
grabung beiwohnte,  die  neben  unverbrannten  Leichen  ausser  mannichfachen  Metall- 
funden auch  einzelne  Thnngefässe  mit  dem  Wellenornament  zu  Tage  förderte. 
Immerhin  ist  der  bemerkenswertlie  Unterschied,  dass  sowohl  hier,  als  in  Nieder- 
Oesterreich  diese  Töpfe  als  vereinzelte  Beigaben  zu  den  Leichen  in  die  Erde  gesenkt 
sind,  während  meines  Wissens  bei  uns  noch  nirgend  derartige  Thongefässe  in  Grä- 
bern gefunden  wurden,  sondern  überall  in  grosser  Zahl  auf  alten  Wohnplätzen  vor- 
kommen. Es  wird  daher  der  Umstand,  dass  ähnliche  Wellenoruamente  auch  anderswo, 
jedoch  unter  ganz  anderen  Umständen  vorkommen,  keinen  Grund  dagegen  abgeben,  dass 
wir  die  Zusammengehörigkeit,  der  bei  uns  unter  durchaus  gleichartigen  Verhältnissen 
beobachteten  Funde  l)eliaupten  Werden  doch  gelegentlich  ähnliche  Ornamente  selbst 
in  Afrika  getroffen.  Ich  besitze  durch  die  Güte  des  Herrn  Gumpert  ein  modernes 
Wassergefäss  aus  Aegypten,  welches  diese  Ornamente,  freilich  in  stehender  Stellung, 
zeigt,  und  Hr.  Hildebrandt  hat  uns  Scherben  der  Art  aus  dem  Somal-Land  gesendet. 
So  habe  ich  auch  in  Krakau  eine  Reihe  von  analogen  Thonsachen  gefunden, 
welche  nach  Osten  hin  eine  nicht  unbeträchtliche  Erweiterung  dieses  Gebietes  dar- 
thun.  Einmal  nehmlicli  hatte  Herr  Prof.  Lepkowski,  der  Vorsteher  der  dortigen 
Universitäts-Sanimlung,  solche  Scherben  mitgebracht  von  Oxhöft  bei  Danzig,  die  er 
am  Strande  auf  eimn-  Sandääche  aufgelesen  hatte,  allerdings  neben  anderen,  scheinbar 
viel  älteren,  von  denen  einige  das,  wie  es  scheint,  der  Steinzeit  angehörige  Ketten- 
oder Bindfaden-Ornament,  andere  wieder  ganz  tiefe,  vertikal  gestellte,  grössere,  scharf 
viereckige  Eindrücke  zeigen.  Dieser  Fund  liegt  in  einer  Richtung,  die  sich  anschliesst 
an  unsere  pomuierscheii  Funde,  wie  wir  sie  wenigstens  bis  zum  Gollenberg  (aus  dem 
Pfahlbau  von  Lübtow)  und  aus  der  Gegend  von  Neustettin  kennen.  Es  ist  daher 
nicht  auffallend,  dass  auch  noch  pomerellisches  Gebiet  sich  daran  anschliesst.  Aber 
wir  wussten  bisher  nicht,  dass  diese  Mode  sich  so  weit  ausgedehnt  habe. 

Ich  fand  ferner  einzelne,  wenn  auch  nicht  ganz  so  charakteristische  Formen,  meist 
nur  mit  einfachen  breiten  Horizontal-Linien  in  paralleler  Anordnung,  von  denen  ich 
aber  doch  nicht  bezweifele,  dass  sie  in  die  gleiche  Kategorie  gehören,  ebenfalls  in 
dem  Krakauer  archäologischen  Cabinet,  welche  aus  dem  russischen  Gouvernement 
Lubliu  von  Czerrana  und  aus  dem  Gouvernement  Womza  von  Tykocin  herstammen, 
ferner  ähnliche,  welche  namentlich  die  punktirten  Linien,  freilich  neben  dem  Bind- 
faden-Ornament, sehr  schön  zeigten,  aus  dem  Walachischen  Orte  Kobylnic  im  öst- 
lichen Galizien  im  Krakowietzer  Kreise;  ferner  solche  aus  unserem  Grossherzogthum 
Posen  von  Fundorten,  die  uns  zum  Theil  schon  bekannt  sind,  namentlich  aus  dem 
Pfahlbau  von  Czeszewo  und  von  Pawlowice,  von  wo  ähnliche  uns  neulich  erst  durch 
Herrn  Schwartz  vorgelegt  worden  sind.  Es  ergiebt  sich  also,  dass  das  Gebiet 
dieser  Funde  sich  über  ein  immer  grössereres  Territorium,  und  zwar  immer  mit  alt- 
slavischer  Bevölkerung  ausdehnt;  wir  finden  es  überall,  wo  slavische  Ansiedelungen 
und  feste  Punkte  früh  angelegt  sind,  und  ich  denke,  man  wird  in  dieser  Richtung 
noch  sehr  viel  weiter  vordringen  können.  Jedenfalls  ist  es  charakteristisch  genug, 
dass  wir  nach  anderen  Seiten  hin  nichts  Analoges  haben,  mit  Ausnahme  der  Funde, 
welche,  wie  Sie  sich  erinnern,  in  Schweden  bei   Björkoe  gemacht  worden  sind. 

Ich  will  dann  aus  meiner  eigenen  neuesten  Erfahrung  ein  paar  neue  Fundstellen 
anführen.  Ich  habe  neulich,  in  den  letzten  Tagen  des  April,  einen  Besuch  im  Gross- 
herzogthum Posen  gemacht,  wo  ich  in  derselben  Linie,  in  der  ich  früher  schon  den 
Burgwall  von  Barchlin  boschrioben  habe  (Sitzung  vom  10.  Januar),  noch  zwei  neue 
Anlageu  tliesrr  Art  besuchte.     Die  eine  derselben  gehört  nicht  ganz  sicher  in  dieselbe 

7* 


(100) 

Periode,  kommt  indesseu  wahrsclieiülich  derselben  sehr  nahe,  während  bei  der  an- 
deren die  Synchronie  ganz  unzweifelhaft  ist.  Ich  passirte  beide  am  27.  April  auf 
meiner  Reise  von  ßeutscheu  nach  Zaborowo.  Herr  Laudrath  Freiherr  v.  Unruh e- 
Bomst  hatte  die  Güte,  mich  in  Bentschen  abzuholen  und  mir  beide  Burgwälle  oder, 
wie  sie  auch  hier  heissen,  Schwedenschanzen  zu  zeigen. 

Der  erste  Burgwall  liegt  auf  dem  Territorium  Karne,  unmittelbar  an  der  Strasse 
zwischen  Beisein  und  Reklin  mitten  in  einer  weiten  Bruchfläche,  offenbar  einem 
alten  Seebeckeu.  Von  Nord-Osten  her  kommt  hier  der  Scharker ')  Bach  oder  Graben, 
und  nachdem  er  die  Strasse  senkrecht  durchschnitten  hat,  geht  er  mit  einem  kurzen 
Bogen  gegen  Süd -Westen  der  Obra  zu.  In  diesem  Bogen,  bis  hart  au  das 
Bachufer,  ist  die  „Schwedenschanze"  errichtet.  Es  ist  eine  verhältnissmässig 
grosse  Anlage,  im  Allgemeinen  viereckig,  jedoch  mit  abgerundeten  Ecken  und 
in  der  Richtung  von  Süd-Ost  nach  Nord-West  mehr  länglich.  Ringsum  läuft  in  ge- 
ringer Entfernung  ein  noch  recht  gut  erkennbarer,  breiter,  jedoch  grossentlieils  zu- 
gewachsener Wassergraben.  Ziemlich  steil,  am  üferrande  noch  bis  zu  einer  Höhe 
von  20  Fuss,  erhebt  sich  ein  sehr  breiter  Rand,  dessen  Basis  wohl  bis  zu  80  Fuss 
Durchmesser  hat.  Der  innere  Raum  ist  stark  vertieft;  er  misst  im  längsten  Durch- 
messer 126,  im  queren  96  Schritte.  Die  Ränder  sind  mit  Strauch  bewachsen,  die 
innere  Fläche  mit  einer  dichten  Grasnarbe  bewachsen.  Zahlreiche  Maulwurfshaufen 
waren  über  die  Oberfläche  zerstreut;  sie  bestanden  aus  einer  schwarzen,  losen,  viel- 
fach mit  Kohlenresten  durchsetzten  Erde,  in  der  reichlich  Topfscherben  zerstreut 
waren.  Schon  bei  oberflächlichem  Eingraben  fanden  wir  grössere  Kohlenstücke,  Topf- 
scherben und  zerschlagene  Thierknochen,  die  Scherben  im  Ganzen  sehr  dick,  roh  und  fast 
ohne  Verzierungen,  höchstens  mit  einzelnen  Parallelfurchen,  die  Knochen  meist  von  Haus- 
thieren,  unter  denen  das  Schwein  bei  weitem  am  häufigsten  vertreten  war,  jedoch 
fand  ich  auch  einen  Elchzahn. 

Etwa  500  Schritt  oberhalb  durchschneidet  der  Bach  eine  Reihe  niedriger  Hügel, 
welche  sich  als  natürliche  Dünenbildung  erwiesen,  so  sehr  ihre  Anordnung  auf  den 
ersten  Blick  gleichfalls  für  eine  Wallanlage  zu  sprechen  schien.  Der  Sand  ist  hier 
und  da  von  Lagen  von  Süsswasserkalk  durchzogen.  Zwischen  dieser  Stelle  und  der 
Schwedenschauze  ist  der  Boden  etwas  uneben,  indem  flache  Erhöhungen  mit  moo- 
rigen Stellen  abwechseln.  Auf  allen  diesen  Erhöhungen  fanden  wir  ähnliche  Topf- 
scherben. 

Der  zweite  Burgwall,  den  wir  besuchten,  liegt  dicht  bei  der  Stadt  Wollstein, 
und  es  ist  darüber  schon  früher  (Sitzung  vom  16.  Januar)  nach  Mittheilungen  des  Herrn 
V.  Unruhe  berichtet  worden.  Aus  dem  oberen  oder  Wollsteiner  See  kommt  hier 
der  Doica-Fluss,  der  sich  nach  kurzem  Laufe  in  den  Gross-Nelker  See  ergiesst,  um 
später  gleichfalls  der  Obra  zuzufliessen.  In  der  Nähe  seiner  Einmündung  in  den 
Gross-Nelker  See,  unmittelbar  hinter  einer  Mühle,  auf  dem  Territorium  des  Gutes 
Lehfelde,  liegt  der,  durch  jahrelanges  Abfahren  fast  schon  ganz  zerstörte  Burgwall. 
Herr  Gutsbesitzer  Lehfeldt  hatte  die  grosse  Freundlichkeit  gehabt,  neue  Abstiche 
machen  und  die  Fundstücke  sammeln  zu  lassen.  Es  hatte  sich  eine  grössere  Menge 
eiserner  Gegenstände  gefunden,  namentlich  Messer,  Nägel,  Schnallen,  Hespen  und 
andore,  schon  einer  vollkommneren  Cultur  angehörige  Dinge.  Ob  eine  Kleinigkeit 
von  Bronze,  welche  auf  der  Oberfläche  gefunden  war,  dahin  gehörte,  mag  zweifelhaft 
sein.  Dagegen  lagen  in  dem  Sande,  welcher  von  der  abgefahrenen  Seite  übrig  ge- 
blieben war,  im  Niveau  der  Grundfläche  zahlreich  feine  Feuersteinspähne,  von  denen 
manche   ganz    den    g<;wöhnliclien    geschlageneu    Stücken   (Messerchen)  glichen.     Drei- 


')  Sonderbarerweise  wiederholt  sich  hier  derselbe  Name,   den  wir    bei  Prag  kennen  lernten. 


(101) 

und  fünfseitige  Absplisse  waren  nicht  selten.  Die  Topfscherben  hatten  im  Ganzen 
den  Burgwalltypus:  sehr  viele  zeigten  die  Wellenlinien,  jedoch  breiter,  tiefer  und  ein- 
facher, als  gewöhnlich.  Henkel  fehlten,  der  Rand  war  in  der  Regel  umgelegt  Jedoch 
fand  sich  gelegentlich  auch  eine  erhabene  Leiste  um  das  Gefäss.  Alles  grobes,  un- 
ebenes, nicht  geglättetes,  mehr  graues  Material.  Thierknochen,  namentlich  von  Schwein, 
Rind,  Schaaf,  Ziege,  Huhn,  sehr  zahlreich  und  fast  ohne  Ausnahme  zerschlagen;  ein- 
zelne Stücke  vom  Reh  und  Hirsch,  darunter  ein  gesägtes  Hirschhornstück. 

Ein  alter  Arbeiter  sagte  uns,  der  Wall  sei  früher  so  hoch  wie  eine  Scheune  ge- 
wesen. Bei  der  ersten  Abgrabung  sei  auch  ein  Schädelstück  vom  Menschen  und 
nördlich,  nach  dem  Hause  zu,  eine  Art  Feuerherd  aus  Ziegel  gefunden.  In  der  That 
zeigten  sich  auch  jetzt  noch  in  dem  Wall  hier  und  da  grössere  Bruchstücke  von 
rothem  gebranntem  Ziegel.  Im  Allgemeinen  war  jedoch  die  Anordnung  des  recht 
kleinen  üeberrestes  so,  dass  in  der  Höhe  Sand,  dann  eine  schwärzliche  Gulturschicht 
von  sehr  verschiedener  Mächtigkeit  und  unten  wieder  Sand  kam.  Aus  der  Gultur- 
schicht habe  ich  selbst  von  unberührter  Stelle  Eisen  genommen.  An  einer  Stelle 
zeigte  sich  darin  eine  trichterartige  Ausweitung  nach  unten,  in  der  grössere  Kohlen- 
stücke und  gebrannte  Thonstücke  reichlich  waren,  also  eine  alte  Heerdstelle. 

Es  kann  daher  kein  Zweifel  bleiben,  dass  es  sich  bei  Wollstein,  wie  bei  Karne 
um  wirkliche  Burgwälle  handelt  und  nicht  um  Schwedenschanzen,  wenn  auch  darüber 
nicht  gestritten  werden  kann,  ob  der  eine  oder  der  andere  gelegentlich  in  späterer  Zeit 
als  Stützpunkt  für  eine  militärische  Unternehmung  gedient  haben  mag.  Beide  ge- 
hören der  heidnischen  Zeit  an  und  wahrscheinlich  ziemlich  nahe  an  einander  ge- 
rückten Epochen.  Insofern  schliessen  sie  sich  unmittelbar  den  gleich  zu  erörternden 
Verhältnissen  an,  welche  ich  in  dem  nur  um  wenige  Stunden  südlicher,  an  dem  anderen 
Dfer  der  Obra  gelegenen  Priment  antraf.  Um  die  Verhältnisse  zu  verstehen,  möchte 
ich  hier  jedoch  einige  topographische  Bemerkungen  einschalten. 

Wenn  man  diese  Gegend  auf  einer  etwas  grösseren  Spezialkarte  betrachtet,  so  fällt 
der  Blick  zunächst  auf  ein  weithin  von  Osten  nach  Westen  ausgedehntes,  sehr  breites 
Bruchgebiet,  das  sogenannte  Obrabruch.  Noch  bis  vor  wenigen  Decennien  ist  das- 
selbe so  tief  und  sumpfig  gewesen,  dass  man  es  nur  an  wenigen  Punkten,  und  zwar 
nur  auf  Fähren  passiren  konnte,  und  dass  es  drei  schiffbarer  Parallel-Kanale  durch 
dasselbe  bedurft  hat,  um  eine  Entwässerung  so  weit  herzustellen,  dass  die  Wiesen 
wenigstens  zum  grösseren  Theil  benutzbar  geworden  sind.  Das  Bruchterrain  erstreckt 
sich  östlich  bis  nahe  an  die  Warthe,  mit  der  es  bei  Moszyn  durch  einen  Kanal  ver- 
bunden ist;  ein  Seitenarm  geht  südlich  in  einer  Richtung,  die  mehr  dem  oberen 
Wartheiauf  parallel  ist,  auf  Kosten,  Kriewen  u.  s.  w.  Auf  der  anderen  Seite,  nach 
Westen,  hat  man  gleichfalls  awei  verschiedene  Verbindungen,  die  eine  südlich  zur 
Oder,  die  faule  Obra  (Obrczycko),  die  zweite  nördlich,  der  eigentliche  Obralauf,  der 
durch  eine  Reihe  von  grossen  Seen  über  Kopnitz,  Bentscheu  u.  s.  w.  in  die  untere 
Warthe  bei  Schwerin  mündet.  Uebersieht  man  das  ganze  Bruch  im  Zusammenhange, 
so  erscheint  es  nicht  unwahrscheinlich,  dass  es  sich  um  einen  jener  grossen  Wasser- 
züge handelt,  wo  einstmals  in  rein  westlicher  Richtung  Verbindungen  unserer 
grossen  Ströme  bestanden  haben.  Bekanntlich  nimmt  man  au,  dass,  bevor  die 
Höhenrücken  im  Norden  durchbrochen  wurden,  die  Oder  und  die  Weichsel  west- 
liche Abflüsse  zur  Elbe  hatten.  Wahrscheinlich  stellt  das  Obrabruch  einen  solchen 
Abfluss  dar.  Die  Warthe  hält  von  Kolo  in  Russisch-Po»en  bis  Schrimm  eine  genau 
westliche  Richtung  ein;  von  Schrimm  wendet  sie  sich  plötzlich  nach  Norden  und 
erst  vor  Obornik  nimmt  sie  wieder  einen  westlichen  Lauf.  Von  dieser  nördlichen 
Strecke  beginnt,  als  eine  regelmässige  Fortsetzung,  das  Obrabruch,  und  aus  ihm  geht 
in    derselben    Richtung    gegen    Westen    die    faule    Obra    hervor,    welche    unterhalb 


(102) 

Trebschen  in  die  Oder  mündet,  gerade  da,  wo  auch  dieser  Fluss  eine  stark  westliche 
Abweichung  erfährt,  deren  Verlängerung  wiederum  auf  die  westliche  Ablenkung  der 
Spree  unterhalb  Müllrose  führt.  Alle  diese  Linien  sind  in  neuerer  Zeit  durch  Kanäle 
der  SchiflFfahrt  wieder  erschlossen  worden. 

So  viel  ist  sicher,  dass  dieses  Gebiet  in  früherer  Zeit  überaus  schwer  passirbar 
gewesen  sein  muss.  Nun  liegen  auch  von  Priment  südlich  ausgedehnte  Seenzüge 
mit  tiefen  Moorbildungen,  welche  bis  zur  Melioration  des  Obrabruches  fast  unzugäng- 
lich gewesen  sind.  An  dem  nördlichsten  Ende  des  grossen  und  im  Allgemeinen  in  der 
Richtung  von  Norden  nach  Süden,  also  senkrecht  gegen  die  Richtung  des  Obrabruches 
ausgestreckten  Primenter  Sees,  an  der  Stelle,  wo  zugleich  das  Obrabruch  seine  süd- 
lichste Ausbiegung  heransendet,  liegt  das  Städteben  Priment  und  dicht  daneben  nach 
Westen,  blos  durch  einen  Wieseneinschnitt  getrennt,  der  Ort  Zaborowo.  Das  Gräber- 
feld, von  dem  wir  wiederholt  gehandelt  haben,  befindet  sich  hinter  dem  letzteren  auf 
dem  westlichen  Ufer  des  Sees.  Die  Bronzecyste  dagegen  ist  auf  der  anderen,  östlichen 
Seite  unmittelbar  am  Rande  des  Obrabruches  auf  dem  Gorwal  gefunden  worden. 

Schon  bevor  ich  meine  Reise  antrat,  hatte  mich  Herr  Thun ig,  unser  verdientes 
Mitglied,  benachrichtigt,  dass  es  ihm  gelungen  sei,  im  Orte  Priment  selbst  Ueber- 
reste  eines  Burgwalles  zu  finden.  In  der  That  ergab  sich,  dass  im  nordwestlichen 
Theile  des  Städtchens,  unmittelbar  am  alten  ßruchrande,  zum  Theil  noch  in  dasselbe 
hinein  sich  schwarzes  Gartenland  erstreckt,  auf  dem  ein  noch  beträchtlich  hohes, 
jedoch  von  allen  Seiten  abgetragenes  Wallstück  sich  erhebt.  Gleich  bei  der  ersten 
Betrachtung  sahen  wir  alle  möglichen  üeberreste;  Thonscherben ,  Eisen,  sehr  be- 
trächtliche Quantitäten  von  Nahrungsüberresten,  ganze  Massen  von  Hausthierknochen 
und  an  einer  Stelle  namentlich  grosse  Mengen  von  gebranntem  Getreide,  unter  welchem 
dem  Anschein  nach  Roggen,  Weizen,  Erbsen  und  Wicken  nebst  Unkräutern  (Trespe 
u.  s.  w.)  vertreten  waren.  Ich  habe  eine  hinreichende  Quantität  davon  mitgebracht, 
um  sie  dem  Urtheil  unserer  sachverständigen  Mitglieder  zu  unterstellen.  Nachdem 
ich  das  festgestellt  hatte,  erkundigte  ich  mich  über  den  früheren  Umfang  des  Walles, 
und  es  ergab  sich,  dass  seit  vielen  Jahren  die  Nachbarn  davon  abgegraben  und  die 
Erde  auf  andere,  zum  Theil  sehr  weit  entfernte  Acker-  und  tiefer  gelegene  Bruch- 
stellen abgefahren  haben.  So  erklärte  es  sich,  was  früher  schon  die  Aufmerksamkeit 
des  Herrn  Thun  ig  erregt  hatte,  dass  man  an  vielen  Orten  der  Feldmark  Urnen- 
scherben findet.  Ich  traf  selbst  einen  Wagen,  der  eben  unterwegs  war,  um  solche 
Erde  auszufahren,  und  ich  kann  daher  die  Fehlerquelle,  welche  durch  dieses  Ver- 
schleppen der  Altsachen  entsteht,  sehr  bestimmt  bezeichnen.  Gegenwärtig  ist  nur 
noch  auf  dem  Grundstücke  des  Julian  Woyciachowski  ein  etwa  6 — 8  Fuss  hoher 
Rest  vorhanden.  Früher  soll  der  Wall  jedoch  haushoch  gewesen  sein.  Dieser  Rest 
liegt  im  hinteren  Theile  des  Hausgartens;  von  dem  am  Markte  gelegenen  Hause  an 
steigt  das  Terrain  langsam  bis  zu  dem  Rande  des  Wallrestes.  Als  ich  mich  nun 
bemühte,  zu  ermitteln,  wie  gross  denn  früher  der  Wall  gewesen  sei,  kam  ich 
immer  weiter  in  die  Nachbargärten  und  endlich  auf  den  Kirchhof,  der  nach  einer 
Mittheilung  des  Herrn  Propst  Poszwinski  ursprünglich  um  die  eigentliche  Paro- 
chialkirche  herum  gelegen  hat.  Diese  ist  später  abgebrannt  und  nicht  wieder  auf- 
gebaut worden,  da  später  im  südlichen  Theile  der  Stadt  ein  Cisterzienserkloster  er- 
richtet ist  und  die  Kirche  desselben  in  Benutzung  gezogen  wurde.  Auf  dem  Kirch- 
hofe ist  nur  eine  Kapelle  erbaut  worden.  Als  wir  auf  den  Kirchhof  kamen,  war  der 
Todteugräber  sehr  erstaunt,  uns  da  erscheinen  zu  sehen.  Denn  die  Einwohner  haben 
keine  langdauernde  Theilnahme,  wie  es  scheint,  an  ihren  Verstorbenen.  Auf  dem 
ganzen  Kirchhofe  ist  auch  nicht  ein  einziges  Monument,  gar  nichts,  was  irgendwie 
andeutete,    wer    da    begraben    ist.     Nur    eine  Reihe    flacher    Kindergräber    war    mit 


(103) 

frischen  Kränzen  von  Kuhblumen  (Caltha  palustris)  belegt.  Der  Todtengräber  beob- 
achtete una  zuerst  aus  der  Ferne;  als  er  aber  sah,  dass  wir  den  frischen  Gräbern 
und  entblössten  Stellen  nachgingen  und  Thonscherben  aufhoben,  kam  er  hinzu 
und  sagte  uns,  Scherben  und  Knochen  könnten  wir  sehr  viel  bekommen.  Er  führte 
uns  zu  einem  offenen  Grabe,  und  es  ergab  sieh,  dass  bis  zu  einer  grossen  Tiefe  die 
Erde  voll  von  allerlei  prähistorischen  üeberresten  war.  Wir  konnten  die  prächtigsten 
Objekte,  namentlich  grobe  Scherben  mit  dem  Wellen-  und  Punktir-Ornament,  sowie 
zerschlagene  Thierknochen  in  grossen  Mengen  sammeln.  Der  Kirchhof  liegt  auf  der 
höchsten  Stelle  des  Ortes,  unmittelbar  am  Bruchrandc  gegen  Osten;  er  st<")sst  an- 
dererseits an  den  gleichfalls  höher  gelegenen  Marktplatz.  Wir  umgingen  dann  die 
Kirchhofsmauer  aussen  und  gruben  an  ihrem  Ostrande  bis  auf  4  Fuss  Tiefe,  üeberall 
fand  sich  nur  schwarze,  aufgeschüttete  Erde  mit  Thierknochen  und  Topfscherben, 
Ks  konnte  daher  nicht  zweifelhaft  sein,  dass  die  erste  Kirche  mitten  auf  einem  alten 
Kjökkenmödding  oder  wenigstens  auf  einer  alten  Ansiedelungsstätte  errichtet  sei. 

Ich  habe  alsdann  meine  Wanderung  längs  des  Bruchrandes  gegen  Süden,  in  der 
Richtung  gegen  das  Kloster,  fortgesetzt,  üeberall  wiederholten  sich  die  ähnlichen 
Funde,  auch  in  den  hier  verhältnissmässig  tiefen  Gärten.  So  zeigte  uns  der  Kauf- 
mann Cichoszewski,  dessen  Grundstück  vom  Markt  bis  an  den  Klostergarten 
reicht,  am  äusseren  umfange  seines  Gartens  gegen  das  Bruch  hin  eine  Reihe  starker 
Pfähle,  welche  reihenweise  standen  und  tief  in  den  Boden  reichten.  Seiner  Angabe 
nach  hatte  er  schon  viele  ausgezogen ,  die  in  sehr  verschiedenen  Stellungen  zu  ein- 
ander befindlich  gewesen.  Der  Boden  dazwischen  war  aufgetragen  über  Torf,  und 
voll  von  Topfscherben  und  Knochen.  Auch  im  Klostergarten  selbst  fanden  sich  überall 
ähnliche  Gegenstände,  so  namentlich  ein  schöner  Thonwirtel.  Das  Kloster  liegt 
dicht  am  Rande  des  Moores,  welches  hier  das  Nordende  des  Primeuter  Sees  um- 
giebt.  Vor  ihm  im  Moor  sind  vor  einigen  Jahren  zahlreiche  Pfähle  ausgegraben 
worden.  Eine  Reihe  derselben  konnten  wir  noch  verfolgen  bis  zu  der  Strasse,  welche 
nach  Zaborowo  führt.  Hier  steht  nördlich  an  der  Strasse  ein  Bildhaus  des  heil. 
Johannes  auf  einer  Ecke  des  erhöhten  Terrains,  und  in  den  Gräben,  welche  es  um- 
geben, sieht  man  noch  einen  Rest  von  senkrechten  und  horizontalen  Pfählen  sehr 
alter  Anlage. 

So  bin  ich  schliesslich  zu  der  Ueberzeugung  gekommen,  dass  der  ganze  Ort 
Priment  oder,  anders  ausgedrückt,  die  ganze  Insel,  welche  sich  zwischen  dem  See 
und  dem  Obrabruch,  rings  umgeben  von  Moor,  vorfindet,  eine  alte  Aufschüttung  aus 
der  Burgwall-Periode  ist.  Denn  wo  wir  auch  unsere  Grabungen  ansetzten,  kamen 
wir  immer  wieder  auf  dieselbe  schwarze  Erde  ohne  Schichtung,  ohne  natürlich  ge- 
wachsenen Boden,  und  der  ganze  Ort  erwies  sich  als  ein  künstlich  aufgebauter,  um- 
fangreicher Hügel,  der  die  verschiedensten  üeberreste  der  Vergangenheit  in  sich 
schloss.  Es  vf-dT  das  um  so  mehr  interessant,  als  daraus  mit  einiger  Wahrschein- 
lichkeit hervorgeht,  dass  in  einer  noch  früheren  Zeit  wahrscheinlich  an  dieser  Stelle 
ein  ganz  schlechter  Pass  gewesen  ist,  der  überhaupt  nur  zu  gewissen  Zeiten  des 
Jahres  passirbar  sein  mochte,  und  der  erst  dadurch  Festigkeit  und  Sicherheit  ge- 
wonnen hat,  dass  man  diese  künstlichen  Anlagen  errichtete. 

Nachdem  Herr  Propst  Poszwiuski  mir  mitthcilte,  dass  es  noch  im  vorigen 
Jahrhundert  Kastellane  von  Priment  gegeben  habe,  bin  ich  bemüht  gewesen,  die 
Verhältnisse  historisch  weiter  aufzuklären,  und  ich  habe  wenigstens  Einiges  gefunden. 
In    der    That    führt   Kolof)    unter    den    Castellauei   minores    von    Grosspolen    den 


')  Kolof,    Hist.    Polon.    et   inagni  dacatus   Lith.  Script.  Collectio      Varsav.    1761.    T.  I. 
p.  176. 


(104) 

Praementensis  auf  und  er  nennt")  Praemecz  selbst  eine  hölzerne  Stadt  (civitas  lignea). 
Raczynski-)  erwähnt  nach  einer  Originalurkunde  einen  Kastellan  Adalbert  (Wojciech) 
bei  dem  Jahre  1245.  Der  Sage  nach  sei  der  Ort  jedoch  schon  im  zehnten  Jahr- 
hundert zur  Zeit  der  Kriege  mit  König  Heinrich  I.  von  Deutschland  gegründet, 
um  den  fliehenden  Polen  Schutz  zu  gewähren  (Przyj(;t  von  przyjac,  partic  von 
przyjt'ty).  Als  die  Cisterzienser  1418  von  Wielen  nach  Priment  übersiedelten,  seien 
wahrscheinlich  die  Mauern  der  Feste  umgewandelt  worden;  wenigstens  geschehe 
seitdem  der  Feste  (Zamku,  Schloss,  Castruni)  keine  Erwähnung  mehr.  Es  wird  nach 
diesen  Citaten  kein  Zweifel  darüber  bestehen  können,  dass  wir  hier  ein  altes  sla- 
visches  Castrum  aufgefunden  haben,  dessen  Anlage  weit  in  die  Vorzeit  zurückreicht, 
vielleicht  sogar  über  die  slavische  Periode  hinausführt.  In  die  eigentliche  Geschichte 
tritt  die  Burg  erst  1242,  wo  sie  bei  dem  Abfall  der  Polen  eine  Zeitlang  dem  Herzog 
Boleslaus  dem  Kahlen  von  Glogau  treu  blieb.  Auch  später  erstreckte  sich  das  Macht- 
gebiet der  Glogauer  Herzöge  häufig  bis  in  diese  Gegenden. 

In  Bezug  auf  den  Burgwallrest  habe  ich  noch  mehrerlei  Spezialitäten  anzuführen, 
indessen  ist  es  vielleicht  geeignet,  zunächst  dreierlei  zu  betonen. 

Erstens  war  es  mir  von  Interesse,  die  Mannichfaltigkeit  von  Hölzern  zu  sehen,  die 
sich  unter  den  verkohlten  üeberresten  in  dem  Burgwalle  vorfanden.  Es  waren  ungewöhn- 
lich grosse  Stücke  unter  diesem  Holze,  namentlich  von  Eichen,  Elsen  und  Kiefern, 
aber  auch  von  Ulmen. 

Das  Zweite  war,  dass  in  dem  Burgwalle  an  verschiedenen  Orten  menschliche 
Gerippe  gefunden  worden  sind,  früher  schon  von  Erwachsenen;  wir  selbst  haben 
Kinderskelette  ausgegraben  in  einer  Lage  und  Tiefe,  welche  es  durchaus  unwahr- 
scheinlich machte,  dass  sie  etwa  einer  späteren  Zeit  angehören,  denn  es  liess  sich 
auf  dem  Durchschnitt,  vermittelst  dessen  wir  auf  diese  Leichen  kamen,  durchaus 
keine  Unterbrechung  der  Schichten  erkennen.  Die  Succession  der  Absätze,  wo 
zuerst  Kohle  mit  Knochen,  dann  Kohle  mit  Fischschuppen,  dann  eine  Lehmschicht 
kam,  lief  über  diese  Stellen  regelmässig  fort.  Es  ist  mir  allerdings  nur  gelungen, 
einen  Schädel  eines  Erwachseneu  zu  erlangen,  aber  dieser  ist  ausgemacht  dolichoce- 
phal;  er  stimmt  also  durchaus  nicht  mit  der  Prämisse  von  der  Brachycephalie  der 
Slaven.  Da  ich  jedoch,  wie  Sie  wissen,  mit  Bezug  auf  die  Dolichocephalie  der 
Polen  immer  einen  besonderen  Vorbehalt  gemacht  habe,  so  überraschte  mich  dieser 
Befund  weniger.  Trotzdem  will  ich  nicht  behaupten,  dass  der  Fund  etwas  beweist; 
indessen  ist  er  deshalb  bemerkenswerth,  weil  einige  andere,  in  der  Nähe  ausgegrabene 
Schädel  gleichfalls  dolichocephale  sind. 

Endlich  das  Dritte,  was  mir  sehr  auffallend  war,  ist  das  Vorkommen  einer 
grossen  Scherbe  mit  ausgezeichneten  Mäandern.  Sie  wissen,  dass  namentlich  durch 
die  Arbeit  des  Herrn  Host  mann  über  das  Gräberfeld  zu  Darzau  die  Aufmerksam- 
keit auf  die  Mäander-Gefässe,  die  bei  uns  zu  den  grossen  Raritäten  gehören,  gelenkt 
worden  ist.  Nun  hatte  schon  früher  Herr  Thunig  auf  dem  westlichen  Ufer  des 
Primenter  Sees,  auf  einem  Ackerstück  an  der  Grenze  des  Gutes  Zaborowo,  eine 
kleine,  glänzend  schwarze,  sehr  feine  Scherbe  mit  höchst  elegantem  Mäander 
gefunden;  indess  legte  ich  weniger  Werth  darauf,  weil  ich  bei  eigenem  Umhersuchen 

')  Ibid.  p.  50. 

*)  Ed.  Raczynski,  Wspomnienia  Wielkopolski  to  jest  Wojewodztw  Poznanskiego,  Kalis- 
kiego i  Gnieznienskiego.  Poznan  1842,  p.  224.  Die  Angabe  von  Wuttke  (Städtebuch  des 
Landes  Posen.  Leipz  18ß4.  S.  418),  dass  es  schon  1241  in  Priment,  ein  Cisterzienserkloster  gab, 
ist  wohl  ein  Missverständniss;  1278  wird  allerdings  das  Kloster  der  Cisterzienser  in  Wielen 
erwähnt,  aber  erst  1418  erfolgte  ihre  üebersiedeliing.  .\uch  das  ist  ein  Irrthum  von  Wuttke, 
dass  Priment  jetzt  den  Mamen  Primentdorf  habe.  Primentdorf  liegt  vielmehr  südöstlich  von  dem 
Städtchen,  ganz  getrennt  davon. 


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dort  nichts  Aehnliches  antraf  und  weil  mir  seihst  das  Alter  des  Stückes  zweifelhaft 
war.  Indess  schickte  mir  eines  Tages  Julian  Woyciachowski  eine  grosse 
schwarze  Urne  mit  Mäanderverzierung,  die  im  Walde,  von  Primentdorf  ausgegraben 
sein  sollte,  mit  einem  zusammengebogenen  eisernen  Schwerte  und  anderen  Pjisen- 
sachen.  Endlich  fand  sich  unter  den  Thonscherben  des  Primenter  Burgwalles  ein 
grösseres  Fragment  von  braunem,  gebranntem  Thon,  welches  in  Bezug  auf  die  Bil- 
dung des  Randes  eine  grosse  Aehnlichkeit  mit  den  übrigen  Burgwalltöpfen  darbietet, 
auch  unter  dem  weit  umgelegten  Rande  eine  feine  Leiste  mit  länglichen  schrägen 
Eindrücken  zeigt,  aber  doch  sehr  roh  ist.  Der  Mäander  ist  sehr  gross  ausgelegt  und 
er  besteht  durchgehends  aus  zwei  glatten  Parallellinien,  zwischen  welchen  eine  punk- 
tirte  Linie  angebracht  ist.  Mir  ist  sonst  aus  der  Provinz  Posen  nur  noch  eine  Abbil- 
dung des  Herrn  Crüger'),  leider  ohne  Fundort,  bekannt.  Von  Gross -Czettritz 
in  der  Neumark  bezitzt  das  Museum  ein  derartiges  Stück  (v.  Ledebur,  das  k.  Mu- 
seum S.  65.  Taf.  IV.  Nr.  L  73). 

Die  genauere  Untersuchung  des  Primenter  Burgwalles,  an  welcher  sich  auch  die 
Herren  Oberförster  Kör  ig  und  Kreisphysikus  Dr.  Koch  sehr  lebhaft  betheiligten, 
wurde  von  uns  am  1.  Mai  in  der  Art  vorgenommen,  dass  die  innere  Seite  (nach  dem 
Hause  zu)  zunächst  in  grösserer  Ausdehnung  abgestochen  und  dann  der  Grund  bis 
auf  10  Fuss  unter  der  scheinbaren  Bodenfläche  aufgegraben  wurde.  Auf  natürlichen 
Boden  stiessen  wir  hier  nirgends.  Es  war  immer  dasselbe  schwarze,  aufgeschüttete 
Erdreich  mit  allen  möglichen  Einschlüssen,  und  noch  in  der  erwähnten  Tiefe  wurden 
einige  Scherben  und  Knochen,  gelegentlich  auch  ganz  grosse  Geröllsteine  zu  Tage 
gefördert.  Nur  in  gewissen  Richtungen  war  die  schwarze  Erde  von  gelben  Lehm- 
streifen und  gelegentlich  auch  von  grösseren  gebrannten  und  mit  Stroh  gemengten  Lehm- 
klumpen unterbrochen.  Nach  oben  hin  wurde  die  Schichtung  immer  deutlicher,  jedoch 
waren  die  einzelnen  Schichten  von  sehr  verschiedener  Stärke;  auch  liefen  dieselben 
keineswegs  durch  die  ganze  Aufschüttung,  sondern  an  verschiedenen  Stellen  zeigte  sich 
ein  ganz  verschiedener  Aufbau.  Mehrfach  fanden  sich  gesonderte  Abtheilungen  im  Innern, 
z.  B.  an  der  Stelle,  wo  das  gebrannte  Getreide  lag;  hier  und  da,  namentlich  an  der 
gleichfalls  zum  Theil  abgestochenen  östlichen  Seite,  kamen  auch  grössere  Einsenkungen 
von  flach  trichterförmiger  Gestalt  vor.  Hier  lagen  auch  die  Kindergerippe.  Manch- 
mal kamen  wir  auf  Schichten  geschlagener,  zum  Theil  auch  gebrannter  Feldsteine. 
Am  häufigsten  jedoch  waren  Thierknochen,  Scherben  und  Kohlen. 

Von  Thieren  konnte  ich  Schwein  (sehr  zahlreich),  Rind,  Schaaf,  Pferd,  Reh 
und  Hirsch  constatiren.  Auch  einzelne  Vogelknochen  waren  darunter.  Die  Knochen 
waren  zum  grössten  Theil  geschlagen,  selbst  die  Unterkiefer  gespalten.  Von  bearbei- 
teten Knochen  fand  sich  ein  Schlittknochen ,  eine  zerschnittene  und  gesägte  Rehkrone 
und  eine  an  der  Spitze  kantig  polirte  Zacke  von  einem  Hirschgeweihe.  Schuppen  und 
Grähtcn  von  Fischen,  namentlich  vom  Zander,  hauptsächlich  aber  vom  Barsch,  bildeten 
an  der  Seitenfläche  zusammenhängende  Lager. 

Die  Thonscherben  zeigen  eine  gewisse  Mannichfaltigkeit.  In  der  Oberfläche  lagen 
einzelne  mittelalterliche  und  moderne  Stücke.  Dagegen  kamen  aus  der  Tiefe  mehrere 
feinere,  glatte,  schwarze  Stücke  zum  Vorschein,  welche  sich  mehr  dem  Typus  der 
Graburnen  anschliessen ,  mit  starken,  aber  engen  Henkeln  und  tiefen,  vollkommenen 
Ornamenten.  Sie  dürften  einer  älteren,  vielleicht  sogar  vorslavischen  Zeit  an- 
gehören. Sonst  waren  fast  alle  Scherben  grob,  mit  Steingrus  gemengt,  körnig,  hell- 
grau, die  Mehrzahl  ohne  alles  Ornament  oder  mit  einfachen,  tiefen  Horizontalfurchen, 
ohne  Henkel,   mit  stark   umgebogenem,   scharf  geformtem  Rand  und  kürzerem  Hals, 

')  G.  A.  Crüger,  Ueber  die  im  Reg.-Bezirk  Bromberg  aulgefundenen  .Alterthümer.  Mainz 
1872,    Taf.  1,  Fig.  6  und  7,  S.  14. 


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offenbar  zu  grösseren  Töpfen  gehörig,  (iut  ausgebildete  Wellenornamente  waren  nur 
spärlich,  dagegen  schiefe  Punktlinien  in  schönster  Ausbildung  nicht  selten.  Einzelne 
Scherben  hatten  tiefe  Linien  in  Winkelstellung.  Auch  kamen  sehr  dicke  Stücke  mit 
erhabenen  Leisten,  einzelne  mit  tiefen  Eindrücken  auf  den  Leisten  vor.  Mehrere 
Topfböden  haben  Stempel:  einer  zeigt  ein  Rad,  bis  zum  Verwechseln  übereinstim- 
mend mit  einem  Stück  aus  dem  Pfahlbau  vom  Daber-See  (Zeitschr.  f.  Ethnol.  Bd.  III, 
Taf.  VI,  Fig.  VI);  ein  anderer  gleicht  einem  Stücke  von  Königgrätz. 

Metall  war  im  Ganzen  spärlich,  selbst  das  Eisen  häufig  verschlackt  und  daher  unkennt- 
lich. Einzelne,  sehr  verwitterte,  grünliche  Klumpen  und  kleine  Stücke  von  Drahtringen 
schienen  von  Bronze  oder  Messing  zu  sein.  Eine  kleine  eiserne  Axt  war  schon  früher  gefunden. 

Ich  muss  endlich  erwähnen,  dass  an  gewissen  Stellen  bei  der  früheren  Aus- 
grabung nach  Aussage  des  Woy ciachowski  auch  senkrecht  stehende  Pfähle  ge- 
standen haben  sollen,  —  eine  Angabe,  welche  mit  Rücksicht  auf  die  früher  erwähnten 
Pfahistellungen  an  anderen  Punkten  es  allerdings  wahrscheinlich  macht,  dass  auch  hier 
die  erste  Anlage  im  Moorboden  auf  einer  Pfahlunterlage  begonnen  worden  ist. 

Soviel  über  diese  merkwürdige  Anlage.  Obwohl  nicht  eigentlich  hierher  gehörig, 
will  ich  doch  noch  anführen,  dass  wir  am  Südende  des  Primenter  Sees  in  der  Nähe 
des  Dörfchens  Städtel  (Myastecko)  inmitten  eines  sehr  niedrigen  Bruchterrains,  wel- 
ches vor  der  Anlage  der  Obra -Kanäle  fast  ganz  unzugänglich  gewesen  ist,  eine 
flache  Insel  von  einigen  Morgen  Grösse  fanden,  welche  so  dicht  mit  üeberresten  des 
Mittelalters  erfüllt  war,  dass  fast  jeder  Spatenstich  Topfscherben  und  zahlreiche 
Eisensachen  (Waffen,  Schlösser,  Ketten,  Hausgeräth  u.  s.  w.)  förderte.  Auch  wurden 
mehrere  Steinkugeln  von  der  Grösse  der  Kanonenkugeln  gefunden.  Offenbar  muss  hier 
eine  Zufluchts-  und  Vertheidigungsstelle  des  früheren  Mittelalters  gelegen  haben.  — 

Der  letzte  Theil  meiner  diesmaligen  Mittheilungen  bezieht  sich  auf  gewisse 
Kunstgegenstände,  welche  der  Bronzezeit  angehören.  Ich  will  jedoch  aus  der 
Menge  desjenigen,  was  ich  auf  meiner  Reise  an  Bronzegeräth  in  Sammlungen  ge- 
sehen habe,  nur  einige  Hauptsachen  betonen: 

Erstens  lernte  ich  im  böhmischen  Museum  eine  sehr  überraschende  Combination 
kennen,  welche  zugleich  einigen  Aufschluss  giebt  über  die  Bedeutung  eines  Geräthes, 
über  das  man  bisher  nicht  recht  ins  Klare  kommen  konnte.  Es  ist  nehmlich  in  der 
Nähe  von  Budweis  bei  Plavno  vor  einigen  Jahren  ein  grosser  Grabhügel  aufgedeckt 
worden,  in  dem  das  unverbrannte  Skelet  einer  Leiche  mit  ungewöhnlich  gut  erhal- 
tenen Schmuckgegenständen  gefunden  worden  ist.  Es  ist  sogleich  grosse  Auf- 
merksamkeit auf  die  Sache  verwandt  worden ,  und  der  Gustos  des  böhmischen  Mu- 
seums, Herr  Bennesch,  hat  nicht  nur  selbst  den  Fund  gehoben,  sondern  auch  die 
sehr  grosse  und  dankenswerthe  Sorgfalt  gehabt,  das  ganze  Skelet  auf  einer  grossen 
Platte  auszubreiten  und  es  genau  in  der  Art,  wie  es  gefunden  worden,  zu  fixiren. 
Um  dieses  Skelet  war  eine  Menge  sehr  schön  blaugrün  patinirter  Bronzen  in  ausser- 
ordentlichem Reichthum  verbreitet.  Es  fanden  sich  Reste  eines  ledernen  Gewandes, 
welches  den  Körper  bedeckt  hatte  und  welches  ganz  besetzt  gewesen  ist  mit  flachen 
Bronzebuckeln.  Herr  Bennesch  hatte  die  Güte,  mir  ein  paar  Specimina  davon  zu 
übergeben:  einen  grossen  Buckel  von  8  Cm.  Durchmesser  und  1  Cm.  Höhe  mit 
ganz  prachtvoller  Patina,  und  zwei  kleinere  von  32  Mm.  Durchmesser  und  5  Mm.  Höhe. 
Mit  solchen  Scheiben  oder  Buckeln  war  das  ganze  Gewand  von  oben  bis  unten  voll- 
ständig besetzt,  also  ein  ganz  ungewöhnlicher  Reichthum.  Der  Rand  der  grösse- 
ren Scheibe  ist  mit  vier  Löchern  zum  Aufnähen  auf  das  Gewand  versehen; 
zwischen  den  Löchern  ist  eine  feine  Punktlinie  angebracht.  In  demselben  Grabe 
lag  eine  Menge  von  anderen  Dingen:  jederseits  zwei  offene  Armringe,  kleine 
Spiralpiatten ,    eine    hohle  Lanzeuspitze    und    allerlei    andere  Bronzen,    unter   denen 


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namentlich  eine  war,  die  mich  aufs  höchste  überraschte.  Sie  kennen  alle  jene  un- 
gewöhnlich langen  Bronzenacleln ,  die  man  in  verschiedenen  Museen  findet,  Nadeln, 
die  l  bis  1 '/•.•  l*^»»»  lang  sind  und  am  Ende  gewcihnlich  eine  Reihe  grösserer  Knöpfe 
oder  Scheiben  besitzen,  die  sich  mehrfach  wiederholen.  Da  man  sonst  nichts  mit 
diesen  Nadeln  anzufangen  wusste,  so  hat  man  sich  schliesslich  damit  geholfen,  dass 
man  sie  für  Haarnadeln  erklärte,  indem  man  annahm,  dass  dieselben  durch  einen 
sehr  dicken  Haarschopf  durchgespiesst  worden  seien  ,  wie  bei  den  heutigen  Papuas. 
Bei  dem  erwähnten  Skelet  fanden  sich  zwei  solcher  Nadeln,  allein  nicht  am  Kopfe, 
sondern  merkwürdiger  Weise  jederseits  am  Oberschenkel,  und  zwar  parallel  dem 
letzteren.  Ks  scheint  daher  nichts  übrig  zu  bleiben,  als  anzunehmen,  dass  diese 
Nadeln  dazu  gedient  haben,  um  entweder  das  Ledergewand,  was  vielleicht  an  den 
Seiten  offen  war,  zu  schliessen  oder  andere  Kleidungsstücke  zu  befestigen.  Jeden- 
falls kann  man  sich  nicht  vorstellen,  wie  diese  Nadeln  an  die  Seite  der  Oberschenkel 
hingekommen  sind,  wenn  sie  nicht  in  Beziehung  zu  der  Bekleidung  gestanden  haben.  — 
Ich  bemerke  übrigens,  dass  zugleich  zahlreiche  Thongeräthe  gehoben  wurden,  nament- 
lich eine  ganz  grosse  Urne  mit  niedrigem,  aber  engem  Halse  und  zahlreiche  kleine 
flache  Schalen  mit  centralem  Eindruck  am  Boden  und  schrägen,  übrigens  mit 
weisser  Einlagerung  versehenen  Strichen,  ganz  ähnlich  den  in  Gräbern  der  Lausitz 
so  häufig  vorkommenden  Thonschalen. 

Sodann  will  ich  ganz  kurz  erwähnen,  dass  gerippte  Bronzeeimer,  wie 
derjenige,  welchen  ich  Ihnen  in  der  Sitzung  am  13.  Juni  1874  vom  (iorwal  bei 
Priment  vorgeführt  habe,  im  Provinzialmuseum  zu  Hannover  vorhanden  sind,  von 
denen  einzelne  in  der  That  ganz  übereinstimmen.  Leider  ist  keiner  davon  vollständig 
erhalten;  namentlich  die  oberen  Theile  sind  alle  etwas  unvollständig.  Die  genauere 
Beschreibung  dieser  Gefässe  ist  früher  von  Einfeld  in  einer  „den  Theilnehmern 
an  der  allgemeinen  Versammlung  deutscher  Geschichts-  und  Alterthumsforscher  zu 
Hildesheim"  gewidmeten  Festschrift  des  Historischen  Vereins  für  Niedersachsen, 
Hannover  1856,  geliefert,  auch  einer  der  Eimer  von  Luttum  damals  abgebildet 
(Fig.  5)  worden.  Nach  diesem  Berichte  (S.  31)  wurden  drei  solcher  Gelasse  in 
Hügeln  bei  Luttum,  Amt  Verden,  gefunden.  Auf  zweien  derselben  befanden  sich 
Deckel  von  gewöhnlichem  Thon  und  in  dem  einen  eine  gewöhnliche  Nadel  von 
Eisen;  ausserdem  lagen  nur  üeberbleibsel  verbrannter  Gebeine  darin.  Der  best- 
erhaltene zeigte  8  Rippen  und  7  Niete;  zwischen  den  Rippen  sah  man  Reihen 
kleiner  Punkte,  welche  der  Berichterstatter,  wohl  irrthümlich,  auf  Eindrücke  der 
Ränder  der  Walze  bezog.  Wesentlich  abweichend  von  dem  Eimer  vom  Gorwal  ist  es, 
dass  in  dem  umgelegten  Rande  eine  Ruthe  von  Holz  gelegen  haben  und  dass  die 
beiden  Henkel  von  Eisen  gewesen  sein  sollen.  Es  wird  ausserdem  ein  vierter 
Eimer  beschrieben  (S.  38),  der  in  einem  Grabhügel  auf  einer  Haide  zwischen 
Nienburg,  Holtop  und  Wölpe  in  der  Nähe  der  Weser  gefunden  wurde.  Auch  er 
hatte  einen  Deckel  von  Thon  und  zwei  eiserne  Henkel;  er  enthielt  Nadeln  von  Eisen, 
darunter  eine  mit  bronzenem  Knopf,  Nadeln  und  Ohrringe  von  Bronze  und  eine 
Klammer  von  Eisen.  Er  besass  9  Rippen  und  dazwischen  Punktlinien.  Die  che- 
mische Analyse  ergab  bei  allen  diesen  Eimern  ausser  Spuren  von  Eisen  nur  Kupfer 
und  Zinn  in  den  gewöhnlichen  Verhältnissen  der  alten  Bronze  und  im  Gegensatze 
zu  einigen  deutlich  römischen  Eimern,  in  denen  Zink  reichlich  vertreten  ist. 

Fast  ganz  übereinstimmend  mit  dem  Gorwal-Eimer  ist  derjenige  von  Pansdorf 
im  Fürstenthum  Eutin,  von  dem  ich  durch  die  Güte  des  Herrn  Oberförster  Hang 
inzwischen  eine  genaue  Beschreibung  und  Abbildungen  erhalten  habe.  Ich  werde 
dieselben  bei  einer  anderen  Gelegenheit  vollständig  mittheilen;  hier  bemerke  ich 
nur,   dass  der  Eimer  ausser  calcinirteu  Menschenknochen  nur    ein  halbmondförmiges 


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Messer  von  Eisen  enthielt,  dass  er  ausser  dena  Rande  12  Rippen  und  dazwischen 
Punktlinien  zeigt,  dass  er  zwei  ganz  ähnliche,  nur  anscheinend  glatte  Henkel  und 
einen  durchaus  ähnlichen  Boden  hat.  Selbst  bei  unmittelbarer  Vergleichung  der 
Photographie  mit  dem  Gorwal -Eimer  hat  man  Mühe,  einen  unterschied  zu  ent- 
decken. 

Auch  im  böhmischen  Museum  ist  es  mir  gelungen,  ein  ganz  analoges  Objekt, 
einen  ausserordentlich  schönen  Bronzeeimer  zu  finden.  Derselbe  ist  bei  Strakonitz, 
im  südwestlichen  Böhmen,  unterhalb  des  „verglasten  Berges"  (Sklenena  hora)  ge- 
hoben worden.  Es  giebt  daselbst  Hügelgräber,  aus  denen  zahlreiche  und  schöne 
Funde  hervorgegangen  sind.  Die  Einrichtung  dieses  Eimers  stimmt  so  vielfach 
überein  mit  dem,  was  der  Eimer  von  Priment  zeigt,  dass  die  gemeinsame  Abstam- 
mung, wie  ich  glaube,  in  keiner  Weise  in  Zweifel  gezogen  werden  kann.  Nament- 
lich zeigt  der  Boden  nicht  nur  dieselbe  Abwechselung  breiterer  und  schmälerer, 
erhabener  und  vertiefter  Ringe,  sondern  auch  dieselben  unregelmässigen,  oberflächlichen, 
von  der  Mitte  aus  nach  aussen  gezogenen  Radiallinien,  wie  der  Gorwal-Eimer.  Er 
ist  gleichfalls  21  —  22  Cm.  weit  und  mit  prachtvoller,  grünblauer  Patina  überzogen; 
sieben  flachrundliche  Rippen  von  8  —  9  Mm.  Breite  stehen  in  etwas  ungleichen 
Zwischenräumen  von  10 — 12  Mm.  Dagegen  fehlen  die  punktirten  Zwischenlinien 
und  die  Henkel;  der  Rand  ist  einfach  umgelegt,  die  Niete  sind  ganz  glatt,  und  das 
sehr  dünne  Blech  ist  durch  sie  nach  innen  ausgetrieben.  Soviel  ich  erfahren  konnte, 
ist  nichts  darin  gewesen.  —  Der  Fund  ist  von  besonderer  "Wichtigkeit,  als  wir  da- 
durch das  erste  Verbindungsglied  zwischen  Hallstadt  und  den  nördlichen  Fundstätten 
gewinnen,  so  dass  die  von  mir  früher  geäusserte  Ansicht  über  die  Richtung,  in 
welcher  der  Import  dieser  Gefässe  stattgehabt  hat,  eine  werthvolle  Bestätigung 
erfährt. 

Eine  weitere,  sehr  bedeutungsvolle  Thatsache  in  derselben  Richtung  erkenne 
ich  in  einem  Funde,  der  im  Jahre  1854  in  Svijany  in  der  Nähe  von  Turnau, 
also  im  nördlichen  Böhmen,  gemacht  worden  ist.  Die  Gegenstände  wurden  in 
der  Erde  bei  einer  Ziegelhütte  ausgegraben.  Ausser  mehreren  anderen  Bron- 
zen')  wurden  15  Vögel  von  Bronze  in  allen  möglichen  Grössen  gesammelt. 
Dieselben  bieten  alle  diejenige  Form  dar,  die  ich  in  den  Sitzungen  vom 
18.  October  und  6.  December  1873  in  Bezug  auf  die  Bronzewagen  und  eine 
Reihe  von  anderen  Bronzegeräthen  erörtert  habe.  Sie  bilden  einen  merkwür- 
digen Uebergang  insofern,  als  die  sämmtlichen  Vögel  viel  mehr  ausgeführt  sind, 
als  dies  gewöhnlich  der  Fall  ist.  Sie  gleichen  am  meisten  Schwänen.  An 
einem  langen  gebogenen  Halse  sitzt  ein  rundlicher  Kopf  mit  Augen  und  einem 
sehr  langen  platten  Schnabel.  Der  Leib  ist  abgeplattet,  länglich  und  hohl.  An 
seiner  Unterseite  findet  sich  meist  ein  hohler,  etwas  abgeplatteter  Stiel;  der  eine  Vogel 
hat  einen  kürzereu  viereckigen  soliden  Stiel,  von  dem  man  sieht,  dass  er  dazu  gedient 
hat,  in  irgend  etwas,  z.  B,  einen  Stab,  hineingetrieben  zu  werden.  Bei  einigen  hängt 
unter  dem  Schnabel  ein  Ring,  an  welchem  eine  Reihe  von  Zierrathen  sitzen,  also 
eine  Art  von  Klapperwerkzeug,  so  dass  mau  nicht  in  Zweifel  sein  kann,  dass  diese 
Vögel  auf  Stangen  aufgesetzt  wurden ,  geklappert  haben  und  bei  Festlichkeiten  ge- 
tragen worden  sein  müssen,  etwa  wie  bei  unserer  Janitscharenmusik. 

Dabei  will  ich  erwähnen,  dass  ich  im  herzoglichen  Kiinstmuseum  zu  Braun- 
schweig ein  grosses  flaches  Bronzegefäss  mit  engem  Halse  sah,  dessen  glatter,  ge- 
gossener Henkel  mit  einem  Vogelkopfe  verziert  ist. 


')  Die  archäologische  Sammlung  im  böhmischen  Musenm  S.  38  —  39,  Nr.  75  —  92. 


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Ich  würde  noch  mancherlei  aus  dem  an  Bronzen  ungemein  reichen  böhmischen 
Museum  erzählen  können,  aber  das  Mitgetheilte  schien  mir  ganz  besonders  von  Inter- 
esse zu  sein,  weil  diese  besondere  Vogelteclinik  einen  bestimmten  Faden  für  den 
Nachweis  jener  Verbindung  darbietet,  die  vom  fernen  Süden  bis  nach  Skandinavien 
sich  verfolgen  lässt. 

Nur  ein  Stück  möchte  ich  noch  erwähnen,  nämlich  eine  zu  Hradiste  bei  Pisek 
gefundene,  hohe  Bronzekanue  mit  schnabelförmigem  Halse  und  schön  ausgeführten 
Figuren  am  Henkel,  ganz  von  der  Form  der  in  Mainz  und  Eygenbilsen  gefundenen, 
in  der  letzten  Zeit  besonders  gewürdigten  Gefässe.  Von  derselben  Stelle  stammt  eine 
grosse  flache  Bronzeschale,  welche  aussen  am  Rande  einen  laufenden  Hund  zeigt. 
Mir  war  der  Fund  um  so  mehr  bemerkenswerth,  als  mir  am  Tage  darauf  der  Weih- 
bischof von  Olmütz,  Fürst  Lichnowski,  eine  ganz  ähnliche  Schnabelkanne  von 
Bronze  aus  Pompeji  zeigte. 

Zum  Schluss  wollte  ich  noch  ein  paar  Worte  sagen  über  meine  letzten  Aus- 
grabungen auf  dem  Gräberfelde  bei  Zaborowo.  —  Wie  ich  schon  hervor- 
gehoben habe,  nimmt  das  Gräberfeld  die  Ecke  ein,  wo  der  Primenter  See  eine  fast 
rechtwinklige  Biegung  gegen  Westen  macht.  Es  bedeckt  eine  sehr  sanfte  Anhöhe, 
von  der  aus  das  Terrain  gegen  den  See  hin  sich  abflacht.  Wir  haben  wiederum 
eine  grössere  Zahl  von  Gräbern  geöffnet,  die  in  ihren  Hauptconstructionen  mit  den- 
jenigen übereinstimmten,  welche  ich  in  der  Sitzung  vom  14.  November  1874  geschil- 
dert habe.  Wir  haben  dabei  eine  Reihe  vortrefflicher  Bronzen  gefunden,  aber  auch 
mit  grosser  Beständigkeit  Eisen,  und  je  sorgfältiger  wir  suchten,  um  so  reichhaltiger 
sind  diese  Eisenfunde  ausgefallen.  Unter  den  Bronzen  ist  ein  Stück  von  ganz 
hervorragendem  Interesse.  Sie  werden  sich  erinnern,  dass  ich  das  vorige  Mal 
eine  Spiralplatte  aus  Bronzedraht  vorlegte,  welche  in  Verbindung  mit  einem 
dicken  Bügel  stand,  im  Uebrigen  jedoch  zerbrochen  war,  welche  jedoch  keinen 
Zweifel  darüber  Hess,  dass  sie  zu  einer  Fibula  gehört  haben  musste.  Ich  habe 
damals  nach  Analogien  gesucht  und  ich  habe  sie  auch  zu  finden  geglaubt.  Wie 
das  aber  häufig  geht,  so  zeigte  die  Erfahrung,  dass  ich  mich  doch  getäuscht  habe; 
denn  diesmal  wurde  dieselbe  Form  in  einer  fast  noch  ganz  vollständig  erhaltenen 
Fibula  aufgefunden,  aber  in  einer  allerdings  ganz  ungewöhnlichen  und  für  unsere 
Verhältnisse  in  der  That  einzigen  Erscheinung.  Sie  sehen  hier  dieses  Instrument 
(Taf.  VIII,  Fig.  1),  welches  ganz  anders  gebaut  ist,  als  mau  sich  das  vorstellen 
konnte.  Die  Spiralplatte,  den  Bügel  und  die  Nadel  hatte  ich  schon  früher;  ich 
hatte  mir  vorgestellt,  dass  die  Nadel  vom  Ende  des  Bügels  direct  hinübergegangen 
sei  zu  der  Spiralplatte,  oder  dass  sie  sich  an  eine  zweite  Platte  angeschlossen  habe; 
statt  dessen  zeigt  sich  hier,  dass  der  Bügel  von  der  Spiralplatte  ausgelit,  sich  dann 
unter  einem  rechten  Winkel  in  eine  Spirairolle  fortsetzt  und  dann  erst  in  die  Nadel 
übergeht.  Letztere  ist  am  Ende  freilich  abgebrochen,  aber  es  ist  kein  Zweifel,  dass 
sie  durch  den  Draht  der  Spiralplatte,  der  hier  einen  vorspringenden  Haken  bildet, 
aufgenommen  wurde.  Das  ist  das  vollständige  Instrument,  gewiss  ganz  ungewöhnlich 
und  zugleich  von  einer  Grösse,  die  man  bei  uns  selten  zu  sehen  bekommt.  Das 
ganze  Stück  ist  86  Mm  lang,  der  Bügel  58,  die  Spiralrolle  (Balken)  70  lang  und 
G  dick,  die  Spiralplatte  misst  29  in  der  Quere,  34  in  der  Höhe.  Der  in  der  Mitte  stark 
nach  vorn  gebogene  Bügel  trägt  an  der  Seite  schräge,  zu  3  —  5  in  Gruppen  gestellte 
eingravirte  Striche,  welche  abwechselnd  gegen  einander  geneigt  sind.  In  der  noch 
sehr  elastischen  Spiralrolle  schien  eine  Axe  von  Holz  gesteckt  zu  haben.  Mir  ist 
nur  ein  einziges  ähnliches  Exemplar  bekannt,  nehmlich  eine  Fibula  aus  der 
ungarischen    (iruppe,  welche  Herr  Hans   Hildebraud  (Les  fibules  de  läge  du 


(110) 

bronze.     Stockholm  1871)  abbildet    und  für  welche  er  mannichfache  Uebergänge   zu 
reicheren  Formen  nachweist').     Gewiss  also  ein  überaus  merkwürdiger  Fund. 

Es  ist  mir  sodann  wiederum  gelungen ,  einen  grossen  dicken  ßronzering  zu 
finden,  der  oben  ausserhalb  um  eine  Ascheu-Ürue  herumlag  und  den  Deckel  der- 
selben gleichsam  auf  der  Urne  befestigte,  wie  es  mir  andererseits  auch  wieder  ge- 
glückt ist,  ganz  ähnliche  Ringe  aus  Eisen  zu  treffen,  die  freilich  fast  ganz  durch 
Rost  zerstört  sind. 

Sehr  interessant  ist  es  ferner,  dass  wir  nunmehr  auch  aus  Urnen  hohle  Bronze- Gelte 
gewonnen  haben,  und  zwar  in  zwei  Formen :  die  eine  (Taf.  VIII,  Fig.  ö  und  6)  mit 
seitlichem  Oehr  und  drei  Einschnitten  oder  Erhabenheiten  auf  der  Fläche  am  Ueber- 
gänge vom  Stiel  zur  Schneide;  die  andere  (Fig.  4)  einfacher,  glatter,  mit  dickem, 
umgelegtem  Rande  und  ohne  Oehr,  aber  in  der  Form  gefälliger  als  jene.  Letzteres 
Stück  ist  dadurch  bemerkeuswerth,  dass  in  dem  Schaftloch  noch  ein  Stück  des  Holzes 
steckt,  welches  offenbar  bei  Lebzeiten  des  Begrabenen  als  Stiel  gebraucht  worden  ist. 
Die  Grösse  dieser  Stücke  ist  folgende:  Der  einfache  Gelt  ist  70  xMm.  lang,  an  der 
Schneide  40  Mm.  breit,  an  der  Tülle  30  breit  und  24  dick.  Der  eine  gehenkelte 
Gelt  (Fig.  5)  hat  eine  Länge  von  S8  Mm.,  eine  Breite  an  der  Schneide  von  38,  in 
der  Mitte  von  22,  an  der  Tülle  von  31  Mm.  bei  29  Mm.  Dicke;  sein  Stielende  ist 
mehr  rundlich.  Der  andere  gehenkelte  (Fig.  6)  hat  eine  sehr  dicke  Tülle  und  ein 
sehr  tief  angesetztes  Oehr;  er  ist  56  Mm.  lang,  an  der  Schneide  29,  in  der  Mitte 
25,  au  der  Tülle  26  bei  einer  Dicke  von  25.  Anch  der  ungeöhrte  Gelt  ist  für 
unsere  Gegenden  eine  äusserste  Seltenheit. 

Es  gab  weiterhin  eine  grosse  Fülle  von  Haarnadeln  und  Haarringen.  Die  hüb- 
schesten unter  den  Haarnadeln  sind  diejenigen,  wo  der  Knopf  entweder  eine  be- 
trächtlichere Grösse  hat  (Fig.  8),  oder  wo  er  noch  mit  spiraligen  Einschnitten 
besetzt  ist. 

Ich  erwähne  ferner  eine  kleine  Angel  von  Bronze  (Fig.  2)  mit  seitlich  umgebo- 
gener Oehse,  sowie  ein  flaches  Schabemesser  von  Bronze  (Fig.  3),  wie  ich  früher 
schon  aus  der  Nähe  des  Gräberfeldes  eines  angeführt  hatte,  das  ganz  besonders  merk- 
würdig ist  wegen  der  analogen  Vorkommnisse  in  Eisen. 

Das  Einzelne  nocli  weiter  vorzuführen,  werden  Sie  mir  heute  erlassen;  dagegen 
will  ich  noch  einer  Spezialität  erwähnen,  über  die  wahrscheinlich  in  einer  der  näch- 
sten Sitzungen  ein  eingehender  Vortrag  von  Herrn  Prof.  Liebreich  gehalten  werden 
wird,  der  nebst  Herrn  Prof.  Salkowski  die  Güte  gehabt  hat,  sich  einer  Reihe 
von  Analysen  zu  unterziehen.  Es  haben  sich  dabei  zum  Tlieil  recht  eigenthüm- 
liche  Ergebnisse  herausgestellt.  Ich  will  in  keiner  Weise  vorgreifen;  nur  Eines 
wird  Sie  interessiren ,  hier  direct  zu  sehen.  Ich  war,  als  ich  das  vorige  Mal  Aus- 
grabungen in  Zaborowo  machte,  sehr  überrascht,  dass  es  mir  ein  paar  Male  passirte, 
als  ich  eine  scheinbar  ganz  reguläre  Bronze,  die  so  grün  wie  die  anderen  aussah, 
herausnahm  und  mit  dem  Messer  die  Patina  abkratzte,  keine  gelben  Stellen  zu  er- 
erhalteu.  Als  ich  später  die  Feile  anwendete,  schien  es  mir,  ich  liätte  Eisen  vor  mir,  so 
bläulichgrau  war  der  Glanz  der  Oberfläche.  Durch  die  Analyse  hat  sich  trotzdem 
herausgestellt,  dass  es  Bronze  ist.  Wir  lernen  hier  also  eine  vollkommen  eisen-  oder 
stahl  farbige  Bronze  kennen.  Sie  sehen  hier  zwei  Stücke,  die  jedes  an  einer  Stelle 
angefeilt  sind.  Das  eine  ist  gelbe  Bronze,  das  andere  ist  diese  graue  Bronze.  Die 
graue  Bronze  ist  in  der  chemischen  Zusammensetzung  gänzlich  dift'erent;  aber,  wie 
gesagt,  ich  will  Herrn  Liebreich    nicht    vorgreifen,   der  Ihnen    das  Nähere  erörtern 


')  Vgl.  auch  Hans  Hildobraml  Hil(lol)raiiil,  De  förhistoriska  folkeii  i  Europa.  Stockh. 
p.  174,  Fi«.  9t;. 


(111) 

und  bei  dieser  Gelegenheit  zugleich  die  ßronzefrage  in  ausgedehnter  Weise  be- 
sprechen wird.  Wie  es  scheint,  ist  solche  graue  Bronze,  wie  wir  sie  hier  aus  den 
Gräbern  haben,  früher  nicht  beobachtet  worden. 

Auch  habe  ich,  was  ich  das  vorige  iMal  ausdrücklich  als  Mangel  urgirte,  eine 
grössere  Reihe  von  Waffen  aus  Eisen  getroffen,  namentlich  ein  kurzes  dolcli- 
artiges  Schwert,  welches  in  allen  seineu  Theilen  noch  so  vollständig  ist,  dass  man  die 
ganze  Länge  des  Blattes  herstellen  kann,  und  nicht  blos  das  Blatt,  sf.ndern  üwh  die 
Form  des  Griffes  u.  s.  w.  Am  Griff  war  etwas  Bronzeblech  befestigt;  im  Uebrigen 
ist  er  aus  Holz  gewesen. 

Was  mich  besonders  interessirt  hat  unter  den  Eisensachen,  war,  dass  ich  erstens 
ein  unzweifelhaftes  Stück  eines  Pferdegebisses  und  zweitens  ein  paar  Male  eigen- 
thümliche  längliche  Körper  aus  Eisen  gefunden  habe,  welche  am  unteren  Ende  kolbig, 
aber  viereckig  waren,  am  oberen  Ende  in  einen  Haken  übergingen,  so  dass  sie  genau  wie 
der  Klöppel  einer  heutigen  Schaaf-  oder  Kuh-Glocke  aussahen.  Ich  habe  freilich  nichts 
gefunden,  was  als  eigentliche  Glocke  hätte  betrachtet  werden  können,  aber  ich  wüsste 
nicht,  als  was  diese  Dinge  sonst  angesehen  werden  sollten,  und  die  starke  Ver- 
rostung, in  welche  alle  dünneren  Eisentheile  gerathen  sind,  dürfte  wohl  die  zu  den 
Klöppeln  gehörigen  Glocken  zerstört  haben. 

Unter  den  Thongeräthen  ist  es  mir  gleichfalls  wieder  gelungen,  eine  ziemlich 
grosse  Zahl  von  bemalten  Sachen  aufzufinden.  Im  Grossen  und  Ganzen  schliessen 
sich  dieselben  den  früher  bekannten  Formen  an,  aber  sie  zeigen  doch  eine  ziemlich 
grosse  Vollständigkeit  der  Ornamente.  Die  Farbe  ist  immer  schwarz,  roth,  braun 
und  gelb,  vielfach  mit  einander  abwechselnd.  Das  Gelb  ist  gewöhnlich  die  Grund- 
farbe des  Thons.  Dieser  Thon  ist  ganz  in  der  Form  der  südlichen  Gefässe,  meist 
in  Form  kleiner,  flacher  Schalen  bearbeitet,  indessen  habe  ich  auch  einzelne  grössere 
Gefässe  gefunden,  welche  ganz  uud  gar  verziert  sind.  Sollte  es  mir  gelingen,  na- 
mentlich eines  von  rother  Farbe  und  sehr  schlanker,  krugartiger  Gestalt,  was  freilich 
in  sehr  viele  Stücke  gegangen  ist,  zu  restauriren,  so  würden  Sie  gewiss  nicht  wenig 
überrascht  sein,  zu  sehen,  welche  abweichenden  und  von  den  gewöhnlichen  Mustern 
unserer  sonstigen  alten  Thongefdsse  verschiedeneu   Formen  hier  auftreten. 

Leider  war  die  Zeit  unserer  Ausgrabung  eine  ziemlich  ungünstige.  Die  Erde 
war  noch  feucht  und  gerade  während  der  Tage,  die  ich  auf  die  Ausgrabung  ver- 
wandte, fiel  fast  fortwährend  ein  leichter  Sprühregen,  so  dass  die  Gefässe  in  einer 
solchen  Weise  erweichten,  dass  es  wirklich  zum  Verzweifeln  war.  Fast  jedes  Gefäss 
ging  schliesslich  auseinander,  und  es  blieb  mir  bei  den  besseren  nichts  weiter  übrig, 
als  sie  sofort  in  Säcke  einnähen  zu  lassen  und  so  auszuheben,  damit  wenigstens  die 
Stücke  zusammenblieben.  So  habe  ich  die  Sachen  transportirt  und  muss  sie  nun  all- 
mählich zusammensetzen. 

Bei  den  Thongefässen  will  ich  nur  eines  noch  erwähnen,  was  mir  früher  nicht 
in  gleicher  Weise  entgegengetreten  ist.  Manche  derselben  sind  offenbar  mit  einem 
graphitischen  Ueberzuge  versehen,  uud  zwar  von  eiuer  Sauberkeit  und  Feinheit 
der  Zubereitung,  die  geradezu  überraschend  ist.  Wenn  man  diese  Flächen  befeuchtet, 
so  bekommen  sie  einen  fast  silberartigen  Glanz,  der  ganz  verschieden  ist  von  dem, 
welchen  man  sonst  au  schwarzen  Gelassen  sieht.  Die  Oberfläche  hat  zugleich  eine 
solche  Glätte,  dass  man  jede  Scherbe  eines  derartigen  Gefässes  selbst  in  der  Nacht 
durch  das  blosse  Gefüld  unterscheiden  kann.  Bei  genauerer  Betrachtung  erblickt 
man  ferner  auch  an  solchen  Stücken,  welche  nicht  eigentlich  oruamentirt  sind,  ge- 
wisse feine  Striche  und  eigenthümliche  Linien.  So  ist  z.  B.  in  der  kleinen  Grube 
eines  Schäh-hens,  welche  die  Mitte  des  Bodens  einnimmt,  äusserlieh  ein  deutliches 
Kreuz    zu    sehen,    während    sonst    zuweilen    in    ausgedehnter  Weise   auf  der  iuuereu 


(112) 

Flache  tief  eingedrückte  Kreuze  hervortreten.  Sie  können  ferner  auf  der  inneren 
Fläche  eine  Reihe  von  Linien  sehen,  die  nicht  weiter  ausgeführt  sind,  die  aber  ganz 
deutliche  geometrische  Zeichnungen  zusammensetzen.  Jedoch  ist  das  nur  an  nassen 
Objecten  gut  zu  sehen. 

In  verschiedenen  Gräbern,  welche  weiblichen  Personen  angehörten  und  sich 
auch  sonst  als  solche  erwiesen,  fanden  sich  allerlei  Schmuckgegenstände,  namentlich 
mehrfach  blaue  Glasperlen  und  kleine,  jedoch  meist  fast  ganz  verwitterte  glatte 
Berusteinperlen.  Hierhin  gehört  ein  Fund  von  ganz  ungewöhnlicher  Bedeutung. 
Ich  besitze  mehrere  grosse  durchbohrte  Bernsteinperleu,  die  noch  ziemlich  klar  sind. 
Wenn  man  sie  im  vollen  Lichte  betrachtet,  so  zeigen  sie  ganz  eigenthümliche,  strah- 
lige, von  dem  Loche  nach  aussen  gehende  Lichter,  wie  sie  dem  Bernstein  an  sich 
nicht  zukommen.  Wir  haben  es  hier  also  mit  einer  künstlichen  Herstellung  zu 
thun,  und  zwar  mit  einer  solchen,  die  höchst  überlegt  ist.  Wenn  man  nehmlich  in 
die  Oeffnungen  der  Löcher  hineinblickt,  so  sieht  man,  dass  unter  der  Oberfläche 
von  der  Oeffuung  des  Loches  aus  kleine  schräge  Gänge  in  den  Bernstein  hineingear- 
beitet sind.  Es  ist  das  offenbar  sehr  schwierig  herzustellen  gewesen.  Nichtsdesto- 
weniger, wenn  Sie  es  genau  betrachten,  werden  Sie  sich  überzeugen,  dass  es  ganz 
scharf  gebohrte  Gänge  sind ,  die  mit  grosser  Sicherheit  angelegt  und  ausgeführt 
sind.  Bei  Tageslicht  macht  sich  der  Bernstein  in  dieser  Bearbeitung  ausserordentlich 
schön.  Mau  sieht  auch  hieraus,  dass  wir  es  mit  den  Ueberbleibseln  einer  künstlerisch 
vorgeschrittenen  und  verhältnissmässig  reichen  Bevölkerung  zu  thun  haben. 

(14)  Herr  Virchow  berichtet,  unter  Vorlegung  eines  Theiles  der  Fundgegen- 
stände, über 

prähistorische  Funde  hei  Seelow  (Provinz  Brandenburg). 

In  der  vorigen  Sitzung  erhielten  wir  einen  Bericht  des  Herrn  Kreisgerichtsrath 
Ku|chenbuch  über  die  bei  dem  Bau  der  neuen  Eisenbahnlinie  Wriezen- Frankfurt 
a.  d.  0.  in  der  Nähe  von  Seelow  gemachten  Funde.  Da  mir  schon  früher  von  der 
Direction  der  Berlin-Stettiner  Eisenbahn,  welche  auch  diese  Linie  baut,  Miitheilung 
von  diesen  Funden  gemacht  war  und  ich  einen  Besuch  an  Ort  und  Stelle  zur  wei- 
teren Instruction  der  Baubeamten  zugesagt  hatte,  so  waren  die  wichtigen  Bemer- 
kungen des  Herrn  Kuchenbuch  ein  um  so  dringlicherer  Grund  für  mich,  die 
Fundstellen  einer  genaueren  Besichtigung  zu  unterziehen.  Ich  begab  mich  daher 
am  18.  April  mit  meinem  Sohne  Hans  zunächst  nach  Gusow,  wo  mir  Herr  Wall- 
bauni  seine  neueren  Funde  vorlegte,  und  dann  unter  der  Führung  dieses  eifrigen 
Forschers  nach  Seelow,  wo  der  Herr  Sectious-Ingenieur  Müller  mir  die  bis  dahin 
gesammelten  Gegenstände  übergab  und  uns  zu  den  sehr  umfassenden  Durchstichen  und 
Abgrabungen  leitete,  vermittelst  welcher  die  Hahnlinie  von  der  Niederung  des  Oder- 
thals auf  das  Plateau  geführt  werden  soll. 

Die  kleine  Stadt  Seelow  liegt  schon  auf  der  Höhe  des  Plateaus,  jedoch  dicht 
am  Rande  desselben.  Man  hat  von  hier  einen  weiten  üeberblick  über  das  Oder- 
bruch, welches  hier  seine  grösste  Breite  erreicht.  Die  reiche  und  dicht  bevölkerte 
Niederung  liegt  von  dem  Wallberge  bei  Reitweiu  (Sitzung  vom  18.  October  187o), 
der  gegen  Süden  wie  ein  Vorgebirge  vorspringt,  bis  zu  den  Höhen  von  Oderberg 
vor  dem  Beschauer  ausgebreitet;  jenseits  der  Oder  sieht  man  in  weiter  Ferne  die 
neumärkische  Hochfläche  sich  erheben.  Steile  Abfälle,  vielfach  durch  tiefe  Wasser- 
linien eingeschnitten,  begrenzen  das  diesseitige  Plateau.  Sie  bestehen  wesentlich  aus 
diluvialen  Lagen,  welche  oben  mit  Lehm  und  Humus  überdeckt  sind.  Die  Höhen 
steigen    bis    zu    42  Meter  über  den  Amsterdamer  Pegel   an.     Die  Durchstiche  haben 


(113) 

zunächst  eine  mächtige  Lettenschicht,  dann  schieferigen,  sehr  festen  Thon  bloss- 
gelegt;  sie  enden  in  der  Regel  in  einer  mächtigen  Lage  von  grobkörnigem  Diluvial- 
sand.    Darnach  scheiden  sich  die  Funde  sehr  einfach  in  alluviale  und  diluviale. 

Herr  Kuchenbuch  hat  die  verschiedenen  Fundstellen  genau  auseinander  gehalten 
und  ich  kann  im  Allgemeinen  auf  seine  Darstellung  verweisen.  Indess  stimmen  seine 
Angaben  nicht  durchweg  mit  den  Aufzeichnungen  im  Baubureau,  und  ich  werde  daher 
eine  so  weit  als  möglich  topographische  Zusammenstellung  geben,  wobei  ich  nur  be- 
dauern muss,  dass  die  Autheuticität  mancher  Aufzeichnungen  eben  nur  auf  den  An- 
gaben der  Arbeiter  beruht  und  nicht  über  den  Zweifel  erhaben  ist.  Andererseits 
fand  ich  ausser  den  von  Herrn  Kuchen  buch  angegebenen  Kategorien  von  Funden 
noch  eine  weitere ,  uehnilich  unzweifelhafte  Reste  einer  alten  Ansiedelung,  welche 
der  Zeit  nach  von  dem  Gräberfelde  verschieden  ist.  Sie  liegt,  um  die  gewählte 
Reihenfolge  von  Nord  nach  Süd  oder  genauer,  von  Nordost  nach  Südwest  beizube- 
halten, auf  einer  Senkung  des  Plateaus  zwischen  dem  dritten  und  vierten  Bergvor- 
sprung und  auf  dem  letzteren  selbst,  wobei  zu  bemerken  ist,  dass  das  Gräberfeld 
sich  auf  dem  dritten,  und  nicht,  wie  Herr  Kuchenbuch  sagt,  auf  dem  vierten  Vor- 
sprunge befindet.  Zur  genaueren  Verständigung  nehme  ich  die  officielleu  Nummern 
der  einzelnen  Baustrecken  (Stationen),  wie  sie  für  die  Abtheilung  aufgestellt  sind. 
Darnach  fallen 

1)  auf  den  ersten,  nördlichsten  Vorsprung  die  Nummern  278  —  80, 

2)  auf  den  zweiten  die  Nummern  281  —  83, 

3)  auf  den  dritten  284  —  87, 

4)  auf  die  Plateau-Senke  (Mulde)  289  —  91, 

5)  auf  den  vierten  Vorsprung  292  —  93, 

6)  auf  den  fünften  294  u.  s.  w. 
Es  wurden  nun  gefunden: 

1)  in  dem  ersten  Hügel : 

a)  bei  Station  278,  also  im  nördlichsten  Theile  desselben,  im  diluvialen  Sande 
bei  13  Meter  Tiefe,  ein  Bruchstück  von  einem  Extremitätenknochen  eines  grösseren 
Thieres,  wahrscheinlich  eines  Mammuth,  durch  sein  braunes  Aussehen  ausgezeichnet, 
und  das  von  Herrn  Kuchenbuch  als  Rengeweih  (Taf.  VHI,  Fig.  12)  beschriebene 
Stück.  Letzteres  ist  unzweifelhaft  richtig  bestimmt  worden.  Es  ist  die  abgeworfene 
linke  Stange  eines  Renthiers,  und  zwar  ein  Stück  von  ungewöhnlicher  Stärke.  Die 
Schilderung  des  Herrn  Kuchen  buch  ist  insofern  nicht  ganz  genau,  als  er  das 
Stück  als  rundlich  bezeichnet.  Es  ist  vielmehr  sowohl  das  Anfangsstück  der  Stange, 
als  die  Eissprosse  deutlich  abgeplattet.  Erst  weiterhin  werden  die  Stücke  drehrund, 
doch  zeigen  sie  stets  tiefe  und  sehr  einfache  Gefässfurchen.  Die  organische  Sub- 
stanz ist  ungewöhnlich  stark  geschwunden  und  das  Gewebe  daher  sehr  brüchig. 

b)  bei  Station  279  im  Lehm 

bei  2  Meter  ein  Hundescbädel, 
»    4      „       der  Oberkiefer  eines  Schweines, 
ferner  im  Diluvium  •  ^ 

bei  10  Meter  ein  grosses  gelbbraunes  Stück  vom  Os  humeri  des  Mammuth, 
„     15      „       Pferdezühne,  zwei  Riudszähne  und  ein  Stück  deutlich  bear- 
beiteter  Rehsprosse.     Letztere  habe  ich  selbst  gesehen,   indess  kann 
ich  für  die  Zuverlässigkeit  der  Fundangabe  natürlich  nicht  stehen. 
2)  auf  der  Höhe  des  dritten  Hügels 
bei   Station    285    liegt    das    erwähnte   Gräberfeld.     Aeusserlich  ist  au  dieser  Stelle 
nichts  zu  sehen,  da  dieselbe  seit  langer  Zeit  unter  dem  PÜuge  gehalten  ist.     Indess 

Verhaudl.  der  Berl.  Auttiroi'ol.  Gesellscliafl.     Is7i.  »  o     • 


(114) 


handelt  es  sich  um  einen  ziemlich  ausgedehnten  Friedhof  der  Bronzezeit:  die 
Leichen  sind  verbrannt  und  ihre  Reste  in  thönernen  Urnen  beigesetzt  worden.  So 
gewöhnlich  diese  Uruenfelder  bei  uns  sind,  so  hat  das  Seelower  doch  manches  Be- 
merkenswerthe.  Schon  die  Urnen  selbst  zeigen  einen  für  unsere  Gegenden  abwei- 
chenden Styl.  Mit  Ausnahme  der  kleinen  und  höchst  originellen  Kinderklapper 
(Taf.  VIII,  Fig.  5),  welche  die  blassröthliche  Farbe  von  gebranntem  Thon  hat,  zeigen 
alle  übrigen  Gefässe  eine  schön  schwarze  oder  schwärzlich-graue  Farbe  und  eine 
glänzende,  wenn  auch  keineswegs  ganz  ebene  Oberfläche.  Der  Thon  ist  von 
etwas  feinerer  Art,  auf  dem  Bruch  blätterig,  schwarz  und  mit  Granitgrus  gemengt; 
die  Wände  etwas  dünn;  Zeichen  der  Töpferscheibe  nicht  bemerkbar.  Die  Mehrzahl 
der  erhaltenen  Gefässe  ist  klein,  namentlich  niedrig,  mit  weitem  Bauch,  kurzem  Hals, 
weiter  Mündung,  einfachem  Rande  und  flachem  oder  leicht  concavem  Boden.  Fast 
alle  haben  zwei  sehr  enge  Oehsen  am  üebergauge  des  Bauches  zum  Halse.  Die 
Mehrzahl  zeigt  um  den  weitesten  Theil  des  Bauches  zierliche  und  sehr  zart  gehaltene 
Ornamente  in  Form  eines  Gürtels  (Taf.  VIII,  Fig.  1—4).  Indess  fand  ich  auch 
einzelne  Stücke  von  schön  schwarzen  Gefässen  mit  vollkommener  Ornamentik:  hori- 
zontalen Kränzen  und  kurzen,  blattartigen  Eindrücken,  unter  denen  Guirlanden  von 
gekrümmten  Linien  hängen. 


Es  war  ausser  gebrannten  Knochen  viel  Bronze  darin,  aber  ungewöhnlich  stark 
durch  das  Feuer  zerstört,  so  dass  die  meisten  Stücke  aussehen,  wie  jene  ßleiklum- 
peü,  welche  die  Kinder  zu  Neujahr  giessen. 

Wenn  Herr  Kuchenbuch  aus  diesen  Stücken  auf  eine  alte  Giessstätte  schliessen 
sollte,  so  möchte  ich  ihm  widersprechen.  Alle  diejenigen  Klumpen,  welche  ich  erhielt, 
sind  durch  den  Leichenbrand  zusammengeschmolzen.  Man  sieht  an  einzelnen  noch 
deutlich,  dass  es  sehr  zusammengesetzte  Sachen  waren;  ich  glaube  namentlich  üeberreste 
von  Ohrringen,  Fibeln,  kleinen  Blechen  zu  erkennen,  Gut  erhalten  sind  nur  einige  durch- 
bohrte Perlen  von  Bronze,  ein  sehr  dicker  und  enger  Ring  und,  wenigstens  zum  grossen 
Theil,  jenes  höchst  merkwürdige,  schon  von  Hrn.  Kuchenbuch  beschriebene  (Taf.  VIIl, 
Fig.  7)  Stück,  welches  man  wohl  als  das  Vorbild  des  Ordens  vom  goldenen  Vliess 
bezeichuen  könnte.  Es  ist  hier  ein  Lindwurm  abgebildet  mit  vier  kurzen  Beinen, 
einem  runden  Leib,  länglichem  geradem  Schwanz,  niedergebogenem  Kopf  und  grossem, 
weit  aufgesperrtora  Raclieu.     Der  Lindwurm  bat    oben    am  Rücken    einen  Ring,    der 


(115) 


zerdrückt  ist  und  jetzt  eng  anliegt;  der  Ring  scheint  früher  an  einer  mit  drei  OefF- 
nungen  versehenen  Platte  angehängt  gewesen  zu  sein,  welche  jetzt  freilich  dem 
Rücken  des  Thieres  eng  aufliegt  und  durch  den  Rost  damit  verklebt  ist.  Wahr- 
scheinlich ist  die  Platte  an  irgend  etwas  befestigt  gewesen,  so  dass  der  Lindwurm 
frei  beweglich  daran  liing,  ungefähr  wie  auch  das  goldene  Vliess  getragen  wird.  Es 
ist  ein  sehr  merkwürdiges  Ding,  denn  unter  den  Thierbildungen  aus  Bronze,  die 
wir  bisher  besitzen,  ist  meines  "Wissens  ein  Reptil  noch  nicht  vorhanden,  und  da  an 
der  Echtheit  des  Stückes  nicht  zu  zweifeln  ist,  so  werden  Sie  gewiss  mit  grossem 
Interesse  sehen,  wie  unsere  Vorfahren  schon  auf  diese  Idee  gekommen  sind.  Das 
Einzige,  was  man  allenfalls  damit  vergleichen  kann,  ist  eine  Zeichnung  auf  einer 
pomerellischen  Gesichtsurne,  welche  ich  früher  beschrieben  habe  (Zeitschrift  für  Ethno- 
logie lb70.  Bd.  11,  S.  81.  Fig.  8).  Vielleicht  ist  es  nicht  ohne  Bedeutung,  dass 
gerade  die  Gesichtsurnen  ähnliche  zirkelartige  Zeichnungen  um  den  Bauch  tragen, 
wie  sie  auch  hier  vorkommen. 

3)  auf  der  Plateausenkung 
bei  Station  290  ist  eine  ganze  Reihe  von  Funden  diluvialer  Säugethierknochen 
gemacht  worden,  von  denen  die  meisten  leider  schlecht  bestimmt  sind.  Nur  für  zwei 
Stucke,  einen  Backenzahn  und  ein  Extremitätenstück  vom  Mammuth,  ist  notirt, 
dass  sie  im  Saude,  ersteres  bei  3,  letzteres  bei  4  Metern  Tiefe  ausgegraben  sind. 
In  der  Tiefe  von  einigen  Metern  „in  einfallender  Schicht"  lag  das  linke  Hörn  eines 
Auerochsen  und  ein  Stück  vom  Kopfe  eines  Bison.  Ebenso  wurde  in  dieser  Gegend 
eine  sehr  starke  Rehkrone  mit  geschabten  Stellen  gefunden. 

Bei  Station  292,50  wurden  zwei  Stosszähue  vom  Mammuth  getroffen,  welche 
jedoch  leider  die  Arbeiter  gänzlich  zertrümmerten;  es  ist  nichts  von  ihnen  erhalten 
worden. 

An  dieser  Stelle  und  zwar  gleichfalls  bei  Station  290,  fiel  mir  schon  von  Weitem 
an  der  Wand  des  steilen  Durchstiches  eine  umfangreiche,  schwarze  Fläche  auf, 
welche  sich  von  der  Oberkante  her  weit  in  die  Tiefe  senkte  und  den  Zwischenraum 
zwischen  zwei  niedrigeren  Erhebungen  des  Bodens  ganz  ausfüllte.  Sehr  bald  fanden 
sich  Thonscherben  und  geschlagene  Thierkuochen  darin,  und  in  einer  Tiefe  von 
2,3  Metern  eine  Heerdstelle,  gebildet  aus  einer  doppelten  Lage  geschlagener  und 
zum  Theil  gebrannter  Geröllsteine,  bedeckt  mit  Kohlenstückeu,  zahlreichen  Scherben 
von  Töpfen  und  Knochen.  Diese  schwarze  Schicht  senkte  sich  an  einer  Stelle  bis  zu 
8  Meter  in  die  Tiefe.  Gegen  das  anstossende  Erdreich  war  sie  überall  durch  eine  gelbe 
harte  Thonschicht  abgegrenzt,  welche  durch   das  Eiufliessen   von  Wasser  gebildet  zu 

sein  scheint.  Die  Knochen,  welche  hier  vorkamen, 
gehörten  fast  ausnahmslos  Hausthieren  an,  nament- 
lich dem  Schwein  und  Rind,  doch  waren  auch 
Hirschreste  darunter.  Das  Thongeräth  war  ganz 
verschiedeu  von  dem  des  Gräberfeldes.  Es  fand 
sich  kein  einziges  schwarzes  und  glattes  Stück: 
überall  waren  es  rauhe,  sehr  harte,  dicke,  graue 
Scherben  von  der  rohesten  Art,  einzelne  mit  Hori- 
zontalfurcheu,  einige  wenige  auch  mit  dem  Wellen- 
ornament. Danach  kann  es  nicht  zweifelhaft  sein, 
dass  wir  hier  auf  ein  altes  Kjokkcnmödding  oder, 
anders  ausgedrückt,  auf  eine  alte  Ansiedelung 
gestosseu  sind.  Im  Grossen  gehört  dieselbe  sicherlich  der  Zeit  der  nordischen  Pfahl- 
bauten an,  wie  ich  ja  auf  der  Oder-Insel  bei  Glogau  ausgedehnte  üeberreste  analoger 
Art  nachgewiesen  habe  (Sitzung  vom  24.  Juni   1871). 


(116) 

4)  Auf  der  letzten  Höhe  bei  Station  293  war  in  einer  Tiefe  von  P/i  Meter  im 
„Humus"  der  von  Herrn  Kuchenbuch  erwähnte,  bearbeitete  Stein  (Taf.  VIII  Fig.  6) 
und  bei  4  Metern,  gleichfalls  im  „Humus",  ein  grosses  Hirschgeweih  gefunden.  Die 
genauere  Besichtigung  dieser  Stelle  ergab  auch  hier  eine  ähnliche  Zusammensetzung 
des  Bodens,  wie  bei  Station  290.  Zuoberst  schwarze,  kohlige  Schichten  mit  Topf- 
scherben und  Knochen,  stellenweis  in  grössere  Tiefen  reichend;  darunter  wellige 
Lager  von  Lehm  in  geringer  Stärke,  und  endlich  leichte  Hügel  von  Sand  und 
anderen  Diluvialschichten. 

Seit  der  Zeit  meines  Besuches  in  Seelow  habe  ich  durch  Herrn  Ingenieur 
Müller  noch  eine  Reihe  von  analogen  Gegenständen  mit  der  Bezeichnung:  „aus 
dem  Kiesberge  bei  Werbig"  erhalten.  Ausser  einem  menschlichen  Oberkiefer  und  einem 
Hunde-Unterkiefer  sind  es  hauptsächlich  Ueberreste  von  Thougeräth,  namentlich  von 
Töpfen,  und  einige  Eiseusacheu,  namentlich  eine  Lanzenspitze  mit  breitem  und  langem 
Blatt,  und  ein  Messer.  Unter  den  Thonsacheu  befindet  sich  ein  wohlerhaltener,  schwärz- 
licher niedriger  Topf  mit  weiter  Mündung,  geradem  kurzem  Halse  und  abgerundeter,  in 
der  Mitte  eingedrückter  Bodenfläche  von  sehr  grober  Masse  und  ohne  alle  Verzierungen ; 
er  ist  65  Mm.  hoch  und  misst  95  Mm.  in  der  Weite.  Die  übrigen  Stücke  sind 
Scherben  von  zum  Theil  beträchtlicher  Grösse,  offenbar  gleichfalls  von  weiten  und 
niedrigen  Töpfen  ohne  Henkel.  Einzelne  von  ihnen  sind  so  stark  vom  Feuer  an- 
gegriffen, dass  sie  in  eine  blasige,  schwammige  Masse  verwandelt  und  ganz  zusam- 
mengebacken sind.  Sie  sind  noch  ganz  von  Kohle  umhüllt.  Die  meisten  sind 
hellgrau  oder  schwärzlich  grau,  und  eine  nicht  geringe  Zahl  zeigt  sehr  ausgeprägte 
Ornamente,  und  zwar  stets  nach  dem  Typus  der  Burgwall-Gefässe.  Die  Wellenlinie 
ist  vertreten,  obwohl  seltener,  dagegen  tiefe  Eindrücke  mit  mehrzinkigen  Werkzeugen 
oder  Kränze,  gebildet  aus  fortlaufenden  Reihen  tiefer,  schräger  Elatt-Eiudrücke,  recht 
häufig.  Sehr  ausgezeichnet  ist  die  in  den  Burgwällen  so  gewöhnliche  Zeichnung  aus 
dicht  stehenden  Parallellinien,  welche  sich  über  die  ganze  Fläche  des  Bauches  er- 
strecken. Nur  ist  es  das  Besondere  dieser  Fundstelle,  dass  sämmtliche  Zeichnungen 
ungewöhnlich  tief  eingegraben  sind. 

Zum  Schlüsse  erwähne  ich,  dass  mir  Herr  Wallbaum  neue  Topffuude  zeigte, 
die  er  bei  Platko  rechts  von  der  Mühle  gemacht  hatte.  Es  waren  weite  Töpfe  von 
der  Form  der  Burgwalltöpfe,  jedoch  mit  stehenden  Ornamenten.  So  sind  nament- 
lich die  Wellenlinien,  ähnlich  wie  an  modernen  ägyptischen  Töpfen,  senkrecht  ge- 
stellt und  nicht,  wie  sonst  bei  uns,  horizontal.  Einzelne  derselben  waren  mit  Korn 
gefüllt.  Dagegen  fand  er  links  am  Wege  Urnen,  welche  dem  Lausitzer  Typus  ent- 
sprechen.    Ebenso  bei  Gusow  (Sitzung  vom  17.  October  1874). 

(15)  Durch  Vermitteluug  des  Kaiserlich  Brasilianischen  Gesandten,  Baron 
de  Jaurü,  ist  eine  Reihe  von  Schädeln  und  Skeletten  aus  Brasilen  eingegangen, 
über  welche  später  genauer  berichtet  werden  wird. 

Seine  Majestät  der  Kaiser  von  Brasilien  hat  bei  dieser  Gelegenheit  folgendes 
Handschreiben  an  den  Vorsitzenden  gerichtet: 
Mr.  le  Professeur 

Mr.  le  Dr.  Hilario  de  Gouvea  m'a  exprime  le  desir  que  vous  aviez  d'etudier 
des  cränes  dTndiens  du  Bresil.  J'ai  charge  le  directeur  du  Museum  de  Rio,  Mr. 
Ladislao  Neto  d'en  arranger  quelques  uns,  ainsi  que  des  ossements,  et  je  vous  les 
envoie  avec  beaucoup  de  plaisir.  La  caisse  porte  votre  adresse  et  le  No.  2,  et  est 
expedice  par  Tentremise  du  Ministre  du  Bresil  a  Berlin.  J'ai  examine  la  collection 
avec  attention,  et  je  crois  la  uotice  ci-jointe  exacte.  J'espere  que  cet  envoi  vous 
iuteressera. 


(117) 

Je  regrette  infinimcnt  de  ne  pas  voiis  avoir  connu  ä  Berlin,  oii  je  tous  ai 
cherche,  comme  vos  travaux  sont  gencralement  estimes,  meme  par  ceux  qui  ne 
peuvent  etre,  comme  moi,  que  des  amateurs  de  science.  J'espere  que  vous  ne 
tarderez  pas  a  me  donner  une  notice,  au  moins,  de  vos  nouveaux  travaux,  en  etant 
sür  de  l'estime    que  vous  conserve  un  des    affectionnes    des    sciences  naturelles,    et 

partant  le  votre  aussi 

D.  Pedro  d'Alcantara. 

Rio,  15  Mars  1875. 

Der  Vorsitzende  spricht  dem  erhabenen  Geber  seineu  und  der  Gesellschaft  tief- 
gefühlten Dank  aus  und  bemerkt,  dass  \orstaud  und  Ausschuss  schon  in  Berathung 
getreten  seien,  um  für  ein  so  ungewöhnliches  Wohlwollen  die  Anerkennung  der  Ge- 
sellschaft in  angemessener  Form  auszudrücken. 

(16)     Geschenke: 

1)  G.  Cora:    Cosmos  fasc.  VII. 

2)  v.  Miklucho-Maclay:    ein  Artikel  über  die  Papuas, 

3)  Ein  Bericht  des  Vereins  für  Hessische  Geschichte  und  Landeskunde. 

4)  Realschuldirector  Prof.  Dr.  Buchen  au  in  Bremen:  Mittel  zur  Feststel- 
lung der  gegenwärtigen  Vertheilung  der  Rassen  der  Landbevölkerung 
Deutschlands.  (Mittheilungen  aus  der  Realschule.  An  das  Elternhaus. 
1875,  Nr.  11.) 


Sitzung  vom  19.  Juni   1875. 
Vorsitzender  Herr  Virchow. 

(1)  Der  Vorsitzende  verkündet,  dass  in  gemeinschaftlicher  Sitzung  des  Vor- 
standes und  des  Ausschusses  beschlossen  worden  ist,  Seiner  Majestät  dem  Kaiser 
Dom  Pedro  IL  von  Brasilien  die  Ehrenmitgliedschaft  des  Vereins  anzubieten. 

Herr  Dr.  v.  Mikluclio  Maclay  ist  zum  correspondirenden  Mitgliede  der  Gesell- 
schaft gewählt  worden. 

(2)  An  Stelle  des  Herrn  Rosenberg,  der  schon  vom  Magistrat  selbst  zum 
Mitgliede  des  wissenschaftlichen  Comites  beim  märkischen  Provinzialmuseum  ernannt 
worden  ist,  hat  der  Vorsitzende  Herrn  A.  Kuhn  als  Delegirten  berufen.  Nachdem 
die  Bestände  des  Museums  in  schnellem  Wachsen  begriffen  sind,  haben  die  städtischen 
Behörden  die  üeberführung  desselben  in  ein  besonderes  Gebäude  in  der  Klosterstrasse 
beschlossen. 

(3)  Herr  Kopernicki  in  Krakau  dankt  für  seine  Ernennung  zum  correspondiren- 
den Mitgliede,  und  übersendet  verschiedene  Druckschriften,  ferner  Photographien  des 
Lama  und  des  Manuscriptes  der  Kalmücken,  über  welche  er  der  Pariser  anthropologischen 
Gesellschaft  (Bullet,  de  la  Soc.  1873.  T.  VIII,  p.  99)  berichtet  hat,  sowie  vier  Schädel 
Siebenbürgischer  Sachsen  nebst  folgenden  wichtigen  Mittheilungen  über 

antliropologische  Erhebungen  in  Galizieu. 

Die  Separatabdrücke  aus  den  Sitzungsberichten  der  Physik.-Mathem.  Classe  der 
Krakauer  Akademie  der  W^issenschaften  enthalten  meinen  vorläufigen  Bericht  über 
die  Schädel  aus  galizischen  Hügelgräbern,  worüber  ich  eine  umfassendere  Abhandlung 
mit  schönen  Abbildungen  vorbereite.  —  Ferner  finden  Sie  darin  die  von  hiesiger  aka- 
demischer (Jommission  für  Anthropologie,  Ethnologie  und  Urgeschichte  verfassten  In- 
structionen, betreffend  das  Sammeln  von  anthropologischen,  ethnologischen  und  sta- 
tistisch-anthropologischen Beobachtungen  und  Daten. 

Pen  ersten  Versuch  der  anthropometrischen  Beobachtungen  an  lebenden  Indivi- 


(119) 

duen  machten  wir  eben  bei  der  jetzigen  Rekrutirung  in  Galizien.  Wir  waren  auch 
darin  viel  glücklicher  als  Sie,  denn  in  Folge  unserer  Einladung  an  die  betreffenden 
Behörden  fliessen  uns  schon  zahlreiche  und  sehr  brauchbare  Daten  ein.  —  Kopf- 
und  Gesichtsraessungen  konnten  leider  nur  selten  gemacht  werden.  —  Die  Angaben 
über  den  Wuchs,  die  Gestaltung  des  Kopfes  und  Gesichtes,  über  die  Färbung  der 
Haut,  der  Haare  und  der  Augen  werden  gar  viele  sein.  —  Ich  selbst  vermochte  bei 
der  Rekrutirungs-Commission  in  Krakau  nicht  eine  einzige  Messung  an  150  Juden 
und  eben  so  viel  Christen  auszuführen;  alle  andere  Daten  aber  sammelte  ich  massen- 
haft. —  Kurz,  ich  hege  die  Hoffnung,  dass  die  heuer  in  Galizien  auf  diesem  Wege 
gesammelten  Beobachtungen  zu  instructiven  Winken  über  die  physischen  Eigenthüm- 
lichkeiten  der  ethnischen  Hauptgruppen  hiesiger  Bevölkerung:  Polen,  Ruthenen  und 
Juden,  darunter  der  Bergbewohner  und  Flachländer,  führen  werden.  —  Weitere  der- 
artige Beobachtungen  mit  genauen  Kopfmessungen  an  lebenden  Individuen  werden 
sicherlich  nach  zwei  Jahren  positivere  Resultate  ergeben.  — 

Die  Anthropologische  Commission  der  hiesigen  Akademie,  bei  welcher  ich  als 
Schriftführer  fungire,  ist  ferner  bestrebt,  stabile  Beobachtungsstationen  im  Lande  zum 
Sammeln  von  allerlei  anthropologischen  und  ethnologischen  Daten  einzurichten.  Die 
hiermit  verbundenen  Vorarbeiten,  Correspondenzen,  Verfassung  der  Pläne  und  dgl. 
absorbiren  mich  so  sehr,  dass  ich  kaum  zu  Athem  kommen  kann ;  dies  ist  auch  der 
Grund,  weshalb  es  mir  beim  besten  Willen  unmöglich,  war,  eher  an  Sie  zu 
schreiben. 

Zum  Schlüsse  theile  ich  Ihnen  noch  mit,  dass  Hr.  Sadawski,  der  zugleich  mit 
mir  die  Ehre  hatte,  Sie  in  unserem  archäologischen  Museum  zu  begleiten,  neulich 
in  der  archäologischen  Commission  eine  sehr  gelehrte  und  gründliche  Arbeit: 
„Ueber  die  Handelswege  der  alten  Griechen  und  Römer  nach  den  bal- 
tischen Seeküsten"  vorgetragen  hat,  und  dass  dieselbe  in  den  Denkschriften  der 
Krakauer  Akademie  der  Wissenschaften  gedruckt  werden,  überdies  im  Besonderen  in 
deutscher  üebersetzung  erscheinen  wird. 

(4)  Herr  v.  Frautzins  übersendet  folgende 

ethuologlsche  (Jegenstände  aus  Costarica: 

1)  eine  Flöte  aus  Thon,  aus  einem  ludianergrabe  in  Costarica  (Westküste),  choro- 
tegischen  oder  nahuatlacischen  Ursprunges.  In  Costarica  werden  diese  Flöten 
bei  grösseren  Festlichkeiten  heutigen  Tages  noch  gebraucht,  gewöhnlich  von 
einem  alten  Indianer  mit  Haarzopf  geblasen  und  mit  einer  Trommel  be- 
gleitet. Diese  Flöte  heisst  in  Costarica  „chirimia"  und  wird  mittelst  eines 
Rohransatzes  geblasen. 

2)  zwei  Federkopfschmucke  der  Viceitaindianer  in  Costarica;  von  Jose  C. 
Zeledon  im  Jahre  1874  mitgebracht. 

3)  zwei  Halsschmucke  aus  Zähnen  und  Glasperlen,  wie  ihn  die  Viceitaindianer 
in  Costarica  tragen.  Von  Jose  C.  Zeledon  auf  einer  im  Jahre  1874  in  das 
Gebiet  jener  Indianer  (Ostküste)  unternommenen  Forschungsreise  gesammelt. 

(5)  Herr  Virchow  zeigt  zwei,  ihm  von  dem  Lehrer  Herrn  Piater   zu  Werben 

übergebene 

Stciiigerüthe  aus  Grabiirneii. 

Dieselben  sind  der  Angabe  nach  in  einer  Urne  etwa  300  Schritte  vom  Dorfe 
Werben  beim  Rigolen  l'/j  fuss  tief  im  Acker  gefunden  worden.  Nicht  weit  davon  lag 
in  der  Erde  eine  grössere  Menge  Feldsteine,  etwa  ein  halber  Schubkarren  voll.    Da 


(120) 

sonst  auf  der  ganzen  Feldmark  keine  Feldsteine  vorkommen,  so  hält  Herr  Fiat  er 
dieselben  für  ein  Zubehör  des  Grabes.     Die  Urne  war  leider  zertrümmert. 

Von  den  Steingeräthen  ist  das  eine  ein  grob  polirter  Steinhammer  von  unregelmässig 
fünfeckiger  Gestalt  und  nicht  durchbohrt,  aus  Glimmerschiefer.  Die  Form  ist  nicht  ganz 
ungewöhnlich  bei  uns,  jedoch  sehr  auffällig  als  Urnenfund.  Da  die  Urne  zertrüm- 
mert war,  so  liesse  sich  allerdings  ein  Missverständniss  annehmen.  Indess  spricht 
dagegen  der  zweite  Fund. 

Dies  ist  nehmlich  ein  unzweifelhafter  Käsestein  aus  rothem  Sandstein,  ganz 
ähnlich  den  früher  (Sitzung  vom  13.  Januar  und  12.  October  1872)  beschriebenen  aus 
Zaborowo  und  Alt-Lauske  in  Posen.  Er  ist  sehr  regelmässig  polirt,  mit  gut  gerun- 
deten Kanten,  wenig  vertieften  Flächen,  und  durch  seine  beträchtliche  Grösse  (58 
Mm.  Breite,  36  Mm.  Höhe)  von  den  früheren  verschieden.  Das  bisher  so  beschränkte 
Gebiet  dieser  Funde  ist  damit  auf  einmal  bis  diesseits  der  Oder  ausgedehnt  worden. 
Das  Dorf  Werben  liegt  hart  am  Spreewalde,  also  in  der  Lausitz. 

(6)  Der  Herr  Cultusminister  übersendet  abschriftlich  Berichte  des  Herrn  Studien- 
rathes  Müller  zu  Hannover  über  neuere  Ausgrabungen  auf  dem  Gräberfelde  bei 
Rosdorf,  Amtes  Göttingen,  und  der  Generalverwaltung  der  Königlichen  Museen  über 
neuere  Anerbietungen  des  Herrn  Thärmann  zu  Hohenkirchen,  welche  abgelehnt 
worden,  weil  Zweifel  an  der  Zuverlässigkeit  der  Gegenstände  entstanden  sind. 

(7)  Herr  Dr.  J.  Gildeineister  berichtet  in  einem  Briefe  an  den  Vorsitzenden  über 

nene  Schädelfunde  am  Domlberge  zn  Bremen. 

„Bei  einem  Neubau  in  der  Nähe  des  Domes  ist  wieder  eine  Reihe  von  Schädeln 
gefunden,  die  fast  alle  Ihrem  chamaecephalen  Typus  angehören  und  von  denen  zwei, 
deren  Gypsabgüsse  wir  beifolgen  lassen,  ein  ganz  besonderes  Interesse  in  Anspruch 
nehmen  dürften. 

„Der  Kephalone  erreicht  einen  Inhalt  von  2050  Cc.  und  hat  bei  einer  Länge  von 
21  und  Höhe  von  13,2  (mit  dem  Tasterzirkel  gemessen)  den  immerhin  geringen 
Höhenindex  von  62,8.  Er  wurde  in  einem  Steinsarge  gefunden,  der,  freilich  ohne 
Deckel  und  mehrfach  zerbrochen,  nicht  mehr  in  seiner  ursprünglichen  Lage  zu  sein 
schien,  welchem  er  aber  vielleicht  doch,  besonders  in  Berücksichtigung  der  von  Ihnen 
erwähnten  analogen  Funde,  als  von  Anfang  an  angehörig  zu  betrachten  sein  dürfte. 

„Ganz  ausserordentlich  niedrig  ist  der  andere  Schädel,  mit  einem  Höhenindex 
von  nur  59,5  (Länge  20,  Breite  15,  Höhe  11,9,  Inhalt  1480  Cc).  Er  wurde  in  be- 
deutender Tiefe  gefunden.  Dass  die  verknöcherte  Pfeilnath  nicht  als  Grund  seiner 
eigcnthümlichen  Form  anzusehen  ist,  dieselbe  vielmehr  die  extreme  Entwickelung 
eines  Typus  darstellt,  wird  sich,  wie  ich  glaube,  aus  der  Ausmessung  der  übrigen 
24  Schädel  ergeben,  unter  denen  ich  bis  jetzt  die  Höhenindices  61,  64,8  und  66 
verzeichnet  habe.  Augenblicklich  lässt  der  hiesige  ärztliche  Verein  noch  von  einigen 
anderen,  durch  Fundort  oder  Form  interessanteren  Schädeln  Gypsabgüsse  anfertigen,  und 
wird  sich  ein  Vergnügen  daraus  machen,  Ihnen  dieselben  zur  Verfügung  zu  stellen."  — 

Der  Vorsitzende  bestätigt  die  Richtigkeit  der  gestellten  Diagnosen  nnd  bezeichnet 
die  übersendeten  Abgüsse  als  typische  Modelle  der  von  ihm  beschriebenen  Formen. 
Der  Umstand,  dass  auch  hier  jetzt  einer  jener  Steinsärge  des  10.  oder  11.  Jahrhun- 
derts gefunden  ist,  war  ihm  schon  durch  Herrn  v.  Alten  bekannt  geworden;  es 
wird  damit  die  Bedeutung  der  früheren  Funde  in  Oldenburg  noch  mehr  ins  Licht 
gestellt, 


(121) 

(8)  Auf  Anregung  und  durch  gütige  Vcrniittelung  des  Herrn  Generalconsul 
Rehren  d  hierselbst  übersendet  der  Kaiserlich  deutsche  Geschäftsträger  und  General- 
Consul  zu  Lima,  Dr.  Lührsen,  folgenden  Brief  vom  27.  April  d.  J.  mit  der  An- 
meldung  einer  Sammlung 

pernanischor  Schädel. 

Endlich  bin  ich  im  Stande,  Ihnen  meine  im  Mai  v.  J.  gegebene  Zusage,  Ihnen 
zu  einer  Sammlung  alter  Indianer-Schädel  behülflich  zu  sein,  zu  erfüllen.  —  Mit  dorn 
Hamburger  Kosmos-Dampfer  „Memphis"  ist  am  20.  April  eine  Kiste,  enthaltend  perua- 
nische Alterthüraer,  an  die  von  Ihnen  seiner  Zeit  aufgegebene  Adresse  in  Hamburg 
abgegangen;  das  betreffende  Connossement  habe  ich  an  Flerrn  Carl  Rosdal  in  Ham- 
burg eingesandt. 

Diese  Sammlung  stammt  aus  Ancon,  einem  kleinen  Orte  an  der  See,  in  Eisen- 
bahnverbindung mit  Lima  und  nördlich  davon  gelegen.  Es  ist  ein  von  der  See 
sanft  ansteigendes  Plateau,  zwischen  hohen  Bergen  eingeschlossen,  reiner  beweglicher 
Sand,  ohne  jegliche  Spur  irgend  einer  Vegetation,  ein  mehrere  Quadratnieilen  grosses 
Todtenfeld.  Die  zu  Mumien  aufgetrockneten  Leichen  sind  in  drei  verschiedenen  Arten 
beerdigt,  die  sich  in  Schichten  zertheilen  lassen.  Die  mittlere  Schicht  ist  liegend, 
während  die  obere  und  die  untere  (letztere  bis  zu  5  Metern  tief)  die  Todten  meist 
im  Kreise  in  kauernder  Stellung  beherbergen.  Die  untere  Schicht  scheint  die  der 
vornehmsten  Leute  zu  sein;  die  Leichen  sind  ganz  eingewickelt  und  haben  zum 
Theil  einen  falschen,  aus  Holz  geschnitzten  Kopf,  indess  auch  eingewickelt,  so  dass 
nur  die  Nase  und  Ohren  herausgucken;  letztere  mit  den  bekannten  Ohrenhölzern 
(orejas)  verziert. 

Die  Sammlung,  welche  Ihnen  zu  übersenden  ich  mir  erlaube,  ist  ein  Theil 
derjenigen,  welche  Herr  Dr.  W.  Reiss  aus  Mannheim  in  Ancon  gesammelt  hat,  der 
dabei  zu  höchst  merkwürdigen  Aufschlüssen  gelangt  ist;  ich  will  indess  Herrn  Reiss 
in  der  Publication  seiner  Erforschungen  nicht  vorgreifen.  — 

Welchem  Indianerstamme  die  Schädel  angehören,  die  ich  Ihnen  übersende,  ist 
wohl  unmöglich  zu  bestimmen.  Indess  hoffe  ich,  in  nicht  zu  langer  Zeit  Schädel 
(spitze)  der  Aimaraas  im  Süden  der  Republik  einsenden  zu  können,  welche  mir  Se. 
Excellenz  der  Präsident  gütigst  in  Aussicht  gestellt  hat. 

(0)     Herr  Director  Schwartz  übersendet  d.  d.  Posen,  15.  Mai,  folgende 

Nachträge  zu  deu  Posener  Materialien  zur  prähistorischen  Karte. 

I.     Aus  den  Acten  des  hiesigen  Ober -Präsidiums,  und  zwar  von  den  Jahren 

1819-1852. 

1)  Lakomowo  (4)    In  einem   Hügel   in   einer  mit  flachen  Steinen  ausgelegten  Grube 

Urnen. 
Schwerin  a/W.  (2)    Bei   der  Obra-Mühle    Urnen,    „in  einer  eine  5'  lange  messin- 
gene (?)  Nadel". 

2)  Nieszewice    (10)    Unter    dem    evangelischen    Kirchhofe    eine    Schicht    heidnischer 

Gräber;  von  einem  dann,  heisst  es,  „in  einem  gut  eingerichteten,  aus 
platten  Steinen  formirten  Gewölbe"  7  Urnen  mit  Deckeln,  daneben  ein 
Henkeltöpfchen  von  der  Grösse  einer  Obertasse.  Inhalt:  einige  metallene 
Ringe  (zum  Theil  wie  ein  Ohrgehänge)  und  ein  ganz  runder,  noch  ziem- 
lich spitzer  Donnerkeil. 

3)  Waschke  (12)    Auf  der  Schnitsch  (Sniec),    einem  Stück  Landes    von  einer  halben 

G -Meile,  welches  (im  Jahre  1824  nehmlich)  streitig  zwischen  dem  Domin. 
Pawelwitz   und  Waschke,  sowie  den  Tschirnauer  Stiftsgütern  in  Schlesien, 


(122) 

an  der  schlesischen  Grenze,  8  Grabhügel.  In  der  Gegend  gefunden:  stei- 
nerne Streitäxte,  stählerne  Lanzenspitzen,  ürnenscherben  von  ebenso  sonder- 
barer Form  als  Masse,  versteinerte  (? !)  Menschenknochen  u.  s.  w.  In  der  Erde 
an  einer  Stelle  ein  völlig  gemauerter  Heerd  von  Feldsteinen,  4  Steine  über 
einander,  gegen  4  Ellen  lang  und  3  breit,  auf  demselben  Spuren  von  Asche, 
unter  demselben  eine  Wölbung  von  Kalk  und  Ziegeln,  letztere  bis  auf  wenige 
Stücke  ganz  zerreibbar. 

4)  Rostarzewo  (3)    Am  Abfluss  des  oberen  Sees  in  den  unteren,  bei  Wollstein,  liegt 

ein  ziemlich  hoher  Berg  (Schwedenschanze  genannt),  dort  Urnen,  in 
einer  das  Eisen  eines  Spiesses,  in  einer  anderen  „eine  Scheere,  wie  die 
Schäfer  zum  Scheeren  der  Schaafe  haben,  d.  i.  zum  Zusammendrücken;  eine 
irdene  Wiertel".     (Vgl.  Sitzung  vom  16.  Januar  und  14.  Mai  1875). 

5)  Gurschen  (8)    Auf  einer  Fläche  von  einer  halben  D-Meile  12  Familiengräber;  um 

eine  grosse  ürue,  die  stets  einen  Deckel  hatte,  kleinere  Gefässe  (eine  Urne 
hatte  besonders  schöne  Form  und  mancherlei  Verzierungen).  In  den  Urnen 
Knochen,  in  den  kleinen  Gefässen  Sand". 

6)  Kempen.      Auf  dem  sogenannten  Mühlenberge  Urnen,   „in  einer  derselben,  welche 

einer  sogenannten  Fletsche  (hohem  Napfe)  glich,  woran  ein  Henkel,  befand 
sich  ein  zweites,  kleines,  ähnliches  Gefässchen". 

IL     Neuere  Mittheilungen. 

1)  Bromberg.     Am  2.  d.  M.   wurde  auf  dem  Grundstücke  des  Herrn  Maurermeisters 

Weihe  (Berliner  Strasse)  beim  Ausgraben  eines  Brunnenkessels  eine  alte 
Begräbnissstätte  aufgefunden.  Dieselbe  lag  vier  Fuss  tief  in  einem  reinen 
Kieslager  und  bestand  ans  einer  von  Feldsteinplatten  zusammengesetzten 
vierseitigen  Röhre  von  ca.  20  Zoll  Breite  und  18  Zoll  Höhe,  welche,  in  der 
Richtung  von  Ost  nach  West  gelegen,  eine  Reihe  wohlerhaltener  Aschen- 
krüge enthielt,  von  denen  bis  zum  Abend  acht  zu  Tage  gefördert  waren. 
Die  Krüge  selbst  sind  aus  verschiedenen,  in  seiner  Färbung  zwischen  grau 
und  braun  schwankendem  Thon  gefertigt,  haben  eine  Höhe  von  1 1  Zoll,  eine 
Bauchweite  von  30  Zoll,  während  die  Bodenfläche  und  die  obere,  mit  einem 
gewölbten  Deckel  geschlossene  Oeffnung  nur  einen  Durchmesser  von  6  Zoll 
zeigt.  Weisse,  ungemein  leichte  Knochenreste  füllen  sie  bis  zum  vierten 
Theil.  Nur  eines  der  Gefässe  zeigt  durch  einfache  Linien  hergestellte  Ver- 
zierungen, alle  übrigen  sind  einfach.  (Pos.  Ztg.  Decbr.  1874.) 

2)  Pleschen.     Bei  Gelegenheit  der  Abfuhr  von  Steinen  auf  die  Chaussee  sind  neuer- 

dings in  Gutehoffnung  heidnische  Begräbnissplätze  aufgedeckt  worden.  Leider 
haben  die  Arbeiter  die  Urnen  vernichtet.  In  einer  Urne  wurden  ein  metallener 
Haarpfeil,  ein  zwei  Finger  breites  Henkelstück  und  einige  Ringe  gefunden. 
Der  Haarpfeil  und  das  Henkelstück  sind  mit  verschiedenen  Zierraten  ver- 
sehen, unter  denen  besonders  die  Kreisform  bemerkt  wird. 

(Pos.  Ztg.  V.  J.  1875,  Nr.  208.) 

3)  Obornik.     Neue  Ausgrabung    des  Herrn  Witt   an  isolirter  Stelle,    gefunden  drei 

Urnen  ohne  Verzierung  von  grobem,  kleine  Kieskörner  enthaltenden  Thon 
(ohne  Nebengefässe  und  andere  Sachen.)     (Sitzung  vom   17.  April  1875.) 

4)  Schokkcn.     Auf  dem  Gebiete  des  Dominiums  Potrzanowo,  zum  Oborniker  Kreise 

gehörig,  wurde  vor  einigen  Tagen  ein  Ileidengrab  aufgedeckt.  Urnen  in- 
mitten von  Steinen.  (Pos.  Ztg.  v.  J.  1875,  Nr.  268.) 

Zugleich  berichtet  Hr.  Schwartz,  dass  aus  Pesth  zwei  eiserne  Stierbilder  von  sehr 


(123) 

roher  Form  angekommen  seien ,  wie  sie  in  grösserer  Anzahl  mit  ähnlichen  Bildern 
von  Schweinen,  Schaafen  u.  s.  w.  in  einem  Gewölbe  zu  Bernstein  an  der  ungarisch- 
steiermärkischen  Grenze  gefunden  sein  sollen.  Man  hält  sie  für  Votivthiere,  die 
ihrer  Zeit  bei  Viehkrankheiten  dargebracht  seien,  wie  Aehnliches  in  der  katholischen 
Kirche  noch  jetzt  existire.  Sie  sehen  aus  wie  die  Thiere,  welche  die  Kinder  aus 
Mohrrüben  herstellen,  indem  sie  Hölzer  als  Füssc  'hineinstecken.  Die  gespreizte  Form 
der  Füsse  kommt  offenbar  daher,  dass  sie  wirklich  zum  Stehen  bestimmt  waren. 

(10)     Herr  Lehrer  Reder  zu  Samter  berichtet  über 
ein  Uruenfcld  bei  Samter. 

Durch  den  Lehrer  Werner  in  Gay  wurde  ich  gestern  darauf  aufmerksam  ge- 
macht, dass  die  Bauern  aus  dem  Dorfe  beim  Graben  des  Kiessandes,  behufs  Wege- 
besserung, auf  Scherben  und  Töpfe  gestossen  wären.  Nachmittags  wanderte  ich  mit 
demselben  nach  dem  bezeichneten  Orte.  Derselbe  liegt  von  Samter  aus  eine  gute 
Meile  entfernt.  Die  Landstrasse  von  Scharfenort  nach  Obcrsitzko  und  der  Weg  vom 
Dominium  Obrowo  nach  dem  Dominium  Stopanowo  kreuzen  sich  dort. 

Ich  fand  eine  aus  Kiessand  bestehende  Erderhöhung,  die  sich  von  WNW.  nach 
OSO.  hinzieht. 

Bei  der  Nachgrabung  stiessen  wir  zunächst  auf  Scherben,  welche  von  Thon- 
gefässen  und  flachen  Stürzen  mit  schmalem  Rande  herrührten,  dann  auf  ziemlich 
erhaltene  Urnen.  Dieselben  stehen  im  Kiessande,  sind  mit  einer  schwarzen,  theil- 
weise  noch  mit  merklichen  Kohlenresten  durchsetzten,  fest  zusammengesinterten  und 
auffallend  schweren  Erdschicht  von  ca.  20  Cm.  Dicke  bedeckt ;  darüber  liegt 
eine  andere,  ca.  50  Cm.  dicke.  Die  Urnen  enthielten  mit  Erde  vermischte  Knochen, 
die  so  splitterig  aussehen,  als  wären  sie  dereinst  zerschlagen  worden,  um  sie  in  die 
Gefässe  zu  bringen;  Rippenknochen  und  Gelenkköpfe  waren  deutlich  zu  unter- 
scheiden; erstere  waren  sogar  noch  ziemlich  fest. 

Die  Urnen  sind  von  verschiedener  Grösse:  einige  im  Durchschnitt  .30  Cm.  und 
ca.  25  Cm.  hoch,  andere  nicht  grösser  als  eine  starke  Faust.  Die  zwei,  welche  am 
besten  erhalten  sind,  habe  ich  mitgenommen;  die  eine  hat  die  vorstehend  angegebene 
Grösse,  die  andere  hat  im  Durchschnitt  17  und  in  Höhe  19  Cm.;  bei  ersterer  ist 
namentlich  der  Band  etwas  defect;  die  letztere,  auf  welcher  eine  muschelförmige 
Stürze  (D.  15,  d.  13  Cm.)  mit  einem  ohrförmigen  Griff  lag,  ist  noch  gut  erhalten. 
Die  grosse  hat  als  Verzierung  drei  parallel  laufende  vertiefte  Kreise,  darüber  elfmal 
drei  vertiefte  Punkte  und  darunter  vier  Erhöhungen  von  Gestalt  einer  Haselnuss- 
schalenhälfte;  die  kleinere  dagegen  ist  ohne  Abzeichen,  hat  aber  noch  die  zwei  klei- 
neren ringförmigen  Griffe. 

Aller  Wahrscheinlichkeit  nach  birgt  die  Erhöhung  auf  beiden  Seiten  des  Durch- 
schnittes noch  mehr  dergleichen.  Die  Erhöhung  scheint  das  Warthethal  auf  der 
linken  Seite  zu  begrenzen. 

(11)     Herr  Lehrer  Reuter  in  Bölkendorf  bei  Angermünde  schreibt  über 

ein  Steingrrab  bei  Bölkoudorf. 
Das  Grab  liegt  östlich  von  Bölkendorf,  121  Meter  von  der  Parsteiner  Grenze, 
83  Meter  vom  Apfelsee  und  64  Meter  vom  Parsteiner  See  entfernt.  Die  Lage  des- 
selben ist  von  Südwest  nach  Nordost.  Die  Länge  der  Grabstätte  beträgt  97,  die 
Breite  54,  die  Höhe  86  Cm.  Die  vier  Seiten  sind  mit  einer  Wand  von  12  Cm. 
starken  Steinplatten  eingefasst.  Dieselben  scheinen  mit  einem  stumpfen  Instrument 
behauen  zu  sein ;  die  Masse  der  Platten  ist  brauner  Granit.    In  den  vier  Ecken  finden 


(124) 

sich  da,  wo  die  Wände  zusammenstossen,  kleine  Steinstücke  (Feldspath)  eingefügt, 
vermuthlich,  um  das  Eindringen  von  Erde  zu  verhüten.  Diesen  Raum  bedeckte  eine 
gleiche  Platte,  8  Cm.  dick,  welche  leider  beim  Aufheben  zertrümmerte. 

In  jeder  Ecke  stand  auf  festgestampftem  Boden  eine  Urne  aus  grobem  Thon, 
vermischt  mit  kleinen  Steintheilchen,  die  jedoch  beim  Anrühren  in  Stücke  zerfielen. 
Rings  herum  sind  Riefen  als  Verzierung  angebracht,  an  einer  befanden  sich  zwei 
Henkel.  Ausser  diesen  vier  Urnen  fand  sich  in  der  Mitte  des  Grabes  eine  fünfte, 
kleinere,  sogenannte  Hängeurne,  in  welcher  drei  Stücke  eines  Schädels,  ausserdem 
Asche  sich  bafand.  Der  Inhalt  der  anderen  Urnen,  welche  die  Grösse  eines  Zwei- 
Quart-Topfes  hatten,  war  Asche  und  Knochen,  an  denen  deutliche  Spuren  des  Feuers 
sichtbar  sind. 

(12)  Herr  Hutfabrikant  Heim  in  Halberstadt,  Vorsitzender  des  Bezirksverbandes 
der  Gesellschaft  für  Verbreitung  von  Volksbildung,  übersendet  eine  Anzahl  durch  ihn 
mit  dem  Conformateur  aufgenommener 

Kopfumiiss-Zeicliuungeu. 

(13)  Herr  Marthc  legt  einige  von  ihm  zu  Pfingsten  dieses  Jahres  ausgegrabene 

Urueii  vou  Niemej^k  (Prov.  Brandenburg) 
vor. 

Die  fünf  Thongefässe  sind  am  Nordabhang  des  Fläming,  etwa  30  Minuten  süd- 
östlich von  Niemegk,  gefunden  worden,  stammen  also  aus  einer  Gegend,  die  ausser 
einer  kleinen  bei  Treueubrietzen  gefundenen,  im  Berliner  Museum  bewahrten  Urne 
für  die  vorgeschichtlichen  Forschungen  noch  unangebrochen  war.  Die  Fundstelle  ist 
topographisch  ausgezeichnet  charakterisirt.  Durch  das  Städtchen  Niemegk  (von  njemetz: 
„Deutschstadt")  rinnt  ein  Bächlein,  die  Adda,  welches  aus  einer  flachen,  mit  Sumpf- 
wiesen ausgefüllten  Mulde,  die  in  den  Nordhang  des  Fläming  sich  einschneidet,  mit 
zahlreichen  Aederchenhervorsickert.  Dieses  quellenreiche  Wiesenrevier  heisst  beim  Volke 
„Springebruch",  und  auf  der  linken,  westlichen  Seite  desselben,  die  sich  sanft  herab- 
senkt, in  festem,  sandigem  Boden  wurden  die  betr.  Objecte  nebst  mehreren  anderen  aus- 
gegraben. Schon  im  Jahre  1868  wurde  hier  ein  Fund  gemacht,  der  zuerst  den  Be- 
sitzer des  Sandackers,  Ackerbürger  Zimmermann,  aufmerksam  machte.  Er  stiess 
auf  ein  Urnengrab,  welches  mit  einem  Oblongum  von  Steinen  ausgelegt  war.  In  den 
folgenden  Jahren  wurden  noch  oft  von  ihm  Thongefässe  ausgepflügt  oder  ausgegraben, 
die  bis  auf  wenige  in  Trümmer  gingen.  Erst  zu  Pfingsten  dieses  Jahres  erhielt  ich 
Kunde  von  diesen  Dingen,  begab  mich  nach  dem  Schauplatz  hinaus  und  Hess  bei 
knapp  zugemessener  Zeit  graben.  Hierbei  wurden  bei  1  Fuss  Tiefe  fünf  Urnen 
und  mehrere  andere,  unter  ihnen  eine  grosse,  mit  verbrannten  Knochen  gefüllte 
die  leider  zerstossen  wurde,  blossgelegt.  Noch  andere  blickten  aus  dem  Sande 
in  der  Grube  hervor,  die  Grabung  indess  wurde  wegen  Mangels  an  Zeit  eingestellt. 
In  einer  der  früher  vom  Grundbesitzer  aufgedeckten  Aschenurnen  hat  sich  ein  win- 
ziges Bronzeringlein  gefunden,  und  es  ist  damit  wohl  die  Altersstufe  dieses  Fundes  ange- 
deutet. Die  vorgelegten  Urnen  zeichnen  sich  durch  besondere  Zierlichkeit  der  Form  aus 
und  erinnern  an  die  im  Berliner  Museum  unter  der  Rubrik  „Westfalen"  ausgestellten; 
ein  mit  einem  der  meiuigen  (Nr.  3)  ganz  übereinstimmendes  Stück  trägt  dort  die 
Rubrik  „Mittelmark". 

Herr  Virchow  bemerkt,  dass  Form  und  Ornamentation  der  vorgelegten  Urnen 
beweisen,  dass  sie  jenem  grossen  Kreise  angehören,  welcher  sich  von  der  Lausitz 
bis  nach  Schlieben  und  Halle  verfolgen  lässt. 


(125) 

(14)  Herr  Stud.  med.  Alex.  Hörn  y,  d.  Horck  hat  dem  "Vorsitzenden  einen 
Kuchen  von  Ahornzucker  überreicht,  wie  dieselben  durch  Indianer  in  Minnesota 
dargestellt  werden. 

(15)  Herr  Vlrchow  zeigt  eine  Reihe,  ihm  durch  Vermittelung  des  Herrn 
Mühlenbeck  von  Herrn  Mampe  zugegangener 

vorhistorischer  (Gegenstände  ans  Stargard  in  Pommern. 

(Hierzu  Taf.  IX.) 
Nach  einer  kurzen  Notiz  des  Herrn  Kreisgerichtsrath  Frey  er  sind  die  sämnit- 
'  liehen  Gegenstände  bei  dem  Ausgraben  des  15auterraius  für  einen  Dampfschornstein 
in  einer  Tiefe  von  ca.  18  Fuss  gefunden.  Sie  lagen  zwischen,  leider  verloren  ge- 
gangenen, Holzstücken  und  Knochen  in  einer  moorigen  Erde,  unmittelbar  über  einer 
feststehenden,  also  weit  in  die  Tiefe  reichenden  Sandschicht,  die  zur  Tragung  des 
Fundaments  des  Dampfschornsteius  für  geeignet  erachtet  ist. 

Noch  ist  zu  bemerken,  dass  das  Messer  und  eines  der  Kopfstücke  eher  gefunden 
wurden,  also  weniger  tief  lagen,  als  die  übrigen  Gegenstände. 

Weitere  Nachfragen  durch  Herrn  Mühlenbeck  haben  ergeben,  dass  die  Fund- 
stelle sich  hinter  einem  der  Häuser  befindet,  welche  dicht  am  Steinthor  in  der  grossen 
Wallstrasse  im  östlichen  Theile  der  Stadt  gelegen  sind.  Dieser  Theil  ist  von  zwei 
Armen  des  Ihna-Flusses  inselartig  eingeschlossen  und  der  Fundort  ist  nicht  weit 
entfernt  von  dem  ehemaligen  Walle,  vielleicht  auch  nicht  weit  von  der  Stelle  des 
alten  Castrum.  Leider  ist  die  Baugrube  schon  zur  Zeit,  als  diese  Nachfragen  statt- 
fanden, wieder  geschlossen  geAvesen,  so  dass  weitere  Forschungen  unmüglich  erscheinen. 
Vielleicht  gelingt  es,  in  der  Nähe  einen  passenden  Ort  für  Grabungen  zu  ermitteln. 

Leider  fehlen  unter  den  mir  zugekommenen  Gegenständen  alle  Topfscherbeu,  so 
dass  gerade  dieses  für  die  Zeitbestimmung  unserer  vorhistorischen  Funde  so  ent- 
scheidende Hülfsmittel  ausfällt  Einige  Thierknochen  sind  da,  jedoch  fast  nur  solche 
vom  Schwein.  Darunter  sind  ganz  colossale  Hauer  und  ein  Vorderstück  vom  Unter- 
kiefer, das  durch  scharfe  Schläge  abgetrennt  ist.  Alle  übrigen  Gegenstände  sind 
entweder  von  Metall  oder  von  bearbeitetem  Hirschhorn. 

Von  Eisen  ist  nur  das  erwähnte  Messer,  das  zuhöchst  gelegen  haben  soll  (Taf.  IX, 
Fig.  5).  Es  ist  im  Ganzen  20  Cm.  lang,  wovon  9  auf  die  Klinge  kommen.  Die 
Spitze  fehlt.  Die  Klinge  ist  schmal,  15  Mm.  in  der  grössten  Breite,  und  gerade. 
Daran  sitzt  ein  langer,  platt  vierkantiger,  aber  dünner  Stachel,  der  in  einen  Griff 
eingesenkt  gewesen  sein  muss  und  der  sich  gegen  das  Ende  zuspitzt.  Er  ist  bis 
auf  eine  geringe,  wohl  erst  später  entstandene  Krümmung  des  Endes  ganz  gerade. 

Sehr  interessant  ist  ein  starker  Celt  von  Bronze  (Fig.  2).  Derselbe  hat  im  Moor- 
boden in  einer  Tiefe  von  etwa  IG  Fuss  mit  den  noch  zu  erwähnenden  Geräthen  aus 
Hirschhorn  gelegen.  Er  hat  keine  Patina,  sondern  ist  mit  einer  körnigen  Eruption 
von  Kupferkrystallen  überzogen.  Seine  Länge  beträgt  98  Mm.  Die  etwas  gekrümmte 
und  an  einer  Seite  etwas  verletzte  Schneide  misst  3o  Mm.  Am  Ende  hat  er  eine 
24  Mm.  breite  und  28  Mm.  hohe,  im  Allgemeinen  viereckige  Oeffuung,  deren  Rand 
nach  aussen  mit  einem  8  Mm.  breitem,  erhabenem  Saume  umgeben  ist  (Fig.  2  b). 
Unmittelbar  daran  sitzt  ein  enges  Oehr.  Die  vordere  und  hintere  Fläche  sind  ganz 
glatt;  die  Seitenflächen  dagegen  zeigen  sehr  deutlich  je  eine  Gussnaht. 

Unter  den  Horugegenstäuden  ist  besonders  bemerkenswerth  ein  gebogenes,  aus 
einem  Hirschhornzacken  sehr  sauber  gearbeitetes,  polirtes,  und  vielfach  verziertes 
Stück  (Fig.    1),  das  auf  seiner  convexeu  Seite  mit  einem  3  Mm.  breiten  und    12  Mm. 


(126) 

tief  eingesägten  Spalt  versehen  (Fig.  1  a)  ist.  Seine  Einrichtung  erinnert  in  mehr- 
facher Beziehung  an  die  Balken,  in  welche  Kämme  befestigt  wurden,  jedoch  scheint 
dem  die  Lage  des  Spaltes  an  der  convexen  Seite  zu  widersprechen.  Nächstdem  kann 
man  an  eine  Messerscheide  denken,  jedoch  müsste  das  betreffende  Messer  sehr  stark 
säbelförmig  gebogen  gewesen  sein.  Irgend  eine  Spur  einer  Befestigung  ist  leider  nicht 
zu  sehen,  da  beide  Enden  abgebrochen  sind.  Die  Länge  dieses  Stückes  beträgt  an 
der  convexen  Seite  17  Cm.  Am  dickeren  Ende  hat  es  75,  am  dünnern  60  Mm. 
umfang.  Es  hat  durchweg  die  eigenthümlich  schwarzbraune  Farbe  der  Moorfunde. 
Seine  Oberfläche  ist  spiegelglatt  polirt.  Nahe  der  Mitte  befinden  sich  dicht  neben 
einander  vier  Gruppen  von  je  drei  glatten  Parallellinien,  welche  ganz  herumlaufen. 
Zwischen  den  beiden  äussersten  und  den  nächst  darauf  folgenden  Gruppen  ist  je  eine 
Reihe  kleiner  Kreise  mit  je  einem  Punkte  in  der  Mitte  der  Kreise  angebracht,  wie 
deren  zahlreiche  an  den  übrigen  Theilen  der  Oberfläche  eingeritzt  sind.  Die  beiden 
äussersten  und  die  beiden  innersten  Linien  sind  mit  kurzen,  dreieckigen,  zahn- 
förmigen  Einschnitten  besetzt;  an  der  innersten  Linie  stehen  diese  Einschnitte  ab- 
wechselnd gegen  einander,  wie  Wolfszähne.  Aehnliche  Ornamente  sind  auch  an 
beiden  Enden  vorhanden  gewesen;  der  Bruch  i^t  gerade  durch  diese  Stellen  hindurch- 
gegangen. Zwischen  diesen  gürtelförmigen  Verzierungen  ist  die  ganze  Ausdehnung 
des  Stückes,  und  zwar  ausgehend  von  dem  Längseinschnitte,  in  zierlichster  Weise 
mit  kleinen  Kreisen  (Sonnen)  besetzt,  und  zwar  in  der  Art,  dass  zunächst  an  dem 
Spalt  jederseits  eine  zusammenhängende  Reihe  von  Kreisen  von  einem  Ende  bis  zum 
anderen  läuft.  Ueber  je  drei  dieser  Kreise  stehen  dann  zwei  andere,  und  über 
diesen  eine  einfache  Reihe  aus  je  drei  (vereinzelt  auch  nur  zwei)  Kreisen,  die  bis 
zur  Mitte  der  Seitenfläche  reichen.  Solcher  einfacher  Reihen  finden  sich  gegen  das 
dünnere  Ende  7,  gegen  das  dickere  9.  (Die  in  der  Zeichnung  Fig.  Ib  angedeutete 
Abwechselung  dieser  Gruppen  ist  nicht  constant.) 

Ich  bemerke,  dass  mir  ein  in  der  Zeichnung  sehr  verwandter  Messergriff  aus 
der  Nähe  bekannt  ist,  nehmlich  aus  dem  Pfahlbau  von  Lüptow  am  Plöne-See  (Fig.  0.) 
Auch  giebt  es  eine  Reihe  von  pommerschen  Funden,  wo  Hämmer  aus  Hirschhorn  mit 
ähnlichen  Kreisornamenten  bedeckt  sind. 

Nächstdem  findet  sich  ein  Bruchstück  einer  kleineren  und  einfacheren  Messer- 
scheide aus  mehr  gelbbraunem  Hirschhorn  (Fig.  4),  die  gleichfalls  an  den  Enden 
abgebrochen  ist,  jedoch  zeigt  sie  an  der  einen  Bruchstelle  noch  die  Spur  eines  Niet- 
loches. Sie  ist  7  Cm.  lang,  in  der  Mitte  12,  an  den  Enden  7  und  10  Mm.  breit. 
Ihre  innere  Seite  ist  platt  und  scharf  gesägt,  die  äussere  flach  convex  und  polirt. 
Auf  der  letzteren  ist  ein  länglich-viereckiger  Raum  durch  gerade  Linien  abgegrenzt, 
der  wiederum  durch  Gruppen  dichtstehender  Querlinien  und  Felder  eingetheilt  ist. 
Die  zwei  inneren  Gruppen  haben  je  7,  die  Endgruppen  nur  5  Linien. 

Endlich  ist  noch  ein  sehr  merkwürdiger  starker,  aber  kurzer  Kamm  aus  Hirsch- 
(oder  Elch-)  Hörn  mit  doppelseitigen  Zähnen  von  verschiedener  Stärke  zu  erwähnen 
(Fig.  3).  Er  ist  aus  einem  Stück  gemacht.  Dasselbe  ist  in  der  Mitte  36  Mm. 
lang  und  8  Mm.  dick.  Von  der  Mitte  aus,  welche  eine  flach  convexe  Erhebung  dar- 
bietet, dacht  sich  beiderseits  die  Fläche  2i)  Mm.  lang  bis  zu  den  Spitzen  der  Zähne 
ab.  Letztere  sind  2U  Mm.  lang,  jedoch  nach  der  Mitte  zu  nur  oberflächlich  ge- 
trennt, während  die  Spitzen  der  Zähne  stark  von  einander  abstehen.  Da,  wo  die 
Zähne  an  das  Mittelstück  anstossen,  sind  jedesmal  3  horizontale  Linien  angebracht. 
Im   Uebrigen  ist  auch  dieses  Stück  gelbbraun  und  ziemlich  glatt. 

Der  Fund  gehört  nach  Allem  zu  den  bemerkenswerthesten,  welche  in  neuerer 
Zeit  in  Pommern  gemacht  sind.  Ob  man  berechtigt  ist,  ihn  direct  der  Burgwall- 
Periode  zuzurechnen,  ist,  wie  mir  scheint,   noch  nicht  genau  auszumachen.     Die  An- 


(127) 

Wesenheit    eines  Bronzeceltes    ist    ein    so    ungewöhnliches  Ereigniss,    dass  es  nSthig 
erscheint,  das  Schlussurtheil  noch  offen  zu  halten, 

(16)  Herr  Prof.  Liebe  iu  Gera  hat  dem  Vorsitzenden  eine  Druckschrift  über- 
sendet über 

die  Lindenthaler  Hyäneuhöhle. 

Bei  Golegenheit  der  Anlage  eines  neuen  Weges  in  der  Nähe  von  Gera,  vom 
Lindenthal  aufwärts,  oberhalb  des  Kanonenberges,  wurde  1874  im  Dolomit  eine 
Höhle  blosägelegt,  welche  zahlreiche  üeberreste  diluvialer  Thiere  enthielt.  Es  fanden 
sich  Knochen  vom  Pferd,  der  Hyäne,  dem  llhinoceros  tichorchinus,  dem  Bos  taurus 
primigenius,  dem  Höhlenbären,  dem  Edelhirsch,  der  Felis  spelaea,  dem  Elch,  dem 
Renthier,  dem  Canis  spelaeus,  dem  Mammuth,  der  Springmaus  (Dipus  Geranus 
Giebel),  dem  Fuchs,  dem  Alpenmurmelthier  (Arctomys  marmotta),  und  einigen  an- 
deren Säugethieren  und  Vögeln. 

Dieser  Fund  ist  nicht  nur  deshalb  von  grossem  Interesse,  weil  er  das  Gebiet 
der  Renthierhöhlen  viel  weiter  nach  Osten  in  Deutschland  ausbreitet,  als  es  bis  jetzt 
bekannt  war,  da  alle  im  nordöstlichen  Deutschland  gefundenen  Renthierknochen  in 
Mooren  oder  diluvialen  Bodenschichten  vorkamen,  sondern  vielleicht  noch  mehr 
deshalb,  weil  er  iti  dem  Vorkommen  der  Springmaus  und  des  Murmelthiers  unzwei- 
deutige Zeugen  der  damaligen  Kälte  unseres  Klimas  nachweist.  Er  schliesst  sich 
somit  an  die  schönen  Entdeckungen  des  Herrn  Ne bring  in  der  Nähe  von  Wolfen- 
büttel,  der  zahlreiche  Knochen  kleinerer  arktischer  Thiere  iu  dem  anstehenden  Boden 
gesammelt  hat. 

Herr  Liebe  bringt  ausserdem  eine  Reihe  von  Thatsacheu  vor,  aus  denen  er  auf 
die  Anwesenheit  des  Menschen  zu  jeuer  Zeit  schliesst.  Die  Mehrzahl  seiner  Beweise 
bezieht  sich  auf  zerschlagene  und  scheinbar  bearbeitete  Thierknochen  und  auf  das 
Bruchstück  eiues  künstlich  zugeLaueneu  Feuersteinmessers.  Es  lässt  sich  nicht  leug- 
nen, dass  diese  Thatsachen,  wenigstens  nach  der  Beschreibung,  nur  bedingten  Werth 
habeu,  zumal  da  Herr  Liebe  selbst  eiuzelue  geglättete  Stelleu,  Gruben  und  scharf- 
randige  Löcher  an  Pferdeknocheu,  die  mau  sonst  wohl  als  Spuren  menschlicher  Ein- 
wirkung betrachtet,  auf  die  Einwirkung  von  Schneckenzungen  (Zonites)  uud  auf  das 
Einbohren  von  Larven  einer  Annobium-Art  bezieht. 

Ausserdem  erwähnt  er  das  Vorkommen  des  Renthiers  in  einer  Lehmgrube  bei 
Pösneck,  in  einer  Kluft  bei  Fahren  und  namentlich  sehr  zahlreich  bei  Köstritz.  An 
beiden  letzteren  Stellen  sind  die  Röhrenknochen  sehr  regelmässig  aufgespalten.  Er 
setzt  alle  diese  Funde  in  die  Zeit,  wo  die  Vergletscherung  der  subalpinen  Gebirge 
noch  fortdauerte. 

(17)  Herr  Yirchow  berichtet  über  die  am  G.  Juui  von  der  Gesellschaft  ver- 
anstaltete Excursion  nach  Cottbus,  namentlich  über 

deu  Burgwall  von  Zahsow. 

Nachdem  die  humoristische  Seite  des  Ausfluges  schon  in  einem  eingehenden  Be- 
richt der  Vossischen  Zeitung  geschildert  worden  ist,  möchte  ich  mir  erlauben,  zu- 
nächst ein  paar  Worte  über  die  Ausgrabungen  bei  Zahsow  zu  sagen.  Es  handelt 
sich  da  um  einen  jeuer  Burgwälle,  die,  wie  Sie  wissen,  in  der  Lausitz  und  deu  au- 
stossenden  Landstrichen  in  sehr  grosser  Zahl  verbreitet  sind;  es  ist  derjenige,  welcher 
auf  der  Karte  des  Hrn.  Major  Schuster  über  das  System  der  Ober-Lausilzer  Schanzen 
als  Nr.   107  (S,  M6)  verzeichnet  ist.     Indess   ist   es   nicht   bekannt  —  wenigstens  mir 


(128) 

nicht  — ,  dass  irgend  schon  früher  Untersuchungen  dieses  Burgwalles  stattgefunden 
haben.  Unsere  Untersuchung  hat  nun  in  Bezug  auf  eigentliche  Fuudgegenstände  sehr 
wenig  geleistet,  dagegen  ist  sie  in  einer  anderen  Beziehung  von  einer  überaus  grossen 
Bedeutung,  und  vielleicht  sogar  für  die  Geschichte  dieser  Anlagen  Epoche  machend. 
Es  hat  sich  uehralich  herausgestellt,  dass  der  Burg  wall  auf  einem  Pfahlrost 
errrichtet  worden  ist,  und  zwar  auf  einem  Pfahlrost,  der  vielleicht  schon  als  solcher 
bewohnt  gewesen  ist.  Dieses  kann  allerdings  Gegenstand  des  Zweifels  sein,  ist  mir 
aber  nach  dem  ganzen  Fundverhältnisse  in  hohem  Maasse  wahrscheinlich. 

Zum  Verständniss  dieser  Verhältnisse  will  ich  daran  erinnern,  dass  wir  uns  in 
dieser  Gegend  der  Lausitz  in  einem  Gebiete  befinden,  welches  schon  bei  dem  flüch- 
tigen Durchreisen  eine  unaufhörliche  Abwechselung  darbietet  von  flachen  Hügeln  und 
tieferen  Niederungen,  die  entweder  noch  gegenwärtig  Seen  enthalten,  oder  wenigstens  als 
alte  Seebecken  sich  erweisen,  die  später  zugewachsen  sind  und  entweder,  wie  der  Spreewald, 
noch  gegenwärtig  ein  überaus  nasses  und  fast  schwammiges,  mit  vielen  Kanälen  durch- 
durchzogenes Terrain  darstellen,  oder  umfangreiche  Wiesen-  und  Moorflächen  gebildet 
haben,  durch  welche  wasserreiche  Bäche  laufen.  Gerade  von  der  Gegend  an,  um  die 
es  sich  hier  handelt,  wird  ziemlich  bemerklich  eine  Anordnung  der  Überfläche,  welche 
charakterisirt  ist  durch  Erhebungen,  die  im  Grossen  und  Ganzen  in  ihren  stärkeren 
Ansteigungen  parallel  dem  Lausitzer  Gebirge  liegen,  und  Herr  ßoltze  hat  schon 
früher  darauf  aufmerksam  gemacht,  dass  man  sich  diese  Conformatiou  wahrscheinlich 
so  zu  denken  habe,  dass  bei  der  Hebung  der  Lausitzer  Berge  sich  eine  Faltung  der 
Oberfläche  parallel  dem  Gebirge  entwickelt  habe.  In  den  Vertiefungen  zwischen 
diesen  Rücken  stand  ofl'eubar  in  früherer  Zeit  anhaltend  Wasser,  und  zwar  sehr  be- 
wegtes Wasser,  wie  mau  aus  den  überaus  zahlreichen  Dünenbildungen,  die  hier  vor- 
kommen, ersehen  kann. 

Der  ßurgwall  von  Zahsow,  welcher  nordwestlich  von  Cottbus  liegt,  befindet  sich 
gleichfalls  in  einem  solchen  frühereu  Seebecken,  und  zwar  ist  der  alte  Uferrand 
nicht  sehr  weit  westlich  von  da,  kaum  eine  Viertelstunde,  entfernt.  Das  Gräberfeld 
von  Kolkwitz,  von  dem  wir  nachher  hören  werden,  liegt  schon  auf  dem  Uferrande. 
Diese  Lage  des  Burgwalles  entspricht  der  Lage  einer  Reihe  von  benachbarten  Burg- 
wällen, die  ich  früher  besucht  habe,  namentlich  denen  von  Gross-Beuchow  und  Vor- 
berg in  der  Nähe  von  Lübbenau  (Sitzung  vom  13.  Juli  1872).  Leider  ist  der  Zahsower 
Burgwall  in  mehreren  Richtungen  schon  stark  zerstört;  nur  der  nördliche,  mit  Strauch 
bewachsene,  erhöhte  Rand  steht  noch  ziemlich  unversehrt.  Er  ist  überdies  querdurch 
in  getheiltem  Besitz;  die  Hälfte  nach  Osten  ist  sogar  mit  einem  kleinen  Hause  be- 
baut und  die  Oberfläche  tief  ausgegraben;  offenbar  ist  ein  grosser  Theil  der  oberen 
Culturschicbten  abgefahren.  Auch  vom  östlichen  Umfange  fehlt  ein  grosses  Stück, 
ludess  gerade  diese  Stelle  bot  uns  eine  bequeme  Gelegenheit,  die  Beschaffenheit  der 
Aufschüttung  an  dem  Abstiche  kennen  zu  lernen.  Von  dieser  Stelle  wurde  auch  an- 
gegeben, dass  in  der  Erde,  die  von  dort  verfahren  worden  sei,  ein  paar  Fundstücke 
von  scheinbar  grösserer  Bedeutung  vorgekommen  seien,  nehmlich  die  Hälfte  eines 
Steinhammers  und  ein  eigenthümlicher,  sehr  starker  Metallring,  der  fast  so  aussieht 
wie  die  Ringe,  welche  man  heutzutage  an  dem  Ende  des  Stieles  von  Dreschflegeln 
oder  Sensen  anbringt;  dem  Anscheine  nach  besteht  er  aus  Bronze;  auch  ist  er  in 
mehr  antiker  Weise  verziert.  Es  ist  nur  zweifelhaft,  ob  diese  beiden  Stücke,  welche 
Herr  Voss  für  das  Museum  an  sich  genommen  hat,  dem  Burgwall  als  solchem  an- 
gehören, denn  sie  stimmen  gar  nicht  mit  dem  übereiu,  Avas  sonst  gefunden  ist.  Der 
genannte  Abstich  bot  sonst  nicht  viel  dar;  er  bestand  ganz  aus  losem,  aufgeschüttetem 
Sand,  aber  an  einer  Stelle  zeigte  sich  einer  jener  grossen  Trichter,  eine  von  obenher 
in  die  Aufscliültung  eingreifende  Grube,  die  zum  grössten  Theil  mit  verbranntem  Holz 


/.rf/.yr/iri/t  für  f"fJuN>loffi4'  //!nfhr(jfn//v^/x,^n'  ^i'f.<:f//s///4Z/l/ 


TafYJI 


I  I  1 1 I 1 1 1 1  I  1  I  1 1 1 1  I , 1 ,1 1  1 1 1 1  I  I  I  I 1 1 ,.,  I 

MaafssTob  zu,N9  7-&.    10-13. 


WA.Vcy»  läh. 


Vfr-laa  v^rz    ftlei^aritit.  Hfrnpfi  i  Farn/  in  Berlin 


ZeiUrhri/ltfür  fif/i/to/of/w  fAn//,,r>/w/o,/,.,,/f,'  üWr/Zs^/uf/// 


Taf.n 


Vgr^aa  T^n    Humana/,  //,mp^/  i  Farrv  «7  Berlin 


I — ^aat© 


nrLNat.Utk  .o.W.AMeifa. 


Li'ilaclinV    iui'  tlt/iihUnnii'    ,iiiini;ipniO(jisr/ii-  i  ir.scusrjui^i  /. 


Terlaa  oon  Wietfondt-^Mempfl  S  Pareq " 


(129) 

erfüllt  war,  darunter  grosse  mächtige  Stücke  von  Balken  und  zwar  solche  von  Ei- 
chenholz. Die  ganze  Erde,  die  darüber  lag,  war  kohlig  und  schwarz.  Hier  sowohl, 
als  in  der  nächsten  Umgebung  fand  sich  eine  Reihe  von  Thonscherben,  von  denen 
einzelne  deutlich  dem  Burgwalltypus  aus  der  späteren  slavischeu  Periode  angehören. 
Die  Mehrziihl  dieser  Scherben  gehört  zu  Gf^fässen  mit  weiter  Oeffnung  (Töpfen), 
und  ist  mit  tiefen  Horizontalfurchen  und  Hervorragungen  versehen;  einzelne  zeigen 
ein  deutliches,  aber  einfaches  Wellenornament.  Das  Material  ist  sehr  grob  und  ülier- 
diess  mit  Gesteingrus  geraengt.  Offenbar  war  diese  Grube,  die  früher  auf  der 
Fläche  gelegen  haben  muss,  eine  kellerartige  Vertiefung,  über  der  wahrscheinlich  ein 
kleines  Gebäude  stand,  von  welchem  in  die  Grube  hinein  beim  Brand  des  Gebäudes 
Stücke  der  Balken  fielen.     Unmittelbar  nebenan  war  nur  der  reine  gelbe  Sand. 

Unsere  Thätigkeit  wurde  jedoch  hier  sehr  bald  gehemmt  durch  den  Einspruch  der 
Frau  des  Besitzers,  einer  sehr  resoluten  Wendin,  die  uns  trotz  der  Anwesenheit  des  Land- 
raths  durchaus  nicht  gestatten  wollte,  auf  dieser  Seite  weiter  vorzugehen.  So  wand- 
ten wir  uns  denn  der  entgegengesetzten  Seite  zu,  wo  auch  schon  ein  Stück  vom 
Umfange  abgetragen,  die  Oberfläche  aber  mehr  intakt  war  und  wo  uns  durch  das 
überaus  freundliche  Entgegenkommen  des  Besitzers,  des  Häuslers  und  Schneiders 
Kollosche,  der  sich  als  ein  sowohl  wissenschaftlich,  als  politisch  interessirter  Mann 
erwies,  jede  Hülfe  freundlichst  gewährt  wurde.  Von  ihm  wurde  uns  mitgetheilt,  dass 
in  früherer  Zeit  eine  Vertiefung  rings  um  den  Burgwall  herumgegangen  sei,  die  als 
Wallgraben  betrachtet  werden  kann;  obwohl  noch  zum  Theil  sichtbar,  ist  sie  jetzt  grossen- 
theils  ausgefüllt.  Man  sei  wiederholt  in  der  Tiefe  des  Walles  auf  grössere  Balken  gestossen 
und  auch  an  einer  Stelle  auf  eine  aus  grösseren  Geröllsteinen  zusammengesetzte  „Mauer". 
Wir  liessen  hier  radial  auf  die  Mitte  gerichtet,  einen  tiefen  Graben  auswerfen,  der 
sich  von  dem  alten  Ringgraben  bis  in  den  Burgwall  erstreckte.  Es  fanden  sich  dabei 
auch  in  der  Tiefe  allerlei  Scherben  und  Hausthierknochen ,  aber  erst,  nachdem  wir 
unter  den  scheinbar  natürlichen  Boden  d.  h.  uuter  die  Grundfläche  des  beiläufig 
15—20  Fuss  hoheu  Walls  noch  etwa  4—5  Fuss  heruntergegangen  wai'en,  stiessen 
wir  auf  Pfahl  werk.  Es  ergab  sich,  dass  der  grösste  Theil  der  Pfähle  oder  Bal- 
ken horizontal  gelagerte  Eichenstämme  waren  und  zwar  zum  Theil  deutlich  behauene, 
zum  Theil  mit  natürlicher  Oberfläche  versehene.  Sie  waren  sehr  fest  und  schwarz. 
Neben  den  horizontalen  Pfühlen  standen  einige  wenige  senkrechte.  Wir  haben  natür- 
lich bei  der  Kürze  der  Zeit  nicht  zu  grosse  Flächen  aufdecken  können.  Einen  sol- 
chen senkrechten  Pfahl  habe  ich  mitgebracht,  der  zweierlei  Verhältnisse  in  vollster 
Deutlichkeit  zeigt.  Nehmlich  einerseits,  dass  wir  es  hier  mit  einem  Stück  zu  thun 
haben,  welches  durch  ein  sehr  scharfes  Instrument  gut  bearbeitet  worden  ist.  Es  hat 
durchweg  ganz  glatte  Hau-Flächen  und  ich  habe  daher  kein  Bedenken,  dieselben  auf 
Beai-beitung  durch  Eisen  zu  beziehen.  Auf  der  andern  Seite  sehen  Sie,  dass  beide 
Enden  des  etwa  1  Meter  laugeu  Pfahles  künstlich  zugespitzt  sind.  Diese  kurzen 
Pfähle  standen  senkrecht  im  Grunde  neben  den  horizontalen  Balken;  sie  sind  also 
offenbar  dazu  bestimmt  gewesen,  als  Befestigungsmittel  zu  dienen  für  diese  anderen, 
um  sie  in  ihrer  Stellung  zu  erhalten.  Das  stimmt  durchaus  mit  dem,  was  wir  sonst 
in  unseren  eigentlichen  Pfahlbauten  antreffen;  nur  ist  mir  persönlich  bis  jetzt  nie- 
mals diese  Kürze  der  senkrechten  Stücke  vorgekommen.  Die  meisten  Pfähle,  die  ich 
sonst  gesehen  habe,  waren  10—12  Fuss  lang  und  tief  in  den  Grund  hineingetrieben. 
Die  ganze  Anordnung  machte  allerdings  hier  wesentlich  den  Eindruck,  als  sei 
der  Pfahlbau  uicht  zur  eigentlichen  Bewohnung  bestimmt  gewesen.  Ich  würde  nach 
der  Gesammt-Disposition  vielmehr  die  Meinung  gewonnen  haben,  dass  er  eben  nur  be- 
stimmt gewesen  sei  als  ein  Rostwerk,  auf  welchem  die  weitere  Aufschüttung  des 
Burgwalles  stattfinden  sollte.     Es  ist  nur  ein  einziger  Umstand  vorhanden,  der  diese 

Verhanül.  der  BcrI.  Anthropol,  Oesellschoft.    isrs.  g 


(130) 

Interpretation  zweifelhaft  macht,  nehmlich,  dass  in  demselben  Niveau,  ganz  unzwei- 
felhaft zwischen  den  horizontalen  Balken,  Topfscherben  und  Knochen  von  Hausthie- 
ren  gefunden  wurden.  Denkt  man  sich,  dass  der  Pfahlbau  zu  nichts  weiter  diente, 
als  zu  einem  einfachen  Rost  oder  Unterbau,  so  würde  es  allerdings  schwer  sein,  das 
Vorkommen  solcher  Abfälle  an  dieser  Stelle  zu  erklären.  Diese  Dinge  fanden 
sich  ganz  tief,  zum  Theil  umgeben  von  einer  schon  in  das  Grundwasser  reichen- 
den Ablagerung  mooriger  Theile,  in  denen  zahlreiche  Bruchstücke  von  Strauch- 
w  erk,  Nussschalen,  Blättern  und  anderen  Gegenständen  enthalten  waren,  welche  offen- 
bar dnrch  bewegtes  Wasser  angeschwemmt  sein  mussten.  Darunter  kam  dann  unmit- 
telbar der  eigentliche  Seesand. 

Das  ist  das  Thatsächliche,  was  von  uns  festgestellt  wurde.  So  wenig  es  ist,  so 
erscheint  es  mir  doch  bemerkenswerth  genug,  denn  es  lehrt,  dass  die  Vermuthung, 
die  man  sonst  wohl  hegen  konnte,  als  sei  der  Burgwall  auf  einer  ursprünglichen  Insel, 
auf  einer  natürlichen  Erhöhung  des  Bodens  augelegt  worden,  unzutreffend  war,  dass  viel- 
mehr die  gesammte  Anlage  künstlich  hergestellt  ist  und  zwar  unmittelbar  auf  dem 
alten  Seebodeu,  zu  einer  Zeit,  wo  derselbe  noch  nicht  durch  Wiesen  überdeckt  war. 
Welche  colossale  Arbeit  muss  dazu  gehört  haben,  eine  solche  Anlage  herzustellen! 
Ich  habe,  wie  Sie  sich  vielleicht  erinnern  werden,  im  vorigen  Jahre  (Sitzung  am 
16.  Mai  1874)  Ihnen  Mittheilung  gemacht  über  die  erste  derartige  Anlage,  welche 
ich  in  unserem  Lande  gefunden  hatte,  diejenige  von  Potzlow  in  der  Uckermark,  die- 
selbe Stelle,  von  wo  ich  das  merkwürdige  Dolchblatt  mit  der  Tauschirarbeit  aus 
Silber  und  Kupfer  gewonnen  hatte.  Da  war  allerdings  das  Pfahlwerk  viel  vollstän- 
diger und  es  konnte  kein  Zweifel  darüber  sein,  dass  der  Pfahlbau  als  solcher  be- 
wohnt gewesen  ist,  was  ich  hier  nur  als  eine  Möglichkeit  aufstelle.  Indess  iar  Gros- 
sen und  Ganzen  ergiebt  sich  doch,  dass  nun  hier  an  einer  zweiten  und  von  jenem 
ersten  Fundort  sehr  entfernten  Steile  eine  ähnliche  Anlage  nachzuweisen  ist,  wie  sie 
bis  jetzt  nur  von  den  Terremaren  Oberitaliens  bekannt  war,  und  erst  in  letzter  Zeit 
in  einigen  südfianzösischen  Localitiiten  nachgewiesen  ist.  Indess  Sie  ersehen  auch 
aus  meiner  Darstellung,  dass  man  eigentlich  nur  durch  einen  besonderen  Glücksfall 
in  die  Lage  kommen  konnte,  derartige  Verhältnisse  zu  constatiren.  Ich  glaube,  Nie- 
mand würde  daran  denken,  dass  man  bei  einem  hohen  Burgwall  im  Grunde  auf  ein 
Pfahlwerk  stosseu  könnte.  Jetzt  wird  es  unsere  Aufgabe  sein  müssen,  bei  analogen 
Anlagen  so  tief  in  den  Grund  zu  gehen,  dass  wir  feststellen  können,  ob  ein  Pfahl- 
werk vorhanden  ist  oder  nicht. 

Ich  war  schon  in  früherer  Zeit  auf  eine  gewisse  Beziehung  unserer  Pfahlbauten 
zu  den  Bargwällen  aufmerksam  geworden  und  hatte  dieselbe  in  meinem  ersten  Vor- 
trage (Sitzung  vom  11.  Decbr.  1869.  Zeitschr.  f.  Ethnologie  Bd.  L  S.  410)  bespro- 
chen. Indess  glaubte  ich  bis  dahin  nur,  dass  Burgwälle  und  Pfahlbauten  neben  ein- 
ander von  derselben  Bevölkerung  errichtet  seien;  die  wirkliche  Substruction  eines 
Burgwalls  durch  einen  Pfahlbau  hatte  icli  nicht  vernmthet,  obwohl  ich  bei  dem  Pfahl- 
bau im  Daber-See  Balken  bis  tief  in  die  mit  dem  Burgwall  zusammenhängende 
Umwalluiig  hatte  verfolgen  können.  Wie  viel  oder  wie  wenig  aus  den  jetzigen  Er- 
fahrungen in  Bezug  auf  diese  älteren  Fundstätten  hervorgeht,  wird  sich  erst  durch 
weitergehende  Forschungen  ergeben  müssen.  Ebenso  ist  es  im  hohem  Maasse  frag- 
lich, ob  irgend  eine  Beziehung  unserer  Pfahlbau  -  Burgwälle  zu  den  italienischen 
Terremaren  besteht,  die  nach  Allem  einer  weit  früheren  Zeit  angehören.  Allerdings 
ein  Verbindungsglied  haben  wir  nach  Süden;  das  sind  die  von  Herrn  Jeitteles  in 
der  Stadt  Ol  mutz  gemacliten  Inuule,  die  er  selbst  in  eine  sehr  entfernte  Zeit  verlegt, 
ludess  halte  ich  erst  in  der  vorigen  Sitzung  meine    Gegengründe  entwickelt,  und  ich 


(131) 


habe  nunmehr  um   so  weniger   einen  Zweifel,    dass  auch   in  Olmütz  die  Sache  sich 
ähnlich  verhalte,  wie  in  Potzlow  und  Zahsow. 

Ich  habe  nur  noch  das  Eine  hinzuzufügen,  dass  sehr  wahrscheinlich  nach  den  Be- 
schreibungen, welche  die  Leute  uns  gaben,  auf  dem  Pfahlwerk  an  gewissen  Stellen 
eine  starke  Belastung  mit  Steinen  stattgefunden  haben  muss.  Wir  selbst  sind  nicht 
in  der  Lage  gewesen,  irgend  einen  grösseren  Stein  in  situ  zu  sehen;  möglicherweise 
hatten  wir  gerade  nicht  die  Richtung  getroffen,  genug,  darüber  kann  ich  nichts  aus- 
sagen. Aber  ich  habe  nicht  den  mindesten  Grund,  die  Aussage  der  ganz  glaubwür- 
digen Leute  zu  bezweifeln.  Es  würde  das  noch  weiter  für  die  WahrscLeinlichkeit 
sprechen,  dass  die  Anlage  des  Pfahlbaues  in  einer  Zeit  stattgefunden  hat,  wo  das- 
jenige, was  jetzt  Wiesenlläche  ist,  eine  bewegte  Seefläche  darstellte.  Gegen  eine 
solche  Annahme  scheinen  auf  den  ersten  Blick  die  übrigen  Funde  zu  sprechen,  welche 
auf  eine  slavische  Anlage  hinweisen.  Allein  bekanntlich  wird  die  Einwanderung  der 
Slaven  in  das  5.  oder  6.  Jahrhundert  zurückdatirt  und  eine  Zeit  von  1200 — 1300  Jah- 
ren, oder  sagen  wir  kurz,  ein  Jahrtausend  dürfte  wohl  genügen,  um  an  Stelle  eines 
flachen  Sees  eine  zusammenhängende  Moorsumpffläche  entstehen  zu  lassen. 

Die  Excursion  gab  zugleich  eine  sehr  günstige  Gelegenheit  zur  Betrachtung  der 
weudischeu  Bevülkeriiug. 

Dieses  ganze  Gebiet  ist  noch  gegenwärtig  von  einer  fast  durchweg  wendisch 
sprechenden  Bevölkerung  bewohnt,  und  die  sehr  bunten,  zum  Theil  barocken,  zum 
Theil  recht  malerischen  Trachten  der  Weiber  sind  auch  in  der  Hauptstadt  bekannt 
genug.  In  Cottbus  wird  noch  wendisch  gepredigt  und  wir  hatten  Gelegenheit,  den 
Kirchgang  am  Vormittage  zu  sehen,  zu  dem  auch  die  Leute  aus  der  Umgebung  in 
grösserer  Zahl  herangekommen  waren.  Ganz  besonders  erregten  die  Taufzeuginnen 
durch  ihren  mächtigen  und  höchst  kunstvollen  Kopfjoutz  allgemeine  Aufmerksamkeit. 
Am  Nachmittage  während  der  Arbeiten  am  Burgwall  entwickelte  sich  ein  reges  Trei- 
ben um  uns.  Während  wir  mit  dem  Ziehen  unseres  Grabens  beschäftigt  waren, 
besetzte  sich  der  Abhang  des  Burgwalls  mit  Wenden  jedes  Alters.  Ganz  kleine 
Mädchen,  schon  ebenso  geschmückt  wie  die  älteren  Mädchen  und  Frauen,  bildeten 
mit  den  letzteren  eine  dicht  gedrängte,  zusammenhängende  Einfassung  des  oberen  Randes, 
und  das  heimliche  Gekicher,  die  gespannte  Aufmerksamkeit,  das  stete  Zurückweichen 
und  Entfliehen  vor  nahenden  Anthropologen  brachte  immer  neue  Bewegung  in 
die  munteren  Gruppen  und  die  frischen  Gesichter.  So  entstand  denn  auch  der 
Wunsch,  einige  Messungen  vorzunehmen,  um  wenigstens  die  Kopfform  etwas  genauer 
zu  bestimmen,  aber  es  kostete  viele  Mühe,  zuerst  einzelne  Personen  heranzubringen. 
Indess  mit  der  Zeit  gelang  es  doch,  und  Hr.  Langerhaus  und  ich  selbst  konnten 
eine  gewisse  Zahl  von  Messungen  anstellen.  Die  nachfolgende  Tabelle  giebt  eine 
üebersicht  davon : 


Grösste 

Grösste 

Höhe 
(Gehör- 

Breiten- 

Höheu- 

Länge. 

Breite. 

gang  bis 
Scheitel). 

Index. 

Index. 

Junge  Männer  v.  18—20  J. 

1 

1) 

177 

152 

85,9 

2) 

178 

152 

85,4 

3) 

180 

146 

80,1 

4) 

181 

159 

87,8 

5)  Lehrer  u.  Stellmacher 

'       197 

Kollosche. 

170 

86,3 

(132) 


Höhe 

Grösste 

Grösste 

(Gehör- 

Breiten- 

Höhen- 

Länge. 

Breite. 

gang  bis 
Scheitel. 

Index. 

Index. 

6)  Erwachsenes  Mädchen. 

179 

144 

80,4 

7)  Frau  Noel. 

182 

153 

84,06 

8)  Marie  Noel,  9  Jahr  alt. 

174 

141 

112 

81,03 

64,3 

9)  Frau  Domiuaschke. 

175 

151,4 

117 

86,5 

66,8 

10)  Unverehelichte 

• 

Welan,  30  Jahr. 

178 

149 

124 

83,7 

69,6 

11)  Bauer  Pesch,  48  Jahr. 

188 

159 

133 

84,6 

70,7 

12)  Frau  Pesch,  Gattin 

des  Vorigen,  53  Jahr. 

186 

159 

131 

85,5 

70,4 

13)  Pesch  Sohn,  26  Jahr. 

196,5 

163 

143 

82,95 

72,7 

14)  Frau  Pesch  jun., 

Gattin  des  Vorigen, 

21  Jahr. 

176 

153 

121 

86,9 

68,7 

Es  liegt  auf  der  Hand,  dass  der  hier  ermittelte  Höhenindex  mit  dem  eigentlichen 
Schädel-Höheniudex  nicht  verwechselt  werden  darf,  da  das  Höhenmaass  am  Schädel 
vom  Rande  des  grossen  Hinterbauptsloches  genommen  wird,  also  ungleich  länger  ist. 
Für  die  Verhältnisse  am  Lebenden  lässt  sich  eine  andere  Höhenbestimmung  schwer 
machen.  Sie  genügt  aber  zu  zeigen,  dass  im  Allgemeinen  der  Wendenkopf  ziemlich 
hoch  ist.  W^enn  andererseits  an  der  Brachycephalie  als  der  herrschenden  Kopfform 
kein  Zweifel  sein  kann,  so  Hesse  sich  die  Frage  aufwerfen,  ob  die  Sitte  der  Frauen, 
welche  schon  bei  ganz  kleinen  Mädchen  angewendet  wird,  den  Kopf  unter  Opferung 
eines  grossen  Tiieils  der  Haare  durch  eine  Binde  fest  zu  umspannen,  nicht  zu  dieser 
Brachycephalie  beiträgt.  Indess  lehrt  unsere  Zusammenstellung,  dass  auch  bei  den 
Männern  eine  gleiche  Brachycephalie  existirt.     Wir  haben  nehmlich  bei 

Männern.      Frauen. 


einen  Breitenindex  von  85*9 

80-4 

84-4 

84-06 

80-1 

81-03 

87-8 

86-5 

86-3 

83-7 

84-6 

85-5 

82-95 

86-9 

593-05 

588-09 

im  Mittel     8492 

84-01 

Auch  dieses  Maass  ist  natürlich  nicht  entscheidend  für  die  eigentliche  Schädel- 
foriii,  aber  es  wird  ilir  doch  bis  zu  einem  gewissen  Grade  nahe  kommen. 

x\uch  die  Gesichtsbildung  ist,  wenigstens  beim  weiblichen  Geschlecht,  eine  mehr 
breite.  Bei  Männern  ist  ein  längeres  und  schmaleres  Gesicht  mit  längerer  und  ge- 
rader Nase  häufiger.  Bei  den  Frauen  ist  das  Gesicht  mehr  rundlich,  voll,  die  Wan- 
genbeine etwas  vorstehend,  die  Nase  meist  gebogen  und  bei  vielen  kurz  mit  auf- 
geworfemr  Spitze.  Die  Farben  sind  frisch  und  hell,  die  Haare  überwiegend  braun, 
jodoch  mit  lichter  Nuance,  nicht  selten  auch  blond,  die  Augen  wechselnd,  häufig  grau 
oder  braun,  oft  genug  auch  rein  blau.  Der  Wuchs  ist  im  Ganzen  kräftig,  aber  die 
iiänge  des  Kcirpers  eine  mittlere. 

Ich  erwähne  endlich,  dass  in  den  D'nvUirn  des  Weudlaudes,  wie  im  Spreewalde, 


(133) 

hölzerne  Blockhäuser  noch  recht  viel  vorkommen  und  dass  die  Giebel  derselben 
gekreuzte  Sparren  mit  Pferdeköpfen  tragen.  — 

Hr.  Voss  schliesst  daran  weitere  Mittheilungen 

über  Altert liiimsf linde  ans  der  Ooiyend  von  Cottbus. 

Ich  möchte  mir  erlauben,  Ihnen  zunächst  einen  Bericht  zu  erstatten  i'iber  die 
Ausstellung  von  praehistorischen  Gegenständen,  welche  unsere  Mitglieder,  die  Herren 
Dr.  Veckenstädt  von  Cottbus  und  Raben  au  von  Vetschau  in  dem  Empfangszimmer 
des  Bahnhofsgebäudes  zu  Cottbus  veranstaltet  hatten.  Die  Sammlung  war  zu  reich- 
haltig, als  dass  ich  auf  jedes  Einzelne  eingehen  könnte.  Ich  will  deshalb  nur  einiges 
Bemerkenswerthe  hervorheben.  Zunächst  waren  zwei  Gefässe  ausgestellt,  das  eine 
bei  Gross-Teuplitz  bei  Forst,  das  andere  bei  der  Stadt  Forst  gefunden,  welche  auf 
dem  obern  Rande   der  Oeffuung   zu   beiden   Seiten   des  Henkels   einige   zipfelförmige 

Appendtces  zeigten,  die  an  die  bekannte  Form  der  ansa  lunata  erinnerten.  Es  ist 
dies  eine  Art  der  Verzierung,  welche  bei  uns  sehr  selten  vorkommt.  Ich  kenne 
nur  zwei  ähnliche  Gefässe:  das  eine,  ein  becherförmiges,  cylindrisches,  mit  etwas  um- 

ebogenem  Rande,  wird  in  der  Sammlung  zu  Posen  aufbewahrt  und  wurde  bei  Do- 
bieczewko  in  der  Nähe  von  Exin  im  Kreise  Wongrowice  im  Grossherzogthum 
Posen  gefunden.  Das  andere  befindet  sich  in  der  hiesigen  königlichen  Sammlung, 
leider  aber  ist  sein  Fundort  unbekannt. 

Dann  waren  zwei  Gefässe  ausgestellt,  welche  die  Form  eines  Trinkhorns  hatten, 
das  eine  in  dem  Töpferberg  bei  Forst,  das  andere  auf  der  Feldmark  des  Dorfes  Göritz 
bei  Cottbus  gefunden.  Auch  diese  Gefässe  gehören  zu  den  Seltenheiten.  In  der 
Königlichen  Sammlung  befindet  sich  ein  solches,  welches  aus  der  Gegend  der  schwar- 
zen Elster  stammt  und  entweder  bei  Schlieben  oder  Rossen  gefunden  wurde.  Ferner 
bildet  Klemm  ein  ähnliches  ab,  welches  vielleicht  derselben  Gegend  entstammt. 
Auch  besitzt  Herr  Prof.  Virchow  ein  solches  Stück,  welches  bei  seinen  Ausgra- 
bungen bei  Zaborowo  im  Posenschen  zu  Tage  gefördert  wurde.  —  Ausserdem  waren 
einige  sogenannte  Doppelurnen  von  Interesse.  Eine  derselben  ist  bei  Preschen,  eine 
■Bndere  bei  Gross-Bademeusel,  Ortschaften  in  der  Nähe  von  Forst,  gefunden  worden. 
Die  Königliche  Sammlung  besitzt  dergleichen  Gefässe  in  grösserer  Zahl  aus  der  Ge- 
gend von  Pforten  und  einige  aus  der  Nähe  des  Dorfes  Kolkwitz  bei  Cottbus,  welche 
von  einem  früher  erwähnten  ürnenfelde  herstammen,  wo  Gold  gefunden  wurde.  Dann 
waren  noch  beachtenswerth  einige  Gefässe  mit  graphitähuliciiem  ins  Silbergraue  spie- 
lenden Anstrich.  Die  Königliche  Sammlung  besitzt  auch  von  diesen  Gefässeu  eine 
nicht  unbedeutende  Zahl.  Leider  aber  befinden  sich  unter  ihnen  auch  solche,  welche 
der  Finder  aus  ubergrossem  Restaurationseifer  mit  sogenanntem  "Wasserblei  überzogen 
hat,  so  dass  die  ursprüngliche  Färbung  dadurch  leider  bedeckt  ist.  Höchst  interes- 
sant war  ein  Thongeräth,  welches  die  Gestalt  einer  flachen  kreisrunden  Scheibe 
hatte  und  auf  welchem  bei  der  Auffindung  der  untere  Theil  eines  sogenannten  Räu- 
chergefässes  stand.  Es  stammt  von  Berge  bei  Forst.  Bis  jetzt  ist  eigentlich  noch 
nicht  klar  gestellt,  zu  welchem  Zweck  diese  Scheiben  gedient  haben  mögen.  Sie  finden 
sich  in  der  Mark,  in  Posen,  Schlesien  und  Pommern  in  verschiedeneu  Grössen  vor, 
von  etwa  3  Zoll  bis  15  und  16  Zoll  im  Durchmesser.  Einige  sind  auf  der  einen  Seite 
geglättet,  auf  der  anderen  mit  Fingereindrücken  versehen ;  andere  sind  von  fünf  und 
mehr  kleinen  Löchern  durchbohrt.  Sie  wurden  bis  dahiu  ziemlich  allgemein  als  Dr- 
nendeckel  angesehen  und  es  finden  sich  Analogien,  welche  diese  Annahme  rechtfer- 
tigen. Herr  Virchow  fand  bei  seinen  Ausgrabungen  bei  Zaborowo  auch  dergleichen 
Scheiben,  welche  jedoch  nicht  auf  den  Urnen,  sondern  stets  neben  denselben  lagen. 
Es  scheint  demnach,   als  wenn  der  Fund  von  Berge   geeignet  ist,   für  dies  Vorkom- 


(134) 

men  eine  Erklärung  zu  geben  und  ich  glaube,  dass  man  der  Wahrheit  am  nächsten 
kommt,  wenn  man  annimmt,  dass  ein  Theil  dieser  Scheiben  als  Urnendeckel,  andere 
dagegen  als  Unterlagen  für  Räuchergefässe  dienten;  damit  ist  aber  nicht  ausgeschlos- 
sen, dass  sie  nicht  auch  noch  zu  anderen  Zwecken  gedient  haben.  Jedenfalls  aber 
werden  wohl  die  durchbohrten  Scheiben  als  Deckel  gedient  haben,  denn  wir.  finden 
eine  ganze  Reihe  von  Formen  unter  den  Geräthen  dieser  Art,  welche  sich  aus  ein- 
ander entwickeln  lassen  und  die  allmäligen  Debergänge  von  flachen  Scheiben  bis  zu 
jenen  eigenthümlichen  Urnendeckeln  darstellen,  welche  conisch  geformt  sind  und 
auf  der  Spitze  einen  caminähnlichen  hohlen  Cylinder  tragen.  Namentlich  ist  die 
Sammlung  zu  Jena  reich  an  diesen  letzterwähnten  Formen,  welche  sämmtlich  aus 
Schlesien  stammen,  wo  ja  auch  jene  flachen  Scheiben,  ebenso  wie  im  Posenschen, 
häufig  genug  gefunden  werden.  Vielleicht  wurden  die  mit  diesen  Deckeln  versehenen 
Gefässe  auch  als  Räuchergefässe  benutzt;  vielleicht  aber  hatten  sie  auch  mystische 
Beziehungen  zu  dem  Verstorbeneu,  für  dessen  Seele  jene  Oeffnungen  vielleicht  Durch- 
gangspforten bildeten. 

Auch  verschiedene  Bronzesachen  waren  ausgestellt,  unter  denen  ausser  einigen 
Bronzeringen,  welche  bei  Werben  gefunden  wurden,  hauptsächlich  ein  Paalstaf  be- 
merkenswerth  war,  welcher  zwar  im  Allgemeinen  die  häufig  vorkommende  Form 
ohne  Schaftlappen  mit  flacher  bis  zur  Mitte  reichender  Rinne  zeigte,  sich  aber  durch 
einen  halbkreisförmigen  Ausschnitt  auf  der  Spitze  des  Schaftendes  auszeichnete. 
Derselbe  wurde  bei  Scheuuo  in  der  Nähe  von  Forst  gefunden. 

Die  Umgegend  von  Weissagk    bei  Forst   war   durch    Bruchstücke    einer   grossen 
Urne  vertreten.    Das  Gefäss,  dem  dieselben  angehörten,  ist  vielleicht  15 — 16  Zoll  hoch 
gewesen  und  wird  auch   einen   ebenso   grossen  Durchmesser  gehabt  haben.     Es  war 
ungehenkelt  und  einfach  topfförmig.     Die  Wandungen  waren  sehr  dick  und   an  ihrer 
Aussenfläche  künstlich  rauh  gemacht.     Etwa  2  Zoll   unterhalb   des  Randes    und  pa- 
rallel mit  demselben  verlief  eine  erhabene,   etwa  'A    Zoll  breite   Leiste,  welche  mit 
Filigereindrücken  ornamentirt  war.    Diese  Art  von  Gefässen  ist  in  sofern  bcmerkens- 
werth,    als    man    wegen    ihres    höchst  rohen    Aussehens   nicht   geneigt    sein   könnte, 
anzunehmen,    dass    so    unvollkommene    Exemplare    derselben    Zeit    angehören,    wie 
die  so  vollendeten  Formen,    welche  wir  so    häufig  in   diesen  Gegenden  finden.     Und 
dennoch  ist  dies  wirklich  der  Fall.     Was   aber   das  Interesse   an   denselben  noch  er- 
höht, ist  der  umstand,  dass  diese  Gefässe  auch  an  Localitäten  vorkommen,  wo  Gold 
gefunden  wurde.     So  besitzt  die  Königliche  Sammlung  ein  kleines,  ganz  ähnlich  rohes 
einhenkeliges  Gefäss   aus   dem  Urnenlager   südlich  von  Kolkwitz,    wo    in   einer  Urne 
ein  Goldplättchen  gefunden  wurde.     Und   vielleicht  steht  auch   dieses  grosse  Gefäss 
von   Weissagk    in  Beziehung  zu   einem   nicht  unbedeutenden   Goldfunde.     Nahe  bei 
dem  Dorfe  Weissagk  ist  nämlich  eine  grosse  frühere  Seefläche,  die  vor  etwa  18  Jah- 
ren trocken  gelegt  und  durch  Ueberfahreu   mit  dem  Sande  der   darin  belegenen  klei- 
nen Hügel  allmälig  in  Ackerland  umgeschaffen  wurde.    Diese  Hügel  und  kleinen  Her- 
vorragungen, von  etwa  50 — 80  Ruthen  Durchmesser,  liegen  vereinzelt  und  bestehen  aus 
reinem,    ausgewaschenem  Dünensande.     In   dem   einen  dieser  Hügel    fand    man    nun 
beim  Abfahren  8  runde  goldene  Zierplättchen,  von  etwa  1  '/4  Zoll  Durchmesser  mit  con- 
centrischen,  durch  Riefung  hergestellten  Kreisen  und  einem  kleinen  henkelartigen  An- 
hang; sonst  aber  Nichts  weiter.     In  einem  anderen  Hügel  wurden  9  vierkantige  ge- 
wundene Bronzearmringe  gefunden,  ebenfalls  ohne  Beifunde.    In  einem  dritten  Hügel 
stand  die  eben   beschriebene  Urne,   neben  welcher  noch   einige  Bruchstücke  von  an- 
deren Urnen  und  einige  Feuerstellen  zum  Vorschein  kamen.    Ausserdem  war  ein  andrer 
dieser  Hügel  an  seiner  Oberfläche  ganz  mit  Kohlen  bedeckt   und   an   einigen  Stellen 
mit  Steinen  dicht  belegt,  so  dass  man  in  der  sonst  ziemlich  steinarmen  Gegend  meh- 


(135) 

rere  Fuder  von  dieser  einen  Stelle  abgefahren  hat.  Namentlich  an  einer  Stelle  wa- 
ren die  Steine  dichter  angehäuft  und  reichten,  von  einer  schwarzen  Kohlenschicht 
eingeschlossen,  bis  etwa  2— H   Fuss  unter  das  Niveau  der  Umgebung, 

Ich  möchte  mir  nun  erlauben,  hier  noch  einige  Notizen  über  andere  Goldfunde 
anzuschliossen,  welche  icii  den  Herren  Dr.  Veckenstedt  und  Rabenau  verdanke 
und  welche  diese  Gegend  betreffen,  um  wenigstens  zu  begründen,  dass  unsere  Er- 
wartungen auf  Gold  nicht  ganz  unberechtigt  waren.  Ein  Goldarbeiter  in  Cottbus 
hat  nämlich  angegeben,  dass  er  aus  den  Dörfern  Werben  und  Burg  im  Spreewalde 
allein  fiir  etwa  800  Thlr.  an  Gold  erworben  habe,  das  bei  ländlichen  Arbeiten  zum 
Vorschein  gekommen.  Ausserdem  sind  in  der  Gegend  von  Altdöbern  auch  ziemlich 
bedeutende  Goldfunde  gemacht  worden.  Die  Bauern  hatten  nämlich  beim  Bestellen 
ihrer  Aecker  Spiralen  von  Golddraht  gefunden  und  dieselben  als  Pfeifenräumer  lie- 
nutzt,  bis  eines  Tages  ein  Kundiger  kam  und  sie  iiber  den  Werth  der  Gegenstände 
aufklärte.  Ausserdem  wurden  nach  Aussage  des  Herrn  Rabenau  sen.  nahe  bei 
Cottbus  bei  dem  Dorfe  Kockrow  Urnen  zu  Tage  gefördert,  welche  mit  anderen  Ur- 
nen zugedeckt  waren  und  in  ähnlicher  Weise,  wie  Herr  Prof.  Virchow  ein  ähn- 
liches Vorkommen  von  den  Ausgrabungen  bei  Zaborowo  beschrieben  hat,  an  der  Peri- 
pherie der  bedeckenden  Gefässe  einen  Ring  von  ziemlich  starkem  Golddraht  trugen.') 

Was  nun  unsere  Ausgrabungen  bei  Kolkwitz  anbetrifft,  so  waren  dieselben  aller- 
dings von  keinem  besonderen  Resultate  gekrönt.  Die  Stelle,  südlich  von  dem  Dorfe 
belegen,  wo  das  Goldplättchen  in  einer  Urne  gefunden  wurde,  war  schon  zu  sehr 
durchwühlt.  Ich  habe  schon  früher  dort  Nachgrabungen  angestellt,  damals  aber 
auch  weiter  nichts  erbeutet,  als  verschiedene  Trümmer.  Wir  haben  auch  diessmal 
nur  einige  Scherben  zu  Tage  gefördert  und  waren  nicht  einmal  so  glücklich 
ornamentirte  darunter  zu  finden.  Die  Urnenfelder  bei  Kolkwitz  liegen  auf  einem 
continuirlichen  Sandrückeu,  der  in  der  Nähe  von  Cottbus  beginnt  und  sich  zwi- 
schen feuchten  Niederungen  bis  über  das  Dorf  Kolkwitz  hinaus  erstreckt.  Es  sind 
auf  demselben  an  verschiedenen  Stellen,  unter  anderen  auch  nahe  bei  der  Stadt  Cottbus 
in  der  Gegend  eines  jetzigen  Kirchhofes,  Urnen  zum  Vorschein  gekommen  und  es 
scheint  demnach  fast,  als  sei  dieser  Sandrücken  ein  zusammenhängendes  Urnenfeld 
in  seiner  ganzen  Erstreckung  bis  über  Kolkwitz  hinaus.  Das  bei  Kolkwitz  gefun- 
dene Goldplättchen,  sowie  eine  Anzahl  gut  erhaltener  Cefässe,  welche  ebenfalls  jener 
Stelle  entstammen  und  meistens  den  gewöhnlichen  sogenannten  Lausitzer  Typus  zei- 
gen, hat  das  Königliche  Museum  erworben  und  aufgestellt.  Auf  dem  nördlich  von 
Kolkwitz  belegenen  Urnenfclde  konnten  wir  aus  Zeitmangel  nicht  Nachgrabungen 
anstellen  und  mussten  uns  auf  eine  Ocularinspection  beschränken.  — 

Herr  Woldt  macht  darauf  Mittheilungen  über  gewisse  Kirchenmarken,  auf 
welche  Herr  Dr.  Edm.  Veckenstedt  in  Cottbus  die  Mitglieder  der  Excursion  bei 
der  i^esichtigung  der  Wendischen  Kirche  in  Cottbus  aufmerksam  gemacht  hatte. 
Nach  Herrn  Veckenstedt's  Ansicht  sind  diese  Marken,  welche  aus  Längs-  und 
Querrillen,  sowie  aus  runden  Löchern  bestehen,  dadurch  entstanden,  dass  in  frühe- 
ren Jahrhunderten  Krieger,  welche  ihre  Waffen  weihen  lassen  wollten,  dieselben  von 
Aussen  an  die  Kirchenmauer  gelehnt  haben  und  dadurch  im  Laufe  der  Jahre  die  Eindrücke 
hervorgebracht  seien.  Uebrigens  kämen  diese  Marken  auch  sonst  au  Kirchen  in 
Mitteldeutschland  vor,  so  namentlich  in  Goslar  und  Braunschweig,  und  die  Volks- 
sage erkläre  sie  hier  als  Krallenspuren  des  Löwen,  welcher  die  Kirche  nicht  betreten 


')  Bei  dem  Dorfe  Babow  in  der  Gegend  von  Cottbus  wurden,  wie  mir  Herr  Rabenau  jun. 
g;ütigst  mittheilto,  auch  ähnliche  Befimde  angetroffen.  Die  Deckelgefässe  waren  hier  aber  mit 
einem  Bronzering  umgürtet. 


(136) 

durfte,  während  sein  Herr,  Herzog  Heinrich  im  Innern   derselben  betete.     Nach  der 
Auffassung  des  Herrn  Dr.  Heinrich  Boltze  in  Cottbus  hängen  diese  Kirchenmar- 
ken mit  den  Wochenmärkten  zusammen,   welche   stets  rings  um  die  Kirchen  abge- 
halten wurden:  sie  seien  Kennzeichen  für  diejenigen,  welche  ihren  Verkaufsstand  da- 
durch    fixiren    wollten.      Herr     Woldt     constatirt    das    Vorkommen     runder    Vertie- 
fungen, welche  etwa  1  Zoll  im  Durchmesser  haben,   auch  für  die  Marienkirche  und 
die  Nicolaikirche  in  Berlin,  sowie  für  die  Jacobikirche  in  Stettin,  während  er  an  gleich 
alten  Kirchen  in  Stralsund,  Kopenhagen,  Malmö,  Ystad ,  sowie  an  den  etwa  aus  dem 
Jahr  1000  stammenden  alten  Rundkirchen  auf  Bornholm  diese  Marken   trotz  eifrigen 
Suchens  nicht  gefunden  hat.    Bemerkenswerth  ist,  dass  das  bekannte  steinerne  Kreuz, 
welches  gegenwärtig  am  Thurmeingauge  der  St.  Marienkirche  zu  Berlin  steht,  eben- 
falls fünf  Vertiefungen    besitzt,    die    obgleich  etwas  tiefer,    wie   die  Rundmarken   an 
derselben  und  an  anderen  Kirchen,  diesen  dennoch   sehr   ähnlich   sind.     Dieses   stei- 
nerne Kreuz  ist  zum  Andenken  an  den  im  Jahre  1327  in   Berlin   ermordeten  Propst 
Nicolaus   von  Bernau   errichtet  worden  und   dienten   die  fünf  Vertiefungen  der  Sage 
nach  dazu,   um  die  ewige  Lampe,  welche   zur  Sühne  lange  Zeit  an  dem  steinernen 
Kreuze  brennen   musste,    zu   halten.     Da  nun  in  katholischen  Gegenden  auch  heute 
noch  zum  Andenken  an   die  Verstorbenen   zu  Zeiten  Lichter  angezündet  werden ,  so 
liegt,  wenn  man  nach  einer  Erklärung  der  Rundlöcher  an   der  Aussenseite  der  Kir- 
chen   sucht,    der  Gedanke   nahe,    diese  Vertiefungen  als  solche  anzusehen,   in  denen 
einstmals  derartige  Lichter,  mochten  sie  nun  zur  Sühne  oder  zum  Andenken  brennen, 
befestigt  gewesen  sind.     Merkwürdig   ist  übrigens  die  üebereinstimmung   der  Grösse 
der  Rundvertiefungen   in  den   verschiedenen  Kirchen  und  legt   der  Vortragende  zum 
Beweise   dafür   eine  Anzahl   von    ihm  in   Gyps   abgeformter  Vertiefungen    des  Stein- 
kreuzes und  der  Aussenmauer  der  Marienkirche,  sowie  der  Nicolaikirche  in  Berlin  vor, 
welche  mit  den   auf  einem   von  Herrn  Raben  au  aus  Vetschau  in  derselben  Sitzung 
vorgelegten    Stück    der  Kirchenwand    befindlichen    Rundlöchern  an  Grösse    überein- 
stimmten.    Die  Untersuchungen  über  diesen  Gegenstand  sind  übrigens  durchaus  noch 
nicht  abgeschlossen  uud  wäre  es  höchst  wünschenswerth,  wenn  in  allen  Theilen  Deutsch- 
lands   und  andern  Ländern  Nachforschungen    über    diese    Rillen    angestellt   würden. 

Herr  Rosenberg  bemerkt  hierzu,  dass  er  die  Vorlage  der  abgeformten  Rund- 
löcher mit  grosser  Freude  begrüsse.  Diese  Höhlungen  hingen  genau  zusammen  mit 
den  sogenannten  Grübchensteinen  der  heidnischen  Zeit,  und  es  seien  solche  Vertie- 
fungen namentlich  an  den  Opfersteiaen  zu  Quoltitz  und  Werder,  sowie  am  Burgwall 
zu  Garz,  ferner  in  der  Schweiz  und  in  Skandinavien  gefunden  worden.  In  dem  Vor- 
kommen dieser  Vertiefungen  an  christlichen  Kirchen  haben  jA'ir  offenbar  ein  Hinein- 
ragen des  Heidenthums  in  das  Christenthnm  zu  erblicken  und  es  wird  die  Aufgabe 
der  Mythenforschung  sein,  die  richtige  Stelle  des  Zusammenhanges  zu  finden. 

(17)  Herr  Virchow  besprach  unter  Vorlegung  desselben 
den  Schädel  der  heiligen  Cordula. 

Die  Veranlassung  zu  dieser  Betrachtung  war  zunächst  eine  rein  archäo- 
logische Frage,  welche  angeregt  zu  haben  das  Verdienst  unseres  Schriftführers,  des 
Herrn  Dr.  Voss  ist.  Derselbe  hatte  seine  Aufmerksamkeit  dem  Reliquienkasten 
des  Doms  zu  Cammin  zugewendet,  welchen  Sie  hier  vor  sich  sehen.  Sie  werden  sich 
überzeugen,  dass  es  in  der  That  eins  der  merkwürdigsten  Objecte  der  archaischen 
Kunst  unseres  Nordens  ist.  l']r  gehört  noch  gegenwärtig  der  Domkirche  in  Cam- 
min, obwohl  begreiflicherweise  mit  der  Reformation  der  Gebrauch  der  Reliquien 
aufgehört  hat,  und  es  ist  sonderbar  genug,   dass  damit  eine  Reihe  von  Heiligenkno- 


(137) 

clien  in  die  Hände  der  Ketzer  gekommen  ist  und  auch  uns  Gelegenheit  geboten  wird, 
sie  vor  uns  zu  sehen.  Ich  will  zur  Entschuldigung  sagen,  dass  wir  damit  um  so 
weniger  ein  Sakrilegium  zu  begehen  glauben ,  als  in  neuerer  Zeit  namentlich  in 
Italien,  unter  Zustimmung  der  Geistlichkeit  alte  Heilige  nicht  blos  aus  ihrem  Gra- 
be gehoben,  sondern  auch  von  Anatomen  untersucht  worden  sind;  so  der  heilige 
Ambrosius  und  andere  Kirchenlichter,  deren  Craniologie  erst  jetzt  in  das  richtige 
Licht  gestellt  ist.  Ich  selbst  war,  freilich  unter  ganz  anderen  Umständen,  einmal  be- 
rufen, die  Aeohtlieit  von  Heiligenkö})fen  zu  constatiren.  In  Würzburg  wurden  in  der 
ersten  Zeit,  wo  ich  an  der  dortigen  Universität  lehrte,  die  lange  vermissten  Köpfe 
der  heiligen  Märtyrer  Kiliaii,  Colonat  und  Totnam,  der  Frankenapostel,  aufgefunden,  kurz 
nachdem  auf  der  dortigen  Anatomie  wiederholt  Schädel  und  ein  Skelet  gestohlen  waren. 
So  entstand  das  Gerücht,  die  feierlich  ausgestellten  Schädel  seien  mit  den  gestohlenen 
identisch.  Ich  konnte  jedoch  bestätigen,  dass  es  alte  Schädel  seien  und  dass  auch  die 
mächtigen  Wunden,  welche  sie  trugen,  vor  langer  Zeit  angebracht  sein  mussten.  Die 
Sache  hatte  aber  doch  den  guten  Erfolg,  dass  die  Anatomie  ein  schönes  Skelet 
zurückerhielt,  welches  der  Dieb  „in  der  Beichte"  angegeben  hatte. 

Die  heilige  Cordula  hat  ein  besonderes  Interesse  vielleicht  schon  deshalb,  weil 
man  so  wenig  von  ihr  weiss.  Es  gilt  dies  nicht  bloss  von  den  Ketzern,  sondern 
auch  von  den  Gläubigen.  Es  ist  ihr,  wie  jeder  Kalender  ergiebt,  der  22.  October 
geweiht.  l)(!r  21.  October  ist  der  Tag  der  heiligen  Ursula.  Es  erklärt  sich  diese 
Nähe  eben  aus  dem  Umstände,  dass  die  heilige  Cordula  eine  der  11,000  Jungfrauen 
war  und  zwar,  wie  sich  das  Martyrologium  romanum  ausdrückt:  sola  ex  illis  soda- 
libus,  quae  polleat  praerogativa.  Die  Geschichte  der  heiligen  Ursula  wird  Ihnen  im 
Grossen  bekannt  sein.  Es  wird  berichtet  in  den  heiligen  Geschichten,  dass  sie  die 
Tochter  eines  christlichen  Königs  von  Britannien  gewesen  sei,  dass  der  Sohn  eines 
heidnischen  Königs  in  Deutschland  um  sie  gefreit  habe,  dass  dann  die  Bedingung 
gestellt  worden  sei,  dass,  wenn  sie  die  Heirath  eingehe,  in  der  Gegend  von  Köln, 
wohin  die  Sage  zielt,  das  Christeuthum  definitiv  eingeführt  werden  müsse,  und  dass 
es  eine  Spezialbedingung  des  Heirathcontractes  wurde,  dass  11,000  christliche  Jung- 
frauen aus  Britannien  mit  herübergeführt  würden,  welche  bestimmt  waren,  Eheu  ein- 
zugehen mit  den  heidnischen  Deutschen ,  um  auf  diese  Weise  ein  christliches  Ge- 
schlecht zu  erzielen.  Für  die  Sammlung  dieser  11,000  Jungfrauen  waren  2  Jahre 
Frist  gestellt,  während  deren  zugleich  der  betreffende  Prinz  dem  christlichen  Unter- 
richt unterworfen  werden  sollte,  damit  er  hinreichend  fest  sei,  wenn  die  Heirath 
vollzogen  würde.  Dann  fuhr  die  heilige  Ursula  mit  den  11,000  Jungfrauen,  je  1000 
in  einem  Schiff,  herüber.  Sie  wandten  sich  jedoch  zunächst  aufwärts  über  Basel  und 
die  Alpenpässe  nach  Rom,  beteten  au  den  Gräbern  der  Apostel  und  kehrten,  be- 
gleitet von  einigen  Kirchenvätern,  welche  schon  damals  die  Vorahnung  des  kommen- 
den Martyriums  hatten,  wieder  nach  Deutschland  zurück.  Die  Sagen  schwanken  et- 
was über  die  Zeit,  in  welcher  dies  Ereigniss  stattgefunden  haben  soll;  sie  schwan- 
ken zwischen  dem  4.  und  5.  Jahrhundert.  Vor  Köln  geschah  das  Grässliche,  dass 
heidnische  Feinde  der  Jungfrauen  begehrten,  und  dass  diese,  als  sie  sich  weigerton,  mit 
ihnen  Ehebündiiisse  einzugehen,  sämmtlich  erschl.igen  wurden.  Nur  eine  der  Jung- 
frauen verbarg  sich  aus  Furcht  vor  dem  Tode  bis  zum  nächsten  Tage;  dann  aber, 
als  sie  erfuhr  oder  bemerkte,  dass  ihre  Genossinnen  alle  dem  Martyrium  unterlegen 
waren,  fasste  sie  einen  tapferen  Entschluss,  gab  sich  zu  erkennen  uml  wurde  gleich- 
falls ermordet. 

Lange  Zeit  hatte  man  nicht  gewusst,  wer  sie  war.  Erst,  wie  es  scheint,  im  11. 
oder  12.  Jahrhundert,  geschah  es,  dass  eine  Nonne  im  Kloster  zu  Herse  in  West- 
falen, mit  Namen  Heleutrud,  in  einer  Nacht  eine  Erscheinung  hatte  und  dass  sie  ein 


(138) 

leuchtendes  Frauenbild  vor  sich  sah,  welches  von  ihr  verlangte,  dass  sie  auch  beson- 
derer Ehren  theilhaftig  und  in  das  Gebet  der  Gläubigen  mit  eingeschlossen  würde. 
Auf  einem  Strahlenbande,  welches  auf  ihrer  Stirn  befestigt  war,  las  die  Nonne  den 
Namen  Cordula.  So  wurde  zuerst  der  Name  der  letzten  üeberlebenden  der  11,000 
Jungfrauen  bekannt,  ein  Name,  von  dem  nachher  etwas  sonderbare  Erkliirungen  gegeben 
sind.  In  dem  Heiligenlexicon  der  Herrn  Stadler  und  Heim  (Augsburg  1858.  Bd.  1. 
S.  671.)  steht  sonderbarer  Weise,  er  bedeute  „Herzchen",  indoss  das  Diminutiv  von  cor 
heisst  corculum  und  nicht  cordulum.  Die  Acta  sanctorum  sind  in  dieser  Beziehung  viel 
correkter,  indem  sie  cordula  als  Diminutiv  von  corda  angeben,  da  gewissermassen  ein 
Faden  gegeben  sei,  an  welchem  die  göttliche  Inspiration  zu  den  Menschen  geleitet  sei. 

Im  IH.  Jahrhundert  ereignete  sich  von  Neuem  ein  wichtiges  Wunder.  Es  ge- 
schah, dass  ein  Bruder  des  Ordens  des  heiligen  Johannes  von  Jerusalem  in 
dem  Kloster  zu  Köln,  Yngebrand  de  Rurke  in  einer  Nacht  gleichfalls  die  Er- 
scheinung dieser  Jungfrau  hatte.  Er  war,  wie  es  scheint,  etwas  trägen  Geistes 
und  hatte  in  der  ersten  Nacht,  als  sich  dieses  ereignete,  die  Gelegenheit  ver- 
säumt, sich  vollständig  zu  instruiren.  Er  theilte  die  Sache  seinem  Prior  mit; 
der  sagte,  er  müsse  herausbringen,  was  das  eigentlich  sei,  und  wie  das  zusam- 
menhinge. Darauf  trat  denn  in  der  That  dieselbe  Vision  in  der  folgenden  Nacht 
auf,  und  obwohl  der  Mann  nicht  lesen  konnte,  las  er  doch  an  der  Stirn:  Cordula 
Virgo  -Regina.  Das  behielt  er.  Als  er  am  Morgen  aufwachte,  wiederholte  er  immer 
diese  Worte,  wie  die  Acta  sanctorum  berichten.  Nun  war  noch  nicht  herausge- 
bracht, weshall)  die  heilige  Coidiila  sich  gezeigt  habe.  Das  wurde  bei  der  dritten  Vision 
constatirt:  sie  theilte  mit,  dass  in  dem  Klostergarten  bei  einem  grossen  Haselnuss- 
baum  ihr  Leib  begraben  sei.  Er  machte  sich  nun  darüber  und  es  gelang  ihm  auch, 
den  Körper  der  Heiligen  zu  entdecken.  Aber  man  scheint  ihm  nicht  gebührende 
Aufmerksamkeit  geschenkt  zu  haben.  Um  diese  Zeit  kam  jedoch  der  Bischof  Al- 
bertus Magnus  von  Regensburg  nach  Köln;  der  machte  sich  alsbald  auf,  ging  selbst 
zu  der  Stätte,  betete  au  und  liess  sofort  die  Gebeine  in  die  Kirche  des  Klosters  bringen. 

Die  Acta  sanctorum ')  wissen  nichts  weiter  über  die  Heilige  zu  berichten, 
als  dass  sich  nachher  ein  lebhafter  Streit  erhoben  habe  zwischen  den  Kölnern 
und  den  Prämonstratensern  in  der  Abtei  Vicoigne  bei  Valence  (Valentia),  welche 
behaupteten,  dass  sie  die  Gebeine  der  Heiligen  besessen,  wie  das  so  oft  geht.  Und 
in  der  That,  gerade  so,  wie  bei  der  ersten  Erhebung  der  Leiche  unter  dem  Hasel- 
nussbaum,  als  das  Erdreich  entfernt  war,  der  angenehmste  Wohlgeruch  sich  ver- 
breitet haben  sollte,  constatirten  die  Viconenser  Mönche,  dass  bei  einer  Aenderung 
ihres  Klosters,  als  die  Gebeine  translocirt  wurden ,  dieser  selbe  himmlische  Wohlge- 
ruch sich  verbreitet  habe.  Wie  der  Schädel  nach  Gammin  gekommen  ist,  ist  aus 
den  Acta  sanctorum  nicht  ersichtlich,  auch  weiss  ich  sonst  Weiteres  darüber  nicht  zu 
melden.  Indessen  war  bekanntlich  in  Canimin  der  pommersche  Bischofsitz,  errichtet 
in  einer  Zeit,  wo  die  kirchliche  Erweckung  sehr  stark  war.  Es  lässt  sich  wohl  erwarten, 
dass  der  heilige  Otto  und  seine  Nachfolger  dafür  gesorgt  haben,  dass  sichere  Gebeine 
dahin  kamen,  und  dass  nicht  etwa  eine  fabrica  ossium,  wie  sie  später  wiederholt  constatirt 
worden  ist  dazwischen  trat.  Ich  nehme  also  an,  dass  das,  was  Sie  hier  vor  sich  sehen,  in 
der  That  der  richtige  Schädel  ist,  und  wenn  Sie  die  mächtige  Spalte  sehen,  welche 
die  Stirn  der  Heiligen  ziert,  so  kann  man  sich  wohl  vorstellen,  dass  der  Hieb  eines 
Heiden  das  Leben  der  Heiligen  vernichtet  habe.  Es  ist  gleichzeitig  mit  diesem 
Schädel   eine  Reihe   anderer  Gebeine  vorhanden,   von  denen  man  zum  Theil    anneh- 


')  Acta  Sanctorum  Oetobris  T.  IX.  p.  580. 


(139) 

men  könnte,  dass  sie  dazu  gehörten,  indess  die  Mehrzahl  macht  einen  anderen  Ein- 
druck, einige  gehören  sicherlich  zu  anderen  Körpern,  als  der  Schädel.  Es  würde 
also  von  Interess'e  sein,  aus  den  Invcntarien  des  Doms  zu  Cammin  zu  constatiren,  zu 
welchen  anderen  Heiligen  sie  gehört  haben.  Hier  ist  z.  B.  ein  ganz  braunes  Fersen- 
bein mit  Verknöchcrung  des  Ansatzes  der  Achillessehne,  welches  offenbar  von  einem 
männliclien  Individuum  herstammt;  es  giebt  ferner  darunter  einige  andere  sehr  alte, 
höchst  brüchige  Knochenstücke,  die  wahrscheinlich  aus  den  ältesten  Zeiten  des  Chri- 
stenthums  stammen,  vielleicht  von  den  Aposteln  selber.  Sie  sind  so  abgegriffen,  dass 
wenn  man  annimmt,  dass  der  Schädel  aus  dem  5.  Jahrhundert  stammt,  sie  wenig- 
stens aus  dem  ersten  stammen  müssen.  Ausserdem  haben  wir  eine  Reihe  von  sehr 
gemischten  Knochen,  Stücke  von  Schläfenbeinen  und  Unterkiefern,  die  auch  nicht  wohl 
mit  dem  Schädel  in  Verbindung  gebracht  werden  können. 

Was  nun  den  Schädel  selbst  anlangt,  so  ergiebt  sich  daraus  zunächst,  dass  die 
heilige  Cordula  wohl  einen  äusseren  Grund  hatte,  sich  nicht  den  anderen  Jungfrauen 
gleich  zu  stellen.  Es  ist  nehmlich  der  Schädel  einer  ziemlich  alten  Frau.  An  der 
weiblichen  Beschaffenheit  zweifle  ich  keinen  Augenblick;  es  sind  alle  Merkmale  vor- 
handen, die  man  sonst  den  weiblichen  Schädeln  zuschreibt.  Aber  es  ist  auch  gar 
kein  Zweifel,  dass  die  Trägerin  alt  war.  Obwohl  das  ganze  Gesicht  mit  dem  Jochbein 
und  die  Basis  des  Schädels  nebst  einem  Stück  der  Hinterhauptsschuppe  fehlen,  so 
zeigt  sich  doch  eine  so  ausgedehnte  Verknöcherung  der  Nähte,  namentlich  der  Pfeiluaht, 
wie  der  mittleren  Theile  der  Kranz-  und  I.ambdanaht,  wie  sie  eben  nur  bei  einem  alten 
Individuum  vorkommen  kann.  Zufällig  läuft  quer  über  die  Scheitelhöhe  eine  stark  ab- 
genutzte oder  abgeschrapte  Fläche,  die  durch  ein  nicht  ganz  klares  Reiben  entstanden 
sein  muss;  dadurch  ist  die  Oberfläche  so  weit  abgeschabt,  dass  man  hier  wenigstens 
deutlich  eine  Naht  sehen  raüsste,  wenn  sie  noch  vorhanden  gewesen  wäre.  Das  ist 
aber  gar  nicht  der  Fall. 

Wenn  man  sich  ferner  die  Frage  vorlegt,  welchem  Typus  der  Schädel  entspricht, 
so  findet  sich  eine  verhältnissmässig  grosse  Länge  und  Breite  bei  einer  verhältniss- 
mässig  nicht  beträchtlichen  Höhe.  Der  Breitenindex  beträgt  76-8,  ein  Maass,  welches 
der  sogenannten  Mesocepbalie  entspricht,  einer  Form,  wte  sie  den  Kulturmenschen 
Europas  im  Allgemeinen  eigenthümlich  ist.  Das,  was  den  Schädel  specieller 
charakterisirt,  ist  namentlich  die  Bildung  des  Hinterhauptes,  welches  die  Hinter- 
lappen des  Gehirns  repräsentirt.  Dasselbe  ist  ungewöhnlich  weit  hinaufgeschoben 
und  scheidet  sich  an  der  Spitze  der  Squama  occipitalis  durch  einen  tiefen  Ab- 
satz von  dem  Mittelkopf.  Der  obere  muskelfreie  Theil  der  Squama  ist  stark  ge- 
wölbt, aber  niedrig  und  von  geringer  F'lächenausdehnung,  so  dass  merkwürdiger 
Weise  die  F^ntfernung  der  Protuberanz  von  der  Spitze  ungemein  klein  ist.  Sie 
misst  nur  60  Mm.  Uebrigens  ist  die  Protuberanz  sehr  schwach,  dagegen  sind  die 
Lineae  nuchae  stark  entwickelt.  Die  Stirn  ist  voll  und  breit,  jedoch  nicht  hoch, 
die  Schläfengegend  gleichfalls  voll.  Die  grösste  Breite  fällt  auf  die  Gegend  der 
Schläfenschuppen  über  dem  Gehörgang.  Von  der  Basis  aus  gesehen,  er- 
scheint der  Schädel  lang  und  schmal,  jedoch  nach  vorn  breiter.  Die  Einzelmaasse 
sind  folgende : 

Grösste  Länge 181 

Grösste  Breite '39 

Unterer  Frontaldurchmesscr ^3 

TemporaUlurchmesscr '1^ 

Parietaldurchmesser 123 

Oberer  Mastoidealdurchmesser 120 

Entfernung  der  Kiefergelenke 95 


(140) 

Entf.  des  Gehörganges  von  der  Stirn 99 

r,        r,  „  vom  Scheitel 107 

V        „  „  von  der  Hinterhauptswölbung.   .    .     103 

Es  steht  also  nichts  entgegen,  dass  irgend  eine  der  Völkerschaften,  welche  in 
jener  Zeit  Britannien  bewohnten,  in  diesem  Schädel  repräsentirt  sein  kann.  Es  ist 
weder  eine  auffällige  Dolichocephalie,  noch  eine  ausgesprochene  ßrachycephalie  vor- 
handen; man  kann  nicht  sagen,  dass  aus  der  Form  Bedenken  erwüchsen. 

Etwas  anders  steht  es  allerdings  mit  den  äusseren  Verletzungen,  welche  der 
Schädel  darbietet.  Es  ist  erstlich  eine  gewisse  Reihe  von  oberflächlichen,  jedoch,  hier 
und  da  bis  in  die  Diploe  reichenden  Substanzverlusten  vorhanden,  die  nach  vorn 
ziemlich  zahlreich  sind.  Man  kann  kaum  auf  die  Vermuthung  kommen,  dass  sie 
durch  Krankheit  entstanden  seien.  Wahrscheinlich  sind  sie  erst  nach  dem  Tode,  sei 
es  durch  Verwitterung,  sei  es  durch  irgend  ein  anderes  äusseres  Ereigniss  herbeige- 
führt worden.  Gegen  die  Verwitterung  spricht  freilich  die  Festigkeit  des  Knochen- 
gewebes, welches  eher  den  Eindruck  macht,  als  sei  der  Schädel  nie  in  der  Erde  ge- 
wesen, denn  er  hat  eine  sehr  dichte,  elastische  Beschaffenheit  und  eine  gelblich  graue, 
hie  und  da  mehr  bläulich  graue  Farbe  und  vielfach  einen  grünlichen  Schimmer,  und 
sieht  glatt,  ja  an  allen  vorspringenden  Theilen  glänzend  und  abgegriffen  aus.  Die  er- 
wähnten Substanzverluste  dagegen  sind  rauh  und  stellenweis  etwas  weisslich,  wie  von 
anhaftendem  Gyps  oder  Kreide.  Indess  kann  man  darüber  hinweggehen.  Unser 
Hauptinteresse  concentrirt  sich  auf  die  Stirnwunde,  welche  in  der  That  so  elegant 
und  gross  ist,  dass  sie  dem  Bedürfniss  der  Erzählung  vollständig  genügt.  Aber  diese 
Wunde  hat  eine  Eigenthümlichkeit,  welche  es  sehr  schwer  macht  zu  erkennen,  auf 
welche  Weise  der  Heide  die  Verletzung  eigentlich  herbeigeführt  hat.  Auf.  den  er- 
sten Blick  sollte  man  nehmlich  glauben,  es  wäre  ein  Hieb,  allein  Sie  sehen,  dass 
die  lange  und  vollständig  penetrirende  Wunde  in  der  Mitte  ziemlich  weit  klafft  und 
nach  beiden  Seiten  in  eine  feine  Spitze  ausläuft  und  zwar  so,  dass,  wenn  man  in 
die  Wunde  hineinblickt,  an  den  Spitzen  derselben  die  innere  Tafel  noch  unversehrt 
erscheint,  während  in  der  äusseren  Tafel  und  der  Diploe  ein  sehr  scharfer  keilförmi- 
ger Einschnitt  sich  befindq^  Es  fehlt  also  unzweifelhaft  ein  keilförmiges  Stück  aus 
dem  Schädel.  So  etwas  ist  durch  einen  Schlag  nie  zu  erzielen.  Wir  haben,  nament- 
lich seit  den  letzten  Kriegen,  Schädel  genug  in  unseren  Sammlungen,  um  jede  Form 
des  Schiagens  zu  illustriren,  aber  so  kann  jetzt  niemand  schlagen.  Wäre  das  ein  Schlag, 
so  würde  sicherlich  an  beiden  Enden  ein  weitergehender  Sprung  existiren,  es  müsste 
wenigstens  eine  Splitterung  sichtbar  sein;  am  wenigsten  wäre  es  denkbar,  dass  so 
gestaltete  Ecken  vorhanden  waren.  Würden  wir  heutzutage  einen  solchen  Schädel 
finden,  so  würde,  glaube  ich.  Jedermann  schliessen,  das  Loch  wäre  gesägt.  Nun 
könnte  man  vielleicht  meinen ,  dass  später  an  der  schon  vorhandenen  Wunde  noch 
etwas  nachgeholfen  wäre,  um  sie  weiter  sichtbar  zu  machen,  denn  es  zeigt  sich  aller- 
dings, dass  auf  der  einen  Seite  die  Färbung  der  Ecke  eine  etwas  frischere  ist;  allein 
die  andere  Ecke  ist  durchaus  ebenso  gefärbt,  wie  der  übrige  Schädel,  und  sicherlich 
alt.  Ich  kann  also  nur  schliessen,  dass,  wenn  das  Loch  nicht  schon  vor  langen  Jah- 
ren gesägt  worden  ist,  in  jener  alten  Zeit  Methoden  des  Hauens  existirt  haben  müs- 
sen, welche  gegenwärtig  verloren  gegangen  sind.  Also  auch  in  dieser  Beziehung 
bietet  der  Schädel  uns  Aufschlüsse,  auf  die  man  am  allerwenigsten  gefasst  sein  konnte. 

Herr  Voss  fügte  einige  Bemerkungen  hinzu  über 

den  Keliqiiienkasten  der  Iicilif^eii  Cordula. 

Während    eines    kürzeren  Aufenthaltes   im    vorigen   Jahre   in  Copenhagen  hatte 


(141) 

ich  mich  der  Ehre  zu  erfreuen,  unter  der  höchst  zuvorkommenden  Geleitung  des 
Herrn  Worsaae,  des  jetzigen  Cultusministers  in  Dänemark,  einige  Abtheilungen 
der  Copenhagener  Sammlung  nordischer  Alterthümer  in  Augenschein  zu  nehmen, 
üuter  vielen  anderen  sehenswürdigen  Dingen  wurde  ich  namentlich  auf  Stücke  auf- 
merksam gemacht,  welclie  hinsichtlich  ihrer  Ornamentirung  und  wegen  ihres  Mate- 
rials sehr  grosse  verwandtschaftliche  Beziehungen  zeigten  zu  einem  Stücke,  das  in 
meiner  Heimath  aufbewahrt  wird  und  welches  ich  in  Folge  des  höchst  anerkennens- 
wcrthen  Entgegenkommens  der  betreffenden  Behörden  Ihnen  heute  hier  vorstellen 
kann.  Es  ist  dies  der  erwähnte  sogenannte  Kasten  der  heiligen  Cordula,  von  dem 
die  nordischen  Forscher  nicht  mit  unrecht  behaupten,  dass  derselbe  ein  Erzeugniss 
nordischer  Kunst  sei.  Derselbe  wird  seit  Alters  im  Dome  zu  Cammin  aufbewahrt. 
Nähere  Nachrichten  über  denselben  sind  aber  nicht  vorhanden. 

Der  Kasten  ist,  wie  Sie  sehen,  aus  einzelnen  Platten  zusammengefügt,  welche 
durch  vergoldete  Bronzeeinfassungen  verbunden  sind.  Hierdurch  erhält  derselbe,  der 
in  seiner  Grundfläche  oval  und  mit  einer  flach  gewölbten  Decke  versehen  ist,  ein 
schildkrötenähnliches  Ausehen.  Die  Platten  besteben  aus  einem  Material,  das  bis 
jetzt  noch  niemals  genauer  untersucht  worden  ist.  Kugler  giebt  in  seiner  Pommer- 
schen  Kunstgeschichte  an,  es  sei  Elfenbein;  andere  behaupten,  es  seien  Knochen 
eines  vorweltlichen  fossilen  Thieres;  andere  sagen,  es  sei  Speckstein.  Wie  Sie  sich 
überzeugen  werden,  ist  es  Knochen,  aber  nicht  etwa  Zahnbein  oder  Elfenbein,  son- 
dern gewöhnlicher  Knochen.  Welcher  Thierart  derselbe  aber  angehört,  konnte  bis 
jetzt  noch  nicht  mit  Sicherheit  festgestellt  werden.  Herr  Prof.  Hartmann,  welcher 
so  freundlich  war,  die  Untersuchung  zu  übernehmen,  hat  bisher  nur  ermitteln  kön- 
nen, dass  es  Klephanten-  oder  Wallfischknochen  ist,  aber  entschieden  nicht  fossiler. 
Die  einzelnen  Platten  sind  sehr  reich  mit  eingeschnittenen  Oruamenton  verschen,  und 
Sie  werden  bemerken,  dass  trotz  aller  scheinbaren  ßizarrerie  in  dem  Ganzen  ein  sehr 
sicherer  und  durchgebildeter  Styl  herrscht.  Man  erkennt  zwischen  vielfachen  Band- 
verschlingungen  Figuren  von  Säugethieren  und  Vögeln,  auch  menschenähnliche 
schnurrbärtige  Fratzen;  aber  Alles,  die  Thiere  sowohl  wie  die  menschenähnlichen  Ge- 
sichtsmasken, ist  in  höchst  phantastischer  Weise  rein  ornamental  behandelt.  Die 
Thiere  sind  gemahnt  und  haben  ein  tiger-  oder  löwenähuliches  Ausehen;  die  Vögel 
sind  zum  Theil  mit  Schöpfen  dargestellt,  welches  ihnen  Aehnlichkeit  mit  Wiede- 
hopfen giebt;  die  schnurrbärtigeu  Fratzen  blicken  wild,  gleich  Medusenhäuptern. 
Die  einzelneu  Figuren  sind  gewöhnlich  durch  einen  doppelten  Contour  begrenzt  und 
mit  einem  grobgekörnten  perlenartigen  Mosaik  ausgefüllt.  Die  Verbindungsstellen 
der  Gliedmaassen  mit  dem  Rumpfe  sind  meistens  durch  Voluten  bezeichnet,  in  ähn- 
licher Weise,  wie  das  unter  Anderm  bei  den  Sculpturen  auf  dem  Felsen  von  Ram- 
sund in  Soedermannland  (Schweden)  der  Fall  ist.  Die  Bronzebänder  sind  mit  Or- 
namenten, welche  mittelst  Treraolirstichel  eiugravirt  sind  und  an  manchen  Stellen 
stark  an  den  romanischen  Styl  erinnern,  verziert  und  tragen  an  den  Schmalseiten 
und  den  Schliessen,  welche  am  Rande  der  einen  Theil  der  Decke  bildenden  kappen- 
artig befestigten  Schliessplatte  sich  befinden,  schnurrbärtige  Wolfsköpfe,  und  auf  den 
Rändern   der  Breitseiten   je  zwei  Vogelfiguren. 

Es  wurden  nun  in  Jütland  mehrfach  Bronzegegenstände  gefunden,  welche  mit  den 
üeberfällen  (Schliesshaken)  dieses  Kastens  die  grösste  Aehnlickeit  haben.  Ausserdem  be- 
findet sich  in  der  Königlichen  Sammlung  hierselbst  eine  Fibula  aus  Jütland,  welche  ebenfalls 
Verwandtschaft  mit  diesen  Darstellungen  zeigt.  Auch  hat  man  in  Grossbritauien  mehrfach 
ähnliche  Funde  gemacht,  welche  aber  von  Herrn  Worsaae  auf  nordischen  Urs])rung  zu- 
rückgeführt sind.  Für  die  Bestimmung  der  Zeit,  welcher  diese  Stücke  augehören,  ist 
ein  Fund  von  Wichtigkeit.     Man  entdeckte  nämlich  in   einem   bei  Mammen,    südlich 


(142) 

von  Viborg  (Jütland)  gelegenen  Hügelgrabe,  der  letzten  heidnischen  Zeit  angehörig, 
eine  mit  Silber  tauschirte  Axt,  welche  ganz  ähnliche  ßandornamente  zeigt,  wie  die 
Platten  des  Kastens,  ausserdem  Reste  eines  gestickten  Gewandes,  welches  ebenfalls 
mit  tigerähnlichen  Thierliguren  und  romanisireudeu  Rankenornamenten  verziert  war. 
Letztere  sind  den  oben  erwähnten  gravirteu  Ornamenten  der  Bronzebänder  höchst 
ähnlich  Audi  findet  sich  bei  Worsuae  (Nordiske  Oldsager  pag.  114)  die  Figur 
eines  Vogels,  aus  vergoldetem  Kupfer  hergestellt,  welche  in  der  Behandlung  der  Füsse 
und  Zehen  auf  das  Genaueste  mit  einem  auf  der  einen  Platte  des  Kastens  darge- 
stellten Vogel  übereinstimmt.  Es  existirt  überhaupt  nur  noch  ein  ähnlicher  Kasten. 
Derselbe  gehörte  früher  dem  Bamberger  Domschatze  und  befindet  sich  jetzt  im  Natio- 
nalmuseum zu  München.  Er  ist  allerdings  bedeutend  kleiner,  einfach  quadratisch  mit 
etwas  gewölbter  Decke,  in  seinen  Ornamenten  aber,  sowohl  denen  der  Platten  als  des 
Brouzebeschlages,  stimmt  er  mit  dem  Kasten  der  Cordula  so  völlig  überein,  dass  man 
mit  Sicherheit  annehmen  kann,  beide  Stücke  seien  aus  einer  Fabrik  hervorgegangen 
und  von  demselben  Künstler  verfertigt  worden.  Vielleicht  erhielt  diesen  der  heilige 
Otto  bei  seinen  Bekehrungsreisen  im  Norden  zum  Geschenk  und  vermachte  ihn  sei- 
ner Kathedrale.  Ich  glaube  hiernach,  dass  der  nordische  Ursprung  dieses  Kastens  nicht 
zweifelhaft  sein  kann  und  dass  wir  wohl  als  Zeit  seiner  Verfertigung  spätestens  das 
Jahr  1000  festsetzen  können,  da  Herr  Worsaae  jenen  Grabfund  in  das  Ende  der 
heidnischen  Zeit  (die  sogeüanute  spätere  Eisenzeit)  700— lOüÜ  ntich  Chr.  versetzt. 

Der  aodere  hier  ausgestellte  Kasten  aus  dem  Camminer  Dom  ist  ebenfalls  von  hohem 
Interesse.  Es  ist  ein  einfaches  viereckiges  Holzkästchen,  mit  Knochenplatten  belegt,  welche 
zum  Theildurchbrochensindundeinedarunter  liegende  farbige  Platte  erkennen  lassen,  zum 
Theil  aber  mit  concentrischen  Kreisen  verziert  sind,  welche  durch  Schrägstriche  ver- 
bunden werden,  ganz  nach  Art  der  Verzierungen  jener  alten  Beinschnitzereien,  Kno- 
chenkämme etc.  wie  sie  mehrfach  in  der  Nähe  des  Rheins  gefunden  sind.  Auch  zei- 
gen die  durchbrochenen  Platten  Äehnlichkeit  mit  einigen  Zierplatten  aus  fränkisch- 
allemannischen  Gräbern,  nur  machen  sie  den  Eindruck  grösserer  Verwilderung.  Ueber 
den  Kasten,  der  lange  zerbrochen  dalag  und  jetzt  unter  meiner  Leitung,  soweit  thuu- 
lich,  restaurirt  wurde,  fehlen  alle  Nachrichten.  Ich  vermuthe,  dass  er  der  Carolin- 
gerzeit angehört  und  dem  westlichen  Deutschland,  vielleicht  den  Rheingegenden 
entstammt.  Möglicherweise  ist  dies  der  eigentliche  Cordulaschrein,  der  den  rheinisch- 
westfälischen  Colonisten  mit  der  in  der  alten  Heimath  entbehrlichen  Reliquie  als 
schützendes  Heiligthum  in  die  neuzugründende  Heimath  unter  den  neubekehrten 
Pommern  mitgegeben  wurde  ^).  Später  wurde  derselbe  wahrscheinlich  von  einem  Dä- 
nischen Könige,  welcher  in  Pommern  Einfluss  zu  erlangen  suchte  und  sich  deshalb 
den  Clerus  geneigt  machen  wollte,  durch  jenes  Prachtstück  altnordischer  Kunst  ersetzt. 

(18)  Herr  Liebe  (Berlin)  zeigte  einige  junge,  im  Diluvium  bei  Berlin  in  der 
Nähe  des  Rollkruges  (Rixdorf)  gefundene 

Backzähne  des  Mammuth. 

(19)  Geschenke: 

1)  Conte  Gozzadini  :  De  quelques  mors  de  cheval  italiques.  Prachtwerk  4to 
■2)  Programm   des   Friedrich  W^ilhelms  -  Gymnasiums    zu    Cottbus    mit   einer 

Arbeit  von  V>o\ze  über  die  in  der  Umgegend  ausgegrabenen  Alterthümer. 
?))  A.   Woldt      Karte  der  Insel  Bornholm. 
4)  Eiigelhardt.      Sur    les    statuettes    de     Tage    du    bronze    du    Mustie    de 

Copenhague. 

')  Nachträf^iicli  ist  mir  von  sadikuniliger  Seite  mitgetheilt  worden,  datss  in  Xanten  a/Rhein, 
sowie  in  der  St.  üereonskücbe  in  Cöln  sich  ühniicLie  Reiiquiarien  befinden  sollen. 


Ausserordentliche  Sitzung  am  28.  Juni   187.0. 
Vorsitzender  Herr  Virchow. 

(1)  Als  neu  aufgenommene  Mitgliedtu-  wurden  proclamirt: 
Herr  Stabsarzt  Dr.   Wich  mann, 

„      Assistenzarzt  Dr.  Tiemann, 

„     Dr.  Wittmack,  Custos  am  Köuigl.  landwirthsch.  Museum  zu   Berlin 
und  Hr.  Telegraphenbeamter  Schindler  zu  Teheran. 

(2)  Die  Programme  für  die  Generalversammlung  der  deutschen  anthropologischen 
Gesellscliaft,  welclie  zu  München  vom  8.  bis  11.  August  d.  J.  stattfinden  wird,  sind 
erlassen.  Unmitt'-ibar  au  die  anthropologische  Versamndung  wird  si(:h  diejenige  der 
deutschen  geologischen  Gesellschaft  anschliessen.  Der  Vorsitzende  verfehlt  nicht,  die 
Mitglieder  zu  zahlreicher  Betheiliguug  aufzufordern. 

(3)  Der  Vorsitzende  hat  von  Hrn.  Hildebrandt  Confnrmatenrabdrücke  der 
Somal,  sowie  Hari-proben  und  Gypsabgüsse  derselben  erhalten.  Der  eifrige  Reisende 
hat  sich  jetzt  nach  dm  (Komoren  l>egeben. 

(4)  Hr.  Dr.  Nojicli,  gegenwärtig  in  Braunschweig,  hat  auf  Ersuchen  des  Vor- 
sitzenden eine  Reihe  vortrefifl icher  Abbildungen  und  eingehender  Beschreibungen  der 
wichtigsten  Gegenstände 

des  Braiiuschweiger  elhnographisclieu  Museums 

(Hierzu  Tat.  X.) 
eingesandt. 

Die  ethnographische  Abtheilung  „Amerika'^  des  städtischen  Museums,  welches 
erst  seit  dem  Anfange  des  vorigen  Decenniums  existirt,  enthält  eine  recht  hemerkens- 
werthe  Sammlung  von  Gegenständen,  die  sich  sowohl  auf  die  moderne  wie  die  prä- 
historische Zeit  beziehen.  Der  mit  grossem  Fleiss  von  dem  im  vorigen  Jahre  ver- 
storbeneu Dr.  Schiller  ausgearbeitete  Katalog  umfasst  die  4  Unterabtheilungen: 
die  nördlichen  Polarländer,  Nordamerika,  Westindien  und  Südamerika.  Die  Samm- 
lung aus  den  Nordpolarländern  enthält  u.  A.  Schnitzereien  in  Wallross  aus  Labrador, 
Eskimos  und  ihre  Geräthe  darstellend,  grünländische  Pfeilspitzen,  Angeln,  Harpunen, 
einen  Schleuderstein  von  eirunder  Form  von  der  Savage-lnsel,  ferner  eine  Nachbildung 
(wohl  nicht,  wie  der  Katalog  angiebt,  ein  zweites  Original)  der  auf  Nordrseta  in  der 
Baftiusbey  gefundenen  Kuneuinschrift:    Elikr  Sigva(|»ö  sour.  etc.,   die   sich   im   Kopeu- 


(144) 

hagner  Museum  befindet,  und  wiederholt,  so  Antiq.  amer.  p.  347;  Grönlandske  histor. 
Mindesmärker  III  erklärt  ist. 

Zahlreicher  sind  die  Sammlungen  aus  Nord-  und  Südamerika,  von  denen  ich. 
die  Zeichnungen  prähistorischer  Gegenstände  beilege.  Altamerikanische  Urnen  sind 
drei  vorhanden:  Eine  Gesichtsurne  aus  Mexiko  und  zwei  halbkugelförmige  Urnen  aus 
einer  Grabkammer  in  Cuzco.  Die  Gesichtsurue  ist  wahrscheiulich  in  Zacatecas  ge- 
funden (Cat.  A,  IVb,  3)  und  aus  grauem  Thou  mit  schwarzem  Ueberzuge  gearbeitet, 
21  Cm.  hoch;  das  Gefäss  liat  die  Gestalt  einer  zusammengedrückten,  unten  abgeplat- 
teten Kugel  von  40  Cm.  Umfang,  die  Höhe  der  Figur  über  der  Kugel  beträgt  8  Cm. 
Die  Beschreibung  der  Figur  wird  durch  die  Zeichnung  überflüssig,  ich  füge  nur  hinzu, 
dass  die  semitisch  gebogene  Nase  sehr  stark  hervortritt.  Der  vordere  Theil  der  Kugel 
ist  durch  zwei  Längen-  und  ein  Querband  in  6  Felder  getheilt,  auf  denen  3  Vögel 
(Truthühner?)  und  Fische  dargestellt  sind.  Der  Grund  der  Felder  ist  durch  unregel- 
mässige Reihen  von  warzenförmigen  Erhöhungen  ausgefüllt.  Auch  die  hintere  Seite 
zeigt  einen  matter  gearbeiteten  Kreis  mit  5  durch  Radien  gebildeten  Feldern,  von 
denen  3  durch  Warzen,  2  durch  matt  verlaufende  Streifen  verziert  sind.  Am  Hinter- 
haupte war  der  abgebrochene,  aber  noch  vorhandene  massig  gebogene  Henkel  von 
10  Cm.  Länge  wagerecht  befestigt.  Derselbe  ist  am  obern  Ende  hohl  und  die  Oeff- 
nung  führt  mit  einem  feinen  Loch  in  das  Haupt  der  Figur.  Die  untere,  2  Cm.  lange 
und  4  Cm.  breite  Tülle  mit  ausgebogenem,  theihveise  abgebrochenem  Rande  ist  von 
dem  gleichfalls  abgebrochenen  und  ausgebogenen  Ende  des  Griffs  7  Cm.  entfernt;  die 
offenbar  früher  zwischen  beiden  vorhandene  Verbindung  fehlt  leider  und  in  derselben 
muss  sich  die  eigentliche  Oeffnung  des  Gefässes  befunden  haben.  In  der  Tülle  steckt 
eine  zweite  Thonröhre,  deren  Rand  unverletzt  ist.  Vielleicht  hat  das  Gefäss  gleich 
einem  christlichen  Aquamanile  zu  Kultuszwecken  gedient.  Uebrigens  ist  die  Urne 
sowenig,  wie  das  im  Missisippi  gefundene,  sehr  ähnliche  Gefäss,  welches  aus  einer 
flachgedrückten,  nach  oben  in  einen  menschlichen  Hals  und  Kopf  übergehenden  Kugel 
besteht  und  im  Correspondenz- Blatt  der  deutschen  Gesellschaft  für  Anthropologie, 
Ethnol.  u.  Urgesch.  No.  8,  Dec.   1870  besprochen   ist,  auf  der  Drohscheibe  gearbeitet. 

Die  beiden  Schalen  aus  gelbrothem  Thon  (Cat.  A  IV,  d.  3  u.  40)  sind  1857  in 
einer  Grabkammer  (Chulpa)  zu  Cuzco  gefunden.  Das  grössere  Gefäss  ist  8  Cm. 
hoch  mit  11  Cm.  Durchmesser  und,  wie  die  kleinere  Schale,  ziemlich  starkwandig 
ohne  Drehscheibe  gearbeitet  (beide  Gefässe  sind  etwas  schief).  Oben  hat  das- 
selbe an  einer  Seite  einen  1,5  Cm.  langen  Buckel.  Die  Farbe  ist  gelblich  roth  und 
die  Art  der  schwarzen  und  rothen  linearen  Verzierungen  aus  der  Abbildung  ersicht- 
lich. Die  kleinere  Schale,  5  Cm.  hoch,  8  Cm.  Durchmesser,  ist  eine  von  oben 
zusammengedrückte  Halbkugel  aus  gelblichem  Thon  und  durch  einen  schwarzen 
Rautenfries  mit  rothen  Punkten  verziert.  Oben  läuft  eine  schwarze  und  unten  eine 
rothe  Linie  zwischen  zwei  schwarzen  herum 

Die  dritte  Vase,  sehr  roh  mit  ungeschickten  braunen  Verzierungen  auf  hellgelbem 
Grunde,  ist  modernen  Ursprungs  und  von  Eingeborneu  in  Guyana  gearbeitet.  Ich  füge 
die  Farbenscizze  zur  Vergleichung  bei. 

Die  Abtheilung  enthält  sodann  einige  sili)erne  Idole  und  Statuetten.  Die  eine  (Cat. 
A.  IV,  d.  38)  stellt  einen  buckligen  Zwerg  mit  einer  Zipfelmütze,  lächelnden  Zügen 
und  stark  phullischer  Stellung  dar;  auf  der  rechten  Wange  hat  die  Figin-  eine  Warze. 
Die  4  Cm.  hohe,  massiv  silberne  Statueitc  ist  gleichfalls  1857  in  einer  Grabkammer 
zu  Cuzco,  vielleicht  mit  den  I)eiden  Schaahm  zusammen,  gefunden  worden.  Die  3 
andern  Figuren  stammen  aus  Gräbern  der  Chibchas  in  der  Provinz  Cliiriqui,  Staat 
Panama.  No.  II  ist  3,  No.  III  3,5  Cm.  liocli.  Die  Ausführung  ist  bei  beiden  ziem- 
lich   sorgfältig,  doch    sind    die  Statuetten    so  abgegriflen,    dass    sich    von    den  Details, 


(145)- 

besonders  der  Köpfe  wenig  erkennen  lässt,  Fig.  II  ist  wohl  weiblich,  Fig.  III  männ- 
lich. Bemerkenswerth  ist  bei  beiden  die  schiefe  Stellung  der  Augen  und  eine  zopf- 
ilhnliche  Erhöhung  auf  dem  Kopfe.  Bei  der  grössern  Statuette  sind  auf  beiden  Hand- 
gelenken feine  Kreise  eingravirt,  die  vielleicht  Aniispangen,  allerdings  wenig  per- 
spektivisch iiufgefasst,  darstellen  sollen. 

Auch  die  vierte  Figur  ist  in  einem  Grabe  der  Chibchas  bei  dem  Orte  David  in 
Ghiriqui  gefunden.  Sie  stellt  nicht,  wie  der  Katalog  des  Museums  angiebt,  ein  Kro- 
kodil, sondern  einen,  wie  wir  sagen  würden,  stilisirten  Jaguar  vor.  Die  Stilisirung 
bezieht  sich  auch  fast  nur  auf  die  vordem  Extremitäten,  denn  der  sehr  grosse  Kopf 
mit  den  Reisszähneu  ist  als  der  eines  Jaguar  sofort  kenntlich.  Die  Eigur  ist  5  Cm. 
lang,  von  vergoldeter  Bronce  und  innen  hohl,  übrigens  recht  sauber  gearbeitet. 

Recht  zahlreich  ist  in  den  Sammlungen  des  Museums  die  Zahl  der  prähistorischen 
Steinwaffen  aus  Amerika.  Ich  erwähne  zuerst  einen  Tomahawk  von  Grünstein,  ge- 
funden in  Tiscatawely,  New- Jersey  (Catal.  A,  IV,  b,  1),  16  Gm.  laug,  10  Cm.  breit, 
5  Cm.  dick.  Derselbe  ist  sehr  sorgfältig  gearbeitet;  im  obern  Drittel  ist  eine  Nuth 
zur  Befestigung  des  Stiels  eingeschliö'en.  Ein  zweiter  Tomahawk  dagegen  vom  Obern 
See  (A,  IVb,  2)  ist  nur  durch  die  eingeschlilfeue  Rinne  als  ein  menschliches  Werk- 
zeug erkennbar,  sonst  fehlt  jede  Spur  der  Bearbeitung. 

Aus  Zacatecas  stammen  2  Opfermesser  aus  Obsidian:  das  grössere,  14  Cm.  lang 
und  I,.3  Cm.  breit,  ist  massig  gebogen  wie  eine  Rippe,  auf  der  einen  concaven  Seite 
glatt,  auf  der  convexen  mit  einem  Grat  in  der  Mitte.  Die  äusserste  Spitze  ist  ab- 
gebrochen. Das  kleinere  ist  gerade.  Beide  sind  mit  Götzenbildern  aus  gebranntem 
Thon  auf  einem  Acker  bei  Zacatecas  gefunden. 

Die  Sammlung  der  indianischen  l'feilspitzen  aus  Stein  umfasst  31  Nummern. 
Von  diesen  stammen  5  vom  Missisippi  (Cat.  A,  IVb  23 — 27),  sie  sind  aus  hellgrauem 
Feuerstein,  in  der  Mitte  ziemlich  stark,  einer  ist  etwas  polirt.  Länge  6 — 3  Cm.,  Dicke 
1—0,75  Cm.  Aus  Texas  sind  14  Nummern  vorhanden,  ein  rautenförmiges  Messer 
graubraun,  zwei  dreieckige  und  eine  abgebrochene  Speerspitze  aus  dunkelgrauem 
Feuerstein.  Die  Pfeilspitzen  zeichnen  sieh  bis  auf  eine  dadurch  aus,  dass  das  untere 
Schaftende  sehr  breit  und  zum  Theil  mit  \N'iderhaken  versehen  ist.  Material  grauer, 
bei  zweien  hellgelber  Feuerstein.  Alle  sind  ungeschliffen.  7  Nummern  (3  Speer- 
und  4  Pfeilspitzen  gehören  Indianern  an.  IVb.  67 — 69)  wurden  in  einem  Grabe,  die 
übrigen  in  der  Erde  gefunden  Die  Speerspitze  aus  Wisconsin  A  IVb.  42  ist  sehr 
stark  gearbeitet  und  etwas  abgeschliö'en.  Zwei  Keile  aus  Kieselschiefer  und  Grün- 
stein, sowie  2  Speer-  und  o  Pfeilspitzen  wurden  in  der  Nähe  von  Toledo  (Ohio)  ge- 
funden. Die  Keile  sind  grob  geschliffen,  doch  sind  die  HiebÜächen  noch  meist  er- 
kennbar. Eine  Pfeilspitze  ist,  wie  eine  zweite  unbekannten  Fundortes  (A  IVb.  70), 
aus  milchweissem  Chalcedon  verfertigt.  Die  übrigen  Lanzen-  und  Pfeilspitzen  sind 
nur  im  Allgemeinen  als  Indianerwaffen  bezeichnet,  da  sie  aus  älteren  Sammlungen 
angekauft  wurden. 

Zu  den  prähistorischen  Gegenständen  aus  Nordamerika  gehören  ferner  einige 
Urnenscherben  und  Thierknochen,  die  einem  alten  Indianergrabe  am  Einfluss  des 
Sevancreek  in  den  Maumee-Fluss  bei  Toledo  in  Ohio  entnommen  wurden.  Die  eine 
Urne  hatte  Kugelform  mit  weiter  Oefiimng  und  sanft  ausgebogeuem  Rande.  Das 
Material  ist  hellrother  Thon,  mit  Quarzbröckchen  vermischt  und  schwach  gebrannt. 
Die  Art  der  Verzierung  lässt  sich  aus  der  Zeichnung  des  einen  vorhandenen  Stücks 
erkennen.  Die  linearen,  aus  groben  Punkten  bestehenden  Ornamente  wurden  wohl 
mit  einem  spitzen  Holz  eingedrückt.  Die  andre  Urne  war  aus  schwarzem  Thon  mit 
rothem  Ueberzuge  und  in  der  aus  der  Zeichnung  der  Fragmente   erkennbaren  Weise 

Verhuudl.  der  I5erl.  Aiitliropol.  Gesellscli.   1p7j.  10 


(146) 

roh  verziert.  Die  Knochenfragmente  dürften  Metatarsus-  oder  Carpusknochen  vom 
Bütfei  sein. 

Ein  Wachsmodell  des  1790  auf  der  Piazza  major  in  Mexico  gefundenen  Opfer- 
steins ist  ziemlich  schlecht  gearbeitet,  doch  lässt  sich  die  Kriegergruppe  wenigstens 
erkennen.  Da  sich  in  Berlin  ein  gleiches  Modell  befindet  und  der  Stein  schon  ander- 
weitig von  Hrn.  Bastian  besprochen  ist,  habe  ich  keine  Zeichnung  beigefügt. 

Die  modernen  Gegenstände,  so  weit  sie  für  die  Ethnographie  Amerikas  von  In- 
teresse sind,  umfassen  einige  hundert  Nummern. 

Aus  Nordamerika  sind  bemerkenswerth:  eine  indianische  Friedenspfeife  aus  rothem 
Speckstein,  eine  Streitaxt  von  Bronze,  als  Pfeife  eingerichtet,  Pfeifenköpfe  aus  grauem 
und  schwarzem  Thon,  ein  6  Cm.  lauges  Stück  Hornstein  zur  Zubereitung  des  Leders, 
Pfeilspitzen  aus  Perlmutter  und  Schlangenkiefern,  f^igenthümlich  sind  mehrere  Feuer- 
steine der  Indianer  aus  Kalifornien  (Cat.  A,  IVb.  99),  welche  mit  kaum  sichtbaren 
Zeichnungen  in  Gold  versehen  sind  und  indianische  Krieger,  den  einen  mit  einer 
Lanze  bewaffnet,  zu  Pferde,  den  andern  kniend  mit  der  Streitaxt,  einen  dritten  in 
einem  entenförmig  gestalteten  Boote  rudernd,  so  wie  einen  Büffel  darstellen.  Wider- 
haken zu  Pfeilspitzen,  wie  der  Catalog  augiebt,  sind  die  Feuersteine  sicherlich  nicht 
gewesen.  Von  indianischen  Geräthschaften  erwähne  ich  ein  Modell  eines  Fischer- 
bootes zum  Biberfaug,  indianische  Pauken  mit  Malereien  verziert,  eine  Opferklapper 
von  Vancouver,  darstellend  eine  roth  bemalte  Figur,  auf  dem  Rücken  einer  Ente  lie- 
gend, deren  Schwanz  den  Griff  der  Klapper  bildet,  sodann  Cigarrentaschen  aus  Fasern 
des  Stachelschweins,  eine  Tasche  aus  Birkenrinde,  Mokassins.  Aus  Mexiko  sind  vor- 
handen: hölzerne  Pfeile  und  Bogen,  zahlreiche  Kostümfiguren,  Hüte  aus  Binsenmark, 
geschnitzte  Calebassen,  Filigrankästchen ,  Thon- Ampeln  und  Kannen  (roth  und  ver- 
silbert) aus  Guadalaxara  etc. 

Die  Abtheiluug  „Westindien"  enthält  u.  A.:  Bogen  und  Pfeile  zur  Fischjagd, 
eine  birnenförmige  Taparraflasche,  desgl.  Becher  und  Körbchen  aus  Taparraholz, 
Manaresiebe  aus  Bambus  und  Cocusfasern,  einen  Fächer,  (Huarihuaro)  Körbe  aus 
dem  Bast  der  Majagua,  Decken  von  Fasern  der  Morichepalme,  Mnschelkörbchen  mit 
Papageienfedern  verziert  von  den  Bahamainseln. 

Aus  Südamerika  sind  vorhanden:  ein  Thongefäss  aus  Guiana,  schwarz  glasirte 
Thongefässe  aus  Chile,  von  ebendaher  ein  urnenförmiges  gehenkeltes  Gefäss,  kleinere 
lackirte  Thongefässe  aus  den  Cordillereu,  Binsenkörbchen  aus  Chile,  geschnitzte  Cale- 
bassen aus  Paramaribo,  Cuja  (Flasche)  mit  Blumen  und  Blättern  geschmückt,  höl- 
zerne Statuetten,  Arbeiter  darstellend,  von  einem  Indianer  in  Bogota  geschnitzt,  ein 
Damenhut  aus  Ahornmark  (Maracaibo),  ein  Kuochenpfeil  aus  der  Tibia  eines  Affen, 
(Peru),  Pfeile  und  Bogen  aus  Brasilien,  ein  Kahnmodell  von  Birkenrinde  aus  Buenos 
Aires. 

Die  australische  Abtheilung,  „Neuholland  und  Polynesien"  bietet  als  bemerkens- 
werthes  Objekt  der  Ethnographie  eine  Anzahl  von  Steinwaffen  (Cat.  A.  V.  41 — 48), 
welche  gleich  den  meisten  andern  Gegenständen  dem  städtischen  Museum  von  G.  Kreff  t, 
Conservator  des  Museums  in  Sydney,  geschenkt  sind. 

Das  erste  ist  ein  vorzüglich  gearbeitetes  >A'erkzeug  aus  Diorit  von  den  Socictäts- 
inseln,  welches  sich  am  ehesten  mit  einem  Celt  oder  Paalstaabe  vergleichen  lässt 
Dasselbe  ist  13  Cm.  lang  und  unten  an  der  Schneide  4,5  Cm.  breit.  Der  untere 
Theil  ist  auf  8  Cm.  Länge  spiegelblank  polirt,  der  obere  5  Cm,  lang,  wohl  zum 
Einlassen  in  einen  Schaft,  rauh  gehalten.  Die  vordere  Seite  bildet  ein  nach  oben 
zusammenlaufendes  Dreieck ,  welches  sich  bis  z'üm  Ende  in  einen  schmalen  Streifen 
furtsetzt.  Dieses  Dreieck  üst  convex  gekrümmt,  während  die  hintere  Seite  der  Schneide 
mit  parallelen  Rändern  in  schräger  Richtung  bis  zum  eingebogenen  Stielende  sich  hinzieht. 


(147) 

Ein  spiegelglatt  polirtes,  dreieckiges  Messer  mit  abgerundeten  Ecken  von  Ser- 
pentin stammt  aus  Neu-Caledonien.  Die  3  Seiten  sind  12,  10,  !)  Cm.  lang,  die  Dicke 
beträgt  2  Cm. 

Die  übrigen  Steinwaffen,  2  Messer,  2  Streitäxte  (Galengar)  und  2  Steinhämmer 
sind  von  K refft  als  aus  West-Australien  stammend  bezeichnet.  Das  Messer  ist  aus 
Syenit  (?)  (nicht  Feuerstein,  wie  der  Cat.  angiebt)  gearbeitet,  14  Cm.  lang,  der  Griff 
ist,  wie  bei  den  Streitäxten,  mit  dem  Pech  der  Xantherie  beklebt,  in  welchem  noch 
ein  Holzstück  vom  Griff'  steckt.  Das  zweite  Messer  aus  Basalt,  15  Cm.  lang,  mit 
scharfer  Schneide,  ist  am  Griff  mit  weichem  Wollhaar  umhüllt. 

Die  Galengar,  12  Cm.  laug,  aus  Diorit,  sind  an  der  Schneide  polirt.  Der  eine 
Steinhammer  trägt  einen  in  der  Nuth  des  Xantherienharzes,  welches  ungemein  fest 
ist,  befestigten,  d.  h.  umgebogenen  Doppelstiel,  welcher  durch  eine  Schnur  zusammen- 
gehalten wird. 

Die  beiden  Streithämmer  (Mogos)  bestehen  aus  Xantherienharz,  mit  welchem  ein 
Stück  Granit  derart  umklebt  ist,  dass  durch  die  aus  dem  Harze  hervorstehenden 
Steinspitzen  ein  Doppelhammer  gebildet  wird.  Der  Stiel  ist  in  die  Harzmasse  ein- 
gelassen. 

Unter  andern  Gegenständen  aus  Australien  und  Polynesien  besitzt  das  Museum: 
verschiedene  Bumerangs,  Keulen  der  Fidschi-Insulaner  aus  Caäuarinenbolz,  ein  Wurfbrett 
(wommala  oder  wommara)  aus  Neuholland,  am  einen  Ende  mit  einem  scharfen  Perlmutter- 
splitter versehen,  Fischangeln  von  Perlmutter  von  den  Tongainseln,  Armbänder  und  Ohr- 
ringe aus  demselben  Stoff  (Salomons-Inseln),  Waffen  und  einen  hübsch  aus  Narvalzahn 
geschnitzten  Dolch  von  Neuseeland,  Zeuge  (Tapa)  aus  der  Rinde  des  Papiermaulbeer- 
baums, Cava-Schaalen  mit  Perlmutter  eingelegt  von  Owalau  (Fidschiins.)  und  MaiiihikT 
(Humphrey-Ins.).  Zwei  aus  Holz  geschnitzte  Götzenbilder  von  den  Salomonsinseln, 
tättowirt,  mit  sehr  prognather  Muudpartie,  Augen  mit  Perlmutter  ausgelegt.  — 

Unter  den  in  Deutschland  gefundenen  Bronzesacben  des  städtischen  Museums 
sind  besonders  bemerkenswerth  zwei  Bronzeschwerter,  eine  Fibula  und  eine  Spirale 
in  Form  einer  geringelten  Schlange  Das  eine  Schwert  (Fig.  1)  ist  gefunden  1«71 
bei  Schwanefeld,  eine  Stunde  von  Helmstädt,  neben  einem  grossen  Steine  senkrecht 
in  der  Erde  stehend.  Unweit  dieser  Fundstätte  wurde  ein  Grab  mit  mehreren  Urnen, 
Schmucknadeln,  Spiralen  und  zwei  kleinen  Bronzeschaalen  entdeckt;  letztere  Gegen- 
stände sind  leider  verloren  gegangen.  Helmstädt  und  seine  Umgebungen  sind  auch 
sonst  eine  reiche  Fundstätte  germanischer  Bronzen;  schon  mehrfach  sind  dort  Urnen 
und  Schwerter  von  Bronze  gefunden  worden. 

Das  Schwert  ist  prachtvoll  erhalten  und  mit  dunkelgrüner,  lackartig  glänzender 
Patina  überzogen,  gegossen  und  nachträglich  an  der  Schneide  gehämmert  (der  Griff' 
zeigt  noch  mehrere  Gussblaseulöcher).  Die  Länge  desselben  beträgt  öS  Cm.,  die  der 
Klinge  49  Cm.,  die  Breite  der  letzteren  im  untern  Drittel  3,5  Cm.  Im  oberen  Drittel 
ist  die  Klinge  um  0,5  Cm.  verjüngt.  Dieselbe  ist  auf  jeder  Seite  mit  je  6  Rinnen 
verziert,  von  denen  je  zwei  dicht  neben  einander  0,75  Cm.  von  der  Schneide  entfernt, 
die  beiden  andern  0,  75  Cm.  von  einander  in  der  Mitte  laufen.  Die  Dicke  der  Klinge 
beträgt  etwas  über  0,5  Cm.  Der  9  Cm.  lange  Griff'  ist  in  der  Mitte  3  Cm.  breit 
und  1  Cm.  dick,  hat  3  parallele  Streifen  und  in  der  Schneide  zwei  nach  vorn  schräg 
vortretende  Flügel  als  Parirstaugen.  Den  Knopf  des  Griff's  bildet  eine  ovale  Platte, 
welche  nach  innen  ein-  und  nach  beiden  Schmalseiten  noch  mehr  zurückgebogen, 
5,0  Cm.  lang  und  3,5  Cm.  breit  ist. 

Das  Schwert  H  (Catal.  AI,  a  376)  ist  nach  dem  sehr  korrekt  gearbeiteten  Ab- 
güsse gezeichnet.  Das  Original  wird  nächstens  aus  der  Frivatsammlung  des  Müllers 
Mülter  in  Erckerode  in  den  Besitz  des  städtischen  Museums  übergehen.    Es  ist  bei 

10» 


048) 

dem  Dorfe  Erxleben  (Provinz  Sachsen,  R.-B.  Magdeburg)  von  einem  Förster  unter 
einem  Baumstumpf  gefunden  worden.  Die  Länge  beträgt  47  Cm.,  die  der  Klinge 
38  Cm.  Letztere  ist  fast  3  Cm.  breit  und  stark  zugespitzt,  im  obern  Drittel  ähnlich 
verjüngt  und  auch  sonst  ähnlich  gearbeitet  wie  No.  I;  nui  ist  der  Grat  in  der  Mitte 
bloss  von  je  2  Rinnen  eingefasst,  welche  je  0,75  Cm.  von  der  Schneide  entfernt  sind. 
Der  Griif  ist  durch  einen  ovalen  Bügel  von  3  Cm.  Länge  mit  der  Klinge  verbunden, 
2,5  Cm.  breit  und  etwas  über  1  Cm.  dick;  er  hat,  wie  No.  I,  3  parallele  Reifen,  an 
den  vierten  Endreifen  setzt  sich  der  Knopf  an.  Dieser  ist  6  Cm.  lang  und  am  Griff- 
encie  2,5  Cm.  breit,  nach  rückwärts  in  zwei  Spiralen  umgebogen,  in  der  Mitte  läuft 
ein  2,5  Cm.  lauger  Dorn. 

Die  Fibula  III  und  die  Spirale  IV  stammen  aus  einem  Gräberfunde  bei  dem 
Dorfe  Kuhdorf  von  der  Feldmark  des  im  dreissigjährigen  Kriege  zerstörten  Dorfes 
Ferchau,  zwei  Stunden  von  Salzwedel  ((Altmark)  (Fearg  bedeutet  im  Keltischen  „See"). 
Dort  wurde  in  einer  zertrümmerten  Aschenurne  innerhalb  einer  Steinkiste  ein  auch 
im  Besitz  des  städtischen  Museums  befindlicher  Keil  von  grauschwarzem  Feuerstein, 
an  der  Schneide  polirt,  12  Cm.  lang,  an  der  Schneide  4,5  Cm.  breit,  2  Cm.  dick, 
nebst  der  Fibula  und  der  Spirale  von  Bronze  gefunden.  In  der  Nähe  der  Fundstätte 
befindet  sich  ein  von  mächtigon  Steinblöcken  eingeschlossenes  Oblongum,  innerhalb 
dessen,  frei  zu  Tage,  eine  grosse  Steinkammer  liegt. 

Die  Fibula,  welche  ein  hiesiger  Techniker  für  ein  Meisterwerk  des  Bronzegusses 
erklärt,  ist  meist  mit  schöner  Patina  bedeckt  und  hat,  wie  der  Catalog  angiebt,  die 
Gestalt  einer  Banane;  ich  möchte  dieselbe  eher  mit  der  bekannten  schwarzen  oder, 
wie  ich  sie  im  Harz  mehrfach  gefunden  habe,  gelben  Schnecke  (Helix)  vergleichen. 
Sie  ist  1 1  Cm.  lang,  und  von  oben  gesehen  in  der  Mitte  4  Cm.  breit,  2,5  Cm.  hoch. 
An  den  beiden  spitzen  Enden  befinden  sich  2  Löcher,  0,5  und  0,75  Cm.  weit,  welche 
von  5  konzentrischen  eingravirten  Kreisen  umgeben  sind.  Durch  diese  und  durch 
zwei  je  an  einer  Innenseite  unten  angebrachte  Oehre  ging  eine  lose,  nicht  mit  einer 
Spirale  befestigte  Nadel,  welche  leider  verloren  gegangen  ist.  An  der  einen  Aussen- 
seite  sind  zwei,  je  1,5  Cm.  lange  Oehre  eingegossen,  durch  welche  wahrscheinlich 
ein  Riemen  zur  Befestigung  der  Fibula  gezogen  wurde.  (Das  Gewicht  der  Fibula 
beträgt  7  Loth.)  Auf  den  Gehren  sind  an  jedem  Rande  je  3  feine  Linien  eingravirt, 
zwischen  welchen  Zickzacklinien  bis  zu  beiden  Enden  laufen.  Der  Länge  nach  ziehen 
sich  über  die  oben  etwas  lädirte  Fibula  zunächst  3  erhabene  Ruudstreifen,  auf  denen 
Schraffirungen  von  Schrägstrichen  angebracht  sind.  Die  Mitte  der  Fibula  ist  in  der 
Breite  von  1  Cm.  ganz  glatt,  dann  folgen  auf  der  andern  Seite  6  Kundstreifeu,,  dann 
ein  zweites  glattes  Feld,  dann  3  Streifen  bis  zum  Innern  Rande.  Die  beiden  innera 
Ränder  der  untern  Seite,  wo  die  Fibula  bohl  ist,  sind  2  Cm.  von  einander  entfernt. 
Die  Dicke  der  Wandung  beträgt  etwa  3  Mm.  Die  beiden  inneren  Oehre  sind  fast 
1  Cm.  breit,  die  Löcher  in  denselben  fast  0,5  Cm.  Die  Verzierung  der  glatten  Fläche 
zwischen  den  beiden  Seiten  lässt  sich  aus  der  Skizze  erkennen.  Zwischen  den  beiden 
äusseren  Handhaben  ziehen  sich  3  Reihen  von  je  5  senkrechten  Parallellinien,  zwischen 
denen  mehrere,  theilweise  noch  kaum  erkennbare  Halbkreise  puuktirt  sind;  je  2  sol- 
cher Parallelstreifen  liegen  an  den  b<nden  Aussenseiteu  der  Oehre;  au  beide  schliessen 
sich  zwei  aus  3  Linien  g(;bildete  Halbkreise. 

Die  Spirale  IV  hut  die  Gestalt  einer  kreisförmig  zusammengeringelten  Schlange, 
deren  Kopf  noch  theilweise  erhalten  ist.  D,ie  Zahl  der  Windungen  bis  zum  Mittel- 
punkte beträgt  10  und  dieselben  verjüngen  sich  nach  Innen  erheblich  Der  Durch- 
messer der  Spirale  beträgt  10  Cm.,  die  Breite  des  Kopfes  1  Cm.  Die  Spirale  ist 
von  innen  nach  aussen  um  2  Cm.  ausgebogen,  so  dass  ungefähr  die  Gestalt  eines 
Schildes  herauskommt,   da  sich  die  Windungen  von  vorn  gesehen  vollständig  an  ein- 


(149) 

ander  schliessen.  Der  Querdurchschnitt  besonders  am  Halse  der  Schlange  ist  eine 
Raute  O  ,  daher  haben  die  Seiten  ziemlich  scharfe  Ränder,  Die  Verzierungen  des 
Kopfes  und  der  Spirale  selbst  sind  feine  Linien  und  Vertiefungen,  welche  auf  der 
Oberfläche  der  Spirale  ein  Kreuz  bilden  und  sich  aus  der  Zeichnung  vollständig  er- 
kennen lassen. 

Fibula  und  Spirale  machen  entschieden  den  Eindruck,  als  wenn  sie  nicht  ein- 
heimischen Ursprungs  sind,  sondern  aus  einer  südlichen  (orientalischen)  "Werkstätte 
stammen,  die  Arb«Mt  ist  so  elegant,  dass  ein  heutiger  Künstler  beide  Gegenstände  nicht 
besser  machen  könnte. 

(5)  Hr.  HartmauB  hält  einen  Vortrag  über  den  libanotischen  Fund 
ans  der  Kuocheuhöhle  von  Ferrajeh 
(Sitzung  vom  20.  Februar)  und  über 

Bärenreste  der  vorgeschichtlicheu  Zeit 

im  Allgemeinen'). 

(())  Hr.  Fritsch  spricht  über 

die  Ausgrabungen  >'on  Samthawro  und  Kertsch. 

Ich  hatte  mir  erlaubt,  in  einer  früheren  Sitzung  die  Uebersicht  über  meine  jüngst 
verflossene  Reise  nach  lsi)ahau  zu  geben,  und  möchte  nun  heut  zwei  Gebiete  heraus- 
greifen, wo  besonders  günstige  Gelegenheit  zu  archaeologischeu  Untersuchungen  ge- 
geben war.  Es  sind  dies  die  Krim,  vor  allen  die  Umgegend  von  Kertsch,  und 
die  Kaukasusländer,  in  den  letzteren  speciell  die  Ausgrabungen,  welche  bei  Sam- 
thawro  oder,  wie  der  Ort  früher  genannt  wurde,  Mzchet  ausgeführt  werden. 

Das  erste  der  beiden  Gebiete  ist  der  Gesellschaft  schon  durch  die  Abhandlungen  des 
Herrn  Bayern  in  unserer  Zeitschrift  bekannt,  eines  Mannes,  der  selbst  die  grössten 
Verdienste  um  diese  Ausgrabungen  hat,  während  über  die  Krim  in  neuerer  Zeit  durch 
W.  Koppen  in  der  russischen  Revue  eine  längere  Abhandlung  gegeben  worden  ist. 
Indessen  dürfte  die  gewonnene  unmittelbare  Anschauung  zur  Ergänzung  des  Bildes 
noch  manches  Neue  beitragen  können,  und  ausserdem  kommt  es  mir  speciell  darauf 
an,  gewisse  charakteristische  Punkte  herauszuheben,  welche  mir  geeignet  scheinen, 
die  genannten  Lokalitäten  in  eine  nähere  Beziehung  zu  einander  zu  setzen. 

An  beiden  Orten  handelt  es  sich  um  Grabstätten,  und  zwar  tragen  dieselben  im 
Wesentlichen  den  Charakter,  welchen  man  gewöhnt  ist  als  Dolmen  zn  bezeichnen. 
Sie  finden  sich  in  der  Krim  in  der  Form,  wie  sie  in  ganz  ähnlicher  Weise  im  west- 
lichen Europa,  besonders  in  Frankreich  und  hinauf  bis  nach  Skandinavien  angetroffen 
werden,  d.  h.  dieselben  sind  errichtet  aus  senkrecht  aufgestellten  Steinplatten,  recht- 
winklige Ecken  bildend,  welche  dann  mit  einer  grösseren  horizontalen  Platte  überdeckt 
sind.  Bei  der  einfachsten  Form  der  Krim'schen  Dolmen  sind  es  vier  senkrechte 
Platten,  von  denen  die  beiden  längeren  vorn  und  hinten  überstehen,  während  eine 
uuregelmässige  Deckplatte  von  erheblich  grösseren  Durchmessern  darüber  liegt.  Diese 
einfachste  typische  Form  wird  dann  weiter  variirt,  indem  diese  Steinplatten  in  den 
Boden    eingesenkt  oder  mit  Erde  umschüttet  sein  können,    oder  es  findet  sich  auch 


';  Dieser  Vortrag  wurde  in  der  folgemlen  Julisitzung   weiter   fortgesetzt  uud  wird   im  B« 
richte  über  letztere  im  Zusammenhange  folgen. 


(150) 

häufig  noch  eine  äussere  Einfriedigung  von  einzelnen  unregelmässigen  Steinen,  die  im 
Viereck  aufgestellt  sind,  von  dem  die  eine  Seite  offen  sein  kann,  indem  so  eine  Art 
Hof  um  die  mittleren  Steine  gebildet  wird. 

Wir  haben  es  also  nach  der  eben  gegebeneu  Beschreibung  mit  Steinkisten  zu 
thnn  und  Steinkisten  sind  es  auch,  welche  wir  bei  Samthawro  im  Kaukasus  finden. 
Der  Unterschied  zwischen  beiden  ist  nicht  so  sehr  gross;  die  Kisten  sind  am  letzt- 
genannten Orte  reihenweise  angeordnet,  was  in  der  Krim  nur  ausnahmsweise  vor- 
kommt (Yalta)  und  ferner  sind  die  Sandsteinplatten,  aus  denen  die  Gräber  in  Sam- 
thawro bestehen,  mit  Mörtel  vereinigt.  Das  durch  die  geringe  deckende  Erdschicht 
einsickernde  "Wasser  hat  indessen  viel  dazu  beigetragen,  das  Geröll  mit  einer  Art 
Cement  zu  verbinden,  so  dass  zuweilen  das  Vorhandensein  von  Mörtel  dadurch  vor- 
getäuscht werden  mag.  Ausser  den  Sandsteinplatten  kommen  in  Samthawro  auch 
nicht  selten  Ziegelplatten  zur  Verwendung,  wahrscheinlich  weil  es  ein  bequemeres 
und  billiger  zu  beschaffendes  Material  war. 

Charakteristisch  ist  ausserdem  ein  Loch  in  einer  der  Seitenwände,  etwa  einen 
Fuss  im  Durchmesser,  wie  sich  solches  gleichfalls  in  den  leichten  überirdischen  Stein- 
kisten des  nordwestlichen  Kaukasus  findet  und  nach  Bayern 's  Angabe  existiren  in 
Ossethien  noch  bis  auf  den  heutigen  Tag  Grabhäuschen  mit  seitlichen  Oeffnungen, 
wo  allerdings  die  ganze  Leiche  hindurchgeschoben  werden  soll.  Bei  den  gewöhnlichen 
Dolmen  dienten  sie  wohl  nur  dazu,  noch  einen  gewissen  Verkehr  mit  dem  Verstor- 
benen zu  unterhalten. 

Bemerkenswerth  und  wichtig  für  die  allgemeine  Betrachtung  ist,  dass  sowohl  in 
Samthawro,  als  besonders  in  Kertsch  üebergänge  zu  wirklichen  steinernen  Sarkophagen 
vorkommen,    dem   Inhalte  nach    etwas    späterer  Zeit  angehörig,    so   dass   es  keinen 
Schwierigkeiten  unterliegt  sich  vorzustellen,  wie  allmälig  die  Sitte  des  Dolmenbauens 
in  die  uns  noch  ganz  geläufige  steinerner  Särge  überging.    Eins  der  schönsten  Denk- 
mäler aus   der  üebergangsperiode    ist   der   riesige,   über  30  Meter   hohe  Tumulus  bei 
Kertsch,   welcher  als  das  Grab  des  Mithridates  bezeichnet  wird.    Der  horizontale,  45 
Schritt  lange  Gang,    bei  2  M.  Breite   und    etwa  8  M.  Höhe,   ist  nicht  gewölbt,   son- 
dern die  Bedeckung  ist  in  der  Weise  erzielt,    dass   von   den  mächtigen  Quadern  der 
Wände,  über  Mannshöhe  beginnend,  12  Lagen  allmälig  weiter  und  weiter  nach  innen 
vordringen,  bis  der  Stein  der  letzten  die  beiden  stark  genäherten  Seiten  als  Schluss- 
stein gleichzeitig  bedeckt.     In  gleicher  Weise  ist  die  kleine  Thür,  welche  in  der  Tiefe 
des  Ganges  zu  dem  inneren,    einem  kleinen  Zimmer  ähnlichen,  Raum  führt,    nach 
oben   durch   einige  Lagen  vorspringender  Steine  abgeschlossen,    und  der  viereckige 
Innenraum  selbst  rundet  sich  nach  oben  durch  solche  Anordnung  zu  einer  conischen 
Verjüngung.      Zuerst  werden   die   vier   Ecken    durch  die    vorspringenden   Steine   aus- 
geglichen,   bis  ein   kreisförmiger  Querschnitt  erreicht  ist,    und   so   steigen  22  Lagen 
derartig  angeordneter  Quadern,    den  Raum   verengend,    in  die  Höhe,    bis   die  obere 
Oeffnung  durch  eine  Platte  von   etwa  einem  Meter  Durchmesser  verschliessbar  wird. 
In  diesem  künstlichen  Tumulus  fand  sich  auch  ein  wirklicher  Steinsarkophag,  welcher 
indessen  zur  Zeit  der  officiellen  Auegrabung  bereits  geplündert  gewesen  sein  soll. 

Mit  Uebergehung  der  einzelnen  Variationen  der  Bauart  bei  den  verschiedenen 
Formen  der  Steinkisten  wende  ich  mich  alsbald  zu  dem  Inhalt  derselben. 

Der  Befund  ist  überall,  wo  Dolmen  überhaupt  gefunden  werden,  sei  es  im  west- 
lichen Theile  unseres  Continentes,  in  Scandinavien  oder  der  Krim,  in  gewissen  Be- 
ziehungen der  gleiche,  d.  h.  es  wird  sehr  häufig  gar  Nichts  in  denselben  gefunden, 
oder  wo  Knochenreste  auftreten,  sind  sie  zertrümmert  und  im  Schutt  verrollt.  Dabei 
ist  als  Regel  anzunehmen,  dass  Skelettheile  mehrerer  Individuen  in  derselben  Grab- 
stätte vereinigt  sind.    Aeholich  verhält  es  sich  in  den  Steinkisten  des  Kaukasus:    es 


(151) 

finden  sich  dort,  wie  auch  sonst,  zwar  zuweilen  einzelne  Skelette  im  Ganzen,  bei 
denen  die  Knochen  noch  in  der  natürlichen  Lagerung  sind,  doch  ist  ein  solcher  Be- 
fund zu  den  Ausnahmen  zu  rechnen. 

Was  die  Art  der  Bestattung  anlangt,  so  gehen  die  Ansichten  darüber  sehr  aus- 
einander. Es  ist  bei  den  Dolmen  als  unzweifelhaft  zu  betrachten,  dass  sowohl  Leichen- 
brand vorkommt,  als  auch,  dass  die  Knochen  häufig  ungebrannt  gefunden  werden, 
zusammengeworfen  mit  Geröll  und  Schutt.  Ich  glaube  nicht,  dass  man  berechtigt  ist, 
weil  die  Knochen  verschiedener  Individuen  zerstreut  im  Schutt  liegen,  anzunehmen, 
es  habe  Anthropophagie  stattgefunden.  Obgleich  es  mir  leid  thut,  den  Behauptungen 
des  Herrn  Bayern,  vor  dessen  Verdiensten  um  unsere  Kenntniss  des  Kaukasus  ich 
die  grösste  Verehrung  habe,  entgegentreten  zu  müssen,  so  weit  er  aus  seinen  Funden 
die  allgemeine  Verbreitung  der  Anthropophagie  in  Samthawro  anzunehmen  geneigt 
ist,  kann  man  nicht  verhehlen,  dass  der  Beweis  für  dieselbe  als  nicht  geführt  zu 
betrachten  ist. 

Es  ist  eine  Reihe  von  Möglichkeiten  vorhanden,  welche  den  gleichen  Befund, 
wie  er  in  den  Grabstätten  vorliegt,  hervorrufen  könnten,  so  dass  in  manchen  Fällen 
Menschenfresserei  zwar  als  möglich,  aber  nicht  als  unabweisbar  anzunehmen  ist. 
Viel  wahrscheinlicher  ist,  dass  die  Knochen  gesammelt  wurden,  nachdem  das  Fleisch 
davon  durch  Leichenbrand  oder  durch  andere  Einflüsse  der  Natur  zerstört  war,  oder 
endlich,  dasselbe  wurde  auf  mechanische  Weise  losgelöst,  ohne  indessen  als  Nahrung 
zu  dienen.  Dass  eine  solche  Bestattung  selbst  noch  in  später  (christlicher)  Zeit  zu- 
weilen vorgekommen  sein  muss,  beweist  ein  schon  von  Bonstet ten  (Essai  sur  les 
dolmens)  angeführtes  Verbot  Bonifaz  VIII.,  in  dem  sie  ausdrücklich  verboten  wird. 
Ich  erinnere  gleichzeitig,  ohne  weitere  Schlussfolgerungen  daran  knüpfen  zu  wollen, 
an  eine  andere,  bei  meiner  Reise  gemachte  Beobachtung,  auf  welche  ich  später  noch 
einmal  zurückkommen  möchte,  nämlich  die  Bestattungsweise  der  Guebern. 

Bei  dieser  religiösen  Sekte,  deren  Reste  sich  noch  heutigen  Tages  vereinzelt  im 
Kaukasus  finden,  werden  die  Leichen  der  atmosphärischen. Luft  und  den  Geiern  ex- 
ponirt,  bis  die  Knochen  vom  Fleisch  entblösst  sind,  diese  aber  werden  in  viereckige, 
aus  Steinen  gemauerte,  Behältnisse  gesammelt,  ohne  dass  auf  Trennung  der  Individuen 
Rücksicht  genommen  würde,  und  wenn  man  sich  also  den  übrigen  Raum  mit  Schutt 
ausgefüllt  und  das  Behültniss  mit  einer  Platte  bedeckt  denkt,  hat  man  genau  den 
Befund  der  Samthawro'er  Grabstätten,  zumal  diese  Steinkisten  der  Guebern  eben- 
falls in  Reihen  aneinander  liegen. 

In  Folge  der  oben  angedeuteten  Verhältnisse  ist  es  natürlich  sehr  schwierig, 
ganze  Schädel  oder  gar  vollständige  Skelette  aufzufinden,  was  um  so  mehr  zu  be- 
dauern ist,  als  äusserst  interessante  Formen  vorkommen.  Durch  die  Güte  des  Herrn 
Bayern,  sowie  des  Direktors  der  Sammlung  von  Kertsch  gelang  es  mir,  genügendes 
Material  zu  erhalten,  um  ein  Urtheil  über  die  charakteristische  Bildung  zu  gewinnen. 
Es  wird  dadurch  die  schon  von  Anderen  ausgesprochene  Behauptung  bestätigt,  dass 
die  in.  den  Dolmen  gefundenen  Schädel  einem  dolichocephalen  Menschenschlag  an- 
gehörten, von  denen  die  kürzeren  Formen  sich  der  Mesocephalie  nähern.  Ein  ein- 
zelner Schädel  von  Samthawro,  welcher  sich  in  der  That  durch  seine  Länge  aus- 
zeichnet, hat  einen  Breitenindex  von  nur  (J8.5,  ein  anderer  zeigt  72.3  bei  einem  Höhen- 
index von  72,9.  Die  meisten  der  Kertscher  Schädel  gehören  ebenfalls  zu  den  Lang- 
schädeln (Breiteu-Indices:  73,2  bei  einem  Höhenindex  von  75,2)  und  zwar  ist  dieser 
Typus  nach  der  Beschaffenheit  der  Knochen  u.  s.  w.  der  ältere.  Dazwischen  erscheint 
eine  mesocephale,  zuweilen  selbst  subbrachycephale  Form,  welche  späteren  Ursprungs 
ist  und  eine  beginnende  Vermischung  mit  tatarischen  Elementen  zu  verrathen  scheint; 
der  Durchschnitt  der  mitgebrachten  Schädel  ergiebt  als  Breitenindex  76,2   bei  geriö' 


(152) 

gerer  Höhe  (74),   so  dass  der  Durchschnitt  aller  zusammen  sich  dem  von  Welcker 
für  Dolmenschädel  angegebenen  Breiteuindex  (75)  nähern  würde. 

Höchst  bemerkenswerth  ist  aber,  dass  ausser  diesen  normalen  Bildungen  sowohl 
in  Kertsch  wie  in  Samthawro  dieselben  eigenthüuilichen  Schnürschädel  vorkommen, 
welche  von  den  Autoreu  bald  als  Makrocephalus,  bald  als  Turricephalus  oder  Flaty- 
cephalus  benannt  werden,  je  nachdem  der  bei  ausserordentlich  verflachtem  Stirnbein 
hinten  stärker  ausgebildete  Schädel  mehr  nach  oben  oder  rückwärts  sich   ausdehnt. 

Es  ist  unzweifelhaft,  dass  man  künstliche  Difformitäten  vor  sich  hat,  welche 
ausser  an  den  genannten  Lokalitäten  auch  in  Oesterreich  gefunden  worden  sind,  wo 
sie  durch  Fitzinge r,  dem  sich  andere  Autoren  anschlössen,  als  Avarenschädel  be- 
zeichnet werden.  Als  Tschudi  einen  der  ersten  in  Oesterreich  gefundenen  sogenannten 
Avarenschädel  sah,  erklärte  er  positiv,  derselbe  müsse  ein  durch  Zufall  aus  Amerika 
herübergekommener  Platycephalus  sein,  woraus  man  erkennen  kann,  wie  leicht  die 
gleiche  Form  durch  ähnliche  Mittel  erzielt  werden  kann,  ohne  dass  irgend  eine  Mög- 
lichkeit vorliegt,  einen  Zusammenhang  der  Stämme  nachzuweisen. 

Aus  einem  Grabe  in  Samthawro  erhielt  ich  durch  Herrn  Bayern  die  Trümmer 
von  wenigstens  vier  Schädeln,  welche  alle  dem  hier  besprochenen  Typus  angehörten; 
der  vordere  Theil  der  Calvarien  ist  noch  kenntlich  und  zeigt  die  charakteristische 
Form  in  prägnanter  Weise.  Ein  anderer  vollständiger,  welcher  der  Gesellschaft  vor- 
liegt, stammt  von  Kertsch.  Der  letztere  würde  sehr  mit  Unrecht  als  Makrocephalus 
bezeichnet  werden,  da  er  nur  geringen  Umfang  und  einen  zarten  Knochenbau  zeigt, 
welchen  man  geneigt  wäre,  als  weiblich  zu  bezeichnen,  da  das  Individuum  bereits 
im  mittleren  Alter  gewesen  ist.  Die  Breitenindices  (am  vorliegenden  76,4  bei  78,3 
Höhenindex)  sind  nicht  sehr  von  dem  Mittel  abweichend,  doch  ist  die  Feststellung 
solcher  Zahlen  an  difformen  Schädeln  etwas  schwankend. 

Nach  dem  sporadischen  Vorkommen  und  der  regellosen  Untermischung  mit 
normalen  Schädeln  dürfte  man  berechtigt  sein,  in  dieser  künstlichen  Verstümmelung 
vielleicht  eine  traditionelle  Eigenthümlichkeit  einer  Kaste  oder  gewisser  Familien  zu 
sehen,  die  aber  nicht  dem  ganzen  Volksstamm  als  solchem  zukam. 

Was  nun  die  sonstigen  Funde  in  diesen  Grabstätten  anlangt,  so  ist  auch  da 
eine  gewisse  Uebereinstimmung  ersichtlich,  doch  ist  das  Bild,  was  Kertsch  anbelangt, 
durch  das  beständige  Hinzutreten  fremder  Einflüsse  in  späterer  Zeit  sehr  getrübt. 

Von  Waffen  finden  sich  meist  nur  geringe  Reste.  Dieselben  sind  im  Kaukasus 
wie  in  der  Krim  von  Eisen  und  haben  sich  aus  diesem  Grunde  wohl  besonders 
schlecht  conservirt.  Es  erscheint  zuweilen  in  Samthawro  der  Dolch  (Kandschar), 
wie  es  scheint,  nicht  unähnlich  dem  heute  noch  üblichen,  in  Kertsch  kurze  eiserne 
Schwerdter  und  Messer.  In  ersterem  Ort  sind  auch  Bekleidiingsgegenstände  spärlich 
ausser  Fibeln,  einfachen  Schmucksachen  und  Haarnadeln;  von  Geweben  finden  sich 
nur  Spuren  von  Abdrücken,  sie  können  aber  durch  Verwittern  zerstört  sein.  In  der 
Krim  sind  die  späterer  Zeit  angehörigen  Funde,  unter  denen  auch  Gewebreste,  me- 
tallne  Gürtel,  Knöpfe,  als  Besatz  der  Kleidung  zierliche  Filigraubommeln  und  Aehn- 
liches  vorkommen,  sehr  vorherrschend  und  können  nicht  mit  den  älteren  kaukasischen 
parallelisirt  werden. 

Von  Gefässen  zeigen  sich  die  gläserneu  Thränenfläschchen  in  Samthawro  sehr 
reichlich  und  in  verschiedener  Form,  so  dass  Bayern  sich  veranlasst  sieht,  denselben 
eine  symbolische  Bedeutung  beizulegen,  worüber  sein  Aufsatz  in  dieser  Zeitschrift 
nachzusehen  ist.  Auch  in  Kertsch  finden  sich  ähnliche  Thränenfläschchen,  wenn  auch 
nicht  so  mannigfaltig  in  der  Form;  der  fortschreitende  griechische  Einfluss  macht  sich  in- 
dessen bei  Kertsch  auch  in  dieser  Technik  durch  das  Auftreten  von  allerhand  äusserst 
zierlichen  Glasgefässen  zu  verschiedenen  Zwecken   bemerkbar.     Als  ein  Zeichen  des 


(153) 

geringeren  Alters  sind  daselbst  hölzerne  Sarkophage  und  andere  Gegenstände  von  sol- 
chem Material  erhalten;  dieselben  sind  aber  häufig  so  leicht  geworden,  dass  man 
meint,  Korkholz  vor  sich  zu  haben. 

Neben  diesen  Funden  von  eutschiodrii  giiocliischem  Charakter  treten  auch  soge- 
nannte etrurische  Vasen,  d.  i.  irdene  Gefässe  von  besonders  feiner  Masse  von  roth- 
brauuer  Farbe  auf,  denen  schwarze  Figuren  aufgetragen  sind,  oder  das  ganze  Gefäss 
zeigt  einen  schwarzen  Grund,  auf  dem  die  rothbraunen  Figuren  ausgespart  sind. 
Zuweilen  sind  diese  auch  mit  bunten  Farben  ausgemalt  und  stellen  meist  mythische 
Gegenstände  dar,  z.  B.  den  Kampf  des  Theseus  mit  den  Amazonen,  Centauren  und 
Aehnliches.  Charakteristisch  ist  das  häufige  Auftreten  von  Pferdeköpfen,  neben  deren 
gewöhnlich  der  Kopf  einer  weiblichen  Gottheit  erscheint.  Das  Pferd  spielte  offenbar 
schon  damals  eine  grosse  Rolle  bei  diesen  Bevölkerungen  und  zwar  als  Reitthier, 
wie  die  zahlreichen  Reiterfiguren  auf  Steinen  in  den  Gräbern  erkennen  lassen;  auf 
diesen  sind  ausserdem  häusliche  Scenen  dargestellt ,  von  roher  Hand  eingegraben, 
aber  zum  Theil  noch  gut  erhalten.  Diese  Gegenstände,  ebenso  wie  die  meisten 
der  Terracottafiguren,  scliliessen  sich  unverkennbar  an  griechische  Formen  an,  haben 
aber  meist  einen  etwas  barbarischen  Anstrich,  wie  es  wohl  durch  die  Nachahmung 
reiner  griechischer  Originale  erklärlich  scheint. 

Vielleicht  liegt  in  diesem  Umstände  auch  der  Grund  für  das  fast  vollständige 
Fehlen  der  Inschriften,  worin  ebenfalls  Kertsch  und  Samthawro  sich  nahe  stehen. 
An  letzterem  Orte  wurde  in  neuerer  Zeit  ein  Stein  gefunden,  dessen  Lagerung  in- 
dessen auch  eine  zufällige  Verwendung  als  Deckstein  nicht  ausschliesst,  auf  dem  wohl- 
erhaltene Schriftzügß  sind,  welche  für  hebräisch  (?)  gehalten  werden. 

Resumiren  wir  die  Ergebnisse  der  Betrachtung,  so  ergiebt  sich  zunächst  die  trau- 
rige Thatsache,  dass  wir  bei  dem  häufigen  Wechsel  der  Verhältnisse  und  dem  Unter- 
mischen der  Reste  verschiedener  Zeiten  kaum  im  Stande  sein  werden,  mit  einer  ge- 
wissen Sicherheit  die  Beschaffenheit  und  den  Ursprung  der  Völkerstämme  festzustellen, 
welche  diese  Grabstätten  bauten. 

Wegen  der  Einfachheit  der  Erfindung,  der  mannigfachen  Variationen,  des  üeber- 
ganges  in  wirkliche  Sarkophage,  kann  man  nicht  beweisen,  dass  es  ein  besonderes 
Volk  gewesen  sei,  welches  die  Dolmen  gebaut  hat,  wenn  es  auch  durchaus  wahr- 
scheinlich ist,  dass  gewisse  Stämme  auf  die  Errichtung  mächtiger  Dolmen  einen 
grösseren  Fleiss  und  Mühe  verwandt  haben  als  andere,  die  sich  die  Sache  leichter 
machten,  so  dass  die  Spuren  wieder  verwischt  wurden.  In  diesem  Sinne  könnte 
man  vielleicht  von  einem  „Dolmenvolke"  reden,  doch  ist  es  nicht  ersichtlich,  warum 
dasselbe  nicht  arisch  gewesen  sein  sollte,  wohl  aber  zur  kaukasischen  Rasse  (?!)  ge- 
hört hätte  (Koppen).  Noch  weniger  erscheint  es  nach  der  Natur  der  Dinge  zulässig, 
aus  der  Verbreitung  der  Dolmen  und  ihrem  dürftigen  Inhalt  die  Zeit  und  die  Rich- 
tung der  Wanderungen  des  Dolmenvolkes  construiren  zu  wollen. 

Es  steht  nur  fest,  dass  noch  in  den  letzten  Jahrhunderten  vor  Beginn  unserer 
Zeitrechnung  dolichocephale  Volksstämme  an  den  Nordküsten  des  schwarzen  Meeres 
wohnten,  welche  den  germanischen  ürstämmen  vielleicht  gar  nicht  so  fremd  waren. 
Dieselben  stellten  wahrscheinlich  die  späteren  von  Osten  vordringenden  Nachzügler 
dar,  nachdem  die  germanischen  Stämme  weiter  nach  Norden  ausgewandert  waren. 
Es  widerstreitet  eigentlich  der  Theorie  des  Dolmenvolkes  und  seiner  Wanderungen, 
wenn  Koppen  behauptet,  dass  selbst  heutigen  Tages  die  Reste  der  ursprünglichen 
Dolmenbauer  in  denselben  Gegenden  vorhanden  seien,  da  gerade  dadurch  das  allmälige 
spurlose  Verschwinden  gewisser  Gebräuche  constatirt  wird;  doch  wäre  ich  geneigt, 
ihm    in   letzterem  Punkte   gern  Glauben   zu    schenken.      Freilich    müssen    die   Bevöl- 


(154) 

kerungen  durch   das  Nachdrängen  und   die  Vermischung    mit   tatarischen  Elementen 
stark  verändert  sein. 

Was  endlich  die  Schnürschädel  anlangt,  so  scheint  ihr  Auftreten  bei  Kertsch 
wie  iu  Samthawro  gegen  die  Annahme  zu  sprechen,  dass  dieselben  von  den  Avaren 
herrührten.  Dieser  Volksstamiu,  über  welchen  eigentlich  Niemand  etwas  Specielleres 
anzugeben  weiss,  zog  wie  ein  Schattenbild  durch  unseie  Geschichte,  und  wenn  man 
auch  annimmt,  dass  ihre  Wanderungen  längs  der  Nordküste  des  schwarzen  Meeres 
verliefen,  so  erklärt  dies  doch  nicht  das  untermischte  Auftreten  platycephaler  Schädel 
aus  anscheinend  erheblich   verschiedenen  Zeiten  unter  sonst  normal  gebildeten, — 

Hr.  Virchow  erinnert  daran,  dass  schon  Hippocrates  die  Makrocephalen  am 
Mäotischen  See  erwähne,  welche  ihre  abweichende  Schädelform  durch  künstliche 
Deformation  und  später  auch  durch  blosse  Erblichkeit  erwürben.  Der  vorgelegte 
Schädel  stamme  genau  aus  der  von  dem  Altvater  der  Medicin  bezeichneten  Oertlich- 
keit  und  müsse  daher  doppeltes  Interesse  für  alle  Freunde  des  Alterthums  darbieten.  — 

(7)  Hr.  P.  Aschersou  zeigt  einige  verkohlte,  von  Hrn.  Virchow  im  Burg- 
wall zu  Priment  gesammelte  Pf  lanzen  samen.  (Vgl.  Sitzung  vom  14.  Mai.) 
Die  Untersuchung  hat  ergeben,  dass  dieselben  aus  Roggen  (nicht  Weizen)  und 
Erbsen  bestehen;  sonderbarer  Weise  fand  sich  ein  kenntlicher  Samen  der  Sau- 
bohne (Vieia  Faba)  darunter. 

(>j)     Hr.  Virchow  bespricht 

Funde  von  Zaborowo, 
namentlich  ein  Pferdegebiss  von  Bronze  imd  Pferdezeiclinungen. 

(Hierzu  Taf.  XI.) 

Ich  würde  vielleicht  auch  sonst  mich  veranlasst  gesehen  haben,  einige  bemerkens- 
werthe  Funde,  die  auf  dem  Gräberfelde  von  Zaborowo  gemacht  sind,  zur  Kenntniss 
der  Gesellschaft  zu  bringen;  allein  ein  besonderer  Grund  dazu  ist  die  sehr  interessante 
Abhandlung  des  Grafen  Gozzadini^),  die  ich  in  der  vorigen  Sitzung  vorlegte  und 
die  über  alte  Pferdegebisse  und  ein  Bronzeschwert  handelt,  die  von  ihm  gefunden 
sind  auf  dem  Hügel  von  Ronzano  iu  der  Nähe  von  Bologna.  Er  hat  damit  eine 
zusammenfassende  Erörterung  der  alten  Pferdegebisse  überhaupt,  namentlich  der  ita- 
lischen, verbunden.  Pferdegebisse  von  Bronze  waren  bisher,  obwohl  sie  von  etru- 
rischeu  und  römischen  Funden  in  grösserer  Zahl  bekannt  sind,  in  prähistorischen 
Sammlungen,  namentlich  diesseits  der  Alpen,  ausserordentlich  selten.  Der  erste 
Fund  dieser  Art,  der  grösseres  Aufsehen  erregte,  ist  1872  von  Dr.  Gross''*)  in  der 
Schweiz  in  einem  Pfahlbau  des  ßieler  Sees  bei  Möringen  gemacht  worden.  Er 
gab  Veranlassung  zu  einer  vergleichenden  Darstellung  des  bekannten  französischen 
Archäologen  Bertrand-'),  der  damit  zusammenstellte  einen  überaus  ähnlichen,  gegen- 
wärtig in  dem  Museum  zu  St.  Germain  befiudlicheu  Fund,  welcher  eine  grosse  Zahl 
von  Bronzesachen  umfasst,  die  schon  vor  längerer  Zeit  in  einem  Moor  bei  Wallerfangen 
(Vaudrevanges)  in  der  Nähe  von  Saarlouis  ausgegraben  worden  sind.    Graf  Gozzadini 


')  De  quelques  mors  de  cheval  italiques  et  de  Tepec  de  Rouzauo  eu  bronze  par  le  Comte 
J,  Gozzadini.     Bologna  1875. 

2)  Anzeiger  für  Schweizerische  Alterthuinskunde.  1872.  No.  3.  S.  358.  Desor  et  Favre. 
Le  bei  äge  du  hroiize  lacustre  en  Suisse.     Paris  et  Neuchatel.    1874.    PI.  IV.  p.  4. 

■*)  Revue  archeologique.    Nouv.  8er.     1873.     Vol.  XXV.  p.  327.    PI.  XI, 


(155) 

hat  diese  Untersuchungen  im  grössten  Massstabe  aufgenommen  und  in  seiner  wichtigen 
Schrift  die  Gesammtheit  der  auf  Pferdegebisse  bezüglichen  Funde  von  der  ägyptischen 
und  assyrischen  Periode  bis  zur  römischen  verfolgt.    Er  hat  das  Glück  gehabt,  ausser 
den  4  Gebissen,    welche  bei  Ronzano    gefunden  wurden,   nicht   bloss  mehrere  andere 
aus  der  Nachbarschaft   zu   erlangen,    sondern   er  hat   auch   aus   einer  Reihe   früherer 
italienischer  Funde  die  etrurischen  und    römischen    zusammengestellt,  ferner  einige, 
in  alten  Darstellungen    uns    erhaltene  Abbildungen,    welche  ergeben,    wie  ein  Pferd 
aufgeschirrt  wurde,  hinzugefügt,  und  in  der  That  eine  der  lehrreichsten  Abhandlungen 
geschrieben,  welche  über  diesen  Gegenstand  existiren.    Für  die  vergleichende  Archäo- 
logie hat  sich  die  durchaus  sichere  Thatsache  ergeben,  dass  jene  Gebisse  von  Möringen 
in  der  Schweiz  und  von  Wallerfangen,  wenngleich  sie  sich  in  einigen,  nicht  unerheb- 
lichen   Funkten    unterscheiden   und   auf  eine    selbständige    Quelle    hinweisen,    doch 
dem  Typus  nach   sich  so    eng    an    die    italienischen   Funde    anschliessen,   dass    man 
aus    diesem    Umstände    ein    neues    Argument    hernehmen    kann    für   die    etrurische 
Einwirkung    auf    die    Länder   diesseits  der    Alpen.      Graf    Gozzadini    hat     diesen 
Nachweis,    welcher    der   Auffassung    des   Herrn    Bertrand   von    einer   kaukasischen 
Quelle  dieser  Bronzen  gerade  entgegensteht,  dadurch  unterstützt,  dass  er  zugleich  ein 
hei   Ronzano   gefundenes  ßronzeschwert   zum    Gegenstande   der  Betrachtung   gemacht 
hat,    welches  allerdings  in   defectem  Zustande  ist,    aber   in   seinen  Haupttheilen  so 
erhalten  ist,   dass   die    Vergleichung  desselben,   namentlich   in  Bezug  auf  die  Bildung 
des  Griffs,  mit  einer  ganzen  Reihe  von  anderen  Funden,  die  er  daneben  abgebildet  hat, 
in  ausgiebiger  Weise  augestellt  werden  kann.     Ich  will  hinzufügen,    dass    auch    wir 
aus  unseren  Sammlungen    eine  Reihe   von  Parallelen    würden    hinzufügen    können.') 
Da  dieses  Bronzeschwert    mit   dem  Pferdegebisse  von  Ronzano  zusammengehört  und 
dieselbe  Griffform  sich  bis  hoch  nach   dem  Norden    hinauf  verfolgen   lässt,    so  kann 
man  allerdings   zugestehen,   dass  damit  ein  sehr  werthvoller  Schritt  auf  dem  Gebiet 
der  vergleichenden  Archäologie  gemacht  ist. 

Aus  Deutschland  sind  bis  dahin  Bronzegebisse  meines  Wissens  nur  in  geringer 
Zahl  bekannt  geworden.  Graf  Gozzadini  erwähnt  (p.  24)  nach  einer  Mittheilung 
des  Herrn  Engelhardt  Exemplare  aus  der  Stettiner  Sammlung  und  von  Herrn 
Lindenschmit  (Alterthümer  der  heidn.  Vorzeit.  H.  10.  Taf,  Hl.)  Einige  andere, 
über  welche  Hr.  Lindenschmit  ihm  berichtet  hat,  beziehen  sich  auf  römische 
Gebisse.  Ein  sehr  interessantes  Stück,  leider  ohne  bekannten  Fundort-'),  besitzt  unser 
Königliches  Museum  (II.  1754):  dasselbe  gleicht  in  allen  Punkten  dem  Mittelstück 
des  Gebisses  von  Ronzano.  Die  beiden  Stücke  greifen  in  der  Mitte  mit  je  einem 
Ringe  in  einander;  jederseits  geht  von  dem  Ringe  eine  kurze  Stange  aus,  welche 
aus  zwei  um  einander  gewundenen  Bronzeblättern  besteht,  und  am  Ende  sind  diese 
wiederum  zu  einem  Ringe  in  der  Art  zusammengefügt,  dass  zuerst  das  eine  Blatt 
eingerollt  und  dann  das  andere  um  dieses  herumgelegt  ist. 

Es  war  mir  nun  durchaus  überraschend,  dass  unter  den  neueren  F'unden  in 
Zaborowo,  welche  noch  nachträglich  aus  den  Gräbern  zu  Tage  gekommen  sind,  gleich- 
falls ein  sehr  schönes  Bronzegebiss  aufgedeckt  ist.  Bevor  ich  jedoch  darüber  be- 
richte, möchte  ich  noch  einige  eiserne  Gegenstände  aus  demselben  Gräberfelde  er- 
wähnen, welche  in  eine  verwandte  Kategorie  gehören.  Ich  hatte  in  der  Sitzung  vom 
14.  Mai,  als  ich  über  meine  letzten  Ausgrabungen  berichtete,  schon  Mitthcilung  davon 
gemacht,   dass  ich    ein   eisernes   Gebiss   gefunden  hätte;    da  ich   es  selbst  aus  der 


')  Man  vergleiche  z.  B-  das  von  Hrn.  Noack   abgebildete  Schwert  von  Helmstädt  (Taf.  X. 
Fig.  1). 

'')  V-  Ledebur,  das  Könighcbe  Museum  S.  199: 


(156) 

Erde  ausgelöst  habe,  so  kann  ich  für  die  Stelle,  an  der  es  sich  fand,  bestimmtes 
Zeugniss  ablegen.  Es  ist  allerdings  ein  sehr  einfaches  Geräth  (Taf.  XL  Fig.  5), 
welches  auch  nur  zur  Hälfte  vorhanden  ist,  so  dass  man  nicht  genau  übersehen  kann, 
ob  es  sich  dem  Typus  jener  vom  Grafeu  Gozzadini  abgehandelten  Trensen  nähert, 
welche  alle  darin  übereinkommen,  dbss  sie  in  der  Mitte  durch  Ringe  eingelenkt  sind, 
also  im  Maule  des  Thieres  beweglich  waren.  Hier  macht  es  den  Eindruck,  als  ob 
diese  Stange  einfach  und  fest  gewesen  sei,  denn  es  zeigt  sich  am  inneren  Ende  ein 
deutlicher  Bruch  gerade  in  der  Gegend,  wo  der  Ring  kommen  müsste.  Das  vorhan- 
dene Stück  besteht  aus  zwei  an  einander  gelegten  Eisenstangen  von  55  Mm.  Länge, 
die  durch  den  Rost  unter  einander  verschmolzen  sind;  man  kann  nur  erkennen,  dass 
eine  Drehung  an  ihnen  vorhanden  ist,  die  jedoch  lauge  nicht  so  stark  ist,  wie  an 
den  italischen  Trensen.  Beide  Stangen  sind  vermittelst  enger  Ringe  in  einen  zweiten 
Ring  von  34  Mm.  Durchmesser  eingelenkt,  der  zwar  zerbrochen  ist,  aber  sich  noch 
an  einander  fügen  lässt.  An  diesem  Ring,  der  offenbar  zur  Aufnahme  der  Leine 
bestimmt  war,  sitzt  nochmals  ein  Stück  eines  dicken  gebogenen  Eisendrahts,  welches 
wiederum  zu  einem  sehr  engen  Ringe  gehört  zu  haben  scheint.  Möglicherweise 
hing  daran  irgend  ein  Zierrath,  was  allerdings  mit  anderen  Funden  überein- 
stimmen würde.  In  die  Kategorie  solcher  Zierrathe  könnte  ein  gleichfalls  eisernes 
Stück  (Taf.  XL  Fig.  3)  gehören,  welches  aus  einem  dicken  Ringe  und  einem  davon 
ausgehenden,  platten  und  sich  allmählich  verbreiternden  dreieckigen  Ansätze  besteht. 

Ich  habe  ferner  aus  den  Eisenbeständen  dieses  Gräberfeldes,  veranlasst  durch 
eine  Abbildung  des  Grafen  Gozzadini  (Tav.  III.  Fig  10),  noch  ein  zweites  Stück 
(Taf.  XI.  Fig.  4)  mitgebracht,  von  dem  ich  es  dahingestellt  sein  hissen  muss,  ob  es 
zu  einem  Pferdegebiss  gehört,  oder  ob  es  eine  Art  von  Hufbeschlag  darstellt.  Es  ist 
ein  ziemlich  starkes,  halbkreisförmig  gebogenes,  f)lattes  Eisenstück  von  15  Cm.  um- 
fang, an  jedem  Ende  mit  einigen  gekrümmten  Haken  und  in  der  Mitte  mit  einer  Spitze 
versehen.     Der  grösste  Querdurchmesser  seiner  Rundung  beträgt  6  Cm. 

Das  schon  erwähnte  Bronzegebiss  (Taf.  XL  Fig.  6)  ist  von  viel  grösserer  Be- 
deutung. Es  hat  wenigstens  dieselbe  bewegliche  Einrichtung  und  die  Zusammen- 
setzung aus  zwei  Theileu,  wie  die  Mehrzahl  der  bekannten  Bronzegebisse.  Freilich 
fehlt  ihm  alles,  was  die  weitere  Ausstattung  der  italischen  Geschirre  so  auffällig 
macht,  namentlich  die  Hinzufügung  ornamentirter  Seitenstücke.  Auch  ist  eä  allem 
Anscheine  nach  ganz  gegossen  und  es  muss  daher  einer  ungleich  jüngeren  Zeit  angehö- 
ren, als  das  Gebiss  unseres  Museums  und  als  die  älteren  italischen  Funde,  Die  ältesten 
Formen,  welche  Graf  Gozzadini  abbildet,  haben  alle  das  Gemeinsame,  dass  sie 
nicht  gegossen  sind,  sondern  dass  sie,  wie  das  Gebiss  unseres  Museums,  aus  gehäm- 
merter Bronze  bestehen,  welche  zunächst  in  einen  langen  Stab  ausgedehnt,  in  der 
Mitte  zurückgebogen  und  durch  Zusammendi'ehen  der  beiden  Enden  in  einen  Ring  ge- 
legt wurde,  in  welchen  der  aus  einem  zweiten  Stück  in  ähnlicher  Weise  gebildete 
andere  Ring  hineingefügt  wurde.  Zuletzt  wurden,  wie  schon  erwähnt,  die  offenen 
Enden  beider  Stücke  in  einander  gerollt,  so  dass  hier  nicht  eine  Zusammenlöthung 
stattfand,  sondern  eben  nur  durch  das  Einrollen  der  beiden  Enden  seitliche  Ringe 
entstanden,  in  welche  Zierrathen  und  Seitenstücke  hineingehängt  wurden.  Da  nun 
nach  einer  Bemerkung  von  Plinius  die  Zeit,  wo  die  Löthung  der  Bronze  erfunden 
wurde,  in  das  siebente  Jahrhundert  verlegt  wird,  so  müssen  die  Gebisse  von  Ronzano 
und  andere  ihnen  verwandte  in  eine  ungleich  frühere  Zeit  verlegt  werden,  als  das 
von  mir  vorgelegte  Bronzegebiss,  welches  unzweifelhaft  gegossen  ist,  und  so  weit  ich 
die  Verhältnisse  beurtlieilen  kann,  auch  gelöthet  sein  muss. 

Dasselbe  besteht  aus  zwei,  ungleich  gebildeten,  in  der  Mitte  durch  zwei  in  ein- 
ander greifende  Ringe  beweglich  zusammengesetzten  Stücken.     Jedes  derselben  stellt 


(157) 

eine  kurzfi  Stange  dar,  welche  jederseits  in  einen  Ring  ausläuft.  Bei  dem  einen, 
etwas  stärkereu,  liegen  l)eide  K,inge  in  einer  Ebene,  an  dem  andern,  etwas  dünneren, 
steht  die  Ebene  des  einen  Ringes  senkrecht  gegen  die  Ebene  des  andern.  So  ist  es 
möglich,  dass  die  beiden  Endringe  in  gleicher  Ebene  liegen.  Jedes  der  Stücke  ist 
etwa  76  Mm.  lang,  jedoch  ist  der  mittlere  gerade  Theil  an  dem  dickern  Stücke  nur 
26,  an  dem  dünneren  34  Mm.  lang.  Diese  Mitteltheile  sind  vierkantig,  sehr  regelmässig 
und  so  oruameutirt,  dass  es  aussieht,  als  wenn  sie  geflochten  wären,  was  einen  über- 
aus zierlichen  Eindruck  macht  und  zugleich  den  Gedanken  erweckt,  als  habe  man 
die  ursprüngliche  Form  eines  aus  Weidenruthen  geflochtenen  Zaumes  nachbilden 
wollen.  Das  (janze  hat  eine  dunkelgrüne  Farbe  und  eine  rauhe,  etwas  hügelige 
Oberfläche,  welche  davon  kommt,  dass  es  in  starkem  Feuer  gewesen  ist;  dies  geht 
daraus  hervor,  dass  in  der  Nähe  Klumpen  geschmolzener  Bronze  gelegen  haben,  die 
möglicherweise  von  den  äusseren  Theilen  des  Geschirrs  herrühren.  Hr.  Kreisphysikus 
Dr.  Koch,  der  nach  meiner  Abreise  dieses  Grab  untersuchte,  schreibt  mir  darüber 
Folgendes: 

„Ihrem  Wunsche  gemäss  übersende  ich  hierbei  das  Bronzegeräth  und  ein  Stück 
geschmolzener  Bronze.  Die  Gegenstände  stammen  aus  einer  Urne,  welche  ich  einem 
an  der  südöstlichen  Ecke  des  Zaborowoer  Gräberfeldes  befindlichen  Grabe  entnommen 
habe.  Das  Grab  war  nicht  mit  Steinen  überdeckt,  hatte  aber  eine  Lehmuuterlage, 
ebenso  wie  die  benachbarten  Gräber,  denen  es  in  Betreff  der  Tiefe,  Grösse,  Anord- 
nung der  Gefässe  etc.  voUkonmien  glich.  In  der  Lehmlage  fand  Herr  Th  un  ig  später 
noch  einen  Bronze-Celt,  ein  eisernes  Werkzeug  und  mehrere  Stückchen  Glasfluss, 
welche  anscheinend  zusammengesinterte  Perlen  waren.  Aussergewöhnlich  war  auch 
noch,  dass  dieses  Grab  zwei  grosse,  mit  calcinirten  Knochen  gefüllte  Urnen  enthielt, 
von  welchen  die  eine  zusammengedrückt  und  zerbrochen  war  und  von  mir  nicht 
untersucht  ist;  wie  mir  Herr  Thunig  mittheilte,  enthielt  sie  ausser  den  Knochen  nichts. 
Die  andere,  fast  vollständig  erhaltene  Urne  nahm  ich  mit  nach  Wollstein,  untersuchte 
sie  am  anderen  Tage  und  fand  in  den  oberen  Sandschichten  Scherben,  welche  sich 
zu  einem  grossen  Theil  des  Ui'ueudeckels  vereinigen  Hessen;  unter  diesen  folgten 
calcinirte  Knochen  mit  Sand  gemengt,  innerhalb  welcher  Schicht,  und  zwar  4  Cm. 
tief,  das  Bronzegerätli  zum  Vorscliein  kam.  Es  lag  horizontal,  rechtwinklig  geknickt 
und  neben  beiden  Enden  desselben  ein  Stück  Bronzefluss,  von  denen  ich  das  eine 
beigefügt  habe." 

Letztere  Angabe  spricht  eiuigermaassen  dafür,  dass  die  Klumpen  von  geschmolzener 
Bronze,  an  denen  nichts  Genaueres  mehr  zu  erkennen  ist,  in  der  That  Bestandtheile 
des  Gebisses  gewesen  sind.  Ich  füge  noch  hinzu,  dass  die  Kürze  dieses  Gebisses 
eine  sehr  kleine  Pferde-Rasse  voraussetzt. 

Es  ist  klar,  dass  dieses  Stück  mit  den  Funden  in  Italien,  in  der  Schweiz,  an  der 
Saar  nicht  unmittelbar  zusammenhängt.  Trotzdem  bleibt  es  bemerkeuswerth,  dass  wir  in 
diesem,  sonst  schon  durch  so  vielerlei  Besonderheiten  ausgezeichneten  Gräberfeld  einen 
so  seltenen  Fund  antrafen,  der  wenigstens  als  Nachbildung  der  Grundform  angesehen 
werden  kann,  welche  in  den  etruskischen  Gräbeiyi  gefunden  ist.  Zugleich  belehrt  er 
uns  in  Gemeinschaft  mit  dem  erwähnten  Eisenfunde,  dass  die  alte  Bevölkerung  dieser 
Gegend  das  Pferd  besass  und  vollkommenere  Formen  des  Pferdegeschirrs  anwandte'). 

')  Nachträgliche  Bemerkung,  l^ei  einem  Besuche  der  Alterthums-Sammlun>;en  in  Schwerin 
am  23  October  d.  J.  fand  ich  zu  meiner  l  eberraschuno;  daselbst  zwei  Bronzei^ebisse,  weiche 
mit  dem  von  Zaborowo  bis  auf  alle  Einzelheiten  übereinstimmen,  namentlich  auch  dieselben 
„Setlochtenen" ,  vierkantigen  Stangen  besitzen.  Sie  haben  nui-  noch  in  jedem  Endringe  der 
beiden  Stangen  einen  weiteren,  etwas  grösseren  Ring  ehigehängt.    Sie  stammen  aus  dem  Sonnen- 


(158) 

Es  ist  noch  ein  drittes  Object  vorhanden,  was  überaus  merkwürdig  ist.  Es  haben 
sich  nehmlich  Trümmer  eines  ziemlich  grossen  Gefässes  (Taf.  XL  Fig.  1),  welches  sich 
nicht  vollstcändig  hat  zusammenfügen  lassen,  aufgefunden.  Dasselbe  ist  zunächst  da- 
durch ausgezeichnet,  dass  seine  äussere  Oberfläche  in  regelmässiger  Abwechselung 
schwarze  und  rothbraune  Felder  zeigt,  und  zwar  ein  gesättigtes  Schwarz  und  ein 
dunkles  Rothbraun,  beide  von  lebhaftem  Glanz,  welche  unzweifelhaft  eine  künstliche 
Färbung  beweisen.  Das  Gefäss  ist  also  bemalt  gewesen.  Zugleich  hat  es  eine  sehr 
zierliche  Form:  es  ist  ein  weites,  flachkugelförmiges  Gefäss  mit  stark  abgesetztem 
Halse,  der  ebenso,  wie  der  Bauch,  braune  und  schwarze  Abtheilungen  und  auf  diesen 
letzteren  Zeichnungen  hat,  welche  eine  von  der  Ornamentik  der  anderen  Urnen  ziem- 
lich abweichende  Anordnung  darbieten.  Diese  Zeichnungen  bestehen  wesentlich  aus 
schrägen  und  gekrümraten  Linien,  von  denen  die  Mehrzahl  in  der  Art  zusammen- 
gesetzt ist,  dass  je  zwei  fortlaufende  Linien  parallel  zu  einander  stehen  und  jeder- 
seits  von  einer  punktirten  Linie  begleitet  werden.  Die  Grenze  gegen  die  braunen, 
glatten  Felder  wird  jedesmal  durch  eine  palmblattähnliche  Zeichnung  gebildet,  wie 
sie  in  der  Sitzung  vom  17.  April  durch  Hrn.  Ni  sson  in  Betreff  einer  skandinavischen 
Urne  (Taf.  VL  Fig.  4)  zur  Sprache  kam.  Es  ist  dies  eine  bei  uns  ziemlich  seltene 
Form,  namentlich  ganz  ungewöhnlich  für  dieses  Gräberfeld.  Noch  viel  auffälliger, 
ja  ganz  abweichend  ist  es,  dass  auf  der  schräg  gestellten,  unteren  Hälfte  des  Randes 
auf  den  schwarzen  graphitischen  Feldern  jedesmal  ein  laufendes  vierfüssiges  Thier 
von  sehr  gestreckter  Gestalt,  mit  langem  Schwänze  und  winklig  angesetztem,  langem 
Kopfe  sich  zeigt.  Allerdings  ist  die  Zeichnung  in  der  allerrohesten  Weise  ausgeführt, 
uad  es  ist  scheinbar  etwas  willkürlich,  wenn  ich  darin  eine  Pferdezeichnung  sehe. 
Indess  sind  auch  die  vom  Grafen  Gozzadini  abgebildeten,  zu  Zierrathen  an  den 
Gebissen  verwandten  Metallpferde  sehr  rohe  Dinge,  welche  in  einem  auffälligen 
Gegensatze  stehen  zu  der  Kunstfertigkeit,  mit  der  die  übrigen  Sachen  ausgeführt  sind. 
Ganz  besonders  berufe  ich  mich  aber  auf  die  Pferdezeichnungen  der  grossen  ßronce- 
flasche  aus  dem  Grabhügel  bei  Rodenbach  in  Hessen,  welche  alle  Eigenschaften  eines 
etruskischen  Fabrikates  darbietet. ')  Dieselben  sind  allerdings  etwas  besser  ausgeführt, 
aber  wir  wissen,  wie  sehr  die  barbarischen  Nachbildungen  klassischer  Zeichnungen 
ins  Barocke  verzerrt  wurden.  Jedenfalls  erscheint  diese  Urne  als  ein  Phänomen  für 
diese  Lokalität  und  für  ein  Gräberfeld  dieser  Art,  wo  sonst  alle  Zeichnung  der  Thon- 
gefässe  sich  beschränkt  auf  einfache  lineare  Ornamente  geometrischer  Art.  Das  Höchste, 
was  wir  bis  jetzt  von  da  hatten,  waren  die  sonnenartigen  Zeichnungen  und  endlich  das 
Triquetrum  oder  Ypsilon,  über  das  ich  früher  gehandelt  habe.  Das  Nächste,  was  sich  an 
unsere  Pferde  anschliesst,  sind  die  Zeichnungen  der  Gesichtsurnen,  und  unsere  Urne  ist 
gerade  insofern  ein  sehr  bemerkenswerther  Fund,  als  sich  auch  auf  mehreren  Gesichts- 
urnen ein  ähnliches  Ornament  nachweisen  lässt.'^)     Ueberraschend   war  es  jedenfalls, 


berge  im  Amte  Lübz  (im  südlichen  Mecklenburg)  und  wurden  in  einer  Urne  mit  Asebe  und 
Knochen  gefuiideu.  (Grossberzogüche  Sammlunj^  L  IL  J  !^.  1  »).  Wir  gewinnen  dadurch  mit 
einem  Maie  eine  archäologische  Beziehung  an  einem  Orte,  wo  sie  am  wenigsten  erwartet 
werden  konnte.  Auch  nach  einer  anderen  Seite,  auf  die  schon  die  bemalten  Thonschalen  hin- 
wiesen, hat  sich  eine  sehr  wichtige  Beziehung  ergeben.  Für  die  höchst  merkwürdige  Fibula, 
welche  ich  in  der  Sitzung  am  14.  Mai  (S.  109.  Taf.  VIII.  Fig.  1)  zeigte,  ist  ein  ganz  genaues 
Gegenstück,  gefunden  bei  ßeichau  in  Niederschlesien,  in  dem  27.  Bericht  des  Vereins  für  das 
Museum  schlesischer  Alterthümer  (Schlesiens  Vorzeit  in  Bild  und  Schrift.  1875.  Fig.  58)  ab- 
gebildet worden. 

')  Lindenschmit,  die  Alterthümer  unserer  heidnischen  Vorzeit.     1875.    III.    5.    Taf.  II. 

*)  Man  vergleiche  meine  Abbildungen  in  der  Zeitschrift  für  Ethnologie.  1870.  Bd.  11. 
S.  80.    Fig.  6  u.  7. 


(159) 

dass  in  der  nächsten  Nähe  einer  Stelle,  an   der  das   seltene  Bronzegebiss    gefunden 
ist,  auch  die  Pferdezeichnuogen  entdeckt  sind. 

Ich  zeige  bei  dieser  Gelegenheit  noch  ein  anderes  oisernes  Geräth,  welches  zu 
Hausthieren  in  Beziehung  stehen  niuss,  nehmlich  einen  Glocken-Klöppel  (Taf.  XI. 
Fig.  2).  Ich  habe  davon  schon  in  der  Sitzung  vom  14.  Mai  gesprochen.  Es  ist  ein 
sehr  schweres  Stück:  der  Stiel  hat  eine  Länge  von  50  Mm.;  er  ist  ebenso  viereckig, 
wie  der  eigentliche  Klöppel,  der  '.VI  Mm.  lang,  am  untern  Ende  20  Mm.  breit  und 
14.  Mm.  dick  ist. 

Schliesslich  will  ich  noch  einen  der  Lokalität  nach  sehr  bemerkenswerthen  Fund 
mittheilen,  der  ganz  in  der  Nähe  von  Zaborowo  auf  einer  Insel  im  Primeuter  See 
(gegenüber  von  Perkovo)  gemacht  ist.  Diese  Insel  hatte  immer  meine  Aufmerksam- 
keit auf  sich  gezogen,  ich  war  aber  nicht  dahin  gekommen,  weil  meine  Beschäftigung 
auf  dem  Gräberfeld  kein  Ende  nahm;  ich  hatte  also  Hrn.  Thuuig  gebeten,  eine 
Revision  der  Insel  vorzunehmen.  Dies  ist  nunmehr  geschehen  Es  haben  sich  zwar 
nur  Bruchstücke  von  Thougefässeu  gefunden,  aber  Bruchstücke  mit  dem  viel  be- 
sprochenen Bindfaden-  oder  Kettenornameut,  neben  welchem  auch  ein  geschlagener 
Feuerstein  aufgehoben  wurde,  so  dass  die  sonst  bestehende  Präsumption,  dass  diese 
Dinge  der  Steinzeit  angehören,  einigermaassen  gestützt  wird. 

Auch  gegenüber  von  der  Insel  am  westlichen  Ufer  des  Sees  in  der  Nähe  der 
Försterwohnung  sind  Scherben  von  Thongefässen  mit  gebraunten  Knochen  ausgegra- 
ben, jedoch  gehören  diese  einer  ganz  anderen  Kategorie  an.  Es  sind  sehr  starke, 
aber  verhältnissmässig  feine  und  gut  gebrannte  Gefässe  von  gelbgrauer  oder  röthlich- 
graucr  Farbe,  stark  geglättet  und  sehr  sorgsam  ornamentirt.  Reihen  kleiner,  runder 
Grübchen,  einfache  Linien,  erhabene,  senkrecht  stehende  Kippen  -  das  sind  die  Haupt- 
verzierungen, durch  welche  sich  diese  Gefässe  denen  der  Lausitz  viel  mehr  nähern, 
als  die  Mehrzahl  der  im  Gräberfeld  von  Zaborowo  gefundenen. 

(9)  Hr.  Viroliow  zeigt  die  im  Auftrage  des  Kaisers  von  Brasilien  ihm  über- 
sandten 

brasilianischen  Indiauerschädel. 

(Hierzu  Taf.  XII.) 

Die  Sendung,  welche  uns  auf  Befehl  Sr.  Majestät  des  Kaisers  von  Brasilien  über- 
sendet worden  ist,  war  von  folgender  Erläuterung  des  Generaldirektoriums  des  iMuseo 
Nacional  von  Rio  begleitet: 

Gräne  1  —  (Accompagne  de  son  squelette).  ludividu  de  la  tribu  Caygouä  qui  habitait 
les  plaines  centrales  de  la  province  de  Parana  et  dont  on  y  rencontre  encore 
aujourd'hui  quelques  familles  nomades. 

Gräne  2  —  Trouve  dans  une  caverne  sepulchrale  de  la  Guyane  bresilieniie  dans  une 
urne  funeraire,  ayant  la  forme  humaine.  Ce  cräue,  de  meme  que  Turne  qui 
le  renfermait,  est  represente  dans  l'ouvrage  que  Mr.  Ch.  F.  Hartt  va  faire 
paraitre  bientöt  sur  les  antiquitos  bresiliennes. 

Gräne  3,  4  et  5  —  Appartenant  ä  la  tribu  Poton,  Potau  ou  Poto,  de  la  famille  des 
Botocudos.  Ils  ont  ete  trouves  au  mois  de  decembre  dcrnier,  ä  100  kilo- 
metres  au  dessus  du  village  S'^»  Glara,  au  bord  du  Rio-Doce,  dans  un  fosse 
oü  Ton  avait  enseveli  plusieurs  cadavres  de  Potons,  tues  en  combat  par  un 
Corps  de  garde,  apres  une  vive  resistauce  de  la  part  de  ces  farouches  Indiens 
qui  etaient  alors  le  fleau  des  Colons  de  Mucury.     Chez  ces  Indiens  on  n'en- 


(160) 

terre  les  movts  que  lorsqu'ils  sont  tres-äges,  car  etant  excessivement  laids, 
comme  le  sont  du  reste  presque  tous  les  membres  de  la  merae  tribu ,  on 
craint  qu'ils  ne  se  transforinent  eu  betes  fauves.  Le  cräue  no.  5  est  accom- 
pagne  de  son  squelette  dont  les  os  se  trouvent  egalement  sous  le  meme 
numero.') 
Cräne  7  (avec  son  squelette)  —  Trouve  dans  une  caverne  naturelle  formee  daus  le 
grand  massif  de  Gneiss,  connu  sous  le  uom  de  Babilouia,  a  la  ferme  de 
S'''  Auua  oü  a  sejourne  A  gassiz,  lors  de  son  voyage  ä  Juiz  de  Fora  ou  Para- 
hybuna.  Cette  caverne  qu'on  a  decouverte  seulement  ä  la  fin  de  l'aunee  der- 
niere  a  ete  formee  par  la  decomposition  partielle  de  quelques  couches  du 
Gneiss  dans  le  flanc  NE.  de  la  montagne,  a  300  metres  au  dessus  de  la 
plaine.  \ue  d'eu  bas,  ä  une  distance  de  3  ä  4  kilometres,  on  dirait  uu 
trou  ouvert  dans  le  pan  d'une  muraille  gigantesque,  et  il  semble  meme  im- 
possible  de  Tatteindre  jamais.  On  y  arrive  pourtant  saus  beaucoup  de  dif- 
ficultes,  en  s'appuyant  aux  toufi'es  des  Vriesea  et  des  Gesneria,  attachees 
il  la  röche,  et  en  se  teuant  aux  tiges  des  lianes  qui  y  croissent.  La  caverne 
a  25  metres  de  tbnd  sur  lö  de  largeur.  Elle  doit  avoir  plus  de  6  metres 
de  hauteur  ä  Tinterieur,  mais  comme  les  couches  du  toit  en  tombant  en 
ont  encombre  le  sol,  sa  hauteur  actuelle  na  que  4  metres  au  plus. 

Teile  est  la  cave  funebre  choisie  par  les  Indiens  appartenant  probable- 
ment  ä  la  tribu  des  Coropös  ou  ä  celle  des  tiers  Goytacazes  qui  repousses  de 
la  cote  il  y  a  deux  siecles  par  les  Portugals  se  sont  allies  aux  anciens  Coropos 
dont  ils  ont  pris  quelques  habitudes:  celle  par  exemple  de  se  couper  tres- 
ras  une  partie  des  cheveux  de  la  tete.  Poursuivis  par  les  Colons  jusqu'au 
fond  des  forets  ils  cherchaient  naturellement  ä  cacher  daus  les  eudroits  les 
plus  inaccessibles  aux  iuvaseurs  ce  qu'ils  avaient  de  plus  eher  au  monde: 
leurs  morts. 

Ceux-ci,    grace  ä  l'extreme  secheresse  de  la  caverne,    se  sont  conserves 

a  demi  mumifies,  quoique  uayant  subi  aucuu  procede  preservatif,    sauf  une 

certaiue  quantite  de    graines    d'une  Laurinee    odorante:    le    Gryptocaraia 

moschata    Mart.,    qu'oa   a    trouvees  sur  les  squelettes,    mais  qui  y  etaient 

plutot  le  cachet  ou  le  Symbole  de  quelque  superstitiou  qu'uu  moyen  de  con- 

servation.     Ils  ont   ete   ensevelis;    les  enfants  daus  des  pots  de  terre  ou  en- 

maillottes  dans  des  feuilles  des  Vriesea  et  d'uue  espece  de  Marantacee;  les 

adultes  dans  leurs  hamacs.    Chaque  fosse  etait  d'ailleurs  revetue  de  fragments 

d'ecorce,  destines  probableuient  ä  preserver  le  cadavre  du  contact  de  la  terre. 

Sur    chaque    individu   on   avait  place  des  bätons  croises  et  des  faisceaux  de 

fibres  de  Vriesea  ayaut  uu  noeud  au  milieu,    La  terre  de  la  caverue  n'est  que 

du  Gneiss  decompose  et  mele  de  nombreux  fragments  dos  de  chauves-souris 

et  de  petites  graines.     Presque  tous  les  squelettes  quon  y  a  trouves    appar- 

tenaieut  ä  des  femmes  ou  k  des  enfants;  il  n'est  pas  meme  certain  qu'on  y 

ait  vu  des  squelettes  d'hommes.    Le  crune  no.  7  est  acconipague  de  plusieurs 

OS,  faisaut  partie  de  diö'erents  squelettes,  mais  on  ne  sait  pas  quels  sont  les 

os  qui  lui  appartiennent. 

Paquet  8  —  Fragments    de    cräues    trouves    ä    quelques    lieues    de  la  mer    et  de  la 

ville    de  Macahe,    dans    une    caverne    ideutique  ä  celle  de  Babilonia,     C'est 


')  Ein  solches  Skelet  war  in  der  Kiste  nicht  enthalten;    es    fand    sich    nur  der  betreffende 
Schädel  vor.     Nur  die  unter  No    1   und  7  erwähnten  Skelette  sind  angekommen. 


Zeäschr^  J.  ßthnolotjic  (Anthropohij.Gesellsch^t ) 


Taf.X. 


'^ 


Th.  Noack  gtx.. 


lif/i.W.A.JMe^n. 


ZeUscIu-^  J.  Ethmlocjie  (Änlhropühcj.  GeseVschrft ) 


14.  XI. 


WA 


-'S-, 


W^0^ 


ainat.m.v.W  A.Mojn 


yeriaj  y.  JfUetju/xic.  fftmpdu.  Ptrtu. 


(161) 

justement    dans    les    plaines    de    Macahe    qu'ont   habite    primitivement    les 

Goytacazes. 
Paquet  9  —  Fragment  d'un  squelette  de  la  caverne  de  Babilonia. 
Faquet  A  —  Fibres  trouvees  dans  la  caverne  de  Babilonia. 
Paquet  B  —  Terre  de  la  meme  caverne. 
Paquet  C  —  Morceau  du  Gneiss  de  Babilonia. 

Es  ergiebt  sich  aus  diesen  Mittheilungen,  dass  die  Zeit,  in  welche  diese  Schädel 
gehören,  nicht  überall  mit  voller  Sicherheit  festzustellen  ist.  Indess  ist  es  nach  der 
Beschaffenheit  der  einzelneu  vorliegenden  Gebeine,  wie  nach  der  mitgekommenen 
Beschreibung  wahrscheinlich,  dass  sümnitliche  Funde  aus  historischen  Zeiten  stammen, 
d.  h.  aus  Zeiten,  die  auch  für  Amerika  historisch  sind. 

Am  sichersten  ist  das  für  eine  Gruppe  von  Botokudensch adeln  (No.  3 — G), 
welche  aus  der  Gegend  nördlich  von  Rio  herstammen.  Sie  sind  gefunden  in  einem 
Grabe,  wo  nachweislich  eine  Reihe  von  Wilden,  die  dem  Stamme  der  Poton  angehörten, 
begraben  wurde,  welche  in  einem  Kampfe  mit  dem  bewaffneten  Corps,  welches  sie 
verfolgte,  gefallen  waren.  Der  eine  dieser  Schädel  (No.  3)  zeigt  eine  Menge  von 
Bleistücken,  welche  in  die  Knochen  eingedrungen  sind  und  keinen  Zweifel  darüber 
lassen,  dass  der  Mann  erschossen  worden  ist.  Alle  Schädel  haben  das  Aussehen 
von  Pagen  aus  dem  Mittelalter,  die  eine  Seite  dunkel,  die  andre  hell;  es  erklärt 
sich  dies  aus  dem  Vorkommen  von  sehr  reichlichem  Fettwachs  (Adipociie),  welches 
gewöhnlich  die  eine  Hälfte  einnimmt,  während  die  andere,  wahrscheinlich  tiefer  ge- 
legene, durch  Blut  gebrannt  ist. 

Ich  habe  im  vorigen  Winter  (Sitzung  vom  12.  Decbr.)  Messungen  mitgetheilt, 
die  ich  an  einem  Botokuden- Schädel  in  Stockholm  angestellt  habe;  darnach  und 
nach  den  vorliegenden  4  Schädeln  handelt  es  sich  um  einen  mehr  dolichocephalen 
Stamm  mit  verhältnissmässig  grosser  Höhe  des  Scheitels.    Ich  finde  nehmlich  bei  dem 


Breitenludex. 

Höhenindex. 

Breitenhüheuiiid 

Stockholmer  Schädel 

72,4 

79,0 

102,1 

neuen  Schädel  No.  3 

79,3 

78,1 

98,5 

,       No.  4 

74,0 

77,3 

104,3 

„        No.  5 

71,8 

72,8 

100,7 

„       No.  6 

77,8 

73,6 

94,G 

im  Mittel     75,0  76,1  100,0 

Die  Schädel  waren  ausgestattet  mit  sehr  kräftigen  und  ausgedehnten  Muskelmassen, 
wie  sich  an  allen  einzelnen  Abschnitten  des  Schädels  nachweisen  lässt,  namentlich  au 
den  grossen  Unterkiefern  und  an  den  ausserordentlich  hohen  Linien,  bis  zu  welchen 
die  Kaumuskeln  hinaufsteigen  und  welche  sich  weit  über  die  Scheitelhöcker  erheben. 
Dazu  kommt  ein  grosses  hohes  Gesicht  mit  niedrigen  Augenhöhlen,  verhältnissmässig 
schmaler  Nase,  massig  vortretendem  Gebiss,  sehr  gerade  stehenden  Zähnen,  einem 
stark  vorspringenden,  dreieckigen  Kinn  und  —  besonders  auffällig  —  mit  senkrecht 
aufsteigenden,  überaus  breiten  Kieferästen,  welche  den  Eindruck  der  grössten  Gewalt 
des  Kauapparats  hervorbringen.  Ebenso  mächtig  sind  die  Flügelfortsätze,  deren  Blätter 
ganz  ungewöhnliche  Dimensionen  erreichen,  so  dass  bei  No.  5  auf  der  rechten  Seite 
die  kolossale  Vergrösserung  des  äusseren  Blattes  fast  zu  einer  Verbindung  mit  der 
Spina  angularis  geführt  hat,  welche  bekanntlich  bei  völligem  Schluss  zu  der  Bildung 
eines  sogenannten  Foramen  Givinini  Veranlassung  giebt.  Noch  ein  anderes  Ver- 
hältniss  ist  mir  bei  Betrachtung  dieser  Schädel  sehr  auffallend  gewesen,  nehmlich 
dass  ein  Knochen,  der  gleichfalls  mit  dorn  Kauapparat  in  näherer  Beziehung  steht, 
das  Jochbein,  am  hintern  Rande  seines  Stirnfortsatzes  überall  einen  Höcker  von  so  auf- 

Verhaudl.  der  Berl.  AulUroiiol.  GescUscb.  1875.  H 


(162) 


falletider  Stärke  zeigt,  dass  wahrscheinlich  schon  längst  die  Anatomen  einen  beson- 
deren Namen  für  denselben  erfunden  hätten,  wenn  er  häutiger  in  einer  solchen 
Ausbildung  vorkäme.  Hier  ist  er  schon  an  dem  jugendlichen  Schädel  No.  6  in 
entsprechender  Stärke  vorhanden,  während  in  allen  Handbüchern  der  Anatomie, 
die  ich  durchgesehen  habe,  mit  Ausnahme  des  von  Luschka'),  seiner  nicht  einmal 
Erwähnung  go"schieht.  Ich  will  ihn  als  Tuberositas  temporalis  ossis  malaris 
bezeichnen. 


'^  n.  V.  Luschka,    Die  Anatomie  des  Menschen.  Tübingen  18G7.     Bd.  III.  2.  S.  271. 


(163) 

Von  besonderem  Interesse  ist  der  Besitz  einer  gewissen  Zahl  dieser  Schade), 
weil  sich  daraus  einigerinaassen  die  Grösse  der  individuellen  Schwankungen  hat  über- 
sehen lassen.  Auch  hier,  bei  einem  Volke,  welches  im  Ganzen  in  sehr  einfachen 
Verhältnissen  und  unter  sehr  gleichmässigen  Umständen  lebt,  hat  sich  herausgestellt, 
dass  grosse  individuelle  Differenzen  vorhanden  sind;  sie  sind  so  erheblich,  dass  der 
Schädel  No.  f),  der  als  der  kräftigste  erscheint,  einen  Breitenindex  von  71,8  besitzt, 
während  No.  ;-5  einen  Breitenindex  von  79,3  hat;  ersterer  hat  einen  Höhenindex  von 
72,8,  während  der  andere  78,1  zeigt.  Während  also  No.  5  exquisit  dolichocephal  und 
zugleich  niedrig  ist,  befindet  sich  der  andere  an  der  Grenze  der  Brachycephalie  und 
ist  zugleich  recht  hoch.  Der  dritte  (No.  4)  hat  einen  Breitenindex  von  74,  einen 
Höhenindex  von  77,:!,  ist  also  rein  hypsidolichocephal.  Der  jugendliche  (No.  6)  end- 
lich ist  orthocephal  und  niedriger.  Es  sind  dies  sehr  auffällige  Schwankungen  und 
sie  zeigen,  dass  zur  Feststellung  eines  allgemein  gültigen  Zahlenverhältnisses  noch 
grössere  Reihen  von  Schädeln  erforderlich  sind.  ludess  muss  ich  bemerken,  dass 
die  absolute  Höhe  weit  weniger  schwankt,  als  die  Höhenindices,  denn  sie  ergiebt  bei 

dem  Stockholmer  Schädel  143  Mm, 

No,  3.  134     „ 

No.  4.  143     „ 

No.  5.  135     „  ' 

im  Mittel     138,7  Mm. 

und  nur  bei  dem  jugendlichen  und  wahrscheinlich  weiblichen  Schädel  sinkt  sie  bis 
auf  123  Mm.  Im  Ganzen  lüsst  sich  also  von  den  erwachsenen  Schädeln  aussagen, 
dass  sie  eine  beträchtliche  Höhe  haben.  Noch  weniger  variirt  die  Breite;  sie  beträgt 
bei  dem 

Stockholmer  Schädel 

No,  3. 

No.  4, 

No,  5, 

im  Mittel     135  Mm7 

und  selbst  der  jugendliche  Schädel  hat  130  Mm.  Nirgends  ist  demnach  die  Breite 
beträchtlich.  Die  Schwankungen  der  Indices  entstehen  überwiegend  durch  das  über- 
aus wechselnde  Verhältniss  der  Länge.     Hier  erhalten  wir  folgende  Zahlen: 

Stockholmer  Schädel  185,0  Mm. 

No    3,  171,5     „ 

No.  4.  185,0     „ 

No.  5.  185.2     „ 

im  Mittel     181,6  Mm. 
Hier    fehlt    in   Bezug    auf  No,  3.   jede  Annäherung  selbst  an  das  Mittel.     Bei  No.  6, 
dem  jugendlichen  Schädel,  misst  die  grösste  Länge  167  Mm,     So   geschieht  es  denn, 
dass  diese  beiden  Schädel  sowohl  im  Breiten-,    als   im  Höhenindex   ganz  abweichen 
und  dass  No.  3  fast  hypsibrachycephal  erscheint. 

Die  Grössenverhältnisse  erklären  diese  Abweichung  nicht.  Denn  obwohl  No,  3. 
nur  1260  Cub.  Cent,  misst,  also  um  265  Cub,  Cent,  kleiner  ist,  als  der  Stockholmer 
Schädel,  der  eine  Capacität  von  1525  besitzt,  so  ist  doch  No.  5  noch  kleiner,  indem 
er  nur  1230  Cub.  Cent.  hält.  Ueberhaupt  sind  alle  diese  Schädel  beträchtlich  kleiner, 
als  der  Stockholmer;  sie  nähern  sich  im  Ganzen  den  australischen  Maassen. 

Bevor  ich  jedoch  weitere  Details  gebe,  will  ich  noch  einmal  darauf  hinweisen, 
dass  durch  einen  glücklichen  Zufall  auch  der  Schädel  eines  sehr  jungen  Individuums, 
allem  Anscheine  nach  eines  jungen  Mädchens,  mitgekommen  ist.  Obwohl  eine  Angabe 
über  denselben  (er  ist  mit  No.  6  bezeichnet)  in  dem  beigegebenen  Verzeichnisse  fehlt, 

\\* 


134 

Mm. 

136 

„ 

137 

jj 

133 

, 

(164) 

so  scheint  er  doch  bestimmt  zu  derselben  Gruppe  der  Botokuden  zu  gehören  i).  Ich 
halte  es  stets  für  wünschenswerth,  dass  mau  eine  solche  Controle  besitzt,  insofern 
als  manche  Rassen-Eigeuthümlichkeiten  sich  schon  am  Kinderschädel  bemerklich 
machen  und  eine  Menge  individueller  Abweichungen  dabei  fortfallen,  welche  erst  eine 
spätere  Zeit  der  Eutwickeluug  mit  sich  bringt;  ja,  nicht  selten  erscheint  am  Kinder- 
schädel der  Ausdruck  der  Stammeseigenthümlichkeit  reiner,  wie  bei  Erwachsenen, 
wo  eine  lange  Rechnung  dazu  gehört,  um  Alles  abzuschälen,  was  durch  individuelle 
Schwankungen  hineingekommen  ist.  Der  vorliegende  Schädel  ist  nicht  so  schmal  und 
so  hoch  ,  wie  die  der  Erwachsenen  No.  4  und  5 ,  stimmt  aber  sonst  in  allen  Haupt- 
sachen überein.  Er  hat  einen  Breiteniudex  von  77,8  bei  einem  Höheuindex  von  73,6. 
Die  grössere  Breite  erklärt  sich  wohl  aus  der  stärkeren  Vorwölbung  der  Gegend  der 
Scheitelhöcker,  welche  ihm  ein  geradezu  eckiges  Aussehen  giebt,  —  eine  Erscheinung, 
die  auch  bei  Kinderschädeln  anderer  Nationen  vielfach  hervortritt.  Sonderbarerweise 
fehlen  auch  bei  ihm,  wie  bei  den  Schädeln  der  erwachsenen  Botokuden,  die  Emissaria 
parietalia,  —  eine  Erscheinung,  welche  mit  der  verhältnissmässigen  Kürze  der  Pfeil- 
naht zusammenzuhängen  scheint.  Ebenso  zeigt  auch  er  schon  den  starken  Schläfen- 
höcker des  Jochbeins,  sowie  eine  ähnliche  Bildung  der  Angen  und  des  Gesichts; 
namentlich  hat  der  Unterkiefer  auch  schon  jene  breiten  geraden  Aeste,  so  dass  er  in 
hohem  Masse  als  Parallele  betrachtet  werden  kann. 

Sehr  zu  bedauern  ist  es,  dass  uns  das  in  der  Zuschrift  erwähnte  Skelet  nicht 
zugegangen  ist.  Vielleicht  wird  es  möglich  sein,  dasselbe  noch  nachträglich  zu  er- 
langen. Durch  eine  Notiz  bei  M.  J.  Weber  (Die  Lehre  von  den  Ur-  und  Racen- 
Formen  der  Schädel  und  Becken  des  Menschen.  Düsseldorf  1830.  S.  28)  wurde  ich 
darauf  aufmerksam,  dass  sich  im  Berliner  anatomischen  Museum  zwei  Skelette  von 
Botokuden  belinden,  welche,  wie  Weber  sagt,  „au  jeder  Seite  13  Rippen,  aber  nur 
4  Lendenwirbel  haben",  in  der  That  besitzt  unser  Museum  2,  von  Sellow  mit- 
gebrachte Skelette,  ein  mäuuliches  (No.  G351)  und  ein  weibliches  (No.  6352),  welche 
die  genannte  Eigenthümlichkeit  besitzen,  obwohl  sie  beide  keine  ungewöhnliche  Grösse 
erreichen.  Genau  genommen,  handelt  es  sich  hier  nicht,  wie  Weber  annahm,  um 
Fälle  mit  nur  4  Lendenwirbeln,  vielmehr  besitzt  der  erste  Lendenwirbel  eine  Gelenk- 
fläche für  die  Anheftung  einer  kleinen  Rippe.  Aehnliche  Fälle  sind  auch  sonst  wohl 
bekannt'-),  und  sie  lassen  sich  aus  der  Entwickelungsgeschichte  begreifen,  seitdem 
man  durch  Job.  Müller  und  Theile^)  weiss,  dass  die  sogenannten  Querfortsätze 
der  Lendenwirbel  Aequivalente  von  Rippen  in  sich  schliessen  Indess  ist  der  Fall 
von  13  Rippen  und  noch  dazu  auf  beiden  Seiten  doch  ein  sehr  seltener  und  er  stellt 
eine  ausgezeichnete  Thierähulichkeit  dar.  Da  das  männliche  Skelet  des  Museums 
den  Namen  Ignacio  Pindö,  das  weibliche  dagegen  den  Namen  Feliciana  Turi  aus 
St.  Luis  trägt,  so  scheint  es  sich  nicht  um  Geschwister,  also  um  eine  begrenzte  Erb- 
lichkeit zu  handeln,  obwohl  dies  möglich  wäre.  Immerhin  wäre  es  von  besonderer 
Bedeutung,   diese  Frage  bei  den  Botokuden  weiter  zu  verfolgen,   da  ihre  nach  allen 


•)  Es  findet  sich  an  den  Schädeln  No.  3—6  (imd  nur  an  diesen)  die  Aufschrift:  Carlos 
Schreiner,  waluscheiulicli  der  Name  des  Sammlers.  (Hr.  Schreiner  ist,  wie  ich  höre, 
naturalista  viajante  des  Museo  nacional).  Au,sserdem  ist  der  Erhaltungszustand  ganz  derselbe. 
Auch  No.  6  ist  mit  Leichenvvachs  üljerzogen  und  sonst  von  derselben  bräunlichen  Farbe,  welche 
ich  vorher  erwähnte. 

-)  Voigtel  llamlb  der  pathol.  Auat,  ilalle  1804.  I.  ö.  324.  J  o  h.  Fr.  Meckel  llandb, 
der  pathol  Anat,  Leipzig  1816.  II.  1.  S.  23.  Otto  Lehrbuch  der  pathol.  Anat.  lierlin  1839. 
1.  S.  206.     Förster  Die  Missbildungen  des  Menschen.     Jena  18G1.  S.  45. 

^)  Theilc,  Müllers  Archiv,  lö3y.  S.  108. 


(ir,5) 

Zeugnissen  sehr  niedrig  stehende  Bildung  es  in  höherem  Maasse  wahrscheinlich  niaclit, 
dass  sich  hei  dem  Stamme  theromorphe  Eigenschaften  finden. 

Der  Schädel  No.  1  ist  ein  solitärer,  bei  dem  man  in  Verlegenheit  geräth,  zu 
sagen ,  was  an  ihm  tyj^isch  und  was  nur  individuell  ist.  Trotzdem  ist  er  ein  sehr 
dankenswerther  Erwerb,  insofern  er  aus  dem  sehr  unzugänglichen  Gebiet  vom  Paraua 
im  Süden  stammt.  Er  ist  nach  den  Angaben  aus  dem  Stamm  der  Caygouas  oder 
Cayowas,  zu  dem  weit  verbreiteten  Geschlecht  der  Guaranis  gehörig,  das  die  cen- 
tralen Ebenen  der  Provinz  Paranä  bewohnte  und  von  dem  man  nur  noch  einzelne 
noraadisirende  Familien  antrifft.  Durch  einen  ganz  besonderen  Zufall  habe  ich  in 
Folge  des  ßekanntwerdcns  des  Geschenkes  der  brasilianischen  Regierung  eine  Zu- 
schrift des  Ingenieurs  Hrn.  Keller-Leuzinger  erhalten,  der  mir  zugleich  ein  paar 
von  seinen  vortrefflichen  Originalzeichnungen  (Taf.  XII)  zur  Verfügung  gestellt  hat. 
Darunter  befindet  sich  merkwürdigerweise  eine  Abbildung  des  alten  Capitain  Libanco 
(Fig.  1),  der  einstmals  ein  mächtiger  und  gefürchteter  Häuptling  war  und  vor  wenigen 
Jahren  als  „Mediatisirter"  in  dem  Aldeamento  S.  Pedro  d'Alcautara  am  Tibagy 
gestorben  ist')  Es  gehört  allerdings  einige  Phantasie  dazu,  um  aus  unserm  Schädel 
ein  analoges  Verhältniss  der  Theile  herauszusehen,  indess  mache  ich  darauf  aufmerk- 
snm,  dass  man  bei  der  Betrachtung  der  Schädel  zu  sehr  daran  gewöhnt  ist,  dieselben 
auf  den  Tisch  zu  stellen.  Sobald  man  den  Schädel  gehörig  balancirt,  so  dass  er 
in  diejenige  Lage  kommt,  die  er  im  Leben  hatte,  so  gelangt  man  um  ein  ganzes 
Stück  näher  an  die  Vergleichung.  Bedenkt  man  ausserdem,  dass  der  Capitain  ein 
alter  Mann  war,  der  alle  Zähne  eingebüsst  hat,  so  kann  man  sich  leicht  vorstellen, 
dass  eine  an  sich  stark  hervortretende  Nase  in  die  Adlerform  übergegangen  ist,  welche 
die  Zeichnung  darbietet.  Allein,  was  nun  weiter  mit  unserem  Schädel  ist,  das  steht 
einigermaassen  dahin.  Es  ergiebt  sich,  dass  an  ihm  eine  ganz  ausgedehnte  Verwach- 
sung der  Pfeiluaht  existirt,  die  sich  noch  zum  Theil  auf  die  Lambdauaht  fortsetzt 
und  namentlich  die  ganze  linke  Seite  derselben  betrifft;  das  ist  ein  Verhältniss, 
welches  wesentlich  geeignet  ist,  die  Entwickelung  zu  stören.  Ob  ferner  die  ganz 
ungewöhnliche  Form  des  Schädeldaches,  welches  durch  grosse  Buckel  des  Scheitel- 
beins verunstaltet  ist,  durch  künstliche  Deformation  hervorgebracht  oder  ursprünglich 
ist,  vermag  ich  nicht  genau  zu  sagen.  Ersteres  ist  wahrscheinlicher.  Gewisse 
Aehnlichkeiten  mit  den  Botokuden  finden  sich  auch  hier,  namentlich  ist  die  Höhe 
des  Schädels  beträchtlich  (137  Mm.  direct,  76,5  Höhenindex).  Der  Breitenindex 
ergiebt  78,2,  aber  dabei  tritt  der  besondere  umstand  hervor,  dass  der  grösste  Längs- 
Durchmesser  (179  Mm.)  am  Hinterhaupt  gerade  den  Lambdawinkel  trifft,  während 
sowohl  die  Oberschuppe,  als  die  Protuberanz  weiter  nach  vorn  stehen.  Der  Kopf 
sieht  ungemein  muskulös  aus.  Dem  entsprechend  ist  auch  die  Bildung  des  Unter- 
kiefers kräftig  und  in  vielen  Stücken  der  botokudischen  analog.  Dagegen  hat  die 
Bildung  des  Gesichts  im  Grossen  eine  merkliche  Verschiedenheit,  insofern  die 
.Jochbreite  grösser,  die  Nase  weniger  eingebogen,  die  Augenhöhlen  höher  und  tiefer 
erscheinen,  auch  der  Oberkiefer  noch  stärker  ist  und  die  Zähne  weiter  vorragen. 

Von  diesem  Manne  ist  das  ganze  Skelet  mitgekommen  (bis  auf  einige  Knochen 
der  Hand  und  des  Fusses).  Dasselbe  hat  einen  sehr  kräftigen  Körperbau  und  manche 
Besonderheiten,  namentlich  im  Oberarm  und  im  Oberschenkel.  Am  Oberarm  zeigt 
sich  eine  ungewöhnliche  Drehung  des  Knochens,    so  dass  die  Stellung  des  Oberarm- 


')  Die  andere  Abbildung  stellt  einen  jungen  Coroado-Indiauer  ans  demsell<eii  Aldeamento 
dar.  Parallele  Bilder  eines  Häuptlings  der  Cayowas  und  eines  der  Corcados  hat  Ur.  Keller- 
Leuzinger  auch  in  seinem  prächtigen  Buche  (Vom  Amazonas  mid  iladeira.  Stuttgart  1374. 
S.  139  und  140)  gegeben. 


(166) 

kopfes  zu  den  unteren  Condylen  um  mindestens  30  ^  abweicht  von  dem,  was  bei  uns 
gewöhnlich  stattfindet.  Ebenso  ist  eine  nicht  unbedeutende  Abweichunng  in  der  Bil- 
dung der  Oberschenkel  vorhanden,  indem  der  Mann  Beine  besessen  hat,  die  wir 
Bäckerbeine  nennen.  Die  Oberschenkel  laufen  nach  den  Knieen  zu  nahe  zusammen, 
auch  ist  die  Bildung  der  Condylen  ungleichmässig,  indem  die  inneren  sehr  viel  tiefer 
stehen,  als  die  äusseren,  was  zur  Folge  haben  musste,  dass  die  Unterschenkel  weiter 
nach  aussen  rückten. 

In  eine  dritte  Kategorie  gehört  ein  Schädel  aus  dem  brasilianischen  Guyana 
(No.  2);  er  hat  durch  Verwesung  die  ganze  Basis  und  Theile  der  rechten  Seite 
verloren.  Seine  Verhältnisse  sind  daher  nur  zum  Theil  zu  bestimmen.  Offenbar 
ist  es  ein  weiblicher  Schädel  und  zwar  von  einem  jüngeren  Individuum.  Er  ist  in 
allen  Theilen  zart  und  bis  auf  die  stark  vorspringenden  Kiefer  recht  gefällig.  Der 
Breitenindex  beträgt  75,4.  Da  die  Höhe  eine  massige  ist  (die  senkrechte  Höhe, 
vom  äusseren  Gehörgange  aus  gemessen,  misst  105,5),  so  erscheint  der  Schädel  in 
der  Profilansicht  verhältnissmässig  sehr  gestreckt.  Das  Gesicht  ist  schmal,  die  Augen- 
höhlen hoch,  die  Nase  schmal. 

Ein  ungleich  höheres  Interesse  nehmen  die  Funde  in  Anspruch,  welche  in 
Höhlen  gemacht  sind.  Ich  habe  davon  das  beste  Specimen  mitgebracht.  Nach 
dem  UQS  mitgetheilten  Bericht  stammt  der  Schädel  nebst  den  nicht  dazu  gehö- 
jigen  Skelettheilen  aus  einer  Höhle,  die  man  unter  dem  Namen  ßabilonia  kennt, 
nahe  der  Meierei  von  Santa  Anna.  Die  Zuschrift  der  Museums-Direktion  enthält 
darüber  genauere  Mittheilungen.  Ich  bemerke  also  nur,  dass  eine  grosse  Menge 
schwarzbrauner,  loser  Erde  mitgeschickt  ist,  in  welcher  zahlreiche  organische  üeber- 
reste  zerstreut  sind.  Ich  habe  daraus  die  besten  Specimina  gesammelt.  Es  finden 
sich  darin  zahllose  kleine  Samenkörner,  grössere  Rindenstücke  und  auch  kleine  Stäb- 
chen von  Holz,  das  Meiste  bedeckt  mit  zahllosen,  in  allen  Farben  glänzenden  Flügel- 
decken von  Käfern.  Ich  hoffe,  dass  Hr.  Ascherson  die  Güte  haben  wird,  sich  dieser 
überwiegend  botanischen  Betrachtung  zu  unterziehen,  die  möglicherweise  einiges  Inter- 
esse darbietet.  Dagegen  will  ich  schon  hier  bemerken,  dass  unter  den  Beigaben 
ausser  einem  Specimen  von  dem  Gneis  des  Gebirges  eckige  Stücke  eines  hellgelb- 
braunen Steins  vorkommen,  der  auf  den  ersten  Anblick,  namentlich  auf  den  glatten 
und  homogenen  Bruchstücken  wie  Kalkstein  aussieht.  Untersuchungen,  welche  die 
Herren  J.  Roth  und  Salkowsky  damit  vorgenommen  haben,  lehrten,  dass  es  eine 
ganz  eigenthümliche  Substanz  ist,  wie  sie  zuerst  aus  Guano  bekannt  geworden  ist, 
namentlich  als  Erfüllungsmasse  von  Vogeleiern.  Sie  besteht,  wie  schon  H.  Rose 
gefunden  hat,  aus  Kalium-  und  Ammoniumsulfat;  Hr.  Wibel  hat  ihr  den  Namen 
Guanovulit  beigelegt.  Indess  haben  schon  Beobachtungen  des  Capitän  Stricker') 
gelehrt,  dass  diese  Substanz  auch  ausserhalb  der  Eier  im  Guano  vorkommt,  und  der 
Fund  in  der  Höhle  von  Babilonia  beweist,  dass  es  sich  dabei  um  ein  Zersetzungs- 
produkt thierischer  Substanzen  handelt,  welches  an  die  Existenz  von  Eiern  nicht 
geknüpft  ist. 

Aus  dieser  Höhle  stammt  das  Skelet  eines  etwa  achtjährigen  Kindes.  Es  liegt 
zusammengedrängt  in  einem  dicken  Strickwerk,  das  sehr  grob,  aber  regelmässig  ge- 
flochten ist.  Um  das  Ganze  schlingt  sich  ein  zusammenhängender,  grober  Gurt,  der 
in  das  Innere  hineingeht.  Man  sieht  noch  Fetzen  von  der  zusammengetrockneten 
Haut  des  Individuums,  freilich  von  zahlreichen  Larven  durchbohrt,  deren  Ueberreste 
sich  gleichfalls  in  der  Erde  vorfinden.    Irgend  eine  besondere  Zubereitung  der  Leiche 


^)  Man  vgl.  den  Jahresbericht  über  die  gesammte  Medicin   von  Virchow  und  Hirsch  für 
das  Jahr  1874.  I.   131. 


(167) 

ist  nicht  zu  erkenneu  und  es  scheint  allerdings,  dass  nur  die  Trockenheit  die  Mumi- 
ficirung  gemacht  hat.  Von  besonderem  Interesse  ist  es  zu  sehen,  dass  die  Art,  wie 
dieses  Geflecht  gebildet  ist,  vollständig  übereinstimmt  mit  dem  Geflecht  um  peruanische 
Mumien.  Es  erhellt  auf  diese  Weise  von  Neuem,  wofür  auch  sonst  manche  That- 
sachen  vorliegen,  dass  die  Eigenthümlichkeiten  der  südamerikanischen  Völkerschaften 
sich  keineswegs  so  scharf  abgrenzen  und  auf  so  kleine  Bezirke  beschränkt  sind,  wie 
man  sich  das  früher  vorgestellt  hat.  Ich  kann  die  geographische  Lage  der  Höhle 
nicht  genau  ermitteln,  indess  muss  ich  aus  dem  Bericht  schliessen,  dass  sie  in  einem 
ziemlich  nahe  dem  atlantischen  Meere  gelegenen  Gebirgsstock  enthalten  ist. 

Was  den  aus  derselben  Höhle  stammenden  Kinderschädel  betrifft,  so  sieht  mau 
leicht  wie  sehr  er  verschieden  ist  von  den  Botokudenschädeln.  Er  hat  einen  Breiten- 
index von  81,2  und  einen  Höhenindex  von  81,9,  ist  also  ausgemacht  hypsibrachycephal. 
Zugleich  ist  sein  Prognathismus  ein  so  starker,  dass  die  anderen  Schädel  dagegen 
weit  in  den  Hintergrund  treten.  Es  hängt  das  zusammen  mit  der  auffälligen  Grösse 
der  Schneidezähne.  Seine  Form  nähert  sich  am  meisten  derjenigen  der  Schädel  aus 
den  Muschelbergen  der  Küste.  Ich  habe  Ihnen  früher  zu  zwei  verschiedenen  Malen 
Bericht  erstattet  über  Schädel  von  Santos  (San  Amaro)  und  von  Desterro,  wo  in  alten 
Muschelbergen  neben  Steinwerkzeugen  menschliche  Schädel  gefunden  wurden.  Wenn 
ich  nun  auch  nicht  behaupten  kann,  dass  es  dieselbe  Rasse  ist,  so  muss  ich  doch 
betonen,  dass  nach  Allem,  was  man  aus  den  Schädeln  schliessen  kann,  eine  vollkom- 
mene Trennung  existirt  zwischen  den  Botokuden  und  den  Babilonialeuten ,  mögen 
sie  nun  Goytacazes  oder  Coropos  gewesen  sein. 

Ich  lasse  nunmehr  die  genauere  Beschreibung  der  einzelnen  Fälle  folgen: 

1)  Das  Skelet  des  Caygua-Indianers  macht  im  Ganzen  den  Eindruck, 
dass  es  einem  kräftigen  Manne  von  Mittelgrösse  angehört  habe.  Natürlich  lässt  sich 
das  genaue  Maass  der  Körperlänge  nicht  wiederherstellen,  da  die  Höhe  der  verloren 
gegangenen  Zwischenwirbelscheiben  nicht  zu  ermitteln  ist.  Ueberdiess  hat  der  sehr 
gebrechliche  Zustand  der  Wirbel  es  rathsam  erscheinen  lassen,  nicht  zu  viele  Verän- 
derungen an  der  Aufstellung  vorzunehmen.  Gegenwärtig,  wo  die  Halswirbel  ohne 
Zwischenlagen  auf  einander  gelegt,  die  übrigen  Wirbel  nur  durch  dünne  Zwischen- 
scheiben getrennt  worden  sind,  misst  das  Skelet  in  ganzer  Höhe  1,58  M.  =  5  Fuss 
1  Zoll.  Legt  man  auch  noch  einige  Zoll  (6—8  Gm.)  zu,  so  bleibt  man  doch  immer 
noch  in  dem  bezeichneten  Mittelverhältniss.  Auf  einzelne  Eigenthümlichkeiten  werde 
ich  noch  zurückkommen. 

Alle  Theile  des  Skelets  haben  eine  tief  braune,  meist  gelblich  braune,  stellen- 
weise rothbraune  Farbe,  welche  von  eingedrungenem  Blutroth  und  zum  Theil  von 
noch  anhaftenden  Resten  der  Weichtheile  herrührt.  Letztere  waren  namentlich 
reichlich  am  Schädelgrunde,  ^Yo  sie  an  gewissen  tieferen  Stellen  die  Knocheuoberfläche 
vollständig  verhüllten.  Es  geht  daraus  hervor,  dass  die  Leiche  noch  nicht  sehr  lange 
in  der  Erde  gelegen  haben  kann. 

Der  Schädel,  welcher  recht  gut  erhalten  ist,  hat  einen  kräftigen,  männlichen  Bau. 
Die  stark  abgeschliffeneu  Zähne  deuten  auf  ein  vorgerücktes  Lebensalter.  Die  Form 
des  Schädels  ist  so  ungewöhnlich,  dass  der  Eindruck  künstlicher,  wahrscheinlich  schon 
in  der  Kindheit  stattgehabter  Einwirkungen,  trotz  gewisser  Synostosen  bestehen  bleibt. 

In  der  Gegend  der  vorderen  Fontanelle  erhebt  sich  eine  umfangreiche  flache 
Vorwölbuug,  welche  rückwärts  bis  gegen  das  Ende  des  vorderen  Drittels  der  Sagittalis 
reicht  und  welche  jederseits  durch  eine  tiefe  Furche  begrenzt  wird,  die  sich  von 
der  Schläfen gegend  (dem  Angulus  anterior  des  Parietale)  her  hinter  der  Kranznaht 
herauferstreckt  und  dann  schräg  über  die  Fläche  der  Parietalia  verläuft.  Da  zugleich 
die  Tubera  parietalia    stark    und    fast  kuglig    vorspringen,    so    bekommt    das    ganze 


(168) 

Schädeldach  ein  ungewöhnlich  höckeriges,  fast  buckliges  Aussehen.  Die  fonticuläre 
Vorwölbung  greift  nur  wenig  auf  das  Stirnbein  über,  welches  eine  schwache  mediane 
Erhöhung  (Spur  von  Crista)  zeigt.  Die  eigentliche  Basis  der  Vorwölbung  ist  an  der 
Kranznaht;  sie  misst  fast  5,5  Centm.  in  der  Breite.  Von  da  aus  reicht  die  Auftrei- 
bung 4  Centm.  weit  rückwärts,  indem  sie  eine  im  Allgemeinen  dreieckige  Gestalt  hat. 

Sieht  man  auch  ganz  von  den  noch  zu  erwähnenden  Synostosen  ab,  so  muss  es 
doch  sehr  zweifelhaft  erscheinen ,  ob  die  Gesammtform  dieses  Schädels  eine  typische 
ist.  Der  Breitenindex  berechnet  sich  auf  78,2,  stellt  also  eine  orthocephale,  sich  der 
Grenze  gegen  die  Brachycephalie  nähernde  Form  dar,  und  da  der  Höhenindex  gleich- 
falls hoch  ist,  76,5,  so  würde  sich  eine  Annäherung  an  die  Schädel  der  Pampas- 
Indianer  ergeben.  Indess  muss  ich  sofort  bemerken,  dass,  soweit  ich  bis  jetzt  zu 
beurtheilen  vermag,  die  Gesichtsbildung  einer  solchen  Annäherung  durchaus  wider- 
streitet. Dagegen  dürfte  sich  eine  Verwandtschaft  mit  der  brasilianischen  Küsten- 
bevölkerung, welche  die  Muschelberge  errichtete,  wohl  behaupten  lassen.  Ich  ver- 
weise desswegen  auf  meine  früheren  Mittheilungen,  und  bemerke  nur,  dass  die 
Zugehörigkeit  der  Cayguas  zu  den  Guaranis  einer  solchen  Beziehung  nicht  ent- 
gegensteht. 

Entsprechend  der  geringen  Capacität  (1260  CCtm.)  ist  die  Stirn  ganz  zurück- 
gelegt und  fast  ohne  Tubera.  Dagegen  zeigt  sie  starke,  etwas  geschweifte,  über  der 
Nase  zusammenfliessende  Supraorbitalwülste  und  eine  verhältnissmässig  tiefe  Glabella. 
Die  Kranznaht  ist  fast  ganz  einfach,  ohne  alle  Zackenbildung,  dagegen  ^e  Pfeilnaht 
grossentheils  verwachsen,  namentlich  vorn  und  in  der  Mitte;  der  hintere  Theil  der- 
selben sehr  flach,  die  Emissarien  einander  genähert,  übrigens  beiderseits  2,  dicht 
neben  einander  gelegene. 

Das  Hinterhaupt  ragt  ziemlich  weit  hervor,  zumal  in  der  Basilaran sieht.  Sowohl 
die  Protuberanz,  als  die  Lineae  nuchae  superiores  sind  sehr  stark;  überhaupt  ist  der 
muskuläre  Abschnitt  scharf  abgesetzt  von  der  Facies  libera  der  Hinterhauptsschuppe. 
Letztere  hat  eine  fast  glatte  Beschaffenheit,  steigt  steil  auf,  besitzt  in  ihrer  Mitte  ein  grosses 
Emissarium  und  ist  im  Ganzen  unregelmässig  gestaltet.  Der  Grund  ist  wohl  ein 
pathologischer.  Abgesehen  davon,  dass  die  unteren  seitlichen  Abschnitte  der  Lambda- 
naht,  namentlich  links,  an  vielen  Stellen  verwachsen  sind  und  fast  alle  anderen  Theile 
dieser  Naht  sich  zum  Verwachsen  anschicken,  so  ist  der  Lambdawinkel  schief  nach 
rechts  geschoben,  der  linke  Schenkel  hat  eine  mehr  convexe  Form  angenommen,  und 
es  zeigt  sich  längs  der  ganzen  Naht,  besonders  stark  am  Lambdawinkel,  eine  glatte 
hyperostotische  Auftreibung.  In  der  Hinteransicht  erscheint  der  Schädel  unregelmässig 
fünfeckig,  jedoch  mit  concaven  Dachflächen. 

Die  Linea  semicircularis  temporalis  ist  überall  doppelt.  Schon  am  Stirnbein  sind 
beide  Schenkel  durch  einen  breiten  Zwischenraum  getrennt.  Der  äussere  Schenkel 
rückt  dicht  hinter  der  Kranznaht  so  hoch  am  Schädel  empor,  dass  der  Zwischenraum 
zwischen  ihm  und  der  äusseren  Linie  der  anderen  Seite  nur  7  Centm  beträgt;  nach 
hinten  überschreitet  sie  jederseits  die  Lambdanaht.  Auch  der  innere 
Schenkel  überschreitet  bei  Weitem  das  Tuber  parietale  und  reicht  bis  auf  Finger- 
breite an  die  Lambdanaht.  Daher  ist  der  hintere  Theil  des  Planum  temporale  (hinter 
dem  Tuber  parietale  und  am  Angulus  posterior  oss.  pariet.)  fast  eben.  Die  Ver- 
wachsung der  Lambdanaht  scheint  damit  zusammenzuhängen.  Sehr  auffallend  ist 
jedenfalls  ein  von  der  Mitte  der  Schuppennaht  ausgehender,  25  Mm.  hoher,  aber 
nur  )j  Mm.  breiter  Fortsatz,  der  sich  gerade  aufwärts  über  das  Parietale  herauf- 
schiebt. Die  Alae  temporales  liegen  sehr  tief  und  sind  zu  einer  flachen  und  schmalen 
Rinne  eingebogen,  rechts  mehr,  als  links,  wo  sich  die  Rinne  oder  Furche  mehr  gegen 
das  Stirnbein  hinzieht.     Die  ganze  Gegend  ist  eng.     Es  misst 


(169) 

rechts  links 

die  Siit.  spherioparietalis 6  8 

die  horizontale  Breite  der  Ala 15  -'0 

,  „  „         „    Squama  terap 82  82 

In  der  Basilaransicht  erscheint  der  Schädel  sehr  schief,  indem  die  rechte  Seite 
namentlich  an  der  Schläfenschuppe  und  im  hinteren  Theile  des  Parietale  viel  stärker 
ausgebogen  ist.  Jedoch  stehen  auch  die  beiden  Coronae  (Proc.  condyloides)  nicht. in 
symmetrischer  Stellung  am  Hinterhaupt,  entsprechend  der  verschiedenen  Ausbildung 
der  Gelenkgruben  des  Atlas,  von  denen  die  linke  kleiner  und  weiter  nach  hinten,  die 
rechte  grösser  und  mehr  gegen  die  Mitte  gestellt  ist.  Im  Ganzen  macht  der  Schädel, 
von  der  Basis  aus  betrachtet,  den  Eindruck  der  Länge  und  im  hintern  Abschnitte 
zugleich  der  Breite.  Alle  Muskelansätze  sind  hier  sehr  stark,  so  namentlich  der 
Proc.  mastoides,  aber  auch  an  der  Apophysis  basilaris  treten  jederseits  von  dem  kräf- 
tigen Tuberculum  pharyngeum  in  der  Gegend  der  Insertion  des  Musculus  capitis  ant. 
(internus)  minor  zwei,  durch  einen  tiefen  Quereinschnitt  getrennte,  dicht  hinter  ein- 
ander gelegene,  zackige  Knochenvorsprünge  hervor,  welche  diesem  Theil  fast  das 
Aussehen  der  Corpora  quadrigemina  geben.  Das  Foramen  magnum  occipit.  ist  fast 
rund  und  in  seinem  hintern  Umfange  mit  einer  tiefen  Rinne  zur  Aufnahme  des 
Atlas-Ringes  versehen.  Die  Gelenkgruben  für  den  Unterkiefer  sind  flach  und  weit. 
Die  Gehörgänge  von  vorn  her  abgeplattet.  Die  Flügelfortsätze  des  Keilbeins  sind 
hoch  und  haben  eine  grosse,  zackige  Lamina  externa. 

Das  Gesicht  hat  im  Ganzen  den  amerikanischen  Typus  sehr  ausgeprägt.  Es  ist 
grob  und  hoch,  mit  hohen  Orbiten  und  stark  vorspringenden  Jochbogen.  Der  obere 
Theil  des  Wangenbeins  ist  etwas  eingedrückt,  wodurch  der  Körper  noch  mehr  vor- 
springend erscheint.  Die  Nase  steht  etwas  schief  nach  rechts,  ihre  Wurzel  liegt  tief, 
der  Rücken  ist  etwas  eingebogen,  leicht  abgerundet  und  stark  vortretend,  die  Nase 
selbst  von  massiger  Breite.  An  der  nach  oben  convexen  Nasofrontalnaht  setzen  die 
Nasenbeine  höher  an,  als  die  übrigens  breiten  Nasenfortsätze  des  Oberkiefers.  Die 
Nasenbeine  sind  26  Mm.  lang.  Der  gerade  Querdurchmesser  der  knöchernen  Nase  beti'ägt 
oben  13,  in  der  Mitte  14,  unten  28  Mm.  Die  Apertur  ist  33  Mm.  hoch,  27  breit.  Da 
die  ganze  Höhe  der  Nase  56  Mm.  beträgt,  so  berechnet  sich  im  Sinne  des  Hrn.  Broca 
ein  Nasenindex  von  48,2,  also  eine  niedrige  Mesorrhinie,  welche  mit  der  Aufstel- 
lung des  berühmten  Anthropologen,  wonach  die  Amerikaner  mit  Ausnahme  der  Es- 
kimos mesorrhin  sein  sollen,  ziemlich  genau  übereinstimmt,  insofern  er  für  die  Süd- 
Amerikaner  48,1  berechnet. 

Der  Oberkiefer  ist  sehr  stark  und  zeigt  einen  22  Mm.  langen,  prognathen 
Kieferrand,  Die  Fossae  caninae  sind  flach,  die  Distanz  der  Infraorbitallöcher  beträgt 
61  Mm.  Der  Umfang  des  Zahnrandes  ist  gross;  die  Zähne  sind  mehr  gerade  abwärts 
gerichtet,  ihre  Kronen  sind  abgenutzt,  namentlich  an  den  Schneidezähnen  bis  in  die 
verknöcherte  Pulpa  hinein;  mehrere  Backzähne  sind  cariös.  Die  Gaumenfläche  ist 
sehr  tief,  52  Mm.  lang  und  45  Mm.  breit. 

Der  Unterkiefer  tritt  ungleich  weniger  vor,  nur  das  fast  dreieckige  Kinn  schiebt 
sich  nach  vorn  hervor;  innen  an  ihm  eine  starke  doppelte  Spina  mentalis.  Die  Seiten- 
theile  des  Kiefers  sind  sehr  kräftig,  die  breiten  (35  Mm.)  Aeste  steigen  gerade  auf, 
und  zeigen  innen  tiefe  Insertionen  für  den  M.  pterygoideus  internus. 

Das  Skelet  ist  bis  auf  die  sehr  defekten  Hände  (von  den  Fingern  ist  gar  nichts 
vorhanden)  und  die  grossentheils  defekten  Füsse  ziemlich  vollständig.  Ich  gebe  nach- 
stehend die  Hauptmaasse,  wobei  ich  jedoch  wegen  der  Wirbelsäule  auf  das  früher 
Gesagte  verweise; 


(170) 

Körperlänge 159  Centm. 

Atlas  bis  letzter  Lendenwirbel 48  „ 

„      „    Steissbein  in  gerader  Linie 61  „ 

Länge  der  Clavicula  (gerade) 17  „ 

Oberarm  beiderseits 32  „ 

Radius  rechts       25,6  „ 

„       links 26  „ 

Ulna  rechts 27?  „ 

„     links 27,5  „ 

Armlänge  rechts  bis  zum  Handgelenk 57,6  „ 

Entfernung  der  Trochanteren 30  „ 

Oberschenkel  rechts  vom  Trochanter,  senkrechte  Höbe      .  42  „ 

V  „         r,  „  Länge 43.5  „ 

,  vom  Kopfe  bis  Knie       44,3  „ 

Tibia  rechts '  38  „ 

Fibula     , 37  „ 

Trochanter  bis  Ferse  rechts,  senkrechte  Höhe       ....  86,3  „ 

Ferse  bis  Spitze  der  grossen  Zehe  links 23,7  „ 

Breite  des  Kreuzbeins 11,5  , 

Grösste  Distanz  der  Cristae  ilium 27,0  , 

Entfernung  der  Spin.  il.  ant.  sup 25,0  „ 

Obere  Beckenapertur,  grösste  Breite 12,6  „ 

Obere  Conjugata lljO  » 

Untere         „  12,3  v, 

Rechter  schiefer  Durchmesser  des  Beckeneingangs     .    .    .  11,8  „ 

Linker  „  „  ,  „  ...  12.2  „ 

Sowohl  der  Brustkorb,  als  das  Becken  sind  weit.  Letzteres  hat  in  manchen 
Beziehungen  einen  fast  weiblichen  Typus.  Namentlich  ist  das  grosse  Becken  in  mehr 
weiblicher  Form  gebaut,  die  Darmbeinschaufeln  wenig  steil,  die  Querdurchmesser 
gross;  selbst  die  Stellung  der  Oberschenkel  erinnert  an  weibliche  Verhältnisse.  Das 
Becken  zeigt  vorn  sehr  starke  Muskelvorsprünge,  hinten  am  Kreuzbein  jederseits, 
entsprechend  dem  Querfortsatz  des  ersten  Sacralwirbels,  einen  ungewöhnlich  grossen, 
nach  oben  gerichteten  Vorsprung. 

Der  sehr  kräftige  Oberarm  hst  sehr  scharfe  Leisten  und  starke  Muskelinsertionen, 
namentlich  findet  sich  am  Ansatz  des  Deltoides  eine  ungewöhnlich  grosse  und  rauhe 
Fläche.  Der  Sulcus  intertnbercularis  ist  sehr  tief.  Die  Drehung  des  Oberarms  ist 
weniger  stark,  als  bei  Europäern,  so  dass  die  Durchschnittsebene  der  unteren  Con- 
dylen  mehr  nach  aussen  steht.  Der  Epicondylus  internus  tritt  weit  hervor;  überhaupt 
ist  das  untere  Ende  sehr  breit  (61  Mm.)  Die  Fossa  pro  olecrano  ist  nicht  durchbohrt. 
Der  in  seinen  Mitteltheilen  beträchtlich  gekrümmte  Radius  ist  ungemein  scharfkantig, 
sein  unteres  Ende  ist  breiter,  als  gewöhnlich. 

Der  Oberschenkel  ist  lang  und  krumm,  namentlich  sind  die  Condylen  stärker 
nach  hinten  gewälzt  und  die  Diaphyse  etwas  couvex  nach  vorn.  Neben  dem  Epi- 
condylus int.  am  unteren  Fnde  des  inneren  Labium  der  Crista  femoris  sitzt  noch  ein 
breiter,  aber  niedriger  Muskelvorsprung. 

Die  Tibia  ist  etwas  nach  innen  eingebogen,  seitlich  auf  das  Stärkste  comprimirt 
und  mit  sehr  scharfen  Kanten,  namentlich  einer  scharf  vorspringenden  Leiste  für  das 
Ligamentum  interosseum.  Auch  an  der  inneren  Seite  der  sehr  schmalen  Fibula  findet 
sich  eine  ungemein  tiefe  Längsfurche;  ihr  unteres  Ende  ist  sehr  breit.  Beide  Kniee 
stehen  stark  nach  innen;  die  Unterextremitäten  nehmen  also  die  Stellung  der  so- 
genannten Back  erbeine  ein.  Dem  entsprechend  ist  der  Condylus  internus  femoris 
stärker  ausgebildet,  die  entsprechende  Grube  der  Tibia  weiter.  Die  Patella  ist  sehr  klein. 


(171) 

In  Beziehung  auf  die  Verhältnisse  der  einzelnen  Skelettheile  unter  einander  will 
ich  raicli  duraiif  beschränken,  ein  Paar  Bemerkungen  über  die  Extremitäten  zu  machen. 
Das  Verhältniss  des  Radius  zum  Os  humeri  oder  des  Vorder-  zum  Oberarm  ist 
=  26:32  =  81,2:100.  Es  entfernt  sich  sehr  bedeutend  von  dem  bei  Europäern, 
welches  Hr.  Hamy  (Revue  d'anthropologie  I.  p.  Ol)  zu  72,19  :  100  berechnete,  und 
es  nähert  sich  dem  bei  Negern,  welches  derselbe  Untersucher  zu  78,3  fand,  wäh- 
rend Hr.  Burmeister  (Geologische  Bilder  1853.  II.  S.  lOG)  beim  lebenden  Neger 
S'Vs  •■  1 1  Vs  =  81,3:  100  maass.  Die  unverhältnissmässige  Länge  des  Vorderarms  tritt 
daher  bei  dem  Caygua  sehr  auffällig  hervor. 

Was  die  Unterextremitäten  betrifft ,  so  scheinen  sich  die  V^erhältnisse  ungleich 
günstiger  zu  gestalten.  Die  Differenz  zwischen  der  Länge  des  Os  femoris  und  der 
Tibia  beträgt  bei  unserem  Skelet  63  Mm.,  und  das  Verhältniss  der  letzteren  zu  dem 
ersteren  ist  =  34  :  44,3  ^  85,7  :  100,  oder,  wenn  man  nicht  die  ganze  Länge  des  Ober- 
schenkelbeins vom  Kopfe  bis  zum  Knie,  sondern  nur  die  senkrechte  Höhe  vom  Tro- 
chanter  ab  nimmt,  38:42  =  90,4:100.  Nach  den  Angaben  Burmeister's  berechnet, 
würde  (bei  freilich  etwas  anderer  Messung)  für  den  Europäer  92,4,  für  den  Neger 
93,5  gefunden  werden. 

Noch  viel  günstiger  ist  das  Verhältniss  des  Fusses.  Wenn  Hr.  Burmeister 
annimmt,  dass  der  männliche  Fuss  mit  6j^  mal  seiner  Länge  das  richtige  Maass  der 
ganzen  Gestalt  gäbe,  so  müsste  unser  Caygua  nur  23,7x6^=  154,05  Centm.  gross  gewesen 
sein.  Es  scheint  sich  daher  mit  ihm  ähnlich  verhalten  zu  haben,  wie  mit  den  Puris,  von 
denen  Hr.  B  arme  ister  (a.  a.  0.  S.  166)  selbst  erzählt,  dass  sie  ihm  fast  als  das 
Ideal  feiner  Hand-  und  Fussbildung  vorgekommen  seien.  Die  Beschränkung  dieser 
Aussage,  welche  er  an  einer  andern  Stelle  (I.  S.  132)  in  Bezug  auf  die  Amerikaner 
hinzufügt,  träfe  für  den  Caygua  nicht  zu,  denn  dieser  hat  wirklich  einen  kleinen 
Fuss.  Hr.  Burmeister  (I.  S.  109)  schätzt  die  Füsse  der  Männer  verschiedener 
Nationen  zu  9^—13  Zo]!  Länge;  der  Caygua  hat  aber  nur  23,7  Centm.  =  wenig 
Imehr  als  9  Zoll. 

In  Beziehung  auf  die  starke  Störung  der  Ausbildung  der  Schläfengegend  verweise 
ich  auf  eine  Abhandlung,  die   ich   in  den  Verhandlungen  der  Akademie  veröffeutliche. 
Diese   Störung,   sowie   die   zahlreichen  Abweichungen  im  Umfange  des  Hinterliaupts- 
loches  verdienen  aber  wohl  eine  besondere  Aufmerksamkeit. 
2)    Die  Schädel   der  Botokuden. 

a)  Der  männliche  Schädel  No.  3  zeigt  eine  Reihe  von  frischen  Schussverletzungen 
am  Vorderkopfe,  namentlich  7  grössere  Eindrücke  von  sehr  verschiedener  Tiefe  am 
Stirnbein,  von  denen  3  noch  Bleistücke  enthalten.  Letztere  stecken  zertheilt  an  der 
Grenze  der  inneren  Tafel;  unreines  hat  den  Schädel  durchbohrt  und  Zertrümmerungen 
der  inneren  Tafel  herbeigeführt. 

Dieser  Schädel  ist  verhältnissmässig  sehr  hoch  und  breit,  dagegen  von  nur 
massiger  Länge.  Er  erscheint  daher  in  der  Seitenansicht  hochgewölbt  und  mit  voller 
Stirn.  Die  grösste  Höhe  des  Scheitels  liegt  kurz  hinter  der  Kranznalit.  Das  Hinter- 
haupt fällt  schon  hinter  den  Tubera  parietalia  schnell  ab  und  hat  seine  stärkste  Wöl- 
bung in  der  Mitte  der  Oberschuppe.  Die  Protuberantia  occip.  ist  wenig  entwickelt. 
Die  Unterschuppe  ist  unter  einem  sehr  kleinen  Neigungswinkel  gegen  das  mehr  rund- 
liche Hiuterhauptsloch  gerichtet. 

Die  Berechnung  der  Verhältnisszahlen  ergiebt,  wie  schon  früher  angegeben,  einen 
Breitenindex  von  79,3  bei  einem  Höhenindex  von  78,1,  also  eine  fast  hypsibrachy- 
cephale  Form.  Die  geringe  Capacität  (1260  Cub.-Cntm.)  stimmt  mit  dem  Maasse 
des  Caygua-Scbädels. 

Alle  Muskelinsertionen  sind    ausgedehnt,    aber  nicht  tief.     Die  Linea  temporalis 


(172) 

überschreitet  das  Tuber  parietale  schon  mit  ihrem  inneren  Schenkel.  Die  Entfernung 
der  beiderseitigen  Lineae  semicirculares  beträgt  hinter  der  Kranznaht  105  Mm.  (Band- 
maass),  an  den  Tubera  parietalia  130  für  die  innere,  95  für  die  äussere  Linie,  und 
die  letztere  erreicht  hinten  die  Lambdanaht.  Trotzdem  ist  sowohl  die  Schläfen-, 
als  die  Parietalgegeud  ziemlich  gut  gewölbt.  —  Die  Muskelansätze  am  Hinterhaupt 
sind  tiefer,  aber  die  Linea  nuchae  suprema  etwas  undeutlich.  Die  Fossae  cerebelli 
sind  nach  aussen  stärker  vorgewölbt. 

In  der  Hinteransicht  erscheint  der  Schädel  nahezu  fünfeckig,  aber  mit  etwas 
gekrümmten  Flächen.  Die  Schuppe  des  Hinterhaupts  ist  niedrig,  der  Lambdawinkel 
gross;  die  Entfernung  der  Spitze  von  der  Protuberaüz  beträgt  60  Mm  Bandniaass, 
der  horizontale  Querumfang  127,  der  gerade  Querdurchmesser  100  Mm. 

Die  Scheitelansicht  lässt  den  Schädel  wegen  der  stark  vortretenden  Scheitelhöcker 
ziemlich  breit  erscheinen.  Die  Stirnhöcker  sind  wenig  entwickelt,  und  auch  die  Supra- 
orbitalwülste  haben  eine  massige  Stärke.  Die  Glabella  ist  ziemlich  tief,  der  Nasen- 
fortsatz voll,  breit  und  mit  einem  zackigen  liest  der  Stirnnaht  versehen.  Die  Incisura 
supraorbitalis  fehlt  beiderseits.  Die  Nähte  am  Schädeldach  sind  ziemlich  grobzackig, 
am  stärksten  die  Lambdanaht  an  ihren  Seitentheilen,  welche  zahlreiche  Schaltknochen, 
namentlich  links,  enthalten.  Verhältnissmässig  einfach  sind  die  Seitenlheile  der  Kranz- 
naht und  die  Schuppennaht  innerhalb  des  Planum  temporale.  Die  Emissaria  parietalia 
fehlen  und  die  Pfeilnaht  beginnt  in  deren  Nähe  zu  verschmelzen. 

In  der  Vorderansicht  erscheint  das  Gesicht  hoch  und,  namentlich  an  den  Kiefer- 
winkeln, sehr  breit;  sowohl  diese  Winkel,  als  die  Joch  bogen  treten  stark  vor.  Die 
Orbitae  sind  hoch  und  verhältnissmässig  schmal.  Die  Nase  setzt  hoch  an;  die  Naso- 
frontalnaht  ist  nach  oben  stark  convex.  Die  knöcherne  Nase  ist  verhältnissmässig 
schmal:  sie  hat  an  ihrem  Ansatz  einen  geraden  Querdurchmesser  von  9,  in  ihrer 
Mitte  von  8,  an  ihrem  unteren  Ende  von  15  Mm.  Die  Nasenbeine  sind  an  der 
Wurzel  und  an  der  Spitze  unter  einander  verwachsen,  und  besitzen  jedes  auf  ihrer 
Fläche  eine  tiefe,  scheinbar  für  ein  Gefäss  bestimmte  Oeffnung.  Die  Apertur  ist  hoch 
und  schmal.  Die  Wangenbeine  sind  kräftig,  am  Ansätze  des  Masseter  höckerig,  mit 
einem  sehr  starken  und  scharf  abgesetzten  Tuberculum  temporale  (vgl.  den  Holz- 
schnitt Fig.  a  auf  S.   162)  versehen. 

Der  Oberkiefer  ist  gross,  mit  tiefen  Fossae  caninae;  Distanz  der  Infraorbitallöcher 
46  Mm.  Der  Alveolarfortsatz  ist  etwas  prognath  ,  aber  kurz;  er  misst  in  der  Mitte 
nur  17  Mm.  in  der  Höhe.  Sämmtliche  Zähne  des  Oberkiefers  sind  sehr  gross,  an 
den  vorspringenden  Theilen  der  Kronen  abgerieben.  Die  Zahncurve  ist  nach  vorn 
ziemlich  gerundet,  nach  hinten  wenig  eingebogen.  Der  harte  Gaumen  ist  53  Mm. 
lang,  44  breit. 

Der  Unterkiefer  stark,  am  meisten  an  den  Aesten,  welche  einen  Querdurchmesser 
von  37  Mm.  haben  und  fast  unter  einem  rechten  Winkel  ansetzen.  Die  Schneide- 
zähne stehen  in  einer  fast  geraden  Linie,  so  dass  die  Zahncurve  in  der  Gegend  der 
Eckzähne  fast  winklig  wird.  Das  Kinn  springt  dreieckig  vor;  die  Spina  mentalis 
interna  zeigt  sehr  deutlich  die  Ansatzstellen  für  die  verschiedenen  Muskeln.  Ganz 
besonders  tief  sind  jederseits  die  Ansätze  für  den  Musculus  pterygoideus  internus; 
dem  entsprechend  sind  auch  die  Gruben  an  den  Proc.  pterygoides  sehr  tief,  obwohl 
diese  Fortsätze  selbst  nur  eine  Höhe  von  27  Mm.  haben. 

b)  Der  gleichfalls  männliche  Schädel  No.  4  ist  ausserordentlich  kräftig  und  be- 
sitzt zugleich  die  grösste  Capiicität  unter  den  vorliegenden  Schädeln  (1330  Cub.-Ctm.) 
Er  ist  hypsidolichocephal  (Breitenindex  74,  Höhenindex  77).  Dem  entsprechend  er- 
scheint er  in  der  Seifenansicht  sehr  gestreckt,  jedoch  mit  beträchtlicher  Höhe,  nament- 
lich nach  vorn.     Der  Scheitelpunkt  entspricht  der  Fontanellstelle.    Von  da  an  wölbt 


(173) 

sich  die  Schädelcurve  nach  vorn  in  voller  Biegung;  nach  rückwärts  läuft  sie  gleich- 
nnässig  fort  bis  in  die  Breite  der  Scheitelhöcker.  Von  hier  fällt  sie  schnell  ab  bis 
zur  Protuberanz,  welche  mit  der  Linea  nuchae  superior  einen  ausserordentlich  tiefen 
Abfall  gegen  die  Facies  muscularis  bildet.  Der  Absatz  ist  so  stark,  dass  man  fast 
einen  Finger  hineinlegen  kann.  Die  Tubera  frontalia  und  parietalia  sind  massig 
stark;  die  Stirnwülste  bedeutend,  aus  sehr  dichtem,  jedoch  von  zahlreichen  Gefass- 
löchern  durchbohrtem  Gewebe,  in  der  Mitte  zusammenüiessend,  jenseits  der  Supra- 
orbital-Iiicisur  von  dem  seinerseits  hervorragenden  Augenhöhlenrande  getrennt. 

Das  Planum  temporale  ist  sehr  hoch  und  überschreitet  die  Scheitelhöcker.  Die 
inneren  Schenkel  der  Lineae  semicirculares  nähern  sich  hinter  der  Kranznaht  bis  auf 
lUO  Mm.  (Bandmaass),  au  den  Tubera  bis  auf  HO.  Hier  ist  zugleich  der  äussere 
Schenkel  zu  einer  förmlichen  Crista  ausgebildet.  Nach  rückwärts  erreicht  er  die 
Lambdanaht.  Die  Krauzuaht  ist  innerhalb  des  Planum  fast  ganz  synostotisch.  Ebenso 
beginnt  die  Verwachsung  der  Ala  temporalis  mit  dem  Stirnbein.  Dagegen  bildet 
auch  hier  die  Schuppennaht  nach  oben  hin  einen  zackigen  Vorsprung  von  12  Mm. 
Höhe,  der  ganz  spitz  ausläuft  und  neben  dem  der  Angulus  parietalis  anterior  einen 
tiefen  Eindruck  zeigt.  Die  Schläfenschuppe  ist  stark,  aber  kurz;  links  misst  sie  im 
horizontalen  Querdurchmesser  bis  zum  Angulus  mastoideus  68,  rechts  73  Mm. 
Dagegen  ist  die  Ala  temporalis  breit,  26  Mm.  im  geraden  Querdurchmesser. 

Am  Hinterhaupt  bildet  die  Facies  libera  squamae  oocipitalis  eine  fast  hypero- 
stotische  Fläche  von  62  Mm.  Sagittalhöhe  und  135  Mm.  Querumfaug  (Bandmaass); 
der  gerade  Querdurchmesser  beträgt  120  Mm,  Die  Linea  nuchae  suprema  ist  sehr 
schwach.  Die  Facies  muscularis  hat  tiefe  Gruben  und  Leisten,  namentlich  eine  starke 
Leiste  jederseits  an  der  äusseren  Seite  der  Insertion  des  Musculus  splenius. 

Die  Suturen  am  Vorderkopfe  sind  einfach,  sowohl  die  Coronaria,  als  der  Anfang 
der  Sagittalis;  die  alte  Fontanellgegend  bildet  hier  eine  allgemeine  Vorragung.  Der 
hintere  Theil  der  Sagittalis  ist  stark  zackig  und  beginnt  in  der  Gegend  der  fehlenden 
Emissarien  zu  verwachsen.  Die  Lambdanaht  hat  eine  sehr  abweichende  Gestalt,  indem 
ihr  Winkel  allerdings  ziemlich  spitz  ist,  jedoch  jederseits  in  dem  seitlichen  Schenkel 
sich  ein  ausspringender  Winkel  findet,  hinter  welchem  die  Oberschuppe  sich  beträcht- 
lich verbreitert  und  die  Naht  verhältnissmässig  steil  gegen  die  Seitenfontanell-Gegend 
absteigt. 

Das  Hinterhauptsloch  ist  ziemlich  rund  und  hat  etwas  aufgeworfene  Ränder. 
Die  Geleukhöcker  sitzen  weit  nach  vorn  und  sind  hier  durch  eine  erhabene  Leiste 
verbunden.  Sie  haben  ziemlich  kurze  und  nach  vorn  fast  zugespitzte  Gelenkflächen. 
Am  vorderen  Rande  des  Loches  sitzt  ein  2  Mm.  langer,  gerade  gegen  das  Loch  ein- 
springender, stachliger  Fortsatz  (Condylus  tertius).  Die  Gelenkgruben  für  den 
Unterkiefer  sind  tief  und  weit,  die  Gehörgänge  etwas  abgeplattet  und  die  Gelenk- 
flächeu  etwas  nach  vorn  über  die  Tubercula  zygomatica  vorgeschoben. 

Die  etwas  schmale  Stirn  besitzt  eine  vertiefte  Glabella  und  über  derselben  eine 
flache  Exostose. 

Das  Gesicht  ist  *sehr  hoch .  die  Jochbogen  vorspringend  und  die  Wangenbeine 
mit  scharf  abgesetzten,  weit  vorspringenden  Tubercula  temporalia  versehen  (vgl.  Holz- 
schnitt Fig.  b  auf  S.  162).  Dagegen  sind  die  Knochen  des  Vordergesichts  etwas 
schmal:  Infraorbitaldistanz  44,  Malarbreite  97  Mm.  Die  knöcherne  Nase  ist  gleich 
unter  dem  Ansätze  stark  eingebogen  und  fast  ganz  synostotisch;  der  Rücken  ist 
überall  deutlich  ausgebildet.  Nach  oben  bildet  die  Nasofrontalnaht,  soweit  die  Nasen- 
beine auötosson,  eine  Curve.  Nach  unten  hin  ist  die  knöcherne  Nase  schmal,  16  Mm. 
im  geraden  Quei-durchmesser,  und  etwas  höher  hinauf  sogar  nur  10  Mm.,  während 
sie  ganz  oben  14  Mm.  misst.    Die  Orbitae  hoch  und  schmal;  ihre  oberen  Ränder  stark 


(174) 

vortretend,  mit  sehr  enger  Incisura  supraorbitalis.  Starke  Spina  nasalis.  Der  untere 
Rand  der  Nasenöffnung  gegen  den  Alyeolarfortsatz  des  Oberkiefers  etwas  ausgebuchtet. 
Letzterer  niedrig  (20  Mm.),  aber  stark  prognath.  Die  Zähne  tief  abgerieben, 
namentlich  die  vorderen  bis  auf  die  ossificirte  Pulpa.  Die  Backzähne  fehlen  fast 
sämmtlich;  rechts  liegt  eine  cariöse  Stelle,  welche  in  das  Autrum  führt.  Palatum 
50  Mm.  lang,  32  breit. 

Unterkiefer  stark,  namentlich  mit  grossen  Aesten,  die  40  Mm.  breit  sind.  Kinn 
dreieckig,  mit  bedeutendem  winkligem  Vorspruuge  der  Seiten;  starke  Spina  mentalis. 
Tiefe  Gruben  für  den  M.  pterygoideus  int.  Rechts  auf  der  inneren  Seite  dicht  über 
dem  Kieferwinkel  eine  flache  Grube  von  10  Mm.  im  Durchmesser,  zu  welcher  von 
dem  Foramen  maxill.  int.  eine  Furche  herabläuft. 

c)  Der  ebenfalls  männliche  Schädel  No.  5.  ist  auf  der  linken  Seite  noch  grossen- 
theils  mit  Fettwachs  (Adipocire)  bedeckt  und  verbreitet  einen  sehr  üblen  Geruch. 
Seine  rechte  Seite  ist  dunkelrothbraun  und  glänzend ,  die  linke  dagegen  matt  und 
nach  Ablösung  des  Fettwachses  gelbbraun.  Er  ist  schwer  und  macht  einen  überaus 
kräftigen  Eindruck,  hat  aber  von  allen  dreien  die  geringste  Capacität  (1230  Cub.-Ctm.)_ 
Er  ist  der  am  meisten  dolichocephale,  aber  zugleich  schmale  und  niedrige  Schädel: 
Breitenindex  71,8  bei  einem  Höhenindex  von  72,8.  Die  Muskelansätze  sind  ausser- 
ordentlich scharf  und  stark;  die  Nähte  eher  einfach,  nur  die  Lambdanaht  etwas  stärker 
zackig.     Beiderseits  starke  Ansätze  einer  Sutura  petro-mastoidea. 

In  der  Seitenansicht  erscheint  der  Schädel  sehr  lang  und  keineswegs  niedrig. 
Die  Scheitelcurve  sieht  etwas  unregelmässig  aus.  Jeder  der  grösseren  Knochenab- 
schnitte bildet  seine  besondere  Wölbung,  indem  sowohl  an  der  Kranznaht,  als  am 
Lambdawinkel  ziemlich  tiefe  Einsenkungen  bestehen.  Die  Stirn  zeigt  sehr  starke 
Wülste  über  der  Nase  und  längs  der  Orbitalränder,  die  Glabella  ist  sehr  vertieft, 
eine  Art  Crista  verläuft  über  die  Mitte  der  Stirn.  Unmittelbar  vor  der  Kranznaht 
in  der  Fontanellgegeud  sitzt  eine  starke  Erhebung.  Auch  die  Umgebung  der  Sagit- 
talis  bildet  eine  schwache  Leiste. 

Am  Hinterhaupt  springt  die  Oberschuppe  sehr  stark  vor,  am  stärksten  dicht  über 
der  Protuberanz,  welche  von  dem  Foramen  magnum  48  Mm.  (ßandmaass)  entfernt 
und  mit  ihm  durch  eine  sehr  starke  Crista  perpendicularis  verbunden  ist.  Die  Linea 
nuchae  superior  ist  von  der  inferior  durch  einen  Zwischenraum  von  27  Mm.  getrennt; 
die  Linea  suprema  ist  nur  ganz  schwach  angedeutet. 

Das  Foramen  magnum  schief,  mehr  nach  rechts  ausgeweitet,  im  Ganzen  länglich. 
An  seinem  rechten  seitlichen  Umfange  ein  anomales  Loch  von  3  Mm.  Durchmesser, 
welches  geraden  Weges  in  die  Schädelhöhle  führt.  Die  Incisura  mastoidea  ausser- 
ordentlich tief,  Proc.  styloides  sehr  stark.  Apophysis  basilaris  glatt  und  ohne  beson- 
dere Muskelvorsprünge.  Ungemein  grosse  Proc.  pterygoides  mit  sehr  weit  ausgebreiteten 
Laminae  externae,  von  denen  die  rechte  so  weit  geht,  dass  sie  fast  mit  der  gleichfalls 
mit  einem  Vorsprunge  versehenen  Spina  angularis  zusammenfliesst. 

Das  Planum  semicirculare  ist  ungemein  hoch  und  überschreitet  die  übrigens 
sehr  schwach  ausgebildeten  Schejtelhöcker.  ]\Iau  erkennt  daA.n  jederseits  deutlich 
zwei  getrennte  Begrenzungslinien,  von  welchen  die  beiden  äusseren  sich  hinter  der 
Kranznaht  bis  auf  90  Mm.  nähern.  Rückwärts  greift  das  Planum  bis  auf  die  Lambda- 
naht; nach  vorn  setzt  es  sehr  scharf  ab  an  der  Crista  temporalis  des  Stirnbeins,  welche 
sich  mit  rauher  Fläche  bis  auf  die  Tuberositas  temporalis  oss.  malaris  verfolgen  lässt. 
Auch  dieser  Schädel  hat  an  der  Ala  temporalis  einen  tiefen  senkrechten  Eindruck, 
längs  der  Sutura  spheno-temporalis,  an  welcher  sich  die  Squama  temporalis  plötzlich 
erhebt;  letztere  sendet  hier  einen  gerade  nach  aufwärts  gerichteten  Vorsprung  aus, 
der  auf  der  rechten  Seite   eine  spitzige  Zacke  bildet.     Es  macht  fast  den  Eindruck, 


(175) 

als  handle  es  sich  hier  um  ein  besonderes  Muskelbündel,  welches  die  Ala,  den  Angu- 
lus  parietalis  und  die  Schläfenfläche  des  Stirnbeins  eingenommen  habe.  Die  Ala  selbst 
ist  breit,  25  Mm.  im  geraden  Querdurchmesser;  jederseits  bildet  sie  hinter  der  Tube- 
orsitas  temporalis  |ossis  malaris,  die  hier  auch  medial  gegen  die  Schläfengrube 
einen  mächtigen  Wulst  aussendet,  eine  nach  vorn  gegen  die  Orbita  gerichtete  Aus- 
buchtung und  an  der  Insertion  der  Kranznaht  einen  senkrechten  Zacken.  Die  Squama 
temporalis  hat  einen  horizontalen  Querdurchmesser  von  66  Mm.  links  und  72  rechts, 
ist  jedoch  in  ihrem  oberen  Abschnitte  kurz.  Eine  starke  Vertiefung  zieht  sich  ober- 
halb der  Crista  auricularis  fort. 

Das  Gesicht  ist  niedriger,  die  Orbitae  dem  entsprechend  mehr  breit,  als  hoch, 
mit  sehr  stark  überragenden  Rändern,  so  dass  die  Augäpfel  tief  und  verdeckt  sein 
mussten.  Die  Wangenbeine  sehr  kräftig  und  stark  vorstehend,  mit  sehr  grosser 
Tuberositas  temporalis.  Die  Nase  ist  sehr  tief  eingedrückt,  ihre  Wurzel  steht  weit 
zurück,  auch  ist  die  Nase  an  sich  niedrig.  Ihr  Rücken  ist  eingebogen  und  abgerundet, 
ihre  Seitentheile  gegen  die  Stirnfortsätze  des  Oberkiefers  durch  eine  tiefe  Furche  ab- 
gesetzt. Der  gerade  Durchmesser  beträgt  oben  lU,  in  der  Mitte  gleichfalls  10,  unten  1» 
Mm.  Die  Nasenbeine  an  der  Spitze  synostotisch.  Die  Nasenöffnung  ist  schmal,  die 
Spina  doppelt,  das  Septum  schief,  der  untere  Rand  der  Apertur  ausgebuchtet.  Infra- 
orbitaldistanz  52  Mm.  Der  Kieferrand  ist  niedrig  (15  Mm.),  aber  etwas  vorspringend. 
Palatum  sehr  tief,  55  Mm,  lang,  48  breit. 

Der  Unterkiefer  sehr  stark,  mit  überaus  kräftigen,  fast  ganz  senkrechten,  38  Mm. 
breiten  Aesten.  Die  Winkel  so  weit  nach  aussen  ausgebogen,  dass  man  in  die  da- 
durch gebildete  Mulde  einen  Finger  einlegen  kann.  Das  Kinn  stark  vorspringend, 
dreieckig,  in  der  Mitte  etwas  am  unteren  Rande  ausgeschweift.  Starke  doppelte 
Spina  mentalis  interna.  Zähne  ganz  vollständig,  gerade  gegen  einander  stehend, 
stark  abgeschliffen.     Die  Zahncurve  im  Ober-  und  Unterkiefer  etwas  eckig. 

d)  Der  jugendliche  und  wahrscheinlich  weibliche  Schädel  No.  6  hat  ganz  voll- 
ständige Zähne;  nur  die  Weisheitszähne  sind  noch  nicht  ausgebrochen.  Er  ist  ortho- 
cephal  und  etwas  niedrig  (ßreitenindex  77,8,  Höhenindex  73,6),  jedoch  macht  er 
den  Eindruck  eines  sehr  gestreckten  Schädels.  Seine  Gestalt  ist,  wie  bei  jugend- 
lichen Köpfen  so  oft,  etwas  eckig,  indem  sowohl  die  Stirn-,  als  die  Scheitelhöcker 
gut  ausgeprägt  sind  und  auch  das  Hinterhaupt  stark  hervortritt.  Letzteres  zeigt  in 
der  Gegend  der  nicht  vorhandenen  Protuberanz  eine  grössere  rundliche  Vorwölbung. 
Die  Nähte  sind  in  der  Vordergegend,  namentlich  innerhalb  des  Planum  tempo- 
rale, einfach;  weiterhin,  besonders  hinten,  sehr  zackig.  Die  Emissaria  parietalia  fehlen. 
Der  Lambdawinkel  ist  sehr  weit,  die  Lambdanabt  selbst  sehr  zackig  und  in  der  Nähe 
der  Seitenfontanellen  mit  kleinen  Schaltknochen  durchsetzt. 

Die  Stirn  ist  voll,  die  Glabella  vorgewölbt.  Jederseits  an  Stelle  der  Incisur  ein 
wirkliches  Foramen  supraorbitale. 

Das  Planum  semicirculare  ist  nicht  sehr  hoch,  indess  nicht  überall  genau  zu 
bestimmen,  da  die  Linien  undeutlich  sind.  Die  Squamae  temporales  flach  und  kurz, 
jedoch  nur  in  ihrem  oberen  Theile;  weiter  nach  unten  messen  sie  im  horizontalen 
Querdurchmesser  rechts  65,  links  67  Mm.  Ala  temporalis  breit,  jedoch  der  Angulus 
parietalis,  besonders  rechts,  etwas  eingedrückt. 

Am  Hinterhaupt  schwache  Muskelansätze,  dagegen  starke  Fossae  cerebellares. 
Hinterhauptsloch  lang  oval  mit  sehr  flachen  Gelenkhöckern. 

Das  Gesicht  eher  etwas  niedrig,  dagegen  relativ  breit.  Die  Jochbogen  anliegend. 
An  dem  Proc.  temporalis  ossis  luahuis  jederseits  eine  starke  Tuberositas  temporalis. 
Augenhöhlen  niedrig  und  relativ  breit.  Die  Nase  schmal,  etwas  niedrig  und  platt: 
ihr  gerader  Querdurchmesser  beträgt  oben  11,  in  der  Mitte  9,  unten  15  Mm.    Jeder- 


(176) 

seits  zieht  von  ihrer  Seite  aus  eine  niedrige  Leiste  über  den  Stirnfortsatz  des  Ober- 
kiefers gegen  das  Infraorbitalloch.  Die  Nasofrontalnaht  ist  stark  nach  oben  gekrümmt. 
Der  Nasenrücken  fast  ganz  flach,  mit  ganz  feiner,  aber  niedriger  Erhebung  der  Mittel- 
linie. Infraorbitaldistanz  43  Mm.  Oberkiefer  sehr  stark  prognath,  mit  sehr  grossen 
Schneidezähnen,  der  Kieferraud  kurz  (15  Mm.). 

Die  sehr  breiten  Schneidezähne  zeigen  sowohl  am  Ober-,  als  am  Unterkiefer  je 
3  parallele,  von  oben  nach  unten  verlaufende  Längswülste.  Unterkiefer  in  der  Mitte 
hoch  und  auf  der  Fläche  eingebogen,  das  Kinn  stark,  die  Aeste  47  Mm.  breit.  — 

Nachdem  ich  mich  schon  in  der  einleitenden  Uebersicht  über  die  Botokuden- 
Schädel  im  Allgemeinen  ausgesprochen  und  ihre  zahlreichen  individuellen  Abweichungen 
geschildert  habe,  so  will  ich  mich  hier  auf  einige  weitere  Punkte  beschränken.  Nament- 
lich möchte  ich  einige  Zusammenstellungen  in  Bezug  auf  die  Gesichtsbildung  geben: 

1)  Der  Nasenindex  im  Sinne  des  Hrn.  Broca  stellt  sich  folgendermaassen : 

No.  3        ,     .     .  40,0 

,4        40,3 

,5        46,4 

»6        51,1 

Stockholm 43,1 

Mittel  44,1 

Grösste  Differenz  11,1 

So  gross  diese  Verschiedenheiten  auch  sind,  so  liegen  sie  doch  mit  Ausnahme 
des  jugendlichen  Schädels  sämmtlich  innerhalb  des  Gebietes  der  Leptorrhinie  und 
sie  widerstreiten  daher  der  Aufstellung  des  Herrn  Broca  von  der  mesorrhinen  Be- 
schaffenheit der  südamerikanischen  Nase.  Auch  tritt  hier  ein  Unterschied  von  dem 
Caygua-Schädel  scharf  hervor. 

2)  Noch  viel  constanter  erweist  sich  das  Verhältniss  zwischen  Gesichtshöhe 
(=  100  gesetzt)  und  Nasenhöhe,  welches  ich  den  Gesichtsnaseuindex  nennen  will: 

No.  3        45,4 

,4        45,4 

,5        51,8 

,6        45,2 

Stockholm .  40,4 

Mittel  45,6 

Grösste  Differenz  11,4 

Es  ergiebt  sich  daraus  der  hervorragende  Antheil,  welchen  die  Nase  an  der  Ge- 
sichtsbildung nimmt,  —  eine  Erscheinung,  welche  in  so  hohem  Maasse  grosse  Ab- 
theilungen der  amerikanischen  Stämme  charakterisirt. 

3)  Der  Orbitaliudex,  das  Verhältniss  der  Breite  (-  100)  zur  Länge  der 
Augenhöhle: 

No.  3       .     , 89,7 

»4        80,6 

«5        80,4 

„6        83,7 

Stockholm 86,4 

Mittel  84^1 

Grösste  Differenz  9,3 

Obwohl  die  absoluten  Differenzen  hier  eine  geringere  Höhe  erreichen,  als  in  der 
vorigen  Zusammenstellung,  so  sind  sie  doch  um  so  auffälliger,  als  sie  keineswegs,  wie 


(177) 

man  wohl  hätte  vermuthen  können,  mit  der  Schädelbildung  harmoniren.  Ein  Blick 
;iuf  die  bisher  mitgetheiltc  Ziisatmnenstcllung  der  Schüdclindiccs  wird  zeigen,  dass 
gar  kein  innerer  Zusammenhang  aufzufinden  iot.  iSchädeJ,  welche  sich  in  Bezug  auf 
die  eigentliclien  Schädclindices  sehr  nahe  stehen,  unterscheiden  sich  im  Orbitalindex  auf 
das  Stärkste,  während  andere,  deren  Schädelindices  weit  aus  einander  liegen,  nahezu 
identische  Orbitalindices  haben.  Immerhin  kann  man  sagen,  dass  alle  diese  Orbitae 
tief  und  geräumig  sind,  so  dass  der  Augapfel  weit  zurückliegen  kann. 

4)  Der  Gesichtsindex,  berechnet  aus  der  Jochbreite  (Distanz  der  Jochbogen 
von  einander  =  100)  und  der  Gesichtshöhe,  zeigt  die  allergrössten  Abweichungen: 

No.  3 87,0 

,4       83,6 

,5        75,5 

,6        86,3 

Stockholm 94,0 

Mittel  85,2 

Grösste  Differenz  18,5 

Jedenfalls  ist  es  nicht  der  jugendliche  Schädel  (No.  6),  der  die  grössten  Ver- 
schiedenheiten darbietet;  nur  im  Nasenindex  hebt  er  sich  weit  aus  der  für  die  übrigen 
Schädel  zutreffenden  Norm  heraus. 

5)  Nachdem  sich  mir  durch  häufigere  Messungen  an  Lebenden  die  Nothwendig- 
keit  herausgestellt  hatte,  ein  auch  für  Lebende  anwendbares  Höhenmaass  zu  suchen, 
habe  ich  bei  den  Botokuden  auch  die  senkrechte  Entfernung  des  äusseren  Gehör- 
ganges vom  Scheitel  bestimmt.  Ich  will  der  Kürze  wegen  dieses  Maass  die  Ohrhöhe 
und  den  daraus  berechneten  Index  (Schädellänge  =  100)  den  Ohrhöhen-Index 
nennen.  Es  hat  sich  dabei  ergeben,  dass  darnach  nicht  nur  die  Differenzen  der  Maasse 
der  einzelneu  Schädel  ungleich  kleiner  ausfallen,  sondern  auch  die  Indices  sich  ganz 
anders  ordnen  und  zwar  viel  mehr  entsprechend  dem  Eindruck,  welchen  die  Betrach- 
tung der  Schädel  gewährt.  Es  wird  also  der  Mühe  werth  sein  zu  untersuchen,  ob 
nicht  die  hier  angewendete  Messung,  insofern  sie  unzweifelhaft  eine  grosse  phy- 
siognomische  Bedeutung  hat,  allgemeiner  anzuwenden  ist.  Es  ergeben  sich  nehmlich  für 

Ganze  Höhe,  Ohr-Hühe.  Differenz. 

No.  3       ......  134  115  19 

,4        143  119  24 

„    5       ......  135  116  19 

,6 123 in 12 

Mittel  133  115  18 
Es  berechnet  sich  für 

Basilar-Höhenindex.    Ohr-Höhenindex.      Differenz. 
No.  3      ...     78,1  67,0  11,0 

»    4      •     .     .     77,3  64,3  13,0 

„    i>      .     .     .     72,8  62,6  10,2 

r    6      .     •     •     73.6 6M 7,2 

Mittel  75,4  65,0  10,4 

Ordnet  mau  die  einzelnen  Schädel  nach  den  Zahlen,  indem  man  von  den  höch- 
sten zu  den  niedrigsten  geht,  so  erhält  man  folgende  Reihenfolge  : 

liasiiai-Hüheniiulex.  Auricular-Höhenindex. 

No.  3  No.  3 

»4  ,6 

f>    G  ,4 

,5  .5 

Vtrhacdl.  dtr  Berl,  ADtliropul.  Qeiellscltk/i  Uli,  l'j 


(178) 

Letztere  ist  dieselbe  Reihenfolge,  in  welche  man  die  Schädel  stellen  würde,  wenn 
man  sie  nach  einfacher  Schätzung  ordnete. 

6)  In  Bezug  auf  die  sagittaleu  Curven  ergiebt  sich  gleichfalls  eine  grössere 
Schwankung,  als  sich  voraussehen  Hess,  und  zwar  namentlich  in  Beziehung  auf  die 
Verhältnisse  des  Mittel-  und  des  Hinterkopfes.  Die  absoluten  Zahlen  lauten  folgender- 
maassen : 

Stirnbein.     Scheitelbein.  Hinterhaupt.       Summa. 
Stockholm       .     .     :     .     140  132  117  389 

No.  3 120  113  107  340 

„4 135  125  112  372 

„5 ,129  119  122  370 

„6 119 115 111 345 

Mittel   128,6  120,8  113,8  363,2 

Hiernach  fällt  der  Hauptantheil  der  Entwickelung  dem  Vorderkopfe,  der  nächst 
grössere  dem  Mittelkopfe,  der  bei  Weitem  kleinste  dem  Hinterkopfe  zu.  Dabei  ist 
es  auffällig,  dass  der  jugendliche  Schädel  No.  6  eine  grössere  Scheitelcurve  besitzt, 
als  der  männliche  Schädel  No.  3,  und  dass  dieses  TJeberge-wicht  wesentlich  dem 
Mittel-  und  Hinterkopfe  zufällt,  —  Erscheinungen,  die  sich  vielleicht  durch  das  Ge- 
schlecht erklären. 

Berechnet  man  die  absoluten  Zahlen  auf  Procente  des  Gesammtumfanges,  so 
erhält  man  folgendes  Bild: 

Stirnbein.  Scheitelbein.  Hinterhaupt.  Summa. 

Stockholm    ....  35,9  33,9  30,0  100 

No.  3 35,2  33,2  31,4  100 

„4 36,2  33,6  30,1  100 

„5 34,8  32,1  32,9  100 

„6 34,4 33^3 32^1 100 

Mittel  35,4  33,2  31,3  100 

In  dieser  Aufstellung  wird  die  vorwiegend  frontale  und  parietale  Aus- 
bildung der  Botokuden-Schädel  noch  deutlicher,  und  zugleich  tritt  die  geringe  Dif- 
ferenz vom  Mittel  auf  das  Schärfste  hervor.  Die  einzige  Abweichung,  welche  sich 
bei  dem  Schädel  No.  5  zeigt,  indem  hier  das  Hinterhaupt  stärker,  das  Mittelhaupt 
schwächer  entwickelt  ist,  erscheint  so  geringfügig,  dass  das  allgemeine  Resultat  da- 
durch nicht  wesentlich  beeinflusst  wird.  Die  Debereinstimmung  der  Botokuden-Schädel 
unter  sich  wird  um  so  klarer,  wenn  man  dagegen  die  Schädel  anderer  brasilianischer 
Stämme  stellt: 

Stirnbein.  Scheitelbein.  Hinterhaupt.  Summa. 

Caygua 34,0  31,8  34,0  100 

Desterro 34,4  31.6  33,8  100 

San  Amaro   ....     32,6  30,5  36,7  100 

Babilonia     ....     33,4  33,4  33,1  100 

Hier  tritt  überall  die  occipitale  Entwickelung  in  den  Vordergrund,  während  die 
frontale  zurückgeht.  Inwieweit  die  Verhältnisse  des  noch  sehr  jugendlichen  Schädels  aus 
der  Höhle  von  Babilonia  schon  das  volle  Bild  des  Mannes  geben,  muss  ich  dahingestellt 
sein  lassen;  vielleicht  wäre  bei  weiterem  Wachsthum  die  Hinterhauptsschuppe  relativ 
noch  stärker  ausgebildet  worden.  Dagegen  besteht  zwischen  den  Schädeln  aus  den 
Muschelbergen  von  Desterro  und  San  Amaro  und  dem  des  Caygua  eine  unverkennbare 
Aehnlichkeit,  welche  sich  namentlich  auch  in  dem  Zurückbleiben  der  Länge  der 
Parietalia  zu  erkennen  giebt.     Weitere  Untersuchungen  werden  darthun  müssen,  in- 


(179) 

wieweit  diese  Gegensätze  als  allgemein   gültig  für  die   Trennung  der  süd-   und  der 
mittelbrasilianischen  Stämme  anzusehen  sind. 

3)   Die  Gebeine  aus  der  Höhle  Babilonia. 

a)  Der  Schädel  No.  7  gehört  einem  Kinde  an,  bei  welchem  die  Eckzähne  eben 
wechseln  und  die  vierten  Backzähne  im  Durchbrechen  begriffen  sind.  Der  Schädel  ist 
hypsibrachycepbal  und  stark  prognath:  er  nähert  sich  also  auch  in  dieser 
Beziehung  der  südbrasilianischen  Form,  die  ich  oben  geschildert  habe.  Sämmtliche 
Knochen  des  Schädeldaches  sind  ausgiebig  entwickelt,  ganz  besonders  die  Hinter- 
hauptsschuppe. 

In  der  Seitenansicht  erscheint  die  Stirn  sehr  gerade  und  voll.  Die  Schädel- 
wölbung bildet  bis  zur  Mitte  der  Oberschuppe  des  Hinterhaupts  eine  ganz  gleich- 
massige  Curve.  Von  da  ab  senkt  sich  die  Hinterhauptsschuppe  in  einer  mehr  ein- 
fachen Linie  schräg  gegen  das  Hinterhauptsloch.     Die  Alae  temporales  breit. 

In  der  Nornia  occipitalis  erscheint  die  Basis  des  Schädels  schmal,  die  Seiten 
bis  in  die  Nähe  der  Tubera  parietalia  ziemlich  gerade,  das  Dach  gleichniässig  ge- 
wölbt.    Die  grösste  Breite  liegt  etwas  oberhalb  der  Schuppennaht. 

Auch  in  der  Basilaransicht  macht  der  Schädel  eher  den  Eindruck  der  Schmalheit. 
Das  Hinterhaupt  steht  ziemlich  weit  vor.  Das  Foramen  occipitale  magnum  ist  ganz 
schmal  und  lang. 

Das  Gesicht  ist  schmal.  Die  Orbitae  hoch.  Die  Nase  schmal,  ziemlich  lang, 
der  Rücken  etwas  flach.  Jederseits  am  Proc.  frontalis  ossis  zygomatici  an  der  Stelle 
der  Tuberositas  temporalis  ein  scharfzackiger,  nach  aufwärts  gerich- 
teter Fortsatz.  Der  harte  Gaumen  kurz  und  tief.  Der  Unterkiefer  ist  breit  und 
nach  rückwärts  wenig  geneigt.  — 

b)  Die  in  dem  Strickwerk  enthaltenen  Knochen  und  mumificirten  Weichtheile 
gehören  offenbar  mit  diesem  Schädel  nicht  zusammen.  Sie  sind  so  zart,  dass  sie 
von  einem  weit  jüngeren  Kinde  herstammen  müssen.  Das  Brustbein  z.  B.  ist  nur 
93  Mm.  hoch,  und  es  besteht  ausser  dem  getrennten  Proc.  xiphoides  noch  aus  3  durch 
Knorpel  getrennten  Stücken.  Die  Scapula  ist  79  Mm.  hoch  und  hat  56  in  der  gröss- 
ten  Breite.     Alle  Röhrenknochen  haben  noch  getrennte  Epiphysen. 

Das  Hauptinteresse  concentrirt  sich  daher  auf  die  äusseren  Verhältnisse  des 
Fundes.  Aeusserlich  liegt,  wie  schon  erwähnt,  ein  dichtes  Flechtwerk  von  Stricken, 
welche  sehr  kunstvoll  in  der  Art  angeordnet  sind,  dass  die  Stricke  in  parallelen 
Zügen  den  Körper  horizontal  umtingen.  Diese  horizontalen  Züge  sind  au  3  verschie- 
denen Stellen  durch  eine  vertikale,  in  geraden  Linien  herablaufende  Verkuotung,  die 
sich  wie  das  Brustbein  zu  den  Rippen  verhält,  zusammengehalten.  Um  das  Ganze 
schlingt  sich  ein  stärkerer  Strick.  Das  innere  Ende  eines  Strickes  umfasst  ein  Bündel 
langer  getrockneter  Pflanzenblätter,  welche  die  nächste  Umhüllung  der  Mumie  bilden. 
Von  letzterer  sind  ausser  der  Mehrzahl  der  Skeletknochen  noch  grosse  Abschnitte 
der  Haut,  namentlich  des  Rückens  und  der  üuterextremitäten  vorhanden.  Sie  sind 
gelbbräunlich,  brüchig,  ohne  irgend  eine  Spur  von  Einbalsamirung.  Das  Kind  ist  in 
hockender  Stellung,  mit  gebogenen  Armen  und  Beinen,  eingewickelt  worden.  Um 
das  eine  Knie  liegt  eine  feine,  dem  Anschein  nach  aus  Thiersehnen  gebildete  Schnur, 
einer  Darmsaite  ähnlich,  in  vielfacher  Umschuürung. 

c)  Die  unter  No.  9  eingelieferten  Skeletknochen  stammen  von  einem  älteren, 
jedoch  gleichfalls  noch  nicht  ausgewachsenen  Individuum.  Sie  könnten  möglicherweise 
zu  dem  Schädel  No.  7  gehören.  Ausser  einer  zum  grossen  Theil  zusammenhängenden 
Oberextremität  nebst  Schulterblatt  sind  eigentlich  nur  einige  Rippen  und  Wirbel  vor- 
handen.    Der  Arm  ist  im  Ellenbogen    vollständig  zusammengebogen    und  noch   zum 

12* 


(18Ö) 

Theil    mit   getrockneten   Weichtheilen    versehen.     Die  Knochen   des  Vorderarms   sind 
etwas  gekrümmt.     Beginnende  Verschmelzung  der  Epiphysen. 

4)  Die  Knochen  aus  der  Höhle  von  Macahe  sind  durchweg  Schädeldach- 
Knochen  von  Kindern  sehr  verschiedenen  Alters:  Stirnbeine,  Scheitelbeine  und  Hinter- 
hauptsschuppen, zum  Theil  von  ganz  zarten  Kindern.  Die  grösste  Schuppe  ist  patho- 
logisch: sie  ist  innen  in  grosser  Ausdehnung  von  dicken  osteophytischen  Lagern  be- 
deckt, die  von  zahlreichen,  tiefen  Gefässfurchen  durchzogen  sind;  ausserdem  ist  sie 
ganz  unsymmetrisch  entwickelt. 


Zum  Schluss  möge  hier  eine  tabellarische  Zusammenstellung  der  Maasse  sämmt- 
licher,  an  mich  gelangter  Schädel  stehen: 


c« 

OS 

ö 

C 

So 

03 

CS 

S 

ü 

o 

No  1. 

No.  2. 

Botokuden  (Poton). 


oa 


No.  3.   No.  4.  No.  5  !No.  6.    No.  7. 


1.  Capacität 

2.  Grösster  Umfang 

3.  Grösste  Höhe 

3a.  Meat.  audit.  bis  Scheitel   .    . 

4.  Foram.  occip.  bis  Font.  ant. 

5.  Foram.  occip.  bis  Font.  post. 
Ü.  Grösste  Länge 

7.  Sagittal-Umfang  d.  Stirnbeins 

8.  Länge  d.  Sut.  sagitt.      .     .     . 

9.  Sagittal-Ümf.  der  Sq.  occip.    . 

10.  Meat.  audit.  bis  Nasenwurzel 

11.  Meat.  audit.  bis  Spina  nasal. 

12.  Meat.  audit.  bis  Alveolarrand 

13.  Meat.  audit.  bis  Kinn    .    .     . 

14.  Foram.  occip    bis  Nasenwurzel 

15.  Foram.  occip.  bis  Spina  nas. 

16.  Foram.  occip.  bis  Alveolarrand 

17.  Foram.  occip    bis  Kinn      .     . 

18.  Foram.  occip.  bis  Prot,  occip. 

19.  Länge  d.  Foram.  occip.      .     . 

20.  Breite  d.  Foram.  occip.      .    . 

21.  Grösste  Breite 

22.  Oberer  Frontal-Durchmesser   . 

23.  Unterer  Frontal-Durchmesser 

24.  Temporal-Durchmesser   .     .    . 

25.  Parietal-Durchmesser 

26.  Mastoideal-Durchmesser{ 


27. 
28. 
29. 
30. 
31. 
32. 
33. 
34. 
35. 
36. 
37. 
38. 
39. 
40. 
41. 
42. 
43. 


d.  Spitzen 
[an  d.  Basis 

Jugal-Durchraesser 

Maxillar-Durchmesser 

Querumf  d.  Meat.  aud.  über  Font,  ant 

Breite  d.  Nasenwurzel 

Breite  d.  Nasenöffnung 

Höhe  d.  Nase 

Höhe  d.  Gesichts  (Kinn  bis  Nasenw.) 

Breite  d    Orbita 

Höhe  d.  Orbita 

Umfang  d.  Oberkiefers 

Umfang  d.  Unterkiefers      .... 
Medianhöhe  d.  Unterkiefers    .     .    . 

Höhe  d.  Kieferastes 

Entf.  d.  Kieferwinkel 

Entf.  d.  Gelenkfortsätze      .... 

Gesichtswinkel 

Diagonal-Durrhmesser 


1260 



1260 

1330 

1230 

1215 

494 

484 

487 

516,5 

511 

477 

471 

137 

— 

134 

143 

135 

123 

133,5 

121 

105,5 

115 

119 

116 

111 

111 

137 

— 

134 

144 

132 

123,2 

130 

128 

— 

113 

116 

116 

111 

119 

179 

175 

171,5 

185 

185,2 

167 

165 

120i 

121] 

120]^ 

'35  k, 

129] 

119] 
115^ 

117] 

112iS 

116^ 

iisU^ 

125^ 

ll9ii^ 

117  Ui 

120)'* 

-1 

1071^ 

112h- 

122|^ 

lllh' 

1161- 

106,5 

101 

103 

111 

104 

91 

88 

113 

100 

108 

112 

107 

89,5 

91 

120 

107 

114 

120 

112 

96 

96 

139 

117 

134 

137 

132 

101 

100 

103 

— 

101 

107 

100 

88,6 

86 

100 

— 

97 

98,2 

96 

80 

81 

104 

— 

100 

104 

98 

84 

82,4 

116,5 

— 

113 

113,5 

120 

88 

82 

51 

— 

44 

49 

57 

48 

54 

34 

— 

39 

39 

40 

37 

33 

29 

— 

33 

31 

28 

26 

22 

140 

132 

13fi 

137 

133 

130 

134 

55 

55 

67 

63 

60 

63 

54 

94 

91 

87 

94 

92 

92 

87 

113 

111 

115 

119 

116 

109 

100 

128 

124 

125 

128 

124 

126 

127 

100 

— 

103 

108 

101 

90 

95 

120 

— 

126,5 

133 

127 

105 

100 

140 

— 

139 

143,4 

143 

110 

105 

71 

63 

62,5 

59,6 

65 

55 

55 

304 

(2x154) 

308 

320 

308 

296 

312 

23,5 

21 

21,5 

21 

22 

19 

19 

27 

27 

22 

22 

26 

22 

19 

56 

46,5 

55 

54,5 

56 

43 

42 

123 

102 

121 

120 

108 

95 

91,5 

42 

38 

39 

44 

41 

37 

32 

37,4 

37 

35 

35,5 

33 

31 

3i,4 

143 

130 

140 

135 

144 

115 

120 

193 

— 

195 

190 

203 

152 

145 

33 

27 

34 

35 

30 

25 

24 

73 

— 

74 

74 

79 

48 

43 

92 

— 

100 

93 

108 

82 

72 

\   105 

— 

101 

110 

102 

88 

85 

i  65 

70 

69 

70 

68 

77 

71 

04, 

218 

235 

240 

238 

205 

206 

(181) 

Wir  haben  in  diesen  Ergebnissen  ein  gewisses  grundlegendes  Material  für  die 
Ordnung  der  so  verwickelten  Stammesverhältnisse  der  brasilianischen  Indianer  ge- 
wonnen. So  schätzbar  dasselbe  ist,  so  ist  es  doch  noch  immer  ganz  ungenügend, 
um  eine  gesicherte  Auschauuug  zu  gewähren.  Das  ungeheure  Gebiet  des  Amazonas 
und  seiner  Nebenströrae  ist  nur  durch  den  einen  Guyana-Schädel  betheiligt,  und 
selbst  dieser  ist  so  defekt,  dass  er  erst  Werth  erlangen  wird,  wenn  eine  Reihe  anderer, 
besser  erhaltener  aus  demselben  Gebiete  zur  Vergleichung  vorliegen  wird. 

Was  wir  bis  jetzt  haben,  das  sind  nur  Anfänge,  und  es  wird  nothwendig  sein, 
dass  wir  weiteres  Material  erhalten.  Aber  ich  hoffe,  dass  unsere  Forschungen  durch 
die  mächtige  Unterstützung,  die  wir  gefunden  haben,  auch  in  Zukunft  die  nöthige 
Förderung  gewinnen  werden. 

Zufällig  habe  ich  heute  eine  Mittheilung  unseres  correspondirenden  Mitgliedes, 
Hrn.  Hartt  empfangen,  der  mir  aus  Rio  meldet,  er  sei  durch  das  brasilianische 
Gouvernement  zum  Chef  einer  geologischen  Exploration  des  Kaiserreiches  ernannt 
worden,  in  welche  Untersuchung  zugleich  das  Studium  der  Alterthümer  des  Landes 
und  auch  das  der  lebenden  Stämme  eingeschlossen  sei.  Auch  er  gedenkt  sich  zu- 
nächst zu  den  Botokuden  zu  wenden.  Es  ist  das  ein  sehr  erwünschter  Schritt,  den 
die  brasilianische  Regierung  gethan  hat.  Hr.  Hartt  gehört  wohl  zu  den  fleissigsten 
und  intelligentesten  Amerikanern,  und  ich  glaube,  dass  wir  von  ihm  erwarten  dürfen, 
er  werde  nicht  nur  im  Interesse  der  Geologie,  sondern  auch  in  dem  der  Anthropologie 
seine  Studien  machen.  Stände  ihm  ein  Mann,  wie  Hr.  .Keller-Leuzinger  zur  Seite, 
so  Hesse  sich  hoffen,  dass  wir  auch  in  Bezug  auf  die  bildliche  Darstellung  dieser 
untergehenden  Stämme  ein  Material  erhielten,  welches  für  alle  Zukunft  als  ein  Archiv 
der  Forschung  dienen  könnte,  auch  noch  zu  einer  Zeit,  wo  die  brasilianischen  Indianer 
gänzlich  vernichtet  sein  werden.  — 

(10)     Geschenke: 

1)  Gongres  international  d'authropologie  etc.     Compte  rendu  de  la  4"'«   Session. 
Copenhague  1875. 

2)  Kopernicki:  The  prehistoric  antiquities  of  the  Caucasus. 

3)  Engelhardt:    Klassisk  Industri   og  Kulturs  betydning  for  Norden  i  Oltiden 
Kjoebnhavn  1875. 

4)  Ecker:   Ueber  eine  menschliche  Niederlassung  aus  der  Renthierzeit  im  Löss 
bei  Munzingen.     Braunschweig  1875.    4. 

5)  Photographische  Ansichten  aus  Formosa,  von  Hrn.  Dr.  Obst  in  Leipzig. 

6)  Photographisches  Portrait    eines    Santal-Indiers,    von    Hrn.    Ramtschandra 
Pradan  hierselbst. 


Sitzung  vom  17.  Juli  1875. 
Vorsitzender  Herr  Vircliow. 

(1)  Das  Programm  zu  der  am  9.  bis  11.  August  in  München  stattfindenden 
sechsten  allgemeinen  Versammlung  der  deutschen  anthropologischen  Gesell- 
schaft wird  vorgelegt. 

(2)  Der  Hr.  Cultusminister  übersendet  unter  dem  14.  d.  M.  ein  Schreiben, 
worin  ermittheilt,  dass  die  eingegangenen  Speciallisten  über  die  Schulerhebungen 
wegen  der  Farbe  der  Haare,  der  Augen  und  der  Haut  zur  weiteren  Bearbeitung  an 
das  Königliche  statistische  Bureau  übergeben  seien. 

(3)  Professor  W.  D.  Whitney  überreicht  im  Namen  des  Dr.  J.  V.  Hayden, 
Chief  of  the  ü.  S.  Geogr.  and  Geolog.  Survey  of  the  Territories,  17  photographische 
Ansichten  prähistorischer  Ruinenstätten,  welche  letzterer  1874  im  Thale  des 
Mancos  River,  in  der  südwestlichen  Ecke  des  Territoriums  Colorado,  entdeckt  hat. 

(4)  Hr.  Virchow  zeigt  einen,  ihm  von  Hrn.  Prestel  in  Emden  übersandten, 
daselbst  gefundenen 

Flossenstrahl  vom  Wels. 

Nach  der  Mittheilung  wurde  der  sehr  sonderbar  gestaltete  Knochen  in  der  Stadt 
Emden  beim  Brunnengraben,  30  Fuss  tief  in  blauem  Schlick,  in  gewachsenem  Boden 
gefunden.  Allerdings  wurde  auf  meine  Nachfrage  die  Möglichkeit  zugestanden,  dass 
in  dieser  Richtung  das  alte  Ems-Bett  gegangen  sei. 

Der  mir  übergebene,  sehr  frisch  aussehende,  an  der  Spitze  abgebrochene  Knochen 
ist  13,.5  Centm.  lang,  an  dem  einen  Ende  mit  groben  Gelenkvorrichtungen  versehen, 
sonst  glatt  und  au  beiden  Kanten  mit  sehr  dichtstehenden  Sägezähnen  besetzt.  Hr. 
Peters  hatte  die  Güte,  ihn  als  den  äussersten  Flossenstrahl  aus  der  Brustflosse  eines 
Wels  und  zwar  eines  ausländischen,  wahrscheinlich  brasilianischen,  zu  bestimmen. 
Er  sowohl,  als  die  Geologen,  welchen  ich  denselben  vorlegte,  hielten  ihn  nicht 
für  fossil. 

(5)  Herr  E.  Friede; I  legte  verschiedene,  dem  Märkischen  Provinzial-Museum 
gehörige,  neuerworbene  Gegenstände  vor: 

a.  Einen  grossen  Steinkeil,  anscheinend  Granit,  273()  Gramm  schwer,  18  Centm. 
lang,  bei  Anger  münde,  Kreis  Angermünde,  gefunden.  Der  Keil,  Nr.  II, 
2141  des  Museums-Catalogs,  welcher  anscheinend  pnlirt  gewesen  ist,  gehört 
zu  den  auffallendsten   und   ungewölinlichsteu  Stücken  ähnlicher  Art  in  Nord- 


C183) 

Deutschland  und  erinnert  an  ähnliche  Werkzeuge,  wie  sie  in  den  vorgeschicht- 
lichen Kupferminen  am  Obern  und  Michigan-See  in  Kanada  gefunden  werden, 
hl  die  Rille,  die  näher  dem  stumpfen  Ende  zu  um  den  vorn  axtförmig  ge- 
schärften Keil  läuft,  scheint  ein  gabclfrirmlgcr  Zweig  als  Schaft  gepasst  zu 
haben.     Abbildung  in  '/<  Grösse  ist  beigefügt. 


b.  Zwei  Hacken  aus  Stein  mit  conischer  Durchbohrung;  die  eine  anscheinend 
Serpentin:  21  Ctm.  lang,  bis  8  Ctm.  breit,  an  der  Schneide  4  Cm.  hoch;  die 
andere  anscheinend  Kieselschiefer:  19  Ctm.  lang,  bis  7  Ctm.  breit,  durchgängig 
4  Ctm.  hoch.  Geschenke  S.  K.  Hoheit  des  Prinzen  Karl  von  Preussen.  Die 
Umrisse  der  1300,  resp.  1200  Gramm  schweren,  mit  senkrechter  Schneide  ver- 
sehenen Werkzeuge  sind  unsymmetrisch  und  bezeugen,  wie  man  besonders 
bei  Herstellung  grösserer  Steininstrumente  zur  Ersparung  der  mühsamen  Her- 
stellung der  benöthigten  äusseren  Form  gern  Steine  auflas  und  auswählte,  die 
bereits  ungefähr  der  gewünschten  Gestalt  entsprachen.  Sie  stammen  von  der 
vielerwähnten  Fundstelle  bei  Kohlhasenbrück,  nahe  Potsdam,  die  be- 
reits Eisen-,  Bronce-  und  Knochen-Geräthe  und  auch  einen  alten  gläsernen 
Gnidelstein  geliefert  hat,  der  sich  im  hiesigen  K.  Museum  befindet,  früher  für 
einen  Theerklumpen  gehalten  wurde,  bis  unser  Mitglied  Herr  Voss  seine  wahre 
Natur  erkannte,  und  der  an  die  gläsernen  Gnidelsteine  von  Björkö  (Schweden) 
aus  dem  12.  Jahrhundert  erinnert.  Eine  systematische  Untersuchung  der  Kohl- 
hasenbrücker  Fundstelle  scheint  von  berufener  Hand  leider  noch  immer  nicht 
vorgenommen  zu  sein. 

c.  Zwei  durchbohrte  Steinhämmer,  beim  Abbruch  eines  (wie  es  scheint,  des  Zin- 
naer) Thors  in  Jüterbogk,  in  der  Nähe  der  Fundamente,  gefunden.  Der 
kleinere  Hammer  ist  8  Ctm.  lang,  bis  4,5  Ctm.  breit,  3,5  Ctm.  an  der  Schneide 
hoch,  das  Bohrloch  einerseits  0,023  M.,  andrerseits  0,022  M.,  in  der  Mitte  nur 
0,018  Mm.  im  Durchmesser,  das  Loch  mehr  nach  der  stumpfen  Seite.  —  Der 
grössere  Hammer,  dessen  Abbildung  in  ^  Grösse  gegeben  ist,  ist  anscheinend  von 


(184) 

Diorit,  14  Cm.  lang,  bis  6  Ctm.  breit,  4  Ctru.  an  der  Schneide  hoch.  Die 
cylindrische  Durchbohrung  liegt  mehr  nach  der  Mitte  zu  und  hat  0,022  M. 
Durchmesser.  Das  Stück  hat  elegante  Verhältnisse,  erinnernd  an  die  Formen 
von  Steinwerkzeugeu,  welche  die  Dänen  als  Nachahmungen  bronzener  Vorbilder 
ansehen  und  ist  ausgezeichnet  durch  eine  federkielartige  Gravirung  auf 
der  Oberfläche  zwischen  dem  Bohrloch  und  dem  stumpfen  Ende.  Diese  Ver- 
zierung macht  das  Stück  zu  einem  der  seltensten,  welche  überhaupt  in  der 
Literatur  bekannt  sind. 

2  Handgelenkringe  und  2  grössere  Ringe,  Bronzefund  aus  der  Gegend  von 
Cottbus,  Nr.  IL  2212  und  2213,  resp.  2210  und  2211  des  Catalogs,  aus  der 
Sammlung  des  Gymnasiums  zu  Cottbus  stammend.  Die  Handgelenkringe  sind 
innen  concav  und  wohl  gefüttert  gewesen,  die  convexen  Aussenseiten  sind  mit 
senkrechten  und  schrägen  Strichen,  etwa  den  Ringeln  einer  aufgerollten  Schlange 
entsprechend,  verziert.  Die  grosse  Axe  des  innern  Ovals  dieser  Ringe  beträgt 
55,  resp.  60  Mm.,  die  grosse  Axe  des  innern  Ovals  der  beiden  andern  Ringe 
ca,  100  Mm.  Diese  letzteren  Ringe  sind  aus  einem  Bronzestab  dadurch  ge- 
bildet, dass  man  diesen  um  seine  Axe  gewunden  und  gekrümmt  hat.  "Wie 
die  beiden  kleineren  Ringe,  sind  die  grösseren  nicht  geschlossen  und  an  den 
beiden  sich  nähernden  Enden  mit  einigen  eingeritzten  Strichen  versehen,  die 
mit  dem  Querdurchschnitt  der  Ringe  parallel  laufen.  —  Ganz  besonders  aus- 
gezeichnet sind  die  beiden  grossen  Ringe  dadurch,  dass  sie  nicht  rund,  sondern 
auf  der  unteren  Seite  vollkommen  platt  sind.  Gleichzeitig  ist  diese  Unter- 
seite roh  und  ohne  Verzierung.  Es  erhellt  hieraus,  dass  diese  2  Ringe, 
obwohl  auf  den  Arm  passend,  nicht  dort  getragen  worden  sind. 

Vielmehr  entsprechen  diese  Ringe  in  gewisser  Hinsicht  den  Armillae, 
welche  die  römischen  Chargirten  neben  den  Phalerae  als  Auszeichnung 
zu  tragen  pflegten,  üeber  dem  Panzer  oder  dem  Waffenrock  war  ein  Riemen- 
werk angebracht,  auf  welches  die  unten  platten  Ringe,  gewöhnlich  ihrer  zwei 
zuoberst,  und  alsdann  die  Scheiben  der  Phaleren  geschnallt  oder  genäht  wurden. 
Ich  habe  erst  vor  wenigen  Wochen  Gelegenheit  genommen,  an  den  römischen 
Leichensteinen  des  Mainzer  Museums  diese  Befestigungsart  zu  sehen.  Linden- 
schmit,  heidn.  Alterth.  I.  Heft  4,  Tafel  VI  bildet  einen  Adlerträger  der  XIV. 
Legion  ab,  der  zwei  ganz  ähnliche  Ringe,  die  offenen  Enden  nach  unten  über 
dem  Waffenrock  und  derLorica  ex  annulis  (ferrea  tunica)  trägt.  Lindenschmit 
bemerkt  dazu:  „Die  Art  der  Befestigung  und  die  Form  der  beiden  offenen, 
an  ihren  Enden  geknöpfelten  Ringe,  armillae,  ist  deutlich  genug,  um  in  ihnen 
genau  dieselbe  Gestaltung  zu  erkennen,  die  sich  bei  einer  grossen 
Anzahl  von  Erzringen  aus  deutschen  Grabhügeln  findet."  —  Auch 
auf  dem  nicht  minder  im  Mainzer  Lapidarium  befindlichen  Gedenkstein  des 
Manius  Cälius  finden  wir  2  grosse  Erzringe,  die  Brust  über  dem  Panzer  zierend. 
Es  handelt  sich  hier  um  ein  leeres  Grab  (Kenotaphium),  indem  Manius  Cälius 
im  Feldzuge  des  Vurus,  wahrscheinlich  bei  der  Schlacht  im  Teutoburger  Walde 
gefallen  und  sein  Leichnam  mit  vollem  Kriegsschmuck  in  die  Hände  der  Ger- 
manen gefallen  war.  Es  mögen  in  ähnlicher  Weise  Originale  der  römischen 
Kriegs-Arraillen  öfters  in  germanische  Hände  gefallen,  vielleicht  auch  im  Han- 
delswege nach  Germanien  gerathen  sein,  wie  denn  gerade  die  Cottbuser  Gegend 
an  Kaisermünzen  der  ersten  zwei  Jahrhunderte  nicht  arm  ist.  —  Die  Arbeit  der 
fraglichen  zwei  Ringe  von  Cottbus  ist  ziemlich  ursprünglich  und  die  Möglich- 
keit, dass  die  Barbaren  dergleichen  Hinge  nachahmten,  nicht  ausgeschlossen. 
Nachahmten,  denn  der  bestimmte  conventioneile  Gebrauch,  den  diese  Ringe 


(185) 

schon  lange  bei  den  Römrin  liatten,  fterechligt  wohl  zu  der  Annahme,  dass 
die  rötiiisclien  Ringe  die  Vorbilder  für  die  germanischen  gewesen  seien.  Immer- 
hin wird  es  verlohnen,  dieser  Form  der  abgeplatteten  Ringe,  die  auch  bei 
den  nordischen  Völkern  in  ähnlicher  Weise,  wie  bei  den  Italikern  getragen 
sein  werden,  weiter  nachzuforschen.  Bis  jetzt  scheint  der  erwähnte  Typus  ein 
seltener  zu  sein. 
6.  Drei  eiserne  Pfeilspitzen  von  den  städtischen  Rieselfeldern  bei  Osdorf  und 
Friederikeukof,  Kreis  Teltow,  Geschenke  des  Administrators  Mumme. 
Sie  sind  weidenblattförmig,  mit  dem  Halse  134,  resp.  133  und  132  Mm.  lang, 
an  der  breitesten  Stelle  31  Mm.  breit.  Das  Elisen  ist  weich,  der  Hals  selbst 
40  Mm.  lang,  dünn  und  die  conische  Höhlung  im  grössten  Durchmesser  nur 
G  Mm.  weit,  so  dass  nur  ein  sehr  schwacher  Pfeilschaft  hineinpasste,  wahr- 
scheinlich um  das  Abbrechen  zu  erleichtern.  Die  Form  ist  eine  nicht  häufige 
und  wahrscheinlich  noch  in  die  heidnische  Zeit  (letzte  Epoche  des  Eisenalters) 
gehörig.  Die  Erhaltung  des  Eisens  ist  eine  gute  und  wohl  dem  sehr  durch- 
lässigen und  trocknen  Sande,  in  dem  es  eingebettet  war,  zu  verdanken.  Nach 
der  zutreffenden  Feststellung  von  Dr.  Joseph  F^mele  (Beschreibung  römischer 
und  deutscher  Alterthümer,  Mainz  1833)  erhalten  sich  die  Eiseusachen  in 
wunderbarer  Frische  alsdann  besonders,  wenn  sie  in  der  Asche  verbrannter 
oder  verkohlter  Gegenstünde  gelegen  haben.   — 

Hr.  Hartman  n  bemerkt,  dass  Ringe,  wie  der  von  Hrn.  Friedel  vorgezeigte, 
anscheinend  zur  Decoration  für  einen  römischen  Centurio  gehörende,  ihn  an  die  bei 
den  Denka  der  Ostufer  des  weissen  Niles  üblichen  eisernen  Zierrathen  erinnerten. 

Hr.  Virchow  hat  ähnliche  Ringe  öfters  an  Oberarmbeinen  aus  deutschen  und 
fremden  prähistorischen  Grabstätten  bemerkt. 

Hr.  Friedel  macht,  zur  Stützung  seiner  Ansicht,  darauf  aufmerksam,  dass  seine 
Ringe  nur  auf  einer  Seite  skulpirt,  auf  der  anderen  glatt  und  abgerieben  seien. 

(6)  Hr.  Liebreich  übersendet  der  Gesellschaft  eine  von  ihm  in  London  käuf- 
lich erworbene  Bronzestatuette  aus  Ostasieii  als  Geschenk. 

(7)  Hr.  Hermann  "W.  Vogel    hält  einen  Vortrag  über 

die  llewolmer  der  Nicobaren. 

Indem  ich  Einiges  aus  meinen  Erlebnissen  und  Beobachtungen  auf  den  Nicobaren 
mittheile,  ist  es  nicht  meine  Absicht,  das  zu  wiederholen,  was  ich  bereits  in  für  das 
grosse  Publikum  bestimmten  Aufsätzen  publizirt,  oder  was  Ihnen  aus  den  trefflichen 
Schilderungen  eines  Rosen,  Rink,  Busch,  Scherzer  schon  bekannt  ist,  sondern 
ich  gedenke  mich  auf  diejenigen  Daten  von  anthropologischem  und  ethnographischem 
Interesse  zu  beschränken,  die  ich  in  ilen  Publikationen  gedachter  Autoren  nicht  er- 
wähnt finde,  oder  die  von  den  Angaben  jener  Forscher  abweichen. 

Ich  besuchte  die  Nicobareu  unter  günstigeren  Umständen,  als  die  genannten  For- 
scher. Seit  IXOil  ist  eine  grosse  Veränderung  mit  den  Nicobaren  vorgegangen.  England 
hat  die  1848  von  den  Dänen  aufgegebeneu  Inseln  okkupirt,  auf  der  mittlem  derselben, 
Camorta,  eine  (iefangeuenkolonie  angelegt  als  Filiale  des  gi-ossartigen  Convict  settlement 
auf  den  AMdamaneninsehi,  und  thinh  friMiiKlIiclie  lieliamllung  die  frühere  Europäer- 
furclit  der  Eingebornen    verscheucht.     Scherzer    erklärt  in  seinem   Buche,    p.  441: 


(186) 

„Ueber  das  gesellige  Leben  der  Nicobaren,  ihr  Verhältniss  zur  Familie  sind  uns 
bei  unserm  kurzen  Aufenthalte  und  dem  Umstände,  dass  Weiber  und  Kinder  stets 
entflohen  waren  —  so  wenig  und  unsichere  Daten  bekannt  geworden,  dass  wir  nicht 
wagen,  dieselben  zu  veröffentlichen."  Unsere  Expedition  (1875)  fand  dagegen  bei  der 
jetzt  herrschenden  Vertraulichkeit  Gelegenheit,  einen  Einblick  in  das  innere  Leben 
der  Nicobaren  zu  gewinnen,  der  Scherz  er  nicht  vergönnt  war.  Freilich  habe  ich 
nur  einen  kleinen  Theil  meiner  Zeit  dem  Studium  der  Inseln  widmen  können. 
Eine  Aufgabe  ganz  andrer  Art  —  spektroskopische  und  photographische  Sonnen- 
iinsternissbeobachtungen  —  führte  mich  auf  jene  vom  Weltverkehr  abgelegene  Insel- 
gruppe. Unter  vielen  Hindernissen  wurde  diese  Expedition  ausgeführt.  Schlechtes 
Wetter,  mangelhafte  Dispositionen,  Chicanen  von  Seiten  eines  Beamten,  ungenü- 
gende Ausrüstung  und,  was  damals  das  Schlimmste  war,  Krankheiten  suchten  die 
Expedition  in  empfindlicher  Weise  heim  und  die  Hauptaufgabe  derselben  scheiterte 
durch  Wetterungunst  vollständig.  Unter  solchen  Umständen  blieb  mir  wenig  Müsse 
zu  Nebenstudien,  die  sich  auf  drei  der  Nicobareninseln,  Camorta,  Nancowry  und 
Trinkut  beschränkten,  welche  in  der  Mitte  der  Gruppe  liegend,  einen  trefflichen 
Hafen  zwischen  sich  einschliesseu,  der  die  Ursache  sein  mag,  dass  alle  Colonisations- 
versuche,  die  seit  Jahrhunderten  unternommen  wurden,  auf  diese  drei  Inseln  beschränkt 
blieben.  Die  Nicobaren  sind  von  einer  nach  Rink  in  der  Mitte  zwischen  Malayen  und 
Birmesen  stehenden  Völkerschaft  bewohnt,  von  hellbrauner  Hautfarbe,  etwas  dunkler 
als  Malayen,  mit  schwarzen  schlichten  Haaren,  seltenem  dünnem  Bart,  braunen  Augen, 
wenig  zurückfallender  Stirn,  etwas  aufgeworfenen  Lippen,  breitnasig,  von  Gestalt 
wohlgewachsen  und  an  Grösse  dem  Europäer  gleichkommend,  —  ein  Völkchen,  das 
schon  vielfach  das  Interesse  der  Forscher  in  Anspruch  genommen  hat  und  dessen 
anthropologische  Verhältnisse  von  der  Novaraexpedition  schon  gründlich  ausgeforscht 
worden  sind.  Dieselbe  hat  an  Kopf,  Rumpf  und  Extremitäten  der  Nicobaresen  zahl- 
reiche Messungen  gemacht,  Kopfhaare  gesammelt,  Kraftproben  mit  dem  Dynamometer 
angestellt  und  sogar  Schädel  mitgebracht.  Statt  mich  auf  detaillirte  Beschreibung 
der  Race  einzulassen,  zeige  ich  hier  meine  nur  sehr  bescheidenen  Errungenschaften 
d.  h.  einige  Photographien,  die  ich  an  Eingebornen  Face  und  Profil  unter  sehr 
ungünstigen  Verhältnissen,  ohne  Kopfhalter  aufgenommen  habe  und  die  vielleicht  in 
sofern  von  Interesse  sind,  als  sie  in  ihrer  Entstehungsart  eine  Garantie  für  die  treue 
Wiedergabe  bieten,  eine  Garantie,  die  eine  Zeichnung  niemals  geben  kann. 

Ich  habe  mich  dabei  bemüht,  nur  Individuen  von  reiner  Race  auszuwählen. 
Wenn  mir  dieses  gelang,  so  verdankeich  es  Herrn  de  Roepstorff,  einem  gebornen 
Dänen,  der  auf  diesen  Inseln  längere  Zeit  als  Chef  der  daselbst  errichteten  Gefangenen- 
kolonie gelebt,  sich  die  Sprache  der  Eingebornen  angeeignet,  über  dieselbe  ein  treff- 
liches Wörterbuch  publizirt  hat  und  mit  denselben  auf  freundschaftlichstem  Fusse 
steht.  Roepstorff  war  bei  meinen  Ausflügen  mein  steter  Begleiter,  der  mich  auf 
tausend  interessante  Dinge  aufmerksam  machte,  mein  Dolmetscher  und  Helfer,  der 
mir  rasch  die  Freundschaft  der  Natives  gewinnen  half;  ihm  bin  ich  verpflichtet  für 
Alles,  was  ich  hier  vorlege. 

Leider  sind  die  wenigen  photographischen  Platten  durch  den  Transport  erheblich 
beschädigt  und  einzelne  Negative  zerbrochen,  jedoch  in  der  Hauptsache  die  Figur 
erhalten.  Die  Aufnahme  der  weiblichen  Individuen  dürfte  in  sofern  Werth  haben, 
als  Scherzer  bei  der  zu  seiner  Anwesenheit  noch  herrschenden  Europäerscheu  der 
Nicobaresen  nur  sehr  wenige  weibliche  Individuen  zu  Gesicht  bekam.  Bei  den  Photo- 
graphien wurde  ein  improvisirter  Maassstab,  so  gut  es  eben  ging,  mit  aufgenommen. 
Mangels  eines  Kopfhaitors  Hess  ich  die  Modelle  d(;n  Kopf  gegen  einen  Pfahl  stützen 


(187) 

und  war  in  dieser  Situation    genöthigt,    beiiiifs    der  Profilaufnahme    den  Standpunkt 
der  Camera  zu  wechseln. 

Neben  den  Nikobaresen  fanden  sich  noch  mehrfach  Malayen  auf  der  Insel;  es 
sind  Abkömmlinge  derselben,  aus  Kreuzung  mit  Nikobaresen  hervorgehend,  nicht  eben 
selten.  Sie  erblicken  solche  auf  den  vorgelegten  Jülderu.  Leider  ist  ein  Theil  der 
von  mir  aufgenommenen  Platten  noch  nicht  in  meinen  Händen.  Sie  befinden  sich 
noch  bei  meinem  Expeditionsgei^äck  in  England.  Dafür  kann  ich  glücklicher  Weise 
einige  Ersatzbilder  vorlegen,  die  mein  Expeditionskollege  Waterhouse  von  denselben 
Gegenstänjjen,  wie  ich,  aufgenommen  hat.  Er  hatte  sich  nur  ethnographische  Aufnahmen 
zum  Ziel  gesetzt,  die  er  ausschliesslich  nach  dem  gewöhnlichen  nassen  Verfahren 
fertigte.  Ich  nahm  mir  dagegen  anthroplogische  und  landschaftliche  Aufnahmen  zum 
Vorwurf,  wobei  icli  zugleich  den  Werth  eines  noch  neuen  Trockenplattenverfahrens, 
welches  dem  Forscher  grosse  Dienste  zu  leisten  verspricht,  festzustellen  suchte,  und 
welches  sich  in  der  That  bewährt  hat,  wenn  auch  die  Resultate  nicht  so  vollkommen 
sind,  als  die  mit  dem  gewöhnlichen  nassen  Verfahren.  In  voller  Figur  habe  ich,  abge- 
sehen von  den  ethnographischen  Bildern,  nur  ein  Individuum  aufgenommen,  welclies  an 
Elephantiasis  litt,  einer  unter  jenem  Völkchen  öfter  vorkommenden  Krankheit.  In  Bezug 
auf  die  Bilder  sei  hier  noch  bemerkt,  dass  gewisse  Abnormitäten,  wie  der  etwas  flache 
Hinterschädel  der  Nicobaresen  und  der  aufgeworfene  Mund  nichtNatur,  sondernKunst  sind. 
Die  Eingebornen  pflegen  den  Schädel  ihrer  oft  ganz  wohlgebildeten  Kinder  mit 
einem  Brett  flach  zu  pressen  und  ihren  Mund  durch  das  bekannte  Betelkauen  zu 
entstellen.  Die  Vorderzähne  werden  dadurch  locker,  bedecken  sich  mit  einer  dicken 
Kruste,  neigen  sich  nach  vorn  und  solches  in  einem  Grade,  dass  die  betreffenden 
Individuen  den  Mund  nicht  mehr  schliessen  können.  Ihre  Ohrlappen  pflegen  sie 
zu  durchbohren,  und  in  die  grossen  Löcher  alles  Mögliche  zu  stecken,  was  man 
ihnen  schenkt!  Cigarren  (Männer  und  Weiber  rauchen  Cigaretteu),  Holzpflöcke, 
Präparaten -Gläser,  leere  Patronen,  Zabnstoclier,  sogar  Tuchlappen  und  Pflanzen- 
blätter. Nach  den  Beschreibungen  der  übrigen  Inseln  zu  urtheilen  ist  es  zweifellos, 
dass  das  Gesammtvolk  des  Archipels  derselben  Rasse  angehört,  nur  auf  der  grössten, 
aber  am  wenigsten  bekannten  Lisel  des  Archipels,  Great  Nicobar,  soll  noch  eine 
zweite  Völkerschaft  existiren,  die  Scherzer  nur  vom  Hörensagen  kennt, 
kraushaarig,  wild,  schwarz,  von  Schlangen,  Ungeziefer,  Wurzeln  und  Kräutern  lebend. 
Auch  auf  der  nördlichen  Insel,  Gar  Nicobar,  soll  ein  besonderer  Menschenschlag  hausen, 
eine  Behauptung,  die  im  höchsten  Grade  unwahrscheinlich  ist. 

Anders  ist  es  mit  der  räthselhaften  Völkerschaft  in  Great  Nicobar,  den  sogenannten 
Shobaengs. 

Von  diesen  Shobaengs  hat  de  Roepstorff  neuerdings  ein  Specimen  zu  srhen 
Gelegenheit  gehabt,  vielleicht  das  erste,  welchem  ein  Europäer  begegnete.  ,Es  war", 
sagt  Roepstorff,  „ein  grosser  kräftiger  Junge,  ebenso  wohlgebaut  als  die  Nancowry- 
leute,  von  offenbar  mongolischem  Aussehen,  namentlich  mit  sehr  bestimmten  kleinen, 
schiefstehenden,  mongolischen  Augen.  Der  untere  Theil  des  Gesichts  trat  mehr  her- 
vor, als  bei  den  Nancowryleuten,  flar  Hinterschädel  uar  nicht  künstlich  abgeflacht." 
Roepstorff  sieht  auch  die  Einwohner  von  Schowra  als  eine  besondere  Rasse  an. 
Diese  Insel  ist  die  einzige,  wo  etwas  Industrie  herrscht.  Die  Einwohner  fertigen 
Töpfe  und  vertauschen  diese  au  die  Bewohner  der  übrigen  Inseln  gegen  Boote,  Fisch- 
fpeere.  Diese  Bewohner  von  Schowra  nennt  Roepstorff  „Tatat".  Sie  zeigen  eben- 
alls  schiofgeschlitztc  .Vngen  und  Roepstorff  meint,  dass  beide  Völker  Ueberreste 
der  alten  inongnli.schen  ürcinwolmcr  der  Inseln  seien,  «lio  durch  die  Nicobaresen 
später  verdrängt  worden  sind. 

Sämmtliche  Inseln  ohne  Ausnalmuj  sind   scbwach    bevölkert.     Das  Volk  auf  Car 


088) 

Nicobar  ist  das  zahlreichste  und  wohlhabendste.  Ein  Manu  gilt  als  reich  auf  den 
Nicobaren,  wenn  er  400  Rupien,  viel  Schweine,  viel  Kokusnüsse  und  viel  Kinder  hat. 
Die  geringe  Zahl  der  Kinder  hat  mich  vielfach  überrascht.  Viele  Familien  haben 
deren  gar  keine,  andere  2  oder  o.  Eine  Familie  mit  4  oder  mehr  Kindern  ist  selten. 
Mädchen  sind  seltner  als  Knaben  und  dieses  mag  der  Grund  sein,  dass  das  Weib 
auf  diesen  Inseln  höher  geschätzt  wird,  als  bei  allen  andern  Völkern  Asiens.  Trotz 
des  Weibermangels  habe  ich  nichts  von  Polyandrie  gehört,  Polygamie  verbietet  sich 
von  selbst. 

Die  Mädchen,  welche  jung  nicht  eben  hässlich  sind,  heirathen  mi^  13  his  15 
.Jahren,  sie  werden  nicht  verkauft,  sondern  haben  die  Freiheit,  den  Bewerber  zu 
nehmen  oder  zurückzuweisen,  sie  bekommen  sogar  eine  kleine  Mitgift  von  Schweinen, 
Kokosnüssen  und  Pandanusbäumen.  Das  Merkwürdige  aber  ist,  dass  das  Weib 
nicht  zum  Manne  zieht,  sondern  umgekehrt  der  Mann  in  die  Hütte  des  Weibes  oder 
die  ihrer  Eltern,  und  so  kommt  es,  dass  Eltern,  die  nur  Söhne  haben,  ihr  Haus  mit 
der  Zeit  leer  werden  sehen,  während  der  Vater  mehrerer  Töchter  seinen  Haus- 
stand durch  Heirath  fortwährend  wachsen  sieht.  Das  Weib  ist  des  Nicobaresen 
Lebensgefährtin  in  der  besten  Bedeutung  des  Wortes,  nicht  Sklavin,  wie  sonst  im 
Orient;  stirbt  der  Vater,  so  ist  die  Mutter  Herrin  des  Hauses  und  wird  als  solche 
anerkannt.  Wird  ein  Weib  schwanger,  so  wird  sie  und  ihr  Mann  von  allen  Arbeiten 
dispensirt.  Sie  besuchen  dann  ihre  Verwandten,  werden  festlich  überall  empfangen 
und  die  Frau  gewöhnlich  veranlasst,  etwas  Samen  in  die  Gärten  zu  säen,  welche  sie 
besitzen,  man  hofft  von  solcher  Saat  grosse  Fruchtbarkeit. 

Kinder  lieben  sie  zärtlich,  nicht  nur  ihre  eigenen,  sondern  auch  fi-emde.  —  Ich 
fand  Malayen  und  einen  jVladrasboy,  welche  durch  Schiffbruch  nach  diesen  Inseln 
verschlagen  und  von  den  Eingebornen  freundlich  aufgenommen  und  aufgezogen  worden 
waren.  Ebenso  gross  ist  die  Liebe  der  Kinder  zu  ihren  Pflegern.  Alte  Leute,  die 
viel  Kinder  haben,  leiden  daher  keine  Noth.  Untreue  der  Weiber  ist  in  einer  Nico- 
baresenehe  selten.  Häufiger  sind  Trennungen  bei  Unfrieden.  Verheirathet  sich  dann 
ein  Theil  wieder,  so  werden  die  Stiefkinder  stets  zu  Verwandten  gegeben,  niemals 
in  die  neue  Ehe  hineingebracht. 

Ueber  ihre  staatliche  Organisation  habe  ich  nichts  in  Erfahrung  bringen  können 
und  vermuthe,  dass  solche  überhaupt  nicht  existirt.  Es  giebt  kein  Oberhaupt  und 
keine  Untergebenen  oder  Unterthanen,  keine  Abgaben,  keine  Polizei,  keine  Gemeinde- 
verpflichtungen. 

Die  sogenannten  Capitains,  welche  man  in  mehreren  D()rferu  findet,  und  die  in 
der  Regel  grosse  Namen  führen,  wie  Captain  Nelson,  Captain  London,  Captain  Johnson 
sind  englisches  Produkt.  Die  Engländer  fühlten  sich  wohl  veranlasst,  bei  der  Occu- 
pation  der  Inseln  einen  Repräsentanten  der  verschiedenen  Dörfer  hinzuzuziehen  und 
machten  selbst  einen  solchen,  falls  noch  keiner  vorhanden  war.  Nur  ein  einziger 
dieser  Capitaine,  Namens  Johnson,  hat  seine  Macht  gemissbraucbt  und  einen  Druck 
auf  die  gutherzige  Bevölkerung  auszuüben  versucht,  was  ihm  um  so  leichter  wurde, 
als  er  gut  englisch  sprach  und  die  Engländer  ihn  anfangs  als  Dolmetscher  nicht  ent- 
behren konnten.  Ein  andrer  Capitain,  London,  nannte  sich  Oberhaupt  dreier  Dörfer, 
er  war  zugleich  Manloene,  d.  h.  Priester,  und  zeichnete  sich  durch  ein  echtes  Neger- 
gesicht und  Wollkopf  aus.  In  der  That  war  «ein  Grossvater  ein  an  diese  Küste  ver- 
schlagener Afrikaner.  Das  (;lovernement  hatte  ihm  als  Anerkennung  für  geleistete 
Dienste  mehrere  europäische  Anzüge  geschenkt  und  so  ging  er  ganz  gentlemanlike 
einher,  wenn  er  uns  besuchte.  In  seinem  Dorfe  arbeitete  er  aber  gleich  einem  ge- 
wöhnlichen Bauer,  er  ruderte  mich  oft  bei  meinen  Ausflügen,  trug  mich  auf  seinen 
Schultern  durch  das  sumpfige  Ufer  an  das  Land,  holte  mir  Cocosnüsse  und  schleppte 


(189) 

meine  photogniphischen  Appanitc.    Nio  h:d)c  ich  «-inn  Spur  von  Selbstüberhebung  bei 
diesem   Manne  gesehen. 

Das  V/ilkcJien  ist  so  brav,  dass  sie  einer  Ulnigiveit  zum  Schutz  gegen  nachbar- 
liche Uebergriffe  nicht  bedürfen,  sie  morden  nicht,  sie  stehlen  nicht,  kurz  sie  halten 
die  heiligen  zehn  Gebote  besser  als  wir,  ohne  sie  zu  kennen.  Als  Scherzer  sie 
fragte,  was  sie  mit  ihren  Uebelthätern  anfingen,  antworteten  sie  treffend:  Wir  haben 
keine,  und  sie  bemerkten  dazu,  in  Kuropa  müsse  es  sehr  viel  böse  Menschen  geben, 
weil  wir  so  viel  Soldaten,  Schwerter  und  Kanonen  nöthig  hätten. 

Allerdings  kommen  nach  Roepstorff  Diebstähle  vor,  aber  sehr  selten.  Der 
Dieb  verfällt  der  allgemeinen  Verachtung  und  ist  genöthigt,  die  Dörfer  zu  meiden. 

Auch  Meinungsditferenzen  ereignen  sich  wohl,  doch  werden  diese  durch  Einspruch 
der  Freunde  oder  Verwandten  der  Betheiligten  geschlichtet,  und  derjenige,  welcher 
Unrecht  hat,  genöthigt,  ein  Fest  zu  geben. 

Scherzer  spricht  von  den  Waffen  der  Eiugebornen.  Daraus  könnte  der  Irr- 
thum  entstehen,  als  bedürften  sie  solcher  zu  ihrer  Selbstvertheidigung;  thatsächlich 
dienen  diese  sogenannten  Waffen  nur  als  Fischspeere.  Es  kommt  wohl  vor,  dass 
Dörfer  einander  bekriegen;  diese  Kriege  bestehen  aber  nur  in  einer  Hauerei  mit 
langen  Knütteln,  die  durch  das  Zwischentreten  und  nach  Frieden  Schreien  der  Weiber 
zu  Ende  gebracht  wird  und  an  welche  sich  dann  oft  ein  Fest  scbliesst,  an  welchem 
Sieger  und  Besiegte  gleichzeitig  Antheil  nehmen. 

Diese  Züge  charakterisiren  die  bodenlose  Gutherzigkeit  des  Völkchens  und  geben 
dem  Capitain  Green  Recht,  wenn  er  sagt:  Es  ist  das  tugendhafteste  Volk,  welches 
mir  auf  meinen  achtuuddreissigjährigen  Seereisen  vorgekommen.  Wenn  das  goldne 
Zeitalter  irgendwo  zu  linden  ist,  so  ist  es  auf  den  Nicobaren. 

Ebenso  primitiv,  als  ihre  staatlichen  Einrichtungen,  erscheint  ihr  Kultus.  So  hoch 
entwickelt  ihre  Sittlichkeit  ist,  so  schwach  steht  es  mit  ihrem  Glauben.  Sie  muthen 
der  Sonne  und  dem  Mond  geheimnissvolle  Kräfte  zu,  und  bei  der  totalen  Sonnen- 
tinsterniss  am  6.  April  stürzten  sich  die  Einwohner  des  Dorfes  Malacca  unsrer  Station 
gegenüber  alle  in  das  nahe  Meer  und  bespritzten  sich  gegenseitig  unter  lautem  Geschrei 
mit  Wasser. 

Im  üebrigen  glauben  sie  au  einen  bösen  Geist  Irvi,  dem  sie  auch  Opfer  dar- 
bringen in  Gestalt  von  Bissen  von  Speisen,  Fläschchen  mit  etwas  Rum  u.  dgl.  Sie 
legen  solche  auf  ein  Brettchen,  das  oberhalb  eines  auf  Palmbast  gemalten  Bildes  an- 
gebracht ist.  Solche  Bilder  fand  ich  in  jeder  Hütte  und  ist  es  merkwürdig,  dass 
Scherzer  dieselben  gar  nicht  erwähnt,  obgleich  sie  auf  der  Zeichnung  des  Innern 
einer  Nicobaresenhütte  in  seinem  Buche  deutlich  markirt  sind.  Die  Bilder  weisen 
in  beiden  oberen  Ecken  Sonne  und  Mond  auf,  fliegende  Vögel  in  der  Luft,  darunter 
ein  oder  zwei  Häuser  mit  Palmbaum  und  Flaggenstangen,  in  der  Mitte  Schweine, 
primitiv  gezeichnet,  und  Geflügel.  Darunter  Fische  und  Crustaceen,  manche  von 
ziemlich  treuer  Zeichnung.  Oft  haben  die  Bilder  eine  Borde,  die  tanzende  Männer 
und  Weiber,  deren  Hände  auf  den  Schultern  der  Nachbarn  liegen,  darstellt,  mitunter 
hängt  unten  au  den  Bildern  ein  hölzerner  Fisch,  ein  Alligator  u.  dgl.  Leider  konnte 
ich  einen  solchen  wegen  seiner  Grösse  nicht  fortbringen.  Die  Farbe  zur  Ausführung 
dieser  Bilder  tauschen  sie  von  Schiffen  ein,  welche  oft  genug  von  Birmah  herüber- 
kommen und  Kokosnüsse  holen.  Auf  diesem  Wege  erhalten  die  Eingebornen  auch 
ihre  Aexte,  Tahu  genannt,  die  Zeugstreifen,  womit  sie  sich  nothdürftig  bedecken, 
Reis,  Taback  und  leider  aucli  Rum,  den  sie  sehr  lieben. 

Die  Eingebornen  sind  nicht  nur  Maler,  sondern  auch  Bildhauer.  Schon  Scherzer 
erwähnt  der  lebensgrossen  Holzbildsäulen,  die  mit  einem  Schurz  von  Palmblätterii 
bekleidet,  oft  mit  zum  Schlag  gi-hobeuom  Arm,  roth  bemaltem  Gesicht  iu  ihreu  llütteu 


(190) 

stehen.  Scherzer  deutet  sie  als  Mittel  zur  Abschreckung  böser  Geister,  Roeps- 
torff  misst  ihnen  gar  keine  besondere  Bedeutung  bei  und  leugnet  namentlich,  dass 
es  Götzen  seien.  Ich  erwähne  aber,  dass  die  Wilden,  als  ich  sie  im  Freien  photo- 
graphirte,  auf  meinen  Wunsch  s^ehr  gern  eine  der  Figuren  herbeischleppten,  jedoch 
baten,  sie  vor  Sonnenuntergang  zurückbringen  zu  dürfen,  weil  sonst  die  Bewohner 
der  Hütte,  denen  die  Figur  gehörte,  das  Fieber  bekämen.  Zuweilen  sah  ich  auf  dem 
Kopf  solcher  Figuren  einen  alten  europäischen  Filzcylinder,  und  an  den  Armen  Fläsch- 
chen,  die  an  Bindfaden  hingen.  Manche  Figuren  stellen  europäische  Seeleute  dar 
mit  Fernrohr  unter  dem  Arm,  andere  Kindergestalten. 

Roepstorff  erwähnt  ferner  ihrer  religiösen  Feste,  bei  denen  es  gilt,  den  Irvi, 
den  bösen  Geist,  der  Fieber  und  alles  mögliche  Ueble  veranlasst,  zufrieden  zu  stellen; 
sie  stossen  ein  kleines  guirlandenbekränztes  Schiff  unter  wilden  Ceremonien  und  Be- 
schwörungen in  die  See,  so  dass  die  Fluth  es  nicht  wieder  an  das  Land  treiben 
kann,  und  glauben  dann  den  Irvi  geborgen.  Will  es  dann  der  Zufall,  dass  das  Schiff 
bei  einem  andern  Dorf  ans  Land  gespült  wird,  so  gilt  dieses  als  ein  grosses  Unglück 
und  das  Dorf  ist  dann  genöthigt,  den  Ausgangsort  des  Boots  mit  Krieg  zu  überziehen. 
Auf  unserer  Fahrt  nach  den  Nicobaren  trafen  wir  das  Wrack  eines  solchen  Boots  mit 
vertrockneten  Guirlanden. 

Trotz  aufopfernder  Bemühungen  zahlreicher  Missionaire,  die  auf  diesen  ungesunden 
Inseln  ihr  Leben  daran  setzten  (es  starben  von  den  mährischen  Brüdern,  die  1768 — 87 
dort  lebten,  24),  ist  es  nicht  gelungen,  die  Nicobaresen  zu  Christen  zu  machen.  Die 
christliche  Sittenlehre  brauchten  sie  nicht,  denn  sie  sind  sittlicher  als  wir  und  konnten 
keinen  Respekt  empfinden  für  die  Religion  eines  Volkes,  welches  das  Gute  nur  thut 
wegen  Aussicht  auf  Belohnung  und  das  Böse  nur  unterlässt  aus  Furcht  vor  Strafe. 
Mit  den  christlichen  Dogmen  konnten  sie  sich  noch  weniger  befreunden,  die  Missio- 
naire konnten  ihnen  nur  wunderbare  Dinge  erzählen,  ohne  selbst  welche  auszurichten 
Das  imponirte  den  Wilden  nicht 

Ihre  geistigen  Fähigkeiten  sind  durchaus  nicht  gering  und  würden  noch  viel 
ausgebildeter  sein,  wenn  eine  weniger  üppige  Natur  sie  nöthigte,  ihren  Verstand 
anzustrengen,  um  das  für  das  Leben  Nöthige  zu  erringen.  Roepstorff  hat  ein 
Wörterbuch  ihrer  Sprache  zusammengestellt,  in  welchem  sich  die  Zahlwörter  bis  lÜOO 
finden,  ein  Beweis  für  ihre  Intelligenz.  Sie  haben  auch  eine  regelmässige  Zeitein- 
theilung  nach  Monsun-Wechseln  und  Mondvierteln.  Es  ist  ganz  zweifellos,  dass  Kinder, 
europäisch  erzogen,  sich  ebenso  gut  sclmleu  Hessen,  als  die  unsrigen.  Der  Versuch 
ist  noch  nicht  gemacht  worden.  Roepstorff  wollte  einen  sehr  wohlgebildeten 
Knaben,  den  Sohn  des  oben  erwähnten  Johnson,  zu  sich  nehmen,  der  Kleine  war 
jedoch  zu  eigensinnig  und  der  Vater  nahm  ihn  deshalb  zurück.  Scherzer  spricht 
auch  über  ihre  musikalische  Anlage  und  zwar  ziemlich  geringschätzig.  Ich  war 
dagegen  überrascht,  verschiedene  Leute  mit  leidlicher  Siugstimme  zu  finden,  die  das 
God  save  the  queen  mit  untergelegtem  nicobaresischem  Text  singen  konnten.  Frau 
v.  Roepstorff  hatte  es  ihnen  eiustudirt.  Sie  hörten  ferner  sehr  gern  europäische 
Musik  und  oft  habe  ich  ihnen  auf  Roepstorff's  Ciavier  etwas  vorspielen  müssen. 

Bei  der  wunderbaren  Fruchtbarkeit  der  Nicobaren  haben  die  Eingeboruen  nicht 
nöthig,  viel  zu  arbeiten,  obgleich  sie  dennoch  bei  der  herrschenden  Ortstemperatur 
im  Schweisse  ihres  Angesichts  ihr  Brod  essen. 

Sie  besitzen  Schweine  und  Hühner  in  Menge.  Die  ersten  gehören  der  chinesischen, 
die  zweiten  meist  der  europäischen  und  cochinchinesischeu  Rasse  an,  diese  verspeisen 
sie  aber  nur  bei  festlichen  Gelegenheiten.  Im  Uebrigen  nähren  sie  sich  vom  Mark 
der  Kokosnüsse,  von  dem  Brode  des  Pandanus  und  von  Fischen,  ausserdem  von  Reis, 
welchen  sie    von  Birmehseusuhiffen   eintauschen.     Sicher    gehören    auch  Muscheln  zu 


(191) 

ihrer  NuhriiDS.  If'li  sah  dicsolldn  ni(;ni:ils  (;ss<;n,  aber  ich  fand  auf  meinen  Ausflügen 
wiederholt  frische  KüchenubfiilU!  um  einen  verlassenen  Feuerplatz  mit  zahlreichen, 
zum  Theil  angebrannten  Muschelschaalen,  zerschlagene  Kokosnüsse,  aus  denen  das 
Mark  ausgenommen  worden  war  und  Anderes. 

In  der  Nähe  des  Dorfes  Ho-o,  welches  am  weitesten  von  europäischer  Ansiedlung 
entfernt,  an  der  wundervollen  ü lalabucht,  (Caualo  falso  der  Portugiesen)  liegt,  traf  ich 
einen  mehrere  Fuss  mächtigen  Kücheuabfallhaufen,  bestehend  aus  Muscheln,  zerschla- 
genen Kokosnüssen,  Feuerresten  und  einzelnen  leeren  europäischen  Glasflaschen.  Die 
Eingebornen  dieses  Dorfes  waren  früher  als  Mörder  verrufen.  Bei  dem  Besuch  der 
Novara  waren  alle  in  die  Wälder  geflohen.  Ich  fand  dieselben  ebenso  harmlos  und 
liebenswürdig  als  alle  übrigen  Nicobaresen.  Scherz  er  nennt  die  Ulalabucht,  an 
welcher  das  Dorf  Ho-o  liegt,  traurig  unheimlich.  Für  mich  ist  sie  die  landschaftlich 
schönste  Partie  auf  den  Nicobaren.  Nirgends  erscheint  das  Ufer  so  malerisch  in 
Hügelreihen  geordnet  wie  hier,  nirgends  findet  man  eine  so  über  alle  Begriffe  üppige 
Vegetation.  Neben  dichten  Mangrovengebüschen  am  Ufer  erheben  sich  die  Wälder 
von  Callophyllum,  Ficus,  Hernandia.  Zahllose  Schlingpflanzen  schwingen  sich  von  Ast 
zu  Ast,  und  über  die  dunklen  Laubbäume  steigen  prächtige  Kokospalmen,  der  selt- 
same Pandanus  und  die  alle  andern  hoch  überrragende  Arecapalmen  empor.  Der 
Anblick  dieser  tropischen  Herrlichkeit  ist  von  der  Mitte  der  Bucht  gesehen  geradezu 
berückend  und  noch  märchenhafter  wird  das  Bild  durch  die  phantastische  Koralleu- 
welt,  welche  in  den  mannichfaltigsten  Farben  und  Formen  im  Vordergrunde  ihre 
Arme  aus  den  Tiefen  der  Gewässer  dem  Beschauer  entgegenstreckt.  Mitunter  herrscht 
tiefe  Stille  im  Urwald,  nur  unterbrochen  durch  das  Girren  zahlreicher  Taubenarten, 
bis  plötzlich  ein  Chor  von  Cycaden  unisono  mit  einem  Schlage  im  tiefen  Basston  zu 
summen  beginnt,  um  ebenso  mit  einem  Schlage  zu  endigen. 

Die  Eingebornen  sind  geschickte  Fischer;  den  Fischfang  nehmen  sie  in  der  Nacht 
vor.  Ein  langer  trockner  Kokospalmwedel  wird  in  Absätzen  von  1)^  bis  2'  mit  frischen 
Blattrippen  unterbunden  und  in  Brand  gesteckt.  Diese  Fackel  in  der  linken  Hand 
haltend,  in  der  rechten  Speere,  rudern  sie  in  die  See,  bleiben  jedoch  in  der  Nähe 
des  Ufers.  Die  Fische  schwimmen  dem  Lichte  zu  und  werden  in  geschickter  Weise 
gespiesst,  die  kleinen  mit  Holz-,  die  grösseren  mit  Eisenspeeren.  Die  Holzspeere 
fertigen  sie  selbst,  die  eisernen  sollen  ebenfalls  von  ihnen  geschmiedet  werden,  und 
das  Eisen  aus  dem  Wrack  eines  alten  Schilfes  stammen,  welches  im  Hafen  lag.  Die 
nächtlichen  Fackelfischer  umschwärmten  unsere  Insel  oft  so  zahlreich,  dass  es  aussah, 
als  veranstalteten  sie  eine  Illumination  uns  zu  Ehren. 

Ihre  Hauptnahrung  gewährt  ihnen  jedoch  das  Pflanzenreich,  namentlich  die  segens- 
reiche Kokospalme.  Das  Wasser  der  Nuss  ersetzt  ihnen  die  oft  fehlenden  Bronnen, 
Das  Mark  der  ausgetrunkeneu  und  zerschlagenen  Nuss  mästet  ihre  Schweine  oder 
wird  zum  Oelpresseu  benutzt,  die  Wandung  dient  ferner  zur  Anfertigung  von  Gefässen, 
die  Faser  der  Rinde  liefert  Stricke,  der  Saft  der  unentfalteten  Blüthe  liefert  ein  be- 
rauschendes Getränk,  der  getrocknete  Wedel  dient  als  Fackel,  die  Blätter  zum  Decken 
der  Häuser,  die  Rippen  zum  Flechten  von  Körben.  Oft  sah  ich  grosse  frische  \N  edel 
sogar  als  Segel  benutzen,  um  ihre  leichten  Canoes  zu  treiben;  solche  Palmensegel 
geben  den  einfachen  Böten  ein  festliches,  fast  poetisches  Ansehen.  Endlich  dient  der 
Stamm  zur  Herstellung  von  Balken  und  Brettern. 

Die  Kokospalme  bildet  den  Hintergrund  aller  ihrer  Dörfer,  sie  ist  der  Haupt^uell 
ihres  Reichthums,  Hundert  Kokosnüsse  wurden  zu  meiner  Zeit  mit  1  Thaler  berechnet. 
Scherz  er  giebt  au,  dass  man  zu  seiner  Zeit  (1658)  dieselbe  Menge  Nüsse  für  eine 
kleine  Messerklinge  gegeben  habe.  Das  Kokosnusswasser  der  Nicobaren  schmeckte 
mir    bei  Weitem   schöner  als  das  auf  Ceylon.     Für  die  verschiedcueu  Kleinigkeiten, 


(192) 

welche  ich  von  den  Eingebornen  orwarb,  verlangten  sie  kein  Geld,  sondern  nur  ein 
paar  Bündel  Stnnchhölzer  und  eine  Flasclio  Rum.  Ein  Glück  für  sie  ist  es,  dass 
die  Zufuhr  des  letzteren  nur  in  sehr  beschränktem  Maasse  gestattet  ist. 

Streichhölzer  lieben  sie  sehr.  Früher  machten  sie  Feuer  durch  Reibung  zweier 
Hölzer  und  hatten  sie  dazu  ganz  dieselbe  Methode,  welche  Dr.  Ja  gor  bei  den  Malayen 
fand.  Sonderbarer  Weise  wollten  sie  mir  diese  Procedur  nicht  zeigen,  sie  fürchteten, 
man  werde  ihnen  keine  Streichhölzer  mehr  liefern,  wenn  sie  verriethen,  dass  sie 
andere  Methoden  zum  Feuermachen  besässen.  Erst  nach  dreiwöchentlicher  Bekannt- 
schaft schwand  ihre  Scheu  und  sie  zeigten  mir  Alles  bereitwillig.  Mir  gelang  es 
nicht,  in  dieser  Weise  Feuer  zu  erhalten. 

Nächst  der  Kokospalme  ist  der  Pandanus  der  wichtigste  Baum  für  die  Natives. 
Dieser  merkwürdige  Baum,  den  Scherz  er  ein  üeberbleibsel  aus  einer  alten  Schöp- 
fungsperiode nennt,  gedeiht  auf  diesen  Inseln  in  wunderbarer  Fülle  und  gewährt  dem 
Neuling  in  der  Tropenwelt  einen  seltsamen,  fast  märchenhaften  Anblick  mit  seinem 
Pfahlgerüst  von  Luftwurzeln,  das  sich  pyramidenförmig  oft  20'  hoch  erhebt,  seinem 
ebenso  seltsamen  Geäste,  Blattwerk  und  seinen  Früchten.  „Staunend",  sagt  Scherzer, 
„über  den  bizarren  Einfall  der  Natur,  betrachtet  man  diese  seltsamen  Gewächse, 
welche  spiralförmig  geordnete  Blätter  besitzen  wie  die  Dracenen,  Stämme  wie  die 
Palmen,  Aeste  wie  die  Laubbäume,  Fruchtzapfen  wie  die  Coniferen  und  doch  nichts 
mit  allen  diesen  Pflanzen  gemein  haben,  sondern  eine  besondere  Familie  für  sich 
bilden." 

Von  diesem  Wunderbaum,  der  dort  oft  förmliche  Wälder  bildet,  deren  in  einander 
geflochtene  Luftwurzeln  das  Eindringen  ganz  unmöglich  machen,  benutzen  die  Natives 
vor  Allem  die  Frucht.  Sie  zerreiben  das  Fleisch,  wobei  die  Fasern  als  eine  bürsten- 
artige Masse  übrig  bleiben,  die  auch  als  Bürste  benutzt  wird,  kneten  dasselbe  zu  runden 
Broten,  schlagen  Blätter  herum  und  rauchen  es  wochenlang.  Der  Bast  wird  zum 
Hausbau  benutzt. 

Neben  diesen  Bäumen  ist  ihnen  noch  der  Stamm  von  Callophyllum  zum  Fertigen  von 
Canoes,  ferner  der  Rotang,  spanisches  Rohr  und  Bambus  als  Bindematerial  von  Bedeutung. 
Neuerdings  haben  die  Eingebornen  sich  nicht  mehr  auf  das  beschränkt,  was 
ihnen  die  Natur  freiwillig  liefert,  sondern  haben  Gärten  angelegt;  diese  liegen  weit 
entfernt  von  den  Dörfern  an  Orten,  wohin  ihre  frei  herumlaufenden  Schweine  nicht 
gelangen  können  und  die  auch  möglichst  versteckt  sind,  um  nicht  von  Seefahrern  ge- 
funden werden  zu  können;  hier  ziehen  sie  Bananen  und  Ananas,  Orangen  und  sogar 
etwas  Baumwolle. 

Ihre  Häuser  sind  Pfahlbauten. 

Früher  ausschliesslich  rund,  werden  neuerdings  viel  viereckige  gebaut,  nament- 
lich in  den  Dörfern,  die  durch  Engländer  (die  nicht  immer  sehr  glimpflich  mit  ihnen 
umgingen)  eingeäschert  wurden.  Sie  rammen  Pfeiler  in  die  Erde  und  bringen  10 
bis  12'  hoch  eine  Balkenlage  durch  Binden  an.  Die  Wände  werden  aus  Bast  ge- 
bildet, das  Dach  aus  Palmhlättern.     Der  Zugang  erfolgt  durch  eine  Leiter. 

Dem  Eingang  gegenüber  befindet  sich  die  Feuerung.  Ein  Schornstein  existirt 
nicht.  Der  Rauch  entweicht  durch  die  Ritzen,  daher  ist  das  Innere  der  Hütten 
ziemlich  schwarz  gefärbt.  Abgesehen  vom  Rauch  erscheinen  die  Hütten  reinlich 
und  sauber. 

Oberhalb  des  Feuerplatzes  hängen  die  Pandanusbrode  und  die  Wassergefässe 
aus  Kokosnuss.  (Behufs  des  Wasserholens  hängt  man  dieselben  paarweise  über 
einen  Stock  und  trägt  diesen  auf  der  Schulter.)  Zur  Linken  sieht  man  in  der  Regel 
das  Opferbild,  zur  Rechten  die  Holzbildsäulen,  welche  ich  früher  erwähnt  habe.  In 
der  Nähe  der  Thür  hängen  Speere,   Messer,  Hausgeräthe.     Oberhalb  in  der  Kuppel 


(193) 

ist  in  der  Regel  noch  ein  Verschlag,  der  als  Vorrathskammer  dient.  Sie  haben  es 
nicht  gern,  dass  Europäer  dieselbe  ansehen,  weil  sie  fürchten,  deren  ihnen  wohl- 
bekannte Habsucht  zu  reizen.  Der  Raum  unter  der  Hütte  dient  ihnen  als  schattiger 
Platz  zur  Verrichtung  von  allerlei  Arbeiten.  Hier  haben  sie  auch  ihre  Verschlage 
für  die  Hühner,  die  Vorräthe  noch  unverarbeiteter  Früchte  und  grössere  Hausgeräthe. 
Die  Dörfer  befinden  sich  alle  am  Meeresufer  und  vor  ihnen  findet  man  stets  hohe  Masten 
aufgerichtet  mit  Palmstroh büschelu,  manche  schmucklos,  manche  elegante  Gruppen 
bildend  und  mit  Stricken  gehalten.  Naeh  Scherz  er  sollen  diese  Masten  böse  Geister 
abwehren;  nach  Roepstorff  markireu  sie  die  seichten,  für  Boote  nicht  passirbaren 
Stellen  im  Wasser. 

Das  Pfahlsystem  dient  hier  weniger  zur  Abwehr  gegen  Feinde,  als  vielmehr  zum 
Schutz  gegen  die  uachtheiligen  Einflüsse  des  Bodens,  auf  dem  zu  schlafen  gesundheits- 
gefährlich ist,  denn  diese  Inseln  sind  alle  im  höchsten  Grade  fieberhaft.  Die  Ein- 
gebornen  werden  ebenso  stark  vom  Fieber  heimgesucht  als  die  Europäer,  selbst  ihre 
Hunde  und  Schweine  werden  vom  Fieber  befallen.  Der  einzige  Fieberfreie,  welchen 
ich  auf  der  Insel  gefunden  habe,  war  ein  sechs  Jahr  dort  weilender  chinesischer 
Tischler. 

Auch  die  Europäer  haben  das  Pfahlbautensystem  für  ihre  Häuser  adoptirt.  Alle 
Gebäude  der  hier  seit  186D  bestehenden  Gefangenenkolonie  ruhen  auf  gemauerten 
Pfählen.  Natürlich  kann  dieses  allein  vor  dem  Fieber  nicht  schützen.  Uns  wurde 
gerathen,  um  dem  Fieber  zu  entgehen,  nicht  am  Lande  zu  schlafen.  Wir  folgten 
dem  Rath  und  nahmen  nach  Schweinf urth's  Vorgang  täglich  5  Grau  Chinin  als 
Schutzmittel.  Dennoch  wurden  auch  wir  von  der  allgemeinen  Landplage  heimgesucht. 
Nach  14  Tagen  erkrankten  Professoi'  Tachini  und  Meldola  am  Fieber,  später 
der  Kapitain  und  mehrere  Offiziere.  Ich  blieb  anfangs  davon  verschont;  erst  nach 
meiner  Rückkehr  nach  Europa  wurde  ich  davon  befallen.  Von  den  270  Convicts, 
die  sich  in  der  dortigen  Strafkolonie  befinden,  sind  50  in  der  Regel  im  Lazarett, 
dem  eine  Art  Barbier  oder  Apothekergehülfe  vorsteht.  Das  hier  herrschende  Dschungel- 
oder Nicobaren-Fieber  ist  das  schlimmste,  was  ich  kenne.  Es  ist  mit  empfindlichen 
Knochenschmerzen  verbunden,  die  in  den  Hand-  und  Fussgeleuken  beginnen,  und  es 
kehrt  immer  wieder.  Tachini  und  Meldola  wurden  auf  der  Rückreise  ungefähr 
alle  8  Tage  von  diesen  Fieberanfällen  heimgesucht,  die  meist  2  bis  3  Tage  dauerten. 
Die  Ursache  des  Fieberklimas  ist  in  den  Sümpfen  zu  suchen,  welche  sich  in  dem 
thonig  kalkigen  Boden  beim  Eintritt  der  Ebbe  bilden,  indem  das  Wasser  um  mehrere 
hundert  Fuss  zurückweicht  und  den  mit  organischer  Materie  durchtränkten  Boden 
den  glühenden  Sonnenstrahlen  blosslegt;  den  Hauptfieberheerd  bilden  aber  die  von 
den  Mangrovebüschen  eingefassten  Stellen  des  Ufers. 

Diese  seltsamen,  auf  tausendfach  in  einander  vertiilzten  Luftwurzeln  ruhenden 
Bäume  schliesseu  in  ihrem  Wurzelnetzwerk  eine  Unmasse  faulender  organischer  Körper 
ein  und  verhindern  ihre  Fortführung  durch  Fluth  und  Wellen.  Hier  entwickelt  sich 
dann  ein  grauenhafter  Suuipfgeruch.  Nicht  selten  drang  ich  auf  meinen  Jagden  tief 
in  diese  Maugrovesümpfe,  auf  den  Schultern  eines  Eingeborneu  reitend,  ein  und  war 
namentlich  in  dem  Canale  falso,  oft  genöthigt,  vor  dem  entsetzlichen  Gerüche  den 
Athem  minutenlang  anzuhalten. 

Das  englische  Government  lässt  jetzt  die  Mangrovegebüsche  in  der  Nähe  der 
Couvict  Settlements  durch  Feuer  und  Axt  ausroden  und  Dämme  ziehen,  um  das  Vor- 
dringen der  Fluth  zu  hindern.  Man  hat  in  dieser  Weise  bereits  das  Klima  von 
Singapore,  Penang  und  den  Andamauen  bedeutend  verbessert,  so  dass  diese  früher  fieber- 
haften Orte  jetzt  als  durchaus  gesund  gelten;  möglicher  Weise  führt  dasselbe  Ver- 
fahren auch  auf  Camorta  zum  Ziel,  obgleich  der  hier  auszurottende  Fieberheerd  viel 

VerhauiU.  der  Berl.  Anthropol.  üeseUscU.  iSi'o,  13 


(194) 

grösser  ist.  Es  "■  dürften  noch  lange  Jahre  vergehen,  ehe  man  einen  Theil  desselben 
beseitigt  haben  wird. 

Bei  diesem  von  Buchten  vielfach  zerschnittenen  Inselterrain  spielt  selbstverständ- 
lich das  Canoe  eine  grosse  Rolle.  Die  Eingeborneu  fertigen  dieses  aus  dem  Stamm 
von  Callophyllum  durch  Feuer  und  Axt.  Die  Kähne  sind  12  bis  20'  lang,  an  der 
Seite  mit  senkrechten  Strichen  und  vorn  mit  einem  spitzen  Schnabel  geziert;  sie 
enthalten  Querhöber  zum  Sitzen  und  zur  grössern  Sicherheit  des  Boots  dient  ein 
Ausleger.  Zum  Rudern  bedienen  sich  die  Eingebornen  höchst  elegant  geschnittener 
lanzettförmiger  Ruder.  Die  Boote  sind  so  leicht,  dass  sie  von  ein  paar  Mann  leicht 
aus  dem  Wasser  gehoben  und  landeinwärts  getragen  werden  können.  Wir  bedienten 
uns  derselben  mit  Vorliebe  bei  der  Ebbe,  wo  unser  europäisches  Boot  schon  300 
Schritt  vom  Ufer  auf  den  Grund  gerieth,  während  das  Nativeboot  eine  200  Schritt 
dem  Ufer  näher  kommende  Fahrt  gestattet.  Freilich  blieb  auch  dann  für  den 
wasserscheuen  Europäer  als  ultima  ratio  nichts  weiter  übrig,  als  sich  von  den  in  dem 
Sumpf  wadenden  Eingebornen  oder  den  Räubern  und  Mördern  des  Convict  Settlements 
an  das  Land  tragen  zu  lassen. 

Noch    habe    ich   zum  Schluss  auf  die  Kleidung  der  Eingebornen  aufmerksam  zu 

machen. 

Nahen  sich  Europäer  irgend  einem  Dorfe,  so  pflegen  in  der  Regel  die  Einwohner 
zuerst  zu  verschwinden,  um  nach  wenigen  Minuten  mehr  oder  weniger  vollständig 
europäisch  kostümirt  zurückzukommen.  Es  wiederholen  sich  dann  jene  Szenen,  welche 
andere  Reisende  bei  zahlreichen  andern  Naturvölkern  beobachtet  haben;  der  eine 
erscheint  nackt,  aber  mit  Filzcylinder,  der  andere  hat  nur  Stiefeln,  der  dritte  einen 
Rock  oder  Frack,  aber  keine  Hosen.  Manche  aber  weisen  vollständig  europäische 
Kostüme  auf  und  fand  ich  bei  einem  malaiischen  Jungen  sogar  Oberhemden,  Cravatte 
und  Kragen  und  bei  manchen  Frauen  moderne  Kostüme  mit  Tunika  u.  s.  w. 

Ihre  eigentliche  Nationaltracht  besteht  aber  nur  aus  einem  schmalen  Bande  um 
die  Hüften,  welches  zwischen  den  Beinen  durchgezogen  wird.  Das  Band  der  Weiber  ist 
etwas  breiter.  Im  Uebrigen  gehen  sie  nackt.  Auf  das  Hüftband  halten  sie  aber  mit 
grossem  Anstandsgefühl.  Als  ich  einen  der  Nicobaresen,  der  in  Hosen  bei  mir  antrat, 
nackt  photographiren  wollte,  erklärte  er  mir,  er  könne  sich  nicht  ausziehen,  er  habe 
sein  Hüftband  nicht  mit. 

Ueber  das  Alter,  welches  die  Nicobaresen  erreichen,  ist  noch  nichts  Zuverlässiges 
bekannt;  sie  selbst  wissen  ihr  Alter  nur  unsicher.  Mit  Rücksicht  jedoch  auf  die 
Frühreife  ist  ein  hohes  Alter  nicht  zu  erwarten.  Stirbt  ein  Mann,  so  begraben  sie 
ihn  dicht  hinter  dem  Dorfe,  die  Verwandten  zerbrechen  seine  Speere,  seine  Wasser- 
gefüsse,  kurz  alle  Kleinigkeiten,  und  häufen  die  Reste  auf  seinem  Grabe  auf.  Manch- 
mal errichten  sie  Stangen  auf  dem  Grabe,  an  die  sie  Fetzen  des  Gewandes  des  Ver- 
storbenen hängen,  ferner  kleine,  aus  Holz  geschnitzte  Speere,  Fackeln  u.  dgl.  Eine 
höchst  seltsame  Sitte  ist  das  Wiederausgraben  der  Todten,  welches  nach  3  Monaten 
vorgenommen  wird.  Der  nächste  weibliche  Anverwandte  stürzt  sich  dann  mit  Weh- 
klagen auf  den  Leichnam,  reisst  ihm  Fleisch  und  Haare  vom  Schädel  und  begräbt 
ihn  dann  wieder.  Scherz  er  beschreibt  diese  sonderbare  Ceremonie  anders.  Er 
erzählt,  dass  das  Ausgraben  der  Todten  auf  Gar  Nicobar  zu  Ende  des  Nordostmonsuns 
erfolge  und  dass  sie  den  Todten  eine  brennende  Cigarre  in  den  Mund  stecken,  wäh- 
rend die  Anverwandten  wehklagend  herumsitzen,  dass  nur  der  Schädel  wieder 
begraben  würde,  während  sie  die  Gebeine  ins  Meer  oder  tief  in  den  Wald  werfen 
und  dass  sie  eine  Anzahl  Kokospalmen  zum  Zeichen  der  Trauer  umhauen.  Damit 
stimmen  die  Gewohnheiten  auf  Camorta  durchaus  nicht,  hier  werden  die  Kokospolmen 
unter  die  Erben  getheilt.    Die  Trauer  dauert  2  Monate;  während  dieser  Zeit  ist  weder 


(195) 

Tanz  noch  Gesang  in  dem  Dorfe  gestattet,  kein  Schwein  wird  getödtet,  kein  Schnaps 
getrunken  und  die  nächsten  Verwandten  enthalten  sich  sogar  des  geliebten  Tabaks. 

Icli  l)al)f'  mich  hier  auf  Hervorhebung  derjenigen  Punkte  beschränkt,  die  in  den 
bereits  vorhandenen  Schriften  über  die  ISicobaresen  entweder  gar  nicht  oder  in  anderer 
Weise  besciiriehen  worden  sind,  als  ich  sie  beobachtete  oder  aus  f>rzählungen  ei'fuhr. 

Gern  hätte  ich  einige  Mittheilungen  über  die  höchst  merkwürdigen  Bewohner 
des  benachbarten  Archipels  der  Andamanen  hinzugefügt.  Diese  Bewohner,  ein 
Negritostamm,  haben  schon  lauge  die  Aufmerksamkeit  der  Forscher  beschäftigt.  Wir 
besitzen  sogar  englische  Monographien  über  dieselben.  Leider  wurden  meine  Hoff- 
nungen, die  Andamanen  und  ihre  Bewohner  kennen  zu  lernen,  gründlichst  vereitelt. 
Am  Bord  unseres  Schiffes  herrschte  nicht  nur  das  Fieber,  sondern  es  waren  auch 
die  Pocken  ausgebrochen,  und  obgleich  wir  die  Pockenkranken  in  Camorta  zurück- 
liessen,  so  erregte  doch  das  Verhalten  eines  fieberkranken  Matrosen  das  Bedenken  des 
Arztes  von  Port  Blair;  er  erklärte  ihn  der  Pockenkrankheit  verdächtig  und  der 
Governor  versagte  uns  die  Erlaubniss  zum  Landen. 

Jedoch  hat  unser  Landsmann  Dr.  Jagor  auf  diesen  Inseln  8  Wochen  zugebracht 
und  sie  erst  4  Tage  vor  meiner  Ankunft  verlassen.  Wir  dürfen  aus  seiner  Feder 
einen  interessanten  Bericht  über  die  Andamanen  und  ihre  Bewohner  erhoffen.  — 

Der  Vortragende  erläuterte  diese  Mittheilungen  durch  Vorzeigung  von  photo- 
graphischen Abbildungen,  von  Geräthen  und  Zierrathen  der  Nicobaren-Bewohner. 

(8)  Hr.  Ilartinauu  schloss  seine  in  der  vorigen  Sitzung  begonnenen  Mittbeilungen 
über  die  Bärentunde  vom  Libanon  mit  einem  Hinweis  auf 

die  Bären  der  qnateruären  und  der  Jetztzeit. 

Er  vertheidigte  seine  schon  früher  (Zeitschrift  für  Ethnologie  1871,  Heft  IV) 
ausgesprochenen  Ideen  über  die  Identität  des  Höhlenbären  und  der  vielen  anderen, 
von  verschiedenen  Forschern  aufgestellten,  angeblich  erloschenen  Bärenarten  des 
Diluviums  mit  unserem  noch  heut  existirenden  Ursus  arctos.  Letzterer  findet  sich 
bekanntlich  in  mehrfachen  Varietäten,  welche  theils  örtlicher  Natur  sind,  theils  sich 
auf  Verschiedenheit  der  Lebensweise  begründen  lassen.  Auch  der  Ursus  syriacus 
wurde  vom  Vortragenden  bereits  in  der  früheren  Sitzung  als  eine  örtliche  Spielart 
des  gemeinen  Bären  gekennzeichnet,  als  eine  Spielart,  wie  sie  sich  in  mancherlei 
Abtönungen  der  hellgelbbraunen  und  hellgraubraunen  aligemeinen  Pelzfärbuug  in  ihrer 
geographischen  Lage  nach  bald  nahe  aneinander,  bald  weiter  voneinander  befindlichen 
Gegenden  zeigen.  Hr.  Hartmann  hält  auch  den  Grizzly-Bären  (Ursus  ferox)  Nord- 
amerikas mit  Allen  und  Anderen  für  einen  Artverwandten  des  gemeinen  europäischen 
Landbäreu.  Zu  letzterem  rechnet  er  auch  den  sibirischen  Bären.  Schädel  alter 
Männchen  des  letzteren  und  des  europäischen  Bären  geben  an  Grösse  und  an  starker 
Ausprägung  der  Knochenkämme,  wie  auch  der  Muskelimpressiouen  denen  des  Ursus 
spelaeus  knuni  etwas  nach.  Vortragender  sah  ganz  enorme,  denen  des  Höhlenbären 
an  Grösse  nicht  nachstehende  Eckzähne  von  Aiuo-Bären,  welche  erst  innerhalb  der 
letzten  Jahrzehnte  getödtet  worden  waren.  Das  frühe  Ausfallen  der  Lückenzähne  wurde 
auch  an  Bärenschädeln  der  Jetztzeit  beobachtet.  Ebenso  werden  Schädel  von  Ursus 
spelaeus  theils  mit  erhaltenen  Lückenzähnen,  theils  mit  noch  halboffenen  oder  im  gänz- 
lichen Verschluss  begriffenen  Alveolen  derselben  gefunden. 

Der  Baribal  (Ursus  americanus)  Nordamerikas,  welcher  theils  schwarz,  theils 
braun  und  roth braun  (Ursus  cinnamomeus),  mit  hellerer  Schnauze  und  individuell 
sehr  wechselnden,  anderen,  weisslichen  Abzeichen  angetroffen  wird,  der  thibetauiscbc 

13* 


(196) 

und  japanische  Bär  bilden  Varietäten,  welche  sich  frühzeitig  von  dem  durch  ürsus 
arctos  vertretenen  Stamme  abgezweigt  zu  haben  scheinen  und  allmählich  eine  gewisse 
Constanz  erreichten. 

Der  Polar-  oder  Eisbär  (Drsus  maritiraus),  welcher  in  seinem  Schädelbau  eben- 
falls so  manches,  mit  demjenigen  des  Höhlenbären  üebereinstimmende  zeigt,  muss 
sich  auch  schon  frühzeitig  in  seiner  arktischen  Isolirtheit  zu  jener  eigenthümlichen 
äusseren  Gestaltung  ausgebildet  haben,  welche  seinem  Habitus  in  den  Augen  Jeder- 
manns ein  so  charakteristisches  Gepräge  verleiht.  Freilich  darf  man,  dem  ürtheile 
des  Vortragenden  gemäss,  auch  diese  Eigenthümlichkeiten  nicht  für  gar  zu  wichtig 
halten. 

Es  wurden  nun  die  grossen  physiognomischen  Abweichungen  hervorgehoben, 
welche  einzelne  Individuen  einer  wirklichen  oder  vermeintlichen  Bärenart  zeigen 
können  und  wurde  dies  an  farbigen  Profilzeichnungen  von  europäischen,  ameri- 
kanischen, thibetanischen,  syrischen  und  anderen  Bären  erläutert. 

Der  Werth  solcher  physiognomischen  Thierdarstellungen,  welche  uns  das  indi- 
viduelle Variiren,  sowie  die  Abweichungen,  welche  durch  Geschlecht  und  Alter  be- 
dingt werden,  in  anschaulicher  Weise  vorführen,  darf  nicht  hoch  genug  veranschlagt 
werden.  Man  wird  durch  sie  zur  richtigeren  Würdigung  unwesentlicher  und  wesent- 
licher Abweichungen  inner-  und  ausserhalb  eines  enger  oder  weiter  begrenzten  Formen- 
kreises angeregt. 

Der  Vortragende  hob  dann  noch  die  paläethnologische  Wichtigkeit  derartiger 
Betrachtungen  über  die  quaternäre  Wirbelthierfauna  und  über  ihre  Vergleichung  mit 
der  recenten  Fauna  hervor.  Noch  Manche  sträuben  sich,  selbst  angesichts  anschei- 
nend überzeugender  Funde  dagegen,  die  gleichzeitige  Existenz  des  Menschen 
und  der  diluvialen  Höhlenthiere  anzuerkennen,  weil  sie  letztere  als  ganz  anders 
geartete,  völlig  erloschene,  mit  der  Jetztzeit  in  gar  keinem  Connex  stehende  Wesen 
zu  betrachten  sich  gewöhnt  haben.  Vermögen  wir  nun  solche  Zweifel  an  der  Hand 
unserer  wachsenden  Erkeuntniss  des  innigen  Zusammenhanges  vieler  Hauptformen 
der  quaternären  und  der  recenten  Thierwelt  erst  gründlich  zu  beseitigen,  so  werden 
wir  uns  auch  immer  mehr  daran  gewöhnen,  in  den  ältesten,  mit  primitiver  Wehr 
ausgerüsteten  Bewohnern  unserer  höhlenreichen  Districte  Zeitgenossen  des  diluvialen 
Bären  u.  s.  w.  zu  erkennen.  Hr.  Dr.  Voss  ist  zur  Zeit  bemüht,  reiches  Material 
an  alten  Bärenknochen  herbeizuschaffen,  und  wird  Vortragender  nicht  verfehlen, 
über  diese  interessanten  und  wichtigen  Funde  zu  gelegener  Zeit  der  Gesellschaft 
abermals  Mittheilung  zu  machen. 

(9)  Hr.  Hart  manu  überreichte  der  Gesellschaft  die  mit  varicösen  Stacheln  be- 
setzte Schwanzquaste  der  Atherura  africana  Gray,  eines  bisher  nur  von  der 
afrikanischen  Westküste  und  von  Fernando  Po  her  bekannt  gewesenen  Nagethieres. 
Dies  Speeimen  befand  sich  an  einem  Halsschmuck  des  augeblich  i)n  Kampfe  gegen 
die  kharturaer  Elfenbeinhändler  gefallenen  Mombütu-Königs  Munsa.  Der  Sohn  des 
letzteren  hatte  nun  an  den  Khedive  eine  Anzahl  Geschenke  gesendet  und  dabei  hatte 
sich  jenes  Schwanzstück  gefunden.  Hr.  Schweinfurth  übersendete  dasselbe  behufs 
zoologischer  Bestimmung  an  den  Vortragenden.  Es  wirft  dasselbe  wieder  ein  Streif- 
licht auf  die  von  Schweinfurth  und  Hartmann  schon  früher  lebhaft  erörterte, 
von  gewisser  Seite  her  ohne  Grund  angezweifelte  Verbreitung  bisher  nur  für  west- 
afrikanische gehaltener  Thierformen  auch  nach  Centralafrika  hinein.  Ob  Athe- 
nira  im  Mombütu-Lande  selbst  vorkomme,  bleibt  freilich  noch  ungewiss.  Bei  dem 
Werthe,    welchen  die  Dynastie  Munsa  dem  Speeimen   beigelegt  hat,    mag   dasselbe 


(197) 

von    ihr    immerhin  als   eine  vielleicht  aus   einiger  Ferne    herbeigebrachte  Seltenheit 
geschätzt  gewesen  sein. 

(10)  Hr.  Virchow  spricht  über  neue  italienische  Bronzefunde ,  namentlich 
über  den  Fund  eines 

^crippteu  Bronzeeimers  zu  Fraore. 

Im  Bulletino  deli'  Instituto  di  Corrispondenza  archeologica  vom  Mai  d.  J.  (No.  VI. 
p.  140  ff.)  berichtet  Hr.  Vittorio  Poggi  über  die  etruskischen  Funde  im  Parme- 
sanischen. Er  hält  es  für  ausgemacht,  dass  die  Einwanderung  der  Etrusker  in  das 
Po-Thal  vom  Norden  her  erfolgte,  nachdem  vorher  die  "Völker  der  Pfahlbauten  und 
der  Terramaren  im  Lande  gesessen  haben.  Die  Existenz  dieses  Zweiges  des  etrus- 
kischen Stammes,  dessen  Anwesenheit  nördlich  vom  Apennin  man  nur  aus  Livius 
gekannt  hatte,  sei  nunmehr  durch  die  Funde  von  Villanova,  Golasecca,  Marzobotto, 
Servirola,  der  Certosa  von  Bologna  und  mancher  anderer  Orte  der  circumpadanischen 
Provinzen  auch  archäologisch  erwiesen.  Sie  hätten  dieselbe  Cultur  gehabt,  wie  die 
Bewohner  des  eigentlichen  Etrurieus,  nur  nicht  so  reich  und  raffinirt,  dafür  aber  von 
weit  mehr  originellem  und,  wie  Hr.  Brizio  (Bull,  dell'  Inst.  1872)  richtig  bemerkt 
habe,  nationalem  Charakter. 

Er  schildert  dann  mehrere  Funde  genauer,  darunter  namentlich  den  von  Fraore 
im  Mandamento  di  S.  Paucrazio  von  1864.  In  einem  alten  Grabe  daselbst  fand  man, 
ausser  zahlreichem  Thongeräth  von  theils  etrurischem  (schwarzem  und  rothem),  theils 
griechischem  Typus,  manchem  von  rohester,  archaischer  Beschaffenheit,  anderem  von 
feinstem  Geschmack,  und  namentlich  ausser  Wirtein,  mannichfaltige  Metallgegenstände. 
Darunter  steht  obenan  ein  cylindrischer  Brouzeeimer  (cista  o  situla)  von  der  Art  der 
bekannten  gerippten  Eimer,  die  bis  in  unsere  Gegenden  vorkommen.  Er  hat  0^42 
Durchmesser.  Da  es  sich  um  ein  Bestattungsgrab  handelte,  so  konnte  es  kein  Aschen- 
eimer sein,  doch  ist  der  Inhalt  nicht  festgestellt.  Daneben  fanden  sich  zwei  Oenochoen 
von  Bronze,  eine  namentlich  von  elegantester  Form,  deren  Henkel  an  seiner  Ansatz- 
stelle eine  zierliche  Palmette  trägt.  Dazu  Fibeln  mit  Spiralfedern,  einfache  oder 
spiralförmige  Ringe,  Armbänder  verschiedener  Art,  aber,  was  besonders  bemerkens- 
werth  ist,  auch  ein  Aes  rüde.  Von  Eisen  nur  Nägel  und  ein  Paar  Messerchen, 
dagegen  'S  silberne  Fibeln,  2  Fibeln  und  ein  Paar  Ohrringe  von  Gold  von  feinster 
Arbeit,  durchbohrte  Scheiben  von  Bernstein  u.  s.  w. 

(11)  Hr.  Virchow  legt  ferner  vor  verschiedene 

Brouze*Analyseii. 

Da  Hr.  Liebreich,  der  heute  über  Bronze-Analysen  vortragen  wollte,  durch 
Unwohlsein  verhindert  ist,  zu  erscheinen,  so  beschränke  ich  mich  darauf,  einige  kurze 
Mittheilungen  zu  machen. 

Zunächst  übergebe  ich  eine  Reihe  von  Analysen,  welche  Hr.  E.  Salkowski 
die  Güte  gehabt  hat,  für  mich  auszufiihren.     Dieselben  betreffen 

a)   den  Fund   vom  Gorwal   bei   Primentdorf  (Sitzung   vom    \'o.  Juni   1874  S.   141) 
und  zwar 

1)  den  gerippten  Bronzeeimer  selbst,  von  dessen  Rande  ich  einige  Stücke 
ausgebrochen  hatte, 

2)  einen  aus  einem  platten  Spiralbande  bestehenden,  ornamcntirten  Arm- 
ring, der  in  dem  Eimer  unter  anderem  Schmuck  enthalten  war  (Ebendas, 
S.  149). 


(198) 

b)  das  Fragment  eines  verzierten  Bronzeeinaers  von  Meyenburg  in  der  Priegnitz 
(Sitzung  vom  11.  Juli  1874  S.  162). 

c)  verschiedene  Gegenstände  von  dem  Gräberfelde  von  Zaborow^o,  nehmlich 

1)  ein  Bronzemesser  (Sitzung  vom  14.  Nov.   1874  S.  223). 

2)  das  zweifelhafte,    in   der   Sitzung  vom   13.   Januar   1872  S.  51 — h2     be- 
schriebene, von  mir  als  Ampel  gedeutete  ßronzegehänge, 

3)  eine  Bronze-Pincette,  jedoch  nicht  dieselbe,    welche  in  der  Sitzung  vom 
14.  Nov.  1874  S.  223  erwähnt  wurde. 

d)  einen  hohlen  Halsring  von  Bronze,  mit  varikösen  Anschwellungen  und  Leisten 
besetzt,  aus  einer  Graburne  von  Belitz  bei  Brandenburg  a.  d.  Havel,  worüber 
ich  später  einmal  berichten  werde, 

e)  einen  zerdrückten  knpfernen  Kessel,  den  ich  in  dem  Pfahlbau  von  Daher  selbst 
ausgegraben  habe. 


a)    Primentdorf. 
1.    Cyste: 

Zinn 11,25  pCt. 

Kupfer       ....  87,90    „ 

Kobalt  (eisenhaltig)  0,3      „ 

Blei Spur 

Zink ? 


99,45  pCt.  (E.  S.) 


2.    Armband : 

Zinn 11,37  pCt. 

Blei 0,1      „ 

Kupfer 87,74    „ 

Kobalt 0,50    „ 

Eisen Spur 

Zink ? 


99,71  pCt.  (E.  S.) 


b)    Meyenburg. 
Cyste : 

Zinn 12,93  pCt. 

Blei       0,16    „ 

Kupfer 86,63    „ 

Eisen Spur 

Nickel Spur 

Kobalt 0 


99,72  o/o  (H.  Saltow.) 

c)    Zaborowo,  Gräberfeld. 
1.    Messer: 

Zinn 6,14  pCt. 

Kupfer 93,66    „ 

Kobalt  (eisenhaltig)       0,40    „ 

Blei Spur 

Zink _? 

100,2  pCt.  (E.  S.) 


2.  Ampel  (im  Innern  Kanal  mit  kleinen 
röthlichen  Krystallen  von  Kupfer- 
oxydul besetzt) : 

Zinn 8,15  pCt. 

Blei 0,95    „ 

Kupfer 89,85    „ 

Eisen  +  Nickel    .     .       0,31    „ 

99,25  pCt.^(E.  S.) 
(NB.    Der  Oxydation  wegen    nicht    genau 
zu  erwarten!) 

3.  Pincette  (nicht  oxydfrei,  namentlich 
im  Innern  oxydirt): 

Zinn 13,80  pCt. 

Blei 0,59    „ 

Kupfer 84,84    „ 

Kobalt  (eisenhaltig)       0,33    „ 

99,56  pCt.  (E.  S.) 

d)    Belitz. 

Zinn 13,87  pCt. 

Blei 0,39    „ 

Kupfer  .     .     .     .     .     85,26    „ 
Eisen  +  Kobalt   .     .       0,36    „ 


99,88  pCt.  (E.  S.) 

e)    Daher,  anscheinend  reines  Kupfer. 

Zinn 0,2    pCt. 

Kupfer 100,12    „ 

Blei Spur 

Eisen    .     ,     .     .     .     Spur 

röo,32yctr(E.  s.) 


(199) 


Kupfer. 

Zinn. 

Blei. 

Kobalt, 
eisenhaltig. 

Nickel, 
eisenhaltig. 

Zin 

Cyste  (Primentdorf)     . 

.     87,90 

11,25 

Spur 

0,32 

0 

? 

Armband        „ 

.     87,74 

11.37 

0,1 

0,50 

0 

? 

Cyste  (Meyenburg) 

.     86,63 

12,93 

0,16 

0 

Spur 

0 

Messer  (Zab.  Gr.)  .     . 

.     93,66 

6,14 

Spur 

0,40 

0 

? 

Ampel       „       „       .     . 

.     89,85 

8,15 

0,95 

0 

0,31 

0 

Pincette    „       „        .     • 

.     84,84 

13,80 

0,59 

0,33 

Halsring  (Belitz)    .     . 

.     85,26 

13,87 

0,39 

0,36 

0 

0 

Kessel  (Daber)  .     .     . 

.  100,12 

0,2 

Spur 

Eisen  Spur 

Für  mich  hatten  diese  Untersuchungen,  für  welche  ich  Hrn.  Salkowski  meinen 
besonderen  Dank  sage,  hauptsächlich  desshalb  Interesse,  weil  es  sich  darum  handelte, 
das  Verhältniss  der  einzelnen  Funde  zu  einander  festzustellen.  In  dieser  Beziehung 
ziehe  ich  folgende  Schlüsse  aus  den  gewonnenen  Ergebnissen: 

1)  Die  in  dem  Eimer  vom  Gorwal  gefundene  Armspirale  stimmt  in  Zusammen- 
setzung und  Mischung  mit  der  Substanz  des  Eimers  so  sehr  überein,  dass  kein 
Grund  vorliegt,  den  Inhalt  des  Eimers  (der  bekanntlich  mit  Schmuck  gelullt 
war)  später  zu  setzen,  als  den  Eimer  selbst. 

2)  Bei  dem  Eimer  von  Meyenburg,  obwohl  er  im  Mischungsverhältniss  der  Haupt- 
stoffe (Kupfer  und  Zinn)  nahezu  übereinstimmt,  weist  doch  der  Mangel  des 
Kobaltgehaltes  auf  eine  andere  Quelle  des  Metalles  hin.  Da  er  auch  archäo- 
logisch Abweichungen  erkennen  lässt,  so  darf  man  wohl  schliessen,  dass  seine 
Herstellung  wenigstens  zeitlich  nicht  ganz  zusammenfällt  mit  der  Fabrikation 
der  zuerst  genannten  Gegenstände. 

3)  Trotzdem  entspricht  das  Mischungsverhältniss  von  87 — 88  Kupfer  und  11  — 13 
Zinn  so  genau  der  prähistorischen  (alten)  Bronze,  dass  über  die  Zeit  der 
Fabrikation  nicht  wohl  ein  Zweifel  bestehen  kann.  Sowohl  die  Cyste  vom 
Gorwal,  als  die  von  Meyenburg  sind  vorrömisch. 

4)  Die  Cyste  vom  Gorwal  und  ihr  Inhalt  unterscheiden  sich  durch  ihre  Zusammen- 
setzung ganz  scharf  von  den  Bronzen  des  Gräberfeldes  von  Zaborowo,  so  nahe 
auch  beide  Fundorte  einander  liegen. 

5)  Die  Bronzen  des  Gräberfeldes  von  Zaborowo  sind  unter  einander  so  verschieden, 
dass  es  wahrscheinlich  ist,  dass  sie  zu  verschiedenen  Zeiten,  vielleicht  auch 
von  verschiedenen  Orten  eingeführt  worden  sind.  Die  sogenannte  Ampel  und 
die  Pincette  enthalten  grössere  Beimischungen  von  Blei,  obwohl  nicht  so  gross, 
dasss  man  eine  absichtliche  Beimischung  erschliessen  müsste.  Aber  auch  ihre 
Zusammensetzung  in  Beziehung  auf  die  übrigen  Metalle  (Kupfer,  Zinn,  Kobalt) 
ist  wieder  abweichend.  Es  könnte  dieser  Umstand  für  eine  längere  Dauer 
der  Benutzung  des  Gräberfeldes  sprechen,  wofür  auch  die  Ausdehnung  desselben 
zeugt.     Aber  auch  diese  Bronzen  dürften  vorrömisch  sein. 

6)  Nur  die  sogenannte  Ampel  hat  einen  bestimmbaren  Nickelgehalt  ergeben. 
Dieser  Befund  stimmt  mit  der  archäologischen  Beziehung  dieses  Stückes  zu 
Hallstädter  Bronzen,  auf  welche  ich  schon  früher  hinwies.  Offenbar  ist  das 
Nickel  in  dem  originären  Erz  enthalten  gewesen,  aus  dem  die  Bronze  herge- 
stellt ist;  seine  Menge  ist  zu  geringfügig,  um  auf  andere  Weise  erklärt  zu 
werden. 

7)  Eine  auffällige  üebereinstimmung  zeigt  sich  zwischen  der  Pincette  von  Zaborowo 
und  dorn  Halsringe  von  Belitz.  So  gross  die  Entfernung  beider  Orte  ist,  so 
könnte  mau  fast  an  dieselbe  Bezugsquelle  denken. 


(200) 

8)  Die  Bronzen  von  Zaborowo,  obwohl  sie  neben  zahlreichen  Eisensachen  gefunden 
sind,  zeigen  keine  Spur  von  Zink,  welches  nach  der  Zusammenstellung  des 
Hrn.  0.  Rygh  (Forhandlinger  i  Videnkabs-Selskabet  i  Christiania,  Aar  1873. 
Heft  2.  p.  478)  in  den  skandinavischen  Bronzen  schon  im  älteren  Eisenalter 
in  zum  Theil  sehr  beträchtlichen  Mengen  (2 — 23  pCt.)  auftritt.  Es  dürfte 
daher  sehr  gewagt  sein,  unser  Eisenalter  mit  dem  skandinavischen  direkt 
zusammenzustellen. 

(12)  Als  Mitglied  wurde  proclamirt: 

Hr.  Oberlehrer  Dr.  Hugo  Jentsch  zu  Guben. 

(13)  Geschenke: 

1)  Photographien  der  an  Polysarcia  praematura  leidenden  und  auch  zu  Berlin 
öffentlich  ausgestellt  gewesenen  Russenkinder.    (Vgl.  Sitzung  vom  16.  Januar). 

2)  Hartt:    Amazonian  Tortoise  Mythus.     Rio  de  Janeiro  1<575, 

3)  Observations  on  new  vegetable  fossils  of  the  auriferous  drifts. 

4)  Hammond  Trumbull:  On  numerals  in  American  Indian  languages  and  Indian 
mode  of  counting. 

5)  Dr.  Hayden:  Photographische  Ansichten  von  alten  Höhlenbefestigungen  am 
Rio  Colorado. 

6)  Leemans:    Rijksmuseum  van  outheden. 

7)  Baron  v.  Müller:  fragmenta  Phytographiae  Australiae  in  Campbell  New- 
Hebrides. 


Sitzung  vom   Ifi.  Oktober  1875. 
Vorsitzender  Hr.  Virchow. 

(1)  Derselbe  meldet  den  frühen  Tod  des  correspondirenden  Mitgliedes  Dr.  Bleek, 
Capstadt,  und  gedenkt  der  hohen  Verdienste  desselben  um  die  Erforschung  der  Sprache 
und   der  Sagen  der  Buschmänner. 

(2)  Neu  aufgenommen  als  ordentliches  auswärtiges  Mitglied  der  Gesellschaft: 
Hr.  Alexander  Tepluchoff,   russischer  Gubernial-Secretair,  llinsk,  Gou- 
vernement Perm. 

(3)  Hr.  Virchow  berichtet  über  die  Verhandlungen  auf  der  vom  9. — 1 1 .  August 
abgehaltenen 

General- Versamnilnng  der  deutschen  anthropologischen  Gesellschaft  zn  Mönchen. 

An  der  General-Versammlnng  der  deutschen  anthropologischen  Gesellschaft  in 
München  haben  ausser  mir  noch  einige  andere  Mitglieder  unserer  Gesellschaft  Theil 
genommen,  leider  eine  verhältnissmässig  kleine  Zahl.  Ich  bedaure  das  in  doppelter 
Beziehung:  einmal,  weil  die  Versammlung  in  der  That  eine  überaus  lehrreiche  war, 
andrerseits,  weil  ich  es  für  höchst  wünschenswerth  halte,  dass  der  Verkehr  der  ver- 
schiedenen Zweig-Gesellschaften  unter  einander  ein  etwas  regerer  würde.  Wir  haben 
in  München  das  besondere  Glück  gehabt,  dass  durch  den  Eifer,  mit  dem  sich  die 
Münchener  anthropologische  Gesellschaft  der  Angelegenheit  angenommen  hatte,  eine 
Sammlung  Alles  desjenigen,  was  Wesentliches  und  Wichtiges  an  prähistorischem 
Material  in  Bayern  gefunden  worden  ist,  aus  sämmtlichen  Lokalsammlungen  des 
Landes,  sowohl  von  Vereinen,  als  von  Privaten,  ans  allen  Provinzen  zusammengebracht 
war.  Ein  Delegirter  der  Münchener  anthropologischen  Gesellschaft,  Hr.  Würdinger, 
hatte  das  Land  bereist,  alle  Sammlungen  in  Augenschein  genommen  und  daraus  das- 
jenige bestimmt,  was  für  die  Central-Ausstellung  gewünscht  wurde,  nnd  alle  Private 
und  einzelnen  Vereine  hatten  mit  grösster  Bereitwilligkeit  ihre  Sachen  nach  München 
gegeben.  Auf  diese  Weise  war  ein  Bild  der  gesammten  bayrischen  Vorzeit  hergestellt, 
wie  man  es  wohl  kaum  mit  einer  gleichen  Vollständigkeit  wiedersehen  wird.  Ich 
würde  es  für  indicirt  halten,  Ihnen  etwas  eingehendere  Mittheilungen  über  diese  Schätze 
zu  machen ,  wenn  nicht  durch  die  sehr  präcisen  Einrichtungen  ,  welche  in  München 
getroffen  wfiren,  dafür  gesorgt  wäre,  dass  Alles,  was  unmittelbar  zur  Ausstellung  und 
Verhandlung  gekommen  ist,  sehr  bald  durch  den  Druck  bekannt  werden  wird.  Der 
Druck  des  Generalberichtes  über  die  Versammlung    ist    schon    bis    zur    dritten    und 


(202) 

Schlusssitznng  vorgerückt  und  wird  wahrscheinlich  schon  im  Laufe  des  nächsten 
Monats  an  die  Mitglieder  v^rtheilt  werden  können. 

Von  dem,  was  ausgestellt  war,  ist  zunächst  zu  erwähnen  die  prähistorische  Karte. 
Ein  erstes  Heft,  von  Hrn.  Ohlenschläger  zusammengestellt,  enthält  ein  Verzeichniss 
der  Fundorte,  welche  auf  der  Karte  eingezeichnet  sind  und  zwar  zunächst  derjenigen 
südlich  der  Donau.  Es  besteht  die  Absicht,  in  derselben  Weise  die  Fundorte  der 
übrigen  Landestheile  zusammenzustellen.  In  Bezug  auf  die  Karte  selbst  kann  ich 
mittheilen,  dass  schon  jetzt  die  Arbeit  so  weit  gefördert  ist,  dass  die  bekannten 
Fundorte  sämmtlich  nicht  nur  in  die  Hauptkarte  eingetragen  sind,  sondern  dass  ausser- 
dem noch  eine  Eintragung  in  eine  zweite  Reihe  von  Karten  geschehen  ist,  nämlich  in 
Katastralkarten,  wie  sie  in  Bayern  in  verhältnissmässig  so  grossem  Maassstabe  für  das 
ganze  Land  angefertigt  wurden,  dass  es  möglich  ist,  die  Stelle  jedes  einzelnen  Fundes 
auf  eine  fast  astronomisch  sichere  Weise  festzustellen.  Dabei  wird  zugleich  angegeben, 
ob  noch  ein  intaktes  Grab  da  ist  u.  s.  f. 

Andrerseits  hatte  sich  die  Münchener  anthropologische  Gesellschaft  mit  ausser- 
ordentlichem Eifer  derjenigen  Aufgabe  unterzogen,  welche  seit  längerer  Zeit  die 
deutsche  Gesellschaft  beschäftigt  hat,  nämlich  der  Schul-Erhebung  in  Bezug  auf 
die  Farbe  der  Haare,  der  Haut  und  der  Augen.  Dieselbe  war  schon  zu  einer  Zeit 
für  ganz  Bayern  vollendet,  als  noch  eine  Reihe  deutscher  Regierungen  nicht  einmal 
die  Genehmigung  ertheilt  hatte,  dass  überhaupt  etwas  derartiges  gemacht  würde. 
Die  Bearbeitung  des  massenhaften  Materials  ist  dann  vom  königlichen  statistischen 
Bureau  in  München  übernommen  worden,  und  der  Chef  desselben,  Hr.  Ministerialrath 
Mayr,  hat  auf  der  Versarfmlung  selbst  die  Resultate,  welche  er  bis  dahin  gewonnen 
hatte,  in  eingehender  Weise  dargestellt.  Sie  werden  auch  über  diesen  Punkt  in  dem 
erscheinenden  Bericht  demnächst  Ausführlicheres  lesen,  indess  will  ich  gleich  hier 
bemerken,  dass  das  nur  eine  allgemeine  Debersicht  ist,  während  eine  Detailausgabe 
der  Erhebungen  mit  den  speziellen  Nachweisen  in  einem  besonderen  Hefte  der  sta- 
tistischen Zeitschrift  des  Münchener  Bureaus  stattfinden  wird,  wovon  dann  für 
die  Mitglieder  der  deutschen  Gesellschaft  für  einen  sehr  geringen  Preis  Separat- 
abzüge offen  gehalten  werden.  Sie  haben  vielleicht  schon  gesehen,  dass  in  einem 
der  zuletzt  ausgegebenen  Correspondenz-Blätter  die  Anzeige  enthalten  ist.  Der  Preis 
dieser  Ausgabe  ist  für  die  Mitglieder  auf  1  Mark  festgesetzt,  aber  es  wird  gebeten, 
die  Anmeldungen  bis  spätestens  zum  15.  Novbr.  einzureichen.  Es  wäre  wünschens- 
werth,  dass  diejenigen  Mitglieder,  welche  ein  Exemplar  wünschen,  an  unsern  Secretair, 
Hrn.  Dr.  Kuhn,  ibre  Bestellung  richten. 

Hr.  Mayr  hat  nun  die  Resultate  dieser  Untersuchungen  in  kartographischer 
Weise  darzustellen  gesucht,  wovon  ich  gleichfalls  ein  Exemplar  vorlege.  Er  ist  dabei 
allerdings  nicht  unweseutlich  abgewichen  von  dem  Schema,  welches  für  die  Erhebungen 
selbst  aufgestellt  wurde. 

Sie  werden  sich  erinnern,  dass  dies  Schema  11  Kategorien  enthielt,  in  denen 
jedesmal  eine  Combination  der  Farbe  der  Haut,  der  Haare  und  der  Augen  genommen 
war,  also:  blond,  blau,  weiss;  blond,  blau,  braun;  blond,  braun,  weiss  u.  s.  w.  Dieses 
Schema,  welches  vieHeicht  die  natürlichste  Grundlage  zu  einer  kartographischen  Dar- 
stellung geboten  hätte,  ist  von  Hrn.  Mayr  nicht  ohne  Grund  veelassen  worden.  Ich 
kann  noch  nicht  beuitheiien,  ob  seine  Methode  der  Darstellung  die  beste  ist,  jeden- 
falls hat  sie,  wie  Hr.  Mayr  selbst,  der  anfangs  mit  grossem  Widerstreben  an  diese 
Arbeit  herangegangen  war,  offen  bekannt  hat,  ihn  selbst  überrascht  und  höchst 
prägnante  Resultate  gegeben.  Er  hat  nämlich  das  vorhandene  Material  an  Ziffern  in 
der  Weise  zerlegt,  dass  er  zunächst  die  Summe  der  bei  der  Zählung  vorhandenen 
Kinder  mit  blondmi  Ilaaren  aus  allen  Landestheilen  fasste;    daraus  hat  er  dann  eine 


(203) 

Skala  gebildet  von  38 — 40  pCt.  bis  zu  65 — 67  pCt,  und  hat  diese  mit  verschiedenen 
Farbentönen  auf  die  Karten  eingetragen.  Dabei  ist  sofort  ein  umstand  zu  bemerken, 
über  den  ich  persönlich  mit  Hrn.  M  ayr  in  einer  gewissen  Differenz  mich  befinde, 
einer  Differenz,  die  übrigens  schon  auf  dem  internationalen  statistischen  Congress  zu 
lebhaften  Diskussionen  Veranlassung  gegeben  hat,  nämlich  wie  man  die  anzuwendenden 
Farben  zu  wählen  hat.  Hr.  Mayr  hat  roth  und  grün  genommen  und  sie  in  der  Weise 
angeordnet,  dass  er  die  geringste  Frequenz  mit  dem  mattesten  Grün  bezeichnet, 
dann  aufsteigend  bis  zum  dunkelsten  Grön  gelangt;  nn  das  dunkelste  Grün  schliesst 
er  das  hellste  Roth  an  und  steigt  nun  wieder  von  da  bis  zum  dunkelsten  Roth  auf. 
Es  ist  kein  Zweifel,  dass,  wenn  man  sich  in  die  Betrachtung  hineingewöhnt,  man 
auch  auf  diese  Weise  ein  vollkommenes  Bild  gewinnen  kann.  Meiner  Meinung  nach 
ist  jedoch  der  psychologische  Effekt  dieser  Farbentöne  wohl  der  entgegengesetzte  von 
dem,  der  eigentlich  beabsichtigt  ist,  indem  durch  das  intensive  Grün,  welches  in  der 
Mitte  der  Skala  sich  befindet,  der  Eindruck  entsteht,  dass  man  da  einen  Höhepunkt 
habe.  Ich  habe  beobachtet,  dass  jedesmal  und,  so  oft  ich  die  Karten  ansehe,  ich  mich 
immer  wieder  auf  dem  Gedanken  betreffe,  dass  dieses  dunkelste  Grün  denjenigen 
Gegenden  entspreche,  wo  die  meisten  braunen  Haare  vorhanden  seien.  Denn  das 
dunkelste  Grün  und  das  dunkelste  Roth  bilden  für  die  Anschauung  diametrale  Gegen- 
sätze. Nichts  ist  natürlicher,  wenn  man  die  Karten  ansieht,  als  sich  vorzustellen,  wo 
das  dunkelste  Grün  ist,  müssen  die  meisten  braunen,  und  wo  das  dunkelste  Roth  ist, 
müssen  die  meisten  blonden  Haare  vorhanden  sein.  Davon  müssen  Sie  jedoch  abstrahiren. 
Da  das  dunkelste  Grün  den  Uebergang  vom  hellen  Roth  zum  hellen  Grün  bildet,  so 
sind  die  braunen  Haare  da  am  stärksten  vertreten,  wo  das  hellste  Grün  liegt. 

In  ähnlicher  Weise  sind  auf  einer  andern  Karte  die  Ergebnisse  in  Bezug  auf 
die  weisse  Haut  und  auf  einer  dritten  die  Ergebnisse  in  Bezug  auf  die  „hellen  Augen" 
dargestellt.  Hr.  Mayr  fasst  unter  dieser  Bezeichnung  die  blauen  nnd  die  grauen 
Augen  zusammen,  eine  Operation,  die  ihre  Bedenken  bat.  Viel  besser  könnte  man 
diese  dritte  Karte  als  eine  Darstellung  der  braunen  Augen  bezeichnen,  nur  muss 
man  dann  die  Deutung  der  Farben  im  umgekehrten  Sinne  vornehmen,  so  dass  das 
hellste  Grün  die  grösste,  das  hellste  Roth  die  geringste  Frequenz  der  braunen  Augen 
bezeichnet.  Vorgleicht  man  nun  die  drei  Karten  unter  einander,  so  stellt  sich  ein 
Gegensatz  zwischen  denselben  heraus,  indem  nicht  in  gleicher  Weise  die  einander  ent- 
sprechenden Kategorien  der  Haare,  der  Augen  und  der  Haut  vertheilt  sind.  Es  zeigen 
sich  Verschiedenheiten,  namentlich  in  Bezug  auf  die  Augen  und  die  Haare.  Es  finden  sich 
sich  gewisse  Landestheile,  wo  blondes  Haiir  und  blaue  Augen  in  überwiegender  Häutig- 
keit zusammentreffen,  und  andere,  wo  blondes  Haar  und  braune  Augen  häutiger  sind. 

Im  Allgemeinen  ergeben  sich  für  das  diesseitige  Bayern  Differenzen  der  einzelnen 
Gegenden  in  der  Weise,  dass  die  blondhaarige  Bevölkerung  wesentlich  die  fränkischen 
Länder  einnimmt  und  ihre  Frequenz  nach  Norden  zunimmt;  im  Gebiete  des  fränkischen 
Jura,  im  Erzgebirge,  im  Thüringer  Walde  sind  die  Blonden  am  dichtesten.  Von  da 
nach  Süden  nimmt  ihre  Zahl  allmählig  ab.  Dann  kommt  ein  ganz  continuirlicher 
und  sehr  bestimmter  Gegensatz,  welcher  dem  Donaulauf  folgt  und  in  der  That  sehr 
merkwürdig  ist.  Quer  durch  Bayern  hindurch  schiebt  sich  ein  Gebiet,  welches  einer 
mehr  braunen  Bevölkerung  angehört.  Weiter  südlich  gegen  die  Alpen  hin  steigern 
sich  dann  die  Nuancen  des  Braun,  jedoch  mit  der  eigeuthümlichen  Abweichung,  dass 
gewisse  Bezirke  vorkommen,  in  denen  direkte  Widersprüche  entstehen,  namentlich 
im  äussersteu  Südosten  des  Landes,  also  in  dem  Winkel,  der  dem  Ausflusse  des  Inn 
in  die  Ebene  und  dem  Grenzgebiete  gegen  Oesterreich  entspricht:  hier  sitzt  eine 
scheinbar  ganz  gemischte  Bevölkerung,  indem  die  Haare  noch  den  Habitus  einer  brauneu, 
die  Augen  dagegen  in  höherem  Maasse  den  Habitus  einer  helleren  Bevölkerung  darbieten. 


(204) 

Noch  etwas  ist  sehr  auffällig,  worauf  ich  besonders  aufmerksam  mache,  das  ist 
die  Differenz  der  Stadtgebiete.  In  Bayern  sind  auch  die  Mittelstädte  administrativ 
meistentheils  von  der  ländlichen  Umgebung  eximirt;  es  ist  dadurch  eine  Spezial- 
erhebung  für  sie  möglich  geworden,  und  Sie  werden  nun  sehen,  wie  fast  alle  diese 
Stadtgebiete,  gleichviel  ob  sie  in  einem  hellen  oder  dunklen  Gebiete  liegen,  der  brauneu 
Bevölkerung  zufallen,  —  eine  sehr  merkwürdige  Thatsache,  die  bisher  noch  unerklärt 
dasteht,  die  sich  aber  für  viele  Grossstädte  wiederholt  und  die,  wie  es  scheint,  in 
dem  Maasse  stärker  hervortritt,  wie  die  Bevölkerung  wächst. 

Es  wird  Sie  gewiss  interessiren ,  zu  sehen,  welche  wichtigen  Gesichtspunkte 
sich  auf  diesem  "Wege  gewinnen  lassen.  Schon  jetzt  hat  die  bayrische  Bearbeitung 
den  wesentlichen  Erfolg  gehabt,  dass  eine  Menge  von  Einwendungen,  welche  bis  dahin 
noch  existirten  und  die  Nützlichkeit  dieses  Unternehmens  in  Zweifel  zogen,  dadurch 
zerstreut  worden  ist. 

Indem  ich  wegen  der  Einzelheiten  der  sonstigen  Verhandlungen  auf  den  bald  zu 
erwartenden  stenographischen  Bericht  verweise,  bleibt  mir  noch  die  Pflicht,  dem 
Münchner  Zweigverein  auch  von  hier  aus  unseren  ganz  besonderen  Dank  abzustatten 
für  die  vorti-efflichen  Anordnungen,  welche  er  getroffen  hat,  um  uns  den  Aufenthalt 
in  der  Isarstadt  ebenso  lehrreich,  als  angenehm  zu  machen. 

Ich  muss  endlich  noch  erwähnen,  dass  die  sehr  eifrige  und  umsichtige  Art,  mit 
der  unser  gegenwärtiger  Generalsekretair,  Hr.  Professor  Kollmann,  sich  der  Ange- 
legenheiten der  Gesellschaft  annimmt,  eine  sehr  schnelle  Förderung  auch  in  der  Aus- 
gabe des  Gorrespondenzblattes  der  deutschen  Gesellschaft  herbeigeführt  hat.  Wir 
haben  schon  die  Oktobernummer  desselben  erhalten.  Wir  hoffen,  dass  mit  dieser 
Beschleunigung  das  Correspondenzblatt  auch  in  höherem  Maasse  die  Bedeutung  ge- 
winnen wird,  die  es  haben  soll,  dass  es  nämlich  wirklich  mehr  als  Centralorgan  für 
geschäftliche  Mittheilungen  dienen  wird.  Demgemäss  besteht  die  Absicht,  dass  die 
etwas  langen  Ausführungen ,  die  bis  jetzt  noch  von  den  Verhandlungen  der  Lokal- 
vereine gegeben  worden  sind,  etwas  reduzirt  werden. 

(4)  Hr.  Hartmauu  zu  Fürstenfeldbruck  schenkt  der  Gesellschaft  photogra- 
phische Darstellungen  bayrischer  Landleute,  hauptsächlich  des  Dachauer  Typus. 

(5)  Hr.  Meitzen  hat,  mit  Bezug  auf  die  Mittheilungen  des  Hrn.  Hartmann  in 
Fürstenfeldbruck  (Sitzung  vom  20.  März),  folgendes  Schreiben  eingesendet,  betreffend 
die  sogenannten 

Hochäcker  oder  Bifange. 

Von  den  Angaben  des  Berichterstatters  scheint  mir  zunächst  die,  dass  sich 
Grabhügel  auf  den  alten  Feldlagen  finden,  einer  Untersuchung  darauf  hin  zu  be- 
dürfen, ob  die  Fcldeintheilung  auf  diese  Hügel  Rücksicht  nimmt  oder  nicht.  Grab- 
stätten der  Anbauer  selbst  würden  auf  die  Ackereintheilung  gewiss  nicht  ohne  Einfluss 
sich  zeigen.  Erst  von  alten  Grabhügeln  kann  man  erwarten,  dass  sie  ohne  weiteres 
in  die  Grenzen  der  Aecker  hineingezogen  wurden.  Dass  die  späteren  Feldeintheilungen, 
namentlich  die  des  12.  und  13.  Jahrhunderts  auf  die  alten  Tumuli  keine  Rücksicht 
genommen  haben,  weiss  ich  für  Schlesien  aus  öfterer  Erfahrung.  Dagegen  sind  von 
den  Bauern  viele  solche  Hügel  bis  in  die  neueste  Zeit  beim  Ackern  unverletzt  aus- 
gespart worden,  und  dies  wird  früher  stets  geschehen  sein. 

Die  Trichtergruben  müssen  darauf  angesehen  werden,  ob  sie  zum  Behufe  der 
Viehtränke  gegraben  sind  oder  nicht.  Gruben  zum  Viehtränken  kommen  auf  allen 
Ackerlagen  vor,    auf  denen  Rindvieh  in  Brache  oder  Stoppeln  geweidet  wurde,  und 


(205) 

von  denen  aus  Wasser  nicht  in  der  Nähe  erreicht  werden  konnte,  ohne  andere  be- 
stellte Felder  zu  überschreiten  oder  zu  gefährden.  Wo  diese  Gruben  Grundwasser 
finden,  sind  sie  klein  und  auch  meist  nicht  von  Dämmen  umgeben,  sondern  der  Boden 
ist  niedergetreten  und  verglichen.  Wo  aber  kein  Grundwasser  sich  sammelt,  sondern 
die  Grube  allein  als  Cisterne  für  das  Regenwasser  dient,  sind  sie  klein  und  tief,  wenn 
sie  in  einer  natürlichen  Mulde  liegen,  aus  der  sie  von  selbst  Zufluss  erhalten.  Müssen 
sie  aber  eben  oder  hoch  liegen,  so  sind  sie  oft  recht  umfangreich,  und  zwar  in  der 
Weise,  dass  zwar  das  Wasserloch  nicht  sehr  gross,  sondern  eher  tief,  dagegen  rings 
um  dasselbe  in  näherer  oder  weiterer  Entfernung,  ein  Damm  von  aufgeworfener  Erde 
gezogen  ist,  der  von  seinen  Abhängen  das  Wasser  in  die  Grube  leitet.  Auf  einer 
ziemlich  ebenen  Haide  würde  die  Vertheilung  der  Wasserlöcher  in  Verbindung  mit 
den  beschriebenen  Spuren  der  Feldluge  einigermasseu  auf  die  Art  des  Wechsels  im 
Weidegange  und  damit  in  der  Ackerbestellung  schliessen  lassen. 

Die  beschriebene  Feldeintheilung  ist  vollkommen  die  der  flämischen  Kolo- 
nisation, Avelche  in  Norddeutschlaud  1100  begann  und  sich  bis  ins  14.  Jahrhundert 
fortsetzte.  Ihre  Art  und  Weise  lässt  sich  genau  nachweisen.  Sie  fand  namentlich 
in  Haiden,  Sümpfen  und  ebenen  Lagen  statt.  Es  müssten  dann  aber  die  vom  Hericht- 
erstatter  beschriebenen  Streifen  nicht  als  Beete,  sondern  als  Eigenthumsstücke,  als 
Hufenantheilsstreifen,  aufgefasst  werden  können.  Dies  kann  mit  einiger  Sicherheit 
auch  nur  durch  Augenschein  entschieden  werden.  Die  flämischen  Eigenthumsgrenzen 
wurden  in  der  Regel  durch  Gräben  oder  durch  Feldraine  bezeichnet.  Auf  erstere 
passt  die  Beschreibung  des  Berichterstatters  sehr  wohl.  Denn  sie  sinken  mit  der 
Zeit  zusammen  und  kr)nnen  dann  solche  Wölbungen  von  Ij^  bis  2%  Fuss  Höhe,  wie 
sie  beschrieben  sind,  erscheinen  lassen.  Lassen  sich  die  Wölbungen  der  Feldstreifen 
so  auffassen,  so  würde  ich  kein  anderes  Bedenken  gegen  die  Annahme  von  Spuren 
der  Ausetzung  flämischer  Hufen  haben,  als  dass  ich  bei  einer  Durchsicht  der  bayrischen 
Katasterkarten,  die  ich  früher  in  München  vorgenommen  habe,  flämische  Hufen  in 
Altbayern  gar  nicht,  und  auch  die  verwandten  fränkischen  Hufen  nur  im  nordwest- 
lichen Theile  von  Franken,  um  Bischofsheim,  im  Osten  der  Rhön,  gefunden  habe. 
Sollten  aber  wirklich  im  südlichen  Bayern  solche  Kolouisationshufen  ausgethan  worden 
sein,  was  in  den  ausgedehnten  Haiden  selbst  versuchsweise  nicht  unmöglich  wäre, 
so  würde  man  davon  wahrscheinlich  irgend  welche  urkundliche  Spuren  finden. 

Das  Wüstliegeu  solcher  alten  Feldlagen  ist  nichts  besonders  Auffallendes.  Die 
frühere  Kriegsführuug  und  Schutzlosigkeit  hat  viele  Feldmarken  wüst  gemacht.  Seit 
dem  16.  Jahrhundert  haben  die  Gutsherren  auch  vielfach  ihre  Forsten  durch  ßauern- 
gründe  ausgedehnt  und  arrondirt.  Vor  allem  aber  konnte  es  auf  Haideländereieu 
leicht  vorkommen,  dass  eine  grosse  Kolonieanlage  gemacht  wurde,  die  Leute  einige 
Jahre  die  leichten  Aecker,  die  noch  den  Humus  der  bisherigen  Vegetation  besasseu, 
nutzten,  dann  aber,  als  man  einsah,  dass  der  Boden  leer  geworden  und  nichts  Ordent- 
liches mit  ihm  anzufangen  war,  an  eine  bessere  Stelle  versetzt  wurden.  Ob  sich 
ein  solcher  Vorgang  muthmasseu  lässt,   würde  sich    vielleicht  aus  Urkunden  ergeben. 

Die  eingreifendste  Frage  bleibt  indess  die  nach  der  Ackerbestellung,  und 
auch  sie  kann  nur  aus  genauer  örtlicher  Prüfung  beurtheilt  werden.  Sind  diese  langen 
Streifen  in  der  That  in  ihrer  ganzen  Breite  durch  Bestellung  mit  dem  Pfluge  auf- 
gehäufte Beete,  wie  der  Berichterstatter  anzunehmen  scheint,  so  kann,  soweit  meine 
Anschauung  von  den  Kolonisationen  im  Mittelalter  reicht,  nicht  wohl  daran  gedacht 
werden,  dass  sie  denselben  angehören.  Breite  Beete  von  6  bis  12  Meter  und  mehr, 
sofern  man  dabei  überhaupt  noch  von  Beeten  sprechen  kann,  gehören  in  Schlesien 
überall  und,  soweit  mir  bekannt,  auch  sonst  in  Deutschland  erst  der  neuesten  Zeit 
an  und  sind  meist  erst  durch  sehr  gute  Entwässerung  und  Drainagen  möglich  geworden. 


(206) 

Schon  die  speziell  sogenannten  ^breiten  Beete"  von  14  bis  18  Fuss  sind  allenthalben 
erst  in  unserem  Jahrhundert  zur  Anwendung  gekommen.  Früher  waren  Beete  von 
einer  Breite  von  6  bis  8  Fuss,  meist  mit  sehr  tiefen  Wasserfurchen  zwischen  je  2 
Beeten,  die  allgemein  verbreitete  Art  der  Bestellung.  Es  ist  nicht  zu  bezweifeln,  dass 
die  deutsche  Kolonisation  diese  Ackerbestellung  in  Schlesien  eingeführt  hat,  denn 
vorher  war,  wie  urkundlich  feststeht,  hier  überall  der  polnische  Haken  iu  Gebrauch. 
Die  deutsche  Hufe  wurde  gradezu  als  Pflug  bezeichnet.  Da  die  Kolonisten  aus  den 
verschiedensten  westdeutschen  Landstrichen  nach  Schlesien  kamen,  wird  diese  Be- 
stellungsweise wohl  die  damals  bei  den  deutschen  Bauern  allgemein  verbreitete  gewesen 
sein.  Dass  also  die  Kolonisten  jener  Zeit  die  hohen  Wölbungen  mit  dem  Pfluge 
zusammengefahren  haben  sollten,  kann  ich  nicht  glauben.  Wenn  sie  nicht  durch 
Gräben  entstanden  sind,  habe  ich  überhaupt  keine  rechte  Vorstellung,  wie  sie  ge- 
macht sind. 

So  wie  der  polnische  Haken,  haben  auch  alle  in  die  Gattung  der  Staggut  gehö- 
rigen Ackerinstrumente  die  Eigenthümlichkeit,  den  Boden  mehr  oberfläcLlich  zu  rühren, 
als  fortzubewegen.  Wäre  ein  anderes  Instrument  gebraucht  worden,  so  würde  dies 
jedenfalls  auf  die  Zeit  vor  1200  zurückweisen. 

Die  Namen  Heidenäcker  u.  s.  w.  deuten  unter  den  bestehenden  Umständen  aller- 
dings wohl  weit  zurück.     Bifang  heisst  eingezäuntes,  auch  okkupirtes  Ackerstück. 

Gegen  die  Betheiligung  der  Römer  spricht  die  Feldeintheilung,  welche,  soweit 
mir  bekannt,  ebensowenig  bei  der  Vertheilung  des  Ager  publicus,  als  bei  der  Anlage 
römischer  Kolonien  angewendet  worden  ist.  Eine  Prüfung,  ob  sich  irgendwo  Spuren 
derartiger  römischer  Auftheiluugen  finden,  wäre  gewiss  erwünscht.  — 

Hr.  Virchow  bemerkt,  dass  nach  Schluss  der  Münchener  Versammlung  ein 
Theil  der  Mitglieder  und  unter  ihnen  er  selbst  unter  Leitung  des  Hrn.  Hartman n 
eine  Excursion  in  die  Umgebungen  des  Ammer-Sees  gemacht  und  dort  die  Hochäcker, 
sowie  die  in  demselben  Gebiete  befindlichen  Hügelgräber  und  Trichter  in  Augenschein 
genommen  habe.  Leider  waren  keine  Vorbereitungen  zu  Grabungen  getroffen,  so  dass 
es  nicht  möglich  war,  über  die  Beschaffenheit  der  Gräber  und  noch  weniger  über  die 
Natur  der  Trichter  ein  eigenes  Urtheil  zu  gewinnen.  Dagegen  traten  die  Hochäcker 
sehr  deutlich  zu  Tage  und  zwar,  soweit  es  an  den  besuchten  Stellen  schien,  ohne 
Beziehung  zu  den  Gräbern.  Verschiedentliche  alte  Verschanzungeu  und  Wälle,  die 
als  römische  angesehen  werden,  liegen  in  der  Nähe.  Ob  die  an  verschiedenen  Orten 
Pommerns  erwähnten  Furchen  und  Ackergrenzen  in  Wäldern,  z.  B.  auf  der  Insel 
Wollii),  in  Hinterpommern,  mit  den  Hochäckern  identisch  sind,  wäre  noch  festzustellen. 

(6)  Hr.  Nehring  berichtet  in  einem  Briefe  d.  d.  Wolfenbüttel,  11.  October,  an 
den   Vorsitzenden  über 

Ausgrabungen  diluvialer  Thiere  zu  Westeregeln  bei  Oscliersleben. 

Da  ich  annehmen  darf,  dass  der  Bericht  über  die  am  19.  Juni  d.  J.  abgehaltene 
Sitzung  der  Berliner  Gesellschaft  für  Anthrojjologie,  welcher  mir  heute  zuging, 
auf  Ihre  Veranlassung  an  mich  abgeschickt  ist,  so  halte  ich  es  für  meine  Pflicht, 
mich  für  Ihre  grosse  Freundlichkeit  zu  bedanken,  um  so  mehr,  da  Sie  iu  der 
genannten  Sitzung  meine  kleinen  Entdeckungen  im  Zusammenhange  mit  der  Liebe- 
schen Schrift  anerkennend  erwähnt  haben.  Debrigens  stehe  ich  in  der  That  mit 
Hrn.  Prof.  Liebe  in  Gera  in  näherem  Zusammenhange,  und  die  Resultate  unserer 
beiderseitigen  Untersuchungen  stimmen  iu  vieler  Beziehung  auffallend  überein.  Es 
wird    Sie    und    die    geehrte    Gesellschaft    für   Anthropologie    vielleicht    interessiren, 


(207) 

Einiges   über  meine   neuesten  Funde    zu   erfahren ,    welche   ich   im  Diluvium   unserer 
Gegend,  besonders  in   Westeregein  bei  Oschersleben  gemacht  habe.    Schon  im  August 
1874  hatte  ich  im  Löss  der  Gypsbriiche  von  Westeregeln  Knochen  gefunden,  welche 
meine    besondere  Aufmerksamkeit   erregten,   ohne  dass  ich  im  Stande  gewesen  wäre, 
mit  Hülfe  des  im  ßraunschweiger  Museum  befindlichen  Vergleichsmaterials  dieselben 
zu  bestimmen.     Erst  als  ich  im  diesem  Sommer  dort   einen    zugehörigen  Unterkiefer 
fand,   erkannte    ich    Alactaga  jaculus  Brdt.    (Dipus  jaculus  Pal!.).     Vor  8  Tagen    nun 
war  ich  nochmals  in  Westeregeln  und  habe  die  ganze  Kluft,  in  welcher  das  Knochen- 
lager sich  befand,  ausgeräumt.    Die  Ausbeute  war  famos!   Ich  förderte  so  viele  Skelet- 
theile  (auch  Gebisse)  von  Alactaga  jaculus  foss.  zu  Tage,  dass  ich  10—11  Individuen 
sicher  nachweisen  kann.    Dazu  kommen  die  Skelettheile  von  etwa  \'S — 14  Spermophili; 
die  letzteren  haben  fast  alle  in  dem  hoffnungsvollen  Stadium   des  Zahnwechsels   sich 
befunden,  als  der  Tod  sie  ereilt  und  im  Interesse  der  einstigen  Wissenschaft  im  Löss 
von  Westeregeln  begraben  hat.    Ebenso  zahlreich  waren  die  Reste  von  kleinen  Vögeln, 
deren  Knöchelchen  meist  häufchenweise  von  mir  gefunden  wurden.    Dazwischen  fand 
sich  ferner  der  Oberschädel  eines  alten  Lemmings  (Myodes  lemmus),  sowie  der  Unter- 
kiefer eines  sehr  jugendlichen  Exemplars   nebst  zugehörigen,   sehr  zierlichen  Skelet- 
theilen, ferner  je  ein  Unterkiefer  von  Arvicola  ratticeps  und  arvalis,  Unterkiefer  eines 
Sorex-ähnlichen  Thieres,   1   Unterkiefer,   2  Backenhälften,    1   Ulna,    1  Radius,    1  Tibia 
und  mehrere  Phalangen  vou  Arctomys  bobac,  2  Unterkiefer  und  zahlreiche  Skelettheile 
eines  Lepus   (wahrscheinlich    variabilis);    1   Unterkiefer   mit   4  Backeuzähnen,    sowie 
das  entsprechende  Oberkieferstück  mit  3  Zähnen   von  einem  ganz  jungen  Rhinoceros 
(tichorhinus?     Da  die   Zähne   noch   gar    nicht    abgenutzt    sind,    so    weichen   sie    von 
meinen   beiden  Thieder  Gebissen,  welche   älteren  Exemplaren  des  Rh.  tich.  angehört 
haben,   wesentlich   in  Grösse  und  Form  ab,   aber   es   wird   doch  wohl  auch  Rh.  tich. 
sein).     Dazu   kommen    einige  Knochen   vou  Rhinoceros,   ferner  Gebisse   und  Knochen 
von  zwei  jungen  Pferden,    1   Schneidezahn   von  einem  Canis  (wahrscheinlich  lagopus, 
da  der  Zahn  sehr  zierlich  ist).    Bemerkenswerth  ist  noch,  dass  der  Löss  von  Wester- 
egeln  strichweise   viele   Land-   und   Süsswasserschnecken    enthält,    sowie   auch   nicht 
selten    grössere    und    kleinere  Stückchen  vou  Holzkohle   darin   verstreut  liegen.     Die 
letztere  zeigt,  wenn  sie  frisch  aus  der  Erde  genommen  wird,  eine  sehr  deutliche  Holz- 
structur,   sie  zerfällt  aber  leicht  an  der  Luft.     Freilich  habe  ich  mir  bisher  mit  Con- 
servirung  derselben  wenig  Mühe  gegeben,  da  ich  die  Sache  für  unwichtig  hielt.    Doch 
Hesse  sich  vielleicht  durch  mikroskopische  Untersuchung  seiteus  eines  Kenners,  z.  B. 
des  Forstraths  Hartig  in  Braunschweig,  die  betreffende  Baumart  erkennen,  und  wir 
würden  auf  diese  Weise  Näheres  über  die  noch  ziemlich  unbekannte  Flora  der  Üiluvial- 
zeit  erfahren.    (Auch  im  Thieder  Löss  habe  ich  oft  Holzkohle  gefunden.)  —  Von  dem 
Besitzer  der  Westeregeier  Brüche  erhielt  ich  noch  einen  Schädel  der  diluvialen  Hyäne 
(leider  ohne  Zähne),  1  Unterkiefer  von  einem  mächtigen  Hechte,  1  Schädel  von  einer 
Anas  boschas  und  1   sehr  schöne  Stange  eines  capitalen  Rehbocks,    Alles  nicht  weit 
von  der  Stelle  gefunden,  wo  ich  meine  reichen  Funde  gemacht  habe.     Vor  mehreren 
Jahren   sind   nicht   weit  davon  zahlreiche  Reste  von  Elephas  primigenius  und  Rhino- 
ceros tich.  gefunden,  aber  leider  an  den  Knochensammler  verkauft. 

Sehr  eifrig  habe  ich  nach  sicheren  Spuren  vom  Homo  sapiens  gesucht,  doch 
bisher  vergebens.  Freilich  habe  ich  sowohl  in  Thiede,  als  auch  in  Westeregeln  Feuer- 
steinsplitter mitten  zwischen  den  diluvialen  Knochen  gefunden,  welche  den  sogenannten 
Feuersteinmesseru  zum  Theil  verzweifelt  ähnlich  sehen.  Aber  ich  bin  hinsichtlich 
dieser  Feuersteinsplitter  etwas  skeptisch,  obgleich  zwei  Exemplare  von  Thiede  aller- 
dings das  Aussehen  menschlicher  Artofacte  besitzen.  Auch  habe  ich  manche  Knochen- 
splitter   gefunden,    welche   man    allenfalls   für  Pfeilspitzen   oder   dergleichen   ansehen 


(208) 

könnte;  doch  können  sich  solche  Splitter  auch  bilden,  wenn  die  Knochen  von  Raub- 
thieren  zermalmt  und  nachher  im  Wasser  abgeschliffen  werden.  Wenn  man  den 
Aussagen  der  Arbeiter  trauen  dürfte,  so  wäre  allerdings  sowohl  für  den  Löss  von 
Thiede,  als  auch  für  den  von  Westeregelu  das  Vorkommen  menschlicher  Schädel  und 
Skelettheile  coustatirt;  denn  an  beiden  Orten  versicherten  mir  die  Arbeiter,  dass  sie 
schon  mehrfach  in  beträchtlicher  Tiefe  menschliche  Schädel  und  Knochen  zum  Vor- 
schein gebracht  hätten.  Leider  waren  dieselben  nicht  mehr  vorhanden.  Nur  1  Stück 
von  einem  Menschenschädel,  welcher  bei  Westeregeln  gefunden  ist,  liegt  in  meiner 
Sammlung;  doch  gebe  ich  auf  das,  was  die  Arbeiter  in  dieser  Hinsicht  berichten,  sehr 
wenig,  denn  sie  haben  nicht  die  Fähigkeit,  richtig  zu  beobachten.  Auch  haben  sich 
au  beiden  Orten  alte  Begräbnissstätten  befunden;  besonders  bei  Westeregeln  sind 
Aschenurnen  massenhaft  gefunden,  aber  natürlich  zerstört  worden.  Einen  einzigen 
alterthümlichen  Spindelstein  aus  schwach  gebrannter  Masse  habe  ich  von  dort  erhalten, 
das  Andere  ist  unwiederbringlich  verloren,  da  der  Hügel,  in  welchem  die  Urnen 
reihenweise  gestanden  haben,  planirt  worden  ist.  Kürzlich  war  ich  auch  hier  in  der 
Nähe  bei  Drütte  zur  Untersuchung  eines  Urnenfeldes;  aber  ich  habe  nur  noch  Stücke 
zu  Tage  gefördert,  da  der  Pflug  bereits  im  vorigen  Jahre  Alles  zertrümmert  hatte. 
Nach  den  Aussagen  des  Besitzers  hatten  die  Urnen  reihenweise  1  —  2  Fuss  tief  im 
Boden  gestanden.  Die  Stücke,  welche  ich  fand,  sowie  eine  ziemlich  vollständige 
Urne  von  dort,  welche  ein  hiesiger  Lehrer  besitzt,  zeigen  gute  Arbeit  und  zierliche 
Zeichnung.  — 

In  unserer  Gegend  ist  auf  dem  Gebiete  der  urgeschichtlichen  Forschung  noch 
viel  zu  machen,  aber  leider  giebt  es  bei  uns  nur  Wenige,  die  sich  dafür  inter- 
essiren.  Ich  selbst  habe  viel  Lust  dazu,  aber  leider  sind  Zeit  und  Mittel  zu  knapp, 
um  grössere  und  kostspieligere  Untersuchungen  veranstalten  zu  können;  ich  muss 
mich  daher  auf  kleinere  Untersuchungen  beschränken,  bis  ich  einmal  später  freie 
Hand  bekomme.  Vorläufig  habe  ich  mich  auf  die  kleinere  Diluvialfauna  concentrirt 
und  hoffe,  in  dieser  Richtung  noch  Manches  zum  Vorschein  zu  bringen,  da  ich  mich 
nicht  scheue,  selbst  zu  graben  und  auf  den  Knieen  durch  den  Lehm  zu  rutschen. 
Nach  meinen  bisherigen  Beobachtungen  zeigt  unsere  Diluvialfauna  immer  deutlicher 
einen  Charakter,  wie  sie  die  jetzige  Fauna  im  Osten  und  Südosten  Russlauds  an  sich 
trägt.  Dabei  scheint  mir  die  Ablagerung  von  Thiede  mit  ihren  auffallend  zahlreichen 
Resten  von  Myodes  torqnatus  und  Myodes  lemmus  aus  der  eigentlichen  Glacialzeit 
zu  stammen,  während  der  Löss  von  Westeregeln  mit  seinen  vorwiegenden  Resten  von 
Dipus  und  Spermophilus  neben  den  sehr  sparsamen  Resten  von  M.  lemmus  (torquatus 
ist  noch  gar  nicht  vorgekommen)  vielleicht  etwas  jünger  ist  und  einer  milderen 
(postglacialen)  Zeit  angehört.  Das  ist  allerdings  eine  Hypothese,  die  ich  nur  so  hin- 
werfe, ohne  grade  viel  darauf  zu  geben.  Um  sie  wissenschaftlich  begründen  zu  können, 
müsste  ich  erst  noch  fernere  Beobaclitungen  und  Sammlungen  in  Westeregeln  vor- 
nehmen; vorläufig  scheint  es  hier  aber  mit  dem  Sammeln  vorbei  zu  sein,  da  ich  den 
letzten  Rest  des  vorgcfuiideneu  Knochcnlugors  aufgeräumt  habe. 

(7)  Hr.  Bauinspector  Werner  übersendet  mit  einem  Briefe  d.  d.  Naumburg,  30.  Juni, 
ein  Verzeichniss  über 

Funde  bei  dem  Bau  der  Kreischaiissee  von  Laucha  nach  Nebra  (1872). 


(209) 


?^ 

TS 

Bezeichnung  der  Antiquitäten. 

Angabe  des  Fundortes. 

Bemerkungen. 

1 

wo 

wie 

1. 

Ein  Mainmuthzabn 

St.  218. 

Beim  Erdarbeiten 
im  Kies 

Uuter  dem  Wennunger- 
bolze,  im  Kies. 

2. 

Ein  Schaufelhirschgeweib  .    .     . 

St.  149. 

Bei  dergl.  Arbeiten 

E,ei  Laucha,  in  der 
Nähe  der  Ziegelei 
von  Schmid  t. 

3. 

Ein  Mammut libüftkiioclien     .     . 

St.  212. 

n             »               " 

Unter  dem  Wennunger 
holze,  im  Kies. 

4. 

Zwei  Streitäxte  aus  Stein      .     . 

St.  2 IC. 

»             "               » 

Daselbst. 

5. 

Eine  grosse  Urne  aus  Tlionerde 

St.  118. 

. 

Auf  der  Höhe  bei  Kirch- 
scheidungen. 

6. 

Eine  dergl.  kleinere  mit  Feuer- 
steinmesser ,    Tliränenkriiglein 
und    ein    zerbrochenes    Stück 
Feuerstein 

St.  87. 

V              V                r> 

Hinter  dem  Dorfe  Kirch- 
scheidungen. 

7. 

Eine  dergl.  mit  Thräiienkrüglein 

St.  87. 

n              V                7> 

Daselbst. 

8. 

Ein  Bruchstück  von  Stosszähuen 

St.  218. 

.              . 

Unter  dem  Wennunger- 
holze,  im  Kies. 

9. 

Mehrere    Knochonstücke ,    wahr- 
scheinlich vom  Maramuth  .     , 

St.  218. 

DT?» 

Daselbst. 

10. 

Ein  alter  Schlüssel 

St.  52. 

. 

Am  Kätzel  im  Gyps- 
steinfelsen. 

(8)  Hr.  J.  M.  Hi  Idebrandt  hat  auf  einer  neuen  Reise  im  So  mal -Lande  zu 
Kembeda  bei  Euderäd  eine  Stätte  mit  behaueneu  Steinen  entdeckt,  welche  letztere 
aus  Flugsandhügeln  hervorragten.  Es  fanden  sich  daselbst  Glasscherben  mit  anders- 
farbigen Tüpfeln  in  erhabener  Arbeit  und  rohen  Ornamenten,  Scherben  von  gebrannter 
Töpferwaare,  darunter  solche  von  Härte  der  Klinkerziegeln,  ein  Bügel  aus  Bronze  u.  s.  w. 

Ferner  schickt  Hr.  Hildebrandt  eine  Abbildung  von  Felszeichnungen, 
bei  Horoba  im  Somal-Lande  (IO'^0O'•  Nördl.  Br.  und  47"  JO"  Oestl.  v.  Gr.),  im 


Verbaudl.  der  Berl.  Äiitliropol.  GesellscUalt  lilb. 


u 


(210) 

April  d.  J.  von  ihm  aufgenommen.  Dieselbe  findet  sicirauf  einer  etwas  überliängenden 
Schieferwand.  Sie  ist  roh  und  wenig  tief  ausgehauen.  Die  Stelle  heisst  Gar  Libäch 
(Libcich  =  Leopard). 

Endlich  übersendet  er  eine  Reihe  von  Kopfmaassen,  mit  dem  Hutmacher- 
Conformateur  in  Zanzibar  aufgenommen.  Dieselben  zeigen  durchweg  sehr 
schmale  Dolichocephalen. 

(9)  Hr.  Toselowski  lässt  die  vortrefflich  ausgeführten  Photographien  zweier 
in  zierlichster  Weise  blau  tättowirter  Männer  und  einer  Frau  aus  Japan  vorlegen. 

(10)  Hr.  Cr.  Fritscli  berichtet  über  einen 

Besuch  airf  den  Riiiueu  des  alten  Ragliae  Itei  Telierau  iiud  auf  «Icia  beiiachbarteu 

Griiebernkirchhof. 

Eine  der  interessantesten  Episoden  im  Anschluss  an  die  Venus-Expedition  nach 
Persien  bildete  der  am  30.  December  ausgeführte  Abstecher  von  Teheran  nach  den 
Ruinen  von  Raghae  oder  Rei.  Beim  prachtvollsten,  echt  persischen  Sonnenschein 
wendete  sich  nach  Verlassen  der  Hauptstadt  die  fröhliche,  fast  nur  aus  Deutschen 
bestehende  Reitergesellschaft  durch  die  winterliche  brachliegende  Hochebene  gegen 
die  schroffen  felsigen  Höhenzüge  ,  die  vom  Elburz  her  gegen  Süden  eine  Art  Vor- 
sprung bilden.  Bald  nach  Passiren  des  persischen  Dorfes  Schah  Abdul'azim, 
wo  an  dem  klaren  Bach  beim  heiteren  Picknick  eingehende  Studien  über  die  Vor- 
züglichkeit der  persischen  Weine  von  Schiraz  angestellt  wurden,  stebt  man  mitten 
in  Ruinenfeldern,  deren  Ausdehnung  gegen  die  Ebene  von  den  Abhängen  her  sich 
stundenweit  verfolgen  lässt.  Es  sind  dies  die  dreifach  über  einander  gethürmten 
Ruinen  der  uralten  Stadt,  welche  in  der  Geschichte  unter  verschiedenem  Namen 
angeführt  wird. 

Die  alte  medische  Residenz,  in  der  Schrift  als  Rages  erscheinend,  wird  in  den 
Berichten  der  Feldzüge  Alexander  des  Grossen  Rhagae  genannt;  sie  war  später 
Sitz  der  parthischen  Arsaciden  als  Arsacia,  bis  die  einfallenden  Araber  G42  n.  C. 
die  alte  Stadt  vollständig  zerstörten.  Unter  den  Khalifen  als  „Neu-Rei"  wieder 
aufgebaut  und  mit  doppelter  Mauer  und  Graben  für  die  äussere  und  innere  Stadt 
versehen,  erlangte  sie  wieder  grosse  Bedeutung,  bis  ein  Erdbeben  sie  auf's  Neue  ver- 
nichtete. Die  noch  einmal  emporgeblühte  Stadt  erlag  1220  durch  den  Einfall  der 
Mongolen,  worauf  die  Ruinen  wegen  Verlegung  der,  persischen  Residenz  nach  Teheran 
dauernd  im  Verfall  blieben. 

Die  Spuren  des  alten  Rages  oder  Rhagae  finden  sich  nur  noch  spärlich;  sie  sind 
gekennzeichnet  durch  das  besondere  Baumaterial,  nämlich  unbehauene  Feldsteine  mit 
M()rtel  zusammengefügt.  J*jinzelne  monolithisciie  Denkmäler  in  besonderer  Aufstellung 
an  den  Abhängen  werden  ebenfalls  darauf  zurückgeführt,  Alles  aber  bereits  sehr 
verwittert.  Die  alte  Akropolis,  welche  auf  einem  isolirteu  Vorberg  und  den  vor- 
geschobenen Theilen  der  Höhenzüge  lag,  ist  durch  die  späteren  Bauten  sehr  über- 
deckt worden. 

Das  Material  für  die  erste  muhamedanische  Stadt  bestand  bei  den  öffent- 
lichen Bauten  aus  vortrefflichen  Backsteinen,  die  an  der  Oberfläche  vielfach  bunt 
glasirt  waren,  worunter  eine  lebhafte  blaue  Farbe  noch  heute  durchaus  frisch  erscheint. 

Aus  dieser  Zeit  findet  sich  eine  Art  Burg  von  ziemlicher  Ausdehnung  in  der 
Ebene  bei  Schah  Abdul'azim  als  der  Mittelpunkt  der  damaligen  Stadt.  Die  Grenze 
gegen  die  Berge  hin  wird  gekennzeichnet  durch  eine  Anzahl  von  Wartthürmen  ver- 
schiedener Gestalt  mit   kuphisc^hcn  Inschriften   an    den  Wänden    im  Innern,   während 


(211) 

aussen  als  Verzierungen  des  obersten  Theiles  einige  Schriftzüge,  in  blau  glasirten 
Ziegeln  ausgeführt,  auftreten 

Von  der  späteren  niuhamedaui  seh  en  Stadt  finden  sich  die  auffallendsten 
Koste  in  unmittelbarer  Nachbarschaft  des  Ortes  Schah  Abdurazim,  wegen  der  eigen- 
tln'inilichen  (^onstruction  bomerkenswerth  besonders  ein  mächtiger  Thurm  von  Back- 
teinen,  der  im  Innern  hohl  ist,  und  daselbst  noch  Spuren  von  schwarzen  Schriftzeichen 
an  den  "Wänden  trägt.  Brugsch  vergleicht  den  Querschnitt,  wohl  nicht  ganz  treffend, 
mit  der  Figur  eines  Uhrrades:  die  äussere  Wand  bildet  nämlich  zwanzig  rechtwinklige 
Kanten,  wodurch  der  Umriss  des  in  der  Anlage  runden  Thurmes  in  sonderbarer  Weise 
gebrochen  wird.  Vielleicht  lag  nur  die  Absicht  vor,  die  Verwendung  von  zugerun- 
deten Steinen  zu  vermeiden,  es  kommt  aber  wohl  die  in  sehr  vielen  Bauten  des 
Landes  hervortretende  Neigung  hinzu,  ausgedehnte  Krümmungen  zu  unterbrechen 
und  weiter  einzutheilen.  Ks  kennzeichnet  dies  einen  bemerkenswerthen  Unterschied 
im  Geschmack  gegenüber  den  afrikanischen  Nigritiern,  wo  jede  gerade  Linie  fast 
unwillkürlich  eine  gewisse  Krümmung  anzunehmen  scheint.  Der  Zahn  der  Zeit  und 
die  noch  verderblichere  Pickaxt  der  Backsteindiebe  zerfrisst  den  von  der  Sage  als 
das  Grabmal  eines  Sultans  und  seiner  Favoritin  bezeichneten  Thurm  in  bedenklicher 
Weise,  so  dass  er  in  einigen  Jahren  wohl  ebenfalls  zu  Falle  kommen  dürfte. 

Wie  weit  die  letzte  Stadt  sich  in  die  Ebene  ausdehnte,  lehrt  der  ausgedehnte 
Ueberblick  von  den  Höhen  auf  die  Ruinenfelder.  Freilich  liegen  sie  jetzt  zum  grössten 
Theil  unter  dem  Pflug  des  Ackerbauers,  da  Häuser,  von  Luftziegeln  gebaut,  bald 
wieder  oberflächlich  zerfallen;  grössere  Complexe  einstiger  Gebäude  bleiben  indessen 
als  dunkle,  unvegelniässig  geformte  Hügel  kenntlich. 

Die  archäologischen  Funde  des  Ortes  bestehen  hauptsächlich  aus  sehr 
mannichfachen  Münzen,  um  deren  Auffindung  und  Kenntniss  unser  verehrtes  Mitglied 
in  Teheran,  Hr.  Schindler,  bedeutende  Verdienste  hat.  — 

Nach  Besichtigung  der  Ruinen  wendeten  wir  uns  östlich  in  ein  kleines,  steil 
aufsteigendes  Thal,  dem  Hauptziel  unseres  Rittes  zu:  dort  liegt  nämlich  hoch  an  den 
dunklen,  rothbraunen  Bergen  ein  eigenthümliches,  weissliches  Gemäuer,  der  Guebern- 
kirchhof,  vielleicht  dorthin  verlegt  wegen  der  sagenhaften  Geburt  Zoroasters  in 
dem  alten  Rei.  Er  stellt  eine  ringförmige,  fast  senkrechte  Mauer,  etwa  5—6  Meter 
hoch,  bei  einem  Durchmesser  von  ungefähr  CO  Metern  dar,  ohne  Zugang  zum  Innern. 

Der  Einblick  von  den  benachbarten  Höhen  zeigt  darin  reihenweise  geordnete, 
von  Steinen  gemauerte  Behältnisse,  erfüllt  mit  eigeuthümlichen,  unförmlichen  Ballen. 
In  dem  gegen  die  Berge  gewendeten  Theil  erkennt  man  an  der  innern  Wand  in 
halber  Höhe  über  dem  Boden  die  Spuren  einer  früher  dort  befindlich  gewesenen  kleinen 
Thür,  die  jetzt  vermauert  ist.  In  dem  Inhalt  der  Steinkisten  machten  sich  Skelet- 
theile kenntlich.  Die  Bergabhänge  der  Nachbarschaft  selbst  zeigten  viele  Bruchstücke 
von  Menschenkuochen  und  Kleiderfetzen. 

Durch  Ineiuanderschuallen  der  ausgehakten  Steigbügel,  deren  eines  Ende  über 
die  Mauerfirste  geworfen  wurde,  gelang  es,  einen  Halt  zu  gewinnen,  an  welchem  die 
Leichtesten  von  der  Gesellschaft  emporklimmten  und  glücklich  in  das  Innere  des 
Mauerringes  gelangten. 

Es  zeigte  sich  daselbst,  entsprechend  der  einstigen  Thür,  eine  rohe,  aus  nur  vier 
Stufen  bestehende  Steintreppe,  abwäi'ts  führend,  die  jedenfalls  zum  Herabbringen  der 
Leichen  diente.  An  dieser  Seite  der  Mauer  lagen  mehrere  noch  ziemlich  frische 
männliche  Leichen  in  ihrer  gewöhnlichen  Kleidung;  daneben  mehrere  Kinderleichon 
älteren  Datums,  von  den  Geiern  schon  mehr  zerfressen.  In  einer  gruftartigeu  Ver- 
tiefung befanden  sich  vier  ziemlich    wohlerhaltene   Skelette,    von    denen    wir    einen 

U* 


(212) 

Schädel   mitnahmen;    ausserdem   wurde  ein   weiblicher  Schädel   und   ein  Becken  der 
"Wissenschaft  geweiht,  da  mehr  la  nehmen  leider  unthuulich  war. 

Die  in  Tücher  verpackten  Skelettheile  mussten  von  den  aus  begreiflichen  Gründen 
am  Fusse  des  Berges  zurückgelassenen  muharaedanischen  Dienern  als  Gesteinsproben 
declarirt  und  in  unseren  Satteltaschen  nach  Teheran  gebracht  werden.  Der  wissen- 
schaftliche Einbruch  war  glücklicherweise  gerade  beendigt,  als  unsere  Diener,  von 
Neugier  angelockt,  auf  der  Höhe  erschienen. 

Der  Typus  der  erbeuteten  Schädel  erscheint  recht  bemerkenswerth  und  es  ist 
sehr  zu  bedauern,  dass  keine  längere  Reihe  vorhanden  ist;  so  weit  dies  möglich, 
bekräftigt  ihr  Bau  die  auch  anderseits  aufgestellte  Vermuthuug,  dass  gerade  die 
Guebern  wegen  ihrer  Abgeschlossenheit  und  der  besonderen  bürger- 
lichen Stellung  den  specifisch  persischen  Typus  am  reinsten  bewahrt 
haben.  Unter  der  muhamedanischen  Bevölkerung  ist  der  Charakter  durch  tuikes- 
tanische,  arabische  und  syrische  Beimischungen  sehr  verwischt.  Herrschend  erscheint 
heutigen  Tages  ein  mesocephaler  Typus  mit  Hinneigung  zum  türkischen  Schädel. 

Der  Bau  des  vorliegenden  tnänulicheu  Guebern-Schädels  ist  dolichocephal,  aber 
noch  eigenthümlich  roh  und  eckig,  dadurch  abweichend  von  dem  abgeschliffenen  persi- 
schen Mischtypus.  Der  weibliche  ist,  entsprechend  dem  Geschlecht,  feiner,  weniger  mar- 
kirt,  doch  auch  charakteristisch.  (Indices  der  beiden  Schädel:  g  B.  I  =  77,9;  H.  I  =  75,3; 
Q  B.  I  =  77,8;  H.  1  =  79,0).  Diese  Beobachtungen  lassen  die  Ansicht  als  berechtigt  erschei- 
nen, dass  ein  eingehenderes  Studium  über  den  physischen  Bau  der  Guebern  uns  in  der 
That  über  den  ursprünglichen  persischen  Typus  die  besten  Aufschlüsse  geben  könnte. 

Die  Absonderung  des  in  Rede  stehenden  Theils  der  persischen  Bevölkerung  wird 
hauptsächlich  durch  die  politische  Stellung  derselben  bedingt.  Die  Guebern  sind, 
■wie  alle  Ungläubigen,  von  den  schiitischen  Muhamedanern,  d.  h.  dem  weitaus  grössten 
Thcil  der  Perser,  sehr  verachtet  und  führen  eine  elende  Existenz  unter  der  Bevöl- 
kerung als  dienende  Klasse  oder  als  kleine  Handwerker;  sie  werden  allmälig  wohl 
ganz  verschwinden.  Stärkere  Gemeinden  giebt  es  nur  noch  in  Hamadan.  Charak- 
teristisch für  die  ursprünglichen  Sitten  ist  die  geringere  Abschliessung  der  Frauen, 
wie  sie  erst  durch  die  fanatischen  Schiiten  in  der  ganzen  unverständigen  und  verderb- 
lichen Rigorosität  durchgeführt  ist. 

"Was  die  Art  der  Bestattung  bei  den  Guebern  anlaugt,  so  ist  von  einer  sol- 
chen kaum  zu  reden.  Die  Leiche  wird  von  dem  dazu  bestimmten  Mann,  dem  Kirchhofs- 
wärter, über  die  Mauer  befördert  und  dort  den  atmosphärischen  Einflüssen  und  den 
Geiern  exponirt,  bis  der  Verwesungsprocess  vollendet  ist.  Die  Reste  werden  alsdann 
in  den  Steinkisten  gesammelt,  wobei  natürlich  von  den  durch  die  Geier  zerstreuten 
Knochen,  Theile  verschiedener  Individuen,  von  den  Kleidern  aber  höchstens  Fetzen 
in  die  Steinkiste  gelangen.  Es  heisst,  dass  nach  der  Auslegung  der  frischen  Leiche 
die  Angehörigen  auf  den  Abhängen  der  Nachbarschaft  warteten,  um  zu  beobachten, 
ob  die  Geier  zuerst  das  rechte  oder  das  linke  Auge  aushackten:  im  ersteren  Falle 
solle  die  Seele  zu  Ormudz  gehen,  im  andern  dem  Ahrimau  verfallen  sein.  Diese 
Angabe  wird  durch  die  thatsächliche  Beobachtuag  nicht  bestätigt,  indem  die  Leichen 
an  dem  abgewendeteu,  von  Aussen  nicht  zu  übersehenden  Theil  der  Umfriedigung 
lagen.  Ausserdem  zeigten  sich  an  den  frischen  Leichen,  obgleich  sie  jedenfalls 
mehrere  Tage  lagen,  noch  keine  deutlichen  Spuren  der  Thätigkeit  von  Raub- 
vögeln. Die  Angehörigen  müssten  daher  häufig  lange  warten,  um  das  Schicksal  der 
Seele  festzustellen.  Dass  aber  die  Geier  für  die  Beseitigung  des  Fleisches  sorgen, 
erscheint  unzweifelhaft  durch  den  Zustand  der  älteren  Knochen,  die  zerstreuten  Reste 
und  Kleiderfetzen. 

Das  Resultat  dieser  ßestattungsweise  ist  fast  genau  dasselbe,   wie  es  sich  in  den 


(•213) 

Ausgrabungeu  von  Samthowro  findet,  ohne  dass  ich  indessen  die  factische  Identität 
positiv  bohuupten  wollte.  Bei  beiden  Gräberstiltten  findet  man  verstreute  Knochen  ver- 
schiedener Individuen,  vielfach  zerbrochen,  mit  Geröll  untermischt,  ohne  Schmucksachen, 
mit  spärlichen  Kleiderresteu,  bei  beiden  reihenförmige  Anordnung  der  Behältnisse. 

Zu  beachten  bleibt  indessen,  dass  bei  der  früheren  Ausdehnung  der  persischen 
Herrschaft  bis  in  die  Kaukasusländer  dort  natürlich  auch  Feueranbeter  vorhanden 
waren;  der  letzte  Rest  davon  findet  sich  heutigen  Tages  bei  den  ewigen  Feuern  von 
Baku,  wo  in  dem  Guebernkloster  als  einziger  Repräsentant  ein  indischer  Eingeborner 
das  Geschäft  der  verschwundenen  Guebern  aus  Spekulation  fortsetzt.  Der  in  den  Be- 
schreibungen häufig  in  ganz  irriger  Weise  übertriebene  Gasreichthum  des  Bodens 
macht  se  daselbst  möglich,  unter  Benutzung  unregelmässiger,  den  Ortsangehörigen 
genau  bekannter,  natiirlicher  Leitungen  die  Gasströmungen  in  die  einzelnen  Zellen 
des  viereckigen  Klosterhofes  und  zu  einem  grossen  mittleren  überdachten  Becken  zu 
leiten.  Diese  natürliclion  Gasfeuer  dienten  dem  Gottesdienst  zu  bestimmten  Zeiten, 
dazwischen  aber  wurden  sie  durch  Steinplatten  verdeckt. 

(11)  Hr.  Richard  Andree  in  Leipzig  schreibt  mit  Bezug  auf  die  in  der  Sitzung 
vom   14.  Mai  gemachten  Mittheilungen  über 

den  Burgwall  hei  Zahsow: 
„In  der  Zeitschrift  für  Ethnologie  VH.  Heft  4,  Seite  128  der  „Verhandlungen" 
heisst  es,  dass  der  Burgwall  bei  Zahsow  noch  nicht  untersucht  worden  sei.  Das  ist 
allerdings  und  in  sehr  eingehender  Weise  der  Fall  (durch  Kreisgerichtsrath  Wilke 
in  Kottbus)  gewesen.  Sein  ausführlicher  Bericht  steht  im  Programm  des  Kottbuser 
Gymnasiums,  1859,  Seite  30.  Das  Wesentliche  daraus  habe  ich  abgedruckt  in  meinen 
„Wendischen  Wanderstudien"  (Stuttgart  1874)  S.  1Ü2.  Der  Fund  einer  eisernen 
Pfeilspitze  in  diesem  Wall  ist  nicht  ohne  Interesse". 

Hr.  Virchow  bemerkt  dazu,  dass  ihm  inzwischen  die  Darstellungen  des  Hrn. 
Andree,  auch  die  erste  im  Kosmos  (1871  Bd.  XX.  No.  14,  S.  220,  Anm.),  bekannt 
geworden  seien,  dass  jedoch  die  Hauptsache  der  in  der  Sitzung  vom  14.  Mai  gemachten 
iMittheilungen  dadurch  in  keiner  Weise  betroffen  werde. 

(12)  Hr.  Bastian  berichtet  in  einem  Briefe  d.  d.  Lima,  16.  Juli,  über  den 
Ankauf  von 

Peruanerschädeln  aus  dem  Gräberleide  von  Ancou 

für  die  Gesellschaft.  Sie  stammen  von  derselben  Stelle,  welche  schon  durch  Agassiz 
und  Hutchinson  ausgebeutet  ist  und  an  welcher  einige  Monate  vorher  die  corres- 
pondirenden  Mitglieder  der  Gesellschaft,  die  Herren  Reiss  und  Stübel  methodische 
Ausgrabungen  angestellt  haben.  (Die  Gesellschaft  hat  inzwischen  durch  Hrn.  General- 
consul  Lührssen  einige  Schädel,  welche  von  den  letzterwähnten  Ausgrabungen  her- 
stammen, erhalten,     Sitzung  vom  14.  Mai). 

(13)  Hr.  F.  Jagor  schreibt  dem  Vorsitzenden  d.  d.  Rangoon,  16.  Juli  (sonder- 
barer Weise  an  demselben  Tage,  wie  Hr.  Bastian)  über  die  Absendung  der  für 
denselben  bestimmten  Schädel,  Maasstabellen,  Zeichnungen,  Photographien  und  ethno- 
logischen Gegenstände 

von  den  Audnuiaiieii,  von  Rauguu  und  von  Amritsar. 
Ein  Theil  ist  der  Post  iibergeben.     Die  umfangreichem  Gegenstände  sind  durch 


(214) 

das  Segelschiflf  Anna,  Kapitän  Wittneben  und  die  Columbia,  Kapitain  Schumacher, 
befördert  worden. 

Wegen  der  Messungen  auf  den  Andamanen  (vgl.  Sitzung  vom  14.  Mai)  fürchtet 
er,  dass  ein  Theil,  namentlich  in  Bezug  auf  Arme  und  Beine,  nicht  genau  genug  sei, 
dass  aber  wenigstens  ein  Theil  brauchbar  sein  werde. 

Die  Sendung  aus  Ranguu  enthält  41  Schädel  mit  40  Unterkiefern  aus  dem  dor- 
tigen Gefängniss-Kirchhofe,  wahrscheinlich  ohne  Ausnahme  männliche  Birmanen,  da 
die  Zahl  der  Gefangenen  aus  sämmtlichen  anderen  Nationalitäten  durchschnittlich 
weniger  als  1  pCt.  beträgt  und  die  der  Weiber  bei  einem  durchschnittlichen  Gesammt- 
bestande  von  2200  Individuen  noch  niemals  33  pCt.  erreicht  hat.  Die  Gewinnung 
von  Skeletten  misslaug,  da  es  nicht  möglich  war,  die  zusammengehörenden  Knochen 
vollständig  und  unvermischt  aus  dem  damit  überfüllten,  fetten  Thonboden  herauszu- 
holen. Indess  haben  die  Herren  Dr.  Griffith,  Dobson  und  Chili  zugesagt,  so- 
wohl Skelette,  als  frische  Theile  zu  besorgen. 

Endlich  die  2  Schädel  aus  Amritsar  sind  auf  Veranlassung  des  Dr.  Wilson 
von  dem  indischen  Assistenten,  Hrn.  Sahib  Ditta  präparirt  worden. 

(14)  Der  Vorsitzende  übergiebt  einen  d.  d.  18/30.  August  an  ihn  eingesendeten 
Bericht  des  Grafen  Carl  Geor^  Sievers  ("Villa  Sievers  bei  Wenden)  über 

ein  norinännisclies  Schiffsgrab  bei  Ronnebnrg  und  die  Ausgrabimg  des  Riunehügels 

am  Bnrtneek-See  (Livland). 

(Hierzu  Tafel  XIII  und  XIV.) 

Da  einige  meiner  diesjährigen  Funde  mehr  ein  allgemeines,  als  blos  ein  locales 
Interesse  erregen  dürften,  und  zum  Theil  eine  über  Erwarten  rasche  Erfüllung  meiner 
in  der  Sitzung  vom  17.  October  vorigen  Jahres  ausgesprochenen  Hoffnungen  gewähren, 
erlaube  ich  mir  Ihnen  den  nachstehenden  Bericht  zu  übersenden. 

In  den  letzten  Tagen  des  Mai  alten  Styls  untersuchte  ich  einen  Kappekaln, 
d.  h.  Gräberberg,  genannten  Hügel  bei  Launekaln  (üebelberg),  Kirchspiel  Ronne- 
burg,  2  Werst  vom  Hofe,  am  Ufer  des  Rausebaches  gelegen,  aus  welchem  der  Be- 
sitzer schon  eine  Menge  alterthümlicher  Schmucksachen  aus  Bronze  an  die  Museen 
von  Riga  und  Dorpat  gesandt  hat.  Dort  fand  ich  3  Gräber  mit  Leichenbrand  und 
zum  Theil  reichem  Schmucke,  sowie  mehrere  mit  Steinen  überdeckte  Gräber,  deren 
Knochen  gut  erhalten  waren,  zum  Theil  noch  Zeichen  des  Zusammenhanges  zeigten 
und  meist  sehr  stark  stanken,  während  sich  bei  jedem  Skelete,  oberhalb  des 
Hüftbeines,  nur  ein  kleines  eisernes  Messer  und,  bei  einem  Paar,  kleine  Messing- 
Hemdschnallen  auf  der  Brust  fanden,  wesshalb  ich  sie,  bis  auf  ein  Skelet,  für  heimlich 
in  christlicher  Zeit  mit  heidnischem  Ritus  beerdigte  Leichen  zu  halten  geneigt  bin. 
Dieses  eine  Skelet  lag  Kopf  nach  Westen,  mit  den  Füssen  nach  Osten  und  hatte 
eine  Menge  Kauris  um  den  Hals,  die  abwechselnd  mit  Perlen  auf  eine  Schnur  gereihet 
gewesen  sein  müssen,  indem  einige  Kauris  noch  an  Perlen  anklebten. 

Unmittelbar  nach  jener  Untersuchung  erkannte  ich  in  einem  schon  im  vorigen 
Jahre  besehenen  grossen  Steinhaufen,  ohnweit  des  von  mir  1874  untersuchten  Opfer- 
berges in  der  Grenze  des  Straute  Gesindes,  Schloss  Ronneburg,  anf  dem  Lande  des 
Kaln-Slaweeek  Gesindes  ein  Grabdenkmal  mit  Steinsetzung  in  Form  eines 
Schiffes,  wie  es  Weinhold,  Altnordische  Alterthümer,  als  den  Normannen  (War- 
ägern) eigeuthümlich  beschreibt.  Dieses  Schiffsgrab  (Taf.  XIll  Fig.  A),  42,62  Meter  laug 
in  der  Richtung  von  West,  13"  58'  südlich,  nach  Ost,  13"  58'  nördl.  und  8,20  bis  5,96 
Meter,  an  der  Spitze  3,50  Meter  breit,  bestand  aus  einer,  auf  einer  ihm  entsprechenden 


(215) 

Uingllcheu  Bodeuerliebung  befiudlichen,  die  Schiffswand  darstellenden  Doppelreihe 
von  Steinen,  mit  zum  Theil  doppelten  Querreihen  von  Steinen,  zur  Andeutung  der 
Ruderbänke  versehen,  und  war  mit  einer  Schicht  von  meist  recht  grossen  Steinen 
bis  1,50  Meter  hoch  überdeckt,  so  dass  äusserlicli  die  einzige  Andeutung  an  dem 
mächtigen  Steinhaufen,  dass  es  ein  Schiffsgrab  sei,  nur  die  zwei  freiliegenden  Steine 
gewährten,  die  in  diesem  Falle  wohl  das  Steuer  andeuten,  während  ich  sie  anfänglich 
für  das  Bugspriet  genommen  hatte.  Der  Steinhaufen  muss  viel  höher  gewesen  sein, 
weil  schon  seit  längerer  Zeit  viele  Steine  von  dort  zu  Bauzwecken  abgeführt  worden, 
wobei  man  verschiedene  Scbrauckgegenstände  zwischen  den  Steinen  gefunden,  auch 
nacli  denselben  mehrfach  gesucht  und  zu  dem  Zwecke  Steine  die  Anhöhe  hinabgewälzt 
hatte.  Zum  Glück  waren  zumal  die  unteren  Lagen  der  Steine  aus  so  grossen  erra- 
tischen Steinblöcken  construirt,  dass  die  müssige  Neugier  an  ihnen  nicht  gerührt 
liatte  und  ich  wenigstens  die  Unterschichten  unberührt  fand,  die  mir,  wie  die  bei- 
liegende Skizze  zeigt,  im  grössten  Theile  des  Schiffraumes  eine  schwarze,  fettige, 
mit  Asche  und  Kohle  vermischte,  15— 2ü  Centm.  tief  reichende  Erde  darboten,') 
in  welcher,  die  bezeichneten  Stellen  ausgenommen,  viele  calcinirte  menschliche 
Knochen,  von  denen  ich  eine  Menge  Schädelstücke  sammelte,  und  die  meisten 
Schmuckgegenstände  zerstreut  lagen.  Die  Schmuckgegenstände  müssen  erst  nach  dem 
Brande  der  Leichen,  etwa  als  Opfer,  hineingeworfen  sein,  indem  nur  ein  Paar  davon 
Spuren  von  starker  Hitze  (Schmelzung)  zeigten,  während  viele  auch  zwischen  den 
Steinen  sich  vorfanden,  obwohl,  wie  schon  bemerkt,  früher  wiederholt  viel  dort  ge- 
funden und  weggebracht  ist.  Die  beifolgende  Photographie  (Taf.  XIIL  B.  Fig.  4— 12G) 
zeigt  die  interessantesten  Bronzesacheu-),  einen  Steinwirtel  und  einen  kleinen  Schleif- 
stein.    Waffen  sind  gar  keine  gefunden,  nur  kleine  Messer. 

Da  ich  der  Untersuchung  wegen  die  Steine  fortwälzen  lassen  musste,  und  doch 
späteren  Forschern  ein  Bild  zu  hinterlassen  wünschte,  welches  ihnen  meinen  Bericht 
verdeutlichen  und  bewahrheiten  könnte,  liess  ich  diejenigen  Steinreihen,  welche  in  der 
Zeichnung  (Taf.  XIII.  A.)  schraffirt  sind,  unberührt,  nehmlich  die,  die  Schiffswand 
repräsentireude  Doppelreihe  von  Steinen  und  mehrere  der  Ruderbänke,  von  denen  die 
in  der  Erde  liegende  unterste  Steinreihe  unberührt  blieb.  —  Unter  der  Schicht  mit 
Asche,  Kohlen  und  calcinirten  Knochen  gemischter  Erde  fand  ich  unberührten  gelben 
Sand,  den  ich  an  mehreren  Stellen  bis  auf  2  Meter  Tiefe  vergeblich  aufgrub.  In 
dem  Vordertheil  des  Schiffes,  wo  nach  Weinhold  der  oder  die  Häuptlinge  (See- 
könige) verbraunt  wurden,  denen  zur  Ehre  die  Schiffsetzung  stattgefunden,  wurden 
an  3  gesonderten  Stellen  zahlreiche  Topfscherben,  Schmucksachen  und  calcinirte 
Knochen,  an  jeder  ein  Messer  und  an  einer  ein  Unterkiefer  einer  Katze,  soviel  ich 
das  bestimmen  kann,  gefunden. 

Die  Auffindung  dieses  Schiffsgrabes,  in  dessen  Umgebung  sich  noch  4  ähnliche 
grosse  Steinhaufen   befinden^),   dabei  die  Nähe  des  Opferberges,  dessen  Fundstücke 


')  In  der  Zeichnuiiij  liedeuten  die  arabischen  Zahlen  besonders  notirte  Fundstücke,  von  welchen 
ein  Theil  unter  denselben  Nummern  auf  der  Tafel  dargestellt  ist.  Von  den  römischen  Zahlen 
bezeichnet  1  Goklperlen,  11  Scherben,  III  blaue  Perlen,  IV  Metallperlen,  V  Metallspiraleu. 

=0  Nachträglich  hat  sich  herausgestellt,  dass  eine  Menge  von  Fundsachen  aus  rothem  Kupfer 
bestehen. 

3)  Diese  Steinhaufen  liegen  erstens  in  1  Vi  Werst  Entfernung  beim  Kauger  Gesinde  auf  der 
Spitze  einer  bedeutenden  Bodenerhebung  und  zwar  zwei  neben  einander,  von  denen  der  eine  in  der 
Richtung  von  Nord  no"  östlich  nach  Süd  30"  westlich  eine  Länge  von  17,50  Meter  hat,  mit 
einer  3,50  Meter  langen  Doppelreihe  kleiner  Steine,  die  in  der  angegebeneu  Richtung  aus  dem 
Haufen  hüiaus  reichen.     In  der  Senkrechten  dazu   misst  der  Steinhaufen  20,01  Meter,   ragt 


(216) 

in  ihrer  sonst  ungewöhnlichen  Form  theils  identisch  mit  hier  gefundenen  Sachen, 
theils  in  der  Ausführung  ihnen  verwandt  sind,  dabei  auch  einen  Anknüpfungspunkt 
an  eine  der  im  Berliner  Museum  befindlichen,  in  Ascheraden  gefundenen  Fibeln  (mit 
vorstehenden  runden  Knöpfen  verziert)  bieten,  weisen  auf  eine,  längere  Zeit  andauernde 
Herrschaft  der  Normannen  hin,  von  der  die  Geschichte  uns  nichts  mittheilt,  von  der 
höchstens  eine  Spur  in  den  Sagas,  bei  Aufzählung  der  unterworfenen  Völker,  in 
den  Kuren  und  Esten,  und  eine  Nachwirkung  in  der  Oberherrschaft  russischer  Theil- 
fürsten  hier  im  Lande  in  der  Zeit  der  Ansiedelung  der  Deutschen  zu  finden  wäre'). 
Einen  factischen  Nachweis  für  einen-  längern,  mit  Herrschaft  verknüpften  Aufent- 
halt der  Normannen  hieselbst  bietet  dieses  Slaweeker  Schiffsgrab  darin,  dass  es 
wenigstens  250  Setzfaden  Steine  ä  6  Fuss  Quadrat  bei  o  Fusfe  Höhe  enthält. 
Einen  solchen  Setzfaden  aufzubrechen  und  aus  einer  Entfernung  von  durchschnittlich 
2  Werst  anzufahren,  wird  hier  Landes  nach  dem  Arbeitsregulative  mit  4  Pferde- 
tagen, d.  h.  der  Arbeit  von  Menschen  nebst  4  Pferden  während  eines  Tages  berechnet. 
Die  Umgebung  von  Strante  und  Slaweek  zeichnet  sich  nicht  durch  Steinreichthum 
aus,  daher  sie  ziemlich  weit  hergebracht  werden  mussten;  was  wohl  nur  im  Winter 
möglich  war  auf  Schlitten  oder  Schleifen.  Die  ältere  Reimchronik  (sogenannte 
Alnpeke)  sagt  vers  342:  „Die  sint  Letten  genannt.  Die  heidenschaft  hat  spehe  site. 
Sie  wonet  note  in  ander  mite,  sie  buwen  besonder  im'  manchen  walt.  Ir  wib  sint 
wunderlich  gestalt  und  habene  selzene  kleit;  Sie  riten,  als  ir  uater  reit":  und  auch 
die  noch  lebende  Volkssage  betont,  dass  die  Letten  nie  gefahren,  sondern  nur  geritten 
seien.    Mann  wie  Weib.     Da  nun   die  Normannen   schwerlich  bei  ihren  Durchzügen 

1  Meter  über  der  Erde  hervor;  in  der  Mitte  sind  Steine  ausgehoben,  wobei  man  in  1,50  Meter 
Tiefe  noch  nicht  Erde  fand.  Die  Ecken  sind  abgerundet.  In  6,34  Meter  Entfernung  liegt  ein 
zweiter  Steinhaufen,  33,94  Meter  lang,  in  der  Richtung  von  Ost  8°  südlich,  nach  West  8'^  nördlich 
imd  16,10  Meter  breit,  er  erhebt  sich  über  2  Meter  über  die  Erdoberfiäche.  In  etwa  7  —  8  Werst 
Entfernung  soll  auf  dem  Waktekaln  (höchster  Berg  der  Umgegend,  heisst  Wachenberg)  und 
westlich  bei  der  Forste!  Wihkschne  (Ulme)  ein  ebensolcher  Steinhaufen  sein,  an  dem  die 
Querreihen  zu  sehen,  und  mehrere  kleinere*).  Am  Strante  See  selbst  ist  auch  eine  Stein- 
setzung fast  in  Form  eines  Hauses,  24,00  Meter  lang  und  5,22  Meter  breit,  mit  sehr  grossen 
Steinen  zwischen  2  Querreihen  in  der  Mitte  angefüllt.  Ohnweit  dieser  letztern  Steinsetzung 
befindet  sich  ein  alter,  von  Jegor  v.  Sivers  Raudenhof,  Professor  am  Technologicum  in 
Riga,  untersuchter  Begräbnissplatz ,  welcher  insbesondere  dadurch  interessant  ist,  dass  er  an 
einer  Leiche  daselbst  eine  silberne  Armspange  fand,  von  so  roher  Arbeit,  dass  sie  wahrscheinlich 
hier  im  Lande  gemacht  ist.  Desgleichen  einen  massiven  silbernen  gegossenen  Schwertknauf  von 
höchst  roher  Arbeit.  Von  Jegor  v.  Sivers  Raudenhof,  der  mich  zuerst  auf  diese  Gegend 
aufmerksam  gemacht  und  vor  mir  seine  Forschungen  im  Leicheiifelde  daselbst  begouneri  hat,  rührt 
auch  der  Nachweis  her,  dass  unter  dem  Slawka  der  Urkunde  über  die  Theilung  Tolowas  zwischen 
dem  Bischof  Albert  und  dem  Orden,  1224,  wahrscheinlich  die  Gegend  von  Slaweek  um  den 
Strante  See  zu  verstehen  sei.  — 

')  G.  Rathlef,  Verhältnisse  des  livländischen  Ordens  zu  den  Landesbischöfen  und  Riga, 
hebt  hervor,  dass  die  Dänen  jederzeit  ganz  Livland,  im  Verein  mit  Estland,  Estland  genannt 
haben.  Es  mag  dies  vielleicht  nicht  blos  Folge  ihrer  Ansiedelungen  in  Reval  etc  ,  sondern 
vielleicht  schon  alter  Gebrauch  gewesen  sein.  — 

*)  Nachträgliche  Bemerkung:  Im  laufenden  Monat  in  den  ersten  Tagen  war  ich  bei  dem 
Rouueburg'schen  Förster  Wbikschne,  um  mir  den  dortigen  Steinhaufen  näher  anzusehen.  Ein 
Schilfsgrab  ist  er  nicht.  Er  hat  nur  30  Fuss  Durchmesser  und  bildet  einen  ziemlich  hohen, 
fast  kreisrunden  Hauten.  Genau  ihn  zu  imtersuchen,  fehlte  es  an  Zeit.  Von  einer  Seite  her 
hineinarbeitend,  fand  ich  concentrische  Kreise  gros.sor  Steine  und  die  Zwischenräume  mit  kleinen, 
fast  nur  faustgrossen  Steinen  ausgefüllt;  in  der  halben  Höhe  zwischen  den  Steinen  reichliche 
Kohlen,  caicinirte  Knochen,  und  ein  Paar  Spiralringe  und  ein  Bronce-Armband,  ziemlich  defect. 
Daher  wohl  ein  Grab  dort  zu  finden  sein  dürfte. 


(217) 

nach  Byzanz  oder  ihren  Kriegszügen  im  Lande  Wagen  mit  sich  geführt,  so  kann  diese 
Arbeit  nicht  von  einoni  durchzielienden  Heere  nach  einer  Schlaciit  ausgeführt  sein, 
vollends  da  sowohl  zum  nächsten  Seestrande  wie  zur  Diina  eine  gerade  Entfernung  von 
circa  70  Werst  zu  recluion  ist.  Gegen  ein  Grabdenkmal  nach  einer  Schlacht  spricht 
auch  der  Mangel  an  Warfen.  Nimmt  man  aber  einen  Herrschersitz  der  Normannen  in 
jener  Gegend  an,  so  liegt  es  sehr  nahe  zn  vermiithen,  dass  hierher  die  Normannen,  als 
sie  von  den  Russen  vertrieben  wurden,  sich  zurückzogen,  und  dass  von  hier  aus  Rurik 
und  sein  Gefolge  nach  Russland  berufen  wurden,  indem  schwerlich  die  Russen  über's 
Meer  nacli  Scandinavien  gezogen  sein  dürften,  sich  Herrscher  zu  holen,  sie,  die  keinen 
Seehandel  hatten  untl  schwerlich  von  den  Esten  friedliche  Ueberfalirt  erlangt  haben 
dürften,,  und  dass  von  daher  die  Abhängigkeit  Livland's  von  den  russischen  Theil- 
fi'irsten  datirt,  welche  die  Deutschen  hier  vorfanden.  — 

?>nde  Juni  alten  Styls  kam  ich  endlich  dazu,  die  Untersuchung  des  im  vorigen 
Jahre  erwähnten  Rinne-Hügels  zu  beginnen.  Derselbe  liegt  dort,  wo  die  Ufer 
des  ßurtueek-Sees  so  nahe  zusammentreten,  dass  die  Strömung  in  dem  daraus  hervor- 
gehenden ,  den  Abfluss  bildenden  Salisflusse  deutlich  hervortritt.  Da  der  See  bis 
nahe  heran  1 1  Fuss  Tiefe  hat  bei  niedrigstem  Wasserstande,  und  ohnweit  des  Rinne- 
Hügels  unterhalb  der  Boden  sich  auf  5  Fuss  Wassertiefe  hebt,  so  mischen  sich  die 
sich  herandrängenden,  tiefer  liegenden,  wärmeren  Wasserschichten  mit  den  oberen 
und  kälteren,  und  es  friert  diese  Stelle  nur  bei  sehx  strenger  Kälte,  geht  aber  nach  '6 
bis  -4  Tagen  jedesmal  wieder  auf,  so  dass  den  ganzen  Winter  hindurch  dort  offenes 
Wasser  vorhanden  ist,  und  eine  bequeme  Gelegenheit  zur  Fischerei  mit  Reusen  und 
Körben,  aus  Ruthen  geflochten,  sich  bietet,  vollends  Leuten,  denen  die  Mittel  fehlen, 
zu  solchem  Zwecke  Löcher  durch  dickes  Eis  zu  schlagen,  während  auch  die  Fische 
sich  dort  im  Winter  in  grösserer  Menge  sammeln.  Auf  dem  rechten  Ufer  liegt  der 
unbedeutende  Hügel  Kaulerkaln  (Knochenberg),  aus  welchem  ich  vor  2  Jahren  meh- 
rere" Leichen  aus  der  Zeit  der  polnischen  oder  schwedischen  Herrschaft,  also  zwischen 
1561  und  1710,  ausgrub,  die  dicht  auf  einander  ohne  Särge  lagen,  mit  ein  Paar 
Münzen,  zwischen  denen  und  um  die  herum  die  Erde  schwarz  gefärbt  und  voll  von 
alten  menschlichen  und  Thierknochen,  alten  Topfscherben  und  Muschelresten  sich 
zeigte,  so  dass  man  folgern  darf,  dass  in  dem  für  heilig  gehalteneu  Ort  bis  in  die 
neuere  Zeit  hinein  immer  wieder  Todte  (mit  heidnischen  Gebräuchen)  beerdigt  und 
dabei  die  früheren  Grabstätten  zerstört  wurden.  — • 

Auf  dem  linken  Ufer  liegt,  ziemlich  steil  vom  Wasser  her  aufsteigend,  nach  dem 
Lande  zu  im  sanften  Abfall  sich  weiter  ausbreitend,  der  2,35  Meter  hohe  Rinne- 
Hügel  (auch  Krewetsch?  genannt),  auf  welchem  vor  etwa  40  Jahren  ein  Fischerhaus 
erbaut  worden,  das  seit  S  Jahren  abgebraunt  ist,  und  von  dem  nebst  zweien  Neben- 
gebäuden die  Fundamente  noch  vorhanden  sind.  Von  diesem  Hügel  war  auf  meine 
Bitte  gemäss  Anordnung  des  Besitzers,  des  Grafen  Nicolai  v.  Sievers  Alt- 
Oltenhof,  ein  dem  Wasser  zunächst  liegender  Streifen  in  diesem  Jahr  nicht 
bearbeitet  und  besät  wurden,  von  welchem  ich  einen  Theil  untersucht  habe.  Nach- 
dem ich  durch  Winkelmessung  und  Distanz- Aufnahme  diesen  Laudstreifen  auf- 
gemessen, bildete  ich  mittelst  parallel  gezogener  Schnüre,  die  durch  quer  hin- 
über gezogene,  an  jene  angebundene  Schnüre  verbunden  und  an  eingerammten 
Pfählen  befestigt  waren,  Quadrate  von  je  1  Meter  Länge  und  2  Meter  Breite. 
Jeder  der  Arbeiter  hatte  ein  in  Centimeter  eingetheiltes  Messband  von  Wachsleinen 
(wie  die  Schneider  es  gebrauchen),  um  die  Tiefe  der  Lage  seines  Fundstückes  zu 
bestimmen,  und  es  wurde  die  Erde,  nachdem  durch  Abgraben  eine  senkrechte  Wand 
gebildet  war,  mit  kleinen  Kinderechaufelu  mit  kurzem  Stiele  oder  einem  breiten 
kurzen    Messer    losgekratzt    und    durchsucht;    erst,    sobald    ein    grösseres    Quantum 


(218) 

sich  angesammelt  hatte,  wurde  es  mit  der  grossen  Schaufel  hinausgeworfen.  Ich  selbst, 
mit  einem  grossen  Korbe  zum  Aufnehmen  der  Fundstücke,  sass  beobachtend  hinter 
den  Arbeitern,  band  an  jedes  interessantere  Fundstück  einen  Zettel  mit  fortlaufender 
Nummer,  trug  diese  in  das  betreffende  Quadrat  der  Karte,  möglichst  genau  der 
Fundstelle  entsprechend,  ein,  und  machte  nebenan  auf  dem  Kartenrande  Bemerkungen 
über  die  Tiefe,  die  Schichtungen  etc.;  später  hatte  ich  auf  einer  Rolle  Bindfaden 
aufgereihete  Zettel  mit  fortlaufender  Nummer  \orbereitet,  und  ein  Blatt  mit  derselben 
fortlaufenden  Nummerreihe  daneben,  so  dass  ich  nach  Eintragung  der  Fundstelle  auf 
der  Karte  die  Bemerkung  auf  dem  Blatte  bei  der  betreffenden  Zahl  rasch  eintragen 
konnte,  wodurch  die  Arbeit  sehr  au  Präcision  und  Schnelligkeit  gewann.  Die  Arbeit 
wurde  während  der  ersten  3  Tage  mit  5  Arbeitern,  von  denen  2  schon  auf  allen 
meinen  Nachgrabungen  und  der  dritte  auf  mehreren  derselben  mich  begleitet  hatten, 
gemacht;  später  erhielt  ich  noch  4  Mann  zur  Hülfe,  deren  guten  Willen  und  Fleiss 
ich  nur  loben  kann. 

Die  Arbeit  begann  in  solcher  Weise   von    dem   unteren  Theile    hinauf  zur  Mitte 
hin,  zuerst  von  Westen  und  Nordwesten  her,    dann,    als   im  Vorschreiten   gegen   die 
Mitte  hin  die  Erträge  geringer  wurden,  in  derselben  Weise  von  Osten  her  gegen  die 
Mitte  zu,  dort  beginnend,  wo  ich  unter  der  Obererde  auf  die  ersten  Muschelschichtungen 
stiess.     Nachdem  ich  in  solcher  Art  G)t;  Tage  lang  gearbeitet,  gab  ich  diese  Arbeits- 
weise mit  der  kleinen  Schaufel  auf,   weil  die  mir  zur  Verfügung   stehende  Zeit  auf- 
hörte, ich  bald  wegreisen  musste,  und  ich  ein  Durchwühlen  von  unberufenen  Händen 
und    damit    den    Verlust    von     vielleicht    wichtigen    Fundstücken    befürchtete,    ins- 
besondere auch,   weil  ich  den  grösseren  Knochen  einen  höheren  Werth  beilegte,   als 
kleinen  Artefacten  und  zerbrechlichen  Bernsteinstückcheu.    Ich  Hess  den  Rest  des  in 
Angriff  genommenen  Hügeltheils  mit  der  grossen  Schaufel,  horizontal  hineingreifend, 
abgraben  und  jeden  Schaufelstich  in  der  Art,  wie  beim  Worfeln  des  Getreides,  breit 
auswerfen,    wodurch  bei  der  völligen  Trockenheit   des  Terrains  jedes   grössere  Stück 
gesehen   und   aufgelesen    werden    konnte,    jedoch   auch   eine   Menge   kleinerer  Sachen 
noch  gefunden  wurden.     Diese  Arbeit  dauerte  noch  1%  Tage.    Die  beifolgenden  Photo- 
graphien (Taf.  XIV)  zeigen  die  interessantesten  Fundstücke: 
No.   1,  2,  8,  9,   10.    Harpunen. 
No.  5,   19.    Gerade  Fischaugeln  und  Pfeile. 
No.  4,  23,  22,  21,  20,  24.  Pfriemen  verschiedener  Grösse. 
No.  7.    Dreiseitige  Pfeilspitze   aus   dem   Rückenstachel   eines   alten   Fisches   gemacht, 

wie  sie  im  Burtneek-See  mehrfach  gefunden  werden. 
No.    11,   12,    13.    Theile  eines  Schmuckes,    die  nahe  bei   einander   lagen   und   in  den 

Bruchflächen  zusammenpassen. 
No.  6.    Schmuck   auf  der  Brust  eines  Skeletes,    dessen  Schädel   vorhanden   ist,    ge- 
funden. (No.  258). 
No.  14,  15.    Perlen  von  Knochen,  nahe  No.  11  etc.  gefunden. 
Nu.   IG,  17.    Offenbar  zusammengehörig;   an  17   verläuft  im  unteren  breiteren  Theile 

eine  nach   innen   gekehrte    schmale  Rinne,    die    auf   die  Zusammenstellung 

dieser  Stücke  mit  anderen  deutet. 
Alle    diese   Sachen    sind    von   Knochen    gemacht,     No.    20    offenbar    ein   Vogel- 

knochen. 
No.  3,  25.    Feuersteinstückchen,  deren  überhaupt  nur  vier  gefunden  sind. 
No.  26.    Ein  zu  einer  Art  Thierkopf  verarbcitetcter  Knochen. 
No.  27,  29.    2  Schleifsteine;  auf  29  sind  die  Rillen  sichtlich,  die  beim  Schleifen  von 

spitzen  Gegenständen  entstehen. 


(219) 

No.   31,  33,  34,  35.    Pfeilspitzen  von  Knochen'). 

No.  30.    Eine  Pfeilspitze,  sehr  hübsch  von  Rosenquarz  gearbeitet;   wohlerhalteii. 

No.  32.    Rine  Pfeilspitze  ans  Glimmerschiefer. 

No.  44 — 47.     Waffen  von  Knochen.     Die  Lanzonspitzen  No.  44,    45,    4ij    haben    tiefe 
Blutrinnen    um!    hiuzettförmig    zugeschliffene    Spitzen.     No.   47    ist    an    der 
Spitze  scharf  zugeschliffen.     Waffe? 
Im  Ganzen  sind  von  mir  eingesammelt  worden: 

332  Stück  bearbeitete  Knochen  und  Zähne.  Von  letzteren  26  und  1  Knoclien  zum 
Schmucke  durchbohrt,  sowie  Eberhauer,  zu  messerartigen  lnstrun)enteii  ver- 
arbeitet. 

1    flohlmeissel  von  Knochen. 

1   Pfeilspitze  von  Rosenquarz. 

1   Pfeilspitze  von  Glimmerschiefer. 

1  Steinbeil  ohne  Schaftloch,  an  die  Formen  der  Pfahlbauten  erinnernd,  gefunden  in 
der  Obererde  beim  Beginn  der  Muschellagerung. 

12  Schleifsteine,  darunter  einer  mit  einem  Loche  und  einer  mit  eingeschliffenen  Rillen. 

]  Mahlstein,  an  dem  beide  Seiten  zum  Mahlen  mit  der  Hand  im  Kreise  mit  einem 
kleineren  Steine  gebraucht  worden,  wodurch  die  Mitte  erhaben  vorsteht, 
desgleichen  mehrere  abgeriebene  Steine,  die  scheinbar  zum  Mahlen  gebraucht 
worden  (ziemlich  in  der  Mitte  der  Muschellagerung). 

12  ßernsteinstücke,  darunter  eines  mit  einem  Loche. 

488  Stücke  zerbrochener  Knochen  diverser  Grösse,  unbearbeitet. 

157  Knochen  mit  Gelenkflächen. 

1  vollständig  erhaltener  grosser  Thierknochen. 

165  Unterkieferstücke,  meist  mit  Zähnen,  darunter  83  Stück  vom  Bieber,  unter  denen 
jedoch  nur  eines  noch  den  Nagezahn  enthält.  Dann  ein  Vordertheil  eines 
Unterkiefers  mit  langer  Zahnlücke  und  Löchern  für  8  Vorderzähne,  falls 
jeder  Vorderzahu  nur  eine  Wurzel  hat;  zum  Theil  stammen  die  ünterkiefer- 
stücke  von  Fleischfressern,  theils  von  Pflanzenfressern  her. 

5  Oberkieferstücke. 

413  lose  Zähne,  darunter  7  Stück  kurzer  dicker  Zähne,  die  aus  dem  Oberkiefer  eines 
Schweines  zu  stammen  scheinen;  gerade  Linie  von  einem  Ende  zum  andern 
5  Centimeter,  vordere  Breite  des  Zahnes  2^  Centimeter. 

12  Geräthe  aus  Geweihstücken,  darunter  ein  Stück  eines  Rehgeweihes,  welches  da- 
durch interessant  wird,  dass  früher  in  Livland  keine  Rehe  lebten,  dieselben 
erst  von  Kurland  her  im  Jahre  1831  einwanderten,  und  noch  jetzt  im  nörd- 
lichsten Theile  Livlands  und  in  Estland  fehlen.  — 

1%  Reisszähne  vom  Bären. 

1  Stück  eines  Hornzapfens  vom  Stier,  das  sich  auf  einen  Gesammtumfang  von  182  Mm. 
berechnen  lässt. 

7  Stück   rother  Erde;    dieselbe   wurde   in    einer  ziemlich  in  der  Mitte  der  Höhe  der 
Muschellagerung  sich  hinziehenden ,    schwarzbraun   gefärbten  Erdschicht  ge- 
funden. — 
Uober  die  Schichtungen  geben  die  folgenden  (!  Durchschnitte  Aufsohluss: 


')  No.  31  lag  am  Schädel,  ilessen  ich  hei  jS'o.  6  erwähnte,  beinahe  flach  an  dem  Schädel 
dache  an.  Neben  den  Füssen  desselben  Skelets  lagen  No.  32  und  No  34  imd  ohuweit  davon 
mehrere  grosse  Thierknochen. 


(220) 


D  urch  schnitt  f. 
Obererde  mit  wenig  Muscheln       .     .  0,35 
weisse  kalUartige  Sdiicht     ....  0,02 

Muscheln 0,12 

schwarze  Erde  mit  Kohlen,  Schuppen 

und  rother  Kreide 0,01 

Muscheln 0,(i6 

Schuppen  und  Gräten 0,01 

Muscheln 0,'>3 

Schuppen  und  Gräten 0,03 

Muscheln    •     .     , 0,10 

schwarze  Erde,  kohleuludtig     .     .     .  0,03 

Schuppen  und  Gräten 0,04 

Muscheln 0,08 

schwarzer  Untergrund.     Gesammt-Tiefe 
0,85  Meter. 

Durchschnitt  g 
Durchgrabene,    mit    Muscheln    dicht 
durchmengte  Erde,  in  deren  Grunde 

ein  Skek't  lag 0,65 

Asche,  durchgehende  Schicht   .     .     .  0,09 
Schuppen,  in  denen  schmale  Streifen 

Muscheln  liegen        0,21 

zusammen  0,97  Meter. 

Durchschnitt  h. 

Gemischte  Obererde 0,15 

Muscheln 0,21 

braune  Erde  mit  Muscheln        .     .     .  0,14 
Kohlen,  Erde,  rothe  Kreide      .     .     .  0,01 

Muscheln 0,02 

Kohlen  mit  Muscheln 0,06 

Asche 0,09 

Gräten,  Schuppen 0,03 

Kohlen 0,01 

gemischte  Kohlen  und  Muscheln  .     .  0,02 

Schuppen 0,01 

Muscheln 0,01 

Schuppen 0.03 

Gräten 0,03 

Muscheln 0,03 

Schuppen 0.02 

Muscheln 0,04 

Schuppen 0,02 

Muscheln 0,02 

zusammen  0,95  Meter. 
Schwarze   Erde    mit   Kohlen    gemischt 
darunter.     Diese   Schichtungen    waren    bis 
a\if   den    Grund    durchgegraben    und    ein 


Skelet  (No.  66)  auf  den  Untergrund  ge- 
legt, auf  angebrannte  Fichtenrinde  und 
Kohlen,  gleich  daneben  lag  in  0,5S  jMeter 
Tiefe  in  der  geschichteten  Erde  das  Gelenk- 
stück No.  36. 


Durchschnitt  i. 

Obererde  mit  Muscheln  gemischt 

Schuppen   und  Gräten 

kalkartige  weisse  Schicht     .     .     .     . 

rothbrauue  Schicht      

Kalk 

rothbiaune  Schiebt,  enthaltend  Kohle, 
Muscheln,  rothe  Kreide     .... 

Muscheln  mit  Schuppen 

Schuppen  

Muscheln  allein 

gemischte  Schicht,  Muscheln,  braune 
Masse    (Gräten?),    Schuppen    und 

Gräten  enthaltend 

zzusammen   1,12  Meter. 

Darunter  schwarzer  sandiger  Thon    . 

brauner  sandiger  Thon 

gelbbrauner  Sand. 


0,15 
0,15 
0,05 
0,05 
0,02 

0,08 
0,22 
0,03 
0,08 


0,25 

0,06 
0,13 


Durchschnitt   k. 

Obererde 0,12 

Muscheln 0,08 

Kohlen        0,Ü1 

Muscheln    .     .     .     . 0,12 

Schuppen,  Gräten,  Kohlen    ....  0,08 

Fischschuppeu 0,02 

Muscheln,  Fischschuppeu      ....  0,04 

Muscheln 0,01 

Schuppen 0,02 

Muscheln 0,08 

Fischschuppeu 0,03 

zusammen  0,67  Meter. 
Schwarzer  Untergrund  mit  Kohlen,   in 
der   untersten  Schicht  das  Rehgeweih  No. 
277   und  Fischkiefer  No.  278. 

Durchschnitt   1. 
Obererdc 0,11 

Schichtenweise  wechselnd  Muscheln 
und  Erde         0,34 

braune  Schicht,  Kohlen,  Erde, 
Schuppen,  wenig  Muscheln  und 
rothe  Kreide  oder  Torfasche      .     .  0,05 


(221) 


graue  Musclioln,  nicht  Unio  ])ict.,  sehr 
zerbrechlich,    dalier    ich    überhaupt 
nur  2  vollständig  aui'hclten   konnte  0,18 
Fischgräten     ,...,....  0,02 
MuscheUcIiicht,   Unio   pi'-t.,    in   uiige- 


Muscheln  mit  schwarzer  l'>fle  vom 
Untergründe  durchmisclit,  durch- 
gegraben      0,2() 

Darunter  folgt  die  schwarze  Erde;,    in 

welcher  das   Skelet  lag,    über   dem   Kopf 


rührter  Tvage 0,2(1 '  und    der   Hrust    in    ein    Paar    Centinieter 


Fischgräten  mit  Muscheln  untcrniischt, 
ungeri'dirt  durchgehend     ....  0,05 


Abstand    eine    sehr   dünne   Schiclit  Fisch- 
schuppen und  Gräten  liegend. 


Annicikunf,^  In  doin  Keusclilag  gegeniilier  findet  siel:,  wie  mehrfach  sonst  an  den  See- 
ufern, ein  l-a^cr  Muscliehner^ol,  aus  kleinsten  Sclnicckenliaufcn  beslehend.  In  den  Grenzen  des 
anuienzenden  (intes  iNeu  Oltenliof  habe  ich  vor  Jahren  gehört,  dass  dort  ein  Lager  rotlien  Ockers 
sei  (wohl  Torl'asi'lie?),  lä  Werst  entfernt  unter  Idweii  desgleichen.  —  Unterhalb  an  der  Salis, 
wo  der  Nukkc-iMiililenbacli  einmündet,  durclisclineidet  er  ein  mächtiges  Mergellager. 

Von  Eintluss  auf  die  Erhaltung  der  Gegenstände  ist  wesentlich  der  Umstand  gewe- 
sen, dass  der  hier  landesübliche  Hakenpflug  nur  ein  Pflügen  von  4—6  Zoll  höchstens,  d.  h. 
von  circa  10^  15  Centinieter  tief  gestattet,  falls  man  nicht  zu  der  Künstelei  sich  verstieg, 
2  Pflüge,  einen  hinter  dem  andern,  iu  derselben  Furche  gehen  zu  lassen,  eine  Künstelei, 
die  erst  mit  der  Einführung  deutscher.u.  a.  Pflüge  hie  und  da  in  den  letzten  20 — 30  Jahren 
im  Kleinen  stattgefunden  hat,  wozu  jedoch  bei  diesem  Ackerstücke  keinerlei  Anlass 
vorlag,  da  es  auch  ohne  jede  Düngung  noch  jetzt  gute  Ernten  giebt,  wo  abwechselnd 
nur  Erbsen  und  Gerste  darauf  gesäet  werden;  auch  auf  dem  für  meine  Arbeit  un- 
beackert  gebliebeneu  'l'heile  hatte  sich  ein  dichter  Bestand  von  Disteln,  untermischt 
mit  Gerste,  vom  vorjährigen  Korne  entwickelt,  der  mir  bis  an  die  Hüfte  reichte, 
als  ich  um  Johanni  hinkam. 

Durchgängig  fand  ich  die  Süsswassermuschelu  in  den  oberen  Schichtungen  viel 
mehr  durch  Witterungseiuflüsse  zerstört,  als  in  den  unteren,  wo  sie  (die  Unio  pictorum 
meist)  noch  so  fest  waren,  dass  sie  beim  Hinauswerfen  mit  der  Schaufel  einen  klin- 
genden Ton  von  sich  gaben  und  von  jedem  Schaufelstiche  eine  Menge  vollständig 
erhaltener  Muscheln  aufgelesen  werden  konnte,  während  ich  beim  Nachgraben  im 
vorigen  Jahre  nur  mit  Mühe  einzelne  einigermassen  erhaltene  finden  konnte,  die  mir 
meist  zwischen  den  Fingern  auseinanderfielen.  Dagegen  habe  ich  iu  den  unteren 
Schichten  nichts  davon  bemerken  können,  dass  Muscheln,  in  einander  geschichtet  mit 
zwischengelegten  Fischgräten  und  Schuppen,  vorhanden  seien,  wie  ich  sie  im  vorigen 
Jahre  und  auch  jetzt  auf  der  Mitte  des  Hügels  in  den  höheren  Schichten  gefunden 
habe.  —  Von  grösseren  Knochen  habe  ich  nur  1  Stück  auf  der  Oberfläche  freiliegend 
gefunden.  Es  mögen  aber  viele  weggebracht  sein,  da  auch  hier  der  Kuochenhandel 
begonnen  hat,  und  mir  schon  vor  circa  25  Jahren  erzählt  wurde,  dass  sich  dort  viel 
Knochen  fänden.  —  Vou  menschlichen  Skeletteu,  die  im  schwarzen  Untergrund  unter 
regelmässiger  Schichtung  mehr  als  einen  Meter  tief  lagen,  fand  ich  drei,  nehmlich  eines 
in  1,27  Meter  Tiefe,  bei  dessen  Losarbeitung  ein  unmittelbar  aufliegender  Schädel 
und  mehrere  Knochen  zerstört  wurden  ;  das  dritte  hatte  einen  zerquetschten  Schädel 
und  zerfallende  Knochen.  Dann  fand  ich  in  0,74  Meter  Tiefe  ein  Skelet,  von  dem 
ich  den  Schädel  wohlerhalten  besitze,  unter  regelmässiger  Schichtung;  ich  that  des- 
selben bei  den  Pfeilspitzen  Erwähnung. 

Otlenbar  aus  einer  sehr  viel  späteren  Zeit  und  leicht  von  den  unter  geschichteter 
Erde  liegenden  Skeletten  unterscheidbar  durch  die  über  ihnen  befindliche  Schicht 
durchgrabener  Lagen,  wo  die  zerbrochenen,  gleichmässig  vertheilten  Muschelstücke 
der  aufliegenden  Erde  ein  gleichmässiges  Aussehen  ertheilten,  befand  sich  eine 
Meno^e   Skelette,    vou   denen  ich    24  Schädel,    meist  wohlerhalteu ,    herausgeuommne 


(222) 

habe.  Bei  jedem  derselben  befand  sich  ein  Messer,  meist  an  der  Hüfte,  bei  einigen 
Münzen,  die  auf  die  Ordenszeit  und  auf  die  polnische,  wie  schwedische  Herrschaft 
hinweisen,  und  ein  Paar  einfache  Brustschuallen.  Die  meisten  lagen  in  einer  Tiefe 
von  30 — CO  Ceutimeter,  eines  davon  hatte  eine  Menge  Kauris  in  der  Halsgegend  und 
eines  war  bis  auf  den  Untergrund  hineingelegt  auf  eine  Schicht  von  Kohlen  und 
von  Fichtenrinde. 

Wie  das  Special- Vorzeichuiss  der  Fundstücke  ausweiset,  sind  die  meisten  feiuer 
gearbeiteten  Sachen  in  mittlerer  Tiefe  von  25 — 60  Ctm.  gefunden  worden,  zusammen 
mit  den  meisten  Bernsteinstückchen,  die  sich  auf  einen  ziemlich  kleinen  Umkreis 
concentrirten.  — 

Insbesondere  in  die  Augen  springend  war  auch  die  scharfe  Absonderung  der 
verschiedenen  Schichten,  die  auch  nicht  gleichmässig  im  Detail  durch  den  ganzen 
Hügel  verlaufen;  daher  dem  Beschauer  sich  als  Gesammtresultat  der  Eindruck  auf- 
drängt, dass  hier  ein  bis  in  weit  entfernte  Zeiten  zurückweisender  Wohnsitz  von 
Menschen  gefunden  und  von  mir  durchforscht  ist.  Menschen,  die  nicht  bloss  kein 
Metall  besassen,  sondern  auch  noch  keine  Steinwaffen,  die  nomadisirend  von 
Fischen,  Muscheln  und  Wild  lebten,  das  zu  erlegen  ihnen  die  Keule,  der  Speer  und 
der  Pfeil  mit  Knochenspitze,  die  sie  mühsam  durch  Spalten  der  Knochen  und  Ab- 
schleifen auf  Steinen  herstellten,  sowie  der  Wurfpfeil  mit  Harpunenspitze  und  die 
Knochenangel  dienten.  Auf  Kleidung  aus  Fellen  deutet  die  grosse  Menge  von 
pfriemenförmigen  Knochen  verschiedenster  Grösse.  Dass  sie  uomadisirten,  beweist 
die  scharfe  Abgrenzung  der  diversen  Schichten  und  das  "Vorkommen  von  Bern- 
stein in  den  tiefsten  Schichten,  wenngleich  er  am  meisten  in  den  mittleren  ver- 
treten ist,  dort  auch  ein  Stück  mit  einem  Loche  vorkam.  Mit  der  steigenden 
Culturentwickelung  treten  Schmucksachen  auf,  erst  eine  blattförmige  Figur,  eine 
vogelförmige,  dann  ein  einem  geschlungenen  Bande  nachgeahmter  Schmuck  von 
Knochen.  Erst  jetzt  und  mit  diesen  findet  sich  eine  Pfeilspitze  von  Rosenquarz, 
ein  wahres  Kunstwerk  der  grössten  Geschicklichkeit  und  Ausdauer,  wenn  man  die 
Sprödigkeit  des  Materials,  die  Mangelhaftigkeit  der  Werkzeuge  berücksichtigt.  Mit 
diesen  Erzeugnissen  höchsten  KunstHeisses  findet  sich  auch  das  Stück  durchbohrter 
Bernstein;  in  gleicher  Höhe  zwei  Skelette,  deren  einem  zwei  Knochen  und  ein  Steinpfeil 
aus  Glimmerschiefer  mitgegeben  sind.  Erste  Andeutung  des  Begriffs  eines  Fortlebens 
der  Seele  nach  dem  Tode.  In  nocJi  höheren  Schichten  endlich  finden  sich  mehrere 
Muscheln,  in  einander  geschachtelt  und  mit  zwischenliegeuden  kleinen  Fischschuppen 
und  Gräten,  Anzeichen  der  Anbetung  eines  höchsten  Wesens  durch  Opferdarbringung. 
Mit  dem  Eintritte  höherer  Cultur,  dem  Anbau  von  Gulturgewächsen,  auf  welche  der 
Mahlstein  deutet,  also  von  Cerealien,  verlor  der  Hügel  mehr  und  mehr  seine  Bedeu- 
tung als  Ernährungsstätte  in  Zeiten  des  Mangels  durch  den  Fischreichthum  des  Sees; 
Ansiedelungen  dehnten  sich  in  der  fruchtbaren  Umgegend  aus,  wie  das  Vorkommen 
der  Steinbeile')  und  die  Werkstätte  der  Feuersteingeräthe  am  Seeufer  beweisen.  — 
Dagegen  erhielt  der  Ort  der  ältesten  Ansiedelung,  die  Begräbuissstätte  vielleicht  her- 
vorragender Persönlichkeiten  den  Werth  eines  heiligen  Ortes,  einer  vielleicht  an  be- 
stimmte Zeiträume  sich  anschliessenden  Versammlung  des  Stammes  zu  Cultuszwecken, 
welche  die  Erinnerung  an  jene  ersten  Culturzustände  in  Darbringung  der  damaligen 
Nahrungsmittel  von  Muscheln  und  Fischen  sich  wohl  unbewusst  forterhielten.  — 
Dieser  den  Ort  mit  einem  Nimbus  der  Heiligkeit  umgebende  Cultus  führte  endlich 
in  den  Zeiten  des  ersten  Christenthums  zu  heimlichen   vielfachen  Beerdigungen   mit 


')  hl  Ostrominsky  zwei,  daiunlor  eines  ohne  Loch,  in  Ahlershof  ein  Steinbeil,  vide  Grewiugk, 
.Steinalter  der  Ostseeprovinzen,  18G5.    Fig.  1  und  16. 


(223) 

heirlnisclien  Gebräuchon.  —  Die  Neuzeit  hat  die  Erinnerungen  verwisclit.  Sagen 
lauipften  sich  nicht  an  den  Ort;  wenigstens  ist  es  mir  nicht  gelungen,  deren  zu 
ermitteln.  Auch  das  Gedächtniss  an  die  Beerdigungen  war  geschwunden.  Die  Leute 
wunderten  sich  über  die  Menge  der  Skelette,  die  aufgedeckt  wurden,  und  meinten,  die 
gerundeiien  Tiiierknochcn  stammten  wahrscheinlich  vom  dort  verscharrten  Aase  her.  — 
Von  Neuhall  aus,  wo  icli  während  der  Arbeit  im  Rinne-Hügel  wohnte,  machte 
ich  auch  einen  AusHug  zu  der  Teufelshöhle  bei  Salisburg  (Wr-llapagaba,  nicht 
WellaUlepis,  welches  der  Name  eines  Steinhaufens  bei  Schloss  Pürkeln  ist).  —  Da 
der,  der  Höhle  vorliegende;  Grund  nebst  der  sich  von  dort  zur  Salis  hinziehenden 
Einseukung  iiuf  mich  den  Eindruck  machten,  dass  sie  früher,  in  Folge  der  Erosion 
durch  di(;  darunter  i'ortiliessende  und  unterhalb  der  Höhle  hervorbrechende  Quelle 
eingestürzte  idte  Theile  der  Höhle  seien,  so  bohrte  ich  mit  einem  Erdbohrer  au  2  Stellen 
hinein.  An  der  untern  Stelle,  näher  dem  Heuschlage  zu,  der  zwischen  dem  Flusse 
und  dem  Berge  die  Niederung  einnimmt  und  einem  alten  Wasserlaufe  seine  Existenz 
zu  verdanken  scheint,  stiess  ich  in  IJij  Meter  Tiefe  auf  Kohlen  und  braungefäibten 
Sand.  Bei  dem  höheren  Loche  kam  ich  in  der  Tiefe  von  2,30  Meter  desgleichen  auf 
Kohlen  und  braungefärbten  Sand,  so  dass  auch  dort  die  Hoffnung  geboten  scheint,  bei 
weiterer  Nachforschung  auf  Spuren  menschlichen  Thuns  und  Lebens  zu  stossen.  — 

Hr.  Virchow  bemerkt  dazu,  dass  er  gleichzeitig  von  dem  Hrn.  Grafen  Sievers 
eine  Einladung  erhalten  habe,  selbst  die  Fundstellen  mit  ihm  zu  untersuchen.  Da 
jedoch  diese  Einladung  ihn  erst  am  Starnberger  See  erreicht  habe,  so  sei  er  genöthigt 
gewesen,  trotz  seiner  Bereitwilligkeit  abzulehnen.  Darauf  sei  ihm  d.d.  29.  Sept./1L  Oct. 
ein  weiterer  Bericht  des  Grafen  Sievers  zugegangen  über  Untersuchungen  desselben 

am  Riuuehügel  und  am  Opferhügel  von  Strante. 

(Hierzu  Tafel  Xlll.  B.  Fig.  a-h). 

Vor  4  Tagen  bin  ich  erst  von  der,  14  Tage  dauernden,  Fahrt  nach  Wilsenhof 
und  zum  Riunehügel  zurückgekehrt.  Das  Wetter  war  so  schlecht,  fast  beständiger 
Sturm  und  Regen,  dass  ich  von  diesen  14  Tagen  nur  5  zu  den  Ausgrabungen  ver- 
wenden konnte.  Ausserdem  hatte  ich  die  Leistungsfähigkeit  meiner  Leute  überschätzt. 
Ich  habe  in  diesen  5  Tagen  nur  die  Fundamente  der  beiden  kleinen  Gebäude  zunächst 
den  Weidenbäumeu  ausheben  uud  die  umliegende  und  zwischen  den  Steinen  liegende 
Erde  untersuchen  können:  ich  fand  dort  mehrere  interessante  Artefacte,  Harpunen, 
Messer  aus  Eberhauern,  Feuerstein-Pfeilspitzen,  falzbeinartige  Nadeln,  darunter  die 
eine  i)()  Mm.  lang,  12  Mm.  breit,  2  Mm.  dick,  mit  einem  Loch  24  Mm.  von  der  Spitze, 
Lochlänge  3)^  Mm.;  die  andere  155  Mm.  lang,  18  Mm.  breit,  2^  Mm.  dick,  vollständig 
erhalten,  mit  einem  Knopfe  am  breiten  Ende,  hatte  in  der  Mitte,  etwa  da,  wo  man, 
die  Nadel  in  der  Hand  haltend,  die  Spitze  nach  vorn,  mit  dem  Daumen  drücken 
konnte,  mit  einer  Menge  theils  cpier  hinüberlaufender,  theils  nur  an  den  Kanten  be- 
ginnender schmaler  Rillen,  die  durch  anhaltendes  Scheuern  eines  Fadens  zu  entstehen 
pflegen,  so  dass  ich  dieses  Instrument  für  eine  Netzstricker-Nadel  halte.  Dann  fand 
ich  auf  dem  Untergrunde  unter  ungerührten  Schichten  ein  durchbohrtes  Stück  Bern- 
stein, so  dass  ich  wenigstens  das  sehr  beschränken  muss,  was  ich  über  den  niedrigen 
Culturzustand  der  ersten  Anwohner  dieses  Erdfleckes  gesagt  habe. 

Endlich  fand  ich  ein  zweites  weibliches  Skelet,  fast  vollständig  bis  auf  die  kleinsten 
Fingerknochen,  nur  der  Schädel  zersprungen,  der  jedoch  so  vollständig  wie  möglich 
herausgehoben  wurde,  und  der  mit  dem  ganzen  Skelet,  jeder  Theil  mehrfach  in  Papier 
eingewickelt,  der  Expedition  harrt.    Die  Lage  ist  genau  südwestlich  von  dem  W^eideu- 


(224) 

bäum  9,34  Meter  entfernt,  der  Kopf  nach  Nordost,  Füsse  Südwest.  Gesammtlänge 
inclusive  der  ausgestreckten  Füsse  von  den  Zehenenden  an  bis  zum  Rückgratende 
gemessen  1,  31  Meter.  Bei  diesem  Skelet  lag  auf  den  Beckenknochen,  wo  das  freie 
Rückgrat  aufhört,  ein  Klumpen  Fischschuppen  und  Gräten,  die  rechte  Hand  war 
darüber  gelegt.  Ein  Theil  dieser  Fischschuppen  ist  gesondert  herausgenommen  und 
eingepackt.     Der  Rest  haftet  den  Knochen  an. 

Vor  der  Fahrt  nach  Wilsenhof  musste  ich  noch  auf  einen  Tag  nach  Strante 
in  Rönne  bürg,  in  der  Nähe  des  Grabes  mit  Steinsetzung  in  Schiffsform  (norman- 
nisch?), fahren,  weil  dort  in  einem  Leichenfelde  am  See  2  Gräber  mit  reichem 
Schmucke  geöffuet  worden  waren.  Die  Fundstücke  (Taf.  XIIIB.  Fig.  a— h)  habe  ich  ziem- 
lich vollständig  ankaufen  können,  weil  die  Juden,  die  mit  den  Bronzesachen  schlechte 
Geschäfte  gemacht  hatten,  mir  keine  Concurrenz  mehr  bereiteten.  Sehr  wichtig  war 
mir  dieser  Fund,  weil  an  der  einen  Leiche  4  silberne  Münzen  als  Schmuck  gefunden 
wurden,  von  denen  eine  deutlich  ein  Ethelred,  die  zweite  wahrscheinlich  dasselbe,  die 
dritte  ein  Bracteat  ist.  Bei  der  zweiten  Leiche,  die  in  derselben  Aschenschicht  mit 
der  ersten  zwischen  den  Resten  eines  Trogsarges  lag,  fand  sich  ein  reicher  emaillirter 
Schmuck  von  Bronze,  darunter  5  Kreuzchen,  in  ihrer  Form  den  griechischen  Kreuzen 


Fig.   1. 


Fig.  1.  grün  emaillirt,  glatt,  die  Löcher 
durchgeschlagen.  Durch  das  Rohr  läuft  ein 
Loch. 


Fig    '2.     Hellgrün  emaillirt,    die  Löcher  und 
das  Mittelkreuz  durchgesehlagen. 


Fig.  3,  Am  Kreuz  die  Kisten  minder 
schwarz.  Die  Kisten  scheinen  verschiedenfarbig 
ausgefüllt  gewesen  zu  sein,  wie  nach  der  theil- 
weise  erhaltenen  Füllung  anzunehmen. 


sich  nähernd,  bei  denen  nicht  blos  die  Kästchen  mit  Email-Masse  ausgefüllt,  sondern 
die  vorstehenden  Kistenränder  ebenfalls  mit  andersgefärbtem  Email,  gleich  andern 
Theilen  des  Schmuckes,  überzogen  waren.  Dadurch  bin  ich  erst  mittels  Vergleichung 
dazu  gekommen  zu  erkennen,  dass  die  2  Armbänder  des  Schiffsgrabes,  von  denen 
eines  unter  No.  99  photographirt  ist,  ebenfalls  mit  hellgrünem  Email,  nicht  mit  fei- 
ner Patina,  überzogen  sind,  und  dass  ein  Halsring  in  Schlangenköpfe  ausläuft.  —  An 
beiden  Leichen  fand  ich  Fibeln,  die  mit  den  im  Schiffsgrabe,  wie  in  dem  Strante  Opfer- 
berge gefundenen  identisch  sind.  Auch  Jegor  von  Sivers-Raudenhof  hat  in  einem, 
ohnweit  des  Strante  Opferberges  gelegenen,   mit  Steinen  überdeckten  Grabe  ebenfalls 


(225) 

eine  dergleichen  Fibel  gefunden.  So  ist  diese  im  vorigen  Jahre  von  mir  zuerst  ge- 
fundene Fibelform  jetzt  schon  in  einer  Menge  von  Exemplaren  und  von  verschiedenen 
Stellen  vorbanden,  und  damit  die  Zusammengehörigkeit  dieser  Fundstätten  nach- 
gewiesen. 

Weitere  Beläge  für  eine  langandauernde  herrschende  Anwesenheit  der  Normannen 
hieselbst  traten  jetzt  noch  hinzu,  wo  ich  kaum  erst  auf  Grund  des  Schiffsgrabes  diese 
Hypothese  aufgestellt  habe.  Der  Runenstein  bei  Ohlershof,  ohnweit  des  Burtneek  Sees,  ist 
jetzt  von  einem  Gelehrten  in  Christiania  entziffert.  Desgleichen  hat  ein  Dr.  Weske, 
von  Geburt  ein  Este,  Lector  der  estnischen  Sprache  in  Dorpat,  während  seiner  Sommer- 
reiseu  einen  alten  estnischen,  dem  finnischen  nahe  verwandten  Dialect  gefunden,  dem 
gegen  HOO  altgothische  Worte  beigemengt  sind.  Desgleichen  hat  er  eine  alte  Colonie 
katholischer  Esten  im  Witepskyschen  entdeckt,  deren  alte  unvermischte  Sprache  eine 
Menge  altgothischer  Worte  enthält. 

Noch  muss  ich  etwas,  die  beiden  Gräber  am  Strante  See  Betreffendes  nachholen. 
An  der  einen  Leiche  fanden  sich  an  der  Stelle  des  Oberkörpers  Reste  einer  ausneh- 
mend reichen  Kleidung  aus  einem  dicken  geköperten  Wollenstoff  mit  reicher  zacken- 
förmiger  Einfassung  von  Bronzeringen  an  den  Kanten,  während  das  ganze  Zeug  mit 
Sternchen  aus  flachen  Bronzeringen  besetzt  ist.  Dabei  sind  mehrfarbig  garnirte  Borden 
und  Bänder,  Frangen  u.s.w.  erhalten.  Dieses  Kleidungsstück  muss  mit  einem  Bärenpelz 
überdeckt  gewesen  sein,  weil  es  mit  Bärenhaaren,  bei  denen  das  Wollhaar  nach  aussen 
lag,  bedeckt  war.  Dazwischen  lag  eine  Menge  Preisselbeereublätter.  Auffallender 
Weise  sind  von  den  Knochen  nur  pergamentartige  Partikeln  erhalten.  Bei  der  zweiten 
Leiche  war  der  Schädel  erhalten,  der  aber  bei  einer  Prügelei,  die  unter  den  Findern 
(4  Knaben  von  12 — 16  Jahren,  die  mir  früher  bei  meinen  Arbeiten  geholfen  hatten) 
im  Grabe  sich  über  den  Besitz  der  Sachen  entwickelt  hatte,  zertrümmert  und  so  im 
Grabe  gelassen  wurd3. 

(15)  Es  erfolgt  die  Vorstellung  der  von  Hrn.  Karl  Hageubeck  nach  Berlin 
gebrachten 

Lappen. 

Hr.  Virchow  bemerkt  dazu  Folgendes: 

Die  Leute  sind  aus  dem  schwedischen  Lappland,  von  Karesuando.  Der  Ort  liegt 
zwischen  68 — 69"  nördl.  Breite  in  40''  östl.  Länge  an  der  Kungäma  Elf,  einem  nörd- 
lichen Zuflüsse  der  Tome  Elf,  in  Enontekis,  dem  äussersteu  Bezirke  des  schwedischen 
Lapplands,  da  wo  sich  eine  Spitze  des  russischen  Lapplands  tief  nach  Westen  hinein 
erstreckt  und  wo  Russland  nahezu  einen  der  Fjorde  der  Westküste  (Alten  und  Lyngen 
Fjord)  erreicht.  Sie  gehören  demnach  einem  viel  mehr  nördlichen  Bezirke  an,  als 
die  in  den  Sitzungen  vom  16.  Januar  und  20.  Februar  vorgestellten  und  besprochenen 
Lappen  von  Mala. 

Es  sind  im  Ganzen  6  Individuen,  die  zwei  Familien  angehören,  nehmlich  Rasmus 
Petersen  mit  seiner  Frau  Ella  Maria  Josefsen  und  zwei,  noch  ganz  kleineu  Kindern 
(2)^  Jahr  und  5  Monate),  von  denen  eines  noch  an  der  Mutterbrust  ist,  sowie  Lars 
Nilsson  mit  seinem  erwachsenen  Sohne  Jacob  Larsson.  Die  physischen  Merkmale 
der  Erwachsenen  werden  in  nachstehender  Tabelle  übersichtlich  hervortreten: 


VerhandL  der  Berl.  Anthropol.  QeselUch.  1375.  16 


(226) 


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Farbe. 

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so 

O 

c 

Centm. 

Millm. 

Lars  Nilssou 

5C 

lichtbraun 
mit  bliiul. 
Schimmer 

dunkel- 
braun 

bräunlich 

153 

64,0 

82,5 

195 

160 

118 

151 

127 

105 

46,8 

37 

Jacob  Larsson 

18 

lichtbraun 

braun 

mit  gelbl. 

Glanz 

leicht 
bräunlich 

161 

66,5 

80,5 

189 

166 

116 

147 

117 

111 

45 

33 

Rasmus 
Petersen 

37 

hellbraun 

schwärz- 
lich 

bräunlich 

153 

64,5 

77,5 

178,5 

156 

122 

141 

119 

104 

48 

33 

Ella  Maria 
Josefsen 

34 

dunkel- 
braun 

dunkel- 
braun 

bräunlich 

139 

54,5 

80 

180 

151 

113 

131 

115 

95 

52 

37 

Ich  will  zunächst  darauf  aufmerksam  machen,  dass  auch  diese  Leute  keineswegs 
durchgehends  jene  dunklen  Farben  darbieten,  wie  man  sie  in  Büchern  von  den  Lappen 
beschrieben  findet,  dass  namentlich  der  jüngere  Mann  braunes  Haar  hat,  welches  sehr  ins 
Lichte  geht  und  dass  das  kleinste  Kind  vollständig  blond  ist.  "Was  die  Farbe  der 
Augen  betrifft,  so  ist  diese  allerdings  durchgehends  braun,  indessen  sehen  Sie,  dass  Lars 
Nilsson  und  sein  Sohn  mehr  lichtbraune  Augen  haben,  deren  Farbe  schon  bläuliche 
Nuancen  darbietet;  bei  dem  Vater  steht  die  Farbe  auf  der  Grenze  zwischen  blau 
und  braun.  Bei  den  Kindern  sind  die  Augen  verhältnissmässig  dunkelbraun;  ihre 
Augenfarbe  erscheint  um  so  mehr  dunkel,  als  ihre  Hautfarbe  durchscheinend  weiss 
ist.     Bei  den  Erwachseneu  ist  die  Haut  durchweg  bräunlich  und  zugleich  faltig. 

"Was  die  Grösse  betrifft,  so  gehören  sie  sämratlich,  namentlich  die  Frau,  zu  den 
kleinen  Leuten.  Nur  Jacob  Larsson  erreicht  mit  1,61  Meter  nahezu  das  europäische 
Mittelmaass.  In  Bezug  auf  die  Gesichtsbildung  lässt  sich  nicht  verkennen,  dass  das 
Gesicht  der  Frau  durch  seine  Breite  und  Niedrigkeit  an  mongolische  Formen  erinnert. 
Bei  den  Männern  ist  dies  aber  gar  nicht  der  Fall,  namentlich  zeigt  sich  im  Bau  der 
Augen  nicht  jene  Schlitzäugigkeit,  welche  die  mongolische  Rasse  in  Asien  charak- 
terisirt.  Besonders  bei  den  Kindern  ist  es  auffallend,  wie  gross  und  offen  ihre  Augen 
sind  und  wie  sehr  sie  den  Eindruck  einer  runden  und  entschieden  europäischen  Ge- 
staltung darbieten.  Das  kann  man  also  auch  hier  constatiren,  dass  die  Beziehungen 
der  Lappen  zu  den  Mongolen  cum  grano  salis  aufzunehmen  sind  und  dass  viel  dazu 
gehören  wird,  ehe  man  sich  überzeugt,  dass  die  "Verwandtschaft  eine  so  nahe  ist,  wie 
sie  von  Manchen  als  unzweifelhaft  angenommen  wird. 

In  Bezug  auf  weitere  Einzelheiten  will  ich  mich  möglichst  auf  Zahlen  beschränken. 
Es  ergeben  sich  für  die  Erwachsenen  folgende  Indices: 

Lars  Nilsson. 

Breiteniudex  des  Schädels      .  82,0 

Ohrhöhenindex 60,5 

Naseuindex  ..,.,.  79,0 
Gesichtsnasenindex  ....  44,5 
Gesichtöbreiteuiodex      .     .     .  69,5 


b  Larsson. 

Rasmus  Petersen. 

Ella  Maria 
Josefsen. 

87,8 

87,3 

83,8 

61,3 

68,3 

62,7 

73,3 

68,7 

71,1 

40,5 

46,1 

54,7 

75,5 

73,7 

72,5 

(227) 

Dies«  Verliältnisse  stimmen  im  Ganzen  mit  dem,  was  ich  in  der  Sitzung  vom 
20.  Februar  über  die  Leute  von  Mala  mitgetbeilt  Labe,  ziemlich  gut  übereiu.  Nur 
in  der  Höhe  des  Schädels  fand  sich  damals  in  der  Mehrzahl  ein  höheres  Maass:  das 
gegenwärtige  dürfte  vielleicht  dem  herrschenden  Typus  mehr  entsprechen.  Nächst- 
dem  variiren  am  meisten  die  Verhältnisse  der  Nase:  obwohl  durchweg  niedrig,  sind 
ihre  Beziehungen  zum  Gesicht  und  dem  entsprecliend  ihre  Formen  rocht  verschieden. 
Nur  bei  der  Frau  ist  der  Rücken  stärker  eingebogen  und  die  Nase  leicht  aufgeworfen. 
Immerhin  dominiren  auch  hier  überall  die  Breitenverhältnisse. 

Zur  Vergleicliung  der  Körperverhältnisse  entnehme  ich  der  Kürze  wegen  einige 
Vergleicbuiigszaliien  aus  Krause  (Hiiudbuch  der  menschl.  Anatomie,  Hann.  1841  1. 
S.  225).     Seine  in  Zollen  gegebenen  Maasse  bei  Europäern  betragen   in  Millimetern: 

Mann.  Frau. 

die  Höhe  des  Körpers 1070  1565 

die  Länge  des  ganzen  Armes    .     .     .       76,5  69,5 

«         „         ,        ,        Beines    ...       89  76 

Daraus  berechnet  sich  das  Verhältniss  von 

Arm  :  Bein  (=  100)    ....  85,9  91,4 

Arm  :  Körper  (=100)     .     .     .     4,5  4,4 

Bein   :  Körper  (=100)    .     .     .     5,3  4,8 

Für  die  Lappen  erhalte  ich  folgende  Verhältnisse: 

Lars  Nilsson.  Jacob  Larsson  Rasmus  Petersen.  Ella  Maria  Josefsen. 
Arm  :  Bein     ....   77,5                     82,6                     83,2  68,1 

Arm  :  Körper ....     4,1  4,1  4,2  4,7 

Bein  :  Körper      ...     5,3  5,0  5,0  6,9 

Hieraus  folgt,  was  auch  schon  der  äussere  Augenschein  lehrt,  dass  die  Extre- 
mitäten verhältnissmässig  kurz  sind,  namentlich  bei  den  Männern.  Ganz  besonders 
und  ganz  durchgeheuds  ist  dies  der  Fall  bei  den  Oberextremitäten  (Schulter  bis  Spitze 
des  Mitteltiugers),  welche  bei  den  Männern  im  Mittel  nur  81,1  pCt.  von  der  Länge 
der  Unterextremitäten  (Trochanter  bis  Ferse),  bei  der  Frau  sogar  nur  68,1  pCt.  aus- 
machen. Es  erinnert  das  wiederum  an  rachitische  Verhältnisse,  obwohl  ich 
eigentliche  Verkrümmungen  der  Röhrenknochen  an  den  Leuten  nicht  bemerkt  habe. 

Die  äussere  Erscheinung  oder  sagen  wir  lieber,  das  Costüm  dieser  Leute  unter- 
scheidet sich  von  demjenigen  der  Lappen  von  Mala,  die  früher  hier  waren,  nicht  un- 
wesentlich, aber  nach  Allem,  was  ich  weiss,  entspricht  diese  Bekleidung  mehr  der- 
jenigen, welche  in  der  grössten  Ausdehnung  in  den  zugänglichen  Theilen  des  lap- 
pischen Gebietes  gesehen  wird.  Ich  selbst  habe  früher  nur  in  Bergen  (Norwegen) 
einmal  Gelegenheit  gehabt,  einen  lebenden  Lappen  zu  sehen,  aber  ich  habe  mich 
nachher  vielfach  in  der  Literatur  unigethan  und  zahlreiche  Abbildungen  verglichen. 
Sie  geben  alle  dieses  Costüm  als  das  gewöhnliche  au;  namentlich  entspricht  die 
Kopfbedeckung  viel  mehr  demjenigen,  was  als  gebräuchliche  lappische  Mode  erscheint, 
als  die  der  früher  hier  vorgeführten  Lappen.  Eins  will  ich  dabei  hervorheben,  was 
mir  besonders  bemerkeuswerth  erscheint,  das  ist  unter  dem  wenigen  Schmuck,  den 
sie  an  sich  haben,  die  Silberspange,  welche  die  Frau  (ausser  einem  breiten  silbernen 
Fingerring)  am  Wamse  ti'ägt.  Sie  entspricht  demjenigen  Typus,  der  nach  meinen 
Erkundigungen  in  Finland  die  weiteste  Verbreitung  unter  der  finnischen  und  lappischen 
Bevölkerung  hat. 

Ich    hatte,    um    archäologische  Beziehungen   zwischen  den  Lappen    und  andern 

16' 


(228) 

modernen  oder  prähistorisclien  Stämmen  zu  finden,  bei  meinem  Besuch  in  Finland 
meine  besondere  Aufmerksamkeit  dahin  gerichtet,  ob  nicht  Schmuck  getragen  wird, 
der  irgend  eine  Verwandtschaft  mit  demjenigen  Schmuck  hat,  den  man  in  Gräbern 
findet.  Ich  habe  aber  gesehen,  dass  davon  eigentlich  nichts  vorliauden  ist.  Das 
einzige  Schmuckstück,  welches  sich  zugleich  in  weitester  Verbreitung  vorfindet,  ist 
diese  Art  Spange  (wenn  ich  nicht  irre,  saljo  genannt).  In  Finland  trägt  fast  jede 
wohlsituirte  Bauersfrau  eine  Silberspange  vor  der  Brust  und  zwar  zum  Theil  in  sehr 
bedeutenden  Dimensionen,  so  dass  einzelne  Stücke  bis  zu  14  Rthlr.  im  Werth  haben. 
In  der  Regel  sind  es  grosse,  flachgewölbte,  runde  Seheibeu  mit  sehr  einfacher,  mehr 
linearer  Verzierung.  Diese  durchbrochene  Form  habe  ich  nicht  gesehen,  aber  sie 
gehört  doch  ihrer  Gestalt  nach  in  dieselbe  Ordnung.  Es  ist  dies,  wie  es  scheint,  in 
der  That  ein  national  finnischer  Schmuck,  aber  in  der  Besonderheit,  wie  er  jetzt 
getragen  wird,  dürfte  er  kaum  in  den  Alterthumsfunden  jener  Gegenden  vorkommen. 
Auch  im  südlichen  Schweden  findet  sich  nichts  in  der  Weise,  so  zahlreich  dort, 
namentlich  in  Schonen,  von  den  Frauen  Schmucksachen  getragen  werden. 

Ich  constatire  endlich,  dass  das  sogenannte  lappische  Ohr,  welches  durch  den 
Mangel  eines  abgesetzten  Ohrläppchens  charakterisirt  sein  soll,  sich  bei  keinem  dieser 
Leute  in  ausgesprochenem  Maasse  findet.   — 

(16)  Im  Anschluss  an  die  Vorstellung  der  Lappen  legt  Hr.  Virchow  einen 
kürzlich  an  ihn  gelangten,  von  Savitaipal,  südwestlich  am  Saima-See,  unter  dem 
13.  August  abgesendeten  Brief  des  Hrn.  Dr.  Europaeus  vor,  betreffend 

die  Verbreitnu^  der  Finnen  in  älterer  Zeit  nnd  die  russischen  Lappen. 

Ich  habe  die  Ehre,  Ihnen  hierbei  ein  Exemplar  meiner  bis  jetzt  nur  russisch 
herausgekommenen  Abhandlung:  üeber  das  ugrische  (ostjakisch-wogulisch-unga- 
rische)  Volk  im  mittleren  und  nördlichen  Russland,  Finland  und  dem 
nördlichen  Theile  Skandinaviens  bis  zu  der  Ankunft  der  jetzigen  Ein- 
wohner zu  übersenden.  Das  mit  blau  bezeichnete  Feld  auf  der  ersten  Karte  ist 
nach  Tausenden  von  zusammengesetzten  Ortsnamen  und  nach  historischen,  antiqua- 
rischen und,  so  weit  geforscht  worden  ist,  auch  nach  craniologischen  Forschungen 
(nach  Kurganenschädeln)  als  alt-ugrisch  bestimmt  worden.  Das  mit  roth  bezeichnete 
in  der  Umgegend  vom  Ladoga-  und  Onega  See  ist  aus  ähnlichen  Gründen  die  Dr- 
heimath  der  Finnen  und  Esten  gewesen,  und  diese  Gegend  ist  zugleich,  wie  abge- 
schnitten, ohne  alle  Spuren  von  ugrischen  Ortsnamen,  zusammengesetzten  und  nicht- 
zusammengesetzten. Die  Verbreitung  der  Nord-  und  Ostfinnen  und  der  Südwestfinueu 
und  Esten  ist  auf  der  Karte  anschaulich  gemacht.  Alle  nord-  und  ostfinnischen  Dialekt- 
variationen sind  unter  dem  Karelischen  subordinirt,  einer  älteren  Dialektverzweigung 
von  dem  Onegaseeischen  und  Tichwinschen,  Tschudischen  oder  Wepsischen  (Wepsän 
kieli),  von  welchem  das  Südwestfinnische  und  Estnische  unmittelbare,  spätere  Ver- 
zweigungen sind,  das  letztere  schon  von  Anfang  an  halb  karelisirt  und  wohl  älteren 
Ursprungs,  als  das  südwestfinnische  oder  tawastländische,  auch  Jämisch  genannt, 
nach  dem  Russischen,  aus  dem  finnischen  Hämeheu  maa  (Land)  1.  kansa  (Volk) 
1.  kieli  (Sprache). 

Die  Dialektgrenze  zwischen  dem  Nord-  und  Ostfinnischen  und  dem  Südwest- 
finnischen ist  von  Hrn.  A.  Warelius  im  XIIL  Band  der  Beiträge  zur  Kenntniss  des 
russischen  Reiches,  von  Baer  und  Helmerseu  1849,  in  einem  längeren  Artikel  be- 
schrieben und  mit  Karte  beleuchtet.  Nur  näher  an  dem  Bottenmeerbusen  ist  die 
Grenze  bis  zu  dem  lürchspiele  Lochteä,  finnisch  oder  eigentlich  alt-ugrisch  Loch- 
taja  (Lochta-joga  =  Buchtfluss),    weiter  hiuaufzurücken.     Die  Abhandlung  von 


(229) 

Warelius  ist  deutsch  geschrieben.  In  Uebereinstimmung  mit  derselben  habe  ich 
auf  der  ersten  Karte  diese  Grenze  gezogen.  Die  jetzige  Völkergrenze  zwischen 
den  Finnen  und  Schweden  ist  mit  dem  rothen  Strich  zunächst  westlich  von  dem 
Toruea  Flusse,  finnisch  Tornio  (eigentlich  alt-ugrisch  Torn-joga  =  Grasfluss), 
bezeichnet.  Der  zweite  Strich  westlicher  ist  die  alte  Grenze  für  die  Verbreitung  der 
Finnen,  nach  den  entferntesten,  echt  finnischen,  zusammengesetzten  Ortsnamen.  Die 
überwiegende  Anzahl  der  finnischen  Ortsnamen  schliesst  jedoch  schon  mit  der  Um- 
gebung des  Kalix- Flusses,  finnisch  Kainuun  joki.  Nach  diesem  Flussnamen  heissen 
die  Finnen  um  den  mittlem  Lauf  des  Kalix-Flusses  und  auch  die  schon  sweticirten  am 
unteren  Lauf  Kainuulainen,  plur.  Kainuulaiset,  woher  die  Normannen  und 
die  isländischen  Sagen  die  Finnen  Quänen  nennen.  Der  Name  Finn  bedeutet  im 
Norwegischen  und  in  den  isländischen  Sagen  eigentlich  Lappe,  nicht  aus  Loppu 
herzuleiten.    Aus  dem  lappischen  Kalas-joga  ist  schwedisch  Kalix-elf  entstanden. 

Die  russischen  Lappen,  nördlich  von  dem  "Weissen  Meere,  hatte  ich  Gelegenheit 
1857 — 58  zu  besuchen  und  zu  studiren.  Sie  sind  ohne  Ausnahme  schwarzhaarig, 
obgleich  nicht  so  schwarz,  wie  die  Zigeuner,  und  reichen  einem  gewöhnlichen  Manne 
bis  zur  Achsel. 

Das  nördlichste  Dorf  im  russischen  Kardien,  Tuntsa,  nicht  weit  von  der  finnischen 
Grenze,  etwas  nördlich  von  dem  Polarkreis  und  Pääjärvi,  war  nach  der  Erzählung 
eines  von  dort  gebürtigen  Mannes  vor  zwei  und  zum  Theil  vor  einem  Mannesalter 
noch  lappisch.  Jetzt  aber,  nachdem  das  Volk  ansässig  und  ackerbautreibend  geworden 
und  also  mit  kräftigerer  Kost  versehen  ist,  sind  sie,  so  viele  ich  von  ihnen  (drei 
Mann)  selbst  sah  und  nachfragte,  jetzt  bis  zu  gewöhnlicher  Manneshöhe  herangewachsen. 
Nur  das  schwarze  Haar  hatte  sich  bei  allen  drei  gut  erhalten.  Ein  geborner  Lappe, 
welcher  in  dem  Pastorshause  der  nördlichsten  Lappengemeinde  Finnlands,  Utsjoki,  auf- 
gewachsen und  dadurch  veranlasst  wurde,  neben  d^m  Finnischen  und  Lappischen  auch 
Schwedisch  und  Norwegisch  durch  Bücher  zu  studiren,  hielt  sich  vor  einigen  Jahren,  um 
seine  Studien  an  der  Universität  fortzusetzen,  in  Helsiugfors  auf.  Auch  er  ist  schwarz- 
haarig und  erzählte  mir,  dass  auch  in  seiner  Heimath  diese  Farbe  des  Haares  durchschnitt- 
lich bei  den  Lappen  vorkommt.  Auch  er  ist,  vielleicht  weil  er  beim  Pastor  in  wachsenden 
Jahren  kräftige  Kost  bekam,  beinahe  von  gewöhnlicher  Manneslänge.  Er  hat  seit  drei 
Jahren  jetzt  Anstellung  als  Canalaufseher  und  Kassirer  beim  Canal  zwischen  dem 
Südende  des  Paijänne-Sees  (altugrisch,  nach  dem  Biegungsstamm  Paijän-teh 
=  Donner-See)  und  Wesijärvi.  Die  Frau  eines  meiner  Vettern,  welche  in 
der  Gegend  der  ^lordwinen  —  die  roth  bezeichnete  Gegend  im  SO.  —  aufgewachsen 
ist  und  gewohnt  hat,  erzählte  mir,  dass  die  Mordwinen  dagegen  meiotentheils  ganz 
lichthaarig  sind.  Das  Mordwinische  ist  auch  dem  Finnischen  von  allen  finnisch- 
ungarischen Sprachen  in  jeder  Hinsicht  am  nächsten  verwandt.  Meine  finnisch- 
ungarischen  Zahlwörtertabellen  sind,  glaube  ich,  bei  Calvary  &  Co.  noch  zu  haben. 

Ich  hoffe,  Sie  haben  von  Hrn.  Dr.  Hjelt  die  craniologische  Tabelle  des  Hrn. 
Dr.  Iwanofsky  über  die  von  mir  auf  dem  blauen  Felde  von  der  Stadt  Bjeshetzk 
im  Twerschen  Gouv.  nach  Tichwin  zu  aufgegrabenen  Kurganenschädel  schon  bekommen. 
Hierbei  folgt  die  Photographie  des  am  meisten  dolichocephalen  unter  ihnen.  Nach 
einem  Briefe  von  Hrn.  Akademiker  Hrn.  v.  Baer  sind  die  Wogulen  und  Ostjaken 
noch  jetzt  sehr  entschieden  dolichocephal.  — 

Hr.  Virchow  macht  besonders  darauf  aufmerksam,  dass  die  von  Hrn.  Euro- 
paeus  mitgetheilte  Thatsache  über  die  russischen  Lappen  stark  für  die  schon  seit 
längerer  Zeit  von  ihm  vertheidigte  Ansicht  spricht,  dass  die  physische  Beschaffenheit 


(230) 

der  Lappen    durch  Klima    und    schlechte  Nahrung  seit  Jahrtausenden   verschlechtert 
und  der  Stamm  im  Ganzen  als  ein  verkümmerter  anzusehen  sei.  — 

(17)     Hr.  Uartmaun  spricht  über  den 

Authropoiden-iiffen  Mafuca  des  zoologischen  Gartens  zu  Dresden. 

Einer  unbestimmten  Angabe  nach  soll  bereits  vor  fast  zwei  Jahren  der  londoner 
Thierhändler  Mr.  Rice  das  von  dem  verstorbenen  Kaufmann  Jehn  aus  Loango  mit- 
gebrachte, aus  dem  Waldlande  Mayombe  stammende  Thier  für  einen  Gorilla  gehalten 
und  dem  zeitigen  Director  des  dresdener  zoologischen  Gartens,  Hrn.  Alwin  Schoepf, 
dafür  eine  erhebliche,  die  Ankaufssumme  weit  übersteigende  Geldmenge  geboten  haben. 
Schoepf,  ein  ausgezeichneter  Thierpfleger,  behielt  jedoch  Mafuca  nnd  sprach  sich 
über  die  Eigenthümlichkeiten  dieses  Geschöpfes  im  „zoologischen  Garten",  Jahrgang 
1874,  S.  91  in  sehr  anregender  Weise  aus.  Im  Juni  dieses  Jahres  forderte  der 
rühmlichst  bekannte  Thierhändler  und  Thierkenner,  Hr.  K.  Hagenbeck,  den  Vor- 
tragenden auf,  das  auch  von  ihm  für  einen  Gorilla  gehaltene  Thier  persönlich  in 
Augenschein  zu  nehmen  und  die  Stellung  desselben  im  System  zu  beurtheilen. 
Zunächst  begab  sich  nun,  nach  vorheriger  genauer  Informirung  über  den  Bau  der 
anthropoiden  Aflfen,  Hr.  Dr.  Carl  Nissle,  nach  Dresden  und  kehrte  nach  mehr- 
tägigem Aufenthalte  daselbst,  mit  der  Nachricht  zurück,  dasselbe  sei  unzweifelhaft  ein 
noch  nicht  ausgewachsener,  weiblicher  Gorilla.  Auch  der  Vortragende  gewann  später 
aus  eigener  Anschauung  dieselbe  üeberzeugung.  Dr.  Brehm  soll  sich  in  gleicher 
Weise  ausgesprochen  haben. 

Die  Sache  nahm  nunmehr  ihren  Weg  in  die  öffentlichen  Blätter,  fand  aber  viele 
Gegner.  Zuerst  wandte  sich  Hr.  Dr.  Bolau,  Director  des  zoologischen  Gartens  zu 
Hamburg,  dagegen,  indem  er  Mafuca  für  einen  ganz  gewöhnlichen,  nur  ausgewachsenen 
und  schön  entwickelten  Chimpanse  (Troglodytes  niger)  erklärte.  Hr.  Dr.  A,  B.  Meyer, 
Director  des  Hofnaturalienkabinetes  zu  Dresden,  sprach  sich  in  einem  offenen  Briefe 
an  Director  Schoepf  in  ähnlichem  Sinne  aus.  Sprecher  uuterzog  nun  zunächst  die 
von  Hrn.  Bolau  beliebte  Deduktion  einer  scharfen  Kritik.  Er  schloss  mit  der  Ver- 
sichenmg,  dass  er  gern  Anderen  den  Anspruch  auf  die  Priorität  der  Klarlegung  der 
eigentlichen  Natur  Mafucas  überlasse.  Die  ganze  Angelegenheit  habe  für  ihn  nur 
ein  rein  sachliches,  durchaus  nicht  ein  persönliches  Interesse. 

(18)  Angekauft  für  die  Bibliothek  der  Gesellschaft: 

Schultheiss:  Kurze  Uebersicht  und  Nachricht  von  den  in  der  Wollmirstädter 
Gegend  gefundenen  Alterthümern,  nebst  Atlas,  Photographien  enthaltend. 

(19)  Geschenke: 

1)  Schweinfurth:    Artes  Africanae,  4. 

2)  F.  Ohleuschlaeger:    Verzeichniss  der   Fundorte  zur  praehistorischen  Karte 
Bayerns.     Manchen   1875. 

3)  E.  Morselli:    Sul  peso   del  cranio  e  della   mandibola  in  rapporto  del  sesso, 
Firenze  1875. 

4)  Derselbe:  Sullo  Scafocefalismo. 

5)  Derselbe:  II  suicidio  nei  delinquenti. 

6)  Kroenig:    Das  Dasein  Gottes,  Berlin  1874. 


Sitzung  vom  20.  November  1875. 
Vorsitzender  Hr.  Virchow. 

(1)  Hr.  Caesar  Godeffroy  zu  Hambnrg  ist  zum  Ehrenmitgliede  der  Gesell- 
schaft ernannt  worden  in  Anbetracht  der  grossen  Verdienste,  welche  er  sich  um  die 
deutsche  Anthropologie  durch  die  umfangreichen  und  höchst  kostbaren  Erforschungen 
Polynesiens  und  Australiens  erworben  hat. 

Zu  correspondirenden  Mitgliedern  werden  ernannt: 

General  Cunningham,  \  n  *•  ri* 

Colonel  Edward  Tuite  Dalton  zu  Chotia  Nagporej 
Als  ordentliche  Mitglieder  werden  angezeigt: 
Hr.  Geh.  Commerzienrath  Ravene, 
„     Kaufmann  Eschwege  zu  Berlin, 
„     Hofspediteur  Ernst  Arheidt  zu  Carlsruhe. 

(2)  Die  Wittwe  des  verstorbenen  Dr.  ßleek,  Capstadt,  hat  dem  Vorsitzenden, 
unter  üebersendung  der  letzten  Schrift  ihres  Gatten  (A  brief  account  of  Bushman 
folk-lore  and  other  texts.  1875),  Mittheilungen  über  ihre  Pläne  in  Betreff  der  weiteren 
Veröffentlichung  der  literarischen  Hinterlassenschaft  ihres  Mannes  gemacht.  Darnach 
würde  die  Schwester  der  Wittwe,  Miss  Lucy  Lloyd,  welche  den  Verstorbenen, 
schon  lange  in  seinen  Arbeiten  unterstützt  hat,  seiner  testamentarischen  Bestim- 
mung gemäss  die  Herausgabe  besorgen,  und  es  handelt  sich  jetzt  «nnächst  darum, 
die  nöthigen  Geldmittel  dafür  zusammenzubringen.  Unsere  Gesellschaft  wird,  so  sehr 
sie  sich  für  ein  so  wichtiges  Unternehmen  interessirt,  kaum  in  der  Lage  sein,  dem- 
selben materiell  eine  wesentliche  Beihülfe  gewähren  zu  können. 

(o)  Hr.  Ober- Kammerherr  v.  Alten  zu  Oldenburg  sandte  photographische  Dar- 
stellungen der 

römischeu  Statuetten  und  einen  Gyps-Aberiiss  des  Bronze-Postaments, 

welche  bei  Marren  gefunden  wurden  (Sitzung  vom  14.  Mai.    S    92). 

In  einem  Briefe  an  den  Vorsitzenden  vom  17.  October  erwähnt  er,  dass  er  noch 
einige  Eisenstücke  von  derselben  Stelle  erhalten  habe,  sowie  dass  ein  gleicher  Greifen- 
kopf aus  einem  Moorfunde  der  Insel  Fünen  bekannt  sei. 

Er  theilt  ferner  mit,  dass  er  im  letzten  August  am  Zwischen-Ahner  See  (Station 
an  der  Oldenburg-Leerer  Bahn),  ganz  in  der  Nähe  von  Rötrop,  einen  sogenannten 
Einbaum  von  Eichenholz  ausgegraben  habe,  der  mit  Feuer  und  stumpfen  Instrumenten 
ausgehöhlt  sei.  Ausserdem  erhalte  er  die  Nachricht,  dass  in  jener  Gegend  sehr  wahr- 
scheinlich ein  Gräberfeld  gefunden,  das  erste  im  sogenannten  Ammerland;  es 
sind  14  Hügel. 

Ferner  bemerkt  er  in  Bezug  auf  die  Mittheilungen  des  Hrn.  Voss  (Sitzung  vom 


(232) 

14.  Mai.  S.  93),  Kinderspielzeuge  in  Vogelfigur  betreffend,  dass  „diese  Art 
Kinderspielzeuges,  bei  uns  zu  Lande  fast  ^"f  jedem  Markte  in  den  Dörfern  noch  heute 
zu  kaufen  ist;  sehr  häufig  sind  diese  Spielzeuge  als  Atrappe  eingerichtet,  indem  auf  dem 
Rücken  oder  am  Schwänze  des  Vogels  ein  feines  Loch  angebracht  ist;  wird  nun  der 
Vogel  mit  Wasser  gefüllt,  und  in  die  Pfeife  geblasen,  so  spritzt  sich  der  Pfeifer  das 
"Wasser  zum  Gelächter  der  umstehenden  Kinder  in  das  Gesicht.  Diese  Vögel  sind 
meistens  gelb  glasirt,  mit  Pünktchen,  weiss  oder  dunkel  auf  den  Flügeln. 

„Wann  mag  das  Glasiren  im  Norden  Deutschlands  allgemein  geworden  sein? 
Diese  Frage  scheint  mir  nicht  unwichtig".  — 

Hr.  Virchow  glaubt  die  letzte  Frage  dahin  beantworten  zu  können,  dass  eine 
eigentliche  Glasur  auf  Thongeräthen  im  nördlichen  Deutschland  wohl  kaum  vor  dem 
13.  Jahrhundert  üblich  geworden  sei.  Wenigstens  sind  ihm  keine  früheren  Funde 
bekannt,  obwohl  weit  ältere  Thongefässe  äusserlich  mit  einem  glatten,  glänzenden 
Ueberzuge  versehen  sind.  Die  thönernen  Vogelpfeifen  sind  auch  in  Pommern  auf 
Jahrmärkten  sehr  gewöhnlich.  — 

In  einem  Briefe  vom  16.  November  berichtet  Hr.  y.  Alten  ferner  über  einen 

Halsschnmck  ans  der  Gegend  von  Lehmden. 

(Hierzu  Taf.  XVI.  Fig.  1) 

Derselbe  ist  gefunden  in  der  Gegend  von  Lehmden  von  G.  Wencken  zu  Wencken- 
dorf.  Dort,  südlich  von  den  Lehmder  Büschen,  östlich  von  der  Eisenbahn,  ist  ein  Moor, 
genannt  in  der  Strot,  dasselbe  grenzt  an  die  Ausläufer  des  hohen  Geestrandes,  hier 
Liet  genannt;  dieses  Moor,  ein  sogenanntes  Holzmoor,  ist  seit  mehr  als  30  Jahren 
gebrannt,  wodurch  es  10 — 12  Fuss  niedriger  geworden.  Wenn  man  nun  durch  das 
Brennen  den  unteren  Holzschichten  nahe  gekommen,  sie  theilweise  mit  verbrannt  sind, 
so  erreicht  man  zugleich  den  Sand;  sobald  dies  geschehen,  hört  das  Brennen  auf 
imd  das  Ackern  beginnt.  Nachdem  nun  dies  einige  Jahre  geschehen,  hat  der  Sohn 
des  Besitzers  des  fraglichen  Stückes,  weiches  am  östlichsten  Punkte  des  Lehmder 
Busches  (Gehölz)  liegt,  den  Schmuck  nebst  einem  zweiten  Halsringe  gefunden,  wel- 
cher letztere  geriefelt  und  schwerer  ist.  Der  Durchmesser  beträgt  21  Ctm.  am  Schnitt 
und  21,5  Ctm.  an  der  dicksten  Stelle.  Die  Riefelung  ist  nicht  spiralförmig,  sondern 
es  ist  Kreis  neben  Kreis. 

Ich  fand  die  Ringe  in  einander  gehängt,  aber  der  Finder  konnte  mir  nicht  sagen, 
ob  er  sie  so  gefunden;  er  meinte,  es  sei  wahrscheinlich,  dass  er  sie  selbst  erst  in 
einander  gehängt.  Nicht  unwichtig  erscheint  mir,  dass  dies  bereits  der  vierte  Fund 
von  Bronzen  ist,  der  in  derselben  Richtung,  nämlich  stets  an  dem  hohen  Geestrande, 
gegen  das  Moor,  von  Südwesten  nach  Nordwesten,  also  in  der  Richtung  von  Olden- 
berg  nach  Varel  und  zwar  im  Ipweger  Moor,  Loyermoor  und  in  der  Strot.  Diese 
Moore  waren  früher  tief  einschneidende  Buchten  der  Ausflüsse  der  Weser  (Liene, 
Dornebbe  u.  s.  w.),  die  erst  mit  dem  Ende  des  15.  und  Anfang  des  16.  Jahrhunderts 
aufhörten.  Unwillkürlich  wird  man  dadurch  auf  den  Gedanken  an  Küstenschiff- 
fahrt  und  Strandungen  gebracht.  Boote  sind  indess  noch  nicht  gefunden,  wohl 
natürlich,  da  beim  Brennen  des  Moors  diese  eben  mit  verbrennen. 

(4)  Hr.  Candid.  philos.  Emil  Marens  aus  Güstrow  hat  dem  Vorsitzenden,  unter 
Uebersendung  einer  grossen  Kiste  mit  Steinsachen,  Bericht  erstattet  über 

vermeintlich  bearbeitete  Feuersteine  ans  dem  Diluvium  und  vom  Ufer  des  Brunnen- 
sees bei  Güstrow. 


(233) 

Hr.  Virchow  hat  die  Sachen  einer  Durchsicht  unterzogen,  sich  jedoch  nur  bei 
den  am  Rrunnensee  gefundenen  Feuersteinen  von  ihrer  unzweifelhaften  Bearbeitung 
überzeugen  können.  Eine  Anzahl  kleiner  „Messerchen"  und  ein  vortrefllicher  Nucleus 
von  da  lassen  keinen  Zweifel  darüber,  dass  hier  Artefakte  vorliegen. 

Alle  übrigen  Gegenstände  sind  nach  den  Mittheilungen  des  Hrn.  Marcus  theils 
an  dem,  30^40  Fuss  hohen  Schneiderberge  bei  der  Burg,  etwa  '/s  Meile  von  Güstrow, 
theils  im  Kiessande  bei  Gutow  und  der  ziemlich  tiefen  Lehmgrube  vor  dem  Hage- 
bocker  Thor  gefunden  worden.  Er  sieht  darin  Hammer,  Keile,  Quetschsteine,  Mörser- 
keulen ,  Schleudersteine  u.  s.  w.  und  glaubt  dadurch  die  Existenz  des  Menschen  in 
diluvialer  Zeit  in  Mecklenburg  beweisen  zu  können.  Zugleich  erwähnt  er,  dass  in 
einer  Sandgrube  am  Schneiderberge  ein  Mammuthzahn  —  ein  für  Mecklenburg  fast 
einziger  Fund  —  ausgegraben  sei. 

Hr.  Virchow  bestätigt  diesen  letzteren  Fund  und  zugleich  die  Bedeutung  des- 
selben für  Mecklenburg,  wo  in  der  That,  wie  er  erst  neuerlich  zu  seinem  Erstaunen 
sich  bei  einem  Besuche  im  Schweriner  Museum  überzeugt  habe,  Mammuthfunde 
nur  ganz  ausnahmsweise  gemacht  sind.  Er  erkennt  ferner  an,  dass  einzelne  der  Feuer- 
steine sehr  verführerische  Formen  darbieten  und  recht  wohl  mit  den  viel  besprochenen 
Funden  des  Abbe  Bourgeois  parallelisirt  werden  können.  Wenn  er  sich  aber  gegen 
diese  in  der  internationalen  Commission  zu  Brüssel  skeptisch  habe  verhalten  müssen, 
so  sei  es  auch  hier  der  Fall.  Er  verweist  auf  seinen  Vortrag  in  der  Sitzung  vom 
14.  Januar  1871.  Seit  jener  Zeit  habe  er  auf  zahlreichen  Excursionen  das  Verhalten 
der  Feuersteine  in  diluvialen  Schichten,  welche  noch  ganz  unangebrochen  waren,  ver- 
folgt und  die  zahlreichsten  Beispiele  für  natürliche  Sprünge  und  Absplitterungen  ge- 
sammelt, welche  den  von  Hrn  Marcus  übersendeten  so  ähnlich  waren,  dass  er  kein 
Bedenken  trägt,  auch  die  letzteren  für  natürliche  Bildungen  zu  erklären.  Dem  grossen 
Eifer  des  Einsenders  spendet  er  das  gebührende  Lob. 

(5)  Der  Vorsitzende  zeigt  ferner  Abbildungen  des  Hrn.  Lehrer  Rabe  zu  Biere 
bei  Schönebeck  an  der  Elbe  vor,  gleichfalls  betreffend 

diluviale  Feuersteine. 

Dieselben  stammen  grossentheils  aus  Kiesgruben  auf  der  Feldmark  Biere,  und 
der  Einsender  hält  dieselben,  im  Anschlüsse  an  die  Abbildungen  in  dem  bekannten 
Werke  des  Hrn.  Lubbock,  für  Artefakte.  Nach  den  eingesendeten  Abbildungen  ist 
es  allerdings  nicht  möglich,  ein  absprechendes  ürtheil  über  sämmtliche  Funde  zu 
geben,  da  in  der  That  manche  von  ihnen  den  Eindruck  machen,  als  seien  Schlag- 
spuren an  ihnen.  Die  Mehrzahl  gehört  indess  unzweifelhaft  gleichfalls  in  das  Gebiet 
der  natürlichen  Sprungstücke,  und  bis  auf  weiteren  Beweis  wird  auch  für  die 
übrigen  angenommen  werden  können,  dass  sie  in  dieselbe  Kategorie  gehören. 

Der  Vorsitzende  glaubt  nicht  genug  davor  warnen  zu  können,  dieser  Art  von 
Nachforschvmgen  mit  dem  Präjudiz,  dass  man  etwas  finden  werde,  sich  hiozugeben. 
Schon  die  erste  Bildung  der  Feuerstein-Knollen  liefert  so  bizarre  und  scheinbar  absichtlich 
hergestellte  Formen,  dass  es  nur  einer  geringen  Phantasie  bedarf,  um  sich  von  irgend 
einer  Art  von  Aehnlichkeit  zu  überzeugen  und  bald  Thier-  oder  Menschengestalten, 
bald  Werkzeuge  darin  zu  sehen.  Die  Sprünge,  welche  durch  Temperatur-  und  Druck- 
differenzen an  den  einzelnen  Theilen  der  Blöcke  eintreten,  oder  welche  durch  zufäl- 
liges Zusammenstossen  mit  andern  Steinen  oder  Herabfallen  entstehen ,  sind  oft  den 
Schlagflächen  so  ähnlich,  dass  selbst  die  sogenannten  Schlagmarken  (bulbi)  und  die 
concentrischen  Kinge  um  dieselben  nicht  fehlen.  Nur  die  grösste  Vorsicht,  ja  die 
äusserste  Skepsis  kann  hier  vor  falschen  Deutungen  schützen.  — 


(234) 

(6)  Hr.  Magistratsrath  Sippel  zu  Bamberg  hat  dem  Vorsitzenden  die  Photo- 
graphie eines  unter  der  Schicht  von  Rannenholz  im  Flussbette  der  Regnitz  dieser 
Tage  aufgefundenen 


Schädelstückes  von  Bos  primigenius 


übersendet.     Dasselbe 


zeigt  den  hintern  und  oberen  Theil  des  Schädels  mit  sehr  schön  erhaltenen  Hörnern. 
Nach  der  Angabe  betrug 

a)  die  Hörnerlänge 0,51  Meter. 

b)  Spannweite  der  Höruer 0,76        „ 

c)  der  umfang  der  Hörner  vor  der  Krone    .     .     0,315      „ 

d)  die  Stirnbreite 0,2'22      „ 

Zugleich  überschickt  Hr.  Sippel  einen  Bericht  des  Hrn.  v.  Theodor!  über 

das  Rannenholz  und  die  fossilen  Knochen  im  Regnitz-  nnd  im  Maiugrunde  bei  Bamberg. 

Es  ist  eine  längst  bekannte  Sache,  dass  in  der  Gegend  von  Bamberg,  in  der 
Thalebene,  welche  einst  ein  von  Südosten  herströmendes  Wasser  durchfloss  und  von 
welchem  die  Regnitz  wohl  jetzt  noch  ein  Ueberbleibsel  ist,  so  wie  im  dortigen  Main- 
grunde, ein  verschütteter  Wald  einige  Schuh  unter  der  Bodenoberfläche  begraben  liegt. 
Hochwasser  entblössen  nicht  selten  in  den  Flussbetteu,  oder  sonst  an  ausgewühlten 
Stellen  der  genannten  Thalebene  mächtige  Stämme  dieses  umgestürzten  Waldes, 
welche  in  der  dortigen  Gegend  nach  Ueberschwemmungen  von  den  Fischern  ausge- 
hoben, gesammelt  und  als  Brennmaterial  benutzt  werden.  Die  schwarze  oder  braun- 
graue Farbe,  die  dieses  sogenannte  Rannenholz  durch  das  Liegen  im  Boden  und  im 
Wasser  erhalten  hat,  lässt  auf  den  ersten  Anblick  darauf  schliessen,  dass  es  Eichen- 
holz ist;  aber  es  ist  dasselbe,  meines  Wissens  wenigstens,  noch  nicht  wissenschaftlich 
untersucht  und  bestimmt,  was  es  wohl  schon  an  und  für  sich  verdiente,  besonders 
aber  auch  wegen  der  thierischen  Ueberreste,  welche  zuweilen  zugleich  mit  demselben 
gefunden   werden   und   die   entschieden   von  einer  Fauna  Zeugniss   geben,    die    zum 


(235) 

Theile  in  unsern  Gegenden    gar  nicht   mehr    existirt ,    theils   nur   noch    durch   andere 
von  den  früheren  verschiedene  Species  repräsentirt  wird. 

Der  verstorbene  eifrige  Forscher  in  der  fränkischen,  besonders  in  der  Bamberg- 
schen  Geschichte,  Joseph  Heller,  fand  bei  seinem  mühevollen  Durchsehen  alter 
Akten  und  Papiere  in  einer  fürstbischöflichen  Kamraerrechnung  ein  für  die  damalige 
Zeit  sehr  bedeutendes  Geldgeschenk  für  einen  in  der  Regnitz  aufgefundeneu  Elephanten- 
zahn  verrechnet.  Ich  selbst  hatte  die  Freude,  vor  mehr  als  20  Jahren  nach  einem 
Hochwasser  in  einem  verlassenen  Rinnsal  des  wieder  zurückgetreteneu  Maines,  in 
der  Gegend  von  Gaustadt,  einen  theils  schwarz,  theils  braun-grau  gefärbten  grossen 
Eberkopf  zu  finden,  dessen  einer  noch  im  Kiefer  steckender,  auf  der  ganzen  Ober- 
fläche des  Schmelzes  mit  feinen,  schwarzen  Rissen  durchzogener  Hauer  wenigstens 
1"  dick  ist.  Ich  schenkte  denselben  zur  Kreissammlung  zu  Bayreuth,  in  deren  splendid 
gedrucktem  Verzeichniss  vom  Jahre  1840  pg.  88  er  als  Sus  priscus,  Goldf.,  von  Bam- 
berg, aufgeführt  ist.  Aus  der  Gegend  von  Bamberg  zählt  ferner  dasselbe  Verzeichniss 
noch  auf:  Cervus  Elaphus  L.,  Cervus  Eurycerus  Kaup  und  Cervus  priscus  Kaup.  Viel 
reicher  au  grösstentheils  noch  nicht  bestimmten  fossilen  Säugthierknochen  aus  den 
Flussbetten  der  Regnitz  und  des  Maines  ist  aber  die  grosse,  noch  immer  einer 
endlichen  Bestimmung  harrende  niineralogisch-petrefactologische  Sammlung  des  vor 
einigen  Jahren  zu  Bamberg  verstorbenen  herzoglich  bayerischen  Kanzlei  -  Directors 
Hard.  Besonders  viel  hielt  derselbe  auf  einen  Theil  eines  Löwenkopfes  aus  der 
Gegend  des  Keipershofes  bei  Bamberg,  vielleicht  von  einer  der  Arten  von  Felis, 
welche  auch  in  den  Höhlen  der  sogenannten  fränkischen  Schweiz  vorkommen.  Leider 
ist  diese  Sammlung  noch  zur  Zeit  nicht  zugänglich. 

(7)     Hr.  Prof.  Liebe  zu  Gera  berichtet  über  ein 

Hügelgrab  am  CoUisberg. 

Auf  dem  sogenannten  CoUisberg  beim  Dorfe  Collis  unweit  Gera  befindet  sich  ein 
Hügel  und  zwar  an  dem  höchstgelegeneu  Rande  der  Ebene,  die  den  Gipfel  dieses 
Berges  bildet  und  von  der  aus  sich  die  aus  Rothliegendem  bestehenden  ßergflanken 
sehr  steil  zu  der  150  Fuss  tiefer  gelegenen  Thalsohle  niederziehen.  Seine  langge- 
streckte Form,  seine  Lage  am  Rande  eines  Feldes  und  seine  Bedeckung  mit  kleinen 
vom  Feld  abgelesenen  Steinen  machten  es  wahrscheinlich,  dass  es  nur  ein  Haufe 
vom  Feld  abgelesener  Steine  sei.  Gleichwohl  machte  jüngst  Hr.  G.  Korn  in  Gera, 
der  ihn  näher  zu  untersuchen  beschloss,  die  Entdeckung,  dass  es  ein,  allerdings  mit 
abgelesenen  Feldsteinen  später  überdeckter,  alter  Grabhügel  sei.  Der  Befund  ist  fol- 
gender: Der  Hügel  ist  in  der  Horizontalprojektiou  60  Schritt  lang  und  14  Schritt 
breit,  —  von  lang  elliptischer  Form,  von  Ost  nach  West  gestreckt.  In  der  Mitte 
unter  diesem  Hügel  befand  sich  ein  ovaler  gepflasterter  Kaum,  dessen  grösster  von 
Ost  nach  West  gelegener  Durchmesser  4)^  Mtr.  und  dessen  kleinerer  3%  Mtr,  betrug. 
Das  Pflaster  befand  sich  unmittelbar  auf  dem  Zechsteinconglomerat,  von  dem  vorher 
vielleicht  eine  Humusschicht  abgeräumt  worden  war  und  bestand  aus  rohen  Kalkstein- 
bruchstücken, wie  sie  rings  um  das  Gipfel-Plateau  des  Collisberges  zu  Tage  treten,  — 
aus  Bruchstücken  der  Kalksteinlagen  des  untereu  Zechsteins.  Das  Pflaster  war  in 
der  Art  hergestellt,  dass  ganz  grosso  Steine  aufrecht  neben  einander,  meist  mit  der 
Spitze  nach  oben,  hingestellt,  und  dann  die  Zwischenräume  und  Unebenheiten  mit 
kleinereu  Kalkstücken  ausgefüllt  worden  waren.  Dies  Oval  war  umgeben  mit  einem 
grnssen  Wall  von  Steinen  derselben  Art  von  '%  bis  1  Meter  Höbe.  Das  Pflaster  selbst 
lag  P/4  Meter  unter  der  Oberfläche.  Auf  dem  Pflaster  standen  im  Kreis  um  den 
Wall  herum  etwa  10  bis  12  Urnen,  welche  jedoch  mit  Ausnahme  einer  einzigen  zer- 


(236) 

drückt  waren  und  nur  Asche  enthielten.  Die  eine,  eben  erwähnte,  war  merkwür- 
diger Weise  zu  Dreiviertheil  leer  und  nur  unten  mit  Asche  gefüllt,  trotzdem  wohl 
erhalten.  Die  Urnen  sind  ohne  Drehscheibe  gefertigt,  haben  unterhalb  des  Halses 
je  zwoi  kleine,  nur  zur  Aufnahme  von  Schnüren  geeignete  Henkel  und  haben  als 
Verzierung  zu  verschiedenen  Mustern  zusammengestellte  Linien,  welche  vermittelst 
einer  Schnur  eingedrückt  sind.  Die  eine  erhaltene  Urne  ist  lb%  Centm.  hoch  und 
hat  am  Hals  6^,  am  Bauch  13)^  und  am  Boden  6  Centm.  Durchmesser.  In  dieser 
Urne  lehnte  eine  flache  Schale,  welche  so  gut  gebrannt  ist,  dass  sie  auf  der  Innen- 
seite eine  Art,  wenn  auch  schwacher  Glasur  zeigt.  Dieselbe  ist  kreisrund  und  hat 
17J^  Centm.  Durchmesser  und  S%  Centm.  Tiefe.  Sie  steht  auf  5  rohen,  fast  2  Cntm. 
langen  Füsschen.  Dazu  fand  sich  noch  ein  eben  so  roh  gearbeitetes  Gefäss  mit  nur 
einem  Henkel,  durch  den  man  aber  den  Finger  stecken  kann,  —  ein  Gefäss,  welches 
abgesehen  von  der  Rohheit  der  Arbeit,  den  Obertassen  der  alten  kugligen  Meissener 
Fa^on  aufs  Haar  gleicht.  7J^  Ctm.  dick  und  6  Ctm.  hoch.  Die  Masse  dieser  Urnen 
ist  roth  oder  schwarz  und  zwar  theilweis  recht  schwach  gebrannt,  reichlich  mit  grobem 
Quarz-  oder  Lyditsand  versetzt.  Letzterer  scheint  derselbe  zu  sein,  den  der  Regen 
aus  dem  Rothliegenden  der  Flanken  des  Colliser  Berges  herabwäscht.  Innerhalb  des 
Urnenkreises  und,  wie  die  Urnen,  durch  eine  3  bis  6  Ctrp.  dicke  Aschenschicht  vom 
Pflaster  getrennt,  lagen  4  menschliche  Gerippe,  in  der  Richtung  von  Ost  nach  West 
horizontal  ausgestreckt,  eins  mit  dem  Kopfe  nach  Westen  und  drei  mit  dem  Kopfe 
nach  Osten,  und  zwar  auf  dem  Rücken,  mit  dem  Gesicht  nach  oben.  Die  Gerippe 
waren  sehr  zerstört,  und  nur  da  besser  erhalten,  wo  oben  darüber  an  der  Oberfläche 
grössere  Steine  lagen.  (Durch  Steinplatten  war  die  Grabhalle  nicht  abgedeckt.) 
Dass  die  Knochen  durch  Brand  zur  leichteren  Zerstörung  disponirt  waren,  lässt  sich 
nicht  leicht  vermuthen;  wenigstens  sind  die  Knochenbruchstücke  (mit  Ausnahme  des 
einen  Schädels  vielleicht)  inwendig  nicht  geschwärzt,  was  sie  bei  theilweiser  Ver- 
brennung doch  sein  müssten.  Die  einzelnen  Knochen  deuten  auf  einen  recht  hohen 
Wuchs  hin:  Ein  Femur  misst  in  seiner  grössten  Dimension  (vom  caput  zum  cond. 
extr.)  49  Ctm,  und  eine  Tibia  43  Ctm.  Die  Muskelansatzleiste  am  Oberschenkelknochen 
ist  scharf  und  sehr  kräftig  entwickelt;  das  Schienbein  ist  sehr  kantig,  so  dass  die 
flache  Seite  desselben  rinnig  wird.  Die  mittleren  Theile  der  Gerippe  sind  am  meisten 
zerstört,  so  dass  man  das  Geschlecht  der  hier  Beigesetzten  nicht  bestimmen  kann; 
indess  scheint,  nach  einigen  Beckenresten  zu  schliessen,  ein  Skelet  von  einem  Weibe 
herzurühren.  Die  drei  mit  dem  Kopfe  nach  Osten  gerichteten  Gerippe  stammen  von 
Erwachseneu.  Leider  ist  von  den  3  Köpfen  nichts  übrig,  als  2  Fragmente  des  Stirn- 
beins mit  noch  ansitzenden  Partikeln  der  Scheitelbeine,  sowie  ein  Stück  Scheitelbein 
mit  noch  ansitzenden  Bruchstücken  des  Hinterhaupts-  und  Schläfenbeins.  Diese  Bruch- 
stücke gehören,  wenn  auch  die  Stirnen  nicht  sehr  hoch  sind,  doch  durchaus  nicht 
einem  tiefstehenden  Typus  an.  Auch  scheint  Dolichocephalie  angedeutet  zu  sein.  — 
Dabei  lag  ein  Unterkiefer  mit  zugehörigem,  leidlich  erhaltenem  Oberkiefer  eines  älteren 
Individuums,  welche  Stücke  jedenfalls  zum  Schädelfragment  No.  3  gehörten. 

Die  Zähne  sind  stark  und  ebenflächig  abgekaut,  aber  gesund.  Die  oberen  Schneide- 
zähne greifen  nicht  über  die  unteren  weg,  sondern  passen  mit  der  Schneide  genau 
auf  die  untem,  und  sie  sind  daher  so  stark  und  quer  abgenützt,  wie  die  übrigen 
Zähne.  Diese  Zahnlage  findet  man  ab  und  zu  auch  jetzt  in  unsrer  Gegend,  wenn 
auch  nicht  häufig.  Gleichwohl  ist  das  Gebiss  nicht  proguathisch  vorstehend,  sondern 
von  edler  Art,  da  eine  gerade  Linie  gezogen  von  der  Spitze  des  Kinns  nach  der 
Spitze  der  rechtwinklig  vortretenden,  gut  entwickelten  Spina  nasalis  inferior,  noch 
einen  Millimeter  hoch  frei  über  die  vordere  Fläche  der  Schneidezähne  wegläuft. 
Uebrigens   ist   hier   noch    zu   bemerken,    dass  im  Unterkiefer  die  beiden  vorletzten 


(237) 

Backeiiz'dhne  fehlten.  Sie  haben  aber  dem  Individuum  offenbar  von  Hause  aus  ge- 
fehlt, denn  einerseits  sieht  mau  an  den  übrigen  Zähnen  keine  Spur  von  Krankheit 
und  an  dem  Kiefer  keine  Spur,  die  auf  eine  nachträgliche  Ausfüllung  der  Alveolen 
hindeutet,  anderseits  sind  die  beiden  letzten  Zähne  (Weisheitszähne)  stark  nach 
vorn  geneigt.  Es  hat  auch  diese  Ersclieinuiig  nichts  besonders  Auffallendes,  da  sie 
auch  heutzutage  hie  und  da  vorkommt.  —  Das  vierte  (ilerippe  gehörte  einem  jüngeren 
Individuum  von  zarterem  Knochenbau,  dessen  Eckzähne  und  Backenzähne  grade  im 
Wechsel  begriffen  waren.  Hier  gelang  es,  aus  den  Stücken  den  Schädel  theilweis 
wieder  zusammenzusetzen,  so  dass  Maasse  genommen  werden  konnten,  wenn  auch, 
wegen  Fehlens  verschiedener  Stücke,  nicht  in  der  sonst  üblichen  und  vorgeschriebenen 
Weise.  Die  langschädlige  Form  tritt  klar  hervor:  der  Schädel  misst  in  seinem 
längsten  Durchmesser  (von  der  Glabella  aus)  17,9  Ctm,  und  im  grössten  Qnerdurch- 
schnitt  (zwischen  den  Scheitelbeinen)  11,9  Ctm.  Die  Stirn  ist  an  diesem,  wie  an  den 
beiden  zuerst  erwähnten  Schädeln  etwas  schmal,  zeigt  aber  keine  l>esondere  Auftrei- 
bung oberhalb  der  Nasenwurzel  und  der  Augenhöhlenränder,  während  von  jenen  beiden, 
älteren  Individuen  angehörigen  Schädeln  allerdings  der  eine  oberhalb  der  Nasen-' 
Wurzel  eine  ziemlich  starke  Aufwulstung  zeigt,  die  sich  zu  beiden  Seiten  bis  gegen 
die  Stelle  oberhalb  der  Mitte  des  oberii  Augenhöhlenrandes  erstreckt.  Es  ist  aber 
diese  Aufwulstung,  soviel  ich  zu  sehen  im  Stande  bin,  nicht  stärker  als  man  sie  viel- 
fach jetzt  auch  sieht,  und  ausserdem  ist  bei  dem  andern  der  beiden  Schädel  die 
Auftreibung  eine  weit  schwächere. 

Innerhalb  der  Grabstätte  lagen  noch  eine  Anzahl  Steingeräthe  und  ein  Werkzeug 
aus  Hirschhorn,  und  ebenso  wurden  auch  ausserhalb  der  ümwallung  noch  einige  Stein- 
geräthe gefunden,  aber  keine  Urnen  und  Gebeine.  Das  Werkzeug  aus  Hirschhorn 
besteht  in  einer  gelochten  Gabelsprosse  vom  Geweih  eines  starken  Edelhirsches,  deren 
Spitze  leider  beim  Bergen  abgebrochen  wurde  und  nicht  wieder  aufzulinden  war. 
Am  dicken  Ende  der  etwa  15  Ctm.  langen  Sprosse  war  auf  sehr  rohe  Weise  ein 
Loch  angebracht  worden,  indem  man  erst  von  den  beiden  entgegengesetzten  Seiten 
mittesst  eines  Steinmessers  oder  einer  Steinsäge  durch  flache  Einkerbung  die  äussere 
härtere  Knocheuschicht  weggenommen  und  dann  ein  rechtwinkliges  Loch  von  0,22 
Ctm.  Länge  und  0,09  Ctm.  Breite  durch  die  porösere  innere  Knochenmasse  hindurch 
gearbeitet  hatte.  Die  Lochung  gleicht,  abgesehen  von  der  Kerbung,  der  in  unsern 
kleinen  Hämmern,  und  das  Werkzeug  ist  zu  vergleichen  mit  dem  als  Hammer  ge- 
deuteten in  S.  Nilson's  Steinalter  (übersetzt  von  Mestorf  1868)  pag.  5G,  Fig.  171, 
nur  dass  die  Einkerbung  auf  beiden  Seiten  an  unserm  Exemplar  nicht  eckig,  sondern 
flach  und  viel  roher  gearbeitet  ist. 

Die  „Steinwerkzeuge"  bestehen  zuerst  in  einer  Anzahl  von  Feuersteinmessern, 
theils  zweischneidig  und  im  Querschnitte  ganz  flach  dreieckig,  theils  aber  auch  ein- 
schneidig und  mit  flachem  Rücken  (Sägeblätter)  —  die  längeren  7  bis  9j^  Ctm.  lang. 
Sodann  fauden  sich  Schaber  und  sehr  rohe  Pfeilspitzen  aus  Feuerstein,  deren  Material 
recht  gut  aus  dem  Blocklehm  und  dem  zugehörigen  Lager  nordischer  Gerolle,  welches 
sich  von  der  Fundstätte  aus  uord-  und  nordostwärts  ausbreitet,  herstammen  kann.  — 
Dazu  kommen  noch  geschliffene,  vorn  schneidige,  hinten  stumpfe  Streithämmer  aus 
denselben  theilweis  quarzführendeu  und  etwas  schiefrigen  Diabasen  des  Voigtlauds, 
deren  Geschiebe  bei  Gera  im  Elsteralluvium  liegen.  Von  diesen  war  einer  gelocht, 
aber  an  der  ßohrstelle  durchbrochen;  ein  zweiter  ebenfalls  und  zwar  etwas  schräg 
gelochter  war  8)^  Ctm.  lang  und  4  Ctm.  breit  (am  Loch)  und  hoch  mit  1,8  Ctm.  im 
Durchmesser  haltendem  Loche.  Die  anderen  waren  uugelocht,  von  Keilform  und 
schmal,  8!^  bis  15  Ctm.  lang,  hinten  4  bis  5  Ctm.  hoch,  1,"^  bis  2^,  Ctm,  breit  imd 
vorn  an  der  Schneide  i^^  bis  G)^  Ctm.  hoch.  —  Endlich  ist  auch  ein  derartiger  äusserst 


(238) 

fein  und  geschmackvoll  gearbeiteter  und  schön  geschliffener  Keil  mit  grüngrauem 
metamorphischem  Wetzschiefer  mit  weisslichen  Einsprengungen  aufzuführen,  welcher 
7  Ctm.  lang,  hinten  3  und  vorn  4  Ctra.  hoch  und  2  Ctm.  dick  ist.  Diese  Schiefer 
finden  sich  in  unmittelbarer  Nähe  (Contakt)  von  voigtländischen  Diabasen. 

Zum  Schlüsse  noch  die  Bemerkung,  dass  sich  auch  ein  Schneidezahn  vom  Biber 
(Castor  fiber)  vorfand.  Der  unten  am  Berge  vorüber  fliessende  Bach  führt  seit  ge- 
schichtlicher Zeit  keine  Biber  mehr  und  ist  jetzt  zur  Sommerzeit  fast  ausgetrocknet. 
Von  Bronzegeräthen  oder  gar  von  Eisengeräthen  fand  sich  keine  Spur,  nicht  einmal 
ein  grünlich  oder  rothbraun  gefärbtes  Klümpchen  Erde.  Der  Tunuilus  auf  dem  Col- 
liser  Berge  entspricht  vielfach  denen  im  Braunshainer  Walde,  welcher  2  Meilen  in 
nordöstlicher  Richtung  entfernt  zu  dem  osterländischen  Hügelland  (Altenburger  Ost- 
kreis) gehört.  Die  Funde  beider  Begräbnissstätten  stimmen  überein  in  der  Form  der 
Urnen  und  in  dem  Vorkommen  von  geschliffenen  Steinäxten  oder  Keilen  aus  Diabas. 
Der  Colliser  Fund  unterscheidet  sich  aber  vornehmlich  durch  die  Pflasterung  und 
Umwallung  des  Innern  Grabraums  und  durch  die  Anwesenheit  von  Gerippen  inner- 
halb des  ürnenkreises. 

(8)  Hr.  Rentier  Rühe  hat  dem  Vorsitzenden  eine  Reihe  von 

Topfscherben  aus  einem  Oräberfelde  bei  Berlin 

eingesendet.     Er  schreibt  darüber: 

Fragmente  wie  die  beifolgenden  lenkten  schon  vor  Monaten  meine  Aufmerksam- 
keit auf  ein  bis  jetzt  noch  wüstes  Feld  in  meiner  Nähe  —  zwischen  Schönholz, 
Reinickendorf  und  Rosenthal  an  einer  Waldecke.  —  Neuerdings  wiederholte  ober- 
flächliche Nachsuchungen  ergaben  die  Trümmer  von  8  bis  9  Urnen  mit  Knochenresten 
gefüllt.  Die  Gefässe  sind  von  sehr  verschiedener,  zum  Theil  äusserst  roher  Arbeit, 
theils  mit,  theils  ohne  Töpferscheibe  hervorgebracht.  — 

Leider  ist  anscheinend  schon  früher  die  Bodenoberfläche  (vielleicht  ein  Hügel) 
weggenommen  und  dabei  Alles  zerstört.  Die  Scherben  liegen  und  stecken  ganz  ober- 
flächlich, nahe  bei  einander  in  der  Erde,  und  ergiebt  jede  Gruppe  derselben  immer 
nur  den  kleinsten  Theil  einer  Urne,  das  Meiste  muss  also  verschleppt  sein.  —  Brand- 
spuren, Asche,  schwarzgebraimte  Feldsteine,  in  der  Erde  so  beisammen,  dass  sie  viel- 
leicht einen  Opferheerd  andeuten  —  das  ist  Alles.  —  Unzerstörte  Urnen  sind  wohl 
kaum  noch  zu  hoffen.   — 

Der  Vorsitzende  dankt  Hrn.  Rühe,  der  unsere  noch  so  magere  Localkenntniss 
der  nächsten  Umgebung  durch  eine  neue  Fundstelle  bereichert  hat.  Leider  sind  die 
Urnenscherben  so  roh  und  ohne  alle  Verzierung,  dass  sich  chronologisch  aus  ihnen 
nichts  machen  lässt.     Sie  werden  dem  Märkischen  Proviuzialmuseura  überwiesen. 

(9)  Der  Vorsitzende  legt  einen  Brief  des  Hrn.  Dr.  Euroimeus  zu  Petersburg 
d.  d.  11.  Novbr.  vor,  betreffend 

altflnnische  (ugrische)  Verhältnisse. 

Bald  wird  ein  Artikel  von  mir  in  der  Russischen  Revue  erscheinen  mit  neuen 
Notizen  über  Funde  dolichocephaler  Kurganenschädel  im  nördlichen  Russland.  Es 
werden  darin  einige  dolichocephale  Schädel  näher  beschrieben,  welche  im  dies- 
jährigen Sommer  28  Werst  nördlich  von  der  Stadt  Jaroslavl,  also  etwas  südöstlich 
von  der  nordwestlichen  Biegung  der  Wolga,  gefunden  wurden.  Diese  Schädel  sollen 
das  Eigeuthümliche  haben,  dass  die  untere  Hälfte  des  Nackens  halbkugelförmig  auf- 


(289) 

getrieben  ist.  Sie  sollen  nicht  in  Kurganen,  sondern  in  Gräbern  und  zusammen  mit 
beinahe  lauter  Steingiiräthen  gefunden  worden  sein.  Nur  ein  Ring  von  Bronzedrabt 
soll  dabei  gewesen  sein,  ein  Zeichen,  dass  das  Brouzealter  zur  Zeit  dieser  Leute  hier 
im  Norden  schon  eingetreten  war  und  bis  zu  der  Gegend  von  Juroslavl  sich  ver- 
breitet hatte. 

In  der  Russischen  Revue,  Heft  3,  werden  Sie  eine  deutsche  Uebersetzung  des 
Verzeichnisses  alt-ugrischer  Ortsnamenendungen  und  ihrer  Bedeutung  finden.  In  dem 
jetzt  beigegebeneu  Abdruck  werden  Sie  einige  Berichtigungen  dazu  finden.  Es  ist 
zu  erinnern,  dass  die  Hauptmasse  der  alten  Ugrier,  die  Un-ugaren  =  Gross-Ugrier  aus 
dem  uördlicheu  Russland  im  Jahre  884  nach  Pannonien  zogen;  die  Nachgeblie- 
benen wurden  hauptsächlich  durch  den  tatarisch-mongolischen  Einfall  aus  einander 
gesprengt  und  zogen  nach  dem  Ural  und  dem  Ob-Flusse  zurück,  wo  sie  jetzt  unter 
dem  Namen  der  Ostjaken  (As-jach  =  Ob-Leute)  und  Wogulen,  nach  dem  Flusse 
Wogulka  so  genannt,  leben.  Die  Wogulka  fällt  bei  der  Stadt  Berosoff  in  den  Ob. 
Die  Hunnen  waren  Mongolen  aus  Hochasien  und  hiesseu  so  zu  der  Zeit  der  Chan- 
familie Hunnu,  im  Nankin  Dialekte  bei  Duguigne  Hiongnu  genannt.  Im  Jahre 
95  n.  Chr.  wurden  die  westlichen  Hunnu,  wie  der  russische  Sinolog  Hyakinth  in 
seiner  aus  altchinesischen  Quellen  zusammengestellten  russischen  Arbeit  üeber  die 
Völker  Hochasiens  zeigt,  von  den  Chinesen  nach  dem  nordwestlichen  Sibirien 
verdrängt;  zuletzt  stiessen  sie  auf  die  Ugrier  und  zogen  sie  mit  sich,  so  dass  die 
Ugrier  zuletzt  überhand  nahmen  und  ein  his  jetzt  bestehendes  Reich  in  Ungarn  stif- 
teten. Die  tatarisch-altaische  (türkisch-tatarisch-mongolisch-samojedisch-mandzutun- 
gusische)  Sprachfamilie  steht  in  keiner  unmittelbaren  Verwandtschaft  mit  der  finnisch- 
ungarischen, sondern  schliesst  sich  näher  an  die  semitisch-ostafrikanischen  Sprachen. 
Die  den  tatarisch-altaischeu  am  nächsten  liegenden  Sprachen  unter  den  letztern  sind 
jedoch  bis  jetzt  noch  sehr  lijckenhaft  bekannt.  Ueber  diese  Sprachverhältnisse  habe 
ich  jetzt  eine  umfassendere  comparativ-philologische  Arbeit,  deutsch,  unter  der  Hand. 
Die  finnisch-ungarische  Sprachfamilie  dagegen  schliesst  sich  am  nächsten  zu  der 
indo-europäischen  Ursprache,  wie  sie  von  Bopp  und  besonders  von  Schleicher 
dargestellt  worden  ist.  Alle  indo-europäischen  Zahlwörter  z.  B.  lassen  sich  durch 
die  Zusammenstellung  mit  den  finnisch-ungarischen  etymologisch  erklären.  Zu  meiner 
auch  in  Berlin  vorhandenen  Zahlwörtertabelle  setze  ich  hier  ganz  kurz  nur  die 
Grundform  katvär,  femiu.  katasar  4,  aus  kata-vära  (-kata)  =  zwei-mal  (zwei), 
feniin.  mit  dem  vorhergehenden  tisar(i)  3  assimilirt  aus  katasä-värakatasä; 
sa  ist  die  feminine  Endung  des  Nominativs.  Auch  die  Grundform  von  acht, 
aktau,  ist  aus  a-k(a)täu  (dakama)  =  ohne  2(10)  erklärt  durch  das  finnisch-unga- 
rische a-kaktak-dakamans  =  ohne  2  10.  Der  Zusammenhang  zwischen  dem 
alten,  in  4  und  8  noch  erhaltenen  kata  und  dem  finnisch-ungarischen  reduplicirten 
ka-ka-ta  2,  finnischer  Stamm  kukt,  ist  in  die  Augen  fallend. 

Gleichzeitig  ist  von  Hrn.  Hjelt  aus  Helsingfors  auf  den  Wunsch  des  Hrn.  Euro- 
paeus  folgende  Maasstabelle  über 

altfluuisclie  Kargaueu-Fuude 

eingegangen : 


(240) 


1 

2 

3 

4 

5 

6 

7 

8 

9 

10 

11 

12 

13 

14 

15 

16 

17 

18 

19 

20 

ja 

Hori- 
zontaler 

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II 

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"o 

a 

BS 

d.  q 

ümü 

a 

Staraja'). 

1.  M. 

542 

170 

31,3 

110 

140 

140 

160 

440 

400 

127 

330 

259 

193 

145 

147 

75,1 

76,1 

30 

102 

56 

2.  M. 

520 

160 

30,7 

103 

130 

140 

145 

415 

402 

127 

310 

244 

183 

141 

141 

77 

77 

26 

95 

56 

3  def.  M. 

520 

160 

30,7 

104 

135 

140 

155 

430 

413 

121 

310 

256 

185 

135 

143 

72,9 

77,2 

29 

— 

- 

4.  M. 

515 

165 

32 

103 

130 

140 

160 

430 

417 

116 

320 

275 

185 

135 

147 

72,9 

79,4 

28 

95 

53 

Beschetsk^). 

Kg  1.  No.  1 

532 

180 

35,6 

100 

130 

140 

150 

420 

420 

128 

315 

246 

184 

145 

142 

78,8 

77,1 

30 

90 

50 

Kg  1.  No.  2 

485 

160 

33 

- 

115 

115 

140 

370 

— 

115 

280 

243 

167 

134 

120 

80,2 

71,2 

- 

- 

— 

Kg  1.  No.  3 

520 

170 

32,6 

98 

135 

150 

150 

435 

443 

120 

310 

258 

187 

133 

139 

71,9 

74,3 

29 

90 

54 

Kg  3. 

532 

175 

32,8 

101 

135 

135 

165 

435 

430 

118 

320 

271 

187 

139 

139 

74,3 

74,3 

25 

96 

54 

Kg  4.  No.  1 

540 

185 

34 

110 

140 

140 

150 

430 

390 

124 

305 

246 

191 

132 

132 

69,1 

69,1 

29 

98 

53 

Kg  4.  No.  2 

525 

165 

31,4 

101 

130 

130 

145 

405 

400 

126 

295 

234 

182 

140 

130 

76,9 

71,7 

25 

— 

— 

Bjeluja 

Kresty^). 

W.  No.  1 

500 

150 

30 

105 

HO 

125 

145 

380 

361 

123 

305 

248 

174 

140 

134 

80,4 

77 

— 

— 

— 

M.  No.  2 

540 

170 

31,4 

110 

130 

140 

165 

435 

395 

125 

305 

244 

197 

137 

145 

69,5 

73,6 

30 

100 

55 

?  No.  3 

510 

164 

32,1 

98 

130 

130 

155 

415 

423 

111 

300 

270 

183 

126 

136 

68,8 

74,3 

26 

86 

54 

Saljuschik*). 

530 

165 

31,1 

108 

125 

135 

155 

415 

384 

124 

320 

258 

187 

138 

142 

73,7 

78 

26 

99 

63 

0  Staraja  liegt  20  Werst  westlich  von  der  Stadt  Besjezensk. 

')  Im  Twer'schen  Gouvernement. 

')  Im  Nowgorod'schen  Gouvernement. 

*)  Der  Tichwinsche  Kreis  im  Nowgorod'schen  Gouvernement. 

Die  Messungen  sind  von  Hm.  Prof.  Ivanowski  gemacht. 


(241) 


21 

22 

23 

24 

25 

26 

27 

28 

29 

30 

31 

32 

33 

34 

35 

36 

37 

38 

39 

40  41  42  43 

44 

4546 

47 

48 

49 

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67 

64 

66 

68,5 

63 

65 
61 

64 

59 
64 
63 
55 

63 

57 
59 
56 
55 

55 
50 
64 

55 

112 
102 
110 
110 

104 

104 

102 

102 

97 

108 
105 
100 

101 

112 

109 
104 
104 

112 

104 
102 
102 
106 

110 
110 
100 

101 

138 
126 
121 
131 

131 

128 
132 
125 
131 

131 
129 
120 

128 

118 
116 
115 
115 

118 

125 
121 
117 
122 

98 
123 
110 

121 

58 
48 
53 
50 

46 

50 
50 
51 
50 

50 
53 
43 

52 

112 

109 
112 

108 

102 

92 
111 
105 

96 

100 
104 
106 

117 

100 
95 

100 
98 

92 

97 

99 

105 

92 

97 

108 

90 

110 

143 
130 
129 
134 

126 

134 
139 
144 
128 

130 
143 
130 

148 

Üb 
115 
116 
114 

112 

114 
114 
109 
107 

98 
120 
105 

117 

120 
112 
110 
114 

113 

109 
113 
110 
108 

115 
113 
111 

104 

106 
101 
104 
104 

102 

84 
105 
109 
102 

88 
106 
102 

108 

111 

119 

128 
105 

131 

120 

107 

119 
102 

121 

68 

57 

60 
63 

60 

73 

72 

71 
67 

50 
45 

50 

42 

46 
50 

50 
48 

52 

101 
99 

102 

86 

86 
96 

94 
90 

100 

89 

82 

92 
73 

60 

51 

68 
49 

112 

95 

91 
81 

94 

76 

79 
73 

84 
78 

76 

74 

74 

77 

91 

78 

90 

68 

67 

70 
55 

108 

111 

111 
92 

135 
127 

118 

132 

132 
123 
120 
120 

130 
115 
122 

120 

63 

61 

69 
51 

Verbaudi,  der  Berl.  Autliropul.  Ueselbcbaft  l»7b. 


16 


(242) 

(10)  Der  Gesandte  der  Eidgenossenschaft  zu  Wien,  Hr.  t.  Tschiidi,  unser  cor- 
respondirendes  Mitglied,  schreibt  dem  Vorsitzenden 

über  das  Os  Incae  au  Peruanerschädeln. 

Ich  beehre  mich  Ihnen  meinen  verbindlichsten  Dank  für  die  so  freundliche  üeber- 
sendung  Ihrer  Abhandlung  „Ueber  einige  Merkmale  niederer  Menschenrassen  am 
SchädeP  auszudrücken.  Sie  werden  leicht  begreifen,  dass  mich  der  Abschnitt  über 
das  Os  Incae  s.  epactale  ganz  speciell  interessirte.  In  hohem  Grade  haben  mich 
dabei  Ihre  Mittheilungen  über  das  Procentverhältniss  des  Vorkommens  des  Os  Incae 
bei  Peruanerschädeln  überrascht,  da  es  im  strictesten  Gegensatze  zu  meinen  eigenen 
Untersuchungen  steht.  Ich  habe  viele  Hunderte  von  Peruanerschädeln  untersucht 
und  kann  Sie  versichern,  dass  diejenigen,  bei  denen  die  mehr  oder  weniger  tiefe 
Rinne,  die  das  Os  Incae  vom  Os  occipitale  trennte  (oder  bei  denen  die  Sutur  nicht 
noch  ein  Stück  von  jeder  Seite  in  die  Furche  hineinragte),  fehlte,  zu  den  Ausnah- 
men gehörten.  Die  meisten  Schädel  untersuchte  ich  in  Mittelperü  (Gebirge),  sehr 
viele   an  der  südperuanischen  Küste. 

Als  ich  1844  die  kleine  Abhandlung  für  Müller's  Archiv  schrieb,  hatte  ich  19 
Peruanerschädel  bei  mir  in  Berlin  und  der  unvergessliche  Johannes  Müller,  der 
diese  Schädel  bei  mir  untersuchte,  munterte  mich  noch  auf,  das  enorme  Os  epactale 
mit  dem  von  mir  proponirten  Namen  Os  Ingae  zu  bezeichnen. 

Im  Jahre  1859  wollte  man  mir  in  Calama  in  der  Wüste  von  Atacama  vier  wohl- 
erhaltene Mumien  schenken,  die  ich  aber  wegen  der  Schwierigkeit  des  Transportes 
nicht  annehmen  konnte.  Ich  notirte  mir  aber  darnach,  dass  bei  allen  vier  Schädeln 
das  Os  Ingae  vorhanden  sei  und  bei  einem  davon  die  Naht  linkerseits  ganz  verwachsen, 
rechterseits  aber  in  der  grössten  Ausdehnung  noch  unverwachsen  erscheine. 

(11)  Herr  E.  Friedel  bemerkte  unter  Vorlegung  einer  Anzahl 

dem  Märkischen  Mnseam  gehöriger  Gefässe 

zur  Erklärung  derselben  Folgendes: 

Die  hier  vorgestellte  Töpferwaare  gehört  den  Typen  und  der  Technik  nach  zu 
den  drei  Hauptepochen  unserer  alten  Keramik.  Sie  sehen  zunächst  eine  Todten- 
urne   (No.  16   der  Zeitschrift  „Der  Bär^,   Berlin  Jahrgang  I   1875)   unter  Fig.  a  in 


(243) 

Va  der  natürlichen  Grösse  abgebildet,  Im  Jahre  1780  in  Berlin  auf  dem  Hof  des 
jetzigen  Hauses  Alexander  Strasse  No.  0  nahe  dem  Königsgraben  gefunden,  damals 
mit  gebrannten  Knochen  gefüllt  und  mit  einem  Deckelstein  verschlossen,  welche  aus 
grobem,  mit  Steingrus  gemengtem,  unglasirtem ,  schwach  gebranntem  Thon  besteht, 
dickwandig  und  nahe  dem  obern  Rande  mit  3  Knöpfen  versehen  ist,  also  den  nicht 
ungewöhnlichen  Befund  unserer  heidnischen  Töpferwaaren  anfweist.  Es  folgt  eine  Reihe 
von  Kesselurnen  und  Kesseltöpfen,  welche  von  Kloster  Chorin,  von  Cottbus, 
aus  dem  Kreise  Zeitz,  von  Lübtow  B  aus  dem  früher  zur  Neumark  gehörigen  Theile 
des  Kreises  Pyritz,  und  von  Berlin  stammen.  Zahlreiche  Fragmente  z.  B.  im  Garten 
des  Heiligen  Geisthospitals  hierselbst,  vom  Bärenkasten  bei  Oderberg  i/M.,  von  dieser 
Stadt  selbst,  von  Spandow,  Potsdam,  Cöpenick  und  anderen  selir  alten  märkischen 
Städten  sehen  Sie  ebenfalls.  Alle  diese  Reste  gehören  einem  Typus  und  einer 
Modellirung  an,  die  von  unserer  ächtheidnischen,  slavischen  und  germanischen  Töpfer- 
waare  vollständig  verschieden  ist,  aber  auch  mit  der  modernen  ßauerntöpferei  oder 
dem  Steingut  kaum  eine  Aehnlichkeit  hat. 

Die  Diagnose  dieser  Kesselurnen  oder  Kessel  topfe  ist  etwa  folgende:  Sie  sind 
dünner  als  die  heidnischen  Urnen,  ebenfalls  ohne  Glasur,  aber  viel  stärker,  schon 
fast  klingend  gebrannt.  In  der  Regel  ohne  künstlerische  Bemalung,  grau  oder  schwärz- 
lich gefärbt.  Die  Technik  ist  gegen  früher  darin  fortgeschritten,  dass  die  Beimengung 
von  Steingrus  fortgefallen,  der  Thon  besser  gereinigt  und  auf  der  Drehscheibe  bear- 
beitet ist.  Der  Boden  ist  bauchig  (convex),  derselbe  und  der  Bauch  des  Gefässes 
überhaupt  gewöhnlich  hie  und  da  beim  Brennen  blasig  aufgetrieben,  was  noch  von 
einer  UuvoUkommenheit  des  Handwerks  gegenüber  den  spätmittelalterlichen  Gefässen 
zeugt.  Die  Formen  dieser  Kesselurneu  variiren  in  plumper  unschöner  Weise  eigent- 
lich immer  dasselbe  Thema:  einen  kesselartig  aufgetriebenen  Bauch  mit  einem  meist 
kurzen  und  mit  Reifen  verzierten,  eingeschnürten  Halse  und  kräftig  übergebogenen 
Randlippen.  Die  Profile  dieser  Töpfe  sind  anscheinend  mit  dem  Modellirholz  be- 
handelt. Denkt  man  sich  diese  Urnen,  z.  B.  die  in  Figur  b  abgebildete,  mit  2  Hen- 
keln am  Rande  und  mit  3  Füsschen  versehene,  (solche  Stücke  sind  gefunden 
und  bei  „Friederich,  Abbildungen  von  mittelalterlichen  Alterthümern  aus  Halber- 
stadt, Wernigerode,  1872,"  dargestellt),  so  erhält  man  Formen,  welche  an  die  nicht 
minder  räthselhaften  Bronzegrapen  erinnern,  über  deren  Zeitstellung  noch  so  viel 
Divergenz  herrscht,  die  aber  höchst  wahrscheinlich,  wenigstens  theilweise,  mit  den 
Kesselurnen  chronologisch  gleichzustellen  sind,  woneben  sie  natürlich,  weil  aus  soli- 
dem Metall,  Jahrhunderte  länger  gedient  haben  und  hie  und  da  noch  wirthschaft- 
lich  benutzt  werden.  (Vgl.  meinen  Artikel:  Märkische  Kesselurnen  und  Krusen  im 
Bär,  Jahrgang  H,  S.  24  u.  25.) 

Ueber  daa  Alter  der  Kesselurnen  so  viel. 

Die  Kesselurnen  müssen  in  der  letzten  Zeit  des  wendischen  Heidenthums  durch 
christliche  Deutsche  eingeführt  worden  sein.  Man  findet  in  den  der  spätesten 
Eisenzeit  angehörigen  Burgwällen  und  Borchelten  in  den  obersten  Schichten  die  ersten 
und  ältesten  Scherben  der  Kesselurnen.  So  in  dem  Borchelt  von  Kohlhasenbrück  bei 
Potsdam,  der  hier  und  da  noch  slavische  Scherben,  Steine,  Beile  und  dergleichen 
heidnische  Reminiscenzen  liefert.  Mitunter  findet  man  rohe  Nachahmungen,  indem 
man  die  massenhaft  importirte  Waare  äusserlich,  aber  noch  ohne  Drehscheibe  nach- 
geahmt, hart  gebraunt,  hie  und  da  auch  wohl  wendisch,  d.  h.  mit  Flämmchen, 
Schlangenlinien  und  anderen  unruhigen  Figuren  ornamentirt  hat.  Dergleichen  Ver- 
suche sind  aber  selten. 

Mit  dem  Vorrücken  der  Deutschen  seit  dem  10.  Jahrhundert  ostwärts  dringt  das 
Christenthum    unter  den   Slaveu   ein.     Die   Leichenverbrennung   und    die   Beisetzung 

16» 


(244) 

des  Leichenbrandes  in  Todtentöpfen  wird  bei  den  härtesten  Strafen  verboten.  Der 
Todtencultus  hat  nun,  das  beweisen  unsere  heidnischen  Urnenfriedhöfe,  die  Technik 
der  Töpferei  getragen,  künstlerisch  entwickelt  und  nationalisirt.  Durch  jene  Verbote 
erhält  die  heidnische  Töpferkunst,  die  in  den  lausitzischen  Theilen  der  Mark  eine 
bewundernswürdige  Vervollkommnung  gewonnen  hatte,  miteins  den  Todesstoss.  Gleich- 
zeitig wird  alles  Wendische  nnd  Slavische,  alles  Nichtdeutsche  geächtet,  verpönt  und 
gewaltsam  unterdrückt.  So  verschwindet,  wie  es  scheint,  binnen  wenigen  Jahrzehnten, 
die  glänzende  Keramik  unserer  Slaveu  gänzlich,  und  an  die  Stelle  der  vieltausendfach 
gestalteten,  fast  nie  identischen  Urnen  treten  die  plumpen  Formen  der  deutschen 
Topfkessel,  als  Vorläufer  der  bald  nachher  vom  Rhein  einwandernden  Steingutgefässe, 

Nach  meiner  Auffassung  sind  die  Kesselurnen  und  Kesseltöpfe  vorläufig  in  die 
Gränze  zwischen  dem  10.  und  14.  Jahrhundert  zu  setzen.  Sehr  möglich,  dass  sie 
noch  weiter  und  bis  über  Bonifaz  zurückreichen.  Hier  fehlen  uns  aber  noch  die  Be- 
weise, welche  in  Mittel-  und  Westdeutschland  gesucht  und  durch  Münzfunde  bestätigt 
werden  müssten,  wobei  zu  beklagen  bleibt,  dass  bei  Münzfunden  fast  regelmässig, 
zum  grössten  Schaden  der  Wissenschaft,  die  Töpfe,  in  denen  die  Münzen  häufig  liegen, 
fortgeworfen  werden. 

Mitunter  haben  die  Kesselurneu  noch  zur  Todtenbestattung  gedient,  wie  dies 
die  eine  vorgezeigte,  mit  geglühten  Menschenknocheu  theilweis  gefüllte,  zeigt.  Erwägt 
man,  dass  die  Kämpfe  mit  den  Slaven  in  den  jetzt  verdeutschten  Theilen  unseres 
Vaterlandes  mehre  Jahrhunderte  gedauert  haben,  in  denen  die  Deutschen  mitunter 
nach  jahrelanger  Herrschaft  in  einem  slavischen  Gau  wieder  aus  demselben  auf  Jahre 
vertrieben  wurden,  so  kann  dergleichen  nicht  befremden. 

Die  Kesselurne,  unter  b  dargestellt,  ist  von  dem  Baurath  Wäsemann,  zu- 
sammen   mit    der    Steingut -Kruse   Figur    c,    unter    dem    alten   Berliner   Rathhause 

c 


ausgegraben  worden  und  bekundet  den  fortdauernden  Gebrauch  der  Kesselurnen  bis 
in's  14.  Jahrhundert,  in  welches  Dr.  J.  B.  Dornbusch  in  Köln,  einer  der  aus- 
zeichnetsten  Kenner  mittelalterlicher  Keramik,  die  Kruse  versetzt.  Diese  Krause 
oder  Kruse  ist  klingend  und  steinhart  auf  dem  Bruch  gebrannt,  braun  glänzend  gla- 
birt,  mit  vier  Ausbuchtungen  des  Randes,  für  den  Umtrunk  bestimmt,  ohne  Henkel. 
Der  Fuss  ist  gefältelt  (kraus),  daher  der  Name  Krause  (plattdeutsch  Kruse  oder  Krus). 
Diese  Gefässe  müssen,  obwohl  in  unserer  Märkischen  Bauerntöpferei  nicht  mehr  vor- 
kommend, hier  einst  sehr  gewöhnlich  gewesen  sein,  denn  noch  jetzt  ist  im  Berliner 
und  überhaupt  im  Märkischen  Plattdeutsch  Krus  mit  Krug  identisch  und  der  eine 
Ausdruck  im  Volksmunde  gerade  so  geläufig  als  der  andere. 


(245) 

Der  technische  Grund  des  gefältelten,  an  die  Halskrause  erinnernden  Fusses 
ist  nach  Hrn.  v.  Cohausen  wahrscheinlich  der,  dass  das  Gefäss  nicht  mit  der  vollen 
Fussplatte,  sondern  miiglichst  nur  mit  einzolnon  Punkten  im  Ofen  aufstehen,  auch 
bei  der  starken,  durch  Salz  bis  zum  Schmelzpunkt  gebrachten  Hitze  nicht  schmelzen 
und  der  Fuss,  ohne  Gefährdung  des  Gofässes,  leicht  ablösbar  bleiben  sollte. 

Die  Herkunft  dieser  Gefässe  ist  rheinisch.  Am  Rhein  war  das  nordische  Heiden- 
thum  mit  seiner  nationalen  Keramik  schon  viele  Jahrhunderte  früher  durch  das  Römer- 
thum  beseitigt  worden.  Das  Römerthum  selbst  mit  seiner  klassischen  Stylistik  ging 
im  Wirrsal  der  Völkerwanderung  unter.  Die  neu  auflebende  christlich  germanische 
Bevölkerung  hatte  zwar  den  klassischen  Formensinn  der  eingebornen  Römer  nicht, 
der  in  der  friihmittelalterlichen  Verwilderung  abhanden  gekommen  war,  überkam  und 
übernahm  aber  die  bessere  römische  Technik,  insbesondere  die  Drehscheibe,  gelangte 
solchergestalt  zu  den,  aus  gereinigtem  steinfreiem  Thon  geformten,  hartgebrannten 
Gefässen  und  verbreitete  diese  Producte,  unter  welche  die  Kesselurnen  und  Krusen 
gehören,  mit  dem  Christenthum  und  den  politischen  Erfolgen  der  Deutschen  immer 
mehr  nach  Osten  bis  in  unsere  Gegend  und  noch  beträchtlich  weiter  in  das  Slavische 
hinein. 

Zum  Schluss  gestatte  ich  mir  die  angelegentliche  Bitte,  das  Vorkommen  der 
Kesselurnen  auch  in  den  übrigen  Theilen  Deutschlands  und  seiner  Nachbarländer 
möglichst  genau  zu  verzeichnen  und  mitzutheilen.  — 

(12)     Hr.  Dr.  Haus  Virchow  legt 

Topfscherben  und  Feuersteinsplitter  vom  Sandwerder  und  vom  Kälberwerder, 

zwei  Inseln  in  der  Havel  bei  W^annsee  und  bei  der  Pfaueninsel,  vor. 

Die  Stücke  vom  Sandwerder  gleichen  den  von  derselben  Lokalität  durch  Hrn. 
Stadtrath  Friedel  (Sitzung  vom  17.  October  1874,  S.  198)  beschriebenen.  Der  Fund 
vom  Kälberwerder  besteht  aus 

1)  groben  Scherben  mit  eingesprengten  zerschlagenen  Steinstückchen; 

2)  einem  Randstück,    welches   der  Thonmischung  und  der  Form  nach  mittel- 
alterlich ist; 

3)  einer  Feuersteinpfeilspitze,  welche  auf  der  einen  Fläche  fast  plan,   auf  der 


andern  convex,  seitlich  aber  symmetrisch  ist; 
4)  einem  dreikantigen  Feuersteinsplitter. 
Die  Pfeilspitze  zeigt  flache  Druckmarken  und  leicht  sägenartige  Ränder.  —  Es 
wird  die  Vermuthung  ausgesprochen,  dass  die  Pfeilspitze  derselben  Periode  angehöre, 
wie  die  groben  Tbonschcrbeu,  in  Analogie  mit  den  Splittern  und  Scherben  vom 
Sandwerder,  die  buut  vermischt  gefunden  wurden,  dass  dagegen  das  feinere  Rand- 
stück einer  späteren  Periode  angehöre. 

(13)     Hr.    Fritsch    übergiebt   von  Hrn.  Dr.  Seidlitz    eingesandte  Abbildungen 
kaukasischer  Macrocephalen-Schädel. 


(246) 

(14)    Hr.  0.  Liebreich  sprach 

über  eine  stahlgrane  Bronze. 

Unter  verschiedenen  Bronzen,  welche  Hr.  Prof.  Virchow  die  Freundlichkeit 
hatte  mir  behufs  chemischer  Untersuchung  anzuvertrauen,  befanden  sich  einige  Stücke, 
welche  von  dem  Hrn.  Vorsitzenden  der  Gesellschaft  bereits  vorgezeigt  worden  sind.') 
Nach  dem  Abschleifen  einer  in  sich  ziemlich  dichten ,  in  sehr  diinner  Schicht  ange- 
lagerten grünen  Patina,  sahen  die  Stücke  polirtem  Stahle  vollkommen  ähnlich.  Stahl- 
arbeiten, welchen  diese  Stücke  vorgelegt  wurden,  erklärten  sie  nach  dem  Anfeilen  für 
Gussstahl,  uud  wenn  nicht  die  grüne  Patina  als  Verräther  gedient  hätte,  so  würden 
in  polirtem  Zustande  diese  Stücke  den  Eisen-Sammlungen  zugestellt  worden  sein. 
Meine  Bemühungen,  aus  Sammlungen  Stücke  ähnlichen  Aussehens  zu  erhalten,  sind 
missglückt  und  vielleicht  dienen  diese  Zeilen  dazu,  die  Inhaber  von  Bronzesammlungen 
auf  diese  eigenthümliche  Bronze  aufmerksam  zu  machen,  die  möglicherweise  unter 
dem  Eisen  eingereiht  ist,  da  solche  Bronze  statt  einer  grünen  Patina  einen  schwarzeu 
Belag  von  Schwefelkupfer  haben  könnte;  die  Härte  des  Feilstriches  und  vor  allem  die 
Wirkungslosigkeit  des  Magneten  würde  zur  vorläufigen  Absonderung  des  Materials 
dienen  können.-) 

Bei  dieser  merkwürdigen  äusseren  Beschaffenheit  des  Materials  musste  ich  natür- 
lich auf  die  chemische  Beschaffenheit  desselben  sehr  gespannt  sein. 

Es  ergab  sich  beim  Auflösen  in  Königswasser,  dass  es  sich  hier  wirklich  um  eine 
Bronze  handele.  Die  qualitativen  Proben  zeigten  folgende  Bestandtheile:  Kupfer,  Zinn, 
Cobalt,  Nickel,  Arsen,  Antimon,  Eisen  und  Schwefel. 

Leider  liegen  der  Trennung  dieser  Metalle  und  Metalloide  neben  einander  bis 
jetzt  unüberwindliche  Schwierigkeiten  im  Wege  und  trotz  der  zahlreichsten  Versuche, 
neue  "Wege  einzuschlagen,  musste  ich  mich  begnügen,  approximative  Werthe  zu  finden. 
Eine  Analyse  mit  nahezu  12  pCt.  Verlust  gehört  unter  allen  Umständen  zu  den  un- 
brauchbaren, wenn  es  sich  darum  handeln  soll,  ein  Bild  der  Zusammensetzung  zu 
haben.  Ich  habe  aber,  trotzdem  ein  solcher  Verlust  sich  ergab,  die  Analysen  wiederholt, 
um  wenigstens  nachweisen  zu  können,  wieviel  von  jeder  Substanz  in  miuimo  vor- 
handen sei,  und  um  die  Frage  zu  lösen,  wodurch  die  merkwürdige  äussere  Beschaffen- 
heit dieses  Metallgeraisches  bedingt  sei.  — 

Der  Kupfer-Gehalt  fand  sich  zu  56  pCt.,  der  Zinn-Gehalt  zu  1,5. 

Neben  diesen  als  Basis  für  die  Bronzen  dienenden  Metallen  zeigten  sich  4  pCt. 
Cobalt  und  14  pCt.  Nickel;  einen  ganz  untergeordneten  Werth  nahm  das  Eisen,  0,4 
pCt.,  ein,  während  Arsen  12  pCt.  und  Antimon  1,5  pCt.  vorhanden  waren.  Schwefel 
zeigte  sich  zu  0,75  pCt. 

Diese  Zahlen  geben  an,  wieviel  gereinigtes  Material  bei  der  Analyse  gefunden 
wurde;  bei  welchem  der  Bestandtheile  die  Genauigkeit  am  grössten  ist,  dürfte  sich 
nicht  mit  Bestimmtheit  angeben  lassen.  — 

Wenn  nun  die  äussere  Beschaffenheit  dieser  Bronze  als  Unicum  bis  jetzt  betrachtet 
werden  muss,  so  entspricht  die  complicirte  Zusammensetzung,  das  Vorwiegen  der 
sonst  nur  gering  vorhandenen  Bestandtheile  der  Seltenheit  der  äusseren  Erscheinung. 

Der  niedrige  Kupfergehalt  wird  durch  Substanzen  ersetzt,  welche  in  den  sonst 
aufgefundenen  Bronzen  nur  als  kleine  Beimengungen  auftreten  Unter  den  von 
Wibel  zusammengestellten  Bronzen  zeigt  den  höchsten  Nickel-Cobalt-Gehalt  No.  94, 


')  Sitzung  vom  14.  Mai  1875.     Ausgrabungen  bei  Zaborowo. 

^)    Sollte  mir  eine  solche  Bronze  übersantlt  werden,    so  würde  ich   gern   bereit  sein,    die 
Untersuchung  auszuführen.  — 


(247) 

nehralich  2,48.  Diese  Bronze  ist  arsenfrei.  Der  höchste  Arsen-Gehalt,  als  Schwefel- 
arsen 1,72  aufgeführt,  ist  in  No.  1Ü4  enthalten,  welche  Bronze  wiederum  keinen 
Cobalt  und  kein  Nickel  enthält. 

Eine  Bronze,  welche  einen  so  hohen  Arsengehalt  aufweist,  wie  die  stahlgraue, 
ist  mir  überhaupt  nicht  bekannt  und  es  scheint,  dass  die  bisher  gefundenen  mit 
hohem  Arsengehalt  nur  Spuren  oder  gar  kein  Cobalt  und  Nickel  enthalten.  Auch 
in  der  neuerlich  von  Hrn.  Carl  Virchow  analysirten  Bronze  aus  Zaborowo  ist  bei 
1,83  pCt.  Arsen  keine  Spur  von  Cobalt  und  Nickel  vorhanden.  — 

Der  Schwefelgehalt  der  Bronze  kann  von  Anfang  der  Bronze  beigemengt  gewesen 
sein,  oder  auch  später  in  dieselbe  hineiugetreten  sein.  Durch  die  schönen  Analysen  von 
Priwosneck  (vorgelegt  in  der  K.  Oester.  Acad.  der  "Wissensch.  14.  Mai  1872.  Anzeiger 
d.  K.  Acad.  d.  Wiss.  1872,  S.  50)  wissen  wir,  dass  das  Kupfer  bis  zur  Sättigung 
Schwefel  aufnehmen  kann,  um  in  Covallin  überzugehen;  auf  6G,77  Kupfer  fand  sich 
33,22  Schwefel.  Neben  dem  indigblauen  Covallin  zeigte  sich  schwarzes  Halbschwefel- 
kupfer. 

Die  Farbe  der  stahlgrauen  Bronze  hätte  sich  vielleicht  durch  die  Aufnahme 
des  Schwefels  erkhiren  lassen;  um  jedoch  Klarheit  darüber  zu  haben,  wurde  ein  Guss 
von  Bronze  veranstaltet,  welcher  der  Zusammensetzung  der  Analyse  ungefähr  entsprach. 
Hr.  Dr.  Siemens  hatte  die  Freundlichkeit,  diese  nicht  ganz  ungefährliche  Schmelzung 
vorzunehmen.     Es  wurden 

499,5  Gramm  Kupfer 


126,8 

y> 

Nickel 

36,0 

» 

Cobalt 

zusammengeschmolzen,  ferner 

18,0 

» 

Antimon 

9,0 

w 

Zinn; 

nach  der  Vereinigung  dieser  Legirung  und  einer  weiteren  Erniedrigung  der  Temperatur 
102,6  Gramm  Arsen  hinzugefügt,  von  welchem  ein  Theil  sich  verflüchtigte. 

Die  auf  diese  Weise  dargestellte  Bronze  ist  der  alten  ausserordentlich  ähnUch. 
Es  zeigen  sich  die  gleichen  physikalischen  Eigenschaften,  Härte,  Sprödigkeit  und 
vor  allem,  die  Farbe  ist  fast  dieselbe,  nur  geht  bei  der  imitirten  Bronze  der  Ton 
ein  wenig  in  s  Röthllche  über. 

üeber  die  weiteren  Resultate  der  Bronze-Analysen  gedenke  ich  demnächst  Mit- 
theilung zu  machen.  — 

Hr.  Virchow  theilt,  im  Anschlüsse  an  diesen  Bericht,  einige  von  seiuem  Sohne 
Carl  im  Laboratorium  des  Hrn.  Bunsen  in  Heidelberg  ausgeführte 

Aualyseu  märkisclier  und  posener  Bronzen 

mit.     Es  beziehen  sich  dieselben  auf  folgende  Fundstellen: 

1)  Gräberfeld  von  Blossin  bei  Königs-Wusterhausen  in  der  Mark  (Sitzung  vom 
13.  Juli  1872.    S.  229). 

2)  Gräberfeld  von  Seelow  in  der  Mark  (Sitzungen  vom  17.  April  und  14.  Mai 
1875     S.  87  u.  113). 

3  u.  4)    Gräberfeld   von   Zaborowo   in   der  Provinz  Posen;    von   hier  gelangten 
Bruchstücke  von  Ringen,   und   zwar  wahrscheinlich  Haarringen,  zur  Unter- 
suchung. 
Das  Ergebniss  der  Analysen  war  folgendes: 


(248) 


1.    Blossio  (Metallklumpen,  stark 
oxydirt). 
91,0904  pCt.  Kupfer 
8,7160     „     Zinn 
0,1914     „     Eisen 
0,0022     „     Nickel  und  Cobalt. 
Spur  Arsenik 

2.    Seclow  (stark  oxydirt). 
90,7818  pCt.  Kupfer 


4,1250 

„      Zinn  (mit  Antimon) 

2,8450 

„     Arsenik 

0,4799 

„      Silber 

0,7213 

„     Eisen 

1,0470 

„     Nickel 

Spur 

Wismuth 

3.  Zaborowo,  dicker  Ring. 
94,4724  pCt.  Kupfer 

3,715  „     Zinn  (mit  Antimon) 

1,830  „     Arsenik 

0,082(3  „     Silber 
Spur  Eisen 

Spur  "Wismuth. 

4.    Zaborowo,  dünner  Ring. 
95,5965  pCt.  Kupfer 


4,3650 

» 

Zinn  (mit 

Arsenik) 

0,0385 

n 

Eisen 

Spur 

Silber 

Spur 

Wismuth. 

Eine  Perle 

aus  derselben  Fundstelle 

ist 

durch  Kupfer  blau  gefärbt. 


Eine  Vergleichung  dieser  Analysen  mit  den  in  der  letzten  Sitzung  mitgetheilten 
des  Hrn.  Salkowski  lässt  mancherlei  Abweichungen  hervortreten.  Von  den  durch 
letzteren  untersuchten  Bronzen  von  Zaborowo  zeigt  nur  eine,  nehmlich  diejenige, 
welche  das  Bronzemesser  betrifft,  in  Bezug  auf  den  Gehalt  an  Kupfer  und  Zinn 
verwandte  Mischungsverhältnisse,  nehmlich  93,66  Kupfer  und  6,14  Zinn.  Es  ergiebt 
sich  daher  für  dieses  eine  Gräberfeld,  für  welches  schon  Hr.  Salkowski  so  ver- 
schiedenartige Zusammensetzungen  der  einzelnen  Bronzen  nachgewiesen  hatte,  eine 
ungemein  grosse  Mannichfaltigkeit  der  Mischungsverhältnisse.  Nimmt  man  dazu  das 
Ergebniss  des  Hrn.  Liebreich,  so  ersieht  man  leicht,  wie  wenig  zutreffend  die 
bisher  meistentheils  eingehaltene  Methode,  nur  ein  einzigas  Stück  aus  einem  grösseren 
Funde  zum  Gegenstande  der  Analyse  zu  machen,  sein  kann,  üebrigens  ergiebt  sich 
für  alle  die  aufgeführten  Fundstellen  wenigstens  die  Uebereinstimmung,  dass  keine 
der  römischen  oder  späteren  Bronze  analoge  Mischung  aufgefunden  ist.  —  Speciell 
für  die  Bronze  von  Seelow  nnd  die  unter  No.  3  aufgeführte  Bronze  von  Zaborowo 
treten  in  Betreff  der  geringeren  Mischungsantheile  (Arsenik,  Silber  u.  s.  w.)  bemerkens- 
werthe  Verwandtschaften  hervor. 


(15)     Ilr.   Liebreich    bespricht    ferner  die 

toxischen  Wirknugen  der  N'Kassa-Riude. 

Durch  Hrn.  Dr.  Boehr  wurden  mir  im  Auftrage  der  Afrikanischen  Gesellschaft 
einige  Stücke  N'Kassa  Rinde  übergeben.  Dieselbe  kennzeichnet  sich  durch  ein  un- 
gemein hohes  spez.  Gewicht,  ohne  sonst  äusserlich  besonders  charakteristische 
Merkmale  darzubieten. 

Da  für  die  chemische  Untersuchung,  besonders  für  die  Darstellung  der  in  ihr 
enthaltenen  alcaloiden  Substanz,  die  Quantität  nicht  ausreichte,  so  wurden  nur  einige 
chemisch  präparative  Versuche  gemacht,  deren  Resultate  für  die  Reurtheilung  der 
Identität  von  neu  übersandtem  Materialc  zur  Vorohiicliuug  nützlich  sein  können.  Es 
konnten  20  pCt.  wässrigen  Extractes  dargestellt  werden,  welches  zu  einer  braunen, 
spröden,  zerbröckelnden  Masse  trocknete.  Die  Quantität  des  alcoholischen  Extractes 
betrug  28  pCt.,  letzteres  stellte  eine  syrupöse  Masse  dar.  Beide  Extracte  sind  giftig, 
jedoch  zeigt  der  alkoholische  eine  überwiegend  stärkere  Wirkung  und  es  ist  nicht  un- 


(249) 

wahrscheinlich,  dass  die  aus  letzterem  sich  abscheidenden  feinen  Krystalle  das  in  der 
Rinde  enthaltene  wirksame  Alcoloid  sind.  — 

Um  dieselben  möglichst  zu  isolireu,  wurde  folgenderniassen  verfahren:  I IJ)  Gramm 
der  fein  gepulverten  und  gesiebten  Rinde  wurde  mit  einigen  Tropfen  verdünnter 
Schwefelsäure  versetzt  und  so  lange  mit  Wasser  ausgekocht,  bis  das  Filtrat  beim  Ver= 
aschen  keinen  festen  Rückstand  mehr  hinteriiess.  Die  vereinigten  Filtrate  wurden 
mit  basisch-essigsaurem  Blei  gefällt.  Das  nun  erhaltene  Filtrat  wurde  durch  Schwefel- 
wasserstoff von  überschüssigem  Blei  befreit,  bei  gelinder  Wärme  auf  dem  Wasser- 
bade abgedampft  und  der  Krystallisatiou  überlassen.  Es  lieferten  die  1 1,.^)  Kinde 
0,39  einer  zum  grossen  Theil  krystallisirenden  essigsauren  Verbindung.  —  Der  Blei- 
niederschlag gab,  nach  der  Zersetzung  mit  Schwefelwasserstoff,  keine  wirksame 
Substanz. 

Die  auf  diese  Weise  dargestellte  Masse  zeigte,  wie  es  zu  erwarten  war,  die  grösste 
Wirkung.  Ein  qualitativer  Unterschied  in  der  Wirkung  der  verschiedenen  Extracte 
konnte  nicht  beobachtet  werden.  — 

Die  Versuche,  welche  für  die  Auffassung  der  Wirkung  am  entschiedensten  waren, 
wurden  an  Hunden  gemacht.  Es  zeigte  sich,  dass  mittelgrosse  Hunde  bei  subcutaner 
Injection  von  Ü,U18  der  zuletzt  präparirten  Massen,  —  diese  Zahl  würde  etwa  0,5 
Gramm  der  Rinde  entsprechen  —  zu  Grunde  gingen.  Der  Verlauf,  welchen  die  Ver- 
giftung nahm,  war  in  allen  Versuchen  genau  derselbe.  Zuerst  trat  wiederholtes 
Gähnen  auf,  demselben  folgten  heftige  Brechbewegungen  und  Defaecation,  nach  kurzer 
Andauer  dieses  Zustandes  fiel  das  Thier  um,  weder  Lähmungs-  noch  Krampf- 
erscheinungen wurden  beobachtet.  Bis  zum  Momente  des  Todes,  der  unter  Dyspnoe 
erfolgte,  wedelte  das  Thier  beim  Aui-ufen  mit  dem  Schwänze,  woraus  sich  wohl 
schliessen  lässt,  dass  das  Sensorium  durch  das  Gift  der  N'Kassa  nicht  beeinträchtigt 
wird.  Die  sofort  angestellte  Section  ergab,  dass  alle  Schleimhäute  sich  in  ausser- 
ordentlich anämischem  Zustande  befanden.  Die  Milz  dagegen,  Leber  und  Niere 
zeigten  sich  strotzend  mit  Blut  überfüllt.  Das  Herz  bot  stets  das  Bild  der  Lähmung 
dar.  Beide  Ventrikel  zeigten  sich  mit  Blut  stark  gefüllt.  Die  electrische  Erregbar- 
keit war  bei  der  gleich  nach  dem  Tode  vorgenommenen  Section  stets  vorhanden. 

Wir  sehen  also,  duss  wir  es  mit  einem  ausserordentlich  heftigen  Herzgift  zu 
thun  haben,  das  gleichzeitig  als  Brechen  erregendes  Mittel  wirkt. 

Die  Rinde,  welche  von  den  eingebornen  Fetisch-Priestern  zum  Gottes-Gericht  be. 
nutzt  wird,  soll  die  Eigenschaft  besitzen,  bei  Unschuldigen  die  Wirkung  zu  ver- 
sagen; man  hat  dieses  dadurch  zu  erklären  versucht,  dass  die  Priester  eine  genaue 
Kenntniss  von  der  Rinde  hätten  und  vorher  beurtheilen  könnten,  dass  gewisse  Theile 
keine  Wirkung  zeigen  sollten.  Ich  glaube  diese  Erklärung  verwerfen  zu  müssen,  da 
bisher  keine  solche  Pflanzenrinde  bekannt  ist,  welche  an  einzelnen  Stellen  gar  keine, 
der  sonst  in  ihr  enthaltenen  Stoffe  enthält,  Dass  unter  gewissen  Umständen  die  furcht- 
bare Wirkung  der  Rinde  nicht  zur  Geltung  zu  kommen  braucht,  kann  nach  meiner 
Auffassung  nur  dadurch  erklärt  werden,  dass  die  Brechen  erregende  Wirkung  so 
schnell  auftritt,  dass  die  Rinde  aus  dem  Magen  wieder  entleert  wird.  Das  Erbrechen 
ist  ein  Vorgang,  den  wir  bei  Aufnahme  anderer  giftiger  Substanzen  durch  geeignete 
Brechmittel  zu  erreichen  suchen.  Es  ist  nicht  unwahrscheinlich,  dass  gerade  etwas 
grössere  Quantitäten,  besonders  in  nicht  zu  fein  zerbröckeltem  Zustand,  das  Leben 
eher  erhalten  können,  als  kleinere  Quantitäten,  welche  vielleicht  fein  vertheilt,  durch 
die  im  Magen  enthaltene  Flüssigkeit  schnell  ausgelaugt  werden  und  nach  der 
Resorption  den  Tod  durch  Herzlähmuug  unfehlbar  bewirken.  —  Es  ist  bis  jetzt 
keine  Substanz  bekannt,  welche  in  so  kleiner  Dose  diese  Art  der  Symptome  hervor- 
ruft.    In  Jamaika  ist  ein  von  der  Pflanzenfamilie  der  Asclepiadeen  stammendes  Gift, 


(250) 

das  Echitin  mit  ähnlicher  Wirkung  bekannt,  und  es  ist  nicht  unwahrscheinlich,  dass  die 
N'Kassa  Rinde  von  einer  Pflanze  jener  Familie  herstammt.  — 

(16)     Hr.  Hartiuaunn  besprach  den 

Autliropoideii  Mafuca  des  Dresdener  zoologischen  Gartens. 

(vergl.  Sitzungsbericht  vom  Oktober). 

Das  Thier  stammt,  wie  sichere  Nachrichten  beweisen,  aus  dem  von  Herrn 
Dr.  Güssfeldt  so  malerisch  geschilderten  Waldlande  Mayombe.  Hier  haust,  in 
dichten  tropischen  Forsten  der  riesige  N'Pungu  oder  Gorilla  (N'Djina  der  Gabun- 
Völker),  sein  Gebiet  in  entschiedener  Oberherrlichkeit  behauptend.  Gegen  die  Küste 
hin  findet  sicli  auch  der  in  Westafrika  N'Djeko,  N'Schego  oder  N'ziko  genannte 
Chimpanse  (Troglodytes  niger),  von  welchem  man  nach  höchst  unzureichendem 
Material  mehrere  gesonderte  Arten  hat  aufstellen  wollen. 

Mafuca,  so  wurde  das  Thier  nach  einem  in  Loango  üblichen  Titel  genannt,  kam 
jung  und  kränkelnd  nach  Deutschland,  gedieh  aber  unter  der  sorgfältigen  Behandlung 
seines  trefflichen  Pflegers,  Directors  A.  Schoepf,  ausserordentlich.  Letzterer  zeigt 
Kleider,  d.  h.  Jäckchen  und  Hosen,  welche  der  Mafuca  vor  1%  Jahren  noch  recht  gut 
passten.  Zur  Zeit  ihrer  Besichtigung  durch  den  Vortragenden  (2. — 4.  Septbr.  1875) 
konnte  dieselbe  freilich  nicht  einen  Arm  mehr  in  das  Bein  ihrer  früheren  Pumphose 
einbringen.  Mafuca  ist  eine  Zeit  lang  stark  gewachsen.  Man  hat  nun  hämischer- 
weise die  Wahrheitsliebe  des  Hrn.  Schoepf  anzweifeln  wollen,  indem  man  vorgab, 
die  gezeigten,  zu  eng  gewordenen  Kleider  seien  niemals  auf  dem  Körper  des  Affen 
gewesen.  Man  hat  dadurch  die  Beobachtungen  über  das  schnelle  Wachsthum  des 
schönen,  energischen  Thieres  zu  entwerthen  gesucht  Aber  einmal  sei  es,  betont 
Vortragender,  abscheulich,  ohne  Grund  die  Angaben  eines  nur  seiner  Sache  lebenden, 
als  durchaus  ehrenhaft  bekannten  Mannes,  wie  Schoepf,  aus  egoistischem  Partei- 
interesse zu  verdächtigen,  zum  anderen  Male  nun  habe  Hr.  C.  Hagenbeck  mehr- 
mals versichert,  er  könne  es  eidlich  erhärten,  die  angeführten  Kleidungsstücke  auf 
dem  Körper  des  Affen  gesehen  und  sich  durch  wiederholte  Autopsie  über  dessen 
rapide  Entwicklung  unterrichtet  zu  haben.  Vortragender  überlässt  es  dem  Dr.  Nissle, 
die  von  ihm  sehr  fleissig  gesammelten  authentischen  Berichte  über  die  Herkunft  der 
Mafuca  zu  veröffentlichen.  Dies  soll  im  ersten  Heft  des  VHI.  Jahrganges  dieser  Zeit- 
schrift geschehen.  Herr  van  Bemmelen,  Director  des  zoologischen  Gartens 
zu  Rotterdam,  hat  die  Behauptung  aufgestellt,  Mafuca  sei  ein  von  der  Goldküste 
stammender  gewöhnlicher  Chimpanse,  dessen  Schwesterindividuum  in  dem  er- 
wähnten Garten  eine  Zeit  lang  gelebt  habe.  Diese  durch  zuverlässige  Nachrichten 
gänzlich  entkräftete,  völlig  aus  der  Luft  gegriffene  Angabe  zeigt  neben  vielen  anderen, 
wie  geschäftig  Fama  war,  die  von  Berlin  aus  behauptete  Gorilla-Natur  der  Mafuca 
in  tendenziöser  Weise  zu  bekämpfen. 

Vortragender  erklärt  nun,  er  hätte  die  ganze  Mafuca-Angelegenheit  gern  bis  zum 
einstmals  erfolgten  Tode  des  Thieres  auf  sich  beruhen  lassen.  Es  hätte  jedoch  der 
Indifferenz  der  dresdener  Zoologen  gegenüber  nicht  verhindert  werden  können,  dass 
der  in  Berlin  erfolgte  Ausspruch,  „Mafuca  sei  entschieden  kein  Chimpanse, 
sie  könne  vielmehr  wohl  ein  Gorilla  sein",  als  wahre  Sensationsnachricht 
ihren  Weg  in  die  Oeffentlichkeit  nahm.  Auch  der  Name  des  Vortragenden,  eines 
vielfach  anerkannten  Bearbeiters  der  Anthropoiden,  wurde  unvermeidlicher  Weise  mit 
der  Angelegenheit   verknüpft.     Die   Mitglieder  der  Gesellschaft  haben  von  der  sich 


(251) 

nunmehr  entwickelnden  Streiterei  für  und  wider  „Gorilla"  wohl  hinreichende 
Kenntniss  genommen. 

Trotzdem  erklärt  Vortragender,  er  hätte  die  Sache  am  liebsten  in  suspenso  ge- 
lassen, wäre  er  nicht  durch  gehässige,  in  Dresden  und  selbst  in  Berlin  hinter  seinem 
Rücken  vorgebrachte  Anschuldigungen  wider  seine,  im  Hinblick  auf  Mafuca  entwickelte 
Thätigkeit  dazu  gereizt  worden,  die  von  ihm  versuchte  Beweisführung  in  öffentlicher 
Sitzung  darzustellen.  Ein  guter  Theil  seiner  Gegner  sei  eingeständig,  den  dresdener 
Affen  gar  nicht  mit  eigenen  Augen  gesehen  zu  haben,  trotzdem  glaubten 
jene  Leute,  aus  den  vorhandenen  Abbildungen  von  Gorillas,  von  Chimpanses  und  der 
Mafuca  wohl  ersehen  zu  kcinnen ,  dass  letztere  nicht  der  ersteren  Art  Anthropoider 
angehöre. 

Vortragender  unterzog  nun  zunächst  diese,  ihm  höchst  sonderbar  erscheinende 
Art  und  Weise,  eine  so  schwierig  zu  lösende  Frage  par  distance  behandeln  zu  wollen, 
einer  scharfen  Kritik.  Die  von  seinen  Gegnern  hauptsächlich  citirten  Abbildungen 
männlicher  und  weiblicher  Gorillas  durch  Wolf  in  Owen 's  Memoir  on  the  Gorillas 
(London  1865)  gehörten  seiner  Meinung  nach  entschieden  zu  den  schlechtesten 
Leistungen  des  übrigens  so  genialen  und  vom  Vortragenden  besonders  hochgeschätzten 
Künstlers.  Das  in  Front  view  abgebildete  Gorilla-Männchen,  welche  Figur  leider 
auch  in  die  Abhandlungen  von  Huxley  und  seinen  Nachbetern  übergegangen  sei, 
gleiche  zwar  einem  Bären,  auch  wohl  einem  Faulthiere,  nicht  aber  einem  Affen. 
Wolfs  Abbildung  des  Weibchens  und  Jungen  a.  a.  0.  sei  ebenso  plump,  wie  tech- 
nisch imvollkommen  gearbeitet.  Diese  Darstellungen  wären  weit  unnatürlicher,  als 
selbst  die  in  London,  Paris  und  Wien  aufgestellten  gestopften  Häute.  Der  in  Isid. 
Geoffroy  St.  Hilaire's  Abhandlungabgebildete  enthaarte,  in  Weingeist  aufbewahrte  (?) 
Kopf  gehöre  einem  alten  Männchen  an  und  dürfe  als  Vergleichungsobject  mit  der 
Mafuca  nur  höchst  vorsichtig  gebraucht  werden.  Die  von  Owen  in  oben  citirten 
Memoirs  abgebildete  Gorilla-Leiche  sei  die  eines  sehr  jungen  Thieres  und  durch 
cadaveröse  Emphysembildung,  wie  durch  andere  Fäuluissvorgänge,  endlich  auch  durch 
starke  Einwirkung  von  Alkohol,  in  fast  karrikaturenhafter  Weise  entstellt.  Du  Chail- 
lu's  und  Winwood  Reade's  Abbildungen  seien  fast  durcbgehends  nur  werthlose 
Fiktionen. 

Die  dem  Verfasser  wohlbekannten  und  von  ihm  in  der  Sitzung  vorgezeigten 
Photographien  und  Heliotypien  der  lübecker  Exemplare  zeigten  mit  nur  massigem 
Kunstaufwaude  montirte  Bälge  und  könnten  daher  sehr  wenig  in  Betracht  kommen. 
Einigermassen  brauchbar  erwiesen  sich  nur  folgende  bis  jetzt  vorhandene  Gorillabilder: 
1)  In  Wood's  Illustrated  Natural  History  of  Mammals  p.  15  (Zeichnung  von  Wolf), 
'2)  in  Isidore  Geoffroy  St.  Hilaire's  Quatrieme  Memoire,  Singes,  Archives  du 
Museum  T.  X  pl.  1.,  8)  in  P.  Gervais  Histoire  Naturelle  des  Mammiferes  T.  I, 
p.  XXIV,  p.  27,  4)  in  Deveria  und  Rousseau:  Photographie  zoologique,  Paris 
1853.  Die  dargestellten  Thiere  seien  ausgewachsene  Männchen.  Ein  junges 
Männchen  bilde  I.  Geoffroy  St.  Hilaire  1.  s.  c.  pl.  VII  Fig.  1,  2,  nach  einem  in 
Weingeist  aufbewahrten  Cadaver  ab  Die  Bäuche  seien  aber  an  den  gestopften  Bälgen 
zu  fassartig  aufgebauscht.  Das  stimme  nicht  mit  einer,  von  dem  Afrikareisenden 
Herrn  von  Koppenfels  (nach  frisch  gctikltetem  Exemplar)  eutworfeuen,  übei'  S'' 
Fe  de  Bogota  von  Hrn.  Bastian  neuerlich  eingesandten  Skizze  eines  alten  Männ- 
chen, dessen  Bauch,  wie  bei  Mafuca,  sehr  eingezogen  sei.  Letzteres  fände  sich  übri- 
gens auch  an  dem  in  Hamburg  befindlichen,  von  Hrn.  Wiirmann  geschenkten 
Weingeistexemplare.  In  der  Gesiclitsbildung  böten  oben  erwähnte  bessere  Gorilla-Dar- 
stellungen jedenfalls  vieles  an  Mafuca  Erinnernde  dar. 

Vortragender  hat  sich  die  Mühe  genommen,  eine  von  ihm  verfertigte  Skizze  nach 


(252) 

dem  Balge  des  Lübecker  Weibchens,  unter  Controle  durch  die  photographische  Auf- 
nahme desselben  mehr  der  Natur  entsprechend  zu  restauriren,  d.  h,  den  Nasenknorpel 
gewölbter,  als  an  dem  eingetrockneten  Original,  zu  zeichnen  und  die  Oberlippe  un- 
merklich zu  verlängern.  Das  so  entstandene  Portrait  gleiche  der  Mafuca  täuschend, 
wie  auch  in  der  Sitzung  selbst  von  mehreren  Mitgliedern  der  Gesellschaft  aus  eigener 
Anschauung  zugegeben  worden  sei. 

Man  müsse  nun,  wolle  man  die  Mafuca  mit  anderen  Anthropoiden  in  Vergleich 
ziehen,  wohl  daran  denken,  dass  erstere  ein  Weibchen  sei.  Man  dürfe  an  dies 
Thier  nicht  mit  den  Vorstellungen  herantreten,  welche  man  sich  nach  den  von  alten 
Männchen  existirenden  besseren  oder  schlechteren  Abbildungen  und  Bälgen  zurecht 
gemacht  habe.  Die  weiblichen  Anthropoiden  wichen  in  ihrer  Körpergestalt  sowohl, 
wie  auch  in  ihrem  Skeletbau  sehr  wesentlich  von  den  männlichen  Individuen  ab. 
Nirgend  sei  dies  so  aufgefallen,  als  beim  Gorilla,  dessen  männlicher  Schädel  im  Ver- 
gleich mit  dem  weiblichen  u.  A.  eine  beträchtlichere  Grösse,  einen  mächtigeren  Zahn- 
bau und  eine  ganz  abweichende,  durch  hohen  Pfeünahtkamm  hervorstechende  Hinter- 
hauptbildung zeige.  Es  lasse  sich  wohl  sagen,  dass  in  craniologischer  Hinsicht 
der  alte  weibliche  Gorilla  dem  alten  männlichen  Ghimpanse  ähnlicher 
wäre,  als  der  erstere  dem  alten  männlichen  Gorilla, 

Mafuca  sei  nun,  so  berichtete  Vortragender  weiter,  in  ihrer  Entwicklung  noch 
lange  nicht  vollendet.  Man  habe  fälschlicherweise  die  Nachricht  ausgesprengt,  sie 
sei  schon  ein  altes  Thier,  denn  sie  habe  periodische  sexuelle  Regungen,  indessen 
sei  letztere  Angabe  für  die  Beurtheilung  des  vermeintlichen  Alters  des  Thieres  keines- 
wegs massgebend.  Dergleichen  Erscheinungen  Hessen  sich  schon  an  noch  recht  jungen 
Chimpanses,  Magots,  Meerkatzen,  sehr  jungen  Pavianen  und  ausnahmsweise  selbst 
bei  Kindern  wahrnehmen.,   Mafuca's  Zahnwechsel  sei  noch  nicht  beendet. 

Verfolge  man  die  sorgfältigen  von  Owen,  Lucae,  Bischoff,  Magitot,  Giglioli 
und  noch  Anderen,  auch  die  vom  Verfasser  angestellten  Untersuchungen  über  den  Zahn- 
wechsel der  Anthropoiden,  so  gewinne  auch  dadurch  die  üeberzeugung  Raum,  dass  Ma- 
fuca nur  zwischen  4 — 5  Jahr  alt  sein  könne.  Man  wisse  zwar  bis  jetzt  nichts  Sicheres 
über  das  höchste  Alter,  welches  Anthropoiden  erreichen  könnten,  indessen  ergebe 
sich  aus  mancherlei  bisher  gesammelten  Indicien,  sowie  aus  vergleichend-osteologischen 
Untersuchungen,  dass  solche  Thiere  doch  fast  Menschenalter  erreichen  möchten.  Dem 
Dr.  Nissle  müsse  es  überlassen  bleiben,  die  von  ihm  mit  grossem  Fleisse  zusammen- 
gebrachten Notizen  über  die  bisherigen  Stadien  des  Zahnwechsels  der  Mafuca  an 
geeigneter  Stelle  zu  veröffentlichen. 

Vortragender  bemerkt  an  diesem  Orte,  man  habe  gegen  ihn  die  angebliche 
Thatsache  zu  constatiren  gesucht,  es  sei  von  alten  Chimpansemännchen  noch 
so  gut  wie  gar  nichts  bekannt.  Derartige  Angaben  beruhten  indess  entweder 
auf  .absichtlicher,  gehässiger  Entstellung  der  Wahrheit  oder  auf  gröblicher  Unwissen- 
heit. Denn  Jedem,  welcher  sich  ernstlich  mit  dem  Studium  der  anthropomorphen 
Affen  befasse,  müssten  die  Mittheilungeu  und  bildlichen  Darstellungen  der  Herren 
Owen,  Dahlbom,  Js.  Geoffroy  St.  Hilaire,  Th.  L.  Bischoff  und  des  Vor- 
tragenden über  alte  Chimpanse-Männchen  wohlbekannt  sein.  Mafuca  habe  aber 
mit  letzteren  gar  nichts  zu  schaffen. 

Mafuca  sei  bereits  jetzt  grösser  und  stärker,  als  ein  etwa  gleichaltriger  weiblicher 
Ghimpanse,  z.  B.  als  das  prächtige  Thier  letzterer  Art  im  zoologischen  Garten  zu 
Hamburg.  Obwohl  nicht  alle  Chimpanses  das  bei  manchen  kränkelnden  Individuen 
derselben  aufgefallene,  zwar  häufig  heitere,  aber  doch  dabei  milde,  duldende  Be- 
nehmen zeigten,  obwohl  z.  B.  das  Hamburger  Thier  manchmal  starke  Gaukeleien  und 
Sprünge   mache,    so  sei  alles  das  doch  nichts  gegen   die   unbändige  Wildheit,    die 


(253) 

markige  Lebendigkeit  der  plötzlich  einmal  recht  liebenswürdig  sieb  zeigenden,  an 
ihre  Pfleger  sich  innig  schliessenden  Mafuca.  Wie  die  vor  Aufgeregtheit  halb  rasenden 
jungen  Negersoldaten,  welche  sich  im  oberen  Sennar  ;in  starkem  Üurrah-Bier  betranken 
und  dann  in  paradoxem  üebermuth  unglaubliche  Proben  der  Tollheit  ablegten,  so 
etwa  käme  Mafuca  dem  Sprechenden  in  ihrem  gewiihnlichen  Dasein  vor.  Eine  durchaus 
ungezügelte,  unberechenbare  Natur  repräsentire  dieselbe.  Im  Augenblick  den  Pfleger 
süss  liebkosend,  kratze  sie  ihn  ohne  Veranlassung  im  unmittelbar  folgenden  Moment, 
nehme  dann  Sätze  wie  ein  angeschossener  Panther  und  klaube  darauf  wieder  ganz 
manierlich  Nüsse  auf.  Jetzt  seinen  Spielkameraden,  ein  munteres  Aeffchen  anderer 
Art,  zärtlich  streicheln,  in  den  nächsten  Minuten  bei  tobendem  Gewitter  dasselbe 
ergreifen  und  gegen  die  Gitter  des  Käfigs  schmettern,  bis  es  im  Tode  röchelnd 
da  liege,  das  seien  Wandlungen,  wie  sie  sich  in  dieses  Anthropoiden  Benehmen  in 
unheimlich  kurzer  Zeitdauer  vollzögen.  In  diesem  ganzen  Gebahren  finde  man  aber 
keinerlei  Züge,  wie  man  sie  in  demjenigen  der  Chimpanses  beobachtete. 

Dr.  Bolau,  so  berichtete  Vortragender  weiter,  habe  behauptet,  der  weibliche 
Ghimpanse  des  zoologischen  Gartens  zu  Hamburg  gebe  an  Lebhaftigkeit  und  Kraft 
der  Mafuca  wohl  kaum  etwas  nach.  Indessen  sei  doch  der  Unterschied  darin  nach 
Meinung  des  Redners  ein  immer  noch  sehr  grosser.  Das  der  Mafuca  an  Alter  wenig- 
stens nachstehende  Hamburger  Thier  sei  zwar  prognather^  als  die  meisten  bis  jetzt 
gesehenen  jüngeren  Chimpanses,  allein  die  sonstige  Kopfbildung,  der  physiognomische 
Habitus,  die  Rumpf-  und  Gliederbildung  des  Elb-Chimpanse  wichen  sehr  beträchtlich 
von  den  Formen  des  Dresdener  Aflfen  ab. 

Letzterer  habe  einen  im  Verhältniss  zur  Schulterbreite  kleinen  Kopf.  In  der 
Scheitelmitte  zeige  sich  ein  in  sagittaler  Richtung  verlaufender,  mit  einem  Haarkamme 
bedeckter  Kiel.  An  weiblichen  Gorillaschädeln  zeige  sich  oftmals  ein  niedriger 
sagittaler  Knochenkiel.  Höchst  selten,  und  alsdann  ungemein  viel  schwächer,  zeige 
sich  derselbe  an  alten  weiblichen  Chimpanse-Schädeln.  Die  Augenhöhlen- 
bögen  der  Mafuca  ragten  stark  wulstig  hervor,  wie  beim  Gorilla,  und  seien  mit  dicker, 
warziger  Haut  bedeckt  Dieses  Verhalten,  welches  sich  bei  Chimpanses  niemals  in 
so  hohem  Grade  zeige,  gebe  dem  Kopfe  Mafuca's  ein  sehr  charakteristisches  Aussehen. 
Bei  alten  männlichen  und  weiblichen  Gorillas  müssten  diese  Augenhöhleubögen,  der  Ent- 
wickelung  ihrer  knöchernen  Grundlage  nach  zu  urtheilen,  wahrhaft  monströs  werden. 
Von  krankhafter  Entartung  lasse  sich  an  den  vorhandenen  Schädeln  durchaus  nichts 
wahrnehmen.  Die  Nase  Mafuca's  sei  nur  durch  einen  geringen  Zwischenraum  von  den 
inneren  Augenwinkeln  getrennt.  Das  könne  an  die  bei  den  Chimpanses  gewöhnliche  Bil- 
dung erinnern.  Allein  auch  bei  Gorillas  sei  der  Raum  zwischen  Apertura  pyriformis  und 
Innenwand  der  Augenhöhlen  bei  gleichzeitiger  tieferer  Einsattelung  des  Nasenrückens 
ein  nur  sehr  kurzer.  —  Vortragender  könne  dies  an  verschiedenen,  z.  Z.  vor  ihm 
liegenden  männlichen  und  weiblichen  Gorillaschädeln  nachweisen.  Das  individuelle 
Variiren  müsse  daher  auch  hierin  sehr  gross  sein.  Mafuca's  äussere  Nase  sei  sehr 
hervorragend,  gewölbt,  mit  einer  tiefen  mittleren  Längsfurche  und  mit  grossen  Löchern 
versehen.  Das  sei  die  echte  Gorilla-Nase.  Bei  Chimpanses  sei  diese  weit  kleiner, 
flacher,  ohne  die  tiefe  mittlere  Furche.  Bei  letzteren  Affen  gehe  eme  wohl  bemerk- 
bare Hautfurche  vom  Hinterrande  des  Nasenriickenknorpels  aussen  um  die  Nasenlöcher 
und  die  Nasenscheidewand  herum.  Bei  Mafuca  und  den  Gorillas  reiche  eine  ähnliche 
tiefere  Furche  nur  bis  zu  gleicher  Höhe  der  Mitte  der  Löcher  herab. 

Mafuca  habe  eine  lange  Oberlippe,  dieselbe  sei  der  Länge  und  Quere  nach  ge- 
furcht, warzig,  voll  steifer  Haare  und  könne  ebenso  weit  schnutenförmig  vorgestreckt, 
wie  auch  unter  starkem  Zähnefletschen  sehr  weit  zurückgezogen  werden.  Sei  das 
Thier  gut  gelaunt,  so  ziehe  dasselbe,  Grimassen  schneidend,  öfter  die  Oberlippe  ganz 


(254) 

ein,  wie  das  auch  andere  Affen  und  selbst  Menschen  gelegentlich  thäten.  Die  Ober- 
lippe erscheine  alsdann  völlig  kurz  und  die  Aehnlichkeit  mit  den  Bildern  von  Gorillas 
werde  dann  noch  grösser.  Man  behaupte,  die  Kürze  der  Oberlippe  bei  letzteren  gebe 
einen  beträchtlichen  physiognomischen  Unterschied  nait  Hinsicht  auf  die  lauglippigeMafuca 
ab.  Bei  dem  Wör  mann 'sehen,  in  Weingeist  stark  zusammengeschrumpften  Gorilla- 
Exemplare  sei  die  Oberlippe  sammt  der  Unterlippe  gewaltsam  über  die  geschlossenen 
Zähne  gezogen  worden,  gerade,  als  man  eine  photographische  Ansicht  des  Kopfes 
anfertigen  wollte.  Nun  sei  bekannt,  dass  auch  die  Gorillas  ihre  Lippen  beim  Fressen, 
Saufen,  Schmunzeln,  Grollen  u.  s.  w.  löffeiförmig  verlängern  und  vorstrecken  könnten. 

Alle  Affen  besässen,  so  fährt  Redner  weiter  fort,  einen  stark  entwickelten  Schliess- 
muskel  des  Mundes,  ferner  stark  entwickelte  I.ängsmuskeln  der  Lippen,  welche  letz- 
teren Organen  eine  ungemein  grosse  Beweglichkeit  gestatteten.  Indessen  sehe  man 
auch  Gorilla-Schädel  männlichen  und  weiblichen  Geschlechtes,  an  denen  der  Zwischen- 
raum zwischen  Augenhöhlen  und  Nasenapertur  sehr  kurz,  die  Prognathie  aber  sehr 
beträchtlich ,  die  Alveolarfortsätze  der  Oberkieferbeine  mit  den  gewaltigen  schief 
stehenden  Zähnen  aber  sehr  lang  seien.  Demgemäss  müsse  doch  auch  die  Oberlippe 
solcher  Individuen  sehr  lang  sein.  An  anderen  Schädeln  finde  man  grosse  Zwischen- 
räume zwischen  Orbitae  und  Apertura  pyriformis,  sowie  sehr  kurze  Alveolarfortsätze 
der  Oberkieferbeine.  Individuen  von  derartiger  Schädelbiidung  müssten  einen  langen 
Nasenrücken  und  niedrigere  Oberlippen  haben.  Solche  Unterschiede  Hessen  sich 
leicht  an  den  vorliegenden,  vom  Gabun,  Ogöwe  und  aus  Mayombe  stammenden  Gorilla- 
schädeln ungefähr  gleichen  Alters  nachweisen.  Denn  Schädel  abweichenden  Alters 
lasse  Sprecher  bei  diesen  Untersuchungen  absichtlich  ausser  Acht.  Er  habe  Schädel 
von  Männchen  und  Weibchen  diöerenter  Bildung  mit  dem  Lucae 'sehen  Apparat  ge- 
zeichnet und  um  die  Umrisse  die  Weichtheile  reconstruirt,  dies  nach  der  bei  der 
Gesichtszergliederung  von  Chimpanses  und  Orangs  gewonnenen  Erfahiung  über  Haut- 
dicke, physiognomische  Muskellagen  u.  s.  w.  Diese  Versuche  ergäben  nun  eine  für 
den  Beschauer  wahrhaft  komisch  wirkende  individuelle  Verschiedenheit.  Da  könne 
man  sich  nun  kaum  wundern,  wenn  Redner  schon  nach  dem  Vorhergesagten  sich 
gemüssigt  gefühlt  habe,  Mafuca  für  einen  Gorilla  mit  kurzem,  stark  eingesatteltem 
Nasenrücken  und  langer  Oberlippe  zu  halten. 

Das  Thier  habe  breite  Schultern,  eine  breite  Brust  mit  vorstehenden  Warzen, 
eingezogene  Flanken,  nicht  aber  den  Tonnenbauch  der  Chimpanses  und  viel  kräftigere 
Extremitäten.  Die  Muskulatur  der  letzteren  und  des  Rumpfes  trete  plastisch  hervor, 
wiewohl  sie  nicht  so  stark  entwickelt  sich  zeige,  wie  an  den  sonst  schönen,  aber  in 
dieser  Hinsicht  etwas  übertriebenen,  in  der  Sitzung  vorgelegten  Zeichnungen  G.  Müt- 
ze l's.  Finger  und  Zehen  zeigten  Bindehäute  bis  etwa  zur  Mitte  der  ersten  Phalangen. 
Sie  seien  dicker  wie  die  der  Chimpanses,  aber  nicht  so  dick,  wie  die  übertrieben 
aufgeblähten,  hydropisch  erscheinenden  auf  Wolfs  und  Bocourt's  Abbildungen, 
an  den  gestopften  Bälgen  u.  s.  w.  Beim  Wörmann'schen  Gorilla,  einem  Männchen, 
seien  Finger  und  Zehen  durchaus  nicht  so  dick,  wie  man  gewöhnlich  angebe.  Das 
gehe  u.  A.  aus  den  in  Hamburg  verfertigten  Photographien  hervor.  Die  Gorilla- 
Weibchen  hätten,  wie  dies  schon  am  Skelet  nachweisbar  sei,  überhaupt  schlankere 
Finger  und  Zehen  als  die  Männchen.  Daher  Verstösse  die  verhältnissmässige  Schlank- 
heit der  Phalangen  Mafuca's  ebenfalls  nicht  gegen  die  Annahme,  sie  sei  ein  Gorilla. 
In  Mützel's  Bildern  sei  Mafuca's  Hand  entschieden  zu  schmächtig  dargestellt.  Da- 
gegen seien  die  von  demselben  Künstler  abgebildeten  Füsse  (namentlich  an  einem 
Holzschnitt  grossen  Formates,  welcher  eine  Abhandlung  Dr.  Brehm's  im  Jahrgang 
l.S7(!  der  Gartenlaube  begleiten  solle)  eher  diejenigen  einer  Gorilla. 

Die  seitlich  weit  abstehenden  Ohren  Mafuca's   seien,    wie    dies   zuerst  von  Hrn. 


(255) 

Dr.  0.  Hermes  beobachtet  worden,  auf  beiden  Seiten  etwas  ungleich  gebildet.  Im 
Allgemeinen  ähnelten  diese  Theile  denen  der  Gorilla  und  damit  zugleich  denen  des 
Menschen  ungleich  mehr,  als  denjenigen  des  Chimpanse.  Mafuca's  Ohren  zeigten  eine 
rechts  schwächer,  links  stärker  entwickelte  Krempe  oder  Leiste.  Rechterseits  beginne 
dieselbe  mit  einem  deutlicli  abgesetzten  Schenkel  (crus),  welcher  linkerseits  am  Ober- 
ende des  Einschnittes  zwischen  Ecke  und  Gegeuecke  verlaufe.  Die  Ecke  sei  auf  beiden 
Seiten  ganz  gut  entwickelt,  die  Gegeuecke  sei  links  besser  abgesetzt,  als  rechts.  Je  ein 
tiefer  Einschnitt  (lucisura  intertragica)  trenne  die  beiden  zuletzt  erwähnten  Vorsprünge, 

Jodes  der  Ohrou  habe  Läppchen  vou  allerdings  nur  geringer  Grösse.  Die  Gegen- 
leisten seien  breit  und  flach,  die  zwischen  beiden  Schenkeln  derselben  eingeschlossene, 
dreieckige  Grube  sei  nur  rechts  einigermaassen  zu  erkennen.  An  Gorillaohren  fänden 
sich  Leiste,  Gegenleiste,  Ecke  und  Gegenecke,  sowie  auch  Läppchen  meist  deutlich  aus- 
geprägt. Die  Gegenleiste  sei  auch  hier  flach,  die  zwischen  ihr  und  der  Leiste  befind- 
liche Rinne  sei  breit.  An  Chimpauseohren  fände  sich  bald  ein  deutlicheres,  bald  ein 
weniger  deutliches  Läppchen.  Ecke  und  Gegenecke  seien  nicht  selten  gut  entwickelt, 
die  Leiste  sei  gewöhnlich  umgekrämpt,  ohne  abgesetzten  Schenkel.  Die  deutlich  ent- 
wickelte schmale  Gegenleiste  werde  durch  eine  zwei  bis  drei  Centimeter  weite  Rinne 
(Fossa  scaphoidea)  von  der  Leiste  getrennt.  Am  Ohrknorpel  der  Chimpanses  fänden 
sich  überdies  noch  mancherlei  Vorsprüuge,  welche  dem  Menschen-  und  Gorillaohre 
nicht  zukämen.  Das  Orang-Ohr  sei  klein  (cca.  5  Ctm.  lang)  und  menschenähnlich. 
Das  Ohr  der  Gibbons  habe  gar  keine  Aehnlichkeit  mit  demjenigen  des  Menschen 
und  der  anderen  Anthropomorphen.  Darwin's  „vorspringender  Punkt"  an 
der  Ohrkrempe  finde  sich  angedeutet  an  Mafuca's  rechtem  Ohr,  manchmal  sehr  aus- 
geprägt bei  Gorillas,  nur  selten  angedeutet  bei  Chimpanses  und  Orangs,  Dies 
wenigstens,   soweit  die  Erfahrungen  des  Vortragenden  reichten. 

Wenn  man  nun  Mafuca's  Ohr  genau  in  der  Profilansicht  des  Kopfes  visire,  so 
betrage  die  Länge  desselben  etwas  weniger  als  ein  Drittel  der  Kopfhöhe,  diese  vom 
Scheitel  bis  zur  Basis  des  Unterkiefers  gemessen.  Bei  Gorillas  betrage  die  Ohrlänge 
durchschnittlich  weniger  als  ein  Drittel  der  in  gleicher  Weise  genommenen  Kopfhöhe. 
Beim  Chimpanse  gingen  gewöhnlich  zwei  Ohrlängen  auf  die  Kopfhöhe.  Mafucas  Ohr 
werde  zu  7  Centm.  Länge  geschätzt.  Hr.  Dr.  Nissle,  welcher  bei  Abschätzung 
dieses  Maasses  zugegen  gewesen,  erkläre  die  dabei  angewendete  Methode  wegen  ün- 
gebehrdigkeit  des  Thieres  für  eine  gänzlich  rohe  und  unzuverlässige.  Dem  Vortra- 
genden kämen  jene  angeblichen  7  Centm.  übertrieben  vor.  Die  Ohrlänge  alter 
männnlicher  Gorillas  (au  Häuten  in  Soda  aufgeweicht)  habe  Vortragender  zu  6  bis 
6j3 — G,5  Centm.  Länge  gemessen.  Chimpanse-Ohreu  wären  durchschnittlich  6 — 7,5 
Centm,  lang.  Sie  wären  breiter  und  anders  gestaltet  als  diejenigen  iMafuca's.  Vor- 
tragender meint  schliesslich,  man  dürfe  auf  die  individuell  ungemein  schwankende 
Länge  dieses  „rudimentären  Organes"  nicht  zu  viel  geben.  Er  überlasse  den 
Calcul  um  etliche  Millimeter  mehr  oder  weniger  ganz  solchen  Zoologen,  welche  daraus 
Capital  für  ihre  Specieskrämerei  zu  schlagen  suchten. 

Jedenfalls  sei  in  den  Zeichnungen  G.  Mützel's,  welche  im  Buntdruck  dem 
L  Heft  des  Jahrganges  187G  der  Zeitschrift  für  Ethnologie  beigefügt  werden  sollten,  das 
ühr  nicht  naturgetreu  genug  dargestellt  worden.  Als  zuverlässiger  bewährten  sich 
in  dieser  Hinsicht  jene  Skizzen  des  Dr.  0,  Hermes  und  die  eigene  des  Vortragenden. 

Endlich  komme  noch  die  Farbe  in  Betracht.  Mafuca  sei  schwarz  mit  Stich  iu 
braun  und  mit  fuchsigem  Lüstre,  um  den  After  her  seien  die  Haare  schmutzig  weiss. 
Letzteres  zeige  sich  auch  beim  Gorilla.  Dieser  wäre  meist  über  Rücken,  Bru&t, 
Schultern  und  Lenden  graubraun  melirt,  indem  jedes  der  langen,  schmutzig-aschfarbenen 
Haare  erwähnter  Theile  ein  bis  zwei  schwarz-  oder  rothbraune  Ringeln  zeigte.    Der 


(256) 

Scheitel  sei  oft  fuchsroth,  die  Extremitäten  seien  gewöhnlich  schwärzlich  braun,  in 
Fuchsig  oder  Sammetschwarz  schillernd.  Es  gebe  aber  auch  ganz  schwarze 
Individuen.  Manche  in  der  Jugend  schwarze  oder  schwarzbraune  Gorillas  würden 
im  Alter  heller,  melirt.  Mafuca's  Pelz-Farbe  gäbe  kein  Criterium  für  die  Stellung 
derselben  im  System  ab.  Ebenso  wenig  ihre  Gesichtsfarbe.  Diese  sei  dunkel-,  schmutzig 
fleischfarben  mit  Stich  in  Rothbräunlich,  russschwarz  überflogen.  Schwärzliche  Fär- 
bung bilde  sich  aber  auch  im  Antlitz  vieler  anfänglich  daselbst  sehr  hell,  fleisch- 
farben erscheinender  Chimpanses. 

Vortragender  legte  eine  grosse  Menge  Zeichnungen,  Photographien,  Steindrucke 
und  Stiche  von  Gorillas,  Chimpanses  und  Oraug-TJtau's  vor.  Es  waren  darunter 
viele  von  ihm  selbst  nach  dem  Leben  aufgenommene  Aquarell-  und  Bleistiftbilder. 
Er  glaubte  das  von  ihm  herrührende  Portrait  der  Mafuca  als  möglichst  naturgetreu 
vorstellen  zu  können,  dies  besonders  gegenüber  den  von  G.  Mützel,  H.  Leutemann 
und  E.  Reichenheim  zwar  recht  schön  gezeichneten,  aber  doch  auch  einzelnes 
Fehlerhafte  enthaltenden  Bildern  des  vielbewunderten  Thieres.  Sehr  befriedigend 
seien  auch  von  dem  genialen  Paul  Meyer  heim  genommene  Skizzen.  Das  Beste 
repräsentire  freilich  die  von  E.  Gessner  aufgenommene,  durch  Lichtdruck  verviel- 
fältigte Studie  der  ihren  Kakaotrank  behaglich  auslöffelnden  Mafuca.  Die  vorgelegten 
Exemplare  dieses  vortrefflichen  Bildchens  sind  ein  Geschenk  des  Mitgliedes  Dr. 
M.  Bartels. 

Zum  Schluss  forderte  Vortragender  seine  Gegner  auf,  ihm  mit  mindestens  ent- 
sprechendem Rüstzeuge  entgegenzutreten  und  im  Interesse  der  Sache  lieber  von  hinter 
dem  Rücken  erfolgenden,  kleinlichen  Nörgeleien  abzustehen.  Dr.  Bolau  sei  in  dieser 
Hinsicht  wenigstens  mit  rühmenswerther  Offenheit  verfahren. 

(17)     Hr.  Direktor  W.  Schwartz  übersendet  d.  d.  Posen,  22.  October, 

Nachträge  zu  den  Poseuer  Materialien  zu  einer  prähistorischen  Karte. 

Cerekwice*  (Kreis  Posen),  Gräberfeld,  (u.  A.  kleine,  hübsch  verzierte,  tassenartige 
Schöpflöffel).    Un.  mit  Schüsseln  zugedeckt.    Posener  Ztg.  1875.  Nr.  433. 

Docbanowo  bei  Exin  (Kr.  Wongrowitz),  Steinkistengrab.  18  Un.  (ohne  Nebengefässe). 
Die  Un.  mit  flachen  Knöpfen  statt  der  Buckeln  und  mit  Deckeln  (eine  mit 
nicht    überragendem,    sondern    eingefügtem   Deckel).     Br.   E.   Glasschmelz. 

Gorzyce  (Kr.  Pleschen),  Un.  mit  einer  Fülle  kleiner  Gefässe  (4  hutartige  Deckel), 
Br.  E.  Glasschmelz,  cf.  Globus  XXVIII.  Nr.  1.  In  der  Nähe  am  linken 
Ufer  der  Prosna  auf  den  Territorien  von  Gorzyce  und  Robaköw  „Pfeilspitzen, 
kleine  Messer  und  eine  Menge  Splitter  von  Feuerstein".  Dziennik  Pozn. 
vom  24.  Juli  187.'). 

Luban  bei  Posen.    „Mammuth-Back-  und  Stosszahn". 

Krzyzownica  (Kr.  Mogilno),  Ün.  in  einem  mit  Scherben  bedeckten  Sandhügel  am  See; 
in  derselben  3  Bronze- Spangen  in  der  Form  wie  bei  Worsaae,  Nordiske 
Oldsager.  Nr.  389,,  nur  etwas  kürzer  und  mit  breiterem  Schilde. 

Syzdlowo  (Kr.  Mogilno),  eine  eigenthümliche  Axt  von  Serpentin  (in  einen  dicken 
Knopf  oberhalb  des  Bohrlochs  endend,  der  diese  Seite  als  Hammer  erscheinen 
lässt). 


')  Die  mit  einem  Stern  bezeichneten  Ausgrabungen  sind  von  dem  Berichterstatter  selbst 
vorgenommen  worden. 

'■*)  In  dem  hiesigen  Museum  hat  sich  übrigens  auch  von  dem  bei  W.  No.  319  abgebildeten 
Trinkhorn  der  Beschlag  neljst  Kette  und  Spitze  des  Griffs  vorgefunden,  freilieb  ohne  dass  der 
Fundort  genauer  zu  bestimmen  ist.    Jedenfalls  gehört  er  aber  der  Provinz  an. 


(257) 

Oberowo*  (Kr.  Samter)  Gräberfeld,  hier  und  dicht  daneben  auf  der  Stepanowoer 
Feldmark  Uu.  (mit  Schüsseln  zugedeckt)  nebst  den  üblichen  Beigefässen. 

Mlynow  (Kr.  Adelnau)  Gräberfeld,  ]>r.  Fragmente.     Hr.  Zenkteller, 

ßobrowniki  (Kr.  Schilberg),  ün.     Hr.  Zenkteller. 

Owinsk  (Kr.  Posen).  Uu.  in  einer  Steinkiste.  In  der  Nähe  zwei  Feuersteinmesser 
und  ein  Hammer.     Hr.  Schulinspector  Laskowski. 

Pierwszewd  (Kr.  Samter),  2  Steinkisten  Br.     Hr.  Schulinspector  Laskowski. 

Kicin  (Kr.  Posen),  2  Bronze-Spangen  wie  in  Krzyzownica.  Hr.  Witt-ßogdanowo. 
Un.  verloren  gegangen. 

Ocieszyn  (Kr.  Obornik)  Stcinkistengrab.     Hr.  Witt-Bogdanowo. 

Uscikowo  (Kr.  Obornik),  Un.  Eisennadel  mit  Br.     Hr.  Witt-Bogdanowo. 

Wierzchaczewo  (Kr.  Samter),  Steinkistengräber,  etwa  5' lang  und  4' breit,  noch 
umgeben  von  einem  im  Viereck  liegenden  Steinkranz,  der  etwa  20  Schritt  breit 
und  30  Schritt  lang  wax.     Hr.  Ober-Kegierungsrath  v,  Massenbach. 

Bia'iokosz  (Kr  Birnbaum),  Un.  inmitten  von  Steinen,  mit  rohen  unregelmässigen 
Steinblöcken  auch  über  der  Erde.    Hr.   Ober-Regierungsrath  v.  Massenbach. 

Neul)rück  bei  Wrouke,  Gräber  wie  bei  Bialokosz.  Hr.  Ober-Regierungsrath  v.  Mas- 
senbach. 

Komerowo,  in  einem  Theil  des  ßythiner  See's,  Insel  mit  Gemäuer  und  Urnen- 
scherben.    Pfahlbau?     Hr.  Ingenieur  Meyer. 

Jarogniewice*  (Kr.  Kosten),  Gräberfeld.  Un.  von  Steinen  umgeben  (u.  A.  schwarze 
Buckelurne).  Gefässe  in  der  verschiedensten  Grösse  und  Form,  meist  vasen- 
artig, in  einen  Hals  oben  auslaufend.  Ein  Topf  ganz  mit  Lineamenten  bedeckt. 
Auch  ein  sogenanntes  Räuchergefäss. 

Obornik*,  au  der  schon  früher  mehrfach  untersuchten  Stelle  in  der  städtischen  Scho- 
uung  förderten  zwei  neue  Ausgrabungen  wieder  viele  Un.  (mit  Schüsseln 
zugedeckt)  und  mannichfache  Gefässe  zu  Tage.  In  einer  Un.  eine  bronzene 
Nadel  von  6  Centm.  Länge.  Dziennik  Poznanski  1875.  10.  Aug.  —  Stein- 
kistengräber auf  dem  Roznower  Abbau  No.  10.  Sitzungsbericht  der  Anthropol. 
Gesellschaft  zu  Berlin  vom  17.  April  1875.  Die  Gräber  enthielten,  wie  auch 
der  Bericht  hervorhebt,  nur  Urnen  (meist  mit  Deckeln)  ohne  kleinere  Bei- 
gefässe.  Die  Urnen,  die  ich  gesehen,  ähneln  sich  sehr  unter  einander  und 
unterscheiden  sich  (bis  auf  die  aus  Bentschen  erwähnte)  schon  in  der  Masse 
sofort  von  den  andern,  die  hier  gefunden  worden.  Die  Grösse  der  Steinkisten 
ist  von  der  Zahl  von  Urnen,  die  sie  birgt,  abhängig.  Der  Typus  eines  der- 
artigen Grabes  wie  der  Urnen  ist  im  Ganzen  derselbe,  wie  beim  Steingrabe  von 
Osnica  in  der  Gegend  von  Plock,  von  dem  der  Globus  ßd.  XXVIII.  Nr.  14  nach 
dem  Wiadomosci  Archeologiczke  I  eine  Abbildung  giebt. 

Bentschen  (Bahnhof),  Steinkiste  mit  o  grösseren  und  3  kleineren  Urnen.  (Eine 
aus  einem  feinen  gelblichen,  nur  schwach  gebrannten  Thon  mit  eingefüg- 
tem Deckel  wurde  eingesandt.)     Hr.  Bahnmeister  Dworzaczeck. 

Kiijawki  bei  Gollaucz,  Uu.  in  einer  hügligen  Erhöhung,  sogenannte  Mergelkuppe 
ohne  Steine;  in  einer  ein  kleines,  eisernes  Messer  mit  dem  Ueberrest  einer 
Scheide  und  eine  ebenderartige  Spange  in  Form  einer  Sicherheitsnadel.  10 
Ctm.  lang;  schön  erhalten,  mit  voller  Federkraft. 

Aus  derselben  Mergelgrube  wurde  ein  Steiuhammer,  fast  1  Kilo  schwer,  aus- 
gegraben, von  dem  aber  die  eine  Hälfte,  gerade  in  der  Mitte  des  Bohrlochs,  ab- 
gesprungen. Hr.  Gutspächter  Hoffmeyer. 

Ujazd  (Kr.  Kosten),  „eine  alterthümliche  Hand-Getreidemühle  von  Granit,  polnisch 
Zarna." 

VerUauiU.  der  Berl.  Authropol.  Gesellscb.  1875.  ^ 


C258) 

Koninko,  „langes,  zweihändiges,  eisernes  Schwert". 

Schroda,  in  einem  Kiesschacht  eisernes,  ziemlich  langes  Jagdmesser. 

Liszkowo  (bei  Inowrazlaw),  ein  sogenanntes  Riesengrab  wurde  beim  Abtragen  eines 
Hügels  bei  dem  Schlossgarten  daselbst  entdeckt  und  enthielt  ausser  Knochen- 
überresten Sporen  und  Waffentheile.  Damaliger  Besitzer  Hr.  Oberamtmann 
Nordmann.  —  Hr.  Lehrer  Red  er  in  Samter. 

(18)     Hr.  Scliwartz  schickt  ferner  unter  dem  13.  d.  M.  einen    Bericht 

über  einen  chronologisch  gut  bestimmten  Gräberfund  bei  Ruszcza. 

(Hierzu  Taf.  XVI.  Fig    2-«.) 

Als  historische  Anhaltpunkte  sind  die  Gräber  besonders  interessant,  bei  denen 
sich  Münzen  finden.  So  berichtet  Lei ewel  im  Polska  Wieköw  Srednich.  Posnall  1846. 
Tom.  1  p.  413  von  einem  Grabhügel  bei  Ruscza  zwischen  Sandomir  und  Staszow 
Folgendes.  Als  der  Sand  verweht,  wurden  Menschengebeine  sichtbar.  Beim  näheren 
Nachsuchen  fand  man  eine  Anzahl  Skelette  mit  auffallend  grossen  Schädeln;  die 
Skelette  lagen  auf  dem  Rücken  in  der  Richtung  des  Hügels  von  W.  nach  0.  Ge- 
fässe  fanden  sich  nicht,  aber  eine  grosse  Anzahl  Scherben  bei  jedem  Skelet,  sowie 
auch  Messer  und  Haken  („wie  man  sie  zum  Einschlagen  in  die  Wände  gebraucht, 
um  etwas  daran  zu  hängen"),  desgleichen  silberne  Blechstücke,  Ringe  von  Zinn  (nicht 
in  einander  gefügt).  Bei  einem  Skelet  lag  eine  Medaille  oder  Amulet,  wie  hei- 
folgende Zeichnung  (zwischen  Messer  und  Haken)  zeigt,  mit  einem  T  hierbilde  und 
einer  Oese  (vergoldet).  Wichtiger  war  aber  noch  der  Fund  eines  zerbrochenen 
Geldstücks,  das  gleichfalUs  abgebildet  ist  und  zu  denen  gehört,  wie  sie  vielfach 
hier  in  Polen  aus  der  Zeit  der  fränkischen  Heinriche  sich  finden.  Hiernach  viudicirt 
Lei  ewel  das  Grab  der  betreffenden  christlichen  Zeit,  in  der  Medaille  findet  er  Be- 
ziehungen zu  Skandinavien. 

Aus  den  weiteren  Ausführungen  wäre  noch  hervorzuheben   Folgendes: 

1)  dass  ähnliche  Grabhügel  sich  in  der  Nähe  von  Krakau  und  Sandomirz  sowie 
in  Samogitien  und  in  der  Gegend  von  Nowgorod  fänden  (bei  letzterem  Orte 
gelte  einer  als  speciell  zu  Ehren  des  Gostomysl,  des  ersten  Colonisten  von 
Nowgorod  geschüttet). 

2)  Masovien  aber  und  die  Umgegend  von  Warschau,  ebenso  Podlachien  kenne 
derlei  Hügel,  welche  ganze  Skelette  enthalten,  nicht.  Dagegen  fänden 
sich  auch  hier,  wie  in  ganz  Polen,  zahlreiche  Urnen  mit  Asche  u.  s.  w.  Im 
Krakauischen  und  in  der  Gegend  am  Bug  finde  man  neben  den  Gebeinen  oft 
römische  Münzen  der  Kaiser  Hadrian,  Trajan  und  der  Antonine. 

3)  Auffallend  sei  in  den  Grabhügeln  der  ersten  Art,  dass  man  überall  eine 
Schicht  Flusssand  finde,  den  man  oft  nachweislich  ein  Paar  Werst  weit  her- 
beigeholt habe. 

(19)  Das  correspondirende  Mitglied,  Hr.  Resident  Riedel  berichtet  in  einem 
Briefe,  d.  d.  Gorontalo,  10.  August,  unter  Uebersendung  einer  prächtigen  Photographie 

Ueber  die  Tiwnkars  oder  steinernen  Gräber  auf  Nord-Selebes. 

Die  Leichname  der  Abgeschiedenen  unter  den  Minahasa-Alifurus  werden  vorher 
(Mngewickelt  in  der  ausgeklopften  Rinde  des  Lahendongs,  einer  Art  Sponia,  und  sorg- 
fältig auf  dem  höchsten  i'>;uinie  an  unzugänglichen  Orten  der  Vernichtung  preisgegeben. 
Später,  kurz  vor  der  Ankunft  der  Spanier,  fülirte  der  Taunahas  oder  Acltere  von  dem 


(259; 


Taumbuluh-StammP,  inlt  Name  Tangkere  den  Gebrauch  ein,  die  Todten  in  Tiwukars 
zu  begraben.  In  der  von  sandartigem  Gestein  verfertigten  Kiste  werden  nach  der 
Entbindung  successive  die  Leichname  von  mehreren  Mitgliedern  einer  Familie,  mit 
feinen  Kleidern  und  Kelana  —  Korallen  von  Gold  und  Silbercomposition  —  umhangen, 
in  hockender  Stellung  bewahrt.  Die  Tiwurkas  werden  dem  Ansehen  der  Verstorbenen 
gemäss  arcbitectonisch  geschmückt,  mit  Abbildungen  von  Cercopithecus  niger,  Anoa 
depressicornis,  Python  sp.,  etc.  Von  zwei  dieser  Tiwukars  geht  hierbei  eine  Photo- 
graphie mit.  Der  Gebrauch,  die  Leichname  in  Tiwukars  zu  bestatten,  ist  nach  der 
Einführung  des  Christenthums  aufgegeben,  und  viele  dieser  Gräber  sind  nach  1S40 
bei  der  Verschönerung  der  Negarien  oder  Kampungs  zerstört,  — 

(20)     Hr.  F.  Jagor  übersendet  Zeichnungen  von 

indischen  Altsacheii: 

1)  Umrisszeichnuugen  des  grüssten  Steinbeiles  (aus  Kieselschiefer)  vom  Savoy 
Districte  im  Museum  der  Geologie  zu  Calcutta,  von  dem  sich  eine  Zeichnung 
in  halber  Grösse  in  den  Memoirs  of  the  Geolog.  Survey  of  India  (Vol.  X.  P. 
2)  befindet. 

2)  Zeichnungen  von  Gefässen  aus  gebranntem  Thon,  aus  alten  Gräbern  in  Sindh, 
im  Museum  zu  Bombay.  Eigenthümliche ,  unten  abgerundete,  meist  kegel- 
förmig zugespitzte,  nach  oben  in  cyliudrische,  durch  Quereinschnitte  abgetheilte 
Hälse  übergehend. 

3)  Zeichnungen  von  allerlei  Thierköpfen  (Affen,  Büffel  u.  s.  w.)  aus  gebranntem 
Thon,  welche  in  alten  Gräbern  von  Sindh  gefunden  sind  und  im  Victoria 
Museum  zu  Bombay  aufbewahrt  werden. 

Von  Hrn.  Ja  gor  sind  ferner  eingegangen 

Maasstabellen  und  Pliotoarrapliien')  von  Andaniauesen. 

(Taf.  XV  Fiff.  1-2.) 


')  Die  auf  derselben  Tafel  (Fig.  3-5)  gelieferten  Abbildunfieu  von  Nicobaresen  stammen 
gleichfalls  von  Hm.  Jagor.  Von  den  Photographien  der  Andamanesen  sind  zunächst  der  Ver- 
gieichung  wegen  nur  zwei  geliefert,  bei   denen    sich  ein  Maassstab  befindet.     Letzterer  ist  von 

17  • 


(260) 

Die  Photographien  sind  von    E.  H.  Man  Esq.  aufgenommen. 
Die  Messungen    haben   in   Viper  Island  nud  Chatham    Island ,    Port  Blair,   statt- 
gefunden. 

Die  Maasse  sind  mit  folgenden  Instrumenten  genommen : 

tA     1     II     T^  ^  Broca's  Instructions  p.  39. 

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Tz.    Tastzickel  \   ,  ...,.,        _.  ,     ^ 

7       y  L-  1         I  ^^^  gewöhnlichen  Zimmer leute. 

B.     Stahlmessband. 
Bestimmung  der  Farbe  nach  Broca's  Skala. 
Die  Millimeter  in  allen  Fällen  nur  geschätzt. 

Anmerkungen  zu  den  Tabellen. 

1.  Das  Alter  bei  allen  Individuen  geschätzt. 

2.  Haut  sehr  gleichmässig  gefärbt,  sehr  rein,  gesund,  ziemlich  genau  41  der 
Farbentafel. 

3.  Zahnfleisch  licht  rosa,  vielleicht  heller  als  bei  Europäern,  häufig  mit  hell 
violettgrauen  Flecken. 

4.  Bindehaut  schmutzig  weiss,  ins  grünliche  schillernd,  mit  kleinen  rothen  un- 
regelmässig vertheilten  Strichen,  oft  sehr  unrein. 

5.  Der  Kopf  ist  bei  den  Männern  gewöhnlich  rasirt  oder  mit  Pfefferkorngrosssen 
Haarbüscheln  bedeckt,  im  ersten  Fall  bleibt  häufig  auf  der  Mittellinie  des 
Hinterhauptes  eine  Reihe  solcher  kleiner  Haarbüschel  stehen,  die  oben  in 
einen  Stern  endigen  A,  oder  es  bleiben  2  Reiben  stehn,  die  ein  Hufeisen 
bilden  B.    Bei  den  Frauen  wird  das  Haar  ringsum 

am  Rande  abrasirt,  so  dass  nur  eine  runde  Kappe 
von  200  Mm.  Bogen  stehen  bleibt.  Ueber  Pfeffer- 
korngrösse  tragen  5  selten  ihr  Haar  (ich  sah  nur 
2  oder  3  Ausnahmen),  9  lassen  es  wohl  etwas  länger 
werden.  Wird  das  Haar  zu  lang,  so  wird  es  bei 
59  und  Kindern  abrasirt.  Ein  Mann  hatte  sein 
Haar,  wie  die  Weiber,  ringsum  und  ausserdem 
einen  breiten  Streifen  von  vorn  nach  hinten  ge- 
schoren, so  dass  nur  2  muschelförmige  Stellen  un- 
geschoren blieben. 

Ein  am  Tage  vor  meiner  Abreise  gebornes  Kind 
war  am  Kopfe  völlig  behaart.  Das  Haar  war  länger, 
als  Erwachsene  es  zu  tragen  pflegen.  Leider  durfte 
ich  wegen  abergläubischer  Bedenken  keine  Probe  nehmen. 

6.  Augenbrauen  kaum  vorhanden,  immer  glatt  rasirt,  nur  durch  Tasten  wahr- 
zunehmen. Bart  (Schnurrbart)  zuweilen,  aber  sehr  spärlich  vorhanden. 
Backenbart  fehlt;  am  Kinn  sehr  selten  einige  vereinzelte  Haarbüschel,  3,  4 
bis  5.     Ebenso  an  den  Schamtheilen  der  5,  vielleicht  auch  der  Q. 

7.  Zähne,  ausgenommen  bei  einigen  alten  Weibern,  sehr  gesund,  schön,  weiss, 
vollzählig.  Bei  einem  (nicht  gemessenen)  Individuum  die  beiden  Eckzähne 
im  Unterkiefer  nach  einwärts  gerichtet. 


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ITol/.  und  in  englische  Fasse  getheilt;  darüber  hängt  ein  Rollmaass  mit  Centimeter-Eintheilung. 
Von  den  zahlreichen  Zeichnungen  und  Skizzen,  welche  gleichzeitig  eingegangen  sind,  kann  leider 
noch  nichts  initgetheilt  werden. 


(261) 

8.  No.  II,  auf  der  Haut  viele  kleine  Flecke,  wie  Schuppen,   mit  der  Lupe  be- 
trachtet erscheinen  sie  meist  als  weisse  Ringe  um  einen  schwarzen  Punkt. 

9.  No,  IX,  Häuptling,  gross,  intelligent,  hat  Schnurrbart,  trägt  sein  Haar  ver- 
hältnissmässig  lang. 

10.  Unterkiefer  bei  einem  Sturz  vom  Baume  gebrochen,  gut  aber  schief  geheilt. 
Blind  auf  einem  Auge,  Folge  einer  Kinderkrankheit. 

11.  Da  bei  Messungen  des  Gesichtsdreieckes  (No.  48/51)  der  Kopf  sich  in  einer 
anderen  als  der  gewohnten  Lage  befindet,  so  ist  bei  den  No.  XV  bis  XXVIII 
die  senkrechte  Höhe  bei  dieser  Kopfstellung  noch  besonders  verzeichnet 
(No.  59).     Bei  den  Messungen  I— XIV  ist  dies  übersehen. 

Die  Augenwimpern   bei  Allen  am  untern  Augenlide   sehr  kurz,    kaum 
wahrnehmbar,  am  obern  Augenlide  nach  oben  gebogen. 
(Siehe  die  Tabellen  S.  262—267.) 

(21)  Hr.  0.  Hermes  übergab  mehrere,  auf  seine  Veranlassung  angefertigte 
photügraphische  Aufnahmen  des  zur  Zeit  im  Aquarium  lebenden  Gibbon  (Hylobates 
Lar?)  als  Geschenke. 


(262) 


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Sitzung  vom  18.  Dezember  1875. 
Vorsitzender  Hr.  Virchow. 

(1)     Der  Vorsitzende  erstattet  den  statutenmässigen 

Verwaltungs-Bericht  für  das  verflossene  Gesellschafts-Jahr. 

Ich  darf  wohl,  ohne  ruhmredig  zu  sein,  vorausschicken,  dass  vpir  im  Allgemeinen 
mit  dem  Zustande  unseres  Vereins  in  den  verschiedenen  Richtungen,  in  denen  er 
entwickelt  worden  ist,  zufrieden  sein  können.  Es  sind  gegenwärtig  ordentliche,  zah- 
lende Mitglieder  eingeschrieben  242.  Ausserdem  haben  wir  eine  gewisse  Zahl  von 
Mitgliedern,  welche  sich  in  der  Ferne  befinden  oder  auf  längeren  Reisen  sind;  wir 
führen  sie  stillschweigend  als  Mitglieder  fort,  obwohl  die  Zeit  ihrer  Rückkehr  nicht 
genau  geschätzt  werden  kann,  zumal  da  von  Manchen  derselben,  z,  B.  von  den  Herren, 
die  in  Japan  angestellt  sind,  nicht  einmal  mit  Sicherheit  feststeht,  ob  sie  überhaupt 
und  wann  sie  wiederkehren  werden. 

Wir  haben  dann  64  correspondirende  Mitglieder  und  4  Ehrenmitglieder,  nachdem 
auch  das  zuletzt  ernannte  Hr.  Caesar  Godeffroy,  wie  ich  hiermit  gleich  anzeigen 
kann,  seinen  Dank  für  diese  Ernennung  ausgesprochen  und  seine  Bereitwilligkeit 
erklärt  hat,  seine  Beziehungen  zur  Gesellschaft  fleissig  und  dauernd  aufrecht  zu  er- 
halten. Er  schreibt,  es  sei  ihm  sehr  erfreulich  gewesen,  und  er  wisse  diese  Aus- 
zeichnung im  vollsten  Maasse  zu  schätzen.  „Ich  wünsche  nichts  mehr,  als  dass  es 
mir  vergönnt  sein  möge,  noch  manches  Interessante  vorlegen  zu  können." 

Ich  darf  wohl  noch  besonders  hinzufügen,  dass  unsere  Gesellschaft  stolz  darauf 
sein  darf,  eine  verhältnissmässig  so  grosse  Zahl  von  Mitgliedern  auf  Reisen  zu  haben. 
Denn  es  ist  selbstverständlich,  dass  in  dem  Maasse,  als  dieser  Gebrauch  sich  bei 
uns  erhält,  wir  eben  auch  immer  in  regelmässigen  Beziehungen  mit  der  gesammten 
äussern  Welt  bleiben  und  dass  wir  unsere  Aufgaben  in  einem  ganz  anderen  Sinne 
praktisch  werden  ausüben  können,  als  wenn  wir  nur  von  hier  aus  auf  dem  Wege 
der  Correspondenz  unsere  Beziehungen  fortführen  würden.  Ich  erwähne  in  dieser 
Beziehung,  dass  auch  unser  gegenwärtiger  stellvertretender  Vorsitzender  Hr.  Bastian 
seit  längerer  Zeit  -sich  in  Südamerika  befindet,  in  diesem  Augenblick  wahrscheinlich 
in  Bogota,  und  dass  er  reiche  Erwerbungen  gemacht  hat  sowohl  für  das  Museum,  als 
für  uns  selbst.  Er  hat  für  uns  10  Dutzend  Peruanerschädel  angekündigt,  die  schon 
auf  dem  Wasser  schwimmen.  Hoffentlich  werden  wir  aus  seinem  eigenen  Munde 
manche  interessante  Mittheilung  über  jene  Gegenden  und  die  zum  Theil  noch  wenig 
besuchten  Völkerstätnme  erhalten,  welche  namentlich  die  Aequatorialbezirke  bewohnen, 
denn  er  hat  in  mehrfachen  Richtungen  Kreuz-  und  Querzüge  der  alleranstrengendsten 
Art  unternommen.    Seine  Absicht  geht  dahin,  von  Bogota  aus  sich  nach  Mittelamerika 


(269) 

zu  wenden  und  über  Nordamerika  heimzukehren.  Ebenso  darf  ich  an  unsern  Freund 
Ja  gor  erinnern,  der  in  diesem  Augenblicke  von  Madras  aus  eine  Excursion  in  die 
Gebirge  zu  der  drawidischen  Urbevölkerung  unternommen  hat  und  von  dem  eben 
heute  eine  speziell  für  die  Gesellschaft  bestimmte  Sendung  von  4  Kisten  mit  Schädeln 
von  Madras  angekommen  ist.  Hr.  J.  M.  Hildebrandt,  dessen  grosse  Ausdauer  und 
Geschicklichkeit  uns  grosse  Hoffnungen  eiuflösst,  hat  seine  neue  afrikanische  Reise 
durch  einen  Theil  des  Somal-Landes  nach  Zanzibar  und  von  da  zu  den  Comoreu  be- 
gonnen und  wird  nunmehr  auf  den  Continent  übergehen.  Ich  will  ferner  erwähnen, 
wie  ein  Theil  unserer  Mitglieder,  und  gerade  recht  eifriger  Mitglieder,  in  Japan  die 
Standarte  der  deutscheu  Wissenschaft  aufrecht  erhält,  und  wie  Hr.  Schweinfurth  in 
Kairo  an  die  Spitze  der  neu  gegründeten  ägyptischen  geographischen  Gesellschaft  getre- 
ten ist.  Ein  Theil  der  auf  Reisen  gegangenen  Mitglieder  ist^inzwischen  zurückgekehrt. 
Hr.  G.  F  ritsch  hat  Ihnen  schon  wiederholt  über  seine  persischen  Erlebnisse  berichtet, 
Hr.  G  üss  feldt  wird  in  nächster  Zeit  über  die  Völker  der  Loango-Küste  Mittheilungen 
macheu,  —  genug,  wir  bekommen  eine  immer  grössere  Reihe  von  lebenden  Zeugen, 
welche  die  verschiedenen  Gesichtspunkte  der  Gesellschaft  an  Ort  und  Stelle  verfolgen 
und  danach  neue  Untersuchungen  anstellen. 

Was  uns  hier  persönlich  anbetrifft,  so  haben  wir  keine  Sitzung  ausfallen  lassen, 
im  Gegentheil,  wir  haben  noch  eine  Extra-Sitzung  im  Juni  abgehalten.  Selten  waren 
wir  in  dei-  Lage,  das  reiche  iMaterial,  das  uns  vorlag,  vollständig  bewältigen  zu  können. 
Vielerlei  Sachen  sind  zurückgestellt  worden,  weil  sie  hinsichtlich  der  Wichtigkeit 
anderer  Gegenstände  nicht  eine  so  hervorragende  Stellung  in  Anspruch  nehmen  konn- 
ten, und  ich  denke,  Sie  werden  alle  den  Eindruck  haben,  dass  wenig  Stroh  gedroschen 
worden  ist,  am  allerwenigsten  leeres,  sondern  dass  meistentheils  recht  volle  und  reife 
Früchte  hier  zu  Markte  gebracht  worden  sind.  Unsere  Sitzungen  haben,  wie  in 
früheren  Jahren,  einige  Male  besonders  an  Frische  dadurch  gewonnen,  dass  auch 
lebende  Specimina  auswcärtiger  Stämme  zu  uns  gekommen  sind.  Im  vorigen  Jahre 
war  uns  durch  den  Grafen  Zichy,  der  leider  in  dem  letzten  abessinischen  Feldzuge 
der  Aegypter  einen  frühen  Tod  gefunden  hat,  ein  Galla  vorgestellt  worden.  Dieses 
Jahr  war  das  Jahr  der  Lappen  Bei  dem  grossen  Interesse,  welches  sich  gerade 
in  der  letzten  Zeit  an  das  Studium  der  finnischen  Stämme  geknüpft  hat,  ist  es  ge- 
wiss für  Sie  Alle  eine  sichere  Unterlage  Ihrer  Anschauungen  geworden,  dass  wir 
im  Laufe  dieses  Jahres  zweimal  in  der  LagT  waren,  Lappenfamilien  hier  zu  haben, 
und  so  nach  jeder  Richtung  hin  eine  eigene  Anschauung  von  der  physischen  Natur 
dieses  Volkes  zu  gewinnen.  Ich  hoffe,  Ihnen  nächstens  noch  einige  kolorirte  Por- 
traits  von  der  letzten  Gruppe  vorlegen  zu  können,  die  ausserordentlich  gelungen  sind. 

Im  Anschluss  an  die  Sommer-Sitzungen  ist  in  üblicher  Weise  im  Juni  eine  Ex- 
kursion veranstaltet  worden,  an  der  eine  grössere  Zahl  der  Mitglieder  Theil  genommen 
hat.  Sie  war  nach  Kottbus  gerichtet  und  hatte  als  spezielle  Aufgabe  die  Ausgrabung 
des  Burgwalles  von  Zuhsow.  üeber  die  Ergebnisse  ist  seiner  Zeit  berichtet  worden. 
Es  handelte  sich  dabei  um  die  wichtige  Entdeckung,  dass  einer  jener  alten  lausitzer 
Burgwälle  auf  einem  Pfahlbau  errichtet  worden  ist.  Jedenfalls  hat  sich  dabei  wieder 
gezeigt,  wie  nützlich  es  ist,  solche  praktischen  Exerzitien,  welche  die  Gesellschaft 
auch  in  der  Nähe  veranstalten  kann,  zu  halten.  ^lancherlei  Anregungen  sind  dadurch 
in  den  verschiedenen  Richtungen  unseren  Aufgaben  gegeben  worden. 

Was  unsere  Leistungen  nach  Aussen  anbetrifft,  so  haben  wir  in  den  ge- 
druckten „Verhandlungen",  zum  Theil  in  der  Zeitschrift  für  Ethnologie,  die  un.ser 
Organ  ist,  unsere  Ergebnisse  niedergelegt,  und  das  Publikum  kann  darüber  urtheilen. 
Ich  will  nur  hervorheben,  dass  gegenüber  den  Vorjahren  sich  die  Zahl  der  Abbildun- 
gen, welche  auf  Kosten  der  Gesellschaft  diesen  Publikationen    zugefügt   worden  sind, 


(270) 

erheblich  vermehrt  hat,  und  dass  dadurch  namentlich  für  die  vergleichende  Archäo- 
logie recht  werthvolle  Unterlagen  geschaffen  worden  sind.  Ich  weiss  auch,  dass 
gerade  diese  Seite  unserer  Leistungen  von  den  auswärtigen  Gesellschaften  besonders 
hoch  geschätzt  wird,  da  es  überaus  schwer  ist,  aus  blossen  Beschreibungen  sich  ein 
ausreichendes  Bild  von  der  Natur  der  Gegenstände  zu  machen,  um  die  es  sich 
handelt,  während  eine  Abbildung,  selbst  wenn  die  Beschreibung  defekt  ist,  gestattet, 
mit  Präzision  Schlüsse  zu  ziehen.  Da  nun  aber  die  ganze  Richtung  der  modernen 
Forschung  in  der  prähistorischen  Archäologie  sich  ganz  wesentlich  darauf  stützt,  die 
Identität  oder  wenigstens  den  inneren  Zusammenhang  der  Formen  festzustellen  und 
auf  diese  Weise  Handels-  und  Kulturwege  zu  ermitteln,  so  werden  wir  uns  wohl  ent- 
schliessen  müssen,  nach  wir  vor  eine  beträchtlichere  Quote  unseren  Einnahmen  für 
diesen  Zweck  zu  verwenden.  Ich  darf  nicht  verhehlen,  dass  die  Sache  ziemlich  kost- 
spielig ist,  und  ich  würde  wohl  wünschen,  dass  wir  eine  grössere  Summe  für  ander- 
weitige Verwendungen  übrig  behielten;  immerhin  erinnere  ich,  dass  es  eine  sehr 
nützliche  und  nach  allen  Richtungen  hin  werthvolle  Leistung  ist. 

Unsere  Sammlungen  sind  nicht  unerheblich  gewachsen  und  zwar,  wie  ich  mit  be- 
sonderem Danke  hervorheben  muss,  ganz  überwiegend  durch  Schenkungen.  —  Wir 
würden  in  der  That  nicht  in  der  Lage  gewesen  sein,  grosse  Summen,  auch  nicht 
einmal  so  massige,  wie  im  Vorjahr,  auf  diese  Seite  unseres  ßesitzthums  zu  ver- 
wenden. Es  sind  allerdings  Ankäufe  gemacht  worden,  aber  in  sehr  beschränktem  Maasse, 
und  zwar  in  Beziehung  auf  Schädel,  ferner  auf  einzelne,  mit  diesen  Schädeln  zusammen- 
hängende, archäologische  Objekte  und  auf  Photographien.  Letztere  sind  allerdings  in 
reicher  Weise  gesammelt  worden.  Manche  Gelegenheit  zu  Erwerbungen,  die  sich 
sonst  wohl  bieten  würde,  müssen  wir  vorbeigehen  lassen.  Gerade  jetzt  wären  ver- 
schiedene Schädelsammlungen  zu  erwerben.  Die  grosse  Sammlung  von  Jan  van 
der  Hoeven  soll  nächstens  verkauft  werden,  und  ich  wünschte  wohl,  dass  wir  in 
der  Lage  wären,  sie  ankaufen  zu  können;  indessen  fürchte  ich,  dass  wir  nicht  im 
Stande  sein  werden,  ein  annehmbares  Gebot  zu  stellen,  da  unsere  Mittel  weit  unter 
dem  sind,  was  dafür  verwendet  werden  müssto.  Und  doch  bietet  sich  hier  eine  Gelegenheit 
dar,  die  wahrscheinlich  in  längerer  Zeit  nicht  in  ähnlicher  Weise  sich  wiederholen  dürfte. 

Unter  den  Geschenkgebern  will  ich  neben  den  Herren,  die  ich  schon 
genannt  habe,  unsere  correspondirenden  Mitglieder,  die  Herren  Burmeister, 
(Buenos  Ayres),  Müller  (Melbouru)  und  Philippi  (St.  Jago  de  Chile)  hervorheben. 
Ganz  besonders  muss  ich  wegen  der  Zahl  und  der  Güte  der  Gegenstände,  welche 
er  uns  darbietet,  Herrn  Ried  el,  den  holländischen  Residenten  zu  Gorontalo  (Celebes)  er- 
wähnen, der  selten  einige  Monate  ausfallen  lässt,  ohne  uns  etwas  zuzusenden;  ich  wünsche 
wohl,  dass  wir  ihm  in  vollkommenerer  Weise  unsere  Dankbarkeit  ausdrücken  könnten, 
als  es  eben  geschehen  ist.  Hätten  wir  an  vielen  Orten  so  eifrige  und  thätige  korre- 
spondirende  Mitglieder,  so  würden  wir  wahrscheinlich  in  kürzester  Frist  die  schätz- 
barsten und  ausgedehntesten  Sammlungen  aufweisen  können. 

Unter  unseren  einzelnen  Sammlungen  hat  sich  am  meisten  die  Schädelsammlung 
vermehrt.  Abgesehen  von  den  durch  Ankauf  von  Hrn.  Schetelig  erworbenen  und 
zum  Theil  durch  ihn  schon  beschriebenen  andalusischen  und  Formosa-Schädeln,  so- 
wie eines  westgrönländischen  Schädels,  ist  besonders  zu  nennen  die  reiche  Sammlung 
alter  Schädel  von  Ophrynium,  die  wir  Hrn.  Calvert  verdanken,  sowie  eine  Reihe  von 
altgriechischen  Schädeln,  welche  die  Herren  Hirschfeld  und  von  Heldreich  ge- 
sammelt haben.  Ueber  all'  diese  wird  erst  noch  zu  berichten  sein.  Es  ist  das  ein 
umfangreiches  und  schwieriges  Unternehmen,  und  obwohl  ich  persönlich  sehr  gern 
bereit  l>iu,  mich  demselben  späterhin  zu  unterziehen,  so  reichte  bis  jetzt  meine  Zeit 
doch  ni(;ht  aus,    um  ein  ausreichendes  Urtheil  zu  geben,     loh  will    für  jetzt   nur  er- 


(271) 

wähnen,  dass  sich  darunter  wieder  ein  Schädel  aus  Laurion  befindet,  der  wesentlich 
verschieden  ist  von  den  früheren;  während  wir  früher,  wie  Sie  wissen,  aus  den 
tiefsten  Schichten  der  alten  Bergwerks-Schlacken  auffallend  brachycephale  Schädel  er- 
hielten, ist  dies  ein  ausgennicht  dolichocephaler  Schädel.  Weiterhin  haben  wir  Celten- 
schädel  aus  Irland  von  Herrn  Fröhlich  bekommen,  Türkenschädel  von  Hrn.  Weiss- 
bach aus  Konstantinopel,  einen  prähistorischen  sicilianischeu  Schädel  von  Selinuut 
durch  Hrn.  Künne,  zwei  altperuanische  Schädel  durch  den  Hrn.  Generalconsul 
Lührssen  in  Lima. 

Ich  darf  hier  wohl  des  schönen  Geschenkes  Seiner  Majestät  des  Kaisers  von 
Brasilien  gedenken,  der  mir  auf  meine  Bitte  um  Indianer- Schädel  sofort  aus  dem 
National-Museum  zu  Rio  eine  Reihe  von  Schädeln  brasilianischer  Eingebprner  über- 
senden Hess.  Ich  habe  über  diese  Schädel  schon  einen  besonderen  Bericht  erstattet, 
jedoch  möchte  ich  diese  Gelegenheit  nicht  vorübergehen  lassen,  ohne  noch  einmal  dem 
erhabenen  Geb^r  meinen  Dank  auszusprechen.  Die  Gesellschaft  hat  geglaubt,  Seine 
Majestät  unter  ihre  Ehrenmitglieder  aufnehmen  zu  sollen,  als  ein  äusseres  Zeichen, 
wie  sehr  sie  wünscht,  auch  fernerhin  die  Verbindung  mit  der  brasilianischen  Regierung 
zu  erhalten. 

Nächstdem  ist  besondere  Sorgfalt  verwendet  worden  auf  unsre  photographische 
Sammlung.  Herr  Kuhn,  unser  eifriger  Sekretär,  wird  alsbald  die  Zahlen  angeben, 
welche  unsre  Fortschritte  in  den  Erwerbungen  darlegen;  Sie  werden  daraus  er- 
sehen, dass  unsre  Sammlung  schon  einen  recht  beständigen  Character  angenommen 
hat.  Es  wird  vielleicht  zweckmässig  sein,  in  einer  der  nächsten  Sitzungen  unsern 
Bestand  an  Photographien  den  Augen  der  Mitglieder  vorzuführen,  damit  Sie  sehen, 
was  wir  vor  uns  gebracht  haben.  Ich  erwähne  bei  dieser  Gelegenheit,  dass  ein 
wichtiges,  unter  unseren  Auspicien  begonnenes  Unternehmen,  der  grosse  photographische 
Atlas  des  Herrn  Dam  mann  in  Hamburg,  mit  dem  Tode  des  Unternehmers  einen 
Stillstand  erfahren  hat.  Wir  selbst  haben  uns  bemüht,  den  Bruder  des  Hrn.  Dam- 
mann, der  das  Geschäft  fortsetzt  und  der  gleichfalls  ein  geschickter  Photograph  ist, 
zu  veranlassen,  gegenwärtig  nicht  vorzugehen  mit  einer  weiteren  Vermehrung  dieser 
Hefte,  da  offenbar  die  ungünstigen  Zeitverhältnisse  solche  wissenschaftlichen  Werke, 
die  grössere  Kosten  machen,  nicht  mehr  als  dem  Publikum  annehmbare  Objekte  er- 
scheinen lassen.  Unser  Atlas  kostet  über  100  Thaler  und  es  giebt  sehr  wenige  Lieb- 
haber, die  in  der  Lage  sind,  jetzt  so  viel  auf  ein  einzelnes  Werk  verwenden  zu  können. 

Was  die  Sammlung  der  ethnologischen  und  archäologischen  Gegenstände  betrifft, 
so  wissen  Sie,  dass  wir  diese  Seite  nicht  gerade  als  eine  hervorragende  und  für  uns 
bestimmende  angesehen  haben.  Wir  haben  niemals  Geldmittel  auf  dergleichen  An- 
schaffungen verwendet,  wir  haben  auch  niemals  auf  den  Besitz  solcher  Dinge  ge- 
drängt, indessen,  da  uns  von  verschiedenen  Seiten  derartige  Sachen  gegeben  werden, 
so  haben  wir  natürlich  auch  eine  Sammlung  der  Art  angelegt,  und  sie  hat  sich  all- 
mählig  vermehrt.  Auch  im  Laufe  des  verflossenen  Jahres  haben  wir  eine  Reihe  recht 
interessanter  Gegenstände  in  dieser  Richtung  erlangt.  Herr  von  Frantzius  hat  uns 
archäologische  Objekte  von  Costa-Rica,  Herr  Philippi  solche  von  Chile,  Herr  Rohlfs 
solche  aus  den  Oasen,  namentlich  von  den  Gräbern  von  Dachel,  Herr  Karsten  Copien 
von  der  Rennthierhöhle  im  Freudenthal  bei  Schaffhausen  geschenkt.  Herr  Voss 
wird  Ihnen  eine  kurze  Uebersicht  geben  von  dem,  was  jetzt  da  ist. 

Was  endlich  die  Bibliothek  anbetrifft,  so  haben  wir  auch  nach  dieser  Richtung 
hin  bis  jetzt  niemals  Geld  aufgewendet,  es  ist  noch  nie  ein  Buch  gekauft  worden; 
alles,  was  wir  besitzen,  sind  entweder  Geschenke  oder  Tauschobjekte.  Trotzdem 
habeu  wir  in  jeder  Sitzung  eine  gewisse  Zahl  neuer  Drucksachen  vorzulegen  und  ich 
muss  dankbar  anerkennen,  dass  unsere  korrespondirenden  Mitglieder  ihre  Beziehungen 


(272) 

zur  Gesellschaft  in  dieser  Richtung  sehr  eifrig  aufrecht  erhalten.  Der  Vorstand  hat 
beschlossen,  von  jetzt  ab  nach  einer  Richtung  hin  eine  wirkliche  Geldaufwendung 
eintreten  zn  lassen,  nämlich  das  Archiv  für  Anthropologie  regelmässig  zu  halten  und 
die  früheren  Jahrgänge  zu  erwerben,  da  wir  es  für  eine  Pflicht  halten,  dass  ein 
Zweigverein  der  deutschen  anthropologischen  Gesellschaft  in  seiner  Bibliothek  das 
Archiv  hat,  und  die  Möglichkeit  gesichert  wird,  die  direkten  Verbindungen  mit  den 
allgemeinen  Bestrebungen  der  Hauptgesellschaft  aufrecht  zu  erhalten.  Der  Herr 
Bibliothekar  ist  beauftragt,  vom  nächsten  Jahre  ab  in  dieser  Richtung  eine  Geld- 
verwendung eintreten  zu  lassen;  es  wird  aber  auch  die  einzige  sein,  die  wir  für 
ßücheranschaffung  machen.    Sonst  ist  nur  das  Buch  binderlohn  in  Betracht  zu  ziehen. 

Hr.  Voss:  Der  Katalog  der  ethnologisch-archäologischen  Gegenstände  zählt  156 
Nummern  gegen  108  Nummern  des  Vorjahres;  der  Zuwachs  beträgt  also  48. 

Hr.  Kuhn:  Die  Bibliothek  zählte  im  Dezember  v.  J.  250  Nummern.  Sie  ist 
vermehrt  worden  um  50  Nummern,  hauptsächlich  Geschenke  von  unsern  auswärtigen 
Mitgliedern  Pereira  da  Costa,  Philippi,  Reiss,  Stübel,  Haast,  Hartt  u.  a. 
Die  Photographiensammlung  zählte  704  Nummern  und  ist  angewach'Sen  auf  813 
Nummern,  theils  in  Quart-,  theils  in  Visitenkartenformat,  also  gegen  das  Vorjahr 
mehr  109  Nummern.  Die  Lithographien,  Zeichnungen  und  Kupferstiche  haben  sich 
um  eine  Nummer  vermehrt;  es  sind  im  Ganzen   17. 

Hr.  Virchow:  Nunmehr,  meine  Herren,  habe  ich  noch  zu  sprechen  über  die  Be- 
ziehungen unserer  Gesellschaft  nach  Aussen  hin. 

Unserer  korrespondirenden  Mitglieder  habe  ich  schon  wiederholt  gedacht;  ich 
muss  anerkennen,  dass  mit  Ausnahme  von  einigen  Wenigen,  die  allerdings  gar  keine 
Zeichen  der  Theilnahme  von  sich  gegeben  haben,  die  Mehrzahl  in  der  allerliebeus- 
würdigsten  und  freundlichsten  Weise  unsre  Zwecke  fördert.  Es  handelt  sich  in  der 
That  hier  um  keine  nominellen  Mitglieder,  sondern  es  sind  wirkliche  und  ernstliche 
Mitglieder,  solche,  die  für  die  Zwecke  der  Gesellschaft  arbeiten. 

Was  dann  die  deutsche  Gesellschaft  anbetrifft,  deren  Zweigverein  wir  sind,  so 
ist,  wie  Sie  wissen,  die  letzte  Generalversammlung  in  München  abgehalten  worden. 
Der  Bericht  über  dieselbe  ist  inzwischen  schon  erschienen,  —  ein  sehr  umfangreicher 
Bericht,  der  grösste,  der  bisher  über  eine  unserer  Generalversammlungen  abgestattet 
worden  ist.  Es  ist  gewiss  eine  schöne  Leistung,  dass  man  einen  Bericht,  der  7  grosse 
Druckbogen  füllt,  vom  August  bis  jetzt  vollkommen  zur  Publikation  hergestellt  hat. 
Sie  werden  sich  überzeugen,  dass  die  Verhandlungen  überaus  reichhaltiger  Natur 
gewesen  sind.  Zum  ersten  Mal  ist  dabei  wieder  eine  Frage  auf  die  Tagesordnung  ge- 
stellt worden,  die  sonderbarer  Weise  eine  Zeit  lang  wie  durch  ein  uligemeines  Ein- 
verständniss  davon  verschwunden  schien,  nämlich  die  Frage  der  Gelten  in  Deutsch- 
land. Ich  will  das  hier  besonders  signalisiren,  weil  es  mii  erwünscht  zu  sein  scheint, 
dass  die  Mitglieder  unserer  Gesellschaft  sich  auch  einmal  etwas  dafür  erwärmen 
m()chten,  und  dass  wir  in  einiger  Zeit  einmal  auf  diese  Frage  speziell  zurückkämen. 
Ich  sehe,  dass  gerade  in  diesem  Augenblick  die  Frage  der  Gelten  auch  in  der  pariser 
ethnologischen  Gesellschaft  wieder  mit  neuer  Wärme  aufgenommen  worden  ist,  und 
ich  denke,  dass  Jeder  von  Ihnen,  der  sich  einmal  mit  der  Angelegenheit  eingehender 
beschäftigt,  die  Ueberzeugung  gewinnen  wird,  dass  es  absolut  nothwendig  ist,  über  die 
Gelten  endlich  einmal  zu  einer  gewissen  Verständigung  zu  kommen.  Die  Gegen- 
sätze, welche  in  München  auftraten,  waren  so  schroff,  wie  möglich,  so  dass  sie  sogar 
bis  zu  einer  vollständigen  Negation  der  Gelten  überhaupt  gingen,  eine  Auffassung, 
die  zu  der  Meinung  führen  würde,  dass  schliesslich  der  Rassenunterschied  zwischen 
Franzosen    und  Deutschen    gänzlich  beseitigt    werden   müsste.     Von    dem    Identitäts- 


(273) 

Standpunkt   aus  würde  in  der  That  die  ganze   celtische  Bevölkerung  nichts  Anderes 
als  eine  germanische,  oder  die  germanische   nichts  Anderes  als  eine  celtische  sein. 

Ebenso  schnell,  wie  der  Generalversammluugsbcriclit  in  diesem  Jahr  zu  Stande 
gekommen  ist,  hat  der  gegenwärtige  Geueralsekretair  der  deutschen  Gesellschaft,  Hr. 
Prof.  Kollmanu  in  München,  auch  die  Correspoudeuzblätter  gefördert.  Ks  ist  jetzt 
schon  das  letzte  Correspondenzblatt  dieses  Jahres,  Nr.  12,  erschienen. 

In  München  sind,  abgesehen  von  den  Vorträgen  und  Debatten  in  der  Gesellschaft 
namentlich  Berichte  erstattet  worden  über  den  Fortgang  jener  grossen  Arbeiten  au 
welchen  alle  deutschen  Zweigvereine  betheiligt  sind,  und  von  denen  wir  ein  nicht 
ganz  kleines  Stück  auf  uns  haben.  Dahin  gehört  zunächst  die  prähistorische  Karto- 
graphie. "Wir  waren  in  der  Lage,  meine  Herreu,  durch  die  eifrigen  Bemühungen  des 
Herrn  Direktor  Schwartz  in  Posen,  des  Herrn  Stadtrath  Friedel  und  des  Herrn 
Dr.  Voss  hier  die  gesammten  archäologischen  Karten  für  das  Grossherzogthum  Posen 
den  grösseren  Theil  der  märkischen  Kreise  und  einen  grossen  Theil  der  pommerschen 
Kreise  vorzulegen.  Diese  waren  so  weit  bearbeitet,  wie  das  Material  im  Augeublick 
zugänglich  war.  Natürlich,  jede  Woche  bringt  gewisse  Fortschritte;  wir  werden  darin 
niemals  ein  bestimmtes  Ende  haben,  aber  wir  sind  wenigstens  bis  zu  dem  Punkte  mit 
der  Sammlung  uud  Aufzeichnung  des  Materials  gelangt,  dass  jetzt  überwiegend  nur 
uoch  die  Zugänge  eiuzutragen  sind.  In  Beziehung  auf  die  Ausführnng  der  Karten 
selbst  ist  inzwischen  der  Bericht  der  internationalen  Commission  erschienen  welche 
auf  dem  Congress  in  Stockholm  niedergesetzt  worden  war,  um  die  Zeichen  festzu- 
stellen, welche  für  die  Karten  gebraucht  werden  sollen.  Sie  werden  darüber  in  den 
beiden  letzten  Correspondenzblätteru  der  deutschen  Gesellschaft,  in  Nr.  11  und  12 
vorläufige  Mittheilungen  finden;  es  sind  daselbst  die  Hauptzeichen  angegeben  und 
die  Art  der  Combinationen  auseinandergesetzt,  —  allerdings  ein  etwas  complicirtes 
System,  von  dem  sich  erst  durch  die  Praxis  wird  zeigen  müssen,  ob  es  durchführbar 
sein  wird.  Es  setzt  eine  grosse  Sorgfalt  in  der  Zeichnung  voraus;  sonst  werden 
die  Zeichen  leicht  unverständlich  sein.  Auch  in  der  wirklichen  Kartirung  ist  ein 
grosser  Theil  von  Deutschland  bereits  so  weit  vorgerückt,  dass  factische  Leistungen 
aufgewiesen  werden  konnten.  In  Bayern  ist  man  sogar  soweit,  dass  für  das  ganze 
Land  die  Kartographie  nach  den  gegenwärtig  bekannten  Fundorten  abgeschlossen  ist 
Wir  wollen  hoffen,  dass  wir  spätestens  im  Jahre  1877  mit  der  wirklichen  Publikation 
dieser  Karten  werden  vorgehen  können. 

Was  dann  die  zweite  grosse  Aufgabe  der  deutschen  Gesellschaft  anbetrifft,  näm- 
lich die  Statistik  der  braunen  uud  der  blonden  Rasse  in  Deutschland,  welche  zu- 
nächst durch  die  Schulerhebungen  in  Angriff  genommen  ist,  so  sind  nur-  noch  ganz 
wenige  deutsche  Länder  und  zwar  überwiegend  kleinere  im  Rückstand.  In  Württem- 
berg ist  man  im  Augenbück  mit  der  Erhebung  beschäftigt;  die  Erhebungen  in  Baden 
sind  vor  8  Tagen  in  meine  Hände  gelangt;  die  bayrischen  sind,  wie  Sie  wissen, 
vollkommen  fertig;  die  preussischen  sind  ganz  abgeschlossen.  Auch  mehrere  der 
kleineren  Nachbarstaaten,  Braunschweig,  Bremen,  die  Reussischen  Herzogthümer, 
Meiningen,  haben  ihre  Sachen  eingesandt.  Es  fehlt  nur  uoch  hier  und  da  ein  Stück 
in  Deutschland,  vor  Allem  das  Königreich  Sachsen.  Für  die  preussischen  und 
badischen  Erhebuugen  hat  auf  Veranlassung  des  Vorstandes  das  königlich  preussische 
statistische  Bureau  die.  Bearbeitung  übernommen.  Unser  Mitglied,  Herr  Dr.  Gutt- 
stadt  hat  sich  persönlich  der  Leitung  der  Arbeiten  unterzogen.  '  Der  Direktor  des 
statistischen  Bureaus,  Hr.  Engel,  hat  für  einen  Beitrag,  der  aus  den  Mitteln  der 
Gesammt- Gesellschaft  geleistet  ist,  einen  besonderen  Bureauarbeiter  angestellt,  ( er 
seit  einer  Reihe  von  Monaten  beschäftigt  ist,  uud  wir  werden  hoffentlic^li  in  kurzer 
Zeit  in  der  Lage  sein,  eine  üebersicht  der  Ergebnisse  zu  gewinnen. 

VeiUaiidl.  der  licil.  AulUropol.  Gesellschaft  ISiö.  ig 


(274) 

Ich  habe  schon  früher  mitgetheilt,  m.  H.,  dass  die  bayrischen  Erhebungen  zur 
Zeit  der  Münchener  Versammlung  vollständig  fertig  waren,  und  dass  auch  eine  be- 
sondere Karte  dazu  geliefert  worden  ist,  welche  die  Ergebnisse  übersichtlich  dar- 
stellte. Ich  habe  auch  darauf  anfraerksani  gemacht,  dass  dieser  Bericht  in  der  Zeit- 
schrift des  statistischen  Bureau's  von  Bayern  erscheinen  wird,  und  dass  Separat- 
abdrücke davon  zum  Preise  von  1  Mark  zu  beziehen  sind.  Ich  hatte  geglaubt,  dass 
die  Sache  mehr  Theilnahme  bei  uns  finden  würde;  es  haben  sich  aber  aus  unserer 
Gesellschaft  nur  G  Abonnenten  gefunden,  was  in  München  einiges  Erstaunen  erregt 
hat.  Ich  will  nicht  verfehlen,  nochmals  darauf  aufmerksam  zu  machen,  dass,  wenn 
derartige  Bestellungen  gemacht  werden  sollen,  sie  nur  ausführbar  sind,  falls  sie  in 
kürzester  Frist  nach  München  gelangen,  da  die  Separatabdrücke  nur  in  der  Zahl  ab- 
gezogen werden,  in  welcher  spezielle  Bestellungen  vorhanden  sind,  dass  sie  aber  nach- 
her nicht  mehr  durch  Kauf  erlangt  werden  können. 

Der  dritte  Gegenstand,  der  nach  dieser  Richtung  vorliegt,  ist  eine  Privatarbeit 
unseres  Schriftführers,  des  Herrn  Dr.  Voss.  Er  hat  sich  der  Mühe  unterzogen, 
sämmtliche  in  Deutschland  existirende  Sammlungen,  sowohl  die  öffentlichen  als  die 
Privatsammlungen,  zu  verzeichnen  in  eine  grosse  Liste,  so  dass  Jedermann  die  genaue 
Adresse  und  die  Art  der  Sammlung  aus  derselben  ersehen  kann.  Die  Absicht  be- 
steht, auch  dieses  Verzeichniss  publiziren  zu  lassen,  um  auf  diese  "Weise  ohne  Mühe 
Jedermann  die  Möglichkeit  zu  geben,  sich  in  Kürze  au  die  richtige  Stelle  zu  wen- 
den, wenn  es  sich  um  Lokalforschungen  handelt. 

Da-s  wäre  das,  was  ich  über  die  deutsche  Gesellschaft  zu  sagen  habe.  Unsere 
Beziehungen  zu  derselben  sind  vollständig  geordnete  und  durch  regelmässiges  Zu- 
sammenarbeiten gesichert. 

Ebenso  günstig  sind  unsere  Beziehungen  zu  den  Behörden.  Vor  allen  Dingen 
habe  ich  wieder  hervorzuheben,  dass  der  Herr  Cultusmlnister  das  lebhafte  Interesse, 
welches  er  an  dem  Gedeihen  unserer  Gesellschaft  genommen  hat,  nach  wie  vor  durch 
die  Bewilligung  eines  Staatszuschusses  und  durch  Zusendung  von  Berichten  aus  seiner 
Verwaltung  uns  hat  zu  erkennen  gegeben.  Leider  ist  dasjenige,  was  uns  am  meisten 
Noth  thut  und  worauf  wir  am  meisten  gehofft  hatten ,  bis  jetzt  nicht  nur  nicht  er- 
füllt, sondern  ich  musa  sagen,  dass  ich  vorläufig  kaum  eine  rechte  Aussicht  erblicke, 
wie  es  sich  erfüllen  wird:  nämlich  der  Bau  eines  neuen  ethnologischen  Museums. 
Sie  werden  sich  erinnern,  dass  uns  durch  den  Herrn  Cultusmlnister  schon  vor  zwei 
Jahren  eine  Cabinetsordre  Seiner  Majestät  vom  27.  Dezember  1!^73  mitgetheilt  wor- 
den ist,  in  welcher  die  Absicht  festgestellt  wurde,  ein  neues  und  zwar  ein  besonderes 
ethnologisches  Museum  zu  bauen.  Nach  den  damals  getroffenen  Verabredungen  be- 
stanil  die  Absicht,  dass,  wenn  ein  solches  Museum  gebaut  würde,  auch  unsere  Ge- 
sellschaft ihre  Sammlungen  dahin  traiisferireii  und  dem  öffentlichen  Gebrauch  zuwenden 
würde,  dass  wir  dagegen  für  unsere  Sitzungen  und  andere  Gelegenheiten  einen  Platz 
in  (\cn  Piäunien  des  neuen  Museums  erhalten  könnten.  Unsere  Sammlungen  sollten  ge- 
wlsscrmassen  ein  Bestaiidtheil  des  öffentlichen  Museums  werden.  Alle  diese  schönen 
Hoffnungen  sind  durch  den  Kaum-  und  Platzmangel  unserer  Stadt  verschoben  wor- 
den und  zwar  so  sehr,  dass  in  diesem  Augenblick  nicht  einmal,  so  viel  ich 
wenigstens  habe  ermitteln  können,  ein  bestimmter  Plan  darüber  besteht,  an  welcher 
Stelle  die  neue  Anstalt  zu  gründen  ist.  Wir  werden  daher  immer  wieder  von  Neuem 
von  Seiten  der  Gesellschaft  darauf  drängen  müssen,  dass  der  Bau  ausgeführt  werde. 
Denn  allmählich  ist  das  königliche  Museum  in  seiner  jetzigen  Gestalt  eigentlich  eine 
Unmögliclikeit  geworden;  die  Piäume  sind  so  voll  gestoi>ft,  dass  die  neuen  Gegen- 
stände, die  ankommen,  nicht,  iinv  iiitlit  aufgestellt,  sondern  nicht  einmal  mehr  regel- 
mässig ausgepackt  werden  kömneii.     Es  tritt  also  jetzt  genau   das  ein,   was  jahrelang 


(275) 

im  brittischen  Museum  der  Fall  war,  wo  die  Kisten  liegen  blieben  in  Kellern  und 
offenen  Riiumen  und  wo  keine  Möglichkeit  war,  eine  Benutzung  auch  nur  der  aller- 
oberflächlichsten  Art  eintreten  zu  lassen.  Dass  dieser  Zustand  ein  unhaltbarer  ist 
und  dass  er  nothwendigorweise  in  kürzester  Frist  beseitigt  werden  muss.  davon  wird 
sich  Jeder  überzeugen,  der  näher  an  die  Sache  herangeht;  ich  kann  nur  annehmen, 
dass  man  sich  in  den  entscheidenden  Instanzen  unserer  Regierung  noch  nicht  durch 
den  Augenschein  überzeugt  hat,  wie  die  Sache  wirklich  liegt,  sonst  kann  ich  mir 
nicht  vorstellen,  dass  man  einen  so  langen  Zeitraum  vergehen  lassen  sollte,  ehe  man 
einem  so  grossen  und  dringenden  Bedürfnisse  abhilft. 

Dem  gegenüber  müssen  wir  es  als  ein  besonderes  Glück  bezeichnen,  dass  durch 
die  einflussreiche  und  energische  Thätigkeit  unseres  Mitgliedes,  des  Hrn.  Stadtraths 
Fried el,  die  städtisclien  Behörden  bestimmt  worden  sind,  Raum  und  Geld  in  frei- 
lich zunächst  noch  massigem  Umfange  herzugeben,  um  ein  speziell  märkisches  Museum 
zu  begründen.  Dasselbe  soll  die  Archäologie  von  Berlin  und  zugleich  die  der  Mark 
Brandenburg,  sowie  einige  historische  Abtheilungen  umfassen.  Ich  habe  heut  erst 
Gelegenheit  gehabt,  die  neue  Aufstellung  zu  sehen;  dieselbe  ist  für  die  eigentlich 
archäologische  Abtheilung  beendet.  Da  die  Absicht  besteht,  schon  im  Januar  die 
Säle  dem  Publikum  zu  eröffnen,  so  werden  Sie  ja  bald  Alle  Gelegenheit  haben,  zu 
sehen,  was  man  in  relativ  kurzer  Zeit  mit  Ernst  und  Anstrengung  erreichen  kann. 
Ich  kann  nur  wünschen,  dass  die  Errifi'nung  dieses  Museums  einen  neuen  Antrieb  ge- 
währen möge,  dass  man  auch  von  Staatswegen  in  grösserem  Massstabe  die  Her- 
stellung eines  würdigen  ethnologisch-archäologischen  oder  ethnologisch-prähistorischen 
Museums  in  Angriff  nehme. 

Auf  den  Wegen  unserer  auswärtigen  Beziehungen  sind  wir  oft  genug  genöthigt,  die 
Hülfe  der  Reichsorgane  in  Anspruch  zu  nehmen.  Obwohl  wir  niemals  soweit  gegangen 
sind,  allgemeine  Anforderungen  an  die  Ceiitralinstanzen  des  Reichs  oder  an  die  peri- 
pherischen Organe  desselben  zu  richten,  so  können  wir  doch  nur  dankbar  anerkennen, 
dass,  wo  wir  die  Hülfe  dieser  Instanzen  und  Organe  in  einzelnen  Fällen  in  Anspruch 
genommen  haben,  diese  Hülfe  stets  mit  Bereitwilligkeit  gewährt  ist.  So  haben  wir 
wiederholt  Nachrichten  von  Sr.  Majestät  Schiff  Arcona  erhalten,  welches  an  sehr  ver- 
schiedenen Orten  Geschenke  für  uns  aufgenommen  hat.  Wir  erwarten  in  Kurzem 
die  Ankunft  desselben.  Ebenso  verpflichtet  sind  wir  einer  grösseren  Reihe  von  Con- 
suIq  und  Geschäftsträgern  des  Reichs  in  fernen  Gegenden,  von  denen  manche  ganz 
unaufgefordert  uns   durch  Mittheilungen  und  Zusendungen  erfreut  haben. 

Endlich  möchts  ich  nicht  schliessen,  ohne  der  freundlichen  Beziehungen  zu  ge- 
denken, in  welche  wir  zu  der  hiesigen  evangelischen  Missionsaustalt  und  zu  manchen 
einzelnen  Missionären  getreten  sind.  Ich  denke,  dass  der  Vortheil  dieser  Einwirkungen 
ein  gegenseitiger  sein  wird. 

Das  ist  das,  meine  Herren,  was  ich  Ihnen  über  unsere  Verwaltung  mitzutheileu 
hatte.  Es  soll  nun  der  Kassenbericht  über  das  verflossene  Jahr  erstattet  werden. 
Leider  ist  unser  Schatzmeister,  Herr  Hejickel  durch  einen  schweren  Typhus  heim- 
gesucht gewesen,  und  obwohl  wir  neulich  in  seiner  Wohnung  diejenige  Sitzung  ab- 
gehalten haben,  in  welcher  die  Rechnung  zu  prüfen  war  und  welche  nothweudig 
dieser  Jahres-Sitzung  vorausgehen  musste,  so  ist  er  selbst  doch  noch  ausser  Stande, 
das  Haus  zu  verlassen.  Die  Prüfungskommission,  welche  vom  Ausschuss  erwählt 
war,  hat  die  Rechnungen  in  Ordnung  gefunden  und  Decharge  ertheilt.  Es  handelt  sich 
gegenwärtig  darum,  dass  auch  Sie  Ihrerseits  von  den  allgemeinen  Resultaten  unserer 
Finanzgebahrung  Kenntniss  nehmen.  — 

Herr  Voss  erstattet  im  Namen  des  abwesenden  Schatzmeisters,  Herrn  Hencke 


(276) 

den  Kassenbericht,  uud  die  Versammlung  erklärt  ihre  Zustimmung  zu  der  Entlastung 
des  Schatzmeisters.  — 

(2)  Es  erfolgen  sodann  die 

Neuwahlen  der  Vorslaiidsmitglleder  für  das  Jahr  1876. 

Es  werden  gewählt  als 

Vorsitzender:  Hr.  Bastian, 

Stellvertreter:   Hr.  Virchow  uud  Hr.  Alex.  Braun, 

Schriftführer:  Hr.  Hart  mann, 

Stellvertreter:  Hr.  M.  Kuhn  uud  Hr.  Voss. 

Schatzmeister:  Hr.  G.  Henckel. 

(3)  Als  correspondirendes  Mitglied  ist  ernannt: 
Hr.  General consul  Dr.  Lührssen  zu  Lima. 

Als  neue  Mitglieder  werden  angemeldet: 
Hr.  Dr.  Roch  zu  Senfteuberg, 
Hr.  Oberstabsarzt  Dr.  Paul  Born  er  und 
Hr.  Dr.  Fürsten  he  im  zu  Berlin. 

(4)  Hr.  Frauk  Calvert,  unser  correspondirendes  Mitglied,  übersendet  einen 
Zeitungsabschnitt  des  Levant  Herald  vom  8.  September,  enthaltend  eine  Auseinander- 
setzung mit  Dr.  Scbliemauu 

über  Troja. 
Im  Eingange  des  Artikels  wird  auf  frühere  Publikationen  (Levant  Herald  vom 
28.  Oct.  1874,  Athenaeum  etc.)  verwiesen.  Hr.  Calvert  zeigt  dann,  dass  er  von  Anfang 
an  die  Aechtheit  des  Schliemann'schen  Goldfundes  anerkannt  habe,  und  er  führt 
dafür  die  Thatsache  an,  dass  Arbeiter,  welche  bei  den  Ausgrabungen  von  Hissarlik 
beschäftigt  waren,  im  Besitz  golduer  Altsachen,  denen  des  Dr.  Schliemann  ähnlich, 
betroffen  worden  sind.  Dagegen  weist  Hr.  Calvert  nach,  dass  er  zuerst  in  Hissarlik 
gegraben  und  die  Fundamente  des  Apollo-Tempels,  den  er  damals  für  den  Minerva- 
Tempel  gehalten  hat,  aufgedeckt  habe,  sowie  dass  erst  durch  ihn  Hr.  Schliemann 
überhaupt  auf  Hissarlik,  als  die  Stelle  des  alten  Troja,  aufmerksam  gemacht  sei. 

(.'))  Hr.  Dr.  Ludwig  Knoth  in  New- York  hat  dem  Vorsitzenden  ein  mystisches, 
in  sonderbaren  Charakteren  geschriebenes,  umfangreiches  Manuscript  zugeschickt, 
welches  in  der  Bibliothek  vorläufig  deponirt  wird, 

(G)  Hr.  A.  Müller  übersendet  eine  Druckschrift  über  einen  Fund 
vorgeschichtlicher  Steiugeräthe  bei  Basel. 

Der  Verfasser  glaubt  im  Diluvium  menschliche  Artefakte  uud  Steine  gefunden 
zu  iialien.     Er  giebt  eine  photograpliische  Abbildung  davon. 

Der  Vorsitzende  ist  der  Meinung,  dass  diese  Steine,  soweit  sich  aus  der  Ab- 
bildung ersehen  lässt,  den  Scliluss  des  Verfassers  nicht  reclitb^rtigen.  Aehnliche  Steine 
finden  sich  auch  bei  uns  an  mehreren  Orten,  z.  B.  auf  einem  Gräberfelde  bei  Bra- 
nitz  in  der  Lausitz;  sie  gehören  aber  wahrscheinlich  in  dasselbe  Gebiet  natürlicher 
Bildungen,    denen  auf  der  letzten    Generalversammlung    der   deutschen    geologischen 


(277) 

Gesellschaft    zu  München    allgemein    der    Charakter   bearbeiteter    Gesteine    bestritten 
wurde. 

(7)  Hr.  W.  Schwartz  in  Posen  übersendet  das 

Gutachten  eines  Töpfermeisters  aus  dem  Posenschen  in  IJetrell"  der  dortigen  l  rnen. 

Endlich  ist  es  mir  gelungen,  einen  Sachverständigen  in  hiesiger  Gegend  zu  fin- 
den, der  mit  der  Anfertigung  von  Töpferwaaren  Bescheid  weiss.  Es  ist  ein  Töpfer- 
meister aus  Moschin,  einem  seit  alten  Zeiten  berühmten  Hauptfabrikort  von  Töpfer- 
geschirr allerhand  Art.  Im  Allgemeinen,  sagte  er,  unterscheide  man  in  der  Masse 
den  gewöhnlichen  Lehm  und  den  Schluff.  Die  Fabrikate  aus  dem  letzteren  erkenne 
man  sofort  an  der  grösseren  Leichtigkeit.  Als  aus  Schluff  gefertigt  bezeichnete  er 
z.  ß.  eine  kleine  helle  E enkelschale  aus  Neudorf  bei  Priment.  Von  einer  ähnlichen, 
zierlichen,  die  bei  Cerekwice  gefunden,  und  eiuer  schwarz  gefärbten  grösseren  Schale 
von  Jarogniewice  behauptete  er,  dass  sie  von  einer  Masse  seien,  wie  sie  sich  nicht 
im  Posenschen,  wohl  aber  bei  Freistadt  in  Schlesien  fände  und  dort  noch  verarbeitet 
wurde  und  mit  unter  dem  Namen  Bunzlauer  Geschirr  ginge.  Die  Masse  sei  nämlich 
in  verschiedenen  Gegenden  verschieden,  wozu  dann  noch  besondere  Gewohnheit  uud 
Zuthat  käme.  Bei  Strzelno  fände  sich  z.  B.  ein  sehr  scharfer  Kiessand,  ähnlich  dem, 
wie  man  ihn  für  die  Sandfässer  auch  wegen  seines  Glanzes  liebe;  durch  Beimischung 
desselben  bekämen  die  Gefässe  mehr  Halt.  Um  diesen  Kies  zu  ersetzen  (denn  etwas 
Aehuliches  sei  immer  gut  dazu  •)  könne  man  sich  auch  der  Eisenfeilspähne  bedienen. 
In  der  Nähe  von  Grätz  fände  man  einen  Lehm,  der  beim  Brennen  in  der  ganzen 
Masse  schwarz  würde.'')  Als  dahingehörig  bezeichnete  er  Scherben  einer  schwarzen 
grossen  Urne  von  Jarogniewice.  Eine  zweite  Art  schwarzer  Gefässe  erklärte  er  als 
durch  Rauch  im  Brennofen  geschwärzt,  wie  ich  es  auch  bei  der  Ruppiner  Ausgrabung 
schon  constatirt  hatte  und  Schliemann  es  auch  in  Betreff  der  von  ihm  aufgefundenen 
schwarzen  Urnen  annimmt.  Eine  dritte  Art  dieses  Genre  erklärte  er  für  entschieden 
gefärbt,  mit  welcher  Masse  aber  wusste  er  nicht. 

Auch  in  Betreff  der  Geräthe  selbst  machte  er  einige  Angaben,  indem  man  nicht 
blos  zu  Dlugosz  Zeiten,  wie  dieser  erwähnt,  sondern  noch  heutzutage  derartige  fabri- 
cirt,  ja  er  selbst  theilweise  noch  welche  anfertigt.  Die  tassenartigen  Gefässe,  meinte 
er,  würden  noch  heutzutage  als  Butterbüchsen  von  den  Bauern  gebraucht,  die  kleineren 
Henkelschaleu  als  Salzfässer,  die  gnlsseren  Heukelschaleu  seien  die  noch  üblichen 
sogenannten  Pletschen^),  in  welche  man  das  Essen  thäte  oder  aus  welchen  man  ässe, 
wenn  man  weder  einen  Topf  noch  einen  Teller  dazu  benutzen  wolle,  sondern 
eben  ein  Gefäss,  was  weder  zu  tief  noch  zu  flach  sei.  Als  ich  ihn  fragte, 
ob  die  verhältuissmässig  kleinen  Henkel  auch  bei  grösseren  Krügen  gestattet 
hätten,  dass  man  das  Gefäss,  auch  wenn  es  voll  gewesen,  daran  hätte  heben 
können,  bejahte  er  es  unbedingt.  Wie  ich  ihm  Töpfe  mit  kleinen  öhsenartigen  Henkeln 
zeigte  und  fragte,  wozu  diese  wohl  gedient,  meinte  er,  um  eine  Schnur  hindurch  zu 
ziehen  und  sie  an  derselben  aufzuhängen,  was  man  jetzt  durch  einen  übergebogenen 
Rand  erreiche,  unter  dem  man  den  Halter  herumschleife.  Und  als  ich  ihm  nun  sagte, 
dass  in  dem  hiesigen  Museum  sich  auch  solche  Töpfe  fänden  mit  einem  Drahtgehänge 

')  Die  Masse  sei  oft  so  weich,  dass  mau  sie  sonst  nur  mit  llandschnhen  verarbeiten  könne, 
da  sie  an  den  Fingern  klebe. 

-)  Diese  Gefässe  seien  doshalb  auch  nicht  recht  beliebt  und  würden  nicht  eben  in  weiteren 
Kreisen  verkauft. 

*)  Auch  in  Ober-Schlesien  sollen  diese  noch  unter  demselben,  nur  etwas  modificirten 
Namen  nach  anderer  Angabe  üblich  sein. 


(278) 

von  Bronze,  wozu  man  diese  wohl  gebraucht  habe,  antwortete  er,  um  sie  über  dem 
Feuer  aufzuhängen  und  darin  etwas  zu  schmelzen.  Er  habe  als  Junge  gesehen, 
dass  sein  Vater  in  einem  solchen  Topfe  auf  diese  Weise  selbst  häufig  Metall,  nament- 
lich Blei  geschmolzen  habe. 

Darauf  zeigte  ich  ihm  eine  in  einem  Steingrabe  gefundene  Urne  und  fragte  ihn, 
ob  er  einen  Unterschied  zwischen  ihr  und  den  anderen  in  der  Fabrikation  fände;  er 
meinte,  nein,  nur  dass  etwas  mehr  Kiessand  dazu  genommen  sei  und  sie  schärfer  ge- 
brannt wäre.  Sie  sei  aber  jedenfalls  viel  älter  als  die  anderen  Gefässe,  das 
zeige,  dass  sie  so  rauh  sei,  das  sei  die  an  ihr  allmählich  eingetretene  Verwitterung 
(bis  zum  Halse  ist  sie  nämlich  ganz  rauh  wie  verwittert). 

Ich  habe  die  Unterredung  vollständig  wiedergegeben,  da  sie  neben  einzelnen 
interessanten  Bemerkungen  auch  im  Verein  mit  anderen  mir  gewordenen  Mittheilungen 
gewisse  Verhältnisse  und  Perspectiven  immer  klarer  legt.  Als  solche  hebe  ich  neben 
der  Erklärung  der  verschiedenen  Arten  von  schwarzen  Gefässen  besonders  hervor: 
1)  den  Bezug  der  Gefässe  eines  Grabes  von  verschiedenen  Fabrikstätten,  selbst  aus 
Schlesien,  und  das  darin  liegende,  bedeutsame,  culturhistorische  Moment.  2)  die  Conti- 
nuität  im  Gebrauche  der  Gefässe,  welche  ein  Moment  sein  dürfte,  sie  in  eine  historische 
Verbindung  mit  den  Vorfahren  der  jetzigen  Bevölkerung  zu  bringen  und,  wozu  auch 
noch  manches  andere  stimmt,  die  Gräberfelder  mit  den  niannichfachen  kleinen  Gefässen 
für  slavisch  zu  halten,  während  die  Steingräber  wohl  der  deutschen  Vorzeit  angehören 
dürften,  worauf  ich  schon  in  den  letzten  Nachträgen  zu  den  Materialien  etc.  hin- 
gedeutet habe. 

(8)  Hr.  Kreisphysikus  Dr.  Koch  zu  Wollstein  schreibt  dem  Vorsitzenden 
über  poseiisohe  Alterthünier  und  birmauische  Münzeu. 

Von  dem  Burgwall  auf  dem  Territorium  Karne,  dessen  Beschreibung  Sie  auf 
S.  100  der  Verh.  der  Ges.  f.  Anthrop.  gegeben  haben,  westlich  gelegen  und  zwar  auf 
der  nördlichen  Seite  des  Scharker  Grabens  (Entwässerungs-Canal)  befindet  sich  ein 
zweiter  Burgwall.  Derselbe  ist  von  jenem  Wall  ungefähr  3  Kilom.  entfernt,  zeigt 
genau  dieselben  Grössenverhältnisse  und  Bauart  und  ist  nur  dadurch  unterschieden, 
dass  der  Wall  nicht  so  hoch,  der  Ringgraben  aber  tiefer  ist.  Ich  habe  in  beiden 
Wällen  nachgegraben,  aber  ausser  Knochen  von  Hausthieren  und  groben,  bisweilen 
mit  parallelen  Streifen  versehenen  Scherben  nichts  Besonderes  gefunden.  Nament- 
lich fand  sich  nicht  eine  einzige  Scherbe  mit  dem  Wellenornament.  Das  Volk  nennt 
diesen  Wall  „Schwedenschanze. " 

Ueber  den  Burgwall  bei  Wollstein  erfuhr  ich,  dass  derselbe  seit  Menschenge- 
denken eine  einfache  Hügelform  und  niemals  Wall  form  hatte.  Erst  seit  dem  Jahre 
1858,  als  zuerst  Theile  desselben  abgefahren  wurden  und  hierbei  Knochen,  eiserne 
Gegenstände  und  Scherben  nebst  Thongefässen  zum  Vorschein  kamon,  nannte  man 
ihn  Schwedenschanze.  Eines  der  Gefässe,  welche  damals  gefunden  wurden,  habe  ich 
vom  Apotheker  Knechte  1  sen.,  der  es  bis  jetzt  conservirt  hat,  erhalten.  Es  ist  klein, 
glatt,  mit  umgebogenem  Rand,  ohne  Henkel  oder  Griff  und  scheint  nicht  auf  einer 
Scheibe  angefertigt  zu  sein. 

An  verschiedenen  Orten,  nämlich  in  Alt-Kramzig,  Obra,  Adaniowo,  Tarnowo, 
Neudorf  sind  einzelne  oder  mehrere  Urnen  gefunden,  welche  dem  Zaborower  Typus 
angehören. 

Bei  Lehfelde  stiessen  die  Arbeiter  beim  Auswerfen  von  Kartoffelgruben  auf  mehrere 
Skelette  und  förderten  einen  Schädel  zu  Tage,  der  zerschlageu  wurde.  Ich  unter- 
suchte   die  Fundstelle  möglichst    genau    und  legte  in  einer  Tiefe    von  zwei  Fuss    ein 


C279) 

vollständiges  Skel^t  blos,  desscui  Knochen  sehr  mi'irbe  waren.  Metnilgegenstände. 
Scherben,  Sargreste  oder  .dergi.  waren  trotz  eifrigen  Sucheiis  nicht  zu  entdecken. 
Den  Schädel  konnte  ich  vollkommen  erhalten  aus  der  Erde  herauslieben.  Ausser  dem 
von  mir  ausgegrabenen  und  dem  von  den  Arbeitern  zerstörten  Gerippe  liegt  noch  ein 
drittes,  dessen  Oberkörper  noch  gut  erhalten  sein  wird,  unter  einer  Kartoffelgrube 
und  kann  erst  im  Friihjahr  ausgegraben  werden.  Ich  möchte;  diesem  Fujide  deshalb 
einigen  Werth  beilegen,  weil  man  vor  etwa  10  Jahren,  als  man  in  der  Nähe  dieser  Stelle 
nach  Steinen  zum  Chausseebau  suchte,  ebenfalls  mehrere  Gerippe  und  daneben  Urnen 
gefunden  haben  soll;  ein  Begräbnissplatz,  Kirche  oder  dergl.  sind  an  dieser  Stelle 
niemals  vorhanden  gewesen.  "Vielleicht  finden  sich  bei  später  vorzunehmenden  weiteren 
Nachgrabungen  noch  Andeutungen  iiber  das  Alter  dieser  Gerippe. 

Auch  bin  ich  im  Besitze  mehrerer  grosser  zinnener  und  bleierner  Münzen,  welche 
bei  Tenasserim  im  britischen  Birma  beim  Goldgraben  im  Schwemmsand,  zwei  bis 
drei  Fuss  tief,  gefunden  sind.  Mein  Bruder,  welcher  längere  Zeit  in  Birma  einen 
Zinn-Bergbau  leitete,  hat  dieselben  aus  Indien  mitgebracht  und  mir  zur  Uebermittlnng 
an  eine  Sammlung  oder  Museum  gegeben.  Diese  Miinzen  haben  einen  Durchmesser 
von  6  —  8  Centim.,  sind  mit  eigenthümlichen  Schriftzeichen  und  Thiergestalten  ver- 
sehen, welche  weder  den  Indiern  noch  den  Birmesen  bekannt  waren.  Da  dieselben 
vielleicht  ein  hohes  Alter  besitzen  und  für  die  Sammlung  der  anthropologischen  Ge- 
sellschaft von  Werth  sein  könnten,  so  stelle  ich  sie  zur  Disposition. 

(!»)  Hr.  Dr.  Bernhard  Ornstciii,  Chefarzt  der  griechischen  Armee,  übersendet  d.  d. 
Athen,  4  Dezbr.  einen  weiteren   Bericht  über  den  griechischen  Soldaten  mit 

sacraler  Trichose. 

(Hierzu  Taf.  XVII  Fig.  1.) 

Da,  wie  ich  mit  Vergnügen  aus  dem  Berichte  über  die  Sitzung  vom  14.  Mai  ersehe, 
meine  Mittheilung  d.  d.  Athen  10  April,  die  eigenthümliche  Behaarung  der  Sacral- 
gegend  beim  Demeter  Karas  betreffend,  in  demselben  Aufnahme  gefunden  hat,  so 
erlaube  ich  mir,  im  Anschluss  an  dieselbe,  Ihnen  heute  beifolgende,  nicht  übel  ge- 
lungene Photographie  der  in  Rede  stehenden  Partie,  sowie  eine  zweite,  die  ganze  Figur 
des  seitdem  dem  hies.  9.  Inf.-Bataillon  als  Rekrut  zugetheilten  Mannes  wiedergebende  zu 
übersenden.  Ich  will  hier  bemerken,  dass  die  nach  unten  gerichteten  und  über  die  Ge- 
gend der  Kreuzbeinspitze  herabhängenden  Haare,  welche  weniger  gekräuselt  erscheinen, 
als  die  die  Basis  und  den  grössten  Theil  der  hintern  Fläche  dieses  Knochens  bedecken- 
den, jetzt  ca.  16  Ctra.  lang  und  folglich  seit  meiner  ersten  Messung  derselben  im 
März  d.  J.  um  8  Ctm.  gewachsen  sind.  Dieses  auffallend  schnelle  Wachsthum  be- 
stimmt mich,  der  Angabe  des  Karas,  dass  er  dieselben  früher  geflochten  und  auf  der 
Nabelgegend  zusammengebunden  habe,  um  ihrer  Verunreinigung  durch  die  Stuhlaus- 
leerungen vorzubeugen,  Glauben  zu  schenken.  !>  will  durch  die  Langweiligkeit  dieser 
Procedur  veranlasst  worden  sein,  sie  später  von  Zeit  zu  Zeit  abzuschneiden.  Jetzt 
ist  er  von  mir  angewiesen,  die  Haare  wachsen  zu  lassen,  sodass  ich  nächstes  Jahr 
Gelegenheit  haben  dürfte,  die  "Wahrheit  seiner  Aussage  zu  controliren.  Eines  in  An- 
sehung auf  Sitz  und  Form  analogen  Falles  von  Trichose  erinnert  sich  der  pensionirte 
Generalarzt  Dr.  Treiber,  der  Nestor  der  Philhellenen  und  der  hiesigen  Deutschen 
überhaupt,  vor  Jahren  beobachtet  zu  haben,  doch  erreichte  in  demselben  der  Haar- 
wuchs keine  solche  Länge. 

Hr.  Virchow  bemerkt  dazu  Folgendes: 

Es  besteht  seit  langer  Zeit  in  der  pathologischen  Anatomie,  —  Sie  mögen  es  einen 
Aberglauben   nennen,  —  eine  Erfahrung,   welche  man  das  Gesetz   der  Duplizität  der 


(280) 

Fälle  genannt  hat.  An  demselben  Morgen,  wo  ich.  den  Brief  aus  Athen  bekam, 
wurde  mir  gemeldet,  dass  im  pathologischen  Institut  eine  Leiche  vorhanden  sei,  welche 
auf  dem  Rücken  eine  ungewöhnliche  Behaarung  zeige.  Ich  lege  Ihnen  hier  eine  Ab- 
bildung davon  vor  (Taf.  XVII.  Fig.  2.).  Es  handelte  sich  in  diesem  Falle  um  ein  weibliches, 
24jähriges  Individuum  und  allerdings  um  eine  Stelle  des  Rückens,  welche  nicht  mehr 
ganz  auf  die  Theorie  von  einem  Schwänze  passt,  denn  sie  entspricht  der  eigentlichen 
Lendengegend,  nicht  der  Kreuz-  oder  Steissbeingegend,  welche  bei  dem  Griechen  in  Frage 
kommt.  Trotzdem  ist  die  Aehnlichkeit  nicht  gering.  Es  war  eine  durch  lange  Krankheit 
(Peritonitis  nach  Typhus)  abgemagerte  Frau  von  schlankem,  etwas  männlichem  Körper- 
bau, weisser  Haut  und  röthlichem  Haar.  Die  behaarte  Stelle  auf  dem  Rücken  war 
von  rundlicher  Gestalt,  etwa  10  Cent,  im  Durchmesser,  wenig  scharf  begrenzt.  Die 
auch  hier  röthlichen  Haare  waren  6 — 7  Cent,  lang,  ziemlich' glatt  und  weich,  standen 
jedoch  nicht  sehr  dicht.     Die  Haut  selbst  zeigte  an  dieser  Stelle  nichts  Abweichendes. 

Der  Fall  ist  nun  insofern  von  einem  besonderen  Interesse,  als,  durch  einige  Merk- 
male aufmerksam  gemacht,  ich  dahin  gekommen  bin,  weitere  Beziehungen  aufzufinden 
welche  einen  bestimmten  Anhalt  für  das  genetische  Verständniss  darbieten.  Es  zeigte 
sich  nämlich,  —  was  in  der  Zeichnung  nicht  deutlich  ist,  weil  es  gerade  durch  die 
Haare  verdeckt  wird,  —  eine  ungwöhnliche  Vertiefung  des  Rückens  an  dieser  Stelle, 
so  dass  schon  beim  äusseren  Zufühlen  es  den  Anschein  hatte,  wie  wenn  da  ein  Loch 
in  der  W^irbelsäule  vorhanden  sei.  Die  weitere  Untersuchung  ergab,  dass,  ent- 
sprechend der  behaarten  Hautstelle,  eine  ungewöhnlich  starke  Vorwölbung  der  Wirbel- 
körper nach  vorn  stattfand.  Der  letzte  Lendenwirbel  war  mit  seiner  Vorderfläche 
nicht,  wie  sonst,  nach  vorn,  sondern  nach  unten  gegen  die  ßeckeuhöhle  gerichtet. 
Als  ich  nunmehr  den  Rücken  präparirte,  stellte  sich  sonderbarerweise  heraus,  dass 
unmittelbar  unter  der  behaarten  Stelle  eine  Spina  bifida  occulta  lag,  d.  h.  dass  an 
dieser  Stelle  die  Wirbel  au  ihrem  hinteren  Umfange  nicht  geschlossen  waren.  An 
der  Stelle  der  Dornfortsätze  der  oberen  Kreuzbeinwirbel  befand  sich  eine  harte  Mem- 
bran; nachdem  dieselbe  eingeschnitten  war,  sah  ich  unmittelbar  die  Dura  mater  spina- 
lis  vor  mir.  Auch  die  vier  unteren  Lendenwirbel  waren  nicht  ganz  geschlossen; 
bei  dem  5.  waren  die  beiden  Schenkel  des  Dornfortsatzes  durch  eine  6  Mm.  breite 
Spalte  von  einander  getrennt;  bei  dem  2.  —  4.  war  die  Spalte  nur  1 — 2  Mm.  breit 
und  durch  eine  Art  Faserknorpel  geschlossen,  aber  die  einzelnen  Schenkel  der  Dorn- 
fortsätze waren  von  sehr  ungleicher  Grösse  und  gegen  einander  verschoben. 

Es  ist  also  klar,  dass  die  haarige  Stelle  in  diesem  Falle  den  Ort  einer  Spina 
bifida  occulta  bezeichnet.  Wenn  man  sich  fragt,  wie  das  zusammenhängen  kann,  so 
crgiebt  sich  mit  Hinzunahme  anderweitiger  Erfahrungen  eine  durchaus  plausible  Er- 
klärung. Diese  Art  der  Rückgratsspaltung  entsteht  durch  örtliche,  entzündliche  Pro- 
zesse, welche  zu  einer  Zeit,  wo  die  Knochenbildung,  d.  h.  die  Bildung  der  Wirbel- 
Anlagen  noch  nicht  vollendet  ist,  eine  Unterbrechung  derselben  herbeiführen.  Wenn 
an  derselben  Stelle  die  Haut  eine  vermehrte  Entwicklung  ihrer  natürlichen  Elemente 
zeigt,  (und  nur  um  eine  solche  handelt  es  sich  bei  diesen  Behaarungen,)  so  heisst 
das  eben  auch  nichts  anderes,  als  dass  frühzeitig  ein  Reiz  eingewirkt  hat,  der  eine 
verstärkte  Form  des  Haarwuchses  herbeigeführt  hat.  Wir  haben  für  eine  solche  Er- 
klärung mancherlei  andere  Anhaltspunkte. 

Ich  glaube  auf  Grund  dieser  höchst  ungewöhnlichen  und  überraschenden  Beob- 
achtung auf  das  Bestimmteste  aussagen  zu  können,  dass  in  meinem  Falle  es  sich 
nicht  um  eine  Schwanzbildung  und  damit  um  einen  Atavismus,  sondern  nm  ein  emi- 
nent pathologisches  p]reigniss  handelt.  Diese  Haarbildung  ist  nichts  anderes,  als  ein 
behaartes  Muttermal,  ein  Naevus  pilosu"s,  wie  deren  an  vielen  anderen  Stellen 
des  Körpers  auch  vorkommen   können.     Ich  will  damit  nicht  sagen,   dass  der  Schopf 


(281) 

des  griechischen  Soldaten  dasselbe  ist,  denn  er  sitzt  etwas  tiefer  und  er  entspricht 
allerdings  mehr  der  Steissgegend.  Die  Haare  sind  auch  sehr  viel  länger,  als  in 
naeinem  Fall.  Andrerseits  ist  zu  erwähnen,  dass  in  der  Litteratur  eine  gewisse  Zahl 
von  Fällen  verzeichnet  ist,  in  denen  eine  Behaarung  der  Haut  in  dieser  Gegend  fehlte, 
dagegen  eine  Vermehrung  der  Wirbel  dureli  Apposition  neuer  "Wirbel  am  Steiss  beob- 
achtet ist.  Schon  der  ältere  Meckel')  hat  eine  Reihe  solcher  Fälle  zusammen- 
gestellt; Forste r''^)  hat  nachher  noch  mehrere  gesammelt.  In  einzelnen  Fällen  bilden 
diese  vermehrten  Wirbel  einen  langen,  von  Haut  und  Fettgewebe  umkleideten  Fort- 
satz. Die  Thatsache  müssen  wir  also  anerkennen,  dass  es  eine  Art  von  Homines 
caudati  giebt.  Wie  man  das  im  Einzelneu  interpretiren  will,  ist  im  Augenblick  noch 
der  Willkür  der  Interpreten  überlassen.  Dass  die  Versuchung  sehr  nahe  liegt,  solche 
Fälle  als  Theromorphie  und  Atavismus  anzusehen,  erkenne  ich  vollständig  an.  Auch 
will  ich  die  Möglichkeit  nicht  einfach  bestreiten,  dass  es  eine  Schwanzbildung  ohne 
Vermehrung  der  Wirbel  geben  könne.  Nur  halte  ich  sie  noch  nicht  fiir  erwiesen. 
Die  4  Fälle,  welche  Meckel  davon  mittheilt,  lassen  sämmtlich  eine  andere  Erklärung 
zu,  da  sich  auch  sonst  zahlreiche  und  zum  Theil  sogar  ähnliche  Missbildungen  an 
anderen  Stellen  des  Körpers  fanden.  Nur  in  einem,  und  gerade  in  einem  Berliner 
Fall''),  wird  ein  solcher  „Schwanz"  zugleich  als  behaart  geschildert.  In  allen  anderen 
Fällen,  wo  von  einer  Schwanzbildung  berichtet  wird,  scheint  keine  Behaarung  vor- 
handen gewesen  zu  sein. 

Ich  muss  also  davor  warnen,  dass  in  Fällen,  in  denen  keine  Wirbelvermehrung 
und  keine  Protuberanz  der  Weichtheile  stattgefunden  hat,  nur  aus  der  Behaarung 
eine  Schwanzbildung  deducirt  wird.  Dazu  gehören  doch  noch  etwas  mehr  Beweise. 
Insofern  muss  ich  sagen,  ist  auch  die  griechische  Beobachtung  nicht  vollständig  ge- 
nug; sie  kann  möglicherweise  auf  ein  ähnliches  Verhältniss  zurückgeführt  werden, 
als  dasjenige,  worauf  ich  meinen  Fall  zurückführen  muss,  nämlich  auf  eine  lokale 
Reizung,  welche  zugleich  die  Haut  und  die  unterliegenden  Theile  ge- 
troffen hat.  Immerhin  ist  es  eine  ganz  interessante  Frage  und  sie  wird  wahrscheinlich 
bei  Gelegenheit  wieder  aufgenommen  werden.  Man  muss  diese  Fälle  sorgfältig 
sammeln;  es  wird  sich  dann  herausstellen,  wie  viel  oder  wie  wenig  sich  daraus  für 
die  .Ableitung  des  Menschen  vom  Affen  deduziren  lässt.  Das  aber  begreift  sich  leicht, 
dass  die  Phantasie  der  Alten  beim  Anblick  solcher  Erscheinungen  zu  wunderbaren 
Deutungen  angeregt  werden  musste,  und  es  ist  unschwer  zu  verstehen,  dass  die 
Mythen  bildende  Ueberlieferung  derartige  Anschauungen  zu  den  Bildern  geschwänzter 
Satyrn  verarbeitete.  Sollte  sich  herausstellen,  dass  Griechenland  noch  heutigen  Tages 
häufiger  solche  Missbildungen  hervorbringt,  so  wird  das  Bedürfniss  der  Alten,  eine  Art 
von  mythologischer  Formel  für  sie  herzustellen,  um  so  mehr  verständlich. 

(10)  Hr.  v.  Richthofen  bespricht  den  kühnen  Entdeckungszug  des  Lieutenant 
Cameron  von  der  afrikanischen  Ostküste  bis  Säo  Paulo  de  Loanda  an  der  West- 
küste, von  dessen  glücklichem  Gelingen  so  eben  die  erste  Kunde  angelangt  ist. 

Der  Vorsitzende  giebt  in  lebhaften  Ausdrücken  der  Freude  über  diesen  Triumph 
der  Forscherenergie  Ausdruck. 

(11)  Hr.  E.  Friedel  legt  4  dem  Märkischen  Museum  gehörige  Bronzen  vor: 
a)    eine  Lanzenspitze,   jetzt   noch  11*  Centm.  lang,  mit  der  fehlenden  Spitze 


•)  Joh.  Fried  r.  Meckel.  llandlnioh  der  pathol.  Anatomie.     Leipzig  1812.  l,  386. 
^)  August  Förster.    Die  Missliil(lunf;en  des  Menschen    Jena  1861.  S.  44. 
^)  Eisholz.  De  conceptione  tubaria  et  de  puella  monströs».  Col.  Brand.  1669. 


(282) 

und  Tülle  etwa  24  Centm.  lang  gewesen,  ein  Rasirmesser,  14  Centra.  lang,  eine 
Bartzange,  8  Centm.  lang.  Hr.  Pastor  Ramdohr  in  Kuhsdorf,  Secretär  des  land- 
wirthscbaftlichen  Vereins  zu  Pritzwalk,  Ostpriegnitz,  sendet  dieselben  als  Geschenk 
des  Bauergutsbesitzers  August  Schleiff  zu  ßeveringen,  %,  Stunde  östlich  von 
Pritzwalk,  ein.  Hr.  Sohle  iff  schreibt  dabei:  „Die  Alterthümer  habe  ich  am  11.  Juni 
d.  J.  auf  meinem  Acker  links  am  Wege  von  hier  nach  Sadenbeck,  600  Schritt  vom 
Dorf  entfernt,  beim  Abfahren  einer  kleineu  Anhöhe  gefunden.  Sie  befanden  sich  in 
einer  Urne,  die  in  der  Weise  gefüllt  war,  dass  iu  unterst  gehrannte  Knochen  lagen, 
darauf  die  Gegenstände,  alsdann  Erde,  welche  durch  den  zerbrochenen  Deckeltopf, 
der  auf  die  ünie  gut  passte,  im  Lauf  der  Zeit  hindurch  gefallen  war.  Die  Urne 
befand  sich  zwei  Fuss  tief  in  der  Erde,  mit  flachen  Steinen  umstellt.  Die  Pincette 
ist  später  zerbrochen,  ein   noch  weiter  gefundener  Ring  (von  Bronze)  weggekommen". 

Hr.  Fried el  bemerkt,  wie  das  Bartscheermesser  dem  Typus  nach  den  bei 
Worsaae:  Nordiske  Oldsager.  Kopenhagen,  1859  unter  No.  171  bis  175  abgebildeten 
entspräche,  ebenso  der  Fig.  .o4  bei  Monte lius:  La  Suede  prehistorique,  Stockholm, 
1874;  die  ßartzange  ähnelt  No.  271  und  272  bei  Worsaae,  die  Lanzenspitze  No.  187 
ebendaselbst.  Nach  der  Terminologie  von  Montelius  a.  a.  0,  S.  41  würden  die 
Objecto  dem  „secoud  äge  du  bronze"  angehören,  üebrigens  sind  sie  aus  feiner  Bronze 
gefertigt  und  mit  schönem  glänzendem  dunkelgrünem  Rost,  der  nicht  abfärbt  und  nicht 
übel  riecht,  also  als  aerugo  nobilis  anzusprechen  ist,  bedeckt. 

b)  eine  Bronzegussform,  welche  unten  in  natürlicher  Grösse  dargestellt  ist. 
Sie  soll  aus  dem  Kreise  Ruppin  stammen,  der  nächst  den  beiden  Priegnitzer  mit 
die  schönsten  Bronzen  der  Mark  liefert.  Sie  stammt  aus  der  hiesigen  Alterthümer- 
sammlung  des  Prinzen  Karl  von  Preussen,  aus  welcher  derselbe  eine  reiche  und  schöne 
Auswahl  dem  Märkischen  Museum  vor  Kurzem  geschenkt  hat.  In  der  Form  sind 
augenscheinlich  kleine,  wahrscheinlich  als  Schmuck  verwendete  Bleche  gegossen  wor- 
den.    Die  Gussöffnungen  sind  deutlich  zu  ersehen. 


Ausserdem  macht  der  Vortragende  bekannt,  dass  die  Direction  des  Märkischen 
Museums  beschlossen  habe,  die  erste  Abtheilung  desselben,  welche  im  Wesentlichen 
die  vorgeschichtichen  Gegenstände  umfasst,  vom  o.  Januar  1876  ab  für  den 
Besuch  zu  öffnen.  Als  Besuchszeiten  sind  vorläufig  gewählt  die  Stunden  von  12 
bis  2  ühr  Nachmittags  am  Montag  und  Donnerstag.  Den  Mitgliedern  ge- 
lehrter Gesellschaften,  den  durchreisenden  Fremden  und  Allen,  welche  die  Sammlung 
für  das  Studium  oder  zu  ähnlichen  Zwecken  zu  benutzen  wünschen,  steht  die  Samm- 
lung ausserdem  werktäglich  von  9  bis  2  ühr  zur  Verfügung. 

(12)  Hr.  Voss  hält  einen  Vortrag  über  eine,  von  Hrn.  Generalconsul  Dr.  Lühr- 
sen  für  das  Königliche  Museum  eingesendete  und  auf  der  Stelle  eines  alten  Sonnen- 
tempels (?)  gefundene  peruanische  Vase  von  Truxillo.  (Derselbe  wird  später 
in  der  Zeitschrift  für  Ethnologie  erscheinen.) 


r283; 

(13)  Hr.  Hart  mann  behandelt  im  Anschlüsse  an  seine  Mittheilungen  in  der 
vorigen  Sitzung  die  Frage  über  die  systematische  Stellung  der 

Aeffiu  Mafuca. 

Von  mehreren  Seiten  ist  die  Behauptung  aufgestellt  worden,  Mafuca  könne  mit 
Duvernoy's  Troglodytes  Tchego  und  mit  Du  Chailhrs  Nschiego-Mbüwe  (Troglo- 
dytes  calvus  Chaillu)  identisch  sein.  Ersterer  sei  aber,  wie  sich  Vortragender  nach 
wiederholter  Prüfung  —  selbst  an  dem  pariser  Originalskelet  —  überzeugt  habe,  nur 
ein  altes  ('himpansemännchen.  Der  Nschiego-Mbüwe  sei  nichts  als  die  Fiktion  eines 
in  der  Zoologie  nicht  über  das  erste  Dilettantenthum  hinausgelangten  Reisenden,  wie 
dies  Verfasser  bereits  früher  hinlänglich  glaube  nachgewiesen  zu  haben.  (Man  vergl. 
dessen  Arbeit  über  den  Bam-Chimpanse  im  Archiv  für  Anatomie,  Physiologie  u.  s.  w. 
Jahrgang  1872  S.  107  u.  s.  w.)  N'se-eqo,  (daraus  N'zeqö,  Anzico  der  älteren  Geo- 
graphen) N'äeqö  bedeute  in  den  westafrikanischen,  vom  Gabun  bis  nach  Loango  ge- 
sprochenen Idiomen  den  Chimpanse  überhaupt,  wogegen  der  Gorilla  dort  N'gina  oder 
Eng'ina,  G'lna,  hier  N'Püngu  (Pongo  Andrew  Battel's  in  Purchas  His  Pilgrimes  H, 
p.  982)  genannt  werde.  Auch  mit  Du  Chaillu 's  Külü-Kämba  (Troglodytes  Kooloo- 
Kamba  Chaillu)  habe  Mafuca  nichts  zu  thun. 

Vortragender  bemerkt,  es  sei  ihm  in  den  Augen  hochachtbarer  Zoologen  voll- 
ständig gelungen,  auch  diese  angebliche,  noch  von  anderen  Seiten  beanstandete  Art 
aus  dem  System  zu  beseitigen.  Von  den  durch  Du  Chaillu  in  seinen  „Voyages  and 
adventures**  etc.  gegebenen  Abbildungen  des  Külii-Kamba  beziehe  sich  die  eine  auf 
den  schlecht  gestopften  Balg  eines  weiblichen  Gorilla,  die  andere  auf  den  ebenfalls 
schlecht  gestopften  Balg  eines  Chimpanse.  (Vergl.  auch  die  oben  citirte  Arbeit  im 
Archiv  für  Anatomie  u.  s.  w.  S.  114  fi'.). 

Gray's  Troglodytes  vellerosus  sei  bis  jetzt  noch  von  Niemand  weiter,  als  von 
seinem  Urheber  anerkannt  worden.  Der  Troglodytes  Aubryi  von  AI  ix  und  Gratiolet 
erweise  sich  als  ein  nicht  mehr  ganz  junges,  kräftiges  Chimpanseweibchen.  Der  central- 
afrikanische  Bäm,  Mangarfima  oder  Räna  (Giglioli's  Troglodytes  Schweinfurthii)  sei 
von  dem  gewöhnlichen  Chimpanse  (Troglodytes  niger  J.  Geoffr.)  nicht  zu  trennen. 
Vortragender,  welcher  bis  jetzt  nur  letzterem  und  dem  Gorilla  (Tr.  Gorilla  Sav.) 
die  Artselbstständigkeit  zugestehen  will,  muss  hinsichtlich  des  weiteren,  diese  Fragen 
betreffenden  Details  auf  seine  ausführlichen,  im  Archiv  für  Anatomie  u.  s.  w.  noch 
forterscheinenden  Abhandlungen  verweisen. 

Derselbe  erwähnte  nun  des  Todes  der  Mafuca  und  der  in  Dresden  behufs  Erlangung 
ihres  Cadavers  gepflogenen,  zum  Theil  sehr  peinlichen  Verhandlungen.  Sogleich  nach 
Empfang  der  Nachricht  von  der  Erkrankung  des  schönen  Thieres  habe  sich  Hr.  Dr.  Carl 
Nissle  nach  Dresden  begeben  und  in  völlig  selbstloser  Weise  sich  alle  erdenkliche  Mühe 
gegeben,  das  Cadaver  für  das  anatomische  Museum  in  Berlin  zu  erwerben,  woselbst  alle 
nur  möglichen  Vorkehrungen  zur  photographischen  Portraitirung,  farbigen  Abzeichnung, 
plastischen  Abformung  und  methodischen  Zergliederung  aller  Körperorgane 
Mafuca's  getroffen  waren.  Allein  trotz  mehrfacher,  von  Mitgliedern  der  Verwaltung  des 
dresdener  zoologischen  Gartens  gegebener  feierlicher  Zusicherungen,  das  Cadaver  solle 
für  den  ausbedungenen  Preis  nach  Berlin,  habe  man  dem  nachträglich  erfolgten 
Mehrgebote  des  Dr.  A.  B.  Meyer  zu  Dresden  nachgegeben  und  das  Thier  dem  dor- 
tigen naturhistorischen  Museum  überlassen.  Hr.  A.  B.  Meyer  und  der  Verwaltungs- 
rath  des  zoologischen  Gartens  zu  Dresden  haben  sich  jedoch  verpflichtet,  sechs  Wochen 
nach  eingetretenem  Tode  Mafuca's  die  sämmtlichen,  das  Thier  betreffenden  Reste  auf 
14  Tage  leihweise  nach  Berlin  zu  schicken.     Vortragender  verlas  die   hierauf  bezüg- 


r284) 

liehen  Stellen  des  ihm  abschriftlich  zugesendeten  Protokolles  einer  Sitzung  des  Dres- 
dener Verwaltungsrathes  vom  14.  Dezember  d.  J. 

Hr.  Hartmann  zeigte  behufs  Erläuterung  seines  Vortrages  die  photographische 
Darstellung  des  Duvernoy'schen  Tschego-Skeletes,  ferner  eine  reichliche  Collection 
von  neuen  Gorilla-  und  Chimpansebildern  in  verschiedener  Manier  der  Herstellung. 
Derselbe  hatte  auch  Schädel  alter  männlicher  und  weiblicher  Gorillas  aus  dem  Ogowe- 
gebiete  (Dr.  0.  Lenz)  und  aus  Mayombe  (Dr.  P.  Güssfeldt)  ausgestellt.  Um  jeden 
Zweifel  über  die  Natur  dieser  Specimina  zu  nehmen,  wies  Vortragender  zur  Aus- 
übung einer  Jedermann  möglichen  Controle  die  schönen  Abbildungen  Th.  Bisch  off 's 
von  Gorilla-  und  Chimpanseschädeln  vor.  Der  Vortragende  machte  nun  auf  die 
sehr  in  die  Augen  fallenden  individuellen  Verschiedenheiten  zwischen  jenen  ungefähr 
gleichaltrigen  Schädeln  aufmerksam,  suchte  dabei  auch  an  Hand  der  Präparate  jede 
von  gewisser  Seite  her  versuchte  Bemerkung,  es  könnten  hier  artliche  oder  klimatische 
unterschiede  obwalten,  zurückzuweisen,   — 

Hr.  Virchow  bemerkte  hierzu,  dass  ihm  von  Hrn.  Emil  Ulrici"  in  Dresden  unter 
dem  3.  d.  M.  das  nachstehende  Schreiben  zugegangen  sei: 

Wie  ich  aus  den  Zeitungen  erfahre,  ist  auch  in  Berlin  in  wissenschaftlichen 
Kreisen  die  Frage  aufgetaucht,  ob  der  im  hiesigen  zoologischen  Garten  befindliche 
Anthropoide  ein  Chimpanse  oder  Gorilla  sei;  da  ich  das  Thier  seit  seiner  ersten 
Ankunft  hier  fast  täglich  beobachtet  habe,  so  erlaube  ich  mir,  Ihnen  umstehend  das 
von  mir  in  dieser  Angelegenheit  gesammelte  Material  zur  Disposition  zu  stellen  und 
bemerke  zugleich,  dass  die  umstehenden  Maasse  theils  von  mir  selbst,  theils  vom 
Direktor  des  hiesigen  zoologischen  Gartens  genommen  wurden. 

Als  das  Thier  hier  ankam,  glaubte  ich  einen  alten  Chimpanse  vor  mir  zu  haben: 
Das  Thier  hatte  nicht  das  kindlich  Komische  der  jungen  Chimpansen,  sondern  machte 
den  Eindruck  eines  älteren  Geschöpfes,  die  Conturen  des  Gesichtes  waren  damals 
bereits  hart  und  eckig,  der  Gesichtsausdruck  diabolisch,  der  Gesichtswinkel  weit 
kleiner  wie  bei  jungen  Thieren,  die  Augenwülste  fehlten  fast  vollständig,  ebenso  die 
Knochenleiste  in  der  Mitte  des  Schädels,  letzteres  beides  ist  erst  im  Laufe  der  letzten 
0  Monate  energisch  hervorgetreten,  so  dass  augenblicklich  Gesichts-  und  Schädel- 
bildung vollständig  die  eines  Gorilla  sind,  wogegen  der  Affe  in  jeder  anderen  Be- 
ziehung: Farbe,  Extremitäten,  Fusssohle,  Finger  etc.  ein  reiner  Chimpanse  zu 
sein  scheiut.  Ich  erlaube  mir  nur  noch  die  Bemerkung,  dass  ich  in  hiesigen  wissen- 
schaftlichen Vereinen  stets  die  Ansicht  vertheidigt  habe  und  auch  noch  jetzt  fest- 
halte, dass  unser  hiesiger  Anthropoide  ein  Bastard  von  Gorilla  und  Chimpanse  sein 
dürfte. 

Maasse  und  sonstige  Beschreibung  des  Pseudo-Gorilla  im  zoologischen  Garten 

zu  Dresden : 
Kopf.  Hinterkopf  stark  behaart,  eine  Erhöhung  läuft  in  der  Mitte  entlang  bis  zur 
Stirn  und  ist  dieselbe  in  der  Nähe  der  Stirn  stärker  behaart,  wie  die  zu 
beiden  Seiten  liegenden  Theilo  des  Vorderkopfes, 
Gesicht  fleischfarben,  schwarz  punktirt  und  gefleckt,  eine  Art  Backenbart  an  den 
Seiten  ziemlich  weit  zurück,  Stirn  fast  haarlos,  Nase  eingedrückt,  Nasen- 
löcher stehen  in  einem  Winkel  von  45°  C^^^^).  —  Lippen  lassen  sich  röhren- 
artig vorstrecken,  Länge  der  Oberlippe  ca.  4)^  Centm.  Unterlippe  etwas  vor- 
stehend. —  Ohren  schmutzig  fleischfarben,  Ohrläppchen  fehlen.  —  Augen 
gelblich  braun,  proportionirt  —  über  den  Augen  ca.  2  Ctm.  hohe  Knochen- 
bogen (Augenwülste,  die  über  der  Nase  verbunden  sind  und  an  den  Seiten 
bis  zur  Höhe  des  Auges  herablaufen)  —  Augenbrauen  kaum  vorhanden. 


(285) 

Hals  fleischfarben,  wenig  behaart,  zwischen  Kinn  und  Hals  eine  Art  Bart. 
Haar  schwarz   —  dick  am  Rücken  und  Hinterkopf,  ziemlich  lang. 
After  fleischfarben,  mit  schwarzen  Flecken  und  wenigen  weisslichen  dünnen  Haaren. 
Arme.    Oberarm  starker  Muskel,  die  Hände  lang  —  innere  Fläche  schwärzlich  grau, 
die   Finger   oben   schwarz,    in    den   Hautfalten    fleischfarben;    der  Daumen 
sehr  kurz  und  dünn,  kaum  halb  so  dick  wie  die  anderen  Finger, 
reicht  nur  bis  zur  Fingerwurzel,  Zeigefinger  kürzer  wie  die  zunächststehenden 
Finger. 
Füsse  proportionirt  —  Daumen  dick  und  massig  lang,  Sohle  schwärzlich  grau,  vor- 
letzte Finger  am  längsten. 
Ganze  Höhe  1,20  —  Vorderhandtellerlänge  0,125  —  Mittelfinger  der  Vorderhand 
0,095  —  Vorderhandbreite    0,08  —  Hinterhandtellerlänge    0,1  G5  —  Mittelfinger    der 
Hinterhand  0,065  —  Ohrhöhe   0,07  —  Ohrbreite   0,045  —  Vom  Kinnbackenknochen 
bis    Scheitelhöhe   höchste   Projectionshöhe  0,143  —  Oberarm,   Achsel    bis  Ellenbogen 
0,285  —  Ellenbogen  bis  Handwurzel  0,150  —   Oberschenkel  0,243   —   Unterschenkel 
0,265    (Alles   innen   gemessen).     Ganza  Armlänge  aussen ,    Schulter   bis  Handwurzel 
0,515  —  Rückenbreite  0,315  —  Oberarm-Ümfaug  0,272  —  Unterarm-Umfang  0,24  — 
von    der   Nasenspitze   bis   zum   inneren   Augenwinkel   0,05  —  Hinterhand,   Ferse   bis 
Daumspitze  0,19.  — 

Ausserdem  machte  Hr.  Virchow  darauf  aufmerksam,  dass  sich  unter  den  von  Hrn. 
Hartmann  vorgelegten  Gorillaschädeln  ein  weiblicher  befinde,  der  so  sehr  von 
den  übrigen  abweiche,  dass,  falls  es  wirklich  ein  Gorilla-Schädel  sein  sollte,  die 
Variabilität  dieses  Thieres  eine  ungemein  grosse  sein  müsse.  Er  bemerkt  darüber: 
Wenn  dies  in  der  That  zwei  weibliche  Gorillaschädel  sind,  so  kann  die  Difl"erenz 
gar  nicht  grösser  ausfallen.  Es  sind  namentlich  zwei  Punkte,  worin  diese  Schädel  in 
der  äussersteu  Weise  vorschieden  sind,  uähmlich  in  der  Bildung  der  Schädelcapsel 
als  solcher  und  in  der  Bildung  der  Nase.  In  dem  einen  Falle  sehen  wir  eine  äusserste 
Schmalheit  des  oberen  Abschnittes  der  Nasenbeine,  während  in  dem  anderen  die, 
Nasenwurzel  ganz  breit  ist.  Diese  Form  ist  ganz  ungewöhnlich  und  von  der  Gorilla- 
nase abweichend,  indem  diese  sonst  mit  einer  schmalen,  aber  langen  Zacke  bis  in 
das  Stirnbein  hinaufreicht  und  dadurch  bestimmend  wird  für  die  Stellung  und  Bil- 
dung der  Orbitaltheile.  Wenn  das  wirklich  Schädel  derselben  Thierart  sind,  so  würde 
diese  kolossale  Verschiedenheit  um  so  mehr  überraschen,  als  die  Schädel  aus  der- 
selben Gegend  Afrika's  herstammen. 

(14)     Herr  Bergrath  a.  D.  v.  Dücker  aus  Bückeburg  legte  einige 

vorhistorische  Alterthiimer  vom  Teufelsdaninie  bei  Fiirstensee  am  Plönesee  iu 

Tommeru 

vor.  Es  waren  Topfscherben  der  rohen  Art,  wie  sie  sich  bei  unseren  Pfahlbauten 
und  auf  den  Aschenplätzen  finden,  sowie  Knoclieureste,  worunter  einer  mit  Spuren 
roher  Bearbeitung,  und  schwarze  bituminöse  Holzstücke  von  Pfählen. 

Redner  erzählte,  dass  er  die  Topfscherben  zum  Theil  schon  vor  8  Jahren  auf 
dem  sogenannten  Teufelsdamme  gefunden  habe ,  welcher  eine  flache  Landzunge  iu 
dem  südöstlich  Theile  des  Plönesee's  bilde,  desselben  See"s,  an  dessen  nordwest- 
lichem Ende  durch  Hrn.  v.  Schöning,  sowie  durch  Hrn.  Professor  Virchow  Pfahl- 
baureste bei  Lüptow  nachgewiesen  seien.  Der  Teufelsdamm  habe  iu  Folge  der  be- 
kannten künstlichen  Senkung  des  Seespiegels  eine  beträchtlich  grössere  Ausdehnung 
angenommen,  wie  früher,  und  bei  einem  vorigjährigen  Bcsudie  habe  Redner  Ge- 
legenheit   gehabt,    in  Gesellschaft    mit  Hrn.  v.  Wedell-Fürsteusee    eine  grössere 


(286) 

Anzahl  von  Pfahlköpfen  zu  constatiren,  welche  in  Folge  des  Austrocknens  des  Moor- 
bodens zu  Tage  getreten  waren.  £s  wurden  im  Ganzen  einige  zwanzig  Pfähle  be- 
merkt, welche  in  länglicher  Erstreckung  von  20  —  30  Metern  zum  Vorschein  kamen 
nnd  welche  zum  Theil  in  Abständen  von  l'/o  —  2  Metern  standen.  An  einer  sehr 
nahen  Stelle,  wo  offenbar  schon  früher  fester  Boden  gewesen  war,  fanden  sich  die 
obigen  Knochen-  und  Topfreste.  Ein  vorhistorischer  Pfahlbau  dürfte  an  der  er- 
wähnten Stelle  als  nachgewiesen  zu  erachten  sein. 

Hr.  Virchow  erinnert  an  seine  Mittheilungen  über  die  Pfahlbauten  von  Lüptow 
(Sitzung  vom  11.  Dezbr.  1869.  Zeitschr.  für  Ethnologie  I.  403.  410),  sowie  an  die 
sonderbare  Thatsache,  dass  an  einen  andern  Stelle  in  Pommern,  nehmlich  am  Lüptow- 
See  bei  Cöslin,  sich  gleichfalls  nicht  uur  ein  Pfahlbau,  sondern  auch  ein  Teufelsdamm 
im  See  und  ein  Burgwall  am  See  (Sitzung  vom  27.  April  1872.  S.  165)  fände,  — 
eine  Combination  von  Anlagen  und  von  Bezeichnungen ,  die  bei  der  relativ  grossen 
Entfernung  beider  Fundstellen  gewiss  zu  denken  gebe. 

(15)     Geschenke  sind  eingegangen: 

1)  J.  Kopernicki:  Czaski  z  Kurhanow  Pokuckich.    W  Krakowie  1875.    4.    Vom 
Verfasser. 

2)  Evans:  Adress  delivered  at  the  annivorsary  nieeting  of  the  Geological  Society 
of  London.    1875.     Vom  Verfasser. 

3)  Aspelin:   Suomalais-Ugrilaisen.    Muina  istutkinuon  Alkeita  Helsingissa  1875. 
Vom  Verfasser. 

4)  Verzeichniss  der  Lübeck'schen  Kunstalterthümer.     Von  Hrn.  Virchow. 

5)  Lucae:    Zur  Morphologie  des  Säugethierschädels.     Frankfurt  a/M.     Von  Hrn. 
Virchow. 

6)  A.  Müller:    Ein  Fund  vorgeschichtlicher  Steingeräthe  bei  Basel.    1875.    Vom 
Verfasser. 


Cln'oiiolo^isc.lies  Iiilialtsverzeicliuiss. 


Vorhaiulluiigon  der  Berliner  Gesollscliaft  für  Anthropologie,  Ethnologie  und  Urgeschichte. 

Sitzung  vom  IG.  Januar  1875.  Wahl  des  Ausschusses.  Neue  iMitgüeder  S.  7. — 
Russische  Kinder  mit  Polysarcia  praematura  S.  7.  —  Schädel  von  üphry- 
niuni.  Calvert,  Hirschfeld,  S.  7.  —  Schädel  von  Formosa  und  Andalusien. 
Schetelig  S.  8.  —  Thongeräthe  von  Ciinco-Indianern.  Philipp!  S.  8.  —  Moa 
Bone  Point  Cave  auf  Neu-Seeland.  Haast  S.  8.  —  Württembergische  anthro- 
pologische Gesellschaft  S.  10.  —  Burgwall  von  Wollstein  (Posen).  Frh.  von 
Unruhe-Bomst  S.  10.  —  ßurgwall  von  Barchlin  (Posen).  Virchow  S.  10  — 
Messungen  mit  dem  Hutmacher -Couformateur.  Woldt,  Virchow  S.  11.  — 
Künstliche  Verunstaltung  des  Schädels  auf  Celebes.  (Mit  Holzschnitt). 
Riedel  S.  11.  —  Bullettino  di  paleoctnologia  italiana  S.  12.  —  Toifschwein 
aus  Wohlau.  Bayer  S.  12.  —  Natürliche  und  bearbeitete  Steine  aus  der 
Mark  Brandenburg  und  S.  Thomas;  Urnen  aus  Anhalt.  0.  Westphal  S.  12.  — 
Lappen.  Bohle  und  Willardt  S.  12.  —  Funde  bei  Pawlowice  und  Zniu.  Schwartz 
S.  12.  —  Alterthümer  aus  der  Gegend  von  Joachimsthal  in  der  Prov.-  Branden- 
burg. (.Mit  2  Holzschnitten).  Schwartz  S.  12.  —  Urnen  der  Ruppiner  Samm- 
lung. Schwartz  S.  18.  —  Hottentotten.  Merensici  S.  18.  Virchow,  Bastian, 
Schweinfurth  S.  2;3.  Hartmann,  v.  Quast,  Hildebrandt  S.  24.  —  Abschied  der 
Herren  Schweinfurth  und  Hildebratrdt  S.  24.  —  Geschenke  S.  24. 

Sitzung  vom  20.  Februar  1875.  Correspondirende  und  ordentliche  Mitglieder  S.  25.— 
Knochenhöhle  im  Libanon.  Weber  S.  24.  —  Geschnitzte  Renthiorknochen  aus  der 
Freudenthal-Höhle.  Karsten  S.  24.  —  Schwedische  Alterthümer.  Ulfsparre  S.  24. 
—  Bronzen  von  Zuchen  in  Pommern.  (Hierzu  Taf.  IH).  v.  Gaudecker,  Virchow 
S.  24.  —  Hutmacher-Conformateur  nach  Afrika  S.  2C.  —  Altgriechische  Schädel 
V.  Heldreich,  Hirschfeld  S.  26.  —  Aino-Skelet.  Klefeker,  Siebert  S.  27.  —  Begräb- 
nissplatz in  Dobryszyce.  Schwartz,  Pawinsky  S.  2S.  -  Land  und  Volk  der  Lappen. 
Schott  S.  28.— Physische  Eigenschaften  der  Lappen.  (Hierzu  Taf.  IV.)  Virchow  S.  3  L 

Sitzung  vom  20.  März  1875.  Neue  Mitglieder.  —  Erhebungen  wegen  der  Farbe 
der  Haare  u.  s.  w.  S.  40.  —  Photographien  vom  Amur.  Lanin  S.  40.  — 
Prähistorische  Forschungen  in  Brasilien.  Hart  S.  41.  —  Thüringische  und 
schlesische  Funde.  Klopfleisch  S  41.  —  Japanische  Mittheilungen  S.  42.  — 
Idol  von  Venezuela.  Wagner  S.  42.  —  Köpfe  von  Mulatten  und  Negern  aus 
Babia.    Hartmann  S.  42.  —  Vorlagen  aus  dem  Märkischen  Proviuzial-Museum. 


(288) 

(Hierzu  Taf.  V.)  Friedel  S.  44;  Virchow  S.  47.  —  Geschnitzte  Aoacardium- 
Nüsse.  Oldenberg  S.  47.  —  Beziehungen  zwischen  Negritos  und  Papuas. 
A.  B.  Meyer  S.  47.  —  Nephrit  Fischer  S.  48;  Virchow,  Hosius  S.  50.  — 
Bayrische  Hochäcker  (ßifange).  F.  S.  Hartmann  S.  50.  —  Keltenschädel  von 
Ballinskellygsbay  in  Irland.  Fröhlich,  Virchow  S.  52.  —  Schädel  von  Seli- 
nunt.  Künne,  Virchow  S.  53.  —  Vertheidigung  von  Schliemann  S.  54.  — 
Prähistorische  Karte  Posens.     Schwartz  S.  56.  —  Geschenke.     S.  56. 

Sitzung  vom  17.  April  1875.  Neue  Mitglieder  S.  57.  —  Fundstücke  aus  einem 
Felsgrabe  der  Oase  Dachel.  Rohlfs,  Virchow,  Ascherson  S.  57.  —  Ureinwohner 
der  La  Plata  Staaten.  Burmeister  S.  58.  —  Verzierte  Urne  von  Persanzig. 
(Hierzu  Taf.  VI.  Fig.  1 — 3.)  Kasiski  S.  00.  —  Thongefäss  von  der  Insel 
Gottlaud.  (Hierzu  Taf.  VI.  Fig.  4.)  Nilsson  S.  61.  —  Gesichtsurne  von 
Möen.  (Hierzu  Taf.  VI.  Fig.  5.)  IVIestorf  8.  63.  —  Steingrab  von  Obornik. 
Witt  S.  63.  —  Anthropologische  Studien  in  Verbindung  mit  der  deutschen 
Venus-Expedition  nach  Ispahan.  Fritsch  S.  64.  —  Türkenschädel.  Weissbach 
S.  67.  —  Andamanenschädel.  Virchow  S.  67.  —  Mineralogische  Untersuchung 
von  Steiuwaffeu,  Stein-Idolen  u.  s.  w.  Fischer  S.  71;  Virchow  S.  75.  — 
Gruppiruug  der  Völker  und  deren  wahrscheinliche  Ursachen,  mit  besonderer 
Berücksichtigung  der  Bewohner  des  europäischen  Russland.  Hesse  S.  76.  — 
Muschellager  am  Burtneek-See  (Livland).  .Graf  Sievers  S.  85.  —  Vor- 
historische Funde  bei  Seelow  (Kreis  Lebus).  (Hierzu  Taf.  VII.)  Kuchenbuch 
S.  85;  Virchow  S.  88.  —  Neue  Erwerbungen  des  ethnologischen  Museums. 
Bastian  S.  88,  —  Moderne  geschlagene  Feuersteine.  Meneguzzo,  Beyrich  S.  89.  — 
Geschenke  S.  89. 

Sitzung  vom  14.  Mai  1875.  Geschäftliches  S.  90.  —  Anthropologische  Erhebungen 
in  den  Schulen.  S.  90.  —  Ungewöhnliche  Haarbildung  in  der  Sacralgegend 
eines  Griechen.  Ornstein  S.  91.  —  Besuch  auf  den  Andamanen.  Jagor  S.  92.  — 
Römische  Funde  in  Oldenburg,  v.  Alten  S.  92.  —  Ueberlebsel  aus  früheren 
Culturperioden,  Bronzefund  bei  Rabenstein  in  Franken  und  Bemerkungen 
über  das  Gräberfeld  bei  Braunshain.  Voss  S.  93,  Kuhn,  Virchow  S.  95.  — 
Besuch  deutscher  Alterthümersammlungen,  neue  Ausgrabungen  bei  Priment, 
Zaborowo  und  Wollstein  (Prov.  Posen).  (Hierzu  Taf.  VIII.)  Virchow  S.  95.  — 
Prähistorische  Funde  bei  Seelow  (Prov.  Brandenburg).  Virchow  S.  112.  — 
Brasilianische  Schädel.  Schreiben  des  Kaisers  von  Brasilien.  S,  116.  — 
Geschenke.    S.   117. 

Sitzung  vom  19.  Juni  1875.  Ehren-  und  correspondirende  Mitglieder.  Delegirte 
zum  märkischen  Proviuziahnuseuni.  S.  1 18.  —  Geschenke.  —  Anthropologische 
Erhebungen  in  Galizien.  Kopernicki  S.  118.  —  Ethnologische  Gegenstände 
aus  Costa  Rica.  v.  Frantzius  S.  119.  —  Stein  liammer  und  Käsestein  aus 
Graburnen.  Virchow  S.  119.  — Zusendungen  des  Cultusministers  S.  120. — 
Cliamaecephale  Schädel  am  Domberge  zu  Bremen.  Gildemeister  S.  120.  — 
Peruanische  Schädel  von  Ancon.  Lührsen  S.  121.  —  Prähistorisclie  Fundorte 
in  der  Provinz  Posen.  Schwartz  S.  121.  —  Urnenfeld  bei  Samter.  Reder 
S.  123.  —  Steingrab  bei  Bölkendorf  (Angermünde).  Reuter  S.  123.  — 
IIutniacher-Formen.  Heim  S.  124.  —  Urnen  von  Nieniegk  (Brandenburg). 
Marthe  S.  124.  —  Vorhistorische  Gegenstände  aus  Stargard  in  Pommern. 
(Hierzu  Taf.  IX.)     Mampe,   Mühlenbeck,  Virchow   S.  125.  —  Ilyänenhöhle  im 


(289) 

Lindenthal  bei  Gera.  Liebe  S.  127.  —  ßurgwall  von  Zahsow  (Lausitz). 
Virchow  S.  127.  —  Wendische  Bevölkerung.  Virchow  S.  IM.  —  Alterthums- 
funde  aus  der  Gegend  von  Cottbus.  Voss  S.  133.  —  Kirchenrnarken.  Woldt 
S.  135.  Rosenberg  S.  136.  —  Schädel  der  heiligen  Gordula.  Virchow  S.  13G  — 
Reliquieukasten  der  heiligen  Gordula.  Voss  S.  140.  —  Mammuthfuud.  Liebe 
S.  142.  —  Geschenke.     S.  142. 

Ausserordentliche  Sitzung  vom  28.  Juni  1875.  Neue  Mitglieder.  Geschäftliches. 
S.  143.  —  Sendung  des  Herrn  Hildebrandt  aus  Africa.  S.  143.  —  Braun- 
schweiger ethnologisches  Museum.  Noack  S.  143,  (Hierzu  Tat'.  X.)  —  Knochen- 
reste aus  der  Höhle  von  Ferrajeh  und  Bärenreste  aus  vorgeschichtlicher  Zeit. 
Hartmann  S.  149.  —  Ausgrabungen  von  Samthawro  und  Kertsch.  Fritsch  S.  149, 
Vircliow  S.  154.  —  Pflanzensamen  aus  dem  Burgwall  von  Priment.  Ascherson 
S.  154.  —  Funde  von  Zaborowo,  namentlich  ein  Pferdegebiss  von  Bronze 
und  Pferdezeichnuügen  an  einer  Urne.  (Hierzu  Taf.  XL)  Virchow  S.  154.  — 
Brasilianische  Indianerschädel  (Hierzu  Holzschnitte  und  Tafel  XII).  Virchow 
S.  159.  —  Geschenke  S.  181. 

Sitzung  vom  17-  Juli  1875,  Geschäftliches  S.  182,  —  Prähistorische  Ruinenstädte 
im  Thale  des  Mancos  River,  Territ.  Colorado.  Hayden  S.  182.  —  Flossen- 
strahl eines  Wels  im  Diluvium  bei  Embden.  Prestel,  Virchow  S.  182.  — 
Märkische  Alterthümer  (Mit  Holzschnitt).  Friedel  S,  183.  Hartmann,  Virchow 
S.  185.  —  Bronzestatuette  aus  Ostasien.  Liebreich  S.  185.  —  Nicobareseu 
(Hierzu  Taf.  XV.  Fig,  3 — 5).  H.  Vogel  S.  185.  —  Bären  der  quaternären 
und  der  Jetztzeit.  Hartmann  S.  195,  —  Schwauzquaste  der  Atherura  africana 
bei  den  Monbuttu.  Hartmann  S.  196.  —  Gerippter  Bronzeeimer  von  fraore. 
Virchow  S.  197.  —  Bronze-Analysen.  E.  Salkowski  S.  197.  Virchow  S.  199.  — 
Neues  Mitglied.     Geschenke  S.  200. 

Sitzung  vom  16.  October  1875,  Tod  des  Dr,  Bleek  S,  201,  —  Neues  Mitglied.  — 
Generalversammlung  der  deutschen  anthropologischen  Gesellschaft  in  München, 
Virchow  S.  201.  —  Bayrische  Photographien.  F.  S.  Hartmann  S.  204.  —  Hoch- 
äcker oder  Bifange.  Meitzen  S.  204.  Virchow  S.  206.  —  Diluviale  Thiere  von 
Westeregeln  bei  Oschersleben.  Nehring  S.  206.  —  Funde  beim  Bau  der 
Kreischaussee  Laucha-Nebra.  Werner  S.  208.  —  Alter  Wohnplatz  und  Fels- 
zeichnungen aus  dem  Somal-Laude  (Mit  Holzschnitt).  J,  M.  Hiidebrandt  S. 
209.  —  Japanesische  Photographien.  Toselowski  S.  210,  —  Ruinen  des  alten 
Raghae  bei  Teheran  und  Guebern-Kirchhof  daselbst,  Fritsch  S.  210.  — 
Burgwall  bei  Zahsow.  R.  Andree,  Virchow  S.  213.  —  Peruanerschädel  von 
Ancon.  Bastian  S.  213.  —  Sendungen  von  den  Andamanen,  Rangun  und 
Amritsar.  Jagor  S.  213.  —  Normannisches  Schiifsgrab  bei  Ronneburg  und 
Ausgrabung  des  Rinne-Hügels  am  Burtneek-See  und  des  Opferhügels  von 
Strante,  Livland.  Graf  Sievers  S  .214  (Mit  Holzschnitt  und  Taf.  XIII— XIV.)  — 
Lappen.  Hagenbeck,  Virchow  S.  225.  —  Verbreitung  der  Finnen  in  älterer  Zeit 
und  russische  Lappen  Europaeus  S.  228.  Virchow  S.  229.  —  Anthropoiden- 
Affe  Mafuca  im  zoologischen  Garten  zu  Dresden.  Hartmann  S.  230.  — 
Erwerbungen  und  Geschenke  S.  230. 

Sitzung  vom  20.  November  1876.  Neue  Mitglieder  S.  231.  —  Schreiben  der  Frau 
Bleek  S,  231.  —  Römische  Alterthümer  und  thönerne  Spielsachen  aus  Olden- 

Verhandl.  der  Berl.  Antbropol.  Ucsellschaft  1875.  19 


(290) 

bürg.  V.  Alten  S.  231.  Virchow  S.  232.  —  Bronzehalsschmuck  von  Lehmden 
(Tafel  XVI.  Fig.  1).  v.  Alten  S.  232.  —  Vermeiutlich  bearbeitete  Feuersteiue 
aus  dem  Diluvium  von  Meklenburg  und  wirklich  bearbeitete  vom  Brunnen- 
see bei  Güstrow.  Marcus  S.  232.  Virchow  S.  2^3.  —  Diluviale  Feuersteiue 
von  Biere  bei  Schönebeck  an  der  Elbe.  Rabe,  Virchow  S.  233.  —  Schädel- 
stück vom  Bos  primigenius  von  Bamberg  (Mit  Holzschnitt).  Sippel  S.  234.  — 
Rannenholz  und  fossile  Knochen  im  Regnitz-  und  Main-Grunde  bei  Bamberg. 
V.  Theodor!  S.  234.  —  Hügelgrab  am  Collisberg  bei  Gera.  Liebe  S.  235.  — 
Topfscherben  aus  einem  Grüberfelde  bei  Berlin.  Rühe  S.  238.  —  Altfinnische 
(ugrische)  Verhältnisse.  Europaeus  S.  238.  —  Altfinnische  Kurganen-Funde. 
Hjelt,  Ivanowski  S.  239.  —  Os  lucae  an  Peruanerschädelu.  v.  Tschudi  S.  242  — 
Märkische  Thongefässe  (Mit  Holzschnitten).  Friedel  S.  242.  —  Topfscherben 
und  Feuersteinsplitter  vom  Sandwerder  und  vom  Kälberwerder  in  der  Havel 
(Mit  Holzschnitt).  Hans  Virchow  S.  245.  —  Kaukasische  Makrocephalen- 
Schädel.  v.  Seydiitz  S  245.  —  Stahlgraue  Arsenik-Bronze.  Liebreich  S.  246  — 
Analyse  märkischer  und  posener  Bronzen.  Carl  Virchow  S.  247.  —  Toxische 
Wirkungen  der  N'Kassa- Rinde.  Liebreich  S.  248.  —  Anthropoider  Affe 
Mafuka.  Hartmann  S.  250.  —  Nachträge  zur  prähistorischen  Karte  von 
Posen.  Schwartz  S.  256.  —  Chronologisch  gut  bestimmter  Gräberfund  bei 
Ruszcza,  Polen  (Hierzu  Taf.  XVI  Fig.  2—6).  Leiewel,  Schwartz  S.  258  — 
Tiwukars  oder  steinerne  Gräber  auf  Nord-Celebes  (Mit  Holzschnitt).  Riedel 
S.  258.  —  Indische  Stein-  und  Thon-Alterthümer.  Jagor  S.  259.  —  Maass- 
tabellen und  Photographien  von  Andaraanesen  (Hierzu  Taf.  XV  Fig.  1—2). 
Jagor  S.  259.  —  Photographie  des  Gibbon.     Hermes  S.  261. 

Sitzung  vom  18.  December  1875.  Verwaltungsbericht  für  das  Jahr  1875.  Virchow 
S.  268.  Voss,  Kuhn,  Virchow  S.  272.  Voss  S.  275.  —  Neuwahlen  und  neue 
Mitglieder  S.  276.  —  Troja.  Frank  Calvert  S.  276.  —  Mystisches  Manuskript. 
Knoth  S.  276.  —  Vorgeschichtliche  Steingeräthc  bei  Basel.  A.  Müller,  Virchow 
g,  276.  —  Gutachten  eines  Töpfermeisters  in  Betreff  der  posenschen  Urnen. 
W.  Schwartz  S.  277.  —  Posensche  Alterthümer  und  birmanische  Münzen. 
Koch  S.  278.  —  Sacrale  Trichose  (Hierzu  Tafel  XVII).  Ornstein,  Virchow 
S.  279.  —  Reise  des  Lieutenant  Cameron.  v.  Richthofen  S.  281.  -  Märkische 
Funde.  (Mit  Holzschnitt.)  Friedel  S.  281.  —  Märkisches  Museum.  Friedel 
S.  282.  —  Peruanische  Vase  von  Truxillo.  Voss  S.  282.  —  Aeffin  Mafuka. 
Hartmann  S.  283.  Ulrici  S.  284.  Virchow  S.  285.  —  Alterthümer  vom  Teufels- 
damme bei  Fürsteusee  am  Plöue-See  in  Pommern,  v.  Dücker  ö.  285.  Virchow 
S.  286.  —  Geschenke  S.  286. 

Chronologisches  Inhaltsverzeichniss  S.  287. 

Alphabetisches  Sachregister  S.  291. 


Niimeii-  und  Sachregister. 


Abantu.     S.  Biiutii. 

Abbadi.     U. 

Abbildungen.  S.  a.  Photograpliieu  u.  Zeich- 
nungen. A  von  einem  Götzenbild  aus 
Venezuela  42.  Von  Afrikanern  44. 
Von  Andamauesen  92.  Von  dem 
Bronzeeimer  von  Pansdorf  107.  Von 
Schädeln  118.  Aus  dem  Museum  zu 
ßraunschweig  148  u.  ff.  Von  einem 
kaukasischen  Makrocephaleiischädel 
245  u.  ff".  In  der  Zeitschrift  f.  Ethno- 
logie 2G9  u.  ff. 

Abfallsmassen.  S.  a  Küc'aeuabfälle,  Küchen- 
reste und  Kjökkeumöddings.     8. 

Aboriginer,  Europa's,     3(i.  38. 

Abyssinien,  Abyssinier.     24,  269, 

Acacia  nilotica.    58. 

Ackerbau.  20.  50  u.  ff.  59.  A.  der  Nico- 
baresen.  8.  Nicobaren,  ßifauge  204 
u.ff.  222. 

Adda,  Flüsschen  bei  Niemegk    124, 

Aegypten,  Aegypter.  1 9  u.  ff".  24.  42.  49.  58. 
99.   11 G.  155.  2b9. 

Affe.  Hylobates  47.  2b  1.  Pfeil  aus  der 
Tibia  eines  A.  geschnitzt  14G.  Mafuka 
und  andre  anthropoide  A.  230.  250 
u.  ff".  259.  283  u.  ff".  Authropoide  A. 
283  u.  ff. 

Afrika,  Afrikaner.  7.  18.  19  u.  ff".  43.  Ab- 
bddungen  44.  49.  99.   188.  211. 

Ahlen.     S.  Nadeln. 

Ahlimbswalde,  Prov.  Braudouburg   15. 

Ahornzucker.     125. 

Aimara.     121. 

Aino  Skelrt  27  u.  ff.  42. 

Akademie  der  Wissenschaften  in  6t.  Peters- 
burg.    28. 

AlbertinenHof,   Pmv.  Brandcnbug.      Ib. 

Albertus  Magrus.     138. 

Alifuru.     258  u.  ff". 


Alpenmurmelthier  (Aretomys  marmotta).  127. 

Alterthumsfunde.  Verzeichniss  von  A.  in 
iu  Posen  5G.  25G  u.  ff.  A.  aus  der 
Gegend  von  Cottbus  133.  A.  in  Indien 
259.     In  Pommern  285  u.  ff. 

Altmark.     18. 

Amazonenstein.     49. 

Amazonenstrom.     49. 

Amazulu.     S.  a.  Zulu  43. 

Amerika,  Amerikaner.     49.  71.   143  u.  ff. 

Ammerland,  Oldenburg.     231. 

Amphibola  avellana.     8. 

Amritsar.     213. 

Amulet.   S.  a.  Cnltgegenstände.   49.  58.  258. 

Amurgebiet.     Photographien   von   dort     40. 

Anacardium  Orientale.     47. 

Analysen.     S.  Jironzeanalyseu. 

Ancon,  Peru.     121.  213. 

Andalusien.  Schädel  und  Thongefässe  von 
dort.     8.  270. 

Andamaneo.  S.  a.  Mincopies.  67  u.  ff.  92. 
193.  195.  213.  259  u.ff. 

Angel.     143. 

Angelhaken  von  Bronze.     110. 

Angermünde.     123  u.  ff.  182  u.  ff. 

Angola.     43. 

Anhalt.     42. 

Aniwa.    27  u.  ff. 

Ansa  lunata.     S.  Mondhenkel 

Ansiedelungen,  prähistorische.  S.  a.  Wohu- 
pliitze.     97  u.  ff".   103.   113.   115. 

Anthropoiden.     S.  Affen. 

Anthropologische  Gesellschaft.  S.  a.  Gesell- 
schaft,    Württembergische  A.  G.   10. 

Anthropologische  Gesellschaft,  Deutsche. 
Generalvorsammlung  zu  Stuttgart  11. 
Generalversammlung  zu  Dresden  34. 
90.  Generalversammlung  zu  München 
143.  182    201  u.  ff.  272  u.ff".  276  u.  ff. 

Anthropologisches  Museum.     90.  274  u.  ff. 

Anthropophagie.    S.  a.  Cannibalismus.    150, 

19* 


(292) 


Antillen.    73. 

Antimon.    246  u.  ff. 

Apatit.    50. 

Apfelsee.    123. 

Araiocaspische  Einsenkung.     77. 

Araukaner.    59. 

Arier.    32.  38  u.  ff.  41.  07. 

Armband.     S.  Armring,  Ringe. 

Armillae.     184. 

Armring.     S.  a.  Ring.     A.   von  Bronze  94. 

A.  emaillirt  224. 
Armspange.    R.  Armring,  Ring. 
Arsaciden.     210. 
Arser.    246. 

Aschenkrüge.     S.    Urnen. 
Asciepiadeen.    58.  248. 
Asien.    45.  77  u.  ff. 
Asowsciies  Meer.    77  u.  ff. 
Assyrier.     155. 
Astarte.    61. 
Asterabad.     06. 
Astrachan.     64. 
Astrolabebay.    47. 
Atacama,  Wüste  von  A.    242. 
Atavismus.     91.  280  u.  ff. 
Atchin.    47. 
Aucas,  Indianer.     59. 
Auerochs.     115.     S,  a.  Ur,  Rind. 
Augenfarbe.    Der  Lappen  32.    Erhebungen 

über  die  A.   in  Deutschland    40.    90. 

182.  202  u.  ff  273.    Erhebungen  über 

dieselbe  in  Galizien  119. 
Augsburg.     46. 
Ausgrabungen.    12  u.  ff.  16  u.  ff".  17  u.  ff.  41. 

42.  61.  94.  95  u.  ff.  98.  109.  120.  122. 

149  uff.  213.  214  u.  ff.  235.  269.  277. 
Aussatz.    92. 

Australien,  Australier.     70.  146  u.  ff. 
Avaren.     Schädel  152. 
Axvalla-Heide..     75. 
Axt.     S.  a.  Beil,  Waffen.    Von  Eisen  106. 

A.  der  Nicobaresen  189.  ^ 

B. 

Baalsoultus.     62. 

Babilonia.     160. 

Babow  bei  ("ottbus.     135. 

Bademeusel,  Gross,  bei  Forst  i/L.     133. 

Baer.     Knochen  25.  219.     B.  in  der  Sage 


30.  149.    B,  der  quaternären  und 
Jetztzeit  195. 

Baerenskirchhof.    12. 

Baerwaide,  Pommern.     25. 

Baffinsbay.     143. 

Bagara.    44. 

Bagh-i-zerescht.    65. 

Bahamainseln.     146. 

Bahia.    42. 

Baku.     64.  Qß. 

Balanites  aegypt.    58. 

Ballinskellygsbay.    52. 

Baltisch-uralischer  Höhenzug.    78. 

Balumbo.    88. 

Bamberg.     234  u.  ff. 

Banks-Halbinsel,  Neuseeland.     8. 

Bantetje.    43. 

Bantik.     11. 

Bantu.    24.  43. 

Bapedi.    S.  Basuto. 

Barchlin,  Prov.  Posen.  Burgwall  daselbst 
10  u.  ff  99  u.  ff'. 

Barsch.     105. 

Barta.    S.  Berta. 

Basel.    137. 

Basilia.    62. 

Basken,  Baskisch.    38.  55. 

Basuto.     20  u.  ff 

Batklapi.     21. 

Baumwolle.    58. 

Bayaka.    88. 

Bayern,  Bayerisch.    50  u.  ff.  201  u.  ff.  J73. 

Becher,  von  Thon.     12. 

Befestigungen.  S.  a.  Burgwall,  Brandwall, 
Wall.  B.  der  Guarani's  60.  98.  B. 
von  Werle  98.  Bei  Reitwein  112. 
Bei  Rostarzewo,  (Wollstein)  122.  Bei 
Stargardt  i/Pomm.   125  u.  ff. 

Begräbnissplätze.  S.  a.  Gräber  u.  Gräber- 
leider,     ß.  der  Guebern  210. 

Behaarung.  Der  Hottentotten  22.  Der  Lap- 
pen 31  u.  ff. 

Beil.  S.  a.  Axt,  Steingeräthe,  Waffen,  B. 
aus  nephritähnlichem  Gestein  48  u.  fi'. 

Belang  11. 

Belgien.     51.  233. 

Belitz.     198  u.  ff 

Bemalung  d(!r  Haut.     S.  Hautbemalung. 

Bemalung  von  Gefässen.  8.  41.  111.  146. 
158  u.  ff: 


(293) 


Bentenan.     11. 

Beresenik.     79. 

Berge  bei  Forst  i/L.   133  n.  ff, 

Berlin.  Königl.  Museum  daselbst,  S.  Mu- 
seum. Mark.  Prov.  Mus.  das.,  S. 
Museum.  Anatom.  Museum  das.,  S. 
Museum.     Funde  das.  44,  45.  136. 

Bernstein.     62.  112.  123.   197.  218  u.  ff. 

Berta.     44. 

Beschneidung,  Beschnittene.     19. 

Betel,    1<S7. 

Betschuanen.     20  u.  ff". 

Beuchow,  Gross,  Brandenburg.     12.^. 

Biber.     146.  219.  238. 

Bibliothelc  der  Berl.  Authrop.  Ges.   271  u.  ff. 

Bieler  See.     154. 

Bienenwalde  bei  Ruppin.     12,  17. 

Biere  bei  Schoenebeck.     233  u.  ff, 

Bifang.     52.  204  u.  ff 

Bindfadenornament.     S.  Ornament, 

Björkö,  Schweden.     99. 

Birma,  Birmesen.     186  u.  ff".  214. 

Bischari.     44, 

Bison.     115. 

Bitumen.    57. 

Bleek,  Dr.     231. 

Blei,     198  u.  ff  278. 

Blossin  b.  Königs- Wusterhausen.    247  u.  ff. 

Bobersberg,  Schlesien.     93. 

Böhmen.     52.  95  u.  ff. 

Bölkendorf,  Brandenburg.     123  n.  ff. 

Boers,  Bauern.     23. 

Bogen.     88.  146. 

Bogota.     146, 

Bologna.     154. 

Bongo.     24. 

Boot.     146. 

Boroa  =  Hottentottengegend.     21. 

Bos  primigenius.    S.  a.  Auerochsen,  Ur.   234. 

Botocudos.     159  u.  ff. 

Bottnischer  Meerbusen.     228  u.  ff. 

Brachycephalie.    S.  Schädel  u.  Schädelform. 

Brandenburg,  .Mark.     12.  93.   105.  273. 

Brandenburg  a/H.     198  u.  ff. 

Brandwall.  Von  Stradow,  Polen.  96.  Im 
Dckersee  96. 

Branitz  bei  Cottbus.     276. 

Brasilien.    41.  42.  44.  49.  116  u.  ff.  146.  271. 

Braunshain.     41.  93  u.  ff.  238. 

Braunschweig.     96  u.  ff.   108.  135.  273. 


Bremen.     120.  273. 

Britannien.     137.  141. 

Brodowin,  Brandenburg,     16. 

Bromberg.     122. 

Bronze.  Fibula  17.  42.  147  u.  ff  197.  B.- 
Fund von  Bienenwalde  17.  Von  Zu- 
chen  in  Pommern  25.  Von  Rabenstein 
93.  Aus  dem  Scharkathal  97.  Aus 
Livland  215.  224  u.  ff.  Aus  Russischen 
Gräbern  239.  Aus  Posen  256.  B.- 
Geräthe  26.  Von  Löbstedt  42.  45.  62, 
In  Urnen  gel".  87.  Von  Zaborowo  109 
u.  ff.  Des  Märkischen  Prov.  Mus.  281. 
Gelte  44.  HO.  125.  157.  B.-Gefässe 
45.  47.  102.  106.  107  u.  ff.  Bronzeeimer 
von  Pansdorf  107.  Bronzeeimer  von 
Strakonitz  108.  Bronzegefäss  108.  109. 
197.  B.-Nadelu60. 106. 107.  B. -Lampen 
61.  B. -Figuren  87.  92.  Löwenkopf  92. 
Greifenkopf  32.  Eberfigur  97.  100, 
Vogelfiguren  108.  Figur  eines  Lind- 
wurmes (Eidechse)  114  u.  ff.  145.  8ta- 
tuette  185.  B.-Meissel  44.  B.-Perlen 
87.  114.  B.-Ring  87.  92.  106.  110. 
114,  124,  VonZahsow  128,  134,  Aus 
der  Gegend  von  Cottbus  184  u.  ff.  197. 
225.  Halsringe  232.  B.-Klumpen  87, 
B.-Postament  92.  231.  B.-Mimze  92, 
B.-Schildbuckel  92.  Buckel  106  u.  ff  B.- 
Spiralplatten  106  u.  ff.  B. -Lanzenspitze 
106  u.  ff.  B. -Ohrringe  107.  B.-\Vagen 
108.  B.-AngelllO.  B.-Pferdegebiss  111. 
113  u.  ff.  154  u.  fl.  B.-Paalstaf  134. 
B.-Axt  146.  B.-Schwert  147.  154.  B.- 
Spirale 147.  ß.-Fluss  157.  Stahlgraue 
B.  246  u.  ff  B.-Grapen  243.  ß.-Draht- 
gehänge  278.     Gussform  f.  B.  282. 

Bronzeanalysen.    197  u.  ff  246  u.  ff.  247  u,  ff, 

Bronzezeit.     45.  61  u.  ff.   106  u.  ff'.  114  u.  ff. 

Brüssel.    Internationaler  Cougress  das.  233. 

Brunhilde.     30. 

Brunn  am  Steinfelde.     98. 

Brunnensee.     232. 

Buckel  von  Bronze.     106. 

Budweis.     106. 

Büffel.     146. 

Buenos  Ayres.     59.  146. 

Bug.     M>. 

Bugi.     11. 

Bulletino  di  paleoetnologia  italiaua.     12. 


(294) 


Bumerang.     147. 

Burg  im  Spreewalde.     185. 

Burgwall.  Bei  Wollstein,  Posen  10.  100 
u.  ff.  126  u.  ff  278  u.  ff  ß.  von  Barch- 
lin,  Posen  10.  99.  B.  bei  Schollehne, 
Brandenburg  17.  B.  von  Zahsow  b. 
Kottbus  91.  127  u.  ff.  129.  213.  269. 
ßrandwälle  96.  Burgwall  von  Werle 
98:  B.  von  Karne  100  u.  ff.  278.  B. 
bei  Garz  a.  Rügen  136.  B.  von  Priment 
154,  ß.  von  Kohlhasenbrlick  243.  B. 
am  Lüptow-See  286. 

Burtneeksee,  Livland.     85.  214  u.  ff. 

Buschleute.     18  u.  ff.  33.  231. 

Buschmänner.     S.  Buschleute. 

Byzanz.     217. 

C, 

Cablnda.     S.  a.  Kabiuda  43. 

Cahirceveen.    52. 

Calama.     242. 

Calathus.     12. 

Calebassen.     146. 

Callfornlen.     146. 

Calotropls  procera.    58. 

Camerun.    88. 

Gammln  in  Pommern.     136  u.  ff. 

Camorta.     185  u.  ff.   193  u.  ff". 

Canada.     183. 

Canalo  falso.     191. 

Canniballsmus.     9.  22. 

Canoe.     9.    194. 

Canterbury-Ebene.     9. 

Cap  der  guten  Hoffnung.      19. 

Carlos.     59. 

Car  Nicobar.     187. 

Cassarlnde.   S.  a.  N'Kassarinde  88.  248  u.  ff. 

Cassiteriden.     62. 

Castratlon,     19.  Anmerkung. 

Caygoua.     159  u.  ff'. 

Caygowas.     S.  Caygoua. 

Celebes.     8.  Selebes. 

Cell     Von  Bronze  44.  97.   110.   125.    H.a. 

Bronze. 
Gelten.     S.   a.    Kelten.     Schädel    52.    271. 

272  u.  ff 
Gerekwice.     277. 
Gervetri.     46. 
Geylon.     71. 
Ghaicedon.     145. 


Ghalchihuiti.    49. 

Ghamaecephalie.     120. 

Ghan.     239. 

Ghanna.     40. 

Chartographie,  praehistorische.  Von  Deutsch- 
land 56.  Von  Posen  121  u.  ff.  256 
u.  ff.  273.  Von  Bayern  202.  Von 
Pommern  u,  Brandenburg  273.  Le- 
gende internationale  273. 

Ghargeh.    58. 

Charzan.     64. 

Ghlbchas.     144  u.  ff. 

Ghile.     57.  146.  271. 

Ghlmpanse.     S.  Affe. 

Ghina,  Ghinesen,  Ghinesisch.  Photographien 
40.  Nephritsachen  48.  China  49. 
193.  239. 

Ghintetje.     S.  a.  Schintetje  43. 

Ghlone  Stuchburgi.     9. 

Ghlrique.     144  u.  ff". 

Ghlorit.     75. 

Ghloromelanit.    48  u.  ff.  72  u.  ff. 

Ghorin.     16. 

Ghorotegen.     119. 

Ghrobrz,  Polen.     96, 

Geslin,  Pommern.     286. 

Gollisberg.     235. 

Colonat.     137. 

Colorado.     182. 

Golumbien.     Alterthümer  88. 

Comoren.     143.  269. 

Conformateur.     11.  26.  39.  210. 

Congo.     S.  a.  Kongo.     43. 

Gongress.  Internationaler  für  praehistorische 
Archäologie.  Zu  Stockholm,  S.  Stock- 
holm. Zu  Pesth,  S.  Pesth.  Zu  Brüs- 
sel, S.  Brüssel.  Zu  Bologna,  S.  Bo- 
logna. 

Gonstantinopel.     66  u.  ff. 

Cook.     88. 

Gordilleren.     146. 

Gordula.     136  u.  ff. 

Goroados.     165.     Anmerk. 

Coropös.     160  u,  ff. 

Costarica.     119.  271, 

Cottbus.     91.   127.   131.   184  u.  ff  269. 

Covallin.     247. 

Grossen.     44. 

Gultusgegenstände,  S.  a.  Götzenbilder.  49u.ff. 

Cultusministerium,  l'reussisches.   40.  90.  274. 


(295) 


Cunco-Indianer.     8. 

Cuzko.     144. 

Cyste.     Von    lironze.     S.    a.     Ijronze.     47. 

*      102  u.  £f.   107  u.  ff. 
Czermna,  Russland.     99. 
Czeszewo,  Posen.    99. 
Czettritz,  Gross-,  Neumark.     93.   105. 

D. 

Daher,  in  Pommorn.    97.  lOD.  130.  198  u.  ff. 

Dachauer.     204. 

Dachel,  Oase.     57  u.  ff.  9:'..  271. 

Dänemark,  Dänen,  Dänisch.     42.  51. 

Dahme.     4(). 

Dardanellen.     7  u.  ff. 

Darfur.    44. 

Darzau.     104. 

Dattelpalme.     57  u.  ff 

Decentius.     92. 

Deformirung,  künstlicho,  S.  ;i.  Verstümme- 
lung. D.  des  Kopfes  S.  Schädeldefor- 
mirung.     D.  der  Labia  minora  22. 

Dekastri.    40. 

Denka,  Denqua.    44.  185. 

Derwische,  tanzende.     67. 

Desterro.     167  u.  ff. 

Deutsche.    »S.  a.  Germanen.   Gräber  17.  217. 

Deutschland.  Funde  50.  51.  Prähistorische 
Chartographie  S.  Chartographie.  D.  81. 

Deutsch-Poppen,  Prov.  Posen.  Burgwall  das. 
10  u.  ff. 

Devin-See.      Urnen  von  dort   13. 

Djaali.     44. 

Diabas.     75  n.  ff'.  23G. 

Dichtkunst.     30. 

Dichroit.     71. 

Diluvium.  232.  S.  a.  Knochen-  u.  Stein- 
gerätho. 

Dinkaneger.     23. 

Diorit.     97.   146. 

Dipterocarpus  laevis  92.     Griffithii  92. 

Dirt,  Dirtbed.     8  u.  ff 

Djulfa.     65. 

Dnjepr.     80. 

Dnjestr.    80. 

Dobieczewko,  Posen.     133, 

Doicafluss.     100  u.  ff. 

Dolichocephalie.     S.  Schädelform,  Schädel. 

Dolmen.     149. 

Donauländer.    81. 


Dondon.     76. 
Dongolani.    44. 
Dore.    47  u.  ff. 
Dorpat.     85. 
Dravidier.     269 
Dresden.     34. 
Düna.     79  u.  ff. 
Durrha.    21  u.  ff 


217. 


E. 


Eber.     Von  Bronze  97. 

Echinus.     S.  Seeigel. 

Edelhausen  b.  Weimar  42. 

Ehsten,  Esten,  Esthen.  Sagen  30.  Schädel 
34.  36  u.  ff'.  38.  216  u.  ff.  225.  228  u.  ff 

Eiche.     104. 

Eidechse.     Von  üronze  87. 

Eimer.     S.   Cysten. 

Eisen.  Ringe  28.  Nadel  28.  Gerüthe  42. 
156.  Lanzenspitze  45.  92.  116.  Scheere 
45.  Pfeilspitze  97.  98.  185.  213.  Mes- 
ser, Nägel  u.  Schnallen  100.  102  u.  ff. 
106.  Halbmondförmiges  Messer  108. 
Messer  116.  125.  Nägel  u.  Messer 
197.  Axt  106.  Funde  von  Zaborowo 
109.  Waffen  111.  Glockenklöppeln 
111.  Dolch,  tauschirt  130.  Eisen  u. 
Bronze  198  u.  ff.  231.  246  u.  ff  Funde 
in  Posen  257. 

Eisenzeit,  Eisenperiode,  Eisenalter.     45.  46. 

Elbe.     101.   233. 

Eibland.     46. 

Ei-Carmen.     59. 

Elch.     100.   126.   127. 

Elephantiasis.     187. 

Elenthier.     30.   100. 

Elsass.     51. 

Else.     104. 

Elster,  Schwarze,  Fluss.     133. 

Email.     98.  224.  256  u.  ff. 

Emden.     182. 

England.     51. 

Enontekis.     225. 

Ente,  Anas  moschata.     60. 

Erbsen.     104. 

Ernährungszustand.  Der  Lappen  33  u.  ff. 
l.)or  ßuschleute  33. 

Erxieben,  Reg.-Bez.  Magdeburg.     148. 

Eskimo.     143. 


(296) 


Ethnologisches   Museum,    König!,    zu  Berliu. 

90.     S.  a.  Museum. 
Etrurien.     197. 

Etrusker,  Etruskisch.     4G.  153.   157. 
Europa.    48  u.  ff.  149. 
Eutin.     107  u.  ff. 
Exin,  Posen.     133. 
Eygenbilsen,    109. 

F. 

Faraiyah,  Syrien.     25. 

Federkopfschmuck.     119. 

Feldspath.    49. 

Fell.     Als    Kleidung    19.     Pantherfell    22, 

Löweufell  22.     Renthierfell  28.  222. 
Felsenzeichnungen.    61.  209  u.  ff. 
Ferchau  b.  Salzwedel.     148. 
Ferrajeh.     Knochenhöhle  das,  149. 
Fetisch.     88. 
Fetischpriester.     249. 
Feuererzeugung.     192. 

Feuerhölzer.  9.  S.  a.  Nicobaren  u.  Feuer- 
erzeugung. 
Feuerstein.  Knollen  8.  Beile  u.  Aexte  44. 
4G.  71.  Messer  10.  100  u.  ff  Pfeil- 
spitzen 145.  223.  245.  Bearbeiteter 
Feuerstein  146.  207  u.  ff  218  u.  ff 
232  u.  ff".  245.  In  Posen  gefunden 
256  u.  ff 
Feuerwaffen.     21. 

Fibula.     S.  a.   Bronze,    Eisen  u,  Schmuck. 
F.  von  Bronze  17.  26.  42.  109.    Unga- 
rische F.  109  u.  ff.  114.    Aus  Jütland 
141.     Von  Ferchau   148.     Von  Fraore 
197.     Aus  Livland  215.  224. 
Fidji-,  Fidschi-Inseln.     27.   147. 
Figur,  Figuren.     S.  a.  Gestalt,   Thonfiguren, 
Götzenbilder,  Bronze-  u.  Thierfiguren. 
146.  158. 
Filigran.     146. 

Fingerring.  S.  a.  Ring.  F.  von  Bronze  26.  94. 
Finnen,  Finnisch.   29  u.  ff  77  u.  ff  227  u.  ff 

228.  238  u.  ff'. 
Finnland,  Finnmarken.     29  u.  ff.  228  u.  ff. 
Fisch,  Reste  von  Fischen.  S.  Fischschuppen. 
Fischschuppen.     104  u.  ff   228  u.  ff, 
Flachs.     9.  58. 
Flaeming.     124. 

Flasche.     146.     Taparratlasche   146.     S.  a, 
Calebasse. 


Flöte.     S.  a.  Pfeife.     Fl.  aus  Thon  119. 

Formosa.     Schädel  von  dort  8.  270. 

Forst  in  der  Lausitz.     133  u.  ff. 

Fränkische  Schweiz.     94.  235. 

Frankfurt  a.  d.  Oder.     85. 

Frankreich.    Schädelformen  38.    Hochäcker 

51.  149. 
Fraore.     197. 

Freistaet,  Schlesien.     277. 
Freudenthaihöhle.    25. 
Friedrichswalde,  Prov.  Brandenburg.     15. 
Fuchs.     127. 
Fuenen.    231. 
Fungi.    44. 

G. 

Gabun.    250  u.  ff 

Gades.    62. 

Galata.    67. 

Galgenberg  b.  Neustadt  a.  d.  D.     18, 

Galizien.     99.  118  u.  ff". 

Galla  (Neger).     269. 

Gallien,  Gallier,  Gallisch.    41. 

Ganggrab  auf  Möeu.     63. 

Garriep.    21. 

Garz,  Pommern.     97. 

Garz  a.  Rügen.     136. 

Gay,  Posen.     123. 

Gedichte.     S.  Dichtkunst. 

Gefässe.  S.  a.  Thongefässe,  Brouzegefässe  45, 

Geisa  in  der  Rhön.     42. 

Geisterbeschwörung.     S.  Zauberei. 

Genf,  Museum  das.     73. 

Geräthe.  S.  Steingeräthe,  Thongerätho, 
Bronze-  u.  Eisengeräthe. 

Germanen,  Germanisch.  45.  273.  S.  Deutsche, 
Deutschland. 

Gesang.  Tactgesäuge  der  Hottentotten  19. 
Zaubergesänge  der  Finnen  30. 

Gesellschaft.  Berliner  Anthropologische  G. 
1  u,  ff'.  Verwaltungsbericht  für  1875 
268  u.  ff 

Gesellschaft,  Afrikanische,     248, 

Gesellschaft,  Deutsche  Anthropol,,  S.  Anthro- 
pologische Gesellschaft. 
Gesellschaft,  Deutsche,  für  Natur-  u.  Völker- 
kunde Ostasiens.     42. 
Gesichtsfarbe,  Gesichtstypus.  18.   S.  a,  Haut- 
farbe. 


(297) 


Gesichtsurnen.  G.  von  Möen  63.  Voo  Pome- 
rolleii  115.  158.    Mexikanische  G.  144. 

Gestalt.     S.  Figur. 

Getreide.     102.   105.   116. 

Gewebe.     S.  Kleider,  Matten,  Seide. 

Giessstätte.     114. 

Glambeck,   Brandenburg,      1.3. 

Glas.  Perlen  112.  157.  Fläscli(;lien  1.52. 
Gnidelstein    IH'.'i. 

Glasur.     232.  236. 

Glimmerschiefer.     120. 

Glocke.     159. 

Glocknitz.     08. 

Glogau.     104.   115. 

Gnidelstein.     183. 

Goajlros-Indianer.     Photographien  88. 

Göritz  b.  Cottbus.     133. 

Göttingen.     120. 

Götzenbild.  S.  a.  Idol,  Figur.  G.  von  Vene- 
zuela 42.  Aus  nephritähnlichem  Ge- 
stein 48u.£f.  71  u.ff.  144.  147.  189u.£f. 

Gold.  20.  Goldstoff  27.  Goräthe  u.  Scimiuck- 
sachen  46.  133  u.ff.  146.  197.  259.  276. 

Goldküste.    250. 

Goilenberg.     99. 

Gorilla.     S.  Affe. 

Gorwal.     102  u.  ff.  107  u.  ff   197  u.  ff 

Goslar.     1 35. 

Gothen,  Gothisch.     225. 

Gottesgericht.     249. 

Gottland.     62. 

Goytacazes.     160. 

Grabhügel.  S.  Hügelgräber,  Gräber,  Gräber- 
feld, Steiagräber. 

Gräber.  S.  a.  Gräberfeld,  Hügelgrüber, 
Steingräber.  G.  bei  Obornik  12.  63 
u.ff'.  Bei  Joachiinsthal  \2.  Am  (jrim- 
mitzsee  13  u.  ff'.  Bei  Friedrichswalde 
15.  Bei  Ringenwalde  15  u.  ff.  Auf 
der  Schorfhaide  16.  In  der  Lieper 
Forst  16.  Bei  Bieneuwalpe  17,  Bei 
Schollehne  17  u.  ff'.  Bei  Hohenuauen 
18.  Bei  Gross-Lüben  18.  Bei  Wils- 
uack  18.  In  Posen  18.  121  u.  fl.  256 
u.  ff.  Bei  Bromberg  122.  Bei  Gay 
in  der  Nähe  von  Samter  123.  Bei 
Stendal  18.  Aino-G.  27  u.  ff".  G.  bei 
Rönning  46.  In  Bayern  51.  Bei 
'Rabenstein.  Franken  94.  204.  Felsen- 
grab auf  der  Oase  Dachel  57.    G.  bei 


Persanzig  60.  Auf  Gottland  62.  Auf 
Möen  63.  Bei  Samthawro  66.  149  u.  ff. 
Bei  Plavno,  Böhmen  106.  An  der 
Weser  107.  In  Galizien  118.  Bei 
Werben  119  u.  ff.  Bei  Bölkendorf 
123  u.  ff.  Indianergrab  119.  G.  bei 
Cuzko  144.  G.  der  Chibchas,  Panama 
144.  In  Ohio  145.  In  ßrasUien  159 
u.  ff.  G.  bei  Fraore  197.  Schiffsgrab 
in  Livlaud  214  u.  ff'.  Am  Rinnebügel 
217  u.  ff.  In  Russland  239  u.  ff.  Bei 
Ruszcza  258.  G.  bei  Collisberg  (Gera) 
235.  Auf  Nord-Selebes  258  u.  ff.  In- 
dische G.  259.  278. 

Gräberfeld.  S.  a.  Gräber.  G.  in  Posen  10. 
Bei  Dobryszyce,  Polen,  28.  In  Thü- 
ringen 4ä.  Bei  Braunshain  41.  93  u.  ff. 
ürnenfelder  u.  Urnenbegräbnisse  42, 
G.  bei  Uelzen  51.  Bei  Kolkwitz  91. 
128  u.  ff".  Im  Scharkathal  97.  Bei 
Glocknitz  98.  Bei  Brunn  am  Stein- 
felde 98.  Bei  Heddernheim  u.  Nieder- 
ürsel  98.  Bei  Zaborowo  102  u.  ff. 
109  u.  ff.  154  u.  ff.  247  u.  ff.  Bei  Darzau 
104.  Bei  Seelow  1 13  u.  ff.  247  u.  ff.  Bei 
Rosdorf  120.  Bei  Samter  123.  Bei 
Westeregeln  208.  Bei  Drütte  208.  Im 
Ammerlande  (Oldenburg)  231.  Bei 
Berlin  238.  Bei  Blossiu  in  der  Nähe 
vou  Küuigs-Wusterhausen  247  u.  ff. 
Bei  ßranitz  276. 

Graetz,  Posen  247. 

Grapen.     243. 

Graphit.     111. 

Great  Nicobar.     187  u.  ff. 

Greifenkopf  vou  Bronze.     92.  2H2. 

Griechen,  Griechisch,  Griechenland.  Schädel 
u.  Skelet  26.  41.  54  u  ff'.  &2.  91.  119. 
270  u.  ff  279  u.  ff'. 

Grimnitzsee.     13. 

Grönland.     143.  270. 

Grossfluss.     21. 

Grübchenstein.     136. 

Grünstein.     145. 

Guadalaxara.     146. 

Guanovulit.     165. 

Guarani.     59.   165  u.  ff'. 

Guebern.     65  u.  ff.  150  u.  ff.  210  u.  ff. 

Guerandi.  irrthümlich  für  Querandi  ge- 
braucht.    59. 

10** 


(298) 


Guestrow.     232  u.  ff. 

Gurjon-Oel.     92. 

Gurschen,  Posen.     122. 

Gusow.     116. 

Gussform.     282. 

Gute  Hoffnung,  Posen.     122. 

Guyana.     144.   Iö9. 


H. 

Haarbildung.     91.  279  u.  ff. 
Haarfarbe.    Ermittelungen  über  dieselbe  in 
Deutschland  40.  90.  182.  202  u.  ff.  273. 
H.  der  Lappen  32.    Der  arischen  und 
turanischen  Völker  32.    Der  Zigeuner 
32.     Der  Finnen    32.     Ermittelungen 
in  GaJizien  119. 
Haarnadeln.     S.  Nadeln. 
Haarproben.   Von  Südseeinsulanern  27.  Von 

den  SomfU  143. 
Haartracht.     21  u.  ff. 
Hadjl's  Tekarlne.    41. 
Haiti.     76. 
Haken.     18. 

Halle.     Museum  das.  42.   124. 
Hallstadt.     46.  108. 
Halsring.     S.  a.  Ring.     94.  232. 
Halsschmuck.     S.  a.  Schmuck.    Thierdärme 
als  H.    22.     H.    von   Bronze    94.     H. 
aus  Zähnen  und  Glasperleji   119.     H. 
des  Monbuttu-Königs  Munsa  196  u.  ff" 
H.  von  Lehmden  232. 
Ham.     21. 
Handelswege.     119. 
Hannover.     96  u.  ff.  98.  107. 
Hans-Jochen-Winkel,  Altmark.     18, 
Harpune.     143.  218  u.  ff. 
Hasaui.     44. 
Hausthiere.     Der    Guarani    59.     Reste    S. 

Knochen. 
Haut.     Thierhaut  S.  Fell. 
Hautfarbe.    Ermittelungen  über  dieselbe  in 
Deutschland  40.  90.  182.  202  u.  ff.  273. 
H.  der  Hottentotten  u.  Euschleute  18 
u.  ff".     Der  Lappen  32.     Der  Indianer 
59.     Der  Nicobaresen   186  ii.  ff',     Er- 
mittelungen in  Galizien  119. 
Havelland.     17  u.  ff, 
Heddernheim.     99. 

Heglig  --^  iJalauitas  acgyptiao.     58. 
Heinrich  I.     lo4.  , 


Helentrud.     137. 

Heliotropquarz.     50. 

Hellenen.     S.  Griechen. 

Helm.     88. 

Helmzier.     92. 

Helmstedt.     147. 

Helsingfors.     Lappenschädol  das.  34. 

Herodot.     23. 

Herse  i.  Westfalen.     137. 

Heuschrecken.     Als  Speise  22. 

Hexenberg  b.  Neustadt  a.  d.  Dosse.     18. 

Hexerei.     S.  Zauberei. 

Hiongnu.     239. 

Hippokrates.     154. 

Hirsch.    Knochen  25.    Geweih  47.  87.  101. 
105.   111.   115  u.  ff   127. 

Hirschhorngeräthe.     125  u.  ff.  219.  237. 

Hirschhornhammer.     97. 

Hissarlik.     276. 

Hochäcker.     S.  a.  Bifang.    50  u.  ff. 

Hodnods.     S.  Hottentotten. 

Hodnodos.     8.  Hottentotten. 

Höhle.     S.  a.  Knochenhöhle.    H*  des  Liba- 
non 25.    Im  Liudenthal  127.    In  Bra- 
silien   159  u.  ff".     Im  Freudenthal    bei 
Schaffhausen  25.  271. 
Höhlenbär.    S,  a.  Bär.     127. 
Höxter  a.  d.  Weser.     50. 
Hohennauen,  Brandenburg.     18. 
Hohenwalde,  Brandenburg.      16. 
Hohenzieritz,  Mecklenburg.    46. 
Holländer.     19. 
Holontalo.     11. 
Holstein.     79. 
Holtop.     107. 
Hoo.     191.' 
Hornblendegestein.     75. 
Hornstein.     146.     Geschlagen  89. 
Horöba,     209  u.  ff. 
Hottentotten,     is  u.  ff". 
Hottentottenschürze.    22. 
Hradiste  b.  Pisek.     109. 
Hradschin,     97. 

Hügelgräber.  S.  a.  Gräber.  Nahe  dem 
Grimmitzsee  13.  Bei  Ringenwalde 
16.  Bei  Zuchen  26.  Bei  Rönning 
46.  In  Bayern  51.  204  u.  ff.  Bei 
Rabenstein  in  Franken  94.  Bei  Per- 
sanzig  60,  ImAmmerlande,  OldenOurg, 
231.     Bei  CoUisberg,  Gera  235  u.  ff". 


(299) 


Schcere  45. 


liaskiscli   u.  Celtibe- 


Hünengräber.  S.  a.  GrJiber.  Bei  Joachims- 
tlial    I2u,  ff.     Bei  Riiigeuwulde   16. 

Huhn.     101. 

Humphrey-Inseln.     147. 

Hund.  Als  Jagdthier  0.  Schädel  vom  H. 
87.    Von  Bronze  10'.».    Reste   IM  HG. 

Hunnu.     230. 

Hut.     146. 

Hyäne.     127.     S.  a.  Knochen,  Höhlen. 

Hylobates.     S.  Affe. 

I. 
Jablon.    80. 
Jade.    49. 

Jadeit.     48  u.  ff".  72  ii.  ff. 
Jämischer  Oialect.    22.s. 
Jamaika.     249  u.  ff". 
Japan,  Japanisch.    Scliwert  27 
Japanesen.     27.  210. 
Jaspis.    49. 
Iberer,  Iberisch.    S.  a 

risch.     Ö5. 
Idol.     S.  Götzenbild. 
Jena.    42.  134. 
Ihnafluss.     125. 
Ilmensee.     80. 
Ilyad.     (>4. 
Imperatorskoi.     40, 

Indianer.  Vom  Amazonenstrom  49.  Chile- 
nische I.  9.  57.  Pampas-I.  59  u.  ff. 
Brasilianische  I.  116.  119.  159  xi.  ff. 
Querandis,  Puelches.  Tehiielches,  Gua- 
rauis,  Carios,  Ranqueles,  Patagonier, 
Araucaner,  Aucas  59.  Tules  u.  Goa- 
jiros  88.  Viceitaindianer  119.  I.  von 
Peru  121.  Von  Minnesota  125.  Von 
Guyana  144.  I.  Cirab  in  Ohio  145. 
I.  von  Bogota  140. 
Indien.     259  n.  ff. 

Indogermanen,  Indogermanisch.     )2. 
Joachimsthal,  Brandenburg.      12. 
Jobl.     48. 

Irisfärbung.     S.  Augenlarbe. 
Irland,     b'2.  271. 
Irvi.     189. 

Island.     30.  51.  229. 
Ispahan.     (U  u.  ff. 

Italien.      Brachycophalc    Schädel    das.     38. 
41.      Bronz.egefässc    45   n.   ff".     Thon- 
gefiisse  (kS.    130.   157. 
Juden.     119. 


21. 
31. 
31. 
30. 
:  Kalcwa-Söhne. 


146. 


Judenburg.    46. 
Jüterbogk  18:;  u.  ff. 
Jütland.     51.  141  n. 


Kälberwerder.     245. 

Käsestein.     120. 

Kaffern.     21. 

Kafusos.    43. 

Kairo.     20. 

Kalahari-Wüste 

Kalewa-Land. 

Kalewa-Runen. 

Kalewa-Söhne. 

Kalla  parnech 

Kailies,  Pommern.     94 

Kalmücken.     G4.  118. 

Kaln  Slaweek.    214. 

Kama.     78. 

Kamm.     97  u.  ff.  126, 

Kanembu.    44. 

Kanne,     von  Thon  12 

Kanno.    44. 

Kanonenberg.     127, 

Karelien,  Karelisch.    228  u.  ff. 

Karesuando.     225. 

Karne,  Posen.     100  u.  ff". 

Karpathen.     80  u.  ff. 

Kasan.     78  u.  ff. 

Kaspisches  Meer,    64.  66. 

Kaspische  Tiefebene.    79. 

Kassimpascha.     67. 

Kastrawan.     25. 

Katharinenstadt.     79. 

Kaukasus,  Kaukasisch. 

Kaurimuscheln.     214  u 

Keifluss.     21. 

Kelt.     S.  Celt. 

Kelten,  Keltisch. 

Keltenornament. 

Kempen,  Posen. 

Kephalonen.     120. 

Kerry-County.     52. 

Kertsch,     66.  149  u.  ff. 

Kesselurnen.     243. 

Kesselwagen.     Von  Judenburg    46. 

Bronze  wagen. 
Kettlach,  Ünter-Oesterreich.     98. 
Keule.     19.  147. 
Khorud.     65. 


64.  66.  149. 

ff. 


41.  45.     Schädel  52. 
99. 
122. 


(300) 


Kiefern.     104. 

Kieselschiefer.     145. 

Kllian.     137. 

Kinderklapper.  Von  Thon  86  u.  ff.  93  u.  ff. 
113. 

Kinderspielzeug.     232. 

Kjökkenmödding.  67.  Auf  den  Andamanen 
92.   103.   115. 

Kladau,  Böhmen.     98. 

Klapper.     146. 

Klapperblech.     108. 

Kieider.  Von  Fellen  19.  222.  Von  Ren- 
thierhäuten  28.  32.  Von  Fellen  und 
Leder  22.  Von  Leder  107.  Wollene 
Kleider  225.  Kl.  der  Indianer  59. 
Der  Neger  88.  Der  Nicobaresen  194. 
Der  Lappen  227. 

Kleinasien.     67. 
•      Kloppenburg,  Oldenburg.     50. 

Knochen.  S.  a.  Bein.  Moaknochen  8  u.  ff. 
Menschliche  Kn.  9.  Kn.  von  Vögeln 
9.  Aus  Höhlen  des  Libanon  25.  Thier- 
knochen  vom  Burtnecksee  in  Livlaud 
85.  Kn.  von  Seelow  87  u.  ff.  Thier- 
knochen  97.  129  u.  ff.  145.  Mammuth- 
knochen  113.  142.  209.  Kn.  aus  der 
Lindenthaler  Höhle  127.  Aus  dem 
Diluvium  206  u.  ff.  Vom  Rinnehügel 
217.     Im  Main  gef.  234  u.  ff. 

Knochengeräthe.  Nadeln  9.  G.  12.  67.  97. 
G.  u.  Pfeilspitzen  218  u.  ff. 

Knochenhöhlen.  Auf  Neu- Seeland  8.  Im 
Libanon  25.  Von  Ferrajeh  149.  S.  a. 
Höhlen  u.  Knochen. 

Knochenreste.  S.  a.  Leichenbrand.  Kn.  von 
Hausthieren  10.  Vom  Torfschwein  12. 
In  Urnen  14.  15.  26.  60.  63.  85.  86. 
87  u.  ff.  94.  114  u.  ff.  123.  125.  Vom 
Hirsch  u.  Bären  25.  Von  Thieren 
100  u.  ff  103  u.  ff  Menschliche  116. 
122. 

Knopf.     Von  Kupfer  21. 

Knopfnasen.     S.  Kuopneusen. 

Knopneusen.   13. 

Kobalt.     1 98  u.  l'f.  246  u.  ff. 

Kobylnic.     99. 

Koeben.     93. 

Köcher.     88. 

Köln.     137  u.  ff. 

Königgrätz.     98.  100. 


Köritz,  Brandenburg.     18. 

Körpergrösse.  Der  Hottentotten  22.  Der 
Lappen  31  u.  33.  Der  Indianer  59. 
Der  Galizier  118  u.  ff.  Der  Andama- 
nesen  259  xi.  ff.  262  n.  ff. 

Köstritz.     127. 

Kohlhasenbrück.     183.  243. 

Koikoib  =  Namaqaa. 

Kolo,  Polen.     201. 

Kongama-Elf.     225. 

Kongari.     44. 

Kongo.     S.  Congo. 

Kopf.  S.  a.  Schädel.  Rasiren  des  Kopfes 
21.  Köpfe  von  Mulatten  u.  Negern 
42.  K.  von  Holz  aus  der  Oase  Dachel 
57.     Messungen  119. 

Kopfform.     S.  Schädelform. 

Kopfgestell.     S.  Nackenstütze. 

Kopfschmuck.     119. 

Kopfumrisszeichnungen.     124. 

Kopenhagen.  Lappenschädel  das.  34.  Mu- 
seum das.  63.   136.  140  u.  ff.  143  u.  ff. 

Kopnitz,  Posen,     101. 

Kopten,  Koptisch.     21. 

Kora.     S.  Koranua. 

Koranna.  19,  21. 

Korund.  71. 

Kosten,  Posen.     101. 

Krakau.     96  u.  ff.   118  u.  ff.  258. 

Krakowletz.     99. 

Krater.     S.  Gefässe. 

Kreis.     Als  Ornament  26. 

Kreolneger.     43. 

Kreuz.  Von  Eisen  18.  224.  K.  als  Orna- 
ment 112. 

Kreuznach.     46. 

Kriegsministerium.  40. 

Kriewen,  Posen.     101. 

Krim.     77.  149. 

Krinitzsee,  Brandenburg.     13. 

Krusen.     243. 

Küchenabfälle.  S.  a.  Kjökkenmödding.  K. 
.S.     K.  der  Nicobaresen   191. 

Kiinkendorf,   Brandenburg.     13. 

Kuhdorf.     148. 

Kuhkeul.     S.  Koranna. 

Kuhsdorf,  Brandenburg.     282. 

Kum.     65. 

Kupfer.  21  u.  ff  44.  107.  125.  130.  198  u.  ff 
246  u.  ff. 


(301) 


Kuren,  Kurisch,  Kurland;     80.   126. 
Kurgane.     228  ii.  ff. 
Kurganenschedel.  238  u.  ff. 


Labrador.  143. 

Ladogasee.  228. 

Lakomowo,  Posen.     121. 

Lampe.    Von  Bronze  61. 

Lanze.     Von  Holz  1).  122. 

Lanzenspitze,     Von    Stein    71.    14;).     Von 

Bronze    106.    2S1    u.  ff.     Von    Eisen 

45.   92.   116.     Von  Knochen  219. 
La  Piata-Staaten.    58  n.  ff. 
Lappalainen  =  iiappi  (Finnisch). 
Lappen,    Lappland.      12,   28  u.  ff   225  u.  ff. 

269. 
Lappi  =  Lappland  (Finnisch). 
Laucha.    208  u.  ff. 
Launekalln.     214. 
Lausitz.     93.  107.   116.   120.   124.  127  u.  ff. 

133  u.  ff.  269. 
Lebus.     85. 
Lebensdauer.     Der    Hottentotten    22   u.  ff. 

Der  Nicobaresen   194. 
Leder,     22.    Kleider   von    L.    107.     S.   a. 

Kleider. 
Lederhose  bei  Striegau.     93. 
Lehfelde,  Posen.     278  u.  ff". 
Lehmden,  Oldenburg.     232. 
Leichenbrand.     S.  a.  Knochenreste.     L.  17. 

41.  42.  60.  63  11.  ff.  94u.ff.  107  u.  ff. 

114.  214  u.  ff.  243  u.  ff. 
Leinwand.     58.     tf.  a.  Flachs. 
Leipzig.     48  u.  ff. 
Leistenhaus,  Brandenburg.     13. 
Letten.    «SO  u.  ft".  215  u.  ff. 
Libanon.     25.  145.  195. 
Lichtenhain.     42. 
Liepe,  Bramlonburg.     16. 
Ligurer,  Ligurisch.     Schäil(!Horni  38.  55. 
Lima,  Poni.     121. 
Lindenthai.     127. 
Lindwurm.     Von    Bronze    114  u.  ft.     S.   a. 

Fidechse. 
Litthauen,  Litthauer,  Litthauisch.     so  u.  tV. 
LIama.     60. 
Loando.     281. 

Loangoküste.     43.  88.  269. 
Löbstedt  b.  Jena.     42. 


Löffel.     88. 

Löningen,  Oldenburg.     92. 

Löwe,     Fell  22. 

Löwenkopf.     92. 

Lossow.     85. 

Lothringen.     51. 

Louhi.     31. 

Lowat.     80. 

Lublin,  Russland.     99. 

Lübbenau.     128. 

Lüben,  (noss-,   Brandenburg.     18. 

Lüben,  Klein-,   Brandenburg.     18. 

Lübtow.     99. 

Lüptowsee,  Pommern.     286.  - 

Lund.     Lappenschädel  das.     34. 

Lunkow,  Böhmen.     98. 

Luttum,  Hannover.     107. 

M. 
Macahe,  Brasilien.     160  u.  ff.  180  u.  ff. 
Madras.     Schädel  von  dort  188. 
Mäander.     104. 
Mähren.     123. 
Mäotis-See.     154. 
Mafuka,    anthropoider   Affe  des  Dresdener 

Zoologischen  Gartens.    230.  250  u.  ff. 

283  u.  ff". 
Magneteisen.     75. 
Magyar,  Magyarisch.     31    38. 
Main.     234  u.  ff. 
Mainz.     45  u.  ff.  109. 
Mais.     21. 

Makaopa.     S.  Knopneusen. 
Makassar.     48. 
Makongai.     27. 
Makrocephalen.     152. 
Mala,  Lappland.  12.  32.  225. 
Malacca.     189. 

Malayen.     1S6  u.  ft'.  192  u.  ff. 
Malmoe.     136. 
Mammelukos.     143. 
Mammen,  Jütland.   141   u.  ft". 
Mammuth.     S6.    113.    115.    127.    142.    233. 

256  u.  ff 
Manaswari.     48. 
Mancos  River,  Colorado.     I<s2. 
Manihiki,  Humphrey-Inseln.     147. 
Manloene.     188. 
Maori.     9. 
Maracaibo.     146. 


(302) 


March.     96, 

Marren,  Oldenburg.     92.  231. 

Maske.     Hölzerne    von    der    Oase    Dachel 

57  u.  ff.  88. 
Matanza.     59. 

Matte.     Von  Dache!  57  u.  ff. 
Mayombe.     250. 

Meckienburg.    45  n.  ff.  98.  232  u.  ff. 
Medaille.     258. 
Meissel.     Von  Bronze  44.    Eisen  44.    Ans 

nephritähnlichem  Gestein  48  u.  ff. 
Melanesier.     70. 
Mendoza.     59. 
Messer.     Von  Stein    145.   147.   233.     Von 

Bronze  26.  110.  281  u.  ff.    Von  Eisen 

100.  108.  116.  125  u.  ff.  214.  258. 
Messing.     98.  106.  214. 
Mestizen.     43. 

Metall.     S.  Bronze,  Kupfer,  Eisen  etc. 
Mexiko.    49.  144. 
Meyenburg.     198. 
Mina.     43. 

Minahasa.     11.  258  u.  ff.    . 
Minas.     41. 

Mincopies.     70  u.  ff.     S.  a.  Andamaueu. 
Mindanao.     48. 
Minerva.    92. 
Minnesota.     125. 
Missionsstationen.     20.  23. 
Missisippi.     144  u.  ff. 
Missolunghi.     76. 
Mittu.     24. 
Moabit.     47. 

Moa-Knochenhöhle.     S  u.  ff. 
Möringan  am  Bieler  See.   154. 
Mokassins.     146. 
Moldau.     97. 
Monbuttu.     196  u.  ff. 
Bond.     10. 
Mondcultus.     189. 
Mondhenkel  (Ansa  lunata).     98. 
Mongolen,  Mongolisch.    S.  a.  Turanisch.    33. 

36.  38  11.  ff  187.  226.  239. 
Mongondon.     11. 
Monjallo.     43. 

Mordwinen,  Mordwinisch.     31.   79.  229  n.  ff. 
Moshehoe.     21. 
Moskwa.     78. 

Moszyn,  Posen.     101.  277. 
Mühlsteine.    219.  257. 


Mülirose.     102. 

München.  General-Versammhmg  der  Deut- 
schen Anthropol.  Gesellschaft  daselbst 
143.  201  u.  ff. 

Münster  in  Westfalen.     50. 

Münzen.  Rom.  Kaiser-M.  8.  Von  Decdntius 
92.  "Wendenpfennige  17.  M.  als  Obo- 
lus 17  n.  ff.  67.  197.  217.  224.  258» 
Birmanische  M.  279. 

Mulatten.    42  u.  ff. 

Mumien.     58.  121.  242. 

Munsa.     196  u.  ff. 

Muschelberg,  Muschellager.  Von  San  tos  41. 
167.  Bei  Smyrua  67.  Am  Burtneck- 
see  85.  217  u.  ff.  Auf  den  Nicobaren 
191  u.  ff.    S.  a.  Andamanen. 

Muscheln.     9.  146.     Als  Schmuck  42. 

Museum.  Anthropol.  u,  ethnologisches  90. 
274. 

Museum  zu  Berlin  ,  Königliches.  45  u.  ff. 
46.  49.  67.  88.  120.  124.  155.  268. 
274  u.  ff. 

Museum  zu  Berlin,  anatomisches.  8.  42. 
66.  164. 

Museum  zu  Berlin,  Mark.  Prov.  44  u.  ff. 
182  u.  ff.  238.  242  u.  ff.  275.  281 
u.  ff. 

Museum  zu  Braunschweig.  96  u.  ff.  108 
u.  ff.  143  u.  ff.  207  u.  ff. 

Museum  zu  Dorpat.     214. 

Museum  zu  Genf.     73. 

Museum  zu  Halle.     42. 

Museum  zu  Hannover.  95  u.  ff.  98.   107. 

Museum  zu  Jena,  Germanisches.     41. 

Museum  zu  Kopenhagen.     63. 

Museum  zu  Krakau.     96  u.  ff. 

Museum  zu  Lund.     34. 

Museum  zu  Mainz,  Rom.  German.  Central 
M.     45  u.  ff 

Museum  zu  Münster.     50. 

Museum  yu  Olmütz.     96  u.  ff. 

Museum  zu  Posen.     133. 

Museum  zu  Prag.     96  u.  ff.  106  u.  ff. 

Museum  zu  Riga.     214. 

Museum  zu  Riga.     214. 

Museum  zu  Ruppin,  Zietensches  im  Gym- 
nasiinn.      18. 

Musik,  M. -Instrumente.     88. 

Myastecko  (Städtel),  Posen.    106. 

Mythen.     S.  Sagen. 


(303) 


Mytilus  smaragdinus.     9. 
Mzchet.     14'J  u.  ff. 

N. 
Nackenstütze.     24. 
Nadel.    Von  Hronzo  18.  GO.  107.  110.  121. 

122.     Von   Kisen  2».   107.     Von  Bein 

y.  97. 
Nagel.     Von  Kisen  100,     S.  a.  Bronze. 
Nahrungsmittel.    Der  Hottentotten   22.    Der 

(juurauis    59    u.  tl".     Der   Nicobaresen 

187.  191. 
Nahuatl.     119. 
Namaqua,    19  u.  ff. 
Nancowryleute.     187  u.  ff'. 
Nankln.     239. 

Napf.     S.  Gefäss,  Thongefiiss. 
Natal.     21. 
N'dnngo.     88. 
Nebra.     208  u.  ff. 
Neger.     S.   a.  Nigritier  u.  Afrikaner.     21. 

Dinlva-N.  23  u.  ff.  Bantu  24.  43.  Bougo 

24.    N.  aus  Bahia  42  u.  ff'.    Kreoineger 

43.     N.    aus  Cabinda    u.  Angola    43. 

Bantetje,  Monjallo  43.    Congoneger  44. 

70.     Galla  269. 
Negrito.    47  u.  ff.  70. 
Nekau.     24. 
Nelke,  Gross-,  100. 
Nephrit.    48  u.  ff'.  71  u.  ff. 
Nero.     58.  62. 
Neu-Caledonien.     147. 
Neu-Guinea.     24.  47  u.  ff. 
Neu-Holland.     146. 
Neumark.     93. 
Neumarkt,  Sclilesien.     93. 
Neu-Seeiand.     8  u.  ff.  49.  71.  73.  147. 
Neustadt  a.  d.  Dosse.     18.    14. 
Neustettin.     99. 
New-Yersey.     145. 
Ngatikuri.     9. 
Ngatimamoe.     9. 
Nickel.     1 98  u.  ff".  246  u.  ff. 
Nicobaren.     185  n.  ff'. 
Nicoiajewsk.     40. 
Niederursel.     99. 
Niemegk.     124. 
Niemen.     80  u.  ff'. 
Nienburg.     107. 
Nieszewice.     121. 


Niete.     S.  a.  Tutuli.     N.  von  Bronze  46. 

Nigritier.     24. 

Nilländer.     24.  58.   185. 

Nischny-Nowgorod.     78. 

N'Kassarinde.     248  u.  ff. 

Nomaden.     64. 

Normannen,  Normannisch.     214  u.  ff.  225. 

Norwegen.     229. 

Novaraexpedition.     186  u.  ff. 

Nowgorod.     78  u.  ff.  240.  258. 

Nubien.     44. 

Nucleus.     233. 

Nyango.    88. 

0. 
Oase  Dachel.     271.  57.  93. 
Ob.     239. 

Oberer  See,  Nord-Amerika.     145.  183. 
Oberstein,  Nahetbal.     74. 
Obornik,  Prov.  Posen.  12.  63  u.  ff.  101.  122. 
Obra.     100  u.  ff. 
Obrczycko,  Posen.     101. 
Obrowo,  Posen.     123. 
Obrsitzko,  Posen.     123. 
Obsidian.     8.  71  u.  ff.  145. 
Obtschey-Syrt.     78  u.  ff. 
Ocydromus  Australis  (Weka).     9. 
Odensee.    46. 

Oder.    85.  96.  112  u.  ff.  115.  120. 
Oderberg,  Brandenburg.     16.  85.   112  u.  ff. 
Odessa.     66. 

Oesterreich.     52.  98  u.  fl. 
Ogoifun.     Photographien  40. 
Ohio.     145. 

Ohiershof  am  Burtnecksee.     225. 
Ohrschmuck.     21. 
Ohrringe,     von  Kupfer  22.     Von  Eisen  28. 

Von  Bronze  97.  107.  114.   121.   124. 
Oka.  78  u.  ff". 

Oldenburg.     50.  92  u.  ff'.   120.  231  u.  ff. 
Olmütz.     96  u.  ff.  130  u.  ff' 
Onegasee.     228. 

Opferberg,  Opferhügel.     215.  223  u.  ff. 
Opferstein.     136.  146. 
Ophrynium.     Schädel  von  dort  7. 
Orang-Utan.     19. 
Ordal.     88. 
Orient.    62. 
Ornament.     S.  a.  Verzierung.    Wellenorna- 

meut  10.  97  u.  ff".    In  Afrika  99.  106. 


(304) 


Burgwalltypus  96.  116.  129  u.  ff.  Grad- 
linige Zeichnungen  8.  ür-arisches  0. 
41.  Seeigel-0.  41  u.  ff.  Alt-Aegyp- 
tisches  0.  42.  Kreisornament  94.  126. 
Schnur-,  Ketten-,  Bindfaden-0.  99. 
159.  Punkt-0.  145.  Kreuze  als  0. 
111  u.  ff.  Thierfigureu  142.  Bema- 
lung an  Grabgefässeu  8.  111  u.  ff.  P. 
an  Urnen  61.  63.  114  u.  ff.  124.  133 
u.  ff.  145.  0.  an  einer  Bronzepin= 
cette  26. 

Oschas.     S.  Calotropis  procera. 

Oschersleben.     206  u.  ff. 

Osdorf,  Kreis  Teltow.     185. 

Os  Incae.     242. 

Ost-Gothland.     61. 

Ostjaken.     228  u.  fl.  239. 

Ostindien.     19. 

Ostsee.     62. 

Otakeitl.     49. 

Ottentotten.     S.  Hottentotten. 

Owalau.     S.  Fidschi  Inseln. 

Oxhöft  bei  Danzig.     99. 
P. 

Paalstab.     S.  a.  Gelt.     97. 

Fahren  bei  Gera.     127. 

Panama.     144. 

Pampasindianer.     59.  159  u.  ff'. 

Pannonien.     239. 

Pansdorf  bei  Eutin.     107  u.  ff. 

Panther.     Fell  22. 

Papua.     47  u.  ff".  70.  107. 

Paraguay.     59  u.  ff. 

Paramaribo.     146. 

Parana.     59. 

Parsteiner  See.     125. 

Pasambangko.     11. 

Patagonien,  Patagonier.     58  u.  ff". 

Pawelwitz,  Schlesien.     123. 

Pawlowice,  Posen.     12.  99. 

Penang.     193. 

Pera.     67. 

Perkowo  am  Primenter  See.    159. 

Perlen.  Von  Glas  112.  157.  214.  Von 
Thon  S.  "Wirtel.  Von  Bernstein  112. 
Von  Bronze  87.  114. 

Pernambuco.    44. 

Persanzig.     60. 

Perser,  Persien,  Persisch.  64  u.  ff.  210 
u.  ff.  269. 


Peru,  Peruaner.     121.   146.  213.  242.  268. 

271.  282. 
Pesth.     122  u.  ff. 
Petersburg.     28. 

Pfahlbauten.    In  der  Provinz  Posen  12.  99. 
In   der  Schweiz  41.     Pf.   des  Ueber- 
linger  Sees   71.     Pf.  von  Wangen  72. 
Nephrifähnliche Steinwerkzeuge  aus  Pf. 
48  u.  ff.  71.  Pf.  von  Olmütz  96.  98.  130. 
Von  Lübtow  99.    Von  Daher  106.  115. 
130.  198  u.  ff.  269.     Bei  Zahsow  129 
u.  ff.    Auf  den  Nicobaren  192  u.  ff.    Im 
Plönesee  in  Pommern  285  u.  ff. 
Pfeife.     S.  Tabackspfeife,  Thonpfeife. 
Pfeife.     S.  Flöte. 
Pfeil.     88.  143. 

Pfeilspitze.     Von   Stein   63.   145.  219  u.  ff. 
223.    Von  Feuerstein  245.    Von  Eisen 
97.    185.      Von    Knochen    207    u.  ff. 
218  u.  ff. 
Pferd.     21.  87.  105.  113.  127.  153. 
Pferdegebiss      Von  Bronze   111.   154  u.  ff. 
Pforten.     93.  133  u.  ff. 
Pfriem.     218  u.  ff. 
Phalerae.     184  u.  ff. 
Phallus.     144. 
Philippinen.     47  u.  ff.  70. 
Phönicier,  Phönicisch.    55.  61  u.  ff. 
Photographien.     S.  a.    Abbildungen,   Zeich- 
nungen.    Ph.  von  Chinesen  40.     Aus 
dem    Amurgebiet    40.     Von    Sachalin 
40.     Von  Ussuri    40.     Von   Japanern 
214.   Von  einem  Götzenbilde  aus  Vene- 
zuela 42.    Ph.  der  Tales-  u.  Goajiros- 
In dianer  88.   Von  Golumbischen  Alter- 
thümern  88.    Von  prähistorischen  Rui- 
uenstädten  am  Mancos  River,  Colorado 
182.    Von  Congonegern  44.    Von  Ta- 
taren   64.     Von  Kalmücken    64.     Ph. 
des  Laraa's  der  Kalmücken   118.    Von 
Andamanesen  92.  259.    Von  den  An- 
damanen,  von  Rangim  u.  von  Amrit- 
sar  213  u.  ff.     Von  Nicobaresen   186, 
Von  einem  gviechisahen  Soldaten  mit 
ungewöhnlicher  Haarbildung  91.    Von 
Dachauern    204.      Von    Fundstücken 
aus  Livland  215.     Von  Steingeräthen 
276.     Ph.    der    Berl.    Anthrop.    Ges. 
270  u.  ff". 
Pincette.    S.  a.  Bronze.    26, 


(305) 


Pinguin.     22. 

Piselc,  Böhmen.     109. 

Platitow.     IIG. 

Plavno,  Böhmen.     lOG  u.  ff. 

Pleschen.     rJ2. 

Plönesee,  Pommern.     285. 

Plötzensee.    47. 

Podlachieo.     258. 

Pösneck.     127. 

Polen,  Polnisch      9G.  IUI.   104.  119. 

Polyandrie.     188. 

Polygamie.     188. 

Polynesien,  Polynesien,  Polynesisch.     9.  14G. 

Polysarcia  praematura  7.     Partielle  P.  7. 

Pomerellen.    99.  115. 

Pommern.  25.  93  u.  ff.  99.  125  u.  ff.  133. 
142.  20G.  273.  285  u.  ff. 

Pompeji.     109. 

Ponda.     21. 

Popowo,  Posen,     Burgwall  das.  10  u.  ff. 

Port-Blair.     195. 

Posen.  Prov.  P.  Burgwall  bei  Wollstein 
10.  Bei  Deutsch  Poppen  (Popowo) 
10.  Bei  Barchlin  10  u.  ff.  S.  a. 
Burgwall.  Gräberfelder  10.  18.  S.  a. 
Gräber  u.  Gräberfelder.  Thongefässe 
41.  Verzeichnisse  von  Alterthums- 
funden  56.  256  u.  ff.  273.  Kinder- 
klappern 93  u.  ff".  Urnen  99.  121 
u.  ff.  133.  277. 

Potan.     159  u.  ff. 

Pete.     159  u.  ff. 

Poto.     66. 

Poton.     159  u.  ff. 

Potrzanowo.     122. 

Potzlow,  Uckermark.     130. 

Praeneste.    46. 

Prag.     96  u.  ff.  106. 

Preschen,  bei  Forst,  Lausitz.     133. 

Preussen,  Preussisch.     62.  90. 

Priegnitz.     198  u.  fl. 

Priepet.     80. 

Priment,  Posen.  10.  95  u.  ff.  101  u.  ff.  107 
u.  ff.  154.  277. 

Primentdorf.     197. 

Prüsnicksee,  Brandenburg.     15. 

Puelches.    29  u.  ff. 

Pullo.     44. 

Punier,  Punisch.     55. 

Pygmaeen.     24. 

Verhandl    der  Berl.  Antliropol.  Uetellachaft  1875. 


Pyrenäen.     38. 
Pytheas.     84. 


a. 


Quänen.     229. 

Quarz.    49.  50.  (Anmerkung.)  71.  219.  222. 

Quena  =  Cap-Hottentotten. 

Querandi.     59  u.  ff. 

Quoltitz,  Rügen.     136. 

£. 

Rabenstein,  Fränkische  Schweiz.  Bronze- 
fuiid.  93  u.  ff 

Radomsk,  Polen.     28. 

Räuchergefässe.     1 34. 

Rages  (Raghae).    65.  210  u.  ff. 

Raghae.     S.  Rages. 

Rakaia.    9. 

Ramsund,  Schweden.     141. 

Rangun.     213. 

Ranqueles.    59. 

Rassen.  Menschenrassen,  Polynesische  9. 
Arische  u.  Turanische  32.  Indoger- 
manische 32.  Negrito-  u.  Papua-Rasse 
47  u,  ff.  Blonde  u.  Braune  R.  in 
Deutschland  S.  Hautfarbe,  Haarfarbe, 
Augenfarbe.     Thierrassen  273. 

Regensburg.     138. 

Regnitz.     234. 

Reh.    87.  101.  105.  113.  219. 

Reitwein.     112. 

Reliquien,  Reliquiarien.     136  u.  ff. 

Renthler.  Geweih  25.  Fell  28  u.  32.  R. 
87  u.  ff  113.  127. 

Renthierhöhle  im  Freudenthal.  25.  127. 
S.  a.  Höhlen. 

Rescht.     64, 

Rheinkiesel.    71. 

Rheinland,  Rheinländisch,  Rheinisch.  45.  46. 
148.  245 

Rheinsberg,  Brandenburg.     17. 

Rhinoceros.     Rh.  tichorrhinus  127. 

Rhön.     42. 

Riesen.     29. 

Riga.     Museum  das.  214. 

Rind.     87.  101.  105.  115.  219. 

Ring.     S.  a.   Armring,   Halsring,   Ohrring. 

18.    Kupferne  Ohrringe  22.    Arm-  u. 

Oberarmringe  22.     Von  Zahsow    128. 

R,    von  Bronze    18.  26.  87.  110.  114 

20 


(300) 


u.  ff.  134.  184  u.  ff.  Aus  Livland  224. 
R.  von  Eisen  28. 

Ringenwalde,  Brandenburg.     15  u.  ff. 

Rinnehügel.     214  u.  ff. 

Rio  de  Janeiro.     IGl. 

Rio  Negro.     5'J. 

Rixdorf  b.  Berlin.     142. 

Rodenbach,  Hassen.     158. 

Römer,  Römisch.  45.  R.  Fundo  in  Olden- 
burg 92u.  ff  R.  119.  155.  2H1.  245. 
258. 

Rönning,  Amt  Odensee.     46. 

Rossen  a.  d.  Elster.      133. 

Rötrop.     231. 

Rogasen,  Posen.  GS. 

Roggen.  102. 

Roitsch   bei  Torgau,     46. 

Rom.     137  u.  ff.     S.  a.  Römer,  Römisch. 

Rombczyn.     Urne  von  dort  60. 

Ronneburg,  Livland.     214  u.  ff. 

Ronzano.     154. 

Rosdorf,  Hannover.     120. 

Rostarzewo,  Posen.     122. 

Rubin.    71. 

Rügen.     136. 

Runen,  Kalewala-R.  31.  143. 

Runenstein.     225. 

Ruppin.     12.  17.  18.  277.  282. 

Rurik.    80.  217. 

Russen,  Russland,  Russisch.  R.  Kinder  7. 
64  u.  ff  176  u.  ff.  217  u.  ff.  228  u.  ff 
238  u.  ff 

Ruthenen.     119. 

S. 

Saale.    42. 

Saame.    S.  Lappe. 

Saamelainen.     S.  Lappe. 

Saarlouis.     154. 

Sabmela.    S.  Lappe. 

Sabmelatsch.     S.  Lappo. 

Sachalin.    27.    Photographien  von  dort  40. 

Sachsen.     1 18. 

Sagar,  Deutsch-S.,  bei  Crossen.     44. 

Sagen.  Der  Hottentotten  u,  Buschleute 
18  u,  ff".  Der  Lappen  29  u.  ff".  Der 
Ehsten  30.  Von  Island  30.  Der  Lap- 
pen und  Finnen  36  u.  ff.  Der  Letten 
216. 

Saint  Germain.    Museum  das.   154. 

Salisbury.    223. 


Salomonsinseln.     147. 

Salz.     22.  62. 

Salzwedel.     148. 

Samara.     78. 

Sammlung.     S.  Museum. 

Sampo.     3 1 . 

Samoa-Inseln.     27. 

Samogitien.     258. 

Samthawro.     Q^.   149  u.  ff. 

Samter,  Posen.      123. 

San  Amaro.     167. 

Sandalen.    22. 

Sandomirz.     258. 

Sandstein.     120. 

Sandwerder.     245. 

Sangiinseln.     47. 

San  Remo.     35. 

Santa  Olga.     40. 

Santos.     40.    167  u.  ff'.     Ö.  a.   San  Amaro. 

Saphir.     71. 

Saratoff.     78  u.  ff. 

Sarkophag.     153.  259. 

Satyr.     22. 

Savage-Insel.     143. 

Scandinavien.  S.  a.  Schweden,  Norwegen. 
51.  61.  79  u.  ff   109.  136.   149.  228. 

Scarabäen.    49. 

Schädel,  menschliche.  Von  Ophrynium  7. 
269.  Ait-griechische  26  n.  ff.  270. 
Aus  Selinunt,  Sicilien  52.  271.  Hel- 
lenischer, phönicischer,  iberischer  (Bas- 
kischer) Typus  55.  S.  von  S.  Remo 
35.  Von  Kertsch  151  u.  ff.  Andalu- 
sische  Schädel  8.  270.  Avarenschädel 
152.  Makrocephalen-S.  152.  S.  von 
Guebern  211  u.  ff.  Kaukasische  Makro- 
cephaleii-S.  245  u.  ff.  S.  von  Samt- 
hawro 66.  Türkenschüdel  66  u.  ff. 
271.  Kurganenschädel  228  u.  ff.  238 
u.  ff.  S.  von  Lappen,  Finnen,  Ehsten, 
Magyaren  34  u.  ff.  37  u.  ff".  Alttin- 
nische  S.  239  u.  ff.  S.  aus  dem  Canal- 
bett  bei  Moabit  47.  Von  Wollsteiu 
101.  104.  Von  Siebenbürger  Sachsen 
118.  Aus  Galizischen  Gräbern  118. 
Von  Bremen  120.  Von  Westeregeln 
208.  Von  Ronneburg  in  Livland  214 
u.  ff.  Vom  Rinnehügel  221  u.  ff;  Von 
Straute  223  u.  ff".  225.  Aus  dem  Grab- 
hügel von  CoUisberg  bei  Gera  235  u.  ff. 


(307) 


S.  vuu  Lehfelde,  Posen  278  u.  ff. 
Keltenschädel  52.  271.  S.  von  For- 
mosa  H.  270.  S.  von  Makongai,  Fidji- 
Gruppe  27.  Chinesische  S.  27.  Ne- 
grito-  u.  Papua-S.  47  u.  ff.  Andama- 
ncn-S.  67  u.  ff.  S.  von  den  Auda- 
raaneu,  Rangun  u.  Araritsar  213.  Von 
Madras  'lij'd.  S.  aus  Brasilien  116. 
159  u.  ö.  S.  von  Botociiden  im  Stock- 
holmer Museum  161  u.  ff.  Botocuden- 
S.  der  Berl.  Anthrop.  Ges.  171  n  ff. 
Schädelfragmente  aus  der  Höhle  von 
Maeahe,  Brasilien  180  u.  ff.  Patago- 
nische  S.  58  u.  ff.  S.  aus  Peru  121. 
213.  242.  268.  271.  Indianer-S.  271. 
West-Gröuländische  S.  270.  S.  von 
der  Oase  Dachel  57.  Schädelmaasse 
von  Zanzibar  210.  Zuwachs  der  Schä- 
delsammlung der  Berl.  Anthrop.  Ges. 
270.  Schädelsammlung  des  Herrn  Jan 
van  der  Hoeven  270. 

Schädel  von  Thieren.  25.  87  u.  ff.  113. 
8.  a.  Knochen. 

Schädeldeformirung,  künstliche.  Auf  Selebes 
11.     Auf  den  Nicobaren  187  u.  ff". 

Schädelform.  Der  Polen  104.  Der  Wenden 
131  u.  ff.  Der  Lappen,  Finnen  u. 
Magyaren  34. 

Schaf.     101.  105  u.  ff.   123. 

Schah  von  Persien.  64  u.  ff'. 

Schah  Abbas.  65. 

Schale.     S.  Gefäss. 

Scharfenort.  Posen.     123. 

Scharkathal,  Biihmen.     97  u.  ff. 

Scharker-Bach.     100. 

Scheere.     18.  45.   122. 

Scherben.  S.  a.  Topfscherben,  Thonscher- 
ben,  Urnenscherben.  S.  aus  dem 
Burgwall  von  Wollstein  10.  Von 
Barchlin  u.  Popowo  11.  Von  Bienen- 
walde 12.  Von  den  Parana-Mündun- 
gen  59.  Von  Möen  63.  Von  Olmütz 
96.  Von  Wockowitz  97  u.  ff".  Von 
Käme  100  u.  ff.  278  u.  ff.  Von  Pri- 
ment  104  u.  ff.  Von  Seelow  116. 
Von  Gay  123  u.  ff.  Von  Zahsow  129. 
Von  Ohio  145.  Von  Zaborowo  157 
u.-ff.  Von  den  Somal  209.  Vom 
Rinuehügel  217.  Von  Berlin  238. 
Von  Kohlhasenbrück  243.     Von  Ber- 


lin, Oderberg,  Spandau,  Potsdam,  Cö- 
penick  243.  Vom  Sandwerder  u.  Käl- 
berwerder 245.  Von  Ruszcza  258. 
Vom  Teufelsdamm  im  Plönesee  in 
Pommern  285  u.  ff. 

Scheune  bei  Forst  i.  Lausitz.     134. 

Schiefer.     236. 

Schiffsgrab.     214  u.  ff. 

Schlldbuckel.     92. 

Schilluk.     44. 

Schintetje.     43. 

Schlaupe,  Schlesien.     93. 

Schlesien.  41.  42.  90.  93.  121  u.  ff  133. 
206.  277. 

Schleswig.     62. 

Schlieben.     12L  133. 

Schlossberg,  auf  der  Schorfhaide  16. 

Schmuck.  17.  Aus  Muscheln  42.  Aus 
Nephrit  ähnlichen  Gesteinen  48  u.  ff. 
Von  den  Andamanen  67.  Feder- 
schmuck 88.  119.  S.  der  Nicobaresen 
195.  Aus  Gräbern  214,  Vom  Rinne- 
hügel 218.  224.  227.  Schmuck  der 
Lappen  S.  Lappen.  S.  von  Bronze 
S.  a.  Bronze. 

Schnalzlaute.     18  u.  ff. 

Schnecken.     127. 

Schneeschuhe.     30. 

Schnitsch  (Sniec)  Posen.     121. 

Schnurornament,     S.  Ornament. 

Schokken,  Posen.     122. 

Schollehne,  Brandenburg.     17. 

Schorfhaide,  Brandenburg.     16. 

Schrimm,  Posen.     101  u.  ff. 

Schurz,  Schürze.     32. 

Schwachenwalde.     94. 

Schwanefeld,  Braunschweig.     147. 

Schwarzes  Meer,     ßd  u.  ff.  81. 

Schweden,  Schwedisch.     S.  a.  Scandinavien. 
25    75.  84.  99.   141,  217.  225. 

Schwedenschanze.    S.  a.  Befestigung,  Burg- 
wall, Wall. 

Schwefel.     246  u.  fl. 

Schwein.  S.  a.  Eber,  Torfschwein.  100 
u.  ff.   105  u.  ff.   113.   115.   123. 

Schweiz.    41.  50,  136.   154  u.  ff. 

Schwemsal  b.  Leipzig.     48  u.  ff. 

Schwerin,  Mecklenburg.     45.  233. 

Schwerin,  Posen.     KU.   121. 

20* 


(308) 


Schwert.    Von  Eisen  27.    Von  Bronze  147 

u.  £f.  154  u.  ff. 
Seehund.     22. 

Seeigel.    Als  Ornament  41   u.  ff. 
Seelow.    85  u.  ff.  112  u.  ff.  247  u.  ff. 
Selebes.     11.  47  u.  ff.  258  u.  ff. 
Selinunt,  Sicilien.     54.  271. 
Semangs.    92. 
Sennaar.    44. 

Serpentin.     50.     S.  CoUisberg. 
Sessel.    88. 
Shoboeng.     187  u.  ff. 
Showra.     187  u.  ff. 
Shygulewsche  Berge.     76  u.  ff. 
Siao.     47. 
Sibirien.      S,    a.    üralgebiet.     Amurgebiet 

49  u.  ff. 
Sicaner.    55. 
Sichelmesser.    S.  Messer. 
Sicilien.    54. 
Siculer,    55. 
Siebenbürgen.     118. 
Silber.     17.  130.  227.  258.  259. 
Simbirsk.    78. 
Singapore.     193. 
Skalnierz.     96. 

SIcelete,  menschliche.  Altgriechisches  Sk. 
27.  Aino-Sk.  27.  Von  Santos  41. 
Aus  Brasilien  116  n.  ff.  Von  Brasi- 
lianischen Indianern  159  u.  ff.  Von 
Caygua-lndianern  167  u.  ff.  Aus  der 
Höhle  Babilonia  179.  Aus  Peru  121. 
150  u.  ff.  Von  Guebern  211.  Von 
Seelow  86.  Von  Rabenstein,  Franken 
94.  Von  Glockuitz  98.  Von  Plavno 
106  u.  ff.  Von  Ronneburg  in  Livland 
214.  Vom  Rinnehügel  221  u.  ff.  Von 
Sttante  223  u.  ff.  Aus  dem  Grab- 
hügel vou  CoUisberg  235  u.  ff.  Aus 
den  Gräbern  von  Ruszcza  258.  Von 
Lehfelde  279  u.  ff.  Von  Kindern  105. 
Skellefte-Elf.  32. 
Skortleben,  Prov.  Sachsen.  75. 
Slaven,    Slavisch.     79   u.  ff.  97   u.  ff    129. 

243. 
Smyrna.     66  u.  ff. 
Societätsinseln.     146. 
Soedermanoland.     141. 
Sofala.     20. 
Somal-Land.    99.  143.  209.  269. 


Sonne.     19.  29  u.  ff.  189. 
Sonnenbilder,  Sonnenzeichen.    126.    S.  a.  Or- 
nament. 
Sonnencultus.     189. 
Soome.     S.  Finne. 
Spandau.    45. 

Spanien,  Spanier,  Spanisch.     49.  51.  59. 
Speckstein.     141.  146. 
Speer.     S.  Lanze. 
Spindeistein.    S.  Wirtel. 
Spinnwirtel.     S.  Wirtel. 
Spiralplatte.     Von  Bronze  106. 
Sporn.     18.  21. 

Sprache.     Der  Hottentotten  u.   Buschleute 
18  u.  ff.    Südafrikanische  Spr.  20  u.  ff. 
Altägyptische  u.  koptische  Sp.  20  u.  ff. 
Nordafrikanische    Sp.     19.      Sp.    der 
Lappen  28  u.  ff.    Der  Finnen  28  u.  ff. 
Lappische    u.    finnische  Sp.    36   u.  ff. 
Mordwinische    Sp.    31.      Assjachische 
Sp.  31.    Wogulische  Sp    31.     Magya- 
rische Sp.  31.    Ugrische  Spr.  228.  238. 
Negrito-  u.  Papua-Spr.  47  u.  ,fl.    Spr. 
der  Guarani  59.    Der  Nicobaresen  190. 
Keltisch  52. 
Spree.     47.  102 
Spreewald.     120.  132  u.  ff. 
Springmaus  (Dipus  Geranus)  127. 
Springebruch.     124. 
Ssant  Acacie.     58. 
Staaken  bei  Spandau.     45. 
Stabreim.    31. 

Städtel  (Myastecko),  Posen.  106. 
Stargard  in  Pommern.  125  u.  ff. 
Statuette.     144.  231. 

Steinaxt,  Steinbeil.  S.  Steinwaffen,  Stein- 
werkzeuge. 
Steinen,  Schlesien.  93. 
Steingeräthe.  S.  a.  Stein waffen.  Steinwerk- 
zeuge. Geschliffene  St.  8.  12,  St. 
aus  Anhalt  42.  45  u.  ff.  67.  71  u.  ff. 
87.  Hornstein,  in  neuerer  Zeit  ge- 
schlagen, ähnlich  den  sogenannten 
prismatischen  Messern  89.  St.  aus 
dem  Scharkathal  97.  Aus  Werben 
119  u.  ff.  Aus  Posen  122.  256  u.  ff. 
Von  Zahsow  128.  Schleudersteine 
143.  147.  148.  Brasilianische  St. 
167.  St.  von  Nebra  u.  Lauche  209. 
Schleifsteine  215.  218.  232  u.  ff.     St, 


(309) 


von  Collisberg  '237  ii.  £f.  St.  aus  Rus- 
sischen Gräbern  2o9.  St.  von  Basel 
276  u.  ff.     St.  aus   Indien  259.    ' 

Steingräber.  13  u.  ff.  (J3  u.  ff.  214  u.  ff. 
25«  u.  ff.  278. 

Steinhügel.     13.  214.  224.     S.  a.  Grüber. 

Steinl^eil.     S.   Steinwaffen.   Steinwerkzeuge. 

Steinitiste.  13  u.  ff.  26.  60.  63.  66.  150 
u.  ff.  257  u.  ff. 

Steinsärge.     120. 

Steinwaffen,  Steinwericzeuge.  Aus  Feuerstein 
45  u.  ff.  Aus  Nephrit  ähnlichem  Ge- 
stein 48  u.  ff.  71  u.  ff  145  u.  ff,  St. 
von  Obornik  63.  71  u.  ff.  Von  Skort- 
leben  75.  Von  Angermüude,  Kohl- 
hasenbrück,  Jüterbogk  182.  Ameri- 
kanische St.  145.  183.  St.  von  Neu- 
holland 146.  St.  vom  Burtneck-See 
in  Livland  219. 

Steinwall.     S.  Wall. 

Steinzeit.     42.  45.  99.    159. 

Steiermark.     46. 

Stelkoves,  Böhmen.     98. 

Stempel.     Auf  Topfböden  97.   106. 

Stendal,  Altmark.     18. 

Steppen.     Russische  St.  77. 

Sterne.     19. 

Stettin.     155. 

Stierbilder.     122  u.  ff. 

Stockliolm.     161  u.  ff.  273. 

Stopanowo.  Posen.     123. 

Stradow,  Polen.     96. 

Strakonitz,  Böhmen.     108. 

Stralsund.     136. 

Strante.  214  u.  ff.  Opferhügel  das.  223 
u.  ff 

Strelensk.     40. 

Striegau.     93. 

Strot,  in  der.     232. 

Strzelno.     277. 

Stuttgart.  Gereral-Versammlung  der  Deut- 
schen Anthropol.  Gesellsch.  das.    11. 

Südseeinsulaner.     :!7. 

Sumawa.     11. 

Sumner,  Neu-Seehind.     8. 

Suomalainen.     S.   Finne. 

Suome.     S.  Finne. 

Svijany  (Swian),  Böhmen.     108. 

Sykomore.    58. 


Taback.     59. 

Tabackspfeife.     146. 

Tabi.     44. 

Tättowirung.  S.  a.  Ilautbemalung.  21. 
Knopfförmige  43  u.  ff.    In  Japan  21(». 

Tahiti.     SS. 

Talisman.     31. 

Talkschiefer.     71. 

Tanz.    Der  Hottentotten  19.    Todtentauz  88. 

Taparra.     T.-Holz  146.     T.-FIaschen  146. 

Tatat.     1S7  u.  ff 

Tataren,  Tatarisch.  Photographien  64.  79. 
239. 

Tawastländischer  Dialect.     228  u.  ff. 

Teheran.     64.  210  u.  ff 

Tehuelsches.     59  u.  ff. 

Tekke.     67. 

Tembu.     21. 

Ternate.     48. 

Terramara.     98.  130.   197. 

Teufelsdamm.  Im  Plönesee  in  Pommern 
•2S5  u.  ff. 

Teufelshöhle  b.  Salisbury.     223. 

Teuplitz,  Gross  T.  bei  Forst  iL.     133. 

Texas.     145. 

Thierbild.     258. 

Thierköpfe.     259.     S.  a.  Figuren. 

Thomas,  St.-T.,  Insel.     12. 

Thonbilder,  Thonfiguren.  T.  von  Venezuela 
42.  93  u.  ff 

Thongefässe.  S.  a  Thongeräth,  Topf,  Urne, 
Gefässe.  Th.  aus  Andalusien  8.  Von 
der  Schorfhaide  16.  Aus  Posen  41. 
Dänische  42.  Von  der  Oase  Dachel 
57  u.  ff.  Aus  Aegypten  99.  Aus 
Scandinavien  61  ut  ff.  Bemalte  Th. 
111  u.  ff.  Th.  aus  der  Gegend  von 
Cottbus  133  u.  ff.  Von  Samthawro 
153  u.  ff.  Th.  des  Märkischen  Mu- 
seums 242  u.  ff.  Tb.  aus  Indien  259. 
Th.  aus  Peru  282. 

Thongeräth.  S.  a.  Thongefässe  u.  Scherben. 
Th.  der  Cunco-Indiauer  8.  Aus  Burg- 
wällen 1 1.  98.  p]trurisches,  griechisches 
197. 

Thongeschirr.     S.  Thongefässe. 

Thonperle.     S.  Wirtel. 

Thonscherben.     S.  Scherben. 


(310) 


Thonschiefer.     76. 

Thonurne.     8.   Urne. 

Thonwirtel.     8.  Wirtel. 

Thränenkrüge      S.  Urnen. 

Thüringen,  Thüringer,  Thüringisch.   41    42.70. 

Thuhkeul.     8.  Koranna. 

Tibbu.     23. 

Tichwinscher  Kreis.     228.  240. 

Tidore,     47. 

Tiflis.     66. 

Titus.     58. 

Tiwukar.     258  u.  ff. 

Todtenbestattung.     19    u.  ff.    27   n.  ff    41. 

57    u.  ff   50.   64.   88.   210  u.  ff.    212 

u  ff  258  II.  ff. 
Töpferberg  b.  Forst  i.  L.  133. 
Töpferei.     Der  Chilenischen  Indianer  57 
Töpfereiwaaren.    S.  a.  Thongefässe.    T.  von 

Zuiu    12.     Der   Chilenischen  Indianer 

57. 
Toledo,  Ohio.     145. 
Tomahawk.     145. 
Tomini.     11. 
Tonga-Inseln.     147. 
Topas.     71. 
Topf.    T()pfe  aus  Gräbern  der  Ciinco-lndia- 

ner  8.     T.    bei  Obornik  gefunden  12. 

Von  Hohennauen   18.    Von  Santos  41. 

Mit  gestempelten  Böcken  97. 
Topfscherben     S.  Scherben. 
Torf.     S.  a.  Moor.     Moorfund.     44. 
Torfschwein.     S    Schwein. 
Torgau.     40. 
Torneä-Elf.     225. 
Totnan.     137. 
Toumbuluh.     11.  258. 
Toumpakewa.     11. 
Tounaha.     258. 
Tounsea.     11. 
Trebschen.     102. 
Trichose,     279  u.  ff. 
Trichtergruben.     51   n.  ff.  201  u.  ff. 
Trinkhorn.     Von  Thon   133. 
Triquetrum,     41.    158. 
Troglodyten.     10  u.  ff. 
Troja      7.  41.  276, 
Trommel.     Zaubertrommel   der  Finnen    3U. 

Tr.   146. 
Truxlllo.     282. 
Tscheremissen.    79. 


Tschirnau,  Schlesien.     121   u.  ff. 

Tschuden,  Tschudisch.     80.  228. 

Tschuwaschen.     79. 

Türken.     i56  u.  ff.  271. 

Tules-Indianer.     88. 

Tumulus.     150.     T.  des  Mithridates  150. 

Turan,  Turanisch.     79. 

Turanier.     32.  79. 

Turkestan.     49. 

Turnau,  Böhmen.     108. 

Tutuli.     46. 

Twer.    229.  240  u  ff. 

Tykocin,  Russland.     90. 

Tyrus,  Tyrisch.     61  u.  ff. 

U. 

Uckersee.     96. 

Ueberlinger  See.     71. 

Uelzen.     51. 

Ugrischer  Volksstamm.     228.  238  u.  ff. 

Ulalabucht.     191. 

Ulme.     104. 

Ungarn.   S.  a.  Magyaren.   109.  123.  228  u.  ff. 

Ur.     87.   127.     S.  a.  Auerochs. 

Ural,  Uralisch.     38.  77  u.  ff  239. 

Ureinwohner.  S.  a.  Aboriginer.  ü.  der 
Laplata-Staaten  58  ii.  ff.  76  u.  ff. 

Urnen,  Thonurnen.  S.  a.  Thongefässe,  Thon- 
geräthe.  ü.  aus  Anhalt  12.  42.  Von 
Joachimsthal  12.  Vom  Grimnitzsee 
13  u.  ff.  Von  Friedrichswalde  15. 
Ringen walde  15  u.  ff.  ü.  der  Rup- 
piner  Sammlung  18.  U.  von  Stendal 
18.  Von  Neustadt  a/D.  18.  Von 
Zucheu  26.  Von  Dobryszyce  28.  Aus 
Thüringen  41  u.  ff.  Von  Hohenzieritz 
46.  Von  Rombczyn  60.  Von  Per- 
sanzig  60.  Von  Obornik  63.  Von 
Wockowitz  (Vokovic)  97.  Von  Zabo- 
rowo  102  u.  ff  109  u.  ff  157.  Von 
Plavno  107.  ü.  mit  Mäanderverzie- 
rung 105.  U.  von  Seelow  86  u.  ff. 
114.  116.  Von  Werben  119  u.  ff. 
Von  Bölkendorf  123  u.  ff".  Von  Nie- 
megk  124.  Aus  der  Gegend  von 
Cottbus  133  u.  ff'.  Von  Helmstedt 
147.  Von  Westeregeln  208.  Von 
Drütte  208.  Von  Nebra  u.  Laucha 
209  Von  Coliisberg  235  u.  ff,  Bei 
Berlin    gef.    238,      Urnen    des    Mär- 


(311) 


kischen  Museums  242  u.  ff.  U.  aus 
FospQ  121  u.  ff.  Von  Gay,  Posen, 
123.  2ÖG  u.  ff.  277.  278.  U.  von 
Kulisdorf,  lirandfiiburg  282.  Amori- 
kanisciie  U.  144.  U.  <ler  üuaraiiis 
59.  U.  von  Sautos  41.  Von  der  Oase 
Dadiol  57. 

Urnendeckel,  is.  CO.  121  u.  ff.  1.;:;  u.  ff. 
•-'i;;. 

Urnenfeld.     S.  (JiäbtalVtd. 

Urnenscherben.     S.  Scherben. 

Ursula.      lo7  u.  ff. 

Ussuri.     Pliotograpliion   von  dort  40. 


Vaalfluss.     21. 

Vancouver.     146. 

Varel.     2.i2. 

Vasen.  S.  a.  Gefässe.  Peruanische  von 
Truxillo  2S2. 

Vaudrevanges.     154. 

Venusexpedition.     G-1  u.  ff. 

Verbrennung  der  Leichen.     S.  Leicheubrand. 

Verden.     107. 

Verein,  histor.   von  u.  f.  Oberbayern.     51. 

Verstümmelung.  S.  a.  üeformirung  u.  Ca- 
stratiou.  V.  der  Finger  19,  Auraerkuug. 
Au.s>!:eldagen  der  Zähne  24. 

Verzierungen.  S.  a.  Ornamente.  9.  An 
Urnen  15.  60  u.  ff.  86  u.  ff.  92.  Con- 
centrische  Ringe  als  V.  61.  Geflecht- 
artige V.  an  Kinderklapperu  93. 
Mäander -V.  104.  Gemalte  V.  an 
Gelassen  144. 

Vespasian.     58. 

Vesterbotten,  Lappniark.     32. 

Viceita-Indianer.     119. 

Vicoigne  b,  Valence  (Valcutia).     138. 

Vippach  b.  Weimar.     42. 

Vogel.     Kuocheu  von  V.   105.   127. 

Vogelfigur.  93  u.  ff.  Von  Bronze  108  u.  ff. 
Als  Spielzeug  232. 

Vokovic  (Wockowitz)  b.  Prag.     97  u.  ff. 

Vorberg  b.   Lübbenau.      128. 

Vulci.     46. 

W. 

Wäinamöinen.     31. 

Waffen.  S.  a.  Feuerwaffen.  Steiuwaffen, 
Schwort  U.S.  w.      W.    1:'.    It!.    Kiserue 


W.   |f8.    111.    1.30.     Eiserne  Rüstung 
46.  -  W.  der  Nicobaresen   189. 

Wagen,  Bronze- W.  lOS. 

Waitaha.     '.». 

Walachei.  Walachisch.     77.  79. 

Waldaihöhe.     SO. 

Waldkirch  b.   Freiburg  i.  Br.     74. 

Walfisch.     22. 

Wall.  S.  a.  Burgwaij,  Befestigung.  Brand- 
wali  bei  Stradow  96.  Braudwall  im 
Uckersee  96. 

Wallberg.     S.  Wall,  Burgwall. 

Wallerfangen.     154. 

Wangen  am  Bodeusee.     72. 

Waräger.     80. 

Warschau.     258. 

Warthe.     101  u.  ff   123. 

Waschke,  Posen.     121. 

Wassersaphir.     71. 

Wassersuppe,  Brandenburg.     18. 

Weichsel.     .SO.  96.   101. 

Weimar.     42. 

Weissagk  b.  Forst  i,L.     134  u.  ff. 

Weissenfeis.     26.  42. 

Weissrussen.     80. 

Weizen.     102. 

Weka  (Ocydroraus  Australis).     9. 

Wellenornament.     S.  Ornament. 

Welna.     6.;. 

Wels.     182. 

Wenden,  Wendisch.     17  u.  ff.  46.   131  u.  ff. 

Wendenpfennig.     S.  Münze. 

Wepsischer  Dialect.     228. 

Werben  b.  Cottbus.     119  u.  ff.   134  u.  ff. 

Werbig.     85.  116. 

Werder  a.  Rügen.     136. 

Werle,  .Mecklenburg.     98. 

Weser.     50.  107.  232. 

Wesseley.    62. 

Westeregeln.     206  u.  ff.  * 

Westfalen.     137.    142. 

Wicken.     102. 

WIelen.     104. 

Wiesbaden.     45. 

Wilsnack,  Brandenburg.     18. 

Wind.  In  der  Sage  30.  Beschwörung  der 
W.  30. 

Wirte!.  S.  a.  Spindelstein.  Aus  Rothen- 
burg a.  Tauber  94  u.  ff.    Von  Wester- 


(312) 


egeln    208.     Aus    Livland    215,     W. 

103.   122. 
Wisconsin.     145. 
Wladiwostok      40. 

Wocitowitz  (Vokovic)  b.  Prag.     97. 
Woelpe.     107. 

Wogulen,  Woguliscli.     31.  228.  239. 
Wogullta.     239. 
Wohlau.     12. 
Wohnplätze,  praebistorische.    S.  a.  Anslede- 

luugen.     97  u.  ff. 
Wolinungen.     83. 
Wolga.     78.  238  u.  ff. 
Wollstein,  Prov.  Posen.   10,  95  ii.  ff.  100  u.  ff. 

122.  278  u.  ff. 
Wolsit.     80. 

Womza,  Russland.     99. 
Wongrowice,  Posen.     133. 
Wriezen.     85. 
Würzburg.     137. 
Wurfbrett.     147. 
Wusterhausen.     18, 


X. 


Xosa.    21. 


Yalta.  150. 
Yeso,  Yesso.  27. 
Yngebrand  de  Rurke. 


138. 


Yokohama,     45. 
Ystadt.     136. 


Z. 


Zaborowo,  Posen.  2G,  Gl.  95  u.  ff  102  u.  ff 
109  u.  ff  133,  135.  154  u.  ff  198  u.  ff 
200.  246  u,  ff  278  u.  ff. 

Zacatecas.     144  u,  ff, 

Zahlwörter.     19.  239. 

Zahn.     Ausscblagen  der  Zäbne  24. 

Zahsow  b.  Cottbus  127  u.  ff  213.  269. 

Zander.     105. 

Zanzibar.     210.  269. 

Zarizyn.     64.  78. 

Zauberei.  Der  Lappen  30  u.  ff.  Der  Finnen 
30  u,  ff,  58. 

Zeichnungen.  S,  a.  Abbildungen,  Photo- 
graphien. Contourzeichnungen  11. 
Z.  von  Objecten  von  den  Andaraanen, 
Raiigun,  u.  von  Amritsar  213  u.  ff. 
Von  Altsachen  aus  Indien  259. 

Zeitz.     94  u.  ff. 

Ziege.     101, 

Zigeuner.     32,  39.  229. 

Zimbalye.     20. 

Zink.     107.  198  u.  ff, 

Zinn.     21.  62.  107.  198  u.  ff  246  u.  ff. 

Znin,  Posen.     12. 

Zoroaster.     211. 

Zulu.     21. 

Zwischen-Ahner  See.     231. 

(Dr.  Voss.) 


Druck  vüu  Gebr.  Uuger  (Th.  Grimm)  Id  Berlin,  Schönebergerstr.  17a. 


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Infolge  nicht  deutlichen   Manuscripts   und   der  Unmöglichkeit,   dem   Autor 
Correctur  der  Druckbogen  zu  senden,  hat  sich  leider  in  die 

Dalton  -  Flex'sche  Ethnologie  Bengalens 

eine  ungewöhnHche  grosse  Anzahl  Druckfehler  eingeschlichen,    deren  Verzeich- 
niss  wir  nachstehend  pubhciren. 

Seite  2  Zeile  11  v.  u.  statt  Dravidische  Race  lies  Draviilischen  Race 
hier  lies  ihrer 
Sontals  lies  Santals 
Fengapani  lies  Tengapani 
Padiga  lies  Sadiya 
Tipperoh  lies  Tipperah 
iune  lies  inne 

Khanti-chiefs  lies  Khainli  chiefs 
Qautama  lies  Gaiitama 
Dav  lies  Dao 
Erdhanfen  lies  Erdhaufen 
Msgr.  lies  Monsr 
Msgr.  lies  Monsr 
Linie  lies  Leine 
unabhongig  lies  unabhängig 
Mimbus  lies  Membus 
Hauptordner  lies  Hauptredner 
ausrufen  lies  ausriefen 
Geachaifenem  lies  Geschaffenem 
Khunds  lies  Khands 
Lakhinpur  lies  Lakhimpur 
Pamibotia  lies  Panibotia 
gehandhobt  lies   gehandhabt 
ruhenden  lies  ruhenden 
sei  lies  sie 

eine  Nichte  lies  seine  Nichte 
die  das  Tödten  lies  auf  das  Tödten 
Baumwollenfedern  lies  ßaumwollenfeldern 
Shastos  lies  Shastrs 
danoben  lies  daneben 
Viela  lies  Viele 
Zaum  lies  Zaun 
Brotfahren  lies  Bootfahren 
augenscheinlich  lies  augenscbeinlicb 
verbrannt  lies  verbannt 
Katschares  lies  Katscharis 
Hebraphat  lies  Habraghat 
aber  so  lies  ebenso 
Begrabnissn  lies  Begräbnissen 
frühar  lies  früher 


2 

„ 

1    V.    u. 

3 

» 

4  V.  0. 

3 

n 

14  Mitte 

3 

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16  Mitte 

4 

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14  V.  u. 

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Mitte 

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Mitte 

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10 

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15  V.  0. 

14 

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Mitte 

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unten 

15 

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Mitte 

15 

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unten 

16 

» 

Mitte 

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„ 

14  V.  u. 

19 

n 

6  V.  0. 

19 

V 

8  V.  0. 

19 

» 

Mitte 

20 

„ 

4  V.   0. 

20 

„ 

Mitte 

21 

„ 

12  V.  0. 

21 

„ 

9  V.  u. 

23 

^ 

11    V.     0. 

23 

„ 

4  V.  u. 

24 

j) 

2  V.  u. 

26 

11 

Mitte 

31 

n 

Mitte 

32 

9 

7  V.  u. 

32 

„ 

6  V.  n. 

33 

» 

Mitte 

35 

V 

Mitte 

37 

» 

1    V.   u. 

38 

» 

7  V.  0. 

39 

» 

10  y.  0. 

39 

» 

12  V.  0. 

Seite  40  Zeile  12   v.  o.  statt  berichtenden  lies  berühmten 

,40  „      10  V.  u.  „  Mnud  lies  Mund 

„41  „14  V.  0.  „  Dar  lies  Dao 

,    41  ,         Mitte  „  Pipol  lies  Pipal 

„43  „12  V.  u.  „  Sadiga  lies  Sadiya' 

„44  „         Mitte  „  Kolilas  lies  Kolitas 

„    44  ,         Mitte  „  Kauirnps  lies  Kamrups 

„46  „        3  V.   0.  „  Kafi  lies  Kasi 

46  ^  1  V.  u.  „  Södsch  lies  Sidsch 
„^  AI  „  3  V.  0.  „  Södsch  lies  Sidsch 
„47  „      10  V.  u.  „  Fraaeu  lies  Frauen 

47  2  V.  u.  eines    solchen  —  ,solchen'  muss   in  die  nächste  Zeile   hinter 

,eines'  kommen 

„48  „       1  V.  0.  „  hiattes  lies  Blattes 

„48  „16  Mitte  „  Herrn  lies  Heroen 

„    48  „       8  V.  u.  ,  Ralchas  lies  Rabhas 

,49  „        7  V.  o.  „  lebrn  lies  leben 

„49  „     11  Y.  u.  „  Ahams  lies  Ahorns 

50  „     10  V.  u.  „  schwarzhaarigem  lies  schwarzhaarigen 

„51  „10  V.  u.  „  Kamruz  lies  Kamrup. 

„51  ,       9  V.  u.  „  Bewilligung  lies  Bescheinigung 

3,    51  „       1  V.  n.  „  wollen  lies  wollten 

„54  „     17  V,  u.  „  Dinadschzur  liesDinadschpur 

3.    Arun  bis  Metschi    1   ,.    i    •    u 

„54  „10  V.  u.  muss  heissen:     ,^^  g.^^.j^j^  j^^^j^^J  limbmsch 

„55      „       6  V.  0.  „  Kolariff  lies  Kolarisch 

„    57  „       4  V.  u.  „  Trilotscham  lies  Trilotschan 

„58  „       1  V.  0.  „  Kadschbaesis  lies  Radschbansis 

„58  „       1  V.   0.  „  Nowatzass  lies  Nowatyahs 

„58  „       4  V.   0.  „  Todschäis  lies  Todschais 

,    58      „       2  V.  u.  „  Kakir  lies  Kukis 

„59      „13  V.  u.  „  Buschais  lies  Luschais 

„59      „13  V.  u.  ,  Yomdoug  lies  Yomdong 

„59      „     11  V.  u.  „  Bushais  lies  Luschais 

„62      „       8  V.  0.  „  Insovah  lies  Jehovah 

„62      „15  V.  0.  „  Bukso  lies  Bukho 

„    62      „         Mitte  „  diesem  Alter  lies  diesem  alter  ego 

„62      „       8  V.  u.      „  Muksas  lies  Mukhas 

„63      „       7.  V.  0.      „  Mitnain  lies  Mitnam 

„64      „13  V.  0.  „  den  Dialekt  lies  dem  Dialekt 

,    64      „         Mitte  „  Kambroschans  lies  Kambodschans 

„65      „       8  V.  0.       „  Noaus  lies  Urans 

„65      „       9  V.  0.      „  Radschnasal  lies  Radschmahal 

„    65      „         Mitte  „  Madhydich  lies  Madhydesh 

„65      „       4  V.  u.      „  Tschero  lies  Tschota  Nagpur 

„67      „       4  V.  0.      ,      Kehahi  lies  Kshatri 

„67       „       4  V.   0.      „      Pharmi  lies  Bharni 

„67      „       7  V.  0.      „      Kiratio  lies  Kiratis 

„68      „       9  V.  0,      „      Phalboys  lies  Thalboys 

,68      „       8  V.  u.      „      bindet  lies  bildet 

„69      ,       7  V.  u.      „      Rusa  lies  Rewa 

„70      „       2  V.  0.      „      Phalgna  Ites  Phalguu 

„    70      „         Mitte       „      Jle  lies  Jb 

„    72      „     14  V.  0.      „      Haet'inaqurs  lies  Uastinapurs 

,    72      .         Mitte.      -  Palamowo  lies  Palamos 


Seite  72 

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statt  Bhagaepur  lies  Bhagalpiir 

„      Lanka  lies  Lanka 

^      Mahnabaums  lies  Mahuabauins 

„  Beuskars  lies  Bendkars 

„      Logaa  lies  Logan 

„      Simaugdialekte  lies  Simangdialekte 

„  Frissa  lies  Orissa 

„  Gevalas  lies  Gwalas 

„      Nuasis  lies  Muasis 

„      Mnasis  lies  Muasis 

„      Mahwani  Mahwasi 

„      Kanandsch  lies  Kauaudsch 

„      Muasirs  lies  Muasis 

„  Gondo  lies  Gonds 

„  Dhanzars  lies  Dhangrs 

„  Patua  lies  Patna 

„  Teluzus  lies  Telugus 

„  üschomherpa  lies  Dschoncherpa 

„  Dschomherpa  lies  Dschoncherpa 

„  Jirgudscha  lies  Sirgudscha 

„  din  lies  die 

„  (jui  lies  jui 

„  Rispotas  lies  Kispotas 

„  Geoogical  lies  Geological 

„      ha  aber  lies  hat  aber 

„  skales  lies  shales 

„  agee  lies  age 

„  aufgsstellt  lies  aufgestellt 

„  Bhiko  lies  Bhils 

,  Bhilo  lies  Bhils 

„  von  den  lies  an  den 

„  sind  deu  lies  sind  den 

„  erschienen  lies  erscheinen 

„  Stylur  lies  Stylus 

„  Pfosten  lies  Pfosten 

„  Maniksoco  lies  Maniksoro 

„  Gazur  lies  Garur 

„  Ureinwohnern  lies  Ureinwohnern 

„  Mahabharas  lies  Mahabharat 

,  Tschihgupta  lies  Tschitrgupta 

,  »Gudscbrab  lies  Giulschrat 

„  Nrauns  lies  Uraus 

„  Dschahag  lies  Dschadsch 

,  gehören  lies  gehören 

„  Mabadec  lies  Mahadeo 


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